Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 6/16/1999

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Die Sitzung ist eröffnet. Liebe Kolleginnen und Kollegen, bevor wir in die Tagesordnung eintreten, möchte ich der Kollegin Siegrun Klemmer, die am 13. Juni ihren 60. Geburtstag feierte, nachträglich im Namen des Hauses sehr herzlich gratulieren. ({0}) Sodann müssen einige Änderungen bei der Beset- zung von Gremien vorgenommen werden. Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen teilt mit, daß die Kollegin Irmingard Schewe-Gerigk und der Kollege Christian Simmert ihr Amt als Schriftführerin bzw. Schriftführer niedergelegt haben. Als Nachfolgerin bzw. Nachfolger werden die Kollegin Antje Hermenau und der Kollege Hans-Josef Fell vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Ich höre keinen Widerspruch. Damit sind die beiden genannten Abgeordneten als Schriftführerin bzw. Schriftführer gewählt. Die Fraktion der SPD teilt mit, daß die Kollegin Ing- rid Matthäus-Maier aus dem Gemeinsamen Ausschuß nach Art. 53 a des Grundgesetzes und aus dem Ver- mittlungsausschuß als ordentliches Mitglied ausscheidet. Für beide Gremien wird als Nachfolger der Kollege Joachim Poß vorgeschlagen, der bisher stellvertreten- des Mitglied war. Neues stellvertretendes Mitglied soll in beiden Fällen der Kollege Jörg-Otto Spiller werden. Sind Sie damit einverstanden? - Ich höre auch hierzu keinen Widerspruch. Damit sind die genannten Kollegen wie vorgeschlagen als Mitglieder bzw. stellvertretende Mitglieder in den genannten Gremien bestimmt. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 1a bis 1c auf: a) Abgabe einer Regierungserklärung des Bun- deskanzlers „Globalisierung gemeinsam ge- stalten“ b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Ulla Lötzer, Rolf Kutzmutz, Dr. Uwe-Jens Rössel, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der PDS Soziale und demokratische Weltwirtschaftsordnung statt neoliberale Globalisierung - Drucksache 14/954 Überweisungsvorschlag: Ausschuß für Wirtschaft und Technologie ({1}) Finanzausschuß Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Rainer Brüderle, Ernst Burgbacher, Jörg van Essen, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der F.D.P. Globalisierung als Chance: Der Weg nach vorne für Europa - Drucksache 14/1132 Überweisungsvorschlag: Ausschuß für Wirtschaft und Technologie ({2}) Finanzausschuß Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Ausschuß für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache im Anschluß an die Regierungserklärung drei Stunden vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Das Wort zur Abgabe einer Regierungserklärung hat der Herr Bundeskanzler, Gerhard Schröder.

Gerhard Schröder (Kanzler:in)

Politiker ID: 11002078

Verehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! An diesem Wochenende werde ich mit den Staats- und Regierungschefs der anderen G-8-Staaten zum Wirtschaftsgipfel in Köln zusammentreffen. Die G 8, also der Zusammenschluß der sieben führenden Industrienationen plus Rußland, hat sich in den vergangenen Jahren bewährt. Gemeinsam mit Weltbank und mit dem Internationalen Währungsfonds ist die G 8 zu einem unverzichtbaren Instrument bei der Bewältigung wirtschaftlicher, aber mehr und mehr auch politischer Probleme geworden. Mit der Petersberger Einigung der G-8-Staaten, die von der Bundesregierung maßgeblich betrieben wurde, ist es uns gelungen, zu einem Durchbruch bei der politischen Lösung des Kosovo-Konfliktes zu kommen ({0}) und die notwendige Resolution des Weltsicherheitsrates auf den Weg zu bringen. Dies ist ein nicht zu verachtender Erfolg des G-8-Prozesses. Lassen Sie mich an dieser Stelle gleich einige Worte zur Entwicklung im Kosovo sagen. Seit dem Beginn der Stationierung der Friedenstruppen können wir optimistischer auf die Entwicklung im Kosovo blicken. Schon der enthusiastische Empfang der einrückenden Soldaten durch die verbliebene kosovo-albanische Bevölkerung zeigt: Die Menschen haben jetzt wieder eine Perspektive, und sie begreifen das auch als solche. KFOR und die internationale Übergangsverwaltung müssen nun sichere und demokratische Bedingungen für alle Bewohner des Kosovo schaffen. Eine Massenflucht der serbischen Bevölkerung ist für uns genausowenig hinnehmbar, wie es die Vertreibung der albanischen Kosovaren war. ({1}) Wir haben von Anfang an gewußt - es ist im Deutschen Bundestag auch vielfach ausgesprochen worden -, daß die Durchsetzung des Friedens mit Opfern verbunden sein kann. Dies ist uns durch die tragischen Zwischenfälle am vergangenen Wochenende, bei denen zwei deutsche Journalisten ermordet worden sind und ein deutscher Soldat verletzt wurde, besonders tragisch vor Augen geführt worden. Ich will im Namen der Bundesregierung und sicher auch im Namen des gesamten Hauses hier den Angehörigen unser tiefempfundenes Mitgefühl aussprechen. Die Staatengemeinschaft wird erhebliche Anstrengungen für den Wiederaufbau des Kosovo und des gesamten Balkans unternehmen müssen. Im Augenblick bereiten die Europäische Kommission und die Weltbank intensiv eine internationale - ich betone: internationale Geberkonferenz vor. Die langfristige Stabilisierung des Balkans wird auch beim bevorstehenden G-8-Gipfel in Köln ein wichtiges Thema sein. Alle beteiligten Staaten sind sich darin einig, daß für Stabilität und für den Schutz der Menschenrechte Ausgaben notwendig werden. Aber wir sind uns ebenso einig, daß die Finanzierung von Frieden und Wiederaufbau eine notwendige, eine lohnende und also gute Investition ist. ({2}) Meine Damen und Herren, die gemeinsame Bewertung der wirtschaftlichen Entwicklung, die gemeinsame Einschätzung der ökonomischen Perspektiven, aber auch ihrer Risiken bilden die Grundlage für die Gestaltung der Wirtschaftspolitik. Die gemeinsame Analyse dessen, was ist, muß und wird am Anfang dessen stehen, was in Köln zu besprechen sein wird. Die im Zuge der Finanzkrisen nicht nur in den Schwellenländern, sondern auch in einigen großen Industrieländern zu verzeichnende konjunkturelle Schwächephase scheint - jedenfalls weisen die Daten das aus weitgehend überwunden zu sein. Vieles spricht dafür, daß der Kölner Wirtschaftsgipfel den Anfang eines neuen Aufschwungs markiert. Europa und mit Einschränkungen auch Asien werden und müssen die Wachstumskräfte der Weltwirtschaft wieder beleben. Zwar ist in diesem Jahr noch nicht mit einem kräftigen Wachstum zu rechen. Der IWF erwartet für 1999 nur ein Produktionswachstum von 2,3 Prozent weltweit. Nächstes Jahr indessen dürfte weltweit wieder ein Wachstum - so alle Prognosen - in Höhe von 3,4 Prozent erreicht werden. Für Westeuropa und damit auch für Deutschland heißt das: Die augenblickliche Schwächephase wird aller Voraussicht nach noch in diesem, in jedem Fall aber im nächsten Jahr von einer deutlichen Wiederbelebung der wirtschaftlichen Aktivität abgelöst werden. ({3}) Für das Euro-Währungsgebiet wird ein Anstieg der Produktion um 2,9 Prozent erwartet. Der wirtschaftliche Aufschwung wird dabei durch die Zinsentwicklung in Europa nachdrücklich gestützt. Mit der Senkung des Refinanzierungssatzes auf 2,5 Prozent hat die Europäische Zentralbank die Weichen eindeutig auf Wachstum gestellt, ohne damit inflationäre Tendenzen auszulösen. Die Inflation bleibt auch weiterhin unter Kontrolle. In Japan hat die Regierung die Sanierung des Bankensystems in Angriff genommen und finanzpolitische Maßnahmen zur Überwindung der Schwächephase ergriffen. Es ist zu hoffen, daß Japan auch von der bereits in anderen asiatischen Ländern deutlich erkennbaren Wiederbelebung der wirtschaftlichen Aktivität profitieren wird, weil das natürlich auch positive Impulse für unsere Konjunktur haben wird. Einige Schwellenländer haben erfreulicherweise wieder Zugang zum internationalen Kapitalmarkt gefunden. Die Wechselkurse der Währungen der großen Industrieländer waren im vergangenen Jahr jedoch erheblichen Schwankungen unterworfen. Solche Schwankungen sollten uns dann keine Sorgen machen, wenn sie nur die unterschiedlichen konjunkturellen Entwicklungen und Zinssätze widerspiegeln. Die deutsche Bundesregierung wird durch eine entschiedene Konsolidierung des Bundeshaushaltes in Verbindung mit einer Reform der Unternehmensteuern ihren Beitrag dazu leisten, um Wachstum und damit Beschäftigung zu fördern und die Stabilität des Euros zu sichern. ({4}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, nicht erst die Bemühungen zur Beendigung des Krieges im Kosovo haben gezeigt, wie sehr wir in Europa auf ein vertrauensvolles Miteinander und ein kooperatives Verhältnis zu Rußland angewiesen sind. Niemand - ich betone: niemand - kann daran gelegen sein, Rußland politisch oder auch wirtschaftlich auszumanövrieren oder den dortigen Reformprozeß nicht zu unterstützen. Es ist deswegen immer betonen: Fortschritte im russischen Reformprozeß liegen nicht nur im Interesse Rußlands, sondern auch im unmittelbaren nationalen Interesse Deutschlands und im Interesse ganz Europas. ({5}) Aber auch die russische Seite hat kein Interesse und kann kein Interesse daran haben, einen Sonderweg zu gehen. Auch das ist bei der Bewältigung der KosovoKrise deutlich geworden. Wir werden deshalb auf dem Kölner Gipfel Rußland ermuntern, seine wirtschaftlichen Reformen mit neuem Schwung zu beleben. Wir sollten uns darüber einigen, was wir über die Programme der internationalen Finanzinstitutionen hinaus tun können, sofern Rußland wirklich bereit ist, seinerseits die notwendigen Strukturreformen in der Wirtschaft, im Staat und in der Gesellschaft voranzutreiben und umzusetzen. Die russische Öffentlichkeit kann und soll wissen, daß wir uns ein stabiles, demokratisches und prosperierendes Rußland als einen unverzichtbaren Partner für Deutschland wünschen. ({6}) Wir sind bereit, Rußland auch materiell zu helfen, wenn Rußland bereit ist, sich selbst zu helfen. Die notwendige Bereitschaft zur Selbsthilfe stößt natürlich in Rußland nicht immer auf Gegenliebe. Die internen Konflikte weisen das aus. Der Glaube, daß Veränderungen nicht nur der Gemeinschaft, sondern auf längere Sicht auch jedem einzelnen nutzen, muß wiedergewonnen werden. Rußland braucht deshalb ein klares Signal unserer Kooperationsbereitschaft. Dieses muß vom Kölner Gipfel ausgehen. Dabei erscheint mir weniger der große wirtschaftspolitische Entwurf erforderlich, sondern eher eine Politik der kleinen Schritte mit dem Ziel einer dauerhaften Partnerschaft, kleine Schritte bezogen auf konkrete Projekte in den autonomen Provinzen und Gebieten der Russischen Föderation. Darauf sollten wir in den bilateralen Beziehungen zu Rußland unser Hauptaugenmerk richten. Darüber hinaus ist es wichtig, das Angebot einer Mitgliedschaft Rußlands in der WTO und der OSZE aufrechtzuerhalten. Langfristig sollte es das gemeinsame Ziel sein, das zu realisieren. In Köln werden wir sicher auch über kurzfristige wirtschaftspolitische Maßnahmen in Rußland sprechen. Das mit dem IWF vereinbarte Programm hat dabei unsere volle Unterstützung. Dies gilt vor allen Dingen dann, wenn es der russischen Regierung gelingt, die notwendigen Voraussetzungen für die Realisierung dieses Programms zu Hause zu schaffen. Wir sind fest davon überzeugt, daß die neue Regierung unter Stepaschin das tun will und daß sie dabei Erfolg haben wird. Aber genauso klar muß gesagt werden, was wir nicht können: Immer wieder ist die Rede von einem umfassenden Schuldenerlaß. Diesen können wir nicht leisten. Dazu gibt es in Deutschland gegenwärtig keine Möglichkeiten. In den 90er Jahren ist der Welthandel mit Raten von 6 bis 10 Prozent gewachsen. Die damit verbundenen Marktchancen müssen wir nutzen, wenn wir Wachstumspotentiale mobilisieren wollen, um Arbeitsplätze zu schaffen und sie langfristig zu sichern. Im Bereich des Welthandels sind einzelne dunkle Wolken aufgezogen. Ein neuer Protektionismus ist erkennbar. Genau den müssen wir überwinden. Dies ist einer der wichtigen Punkte des Treffens in Köln. ({7}) Hierin liegt der Grund dafür, warum die Bundesregierung gemeinsam mit den Partnerländern eine neue Welthandelsrunde anstoßen will. Von besonderer Bedeutung dabei ist für uns - wir haben das immer wieder betont der Beitritt der Volksrepublik China zur Welthandelsorganisation. Dieser ist aus handelspolitischer Sicht geboten und nach unserer Auffassung auch aus politischer Sicht völlig unumgänglich. ({8}) Ich bin froh darüber, daß unsere Partner - zum Beispiel Frankreich - das ähnlich sehen, wie die gemeinsame Erklärung, die ich dazu mit Präsident Chirac abgegeben habe, deutlich zeigt. Wir wollen, daß die WTO eine Organisation mit wirklich universeller Mitgliedschaft ist. Deswegen stehen wir dem Beitritt auch weiterer Staaten zur WTO positiv gegenüber. Voraussetzung dafür ist allerdings, daß auch die neu hinzukommenden Länder bereit sind, eine offene, eine nicht protektionistische Handelspolitik zu betreiben. Rund 1,5 Billionen Dollar werden momentan täglich auf den internationalen Finanzmärkten bewegt. Diese kaum noch nachvollziehbare Mobilität des Kapitals verschärft nicht nur den Wettbewerb der Wirtschaftsstandorte. Sie ist - wir haben das erlebt - in der Lage, auch ganze Volkswirtschaften und deren Währungen anfällig für Spekulationen und damit für Instabilitäten zu machen. Das gilt natürlich insbesondere für die besonders gefährdeten Schwellenländer. Gewiß, gut funktionierende Finanzmärkte sind eine wichtige Voraussetzung für Wachstum und Entwicklung. Deshalb werden wir in Köln darüber beraten, wie das Zusammenspiel der Finanzmärkte in den Industrieländern, aber auch in den neuen Märkten Asiens und Lateinamerikas stabiler und damit für die Menschen sicherer gestaltet werden kann. Eines müssen wir uns dabei vor Augen halten: Wenn Indonesien, Thailand oder Brasilien durch Währungsspekulationen Privater in die Krise geraten, dann geht es dabei nicht nur um nackte Zahlen, die in Ordnung zu bringen sind. Es geht um die Schicksale Tausender und Abertausender Menschen, die ihrer Lebensgrundlagen beraubt und in ihren Hoffnungen bitter enttäuscht werden. Hierin liegt der Grund, warum wir eine neue international vereinbarte Finanzarchitektur brauchen. ({9}) In vielen dieser Länder haben die Finanzkrisen den Mittelstand, der sich gerade herauszubilden begann, in seinen Existenzgrundlagen zerstört. Damit lastet auf diesen Volkswirtschaften auch eine schwere Hypothek für die Zukunft; denn gerade die aktiven Mittelschichten sind die Träger des wirtschaftlichen, aber auch des sozialen Fortschrittes in diesen Ländern. Um so mehr ist es unsere Aufgabe, Krisen möglichst frühzeitig zu erkennen und die erkannten möglichst schon im Keim zu ersticken. Die Finanzminister haben deshalb bei der Vorbereitung des Weltwirtschaftsgipfels bereits einen wichtigen Beitrag zur Stabilität des internationalen Finanzsystems geleistet. Anknüpfend an die Ergebnisse des letztjährigen Wirtschaftsgipfels in Birmingham und ihrer Treffen im Herbst 1998 und im Frühjahr 1999 haben sie sich intensiv um die Stärkung der Finanzstabilität im Aufsichtsbereich bemüht. Mit der Errichtung des Stabilitätsforums im Frühjahr 1999 - ein Vorschlag von Bundesbankpräsident Tietmeyer - sind wir ein gutes Stück vorangekommen. Darüber hinaus bin ich der Auffassung, daß eine frühzeitige Einbindung auch und gerade des privaten Sektors bei der Krisenverhütung und beim Krisenmanagement wichtige Impulse für neue Stabilität auf den Finanzmärkten setzen kann. Eine offene Weltwirtschaft könnte weder moralisch noch politisch Legitimität beanspruchen, wenn sie die Entwicklungsländer aus den Augen verlöre. ({10}) Ich habe mich daher, wie Sie wissen, frühzeitig dafür eingesetzt, den ärmsten Entwicklungsländern die Möglichkeit einer weitergehenden Entschuldung als bisher zu bieten. Übrigens muß in diesem Zusammenhang gerade auch unserer Bevölkerung gesagt werden: Das ist nicht nur ein Gebot, das moralisch-ethisch abzuleiten ist und sich daher rechtfertigt. Nein, diesen Entwicklungsländern die Integration oder Reintegration in die internationalen Märkte zu ermöglichen ist auch ein Gebot des schlichten ökonomischen Interesses, das die Deutschen haben. ({11}) Eine deutliche Schuldenerleichterung - und nur diese eröffnet den Ländern, die eine verantwortliche Wirtschaftspolitik betreiben, die Aussicht, ihr Entwicklungspotential wieder auszuschöpfen. Davon müssen und werden die Ärmsten in der Gesellschaft etwas haben. Deswegen ist Transparenz, deswegen sind demokratische Strukturen im Verfolg unserer Hilfe außerordentlich wichtig und müssen Gelder, die frei werden, dafür genutzt werden, um zum Beispiel die Bildungsvoraussetzungen der Ärmsten zu verbessern, um zum Beispiel dafür zu sorgen, daß medizinische Grundversorgung, daß Hunger und Elend in diesen Ländern wirksam bekämpft werden können. Wenn wir helfen, muß das eine Hilfe sein, die dort ankommt, wo sie wirklich benötigt wird. Das werden wir sicherstellen. ({12}) Meine Damen und Herren, die Bundesregierung hat mit der Kölner Schuldeninitiative, die sie im Januar dieses Jahres vorgelegt hat, konkrete Vorschläge unterbreitet, um die Schuldenlast der ärmsten Länder deutlich abzusenken. Diese Bundesregierung tritt nicht als Bremser beim Schuldenerlaß auf, vielmehr hat sie mit ihrer Initiative eine intensive internationale Diskussion angestoßen, an der sich unsere Partner, die internationalen Finanzinstitutionen und zahlreiche Nichtregierungsorganisationen sehr engagiert beteiligt haben. Ich habe das selber erfahren können, zum Beispiel in den Gesprächen mit jenen katholischen Bischöfen und Erzbischöfen, die sich dieser Frage in ganz besonderer und begrüßenswerter Weise annehmen. Es geht um eine Beschleunigung des Verfahrens der Entschuldung und um eine deutliche Ausweitung des Volumens der Schuldenerleichterungen. Zugleich sollen Schuldenerleichterungen stärker als bisher in eine verbesserte Strategie der Armutsbekämpfung und der nachhaltigen - also auch ökologisch nachhaltigen - Entwicklung eingesetzt werden. Ich bin, meine Damen und Herren, zuversichtlich, daß auf dem Weltwirtschaftsgipfel in Köln eine umfassende Schuldeninitiative für die ärmsten Länder vereinbart werden kann. Damit setzen wir ein deutliches Zeichen der Solidarität der größten Industrienationen mit den Entwicklungsländern, und dieses Zeichen ist notwendig. ({13}) Es geht aber nicht nur um die Schuldenlast der Entwicklungsländer. Die ärmeren Staaten brauchen Infrastruktur und Schutzsysteme, die wirksam sind. Dazu ist wesentlich mehr Hilfestellung als bisher seitens der internationalen Finanzinstitutionen notwendig. Die Bereitschaft hierzu bei der Weltbank und beim Internationalen Währungsfonds hat deutlich zugenommen. Wichtig ist auch, daß die 1998 verabschiedete Erklärung der Internationalen Arbeitsorganisation über grundlegende Prinzipien und Rechte in der Arbeitswelt umgesetzt werden, daß also Lohndumping aufhört und daß bestimmte Formen von Arbeit, zum Beispiel Kinderarbeit, wirksam diskreditiert und abgeschafft werden. Alles das sind Aufgaben, die sich dem Gipfel stellen. ({14}) Wir sollten aber auch sagen, daß das bei uns bewährte Prinzip der gesellschaftlichen Teilhabe in allen seinen Formen auch in den Entwicklungsländern ein Modell einer nachhaltigen und sozial gerechten Entwicklung sein kann und sein wird. Die Einhaltung der international anerkannten Standards, also Koalitions- und Tarifvertragsfreiheit, Beseitigung von Zwangsarbeit und Kinderarbeit, Nichtdiskriminierung in Beschäftigung und Beruf, sind entscheidende Bedingungen nicht nur ökonomischer, sondern vor allem auch sozialer Stabilität. Es sind auch Bedingungen nachhaltigen Wachstums. ({15}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, Globalisierung ist ein Prozeß, der tiefgreifende Veränderungen in unseren Arbeitsbedingungen und in unserer LebensweiBundeskanzler Gerhard Schröder se mit sich bringt. Dieser Prozeß wird wesentlich getragen vom Einsatz und von der ständig beschleunigten Weiterentwicklung der Informations- und Kommunikationstechnologien. Ich habe zu Beginn der deutschen G-8-Präsidentschaft den Vorschlag gemacht, über die Bedeutung von Bildung, Ausbildung und Fortbildung in diesem Prozeß auf den Gipfeln zu reden. Diese Überlegung ist von den Partnern engagiert aufgegriffen worden. Wir werden insbesondere die jungen Menschen - und dies eben nicht nur im nationalen Maßstab - darauf vorbereiten müssen, daß für jeden und für jede von ihnen mit der Globalisierung des Wissens eben auch Herausforderungen, zum Beispiel die, sich weiterzubilden, verbunden sind. Soweit wir in Politik und Wirtschaft Verantwortung tragen, müssen wir diesem Prozeß einen Rahmen geben, der allen - ich betone: allen - eine Chance bietet. Chancengerechtigkeit unter den Bedingungen der Globalisierung bedeutet vor allem, daß wir es den jungen Menschen ermöglichen und sie sich selbst befähigen, das weltweit verfügbare Wissen für sich und damit für die gesamte Gesellschaft zu nutzen. Aus dieser Überzeugung heraus hat die Bundesregierung der Bildungs-, Forschungs- und Innovationspolitik einen herausgehobenen Stellenwert eingeräumt. Sie wird dies verteidigen, meine Damen und Herren. ({16}) Wenn die Staats- und Regierungschefs dieses Thema auf dem Gipfel aufgreifen, so ist dies auch deshalb bemerkenswert, weil die Bildungspolitik bislang, zumindest meistens, an den jeweiligen Grenzzäunen haltgemacht hat. Insbesondere die berufliche Aus- und Weiterbildung zählt noch immer zu den spezifisch national und häufig auch traditionell bestimmten Domänen der Politik. Wenn sich die nun allenthalben geforderte Flexibilität der Bildungssysteme mit einer gemeinsamen Orientierung verbindet und dies auf diesem Gipfel ebenso deutlich wird wie die anderen Themen, dann so denke ich, sind wir auf dem richtigen Weg. Die Globalisierung der internationalen Wirtschaftsbeziehungen stellt auch die Umweltpolitik vor beträchtliche Herausforderungen. Gleichzeitig bietet sie neue Chancen für eine weltweite Stärkung des Umweltschutzes. Eine verstärkte internationale Umwelt- und Entwicklungspartnerschaft zur Prävention ökologischer, ökonomischer und sozialer Krisen ist unabdingbar. Der Kölner Gipfel soll einen Beitrag dazu leisten, einen globalen ökologischen Ordnungsrahmen zu schaffen. Dieser soll die nachhaltige Entwicklung fördern, das Niveau der erforderlichen internationalen Harmonisierung erhöhen und jegliche Form von Umweltdumping vermeiden helfen. ({17}) Verstärkte Kooperation bei Umweltstandards kann zu mehr Effizienz und damit zu Kostenvorteilen führen. Wir müssen uns daher national und international bemühen, eine ökologische Modernisierung unserer Volkswirtschaften zu betreiben. Die Entwicklung, Einführung und Verbreitung neuer Technologien und umweltfreundlicher Produktionsverfahren sowie innovativer Produkte und Dienstleistungen bieten Chancen nicht nur für den Umweltschutz. Sie bieten Chancen auch für den Erhalt alter und die Schaffung neuer Arbeitsplätze. Die Bedrohung des Klimas - wir wissen dies - ist zu einer großen umweltpolitischen Herausforderung geworden. Ich habe daher vor einigen Tagen zusammen mit meinen EU-Kollegen betont, daß Klimapolitik das bedeutendste Beispiel für die Notwendigkeit der Einbeziehungen der Umweltbelange in andere Politikbereiche ist. ({18}) Man muß mit großer Sorge zur Kenntnis nehmen, daß die Schadstoffemissionen heute in vielen Industrieländern erheblich höher sind als 1990 und weiter ansteigen. Die führenden Industriestaaten müssen sich in Köln zu einer Verstärkung der Anstrengungen gerade auf diesem Gebiet verpflichten. ({19}) Nur dann, wenn die Industrieländer, die reichen Länder also, eine Führungsrolle auf diesem Sektor übernehmen, wenn wir den Emissionstrend in den eigenen Ländern umkehren und die Energieeffizienz deutlich steigern, können wir erwarten, daß auch die Entwicklungsländer ihre Treibhausgasemissionen begrenzen und schließlich reduzieren. ({20}) Mit der Verabschiedung des Protokolls von Kioto ist ein bedeutender Schritt getan worden, um wirksam Klimaschutz zu betreiben. Jetzt müssen und werden wir dafür sorgen, daß dieses Protokoll möglichst früh in Kraft tritt. Der Kölner Gipfel wird sich auch damit befassen müssen, den entsprechenden Aktionsplan von Buenos Aires zügig umzusetzen. Meine Damen und Herren, politische Krisen, gewalttätige Konflikte oder ökologische Katastrophen können in kurzer Zeit zerstören, was Menschen über Jahrzehnte aufgebaut haben. Ursache solcher Konflikte sind häufig wirtschaftliche und soziale Spannungen sowie schwindende Lebensgrundlagen. Unkontrolliertes Bevölkerungswachstum bedroht Frieden und Stabilität genauso wie die Mißachtung der Menschenrechte. Wir haben gelernt: Wo es an Demokratie fehlt, entsteht Gewalt, die großes menschliches Leid zur Folge hat. Wir werden deshalb auch unsere Bemühungen verstärken, die Instrumente unserer Entwicklungspolitik gezielt zur Vermeidung gewaltsamer gesellschaftlicher Konflikte einzusetzen. Entwicklungspolitik kann einerseits dazu beitragen, strukturelle Krisenursachen zu mindern; andererseits soll sie aber auch diejenigen gesellschaftlichen Mechanismen stützen und unterstützen, die zu einer friedlichen Konfliktlösung notwendig sind, etwa ein funktionierendes Rechtssystem oder die Teilhabe der gesamten Bevölkerung am demokratischen Prozeß. Ich kann hier nur wiederholen, was ich bereits in der Regierungserklärung im November 1998 gesagt habe: Wir wissen, daß es der Welt nicht gutgehen kann, wenn es wenigen immer besser und vielen immer schlechter geht. - Das, meine Damen und Herren, muß auch die internationalen Beziehungen bestimmen. Die Überwindung der Kluft zwischen armen und reichen Weltregionen bleibt die größte internationale Herausforderung an der Schwelle zum 21. Jahrhundert. ({21}) Wir wollen als Gastgeber des Kölner Gipfels der G 8 dafür Sorge tragen, daß Entwicklungs- und Übergangsländer an den Chancen der Globalisierung teilhaben. Dazu können sie selbst am besten beitragen, indem sie eine verantwortliche Politik betreiben, Rechtsstaatlichkeit und Rechtssicherheit gewähren und fortfahren, ihre wirtschaftlichen Strukturen unter Beachtung der sozialen Verträglichkeit und der ökologischen Nachhaltigkeit zu verbessern. Ihnen bei diesen Anstrengungen wirksam zu helfen, das ist der Auftrag, den der Kölner Gipfel hat. Meine Damen und Herren, die Globalisierung berührt die Fundamente unserer Kultur und unseres Zusammenlebens insgesamt. Es muß also künftig darum gehen, vier gleichrangige strategische Ziele zu verfolgen: wirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit, soziale Gerechtigkeit, ökologische Nachhaltigkeit und rechtsstaatliche Demokratie. Diese vier Ziele bilden nach unserer Auffassung das magische Viereck der Modernisierung im nächsten Jahrhundert, und sie gehören untrennbar zusammen. ({22}) Die Globalisierung bedeutet nicht das Ende der staatlichen Handlungsfähigkeit. Wichtig ist, daß wir unsere nationale Politik den Bedingungen der Globalisierung anpassen. Unser außenpolitisches Handeln muß auf internationale Stabilität und die Förderung von Demokratie und Menschenrechten gerichtet sein. Wir wollen überall auf der Welt politisch und wirtschaftlich offene Gesellschaftsordnungen. Nur zwischen Staaten, die demokratisch strukturiert und einem friedlichen Interessenausgleich verpflichtet sind, können Absprachen vereinbart werden, die wir gleichsam als Leitplanken zur Steuerung der Globalisierung brauchen. Gerade von den G-8-Staaten wird eine Führungsrolle bei der Koordinierung der internationalen politischen, aber auch wirtschaftlichen Zusammenarbeit erwartet. Der Kölner Weltwirtschaftsgipfel wird unter Beweis stellen, daß die G 8 unter deutscher Präsidentschaft ihrer Verantwortung nachkommen: bei der Stabilisierung des internationalen Finanz- und Währungssystems, bei der politischen Gestaltung der Globalisierung und bei der Sicherung des Friedens in der Welt. Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. ({23})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Das Wort hat jetzt der Fraktionsvorsitzende der CDU/CSU, Dr. Wolfgang Schäuble.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001938, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir hatten, Herr Bundeskanzler, in den zurückliegenden Monaten vor den Europäischen Räten, also vor dem Berliner und dem Kölner Gipfel, nicht das Glück, daß Sie vor diesen Gipfeltreffen der Europäischen Union dem Deutschen Bundestag Rede und Antwort stehen konnten. Um so mehr begrüßen wir, daß es vor dem Kölner Gipfel der G-8-Gruppe am kommenden Wochenende Ihnen heute möglich war, eine Regierungserklärung dazu abzugeben. Vieles von dem, was Sie zu der Agenda, zu der Tagesordnung des Kölner Gipfels gesagt haben, findet unsere Zustimmung und ist im wesentlichen nicht umstritten. Allerdings haben wir manches vermißt, auf das der deutsche Bundeskanzler heute hätte eingehen müssen. ({0}) Wir unterstützen ausdrücklich die Initiativen und die Bemühungen, um für die ärmsten Entwicklungsländer zu einem schnelleren und wirksameren Schuldenerlaß zu kommen. Ich will hinzufügen, daß es Bundeskanzler Helmut Kohl gewesen war, der die Problematik der Verschuldung der dritten Welt und der am stärksten verschuldeten Länder schon auf dem G-7-Gipfel 1988 in Toronto angesprochen hat. Es besteht also eine Gemeinsamkeit auch nach dem Wechsel von Regierung und Opposition. Ich will im übrigen als Protestant hinzufügen: Es sind nicht nur die katholischen Bischöfe, die sich für dieses Ziel einsetzen, sondern auch die evangelische Kirche unterstützt dieses Vorhaben nachdrücklich. Wir sind dankbar für dieses Engagement und unterstützen es. ({1}) Es ist wichtig, daß wir diese Debatte dazu nutzen, unsere Mitbürgerinnen und Mitbürger immer wieder darauf hinzuweisen, den Prozeß der Globalisierung - dies ist ein schreckliches Wort; es beschreibt die Tatsache, daß wir viel stärker und viel unmittelbarer von Entwicklungen in allen Teilen der Welt berührt werden, sie aber auch beeinflussen, und daß Grenzen weniger trennen und Entfernungen schrumpfen - nicht als eine Bedrohung, sondern als eine Chance und Herausforderung zugleich für Deutschland und für Europa zu verstehen. So müssen wir den Prozeß gestalten. ({2}) Aber natürlich ist es genauso wichtig, daß wir uns mit dem Ziel auseinandersetzen - dies ist schwierig -, die Prinzipien der sozialen Marktwirtschaft nicht nur national und in Europa, sondern schrittweise auch in dieser einen Welt zu verwirklichen. Unser Ziel ist eine globale und soziale Marktwirtschaft. ({3}) Die Globalisierung darf nicht dazu führen und darf von niemandem dazu mißbraucht werden, daß die grundlegenden Errungenschaften der sozialen Marktwirtschaft - dies sind neben wirtschaftlicher Effizienz sozialer Ausgleich und soziale Gerechtigkeit, Chancengleichheit und Vorsorge für die Schwächeren - verlorengehen. Manche meinen nämlich, sie könnten die Globalisierung nutzen, um sich aus ihrer sozialen Verantwortung davonzuschleichen. Dieser Punkt muß deutlich herausgestellt werden. ({4}) Natürlich bleibt die Frage, wie wir dieses Ziel erreichen können. Wir haben nicht mehr das Glück, durch nationale Gesetzgebung und nationale Politik den Rahmen für die soziale Marktwirtschaft gestalten zu können, wie das zu Zeiten von Ludwig Erhard der Fall war. Deswegen brauchen wir mehr internationale Kooperation. All die Bemühungen sind richtig und notwendig, dies mit Hilfe der Welthandelsorganisation, der G-7oder der G-8-Länder und einer stärkeren Krisenprävention an den internationalen Finanzmärkten zu erreichen, indem die internationale Bankenaufsicht effizienter gestaltet wird und indem die Rolle des IWF, die Finanzkrisen an den Finanzmärkten zu verhindern und zu bekämpfen, gestärkt wird. Ich will hinzufügen: Der wichtigste und konkreteste Beitrag, um unsere Vorstellungen von wirtschaftlicher Effizienz und sozialer Gerechtigkeit in dieser Welt zu verwirklichen, ist, Fortschritte in der europäischen Integration zu erreichen. Auch dieser Punkt muß im Kontext der Globalisierung genannt werden. ({5}) Soziale Marktwirtschaft sichert soziale Gerechtigkeit durch Wettbewerb, durch Chancengleichheit, durch Vorsorge für die Schwächeren und durch sozialen Ausgleich. Deswegen muß eine Vorsorge auf institutionellem Gebiet getroffen werden. Aber Chancengleichheit und Wettbewerb gehören dazu. Herr Bundeskanzler, in Ihrer Regierungserklärung jedenfalls im vorab verbreiteten Pressetext - steht der Satz, den ich ausdrücklich unterstreichen will: Die Globalisierung begrenzt nationale Handlungsspielräume. Aber sie tut dies asymmetrisch, indem sie schlechte Politik bestraft und gute Politik belohnt. Davon spüren wir zur Zeit etwas in Deutschland: Ihre schlechte Politik wird bestraft. ({6}) Im übrigen darf die Globalisierung - ebenso wie die europäische Einigung oder das Kosovo - nicht zur Ausrede oder zum Fluchtweg für die innen-, wirtschaftsund sozialpolitischen Probleme in diesem Lande werden. Das werden wir Ihnen nicht durchgehen lassen. Sie haben am vergangenen Sonntag abend gesagt, Sie hätten verstanden. Sie haben dazugesagt, Sie müßten jetzt auch die Wirtschaftspolitik richtig machen. Damit haben Sie eingeräumt, daß Sie sie bisher falsch gemacht haben. Darin ist Ihnen zuzustimmen. ({7}) Aber Sie werden die Probleme weder in Europa noch in der einen globalisierten Welt gut lösen, wenn nicht das Prinzip besteht - das heißt Wettbewerb und Chancengleichheit eben auch -, daß jeder zunächst einmal zu Hause eine vernünftige, richtige und erfolgreiche Politik macht. Das ist das Problem. ({8}) Die Schwäche im Wechselkurs der europäischen Währung ist ein Symptom dafür, daß die Mängel in der deutschen Wirtschafts-, Finanz- und Sozialpolitik der zurückliegenden acht Monate Europa insgesamt schwächen. ({9}) - Aber natürlich ist es so. Da hilft das ganze Gerede von europäischen Regelungen, von Globalisierung und all den unverbindlichen Vorhaben nicht. Daß man auf dem Kölner Gipfel über neue Medien redet, ist sehr zu begrüßen. Aber Sie sollten sich einmal damit beschäftigen, daß der „Economist“, immerhin die angesehenste Wirtschaftszeitung im englischsprachigen Raum, in der vergangenen Woche geschrieben hat: The sick man of the Euro. Er hat Sie gemeint; er hat die deutsche Regierung gemeint, die schlechte Politik der Bundesrepublik Deutschland. Wir stehen beim Wachstum im Vergleich zu allen anderen europäischen Ländern am Ende der Tabelle. Das ist die entscheidende Ursache dafür, daß der Euro auf den Finanzmärkten der Welt schwächer eingeschätzt wird, als wir es alle miteinander wünschen. ({10}) Wenn wir uns die Entwicklung am Arbeitsmarkt anschauen, so ist festzustellen: Natürlich muß man weltweit für mehr Beschäftigung sorgen, auch in Europa. Aber wir müssen vor allem auch für mehr Beschäftigung in Deutschland sorgen. ({11}) - Ich weiß, daß Sie das nicht gerne hören. Wer so schamlos die eigenen Wahlversprechen gebrochen hat, wie Sie von SPD und Grünen es getan haben, der will daran natürlich nicht erinnert werden. ({12}) Das kann ich Ihnen nicht ersparen. ({13}) Sie haben noch in der letzten Debatte von diesem Pult aus gesagt, im März sei die Arbeitslosenzahl um 400 000 niedriger gewesen als vor einem Jahr. Ich habe Sie daran erinnert: Das war das Ergebnis der Politik der Vorgängerregierung; denn im vergangenen Jahr ist die Zahl der Arbeitslosen saisonbereinigt um 400 000 zurückgegangen. Seit Oktober, seit Ihrem Amtsantritt stagniert sie. Im April und im Mai ist die Arbeitslosigkeit in Deutschland saisonbereinigt wieder gestiegen. Das ist die Wahrheit. Sie darf nicht verschwiegen werden. ({14}) Die Rezepte Ihrer Politik taugen nichts. Eigentlich haben wir damit gerechnet, daß Sie heute noch einmal an Ihre gemeinsam mit dem britischen Premierminister Tony Blair verfaßte Veröffentlichung erinnern. Letzte Woche war es noch eine ungeheure Medieninszenierung, sogar in englischsprachigen Zeitungen, und ein Appell an Sie selber, an die sozialdemokratischen Regierungschefs. Wir wissen nicht mehr genau, was es war: War es ein Regierungsdokument? Es war immer von den beiden Regierungen die Rede. Herr Trittin hat allerdings gesagt, das sei überhaupt kein auch nur als Gesprächsgrundlage geeignetes Papier. Sie haben eine merkwürdige Regierung. Im übrigen fällt mir bei Trittin eines ein - auch das ist merkwürdig bei Ihrer Regierung -: Sie reden zur Zeit furchtbar viel von Globalisierung, von europäischen Lösungsansätzen usw., und zwar immer in den Bereichen, in denen Sie national versagen. Aber dort, wo europäisches Handeln geboten wäre, zum Beispiel in der Energiepolitik, machen Sie nationale Alleingänge und zerstören jede Zusammenarbeit in Europa. ({15}) Jetzt würgen Sie sich in Ihrer Koalition wegen der Kredite an die Ukraine. Man kann Sie fast schon bemitleiden. Sie haben heute kein Wort dazu gesagt, und das habe ich auch verstanden. Ich will es Ihnen ebenfalls ersparen. Ich sage Ihnen nur: Eine Energiepolitik, die globalen Maßstäben und Herausforderungen gerecht werden will, muß global gedacht werden. Die friedliche Nutzung der Kernenergie wird weltweit nicht sicherer, wenn Deutschland nach der Methode von Trittin im nationalen Alleingang aussteigt. Sie können Energiebesteuerung in Europa nicht sinnvoll betreiben, wenn Sie nationale Alleingänge machen, sondern Sie müssen sie europäisch koordinieren. Da hat Ihre Präsidentschaft in diesem Halbjahr übrigens kläglich versagt. Auch das gehört zu der mangelhaften Bilanz Ihrer Präsidentschaft. ({16}) Offenbar wollen Sie inzwischen nicht mehr an Ihr eigenes Papier von letzter Woche erinnert werden; aber vielleicht ist es nächste Woche auch wieder anders. Das wechselt ein bißchen, je nachdem, welcher Medienberater bei der Vorbereitung der nächsten Inszenierung gerade die Dominanz gewonnen hat. ({17}) Eines ist klar: Dieses Papier ist, wenn man es ernst nimmt, eine vernichtende Kritik an der Politik, die die Regierung Schröder seit ihrem Amtsantritt in Deutschland betrieben hat. Daran besteht kein Zweifel. ({18}) Das eigentliche Dilemma ist: Sie haben den Menschen vor der Wahl versprochen - das war der Grund, warum Sie gewählt worden sind, und wir haben kein richtiges Gegenmittel gefunden -, daß man die Modernisierung, die notwendig ist - dafür stehen Sie jetzt auch, das ist Ihr Image, und das betonen auch wir immer -, ohne Anstrengung schaffen kann, daß es ein bißchen weniger kostet und ein bißchen bequemer, leichter, einfacher, „easy going“ ist. So war die Botschaft der Modernisierung. Nun sind Sie gewählt worden, und jetzt ist alles, was Sie versprochen haben, ins Gegenteil verkehrt, und Sie sind der Gefangene Ihrer eigenen, nicht erfüllbaren Wahlversprechen. ({19}) Vergangene Woche haben Sie versucht, das Gegenteil von dem zu verkünden, was Sie bisher gemacht haben. Sie haben jetzt wohl so viel Ärger im eigenen Laden, daß Sie das Ganze aufgeben. Im übrigen will ich Ihnen sagen: Es fehlt jegliches Konzept. Damit auch das klar ist - auch wenn mancher das in diesem Hause anders sehen mag -: Das, was in diesem Papier formuliert ist, sind nicht die Prinzipien der sozialen Marktwirtschaft, wie CDU und CSU sie verstehen. Was Sie da mit Herrn Blair veröffentlicht haben, klingt mir mehr nach Shareholder Value. Wir sind mehr für Arbeit für alle und soziale Gerechtigkeit. ({20}) - Es ist so; Sie können das drehen und wenden, wie Sie wollen. Ich wollte Ihnen das eigentlich ersparen, aber ich sage den Satz jetzt trotzdem: Jede Regierung läuft Gefahr, daß sie, weil Entscheidungen immer schwierig sind, im Laufe einer langen Regierungszeit das Vertrauen der Menschen manchmal ein Stück weit verliert. Aber in so kurzer Zeit hat noch niemals eine Regierung so grausam das ihr gewährte Vertrauen verspielt und verloren, wie Sie das in diesen wenigen Wochen gemacht haben. ({21}) Die Ergebnisse Ihrer Politik sind ein Schlag ins Gesicht der kleinen Leute. Das ist das eigentliche Elend in Deutschland. ({22}) Mehr Arbeitslosigkeit, weniger Wachstum, höhere Benzin- und Strompreise, Hunderttausende von Jobs für kleine Leute durch die Regelungen der 630-Mark-Jobs und der Scheinselbständigkeit weggefallen. Das ist eine Politik gegen die kleinen Leute. ({23}) Herr Bundeskanzler Schröder, man konnte es heute spüren, und man kann fast Mitleid mit Ihnen haben, obwohl Sie eigentlich ungeeignet sind, solche Gefühle allzu stark auszulösen. Ich gebe Ihnen den Rat: Seien Sie vorsichtig. Sie sind gewählt worden, Sie sind von Ihrer Partei auf den Schild gehoben worden wegen der Fähigkeit, Wahlen zu gewinnen. Das war der einzige Grund, warum Ihre Partei Sie auf den Schild gehoben hat. ({24}) Im Augenblick ist diese Fähigkeit beeinträchtigt. Sie stehen da wie der Kaiser in seinen neuen Kleidern, und wenn man genau hinschaut, stellt man fest, daß nichts mehr dran ist. ({25}) Ich will Ihnen in der gebotenen Kürze sagen, wie wir nach Vorstellung der CDU/CSU die Probleme lösen können. Vielleicht hilft das auch noch ein wenig beim G-8-Gipfel. Das entscheidende Ziel in Deutschland, die entscheidende Herausforderung unter sozialen Gesichtspunkten ist, mehr Beschäftigung, Arbeit für alle zu schaffen. Die soziale Frage, die sich am Ende dieses Jahrhunderts in den Wohlstandsgesellschaften Westund Mitteleuropas und der nördlichen Hemisphäre stellt, ist die Frage der Beteiligung aller Menschen, so daß sich nicht Millionen ausgegrenzt fühlen - unabhängig von der Frage, ob und wie sie materiell versorgt sind -, weil sie meinen, daß sie nicht gebraucht werden. Das ist die eigentliche soziale Herausforderung. Deswegen bleibt Arbeit für alle und mehr Beschäftigung die große Aufgabe deutscher, europäischer und weltweiter Politik. ({26}) Wenn Sie sich den internationalen Vergleich ein wenig genauer anschauen - daran scheitert übrigens Ihr Papier mit Herrn Blair -, dann werden Sie finden, daß das eigentliche Problem, warum wir in Deutschland im Vergleich zu anderen westlichen Ländern, die mehr Beschäftigung haben, so viel Arbeitslosigkeit haben, darin liegt, daß wir im Bereich der Dienstleistungen - und zwar bei Dienstleistungen aller Art, hochqualifizierten wie sehr einfachen - ein deutliches Defizit haben. Wenn wir im Dienstleistungsbereich eine Beschäftigungsquote hätten, die der anderer westlicher Länder vergleichbar wäre, hätten wir das Arbeitsmarktproblem in Deutschland im wesentlichen gelöst. (Monika Griefahn [SPD]: Was haben Sie denn getan? - Weitere Zurufe von der SPD -

Gerhard Schröder (Kanzler:in)

