Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Die Sitzung ist eröffnet.
Zunächst möchte ich einigen Kollegen nachträglich
jeweils zu ihrem 60. Geburtstag gratulieren. Die Kollegin Heide Mattischeck feierte am 26. Mai ihren
60. Geburtstag,
({0})
der Kollege Bernd Schmidbauer am 29. Mai
({1})
und der Kollege Hans-Christian Ströbele am 7. Juni;
ich spreche ihnen im Namen des Hauses die herzlichsten
Glückwünsche aus.
({2})
Ich rufe Tagesordnungspunkt 1 auf:
Beratung des Antrags der Bundesregierung
Deutsche Beteiligung an einer internationalen
Sicherheitspräsenz im Kosovo zur Gewährleistung eines sicheren Umfeldes für die Flüchtlingsrückkehr und zur militärischen Absicherung einer Friedensregelung für das Kosovo
auf der Grundlage der Resolution 1244 ({3})
des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen
vom 10. Juni 1999
- Drucksache 14/1133 Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuß ({4})
Rechtsausschuß
Verteidigungsausschuß
Ausschuß für Menschenrechte und humanitäre Hilfe
Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung
Haushaltsausschuß
Sie wissen, daß eine Aussprache nicht jetzt, sondern
erst nach Vorliegen der Ausschußbeschlußempfehlung
zu dem Antrag der Bundesregierung vorgesehen ist.
Ich weise darauf hin, daß interfraktionell die Überweisung des Antrags der Bundesregierung auf Drucksache 14/1133 an die in der Tagesordnung aufgeführten
Ausschüsse vorgeschlagen wird. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so
beschlossen.
Zu den Ausschußberatungen unterbreche ich jetzt die
Sitzung - in meinem Sprechzettel steht: für voraussichtlich eine Stunde. Aber nach dem, was ich aus den Fraktionen höre, und angesichts der Tatsache, daß die beteiligten Ausschüsse gestern sehr ausführlich diskutiert haben, denke ich, daß es mit den Ausschußberatungen unter Umständen schneller gehen wird. Darauf bitte ich
sich einzurichten. Der Wiederbeginn der Sitzung wird
rechtzeitig durch Klingelsignal und über die Hausrufanlage angekündigt - Herr Bundeskanzler, bis ins Kanzleramt hinein.
Die Sitzung ist unterbrochen.
({5})
Liebe Kolleginnen
und Kollegen, die unterbrochene Sitzung ist wieder eröffnet.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 2 auf:
Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses ({0}) zu dem Antrag der Bundesregierung
Deutsche Beteiligung an einer internationalen
Sicherheitspräsenz im Kosovo zur Gewährleistung eines sicheren Umfeldes für die Flüchtlingsrückkehr und zur militärischen Absicherung einer Friedensregelung für das Kosovo
auf der Grundlage der Resolution 1244 ({1})
des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen
vom 10. Juni 1999
- Drucksache 14/1133, 14/1136 Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Christoph Zöpel
Karl Lamers
Dr. Helmut Lippelt
Ulrich Irmer
Wolfgang Gehrcke
Ich weise darauf hin, daß wir nach der Aussprache
über die Beschlußempfehlung namentlich abstimmen
werden.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache zwei Stunden vorgesehen, wobei die
Fraktion der F.D.P. 15 Minuten erhalten soll. - Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Bundesminister des Auswärtigen, Joschka Fischer.
Joseph Fischer, Bundesminister des Auswärtigen
({2}): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Gestern war für die betroffenen Menschen im Kosovo, in Mazedonien, in Albanien, aber auch in Serbien,
für uns alle in ganz Europa ein sehr guter, ja ein historischer Tag. Die Waffen schweigen. Der Frieden im Kosovo ist jetzt, nachdem die VN-Sicherheitsratsresolution verabschiedet wurde, erreichbar; er ist in Sicht. Der
Abzug der serbischen Truppen aus dem Kosovo hat begonnen. Die NATO hat ihre Luftschläge nach elf Wochen ausgesetzt. Auf diesen Tag haben die Menschen im
Kosovo und in Serbien, haben wir alle lange gewartet.
Der Krieg wird aber erst dann wirklich zu Ende sein,
Frieden wird erst dann wirklich herrschen, wenn die
letzten bewaffneten Einheiten abgezogen sind und die
internationale Friedenstruppe im Kosovo steht. Doch mit
der gestrigen Einigung besteht die berechtigte Hoffnung,
daß die weit über eine Million Flüchtlinge und Vertriebenen in ihre Heimat zurückkehren können.
Nun kann ein umfassender Friedensprozeß für den
Kosovo und parallel dazu und eng eingebettet darin der
Stabilisierungsprozeß für die Gesamtregion beginnen, an
dessen Ende die Ankoppelung Südosteuropas - ich betone hier ganz bewußt: einschließlich eines demokratischen Serbiens - an das Europa der Integration stehen
muß.
({3})
Dieser Krieg hat nicht vor elf Wochen begonnen. In
Wirklichkeit ist es der vierte Krieg im ehemaligen Jugoslawien in nur acht Jahren, ausgelöst von derselben
Politik, ausgelöst von derselben Regierung, denselben
Verantwortlichen, an deren Spitze Milosevic steht. Wir
hoffen, daß dies der letzte Balkankrieg gewesen ist.
Wenn es gelingt, diese Region an das Europa der Integration heran- und in das Europa der Integration hineinzuführen, besteht die Chance, daß dies der letzte Krieg
in Europa gewesen ist.
Meine Damen und Herren, dies war kein Krieg als
Mittel der Politik, sondern dies war ein Krieg, damit der
Krieg als Mittel der Politik in Europa dauerhaft zugunsten der Herrschaft des Rechts und des Gewaltverzichts
der Vergangenheit angehört.
({4})
Milosevic hat sich mit seiner verbrecherischen Politik
des ethnischen Krieges nicht durchsetzen können und
nicht durchsetzen dürfen. Seine Rechnung, den Westen
spalten zu können, ist nicht aufgegangen. Er ist heute
vor dem internationalen Kriegsverbrechertribunal für
das ehemalige Jugoslawien angeklagt. Ich bin mir
sicher, er wird dort auch zur Rechenschaft gezogen werden. Die erfolgreiche Durchsetzung der Prinzipien der
europäischen Zivilisation gegen die Gewaltherrschaft
von Milosevic ist ein wichtiges Signal, daß in Europa
Menschen- und Minderheitenrechte nicht mehr ohne
Risiko verletzt werden können. Deswegen war der gestrige Tag auch ein großer Tag für die Durchsetzung von
Gerechtigkeit in Europa.
({5})
Die Entwicklung zeigt, daß die Politik der Bundesregierung, getragen von der überwiegenden Mehrheit des
Bundestages, richtig war. Unsere Doppelstrategie bestand zum einen im Vertrauen auf die militärische
Festigkeit im Wissen darum, daß Milosevic sich nicht
durchsetzen darf, weil es dabei nicht nur um eine humanitäre Frage geht, sondern auch darum, in welchem
Europa wir in Zukunft leben wollen und werden, und
zum anderen im Setzen auf eine diplomatische und politische Lösung. Dies haben wir konsequent durchgehalten. So haben wir letztlich gemeinsam mit unseren
Bündnispartnern das Blatt wenden können.
Deutschland hat mit seiner Beteiligung an den
NATO-Luftschlägen eine große Verantwortung übernommen, gerade auch für die beklagenswerten zivilen
Opfer und auch - das möchte ich hier betonen - für die
unschuldigen zivilen Opfer auf serbischer Seite.
({6})
Doch wieviel schlimmer wären die Folgen gewesen,
wenn wir weiter weggeschaut und den brutalen völkischen Vertreibungskrieg hingenommen hätten? Wären
wir dem Rat von Ihnen, Herr Gysi, gefolgt, wäre nicht
nur das Morden und Vertreiben im Kosovo weitergegangen, das ja lange vor dem NATO-Einsatz begonnen
hat, sondern die Stabilität der gesamten Region wäre
weiterhin massiv bedroht worden; mehr noch, die Herrschaft der Gewalt hätte sich in einem Teil Europas gegen die Herrschaft des Rechts durchgesetzt. Das hätte
dieses Europa der Integration auf Dauer nicht ausgehalten.
({7})
Entscheidend für den Erfolg war die Geschlossenheit
der Staatengemeinschaft. Niemand, zuallerletzt diese
Bundesregierung und auch nicht ihre Vorgängerregierung, wollte es zu Gewalt kommen lassen. Für mich ist
Appeasement kein Schimpfwort. Solange es Möglichkeiten gibt, auf Gewalt zu verzichten und eine politische
Lösung herbeizuführen, sollte man dieses unbedingt versuchen. Doch nach drei Balkankriegen, nach langen
qualvollen Verhandlungen, nach Angeboten, die im Interesse Serbiens und Jugoslawiens lagen, aber abgelehnt
wurden, nachdem mit nichtmilitärischen Mitteln alles
Vizepräsident Rudolf Seiters
erfolglos versucht wurde, mußten wir diesmal definitiv militärischen Widerstand leisten. Dies haben wir getan.
Die westlichen Staaten haben dies durchgehalten trotz erheblicher innerer Schwierigkeiten, gerade auch
bei uns. Es war eine der großen Fehlkalkulationen von
Herrn Milosevic, darauf zu vertrauen, daß die NATO
nicht zusammenhalten würde. Deshalb möchte ich mich
namens der Bundesregierung bei der großen Mehrheit
des Bundestages, Herr Präsident, für die volle Unterstützung in dieser schwierigen Zeit, die uns fraktionsübergreifend zuteil wurde, recht herzlich bedanken.
({8})
Der Durchbruch wurde erreicht durch die erfolgreiche
Mission des Sonderbeauftragten von Präsident Jelzin,
Viktor Tschernomyrdin, und des finnischen Präsidenten Ahtisaari und durch die anschließende Einigung der
G-8-Außenminister auf dem Petersberg in Bonn auf den
Entwurf für eine Sicherheitsratsresolution. Diese Einigung war möglich, weil sich Europäer, Amerikaner und
Russen trotz extrem unterschiedlicher innenpolitischer
und historischer Voraussetzungen auf eine Position für
eine dauerhafte europäische Sicherheit und Stabilität geeinigt haben und sich für eine gemeinsame Vorgehensweise entschieden haben. Dies ist ein großer, zukunftsweisender, ein vielleicht historischer Erfolg der Diplomatie gewesen. Wir sollten über den Anlaß und über den
Tag hinaus an diesem Erfolg festhalten, die daraus resultierenden Ergebnisse fortentwickeln und die europäische Sicherheit in diesem Dreieck fest verankern.
Aber auch die geschlossene Haltung der Europäischen Union gilt es zu erwähnen, gerade im Vergleich
zu ihrer Haltung zu Beginn der jugoslawischen Tragödie
1991/92. Dieser Vergleich zeigt: Die Europäische Union
ist heute politisch wesentlich näher zusammengerückt
und handlungsfähiger geworden. Sie hat diesen Konflikt, diesen Krieg auch als Gestaltungschance begriffen,
um das Gewicht und die Handlungsfähigkeit Europas zu
stärken. Deswegen geht unser besonderer Dank an Präsident Ahtisaari, dessen Einsatz den Durchbruch in Belgrad erst möglich gemacht hat.
({9})
Ich möchte aber auch ganz besonders und anerkennend die Haltung Rußlands hervorheben.
({10})
Mein Dank geht an Präsident Jelzin für sein persönliches
Engagement und ganz besonders an Viktor Tschernomyrdin, seinen Sonderbeauftragten, aber auch an
meinen russischen Kollegen Igor Iwanow.
({11})
Der Konflikt zeigt, wie wichtig es ist, daß Rußland Verantwortung für Frieden in Europa übernimmt und sich
konstruktiv verhält. Er zeigt außerdem, wie wichtig es
ist, daß Rußland eine konstruktive Rolle in den Vereinten Nationen sucht. Damit trägt es wesentlich zur Gestaltung nicht nur des europäischen, sondern auch des
Weltfriedens bei.
Ich möchte ganz besonders die nicht nur militärische,
sondern auch diplomatische Schlüsselrolle unseres
wichtigsten Bündnispartners, der USA, betonen. In diesem Zusammenhang nenne ich Madeleine Albright,
Strobe Talbott und ganz besonders Präsident Clinton,
der mit seinem persönlichen Einsatz in den entscheidenden Phasen gemeinsam mit dem Bundeskanzler und mit
Boris Jelzin dazu beigetragen hat, daß dieser Prozeß
vorangegangen ist. Wir sind also den USA ebenfalls zu
tiefem Dank verpflichtet. Ich denke, es ist klargeworden,
daß in diesem Konflikt die Kooperation zwischen Europa, Rußland und den USA letztendlich dazu beigetragen
hat, daß sich diese Politik der ethnischen Kriegsführung,
die, historisch gesehen, die Politik einer blutigen Vergangenheit Europas ist, auf dem Balkan nicht durchsetzen konnte.
({12})
Die Bundesregierung hat ihre Doppelpräsidentschaft,
also die G-8-Präsidentschaft und die EU-Ratspräsidentschaft, dazu genutzt, unseren Beitrag zu leisten, um
nicht nur die Politik der ethnischen Säuberungen mit
militärischen Mitteln zum Scheitern zu bringen, sondern
auch den Durchbruch für eine politische Lösung zu erreichen.
({13})
Ich habe es vorhin schon gesagt: Wir haben von Anfang an auf diese doppelte Vorgehensweise gesetzt. Wir
haben die fünf Punkte und einen Friedensplan entwikkelt, mit dem die fünf Punkte umgesetzt werden sollen.
Wir haben von Anfang an darauf Wert gelegt, daß die
Europäische Union unter Einschluß der neutralen Länder in diesen Prozeß integriert wird. Das war die Aufgabe unserer Ratspräsidentschaft. Es war eine bewußte
politische Entscheidung, daß im Rahmen des Rambouillet-Prozesses die beiden ,,alten Nationen“, Frankreich und Großbritannien, auf Grund ihrer historischen
Beziehungen zu Belgrad - im Gegensatz zu unserer
historisch belasteten Beziehung - in der ersten Reihe
versuchen sollten, eine entsprechende Vereinbarung mit
Milosevic zu erreichen.
Unsere Aufgabe im Rahmen der Ratspräsidentschaft
haben wir dahin gehend definiert, andere Länder in diesen Prozeß zu integrieren. Für mich ist dies einer der
wichtigen Punkte über den Tag hinaus: Bevor die
NATO die fünf Punkte beschlossen hatte, hatten die
Staats- und Regierungschefs auf dem Sondergipfel in
Berlin und davor der Allgemeine Rat der Europäischen Union unter Einschluß der neutralen Mitglieder
diese fünf Punkte beschlossen. Das ist für mich ein
wichtiger Schritt bei der Ausgestaltung des politischen
Subjekts der Europäischen Union in diesem Prozeß gewesen.
({14})
Bundesminister Joseph Fischer
Wir haben parallel dazu von Anfang an darauf gesetzt, eine dauerhafte, langfristige, konfliktpräventive
Lösung durch das Heranführen dieser Region, der Balkanregion, Südosteuropas, an das Europa der Integration
zu bewerkstelligen. Gestern ist es in Köln gelungen, den
Stabilitätspakt zu verabschieden. Wir müssen ihn jetzt
mit Leben erfüllen.
({15})
Wir waren von Anfang an militärisch voll engagiert.
Auf allen Ebenen haben wir uns militärisch beteiligt. Es
war geplant, daß wir uns an der Umsetzung des Rambouillet-Abkommens beteiligen. Wir haben uns beteiligt,
als es darum ging, Militäraktionen gegen Milosevic
durchzuführen. Wir werden uns jetzt, so der Bundestag
zustimmt, ebenfalls an der Um- und Durchsetzung des
Waffenstillstandes und der Erreichung des Friedens beteiligen.
Ich möchte hier klar und deutlich aussprechen, daß
wir immer die politischen Möglichkeiten gesucht haben,
daß wir versucht haben, sie zu nutzen. Aber dies ging nur
auf der klaren Grundlage verläßlicher Positionierung im
Bündnis und der Solidarität in den Militäraktionen, die
das Bündnis gegen die verbrecherische Politik Milosevics vorgenommen hat. Nur die Verbindung von beidem
hat den Erfolg gebracht, nur die Verbindung von beidem
hat eine aktive Rolle Deutschlands zugelassen. Ich
denke, es ist wichtig, dies für die Zukunft festzuhalten.
({16})
Meine Damen und Herren, unsere Soldaten werden,
wenn der Bundestag zustimmt, den in den ersten Stunden und Tagen - ich hoffe, nicht Wochen - wohl gefährlichsten Einsatz ausführen, den die Bundeswehr in
ihrer Geschichte zu bewältigen hatte.
({17})
Wir hatten hier immer eine breite Unterstützung für
die Politik der Bundesregierung. Das war wichtig für die
Piloten, die im Einsatz waren. Ich denke, genauso wichtig ist es, daß wir diesem hochgefährlichen Friedenseinsatz - es ist ein Friedenseinsatz; es ist die Umsetzung
einer Kapitel-VII-Resolution - als deutscher Gesetzgeber mit breiter Mehrheit zustimmen. Ich möchte namens
der Bundesregierung nicht nur allen Soldaten für das
danken, was sie geleistet haben, sondern auch die Hoffnung aussprechen, daß alle gesund von diesem Einsatz
zurückkehren mögen.
({18})
Meine Damen und Herren, wir haben lange um die
Sicherheitsratsresolution gekämpft. Über den Tag hinaus
wird diese Sicherheitsratsresolution von Bedeutung sein.
Ich erinnere an den Oktober: Wie sehr hätten wir uns da
- fraktionsübergreifend - eine Sicherheitsratsresolution
gewünscht! Damals ging es noch um neue NATODiskussionen. Damals ging es noch um die Illusion, es
ginge ohne den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen.
Ich meine das nicht nur kritisch in eine bestimmte
Richtung: Hätte Rußland schon damals bedacht, welche
Konsequenzen sein Verhalten haben würde, wären wir
vermutlich schneller weitergekommen. Das ist ebenfalls
eine Überlegung, die man nicht vergessen darf.
Nichtsdestoweniger sind wir heute so weit. Es geht
jetzt um die Umsetzung dieser Sicherheitsratsresolution. Den Rückzug aller militärischen, paramilitärischen
und Polizeikräfte aus dem Kosovo bei gleichzeitigem
Einsatz einer internationalen Friedenstruppe haben wir
immer als die Voraussetzung dafür begriffen, den Kern
der fünf Punkte, für die wir gekämpft und auf die wir
uns verpflichtet haben, umzusetzen. Der Kern der fünf
Punkte war die Rückkehr aller Vertriebenen, Deportierten und Flüchtlinge. Dafür haben wir gekämpft, und das
haben wir durchgesetzt. Dies soll im Auftrag des Deutschen Bundestages, wenn Sie dies beschließen, die Bundeswehr jetzt gemeinsam mit unseren Verbündeten, mit
Neutralen und auch unter Teilnahme Rußlands auf der
Grundlage einer Kapitel-VII-Resolution im Kosovo umsetzen.
Die Stationierung dieser „internationalen Sicherheitspräsenz“ ist das eine, die „zivile Sicherheitspräsenz“ ist
das andere, das wir mit aufbauen müssen. Wir befinden
uns hier im engsten Kontakt mit unseren Verbündeten.
Auf dem G-8-Treffen gab es dazu eine erste wichtige
Orientierungsdiskussion. Die letzten Entscheidungen
muß der VN-Generalsekretär in Abstimmung mit den
Vertretern der Unterorganisationen der UNO treffen.
Ich habe vorhin darauf hingewiesen, daß die Bundeswehr vor einem gefährlichen Einsatz steht. Das betrifft nicht nur die Bundeswehr, sondern auch unsere
Verbündeten. Das Risiko tragen alle gemeinsam. Das ist
das Wesen dieses Einsatzes. Alle beteiligten Soldaten,
die am Boden eingesetzt werden, sehen einem sehr gefährlichen Einsatz entgegen. Wir wünschen allen eine
gesunde Wiederkehr.
Aber die Voraussetzung für Frieden ist, daß die Völkergemeinschaft im Kosovo präsent ist und damit die
Abwesenheit von Gewalt - das ist die erste Voraussetzung - sichert. Das Ziel ist eine zivile Implementierung
in Verbindung mit der Rückkehr der Vertriebenen und
Flüchtlinge in ein multiethnisches Kosovo innerhalb der
Grenzen der Bundesrepublik Jugoslawien, damit dann
hoffentlich eine Demokratisierung der gesamten Region
erreicht werden kann. Die Demokratiefrage ist die entscheidende Frage, die wir Milosevic und allen Nationalisten entgegenhalten müssen.
({19})
Die Herrschaft des Rechts gründet auf der freien Entscheidung des Volkes. Das ist Demokratie. Aber die
freie Entscheidung des Volkes ist nicht dazu da, neue
Willkür zu schaffen - das wäre ein Mißverständnis der
Demokratie -, sondern dazu, die Herrschaft des Rechts
zu sichern. Hierin bestand der Bruch in der europäischen
Geschichte nach 1945, und dies war die Grundlage für
die weitere Entwicklung. In diesem Jahrhundert wurden
zwei Weltkriege von Europa ausgelöst, vor allem der
Bundesminister Joseph Fischer
zweite von unserem Land. Diese Kriege haben eine
furchtbare Verheerung mit sich gebracht und haben
letztendlich dazu geführt, daß der europäische Einigungsgedanke, die Herrschaft des Rechts und das Streben nach Überwindung der Grenzen in Verbindung mit
Kooperation und schließlich Integration gesiegt haben.
Das war die Antwort der Europäer auf die historische
Herausforderung nach den Weltkriegen.
Wenn wir heute darüber klagen, wie schwierig die
Sicherung des Friedens in Jugoslawien und wie teuer sie
sein wird, dann sollten wir auf die Zeit nach 1945 in Europa zurückblicken. Eine Kollegin hat beim G-8-Treffen
darauf hingewiesen, wie Köln vor 50 Jahren aussah und
wie es heute aussieht. Angesichts dessen ist die Aufgabe, die jetzt vor uns liegt, eine geringere Aufgabe als die
damalige. Wir müssen uns ihr stellen, damit gerade auch
Deutschland als eines der entscheidenden Länder in
der Europäischen Union seiner Verantwortung gerecht
wird.
Wir müssen in Jugoslawien nicht nur das Ende der
Gewalt herbeiführen, dort nicht nur den Frieden gemeinsam mit unseren Verbündeten und den internationalen
Organisationen schaffen, sondern diese Region auch
dauerhaft nach Europa führen. Das ist unsere Verantwortung.
Ich bedanke mich.
({20})
Ich gebe das Wort
für die CDU/CSU-Bundestagsfraktion dem Kollegen
Herr Präsident! Verehrte
Kolleginnen und Kollegen! Wir alle sind heute erleichtert, weil Mord und Vertreibung nun ein Ende haben,
auch weil die schwere Last der Verantwortung für die
Opfer und die Zerstörungen durch die NATOBombardierungen von uns genommen worden ist und
weil die NATO-Aktion letztlich erfolgreich war. Sie
war nur deshalb erfolgreich, weil die NATO ihren Zusammenhalt gewahrt hat.
({0})
An dem jetzt erzielten Ergebnis hat die Bundesregierung tatkräftig mitgewirkt.
({1})
Es fällt mir nicht schwer, das anzuerkennen. Der Bundeskanzler hat am Dienstag die Mitwirkung der Opposition anerkannt. Damit, meine Damen und Herren, sollten
wir es aber auch mit dem Selbstlob bewenden lassen und
hinzufügen, daß andere einen mindestens so großen
Anteil an diesem Ergebnis haben: der Finne Ahtisaari,
der Russe Tschernomyrdin, der russische Präsident Jelzin, alle anderen NATO-Partner und vorab die USA.
({2})
Es wäre nicht nur unklug, es wäre auch ungerecht, ihnen
den Part des Hauptkriegsführers und den Europäern den
des Friedensbringers zuzuweisen. Sie, Herr Außenminister, haben das heute gottlob nicht getan.
Meine Damen und Herren, wir stimmen dem Antrag
der Bundesregierung zu, wenn auch nicht ohne große
Sorgen und nicht ohne Bedenken. Wir werden zustimmen, weil die Anwesenheit einer internationalen Sicherheitspräsenz die Voraussetzung für die Rückkehr der
Vertriebenen ist. Diese wiederum ist eine Voraussetzung
- keineswegs die einzige - für einen wirklichen Frieden.
Voraussetzung für das Funktionieren der Schutztruppe
sind der NATO-Kern und die NATO-Kommandostruktur, weil nur sie das Vertrauen der Vertriebenen begründen können.
Wir glauben, daß diese Voraussetzung hinreichend
sicher ist; ganz ist sie es offensichtlich nicht. Wir hoffen
sehr, daß eine Regelung mit Rußland gefunden wird
und daß sich die Meldung, die mir der Kollege Paul
Breuer gerade überreicht hat, nicht bestätigt.
Ich habe hier eine Agenturmeldung von „AFP“ von
11.11 Uhr vorliegen, in der es heißt: Nach Angaben der
unabhängigen jugoslawischen Nachrichtenagentur „Beta“ sind am Freitag die ersten russischen Einheiten der
künftigen internationalen Kosovo-Friedenstruppe in Jugoslawien einmarschiert.
Laut „Beta“ überschritt ein Kontingent, von Bosnien
kommend, die Grenze; den genauen Ort nannte die
Agentur nicht. Die Moskauer Verhandlungen zwischen
den USA und Rußland über die Modalitäten der russischen KFOR-Beteiligung wurden unterdessen auf unbestimmte Zeit unterbrochen. Dies meldete die russische
Nachrichtenagentur „Interfax“ unter Berufung auf den
russischen Delegationsleiter General Leonid Iwaschow.
Iwaschow hatte zuvor angekündigt, Rußland werde
möglicherweise einen eigenen Sektor im Kosovo ohne
Abstimmung mit den USA errichten.
Die Sorgen, die wir in den vergangenen Tagen geäußert haben, scheinen sich als nicht unbegründet zu erweisen. Ich hoffe zu Gott, daß diese Meldungen im Kern
nicht zutreffen; denn sonst war vieles von dem, was Sie,
Herr Minister, gerade gesagt haben, vielleicht übereilt.
Wir werden zustimmen, weil sich Deutschland natürlich an der internationalen Schutztruppe beteiligen muß.
Wir glauben, daß der von der Bundesregierung beantragte Umfang angemessen ist. Die Zustimmung - das
will ich sagen - wird uns durch den Umstand sehr erleichtert, daß diese Aktion nun unter dem Dach der VerBundesminister Joseph Fischer
einten Nationen stattfindet und damit eine Wunde geheilt wird, die uns alle beschwert hat.
Im Vordergrund unserer Sorgen steht die um das Leben der Soldaten. Sicher, der Abzug der serbischen
Streitkräfte scheint hinreichend kontrollierbar, die Vorkehrungen, die die NATO getroffen hat, scheinen umsichtig zu sein. Aber serbische Freischärler sind natürlich nicht auszuschließen, obwohl eine solche Gefährdung kurzfristig - ich betone: kurzfristig - eher unwahrscheinlich ist. Von der ansässigen serbischen Bevölkerung wird ja bestimmt kaum jemand im Kosovo bleiben.
Von den Waffen der UCK geht, wiederum kurzfristig
gesehen, dann eine Gefahr aus, wenn von serbischen
Waffen eine Gefahr ausgeht, wenn es also zu Zusammenstößen kommt und die NATO-Soldaten dazwischengehen müssen. Mittelfristig besteht eine andere
Form der Gefährdung, weil die NATO-Vorstellungen
von der endgültigen politischen Lösung im Kosovo von
denen der UCK abweichen. Ihre Entwaffnung ist also
unbedingt notwendig; aber - machen wir uns nichts vor
- sie wird ganz ungewöhnlich schwierig sein. Die berechtigte Sorge der NATO wegen der Waffen der UCK
wirft übrigens ein bezeichnendes Licht auf unser Verhältnis zu ihr und zu ihren Landsleuten, die die UCK beschützen will und derentwegen wir in den Krieg gezogen sind.
Leider kann es nicht zweifelhaft sein - wir alle sagen
es -: Dieser Einsatz der Bundeswehr ist ohne jeden
Zweifel nicht nur der gefährlichste von den bisher beschlossenen, sondern er ist auch absolut gesehen gefährlich. Gefährlich heißt, daß wir mit Opfern aus den eigenen Reihen rechnen müssen. Für meine Fraktion möchte
ich den Soldaten sagen: Unsere Gedanken begleiten Sie.
Doch wir können mehr tun: Wir können alle Vorkehrungen treffen, damit es keine Opfer gibt. Vor allen
Dingen müssen wir für politische Rahmenbedingungen
sorgen, die eine Gefährdung so gering wie möglich machen. Mit anderen Worten, wir müssen dafür sorgen, daß
im Kosovo und in der ganzen Region wirklich Frieden
einkehrt. Wenn jetzt so oft von Friedensplänen die Rede
gewesen ist, dann habe ich das nicht verstanden. Auch
das, was jetzt erzielt wurde, ist kein Frieden; vielmehr
ist es die Chance für den Beginn eines langwierigen und
ungewöhnlich schwierigen Friedensprozesses.
Dieser wird ganz entscheidend von unseren Vorstellungen von der endgültigen Ordnung in der Region geprägt sein. Es ist ohne jeden Zweifel richtig, wenn wir
alle sagen: Frieden kann nur sein, wenn allenthalben,
vorab aber bei dem größten Volk, dem serbischen, ein
anderer, das heißt ein demokratischer Geist einkehrt, der
das Gegenteil dieses ungezügelten und in gefährlichen
Mythen wurzelnden Nationalismus ist.
Ein demokratischer Geist ist das Gegenteil von dem
Gefühl, das ganz offensichtlich im serbischen Volk vorherrscht: immer das Opfer zu sein. Es handelt sich um
ein Gefühl, das ganz gewiß auch jetzt wieder durch die
NATO-Aktion verstärkt worden ist. Deswegen wird es
darauf ankommen, der - ich bin ganz sicher - überwältigenden Mehrheit des serbischen Volkes das Gefühl zu
geben, daß die Friedensordnung, die wir anbieten, eine
faire Ordnung ist, die auch den Serben die Chance gibt,
die heute weniger denn je gelöste nationale Frage zu beantworten.
Nur wenn das geschieht, werden sie ihre Augen oder
- besser noch - ihre Herzen für die Verbrechen öffnen
können, die von vielen ihrer Landsleute begangen worden sind. Nur wenn das geschieht, werden sie sich von
ihrer Verstocktheit befreien und der Propaganda von
Milosevic widerstehen können, die jetzt gefundene Regelung als einen Sieg zu verkaufen. Nur wenn das geschieht, werden sie für die schreckliche Wahrheit frei
werden können, daß wegen der verbrecherischen Politik
von Milosevic Serbien alle vier Etappen des 1990 begonnenen Krieges verloren hat, zuletzt eben auch die
Schlacht um den Kosovo.
Sie haben sie nicht zuletzt deswegen verloren, weil
nach aller Wahrscheinlichkeit mehr oder minder alle
Serben den Kosovo verlassen werden. Der Verteidigungsminister hat uns im Ausschuß gesagt, daß 100 000
von etwa 200 000 dort lebenden Serben schon vor Tagen
den Kosovo verlassen haben. Inzwischen werden es
mehr sein, und mit dem Einzug der NATO und der
Rückkehr der Flüchtlinge wird kaum einer zurückbleiben. Natürlich, die NATO wird auch ihnen Schutz gewähren wollen. Doch die Furcht vor Rache wird sicherlich alle flüchten lassen, und die Geflüchteten werden
kaum zurückkehren - höchstens dorthin, wo eine gewisse serbische Sicherheitspräsenz vorgesehen ist. Das kann
ja nicht in großer Zahl der Fall sein. Sie würden mehrheitlich doch nur zurückkommen, wenn sich die serbische Herrschaft generell wieder durchsetzen würde. Das
aber werden die albanischen Kosovaren mit allen Mitteln verhindern wollen - und mit ihnen die NATO.
Die Beschwörung, der Kosovo werde Teil der Bundesrepublik Jugoslawien bleiben, ist, so fürchte ich,
nicht mehr als ein durchsichtiger Firnis. Denn was nutzt
diese Souveränität, wenn sie jetzt und in absehbarer Zukunft mit keinerlei realer Herrschaftsausübung verbunden ist? Ist nicht ein multi-ethnischer Kosovo eine schöne Wunschvorstellung, und nähert sich nicht die Souveränität der Bundesrepublik Jugoslawien für den Kosovo
einer Fiktion?
Natürlich kann man sagen, die Serben hätten sich das
alles selber zuzuschreiben. Aber ist das eine angemessene Sichtweise? Ist das vor allen Dingen eine für uns
Deutsche angemessene Sichtweise? Erinnern wir uns
nicht, welche fatalen, ja wirklich schicksalhaften Folgen
Versailles für die politische Stabilität und für die Demokratie in Deutschland hatte? Erinnern wir uns nicht, wie
ganz anders die Entwicklung in Deutschland nach 1945
ausgesehen hatte, nachdem dank der Weisheit einiger
Europäer und dank der Weitsicht und des Drucks der
Vereinigten Staaten jedenfalls dem freien Teil Deutschlands die unerhoffte Chance gegeben wurde, sich wieder
sehr schnell in den Kreis der demokratischen Völker
einzugliedern?
Bitte entgegnen Sie mir jetzt nicht: Wir haben diese
Perspektive im Stabilitätspakt für Serbien vorgesehen.
- Gewiß, wir unterstützen ihn mit allem Nachdruck.
Aber wir wissen sehr genau, daß die Akzeptanz der
Karl Lamers
Friedensordnung, die wir anbieten, wiederum die entscheidende Voraussetzung für die Wirksamkeit von
wirtschaftlicher Hilfe ist. Wirtschaftliche Hilfe ihrerseits
ist natürlich wiederum eine wesentliche politische Voraussetzung für eine stabile demokratische Entwicklung.
Wie soll diese Entwicklung möglich sein, wenn jetzt in
Serbien zu den 250 000 serbischen Flüchtlingen aus der
Krajina weitere 200 000 Flüchtlinge aus dem Kosovo
hinzukommen? Wie soll da eine positive wirtschaftliche,
soziale und politische Entwicklung stattfinden?
({3})
Meine Damen und Herren, der außenpolitische Berater des Bundeskanzlers hat gestern in einem Interview
mit dem „General-Anzeiger“ gesagt, daß der Westen
eine Teilung des Kosovo ablehnt. - Das hat er richtigerweise festgestellt. Er hat hinzugefügt:
Wenn Sie teilen, plädieren Sie für ein nicht lebensfähiges Gebilde, das am Tropf Europas hängt.
Das wird es aber so oder so. An welchem Tropf soll der
Kosovo sonst hängen? Etwa am Tropf Serbiens, obwohl
Serbien dort keinerlei Herrschaft mehr ausübt?
Die Bemerkung des außenpolitischen Beraters offenbart ungewollt, so fürchte ich, das Fehlen einer Vorstellung von einer zukünftigen Ordnung nicht nur im Kosovo, sondern auch auf dem ganzen Balkan. Wir werden
nicht aufhören - ich habe das hier schon vor einiger Zeit
gesagt -, auf eine solche realistische Vorstellung von
einer endgültigen Ordnung im Kosovo und auf dem
Balkan zu drängen. Denn sie ist die entscheidende Voraussetzung für das Gelingen des Friedensprozesses, der
jetzt, wie ich schon sagte, gerade erst beginnen kann.
Unbeschadet der schweren Fehler, die in diesem Konflikt auch von seiten der NATO gemacht worden sind,
sind wir unverändert der Meinung, daß wir handeln
mußten. Ich sage das auch angesichts der außerordentlich hohen Kosten und des hohen Preises, den wir alle
dafür haben zahlen müssen. Aber nur die endgültige Bilanz wird Auskunft geben über das Plus und Minus,
auch über das moralische. Sie wird auch den Maßstab
dafür bilden, ob unsere heutige Entscheidung, junge
Deutsche, mit ihnen aber auch Franzosen, Briten, Niederländer, Amerikaner und Russen einem hohen Risiko
auszusetzen, richtig gewesen sein wird.
Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
({4})
Das Wort hat
jetzt der Vorsitzende der SPD-Fraktion, Peter Struck.
Frau Präsidentin! Meine
Damen und Herren! Wir alle haben mit großer Erleichterung und Freude die Entscheidungen in New York und
in Kumanovo aufgenommen. Endlich sind die Bedingungen für den Frieden gegeben. Wir haben diese
Grundlage einer politischen Lösung des KosovoKonfliktes in den letzten Tagen sehr herbeigewünscht.
Um auf die Meldungen einzugehen, die Sie, Herr
Kollege Lamers, gerade zitiert haben: Nach meiner Information handelt es sich um ein Vorauskommando.
Dies ist mit den KFOR-Truppen abgestimmt worden
und erfolgt in Zusammenarbeit mit und unter Zustimmung der NATO.
Dies war eine Woche der gemischten Gefühle: zwischen Jubel und Schreck, zwischen zermürbendem
Warten und Erleichterung. Von dem Kölner Gipfel und
der Freude wegen der frohen Botschaft des finnischen
Präsidenten Ahtisaari bis zur gestrigen Resolution des
Weltsicherheitsrates war ein gewaltiger diplomatischer
Kraftakt nötig. Er hat endlich die Chance zum Frieden
gebracht. Und die Weltgemeinschaft hat Milosevic in
seine Schranken verwiesen.
({0})
Natürlich ist das Grund zum Aufatmen, zur Freude
und zur Erleichterung. Deshalb ist allen zu danken, die
an dieser Anstrengung beteiligt waren, insbesondere
dem finnischen Präsidenten, Ahtisaari, dem Sonderbeauftragten des russischen Präsidenten, Viktor Tschernomyrdin, und dem stellvertretenden amerikanischen Außenminister Strobe Talbott.
({1})
Unser Dank gilt aber auch der Bundesregierung, die ihre
EU-Ratspräsidentschaft erfolgreich zur Vorbereitung
dieser politischen Lösung genutzt hat.
({2})
Natürlich danken wir der Bundeswehr, allen unseren
Soldaten, die mit ihrem schwierigen Einsatz zum Aufgeben des Diktators beigetragen haben. Ich habe gemeinsam mit einigen Kollegen meiner Fraktion vor zwei
Wochen in Mazedonien und Albanien die hervorragende
Arbeit der Bundeswehr auch im humanitären Bereich
kennen und schätzen gelernt. Ich spreche den Soldaten
auch hier meinen Dank dafür aus.
({3})
Die gestrige Sicherheitsratsresolution bietet eine tragfähige Grundlage für die Schaffung eines befriedeten
Kosovo. Sie ist kein verwässerter Kompromiß. Nein, sie
beinhaltet als prägenden Kern die von der NATO aufgestellten Prinzipien für einen Friedensschluß. Diese
Prinzipien sind:
Erstens. Beendigung der serbischen Gewalt im Kosovo.
Zweitens. Sofortiger und nachprüfbarer Rückzug aller
jugoslawischen militärischen, paramilitärischen und polizeilichen Kräfte.
Drittens. Stationierung einer internationalen Sicherheitstruppe mit substantieller NATO-Beteiligung im Kosovo.
Karl Lamers
Viertens. Freie und sichere Rückkehr der kosovoalbanischen Vertriebenen in ihre Dörfer und Häuser.
Fünftens. Abschluß eines politischen Rahmenabkommens, das Autonomie und Selbstregierung der Kosovo-Albaner im Rahmen Jugoslawiens gewährleistet.
Ich habe diese Prinzipien noch einmal ausdrücklich
genannt, um deutlich zu machen, daß die NATO ihren
gesteckten Zielen treu geblieben ist. Es war von Anfang
an Kern aller Bemühungen, die Vertreibungen und Massaker der serbischen Soldateska zu unterbinden. Die
NATO wollte den Kosovaren ein Leben in Freiheit und
Sicherheit ermöglichen. Dieses Ziel ist in greifbare Nähe
gerückt.
({4})
Ohne die Festigkeit und Einheit der NATO, ohne ihren
leider notwendigen militärischen Druck hätte es diesen
Erfolg nicht gegeben.
Wir sollten aber auch Präsident Jelzin und der russischen Regierung unsere Anerkennung aussprechen.
({5})
Sie haben unter schwierigen innenpolitischen Bedingungen wesentlich zu dem politischen Erfolg der Vermittlungsbemühungen beigetragen.
Einen bedeutenden Anteil daran hat natürlich auch
die Bundesregierung. Nicht im Gegensatz zu den
NATO-Militäraktionen, sondern auf deren Grundlage
entfalteten ihre diplomatischen Initiativen Wirkung. Ich
nenne noch einmal die wichtigsten Initiativen:
Erstens ist das der Kosovo-Friedensplan der Bundesregierung von Anfang April. Er wurde zum Kern des
politischen Handelns von EU und NATO und findet sich
in ihren Dokumenten wieder. Er wurde zur Grundlage
der Petersberg-Prinzipien der G 8, und er blieb Grundlage des von Milosevic unterzeichneten Friedensplans.
Zweitens nenne ich die wichtige Einbeziehung Rußlands in die Vermittlung. Wir haben in diesem Hause
schon oft darüber diskutiert. Um sie hat sich die Bundesregierung neben anderen erfolgreich bemüht.
Drittens gehört dazu die Reise des Bundeskanzlers
nach China, bei der er nach der versehentlichen Bombardierung der chinesischen Botschaft politischen Schaden begrenzen konnte.
Viertens ist das der Stabilitätspakt für Südosteuropa,
der die Regionen mittel- und langfristig befrieden und
an Europa heranführen soll.
Alles zusammen hat diesen Erfolg operativer deutscher Außenpolitik ausgemacht, ein Erfolg bei einer
Herausforderung, deren Bewältigung der Bundesrepublik Deutschland erstmals abverlangt wurde.
({6})
Vorgestern wurde von einem Oppositionsredner der
Jubel von Köln als zu laut und zu früh kritisiert.
({7})
Wenn Sie sich am letzten Donnerstag noch nicht über
den von Ahtisaari ausgehandelten Friedensplan freuen
wollten, dann freuen Sie sich doch wenigstens heute
endlich mit uns und der ganzen westlichen Staatengemeinschaft!
({8})
Sagen Sie nicht nur, Sie hätten das Vorgehen der Bundesregierung ja mitgetragen. Geben Sie sich einen Ruck
und sagen Sie endlich: „Gute Arbeit, Herr Bundeskanzler!“, wie der finnische Präsident die Arbeit von Gerhard
Schröder gewürdigt hat.
({9})
Sagen Sie doch einfach: „Gute Arbeit, Herr Außenminister“, wie es die amerikanische Außenministerin
Albright am Ende der Verhandlungen zu Joschka Fischer gesagt hat.
({10})
Und sagen Sie: „Alle Achtung, Herr Verteidigungsminister, für Ihre Umsicht und Ihr Engagement in den
letzten Monaten!“, wie Rudolf Scharping international
gelobt worden ist.
({11})
Wenn Sie sich - es scheint ja so zu sein - dazu nicht
hergeben können, dann sagen Sie doch, was Sie wirklich
umtreibt. Sie hatten erwartet, daß Rotgrün an dieser
Aufgabe zerbricht. Aber die Koalition hat gestanden und
sich an diesen schwierigen Problemen bewährt. Wir sind
stolz darauf.
({12})
So wichtig der gestrige Tag und die letzte Nacht in
New York für den Friedensprozeß waren: Es ist nur der
Anfang auf einem langen, dornenreichen Weg zu wirklichem Frieden. Wir dürfen den Menschen keine falschen
Hoffnungen machen. Der Abzug der serbischen Truppen
aus dem Kosovo bedeutet nicht, daß die Flüchtlinge ab
sofort zurückkehren können. Ihre Dörfer sind zerstört,
die Straßen teilweise unpassierbar. Das Schlimmste aber:
Das Kosovo ist möglicherweise ein einziges Minenfeld.
Voreilige Rückkehr kann tödlich sein. Die internationalen Truppen müssen diese Gefahr erst beseitigen.
Dies muß den Menschen klargemacht werden. Wir
werden noch über Monate mit den Bildern aus den
Flüchtlingslagern leben müssen. Nicht nur das: Wir
werden einen Teil der Lager erst einmal winterfest machen müssen, denn viele der Flüchtlinge werden vermutlich erst im nächsten Frühjahr in ihre Heimat zurückkehren können. Das bedeutet auch, daß wir die in
der Bundesrepublik aufgenommenen Kosovo-Flüchtlinge nicht von heute auf morgen zurückschicken können. Die Vorstellungen des Berliner Innensenators
Werthebach und des bayrischen Innenministers BeckDr. Peter Struck
stein sind abenteuerlich, wenn sie den Kosovaren ab sofort mit Ausweisung drohen.
({13})
Wir dürfen uns auch keinen Illusionen über die Gefahren und Probleme für die internationalen Kräfte im
Kosovo - natürlich für alle Soldaten, nicht nur für die
deutschen - hingeben. Aber für die Bundeswehr ist es
die schwierigste und gefährlichste Aufgabe in ihrer Geschichte. Heckenschützen, Marodeure, verselbständigte
paramilitärische Kräfte der Serben und unkontrollierte
UCK-Trupps sind zu befürchten.
Mich hat berührt, daß in einem „ARD“-Bericht am
Mittwoch abend ein junger Bundeswehrsoldat, der vor
seinem Einsatz stand, gesagt hat: Ich habe Angst. Deswegen gilt für uns: Die beste Ausrüstung für unsere Soldaten ist gerade gut genug.
({14})
Je besser und robuster die internationale Kosovo-Truppe
ausgestattet ist, um so mehr kann ihre Sicherheit gewährleistet werden. Gerade auch deshalb ist es richtig,
daß die NATO Kommando und Kern dieser Friedenstruppe stellt.
({15})
- Nun machen Sie doch nicht Ihre kleinkarierten Zwischenrufe über den Haushalt. Sie können sich offenbar
nicht freimachen von der Situation, daß wir einen großen außenpolitischen Erfolg erzielt haben und Sie uns
den nicht gönnen.
({16})
Unsere Soldaten sollen angesichts des schwierigen
Auftrages wissen: Der Bundestag steht geschlossen
hinter ihnen und ihren Familien. Wir wissen um die
schwierige Aufgabe. Wir wissen um die Gefährdungen,
die sie erwarten. Wir schicken sie nicht leichtfertig; wir
teilen ihre Sorgen und Ängste.
({17})
Neben den gravierenden militärischen Herausforderungen sieht sich die internationale Gemeinschaft gigantischen Aufbau- und Reparaturarbeiten gegenüber. Hunderte von Dörfern sind von serbischen Kräften
systematisch zerstört worden. Es gibt größtenteils keine
Wasser- und Stromversorgung. Die landwirtschaftlichen
Existenzgrundlagen sind zusammengebrochen. Handel,
Handwerk und Gewerbe stehen vor dem Nichts. Das
Schul- und Gesundheitswesen muß neu aufgebaut werden. Es wird ein Wettlauf mit der Zeit, die Bewohnbarkeit der Häuser und Dörfer vor dem kommenden Winter
möglich zu machen.
Dringend geboten ist daher die sofortige Bereitstellung von Baumaterialien und Versorgungsgütern, mit
denen die Rückkehrer ihre Häuser instand setzen können. Dringend geboten ist weiterhin, daß die Bürger in
der Bundesrepublik Deutschland ihre Spendenbereitschaft durch aktive Spenden dokumentieren, um auch
den NGOs, die viel helfen, jetzt in Albanien und Mazedonien und zukünftig im Kosovo die erforderlichen
Mittel zur Verfügung zu stellen.
({18})
Die internationale Übergangsverwaltung wird mit
enormen politischen Anforderungen konfrontiert sein.
Der ungeklärte politische Endstatus des Kosovo wird
von Serben und Kosovaren heftig umkämpft sein. Es
wird zu einem schwierigen Balanceakt werden, die
Selbständigkeit der Kosovaren im jugoslawischen
Staatsgebilde sicherzustellen. Es steht zu befürchten,
daß der machtgierige Diktator Milosevic diesen Prozeß
zu unterlaufen sucht; denn Wortbrüche, Zynismus und
Machtgier wird dieser Mann nicht von heute auf morgen
aus seinem Repertoire gestrichen haben. Vor diesem
Hintergrund bedarf es einer großen politischen Klarheit
und Einigkeit der internationalen Gemeinschaft, besonders aber der Europäischen Union.
Zu Beginn des 20. Jahrhunderts war der Balkan Ausgangspunkt für europäische Kriege und die Teilung des
Kontinents. Am Ende des 20. Jahrhunderts besteht die
große Chance, daß der Balkan den europäischen Frieden
und die Einheit des Kontinents vollenden kann. Wir, die
Europäische Union genauso wie die NATO, müssen diese historische Chance ergreifen.
({19})
Der Stabilitätspakt, über den der Außenminister gesprochen hat, ist dafür der richtige Ansatz. Er ist darauf
gerichtet, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit in den
Staaten dieser Region zu fördern. Die Länder sollen in
den euroatlantischen Strukturen verankert werden. Ihr
wirtschaftlicher Ausbau muß gefördert werden. Ich begrüße es für meine Fraktion deshalb ausdrücklich, Herr
Außenminister, daß den Ländern dieser Region auf dem
Kölner EU-Gipfel die Perspektive der EU-Mitgliedschaft eröffnet worden ist. Allein diese Perspektive
wirkt positiv auf die Veränderungsprozesse in diesen
Ländern. Das haben wir in den mittelosteuropäischen
Staaten gesehen.
Ein wichtiges Element sind die umfangreichen
Hilfsmaßnahmen für den Wiederaufbau der Region.
Hier bedarf es einer abgestimmten internationalen Unterstützungsstrategie. Dabei sollte die EU die Koordinierung übernehmen. Eine Geberkonferenz muß möglichst
schnell durchgeführt werden. Der Kölner G-8-Gipfel in
der nächsten Woche, Herr Bundeskanzler, kann dazu
schon wichtige Weichen stellen.
Der Stabilitätspakt kann nur dann erfolgreich sein,
wenn alle Länder Südosteuropas umfaßt werden. Dazu
gehört auch Serbien. Darauf hat der Außenminister hingewiesen, darauf hat Herr Kollege Lamers hingewiesen;
wir sind uns in diesem Punkte einig. Allerdings - das
möchte ich für meine Fraktion deutlich sagen - gilt das
nur für ein Serbien ohne Milosevic, das sich auf einen
demokratischen Weg begibt.
({20})
Meine Damen und Herren, die letzten Wochen waren
für alle, die Entscheidungen, ob in Regierung oder Parlament, zu tragen hatten, nicht leicht. Nicht nur die physische, sondern auch die psychische Belastung ging bis
an die Grenze des Zumutbaren. An dieser Stelle möchte
ich Ihnen, Herr Bundeskanzler, Ihnen, Herr Außenminister, und Ihnen, Herr Verteidigungsminister, für Ihre
Arbeit ausdrücklich danken.
({21})
Ich bedanke mich auch bei der Koalitionsfraktion der
Grünen, die, wie man nachvollziehen konnte, eine
schwierige Debatte geführt haben. Ich bedanke mich
auch bei meiner eigenen Fraktion für die immer sehr faire inhaltliche Debatte und bei vielen, die die Entscheidungen, die wir zu treffen hatten, mitgetragen haben, die
aber auch ihre Fragen gestellt haben. Mein ausdrücklicher Dank gilt allen Kolleginnen und Kollegen aus meiner Fraktion.
({22})
- Ich verstehe nicht, warum Sie darüber lachen können.
Offenbar scheint Ihnen bzw. Ihren Fraktionen nicht klar
zu sein, daß man schwierige inhaltliche Debatten führen
muß und kann, ohne sich trotz gegenseitiger Standpunkte zu verletzen, und daß man stolz darauf sein kann,
solche Debatten zu führen. Oder sind Sie etwa ein
schweigender Haufen? Das kann ja wohl nicht wahr
sein.
({23})
Lassen Sie mich die Erfahrungen und die Konsequenzen der letzten Wochen zusammenfassen:
Erstens. Die militärische Intervention - das sind die
Erfahrungen und die Konsequenzen der letzten Wochen
- war berechtigt und unausweichlich. Ein Europa, das
dem Frieden und den Menschenrechten verpflichtet ist,
darf niemals ethnischen Säuberungen und Völkermord
zustimmen bzw. zuschauen. Die 200 000 Toten des
Bosnien-Krieges haben das wahre Gesicht des Diktators
Milosevic gezeigt. Dennoch war die westliche Gemeinschaft trotz der Vertreibungen im Kosovo seit März
1998 bis zum letzten um diplomatische Lösungen bemüht. Milosevic hat diese ausgeschlagen oder Abmachungen gebrochen.
Zweitens. Die Einigkeit der NATO war der entscheidende Faktor für das letztendliche Nachgeben des
Diktators. Erneut hat sich bestätigt, daß gewalttätige
Diktatoren nicht durch Überzeugung, sondern nur durch
Zwang zu friedlichem Verhalten bewegt werden können.
Drittens. Wir brauchen ein außenpolitisch handlungsfähiges Europa, das in den internationalen Beziehungen
Gewicht hat und gleichberechtigter Partner der USA im
Bündnis sein kann. Krisen und Konflikte in Europa
sollten von der EU in eigener Regie und in eigener Verantwortung gelöst werden können. Deshalb ist die Berufung Solanas zum Hohen Vertreter der Gemeinsamen
Außen- und Sicherheitspolitik der Europäischen Union
ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung.
({24})
Ebenso dienen die sicherheits- und verteidigungspolitischen Beschlüsse des Kölner Gipfels diesem Ziel.
Viertens. Die Sicherheit in Europa basiert heute und
in Zukunft auf dem euroatlantischen Bündnis. Trotz aller Eigenanstrengungen der EU ist das Engagement der
USA in Europa für die Stabilität unseres Kontinentes
unersetzlich. Wir müssen konstatieren, daß die jüngsten
Krisen auf dem Balkan ohne den amerikanischen Einsatz nicht zu einem friedlichen Ende hätten gebracht
werden können. Dafür gebührt unserem amerikanischen
Partner und an dessen Spitze dem amerikanischen Präsidenten, Bill Clinton, Dank und Anerkennung.
({25})
Fünftens. Eine Stärkung der Vereinten Nationen ist
dringend geboten. Um ihre politische Handlungsfähigkeit zu verbessern, bedarf es ihrer umfassenden Reform,
insbesondere der des Sicherheitsrates. Nicht nur die Zusammensetzung des Kreises seiner ständigen Mitglieder,
sondern auch deren Vetorecht bedürfen einer dringenden
Überprüfung.
({26})
Sechstens. Verbrechen gegen die Menschlichkeit
dürfen keine inneren Angelegenheiten eines Staates
mehr sein. Sein Souveränitätsanspruch ist dem Schutz
und der Würde der Menschen unterzuordnen.
({27})
Bei seinem Deutschlandbesuch im April hat UNGeneralsekretär Kofi Annan gesagt: Wenn die Bewohner des Kosovo in Frieden und Sicherheit und unter
voller Achtung der bürgerlichen Rechte aller leben können, wird es ein Sieg für Europa, für die Vereinten Nationen und für die ganze Menschheit sein. - Diesem
Sieg sind wir seit gestern einen wichtigen Schritt näher
gekommen.
({28})
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Helmut Haussmann.
Sehr geehrte Frau
Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Wir
teilen die Freude, daß der Frieden näher gerückt ist.
Aber wir wissen, daß es sich bisher um notwendige, aber
keinesfalls um hinreichende Bedingungen für einen dauerhaften Frieden handelt. Auch als Oppositionsfraktion
sind wir gerne bereit, der Bundesregierung zu diesem
Ergebnis zu gratulieren und allen Verhandlungspartnern
für ihren Einsatz Respekt und Dank auszusprechen.
({0})
Wir vergessen aber an einem solchen Tage nicht, wer
zu diesem Ergebnis beigetragen hat. Dabei komme ich
zu einer etwas anderen Wertung als Sie, verehrter Herr
Kollege Struck. Es ist immer interessant, daß die Vereinigten Staaten von Amerika an letzter Stelle genannt
werden. Vielleicht ist das unbeabsichtigt. Ich glaube
schon, daß Herr Clinton und Herr Talbott durch ihre Festigkeit und ihre Klarheit einen entscheidenden Beitrag
geleistet haben.
({1})
Wir sind nicht der Meinung, daß es dieses Verhältnis
fair widerspiegelt, wenn die Amerikaner auf den militärischen Teil und die Europäer auf den diplomatischen
Teil verwiesen werden. Ich glaube, beide Komponenten
sind von enormer Wichtigkeit.
Interessant war auch die Bemerkung zu Rußland. Ich
entsinne mich der Diskussionen, in denen das besonders
gute Verhältnis zwischen dem früheren Bundeskanzler
Kohl und Herrn Jelzin - man muß schon sagen - verhöhnt wurde,
({2})
und daran, daß Herr Primakow schlecht behandelt wurde
und das, was Herr Kinkel mit Herrn Primakow verabredet hat, unterschätzt wurde. Heute sieht man, wie wichtig persönliche Beziehungen mit führenden Politikern in
Rußland sind. Wenn das eine Lehre war, dann hat es viel
gebracht.
({3})
Wir sehen auch nach diesem Ergebnis, daß nicht einseitige Feuerpausen ohne Gegenleistung, sondern nur
die wirkliche Aufrechterhaltung militärischen Drucks
bei gleichzeitiger politischer Initiative, die wir von Anfang an gefordert haben, letztlich zu diesem Erfolg beigetragen hat. Wir sind selbstbewußt genug zu sagen:
Ohne die dauerhafte konsequente Rückendeckung durch
die Opposition wäre die Bundesregierung auf Dauer
kaum in der Lage gewesen, den notwendigen Druck aufrechtzuerhalten. Insofern handelt es sich hier um eine
gemeinsame Leistung des deutschen Parlaments.
({4})
Die Sicherheitsratsresolution muß nun unverzüglich
umgesetzt werden. Weitere jugoslawische Verzögerungstaktiken dürfen und können nicht hingenommen
werden. Zu oft hat sich Milosevic als skrupelloser und
gerissener Machtpolitiker erwiesen. Nur durch den
schnellen nachvollziehbaren Rückzug sämtlicher serbischer Sicherheits- und Polizeikräfte kann er beweisen,
daß er wirklichen Frieden will.
Niemanden wird es verwundern, wenn die Vertriebenen nach den vielen Wortbrüchen der Vergangenheit
derzeit kein Vertrauen mehr in die Zusagen aus Belgrad
haben. Nach Jahren der Unterdrückung, Vertreibung und
Mord sitzen Angst, Trauer und Haß zu tief, als daß man
die zügige Herstellung von Voraussetzungen für ein
friedliches Miteinander von Serben und Kosovaren erwarten könnte. Daß der Frieden eben nicht über Nacht
erreichbar ist, zeigt die bittere Erfahrung aus Bosnien,
wo viereinhalb Jahre nach dem Abschluß des DaytonAbkommens immer noch 30 000 SFOR-Soldaten damit
beschäftigt sind, feindliche Volksgruppen voreinander
zu schützen.
Aus der Sicht der F.D.P. ist eines klar: Mit Milosevic
wird es weder im Kosovo noch in Serbien Stabilität geben. Kein Kosovare wird bereit sein, sich mit seinem
eigenen Schänder an einen Tisch zu setzen, um über
Wiederaufbauhilfe und zukünftige Autonomie zu verhandeln. Es ist zu hoffen, daß sich im serbischen Volk
immer mehr die Erkenntnis durchsetzt, daß man die jetzt
erreichten Ergebnisse bereits im Oktober ohne große
Opfer und ohne Zerstörungen durch die Unterschrift
unter den Vertrag vom Rambouillet hätte haben können.
({5})
Daraus müßten auch innenpolitisch Konsequenzen gezogen werden.
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, die Resolution
des Sicherheitsrates muß eine neue Friedensordnung
für die gesamte Region einleiten. Der Kosovo-Krieg
muß der letzte Balkankrieg gewesen sein. Angesichts
der Vielzahl weiterer potentieller Konfliktherde in dieser
Region müssen mit dem angestrebten Stabilitätspakt
dauerhafte Voraussetzungen für die Verwirklichung der
Menschenrechte, für Minderheitenschutz, für Demokratie und für regionale Zusammenarbeit geschaffen werden.
Dem wirtschaftlichen Wiederaufbau und der Verwirklichung der Marktwirtschaft muß unser dauerhaftes
Augenmerk gelten. Es wird schwer genug sein, Bedingungen für privatwirtschaftliche und für mittelständische
Investitionen zu schaffen. Diese sind der wirkliche
Schlüssel; denn ohne privates Engagement und ohne
mittelständische Unternehmen wird es auch im Kosovo
auf Dauer keine wirtschaftliche Weiterentwicklung geben.
Allen Staaten der Region muß die Einbindung in die
euroatlantischen Strukturen in Aussicht gestellt werden. Der Europäischen Union kommt dabei eine entscheidende Bedeutung zu. Wir fordern, daß mit Albanien, Mazedonien, Kroatien und Bosnien-Herzegowina sofort Verhandlungen über Assoziationsabkommen mit der
Europäischen Union aufgenommen werden. Das wäre
ein wichtiges Aufbruchssignal auch für dringend notwendige internationale Investitionen.
({6})
Es wäre wichtig, daß - wie damals vom Volkswagenwerk in Sarajevo - privatwirtschaftliche Entscheidungen
getroffen werden, die auch kleinen und mittleren UnterDr. Helmut Haussmann
nehmen zeigen, daß es sich auf Dauer lohnt, sich dort zu
engagieren.
({7})
Restjugoslawien muß der Weg nach Europa offenbleiben. Nach den Aufnahmebedingungen des Kopenhagener Gipfels ist aber klar, daß dafür demokratische
Erneuerung sowie das Bekenntnis zu Menschenrechten
und zum Völkerrecht Voraussetzungen sind. Diese konkrete Perspektive der europäischen Integration könnte
durchaus Impulse freisetzen, die sich auf Dauer stärker
als jahrhundertealte Animositäten erweisen. Es muß
endlich gelingen, den Teufelskreis aus Haß und Gewalt
auf dem Balkan zu durchbrechen. Dazu müssen wir Europäer und Deutsche - eine umfassende Anschubhilfe
sowohl für den Wiederaufbau dieser Region als auch für
die Schaffung infrastruktureller und wirtschaftlicher
Voraussetzungen zur Annäherung an die Europäische
Union leisten. Gerade wir Deutschen, die dem Marshallplan viel verdanken, sollten dabei eine ganz besondere
Verantwortung übernehmen.
({8})
Es muß jedoch klar sein, daß unsere Hilfe den Betroffenen unmittelbar und direkt zugute kommen muß und daß
sie eben nicht zur Stärkung des Milosevic-Regimes
mißbraucht werden kann.
Zum umfassenden Konzept der Stabilisierung Südosteuropas gehört unverändert die zügige Erweiterung
der Europäischen Union um die mittel- und osteuropäischen Beitrittskandidaten. Gerade vor dem Hintergrund der aktuellen Krise auf dem Balkan sollte die
deutsche Präsidentschaft den Mut aufbringen, nunmehr
ein konkretes Zieldatum für die Beitritte der in ihren Reformen am weitesten vorangeschrittenen Länder wie
Polen, Ungarn und Slowenien zu nennen, um damit auch
allen anderen Kandidaten eine klare zeitliche Perspektive zu geben.
({9})
Für eine dauerhafte Friedensordnung ist die zentrale
Rolle Rußlands von größter Bedeutung. Die Liberalen
haben von Anfang an darauf gedrungen, Rußland voll in
die Verhandlungs- und Implementierungsphase einzubinden. Das Ergebnis gibt uns recht: Die Krise auf dem
Kosovo hat auf dramatische Weise veranschaulicht, daß
eine verläßliche Sicherheitspartnerschaft mit Rußland
heute dringlicher denn je ist. Das erfolgreiche Engagement von Tschernomyrdin und die Sicherheitsratsresolution zeigen, daß sich Rußland dieser großen Verantwortung bewußt ist und auch in Zukunft bereit ist, eine
konstruktive Rolle in Gesamteuropa zu übernehmen. Ich
begrüße daher und möchte ausdrücklich würdigen auch als Oppositionspolitiker -, daß es der Bundesregierung auf dem Europäischen Rat in Köln gelungen ist,
sich im Rahmen der ersten gemeinsamen Strategie im
Bereich von Außen- und Sicherheitspolitik dem Verhältnis zu Rußland zu widmen. Das ist ein wichtiger
Fortschritt, den es auch heute zu würdigen gilt.
({10})
Mit der Sicherheitsratsresolution haben die Vereinten Nationen die Verantwortung für die Durchführung des Friedensplans übernommen. Der UNSicherheitsrat kann nunmehr seine traditionelle Rolle als
Hüter des Weltfriedens übernehmen und gestalten. Die
Volksrepublik China hat durch ihre Enthaltung gezeigt,
daß sie als bevölkerungsreichstes Land der Welt bereit
ist, einen konstruktiven Beitrag zu leisten.
Mit der Resolution werden die Voraussetzungen für
die Erreichung der eigentlichen Ziele der NATOIntervention, des Endes von Terror und Vertreibung und
der Rückkehr der - hoffentlich aller - Vertriebenen in
ihre angestammte Heimat, geschaffen. Dies ist die
Grundlage für die längerfristige Gewährleistung eines
wirksamen, international garantierten Schutzes vor weiteren serbischen Repressalien. Ohne einen effizienten
Schutz durch die KFOR-Truppen und ohne weitgehende
Kompetenzen für eine zukünftige Übergangsverwaltung
im Kosovo wird es weder eine Rückkehr der Vertriebenen noch eine Autonomie für die Albaner im Kosovo
geben können.
Meine Fraktion begrüßt, daß Deutschland an dieser
verantwortungsvollen Aufgabe für den Frieden in Europa maßgeblich beteiligt ist. Eine Aufstockung des deutschen Kontingentes ist gerade angesichts des Beitrags
der anderen Partner gerechtfertigt.
Wir sind mit unseren Gedanken heute bei unseren
Soldaten. Wir sind sicher: Wir werden unseren Beitrag
leisten, daß für ihre Sicherheit das Menschenmögliche
getan wird.
({11})
Die F.D.P.-Bundestagsfraktion unterstützt daher den
Antrag der Bundesregierung, sich an einer internationalen Sicherheitspräsenz im Kosovo aktiv zu beteiligen.
Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
({12})
Das Wort hat
jetzt der Vorsitzende der PDS-Fraktion, Gregor Gysi.
Frau Präsidentin! Meine
Damen und Herren! Im Namen der PDS-Fraktion begrüße ich ausdrücklich das von Anfang an von uns geforderte Ende der Bombardierung Jugoslawiens durch
die NATO
({0})
und damit das Ende eines völkerrechtswidrigen Angriffskrieges. Ebenso begrüßen wir die Chance auf ein
Ende von Vertreibung, Mord und anderen Menschenrechtsverletzungen im Kosovo.
({1})
Daß Milosevic glauben konnte, mit einer systematischen Vertreibung durchzukommen, liegt zweifellos
auch daran, daß der Westen bisher noch jede VertreiDr. Helmut Haussmann
bung hingenommen oder zumindest letztlich gebilligt
hat.
({2})
Dabei will ich gar nicht auf die Geschichte nach 1945
eingehen, sondern vielmehr darauf hinweisen, daß Griechenland gezwungen wurde, die Vertreibung aller Griechen aus dem türkisch besetzten Teil Zyperns hinzunehmen, daß der Westen geschwiegen hat, als 200 000
Serben aus der Krajina vertrieben wurden, und daß der
Westen nach wie vor dazu schweigt, daß schon über
1 Million Kurdinnen und Kurden aus der Türkei vertrieben wurden oder flüchten mußten. Es bleibt deshalb zu
hoffen, daß ab jetzt gleiche Maßstäbe - zumindest in
Europa, besser: weltweit - gelten und Vertreibungen generell nicht mehr hingenommen werden.
({3})
Sowohl die Regierung in ihrem Antrag als auch der
Bundesaußenminister und andere Redner in der heutigen
Debatte haben erklärt, die Doppelstrategie aus Krieg
und Diplomatie sei erfolgreich gewesen.
({4})
Diese These ist gefährlich; denn wenn es sich hierbei um
ein Erfolgsrezept handelt, dann empfiehlt es sich ja zur
Wiederholung. Genau das darf nicht sein!
({5})
Der Krieg darf nicht als eine Ergänzung der Diplomatie
verstanden werden; er muß als Mittel der Politik - gerade am Ende dieses Jahrhunderts, das so schreckliche
Kriege über die Völker gebracht hat - ausgeschlossen
werden. Gerade das jetzt beschlossene Ende des Krieges
und die Chance auf Frieden - mehr ist es ja wohl noch
nicht - zeigen, daß Mittel zur Bekämpfung von Menschenrechtsverletzungen die Respektierung und nicht
der Bruch des Völkerrechtes, der Einsatz von Politik und
Diplomatie und - je nachdem - auch wirtschaftlicher
Druck oder Wirtschaftshilfe sein müssen.
Es wird behauptet, der Krieg habe gebracht, was er
bringen sollte. Das wirft die Frage auf, was der Krieg
bewirken sollte. Wenn ich von dem ausgehe, was Bundesverteidigungsminister Scharping hier im Bundestag
am Morgen nach Beginn des Bombardements erklärte,
dann stelle ich fest, daß nicht dies, sondern eher das Gegenteil erreicht worden ist.
({6})
Damals, Herr Bundesverteidigungsminister, haben Sie
hier gesagt, Ziel des Bombardements sei es, Milosevic
dazu zu bringen, unverzüglich das Abkommen von
Rambouillet zu unterschreiben. Davon kann überhaupt
keine Rede sein. Wenn Sie das, was jetzt militärisch beschlossen wurde, mit dem vergleichen, was als militärisches Ziel im Vertrag von Rambouillet unterschriftsreif
vorlag, dann stellen Sie fest, daß es gravierende Unterschiede gibt. Ging es im Militärteil des Vertrages von
Rambouillet um die klare politische Hoheit der NATO,
so ist jetzt die politische und juristische Hoheit der UNO
festgeschrieben. Ging es damals darum, daß sich die
NATO-Truppen in ganz Jugoslawien aufhalten sollten,
so geht es jetzt nur um den Kosovo.
({7})
Ging es damals darum, der NATO zu ermöglichen,
jedes gewünschte Gebiet in Jugoslawien für ihre Zwecke
in Anspruch zu nehmen, so ist jetzt davon keine Rede
mehr. Ebenso ist jetzt keine Rede mehr davon, daß die
NATO in ganz Jugoslawien Manöver durchführen kann.
Ich sage das deshalb: Dadurch, daß dieser völlig verfehlte militärische Teil des Rambouillet-Abkommens
vorgelegt wurde, haben Sie es, Herr Bundesaußenminister, Milosevic ermöglicht, jetzt seinerseits von einem
Teilerfolg zu sprechen, indem er auf diese Unterschiede
hinweist. Genau das wollten wir nicht.
Als zweites Ziel, Herr Bundesverteidigungsminister,
haben Sie damals ausgegeben, durch die Bombardierung
eine humanitäre Katastrophe im Kosovo zu verhindern. Aber Tatsache ist, daß es seit Beginn des Krieges
im Kosovo eine bis dahin vom Ausmaß her unbekannte
humanitäre Katastrophe gibt. Obwohl schon nach zwei
Bombennächten klar war, daß jugoslawische Armee und
Polizei den Krieg zur systematischen Vertreibung der
Kosovo-Albaner nutzen,
({8})
haben Sie nicht aufgehört, dieses falsche Mittel einzusetzen. Damit haben Sie auch Mitverantwortung dafür
übernommen.
({9})
Die Zeit davor war schlimm, aber es handelte sich
eben noch nicht um eine Katastrophe. Der Bundesaußenminister weigert sich ja deshalb auch ({10})
- Sie müssen sich das schon anhören; ich komme noch
auf Ihre Einwände zu sprechen, Frau Beer -, zu erklären, weshalb sein Ministerium bis März 1999 gegenüber
den deutschen Verwaltungs- und Oberverwaltungsgerichten zur Ermöglichung der Abschiebung der KosovoAlbaner in das Kosovo verlauten ließ, daß es dort keine
ethnische Säuberung und keine systematische Vertreibung, sondern nur Übergriffe gebe.
({11})
Wenn es allerdings bei dem Krieg darum ging, eine
neue Rolle und Strategie der NATO, eine Art Interventionsrecht zu installieren, dann mag das gelungen sein.
Wenn es darum ging, Rußland und China ihre begrenzte
Rolle im internationalen Geschehen deutlich zu machen,
dann ist das meines Erachtens nur begrenzt gelungen.
Das gilt auch insbesondere dann, wenn es den USA darum gegangen sein sollte, die UNO und ihren Sicherheitsrat zu schwächen; denn der Krieg konnte zwar gegen den Willen Rußlands und unter Verletzung des Völkerrechts und des Gewaltmonopols des Sicherheitsrates
geführt werden, aber der Frieden war nur mit Hilfe
Finnlands, Rußlands und des Sicherheitsrates der UN
auf der Grundlage des Völkerrechts möglich. Dadurch
wurde der Eindruck vermittelt - dies ist nicht meine
Schuld -, die NATO sei für Krieg und die UNO für
Frieden zuständig. Das trägt wahrscheinlich zur Stärkung des Ansehens der UNO bei, was ein positives Ergebnis ist.
({12})
Wenn es den USA zusätzlich darum gegangen sein
sollte, die europäische Integration zurückzuwerfen, den
Euro zu schwächen und die Anleger in den Dollar zu
locken, dann ist dies allerdings voll gelungen.
({13})
Eine Folge des Krieges - das können Sie überhaupt
nicht leugnen - wird Hochrüstung sein. Sie wissen
doch auch, daß in Rußland die Frage der militärischen
Rüstung eine völlig andere Rolle spielt als in den letzten
neun Jahren - unabhängig davon, wer dort regiert hat.
Sie wissen, welche Umrüstungspläne es in der NATO
gibt und welche Rüstungspläne andere Staaten inzwischen aufgestellt haben. Sie wissen auch, welche Gefahren damit verbunden sind. Deshalb sage ich: Der entscheidende Kriegsgewinnler während des Krieges und
bei der anschließenden Hochrüstung ist die Rüstungsindustrie.
Aber auch die Gesellschaft im Innern wird sich verändern. Dazu haben gerade Sie, Frau Beer, einen Beitrag
geleistet; denn Sie haben im Oktober 1998 Ihre Zustimmung zur Androhung des Bombardements mit der Begründung verweigert, daß diese Androhung völkerrechtswidrig sei, weil es kein UN-Mandat gebe. Sie haben drei Monate später der Bombardierung zugestimmt,
obwohl es immer noch kein Sicherheitsratsmandat gab.
({14})
- Nein, am Sachverhalt hat sich nichts geändert, aber
Ihre Stellung hat sich geändert: Sie sind aus der Opposition in das Regierungslager gewechselt. Damit - das gilt
auch für Sie, Herr Volmer - haben Sie der Politik einen
bleibenden Schaden zugefügt.
({15})
Das gilt nicht für den Außenminister; er hatte vorher
schon ja gesagt.
({16})
Sie aber haben es nicht getan und damit der Glaubwürdigkeit aller Politikerinnen und Politiker geschadet.
Der Krieg hat viele Menschen verletzt und getötet;
durch ihn wurden Krankenhäuser, Wohnungen, Infrastruktur und Wirtschaft zerstört und eine ökologische
Katastrophe heraufbeschworen, zu der Sie ebenfalls geschwiegen haben. Jetzt geht es um Wiederaufbau. Über
diesen Punkt können wir uns verständigen. Es ist nämlich wichtig, daß nun Frieden im Kosovo und in Jugoslawien herrscht. Ich bitte aber zu bedenken, ob es richtig ist, zu sagen: Hilfe im Kosovo ja, aber in Serbien
erst, wenn dort demokratische Bedingungen nach unseren Vorstellungen herrschen. Ich finde, wir dürfen einen
Präsidenten nicht so wichtig nehmen.
({17})
Wir dürfen die Bevölkerung nicht schon wieder kollektiv bestrafen.
({18})
Krankenhäuser, Wohnungen und die Infrastruktur sind
zerstört. All das trifft Milosevic nicht. Er hat genügend
Wasser, Lebensmittel und Energie zum Heizen. Die Infrastruktur für die Bevölkerung muß wieder aufgebaut
werden.
Herr Kollege
Gysi, achten Sie bitte auf die Zeit.
Ja, Frau Präsidentin, ich bin
sofort mit meiner Rede am Ende.
Schauen Sie sich einmal die Geschichte an! Sie werden dann die Erkenntnis gewinnen: Wohlfahrt hilft der
Demokratie; Armut und Hunger befördern diktatorische
Strukturen. Deshalb sage ich: Wenn wir Demokratie in
Jugoslawien wollen, müssen wir jetzt beim Wiederaufbau helfen.
({0})
Dem Antrag der Bundesregierung können wir nicht
zustimmen, weil in ihm der Krieg nachträglich bestätigt
wird. Dies ist mit unserer Position nicht vereinbar. Ich
füge hinzu: Wir sind immer gegen NATO-Truppen als
Friedenstruppen gewesen. Wir wollen Truppen aus neutralen Staaten, weil diese am Krieg nicht beteiligt waren.
({1})
Letztlich bringe auch ich die Hoffnung zum Ausdruck, daß es im Kosovo ab jetzt - weder unter Zivilisten noch unter Soldaten - keine Toten mehr gibt und
daß wir Stabilität in dieser Region durch Wiederaufbau
erreichen. Dazu gehört aber auch Serbien, das wir nicht
vor der europäischen Tür stehen lassen dürfen.
Danke schön.
({2})
Das Wort hat
jetzt der Herr Bundesminister der Verteidigung, Rudolf
Scharping.
Rudolf Scharping, Bundesminister der Verteidigung ({0}):
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die heute
zu treffende Entscheidung kann man nicht allein im
Lichte der letzten elf Wochen betrachten. Es gibt eine
viel längerfristige Perspektive, und leider liegt dieser
Entscheidung auch eine viel längere Entwicklung zugrunde. Man könnte beispielsweise mit Fug und Recht
sagen, daß die Entwicklung mit der Aufhebung des Autonomiestatuts für den Kosovo durch Milosevic am 23.
März 1989 begann.
Bei der Lektüre eines Briefes, den der Träger des
Nobelpreises für Literatur, Ivo Andric, geschrieben hat,
ist mir eine Passage aufgefallen, von der ich glaube, daß
sie in dieser Debatte einen guten Hinweis bietet. Er
schrieb über Bosnien - dasselbe gilt für den Balkan -:
Vielleicht sollte man in Bosnien
- also auf dem Balkan die Menschen warnen, sich auf Schritt und Tritt, bei
jedem Gedanken und bei jedem, selbst dem erhabensten Gefühl vor dem Haß, dem angeborenen,
unbewußten, endemischen Haß zu hüten. Denn in
diesem rückständigen, armen Land, in dem vier
verschiedene Glaubensbekenntnisse zusammengepfercht leben, brauchte es viermal mehr Liebe, gegenseitiges Verständnis und Verträglichkeit als in
anderen Ländern.
Später schreibt er dann mit Blick auf diese Passage:
Aber wann wird diese Zeit kommen, und wer wird
stark genug sein, dies alles auszuführen? Einmal
wird der Tag kommen, ich glaube daran.
So schrieb Ivo Andric. Das war 1918, am Ende des ersten Weltkrieges.
Es sollte uns in dieser Debatte bewußt bleiben, daß
die Kriege dieses Jahrhunderts auf dem Balkan einen
Ausgangspunkt haben und daß jetzt die Chance besteht,
daß für eine lange, gute Zukunft auf dem Balkan das
Ende der Kriege in Europa gefunden wird.
({1})
Mein Kollege Joschka Fischer hat ganz zu Recht gesagt: Die Gewalt geht zu Ende. Damit ist eine Voraussetzung für Frieden geschaffen, aber noch lange nicht
der Frieden selbst. Ob Frieden entsteht, hängt von der
inneren Haltung der Menschen und von den Rahmenbedingungen ab, bei denen wir helfen können. Wir können
nicht in diesem Sinne - daß die Menschen im Kosovo zu
einer guten inneren Haltung finden - Frieden schaffen.
Wir können aber dabei helfen, und wir wollen das tun.
Dabei werden wir nicht vergessen, was in den letzten
Jahren geschehen ist. Wir werden uns erinnern, nicht im
Sinne von Rache oder Vergeltung, sondern im Sinne von
Aussöhnung und friedlicher Entwicklung, und wir werden auf längere Zeit wachsam bleiben müssen.
Welche Erfahrungen haben wir gemacht? Wir machen die Erfahrung, daß doch eine Chance besteht, an
die Stelle des Unrechtes der Macht die Macht des
Rechtes zu setzen.
({2})
Wir machen die Erfahrung, daß das erste internationale
Dokument, in dem gesagt wird, Menschenrechte seien
nicht alleine die innere Angelegenheit eines Staates, und
das auch in Europa verabschiedet worden ist, nämlich
die Schlußakte von Helsinki, Wirksamkeit entfalten
kann - nicht nur bei der Ermutigung von Freiheits- und
Bürgerrechtsbewegungen in Mittelosteuropa, sondern in
Europa insgesamt.
Es war der Bundesregierung von Anfang an bewußt,
daß sie eine große Verantwortung übernimmt und mit
dieser Verantwortung auch eine Möglichkeit zur Gestaltung europäischer Verhältnisse. Sie greift dabei übrigens auf etwas zurück, was auch frühere Bundesregierungen sehr deutlich ausgesprochen haben, beispielsweise der damalige Außenminister Genscher am 17. April
1991 im Deutschen Bundestag im Zusammenhang mit
einer Resolution, die den Irak betraf. Das hat, wie ich
denke, unverändert Aktualität. Damals sagte Bundesaußenminister Genscher, daß
erstmals in der Geschichte der Vereinten Nationen
in dieser Deutlichkeit zum Ausdruck gebracht
({3}), daß die Mißachtung der Menschenrechte
den internationalen Frieden und die Sicherheit bedroht. Sie kann nicht mehr nur als innere Angelegenheit eines Staates behandelt werden. Das ist eine
wichtige Fortentwicklung des Völkerrechts. Künftig
- so führte er damals aus kann sich keine Regierung, die Völkerrecht und
Menschenrechte mit Füßen tritt, die die Bürger ihres Landes unterdrückt und zur Flucht zwingt, darauf berufen, daß solche Vorgänge eine innere Angelegenheit sind, die der Mitsprache der Völkergemeinschaft und der Vereinten Nationen entzogen
sind.
Ich halte es für wichtig, diese Kontinuität zu betonen
und daraus einige Schlüsse zu ziehen, die weit über das
erfreuliche Erreichen von Gewaltfreiheit und das erfreuliche Schweigen der Waffen hinausreichen.
Es ist wahr, wir können auf ein erzieltes Ergebnis in
einem gewissen Umfang stolz sein. