Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Die Sitzung ist eröffnet.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, bevor wir in die
Tagesordnung eintreten, möchte ich der Kollegin Siegrun Klemmer, die am 13. Juni ihren 60. Geburtstag
feierte, nachträglich im Namen des Hauses sehr herzlich
gratulieren.
({0})
Sodann müssen einige Änderungen bei der Beset-
zung von Gremien vorgenommen werden.
Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen teilt mit, daß
die Kollegin Irmingard Schewe-Gerigk und der Kollege
Christian Simmert ihr Amt als Schriftführerin bzw.
Schriftführer niedergelegt haben. Als Nachfolgerin bzw.
Nachfolger werden die Kollegin Antje Hermenau und
der Kollege Hans-Josef Fell vorgeschlagen. Sind Sie
damit einverstanden? - Ich höre keinen Widerspruch.
Damit sind die beiden genannten Abgeordneten als
Schriftführerin bzw. Schriftführer gewählt.
Die Fraktion der SPD teilt mit, daß die Kollegin Ing-
rid Matthäus-Maier aus dem Gemeinsamen Ausschuß
nach Art. 53 a des Grundgesetzes und aus dem Ver-
mittlungsausschuß als ordentliches Mitglied ausscheidet.
Für beide Gremien wird als Nachfolger der Kollege
Joachim Poß vorgeschlagen, der bisher stellvertreten-
des Mitglied war. Neues stellvertretendes Mitglied soll
in beiden Fällen der Kollege Jörg-Otto Spiller werden.
Sind Sie damit einverstanden? - Ich höre auch hierzu
keinen Widerspruch. Damit sind die genannten Kollegen
wie vorgeschlagen als Mitglieder bzw. stellvertretende
Mitglieder in den genannten Gremien bestimmt.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 1a bis 1c auf:
a) Abgabe einer Regierungserklärung des Bun-
deskanzlers „Globalisierung gemeinsam ge-
stalten“
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Ulla
Lötzer, Rolf Kutzmutz, Dr. Uwe-Jens Rössel,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der PDS
Soziale und demokratische Weltwirtschaftsordnung statt neoliberale Globalisierung
- Drucksache 14/954 Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Wirtschaft und Technologie ({1})
Finanzausschuß
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung
Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Rainer
Brüderle, Ernst Burgbacher, Jörg van Essen,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der
F.D.P.
Globalisierung als Chance:
Der Weg nach vorne für Europa
- Drucksache 14/1132 Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Wirtschaft und Technologie ({2})
Finanzausschuß
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung
Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuß für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung
Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache im Anschluß an die Regierungserklärung drei Stunden vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Das Wort zur Abgabe einer Regierungserklärung hat
der Herr Bundeskanzler, Gerhard Schröder.
Verehrte Frau
Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren!
An diesem Wochenende werde ich mit den Staats- und
Regierungschefs der anderen G-8-Staaten zum Wirtschaftsgipfel in Köln zusammentreffen. Die G 8, also
der Zusammenschluß der sieben führenden Industrienationen plus Rußland, hat sich in den vergangenen Jahren
bewährt. Gemeinsam mit Weltbank und mit dem Internationalen Währungsfonds ist die G 8 zu einem unverzichtbaren Instrument bei der Bewältigung wirtschaftlicher, aber mehr und mehr auch politischer Probleme
geworden.
Mit der Petersberger Einigung der G-8-Staaten, die
von der Bundesregierung maßgeblich betrieben wurde,
ist es uns gelungen, zu einem Durchbruch bei der politischen Lösung des Kosovo-Konfliktes zu kommen
({0})
und die notwendige Resolution des Weltsicherheitsrates
auf den Weg zu bringen. Dies ist ein nicht zu verachtender Erfolg des G-8-Prozesses.
Lassen Sie mich an dieser Stelle gleich einige Worte
zur Entwicklung im Kosovo sagen. Seit dem Beginn der
Stationierung der Friedenstruppen können wir optimistischer auf die Entwicklung im Kosovo blicken. Schon
der enthusiastische Empfang der einrückenden Soldaten
durch die verbliebene kosovo-albanische Bevölkerung
zeigt: Die Menschen haben jetzt wieder eine Perspektive, und sie begreifen das auch als solche. KFOR und die
internationale Übergangsverwaltung müssen nun sichere
und demokratische Bedingungen für alle Bewohner des
Kosovo schaffen. Eine Massenflucht der serbischen Bevölkerung ist für uns genausowenig hinnehmbar, wie es
die Vertreibung der albanischen Kosovaren war.
({1})
Wir haben von Anfang an gewußt - es ist im Deutschen Bundestag auch vielfach ausgesprochen worden -,
daß die Durchsetzung des Friedens mit Opfern verbunden sein kann. Dies ist uns durch die tragischen Zwischenfälle am vergangenen Wochenende, bei denen
zwei deutsche Journalisten ermordet worden sind und
ein deutscher Soldat verletzt wurde, besonders tragisch
vor Augen geführt worden. Ich will im Namen der Bundesregierung und sicher auch im Namen des gesamten
Hauses hier den Angehörigen unser tiefempfundenes
Mitgefühl aussprechen.
Die Staatengemeinschaft wird erhebliche Anstrengungen für den Wiederaufbau des Kosovo und des gesamten Balkans unternehmen müssen. Im Augenblick
bereiten die Europäische Kommission und die Weltbank
intensiv eine internationale - ich betone: internationale Geberkonferenz vor. Die langfristige Stabilisierung des
Balkans wird auch beim bevorstehenden G-8-Gipfel in
Köln ein wichtiges Thema sein. Alle beteiligten Staaten
sind sich darin einig, daß für Stabilität und für den
Schutz der Menschenrechte Ausgaben notwendig werden. Aber wir sind uns ebenso einig, daß die Finanzierung von Frieden und Wiederaufbau eine notwendige,
eine lohnende und also gute Investition ist.
({2})
Meine Damen und Herren, die gemeinsame Bewertung der wirtschaftlichen Entwicklung, die gemeinsame
Einschätzung der ökonomischen Perspektiven, aber auch
ihrer Risiken bilden die Grundlage für die Gestaltung
der Wirtschaftspolitik. Die gemeinsame Analyse dessen,
was ist, muß und wird am Anfang dessen stehen, was in
Köln zu besprechen sein wird.
Die im Zuge der Finanzkrisen nicht nur in den
Schwellenländern, sondern auch in einigen großen Industrieländern zu verzeichnende konjunkturelle Schwächephase scheint - jedenfalls weisen die Daten das aus weitgehend überwunden zu sein. Vieles spricht dafür,
daß der Kölner Wirtschaftsgipfel den Anfang eines
neuen Aufschwungs markiert. Europa und mit Einschränkungen auch Asien werden und müssen die Wachstumskräfte der Weltwirtschaft wieder beleben. Zwar ist in diesem Jahr noch nicht mit einem kräftigen Wachstum zu
rechen. Der IWF erwartet für 1999 nur ein Produktionswachstum von 2,3 Prozent weltweit. Nächstes Jahr indessen dürfte weltweit wieder ein Wachstum - so alle Prognosen - in Höhe von 3,4 Prozent erreicht werden.
Für Westeuropa und damit auch für Deutschland
heißt das: Die augenblickliche Schwächephase wird aller Voraussicht nach noch in diesem, in jedem Fall aber
im nächsten Jahr von einer deutlichen Wiederbelebung
der wirtschaftlichen Aktivität abgelöst werden.
({3})
Für das Euro-Währungsgebiet wird ein Anstieg der Produktion um 2,9 Prozent erwartet. Der wirtschaftliche
Aufschwung wird dabei durch die Zinsentwicklung in
Europa nachdrücklich gestützt. Mit der Senkung des Refinanzierungssatzes auf 2,5 Prozent hat die Europäische
Zentralbank die Weichen eindeutig auf Wachstum gestellt, ohne damit inflationäre Tendenzen auszulösen.
Die Inflation bleibt auch weiterhin unter Kontrolle.
In Japan hat die Regierung die Sanierung des Bankensystems in Angriff genommen und finanzpolitische
Maßnahmen zur Überwindung der Schwächephase ergriffen. Es ist zu hoffen, daß Japan auch von der bereits
in anderen asiatischen Ländern deutlich erkennbaren
Wiederbelebung der wirtschaftlichen Aktivität profitieren wird, weil das natürlich auch positive Impulse für
unsere Konjunktur haben wird.
Einige Schwellenländer haben erfreulicherweise wieder Zugang zum internationalen Kapitalmarkt gefunden.
Die Wechselkurse der Währungen der großen Industrieländer waren im vergangenen Jahr jedoch erheblichen Schwankungen unterworfen. Solche Schwankungen sollten uns dann keine Sorgen machen, wenn sie nur
die unterschiedlichen konjunkturellen Entwicklungen
und Zinssätze widerspiegeln.
Die deutsche Bundesregierung wird durch eine entschiedene Konsolidierung des Bundeshaushaltes in
Verbindung mit einer Reform der Unternehmensteuern
ihren Beitrag dazu leisten, um Wachstum und damit Beschäftigung zu fördern und die Stabilität des Euros zu
sichern.
({4})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, nicht erst
die Bemühungen zur Beendigung des Krieges im Kosovo haben gezeigt, wie sehr wir in Europa auf ein vertrauensvolles Miteinander und ein kooperatives Verhältnis zu Rußland angewiesen sind. Niemand - ich betone:
niemand - kann daran gelegen sein, Rußland politisch
oder auch wirtschaftlich auszumanövrieren oder den
dortigen Reformprozeß nicht zu unterstützen. Es ist
deswegen immer betonen: Fortschritte im russischen Reformprozeß liegen nicht nur im Interesse Rußlands, sondern auch im unmittelbaren nationalen Interesse
Deutschlands und im Interesse ganz Europas.
({5})
Aber auch die russische Seite hat kein Interesse und
kann kein Interesse daran haben, einen Sonderweg zu
gehen. Auch das ist bei der Bewältigung der KosovoKrise deutlich geworden. Wir werden deshalb auf dem
Kölner Gipfel Rußland ermuntern, seine wirtschaftlichen Reformen mit neuem Schwung zu beleben. Wir
sollten uns darüber einigen, was wir über die Programme der internationalen Finanzinstitutionen hinaus tun
können, sofern Rußland wirklich bereit ist, seinerseits
die notwendigen Strukturreformen in der Wirtschaft, im
Staat und in der Gesellschaft voranzutreiben und umzusetzen. Die russische Öffentlichkeit kann und soll wissen, daß wir uns ein stabiles, demokratisches und prosperierendes Rußland als einen unverzichtbaren Partner
für Deutschland wünschen.
({6})
Wir sind bereit, Rußland auch materiell zu helfen, wenn
Rußland bereit ist, sich selbst zu helfen.
Die notwendige Bereitschaft zur Selbsthilfe stößt natürlich in Rußland nicht immer auf Gegenliebe. Die internen Konflikte weisen das aus. Der Glaube, daß Veränderungen nicht nur der Gemeinschaft, sondern auf
längere Sicht auch jedem einzelnen nutzen, muß wiedergewonnen werden. Rußland braucht deshalb ein klares Signal unserer Kooperationsbereitschaft. Dieses muß
vom Kölner Gipfel ausgehen. Dabei erscheint mir weniger der große wirtschaftspolitische Entwurf erforderlich,
sondern eher eine Politik der kleinen Schritte mit dem
Ziel einer dauerhaften Partnerschaft, kleine Schritte bezogen auf konkrete Projekte in den autonomen Provinzen und Gebieten der Russischen Föderation. Darauf
sollten wir in den bilateralen Beziehungen zu Rußland
unser Hauptaugenmerk richten. Darüber hinaus ist es
wichtig, das Angebot einer Mitgliedschaft Rußlands in
der WTO und der OSZE aufrechtzuerhalten. Langfristig
sollte es das gemeinsame Ziel sein, das zu realisieren.
In Köln werden wir sicher auch über kurzfristige
wirtschaftspolitische Maßnahmen in Rußland sprechen.
Das mit dem IWF vereinbarte Programm hat dabei unsere volle Unterstützung. Dies gilt vor allen Dingen dann,
wenn es der russischen Regierung gelingt, die notwendigen Voraussetzungen für die Realisierung dieses Programms zu Hause zu schaffen. Wir sind fest davon
überzeugt, daß die neue Regierung unter Stepaschin das
tun will und daß sie dabei Erfolg haben wird.
Aber genauso klar muß gesagt werden, was wir nicht
können: Immer wieder ist die Rede von einem umfassenden Schuldenerlaß. Diesen können wir nicht leisten.
Dazu gibt es in Deutschland gegenwärtig keine Möglichkeiten.
In den 90er Jahren ist der Welthandel mit Raten von
6 bis 10 Prozent gewachsen. Die damit verbundenen
Marktchancen müssen wir nutzen, wenn wir Wachstumspotentiale mobilisieren wollen, um Arbeitsplätze zu
schaffen und sie langfristig zu sichern.
Im Bereich des Welthandels sind einzelne dunkle
Wolken aufgezogen. Ein neuer Protektionismus ist erkennbar. Genau den müssen wir überwinden. Dies ist
einer der wichtigen Punkte des Treffens in Köln.
({7})
Hierin liegt der Grund dafür, warum die Bundesregierung gemeinsam mit den Partnerländern eine neue Welthandelsrunde anstoßen will. Von besonderer Bedeutung
dabei ist für uns - wir haben das immer wieder betont der Beitritt der Volksrepublik China zur Welthandelsorganisation. Dieser ist aus handelspolitischer Sicht geboten und nach unserer Auffassung auch aus politischer
Sicht völlig unumgänglich.
({8})
Ich bin froh darüber, daß unsere Partner - zum Beispiel
Frankreich - das ähnlich sehen, wie die gemeinsame Erklärung, die ich dazu mit Präsident Chirac abgegeben
habe, deutlich zeigt. Wir wollen, daß die WTO eine Organisation mit wirklich universeller Mitgliedschaft ist.
Deswegen stehen wir dem Beitritt auch weiterer Staaten
zur WTO positiv gegenüber. Voraussetzung dafür ist
allerdings, daß auch die neu hinzukommenden Länder
bereit sind, eine offene, eine nicht protektionistische
Handelspolitik zu betreiben.
Rund 1,5 Billionen Dollar werden momentan täglich
auf den internationalen Finanzmärkten bewegt. Diese
kaum noch nachvollziehbare Mobilität des Kapitals verschärft nicht nur den Wettbewerb der Wirtschaftsstandorte. Sie ist - wir haben das erlebt - in der Lage, auch
ganze Volkswirtschaften und deren Währungen anfällig
für Spekulationen und damit für Instabilitäten zu machen. Das gilt natürlich insbesondere für die besonders
gefährdeten Schwellenländer.
Gewiß, gut funktionierende Finanzmärkte sind eine
wichtige Voraussetzung für Wachstum und Entwicklung. Deshalb werden wir in Köln darüber beraten, wie
das Zusammenspiel der Finanzmärkte in den Industrieländern, aber auch in den neuen Märkten Asiens und
Lateinamerikas stabiler und damit für die Menschen sicherer gestaltet werden kann. Eines müssen wir uns dabei vor Augen halten: Wenn Indonesien, Thailand oder
Brasilien durch Währungsspekulationen Privater in die
Krise geraten, dann geht es dabei nicht nur um nackte
Zahlen, die in Ordnung zu bringen sind. Es geht um die
Schicksale Tausender und Abertausender Menschen, die
ihrer Lebensgrundlagen beraubt und in ihren Hoffnungen bitter enttäuscht werden. Hierin liegt der Grund,
warum wir eine neue international vereinbarte Finanzarchitektur brauchen.
({9})
In vielen dieser Länder haben die Finanzkrisen den
Mittelstand, der sich gerade herauszubilden begann, in
seinen Existenzgrundlagen zerstört. Damit lastet auf diesen Volkswirtschaften auch eine schwere Hypothek für
die Zukunft; denn gerade die aktiven Mittelschichten
sind die Träger des wirtschaftlichen, aber auch des sozialen Fortschrittes in diesen Ländern. Um so mehr ist es
unsere Aufgabe, Krisen möglichst frühzeitig zu erkennen und die erkannten möglichst schon im Keim zu ersticken. Die Finanzminister haben deshalb bei der Vorbereitung des Weltwirtschaftsgipfels bereits einen wichtigen Beitrag zur Stabilität des internationalen Finanzsystems geleistet. Anknüpfend an die Ergebnisse des
letztjährigen Wirtschaftsgipfels in Birmingham und ihrer
Treffen im Herbst 1998 und im Frühjahr 1999 haben sie
sich intensiv um die Stärkung der Finanzstabilität im
Aufsichtsbereich bemüht. Mit der Errichtung des Stabilitätsforums im Frühjahr 1999 - ein Vorschlag von Bundesbankpräsident Tietmeyer - sind wir ein gutes Stück
vorangekommen. Darüber hinaus bin ich der Auffassung, daß eine frühzeitige Einbindung auch und gerade
des privaten Sektors bei der Krisenverhütung und beim
Krisenmanagement wichtige Impulse für neue Stabilität
auf den Finanzmärkten setzen kann.
Eine offene Weltwirtschaft könnte weder moralisch
noch politisch Legitimität beanspruchen, wenn sie die
Entwicklungsländer aus den Augen verlöre.
({10})
Ich habe mich daher, wie Sie wissen, frühzeitig dafür
eingesetzt, den ärmsten Entwicklungsländern die Möglichkeit einer weitergehenden Entschuldung als bisher
zu bieten. Übrigens muß in diesem Zusammenhang gerade auch unserer Bevölkerung gesagt werden: Das ist
nicht nur ein Gebot, das moralisch-ethisch abzuleiten ist
und sich daher rechtfertigt. Nein, diesen Entwicklungsländern die Integration oder Reintegration in die internationalen Märkte zu ermöglichen ist auch ein Gebot
des schlichten ökonomischen Interesses, das die Deutschen haben.
({11})
Eine deutliche Schuldenerleichterung - und nur diese eröffnet den Ländern, die eine verantwortliche Wirtschaftspolitik betreiben, die Aussicht, ihr Entwicklungspotential wieder auszuschöpfen. Davon müssen und
werden die Ärmsten in der Gesellschaft etwas haben.
Deswegen ist Transparenz, deswegen sind demokratische Strukturen im Verfolg unserer Hilfe außerordentlich wichtig und müssen Gelder, die frei werden, dafür
genutzt werden, um zum Beispiel die Bildungsvoraussetzungen der Ärmsten zu verbessern, um zum Beispiel
dafür zu sorgen, daß medizinische Grundversorgung,
daß Hunger und Elend in diesen Ländern wirksam bekämpft werden können. Wenn wir helfen, muß das eine
Hilfe sein, die dort ankommt, wo sie wirklich benötigt
wird. Das werden wir sicherstellen.
({12})
Meine Damen und Herren, die Bundesregierung hat
mit der Kölner Schuldeninitiative, die sie im Januar dieses Jahres vorgelegt hat, konkrete Vorschläge unterbreitet, um die Schuldenlast der ärmsten Länder deutlich
abzusenken. Diese Bundesregierung tritt nicht als Bremser beim Schuldenerlaß auf, vielmehr hat sie mit ihrer
Initiative eine intensive internationale Diskussion angestoßen, an der sich unsere Partner, die internationalen
Finanzinstitutionen und zahlreiche Nichtregierungsorganisationen sehr engagiert beteiligt haben. Ich habe das
selber erfahren können, zum Beispiel in den Gesprächen
mit jenen katholischen Bischöfen und Erzbischöfen, die
sich dieser Frage in ganz besonderer und begrüßenswerter Weise annehmen. Es geht um eine Beschleunigung des Verfahrens der Entschuldung und um eine
deutliche Ausweitung des Volumens der Schuldenerleichterungen. Zugleich sollen Schuldenerleichterungen
stärker als bisher in eine verbesserte Strategie der Armutsbekämpfung und der nachhaltigen - also auch
ökologisch nachhaltigen - Entwicklung eingesetzt werden.
Ich bin, meine Damen und Herren, zuversichtlich,
daß auf dem Weltwirtschaftsgipfel in Köln eine umfassende Schuldeninitiative für die ärmsten Länder vereinbart werden kann. Damit setzen wir ein deutliches Zeichen der Solidarität der größten Industrienationen mit
den Entwicklungsländern, und dieses Zeichen ist notwendig.
({13})
Es geht aber nicht nur um die Schuldenlast der Entwicklungsländer. Die ärmeren Staaten brauchen Infrastruktur und Schutzsysteme, die wirksam sind. Dazu ist
wesentlich mehr Hilfestellung als bisher seitens der internationalen Finanzinstitutionen notwendig. Die Bereitschaft hierzu bei der Weltbank und beim Internationalen
Währungsfonds hat deutlich zugenommen.
Wichtig ist auch, daß die 1998 verabschiedete Erklärung der Internationalen Arbeitsorganisation über
grundlegende Prinzipien und Rechte in der Arbeitswelt
umgesetzt werden, daß also Lohndumping aufhört und
daß bestimmte Formen von Arbeit, zum Beispiel Kinderarbeit, wirksam diskreditiert und abgeschafft werden.
Alles das sind Aufgaben, die sich dem Gipfel stellen.
({14})
Wir sollten aber auch sagen, daß das bei uns bewährte
Prinzip der gesellschaftlichen Teilhabe in allen seinen
Formen auch in den Entwicklungsländern ein Modell
einer nachhaltigen und sozial gerechten Entwicklung
sein kann und sein wird. Die Einhaltung der international anerkannten Standards, also Koalitions- und Tarifvertragsfreiheit, Beseitigung von Zwangsarbeit und
Kinderarbeit, Nichtdiskriminierung in Beschäftigung
und Beruf, sind entscheidende Bedingungen nicht nur
ökonomischer, sondern vor allem auch sozialer Stabilität. Es sind auch Bedingungen nachhaltigen Wachstums.
({15})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, Globalisierung ist ein Prozeß, der tiefgreifende Veränderungen in
unseren Arbeitsbedingungen und in unserer LebensweiBundeskanzler Gerhard Schröder
se mit sich bringt. Dieser Prozeß wird wesentlich getragen vom Einsatz und von der ständig beschleunigten
Weiterentwicklung der Informations- und Kommunikationstechnologien. Ich habe zu Beginn der deutschen
G-8-Präsidentschaft den Vorschlag gemacht, über die
Bedeutung von Bildung, Ausbildung und Fortbildung in
diesem Prozeß auf den Gipfeln zu reden. Diese Überlegung ist von den Partnern engagiert aufgegriffen worden. Wir werden insbesondere die jungen Menschen
- und dies eben nicht nur im nationalen Maßstab - darauf vorbereiten müssen, daß für jeden und für jede von
ihnen mit der Globalisierung des Wissens eben auch
Herausforderungen, zum Beispiel die, sich weiterzubilden, verbunden sind.
Soweit wir in Politik und Wirtschaft Verantwortung
tragen, müssen wir diesem Prozeß einen Rahmen geben,
der allen - ich betone: allen - eine Chance bietet. Chancengerechtigkeit unter den Bedingungen der Globalisierung bedeutet vor allem, daß wir es den jungen Menschen ermöglichen und sie sich selbst befähigen, das
weltweit verfügbare Wissen für sich und damit für die
gesamte Gesellschaft zu nutzen. Aus dieser Überzeugung heraus hat die Bundesregierung der Bildungs-,
Forschungs- und Innovationspolitik einen herausgehobenen Stellenwert eingeräumt. Sie wird dies verteidigen,
meine Damen und Herren.
({16})
Wenn die Staats- und Regierungschefs dieses Thema
auf dem Gipfel aufgreifen, so ist dies auch deshalb bemerkenswert, weil die Bildungspolitik bislang, zumindest meistens, an den jeweiligen Grenzzäunen haltgemacht hat. Insbesondere die berufliche Aus- und Weiterbildung zählt noch immer zu den spezifisch national
und häufig auch traditionell bestimmten Domänen der
Politik. Wenn sich die nun allenthalben geforderte Flexibilität der Bildungssysteme mit einer gemeinsamen
Orientierung verbindet und dies auf diesem Gipfel ebenso deutlich wird wie die anderen Themen, dann so denke
ich, sind wir auf dem richtigen Weg.
Die Globalisierung der internationalen Wirtschaftsbeziehungen stellt auch die Umweltpolitik vor beträchtliche Herausforderungen. Gleichzeitig bietet sie neue
Chancen für eine weltweite Stärkung des Umweltschutzes. Eine verstärkte internationale Umwelt- und Entwicklungspartnerschaft zur Prävention ökologischer,
ökonomischer und sozialer Krisen ist unabdingbar. Der
Kölner Gipfel soll einen Beitrag dazu leisten, einen globalen ökologischen Ordnungsrahmen zu schaffen. Dieser soll die nachhaltige Entwicklung fördern, das Niveau
der erforderlichen internationalen Harmonisierung erhöhen und jegliche Form von Umweltdumping vermeiden
helfen.
({17})
Verstärkte Kooperation bei Umweltstandards kann zu
mehr Effizienz und damit zu Kostenvorteilen führen.
Wir müssen uns daher national und international bemühen, eine ökologische Modernisierung unserer Volkswirtschaften zu betreiben. Die Entwicklung, Einführung
und Verbreitung neuer Technologien und umweltfreundlicher Produktionsverfahren sowie innovativer
Produkte und Dienstleistungen bieten Chancen nicht nur
für den Umweltschutz. Sie bieten Chancen auch für den
Erhalt alter und die Schaffung neuer Arbeitsplätze.
Die Bedrohung des Klimas - wir wissen dies - ist zu
einer großen umweltpolitischen Herausforderung geworden. Ich habe daher vor einigen Tagen zusammen
mit meinen EU-Kollegen betont, daß Klimapolitik das
bedeutendste Beispiel für die Notwendigkeit der Einbeziehungen der Umweltbelange in andere Politikbereiche
ist.
({18})
Man muß mit großer Sorge zur Kenntnis nehmen, daß
die Schadstoffemissionen heute in vielen Industrieländern erheblich höher sind als 1990 und weiter ansteigen.
Die führenden Industriestaaten müssen sich in Köln zu
einer Verstärkung der Anstrengungen gerade auf diesem
Gebiet verpflichten.
({19})
Nur dann, wenn die Industrieländer, die reichen Länder
also, eine Führungsrolle auf diesem Sektor übernehmen,
wenn wir den Emissionstrend in den eigenen Ländern
umkehren und die Energieeffizienz deutlich steigern,
können wir erwarten, daß auch die Entwicklungsländer
ihre Treibhausgasemissionen begrenzen und schließlich
reduzieren.
({20})
Mit der Verabschiedung des Protokolls von Kioto ist
ein bedeutender Schritt getan worden, um wirksam Klimaschutz zu betreiben. Jetzt müssen und werden wir dafür sorgen, daß dieses Protokoll möglichst früh in Kraft
tritt. Der Kölner Gipfel wird sich auch damit befassen
müssen, den entsprechenden Aktionsplan von Buenos
Aires zügig umzusetzen.
Meine Damen und Herren, politische Krisen, gewalttätige Konflikte oder ökologische Katastrophen können
in kurzer Zeit zerstören, was Menschen über Jahrzehnte
aufgebaut haben. Ursache solcher Konflikte sind häufig
wirtschaftliche und soziale Spannungen sowie schwindende Lebensgrundlagen. Unkontrolliertes Bevölkerungswachstum bedroht Frieden und Stabilität genauso
wie die Mißachtung der Menschenrechte. Wir haben
gelernt: Wo es an Demokratie fehlt, entsteht Gewalt, die
großes menschliches Leid zur Folge hat. Wir werden
deshalb auch unsere Bemühungen verstärken, die Instrumente unserer Entwicklungspolitik gezielt zur Vermeidung gewaltsamer gesellschaftlicher Konflikte einzusetzen.
Entwicklungspolitik kann einerseits dazu beitragen,
strukturelle Krisenursachen zu mindern; andererseits soll
sie aber auch diejenigen gesellschaftlichen Mechanismen stützen und unterstützen, die zu einer friedlichen
Konfliktlösung notwendig sind, etwa ein funktionierendes Rechtssystem oder die Teilhabe der gesamten Bevölkerung am demokratischen Prozeß. Ich kann hier nur
wiederholen, was ich bereits in der Regierungserklärung
im November 1998 gesagt habe:
Wir wissen, daß es der Welt nicht gutgehen kann,
wenn es wenigen immer besser und vielen immer
schlechter geht.
- Das, meine Damen und Herren, muß auch die internationalen Beziehungen bestimmen. Die Überwindung der Kluft zwischen armen und
reichen Weltregionen bleibt die größte internationale Herausforderung an der Schwelle zum 21.
Jahrhundert.
({21})
Wir wollen als Gastgeber des Kölner Gipfels der G 8
dafür Sorge tragen, daß Entwicklungs- und Übergangsländer an den Chancen der Globalisierung teilhaben.
Dazu können sie selbst am besten beitragen, indem sie
eine verantwortliche Politik betreiben, Rechtsstaatlichkeit und Rechtssicherheit gewähren und fortfahren, ihre
wirtschaftlichen Strukturen unter Beachtung der sozialen
Verträglichkeit und der ökologischen Nachhaltigkeit zu
verbessern. Ihnen bei diesen Anstrengungen wirksam zu
helfen, das ist der Auftrag, den der Kölner Gipfel hat.
Meine Damen und Herren, die Globalisierung berührt
die Fundamente unserer Kultur und unseres Zusammenlebens insgesamt. Es muß also künftig darum gehen,
vier gleichrangige strategische Ziele zu verfolgen: wirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit, soziale Gerechtigkeit,
ökologische Nachhaltigkeit und rechtsstaatliche Demokratie. Diese vier Ziele bilden nach unserer Auffassung
das magische Viereck der Modernisierung im nächsten
Jahrhundert, und sie gehören untrennbar zusammen.
({22})
Die Globalisierung bedeutet nicht das Ende der staatlichen Handlungsfähigkeit. Wichtig ist, daß wir unsere
nationale Politik den Bedingungen der Globalisierung
anpassen. Unser außenpolitisches Handeln muß auf internationale Stabilität und die Förderung von Demokratie und Menschenrechten gerichtet sein. Wir wollen überall auf der Welt politisch und wirtschaftlich offene Gesellschaftsordnungen. Nur zwischen Staaten, die
demokratisch strukturiert und einem friedlichen Interessenausgleich verpflichtet sind, können Absprachen vereinbart werden, die wir gleichsam als Leitplanken zur
Steuerung der Globalisierung brauchen.
Gerade von den G-8-Staaten wird eine Führungsrolle
bei der Koordinierung der internationalen politischen,
aber auch wirtschaftlichen Zusammenarbeit erwartet.
Der Kölner Weltwirtschaftsgipfel wird unter Beweis
stellen, daß die G 8 unter deutscher Präsidentschaft ihrer
Verantwortung nachkommen: bei der Stabilisierung des
internationalen Finanz- und Währungssystems, bei der
politischen Gestaltung der Globalisierung und bei der
Sicherung des Friedens in der Welt.
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
({23})
Das Wort hat jetzt
der Fraktionsvorsitzende der CDU/CSU, Dr. Wolfgang
Schäuble.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir
hatten, Herr Bundeskanzler, in den zurückliegenden
Monaten vor den Europäischen Räten, also vor dem
Berliner und dem Kölner Gipfel, nicht das Glück, daß
Sie vor diesen Gipfeltreffen der Europäischen Union
dem Deutschen Bundestag Rede und Antwort stehen
konnten. Um so mehr begrüßen wir, daß es vor dem
Kölner Gipfel der G-8-Gruppe am kommenden Wochenende Ihnen heute möglich war, eine Regierungserklärung dazu abzugeben. Vieles von dem, was Sie zu der
Agenda, zu der Tagesordnung des Kölner Gipfels gesagt
haben, findet unsere Zustimmung und ist im wesentlichen nicht umstritten. Allerdings haben wir manches
vermißt, auf das der deutsche Bundeskanzler heute hätte
eingehen müssen.
({0})
Wir unterstützen ausdrücklich die Initiativen und die
Bemühungen, um für die ärmsten Entwicklungsländer
zu einem schnelleren und wirksameren Schuldenerlaß
zu kommen. Ich will hinzufügen, daß es Bundeskanzler
Helmut Kohl gewesen war, der die Problematik der Verschuldung der dritten Welt und der am stärksten verschuldeten Länder schon auf dem G-7-Gipfel 1988 in
Toronto angesprochen hat. Es besteht also eine Gemeinsamkeit auch nach dem Wechsel von Regierung und
Opposition. Ich will im übrigen als Protestant hinzufügen: Es sind nicht nur die katholischen Bischöfe, die
sich für dieses Ziel einsetzen, sondern auch die evangelische Kirche unterstützt dieses Vorhaben nachdrücklich. Wir sind dankbar für dieses Engagement und unterstützen es.
({1})
Es ist wichtig, daß wir diese Debatte dazu nutzen, unsere Mitbürgerinnen und Mitbürger immer wieder darauf hinzuweisen, den Prozeß der Globalisierung - dies
ist ein schreckliches Wort; es beschreibt die Tatsache,
daß wir viel stärker und viel unmittelbarer von Entwicklungen in allen Teilen der Welt berührt werden, sie
aber auch beeinflussen, und daß Grenzen weniger trennen und Entfernungen schrumpfen - nicht als eine Bedrohung, sondern als eine Chance und Herausforderung
zugleich für Deutschland und für Europa zu verstehen.
So müssen wir den Prozeß gestalten.
({2})
Aber natürlich ist es genauso wichtig, daß wir uns mit
dem Ziel auseinandersetzen - dies ist schwierig -, die
Prinzipien der sozialen Marktwirtschaft nicht nur national und in Europa, sondern schrittweise auch in dieser
einen Welt zu verwirklichen. Unser Ziel ist eine globale
und soziale Marktwirtschaft.
({3})
Die Globalisierung darf nicht dazu führen und darf
von niemandem dazu mißbraucht werden, daß die
grundlegenden Errungenschaften der sozialen Marktwirtschaft - dies sind neben wirtschaftlicher Effizienz
sozialer Ausgleich und soziale Gerechtigkeit, Chancengleichheit und Vorsorge für die Schwächeren - verlorengehen. Manche meinen nämlich, sie könnten die
Globalisierung nutzen, um sich aus ihrer sozialen Verantwortung davonzuschleichen. Dieser Punkt muß deutlich herausgestellt werden.
({4})
Natürlich bleibt die Frage, wie wir dieses Ziel erreichen können. Wir haben nicht mehr das Glück, durch
nationale Gesetzgebung und nationale Politik den Rahmen für die soziale Marktwirtschaft gestalten zu können,
wie das zu Zeiten von Ludwig Erhard der Fall war.
Deswegen brauchen wir mehr internationale Kooperation. All die Bemühungen sind richtig und notwendig,
dies mit Hilfe der Welthandelsorganisation, der G-7oder der G-8-Länder und einer stärkeren Krisenprävention an den internationalen Finanzmärkten zu erreichen,
indem die internationale Bankenaufsicht effizienter gestaltet wird und indem die Rolle des IWF, die Finanzkrisen an den Finanzmärkten zu verhindern und zu bekämpfen, gestärkt wird. Ich will hinzufügen: Der wichtigste und konkreteste Beitrag, um unsere Vorstellungen
von wirtschaftlicher Effizienz und sozialer Gerechtigkeit
in dieser Welt zu verwirklichen, ist, Fortschritte in der
europäischen Integration zu erreichen. Auch dieser
Punkt muß im Kontext der Globalisierung genannt werden.
({5})
Soziale Marktwirtschaft sichert soziale Gerechtigkeit
durch Wettbewerb, durch Chancengleichheit, durch
Vorsorge für die Schwächeren und durch sozialen Ausgleich. Deswegen muß eine Vorsorge auf institutionellem Gebiet getroffen werden. Aber Chancengleichheit
und Wettbewerb gehören dazu.
Herr Bundeskanzler, in Ihrer Regierungserklärung jedenfalls im vorab verbreiteten Pressetext - steht der
Satz, den ich ausdrücklich unterstreichen will: Die Globalisierung begrenzt nationale Handlungsspielräume.
Aber sie tut dies asymmetrisch, indem sie schlechte
Politik bestraft und gute Politik belohnt. Davon spüren
wir zur Zeit etwas in Deutschland: Ihre schlechte Politik
wird bestraft.
({6})
Im übrigen darf die Globalisierung - ebenso wie die
europäische Einigung oder das Kosovo - nicht zur Ausrede oder zum Fluchtweg für die innen-, wirtschaftsund sozialpolitischen Probleme in diesem Lande werden. Das werden wir Ihnen nicht durchgehen lassen.
Sie haben am vergangenen Sonntag abend gesagt, Sie
hätten verstanden. Sie haben dazugesagt, Sie müßten
jetzt auch die Wirtschaftspolitik richtig machen. Damit
haben Sie eingeräumt, daß Sie sie bisher falsch gemacht
haben. Darin ist Ihnen zuzustimmen.
({7})
Aber Sie werden die Probleme weder in Europa noch
in der einen globalisierten Welt gut lösen, wenn nicht
das Prinzip besteht - das heißt Wettbewerb und Chancengleichheit eben auch -, daß jeder zunächst einmal zu
Hause eine vernünftige, richtige und erfolgreiche Politik
macht. Das ist das Problem.
({8})
Die Schwäche im Wechselkurs der europäischen Währung ist ein Symptom dafür, daß die Mängel in der deutschen Wirtschafts-, Finanz- und Sozialpolitik der zurückliegenden acht Monate Europa insgesamt schwächen.
({9})
- Aber natürlich ist es so. Da hilft das ganze Gerede von
europäischen Regelungen, von Globalisierung und all
den unverbindlichen Vorhaben nicht. Daß man auf dem
Kölner Gipfel über neue Medien redet, ist sehr zu begrüßen. Aber Sie sollten sich einmal damit beschäftigen,
daß der „Economist“, immerhin die angesehenste Wirtschaftszeitung im englischsprachigen Raum, in der vergangenen Woche geschrieben hat: The sick man of the
Euro. Er hat Sie gemeint; er hat die deutsche Regierung
gemeint, die schlechte Politik der Bundesrepublik
Deutschland. Wir stehen beim Wachstum im Vergleich
zu allen anderen europäischen Ländern am Ende der Tabelle. Das ist die entscheidende Ursache dafür, daß der
Euro auf den Finanzmärkten der Welt schwächer eingeschätzt wird, als wir es alle miteinander wünschen.
({10})
Wenn wir uns die Entwicklung am Arbeitsmarkt anschauen, so ist festzustellen: Natürlich muß man weltweit für mehr Beschäftigung sorgen, auch in Europa.
Aber wir müssen vor allem auch für mehr Beschäftigung
in Deutschland sorgen.
({11})
- Ich weiß, daß Sie das nicht gerne hören. Wer so
schamlos die eigenen Wahlversprechen gebrochen hat,
wie Sie von SPD und Grünen es getan haben, der will
daran natürlich nicht erinnert werden.
({12})
Das kann ich Ihnen nicht ersparen.
({13})
Sie haben noch in der letzten Debatte von diesem Pult
aus gesagt, im März sei die Arbeitslosenzahl um
400 000 niedriger gewesen als vor einem Jahr. Ich habe
Sie daran erinnert: Das war das Ergebnis der Politik der
Vorgängerregierung; denn im vergangenen Jahr ist die
Zahl der Arbeitslosen saisonbereinigt um 400 000 zurückgegangen. Seit Oktober, seit Ihrem Amtsantritt stagniert sie. Im April und im Mai ist die Arbeitslosigkeit
in Deutschland saisonbereinigt wieder gestiegen. Das ist
die Wahrheit. Sie darf nicht verschwiegen werden.
({14})
Die Rezepte Ihrer Politik taugen nichts. Eigentlich
haben wir damit gerechnet, daß Sie heute noch einmal
an Ihre gemeinsam mit dem britischen Premierminister
Tony Blair verfaßte Veröffentlichung erinnern. Letzte
Woche war es noch eine ungeheure Medieninszenierung, sogar in englischsprachigen Zeitungen, und ein
Appell an Sie selber, an die sozialdemokratischen Regierungschefs. Wir wissen nicht mehr genau, was es
war: War es ein Regierungsdokument? Es war immer
von den beiden Regierungen die Rede. Herr Trittin hat
allerdings gesagt, das sei überhaupt kein auch nur als
Gesprächsgrundlage geeignetes Papier. Sie haben eine
merkwürdige Regierung.
Im übrigen fällt mir bei Trittin eines ein - auch das ist
merkwürdig bei Ihrer Regierung -: Sie reden zur Zeit
furchtbar viel von Globalisierung, von europäischen Lösungsansätzen usw., und zwar immer in den Bereichen,
in denen Sie national versagen. Aber dort, wo europäisches Handeln geboten wäre, zum Beispiel in der Energiepolitik, machen Sie nationale Alleingänge und zerstören jede Zusammenarbeit in Europa.
({15})
Jetzt würgen Sie sich in Ihrer Koalition wegen der
Kredite an die Ukraine. Man kann Sie fast schon bemitleiden. Sie haben heute kein Wort dazu gesagt, und das
habe ich auch verstanden. Ich will es Ihnen ebenfalls ersparen. Ich sage Ihnen nur: Eine Energiepolitik, die globalen Maßstäben und Herausforderungen gerecht werden will, muß global gedacht werden. Die friedliche
Nutzung der Kernenergie wird weltweit nicht sicherer,
wenn Deutschland nach der Methode von Trittin im nationalen Alleingang aussteigt. Sie können Energiebesteuerung in Europa nicht sinnvoll betreiben, wenn Sie
nationale Alleingänge machen, sondern Sie müssen sie
europäisch koordinieren. Da hat Ihre Präsidentschaft in
diesem Halbjahr übrigens kläglich versagt. Auch das
gehört zu der mangelhaften Bilanz Ihrer Präsidentschaft.
({16})
Offenbar wollen Sie inzwischen nicht mehr an Ihr
eigenes Papier von letzter Woche erinnert werden; aber
vielleicht ist es nächste Woche auch wieder anders. Das
wechselt ein bißchen, je nachdem, welcher Medienberater bei der Vorbereitung der nächsten Inszenierung gerade die Dominanz gewonnen hat.
({17})
Eines ist klar: Dieses Papier ist, wenn man es ernst
nimmt, eine vernichtende Kritik an der Politik, die die
Regierung Schröder seit ihrem Amtsantritt in Deutschland betrieben hat. Daran besteht kein Zweifel.
({18})
Das eigentliche Dilemma ist: Sie haben den Menschen
vor der Wahl versprochen - das war der Grund, warum
Sie gewählt worden sind, und wir haben kein richtiges
Gegenmittel gefunden -, daß man die Modernisierung,
die notwendig ist - dafür stehen Sie jetzt auch, das ist Ihr
Image, und das betonen auch wir immer -, ohne Anstrengung schaffen kann, daß es ein bißchen weniger kostet
und ein bißchen bequemer, leichter, einfacher, „easy
going“ ist. So war die Botschaft der Modernisierung. Nun
sind Sie gewählt worden, und jetzt ist alles, was Sie versprochen haben, ins Gegenteil verkehrt, und Sie sind der
Gefangene Ihrer eigenen, nicht erfüllbaren Wahlversprechen.
({19})
Vergangene Woche haben Sie versucht, das Gegenteil von dem zu verkünden, was Sie bisher gemacht haben. Sie haben jetzt wohl so viel Ärger im eigenen Laden, daß Sie das Ganze aufgeben. Im übrigen will ich
Ihnen sagen: Es fehlt jegliches Konzept. Damit auch das
klar ist - auch wenn mancher das in diesem Hause anders sehen mag -: Das, was in diesem Papier formuliert
ist, sind nicht die Prinzipien der sozialen Marktwirtschaft, wie CDU und CSU sie verstehen. Was Sie da mit
Herrn Blair veröffentlicht haben, klingt mir mehr nach
Shareholder Value. Wir sind mehr für Arbeit für alle
und soziale Gerechtigkeit.
({20})
- Es ist so; Sie können das drehen und wenden, wie Sie
wollen.
Ich wollte Ihnen das eigentlich ersparen, aber ich sage den Satz jetzt trotzdem: Jede Regierung läuft Gefahr,
daß sie, weil Entscheidungen immer schwierig sind, im
Laufe einer langen Regierungszeit das Vertrauen der
Menschen manchmal ein Stück weit verliert. Aber in so
kurzer Zeit hat noch niemals eine Regierung so grausam
das ihr gewährte Vertrauen verspielt und verloren, wie
Sie das in diesen wenigen Wochen gemacht haben.
({21})
Die Ergebnisse Ihrer Politik sind ein Schlag ins Gesicht der kleinen Leute. Das ist das eigentliche Elend in
Deutschland.
({22})
Mehr Arbeitslosigkeit, weniger Wachstum, höhere Benzin- und Strompreise, Hunderttausende von Jobs für
kleine Leute durch die Regelungen der 630-Mark-Jobs
und der Scheinselbständigkeit weggefallen. Das ist eine
Politik gegen die kleinen Leute.
({23})
Herr Bundeskanzler Schröder, man konnte es heute
spüren, und man kann fast Mitleid mit Ihnen haben, obwohl Sie eigentlich ungeeignet sind, solche Gefühle allzu stark auszulösen. Ich gebe Ihnen den Rat: Seien Sie
vorsichtig. Sie sind gewählt worden, Sie sind von Ihrer
Partei auf den Schild gehoben worden wegen der Fähigkeit, Wahlen zu gewinnen. Das war der einzige Grund,
warum Ihre Partei Sie auf den Schild gehoben hat.
({24})
Im Augenblick ist diese Fähigkeit beeinträchtigt. Sie
stehen da wie der Kaiser in seinen neuen Kleidern, und
wenn man genau hinschaut, stellt man fest, daß nichts
mehr dran ist.
({25})
Ich will Ihnen in der gebotenen Kürze sagen, wie wir
nach Vorstellung der CDU/CSU die Probleme lösen
können. Vielleicht hilft das auch noch ein wenig beim
G-8-Gipfel. Das entscheidende Ziel in Deutschland, die
entscheidende Herausforderung unter sozialen Gesichtspunkten ist, mehr Beschäftigung, Arbeit für alle zu
schaffen. Die soziale Frage, die sich am Ende dieses
Jahrhunderts in den Wohlstandsgesellschaften Westund Mitteleuropas und der nördlichen Hemisphäre stellt,
ist die Frage der Beteiligung aller Menschen, so daß sich
nicht Millionen ausgegrenzt fühlen - unabhängig von
der Frage, ob und wie sie materiell versorgt sind -, weil
sie meinen, daß sie nicht gebraucht werden. Das ist die
eigentliche soziale Herausforderung. Deswegen bleibt
Arbeit für alle und mehr Beschäftigung die große Aufgabe deutscher, europäischer und weltweiter Politik.
({26})
Wenn Sie sich den internationalen Vergleich ein wenig genauer anschauen - daran scheitert übrigens Ihr
Papier mit Herrn Blair -, dann werden Sie finden, daß
das eigentliche Problem, warum wir in Deutschland im
Vergleich zu anderen westlichen Ländern, die mehr Beschäftigung haben, so viel Arbeitslosigkeit haben, darin
liegt, daß wir im Bereich der Dienstleistungen - und
zwar bei Dienstleistungen aller Art, hochqualifizierten
wie sehr einfachen - ein deutliches Defizit haben. Wenn
wir im Dienstleistungsbereich eine Beschäftigungsquote
hätten, die der anderer westlicher Länder vergleichbar
wäre, hätten wir das Arbeitsmarktproblem in Deutschland im wesentlichen gelöst.
(Monika Griefahn [SPD]: Was haben Sie denn getan? - Weitere Zurufe von der SPD -
Ist die Lücke in den letzten acht Monaten entstanden?)
- Der Bundeskanzler fragt gerade, ob die Lücke in den
letzten acht Monaten entstanden ist. Ich will Sie und
auch die Zuhörer und Zuschauer in Deutschland an folgendes erinnern.
({0})
- Ich antworte auf eine Zwischenfrage des Bundeskanzlers von der Regierungsbank. Das werden Sie mir
erlauben; Sie werden mich jedenfalls nicht daran hindern. - Ich sage Ihnen, was in den letzten acht Monaten
entstanden ist - noch einmal, als Wiederholung. Wir haben schwierige Probleme; die haben Sie nicht alle verursacht. Ich habe Ihnen ja in vielen Fragen zur Globalisierung und zu den europäischen Problemen auch zugestimmt. Wir wollen ja nicht behaupten, Sie hätten alle
Probleme dieser Welt verursacht.
({1})
So wichtig sind Sie auch wieder nicht.
Der Punkt ist doch ein anderer: Wir waren auf
einem guten Weg. Wir haben im vergangenen Jahr saisonbereinigt einen Rückgang der Arbeitslosigkeit um
400 000 gehabt. Wir hatten Überschüsse im Bundeshaushalt. Wir hätten eine Steuerentlastung in einer
Größenordnung - ({2})
- Verehrte Kolleginnen und Kollegen, ich finde, wer in
einer solch unglaublichen Weise die kleinen Leute in
unserem Lande mit den eigenen Wahlversprechen betrogen hat, der sollte hier nicht lachen, sondern der sollte
in sich gehen und sich schämen.
({3})
Die Deutsche Bundesbank und die finanz- und wirtschaftswissenschaftlichen Institute - ich kann es Ihnen
vorlesen, wenn Sie wollen; ich habe die Zitate dabei haben noch im Oktober gesagt: Wir haben für den
Haushalt 1999 einen Steuersenkungsspielraum von netto
15 bis 20 Milliarden DM. So der Sachverständigenrat im
Oktober,
({4})
und so stand es im Gemeinschaftsgutachten der wirtschaftswissenschaftlichen Institute. Diesen Spielraum
haben Sie verwirtschaftet.
Wir hatten beim Wachstum für das Jahr 1999 eine
Perspektive von 2,8 bis 3 Prozent; jetzt haben wir im ersten Quartal 0,7 Prozent. Sagen Sie jetzt nicht, das sei
die Folge von Rußland oder Brasilien. Wir sind am Tabellenende in Europa, und die Schuldigen sitzen hier auf
der Regierungsbank, nirgends sonst.
({5})
Wenn wir mehr Arbeitsplätze bei Dienstleistungen
aller Art brauchen, dann brauchen wir mehr Existenzgründer, dann brauchen wir mehr Selbständige, dann
brauchen wir eine Stärkung von Handwerk, Handel und
Mittelstand. Für eine solche Entwicklung ist es Unfug,
was Sie mit den Gesetzen zur Bekämpfung der Scheinselbständigkeit, hinsichtlich der 630-Mark-Arbeitsplätze, des Kündigungsschutzes, der Neuregelung des
Schlechtwettergeldes anrichten: immer noch mehr Regulierung, noch mehr Bürokratie, weniger Flexibilisierung. Das ist Gift, wenn es darum geht, mehr Arbeitsplätze in Deutschland zu schaffen.
({6})
Der Herr Riester - er ist nicht da - kann einem fast
leid tun. Jeden Tag wird zur Verunsicherung der Rentner
eine neue Sau durchs Dorf getrieben. Wir warten hier im
Bundestag zwei Stunden, bis er hier ist, dann ergreift er
das Wort - und sagt nichts. In Wahrheit ist es ein Skandal ohnegleichen, daß Sie die demographische Komponente in der Rentenformel zurückgenommen haben. Sie
machen jetzt Rente nach Kassenlage.
({7})
Die Gesundheitspolitik ist weiß Gott ein schwieriges
Feld. Alles das, was von vielen Menschen als lästig
empfunden worden ist, sollte zurückgenommen werden.
Die Verheißung war, es gehe alles ein bißchen billiger
- zum Nulltarif! -, aber jetzt schlägt man mit einem bürokratischen Dirigismus ohnegleichen einen Weg ein,
der dazu führt, daß die Gesundheitsleistungen rationiert
werden. So hat doch niemand in Deutschland gewettet.
Das ist das Gegenteil von dem, was die Menschen erwarten, und das ist das Gegenteil von dem, was wir
brauchen, wenn wir mehr Beschäftigung wollen.
({8})
Sie erhöhen die Steuern für Wirtschaft und Mittelstand; von Steuersenkung ist schon gar keine Rede
mehr. Ich höre es jetzt schon wieder: Es wird noch einmal die Debatte geben mit der Verheißung, daß irgendwann - es war schon alles versprochen -, im Jahre 2070,
doch noch die Steuern für den Mittelstand gesenkt werden.
({9})
Wir werden es ja am 30. Juni erleben und es alsbald in
diesem Hause debattieren: Alles, was Sie vorschlagen,
läuft im Ergebnis auf höhere Belastungen von Wirtschaft, Mittelstand, Handwerk, Handel hinaus und wird
zu weniger Arbeitsplätzen führen und nicht zu mehr.
({10})
Sie werden die Sozialversicherungsbeiträge trotz
der Benzinpreiserhöhung nicht senken können. Sie werden steigen; das sagen Ihnen die Rentenversicherungsträger ebenso voraus wie die, die sich im Gesundheitswesen auskennen.
({11})
Deshalb: Ihre Politik führt genau in die falsche Richtung. Das, was Sie jetzt vorhaben, macht es nicht besser.
Sie müssen die Investitionen stärken, die öffentlichen
wie die privaten. Ich habe ja vor einiger Zeit einmal gefragt, wer in Deutschland eigentlich für den Straßenbau
zuständig sei. Herr Müntefering versteckt sich hinter des
Kanzlers neuen Kleidern. Hinter dem Kosovo kann man
inzwischen alles verschwinden lassen. Wenn Sie die Investitionen im Bundeshaushalt weiter zurückfahren,
werden wir nicht mehr Wachstum, sondern mehr Arbeitslosigkeit bekommen. Und was muten Sie den neuen
Ländern zu? Die Ankündigung, der Aufbau Ost sei
„Chefsache“, kann - ich habe es schon früher gesagt nur eine Bedrohung sein. So ist es für die Menschen in
den neuen Ländern geworden.
({12})
Natürlich müssen Bildung und Ausbildung gestärkt
werden. Aber dann müssen wir Wettbewerb zulassen.
Verehrter Herr Parteivorsitzender, Kollege Schröder, ich
will Ihnen noch einmal sagen: Eine bessere Bildungspolitik - eine Verbesserung von Schule, Hochschule, beruflicher Bildung - in Deutschland wird sich nicht durch
noch so tiefschürfende Gespräche auf dem Kölner Gipfel der G-8-Staaten erreichen lassen. Vielmehr müssen
die für die Bildungspolitik Verantwortlichen in allen
Ländern - ganz gleich, ob es sich um CDU-, CSU-,
SPD-, rotgrün- oder SPD/PDS-regierte Länder handelt übereinkommen: Mehr anstrengen, mehr Leistung, mehr
Innovation, mehr fordern von den jungen Leuten - das
ist die Voraussetzung für die Zukunft, und genau da versagt die sozialdemokratische Bildungspolitik.
({13})
Deswegen wollen wir auch auf diesem Feld mehr
Wettbewerb zwischen den Bundesländern. Daher appelliere ich an Sie als Parteivorsitzender: Schreiben Sie
nicht nur mit Tony Blair in die englischen Papiere
„Benchmarking“ hinein, sondern sorgen Sie dafür, daß
die sozialdemokratisch regierten Bundesländer in der
Kultusministerkonferenz die Blockade aufgeben, die
CDU- und CSU-regierte Länder daran hindert, in Schule
und Hochschule für mehr Effizienz zu sorgen. Sie blokkieren doch jede stärkere Innovation im Bildungssystem.
({14})
Auch das will ich Ihnen dann noch sagen: Glauben
Sie nicht, daß Sie das Problem ohne die jungen Menschen lösen können! Glauben Sie nicht, daß Sie das Problem lösen können, indem Sie den jungen Menschen
einreden: Ihr seid in großen Schwierigkeiten, und der
Staat ist schuld. - Lassen Sie uns den jungen Menschen
vielmehr sagen: Ihr habt Chancen, aber ihr müßt euch
auch anstrengen. Ihr werdet gebraucht, ihr werdet gefördert, aber ihr werdet auch gefordert.
Vor einiger Zeit haben Sie mir die Kritik an dem
2-Milliarden-Sonderprogramm zur angeblichen Bekämpfung von Jugendarbeitslosigkeit sehr übelgenommen. Sie feiern es immer noch; offenbar haben Sie
sonst nichts.
Ich habe eine Kopie eines Beitrags aus dem „Stern“
- Herr Bundeskanzler außer Dienst, verzeihen Sie mir;
aber Ihr Nachfolger liest gern den „Stern“ und ist darin
immer schön abgebildet - von Anfang Juni:
Neue Stellen hat es jedoch - anders als es der großspurige Titel „100 000 Jobs für Junge“ suggeriert kaum gegeben: Die meisten Teilnehmer wurden in
öffentlich finanzierten Trainingsprogrammen, Umschulungskursen und ABM-Projekten geparkt. Nur
3 100 Jugendliche konnten bisher auf einen Arbeitsplatz in der freien Wirtschaft vermittelt werden, gerade mal 935 erhielten einen Ausbildungsplatz.
Das ist der Erfolg des 2-Milliarden-DM-Programms.
Mit so viel Geld ist selten weniger Ergebnis für die jungen Menschen erzielt worden. Das ist genau der falsche
Weg.
({15})
Sie messen Erfolg von Politik an der Höhe der Ausgaben. Das ist falsch. Natürlich geben Sie viel Geld aus,
darin sind Sie Weltmeister. Sie haben die Ausgaben im
Bundeshaushalt 1999 - Herr Eichel redet zwar von Sparen, Sparen - entgegen unserer Politik um über 6 Prozent gesteigert. Das sind die 30 Milliarden DM, die Sie
im nächsten Jahr einsparen wollen. Hätten Sie die Ausgaben dieses Jahr nicht um 30 Milliarden DM erhöht,
bräuchten Sie sich gar nicht so viel Mühe zu geben.
Vielleicht bekämen Sie in den nächsten Sitzungen der
SPD-Fraktion sogar mehr Beifall, als Sie heute von der
SPD-Fraktion im Plenum bekommen haben. Wie auch
immer.
({16})
Wir streiten darüber, was der richtige Weg für mehr
Wachstum, für mehr Wohlstand und mehr soziale
Sicherheit in Deutschland und in Europa ist. Wir stellen
uns unserer europäischen wie auch unserer internationalen Verantwortung. Ihre Regierung hat sich in den
schwierigen Zeiten, insbesondere was den Kosovo betrifft, mehr auf die Unterstützung der Opposition als auf
die Unterstützung aus den eigenen Reihen verlassen
können. Auch das muß gesagt werden. Das ist die
Wahrheit, und die gefällt Ihnen nicht.
({17})
Deswegen sage ich Ihnen nach dem Ergebnis des
vergangenen Sonntags, das für uns nicht Anlaß zu großen Triumphen, aber Bestätigung unserer Arbeit ist, in
aller Ruhe: Wir stellen uns auf allen Ebenen - in der
Kommunal- und der Landespolitik sowie im Deutschen
Bundestag - dem Wettbewerb. Wir stellen uns ebenso
unserer Verantwortung.
Ich weiß es - deshalb ist meine Schadenfreude begrenzt -, und Sie erfahren es in dieser Zeit: Der Widerstand gegen Veränderungen ist in unserer gesellschaftlichen Wirklichkeit ungeheuer groß. Aber Innovationen
bleiben um unserer Zukunft willen notwendig. Deswegen muß man es richtig machen, dann gewinnt man auch
die Bevölkerung dafür. Dabei haben Sie schwere Fehler
gemacht.
Was mich am meisten an den Folgen Ihrer Politik
stört, ist, daß Sie, wie Sie es beispielsweise bei den 630DM-Jobs getan haben, die Bereitschaft zu Reformen in
unserer Bevölkerung geradezu systematisch kaputtmachen. Das ist das Schlimmste für die Zukunftsfähigkeit
unseres Landes.
({18})
Wer verändern will, braucht Substanz, braucht eine
Grundlage, Werte und Nähe. Er braucht die Nähe zu den
Menschen, damit er die Menschen mitnehmen kann. Ich
sage noch einmal das, was ich bereits am Anfang gesagt
habe: Die Globalisierung ist kein Grund für die Menschen, Angst vor der Zukunft zu haben. Die Globalisierung ist vielmehr eine Chance. Wir können die Zukunft
für uns und für die Ärmeren auf dieser Welt gestalten.
Die Möglichkeiten, in Europa und auf allen Kontinenten der Welt unserer Verantwortung gerecht zu werden und an der Schaffung einer besseren Zukunft mitzuwirken, sind größer als jemals zuvor in der Geschichte. Die Zukunft ist offen, und die Globalisierung ist eine
Chance. Wir können einen Beitrag zur Lösung der Probleme dieser einen Welt leisten. Wir können unseren
Beitrag für eine bessere Zukunft für uns und unsere
Kinder leisten. Die Chancen für unser Land sind groß,
aber eine bessere Politik und eine bessere Regierung wären dafür nicht schlecht.
({19})
Für die SPDFraktion spricht jetzt der Kollege Ernst Schwanhold.
({0})
Frau Präsidentin! Meine
sehr verehrten Damen und Herren! Herr Dr. Schäuble
hat sich nur in wenigen Passagen seiner Rede mit dem
bevorstehenden Gipfel in Köln auseinandergesetzt. In
diesen wenigen Passagen hat er der Bundesregierung in
ihren Verhandlungszielen ausdrücklich recht gegeben.
Das werden auch die Koalitionsfraktionen, besonders
die sozialdemokratische Bundestagsfraktion, machen.
Sie werden den Bundeskanzler und die Bundesregierung
in der Umsetzung ihrer Ziele auf dem Kölner Gipfel
unterstützen. Insoweit gibt es Übereinstimmung. Dafür
sind wir dankbar.
({0})
Ansonsten haben Sie, Herr Schäuble, bemerkenswert
wenig zu den sich andeutenden Ergebnissen von Köln
gesagt; vielmehr haben Sie sich ausschließlich mit den
Ergebnissen Ihrer Politik auseinandergesetzt. Dazu
möchte ich schon ein paar Anmerkungen machen. Sie
haben von dem Ziel „Arbeit für alle“ gesprochen. Die
Ergebnisse Ihrer Politik, Herr Dr. Schäuble, bestanden
darin, daß im Januar des Jahres 1998 fast 400 000 Menschen mehr von Arbeitslosigkeit betroffen waren als im
Januar 1999. Im Februar des Jahres 1998 gab es 360 000
Arbeitslose mehr als im Februar 1999. Im Mai 1998 waren immerhin noch über 200 000 Menschen mehr arbeitslos als im gleichen Monat des Jahres 1999. Dies ist
ein deutlicher Erfolg auch der Politik dieser Regierung.
Die hohe Arbeitslosigkeit ist der Mißerfolg Ihrer Politik
in der Vergangenheit.
({1})
Man kann Ihnen nur zu Ihrem kurzen Gedächtnis
gratulieren, weil Sie offenbar die Ergebnisse Ihrer
16jährigen Regierungsarbeit vergessen haben. Sie reden
hier von einem Überschuß im Haushalt. Tatsächlich haben Sie einen Schuldenberg von 1,5 Billionen DM
hinterlassen. Für die Tilgung der Zinsen müssen jedes
Jahr 82 Milliarden DM aufgewendet werden.
({2})
Sie haben in Ihrer Rede die Nettoneuverschuldung
überhaupt nicht angesprochen, die in der Vergangenheit
immer weiter gestiegen ist, und zwar auch noch 1998,
genauso wie sie im Jahr 1999 nach Ihren Planungen gestiegen wäre. Es gab noch keinen Finanzminister, der
30 Milliarden DM in einem Haushalt eingespart hat, so
wie es im Sparpaket des jetzigen Finanzministers, das
am 30. Juni dieses Jahres verkündet wird, vorgesehen
ist.
({3})
Wir räumen also den Schutt Ihrer Arbeit weg. Zu
Ihrem Schutt sollten Sie sich bekennen, oder Sie sollten
- wenn Sie sich nicht mehr daran erinnern können wenigstens eingestehen, ein schlechtes Gedächtnis zu
haben.
({4})
- Natürlich nehme ich das nicht zurück. Das ist der
Schutt auch Ihrer Arbeit, Herr Waigel.
Jeder fünfte Arbeitsplatz in Deutschland hängt vom
Export ab. In der Industrie ist es sogar jeder vierte
Arbeitsplatz. Unsere internationalen Wirtschaftsbeziehungen machen uns zur zweitgrößten Handelsnation.
Deutschland ist tief in weltwirtschaftliche Verflechtungen eingebunden. Die Bundesrepublik Deutschland muß
alles unternehmen, um diese Position zu halten. Nur
wenn uns das gelingt, können wir das hohe Lohnniveau
und den guten Sozialstandard erhalten. Darauf richtet
sich die Politik der SPD-geführten Koalition.
Das, was für unsere Unternehmen gegenwärtig zu einer Selbstverständlichkeit geworden ist, wird für die
Bürger erst langsam, aber immer stärker erfahrbar, sei es
als Fernreisender, oder sei es, weil man inzwischen Musik aus den USA im Internet bestellen kann, oder sei es,
weil ein in Norddeutschland produziertes Auto einen
ausländischen Wertschöpfungsanteil von über 40 Prozent hat.
Im Zeichen der Globalisierung orientieren sich durch
die gewachsene internationale Mobilität die Produktionsfaktoren Kapital, Wissen und auch Arbeit hin zu
den Standorten mit den attraktivsten Produktionsbedingungen. Fest steht, daß der technologische Fortschritt
zum Beispiel durch die neuen Informations- und Kommunikationstechnologien die internationale Arbeitsteilung und die Produktionszyklen erheblich beschleunigt.
Fest steht, daß mit der Einführung des Euro im großen
Wirtschaftsraum der Europäischen Gemeinschaft eine
Transparenz bezüglich Waren und Dienstleistungen entstanden ist, von der wir alle profitieren können. Unsere
Antwort darauf kann nicht Protektionismus sein.
Die zweite Seite der Medaille „Globalisierung“ bedeutet, globale Entscheidungen müssen durch regionale
Entscheidungen ergänzt werden. Genau darin bestehen
die Arbeit und das Ziel dieser Bundesregierung.
({5})
Wenn wir zurückschauen, stellen wir fest, daß
Deutschland immer vom internationalen Leistungsaustausch profitiert hat. Wenn wir nach vorne schauen,
stellen wir fest, daß eine offene deutsche Volkswirtschaft alle Chancen hat, zugunsten ihrer Bürger und ihrer Unternehmen vom globalen Austausch zu profitieren.
Globalisierung ist aber von Ihnen als Drohkulisse benutzt und zum Argument dafür gemacht worden, warum
soziale Leistungen gekürzt werden müssen und warum
Arbeitsplätze wegrationalisiert werden, statt daß Sie in
der Vergangenheit bereits die Chancen der Globalisierung in den Vordergrund gestellt hätten. Daß Sie hier
nichts unternommen haben, war Ihr Fehler. Warum haben denn kleine und mittlere Unternehmen Angst vor
der Globalisierung? Warum empfinden sie sie als etwas
Negatives? Ich gebe Ihnen die Antwort: weil der Reformstau der letzten 16 Jahre unter dem Kanzler Kohl
und der letzten fünf F.D.P.-Wirtschaftsminister ihnen
vermittelt hat, daß sich die Politik nicht darum bemüht,
ihnen im nationalen Maßstab jene Chancen zu eröffnen,
die sie dringend benötigen. Das ist jetzt anders geworden - dies wurde von Ihnen auch ausdrücklich bestätigt -; dies zeigen die Ziele des Kölner Gipfels.
({6})
Anstatt eines engagierten Anpackens der Zukunftsaufgaben haben Sie die Globalisierung als Begründung
für Sozialabbau und Untätigkeit herangezogen. Nur in
offenen Volkswirtschaften kann von der Globalisierung
profitiert werden. Nur wer sich an der internationalen
Arbeitsteilung beteiligt, kann von ihrem Wohlfahrtsgewinn profitieren. Das heißt, Deutschland muß die Stärken mehr als bisher in den Vordergrund stellen und sie
weiterentwickeln.
Dabei bestanden und bestehen Handlungsspielräume.
Diese Regierung, unterstützt von den sie tragenden
Fraktionen des Deutschen Bundestages, wird sie nutzen.
Ich möchte Ihnen dazu einige Stichworte nennen, die
übrigens gar nicht so neu sind.
Das Wissen der Menschen ist die entscheidende Voraussetzung für den Erfolg unserer Produkte und Dienstleistungen auf dem Weltmarkt. Wir müssen besser als
unsere Wettbewerber sein. Wachstumslücken durch Personalmangel darf es bei 4 Millionen Arbeitslosen nicht
geben. Nicht zuletzt deswegen spielt Bildung auch im
Bündnis für Arbeit eine so wesentliche Rolle. Ich freue
mich daher besonders, daß es gelungen ist, im Rahmen
des Bündnisses für Arbeit zwischen Regierung und Sozialpartnern eine Verdreifachung der Ausbildungsplätze
in der Informations- und Kommunikationstechnologie
zu verabreden. Ich freue mich, daß die Zahl der Ausbildungsplätze gestiegen ist und die Zahl der jungen Menschen, die arbeitslos sind oder keinen Ausbildungsplatz
bekommen haben, deutlich zurückgegangen ist.
({7})
Die neue Bundesregierung hat bereits heute der Bildungs-, Forschungs- und Technologiepolitik in Deutschland einen herausragenden Stellenwert gegeben. Im
Haushalt 1999 sind die Zukunftsinvestitionen deutlich
verstärkt
({8})
und die Strukturen in den Ministerien für eine effiziente
Forschungsförderung entschieden verbessert worden.
Das ist anders als in der Vergangenheit.
Deutschland verfügt nach wie vor über eine exzellente Infrastruktur. Auch hier haben wir das Potential,
uns künftig stärker in die internationale Arbeitsteilung
einzubringen: durch intelligente Verkehrslösungen, die
auch umweltverträglich sind, durch überzeugende Konzepte dezentraler Energieversorgung, durch leistungsfähige Telekommunikationsnetze, um die uns der Rest der
Welt beneidet. Zur Infrastruktur im weitesten Sinne gehört auch, durch ein viertes Finanzmarktförderungsgesetz den Finanzplatz Bundesrepublik Deutschland nach
vorne zu bringen. Dort haben wir auch für den Arbeitsmarkt Chancen, die wir zukünftig nutzen müssen. Von
dort muß der Kapitalzufluß für die Investitionen in der
Bundesrepublik Deutschland kommen.
Zu unseren Aufgaben gehört es, über eine entsprechende Steuerpolitik die Investitionskraft der Unternehmen - auch der ausländischen Unternehmen - in der
Bundesrepublik Deutschland zu stärken. Dies wird geschehen; aber wir werden keinen Wettlauf hinsichtlich
der Infrastruktur sowie der Löhne und Sozialstandards
um einen Billigstandort gewinnen. Deswegen werden
wir uns in diesen Wettlauf nicht hineinbegeben, sondern
die Angebotsbedingungen für zusätzliche Arbeitsplätze
und zusätzliche Investitionen bei uns verbessern.
({9})
In diesem Zusammenhang mache ich darauf aufmerksam, daß unsere sozialen Sicherungssysteme auch im
Zeichen der Globalisierung kein Luxus, sondern entscheidende Nebenbedingung sind, um die deutschen
Stärken entfalten zu können. Niemand will sie durch
einen Kahlschlag bei den sozialen Leistungen ablösen.
Wenn Sie uns in diesem Bemühen unterstützen, sind wir
dafür ausgesprochen dankbar. In der Vergangenheit jedoch war nicht zu erkennen, daß Sie dasselbe Ziel wie
wir verfolgen.
({10})
Die aktuelle weltwirtschaftliche Lage ist derzeit
durch Verlangsamung des Wirtschaftswachstums insgesamt gekennzeichnet. Wir haben noch Risikofaktoren in
unterschiedlichen Regionen. Einen besonderen Risikofaktor stellt der transatlantische Handel, der Handel zwischen Europa und Amerika, dar. Dort gibt es erhebliche
Probleme und Irritationen, die dringend beseitigt werden
müssen. Ich nenne die Auseinandersetzung um die Bananen genauso wie die um Hormonrindfleisch. Die deutsche Bundesregierung ist sehr darum bemüht, diese
Irritationen zu beseitigen, denn Störungen des Handels
zwischen Amerika und der EU, den beiden Stabilitätsankern, können wir uns zum gegenwärtigen Zeitpunkt
nicht erlauben. Wir müssen alles daransetzen, diese zu
vermeiden.
({11})
Die Globalisierung erhöht wesentlich die wirtschaftlichen Interdependenzen, was einerseits potentielle Gefahren für das gegenseitige Herabziehen in Abwärtsstrudel beinhaltet, andererseits aber auch große Chancen
bietet, durch globale wirtschaftspolitische Kooperationen die unbestreitbar vorhandenen Vorteile der globalen
Arbeitsteilung zu nutzen und die Weltwirtschaft zu stabilisieren.
Neben den Aufgaben vor unserer Haustür müssen wir
Initiativen zur Weiterentwicklung des weltwirtschaftlichen Ordnungsrahmens und eine verstärkte internationale Zusammenarbeit im Bereich Prozeßpolitik vornehmen. Wir dürfen uns nicht mit den Wachstumsprognosen der OECD und des IWF zufriedengeben; vielmehr
müssen wir durch mehr Wachstum und durch mehr
Handel diese Wachstumsprognosen in Realität und in
Arbeitsplätze umsetzen. Um genau diese Bemühungen
geht es uns.
({12})
- Herr Hirche, wir sind auf gutem Wege. Ich würde mir
an Ihrer Stelle - Ihre Partei hat die letzten fünf Wirtschaftsminister gestellt - solch einen Zwischenruf nicht
erlauben. Es ist das Ergebnis Ihrer Politik, mit dem wir
zu kämpfen haben.
({13})
Erstens. Wir sollten zu vorsorglichen und nachhaltigen Absicherungen vor zukünftigen internationalen Finanzkrisen kommen, und angesichts der nach wie vor
nicht ausgeräumten weltwirtschaftlichen Bedrohungen
durch die Nachwirkungen der Krisen in Asien, Rußland
und Lateinamerika sollten wir ein Maßnahmenpaket, das
folgendes enthält, beschließen: Einrichtung eines funktionierenden Frühwarnsystems für Turbulenzen auf den
internationalen Finanz- und Währungsmärkten, Entwicklung und Verabschiedung international verbindlicher und auflagenbewährter Vereinbarungen, zügige und
unvoreingenommene Prüfung, wie Währungs- und Devisenspekulationen mit möglichst marktkongruenten
Mitteln wirksam eingeschränkt werden können.
Zweitens. Neben der Weiterentwicklung der klassischen Handelspolitik im Rahmen von GATT gilt es,
Antworten auf die wirtschaftliche Globalisierung im
Sinne eines marktwirtschaftlich ausgerichteten internationalen Ordnungsrahmens zu entwickeln. Es gilt,
Rechtssicherheit im Alltag von Bürgern und von kleinen
und mittleren Unternehmen zu schaffen. Wir sollten in
diesem Sinne zusammen mit unseren europäischen Partnern auf internationaler Ebene, insbesondere mit den
Staaten Nordamerikas und Ostasiens, zügige, ausgewogene und verbindliche Vereinbarungen zu internationalen Wettbewerbsinvestitionen, zu Steuer-, Arbeits- und
Umweltregeln anstoßen und entwickeln. Dies wird ein
langer Weg sein.
Multilateral kommen wir allerdings nur dann weiter,
wenn wir zuvor oder zumindest parallel in den entscheidenden Beziehungen des Welthandels, den transatlantischen Beziehungen, für Ruhe sorgen, damit die Zölle
auch von seiten Amerikas abgebaut werden. Für die
deutsche Wirtschaftspolitik heißt dies, unser Wachstumspotential durch Stärkung auch der Binnennachfrage
bei gleichzeitiger Verbesserung der Angebotsbedingungen für unsere Unternehmen fortzuführen. Das heißt
auch, daß wir mehr Selbständige benötigen und daß wir
in der Gesetzgebung zur Scheinselbständigkeit jene
möglicherweise dadurch aufgebauten Hemmnisse für
Existenzgründungen abbauen. Dies wird schnell geschehen. Dazu ist eine Kommission eingesetzt, die schon in
kurzer Zeit Vorschläge unterbreiten wird.
({14})
- Diese Kommission tagt unter Beteiligung des Arbeitsund Sozialministeriums und mit seinem vollen Einvernehmen. Folgendes Ziel eint uns: mehr Selbständigkeit
insbesondere in den Bereichen der Informations- und
Kommunikationstechnologie sowie der Medien. Genau
dies geschieht.
({15})
- Ich will Ihnen sagen, worin der Widerspruch besteht:
Ihnen ist es völlig egal, ob ein Kellner als Selbständiger
angestellt wird und 20 Tische bedienen muß, um das
Bier an der Theke zu kaufen und als Selbständiger zu
verkaufen. Sie sind es gewesen, die die Beseitigung des
Mißbrauchs von 630-Mark-Arbeitsplätzen blockiert und
verhindert haben. Ich kann Ihnen ein Unternehmen des
dezentralen Handels mit 900 Filialen in der Bundesrepublik Deutschland nennen, das für unser 630-MarkGesetz ausgesprochen dankbar ist, weil die Wettbewerbsverzerrungen gegenüber denjenigen, die Mißbrauch betrieben haben, endlich aufgehoben sind und es
nunmehr Chancen am Markt hat.
({16})
Ich kann Ihnen dieses Unternehmen zeigen. Der Besitzer
dieses Unternehmens ist übrigens Mitglied Ihrer Partei. Er
bedankt sich ausdrücklich für dieses Gesetz. Herr Hirche,
vielleicht kann ich Ihnen ein bißchen Nachhilfe geben.
Die Rahmenbedingungen in der Bundesrepublik
Deutschland müssen auch im internationalen Wettbewerb bestehen können. Dazu gehören Flexibilität am
Arbeitsmarkt, im Steuerrecht mit international vergleichbaren Steuersätzen, schnelle Genehmigungsverfahren und Lohnnebenkosten, die den Faktor Arbeit
nicht belasten, sondern in Zukunft stärker entlasten. Genau diese Chancen sind es, die wir national nutzen müssen, um jene Verabredungen, die in Köln beim internationalen Gipfel getroffen werden, mit den Maßnahmen
zu kombinieren, die dafür sorgen, daß wir in der Zukunft
mehr Beschäftigung und insbesondere mehr Investitionen aus dem Ausland in die Bundesrepublik Deutschland holen können.
Es gilt, unsere Wettbewerbsposition durch ein abgestimmtes Bündel von internationalen Verabredungen
und nationalen Maßnahmen zu verbessern, und genau
dies ist die Politik der Regierung. Dabei werden wir sie
unterstützen, und Sie können sicher sein, dies geschieht
einmütig und deutlich.
({17})
Für die F.D.P.Fraktion spricht jetzt der Kollege Rainer Brüderle.
Frau Präsidentin! Meine
Damen und Herren! Herr Bundeskanzler, Ihrer über den
Problemen schwebenden Regierungserklärung ist in
ihrer Allgemeinheit wenig zu widersprechen. Das war
alles nett; für Freiheit, Demokratie und Fortschritt sind
wir auch. Nur haben Sie dabei negiert, daß es - wenn
man da den Olymp Gipfeltreffen vorführt - im Großen
nur stimmen kann, wenn es im Kleinen stimmt. Man
kann nicht Weltökonom sein, wenn man zu Hause eine
falsche Wirtschaftspolitik macht. Beides paßt nicht zusammen.
({0})
Man kann schlecht eine Umweltpolitik, Koordination
und Zusammenarbeit propagieren, und zu Hause macht
man einen Etikettenschwindel mit einer Ökosteuer, die
gar keine ist. So werden Sie die Probleme nicht lösen
können.
Ich will zitieren:
Neue Bedingungen und neue Realitäten erfordern
eine Neubewertung alter Vorstellungen und die
Entwicklung neuer Konzepte.
Herr Bundeskanzler, so schrieben Sie es im gemeinsamen Papier mit Tony Blair. Mir fällt übrigens auf, daß in
der Regierungserklärung nur noch Sie als Autor genannt
sind. Vielleicht haben Sie es auch allein geschrieben.
Ebenso fällt mir auf, daß die Herren Dreßler und Riester
offenbar demonstrativ nicht anwesend sind.
({1})
Ich gratuliere Ihnen, Herr Bundeskanzler, zu dieser
Einsicht, wünsche mir aber für unser Land, daß Sie diese
Erkenntnis auch umsetzen oder umsetzen können.
({2})
Zumindest auf dem Papier haben Sie eine Politikrichtung aufgezeigt, die mir als Liberalem durchaus
nicht unbekannt ist, sondern sehr vertraut vorkommt.
Offensichtlich haben die Autoren dieses 18seitigen Papiers Anleihen aus dem modernsten und fortschrittlichsten Parteiprogramm Deutschlands, nämlich den Wiesbadener Grundsätzen der Freien Demokratischen Partei,
übernommen.
({3})
Deswegen kann man Sie nicht tadeln. Gutes zu übernehmen ist nichts Schlechtes, aber Sie haben eine bemerkenswerte Arbeitsaufteilung. Sie schreiben schöne
Papiere, aber die Politik in diesem Lande machen eben
Riester und Co. „Heiße Luft steigt bekanntlich nach
oben“, so schreibt das „Handelsblatt“. Auch Sie schweben offensichtlich über dem Boden der Realität Ihrer
eigenen Politik.
({4})
- Herr Schwanhold, ich kann doch nichts dafür, daß bei
Ihnen keiner Wirtschaftsminister werden konnte, weil
Schröder das keinem zutraute und einen Parteilosen
holte. Dafür kann doch keiner etwas, wenn Sie keinen
guten Kandidaten haben.
Natürlich ist Ihnen zuzustimmen, wenn es heißt - ich
zitiere -:
Der größte Teil des Einkommens muß in den Taschen derer bleiben, die dafür gearbeitet haben.
Damit haben Sie völlig recht.
({5})
Nur: Die SPD hat den Bundesrat torpediert und hat
verhindert, daß eine umfassende Steuerreform durchgesetzt wurde. Genau das Gegenteil von dem, was Sie
schreiben, haben Sie gemacht.
({6})
Statt Entlastungen vorzunehmen, führen Sie eine Ökosteuer ein, wodurch abermals die Steuerzahler zur Kasse
gebeten werden.
Natürlich unterschreiben wir auch Ihre Aussage: Den
Menschen, die sich selbständig machen wollen, „muß
man den Spielraum lassen, wirtschaftliche Initiative zu
entwickeln und neue Geschäftsideen zu kreieren.“
Aber was machen Sie denn mit der jungen Frau, die
den Mut hat, sich aus einer Firma heraus als Softwarespezialistin selbständig zu machen? Sie strafen sie ab
mit 19,5 Prozent Abführung an die Sozialkassen, so daß
sie den Auftrag nicht bekommen kann, um den Weg zur
Selbständigkeit zu beschreiten. Lieschen Müller kann
dies nicht tun, weil Sie sie nicht lassen.
Was noch schlimmer ist: Durch den Begriff der
Scheinselbständigkeit, durch diese Stigmatisierung, diskriminieren Sie diejenigen Menschen, die nichts anderes
wollen, als durch Leistung bzw. Arbeit voranzukommen,
um dann Menschen einstellen zu können. Die dahinterstehende Haltung ist das Schlimme.
({7})
Die ASU schreibt, hier würden potentielle Existenzgründerinnen und -gründer „weggeriestert“. Sie schreibt
weiter, daß „die Unternehmen nicht durch Regulierungen und Paragraphen erstickt werden dürfen“.
Auch das ist richtig. Nur, Sie tun genau das Gegenteil. Lassen Sie sich einmal von jemandem, der einen
630-Mark-Vertrag auf die neue Rechtslage umstellen
wollte, erzählen, wie die Situation war: Keiner hat das
zum 15. April dieses Jahres geschafft. In Anrufen bei
der Krankenkasse, der Rentenversicherung, dem Finanzamt und beim Steuerberater konnte man etwas anderes
erfahren. Es besteht eine totale Verunsicherung. Verunsicherung ist das Schlimmste, was man in die Wirtschaft
hineintragen kann, weil man dort dann nicht rechnen
und nicht investieren kann und keine klaren Vorstellungen hat.
({8})
Im Grunde ist das Schröder/Blair-Papier eine Generalabrechnung mit acht Monaten grünroter Regierungspolitik. Es beschreibt die Minderheitsposition eines
deutschen Kanzlers in seiner eigenen Partei. Es ist eine
Ohrfeige für die Traditionalisten und Strukturkonservativen wie Dreßler, Riester und andere. Es ist der erhobene Zeigefinger des SPD-Vorsitzenden für den Bundeskanzler selbst.
Was Sie präsentieren, ist Verhüllungslyrik. Ich zitiere
den „Spiegel“ der nicht im Verdacht steht, eine Hauspostille der F.D.P. zu sein.
({9})
Der „Spiegel“ schreibt Ihnen in Ihr Stammbuch:
Noch in der vergangenen Woche verstärkte sich der
Eindruck, daß zwischen Absichtserklärungen - des
Kanzlers - und realem Handeln ein Canyon klafft.
So weit der „Spiegel“.
Gemeint ist Ihr persönlicher Einsatz bei der Neuregelung des Schlechtwettergeldes. Hier haben Sie nicht
nur den Sozialkassen weitere 50 Millionen DM aufgebürdet. Vielmehr haben Sie mitgewirkt, daß wieder einmal beschäftigungspolitische Verantwortung auf die
Allgemeinheit abgewälzt wird und daß Ansätze zu mehr
Flexibilisierung und Individualisierung schon im Ansatz
im Keim erstickt werden.
({10})
Mit Ihrem persönlichen Einsatz bei der Wiedereinführung des Schlechtwettergeldes verstoßen Sie frontal gegen den Geist Ihres eigenen Papiers. Man hat den Eindruck, Sie hätten es vor der Europawahl nur deshalb geschrieben,
({11})
um das Wahlergebnis zu verbessern. Sie reden - ich zitiere erneut den „Spiegel“ - wie ein Reformer; Sie handeln wie ein Traditionalist.
Trotzdem begrüßen wir es, wenn Sie jetzt dem britischen Premierminister nacheifern wollen. Hätten wir vor
einigen Wochen auf die Situation in Großbritannien hingewiesen, dann hätte Grünrot - von Schlauch bis Struck im Chor geschrien: Wir wollen keine englischen Verhältnisse! Jetzt sieht die Welt anders aus - zumindest nach
Ihrem Papier.
Herr Bundeskanzler, natürlich sind die moderneren
britischen Strukturen erstrebenswert. Aber Ihre Politik ist
meilenweit davon entfernt. Während Großbritannien gegenwärtig eine Arbeitslosigkeit in Höhe von 6,2 Prozent
aufweist, liegen wir in Deutschland bei knapp 11 Prozent.
({12})
Während in Großbritannien Tarifpolitik auf betrieblicher
Ebene stattfindet, tut Herr Riester das Gegenteil: Der
Flächentarifvertrag wird verfestigt, und Allgemeinverbindlichkeitserklärungen werden verschärft. Die EntRainer Brüderle
kartellierung auf dem Arbeitsmarkt findet nicht statt und
deshalb auch der Abbau der Arbeitslosigkeit in
Deutschland nicht.
({13})
Während in Großbritannien die Geschäfte sonnabends und oft auch sonntags geöffnet haben, wird in
Deutschland die zusätzliche Einkaufszeit von 90 Minuten von Teilen Ihrer Regierungskoalition immer noch als
revolutionärer Umsturz angesehen. Dabei gilt uneingeschränkt die Feststellung Ihres Papiers - ich zitiere -:
Sozialdemokraten müssen aber auch anerkennen,
daß sich die Grundvoraussetzungen für wirtschaftlichen Erfolg verändert haben. Dienstleistungen
kann man nicht auf Lager halten: Der Kunde nutzt
sie, wie und wann er sie braucht - zu unterschiedlichen Tageszeiten, auch außerhalb der heute als üblich geltenden Arbeitszeit.
Sie haben ja so recht. Nur, Sie setzen es nicht um. Sie
sollten Ihre Politik vom Kopf auf die Füße stellen. Von
diesem wortgewaltigen Papier sind Sie noch sehr weit
entfernt.
Die Globalisierung ist in der Tat eine Herausforderung, aber auch eine Chance, die man offensiv annehmen muß. Wenn Sie in Ihrem Papier die Politik der vergangenen Jahre als neoliberales Laisser-faire verteufeln,
haben Sie sich in der Wortwahl gründlich vergriffen.
Neoliberale Wirtschaftspolitik ist soziale Marktwirtschaft. Das ist identisch.
({14})
Das sind die Ideen von Erhard, Müller-Armack, Röpke
und anderen. Das sind neoliberale Gedanken, die zur sozialen Marktwirtschaft geführt haben, die das erfolgreichste Wirtschaftsmodell ist, das es gibt und das zum
Exportschlager Deutschlands geworden ist. Andere versuchen, dieses Modell nachzuahmen. Bei uns wird verhindert, daß es seine Leistungsfähigkeit voll einbringen
kann. Dazu gehören Eigenverantwortung und Leistungsbereitschaft. Dazu gehört auch soziale Verantwortung, aber so, daß sie denen, die im Schatten des
Lebens stehen, hilft, aber nicht denen, die leisten können
- das würde den Leistungswillen behindern. Wer leisten
kann und nicht leistet, verhält sich unsozial, weil er seinen Leistungsbeitrag nicht mit einbringt.
Sie flüchten in Ihrem Papier dann in Formulierungen
wie „dritter Weg“. Das ist immer so: Wenn man ein
Konzept nicht konsequent durchsetzen will, versucht
man es mit Wischiwaschi: über einen dritten Weg, über
etwas dazwischen. Das gab es schon in meiner Studienzeit: Da ging es um einen dritten Weg - Stichworte:
Garaudy, Jugoslawien -, wo man sich zwischen den Systemen nicht entscheiden wollte und dann - „Wasch
mich, aber mach mich nicht naß“ - einen dritten Weg
suchte. Was wir brauchen, ist eine Renaissance der sozialen Marktwirtschaft. Wir brauchen keinen nebulösen
dritten Weg, der an dem Problem vorbeiführt.
({15})
Wir werden nur dann die Chancen nutzen, wenn wir
keine Angst vor Veränderungen haben, sondern offensiv
den Aufbruch in größere Märkte mit neuen Marktchancen und neuen Produktideen anpacken. Es ist aber nichts
von Aufbruch zu sehen. Im Gegenteil: Wir sind das
schwache Schiff im europäischen Geleitzug; ich verweise auf die 0,7 Prozent Wachstum. „Economist“ und andere ausländische Zeitungen sprechen von uns als dem
,,kranken Mann von Euroland“. Wir waren früher immer
die Lokomotive. Sie schreiben in Ihrer Regierungserklärung etwas von Benchmarking: Wir wollen gucken, ob
die anderen besser sind. Früher hat man nach Deutschland geschaut, wenn man Benchmarking machen wollte.
Man wollte von Deutschland lernen, weil wir vorn waren. Heute sind wir hinten und müssen bei anderen gukken, wie man es besser macht. So sind die Maßstäbe bei
uns inzwischen verkommen.
({16})
- Schreien, Herr Schwanhold, ist immer ein schlechtes
Argument. Wer unrecht und keine guten Argumente hat,
der schreit. Schreien Sie doch zu Hause, das ist angenehmer als hier.
Ich empfehle Ihnen, bei den G-8-Runden und bei den
Debatten auf Europaebene etwa die Fragen eines europäischen Kartellamtes anzupacken. Ich als Liberaler
bekomme schon ein bißchen Gänsehaut, wenn ich die
Megafusionen überall sehe. Größe an sich ist nicht
schon gut. Es hat seinen Grund, daß die Dinosaurier das sind diese Viecher mit dem kleinen Kopf und dem
großen Hinterteil - ausgestorben sind. Wir brauchen viel
Hirn und wenig Hinterteil. Deshalb brauchen wir viel
Mittelstand, viele kleine und mittlere Unternehmen.
({17})
Auf der WTO-Ebene ist es dringend notwendig, Produktabsprachen, Marktaufteilungen und Exportkartelle
schon im Vorfeld zu verhindern und dazu auch die entsprechenden Schritte einzuleiten. Das Zurückdrehen von
in der Vergangenheit zum Teil vielleicht zu zaghaften
oder zu spät eingeleiteten Reformschritten ist genau der
falsche Schritt.
Sie schreiben - auch da ist Ihnen zuzustimmen -: Ein
großer Teil der Arbeitslosigkeit ist strukturell bedingt.
Das stimmt ja. Strukturprobleme löse ich aber nicht
mit europäischen Beschäftigungsgipfeln.
({18})
Die löse ich nicht auf dem Olymp. Die löse ich auch
nicht auf Wolke neun. Vielmehr löse ich sie vor Ort, indem ich die Strukturen in Ordnung bringe, indem ich
etwas verändere, damit die Strukturen stimmen, und indem ich die Wirtschaft nicht behindere, sondern ihr Freiraum lasse. Lassen Sie doch die Tüchtigen und Anständigen in Deutschland ihre Leistungen einbringen, und
behindern Sie sie nicht durch Unsicherheit, durch mehr
Bürokratie und durch zusätzliche Belastungen! Lassen
Sie den Leuten endlich den nötigen Spielraum, damit sie
auch erfolgreich sind!
({19})
Globalisierung entmachtet nicht nationale Wirtschaftspolitik. Es sind andere Herausforderungen, andere Aufgabenstellungen; deshalb brauchen wir andere
Antworten, weil die Zeit sich geändert hat. Dazu gehört
eben, daß man zu Hause die Dinge in Ordnung bringt.
Es kann auf Dauer nicht erträglich sein, daß wir in
Deutschland 45 Prozent Abgabenlast und 50 Prozent
Staatsanteil haben und daß bis zu 34 Prozent des Sozialprodukts Sozialleistungen sind. Da ersticken Sie natürlich Bewegung und Dynamik. Sie müssen endlich eine umfassende steuerliche Entlastung herbeiführen.
Schreiben Sie doch von der F.D.P. ab, wir haben ein
ganz einfaches Modell: 15, 25 und 35 Prozent einheitlich über alle Steuerarten, ohne viel Bürokratie. Das
führt zu Handlungsfähigkeit. Damit kommen wir in etwa
in die Größenordnung, die andere Länder schon vor uns
geschafft haben.
Es ist gut, wenn man viele Treffen hat. Wenn man miteinander redet, ist das immer gut. Aber wichtig ist die Tat.
„Es gibt nichts Gutes, außer man tut es.“ Das ist nicht von
mir, sondern von Kästner, aber es ist völlig richtig.
Vielen Dank.
({20})
Es spricht jetzt der
Vorsitzende der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, Rezzo
Schlauch.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Brüderle, wenn ich Sie so höre: Die „Renaissance der sozialen Marktwirtschaft“ klingt gut,
({0})
- ist auch gut -, traue ich Ihnen aber nicht zu, wenn Sie
es in Ihrer Partei auf dem so blamablen Parteitag in
Bremen noch nicht einmal geschafft haben, einen Antrag zur Sozialpolitik überhaupt über die Bühne zu bringen und zu beschließen. Das zeigt für mich, daß Sie mit
dem Begriff der sozialen Marktwirtschaft - die Betonung liegt auf „sozial“ - überhaupt nichts am Hut haben
und im Grunde genommen in der Globalisierungsdebatte
nichts anderes tun, als darauf zu hoffen, daß mit der
Globalisierung endlich Ihr Traum vom Kapitalismus pur
verwirklicht wird.
({1})
Ich kann nur sagen: Das freie Spiel der Marktkräfte,
die invisible hand, die unsichtbare Hand des Marktes,
braucht keinen verlängerten Arm in der Politik, den Sie
immer verkörpern wollen. Wer es trotzdem versucht,
wer meint, er müßte sich als politischer Vollstrecker
oder als Pseudounternehmer in der Politik gerieren, der,
meine Damen und Herren, wird bald selbst invisible,
wird bald selbst unsichtbar, wie wir es bei der F.D.P. in
der letzten Wahl auch sehr schön beobachten konnten.
({2})
Meine Damen und Herren von der F.D.P., es mag Ihnen ja wohl ziemlich pfiffig vorkommen, es mag vielleicht auch putzmuntere Opposition sein, wenn ein gemeinsames Papier von Schröder und Blair, als Antrag
umformuliert, in den Bundestag eingebracht wird. Aber
Sie haben in dem Papier offenbar völlig übersehen - an
dem Punkt waren Sie blind -, daß dieses Papier sich
auch über lange Strecken mit Ihrer 30jährigen Regierungspolitik auseinandersetzt. Das haben Sie einfach
ausgeblendet.
({3})
- Ja. In Ihrem Antrag lese ich - wie in dem Papier
Schröder - beispielsweise: „Armut, insbesondere unter
Familien, bleibt ein zentrales Problem.“ Welch eine fundamentale Erkenntnis für eine Partei, die 30 Jahre Zeit
hatte, das zu ändern!
({4})
Welch eine fundamentale Erkenntnis für eine Partei, die
vom Verfassungsgericht ins Stammbuch geschrieben
bekommen hat, daß ihre Besteuerung von Familien verfassungswidrig hoch war! Da kann ich nur sagen, Sie
nehmen den Mund hier doch arg, arg voll. Es ist schön,
ich finde es toll, daß Sie es nach 30 Jahren endlich besser wissen. Aber unserem Land wäre viel mehr geholfen
gewesen, wenn Sie in der Zeit, in der Sie es wirklich
hätten tun können, es auch tatsächlich besser gemacht
hätten. Das haben Sie nicht getan.
({5})
Herr Kollege Schäuble, ich kann es selbstverständlich
gut nachvollziehen und würde mich an Ihrer Stelle auch
über den Sieg in der Europawahl freuen. Das ist okay.
Aber was mir auffällt, ist, daß Sie den Sieg in der Europawahl zu Recht feiern, daß Sie aber, wenn es um Ihre
Wahlniederlage im September geht, immer larmoyant
werden und sagen: Wir waren doch auf einem guten
Weg! Ich kann nur sagen: Der Wähler und die Wählerin
haben es nicht so gesehen, daß Sie auf einem guten Weg
waren. Das müssen Sie endlich akzeptieren.
({6})
An diesem Punkt noch eine Replik, Herr Kollege
Schäuble: Ich verstehe nicht, warum Sie immer wieder
an unserem Programm zur Schaffung von 100 000 Arbeitsplätzen für Jugendliche herumkritteln.
({7})
Ich lese Ihnen einmal einige Zahlen aus der letzten
Statistik vor: Bis Ende Mai haben 141 000 Jugendliche
an den Maßnahmen dieses Sofortprogramms teilgenommen.
({8})
Davon haben 19,3 Prozent einen Ausbildungsplatz
erhalten; knapp 10 Prozent haben einen Arbeitsplatz im
ersten - und nicht im zweiten - Arbeitsmarkt bekommen.
Vor dem Hintergrund dieser Zahlen halte ich Ihre
Kritik für zutiefst ungerecht.
({9})
Sie haben doch die Perspektiven für diese Jugendlichen über Jahre hinweg blockiert und sie auf der Straße
stehenlassen. So haben Sie dazu beigetragen, daß sie
entsozialisiert wurden.
({10})
Was mich bei der Opposition ebenfalls wundert, ist,
daß sie die heutige Globalisierungsdebatte in erster Linie
mit nationalen Themen bestreitet. Ist es eine neue Entwicklung innerhalb der CDU/CSU, daß man sich wieder
im nationalen Bereich heimelig kuschelt und die Herausforderung der Globalisierung überhaupt nicht mehr erkennt?
({11})
- Warum lachen Sie denn?
({12})
Sie haben dies ausgeblendet. Sie haben heute nichts
über die Herausforderungen, die sich aus der Globalisierung ergeben, gesagt. Sie haben nicht gesagt, daß völlig
neue Arbeitsmärkte, völlig neue Arbeitsplätze und Produktionsverlagerungen in der Wirtschaft entstehen werden, auf die wir reagieren müssen.
Man kann das Rad der Geschichte nicht zurückdrehen. Man kann eben nicht das wirtschaftliche Zusammenwachsen der Welt stoppen oder sich so verhalten,
wie Sie es tun. Die Herausforderung, der wir uns stellen müssen, lautet, unter den Bedingungen einer globalisierten Weltwirtschaft ökologische Vernunft, ökonomisches Wachstum und demokratische Grundregeln in
Einklang zu bringen.
({13})
Dem müssen wir uns jeden Tag neu, und zwar nicht
nur national, sondern auch international, stellen. Dafür
ist der G-8-Gipfel das richtige Podium.
Es wird gesagt, die Globalisierung zeichne sich dadurch aus, daß die Welt zum „global village“ wird. Aber
nicht nur die Welt wird zum Dorf, auch das Dorf wird
zur Welt. Das müssen Sie endlich begreifen, Herr Kollege Schäuble. Wer nämlich internationale Unternehmen
willkommen heißt, ihren langjährigen internationalen
Mitarbeitern und deren hier geborenen Kindern aber den
deutschen Paß verweigert, der hat nicht begriffen, was
Globalisierung bedeutet,
({14})
und ist für meine Begriffe von Provinzialität im
schlechten Sinne geprägt, ist vernagelt.