Politiker ID: 11002078

Ist die Lücke in den letzten acht Monaten entstanden?) - Der Bundeskanzler fragt gerade, ob die Lücke in den letzten acht Monaten entstanden ist. Ich will Sie und auch die Zuhörer und Zuschauer in Deutschland an folgendes erinnern. ({0}) - Ich antworte auf eine Zwischenfrage des Bundeskanzlers von der Regierungsbank. Das werden Sie mir erlauben; Sie werden mich jedenfalls nicht daran hindern. - Ich sage Ihnen, was in den letzten acht Monaten entstanden ist - noch einmal, als Wiederholung. Wir haben schwierige Probleme; die haben Sie nicht alle verursacht. Ich habe Ihnen ja in vielen Fragen zur Globalisierung und zu den europäischen Problemen auch zugestimmt. Wir wollen ja nicht behaupten, Sie hätten alle Probleme dieser Welt verursacht. ({1}) So wichtig sind Sie auch wieder nicht. Der Punkt ist doch ein anderer: Wir waren auf einem guten Weg. Wir haben im vergangenen Jahr saisonbereinigt einen Rückgang der Arbeitslosigkeit um 400 000 gehabt. Wir hatten Überschüsse im Bundeshaushalt. Wir hätten eine Steuerentlastung in einer Größenordnung - ({2}) - Verehrte Kolleginnen und Kollegen, ich finde, wer in einer solch unglaublichen Weise die kleinen Leute in unserem Lande mit den eigenen Wahlversprechen betrogen hat, der sollte hier nicht lachen, sondern der sollte in sich gehen und sich schämen. ({3}) Die Deutsche Bundesbank und die finanz- und wirtschaftswissenschaftlichen Institute - ich kann es Ihnen vorlesen, wenn Sie wollen; ich habe die Zitate dabei haben noch im Oktober gesagt: Wir haben für den Haushalt 1999 einen Steuersenkungsspielraum von netto 15 bis 20 Milliarden DM. So der Sachverständigenrat im Oktober, ({4}) und so stand es im Gemeinschaftsgutachten der wirtschaftswissenschaftlichen Institute. Diesen Spielraum haben Sie verwirtschaftet. Wir hatten beim Wachstum für das Jahr 1999 eine Perspektive von 2,8 bis 3 Prozent; jetzt haben wir im ersten Quartal 0,7 Prozent. Sagen Sie jetzt nicht, das sei die Folge von Rußland oder Brasilien. Wir sind am Tabellenende in Europa, und die Schuldigen sitzen hier auf der Regierungsbank, nirgends sonst. ({5}) Wenn wir mehr Arbeitsplätze bei Dienstleistungen aller Art brauchen, dann brauchen wir mehr Existenzgründer, dann brauchen wir mehr Selbständige, dann brauchen wir eine Stärkung von Handwerk, Handel und Mittelstand. Für eine solche Entwicklung ist es Unfug, was Sie mit den Gesetzen zur Bekämpfung der Scheinselbständigkeit, hinsichtlich der 630-Mark-Arbeitsplätze, des Kündigungsschutzes, der Neuregelung des Schlechtwettergeldes anrichten: immer noch mehr Regulierung, noch mehr Bürokratie, weniger Flexibilisierung. Das ist Gift, wenn es darum geht, mehr Arbeitsplätze in Deutschland zu schaffen. ({6}) Der Herr Riester - er ist nicht da - kann einem fast leid tun. Jeden Tag wird zur Verunsicherung der Rentner eine neue Sau durchs Dorf getrieben. Wir warten hier im Bundestag zwei Stunden, bis er hier ist, dann ergreift er das Wort - und sagt nichts. In Wahrheit ist es ein Skandal ohnegleichen, daß Sie die demographische Komponente in der Rentenformel zurückgenommen haben. Sie machen jetzt Rente nach Kassenlage. ({7}) Die Gesundheitspolitik ist weiß Gott ein schwieriges Feld. Alles das, was von vielen Menschen als lästig empfunden worden ist, sollte zurückgenommen werden. Die Verheißung war, es gehe alles ein bißchen billiger - zum Nulltarif! -, aber jetzt schlägt man mit einem bürokratischen Dirigismus ohnegleichen einen Weg ein, der dazu führt, daß die Gesundheitsleistungen rationiert werden. So hat doch niemand in Deutschland gewettet. Das ist das Gegenteil von dem, was die Menschen erwarten, und das ist das Gegenteil von dem, was wir brauchen, wenn wir mehr Beschäftigung wollen. ({8}) Sie erhöhen die Steuern für Wirtschaft und Mittelstand; von Steuersenkung ist schon gar keine Rede mehr. Ich höre es jetzt schon wieder: Es wird noch einmal die Debatte geben mit der Verheißung, daß irgendwann - es war schon alles versprochen -, im Jahre 2070, doch noch die Steuern für den Mittelstand gesenkt werden. ({9}) Wir werden es ja am 30. Juni erleben und es alsbald in diesem Hause debattieren: Alles, was Sie vorschlagen, läuft im Ergebnis auf höhere Belastungen von Wirtschaft, Mittelstand, Handwerk, Handel hinaus und wird zu weniger Arbeitsplätzen führen und nicht zu mehr. ({10}) Sie werden die Sozialversicherungsbeiträge trotz der Benzinpreiserhöhung nicht senken können. Sie werden steigen; das sagen Ihnen die Rentenversicherungsträger ebenso voraus wie die, die sich im Gesundheitswesen auskennen. ({11}) Deshalb: Ihre Politik führt genau in die falsche Richtung. Das, was Sie jetzt vorhaben, macht es nicht besser. Sie müssen die Investitionen stärken, die öffentlichen wie die privaten. Ich habe ja vor einiger Zeit einmal gefragt, wer in Deutschland eigentlich für den Straßenbau zuständig sei. Herr Müntefering versteckt sich hinter des Kanzlers neuen Kleidern. Hinter dem Kosovo kann man inzwischen alles verschwinden lassen. Wenn Sie die Investitionen im Bundeshaushalt weiter zurückfahren, werden wir nicht mehr Wachstum, sondern mehr Arbeitslosigkeit bekommen. Und was muten Sie den neuen Ländern zu? Die Ankündigung, der Aufbau Ost sei „Chefsache“, kann - ich habe es schon früher gesagt nur eine Bedrohung sein. So ist es für die Menschen in den neuen Ländern geworden. ({12}) Natürlich müssen Bildung und Ausbildung gestärkt werden. Aber dann müssen wir Wettbewerb zulassen. Verehrter Herr Parteivorsitzender, Kollege Schröder, ich will Ihnen noch einmal sagen: Eine bessere Bildungspolitik - eine Verbesserung von Schule, Hochschule, beruflicher Bildung - in Deutschland wird sich nicht durch noch so tiefschürfende Gespräche auf dem Kölner Gipfel der G-8-Staaten erreichen lassen. Vielmehr müssen die für die Bildungspolitik Verantwortlichen in allen Ländern - ganz gleich, ob es sich um CDU-, CSU-, SPD-, rotgrün- oder SPD/PDS-regierte Länder handelt übereinkommen: Mehr anstrengen, mehr Leistung, mehr Innovation, mehr fordern von den jungen Leuten - das ist die Voraussetzung für die Zukunft, und genau da versagt die sozialdemokratische Bildungspolitik. ({13}) Deswegen wollen wir auch auf diesem Feld mehr Wettbewerb zwischen den Bundesländern. Daher appelliere ich an Sie als Parteivorsitzender: Schreiben Sie nicht nur mit Tony Blair in die englischen Papiere „Benchmarking“ hinein, sondern sorgen Sie dafür, daß die sozialdemokratisch regierten Bundesländer in der Kultusministerkonferenz die Blockade aufgeben, die CDU- und CSU-regierte Länder daran hindert, in Schule und Hochschule für mehr Effizienz zu sorgen. Sie blokkieren doch jede stärkere Innovation im Bildungssystem. ({14}) Auch das will ich Ihnen dann noch sagen: Glauben Sie nicht, daß Sie das Problem ohne die jungen Menschen lösen können! Glauben Sie nicht, daß Sie das Problem lösen können, indem Sie den jungen Menschen einreden: Ihr seid in großen Schwierigkeiten, und der Staat ist schuld. - Lassen Sie uns den jungen Menschen vielmehr sagen: Ihr habt Chancen, aber ihr müßt euch auch anstrengen. Ihr werdet gebraucht, ihr werdet gefördert, aber ihr werdet auch gefordert. Vor einiger Zeit haben Sie mir die Kritik an dem 2-Milliarden-Sonderprogramm zur angeblichen Bekämpfung von Jugendarbeitslosigkeit sehr übelgenommen. Sie feiern es immer noch; offenbar haben Sie sonst nichts. Ich habe eine Kopie eines Beitrags aus dem „Stern“ - Herr Bundeskanzler außer Dienst, verzeihen Sie mir; aber Ihr Nachfolger liest gern den „Stern“ und ist darin immer schön abgebildet - von Anfang Juni: Neue Stellen hat es jedoch - anders als es der großspurige Titel „100 000 Jobs für Junge“ suggeriert kaum gegeben: Die meisten Teilnehmer wurden in öffentlich finanzierten Trainingsprogrammen, Umschulungskursen und ABM-Projekten geparkt. Nur 3 100 Jugendliche konnten bisher auf einen Arbeitsplatz in der freien Wirtschaft vermittelt werden, gerade mal 935 erhielten einen Ausbildungsplatz. Das ist der Erfolg des 2-Milliarden-DM-Programms. Mit so viel Geld ist selten weniger Ergebnis für die jungen Menschen erzielt worden. Das ist genau der falsche Weg. ({15}) Sie messen Erfolg von Politik an der Höhe der Ausgaben. Das ist falsch. Natürlich geben Sie viel Geld aus, darin sind Sie Weltmeister. Sie haben die Ausgaben im Bundeshaushalt 1999 - Herr Eichel redet zwar von Sparen, Sparen - entgegen unserer Politik um über 6 Prozent gesteigert. Das sind die 30 Milliarden DM, die Sie im nächsten Jahr einsparen wollen. Hätten Sie die Ausgaben dieses Jahr nicht um 30 Milliarden DM erhöht, bräuchten Sie sich gar nicht so viel Mühe zu geben. Vielleicht bekämen Sie in den nächsten Sitzungen der SPD-Fraktion sogar mehr Beifall, als Sie heute von der SPD-Fraktion im Plenum bekommen haben. Wie auch immer. ({16}) Wir streiten darüber, was der richtige Weg für mehr Wachstum, für mehr Wohlstand und mehr soziale Sicherheit in Deutschland und in Europa ist. Wir stellen uns unserer europäischen wie auch unserer internationalen Verantwortung. Ihre Regierung hat sich in den schwierigen Zeiten, insbesondere was den Kosovo betrifft, mehr auf die Unterstützung der Opposition als auf die Unterstützung aus den eigenen Reihen verlassen können. Auch das muß gesagt werden. Das ist die Wahrheit, und die gefällt Ihnen nicht. ({17}) Deswegen sage ich Ihnen nach dem Ergebnis des vergangenen Sonntags, das für uns nicht Anlaß zu großen Triumphen, aber Bestätigung unserer Arbeit ist, in aller Ruhe: Wir stellen uns auf allen Ebenen - in der Kommunal- und der Landespolitik sowie im Deutschen Bundestag - dem Wettbewerb. Wir stellen uns ebenso unserer Verantwortung. Ich weiß es - deshalb ist meine Schadenfreude begrenzt -, und Sie erfahren es in dieser Zeit: Der Widerstand gegen Veränderungen ist in unserer gesellschaftlichen Wirklichkeit ungeheuer groß. Aber Innovationen bleiben um unserer Zukunft willen notwendig. Deswegen muß man es richtig machen, dann gewinnt man auch die Bevölkerung dafür. Dabei haben Sie schwere Fehler gemacht. Was mich am meisten an den Folgen Ihrer Politik stört, ist, daß Sie, wie Sie es beispielsweise bei den 630DM-Jobs getan haben, die Bereitschaft zu Reformen in unserer Bevölkerung geradezu systematisch kaputtmachen. Das ist das Schlimmste für die Zukunftsfähigkeit unseres Landes. ({18}) Wer verändern will, braucht Substanz, braucht eine Grundlage, Werte und Nähe. Er braucht die Nähe zu den Menschen, damit er die Menschen mitnehmen kann. Ich sage noch einmal das, was ich bereits am Anfang gesagt habe: Die Globalisierung ist kein Grund für die Menschen, Angst vor der Zukunft zu haben. Die Globalisierung ist vielmehr eine Chance. Wir können die Zukunft für uns und für die Ärmeren auf dieser Welt gestalten. Die Möglichkeiten, in Europa und auf allen Kontinenten der Welt unserer Verantwortung gerecht zu werden und an der Schaffung einer besseren Zukunft mitzuwirken, sind größer als jemals zuvor in der Geschichte. Die Zukunft ist offen, und die Globalisierung ist eine Chance. Wir können einen Beitrag zur Lösung der Probleme dieser einen Welt leisten. Wir können unseren Beitrag für eine bessere Zukunft für uns und unsere Kinder leisten. Die Chancen für unser Land sind groß, aber eine bessere Politik und eine bessere Regierung wären dafür nicht schlecht. ({19})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Für die SPDFraktion spricht jetzt der Kollege Ernst Schwanhold. ({0})

Ernst Schwanhold (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002122, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Dr. Schäuble hat sich nur in wenigen Passagen seiner Rede mit dem bevorstehenden Gipfel in Köln auseinandergesetzt. In diesen wenigen Passagen hat er der Bundesregierung in ihren Verhandlungszielen ausdrücklich recht gegeben. Das werden auch die Koalitionsfraktionen, besonders die sozialdemokratische Bundestagsfraktion, machen. Sie werden den Bundeskanzler und die Bundesregierung in der Umsetzung ihrer Ziele auf dem Kölner Gipfel unterstützen. Insoweit gibt es Übereinstimmung. Dafür sind wir dankbar. ({0}) Ansonsten haben Sie, Herr Schäuble, bemerkenswert wenig zu den sich andeutenden Ergebnissen von Köln gesagt; vielmehr haben Sie sich ausschließlich mit den Ergebnissen Ihrer Politik auseinandergesetzt. Dazu möchte ich schon ein paar Anmerkungen machen. Sie haben von dem Ziel „Arbeit für alle“ gesprochen. Die Ergebnisse Ihrer Politik, Herr Dr. Schäuble, bestanden darin, daß im Januar des Jahres 1998 fast 400 000 Menschen mehr von Arbeitslosigkeit betroffen waren als im Januar 1999. Im Februar des Jahres 1998 gab es 360 000 Arbeitslose mehr als im Februar 1999. Im Mai 1998 waren immerhin noch über 200 000 Menschen mehr arbeitslos als im gleichen Monat des Jahres 1999. Dies ist ein deutlicher Erfolg auch der Politik dieser Regierung. Die hohe Arbeitslosigkeit ist der Mißerfolg Ihrer Politik in der Vergangenheit. ({1}) Man kann Ihnen nur zu Ihrem kurzen Gedächtnis gratulieren, weil Sie offenbar die Ergebnisse Ihrer 16jährigen Regierungsarbeit vergessen haben. Sie reden hier von einem Überschuß im Haushalt. Tatsächlich haben Sie einen Schuldenberg von 1,5 Billionen DM hinterlassen. Für die Tilgung der Zinsen müssen jedes Jahr 82 Milliarden DM aufgewendet werden. ({2}) Sie haben in Ihrer Rede die Nettoneuverschuldung überhaupt nicht angesprochen, die in der Vergangenheit immer weiter gestiegen ist, und zwar auch noch 1998, genauso wie sie im Jahr 1999 nach Ihren Planungen gestiegen wäre. Es gab noch keinen Finanzminister, der 30 Milliarden DM in einem Haushalt eingespart hat, so wie es im Sparpaket des jetzigen Finanzministers, das am 30. Juni dieses Jahres verkündet wird, vorgesehen ist. ({3}) Wir räumen also den Schutt Ihrer Arbeit weg. Zu Ihrem Schutt sollten Sie sich bekennen, oder Sie sollten - wenn Sie sich nicht mehr daran erinnern können wenigstens eingestehen, ein schlechtes Gedächtnis zu haben. ({4}) - Natürlich nehme ich das nicht zurück. Das ist der Schutt auch Ihrer Arbeit, Herr Waigel. Jeder fünfte Arbeitsplatz in Deutschland hängt vom Export ab. In der Industrie ist es sogar jeder vierte Arbeitsplatz. Unsere internationalen Wirtschaftsbeziehungen machen uns zur zweitgrößten Handelsnation. Deutschland ist tief in weltwirtschaftliche Verflechtungen eingebunden. Die Bundesrepublik Deutschland muß alles unternehmen, um diese Position zu halten. Nur wenn uns das gelingt, können wir das hohe Lohnniveau und den guten Sozialstandard erhalten. Darauf richtet sich die Politik der SPD-geführten Koalition. Das, was für unsere Unternehmen gegenwärtig zu einer Selbstverständlichkeit geworden ist, wird für die Bürger erst langsam, aber immer stärker erfahrbar, sei es als Fernreisender, oder sei es, weil man inzwischen Musik aus den USA im Internet bestellen kann, oder sei es, weil ein in Norddeutschland produziertes Auto einen ausländischen Wertschöpfungsanteil von über 40 Prozent hat. Im Zeichen der Globalisierung orientieren sich durch die gewachsene internationale Mobilität die Produktionsfaktoren Kapital, Wissen und auch Arbeit hin zu den Standorten mit den attraktivsten Produktionsbedingungen. Fest steht, daß der technologische Fortschritt zum Beispiel durch die neuen Informations- und Kommunikationstechnologien die internationale Arbeitsteilung und die Produktionszyklen erheblich beschleunigt. Fest steht, daß mit der Einführung des Euro im großen Wirtschaftsraum der Europäischen Gemeinschaft eine Transparenz bezüglich Waren und Dienstleistungen entstanden ist, von der wir alle profitieren können. Unsere Antwort darauf kann nicht Protektionismus sein. Die zweite Seite der Medaille „Globalisierung“ bedeutet, globale Entscheidungen müssen durch regionale Entscheidungen ergänzt werden. Genau darin bestehen die Arbeit und das Ziel dieser Bundesregierung. ({5}) Wenn wir zurückschauen, stellen wir fest, daß Deutschland immer vom internationalen Leistungsaustausch profitiert hat. Wenn wir nach vorne schauen, stellen wir fest, daß eine offene deutsche Volkswirtschaft alle Chancen hat, zugunsten ihrer Bürger und ihrer Unternehmen vom globalen Austausch zu profitieren. Globalisierung ist aber von Ihnen als Drohkulisse benutzt und zum Argument dafür gemacht worden, warum soziale Leistungen gekürzt werden müssen und warum Arbeitsplätze wegrationalisiert werden, statt daß Sie in der Vergangenheit bereits die Chancen der Globalisierung in den Vordergrund gestellt hätten. Daß Sie hier nichts unternommen haben, war Ihr Fehler. Warum haben denn kleine und mittlere Unternehmen Angst vor der Globalisierung? Warum empfinden sie sie als etwas Negatives? Ich gebe Ihnen die Antwort: weil der Reformstau der letzten 16 Jahre unter dem Kanzler Kohl und der letzten fünf F.D.P.-Wirtschaftsminister ihnen vermittelt hat, daß sich die Politik nicht darum bemüht, ihnen im nationalen Maßstab jene Chancen zu eröffnen, die sie dringend benötigen. Das ist jetzt anders geworden - dies wurde von Ihnen auch ausdrücklich bestätigt -; dies zeigen die Ziele des Kölner Gipfels. ({6}) Anstatt eines engagierten Anpackens der Zukunftsaufgaben haben Sie die Globalisierung als Begründung für Sozialabbau und Untätigkeit herangezogen. Nur in offenen Volkswirtschaften kann von der Globalisierung profitiert werden. Nur wer sich an der internationalen Arbeitsteilung beteiligt, kann von ihrem Wohlfahrtsgewinn profitieren. Das heißt, Deutschland muß die Stärken mehr als bisher in den Vordergrund stellen und sie weiterentwickeln. Dabei bestanden und bestehen Handlungsspielräume. Diese Regierung, unterstützt von den sie tragenden Fraktionen des Deutschen Bundestages, wird sie nutzen. Ich möchte Ihnen dazu einige Stichworte nennen, die übrigens gar nicht so neu sind. Das Wissen der Menschen ist die entscheidende Voraussetzung für den Erfolg unserer Produkte und Dienstleistungen auf dem Weltmarkt. Wir müssen besser als unsere Wettbewerber sein. Wachstumslücken durch Personalmangel darf es bei 4 Millionen Arbeitslosen nicht geben. Nicht zuletzt deswegen spielt Bildung auch im Bündnis für Arbeit eine so wesentliche Rolle. Ich freue mich daher besonders, daß es gelungen ist, im Rahmen des Bündnisses für Arbeit zwischen Regierung und Sozialpartnern eine Verdreifachung der Ausbildungsplätze in der Informations- und Kommunikationstechnologie zu verabreden. Ich freue mich, daß die Zahl der Ausbildungsplätze gestiegen ist und die Zahl der jungen Menschen, die arbeitslos sind oder keinen Ausbildungsplatz bekommen haben, deutlich zurückgegangen ist. ({7}) Die neue Bundesregierung hat bereits heute der Bildungs-, Forschungs- und Technologiepolitik in Deutschland einen herausragenden Stellenwert gegeben. Im Haushalt 1999 sind die Zukunftsinvestitionen deutlich verstärkt ({8}) und die Strukturen in den Ministerien für eine effiziente Forschungsförderung entschieden verbessert worden. Das ist anders als in der Vergangenheit. Deutschland verfügt nach wie vor über eine exzellente Infrastruktur. Auch hier haben wir das Potential, uns künftig stärker in die internationale Arbeitsteilung einzubringen: durch intelligente Verkehrslösungen, die auch umweltverträglich sind, durch überzeugende Konzepte dezentraler Energieversorgung, durch leistungsfähige Telekommunikationsnetze, um die uns der Rest der Welt beneidet. Zur Infrastruktur im weitesten Sinne gehört auch, durch ein viertes Finanzmarktförderungsgesetz den Finanzplatz Bundesrepublik Deutschland nach vorne zu bringen. Dort haben wir auch für den Arbeitsmarkt Chancen, die wir zukünftig nutzen müssen. Von dort muß der Kapitalzufluß für die Investitionen in der Bundesrepublik Deutschland kommen. Zu unseren Aufgaben gehört es, über eine entsprechende Steuerpolitik die Investitionskraft der Unternehmen - auch der ausländischen Unternehmen - in der Bundesrepublik Deutschland zu stärken. Dies wird geschehen; aber wir werden keinen Wettlauf hinsichtlich der Infrastruktur sowie der Löhne und Sozialstandards um einen Billigstandort gewinnen. Deswegen werden wir uns in diesen Wettlauf nicht hineinbegeben, sondern die Angebotsbedingungen für zusätzliche Arbeitsplätze und zusätzliche Investitionen bei uns verbessern. ({9}) In diesem Zusammenhang mache ich darauf aufmerksam, daß unsere sozialen Sicherungssysteme auch im Zeichen der Globalisierung kein Luxus, sondern entscheidende Nebenbedingung sind, um die deutschen Stärken entfalten zu können. Niemand will sie durch einen Kahlschlag bei den sozialen Leistungen ablösen. Wenn Sie uns in diesem Bemühen unterstützen, sind wir dafür ausgesprochen dankbar. In der Vergangenheit jedoch war nicht zu erkennen, daß Sie dasselbe Ziel wie wir verfolgen. ({10}) Die aktuelle weltwirtschaftliche Lage ist derzeit durch Verlangsamung des Wirtschaftswachstums insgesamt gekennzeichnet. Wir haben noch Risikofaktoren in unterschiedlichen Regionen. Einen besonderen Risikofaktor stellt der transatlantische Handel, der Handel zwischen Europa und Amerika, dar. Dort gibt es erhebliche Probleme und Irritationen, die dringend beseitigt werden müssen. Ich nenne die Auseinandersetzung um die Bananen genauso wie die um Hormonrindfleisch. Die deutsche Bundesregierung ist sehr darum bemüht, diese Irritationen zu beseitigen, denn Störungen des Handels zwischen Amerika und der EU, den beiden Stabilitätsankern, können wir uns zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht erlauben. Wir müssen alles daransetzen, diese zu vermeiden. ({11}) Die Globalisierung erhöht wesentlich die wirtschaftlichen Interdependenzen, was einerseits potentielle Gefahren für das gegenseitige Herabziehen in Abwärtsstrudel beinhaltet, andererseits aber auch große Chancen bietet, durch globale wirtschaftspolitische Kooperationen die unbestreitbar vorhandenen Vorteile der globalen Arbeitsteilung zu nutzen und die Weltwirtschaft zu stabilisieren. Neben den Aufgaben vor unserer Haustür müssen wir Initiativen zur Weiterentwicklung des weltwirtschaftlichen Ordnungsrahmens und eine verstärkte internationale Zusammenarbeit im Bereich Prozeßpolitik vornehmen. Wir dürfen uns nicht mit den Wachstumsprognosen der OECD und des IWF zufriedengeben; vielmehr müssen wir durch mehr Wachstum und durch mehr Handel diese Wachstumsprognosen in Realität und in Arbeitsplätze umsetzen. Um genau diese Bemühungen geht es uns. ({12}) - Herr Hirche, wir sind auf gutem Wege. Ich würde mir an Ihrer Stelle - Ihre Partei hat die letzten fünf Wirtschaftsminister gestellt - solch einen Zwischenruf nicht erlauben. Es ist das Ergebnis Ihrer Politik, mit dem wir zu kämpfen haben. ({13}) Erstens. Wir sollten zu vorsorglichen und nachhaltigen Absicherungen vor zukünftigen internationalen Finanzkrisen kommen, und angesichts der nach wie vor nicht ausgeräumten weltwirtschaftlichen Bedrohungen durch die Nachwirkungen der Krisen in Asien, Rußland und Lateinamerika sollten wir ein Maßnahmenpaket, das folgendes enthält, beschließen: Einrichtung eines funktionierenden Frühwarnsystems für Turbulenzen auf den internationalen Finanz- und Währungsmärkten, Entwicklung und Verabschiedung international verbindlicher und auflagenbewährter Vereinbarungen, zügige und unvoreingenommene Prüfung, wie Währungs- und Devisenspekulationen mit möglichst marktkongruenten Mitteln wirksam eingeschränkt werden können. Zweitens. Neben der Weiterentwicklung der klassischen Handelspolitik im Rahmen von GATT gilt es, Antworten auf die wirtschaftliche Globalisierung im Sinne eines marktwirtschaftlich ausgerichteten internationalen Ordnungsrahmens zu entwickeln. Es gilt, Rechtssicherheit im Alltag von Bürgern und von kleinen und mittleren Unternehmen zu schaffen. Wir sollten in diesem Sinne zusammen mit unseren europäischen Partnern auf internationaler Ebene, insbesondere mit den Staaten Nordamerikas und Ostasiens, zügige, ausgewogene und verbindliche Vereinbarungen zu internationalen Wettbewerbsinvestitionen, zu Steuer-, Arbeits- und Umweltregeln anstoßen und entwickeln. Dies wird ein langer Weg sein. Multilateral kommen wir allerdings nur dann weiter, wenn wir zuvor oder zumindest parallel in den entscheidenden Beziehungen des Welthandels, den transatlantischen Beziehungen, für Ruhe sorgen, damit die Zölle auch von seiten Amerikas abgebaut werden. Für die deutsche Wirtschaftspolitik heißt dies, unser Wachstumspotential durch Stärkung auch der Binnennachfrage bei gleichzeitiger Verbesserung der Angebotsbedingungen für unsere Unternehmen fortzuführen. Das heißt auch, daß wir mehr Selbständige benötigen und daß wir in der Gesetzgebung zur Scheinselbständigkeit jene möglicherweise dadurch aufgebauten Hemmnisse für Existenzgründungen abbauen. Dies wird schnell geschehen. Dazu ist eine Kommission eingesetzt, die schon in kurzer Zeit Vorschläge unterbreiten wird. ({14}) - Diese Kommission tagt unter Beteiligung des Arbeitsund Sozialministeriums und mit seinem vollen Einvernehmen. Folgendes Ziel eint uns: mehr Selbständigkeit insbesondere in den Bereichen der Informations- und Kommunikationstechnologie sowie der Medien. Genau dies geschieht. ({15}) - Ich will Ihnen sagen, worin der Widerspruch besteht: Ihnen ist es völlig egal, ob ein Kellner als Selbständiger angestellt wird und 20 Tische bedienen muß, um das Bier an der Theke zu kaufen und als Selbständiger zu verkaufen. Sie sind es gewesen, die die Beseitigung des Mißbrauchs von 630-Mark-Arbeitsplätzen blockiert und verhindert haben. Ich kann Ihnen ein Unternehmen des dezentralen Handels mit 900 Filialen in der Bundesrepublik Deutschland nennen, das für unser 630-MarkGesetz ausgesprochen dankbar ist, weil die Wettbewerbsverzerrungen gegenüber denjenigen, die Mißbrauch betrieben haben, endlich aufgehoben sind und es nunmehr Chancen am Markt hat. ({16}) Ich kann Ihnen dieses Unternehmen zeigen. Der Besitzer dieses Unternehmens ist übrigens Mitglied Ihrer Partei. Er bedankt sich ausdrücklich für dieses Gesetz. Herr Hirche, vielleicht kann ich Ihnen ein bißchen Nachhilfe geben. Die Rahmenbedingungen in der Bundesrepublik Deutschland müssen auch im internationalen Wettbewerb bestehen können. Dazu gehören Flexibilität am Arbeitsmarkt, im Steuerrecht mit international vergleichbaren Steuersätzen, schnelle Genehmigungsverfahren und Lohnnebenkosten, die den Faktor Arbeit nicht belasten, sondern in Zukunft stärker entlasten. Genau diese Chancen sind es, die wir national nutzen müssen, um jene Verabredungen, die in Köln beim internationalen Gipfel getroffen werden, mit den Maßnahmen zu kombinieren, die dafür sorgen, daß wir in der Zukunft mehr Beschäftigung und insbesondere mehr Investitionen aus dem Ausland in die Bundesrepublik Deutschland holen können. Es gilt, unsere Wettbewerbsposition durch ein abgestimmtes Bündel von internationalen Verabredungen und nationalen Maßnahmen zu verbessern, und genau dies ist die Politik der Regierung. Dabei werden wir sie unterstützen, und Sie können sicher sein, dies geschieht einmütig und deutlich. ({17})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Für die F.D.P.Fraktion spricht jetzt der Kollege Rainer Brüderle.

Rainer Brüderle (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003059, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Bundeskanzler, Ihrer über den Problemen schwebenden Regierungserklärung ist in ihrer Allgemeinheit wenig zu widersprechen. Das war alles nett; für Freiheit, Demokratie und Fortschritt sind wir auch. Nur haben Sie dabei negiert, daß es - wenn man da den Olymp Gipfeltreffen vorführt - im Großen nur stimmen kann, wenn es im Kleinen stimmt. Man kann nicht Weltökonom sein, wenn man zu Hause eine falsche Wirtschaftspolitik macht. Beides paßt nicht zusammen. ({0}) Man kann schlecht eine Umweltpolitik, Koordination und Zusammenarbeit propagieren, und zu Hause macht man einen Etikettenschwindel mit einer Ökosteuer, die gar keine ist. So werden Sie die Probleme nicht lösen können. Ich will zitieren: Neue Bedingungen und neue Realitäten erfordern eine Neubewertung alter Vorstellungen und die Entwicklung neuer Konzepte. Herr Bundeskanzler, so schrieben Sie es im gemeinsamen Papier mit Tony Blair. Mir fällt übrigens auf, daß in der Regierungserklärung nur noch Sie als Autor genannt sind. Vielleicht haben Sie es auch allein geschrieben. Ebenso fällt mir auf, daß die Herren Dreßler und Riester offenbar demonstrativ nicht anwesend sind. ({1}) Ich gratuliere Ihnen, Herr Bundeskanzler, zu dieser Einsicht, wünsche mir aber für unser Land, daß Sie diese Erkenntnis auch umsetzen oder umsetzen können. ({2}) Zumindest auf dem Papier haben Sie eine Politikrichtung aufgezeigt, die mir als Liberalem durchaus nicht unbekannt ist, sondern sehr vertraut vorkommt. Offensichtlich haben die Autoren dieses 18seitigen Papiers Anleihen aus dem modernsten und fortschrittlichsten Parteiprogramm Deutschlands, nämlich den Wiesbadener Grundsätzen der Freien Demokratischen Partei, übernommen. ({3}) Deswegen kann man Sie nicht tadeln. Gutes zu übernehmen ist nichts Schlechtes, aber Sie haben eine bemerkenswerte Arbeitsaufteilung. Sie schreiben schöne Papiere, aber die Politik in diesem Lande machen eben Riester und Co. „Heiße Luft steigt bekanntlich nach oben“, so schreibt das „Handelsblatt“. Auch Sie schweben offensichtlich über dem Boden der Realität Ihrer eigenen Politik. ({4}) - Herr Schwanhold, ich kann doch nichts dafür, daß bei Ihnen keiner Wirtschaftsminister werden konnte, weil Schröder das keinem zutraute und einen Parteilosen holte. Dafür kann doch keiner etwas, wenn Sie keinen guten Kandidaten haben. Natürlich ist Ihnen zuzustimmen, wenn es heißt - ich zitiere -: Der größte Teil des Einkommens muß in den Taschen derer bleiben, die dafür gearbeitet haben. Damit haben Sie völlig recht. ({5}) Nur: Die SPD hat den Bundesrat torpediert und hat verhindert, daß eine umfassende Steuerreform durchgesetzt wurde. Genau das Gegenteil von dem, was Sie schreiben, haben Sie gemacht. ({6}) Statt Entlastungen vorzunehmen, führen Sie eine Ökosteuer ein, wodurch abermals die Steuerzahler zur Kasse gebeten werden. Natürlich unterschreiben wir auch Ihre Aussage: Den Menschen, die sich selbständig machen wollen, „muß man den Spielraum lassen, wirtschaftliche Initiative zu entwickeln und neue Geschäftsideen zu kreieren.“ Aber was machen Sie denn mit der jungen Frau, die den Mut hat, sich aus einer Firma heraus als Softwarespezialistin selbständig zu machen? Sie strafen sie ab mit 19,5 Prozent Abführung an die Sozialkassen, so daß sie den Auftrag nicht bekommen kann, um den Weg zur Selbständigkeit zu beschreiten. Lieschen Müller kann dies nicht tun, weil Sie sie nicht lassen. Was noch schlimmer ist: Durch den Begriff der Scheinselbständigkeit, durch diese Stigmatisierung, diskriminieren Sie diejenigen Menschen, die nichts anderes wollen, als durch Leistung bzw. Arbeit voranzukommen, um dann Menschen einstellen zu können. Die dahinterstehende Haltung ist das Schlimme. ({7}) Die ASU schreibt, hier würden potentielle Existenzgründerinnen und -gründer „weggeriestert“. Sie schreibt weiter, daß „die Unternehmen nicht durch Regulierungen und Paragraphen erstickt werden dürfen“. Auch das ist richtig. Nur, Sie tun genau das Gegenteil. Lassen Sie sich einmal von jemandem, der einen 630-Mark-Vertrag auf die neue Rechtslage umstellen wollte, erzählen, wie die Situation war: Keiner hat das zum 15. April dieses Jahres geschafft. In Anrufen bei der Krankenkasse, der Rentenversicherung, dem Finanzamt und beim Steuerberater konnte man etwas anderes erfahren. Es besteht eine totale Verunsicherung. Verunsicherung ist das Schlimmste, was man in die Wirtschaft hineintragen kann, weil man dort dann nicht rechnen und nicht investieren kann und keine klaren Vorstellungen hat. ({8}) Im Grunde ist das Schröder/Blair-Papier eine Generalabrechnung mit acht Monaten grünroter Regierungspolitik. Es beschreibt die Minderheitsposition eines deutschen Kanzlers in seiner eigenen Partei. Es ist eine Ohrfeige für die Traditionalisten und Strukturkonservativen wie Dreßler, Riester und andere. Es ist der erhobene Zeigefinger des SPD-Vorsitzenden für den Bundeskanzler selbst. Was Sie präsentieren, ist Verhüllungslyrik. Ich zitiere den „Spiegel“ der nicht im Verdacht steht, eine Hauspostille der F.D.P. zu sein. ({9}) Der „Spiegel“ schreibt Ihnen in Ihr Stammbuch: Noch in der vergangenen Woche verstärkte sich der Eindruck, daß zwischen Absichtserklärungen - des Kanzlers - und realem Handeln ein Canyon klafft. So weit der „Spiegel“. Gemeint ist Ihr persönlicher Einsatz bei der Neuregelung des Schlechtwettergeldes. Hier haben Sie nicht nur den Sozialkassen weitere 50 Millionen DM aufgebürdet. Vielmehr haben Sie mitgewirkt, daß wieder einmal beschäftigungspolitische Verantwortung auf die Allgemeinheit abgewälzt wird und daß Ansätze zu mehr Flexibilisierung und Individualisierung schon im Ansatz im Keim erstickt werden. ({10}) Mit Ihrem persönlichen Einsatz bei der Wiedereinführung des Schlechtwettergeldes verstoßen Sie frontal gegen den Geist Ihres eigenen Papiers. Man hat den Eindruck, Sie hätten es vor der Europawahl nur deshalb geschrieben, ({11}) um das Wahlergebnis zu verbessern. Sie reden - ich zitiere erneut den „Spiegel“ - wie ein Reformer; Sie handeln wie ein Traditionalist. Trotzdem begrüßen wir es, wenn Sie jetzt dem britischen Premierminister nacheifern wollen. Hätten wir vor einigen Wochen auf die Situation in Großbritannien hingewiesen, dann hätte Grünrot - von Schlauch bis Struck im Chor geschrien: Wir wollen keine englischen Verhältnisse! Jetzt sieht die Welt anders aus - zumindest nach Ihrem Papier. Herr Bundeskanzler, natürlich sind die moderneren britischen Strukturen erstrebenswert. Aber Ihre Politik ist meilenweit davon entfernt. Während Großbritannien gegenwärtig eine Arbeitslosigkeit in Höhe von 6,2 Prozent aufweist, liegen wir in Deutschland bei knapp 11 Prozent. ({12}) Während in Großbritannien Tarifpolitik auf betrieblicher Ebene stattfindet, tut Herr Riester das Gegenteil: Der Flächentarifvertrag wird verfestigt, und Allgemeinverbindlichkeitserklärungen werden verschärft. Die EntRainer Brüderle kartellierung auf dem Arbeitsmarkt findet nicht statt und deshalb auch der Abbau der Arbeitslosigkeit in Deutschland nicht. ({13}) Während in Großbritannien die Geschäfte sonnabends und oft auch sonntags geöffnet haben, wird in Deutschland die zusätzliche Einkaufszeit von 90 Minuten von Teilen Ihrer Regierungskoalition immer noch als revolutionärer Umsturz angesehen. Dabei gilt uneingeschränkt die Feststellung Ihres Papiers - ich zitiere -: Sozialdemokraten müssen aber auch anerkennen, daß sich die Grundvoraussetzungen für wirtschaftlichen Erfolg verändert haben. Dienstleistungen kann man nicht auf Lager halten: Der Kunde nutzt sie, wie und wann er sie braucht - zu unterschiedlichen Tageszeiten, auch außerhalb der heute als üblich geltenden Arbeitszeit. Sie haben ja so recht. Nur, Sie setzen es nicht um. Sie sollten Ihre Politik vom Kopf auf die Füße stellen. Von diesem wortgewaltigen Papier sind Sie noch sehr weit entfernt. Die Globalisierung ist in der Tat eine Herausforderung, aber auch eine Chance, die man offensiv annehmen muß. Wenn Sie in Ihrem Papier die Politik der vergangenen Jahre als neoliberales Laisser-faire verteufeln, haben Sie sich in der Wortwahl gründlich vergriffen. Neoliberale Wirtschaftspolitik ist soziale Marktwirtschaft. Das ist identisch. ({14}) Das sind die Ideen von Erhard, Müller-Armack, Röpke und anderen. Das sind neoliberale Gedanken, die zur sozialen Marktwirtschaft geführt haben, die das erfolgreichste Wirtschaftsmodell ist, das es gibt und das zum Exportschlager Deutschlands geworden ist. Andere versuchen, dieses Modell nachzuahmen. Bei uns wird verhindert, daß es seine Leistungsfähigkeit voll einbringen kann. Dazu gehören Eigenverantwortung und Leistungsbereitschaft. Dazu gehört auch soziale Verantwortung, aber so, daß sie denen, die im Schatten des Lebens stehen, hilft, aber nicht denen, die leisten können - das würde den Leistungswillen behindern. Wer leisten kann und nicht leistet, verhält sich unsozial, weil er seinen Leistungsbeitrag nicht mit einbringt. Sie flüchten in Ihrem Papier dann in Formulierungen wie „dritter Weg“. Das ist immer so: Wenn man ein Konzept nicht konsequent durchsetzen will, versucht man es mit Wischiwaschi: über einen dritten Weg, über etwas dazwischen. Das gab es schon in meiner Studienzeit: Da ging es um einen dritten Weg - Stichworte: Garaudy, Jugoslawien -, wo man sich zwischen den Systemen nicht entscheiden wollte und dann - „Wasch mich, aber mach mich nicht naß“ - einen dritten Weg suchte. Was wir brauchen, ist eine Renaissance der sozialen Marktwirtschaft. Wir brauchen keinen nebulösen dritten Weg, der an dem Problem vorbeiführt. ({15}) Wir werden nur dann die Chancen nutzen, wenn wir keine Angst vor Veränderungen haben, sondern offensiv den Aufbruch in größere Märkte mit neuen Marktchancen und neuen Produktideen anpacken. Es ist aber nichts von Aufbruch zu sehen. Im Gegenteil: Wir sind das schwache Schiff im europäischen Geleitzug; ich verweise auf die 0,7 Prozent Wachstum. „Economist“ und andere ausländische Zeitungen sprechen von uns als dem ,,kranken Mann von Euroland“. Wir waren früher immer die Lokomotive. Sie schreiben in Ihrer Regierungserklärung etwas von Benchmarking: Wir wollen gucken, ob die anderen besser sind. Früher hat man nach Deutschland geschaut, wenn man Benchmarking machen wollte. Man wollte von Deutschland lernen, weil wir vorn waren. Heute sind wir hinten und müssen bei anderen gukken, wie man es besser macht. So sind die Maßstäbe bei uns inzwischen verkommen. ({16}) - Schreien, Herr Schwanhold, ist immer ein schlechtes Argument. Wer unrecht und keine guten Argumente hat, der schreit. Schreien Sie doch zu Hause, das ist angenehmer als hier. Ich empfehle Ihnen, bei den G-8-Runden und bei den Debatten auf Europaebene etwa die Fragen eines europäischen Kartellamtes anzupacken. Ich als Liberaler bekomme schon ein bißchen Gänsehaut, wenn ich die Megafusionen überall sehe. Größe an sich ist nicht schon gut. Es hat seinen Grund, daß die Dinosaurier das sind diese Viecher mit dem kleinen Kopf und dem großen Hinterteil - ausgestorben sind. Wir brauchen viel Hirn und wenig Hinterteil. Deshalb brauchen wir viel Mittelstand, viele kleine und mittlere Unternehmen. ({17}) Auf der WTO-Ebene ist es dringend notwendig, Produktabsprachen, Marktaufteilungen und Exportkartelle schon im Vorfeld zu verhindern und dazu auch die entsprechenden Schritte einzuleiten. Das Zurückdrehen von in der Vergangenheit zum Teil vielleicht zu zaghaften oder zu spät eingeleiteten Reformschritten ist genau der falsche Schritt. Sie schreiben - auch da ist Ihnen zuzustimmen -: Ein großer Teil der Arbeitslosigkeit ist strukturell bedingt. Das stimmt ja. Strukturprobleme löse ich aber nicht mit europäischen Beschäftigungsgipfeln. ({18}) Die löse ich nicht auf dem Olymp. Die löse ich auch nicht auf Wolke neun. Vielmehr löse ich sie vor Ort, indem ich die Strukturen in Ordnung bringe, indem ich etwas verändere, damit die Strukturen stimmen, und indem ich die Wirtschaft nicht behindere, sondern ihr Freiraum lasse. Lassen Sie doch die Tüchtigen und Anständigen in Deutschland ihre Leistungen einbringen, und behindern Sie sie nicht durch Unsicherheit, durch mehr Bürokratie und durch zusätzliche Belastungen! Lassen Sie den Leuten endlich den nötigen Spielraum, damit sie auch erfolgreich sind! ({19}) Globalisierung entmachtet nicht nationale Wirtschaftspolitik. Es sind andere Herausforderungen, andere Aufgabenstellungen; deshalb brauchen wir andere Antworten, weil die Zeit sich geändert hat. Dazu gehört eben, daß man zu Hause die Dinge in Ordnung bringt. Es kann auf Dauer nicht erträglich sein, daß wir in Deutschland 45 Prozent Abgabenlast und 50 Prozent Staatsanteil haben und daß bis zu 34 Prozent des Sozialprodukts Sozialleistungen sind. Da ersticken Sie natürlich Bewegung und Dynamik. Sie müssen endlich eine umfassende steuerliche Entlastung herbeiführen. Schreiben Sie doch von der F.D.P. ab, wir haben ein ganz einfaches Modell: 15, 25 und 35 Prozent einheitlich über alle Steuerarten, ohne viel Bürokratie. Das führt zu Handlungsfähigkeit. Damit kommen wir in etwa in die Größenordnung, die andere Länder schon vor uns geschafft haben. Es ist gut, wenn man viele Treffen hat. Wenn man miteinander redet, ist das immer gut. Aber wichtig ist die Tat. „Es gibt nichts Gutes, außer man tut es.“ Das ist nicht von mir, sondern von Kästner, aber es ist völlig richtig. Vielen Dank. ({20})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Es spricht jetzt der Vorsitzende der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, Rezzo Schlauch.

Rezzo Schlauch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002777, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Brüderle, wenn ich Sie so höre: Die „Renaissance der sozialen Marktwirtschaft“ klingt gut, ({0}) - ist auch gut -, traue ich Ihnen aber nicht zu, wenn Sie es in Ihrer Partei auf dem so blamablen Parteitag in Bremen noch nicht einmal geschafft haben, einen Antrag zur Sozialpolitik überhaupt über die Bühne zu bringen und zu beschließen. Das zeigt für mich, daß Sie mit dem Begriff der sozialen Marktwirtschaft - die Betonung liegt auf „sozial“ - überhaupt nichts am Hut haben und im Grunde genommen in der Globalisierungsdebatte nichts anderes tun, als darauf zu hoffen, daß mit der Globalisierung endlich Ihr Traum vom Kapitalismus pur verwirklicht wird. ({1}) Ich kann nur sagen: Das freie Spiel der Marktkräfte, die invisible hand, die unsichtbare Hand des Marktes, braucht keinen verlängerten Arm in der Politik, den Sie immer verkörpern wollen. Wer es trotzdem versucht, wer meint, er müßte sich als politischer Vollstrecker oder als Pseudounternehmer in der Politik gerieren, der, meine Damen und Herren, wird bald selbst invisible, wird bald selbst unsichtbar, wie wir es bei der F.D.P. in der letzten Wahl auch sehr schön beobachten konnten. ({2}) Meine Damen und Herren von der F.D.P., es mag Ihnen ja wohl ziemlich pfiffig vorkommen, es mag vielleicht auch putzmuntere Opposition sein, wenn ein gemeinsames Papier von Schröder und Blair, als Antrag umformuliert, in den Bundestag eingebracht wird. Aber Sie haben in dem Papier offenbar völlig übersehen - an dem Punkt waren Sie blind -, daß dieses Papier sich auch über lange Strecken mit Ihrer 30jährigen Regierungspolitik auseinandersetzt. Das haben Sie einfach ausgeblendet. ({3}) - Ja. In Ihrem Antrag lese ich - wie in dem Papier Schröder - beispielsweise: „Armut, insbesondere unter Familien, bleibt ein zentrales Problem.“ Welch eine fundamentale Erkenntnis für eine Partei, die 30 Jahre Zeit hatte, das zu ändern! ({4}) Welch eine fundamentale Erkenntnis für eine Partei, die vom Verfassungsgericht ins Stammbuch geschrieben bekommen hat, daß ihre Besteuerung von Familien verfassungswidrig hoch war! Da kann ich nur sagen, Sie nehmen den Mund hier doch arg, arg voll. Es ist schön, ich finde es toll, daß Sie es nach 30 Jahren endlich besser wissen. Aber unserem Land wäre viel mehr geholfen gewesen, wenn Sie in der Zeit, in der Sie es wirklich hätten tun können, es auch tatsächlich besser gemacht hätten. Das haben Sie nicht getan. ({5}) Herr Kollege Schäuble, ich kann es selbstverständlich gut nachvollziehen und würde mich an Ihrer Stelle auch über den Sieg in der Europawahl freuen. Das ist okay. Aber was mir auffällt, ist, daß Sie den Sieg in der Europawahl zu Recht feiern, daß Sie aber, wenn es um Ihre Wahlniederlage im September geht, immer larmoyant werden und sagen: Wir waren doch auf einem guten Weg! Ich kann nur sagen: Der Wähler und die Wählerin haben es nicht so gesehen, daß Sie auf einem guten Weg waren. Das müssen Sie endlich akzeptieren. ({6}) An diesem Punkt noch eine Replik, Herr Kollege Schäuble: Ich verstehe nicht, warum Sie immer wieder an unserem Programm zur Schaffung von 100 000 Arbeitsplätzen für Jugendliche herumkritteln. ({7}) Ich lese Ihnen einmal einige Zahlen aus der letzten Statistik vor: Bis Ende Mai haben 141 000 Jugendliche an den Maßnahmen dieses Sofortprogramms teilgenommen. ({8}) Davon haben 19,3 Prozent einen Ausbildungsplatz erhalten; knapp 10 Prozent haben einen Arbeitsplatz im ersten - und nicht im zweiten - Arbeitsmarkt bekommen. Vor dem Hintergrund dieser Zahlen halte ich Ihre Kritik für zutiefst ungerecht. ({9}) Sie haben doch die Perspektiven für diese Jugendlichen über Jahre hinweg blockiert und sie auf der Straße stehenlassen. So haben Sie dazu beigetragen, daß sie entsozialisiert wurden. ({10}) Was mich bei der Opposition ebenfalls wundert, ist, daß sie die heutige Globalisierungsdebatte in erster Linie mit nationalen Themen bestreitet. Ist es eine neue Entwicklung innerhalb der CDU/CSU, daß man sich wieder im nationalen Bereich heimelig kuschelt und die Herausforderung der Globalisierung überhaupt nicht mehr erkennt? ({11}) - Warum lachen Sie denn? ({12}) Sie haben dies ausgeblendet. Sie haben heute nichts über die Herausforderungen, die sich aus der Globalisierung ergeben, gesagt. Sie haben nicht gesagt, daß völlig neue Arbeitsmärkte, völlig neue Arbeitsplätze und Produktionsverlagerungen in der Wirtschaft entstehen werden, auf die wir reagieren müssen. Man kann das Rad der Geschichte nicht zurückdrehen. Man kann eben nicht das wirtschaftliche Zusammenwachsen der Welt stoppen oder sich so verhalten, wie Sie es tun. Die Herausforderung, der wir uns stellen müssen, lautet, unter den Bedingungen einer globalisierten Weltwirtschaft ökologische Vernunft, ökonomisches Wachstum und demokratische Grundregeln in Einklang zu bringen. ({13}) Dem müssen wir uns jeden Tag neu, und zwar nicht nur national, sondern auch international, stellen. Dafür ist der G-8-Gipfel das richtige Podium. Es wird gesagt, die Globalisierung zeichne sich dadurch aus, daß die Welt zum „global village“ wird. Aber nicht nur die Welt wird zum Dorf, auch das Dorf wird zur Welt. Das müssen Sie endlich begreifen, Herr Kollege Schäuble. Wer nämlich internationale Unternehmen willkommen heißt, ihren langjährigen internationalen Mitarbeitern und deren hier geborenen Kindern aber den deutschen Paß verweigert, der hat nicht begriffen, was Globalisierung bedeutet, ({14}) und ist für meine Begriffe von Provinzialität im schlechten Sinne geprägt, ist vernagelt. Ich sage: Globalisierung heißt nicht nur „Wir schauen in die Welt“, sondern auch „Die Welt schaut auf uns“. Schon seit einigen Jahren - nicht erst seitdem wir in der Regierung sind, sondern bereits weit in Ihrer Regierungszeit - sind die Blicke der Welt auf uns, auf Sie und den Ex-Kanzler Kohl, in der Frage der Strukturreformen in den Bereichen Wirtschaft und Steuern eher mitleidiger Art. ({15}) Sie nämlich haben diese Reformen, die Sie einklagen, über Jahre hinweg nicht in Angriff genommen. Sie haben sie verschlafen. ({16}) Wenn Sie jetzt von einer Regierung, die gerade einmal acht Monate im Amt ist, verlangen, das aufgeräumt zu haben, was Sie in 16 Jahren angesammelt haben, dann kann ich nur sagen: Das hätten selbst Sie, wären Sie Kanzler geworden, nicht geschafft. ({17}) Ich bin gespannt, wie Sie auf die Reformen, die anstehen und die wir in den nächsten 14 Tagen hier diskutieren werden, reagieren werden, wenn der Sozialstaat reformiert wird, wenn er neu gegründet wird. ({18}) Die junge Generation sieht die Renten trotz aller gegenteiligen Bekundungen aus der Politik nicht mehr als sicher an, wie es Ihr Ex-Minister jahrelang gepredigt hat. Es ist keine Sicherheit im Rentensystem, sondern Unsicherheit. Das haben Sie angesammelt, und das werden wir reformieren. Eine Arbeitsmarktpolitik, die mehr in den zweiten als in den ersten Arbeitsmarkt vermittelt, muß erneuert werden. Im Gegensatz zu Ihnen, Herr Kollege Schäuble, halten wir ein Gesundheitssystem, das alle, nur nicht den Patienten in den Mittelpunkt stellt, für krank. Die Reform unserer Bundesgesundheitsministerin Fischer wird das ändern. Sie ist im Gegensatz dazu, wie Sie es ausgedrückt haben, ein gelungenes Beispiel ({19}) für den Unterschied zwischen Umbau und Abbau des Sozialstaates. Wir bauen das Gesundheitssystem um; Sie haben abgebaut. ({20}) Globalisierung ist nichts Abstraktes. Globalisierung hat unmittelbare Auswirkungen auf die Menschen, und zwar egal, wo sie auf dieser Erde leben. 61 Prozent der Bundesbürger sagen, die Globalisierung erhöhe die Absatzchancen deutscher Produkte und führe zu sinkenden Preisen. Aber 54 Prozent sind auch der Meinung, Globalisierung führe zu mehr Arbeitslosigkeit in Deutschland. Der Generalsekretär der Vereinten Nationen, Kofi Annan, hat recht, wenn er meint, die Erweiterung der Märkte übersteige bei weitem die Fähigkeit der Gesellschaften, ihre politischen Systeme daran anzupassen, geschweige denn ihren Kurs zu bestimmen. Die Geschichte lehre, daß ein Ungleichgewicht zwischen Ökonomie, Sozialwesen und Politik nie lange Bestand haben könne. Das hat man sich nun eindrucksvoll bei der Asienkrise anschauen können. Meine Damen und Herren, der Opposition sei gesagt: ({21}) Menschenrechte und Demokratie, soziale Sicherheit und ein handlungsfähiger Staat sind die Voraussetzungen für eine florierende Weltwirtschaft und nicht nur das Sahnehäubchen auf ihr. ({22}) Diese Koalition wird nicht im 21. Jahrhundert unter dem Deckmantel der Globalisierung zum Laisser-faire-Kapitalismus des 19. Jahrhunderts zurückkehren. ({23}) Wir werden so viele persönliche Freiheiten wie möglich gewähren und soviel soziale Sicherheit wie nötig schaffen. Ich bedanke mich. ({24})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Das Wort hat jetzt der Fraktionsvorsitzende der PDS, Dr. Gregor Gysi.

Dr. Gregor Gysi (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000756, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Im Rahmen der bipolaren Welt der Systemauseinandersetzung zwischen Ost und West in Europa hatten wir eine Entwicklung der konservativen Parteien, die dazu geführt hat, daß sie durchaus sozialdemokratische Anstriche angenommen haben. Nach Wegfall dieser Systemauseinandersetzung sind diese Anstriche bei den Konservativen Schritt für Schritt abgebaut worden, am radikalsten bei der F.D.P. ({0}) In ihrer Not haben sich daraufhin die europäischen Völker entschlossen, dann doch lieber gleich die Sozialdemokratie zu wählen, damit die Globalisierung mit einer bestimmten sozialen Absicherung verbunden wird. Wenn ich aber das Papier des SPD-Vorsitzenden Schröder lese, das er zusammen mit Herrn Blair verfaßt hat, dann stelle ich fest, daß er plötzlich auf die Rezepte der Konservativen und der F.D.P. zurückgreift, um die Gesellschaft zu modernisieren. Im Grunde genommen ist das nichts anderes als der Vorschlag zur Entsozialdemokratisierung der Sozialdemokratie in Europa. ({1}) Ich glaube, daß es sich in diesem Zusammenhang schon lohnt, einmal einen Blick auf das Wahlergebnis von Blair zu werfen, der diese Politik seit Jahren betreibt und dessen Politik in der Bevölkerung nicht gut angekommen zu sein scheint. Wenn man sieht, daß gerade Jospin diese Richtung deutlich kritisiert und daß er als einziger aus dem sozialdemokratischen Lager die Europawahl gewonnen hat, dann sollte man daraus vielleicht Schlußfolgerungen ziehen. ({2}) Wenn man sich dann noch das Wahlergebnis der F.D.P. ansieht, dann kommt man zu dem Schluß, daß man besonders vorsichtig beim Abschreiben von F.D.P.Programmen sein sollte, weil man sich dann ausrechnen kann, wo man einmal landet. ({3}) Das eigentlich Neue an dem Papier ist, daß Sie eine Art Kooperatismus vorschlagen. Das heißt: Was Kanzler Kohl in Auseinandersetzung mit den Gewerkschaften versucht hat, wollen Sie unter Einbindung der Gewerkschaften erreichen. Das hieße sozusagen, den Widerstand gegen Sozialabbau zu reduzieren. Ich glaube, daß dies ein verhängnisvoller Weg wäre. Die Bevölkerung und auch wir können das von Ihnen aufgestellte Motto nicht akzeptieren. Dieses Motto lautet: Sozialabbau durch CDU/CSU und F.D.P. ist Ausdruck sozialer Kälte; Sozialabbau durch SPD und Grüne ist dagegen Ausdruck von Modernität und sozialer Verantwortung. Dieses Motto ist nicht hinnehmbar. Sozialabbau ist Sozialabbau und nichts anderes. ({4}) Zur Sparpolitik: In den Medien wird die feste Größe von 30 Milliarden DM genannt, die gespart werden müssen. Wieso eigentlich nicht 20 oder 40 Milliarden? Diese Zahl scheint mir ziemlich willkürlich zu sein. Übrigens ist es in einer konjunkturell schwachen Phase sehr problematisch, zusätzlich zu sparen, weil dies in der Regel einen weiteren Wirtschaftsabschwung und auch einen Abbau von Arbeitsplätzen zur Folge hat. ({5}) Wenn man spart, meine Damen und Herren von der F.D.P., dann könnte man vielleicht einmal an jene denken, die besonders viel besitzen. In dieser Gesellschaft gibt es eine Menge Geld. Dieses Geld wird aber höchst ungerecht eingenommen und dann noch ungerecht verteilt. Das ist das Problem. ({6}) Man kann daher im Zusammenhang mit dem Sparen nicht gleich an die Arbeitslosen und an die Rentner denken. Sie denken nie an die Spitzenverdiener und an die Bürger mit großem Vermögen. SPD und Grüne haben die Wiedereinführung der Vermögensteuer versprochen. Wo bleibt sie denn? Zu einer gerechten Politik gehört eben auch eine gerechte Einnahmepolitik. ({7}) In diesem Zusammenhang sprechen Sie jetzt von Kürzungen bei Rentnern und Arbeitslosen. Ich muß Ihnen ehrlich sagen: Die vorgesehenen Regelungen finde ich dramatisch. CDU/CSU und F.D.P. hatten die Senkung des Rentenniveaus um einen halben Prozentpunkt pro Jahr vorgesehen, um schrittweise das Rentenniveau auf 64 Prozent des durchschnittlichen Nettolohnes zu senken. Dieses Vorgehen haben damals alle in der Opposition scharf kritisiert. Das entsprechende Gesetz ist im Dezember aufgehoben worden. Aber die vorgesehene Senkung war immerhin berechenbar. Die Rentnerinnen und Rentner hätten sich darauf einstellen können. Was Sie an die Stelle der alten Regelung setzen, ist die blanke Willkür. Sie wollen einfach jedes Jahr die erforderlichen Rentenerhöhungen nicht vornehmen, um das Rentenniveau von 70 Prozent zu halten. Faktisch aber kommen Sie zu einer viel größeren Senkung des Rentenniveaus und geben das Ziel der Angleichung der Renten in Ost und West auf. Im Osten hätte diese Auseinanderentwicklung der Renten eine verheerende Wirkung. Es ist tragisch, zugeben zu müssen, daß wir die alte Regelung zwar für falsch hielten, aber sie war immer noch besser als jene, die jetzt kommt. Das ist leider die Wahrheit. ({8}) Im Zusammenhang mit der Diskussion über aktuelle Fragen ist es keine moderne Antwort, trotz Produktivitätssteigerungen die Arbeitszeit immer weiter zu verlängern. Wir haben die Situation, daß bei den einen der Leistungsdruck und die Zahl der Überstunden ständig wachsen, während die anderen auf der Straße stehen und darauf hoffen, irgendwann einmal Überstunden leisten zu können. Wer hindert uns eigentlich daran, europaweit über eine gerechtere Verteilung von Arbeit, über einen Abbau von Überstunden und über die Kürzung von Arbeitszeit nachzudenken? ({9}) Wir haben in Deutschland selbst den Nachweis, daß die vorgesehenen Regelungen nichts bringen. In den neuen Bundesländern sind die Arbeitszeit und die Lohnnebenkosten niedriger und die Löhne wesentlich geringer. Hat sich das erhoffte neoliberale Ergebnis eingestellt? Haben wir einen Arbeitsplatzboom? Ganz im Gegenteil: Die Arbeitslosigkeit ist doppelt so hoch wie in den alten Bundesländern. Dieser neoliberale Weg hat versagt. Wenn Schröder ihn jetzt aufnimmt, dann wird er damit genauso versagen und noch deutlicher auch linke Opposition kennenlernen. ({10}) Auch die Theorie, daß es eine moderne linke Angebotspolitik geben muß, ist doch im Grunde Quark. In der Wirtschaft muß es immer Angebot und Nachfrage geben. Man kann nicht nur eine Seite betrachten und auf diese Art und Weise Wirtschaftspolitik machen. Das Verhältnis muß stimmen. Seit Jahren haben die Konservativen die Nachfrage vernachlässigt. Die Kaufkraft ging immer weiter zurück, was erhebliche Auswirkungen auf Dienstleistungen, Produktion, Arbeitsplätze etc. hat. Fragen Sie einmal die Wirte, fragen Sie den gesamten Dienstleistungsbereich; da werden Sie das bestätigt bekommen. Jetzt kommt Schröder und schlägt dasselbe vor, was wir 16 Jahre lang hatten. Nein, wir brauchen auch wieder eine Stärkung der Kaufkraft. Anders wird es eine positive Entwicklung der Wirtschaft nicht geben. In seiner Rede hat der Bundeskanzler über den internationalen Kapitaltransfer gesprochen und gesagt, er mache heute 1,5 Billionen Dollar täglich aus. Das ist wahr. Aber wo bleibt denn nun die moderne Antwort, eine Steuerreform, durch die wir endlich einmal dafür sorgen, daß Gewinne aus Spekulationen höher besteuert werden als Gewinne aus Produktion und Dienstleistungen? ({11}) Solange Gewinne aus Spekulationen im wesentlichen von der Steuer freigestellt sind, können Sie die Unternehmensteuer senken, solange Sie wollen: Die Spekulationsgewinne werden immer günstiger als die Gewinne aus Produktion und Dienstleistungen sein. Es geht darum, Spekulationsgewinne höher zu besteuern als Gewinne aus Produktion und Dienstleistungen, damit das Geld wieder in Produktion und Dienstleistungen und damit in Arbeitskräfte und nicht in Spekulationen investiert wird. ({12}) Es kann nicht dabei bleiben, daß es sich mehr lohnt, Geld aus Geld zu machen als Geld aus Arbeit. Aber das ist genau die Situation, die wir in Deutschland und ganz Europa haben. Da muß die Reform einsetzen. Irgendwelche Phrasen über linke Angebotsorientierung helfen da nicht weiter. ({13}) Da könnte zum Beispiel die Tobinsteuer helfen, die wir vorgeschlagen haben. Wir werden sehen, wie Sie sich dazu verhalten. Alle Parteien, auch wir, reden immer von kleinen und mittelständischen Unternehmen. Aber wenn man sich die Gesetze ansieht, dann stellt man fest, daß immer eine zusätzliche Belastung der kleinen und mittelständischen Unternehmen herauskommt. Nehmen Sie, meine Damen und Herren von der Regierung, doch einmal Ihre ökologische Steuerreform und erklären Sie mir einmal, warum der kleine Eisenwarenhändler genau dieselbe Belastung in Höhe von 1 000 DM hinzunehmen hat wie Siemens. Wer Siemens und den kleinen Eisenwarenhändler mit einem absoluten Betrag gleichbehandelt, kann nicht mehr im Ernst davon reden, daß er für kleine und mittelständische Unternehmen etwas tut. ({14}) Wenn Sie die eine Gruppe der Unternehmen fast freistellen und die anderen kleinen und mittelständischen Unternehmen voll zur Kasse bitten, dann verzerren Sie auch noch sämtliche Wettbewerbsbedingungen innerhalb der Wirtschaft. Nein, es war höchst unwirtschaftlich, was Sie dort gemacht haben. Abgesehen davon war es auch noch extrem unsozial. Was die Förderung von Existenzgründungen angeht, so schauen Sie sich das einmal in den neuen Ländern an. Es war doch nicht so, daß die Leute nicht den Mut dazu hatten. Es gab Hunderttausende, die es versucht haben. Aber es gab eben auch Hunderttausende, die mangels Eigenkapital und wegen extremer Bedingungen der Banken daran gescheitert sind. Wo haben wir denn hier einmal eine Reform, durch die auch die Banken sozusagen etwas an die Leine gelegt werden, was die Kreditbedingungen betrifft, damit es überhaupt eine Chance für Existenzgründungen gibt, und zwar in Ost und in West? Im Osten sind die Bedingungen noch extrem viel schlechter als in den alten Bundesländern. ({15}) Nehmen wir die Lohnnebenkosten, über die so leidenschaftlich diskutiert wird. Da gibt es immer nur Flickschusterei. Es geht mal einen kleinen Prozentpunkt runter, dann wieder hoch. Man spart im Gesundheitswesen und in vielen anderen Bereichen, um die Lohnnebenkosten nicht zu erhöhen. Wo bleibt denn die wichtige Reform, wonach auch diejenigen, die gut verdienen und heute befreit sind - beispielsweise wir -, endlich Beiträge in die Versicherungssysteme zahlen müssen, damit die Belastung für alle gesenkt werden kann? ({16}) Wo bleibt bei den Unternehmen die Reform, daß wir die Lohnnebenkosten endlich von dem wirtschaftlichen Ergebnis eines Unternehmens abhängig machen und nicht länger von der Zahl der Beschäftigten und der Höhe der Bruttolöhne? Es ginge doch darum, zu sagen: Wenn die Wertschöpfung steigt, muß ein Unternehmen mehr bezahlen. Sinkt sie, dann muß es weniger bezahlen. Unterschreitet sie eine bestimmte Grenze, dann sind gar keine Abgaben zu zahlen. Das wäre höchst flexibel. Dadurch würden Sie Entlassungen nicht mehr so belohnen wie heute und Einstellungen nicht mehr so bestrafen wie heute. Seit Jahren schlagen wir das vor, ohne daß darüber auch nur ernsthaft diskutiert wird. Nehmen Sie die Kommunen. Wenn wir wollen, daß die Kommunen in Ost und West wieder eigene Wirtschaftsauftraggeber werden, dann brauchen wir zum Beispiel kleine Lose. Es ist nicht hinzunehmen, daß jeder größere Auftrag bundes- oder europaweit ausgeschrieben werden muß - mit dem Ergebnis millionenfacher sinnloser Transporte. Wir könnten den Verkehr deutlich entlasten, wenn wir zum Beispiel kleine Lose einführen würden. Zusätzlich hätten die Kommunen endlich die Chance, eigene regionale Wirtschaftskreisläufe zu entwickeln und Arbeitsplätze zu sichern bzw. zu schaffen. ({17}) Wir könnten Fördertöpfe auflösen und die Gelder nach einem bestimmten Schlüssel pauschal an die Kommunen überweisen, damit sie als ein Träger der Wirtschaft wieder selber zur Sicherung von Arbeitsplätzen aktiv werden können. ({18}) Wenn ich an die neuen Bundesländer denke, Herr Bundeskanzler, fällt mir auf, daß Sie in all Ihren Erklärungen eine Sache noch nie erklärt haben, die aber höchst wichtig ist: Wie sieht eigentlich der Fahrplan der Bundesregierung zur Angleichung der Löhne und Sozialleistungen im Osten an das Westniveau aus? Unsere Löhne liegen bei etwa 80 Prozent des Netto- und knapp über 70 Prozent des Bruttolohns, und zwar bei längerer Arbeitszeit und bei inzwischen gleichen Preisen. Ich sage Ihnen: Das ist auf Dauer nicht hinzunehmen. Das mindeste, was man doch erwarten kann, ist ein Fahrplan, in welchen Stufen und bis wann das überwunden werden soll. Denn die Schwäche der Kaufkraft im Osten ist auch eine Ursache für die dort existierende Arbeitslosigkeit. ({19}) Letztlich bleibt die Feststellung: Wenn man Armut wirksam bekämpfen will, muß man bereit sein, Reichtum zu begrenzen. Die letzte Regierung wollte das nicht, die neue traut es sich zumindest nicht. Im Ergebnis bleibt es dann aber dasselbe. Deshalb sage ich: Diese Regierung wird scheitern, wenn sie CDU/CSU und F.D.P. perfekt zu kopieren versucht. Wenn es keinen wirklichen Politikwechsel in Richtung auf mehr soziale Gerechtigkeit gibt und Sozialabbau als Modernität verkauft wird, dann werden die Leute meinen, sie hätten keine Alternative. Dann können sie natürlich auch gleich das Original wählen, bevor sie die schlechte Kopie wählen. Deshalb rate ich Ihnen: Steuern Sie um, machen Sie wirklich eine Politik der sozialen Gerechtigkeit! Dann muß Ihnen auch um die Sozialdemokratie nicht bange sein. Wenn Sie aber bei der Schröder/Blair-Linie bleiben, dann - das verspreche ich Ihnen - werden die Rechten Stimmen gewinnen und wird die PDS auch stärker. Das ist aber offensichtlich nicht in Ihrem Interesse. ({20}) Sie sollten also sehr gründlich darüber nachdenken. ({21})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Das Wort für die SPD-Fraktion hat die Kollegin Skarpelis-Sperk.

Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002183, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte jetzt etwas tun, was für die Opposition, wenigstens für die CDU/CSU, heute ungewöhnlich ist, nämlich vom Thema reden, von der Globalisierung und den Herausforderungen, wie wir sie gemeinsam angehen. Eine der größten Herausforderungen und Umwälzungen, die die Globalisierung mit sich brachte, war ohne Zweifel die Öffnung der Finanzmärkte gegenüber der Weltwirtschaft. Sie hat viele Konditionen erleichtert, Zinskartelle aufgebrochen und geholfen, in vielen Ländern eine raschere wirtschaftliche Entwicklung und höhere Lebensstandards zu finanzieren. Sie hat auch den internationalen Handel stark erleichtert. Die Verzehnfachung der Umsätze im internationalen Devisenhandel und Wertpapierhandel war nur ein Teil dieses Prozesses, zeigt aber dessen Dimension. Dies wurde nicht zuletzt durch die seit 1989 weitgehend deregulierten Finanzmärkte der großen Industrieländer möglich, denen die Schwellenländer eifrig nachstrebten. Leider haben sich die Hoffnungen nicht erfüllt, die Deregulierung, das heißt das immer freiere Wirken immer größerer Kapitalmärkte, habe quasi im Selbstlauf weniger Währungs- und Finanzkrisen und geringere Wechselkursschwankungen zur Folge. Im Gegenteil, die Schuldenkrisen in Mexiko und Lateinamerika 1982, der New Yorker Börsenkrach 1987, die EWS-Krise von 1992/93, die zweite Mexikokrise Mitte der 90er Jahre, der Asien-Crash von 1997/98, die Krisen in Rußland 1998 und in Brasilien 1999 zeigen: Das Tempo der Krisenabfolgen wird immer schneller, die Schulden-, Banken-, Börsen- und Währungskrisen verflechten sich immer stärker, und die in Frage stehenden Summen werden immer höher. Allein in den Schwellenländern Asiens haben die größten Banken der OECD 2 500 Milliarden US-Dollar Kredite ausstehen, und das bei einer jährlichen Wirtschaftsleistung dieser Länder von 2 900 Milliarden US-Dollar. Das heißt also: Die nächste Krise kommt bestimmt, wenn wir es im Prinzip so lassen, wie es war. ({0}) Deswegen ist es eine ganz große Leistung der Bundesregierung und der EU-Länder, diese Probleme endlich gezielt anzugehen und auf Stabilisierung und Krisenvorbeugung zu drängen. ({1}) Herr Schäuble, Sie haben von all diesen Problemen heute überhaupt nicht gesprochen. Sie haben kurz gesagt: Dem, was die Bundesregierung da beim G-8Gipfel macht, stimmen wir zu. Ehrlicherweise hätten Sie sagen müssen: Wir haben in den vergangenen 15 Jahren vieles verschlafen und vieles verschlampt, aber Sie pakken es endlich an. ({2}) Denn es ist doch zu bedenken, daß solche Krisen nicht nur große finanzielle Schäden bei Banken und Unternehmen auslösen, sondern von heute auf morgen hundert Millionen Menschen in Armut und Elend stürzen. In Indonesien, Thailand und Korea hat sich laut Internationalem Währungsfonds allein durch die jüngste Finanzkrise die Zahl der Menschen, die unter der dortigen Armutsgrenze leben, auf ein Viertel der Bevölkerung verdoppelt. - Ich freue mich, daß Sie bei der CDU/CSU da noch lachen können. ({3}) Zu Recht gibt es deswegen eine breite Diskussion über die Funktionsweise der internationalen Finanzmärkte, und zu Recht haben deswegen die neue Bundesregierung und unter ihrer Präsidentschaft die Europäische Union wichtige, grundlegende Reformvorschläge eingebracht; im Gegensatz zu früher auch mit großem Gewicht und mit Priorität. ({4}) Mit der gewachsenen Bedeutung des Euro ist es nicht mehr allein Sache der USA, sondern auch unsere gemeinsame europäische Verantwortung, zur Stabilisierung der internationalen Finanzsysteme beizutragen, Krisen vorzubeugen und Dämme gegen verantwortungsloses Verhalten zu errichten gegenüber Staaten, den Off-shore-Zentren und dem Privatsektor. ({5}) - Ja, genau das wird auf dem G-8-Gipfel jetzt konkret in Angriff genommen, und es wird nicht nur darüber geredet. ({6}) Weiter ist es notwendig, eine Koordinierung der makroökonomischen Politiken herbeizuführen, die Finanzkrisen auslösen könnten, und regionale Finanzzusammenschlüsse und regionale Kooperationen zu fördern, damit wir stabilere Verhältnisse ermöglichen können. Die Europäische Union unter der deutschen Präsidentschaft hat sich zu diesem Zweck auf ein ganzes Bündel von Maßnahmen verständigt, von dem wir hoffen, daß es von den anderen wichtigen Industrienationen auf dem G-8-Gipfel schnell akzeptiert und dann auch umgesetzt wird. Denn was nützt der schönste Plan, wenn er im Archiv des Internationalen Währungsfonds verstaubt? Ich will nur einige wenige Punkte nennen, ohne die eine Reform des Weltfinanzsystems illusorisch wäre. Wir brauchen erstens eine verbesserte Transparenz in der Privatwirtschaft, zweitens eine verbesserte Transparenz der Wirtschaftspolitiken der Regierungen und drittens der internationalen Finanzinstitutionen. Kommen wir zur verbesserten Transparenz in der Privatwirtschaft: Ohne die Einhaltung von Mindeststandards für Transparenz, Rechnungslegung, Beschlußfassung und Risikomanagement ist Schuldnern wie Gläubigern eine vernünftige Risikobewertung und -verwaltung nicht möglich. Kodizes über Grundsätze solider Unternehmensführung und -struktur sind notwendig und hilfreich. Eine verbesserte Transparenz der Wirtschaftspolitiken der Regierung muß es ebenfalls geben. Denn eine Transparenz auf dem Gebiet der Steuern und bei der Währungs- und Finanzpolitik stellt eben keine BürokraDr. Sigrid Skarpelis-Sperk tie dar, sondern bietet unerläßliche Kennziffern für die Beurteilung, ob das jeweilige Handeln verantwortungsvoll ist oder nicht und ob es weltweites Vertrauen geben kann. ({7}) Aber das Prinzip der Transparenz muß auch für die internationalen Finanzinstitutionen wie den Internationalen Währungsfonds gelten: Auch er ist kein Hüter eines Heiligen Grals und sollte seine Fondspolitik und seine „Staff-Reports“ offenlegen und auch öffentlich rechtfertigen. ({8}) Aber Transparenz allein reicht nicht aus, um Krisen zu vermeiden. Eine Überwachung muß hinzukommen. Die unzureichende Überwachung des Finanzsektors - nicht nur in einer Reihe von Schwellenländern - hat ohne Zweifel zu den jüngsten Finanzkrisen beigetragen. Alle Appelle, doch bitte solide Grundsätze und Politiken auszuarbeiten, einen angemessenen institutionellen Rahmen zu entwickeln, eine ordentliche Finanzinfrastruktur und ein stabiles Zahlungssystem zu schaffen, reichten in der Vergangenheit nicht aus. Kaum war die Krise vorbei, die Bürgschaften geleistet, waren die meisten guten Ratschläge und Vorsätze vergessen. Deswegen muß auch das gesagt sein: Wer nicht einsieht, daß all die genannten Regeln und Sanktionen für Fehlverhalten unerläßliche Bestandteile verläßlicher Finanzmärkte sind, hat auf diesen Finanzmärkten als Akteur nichts zu suchen. Man läßt auch kein Auto ohne TÜV und keinen Fahrer ohne Führerschein auf die Straßen. Deswegen finde ich es einen ersten Schritt in die richtige Richtung, daß der Internationale Währungsfonds bei der Einrichtung der neuen Kreditfazilitäten die Fortschritte eines Landes bei der Einhaltung der einschlägigen Normen berücksichtigt. Das ist ein richtiger Bonus für Leute, die auf dem richtigen Weg sind. Aber was machen wir eigentlich mit jenen, denen all diese Regeln Wurscht sind, die sich, um sich der Bankenaufsicht zu entziehen, auf Bankenplätze mit lockerster Finanzmoral wie Off-Shore-Bankenplätze ausweichen, ihre risikoreichen Geschäfte abwickeln und Finanzinstitutionen mit dünnster Eigenkapitaldecke ihr Geld anvertrauen? Wenn es dann schiefgeht, laufen diese Institutionen zu den Finanzministern und zu den internationalen Finanzinstitutionen und fordern die Finanzfeuerwehr an, selbstverständlich auf Risiko und zu Lasten der Steuerzahler und Zentralbanken. Wenn wir die Belastung der öffentlichen Kassen bei der Lösung von Finanzkrisen wirklich senken, systematisches Fehlverhalten mindern und Anreize zur Krisenvermeidung erhöhen wollen, kommen wir nicht umhin, uns Gedanken darüber zu machen, wie private Gläubiger besser in die Vorbeugung und Bewältigung von Finanzkrisen eingebunden werden können. ({9}) Dabei sollte sich der Privatsektor so organisieren, daß ein geeigneter Ansprechpartner den internationalen Finanzinstitutionen und den Schuldnerländern auch in Krisensituationen zur Verfügung steht. ({10}) Der Bericht der G 22 über die internationalen Finanzkrisen hat eine Reihe von Möglichkeiten aufgelistet, und auch die EU hat im Rahmen der G 8 einige dieser Optionen verlangt. Wir können hier im Plenum sicher nicht alle Vorschläge diskutieren - die Sammelklauseln in Anleiheverträgen, die Sammelvertretungen von Gläubigern bis hin zum Mehrheitsprinzip -, aber die Zielrichtung dieser Regelungen muß sein, daß in Krisenzeiten die alleinige Last nicht auf den öffentlichen Institutionen abgeladen wird, daß ein Herausbürgen, das „Bailing out“, des Privatsektors künftig vermieden und mittelfristig eine solidere Kreditvergabepraxis durchgesetzt wird. ({11}) Lassen Sie uns da deutlich reden: Wer risikoreiche Geschäfte eingeht, zum Beispiel Staatsanleihen mit einer Verzinsung von 18 Prozent zeichnet und Kreditzinsen von mehr als 50, zeitweise sogar 100 Prozent bekommt - wie im Falle Mexikos und Rußlands -, sollte schlußendlich nicht nur die Gewinne einstreichen, sondern bitte auch für die Verluste einstehen müssen, wenn sie denn eintreten. ({12}) Es ist deswegen auch überfällig, daß Finanzinstitute mit hohem Fremdkapitalanteil weltweit die Mindestforderungen wie Transparenz, Offenlegung und Regulierungen einhalten. Auch hier erwarten wir von unserer Bundesregierung als Ratspräsidentin eine feste Gangart auf dem G-8-Gipfel und konkrete Verfahrensvorschläge, wie höhere Eigenkapitalquoten und verstärkte Transparenzverpflichtungen implementiert werden können, um ein allmähliches Eindeichen dieser Inseln der Verantwortungslosigkeit zu erreichen. Denn bisher wurden diese Inseln der Verantwortungslosigkeit ganz munter angelaufen; die Leute haben dort Finanzfestivals abgehalten. Und was haben die früheren Regierungen gemacht? Sie haben gesagt, das sei aber schlimm. Und wenn etwas passiert ist, sind sie den Jachten zu Hilfe geeilt, haben sie abgeschleppt. Die jüngsten Finanzkrisen machen auch deutlich, daß eine bessere Kooperation und Koordinierung zwischen den verschiedenen internationalen Finanz- und Regierungsgremien sowie den internationalen Finanzinstitutionen dringend erforderlich ist. Die Errichtung des „Forums für Stabilität“ ist ein wichtiger erster Schritt. Aber neben der besseren Transparenz ist, wie ich betont habe, auch eine bessere Aufsicht in den einzelnen Ländern notwendig. Meine Damen und Herren, leider erlaubt es meine Zeit nicht, auf das Thema der Vermeidung von größeren Währungsschwankungen einzugehen, ({13}) obwohl gerade diese den Schwellenländern großen Schaden zugefügt haben. Deswegen möchte ich zum Schluß noch begrüßen, daß in der Weltbank jetzt Grundsätze für eine verantwortungsvolle Sozialpolitik ausgearbeitet werden und daß diese nicht mehr, wie bisher, den Auflagen und dem Diktat des Internationalen Währungsfonds allein unterliegen. Wir haben sehen müssen, daß die Finanzkrisen die ärmsten Länder mit Abstand am härtesten treffen. Darauf hat der Bundeskanzler in seiner Regierungserklärung deutlich hingewiesen. Deswegen muß es Aufgabe von Internationalem Währungsfonds und Weltbank sein, den ärmsten Ländern durch eigene Instrumente, wie zum Beispiel die Initiative für verschuldete arme Länder, wirksam zu helfen. Das erfordert öffentliche Mittel, eine angemessene Lastenverteilung und einen deutschen Beitrag. Ich bin mir sicher, daß der Bundeskanzler dazu in Köln gute Lösungen vorschlagen und durchsetzen wird. ({14})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Als nächster Redner spricht für die CDU/CSU-Fraktion der Kollege Dr. Theodor Waigel.

Dr. Theodor Waigel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002412, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir sollten und müssen die Globalisierung als Chance und Herausforderung begreifen; denn Deutschland zählt zu den Hauptgewinnern der weltwirtschaftlichen Verflechtungen nach dem zweiten Weltkrieg. ({0}) Wie hätten wir das geschafft, was wir in den 50er Jahren erreicht haben, wenn uns damals nicht offene Märkte zur Verfügung gestanden hätten? ({1}) Und ein Zweites: Schon heute sind die Exporte in die ehemaligen Ostblockstaaten höher als in die Vereinigten Staaten. Die Globalisierung als Ausdruck der weltwirtschaftlichen Verflechtungen hat übrigens heute wieder den Grad erreicht, den sie schon 1914 hatte und den sie in diesem Jahrhundert durch zwei schreckliche Weltkriege verloren hat. Daran sollte man sich erinnern. Die Globalisierung ist nicht etwas Neues, sie ist durch zwei große Katastrophen in Europa und dieser Welt zugrunde gegangen. Wir schicken uns jetzt an, das fortzuführen, was schon unsere Vorgänger bis 1914 auf den Weg gebracht hatten. Die Globalisierung ist also nicht etwas, wovor man Angst haben muß, sondern etwas, was man als Chance und Herausforderung begreifen muß. ({2}) Ich begrüße es, Herr Bundeskanzler, daß Sie sich mit Ihrer Regierungserklärung endlich der Globalisierung als Herausforderung stellen; denn jahrelang hat die SPD den Liberalen und uns vorgeworfen, die Globalisierung sei nur ein Feigenblatt für Wahlgeschenke an Unternehmer und - Entschuldigung - für den Abbau von Sozialleistungen. Nur, der Standortwettbewerb, auf den Helmut Kohl schon sehr früh, nämlich zu der Zeit, als die Wiedervereinigung anzupacken war, hingewiesen hat, ist keine Erfindung fehlgeleiteter Neoliberaler, sondern eine harte Tatsache nach der weltweiten Öffnung der ökonomischen und politischen Grenzen. Wie sehen aber Anspruch und Wirklichkeit aus, Herr Bundeskanzler? Ihr Versprechen war: Wir modernisieren Staat und Gesellschaft, wir garantieren soziale Gerechtigkeit, und wir fördern Selbständigkeit und Eigenverantwortung. Wie sehen die Taten der SPD aus? Wer alles, was wir unter großen Schwierigkeiten und gegen viele Widerstände, auch in den eigenen Reihen, an Strukturmaßnahmen durchgesetzt haben, gleich am Anfang seiner Regierungszeit zurücknimmt, betreibt keine moderne Politik, sondern Modernisierungsverweigerung. Das holt Sie jetzt ein. ({3}) Herr Bundeskanzler, was Sie von Jospin und Blair neben anderem unterscheidet, ist, daß die beiden, nachdem sie an die Macht gekommen waren, nichts von dem zurückgenommen haben, was die Vorgängerregierungen an schwierigen Strukturmaßnahmen und Konsolidierung auf den Weg gebracht haben. Man muß doch wissen, daß eine vertretbare Einschränkung bei der Lohnfortzahlung, wie wir sie beschlossen haben, zu einem Rückgang der Fehlzeiten geführt hat. Es ist doch auch richtig, daß ein überzogener Kündigungsschutz ein Einstellungshindernis für das Handwerk und für Kleinunternehmen gewesen ist. Wir haben dies ohne Zweifel verbessert. ({4}) Es ist nicht meine Aufgabe, Ihnen einen Rat zu geben. Aber wenn Sie gescheit gewesen wären, dann hätten Sie nach der gewonnenen Bundestagswahl gesagt: Kohl, Waigel und andere Minister der Bundesregierung sind ganz schreckliche Leute. ({5}) Das, was sie gemacht haben, kritisieren wir schärfstens, aber zurücknehmen können wir das nicht mehr. So haben es die englischen und die französischen Sozialisten gemacht. Daß Sie so dumm waren, dies nicht einmal aus taktischen Gründen so zu machen, enttäuscht mich. Ich hätte von Ihnen in dieser Hinsicht mehr erwartet. ({6}) Inzwischen diskutiert man mehr über Nachbesserungen als über Zukunftsreformen. Sie setzen auf einen neuen Existenzgründerboom und konterkarieren ihn gleichzeitig durch Ihr verfehltes Gesetz zur Bekämpfung der Scheinselbständigkeit. Sie versprechen neue Arbeitsplätze im Dienstleistungssektor, aber gleichzeitig entwickelt sich das 630-Mark-Gesetz zum größten Arbeitsplatzvernichtungsprogramm im Niedriglohnsektor, also genau dort, wo es notwendig wäre, Beschäftigung zu schaffen. ({7}) Sie stellen sinkende Lohnnebenkosten in Aussicht. Aber gleichzeitig belasten Sie mit der Neuregelung des Schlechtwettergeldes - darauf ist Wolfgang Schäuble schon das letztemal eingegangen - die Beitragszahler, die mit dieser Regelung eigentlich gar nichts zu tun haben, aufs neue und erhöhen damit wieder die Lohnnebenkosten bzw. Lohnzusatzkosten. Das ist genau der falsche Weg. ({8}) Sie und Ihr früherer Finanzminister haben eine Konsumkonjunktur durch Entlastung breiter Einkommensschichten versprochen. Aber der Schröder-Aufschwung ist ausgeblieben. Die Senkung des Solidaritätszuschlags, die wir in der letzten Legislaturperiode beschlossen haben, ist allen zugute gekommen. Das, was Sie vorschlagen, kommt Mittelstand und Wirtschaft nicht zugute; im Gegenteil: Es belastet sie noch stärker. Sie dürfen sich also nicht wundern, daß Ihre Politik nicht zu mehr Vertrauen und auch nicht zu mehr Beschäftigung beigetragen hat, weil Ihr Weg der falsche ist. ({9}) Herr Bundeskanzler, wenn Sie einmal zehn Minuten Zeit haben, dann sollten Sie § 2 b des Einkommensteuergesetzes lesen. Es ist nicht zu fassen, was hier angerichtet worden ist. Wir haben uns in den letzten Jahren bemüht, im öffentlichen Bereich, zum Beispiel auch in der Finanzverwaltung und beim Zoll, Arbeitsplätze abzubauen. In bestimmten Bereichen gab es zwar neue Herausforderungen, aber insgesamt wurden Arbeitsplätze abgebaut. Unser Ziel war es, im Jahr 2000 im Bund so viele öffentliche Bedienstete wie vor der Wiedervereinigung zu haben, obwohl Deutschland nach der Wiedervereinigung um 17 Millionen Menschen größer geworden ist. Jetzt sind allein für die Überwachung des neuen Ökosteuergesetzes über 500 neue Zollbeamte nötig. ({10}) So hatten wir uns die Beschäftigungszunahme eigentlich nicht vorgestellt. ({11}) Nun kann der Kollege Eichel - dafür habe ich Verständnis, Herr Staatssekretär Diller - nicht immer hier sein. Ich möchte eine gewisse Solidarität zwischen den alten Kameraden - ich meine damit die früheren Finanzminister - nicht verschweigen. ({12}) - Ich habe Sie nicht verstanden. Aber Sie sollten mich bei meiner Jungfernrede als Oppositionsabgeordneter nicht stören. ({13}) Es gibt eine gewisse Solidarität der alten Kameraden. Ich gebe gern zu, daß mir die ehemaligen Finanzminister Lahnstein, Apel, Matthöfer und - in Abstrichen - auch Helmut Schmidt mir mit Mitgefühl und auch Solidarität begegnet sind, wenn sie gefragt wurden. Ihre Betrachtungen waren differenziert, vernünftig und manchmal sogar wohltuend. Mit der Zeit - das kann der Kollege Eichel noch nicht ahnen, weil er bisher Ministerpräsident war wächst in jedem Finanzminister zwangsläufig die Sehnsucht nach Ende seiner Dienstzeit. Ich gebe gern zu, daß mir vor zwei Jahren eine Unvorsichtigkeit unterlaufen ist, als ich erklärt habe, daß neun oder zehn Jahre im Amt des Bundesfinanzministers genug seien. Nur, Herr Bundeskanzler, ich habe doch nicht gesagt, 136 Tage seien genug, sondern von neun bis zehn Jahren gesprochen. ({14}) Seitdem die Menschen in Deutschland und darüber hinaus vergleichen können, was es heißt, dieses Amt 3 500 Tage oder 136 Tage auszuüben, werde ich überall wieder zunehmend freundlich gegrüßt. ({15}) - Von Edmund Stoiber jedenfalls freundlicher als von Ihnen. ({16}) Ich weiß, welchem täglichen nationalen und internationalen Druck ein Finanzminister ausgesetzt ist. Ich wünsche Hans Eichel gute Stoßdämpfer und Knieschützer. In den letzten Tagen hat sich die Fraktion hinter ihn gestellt. Das tut eine Fraktion hauptsächlich dann, wenn die Schüsse von vorn kommen. ({17}) Er muß aufpassen, wenn die Fraktion vor ihm steht; dann kommen die Schüsse wahrscheinlich von hinten. Bei den beamteten Staatssekretären - das gilt nicht für die Parlamentarischen Staatssekretäre - hat er gute Entscheidungen getroffen; ich respektiere das ausdrücklich. Ein Finanzminister sollte unbedingt ein gutes Gedächtnis haben. Neulich habe ich in der Bundesbahn eine BMF-Broschüre gelesen, in der Hans Eichel - es handelt sich um seine hauseigene Postille - als „ausgewiesener Experte in Haushalts-, Steuer- und Finanzfragen“ bezeichnet wird, weil er in den letzten zwei Jahren Koordinator der SPD gewesen sei. Ich kann mich nur daran erinnern, daß er an der Seite von Lafontaine der Hauptblockierer sowohl bei der Konsolidierung als auch bei der Steuerpolitik war. ({18}) Wissen Sie, was schön ist, Herr Bundeskanzler? Mit jeder neuen Steuerrunde bei Ihnen nähert sich Rotgrün dem Petersberger Modell an. ({19}) Ich denke etwa an den Abschied vom Kindergrundfreibetrag und die Tarifspreizung. Was sind Sie über uns hergezogen, als wir sagten, daß dann, wenn der Körperschaftsteuersatz 35 Prozent betrage und die Steuern auf gewerbliche Einkommen nicht wesentlich höher sein dürften, die Spreizung höchstens 3 bis 4 Prozent betragen dürfe. Heute sagt Ihnen der Bundesfinanzhof genau dasselbe, und Sie müssen auf unsere Linie einschwenken. Wie schrieb das „Handelsblatt“ am 3. Mai: Zeitgenossen mit gutem Gedächtnis werden erkennen, wohin die Reise geht: zurück zu den Petersberger Steuervorschlägen der Kohl-Regierung. Eine solche Reform wäre nicht nur steuergerechter als das jetzt Angedachte, sie wäre auch verfassungsgerichtsfest und hätte Signalwirkung für den Standort. Nun noch zu den haushaltspolitischen Ankündigungen des neuen Finanzministers: Er hat neulich mit ungeheurer Emphase beklagt, der Bund habe in jedem Jahr mehr ausgegeben als eingenommen. Ja, was hat denn Hessen gemacht? Hessen hat doch zu einem Zeitpunkt, als wir unsere Ausgaben im Bundeshaushalt nur noch um 3 Prozent gesteigert haben, eine Steigerung von 6 Prozent gehabt. ({20}) Von 1993 bis 1995 stieg die Neuverschuldung in Hessen von 300 auf knapp 400 DM je Einwohner. Ich sage das nur, weil man ein bißchen vorsichtig sein muß, wenn man in diesem Zusammenhang über einen anderen richtet. Hätten Hessen und die anderen Länder - das sage ich ganz offen - ein bißchen mehr zu den Kosten der Wiedervereinigung beigetragen, dann hätten der Bund weniger Schulden und die Länder mehr. Aber wir haben die Hauptlast getragen, weil wir uns dieser nationalen Herausforderung gestellt haben. ({21}) Nun erfahren wir täglich tröpfchenweise, was da geschieht. Bisher habe ich nichts Neues entdeckt. Ein Staatssekretär, den auch Sie kennen, hat das schon mindestens drei oder vier Finanzministern aufgeschrieben. Es sind also alles alte Hüte, die mir nicht unbekannt sind. Wenn Herr Eichel dies als großen Befreiungsschlag bringen wird, dann werden wir einmal nachfragen, wie er als Ministerpräsident im Bundesrat zur Befristung der Arbeitslosenhilfe gestanden, was er zum Wegfall der originären Arbeitslosenhilfe und zur Konzentration der Zuschüsse an die Bundesanstalt für Arbeit gesagt hat. Es wird noch interessant sein, zu beobachten, ob in diesem Jahr draufgelegt wird, ob im nächsten Jahr gekürzt wird und ob das dann im großen Programm als Kürzung dargestellt wird. Doch so dumm sind die Leute nicht. Sie wissen: Zum Abbau der Kohlesubventionen, zur Reform der Sozialpolitik und zu den Einschränkungen der Leistungen für Asylbewerber hätte Herr Eichel etwas beitragen können. Nur, in einem haben Sie Erfolg gehabt. Im September des vergangenen Jahres haben Sie mit Ihrer Blockadepolitik Erfolg gehabt. Das erkennen wir neidlos an. Sie haben mit dieser Blockadepolitik die Wahl gewonnen, weil die Bürger glaubten, die Probleme ließen sich auch ohne tiefgreifende Einschnitte im Sozialbereich lösen. Aber jetzt werden Sie von der Wirklichkeit eingeholt, und es wird für Sie ganz bitter; denn wahrscheinlich kommen Sie auch um Einschnitte bei der Arbeitslosenhilfe nicht herum. Denken Sie einmal an das, was Sie uns dazu gesagt haben. Offensichtlich muß Ihr Kollege Riester das Rentenniveau kürzen. Herr Bundeskanzler, es wird Ihnen bekannt sein, was Sie versprochen haben. ({22}) Ich zitiere Ziffer 9: Mehr soziale Gerechtigkeit, Kohls Fehler korrigieren bei Renten, Kündigungsschutz und Lohnfortzahlung im Krankheitsfall. Wenn Sie jetzt die Senkung des Rentenniveaus, die wir in einem Zeitraum von zehn Jahren vornehmen wollten, ohne daß ein einziger, der jetzt in Rente ist, davon betroffen gewesen wäre, in ein oder zwei Jahren durchführen wollen, obwohl Sie uns vor einem halben Jahr für unser Vorhaben beschimpft haben - Sie selbst haben angekündigt, dieses Vorhaben rückgängig zu machen -, dann ist dies eine gigantische Wählertäuschung, die Ihnen der Wähler bitter heimzahlen wird. ({23}) Herr Bundeskanzler, das Ganze ist eine Frage der politischen Glaubwürdigkeit. Was Sie vor zwei Jahren als sozialen Kahlschlag, als Sozialabbau und als Ellbogengesellschaft kritisiert haben, das versuchen Sie jetzt als mutige Konsolidierungspolitik zu verkaufen. Das ist politische Doppelzüngigkeit. Übrigens, die vielfache Wiederholung des Geredes von der Erblast bringt Ihnen gar nichts. Wer großzügig Wahlgeschenke verteilt - Wolfgang Schäuble hat darauf hingewiesen -, der hat kein Recht, wenige Monate später über ein strukturelles Defizit zu lamentieren, wie Sie es getan haben. ({24}) Trotz eines West-Ost-Transfers in dreistelliger Milliardenhöhe haben wir 1997 das Maastricht-Kriterium erreicht und 1998 sogar unterschritten. Der Anteil der Ausgaben des Bundes am Bruttoinlandsprodukt hat mit 11,8 Prozent einen neuen Tiefstand erreicht. Zum Vergleich will ich Ihnen einmal sagen, wie es 1983 ausgesehen hat. Damals hatten wir eine Defizitquote von weit über 3 Prozent, und der Anteil der Bundesausgaben am Bruttoinlandsprodukt lag in den 70er Jahren teilweise um die 15 Prozent. Das allein zeigt die Konsolidierungsleistung, die wir in den letzten Jahren erbracht haben. ({25}) Ich möchte noch ein paar Bemerkungen zum internationalen Finanzparkett machen. Herr Bundeskanzler, Ihre Regierung und vor allen Dingen Ihr erster Finanzminister haben da kaum ein Fettnäpfchen ausgelassen: eine völlig überflüssige und schädliche Diskussion über Devisenmarktkontrollen, ein Vorstoß zur Einführung von Wechselkurszielzonen, den niemand in der Welt begriffen hat und für den wir belächelt worden sind. Die amerikanischen und andere Freunde haben uns gefragt: Was ist denn mit den Deutschen los? Ich kann wirklich verstehen, daß diese Freunde mehrfach gesagt haben: Theo, we really miss you. Das hört man ganz gern. Ich hoffe, daß der Neue wenigstens diejenigen Fehler vermeidet, die in der Amtszeit des ersten Finanzministers passiert sind. - Sie, Herr Bundeskanzler, nicken. In dem Fall haben Sie recht. Wahrscheinlich haben Sie das unbewußt gemacht; ich habe Sie aber genau beobachtet. Sie entkommen mir mit keiner Mimik. Ich kenne Sie. ({26}) Zu einem ganz ernsten Punkt, der auch in der Debatte heute eine Rolle gespielt hat: der furchtbare Unfall im Kernkraftwerk Tschernobyl, der uns alle noch heute betrifft, und die damit verbundene Abschaltung dieses Kernkraftwerks. Wie sollten wir dieses Problem lösen? - Helmut Kohl, Klaus Kinkel und ich haben - wie ich meine, zu Recht - eine Abwägung vorgenommen. Das wichtigste Ziel mußte sein, daß die Reaktoren in Tschernobyl vom Netz gehen. ({27}) Dann mußten wir bereit sein, für die Energieversorgung dieses armen Landes etwas zu tun. Eine andere Möglichkeit gab es nicht, und darum war diese Entscheidung richtig. Herr Bundeskanzler, Sie betreten einen gefährlichen Irrweg, wenn Sie uns hier wieder international isolieren und aus dem, was vereinbart wurde, ausscheren. An Trittins Wesen wird die Welt nicht genesen, meine Damen und Herren. Wir müssen international verläßlich sein. ({28}) Zum Beschäftigungspakt: Arbeitsplätze werden in den Betrieben geschaffen und nicht an den Schreibtischen in Brüssel. Und makroökonomische Dialoge und Bündnisse? Ja, worüber haben wir uns denn bisher unterhalten? Natürlich haben wir uns im Ecofin auch über makroökonomische Zusammenhänge verständigt. Nach dem Berliner EU-Gipfel standen Sie, Herr Bundeskanzler, mit leeren Händen da. Wo blieb die großspurig versprochene Nettoentlastung Deutschlands? Der Eigenmittelbericht der EU-Kommission, erstmals im Herbst auf unser ständiges Drängen vorgelegt, hätte einen ausgezeichneten Anhaltspunkt geboten, nicht nur die berechtigten deutschen Interessen, sondern auch die der Niederländer, die der Österreicher und die der Schweden durchzusetzen. Viel zu früh haben Sie die Kofinanzierung geopfert. ({29}) Sie wären gut beraten gewesen, das von uns eingebrachte Kappungsmodell, das nicht nur für Deutschland gilt, intensiv zu vertreten und dafür zu kämpfen. So ist Ihnen nichts geblieben. Frankreich hat seine Agrarinteressen durchgesetzt, Großbritannien den Rabatt verteidigt, und die Südländer erhalten weiter Geld aus dem Kohäsionsfonds. ({30}) Nun weiß ich sehr wohl, Herr Bundeskanzler, daß man in Europa zu Kompromissen fähig sein muß und nicht alles durchsetzen kann, was man als richtig erkennt. Das gehört dazu; das ist manchmal sehr bitter, das ist manchmal sehr schwierig. Das akzeptiere ich. Aber mit so wenig herauszukommen, ({31}) nachdem Sie mit so vielen Ankündigungen hineingegangen sind - das ist es, was wir Ihnen vorwerfen. ({32}) Bis ins letzte Jahr hinein haben Sie mich kritisiert, daß es nicht gelungen sei, vor vier Jahren eine europäische Zinsbesteuerung zu erreichen. Es sei nicht gelungen, es sei an mir gescheitert, eine Harmonisierung bei der Energiebesteuerung zu vereinbaren. Was haben Sie denn jetzt erreicht? ({33}) Ich mache es Ihnen nicht zum Vorwurf, wenn ein anderer Partner oder mehrere das grundsätzlich ablehnen, aber auch hier haben die Wahrheit und die Wirklichkeit Sie schnell eingeholt. Insofern sollten Sie mit der Kritik an früher vorsichtig sein. Nun zum Euro. Meine Damen und Herren, im Gegensatz zu vielen, die sich im Moment sehr negativ auslassen, bin ich der Meinung, daß der Euro gerade in der Kosovo-Krise seine Bewährungsprobe glänzend bestanden hat, denn wenn es den Euro jetzt nicht gegeben hätte, dann wäre das EWS in der Mitte auseinandergebrochen, mit verheerenden Auswirkungen für einige Währungen in Europa, mit ganz großen Nachteilen für uns, für den Wirtschaftsstandort, für den Export, für das Wachstum und für die Arbeitsplätze in Deutschland. ({34}) Das sage ich als Prämisse, denn der Euro hatte dank einer glänzenden Vorbereitung über ein Jahrzehnt einen ausgezeichneten, gelungenen Start - mit Ausnahme einer Tatsache. Ich glaube schon, es wäre richtig gewesen, wenn der Bundesfinanzminister am 31. Dezember 1998 dort gewesen wäre. Man ist an Silvester gern daheim; das kann ich verstehen. ({35}) Das ist bei mir auch gelegentlich der Fall gewesen. Aber es gibt manchmal einen Moment, da hat der deutsche Finanzminister dort zu sein, wo seine Aufgabe ist, und das wäre dort gewesen, wo der Euro endgültig eingeführt worden ist - aber gut. ({36}) Nur: Ein Kursrückgang von teilweise über 10 Prozent gibt auch Anlaß zur Sorge, und das müssen wir auch aussprechen. Niemand bestreitet die Auswirkungen der boomenden Wirtschaft in den Vereinigten Staaten und der höheren US-Zinsen. Mag auch der Kosovo-Konflikt zeitweilig eine Rolle gespielt haben, jetzt müßte sich eigentlich das Gegenteil tun. Nur, will der Euro zu einer internationalen Anlagewährung werden, muß er seine Stärke unter Beweis stellen. Herr Bundeskanzler, hier taucht ein Problem auf. Die aktuelle Euro-Schwäche ist im Kern eine Folge des politischen Glaubwürdigkeitsdefizits der führenden Teilnehmerstaaten, vor allem Deutschlands. Dafür tragen Sie die Verantwortung. Zwar haben Sie nach der Europawahl die Einhaltung der Stabilitätsverpflichtung angekündigt. Aber Sie haben sich nicht gerührt, als Ihr erster Finanzminister die Unabhängigkeit der EZB und den Stabilitätspakt in Frage gestellt hat. Als wir in Dublin den Stabilitätspakt in einem harten Ringen gerade mit unseren französischen Freunden durchgesetzt haben, habe ich mir nie vorstellen können, daß Europa eines Tages durch den europäischen Stabilitätspakt vor einem deutschen Finanzminister geschützt werden muß. ({37}) Herr Bundeskanzler, es war für uns alle - auch für mich in meiner eigenen Partei - nicht einfach, die Wirtschafts- und Währungsunion, vor allen Dingen unter Beteiligung Italiens, durchzusetzen. Ich glaube, daß dies nach Abwägung aller Dinge und trotz des hohen Schuldenstands richtig und vertretbar war, wie dies auch die Deutsche Bundesbank zum Ausdruck gebracht hat. Gerade weil ich mich für dieses europäische Land so eingesetzt habe, bin ich berechtigt zu sagen: Es war falsch, auf dem letzten Ecofin-Rat eine erste Ausnahme zu genehmigen. ({38}) Hier geht es weniger um die ökonomische Wirkung. Es geht vielmehr um das falsche Signal; denn die Finanzmärkte sind so der Meinung, daß beim nächsten Problem wieder eine Ausnahme gemacht wird. In diese Richtung darf die Euro-Zone nicht abgleiten. Das ist das Entscheidende. ({39}) Vor der Bundestagswahl wäre es undenkbar gewesen, daß der Euro durch die Verweigerung der Hausaufgaben in Deutschland zur Schwäche neigen würde. Darum dürfen Sie sich nicht wundern, daß Sie in der internationalen Ökonomie, vor allen Dingen auch im internationalen Presseteil, mit dem bedacht werden, was heute schon mehrere Redner gesagt haben. Wir hatten im ersten Quartal das schwächste Wirtschaftswachstum seit drei Jahren sowie nachlassende Erweiterungsinvestitionen und im Jahre 1999 ein reales Wachstum von nur noch 1,5 Prozent. Wir sind damit inzwischen das Schlußlicht der Euro-Länder. Herr Bundeskanzler, wir hatten im Vergleich mit Frankreich immer ein fast gleichbleibendes Wachstum. Es hat höchstens um 0,1 bzw. 0,2 Prozent differiert. Seit längerer Zeit liegen die Franzosen mit 0,5 Prozent oder noch mehr ganz klar vor uns. Das muß doch zu denken geben. Auf meine Frage an Jean-Claude Trichet und Dominique Strauss-Kahn, woran dies liegt, sagen sie mir: In Frankreich besteht bei Konsumenten und Investoren Vertrauen. Das heißt, die Regierung Jospin genießt mehr Vertrauen als Ihre Bundesregierung. Herr Bundeskanzler, das muß Ihnen zu denken geben. Dies ist auch Ihre Schuld. ({40}) Auf dem bevorstehenden Gipfel stehen Sie mit der schwächsten Bilanz und der geringsten Wirtschaftsdynamik da. Auch wir plädieren für eine behutsame Fortentwicklung der internationalen Finanzarchitektur. Frau Skarpelis-Sperk, richtig ist, daß der Privatsektor stärker einbezogen werden muß. Es geht nicht an, daß die privaten Unternehmen in den Krisenländern Profite machen und der öffentliche Bereich danach die Schulden zu übernehmen hat. Früherkennung und Krisenprävention sind in diesem Zusammenhang richtige Stichworte. Meine Damen und Herren, in Europa gibt es im Moment eine hochinteressante Diskussion unter den Sozialisten. Anfang des Jahres wurde eine neue philosophische Konvergenz in Europa propagiert. Die Sozialisten Oskar Lafontaine und Dominique Strauss-Kahn haben in ihrer Funktion als Finanzminister in einem gemeinsamen Aufsatz ihre Vorstellung über die philosophische Konvergenz in Europa dargestellt. Ziel ist ein eigenes Sozialmodell für Europa. Nur: Was gilt jetzt? Das Europa von Dominique Strauss-Kahn und Oskar Lafontaine oder Ihr Europa, Herr Bundeskanzler, wie Sie es gemeinsam mit Tony Blair beschrieben haben? Der eine - Ihr erster Finanzminister und Ihr Parteivorsitzender, dem Sie auch den Wahlsieg verdanken - ist mit seinem Rückgriff auf Keynes kläglich gescheitert. Nun versuchen Sie in aller Kürze einen Salto vorwärts. Ich glaube, Sie müssen gut achtgeben, ob Sie diesen Kurswechsel der Bevölkerung und vor allen Dingen Ihren eigenen Parteigenossen verkaufen können. Es gab heute neben einer matten Rede auch eine matte Regierungsfraktion. Ich habe gehofft, daß Struck das Ganze herausreißt; auch er hat es aber nicht geschafft. Herr Bundeskanzler, vielleicht noch eines - das sage ich jetzt nicht ironisch -: Passen Sie gut auf, daß solche Aktionen - die Sie als Parteivorsitzender natürlich machen können, ohne sie als Regierungschef verantworten zu müssen - das deutsch-französische Verhältnis nicht beschädigen. ({41}) Denn eines haben wir immer gemerkt: Auch wenn wir viele Probleme gehabt haben - ich habe sie mit denen gehabt, und sie mit mir -, haben wir mit allen französischen Finanzministern, mit den konservativen und mit den sozialdemokratischen und sozialistischen, ein hervorragendes menschliches Verhältnis gehabt und auch sonst hervorragend zusammengearbeitet. Aber immer dann, wenn die französischen Kollegen den Eindruck hatten, daß man etwas an ihnen vorbei macht, kann das das wichtige deutsch-französische Verhältnis beschädigen. Das führt zu einem Knirschen des europäischen Motors. Geben Sie gut acht, daß Ihnen das nicht passiert! ({42}) Nachdem es hier permanent rot leuchtet - was mich aber nicht erschüttert -, komme ich zum Schluß. Herr Bundeskanzler, es wird Ihnen nicht gelingen, Bebel, Blair und Brioni unter einem Hut zu versammeln. ({43}) Die Show ist vorbei. Der Ernst des Lebens beginnt. Vielen Dank. ({44})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Mein in langen Jahren gewachsener Respekt vor dem früheren CSUVorsitzenden hat mich veranlaßt, nur das Blinklicht einzuschalten. Das geht jetzt natürlich zu Lasten der CDU/CSU-Fraktion, das ist klar. Vielleicht hat der Kollege Waigel auch daran gedacht, daß jetzt sieben Kolleginnen ans Rednerpult kommen, und wollte daher als Mann noch etwas länger reden. ({0}) Jetzt hat die Kollegin Dr. Uschi Eid vom Bündnis 90/ Die Grünen das Wort.

