Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 6/11/1999

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Die Sitzung ist eröffnet. Zunächst möchte ich einigen Kollegen nachträglich jeweils zu ihrem 60. Geburtstag gratulieren. Die Kollegin Heide Mattischeck feierte am 26. Mai ihren 60. Geburtstag, ({0}) der Kollege Bernd Schmidbauer am 29. Mai ({1}) und der Kollege Hans-Christian Ströbele am 7. Juni; ich spreche ihnen im Namen des Hauses die herzlichsten Glückwünsche aus. ({2}) Ich rufe Tagesordnungspunkt 1 auf: Beratung des Antrags der Bundesregierung Deutsche Beteiligung an einer internationalen Sicherheitspräsenz im Kosovo zur Gewährleistung eines sicheren Umfeldes für die Flüchtlingsrückkehr und zur militärischen Absicherung einer Friedensregelung für das Kosovo auf der Grundlage der Resolution 1244 ({3}) des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen vom 10. Juni 1999 - Drucksache 14/1133 Überweisungsvorschlag: Auswärtiger Ausschuß ({4}) Rechtsausschuß Verteidigungsausschuß Ausschuß für Menschenrechte und humanitäre Hilfe Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Haushaltsausschuß Sie wissen, daß eine Aussprache nicht jetzt, sondern erst nach Vorliegen der Ausschußbeschlußempfehlung zu dem Antrag der Bundesregierung vorgesehen ist. Ich weise darauf hin, daß interfraktionell die Überweisung des Antrags der Bundesregierung auf Drucksache 14/1133 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen wird. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Zu den Ausschußberatungen unterbreche ich jetzt die Sitzung - in meinem Sprechzettel steht: für voraussichtlich eine Stunde. Aber nach dem, was ich aus den Fraktionen höre, und angesichts der Tatsache, daß die beteiligten Ausschüsse gestern sehr ausführlich diskutiert haben, denke ich, daß es mit den Ausschußberatungen unter Umständen schneller gehen wird. Darauf bitte ich sich einzurichten. Der Wiederbeginn der Sitzung wird rechtzeitig durch Klingelsignal und über die Hausrufanlage angekündigt - Herr Bundeskanzler, bis ins Kanzleramt hinein. Die Sitzung ist unterbrochen. ({5})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Liebe Kolleginnen und Kollegen, die unterbrochene Sitzung ist wieder eröffnet. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 2 auf: Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses ({0}) zu dem Antrag der Bundesregierung Deutsche Beteiligung an einer internationalen Sicherheitspräsenz im Kosovo zur Gewährleistung eines sicheren Umfeldes für die Flüchtlingsrückkehr und zur militärischen Absicherung einer Friedensregelung für das Kosovo auf der Grundlage der Resolution 1244 ({1}) des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen vom 10. Juni 1999 - Drucksache 14/1133, 14/1136 Berichterstattung: Abgeordnete Dr. Christoph Zöpel Karl Lamers Dr. Helmut Lippelt Ulrich Irmer Wolfgang Gehrcke Ich weise darauf hin, daß wir nach der Aussprache über die Beschlußempfehlung namentlich abstimmen werden. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache zwei Stunden vorgesehen, wobei die Fraktion der F.D.P. 15 Minuten erhalten soll. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Bundesminister des Auswärtigen, Joschka Fischer. Joseph Fischer, Bundesminister des Auswärtigen ({2}): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Gestern war für die betroffenen Menschen im Kosovo, in Mazedonien, in Albanien, aber auch in Serbien, für uns alle in ganz Europa ein sehr guter, ja ein historischer Tag. Die Waffen schweigen. Der Frieden im Kosovo ist jetzt, nachdem die VN-Sicherheitsratsresolution verabschiedet wurde, erreichbar; er ist in Sicht. Der Abzug der serbischen Truppen aus dem Kosovo hat begonnen. Die NATO hat ihre Luftschläge nach elf Wochen ausgesetzt. Auf diesen Tag haben die Menschen im Kosovo und in Serbien, haben wir alle lange gewartet. Der Krieg wird aber erst dann wirklich zu Ende sein, Frieden wird erst dann wirklich herrschen, wenn die letzten bewaffneten Einheiten abgezogen sind und die internationale Friedenstruppe im Kosovo steht. Doch mit der gestrigen Einigung besteht die berechtigte Hoffnung, daß die weit über eine Million Flüchtlinge und Vertriebenen in ihre Heimat zurückkehren können. Nun kann ein umfassender Friedensprozeß für den Kosovo und parallel dazu und eng eingebettet darin der Stabilisierungsprozeß für die Gesamtregion beginnen, an dessen Ende die Ankoppelung Südosteuropas - ich betone hier ganz bewußt: einschließlich eines demokratischen Serbiens - an das Europa der Integration stehen muß. ({3}) Dieser Krieg hat nicht vor elf Wochen begonnen. In Wirklichkeit ist es der vierte Krieg im ehemaligen Jugoslawien in nur acht Jahren, ausgelöst von derselben Politik, ausgelöst von derselben Regierung, denselben Verantwortlichen, an deren Spitze Milosevic steht. Wir hoffen, daß dies der letzte Balkankrieg gewesen ist. Wenn es gelingt, diese Region an das Europa der Integration heran- und in das Europa der Integration hineinzuführen, besteht die Chance, daß dies der letzte Krieg in Europa gewesen ist. Meine Damen und Herren, dies war kein Krieg als Mittel der Politik, sondern dies war ein Krieg, damit der Krieg als Mittel der Politik in Europa dauerhaft zugunsten der Herrschaft des Rechts und des Gewaltverzichts der Vergangenheit angehört. ({4}) Milosevic hat sich mit seiner verbrecherischen Politik des ethnischen Krieges nicht durchsetzen können und nicht durchsetzen dürfen. Seine Rechnung, den Westen spalten zu können, ist nicht aufgegangen. Er ist heute vor dem internationalen Kriegsverbrechertribunal für das ehemalige Jugoslawien angeklagt. Ich bin mir sicher, er wird dort auch zur Rechenschaft gezogen werden. Die erfolgreiche Durchsetzung der Prinzipien der europäischen Zivilisation gegen die Gewaltherrschaft von Milosevic ist ein wichtiges Signal, daß in Europa Menschen- und Minderheitenrechte nicht mehr ohne Risiko verletzt werden können. Deswegen war der gestrige Tag auch ein großer Tag für die Durchsetzung von Gerechtigkeit in Europa. ({5}) Die Entwicklung zeigt, daß die Politik der Bundesregierung, getragen von der überwiegenden Mehrheit des Bundestages, richtig war. Unsere Doppelstrategie bestand zum einen im Vertrauen auf die militärische Festigkeit im Wissen darum, daß Milosevic sich nicht durchsetzen darf, weil es dabei nicht nur um eine humanitäre Frage geht, sondern auch darum, in welchem Europa wir in Zukunft leben wollen und werden, und zum anderen im Setzen auf eine diplomatische und politische Lösung. Dies haben wir konsequent durchgehalten. So haben wir letztlich gemeinsam mit unseren Bündnispartnern das Blatt wenden können. Deutschland hat mit seiner Beteiligung an den NATO-Luftschlägen eine große Verantwortung übernommen, gerade auch für die beklagenswerten zivilen Opfer und auch - das möchte ich hier betonen - für die unschuldigen zivilen Opfer auf serbischer Seite. ({6}) Doch wieviel schlimmer wären die Folgen gewesen, wenn wir weiter weggeschaut und den brutalen völkischen Vertreibungskrieg hingenommen hätten? Wären wir dem Rat von Ihnen, Herr Gysi, gefolgt, wäre nicht nur das Morden und Vertreiben im Kosovo weitergegangen, das ja lange vor dem NATO-Einsatz begonnen hat, sondern die Stabilität der gesamten Region wäre weiterhin massiv bedroht worden; mehr noch, die Herrschaft der Gewalt hätte sich in einem Teil Europas gegen die Herrschaft des Rechts durchgesetzt. Das hätte dieses Europa der Integration auf Dauer nicht ausgehalten. ({7}) Entscheidend für den Erfolg war die Geschlossenheit der Staatengemeinschaft. Niemand, zuallerletzt diese Bundesregierung und auch nicht ihre Vorgängerregierung, wollte es zu Gewalt kommen lassen. Für mich ist Appeasement kein Schimpfwort. Solange es Möglichkeiten gibt, auf Gewalt zu verzichten und eine politische Lösung herbeizuführen, sollte man dieses unbedingt versuchen. Doch nach drei Balkankriegen, nach langen qualvollen Verhandlungen, nach Angeboten, die im Interesse Serbiens und Jugoslawiens lagen, aber abgelehnt wurden, nachdem mit nichtmilitärischen Mitteln alles Vizepräsident Rudolf Seiters erfolglos versucht wurde, mußten wir diesmal definitiv militärischen Widerstand leisten. Dies haben wir getan. Die westlichen Staaten haben dies durchgehalten trotz erheblicher innerer Schwierigkeiten, gerade auch bei uns. Es war eine der großen Fehlkalkulationen von Herrn Milosevic, darauf zu vertrauen, daß die NATO nicht zusammenhalten würde. Deshalb möchte ich mich namens der Bundesregierung bei der großen Mehrheit des Bundestages, Herr Präsident, für die volle Unterstützung in dieser schwierigen Zeit, die uns fraktionsübergreifend zuteil wurde, recht herzlich bedanken. ({8}) Der Durchbruch wurde erreicht durch die erfolgreiche Mission des Sonderbeauftragten von Präsident Jelzin, Viktor Tschernomyrdin, und des finnischen Präsidenten Ahtisaari und durch die anschließende Einigung der G-8-Außenminister auf dem Petersberg in Bonn auf den Entwurf für eine Sicherheitsratsresolution. Diese Einigung war möglich, weil sich Europäer, Amerikaner und Russen trotz extrem unterschiedlicher innenpolitischer und historischer Voraussetzungen auf eine Position für eine dauerhafte europäische Sicherheit und Stabilität geeinigt haben und sich für eine gemeinsame Vorgehensweise entschieden haben. Dies ist ein großer, zukunftsweisender, ein vielleicht historischer Erfolg der Diplomatie gewesen. Wir sollten über den Anlaß und über den Tag hinaus an diesem Erfolg festhalten, die daraus resultierenden Ergebnisse fortentwickeln und die europäische Sicherheit in diesem Dreieck fest verankern. Aber auch die geschlossene Haltung der Europäischen Union gilt es zu erwähnen, gerade im Vergleich zu ihrer Haltung zu Beginn der jugoslawischen Tragödie 1991/92. Dieser Vergleich zeigt: Die Europäische Union ist heute politisch wesentlich näher zusammengerückt und handlungsfähiger geworden. Sie hat diesen Konflikt, diesen Krieg auch als Gestaltungschance begriffen, um das Gewicht und die Handlungsfähigkeit Europas zu stärken. Deswegen geht unser besonderer Dank an Präsident Ahtisaari, dessen Einsatz den Durchbruch in Belgrad erst möglich gemacht hat. ({9}) Ich möchte aber auch ganz besonders und anerkennend die Haltung Rußlands hervorheben. ({10}) Mein Dank geht an Präsident Jelzin für sein persönliches Engagement und ganz besonders an Viktor Tschernomyrdin, seinen Sonderbeauftragten, aber auch an meinen russischen Kollegen Igor Iwanow. ({11}) Der Konflikt zeigt, wie wichtig es ist, daß Rußland Verantwortung für Frieden in Europa übernimmt und sich konstruktiv verhält. Er zeigt außerdem, wie wichtig es ist, daß Rußland eine konstruktive Rolle in den Vereinten Nationen sucht. Damit trägt es wesentlich zur Gestaltung nicht nur des europäischen, sondern auch des Weltfriedens bei. Ich möchte ganz besonders die nicht nur militärische, sondern auch diplomatische Schlüsselrolle unseres wichtigsten Bündnispartners, der USA, betonen. In diesem Zusammenhang nenne ich Madeleine Albright, Strobe Talbott und ganz besonders Präsident Clinton, der mit seinem persönlichen Einsatz in den entscheidenden Phasen gemeinsam mit dem Bundeskanzler und mit Boris Jelzin dazu beigetragen hat, daß dieser Prozeß vorangegangen ist. Wir sind also den USA ebenfalls zu tiefem Dank verpflichtet. Ich denke, es ist klargeworden, daß in diesem Konflikt die Kooperation zwischen Europa, Rußland und den USA letztendlich dazu beigetragen hat, daß sich diese Politik der ethnischen Kriegsführung, die, historisch gesehen, die Politik einer blutigen Vergangenheit Europas ist, auf dem Balkan nicht durchsetzen konnte. ({12}) Die Bundesregierung hat ihre Doppelpräsidentschaft, also die G-8-Präsidentschaft und die EU-Ratspräsidentschaft, dazu genutzt, unseren Beitrag zu leisten, um nicht nur die Politik der ethnischen Säuberungen mit militärischen Mitteln zum Scheitern zu bringen, sondern auch den Durchbruch für eine politische Lösung zu erreichen. ({13}) Ich habe es vorhin schon gesagt: Wir haben von Anfang an auf diese doppelte Vorgehensweise gesetzt. Wir haben die fünf Punkte und einen Friedensplan entwikkelt, mit dem die fünf Punkte umgesetzt werden sollen. Wir haben von Anfang an darauf Wert gelegt, daß die Europäische Union unter Einschluß der neutralen Länder in diesen Prozeß integriert wird. Das war die Aufgabe unserer Ratspräsidentschaft. Es war eine bewußte politische Entscheidung, daß im Rahmen des Rambouillet-Prozesses die beiden ,,alten Nationen“, Frankreich und Großbritannien, auf Grund ihrer historischen Beziehungen zu Belgrad - im Gegensatz zu unserer historisch belasteten Beziehung - in der ersten Reihe versuchen sollten, eine entsprechende Vereinbarung mit Milosevic zu erreichen. Unsere Aufgabe im Rahmen der Ratspräsidentschaft haben wir dahin gehend definiert, andere Länder in diesen Prozeß zu integrieren. Für mich ist dies einer der wichtigen Punkte über den Tag hinaus: Bevor die NATO die fünf Punkte beschlossen hatte, hatten die Staats- und Regierungschefs auf dem Sondergipfel in Berlin und davor der Allgemeine Rat der Europäischen Union unter Einschluß der neutralen Mitglieder diese fünf Punkte beschlossen. Das ist für mich ein wichtiger Schritt bei der Ausgestaltung des politischen Subjekts der Europäischen Union in diesem Prozeß gewesen. ({14}) Bundesminister Joseph Fischer Wir haben parallel dazu von Anfang an darauf gesetzt, eine dauerhafte, langfristige, konfliktpräventive Lösung durch das Heranführen dieser Region, der Balkanregion, Südosteuropas, an das Europa der Integration zu bewerkstelligen. Gestern ist es in Köln gelungen, den Stabilitätspakt zu verabschieden. Wir müssen ihn jetzt mit Leben erfüllen. ({15}) Wir waren von Anfang an militärisch voll engagiert. Auf allen Ebenen haben wir uns militärisch beteiligt. Es war geplant, daß wir uns an der Umsetzung des Rambouillet-Abkommens beteiligen. Wir haben uns beteiligt, als es darum ging, Militäraktionen gegen Milosevic durchzuführen. Wir werden uns jetzt, so der Bundestag zustimmt, ebenfalls an der Um- und Durchsetzung des Waffenstillstandes und der Erreichung des Friedens beteiligen. Ich möchte hier klar und deutlich aussprechen, daß wir immer die politischen Möglichkeiten gesucht haben, daß wir versucht haben, sie zu nutzen. Aber dies ging nur auf der klaren Grundlage verläßlicher Positionierung im Bündnis und der Solidarität in den Militäraktionen, die das Bündnis gegen die verbrecherische Politik Milosevics vorgenommen hat. Nur die Verbindung von beidem hat den Erfolg gebracht, nur die Verbindung von beidem hat eine aktive Rolle Deutschlands zugelassen. Ich denke, es ist wichtig, dies für die Zukunft festzuhalten. ({16}) Meine Damen und Herren, unsere Soldaten werden, wenn der Bundestag zustimmt, den in den ersten Stunden und Tagen - ich hoffe, nicht Wochen - wohl gefährlichsten Einsatz ausführen, den die Bundeswehr in ihrer Geschichte zu bewältigen hatte. ({17}) Wir hatten hier immer eine breite Unterstützung für die Politik der Bundesregierung. Das war wichtig für die Piloten, die im Einsatz waren. Ich denke, genauso wichtig ist es, daß wir diesem hochgefährlichen Friedenseinsatz - es ist ein Friedenseinsatz; es ist die Umsetzung einer Kapitel-VII-Resolution - als deutscher Gesetzgeber mit breiter Mehrheit zustimmen. Ich möchte namens der Bundesregierung nicht nur allen Soldaten für das danken, was sie geleistet haben, sondern auch die Hoffnung aussprechen, daß alle gesund von diesem Einsatz zurückkehren mögen. ({18}) Meine Damen und Herren, wir haben lange um die Sicherheitsratsresolution gekämpft. Über den Tag hinaus wird diese Sicherheitsratsresolution von Bedeutung sein. Ich erinnere an den Oktober: Wie sehr hätten wir uns da - fraktionsübergreifend - eine Sicherheitsratsresolution gewünscht! Damals ging es noch um neue NATODiskussionen. Damals ging es noch um die Illusion, es ginge ohne den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen. Ich meine das nicht nur kritisch in eine bestimmte Richtung: Hätte Rußland schon damals bedacht, welche Konsequenzen sein Verhalten haben würde, wären wir vermutlich schneller weitergekommen. Das ist ebenfalls eine Überlegung, die man nicht vergessen darf. Nichtsdestoweniger sind wir heute so weit. Es geht jetzt um die Umsetzung dieser Sicherheitsratsresolution. Den Rückzug aller militärischen, paramilitärischen und Polizeikräfte aus dem Kosovo bei gleichzeitigem Einsatz einer internationalen Friedenstruppe haben wir immer als die Voraussetzung dafür begriffen, den Kern der fünf Punkte, für die wir gekämpft und auf die wir uns verpflichtet haben, umzusetzen. Der Kern der fünf Punkte war die Rückkehr aller Vertriebenen, Deportierten und Flüchtlinge. Dafür haben wir gekämpft, und das haben wir durchgesetzt. Dies soll im Auftrag des Deutschen Bundestages, wenn Sie dies beschließen, die Bundeswehr jetzt gemeinsam mit unseren Verbündeten, mit Neutralen und auch unter Teilnahme Rußlands auf der Grundlage einer Kapitel-VII-Resolution im Kosovo umsetzen. Die Stationierung dieser „internationalen Sicherheitspräsenz“ ist das eine, die „zivile Sicherheitspräsenz“ ist das andere, das wir mit aufbauen müssen. Wir befinden uns hier im engsten Kontakt mit unseren Verbündeten. Auf dem G-8-Treffen gab es dazu eine erste wichtige Orientierungsdiskussion. Die letzten Entscheidungen muß der VN-Generalsekretär in Abstimmung mit den Vertretern der Unterorganisationen der UNO treffen. Ich habe vorhin darauf hingewiesen, daß die Bundeswehr vor einem gefährlichen Einsatz steht. Das betrifft nicht nur die Bundeswehr, sondern auch unsere Verbündeten. Das Risiko tragen alle gemeinsam. Das ist das Wesen dieses Einsatzes. Alle beteiligten Soldaten, die am Boden eingesetzt werden, sehen einem sehr gefährlichen Einsatz entgegen. Wir wünschen allen eine gesunde Wiederkehr. Aber die Voraussetzung für Frieden ist, daß die Völkergemeinschaft im Kosovo präsent ist und damit die Abwesenheit von Gewalt - das ist die erste Voraussetzung - sichert. Das Ziel ist eine zivile Implementierung in Verbindung mit der Rückkehr der Vertriebenen und Flüchtlinge in ein multiethnisches Kosovo innerhalb der Grenzen der Bundesrepublik Jugoslawien, damit dann hoffentlich eine Demokratisierung der gesamten Region erreicht werden kann. Die Demokratiefrage ist die entscheidende Frage, die wir Milosevic und allen Nationalisten entgegenhalten müssen. ({19}) Die Herrschaft des Rechts gründet auf der freien Entscheidung des Volkes. Das ist Demokratie. Aber die freie Entscheidung des Volkes ist nicht dazu da, neue Willkür zu schaffen - das wäre ein Mißverständnis der Demokratie -, sondern dazu, die Herrschaft des Rechts zu sichern. Hierin bestand der Bruch in der europäischen Geschichte nach 1945, und dies war die Grundlage für die weitere Entwicklung. In diesem Jahrhundert wurden zwei Weltkriege von Europa ausgelöst, vor allem der Bundesminister Joseph Fischer zweite von unserem Land. Diese Kriege haben eine furchtbare Verheerung mit sich gebracht und haben letztendlich dazu geführt, daß der europäische Einigungsgedanke, die Herrschaft des Rechts und das Streben nach Überwindung der Grenzen in Verbindung mit Kooperation und schließlich Integration gesiegt haben. Das war die Antwort der Europäer auf die historische Herausforderung nach den Weltkriegen. Wenn wir heute darüber klagen, wie schwierig die Sicherung des Friedens in Jugoslawien und wie teuer sie sein wird, dann sollten wir auf die Zeit nach 1945 in Europa zurückblicken. Eine Kollegin hat beim G-8-Treffen darauf hingewiesen, wie Köln vor 50 Jahren aussah und wie es heute aussieht. Angesichts dessen ist die Aufgabe, die jetzt vor uns liegt, eine geringere Aufgabe als die damalige. Wir müssen uns ihr stellen, damit gerade auch Deutschland als eines der entscheidenden Länder in der Europäischen Union seiner Verantwortung gerecht wird. Wir müssen in Jugoslawien nicht nur das Ende der Gewalt herbeiführen, dort nicht nur den Frieden gemeinsam mit unseren Verbündeten und den internationalen Organisationen schaffen, sondern diese Region auch dauerhaft nach Europa führen. Das ist unsere Verantwortung. Ich bedanke mich. ({20})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Ich gebe das Wort für die CDU/CSU-Bundestagsfraktion dem Kollegen

Not found (Mitglied des Bundestages)

, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Wir alle sind heute erleichtert, weil Mord und Vertreibung nun ein Ende haben, auch weil die schwere Last der Verantwortung für die Opfer und die Zerstörungen durch die NATOBombardierungen von uns genommen worden ist und weil die NATO-Aktion letztlich erfolgreich war. Sie war nur deshalb erfolgreich, weil die NATO ihren Zusammenhalt gewahrt hat. ({0}) An dem jetzt erzielten Ergebnis hat die Bundesregierung tatkräftig mitgewirkt. ({1}) Es fällt mir nicht schwer, das anzuerkennen. Der Bundeskanzler hat am Dienstag die Mitwirkung der Opposition anerkannt. Damit, meine Damen und Herren, sollten wir es aber auch mit dem Selbstlob bewenden lassen und hinzufügen, daß andere einen mindestens so großen Anteil an diesem Ergebnis haben: der Finne Ahtisaari, der Russe Tschernomyrdin, der russische Präsident Jelzin, alle anderen NATO-Partner und vorab die USA. ({2}) Es wäre nicht nur unklug, es wäre auch ungerecht, ihnen den Part des Hauptkriegsführers und den Europäern den des Friedensbringers zuzuweisen. Sie, Herr Außenminister, haben das heute gottlob nicht getan. Meine Damen und Herren, wir stimmen dem Antrag der Bundesregierung zu, wenn auch nicht ohne große Sorgen und nicht ohne Bedenken. Wir werden zustimmen, weil die Anwesenheit einer internationalen Sicherheitspräsenz die Voraussetzung für die Rückkehr der Vertriebenen ist. Diese wiederum ist eine Voraussetzung - keineswegs die einzige - für einen wirklichen Frieden. Voraussetzung für das Funktionieren der Schutztruppe sind der NATO-Kern und die NATO-Kommandostruktur, weil nur sie das Vertrauen der Vertriebenen begründen können. Wir glauben, daß diese Voraussetzung hinreichend sicher ist; ganz ist sie es offensichtlich nicht. Wir hoffen sehr, daß eine Regelung mit Rußland gefunden wird und daß sich die Meldung, die mir der Kollege Paul Breuer gerade überreicht hat, nicht bestätigt. Ich habe hier eine Agenturmeldung von „AFP“ von 11.11 Uhr vorliegen, in der es heißt: Nach Angaben der unabhängigen jugoslawischen Nachrichtenagentur „Beta“ sind am Freitag die ersten russischen Einheiten der künftigen internationalen Kosovo-Friedenstruppe in Jugoslawien einmarschiert. Laut „Beta“ überschritt ein Kontingent, von Bosnien kommend, die Grenze; den genauen Ort nannte die Agentur nicht. Die Moskauer Verhandlungen zwischen den USA und Rußland über die Modalitäten der russischen KFOR-Beteiligung wurden unterdessen auf unbestimmte Zeit unterbrochen. Dies meldete die russische Nachrichtenagentur „Interfax“ unter Berufung auf den russischen Delegationsleiter General Leonid Iwaschow. Iwaschow hatte zuvor angekündigt, Rußland werde möglicherweise einen eigenen Sektor im Kosovo ohne Abstimmung mit den USA errichten. Die Sorgen, die wir in den vergangenen Tagen geäußert haben, scheinen sich als nicht unbegründet zu erweisen. Ich hoffe zu Gott, daß diese Meldungen im Kern nicht zutreffen; denn sonst war vieles von dem, was Sie, Herr Minister, gerade gesagt haben, vielleicht übereilt. Wir werden zustimmen, weil sich Deutschland natürlich an der internationalen Schutztruppe beteiligen muß. Wir glauben, daß der von der Bundesregierung beantragte Umfang angemessen ist. Die Zustimmung - das will ich sagen - wird uns durch den Umstand sehr erleichtert, daß diese Aktion nun unter dem Dach der VerBundesminister Joseph Fischer einten Nationen stattfindet und damit eine Wunde geheilt wird, die uns alle beschwert hat. Im Vordergrund unserer Sorgen steht die um das Leben der Soldaten. Sicher, der Abzug der serbischen Streitkräfte scheint hinreichend kontrollierbar, die Vorkehrungen, die die NATO getroffen hat, scheinen umsichtig zu sein. Aber serbische Freischärler sind natürlich nicht auszuschließen, obwohl eine solche Gefährdung kurzfristig - ich betone: kurzfristig - eher unwahrscheinlich ist. Von der ansässigen serbischen Bevölkerung wird ja bestimmt kaum jemand im Kosovo bleiben. Von den Waffen der UCK geht, wiederum kurzfristig gesehen, dann eine Gefahr aus, wenn von serbischen Waffen eine Gefahr ausgeht, wenn es also zu Zusammenstößen kommt und die NATO-Soldaten dazwischengehen müssen. Mittelfristig besteht eine andere Form der Gefährdung, weil die NATO-Vorstellungen von der endgültigen politischen Lösung im Kosovo von denen der UCK abweichen. Ihre Entwaffnung ist also unbedingt notwendig; aber - machen wir uns nichts vor - sie wird ganz ungewöhnlich schwierig sein. Die berechtigte Sorge der NATO wegen der Waffen der UCK wirft übrigens ein bezeichnendes Licht auf unser Verhältnis zu ihr und zu ihren Landsleuten, die die UCK beschützen will und derentwegen wir in den Krieg gezogen sind. Leider kann es nicht zweifelhaft sein - wir alle sagen es -: Dieser Einsatz der Bundeswehr ist ohne jeden Zweifel nicht nur der gefährlichste von den bisher beschlossenen, sondern er ist auch absolut gesehen gefährlich. Gefährlich heißt, daß wir mit Opfern aus den eigenen Reihen rechnen müssen. Für meine Fraktion möchte ich den Soldaten sagen: Unsere Gedanken begleiten Sie. Doch wir können mehr tun: Wir können alle Vorkehrungen treffen, damit es keine Opfer gibt. Vor allen Dingen müssen wir für politische Rahmenbedingungen sorgen, die eine Gefährdung so gering wie möglich machen. Mit anderen Worten, wir müssen dafür sorgen, daß im Kosovo und in der ganzen Region wirklich Frieden einkehrt. Wenn jetzt so oft von Friedensplänen die Rede gewesen ist, dann habe ich das nicht verstanden. Auch das, was jetzt erzielt wurde, ist kein Frieden; vielmehr ist es die Chance für den Beginn eines langwierigen und ungewöhnlich schwierigen Friedensprozesses. Dieser wird ganz entscheidend von unseren Vorstellungen von der endgültigen Ordnung in der Region geprägt sein. Es ist ohne jeden Zweifel richtig, wenn wir alle sagen: Frieden kann nur sein, wenn allenthalben, vorab aber bei dem größten Volk, dem serbischen, ein anderer, das heißt ein demokratischer Geist einkehrt, der das Gegenteil dieses ungezügelten und in gefährlichen Mythen wurzelnden Nationalismus ist. Ein demokratischer Geist ist das Gegenteil von dem Gefühl, das ganz offensichtlich im serbischen Volk vorherrscht: immer das Opfer zu sein. Es handelt sich um ein Gefühl, das ganz gewiß auch jetzt wieder durch die NATO-Aktion verstärkt worden ist. Deswegen wird es darauf ankommen, der - ich bin ganz sicher - überwältigenden Mehrheit des serbischen Volkes das Gefühl zu geben, daß die Friedensordnung, die wir anbieten, eine faire Ordnung ist, die auch den Serben die Chance gibt, die heute weniger denn je gelöste nationale Frage zu beantworten. Nur wenn das geschieht, werden sie ihre Augen oder - besser noch - ihre Herzen für die Verbrechen öffnen können, die von vielen ihrer Landsleute begangen worden sind. Nur wenn das geschieht, werden sie sich von ihrer Verstocktheit befreien und der Propaganda von Milosevic widerstehen können, die jetzt gefundene Regelung als einen Sieg zu verkaufen. Nur wenn das geschieht, werden sie für die schreckliche Wahrheit frei werden können, daß wegen der verbrecherischen Politik von Milosevic Serbien alle vier Etappen des 1990 begonnenen Krieges verloren hat, zuletzt eben auch die Schlacht um den Kosovo. Sie haben sie nicht zuletzt deswegen verloren, weil nach aller Wahrscheinlichkeit mehr oder minder alle Serben den Kosovo verlassen werden. Der Verteidigungsminister hat uns im Ausschuß gesagt, daß 100 000 von etwa 200 000 dort lebenden Serben schon vor Tagen den Kosovo verlassen haben. Inzwischen werden es mehr sein, und mit dem Einzug der NATO und der Rückkehr der Flüchtlinge wird kaum einer zurückbleiben. Natürlich, die NATO wird auch ihnen Schutz gewähren wollen. Doch die Furcht vor Rache wird sicherlich alle flüchten lassen, und die Geflüchteten werden kaum zurückkehren - höchstens dorthin, wo eine gewisse serbische Sicherheitspräsenz vorgesehen ist. Das kann ja nicht in großer Zahl der Fall sein. Sie würden mehrheitlich doch nur zurückkommen, wenn sich die serbische Herrschaft generell wieder durchsetzen würde. Das aber werden die albanischen Kosovaren mit allen Mitteln verhindern wollen - und mit ihnen die NATO. Die Beschwörung, der Kosovo werde Teil der Bundesrepublik Jugoslawien bleiben, ist, so fürchte ich, nicht mehr als ein durchsichtiger Firnis. Denn was nutzt diese Souveränität, wenn sie jetzt und in absehbarer Zukunft mit keinerlei realer Herrschaftsausübung verbunden ist? Ist nicht ein multi-ethnischer Kosovo eine schöne Wunschvorstellung, und nähert sich nicht die Souveränität der Bundesrepublik Jugoslawien für den Kosovo einer Fiktion? Natürlich kann man sagen, die Serben hätten sich das alles selber zuzuschreiben. Aber ist das eine angemessene Sichtweise? Ist das vor allen Dingen eine für uns Deutsche angemessene Sichtweise? Erinnern wir uns nicht, welche fatalen, ja wirklich schicksalhaften Folgen Versailles für die politische Stabilität und für die Demokratie in Deutschland hatte? Erinnern wir uns nicht, wie ganz anders die Entwicklung in Deutschland nach 1945 ausgesehen hatte, nachdem dank der Weisheit einiger Europäer und dank der Weitsicht und des Drucks der Vereinigten Staaten jedenfalls dem freien Teil Deutschlands die unerhoffte Chance gegeben wurde, sich wieder sehr schnell in den Kreis der demokratischen Völker einzugliedern? Bitte entgegnen Sie mir jetzt nicht: Wir haben diese Perspektive im Stabilitätspakt für Serbien vorgesehen. - Gewiß, wir unterstützen ihn mit allem Nachdruck. Aber wir wissen sehr genau, daß die Akzeptanz der Karl Lamers Friedensordnung, die wir anbieten, wiederum die entscheidende Voraussetzung für die Wirksamkeit von wirtschaftlicher Hilfe ist. Wirtschaftliche Hilfe ihrerseits ist natürlich wiederum eine wesentliche politische Voraussetzung für eine stabile demokratische Entwicklung. Wie soll diese Entwicklung möglich sein, wenn jetzt in Serbien zu den 250 000 serbischen Flüchtlingen aus der Krajina weitere 200 000 Flüchtlinge aus dem Kosovo hinzukommen? Wie soll da eine positive wirtschaftliche, soziale und politische Entwicklung stattfinden? ({3}) Meine Damen und Herren, der außenpolitische Berater des Bundeskanzlers hat gestern in einem Interview mit dem „General-Anzeiger“ gesagt, daß der Westen eine Teilung des Kosovo ablehnt. - Das hat er richtigerweise festgestellt. Er hat hinzugefügt: Wenn Sie teilen, plädieren Sie für ein nicht lebensfähiges Gebilde, das am Tropf Europas hängt. Das wird es aber so oder so. An welchem Tropf soll der Kosovo sonst hängen? Etwa am Tropf Serbiens, obwohl Serbien dort keinerlei Herrschaft mehr ausübt? Die Bemerkung des außenpolitischen Beraters offenbart ungewollt, so fürchte ich, das Fehlen einer Vorstellung von einer zukünftigen Ordnung nicht nur im Kosovo, sondern auch auf dem ganzen Balkan. Wir werden nicht aufhören - ich habe das hier schon vor einiger Zeit gesagt -, auf eine solche realistische Vorstellung von einer endgültigen Ordnung im Kosovo und auf dem Balkan zu drängen. Denn sie ist die entscheidende Voraussetzung für das Gelingen des Friedensprozesses, der jetzt, wie ich schon sagte, gerade erst beginnen kann. Unbeschadet der schweren Fehler, die in diesem Konflikt auch von seiten der NATO gemacht worden sind, sind wir unverändert der Meinung, daß wir handeln mußten. Ich sage das auch angesichts der außerordentlich hohen Kosten und des hohen Preises, den wir alle dafür haben zahlen müssen. Aber nur die endgültige Bilanz wird Auskunft geben über das Plus und Minus, auch über das moralische. Sie wird auch den Maßstab dafür bilden, ob unsere heutige Entscheidung, junge Deutsche, mit ihnen aber auch Franzosen, Briten, Niederländer, Amerikaner und Russen einem hohen Risiko auszusetzen, richtig gewesen sein wird. Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit. ({4})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt der Vorsitzende der SPD-Fraktion, Peter Struck.

Dr. Peter Struck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002278, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir alle haben mit großer Erleichterung und Freude die Entscheidungen in New York und in Kumanovo aufgenommen. Endlich sind die Bedingungen für den Frieden gegeben. Wir haben diese Grundlage einer politischen Lösung des KosovoKonfliktes in den letzten Tagen sehr herbeigewünscht. Um auf die Meldungen einzugehen, die Sie, Herr Kollege Lamers, gerade zitiert haben: Nach meiner Information handelt es sich um ein Vorauskommando. Dies ist mit den KFOR-Truppen abgestimmt worden und erfolgt in Zusammenarbeit mit und unter Zustimmung der NATO. Dies war eine Woche der gemischten Gefühle: zwischen Jubel und Schreck, zwischen zermürbendem Warten und Erleichterung. Von dem Kölner Gipfel und der Freude wegen der frohen Botschaft des finnischen Präsidenten Ahtisaari bis zur gestrigen Resolution des Weltsicherheitsrates war ein gewaltiger diplomatischer Kraftakt nötig. Er hat endlich die Chance zum Frieden gebracht. Und die Weltgemeinschaft hat Milosevic in seine Schranken verwiesen. ({0}) Natürlich ist das Grund zum Aufatmen, zur Freude und zur Erleichterung. Deshalb ist allen zu danken, die an dieser Anstrengung beteiligt waren, insbesondere dem finnischen Präsidenten, Ahtisaari, dem Sonderbeauftragten des russischen Präsidenten, Viktor Tschernomyrdin, und dem stellvertretenden amerikanischen Außenminister Strobe Talbott. ({1}) Unser Dank gilt aber auch der Bundesregierung, die ihre EU-Ratspräsidentschaft erfolgreich zur Vorbereitung dieser politischen Lösung genutzt hat. ({2}) Natürlich danken wir der Bundeswehr, allen unseren Soldaten, die mit ihrem schwierigen Einsatz zum Aufgeben des Diktators beigetragen haben. Ich habe gemeinsam mit einigen Kollegen meiner Fraktion vor zwei Wochen in Mazedonien und Albanien die hervorragende Arbeit der Bundeswehr auch im humanitären Bereich kennen und schätzen gelernt. Ich spreche den Soldaten auch hier meinen Dank dafür aus. ({3}) Die gestrige Sicherheitsratsresolution bietet eine tragfähige Grundlage für die Schaffung eines befriedeten Kosovo. Sie ist kein verwässerter Kompromiß. Nein, sie beinhaltet als prägenden Kern die von der NATO aufgestellten Prinzipien für einen Friedensschluß. Diese Prinzipien sind: Erstens. Beendigung der serbischen Gewalt im Kosovo. Zweitens. Sofortiger und nachprüfbarer Rückzug aller jugoslawischen militärischen, paramilitärischen und polizeilichen Kräfte. Drittens. Stationierung einer internationalen Sicherheitstruppe mit substantieller NATO-Beteiligung im Kosovo. Karl Lamers Viertens. Freie und sichere Rückkehr der kosovoalbanischen Vertriebenen in ihre Dörfer und Häuser. Fünftens. Abschluß eines politischen Rahmenabkommens, das Autonomie und Selbstregierung der Kosovo-Albaner im Rahmen Jugoslawiens gewährleistet. Ich habe diese Prinzipien noch einmal ausdrücklich genannt, um deutlich zu machen, daß die NATO ihren gesteckten Zielen treu geblieben ist. Es war von Anfang an Kern aller Bemühungen, die Vertreibungen und Massaker der serbischen Soldateska zu unterbinden. Die NATO wollte den Kosovaren ein Leben in Freiheit und Sicherheit ermöglichen. Dieses Ziel ist in greifbare Nähe gerückt. ({4}) Ohne die Festigkeit und Einheit der NATO, ohne ihren leider notwendigen militärischen Druck hätte es diesen Erfolg nicht gegeben. Wir sollten aber auch Präsident Jelzin und der russischen Regierung unsere Anerkennung aussprechen. ({5}) Sie haben unter schwierigen innenpolitischen Bedingungen wesentlich zu dem politischen Erfolg der Vermittlungsbemühungen beigetragen. Einen bedeutenden Anteil daran hat natürlich auch die Bundesregierung. Nicht im Gegensatz zu den NATO-Militäraktionen, sondern auf deren Grundlage entfalteten ihre diplomatischen Initiativen Wirkung. Ich nenne noch einmal die wichtigsten Initiativen: Erstens ist das der Kosovo-Friedensplan der Bundesregierung von Anfang April. Er wurde zum Kern des politischen Handelns von EU und NATO und findet sich in ihren Dokumenten wieder. Er wurde zur Grundlage der Petersberg-Prinzipien der G 8, und er blieb Grundlage des von Milosevic unterzeichneten Friedensplans. Zweitens nenne ich die wichtige Einbeziehung Rußlands in die Vermittlung. Wir haben in diesem Hause schon oft darüber diskutiert. Um sie hat sich die Bundesregierung neben anderen erfolgreich bemüht. Drittens gehört dazu die Reise des Bundeskanzlers nach China, bei der er nach der versehentlichen Bombardierung der chinesischen Botschaft politischen Schaden begrenzen konnte. Viertens ist das der Stabilitätspakt für Südosteuropa, der die Regionen mittel- und langfristig befrieden und an Europa heranführen soll. Alles zusammen hat diesen Erfolg operativer deutscher Außenpolitik ausgemacht, ein Erfolg bei einer Herausforderung, deren Bewältigung der Bundesrepublik Deutschland erstmals abverlangt wurde. ({6}) Vorgestern wurde von einem Oppositionsredner der Jubel von Köln als zu laut und zu früh kritisiert. ({7}) Wenn Sie sich am letzten Donnerstag noch nicht über den von Ahtisaari ausgehandelten Friedensplan freuen wollten, dann freuen Sie sich doch wenigstens heute endlich mit uns und der ganzen westlichen Staatengemeinschaft! ({8}) Sagen Sie nicht nur, Sie hätten das Vorgehen der Bundesregierung ja mitgetragen. Geben Sie sich einen Ruck und sagen Sie endlich: „Gute Arbeit, Herr Bundeskanzler!“, wie der finnische Präsident die Arbeit von Gerhard Schröder gewürdigt hat. ({9}) Sagen Sie doch einfach: „Gute Arbeit, Herr Außenminister“, wie es die amerikanische Außenministerin Albright am Ende der Verhandlungen zu Joschka Fischer gesagt hat. ({10}) Und sagen Sie: „Alle Achtung, Herr Verteidigungsminister, für Ihre Umsicht und Ihr Engagement in den letzten Monaten!“, wie Rudolf Scharping international gelobt worden ist. ({11}) Wenn Sie sich - es scheint ja so zu sein - dazu nicht hergeben können, dann sagen Sie doch, was Sie wirklich umtreibt. Sie hatten erwartet, daß Rotgrün an dieser Aufgabe zerbricht. Aber die Koalition hat gestanden und sich an diesen schwierigen Problemen bewährt. Wir sind stolz darauf. ({12}) So wichtig der gestrige Tag und die letzte Nacht in New York für den Friedensprozeß waren: Es ist nur der Anfang auf einem langen, dornenreichen Weg zu wirklichem Frieden. Wir dürfen den Menschen keine falschen Hoffnungen machen. Der Abzug der serbischen Truppen aus dem Kosovo bedeutet nicht, daß die Flüchtlinge ab sofort zurückkehren können. Ihre Dörfer sind zerstört, die Straßen teilweise unpassierbar. Das Schlimmste aber: Das Kosovo ist möglicherweise ein einziges Minenfeld. Voreilige Rückkehr kann tödlich sein. Die internationalen Truppen müssen diese Gefahr erst beseitigen. Dies muß den Menschen klargemacht werden. Wir werden noch über Monate mit den Bildern aus den Flüchtlingslagern leben müssen. Nicht nur das: Wir werden einen Teil der Lager erst einmal winterfest machen müssen, denn viele der Flüchtlinge werden vermutlich erst im nächsten Frühjahr in ihre Heimat zurückkehren können. Das bedeutet auch, daß wir die in der Bundesrepublik aufgenommenen Kosovo-Flüchtlinge nicht von heute auf morgen zurückschicken können. Die Vorstellungen des Berliner Innensenators Werthebach und des bayrischen Innenministers BeckDr. Peter Struck stein sind abenteuerlich, wenn sie den Kosovaren ab sofort mit Ausweisung drohen. ({13}) Wir dürfen uns auch keinen Illusionen über die Gefahren und Probleme für die internationalen Kräfte im Kosovo - natürlich für alle Soldaten, nicht nur für die deutschen - hingeben. Aber für die Bundeswehr ist es die schwierigste und gefährlichste Aufgabe in ihrer Geschichte. Heckenschützen, Marodeure, verselbständigte paramilitärische Kräfte der Serben und unkontrollierte UCK-Trupps sind zu befürchten. Mich hat berührt, daß in einem „ARD“-Bericht am Mittwoch abend ein junger Bundeswehrsoldat, der vor seinem Einsatz stand, gesagt hat: Ich habe Angst. Deswegen gilt für uns: Die beste Ausrüstung für unsere Soldaten ist gerade gut genug. ({14}) Je besser und robuster die internationale Kosovo-Truppe ausgestattet ist, um so mehr kann ihre Sicherheit gewährleistet werden. Gerade auch deshalb ist es richtig, daß die NATO Kommando und Kern dieser Friedenstruppe stellt. ({15}) - Nun machen Sie doch nicht Ihre kleinkarierten Zwischenrufe über den Haushalt. Sie können sich offenbar nicht freimachen von der Situation, daß wir einen großen außenpolitischen Erfolg erzielt haben und Sie uns den nicht gönnen. ({16}) Unsere Soldaten sollen angesichts des schwierigen Auftrages wissen: Der Bundestag steht geschlossen hinter ihnen und ihren Familien. Wir wissen um die schwierige Aufgabe. Wir wissen um die Gefährdungen, die sie erwarten. Wir schicken sie nicht leichtfertig; wir teilen ihre Sorgen und Ängste. ({17}) Neben den gravierenden militärischen Herausforderungen sieht sich die internationale Gemeinschaft gigantischen Aufbau- und Reparaturarbeiten gegenüber. Hunderte von Dörfern sind von serbischen Kräften systematisch zerstört worden. Es gibt größtenteils keine Wasser- und Stromversorgung. Die landwirtschaftlichen Existenzgrundlagen sind zusammengebrochen. Handel, Handwerk und Gewerbe stehen vor dem Nichts. Das Schul- und Gesundheitswesen muß neu aufgebaut werden. Es wird ein Wettlauf mit der Zeit, die Bewohnbarkeit der Häuser und Dörfer vor dem kommenden Winter möglich zu machen. Dringend geboten ist daher die sofortige Bereitstellung von Baumaterialien und Versorgungsgütern, mit denen die Rückkehrer ihre Häuser instand setzen können. Dringend geboten ist weiterhin, daß die Bürger in der Bundesrepublik Deutschland ihre Spendenbereitschaft durch aktive Spenden dokumentieren, um auch den NGOs, die viel helfen, jetzt in Albanien und Mazedonien und zukünftig im Kosovo die erforderlichen Mittel zur Verfügung zu stellen. ({18}) Die internationale Übergangsverwaltung wird mit enormen politischen Anforderungen konfrontiert sein. Der ungeklärte politische Endstatus des Kosovo wird von Serben und Kosovaren heftig umkämpft sein. Es wird zu einem schwierigen Balanceakt werden, die Selbständigkeit der Kosovaren im jugoslawischen Staatsgebilde sicherzustellen. Es steht zu befürchten, daß der machtgierige Diktator Milosevic diesen Prozeß zu unterlaufen sucht; denn Wortbrüche, Zynismus und Machtgier wird dieser Mann nicht von heute auf morgen aus seinem Repertoire gestrichen haben. Vor diesem Hintergrund bedarf es einer großen politischen Klarheit und Einigkeit der internationalen Gemeinschaft, besonders aber der Europäischen Union. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts war der Balkan Ausgangspunkt für europäische Kriege und die Teilung des Kontinents. Am Ende des 20. Jahrhunderts besteht die große Chance, daß der Balkan den europäischen Frieden und die Einheit des Kontinents vollenden kann. Wir, die Europäische Union genauso wie die NATO, müssen diese historische Chance ergreifen. ({19}) Der Stabilitätspakt, über den der Außenminister gesprochen hat, ist dafür der richtige Ansatz. Er ist darauf gerichtet, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit in den Staaten dieser Region zu fördern. Die Länder sollen in den euroatlantischen Strukturen verankert werden. Ihr wirtschaftlicher Ausbau muß gefördert werden. Ich begrüße es für meine Fraktion deshalb ausdrücklich, Herr Außenminister, daß den Ländern dieser Region auf dem Kölner EU-Gipfel die Perspektive der EU-Mitgliedschaft eröffnet worden ist. Allein diese Perspektive wirkt positiv auf die Veränderungsprozesse in diesen Ländern. Das haben wir in den mittelosteuropäischen Staaten gesehen. Ein wichtiges Element sind die umfangreichen Hilfsmaßnahmen für den Wiederaufbau der Region. Hier bedarf es einer abgestimmten internationalen Unterstützungsstrategie. Dabei sollte die EU die Koordinierung übernehmen. Eine Geberkonferenz muß möglichst schnell durchgeführt werden. Der Kölner G-8-Gipfel in der nächsten Woche, Herr Bundeskanzler, kann dazu schon wichtige Weichen stellen. Der Stabilitätspakt kann nur dann erfolgreich sein, wenn alle Länder Südosteuropas umfaßt werden. Dazu gehört auch Serbien. Darauf hat der Außenminister hingewiesen, darauf hat Herr Kollege Lamers hingewiesen; wir sind uns in diesem Punkte einig. Allerdings - das möchte ich für meine Fraktion deutlich sagen - gilt das nur für ein Serbien ohne Milosevic, das sich auf einen demokratischen Weg begibt. ({20}) Meine Damen und Herren, die letzten Wochen waren für alle, die Entscheidungen, ob in Regierung oder Parlament, zu tragen hatten, nicht leicht. Nicht nur die physische, sondern auch die psychische Belastung ging bis an die Grenze des Zumutbaren. An dieser Stelle möchte ich Ihnen, Herr Bundeskanzler, Ihnen, Herr Außenminister, und Ihnen, Herr Verteidigungsminister, für Ihre Arbeit ausdrücklich danken. ({21}) Ich bedanke mich auch bei der Koalitionsfraktion der Grünen, die, wie man nachvollziehen konnte, eine schwierige Debatte geführt haben. Ich bedanke mich auch bei meiner eigenen Fraktion für die immer sehr faire inhaltliche Debatte und bei vielen, die die Entscheidungen, die wir zu treffen hatten, mitgetragen haben, die aber auch ihre Fragen gestellt haben. Mein ausdrücklicher Dank gilt allen Kolleginnen und Kollegen aus meiner Fraktion. ({22}) - Ich verstehe nicht, warum Sie darüber lachen können. Offenbar scheint Ihnen bzw. Ihren Fraktionen nicht klar zu sein, daß man schwierige inhaltliche Debatten führen muß und kann, ohne sich trotz gegenseitiger Standpunkte zu verletzen, und daß man stolz darauf sein kann, solche Debatten zu führen. Oder sind Sie etwa ein schweigender Haufen? Das kann ja wohl nicht wahr sein. ({23}) Lassen Sie mich die Erfahrungen und die Konsequenzen der letzten Wochen zusammenfassen: Erstens. Die militärische Intervention - das sind die Erfahrungen und die Konsequenzen der letzten Wochen - war berechtigt und unausweichlich. Ein Europa, das dem Frieden und den Menschenrechten verpflichtet ist, darf niemals ethnischen Säuberungen und Völkermord zustimmen bzw. zuschauen. Die 200 000 Toten des Bosnien-Krieges haben das wahre Gesicht des Diktators Milosevic gezeigt. Dennoch war die westliche Gemeinschaft trotz der Vertreibungen im Kosovo seit März 1998 bis zum letzten um diplomatische Lösungen bemüht. Milosevic hat diese ausgeschlagen oder Abmachungen gebrochen. Zweitens. Die Einigkeit der NATO war der entscheidende Faktor für das letztendliche Nachgeben des Diktators. Erneut hat sich bestätigt, daß gewalttätige Diktatoren nicht durch Überzeugung, sondern nur durch Zwang zu friedlichem Verhalten bewegt werden können. Drittens. Wir brauchen ein außenpolitisch handlungsfähiges Europa, das in den internationalen Beziehungen Gewicht hat und gleichberechtigter Partner der USA im Bündnis sein kann. Krisen und Konflikte in Europa sollten von der EU in eigener Regie und in eigener Verantwortung gelöst werden können. Deshalb ist die Berufung Solanas zum Hohen Vertreter der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik der Europäischen Union ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung. ({24}) Ebenso dienen die sicherheits- und verteidigungspolitischen Beschlüsse des Kölner Gipfels diesem Ziel. Viertens. Die Sicherheit in Europa basiert heute und in Zukunft auf dem euroatlantischen Bündnis. Trotz aller Eigenanstrengungen der EU ist das Engagement der USA in Europa für die Stabilität unseres Kontinentes unersetzlich. Wir müssen konstatieren, daß die jüngsten Krisen auf dem Balkan ohne den amerikanischen Einsatz nicht zu einem friedlichen Ende hätten gebracht werden können. Dafür gebührt unserem amerikanischen Partner und an dessen Spitze dem amerikanischen Präsidenten, Bill Clinton, Dank und Anerkennung. ({25}) Fünftens. Eine Stärkung der Vereinten Nationen ist dringend geboten. Um ihre politische Handlungsfähigkeit zu verbessern, bedarf es ihrer umfassenden Reform, insbesondere der des Sicherheitsrates. Nicht nur die Zusammensetzung des Kreises seiner ständigen Mitglieder, sondern auch deren Vetorecht bedürfen einer dringenden Überprüfung. ({26}) Sechstens. Verbrechen gegen die Menschlichkeit dürfen keine inneren Angelegenheiten eines Staates mehr sein. Sein Souveränitätsanspruch ist dem Schutz und der Würde der Menschen unterzuordnen. ({27}) Bei seinem Deutschlandbesuch im April hat UNGeneralsekretär Kofi Annan gesagt: Wenn die Bewohner des Kosovo in Frieden und Sicherheit und unter voller Achtung der bürgerlichen Rechte aller leben können, wird es ein Sieg für Europa, für die Vereinten Nationen und für die ganze Menschheit sein. - Diesem Sieg sind wir seit gestern einen wichtigen Schritt näher gekommen. ({28})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Helmut Haussmann.