Ich sage: Globalisierung heißt nicht nur „Wir schauen
in die Welt“, sondern auch „Die Welt schaut auf uns“.
Schon seit einigen Jahren - nicht erst seitdem wir in der
Regierung sind, sondern bereits weit in Ihrer Regierungszeit - sind die Blicke der Welt auf uns, auf Sie und
den Ex-Kanzler Kohl, in der Frage der Strukturreformen
in den Bereichen Wirtschaft und Steuern eher mitleidiger Art.
({15})
Sie nämlich haben diese Reformen, die Sie einklagen,
über Jahre hinweg nicht in Angriff genommen. Sie haben sie verschlafen.
({16})
Wenn Sie jetzt von einer Regierung, die gerade einmal
acht Monate im Amt ist, verlangen, das aufgeräumt zu
haben, was Sie in 16 Jahren angesammelt haben, dann
kann ich nur sagen: Das hätten selbst Sie, wären Sie
Kanzler geworden, nicht geschafft.
({17})
Ich bin gespannt, wie Sie auf die Reformen, die anstehen und die wir in den nächsten 14 Tagen hier diskutieren werden, reagieren werden, wenn der Sozialstaat
reformiert wird, wenn er neu gegründet wird.
({18})
Die junge Generation sieht die Renten trotz aller gegenteiligen Bekundungen aus der Politik nicht mehr als
sicher an, wie es Ihr Ex-Minister jahrelang gepredigt
hat. Es ist keine Sicherheit im Rentensystem, sondern
Unsicherheit. Das haben Sie angesammelt, und das werden wir reformieren.
Eine Arbeitsmarktpolitik, die mehr in den zweiten als
in den ersten Arbeitsmarkt vermittelt, muß erneuert
werden.
Im Gegensatz zu Ihnen, Herr Kollege Schäuble, halten wir ein Gesundheitssystem, das alle, nur nicht den
Patienten in den Mittelpunkt stellt, für krank. Die Reform unserer Bundesgesundheitsministerin Fischer wird
das ändern. Sie ist im Gegensatz dazu, wie Sie es ausgedrückt haben, ein gelungenes Beispiel
({19})
für den Unterschied zwischen Umbau und Abbau des
Sozialstaates. Wir bauen das Gesundheitssystem um; Sie
haben abgebaut.
({20})
Globalisierung ist nichts Abstraktes. Globalisierung
hat unmittelbare Auswirkungen auf die Menschen, und
zwar egal, wo sie auf dieser Erde leben. 61 Prozent der
Bundesbürger sagen, die Globalisierung erhöhe die Absatzchancen deutscher Produkte und führe zu sinkenden
Preisen. Aber 54 Prozent sind auch der Meinung, Globalisierung führe zu mehr Arbeitslosigkeit in Deutschland.
Der Generalsekretär der Vereinten Nationen, Kofi
Annan, hat recht, wenn er meint, die Erweiterung der
Märkte übersteige bei weitem die Fähigkeit der Gesellschaften, ihre politischen Systeme daran anzupassen, geschweige denn ihren Kurs zu bestimmen. Die Geschichte lehre, daß ein Ungleichgewicht zwischen Ökonomie, Sozialwesen und Politik nie lange Bestand haben
könne. Das hat man sich nun eindrucksvoll bei der Asienkrise anschauen können.
Meine Damen und Herren, der Opposition sei gesagt:
({21})
Menschenrechte und Demokratie, soziale Sicherheit und
ein handlungsfähiger Staat sind die Voraussetzungen für
eine florierende Weltwirtschaft und nicht nur das Sahnehäubchen auf ihr.
({22})
Diese Koalition wird nicht im 21. Jahrhundert unter dem
Deckmantel der Globalisierung zum Laisser-faire-Kapitalismus des 19. Jahrhunderts zurückkehren.
({23})
Wir werden so viele persönliche Freiheiten wie möglich
gewähren und soviel soziale Sicherheit wie nötig schaffen.
Ich bedanke mich.
({24})
Das Wort hat jetzt
der Fraktionsvorsitzende der PDS, Dr. Gregor Gysi.
Frau Präsidentin! Meine
Damen und Herren! Im Rahmen der bipolaren Welt der
Systemauseinandersetzung zwischen Ost und West in
Europa hatten wir eine Entwicklung der konservativen
Parteien, die dazu geführt hat, daß sie durchaus sozialdemokratische Anstriche angenommen haben. Nach
Wegfall dieser Systemauseinandersetzung sind diese
Anstriche bei den Konservativen Schritt für Schritt abgebaut worden, am radikalsten bei der F.D.P.
({0})
In ihrer Not haben sich daraufhin die europäischen
Völker entschlossen, dann doch lieber gleich die Sozialdemokratie zu wählen, damit die Globalisierung mit
einer bestimmten sozialen Absicherung verbunden wird.
Wenn ich aber das Papier des SPD-Vorsitzenden
Schröder lese, das er zusammen mit Herrn Blair verfaßt
hat, dann stelle ich fest, daß er plötzlich auf die Rezepte
der Konservativen und der F.D.P. zurückgreift, um die
Gesellschaft zu modernisieren. Im Grunde genommen
ist das nichts anderes als der Vorschlag zur Entsozialdemokratisierung der Sozialdemokratie in Europa.
({1})
Ich glaube, daß es sich in diesem Zusammenhang
schon lohnt, einmal einen Blick auf das Wahlergebnis
von Blair zu werfen, der diese Politik seit Jahren betreibt
und dessen Politik in der Bevölkerung nicht gut angekommen zu sein scheint. Wenn man sieht, daß gerade
Jospin diese Richtung deutlich kritisiert und daß er als
einziger aus dem sozialdemokratischen Lager die Europawahl gewonnen hat, dann sollte man daraus vielleicht
Schlußfolgerungen ziehen.
({2})
Wenn man sich dann noch das Wahlergebnis der F.D.P.
ansieht, dann kommt man zu dem Schluß, daß man besonders vorsichtig beim Abschreiben von F.D.P.Programmen sein sollte, weil man sich dann ausrechnen
kann, wo man einmal landet.
({3})
Das eigentlich Neue an dem Papier ist, daß Sie eine
Art Kooperatismus vorschlagen. Das heißt: Was
Kanzler Kohl in Auseinandersetzung mit den Gewerkschaften versucht hat, wollen Sie unter Einbindung der
Gewerkschaften erreichen. Das hieße sozusagen, den
Widerstand gegen Sozialabbau zu reduzieren. Ich glaube, daß dies ein verhängnisvoller Weg wäre. Die Bevölkerung und auch wir können das von Ihnen aufgestellte
Motto nicht akzeptieren. Dieses Motto lautet: Sozialabbau durch CDU/CSU und F.D.P. ist Ausdruck sozialer
Kälte; Sozialabbau durch SPD und Grüne ist dagegen
Ausdruck von Modernität und sozialer Verantwortung.
Dieses Motto ist nicht hinnehmbar. Sozialabbau ist Sozialabbau und nichts anderes.
({4})
Zur Sparpolitik: In den Medien wird die feste Größe
von 30 Milliarden DM genannt, die gespart werden
müssen. Wieso eigentlich nicht 20 oder 40 Milliarden?
Diese Zahl scheint mir ziemlich willkürlich zu sein. Übrigens ist es in einer konjunkturell schwachen Phase sehr
problematisch, zusätzlich zu sparen, weil dies in der Regel einen weiteren Wirtschaftsabschwung und auch
einen Abbau von Arbeitsplätzen zur Folge hat.
({5})
Wenn man spart, meine Damen und Herren von der
F.D.P., dann könnte man vielleicht einmal an jene denken, die besonders viel besitzen. In dieser Gesellschaft
gibt es eine Menge Geld. Dieses Geld wird aber höchst
ungerecht eingenommen und dann noch ungerecht verteilt. Das ist das Problem.
({6})
Man kann daher im Zusammenhang mit dem Sparen
nicht gleich an die Arbeitslosen und an die Rentner denken. Sie denken nie an die Spitzenverdiener und an die
Bürger mit großem Vermögen. SPD und Grüne haben
die Wiedereinführung der Vermögensteuer versprochen. Wo bleibt sie denn? Zu einer gerechten Politik gehört eben auch eine gerechte Einnahmepolitik.
({7})
In diesem Zusammenhang sprechen Sie jetzt von
Kürzungen bei Rentnern und Arbeitslosen. Ich muß
Ihnen ehrlich sagen: Die vorgesehenen Regelungen finde ich dramatisch. CDU/CSU und F.D.P. hatten die
Senkung des Rentenniveaus um einen halben Prozentpunkt pro Jahr vorgesehen, um schrittweise das Rentenniveau auf 64 Prozent des durchschnittlichen Nettolohnes zu senken. Dieses Vorgehen haben damals alle in
der Opposition scharf kritisiert. Das entsprechende Gesetz ist im Dezember aufgehoben worden. Aber die vorgesehene Senkung war immerhin berechenbar. Die
Rentnerinnen und Rentner hätten sich darauf einstellen
können.
Was Sie an die Stelle der alten Regelung setzen, ist
die blanke Willkür. Sie wollen einfach jedes Jahr die erforderlichen Rentenerhöhungen nicht vornehmen, um
das Rentenniveau von 70 Prozent zu halten. Faktisch
aber kommen Sie zu einer viel größeren Senkung des
Rentenniveaus und geben das Ziel der Angleichung der
Renten in Ost und West auf. Im Osten hätte diese Auseinanderentwicklung der Renten eine verheerende Wirkung. Es ist tragisch, zugeben zu müssen, daß wir die
alte Regelung zwar für falsch hielten, aber sie war immer noch besser als jene, die jetzt kommt. Das ist leider
die Wahrheit.
({8})
Im Zusammenhang mit der Diskussion über aktuelle
Fragen ist es keine moderne Antwort, trotz Produktivitätssteigerungen die Arbeitszeit immer weiter zu verlängern. Wir haben die Situation, daß bei den einen der
Leistungsdruck und die Zahl der Überstunden ständig
wachsen, während die anderen auf der Straße stehen und
darauf hoffen, irgendwann einmal Überstunden leisten
zu können. Wer hindert uns eigentlich daran, europaweit
über eine gerechtere Verteilung von Arbeit, über einen
Abbau von Überstunden und über die Kürzung von Arbeitszeit nachzudenken?
({9})
Wir haben in Deutschland selbst den Nachweis, daß
die vorgesehenen Regelungen nichts bringen. In den
neuen Bundesländern sind die Arbeitszeit und die
Lohnnebenkosten niedriger und die Löhne wesentlich
geringer. Hat sich das erhoffte neoliberale Ergebnis eingestellt? Haben wir einen Arbeitsplatzboom? Ganz im
Gegenteil: Die Arbeitslosigkeit ist doppelt so hoch wie
in den alten Bundesländern.
Dieser neoliberale Weg hat versagt. Wenn Schröder
ihn jetzt aufnimmt, dann wird er damit genauso versagen
und noch deutlicher auch linke Opposition kennenlernen.
({10})
Auch die Theorie, daß es eine moderne linke Angebotspolitik geben muß, ist doch im Grunde Quark. In der
Wirtschaft muß es immer Angebot und Nachfrage geben. Man kann nicht nur eine Seite betrachten und auf
diese Art und Weise Wirtschaftspolitik machen. Das
Verhältnis muß stimmen. Seit Jahren haben die Konservativen die Nachfrage vernachlässigt. Die Kaufkraft
ging immer weiter zurück, was erhebliche Auswirkungen auf Dienstleistungen, Produktion, Arbeitsplätze etc.
hat. Fragen Sie einmal die Wirte, fragen Sie den gesamten Dienstleistungsbereich; da werden Sie das bestätigt
bekommen.
Jetzt kommt Schröder und schlägt dasselbe vor, was
wir 16 Jahre lang hatten. Nein, wir brauchen auch wieder eine Stärkung der Kaufkraft. Anders wird es eine
positive Entwicklung der Wirtschaft nicht geben.
In seiner Rede hat der Bundeskanzler über den internationalen Kapitaltransfer gesprochen und gesagt, er
mache heute 1,5 Billionen Dollar täglich aus. Das ist
wahr. Aber wo bleibt denn nun die moderne Antwort,
eine Steuerreform, durch die wir endlich einmal dafür
sorgen, daß Gewinne aus Spekulationen höher besteuert werden als Gewinne aus Produktion und Dienstleistungen?
({11})
Solange Gewinne aus Spekulationen im wesentlichen
von der Steuer freigestellt sind, können Sie die Unternehmensteuer senken, solange Sie wollen: Die Spekulationsgewinne werden immer günstiger als die Gewinne
aus Produktion und Dienstleistungen sein. Es geht darum, Spekulationsgewinne höher zu besteuern als Gewinne aus Produktion und Dienstleistungen, damit das
Geld wieder in Produktion und Dienstleistungen und
damit in Arbeitskräfte und nicht in Spekulationen investiert wird.
({12})
Es kann nicht dabei bleiben, daß es sich mehr lohnt,
Geld aus Geld zu machen als Geld aus Arbeit. Aber das
ist genau die Situation, die wir in Deutschland und ganz
Europa haben. Da muß die Reform einsetzen. Irgendwelche Phrasen über linke Angebotsorientierung helfen
da nicht weiter.
({13})
Da könnte zum Beispiel die Tobinsteuer helfen, die
wir vorgeschlagen haben. Wir werden sehen, wie Sie
sich dazu verhalten.
Alle Parteien, auch wir, reden immer von kleinen
und mittelständischen Unternehmen. Aber wenn man
sich die Gesetze ansieht, dann stellt man fest, daß immer
eine zusätzliche Belastung der kleinen und mittelständischen Unternehmen herauskommt. Nehmen Sie, meine
Damen und Herren von der Regierung, doch einmal Ihre
ökologische Steuerreform und erklären Sie mir einmal,
warum der kleine Eisenwarenhändler genau dieselbe
Belastung in Höhe von 1 000 DM hinzunehmen hat wie
Siemens. Wer Siemens und den kleinen Eisenwarenhändler mit einem absoluten Betrag gleichbehandelt,
kann nicht mehr im Ernst davon reden, daß er für kleine
und mittelständische Unternehmen etwas tut.
({14})
Wenn Sie die eine Gruppe der Unternehmen fast freistellen und die anderen kleinen und mittelständischen
Unternehmen voll zur Kasse bitten, dann verzerren Sie
auch noch sämtliche Wettbewerbsbedingungen innerhalb der Wirtschaft. Nein, es war höchst unwirtschaftlich, was Sie dort gemacht haben. Abgesehen davon war
es auch noch extrem unsozial.
Was die Förderung von Existenzgründungen angeht,
so schauen Sie sich das einmal in den neuen Ländern an.
Es war doch nicht so, daß die Leute nicht den Mut dazu
hatten. Es gab Hunderttausende, die es versucht haben.
Aber es gab eben auch Hunderttausende, die mangels
Eigenkapital und wegen extremer Bedingungen der
Banken daran gescheitert sind. Wo haben wir denn hier
einmal eine Reform, durch die auch die Banken sozusagen etwas an die Leine gelegt werden, was die Kreditbedingungen betrifft, damit es überhaupt eine Chance
für Existenzgründungen gibt, und zwar in Ost und in
West? Im Osten sind die Bedingungen noch extrem viel
schlechter als in den alten Bundesländern.
({15})
Nehmen wir die Lohnnebenkosten, über die so leidenschaftlich diskutiert wird. Da gibt es immer nur
Flickschusterei. Es geht mal einen kleinen Prozentpunkt
runter, dann wieder hoch. Man spart im Gesundheitswesen und in vielen anderen Bereichen, um die Lohnnebenkosten nicht zu erhöhen. Wo bleibt denn die wichtige
Reform, wonach auch diejenigen, die gut verdienen und
heute befreit sind - beispielsweise wir -, endlich Beiträge in die Versicherungssysteme zahlen müssen, damit
die Belastung für alle gesenkt werden kann?
({16})
Wo bleibt bei den Unternehmen die Reform, daß wir
die Lohnnebenkosten endlich von dem wirtschaftlichen
Ergebnis eines Unternehmens abhängig machen und
nicht länger von der Zahl der Beschäftigten und der Höhe der Bruttolöhne? Es ginge doch darum, zu sagen:
Wenn die Wertschöpfung steigt, muß ein Unternehmen
mehr bezahlen. Sinkt sie, dann muß es weniger bezahlen. Unterschreitet sie eine bestimmte Grenze, dann sind
gar keine Abgaben zu zahlen. Das wäre höchst flexibel.
Dadurch würden Sie Entlassungen nicht mehr so belohnen wie heute und Einstellungen nicht mehr so bestrafen
wie heute. Seit Jahren schlagen wir das vor, ohne daß
darüber auch nur ernsthaft diskutiert wird.
Nehmen Sie die Kommunen. Wenn wir wollen, daß
die Kommunen in Ost und West wieder eigene Wirtschaftsauftraggeber werden, dann brauchen wir zum
Beispiel kleine Lose. Es ist nicht hinzunehmen, daß jeder größere Auftrag bundes- oder europaweit ausgeschrieben werden muß - mit dem Ergebnis millionenfacher sinnloser Transporte. Wir könnten den Verkehr
deutlich entlasten, wenn wir zum Beispiel kleine Lose
einführen würden. Zusätzlich hätten die Kommunen
endlich die Chance, eigene regionale Wirtschaftskreisläufe zu entwickeln und Arbeitsplätze zu sichern bzw.
zu schaffen.
({17})
Wir könnten Fördertöpfe auflösen und die Gelder nach
einem bestimmten Schlüssel pauschal an die Kommunen
überweisen, damit sie als ein Träger der Wirtschaft wieder selber zur Sicherung von Arbeitsplätzen aktiv werden können.
({18})
Wenn ich an die neuen Bundesländer denke, Herr
Bundeskanzler, fällt mir auf, daß Sie in all Ihren Erklärungen eine Sache noch nie erklärt haben, die aber
höchst wichtig ist: Wie sieht eigentlich der Fahrplan der
Bundesregierung zur Angleichung der Löhne und Sozialleistungen im Osten an das Westniveau aus? Unsere
Löhne liegen bei etwa 80 Prozent des Netto- und knapp
über 70 Prozent des Bruttolohns, und zwar bei längerer
Arbeitszeit und bei inzwischen gleichen Preisen. Ich sage Ihnen: Das ist auf Dauer nicht hinzunehmen. Das
mindeste, was man doch erwarten kann, ist ein Fahrplan,
in welchen Stufen und bis wann das überwunden werden
soll. Denn die Schwäche der Kaufkraft im Osten ist auch
eine Ursache für die dort existierende Arbeitslosigkeit.
({19})
Letztlich bleibt die Feststellung: Wenn man Armut
wirksam bekämpfen will, muß man bereit sein, Reichtum zu begrenzen. Die letzte Regierung wollte das nicht,
die neue traut es sich zumindest nicht. Im Ergebnis
bleibt es dann aber dasselbe. Deshalb sage ich: Diese
Regierung wird scheitern, wenn sie CDU/CSU und
F.D.P. perfekt zu kopieren versucht. Wenn es keinen
wirklichen Politikwechsel in Richtung auf mehr soziale
Gerechtigkeit gibt und Sozialabbau als Modernität verkauft wird, dann werden die Leute meinen, sie hätten
keine Alternative. Dann können sie natürlich auch gleich
das Original wählen, bevor sie die schlechte Kopie
wählen.
Deshalb rate ich Ihnen: Steuern Sie um, machen Sie
wirklich eine Politik der sozialen Gerechtigkeit! Dann
muß Ihnen auch um die Sozialdemokratie nicht bange
sein. Wenn Sie aber bei der Schröder/Blair-Linie bleiben, dann - das verspreche ich Ihnen - werden die
Rechten Stimmen gewinnen und wird die PDS auch
stärker. Das ist aber offensichtlich nicht in Ihrem Interesse.
({20})
Sie sollten also sehr gründlich darüber nachdenken.
({21})
Das Wort für die
SPD-Fraktion hat die Kollegin Skarpelis-Sperk.
Herr Präsident!
Meine Damen und Herren! Ich möchte jetzt etwas tun,
was für die Opposition, wenigstens für die CDU/CSU,
heute ungewöhnlich ist, nämlich vom Thema reden, von
der Globalisierung und den Herausforderungen, wie wir
sie gemeinsam angehen.
Eine der größten Herausforderungen und Umwälzungen, die die Globalisierung mit sich brachte, war ohne
Zweifel die Öffnung der Finanzmärkte gegenüber der
Weltwirtschaft. Sie hat viele Konditionen erleichtert,
Zinskartelle aufgebrochen und geholfen, in vielen Ländern eine raschere wirtschaftliche Entwicklung und höhere Lebensstandards zu finanzieren. Sie hat auch den
internationalen Handel stark erleichtert. Die Verzehnfachung der Umsätze im internationalen Devisenhandel
und Wertpapierhandel war nur ein Teil dieses Prozesses,
zeigt aber dessen Dimension. Dies wurde nicht zuletzt
durch die seit 1989 weitgehend deregulierten Finanzmärkte der großen Industrieländer möglich, denen die
Schwellenländer eifrig nachstrebten.
Leider haben sich die Hoffnungen nicht erfüllt, die
Deregulierung, das heißt das immer freiere Wirken
immer größerer Kapitalmärkte, habe quasi im Selbstlauf
weniger Währungs- und Finanzkrisen und geringere
Wechselkursschwankungen zur Folge. Im Gegenteil, die
Schuldenkrisen in Mexiko und Lateinamerika 1982, der
New Yorker Börsenkrach 1987, die EWS-Krise von
1992/93, die zweite Mexikokrise Mitte der 90er Jahre,
der Asien-Crash von 1997/98, die Krisen in Rußland
1998 und in Brasilien 1999 zeigen: Das Tempo der Krisenabfolgen wird immer schneller, die Schulden-, Banken-, Börsen- und Währungskrisen verflechten sich immer stärker, und die in Frage stehenden Summen werden
immer höher. Allein in den Schwellenländern Asiens
haben die größten Banken der OECD 2 500 Milliarden
US-Dollar Kredite ausstehen, und das bei einer jährlichen Wirtschaftsleistung dieser Länder von 2 900 Milliarden US-Dollar.
Das heißt also: Die nächste Krise kommt bestimmt,
wenn wir es im Prinzip so lassen, wie es war.
({0})
Deswegen ist es eine ganz große Leistung der Bundesregierung und der EU-Länder, diese Probleme endlich
gezielt anzugehen und auf Stabilisierung und Krisenvorbeugung zu drängen.
({1})
Herr Schäuble, Sie haben von all diesen Problemen
heute überhaupt nicht gesprochen. Sie haben kurz gesagt: Dem, was die Bundesregierung da beim G-8Gipfel macht, stimmen wir zu. Ehrlicherweise hätten Sie
sagen müssen: Wir haben in den vergangenen 15 Jahren
vieles verschlafen und vieles verschlampt, aber Sie pakken es endlich an.
({2})
Denn es ist doch zu bedenken, daß solche Krisen nicht
nur große finanzielle Schäden bei Banken und Unternehmen auslösen, sondern von heute auf morgen hundert Millionen Menschen in Armut und Elend stürzen. In
Indonesien, Thailand und Korea hat sich laut Internationalem Währungsfonds allein durch die jüngste Finanzkrise die Zahl der Menschen, die unter der dortigen Armutsgrenze leben, auf ein Viertel der Bevölkerung verdoppelt. - Ich freue mich, daß Sie bei der CDU/CSU da
noch lachen können.
({3})
Zu Recht gibt es deswegen eine breite Diskussion
über die Funktionsweise der internationalen Finanzmärkte, und zu Recht haben deswegen die neue Bundesregierung und unter ihrer Präsidentschaft die Europäische Union wichtige, grundlegende Reformvorschläge
eingebracht; im Gegensatz zu früher auch mit großem
Gewicht und mit Priorität.
({4})
Mit der gewachsenen Bedeutung des Euro ist es nicht
mehr allein Sache der USA, sondern auch unsere gemeinsame europäische Verantwortung, zur Stabilisierung der internationalen Finanzsysteme beizutragen,
Krisen vorzubeugen und Dämme gegen verantwortungsloses Verhalten zu errichten gegenüber Staaten,
den Off-shore-Zentren und dem Privatsektor.
({5})
- Ja, genau das wird auf dem G-8-Gipfel jetzt konkret in
Angriff genommen, und es wird nicht nur darüber geredet.
({6})
Weiter ist es notwendig, eine Koordinierung der
makroökonomischen Politiken herbeizuführen, die Finanzkrisen auslösen könnten, und regionale Finanzzusammenschlüsse und regionale Kooperationen zu fördern, damit wir stabilere Verhältnisse ermöglichen können.
Die Europäische Union unter der deutschen Präsidentschaft hat sich zu diesem Zweck auf ein ganzes
Bündel von Maßnahmen verständigt, von dem wir hoffen, daß es von den anderen wichtigen Industrienationen
auf dem G-8-Gipfel schnell akzeptiert und dann auch
umgesetzt wird. Denn was nützt der schönste Plan, wenn
er im Archiv des Internationalen Währungsfonds verstaubt?
Ich will nur einige wenige Punkte nennen, ohne die
eine Reform des Weltfinanzsystems illusorisch wäre.
Wir brauchen erstens eine verbesserte Transparenz in
der Privatwirtschaft, zweitens eine verbesserte Transparenz der Wirtschaftspolitiken der Regierungen und drittens der internationalen Finanzinstitutionen.
Kommen wir zur verbesserten Transparenz in der
Privatwirtschaft: Ohne die Einhaltung von Mindeststandards für Transparenz, Rechnungslegung, Beschlußfassung und Risikomanagement ist Schuldnern wie Gläubigern eine vernünftige Risikobewertung und -verwaltung
nicht möglich. Kodizes über Grundsätze solider Unternehmensführung und -struktur sind notwendig und hilfreich.
Eine verbesserte Transparenz der Wirtschaftspolitiken der Regierung muß es ebenfalls geben. Denn eine
Transparenz auf dem Gebiet der Steuern und bei der
Währungs- und Finanzpolitik stellt eben keine BürokraDr. Sigrid Skarpelis-Sperk
tie dar, sondern bietet unerläßliche Kennziffern für die
Beurteilung, ob das jeweilige Handeln verantwortungsvoll ist oder nicht und ob es weltweites Vertrauen geben
kann.
({7})
Aber das Prinzip der Transparenz muß auch für die
internationalen Finanzinstitutionen wie den Internationalen Währungsfonds gelten: Auch er ist kein Hüter
eines Heiligen Grals und sollte seine Fondspolitik und
seine „Staff-Reports“ offenlegen und auch öffentlich
rechtfertigen.
({8})
Aber Transparenz allein reicht nicht aus, um Krisen
zu vermeiden. Eine Überwachung muß hinzukommen.
Die unzureichende Überwachung des Finanzsektors
- nicht nur in einer Reihe von Schwellenländern - hat
ohne Zweifel zu den jüngsten Finanzkrisen beigetragen.
Alle Appelle, doch bitte solide Grundsätze und Politiken
auszuarbeiten, einen angemessenen institutionellen
Rahmen zu entwickeln, eine ordentliche Finanzinfrastruktur und ein stabiles Zahlungssystem zu schaffen,
reichten in der Vergangenheit nicht aus. Kaum war die
Krise vorbei, die Bürgschaften geleistet, waren die meisten guten Ratschläge und Vorsätze vergessen.
Deswegen muß auch das gesagt sein: Wer nicht einsieht, daß all die genannten Regeln und Sanktionen für
Fehlverhalten unerläßliche Bestandteile verläßlicher
Finanzmärkte sind, hat auf diesen Finanzmärkten als
Akteur nichts zu suchen. Man läßt auch kein Auto ohne
TÜV und keinen Fahrer ohne Führerschein auf die Straßen.
Deswegen finde ich es einen ersten Schritt in die
richtige Richtung, daß der Internationale Währungsfonds bei der Einrichtung der neuen Kreditfazilitäten die
Fortschritte eines Landes bei der Einhaltung der einschlägigen Normen berücksichtigt. Das ist ein richtiger
Bonus für Leute, die auf dem richtigen Weg sind. Aber
was machen wir eigentlich mit jenen, denen all diese
Regeln Wurscht sind, die sich, um sich der Bankenaufsicht zu entziehen, auf Bankenplätze mit lockerster
Finanzmoral wie Off-Shore-Bankenplätze ausweichen,
ihre risikoreichen Geschäfte abwickeln und Finanzinstitutionen mit dünnster Eigenkapitaldecke ihr Geld
anvertrauen? Wenn es dann schiefgeht, laufen diese
Institutionen zu den Finanzministern und zu den internationalen Finanzinstitutionen und fordern die Finanzfeuerwehr an, selbstverständlich auf Risiko und zu Lasten der Steuerzahler und Zentralbanken.
Wenn wir die Belastung der öffentlichen Kassen bei
der Lösung von Finanzkrisen wirklich senken, systematisches Fehlverhalten mindern und Anreize zur Krisenvermeidung erhöhen wollen, kommen wir nicht umhin,
uns Gedanken darüber zu machen, wie private Gläubiger
besser in die Vorbeugung und Bewältigung von Finanzkrisen eingebunden werden können.
({9})
Dabei sollte sich der Privatsektor so organisieren, daß
ein geeigneter Ansprechpartner den internationalen
Finanzinstitutionen und den Schuldnerländern auch in
Krisensituationen zur Verfügung steht.
({10})
Der Bericht der G 22 über die internationalen Finanzkrisen hat eine Reihe von Möglichkeiten aufgelistet, und
auch die EU hat im Rahmen der G 8 einige dieser
Optionen verlangt. Wir können hier im Plenum sicher
nicht alle Vorschläge diskutieren - die Sammelklauseln
in Anleiheverträgen, die Sammelvertretungen von Gläubigern bis hin zum Mehrheitsprinzip -, aber die Zielrichtung dieser Regelungen muß sein, daß in Krisenzeiten die alleinige Last nicht auf den öffentlichen Institutionen abgeladen wird, daß ein Herausbürgen, das
„Bailing out“, des Privatsektors künftig vermieden und
mittelfristig eine solidere Kreditvergabepraxis durchgesetzt wird.
({11})
Lassen Sie uns da deutlich reden: Wer risikoreiche
Geschäfte eingeht, zum Beispiel Staatsanleihen mit einer
Verzinsung von 18 Prozent zeichnet und Kreditzinsen
von mehr als 50, zeitweise sogar 100 Prozent bekommt
- wie im Falle Mexikos und Rußlands -, sollte schlußendlich nicht nur die Gewinne einstreichen, sondern
bitte auch für die Verluste einstehen müssen, wenn sie
denn eintreten.
({12})
Es ist deswegen auch überfällig, daß Finanzinstitute
mit hohem Fremdkapitalanteil weltweit die Mindestforderungen wie Transparenz, Offenlegung und Regulierungen einhalten. Auch hier erwarten wir von unserer
Bundesregierung als Ratspräsidentin eine feste Gangart
auf dem G-8-Gipfel und konkrete Verfahrensvorschläge,
wie höhere Eigenkapitalquoten und verstärkte Transparenzverpflichtungen implementiert werden können, um
ein allmähliches Eindeichen dieser Inseln der Verantwortungslosigkeit zu erreichen. Denn bisher wurden diese Inseln der Verantwortungslosigkeit ganz munter angelaufen; die Leute haben dort Finanzfestivals abgehalten. Und was haben die früheren Regierungen gemacht?
Sie haben gesagt, das sei aber schlimm. Und wenn etwas
passiert ist, sind sie den Jachten zu Hilfe geeilt, haben
sie abgeschleppt.
Die jüngsten Finanzkrisen machen auch deutlich, daß
eine bessere Kooperation und Koordinierung zwischen
den verschiedenen internationalen Finanz- und Regierungsgremien sowie den internationalen Finanzinstitutionen dringend erforderlich ist. Die Errichtung des „Forums für Stabilität“ ist ein wichtiger erster Schritt. Aber
neben der besseren Transparenz ist, wie ich betont habe,
auch eine bessere Aufsicht in den einzelnen Ländern
notwendig.
Meine Damen und Herren, leider erlaubt es meine
Zeit nicht, auf das Thema der Vermeidung von größeren
Währungsschwankungen einzugehen,
({13})
obwohl gerade diese den Schwellenländern großen
Schaden zugefügt haben. Deswegen möchte ich zum
Schluß noch begrüßen, daß in der Weltbank jetzt Grundsätze für eine verantwortungsvolle Sozialpolitik ausgearbeitet werden und daß diese nicht mehr, wie bisher,
den Auflagen und dem Diktat des Internationalen Währungsfonds allein unterliegen.
Wir haben sehen müssen, daß die Finanzkrisen die
ärmsten Länder mit Abstand am härtesten treffen. Darauf hat der Bundeskanzler in seiner Regierungserklärung
deutlich hingewiesen. Deswegen muß es Aufgabe von
Internationalem Währungsfonds und Weltbank sein, den
ärmsten Ländern durch eigene Instrumente, wie zum
Beispiel die Initiative für verschuldete arme Länder,
wirksam zu helfen. Das erfordert öffentliche Mittel, eine
angemessene Lastenverteilung und einen deutschen
Beitrag. Ich bin mir sicher, daß der Bundeskanzler dazu
in Köln gute Lösungen vorschlagen und durchsetzen
wird.
({14})
Als nächster Redner
spricht für die CDU/CSU-Fraktion der Kollege Dr.
Theodor Waigel.
Herr Präsident! Meine sehr
verehrten Damen und Herren! Wir sollten und müssen
die Globalisierung als Chance und Herausforderung begreifen; denn Deutschland zählt zu den Hauptgewinnern
der weltwirtschaftlichen Verflechtungen nach dem
zweiten Weltkrieg.
({0})
Wie hätten wir das geschafft, was wir in den 50er Jahren
erreicht haben, wenn uns damals nicht offene Märkte zur
Verfügung gestanden hätten?
({1})
Und ein Zweites: Schon heute sind die Exporte in die
ehemaligen Ostblockstaaten höher als in die Vereinigten
Staaten.
Die Globalisierung als Ausdruck der weltwirtschaftlichen Verflechtungen hat übrigens heute wieder den
Grad erreicht, den sie schon 1914 hatte und den sie in
diesem Jahrhundert durch zwei schreckliche Weltkriege
verloren hat. Daran sollte man sich erinnern. Die Globalisierung ist nicht etwas Neues, sie ist durch zwei große
Katastrophen in Europa und dieser Welt zugrunde gegangen. Wir schicken uns jetzt an, das fortzuführen, was
schon unsere Vorgänger bis 1914 auf den Weg gebracht
hatten. Die Globalisierung ist also nicht etwas, wovor
man Angst haben muß, sondern etwas, was man als
Chance und Herausforderung begreifen muß.
({2})
Ich begrüße es, Herr Bundeskanzler, daß Sie sich mit
Ihrer Regierungserklärung endlich der Globalisierung
als Herausforderung stellen; denn jahrelang hat die SPD
den Liberalen und uns vorgeworfen, die Globalisierung
sei nur ein Feigenblatt für Wahlgeschenke an Unternehmer und - Entschuldigung - für den Abbau von
Sozialleistungen. Nur, der Standortwettbewerb, auf den
Helmut Kohl schon sehr früh, nämlich zu der Zeit, als
die Wiedervereinigung anzupacken war, hingewiesen
hat, ist keine Erfindung fehlgeleiteter Neoliberaler, sondern eine harte Tatsache nach der weltweiten Öffnung
der ökonomischen und politischen Grenzen.
Wie sehen aber Anspruch und Wirklichkeit aus,
Herr Bundeskanzler? Ihr Versprechen war: Wir modernisieren Staat und Gesellschaft, wir garantieren soziale
Gerechtigkeit, und wir fördern Selbständigkeit und
Eigenverantwortung. Wie sehen die Taten der SPD aus?
Wer alles, was wir unter großen Schwierigkeiten und
gegen viele Widerstände, auch in den eigenen Reihen,
an Strukturmaßnahmen durchgesetzt haben, gleich am
Anfang seiner Regierungszeit zurücknimmt, betreibt
keine moderne Politik, sondern Modernisierungsverweigerung. Das holt Sie jetzt ein.
({3})
Herr Bundeskanzler, was Sie von Jospin und Blair
neben anderem unterscheidet, ist, daß die beiden, nachdem sie an die Macht gekommen waren, nichts von dem
zurückgenommen haben, was die Vorgängerregierungen
an schwierigen Strukturmaßnahmen und Konsolidierung
auf den Weg gebracht haben. Man muß doch wissen,
daß eine vertretbare Einschränkung bei der Lohnfortzahlung, wie wir sie beschlossen haben, zu einem Rückgang der Fehlzeiten geführt hat. Es ist doch auch richtig,
daß ein überzogener Kündigungsschutz ein Einstellungshindernis für das Handwerk und für Kleinunternehmen gewesen ist. Wir haben dies ohne Zweifel verbessert.
({4})
Es ist nicht meine Aufgabe, Ihnen einen Rat zu geben. Aber wenn Sie gescheit gewesen wären, dann hätten Sie nach der gewonnenen Bundestagswahl gesagt:
Kohl, Waigel und andere Minister der Bundesregierung
sind ganz schreckliche Leute.
({5})
Das, was sie gemacht haben, kritisieren wir schärfstens,
aber zurücknehmen können wir das nicht mehr. So haben es die englischen und die französischen Sozialisten
gemacht. Daß Sie so dumm waren, dies nicht einmal aus
taktischen Gründen so zu machen, enttäuscht mich. Ich
hätte von Ihnen in dieser Hinsicht mehr erwartet.
({6})
Inzwischen diskutiert man mehr über Nachbesserungen als über Zukunftsreformen. Sie setzen auf einen
neuen Existenzgründerboom und konterkarieren ihn
gleichzeitig durch Ihr verfehltes Gesetz zur Bekämpfung
der Scheinselbständigkeit. Sie versprechen neue Arbeitsplätze im Dienstleistungssektor, aber gleichzeitig
entwickelt sich das 630-Mark-Gesetz zum größten Arbeitsplatzvernichtungsprogramm im Niedriglohnsektor,
also genau dort, wo es notwendig wäre, Beschäftigung
zu schaffen.
({7})
Sie stellen sinkende Lohnnebenkosten in Aussicht.
Aber gleichzeitig belasten Sie mit der Neuregelung des
Schlechtwettergeldes - darauf ist Wolfgang Schäuble
schon das letztemal eingegangen - die Beitragszahler,
die mit dieser Regelung eigentlich gar nichts zu tun haben, aufs neue und erhöhen damit wieder die Lohnnebenkosten bzw. Lohnzusatzkosten. Das ist genau der falsche Weg.
({8})
Sie und Ihr früherer Finanzminister haben eine Konsumkonjunktur durch Entlastung breiter Einkommensschichten versprochen. Aber der Schröder-Aufschwung
ist ausgeblieben. Die Senkung des Solidaritätszuschlags,
die wir in der letzten Legislaturperiode beschlossen haben, ist allen zugute gekommen. Das, was Sie vorschlagen, kommt Mittelstand und Wirtschaft nicht zugute; im
Gegenteil: Es belastet sie noch stärker. Sie dürfen sich
also nicht wundern, daß Ihre Politik nicht zu mehr Vertrauen und auch nicht zu mehr Beschäftigung beigetragen hat, weil Ihr Weg der falsche ist.
({9})
Herr Bundeskanzler, wenn Sie einmal zehn Minuten
Zeit haben, dann sollten Sie § 2 b des Einkommensteuergesetzes lesen. Es ist nicht zu fassen, was hier angerichtet worden ist. Wir haben uns in den letzten Jahren
bemüht, im öffentlichen Bereich, zum Beispiel auch in
der Finanzverwaltung und beim Zoll, Arbeitsplätze abzubauen. In bestimmten Bereichen gab es zwar neue
Herausforderungen, aber insgesamt wurden Arbeitsplätze abgebaut. Unser Ziel war es, im Jahr 2000 im Bund
so viele öffentliche Bedienstete wie vor der Wiedervereinigung zu haben, obwohl Deutschland nach der Wiedervereinigung um 17 Millionen Menschen größer geworden ist. Jetzt sind allein für die Überwachung des
neuen Ökosteuergesetzes über 500 neue Zollbeamte nötig.
({10})
So hatten wir uns die Beschäftigungszunahme eigentlich
nicht vorgestellt.
({11})
Nun kann der Kollege Eichel - dafür habe ich Verständnis, Herr Staatssekretär Diller - nicht immer hier
sein. Ich möchte eine gewisse Solidarität zwischen den
alten Kameraden - ich meine damit die früheren
Finanzminister - nicht verschweigen.
({12})
- Ich habe Sie nicht verstanden. Aber Sie sollten mich
bei meiner Jungfernrede als Oppositionsabgeordneter
nicht stören.
({13})
Es gibt eine gewisse Solidarität der alten Kameraden.
Ich gebe gern zu, daß mir die ehemaligen Finanzminister
Lahnstein, Apel, Matthöfer und - in Abstrichen - auch
Helmut Schmidt mir mit Mitgefühl und auch Solidarität
begegnet sind, wenn sie gefragt wurden. Ihre Betrachtungen waren differenziert, vernünftig und manchmal sogar
wohltuend. Mit der Zeit - das kann der Kollege Eichel
noch nicht ahnen, weil er bisher Ministerpräsident war wächst in jedem Finanzminister zwangsläufig die Sehnsucht nach Ende seiner Dienstzeit. Ich gebe gern zu, daß
mir vor zwei Jahren eine Unvorsichtigkeit unterlaufen ist,
als ich erklärt habe, daß neun oder zehn Jahre im Amt des
Bundesfinanzministers genug seien. Nur, Herr Bundeskanzler, ich habe doch nicht gesagt, 136 Tage seien genug, sondern von neun bis zehn Jahren gesprochen.
({14})
Seitdem die Menschen in Deutschland und darüber hinaus vergleichen können, was es heißt, dieses Amt 3 500
Tage oder 136 Tage auszuüben, werde ich überall wieder zunehmend freundlich gegrüßt.
({15})
- Von Edmund Stoiber jedenfalls freundlicher als von
Ihnen.
({16})
Ich weiß, welchem täglichen nationalen und internationalen Druck ein Finanzminister ausgesetzt ist. Ich
wünsche Hans Eichel gute Stoßdämpfer und Knieschützer. In den letzten Tagen hat sich die Fraktion hinter ihn
gestellt. Das tut eine Fraktion hauptsächlich dann, wenn
die Schüsse von vorn kommen.
({17})
Er muß aufpassen, wenn die Fraktion vor ihm steht;
dann kommen die Schüsse wahrscheinlich von hinten.
Bei den beamteten Staatssekretären - das gilt nicht für
die Parlamentarischen Staatssekretäre - hat er gute Entscheidungen getroffen; ich respektiere das ausdrücklich.
Ein Finanzminister sollte unbedingt ein gutes Gedächtnis haben. Neulich habe ich in der Bundesbahn
eine BMF-Broschüre gelesen, in der Hans Eichel - es
handelt sich um seine hauseigene Postille - als „ausgewiesener Experte in Haushalts-, Steuer- und Finanzfragen“ bezeichnet wird, weil er in den letzten zwei Jahren
Koordinator der SPD gewesen sei. Ich kann mich nur
daran erinnern, daß er an der Seite von Lafontaine der
Hauptblockierer sowohl bei der Konsolidierung als auch
bei der Steuerpolitik war.
({18})
Wissen Sie, was schön ist, Herr Bundeskanzler? Mit
jeder neuen Steuerrunde bei Ihnen nähert sich Rotgrün
dem Petersberger Modell an.
({19})
Ich denke etwa an den Abschied vom Kindergrundfreibetrag und die Tarifspreizung. Was sind Sie über uns
hergezogen, als wir sagten, daß dann, wenn der Körperschaftsteuersatz 35 Prozent betrage und die Steuern auf
gewerbliche Einkommen nicht wesentlich höher sein
dürften, die Spreizung höchstens 3 bis 4 Prozent betragen dürfe. Heute sagt Ihnen der Bundesfinanzhof genau
dasselbe, und Sie müssen auf unsere Linie einschwenken. Wie schrieb das „Handelsblatt“ am 3. Mai:
Zeitgenossen mit gutem Gedächtnis werden erkennen, wohin die Reise geht: zurück zu den Petersberger Steuervorschlägen der Kohl-Regierung. Eine
solche Reform wäre nicht nur steuergerechter als
das jetzt Angedachte, sie wäre auch verfassungsgerichtsfest und hätte Signalwirkung für den Standort.
Nun noch zu den haushaltspolitischen Ankündigungen des neuen Finanzministers: Er hat neulich mit
ungeheurer Emphase beklagt, der Bund habe in jedem
Jahr mehr ausgegeben als eingenommen. Ja, was hat
denn Hessen gemacht? Hessen hat doch zu einem Zeitpunkt, als wir unsere Ausgaben im Bundeshaushalt nur
noch um 3 Prozent gesteigert haben, eine Steigerung von
6 Prozent gehabt.
({20})
Von 1993 bis 1995 stieg die Neuverschuldung in Hessen
von 300 auf knapp 400 DM je Einwohner. Ich sage das
nur, weil man ein bißchen vorsichtig sein muß, wenn
man in diesem Zusammenhang über einen anderen
richtet. Hätten Hessen und die anderen Länder - das sage ich ganz offen - ein bißchen mehr zu den Kosten der
Wiedervereinigung beigetragen, dann hätten der Bund
weniger Schulden und die Länder mehr. Aber wir haben
die Hauptlast getragen, weil wir uns dieser nationalen
Herausforderung gestellt haben.
({21})
Nun erfahren wir täglich tröpfchenweise, was da geschieht. Bisher habe ich nichts Neues entdeckt. Ein
Staatssekretär, den auch Sie kennen, hat das schon mindestens drei oder vier Finanzministern aufgeschrieben.
Es sind also alles alte Hüte, die mir nicht unbekannt
sind. Wenn Herr Eichel dies als großen Befreiungsschlag bringen wird, dann werden wir einmal nachfragen, wie er als Ministerpräsident im Bundesrat zur Befristung der Arbeitslosenhilfe gestanden, was er zum
Wegfall der originären Arbeitslosenhilfe und zur Konzentration der Zuschüsse an die Bundesanstalt für Arbeit
gesagt hat. Es wird noch interessant sein, zu beobachten,
ob in diesem Jahr draufgelegt wird, ob im nächsten Jahr
gekürzt wird und ob das dann im großen Programm als
Kürzung dargestellt wird. Doch so dumm sind die Leute
nicht. Sie wissen: Zum Abbau der Kohlesubventionen,
zur Reform der Sozialpolitik und zu den Einschränkungen der Leistungen für Asylbewerber hätte Herr Eichel
etwas beitragen können.
Nur, in einem haben Sie Erfolg gehabt. Im September
des vergangenen Jahres haben Sie mit Ihrer Blockadepolitik Erfolg gehabt. Das erkennen wir neidlos an. Sie
haben mit dieser Blockadepolitik die Wahl gewonnen,
weil die Bürger glaubten, die Probleme ließen sich auch
ohne tiefgreifende Einschnitte im Sozialbereich lösen.
Aber jetzt werden Sie von der Wirklichkeit eingeholt,
und es wird für Sie ganz bitter; denn wahrscheinlich
kommen Sie auch um Einschnitte bei der Arbeitslosenhilfe nicht herum. Denken Sie einmal an das, was Sie
uns dazu gesagt haben. Offensichtlich muß Ihr Kollege
Riester das Rentenniveau kürzen. Herr Bundeskanzler,
es wird Ihnen bekannt sein, was Sie versprochen haben.
({22})
Ich zitiere Ziffer 9:
Mehr soziale Gerechtigkeit, Kohls Fehler korrigieren bei Renten, Kündigungsschutz und Lohnfortzahlung im Krankheitsfall.
Wenn Sie jetzt die Senkung des Rentenniveaus, die
wir in einem Zeitraum von zehn Jahren vornehmen
wollten, ohne daß ein einziger, der jetzt in Rente ist, davon betroffen gewesen wäre, in ein oder zwei Jahren
durchführen wollen, obwohl Sie uns vor einem halben
Jahr für unser Vorhaben beschimpft haben - Sie selbst
haben angekündigt, dieses Vorhaben rückgängig zu machen -, dann ist dies eine gigantische Wählertäuschung,
die Ihnen der Wähler bitter heimzahlen wird.
({23})
Herr Bundeskanzler, das Ganze ist eine Frage der
politischen Glaubwürdigkeit. Was Sie vor zwei Jahren
als sozialen Kahlschlag, als Sozialabbau und als Ellbogengesellschaft kritisiert haben, das versuchen Sie
jetzt als mutige Konsolidierungspolitik zu verkaufen.
Das ist politische Doppelzüngigkeit. Übrigens, die vielfache Wiederholung des Geredes von der Erblast bringt
Ihnen gar nichts. Wer großzügig Wahlgeschenke verteilt
- Wolfgang Schäuble hat darauf hingewiesen -, der hat
kein Recht, wenige Monate später über ein strukturelles
Defizit zu lamentieren, wie Sie es getan haben.
({24})
Trotz eines West-Ost-Transfers in dreistelliger Milliardenhöhe haben wir 1997 das Maastricht-Kriterium
erreicht und 1998 sogar unterschritten. Der Anteil der
Ausgaben des Bundes am Bruttoinlandsprodukt hat mit
11,8 Prozent einen neuen Tiefstand erreicht. Zum Vergleich will ich Ihnen einmal sagen, wie es 1983 ausgesehen hat. Damals hatten wir eine Defizitquote von weit
über 3 Prozent, und der Anteil der Bundesausgaben am
Bruttoinlandsprodukt lag in den 70er Jahren teilweise
um die 15 Prozent. Das allein zeigt die Konsolidierungsleistung, die wir in den letzten Jahren erbracht haben.
({25})
Ich möchte noch ein paar Bemerkungen zum internationalen Finanzparkett machen. Herr Bundeskanzler, Ihre Regierung und vor allen Dingen Ihr erster Finanzminister haben da kaum ein Fettnäpfchen ausgelassen: eine
völlig überflüssige und schädliche Diskussion über Devisenmarktkontrollen, ein Vorstoß zur Einführung von
Wechselkurszielzonen, den niemand in der Welt begriffen hat und für den wir belächelt worden sind. Die amerikanischen und andere Freunde haben uns gefragt: Was
ist denn mit den Deutschen los? Ich kann wirklich verstehen, daß diese Freunde mehrfach gesagt haben: Theo,
we really miss you. Das hört man ganz gern. Ich hoffe,
daß der Neue wenigstens diejenigen Fehler vermeidet,
die in der Amtszeit des ersten Finanzministers passiert
sind. - Sie, Herr Bundeskanzler, nicken. In dem Fall haben Sie recht. Wahrscheinlich haben Sie das unbewußt
gemacht; ich habe Sie aber genau beobachtet. Sie entkommen mir mit keiner Mimik. Ich kenne Sie.
({26})
Zu einem ganz ernsten Punkt, der auch in der Debatte
heute eine Rolle gespielt hat: der furchtbare Unfall im
Kernkraftwerk Tschernobyl, der uns alle noch heute
betrifft, und die damit verbundene Abschaltung dieses
Kernkraftwerks. Wie sollten wir dieses Problem lösen?
- Helmut Kohl, Klaus Kinkel und ich haben - wie ich
meine, zu Recht - eine Abwägung vorgenommen. Das
wichtigste Ziel mußte sein, daß die Reaktoren in
Tschernobyl vom Netz gehen.
({27})
Dann mußten wir bereit sein, für die Energieversorgung
dieses armen Landes etwas zu tun. Eine andere Möglichkeit gab es nicht, und darum war diese Entscheidung
richtig.
Herr Bundeskanzler, Sie betreten einen gefährlichen
Irrweg, wenn Sie uns hier wieder international isolieren
und aus dem, was vereinbart wurde, ausscheren. An
Trittins Wesen wird die Welt nicht genesen, meine Damen und Herren. Wir müssen international verläßlich
sein.
({28})
Zum Beschäftigungspakt: Arbeitsplätze werden in
den Betrieben geschaffen und nicht an den Schreibtischen in Brüssel. Und makroökonomische Dialoge und
Bündnisse? Ja, worüber haben wir uns denn bisher unterhalten? Natürlich haben wir uns im Ecofin auch über
makroökonomische Zusammenhänge verständigt.
Nach dem Berliner EU-Gipfel standen Sie, Herr
Bundeskanzler, mit leeren Händen da. Wo blieb die
großspurig versprochene Nettoentlastung Deutschlands?
Der Eigenmittelbericht der EU-Kommission, erstmals
im Herbst auf unser ständiges Drängen vorgelegt, hätte
einen ausgezeichneten Anhaltspunkt geboten, nicht nur
die berechtigten deutschen Interessen, sondern auch die
der Niederländer, die der Österreicher und die der
Schweden durchzusetzen. Viel zu früh haben Sie die
Kofinanzierung geopfert.
({29})
Sie wären gut beraten gewesen, das von uns eingebrachte Kappungsmodell, das nicht nur für Deutschland
gilt, intensiv zu vertreten und dafür zu kämpfen. So ist
Ihnen nichts geblieben. Frankreich hat seine Agrarinteressen durchgesetzt, Großbritannien den Rabatt verteidigt, und die Südländer erhalten weiter Geld aus dem
Kohäsionsfonds.
({30})
Nun weiß ich sehr wohl, Herr Bundeskanzler, daß
man in Europa zu Kompromissen fähig sein muß und
nicht alles durchsetzen kann, was man als richtig erkennt. Das gehört dazu; das ist manchmal sehr bitter, das
ist manchmal sehr schwierig. Das akzeptiere ich. Aber
mit so wenig herauszukommen,
({31})
nachdem Sie mit so vielen Ankündigungen hineingegangen sind - das ist es, was wir Ihnen vorwerfen.
({32})
Bis ins letzte Jahr hinein haben Sie mich kritisiert,
daß es nicht gelungen sei, vor vier Jahren eine europäische Zinsbesteuerung zu erreichen. Es sei nicht gelungen, es sei an mir gescheitert, eine Harmonisierung bei
der Energiebesteuerung zu vereinbaren. Was haben Sie
denn jetzt erreicht?
({33})
Ich mache es Ihnen nicht zum Vorwurf, wenn ein anderer Partner oder mehrere das grundsätzlich ablehnen,
aber auch hier haben die Wahrheit und die Wirklichkeit
Sie schnell eingeholt. Insofern sollten Sie mit der Kritik
an früher vorsichtig sein.
Nun zum Euro. Meine Damen und Herren, im Gegensatz zu vielen, die sich im Moment sehr negativ
auslassen, bin ich der Meinung, daß der Euro gerade in
der Kosovo-Krise seine Bewährungsprobe glänzend bestanden hat, denn wenn es den Euro jetzt nicht gegeben
hätte, dann wäre das EWS in der Mitte auseinandergebrochen, mit verheerenden Auswirkungen für einige
Währungen in Europa, mit ganz großen Nachteilen für
uns, für den Wirtschaftsstandort, für den Export, für das
Wachstum und für die Arbeitsplätze in Deutschland.
({34})
Das sage ich als Prämisse, denn der Euro hatte dank
einer glänzenden Vorbereitung über ein Jahrzehnt einen
ausgezeichneten, gelungenen Start - mit Ausnahme
einer Tatsache. Ich glaube schon, es wäre richtig gewesen, wenn der Bundesfinanzminister am 31. Dezember
1998 dort gewesen wäre. Man ist an Silvester gern daheim; das kann ich verstehen.
({35})
Das ist bei mir auch gelegentlich der Fall gewesen. Aber
es gibt manchmal einen Moment, da hat der deutsche
Finanzminister dort zu sein, wo seine Aufgabe ist, und
das wäre dort gewesen, wo der Euro endgültig eingeführt worden ist - aber gut.
({36})
Nur: Ein Kursrückgang von teilweise über 10 Prozent
gibt auch Anlaß zur Sorge, und das müssen wir auch
aussprechen. Niemand bestreitet die Auswirkungen der
boomenden Wirtschaft in den Vereinigten Staaten und
der höheren US-Zinsen. Mag auch der Kosovo-Konflikt
zeitweilig eine Rolle gespielt haben, jetzt müßte sich
eigentlich das Gegenteil tun. Nur, will der Euro zu einer
internationalen Anlagewährung werden, muß er seine
Stärke unter Beweis stellen.
Herr Bundeskanzler, hier taucht ein Problem auf. Die
aktuelle Euro-Schwäche ist im Kern eine Folge des
politischen Glaubwürdigkeitsdefizits der führenden
Teilnehmerstaaten, vor allem Deutschlands. Dafür tragen Sie die Verantwortung. Zwar haben Sie nach der
Europawahl die Einhaltung der Stabilitätsverpflichtung
angekündigt. Aber Sie haben sich nicht gerührt, als Ihr
erster Finanzminister die Unabhängigkeit der EZB und
den Stabilitätspakt in Frage gestellt hat.
Als wir in Dublin den Stabilitätspakt in einem harten
Ringen gerade mit unseren französischen Freunden
durchgesetzt haben, habe ich mir nie vorstellen können,
daß Europa eines Tages durch den europäischen Stabilitätspakt vor einem deutschen Finanzminister geschützt
werden muß.
({37})
Herr Bundeskanzler, es war für uns alle - auch für
mich in meiner eigenen Partei - nicht einfach, die Wirtschafts- und Währungsunion, vor allen Dingen unter
Beteiligung Italiens, durchzusetzen. Ich glaube, daß
dies nach Abwägung aller Dinge und trotz des hohen
Schuldenstands richtig und vertretbar war, wie dies auch
die Deutsche Bundesbank zum Ausdruck gebracht hat.
Gerade weil ich mich für dieses europäische Land so
eingesetzt habe, bin ich berechtigt zu sagen: Es war
falsch, auf dem letzten Ecofin-Rat eine erste Ausnahme
zu genehmigen.
({38})
Hier geht es weniger um die ökonomische Wirkung. Es
geht vielmehr um das falsche Signal; denn die Finanzmärkte sind so der Meinung, daß beim nächsten Problem
wieder eine Ausnahme gemacht wird. In diese Richtung
darf die Euro-Zone nicht abgleiten. Das ist das Entscheidende.
({39})
Vor der Bundestagswahl wäre es undenkbar gewesen,
daß der Euro durch die Verweigerung der Hausaufgaben
in Deutschland zur Schwäche neigen würde. Darum dürfen Sie sich nicht wundern, daß Sie in der internationalen Ökonomie, vor allen Dingen auch im internationalen
Presseteil, mit dem bedacht werden, was heute schon
mehrere Redner gesagt haben. Wir hatten im ersten
Quartal das schwächste Wirtschaftswachstum seit drei
Jahren sowie nachlassende Erweiterungsinvestitionen
und im Jahre 1999 ein reales Wachstum von nur noch
1,5 Prozent. Wir sind damit inzwischen das Schlußlicht
der Euro-Länder.
Herr Bundeskanzler, wir hatten im Vergleich mit
Frankreich immer ein fast gleichbleibendes Wachstum.
Es hat höchstens um 0,1 bzw. 0,2 Prozent differiert. Seit
längerer Zeit liegen die Franzosen mit 0,5 Prozent oder
noch mehr ganz klar vor uns. Das muß doch zu denken
geben. Auf meine Frage an Jean-Claude Trichet und
Dominique Strauss-Kahn, woran dies liegt, sagen sie
mir: In Frankreich besteht bei Konsumenten und Investoren Vertrauen. Das heißt, die Regierung Jospin genießt mehr Vertrauen als Ihre Bundesregierung. Herr
Bundeskanzler, das muß Ihnen zu denken geben. Dies
ist auch Ihre Schuld.
({40})
Auf dem bevorstehenden Gipfel stehen Sie mit der
schwächsten Bilanz und der geringsten Wirtschaftsdynamik da.
Auch wir plädieren für eine behutsame Fortentwicklung der internationalen Finanzarchitektur. Frau
Skarpelis-Sperk, richtig ist, daß der Privatsektor stärker
einbezogen werden muß. Es geht nicht an, daß die privaten Unternehmen in den Krisenländern Profite machen und der öffentliche Bereich danach die Schulden
zu übernehmen hat. Früherkennung und Krisenprävention sind in diesem Zusammenhang richtige Stichworte.
Meine Damen und Herren, in Europa gibt es im
Moment eine hochinteressante Diskussion unter den Sozialisten. Anfang des Jahres wurde eine neue philosophische Konvergenz in Europa propagiert. Die Sozialisten Oskar Lafontaine und Dominique Strauss-Kahn haben in ihrer Funktion als Finanzminister in einem gemeinsamen Aufsatz ihre Vorstellung über die philosophische Konvergenz in Europa dargestellt. Ziel ist ein
eigenes Sozialmodell für Europa. Nur: Was gilt jetzt?
Das Europa von Dominique Strauss-Kahn und Oskar
Lafontaine oder Ihr Europa, Herr Bundeskanzler, wie
Sie es gemeinsam mit Tony Blair beschrieben haben?
Der eine - Ihr erster Finanzminister und Ihr Parteivorsitzender, dem Sie auch den Wahlsieg verdanken - ist mit
seinem Rückgriff auf Keynes kläglich gescheitert. Nun
versuchen Sie in aller Kürze einen Salto vorwärts. Ich
glaube, Sie müssen gut achtgeben, ob Sie diesen Kurswechsel der Bevölkerung und vor allen Dingen Ihren
eigenen Parteigenossen verkaufen können.
Es gab heute neben einer matten Rede auch eine
matte Regierungsfraktion. Ich habe gehofft, daß Struck
das Ganze herausreißt; auch er hat es aber nicht geschafft. Herr Bundeskanzler, vielleicht noch eines - das
sage ich jetzt nicht ironisch -: Passen Sie gut auf, daß
solche Aktionen - die Sie als Parteivorsitzender natürlich machen können, ohne sie als Regierungschef verantworten zu müssen - das deutsch-französische Verhältnis nicht beschädigen.
({41})
Denn eines haben wir immer gemerkt: Auch wenn
wir viele Probleme gehabt haben - ich habe sie mit denen gehabt, und sie mit mir -, haben wir mit allen französischen Finanzministern, mit den konservativen und
mit den sozialdemokratischen und sozialistischen, ein
hervorragendes menschliches Verhältnis gehabt und
auch sonst hervorragend zusammengearbeitet. Aber
immer dann, wenn die französischen Kollegen den Eindruck hatten, daß man etwas an ihnen vorbei macht,
kann das das wichtige deutsch-französische Verhältnis
beschädigen. Das führt zu einem Knirschen des europäischen Motors. Geben Sie gut acht, daß Ihnen das nicht
passiert!
({42})
Nachdem es hier permanent rot leuchtet - was mich
aber nicht erschüttert -, komme ich zum Schluß. Herr
Bundeskanzler, es wird Ihnen nicht gelingen, Bebel,
Blair und Brioni unter einem Hut zu versammeln.
({43})
Die Show ist vorbei. Der Ernst des Lebens beginnt.
Vielen Dank.
({44})
Mein in langen Jahren gewachsener Respekt vor dem früheren CSUVorsitzenden hat mich veranlaßt, nur das Blinklicht einzuschalten. Das geht jetzt natürlich zu Lasten der
CDU/CSU-Fraktion, das ist klar. Vielleicht hat der Kollege Waigel auch daran gedacht, daß jetzt sieben Kolleginnen ans Rednerpult kommen, und wollte daher als
Mann noch etwas länger reden.
({0})
Jetzt hat die Kollegin Dr. Uschi Eid vom Bündnis 90/
Die Grünen das Wort.
Herr
Präsident! Sehr geehrte Damen und Herrn! Am kommenden Wochenende treffen sich die acht mächtigsten
Regierungen der Welt in Köln. Wir tun gut daran, dieses
Ereignis zum Anlaß zu nehmen, über den nationalen und
europäischen Tellerrand hinauszuschauen und über unsere Verantwortung gegenüber den Ländern des Südens und des Ostens im Zeitalter der Globalisierung
nachzudenken. Deswegen bin ich froh über die heutige
Debatte.
Durch die Fortschritte der Informations- und Kommunikationstechnologie rücken nicht nur die Volkswirtschaften, sondern auch die Zivilgesellschaften immer
enger zusammen. Entfernteste Räume werden über
Fernsehen oder Internet in Bruchteilen von Sekunden
überwunden. Produktionsmuster, Konsumverhalten und
Kultur aus weit entfernten Gesellschaften werden zum
weltweiten Gemeingut. Im Zeitalter globaler Kommunikation ist die Welt ohne Zweifel kleiner geworden. Angesichts zunehmender Konflikte von Interessen und
Werten und um Ressourcen sind Weltoffenheit, Toleranz, Solidarität und Dialog zwischen den Völkern
dieser Erde dringender denn je.
({0})
Genau in dieser Hinsicht setzt die Kampagne „Erlaßjahr 2000“ als ein weltweites Dialogforum zur Schuldenfrage gerade im Vorfeld des Weltwirtschaftsgipfels
ein nachahmenswertes Beispiel. Nach den Worten des
Bundeskanzlers zur Kölner Schuldeninitiative gehe ich
davon aus, daß die Menschen, die am kommenden
Samstag für Schuldenerleichterungen für die ärmsten
Länder mit einer Menschenkette in Köln demonstrieren
werden, mit einem zufriedenstellenden Ergebnis nach
Hause fahren können.
Die Herausforderungen der Globalisierung haben zu
einem intensiven internationalen Diskurs zu Umwelt-,
Wirtschafts- und Finanzfragen geführt. Diese neue
Dimension der gemeinsamen Suche nach Problemlösungen hat sich dank der großen Weltkonferenzen der
Vereinten Nationen entwickeln können. Diese Konferenzen führten vor allem zu einer größeren Verständigung über gemeinsame globale Werte wie zum Beispiel
Respektierung der Menschenrechte, Gleichstellung von
Mann und Frau oder nachhaltige Entwicklung - und das
ist gut so.
Der Prozeß der Globalisierung erfordert, daß wir die
internationalen Regelwerke ausbauen und weiterentwickeln. Angesichts gravierender Herausforderungen für
die Sicherheit der menschlichen Zukunft wie Kriegen
und Bürgerkriegen, Umweltkatastrophen, sozioökonomischen Disparitäten, Konkurrenz um Ressourcen, Demokratiedefiziten, Menschenrechtsvergehen und Unterdrückung von Minderheiten nimmt neben globalen Regelmechanismen die Bedeutung regionaler Kooperationen und Zusammenschlüsse ebenfalls zu. Die regionale
Integration ist einer der wichtigsten Ansatzpunkte zum
Beispiel zur Förderung gewaltfreier Konfliktlösungen.
Sie schafft grenzüberschreitend gemeinsame ökonomische, politische und kulturelle Interessen, die auch das
Interesse an einem friedlichen Miteinander stärken.
Deshalb ist es dringend erforderlich, daß solche Regionalorganisationen in Afrika, Asien und Lateinamerika
von uns unterstützt werden.
Besondere Chancen, auf regionaler Ebene zu kooperieren, eröffnen sich an Hand konkreter Problemstellungen: Durch zwischenstaatliche Verträge von Flußanrainerstaaten zum Beispiel und durch gemeinsame Flußkommissionen kann die Bewirtschaftung von Flußwasser mit zivilen Mitteln geregelt werden. Die 1997 geschaffene Weltkommission für Dämme bietet einen
sinnvollen Rahmen für eine Konsensfindung hinsichtlich
Wassernutzung, Umsiedlung von Menschen und Umweltproblemen.
Die Konvention der Vereinten Nationen zur Bekämpfung der Wüstenbildung fördert die Erarbeitung von
regionalen Aktionsprogrammen zum Management von
Naturressourcen und hat konzeptionelle Leitbilder wie
Partizipation der Zivilgesellschaft und partnerschaftliche
Zusammenarbeit von Staaten bei der Bewältigung von
Konflikten um Landressourcen völkerrechtlich festgeschrieben.
Im Rahmen der Entwicklungszusammenarbeit unterstützt das Ministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung diese Institutionen und trägt dadurch erheblich zur notwendigen Konfliktprävention
bei, denn die Konkurrenz um Ressourcen ist eine der
wichtigsten und häufigsten strukturellen Krisenursachen.
Im Zuge der Globalisierung ist die Vernetzung der
Volkswirtschaften erheblich enger geworden, was folgende Zahlen illustrieren: Das Welthandelsvolumen hat
sich in den letzten 20 Jahren vervierfacht, ebenfalls die
Auslandsinvestitionen; internationale Produktionsnetzwerke spielen in der Weltwirtschaft eine immer wichtigere Rolle.
Aber nicht alle Gesellschaften konnten an dem dadurch geschaffenen Reichtum teilhaben. Der Anteil der
ärmsten 20 Prozent der Weltbevölkerung am globalen
Einkommen ist in den letzten 30 Jahren von 2,3 Prozent
auf 1,4 Prozent gesunken. Der Anteil des obersten
Fünftels ist in dieser Zeit von 70 Prozent auf 85 Prozent
angestiegen. Es ist beschämend, daß immer noch über
800 Millionen Menschen Hunger leiden, obwohl auf
dem Welternährungsgipfel 1996 beschlossen wurde,
massive Anstrengungen zum Kampf gegen den Hunger zu unternehmen.
Diese wenigen Zahlen machen deutlich, daß die Globalisierung und das damit einhergehende liberale Handelsregime nicht automatisch auch wirtschaftlichen Erfolg
und Wohlstandsmehrung für die Menschen bedeuten.
Vor diesem Hintergrund kommt der neuen Welthandelsrunde der WTO eine wichtige Aufgabe zu. Unser
Ziel muß es sein, die Entwicklungsländer in den Stand
zu versetzen, am Welthandel erfolgreich zu partizipieren
und gleichzeitig das Leitbild einer ökologisch nachhaltigen und sozialverträglichen Weltwirtschaft zu verfolgen.
Entwicklungszusammenarbeit soll einen Beitrag dazu
leisten, die Entwicklungsländer in die Lage zu bringen,
aus ihrer Teilhabe am Welthandel ein Maximum an
Chancen ziehen zu können - zum Vorteil der ärmsten
Bevölkerungsgruppen und zur Schaffung eines menschenwürdigen Lebens.
({1})
Wichtig allerdings ist, daß die bestehenden internationalen Umweltabkommen durch die Prinzipien des
freien Handels nicht unterminiert werden. Leider sind
die WTO-Verhandlungen zum Thema „Handel und
Umwelt“ in den letzten Jahren kaum vorangekommen.
Dies haben nicht zuletzt die Industrieländer zu verantworten, die in der Vergangenheit nicht bereit waren, die
speziellen Interessen der Entwicklungsländer anzuerkennen. Diese befürchten, daß Umweltstandards ihre
Wettbewerbsfähigkeit einschränken und neue Handelsbarrieren errichten. Diese Bedenken müssen wir ernst
nehmen. Wir sind heute bereit, die Interessen der Entwicklungsländer im Welthandelssystem stärker zu berücksichtigen.
({2})
Die Integration der Entwicklungsländer in den
Weltmarkt muß in eine Gesamtstrategie eingebettet
sein, damit sie zum Erfolg führen kann:
Erstens ist in unseren Partnerländern im Süden und
Osten eine verantwortliche Regierungsführung erforderlich. Sie muß Rahmenbedingungen für ein wirtschaftliches und politisches Umfeld schaffen, das für
Auslandsinvestitionen attraktiv ist und diese zugleich
am Ziel einer nachhaltigen Entwicklung orientiert.
Zweitens kommt es darauf an, die Leistungsfähigkeit staatlicher Institutionen zu stärken. Wenn zum
Beispiel Importzölle zur Finanzierung des Staatshaushaltes wegfallen, müssen parallel neue Einnahmequellen
erschlossen werden. Dazu bedarf es eines Steuersystems
und einer effizienten Steuerverwaltung. Dies ist notwendig, damit die Länder der Liberalisierung standhalten
und daraus für sich Nutzen ziehen können.
Die Asienkrise hat gezeigt, wie wichtig ein staatliches
Regelwerk im Finanzsektor, eine funktionierende Bankenaufsicht und eine transparente, effiziente Finanzpolitik sind. Entwicklungszusammenarbeit leistet hier ganz
wesentliche Beiträge.
Diese Eigenanstrengungen unserer Partnerländer laufen aber ins Leere, wenn es nicht gleichzeitig in den internationalen Rahmenbedingungen und in den westlichen Industrieländern - das heißt: bei uns - zu Veränderungen kommt, die den Völkern in allen Regionen der
Welt eine erfolgreiche Teilhabe an der Weltgesellschaft
ermöglichen.
({3})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, nach dem Um- und
Aufbruch in Osteuropa hat die G 7 ihren Kreis um Rußland erweitert. Wäre es nicht eine reale Utopie, daß im
nächsten Jahrhundert auch die Entwicklungsregionen
Asiens, Lateinamerikas und Afrikas an diesem globalen
Verhandlungstisch vertreten sind?
Ich danke Ihnen.
({4})
Für die F.D.P. gebe
ich der Kollegin Gudrun Kopp das Wort.
Herr Präsident! Sehr geehrte
Herren und Damen! Der Kanzler, derzeit unterwegs
- wahrscheinlich muß er sich ein wenig regenerieren -,
hat heute morgen eine für mich enttäuschend geschäftsmäßige Rede zum Thema Globalisierung gehalten. Wahrscheinlich ging ihm durch den Kopf, was er an Versäumnissen im eigenen Land als Bilanz vorzuweisen hat.
({0})
Es könnte sein - wir wollen ja positiv denken, auch über
andere -, daß ihn vollends der Frust gepackt hat angesichts dessen, was dort an realer Politik hätte geschehen
müssen, die von der seinerzeitigen Koalition auch schon
in Angriff genommen worden war.
({1})
Anders kann ich mir das Schröder-Blair-Papier nicht erklären, auf das er heute mit keinem einzigen Wort eingegangen ist.
({2})
Ich denke, wir sollten ihn nicht davonkommen lassen,
ohne hier einige sehr markante Stellen aus diesem
Papier vorzutragen. Wir sollten einmal die Sündenfälle,
die es in kürzester Zeit gegeben hat, und die neuesten
Erkenntnisse nennen.
Erkenntnis Nummer 1:
Die Ausbildungsqualität auf allen Ebenen der
schulischen Bildung und für jede Art der Begabung
muß gesteigert werden ...
Wie wahr! Dazu gehört aber nicht nur die Förderung
von Lernschwachen. Was fehlt, ist die Förderung von
Hochbegabten, die in dieser Gesellschaft völlig vernachlässigt werden ({3})
auf Grund ideologischer Gleichmacherei, die absolut
nicht mehr zeitgemäß ist.
Erkenntnis Nummer 2:
Menschen unterschiedlichster Herkunft wollen sich
selbständig machen ...
Wie wahr!
Ihnen muß man den Spielraum lassen, wirtschaftliche Initiative zu entwickeln ...
({4})
Ihre Märkte und ihr Ehrgeiz dürfen nicht durch
Grenzen behindert werden.
Richtig! Deshalb, sehr geehrter Herr Bundeskanzler,
sollten Sie schleunigst die bürokratischen Hürden bei
der sogenannten Scheinselbständigkeit abschaffen.
({5})
Erkenntnis Nummer 3:
Wir sollten es Kleinunternehmen im besonderen
erleichtern, neues Personal einzustellen ...
Herr Bundeskanzler, auch wenn Sie außerhalb dieses
Raumes sind, nehmen Sie doch die beschäftigungsfeindlichen Hürden im Kündigungsschutz zurück! Zeigen Sie Rückgrat!
({6})
Erkenntnis Nummer 4:
Teilzeitarbeit und geringfügige Arbeit sind besser
als gar keine Arbeit ...
Man höre und staune!
({7})
Ich kann nur sagen: Richtig! Stellen Sie sich deshalb den
Forderungen nach einem Niedriglohnsektor und lassen
Sie die Finger von den unseligen Veränderungen beim
630-Mark-Gesetz.
({8})
Was wohl noch den schlimmsten Frust unseres Bundeskanzlers hervorrufen wird, ist die Frage: Mit wem aus
den eigenen Reihen will er diese Erkenntnisse in praktische Politik umsetzen? Ich sehe, das Interesse ist auch
heute hier im Haus gleich null. Vielleicht wird verschämt
verschwiegen, welche Brisanz in diesem Papier steckt.
Der Kanzler spricht von „modernen Sozialdemokraten“, mit denen er diese Politik, diese angeblichen Visionen verwirklichen möchte. Diese „modernen Sozialdemokraten“ sehe ich nicht.
({9})
Da wird er ganz große Probleme haben. Alles Ideologie
von gestern.
Erlauben Sie mir einen letzten Hinweis. Tony Blair
macht in England keinerlei revolutionäre oder gar eigenständige Politik. Vielmehr führt er nur das fort, womit
„Maggie“ Thatcher begonnen hat: Hindernisse aus dem
Weg zu räumen.
({10})
Es ist genau das gleiche wie hier: Wir, die seinerzeitige
Koalition, haben die politischen Notwendigkeiten angepackt; jetzt, lieber Herr Schröder, liegt es an Ihnen, dies
aufzugreifen.
Welch ein Frust muß es sein, festzustellen, daß man
nichts Neues zu bieten hat, daß man - im Gegenteil nach langen Monaten erkennen muß: Politik zu machen
ist eine ernste Angelegenheit, das erfordert Arbeit; da
kann man sich nicht nur von morgens bis abends vergnügen.
({11})
Durch diesen Frust muß der Bundeskanzler hindurch.
Wir können Ihnen nur sagen: Wir werden Sie an den
Taten messen und nicht an den schönen Worten, die
heute so und morgen wieder anders sind.
Danke sehr.
({12})
Als nächste Rednerin spricht für die PDS die Kollegin Ulla Lötzer.
Herr Präsident! Kolleginnen
und Kollegen! Seit der Asienkrise wird über eine Regulierung der Finanzmärkte diskutiert. Jahrzehnte raschen
Wirtschaftswachstums ließen die Tigerstaaten noch als
Symbol des Fortschritts durch neoliberale Globalisierungspolitik erscheinen. IWF und Weltbank priesen sie
noch 1997 als Vorzeigemodelle. Diese Aussicht erst
lockte die Anleger. Um so tiefer war dann der Fall, verursacht durch massiven Kapitalabzug in Verbindung mit
einer Spekulation von Finanzmagnaten gegen die jeweilige Währung. Jetzt spricht die UNICEF von einer
„verlorenen Generation“ Diese Krise wird völlig zu
Recht als Waterloo der globalisierten Weltwirtschaft bezeichnet.
Diese Krise ist auch ein vernichtendes Urteil über die
Vorgängerregierung. Zu ihrem Standardrepertoire gehörte die Deregulierung der Devisen- und Kapitalmärkte. Sie betrieben die massive Umverteilungspolitik, die erst zu den Wachstumskrisen auf den jeweiligen
Binnenmärkten und zu dem gewaltigen Überschußkapital führte. Die Folge: Internationale Wirtschaft gründet
sich nicht mehr auf den Austausch von Waren, sondern
vorrangig auf kurzfristige Spekulation. Helmut Schmidt
sprach von der „Globalisierung des Spekulationismus“
als wichtigstem Kennzeichen der neuen Ära.
Die uns hier von der SPD vorgestellten Maßnahmen,
die auf dem G-7-Gipfel vereinbart werden sollen, reiGudrun Kopp
chen unserer Meinung nach dagegen nicht aus. Erst die
Einführung einer Tobin-Steuer, Bardepoteinlagen und
eine Verbesserung der Bankenaufsicht - vor allem bei
den Gläubigerbanken und nicht nur bei den Banken der
Entwicklungsländer - würden die Möglichkeit beschränken, mit Spekulation ganze Volkswirtschaften in
die Krise zu treiben. Sonst machen Sie sich von der Regierung zu den Schuldigen der nächsten Krise.
Die G-7-Staaten müssen - das wurde heute morgen
zu Recht betont - ihre Verantwortung gegenüber den
Entwicklungsländern wahrnehmen. Wir begrüßen die
Entschuldungsinitiative, auch wenn sie nur ein erster
Schritt ist, da Strukturmaßnahmen ausgeklammert sind.
Aber mit Entschuldung alleine ist es nicht getan. Über
40 000 multinationale Konzerne mit 250 000 Töchtern
dominieren die globalisierte Wirtschaft. Entwicklungsländer versuchen, mit Billigstlöhnen und schlechtesten
sozialen Bedingungen Kapital und Direktinvestitionen
multinationaler Konzerne anzulocken. Eine Sonderwirtschaftszone nach der anderen entsteht. Es sind die Länder des Südens, die gegeneinander konkurrieren.
Die Spitze des Eisbergs stellt die Kinderarbeit dar.
Kinder verdrängen Frauen aus den Arbeitsverhältnissen,
weil sie noch billiger sind und sich kaum gewerkschaftlich organisieren. Für 1999 prognostiziert die Studie der
UNO 375 Millionen Kinderarbeiter und Kinderarbeiterinnen. Der Bundestag hat sich vor einigen Wochen einstimmig für verstärkte Maßnahmen zum Schutz der
Kinder ausgesprochen. Doch wer das ernsthaft will, muß
sich um den Schutz der Erwachsenen kümmern.
Ihr Bekenntnis heute morgen zu den IAO-Rechten in
allen Ehren: Aber Verhaltenskodizes für Unternehmen
und IAO-Kernarbeitsrechte ohne Durchsetzungsmöglichkeiten wirken, als würde man dem Wolf nahelegen,
die Lämmer nicht zu fressen. Verbandsklagerecht und
Sanktionsfähigkeit der IAO sind nur zwei der dringend
notwendigen Schritte.
Die G-7-Staaten haben es auf dem Gipfel tatsächlich
in der Hand. Auch hier geht es um Menschenrechte.
Deren Schutz erfordert allerdings Maßnahmen gegen
multinationale Konzerne und gegen die mächtigen
Fondsverwalter und Banken. Dies ist unserer Meinung
nach unerläßlich, damit die heute morgen zitierte
Schwelle zu einer sozialen und demokratischen Weltwirtschaft überwunden werden kann.
Danke.
({0})
Für die SPD spricht
nun die Kollegin Monika Griefahn.
Herr Präsident! Meine sehr
verehrten Damen und Herren! Globalisierung hat ja
zwei Seiten. Dienstleistungen sind rund um die Uhr verfügbar. Zu jeder Tages- und Nachtzeit kann man zum
Beispiel bei der Lufthansa anrufen und einen Flug buchen. Wenn man am späten Abend unter der 180er
Nummer anruft, dann sagt ein Mensch am anderen Ende
der Leitung fröhlich „Guten Morgen!“. Wenn man fragt
„Wo sitzen Sie denn?“, dann kann die Antwort lauten:
Singapur, Adelaide - oder es ist der Name irgendeines
Ortes in Neuseeland.
Die Globalisierung schafft also Arbeitsplätze im
Dienstleistungssektor in den Ländern, für die wir eine
Stabilisierung wollen. Auf der anderen Seite gibt es natürlich Menschen, die dabei hier ihren Job verlieren. In
diesem Zusammenhang denke ich zum Beispiel an die
Buchhaltung, die im Falle der Lufthansa in Bangalore/Indien durchgeführt wird. Das heißt, wir haben in Indien qualifizierte Programmierer und Buchhalter. Für
diese Berufe gibt es gut ausgebildete Kräfte. Aber dadurch, daß die Softwareentwicklung und Buchhaltung
dorthin verlagert wird, haben die Firmen, die diese Tätigkeiten hier machen wollen, keine Aufträge und darüber hinaus Probleme, qualifizierte Arbeitskräfte in diesem Bereich zu finden.
Ein weiteres Beispiel für die beiden Seiten, die negative und die positive: Wir wollen mit Krediten - das ist
von der Europäischen Investitionsbank gemacht worden
- afrikanischen Ländern helfen. Es ist ein Schlachthof in
Botswana gebaut worden. Wo ein Schlachthof ist, müssen auch Rinder hin. Die Rinder brauchen eine Weide.
Die Weiden werden auf den Savannenflächen in Botswana abgegrenzt. Es tritt dann die Situation ein, daß die
Rinder die Savannen abgrasen und zertrampeln und damit der Versteppung und Verwüstung Vorschub leisten.
Wir müssen dann eine Menge tun, um dort zum Beispiel
eine Wiederaufforstung oder Wiederfruchtbarmachung
dieses Landes zu finanzieren.
Der Vorteil davon ist, daß günstig Rindfleisch hierherkommt und die Leute dort eine Arbeit haben. Aber
die Landwirte hier bei uns müssen ihr Fleisch preiswerter verkaufen und befinden sich in einer Konkurrenzsituation, die durch die finanziellen Mittel der Europäischen Investitionsbank hervorgerufen worden ist.
Insofern haben wir die große Aufgabe - nicht nur in
der G 7 oder G 8, sondern auch innerhalb der internationalen Gemeinschaft -, konkrete Projekte, Maßnahmen
und Kooperationen zu entwickeln, durch die für die
Völker, mit denen wir zusammenarbeiten, nachhaltige
Entwicklungsmöglichkeiten geschaffen, aber existierende Möglichkeiten nicht verbaut werden.
Globalisierung ist also kein natürliches Phänomen,
sondern ein politisches Programm, das, wenn man es
nicht richtig macht, wirtschaftlich zum Turbokapitalismus führen kann.
({0})
Wir haben in den letzten Jahren die Situation gehabt,
daß 20 Prozent der Weltbevölkerung 80 Prozent der
Ressourcen verbraucht haben. Auf der anderen Seite hat
es eine Reregulation auf den internationalen Märkten
zugunsten von globalisierten Unternehmungen gegeben,
und die lokalen Märkte haben ihre Rolle verloren.
All dem versucht der G-8-Gipfel in Köln entgegenzuwirken. Das ist gut so. Die Umweltministerkonferenz
der G-8-Staaten in Schwerin Ende März zum Beispiel
hat sehr konkrete Maßnahmen auf den Weg gebracht mit
dem Ziel, einen kohärenten globalen ökologischen Ordnungsrahmen mit multilateralen Vereinbarungen und Institutionen zu schaffen.
Das Ziel, die internationale Zusammenarbeit auch bezüglich der Umweltstandards und -normen zu beschleunigen, ist bei der letzten WTO-Verhandlungsrunde, bei
der Uruguay-Runde, leider unter den Tisch gefallen. Sozialstandards und Umweltstandards haben eben keine
Rolle gespielt. Im Gegenteil: Sie wurden als hinderlich
betrachtet. Es sollte statt dessen sogar ein Abkommen
geschlossen werden, das solche Dinge praktisch ausnimmt - MAI -.
Daß wir selbst davon betroffen sind und genauso wie
die Arbeitnehmer, die in den jeweiligen Ländern dann
für uns arbeiten, darunter leiden, wenn dieses nicht gemacht wird, sieht man an folgendem praktischen Beispiel: Eine Waschmaschine, die wir in Deutschland kaufen und auf der „made in Germany“ steht, ist hier nur
noch zusammengebaut, konfektioniert worden. Sie ist
nicht vollständig hier produziert worden. Die Teile sind
in aller Welt eingesammelt, eingekauft worden. Die
Produktionsmethoden, die dort angewandt werden, haben wir nicht unter Kontrolle. Wenn wir zum Beispiel
einen Dichtungsring für die Waschmaschine, der hier
eingebaut werden soll, in Taiwan kaufen, so ist zu beachten, daß dort Benzol als Lösemittel benutzt wird, das
hier aus Arbeitsschutzgründen, aus sozialen Gründen
und natürlich auch aus Umweltschutzgründen überhaupt
nicht mehr benutzt werden darf. So passiert es, daß wir
mit dem Kauf einer Waschmaschine „made in Germany“ auf einmal Benzol in der Küche oder im Keller
haben.
Daher ist es doch sinnvoll, zu sagen: Wir machen
gemeinsame Standards. Wir schaffen für den Schutz der
Menschen dort und für unseren Schutz Abkommen, in
denen diese Dinge tatsächlich geregelt sind. Das ist ein
ganz wichtiges Ziel, das in Köln vereinbart werden soll.
({1})
Ein weiterer Punkt: Wenn ich mir anschaue, wie Herr
Schäuble hier Gift und Galle gespuckt hat
({2})
und wieder einmal das Programm für arbeitslose Jugendliche kritisiert hat, muß ich ganz ehrlich sagen: Ich
finde es wirklich frivol, daß die Tatsache, daß die Jugendlichen in Arbeit sind, hier so diskreditiert wird. Wir
haben doch alle einen Vorteil davon, wenn zum Beispiel
die Rechtsradikalen, wie bei der letzten Wahl, möglichst
wenig Stimmen bekommen. Das ist doch gut für die
Demokratie. Wenn Menschen Arbeit haben, dann ist der
Drang, sich zu radikalisieren, nicht so groß. Dies ist ein
wichtiger Punkt bei der Stabilisierung, die wir in
Deutschland brauchen, die wir aber auch in anderen
Ländern voranbringen wollen.
Der Bundeskanzler hat vom „magischen Viereck“
der Modernisierung gesprochen: von wirtschaftlicher
Wettbewerbsfähigkeit, aber auch von sozialer Gerechtigkeit - das heißt eben auch: Arbeit für alle -, von
ökologischer Nachhaltigkeit in den Ländern, in denen
produziert wird, und hier sowie von rechtsstaatlicher
Demokratie. Das gehört doch zusammen! Das ist ein
ganz wichtiger Teil der Außenpolitik, die von dieser
Bundesregierung betrieben wird. Wir versuchen, auf der
Welt insgesamt eine bessere Verteilung hinzubekommen, damit die demokratische Entwicklung voranschreitet und damit wir Krisenherde schon im Vorfeld
vermeiden können.
({3})
Ein ganz wichtiger Faktor ist zum Beispiel die Frage
des Stabilitätspaktes im Balkan. Ich nehme einmal das
Beispiel Ruanda: Wir haben neulich mit dem UNGeneralsekretär Kofi Annan gesprochen. Er hat gesagt,
er habe lange vorausgesehen, daß es in Ruanda einen
Konflikt geben werde. Auf Grund dieses drohenden
Konfliktes hat er gesagt: Wir müssen dort etwas unternehmen, wir müssen Länder dazu bewegen, etwas zu
tun. Das heißt, die UNO sollte als wichtiges Instrument
eingesetzt werden. Was hat er gemacht? Er hat telefoniert, hat versucht, Länder zu mobilisieren, dort einzugreifen, und zwar weit im Vorfeld, bevor der Konflikt
richtig hochgekommen ist. Was ist passiert? Die angesprochenen Länder haben keine Präventionsnotwendigkeit gesehen.
Auch die SPD-Fraktion hat lange vor Ausbruch des
Konflikts bei der letzten Regierung 50 Millionen DM
beantragt, um in Ruanda im Vorfeld wirtschaftliche Hilfe zu leisten und die Wirtschaft aufzubauen. Die 50
Millionen DM sind nicht genehmigt worden. Aber hinterher mußte man 380 Millionen DM für humanitäre
Hilfe aufwenden, um die Folgen dieses Krieges auszugleichen, der dann in Ruanda ausgebrochen ist, weil die
Prävention und die wirtschaftliche Hilfe nicht funktioniert haben. Das ist also viel teurer.
Das heißt, die Krisenprävention, die Vorbeugung gegen Krieg muß auf dem G-8-Gipfel eine ganz wichtige
Rolle spielen. Darauf müssen wir auch unsere Finanzmittel konzentrieren; denn wenn wir jetzt sparen, haben
wir in zwei oder fünf Jahren viel höhere Kosten zu tragen, als wenn wir jetzt zahlen. Das wird auch hinsichtlich des Stabilitätspaktes gelten, der auf dem Gipfel in
Köln ebenfalls ein ganz wichtiger Punkt sein wird.
({4})
- Indien und Pakistan, das ist ein gutes Beispiel. Ich
denke, daß dort eine Kooperation notwendig ist. Das ist
auch etwas, was die letzte Bundesregierung versäumt
hat.
({5})
Ich hatte die Freude, Herr Waigel, zusammen mit dem
Ausschußvorsitzenden Klose und dem Kollegen
Schwalbe nach Indien und Pakistan zu reisen. Das war
die erste Reise seit langem, die Vertreter dieses Parlaments in diese Länder gemacht haben. Die Inder haben
immer wieder deutlich gemacht, daß sich die westlichen
Länder nur auf China konzentrieren und mit China diskutieren, aber Indien als gleich großes Land, als Land,
das sogar eine Demokratie hat, vernachlässigen nach
dem Motto: Die kommen schon alleine zurecht. Ich halte
es für sehr wesentlich, daß wir, ähnlich wie in den anderen Ländern, mit Indien im Vorfeld sehr intensiv zusammenarbeiten
({6})
und gerade zum jetzigen Zeitpunkt ganz intensive Kontakte mit Indien und auch mit Pakistan pflegen.
({7})
Gerade mit Blick auf das, was vorhin zum Zusammenbruch der Finanzmärkte gesagt worden ist, daß
nämlich - als eine Auswirkung der Globalisierung manches zu schnell nur in Kapitalbewegungen umgesetzt worden ist, halte ich es für besonders notwendig,
daß wir Energie in globale Partnerschaften investieren,
daß wir zusammenarbeiten und daß wir auch dort ganz
früh anfangen, zu kommunizieren. Vorhin ist bereits die
Frage aufgeworfen worden - Herr Waigel und Herr
Brüderle haben das getan -: Wie können wir zukünftig
vormachen, wie zum Beispiel Energiepolitik oder auch
andere Formen der Wirtschaftspolitik zu leisten sind,
und wie gehen wir hinterher seriös damit um? Da kann
ich nur sagen: Wir versuchen, mitzuhelfen, daß die
Bundesregierung überhaupt die Möglichkeit hat, mit den
anderen G-8-Ländern intensiv darüber zu diskutieren,
daß wir weltweit eine neue Energiepolitik brauchen.
Machen wir uns doch nichts vor: Die Kernreaktoren, die
im Osten überall am Netz sind, sind zum Teil marode,
zum Teil nicht nachrüstbar. Für ihre Nachrüstung und
Technik binden wir Geld, das dann zum Beispiel bei der
Einführung von Energieeinsparmethoden, beim Aufbau
einer dezentralen Energieversorgung und Wärmenutzung fehlt. Man sieht das auch daran, daß sich die Weltbank, der man ja nicht nachsagen kann, daß sie ideologisch besonders fixiert ist, an der Nachrüstung von östlichen Reaktoren nicht beteiligt. Vielmehr finanziert sie
statt dessen ein Programm zur Energieeinsparung, das
„Kiew 2000“ heißt und das Energieeinsparung und die
Nutzung regenerativer Energien vorantreiben soll.
({8})
- Herr Waigel, das ist falsch. Die Ukraine hat 1997
53 Millionen Gigawatt produziert und hat 1997 27 Millionen Gigawatt verbraucht.
({9})
Falsch ist auch die Behauptung, daß die Reaktoren
schon zu 80 Prozent fertig sind. Ebensogut könnten Sie
sagen: Der Schürmann-Bau ist zu 80 Prozent fertig.
({10})
Denn dort stehen zwei Betonruinen, die man 1981/82 zu
bauen begonnen hat und die dann 1991 nicht weitergebaut worden sind. Sie wissen selber, daß Gebäude, die
zehn und mehr Jahre irgendwo herumstehen und die
nicht weitergebaut werden, nicht in sinnvoller Weise
fertiggebaut werden können, sondern daß es dann besser
ist, sie abzureißen und etwas Neues zu bauen. Dafür setzen wir uns ein, darüber diskutieren wir auch mit Abgeordneten in anderen Parlamenten und versuchen, mit
ihnen eine gemeinsame Position zu erarbeiten und eine
gemeinsame Bewegung hinzubekommen, auch mit der
Ukraine. Das ist unser Ziel.
Ich komme zu den Rahmenbedingungen für den Arbeitsschutz - auch das ist ein ganz wichtiger Punkt -:
Umweltschutz und Arbeitsschutz hängen sehr eng miteinander zusammen. Ich möchte das nicht immer nur auf
etwas reduzieren, worüber man sich sehr schnell verständigen kann, etwa auf das Beispiel Kinderarbeit. Das
ist ein wichtiger Punkt; darin sind wir uns einig. Allerdings muß ich hinzufügen, daß es in vielen Ländern eine
Diskussion gibt: Bringt das nicht noch mehr Probleme,
zum Beispiel den Anstieg der Kinderprostitution? Wenn
ich mir vor Augen halte, daß in vielen Ländern das Ziel
des Arbeitsschutzes dazu benutzt wird, Produktionen
von dort woandershin zu verlagern, so daß man sagen
kann: „Wir sind hier sauberer geworden“, dann muß ich
sagen, daß ich auch das nicht akzeptieren kann. Es darf
nicht nach dem Motto „Aus den Augen, aus dem Sinn“
verfahren werden. Manche Firmen lassen beispielsweise
Leute unter den schlechtesten Arbeitsbedingungen
Phosphat abbauen - auch Kinder sind darunter -, was
nichts daran ändert, daß wir hier Dinge in den Müll
schmeißen, die - Klärschlamm beispielsweise - einen
höheren Phosphatgehalt aufweisen als das, was in China
oder Marokko abgebaut wird. Über diese Punkte muß
jetzt dringend im Rahmen der WTO verhandelt werden.
Dieses Problem hängt auch sehr wesentlich mit dem
Verbraucherschutz zusammen. Insofern bin ich sehr
dankbar dafür, daß sehr intensive Gespräche zum Beispiel über die Frage des Hormonfleisches und der Bananen geführt werden, um das alles zu klären, so daß wir
nicht in die Lage kommen, daß ständig mit Hilfe der
Regeln der WTO, wie sie einmal aufgestellt worden
sind, der Verbraucherschutz, der Umweltschutz, der Arbeitsschutz oder der Sozialschutz ausgehebelt werden.
Ich will einen weiteren wichtigen Punkt nennen: die
Gentechnik. In 40 Ländern gibt es dazu keine Gesetzgebung; dort werden Experimente ohne Regelungen
durchgeführt. Es wird Embryonenforschung betrieben;
es wird das Klonen von Menschen erprobt. Für mich
stellt sich dabei die Frage: „Wo fängt dabei der Kannibalismus an?“, wenn man zum Beispiel menschliche
Gene in Tiere einpflanzt. Wenn diese Dinge frei gehandelt werden können, ohne daß man sich darauf verständigt hat, daß es in anderen Ländern eine ähnliche Gesetzgebung geben sollte wie bei uns, dann haben wir
auch ein ethisches Problem. Ich denke, wir brauchen
auch eine ethische Diskussion.
Wir brauchen eine Stärkung der betreffenden Instrumente. Wir müssen im Rahmen der G 8 zusammenarbeiten, aber wir müssen auch die UNO einbinden. Die
UNO ist ja nach 1945 als das Instrument akzeptiert worden, in dessen Rahmen man gemeinsam Weltpolitik machen kann. Wir werden auch im Deutschen Bundestag in
der nächsten Zeit sehr intensiv über die UNO und ihre
Funktion diskutieren. Ich hoffe, daß die Kooperation
zwischen UNO, G 8 und der Europäischen Union in
allen diesen Fragen konkret vorangeht. Denn nur so
können wir auf der Erde Gerechtigkeit, aber auch Sicherheit und Stabilität für uns hinbekommen. Die egoistische Komponente spielt dabei immer eine Rolle. Das,
so glaube ich, bewegt uns wahrscheinlich letztendlich
dazu, die notwendigen Schritte zu gehen, auch wenn sie
Geld kosten.
Danke schön.
({11})
Als nächste Rednerin spricht nun für die CDU/CSU-Fraktion Dr. Martina
Krogmann.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Griefahn hat mit
der Beschwörung der Waschmaschine gerade versucht,
die Regierungspolitik reinzuwaschen.
({0})
Dazu muß ich ganz klar sagen: Wir Jungen in Deutschland sind entsetzt über Ihre alte, rotgrüne Politik.
({1})
Sie reden von der Konsolidierung der Staatsfinanzen;
aber Sie geben in diesem Jahr 29 Milliarden DM mehr
aus. Sie reden von der Flexibilisierung der Arbeitsmärkte; aber Sie haben gerade erst alle Reformen zurückgedreht. Sie reden auch von der Notwendigkeit
einer Steuerreform; aber Sie verschieben sie auf das
übernächste Jahr. Und Sie reden davon, daß wir mehr
Unternehmer brauchen; aber anstatt Selbständige zu fördern, Unternehmertum zu fördern, beschließen Sie ein
Gesetz, das Freiberufler und junge Existenzgründer als
Scheinselbständige diffamiert.
({2})
Zwischen dem, was Sie sagen, und dem, was Sie tun,
besteht ein riesiger Widerspruch. Ich kann dazu nur sagen: Mit dieser Politik werden Sie die Herausforderungen der Globalisierung nicht bewältigen können.
({3})
Bis weit in das rotgrüne Lager hinein besteht die Vorstellung, Globalisierung sei der Kampf des Starken gegen den Schwachen: Der eine nimmt, dem anderen wird
genommen. - Dies ist ökonomischer Unsinn. Die weltweite Verflechtung der Wirtschaft führt zu Zugewinn für
alle: bei den starken Ländern und großen Konzernen
ebenso wie bei den schwachen Ländern und Mittelständlern. Der weltweite Wohlstand steigt, und ein aktives Gestalten und Voranbringen des Prozesses der Globalisierung wird allen nutzen und wesentlich zur Beseitigung der globalen Probleme beitragen.
Wir in Europa haben alle Chancen dazu. Wir haben in
den vergangenen Jahren mit dem Binnenmarkt, mit dem
Cardiff-Prozeß und vor allem mit der Einführung des
Euro wesentliche Fortschritte gemacht.
({4})
Damit haben wir die Grundlage dafür geschaffen, im
weltweiten Wettbewerb mithalten zu können. Es ist ein
einheitlicher Wirtschaftsraum mit einer einheitlichen
Währung entstanden.
Die Begrüßung des Euro an den internationalen Devisenmärkten war geradezu euphorisch; die Marktteilnehmer glaubten an eine harte Währung. Sie vertrauten
auf den Stabilitätspakt. Aber das Vertrauen haben Sie
verspielt. Der Stabilitätspakt wurde unter Ihrer Ratspräsidentschaft durch die Ausnahmeregelung für Italien
aufgeweicht.
({5})
Der Euro fällt! Es ist doch schlimm, wenn renommierte
internationale Zeitungen wie der „Economist“ von
Deutschland als dem „kranken Mann des Euro“ sprechen.
({6})
Sie haben eine gesunde Volkswirtschaft in acht Monaten
krank gemacht. Ach, wenn wir doch wieder einen Waigel hätten!
({7})
Die soziale Marktwirtschaft war nie nur ein Wirtschaftsmodell. Sie war, ist und bleibt auch immer ein
Gesellschaftsmodell. Die soziale Marktwirtschaft spiegelt unsere Vorstellung von Demokratie, von Freiheit
und sozialer Sicherheit wider. Wissen Sie, was ich
wirklich nicht verstehe?
({8})
Hiervon steht in dem kalten Schröder/Blair-Papier auch
nicht nur ein einziges Wort.
({9})
Auf dieses Dokument sozialdemokratischer Ratlosigkeit
können wir dann wohl sehr gut verzichten!
({10})
Weil wir die soziale Marktwirtschaft haben, geht es
bei den Herausforderungen der Globalisierung natürlich
nicht nur um Börsenwerte, Shareholder Value oder Bilanzkennziffern. Betroffen von Ihrer Politik sind die
Menschen, die sich Sorgen um ihren Arbeitsplatz machen. Betroffen sind auch die jungen Leute, deren Perspektiven und künftige Bewegungsspielräume Sie durch
die Politik der Staatsverschuldung und der hohen Steuern einengen. Es geht um nichts weniger als um Zukunftschancen und Zukunftsgerechtigkeit.
({11})
Rotgrün ist weit davon entfernt, dafür die notwendigen Voraussetzungen zu schaffen. Die einen, die Traditionalisten, lehnen den Modernisierungskurs grundsätzlich ab, die anderen, die selbsternannten Modernisierer,
bleiben bei ihrer unverbindlichen Wettbewerbsrhetorik,
({12})
ohne den Ankündigungen Taten folgen zu lassen. Mit
Ihrer Politik werden wir die Herausforderungen der
Globalisierung nicht bestehen.
({13})
Die junge Generation erwartet nicht den alten Mief,
sondern eine moderne, weltoffene Politik.
Vielen Dank.
({14})
Es spricht nun für
die Bundesregierung die Bundesministerin für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Frau
Heidemarie Wieczorek-Zeul.
Herr
Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich habe
gestern abend - die Vertreter der Kirche haben gestern
getagt und tagen heute - an einer Konferenz teilgenommen, auf der sich sowohl die evangelische als auch die
katholische Kirche in ausführlichen Diskussionen mit
den Themen, die den Weltwirtschaftsgipfel betreffen,
beschäftigt hat. Sie haben ein Dokument, das sich „Globalisierung der Solidarität“ nennt, beschlossen.
Angesichts der Ernsthaftigkeit, mit der solche Gruppen in unserer Gesellschaft die Diskussion über die Probleme der Globalisierung führen, finde ich es eine
Schande für den Deutschen Bundestag, daß ein Teil dieses Hauses den Versuch unternimmt, hier billigste parteipolitische Münze auszuzahlen.
({0})
Es ist gegenüber den Themen, vor allen Dingen aber gegenüber den gesellschaftlichen Gruppen, die darüber
diskutieren, unangemessen. Deshalb sollten manche von
Ihnen, die hier solche Sprüche geklopft haben, im Dokument „Globalisierung der Solidarität“ einmal nachlesen, was darin zur internationalen Finanzordnung bis hin
zur Welthandelsorganisation und ihren Reformen ausgeführt wird. Dann würden manche von Ihnen wirklich
blaß und könnten einen Teil der Ausführungen in ihre
Argumentation übernehmen.
Meine Vorrednerin hat den Eindruck vermittelt,
durch die Globalisierung gäbe es eigentlich nur Gewinner. Das ist ein Stück Nichtwahrnehmung von Realität. Ich trage Ihnen einmal vor, was die Weltbank am
7. Juni veröffentlicht hat. James Wolfensohn, der Präsident, hat einen Bericht „Makroökonomische Krisen und
die Armut - Politische Antworten“ vorgelegt. Der Tenor
der Berichterstattung ist: Armut in dritter Welt nimmt
zu. Wolfensohn wird zitiert:
Die asiatische Finanzkrise hat zu einer dramatischen
Trendwende beim Abbau der Armut in der dritten
Welt geführt. Die Weltbank registriert eine erhebliche Zunahme der Armut, speziell in Asien, in Afrika,
in Osteuropa und in den Entwicklungsländern.
Im Bericht wird empfohlen - da mögen manche zuhören, die sagen, etwas ganz anderes sei notwendig -: Das
soziale Sicherheitsnetz - Arbeitslosenversicherung, Subventionierung von Schulgeld, Programme zur Arbeitsbeschaffung und Subvention von Grundnahrungsmitteln sei für die durchgreifende wirtschaftliche Erholung eines
von der Krise betroffenen Landes notwendig.
Ich spreche das deshalb an, weil das eine der zentralen
Fragen ist, die uns heute beschäftigen muß. In zehn Ländern Südostasiens ist das Volkseinkommen 1998 angesichts der Folgen der Finanzkrise um 7 Prozent gesunken.
Die Globalisierung hat Auswirkungen nicht nur auf
das Nord-Süd-Verhältnis und auf das West-Ost-Verhältnis, sondern auch auf unsere Gesellschaften. Da gibt
es Gewinner und Verlierer. Wir sollten im Rahmen unserer Kräfte alles dazu beitragen, daß die wirtschaftliche
Globalisierung auch mit einer Globalisierung der politischen Verantwortung beantwortet wird. Willy Brandt
hat das „global governance“ genannt. Wir brauchen
- das haben auch die Kirchen gefordert - eine neue
Weltordnungspolitik, damit die Globalisierung endlich
auch politisch und sozial gestaltet werden kann und damit es so etwas wie soziale Marktwirtschaft überhaupt
noch geben wird.
({1})
Wie kommen Finanzkrisen zustande, und welche
Auswirkungen haben sie? Sie sind doch das Ergebnis
privater Kapitalspekulationen. Wir können gar nicht so
viel finanzielle Mittel für Entwicklungszusammenarbeit
aufbringen, wie durch die letzten Finanzkrisen den Entwicklungsländern geschadet worden ist und wie die Lebensverhältnisse der Menschen in den Entwicklungsländern durch diese Krisen verschlechtert worden sind.
({2})
Deshalb greife ich den Ansatz einer neuen internationalen Finanzarchitektur auf, über die auch auf dem
Weltwirtschaftsgipfel beraten wird. Dies ist ein Element.
Aber es gibt auch noch andere Elemente dieser neu zu
schaffenden Weltordnungspolitik. Ich greife in diesem
Zusammenhang das auf, was Monika Griefahn hierzu
gesagt hat. Wir sollten gerade auch nach den Erfahrungen mit dem Jugoslawien-Kosovo-Konflikt eine Stärkung der Vereinten Nationen fordern, um eine Weltordnungspolitik zu etablieren. Wir brauchen einen UNOSicherheitsrat, in dem nicht nur nationale Sicherheitsinteressen vertreten, sondern die Menschenrechte wirklich
global und universell ausgelegt und entsprechend verwirklicht werden. Das wäre Weltordnungspolitik.
({3})
Es liegt eine Klimakonvention vor, die umgesetzt
werden muß. Des weiteren müssen die Prinzipien der
Internationalen Arbeitsorganisation praktisch umgesetzt
werden. Ich halte es für einen hervorragenden Erfolg,
daß sich die ILO endlich dazu durchgerungen hat, ausbeuterische Kinderarbeit nicht nur zu ächten, sondern
auch dazu beizutragen, daß sie nicht mehr praktiziert
wird.
Wir müssen über viele dieser Rahmenbedingungen
diskutieren, und wir müssen sie in der Praxis verbessern.
Schon in der Vorbereitung des jetzigen Weltwirtschaftsgipfels gab es in dieser Beziehung gewisse Verbesserungen und Ergebnisse, die sich meines Erachtens sehen
lassen können.
Ich möchte in diesem Zusammenhang die Entschuldungsinitiative ansprechen, die die Bundesregierung
vorangebracht hat. Ich möchte hier auch einmal all den
Initiativen danken, die sich im Rahmen der Kirchen und
der Erlaßjahrkampagne engagieren, um ein Signal der
Hoffnung für Millionen von Menschen und für Millionen von Kindern zu setzen, daß sie nicht dem Hungertod
geweiht sind.
({4})
Sie engagieren sich, um ein Signal zu setzen, daß Menschen am Ende dieses Jahrhunderts auch in ihrem eigenen Land einen Anspruch auf Gesundheit und Bildung
haben. Ich bin stolz, daß unser Ministerium den Anstoß
für eine solche Entschuldungsinitiative gegeben hat und
daß ein wirklich substantieller Erlaß der Schulden und
eine Entschuldung der ärmsten Entwicklungsländer auf
dem Weltwirtschaftsgipfel beschlossen werden wird.
Das wird ein ganz wichtiges Signal des Weltwirtschaftsgipfels sein.
({5})
Ich möchte hier aber auch darauf hinweisen, daß es
darum geht, daß die ärmsten Entwicklungsländer wieder
eine Chance haben, in die weltwirtschaftlichen Beziehungen integriert zu werden. Aber Voraussetzung, daß
der Schuldenerlaß für sie wirksam wird, ist, daß die betroffenen Länder eine verantwortliche Regierungsführung praktizieren und sich die Programme, die dann
anlaufen, auf Bekämpfung der Armut, Verwirklichung
von Basisgesundheit und Grundbildung konzentrieren.
({6})
- Selbstverständlich. - Es gibt also keinen unkonditionierten Erlaß. Dazu stehe ich auch.
In dem Entwurf, den der Weltwirtschaftsgipfel beschließen wird, fordern die G-7-Staaten den Internationalen Währungsfonds und die Weltbank aber auch ausdrücklich auf, die Programme gemeinsam mit den beteiligten Ländern so umzusetzen, daß soziale Ausgaben geschützt werden, die Armut bekämpft wird und daß das
Bildungs- und Gesundheitswesen ausgebaut wird. Es
gibt Länder, die solche Maßnahmen für ihre Bevölkerung überhaupt nicht mehr alleine finanzieren können.
Eine weitere Forderung ist die Beteiligung der Zivilgesellschaft an dieser Entwicklung.
Darauf - das verspreche ich all denjenigen, die ihre
Hoffnung darauf setzen - werden wir in unserer Eigenschaft als Anteilseigner der Weltbank und als Mitglied
des IWF gemeinsam mit den anderen G-7-Ländern sowie den dort vertretenen EU-Ländern sorgfältig achten.
Wir wollen nämlich, daß der neugewonnene finanzielle
Spielraum dieser ärmsten Entwicklungsländer den Menschen und nicht irgendwelchen korrupten Potentaten zugute kommt. Wir wollen, daß die Mittel nicht in Militärausgaben fließen, sondern für die Befriedigung der Bedürfnisse der Menschen ausgegeben werden und so
wirklich einen Beitrag zur Entwicklung dieser Länder
leisten.
({7})
Das ist auch im Interesse der Menschen hier, die ja viel
Hilfsbereitschaft beim Spenden gezeigt haben. Dabei
haben sie stets zur Voraussetzung gemacht, daß die
Mittel auch dahin gelangen, wo sie ankommen sollen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Bundesrepublik
Deutschland - diesen Punkt betone ich noch einmal hat als exportierendes Industrieland ein Eigeninteresse
daran, daß Stabilität in der Welt gesichert wird. Es ist
doch besser, diese Mittel für die Befriedigung der
Grundbedürfnisse von Menschen zu investieren, als mit
Milliardenaufwand die Schäden von Krisen und Kriegen
zu reparieren. Wir tun also etwas für die Stabilität in der
Welt, wenn wir dazu beitragen, daß die ärmsten Entwicklungsländer entschuldet werden. Es nutzt ihnen; es
nutzt auch den Industrieländern. Es ist ein Akt der Solidarität im Rahmen der Globalisierung. So verstanden,
sollte diese Debatte heute ein Signal an die vielen Millionen Menschen sein, für deren Zukunft wir uns gemeinsam mit Ihnen engagieren.
Ich bedanke mich sehr.
({8})
Für die SPDFraktion spricht nun die Kollegin Brigitte Adler.
Sehr geehrter Herr Präsident!
Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Die Ergebnisse
des Weltwirtschaftsgipfels in Köln werden von den
hochverschuldeten Ländern mit Spannung erwartet.
Katholische Bischöfe und Kardinäle aus Asien, Lateinamerika und Afrika unterstützten im Gespräch mit dem
Herrn Bundeskanzler am vergangenen Montag die Bemühungen um spürbare Schuldenerleichterungen.
Auch der Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit nutzte die Gelegenheit, sich mit den kirchlichen
Würdenträgern über die Kampagne „Erlaßjahr 2000“
auseinanderzusetzen. Die Schuldenproblematik war
außerdem bereits Gegenstand einer öffentlichen Anhörung. Es findet also eine breite öffentliche Debatte
statt. Über die Notwendigkeit einer Entschuldung besteht aber wohl Einigkeit.
Nun mag der eine oder andere behaupten, die vorgesehene Entschuldung bei Entwicklungshilfegeldern um
bis zu 100 Prozent und bei Handelsschulden um etwa
90 Prozent bedeute nicht so viel, in Köln gehe es nur um
kleine Fische. In der Tat nimmt sich in Anbetracht aller
Verbindlichkeiten der ärmsten Staaten von mehr als
2 Billionen US-Dollar ein Entlastungseffekt von etwa
70 Milliarden US-Dollar mickrig aus. Wir sprechen hier
von nicht einmal 3 Prozent der Gesamtschulden. Trotzdem sind die Maßnahmen politisch mehr wert, als es die
nackten Zahlen ausweisen. Persönlich verbinde ich gemeinsam mit vielen entwicklungspolitischen Nichtregierungsorganisationen und interessierten Menschen, die
übrigens weltweit gesammelte Unterschriften dem Herrn
Bundeskanzler in Köln übergeben werden, die Hoffnung
auf einen tatsächlichen Schritt in die Richtung eines fairen, völkerrechtlich verbindlichen Interessenausgleiches
zwischen Gläubigern und Schuldern. Das hat es bisher
noch nicht gegeben, und es war schon lange überfällig.
Eines dürfte wohl auch klar sein: Ohne das entschiedene Engagement von Ihnen, Frau Ministerin Wieczorek-Zeul, hätte sich im internationalen Schuldenmanagement nicht so viel positiv entwickelt. Anerkennenswert ist auch, daß der Bundeskanzler in seiner Rede
heute der Entwicklungspolitik so viel Gewicht beigemessen hat. Deshalb gilt es, die Chance zu nutzen, nicht
nur im vielzitierten „wohlverstandenen Eigeninteresse“,
sondern auch um der Gerechtigkeit willen.
Schuldenerlaß allein garantiert keine solidarische
Welt. Was nutzt ein Schuldenerlaß, wenn gleichzeitig
die Gläubigerländer einen fairen internationalen Handel
verhindern? Im Herbst stehen in Seattle die WTO-IIVerhandlungen an. Die Handelsliberalisierung wird
weiter voranschreiten. Wichtige weichenstellende Entscheidungen stehen auf der Tagesordnung. Den Entwicklungsländern bleibt gar keine andere Wahl, als
Rahmenbedingungen zu schaffen, um an den prognostizierten Wohlfahrtsgewinnen zu partizipieren. Ohne
Schuldenerleichterungen würden erst recht weiterhin jene die Zeche bezahlen, denen der Nutzen aus dem internationalen Handel letztlich zugute kommen sollte, nämlich den Millionen von Hungernden, den Marginalisierten und den Besitzlosen.
Ohne die Mitwirkung der OECD-Staaten an einer
partnerschaftlichen Teilhabe der Entwicklungsländer am
Liberalisierungsnutzen wird die globale Ungleichheit
beschleunigt zunehmen, wird die Schere zwischen Armen und Reichen weiter auseinanderdriften. Das, verehrte Kolleginnen und Kollegen, ist kein Horrorszenario, sondern die traurige Wahrheit. Dem müssen wir etwas entgegensetzen.
Wenn die Bundesregierung Entwicklungsländer also
dabei unterstützt, ihre WTO-Verhandlungskapazitäten
auszubauen, wenn die Bundesregierung Hilfestellungen
in der Nachbereitung der Ergebnisse der Uruguay- und
der anstehenden WTO-Runde leistet und wenn die Bundesregierung dies in ihrer eigenen und der europäischen
Entwicklungszusammenarbeit berücksichtigt - ich erinnere in diesem Zusammenhang an die Ergebnisse des
EZ-Ministerrates vom 21. Mai dieses Jahres -, dann sehe ich uns auf dem richtigen Weg. Der neue Kurs in der
deutschen Entwicklungszusammenarbeit trägt Früchte, und das ist ein Verdienst dieser Bundesregierung.
Die Erwartungen und Hoffnungen in bezug auf die
WTO-II-Runde Ende des Jahres dürfen kein Kredo im
Sinne automatischer Lösungen für die drängenden Probleme auf unserem Globus sein. Der Markt allein wird
in absehbarer Zukunft nicht in der Lage sein, Ressourcen und Benefits effektiv, fair und gerecht zu verteilen.
Der Markt allein wird es nicht schaffen, der Verwirklichung des Rechts auf Nahrung zum Durchbruch zu verhelfen. Der Markt allein sorgt auch nicht für eine gerechte internationale Wettbewerbsordnung, die internationale Kartelle und Preisabsprachen verhindert und
eine weltweite Fusionskontrolle ausübt.
Die im Herbst beginnende Verhandlungsrunde der
WTO sollte deshalb nicht schnell erzielte Ergebnisse
hervorbringen. Es kommt entscheidend darauf an, inwieweit demokratische Entscheidungsmechanismen die
Verhandlungen bestimmen. Insofern gilt es, für Transparenz und Klarheit in der Arbeitsweise der Welthandelsorganisation zu sorgen, sich massiv für die gleichberechtigte Teilnahme der Entwicklungsländer an den Entscheidungsprozessen einzusetzen, die Nichtregierungsorganisationen, die Zivilgesellschaft als solche stärker
einzubeziehen und in diesem Sinne eine kooperative Zusammenarbeit mit anderen multilateralen Organisationen, wie der Weltbank und dem UNDP, anzustreben.
Wir müssen und werden einen Beitrag leisten, die
Weichen für eine gerechte Welt zu stellen. Dazu gehört
auch die Nachbereitung und die Fortschrittskontrolle in
bezug auf die Weltkonferenzen der Vereinten Nationen.
Was wären all diese Aktionspläne wert, wenn sie im
großen Liberalisierungs- und Globalisierungskonzept
unberücksichtigt blieben? Ohne unser ernsthaftes Bemühen und ohne unser klares Bekenntnis in Worten und
Taten zu den gefaßten Beschlüssen in Rio, in Kopenhagen, in Kairo, in Peking oder in Rom würde das ganze
System seine Glaubwürdigkeit aufs Spiel setzen.
Die Entschuldung der Entwicklungsländer ist ein bedeutender Schritt zu mehr Gerechtigkeit und bedeutet
eine reale Chance für wirtschaftliche Entwicklung. Die
Bundesregierung hat mit ihrer Initiative das richtige
Signal gesetzt. Wenn wir nun dazu beitragen können,
daß in gleichem Maße Investitionen in menschlichen
Fortschritt geleistet werden, dann haben wir meines Erachtens einen positiven Beitrag geleistet - ich zitiere dazu das Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen
-, „daß unsere Zukunft nicht bloß vom Schicksal gegeben ist, sondern daß wir sie“ - unser aller Zukunft „gestalten müssen“.
Vielen Dank.
({0})
Als letzter Redner
in dieser Debatte spricht nunmehr der Kollege Bernd
Scheelen von der SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Meine
Damen und Herren! Ich ging davon aus, daß wir heute
über den Weltwirtschaftsgipfel reden, aber ich habe
feststellen müssen, daß die Oppositionsparteien die
Gelegenheit genutzt haben, über Innenpolitik zu reden.
Deswegen will ich, bevor ich zum eigentlichen Thema
komme, drei Dinge aufgreifen, die hier angesprochen
worden sind.
Ich möchte mit dem Kollegen Waigel beginnen, weil
er freundlicherweise noch hier ist.
({0})
- Vielen Dank, ich anerkenne das außerordentlich.
Herr Kollege Waigel, Sie haben vorhin dem Bundeskanzler einen strategischen Fehler vorgeworfen: Er
hätte nach der Wahl den Bürgern sagen müssen, der
Waigel und der Kohl seien böse Buben, aber die SPD
könne deren Sozialkürzungen nicht zurücknehmen. Ich
sage Ihnen, was wir gemacht haben. Wir haben das vor
der Wahl gesagt. Damals sagten wir, der Kohl und der
Waigel seien böse Buben und die SPD werde deren
Sozialkürzungen zurücknehmen. Genau das haben wir
getan, und deswegen haben die Menschen uns auch
gewählt.
({1})
Der zweite Punkt betrifft die 630-Mark-Arbeitsverhältnisse.
({2})
Dazu darf ich feststellen, daß Sie uns die Wildwestmethoden auf dem Arbeitsmarkt von vor der Wahl hinterlassen haben.
({3})
Sie haben es jahrelang zugelassen, daß reguläre sozialversicherungspflichtige Arbeitsverhältnisse in ungeschützte Arbeitsverhältnisse umgewandelt werden. Die
Schätzungen reichen von fünfeinhalb Millionen Arbeitsplätzen bis zu zehn Millionen Arbeitsplätzen. Ich sage
Ihnen ganz offen: Das, was wir auf diesem Gebiet beschließen mußten, würden wir heute genauso wieder beschließen,
({4})
auch wenn es in einzelnen Fällen weh tut. Die soziale
Gerechtigkeit erfordert eine solche Regelung, wie wir
sie gefunden haben.
({5})
Wir bekommen dafür mittlerweile auch Zustimmung,
und ich werde Ihnen gleich eine Meinung dazu vorlesen.
Wenn die Verleger feststellen, daß ihre Zeitungen morgens immer noch zugestellt werden, dann werden sie
diese Kampagnen gegen das Gesetz, die auch mit Unwahrheiten geführt werden, einstellen.
({6})
Heute morgen war in meiner Zeitung zu Hause, in der
„Rheinischen Post“ in Krefeld, im kommunalen Teil ein
Artikel - ({7})
- Sie haben doch auch über Innenpolitik geredet; im
Moment reden wir über 630-Mark-Jobs, und sie gibt es
auch in Krefeld, nicht nur in Bonn oder in Bayern oder
sonstwo.
Da hat der Obermeister der Gebäudereiniger eine
Mitteilung an die Presse gegeben. Ich lese Ihnen den
entscheidenden Satz vor:
Der „Richtung des neuen Gesetzes“, nämlich einer
Reduzierung der 630-Mark-Arbeitsverhältnisse,
stimmt die Innung der Gebäudereiniger absolut zu.
Deshalb bat Schmitz
- das ist der Obermeister darum, in keinem Fall wieder eine Nachbesserung
beziehungsweise Lockerung der jetzigen Gesetze
vorzunehmen.
({8})
Die Überschrift des Artikels lautet: „Am besten komplett abschaffen.“
({9})
Der Herr Obermeister, der übrigens Mitglied Ihrer Partei
ist, steht voll hinter dieser Regelung. Er sagt, er hätte
alle seine 600 Arbeitsverhältnisse, die er zwangsläufig
auf der Basis der 630-DM-Regelung haben mußte, abgeschafft und dafür 200 sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze geschaffen. Das ist genau das, was wir wollen.
({10})
Die dritte Vorbemerkung, ein Satz noch zu dem Papier von Bundeskanzler Schröder und dem britischen
Premierminister Tony Blair. Ich empfehle allen, die hier
wohlfeile Kritik vorbringen, nicht nur die Kommentare
über das Papier zu lesen, sondern es selbst einmal in die
Hand zu nehmen und es durchzulesen.
({11})
- Diesen Text kann man sich über das Internet besorgen.
An die Adresse des Kollegen Gysi gewandt - er ist
nicht mehr anwesend - sage ich: Er sollte einmal im
Schröder/Blair-Papier den Absatz mit der Überschrift
„Angebots- und Nachfragepolitik gehören zusammen
und sind keine Alternativen“ lesen.
({12})
Das heißt, es wird eine Ausgewogenheit von Angebotsund Nachfragepolitik angestrebt, also nicht nur eine einseitige Angebotspolitik. Sie sollten das nachlesen. Meine Damen und Herren, das Gipfeltreffen der Staats- und
Regierungschefs der G-7/G-8-Staaten am kommenden
Wochenende wird ein weiterer Schritt der erfolgreichen
internationalen Politik der Bundesregierung sein. Auf
diesem Gipfeltreffen werden Reformvorschläge zur internationalen Finanzarchitektur eine wichtige Rolle
spielen. Denn den meisten wird immer klarer, daß die
enge internationale Vernetzung der Finanzmärkte, die
Tatsache, daß man Milliardenbeträge innerhalb weniger
Sekunden um den Globus herumlenken kann, eine bessere internationale Zusammenarbeit erfordern. Nicht
zuletzt die vergangenen Finanzkrisen - ich nenne in diesem Zusammenhang die Stichworte Asien und Lateinamerika - haben deutlich gemacht, daß hier Handlungsbedarf besteht. Denn die internationalen Finanzmärkte
sind nicht immer effizient. Sie sind anfällig für Fehlentwicklungen infolge mangelnder Transparenz, aber auch
infolge fehlenden Informationsaustauschs. Diese Fehlentwicklungen müssen durch einen geeigneten Ordnungsrahmen, der nicht national geregelt werden kann,
verhindert werden.
Im nationalen Bereich haben wir einen solchen Ordnungsrahmen: Die soziale Marktwirtschaft vermeidet
- zumindest größtenteils - Marktversagen und Fehlentwicklungen. Aber auch die internationalen Märkte benötigen einen verbindlichen Ordnungsrahmen, um die
Gefahren ungezügelter Märkte unter Kontrolle zu bekommen.
({13})
Dafür brauchen wir internationale Vereinbarungen.
Denn die Zeche für die gefährlichen Turbulenzen und
enormen Schwankungen auf den Finanzmärkten zahlen
immer die Schwächsten in der Gesellschaft der betroffenen Länder, über Steuern letztlich aber auch unsere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sowie diejenigen
Betriebe, die noch ordnungsgemäße Arbeitsverhältnisse
unterhalten.
Ich sage mit Stolz, daß die SPD, Bündnis 90/Die
Grünen und die Bundesregierung mit als erste auf die
Notwendigkeit internationaler Vereinbarungen für die
Weltfinanzmärkte hingewiesen haben, und zwar mit Erfolg. Denn mittlerweile sehen dies die Bundesbank, die
europäischen und internationalen Partner, die Weltbank
und sogar die US-Notenbank genauso.
In diesem Punkt haben die 16 Jahre Ihrer Regierung
leider überhaupt nicht weitergeführt.
({14})
Sie mußten von den Partnern immer zu entsprechenden
Maßnahmen gedrängt werden. Hier im Deutschen Bundestag wurden solche Pläne von Ihnen als purer Dirigismus abgetan. Sie waren der Meinung, daß nationale
Maßnahmen ausreichen. Dabei haben Sie übersehen, zu
welchen Folgen ein fehlender Ordnungsrahmen in der
Welt führt und wieviel soziales Leid entsteht, wenn solche Turbulenzen, wie sie in Asien und Lateinamerika
stattgefunden haben, die Menschen überraschen.
Ein Punkt im Hinblick auf die Stärkung des Finanzsystems, den ich betonen möchte, betrifft die Finanzmarktaufsicht bezüglich der sogenannten Hedge Funds
und Off-shore-Finanzzentren. Bei den Hedge Funds
- das wissen Sie - werden mit relativ kleinen Einsätzen
gewaltige Geldbeträge auf den internationalen Märkten
bewegt. Die Arbeiten an der Stabilität des Finanzsystems müssen mit allem Nachdruck fortgesetzt werden. Wir sind auf die Zwischenbilanz gespannt, die auf
dem Kölner Gipfel in bezug auf diesen Punkt vorgelegt
werden soll.
({15})
Wir Sozialdemokraten begrüßen, daß sich unsere Regierung der Stärkung der Architektur des internationalen
Finanzsystems annimmt und daß sie - dies möchte ich
besonders hervorheben - für die ärmsten Länder mit der
Kölner Entschuldungsinitiative - ich übernehme hier
gerne den Terminus, den die Ministerin eingeführt hat;
denn ich glaube, daß der Begriff „Schuldeninitiative“
falsch ist ({16})
zusätzliche Schuldenerleichterungen vorgeschlagen hat.
Wir sind sehr dankbar dafür, daß dieser Vorschlag gemacht worden ist. Wir werden damit unserer internationalen Vereinbarung gerecht.
({17})
Wenn ich jetzt noch Zeit hätte - leider ist meine Redezeit abgelaufen -, hätte ich Ihnen noch kurz etwas zur
Notwendigkeit gesagt, Steuerschlupflöcher zu schließen
und Möglichkeiten, Zinseinkünfte in andere Länder zu
verlagern, abzubauen. Ich erwarte, daß sich der G-7/
G-8-Gipfel mit dieser Thematik beschäftigt. Es gibt ja
auch in unserem eigenen europäischen Bereich viele
Möglichkeiten für Unternehmer und Privatpersonen,
steuerpflichtige Gewinne ins Ausland zu verlagern und
Verluste hier bei uns anfallen zu lassen. Es ist dringend
notwendig, über den Kodex hinaus, den es mittlerweile
gibt, auch hier zu verbindlichen Regelungen zu kommen. Ich hoffe, daß vom Gipfel auch in diesem Punkt
ein Signal ausgeht.
Am Wochenende spielen in Köln im Müngersdorfer
Stadion die „Rolling Stones“. Vielleicht ist das ein gutes
Omen; denn ich gehe davon aus, daß vom G-7/G-8Gipfel in Köln an diesem Wochenende einiges in Bewegung kommt, daß einige Steine ins Rollen kommen.
Herzlichen Dank.
({18})
Ich
schließe die Aussprache. Interfraktionell wird die Überweisung des Antrags der PDS auf Drucksache 14/954 an
die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der
Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Wir kommen zum Antrag der F.D.P.-Fraktion auf
Drucksache 14/1132. Die Fraktion der SPD und Bündnis
90/Die Grünen haben beantragt, den Antrag an die in der
Tagesordnung genannten Ausschüsse zu überweisen.
Die Fraktion der F.D.P. verlangt hingegen sofortige Abstimmung. Nach ständiger Übung geht die Abstimmung
über den Überweisungsvorschlag vor. Ich bitte diejenigen, die dem Überweisungsvorschlag der Koalitionsfraktionen zuzustimmen wünschen, um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Dann ist der
Antrag auf Überweisung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen von F.D.P. und PDS
und einigen CDU/CSU-Abgeordneten bei Enthaltung
einer Reihe von weiteren CDU/CSU-Abgeordneten angenommen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 2 auf:
Befragung der Bundesregierung
Die Bundesregierung hat als Thema der heutigen Kabinettsitzung mitgeteilt: Bericht des Beauftragten der
Bundesregierung für die Koordinierung von deutschen
Hilfsmaßnahmen in Mazedonien.
Das Wort für den einleitenden fünfminütigen Bericht
hat der Parlamentarische Staatssekretär beim Bundesminister der Verteidigung Walter Kolbow. Herr Kolbow,
bitte schön.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich trage aus der Sitzung des heutigen Bundeskabinetts vor. Ich darf Ihnen in Erinnerung
rufen, daß wir als Aufgaben des Beauftragten festgelegt
haben, die Bundesregierung zu beraten, die Unterstützung der Regierung von Mazedonien vorzunehmen,
Projekte zur Stabilisierung Mazedoniens in allen Politbereichen anzuregen, die deutschen Hilfsmaßnahmen
der Regierungs- und Nichtregierungsorganisationen zu
koordinieren und letztlich auch im ressortübergreifenden
Rahmen - das darf ich besonders herausstellen - des
Bundesministeriums des Auswärtigen, des Bundesministeriums des Innern, des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und des Bundesministeriums der Verteidigung tätig zu sein.
Als Zwischenbilanz darf ich zum Ausdruck bringen,
daß die Kontakte zur mazedonischen Regierung den verschiedenen Gruppierungen und Kräften sowie den nationalen wie internationalen Regierungs- und Nichtregierungsorganisationen entsprochen haben und daß wir
die Kontakte planmäßig auf- und ausgebaut haben. Ich
möchte - auch weil ich Herrn Schlee sehe - auf die Vorarbeit in anderen Regionen, auch mit Herrn Koschnik,
hinweisen, durch die wir auf Erfahrungen zurückgreifen
konnten, für die wir dankbar sind.
Der Beauftragte der Bundesregierung ist in diesem
Zusammenhang als Partner der Regierung und der im
Lande tätigen Hilfsorganisationen positioniert und wirkt
im Rahmen seiner Möglichkeiten an der Stabilisierung
des Landes Mazedonien mit. Das Büro des Beauftragen
der Bundesregierung ist in Skopje von den nationalen
und internationalen Hilfsorganisationen als Koordinierungsstelle, wie ausgeführt, mit ressortübergreifender
Aufgabenstellung und Wirkung akzeptiert. Wir sind
dankbar für die Besuche, die wir zum Beispiel auch vom
Ausschuß für Menschenrechte in Mazedonien und in
Albanien haben erleben dürfen und die uns in unserer
Aufgabe unterstützt haben. Herzlichen Dank, Herr
Schwarz-Schilling.
Die Lage in der Region ist so, daß die humanitäre
Situation in Mazedonien vorerst zwar stabilisiert ist,
aber weiterhin gemeinsame Anstrengungen erfordert.
Erst wenn aufgrund politischer Vereinbarungen und der
darauf basierenden militärischen Implementierungsmaßnahmen weitere Vertreibungen aus dem Kosovo nachhaltig auszuschließen sind und die Vertriebenen in wesentlicher Anzahl in den Kosovo zurückgeführt werden
können, ist die Flüchtlingslage wirklich gemeistert und
damit eine der wesentlichen Voraussetzungen für eine
grundsätzliche politische Stabilisierung Mazedoniens
geschaffen.
Die Größenordnung des Wiederaufbaus im Kosovo
wird nur mit zusätzlichen personellen und materiellen
Mitteln zu bewältigen sein. Ein bereits in Brüssel vorliegender Vorschlag für ein mit einem überregionalen
Mandat ausgestattetes Büro der Kommission in Skopje
erscheint daher als die geeignete Lösung, das politische
und wirtschaftliche Gewicht der Europäischen Union im
Rahmen der Gesamtkoordinierung der Vereinten Nationen für den Wiederaufbau des Kosovo zur Geltung zu
bringen.
Ich darf mich der weiteren Koordinierung der Hilfsund Unterstützungsmaßnahmen zuwenden. Mazedonien,
meine Damen und Herren, sollte auch weiterhin als Stabilitätsfaktor nach innen und nach außen gestärkt werden und einen besonderen Faktor deutscher Politik in
der Region darstellen. In dem Maße, wie der Aufbau
einer internationalen Sicherheitspräsenz im Kosovo und
die Rückführung der Flüchtlinge Gestalt annehmen,
können eine Entlastung Mazedoniens und die Entspannung der innenpolitischen und wirtschaftlichen Lage des
Landes gelingen.
Der Einsatz von Streitkräften im Kosovo wird zumindest in einer länger andauernden Anfangsphase zum
großen Teil auch humanitäre Aufgaben beinhalten. Dem
wird in dem vom Deutschen Bundestag in der letzten
Woche beschlossenen Bundeswehrkontingent durch entsprechende Kapazitäten zum humanitären Einsatz und
zur zivil-militärischen Zusammenarbeit Rechnung getragen.
Die Herausforderungen, die sich beim Wiederaufbau
des Kosovo und der gesamten angrenzenden Region
stellen, machen nach wie vor eine ressortübergreifende,
in multinationale Hilfsstrukturen eingebundene Netzwerkkapazität notwendig. In dieses Netzwerk sollte, so
rege ich an, die in Skopje in Form des Büros des Beauftragten der Bundesregierung in Mazedonien aufgebaute
Struktur eingebracht werden. Der kurzfristig gesetzte
Auftrag, Mazedonien durch Maßnahmen der Soforthilfe
zu stabilisieren, ist - so kann ich dem Deutschen Bundestag heute berichten - weitgehend erfüllt.
Ob nun in Anbetracht des sich abzeichnenden Aufbaus eines mit einem überregionalen Auftrag oder Mandat ausgestatteten Büros der Europäischen Union in
Skopje auch mittelfristig ein Beauftragter der Bundesregierung zur Koordinierung der deutschen HilfsmaßnahVizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
men in Mazedonien beizubehalten ist, sollte von der
weiteren politischen Lagebeurteilung abhängig gemacht
werden.
Unabhängig davon aber ist ein politisches Zeichen
gegenüber der mazedonischen Regierung wünschenswert, um die deutsch-mazedonischen Beziehungen nicht
nur auf hohem Niveau beizubehalten, sondern gegebenenfalls noch weiter ausbauen zu können, wie wir auch
im Zusammenhang mit dem Besuch des mazedonischen
Staatspräsidenten hier berichten und daran anknüpfen
können. In welcher Form dies geschehen könnte, sollte
auch umgehend in den Ausschüssen des Deutschen
Bundestages und in den Ressorts geprüft werden. Bis
dahin, liebe Kolleginnen und Kollegen, kann die Unterstützung der mazedonischen Regierung in der augenblicklichen Organisationsform durch den jetzigen Beauftragten der Bundesregierung in Mazedonien fortgesetzt werden.
In Übereinstimmung mit dem gegebenen Mandat der
Bundesregierung wird dann jedoch neben den nahezu
abgeschlossenen Maßnahmen der humanitären Soforthilfe zunehmend das Anregen und die Verwirklichung
von Projekten wirtschaftlicher, sozialer und gesellschaftlicher Natur in den Mittelpunkt rücken. Wir haben
hier nicht nur ein Projekt des Wiederaufbaus vor uns,
sondern eines der größten Aussöhnungsprojekte der Geschichte.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
({0})
Vielen
Dank, Herr Staatssekretär.
Gibt es Fragen an die Bundesregierung? - Der Kollege Dietmar Schlee hat sich gemeldet. Herr Schlee, bitte
schön.
Herr Staatssekretär,
ich möchte sie etwas in bezug auf die Rückkehr der
Flüchtlinge fragen. Wir alle hören und sehen die Flüchtlinge in Mazedonien und Albanien, die sich auf den
Weg in Richtung Kosovo machen. Ich glaube, daß man
zwischen denen differenzieren muß, die in ihre zerstörten Dörfern und Hofstellen zurückkehren, und denen,
die in größere Städte gehen. Ich will mich denen zuwenden, die in kleinere Dörfer zurückgehen.
Was würden Sie zu dem Vorschlag sagen, diesen
Leuten, also in erster Linie Bauern, eine Art Startpaket,
eine Grundausstattung - Baumaterial und Folien - mit
auf den Weg zu geben. Auf Grund unserer Erfahrungen
aus Bosnien wissen wir, daß dies Dinge sind, die den
Leuten in den ersten Wochen nach ihrer Rückkehr helfen. Sie können dann einigermaßen in ihren Häusern leben und mit Hilfe des Handwerkszeugs versuchen, das
eine oder andere zu reparieren.
Wir müßten diese Leute entweder schon in Mazedonien oder in Albanien, spätestens aber im Kosovo mit
Baumaterial ausstatten; denn - das ist der zweite Punkt sie müssen ihre Häuser in den nächsten Wochen winterfest machen. Die Leute sind sehr erfinderisch. Wenn sie
aber zurückkehren und kein Baumaterial, auch kein
Handwerkszeug haben, können sie diese riesige Aufgabe
nicht bewältigen und werden vielleicht wieder fortgehen.
Herr Staatssekretär, ich möchte Sie fragen, ob Sie
nicht eine Art Sofortprogramm aufsetzen könnten. Ich
glaube, daß dies dazu beitragen würde, die Not dieser
Menschen zu lindern.
Herr
Staatssekretär, bitte.
Vielen Dank für diese Anregung, Herr Kollege Schlee.
Sie wissen, daß wir im Rahmen der Bemühungen des
Technischen Hilfswerks und der Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit dabei sind, solche Sets - wenn
ich es einmal so sagen darf - zur Verfügung zu stellen,
damit die Zurückkehrenden ihr Haus, wenn es irgendwie
möglich ist, in Eigeninitiative wiederherstellen und
winterfest machen können.
Ich will Ihre Frage an mich nutzen, um für Verständnis dafür zu bitten, daß wir die Binnenflüchtlinge, die
„displaced persons“ im Kosovo, als vorrangige Zielgruppe ansehen. Danach werden wir die Vertriebenen,
die sich in den Camps in Mazedonien und Albanien befinden, zurückführen. Wir werden dann insbesondere an
die Flüchtlinge, Vertriebenen und Deportierten denken,
die sich in den Gastfamilien in Mazedonien und Albanien aufhalten. Erst danach werden wir an diejenigen denken, die wir aus humanitären Gründen nach Deutschland
evakuiert haben. Wir sollten deshalb auch mit den Innenministern der Länder eine entspanntere Diskussion
führen. Wir sind vorbereitet und haben spontan getan,
was notwendig ist, um eine Wiederaufbauhilfe zu leisten. Die Sets stehen zur Verfügung.
({0})
- Natürlich auch Bauhöfe, Stichwort: THW.
Als
nächster hat der Kollege Eberhard Brecht von der SPDFraktion eine Frage.
Herr Staatssekretär, ich
habe mit Freude vernommen, welche Aktivitäten die
Bundesregierung unternimmt, um Mazedonien zu unterstützen. Mazedonien ist ein Schlüsselland in dieser Region; es ist ein Stabilitätsanker - damals im zerfallenden
Jugoslawien, aber auch heute noch. Ich glaube, daß die
Bundesregierung deshalb gut daran tut, dieses Land in
besonderem Maße zu stabilisieren.
Herr Staatssekretär, Sie haben davon gesprochen, daß
wir nun in eine Phase der Flüchtlingsrückkehr eintreten.
Sie haben auch eine Reihenfolge genannt. Zunächst
sollen nämlich die sogenannten „displaced persons“,
also die Flüchtlinge, die noch im Lande selbst umherirren, versorgt werden.
Die Wirklichkeit sieht aber etwas anders aus. Wir haben zur Zeit eine unkontrollierte Rückwanderung von
Flüchtlingen sowohl aus Albanien als auch aus Mazedonien. Deswegen stellt sich für mich nicht nur die Frage,
die eben vom Kollegen Schlee aufgeworfen worden ist
- wie man zu einer Winterfestmachung kommt -, sondern auch die Frage: Was erwartet die Flüchtlinge jetzt
in ihren zerstörten Dörfern?
Ich habe der Presse entnommen, daß zwei UNHCRKonvois unterwegs sind, die zunächst einmal Trinkwasser und Lebensmittel in die Region bringen. Ich befürchte, daß dies zuwenig sein wird, da nahezu sämtliche Lebensgrundlagen - Brunnen und Lebensmittelvorräte - zerstört oder geplündert sind und so viele Rückkehrer nicht versorgt werden können. Hat die Bundesregierung Vorstellungen, wie man eine solche Soforthilfe
international organisieren kann?
Herr
Staatssekretär Kolbow, bitte.
Danke schön, Herr Präsident.
Herr Kollege Brecht, die Bundesregierung befindet
sich im Einvernehmen mit dem UNHCR, aber auch der
Europäischen Union, was die Möglichkeiten der Wiederaufnahme der Vertriebenen in ihrem Heimatland, im
Kosovo, angeht. Wir haben zum Beispiel in Zusammenarbeit mit der Nichtregierungsorganisation „Help“ sofort
ein „mine awareness programme“ zur Prävention der
Minengefahr gestartet. Wir haben 250 000 Flugblätter in
den Camps an die Flüchtlinge verteilt, um sie vor einer
spontanen, unkontrollierten Rückkehr nach dem Kosovo
zu warnen, damit sie nicht beim Überschreiten der grünen Grenze in die Minenfelder laufen.
In Zusammenarbeit mit dem World Food Programme
der Vereinten Nationen haben wir dafür Sorge getragen,
daß die Wasserversorgung und die Lebensmittelversorgung, aber auch die Versorgung mit hygienischem Material in Ordnung ist und daß die Flüchtlinge, wenn sie
auf dem geordneten, von der NATO vorbereiteten Weg
in ihre Heimat zurückkehren - das sind im Augenblick
schon einige tausend -, nicht Gefahr laufen, erstens auf
Minen zu treten und zweitens nicht versorgt zu werden.
Wir koordinieren auch die nationalen Anstrengungen
zum Beispiel der Bundeswehr, die Einmannpackungen
und Mittel zur Sofortversorgung in den Korridor von
Prizren mitgebracht hat. So ist sie in der Lage, die
spontanen Rückkehrer, deren Zahl wir im Augenblick so
gering wie möglich halten wollen, weil alles vorbereitet
werden soll, zu versorgen.
({0})
Bitte
schön.
Herr Staatssekretär,
auch wenn diese Frage möglicherweise nicht an die
richtige Adresse geht: Die Europäische Union hat beschlossen, in diesem Jahr 400 Millionen DM für humanitäre Hilfe und Wiederaufbauhilfe und im nächsten
Jahr, wenn ich richtig informiert bin, 1,4 Milliarden DM
bereitzustellen. Aus welchen Mitteln wird die Winterfestmachung von zerstörten Häusern finanziert? Wird
dies aus dem humanitären Topf oder aus dem Topf der
Wiederaufbauhilfe finanziert? Wir stehen doch schon in
diesem Jahr unter dem Druck, die Dinge zu finanzieren,
die der Kollege Schlee eben angesprochen hat.
Sie wissen, Herr Kollege
Brecht, daß der Haushaltsausschuß unseres Hauses
300 Millionen DM als Mittel für ein humanitäres Sofortprogramm zur Verfügung gestellt hat, daß 100 Millionen DM ungesperrt waren und daß 200 Millionen
DM gesperrt waren. Trotz der gesperrten 200 Millionen DM sind wir aber in der Lage, auf die Initiativen
der jeweiligen Häuser, also die des Auswärtigen Amtes, des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit, des Bundesministeriums des Innern und
auch des Verteidigungsministeriums, zu reagieren und
mit diesem Geld aktuell notwendige Vorhaben zu unterstützen.
Aus meiner persönlichen Erfahrung vor Ort räume
ich ein, daß die Flexibilität der Europäischen Union zuweilen
({0})
Probleme bereitet. Der Fairneß halber muß man aber sagen - andere haben ähnliche Erfahrungen an anderer
Stelle gemacht -, daß die mangelnde Flexibilität auch
ein Problem der mazedonischen Regierung ist, die nicht
immer prüffähige Unterlagen zur Verfügung stellt, die
den europäischen haushaltsrechtlichen Bestimmungen
entsprechen.
Ich habe aber die berechtigte Hoffnung, daß wir diese
Probleme überwunden haben und daß wir die Mittel
schnell zur Verfügung stellen können, damit wir nicht
nur in den Lagern, sondern auch im Rahmen der Rückführung der Flüchtlinge helfen können.
Nächste
Frage von dem Kollegen Christian Schwarz-Schilling.
Herr Staatssekretär, ich darf zunächst einmal sagen, daß
ich zusammen mit den anderen Mitgliedern des Ausschusses gerade vor einer Woche vor Ort gewesen bin.
Ich möchte meine ungeteilte Anerkennung über das, was
dort geschieht, und auch über die Effizienz Ihres Büros
ausdrücken. Ich kenne viele entsprechende Büros aus
Deutschland und aus Europa und kann daher einschätzen, daß Ihr Büro aus dem, was ich ansonsten dort bisher gesehen habe, hervorsticht.
Es gibt ja mehrere Möglichkeiten zu helfen. Man
weiß gar nicht, welche Prioritäten man setzen soll. Ich
nenne zunächst die Entminung in Zusammenarbeit mit
„Help“. Ob diese Organisation aber genügend Geldmittel hat, um zusammen mit der NATO wirklich zügig im
Kosovo die Entminung voranzutreiben, ist fraglich. Wir
wissen ja aus Bosnien, daß die Lösung entsprechender
Probleme unvertretbarerweise aus Geldmangel herausgezögert wurde.
Die andere Priorität ist die Hilfe hinsichtlich der privaten Unterkünfte; davon ist fast die Hälfte aller Flüchtlinge betroffen. Ich will hier einmal anmerken, um welche Größenordnung es sich handelt: 14 Prozent der dortigen Bevölkerung sind nunmehr innerhalb von einigen
Wochen hinzugekommen. Auf unser Land umgerechnet,
wären das rund 11 Millionen Flüchtlinge in drei Monaten. In diesem Zusammenhang muß man sich die Worte
„das Boot ist voll“ ins Gedächtnis rufen.
Meine Frage: Ist es nicht angebracht, den Trend
- Familien werden auseinandergerissen -, der sich im
Moment zeigt, umzukehren? Die Familien sind nämlich
am Ende, weil sie ihre letzten Vorräte aufgebraucht haben. Es wird billiger sein, die Familien mittels Zuschüsse zusammenzuhalten, anstatt die Menschen in Lagern
zu ernähren. Sollte man bei der Verteilung der Hilfe
nicht auch an diesen Punkt denken? Angesichts des erforderlichen überregionalen Ansatzes - ich habe entsprechende Erkenntnisse gerade aus Tirana mitgebracht
- stellt sich die Frage, ob nicht wenigstens der Bundesbeauftragte wenn nicht gleich ein Büro, aber doch ein
Mandat erhält, um in Tirana in einigen Punkten nach
dem Rechten zu sehen. Das wäre sehr notwendig.
Herr
Staatssekretär Kolbow, bitte.
Ich bin Ihnen, Herr Kollege
Schwarz-Schilling, für die in Ihrer Frage zum Ausdruck
gebrachte Feststellung dankbar, daß gerade auf die Vertriebenen in den sogenannten host families ein besonderes Augenmerk gerichtet werden muß; denn gerade diese
Familien in Albanien, aber auch in Mazedonien sind an
der Grenze ihrer Solidarität angelangt. Wir müssen - das
haben wir bereits angeregt - im Rahmen der internationalen Hilfe mit direkten finanziellen Mitteln versuchen,
sie zu unterstützen. Sie können nämlich nicht mehr ihre
Miete, ihre Stromrechnung und die Bedürfnisse des täglichen Lebens finanzieren. Insoweit ist hier eine direkte
Unterstützung der internationalen Staatengemeinschaft
notwendig, um soziale und wirtschaftliche Spannungen
herauszunehmen und damit auch der Stabilität, insbesondere in Mazedonien, zu dienen.
Ich bin desgleichen der Auffassung - das habe ich in
meinem Bericht zum Ausdruck zu bringen versucht -,
daß wir - sicherlich unter Federführung des Auswärtigen Amtes und Integration aller beteiligten Ressorts eine regionale Lösung in dieser Region schaffen müssen, damit wir den ungeheuren Herausforderungen an
humanitärer Hilfe gerecht werden können.
Vielen
Dank, Herr Staatssekretär. - Nächste Frage von der Frau
Kollegin Ursula Lietz.
Herr Staatssekretär, wir
erhalten Nachricht darüber, daß ziviles Personal aus den
Krankenhäusern, Ärzte und Pflegepersonal, zusammen
mit den jugoslawischen Truppen das Land verläßt. Es
steht zu befürchten, daß die Versorgung der Bevölkerung, wenn denn die Flüchtlinge zurückkehren, nicht
mehr zu gewährleisten ist.
Meine Frage ist: Sehen Sie die Möglichkeit, daß zumindest eine vorläufige Versorgung durch NATOPersonal oder durch deutsches Sanitätspersonal geleistet
wird, wenn die Flüchtlinge aus Mazedonien zurückkommen und man vielleicht mazedonische Ärzte und
Pfleger mit in den Kosovo hineinbringt?
Frau Kollegin, Ihre Frage
gibt mir Anlaß, darauf hinzuweisen, daß wir, was die
akuten Versorgungsfälle in Mazedonien und Albanien
angeht, mit der Bundeswehr immer rechtzeitig mit der
Einrichtung von medical points und mit der qualifizierten Zurverfügungstellung unseres Sanitätspersonals vor
Ort geholfen haben.
Zum zweiten gibt mir Ihre Frage Anlaß, Ihnen mitzuteilen, daß wir das natürlich auch im Kosovo tun können, daß das Sanitätspersonal eine ganz natürliche Begleitung der normalen Truppe im Kosovo ist und wir jederzeit in der Lage sind, nicht nur in Notfällen zu helfen,
sondern auch begleitende medizinische Versorgung zu
leisten.
Zusatzfrage, Frau Lietz.
Ich habe eine Zusatzfrage. Ich weiß nicht, ob Sie mich richtig verstanden haben. Ich hoffe, daß unsere Soldaten durch unsere Sanitätskräfte entsprechend versorgt werden, auch wenn sie
ins Kosovo kommen. Meine Frage war, ob es zusätzlich
möglich ist, zumindest anfangs die zivile Bevölkerung,
also die Flüchtlinge, die zurückkehren, medizinisch zu
versorgen.
Wir haben bisher keinerlei
Hinweise darauf, daß eine unmittelbare und unverzügliche medizinische Versorgung von Zivilisten im Kosovo
notwendig sei. Wenn dies der Fall sein sollte, sind wir
jederzeit in der Lage, eine solche medizinische Versorgung nicht nur durch unsere Soldaten, sondern auch
durch die nachrückenden NGOs zu leisten. Wir sind
- ich sage das einmal ein bißchen flapsig - nirgendwo
so gut wie auf dem medizinischen Sektor.
Vielen
Dank, Herr Staatssekretär. - Nächste Frage wird gestellt
durch den Kollegen Dr. Klaus Grehn von der PDSFraktion.
Herr Staatssekretär, in einer
etwas ungewöhnlichen Aktion sind russische Truppen in
den Kosovo einmarschiert. Der militärische Fachbegriff
wäre vielleicht „Husarenstreich“. Es ist eine etwas ungewöhnliche Situation eingetreten. Ein Sektor ist bisher
nicht vorgesehen. Ich hätte von Ihnen gerne einmal gewußt, wie die aktuellen Lösungsvorstellungen der Bundesregierung aussehen, um aus dieser ungewöhnlichen
Situation herauszukommen und das in eine geregelte
Bahn zu bringen.
Herr Abgeordneter, ich bedanke mich für die Frage. Ich bin zuständig für die Koordinierung der humanitären Hilfsangelegenheiten der
Bundesregierung. Das ist eine eindeutig außenpolitische
Frage, die ich dem Herrn Staatsminister Verheugen, der
vor mir sitzt, gerne aufgeben möchte.
Herr
Staatsminister Verheugen, sind Sie bereit, die Frage zu
beantworten?
Aber ja.
Bitte
schön.
Herr Kollege, ich möchte den Vorgang, den Sie
beschrieben haben, von mir aus nicht qualifizieren. Es
ist ganz offensichtlich so gewesen, daß hier auf der russischen Seite die politische und militärische Führung
nicht vollständig koordiniert waren und daß versucht
werden sollte, zu verhindern, daß das russische Kontingent vor irgendwelche vollendeten Tatsachen gestellt
wird. Zur Frage der Rolle der russischen Streitkräfte finden im Rahmen der Friedenstruppe für den Kosovo zur
Zeit noch intensive Gespräche statt. Es gibt drei Probleme, die in diesem Zusammenhang geklärt werden
müssen.
Das erste ist die Frage der Berücksichtigung Rußlands bei der Aufteilung der Sektoren. Sie wissen, daß
eine Reihe von Verbündeten und auch wir Sorge haben,
einen eigenen russischen Sektor zu schaffen. Das würde
Teilungstendenzen im Kosovo Vorschub leisten. Ein
Lösungsansatz besteht unserer Meinung nach darin,
einen gemischten Aufgaben- und Sektorenansatz zu
wählen.
Das zweite Problem ist die Frage der Kommandostruktur. Hier gibt es unserer Meinung nach ein sehr
brauchbares Modell, auf das wir uns hinbewegen sollten,
nämlich das Modell IFOR und SFOR, das in Bosnien erfolgreich durchgeführt worden ist.
Drittens geht es um die Frage der politischen Kontrolle. Auch hier könnten wir unserer Meinung nach am
besten auf das bosnische Modell, IFOR und SFOR, zurückgreifen. Das hieße eine weitestgehende Einbindung
Rußlands in die politische Kontrolle, aber unterhalb
eines eigenen Vetorechts, wie es in Bosnien seit einigen
Jahren funktioniert.
Hierüber wird zur Zeit intensiv gesprochen. In Helsinki finden auf hoher politischer Ebene, der Ebene der
Außenminister und der Verteidigungsminister, Gespräche zwischen den USA und Rußland statt. Wir werden
gut beraten sein, das Ergebnis abzuwarten.
Ihre Zusatzfrage, bitte schön.
Herr Staatsminister, nach
den Meldungen hat die 200 Mann starke Truppe den
Flughafen von Pristina unter Kontrolle genommen. Das
ist der Bereich, in dem sich auch die deutschen Truppen
befinden. In der Berichterstattung wird kaum darauf Bezug genommen,
({0})
wie das Zusammenspiel in diesen Fällen funktioniert.
Herr
Staatsminister, bitte.
Da muß ein Irrtum vorliegen, Herr Abgeordneter.
Es gibt keine deutschen Einheiten auf dem Flughafen
von Pristina oder auch nur in der Nähe. Der deutsche
Sektor ist in der Umgebung von Prizren. Das liegt, glaube ich, etwa 150 Kilometer in Richtung Albanien von
Pristina entfernt.
Eine
weitere Frage des Kollegen Dietmar Schlee. Bitte schön.
Herr Staatssekretär,
Sie haben von einer notwendigen Prioritätensetzung,
was die Hilfe angeht, gesprochen: zunächst Hilfe für
Vertriebene, die sich noch im Kosovo aufhalten, dann
für Flüchtlinge in Gastfamilien, schließlich für Flüchtlinge in den Lagern. Das ist grundsätzlich völlig richtig.
Nur, die Flüchtlinge werden sich an diese Prioritätensetzung - davon muß man ausgehen - wohl nicht halten.
Das heißt, es werden sich Flüchtlinge, die in den Lagern
in Mazedonien oder Albanien sind, auf den Weg gen
Kosovo machen. Deshalb noch einmal - vielleicht habe
ich das auch akustisch nicht richtig mitbekommen -: Die
Ausstattung der Flüchtlinge, die sich jetzt aus den Lagern in Mazedonien und Albanien auf den Weg machen,
und deren Unterstützung durch die Bauhöfe, damit sie
ihre Häuser winterfest machen können, laufen doch
parallel und nicht erst nach denen der anderen Gruppen.
Ist das so?
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
Die Hilfe wird vor Ort zur
Verfügung gestellt und nicht bei einem möglichen
spontanen Aufbruch in den Lagern, auch um einen solchen spontanen Aufbruch nicht herbeizuführen. Denn
wir müssen - wem sage ich das, Herr Kollege Schlee? doch dafür Sorge tragen, daß wir die Rückführung möglichst geordnet und überschaubar zustande bringen. Aber
wir sind mit den Materialien vor Ort in der Lage, den
Aufbauwilligen und Aufbaufähigen, die dort ankommen,
die Unterstützung zuteil werden zu lassen, die sie benötigen, um ihre Häuser einigermaßen wieder instand zu
setzen, zunächst in bescheidenem Maße, möglicherweise
erst einmal nur für die Ausgestaltung des Parterres, dann
nach und nach, wenn es irgendwie geht, für die Herrichtung des ganzen Hauses.
Die
letzte Frage zu diesem Themenbereich kommt von Frau
Kollegin Dr. Erika Schuchardt.
Ich danke Ihnen
für die Möglichkeit, noch einmal dazu etwas äußern zu
dürfen. Ich habe es Ihnen in schriftlicher Form schon
vorgelegt. Es ist mein Anliegen, unter dem Aspekt
„Lernen als Lebenshilfe“ denen, die dort in der Lethargie des Flüchtlings-, des Vertriebenen-, des Lagerlebens
ihren Tagesrhythmus verloren haben, zu helfen. Wir
denken an die Kinder; wir wissen um die traumatisierenden Ereignisse, und wir wissen, daß das zentrale Anliegen, daß diese Personen wieder Fuß fassen können
und daß man bei ihnen Zukunftshoffnungen weckt, wesentlich darin besteht, daß sie wieder zu einem Tagesrhythmus finden.
Von daher hatte ich Ihrer Regierung vor vier Wochen
einen detaillierten Antrag unter dem Aspekt vorgelegt:
Lernen als Lebenshilfe - Sofortmaßnahmen am Kosovo.
Ich hatte in diesem Zusammenhang das Netzwerk
„DERA“, des Deutschen Volkshochschulverbandes und
seines Instituts für Internationale Zusammenarbeit genannt, das in allen Lagern dieses Projekt sofort durchführen könnte und hatte auch detailliert den Kostenvoranschlag dazu vorgetragen und die Personen genannt. Es
war das Glück, daß ich am 14. von Kollegen Verheugen
eine Antwort bekam, in der er schrieb - Sie haben das
Schreiben ja noch im Kopf -, er anerkenne diesen Projektvorschlag sehr und er bezeichne das, was ich dort
unter dem Aspekt „Lernen als Lebenshilfe“ vorgelegt
habe, als kleinen Marshallplan. Allein, die Regierung
habe kein Geld dafür, es müsse bei der EU beantragt
werden.
So nutze ich jetzt diese Chance, zu fragen, ob nicht
möglicherweise unter den zwischenzeitlich gottlob veränderten Bedingungen dieses Projekt nicht als Teil eines
Wiederaufbauprogramms - und zwar von seiten unserer
Regierung - berücksichtigt werden könnte. Ich meine
nämlich, daß dadurch, daß die Ressourcen der Beteiligten etwa bei der Frage „Wie baue ich ein Haus?“ oder
„Wie bekomme ich Hilfe zur Selbsthilfe?“ gezielt gefördert würden insbesondere dadurch auch psychosoziale
Hilfe geleistet würde.
Herr
Staatssekretär Kolbow.
Sie sprechen etwas an, was
im Zentrum unserer Arbeit liegt, der Arbeit der Nichtregierungsorganisationen, aber auch im Zentrum der koordinierten Hilfe aller Regierungen und natürlich auch im
Zentrum der Bemühungen des UNHCR und von
UNICEF. Wir haben das, was Sie ansprechen, jetzt auch
in die Grundschulprogramme in den Lagern und Camps
eingebaut. Das heißt, alle schulpflichtigen Kinder bekommen im Rahmen der Möglichkeiten in den Lagern
eine Ausbildung. Wir haben das große Problem, daß wir
den 15- bis 20jährigen, die in den Lagern sind, noch
nicht die Zuwendung angedeihen lassen können, die wir
ihnen eigentlich angedeihen lassen müßten. Hierfür
werden im Augenblick UNHCR-Programme entwickelt,
und wir versuchen, auch durch spontane Eigeninitiativen
in den Camps - wobei wir auf vertriebene Lehrerinnen
und Lehrer zurückgreifen - tätig zu werden.
Wir meinen, daß das, was wir machen, natürlich nicht
vollständig sein kann, daß es aber doch den Beginn einer
solchen Ausbildung und einer abwechslungsreicheren
Gestaltung des Tages darstellt. Das ist aber nach dem
Grundsatz „Nichts ist so gut, daß es nicht noch besser
sein könnte“ erheblich verbesserungsbedürftig. Die Programme der internationalen Staatengemeinschaft bewegen sich auch in dieser Richtung. Wir versuchen, nicht
nur durch UNICEF, sondern auch durch andere Möglichkeiten dies zu leisten. Aber hier sind natürlich auch
nationale Gelder im Rahmen der internationalen Gebergemeinschaft gefragt. Der UNHCR und insbesondere
UNICEF versuchen, die Mittel für eine solche pädagogische Fortentwicklung in den Lagern vor der Zurückführung zur Verfügung zu stellen.
Vielen
Dank, Herr Staatssekretär.
Ich danke Ihnen
herzlich. Ich habe nur die Bitte, daß der Nachdruck viel
stärker auf die Erwachsenen gelegt wird. Sie sind der
Schlüssel, wenn Zukunft, Hoffnung, Frieden gelingen
sollen. Ich würde der Arbeit mit ihnen die Priorität vor
der Arbeit mit Kindern und der Unterrichtung der Kinder geben. Darum meine Bitte, ob Sie sich das Konzept
„Lernen als Lebenshilfe“ noch einmal in die Hand legen
lassen würden. - Ich danke Ihnen.
Das sicherlich, Frau Kollegin. Wir sind mit Toleranzprojekten, mit Demokratieprojekten auch über die Stiftungen, die uns im nationalen Rahmen zur Verfügung stehen, schon aktiv geworden und sind weiterhin tätig.
Vielen
Dank. - Ich lasse jetzt noch eine Frage außerhalb dieses
Themenbereiches zu. Das Wort hat der Kollege Jürgen
Koppelin von der F.D.P.-Fraktion.
Nachdem es bisher hieß,
daß das Haushalts- und Steuerpaket von Bundesfinanzminister Eichel am 30. Juni im Kabinett verabschiedet
werden sollte, um dann anschließend im Haushaltsausschuß bekanntgegeben zu werden, lese ich heute in der
„Süddeutschen Zeitung“, daß dies eventuell schon am
23. Juni der Fall sein soll. Herr Staatssekretär Diller hat
heute im Haushaltsausschuß gesagt, das Kabinett wolle
heute darüber beraten, wann über das Haushalts- und
Steuerpaket nun entschieden werden soll. Ich darf Sie
daher fragen: Hat das Kabinett festgelegt, wann es darüber entscheiden will?
Nach Agenturmeldungen von heute nachmittag, die
ich gelesen habe, gibt es erhebliche Unruhen in der
Koalition über die Informationspolitik des Bundesfinanzministers. Ich zitiere:
Frau Kerstin Müller, die Fraktionsvorsitzende von
Bündnis 90/Die Grünen, hat deutlichen Unmut über
Bundesfinanzminister Hans Eichel und seine Informationspolitik geübt.
In einer anderen Agenturmeldung lese ich, es habe erheblichen Unmut in einer kleinen Führungsrunde mit
den Fraktionsvorsitzenden der Koalition und wenigen
Abgeordneten von Rotgrün gegeben.
Hat man sich mit diesem Unmut in der Koalition über
die Informationspolitik von Bundesfinanzminister Hans
Eichel beschäftigt?
Herr
Staatssekretär Diller, sind Sie in der Lage, die Frage zu
beantworten? - Bitte schön.
Herr Präsident! Herr Kollege Koppelin,
entgegen meiner Annahme von heute morgen höre ich
von Herrn Steinmeier, daß das Kabinett heute morgen
darüber nicht befunden hat.
Was den zweiten Teil Ihrer Frage angeht, so kann ich
Ihnen mitteilen, daß Frau Kerstin Müller zusammen mit
den Spitzen der beiden Koalitionsfraktionen in meiner Anwesenheit gestern abend umfassend informiert worden ist.
Zusatzfrage, bitte schön.
Herr Staatssekretär, können Sie mir dann erklären, warum die Fraktionsspitzen
der Koalition ihren Unmut über den Bundesfinanzminister äußern und sagen, daß sie bisher keinerlei Informationen über die Maßnahmen hätten, die der Herr
Bundesfinanzminister in seinem Haushalts- und Sparpaket vorlegen will? Das ist ja erstaunlich, wenn man vorher in einer Runde zusammensaß.
({0})
- Man wundert sich ja schon, daß einige das Paket unterstützen, obwohl sie es anscheinend gar nicht kennen.
({1})
Herr Kollege Koppelin, ich weiß nicht, ob
aus der Ihnen vorliegenden Tickermeldung der Agentur
hervorgeht, wann Frau Kerstin Müller dies gegenüber
der Presse geäußert haben soll.
({0})
- Gut. Die Unterredung gestern fand in den späten
Abendstunden, zwischen 20.30 und 23 Uhr, statt.
({1})
Vielen
Dank, Herr Staatssekretär, für die Beantwortung. Wir
sind damit am Ende der Befragung.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 3 auf:
Fragestunde
- Drucksache 14/1134 Zunächst kommen wir zum Geschäftsbereich des
Bundesministeriums für Gesundheit. Zur Beantwortung
steht die Parlamentarische Staatssekretärin Christa Nikkels zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 1 des Kollegen Dr. Klaus Rose auf:
Setzt sich der zurückliegende gravierende Abbau von Krankenhausbetten fort, und ist dieser, bezogen auf die Bundesländer, gleichmäßig zu erwarten?
Frau Nickels.
Herr Kollege Rose, wir
beantworten Ihre Frage wie folgt: Zur bedarfsgerechten
Versorgung der Bevölkerung mit Krankenhäusern stellen die Bundesländer Krankenhauspläne auf. Die Krankenhauspläne werden regelmäßig dem aktuellen Bedarf
angepaßt. Die Bundesregierung geht davon aus, daß die
Bundesländer auch in den kommenden Jahren die Bettenkapazitäten weiter reduzieren werden. Der Tatsache
der verschiedenen Versorgungsbedarfe ist geschuldet,
daß ein gleichmäßiger Abbau von Betten in den 16 Bundesländern nicht zu erwarten ist. Entscheidend ist jeweils, in welchem Umfang Überkapazitäten bestehen.
Im Jahr 1997 wurden beispielsweise im Freistaat
Bayern 70,2 Betten je 10 000 Einwohner vorgehalten,
während es in Schleswig-Holstein 59,7 Betten, in Thüringen 75,7, in Nordrhein-Westfalen 78,7 und in Berlin,
Bremen und Hamburg 80,8 Betten - jeweils bezogen auf
10 000 Einwohner - waren. Die Dichte ist also sehr unterschiedlich, auch die Bedarfe sind unterschiedlich.
Danach wird sich der Abbau ausrichten, und er vollzieht
sich in Länderhoheit.
Herr Rose, eine Zusatzfrage.
Können Sie, Frau
Staatssekretärin, ausschließen, daß es zu weiteren Ab3652
baumaßnahmen im Krankenhausbereich auf Grund des
von Ihnen geplanten Globalbudgets - das sich sicherlich
in ganz Deutschland auswirkt, auch wenn es sich jeweils
für das Land bemißt - kommt?
Entgegen der vielfach
kolportierten Meinung, daß das Globalbudget einen Einschnitt in Leistungen zur Folge haben wird, sage ich: Es
wird nicht dazu kommen. Sie wissen, Herr Kollege Rose, daß auch ein Globalbudget wächst, also zusätzliche
Mittel ins System kommen. Denn durch die Anbindung
der Einnahmen der Krankenkassen an die Löhne und
Gehälter der Versicherten gibt es automatisch Einnahmezuwächse. Ich will Ihnen das an Hand der Zahlen von
1998 verdeutlichen. Es standen bundesweit 3 Milliarden
DM mehr als im Vorjahr zur Verfügung. Ein Grundlohnzuwachs in Höhe von 2 Prozent bedeutet auch in
Zukunft jährlich 5 Milliarden DM mehr.
Diese Entwicklung ist in den letzten Jahren nicht abgeflacht. Sie selber haben in Ihrer Frage festgestellt, daß
wir einen Rückgang der Bettenzahl in der Bundesrepublik zu verzeichnen haben. Gleichwohl ist es so, daß die
Ausgaben der Krankenkassen von 1991 bis 1998 für den
stationären Bereich von 59 Milliarden DM auf 85 Milliarden DM gestiegen sind. Wenn Sie das hinzurechnen,
was über die private Krankenversicherung gezahlt worden ist, kommen Sie für das letzte Jahr auf einen Betrag
von 100 Milliarden DM.
Es sind also ausreichend Mittel vorhanden. Darum
gehen wir nicht davon aus, daß es bei einem Globalbudget, das geregelt wachsen kann, zu einem Rückgang der
Bettenzahlen kommen wird.
Herr Rose, eine weitere Zusatzfrage.
Ich möchte hier noch
einmal im Zusammenhang mit der Schere, die zweifellos vorhanden ist, nachhaken. Ich gebe zu, daß die Bettenzahl schon in der zurückliegenden Zeit gesenkt wurde, jetzt geht es aber um die Zukunft. Auf dem Protesttag in Berlin ist von Gewerkschaftsseite gesagt worden,
daß 105 000 Betten und 26 000 Stellen abgebaut würden, obwohl die Zahl der behandelten Fälle von 13 auf
15,7 Millionen gestiegen ist. Die Schere zwischen der
Nachfrage, wenn ich das so nennen darf, und den Behandlungsmöglichkeiten ist also zweifellos groß. Hat
die Bundesregierung dazu bereits Überlegungen angestellt?
Ich kann auf eine Anhörung verweisen, die heute im Gesundheitsausschuß stattfand. Das war eine Anhörung zu einem Antrag der
F.D.P.-Fraktion, in dem genau diese Frage gestellt worden ist. Der Vertreter des Deutschen Gewerkschaftsbundes, der Vertreter des VDA und der Vertreter der DAG
haben unisono gesagt, daß sie diese Zahlen für nicht
sachgerecht und überzogen halten. Sie gehen nicht von
diesen Zahlen aus. Diese Ansichten entsprechen der
Meinung der Bundesregierung.
Gibt es
weitere Fragen von anderen Kollegen zu diesem Themenbereich? - Das ist nicht der Fall.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
auf. Zur Beantwortung der Fragen steht uns die Parlamentarische Staatssekretärin Simone Probst zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 2 des Abgeordneten Dehnel auf:
Hat die Bundesregierung darüber Kenntnis, ob die Zusagen
der tschechischen Regierung gegenüber der deutschen Bundesregierung zur Abschaltung bzw. Emissionsbegrenzung der
Braunkohlekraftwerke im Grenzbereich des Erzgebirges und des
Vogtlandes eingehalten worden sind?
Herr Kollege, die Bundesregierung ist von der
tschechischen Regierung zuletzt regelmäßig im Rahmen
der hochrangigen Arbeitsgruppe Luftreinhaltung über
den Stand der Abschaltung bzw. der Sanierung der
Braunkohlekraftwerke in der betroffenen Region informiert worden. Im Protokoll der letzten Arbeitsgruppensitzung vom 19. August 1998 wurde festgehalten, daß
die letzten unsanierten Kraftwerksblöcke Ende 1998
stillgelegt werden.
Aktuelle Informationen werden in der nächsten Sitzung der hochrangigen Arbeitsgruppe im August bzw.
der gemeinsamen Umweltkommission im September
dieses Jahres erwartet. Der im Oktober letzten Jahres
gemeinsam von den Umweltministerien veröffentliche
Luftreinhaltungsbericht Erzgebirge enthält Daten unter
anderem zum Stand der Umsetzung des Kraftwerksprogramms in Nordböhmen per 31. Dezember 1997.
Interessant ist die aktuelle Entwicklung. Deshalb ist
ein weiterer Bericht über die Luftsituation im Erzgebirge, der die Entwicklung bis Ende 1999 berücksichtigt,
für das Jahr 2000 geplant.
In dem kürzlich vorgestellten Halbjahresbericht zur
SO2-Belastung in Sachsen im Winter 1998/99 wird festgestellt, daß die Sanierung von Kraftwerken in Nordböhmen bezüglich der Entschwefelung in den vergangenen Winterhalbjahren bereits zu einer deutlichen Entlastung geführt hat. Dafür spricht, daß in den letzten
drei Winterhalbjahren gegenüber dem Winterhalbjahr
1994/95 trotz häufiger Südostlage an allen Meßstationen
niedrigere mittlere SO2-Belastungen festgestellt worden
sind.
Ich weiß, daß Sie aus dieser Region kommen und dort
Ihren Wahlkreis haben. Daher ist Ihnen sicherlich bekannt, daß es am 11. Februar dieses Jahres eine Emissionsspitze gegeben hat. Das sächsische Umweltministerium bemüht sich um die Aufklärung der Ursachen. Es
gibt aber noch keine Ergebnisse.
Herr
Dehnel, eine Zusatzfrage?
Darf ich davon ausgehen, daß uns die Bundesregierung über die Ergebnisse, die im August dieses Jahres bei dem Treffen der
Gruppe Luftreinhaltung erzielt werden, informiert?
Selbstverständlich.
Vielen Dank.
Damit
kommen wir zur Frage 3 des Kollegen Dehnel:
Hat die Bundesregierung des weiteren Kenntnis darüber, ob
in der Region des Erzgebirges zur Vermeidung des sogenannten
Katzendreckgestankes positive Ergebnisse erzielt worden sind,
und wenn ja, welcher Art sind diese?
Die vom Bundesumweltministerium und vom
tschechischen Umweltministerium geleitete Arbeitsgruppe „Geruch/Chemie“ hat seit ihrem Bestehen 1997
vielfältige Maßnahmen eingeleitet, um die Quellen der
Geruchsbelästigungen zu identifizieren. Das 1998/99 auf
beiden Seiten der Grenze erneut durchgeführte Geruchserfassungsprogramm hat keine Hinweise mehr auf länger andauernde Geruchsbelästigungen gebracht.
Da ich weiß, daß Sie, Herr Dehnel, selber von dem
sogenannten Katzendreckgestank in der Region des Erzgebirges betroffen sind, möchte ich darauf hinweisen,
daß es auch nach der Untersuchung von 1998/99 noch
weitere Geruchsbelästigungen gegeben hat. Diese waren
allerdings nicht so stark wie die im Jahre 1996. Der Gestank war oftmals mit chemischen und anderen Gerüchen vermischt. Deshalb ist es uns besonders wichtig,
daß die Arbeitsgruppe, die die Analysen und die Befragungen der von diesen Gerüchen betroffenen Menschen
durchgeführt hat, das Problem weiterhin beobachtet und
daß die Informationswege offengehalten werden, falls
dieses Problem wieder auftritt. Das heißt, daß dann,
wenn es wieder signifikante Beschwerden gibt, der Ursache des Problems nochmals nachgegangen wird.
Eine Zusatzfrage.
Ihnen ist bekannt,
daß es in der Region des Erzgebirges eine große Umstrukturierung gegeben hat und daß es dort ein wichtiges
Ziel ist, den Tourismus weiter auszubauen. Das Wort
„Katzendreckgestank“ mag zwar etwas komisch klingen, aber dieser Gestank hat enorme Auswirkungen auf
die Zahl der Besucher dieser Region. Ich glaube, daß die
Lösung des Problems bei den dortigen Behörden weiterhin mit größter Priorität verfolgt wird. Wird auch die
Bundesregierung in dieser Richtung weiterarbeiten?
Die Geruchsbelästigung ist nicht nur für die Touristen,
sondern vor allen Dingen auch für die Bewohner ein großes Problem. Wir werden an der Lösung dieses Problems
weiterarbeiten, vor allen Dingen auch deshalb, weil die
Ursachen sehr schwierig zu identifizieren sind. Sie kennen die Diskussionen darüber, ob es sich um chemische
Emissionen handelt oder ob die Gerüche dadurch entstehen, daß sich bestimmte Substanzen vermischt haben. Gerade weil das Problem so groß ist, muß weiterhin Ursachenforschung betrieben werden. Messen kann man allerdings nur, wenn die Gerüche auftreten. Deshalb richten
wir unseren Appell an diejenigen, die davon belästigt
sind, weiterhin die Belästigungen öffentlich zu machen.
Zu Beginn der Diskussion über die Ursachen der Gerüche ist der Eindruck entstanden, daß es nur auf deutscher Seite Gerüche gegeben hat. Im nachhinein ist
deutlich geworden, daß sie auch auf tschechischer Seite
aufgetreten sind. Aber dort lagen nicht so viele Beschwerden und Meldungen vor. Hier liegt ein weiterer
Arbeitsschwerpunkt.
Herr
Dehnel, eine Zusatzfrage.
Ist Ihnen bekannt,
ob die tschechischen Firmen bei der Lösung des Problems mit der Bundesregierung zusammenarbeiten?
Oder wehren sich die tschechischen Firmen gegen eine
solche Zusammenarbeit, indem sie zum Beispiel niemanden auf ihr Gelände lassen?
Es gibt eine gute Kooperation. Die Vermutung,
daß die Chemiebetriebe auf tschechischer Seite allein für
die Geruchsentwicklung verantwortlich sind, konnte
durch die Arbeitsgruppe ausgeschlossen werden. Das ist
sicherlich ein wichtiges Ergebnis der Arbeitsgruppe.
Man muß weiterhin gemeinsam mit den tschechischen
Betrieben und den tschechischen Behörden nach den
Quellen der Geruchsemissionen forschen.
Gibt es
weitere Fragen? - Das ist nicht der Fall.
Die Frage 4 des Kollegen Hinsken wird schriftlich
beantwortet.
Wir kommen jetzt zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums des Innern. Zur Beantwortung steht der
Parlamentarische Staatssekretär Fritz Rudolf Körper zur
Verfügung.
Die Fragen 5, 6 und 7 werden schriftlich beantwortet.
Wir kommen jetzt zur Frage 8 des Kollegen Dietmar
Schlee:
Teilt die Bundesregierung die Auffassung, daß sich in der
heutigen und künftig erweiterten Europäischen Union als ein
Raum unbegrenzter Freizügigkeiten Sicherheitsdefizite in einzelnen Regionen auf die gesamte Staatengemeinschaft auswirken, und was unternimmt die Bundesregierung, um die innere
Sicherheit in der Europäischen Union auf einem hohen Niveau
nach gemeinsamen Standards zu gewährleisten?
Herr Staatssekretär Körper, bitte.
Ich antworte auf diese Frage wie
folgt: Die Europäische Union ist bekanntlich sowohl ein
Raum der Freizügigkeit als auch der Sicherheit. Es gilt
der Grundsatz, daß der Wegfall der Kontrollen an den
Binnengrenzen durch Ausgleichsmaßnahmen kompensiert wird. Mit der Überführung der Schengener Kooperation in die EU zum 1. Mai 1999 hat sich das Gerüst
der Ersatzinstrumente durch eine Zusammenfassung der
EU- und Schengener Sicherheitserrungenschaften sogar
noch erweitert.
Sollten punktuelle Sicherheitsdefizite in Teilen der
Gemeinschaft auftreten, bieten die Mechanismen des
Regelwerkes ausreichend Möglichkeiten, auf rasche Beseitigung der Schwachstellen hinzuwirken oder gegebenenfalls durch vorübergehende Wiedereinführung nationaler Grenzkontrollen Gefahren und Risiken auf der
Ebene der Mitgliedstaaten abzuwehren. Mit der Erweiterung der EU ist eine Absenkung des Sicherheitsniveaus
nach unserer Auffassung nicht zu befürchten. Die Beitrittskandidaten müssen den EU-Besitzstand vollständig
übernehmen; Sonderkonditionen können nicht ausgehandelt werden.
Zum Acquit gehört unter anderem, daß die Bewerberstaaten ihren Sicherheitsbeitrag nicht nur vertraglich zu
versprechen, sondern auch tatsächlich nachweisbar zu
erbringen haben. Werden bei Überprüfungen Mängel
festgestellt, darf das entsprechende Beitrittsübereinkommen erst gar nicht in Kraft gesetzt werden. Der jeweilige Staat kann vorläufig an dem Regime der EU
- zum Beispiel an der grenzüberschreitenden Freizügigkeit - nicht partizipieren.
Die deutsche EU-Präsidentschaft hat bei der Eingliederung Schengens in den Rahmen der Union mit Erfolg
darauf gedrungen, daß diese Grundprinzipien Bestandteil des EU-Besitzstandes werden. Sie hat ferner den
Evaluierungsprozeß vorangetrieben und in Berichten
oder Teilanalysen über Polen, Tschechien und Estland
eine Bewertung der derzeitigen Qualität der dortigen
Sicherheitssysteme vorgenommen.
Mit einer deutschen Initiative zur Fortentwicklung
des Sicherheitsregelwerkes werden überdies - auch für
die Beitrittskandidaten - weitere konkrete Anstrengungen gefordert, um den Sicherheitsstandard in der EU
künftigen Herausforderungen anzupassen.
Herr
Schlee, Zusatzfrage?
Ja.
Bitte
schön.
Herr Staatssekretär,
ich habe den Eindruck, Sie haben das alles ein bißchen
positiv dargestellt. Das Sicherheitsgefälle ist ja nach wie
vor sehr groß, und es wird nicht ganz einfach sein, die
Beitrittskandidaten an unsere Standards heranzuführen.
Deshalb frage ich Sie, ob die Bundesregierung bereit ist,
ein sicherheitspolitisches Programm in der Europäischen
Union zu initiieren. Ein solches Programm könnte dieses
Sicherheitsgefälle abbauen und zugleich auf neue Herausforderungen reagieren. Damit stellte es einen wesentlichen Beitrag zur Sicherheit in der EU dar.
Herr Kollege Schlee, Sie kennen
das Regelwerk, die Mechanismen und die Kriterien.
Dies alles war im Bereich von Schengen, der jetzt in den
Rahmen der EU übergegangen ist, so gewollt. Die Frage, ob ein solches Sicherheitsprogramm notwendig ist,
möchte ich derzeit nicht abschließend beantworten. Im
übrigen glaube ich nicht, daß meine Antwort übertrieben
positiv gewesen ist.
({0})
- Wir alle kennen die Problematik; wir kennen aber
auch das Regelwerk und die Mechanismen. Das haben
wir ausdrücklich gewollt.
Eine
weitere Zusatzfrage?
Ja.
Bitte
schön.
Herr Staatssekretär,
darf ich das, was Sie zu dem Sicherheitsprogramm gesagt haben, so verstehen, daß die Bundesregierung über
diese Frage noch einmal vertieft nachdenken wird?
Lieber Herr Kollege Schlee,
Nachdenken ist immer gut. Aber Sie wissen auch, daß
bestimmte Initiativen gerade in diesem Bereich nicht
ausschließlich von der Bundesregierung abhängen.
({0})
Dann
kommen wir zur Frage 9 des Kollegen Schlee:
Hält die Bundesregierung es für sinnvoll, kriminellen Ausländern, die von europäischen Nachbarstaaten ausgewiesen oder
abgeschoben wurden, die Einreise in die Bundesrepublik
Deutschland zu verweigern, und ist die Bundesregierung bereit,
Informationen über solche Ausländer nicht nur mit den Schengen-Staaten, sondern auch mit der Schweiz auszutauschen, damit sie bei den Entscheidungen über ein Aufenthaltsrecht in
Deutschland berücksichtigt werden können?
Herr Kollege Schlee, Ihre Frage
beantworte ich wie folgt: Es ist eines der wichtigsten
Ziele der Schengener Kooperation, kriminelle Ausländer, die von anderen Schengen-Staaten ausgewiesen
oder abgeschoben worden sind, an der erneuten Einreise
in den Schengen-Raum zu hindern. Aus Sicht der Bundesregierung wäre deshalb eine Erweiterung des Kreises
der Schengen-Staaten um die Schweiz und ihre Beteiligung am Schengener Informationssystem wünschenswert.
Die Daten von Drittausländern, die von deutschen
Ausländerbehörden ausgewiesen und zur Einreiseverweigerung ausgeschrieben worden sind, sollen der
Schweiz nach Inkrafttreten des Vertrages zwischen der
Bundesrepublik Deutschland und der Schweizerischen
Eidgenossenschaft über die grenzüberschreitende polizeiliche und justitielle Zusammenarbeit zur Verfügung
gestellt und von den dortigen Grenzpolizei- und Ausländerbehörden letztendlich auch im deutschen Interesse
genutzt werden.
Vereinbarungen bezüglich einer Übermittlung entsprechender Schweizer Daten können wegen der von der
Bundesrepublik Deutschland im Rahmen von EU und
Schengen übernommenen Verpflichtungen eben nicht
bilateral mit der Schweiz getroffen werden; vielmehr
müssen sie zunächst mit den Partnern von EU und
Schengen abgestimmt werden.
Die Frage 10 des Abgeordneten Koschyk, die Frage 11 des Abgeordneten Hinsken und die Frage 12 des Abgeordneten
Otto ({0}) werden ebenfalls schriftlich beantwortet.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Finanzen. Zur Beantwortung der Fragen
steht der Parlamentarische Staatssekretär Karl Diller bereit.
Ich rufe die Frage 13 des Kollegen Josef Hollerith
auf:
Aus welchem Grund soll das ehemalige Preußen-Vermögen
im Umfang von ca. 420 000 ha Wald und ca. 80 000 ha Ackerfläche nicht privatisiert, sondern an die ostdeutschen Länder
übertragen werden, und zu welchen Konditionen soll dies erfolgen?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Herr Präsident, Herr Kollege Hollerith,
die seit dem Jahre 1994 zwischen dem Bund und den
neuen Ländern mit dem Ziel einer pragmatischen Lösung für das ehemalige Preußen-Vermögen geführten
Verhandlungen haben bereits im Jahre 1998 zu Vereinbarungen mit Sachsen-Anhalt, mit Thüringen, mit Sachsen und am 2. Juni dieses Jahres zu einer Vereinbarung
mit Brandenburg geführt.
Die Vereinbarungen sehen die unentgeltliche Übertragung des land- und forstwirtschaftlichen PreußenVermögens im Sinne der 3. Durchführungsverordnung
zum Treuhandgesetz auf die Länder vor. Damit wird vor
allem dem Aufwand Rechnung getragen, der den Ländern seit dem Jahre 1991 für die Bewirtschaftung des
Preußen-Waldes entstanden ist und der von diesen gegenüber dem Bund bei einer Privatisierung der Flächen
geltend gemacht werden könnte. Ferner werden die
agrarpolitischen Interessen der Länder an einem Staatswaldanteil berücksichtigt.
Die Vereinbarungen sind für den Bund und die Länder haushaltsneutral und stellen eine wirtschaftliche Lösung dar.
Zusatzfrage, Herr Hollerith.
Sind die Kosten bekannt, denen die Länder in der Zeit der Bewirtschaftung
dieser Waldflächen ausgesetzt waren? Gibt es Erkenntnisse darüber, daß auch der Bund bzw. die BVVG oder
die TLG zu irgendeinem Zeitpunkt Zuschüsse geleistet
haben?
Letztere Frage kann ich Ihnen aus eigener
Kenntnis nicht beantworten.
Zu Ihrer ersten Frage: Es geht um gewaltige dreistellige Millionenbeträge, möglicherweise in der Größenordnung von Milliarden.
Herr
Hollerith.
Nachdem mir das
Thema aus der Arbeit des Treuhand-Ausschusses bekannt ist, bitte ich Sie, diese beiden von Ihnen jetzt nicht
beantworteten Fragen schriftlich zu beantworten. Herr
Präsident, ist das zulässig?
Herr Staatssekretär, wäre das möglich?
Ja, das machen wir gern.
Wir
kommen zur Frage 14 des Kollegen Josef Hollerith:
Ist eine kostendeckende Waldbewirtschaftung durch die
Empfängerländer gesichert?
Herr Kollege Hollerith, Ihre Frage, ob
eine kostendeckende Waldbewirtschaftung durch die
Empfängerländer gesichert ist, bitte ich an die entsprechenden Länder zu richten. Das vermögen wir nicht zu
beurteilen. Wir können nur davon ausgehen.
Herr Staatssekretär,
erkennen nicht auch Sie insoweit einen Widerspruch zu
Ihrer Antwort auf Frage 13, als Sie - auf Nachfrage Parl. Staatssekretär Fritz Rudolf Körper
argumentierten, es seien den Ländern Kosten in Milliardenhöhe dadurch entstanden, daß dieser Wald bewirtschaftet werden mußte? Für mich ist die Konsequenz logisch, daß die Länder durch die, wenn auch kostenlose,
Übertragung dieser Waldflächen weiterhin Milliardenbeträge an Bewirtschaftungskosten zu erwarten hätten.
Herr Kollege Hollerith, ich komme gerade
aus einem Gespräch mit einem der Bundesländer, die
mit dem Bund einen solchen Vertrag noch nicht haben.
Die dort vertretenen Minister haben deutlich gemacht, in
welch großem Umfang in der Vergangenheit beispielsweise die Wirtschaftlichkeit gesteigert worden ist, leider
Gottes im wesentlichen auch durch Verschlankung des
Personalbestandes.
Meine Antwort von vorhin auf die Frage nach den
Kosten möchte ich folgendermaßen erläutern: Ich habe
von einem Betrag in dreistelliger Millionenhöhe gesprochen, möglicherweise bis zu einer Milliarde; ich habe
nicht von mehreren Milliarden gesprochen.
Zweite
Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär,
ich bitte Sie, mir auch die Frage schriftlich zu beantworten, wie hoch die Bewirtschaftungskosten tatsächlich
sind. Herr Präsident, ist das möglich?
Herr Kollege Hollerith, ich würde vorschlagen, daß wir das auf ein Wirtschaftsjahr beschränken, damit Sie daraus Rückschlüsse ziehen können.
Einverstanden.
Die ganze Zahlenreihe seit 1991 aufzulisten, das ist vielleicht ein bißchen zuviel verlangt.
Vielen Dank.
Dabei ist
es dann Sache der Länder, zu schauen, ob sie mit niedrigeren Kosten zurechtkommen.
Ja, klar.
Die Fragen 15 und 16 des Abgeordneten Straubinger sollen
schriftlich beantwortet werden.
Damit kommen wir zur Frage 17 des Kollegen HansPeter Friedrich:
Hat die Bundesregierung in Umsetzung des Abschnitts der
Koalitionsvereinbarung von SPD und Bündnis 90/Die Grünen,
wonach „der Ausverkauf von Schutzgebieten in den neuen Bundesländern unverzüglich gestoppt und ein Konzept zur Sicherung des nationalen Naturerbes erarbeitet“ werden soll, den mit
Privatisierung betrauten Gesellschaften bestimmte Weisungen
erteilt, und wenn ja, welchen Inhalt haben diese Weisungen?
Herr Staatssekretär, bitte schön.
Herr Kollege Dr. Friedrich, das Bundesministerium der Finanzen hat mit Schreiben vom 30.
Dezember 1998 an die BVVG - Bodenverwertungs- und
-verwaltungs-GmbH - sowohl den vergünstigten Flächenerwerb nach dem Entschädigungs- und Ausgleichsleistungsgesetz als auch den Verkauf von landund forstwirtschaftlichen Flächen zum Verkehrswert
ausgesetzt, soweit es sich bei den Verkehrswertverkäufen um bestimmte Naturschutzflächen handelt.
Als Naturschutzflächen gelten in diesem Zusammenhang rechtskräftig ausgewiesene, im Verfahren befindliche und einstweilig sichergestellte Nationalparke und
Naturschutzgebiete, Kerngebiete von Biosphärenreservaten, ausgewiesene und beabsichtigte Natura-2000Gebiete.
Als Erwerber solcher Flächen kommen nur Träger von Naturschutzprojekten des Bundes, der Länder,
Träger von EU-LIFE-Naturschutzprojekten, anerkannte Naturschutzverbände oder sonstige Träger von
Naturschutzvorhaben sowie die Länder selbst in Betracht.
Zusatzfrage, Herr Kollege Dr. Friedrich.
Herr
Staatssekretär, können Sie in etwa den Umfang der in
Rede stehenden Flächen, für die in der Koalitionsvereinbarung angesprochenen Naturschutzmaßnahmen beziffern?
Ich schaue schnell in die Unterlagen,
ob dort Hektarzahlen genannt sind, an Hand deren ich
Ihre Frage beantworten könnte. - Das ist nicht der Fall.
Dann müßten wir die konkrete Antwort in bezug auf
den Umfang dieser Flächen nachreichen. Das machen
wir gern.
Zweite
Zusatzfrage.
Ich
habe keine weitere Frage.
Dann
kommen wir zur Frage 18, die ebenfalls von Herrn Kollegen Friedrich gestellt wurde:
In welchem Umfang wird durch derartige Weisungen der
Flächenerwerb in den neuen Bundesländern nach dem EALG
({0}) verhindert,
und welche Einnahmeverluste entstehen der Bundesrepublik
Deutschland dadurch?
Herr Staatssekretär, bitte.
Herr Präsident! Ihre Frage, in welchem
Umfang durch derartige Weisungen der Flächenerwerb
verhindert wird und welche Einnahmeverluste der Bundesrepublik Deutschland dadurch möglicherweise entstehen könnten, möchte ich wie folgt beantworten: Da
die Verkäufe nach dem Entschädigungs- und Ausgleichsleistungsgesetz als Konsequenz aus der am 22.
Dezember 1998 vorab verkündeten Entscheidung der
Europäischen Kommission zum Flächenerwerb bis auf
weiteres ausgesetzt worden sind, wird der Flächenerwerb durch keine Weisung in dem von Ihnen angesprochenen Sinne verhindert. Das geht auf die Entscheidung
der Kommission zurück.
Gibt es
eine Zusatzfrage?
Ja. Herr Staatssekretär, Sie sagten, es sei eine Aussetzung
erfolgt. Ich unterstelle, daß die Bundesregierung weiß,
daß die nicht verkauften, jetzt zum Verkauf stehenden
Flächen natürlich eines erheblichen Pflegeaufwandes
bedürfen. Gibt es denn Schätzungen, welche Belastungen durch die Aussetzung auf den Bundeshaushalt zukommen, also dadurch, daß die Flächen jetzt weiter im
Eigentum der öffentlichen Hand bleiben?
Wir vereinbaren mit den Ländern, daß die
Flächen, die wegen der Entscheidung der Kommission
jetzt nicht weitergegeben werden können, die dann aber
dem Naturschutz zur Verfügung gestellt werden, nur
noch mit einem völlig anderen Betrag pro Hektar
- wenn ich es richtig weiß, 100 DM statt 227 DM - berücksichtigt werden, so daß schon von daher eine erhebliche Kosteneinsparung für die Bundeskasse gegeben ist.
Zusatzfrage des Kollegen Hacker.
Wird sich die Bundesregierung weiterhin an diesem fraktionsübergreifend
erreichten Kompromiß orientieren und daran festhalten,
daß bei dem Verkauf von landwirtschaftlichen Flächen
nach dem EALG alle Erwerbsberechtigten gleich behandelt werden sollen?
Dem ist so.
Wir
kommen nun zu den Fragen 19 und 20. Der Kollege
Michelbach scheint nicht anwesend zu sein. Es wird verfahren, wie in der Geschäftsordnung vorgesehen.
Die Fragen 21 und 22 des Kollegen Börnsen ({0}) sollen schriftlich beantwortet werden.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie. Die Fragen
23 und 24 des Abgeordneten Dr. Ramsauer sind zurückgezogen worden. Die Fragen 25 und 26 des Abgeordneten Dr. Ruck, die Frage 27 der Abgeordneten Flach sowie die Frage 28 des Abgeordneten Otto ({1})
sollen schriftlich beantwortet werden.
Damit kommen wir zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten. Zur Beantwortung steht der Parlamentarische
Staatssekretär Dr. Gerald Thalheim zur Verfügung.
Die Fragen 29 und 30 der Abgeordneten Hartnagel
sollen schriftlich beantwortet werden.
Ich rufe die Frage 31 der Abgeordneten Annette
Widmann-Mauz auf:
Denkt die Bundesregierung darüber nach, nachdem entschieden worden ist, daß die Bundesbehörde der Bundesforschungsanstalt für Viruskrankheiten der Tiere ihren Hauptsitz in Riems
({2}) haben soll, eine Außenstelle in Tübingen zu erhalten, um die flächendeckende Forschung und Versorgung zu gewährleisten, um kein Nord-Süd-Gefälle entstehen zu lassen und
um etwa 150 hochqualifizierte Arbeitsplätze zu erhalten?
Ich bitte um Beantwortung.
Frau Kollegin Widmann-Mauz, die Bundesregierung beantwortet Ihre Frage wie folgt: Das „Rahmenkonzept für die Bundesforschungsanstalten im Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Ernährung,
Landwirtschaft und Forsten“ vom 12. Juni 1996 sieht
auf Grund von Stelleneinsparungen sowie vor dem Hintergrund rückläufiger Haushaltsmittel eine Konzentration aller Anstaltsteile der Bundesforschungsanstalt für
Viruskrankheiten der Tiere auf der Insel Riems vor.
Dementsprechend wurde bereits 1997 der Hauptsitz der
Forschungsanstalt von Tübingen auf die Insel Riems
verlagert. Dies hatte insbesondere die Umsetzung von
Personal der Hauptverwaltung zur Folge.
Auch bei der zur Zeit noch laufenden Überprüfung
des Rahmenkonzepts steht eine Korrektur der Entscheidung zum Standort Tübingen, die sich an wissenschaftlich-fachlichen und haushaltsmäßigen Gesichtspunkten
zu orientieren hat, nicht zur Diskussion.
Im übrigen hat die Stadt Tübingen städtebauliche
Planungen mit dem Ziel der Errichtung eines Technologieparkes vorgenommen. Dementsprechend sind bereits
Teile der Liegenschaft der Bundesforschungsanstalt an
die Universität Tübingen abgegeben worden. Demgemäß ist davon auszugehen, daß - nach Schaffung der
baulichen Voraussetzungen am Hauptsitz der Bundesforschungsanstalt auf der Insel Riems - sämtliche zur
Zeit noch knapp 110 Planstellen von Tübingen auf die
Insel verlagert werden. Der Erhalt der Außenstelle in
Tübingen ist vor diesem Hintergrund nicht möglich.
Frau
Kollegin Widmann-Mauz, Ihre Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatssekretär, Sie haben soeben in der Beantwortung meiner
Frage auf die Überprüfung der Rahmenkonzeption hingewiesen. Nach meinem Kenntnisstand hat Bundesminister Funke zur Überprüfung des Standortes eine Arbeitsgruppe aus Bundestagsabgeordneten der Koalitionsfraktionen zu Hilfe gezogen. Mich würde interessieren,
auf wessen Initiative und Entscheidung Einsetzung und
Zusammensetzung dieser Arbeitsgruppe beruht, welche
Abgeordneten ihr angehören und ob es Ihrem Verständnis von Parlamentarismus entspricht, eine Arbeitsgruppe, die eine fachlich-inhaltliche Standortentscheidung
mittragen soll, ohne Vertreter der Opposition einzuberufen.
({0})
Herr
Staatssekretär, bitte.
Frau Kollegin, in der Arbeitsgruppe, die informellen Charakter hat, wird insbesondere vor dem Hintergrund der Anträge der SPD-Fraktion aus der vergangenen Legislaturperiode über mit der Überarbeitung des
Rahmenkonzeptes in Zusammenhang stehende Fragen
diskutiert.
Wenn die Möglichkeit einer Außenstelle am Standort
Tübingen in die Überarbeitung des Rahmenkonzeptes
nicht einbezogen wurde, dann geschah dies aus den
Gründen, die ich bereits dargelegt habe. Wir sind der
Meinung, daß das noch zu Zeiten der früheren Regierung verabschiedete Rahmenkonzept in diesem Punkt
keiner Überarbeitung bzw. Korrektur bedarf.
Im Gegenteil: In Ihrer Frage haben Sie darauf aufmerksam gemacht, daß es in der Wissenschafts- und
Forschungsförderung zu einem Nord-Süd-Gefälle komme. Sie sollten sich vergegenwärtigen, daß BadenWürttemberg 14,9 Prozent der entsprechenden Bundesmittel erhält und daß nach Mecklenburg-Vorpommern
nur 1,2 Prozent der Mittel fließen. Dies verleiht der getroffenen Entscheidung, die Forschungen im Bereich des
Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und
Forsten auf die Insel Riems zu verlagern, Nachdruck.
Eine
weitere Zusatzfrage, Frau Kollegin.
Herr Staatssekretär, mir liegt aus Ihrem Hause die Information vor,
daß noch nicht abzusehen ist, ob sich aus dem Ergebnis
der fachlich-inhaltlichen Überprüfung der Arbeitsgruppe
eine Änderung der bestehenden Standortkonzeption ergibt. In diesem Zusammenhang frage ich Sie, ob die
Einsetzung und Zusammensetzung dieser Arbeitsgruppe
im Einvernehmen mit den von der Standortentscheidung
betroffenen örtlichen Wahlkreisabgeordneten erfolgte
und ob es in diesem Zusammenhang auch eine Rücksprache mit der Kollegin Däubler-Gmelin, die diesen
Wahlkreis betreut, gegeben hat.
Ich kann an dieser Stelle die klare Aussage wiederholen, daß eine Disposition über Tübingen zu keinem
Zeitpunkt erfolgt ist. Im übrigen hat die Arbeitsgruppe
das Ziel, die Inhalte der Koalitionsvereinbarung im Forschungsbereich umzusetzen, also zum Beispiel eine
stärkere Akzentuierung im ökologischen Landbau vorzunehmen. Sie werden Verständnis haben, daß es hinsichtlich der Umsetzung der rotgrünen Koalitionsvereinbarung schwierig wäre, auch Abgeordnete aus den alten
Regierungsfraktionen mit einzubeziehen.
Zusatzfrage des Kollegen Rose.
Herr Staatssekretär,
können Sie den offensichtlichen Widerspruch in der Beantwortung der Frage der geschätzten Kollegin Widmann-Mauz aufklären, daß es auf der einen Seite eben
doch eine Gruppe gibt, die mitreden soll, daß Sie auf der
anderen Seite aber bereits feste Tatsachen geschaffen
haben - die schon in einer Erklärung der „Stuttgarter
Nachrichten“ vom 2. Juni 1998 verkündet wurden -, indem Sie den Standort Tübingen eindeutig aufgelöst haben, so daß dort 140 Arbeitsplätze verlorengehen?
Herr Kollege Rose, zum einen gehen die Arbeitsplätze nicht verloren. Ich habe deutlich gemacht, daß es
sich um eine Verlagerung auf die Insel Riems, also nach
Mecklenburg-Vorpommern, handelt, und zwar aus genau den Gründen, die ich dargelegt habe. Es ist eine
sachliche Erwägung, die Virusforschung auch wegen Infektionsgefahren auf eine Insel zu konzentrieren. Das ist
in der Sache logisch. Außerdem soll das Land Mecklenburg-Vorpommern, das bisher in sehr geringem Umfang
an der Bundesforschung beteiligt ist, an der Stelle unterstützt werden.
Zum anderen wurde die klare Aussage gemacht, daß
es sich bei der Diskussion in der Arbeitsgruppe erstens
um eine inhaltliche Diskussion zur Ausrichtung der
Bundesforschungsanstalt - Stichwort: stärkere Ausbreitung des ökologischen Landbaus - handelt und daß
zweitens von Anfang an klar war, daß es bei der Diskussion um drei Standorte geht, nämlich um Celle, um
Münster und um Wusterhausen, daß also Tübingen in
keiner Veröffentlichung aus dem Haus jemals zur Diskussion gestanden hat.
Die Fragen 32 und 33 des Abgeordneten Strebl und die Fragen
34 und 35 des Abgeordneten Fromme sollen schriftlich
beantwortet werden.
Wir kommen damit zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Arbeit und Sozialordnung. Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär
Gerd Andres zur Verfügung. Ich rufe die Frage 36 des
Kollegen Gerald Weiß auf:
Beabsichtigt die Bundesregierung, bei der anstehenden Novelle zum Betriebsverfassungsgesetz den § 117 so zu ändern,
daß das fliegende Personal künftig nicht mehr vom Gestaltungsbereich des Betriebsverfassungsgesetzes ausgenommen wird?
Herr Präsident, lieber Kollege Weiß, nach der Koalitionsvereinbarung
steht in dieser Legislaturperiode auch die Novellierung
des Betriebsverfassungsgesetzes an. Im Vordergrund
stehen wird dabei die Anpassung des organisatorischen
Teils des Betriebsverfassungsgesetzes an die vielfältigen
Formen der in den Unternehmen stattfindenden Umstrukturierungsprozesse. Dies ist keine leichte Aufgabe
und bedarf einer gründlichen Vorbereitung, sollen sachgerechte und flexible Antworten auf die modernen
Unternehmens- und Produktionsstrukturen gegeben
werden.
Die Arbeiten hierzu haben begonnen. Sie werden daher sicherlich Verständnis dafür haben, daß ich Ihnen
nach dem derzeitigen Stand der Arbeiten Ihre konkret zu
§ 117 des Betriebsverfassungsgesetzes gestellte Frage
noch nicht beantworten kann. Im Rahmen der Novellierung des Betriebsverfassungsgesetzes werden jedoch
alle Vorschriften auf ihren Änderungsbedarf hin geprüft.
Zusatzfrage, bitte schön.
Ist der
Bundesregierung bekannt, daß beispielsweise die Pilotenvereinigung Cockpit die Einbeziehung in das Betriebsverfassungsgesetz für Ihre Klientel deshalb will,
weil sie sich verspricht, gewisse Interessen nicht nur
persönlicher Art, sondern auch Interessen, die mit der
Luftsicherheit zu tun haben, über die Instrumente des
Betriebsverfassungsgesetzes wirksamer und nachhaltiger
durchsetzen zu können?
Ja, das ist der Bundesregierung bekannt.
Weitere
Zusatzfrage, bitte schön.
Ich gehe
davon aus, daß Sie diese Vorschläge bei der weiteren
Arbeit am Gesetz deshalb positiv würdigen werden.
Ich habe schon darauf hingewiesen, Herr Kollege Weiß, daß wir momentan
sozusagen im Anfangsstadium sind. Sie wissen, daß die
Teile des Gesetzes, die mit Seefahrt, mit Luftfahrt, mit
Tendenzbetrieben oder mit kirchlichen Fragen zu tun
haben, außerordentlich komplizierte Fragestellungen
implizieren - deshalb sind sie im Betriebsverfassungsgesetz in eigenen Teilen verankert -, so daß ich noch
einmal um Verständnis dafür bitte, daß ich zum jetzigen
Zeitpunkt keine konkreten Aussagen zur Ausgestaltung
des § 117 machen kann.
Damit
kommen wir zur Frage 37 des Kollegen Dr. Klaus Rose:
Welche Gründe sieht die Bundesregierung für die Tatsache,
daß im Bereich der Arbeitslosen, nach Berufsgruppen gegliedert,
die Krankenschwestern gleich hinter den Bauarbeitern an zweiter Stelle stehen?
Herr Staatssekretär, bitte schön.
Herr Präsident, lieber Kollege Rose, der von Ihnen vorgenommene Vergleich zwischen den arbeitslosen Bauarbeitern und den
arbeitslosen Krankenschwestern oder Krankenpflegern
ist so nicht möglich. Bei den Bauberufen werden verschiedene Berufsordnungen zusammengefaßt, während
es sich bei Krankenschwestern, Pflegern und Hebammen
nur um eine Berufsordnung, nämlich die mit der Kennziffer 853 in der Statistik, handelt.
Zu der Beschäftigungssituation ist darauf hinzuweisen, daß sich gemäß Beschäftigtenstatistik der Bundesanstalt für Arbeit in den Jahren 1993 bis 1998 die Gesamtzahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten
um 5,2 Prozent reduziert hat, während in der genannten
Berufsordnung 853 im gleichen Zeitraum eine Steigerung der Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten um 14,3 Prozent zu beobachten war.
Bei der Betrachtung der Entwicklung der Arbeitslosigkeit ist festzustellen, daß sich von 1993 auf 1998 der
Bestand an Arbeitslosen insgesamt um rund 15 Prozent
erhöht hat. Gleichzeitig erhöhte sich die Arbeitslosigkeit
in der Berufsordnung 853 um 17,7 Prozent. Wegen der
gleichzeitig erfolgten Ausweitung der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung erhöhte sich die Arbeitslosenquote in diesem Bereich bundesweit aber nur
von 3,1 auf 3,2 Prozent und liegt damit relativ niedrig.
Die Zahl der offenen Stellen hat sich in den letzten
Jahren rückläufig entwickelt. Insgesamt deutet sich somit in den Krankenpflegeberufen eine Trendwende an,
nachdem Anfang der 90er Jahre hier noch ein „Pflegenotstand“ bestand. Die Dienststellen der Bundesanstalt
für Arbeit berichten inzwischen oft von einem deutlichen Bewerberüberhang in diesem Bereich. Der Kostendruck in den Krankenhäusern sowie der Personalabbau
in den Kurbetrieben werden als Hauptgründe dafür genannt.
Einmal freigesetzte Arbeitskräfte finden derzeit, falls
sie nicht über Spezialkenntnisse bzw. besondere Quali3660
fikationen verfügen, nur sehr schwer wieder einen Arbeitsplatz. Auch sucht ein relativ hoher Anteil der Arbeitslosen in dieser Gruppe eine Teilzeitarbeit, die nicht
in dem erforderlichen Umfang angeboten wird. Ein Teil
von arbeitslosen Krankenpflegekräften ist allerdings
auch in zusätzlich entstandenen Arbeitsplätzen im ambulanten Pflegebereich untergekommen.
Insgesamt kann man noch nicht von einem schwierigen Arbeitsmarkt für Krankenpflegefachkräfte sprechen.
Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär,
ich bin nicht überzeugt, daß es keine schwierige Situation für die Krankenschwestern und die Pflegeberufe
gibt. Wenn ich Ihre überzeugenden Zahlen in eine
schlichte Frage fassen darf: Was gedenkt die Bundesregierung zu tun, um im Zusammenhang mit der vorhin
gestellten Frage eines weiteren Abbaus von Krankenhausbetten den Mißstand für diesen gefährdeten Berufsstand, der ja speziell Frauen betrifft, zu beseitigen?
Herr Dr. Rose, ich
habe ja darauf hingewiesen, daß, wenn man entsprechende Vergleiche zieht, unsere Arbeitslosenquote im
Schnitt bei knapp über 10 Prozent liegt, dagegen in dieser Berufsgruppe bei knapp über 3 Prozent. Es hat in der
letzten Zeit einen Anstieg gegeben; die Gründe dafür
habe ich genannt.
Sicherlich wird der Rationalisierungsdruck auch im
Gesundheitsbereich zunehmen. Auf der anderen Seite
muß man sehen, daß der Gesundheitsbereich nach wie
vor ein Wachstumsbereich ist und eines der Potentiale
darstellt, in denen gesellschaftlich relativ viel Beschäftigung stattfindet. Ich habe Ihre Fragen an Frau Kollegin
Nickels verfolgt und kann mir auch denken, in welche
Zielrichtung sie gehen. Wenn ich in Erinnerung rufen
darf: Frau Nickels hat Ihnen auf Ihre Frage hinsichtlich
eines Globalbudgets oder der Bestätigung der Zahlen
zum Aktionstag für Gesundheit in Berlin die Antwort
gegeben, daß heute morgen in der Anhörung des Gesundheitsausschusses die dargestellten Zahlen von den
Fachleuten nicht geteilt worden sind und daß natürlich
auch ein Globalbudget mit der Grundlohnsumme entsprechend wächst und damit zusätzliche Mittel zur Verfügung stehen.
Das soll jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, daß
insbesondere im Krankenhausbereich - das weiß jeder,
der sich mit dieser Sache etwas befaßt hat - einige Probleme auf uns zukommen. Damit muß entsprechend
umgegangen werden.
Damit
kommen wir zu den Fragen des Kollegen Wolfgang
Spanier. Ich rufe die Frage 38 des Kollegen auf:
Welche Schritte unternimmt die Bundesregierung, um die
deutsche Gebärdensprache vollständig anzuerkennen?
Herr Staatssekretär, bitte schön.
Herr Präsident, lieber
Kollege Spanier, ich bitte darum, beide Fragen gemeinsam beantworten zu dürfen.
Mit
Ihrem Einverständnis, Herr Kollege Spanier, rufe ich
dann auch die Frage 39 auf:
Welche Schritte unternimmt die Bundesregierung, um den
Beruf der Gebärdensprachdolmetscherin oder des Gebärdensprachdolmetschers anzuerkennen?
Ich danke für das
Einverständnis.
Zu Frage 38: Bisher gibt es in Deutschland keine
bundesweite Norm zur Anerkennung der Gebärdensprache. Die Regierungskoalition hat das Anliegen der Gehörlosen in die Koalitionsvereinbarung aufgenommen.
Danach soll geprüft werden, wie die deutsche Gebärdensprache anerkannt und gleichbehandelt werden kann.
Konkrete Ergebnisse liegen noch nicht vor, da die Regelungskompetenz des Bundes auf diesem Gebiet eng
begrenzt ist und Fortschritte nur im Zusammenhang mit
den Ländern möglich sind.
Die Regierungschefs der Länder befürworten grundsätzlich die Anerkennung der Gebärdensprache. Allerdings soll sie schrittweise im Rahmen der verfügbaren
fachlichen und finanziellen Mittel erfolgen. Ich erinnere
in diesem Zusammenhang an die Konferenz der Ministerpräsidenten der Länder vom März 1998, in deren
Verlauf bekräftigt wurde, daß die Anerkennung und
Förderung der Gebärdensprache in Deutschland im
Rahmen der fachlichen und finanziellen Möglichkeiten
weiter umgesetzt wird.
Für den Sommer dieses Jahres haben die Regierungschefs der Länder die zuständigen Ministerkonferenzen
um weitere Berichte über die bis dahin getroffenen
Maßnahmen gebeten. Von besonderem Interesse wird
dabei der Bericht der Arbeits- und Sozialministerkonferenz sein, der im Entwurf vorliegt, aber noch der Bestätigung bedarf. Sobald der endgültige Bericht vorliegt,
wird die Bundesregierung gemeinsam mit den Ländern
nach Möglichkeiten einer raschen Umsetzung der Koalitionsvereinbarung suchen.
Ihre Frage 39 möchte ich wie folgt beantworten: Die
Anerkennung des Berufs „Gebärdensprachdolmetscher“
obliegt den Ländern. Hierbei handelt es sich um eine
Hochschul- bzw. Fachhochschulausbildung, für die die
Länder zuständig sind. An mehreren Hoch- und Fachhochschulen sind Studiengänge in unterschiedlichem
Umfang eingerichtet oder in Vorbereitung.
Die Freie und Hansestadt Hamburg hat das Institut
für Deutsche Gebärdensprache und Kommunikation Gehörloser als Dauereinrichtung der Universität mit einem
Diplomstudiengang für Gebärdensprachdolmetscher
etabliert. Die Fachhochschule Magdeburg bietet im Bereich Sozial- und Gesundheitswesen einen speziellen
achtsemestrigen Diplomstudiengang „Gebärdensprachdolmetscher“ an, der auch Teilnehmern aus anderen
Ländern zugängig ist.
Keine
Zusatzfrage, Herr Spanier? - Zusatzfrage des Kollegen
Niebel.
Herr Staatssekretär, unterstützen Sie die Forderung verschiedener Gehörlosenverbände, zum Beispiel aktuelle politische Debatten wie die im
Deutschen Bundestag ebenso wie aktuelle politische
Sendungen, zum Beispiel „Brennpunkt“, weil sie nicht
untertitelt werden können, durch Gebärdensprachdolmetscher simultan übersetzen zu lassen, um so Gehörlosen die Möglichkeit zu verschaffen, am politischen Alltagsleben teilzuhaben?
Ich unterstütze so
etwas. Wenn Sie sich umschauen, werden Sie feststellen, daß schon eine Reihe von Sendern im Fernsehbereich dazu übergegangen sind, die Übertragungen solcher Veranstaltungen, die Sie angesprochen haben, in
die Gebärdensprache simultan übersetzen zu lassen.
Weitere
Zusatzfrage, Herr Niebel.
Herr Staatssekretär, darf ich
Ihre Antwort dahin gehend deuten, daß die Bundesregierung darauf hinwirken wird, daß auch die Debatten des
Deutschen Bundestages simultan übersetzt werden?
Da, wo die Bundesregierung dazu in der Lage ist, wird sie es tun.
Zusatzfrage des Kollegen Rose.
Darf ich insistieren
- unabhängig von dem Kompetenzproblem „Bund oder
Länder“ - und sagen, daß heute in einer öffentlichen
Anhörung des Sportausschusses zum Behindertensport
auf die Gehörlosenprobleme hingewiesen wurde, weil
man zwar gemeinsam Sport treiben kann, die Behindertensportler im Gehörlosenbereich aber von der berühmten Kommunikation nach dem Sport ausgeschlossen
bleiben. Ist die Bundesregierung deshalb bereit, alles zu
tun, um mit Hilfe von Gebärdensprachdolmetschern zusätzliche Angebote für Gehörlose zu schaffen, beispielsweise betreffend die Debatten des Deutschen Bundestages?
Herr Dr. Rose,
meiner Antwort von eben konnten Sie das entnehmen.
Sie lautete: Soweit die Bundesregierung das kann, wird
sie das tun. Es steht der Bundesregierung nicht zu, sich
beispielsweise in Angelegenheiten des Parlamentes einzumischen.
Ich bedaure sehr, daß ich nicht darüber informiert bin,
wie die Anhörung des Sportausschusses heute morgen
inhaltlich verlaufen ist. Ich kann aber zusichern, daß ich
mich darüber informieren werde.
Ich will noch einmal unterstreichen: In unserer
Koalitionsvereinbarung ist niedergelegt, daß wir uns für
eine stärkere Nutzung der Gebärdensprache einsetzen
werden. Das wird nach den finanziellen und rechtlichen
Möglichkeiten Schritt für Schritt geschehen. Insofern
unterstützen wir auch diese Bemühungen.
Vielen
Dank.
Damit kommen wir zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Verteidigung. Zur Beantwortung
steht die Parlamentarische Staatssekretärin Brigitte
Schulte zur Verfügung.
Zunächst die Frage 40 des Kollegen Jürgen Koppelin:
Hat die Bundesregierung von der NATO Auskünfte darüber
erhalten, wie es zu der Bombardierung der chinesischen Botschaft in Belgrad kommen konnte, und, wenn ja, wie lautet die
Auskunft der NATO dazu?
Herr Präsident! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Der verehrte Kollege Koppelin hat danach gefragt, wie es zur Bombardierung der
chinesischen Botschaft in Belgrad kommen konnte und
welche Auskunft ihm dazu die NATO gibt. Das will ich
gern beantworten.
Sehr geehrter Herr Kollege Koppelin, die Bundesregierung hat aus dem NATO-Hauptquartier in Brüssel
Auskunft darüber erhalten, wie es zu dieser Bombardierung kommen konnte. Der Bericht des Hauptquartiers
verweist auf detaillierte Befragungen der betroffenen
Luftfahrzeugbesatzungen, des Kommandeurs und des
Stabspersonals des entsprechenden Hauptquartiers. Es
wurde das Personal der Nation befragt, die die Zielinformation geliefert hat, auf der der betreffende Luftangriff basierte.
Die Überprüfung hat ergeben, daß weder ein Pilotennoch ein technischer Fehler den Unfall hervorgerufen
hat. Es wurde bereits öffentlich erklärt, daß die direkte
Ursache des unbeabsichtigten Angriffs die Verwendung
einer falschen Information über die Position des Zieles
war. Dabei muß bedacht werden, daß die NATO von
nachrichtendienstlichen Informationen der Mitgliedstaaten abhängig ist, da sie selbst keine IntelligenceFähigkeiten besitzt.
Diejenige NATO-Nation, welche die Originalinformation über das Ziel zur Verfügung stellte, hat öffentlich erklärt, daß die von ihrem Nachrichtendienst gelieferte Information falsch war. Das ursprüngliche Ziel sei
das Staatliche Direktorat für Versorgung und Nachschub, eine besonders wichtige militärische Einrichtung
auf der genehmigten Zielliste, gewesen. Die chinesische
Botschaft hingegen befinde sich auf der genehmigten
„no strike list“, das heißt auf der Liste der auf keinen
Fall zu bekämpfenden Objekte.
Der Fehler passierte, weil die Position des Staatlichen
Direktorats für Versorgung und Nachschub auf dem
Kartenmaterial der liefernden Nation falsch angegeben
war. Dieses Direktorat befindet sich tatsächlich in unmittelbarer Nähe der chinesischen Botschaft. Das Kartenmaterial, das aus dem Jahre 1992 stammt und 1997
und 1998 jeweils aktualisiert wurde, zeigt jedoch die
chinesische Botschaft irrtümlich an einer anderen Stelle
in Belgrad.
Das NATO-Hauptquartier drückt in seinem Schreiben
sein tiefes Bedauern aus und verpflichtet sich, alle
Schritte zu unternehmen, um das Risiko von ähnlichen
Fehlplanungen in der Zukunft zu vermeiden.
Der Bundesregierung sind darüber hinaus keine Fakten über den irrtümlichen Beschuß der chinesischen Botschaft bekannt.
Eine Zusatzfrage, Herr Koppelin.
Frau Staatssekretärin,
wenn Sie sagen, daß diese Bombardierung auf Grund
von Fehlinformationen, die bei der NATO vorlagen, geschehen konnte, teilen Sie dann meine Auffassung, daß
es vielleicht besser gewesen wäre, statt sich auf das
Kartenmaterial oder auf Informationen, die man von
irgendwelchen Geheimdiensten bekommt, zu berufen,
ins Telefonbuch von Belgrad zu schauen, um festzustellen, wo sich die chinesische Botschaft befindet?
Herr Kollege, diese Meinung teile ich natürlich nicht, obwohl man auf eine solche Idee kommen kann, weil man fast nicht glauben
kann, daß so etwas passiert. Ich befürchte, das Telefonbuch hätte nicht die Koordinaten angegeben.
Das war natürlich ein unverzeihlicher Fehler; das ist
unstrittig.
Wir
kommen dann zur Frage 41 des Kollegen Werner Siemann:
Gibt es Fälle, daß sich Soldaten, die dem psychologischen
Druck der offen oder versteckt drohenden Gefahren im Einsatzgebiet auf dem Balkan nicht gewachsen sind, dem Dienst entzogen, die Waffen niedergelegt haben und daher aus dem Kommando herausgelöst und nach Deutschland zurückversetzt werden mußten?
Herr Kollege Siemann,
Sie fragen, ob es Fälle gibt, in denen der psychologische
Druck der offen und versteckt drohenden Gefahren im
Einsatzgebiet auf dem Balkan bei bestimmten Soldaten
eine Überforderung darstellt. Ich muß Ihnen mitteilen,
daß wir bis heute zum Glück keinen Soldaten haben, den
wir aus den von Ihnen genannten Gründen nach
Deutschland zurückkommandieren mußten. Die bisher
erfolgten Rückkommandierungen sind ausschließlich
aus Gründen der Fürsorge und der Gesundheit und leider
in dem einen oder anderen Fall aus disziplinarischen
Gründen vorgenommen worden.
Eine Zusatzfrage, Herr Siemann.
Frau Staatssekretärin, hat es bisher Fälle von Wehrdienstverweigerung auf
Grund des Einsatzes auf dem Balkan gegeben?
Nein, mir sind keine entsprechenden Fälle bekannt. Herr Siemann, ich weiß, daß
im Vorfeld sehr sorgfältig gefragt wird, für welche Soldaten es ernstzunehmende Gründe gibt, dort nicht eingesetzt zu werden. Wir haben keinen Grund, davon auszugehen, daß diese Informationen nicht stimmen.
Eine
weitere Zusatzfrage.
Hält es die Bundesregierung hinsichtlich unserer Soldaten für motivationsfördernd, wenn sie beabsichtigt, die Dauer des Einsatzes
von vier auf sechs Monate zu erhöhen, auch unter der
Maßgabe, daß den Soldaten zugesichert wird, im Verlauf der nächsten zwei Jahre nicht auf dem Balkan eingesetzt zu werden?
Herr Siemann, ich bin Ihnen für diese Frage dankbar, weil sie viele Soldaten und
ihre Familien beschäftigt. Diese Frage kann man im
Moment nicht abschließend beantworten. Wir bemühen
uns darum, Soldaten, die schon in ähnlichen Einsätzen
gewesen sind, zum Beispiel in Bosnien-Herzegowina, in
einem Zeitraum von anderthalb bis zwei Jahren möglichst nicht einzusetzen.
Sie wissen aber selbst genau, daß es im Bereich der
Pioniere, der Logistik und im Sanitätsbereich Kräfte
gibt, bei denen diese Regelung schon heute nicht durchführbar ist. Deswegen prüfen wir, inwieweit wir durch
eine Aufstockung der Krisenreaktionskräfte erreichen
können, daß nicht so viele Soldaten in kürzeren Abständen in Spannungsgebieten eingesetzt werden. Zum heutigen Zeitpunkt aber kann keiner diese Frage seriös beantworten, auch wenn der Wunsch nach einer Antwort
natürlich verständlich ist.
Eine Zusatzfrage des Kollegen Niebel.
Frau Staatssekretärin, stimmen
Sie mir zu, daß die Verlängerung der Einsatzzeit auf
sechs Monate mit einem dazwischenliegenden Urlaub
von zwei Wochen - das ist der Stand, über den hier diskutiert wird - insbesondere bei jungen Familien zu groParl. Staatssekretärin Brigitte Schulte
ßen psychischen Belastungen führen kann? Es gibt ja
den Abschiedsprozeß vor dem Einsatz, danach die
Rückkehr im Rahmen des Urlaubs, das Sich-wiederaneinander-Gewöhnen und die Verarbeitung der Eindrücke des Einsatzes. Dann muß sich der Soldat wieder
von seiner Familie verabschieden, um den Resteinsatz
abzuleisten. Stimmen Sie mir weiter darin zu, daß eine
derartige Situation die Motivation im Einsatzgebiet nicht
sonderlich fördern würde?
Herr Kollege Niebel, wir
sind mit diesen Fragen erst in den letzten Jahren konfrontiert worden. Wir sollten uns daher auf die Erfahrungen unserer Bündnispartner berufen. Sie wissen, daß
es gute Gründe gibt, die Einsatzzeit auf ein halbes Jahr
zu verlängern, weil natürlich die Erfahrung der Soldaten
und ihre Fähigkeiten, im Einsatzgebiet zu operieren,
hilfreich sein können.
Wir wollen diese Frage aber genau prüfen und haben
uns vorgenommen, daß wir dem Verteidigungsausschuß
und dem Parlament spätestens nach der Sommerpause
einen entsprechenden Vorschlag vorlegen werden. Die
Fachleute und auch die Vertreter des Heeres wünschen
sich einen längeren Einsatz, weil die Erfahrung der Soldaten von großem Wert ist.
Ich habe in den Gesprächen mit den Vertrauensleuten
der Soldaten sehr unterschiedliche Meinungen gehört.
Viele sagen: Wenn uns durch den Einsatz von einem
halben Jahr garantiert werden kann, daß der Zeitraum
bis zum nächsten Einsatz verlängert wird, nehmen wir
einen Einsatz von einem halben Jahr in Kauf, wenn wir
aber ein halbes Jahr später wieder zum Einsatz kommen
würden, dann wäre das ein Problem.
Ich kann Ihnen die Frage nicht abschließend beantworten, weil es für beide Positionen gute Gründe gibt.
Wir müssen uns als Parlament darüber Gedanken machen, wie wir die Erfordernisse hinsichtlich des Auftrags
und der Fürsorge in Einklang bringen.
Eine
weitere Zusatzfrage, bitte schön.
Frau Staatssekretärin, wie viele
einsatzfähige KRK-Kräfte brauchen Sie, damit eine
Verlängerung des Einsatzes nicht notwendig ist?
Dazu gibt es bei unseren
Partnern ebenfalls sehr interessante Überlegungen, Herr
Kollege Niebel. Es gibt Fachleute, die sagen, man brauche zwischen einsatzfähigen Verbänden und denen, die
zu Hause ausgebildet werden, die sich gerade in einer
Weiterbildung oder in Ferien befinden, ein Verhältnis
von 1 zu 3. Es gibt aber auch Fachleute, die sagen, ein
Verhältnis von 1 zu 2 reiche aus. Auch in diesem Punkt
werden wir abwägen müssen. Wir sind uns aber auf jeden Fall darin einig, daß wir allein für den Auftrag auf
dem Balkan zu wenig Krisenreaktionskräfte haben.
Damit
kommen wir zur Frage 42 des Kollegen Siemann.
Besteht zwischen der Bevölkerung im Einsatzgebiet unserer
Bundeswehr auf dem Balkan und unseren Soldaten ein Spannungsverhältnis, und ist es schon zu Auseinandersetzungen gekommen?
Herr Kollege Siemann,
zwischen der Bevölkerung im Einsatzgebiet und unseren
Soldaten besteht durch den Auftrag der SFOR- und
KFOR-Verbände natürlich ein Spannungsverhältnis. Das
ist aber kein Spannungsverhältnis, das etwa die deutschen Soldaten in einen Unterschied zu denen in den
Partnerstaaten bringt.
Die Haltung der Bevölkerung gegenüber den deutschen Soldaten schwankt zwischen indifferent und herzlich, wobei wir die Erfahrung sowohl in BosnienHerzegowina als auch jetzt im Kosovo gemacht haben,
daß die deutschen Soldaten teilweise sehr herzlich willkommen sind. Das trifft übrigens auch für serbische
Bürger in Bosnien-Herzegowina zu. Negative Erfahrungen haben wir bislang noch nicht gemacht. Über Auseinandersetzungen zwischen der einheimischen Bevölkerung und deutschen Soldaten liegen der Bundesregierung bis heute keine Meldungen vor. Aber man muß
hinzufügen: Die Soldaten sind besonders sorgfältig auf
ihren Auftrag vorbereitet worden. Ich glaube, darauf ist
es zurückzuführen, daß wir keine unliebsamen Vorfälle
haben.
Eine Zusatzfrage, Herr Siemann.
Frau Staatssekretärin, wann werden die Mitglieder des Deutschen Bundestags die Möglichkeit bekommen, sich vor Ort über
die Situation zu informieren und sich ein Bild von der
Situation zu verschaffen?
Sie haben völlig recht,
Herr Siemann. Wir haben das besprochen. Wir wollen
mindestens den Mitgliedern des Verteidigungsausschusses, und zwar nicht nur in einem Quotensystem, anbieten, noch im Juli, August eine Reise sowohl nach Bosnien-Herzegowina wie auch nach Mazedonien und sogar
schon in den Kosovo vorzunehmen.
Schwierig ist es zur Zeit, all jenen Bundestagskollegen, die nicht Mitglieder des Verteidigungsausschusses
sind, die aber aus ihrem Wahlkreis ein Kontingent in
Bosnien-Herzegowina oder im Kosovo haben, eine solche Reise zu ermöglichen. Wir belasten damit einfach zu
stark die vor Ort befindlichen Soldaten. Das war der
Grund dafür, daß wir im Mai den Besuch in BosnienHerzegowina ausgesetzt haben. Aber wir beabsichtigen,
allen Mitgliedern des Verteidigungsausschusses für Juli,
August - je nachdem, wie sich die Situation entwickelt ein solches Angebot zu machen.
Eine Zusatzfrage.
Frau Staatssekretärin, wir haben vor wenigen Tagen im Fernsehen Bilder
von der ersten Auseinandersetzung sehen können, in
welche deutsche Soldaten hineingezogen worden sind.
Es war also offensichtlich ein Filmteam dabei. Gelten
für Filmteams andere Regeln als für Bundestagsabgeordnete?
Nein. Sie reisen auf eigene Kosten und auf eigenes Risiko dorthin und werden
von der Bundeswehr dort nicht betreut. Die Bundeswehr
gibt ihnen nur Empfehlungen dafür - das haben Sie
sicherlich auch gelesen, Herr Siemann -, wie sie sich zu
verhalten haben, um kein Risiko für die Bundeswehr
darzustellen, indem sie sie in der Arbeit behindern.
In unserer Informationsgesellschaft ist, wie Sie an
dem schrecklichen Tod der beiden Journalisten vom
„Stern“ gesehen haben, der Bedarf natürlich groß, möglichst umfassend informiert zu werden. Die Bundeswehr
selbst hat kein Interesse daran, daß dort in großem Maße
Journalisten anwesend sind, weil sie sich natürlich auch
für die Leute verantwortlich fühlt.
Nein, das Parlament hat bei uns ausdrücklich Vorrang. Wir haben diese Reise nur deshalb nicht organisiert, weil die Soldaten unter starker Belastung stehen.
Vielen Dank.
Eine Zusatzfrage des Kollegen Niebel.
Frau Staatssekretärin, stimmen
Sie mir zu, daß die Äußerung, die General von Korff
heute im Fernsehen gemacht hat - es gebe keine rechtliche Grundlage zur Entwaffnung der UCK-Kämpfer -,
zu einem Spannungsverhältnis mit der örtlichen Bevölkerung führen könnte, weil die Vereinten Nationen in ihrem Sicherheitsratsbeschluß exakt die Entwaffnung gefordert haben?
Aber natürlich, Herr Kollege Niebel. Wir werden das auch tun müssen, wobei
wir natürlich den Versuch unternehmen, daß dies auf
gütliche Weise geschieht. Wir haben auch schon die Bereitschaft von ersten UCK-Kräften festgestellt, mit den
ins Kosovo Hineinkommenden zusammenzuarbeiten.
Wir haben uns auch gegenüber der serbischen Bevölkerung verpflichtet, dafür zu sorgen, daß die UCK-Kräfte
wie alle anderen paramilitärischen Kräfte im Kosovo die
Waffen abgeben. Ich gehe davon aus, daß das eine Frage
der Zeit und auch eine Frage der Klugheit der KosovoAlbaner ist. Ich kann mir nicht vorstellen, daß wir eine
Befriedung der Lage im Kosovo bekommen, wenn die
UCK-Kräfte weiterhin bewaffnet sind.
Herr
Kollege Niebel, normalerweise haben die Abgeordneten,
die die Frage nicht gestellt haben, nur eine Zusatzfrage.
Aber in Anbetracht des besonderen Interesses an diesem
Komplex lasse ich eine zweite Zusatzfrage zu.
Vielen Dank, Herr Präsident.
Frau Staatssekretärin, habe ich Ihre Antwort richtig
dahin gehend interpretiert, daß Sie dafür Sorge tragen
werden, daß der Kommandierende General im Kosovo
darüber informiert wird, daß ein UN-Sicherheitsratsbeschluß durchaus eine hinreichende Rechtsgrundlage ist?
Wir verhandeln noch darüber, wie Sie wissen. Wir wollen das möglichst gleichmäßig in allen Abschnitten des Kosovo durchführen, das
heißt nicht nur in den Kontingenten, in denen die Deutschen oder die Italiener verantwortlich sind, sondern auf
allen Ebenen. Deswegen wird auch eine Vereinbarung
mit den UCK-Kräften darüber herbeigeführt. Wir sind
verpflichtet, die Entwaffnung durchzuführen. Ich glaube
auch, daß uns das bei den UCK-Kräften gelingt. In dem
Moment, wo sie das Gefühl hat, Herr Kollege Niebel,
daß dort keine paramilitärischen serbischen Verbände
mehr sind - von denen wir alle nicht wissen, ob sie sich
nicht einfach in die Bevölkerung eingegliedert haben -,
wird auch die UCK weitgehend bereit sein, die Waffen
abzugeben, und zwar freiwillig. Davon bin ich fest überzeugt.
Damit
kommen wir zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen. Uns stehen gleich drei Parlamentarische Staatssekretäre zur Beantwortung zur Verfügung; das sind die Herren Lothar
Ibrügger, Achim Großmann und Siegfried Scheffler.
Zunächst antwortet der Kollege Lothar Ibrügger.
Wir beginnen mit der Frage 43 der Kollegin Ulrike
Flach:
Plant die Bundesregierung, Vorschlägen der nordrheinwestfälischen Landesregierung zu folgen - die auf der Rechtsauffassung beruhen, ein Nachtflugverbot verstoße nicht gegen
den Gleichheitsgrundsatz und das Recht auf freie Berufsausübung im Grundgesetz - und ein Nachtflugverbot für Passagierund Frachtmaschinen zwischen 0 und 5 Uhr am Flughafen
Köln/Bonn zu verhängen?
Sehr
geehrter Herr Präsident! Liebe Frau Kollegin Flach, eine
eindeutige Antwort auf Ihre Frage ist der Bundesregierung erst möglich, wenn und nachdem das Land Nordrhein-Westfalen einen förmlichen Antrag gestellt hat,
die Genehmigung für den Flughafen Köln/Bonn zu ändern. Ein solcher Antrag liegt nach meiner Kenntnis bisher nicht vor. Deswegen zunächst die Antwort, daß mir
zu den beiden von Ihnen angesprochenen Punkten
- Nachtflugverbot der Boeing 747-400 und Verbot von
Passagierflügen in der Zeit von 0 Uhr bis 5 Uhr morgens - neben dem vom Land in Auftrag gegebenen Gutachten inzwischen auch ein Gutachten von Professor Dr.
Sachs, das von dem Flughafen Köln/Bonn in Auftrag
gegeben wurde, vorliegt. Die rechtliche Prüfung beider
Gutachten durch die entsprechenden Abteilungen im
Bundesministerium für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen ist noch nicht abgeschlossen, so daß eine Stellungnahme erst später erfolgen kann.
Eine Zusatzfrage.
Wie schätzen Sie die Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt im Bereich des Köln/
Bonner Flughafens ein? Liegen Ihnen da zumindest grobe
Schätzungen vor?
Frau
Kollegin Flach, Betreiber des Flughafens - der Bund ist
zwar noch mit beteiligt - ist die Flughafen Köln/Bonn
GmbH. In der Region ist der wirtschaftliche Nutzen dieses Flughafens - das wissen wir aus der Verkehrspolitik
- ebenso wie der des Flughafens Frankfurt allgemein
bekannt. Aber quantifiziert kann ich Ihnen das im Rahmen der Fragestunde nicht beantworten.
Eine
weitere Zusatzfrage, bitte schön, Frau Kollegin.
Wie kommt es aber vor dem
Hintergrund, daß Sie gesagt haben, es liege Ihnen keine
Anfrage der nordrhein-westfälischen Landesregierung
vor, zu Presseberichten vom 26. April, daß dies so sei,
und zu Presseberichten, daß das Kabinett am 5. Mai zu
diesem Thema getagt habe?
Entscheidend ist doch, Frau Kollegin Flach, daß dem Bundesministerium für Verkehr ein förmlicher Änderungsantrag für die Genehmigung des Flughafens vorgelegt
wird. Das ist zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht der
Fall. Es gibt Absichtserklärungen, auf die Sie abheben.
Für die Bundesregierung stellt sich die Situation auf
Grund der Gutachten von zwei Rechtsprofessoren, die
bei der Bewertung des gleichen Sachverhaltes zu völlig
unterschiedlichen Auffassungen kommen, gegenwärtig
nicht sehr erhellend dar. Aus diesem Grunde müssen wir
das weitere Verfahren abwarten.
Ebenso hat die Landesregierung von NordrheinWestfalen in ihrem Schriftverkehr in den vergangenen
Monaten - auch im Hinblick auf das vom Flughafen
Köln/Bonn in Auftrag gegebene Gutachten und das Ergebnis des Staats- und Verwaltungsrechtlers Professor
Dr. Sachs, darum gebeten, das noch einmal rechtlich zu
würdigen. Hier haben die Juristen also noch einiges mit
der Würdigung dieser Gutachten zu tun. Denn schließlich geht es um eigentumsähnliche Rechte, in die man
eingreift, da eine Betriebsgenehmigung für den Flughafen Köln/Bonn vorliegt. Im übrigen geht es um Betriebsregelungen, die allesamt eigentumsähnliche Rechte darstellen und damit dem Flughafen das Klageverfahren eröffnen würden. Die Bundesregierung ist daran interessiert, daß es zu einem gerechten Ausgleich der Interessen kommt und daß eine Würdigung stattfindet, die am
Ende auch bei einer richterlichen Überprüfung Bestand
hat.
Aus diesem Grunde heute nur die Antwort: Wir sind
in der Prüfung dieser Gutachten der Professoren.
Weitere
Zusatzfragen? - Das ist nicht der Fall.
Dann kommen wir jetzt zur Frage 44 des Kollegen
Gerald Weiß ({0}):
Warum wird die Bundesregierung das Höchstalter für Piloten
auf 65 Jahre festlegen - was das EU-Recht nicht zwingend fordert -, während das Höchstalter für Piloten in den USA und in
Frankreich bei 60 Jahren liegt und bei Lokomotivführern das
Ausscheiden bereits mit 55 bis 57 Jahren üblich ist?
Herr
Kollege Weiß, im Rahmen der europäischen Harmonisierung der Lizenzierungsvorschriften für Piloten wurde
das Höchstalter für Piloten im gewerblichen Luftverkehr
auf 65 Jahre festgelegt. Vom flugmedizinischen und
vom flugbetrieblichen Standpunkt aus ist nach Auffassung der in der Arbeitsgemeinschaft der europäischen
Luftfahrtverwaltungen vertretenen 19 europäischen
Luftfahrtbehörden eine Altersgrenze von 65 Jahren im
gewerblichen Luftverkehr sinnvoll und vertretbar.
Frankreich hat als einziges Mitglied dieser Organisation noch vor der Einführung der europäischen Vorschriften eine allgemeine gesetzliche Altersgrenze von
60 Jahren aus arbeitsmarktpolitischen Gründen eingeführt. In den USA wurde die Altersgrenze von 60 Jahren
bereits 1960 ohne vorangegangene umfangreiche flugmedizinische Untersuchungen eingeführt. Ebenfalls aus
arbeitsmarktpolitischen Gründen hat man sie bis heute
beibehalten.
Die 1970 von der Internationalen Zivilen Luftfahrtorganisation eingeführte Altersgrenze von 60 Jahren war
immer wieder Gegenstand von Diskussionen und ist der
Standard, von dem nach Aussage der ICAO die meisten
Abweichungen gemeldet werden. Für berufsmäßig tätige
Piloten in Luftfahrtunternehmen gibt es derzeit keine gesetzlich festgelegte Altersgrenze in Deutschland. Die
Flugdienst- und Ruhezeiten des fliegenden Personals
sind darüber hinaus auf der Grundlage flugmedizinischer Erkenntnisse per Rechtsverordnung geregelt.
Sie hatten auch nach Lokomotivführern gefragt.
({0})
Die Anforderungen der Eisenbahn-Bau- und Betriebsordnung an die körperliche Tauglichkeit des Personals
im Betriebsdienst - dazu gehören die Lokführer - sehen
keine Altersgrenze vor. Der jahrzehntelange Einsatz im
Außendienst bei unregelmäßigen Wechselschichten
führt jedoch zu erhöhtem und dauerhaftem gesundheitlichen Verschleiß, so daß wegen Eintritt der Dienstunfähigkeit in den überwiegenden Fällen die gesetzliche
Altersgrenze nicht erreicht wird.
Weiterhin konnten Beamte, die von Umstrukturierungsmaßnahmen der Deutschen Bahn AG betroffen
waren, auf eigenen Antrag in den Ruhestand versetzt
werden.
Das durchschnittliche Zurruhesetzungsalter bei den
Lokomotivführern lag in den letzten Jahren bei 56 bis 57
Jahren.
Eine Zusatzfrage, Herr Weiß.
Herr
Staatssekretär, wie bewerten Sie es denn, daß das Luftverkehrsland Nummer eins, die Vereinigten Staaten, die
Piloten ebenfalls mit 60 Jahren in den Ruhestand schikken?
Herr
Kollege Weiß, ich habe die Frage ja schon beantwortet.
Offenkundig aus arbeitsmarktpolitischen Gründen ist
dies in den Vereinigten Staaten bereits 1960 eingeführt
worden, und die Vorschrift ist bis heute nicht geändert
worden. Die Diskussion über die Angemessenheit dieser
Altersgrenze ist ja in Europa noch im Gange. Die Verbände waren beteiligt. Mir ist bekannt, daß es ein großes
Interesse auch von Berufspiloten daran gibt, daß sie ihre
Tätigkeit auch über das 60. Lebensjahr hinaus fortsetzen
können. Die entsprechenden Anträge liegen bei den
Luftfahrtbehörden vor. Deswegen möchte ich Sie
gleichzeitig auch noch darüber informieren, daß seitens
der Weltorganisation der Pilotenverbände sogar die Forderung nach einer generellen Aufhebung jeglicher Altersgrenze erhoben wurde. Das sage ich Ihnen, um Ihnen
die Breite der Vorschläge hinsichtlich der Festlegung
einer Altersgrenze für Piloten zu schildern.
Eine
weitere Zusatzfrage, bitte schön.
Darf ich
Ihnen, Herr Staatssekretär, dann entgegenhalten, daß der
Sprecher der Pilotenvereinigung „Cockpit“ gefordert
hat, daß man nicht bis zur Altershöchstgrenze von 65
Jahren gehen sollte, daß man vielmehr die Grenze wesentlich früher setzen müsse?
Herr
Kollege Weiß, ich habe das nicht als Entgegnung auf
meine Antwort, die ich im Namen der Bundesregierung
gegeben habe, aufgefaßt. Ich bin selbst im Gespräch mit
der Pilotenvereinigung „Cockpit“ und bin seit vielen
Jahren mit Fragen der Luftfahrt befaßt. Mir ist diese
Forderung bekannt. Nur muß eine entsprechende Regelung - Sie haben ja eben auch das Bundesarbeitsministerium danach gefragt - nach unserer Einschätzung möglichst im Einvernehmen mit den Fachverbänden und den
Berufsverbänden in den Tarifverträgen getroffen werden.
Ich rufe
jetzt die Frage 45 des Kollegen Harald Friese auf.
Welche Möglichkeiten ({0}) sieht die Bundesregierung im Rahmen
des geltenden Bundesverkehrswegeplanes, dem wachsenden
Verkehr und dem ständig zunehmenden Lkw-Anteil auf der
BAB 6 zwischen dem Weinsberger Kreuz und dem Autobahnkreuz Feuchtwangen/Crailsheim gerecht zu werden?
Herr Staatssekretär, bitte.
Herr
Kollege Friese, die von der Bundesregierung angestrebte
stärkere Teilhabe von Schiene und Wasserstraße am
Güterverkehr kann man nur netzbezogen und nicht bezogen auf einen - wenn auch wichtigen, aber doch relativ kurzen - Autobahnabschnitt erreichen. Die Möglichkeiten der Verlagerung werden im Rahmen der jetzt anstehenden Überarbeitung des Bundesverkehrswegeplanes untersucht.
Für den von Ihnen angesprochenen sechsstreifigen
Ausbau der Autobahn A 6 zwischen dem Autobahnkreuz Weinsberg und dem Autobahnkreuz Feuchtwangen/Crailsheim wurde im Rahmen der Fortschreibung
des Bundesverkehrswegeplans 1992 kein anerkannter
Bedarf festgestellt. Der Deutsche Bundestag hat sich bei
seiner abschließenden Entscheidung über den Bedarfsplan für die Bundesfernstraßen am 30. Juni 1993 diesem
Votum angeschlossen. Damit fehlen die rechtlichen
Voraussetzungen für eine Aufnahme der Planungsarbeiten.
Das Land Baden-Württemberg beabsichtigt - voraussichtlich auf der Grundlage aktueller Struktur- und Verkehrsdaten - das Projekt bei einer anstehenden Überarbeitung des Bundesverkehrswegeplanes erneut zur Bewertung anzumelden. Die endgültige Entscheidung über
die Dringlichkeitseinstufung wird dann der Deutsche
Bundestag im Rahmen der parlamentarischen Beratung
der Novelle zum Fernstraßenausbaugesetz und zum dazugehörigen neuen Bedarfsplan für die Bundesfernstraßen treffen.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, Sie kennen die Situation: Der Anteil der Lkws liegt bei rund
einem Viertel. Sieht die Bundesregierung die MöglichParl. Staatssekretär Lothar Ibrügger
keit, durch verkehrslenkende Maßnahmen wie zum Beispiel ein durchgehendes Überholverbot für Lkws oder
durch bauliche Maßnahmen - Nutzung des Standstreifens als eine dritte Fahrspur - die optimale Ausnutzung
der vorhandenen Kapazität zu gewährleisten?
Herr
Kollege Friese, ich beziehe Ihre Frage nicht auf diesen
Autobahnabschnitt, sondern beantworte sie allgemein:
Soweit es um die Verlagerung von Lkw-Verkehr auf
Schiene und Wasserstraße geht, hat sich die Bundesregierung eindeutig dazu bekannt, alles zu unternehmen
- auch im Rahmen des Bundesverkehrswegeplanes -,
mehr Anteile von der Straße auf diese Verkehrsträger zu
verlagern. Darüber hinaus sind die Straßenbauverwaltungen in den Ländern natürlich jederzeit gehalten - das
wird nicht von Bonn aus angeordnet -, in ihrem Verantwortungsbereich die Effizienz des Autobahnnetzes
und der entsprechenden Teilabschnitte daraufhin zu
überprüfen, wie Lkw-Verkehr beschleunigt abgewickelt
werden kann, auch unter Nutzung von Standstreifen.
Diese Entscheidung wird aber nicht unmittelbar von uns
getroffen.
In den meisten Fällen hat sich herausgestellt, daß die
Standspuren der ständigen Belastung durch die immer
weiter wachsenden Achslasten der Lkws nicht standhalten und dies zu Verschleißschäden wie auf den
Hauptbahnen führen würde. Dies wird nur in den Fällen
gehen, in denen der Standstreifen schon vorsichtshalber
so gebaut wurde, daß er in Einzelfällen stärkere Lasten
zu tragen in der Lage ist. Diese Frage läßt sich von hier
aus aber nicht beantworten.
Eine
weitere Zusatzfrage, bitte schön.
Herr Staatssekretär, ich teile
Ihre politische Absicht, Güterverkehre auf die Schiene
und auf die Wasserstraßen zu verlagern.
Zu dem in meiner Frage angesprochenen Autobahnabschnitt: Sehen Sie eine Chance, die generelle politische Aussage zu bekräftigen und mit der Fortschreibung
des Bundesverkehrswegeplanes die ehemals bedeutende
Ost-West-Verbindung zu entlasten, indem die Schiene
so gestärkt wird, daß sie ihre Funktion hinsichtlich des
Transportes von Gütern in Zukunft besser wahrnehmen
kann?
Herr
Kollege Friese, es wird von der Entscheidung des Parlamentes abhängen, ob die Dringlichkeit für die von Ihnen geschilderte Maßnahme dann auch in einem Gesetz
verankert wird. Wenn das der Fall ist - ich hatte Ihnen
geschildert: das Land Baden-Württemberg ist aufgefordert, ein Antragsverfahren einzuleiten und dies in die
Bewertung einzubringen -, wird es Sache des Parlamentes sein, zu entscheiden, ob diese Maßnahme mit
höchster Dringlichkeit im Gesetz verankert wird. Für die
Bundesregierung würde dies bei entsprechender gesetzlicher Änderung dazu führen, daß der Planungsauftrag
erfüllt und diese Maßnahme in Angriff genommen wird.
Dem kann ich jetzt aber nicht vorgreifen, da dies eine
Parlamentsentscheidung sein wird.
Damit
kommen wir zur Frage 46 des Kollegen Friese:
Sieht die Bundesregierung wegen der europäischen Bedeutung dieser Ost-West-Magistrale die Möglichkeit, europäische
Fördermittel für den Ausbau von Straße oder Schiene zu erhalten?
Herr
Kollege Friese, sowohl die Bundesautobahn A 6 als
auch die Eisenbahnstrecke Stuttgart-Crailsheim-Nürnberg sind in den entsprechenden Leitschemata für die
Transeuropäischen Verkehrsnetze enthalten. Grundsätzlich besteht damit die Möglichkeit, für Ausbaumaßnahmen eine Unterstützung aus dieser sogenannten TENHaushaltslinie der EU zu beantragen.
({0})
Voraussetzung für eine Antragstellung ist, daß zu diesem Zeitpunkt die planungs- und haushaltsrechtlichen
Bedingungen für konkrete Maßnahmen gegeben sind.
Dies ist unverzichtbar, um den Abfluß der Fördermittel
zu gewährleisten.
Eine Zusatzfrage,
bitte sehr.
Das ist ein Hoffnungsschimmer, Herr Staatssekretär. Ich danke Ihnen für die Antwort.
Aber ich habe noch eine weitere Zusatzfrage: Wie
steht die Bundesregierung zu den früheren Erwägungen
der baden-württembergischen Landesregierung, einen
Ausbau der A 6 über Mautgebühren zu finanzieren?
Herr
Kollege Friese, die Erwägungen der Landesregierung
von Baden-Württemberg sind mir so, wie Sie sie in der
Fragestellung zum Ausdruck gebracht haben, nicht unmittelbar bekannt. Wir haben in der Bundesrepublik
Deutschland inzwischen ein ganzes Instrumentarium,
Verkehrsmaßnahmen gegebenenfalls auch durch private
Vorfinanzierung zu sichern. Wir haben im übrigen auch
Instrumente, solche Maßnahmen gegebenenfalls auch
durch Mautgebühren oder sogenannte Betreibermodelle
zu finanzieren. Die Bundesregierung ist gegenwärtig offen für entsprechende Überprüfungen, die jedoch die
Länder in eigener Zuständigkeit vorzunehmen haben.
Von deren Ergebnis wird es abhängen, ob eine solche
Maßnahme im Zuge von Bundesverkehrswegen verwirklicht werden kann.
Die Bundesregierung ist gegen die Fortsetzung der
sogenannten privaten Vorfinanzierung, die für die einHarald Friese
zelnen Länder erhebliche finanzielle Zusatzlasten mit
sich bringt. Diese gehen zu Lasten der Länderquote.
Denn all das muß letzten Endes zu einem späteren Zeitpunkt, nach Fertigstellung der Maßnahme, teurer finanziert werden. Bundesminister Franz Müntefering hat
sich deutlich dazu geäußert, daß wir eine Reihe solcher
Projekte wegen der erheblichen Bindungswirkung für
den Bundeshaushalt nicht fortsetzen können.
Mautregelungen sind ein anderes Modell der Finanzierung, weil damit der Bundeshaushalt nicht unmittelbar belastet würde. Insofern sind wir für Vorschläge offen, die auf diesem Felde zur Finanzierung der Verkehrsinfrastruktur beitragen.
Vielen Dank.
Es gibt keine weiteren Fragen. Ich rufe die Frage 47 des Abgeordneten Peter Weiß auf:
Trifft es zu, daß an der Bundesautobahn A 5 zwischen Offenburg und Basel Teilabschnitte mit einem differenzierten
Tempolimit von 60 km/h für Lkw und 120 km/h für Pkw versehen werden sollen, weil die notwendige Sanierung der Fahrbahn
derzeit aus finanziellen Gründen nicht erfolgen kann, und welche Streckenabschnitte werden von solchen Maßnahmen der
Temporeduzierung betroffen sein?
Bitte sehr, Herr Staatssekretär.
Die
Antwort auf diese Frage lautet: Ja, es ist der Bundesregierung bekannt. Nach Rückfrage bei der zuständigen
Verkehrsbehörde - Sie merken, hier sind wir vom Land
Baden-Württemberg abhängig - sind folgende Abschnitte betroffen: in Fahrtrichtung Basel zwischen
Autobahnanschlußstelle Ettenheim und Autobahnanschlußstelle Riegel sowie zwischen Anschlußstelle
Teningen und Anschlußstelle Freiburg-Nord, in Fahrtrichtung Karlsruhe zwischen den Autobahnanschlußstellen Freiburg-Nord und Riegel.
Eine Zusatzfrage,
bitte sehr, Herr Kollege.
Herr
Staatssekretär, wie wird sich das Tempolimit auf die
fortschreitende Zerstörung der mittlerweile 38 Jahre
alten Fahrbahn auswirken? Hat das keine Auswirkungen, oder mit welcher zeitlichen Verzögerung in der
Zerstörung der Fahrbahn rechnen Sie bei Anordnung
dieses Tempolimits?
Ich
weiß nicht, ob erwogen wurde, die Geschwindigkeit
noch weiter zu verringern, aber der Ausgangspunkt ist,
daß die Geschwindigkeitsbeschränkung angeordnet
wurde, um die weitere Substanzzerstörung der Fahrbahn
verhindern oder zumindest abbremsen zu helfen. Anders
kann ich mir das nicht erklären. Weitere Maßnahmen
liegen in der alleinigen Zuständigkeit des Landes BadenWürttemberg.
Was sich im Klartext dahinter verbirgt, ist die Frage,
in welcher Art und Weise wir das große materielle Anlagevermögen, das wir in Form von Brücken und Straßen, in Bundesverkehrswegen besitzen - hier findet zunehmender Substanzverzehr durch immer weiter steigende Belastungen statt -, finanziell sinnvoll so nutzen
können, daß die Unterhaltung der Fahrwege in einem
zufriedenstellenden Zustand gewährleistet werden kann.
Dies bereitet uns zunehmend Schwierigkeiten, weil der
Abnutzungszustand von Brücken und Fahrbahnen durch
die hohen Belastungen viel schneller eingetreten ist, als
es bisher vorausgesehen worden ist.
Eine weitere Zusatzfrage, bitte sehr.
Herr
Staatssekretär, da es sich hier um einen Autobahnabschnitt handelt, der sehr stark befahren wird, vor allen
Dingen jetzt in der Ferienzeit auf Grund des Urlaubsverkehrs, frage ich: Wie beurteilt die Bundesregierung
die Staugefahr, wenn Lkws nur noch mit einer Höchstgeschwindigkeit von 60 km/h auf diesem Streckenabschnitt fahren können?
Herr
Kollege Weiß, ich bitte hier um Nachsicht. Ihre Frage
können nur die zuständige Straßenbauverwaltung und
die anordnende Straßenverkehrsbehörde sinnvollerweise
beantworten; denn sie wissen aus eigenen Erwägungen
und eigener Verantwortlichkeit, was vor Ort zu tun ist.
Die Auseinandersetzung um Staubildung durch entsprechende Geschwindigkeitsbeschränkungen kann die
Bundesregierung von Bonn aus durch Anordnung nicht
ersetzen. Dies liegt einzig und allein in der Zuständigkeit der Straßenverkehrsbehörden bzw. der dort für den
Straßenbau verantwortlichen Institutionen.
Dazu hat nun der
Kollege Wiese eine Zusatzfrage. Bitte sehr.
Herr Staatssekretär, würden Sie die Unterhaltungsmaßnahmen, die
auf Grund des hohen Verkehrsaufkommens notwendig
sind - darauf hat der Kollege Weiß schon hingewiesen -,
auch im Zusammenhang mit der Tatsache sehen, daß
Baden-Württemberg als Transitland nicht nur für den
Tourismusverkehr, sondern auch für den Schwerverkehr
eine besondere Bedeutung in Deutschland und auch in
Europa hat? Nach Erkenntnissen der baden-württembergischen Landesregierung liegt die Verkehrsbelastung
auf Grund dieser Tatsache auf den entsprechenden Abschnitten der A 5, A 6, A 7 und A 8 um über 20 Prozent
höher als der Bundesdurchschnitt. Glauben Sie nicht
auch, daß das Land Baden-Württemberg einen höheren
Zuschuß vom Bund für seine Straßenunterhaltskosten,
insbesondere auch für diese Autobahnen, benötigt, damit
es auch in Zukunft seine Verkehrsinfrastruktur aufrechterhalten kann? Müßte der Bund nicht einen höheren Zuschuß gewähren, um die Transitsituation in BadenWürttemberg besser zu berücksichtigen?
Herr
Kollege, es ist überhaupt nicht zu verkennen, daß die
immer weiter ansteigende Belastung unseres Bundesautobahnnetzes von etwa 12 000 Kilometern, insbesondere
durch den Lkw-Verkehr und durch die weiterhin steigenden Achslasten, zu ganz besonderen Schwierigkeiten
gerade in den Verkehrsbrennpunkten in den einzelnen
Bundesländern führt. Das gilt für Baden-Württemberg
wie für Nordrhein-Westfalen und auch für andere
Schwerpunktbereiche in unseren Ballungsräumen und
Wirtschaftsregionen.
Ihre Frage aber zielt im Grunde darauf ab, ob die bisher zwischen Bund und allen Ländern einvernehmlich
vereinbarte Aufteilung der Mittel, die dem Straßenbaulastträger Bund im Haushalt insgesamt zur Verfügung
stehen - die sogenannte Länderquote -, verändert werden kann. Bisher hat die Landesregierung von BadenWürttemberg nach meiner Kenntnis zu keinem Zeitpunkt im Hinblick auch auf die von Ihnen geschilderte
Situation eine zusätzliche Förderung oder eine zusätzliche Zuschußgewährung beim Bund beantragt. Wenn die
Landesregierung von Baden-Württemberg einen solchen
Antrag stellen würde, bedeutete dies, daß von der vereinbarten Regelung, also der Länderquote, insgesamt
abgewichen werden sollte. Dies würde auf erheblichen
Widerstand der anderen Länder stoßen.
Das Land Baden-Württemberg hat in den 90er Jahren
in dankenswerter Weise von zurückfließenden Mitteln
für Verkehrsvorhaben in Ostdeutschland erheblich mehr
als andere Bundesländer profitieren können, weil eine
ganze Reihe ostdeutscher Länder kurz nach der deutschen Einheit nicht in der Lage waren, die ihnen zur
Verfügung stehenden Mittel zeitgerecht abzurufen. Diese sind dann dem Land Baden-Württemberg und auch
dem Freistaat Bayern in überdurchschnittlicher Weise
zugute gekommen. Das hilft ihnen bei den heutigen zusätzlichen Unterhaltungslasten allerdings nichts mehr.
Aber es mag ein Beleg dafür sein, daß damals ein besonderer Bedarf anerkannt worden ist. Nur sehe ich zum
gegenwärtigen Zeitpunkt keine Chance, daß der Konsens über die Länderquote, die zwischen Bund und Ländern einvernehmlich vereinbart worden ist, aufgekündigt
wird. Aus diesem Grunde kann meine Antwort nur lauten: Das Land Baden-Württemberg muß im Rahmen der
ihm zur Verfügung stehenden Mittel die Schwerpunkte
selbst setzen. Das tut das Land auch.
Nun rufe ich Frage
48 des Kollegen Peter Weiß auf:
Wann und in welchem Umfang können die finanziellen Mittel bereitgestellt werden, um die Fahrbahnbeläge auf der Autobahn A 5 zwischen Offenburg und Basel durchgehend zu sanieren und damit die möglicherweise vorgesehenen Tempolimits
wieder aufzuheben?
Herr Staatssekretär, bitte sehr.
Herr
Kollege Weiß, die Instandsetzung der Autobahn A 5
zwischen Karlsruhe und Weil am Rhein wird vom Land
Baden-Württemberg seit 1992 systematisch als Schwerpunktmaßnahme durchgeführt. Auf Grund der gravierenden Fahrbahnschäden in den nördlichen Abschnitten
wird die bauliche Erhaltung von Norden her betrieben.
Derzeit wird die Fahrbahn bei Riegel grundhaft erneuert.
Die dem Land jährlich zur Verfügung stehenden
Mittel für den Erhaltungsbedarf werden von dort - ich
wiederhole mich jetzt - in eigener Zuständigkeit auf die
dringlichsten Maßnahmen aufgeteilt. Nach Mitteilung
des Landes wird unter der Voraussetzung mindestens
gleichbleibender Haushaltsmittel für die Erhaltung der
Bereich Freiburg-Nord im Jahr 2000 mit der Sanierung
erreicht sein, so daß die Geschwindigkeitsbeschränkungen in den oben genannten Abschnitten wieder aufgehoben werden können.
Eine Zusatzfrage? Bitte sehr, Herr Kollege.
Herr
Staatssekretär, wie wird sich denn die Finanzierung des
Unterhalts des Autobahnnetzes in Baden-Württemberg
entwickeln? 1998 hatten wir Ist-Ausgaben von 90 Millionen DM; in diesem Jahr ist vom Bund eine Zuweisung in Höhe von 79 Millionen DM vorgesehen. Wie
wird die Zuweisung für das Land Baden-Württemberg
für den Unterhalt von Autobahnen aussehen, wenn die
von Ihrem Haus beim Bundesfinanzminister angemeldeten Ansätze für die künftigen Haushalte realisiert
werden sollten?
Herr
Kollege Weiß, eine exakte Antwort werde ich Ihnen geben können, wenn das Bundeskabinett am 30. Juni oder
möglicherweise auch ein paar Tage zuvor seine Entscheidung über den Haushaltsentwurf für das Jahr 2000
getroffen haben wird. Aus der dann vom Parlament zu
treffenden Entscheidung über den Bundeshaushalt 2000
leiten sich die Länderquoten ab, über die wir eben gesprochen haben. Daraus lassen sich dann auch die Ansätze ableiten, die für Erhaltung oder für Neubau oder
für Baumaßnahmen insgesamt vorgesehen sind. Ihre
Frage ist also am heutigen Tage nicht exakt zu beantworten, weil der Haushaltsentwurf 2000 noch nicht vorliegt.
Eine weitere Zusatzfrage, bitte sehr.
Herr
Staatssekretär, da Sie auf die Verantwortung des Landes
bei der Setzung von Prioritäten hingewiesen haben,
möchte ich wissen, ob bei einer Zuweisung des Bundes
in Höhe von 79 Millionen DM abzüglich einer zu erHeinz Wiese ({0})
wartenden Kürzung - für die von Ihnen angesprochene
Maßnahme werden allein schon 20 Millionen DM benötigt - aus Ihrer Sicht überhaupt in absehbarer Zeit damit
gerechnet werden kann, daß ein solcher Streckenabschnitt tatsächlich saniert werden kann?
Herr
Kollege, ich wiederhole, daß die Einteilung der Dringlichkeit vor allen Dingen in der Verantwortlichkeit des
Landes Baden-Württemberg liegt. Angesichts der Situation, die Sie und Ihr Kollege eben geschildert haben, habe ich den Eindruck gewonnen, daß das Land BadenWürttemberg hier eine vordringliche Maßnahme sieht.
Aber die Einteilung der Dringlichkeiten wird vor Ort
entschieden. Dies ist im Sinne der Verteilung der Verantwortlichkeiten dort nach unserer Auffassung auch am
besten aufgehoben. Sie wissen, die Länder planen nach
Art. 90 des Grundgesetzes zwar im Auftrag des Bundes,
aber in eigener Zuständigkeit, und sie verwalten auch in
eigener Zuständigkeit die ihnen zugewiesenen Mittel.
Wir werden nicht von hier aus in die Rechte des Landes
Baden-Württemberg unmittelbar eingreifen können.
Nun rufe ich die
Frage 49 des Kollegen Volker Kauder auf:
Wann rechnet die Bundesregierung mit dem Baubeginn der
für die Entlastung der Bevölkerung äußerst drängenden Ortsumgehung „Kreuzstraßentunnel“ in Tuttlingen im Zuge der B 311?
Herr Staatssekretär Ibrügger!
Herr
Kollege Kauder, für das Projekt „Verlegung in Tuttlingen
({0})“ im Zuge der Bundesstraße 311
liegt ein rechtskräftiger Planfeststellungsbeschluß vor.
Die Maßnahme ist jedoch im laufenden Fünfjahresplan
bis 2000 nicht enthalten. Auf Grund der angespannten
Haushaltslage ist derzeit ein Baubeginn nicht absehbar.
Zusatzfrage, Herr
Kollege? - Bitte sehr.
Herr Staatssekretär,
können Sie eine Aussage darüber machen, ob sich die
Bundesregierung mit dem Gedanken trägt, dieses Projekt
in den nächsten Finanzierungsplan hineinzunehmen?
Herr
Kollege, es ist gemeinsames Ziel von Bund und Land,
die Bundesstraße 311 leistungsfähig auszubauen und die
betroffenen Gemeinden weitestgehend mit Ortsumgehungen zu versehen. Das umfaßt viel mehr als nur die
Maßnahme in Tuttlingen. Dabei reden wir über ein Projekt von 2 km Länge, dessen Kosten sich auf 61 Millionen DM belaufen. Angesichts dieser Größenordnung
kann ich Ihnen heute nicht mit Bestimmtheit sagen, ob
die Maßnahme in das Investitionsprogramm bis 2002
aufgenommen werden kann. Dem muß noch ein sehr
intensiver Dialog über die Frage der Prioritäten hinsichtlich der Baumaßnahmen, die dort insgesamt durchgeführt werden, auch mit dem Land Baden-Württemberg
vorangehen.
Alles Weitere wird auch davon abhängen, inwieweit
der Haushaltsentwurf 2000 und die Finanzplanung bis
zum Jahre 2003, die noch vorgelegt werden muß, Mittel
für dieses Projekt vorsehen. Ob dies so sein wird, kann
ich zum heutigen Zeitpunkt nicht eindeutig beantworten.
Eine zweite Zusatzfrage, Herr Kollege.
Herr Staatssekretär, bis
wann wird die Bundesregierung den Investitionsplan für
das Jahr 2000 und die Zeit danach vorlegen?
Die
Absicht ist, mit dem Kabinettsbeschluß Ende Juni dem
Parlament und dem Bundesrat den Entwurf des Haushaltsplans 2000 mit der Finanzplanung für die darauffolgenden Jahre zuzuleiten. Dies sind für das Bundesministerium die entscheidenden Grundlagen, um das Investitionsprogramm vorzulegen. Weil etwa 2000 Projekte
betroffen sind, die in die Betrachtung einbezogen werden müssen, rechnen wir jetzt damit, daß wir dem Parlament zum Herbst dieses Jahres das Investitionsprogramm vorlegen können.
Ich rufe die Frage 50
des Kollegen Volker Kauder auf:
Welche konkreten Maßnahmen will das Bundesministerium
für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen ergreifen, damit der
Planfeststellungsbeschluß, der für den „Kreuzstraßentunnel“ im
nächsten Jahr ausläuft, aufrechterhalten bleibt?
Herr Staatssekretär, bitte.
Herr
Kollege Kauder, es wird derzeit von der zuständigen
Auftragsverwaltung des Landes geprüft, ob durch die
rechtzeitige Realisierung einer Vorabmaßnahme die
Rechtskraft des ergangenen Planfeststellungsbeschlusses
sichergestellt werden kann. Diese Prüfung steht gegenwärtig noch an. Das Ergebnis durch das Land BadenWürttemberg kann ich Ihnen heute nicht mitteilen. Wir
sind hierbei auf die Angaben des Landes angewiesen.
Wir kommen zur
Frage 51 des Kollegen Manfred Grund:
Wie erklärt die Bundesregierung, daß in den alten Bundesländern Verkehrsprojekte bis zur Baureife gebracht werden
konnten, obwohl die Finanzierung von bis zu 4 Mrd. DM nicht
gesichert werden konnte, zumal in den regelmäßig stattfindenden Bund-Länder-Beratungen seit langem bekannt ist, daß der
jährliche Verkehrsetat des Bundes zu gering bemessen ist?
Herr Staatssekretär Ibrügger, bitte.
Peter Weiß ({0})
Herr
Kollege Grund, hinsichtlich der Maßnahmen des vordringlichen Bedarfs im Bedarfsplan für die Bundesfernstraßen besteht ein uneingeschränkter Planungsauftrag.
Gleichzeitig wird im Lichte der Finanzierungsmöglichkeiten und des Zeitbedarfs bis zur Erlangung der Baureife geprüft, zu welchem Zeitpunkt die jeweiligen Verfahrensschritte im Planungsvollzug eingeleitet werden.
Unabhängig davon können jedoch die Länder im
Rahmen der Auftragsverwaltung nach vollzogener Planungsabstimmung mit dem Bund die Zeitabläufe der
Plandurchsetzung in eigener Verantwortung bis zur Baureife bestimmen. Dabei sind gleichzeitig mit dem Verkehrswegeplanungsvereinfachungsgesetz seit 1993 auch
für die alten Bundesländer die Planungszeiten erheblich
verkürzt worden.
Hinzu kommt, daß die mit der Bedarfsplanfortschreibung 1991/1992 ausgerichteten Planungsziele von einem
damals um fast 2 Milliarden DM pro Jahr höheren
Finanzierungsansatz für den Bundesfernstraßenhaushalt
ausgingen und zwangsläufig entsprechende Planungsaktivitäten auslösten. Um den Aufbau Ost nicht zu beeinträchtigen, erfolgten in der Vergangenheit Veränderungen der Finanzierungsansätze überwiegend zu Lasten
der alten Länder mit der Folge zunehmender Finanzierungsschwierigkeiten.
Wir kommen zur
Frage 52 des Kollegen Manfred Grund:
Welche Anstrengungen unternimmt die Bundesregierung,
um den Straßenbauhaushalt bedarfsgerecht auszustatten, d. h.,
statt zu kürzen, die Investitionen zu erhöhen?
Herr Staatssekretär Ibrügger, bitte.
Herr
Kollege Grund, vor dem Hintergrund der äußerst
schwierigen und angespannten Haushaltssituation muß
auch der Bundesfernstraßenhaushalt einen Beitrag zur
Konsolidierung des Bundeshaushalts leisten. Der Bund
trägt dennoch im Bundesfernstraßenhaushalt 1999 mit
rund 10,2 Milliarden DM dem Finanzierungsbedarf für
die Bundesfernstraßen auf hohem Niveau Rechnung.
Darüber hinaus wird derzeit durch private Vorfinanzierung das Investitionsniveau verbessert und damit
vorgezogener volkswirtschaftlicher Nutzen erzielt.
Gleichzeitig sind mit dem Fernstraßenbauprivatfinanzierungsgesetz die Voraussetzungen für eine privatwirtschaftliche Finanzierung ausgewählter Projekte gegeben.
Auch tragen Kostensenkungen durch Rationalisierungen und Privatisierungen in spürbarer Weise zur Entlastung des Bundesfernstraßenhaushaltes und damit zur
verstärkten Investitionsumsetzung bei.
Eine Zusatzfrage,
Herr Kollege Grund, bitte.
Herr Staatssekretär,
können Sie ausschließen, daß es durch die Einsparungen,
die das Verkehrsministerium im Jahre 2000 und in den
folgenden Jahren wahrscheinlich zu erbringen hat, zu
Verzögerungen bei Investitionen kommt oder daß Investitionen, die schon Baureife besitzen, nicht stattfinden?
Herr
Kollege, das kann die Bundesregierung überhaupt nicht
ausschließen, weil zunächst einmal das Parlament Herr
des Verfahrens ist. Die Bundesregierung wird hinsichtlich der auszugebenden Mittel jedes Jahr aufs neue ermächtigt. Alle Ausgaben des Bundeshaushaltes stehen
unter dem Vorbehalt des Gesetzes. Dies galt auch schon
für die alte Bundesregierung. Ich hatte in meiner Antwort schon darauf hingewiesen: In den Jahren 1991/92
ging das Parlament von viel höheren Finanzierungsansätzen aus, als sie im Verlaufe der Jahre 1993 und folgende tatsächlich vollzogen worden sind.
Hinzu kamen erhebliche Projektkostensteigerungen
bei einzelnen Projekten, die - zusammen mit den Auswirkungen der Haushaltskonsolidierung, die auch von
der früheren Bundesregierung betrieben worden ist insgesamt dazu geführt haben, daß zur Umsetzung der
im Bundesverkehrswegeplan vorgesehenen Projekte
nach dem gegenwärtigen Stand etwa 80 bis 90 Milliarden DM fehlen. Deswegen kann ich Verzögerungen
nicht ausschließen, sondern nur darauf hinweisen, daß
wir bei jedem Projekt im einzelnen prüfen müssen, ob
und in welcher Weise die Finanzierung sichergestellt
werden kann.
Wir sind vor allem darum bemüht, zur Entlastung der
Bevölkerung in von Verkehrslärm betroffenen Regionen
weiterzukommen, insbesondere bei den Ortsdurchfahrten. Dort liegt eine ganze Reihe von baureifen Maßnahmen vor. Baden-Württemberg hat allein eine Fülle von
Maßnahmen, die rechtlich unanfechtbar und baureif
sind. Uns bereitet erhebliche Sorge, daß wir den Erwartungen, die in den vergangenen Jahren geweckt worden
sind, mit dem Haushalt nicht gerecht werden können
und daß sich eine erhebliche Finanzierungslücke aufgetan hat, die uns beim Vollzug des Bundesausbauplanes
für die Bundesfernstraßen noch erhebliche Schwierigkeiten bereiten wird.
Deshalb meine klare Aussage: Bei jedem Projekt sind
wir bemüht, es dem gesetzlichen Auftrag entsprechend
zu verwirklichen, aber immer nach Maßgabe der in den
einzelnen Ländern zur Verfügung stehenden Mittel.
Vielen Dank. Ich rufe nun die Frage 53 des Kollegen Dr. Winfried Wolf auf.
Welche Absichten hat die Bundesregierung angesichts der
Haushaltssituation für die Fortschreibung der Mittel nach dem
Regionalisierungsgesetz für den Schienenpersonennahverkehr,
und gibt es Vorstellungen über die künftige Verteilung der Gelder auf die Bundesländer?
Herr
Kollege Dr. Wolf, auf Wunsch der Länder wurde im
Regionalisierungsgesetz festgelegt, den Mittelbedarf für
die Aufrechterhaltung des Fahrplanangebots 1993/1994
im Zeitraum 1998 bis 2001 zu überprüfen und entsprechend anzupassen.
Die Bundesregierung hat die Absicht, diesen gesetzlichen Auftrag umzusetzen, und dies ist unabhängig von
der aktuellen Haushaltslage. Bei der anstehenden Änderung des Regionalisierungsgesetzes werden die Ergebnisse eines vom Bund im Einvernehmen mit den Ländern vergebenen Gutachtens zu berücksichtigen sein.
Danach sinkt der Finanzbedarf für das Fahrplanangebot
1993/94 ab 1999, und die Verteilung zwischen den Ländern ist zu korrigieren.
Zusatzfrage, Herr
Kollege Wolf. - Bitte sehr.
Entnehme ich Ihrer Antwort, Herr Staatssekretär, daß Sie sich das WiberaGutachten zu eigen machen und daß Sie damit von
einem in Zukunft geringeren Finanzbedarf ausgehen?
Daran anschließend frage ich Sie: Wie glauben Sie damit das Ziel der Bundesregierung vereinbaren zu können, mehr Verkehr auf die Schiene zu bekommen?
Herr
Kollege Dr. Wolf, die Bundesregierung handelt nach der
mit der Bahnreform einvernehmlich vollzogenen Entscheidung, nämlich sich darauf zu verständigen, nach
einer gewissen Überprüfungsphase die Wirkung des Regionalisierungsgesetzes zu kontrollieren. Das beruht
alles auf einem einvernehmlich von Bundesrat und Bundestag verabschiedeten Programm, und die Bundesregierung handelt danach.
Die Zahlen des Wibera-Gutachtens werden im
Grundsatz von den Beteiligten auch nicht bestritten. Es
kommt nun darauf an, welche gesetzlichen Folgerungen
daraus gezogen werden müssen. Hier haben wir ja auch
in den Beratungen des Verkehrsausschusses - Herr Dr.
Wolf, Sie sind daran beteiligt -, davon Kenntnis erhalten, daß das Land Niedersachsen vom Bundesrat beauftragt worden ist, einen Gesetzentwurf vorzulegen, in
dem diese Überprüfung der Regionalisierung dann ihren
Niederschlag findet.
Sie wollten noch
Ihre zweite Zusatzfrage stellen? - Einverstanden.
Zweite Zusatzfrage: Beabsichtigt die Bundesregierung im Rahmen der Aktualisierung dieses Regionalisierungsgesetzes, die Schlupflöcher, die in diesem Gesetz bestehen, wonach nicht immer 100 Prozent der Regionalisierungsmittel für Schienenverkehr aufgewandt werden müssen, sondern auch
für andere Verkehre aufgewandt werden könnten, so zu
schließen, daß nach dieser Änderung wirklich 100 Prozent der Mittel für schienengebundenen Verkehr eingesetzt werden müssen?
Herr
Kollege Dr. Wolf, zum heutigen Zeitpunkt kann ich Ihnen darauf nur antworten, daß Bund und Länder gemeinsam die Verhandlungen über diesen Gesetzentwurf
vorbereiten. Sicherlich gehören auch Ihre Feststellungen
in den Katalog der Punkte, die darin dann ihren Niederschlag finden müssen.
Wann aber mit dem Abschluß dieser Verhandlungen
zu rechnen ist - damit greife ich die Frage 54, Frau Präsidentin, schon auf -, kann ich zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch nicht beantworten. Ich wiederhole: Im Bundesrat hat man sich darauf verständigt, daß das Land
Niedersachsen federführend für alle beteiligten Bundesländer einen entsprechenden Gesetzentwurf in den Deutschen Bundestag einbringt.
Damit kommen wir
zu der schon erwähnten Frage 54 des Abgeordneten Dr.
Winfried Wolf:
Wann ist nach Auffassung der Bundesregierung mit dem Abschluß der Verhandlungen zwischen Bund und Ländern über das
Regionalisierungsgesetz zu rechnen?
Ich denke, daß Sie, Herr Wolf, gleich Ihre Zusatzfrage stellen sollten. Denn Ihre eigentliche Frage ist ja
schon beantwortet worden. - Bitte sehr, Herr Kollege.
Meine Zusatzfrage dazu
lautet: Teilen Sie die Befürchtungen der GdED und der
Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer und Anwärter, wonach durch die Unsicherheit, wann eine Neubestimmung der Regionalisierungsgelder erfolgen wird,
weiterhin Schienenwege abgebaut werden, und sehen
Sie eine Möglichkeit, diese Unsicherheit schnell zu beenden?
Der
Vorstandsvorsitzende der Deutschen Bahn AG hat in der
vorletzten Sitzung des Verkehrsausschusses des Deutschen Bundestages gesagt, daß die Deutsche Bahn AG
keine Gleise mehr abbaut. Selbst wenn der Betrieb auf
bestimmten Strecken eingestellt wird, werden die Gleise
nicht abgebaut werden.
Dies ist eine veränderte Haltung, die die Bundesregierung sehr begrüßt. Denn wir setzen als Rückgrat der Bedienung auch im ländlichen Bereich auf das Schienennetz. Nur, die Bedienung auf diesem Netz obliegt natürlich den betroffenen Regionen, die Nahverkehrsleistungen bei der Deutschen Bahn AG oder deren Wettbewerbern einkaufen.
Insofern habe ich keine Befürchtung, was die Höhe
der für die Regionalisierung bereitgestellten Gelder angeht. Dies ist im Rahmen der Bahnreform eindeutig verabredet und festgelegt worden. Für alle Beteiligten besteht dementsprechend Planungssicherheit.
Es kommt vor allem darauf an, den Schienenverkehr
durch attraktivere Angebote und durch eine stärkere
Verknüpfung des öffentlichen Personennahverkehrs mit
den Angeboten auf der Schiene zu beleben. Für den Fall,
daß dies - auch beim Einkauf dieser Leistungen durch
die jeweilige Region - realisiert wird, ist mir nicht bange darum, daß die Zahlen der Zusteiger bzw. der Personen, die mit der Bahn fahren, zunehmen werden.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Kollege? - Bitte sehr.
Im Grunde wiederhole ich
meine Frage. Ich möchte vorwegschicken, daß Sie in
Ihrer Antwort gesagt haben, daß zwar keine Gleise mehr
herausgerissen bzw. abgebaut werden, aber Verkehre
faktisch weiter eingestellt werden. Meine Frage von
vorhin lautete: Glauben Sie denn nicht, daß durch Ihre
vorletzte Antwort, daß Sie keinen Zeitpunkt nennen
können, wann die Regionalisierungsgelder neu bestimmt
werden, neue Unsicherheit entsteht und dadurch die Gefahr besteht, daß, obwohl keine Gleise mehr abgebaut
werden, weitere Verkehre eingestellt werden, wie es
beim letzten Fahrplanwechsel erneut flächendeckend,
vor allem in den neuen Bundesländern, passiert ist?
Herr
Dr. Wolf, diesen Zusammenhang sehe ich nicht. Denn in
der Bahnreform sind die Finanzierungsmittel für die Regionalisierung für einen langen Zeitraum eindeutig festgelegt worden. Sie werden weiter steigen.
Es geht um die Verteilung der Mittel auf die einzelnen Bundesländer. Die Ergebnisse des WiberaGutachtens zwingen dazu, daß sich das Parlament und
auch der Bundesrat in Form eines Gesetzentwurfes über
eine gerechtere Verteilung der Mittel, einigen, die - das
wiederhole ich - weder gekürzt noch geschmälert werden, sondern steigen.
Herr Dr. Wolf, Sie wissen, daß die Bedienungskonzepte nicht unmittelbar von der Bundesregierung beeinflußt werden können. Durch die Bahnreform haben wir
diese Verantwortung aus gutem Grund auf die Länder
und die Regionen übertragen. Denn dort kann am besten
entschieden werden, wie das gesamte regionale Verkehrsnetz organisiert wird.
Nun machen wir mit
diesem Thema Pause, weil ich nun die Frage 55 der Abgeordneten Christine Ostrowski aufrufe:
Wann wird die Bundesregierung den Gesetzentwurf zur
Novellierung des Wohngeldgesetzes, den der Parlamentarische
Staatssekretär beim Bundesministerium für Verkehr, Bau- und
Wohnungswesen, Achim Großmann, in der Debatte des Deutschen Bundestages am 19. Januar des Jahres noch vor der Sommerpause zugesagt hat, dem Deutschen Bundestag vorlegen?
Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär Großmann zur Verfügung. - Bitte sehr.
Frau Ostrowski, wenn Sie damit einverstanden sind,
würde ich gerne Ihre beiden Fragen im Zusammenhang
beantworten.
({0})
Dann rufe ich auch
die Frage 56 der Abgeordneten Christine Ostrowski auf:
Wie soll nach den Vorstellungen der Bundesregierung der
anerkannte Finanzbedarf von 1,5 Mrd. DM finanziert werden?
Über Umfang und Zeitpunkt einer Wohngeldnovelle
wird die Bundesregierung im Zusammenhang mit dem
Entwurf des Haushaltsplanes 2000 entscheiden.
Eine Zusatzfrage,
Frau Kollegin. - Wir dachten, jetzt käme es. Nun ist es
aber nicht gekommen. Bitte sehr, Sie haben eine Zusatzfrage, Frau Kollegin.
Sie sagen es, Frau Präsidentin.
({0})
Ich hatte fast vermutet, daß Herr Staatssekretär diese
diplomatische Antwort geben würde.
Ich muß jetzt aber nachfragen; denn man darf ja
nicht vergessen: Es war ein Wahlversprechen - und im
folgenden ein Versprechen von Herrn Bundesminister
und auch von Ihnen, mehrmals öffentlich gemacht -,
daß noch vor der Sommerpause der Gesetzentwurf
vorgelegt wird. Also frage ich jetzt schlicht und ergreifend nach: Wann ist denn damit zu rechnen? Können
wir damit im August oder September - oder wann
sonst - rechnen?
({1})
- Richtig, das Jahr muß man dazunennen.
Frau Kollegin Ostrowski, Sie haben vielleicht mitverfolgt, daß die Koalitionsfraktionen die Entscheidung
gefällt haben, den Gesetzentwurf einzubringen. Auf
Wunsch des Herrn Finanzministers Eichel wird im Zusammenhang mit der Aufstellung des Haushaltsplanes
2000 über die Eckwerte gesprochen. Dann werden wir
als Ministerium in der Lage sein, diesen Gesetzentwurf
vorzulegen.
Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Großmann, ich
frage Sie jetzt einmal ganz persönlich als Mitglied dieser
Regierung: Wie ist Ihnen denn ums Herz, wenn Sie mir
und somit auch der Öffentlichkeit eine solche Antwort
geben?
({0})
Ich
glaube, daß ich hier Fragen für die Bundesregierung beantworte und nicht zu meinem persönlichen Wohlsein
oder Nichtwohlsein. Ich darf Sie aber beruhigen: Ich
halte es für ein ganz legitimes Verfahren, daß der
Finanzminister im Rahmen einer äußerst schwierigen
Haushaltssituation - schließlich müssen wir mit einer
horrenden Staatsverschuldung fertig werden - die Bitte
äußert, Gesetzesvorhaben mit einem Haushaltsplan als
Gesamtpaket zu beraten. Ich weiß nicht, was daran so
komisch ist.
Eine weitere Zusatzfrage.
Eine Frage ist noch
unbeantwortet. Da die Eckwerte in Bälde in den Bundestag eingebracht werden sollen - ob am 23. oder
30. Juni, sei dahingestellt -, dürfte man doch davon ausgehen - wir haben darüber bereits heute vormittag im
Ausschuß gesprochen -, daß die Vorstellungen zur Finanzierung in einem fortgeschritteneren Stadium sind.
Ich möchte Sie also bitten, die Frage zu beantworten:
Welche Vorstellungen existieren zur Finanzierung des
Bedarfs von 1,5 Milliarden DM?
Auch über die Vorstellungen zur Gegenfinanzierung
wird derzeit zwischen den Ressorts beraten. Sie haben
sicherlich Verständnis dafür, daß es keinen Sinn macht,
über Zwischenstände der Beratungen Auskunft zu geben. Ich bitte Sie also auch in dieser Frage um ein wenig
Geduld. Wir sind ja bald mit diesen Beratungen am
Ende und werden dann in der Lage sein, Ihre Fragen
umfassend zu beantworten.
Nun kommt Ihre
letzte Zusatzfrage.
Sie hatten sich öffentlich für die Senkung der Einkommensgrenzen bei der
Eigenheimzulage ausgesprochen, um die dadurch frei
werdenden Mittel zu einem Teil für die Finanzierung
des Wohngelds zu verwenden. Ich frage Sie jetzt: Wieviel Mittel werden nach Schätzungen der Bundesregierung durch die Senkung der Einkommensgrenzen frei?
Sie können das für das erste bis hin zum achten Jahr beantworten. Ich hätte gerne eine möglichst genaue Summe genannt bekommen.
Auch hier haben Sie mich falsch zitiert, Frau Ostrowski.
Ich habe darüber referiert, daß in einer Arbeitsgruppe
der Koalitionsfraktionen Gegenvorschläge zur Finanzierung gemacht worden sind. Diese Gegenvorschläge hat
sich die Bundesregierung nicht zu eigen gemacht; aber
sie sind ebenfalls Gegenstand der derzeitigen Beratungen. Insofern kann ich Ihre Frage nach präzisen Zahlen
und Daten nicht beantworten. Ich war allerdings heute
morgen im Ausschuß in der Lage, auf die von Ihnen genannten Zahlen einzugehen. Die Zahlen, die Sie heute
im Ausschuß genannt haben - Sie haben als Quelle den
Wissenschaftlichen Dienst des Deutschen Bundestages
genannt -, konnte ich dort nicht bestätigen.
Eine Zusatzfrage des
Kollegen Koppelin. Bitte sehr.
Herr Staatssekretär, wie
hätten Sie früher in der Opposition reagiert, wenn Sie
solche Antworten der Bundesregierung bekommen hätten, wie wir sie heute bekommen?
Ich
hätte wahrscheinlich, Herr Koppelin, ähnliche Nachfragen gestellt wie Sie und hätte dann von der amtierenden
Bundesregierung ähnliche Antworten bekommen, wie
ich sie Ihnen jetzt gegeben habe.
Wir danken Herrn
Staatssekretär Achim Großmann für die Beantwortung
dieser Fragen.
Nun rufe ich die Frage 57 des Abgeordneten Norbert
Otto auf:
Zu welchem Zeitpunkt wird die Bundesregierung die Ergebnisse der derzeit laufenden Prüfungen der als „Vordringlicher
Bedarf“ im Bedarfsplan für die Bundesschienenwege ({0}) eingestuften Neubauprojekte,
insbesondere des Verkehrsprojekts Deutsche Einheit ({1})
Nr. 8, bekanntgeben, und wird durch die bis jetzt schon eingetretene Verzögerung die bisherige Zielstellung der Inbetriebnahme der Neubaustrecke Erfurt - Ebensfeld bis zum Jahr
2004/2005 mit der neuen ICE-Strecke Berlin - Halle/Leipzig Erfurt - Nürnberg - München ({2}) gefährdet?
Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär Scheffler zur Verfügung. Bitte sehr, Herr Staatssekretär.
Lieber Kollege Norbert Otto, wenn wir vom Verkehrsprojekt Deutsche Einheit Nr. 8 sprechen, dann müssen
wir natürlich detaillieren: Es gibt die Teilprojekte VDE
8.1 - Ausbau - Neubaustrecke Nürnberg - Erfurt -,
VDE 8.2 - Neubau - Ausbaustrecke Erfurt - Leipzig/Halle - und VDE 8.3 - Ausbaustrecke Halle/Leipzig - Berlin -, wobei, wie bekannt, letztgenanntes VDE
8.3 weitestgehend fertiggestellt ist. Ihnen ist aus den
Ausschußsitzungen bekannt, insbesondere aus den Ausführungen vor 14 Tagen, daß die erwähnte Überprüfung
sich daher nur auf die Teilprojekte 8.1 und 8.2 bezieht,
deren Realisierung sich im Anfangsstadium befindet.
Entgegen der noch vor zirka drei Wochen genannten
Erwartung - auch in der Beantwortung der Briefe aus
dem Thüringer Raum, Briefe von Oberbürgermeistern,
auch von Ihnen persönlich - müssen wir die Entscheidung, die wir uns an sich für Ende Mai vorgenommen
hatten, noch einige Wochen vertagen.
Es ist heute mehrfach angesprochen worden, daß das
Kabinett den Haushalt am 30. Juni beraten wird. Aber
wenn das Kabinett einen Haushalt berät und entscheidet,
hat noch lange nicht der Gesetzgeber hier entschieden.
Doch wird auch die Kabinettsentscheidung Grundlage
unserer Überprüfung sein. Sie haben natürlich Verständnis, daß hier dann letztendlich unter den Gesichtspunkten der Einsparung teilweise eine Neubewertung erfolgen muß und deshalb mögliche Realisierungstermine
heute hier nicht genannt werden können. Eine Entscheidung fällt nach dem 30. Juni.
Die erste Zusatzfrage, Herr Kollege, bitte.
Herr Staatssekretär, als Bundeskanzler Schröder Ende April dieses
Jahres zu einer gemeinsamen Kabinettssitzung in Erfurt
war, hat er vor laufender Kamera gesagt: Ende Mai ist
die Sache entschieden, Ende Mai wißt ihr Thüringer,
was mit der Strecke 8.1, also Nürnberg - Erfurt, läuft.
Das war ein Wort des Kanzlers. Darauf haben wir gebaut. Wie erklären Sie sich, daß der Kanzler dort eine
Aussage gemacht hat, die heute wieder völlig offen im
Raum steht? Wußte der Kanzler über die Finanzsituation
des Bundes nicht Bescheid, und hat er dort leichtfertig
eine Aussage gemacht?
Weder der Kanzler noch der Bundesminister für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen hat hier leichtfertig
eine Aussage gemacht. Aber, Herr Kollege Otto, liebe
Kolleginnen und Kollegen, es ist ja bekannt, daß die
Entwicklung der Verschuldung mehr als dramatisch ist.
Die hohe Verschuldung führt letztendlich - die Zinsen
machen fast 23 Prozent der Mittel des Bundeshaushalts
aus - dazu, daß fast jede vierte Mark für die Bedienung
der Zinsen ausgegeben werden muß. Die Möglichkeit
zur Kompensation durch den Verkauf von Tafelsilber,
die der Finanzminister der alten Bundesregierung noch
hatte, besteht nicht mehr. Das zeigt die Überprüfung, ob
denn Möglichkeiten bestehen, statt durch Einsparung,
durch Kompensation zu erreichen, daß wir gerade, was
die neuen Bundesländer betrifft, bei den Verkehrsprojekten Deutsche Einheit von Einsparungen verschont
bleiben. Insofern hat die Bundesregierung - das muß ich
zugeben - einen Zeitraum genannt, der nicht einzuhalten
war. Die Situation war und ist viel dramatischer, so daß
erst die Einsparungsrunde, die Abstimmung mit dem
Finanzminister und dann letztendlich die Entscheidung
im Kabinett abgewartet werden müssen. Denn die Bundesregierung hat zu entscheiden, ob es sinnvoller ist,
Projekte zu beginnen, Neubauvorhaben oder das Bestandsnetz voranzutreiben, oder ob die in der Entscheidung, gerade was die Projekte 8.1 und 8.2 betrifft, genannten bzw. bekannten Alternativen - ich brauche sie
hier jetzt nicht vorzutragen -, nämlich Ausbau und Stärkung, eventuell sinnvoller sind. Diese Überprüfung unter dem Finanzierungsvorbehalt - damit wir nach der
Sommerpause nicht noch einmal anders entscheiden
müssen - macht die Sache so schwierig.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Kollege, bitte.
Ich stelle also
fest: Der Kanzler wußte im April nicht über die Finanzlage der Bundesrepublik Deutschland Bescheid.
Ich komme zu meiner Zusatzfrage: Der Europäische
Rat hat in Köln für die Transeuropäischen Netze zusätzlich 4,6 Milliarden DM bewilligt. Das Projekt 8.1 ist ein
Element der Transeuropäischen Netze, kann also von
heute auf morgen gebaut werden. Wie partizipiert dieses
Projekt an der Bereitstellung dieser Mittel, und wie beurteilt die Bundesregierung vor dem Hintergrund des
Willens des Europäischen Rates, die Transeuropäischen
Netze auszubauen, die Verschleppung durch die nun
schon lang andauernde Überprüfung?
Der Bundesregierung ist natürlich bekannt, daß dieses
Projekt Bestandteil der Transeuropäischen Netze ist.
Weder der Bundeskanzler noch der Bundesminister für
Verkehr, Bau- und Wohnungswesen, noch ich selbst
bzw. die Koalitionsparteien haben zum Ausdruck gebracht, daß die Transeuropäischen Netze auf Dauer oder
in einem bestimmten Zeitraum in Frage gestellt werden.
Ich danke Herrn
Staatssekretär Scheffler für die Beantwortung der Fragen.
Wir sind am Ende unserer Fragestunde und damit
auch am Ende unserer Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages ein auf morgen, Donnerstag, den 17. Juni 1999,
9 Uhr.
Die Sitzung ist geschlossen.