Ursula Eid-Simon (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000454, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herrn! Am kommenden Wochenende treffen sich die acht mächtigsten Regierungen der Welt in Köln. Wir tun gut daran, dieses Ereignis zum Anlaß zu nehmen, über den nationalen und europäischen Tellerrand hinauszuschauen und über unsere Verantwortung gegenüber den Ländern des Südens und des Ostens im Zeitalter der Globalisierung nachzudenken. Deswegen bin ich froh über die heutige Debatte. Durch die Fortschritte der Informations- und Kommunikationstechnologie rücken nicht nur die Volkswirtschaften, sondern auch die Zivilgesellschaften immer enger zusammen. Entfernteste Räume werden über Fernsehen oder Internet in Bruchteilen von Sekunden überwunden. Produktionsmuster, Konsumverhalten und Kultur aus weit entfernten Gesellschaften werden zum weltweiten Gemeingut. Im Zeitalter globaler Kommunikation ist die Welt ohne Zweifel kleiner geworden. Angesichts zunehmender Konflikte von Interessen und Werten und um Ressourcen sind Weltoffenheit, Toleranz, Solidarität und Dialog zwischen den Völkern dieser Erde dringender denn je. ({0}) Genau in dieser Hinsicht setzt die Kampagne „Erlaßjahr 2000“ als ein weltweites Dialogforum zur Schuldenfrage gerade im Vorfeld des Weltwirtschaftsgipfels ein nachahmenswertes Beispiel. Nach den Worten des Bundeskanzlers zur Kölner Schuldeninitiative gehe ich davon aus, daß die Menschen, die am kommenden Samstag für Schuldenerleichterungen für die ärmsten Länder mit einer Menschenkette in Köln demonstrieren werden, mit einem zufriedenstellenden Ergebnis nach Hause fahren können. Die Herausforderungen der Globalisierung haben zu einem intensiven internationalen Diskurs zu Umwelt-, Wirtschafts- und Finanzfragen geführt. Diese neue Dimension der gemeinsamen Suche nach Problemlösungen hat sich dank der großen Weltkonferenzen der Vereinten Nationen entwickeln können. Diese Konferenzen führten vor allem zu einer größeren Verständigung über gemeinsame globale Werte wie zum Beispiel Respektierung der Menschenrechte, Gleichstellung von Mann und Frau oder nachhaltige Entwicklung - und das ist gut so. Der Prozeß der Globalisierung erfordert, daß wir die internationalen Regelwerke ausbauen und weiterentwickeln. Angesichts gravierender Herausforderungen für die Sicherheit der menschlichen Zukunft wie Kriegen und Bürgerkriegen, Umweltkatastrophen, sozioökonomischen Disparitäten, Konkurrenz um Ressourcen, Demokratiedefiziten, Menschenrechtsvergehen und Unterdrückung von Minderheiten nimmt neben globalen Regelmechanismen die Bedeutung regionaler Kooperationen und Zusammenschlüsse ebenfalls zu. Die regionale Integration ist einer der wichtigsten Ansatzpunkte zum Beispiel zur Förderung gewaltfreier Konfliktlösungen. Sie schafft grenzüberschreitend gemeinsame ökonomische, politische und kulturelle Interessen, die auch das Interesse an einem friedlichen Miteinander stärken. Deshalb ist es dringend erforderlich, daß solche Regionalorganisationen in Afrika, Asien und Lateinamerika von uns unterstützt werden. Besondere Chancen, auf regionaler Ebene zu kooperieren, eröffnen sich an Hand konkreter Problemstellungen: Durch zwischenstaatliche Verträge von Flußanrainerstaaten zum Beispiel und durch gemeinsame Flußkommissionen kann die Bewirtschaftung von Flußwasser mit zivilen Mitteln geregelt werden. Die 1997 geschaffene Weltkommission für Dämme bietet einen sinnvollen Rahmen für eine Konsensfindung hinsichtlich Wassernutzung, Umsiedlung von Menschen und Umweltproblemen. Die Konvention der Vereinten Nationen zur Bekämpfung der Wüstenbildung fördert die Erarbeitung von regionalen Aktionsprogrammen zum Management von Naturressourcen und hat konzeptionelle Leitbilder wie Partizipation der Zivilgesellschaft und partnerschaftliche Zusammenarbeit von Staaten bei der Bewältigung von Konflikten um Landressourcen völkerrechtlich festgeschrieben. Im Rahmen der Entwicklungszusammenarbeit unterstützt das Ministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung diese Institutionen und trägt dadurch erheblich zur notwendigen Konfliktprävention bei, denn die Konkurrenz um Ressourcen ist eine der wichtigsten und häufigsten strukturellen Krisenursachen. Im Zuge der Globalisierung ist die Vernetzung der Volkswirtschaften erheblich enger geworden, was folgende Zahlen illustrieren: Das Welthandelsvolumen hat sich in den letzten 20 Jahren vervierfacht, ebenfalls die Auslandsinvestitionen; internationale Produktionsnetzwerke spielen in der Weltwirtschaft eine immer wichtigere Rolle. Aber nicht alle Gesellschaften konnten an dem dadurch geschaffenen Reichtum teilhaben. Der Anteil der ärmsten 20 Prozent der Weltbevölkerung am globalen Einkommen ist in den letzten 30 Jahren von 2,3 Prozent auf 1,4 Prozent gesunken. Der Anteil des obersten Fünftels ist in dieser Zeit von 70 Prozent auf 85 Prozent angestiegen. Es ist beschämend, daß immer noch über 800 Millionen Menschen Hunger leiden, obwohl auf dem Welternährungsgipfel 1996 beschlossen wurde, massive Anstrengungen zum Kampf gegen den Hunger zu unternehmen. Diese wenigen Zahlen machen deutlich, daß die Globalisierung und das damit einhergehende liberale Handelsregime nicht automatisch auch wirtschaftlichen Erfolg und Wohlstandsmehrung für die Menschen bedeuten. Vor diesem Hintergrund kommt der neuen Welthandelsrunde der WTO eine wichtige Aufgabe zu. Unser Ziel muß es sein, die Entwicklungsländer in den Stand zu versetzen, am Welthandel erfolgreich zu partizipieren und gleichzeitig das Leitbild einer ökologisch nachhaltigen und sozialverträglichen Weltwirtschaft zu verfolgen. Entwicklungszusammenarbeit soll einen Beitrag dazu leisten, die Entwicklungsländer in die Lage zu bringen, aus ihrer Teilhabe am Welthandel ein Maximum an Chancen ziehen zu können - zum Vorteil der ärmsten Bevölkerungsgruppen und zur Schaffung eines menschenwürdigen Lebens. ({1}) Wichtig allerdings ist, daß die bestehenden internationalen Umweltabkommen durch die Prinzipien des freien Handels nicht unterminiert werden. Leider sind die WTO-Verhandlungen zum Thema „Handel und Umwelt“ in den letzten Jahren kaum vorangekommen. Dies haben nicht zuletzt die Industrieländer zu verantworten, die in der Vergangenheit nicht bereit waren, die speziellen Interessen der Entwicklungsländer anzuerkennen. Diese befürchten, daß Umweltstandards ihre Wettbewerbsfähigkeit einschränken und neue Handelsbarrieren errichten. Diese Bedenken müssen wir ernst nehmen. Wir sind heute bereit, die Interessen der Entwicklungsländer im Welthandelssystem stärker zu berücksichtigen. ({2}) Die Integration der Entwicklungsländer in den Weltmarkt muß in eine Gesamtstrategie eingebettet sein, damit sie zum Erfolg führen kann: Erstens ist in unseren Partnerländern im Süden und Osten eine verantwortliche Regierungsführung erforderlich. Sie muß Rahmenbedingungen für ein wirtschaftliches und politisches Umfeld schaffen, das für Auslandsinvestitionen attraktiv ist und diese zugleich am Ziel einer nachhaltigen Entwicklung orientiert. Zweitens kommt es darauf an, die Leistungsfähigkeit staatlicher Institutionen zu stärken. Wenn zum Beispiel Importzölle zur Finanzierung des Staatshaushaltes wegfallen, müssen parallel neue Einnahmequellen erschlossen werden. Dazu bedarf es eines Steuersystems und einer effizienten Steuerverwaltung. Dies ist notwendig, damit die Länder der Liberalisierung standhalten und daraus für sich Nutzen ziehen können. Die Asienkrise hat gezeigt, wie wichtig ein staatliches Regelwerk im Finanzsektor, eine funktionierende Bankenaufsicht und eine transparente, effiziente Finanzpolitik sind. Entwicklungszusammenarbeit leistet hier ganz wesentliche Beiträge. Diese Eigenanstrengungen unserer Partnerländer laufen aber ins Leere, wenn es nicht gleichzeitig in den internationalen Rahmenbedingungen und in den westlichen Industrieländern - das heißt: bei uns - zu Veränderungen kommt, die den Völkern in allen Regionen der Welt eine erfolgreiche Teilhabe an der Weltgesellschaft ermöglichen. ({3}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, nach dem Um- und Aufbruch in Osteuropa hat die G 7 ihren Kreis um Rußland erweitert. Wäre es nicht eine reale Utopie, daß im nächsten Jahrhundert auch die Entwicklungsregionen Asiens, Lateinamerikas und Afrikas an diesem globalen Verhandlungstisch vertreten sind? Ich danke Ihnen. ({4})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Für die F.D.P. gebe ich der Kollegin Gudrun Kopp das Wort.

Gudrun Kopp (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003160, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Sehr geehrte Herren und Damen! Der Kanzler, derzeit unterwegs - wahrscheinlich muß er sich ein wenig regenerieren -, hat heute morgen eine für mich enttäuschend geschäftsmäßige Rede zum Thema Globalisierung gehalten. Wahrscheinlich ging ihm durch den Kopf, was er an Versäumnissen im eigenen Land als Bilanz vorzuweisen hat. ({0}) Es könnte sein - wir wollen ja positiv denken, auch über andere -, daß ihn vollends der Frust gepackt hat angesichts dessen, was dort an realer Politik hätte geschehen müssen, die von der seinerzeitigen Koalition auch schon in Angriff genommen worden war. ({1}) Anders kann ich mir das Schröder-Blair-Papier nicht erklären, auf das er heute mit keinem einzigen Wort eingegangen ist. ({2}) Ich denke, wir sollten ihn nicht davonkommen lassen, ohne hier einige sehr markante Stellen aus diesem Papier vorzutragen. Wir sollten einmal die Sündenfälle, die es in kürzester Zeit gegeben hat, und die neuesten Erkenntnisse nennen. Erkenntnis Nummer 1: Die Ausbildungsqualität auf allen Ebenen der schulischen Bildung und für jede Art der Begabung muß gesteigert werden ... Wie wahr! Dazu gehört aber nicht nur die Förderung von Lernschwachen. Was fehlt, ist die Förderung von Hochbegabten, die in dieser Gesellschaft völlig vernachlässigt werden ({3}) auf Grund ideologischer Gleichmacherei, die absolut nicht mehr zeitgemäß ist. Erkenntnis Nummer 2: Menschen unterschiedlichster Herkunft wollen sich selbständig machen ... Wie wahr! Ihnen muß man den Spielraum lassen, wirtschaftliche Initiative zu entwickeln ... ({4}) Ihre Märkte und ihr Ehrgeiz dürfen nicht durch Grenzen behindert werden. Richtig! Deshalb, sehr geehrter Herr Bundeskanzler, sollten Sie schleunigst die bürokratischen Hürden bei der sogenannten Scheinselbständigkeit abschaffen. ({5}) Erkenntnis Nummer 3: Wir sollten es Kleinunternehmen im besonderen erleichtern, neues Personal einzustellen ... Herr Bundeskanzler, auch wenn Sie außerhalb dieses Raumes sind, nehmen Sie doch die beschäftigungsfeindlichen Hürden im Kündigungsschutz zurück! Zeigen Sie Rückgrat! ({6}) Erkenntnis Nummer 4: Teilzeitarbeit und geringfügige Arbeit sind besser als gar keine Arbeit ... Man höre und staune! ({7}) Ich kann nur sagen: Richtig! Stellen Sie sich deshalb den Forderungen nach einem Niedriglohnsektor und lassen Sie die Finger von den unseligen Veränderungen beim 630-Mark-Gesetz. ({8}) Was wohl noch den schlimmsten Frust unseres Bundeskanzlers hervorrufen wird, ist die Frage: Mit wem aus den eigenen Reihen will er diese Erkenntnisse in praktische Politik umsetzen? Ich sehe, das Interesse ist auch heute hier im Haus gleich null. Vielleicht wird verschämt verschwiegen, welche Brisanz in diesem Papier steckt. Der Kanzler spricht von „modernen Sozialdemokraten“, mit denen er diese Politik, diese angeblichen Visionen verwirklichen möchte. Diese „modernen Sozialdemokraten“ sehe ich nicht. ({9}) Da wird er ganz große Probleme haben. Alles Ideologie von gestern. Erlauben Sie mir einen letzten Hinweis. Tony Blair macht in England keinerlei revolutionäre oder gar eigenständige Politik. Vielmehr führt er nur das fort, womit „Maggie“ Thatcher begonnen hat: Hindernisse aus dem Weg zu räumen. ({10}) Es ist genau das gleiche wie hier: Wir, die seinerzeitige Koalition, haben die politischen Notwendigkeiten angepackt; jetzt, lieber Herr Schröder, liegt es an Ihnen, dies aufzugreifen. Welch ein Frust muß es sein, festzustellen, daß man nichts Neues zu bieten hat, daß man - im Gegenteil nach langen Monaten erkennen muß: Politik zu machen ist eine ernste Angelegenheit, das erfordert Arbeit; da kann man sich nicht nur von morgens bis abends vergnügen. ({11}) Durch diesen Frust muß der Bundeskanzler hindurch. Wir können Ihnen nur sagen: Wir werden Sie an den Taten messen und nicht an den schönen Worten, die heute so und morgen wieder anders sind. Danke sehr. ({12})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Als nächste Rednerin spricht für die PDS die Kollegin Ulla Lötzer.

Ursula Lötzer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003174, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Seit der Asienkrise wird über eine Regulierung der Finanzmärkte diskutiert. Jahrzehnte raschen Wirtschaftswachstums ließen die Tigerstaaten noch als Symbol des Fortschritts durch neoliberale Globalisierungspolitik erscheinen. IWF und Weltbank priesen sie noch 1997 als Vorzeigemodelle. Diese Aussicht erst lockte die Anleger. Um so tiefer war dann der Fall, verursacht durch massiven Kapitalabzug in Verbindung mit einer Spekulation von Finanzmagnaten gegen die jeweilige Währung. Jetzt spricht die UNICEF von einer „verlorenen Generation“ Diese Krise wird völlig zu Recht als Waterloo der globalisierten Weltwirtschaft bezeichnet. Diese Krise ist auch ein vernichtendes Urteil über die Vorgängerregierung. Zu ihrem Standardrepertoire gehörte die Deregulierung der Devisen- und Kapitalmärkte. Sie betrieben die massive Umverteilungspolitik, die erst zu den Wachstumskrisen auf den jeweiligen Binnenmärkten und zu dem gewaltigen Überschußkapital führte. Die Folge: Internationale Wirtschaft gründet sich nicht mehr auf den Austausch von Waren, sondern vorrangig auf kurzfristige Spekulation. Helmut Schmidt sprach von der „Globalisierung des Spekulationismus“ als wichtigstem Kennzeichen der neuen Ära. Die uns hier von der SPD vorgestellten Maßnahmen, die auf dem G-7-Gipfel vereinbart werden sollen, reiGudrun Kopp chen unserer Meinung nach dagegen nicht aus. Erst die Einführung einer Tobin-Steuer, Bardepoteinlagen und eine Verbesserung der Bankenaufsicht - vor allem bei den Gläubigerbanken und nicht nur bei den Banken der Entwicklungsländer - würden die Möglichkeit beschränken, mit Spekulation ganze Volkswirtschaften in die Krise zu treiben. Sonst machen Sie sich von der Regierung zu den Schuldigen der nächsten Krise. Die G-7-Staaten müssen - das wurde heute morgen zu Recht betont - ihre Verantwortung gegenüber den Entwicklungsländern wahrnehmen. Wir begrüßen die Entschuldungsinitiative, auch wenn sie nur ein erster Schritt ist, da Strukturmaßnahmen ausgeklammert sind. Aber mit Entschuldung alleine ist es nicht getan. Über 40 000 multinationale Konzerne mit 250 000 Töchtern dominieren die globalisierte Wirtschaft. Entwicklungsländer versuchen, mit Billigstlöhnen und schlechtesten sozialen Bedingungen Kapital und Direktinvestitionen multinationaler Konzerne anzulocken. Eine Sonderwirtschaftszone nach der anderen entsteht. Es sind die Länder des Südens, die gegeneinander konkurrieren. Die Spitze des Eisbergs stellt die Kinderarbeit dar. Kinder verdrängen Frauen aus den Arbeitsverhältnissen, weil sie noch billiger sind und sich kaum gewerkschaftlich organisieren. Für 1999 prognostiziert die Studie der UNO 375 Millionen Kinderarbeiter und Kinderarbeiterinnen. Der Bundestag hat sich vor einigen Wochen einstimmig für verstärkte Maßnahmen zum Schutz der Kinder ausgesprochen. Doch wer das ernsthaft will, muß sich um den Schutz der Erwachsenen kümmern. Ihr Bekenntnis heute morgen zu den IAO-Rechten in allen Ehren: Aber Verhaltenskodizes für Unternehmen und IAO-Kernarbeitsrechte ohne Durchsetzungsmöglichkeiten wirken, als würde man dem Wolf nahelegen, die Lämmer nicht zu fressen. Verbandsklagerecht und Sanktionsfähigkeit der IAO sind nur zwei der dringend notwendigen Schritte. Die G-7-Staaten haben es auf dem Gipfel tatsächlich in der Hand. Auch hier geht es um Menschenrechte. Deren Schutz erfordert allerdings Maßnahmen gegen multinationale Konzerne und gegen die mächtigen Fondsverwalter und Banken. Dies ist unserer Meinung nach unerläßlich, damit die heute morgen zitierte Schwelle zu einer sozialen und demokratischen Weltwirtschaft überwunden werden kann. Danke. ({0})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Für die SPD spricht nun die Kollegin Monika Griefahn.

Dr. Monika Griefahn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003136, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Globalisierung hat ja zwei Seiten. Dienstleistungen sind rund um die Uhr verfügbar. Zu jeder Tages- und Nachtzeit kann man zum Beispiel bei der Lufthansa anrufen und einen Flug buchen. Wenn man am späten Abend unter der 180er Nummer anruft, dann sagt ein Mensch am anderen Ende der Leitung fröhlich „Guten Morgen!“. Wenn man fragt „Wo sitzen Sie denn?“, dann kann die Antwort lauten: Singapur, Adelaide - oder es ist der Name irgendeines Ortes in Neuseeland. Die Globalisierung schafft also Arbeitsplätze im Dienstleistungssektor in den Ländern, für die wir eine Stabilisierung wollen. Auf der anderen Seite gibt es natürlich Menschen, die dabei hier ihren Job verlieren. In diesem Zusammenhang denke ich zum Beispiel an die Buchhaltung, die im Falle der Lufthansa in Bangalore/Indien durchgeführt wird. Das heißt, wir haben in Indien qualifizierte Programmierer und Buchhalter. Für diese Berufe gibt es gut ausgebildete Kräfte. Aber dadurch, daß die Softwareentwicklung und Buchhaltung dorthin verlagert wird, haben die Firmen, die diese Tätigkeiten hier machen wollen, keine Aufträge und darüber hinaus Probleme, qualifizierte Arbeitskräfte in diesem Bereich zu finden. Ein weiteres Beispiel für die beiden Seiten, die negative und die positive: Wir wollen mit Krediten - das ist von der Europäischen Investitionsbank gemacht worden - afrikanischen Ländern helfen. Es ist ein Schlachthof in Botswana gebaut worden. Wo ein Schlachthof ist, müssen auch Rinder hin. Die Rinder brauchen eine Weide. Die Weiden werden auf den Savannenflächen in Botswana abgegrenzt. Es tritt dann die Situation ein, daß die Rinder die Savannen abgrasen und zertrampeln und damit der Versteppung und Verwüstung Vorschub leisten. Wir müssen dann eine Menge tun, um dort zum Beispiel eine Wiederaufforstung oder Wiederfruchtbarmachung dieses Landes zu finanzieren. Der Vorteil davon ist, daß günstig Rindfleisch hierherkommt und die Leute dort eine Arbeit haben. Aber die Landwirte hier bei uns müssen ihr Fleisch preiswerter verkaufen und befinden sich in einer Konkurrenzsituation, die durch die finanziellen Mittel der Europäischen Investitionsbank hervorgerufen worden ist. Insofern haben wir die große Aufgabe - nicht nur in der G 7 oder G 8, sondern auch innerhalb der internationalen Gemeinschaft -, konkrete Projekte, Maßnahmen und Kooperationen zu entwickeln, durch die für die Völker, mit denen wir zusammenarbeiten, nachhaltige Entwicklungsmöglichkeiten geschaffen, aber existierende Möglichkeiten nicht verbaut werden. Globalisierung ist also kein natürliches Phänomen, sondern ein politisches Programm, das, wenn man es nicht richtig macht, wirtschaftlich zum Turbokapitalismus führen kann. ({0}) Wir haben in den letzten Jahren die Situation gehabt, daß 20 Prozent der Weltbevölkerung 80 Prozent der Ressourcen verbraucht haben. Auf der anderen Seite hat es eine Reregulation auf den internationalen Märkten zugunsten von globalisierten Unternehmungen gegeben, und die lokalen Märkte haben ihre Rolle verloren. All dem versucht der G-8-Gipfel in Köln entgegenzuwirken. Das ist gut so. Die Umweltministerkonferenz der G-8-Staaten in Schwerin Ende März zum Beispiel hat sehr konkrete Maßnahmen auf den Weg gebracht mit dem Ziel, einen kohärenten globalen ökologischen Ordnungsrahmen mit multilateralen Vereinbarungen und Institutionen zu schaffen. Das Ziel, die internationale Zusammenarbeit auch bezüglich der Umweltstandards und -normen zu beschleunigen, ist bei der letzten WTO-Verhandlungsrunde, bei der Uruguay-Runde, leider unter den Tisch gefallen. Sozialstandards und Umweltstandards haben eben keine Rolle gespielt. Im Gegenteil: Sie wurden als hinderlich betrachtet. Es sollte statt dessen sogar ein Abkommen geschlossen werden, das solche Dinge praktisch ausnimmt - MAI -. Daß wir selbst davon betroffen sind und genauso wie die Arbeitnehmer, die in den jeweiligen Ländern dann für uns arbeiten, darunter leiden, wenn dieses nicht gemacht wird, sieht man an folgendem praktischen Beispiel: Eine Waschmaschine, die wir in Deutschland kaufen und auf der „made in Germany“ steht, ist hier nur noch zusammengebaut, konfektioniert worden. Sie ist nicht vollständig hier produziert worden. Die Teile sind in aller Welt eingesammelt, eingekauft worden. Die Produktionsmethoden, die dort angewandt werden, haben wir nicht unter Kontrolle. Wenn wir zum Beispiel einen Dichtungsring für die Waschmaschine, der hier eingebaut werden soll, in Taiwan kaufen, so ist zu beachten, daß dort Benzol als Lösemittel benutzt wird, das hier aus Arbeitsschutzgründen, aus sozialen Gründen und natürlich auch aus Umweltschutzgründen überhaupt nicht mehr benutzt werden darf. So passiert es, daß wir mit dem Kauf einer Waschmaschine „made in Germany“ auf einmal Benzol in der Küche oder im Keller haben. Daher ist es doch sinnvoll, zu sagen: Wir machen gemeinsame Standards. Wir schaffen für den Schutz der Menschen dort und für unseren Schutz Abkommen, in denen diese Dinge tatsächlich geregelt sind. Das ist ein ganz wichtiges Ziel, das in Köln vereinbart werden soll. ({1}) Ein weiterer Punkt: Wenn ich mir anschaue, wie Herr Schäuble hier Gift und Galle gespuckt hat ({2}) und wieder einmal das Programm für arbeitslose Jugendliche kritisiert hat, muß ich ganz ehrlich sagen: Ich finde es wirklich frivol, daß die Tatsache, daß die Jugendlichen in Arbeit sind, hier so diskreditiert wird. Wir haben doch alle einen Vorteil davon, wenn zum Beispiel die Rechtsradikalen, wie bei der letzten Wahl, möglichst wenig Stimmen bekommen. Das ist doch gut für die Demokratie. Wenn Menschen Arbeit haben, dann ist der Drang, sich zu radikalisieren, nicht so groß. Dies ist ein wichtiger Punkt bei der Stabilisierung, die wir in Deutschland brauchen, die wir aber auch in anderen Ländern voranbringen wollen. Der Bundeskanzler hat vom „magischen Viereck“ der Modernisierung gesprochen: von wirtschaftlicher Wettbewerbsfähigkeit, aber auch von sozialer Gerechtigkeit - das heißt eben auch: Arbeit für alle -, von ökologischer Nachhaltigkeit in den Ländern, in denen produziert wird, und hier sowie von rechtsstaatlicher Demokratie. Das gehört doch zusammen! Das ist ein ganz wichtiger Teil der Außenpolitik, die von dieser Bundesregierung betrieben wird. Wir versuchen, auf der Welt insgesamt eine bessere Verteilung hinzubekommen, damit die demokratische Entwicklung voranschreitet und damit wir Krisenherde schon im Vorfeld vermeiden können. ({3}) Ein ganz wichtiger Faktor ist zum Beispiel die Frage des Stabilitätspaktes im Balkan. Ich nehme einmal das Beispiel Ruanda: Wir haben neulich mit dem UNGeneralsekretär Kofi Annan gesprochen. Er hat gesagt, er habe lange vorausgesehen, daß es in Ruanda einen Konflikt geben werde. Auf Grund dieses drohenden Konfliktes hat er gesagt: Wir müssen dort etwas unternehmen, wir müssen Länder dazu bewegen, etwas zu tun. Das heißt, die UNO sollte als wichtiges Instrument eingesetzt werden. Was hat er gemacht? Er hat telefoniert, hat versucht, Länder zu mobilisieren, dort einzugreifen, und zwar weit im Vorfeld, bevor der Konflikt richtig hochgekommen ist. Was ist passiert? Die angesprochenen Länder haben keine Präventionsnotwendigkeit gesehen. Auch die SPD-Fraktion hat lange vor Ausbruch des Konflikts bei der letzten Regierung 50 Millionen DM beantragt, um in Ruanda im Vorfeld wirtschaftliche Hilfe zu leisten und die Wirtschaft aufzubauen. Die 50 Millionen DM sind nicht genehmigt worden. Aber hinterher mußte man 380 Millionen DM für humanitäre Hilfe aufwenden, um die Folgen dieses Krieges auszugleichen, der dann in Ruanda ausgebrochen ist, weil die Prävention und die wirtschaftliche Hilfe nicht funktioniert haben. Das ist also viel teurer. Das heißt, die Krisenprävention, die Vorbeugung gegen Krieg muß auf dem G-8-Gipfel eine ganz wichtige Rolle spielen. Darauf müssen wir auch unsere Finanzmittel konzentrieren; denn wenn wir jetzt sparen, haben wir in zwei oder fünf Jahren viel höhere Kosten zu tragen, als wenn wir jetzt zahlen. Das wird auch hinsichtlich des Stabilitätspaktes gelten, der auf dem Gipfel in Köln ebenfalls ein ganz wichtiger Punkt sein wird. ({4}) - Indien und Pakistan, das ist ein gutes Beispiel. Ich denke, daß dort eine Kooperation notwendig ist. Das ist auch etwas, was die letzte Bundesregierung versäumt hat. ({5}) Ich hatte die Freude, Herr Waigel, zusammen mit dem Ausschußvorsitzenden Klose und dem Kollegen Schwalbe nach Indien und Pakistan zu reisen. Das war die erste Reise seit langem, die Vertreter dieses Parlaments in diese Länder gemacht haben. Die Inder haben immer wieder deutlich gemacht, daß sich die westlichen Länder nur auf China konzentrieren und mit China diskutieren, aber Indien als gleich großes Land, als Land, das sogar eine Demokratie hat, vernachlässigen nach dem Motto: Die kommen schon alleine zurecht. Ich halte es für sehr wesentlich, daß wir, ähnlich wie in den anderen Ländern, mit Indien im Vorfeld sehr intensiv zusammenarbeiten ({6}) und gerade zum jetzigen Zeitpunkt ganz intensive Kontakte mit Indien und auch mit Pakistan pflegen. ({7}) Gerade mit Blick auf das, was vorhin zum Zusammenbruch der Finanzmärkte gesagt worden ist, daß nämlich - als eine Auswirkung der Globalisierung manches zu schnell nur in Kapitalbewegungen umgesetzt worden ist, halte ich es für besonders notwendig, daß wir Energie in globale Partnerschaften investieren, daß wir zusammenarbeiten und daß wir auch dort ganz früh anfangen, zu kommunizieren. Vorhin ist bereits die Frage aufgeworfen worden - Herr Waigel und Herr Brüderle haben das getan -: Wie können wir zukünftig vormachen, wie zum Beispiel Energiepolitik oder auch andere Formen der Wirtschaftspolitik zu leisten sind, und wie gehen wir hinterher seriös damit um? Da kann ich nur sagen: Wir versuchen, mitzuhelfen, daß die Bundesregierung überhaupt die Möglichkeit hat, mit den anderen G-8-Ländern intensiv darüber zu diskutieren, daß wir weltweit eine neue Energiepolitik brauchen. Machen wir uns doch nichts vor: Die Kernreaktoren, die im Osten überall am Netz sind, sind zum Teil marode, zum Teil nicht nachrüstbar. Für ihre Nachrüstung und Technik binden wir Geld, das dann zum Beispiel bei der Einführung von Energieeinsparmethoden, beim Aufbau einer dezentralen Energieversorgung und Wärmenutzung fehlt. Man sieht das auch daran, daß sich die Weltbank, der man ja nicht nachsagen kann, daß sie ideologisch besonders fixiert ist, an der Nachrüstung von östlichen Reaktoren nicht beteiligt. Vielmehr finanziert sie statt dessen ein Programm zur Energieeinsparung, das „Kiew 2000“ heißt und das Energieeinsparung und die Nutzung regenerativer Energien vorantreiben soll. ({8}) - Herr Waigel, das ist falsch. Die Ukraine hat 1997 53 Millionen Gigawatt produziert und hat 1997 27 Millionen Gigawatt verbraucht. ({9}) Falsch ist auch die Behauptung, daß die Reaktoren schon zu 80 Prozent fertig sind. Ebensogut könnten Sie sagen: Der Schürmann-Bau ist zu 80 Prozent fertig. ({10}) Denn dort stehen zwei Betonruinen, die man 1981/82 zu bauen begonnen hat und die dann 1991 nicht weitergebaut worden sind. Sie wissen selber, daß Gebäude, die zehn und mehr Jahre irgendwo herumstehen und die nicht weitergebaut werden, nicht in sinnvoller Weise fertiggebaut werden können, sondern daß es dann besser ist, sie abzureißen und etwas Neues zu bauen. Dafür setzen wir uns ein, darüber diskutieren wir auch mit Abgeordneten in anderen Parlamenten und versuchen, mit ihnen eine gemeinsame Position zu erarbeiten und eine gemeinsame Bewegung hinzubekommen, auch mit der Ukraine. Das ist unser Ziel. Ich komme zu den Rahmenbedingungen für den Arbeitsschutz - auch das ist ein ganz wichtiger Punkt -: Umweltschutz und Arbeitsschutz hängen sehr eng miteinander zusammen. Ich möchte das nicht immer nur auf etwas reduzieren, worüber man sich sehr schnell verständigen kann, etwa auf das Beispiel Kinderarbeit. Das ist ein wichtiger Punkt; darin sind wir uns einig. Allerdings muß ich hinzufügen, daß es in vielen Ländern eine Diskussion gibt: Bringt das nicht noch mehr Probleme, zum Beispiel den Anstieg der Kinderprostitution? Wenn ich mir vor Augen halte, daß in vielen Ländern das Ziel des Arbeitsschutzes dazu benutzt wird, Produktionen von dort woandershin zu verlagern, so daß man sagen kann: „Wir sind hier sauberer geworden“, dann muß ich sagen, daß ich auch das nicht akzeptieren kann. Es darf nicht nach dem Motto „Aus den Augen, aus dem Sinn“ verfahren werden. Manche Firmen lassen beispielsweise Leute unter den schlechtesten Arbeitsbedingungen Phosphat abbauen - auch Kinder sind darunter -, was nichts daran ändert, daß wir hier Dinge in den Müll schmeißen, die - Klärschlamm beispielsweise - einen höheren Phosphatgehalt aufweisen als das, was in China oder Marokko abgebaut wird. Über diese Punkte muß jetzt dringend im Rahmen der WTO verhandelt werden. Dieses Problem hängt auch sehr wesentlich mit dem Verbraucherschutz zusammen. Insofern bin ich sehr dankbar dafür, daß sehr intensive Gespräche zum Beispiel über die Frage des Hormonfleisches und der Bananen geführt werden, um das alles zu klären, so daß wir nicht in die Lage kommen, daß ständig mit Hilfe der Regeln der WTO, wie sie einmal aufgestellt worden sind, der Verbraucherschutz, der Umweltschutz, der Arbeitsschutz oder der Sozialschutz ausgehebelt werden. Ich will einen weiteren wichtigen Punkt nennen: die Gentechnik. In 40 Ländern gibt es dazu keine Gesetzgebung; dort werden Experimente ohne Regelungen durchgeführt. Es wird Embryonenforschung betrieben; es wird das Klonen von Menschen erprobt. Für mich stellt sich dabei die Frage: „Wo fängt dabei der Kannibalismus an?“, wenn man zum Beispiel menschliche Gene in Tiere einpflanzt. Wenn diese Dinge frei gehandelt werden können, ohne daß man sich darauf verständigt hat, daß es in anderen Ländern eine ähnliche Gesetzgebung geben sollte wie bei uns, dann haben wir auch ein ethisches Problem. Ich denke, wir brauchen auch eine ethische Diskussion. Wir brauchen eine Stärkung der betreffenden Instrumente. Wir müssen im Rahmen der G 8 zusammenarbeiten, aber wir müssen auch die UNO einbinden. Die UNO ist ja nach 1945 als das Instrument akzeptiert worden, in dessen Rahmen man gemeinsam Weltpolitik machen kann. Wir werden auch im Deutschen Bundestag in der nächsten Zeit sehr intensiv über die UNO und ihre Funktion diskutieren. Ich hoffe, daß die Kooperation zwischen UNO, G 8 und der Europäischen Union in allen diesen Fragen konkret vorangeht. Denn nur so können wir auf der Erde Gerechtigkeit, aber auch Sicherheit und Stabilität für uns hinbekommen. Die egoistische Komponente spielt dabei immer eine Rolle. Das, so glaube ich, bewegt uns wahrscheinlich letztendlich dazu, die notwendigen Schritte zu gehen, auch wenn sie Geld kosten. Danke schön. ({11})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Als nächste Rednerin spricht nun für die CDU/CSU-Fraktion Dr. Martina Krogmann.

Dr. Martina Krogmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003163, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Griefahn hat mit der Beschwörung der Waschmaschine gerade versucht, die Regierungspolitik reinzuwaschen. ({0}) Dazu muß ich ganz klar sagen: Wir Jungen in Deutschland sind entsetzt über Ihre alte, rotgrüne Politik. ({1}) Sie reden von der Konsolidierung der Staatsfinanzen; aber Sie geben in diesem Jahr 29 Milliarden DM mehr aus. Sie reden von der Flexibilisierung der Arbeitsmärkte; aber Sie haben gerade erst alle Reformen zurückgedreht. Sie reden auch von der Notwendigkeit einer Steuerreform; aber Sie verschieben sie auf das übernächste Jahr. Und Sie reden davon, daß wir mehr Unternehmer brauchen; aber anstatt Selbständige zu fördern, Unternehmertum zu fördern, beschließen Sie ein Gesetz, das Freiberufler und junge Existenzgründer als Scheinselbständige diffamiert. ({2}) Zwischen dem, was Sie sagen, und dem, was Sie tun, besteht ein riesiger Widerspruch. Ich kann dazu nur sagen: Mit dieser Politik werden Sie die Herausforderungen der Globalisierung nicht bewältigen können. ({3}) Bis weit in das rotgrüne Lager hinein besteht die Vorstellung, Globalisierung sei der Kampf des Starken gegen den Schwachen: Der eine nimmt, dem anderen wird genommen. - Dies ist ökonomischer Unsinn. Die weltweite Verflechtung der Wirtschaft führt zu Zugewinn für alle: bei den starken Ländern und großen Konzernen ebenso wie bei den schwachen Ländern und Mittelständlern. Der weltweite Wohlstand steigt, und ein aktives Gestalten und Voranbringen des Prozesses der Globalisierung wird allen nutzen und wesentlich zur Beseitigung der globalen Probleme beitragen. Wir in Europa haben alle Chancen dazu. Wir haben in den vergangenen Jahren mit dem Binnenmarkt, mit dem Cardiff-Prozeß und vor allem mit der Einführung des Euro wesentliche Fortschritte gemacht. ({4}) Damit haben wir die Grundlage dafür geschaffen, im weltweiten Wettbewerb mithalten zu können. Es ist ein einheitlicher Wirtschaftsraum mit einer einheitlichen Währung entstanden. Die Begrüßung des Euro an den internationalen Devisenmärkten war geradezu euphorisch; die Marktteilnehmer glaubten an eine harte Währung. Sie vertrauten auf den Stabilitätspakt. Aber das Vertrauen haben Sie verspielt. Der Stabilitätspakt wurde unter Ihrer Ratspräsidentschaft durch die Ausnahmeregelung für Italien aufgeweicht. ({5}) Der Euro fällt! Es ist doch schlimm, wenn renommierte internationale Zeitungen wie der „Economist“ von Deutschland als dem „kranken Mann des Euro“ sprechen. ({6}) Sie haben eine gesunde Volkswirtschaft in acht Monaten krank gemacht. Ach, wenn wir doch wieder einen Waigel hätten! ({7}) Die soziale Marktwirtschaft war nie nur ein Wirtschaftsmodell. Sie war, ist und bleibt auch immer ein Gesellschaftsmodell. Die soziale Marktwirtschaft spiegelt unsere Vorstellung von Demokratie, von Freiheit und sozialer Sicherheit wider. Wissen Sie, was ich wirklich nicht verstehe? ({8}) Hiervon steht in dem kalten Schröder/Blair-Papier auch nicht nur ein einziges Wort. ({9}) Auf dieses Dokument sozialdemokratischer Ratlosigkeit können wir dann wohl sehr gut verzichten! ({10}) Weil wir die soziale Marktwirtschaft haben, geht es bei den Herausforderungen der Globalisierung natürlich nicht nur um Börsenwerte, Shareholder Value oder Bilanzkennziffern. Betroffen von Ihrer Politik sind die Menschen, die sich Sorgen um ihren Arbeitsplatz machen. Betroffen sind auch die jungen Leute, deren Perspektiven und künftige Bewegungsspielräume Sie durch die Politik der Staatsverschuldung und der hohen Steuern einengen. Es geht um nichts weniger als um Zukunftschancen und Zukunftsgerechtigkeit. ({11}) Rotgrün ist weit davon entfernt, dafür die notwendigen Voraussetzungen zu schaffen. Die einen, die Traditionalisten, lehnen den Modernisierungskurs grundsätzlich ab, die anderen, die selbsternannten Modernisierer, bleiben bei ihrer unverbindlichen Wettbewerbsrhetorik, ({12}) ohne den Ankündigungen Taten folgen zu lassen. Mit Ihrer Politik werden wir die Herausforderungen der Globalisierung nicht bestehen. ({13}) Die junge Generation erwartet nicht den alten Mief, sondern eine moderne, weltoffene Politik. Vielen Dank. ({14})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Es spricht nun für die Bundesregierung die Bundesministerin für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Frau Heidemarie Wieczorek-Zeul.

Heidemarie Wieczorek-Zeul (Minister:in)

Politiker ID: 11002503

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich habe gestern abend - die Vertreter der Kirche haben gestern getagt und tagen heute - an einer Konferenz teilgenommen, auf der sich sowohl die evangelische als auch die katholische Kirche in ausführlichen Diskussionen mit den Themen, die den Weltwirtschaftsgipfel betreffen, beschäftigt hat. Sie haben ein Dokument, das sich „Globalisierung der Solidarität“ nennt, beschlossen. Angesichts der Ernsthaftigkeit, mit der solche Gruppen in unserer Gesellschaft die Diskussion über die Probleme der Globalisierung führen, finde ich es eine Schande für den Deutschen Bundestag, daß ein Teil dieses Hauses den Versuch unternimmt, hier billigste parteipolitische Münze auszuzahlen. ({0}) Es ist gegenüber den Themen, vor allen Dingen aber gegenüber den gesellschaftlichen Gruppen, die darüber diskutieren, unangemessen. Deshalb sollten manche von Ihnen, die hier solche Sprüche geklopft haben, im Dokument „Globalisierung der Solidarität“ einmal nachlesen, was darin zur internationalen Finanzordnung bis hin zur Welthandelsorganisation und ihren Reformen ausgeführt wird. Dann würden manche von Ihnen wirklich blaß und könnten einen Teil der Ausführungen in ihre Argumentation übernehmen. Meine Vorrednerin hat den Eindruck vermittelt, durch die Globalisierung gäbe es eigentlich nur Gewinner. Das ist ein Stück Nichtwahrnehmung von Realität. Ich trage Ihnen einmal vor, was die Weltbank am 7. Juni veröffentlicht hat. James Wolfensohn, der Präsident, hat einen Bericht „Makroökonomische Krisen und die Armut - Politische Antworten“ vorgelegt. Der Tenor der Berichterstattung ist: Armut in dritter Welt nimmt zu. Wolfensohn wird zitiert: Die asiatische Finanzkrise hat zu einer dramatischen Trendwende beim Abbau der Armut in der dritten Welt geführt. Die Weltbank registriert eine erhebliche Zunahme der Armut, speziell in Asien, in Afrika, in Osteuropa und in den Entwicklungsländern. Im Bericht wird empfohlen - da mögen manche zuhören, die sagen, etwas ganz anderes sei notwendig -: Das soziale Sicherheitsnetz - Arbeitslosenversicherung, Subventionierung von Schulgeld, Programme zur Arbeitsbeschaffung und Subvention von Grundnahrungsmitteln sei für die durchgreifende wirtschaftliche Erholung eines von der Krise betroffenen Landes notwendig. Ich spreche das deshalb an, weil das eine der zentralen Fragen ist, die uns heute beschäftigen muß. In zehn Ländern Südostasiens ist das Volkseinkommen 1998 angesichts der Folgen der Finanzkrise um 7 Prozent gesunken. Die Globalisierung hat Auswirkungen nicht nur auf das Nord-Süd-Verhältnis und auf das West-Ost-Verhältnis, sondern auch auf unsere Gesellschaften. Da gibt es Gewinner und Verlierer. Wir sollten im Rahmen unserer Kräfte alles dazu beitragen, daß die wirtschaftliche Globalisierung auch mit einer Globalisierung der politischen Verantwortung beantwortet wird. Willy Brandt hat das „global governance“ genannt. Wir brauchen - das haben auch die Kirchen gefordert - eine neue Weltordnungspolitik, damit die Globalisierung endlich auch politisch und sozial gestaltet werden kann und damit es so etwas wie soziale Marktwirtschaft überhaupt noch geben wird. ({1}) Wie kommen Finanzkrisen zustande, und welche Auswirkungen haben sie? Sie sind doch das Ergebnis privater Kapitalspekulationen. Wir können gar nicht so viel finanzielle Mittel für Entwicklungszusammenarbeit aufbringen, wie durch die letzten Finanzkrisen den Entwicklungsländern geschadet worden ist und wie die Lebensverhältnisse der Menschen in den Entwicklungsländern durch diese Krisen verschlechtert worden sind. ({2}) Deshalb greife ich den Ansatz einer neuen internationalen Finanzarchitektur auf, über die auch auf dem Weltwirtschaftsgipfel beraten wird. Dies ist ein Element. Aber es gibt auch noch andere Elemente dieser neu zu schaffenden Weltordnungspolitik. Ich greife in diesem Zusammenhang das auf, was Monika Griefahn hierzu gesagt hat. Wir sollten gerade auch nach den Erfahrungen mit dem Jugoslawien-Kosovo-Konflikt eine Stärkung der Vereinten Nationen fordern, um eine Weltordnungspolitik zu etablieren. Wir brauchen einen UNOSicherheitsrat, in dem nicht nur nationale Sicherheitsinteressen vertreten, sondern die Menschenrechte wirklich global und universell ausgelegt und entsprechend verwirklicht werden. Das wäre Weltordnungspolitik. ({3}) Es liegt eine Klimakonvention vor, die umgesetzt werden muß. Des weiteren müssen die Prinzipien der Internationalen Arbeitsorganisation praktisch umgesetzt werden. Ich halte es für einen hervorragenden Erfolg, daß sich die ILO endlich dazu durchgerungen hat, ausbeuterische Kinderarbeit nicht nur zu ächten, sondern auch dazu beizutragen, daß sie nicht mehr praktiziert wird. Wir müssen über viele dieser Rahmenbedingungen diskutieren, und wir müssen sie in der Praxis verbessern. Schon in der Vorbereitung des jetzigen Weltwirtschaftsgipfels gab es in dieser Beziehung gewisse Verbesserungen und Ergebnisse, die sich meines Erachtens sehen lassen können. Ich möchte in diesem Zusammenhang die Entschuldungsinitiative ansprechen, die die Bundesregierung vorangebracht hat. Ich möchte hier auch einmal all den Initiativen danken, die sich im Rahmen der Kirchen und der Erlaßjahrkampagne engagieren, um ein Signal der Hoffnung für Millionen von Menschen und für Millionen von Kindern zu setzen, daß sie nicht dem Hungertod geweiht sind. ({4}) Sie engagieren sich, um ein Signal zu setzen, daß Menschen am Ende dieses Jahrhunderts auch in ihrem eigenen Land einen Anspruch auf Gesundheit und Bildung haben. Ich bin stolz, daß unser Ministerium den Anstoß für eine solche Entschuldungsinitiative gegeben hat und daß ein wirklich substantieller Erlaß der Schulden und eine Entschuldung der ärmsten Entwicklungsländer auf dem Weltwirtschaftsgipfel beschlossen werden wird. Das wird ein ganz wichtiges Signal des Weltwirtschaftsgipfels sein. ({5}) Ich möchte hier aber auch darauf hinweisen, daß es darum geht, daß die ärmsten Entwicklungsländer wieder eine Chance haben, in die weltwirtschaftlichen Beziehungen integriert zu werden. Aber Voraussetzung, daß der Schuldenerlaß für sie wirksam wird, ist, daß die betroffenen Länder eine verantwortliche Regierungsführung praktizieren und sich die Programme, die dann anlaufen, auf Bekämpfung der Armut, Verwirklichung von Basisgesundheit und Grundbildung konzentrieren. ({6}) - Selbstverständlich. - Es gibt also keinen unkonditionierten Erlaß. Dazu stehe ich auch. In dem Entwurf, den der Weltwirtschaftsgipfel beschließen wird, fordern die G-7-Staaten den Internationalen Währungsfonds und die Weltbank aber auch ausdrücklich auf, die Programme gemeinsam mit den beteiligten Ländern so umzusetzen, daß soziale Ausgaben geschützt werden, die Armut bekämpft wird und daß das Bildungs- und Gesundheitswesen ausgebaut wird. Es gibt Länder, die solche Maßnahmen für ihre Bevölkerung überhaupt nicht mehr alleine finanzieren können. Eine weitere Forderung ist die Beteiligung der Zivilgesellschaft an dieser Entwicklung. Darauf - das verspreche ich all denjenigen, die ihre Hoffnung darauf setzen - werden wir in unserer Eigenschaft als Anteilseigner der Weltbank und als Mitglied des IWF gemeinsam mit den anderen G-7-Ländern sowie den dort vertretenen EU-Ländern sorgfältig achten. Wir wollen nämlich, daß der neugewonnene finanzielle Spielraum dieser ärmsten Entwicklungsländer den Menschen und nicht irgendwelchen korrupten Potentaten zugute kommt. Wir wollen, daß die Mittel nicht in Militärausgaben fließen, sondern für die Befriedigung der Bedürfnisse der Menschen ausgegeben werden und so wirklich einen Beitrag zur Entwicklung dieser Länder leisten. ({7}) Das ist auch im Interesse der Menschen hier, die ja viel Hilfsbereitschaft beim Spenden gezeigt haben. Dabei haben sie stets zur Voraussetzung gemacht, daß die Mittel auch dahin gelangen, wo sie ankommen sollen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Bundesrepublik Deutschland - diesen Punkt betone ich noch einmal hat als exportierendes Industrieland ein Eigeninteresse daran, daß Stabilität in der Welt gesichert wird. Es ist doch besser, diese Mittel für die Befriedigung der Grundbedürfnisse von Menschen zu investieren, als mit Milliardenaufwand die Schäden von Krisen und Kriegen zu reparieren. Wir tun also etwas für die Stabilität in der Welt, wenn wir dazu beitragen, daß die ärmsten Entwicklungsländer entschuldet werden. Es nutzt ihnen; es nutzt auch den Industrieländern. Es ist ein Akt der Solidarität im Rahmen der Globalisierung. So verstanden, sollte diese Debatte heute ein Signal an die vielen Millionen Menschen sein, für deren Zukunft wir uns gemeinsam mit Ihnen engagieren. Ich bedanke mich sehr. ({8})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Für die SPDFraktion spricht nun die Kollegin Brigitte Adler.

Brigitte Adler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000010, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Die Ergebnisse des Weltwirtschaftsgipfels in Köln werden von den hochverschuldeten Ländern mit Spannung erwartet. Katholische Bischöfe und Kardinäle aus Asien, Lateinamerika und Afrika unterstützten im Gespräch mit dem Herrn Bundeskanzler am vergangenen Montag die Bemühungen um spürbare Schuldenerleichterungen. Auch der Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit nutzte die Gelegenheit, sich mit den kirchlichen Würdenträgern über die Kampagne „Erlaßjahr 2000“ auseinanderzusetzen. Die Schuldenproblematik war außerdem bereits Gegenstand einer öffentlichen Anhörung. Es findet also eine breite öffentliche Debatte statt. Über die Notwendigkeit einer Entschuldung besteht aber wohl Einigkeit. Nun mag der eine oder andere behaupten, die vorgesehene Entschuldung bei Entwicklungshilfegeldern um bis zu 100 Prozent und bei Handelsschulden um etwa 90 Prozent bedeute nicht so viel, in Köln gehe es nur um kleine Fische. In der Tat nimmt sich in Anbetracht aller Verbindlichkeiten der ärmsten Staaten von mehr als 2 Billionen US-Dollar ein Entlastungseffekt von etwa 70 Milliarden US-Dollar mickrig aus. Wir sprechen hier von nicht einmal 3 Prozent der Gesamtschulden. Trotzdem sind die Maßnahmen politisch mehr wert, als es die nackten Zahlen ausweisen. Persönlich verbinde ich gemeinsam mit vielen entwicklungspolitischen Nichtregierungsorganisationen und interessierten Menschen, die übrigens weltweit gesammelte Unterschriften dem Herrn Bundeskanzler in Köln übergeben werden, die Hoffnung auf einen tatsächlichen Schritt in die Richtung eines fairen, völkerrechtlich verbindlichen Interessenausgleiches zwischen Gläubigern und Schuldern. Das hat es bisher noch nicht gegeben, und es war schon lange überfällig. Eines dürfte wohl auch klar sein: Ohne das entschiedene Engagement von Ihnen, Frau Ministerin Wieczorek-Zeul, hätte sich im internationalen Schuldenmanagement nicht so viel positiv entwickelt. Anerkennenswert ist auch, daß der Bundeskanzler in seiner Rede heute der Entwicklungspolitik so viel Gewicht beigemessen hat. Deshalb gilt es, die Chance zu nutzen, nicht nur im vielzitierten „wohlverstandenen Eigeninteresse“, sondern auch um der Gerechtigkeit willen. Schuldenerlaß allein garantiert keine solidarische Welt. Was nutzt ein Schuldenerlaß, wenn gleichzeitig die Gläubigerländer einen fairen internationalen Handel verhindern? Im Herbst stehen in Seattle die WTO-IIVerhandlungen an. Die Handelsliberalisierung wird weiter voranschreiten. Wichtige weichenstellende Entscheidungen stehen auf der Tagesordnung. Den Entwicklungsländern bleibt gar keine andere Wahl, als Rahmenbedingungen zu schaffen, um an den prognostizierten Wohlfahrtsgewinnen zu partizipieren. Ohne Schuldenerleichterungen würden erst recht weiterhin jene die Zeche bezahlen, denen der Nutzen aus dem internationalen Handel letztlich zugute kommen sollte, nämlich den Millionen von Hungernden, den Marginalisierten und den Besitzlosen. Ohne die Mitwirkung der OECD-Staaten an einer partnerschaftlichen Teilhabe der Entwicklungsländer am Liberalisierungsnutzen wird die globale Ungleichheit beschleunigt zunehmen, wird die Schere zwischen Armen und Reichen weiter auseinanderdriften. Das, verehrte Kolleginnen und Kollegen, ist kein Horrorszenario, sondern die traurige Wahrheit. Dem müssen wir etwas entgegensetzen. Wenn die Bundesregierung Entwicklungsländer also dabei unterstützt, ihre WTO-Verhandlungskapazitäten auszubauen, wenn die Bundesregierung Hilfestellungen in der Nachbereitung der Ergebnisse der Uruguay- und der anstehenden WTO-Runde leistet und wenn die Bundesregierung dies in ihrer eigenen und der europäischen Entwicklungszusammenarbeit berücksichtigt - ich erinnere in diesem Zusammenhang an die Ergebnisse des EZ-Ministerrates vom 21. Mai dieses Jahres -, dann sehe ich uns auf dem richtigen Weg. Der neue Kurs in der deutschen Entwicklungszusammenarbeit trägt Früchte, und das ist ein Verdienst dieser Bundesregierung. Die Erwartungen und Hoffnungen in bezug auf die WTO-II-Runde Ende des Jahres dürfen kein Kredo im Sinne automatischer Lösungen für die drängenden Probleme auf unserem Globus sein. Der Markt allein wird in absehbarer Zukunft nicht in der Lage sein, Ressourcen und Benefits effektiv, fair und gerecht zu verteilen. Der Markt allein wird es nicht schaffen, der Verwirklichung des Rechts auf Nahrung zum Durchbruch zu verhelfen. Der Markt allein sorgt auch nicht für eine gerechte internationale Wettbewerbsordnung, die internationale Kartelle und Preisabsprachen verhindert und eine weltweite Fusionskontrolle ausübt. Die im Herbst beginnende Verhandlungsrunde der WTO sollte deshalb nicht schnell erzielte Ergebnisse hervorbringen. Es kommt entscheidend darauf an, inwieweit demokratische Entscheidungsmechanismen die Verhandlungen bestimmen. Insofern gilt es, für Transparenz und Klarheit in der Arbeitsweise der Welthandelsorganisation zu sorgen, sich massiv für die gleichberechtigte Teilnahme der Entwicklungsländer an den Entscheidungsprozessen einzusetzen, die Nichtregierungsorganisationen, die Zivilgesellschaft als solche stärker einzubeziehen und in diesem Sinne eine kooperative Zusammenarbeit mit anderen multilateralen Organisationen, wie der Weltbank und dem UNDP, anzustreben. Wir müssen und werden einen Beitrag leisten, die Weichen für eine gerechte Welt zu stellen. Dazu gehört auch die Nachbereitung und die Fortschrittskontrolle in bezug auf die Weltkonferenzen der Vereinten Nationen. Was wären all diese Aktionspläne wert, wenn sie im großen Liberalisierungs- und Globalisierungskonzept unberücksichtigt blieben? Ohne unser ernsthaftes Bemühen und ohne unser klares Bekenntnis in Worten und Taten zu den gefaßten Beschlüssen in Rio, in Kopenhagen, in Kairo, in Peking oder in Rom würde das ganze System seine Glaubwürdigkeit aufs Spiel setzen. Die Entschuldung der Entwicklungsländer ist ein bedeutender Schritt zu mehr Gerechtigkeit und bedeutet eine reale Chance für wirtschaftliche Entwicklung. Die Bundesregierung hat mit ihrer Initiative das richtige Signal gesetzt. Wenn wir nun dazu beitragen können, daß in gleichem Maße Investitionen in menschlichen Fortschritt geleistet werden, dann haben wir meines Erachtens einen positiven Beitrag geleistet - ich zitiere dazu das Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen -, „daß unsere Zukunft nicht bloß vom Schicksal gegeben ist, sondern daß wir sie“ - unser aller Zukunft „gestalten müssen“. Vielen Dank. ({0})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Als letzter Redner in dieser Debatte spricht nunmehr der Kollege Bernd Scheelen von der SPD-Fraktion.

Bernd Scheelen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002772, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich ging davon aus, daß wir heute über den Weltwirtschaftsgipfel reden, aber ich habe feststellen müssen, daß die Oppositionsparteien die Gelegenheit genutzt haben, über Innenpolitik zu reden. Deswegen will ich, bevor ich zum eigentlichen Thema komme, drei Dinge aufgreifen, die hier angesprochen worden sind. Ich möchte mit dem Kollegen Waigel beginnen, weil er freundlicherweise noch hier ist. ({0}) - Vielen Dank, ich anerkenne das außerordentlich. Herr Kollege Waigel, Sie haben vorhin dem Bundeskanzler einen strategischen Fehler vorgeworfen: Er hätte nach der Wahl den Bürgern sagen müssen, der Waigel und der Kohl seien böse Buben, aber die SPD könne deren Sozialkürzungen nicht zurücknehmen. Ich sage Ihnen, was wir gemacht haben. Wir haben das vor der Wahl gesagt. Damals sagten wir, der Kohl und der Waigel seien böse Buben und die SPD werde deren Sozialkürzungen zurücknehmen. Genau das haben wir getan, und deswegen haben die Menschen uns auch gewählt. ({1}) Der zweite Punkt betrifft die 630-Mark-Arbeitsverhältnisse. ({2}) Dazu darf ich feststellen, daß Sie uns die Wildwestmethoden auf dem Arbeitsmarkt von vor der Wahl hinterlassen haben. ({3}) Sie haben es jahrelang zugelassen, daß reguläre sozialversicherungspflichtige Arbeitsverhältnisse in ungeschützte Arbeitsverhältnisse umgewandelt werden. Die Schätzungen reichen von fünfeinhalb Millionen Arbeitsplätzen bis zu zehn Millionen Arbeitsplätzen. Ich sage Ihnen ganz offen: Das, was wir auf diesem Gebiet beschließen mußten, würden wir heute genauso wieder beschließen, ({4}) auch wenn es in einzelnen Fällen weh tut. Die soziale Gerechtigkeit erfordert eine solche Regelung, wie wir sie gefunden haben. ({5}) Wir bekommen dafür mittlerweile auch Zustimmung, und ich werde Ihnen gleich eine Meinung dazu vorlesen. Wenn die Verleger feststellen, daß ihre Zeitungen morgens immer noch zugestellt werden, dann werden sie diese Kampagnen gegen das Gesetz, die auch mit Unwahrheiten geführt werden, einstellen. ({6}) Heute morgen war in meiner Zeitung zu Hause, in der „Rheinischen Post“ in Krefeld, im kommunalen Teil ein Artikel - ({7}) - Sie haben doch auch über Innenpolitik geredet; im Moment reden wir über 630-Mark-Jobs, und sie gibt es auch in Krefeld, nicht nur in Bonn oder in Bayern oder sonstwo. Da hat der Obermeister der Gebäudereiniger eine Mitteilung an die Presse gegeben. Ich lese Ihnen den entscheidenden Satz vor: Der „Richtung des neuen Gesetzes“, nämlich einer Reduzierung der 630-Mark-Arbeitsverhältnisse, stimmt die Innung der Gebäudereiniger absolut zu. Deshalb bat Schmitz - das ist der Obermeister darum, in keinem Fall wieder eine Nachbesserung beziehungsweise Lockerung der jetzigen Gesetze vorzunehmen. ({8}) Die Überschrift des Artikels lautet: „Am besten komplett abschaffen.“ ({9}) Der Herr Obermeister, der übrigens Mitglied Ihrer Partei ist, steht voll hinter dieser Regelung. Er sagt, er hätte alle seine 600 Arbeitsverhältnisse, die er zwangsläufig auf der Basis der 630-DM-Regelung haben mußte, abgeschafft und dafür 200 sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze geschaffen. Das ist genau das, was wir wollen. ({10}) Die dritte Vorbemerkung, ein Satz noch zu dem Papier von Bundeskanzler Schröder und dem britischen Premierminister Tony Blair. Ich empfehle allen, die hier wohlfeile Kritik vorbringen, nicht nur die Kommentare über das Papier zu lesen, sondern es selbst einmal in die Hand zu nehmen und es durchzulesen. ({11}) - Diesen Text kann man sich über das Internet besorgen. An die Adresse des Kollegen Gysi gewandt - er ist nicht mehr anwesend - sage ich: Er sollte einmal im Schröder/Blair-Papier den Absatz mit der Überschrift „Angebots- und Nachfragepolitik gehören zusammen und sind keine Alternativen“ lesen. ({12}) Das heißt, es wird eine Ausgewogenheit von Angebotsund Nachfragepolitik angestrebt, also nicht nur eine einseitige Angebotspolitik. Sie sollten das nachlesen. Meine Damen und Herren, das Gipfeltreffen der Staats- und Regierungschefs der G-7/G-8-Staaten am kommenden Wochenende wird ein weiterer Schritt der erfolgreichen internationalen Politik der Bundesregierung sein. Auf diesem Gipfeltreffen werden Reformvorschläge zur internationalen Finanzarchitektur eine wichtige Rolle spielen. Denn den meisten wird immer klarer, daß die enge internationale Vernetzung der Finanzmärkte, die Tatsache, daß man Milliardenbeträge innerhalb weniger Sekunden um den Globus herumlenken kann, eine bessere internationale Zusammenarbeit erfordern. Nicht zuletzt die vergangenen Finanzkrisen - ich nenne in diesem Zusammenhang die Stichworte Asien und Lateinamerika - haben deutlich gemacht, daß hier Handlungsbedarf besteht. Denn die internationalen Finanzmärkte sind nicht immer effizient. Sie sind anfällig für Fehlentwicklungen infolge mangelnder Transparenz, aber auch infolge fehlenden Informationsaustauschs. Diese Fehlentwicklungen müssen durch einen geeigneten Ordnungsrahmen, der nicht national geregelt werden kann, verhindert werden. Im nationalen Bereich haben wir einen solchen Ordnungsrahmen: Die soziale Marktwirtschaft vermeidet - zumindest größtenteils - Marktversagen und Fehlentwicklungen. Aber auch die internationalen Märkte benötigen einen verbindlichen Ordnungsrahmen, um die Gefahren ungezügelter Märkte unter Kontrolle zu bekommen. ({13}) Dafür brauchen wir internationale Vereinbarungen. Denn die Zeche für die gefährlichen Turbulenzen und enormen Schwankungen auf den Finanzmärkten zahlen immer die Schwächsten in der Gesellschaft der betroffenen Länder, über Steuern letztlich aber auch unsere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sowie diejenigen Betriebe, die noch ordnungsgemäße Arbeitsverhältnisse unterhalten. Ich sage mit Stolz, daß die SPD, Bündnis 90/Die Grünen und die Bundesregierung mit als erste auf die Notwendigkeit internationaler Vereinbarungen für die Weltfinanzmärkte hingewiesen haben, und zwar mit Erfolg. Denn mittlerweile sehen dies die Bundesbank, die europäischen und internationalen Partner, die Weltbank und sogar die US-Notenbank genauso. In diesem Punkt haben die 16 Jahre Ihrer Regierung leider überhaupt nicht weitergeführt. ({14}) Sie mußten von den Partnern immer zu entsprechenden Maßnahmen gedrängt werden. Hier im Deutschen Bundestag wurden solche Pläne von Ihnen als purer Dirigismus abgetan. Sie waren der Meinung, daß nationale Maßnahmen ausreichen. Dabei haben Sie übersehen, zu welchen Folgen ein fehlender Ordnungsrahmen in der Welt führt und wieviel soziales Leid entsteht, wenn solche Turbulenzen, wie sie in Asien und Lateinamerika stattgefunden haben, die Menschen überraschen. Ein Punkt im Hinblick auf die Stärkung des Finanzsystems, den ich betonen möchte, betrifft die Finanzmarktaufsicht bezüglich der sogenannten Hedge Funds und Off-shore-Finanzzentren. Bei den Hedge Funds - das wissen Sie - werden mit relativ kleinen Einsätzen gewaltige Geldbeträge auf den internationalen Märkten bewegt. Die Arbeiten an der Stabilität des Finanzsystems müssen mit allem Nachdruck fortgesetzt werden. Wir sind auf die Zwischenbilanz gespannt, die auf dem Kölner Gipfel in bezug auf diesen Punkt vorgelegt werden soll. ({15}) Wir Sozialdemokraten begrüßen, daß sich unsere Regierung der Stärkung der Architektur des internationalen Finanzsystems annimmt und daß sie - dies möchte ich besonders hervorheben - für die ärmsten Länder mit der Kölner Entschuldungsinitiative - ich übernehme hier gerne den Terminus, den die Ministerin eingeführt hat; denn ich glaube, daß der Begriff „Schuldeninitiative“ falsch ist ({16}) zusätzliche Schuldenerleichterungen vorgeschlagen hat. Wir sind sehr dankbar dafür, daß dieser Vorschlag gemacht worden ist. Wir werden damit unserer internationalen Vereinbarung gerecht. ({17}) Wenn ich jetzt noch Zeit hätte - leider ist meine Redezeit abgelaufen -, hätte ich Ihnen noch kurz etwas zur Notwendigkeit gesagt, Steuerschlupflöcher zu schließen und Möglichkeiten, Zinseinkünfte in andere Länder zu verlagern, abzubauen. Ich erwarte, daß sich der G-7/ G-8-Gipfel mit dieser Thematik beschäftigt. Es gibt ja auch in unserem eigenen europäischen Bereich viele Möglichkeiten für Unternehmer und Privatpersonen, steuerpflichtige Gewinne ins Ausland zu verlagern und Verluste hier bei uns anfallen zu lassen. Es ist dringend notwendig, über den Kodex hinaus, den es mittlerweile gibt, auch hier zu verbindlichen Regelungen zu kommen. Ich hoffe, daß vom Gipfel auch in diesem Punkt ein Signal ausgeht. Am Wochenende spielen in Köln im Müngersdorfer Stadion die „Rolling Stones“. Vielleicht ist das ein gutes Omen; denn ich gehe davon aus, daß vom G-7/G-8Gipfel in Köln an diesem Wochenende einiges in Bewegung kommt, daß einige Steine ins Rollen kommen. Herzlichen Dank. ({18})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird die Überweisung des Antrags der PDS auf Drucksache 14/954 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Wir kommen zum Antrag der F.D.P.-Fraktion auf Drucksache 14/1132. Die Fraktion der SPD und Bündnis 90/Die Grünen haben beantragt, den Antrag an die in der Tagesordnung genannten Ausschüsse zu überweisen. Die Fraktion der F.D.P. verlangt hingegen sofortige Abstimmung. Nach ständiger Übung geht die Abstimmung über den Überweisungsvorschlag vor. Ich bitte diejenigen, die dem Überweisungsvorschlag der Koalitionsfraktionen zuzustimmen wünschen, um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Dann ist der Antrag auf Überweisung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen von F.D.P. und PDS und einigen CDU/CSU-Abgeordneten bei Enthaltung einer Reihe von weiteren CDU/CSU-Abgeordneten angenommen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 2 auf: Befragung der Bundesregierung Die Bundesregierung hat als Thema der heutigen Kabinettsitzung mitgeteilt: Bericht des Beauftragten der Bundesregierung für die Koordinierung von deutschen Hilfsmaßnahmen in Mazedonien. Das Wort für den einleitenden fünfminütigen Bericht hat der Parlamentarische Staatssekretär beim Bundesminister der Verteidigung Walter Kolbow. Herr Kolbow, bitte schön.

Walter Kolbow (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001175

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich trage aus der Sitzung des heutigen Bundeskabinetts vor. Ich darf Ihnen in Erinnerung rufen, daß wir als Aufgaben des Beauftragten festgelegt haben, die Bundesregierung zu beraten, die Unterstützung der Regierung von Mazedonien vorzunehmen, Projekte zur Stabilisierung Mazedoniens in allen Politbereichen anzuregen, die deutschen Hilfsmaßnahmen der Regierungs- und Nichtregierungsorganisationen zu koordinieren und letztlich auch im ressortübergreifenden Rahmen - das darf ich besonders herausstellen - des Bundesministeriums des Auswärtigen, des Bundesministeriums des Innern, des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und des Bundesministeriums der Verteidigung tätig zu sein. Als Zwischenbilanz darf ich zum Ausdruck bringen, daß die Kontakte zur mazedonischen Regierung den verschiedenen Gruppierungen und Kräften sowie den nationalen wie internationalen Regierungs- und Nichtregierungsorganisationen entsprochen haben und daß wir die Kontakte planmäßig auf- und ausgebaut haben. Ich möchte - auch weil ich Herrn Schlee sehe - auf die Vorarbeit in anderen Regionen, auch mit Herrn Koschnik, hinweisen, durch die wir auf Erfahrungen zurückgreifen konnten, für die wir dankbar sind. Der Beauftragte der Bundesregierung ist in diesem Zusammenhang als Partner der Regierung und der im Lande tätigen Hilfsorganisationen positioniert und wirkt im Rahmen seiner Möglichkeiten an der Stabilisierung des Landes Mazedonien mit. Das Büro des Beauftragen der Bundesregierung ist in Skopje von den nationalen und internationalen Hilfsorganisationen als Koordinierungsstelle, wie ausgeführt, mit ressortübergreifender Aufgabenstellung und Wirkung akzeptiert. Wir sind dankbar für die Besuche, die wir zum Beispiel auch vom Ausschuß für Menschenrechte in Mazedonien und in Albanien haben erleben dürfen und die uns in unserer Aufgabe unterstützt haben. Herzlichen Dank, Herr Schwarz-Schilling. Die Lage in der Region ist so, daß die humanitäre Situation in Mazedonien vorerst zwar stabilisiert ist, aber weiterhin gemeinsame Anstrengungen erfordert. Erst wenn aufgrund politischer Vereinbarungen und der darauf basierenden militärischen Implementierungsmaßnahmen weitere Vertreibungen aus dem Kosovo nachhaltig auszuschließen sind und die Vertriebenen in wesentlicher Anzahl in den Kosovo zurückgeführt werden können, ist die Flüchtlingslage wirklich gemeistert und damit eine der wesentlichen Voraussetzungen für eine grundsätzliche politische Stabilisierung Mazedoniens geschaffen. Die Größenordnung des Wiederaufbaus im Kosovo wird nur mit zusätzlichen personellen und materiellen Mitteln zu bewältigen sein. Ein bereits in Brüssel vorliegender Vorschlag für ein mit einem überregionalen Mandat ausgestattetes Büro der Kommission in Skopje erscheint daher als die geeignete Lösung, das politische und wirtschaftliche Gewicht der Europäischen Union im Rahmen der Gesamtkoordinierung der Vereinten Nationen für den Wiederaufbau des Kosovo zur Geltung zu bringen. Ich darf mich der weiteren Koordinierung der Hilfsund Unterstützungsmaßnahmen zuwenden. Mazedonien, meine Damen und Herren, sollte auch weiterhin als Stabilitätsfaktor nach innen und nach außen gestärkt werden und einen besonderen Faktor deutscher Politik in der Region darstellen. In dem Maße, wie der Aufbau einer internationalen Sicherheitspräsenz im Kosovo und die Rückführung der Flüchtlinge Gestalt annehmen, können eine Entlastung Mazedoniens und die Entspannung der innenpolitischen und wirtschaftlichen Lage des Landes gelingen. Der Einsatz von Streitkräften im Kosovo wird zumindest in einer länger andauernden Anfangsphase zum großen Teil auch humanitäre Aufgaben beinhalten. Dem wird in dem vom Deutschen Bundestag in der letzten Woche beschlossenen Bundeswehrkontingent durch entsprechende Kapazitäten zum humanitären Einsatz und zur zivil-militärischen Zusammenarbeit Rechnung getragen. Die Herausforderungen, die sich beim Wiederaufbau des Kosovo und der gesamten angrenzenden Region stellen, machen nach wie vor eine ressortübergreifende, in multinationale Hilfsstrukturen eingebundene Netzwerkkapazität notwendig. In dieses Netzwerk sollte, so rege ich an, die in Skopje in Form des Büros des Beauftragten der Bundesregierung in Mazedonien aufgebaute Struktur eingebracht werden. Der kurzfristig gesetzte Auftrag, Mazedonien durch Maßnahmen der Soforthilfe zu stabilisieren, ist - so kann ich dem Deutschen Bundestag heute berichten - weitgehend erfüllt. Ob nun in Anbetracht des sich abzeichnenden Aufbaus eines mit einem überregionalen Auftrag oder Mandat ausgestatteten Büros der Europäischen Union in Skopje auch mittelfristig ein Beauftragter der Bundesregierung zur Koordinierung der deutschen HilfsmaßnahVizepräsident Dr. Hermann Otto Solms men in Mazedonien beizubehalten ist, sollte von der weiteren politischen Lagebeurteilung abhängig gemacht werden. Unabhängig davon aber ist ein politisches Zeichen gegenüber der mazedonischen Regierung wünschenswert, um die deutsch-mazedonischen Beziehungen nicht nur auf hohem Niveau beizubehalten, sondern gegebenenfalls noch weiter ausbauen zu können, wie wir auch im Zusammenhang mit dem Besuch des mazedonischen Staatspräsidenten hier berichten und daran anknüpfen können. In welcher Form dies geschehen könnte, sollte auch umgehend in den Ausschüssen des Deutschen Bundestages und in den Ressorts geprüft werden. Bis dahin, liebe Kolleginnen und Kollegen, kann die Unterstützung der mazedonischen Regierung in der augenblicklichen Organisationsform durch den jetzigen Beauftragten der Bundesregierung in Mazedonien fortgesetzt werden. In Übereinstimmung mit dem gegebenen Mandat der Bundesregierung wird dann jedoch neben den nahezu abgeschlossenen Maßnahmen der humanitären Soforthilfe zunehmend das Anregen und die Verwirklichung von Projekten wirtschaftlicher, sozialer und gesellschaftlicher Natur in den Mittelpunkt rücken. Wir haben hier nicht nur ein Projekt des Wiederaufbaus vor uns, sondern eines der größten Aussöhnungsprojekte der Geschichte. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. ({0})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Vielen Dank, Herr Staatssekretär. Gibt es Fragen an die Bundesregierung? - Der Kollege Dietmar Schlee hat sich gemeldet. Herr Schlee, bitte schön.

Dietmar Schlee (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002778, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, ich möchte sie etwas in bezug auf die Rückkehr der Flüchtlinge fragen. Wir alle hören und sehen die Flüchtlinge in Mazedonien und Albanien, die sich auf den Weg in Richtung Kosovo machen. Ich glaube, daß man zwischen denen differenzieren muß, die in ihre zerstörten Dörfern und Hofstellen zurückkehren, und denen, die in größere Städte gehen. Ich will mich denen zuwenden, die in kleinere Dörfer zurückgehen. Was würden Sie zu dem Vorschlag sagen, diesen Leuten, also in erster Linie Bauern, eine Art Startpaket, eine Grundausstattung - Baumaterial und Folien - mit auf den Weg zu geben. Auf Grund unserer Erfahrungen aus Bosnien wissen wir, daß dies Dinge sind, die den Leuten in den ersten Wochen nach ihrer Rückkehr helfen. Sie können dann einigermaßen in ihren Häusern leben und mit Hilfe des Handwerkszeugs versuchen, das eine oder andere zu reparieren. Wir müßten diese Leute entweder schon in Mazedonien oder in Albanien, spätestens aber im Kosovo mit Baumaterial ausstatten; denn - das ist der zweite Punkt sie müssen ihre Häuser in den nächsten Wochen winterfest machen. Die Leute sind sehr erfinderisch. Wenn sie aber zurückkehren und kein Baumaterial, auch kein Handwerkszeug haben, können sie diese riesige Aufgabe nicht bewältigen und werden vielleicht wieder fortgehen. Herr Staatssekretär, ich möchte Sie fragen, ob Sie nicht eine Art Sofortprogramm aufsetzen könnten. Ich glaube, daß dies dazu beitragen würde, die Not dieser Menschen zu lindern.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Staatssekretär, bitte.

Walter Kolbow (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001175

Vielen Dank für diese Anregung, Herr Kollege Schlee. Sie wissen, daß wir im Rahmen der Bemühungen des Technischen Hilfswerks und der Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit dabei sind, solche Sets - wenn ich es einmal so sagen darf - zur Verfügung zu stellen, damit die Zurückkehrenden ihr Haus, wenn es irgendwie möglich ist, in Eigeninitiative wiederherstellen und winterfest machen können. Ich will Ihre Frage an mich nutzen, um für Verständnis dafür zu bitten, daß wir die Binnenflüchtlinge, die „displaced persons“ im Kosovo, als vorrangige Zielgruppe ansehen. Danach werden wir die Vertriebenen, die sich in den Camps in Mazedonien und Albanien befinden, zurückführen. Wir werden dann insbesondere an die Flüchtlinge, Vertriebenen und Deportierten denken, die sich in den Gastfamilien in Mazedonien und Albanien aufhalten. Erst danach werden wir an diejenigen denken, die wir aus humanitären Gründen nach Deutschland evakuiert haben. Wir sollten deshalb auch mit den Innenministern der Länder eine entspanntere Diskussion führen. Wir sind vorbereitet und haben spontan getan, was notwendig ist, um eine Wiederaufbauhilfe zu leisten. Die Sets stehen zur Verfügung. ({0}) - Natürlich auch Bauhöfe, Stichwort: THW.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Als nächster hat der Kollege Eberhard Brecht von der SPDFraktion eine Frage.

Dr. Eberhard Brecht (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000254, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, ich habe mit Freude vernommen, welche Aktivitäten die Bundesregierung unternimmt, um Mazedonien zu unterstützen. Mazedonien ist ein Schlüsselland in dieser Region; es ist ein Stabilitätsanker - damals im zerfallenden Jugoslawien, aber auch heute noch. Ich glaube, daß die Bundesregierung deshalb gut daran tut, dieses Land in besonderem Maße zu stabilisieren. Herr Staatssekretär, Sie haben davon gesprochen, daß wir nun in eine Phase der Flüchtlingsrückkehr eintreten. Sie haben auch eine Reihenfolge genannt. Zunächst sollen nämlich die sogenannten „displaced persons“, also die Flüchtlinge, die noch im Lande selbst umherirren, versorgt werden. Die Wirklichkeit sieht aber etwas anders aus. Wir haben zur Zeit eine unkontrollierte Rückwanderung von Flüchtlingen sowohl aus Albanien als auch aus Mazedonien. Deswegen stellt sich für mich nicht nur die Frage, die eben vom Kollegen Schlee aufgeworfen worden ist - wie man zu einer Winterfestmachung kommt -, sondern auch die Frage: Was erwartet die Flüchtlinge jetzt in ihren zerstörten Dörfern? Ich habe der Presse entnommen, daß zwei UNHCRKonvois unterwegs sind, die zunächst einmal Trinkwasser und Lebensmittel in die Region bringen. Ich befürchte, daß dies zuwenig sein wird, da nahezu sämtliche Lebensgrundlagen - Brunnen und Lebensmittelvorräte - zerstört oder geplündert sind und so viele Rückkehrer nicht versorgt werden können. Hat die Bundesregierung Vorstellungen, wie man eine solche Soforthilfe international organisieren kann?

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Staatssekretär Kolbow, bitte.

Walter Kolbow (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001175

Danke schön, Herr Präsident. Herr Kollege Brecht, die Bundesregierung befindet sich im Einvernehmen mit dem UNHCR, aber auch der Europäischen Union, was die Möglichkeiten der Wiederaufnahme der Vertriebenen in ihrem Heimatland, im Kosovo, angeht. Wir haben zum Beispiel in Zusammenarbeit mit der Nichtregierungsorganisation „Help“ sofort ein „mine awareness programme“ zur Prävention der Minengefahr gestartet. Wir haben 250 000 Flugblätter in den Camps an die Flüchtlinge verteilt, um sie vor einer spontanen, unkontrollierten Rückkehr nach dem Kosovo zu warnen, damit sie nicht beim Überschreiten der grünen Grenze in die Minenfelder laufen. In Zusammenarbeit mit dem World Food Programme der Vereinten Nationen haben wir dafür Sorge getragen, daß die Wasserversorgung und die Lebensmittelversorgung, aber auch die Versorgung mit hygienischem Material in Ordnung ist und daß die Flüchtlinge, wenn sie auf dem geordneten, von der NATO vorbereiteten Weg in ihre Heimat zurückkehren - das sind im Augenblick schon einige tausend -, nicht Gefahr laufen, erstens auf Minen zu treten und zweitens nicht versorgt zu werden. Wir koordinieren auch die nationalen Anstrengungen zum Beispiel der Bundeswehr, die Einmannpackungen und Mittel zur Sofortversorgung in den Korridor von Prizren mitgebracht hat. So ist sie in der Lage, die spontanen Rückkehrer, deren Zahl wir im Augenblick so gering wie möglich halten wollen, weil alles vorbereitet werden soll, zu versorgen. ({0})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Bitte schön.

Dr. Eberhard Brecht (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000254, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, auch wenn diese Frage möglicherweise nicht an die richtige Adresse geht: Die Europäische Union hat beschlossen, in diesem Jahr 400 Millionen DM für humanitäre Hilfe und Wiederaufbauhilfe und im nächsten Jahr, wenn ich richtig informiert bin, 1,4 Milliarden DM bereitzustellen. Aus welchen Mitteln wird die Winterfestmachung von zerstörten Häusern finanziert? Wird dies aus dem humanitären Topf oder aus dem Topf der Wiederaufbauhilfe finanziert? Wir stehen doch schon in diesem Jahr unter dem Druck, die Dinge zu finanzieren, die der Kollege Schlee eben angesprochen hat.

Walter Kolbow (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001175

Sie wissen, Herr Kollege Brecht, daß der Haushaltsausschuß unseres Hauses 300 Millionen DM als Mittel für ein humanitäres Sofortprogramm zur Verfügung gestellt hat, daß 100 Millionen DM ungesperrt waren und daß 200 Millionen DM gesperrt waren. Trotz der gesperrten 200 Millionen DM sind wir aber in der Lage, auf die Initiativen der jeweiligen Häuser, also die des Auswärtigen Amtes, des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit, des Bundesministeriums des Innern und auch des Verteidigungsministeriums, zu reagieren und mit diesem Geld aktuell notwendige Vorhaben zu unterstützen. Aus meiner persönlichen Erfahrung vor Ort räume ich ein, daß die Flexibilität der Europäischen Union zuweilen ({0}) Probleme bereitet. Der Fairneß halber muß man aber sagen - andere haben ähnliche Erfahrungen an anderer Stelle gemacht -, daß die mangelnde Flexibilität auch ein Problem der mazedonischen Regierung ist, die nicht immer prüffähige Unterlagen zur Verfügung stellt, die den europäischen haushaltsrechtlichen Bestimmungen entsprechen. Ich habe aber die berechtigte Hoffnung, daß wir diese Probleme überwunden haben und daß wir die Mittel schnell zur Verfügung stellen können, damit wir nicht nur in den Lagern, sondern auch im Rahmen der Rückführung der Flüchtlinge helfen können.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Nächste Frage von dem Kollegen Christian Schwarz-Schilling.

Dr. Christian Schwarz-Schilling (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002128, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, ich darf zunächst einmal sagen, daß ich zusammen mit den anderen Mitgliedern des Ausschusses gerade vor einer Woche vor Ort gewesen bin. Ich möchte meine ungeteilte Anerkennung über das, was dort geschieht, und auch über die Effizienz Ihres Büros ausdrücken. Ich kenne viele entsprechende Büros aus Deutschland und aus Europa und kann daher einschätzen, daß Ihr Büro aus dem, was ich ansonsten dort bisher gesehen habe, hervorsticht. Es gibt ja mehrere Möglichkeiten zu helfen. Man weiß gar nicht, welche Prioritäten man setzen soll. Ich nenne zunächst die Entminung in Zusammenarbeit mit „Help“. Ob diese Organisation aber genügend Geldmittel hat, um zusammen mit der NATO wirklich zügig im Kosovo die Entminung voranzutreiben, ist fraglich. Wir wissen ja aus Bosnien, daß die Lösung entsprechender Probleme unvertretbarerweise aus Geldmangel herausgezögert wurde. Die andere Priorität ist die Hilfe hinsichtlich der privaten Unterkünfte; davon ist fast die Hälfte aller Flüchtlinge betroffen. Ich will hier einmal anmerken, um welche Größenordnung es sich handelt: 14 Prozent der dortigen Bevölkerung sind nunmehr innerhalb von einigen Wochen hinzugekommen. Auf unser Land umgerechnet, wären das rund 11 Millionen Flüchtlinge in drei Monaten. In diesem Zusammenhang muß man sich die Worte „das Boot ist voll“ ins Gedächtnis rufen. Meine Frage: Ist es nicht angebracht, den Trend - Familien werden auseinandergerissen -, der sich im Moment zeigt, umzukehren? Die Familien sind nämlich am Ende, weil sie ihre letzten Vorräte aufgebraucht haben. Es wird billiger sein, die Familien mittels Zuschüsse zusammenzuhalten, anstatt die Menschen in Lagern zu ernähren. Sollte man bei der Verteilung der Hilfe nicht auch an diesen Punkt denken? Angesichts des erforderlichen überregionalen Ansatzes - ich habe entsprechende Erkenntnisse gerade aus Tirana mitgebracht - stellt sich die Frage, ob nicht wenigstens der Bundesbeauftragte wenn nicht gleich ein Büro, aber doch ein Mandat erhält, um in Tirana in einigen Punkten nach dem Rechten zu sehen. Das wäre sehr notwendig.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Staatssekretär Kolbow, bitte.

Walter Kolbow (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001175

Ich bin Ihnen, Herr Kollege Schwarz-Schilling, für die in Ihrer Frage zum Ausdruck gebrachte Feststellung dankbar, daß gerade auf die Vertriebenen in den sogenannten host families ein besonderes Augenmerk gerichtet werden muß; denn gerade diese Familien in Albanien, aber auch in Mazedonien sind an der Grenze ihrer Solidarität angelangt. Wir müssen - das haben wir bereits angeregt - im Rahmen der internationalen Hilfe mit direkten finanziellen Mitteln versuchen, sie zu unterstützen. Sie können nämlich nicht mehr ihre Miete, ihre Stromrechnung und die Bedürfnisse des täglichen Lebens finanzieren. Insoweit ist hier eine direkte Unterstützung der internationalen Staatengemeinschaft notwendig, um soziale und wirtschaftliche Spannungen herauszunehmen und damit auch der Stabilität, insbesondere in Mazedonien, zu dienen. Ich bin desgleichen der Auffassung - das habe ich in meinem Bericht zum Ausdruck zu bringen versucht -, daß wir - sicherlich unter Federführung des Auswärtigen Amtes und Integration aller beteiligten Ressorts eine regionale Lösung in dieser Region schaffen müssen, damit wir den ungeheuren Herausforderungen an humanitärer Hilfe gerecht werden können.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Vielen Dank, Herr Staatssekretär. - Nächste Frage von der Frau Kollegin Ursula Lietz.

Ursula Lietz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003172, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, wir erhalten Nachricht darüber, daß ziviles Personal aus den Krankenhäusern, Ärzte und Pflegepersonal, zusammen mit den jugoslawischen Truppen das Land verläßt. Es steht zu befürchten, daß die Versorgung der Bevölkerung, wenn denn die Flüchtlinge zurückkehren, nicht mehr zu gewährleisten ist. Meine Frage ist: Sehen Sie die Möglichkeit, daß zumindest eine vorläufige Versorgung durch NATOPersonal oder durch deutsches Sanitätspersonal geleistet wird, wenn die Flüchtlinge aus Mazedonien zurückkommen und man vielleicht mazedonische Ärzte und Pfleger mit in den Kosovo hineinbringt?

Walter Kolbow (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001175

Frau Kollegin, Ihre Frage gibt mir Anlaß, darauf hinzuweisen, daß wir, was die akuten Versorgungsfälle in Mazedonien und Albanien angeht, mit der Bundeswehr immer rechtzeitig mit der Einrichtung von medical points und mit der qualifizierten Zurverfügungstellung unseres Sanitätspersonals vor Ort geholfen haben. Zum zweiten gibt mir Ihre Frage Anlaß, Ihnen mitzuteilen, daß wir das natürlich auch im Kosovo tun können, daß das Sanitätspersonal eine ganz natürliche Begleitung der normalen Truppe im Kosovo ist und wir jederzeit in der Lage sind, nicht nur in Notfällen zu helfen, sondern auch begleitende medizinische Versorgung zu leisten.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Zusatzfrage, Frau Lietz.

Ursula Lietz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003172, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich habe eine Zusatzfrage. Ich weiß nicht, ob Sie mich richtig verstanden haben. Ich hoffe, daß unsere Soldaten durch unsere Sanitätskräfte entsprechend versorgt werden, auch wenn sie ins Kosovo kommen. Meine Frage war, ob es zusätzlich möglich ist, zumindest anfangs die zivile Bevölkerung, also die Flüchtlinge, die zurückkehren, medizinisch zu versorgen.

Walter Kolbow (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001175

Wir haben bisher keinerlei Hinweise darauf, daß eine unmittelbare und unverzügliche medizinische Versorgung von Zivilisten im Kosovo notwendig sei. Wenn dies der Fall sein sollte, sind wir jederzeit in der Lage, eine solche medizinische Versorgung nicht nur durch unsere Soldaten, sondern auch durch die nachrückenden NGOs zu leisten. Wir sind - ich sage das einmal ein bißchen flapsig - nirgendwo so gut wie auf dem medizinischen Sektor.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Vielen Dank, Herr Staatssekretär. - Nächste Frage wird gestellt durch den Kollegen Dr. Klaus Grehn von der PDSFraktion.

Dr. Klaus Grehn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003135, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Staatssekretär, in einer etwas ungewöhnlichen Aktion sind russische Truppen in den Kosovo einmarschiert. Der militärische Fachbegriff wäre vielleicht „Husarenstreich“. Es ist eine etwas ungewöhnliche Situation eingetreten. Ein Sektor ist bisher nicht vorgesehen. Ich hätte von Ihnen gerne einmal gewußt, wie die aktuellen Lösungsvorstellungen der Bundesregierung aussehen, um aus dieser ungewöhnlichen Situation herauszukommen und das in eine geregelte Bahn zu bringen.

Walter Kolbow (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001175

Herr Abgeordneter, ich bedanke mich für die Frage. Ich bin zuständig für die Koordinierung der humanitären Hilfsangelegenheiten der Bundesregierung. Das ist eine eindeutig außenpolitische Frage, die ich dem Herrn Staatsminister Verheugen, der vor mir sitzt, gerne aufgeben möchte.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Staatsminister Verheugen, sind Sie bereit, die Frage zu beantworten?

Not found (Gast)

Aber ja.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Bitte schön.

Not found (Gast)

Herr Kollege, ich möchte den Vorgang, den Sie beschrieben haben, von mir aus nicht qualifizieren. Es ist ganz offensichtlich so gewesen, daß hier auf der russischen Seite die politische und militärische Führung nicht vollständig koordiniert waren und daß versucht werden sollte, zu verhindern, daß das russische Kontingent vor irgendwelche vollendeten Tatsachen gestellt wird. Zur Frage der Rolle der russischen Streitkräfte finden im Rahmen der Friedenstruppe für den Kosovo zur Zeit noch intensive Gespräche statt. Es gibt drei Probleme, die in diesem Zusammenhang geklärt werden müssen. Das erste ist die Frage der Berücksichtigung Rußlands bei der Aufteilung der Sektoren. Sie wissen, daß eine Reihe von Verbündeten und auch wir Sorge haben, einen eigenen russischen Sektor zu schaffen. Das würde Teilungstendenzen im Kosovo Vorschub leisten. Ein Lösungsansatz besteht unserer Meinung nach darin, einen gemischten Aufgaben- und Sektorenansatz zu wählen. Das zweite Problem ist die Frage der Kommandostruktur. Hier gibt es unserer Meinung nach ein sehr brauchbares Modell, auf das wir uns hinbewegen sollten, nämlich das Modell IFOR und SFOR, das in Bosnien erfolgreich durchgeführt worden ist. Drittens geht es um die Frage der politischen Kontrolle. Auch hier könnten wir unserer Meinung nach am besten auf das bosnische Modell, IFOR und SFOR, zurückgreifen. Das hieße eine weitestgehende Einbindung Rußlands in die politische Kontrolle, aber unterhalb eines eigenen Vetorechts, wie es in Bosnien seit einigen Jahren funktioniert. Hierüber wird zur Zeit intensiv gesprochen. In Helsinki finden auf hoher politischer Ebene, der Ebene der Außenminister und der Verteidigungsminister, Gespräche zwischen den USA und Rußland statt. Wir werden gut beraten sein, das Ergebnis abzuwarten.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Ihre Zusatzfrage, bitte schön.

Dr. Klaus Grehn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003135, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Staatsminister, nach den Meldungen hat die 200 Mann starke Truppe den Flughafen von Pristina unter Kontrolle genommen. Das ist der Bereich, in dem sich auch die deutschen Truppen befinden. In der Berichterstattung wird kaum darauf Bezug genommen, ({0}) wie das Zusammenspiel in diesen Fällen funktioniert.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Staatsminister, bitte.

Not found (Gast)

Da muß ein Irrtum vorliegen, Herr Abgeordneter. Es gibt keine deutschen Einheiten auf dem Flughafen von Pristina oder auch nur in der Nähe. Der deutsche Sektor ist in der Umgebung von Prizren. Das liegt, glaube ich, etwa 150 Kilometer in Richtung Albanien von Pristina entfernt.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Eine weitere Frage des Kollegen Dietmar Schlee. Bitte schön.

Dietmar Schlee (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002778, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, Sie haben von einer notwendigen Prioritätensetzung, was die Hilfe angeht, gesprochen: zunächst Hilfe für Vertriebene, die sich noch im Kosovo aufhalten, dann für Flüchtlinge in Gastfamilien, schließlich für Flüchtlinge in den Lagern. Das ist grundsätzlich völlig richtig. Nur, die Flüchtlinge werden sich an diese Prioritätensetzung - davon muß man ausgehen - wohl nicht halten. Das heißt, es werden sich Flüchtlinge, die in den Lagern in Mazedonien oder Albanien sind, auf den Weg gen Kosovo machen. Deshalb noch einmal - vielleicht habe ich das auch akustisch nicht richtig mitbekommen -: Die Ausstattung der Flüchtlinge, die sich jetzt aus den Lagern in Mazedonien und Albanien auf den Weg machen, und deren Unterstützung durch die Bauhöfe, damit sie ihre Häuser winterfest machen können, laufen doch parallel und nicht erst nach denen der anderen Gruppen. Ist das so? Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms

Walter Kolbow (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001175

Die Hilfe wird vor Ort zur Verfügung gestellt und nicht bei einem möglichen spontanen Aufbruch in den Lagern, auch um einen solchen spontanen Aufbruch nicht herbeizuführen. Denn wir müssen - wem sage ich das, Herr Kollege Schlee? doch dafür Sorge tragen, daß wir die Rückführung möglichst geordnet und überschaubar zustande bringen. Aber wir sind mit den Materialien vor Ort in der Lage, den Aufbauwilligen und Aufbaufähigen, die dort ankommen, die Unterstützung zuteil werden zu lassen, die sie benötigen, um ihre Häuser einigermaßen wieder instand zu setzen, zunächst in bescheidenem Maße, möglicherweise erst einmal nur für die Ausgestaltung des Parterres, dann nach und nach, wenn es irgendwie geht, für die Herrichtung des ganzen Hauses.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Die letzte Frage zu diesem Themenbereich kommt von Frau Kollegin Dr. Erika Schuchardt.

Prof. Dr. Erika Schuchardt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002788, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich danke Ihnen für die Möglichkeit, noch einmal dazu etwas äußern zu dürfen. Ich habe es Ihnen in schriftlicher Form schon vorgelegt. Es ist mein Anliegen, unter dem Aspekt „Lernen als Lebenshilfe“ denen, die dort in der Lethargie des Flüchtlings-, des Vertriebenen-, des Lagerlebens ihren Tagesrhythmus verloren haben, zu helfen. Wir denken an die Kinder; wir wissen um die traumatisierenden Ereignisse, und wir wissen, daß das zentrale Anliegen, daß diese Personen wieder Fuß fassen können und daß man bei ihnen Zukunftshoffnungen weckt, wesentlich darin besteht, daß sie wieder zu einem Tagesrhythmus finden. Von daher hatte ich Ihrer Regierung vor vier Wochen einen detaillierten Antrag unter dem Aspekt vorgelegt: Lernen als Lebenshilfe - Sofortmaßnahmen am Kosovo. Ich hatte in diesem Zusammenhang das Netzwerk „DERA“, des Deutschen Volkshochschulverbandes und seines Instituts für Internationale Zusammenarbeit genannt, das in allen Lagern dieses Projekt sofort durchführen könnte und hatte auch detailliert den Kostenvoranschlag dazu vorgetragen und die Personen genannt. Es war das Glück, daß ich am 14. von Kollegen Verheugen eine Antwort bekam, in der er schrieb - Sie haben das Schreiben ja noch im Kopf -, er anerkenne diesen Projektvorschlag sehr und er bezeichne das, was ich dort unter dem Aspekt „Lernen als Lebenshilfe“ vorgelegt habe, als kleinen Marshallplan. Allein, die Regierung habe kein Geld dafür, es müsse bei der EU beantragt werden. So nutze ich jetzt diese Chance, zu fragen, ob nicht möglicherweise unter den zwischenzeitlich gottlob veränderten Bedingungen dieses Projekt nicht als Teil eines Wiederaufbauprogramms - und zwar von seiten unserer Regierung - berücksichtigt werden könnte. Ich meine nämlich, daß dadurch, daß die Ressourcen der Beteiligten etwa bei der Frage „Wie baue ich ein Haus?“ oder „Wie bekomme ich Hilfe zur Selbsthilfe?“ gezielt gefördert würden insbesondere dadurch auch psychosoziale Hilfe geleistet würde.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Staatssekretär Kolbow.

Walter Kolbow (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001175

Sie sprechen etwas an, was im Zentrum unserer Arbeit liegt, der Arbeit der Nichtregierungsorganisationen, aber auch im Zentrum der koordinierten Hilfe aller Regierungen und natürlich auch im Zentrum der Bemühungen des UNHCR und von UNICEF. Wir haben das, was Sie ansprechen, jetzt auch in die Grundschulprogramme in den Lagern und Camps eingebaut. Das heißt, alle schulpflichtigen Kinder bekommen im Rahmen der Möglichkeiten in den Lagern eine Ausbildung. Wir haben das große Problem, daß wir den 15- bis 20jährigen, die in den Lagern sind, noch nicht die Zuwendung angedeihen lassen können, die wir ihnen eigentlich angedeihen lassen müßten. Hierfür werden im Augenblick UNHCR-Programme entwickelt, und wir versuchen, auch durch spontane Eigeninitiativen in den Camps - wobei wir auf vertriebene Lehrerinnen und Lehrer zurückgreifen - tätig zu werden. Wir meinen, daß das, was wir machen, natürlich nicht vollständig sein kann, daß es aber doch den Beginn einer solchen Ausbildung und einer abwechslungsreicheren Gestaltung des Tages darstellt. Das ist aber nach dem Grundsatz „Nichts ist so gut, daß es nicht noch besser sein könnte“ erheblich verbesserungsbedürftig. Die Programme der internationalen Staatengemeinschaft bewegen sich auch in dieser Richtung. Wir versuchen, nicht nur durch UNICEF, sondern auch durch andere Möglichkeiten dies zu leisten. Aber hier sind natürlich auch nationale Gelder im Rahmen der internationalen Gebergemeinschaft gefragt. Der UNHCR und insbesondere UNICEF versuchen, die Mittel für eine solche pädagogische Fortentwicklung in den Lagern vor der Zurückführung zur Verfügung zu stellen.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Vielen Dank, Herr Staatssekretär.

Prof. Dr. Erika Schuchardt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002788, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich danke Ihnen herzlich. Ich habe nur die Bitte, daß der Nachdruck viel stärker auf die Erwachsenen gelegt wird. Sie sind der Schlüssel, wenn Zukunft, Hoffnung, Frieden gelingen sollen. Ich würde der Arbeit mit ihnen die Priorität vor der Arbeit mit Kindern und der Unterrichtung der Kinder geben. Darum meine Bitte, ob Sie sich das Konzept „Lernen als Lebenshilfe“ noch einmal in die Hand legen lassen würden. - Ich danke Ihnen.

Walter Kolbow (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001175

Das sicherlich, Frau Kollegin. Wir sind mit Toleranzprojekten, mit Demokratieprojekten auch über die Stiftungen, die uns im nationalen Rahmen zur Verfügung stehen, schon aktiv geworden und sind weiterhin tätig.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Vielen Dank. - Ich lasse jetzt noch eine Frage außerhalb dieses Themenbereiches zu. Das Wort hat der Kollege Jürgen Koppelin von der F.D.P.-Fraktion.

Dr. h. c. Jürgen Koppelin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001180, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Nachdem es bisher hieß, daß das Haushalts- und Steuerpaket von Bundesfinanzminister Eichel am 30. Juni im Kabinett verabschiedet werden sollte, um dann anschließend im Haushaltsausschuß bekanntgegeben zu werden, lese ich heute in der „Süddeutschen Zeitung“, daß dies eventuell schon am 23. Juni der Fall sein soll. Herr Staatssekretär Diller hat heute im Haushaltsausschuß gesagt, das Kabinett wolle heute darüber beraten, wann über das Haushalts- und Steuerpaket nun entschieden werden soll. Ich darf Sie daher fragen: Hat das Kabinett festgelegt, wann es darüber entscheiden will? Nach Agenturmeldungen von heute nachmittag, die ich gelesen habe, gibt es erhebliche Unruhen in der Koalition über die Informationspolitik des Bundesfinanzministers. Ich zitiere: Frau Kerstin Müller, die Fraktionsvorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen, hat deutlichen Unmut über Bundesfinanzminister Hans Eichel und seine Informationspolitik geübt. In einer anderen Agenturmeldung lese ich, es habe erheblichen Unmut in einer kleinen Führungsrunde mit den Fraktionsvorsitzenden der Koalition und wenigen Abgeordneten von Rotgrün gegeben. Hat man sich mit diesem Unmut in der Koalition über die Informationspolitik von Bundesfinanzminister Hans Eichel beschäftigt?

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Staatssekretär Diller, sind Sie in der Lage, die Frage zu beantworten? - Bitte schön.

Karl Diller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000391

Herr Präsident! Herr Kollege Koppelin, entgegen meiner Annahme von heute morgen höre ich von Herrn Steinmeier, daß das Kabinett heute morgen darüber nicht befunden hat. Was den zweiten Teil Ihrer Frage angeht, so kann ich Ihnen mitteilen, daß Frau Kerstin Müller zusammen mit den Spitzen der beiden Koalitionsfraktionen in meiner Anwesenheit gestern abend umfassend informiert worden ist.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Zusatzfrage, bitte schön.

Dr. h. c. Jürgen Koppelin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001180, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Staatssekretär, können Sie mir dann erklären, warum die Fraktionsspitzen der Koalition ihren Unmut über den Bundesfinanzminister äußern und sagen, daß sie bisher keinerlei Informationen über die Maßnahmen hätten, die der Herr Bundesfinanzminister in seinem Haushalts- und Sparpaket vorlegen will? Das ist ja erstaunlich, wenn man vorher in einer Runde zusammensaß. ({0}) - Man wundert sich ja schon, daß einige das Paket unterstützen, obwohl sie es anscheinend gar nicht kennen. ({1})

Karl Diller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000391

Herr Kollege Koppelin, ich weiß nicht, ob aus der Ihnen vorliegenden Tickermeldung der Agentur hervorgeht, wann Frau Kerstin Müller dies gegenüber der Presse geäußert haben soll. ({0}) - Gut. Die Unterredung gestern fand in den späten Abendstunden, zwischen 20.30 und 23 Uhr, statt. ({1})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Vielen Dank, Herr Staatssekretär, für die Beantwortung. Wir sind damit am Ende der Befragung. Ich rufe Tagesordnungspunkt 3 auf: Fragestunde - Drucksache 14/1134 Zunächst kommen wir zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Gesundheit. Zur Beantwortung steht die Parlamentarische Staatssekretärin Christa Nikkels zur Verfügung. Ich rufe die Frage 1 des Kollegen Dr. Klaus Rose auf: Setzt sich der zurückliegende gravierende Abbau von Krankenhausbetten fort, und ist dieser, bezogen auf die Bundesländer, gleichmäßig zu erwarten? Frau Nickels.

Christa Nickels (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001601

Herr Kollege Rose, wir beantworten Ihre Frage wie folgt: Zur bedarfsgerechten Versorgung der Bevölkerung mit Krankenhäusern stellen die Bundesländer Krankenhauspläne auf. Die Krankenhauspläne werden regelmäßig dem aktuellen Bedarf angepaßt. Die Bundesregierung geht davon aus, daß die Bundesländer auch in den kommenden Jahren die Bettenkapazitäten weiter reduzieren werden. Der Tatsache der verschiedenen Versorgungsbedarfe ist geschuldet, daß ein gleichmäßiger Abbau von Betten in den 16 Bundesländern nicht zu erwarten ist. Entscheidend ist jeweils, in welchem Umfang Überkapazitäten bestehen. Im Jahr 1997 wurden beispielsweise im Freistaat Bayern 70,2 Betten je 10 000 Einwohner vorgehalten, während es in Schleswig-Holstein 59,7 Betten, in Thüringen 75,7, in Nordrhein-Westfalen 78,7 und in Berlin, Bremen und Hamburg 80,8 Betten - jeweils bezogen auf 10 000 Einwohner - waren. Die Dichte ist also sehr unterschiedlich, auch die Bedarfe sind unterschiedlich. Danach wird sich der Abbau ausrichten, und er vollzieht sich in Länderhoheit.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Rose, eine Zusatzfrage.

Dr. Klaus Rose (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001882, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Können Sie, Frau Staatssekretärin, ausschließen, daß es zu weiteren Ab3652 baumaßnahmen im Krankenhausbereich auf Grund des von Ihnen geplanten Globalbudgets - das sich sicherlich in ganz Deutschland auswirkt, auch wenn es sich jeweils für das Land bemißt - kommt?

Christa Nickels (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001601

Entgegen der vielfach kolportierten Meinung, daß das Globalbudget einen Einschnitt in Leistungen zur Folge haben wird, sage ich: Es wird nicht dazu kommen. Sie wissen, Herr Kollege Rose, daß auch ein Globalbudget wächst, also zusätzliche Mittel ins System kommen. Denn durch die Anbindung der Einnahmen der Krankenkassen an die Löhne und Gehälter der Versicherten gibt es automatisch Einnahmezuwächse. Ich will Ihnen das an Hand der Zahlen von 1998 verdeutlichen. Es standen bundesweit 3 Milliarden DM mehr als im Vorjahr zur Verfügung. Ein Grundlohnzuwachs in Höhe von 2 Prozent bedeutet auch in Zukunft jährlich 5 Milliarden DM mehr. Diese Entwicklung ist in den letzten Jahren nicht abgeflacht. Sie selber haben in Ihrer Frage festgestellt, daß wir einen Rückgang der Bettenzahl in der Bundesrepublik zu verzeichnen haben. Gleichwohl ist es so, daß die Ausgaben der Krankenkassen von 1991 bis 1998 für den stationären Bereich von 59 Milliarden DM auf 85 Milliarden DM gestiegen sind. Wenn Sie das hinzurechnen, was über die private Krankenversicherung gezahlt worden ist, kommen Sie für das letzte Jahr auf einen Betrag von 100 Milliarden DM. Es sind also ausreichend Mittel vorhanden. Darum gehen wir nicht davon aus, daß es bei einem Globalbudget, das geregelt wachsen kann, zu einem Rückgang der Bettenzahlen kommen wird.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Rose, eine weitere Zusatzfrage.

Dr. Klaus Rose (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001882, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich möchte hier noch einmal im Zusammenhang mit der Schere, die zweifellos vorhanden ist, nachhaken. Ich gebe zu, daß die Bettenzahl schon in der zurückliegenden Zeit gesenkt wurde, jetzt geht es aber um die Zukunft. Auf dem Protesttag in Berlin ist von Gewerkschaftsseite gesagt worden, daß 105 000 Betten und 26 000 Stellen abgebaut würden, obwohl die Zahl der behandelten Fälle von 13 auf 15,7 Millionen gestiegen ist. Die Schere zwischen der Nachfrage, wenn ich das so nennen darf, und den Behandlungsmöglichkeiten ist also zweifellos groß. Hat die Bundesregierung dazu bereits Überlegungen angestellt?

Christa Nickels (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001601

Ich kann auf eine Anhörung verweisen, die heute im Gesundheitsausschuß stattfand. Das war eine Anhörung zu einem Antrag der F.D.P.-Fraktion, in dem genau diese Frage gestellt worden ist. Der Vertreter des Deutschen Gewerkschaftsbundes, der Vertreter des VDA und der Vertreter der DAG haben unisono gesagt, daß sie diese Zahlen für nicht sachgerecht und überzogen halten. Sie gehen nicht von diesen Zahlen aus. Diese Ansichten entsprechen der Meinung der Bundesregierung.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Gibt es weitere Fragen von anderen Kollegen zu diesem Themenbereich? - Das ist nicht der Fall. Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit auf. Zur Beantwortung der Fragen steht uns die Parlamentarische Staatssekretärin Simone Probst zur Verfügung. Ich rufe die Frage 2 des Abgeordneten Dehnel auf: Hat die Bundesregierung darüber Kenntnis, ob die Zusagen der tschechischen Regierung gegenüber der deutschen Bundesregierung zur Abschaltung bzw. Emissionsbegrenzung der Braunkohlekraftwerke im Grenzbereich des Erzgebirges und des Vogtlandes eingehalten worden sind?

Simone Probst (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002753

Herr Kollege, die Bundesregierung ist von der tschechischen Regierung zuletzt regelmäßig im Rahmen der hochrangigen Arbeitsgruppe Luftreinhaltung über den Stand der Abschaltung bzw. der Sanierung der Braunkohlekraftwerke in der betroffenen Region informiert worden. Im Protokoll der letzten Arbeitsgruppensitzung vom 19. August 1998 wurde festgehalten, daß die letzten unsanierten Kraftwerksblöcke Ende 1998 stillgelegt werden. Aktuelle Informationen werden in der nächsten Sitzung der hochrangigen Arbeitsgruppe im August bzw. der gemeinsamen Umweltkommission im September dieses Jahres erwartet. Der im Oktober letzten Jahres gemeinsam von den Umweltministerien veröffentliche Luftreinhaltungsbericht Erzgebirge enthält Daten unter anderem zum Stand der Umsetzung des Kraftwerksprogramms in Nordböhmen per 31. Dezember 1997. Interessant ist die aktuelle Entwicklung. Deshalb ist ein weiterer Bericht über die Luftsituation im Erzgebirge, der die Entwicklung bis Ende 1999 berücksichtigt, für das Jahr 2000 geplant. In dem kürzlich vorgestellten Halbjahresbericht zur SO2-Belastung in Sachsen im Winter 1998/99 wird festgestellt, daß die Sanierung von Kraftwerken in Nordböhmen bezüglich der Entschwefelung in den vergangenen Winterhalbjahren bereits zu einer deutlichen Entlastung geführt hat. Dafür spricht, daß in den letzten drei Winterhalbjahren gegenüber dem Winterhalbjahr 1994/95 trotz häufiger Südostlage an allen Meßstationen niedrigere mittlere SO2-Belastungen festgestellt worden sind. Ich weiß, daß Sie aus dieser Region kommen und dort Ihren Wahlkreis haben. Daher ist Ihnen sicherlich bekannt, daß es am 11. Februar dieses Jahres eine Emissionsspitze gegeben hat. Das sächsische Umweltministerium bemüht sich um die Aufklärung der Ursachen. Es gibt aber noch keine Ergebnisse.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Dehnel, eine Zusatzfrage?

Wolfgang Dehnel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000366, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Darf ich davon ausgehen, daß uns die Bundesregierung über die Ergebnisse, die im August dieses Jahres bei dem Treffen der Gruppe Luftreinhaltung erzielt werden, informiert?

Simone Probst (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002753

Selbstverständlich.

Wolfgang Dehnel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000366, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Vielen Dank.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Damit kommen wir zur Frage 3 des Kollegen Dehnel: Hat die Bundesregierung des weiteren Kenntnis darüber, ob in der Region des Erzgebirges zur Vermeidung des sogenannten Katzendreckgestankes positive Ergebnisse erzielt worden sind, und wenn ja, welcher Art sind diese?

Simone Probst (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002753

Die vom Bundesumweltministerium und vom tschechischen Umweltministerium geleitete Arbeitsgruppe „Geruch/Chemie“ hat seit ihrem Bestehen 1997 vielfältige Maßnahmen eingeleitet, um die Quellen der Geruchsbelästigungen zu identifizieren. Das 1998/99 auf beiden Seiten der Grenze erneut durchgeführte Geruchserfassungsprogramm hat keine Hinweise mehr auf länger andauernde Geruchsbelästigungen gebracht. Da ich weiß, daß Sie, Herr Dehnel, selber von dem sogenannten Katzendreckgestank in der Region des Erzgebirges betroffen sind, möchte ich darauf hinweisen, daß es auch nach der Untersuchung von 1998/99 noch weitere Geruchsbelästigungen gegeben hat. Diese waren allerdings nicht so stark wie die im Jahre 1996. Der Gestank war oftmals mit chemischen und anderen Gerüchen vermischt. Deshalb ist es uns besonders wichtig, daß die Arbeitsgruppe, die die Analysen und die Befragungen der von diesen Gerüchen betroffenen Menschen durchgeführt hat, das Problem weiterhin beobachtet und daß die Informationswege offengehalten werden, falls dieses Problem wieder auftritt. Das heißt, daß dann, wenn es wieder signifikante Beschwerden gibt, der Ursache des Problems nochmals nachgegangen wird.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Eine Zusatzfrage.

Wolfgang Dehnel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000366, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ihnen ist bekannt, daß es in der Region des Erzgebirges eine große Umstrukturierung gegeben hat und daß es dort ein wichtiges Ziel ist, den Tourismus weiter auszubauen. Das Wort „Katzendreckgestank“ mag zwar etwas komisch klingen, aber dieser Gestank hat enorme Auswirkungen auf die Zahl der Besucher dieser Region. Ich glaube, daß die Lösung des Problems bei den dortigen Behörden weiterhin mit größter Priorität verfolgt wird. Wird auch die Bundesregierung in dieser Richtung weiterarbeiten?

Simone Probst (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002753

Die Geruchsbelästigung ist nicht nur für die Touristen, sondern vor allen Dingen auch für die Bewohner ein großes Problem. Wir werden an der Lösung dieses Problems weiterarbeiten, vor allen Dingen auch deshalb, weil die Ursachen sehr schwierig zu identifizieren sind. Sie kennen die Diskussionen darüber, ob es sich um chemische Emissionen handelt oder ob die Gerüche dadurch entstehen, daß sich bestimmte Substanzen vermischt haben. Gerade weil das Problem so groß ist, muß weiterhin Ursachenforschung betrieben werden. Messen kann man allerdings nur, wenn die Gerüche auftreten. Deshalb richten wir unseren Appell an diejenigen, die davon belästigt sind, weiterhin die Belästigungen öffentlich zu machen. Zu Beginn der Diskussion über die Ursachen der Gerüche ist der Eindruck entstanden, daß es nur auf deutscher Seite Gerüche gegeben hat. Im nachhinein ist deutlich geworden, daß sie auch auf tschechischer Seite aufgetreten sind. Aber dort lagen nicht so viele Beschwerden und Meldungen vor. Hier liegt ein weiterer Arbeitsschwerpunkt.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Dehnel, eine Zusatzfrage.

Wolfgang Dehnel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000366, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ist Ihnen bekannt, ob die tschechischen Firmen bei der Lösung des Problems mit der Bundesregierung zusammenarbeiten? Oder wehren sich die tschechischen Firmen gegen eine solche Zusammenarbeit, indem sie zum Beispiel niemanden auf ihr Gelände lassen?

Simone Probst (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002753

Es gibt eine gute Kooperation. Die Vermutung, daß die Chemiebetriebe auf tschechischer Seite allein für die Geruchsentwicklung verantwortlich sind, konnte durch die Arbeitsgruppe ausgeschlossen werden. Das ist sicherlich ein wichtiges Ergebnis der Arbeitsgruppe. Man muß weiterhin gemeinsam mit den tschechischen Betrieben und den tschechischen Behörden nach den Quellen der Geruchsemissionen forschen.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Gibt es weitere Fragen? - Das ist nicht der Fall. Die Frage 4 des Kollegen Hinsken wird schriftlich beantwortet. Wir kommen jetzt zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums des Innern. Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär Fritz Rudolf Körper zur Verfügung. Die Fragen 5, 6 und 7 werden schriftlich beantwortet. Wir kommen jetzt zur Frage 8 des Kollegen Dietmar Schlee: Teilt die Bundesregierung die Auffassung, daß sich in der heutigen und künftig erweiterten Europäischen Union als ein Raum unbegrenzter Freizügigkeiten Sicherheitsdefizite in einzelnen Regionen auf die gesamte Staatengemeinschaft auswirken, und was unternimmt die Bundesregierung, um die innere Sicherheit in der Europäischen Union auf einem hohen Niveau nach gemeinsamen Standards zu gewährleisten? Herr Staatssekretär Körper, bitte.

Fritz Rudolf Körper (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001162

Ich antworte auf diese Frage wie folgt: Die Europäische Union ist bekanntlich sowohl ein Raum der Freizügigkeit als auch der Sicherheit. Es gilt der Grundsatz, daß der Wegfall der Kontrollen an den Binnengrenzen durch Ausgleichsmaßnahmen kompensiert wird. Mit der Überführung der Schengener Kooperation in die EU zum 1. Mai 1999 hat sich das Gerüst der Ersatzinstrumente durch eine Zusammenfassung der EU- und Schengener Sicherheitserrungenschaften sogar noch erweitert. Sollten punktuelle Sicherheitsdefizite in Teilen der Gemeinschaft auftreten, bieten die Mechanismen des Regelwerkes ausreichend Möglichkeiten, auf rasche Beseitigung der Schwachstellen hinzuwirken oder gegebenenfalls durch vorübergehende Wiedereinführung nationaler Grenzkontrollen Gefahren und Risiken auf der Ebene der Mitgliedstaaten abzuwehren. Mit der Erweiterung der EU ist eine Absenkung des Sicherheitsniveaus nach unserer Auffassung nicht zu befürchten. Die Beitrittskandidaten müssen den EU-Besitzstand vollständig übernehmen; Sonderkonditionen können nicht ausgehandelt werden. Zum Acquit gehört unter anderem, daß die Bewerberstaaten ihren Sicherheitsbeitrag nicht nur vertraglich zu versprechen, sondern auch tatsächlich nachweisbar zu erbringen haben. Werden bei Überprüfungen Mängel festgestellt, darf das entsprechende Beitrittsübereinkommen erst gar nicht in Kraft gesetzt werden. Der jeweilige Staat kann vorläufig an dem Regime der EU - zum Beispiel an der grenzüberschreitenden Freizügigkeit - nicht partizipieren. Die deutsche EU-Präsidentschaft hat bei der Eingliederung Schengens in den Rahmen der Union mit Erfolg darauf gedrungen, daß diese Grundprinzipien Bestandteil des EU-Besitzstandes werden. Sie hat ferner den Evaluierungsprozeß vorangetrieben und in Berichten oder Teilanalysen über Polen, Tschechien und Estland eine Bewertung der derzeitigen Qualität der dortigen Sicherheitssysteme vorgenommen. Mit einer deutschen Initiative zur Fortentwicklung des Sicherheitsregelwerkes werden überdies - auch für die Beitrittskandidaten - weitere konkrete Anstrengungen gefordert, um den Sicherheitsstandard in der EU künftigen Herausforderungen anzupassen.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Schlee, Zusatzfrage?

Dietmar Schlee (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002778, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Bitte schön.

Dietmar Schlee (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002778, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, ich habe den Eindruck, Sie haben das alles ein bißchen positiv dargestellt. Das Sicherheitsgefälle ist ja nach wie vor sehr groß, und es wird nicht ganz einfach sein, die Beitrittskandidaten an unsere Standards heranzuführen. Deshalb frage ich Sie, ob die Bundesregierung bereit ist, ein sicherheitspolitisches Programm in der Europäischen Union zu initiieren. Ein solches Programm könnte dieses Sicherheitsgefälle abbauen und zugleich auf neue Herausforderungen reagieren. Damit stellte es einen wesentlichen Beitrag zur Sicherheit in der EU dar.

Fritz Rudolf Körper (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001162

Herr Kollege Schlee, Sie kennen das Regelwerk, die Mechanismen und die Kriterien. Dies alles war im Bereich von Schengen, der jetzt in den Rahmen der EU übergegangen ist, so gewollt. Die Frage, ob ein solches Sicherheitsprogramm notwendig ist, möchte ich derzeit nicht abschließend beantworten. Im übrigen glaube ich nicht, daß meine Antwort übertrieben positiv gewesen ist. ({0}) - Wir alle kennen die Problematik; wir kennen aber auch das Regelwerk und die Mechanismen. Das haben wir ausdrücklich gewollt.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Eine weitere Zusatzfrage?

Dietmar Schlee (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002778, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Bitte schön.

Dietmar Schlee (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002778, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, darf ich das, was Sie zu dem Sicherheitsprogramm gesagt haben, so verstehen, daß die Bundesregierung über diese Frage noch einmal vertieft nachdenken wird?

Fritz Rudolf Körper (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001162

Lieber Herr Kollege Schlee, Nachdenken ist immer gut. Aber Sie wissen auch, daß bestimmte Initiativen gerade in diesem Bereich nicht ausschließlich von der Bundesregierung abhängen. ({0})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Dann kommen wir zur Frage 9 des Kollegen Schlee: Hält die Bundesregierung es für sinnvoll, kriminellen Ausländern, die von europäischen Nachbarstaaten ausgewiesen oder abgeschoben wurden, die Einreise in die Bundesrepublik Deutschland zu verweigern, und ist die Bundesregierung bereit, Informationen über solche Ausländer nicht nur mit den Schengen-Staaten, sondern auch mit der Schweiz auszutauschen, damit sie bei den Entscheidungen über ein Aufenthaltsrecht in Deutschland berücksichtigt werden können?

Fritz Rudolf Körper (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001162

Herr Kollege Schlee, Ihre Frage beantworte ich wie folgt: Es ist eines der wichtigsten Ziele der Schengener Kooperation, kriminelle Ausländer, die von anderen Schengen-Staaten ausgewiesen oder abgeschoben worden sind, an der erneuten Einreise in den Schengen-Raum zu hindern. Aus Sicht der Bundesregierung wäre deshalb eine Erweiterung des Kreises der Schengen-Staaten um die Schweiz und ihre Beteiligung am Schengener Informationssystem wünschenswert. Die Daten von Drittausländern, die von deutschen Ausländerbehörden ausgewiesen und zur Einreiseverweigerung ausgeschrieben worden sind, sollen der Schweiz nach Inkrafttreten des Vertrages zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Schweizerischen Eidgenossenschaft über die grenzüberschreitende polizeiliche und justitielle Zusammenarbeit zur Verfügung gestellt und von den dortigen Grenzpolizei- und Ausländerbehörden letztendlich auch im deutschen Interesse genutzt werden. Vereinbarungen bezüglich einer Übermittlung entsprechender Schweizer Daten können wegen der von der Bundesrepublik Deutschland im Rahmen von EU und Schengen übernommenen Verpflichtungen eben nicht bilateral mit der Schweiz getroffen werden; vielmehr müssen sie zunächst mit den Partnern von EU und Schengen abgestimmt werden.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Die Frage 10 des Abgeordneten Koschyk, die Frage 11 des Abgeordneten Hinsken und die Frage 12 des Abgeordneten Otto ({0}) werden ebenfalls schriftlich beantwortet. Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Finanzen. Zur Beantwortung der Fragen steht der Parlamentarische Staatssekretär Karl Diller bereit. Ich rufe die Frage 13 des Kollegen Josef Hollerith auf: Aus welchem Grund soll das ehemalige Preußen-Vermögen im Umfang von ca. 420 000 ha Wald und ca. 80 000 ha Ackerfläche nicht privatisiert, sondern an die ostdeutschen Länder übertragen werden, und zu welchen Konditionen soll dies erfolgen? Bitte schön, Herr Staatssekretär.

Karl Diller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000391

Herr Präsident, Herr Kollege Hollerith, die seit dem Jahre 1994 zwischen dem Bund und den neuen Ländern mit dem Ziel einer pragmatischen Lösung für das ehemalige Preußen-Vermögen geführten Verhandlungen haben bereits im Jahre 1998 zu Vereinbarungen mit Sachsen-Anhalt, mit Thüringen, mit Sachsen und am 2. Juni dieses Jahres zu einer Vereinbarung mit Brandenburg geführt. Die Vereinbarungen sehen die unentgeltliche Übertragung des land- und forstwirtschaftlichen PreußenVermögens im Sinne der 3. Durchführungsverordnung zum Treuhandgesetz auf die Länder vor. Damit wird vor allem dem Aufwand Rechnung getragen, der den Ländern seit dem Jahre 1991 für die Bewirtschaftung des Preußen-Waldes entstanden ist und der von diesen gegenüber dem Bund bei einer Privatisierung der Flächen geltend gemacht werden könnte. Ferner werden die agrarpolitischen Interessen der Länder an einem Staatswaldanteil berücksichtigt. Die Vereinbarungen sind für den Bund und die Länder haushaltsneutral und stellen eine wirtschaftliche Lösung dar.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Zusatzfrage, Herr Hollerith.

Josef Hollerith (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000946, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sind die Kosten bekannt, denen die Länder in der Zeit der Bewirtschaftung dieser Waldflächen ausgesetzt waren? Gibt es Erkenntnisse darüber, daß auch der Bund bzw. die BVVG oder die TLG zu irgendeinem Zeitpunkt Zuschüsse geleistet haben?

Karl Diller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000391

Letztere Frage kann ich Ihnen aus eigener Kenntnis nicht beantworten. Zu Ihrer ersten Frage: Es geht um gewaltige dreistellige Millionenbeträge, möglicherweise in der Größenordnung von Milliarden.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Hollerith.

Josef Hollerith (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000946, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Nachdem mir das Thema aus der Arbeit des Treuhand-Ausschusses bekannt ist, bitte ich Sie, diese beiden von Ihnen jetzt nicht beantworteten Fragen schriftlich zu beantworten. Herr Präsident, ist das zulässig?

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Staatssekretär, wäre das möglich?

Karl Diller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000391

Ja, das machen wir gern.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Wir kommen zur Frage 14 des Kollegen Josef Hollerith: Ist eine kostendeckende Waldbewirtschaftung durch die Empfängerländer gesichert?

Karl Diller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000391

Herr Kollege Hollerith, Ihre Frage, ob eine kostendeckende Waldbewirtschaftung durch die Empfängerländer gesichert ist, bitte ich an die entsprechenden Länder zu richten. Das vermögen wir nicht zu beurteilen. Wir können nur davon ausgehen.

Josef Hollerith (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000946, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, erkennen nicht auch Sie insoweit einen Widerspruch zu Ihrer Antwort auf Frage 13, als Sie - auf Nachfrage Parl. Staatssekretär Fritz Rudolf Körper argumentierten, es seien den Ländern Kosten in Milliardenhöhe dadurch entstanden, daß dieser Wald bewirtschaftet werden mußte? Für mich ist die Konsequenz logisch, daß die Länder durch die, wenn auch kostenlose, Übertragung dieser Waldflächen weiterhin Milliardenbeträge an Bewirtschaftungskosten zu erwarten hätten.

Karl Diller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000391

Herr Kollege Hollerith, ich komme gerade aus einem Gespräch mit einem der Bundesländer, die mit dem Bund einen solchen Vertrag noch nicht haben. Die dort vertretenen Minister haben deutlich gemacht, in welch großem Umfang in der Vergangenheit beispielsweise die Wirtschaftlichkeit gesteigert worden ist, leider Gottes im wesentlichen auch durch Verschlankung des Personalbestandes. Meine Antwort von vorhin auf die Frage nach den Kosten möchte ich folgendermaßen erläutern: Ich habe von einem Betrag in dreistelliger Millionenhöhe gesprochen, möglicherweise bis zu einer Milliarde; ich habe nicht von mehreren Milliarden gesprochen.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Zweite Zusatzfrage.

Josef Hollerith (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000946, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, ich bitte Sie, mir auch die Frage schriftlich zu beantworten, wie hoch die Bewirtschaftungskosten tatsächlich sind. Herr Präsident, ist das möglich?

Karl Diller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000391

Herr Kollege Hollerith, ich würde vorschlagen, daß wir das auf ein Wirtschaftsjahr beschränken, damit Sie daraus Rückschlüsse ziehen können.

Josef Hollerith (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000946, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Einverstanden.

Karl Diller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000391

Die ganze Zahlenreihe seit 1991 aufzulisten, das ist vielleicht ein bißchen zuviel verlangt.

Josef Hollerith (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000946, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Vielen Dank.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Dabei ist es dann Sache der Länder, zu schauen, ob sie mit niedrigeren Kosten zurechtkommen.

Karl Diller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000391

Ja, klar.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Die Fragen 15 und 16 des Abgeordneten Straubinger sollen schriftlich beantwortet werden. Damit kommen wir zur Frage 17 des Kollegen HansPeter Friedrich: Hat die Bundesregierung in Umsetzung des Abschnitts der Koalitionsvereinbarung von SPD und Bündnis 90/Die Grünen, wonach „der Ausverkauf von Schutzgebieten in den neuen Bundesländern unverzüglich gestoppt und ein Konzept zur Sicherung des nationalen Naturerbes erarbeitet“ werden soll, den mit Privatisierung betrauten Gesellschaften bestimmte Weisungen erteilt, und wenn ja, welchen Inhalt haben diese Weisungen? Herr Staatssekretär, bitte schön.

Karl Diller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000391

Herr Kollege Dr. Friedrich, das Bundesministerium der Finanzen hat mit Schreiben vom 30. Dezember 1998 an die BVVG - Bodenverwertungs- und -verwaltungs-GmbH - sowohl den vergünstigten Flächenerwerb nach dem Entschädigungs- und Ausgleichsleistungsgesetz als auch den Verkauf von landund forstwirtschaftlichen Flächen zum Verkehrswert ausgesetzt, soweit es sich bei den Verkehrswertverkäufen um bestimmte Naturschutzflächen handelt. Als Naturschutzflächen gelten in diesem Zusammenhang rechtskräftig ausgewiesene, im Verfahren befindliche und einstweilig sichergestellte Nationalparke und Naturschutzgebiete, Kerngebiete von Biosphärenreservaten, ausgewiesene und beabsichtigte Natura-2000Gebiete. Als Erwerber solcher Flächen kommen nur Träger von Naturschutzprojekten des Bundes, der Länder, Träger von EU-LIFE-Naturschutzprojekten, anerkannte Naturschutzverbände oder sonstige Träger von Naturschutzvorhaben sowie die Länder selbst in Betracht.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Zusatzfrage, Herr Kollege Dr. Friedrich.

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, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, können Sie in etwa den Umfang der in Rede stehenden Flächen, für die in der Koalitionsvereinbarung angesprochenen Naturschutzmaßnahmen beziffern?

Karl Diller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000391

Ich schaue schnell in die Unterlagen, ob dort Hektarzahlen genannt sind, an Hand deren ich Ihre Frage beantworten könnte. - Das ist nicht der Fall. Dann müßten wir die konkrete Antwort in bezug auf den Umfang dieser Flächen nachreichen. Das machen wir gern.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Zweite Zusatzfrage.

Not found (Mitglied des Bundestages)

, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich habe keine weitere Frage.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Dann kommen wir zur Frage 18, die ebenfalls von Herrn Kollegen Friedrich gestellt wurde: In welchem Umfang wird durch derartige Weisungen der Flächenerwerb in den neuen Bundesländern nach dem EALG ({0}) verhindert, und welche Einnahmeverluste entstehen der Bundesrepublik Deutschland dadurch? Herr Staatssekretär, bitte.

Karl Diller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000391

Herr Präsident! Ihre Frage, in welchem Umfang durch derartige Weisungen der Flächenerwerb verhindert wird und welche Einnahmeverluste der Bundesrepublik Deutschland dadurch möglicherweise entstehen könnten, möchte ich wie folgt beantworten: Da die Verkäufe nach dem Entschädigungs- und Ausgleichsleistungsgesetz als Konsequenz aus der am 22. Dezember 1998 vorab verkündeten Entscheidung der Europäischen Kommission zum Flächenerwerb bis auf weiteres ausgesetzt worden sind, wird der Flächenerwerb durch keine Weisung in dem von Ihnen angesprochenen Sinne verhindert. Das geht auf die Entscheidung der Kommission zurück.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Gibt es eine Zusatzfrage?

Not found (Mitglied des Bundestages)

, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja. Herr Staatssekretär, Sie sagten, es sei eine Aussetzung erfolgt. Ich unterstelle, daß die Bundesregierung weiß, daß die nicht verkauften, jetzt zum Verkauf stehenden Flächen natürlich eines erheblichen Pflegeaufwandes bedürfen. Gibt es denn Schätzungen, welche Belastungen durch die Aussetzung auf den Bundeshaushalt zukommen, also dadurch, daß die Flächen jetzt weiter im Eigentum der öffentlichen Hand bleiben?

Karl Diller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000391

Wir vereinbaren mit den Ländern, daß die Flächen, die wegen der Entscheidung der Kommission jetzt nicht weitergegeben werden können, die dann aber dem Naturschutz zur Verfügung gestellt werden, nur noch mit einem völlig anderen Betrag pro Hektar - wenn ich es richtig weiß, 100 DM statt 227 DM - berücksichtigt werden, so daß schon von daher eine erhebliche Kosteneinsparung für die Bundeskasse gegeben ist.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Zusatzfrage des Kollegen Hacker.

Hans Joachim Hacker (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000771, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Wird sich die Bundesregierung weiterhin an diesem fraktionsübergreifend erreichten Kompromiß orientieren und daran festhalten, daß bei dem Verkauf von landwirtschaftlichen Flächen nach dem EALG alle Erwerbsberechtigten gleich behandelt werden sollen?

Karl Diller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000391

Dem ist so.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Wir kommen nun zu den Fragen 19 und 20. Der Kollege Michelbach scheint nicht anwesend zu sein. Es wird verfahren, wie in der Geschäftsordnung vorgesehen. Die Fragen 21 und 22 des Kollegen Börnsen ({0}) sollen schriftlich beantwortet werden. Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie. Die Fragen 23 und 24 des Abgeordneten Dr. Ramsauer sind zurückgezogen worden. Die Fragen 25 und 26 des Abgeordneten Dr. Ruck, die Frage 27 der Abgeordneten Flach sowie die Frage 28 des Abgeordneten Otto ({1}) sollen schriftlich beantwortet werden. Damit kommen wir zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten. Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Gerald Thalheim zur Verfügung. Die Fragen 29 und 30 der Abgeordneten Hartnagel sollen schriftlich beantwortet werden. Ich rufe die Frage 31 der Abgeordneten Annette Widmann-Mauz auf: Denkt die Bundesregierung darüber nach, nachdem entschieden worden ist, daß die Bundesbehörde der Bundesforschungsanstalt für Viruskrankheiten der Tiere ihren Hauptsitz in Riems ({2}) haben soll, eine Außenstelle in Tübingen zu erhalten, um die flächendeckende Forschung und Versorgung zu gewährleisten, um kein Nord-Süd-Gefälle entstehen zu lassen und um etwa 150 hochqualifizierte Arbeitsplätze zu erhalten? Ich bitte um Beantwortung.

Dr. Gerald Thalheim (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002311

Frau Kollegin Widmann-Mauz, die Bundesregierung beantwortet Ihre Frage wie folgt: Das „Rahmenkonzept für die Bundesforschungsanstalten im Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten“ vom 12. Juni 1996 sieht auf Grund von Stelleneinsparungen sowie vor dem Hintergrund rückläufiger Haushaltsmittel eine Konzentration aller Anstaltsteile der Bundesforschungsanstalt für Viruskrankheiten der Tiere auf der Insel Riems vor. Dementsprechend wurde bereits 1997 der Hauptsitz der Forschungsanstalt von Tübingen auf die Insel Riems verlagert. Dies hatte insbesondere die Umsetzung von Personal der Hauptverwaltung zur Folge. Auch bei der zur Zeit noch laufenden Überprüfung des Rahmenkonzepts steht eine Korrektur der Entscheidung zum Standort Tübingen, die sich an wissenschaftlich-fachlichen und haushaltsmäßigen Gesichtspunkten zu orientieren hat, nicht zur Diskussion. Im übrigen hat die Stadt Tübingen städtebauliche Planungen mit dem Ziel der Errichtung eines Technologieparkes vorgenommen. Dementsprechend sind bereits Teile der Liegenschaft der Bundesforschungsanstalt an die Universität Tübingen abgegeben worden. Demgemäß ist davon auszugehen, daß - nach Schaffung der baulichen Voraussetzungen am Hauptsitz der Bundesforschungsanstalt auf der Insel Riems - sämtliche zur Zeit noch knapp 110 Planstellen von Tübingen auf die Insel verlagert werden. Der Erhalt der Außenstelle in Tübingen ist vor diesem Hintergrund nicht möglich.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Frau Kollegin Widmann-Mauz, Ihre Zusatzfrage, bitte.

Annette Widmann-Mauz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003259, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, Sie haben soeben in der Beantwortung meiner Frage auf die Überprüfung der Rahmenkonzeption hingewiesen. Nach meinem Kenntnisstand hat Bundesminister Funke zur Überprüfung des Standortes eine Arbeitsgruppe aus Bundestagsabgeordneten der Koalitionsfraktionen zu Hilfe gezogen. Mich würde interessieren, auf wessen Initiative und Entscheidung Einsetzung und Zusammensetzung dieser Arbeitsgruppe beruht, welche Abgeordneten ihr angehören und ob es Ihrem Verständnis von Parlamentarismus entspricht, eine Arbeitsgruppe, die eine fachlich-inhaltliche Standortentscheidung mittragen soll, ohne Vertreter der Opposition einzuberufen. ({0})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Staatssekretär, bitte.

Dr. Gerald Thalheim (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002311

Frau Kollegin, in der Arbeitsgruppe, die informellen Charakter hat, wird insbesondere vor dem Hintergrund der Anträge der SPD-Fraktion aus der vergangenen Legislaturperiode über mit der Überarbeitung des Rahmenkonzeptes in Zusammenhang stehende Fragen diskutiert. Wenn die Möglichkeit einer Außenstelle am Standort Tübingen in die Überarbeitung des Rahmenkonzeptes nicht einbezogen wurde, dann geschah dies aus den Gründen, die ich bereits dargelegt habe. Wir sind der Meinung, daß das noch zu Zeiten der früheren Regierung verabschiedete Rahmenkonzept in diesem Punkt keiner Überarbeitung bzw. Korrektur bedarf. Im Gegenteil: In Ihrer Frage haben Sie darauf aufmerksam gemacht, daß es in der Wissenschafts- und Forschungsförderung zu einem Nord-Süd-Gefälle komme. Sie sollten sich vergegenwärtigen, daß BadenWürttemberg 14,9 Prozent der entsprechenden Bundesmittel erhält und daß nach Mecklenburg-Vorpommern nur 1,2 Prozent der Mittel fließen. Dies verleiht der getroffenen Entscheidung, die Forschungen im Bereich des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten auf die Insel Riems zu verlagern, Nachdruck.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Eine weitere Zusatzfrage, Frau Kollegin.

Annette Widmann-Mauz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003259, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, mir liegt aus Ihrem Hause die Information vor, daß noch nicht abzusehen ist, ob sich aus dem Ergebnis der fachlich-inhaltlichen Überprüfung der Arbeitsgruppe eine Änderung der bestehenden Standortkonzeption ergibt. In diesem Zusammenhang frage ich Sie, ob die Einsetzung und Zusammensetzung dieser Arbeitsgruppe im Einvernehmen mit den von der Standortentscheidung betroffenen örtlichen Wahlkreisabgeordneten erfolgte und ob es in diesem Zusammenhang auch eine Rücksprache mit der Kollegin Däubler-Gmelin, die diesen Wahlkreis betreut, gegeben hat.

Dr. Gerald Thalheim (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002311

Ich kann an dieser Stelle die klare Aussage wiederholen, daß eine Disposition über Tübingen zu keinem Zeitpunkt erfolgt ist. Im übrigen hat die Arbeitsgruppe das Ziel, die Inhalte der Koalitionsvereinbarung im Forschungsbereich umzusetzen, also zum Beispiel eine stärkere Akzentuierung im ökologischen Landbau vorzunehmen. Sie werden Verständnis haben, daß es hinsichtlich der Umsetzung der rotgrünen Koalitionsvereinbarung schwierig wäre, auch Abgeordnete aus den alten Regierungsfraktionen mit einzubeziehen.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Zusatzfrage des Kollegen Rose.

Dr. Klaus Rose (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001882, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, können Sie den offensichtlichen Widerspruch in der Beantwortung der Frage der geschätzten Kollegin Widmann-Mauz aufklären, daß es auf der einen Seite eben doch eine Gruppe gibt, die mitreden soll, daß Sie auf der anderen Seite aber bereits feste Tatsachen geschaffen haben - die schon in einer Erklärung der „Stuttgarter Nachrichten“ vom 2. Juni 1998 verkündet wurden -, indem Sie den Standort Tübingen eindeutig aufgelöst haben, so daß dort 140 Arbeitsplätze verlorengehen?

Dr. Gerald Thalheim (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002311

Herr Kollege Rose, zum einen gehen die Arbeitsplätze nicht verloren. Ich habe deutlich gemacht, daß es sich um eine Verlagerung auf die Insel Riems, also nach Mecklenburg-Vorpommern, handelt, und zwar aus genau den Gründen, die ich dargelegt habe. Es ist eine sachliche Erwägung, die Virusforschung auch wegen Infektionsgefahren auf eine Insel zu konzentrieren. Das ist in der Sache logisch. Außerdem soll das Land Mecklenburg-Vorpommern, das bisher in sehr geringem Umfang an der Bundesforschung beteiligt ist, an der Stelle unterstützt werden. Zum anderen wurde die klare Aussage gemacht, daß es sich bei der Diskussion in der Arbeitsgruppe erstens um eine inhaltliche Diskussion zur Ausrichtung der Bundesforschungsanstalt - Stichwort: stärkere Ausbreitung des ökologischen Landbaus - handelt und daß zweitens von Anfang an klar war, daß es bei der Diskussion um drei Standorte geht, nämlich um Celle, um Münster und um Wusterhausen, daß also Tübingen in keiner Veröffentlichung aus dem Haus jemals zur Diskussion gestanden hat.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Die Fragen 32 und 33 des Abgeordneten Strebl und die Fragen 34 und 35 des Abgeordneten Fromme sollen schriftlich beantwortet werden. Wir kommen damit zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Arbeit und Sozialordnung. Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär Gerd Andres zur Verfügung. Ich rufe die Frage 36 des Kollegen Gerald Weiß auf: Beabsichtigt die Bundesregierung, bei der anstehenden Novelle zum Betriebsverfassungsgesetz den § 117 so zu ändern, daß das fliegende Personal künftig nicht mehr vom Gestaltungsbereich des Betriebsverfassungsgesetzes ausgenommen wird?

Dr. h. c. Gerd Andres (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000038

Herr Präsident, lieber Kollege Weiß, nach der Koalitionsvereinbarung steht in dieser Legislaturperiode auch die Novellierung des Betriebsverfassungsgesetzes an. Im Vordergrund stehen wird dabei die Anpassung des organisatorischen Teils des Betriebsverfassungsgesetzes an die vielfältigen Formen der in den Unternehmen stattfindenden Umstrukturierungsprozesse. Dies ist keine leichte Aufgabe und bedarf einer gründlichen Vorbereitung, sollen sachgerechte und flexible Antworten auf die modernen Unternehmens- und Produktionsstrukturen gegeben werden. Die Arbeiten hierzu haben begonnen. Sie werden daher sicherlich Verständnis dafür haben, daß ich Ihnen nach dem derzeitigen Stand der Arbeiten Ihre konkret zu § 117 des Betriebsverfassungsgesetzes gestellte Frage noch nicht beantworten kann. Im Rahmen der Novellierung des Betriebsverfassungsgesetzes werden jedoch alle Vorschriften auf ihren Änderungsbedarf hin geprüft.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Zusatzfrage, bitte schön.

Gerald Weiß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003256, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ist der Bundesregierung bekannt, daß beispielsweise die Pilotenvereinigung Cockpit die Einbeziehung in das Betriebsverfassungsgesetz für Ihre Klientel deshalb will, weil sie sich verspricht, gewisse Interessen nicht nur persönlicher Art, sondern auch Interessen, die mit der Luftsicherheit zu tun haben, über die Instrumente des Betriebsverfassungsgesetzes wirksamer und nachhaltiger durchsetzen zu können?

Dr. h. c. Gerd Andres (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000038

Ja, das ist der Bundesregierung bekannt.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Weitere Zusatzfrage, bitte schön.

Gerald Weiß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003256, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich gehe davon aus, daß Sie diese Vorschläge bei der weiteren Arbeit am Gesetz deshalb positiv würdigen werden.

Dr. h. c. Gerd Andres (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000038

Ich habe schon darauf hingewiesen, Herr Kollege Weiß, daß wir momentan sozusagen im Anfangsstadium sind. Sie wissen, daß die Teile des Gesetzes, die mit Seefahrt, mit Luftfahrt, mit Tendenzbetrieben oder mit kirchlichen Fragen zu tun haben, außerordentlich komplizierte Fragestellungen implizieren - deshalb sind sie im Betriebsverfassungsgesetz in eigenen Teilen verankert -, so daß ich noch einmal um Verständnis dafür bitte, daß ich zum jetzigen Zeitpunkt keine konkreten Aussagen zur Ausgestaltung des § 117 machen kann.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Damit kommen wir zur Frage 37 des Kollegen Dr. Klaus Rose: Welche Gründe sieht die Bundesregierung für die Tatsache, daß im Bereich der Arbeitslosen, nach Berufsgruppen gegliedert, die Krankenschwestern gleich hinter den Bauarbeitern an zweiter Stelle stehen? Herr Staatssekretär, bitte schön.

Dr. h. c. Gerd Andres (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000038

Herr Präsident, lieber Kollege Rose, der von Ihnen vorgenommene Vergleich zwischen den arbeitslosen Bauarbeitern und den arbeitslosen Krankenschwestern oder Krankenpflegern ist so nicht möglich. Bei den Bauberufen werden verschiedene Berufsordnungen zusammengefaßt, während es sich bei Krankenschwestern, Pflegern und Hebammen nur um eine Berufsordnung, nämlich die mit der Kennziffer 853 in der Statistik, handelt. Zu der Beschäftigungssituation ist darauf hinzuweisen, daß sich gemäß Beschäftigtenstatistik der Bundesanstalt für Arbeit in den Jahren 1993 bis 1998 die Gesamtzahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten um 5,2 Prozent reduziert hat, während in der genannten Berufsordnung 853 im gleichen Zeitraum eine Steigerung der Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten um 14,3 Prozent zu beobachten war. Bei der Betrachtung der Entwicklung der Arbeitslosigkeit ist festzustellen, daß sich von 1993 auf 1998 der Bestand an Arbeitslosen insgesamt um rund 15 Prozent erhöht hat. Gleichzeitig erhöhte sich die Arbeitslosigkeit in der Berufsordnung 853 um 17,7 Prozent. Wegen der gleichzeitig erfolgten Ausweitung der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung erhöhte sich die Arbeitslosenquote in diesem Bereich bundesweit aber nur von 3,1 auf 3,2 Prozent und liegt damit relativ niedrig. Die Zahl der offenen Stellen hat sich in den letzten Jahren rückläufig entwickelt. Insgesamt deutet sich somit in den Krankenpflegeberufen eine Trendwende an, nachdem Anfang der 90er Jahre hier noch ein „Pflegenotstand“ bestand. Die Dienststellen der Bundesanstalt für Arbeit berichten inzwischen oft von einem deutlichen Bewerberüberhang in diesem Bereich. Der Kostendruck in den Krankenhäusern sowie der Personalabbau in den Kurbetrieben werden als Hauptgründe dafür genannt. Einmal freigesetzte Arbeitskräfte finden derzeit, falls sie nicht über Spezialkenntnisse bzw. besondere Quali3660 fikationen verfügen, nur sehr schwer wieder einen Arbeitsplatz. Auch sucht ein relativ hoher Anteil der Arbeitslosen in dieser Gruppe eine Teilzeitarbeit, die nicht in dem erforderlichen Umfang angeboten wird. Ein Teil von arbeitslosen Krankenpflegekräften ist allerdings auch in zusätzlich entstandenen Arbeitsplätzen im ambulanten Pflegebereich untergekommen. Insgesamt kann man noch nicht von einem schwierigen Arbeitsmarkt für Krankenpflegefachkräfte sprechen.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Zusatzfrage.

Dr. Klaus Rose (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001882, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, ich bin nicht überzeugt, daß es keine schwierige Situation für die Krankenschwestern und die Pflegeberufe gibt. Wenn ich Ihre überzeugenden Zahlen in eine schlichte Frage fassen darf: Was gedenkt die Bundesregierung zu tun, um im Zusammenhang mit der vorhin gestellten Frage eines weiteren Abbaus von Krankenhausbetten den Mißstand für diesen gefährdeten Berufsstand, der ja speziell Frauen betrifft, zu beseitigen?

Dr. h. c. Gerd Andres (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000038

Herr Dr. Rose, ich habe ja darauf hingewiesen, daß, wenn man entsprechende Vergleiche zieht, unsere Arbeitslosenquote im Schnitt bei knapp über 10 Prozent liegt, dagegen in dieser Berufsgruppe bei knapp über 3 Prozent. Es hat in der letzten Zeit einen Anstieg gegeben; die Gründe dafür habe ich genannt. Sicherlich wird der Rationalisierungsdruck auch im Gesundheitsbereich zunehmen. Auf der anderen Seite muß man sehen, daß der Gesundheitsbereich nach wie vor ein Wachstumsbereich ist und eines der Potentiale darstellt, in denen gesellschaftlich relativ viel Beschäftigung stattfindet. Ich habe Ihre Fragen an Frau Kollegin Nickels verfolgt und kann mir auch denken, in welche Zielrichtung sie gehen. Wenn ich in Erinnerung rufen darf: Frau Nickels hat Ihnen auf Ihre Frage hinsichtlich eines Globalbudgets oder der Bestätigung der Zahlen zum Aktionstag für Gesundheit in Berlin die Antwort gegeben, daß heute morgen in der Anhörung des Gesundheitsausschusses die dargestellten Zahlen von den Fachleuten nicht geteilt worden sind und daß natürlich auch ein Globalbudget mit der Grundlohnsumme entsprechend wächst und damit zusätzliche Mittel zur Verfügung stehen. Das soll jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, daß insbesondere im Krankenhausbereich - das weiß jeder, der sich mit dieser Sache etwas befaßt hat - einige Probleme auf uns zukommen. Damit muß entsprechend umgegangen werden.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Damit kommen wir zu den Fragen des Kollegen Wolfgang Spanier. Ich rufe die Frage 38 des Kollegen auf: Welche Schritte unternimmt die Bundesregierung, um die deutsche Gebärdensprache vollständig anzuerkennen? Herr Staatssekretär, bitte schön.

Dr. h. c. Gerd Andres (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000038

Herr Präsident, lieber Kollege Spanier, ich bitte darum, beide Fragen gemeinsam beantworten zu dürfen.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Mit Ihrem Einverständnis, Herr Kollege Spanier, rufe ich dann auch die Frage 39 auf: Welche Schritte unternimmt die Bundesregierung, um den Beruf der Gebärdensprachdolmetscherin oder des Gebärdensprachdolmetschers anzuerkennen?

Dr. h. c. Gerd Andres (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000038

Ich danke für das Einverständnis. Zu Frage 38: Bisher gibt es in Deutschland keine bundesweite Norm zur Anerkennung der Gebärdensprache. Die Regierungskoalition hat das Anliegen der Gehörlosen in die Koalitionsvereinbarung aufgenommen. Danach soll geprüft werden, wie die deutsche Gebärdensprache anerkannt und gleichbehandelt werden kann. Konkrete Ergebnisse liegen noch nicht vor, da die Regelungskompetenz des Bundes auf diesem Gebiet eng begrenzt ist und Fortschritte nur im Zusammenhang mit den Ländern möglich sind. Die Regierungschefs der Länder befürworten grundsätzlich die Anerkennung der Gebärdensprache. Allerdings soll sie schrittweise im Rahmen der verfügbaren fachlichen und finanziellen Mittel erfolgen. Ich erinnere in diesem Zusammenhang an die Konferenz der Ministerpräsidenten der Länder vom März 1998, in deren Verlauf bekräftigt wurde, daß die Anerkennung und Förderung der Gebärdensprache in Deutschland im Rahmen der fachlichen und finanziellen Möglichkeiten weiter umgesetzt wird. Für den Sommer dieses Jahres haben die Regierungschefs der Länder die zuständigen Ministerkonferenzen um weitere Berichte über die bis dahin getroffenen Maßnahmen gebeten. Von besonderem Interesse wird dabei der Bericht der Arbeits- und Sozialministerkonferenz sein, der im Entwurf vorliegt, aber noch der Bestätigung bedarf. Sobald der endgültige Bericht vorliegt, wird die Bundesregierung gemeinsam mit den Ländern nach Möglichkeiten einer raschen Umsetzung der Koalitionsvereinbarung suchen. Ihre Frage 39 möchte ich wie folgt beantworten: Die Anerkennung des Berufs „Gebärdensprachdolmetscher“ obliegt den Ländern. Hierbei handelt es sich um eine Hochschul- bzw. Fachhochschulausbildung, für die die Länder zuständig sind. An mehreren Hoch- und Fachhochschulen sind Studiengänge in unterschiedlichem Umfang eingerichtet oder in Vorbereitung. Die Freie und Hansestadt Hamburg hat das Institut für Deutsche Gebärdensprache und Kommunikation Gehörloser als Dauereinrichtung der Universität mit einem Diplomstudiengang für Gebärdensprachdolmetscher etabliert. Die Fachhochschule Magdeburg bietet im Bereich Sozial- und Gesundheitswesen einen speziellen achtsemestrigen Diplomstudiengang „Gebärdensprachdolmetscher“ an, der auch Teilnehmern aus anderen Ländern zugängig ist.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Keine Zusatzfrage, Herr Spanier? - Zusatzfrage des Kollegen Niebel.

Dr. h. c. Dirk Niebel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003198, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Staatssekretär, unterstützen Sie die Forderung verschiedener Gehörlosenverbände, zum Beispiel aktuelle politische Debatten wie die im Deutschen Bundestag ebenso wie aktuelle politische Sendungen, zum Beispiel „Brennpunkt“, weil sie nicht untertitelt werden können, durch Gebärdensprachdolmetscher simultan übersetzen zu lassen, um so Gehörlosen die Möglichkeit zu verschaffen, am politischen Alltagsleben teilzuhaben?

Dr. h. c. Gerd Andres (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000038

Ich unterstütze so etwas. Wenn Sie sich umschauen, werden Sie feststellen, daß schon eine Reihe von Sendern im Fernsehbereich dazu übergegangen sind, die Übertragungen solcher Veranstaltungen, die Sie angesprochen haben, in die Gebärdensprache simultan übersetzen zu lassen.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Weitere Zusatzfrage, Herr Niebel.

Dr. h. c. Dirk Niebel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003198, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Staatssekretär, darf ich Ihre Antwort dahin gehend deuten, daß die Bundesregierung darauf hinwirken wird, daß auch die Debatten des Deutschen Bundestages simultan übersetzt werden?

Dr. h. c. Gerd Andres (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000038

Da, wo die Bundesregierung dazu in der Lage ist, wird sie es tun.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Zusatzfrage des Kollegen Rose.

Dr. Klaus Rose (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001882, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Darf ich insistieren - unabhängig von dem Kompetenzproblem „Bund oder Länder“ - und sagen, daß heute in einer öffentlichen Anhörung des Sportausschusses zum Behindertensport auf die Gehörlosenprobleme hingewiesen wurde, weil man zwar gemeinsam Sport treiben kann, die Behindertensportler im Gehörlosenbereich aber von der berühmten Kommunikation nach dem Sport ausgeschlossen bleiben. Ist die Bundesregierung deshalb bereit, alles zu tun, um mit Hilfe von Gebärdensprachdolmetschern zusätzliche Angebote für Gehörlose zu schaffen, beispielsweise betreffend die Debatten des Deutschen Bundestages?

Dr. h. c. Gerd Andres (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000038

Herr Dr. Rose, meiner Antwort von eben konnten Sie das entnehmen. Sie lautete: Soweit die Bundesregierung das kann, wird sie das tun. Es steht der Bundesregierung nicht zu, sich beispielsweise in Angelegenheiten des Parlamentes einzumischen. Ich bedaure sehr, daß ich nicht darüber informiert bin, wie die Anhörung des Sportausschusses heute morgen inhaltlich verlaufen ist. Ich kann aber zusichern, daß ich mich darüber informieren werde. Ich will noch einmal unterstreichen: In unserer Koalitionsvereinbarung ist niedergelegt, daß wir uns für eine stärkere Nutzung der Gebärdensprache einsetzen werden. Das wird nach den finanziellen und rechtlichen Möglichkeiten Schritt für Schritt geschehen. Insofern unterstützen wir auch diese Bemühungen.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Vielen Dank. Damit kommen wir zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Verteidigung. Zur Beantwortung steht die Parlamentarische Staatssekretärin Brigitte Schulte zur Verfügung. Zunächst die Frage 40 des Kollegen Jürgen Koppelin: Hat die Bundesregierung von der NATO Auskünfte darüber erhalten, wie es zu der Bombardierung der chinesischen Botschaft in Belgrad kommen konnte, und, wenn ja, wie lautet die Auskunft der NATO dazu?

Brigitte Traupe (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002099

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der verehrte Kollege Koppelin hat danach gefragt, wie es zur Bombardierung der chinesischen Botschaft in Belgrad kommen konnte und welche Auskunft ihm dazu die NATO gibt. Das will ich gern beantworten. Sehr geehrter Herr Kollege Koppelin, die Bundesregierung hat aus dem NATO-Hauptquartier in Brüssel Auskunft darüber erhalten, wie es zu dieser Bombardierung kommen konnte. Der Bericht des Hauptquartiers verweist auf detaillierte Befragungen der betroffenen Luftfahrzeugbesatzungen, des Kommandeurs und des Stabspersonals des entsprechenden Hauptquartiers. Es wurde das Personal der Nation befragt, die die Zielinformation geliefert hat, auf der der betreffende Luftangriff basierte. Die Überprüfung hat ergeben, daß weder ein Pilotennoch ein technischer Fehler den Unfall hervorgerufen hat. Es wurde bereits öffentlich erklärt, daß die direkte Ursache des unbeabsichtigten Angriffs die Verwendung einer falschen Information über die Position des Zieles war. Dabei muß bedacht werden, daß die NATO von nachrichtendienstlichen Informationen der Mitgliedstaaten abhängig ist, da sie selbst keine IntelligenceFähigkeiten besitzt. Diejenige NATO-Nation, welche die Originalinformation über das Ziel zur Verfügung stellte, hat öffentlich erklärt, daß die von ihrem Nachrichtendienst gelieferte Information falsch war. Das ursprüngliche Ziel sei das Staatliche Direktorat für Versorgung und Nachschub, eine besonders wichtige militärische Einrichtung auf der genehmigten Zielliste, gewesen. Die chinesische Botschaft hingegen befinde sich auf der genehmigten „no strike list“, das heißt auf der Liste der auf keinen Fall zu bekämpfenden Objekte. Der Fehler passierte, weil die Position des Staatlichen Direktorats für Versorgung und Nachschub auf dem Kartenmaterial der liefernden Nation falsch angegeben war. Dieses Direktorat befindet sich tatsächlich in unmittelbarer Nähe der chinesischen Botschaft. Das Kartenmaterial, das aus dem Jahre 1992 stammt und 1997 und 1998 jeweils aktualisiert wurde, zeigt jedoch die chinesische Botschaft irrtümlich an einer anderen Stelle in Belgrad. Das NATO-Hauptquartier drückt in seinem Schreiben sein tiefes Bedauern aus und verpflichtet sich, alle Schritte zu unternehmen, um das Risiko von ähnlichen Fehlplanungen in der Zukunft zu vermeiden. Der Bundesregierung sind darüber hinaus keine Fakten über den irrtümlichen Beschuß der chinesischen Botschaft bekannt.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Eine Zusatzfrage, Herr Koppelin.

Dr. h. c. Jürgen Koppelin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001180, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Staatssekretärin, wenn Sie sagen, daß diese Bombardierung auf Grund von Fehlinformationen, die bei der NATO vorlagen, geschehen konnte, teilen Sie dann meine Auffassung, daß es vielleicht besser gewesen wäre, statt sich auf das Kartenmaterial oder auf Informationen, die man von irgendwelchen Geheimdiensten bekommt, zu berufen, ins Telefonbuch von Belgrad zu schauen, um festzustellen, wo sich die chinesische Botschaft befindet?

Brigitte Traupe (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002099

Herr Kollege, diese Meinung teile ich natürlich nicht, obwohl man auf eine solche Idee kommen kann, weil man fast nicht glauben kann, daß so etwas passiert. Ich befürchte, das Telefonbuch hätte nicht die Koordinaten angegeben. Das war natürlich ein unverzeihlicher Fehler; das ist unstrittig.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Wir kommen dann zur Frage 41 des Kollegen Werner Siemann: Gibt es Fälle, daß sich Soldaten, die dem psychologischen Druck der offen oder versteckt drohenden Gefahren im Einsatzgebiet auf dem Balkan nicht gewachsen sind, dem Dienst entzogen, die Waffen niedergelegt haben und daher aus dem Kommando herausgelöst und nach Deutschland zurückversetzt werden mußten?

Brigitte Traupe (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002099

Herr Kollege Siemann, Sie fragen, ob es Fälle gibt, in denen der psychologische Druck der offen und versteckt drohenden Gefahren im Einsatzgebiet auf dem Balkan bei bestimmten Soldaten eine Überforderung darstellt. Ich muß Ihnen mitteilen, daß wir bis heute zum Glück keinen Soldaten haben, den wir aus den von Ihnen genannten Gründen nach Deutschland zurückkommandieren mußten. Die bisher erfolgten Rückkommandierungen sind ausschließlich aus Gründen der Fürsorge und der Gesundheit und leider in dem einen oder anderen Fall aus disziplinarischen Gründen vorgenommen worden.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Eine Zusatzfrage, Herr Siemann.

Werner Siemann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003236, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Staatssekretärin, hat es bisher Fälle von Wehrdienstverweigerung auf Grund des Einsatzes auf dem Balkan gegeben?

Brigitte Traupe (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002099

Nein, mir sind keine entsprechenden Fälle bekannt. Herr Siemann, ich weiß, daß im Vorfeld sehr sorgfältig gefragt wird, für welche Soldaten es ernstzunehmende Gründe gibt, dort nicht eingesetzt zu werden. Wir haben keinen Grund, davon auszugehen, daß diese Informationen nicht stimmen.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Eine weitere Zusatzfrage.

Werner Siemann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003236, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Hält es die Bundesregierung hinsichtlich unserer Soldaten für motivationsfördernd, wenn sie beabsichtigt, die Dauer des Einsatzes von vier auf sechs Monate zu erhöhen, auch unter der Maßgabe, daß den Soldaten zugesichert wird, im Verlauf der nächsten zwei Jahre nicht auf dem Balkan eingesetzt zu werden?

Brigitte Traupe (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002099

Herr Siemann, ich bin Ihnen für diese Frage dankbar, weil sie viele Soldaten und ihre Familien beschäftigt. Diese Frage kann man im Moment nicht abschließend beantworten. Wir bemühen uns darum, Soldaten, die schon in ähnlichen Einsätzen gewesen sind, zum Beispiel in Bosnien-Herzegowina, in einem Zeitraum von anderthalb bis zwei Jahren möglichst nicht einzusetzen. Sie wissen aber selbst genau, daß es im Bereich der Pioniere, der Logistik und im Sanitätsbereich Kräfte gibt, bei denen diese Regelung schon heute nicht durchführbar ist. Deswegen prüfen wir, inwieweit wir durch eine Aufstockung der Krisenreaktionskräfte erreichen können, daß nicht so viele Soldaten in kürzeren Abständen in Spannungsgebieten eingesetzt werden. Zum heutigen Zeitpunkt aber kann keiner diese Frage seriös beantworten, auch wenn der Wunsch nach einer Antwort natürlich verständlich ist.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Eine Zusatzfrage des Kollegen Niebel.

Dr. h. c. Dirk Niebel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003198, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Staatssekretärin, stimmen Sie mir zu, daß die Verlängerung der Einsatzzeit auf sechs Monate mit einem dazwischenliegenden Urlaub von zwei Wochen - das ist der Stand, über den hier diskutiert wird - insbesondere bei jungen Familien zu groParl. Staatssekretärin Brigitte Schulte ßen psychischen Belastungen führen kann? Es gibt ja den Abschiedsprozeß vor dem Einsatz, danach die Rückkehr im Rahmen des Urlaubs, das Sich-wiederaneinander-Gewöhnen und die Verarbeitung der Eindrücke des Einsatzes. Dann muß sich der Soldat wieder von seiner Familie verabschieden, um den Resteinsatz abzuleisten. Stimmen Sie mir weiter darin zu, daß eine derartige Situation die Motivation im Einsatzgebiet nicht sonderlich fördern würde?

Brigitte Traupe (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002099

Herr Kollege Niebel, wir sind mit diesen Fragen erst in den letzten Jahren konfrontiert worden. Wir sollten uns daher auf die Erfahrungen unserer Bündnispartner berufen. Sie wissen, daß es gute Gründe gibt, die Einsatzzeit auf ein halbes Jahr zu verlängern, weil natürlich die Erfahrung der Soldaten und ihre Fähigkeiten, im Einsatzgebiet zu operieren, hilfreich sein können. Wir wollen diese Frage aber genau prüfen und haben uns vorgenommen, daß wir dem Verteidigungsausschuß und dem Parlament spätestens nach der Sommerpause einen entsprechenden Vorschlag vorlegen werden. Die Fachleute und auch die Vertreter des Heeres wünschen sich einen längeren Einsatz, weil die Erfahrung der Soldaten von großem Wert ist. Ich habe in den Gesprächen mit den Vertrauensleuten der Soldaten sehr unterschiedliche Meinungen gehört. Viele sagen: Wenn uns durch den Einsatz von einem halben Jahr garantiert werden kann, daß der Zeitraum bis zum nächsten Einsatz verlängert wird, nehmen wir einen Einsatz von einem halben Jahr in Kauf, wenn wir aber ein halbes Jahr später wieder zum Einsatz kommen würden, dann wäre das ein Problem. Ich kann Ihnen die Frage nicht abschließend beantworten, weil es für beide Positionen gute Gründe gibt. Wir müssen uns als Parlament darüber Gedanken machen, wie wir die Erfordernisse hinsichtlich des Auftrags und der Fürsorge in Einklang bringen.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Eine weitere Zusatzfrage, bitte schön.

Dr. h. c. Dirk Niebel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003198, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Staatssekretärin, wie viele einsatzfähige KRK-Kräfte brauchen Sie, damit eine Verlängerung des Einsatzes nicht notwendig ist?

Brigitte Traupe (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002099

Dazu gibt es bei unseren Partnern ebenfalls sehr interessante Überlegungen, Herr Kollege Niebel. Es gibt Fachleute, die sagen, man brauche zwischen einsatzfähigen Verbänden und denen, die zu Hause ausgebildet werden, die sich gerade in einer Weiterbildung oder in Ferien befinden, ein Verhältnis von 1 zu 3. Es gibt aber auch Fachleute, die sagen, ein Verhältnis von 1 zu 2 reiche aus. Auch in diesem Punkt werden wir abwägen müssen. Wir sind uns aber auf jeden Fall darin einig, daß wir allein für den Auftrag auf dem Balkan zu wenig Krisenreaktionskräfte haben.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Damit kommen wir zur Frage 42 des Kollegen Siemann. Besteht zwischen der Bevölkerung im Einsatzgebiet unserer Bundeswehr auf dem Balkan und unseren Soldaten ein Spannungsverhältnis, und ist es schon zu Auseinandersetzungen gekommen?

Brigitte Traupe (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002099

Herr Kollege Siemann, zwischen der Bevölkerung im Einsatzgebiet und unseren Soldaten besteht durch den Auftrag der SFOR- und KFOR-Verbände natürlich ein Spannungsverhältnis. Das ist aber kein Spannungsverhältnis, das etwa die deutschen Soldaten in einen Unterschied zu denen in den Partnerstaaten bringt. Die Haltung der Bevölkerung gegenüber den deutschen Soldaten schwankt zwischen indifferent und herzlich, wobei wir die Erfahrung sowohl in BosnienHerzegowina als auch jetzt im Kosovo gemacht haben, daß die deutschen Soldaten teilweise sehr herzlich willkommen sind. Das trifft übrigens auch für serbische Bürger in Bosnien-Herzegowina zu. Negative Erfahrungen haben wir bislang noch nicht gemacht. Über Auseinandersetzungen zwischen der einheimischen Bevölkerung und deutschen Soldaten liegen der Bundesregierung bis heute keine Meldungen vor. Aber man muß hinzufügen: Die Soldaten sind besonders sorgfältig auf ihren Auftrag vorbereitet worden. Ich glaube, darauf ist es zurückzuführen, daß wir keine unliebsamen Vorfälle haben.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Eine Zusatzfrage, Herr Siemann.

Werner Siemann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003236, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Staatssekretärin, wann werden die Mitglieder des Deutschen Bundestags die Möglichkeit bekommen, sich vor Ort über die Situation zu informieren und sich ein Bild von der Situation zu verschaffen?

Brigitte Traupe (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002099

Sie haben völlig recht, Herr Siemann. Wir haben das besprochen. Wir wollen mindestens den Mitgliedern des Verteidigungsausschusses, und zwar nicht nur in einem Quotensystem, anbieten, noch im Juli, August eine Reise sowohl nach Bosnien-Herzegowina wie auch nach Mazedonien und sogar schon in den Kosovo vorzunehmen. Schwierig ist es zur Zeit, all jenen Bundestagskollegen, die nicht Mitglieder des Verteidigungsausschusses sind, die aber aus ihrem Wahlkreis ein Kontingent in Bosnien-Herzegowina oder im Kosovo haben, eine solche Reise zu ermöglichen. Wir belasten damit einfach zu stark die vor Ort befindlichen Soldaten. Das war der Grund dafür, daß wir im Mai den Besuch in BosnienHerzegowina ausgesetzt haben. Aber wir beabsichtigen, allen Mitgliedern des Verteidigungsausschusses für Juli, August - je nachdem, wie sich die Situation entwickelt ein solches Angebot zu machen.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Eine Zusatzfrage.

Werner Siemann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003236, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Staatssekretärin, wir haben vor wenigen Tagen im Fernsehen Bilder von der ersten Auseinandersetzung sehen können, in welche deutsche Soldaten hineingezogen worden sind. Es war also offensichtlich ein Filmteam dabei. Gelten für Filmteams andere Regeln als für Bundestagsabgeordnete?

Brigitte Traupe (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002099

Nein. Sie reisen auf eigene Kosten und auf eigenes Risiko dorthin und werden von der Bundeswehr dort nicht betreut. Die Bundeswehr gibt ihnen nur Empfehlungen dafür - das haben Sie sicherlich auch gelesen, Herr Siemann -, wie sie sich zu verhalten haben, um kein Risiko für die Bundeswehr darzustellen, indem sie sie in der Arbeit behindern. In unserer Informationsgesellschaft ist, wie Sie an dem schrecklichen Tod der beiden Journalisten vom „Stern“ gesehen haben, der Bedarf natürlich groß, möglichst umfassend informiert zu werden. Die Bundeswehr selbst hat kein Interesse daran, daß dort in großem Maße Journalisten anwesend sind, weil sie sich natürlich auch für die Leute verantwortlich fühlt. Nein, das Parlament hat bei uns ausdrücklich Vorrang. Wir haben diese Reise nur deshalb nicht organisiert, weil die Soldaten unter starker Belastung stehen.

Werner Siemann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003236, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Vielen Dank.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Eine Zusatzfrage des Kollegen Niebel.

Dr. h. c. Dirk Niebel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003198, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Staatssekretärin, stimmen Sie mir zu, daß die Äußerung, die General von Korff heute im Fernsehen gemacht hat - es gebe keine rechtliche Grundlage zur Entwaffnung der UCK-Kämpfer -, zu einem Spannungsverhältnis mit der örtlichen Bevölkerung führen könnte, weil die Vereinten Nationen in ihrem Sicherheitsratsbeschluß exakt die Entwaffnung gefordert haben?

Brigitte Traupe (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002099

Aber natürlich, Herr Kollege Niebel. Wir werden das auch tun müssen, wobei wir natürlich den Versuch unternehmen, daß dies auf gütliche Weise geschieht. Wir haben auch schon die Bereitschaft von ersten UCK-Kräften festgestellt, mit den ins Kosovo Hineinkommenden zusammenzuarbeiten. Wir haben uns auch gegenüber der serbischen Bevölkerung verpflichtet, dafür zu sorgen, daß die UCK-Kräfte wie alle anderen paramilitärischen Kräfte im Kosovo die Waffen abgeben. Ich gehe davon aus, daß das eine Frage der Zeit und auch eine Frage der Klugheit der KosovoAlbaner ist. Ich kann mir nicht vorstellen, daß wir eine Befriedung der Lage im Kosovo bekommen, wenn die UCK-Kräfte weiterhin bewaffnet sind.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Kollege Niebel, normalerweise haben die Abgeordneten, die die Frage nicht gestellt haben, nur eine Zusatzfrage. Aber in Anbetracht des besonderen Interesses an diesem Komplex lasse ich eine zweite Zusatzfrage zu.

Dr. h. c. Dirk Niebel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003198, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Vielen Dank, Herr Präsident. Frau Staatssekretärin, habe ich Ihre Antwort richtig dahin gehend interpretiert, daß Sie dafür Sorge tragen werden, daß der Kommandierende General im Kosovo darüber informiert wird, daß ein UN-Sicherheitsratsbeschluß durchaus eine hinreichende Rechtsgrundlage ist?

Brigitte Traupe (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002099

Wir verhandeln noch darüber, wie Sie wissen. Wir wollen das möglichst gleichmäßig in allen Abschnitten des Kosovo durchführen, das heißt nicht nur in den Kontingenten, in denen die Deutschen oder die Italiener verantwortlich sind, sondern auf allen Ebenen. Deswegen wird auch eine Vereinbarung mit den UCK-Kräften darüber herbeigeführt. Wir sind verpflichtet, die Entwaffnung durchzuführen. Ich glaube auch, daß uns das bei den UCK-Kräften gelingt. In dem Moment, wo sie das Gefühl hat, Herr Kollege Niebel, daß dort keine paramilitärischen serbischen Verbände mehr sind - von denen wir alle nicht wissen, ob sie sich nicht einfach in die Bevölkerung eingegliedert haben -, wird auch die UCK weitgehend bereit sein, die Waffen abzugeben, und zwar freiwillig. Davon bin ich fest überzeugt.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Damit kommen wir zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen. Uns stehen gleich drei Parlamentarische Staatssekretäre zur Beantwortung zur Verfügung; das sind die Herren Lothar Ibrügger, Achim Großmann und Siegfried Scheffler. Zunächst antwortet der Kollege Lothar Ibrügger. Wir beginnen mit der Frage 43 der Kollegin Ulrike Flach: Plant die Bundesregierung, Vorschlägen der nordrheinwestfälischen Landesregierung zu folgen - die auf der Rechtsauffassung beruhen, ein Nachtflugverbot verstoße nicht gegen den Gleichheitsgrundsatz und das Recht auf freie Berufsausübung im Grundgesetz - und ein Nachtflugverbot für Passagierund Frachtmaschinen zwischen 0 und 5 Uhr am Flughafen Köln/Bonn zu verhängen?

Lothar Ibrügger (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000989

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Frau Kollegin Flach, eine eindeutige Antwort auf Ihre Frage ist der Bundesregierung erst möglich, wenn und nachdem das Land Nordrhein-Westfalen einen förmlichen Antrag gestellt hat, die Genehmigung für den Flughafen Köln/Bonn zu ändern. Ein solcher Antrag liegt nach meiner Kenntnis bisher nicht vor. Deswegen zunächst die Antwort, daß mir zu den beiden von Ihnen angesprochenen Punkten - Nachtflugverbot der Boeing 747-400 und Verbot von Passagierflügen in der Zeit von 0 Uhr bis 5 Uhr morgens - neben dem vom Land in Auftrag gegebenen Gutachten inzwischen auch ein Gutachten von Professor Dr. Sachs, das von dem Flughafen Köln/Bonn in Auftrag gegeben wurde, vorliegt. Die rechtliche Prüfung beider Gutachten durch die entsprechenden Abteilungen im Bundesministerium für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen ist noch nicht abgeschlossen, so daß eine Stellungnahme erst später erfolgen kann.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Eine Zusatzfrage.

Ulrike Flach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003119, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Wie schätzen Sie die Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt im Bereich des Köln/ Bonner Flughafens ein? Liegen Ihnen da zumindest grobe Schätzungen vor?

Lothar Ibrügger (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000989

Frau Kollegin Flach, Betreiber des Flughafens - der Bund ist zwar noch mit beteiligt - ist die Flughafen Köln/Bonn GmbH. In der Region ist der wirtschaftliche Nutzen dieses Flughafens - das wissen wir aus der Verkehrspolitik - ebenso wie der des Flughafens Frankfurt allgemein bekannt. Aber quantifiziert kann ich Ihnen das im Rahmen der Fragestunde nicht beantworten.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Eine weitere Zusatzfrage, bitte schön, Frau Kollegin.

Ulrike Flach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003119, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Wie kommt es aber vor dem Hintergrund, daß Sie gesagt haben, es liege Ihnen keine Anfrage der nordrhein-westfälischen Landesregierung vor, zu Presseberichten vom 26. April, daß dies so sei, und zu Presseberichten, daß das Kabinett am 5. Mai zu diesem Thema getagt habe?

Lothar Ibrügger (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000989

Entscheidend ist doch, Frau Kollegin Flach, daß dem Bundesministerium für Verkehr ein förmlicher Änderungsantrag für die Genehmigung des Flughafens vorgelegt wird. Das ist zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht der Fall. Es gibt Absichtserklärungen, auf die Sie abheben. Für die Bundesregierung stellt sich die Situation auf Grund der Gutachten von zwei Rechtsprofessoren, die bei der Bewertung des gleichen Sachverhaltes zu völlig unterschiedlichen Auffassungen kommen, gegenwärtig nicht sehr erhellend dar. Aus diesem Grunde müssen wir das weitere Verfahren abwarten. Ebenso hat die Landesregierung von NordrheinWestfalen in ihrem Schriftverkehr in den vergangenen Monaten - auch im Hinblick auf das vom Flughafen Köln/Bonn in Auftrag gegebene Gutachten und das Ergebnis des Staats- und Verwaltungsrechtlers Professor Dr. Sachs, darum gebeten, das noch einmal rechtlich zu würdigen. Hier haben die Juristen also noch einiges mit der Würdigung dieser Gutachten zu tun. Denn schließlich geht es um eigentumsähnliche Rechte, in die man eingreift, da eine Betriebsgenehmigung für den Flughafen Köln/Bonn vorliegt. Im übrigen geht es um Betriebsregelungen, die allesamt eigentumsähnliche Rechte darstellen und damit dem Flughafen das Klageverfahren eröffnen würden. Die Bundesregierung ist daran interessiert, daß es zu einem gerechten Ausgleich der Interessen kommt und daß eine Würdigung stattfindet, die am Ende auch bei einer richterlichen Überprüfung Bestand hat. Aus diesem Grunde heute nur die Antwort: Wir sind in der Prüfung dieser Gutachten der Professoren.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Weitere Zusatzfragen? - Das ist nicht der Fall. Dann kommen wir jetzt zur Frage 44 des Kollegen Gerald Weiß ({0}): Warum wird die Bundesregierung das Höchstalter für Piloten auf 65 Jahre festlegen - was das EU-Recht nicht zwingend fordert -, während das Höchstalter für Piloten in den USA und in Frankreich bei 60 Jahren liegt und bei Lokomotivführern das Ausscheiden bereits mit 55 bis 57 Jahren üblich ist?

Lothar Ibrügger (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000989

Herr Kollege Weiß, im Rahmen der europäischen Harmonisierung der Lizenzierungsvorschriften für Piloten wurde das Höchstalter für Piloten im gewerblichen Luftverkehr auf 65 Jahre festgelegt. Vom flugmedizinischen und vom flugbetrieblichen Standpunkt aus ist nach Auffassung der in der Arbeitsgemeinschaft der europäischen Luftfahrtverwaltungen vertretenen 19 europäischen Luftfahrtbehörden eine Altersgrenze von 65 Jahren im gewerblichen Luftverkehr sinnvoll und vertretbar. Frankreich hat als einziges Mitglied dieser Organisation noch vor der Einführung der europäischen Vorschriften eine allgemeine gesetzliche Altersgrenze von 60 Jahren aus arbeitsmarktpolitischen Gründen eingeführt. In den USA wurde die Altersgrenze von 60 Jahren bereits 1960 ohne vorangegangene umfangreiche flugmedizinische Untersuchungen eingeführt. Ebenfalls aus arbeitsmarktpolitischen Gründen hat man sie bis heute beibehalten. Die 1970 von der Internationalen Zivilen Luftfahrtorganisation eingeführte Altersgrenze von 60 Jahren war immer wieder Gegenstand von Diskussionen und ist der Standard, von dem nach Aussage der ICAO die meisten Abweichungen gemeldet werden. Für berufsmäßig tätige Piloten in Luftfahrtunternehmen gibt es derzeit keine gesetzlich festgelegte Altersgrenze in Deutschland. Die Flugdienst- und Ruhezeiten des fliegenden Personals sind darüber hinaus auf der Grundlage flugmedizinischer Erkenntnisse per Rechtsverordnung geregelt. Sie hatten auch nach Lokomotivführern gefragt. ({0}) Die Anforderungen der Eisenbahn-Bau- und Betriebsordnung an die körperliche Tauglichkeit des Personals im Betriebsdienst - dazu gehören die Lokführer - sehen keine Altersgrenze vor. Der jahrzehntelange Einsatz im Außendienst bei unregelmäßigen Wechselschichten führt jedoch zu erhöhtem und dauerhaftem gesundheitlichen Verschleiß, so daß wegen Eintritt der Dienstunfähigkeit in den überwiegenden Fällen die gesetzliche Altersgrenze nicht erreicht wird. Weiterhin konnten Beamte, die von Umstrukturierungsmaßnahmen der Deutschen Bahn AG betroffen waren, auf eigenen Antrag in den Ruhestand versetzt werden. Das durchschnittliche Zurruhesetzungsalter bei den Lokomotivführern lag in den letzten Jahren bei 56 bis 57 Jahren.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Eine Zusatzfrage, Herr Weiß.

Gerald Weiß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003256, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, wie bewerten Sie es denn, daß das Luftverkehrsland Nummer eins, die Vereinigten Staaten, die Piloten ebenfalls mit 60 Jahren in den Ruhestand schikken?

Lothar Ibrügger (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000989

Herr Kollege Weiß, ich habe die Frage ja schon beantwortet. Offenkundig aus arbeitsmarktpolitischen Gründen ist dies in den Vereinigten Staaten bereits 1960 eingeführt worden, und die Vorschrift ist bis heute nicht geändert worden. Die Diskussion über die Angemessenheit dieser Altersgrenze ist ja in Europa noch im Gange. Die Verbände waren beteiligt. Mir ist bekannt, daß es ein großes Interesse auch von Berufspiloten daran gibt, daß sie ihre Tätigkeit auch über das 60. Lebensjahr hinaus fortsetzen können. Die entsprechenden Anträge liegen bei den Luftfahrtbehörden vor. Deswegen möchte ich Sie gleichzeitig auch noch darüber informieren, daß seitens der Weltorganisation der Pilotenverbände sogar die Forderung nach einer generellen Aufhebung jeglicher Altersgrenze erhoben wurde. Das sage ich Ihnen, um Ihnen die Breite der Vorschläge hinsichtlich der Festlegung einer Altersgrenze für Piloten zu schildern.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Eine weitere Zusatzfrage, bitte schön.

Gerald Weiß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003256, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Darf ich Ihnen, Herr Staatssekretär, dann entgegenhalten, daß der Sprecher der Pilotenvereinigung „Cockpit“ gefordert hat, daß man nicht bis zur Altershöchstgrenze von 65 Jahren gehen sollte, daß man vielmehr die Grenze wesentlich früher setzen müsse?

Lothar Ibrügger (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000989

Herr Kollege Weiß, ich habe das nicht als Entgegnung auf meine Antwort, die ich im Namen der Bundesregierung gegeben habe, aufgefaßt. Ich bin selbst im Gespräch mit der Pilotenvereinigung „Cockpit“ und bin seit vielen Jahren mit Fragen der Luftfahrt befaßt. Mir ist diese Forderung bekannt. Nur muß eine entsprechende Regelung - Sie haben ja eben auch das Bundesarbeitsministerium danach gefragt - nach unserer Einschätzung möglichst im Einvernehmen mit den Fachverbänden und den Berufsverbänden in den Tarifverträgen getroffen werden.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Ich rufe jetzt die Frage 45 des Kollegen Harald Friese auf. Welche Möglichkeiten ({0}) sieht die Bundesregierung im Rahmen des geltenden Bundesverkehrswegeplanes, dem wachsenden Verkehr und dem ständig zunehmenden Lkw-Anteil auf der BAB 6 zwischen dem Weinsberger Kreuz und dem Autobahnkreuz Feuchtwangen/Crailsheim gerecht zu werden? Herr Staatssekretär, bitte.

Lothar Ibrügger (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000989

Herr Kollege Friese, die von der Bundesregierung angestrebte stärkere Teilhabe von Schiene und Wasserstraße am Güterverkehr kann man nur netzbezogen und nicht bezogen auf einen - wenn auch wichtigen, aber doch relativ kurzen - Autobahnabschnitt erreichen. Die Möglichkeiten der Verlagerung werden im Rahmen der jetzt anstehenden Überarbeitung des Bundesverkehrswegeplanes untersucht. Für den von Ihnen angesprochenen sechsstreifigen Ausbau der Autobahn A 6 zwischen dem Autobahnkreuz Weinsberg und dem Autobahnkreuz Feuchtwangen/Crailsheim wurde im Rahmen der Fortschreibung des Bundesverkehrswegeplans 1992 kein anerkannter Bedarf festgestellt. Der Deutsche Bundestag hat sich bei seiner abschließenden Entscheidung über den Bedarfsplan für die Bundesfernstraßen am 30. Juni 1993 diesem Votum angeschlossen. Damit fehlen die rechtlichen Voraussetzungen für eine Aufnahme der Planungsarbeiten. Das Land Baden-Württemberg beabsichtigt - voraussichtlich auf der Grundlage aktueller Struktur- und Verkehrsdaten - das Projekt bei einer anstehenden Überarbeitung des Bundesverkehrswegeplanes erneut zur Bewertung anzumelden. Die endgültige Entscheidung über die Dringlichkeitseinstufung wird dann der Deutsche Bundestag im Rahmen der parlamentarischen Beratung der Novelle zum Fernstraßenausbaugesetz und zum dazugehörigen neuen Bedarfsplan für die Bundesfernstraßen treffen.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Eine Zusatzfrage.

Harald Friese (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003125, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, Sie kennen die Situation: Der Anteil der Lkws liegt bei rund einem Viertel. Sieht die Bundesregierung die MöglichParl. Staatssekretär Lothar Ibrügger keit, durch verkehrslenkende Maßnahmen wie zum Beispiel ein durchgehendes Überholverbot für Lkws oder durch bauliche Maßnahmen - Nutzung des Standstreifens als eine dritte Fahrspur - die optimale Ausnutzung der vorhandenen Kapazität zu gewährleisten?

Lothar Ibrügger (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000989

Herr Kollege Friese, ich beziehe Ihre Frage nicht auf diesen Autobahnabschnitt, sondern beantworte sie allgemein: Soweit es um die Verlagerung von Lkw-Verkehr auf Schiene und Wasserstraße geht, hat sich die Bundesregierung eindeutig dazu bekannt, alles zu unternehmen - auch im Rahmen des Bundesverkehrswegeplanes -, mehr Anteile von der Straße auf diese Verkehrsträger zu verlagern. Darüber hinaus sind die Straßenbauverwaltungen in den Ländern natürlich jederzeit gehalten - das wird nicht von Bonn aus angeordnet -, in ihrem Verantwortungsbereich die Effizienz des Autobahnnetzes und der entsprechenden Teilabschnitte daraufhin zu überprüfen, wie Lkw-Verkehr beschleunigt abgewickelt werden kann, auch unter Nutzung von Standstreifen. Diese Entscheidung wird aber nicht unmittelbar von uns getroffen. In den meisten Fällen hat sich herausgestellt, daß die Standspuren der ständigen Belastung durch die immer weiter wachsenden Achslasten der Lkws nicht standhalten und dies zu Verschleißschäden wie auf den Hauptbahnen führen würde. Dies wird nur in den Fällen gehen, in denen der Standstreifen schon vorsichtshalber so gebaut wurde, daß er in Einzelfällen stärkere Lasten zu tragen in der Lage ist. Diese Frage läßt sich von hier aus aber nicht beantworten.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Eine weitere Zusatzfrage, bitte schön.

Harald Friese (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003125, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, ich teile Ihre politische Absicht, Güterverkehre auf die Schiene und auf die Wasserstraßen zu verlagern. Zu dem in meiner Frage angesprochenen Autobahnabschnitt: Sehen Sie eine Chance, die generelle politische Aussage zu bekräftigen und mit der Fortschreibung des Bundesverkehrswegeplanes die ehemals bedeutende Ost-West-Verbindung zu entlasten, indem die Schiene so gestärkt wird, daß sie ihre Funktion hinsichtlich des Transportes von Gütern in Zukunft besser wahrnehmen kann?

Lothar Ibrügger (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000989

Herr Kollege Friese, es wird von der Entscheidung des Parlamentes abhängen, ob die Dringlichkeit für die von Ihnen geschilderte Maßnahme dann auch in einem Gesetz verankert wird. Wenn das der Fall ist - ich hatte Ihnen geschildert: das Land Baden-Württemberg ist aufgefordert, ein Antragsverfahren einzuleiten und dies in die Bewertung einzubringen -, wird es Sache des Parlamentes sein, zu entscheiden, ob diese Maßnahme mit höchster Dringlichkeit im Gesetz verankert wird. Für die Bundesregierung würde dies bei entsprechender gesetzlicher Änderung dazu führen, daß der Planungsauftrag erfüllt und diese Maßnahme in Angriff genommen wird. Dem kann ich jetzt aber nicht vorgreifen, da dies eine Parlamentsentscheidung sein wird.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Damit kommen wir zur Frage 46 des Kollegen Friese: Sieht die Bundesregierung wegen der europäischen Bedeutung dieser Ost-West-Magistrale die Möglichkeit, europäische Fördermittel für den Ausbau von Straße oder Schiene zu erhalten?

Lothar Ibrügger (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000989

Herr Kollege Friese, sowohl die Bundesautobahn A 6 als auch die Eisenbahnstrecke Stuttgart-Crailsheim-Nürnberg sind in den entsprechenden Leitschemata für die Transeuropäischen Verkehrsnetze enthalten. Grundsätzlich besteht damit die Möglichkeit, für Ausbaumaßnahmen eine Unterstützung aus dieser sogenannten TENHaushaltslinie der EU zu beantragen. ({0}) Voraussetzung für eine Antragstellung ist, daß zu diesem Zeitpunkt die planungs- und haushaltsrechtlichen Bedingungen für konkrete Maßnahmen gegeben sind. Dies ist unverzichtbar, um den Abfluß der Fördermittel zu gewährleisten.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Eine Zusatzfrage, bitte sehr.

Harald Friese (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003125, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Das ist ein Hoffnungsschimmer, Herr Staatssekretär. Ich danke Ihnen für die Antwort. Aber ich habe noch eine weitere Zusatzfrage: Wie steht die Bundesregierung zu den früheren Erwägungen der baden-württembergischen Landesregierung, einen Ausbau der A 6 über Mautgebühren zu finanzieren?

Lothar Ibrügger (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000989

Herr Kollege Friese, die Erwägungen der Landesregierung von Baden-Württemberg sind mir so, wie Sie sie in der Fragestellung zum Ausdruck gebracht haben, nicht unmittelbar bekannt. Wir haben in der Bundesrepublik Deutschland inzwischen ein ganzes Instrumentarium, Verkehrsmaßnahmen gegebenenfalls auch durch private Vorfinanzierung zu sichern. Wir haben im übrigen auch Instrumente, solche Maßnahmen gegebenenfalls auch durch Mautgebühren oder sogenannte Betreibermodelle zu finanzieren. Die Bundesregierung ist gegenwärtig offen für entsprechende Überprüfungen, die jedoch die Länder in eigener Zuständigkeit vorzunehmen haben. Von deren Ergebnis wird es abhängen, ob eine solche Maßnahme im Zuge von Bundesverkehrswegen verwirklicht werden kann. Die Bundesregierung ist gegen die Fortsetzung der sogenannten privaten Vorfinanzierung, die für die einHarald Friese zelnen Länder erhebliche finanzielle Zusatzlasten mit sich bringt. Diese gehen zu Lasten der Länderquote. Denn all das muß letzten Endes zu einem späteren Zeitpunkt, nach Fertigstellung der Maßnahme, teurer finanziert werden. Bundesminister Franz Müntefering hat sich deutlich dazu geäußert, daß wir eine Reihe solcher Projekte wegen der erheblichen Bindungswirkung für den Bundeshaushalt nicht fortsetzen können. Mautregelungen sind ein anderes Modell der Finanzierung, weil damit der Bundeshaushalt nicht unmittelbar belastet würde. Insofern sind wir für Vorschläge offen, die auf diesem Felde zur Finanzierung der Verkehrsinfrastruktur beitragen.

Harald Friese (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003125, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Vielen Dank.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Es gibt keine weiteren Fragen. Ich rufe die Frage 47 des Abgeordneten Peter Weiß auf: Trifft es zu, daß an der Bundesautobahn A 5 zwischen Offenburg und Basel Teilabschnitte mit einem differenzierten Tempolimit von 60 km/h für Lkw und 120 km/h für Pkw versehen werden sollen, weil die notwendige Sanierung der Fahrbahn derzeit aus finanziellen Gründen nicht erfolgen kann, und welche Streckenabschnitte werden von solchen Maßnahmen der Temporeduzierung betroffen sein? Bitte sehr, Herr Staatssekretär.

Lothar Ibrügger (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000989

Die Antwort auf diese Frage lautet: Ja, es ist der Bundesregierung bekannt. Nach Rückfrage bei der zuständigen Verkehrsbehörde - Sie merken, hier sind wir vom Land Baden-Württemberg abhängig - sind folgende Abschnitte betroffen: in Fahrtrichtung Basel zwischen Autobahnanschlußstelle Ettenheim und Autobahnanschlußstelle Riegel sowie zwischen Anschlußstelle Teningen und Anschlußstelle Freiburg-Nord, in Fahrtrichtung Karlsruhe zwischen den Autobahnanschlußstellen Freiburg-Nord und Riegel.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Eine Zusatzfrage, bitte sehr, Herr Kollege.

Peter Weiß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003255, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, wie wird sich das Tempolimit auf die fortschreitende Zerstörung der mittlerweile 38 Jahre alten Fahrbahn auswirken? Hat das keine Auswirkungen, oder mit welcher zeitlichen Verzögerung in der Zerstörung der Fahrbahn rechnen Sie bei Anordnung dieses Tempolimits?

Lothar Ibrügger (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000989

Ich weiß nicht, ob erwogen wurde, die Geschwindigkeit noch weiter zu verringern, aber der Ausgangspunkt ist, daß die Geschwindigkeitsbeschränkung angeordnet wurde, um die weitere Substanzzerstörung der Fahrbahn verhindern oder zumindest abbremsen zu helfen. Anders kann ich mir das nicht erklären. Weitere Maßnahmen liegen in der alleinigen Zuständigkeit des Landes BadenWürttemberg. Was sich im Klartext dahinter verbirgt, ist die Frage, in welcher Art und Weise wir das große materielle Anlagevermögen, das wir in Form von Brücken und Straßen, in Bundesverkehrswegen besitzen - hier findet zunehmender Substanzverzehr durch immer weiter steigende Belastungen statt -, finanziell sinnvoll so nutzen können, daß die Unterhaltung der Fahrwege in einem zufriedenstellenden Zustand gewährleistet werden kann. Dies bereitet uns zunehmend Schwierigkeiten, weil der Abnutzungszustand von Brücken und Fahrbahnen durch die hohen Belastungen viel schneller eingetreten ist, als es bisher vorausgesehen worden ist.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Eine weitere Zusatzfrage, bitte sehr.

Peter Weiß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003255, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, da es sich hier um einen Autobahnabschnitt handelt, der sehr stark befahren wird, vor allen Dingen jetzt in der Ferienzeit auf Grund des Urlaubsverkehrs, frage ich: Wie beurteilt die Bundesregierung die Staugefahr, wenn Lkws nur noch mit einer Höchstgeschwindigkeit von 60 km/h auf diesem Streckenabschnitt fahren können?

Lothar Ibrügger (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000989

Herr Kollege Weiß, ich bitte hier um Nachsicht. Ihre Frage können nur die zuständige Straßenbauverwaltung und die anordnende Straßenverkehrsbehörde sinnvollerweise beantworten; denn sie wissen aus eigenen Erwägungen und eigener Verantwortlichkeit, was vor Ort zu tun ist. Die Auseinandersetzung um Staubildung durch entsprechende Geschwindigkeitsbeschränkungen kann die Bundesregierung von Bonn aus durch Anordnung nicht ersetzen. Dies liegt einzig und allein in der Zuständigkeit der Straßenverkehrsbehörden bzw. der dort für den Straßenbau verantwortlichen Institutionen.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Dazu hat nun der Kollege Wiese eine Zusatzfrage. Bitte sehr.

Heinz Wiese (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003261, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, würden Sie die Unterhaltungsmaßnahmen, die auf Grund des hohen Verkehrsaufkommens notwendig sind - darauf hat der Kollege Weiß schon hingewiesen -, auch im Zusammenhang mit der Tatsache sehen, daß Baden-Württemberg als Transitland nicht nur für den Tourismusverkehr, sondern auch für den Schwerverkehr eine besondere Bedeutung in Deutschland und auch in Europa hat? Nach Erkenntnissen der baden-württembergischen Landesregierung liegt die Verkehrsbelastung auf Grund dieser Tatsache auf den entsprechenden Abschnitten der A 5, A 6, A 7 und A 8 um über 20 Prozent höher als der Bundesdurchschnitt. Glauben Sie nicht auch, daß das Land Baden-Württemberg einen höheren Zuschuß vom Bund für seine Straßenunterhaltskosten, insbesondere auch für diese Autobahnen, benötigt, damit es auch in Zukunft seine Verkehrsinfrastruktur aufrechterhalten kann? Müßte der Bund nicht einen höheren Zuschuß gewähren, um die Transitsituation in BadenWürttemberg besser zu berücksichtigen?

Lothar Ibrügger (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000989

Herr Kollege, es ist überhaupt nicht zu verkennen, daß die immer weiter ansteigende Belastung unseres Bundesautobahnnetzes von etwa 12 000 Kilometern, insbesondere durch den Lkw-Verkehr und durch die weiterhin steigenden Achslasten, zu ganz besonderen Schwierigkeiten gerade in den Verkehrsbrennpunkten in den einzelnen Bundesländern führt. Das gilt für Baden-Württemberg wie für Nordrhein-Westfalen und auch für andere Schwerpunktbereiche in unseren Ballungsräumen und Wirtschaftsregionen. Ihre Frage aber zielt im Grunde darauf ab, ob die bisher zwischen Bund und allen Ländern einvernehmlich vereinbarte Aufteilung der Mittel, die dem Straßenbaulastträger Bund im Haushalt insgesamt zur Verfügung stehen - die sogenannte Länderquote -, verändert werden kann. Bisher hat die Landesregierung von BadenWürttemberg nach meiner Kenntnis zu keinem Zeitpunkt im Hinblick auch auf die von Ihnen geschilderte Situation eine zusätzliche Förderung oder eine zusätzliche Zuschußgewährung beim Bund beantragt. Wenn die Landesregierung von Baden-Württemberg einen solchen Antrag stellen würde, bedeutete dies, daß von der vereinbarten Regelung, also der Länderquote, insgesamt abgewichen werden sollte. Dies würde auf erheblichen Widerstand der anderen Länder stoßen. Das Land Baden-Württemberg hat in den 90er Jahren in dankenswerter Weise von zurückfließenden Mitteln für Verkehrsvorhaben in Ostdeutschland erheblich mehr als andere Bundesländer profitieren können, weil eine ganze Reihe ostdeutscher Länder kurz nach der deutschen Einheit nicht in der Lage waren, die ihnen zur Verfügung stehenden Mittel zeitgerecht abzurufen. Diese sind dann dem Land Baden-Württemberg und auch dem Freistaat Bayern in überdurchschnittlicher Weise zugute gekommen. Das hilft ihnen bei den heutigen zusätzlichen Unterhaltungslasten allerdings nichts mehr. Aber es mag ein Beleg dafür sein, daß damals ein besonderer Bedarf anerkannt worden ist. Nur sehe ich zum gegenwärtigen Zeitpunkt keine Chance, daß der Konsens über die Länderquote, die zwischen Bund und Ländern einvernehmlich vereinbart worden ist, aufgekündigt wird. Aus diesem Grunde kann meine Antwort nur lauten: Das Land Baden-Württemberg muß im Rahmen der ihm zur Verfügung stehenden Mittel die Schwerpunkte selbst setzen. Das tut das Land auch.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Nun rufe ich Frage 48 des Kollegen Peter Weiß auf: Wann und in welchem Umfang können die finanziellen Mittel bereitgestellt werden, um die Fahrbahnbeläge auf der Autobahn A 5 zwischen Offenburg und Basel durchgehend zu sanieren und damit die möglicherweise vorgesehenen Tempolimits wieder aufzuheben? Herr Staatssekretär, bitte sehr.

Lothar Ibrügger (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000989

Herr Kollege Weiß, die Instandsetzung der Autobahn A 5 zwischen Karlsruhe und Weil am Rhein wird vom Land Baden-Württemberg seit 1992 systematisch als Schwerpunktmaßnahme durchgeführt. Auf Grund der gravierenden Fahrbahnschäden in den nördlichen Abschnitten wird die bauliche Erhaltung von Norden her betrieben. Derzeit wird die Fahrbahn bei Riegel grundhaft erneuert. Die dem Land jährlich zur Verfügung stehenden Mittel für den Erhaltungsbedarf werden von dort - ich wiederhole mich jetzt - in eigener Zuständigkeit auf die dringlichsten Maßnahmen aufgeteilt. Nach Mitteilung des Landes wird unter der Voraussetzung mindestens gleichbleibender Haushaltsmittel für die Erhaltung der Bereich Freiburg-Nord im Jahr 2000 mit der Sanierung erreicht sein, so daß die Geschwindigkeitsbeschränkungen in den oben genannten Abschnitten wieder aufgehoben werden können.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Eine Zusatzfrage? Bitte sehr, Herr Kollege.

Peter Weiß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003255, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, wie wird sich denn die Finanzierung des Unterhalts des Autobahnnetzes in Baden-Württemberg entwickeln? 1998 hatten wir Ist-Ausgaben von 90 Millionen DM; in diesem Jahr ist vom Bund eine Zuweisung in Höhe von 79 Millionen DM vorgesehen. Wie wird die Zuweisung für das Land Baden-Württemberg für den Unterhalt von Autobahnen aussehen, wenn die von Ihrem Haus beim Bundesfinanzminister angemeldeten Ansätze für die künftigen Haushalte realisiert werden sollten?

Lothar Ibrügger (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000989

Herr Kollege Weiß, eine exakte Antwort werde ich Ihnen geben können, wenn das Bundeskabinett am 30. Juni oder möglicherweise auch ein paar Tage zuvor seine Entscheidung über den Haushaltsentwurf für das Jahr 2000 getroffen haben wird. Aus der dann vom Parlament zu treffenden Entscheidung über den Bundeshaushalt 2000 leiten sich die Länderquoten ab, über die wir eben gesprochen haben. Daraus lassen sich dann auch die Ansätze ableiten, die für Erhaltung oder für Neubau oder für Baumaßnahmen insgesamt vorgesehen sind. Ihre Frage ist also am heutigen Tage nicht exakt zu beantworten, weil der Haushaltsentwurf 2000 noch nicht vorliegt.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Eine weitere Zusatzfrage, bitte sehr.

Peter Weiß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003255, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, da Sie auf die Verantwortung des Landes bei der Setzung von Prioritäten hingewiesen haben, möchte ich wissen, ob bei einer Zuweisung des Bundes in Höhe von 79 Millionen DM abzüglich einer zu erHeinz Wiese ({0}) wartenden Kürzung - für die von Ihnen angesprochene Maßnahme werden allein schon 20 Millionen DM benötigt - aus Ihrer Sicht überhaupt in absehbarer Zeit damit gerechnet werden kann, daß ein solcher Streckenabschnitt tatsächlich saniert werden kann?

Lothar Ibrügger (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000989

Herr Kollege, ich wiederhole, daß die Einteilung der Dringlichkeit vor allen Dingen in der Verantwortlichkeit des Landes Baden-Württemberg liegt. Angesichts der Situation, die Sie und Ihr Kollege eben geschildert haben, habe ich den Eindruck gewonnen, daß das Land BadenWürttemberg hier eine vordringliche Maßnahme sieht. Aber die Einteilung der Dringlichkeiten wird vor Ort entschieden. Dies ist im Sinne der Verteilung der Verantwortlichkeiten dort nach unserer Auffassung auch am besten aufgehoben. Sie wissen, die Länder planen nach Art. 90 des Grundgesetzes zwar im Auftrag des Bundes, aber in eigener Zuständigkeit, und sie verwalten auch in eigener Zuständigkeit die ihnen zugewiesenen Mittel. Wir werden nicht von hier aus in die Rechte des Landes Baden-Württemberg unmittelbar eingreifen können.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Nun rufe ich die Frage 49 des Kollegen Volker Kauder auf: Wann rechnet die Bundesregierung mit dem Baubeginn der für die Entlastung der Bevölkerung äußerst drängenden Ortsumgehung „Kreuzstraßentunnel“ in Tuttlingen im Zuge der B 311? Herr Staatssekretär Ibrügger!

Lothar Ibrügger (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000989

Herr Kollege Kauder, für das Projekt „Verlegung in Tuttlingen ({0})“ im Zuge der Bundesstraße 311 liegt ein rechtskräftiger Planfeststellungsbeschluß vor. Die Maßnahme ist jedoch im laufenden Fünfjahresplan bis 2000 nicht enthalten. Auf Grund der angespannten Haushaltslage ist derzeit ein Baubeginn nicht absehbar.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Zusatzfrage, Herr Kollege? - Bitte sehr.

Volker Kauder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001074, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, können Sie eine Aussage darüber machen, ob sich die Bundesregierung mit dem Gedanken trägt, dieses Projekt in den nächsten Finanzierungsplan hineinzunehmen?

Lothar Ibrügger (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000989

Herr Kollege, es ist gemeinsames Ziel von Bund und Land, die Bundesstraße 311 leistungsfähig auszubauen und die betroffenen Gemeinden weitestgehend mit Ortsumgehungen zu versehen. Das umfaßt viel mehr als nur die Maßnahme in Tuttlingen. Dabei reden wir über ein Projekt von 2 km Länge, dessen Kosten sich auf 61 Millionen DM belaufen. Angesichts dieser Größenordnung kann ich Ihnen heute nicht mit Bestimmtheit sagen, ob die Maßnahme in das Investitionsprogramm bis 2002 aufgenommen werden kann. Dem muß noch ein sehr intensiver Dialog über die Frage der Prioritäten hinsichtlich der Baumaßnahmen, die dort insgesamt durchgeführt werden, auch mit dem Land Baden-Württemberg vorangehen. Alles Weitere wird auch davon abhängen, inwieweit der Haushaltsentwurf 2000 und die Finanzplanung bis zum Jahre 2003, die noch vorgelegt werden muß, Mittel für dieses Projekt vorsehen. Ob dies so sein wird, kann ich zum heutigen Zeitpunkt nicht eindeutig beantworten.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Eine zweite Zusatzfrage, Herr Kollege.

Volker Kauder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001074, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, bis wann wird die Bundesregierung den Investitionsplan für das Jahr 2000 und die Zeit danach vorlegen?

Lothar Ibrügger (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000989

Die Absicht ist, mit dem Kabinettsbeschluß Ende Juni dem Parlament und dem Bundesrat den Entwurf des Haushaltsplans 2000 mit der Finanzplanung für die darauffolgenden Jahre zuzuleiten. Dies sind für das Bundesministerium die entscheidenden Grundlagen, um das Investitionsprogramm vorzulegen. Weil etwa 2000 Projekte betroffen sind, die in die Betrachtung einbezogen werden müssen, rechnen wir jetzt damit, daß wir dem Parlament zum Herbst dieses Jahres das Investitionsprogramm vorlegen können.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Ich rufe die Frage 50 des Kollegen Volker Kauder auf: Welche konkreten Maßnahmen will das Bundesministerium für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen ergreifen, damit der Planfeststellungsbeschluß, der für den „Kreuzstraßentunnel“ im nächsten Jahr ausläuft, aufrechterhalten bleibt? Herr Staatssekretär, bitte.

Lothar Ibrügger (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000989

Herr Kollege Kauder, es wird derzeit von der zuständigen Auftragsverwaltung des Landes geprüft, ob durch die rechtzeitige Realisierung einer Vorabmaßnahme die Rechtskraft des ergangenen Planfeststellungsbeschlusses sichergestellt werden kann. Diese Prüfung steht gegenwärtig noch an. Das Ergebnis durch das Land BadenWürttemberg kann ich Ihnen heute nicht mitteilen. Wir sind hierbei auf die Angaben des Landes angewiesen.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Wir kommen zur Frage 51 des Kollegen Manfred Grund: Wie erklärt die Bundesregierung, daß in den alten Bundesländern Verkehrsprojekte bis zur Baureife gebracht werden konnten, obwohl die Finanzierung von bis zu 4 Mrd. DM nicht gesichert werden konnte, zumal in den regelmäßig stattfindenden Bund-Länder-Beratungen seit langem bekannt ist, daß der jährliche Verkehrsetat des Bundes zu gering bemessen ist? Herr Staatssekretär Ibrügger, bitte. Peter Weiß ({0})

Lothar Ibrügger (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000989

Herr Kollege Grund, hinsichtlich der Maßnahmen des vordringlichen Bedarfs im Bedarfsplan für die Bundesfernstraßen besteht ein uneingeschränkter Planungsauftrag. Gleichzeitig wird im Lichte der Finanzierungsmöglichkeiten und des Zeitbedarfs bis zur Erlangung der Baureife geprüft, zu welchem Zeitpunkt die jeweiligen Verfahrensschritte im Planungsvollzug eingeleitet werden. Unabhängig davon können jedoch die Länder im Rahmen der Auftragsverwaltung nach vollzogener Planungsabstimmung mit dem Bund die Zeitabläufe der Plandurchsetzung in eigener Verantwortung bis zur Baureife bestimmen. Dabei sind gleichzeitig mit dem Verkehrswegeplanungsvereinfachungsgesetz seit 1993 auch für die alten Bundesländer die Planungszeiten erheblich verkürzt worden. Hinzu kommt, daß die mit der Bedarfsplanfortschreibung 1991/1992 ausgerichteten Planungsziele von einem damals um fast 2 Milliarden DM pro Jahr höheren Finanzierungsansatz für den Bundesfernstraßenhaushalt ausgingen und zwangsläufig entsprechende Planungsaktivitäten auslösten. Um den Aufbau Ost nicht zu beeinträchtigen, erfolgten in der Vergangenheit Veränderungen der Finanzierungsansätze überwiegend zu Lasten der alten Länder mit der Folge zunehmender Finanzierungsschwierigkeiten.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Wir kommen zur Frage 52 des Kollegen Manfred Grund: Welche Anstrengungen unternimmt die Bundesregierung, um den Straßenbauhaushalt bedarfsgerecht auszustatten, d. h., statt zu kürzen, die Investitionen zu erhöhen? Herr Staatssekretär Ibrügger, bitte.

Lothar Ibrügger (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000989

Herr Kollege Grund, vor dem Hintergrund der äußerst schwierigen und angespannten Haushaltssituation muß auch der Bundesfernstraßenhaushalt einen Beitrag zur Konsolidierung des Bundeshaushalts leisten. Der Bund trägt dennoch im Bundesfernstraßenhaushalt 1999 mit rund 10,2 Milliarden DM dem Finanzierungsbedarf für die Bundesfernstraßen auf hohem Niveau Rechnung. Darüber hinaus wird derzeit durch private Vorfinanzierung das Investitionsniveau verbessert und damit vorgezogener volkswirtschaftlicher Nutzen erzielt. Gleichzeitig sind mit dem Fernstraßenbauprivatfinanzierungsgesetz die Voraussetzungen für eine privatwirtschaftliche Finanzierung ausgewählter Projekte gegeben. Auch tragen Kostensenkungen durch Rationalisierungen und Privatisierungen in spürbarer Weise zur Entlastung des Bundesfernstraßenhaushaltes und damit zur verstärkten Investitionsumsetzung bei.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Eine Zusatzfrage, Herr Kollege Grund, bitte.

Manfred Grund (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002667, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, können Sie ausschließen, daß es durch die Einsparungen, die das Verkehrsministerium im Jahre 2000 und in den folgenden Jahren wahrscheinlich zu erbringen hat, zu Verzögerungen bei Investitionen kommt oder daß Investitionen, die schon Baureife besitzen, nicht stattfinden?

Lothar Ibrügger (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000989

Herr Kollege, das kann die Bundesregierung überhaupt nicht ausschließen, weil zunächst einmal das Parlament Herr des Verfahrens ist. Die Bundesregierung wird hinsichtlich der auszugebenden Mittel jedes Jahr aufs neue ermächtigt. Alle Ausgaben des Bundeshaushaltes stehen unter dem Vorbehalt des Gesetzes. Dies galt auch schon für die alte Bundesregierung. Ich hatte in meiner Antwort schon darauf hingewiesen: In den Jahren 1991/92 ging das Parlament von viel höheren Finanzierungsansätzen aus, als sie im Verlaufe der Jahre 1993 und folgende tatsächlich vollzogen worden sind. Hinzu kamen erhebliche Projektkostensteigerungen bei einzelnen Projekten, die - zusammen mit den Auswirkungen der Haushaltskonsolidierung, die auch von der früheren Bundesregierung betrieben worden ist insgesamt dazu geführt haben, daß zur Umsetzung der im Bundesverkehrswegeplan vorgesehenen Projekte nach dem gegenwärtigen Stand etwa 80 bis 90 Milliarden DM fehlen. Deswegen kann ich Verzögerungen nicht ausschließen, sondern nur darauf hinweisen, daß wir bei jedem Projekt im einzelnen prüfen müssen, ob und in welcher Weise die Finanzierung sichergestellt werden kann. Wir sind vor allem darum bemüht, zur Entlastung der Bevölkerung in von Verkehrslärm betroffenen Regionen weiterzukommen, insbesondere bei den Ortsdurchfahrten. Dort liegt eine ganze Reihe von baureifen Maßnahmen vor. Baden-Württemberg hat allein eine Fülle von Maßnahmen, die rechtlich unanfechtbar und baureif sind. Uns bereitet erhebliche Sorge, daß wir den Erwartungen, die in den vergangenen Jahren geweckt worden sind, mit dem Haushalt nicht gerecht werden können und daß sich eine erhebliche Finanzierungslücke aufgetan hat, die uns beim Vollzug des Bundesausbauplanes für die Bundesfernstraßen noch erhebliche Schwierigkeiten bereiten wird. Deshalb meine klare Aussage: Bei jedem Projekt sind wir bemüht, es dem gesetzlichen Auftrag entsprechend zu verwirklichen, aber immer nach Maßgabe der in den einzelnen Ländern zur Verfügung stehenden Mittel.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Vielen Dank. Ich rufe nun die Frage 53 des Kollegen Dr. Winfried Wolf auf. Welche Absichten hat die Bundesregierung angesichts der Haushaltssituation für die Fortschreibung der Mittel nach dem Regionalisierungsgesetz für den Schienenpersonennahverkehr, und gibt es Vorstellungen über die künftige Verteilung der Gelder auf die Bundesländer?

Lothar Ibrügger (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000989

Herr Kollege Dr. Wolf, auf Wunsch der Länder wurde im Regionalisierungsgesetz festgelegt, den Mittelbedarf für die Aufrechterhaltung des Fahrplanangebots 1993/1994 im Zeitraum 1998 bis 2001 zu überprüfen und entsprechend anzupassen. Die Bundesregierung hat die Absicht, diesen gesetzlichen Auftrag umzusetzen, und dies ist unabhängig von der aktuellen Haushaltslage. Bei der anstehenden Änderung des Regionalisierungsgesetzes werden die Ergebnisse eines vom Bund im Einvernehmen mit den Ländern vergebenen Gutachtens zu berücksichtigen sein. Danach sinkt der Finanzbedarf für das Fahrplanangebot 1993/94 ab 1999, und die Verteilung zwischen den Ländern ist zu korrigieren.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Zusatzfrage, Herr Kollege Wolf. - Bitte sehr.

Dr. Winfried Wolf (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002830, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Entnehme ich Ihrer Antwort, Herr Staatssekretär, daß Sie sich das WiberaGutachten zu eigen machen und daß Sie damit von einem in Zukunft geringeren Finanzbedarf ausgehen? Daran anschließend frage ich Sie: Wie glauben Sie damit das Ziel der Bundesregierung vereinbaren zu können, mehr Verkehr auf die Schiene zu bekommen?

Lothar Ibrügger (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000989

Herr Kollege Dr. Wolf, die Bundesregierung handelt nach der mit der Bahnreform einvernehmlich vollzogenen Entscheidung, nämlich sich darauf zu verständigen, nach einer gewissen Überprüfungsphase die Wirkung des Regionalisierungsgesetzes zu kontrollieren. Das beruht alles auf einem einvernehmlich von Bundesrat und Bundestag verabschiedeten Programm, und die Bundesregierung handelt danach. Die Zahlen des Wibera-Gutachtens werden im Grundsatz von den Beteiligten auch nicht bestritten. Es kommt nun darauf an, welche gesetzlichen Folgerungen daraus gezogen werden müssen. Hier haben wir ja auch in den Beratungen des Verkehrsausschusses - Herr Dr. Wolf, Sie sind daran beteiligt -, davon Kenntnis erhalten, daß das Land Niedersachsen vom Bundesrat beauftragt worden ist, einen Gesetzentwurf vorzulegen, in dem diese Überprüfung der Regionalisierung dann ihren Niederschlag findet.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Sie wollten noch Ihre zweite Zusatzfrage stellen? - Einverstanden.

Dr. Winfried Wolf (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002830, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Zweite Zusatzfrage: Beabsichtigt die Bundesregierung im Rahmen der Aktualisierung dieses Regionalisierungsgesetzes, die Schlupflöcher, die in diesem Gesetz bestehen, wonach nicht immer 100 Prozent der Regionalisierungsmittel für Schienenverkehr aufgewandt werden müssen, sondern auch für andere Verkehre aufgewandt werden könnten, so zu schließen, daß nach dieser Änderung wirklich 100 Prozent der Mittel für schienengebundenen Verkehr eingesetzt werden müssen?

Lothar Ibrügger (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000989

Herr Kollege Dr. Wolf, zum heutigen Zeitpunkt kann ich Ihnen darauf nur antworten, daß Bund und Länder gemeinsam die Verhandlungen über diesen Gesetzentwurf vorbereiten. Sicherlich gehören auch Ihre Feststellungen in den Katalog der Punkte, die darin dann ihren Niederschlag finden müssen. Wann aber mit dem Abschluß dieser Verhandlungen zu rechnen ist - damit greife ich die Frage 54, Frau Präsidentin, schon auf -, kann ich zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch nicht beantworten. Ich wiederhole: Im Bundesrat hat man sich darauf verständigt, daß das Land Niedersachsen federführend für alle beteiligten Bundesländer einen entsprechenden Gesetzentwurf in den Deutschen Bundestag einbringt.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Damit kommen wir zu der schon erwähnten Frage 54 des Abgeordneten Dr. Winfried Wolf: Wann ist nach Auffassung der Bundesregierung mit dem Abschluß der Verhandlungen zwischen Bund und Ländern über das Regionalisierungsgesetz zu rechnen? Ich denke, daß Sie, Herr Wolf, gleich Ihre Zusatzfrage stellen sollten. Denn Ihre eigentliche Frage ist ja schon beantwortet worden. - Bitte sehr, Herr Kollege.

Dr. Winfried Wolf (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002830, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Meine Zusatzfrage dazu lautet: Teilen Sie die Befürchtungen der GdED und der Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer und Anwärter, wonach durch die Unsicherheit, wann eine Neubestimmung der Regionalisierungsgelder erfolgen wird, weiterhin Schienenwege abgebaut werden, und sehen Sie eine Möglichkeit, diese Unsicherheit schnell zu beenden?

Lothar Ibrügger (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000989

Der Vorstandsvorsitzende der Deutschen Bahn AG hat in der vorletzten Sitzung des Verkehrsausschusses des Deutschen Bundestages gesagt, daß die Deutsche Bahn AG keine Gleise mehr abbaut. Selbst wenn der Betrieb auf bestimmten Strecken eingestellt wird, werden die Gleise nicht abgebaut werden. Dies ist eine veränderte Haltung, die die Bundesregierung sehr begrüßt. Denn wir setzen als Rückgrat der Bedienung auch im ländlichen Bereich auf das Schienennetz. Nur, die Bedienung auf diesem Netz obliegt natürlich den betroffenen Regionen, die Nahverkehrsleistungen bei der Deutschen Bahn AG oder deren Wettbewerbern einkaufen. Insofern habe ich keine Befürchtung, was die Höhe der für die Regionalisierung bereitgestellten Gelder angeht. Dies ist im Rahmen der Bahnreform eindeutig verabredet und festgelegt worden. Für alle Beteiligten besteht dementsprechend Planungssicherheit. Es kommt vor allem darauf an, den Schienenverkehr durch attraktivere Angebote und durch eine stärkere Verknüpfung des öffentlichen Personennahverkehrs mit den Angeboten auf der Schiene zu beleben. Für den Fall, daß dies - auch beim Einkauf dieser Leistungen durch die jeweilige Region - realisiert wird, ist mir nicht bange darum, daß die Zahlen der Zusteiger bzw. der Personen, die mit der Bahn fahren, zunehmen werden.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Eine weitere Zusatzfrage, Herr Kollege? - Bitte sehr.

Dr. Winfried Wolf (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002830, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Im Grunde wiederhole ich meine Frage. Ich möchte vorwegschicken, daß Sie in Ihrer Antwort gesagt haben, daß zwar keine Gleise mehr herausgerissen bzw. abgebaut werden, aber Verkehre faktisch weiter eingestellt werden. Meine Frage von vorhin lautete: Glauben Sie denn nicht, daß durch Ihre vorletzte Antwort, daß Sie keinen Zeitpunkt nennen können, wann die Regionalisierungsgelder neu bestimmt werden, neue Unsicherheit entsteht und dadurch die Gefahr besteht, daß, obwohl keine Gleise mehr abgebaut werden, weitere Verkehre eingestellt werden, wie es beim letzten Fahrplanwechsel erneut flächendeckend, vor allem in den neuen Bundesländern, passiert ist?

Lothar Ibrügger (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000989

Herr Dr. Wolf, diesen Zusammenhang sehe ich nicht. Denn in der Bahnreform sind die Finanzierungsmittel für die Regionalisierung für einen langen Zeitraum eindeutig festgelegt worden. Sie werden weiter steigen. Es geht um die Verteilung der Mittel auf die einzelnen Bundesländer. Die Ergebnisse des WiberaGutachtens zwingen dazu, daß sich das Parlament und auch der Bundesrat in Form eines Gesetzentwurfes über eine gerechtere Verteilung der Mittel, einigen, die - das wiederhole ich - weder gekürzt noch geschmälert werden, sondern steigen. Herr Dr. Wolf, Sie wissen, daß die Bedienungskonzepte nicht unmittelbar von der Bundesregierung beeinflußt werden können. Durch die Bahnreform haben wir diese Verantwortung aus gutem Grund auf die Länder und die Regionen übertragen. Denn dort kann am besten entschieden werden, wie das gesamte regionale Verkehrsnetz organisiert wird.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Nun machen wir mit diesem Thema Pause, weil ich nun die Frage 55 der Abgeordneten Christine Ostrowski aufrufe: Wann wird die Bundesregierung den Gesetzentwurf zur Novellierung des Wohngeldgesetzes, den der Parlamentarische Staatssekretär beim Bundesministerium für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen, Achim Großmann, in der Debatte des Deutschen Bundestages am 19. Januar des Jahres noch vor der Sommerpause zugesagt hat, dem Deutschen Bundestag vorlegen? Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär Großmann zur Verfügung. - Bitte sehr.

Achim Großmann (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000735

Frau Ostrowski, wenn Sie damit einverstanden sind, würde ich gerne Ihre beiden Fragen im Zusammenhang beantworten. ({0})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Dann rufe ich auch die Frage 56 der Abgeordneten Christine Ostrowski auf: Wie soll nach den Vorstellungen der Bundesregierung der anerkannte Finanzbedarf von 1,5 Mrd. DM finanziert werden?

Achim Großmann (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000735

Über Umfang und Zeitpunkt einer Wohngeldnovelle wird die Bundesregierung im Zusammenhang mit dem Entwurf des Haushaltsplanes 2000 entscheiden.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Eine Zusatzfrage, Frau Kollegin. - Wir dachten, jetzt käme es. Nun ist es aber nicht gekommen. Bitte sehr, Sie haben eine Zusatzfrage, Frau Kollegin.

Christine Ostrowski (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001662, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Sie sagen es, Frau Präsidentin. ({0}) Ich hatte fast vermutet, daß Herr Staatssekretär diese diplomatische Antwort geben würde. Ich muß jetzt aber nachfragen; denn man darf ja nicht vergessen: Es war ein Wahlversprechen - und im folgenden ein Versprechen von Herrn Bundesminister und auch von Ihnen, mehrmals öffentlich gemacht -, daß noch vor der Sommerpause der Gesetzentwurf vorgelegt wird. Also frage ich jetzt schlicht und ergreifend nach: Wann ist denn damit zu rechnen? Können wir damit im August oder September - oder wann sonst - rechnen? ({1}) - Richtig, das Jahr muß man dazunennen.

Achim Großmann (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000735

Frau Kollegin Ostrowski, Sie haben vielleicht mitverfolgt, daß die Koalitionsfraktionen die Entscheidung gefällt haben, den Gesetzentwurf einzubringen. Auf Wunsch des Herrn Finanzministers Eichel wird im Zusammenhang mit der Aufstellung des Haushaltsplanes 2000 über die Eckwerte gesprochen. Dann werden wir als Ministerium in der Lage sein, diesen Gesetzentwurf vorzulegen.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Eine weitere Zusatzfrage.

Christine Ostrowski (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001662, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Großmann, ich frage Sie jetzt einmal ganz persönlich als Mitglied dieser Regierung: Wie ist Ihnen denn ums Herz, wenn Sie mir und somit auch der Öffentlichkeit eine solche Antwort geben? ({0})

Achim Großmann (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000735

Ich glaube, daß ich hier Fragen für die Bundesregierung beantworte und nicht zu meinem persönlichen Wohlsein oder Nichtwohlsein. Ich darf Sie aber beruhigen: Ich halte es für ein ganz legitimes Verfahren, daß der Finanzminister im Rahmen einer äußerst schwierigen Haushaltssituation - schließlich müssen wir mit einer horrenden Staatsverschuldung fertig werden - die Bitte äußert, Gesetzesvorhaben mit einem Haushaltsplan als Gesamtpaket zu beraten. Ich weiß nicht, was daran so komisch ist.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Eine weitere Zusatzfrage.

Christine Ostrowski (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001662, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Eine Frage ist noch unbeantwortet. Da die Eckwerte in Bälde in den Bundestag eingebracht werden sollen - ob am 23. oder 30. Juni, sei dahingestellt -, dürfte man doch davon ausgehen - wir haben darüber bereits heute vormittag im Ausschuß gesprochen -, daß die Vorstellungen zur Finanzierung in einem fortgeschritteneren Stadium sind. Ich möchte Sie also bitten, die Frage zu beantworten: Welche Vorstellungen existieren zur Finanzierung des Bedarfs von 1,5 Milliarden DM?

Achim Großmann (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000735

Auch über die Vorstellungen zur Gegenfinanzierung wird derzeit zwischen den Ressorts beraten. Sie haben sicherlich Verständnis dafür, daß es keinen Sinn macht, über Zwischenstände der Beratungen Auskunft zu geben. Ich bitte Sie also auch in dieser Frage um ein wenig Geduld. Wir sind ja bald mit diesen Beratungen am Ende und werden dann in der Lage sein, Ihre Fragen umfassend zu beantworten.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Nun kommt Ihre letzte Zusatzfrage.

Christine Ostrowski (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001662, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Sie hatten sich öffentlich für die Senkung der Einkommensgrenzen bei der Eigenheimzulage ausgesprochen, um die dadurch frei werdenden Mittel zu einem Teil für die Finanzierung des Wohngelds zu verwenden. Ich frage Sie jetzt: Wieviel Mittel werden nach Schätzungen der Bundesregierung durch die Senkung der Einkommensgrenzen frei? Sie können das für das erste bis hin zum achten Jahr beantworten. Ich hätte gerne eine möglichst genaue Summe genannt bekommen.

Achim Großmann (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000735

Auch hier haben Sie mich falsch zitiert, Frau Ostrowski. Ich habe darüber referiert, daß in einer Arbeitsgruppe der Koalitionsfraktionen Gegenvorschläge zur Finanzierung gemacht worden sind. Diese Gegenvorschläge hat sich die Bundesregierung nicht zu eigen gemacht; aber sie sind ebenfalls Gegenstand der derzeitigen Beratungen. Insofern kann ich Ihre Frage nach präzisen Zahlen und Daten nicht beantworten. Ich war allerdings heute morgen im Ausschuß in der Lage, auf die von Ihnen genannten Zahlen einzugehen. Die Zahlen, die Sie heute im Ausschuß genannt haben - Sie haben als Quelle den Wissenschaftlichen Dienst des Deutschen Bundestages genannt -, konnte ich dort nicht bestätigen.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Eine Zusatzfrage des Kollegen Koppelin. Bitte sehr.

Dr. h. c. Jürgen Koppelin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001180, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Staatssekretär, wie hätten Sie früher in der Opposition reagiert, wenn Sie solche Antworten der Bundesregierung bekommen hätten, wie wir sie heute bekommen?

Achim Großmann (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000735

Ich hätte wahrscheinlich, Herr Koppelin, ähnliche Nachfragen gestellt wie Sie und hätte dann von der amtierenden Bundesregierung ähnliche Antworten bekommen, wie ich sie Ihnen jetzt gegeben habe.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Wir danken Herrn Staatssekretär Achim Großmann für die Beantwortung dieser Fragen. Nun rufe ich die Frage 57 des Abgeordneten Norbert Otto auf: Zu welchem Zeitpunkt wird die Bundesregierung die Ergebnisse der derzeit laufenden Prüfungen der als „Vordringlicher Bedarf“ im Bedarfsplan für die Bundesschienenwege ({0}) eingestuften Neubauprojekte, insbesondere des Verkehrsprojekts Deutsche Einheit ({1}) Nr. 8, bekanntgeben, und wird durch die bis jetzt schon eingetretene Verzögerung die bisherige Zielstellung der Inbetriebnahme der Neubaustrecke Erfurt - Ebensfeld bis zum Jahr 2004/2005 mit der neuen ICE-Strecke Berlin - Halle/Leipzig Erfurt - Nürnberg - München ({2}) gefährdet? Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär Scheffler zur Verfügung. Bitte sehr, Herr Staatssekretär.

Siegfried Scheffler (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001952

Lieber Kollege Norbert Otto, wenn wir vom Verkehrsprojekt Deutsche Einheit Nr. 8 sprechen, dann müssen wir natürlich detaillieren: Es gibt die Teilprojekte VDE 8.1 - Ausbau - Neubaustrecke Nürnberg - Erfurt -, VDE 8.2 - Neubau - Ausbaustrecke Erfurt - Leipzig/Halle - und VDE 8.3 - Ausbaustrecke Halle/Leipzig - Berlin -, wobei, wie bekannt, letztgenanntes VDE 8.3 weitestgehend fertiggestellt ist. Ihnen ist aus den Ausschußsitzungen bekannt, insbesondere aus den Ausführungen vor 14 Tagen, daß die erwähnte Überprüfung sich daher nur auf die Teilprojekte 8.1 und 8.2 bezieht, deren Realisierung sich im Anfangsstadium befindet. Entgegen der noch vor zirka drei Wochen genannten Erwartung - auch in der Beantwortung der Briefe aus dem Thüringer Raum, Briefe von Oberbürgermeistern, auch von Ihnen persönlich - müssen wir die Entscheidung, die wir uns an sich für Ende Mai vorgenommen hatten, noch einige Wochen vertagen. Es ist heute mehrfach angesprochen worden, daß das Kabinett den Haushalt am 30. Juni beraten wird. Aber wenn das Kabinett einen Haushalt berät und entscheidet, hat noch lange nicht der Gesetzgeber hier entschieden. Doch wird auch die Kabinettsentscheidung Grundlage unserer Überprüfung sein. Sie haben natürlich Verständnis, daß hier dann letztendlich unter den Gesichtspunkten der Einsparung teilweise eine Neubewertung erfolgen muß und deshalb mögliche Realisierungstermine heute hier nicht genannt werden können. Eine Entscheidung fällt nach dem 30. Juni.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Die erste Zusatzfrage, Herr Kollege, bitte.

Norbert Otto (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001668, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, als Bundeskanzler Schröder Ende April dieses Jahres zu einer gemeinsamen Kabinettssitzung in Erfurt war, hat er vor laufender Kamera gesagt: Ende Mai ist die Sache entschieden, Ende Mai wißt ihr Thüringer, was mit der Strecke 8.1, also Nürnberg - Erfurt, läuft. Das war ein Wort des Kanzlers. Darauf haben wir gebaut. Wie erklären Sie sich, daß der Kanzler dort eine Aussage gemacht hat, die heute wieder völlig offen im Raum steht? Wußte der Kanzler über die Finanzsituation des Bundes nicht Bescheid, und hat er dort leichtfertig eine Aussage gemacht?

Siegfried Scheffler (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001952

Weder der Kanzler noch der Bundesminister für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen hat hier leichtfertig eine Aussage gemacht. Aber, Herr Kollege Otto, liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist ja bekannt, daß die Entwicklung der Verschuldung mehr als dramatisch ist. Die hohe Verschuldung führt letztendlich - die Zinsen machen fast 23 Prozent der Mittel des Bundeshaushalts aus - dazu, daß fast jede vierte Mark für die Bedienung der Zinsen ausgegeben werden muß. Die Möglichkeit zur Kompensation durch den Verkauf von Tafelsilber, die der Finanzminister der alten Bundesregierung noch hatte, besteht nicht mehr. Das zeigt die Überprüfung, ob denn Möglichkeiten bestehen, statt durch Einsparung, durch Kompensation zu erreichen, daß wir gerade, was die neuen Bundesländer betrifft, bei den Verkehrsprojekten Deutsche Einheit von Einsparungen verschont bleiben. Insofern hat die Bundesregierung - das muß ich zugeben - einen Zeitraum genannt, der nicht einzuhalten war. Die Situation war und ist viel dramatischer, so daß erst die Einsparungsrunde, die Abstimmung mit dem Finanzminister und dann letztendlich die Entscheidung im Kabinett abgewartet werden müssen. Denn die Bundesregierung hat zu entscheiden, ob es sinnvoller ist, Projekte zu beginnen, Neubauvorhaben oder das Bestandsnetz voranzutreiben, oder ob die in der Entscheidung, gerade was die Projekte 8.1 und 8.2 betrifft, genannten bzw. bekannten Alternativen - ich brauche sie hier jetzt nicht vorzutragen -, nämlich Ausbau und Stärkung, eventuell sinnvoller sind. Diese Überprüfung unter dem Finanzierungsvorbehalt - damit wir nach der Sommerpause nicht noch einmal anders entscheiden müssen - macht die Sache so schwierig.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Eine weitere Zusatzfrage, Herr Kollege, bitte.

Norbert Otto (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001668, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich stelle also fest: Der Kanzler wußte im April nicht über die Finanzlage der Bundesrepublik Deutschland Bescheid. Ich komme zu meiner Zusatzfrage: Der Europäische Rat hat in Köln für die Transeuropäischen Netze zusätzlich 4,6 Milliarden DM bewilligt. Das Projekt 8.1 ist ein Element der Transeuropäischen Netze, kann also von heute auf morgen gebaut werden. Wie partizipiert dieses Projekt an der Bereitstellung dieser Mittel, und wie beurteilt die Bundesregierung vor dem Hintergrund des Willens des Europäischen Rates, die Transeuropäischen Netze auszubauen, die Verschleppung durch die nun schon lang andauernde Überprüfung?

Siegfried Scheffler (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001952

Der Bundesregierung ist natürlich bekannt, daß dieses Projekt Bestandteil der Transeuropäischen Netze ist. Weder der Bundeskanzler noch der Bundesminister für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen, noch ich selbst bzw. die Koalitionsparteien haben zum Ausdruck gebracht, daß die Transeuropäischen Netze auf Dauer oder in einem bestimmten Zeitraum in Frage gestellt werden.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Ich danke Herrn Staatssekretär Scheffler für die Beantwortung der Fragen. Wir sind am Ende unserer Fragestunde und damit auch am Ende unserer Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages ein auf morgen, Donnerstag, den 17. Juni 1999, 9 Uhr. Die Sitzung ist geschlossen.