Prof. Dr. Helmut Haussmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000836, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Wir teilen die Freude, daß der Frieden näher gerückt ist. Aber wir wissen, daß es sich bisher um notwendige, aber keinesfalls um hinreichende Bedingungen für einen dauerhaften Frieden handelt. Auch als Oppositionsfraktion sind wir gerne bereit, der Bundesregierung zu diesem Ergebnis zu gratulieren und allen Verhandlungspartnern für ihren Einsatz Respekt und Dank auszusprechen. ({0}) Wir vergessen aber an einem solchen Tage nicht, wer zu diesem Ergebnis beigetragen hat. Dabei komme ich zu einer etwas anderen Wertung als Sie, verehrter Herr Kollege Struck. Es ist immer interessant, daß die Vereinigten Staaten von Amerika an letzter Stelle genannt werden. Vielleicht ist das unbeabsichtigt. Ich glaube schon, daß Herr Clinton und Herr Talbott durch ihre Festigkeit und ihre Klarheit einen entscheidenden Beitrag geleistet haben. ({1}) Wir sind nicht der Meinung, daß es dieses Verhältnis fair widerspiegelt, wenn die Amerikaner auf den militärischen Teil und die Europäer auf den diplomatischen Teil verwiesen werden. Ich glaube, beide Komponenten sind von enormer Wichtigkeit. Interessant war auch die Bemerkung zu Rußland. Ich entsinne mich der Diskussionen, in denen das besonders gute Verhältnis zwischen dem früheren Bundeskanzler Kohl und Herrn Jelzin - man muß schon sagen - verhöhnt wurde, ({2}) und daran, daß Herr Primakow schlecht behandelt wurde und das, was Herr Kinkel mit Herrn Primakow verabredet hat, unterschätzt wurde. Heute sieht man, wie wichtig persönliche Beziehungen mit führenden Politikern in Rußland sind. Wenn das eine Lehre war, dann hat es viel gebracht. ({3}) Wir sehen auch nach diesem Ergebnis, daß nicht einseitige Feuerpausen ohne Gegenleistung, sondern nur die wirkliche Aufrechterhaltung militärischen Drucks bei gleichzeitiger politischer Initiative, die wir von Anfang an gefordert haben, letztlich zu diesem Erfolg beigetragen hat. Wir sind selbstbewußt genug zu sagen: Ohne die dauerhafte konsequente Rückendeckung durch die Opposition wäre die Bundesregierung auf Dauer kaum in der Lage gewesen, den notwendigen Druck aufrechtzuerhalten. Insofern handelt es sich hier um eine gemeinsame Leistung des deutschen Parlaments. ({4}) Die Sicherheitsratsresolution muß nun unverzüglich umgesetzt werden. Weitere jugoslawische Verzögerungstaktiken dürfen und können nicht hingenommen werden. Zu oft hat sich Milosevic als skrupelloser und gerissener Machtpolitiker erwiesen. Nur durch den schnellen nachvollziehbaren Rückzug sämtlicher serbischer Sicherheits- und Polizeikräfte kann er beweisen, daß er wirklichen Frieden will. Niemanden wird es verwundern, wenn die Vertriebenen nach den vielen Wortbrüchen der Vergangenheit derzeit kein Vertrauen mehr in die Zusagen aus Belgrad haben. Nach Jahren der Unterdrückung, Vertreibung und Mord sitzen Angst, Trauer und Haß zu tief, als daß man die zügige Herstellung von Voraussetzungen für ein friedliches Miteinander von Serben und Kosovaren erwarten könnte. Daß der Frieden eben nicht über Nacht erreichbar ist, zeigt die bittere Erfahrung aus Bosnien, wo viereinhalb Jahre nach dem Abschluß des DaytonAbkommens immer noch 30 000 SFOR-Soldaten damit beschäftigt sind, feindliche Volksgruppen voreinander zu schützen. Aus der Sicht der F.D.P. ist eines klar: Mit Milosevic wird es weder im Kosovo noch in Serbien Stabilität geben. Kein Kosovare wird bereit sein, sich mit seinem eigenen Schänder an einen Tisch zu setzen, um über Wiederaufbauhilfe und zukünftige Autonomie zu verhandeln. Es ist zu hoffen, daß sich im serbischen Volk immer mehr die Erkenntnis durchsetzt, daß man die jetzt erreichten Ergebnisse bereits im Oktober ohne große Opfer und ohne Zerstörungen durch die Unterschrift unter den Vertrag vom Rambouillet hätte haben können. ({5}) Daraus müßten auch innenpolitisch Konsequenzen gezogen werden. Verehrte Kolleginnen und Kollegen, die Resolution des Sicherheitsrates muß eine neue Friedensordnung für die gesamte Region einleiten. Der Kosovo-Krieg muß der letzte Balkankrieg gewesen sein. Angesichts der Vielzahl weiterer potentieller Konfliktherde in dieser Region müssen mit dem angestrebten Stabilitätspakt dauerhafte Voraussetzungen für die Verwirklichung der Menschenrechte, für Minderheitenschutz, für Demokratie und für regionale Zusammenarbeit geschaffen werden. Dem wirtschaftlichen Wiederaufbau und der Verwirklichung der Marktwirtschaft muß unser dauerhaftes Augenmerk gelten. Es wird schwer genug sein, Bedingungen für privatwirtschaftliche und für mittelständische Investitionen zu schaffen. Diese sind der wirkliche Schlüssel; denn ohne privates Engagement und ohne mittelständische Unternehmen wird es auch im Kosovo auf Dauer keine wirtschaftliche Weiterentwicklung geben. Allen Staaten der Region muß die Einbindung in die euroatlantischen Strukturen in Aussicht gestellt werden. Der Europäischen Union kommt dabei eine entscheidende Bedeutung zu. Wir fordern, daß mit Albanien, Mazedonien, Kroatien und Bosnien-Herzegowina sofort Verhandlungen über Assoziationsabkommen mit der Europäischen Union aufgenommen werden. Das wäre ein wichtiges Aufbruchssignal auch für dringend notwendige internationale Investitionen. ({6}) Es wäre wichtig, daß - wie damals vom Volkswagenwerk in Sarajevo - privatwirtschaftliche Entscheidungen getroffen werden, die auch kleinen und mittleren UnterDr. Helmut Haussmann nehmen zeigen, daß es sich auf Dauer lohnt, sich dort zu engagieren. ({7}) Restjugoslawien muß der Weg nach Europa offenbleiben. Nach den Aufnahmebedingungen des Kopenhagener Gipfels ist aber klar, daß dafür demokratische Erneuerung sowie das Bekenntnis zu Menschenrechten und zum Völkerrecht Voraussetzungen sind. Diese konkrete Perspektive der europäischen Integration könnte durchaus Impulse freisetzen, die sich auf Dauer stärker als jahrhundertealte Animositäten erweisen. Es muß endlich gelingen, den Teufelskreis aus Haß und Gewalt auf dem Balkan zu durchbrechen. Dazu müssen wir Europäer und Deutsche - eine umfassende Anschubhilfe sowohl für den Wiederaufbau dieser Region als auch für die Schaffung infrastruktureller und wirtschaftlicher Voraussetzungen zur Annäherung an die Europäische Union leisten. Gerade wir Deutschen, die dem Marshallplan viel verdanken, sollten dabei eine ganz besondere Verantwortung übernehmen. ({8}) Es muß jedoch klar sein, daß unsere Hilfe den Betroffenen unmittelbar und direkt zugute kommen muß und daß sie eben nicht zur Stärkung des Milosevic-Regimes mißbraucht werden kann. Zum umfassenden Konzept der Stabilisierung Südosteuropas gehört unverändert die zügige Erweiterung der Europäischen Union um die mittel- und osteuropäischen Beitrittskandidaten. Gerade vor dem Hintergrund der aktuellen Krise auf dem Balkan sollte die deutsche Präsidentschaft den Mut aufbringen, nunmehr ein konkretes Zieldatum für die Beitritte der in ihren Reformen am weitesten vorangeschrittenen Länder wie Polen, Ungarn und Slowenien zu nennen, um damit auch allen anderen Kandidaten eine klare zeitliche Perspektive zu geben. ({9}) Für eine dauerhafte Friedensordnung ist die zentrale Rolle Rußlands von größter Bedeutung. Die Liberalen haben von Anfang an darauf gedrungen, Rußland voll in die Verhandlungs- und Implementierungsphase einzubinden. Das Ergebnis gibt uns recht: Die Krise auf dem Kosovo hat auf dramatische Weise veranschaulicht, daß eine verläßliche Sicherheitspartnerschaft mit Rußland heute dringlicher denn je ist. Das erfolgreiche Engagement von Tschernomyrdin und die Sicherheitsratsresolution zeigen, daß sich Rußland dieser großen Verantwortung bewußt ist und auch in Zukunft bereit ist, eine konstruktive Rolle in Gesamteuropa zu übernehmen. Ich begrüße daher und möchte ausdrücklich würdigen auch als Oppositionspolitiker -, daß es der Bundesregierung auf dem Europäischen Rat in Köln gelungen ist, sich im Rahmen der ersten gemeinsamen Strategie im Bereich von Außen- und Sicherheitspolitik dem Verhältnis zu Rußland zu widmen. Das ist ein wichtiger Fortschritt, den es auch heute zu würdigen gilt. ({10}) Mit der Sicherheitsratsresolution haben die Vereinten Nationen die Verantwortung für die Durchführung des Friedensplans übernommen. Der UNSicherheitsrat kann nunmehr seine traditionelle Rolle als Hüter des Weltfriedens übernehmen und gestalten. Die Volksrepublik China hat durch ihre Enthaltung gezeigt, daß sie als bevölkerungsreichstes Land der Welt bereit ist, einen konstruktiven Beitrag zu leisten. Mit der Resolution werden die Voraussetzungen für die Erreichung der eigentlichen Ziele der NATOIntervention, des Endes von Terror und Vertreibung und der Rückkehr der - hoffentlich aller - Vertriebenen in ihre angestammte Heimat, geschaffen. Dies ist die Grundlage für die längerfristige Gewährleistung eines wirksamen, international garantierten Schutzes vor weiteren serbischen Repressalien. Ohne einen effizienten Schutz durch die KFOR-Truppen und ohne weitgehende Kompetenzen für eine zukünftige Übergangsverwaltung im Kosovo wird es weder eine Rückkehr der Vertriebenen noch eine Autonomie für die Albaner im Kosovo geben können. Meine Fraktion begrüßt, daß Deutschland an dieser verantwortungsvollen Aufgabe für den Frieden in Europa maßgeblich beteiligt ist. Eine Aufstockung des deutschen Kontingentes ist gerade angesichts des Beitrags der anderen Partner gerechtfertigt. Wir sind mit unseren Gedanken heute bei unseren Soldaten. Wir sind sicher: Wir werden unseren Beitrag leisten, daß für ihre Sicherheit das Menschenmögliche getan wird. ({11}) Die F.D.P.-Bundestagsfraktion unterstützt daher den Antrag der Bundesregierung, sich an einer internationalen Sicherheitspräsenz im Kosovo aktiv zu beteiligen. Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit. ({12})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt der Vorsitzende der PDS-Fraktion, Gregor Gysi.

Dr. Gregor Gysi (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000756, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Im Namen der PDS-Fraktion begrüße ich ausdrücklich das von Anfang an von uns geforderte Ende der Bombardierung Jugoslawiens durch die NATO ({0}) und damit das Ende eines völkerrechtswidrigen Angriffskrieges. Ebenso begrüßen wir die Chance auf ein Ende von Vertreibung, Mord und anderen Menschenrechtsverletzungen im Kosovo. ({1}) Daß Milosevic glauben konnte, mit einer systematischen Vertreibung durchzukommen, liegt zweifellos auch daran, daß der Westen bisher noch jede VertreiDr. Helmut Haussmann bung hingenommen oder zumindest letztlich gebilligt hat. ({2}) Dabei will ich gar nicht auf die Geschichte nach 1945 eingehen, sondern vielmehr darauf hinweisen, daß Griechenland gezwungen wurde, die Vertreibung aller Griechen aus dem türkisch besetzten Teil Zyperns hinzunehmen, daß der Westen geschwiegen hat, als 200 000 Serben aus der Krajina vertrieben wurden, und daß der Westen nach wie vor dazu schweigt, daß schon über 1 Million Kurdinnen und Kurden aus der Türkei vertrieben wurden oder flüchten mußten. Es bleibt deshalb zu hoffen, daß ab jetzt gleiche Maßstäbe - zumindest in Europa, besser: weltweit - gelten und Vertreibungen generell nicht mehr hingenommen werden. ({3}) Sowohl die Regierung in ihrem Antrag als auch der Bundesaußenminister und andere Redner in der heutigen Debatte haben erklärt, die Doppelstrategie aus Krieg und Diplomatie sei erfolgreich gewesen. ({4}) Diese These ist gefährlich; denn wenn es sich hierbei um ein Erfolgsrezept handelt, dann empfiehlt es sich ja zur Wiederholung. Genau das darf nicht sein! ({5}) Der Krieg darf nicht als eine Ergänzung der Diplomatie verstanden werden; er muß als Mittel der Politik - gerade am Ende dieses Jahrhunderts, das so schreckliche Kriege über die Völker gebracht hat - ausgeschlossen werden. Gerade das jetzt beschlossene Ende des Krieges und die Chance auf Frieden - mehr ist es ja wohl noch nicht - zeigen, daß Mittel zur Bekämpfung von Menschenrechtsverletzungen die Respektierung und nicht der Bruch des Völkerrechtes, der Einsatz von Politik und Diplomatie und - je nachdem - auch wirtschaftlicher Druck oder Wirtschaftshilfe sein müssen. Es wird behauptet, der Krieg habe gebracht, was er bringen sollte. Das wirft die Frage auf, was der Krieg bewirken sollte. Wenn ich von dem ausgehe, was Bundesverteidigungsminister Scharping hier im Bundestag am Morgen nach Beginn des Bombardements erklärte, dann stelle ich fest, daß nicht dies, sondern eher das Gegenteil erreicht worden ist. ({6}) Damals, Herr Bundesverteidigungsminister, haben Sie hier gesagt, Ziel des Bombardements sei es, Milosevic dazu zu bringen, unverzüglich das Abkommen von Rambouillet zu unterschreiben. Davon kann überhaupt keine Rede sein. Wenn Sie das, was jetzt militärisch beschlossen wurde, mit dem vergleichen, was als militärisches Ziel im Vertrag von Rambouillet unterschriftsreif vorlag, dann stellen Sie fest, daß es gravierende Unterschiede gibt. Ging es im Militärteil des Vertrages von Rambouillet um die klare politische Hoheit der NATO, so ist jetzt die politische und juristische Hoheit der UNO festgeschrieben. Ging es damals darum, daß sich die NATO-Truppen in ganz Jugoslawien aufhalten sollten, so geht es jetzt nur um den Kosovo. ({7}) Ging es damals darum, der NATO zu ermöglichen, jedes gewünschte Gebiet in Jugoslawien für ihre Zwecke in Anspruch zu nehmen, so ist jetzt davon keine Rede mehr. Ebenso ist jetzt keine Rede mehr davon, daß die NATO in ganz Jugoslawien Manöver durchführen kann. Ich sage das deshalb: Dadurch, daß dieser völlig verfehlte militärische Teil des Rambouillet-Abkommens vorgelegt wurde, haben Sie es, Herr Bundesaußenminister, Milosevic ermöglicht, jetzt seinerseits von einem Teilerfolg zu sprechen, indem er auf diese Unterschiede hinweist. Genau das wollten wir nicht. Als zweites Ziel, Herr Bundesverteidigungsminister, haben Sie damals ausgegeben, durch die Bombardierung eine humanitäre Katastrophe im Kosovo zu verhindern. Aber Tatsache ist, daß es seit Beginn des Krieges im Kosovo eine bis dahin vom Ausmaß her unbekannte humanitäre Katastrophe gibt. Obwohl schon nach zwei Bombennächten klar war, daß jugoslawische Armee und Polizei den Krieg zur systematischen Vertreibung der Kosovo-Albaner nutzen, ({8}) haben Sie nicht aufgehört, dieses falsche Mittel einzusetzen. Damit haben Sie auch Mitverantwortung dafür übernommen. ({9}) Die Zeit davor war schlimm, aber es handelte sich eben noch nicht um eine Katastrophe. Der Bundesaußenminister weigert sich ja deshalb auch ({10}) - Sie müssen sich das schon anhören; ich komme noch auf Ihre Einwände zu sprechen, Frau Beer -, zu erklären, weshalb sein Ministerium bis März 1999 gegenüber den deutschen Verwaltungs- und Oberverwaltungsgerichten zur Ermöglichung der Abschiebung der KosovoAlbaner in das Kosovo verlauten ließ, daß es dort keine ethnische Säuberung und keine systematische Vertreibung, sondern nur Übergriffe gebe. ({11}) Wenn es allerdings bei dem Krieg darum ging, eine neue Rolle und Strategie der NATO, eine Art Interventionsrecht zu installieren, dann mag das gelungen sein. Wenn es darum ging, Rußland und China ihre begrenzte Rolle im internationalen Geschehen deutlich zu machen, dann ist das meines Erachtens nur begrenzt gelungen. Das gilt auch insbesondere dann, wenn es den USA darum gegangen sein sollte, die UNO und ihren Sicherheitsrat zu schwächen; denn der Krieg konnte zwar gegen den Willen Rußlands und unter Verletzung des Völkerrechts und des Gewaltmonopols des Sicherheitsrates geführt werden, aber der Frieden war nur mit Hilfe Finnlands, Rußlands und des Sicherheitsrates der UN auf der Grundlage des Völkerrechts möglich. Dadurch wurde der Eindruck vermittelt - dies ist nicht meine Schuld -, die NATO sei für Krieg und die UNO für Frieden zuständig. Das trägt wahrscheinlich zur Stärkung des Ansehens der UNO bei, was ein positives Ergebnis ist. ({12}) Wenn es den USA zusätzlich darum gegangen sein sollte, die europäische Integration zurückzuwerfen, den Euro zu schwächen und die Anleger in den Dollar zu locken, dann ist dies allerdings voll gelungen. ({13}) Eine Folge des Krieges - das können Sie überhaupt nicht leugnen - wird Hochrüstung sein. Sie wissen doch auch, daß in Rußland die Frage der militärischen Rüstung eine völlig andere Rolle spielt als in den letzten neun Jahren - unabhängig davon, wer dort regiert hat. Sie wissen, welche Umrüstungspläne es in der NATO gibt und welche Rüstungspläne andere Staaten inzwischen aufgestellt haben. Sie wissen auch, welche Gefahren damit verbunden sind. Deshalb sage ich: Der entscheidende Kriegsgewinnler während des Krieges und bei der anschließenden Hochrüstung ist die Rüstungsindustrie. Aber auch die Gesellschaft im Innern wird sich verändern. Dazu haben gerade Sie, Frau Beer, einen Beitrag geleistet; denn Sie haben im Oktober 1998 Ihre Zustimmung zur Androhung des Bombardements mit der Begründung verweigert, daß diese Androhung völkerrechtswidrig sei, weil es kein UN-Mandat gebe. Sie haben drei Monate später der Bombardierung zugestimmt, obwohl es immer noch kein Sicherheitsratsmandat gab. ({14}) - Nein, am Sachverhalt hat sich nichts geändert, aber Ihre Stellung hat sich geändert: Sie sind aus der Opposition in das Regierungslager gewechselt. Damit - das gilt auch für Sie, Herr Volmer - haben Sie der Politik einen bleibenden Schaden zugefügt. ({15}) Das gilt nicht für den Außenminister; er hatte vorher schon ja gesagt. ({16}) Sie aber haben es nicht getan und damit der Glaubwürdigkeit aller Politikerinnen und Politiker geschadet. Der Krieg hat viele Menschen verletzt und getötet; durch ihn wurden Krankenhäuser, Wohnungen, Infrastruktur und Wirtschaft zerstört und eine ökologische Katastrophe heraufbeschworen, zu der Sie ebenfalls geschwiegen haben. Jetzt geht es um Wiederaufbau. Über diesen Punkt können wir uns verständigen. Es ist nämlich wichtig, daß nun Frieden im Kosovo und in Jugoslawien herrscht. Ich bitte aber zu bedenken, ob es richtig ist, zu sagen: Hilfe im Kosovo ja, aber in Serbien erst, wenn dort demokratische Bedingungen nach unseren Vorstellungen herrschen. Ich finde, wir dürfen einen Präsidenten nicht so wichtig nehmen. ({17}) Wir dürfen die Bevölkerung nicht schon wieder kollektiv bestrafen. ({18}) Krankenhäuser, Wohnungen und die Infrastruktur sind zerstört. All das trifft Milosevic nicht. Er hat genügend Wasser, Lebensmittel und Energie zum Heizen. Die Infrastruktur für die Bevölkerung muß wieder aufgebaut werden.

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Herr Kollege Gysi, achten Sie bitte auf die Zeit.

Dr. Gregor Gysi (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000756, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Ja, Frau Präsidentin, ich bin sofort mit meiner Rede am Ende. Schauen Sie sich einmal die Geschichte an! Sie werden dann die Erkenntnis gewinnen: Wohlfahrt hilft der Demokratie; Armut und Hunger befördern diktatorische Strukturen. Deshalb sage ich: Wenn wir Demokratie in Jugoslawien wollen, müssen wir jetzt beim Wiederaufbau helfen. ({0}) Dem Antrag der Bundesregierung können wir nicht zustimmen, weil in ihm der Krieg nachträglich bestätigt wird. Dies ist mit unserer Position nicht vereinbar. Ich füge hinzu: Wir sind immer gegen NATO-Truppen als Friedenstruppen gewesen. Wir wollen Truppen aus neutralen Staaten, weil diese am Krieg nicht beteiligt waren. ({1}) Letztlich bringe auch ich die Hoffnung zum Ausdruck, daß es im Kosovo ab jetzt - weder unter Zivilisten noch unter Soldaten - keine Toten mehr gibt und daß wir Stabilität in dieser Region durch Wiederaufbau erreichen. Dazu gehört aber auch Serbien, das wir nicht vor der europäischen Tür stehen lassen dürfen. Danke schön. ({2})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt der Herr Bundesminister der Verteidigung, Rudolf Scharping. Rudolf Scharping, Bundesminister der Verteidigung ({0}): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die heute zu treffende Entscheidung kann man nicht allein im Lichte der letzten elf Wochen betrachten. Es gibt eine viel längerfristige Perspektive, und leider liegt dieser Entscheidung auch eine viel längere Entwicklung zugrunde. Man könnte beispielsweise mit Fug und Recht sagen, daß die Entwicklung mit der Aufhebung des Autonomiestatuts für den Kosovo durch Milosevic am 23. März 1989 begann. Bei der Lektüre eines Briefes, den der Träger des Nobelpreises für Literatur, Ivo Andric, geschrieben hat, ist mir eine Passage aufgefallen, von der ich glaube, daß sie in dieser Debatte einen guten Hinweis bietet. Er schrieb über Bosnien - dasselbe gilt für den Balkan -: Vielleicht sollte man in Bosnien - also auf dem Balkan die Menschen warnen, sich auf Schritt und Tritt, bei jedem Gedanken und bei jedem, selbst dem erhabensten Gefühl vor dem Haß, dem angeborenen, unbewußten, endemischen Haß zu hüten. Denn in diesem rückständigen, armen Land, in dem vier verschiedene Glaubensbekenntnisse zusammengepfercht leben, brauchte es viermal mehr Liebe, gegenseitiges Verständnis und Verträglichkeit als in anderen Ländern. Später schreibt er dann mit Blick auf diese Passage: Aber wann wird diese Zeit kommen, und wer wird stark genug sein, dies alles auszuführen? Einmal wird der Tag kommen, ich glaube daran. So schrieb Ivo Andric. Das war 1918, am Ende des ersten Weltkrieges. Es sollte uns in dieser Debatte bewußt bleiben, daß die Kriege dieses Jahrhunderts auf dem Balkan einen Ausgangspunkt haben und daß jetzt die Chance besteht, daß für eine lange, gute Zukunft auf dem Balkan das Ende der Kriege in Europa gefunden wird. ({1}) Mein Kollege Joschka Fischer hat ganz zu Recht gesagt: Die Gewalt geht zu Ende. Damit ist eine Voraussetzung für Frieden geschaffen, aber noch lange nicht der Frieden selbst. Ob Frieden entsteht, hängt von der inneren Haltung der Menschen und von den Rahmenbedingungen ab, bei denen wir helfen können. Wir können nicht in diesem Sinne - daß die Menschen im Kosovo zu einer guten inneren Haltung finden - Frieden schaffen. Wir können aber dabei helfen, und wir wollen das tun. Dabei werden wir nicht vergessen, was in den letzten Jahren geschehen ist. Wir werden uns erinnern, nicht im Sinne von Rache oder Vergeltung, sondern im Sinne von Aussöhnung und friedlicher Entwicklung, und wir werden auf längere Zeit wachsam bleiben müssen. Welche Erfahrungen haben wir gemacht? Wir machen die Erfahrung, daß doch eine Chance besteht, an die Stelle des Unrechtes der Macht die Macht des Rechtes zu setzen. ({2}) Wir machen die Erfahrung, daß das erste internationale Dokument, in dem gesagt wird, Menschenrechte seien nicht alleine die innere Angelegenheit eines Staates, und das auch in Europa verabschiedet worden ist, nämlich die Schlußakte von Helsinki, Wirksamkeit entfalten kann - nicht nur bei der Ermutigung von Freiheits- und Bürgerrechtsbewegungen in Mittelosteuropa, sondern in Europa insgesamt. Es war der Bundesregierung von Anfang an bewußt, daß sie eine große Verantwortung übernimmt und mit dieser Verantwortung auch eine Möglichkeit zur Gestaltung europäischer Verhältnisse. Sie greift dabei übrigens auf etwas zurück, was auch frühere Bundesregierungen sehr deutlich ausgesprochen haben, beispielsweise der damalige Außenminister Genscher am 17. April 1991 im Deutschen Bundestag im Zusammenhang mit einer Resolution, die den Irak betraf. Das hat, wie ich denke, unverändert Aktualität. Damals sagte Bundesaußenminister Genscher, daß erstmals in der Geschichte der Vereinten Nationen in dieser Deutlichkeit zum Ausdruck gebracht ({3}), daß die Mißachtung der Menschenrechte den internationalen Frieden und die Sicherheit bedroht. Sie kann nicht mehr nur als innere Angelegenheit eines Staates behandelt werden. Das ist eine wichtige Fortentwicklung des Völkerrechts. Künftig - so führte er damals aus kann sich keine Regierung, die Völkerrecht und Menschenrechte mit Füßen tritt, die die Bürger ihres Landes unterdrückt und zur Flucht zwingt, darauf berufen, daß solche Vorgänge eine innere Angelegenheit sind, die der Mitsprache der Völkergemeinschaft und der Vereinten Nationen entzogen sind. Ich halte es für wichtig, diese Kontinuität zu betonen und daraus einige Schlüsse zu ziehen, die weit über das erfreuliche Erreichen von Gewaltfreiheit und das erfreuliche Schweigen der Waffen hinausreichen. Es ist wahr, wir können auf ein erzieltes Ergebnis in einem gewissen Umfang stolz sein. Aber jedes Triumphgefühl verbietet sich. Es ist wahr, wir können erleichtert sein, daß wir ein Ziel erreicht haben, das wir uns von Anfang an gesteckt hatten, nämlich den Menschen im Kosovo ein sicheres Leben unter demokratischen Umständen zu erleichtern und zu garantieren. Aber es ist auch wahr, daß die Freude darüber nicht ungeteilt ist. Wir haben auch unausweichlich Leid zugefügt, zum Beispiel vielen Zivilisten in Serbien. Folglich mischt sich in unsere guten Gefühle von Stolz und Erleichterung natürlich auch Trauer. Wir haben nicht Leid im Sinne von Vergeltung anderen Leids zugefügt oder heimgezahlt. Manches ist in solchen Auseinandersetzungen unausweichlich. Man sollte das auch als einen Teil der eigenen und der gemeinsamen Verantwortung erkennen. Das hat die Bundesregierung versucht. ({4}) Bundesminister Rudolf Scharping Auch wenn wir zwei Tage vor einer Wahl stehen, die genauso etwas mit Europa zu tun hat wie das, was wir hier besprechen, sollte es uns dennoch ab Montag kommender Woche in einer etwas gelasseneren Rückschau gelingen, zu akzeptieren, daß die Bundesregierung, die Bundesrepublik Deutschland - auch dank der sehr breiten Unterstützung hier im Deutschen Bundestag - die Einheit aus humanitärer Hilfe, unausweichlichen militärischen Maßnahmen und notwendigen intensiven politischen Bemühungen immer erhalten und immer auch das Gleichgewicht zwischen diesen Maßnahmen hergestellt hat. Alle Initiativen für eine politische Lösung des Konflikts gingen von der Bundesregierung, vom Bundeskanzler und vom Bundesaußenminister aus. Ich sage das mit Anerkennung, nicht um den Bundeskanzler oder einen geschätzten Kollegen zu loben, sondern um deutlich zu machen, daß auch durch die Gemeinsamkeit fast aller Abgeordneten im Deutschen Bundestag eine Grundlage entstanden ist, die wir für die Zukunft erhalten und, wenn es geht, ausbauen sollten. ({5}) Ich wundere mich ein bißchen darüber - das ist die einzige Bemerkung, die ich zu den Kuriositäten und Verrenkungen des Kollegen Gysi machen möchte -, daß wir diese gelassene, freilich etwas durchmischte Freude nicht so zum Ausdruck bringen können, wie es angesichts der herausragenden Rolle der Bundesrepublik Deutschland bei der Lösung eines außerordentlich schwierigen Konfliktes eigentlich geboten wäre. ({6}) Es ist ein Krieg zu Ende gegangen, der gegen europäische Werte und gegen die europäische Zivilisation geführt worden ist, und zwar über lange Zeit, viermal auf dem Balkan und auch im Kosovo. Es ist ein Krieg zu Ende gegangen, der die Chance beinhaltet, Menschenrechte und Menschenwürde sowie die Bedingungen, die man dafür braucht, wirklich zu sichern. Es ist ein Krieg zu Ende gegangen, der mit Sicherheit, wenn man die militärischen Gegenmaßnahmen nicht getroffen hätte das ist nun Gott sei Dank keine spekulative Erörterung; wir wußten das angesichts von 600 000 Vertriebenen schon vor dem März 1999 -, angesichts der Brutalitäten und der Erfahrungen, die wir in den Jahren seit 1991 gemacht haben, das Kosovo von seiner albanischstämmigen Bevölkerung ebenso entleert wie auch alle Nachbarstaaten destabilisiert hätte. Es entsprach also nicht nur unseren Wertvorstellungen, sondern auch unserem Interesse, diese Entwicklung endgültig und dauerhaft zu stoppen. Wir haben das geschafft. ({7}) In aller Kürze möchte ich darauf hinweisen, daß es auch noch weitreichendere Erfahrungen und Perspektiven gibt. Der erste Punkt ist: Europäer und Amerikaner haben im Rahmen einer militärischen Allianz, die zugleich ein Bündnis aus Demokratien und Wertegemeinschaften ist, diesen Krieg gemeinsam beendet. Wir sollten uns darüber klar sein, daß die Weiterentwicklung der NATO nur dann sinnvoll eingebettet werden kann, wenn wir das transatlantische Bündnis insgesamt festigen und erweitern, ihm mehr Pfeiler geben als die wirtschaftliche Konkurrenz, die wir untereinander hier und da haben, ihm die gemeinsamen Überzeugungen hinzufügen. ({8}) Der zweite Punkt ist: Wir können mit einigem Selbstbewußtsein sagen, daß wir in der Europäischen Union das ist eine große Hoffnung für die Zukunft - in einer ganz entscheidenden Bewährungsprobe in Europa zusammengehalten haben. Ich will auch das in eine größere Perspektive stellen: Es ist noch gar nicht so lange her, daß wir den Abschluß des Westfälischen Friedens vor 350 Jahren und die Entstehung der territorialen Ordnung Europas gefeiert haben. Doch Bestandteil dieser territorialen Ordnung war die Souveränität der Staaten. Sie pflegen ihre Beziehungen untereinander. Aber wie sie mit ihren Bürgern umgehen, bleibt allein ihnen überlassen. Der Beginn der Überwindung dieses Gedankengutes liegt in der Schlußakte von Helsinki und in den nachfolgenden Entwicklungen. Es ist von großer Bedeutung, daß die in der Vergangenheit entstandenen und in diesem Jahrhundert wirksamen - scheinbar traditionellen Bindungen zwischen einzelnen europäischen Völkern und Staaten in diesem Konflikt keine entscheidende Rolle mehr gespielt haben. Ich erinnere hier insbesondere an Frankreich und Großbritannien. Der dritte Punkt ist: Wir haben mit Rußland - Gott sei Dank - in dem Prozeß, der bis nach Paris geführt hat und leider gescheitert ist, seit Anfang April zu einem zunehmend kooperativen Verhältnis gefunden. Das wird durch die Nachrichten, die zum Teil übertrieben, zum Teil falsch sind, in keiner Weise beschädigt. Ich will im übrigen mit Blick auf die Bemerkungen des Kollegen Lamers darauf aufmerksam machen, daß der Deutsche Bundestag in einem vergleichbaren Fall, nämlich bei der Entscheidung über das IFOR-Mandat in Bosnien nach Dayton, fast zwei Wochen vor dem Beschluß des Weltsicherheitsrates der Vereinten Nationen seine Zustimmung gegeben hat. Das passierte in einer Situation, die mit der heutigen durchaus vergleichbar ist. Wenn der Balkan insgesamt eine gute Perspektive haben soll, dann müssen wir dazu beitragen. Das richtet sich an alle Nationen, an alle Völker, an die Menschen, die in den verschiedenen Staaten des Balkans leben, und zwar ganz unabhängig von ihrer ethnischen Abstammung. Wir haben eine große Chance, die Völker auf dem Balkan haben eine große Chance, auch das serbische Volk. Unser Appell gerade an das serbische Volk lautet: Nehmt euer Schicksal in die eigene Hand! Überlaßt es nicht einem Diktator, sondern kommt nach Europa! ({9}) Bundesminister Rudolf Scharping Wenn man das bedenkt, macht der Auftrag der internationalen Friedenstruppe - und die deutsche Beteiligung daran - einen großen, einen guten, einen weit in die Zukunft reichenden Sinn. Ich danke dem Deutschen Bundestag für die erwartete, erhoffte - und hoffentlich gewährte - breite Unterstützung. Vor allen Dingen aber danke ich den Soldaten und ihren Familien. Sie leisten etwas für die Glaubwürdigkeit von Frieden, Freiheit, Menschenwürde und Menschenrechten. Sie leisten etwas für das internationale Ansehen der Bundesrepublik Deutschland. Sie leisten das unter einem großen Risiko, und das ist besonders anerkennenswert. Es ist ihnen besonders dafür zu danken, daß sie es voller Überzeugung, voller Engagement tun, wissend um das Risiko, wissend aber auch darum, daß man sie braucht, wenn man die Werte durchsetzen und bewahren will, von denen wir heute gesprochen haben. Ich wünsche - wie andere hier - auch den Soldaten eine gesunde Heimkehr. Ich versichere den Familien, daß wir alles für die Sicherheit ihrer Väter und Söhne tun werden. ({10})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Paul Breuer.

Paul Breuer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000265, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Bundesverteidigungsminister Scharping hat der großen Mehrheit des Verteidigungsausschusses am heutigen Morgen für die Unterstützung seiner Arbeit in den letzten Wochen gedankt. Ich darf an dieser Stelle Ihnen, Herr Minister Scharping, und allen anderen Beteiligten diesen herzlichen Dank erwidern. ({0}) Der kluge UNO-Generalsekretär Kofi Annan hat gestern abend gesagt, dieser Waffenstillstand sei, so hoffe er, der Anfang vom Ende eines der dunkelsten Kapitel in der Geschichte des Balkans. Er hat es als Hoffnung ausgedrückt. Er hat dabei noch einmal deutlich gemacht, daß die letzte Etappe der 79 Tage, die wir alle als bedrückend empfunden haben - aber es war richtig, sie durchzustehen -, nicht so sehr im Fokus des Zeitraffers stehen darf. Dieser Konflikt hat zehn Jahre gedauert: seitdem Milosevic die Autonomie des Kosovo aufgehoben und damit die schlimmen Konflikte begründet hat, die wir danach erlebt haben. Das heißt, daß wir heute Dankbarkeit und Erleichterung empfinden können. Wir wissen aber, daß wir uns auf einen schweren, langen Weg machen. Dieser Waffenstillstand schafft durch das Abrücken des serbischen Militärs, des Paramilitärs, der Banden, der Polizei, der Sonderpolizei und durch das Einrücken der NATO-Kräfte die Möglichkeit, daß die Flüchtlinge zurückkehren. Aber auf diesem Weg liegen nicht nur schwere Steine und Felsen, sondern auch Minen. Das ist geistig und tatsächlich ein vermintes Gelände. Es gibt eine Reihe von Schwierigkeiten und Risiken, die auf unsere Soldaten und auf die rückkehrende Bevölkerung zukommen. Wir möchten, daß unseren Soldaten versichert wird - ich bin gewiß, das geschieht -, daß ein so sicheres Umfeld, wie nur irgend möglich, geschaffen wird. Das wäre dann auch für die Flüchtlinge eine Gewähr. Ich weiß, es gibt viele Risiken, die man nicht zu 100 Prozent ausschließen kann. Vor uns liegt ein gefährlicher Weg. Wir wünschen unseren Soldaten, denen wir herzlich danken - nicht nur denjenigen im Balkan, aber ihnen besonders -, dafür viel Glück. ({1}) Wir bedanken uns auch bei ihren Familien. Ich traf neulich in Mazedonien einen jungen Bundeswehrsoldaten, der mir erzählte, daß seine Frau zu Hause gerade das erste Kind erwartet. Er muß nun - er will es auch in den Kosovo einrücken. Aller Wahrscheinlichkeit nach wird das Kind in dieser Zeit zu Hause, hoffentlich gesund, geboren werden. Versetzen wir uns in die Gedanken- und Gefühlswelt dieser Familie: Die Frau empfindet Einsamkeit, weil ihr Mann in ungewissem Umfeld unterwegs ist und er ihr nicht beistehen kann. Unsere Soldaten sind keine Maschinen. Es sind Menschen mit allen Gefühlen und allen Ängsten; sie brauchen die Unterstützung des Deutschen Bundestages, um das zu tun, wofür wir sie einsetzen. ({2}) Auch die Familien brauchen diese Unterstützung. Es geht darum, daß jetzt Vertrauen im Kosovo aufgebaut wird. Es ist ein weiter Weg - ich stimme dem zu, was Verteidigungsminister Scharping gesagt hat -, aus der Spirale von Gewalt und Rache herauszukommen. Rache muß vermieden werden. Wir können in die Situation geraten, daß sich deutsche Streitkräfte zwischen Rachsüchtige und deren Opfer stellen müssen. Das kann man mit Verträgen leider nicht verhindern. Meine Damen und Herren, es sei mir gestattet, darauf hinzuweisen, daß wir alle die Haltung, die verbrecherische Art von Milosevic unterschätzt haben. Bedrückt hat uns ja in den letzten Monaten, daß die Luftangriffe so lange anhalten mußten. In diesem Zusammenhang möchte ich davor warnen, möglicherweise auch die Gefahren, die vom Balkan, vom Kosovo ausgehen können, zu unterschätzen. Wir brauchen viel Umsichtigkeit, und wir müssen die richtigen Konsequenzen ziehen. Das läßt sich nicht allein mit militärischer Gründlichkeit beantworten, das bedarf einer umfassenden Kombination von militärischer Gründlichkeit und entsprechender diplomatisch-politischer Begleitung. Die jetzt auf uns zukommende Aufgabe ist für Deutschland von historischer Bedeutung. Deutschland bzw. die Bundeswehr erhalten eine eigene Sicherheitszone, in der wir zusammen mit unseren Partnern und Nachbarn, den Niederländern und den Österreichern, Verantwortung tragen. Dies ist eine geschichtlich beBundesminister Rudolf Scharping deutsame Situation. Wer hätte noch vor wenigen Jahrzehnten gedacht, daß die Europäer bzw. gerade die Nachbarn Deutschlands, zum Beispiel die Niederländer, auf der Basis ihrer geschichtlichen Erfahrungen dazu bereit wären, zusammen mit der Bundeswehr eine so schwierige Aufgabe anzugehen? Ich bin dankbar dafür, daß die Regierungen der letzten Jahrzehnte und insbesondere die Regierung Helmut Kohl und Klaus Kinkel eine Grundlage dafür geliefert haben, daß dies heute geschehen kann. ({3}) Gestern abend konnte man sehen - diese Möglichkeit haben wir ja angesichts der vielen Fernsehkanäle, die es bei uns gibt -, wie in unseren Nachbarländern, in Holland und Österreich, darauf reagiert wird. Dazu muß ich sagen: Das erfüllt mich ein Stück weit mit Befriedigung. Wir haben eine gute politische Ausgangsbasis. Aber eine Feststellung im Hinblick auf die schwere Aufgabe der Bundeswehr muß man hier treffen - auch dies muß gestattet sein -: Die Bundeswehr wird dadurch, daß sie auf lange Zeit eingesetzt wird - niemand von uns kann sagen, wie lange der Einsatz dauern wird; ich befürchte, sehr lange -, bei der Bewältigung ihrer Aufgabe bis aufs äußerste gefordert sein. 12 000 bzw. 13 000 Soldaten - das heißt eine große Division - werden ständig im Kosovo im Einsatz sein. Da diese zweimal im Jahr abgelöst werden, sind als Grundlage drei Divisionen erforderlich. Nebenbei gesagt: Dazu sind ungeheure finanzielle Mittel notwendig. Auf ein weiteres möchte ich hinweisen - ich weiß, manche Sozialdemokraten empfinden angesichts der jetzigen Situation so wie ich -: Wenn der sonst so geschätzte Kollege Kröning feststellt, daß der Bundeswehr Geld entzogen werden müsse, bzw. nicht dazu bereit ist, für die Erfüllung der Aufgabe der Bundeswehr im Kosovo weiter Mittel bereitzustellen, ist das ein Mangel an Sensibilität. Wir müssen ihn gemeinsam - da wende ich mich besonders an die Sozialdemokraten - von diesem Weg abbringen. ({4}) Angesichts der Tatsache, daß sich unsere Soldaten in dem schwierigsten Einsatz seit dem zweiten Weltkrieg befinden, kann man nicht meinen, man leiste einen angemessenen politischen Beitrag, wenn man unseren in der Demokratie großgewordenen und loyal zur Demokratie geführten Soldaten gleichzeitig das Geld entzieht und die Kasernen abbricht. Das muß vermieden werden. ({5})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Herr Kollege Breuer, denken Sie bitte an Ihre Redezeit.

Paul Breuer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000265, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin, ich komme zum Schluß. ({0}) Der Kosovo-Konflikt muß uns Lehre für die Zukunft sein. Dazu möchte ich gern, wenn es mir gestattet wird, drei Feststellungen treffen.

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Für drei Feststellungen fehlt Ihnen die Zeit. Herr Kollege Breuer, versuchen Sie, diese in einem Satz zusammenzufassen.

Paul Breuer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000265, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin, es ist dann ein langer, aber guter Satz. ({0})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Dann los.

Paul Breuer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000265, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich bin mir sicher, daß Sie die Geduld, die ich von Ihnen kenne, dafür aufbringen werden. Die Sicherheit Europas ist ohne die NATO und unsere transatlantischen Freunde in Nordamerika nicht denkbar. Wir sollten deshalb nicht die kritische Distanz, sondern die selbstbewußte Nähe zu ihnen suchen. Die Sicherheit Europas ist zudem nur gemeinsam mit Rußland möglich. Und was die Meldungen des heutigen Morgens angeht, so möchte ich die Bundesregierung auffordern, alles zu tun, damit Rußland eingebunden wird. Wir müssen den europäischen Pfeiler der Allianz stärken und ständig die Frage an uns richten, ob unser Beitrag gut und angemessen ist. Dann bin ich mir sicher, daß wir auf dem richtigen Wege sind. Die CDU/CSU hat sich zu diesem Weg bekannt, in den letzten Wochen zum Teil stärker als die rotgrüne Koalition. Auf diese Feststellung legen wir Wert. Wir haben zu diesem Prozeß einen guten Beitrag geleistet und werden dem Antrag der Bundesregierung zustimmen. Ich bedanke mich. ({0})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Angelika Beer.

Angelika Beer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000134, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich denke, daß nicht nur mir und den meisten Mitgliedern des Hauses, sondern auch der Bevölkerung gestern um 19 Uhr Wackersteine vom Herzen gefallen sind, als bekannt wurde, daß der UN-Sicherheitsrat den Weg zu einem Friedensprozeß eröffnet hat und begleitet und in Zukunft stärken wird. ({0}) Herr Breuer, ich will Ihnen eines sagen: Sie haben in den letzten schwierigen Monaten Angriffe gegen uns unternommen in dem Versuch, die Regierung zu spalten, die Koalition auseinanderzutreiben. Eine solche Situation haben Sie in Ihrer Regierungszeit nie kennengelernt: Wir sind nicht die pflegeleichte Jasager-Koalitionspartnerin, sondern Bedenkenträger. Ich glaube auch, daß das gut und richtig ist, gerade wenn es um Menschenrechte und um einen Krieg geht, den wir so zum erstenmal führen mußten. Diese Sorgen und Ängste haben nicht nur die politisch Handelnden umgetrieben - ich glaube, das bezieht sich auf alle Parteien -, sondern auch die Gesellschaft, mit zunehmender Dauer der NATO-Luftschläge, um die ethnischen Säuberungen Milosevics endgültig zu beenden, stärker. Die Bedenken, die wir geäußert haben, die auch heute noch diskutiert werden und mit denen wir auch unserer Partei viel zugemutet haben - ich glaube, auch das war richtig so -, entsprechen einer Zäsur. Diese Bedenken aber haben zu Ergebnissen geführt: Wir tragen Verantwortung, nicht in Form von Lippenbekenntnissen, wie manch andere es bisher getan haben, sondern unter Anerkennung der Realität, Herr Gysi. Wir haben entschieden, daß der Militäreinsatz notwendig war, um die Kriegsführung von Milosevic zu beenden und die Kosovaren zu retten. Wir hatten keine andere Möglichkeit, nachdem Ihre Regierung über Jahre hinweg alle präventiven Mittel ungenutzt gelassen hat. ({1}) Zur Realität gehört aber auch, daß wir während der Luftschläge alle Friedensinitiativen, die insbesondere diese Regierung, aber auch die anderen Organisationen und Personen, die heute oft erwähnt worden sind, aktiv unterstützt haben. Dies widerlegt den an uns gerichteten Vorwurf. Viele gerade aus Ihrer Partei, Herr Gysi, haben gesagt, Rotgrün habe diesen Krieg erst möglich gemacht. Ich sage Ihnen: Nein! Rotgrün hat es möglich gemacht, daß die Diplomatie immer im Vordergrund stand. Wir können heute sagen: Wir haben das Fenster zum Frieden geöffnet, und das mit Unterstützung der internationalen Staatengemeinschaft. ({2}) Zu dieser Realität - das möchte ich zum Schluß sagen - gehören nicht nur die Sorge und die Verantwortung für die Flüchtlinge und die Vertriebenen, für die Entminung und für die präventive Politik der Zukunft, sondern auch die Verantwortung für und das Wissen um den schweren Einsatz der Bundeswehrsoldaten. Das heißt, es gilt, heute noch nicht endgültig aufzuatmen. Vielmehr wissen wir, daß nach dem Einsatz am 24. März jetzt die nächste schwere Phase mit unendlichen Gefahren kommt. Meine Fraktion und meine Partei unterstreichen ausdrücklich die heute oft geäußerte Hoffnung und den Wunsch, daß die Soldaten diesen schwierigen Einsatz gut überstehen und gesund zurückkommen; denn wir wissen, daß es ihr Ziel ist, nach der humanitären Arbeit der letzten Monate jetzt diesen Menschen, die sie versorgt haben, die Rückkehr ins Kosovo zu erleichtern und den Frieden auf dem Balkan zu stabilisieren. Vielen Dank. ({3})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Günther Nolting.

Günther Friedrich Nolting (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001622, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Frau Kollegin Beer, Sie haben der alten Koalition bis zum 27. September des letzten Jahres die Militarisierung der Außenpolitik vorgeworfen. ({0}) Ich glaube, man braucht nicht viel Phantasie zu haben, wie die heutige Diskussion verlaufen wäre, wenn Sie heute noch in der Opposition wären: Sie, Frau Beer, und Ihre Parteifreunde wären wahrscheinlich tagtäglich auf der Straße, um eine Demonstration anzuführen, und würden sich an Mahnwachen beteiligen. ({1}) Es ist schon eine verdrehte Politik. Ich glaube, nach der Wende hat man solche Leute als Wendehals bezeichnet. ({2}) Im Kosovo ging es nicht um ein Kriegsziel der NATO, sondern um die Frage an freiheitlich verfaßte Gesellschaften, ob sie wegschauen wollen, wenn 55 Jahre nach Beendigung des zweiten Weltkrieges erneut europäische Volksgruppen gefoltert, ermordet und vertrieben werden. Es ist schon bezeichnend, daß der Sprecher der SED-Nachfolgeorganisation PDS den Sicherheitsratsbeschluß der UN einfach ignoriert, abtut ({3}) und, losgelöst von dieser Beschlußlage, Parlament und der Regierung Vorwürfe macht. Sie hätten bei Ihren Bemerkungen auch Stellung dazu nehmen können, wie es war, als Sie den Westen angegriffen haben, wer eigentlich den Prager Frühling niedergeschlagen hat, wer den Aufstand in Ungarn niedergeschlagen hat und wer den Aufstand am 17. Juni niedergeschlagen hat. Auch dazu hätten Sie sich heute äußern können, statt den Westen hier einseitig anzugreifen. ({4}) Ich möchte mich für die F.D.P. bei allen bedanken, die dazu beigetragen haben, daß es zum Beschluß des Sicherheitsrates der UN gekommen ist. Die F.D.P.Bundestagsfraktion wird dem von der Bundesregierung vorgelegten Antrag für die deutsche Beteiligung an der KFOR-Truppe für den Kosovo zustimmen. Wir tun dies aus staatspolitischen Überlegungen, aus bündnispolitischen Überlegungen und aus humanitären Gründen. Aber wir tun dies nicht ohne ernste Bedenken. Diese Bedenken beziehen sich nicht etwa darauf, daß wir die Notwendigkeit bezweifeln, im Kosovo wieder zu einem Frieden zu kommen, als vielmehr auf die Art und Weise, in der die Beschlußvorlage zustande gekommen ist. Herr Minister Scharping, weil es um Krieg und Frieden geht, haben wir die hektische Handlungsweise der Bundesregierung gegenüber dem Parlament in dieser Woche hingenommen. Wenn es um den Einsatz unserer Soldaten geht, die dabei eventuell Leib und Leben riskieren, dann ist keine Sitzung zuviel, keine Frage überflüssig und keine Erläuterung unnötig. Der SPD-Fraktionsvorsitzende hat den Hinweis auf den Haushalt in einem Zwischenruf als „kleinlich“ abgetan. Wir werden bei den weiteren Beratungen, wenn es auch um den Haushalt geht, darauf zurückkommen. ({5}) Es wird darum gehen, daß der Verteidigungsetat nicht weiter gekürzt wird. Herr Minister, in dieser Frage haben Sie unsere Unterstützung. ({6})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Herr Kollege Nolting, denken auch Sie bitte an die Zeit.

Günther Friedrich Nolting (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001622, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Letzter Satz, Frau Präsidentin. Ich denke, es wäre gut gewesen, wenn Sie sich auch zu den Finanzen geäußert hätten. Ich erinnere die Bundesregierung an ihre Aussagen, den Verteidigungsetat nicht weiter zu belasten, und hoffe, daß sie dazu steht. Unsere Soldaten und ihre Familien brauchen diese Sicherheit. Ich sage Ihnen zu, Herr Minister, daß wir Sie in dieser Frage unterstützen werden. Vielen Dank. ({0})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Dr. Christoph Zöpel.

Dr. Christoph Zöpel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002604, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Nach berechtigten Beklemmungen und Zweifeln in den vergangenen Wochen ist dies heute unstreitig ein Tag der Freude. Bei der Bewertung bin ich zurückhaltend. Sicherlich werden diese Wochen in den Geschichtsbüchern der europäischen Geschichte des 20. Jahrhunderts breiten Raum einnehmen. Was in den Geschichtsbüchern des 21. Jahrhunderts über Osteuropa stehen wird, steht noch nicht fest. Auch das sollte heute gesagt werden. Die Risiken kennen wir. Ich glaube, alles, was heute durch Herrn Lamers und in den vergangenen Tagen vor allem durch Mitglieder der Partei der Grünen hinsichtlich vorhandener Risiken geäußert worden ist, ist einer Demokratie würdig. Wir kennen friedliche Handlungsoptionen und haben die Hoffnung, gewalttätige Handlungsoptionen vermeiden zu können. Nur, am Anfang stand schon eine enttäuschte Hoffnung: die Hoffnung, die in der Charta von Paris von 1989 niedergeschrieben ist, daß es so etwas - Völkermord und Bombenattacken - in Europa nicht mehr geben würde. Wer 1989 die Geschichte des 20. Jahrhunderts geschrieben hätte, hätte sich geirrt. Das, was wir hinter uns haben, wurde auch moralisch diskutiert, obwohl das nicht der Kern der Sache war. Der Kern der Sache war, daß die NATO wußte: Die ethnischen Verfolgungen im ehemaligen Jugoslawien sind mit den Mitteln der NATO bekämpfbar. Wir haben in der jüngeren Geschichte genug ethnische Verfolgungen erlebt - und erleben sie noch heute -, die nicht bekämpfbar sind. Deshalb war es keine Frage der absoluten Moral. Gerade weil diese Verfolgungen bekämpft werden konnten, wurden die Entscheidungen so schwierig. Für den Einsatz wurden sehr konkrete Bedingungen festgesetzt, unter anderem, daß es zu keinem Verlust eigener Soldaten kommen sollte. Dies ist, von tragischen Nebenunglücken abgesehen, gelungen. Unbeteiligte Zivilisten in Serbien haben mehr Schaden genommen, als wir das wollten. Das hat damit zu tun, daß sich die meisten - ich schließe mich da mit ein - hinsichtlich der notwendigen Dauer dieser Auseinandersetzung geirrt haben. Der Kern war aber: Wir konnten handeln. Deshalb stellte sich überhaupt erst die moralische Frage. Handeln konnten wir nur, weil die NATO auf die Waffentechnik der USA gestützt ist. Das ist ohne jeden Zweifel deutlich geworden. Das festzuhalten ist richtig. Dennoch sollte ein realistisches und erwachsenes Verhältnis zu den USA jetzt nicht auf die Frage von Dankbarkeit oder Undankbarkeit reduziert werden. ({0}) Insbesondere mit republikanischen Kollegen des amerikanischen Kongresses über diesen Krieg diskutiert zu haben, hat die meisten Äußerungen grüner Kollegen - angesichts der rabiaten Kritik, die Mitglieder des amerikanischen Kongresses an diesem Krieg geäußert haben - zu harmloser Kritik werden lassen. Zu einem erwachsenen Verhältnis zwischen den Demokratien Europas und der USA gehört auch diese Erkenntnis. ({1}) Der Dialog mit den Vereinigten Staaten - so wie ich ihn erlebt habe - hatte zwei Seiten. Auf der einen Seite stellten Kollegen die Frage: Macht Europa bei den NATO-Aktionen weiter mit? Man konnte darauf sehr einfach antworten: Im Deutschen Bundestag gab es zu dem Einsatz viel mehr Zustimmung als im amerikanischen Kongreß. Auf der anderen Seite gab es die Frage: Warum regelt ihr Europäer das Kosovo-Problem nicht selber? Bei dieser Frage sind wir bei der Quintessenz des europäisch-amerikanischen Verhältnisses: Was können wir, wenn Völkerrechts- und Menschenrechtsverstöße in Europa passieren, selber regeln? Ich glaube, die Beschlüsse des Ministerrats der WEU von Bremen und jetzt des EU-Gipfels, eine europäische Sicherheitsidentität anzustreben, sind die richtige Antwort. Dazu sind noch viele spannungsreiche Diskussionen mit den befreundeten Amerikanern zu erwarten. ({2}) Das Verhältnis zur UNO hat in der Frage, wie der Sicherheitsrat effektiv werden kann, neue Realitätseinsichten zugelassen: Europa kann mit China nicht nur über Menschenrechte sprechen - so berechtigt das ist -, wenn Europa meint, man brauche China auch zur Lösung von Konflikten in Europa. Das mußte man lernen. Ich hoffe, diese Erkenntnis bleibt. Daß Europa mit Rußland bei komplizierten Verhältnissen dauerhaft gute Beziehungen pflegen muß, selbst wenn Menschenrechte und Mafia kritisch im Spiel sind, hat man ebenfalls gelernt. Hier haben wir Fortschritte erzielt, und die UNO hat eine neue Realität hinzugewonnen. Die Aufgabe, die sich uns heute stellt, liegt mir am Herzen. Jeder, der sich dazu öffentlich äußert, sollte sich über das klar sein, was er tut. Dieser Krieg ist geführt worden, um Menschen nicht zu Vertriebenen werden zu lassen. Diese Menschen wurden allerdings trotzdem von Milosevic vertrieben, was durch die Attacken der NATO beschleunigt wurde. Jetzt sollen sie in ihre Heimat zurückkehren. Nun weitherzig zu bedenken, wie deren Schicksal ist, ist unsere Aufgabe. Ich habe kein Verständnis dafür, schon heute darüber nachzudenken, wie sie schnell wieder aus den EU-Staaten verschwunden sein können. Das hat mit Humanität und Christentum nichts gemein. ({3}) Compassion - auch ich möchte diesen Begriff verwenden - gilt für mich ebenso für unser Verhältnis zu den Menschen in Serbien, soweit sie nicht schuldhaft in diesen Krieg verstrickt waren. ({4}) Nun wende ich mich der Lösung zu. Wir können Szenarien über eine zukünftige Ordnung auf dem Balkan malen, die jedoch alle nicht eintreten werden, wenn nicht die eine Voraussetzung erfüllt ist: Nur wenn wir alle, die wir schon zur Europäischen Union gehören, fest davon überzeugt sind, daß auch Albaner, Mazedonier und Serben Europäer sind, dann wird der Konflikt gelöst werden. ({5}) Die Voraussetzung ist, daß wir glauben, daß sie Europäer und keine merkwürdigen Bergvölker sind. - Im Zusammenhang mit den albanischen Bergvölkern, die etwas unzivilisiert sind, denke ich immer an Mutter Teresa. Vielleicht mag mancher darüber nachdenken, der so etwas selbst in Landtagen erzählt hat. Weil sie alle Europäer sind, müssen die Prinzipien von Kopenhagen, die der Bundesaußenminister erwähnt hat, eine andere Bedeutung erhalten. Diese Prinzipien können nämlich zweierlei sein: entweder eine Abwehr gegen solche, die wir nicht wollen, oder eine Einladung, sich uns anzuschließen. Wer im Europa von heute die Prinzipien von Kopenhagen nicht als eine Einladung an Albaner, Serben, Mazedonier und andere begreift, sich in Europa zu integrieren, und ihnen nicht mitteilt, daß wir mit ihnen in einem staatsähnlichen europäischen Gebilde zusammenleben wollen, der zieht nicht die richtigen Konsequenzen. Alle Szenarien nützen dann nichts. Ich wünsche mir als entscheidende Voraussetzung für alles, was jetzt geschehen kann - Stabilitätspakt, Aufbau der Zivilverwaltung und ähnliches - folgende Vision. Wir möchten mit diesen Völkern in einem Europa zusammenleben und erleben, daß Konflikte, die mit Gewalt verbunden sind - die es, wie in Nordirland oder im Baskenland, immer geben wird -, als Probleme der inneren Sicherheit Europas von Europäern human gelöst werden können. Herzlichen Dank. ({6})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Christian Schmidt.

Christian Schmidt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002003, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Sowohl das, was Kollege Zöpel gerade mit seinen Hinweisen auf die Kopenhagener Dokumente, auf die Charta von Paris und auf all die diplomatischen und präventiven Versuche, in Europa nach dem Fall des Eisernen Vorhangs eine Friedensordnung zu erreichen, dargelegt hat, als auch die Politik von Volker Rühe, von Helmut Kohl und von Theo Waigel haben in den letzten Jahren die Grundlage dafür gelegt, daß wir heute an diesem Punkt angekommen sind. ({0}) Kollegin Beer widerspricht dem zwar, aber ihre Rede war wohl eher an die eigene Partei gerichtet als an irgend jemand anderen. Ernst zu nehmen waren ihre Begründungen jedenfalls nicht. Wir müssen den Blick nach vorne richten und überlegen, wie die Kernfragen, die sich uns nach den Militäraktionen in der heutigen Situation stellen, beantwortet werden können. Diese Fragen gehen sehr in die Tiefe: Welche Kriegsziele verfolgte man? Waren sie überhaupt klar genug definiert? Wenn ja, sind sie wirklich erreicht worden? Wie lange werden wir dort militärisch engagiert sein müssen? Sind wir uns über das Ausmaß des politischen Engagements bewußt? Welche Gefahren drohen in der kommenden Zeit noch aus Jugoslawien? Was können wir Europäer bzw. was sind wir Europäer verpflichtet zu tun? Welche Auswirkungen wird dieser Konflikt auf die zukünftige Struktur der Vereinten Nationen haben? Auch die Beantwortung dieser Frage bedarf einer langen Diskussion. Auch das bedarf einer langen Diskussion. Welche Lehren zieht die NATO aus dem Konflikt? Herr Kollege Zöpel, ich darf an das anschließen, was Sie gesagt haben. Natürlich wird auch in Zukunft und gerade bei Lösungen regionaler Konflikte in Europa das europäische Engagement innerhalb der NATO anders bewertet werden müssen, als es vielleicht vor Jahren noch der Fall gewesen ist. Diese Fragen kommen nicht nur aus Washington - jawohl, auch daher -, sondern werden auch bei uns selbst gestellt. Damit bin ich beim Thema Kosten. Ich erlaube es mir nun doch noch, es einzubringen. Der Kollege Struck hat zwar in seiner Rede, die er zunächst abgelesen hat dann ging er zum freien Vortrag über ({1}) - Diese parteipolitische Holzhackerei, die wir dabei erlebt haben, war der heutigen Debatte nicht würdig. ({2}) Der Kollege Struck hat zwar das Kostenargument beiseite gewischt. Aber wenn ich allein die Satellitenaufklärung, die Frage der europäischen Möglichkeiten, auch militärisch aktiv zu werden, betrachte, dann mag sagen, wer will - ich kann es nicht -, daß das für den Haushalt ohne Relevanz wäre. Dabei sind wir natürlich bei zentralen Themen. Herr Verteidigungsminister, die Überholungen in der Wehrstrukturkommission sind durch Einwürfe des Kollegen Kröning oder des Herrn Finanzminister Eichel bereits in Frage gestellt. Wir müssen uns darüber in den nächsten Jahren schon sehr intensiv Gedanken machen. Wir sind dazu konstruktiv bereit. Das will ich für unsere Seite nur anbieten. Eines jedenfalls scheint klar zu sein: Der KosovoKonflikt ist nicht ein singulärer Konflikt, sondern ein Mosaikstein im Bild des auseinanderbrechenden Jugoslawiens und der Machtarroganz des Slobodan Milosevic. Auch unserer Zeit wird es nur schwer gelingen, die Probleme dieser Region zu lösen - ich empfehle jedem die Lektüre von Ivo Andric; er hat dies über den Lauf der Jahrhunderte an Beispielen literarisch hervorragend dargestellt -, den ewigen Frieden auf dem Balkan zu installieren. Realistisch ist es, hier die eigenen Ansprüche zu reduzieren und zu versuchen, möglichst den Grundstein für eine lange Phase des Friedens in diesem Teil Europas zu legen. Wir müssen dies gemeinsam mit den dort lebenden Menschen erarbeiten. Wir wären überheblich, wenn wir meinten, wir könnten das ohne diejenigen, die davon betroffen sind und dort leben. ({3}) Wenn es uns schon nicht gelingen wird, die Menschen zu verbessern - daran glaube ich nicht -, so muß es doch gelingen, die namentlich zu benennenden Verursacher der Verbrechen auszuschalten. Milosevic war Verursacher dieses Krieges. Er war auch Verursacher des Krieges zwischen Serben und Slowenen und zwischen Serben und Kroaten, und er war - gemeinsam mit seinem Vasallen Karadzic - der Verantwortliche für den Bosnien-Krieg. Kann man einen solchen Despoten als Verhandlungspartner akzeptieren, obwohl wir doch wissen, daß es noch ein paar Dominosteine gibt, die dieser ideologisch verblendete Mensch auf dem Altar seiner großserbischen Vorstellungen und seiner Machterhaltung opfern möchte? Als nach der Unabhängigkeit Kroatiens und Sloweniens die serbische Armee aus diesen Teilen Jugoslawiens abzog und in Bosnien Unterschlupf fand, hatten viele die Befürchtung, daß die Freude des einen das Leid des anderen werden könnte. So ist es auch gekommen. Die nach Bosnien hinüberziehenden Truppen waren später ein Teil der Kräfte, die Bosnien in die Knie zu zwingen versuchten. Drei Jahre später hat es auch Richard Holbrooke bei der Befriedung Bosniens durch das Dayton-Abkommen nicht geschafft, die Frage des Kosovo einzubeziehen. Der Kosovo war in Dayton nicht berücksichtigt worden und somit letztendlich schutzlos. Dreieinhalb Jahre nach dem Dayton-Abkommen ist es nun gelungen, Frieden für den Kosovo wenigstens in Aussicht zu stellen. Wir wissen, daß gewisse Entwicklungen in Montenegro, in der Vojvodina und im Sandschak mit den dort lebenden Minderheiten nicht geregelt sind. ({4}) Ich meine, Herr Kollege Schmidt, daß dies eine sehr ernste und sehr nachdenkenswerte Frage ist. ({5}) - Im Gegensatz zu Herrn Struck habe ich meine Rede selber geschrieben. ({6}) Die Frage, wie wir in diesen Regionen Serbiens und im ehemaligen Jugoslawien, in Montenegro den Schutz der dort Lebenden sicherstellen können, ist nicht beantwortet. Die serbische Armee zieht aus dem Kosovo ab. Wo zieht sie hin? In zerbombte Kasernen? Nein! Sie wird ein Unsicherheitsfaktor werden. Wir müssen womöglich aufpassen, daß die Republik Montenegro nicht ins Zielfeuer und zur Zielscheibe von Herrn Milosevic gerät. Sind diese Gefahren in den Verhandlungen der letzten Wochen berücksichtigt worden? Ich weiß es nicht. Ich glaube, in dieser Hinsicht liegt noch ein schwieriger Teil des Weges vor uns. Das macht uns im Jubel etwas verhalten. Wir meinen, wir müssen alle Kräfte sammeln, um auch in den nächsten Jahren diplomatische und politische Anstrengungen zu unternehmen, die dahin zielen, den Balkan zu befrieden. Zum Stichwort Wirtschaftsembargo. Soll Herr Milosevic Geld erhalten? Nein, auf keinen Fall. Aber die Tatsache, daß es auch zu Beginn des jetzt beendeten Konfliktes offensichtlich nicht gelungen ist, ein Energieembargo gegen Jugoslawien zu verhängen - als man die Raffinerien bombardiert hat, bestand kein Energieembargo -, gibt kein ermutigendes Beispiel für die Zukunft. Wir müssen auch darüber nachdenken, wie die Solidarität auf der Ebene der Vereinten Nationen besser gesichert werden kann. Gott sei Dank haben die Chinesen eingelenkt. Insgesamt aber hat die NATO die Überzeugungsarbeit für die Art und Weise und für die Grundlagen ihrer politischen und militärischen AktioChristian Schmidt ({7}) nen, für die auch wir uns entschieden haben, nicht so intensiv betrieben, wie es hätte sein sollen. Wenn man weiß, daß man im Sicherheitsrat ohne China keine Resolution durchbringen wird, dann hätte es wohl doch der Klugheit entsprochen, die Chinesen von vornherein soweit wie möglich in die G-8-Gespräche, in die Informationsarbeit und in Konsultationen einzubeziehen. Wir sollten diese Dinge zukünftig genauso wie die Einbindung Rußlands bedenken. ({8}) Auch die Einbindung der islamischen Länder ist ein ganz entscheidender Faktor. Wir müssen bei der Frage der Kosten im übrigen daran denken, daß wir Deutschen die Kosten nicht allein tragen. Vielmehr muß das, was zu bezahlen ist und was geleistet werden muß, gleichmäßig und gerecht auf allen Schultern verteilt werden. ({9}) Denn Solidarität ist bekanntermaßen auch ein europäisches Grundprinzip. Wir fordern das ein. Das wird dann aber wohl erfordern, daß über das, was in Berlin auf dem als „Erfolg“ apostrophierten Gipfel vereinbart worden ist, noch einmal gehörig nachgedacht werden muß, ({10}) sonst wird diese Gerechtigkeit in Europa nicht eintreten. Zwei Tage vor den Europawahlen, bei denen wir die Zustimmung der Bürgerinnen und Bürger zur europäischen Integration erbitten, ({11}) möchte ich schon mit aller Ernsthaftigkeit darauf verweisen, daß das auch Konsequenzen für die Beachtung von Volksgruppen- und Minderheitenrechten haben muß. Dazu gehört auch - ich spreche das an, auch wenn auf der Regierungsbank Unruhe aufkommt

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Herr Kollege Schmidt, ich muß Sie jetzt bitten, zum Ende zu kommen.

Christian Schmidt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002003, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

- die Beseitigung rechtlicher Altlasten wie zum Beispiel der Beneš-Dekrete in der Tschechischen Republik. ({0}) Nach den Erfahrungen, die wir jetzt gemacht haben, müssen wir für die Zukunft die Einheit der Rechtsordnung für ganz Europa festschreiben. Das ist unsere Aufgabe. ({1})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Ich gebe dem Kollegen Hans-Christian Ströbele das Wort zu einer persönlichen Erklärung nach § 31 unserer Geschäftsordnung.

Hans Christian Ströbele (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002273, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Selbstverständlich bin auch ich erleichtert und froh darüber, daß die Bombardierungen und die Vertreibungen im ehemaligen Jugoslawien gestern beendet wurden. Auch ich sehe und erkenne an, daß diese Bundesregierung - allen voran der Außenminister - beim Zustandekommen dieser diplomatischen Lösung ein erhebliches Maß an Verdiensten haben. ({0}) Natürlich begrüße auch ich, daß die Russen in die Verhandlungen einbezogen worden sind und daß der ganze Friedensprozeß im ehemaligen Jugoslawien durch das Mandat der UNO gestern nun endlich auf eine völkerrechtliche Grundlage gestellt werden konnte. Auch ich lehne deshalb den Antrag der Bundesregierung und die deutsche Beteiligung an der Friedenssicherung nicht ab. Aber, verehrte Kolleginnen und Kollegen, bei aller Freude und bevor hier der Stolz ausbricht, dürfen wir doch nicht vergessen, daß der militärische Teil der Doppelstrategie der NATO zu Tausenden von Toten, zu Tausenden von verletzten, verstümmelten Menschen in Serbien und im Kosovo geführt hat, daß einem ganzen Volk die Lebensgrundlage weggebombt worden ist und daß einem ganzen Land die Infrastruktur zusammengebombt worden ist. Das dürfen wir nicht vergessen. Den Versuch der Bundesregierung, in ihrem Antrag nachträglich zu rechtfertigen, daß der militärische Teil der Doppelstrategie der NATO ohne völkerrechtliche Grundlage gegen das Völkerrecht praktiziert worden ist, mit diesen fürchterlichen Folgen, mit diesem viel zu hohen Preis, lehne ich ab. Ich bin der Auffassung, daß in dem Antrag und in den Papieren, auf die in dem Antrag Bezug genommen wird, erhebliche Risiken für den Friedensprozeß, im Kosovo und in den benachbarten Ländern übriggeblieben und nicht beseitigt worden sind. Ich will diese vier Risiken nur kurz andeuten. Erstens. Die Rolle der russischen Soldaten ist nach wie vor ungeklärt. Zweitens. Die Entwaffnung der UCK ist im Gegensatz zur Entwaffnung der serbischen Militärs weitgehend ungeklärt. Drittens. Wenn man weiß, daß der neue Stabschef der UCK, ein Brigadegeneral aus Kroatien, an ethnischen Säuberungen in Kroatien beteiligt war und direkte Verantwortung für die Vertreibung von Hunderttausenden von Serben aus der Krajina mitträgt, dann kann man die Angst und die Furcht der Serben im Kosovo vor Vertreibungen und vor Massakern, die ihnen jetzt möglicherweise bevorstehen, verstehen. ({1}) Christian Schmidt ({2}) Ich nenne ein letztes wesentliches Risiko, das nicht beseitigt worden ist. Wenn man das tut, was hier von mehreren Rednern, auch von der Bundesregierung, angekündigt worden ist, daß man Serbien keine ökonomische Unterstützung gewähren wird, solange Milosevic dort Präsident ist und dort keine demokratischen Verhältnisse hergestellt sind, dann nimmt man wiederum die gesamte serbische Bevölkerung in Haftung für das, was Staatspräsident Milosevic verbrochen hat, und nimmt in Kauf, daß diesem Volk die Lebensgrundlagen vorenthalten werden, daß es geradezu zur Flucht auch nach Mitteleuropa gezwungen wird. Aus diesen Gründen lehne ich den Antrag der Bundesregierung zwar nicht ab, aber ich kann ihm auch nicht zustimmen. Ich werde mich wie einige andere Kollegen aus der Bündnisgrünen-Fraktion enthalten. ({3})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Ich schließe die Aussprache. Es sollen einige weitere Erklärungen nach § 31 unserer Geschäftsordnung zu Protokoll gegeben werden, und zwar eine Erklärung des Kollegen Wolfgang Börnsen ({0}), eine gemeinsame Erklärung der Kollegen Annelie Buntenbach, Monika Knoche, Steffi Lemke, Irmingard Schewe-Gerigk, Christian Simmert und Sylvia Voß, eine Erklärung von Dr. Antje Vollmer, eine weitere gemeinsame Erklärung von Dr. Hermann Scheer, Dr. Axel Berg, Ute Vogt ({1}) und Harald Friese, eine weitere gemeinsame Erklärung von Christel Deichmann und Götz-Peter Lohmann ({2}), eine weitere gemeinsame Erklärung von Christian Sterzing, Claudia Roth ({3}), Winfried Hermann, Hans-Josef Fell und Winfried Nachtwei sowie eine Erklärung von Detlev von Larcher.*) *) Anlage 2 Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir kommen nunmehr zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Bundesregierung zur deutschen Beteiligung an einer internationalen Sicherheitspräsenz im Kosovo zur Gewährleistung eines sicheren Umfeldes für die Flüchtlingsrückkehr und zur militärischen Absicherung einer Friedensregelung für das Kosovo auf der Grundlage der Resolution 1244 des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen vom 10. Juni 1999, Drucksache 14/1133 und 14/1136. Der Ausschuß empfiehlt, dem Antrag der Bundesregierung zuzustimmen. Es ist namentliche Abstimmung verlangt. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen. Sind alle Urnen besetzt? - Das ist der Fall. Ich eröffne die Abstimmung. Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine Stimme nicht abgegeben hat? - Das ist nicht der Fall. Ich schließe die Abstimmung und bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Bis zum Vorliegen des Ergebnisses der namentlichen Abstimmung unterbreche ich die Sitzung. ({4})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Liebe Kolleginnen und Kollegen, die unterbrochene Sitzung ist wieder eröffnet. Ich gebe das von den Schriftführern und Schriftführerinnen ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung über den Kosovo-Antrag der Bundesregierung bekannt: Abgegebene Stimmen 540. Mit Ja haben gestimmt 505, mit Nein haben gestimmt 24, Enthaltungen 11. Die Beschlußempfehlung ist angenommen. ({0}) Endgültiges Ergebnis Abgegebene Stimmen: 540; davon: ja: 505 nein: 24 enthalten: 11 Ja SPD Brigitte Adler Gerd Andres Rainer Arnold Hermann Bachmaier Ernst Bahr Doris Barnett Dr. Hans-Peter Bartels Eckhardt Barthel ({1}) Klaus Barthel ({2}) Ingrid Becker-Inglau Dr. Axel Berg Hans-Werner Bertl Friedhelm Julius Beucher Petra Bierwirth Rudolf Bindig Lothar Binding ({3}) Kurt Bodewig Klaus Brandner Anni Brandt-Elsweier Willi Brase Rainer Brinkmann ({4}) Hans-Günter Bruckmann Dr. Michael Bürsch Hans Martin Bury Hans Büttner ({5}) Marion Caspers-Merk Wolf-Michael Catenhusen Dr. Herta Däubler-Gmelin Christel Deichmann Karl Diller Peter Dreßen Rudolf Dreßler Detlef Dzembritzki Dieter Dzewas Dr. Peter Eckardt Ludwig Eich Marga Elser Peter Enders Gernot Erler Annette Faße Lothar Fischer ({6}) Gabriele Fograscher Norbert Formanski Rainer Fornahl Hans Forster Dagmar Freitag Lilo Friedrich ({7}) Harald Friese Anke Fuchs ({8}) Arne Fuhrmann Monika Ganseforth Konrad Gilges Iris Gleicke Günter Gloser Uwe Göllner Renate Gradistanac Günter Graf ({9}) Angelika Graf ({10}) Dieter Grasedieck Monika Griefahn Wolfgang Grotthaus Karl-Hermann Haack ({11}) Hans-Joachim Hacker Klaus Hagemann Manfred Hampel Christel Hanewinckel Alfred Hartenbach Anke Hartnagel Klaus Hasenfratz Nina Hauer Hubertus Heil Reinhold Hemker Frank Hempel Dr. Barbara Hendricks Gustav Herzog Monika Heubaum Reinhold Hiller ({12}) Stephan Hilsberg Gerd Höfer Jelena Hoffmann ({13}) Walter Hoffmann ({14}) Frank Hofmann ({15}) Ingrid Holzhüter Eike Hovermann Christel Humme Barbara Imhof Brunhilde Irber Gabriele Iwersen Renate Jäger Jann-Peter Janssen Ilse Janz Dr. Uwe Jens Volker Jung ({16}) Johannes Kahrs Ulrich Kasparick Sabine Kaspereit Susanne Kastner Hans-Peter Kemper Klaus Kirschner Marianne Klappert Siegrun Klemmer Hans-Ulrich Klose Fritz Rudolf Körper Karin Kortmann Anette Kramme Nicolette Kressl Volker Kröning Angelika Krüger-Leißner Horst Kubatschka Ernst Küchler Helga Kühn-Mengel Ute Kumpf Konrad Kunick Dr. Uwe Küster Werner Labsch Christine Lambrecht Brigitte Lange Christian Lange ({17}) Detlev von Larcher Christine Lehder Robert Leidinger Dr. Elke Leonhard Eckhart Lewering Götz-Peter Lohmann ({18}) Erika Lotz Dr. Christine Lucyga Dieter Maaß ({19}) Winfried Mante Dirk Manzewski Tobias Marhold Lothar Mark Ulrike Mascher Christoph Matschie Ingrid Matthäus-Maier Ulrike Mehl Ulrike Merten Angelika Mertens Dr. Jürgen Meyer ({20}) Ursula Mogg Christoph Moosbauer Siegmar Mosdorf Jutta Müller ({21}) Christian Müller ({22}) Volker Neumann ({23}) Dr. Edith Niehuis Dr. Rolf Niese Dietmar Nietan Günter Oesinghaus Eckhard Ohl Leyla Onur Manfred Opel Holger Ortel Adolf Ostertag Kurt Palis Albrecht Papenroth Dr. Willfried Penner Dr. Martin Pfaff Georg Pfannenstein Johannes Pflug Dr. Eckhart Pick Joachim Poß Karin Rehbock-Zureich Margot von Renesse Renate Rennebach Bernd Reuter Dr. Edelbert Richter Reinhold Robbe Gudrun Roos Dr. Ernst Dieter Rossmann Michael Roth ({24}) Birgit Roth ({25}) Gerhard Rübenkönig Thomas Sauer Dr. Hansjörg Schäfer Gudrun Schaich-Walch Rudolf Scharping Bernd Scheelen Dr. Hermann Scheer Siegfried Scheffler Horst Schild Otto Schily Dieter Schloten Horst Schmidbauer ({26}) Ulla Schmidt ({27}) Silvia Schmidt ({28}) Dagmar Schmidt ({29}) Wilhelm Schmidt ({30}) Regina Schmidt-Zadel Heinz Schmitt ({31}) Carsten Schneider Walter Schöler Olaf Scholz Fritz Schösser Gerhard Schröder Gisela Schröter Dr. Mathias Schubert Richard Schuhmann ({32}) Brigitte Schulte ({33}) Volkmar Schultz ({34}) Ilse Schumann Ewald Schurer Dr. R. Werner Schuster Dietmar Schütz ({35}) Dr. Angelica Schwall-Düren Ernst Schwanhold Bodo Seidenthal Erika Simm Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk Dr. Cornelie SonntagWolgast Wieland Sorge Wolfgang Spanier Dr. Margrit Spielmann Jörg-Otto Spiller Dr. Ditmar Staffelt Antje-Marie Steen Ludwig Stiegler Rolf Stöckel Rita Streb-Hesse Joachim Stünker Joachim Tappe Dr. Gerald Thalheim Franz Thönnes Uta Titze-Stecher Adelheid Tröscher Hans-Eberhard Urbaniak Rüdiger Veit Günter Verheugen Simone Violka Ute Vogt ({36}) Hans Georg Wagner Hedi Wegener Dr. Konstanze Wegner Wolfgang Weiermann Reinhard Weis ({37}) Matthias Weisheit Gunter Weißgerber Gert Weisskirchen ({38}) Dr. Ernst Ulrich von Weizsäcker Dr. Rainer Wend Hildegard Wester Lydia Westrich Dr. Margrit Wetzel Dr. Norbert Wieczorek Helmut Wieczorek ({39}) Jürgen Wieczorek ({40}) Heidemarie Wieczorek-Zeul Dieter Wiefelspütz Heino Wiese ({41}) Klaus Wiesehügel Brigitte Wimmer ({42}) Engelbert Wistuba Barbara Wittig Dr. Wolfgang Wodarg Verena Wohlleben Hanna Wolf ({43}) Waltraud Wolff ({44}) Uta Zapf Peter Zumkley CDU/CSU Ulrich Adam Ilse Aigner Norbert Barthle Dr. Wolf Bauer Günter Baumann Brigitte Baumeister Meinrad Belle Dr. Sabine Bergmann-Pohl Otto Bernhardt Dr. Joseph-Theodor Blank Dr. Heribert Blens Dr. Norbert Blüm Friedrich Bohl Jochen Borchert Wolfgang Bosbach Dr. Wolfgang Bötsch Monika Brudlewsky Georg Brunnhuber Hartmut Büttner ({45}) Peter H. Carstensen ({46}) Leo Dautzenberg Hubert Deittert Renate Diemers Thomas Dörflinger Hansjürgen Doss Marie-Luise Dött Maria Eichhorn Anke Eymer Ilse Falk Dr. Hans Georg Faust Ingrid Fischbach Axel E. Fischer ({47}) Herbert Frankenhauser Dr. Gerhard Friedrich ({48}) Dr. Hans-Peter Friedrich ({49}) Erich G. Fritz Jochen-Konrad Fromme Dr. Jürgen Gehb Norbert Geis Dr. Heiner Geißler Georg Girisch Michael Glos Dr. Reinhard Göhner Peter Götz Dr. Wolfgang Götzer Hermann Gröhe Manfred Grund Carl-Detlev Freiherr von Hammerstein Gerda Hasselfeldt Norbert Hauser ({50}) Hansgeorg Hauser ({51}) Ursula Heinen Manfred Heise Siegfried Helias Hans Jochen Henke Ernst Hinsken Peter Hintze Klaus Hofbauer Martin Hohmann Josef Hollerith Dr. Karl-Heinz Hornhues Joachim Hörster Hubert Hüppe Peter Jacoby Georg Janovsky Dr. Harald Kahl Bartholomäus Kalb Steffen Kampeter Manfred Kanther Irmgard Karwatzki Volker Kauder Eckart von Klaeden Ulrich Klinkert Dr. Helmut Kohl Manfred Kolbe Norbert Königshofen Eva-Maria Kors Thomas Kossendey Rudolf Kraus Dr. Martina Krogmann Dr. Hermann Kues Vizepräsident Rudolf Seiters Karl Lamers Dr. Karl A. Lamers ({52}) Dr. Norbert Lammert Dr. Paul Laufs Karl-Josef Laumann Peter Letzgus Ursula Lietz Walter Link ({53}) Eduard Lintner Dr. Klaus Lippold ({54}) Dr. Manfred Lischewski Wolfgang Lohmann ({55}) Julius Louven Dr. Michael Luther Erwin Marschewski Dr. Martin Mayer ({56}) Wolfgang Meckelburg Dr. Michael Meister Dr. Angela Merkel Friedrich Merz Hans Michelbach Meinolf Michels Dr. Gerd Müller Bernward Müller ({57}) Elmar Müller ({58}) Claudia Nolte Günter Nooke Franz Obermeier Friedhelm Ost Eduard Oswald Norbert Otto ({59}) Dr. Peter Paziorek Anton Pfeifer Dr. Friedbert Pflüger Beatrix Philipp Ronald Pofalla Marlies Pretzlaff Dr. Bernd Protzner Thomas Rachel Helmut Rauber Peter Rauen Christa Reichard ({60}) Hans-Peter Repnik Klaus Riegert Dr. Heinz Riesenhuber Franz Romer Dr. Klaus Rose Kurt Rossmanith Adolf Roth ({61}) Norbert Röttgen Dr. Christian Ruck Dr. Jürgen Rüttgers Anita Schäfer Dr. Wolfgang Schäuble Hartmut Schauerte Heinz Schemken Karl-Heinz Scherhag Gerhard Scheu Norbert Schindler Dietmar Schlee Bernd Schmidbauer Christian Schmidt ({62}) Dr.-Ing. Joachim Schmidt ({63}) Andreas Schmidt ({64}) Hans Peter Schmitz ({65}) Dr. Andreas Schockenhoff Reinhard Freiherr von Schorlemer Dr. Erika Schuchardt Wolfgang Schulhoff Clemens Schwalbe Wilhelm-Josef Sebastian Heinz Seiffert Bernd Siebert Johannes Singhammer Bärbel Sothmann Andreas Storm Dorothea Störr-Ritter Max Straubinger Matthäus Strebl Thomas Strobl Dr. Rita Süssmuth Edeltraut Töpfer Dr. Hans-Peter Uhl Arnold Vaatz Angelika Volquartz Andrea Voßhoff Dr. Theodor Waigel Peter Weiß ({66}) Gerald Weiß ({67}) Annette Widmann-Mauz Heinz Wiese ({68}) Hans-Otto Wilhelm ({69}) Klaus-Peter Willsch Matthias Wissmann Werner Wittlich Dagmar Wöhrl Elke Wülfing Wolfgang Zeitlmann BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Volker Beck ({70}) Matthias Berninger Ekin Deligöz Dr. Thea Dückert Franziska Eichstädt-Bohlig Dr. Uschi Eid Hans-Josef Fell Andrea Fischer ({71}) Joseph Fischer ({72}) Katrin Göring-Eckardt Rita Grießhaber Winfried Hermann Antje Hermenau Kristin Heyne Michaele Hustedt Dr. Angelika Köster-Loßack Dr. Helmut Lippelt Dr. Reinhard Loske Kerstin Müller ({73}) Winfried Nachtwei Christa Nickels Cem Özdemir Simone Probst Claudia Roth ({74}) Christine Scheel Rezzo Schlauch Albert Schmidt ({75}) Christian Sterzing Ludger Volmer Helmut Wilhelm ({76}) Margareta Wolf ({77}) F.D.P. Hildebrecht Braun ({78}) Ernst Burgbacher Jörg van Essen Ulrike Flach Gisela Frick Paul K. Friedhoff Dr. Wolfgang Gerhardt Dr. Karlheinz Guttmacher Ulrich Heinrich Walter Hirche Birgit Homburger Dr. Werner Hoyer Ulrich Irmer Dr. Klaus Kinkel Dr. Heinrich Kolb Jürgen W. Möllemann Dirk Niebel Gerhard Schüßler Dr. Irmgard Schwaetzer Dr. Hermann Otto Solms Dr. Dieter Thomae Dr. Guido Westerwelle Nein SPD Uwe Hiksch René Röspel CDU/CSU Wolfgang Börnsen ({79}) Siegfried Hornung PDS Maritta Böttcher Eva Bulling-Schröter Roland Claus Dr. Heinrich Fink Dr. Ruth Fuchs Wolfgang Gehrcke-Reymann Dr. Klaus Grehn Dr. Barbara Höll Carsten Hübner Gerhard Jüttemann Dr. Evelyn Kenzler Dr. Heidi Knake-Werner Heidi Lippmann-Kasten Ursula Lötzer Heidemarie Lüth Angela Marquardt Rosel Neuhäuser Gustav-Adolf Schur Enthalten SPD Christa Lörcher CDU/CSU Renate Blank Manfred Carstens ({80}) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Annelie Buntenbach Monika Knoche Steffi Lemke Irmingard Schewe-Gerigk Christian Simmert Sylvia Voß F.D.P. Jürgen Koppelin Entschuldigt wegen Übernahme einer Verpflichtung im Rahmen ihrer Mitgliedschaft in den Parlamentarischen Versammlungen des Europarates und der WEU, der NAV, der OSZE oder der IPU Abgeordnete({81}) Behrendt, Wolfgang, SPD Neumann ({82}), Gerhard, SPD Bierling, Hans-Dirk, CDU/CSU Siebert, Bernd, CDU/CSU Bühler ({83}), Klaus, CDU/CSU Zierer, Benno, CDU/CSU Haack ({84}), KarlHermann, SPD Vizepräsident Rudolf Seiters Bevor ich nunmehr die Aktuelle Stunde aufrufe, gebe ich Ihnen noch folgendes bekannt: Interfraktionell wird vorgeschlagen, den Antrag der Fraktionen der SPD und Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 14/795 sowie den Antrag der PDS auf Drucksache 14/708, die beide den Bau zweier Atomkraftwerke in der Ukraine betreffen, nachträglich auch an den Finanzausschuß zur Mitberatung zu überweisen. Des weiteren soll der bereits zur federführenden Beratung an den Verteidigungsausschuß überwiesene Antrag der Fraktion der F.D.P. „50 Jahre Nordatlantisches Bündnis“, Drucksache 14/792, nunmehr dem Auswärtigen Ausschuß zur federführenden Beratung und dem Verteidigungsausschuß zur Mitberatung überwiesen werden. Sind Sie damit einverstanden? - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist es so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 3 auf: Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktionen SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Haltung der Bundesregierung zum Skandal der dioxinverseuchten belgischen Lebensmittel Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat für die SPD-Fraktion der Kollege Karsten Schönfeld.

Karsten Schönfeld (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003229, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Hätte ein ehemaliger Bundesminister diesen Satz nicht in einem anderen Zusammenhang mißbraucht, könnte ich meine Rede mit einem optimistischen „Die Lebensmittel in Deutschland sind sicher“ beginnen. Unsere Einzelhändler in den Regionen an der Grenze zu Belgien erleben zur Zeit einen kräftigen Ansturm. Das Vertrauen in unsere Nahrungsmittel ist mit Recht weiterhin hoch. Nach Bekanntwerden des Dioxinskandals sind in allen Bundesländern Kontrollen durchgeführt worden. Bisher sind keine höheren Dioxinwerte in Lebensmitteln festgestellt worden. Ganz sicher geht der Verbraucher, wenn er beim Einkauf auf deutsche Produkte zurückgreift. ({0}) Die belgische Taktik im Umgang mit dem Dioxinskandal der Landwirtschaft ist von Bundesminister Funke zu Recht scharf kritisiert worden. Es hätte alles dafür getan werden müssen, die Öffentlichkeit frühzeitig und vollständig zu informieren. Die Bundesregierung hat sofort nach Bekanntwerden des Skandals die Öffentlichkeit umfassend informiert. Die öffentliche Ausschußsitzung am letzten Montag und die Aktuelle Stunde heute zeigen, daß wir nichts zu verbergen haben und daß wir den Dialog mit allen beteiligten und betroffenen Menschen suchen. ({1}) Trotzdem ist der Imageschaden für die Landwirtschaft in ganz Europa enorm, der wirtschaftliche Schaden ebenfalls. Unsere Konkurrenten auf den wichtigen Exportmärkten lachen sich ins Fäustchen. Inzwischen räumen Handelsketten weltweit belgische Nahrungsmittel aus den Regalen. Auch deutsche Exporte sind schon von der Kettenreaktion erfaßt. Schließlich betrachtet man in Asien und Amerika die Situation nicht so differenziert, wie wir es hier in Europa tun. Ein Lebensmittelskandal in Belgien wird dann schnell zu einer gesamteuropäischen Sache. Auch teure Werbekampagnen können das unnötig gestörte Vertrauen so schnell nicht wiederaufbauen. Es hilft deshalb auch nicht, immer wieder nur darauf hinzuweisen, daß bei uns in Deutschland das Problem so nicht entstanden wäre. Wir müssen auf europäischer Ebene die notwendigen politischen Konsequenzen aus dem Dioxinskandal ziehen. Die SPD-Bundestagsfraktion fordert zusätzliche Kontrollinstanzen der Europäischen Union, damit in allen Nationalstaaten die Lebensmittelkontrollen vorschriftsgemäß durchgeführt werden. ({2}) Zweifelhafte Roh- und Ausgangsstoffe für Futtermittel müssen von vornherein von der Verarbeitung und Verfütterung ausgeschlossen werden. Wir werden uns deshalb auf europäischer Ebene für eine Präzisierung der futtermittelrechtlichen Vorschriften einsetzen. Im deutschen Futtermittelrecht sind alle erforderlichen Regelungen enthalten, um in den Handel mit belastenden Futtermitteln eingreifen zu können. Verstöße werden mit Geldbußen von bis zu 50 000 DM geahndet. Wir müssen uns allerdings auch fragen, ob diese Höhe als abschreckende Wirkung ausreicht. Hier müssen wir ernsthaft darüber nachdenken, ob eine Verschärfung notwendig ist. Die SPD-Fraktion fordert seit Jahren eine offene Deklaration der Futtermittelinhaltsstoffe. Der mündige Verbraucher und auch der Landwirt als Verbraucher von Futtermitteln müssen wissen, was in den Produkten enthalten ist. Wenn die Verbraucher genauer Bescheid wüßten, dann würden sie beim Kauf genauer hinsehen. ({3}) Wir kämpfen in allen Bereichen für bessere Kennzeichnungsregelungen. Das ist der entscheidende Schlüssel. Um es ökonomisch zu formulieren: Marktwirtschaft kann nur dann funktionieren, wenn tatsächlich Transparenz auf den Märkten herrscht. ({4}) Den wirksamsten Schutz - auch das muß gesagt werden - bestimmt der Verbraucher über sein Kaufverhalten allerdings auch selbst. Solange der Trend zu niedrigen Preisen stärker ist als das Verlangen nach hoher Qualität, sind die Anreize hoch, bei der Produktion auch zu unerlaubten Mitteln zu greifen. Das ist zwar keine Ausrede für kriminelle Machenschaften, aber eine Tatsache, die wir bedenken sollten. Wir werden uns für eine nachhaltige Landwirtschaft auch bei den anstehenden WTO-Verhandlungen einsetzen. Die Förderung überschaubarer regionaler ProdukVizepräsident Rudolf Seiters tion, der regionalen Stoffkreisläufe und der regionalen Vermarktung ist eine wirkungsvolle Maßnahme, um Skandale wie den, über den wir uns jetzt unterhalten, zu verhindern. Vielen Dank. ({5})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Ich gebe das Wort für die CDU/CSU-Fraktion dem Kollegen Wolfgang Zöller.

Wolfgang Zöller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002603, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Lassen Sie mich zur heutigen Aktuellen Stunde folgende Fragen stellen und einige Anmerkungen machen. Erstens. Welchen Sinn soll die heutige Aktuelle Stunde haben? ({0}) Am 2. Juni dieses Jahres hat die CDU/CSU einen Antrag auf Sondersitzung des Gesundheitsausschusses gestellt, der von der SPD abgelehnt wurde. ({1}) Die SPD hat dann einen gleichlautenden Antrag eingebracht. Sie wollte in der darauffolgenden Woche eine Aktuelle Stunde abhalten. Gott sei Dank fand allerdings am letzten Montag eine gemeinsame Sitzung des Gesundheitsausschusses und des Landwirtschaftsausschusses statt. ({2}) Dann stellte die SPD den Antrag, heute eine Aktuelle Stunde auf die Tagesordnung zu setzen. Was das mit Logik zu tun haben soll, muß mir erst einmal jemand erklären. Er wird sich dabei auf jeden Fall schwertun. ({3}) Man wird den Verdacht nicht los, daß die SPD mit einer vorgeschobenen Aktuellen Stunde das Anliegen der F.D.P., eine Aktuelle Stunde zu einem wichtigen Thema abzuhalten, verhindern wollte. Das hat mit Demokratie recht wenig zu tun. ({4}) Zweitens. Ich begrüße ausdrücklich das Verhalten der zur Zeit noch in der Opposition befindlichen Fraktionen von CDU/CSU und F.D.P., ({5}) die nicht wie die frühere Opposition - wie zum Beispiel beim BSE-Skandal - den Eindruck erwecken, als sei BSE in Deutschland und nicht in England ausgebrochen, wohl wissend um all die negativen Auswirkungen auf unsere Landwirtschaft. Deshalb gilt es heute festzuhalten: Der Dioxinskandal ist in Belgien passiert. Wir müssen alles unternehmen, um unsere Bürgerinnen und Bürger vor gesundheitlichen Schäden zu schützen. ({6}) Zu dem Vorschlag des SPD-Kollegen, eine bessere Deklaration würde das Problem lösen, kann ich nur fragen: Glauben Sie wirklich, daß die Verbrecher in Belgien auf die Deklaration schreiben würden, wir haben ein bißchen Dioxin in die Produkte gemischt? Wie blauäugig sind Sie eigentlich, daß Sie solche Forderungen erheben? ({7}) Drittens. In der gemeinsamen Sitzung des Gesundheitsausschusses und des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten hat die Bundesregierung eine Vorgehensweise vorgeschlagen, die wir grundsätzlich für richtig halten. Allerdings sehen wir in diesem Vorschlag zwei Schwachstellen: Zum einen haben sich die eingeleiteten Maßnahmen, die uns vorgestellt wurden, nur auf bestimmte Geflügelerzeugnisse beschränkt, als nicht ausreichend erwiesen. Aus diesem Grunde halte ich die Pressemitteilung des Gesundheitsministeriums vom 2. Juni für fachlich falsch. Darin schreibt die Ministerin: Mit der Entscheidung, bestimmte Geflügelerzeugnisse vom Markt zu nehmen, ist der Verbraucherschutz gesichert. Zum anderen muß der Vertriebsweg des verseuchten Materials klar nachvollziehbar sein, um die Folgeprodukte ebenfalls vom Markt nehmen zu können. Eine solche Maßnahme muß sehr schnell und gründlich durchgeführt werden, um das Vertrauen in die Lebensmittel wiederherzustellen. Im übrigen kann ich nur jedem empfehlen: Kaufen Sie deutsche Produkte mit Qualitätsnachweis. Dies ist der beste Schutz vor verseuchtem Material. ({8}) Meine sehr geehrten Damen und Herren, lassen Sie mich noch einen Punkt ansprechen, den ich für sehr wichtig halte. Das Strafmaß für solch kriminelles Handeln muß schnellstmöglich europaweit wesentlich verschärft werden. Wer aus Profitgier wissentlich die Gesundheit der Menschen aufs Spiel setzt, darf nicht mit einer läppischen Geldstrafe davonkommen. Solchen skrupellosen Geldgeiern muß die Möglichkeit, mit Lebensmitteln zu handeln, auf Lebenszeit entzogen werden. Ich danke Ihnen. ({9})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Als nächste Rednerin spricht die Kollegin Marita Sehn, F.D.P.-Fraktion.

Marita Sehn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002146, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Auch ich frage: Was ist eigentlich aktuell an der heutigen Aktuellen Stunde? Die Fraktionen der Grünen und der SPD wollen mehr über die Haltung der Bundesregierung zum Skandal der dioxinverseuchten belgischen Lebensmittel wissen. Hat sich die Haltung der Bundesregierung seit Montag, seit der gemeinsamen Sitzung von Ernährungs- und Gesundheitsausschuß verändert? Nein, vielmehr geht es heute einzig und allein darum, die von uns beantragte Aktuelle Stunde zum Schröder/Blair-Papier zu verhindern. Das ist der Grund. ({0}) Die europäische Integration darf sich nicht nur auf Richtlinien und Verordnungen stützen, sondern muß vor allem von dem Vertrauen der Partnerstaaten untereinander getragen werden. In dem Schröder/Blair-Papier, das die SPD am liebsten nicht öffentlich diskutieren will - sie traut sich nicht, es hier im Deutschen Bundestag vorzustellen -, steht: Allzuoft wurden Rechte höher bewertet als Pflichten . . . Geht der Gedanke der gegenseitigen Verantwortung verloren, so führt dies zum Verfall des Gemeinsinns, zu mangelnder Verantwortung gegenüber Nachbarn . . . und einer Überlastung des Rechtssystems. Nichts anderes steht in den Wiesbadener Grundsätzen der F.D.P. Ich bin darauf gespannt, wie Sie das Zauberwort „Umdenken“ in Ihrer Partei demnächst behandeln werden. ({1}) Der Verlauf des Dioxinskandals war leider nicht von Verantwortung und Vertrauen geprägt. Wie kommt es, daß zwar Paris und Den Haag von der belgischen Regierung über die entdeckten Dioxinverseuchungen informiert wurden, aber nicht Deutschland als EU-Ratspräsidentschaft und auch nicht die EU-Kommission? Was hat Frankreich und die Niederlande daran gehindert, ihrerseits die Erkenntnisse weiterzugeben? ({2}) Ich möchte daran erinnern: Die ersten Hinweise lagen bereits Mitte Februar, die ersten Untersuchungsergebnisse Mitte März vor. Deshalb sind zusätzliche und intensivierte Kontrollmaßnahmen nicht der Weg in die Zukunft, sondern nur ein Schritt zu noch mehr Bürokratie und Regulierung, von denen alle Betriebe betroffen wären. Entscheidend ist vielmehr, daß die bereits bestehenden Kontrollen nicht zum Selbstzweck verkommen. Was nützt es, Erkenntnisse zu gewinnen, wenn diese nicht weitergegeben und verfolgt werden? Aufgedeckte Verstöße müssen zu Konsequenzen führen und die wenigen schwarzen Schafe hart bestraft werden, um die Mehrheit der vorbildlichen Betriebe zu schützen. ({3}) Denn das größte Kapital der Landwirte ist das Vertrauen der Verbraucher in die Qualität erzeugter Produkte, in die tatsächliche Anwendung der insbesondere in Deutschland hohen Umwelt-, Gesundheits- und Hygienestandards und in die Verläßlichkeit der Verbraucheraufklärung. Kriminelle Machenschaften und Schlampereien, die zwar entdeckt, aber nicht konsequent öffentlich gemacht und verfolgt werden, erschüttern dieses Vertrauen nachhaltig. Sie schaden dem Verbraucherschutz und dem Ansehen der Landwirte erheblich. Schnelles Handeln ist jetzt erforderlich. Die Verursacher müssen hart bestraft werden. Eine ausgedehnte neue Kennzeichnungsverordnung hilft nach meiner Ansicht nicht weiter. Wer mit Dioxin verunreinigtes Fett verwendet, wird dies kaum auf das Etikett schreiben Pflicht hin oder her. Aber was auch immer im einzelnen getan wird, eines ist grundsätzlich klar: Die Verbraucher in Deutschland leben am gesündesten, wenn sie deutsche Produkte kaufen. Die Skandale um BSE und Dioxin haben dies einmal mehr bewiesen. Was soll man denn davon halten, wenn es in Belgien Containersammelstellen gibt, in die jeder sein altes Fett aus dem Haushalt entsorgen kann, und die gesammelten Fette dann verfüttert werden. In einem Brief an ihre Botschaften im Ausland hat die belgische Regierung die hohe Qualität der Nahrungsmittel gelobt und festgestellt: Die Belgier lieben ihr Essen. Dem kann ich nur entgegnen: Und die Deutschen lieben ihre Gesundheit. Angesichts der Weigerung Brüssels, potentiell verseuchte Milch vom eigenen Markt zu nehmen, kann einem die belgische Bevölkerung, die unnötigen Risiken ausgesetzt wird, nur leid tun. Wo bleibt hier der Verbraucherschutz? Der wirtschaftliche Schaden für die unbeteiligten deutschen Landwirte läßt sich derzeit noch nicht abschätzen. Aber die zahlreichen generellen Einfuhrbeschränkungen von ungefähr 20 Drittländern verheißen nichts Gutes. Die Einkommensausfälle der Landwirte müssen auf jeden Fall ausgeglichen werden. Die Haftung für die Ausfälle kann niemand anderes als der Verursacher übernehmen: die belgische Regierung. ({4})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Für die PDSFraktion spricht die Kollegin Kersten Naumann.

Kersten Naumann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003197, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sie sind sicherlich mit mir einer Meinung, daß die Gesundheit der Bürger eines der höchsten zu schützenden Güter ist. Die Gefahren, die von dem hochtoxischen Seveso-Gift Dioxin ausgehen, sind völlig unstrittig. Der feste Wille, alles dafür zu tun, daß dieses Gift nicht in die Nahrungskette gelangt, wird niemandem in der Bundesrepublik abgesprochen. Auch das Kontrollsystem zur Verhinderung der Belastung von Nahrungsmitteln mit gesundheitsschädlichen Stoffen wird auf einem hohen Niveau als ausreichend eingeschätzt. Schon am Montag wurde in einer gemeinsamen Sitzung des Gesundheits- und des Agrarausschusses deutlich, daß alle ihre Hände in Unschuld waschen. Der Hintergrund ist klar: Der Schwarze Peter wird der belgischen Regierung zugeschoben. Damit wird versucht, von den eigenen und wirklichen Versäumnissen in der Lebensmittelsicherheit abzulenken. Auch Deutschland hatte und hat seine Lebensmittelskandale. Ich denke nur an die 4 000 notgeschlachteten Hormonkälber in Nordrhein-Westfalen. Die Dioxingefahr - nicht nur diese - begleitet uns stetig. Sie ist also kein speziell belgisches Problem. Erinnert sei nur an den Dioxinunfall im März dieses Jahres in Duisburg und an die Dioxinwolke durch PVC bei der Düsseldorfer Flughafenkatastrophe. Niemand soll nach der heutigen Debatte sagen, in Deutschland seien keine neuen Fälle von Verletzungen des Lebensmittelrechts, des Tier- und Umweltschutzes möglich. Die in der gemeinsamen Ausschußsitzung erhobenen Forderungen nach strengeren Strafen, nach Entzug der Betriebsgenehmigung, nach Schaffung einer gesamteuropäischen Kontrollinstanz setzen an den Symptomen an, nicht aber an der Ursache. Welche Forderungen werden wir noch hören, wenn die Ernährungsindustrie vollständig globalisiert ist, in einer Handvoll weniger Multis liegt und Risikotechnologien, wie die Gentechnik, zum Alltag gehören? ({0}) Wird nun jedes Land versuchen, mit Umwelt- und Gesundheitsstandards seine Grenzen dichtzumachen? Werden die Großen und Mächtigen dann die Kleinen noch stärker erpressen, um zum Beispiel ihr Hormonfleisch abzusetzen? Es ist überhaupt nicht nachzuvollziehen, welche neuen Erkenntnisse durch die heutige Veranstaltung gewonnen werden sollen. Wenn die Bundesregierung hier heute keine Änderungen erreicht, warum hat dann die Regierung aus taktischen Gründen die Aktuelle Stunde über das Schröder/Blair-Papier aus der Debatte hinauslanciert? ({1}) Doch sicher, weil es in seinem Kern wiederum auf die Sicherung von Profiten gerichtet ist. ({2}) Für die soziale Sicherheit soll zukünftig jeder selbst verantwortlich sein. Nur durch die Veränderung der Agrarproduktion und der gesamten Kette der Nahrungsgüterwirtschaft können viele Ursachen der Gesundheitsgefährdung reduziert werden. Sicherheiten sowohl in der Wirtschaft als auch für den Verbraucher kann nur der ökologische Landbau geben. ({3}) Denn nur bei ökologischen Produkten mit dem Siegel der Verbände des ökologischen Landbaus ist geklärt, was den konventionellen Lebensmitteln fehlt. Das betrifft die Herkunftskennzeichnung, die strengen Kontrollmechanismen und nicht zuletzt die Gewißheit über gesundheitliche Unbedenklichkeit. Wer jedoch für Globalisierung plädiert, gibt nicht nur die Kontrolle über die Produktion aus der Hand. Auch der Steuerzahler muß dann für die Vernichtung der Lebensmittel oder Tiere, also mehr oder weniger für den gesamten Kostenaufwand, der einem Lebensmittelskandal anhängt, aufkommen und letztendlich mit seiner Gesundheit bezahlen. Die Globalisierung ermutigt dazu, aus Profitinteressen gesetzliche Vorschriften zu umgehen. Schon vor 150 Jahren formulierte der Engländer Dunning folgendes: Das Kapital hat einen Horror vor Abwesenheit von Profit . . . wie die Natur vor der Leere. Mit entsprechendem Profit wird Kapital kühn. ({4}) Er schrieb, bei 50 Prozent werde das Kapital waghalsig. Für 100 Prozent stampfe es alle menschlichen Gesetze unter seinen Fuß. Aber bei 300 Prozent existiere kein Verbrechen, das es nicht riskiere, selbst auf die Gefahr des Galgens. - Meine Damen und Herren, es ist nicht zu erkennen, daß sich an dieser Aussage von vor 150 Jahren etwas gegenüber der heutigen Situation geändert hat. ({5}) Was wir dringend brauchen, sind regionale Wirtschaftskreisläufe. Die Tierproduktion könnte zum Beispiel Bestandteil einer Vertragslandwirtschaft sein, bei der sich die Partner auf ein strenges Produktionsregime einigen. So können sie den Einsatz von gesundheitsgefährdenden Stoffen ausschließen und die Herkunft der Erzeugnisse exakt nachweisen. Treten in einer solchen Kette Pannen auf, dann ist von den Folgen nur diese Kette betroffen. Für die übrigen Landwirte halten sich die Auswirkungen in Grenzen. Zugleich haben die Verbraucher die Chance, durch ihre Kaufentscheidung direkt auf einen bestimmten Hersteller Einfluß zu nehmen. Die erfolgreiche Bekämpfung der Ursachen von Lebensmittelskandalen setzt neben der staatlichen auch eine gesellschaftliche Kontrolle der Produktion voraus. Sie darf sich nicht nur auf die Einhaltung bestimmter Vorschriften beschränken. Die Gestaltung der Produktion und die Verwendung der Gewinne sind vielmehr in diese gesellschaftliche Kontrolle einzuschließen. Danke. ({6})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Für die Bundesregierung spricht nunmehr die Bundesministerin für Gesundheit, Frau Andrea Fischer.

Andrea Fischer (Minister:in)

Politiker ID: 11002652

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Alle Politiker und Vertreter der Medien, die in den letzten Tagen das, was in Belgien bei der Verunreinigung von Futtermitteln durch ungeeignetes Öl geschehen ist, als Skandal bezeichnet haben, haben recht. Dieser Skandal hat weitreichende Folgen für die Verbraucherpolitik. Er hat das Vertrauen in die Lebensmittelsicherheit erschüttert. Er hat das Vertrauen in die europäischen Institutionen, die diese Lebensmittelsicherheit zu wahren haben, erschüttert, und er hat das Vertauen in all diejenigen Produzenten und Händler erschüttert, die mit dieser Verunreinigung gar nichts zu tun haben, weil sie anständig produzieren. ({0}) Das ist ein Vertrauensverlust, der uns sicherlich noch lange beschäftigen wird und der vor dem Hintergrund dessen, was geschehen ist, nur sehr schwer zu heilen sein wird. Es ist soeben gesagt worden, daß wir alles auf die belgische Regierung schieben würden. Es tut mir leid: Da uns die belgische Regierung über Wochen hinweg nicht informiert hat und wir deswegen erst zu einem sehr späten Zeitpunkt tätig werden konnten, muß ich feststellen, daß die Ursache bei der belgischen Regierung liegt. Auf dem Gesundheitsministerrat am letzten Dienstag hat übrigens der neue belgische Kollege, der für die Gesundheitspolitik zuständig ist, ausdrücklich zugegeben, daß die belgische Regierung einen Fehler gemacht hat. Die anderen Gesundheitsminister der Europäischen Union haben - um es diplomatisch zu formulieren - ihre Verärgerung über die Informationspolitik der belgischen Regierung zum Ausdruck gebracht und ihrer Befürwortung der sehr drastischen Maßnahmen der EU-Kommission Ausdruck verliehen. Belgien hatte ja kritisiert, daß die EU-Kommission so sehr in den Handel eingegriffen hatte. Von seiten der anderen Gesundheitsminister der EU wurde Unterstützung für das Vorgehen der EUKommission signalisiert und klargemacht, daß ihnen allen eine Lebensmittelkontrolle im Sinne eines vorbeugenden Verbraucherschutzes sehr wichtig ist. Wir haben bereits am Montag dieser Woche im zuständigen Ausschuß über folgendes gesprochen: Jede Institution und jedes Regelwerk müssen ständig überprüft werden. Im Lichte der Erfahrungen der letzten Woche wird man das tun müssen. Aber ich will darauf beharren: Jede Regelung bzw. jede Verabredung, die zum Beispiel in diesem Falle zwischen Staaten getroffen wird, ist nur so gut wie diejenigen, die sich daran halten. ({1}) Aus der Tatsache, daß ein Akteur einen Fehler gemacht hat, würde ich noch nicht schließen, daß das ganze System nicht taugt. Wir sollten klarmachen, daß ein solches System nur funktionieren kann, wenn sich alle an dessen Regeln halten. Die EU-Kommission hat, nachdem sie davon erfahren hat, Exportverbote für Lebensmitteltiere und Lebensmittel tierischer Herkunft aus Belgien ausgesprochen. Das ist, wie gesagt, von der belgischen Regierung kritisiert, von den übrigen Mitgliedern des EU-Gesundheitsministerrats aber unterstützt worden. Diese EU-Entscheidungen sind am 3. und 4. Juni gefallen. Herr Kollege Zöller, im nachhinein haben Sie mit Ihrer Kritik an meiner Presseerklärung recht. Am 2. Juni haben wir aber noch nicht gewußt, daß diese Exportverbote auch auf Schweine und Rinder aus Belgien ausgedehnt werden. Wir sind davon ausgegangen, daß es nur um Geflügelprodukte geht. - Wir haben die Information nach Bekanntwerden aber sofort weitergegeben und dies mit einer Dringlichkeitsverordnung auf eine sichere rechtliche Grundlage gestellt. ({2}) Obwohl ich am Dienstag mit einer gewissen Erleichterung die Selbstkritik der belgischen Regierung im EUGesundheitsministerrat vernommen habe, muß ich klarstellen, daß wir noch immer nicht die Vertriebswege der Lebensmittel tierischer Herkunft und der Lebensmitteltiere, die mit diesem dioxinverseuchten Futter gefüttert worden sind, kennen, auch nicht die Behörden, die diese Unbedenklichkeitsbescheinigungen ausstellen. Es bleibt uns also überhaupt nichts anderes übrig, als ein Vermarktungsverbot für sämtliche Produkte aus Belgien auszusprechen. Wir verfügen nämlich nicht über Informationen, um die Guten von den Schlechten unterscheiden zu können. Das heißt: Die Verordnung trifft natürlich auch die Erzeugnisse unbeteiligter Wirtschaftsakteure. Angesichts dieser Politiklage aber ist die Situation schwierig. Wir haben aus Belgien bislang zehn Untersuchungsergebnisse mit deutlich erhöhten Dioxinwerten erhalten. Zu meiner Erleichterung sind alle Messungen, die in Deutschland zum Abschluß gekommen sind - Sie wissen, das dauert seine Zeit -, negativ. Es gibt nur einen einzigen Fall mit einem leicht erhöhten Dioxinwert. Wir haben in Deutschland also bislang nur Produkte mit gesundheitlich unbedenklichen Werten gefunden. Das wird uns jedoch nicht beruhigen. Wir werden weiter daran arbeiten, auch daran, eine Dioxinbelastung zu vermeiden. Noch ein Nachtrag zur schlechten Informationspolitik der belgischen Regierung: Wir haben gestern von seiten der belgischen Regierung den Hinweis bekommen, daß die Produkte zusätzlich noch auf PCB zu untersuchen seien. Unsere Behörden haben aber ohnehin schon auf PCB getestet. Wir hatten immer vorgeschlagen, dies sicherheitshalber zu tun. - Wir haben diesen Hinweis gestern direkt an die Landesbehörden weitergegeben. Ich habe heute nachmittag gehört, daß es aus Belgien erste Werte gibt. Die Ergebnisse kann ich Ihnen noch nicht mitteilen; das wird zur Zeit beim Bundesinstitut für gesundheitlichen Verbraucherschutz und Veterinärmedizin geprüft. Es ist wirklich sehr mißlich, mit welcher Verzögerung dies bei uns bekannt wird. Wir haben aber alles getan, die Informationen so weiterzugeben, wie es notwendig ist. Ich hoffe, daß die Prüfungsergebnisse hier negativ sind. Lieber Herr Kollege Zöller, ich will ausdrücklich sagen, daß ich es sehr schätze, daß die Opposition keine Panikmache gestartet hat. Die Lage ist zu ernst; wir müssen uns darum kümmern. Ich sehe es aber wie Sie: Es gibt zur Zeit keine Veranlassung zur Panikmache. Lassen Sie mich abschließend noch einen persönlichen Gedanken anschließen. Ich finde schon, daß es uns als Verbraucherinnen und Verbraucher nachdenklich machen muß, wie oft wir in den letzten Jahren mit solchen Problemen konfrontiert worden sind. Ich spreche hier ausdrücklich auch als Verbraucherin, die selber Lebensmittel kauft und ißt. Es sollte uns einmal innehalten lassen, wie hoch dadurch, was wir kaufen, nach welchen Kriterien wir unsere Lebensmittel auswählen, unser Anteil an einer industrialisierten Landwirtschaft ist. Nachher erst ärgern wir uns über die Folgen dessen. Das sollte für uns alle Anlaß sein, noch einmal darüber nachzudenken. Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit. ({3})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Für die SPDFraktion gebe ich der Kollegin Heidi Wright das Wort.

Heidemarie Wright (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002832, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Die Europäische Union besteht weiß Gott nicht aus Bananenrepubliken, wenngleich wir ein europäisches Bananenproblem haben. Die EU besteht aus 15 Nationen, die sich in europäischen Verträgen, Richtlinien und Rechtsakten ihren politischen und administrativen Rahmen geben. So wurde im Oktober 1995 die Richtlinie 95/53 des Rates mit den Grundregeln für die Durchführung der amtlichen Futtermittelkontrollen erlassen. Weiter hat die Europäische Union einen Ständigen Veterinärausschuß und ein Schnellwarnsystem. So weit, so gut, wenn nicht ein Dioxinskandal via Belgien uns wieder einmal eines Schlechteren belehren würde. Zum Schnellwarnsystem. Vor dem Warnen gibt es ja erst einmal Warnsignale, zum Beispiel wenn Hühner schlecht schlüpfen, ein schlechtes Legeverhalten haben oder von der Stange fallen - nein, da sitzen sie ja schon längst nicht mehr. Wenn diese Warnsignale jedoch, wie in unserem Nachbarland Belgien, nicht schnell beachtet, sondern unverantwortlich langsam, ja in unglaublicher Ignoranz mißachtet werden, wird einem Skandal der Weg bereitet, der in seinem Sog mehr und mehr Bereiche mit sich zieht. Die Folgen sind horrende betriebswirtschaftliche und volkswirtschaftliche Schäden und wieder einmal ein politisches Chaos, das seinesgleichen nur im BSE-Skandal findet. Kurz zum Ablauf und zum belgischen Umgang mit dem Schnellwarnsystem. Am 19. März wurde das belgische Landwirtschaftsministerium über Probleme in einigen Tierbeständen unterrichtet und brauchte bis zum 26. April, um in Analysen hohe Dioxinkonzentrationen aufzuzeigen. Jedoch weder am 19. März noch am 26. April warnte das belgische Landwirtschaftsministerium schnell, sondern erst, nachdem Domino um Domino fielen, am 27. Mai in einer Pressemitteilung. Die politische Mißachtung der europäischen Ebene macht diesen Skandal, der - das betone ich - ein Skandal in der Entsorgungsbranche ist, erst wirklich zu einem Desaster für die Futtermittelbranche sowie zu einem Fiasko für die belgische Landwirtschaft und ist ein schwerer Schaden für den gesamten Verbraucherschutz. Festzuhalten ist: Für die deutschen Verbraucher wurde und wird alles getan, um kontaminierte Futter- und Lebensmittel aufzuspüren und zu beschlagnahmen. Festzuhalten ist: Die Bundesregierung hat angemessen und schnell gehandelt. ({0}) Festzuhalten ist: Der deutsche Verbraucher kann sich auf die Mechanismen der deutschen Kontrollsysteme verlassen, und das muß auch so sein. Jede Schludrigkeit und jedes Nachlassen wären fatal. Hier will ich mit erhobenem Zeigefinger in Erinnerung rufen, daß manches Mal über diese besonderen deutschen Kontrollen gestöhnt wurde und der Blick gerade in die belgische Nachbarschaft gerichtet wurde, wo alles nicht so stur deutsch kontrolliert wird. Ich denke, Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser. Dies gilt insbesondere im Zusammenhang mit landwirtschaftlicher Produktion. Wir dürfen doch mit gutem Selbstbewußtsein unseren Verbrauchern gegenüber sagen, daß alles getan wird, um die Lebensmittelsicherheit ständig zu erhöhen. So gibt es - um dies bei dem Skandalgift Dioxin aufzuzeigen - in Deutschland eine eigene Bund-LänderArbeitsgruppe Dioxin. Aber natürlich ist der Verbraucher auch selbst gefragt. Wer nur das billigste Lebensmittel nachfragt, wer die Frage nach der Herkunft erst dann stellt, wenn der Skandal in der Zeitung steht, wer sich nicht darum schert, wo, wie und von wem produziert wird, hat zwar natürlich ein Anrecht auf Lebensmittelsicherheit, aber er macht diesen Weg der Lebensmittelsicherheit immer schwerer. Deshalb sage ich: Sicherheit, Kontrolle und Qualität haben ihren Preis, der auch offensiv zu vertreten ist. Dieser Preis macht sich im Bauernladen, in der Metzgerei, aber auch an der Konsumtheke in Mark und Pfennig fest. ({1}) Ich habe in dieser Woche meinen Futtermittelhersteller vor Ort aufgesucht, von dem ich weiß, daß er keiner der ganz großen, aber einer der ganz tollen ist. Dort werden nämlich über die staatliche Kontrolle hinaus eine betriebseigene Laborüberwachung und eine Wareneingangskontrolle durchgeführt. Das kostet natürlich etwas, zunächst den Betrieb, dann den Abnehmer, schafft aber auch etwas, nämlich Vertrauen und Sicherheit. Davon können wir nicht genug haben. Vielen Dank. ({2})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Als nächster Redner hat das Wort der Kollege Peter Bleser von der CDU/CSU-Fraktion.

Peter Bleser (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000198, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Auch wenn es weh tut, ich muß es noch einmal sagen: Diese Aktuelle Stunde ist aus parteitaktischen Gründen zustande gekommen, ({0}) weil die Sozialdemokraten gefürchtet haben, das Schröder/Blair-Papier zu diskutieren. ({1}) Ich kann das nur so werten, daß Sie eine panische Angst vor den Folgen der Eskapaden Ihres Bundeskanzlers und vor der Diskussion hier im Plenum haben. ({2}) Trotzdem hat diese Aktuelle Stunde etwas Gutes. ({3}) Deshalb ist sie notwendig. Das Thema ist es auch wert, in diesem Saal diskutiert zu werden. Der Dioxinskandal in Belgien hat für mich zunächst einmal drei Aspekte. Erstens: die strafrechtliche Verfolgung der Täter. Zweitens: die politischen Konsequenzen, die daraus zu ziehen sind. Drittens: Wie können wir das Vertrauen der Verbraucher dauerhaft zurückgewinnen? Es ist für mich eine Selbstverständlichkeit, daß bei der Verfolgung der Verantwortlichen für diesen schlimmen Lebensmittelskandal die volle Härte des Gesetzes angewendet wird. ({4}) Der Schaden allerdings, der über 2 000 landwirtschaftlichen Betrieben, die dieses Futter ahnungslos verwandten, entstanden ist, aber auch der Schaden der Handelsunternehmen und der Verbraucher, muß ersetzt werden. Ich verlange diesen Ersatz zur Not auch vom belgischen Staat, wenn bei den Unternehmen nichts mehr zu holen sein sollte. ({5}) Darüber hinaus haben die politisch Verantwortlichen, wenn sie es noch nicht getan haben, die Konsequenzen zu ziehen. Auch die Mitwisserschaft über einen Lebensmittelskandal muß geahndet werden. Offensichtlich funktioniert nämlich die Unterrichtung zwischen den Mitgliedstaaten der EU überhaupt nicht; denn sonst wäre es kaum vorstellbar, daß sowohl der französische wie auch der niederländische Landwirtschaftsminister ihr frühzeitiges Wissen über diesen Futtermittelskandal, der mittlerweile mehrere Staaten umfaßt, für sich behalten konnten. Der Bundesregierung will ich keinen Vorwurf über die Art und Weise machen, wie sie nach dem Bekanntwerden der Ereignisse reagiert hat. Was ich Ihnen aber vorwerfe, ist, daß Sie nach diesem Lebensmittelskandal, der nur das vorläufige Ende einer Serie darstellt - ich erinnere nur an den BSE-Skandal -, keine weitreichenden Veränderungen in der europäischen Agrarpolitik durchsetzen wollen. Im Gegenteil: Mit den AgendaBeschlüssen wird die europäische Agrarpolitik völlig an den Interessen der Verbraucher und der Landwirte vorbei in eine Sackgasse manövriert. ({6}) Die Verbraucher haben nach diesem Vorfall, bei dem Abfälle in Futtermittel gemischt wurden, den letzten Rest von Vertrauen in die europäische Agrarpolitik verloren. Es dreht sich einem buchstäblich der Magen um, wenn man daran denkt, was für Schweinereien in Europa möglich sind. Wir brauchen erstens eine offene Deklaration bei den Futtermitteln. ({7}) Ich weiß, daß ich damit eine eventuell etwas unbequeme Haltung einnehme. Wir brauchen zweitens eine Verschärfung der Strafvorschriften, eine Verbesserung der Kontrolle und eine Verbesserung der Informationsstränge innerhalb der EU. ({8}) Wir brauchen drittens eine generelle Änderung der europäischen Agrarpolitik, die sich an den Wünschen und den Qualitätsvorstellungen der Verbraucher orientiert. ({9}) Dabei darf die wissenschaftliche Unbedenklichkeit von Nahrungsmitteln nicht das einzige Kriterium dafür sein, was erlaubt ist und was nicht. Vielmehr müssen auch der vorbeugende Verbraucherschutz und die Art und Weise der Produktion berücksichtigt werden. Tierschutz, Umweltschutz und Erhalt der Kulturlandschaft stehen für die meisten Verbraucher in einem engen Zusammenhang mit der Qualität von Lebensmitteln. ({10}) Ich fasse zusammen und komme zum Schluß: Der belgische Lebensmittelskandal wird nicht der letzte sein, wenn wir es nicht schaffen, von der Weltmarktideologie im Nahrungsmittelbereich wegzukommen. In dieser Ideologie wird das Produzieren von Schrauben mit der Produktion von Nahrungsmitteln auf eine Ebene gestellt. Die Ernährung jedoch gehört für die Menschen zu den sensibelsten Angelegenheiten. Die Politik hat deshalb die Pflicht, die Bedürfnisse unserer Mitbürger in den Mittelpunkt zu stellen. An diesem Kriterium gemessen, Herr Minister Funke - jetzt sind Sie wieder an der Reihe -, ist der unter Ihrer Moderation zustande gekommene Agenda-2000-Beschluß der Weg in die falsche Richtung. ({11}) Ich fordere Sie auf, im Rahmen der WTO-Verhandlungen für eine Umkehr dieser Politik zu sorgen. Für uns in der CDU/CSU jedenfalls sind der Schutz der Gesundheit, eine artgerechte Haltung und Fütterung von Tieren ({12}) sowie der Erhalt unserer Kulturlandschaft über wirtschaftliche Erwägungen zu stellen. Ich bedanke mich. ({13})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Als nächste Rednerin hat die Kollegin Ulrike Höfken, Bündnis 90/Die Grünen, das Wort.

Ulrike Höfken-Deipenbrock (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002680, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Mir bleibt ja glatt die Sprache weg. Peter Bleser kommt - sozusagen geklärt durch die neue Oppositionsrolle - zu richtigen Erkenntnissen. ({0}) Er gehörte einer Bundesregierung an, die jahrelang verhindert hat, daß es zu einer verbraucher-, umwelt- und tiergerechten Produktion kommt. Ich meine, man hat ja Gelegenheit, immer neu zu lernen. Ich hoffe, da gibt es entsprechende Konsequenzen. Um die politischen Konsequenzen geht es in diesem Fall tatsächlich. Ich will ein bißchen Wasser in den Wein schütten. Also, unsere Minister in Deutschland, Frau Fischer und Herr Funke, können so genial sein, wie sie wollen. ({1}) Sie haben schnell und gut gehandelt. Aber so, wie die Situation ist, können sie nur Nachsorge betreiben. Das Kind ist schon in den Brunnen gefallen. Das heißt, man muß sich doch hier über die Ursachenbekämpfung und über eine neue, qualitativ ausgerichtete Agrarpolitik Gedanken machen. Da haben wir natürlich auch Konsequenzen zu ziehen. Das ist richtig. Ich will aber noch ein Wort darüber verlieren, um was es hier eigentlich geht. Das geht in der Diskussion wo immer gesagt wird, wir in Deutschland sind so sicher - ein wenig verloren. Wir leben im Binnenmarkt. Genau da fangen ja die Schwierigkeiten an. Tonnenweise gehen jeden Tag die belgischen Lebensmittel über die Grenze: als Rohstoffe für unsere Verarbeitungsindustrie. Auf den Produkten steht dann zwar ein deutscher Name drauf: Produkt sowieso, in Ulm oder sonstwo hergestellt, aber natürlich sind darin Rohstoffe aus allen Ländern Europas enthalten. Das macht das Problem nun gerade aus. Bei Dioxinen - um das noch einmal ganz klar zu sagen - handelt es sich wirklich um die giftigsten Stoffe, die es überhaupt gibt. Selbst kleinste Konzentrationen kaum über der Nachweisgrenze - sind schädigend. Man kann das in Experimenten sehen. Schon nach kurzer Expositionszeit sind beispielsweise befruchtete Fischeier schwer geschädigt, bei Konzentrationen, die etwa in einer Menge von einem Mikrogramm pro Tonne vorhanden sind. Es handelt sich hier um 80 Tonnen verseuchter Futtermittel. Man kann sich leicht vorstellen, welche Dimensionen eine solche Schädigung annehmen kann. Hier geht es nicht um Panikmache, sondern darum, sich einfach bewußt zu werden, was für ein Spiel getrieben und mit welcher Fahrlässigkeit hier Körperverletzung betrieben wird. Aber, es ist auch schon erwähnt worden, da ist auch der wirtschaftliche Schaden. In Belgien, sagt man, beläuft er sich zur Zeit auf 1,6 Milliarden DM. Würde man ihn in Deutschland schätzen, käme man, glaube ich, auf ähnliche Summen. Das sind enorme Summen, die den Bauern und der verarbeitenden Industrie einfach so zur Last fallen. Das ist wirklich ein Skandal. Was mich maßlos ärgert, ist, daß bis heute die Listen, die ja angeblich vorhanden sein sollen, nicht vorliegen. Wir haben heute das Inkrafttreten der Dringlichkeitsverordnung. Aber die Verarbeiter, die beispielsweise aus Belgien Rohstoffe beziehen und bezogen haben, haben diese Liste der angeblich lokalisierten Betriebe nicht. Das heißt, hier wird doch von Dehaene, dem belgischen Ministerpräsidenten, im Rahmen des Wahlkampfes die Situation noch weiter ausgenutzt und unter Wahlkampfgesichtspunkten bewußt und fahrlässig weiterer Schaden initiiert. Ich denke, eine solche Regierung darf wirklich nicht mehr unterstützt werden und wird das hoffentlich von den Wählerinnen und Wählern auch nicht mehr, wenn die Wahl ansteht. Aber zu Deutschland. Ich denke, wir müssen uns intensiv dafür einsetzen, daß es zu einer EU-weiten und deutschlandweiten offenen Deklaration aller Inhaltsstoffe der Futtermittel kommt. Das erhöht die Transparenz. Auch wenn immer von krimineller Energie gesprochen wird: Transparenz ist ein wichtiges Gegenmittel gegen diese kriminelle Energie. ({2}) Außerdem brauchen wir EU-weite Sicherheitsstandards. Das ist doch auch die Konsequenz aus diesem Skandal. Sowohl im Kontrollbereich als auch im Standardbereich muß es ein EU-weites Vorgehen geben. Man braucht auch eine entsprechende Personalausstattung, sowohl bei den Ländern als auch auf der Bundes- und der EU-Ebene. Dafür muß Sorge getragen werden. Als letztes will ich noch sagen: Wir als Grüne stehen für eine umweltgerechte und ökologische Produktion und für eine Stärkung dieser Produktionsarten. Dafür stehen wir auch mit unserem Europaprogramm. Wir wollen erreichen, daß diese Art und Weise der Produktion, die dazu beiträgt, solche Schäden überhaupt zu verhindern, europaweit gestärkt wird und daß auch dies im Rahmen des Europäischen Parlaments mit einer starken grünen Fraktion der Fall ist. Danke. ({3})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Als nächste Rednerin hat die Kollegin Jella Teuchner von der SPD-Fraktion das Wort.

Jella Teuchner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002816, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die bekannte Chronologie der Ereignisse zeigt eine Seite des Dioxinskandals auf. Die belgische Informationspolitik läßt sich nur mit mangelndem Verantwortungsbewußtsein erklären. Statt wie vorgeschrieben die Kommission und die EU-Mitgliedstaaten sofort nach Bekanntwerden der Vergiftung von Hühnerfutter zu informieren, wurde gewartet, bis die durch dieses Futter belasteten Lebensmittel bereits verbraucht wurden. Die andere Seite des Skandals ist der Verkauf von dioxinbelasteten Fetten. Noch ist nicht klar, wie das Dioxin in die Fette gelangte. Ein beim Umgang mit Lebensmitteln in keinster Weise angemessener Mangel an Sorgfalt ist eine Möglichkeit. Das Ergebnis dieses Skandals sind zu Recht verunsicherte Verbraucher und ein Verlust an Vertrauen in Lebensmittel. Daran ändert auch die Tatsache nichts, daß nach dem jetzigen Stand der Dinge in deutschen Lebensmittel keine erhöhten Dioxinwerte festgestellt wurden. Festzuhalten bleibt allerdings, daß die bestehenden Kontrollen nicht ausreichten, Lebensmittel vor Schlamperei und Verantwortungslosigkeit zu schützen. Die Vergiftung eines Rohstoffes der Futtermittelherstellung wurde erst durch die Erkrankung damit gefütterter Hennen festgestellt. Notwendige Schutzmaßnahmen konnten nicht oder nur sehr verspätet ergriffen werden, weil eben versäumt wurde, schnell und umfassend zu informieren. Wegen der schwerwiegenden Versäumnisse - Einzelheiten der seit März bekannten Vergiftungen wurden erst im ständigen Futtermittelausschuß am 31. Mai bekanntgegeben - droht der belgischen Regierung die Einleitung eines Verfahrens wegen Vertragsverletzung durch die Europäische Kommission. Sollte sich herausstellen, daß den Produzenten der vergifteten Fette oder einem Zulieferer rechtswidriges Verhalten nachgewiesen werden kann, müssen harte Strafen folgen. Das ist heute auch schon des öfteren gesagt worden. Um allerdings das Vertrauen der Verbraucher in die Unbedenklichkeit der Lebensmittel wiederherzustellen, werden diese Maßnahmen alleine nicht ausreichen. Es muß sichergestellt werden, daß die Vergiftung von Lebensmitteln in Zukunft festgestellt wird, bevor die vergifteten Lebensmittel gegessen werden. ({0}) Der Dioxinskandal muß daher weitreichende Konsequenzen haben: eine Überprüfung der europäischen Vorschriften zur Verwendung von Rohstoffen in Futtermitteln und eine verstärkte Überwachung der vorgeschriebenen Durchführung von Lebensmittelkontrollen. Es muß ausgeschlossen werden, daß über Futtermittel Lebensmittel vergiftet werden. Wenn die Verwendung aufbereiteter Fette für Futtermittel das Risiko einer Vergiftung von Lebensmitteln mit sich bringt, dann dürfen diese eben nicht verwendet werden. Wenn die Unbedenklichkeit der Tiermehlfütterung nicht sichergestellt werden kann, dann muß eben auf die Tiermehlfütterung verzichtet werden. ({1}) Die europäischen Vorschriften müssen in diesem Sinne überprüft und eventuell auch angepaßt und harmonisiert werden. Denkbar wäre es zum Beispiel, nur Futter aus einheimischen Futtermitteln zuzulassen. Ebenso muß aber auch sichergestellt werden, daß die vorgeschriebenen Lebensmittelkontrollen durchgeführt und die notwendigen Konsequenzen aus den Ergebnissen der Lebensmittelkontrollen gezogen werden. Für die Lebensmittelkontrollen sind die einzelnen EU-Mitgliedstaaten verantwortlich. Die Durchführung der Lebensmittelkontrollen muß in Zukunft auch durch die EU kontrolliert werden. Wir müssen uns dafür einsetzen, daß auf EU-Ebene die Standards bei der Probenahme und auch bei den Untersuchungsverfahren an Lebensmitteln vereinheitlicht werden; denn nur dann können wir von einem gleichen Niveau ausgehen. Eine Maßnahme zur Stärkung des Vertrauens in die Unbedenklichkeit der Lebensmittel muß auch eine Verbesserung der Kennzeichnung von Lebensmitteln sein. Die vollständige Deklaration von Inhaltsstoffen, wie sie heute freundlicherweise auch vom Kollegen Bleser angesprochen wurde, sollte genauso eine Selbstverständlichkeit sein wie die Herkunftsangabe der Lebensmittel im Klartext. Aus dem Dioxinskandal müssen Konsequenzen gezogen werden. Mängel in der Lebensmittelkontrolle müssen aufgedeckt werden. Die Verantwortung gegenüber dem Verbraucher steht im Umgang mit Lebensmitteln an erster Stelle. Der Verbraucher muß sich auch in Zukunft darauf verlassen können, daß die Vorschriften eingehalten werden und daß er gesunde Lebensmittel bekommt. ({2})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Als nächster Redner hat der Kollege Peter Altmaier von der CDU/CSU-Fraktion das Wort.

Peter Altmaier (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002617, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der eigentliche Skandal, Frau Ministerin Fischer und Herr Minister Funke, besteht doch darin, daß wir jetzt - nur wenige Monate nach dem BSE-Skandal - schon wieder einen Lebensmittelskandal in der Europäischen Union haben, bei dem die Öffentlichkeit um Wochen zu spät, unvollständig und dann auch noch widersprüchlich informiert wird. Die Politik aus allen Mitgliedsländern steht offenbar hilflos vor diesem Skandal. Sie rennt den Ereignissen hinterher, statt sie zu gestalten; sie ist nicht imstande, rechtzeitig Abhilfe zu schaffen, und offenbar auch außerstande, Lehren aus den Skandalen der Vergangenheit zu ziehen. Dann dürfen wir uns doch nicht wundern, wenn sich die Verbraucher - auch bei uns in Deutschland - die Fragen stellen, was sie überhaupt noch essen dürfen, wie sie geschützt werden, welches Ei unbedenklich ist und welches nicht! Es ist rührend, daß die Vertreter der Koalition der Regierung ein Unbedenklichkeitsattest ausstellen, obwohl wir sie noch nicht einmal angegriffen und bislang keinerlei öffentliche Vorwürfe gegen die Bundesregierung erhoben haben. ({0}) - Ja, Herr Kollege Schmidt, für den Bürger - das ist das Entscheidende - ist es völlig egal, ob das Versagen in Belgien, bei der Europäischen Kommission, bei der deutschen Bundesregierung oder sonstwo zu lokalisieren ist. Der Bürger erwartet von der Politik insgesamt, daß sie dafür sorgt, daß er seine Lebensmittel ohne Bedenken kaufen und verzehren kann. ({1}) Wenn wir vermeiden wollen, daß ein Vertrauensverlust entsteht, müssen wir dafür sorgen, daß Konsequenzen gezogen werden: Erstens. Herr Minister Funke, wir sind uns einig, daß in diesem Fall der Fehler in erster Linie bei der belgischen Regierung liegt. Welche Konsequenzen werden denn daraus gezogen? Ist die Bundesregierung bereit, die Kommission zu ermuntern, ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Belgien einzuleiten? ({2}) Denn das ist die Voraussetzung, damit in der Folge dieses Skandals Amtshaftungs- und Entschädigungsansprüche geltend gemacht werden können. ({3}) Zweitens. Ein ähnlicher Skandal kann sich jederzeit in einem anderen EU-Mitgliedstaat wiederholen. Welche Schlußfolgerungen ziehen wir daraus auf europäischer Ebene? Herr Minister und Frau Ministerin, ist die Bundesregierung bereit, darüber nachzudenken, ob man in Zukunft der Kommission das Recht einräumt, unmittelbare Kontrollen vor Ort - unangemeldet und in jedem Betrieb - durchzuführen? ({4}) Es gibt einen entsprechenden Kommissionsvorschlag, der im Ministerrat bisher keine Mehrheit gefunden hat. Die Kommission kann zwar die Kontrolleure kontrollieren; aber sie hat keine Möglichkeit, direkt in die Betriebe zu gehen. Was nutzen uns die besten Kontrollen in Deutschland oder sonstwo, wenn es in anderen Mitgliedstaaten laxere Kontrollen gibt, die sich über den Export auch bei uns auswirken? Drittens. Das Frühwarnsystem, das wir in der Richtlinie über die Produkthaftung festgelegt haben, muß überprüft und verschärft werden. Es ist so, daß die belgische Regierung diese Richtlinie offenbar anders als die Kommission und alle anderen Mitgliedstaaten auslegt. Wäre es nicht eine Überlegung wert, eine Mißachtung der Informationspflichten in dieser Richtlinie durch ganz konkrete Geldbußen für den betroffenen Mitgliedstaat zu sanktionieren, um deutlich zu machen, daß die Informationen, wenn sie vor Ort vorhanden sind, auch weitergegeben werden müssen, und zwar nicht erst mit mehrwöchiger Verspätung? Viertens. Der Kollege Bleser hat die Futtermittelverordnung angesprochen. Es gibt einen Vorschlag der Europäischen Kommission, nach dem darauf verzichtet werden soll, Tiermehl zu Futtermitteln zu verarbeiten. Die Mitgliedstaaten sind dieser Empfehlung bislang nicht gefolgt. Mich würde interessieren, Herr Minister Funke, ob die Bundesregierung denn bereit ist, mit gutem Beispiel voranzugehen und festzuschreiben, daß Tiermehl, das von Kadavern verendeter Tiere stammt, nicht mehr verarbeitet werden darf. Meine Damen und Herren, die heutige Aktuelle Stunde hat sich dann gelohnt, wenn nicht nur Beruhigungspillen für die Öffentlichkeit verteilt und Fensterreden gehalten werden, sondern wenn die Bundesregierung ihre Ratspräsidentschaft, die noch drei Wochen dauern wird, dazu nutzt, aus diesem Skandal die Lehren zu ziehen, wenn es konkrete Arbeitsaufträge an die Europäische Kommission gibt und wenn der Wille der politisch Verantwortlichen deutlich wird, das, was als notwendig erkannt worden ist, auch endlich umzusetzen. Vielen Dank. ({5})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Als nächster Redner hat das Wort der Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten, Karl-Heinz Funke.

Karl Heinz Funke (Minister:in)

Politiker ID: 11005293

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lassen Sie mich eines vorweg sagen: Ich bin sehr dankbar, daß wir im Grundsatz einig sind über das, worum es hier geht, und auch über die Schlußfolgerungen, die zu ziehen sind. Ich finde es auch sehr gut, daß dieser Skandal in dieser sachlichen Form diskutiert wird. Ich schließe mich völlig denen an, die darauf hingewiesen haben, daß die Kennzeichnungsregelungen vielfältigster Art, die wir in Europa haben, unvollkommen sind. Wir haben einige Kennzeichnungsregelungen, aber längst nicht in der gebotenen Klarheit und in dem notwendigen Umfang. ({0}) Ich bin Ihnen außerordentlich dankbar, Frau Kollegin Sehn, daß Sie auch darauf hingewiesen haben, daß man nicht immer sofort nach neuen Regelungen, nach neuen Sanktionsmechanismen rufen sollte - was die Bestrafung anbelangt, sind wir uns einig -, sondern daß man zu prüfen hat, ob das, was wir haben, ausreicht, ob nicht der Mangel vielmehr im Vollzug liegt. Ich glaube, so ist es: Im Regelungs- und Maßnahmenvollzug liegt die entscheidende Ursache auch für das, was wir hier als Skandal zu bezeichnen haben. Herr Kollege Altmaier, es ist nämlich so: Das Vertragsverletzungsverfahren bezieht sich ausdrücklich auch auf die Richtlinie, die Belgien an sich dazu gezwungen hätte - das ist das Schnellmeldeverfahren -, sofort die entsprechenden Institutionen der Europäischen Kommission und die Mitgliedstaaten zu unterrichten. Das ist also ein Teil dieses Vertragsverletzungsverfahrens. Im übrigen sind wir uns völlig darüber einig - die Bundesregierung hat das von Anfang an gesagt -, daß dieses Vertragsverletzungsverfahren anzustreben ist. Da geht es um die Frage: Wer haftet eigentlich für die umfänglichen Schäden in allen Bereichen, die betroffen sind? Das geht bis hin zu der Frage: Wer bezahlt eigentlich die umfangreichen Kontrollen, die zusätzlich - teuer genug - durchgeführt werden müssen? Wir haben bereits Ende Mai, als diese Thematik aufkam, mit dem Agrarkommissar darüber geredet - das ist genau das, was Sie eben angesprochen haben; darin waren wir in der gemeinsamen Sitzung des Ernährungsund des Gesundheitsausschusses auch völlig einig -, daß es darauf ankommt, daß die EU auch kontrolliert, ob das, was längst zwingend vorgeschrieben und geboten ist, auch in allen Mitgliedstaaten enstprechend umgesetzt und vollzogen wird - das ist das Entscheidende -, damit nicht in dem einen Mitgliedstaat so gehandelt wird, während ein anderer großzügig darauf verzichtet oder unter ganz anderen Voraussetzungen darangeht. Wir müssen zur Kenntnis nehmen, daß sich hier seit dem 1. Januar 1993, mit dem gemeinsamen Markt, gegenüber früher etwas geändert hat und daß eine solche Aufsicht, eine solche Kontrolle der Kontrolle, unbedingt notwendig ist. Ich schließe mich dieser Forderung ausdrücklich an. Ihre Fragen, ob die Bundesregierung das nachdrücklich unterstützt, kann ich also eindeutig mit Ja beantworten. Das ist bereits in den ersten Tagen, an denen wir uns mit diesem Thema auseinanderzusetzen hatten, geschehen. Ich will Ihnen etwas sagen, was Holland und auch Frankreich anbelangt, damit da nicht irgendwelche Legenden geboren werden. Auch Holland und Frankreich sind zu spät, allerdings eher als wir, und zwar per Fax informiert worden - ich habe mir das von der zuständigen holländischen Staatssekretärin schildern und bestätigen lassen -, also auch völlig unzureichend, als wäre das ein Geschäftsgang unbedeutender Art, der sich nebenbei vollzöge. Auch sie sind entschieden zu spät informiert worden. Entsprechende Kritik ist auch dort geübt worden. Ich will noch auf einen Gedankengang hinweisen, weil ich meine, daß wir uns jetzt auch darum zu kümmern haben - wir tun das -: Das sind die Maßnahmen, die Drittländer ergriffen haben. Sie haben zum Beispiel auch den Import - aus unserer Sicht den Export - deutscher Waren generell gesperrt. Ich halte diese Maßnahmen von Drittländern für völlig unakzeptabel. Wir haben die Botschaften eingeschaltet, den CMAAbsatzfonds bemüht, um deutlich zu machen, daß man nicht etwa wegen dieser Vorfälle in Belgien deutsche Waren nicht mehr importieren kann. Ich hielte es für schlimm, wenn die Lebensmittelbranche und die Landwirtschaft bei uns auf diese Weise in Mitleidenschaft gezogen würden. Wir haben entsprechende Maßnahmen ergriffen. ({1}) Ich will noch ganz schnell zwei Gedanken aufgreifen. Ich war doch sehr überrascht über das, was die Kollegin Naumann hier zum ökologischen Landbau, zur regionalen Vermarktung gesagt hat, als sei das nun das Mittel, um mit solchen Skandalen fertig zu werden. In den fünf neuen Ländern sprechen Sie immer von „unseren Strukturen“. Die Strukturen, die dort überwiegend bestehen, sind lediglich dazu geeignet, für anonyme Märkte zu produzieren. Wenn Sie konsequent sind, legen Sie jetzt Umstruktierungsprogramme für einen Großteil der Landwirtschaft in den fünf neuen Ländern vor, sonst machen Ihre Äußerungen wirklich keinen Sinn. ({2}) In der Heimat des Kollegen Bleser, dessen Argumente ich auch nicht ganz nachvollziehen kann, wären die Strukturen eher dazu geeignet, so etwas zu machen, in den fünf neuen Ländern aber überhaupt nicht. Ich bitte auch darum, technische Unfälle, die es zugegebenermaßen in Betrieben gegeben hat und immer wieder gibt, nicht mit diesem Lebensmittelskandal in Belgien zu vergleichen. Dagegen wehre ich mich entschieden. Damit betreibt man keine Aufklärung, sondern wiederum Verschleierung, nur von einer anderen Seite her. Das können wir nicht gebrauchen. Es hilft auch nicht, auf die Agenda zu verweisen. Es scheint, daß man die Agenda für alles verantwortlich machen kann. Ich bin überzeugt, daß dann, wenn es im kommenden Winter eine überdurchschnittliche Zunahme von Wintersportunfällen gibt, der Agenda dafür die Schuld gegeben wird. Ich sehe das kommen, daß einige es so drehen werden, daß die Agenda sowie Funke und Fischer dafür verantwortlich sind. Von mir aus sollen sie das machen. Aber weder durch die Agenda noch durch die Weltmarktorientierung oder die Globalisierung ist es zu diesem Skandal gekommen. Ich möchte deutlich sagen, daß er nicht durch die Globalisierung zustande gekommen ist. Allenfalls könnte man anmerken ich halte auch diese Konstruktion schon für gewagt; Sie von der CDU/CSU dürfen da ruhig mit dem Kopf schütteln -, daß der Binnenmarkt am 1. Januar 1993 geschaffen wurde, ohne zu fragen, welche zusätzlichen Maßnahmen bei der Lebensmittelkontrolle und -überwachung, in der Veterinärüberwachung und der Gewerbeaufsicht notwendig sind, um mit einem größeren Markt ohne Grenzen fertig zu werden. Ich könnte es nachvollziehen, wenn das Problem in diesem Zusammenhang gesehen wird; einen anderen kann ich überhaupt nicht sehen. Das, was Sie, Herr Kollege Bleser, zu WTO II und zu den Gesundheitsstandards gesagt haben, halte ich für richtig. Im Gegensatz zur früheren Bundesregierung werden wir darauf drängen, daß solche Standards bei den WTO-Verhandlungen eine Rolle spielen. Vielen Dank, meine Damen und Herren. ({3})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Es sind zwei Reden, nämlich die des Kollegen Dr. Harald Kahl und die der Kollegin Helga Kühn-Mengel, zu Protokoll gegeben worden.*) Ich hoffe, daß Sie damit einverstanden sind. Damit sind wir am Ende dieser Aussprache und am Schluß der Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Mittwoch, den 16. Juni 1999, 12 Uhr ein. Die Sitzung ist geschlossen.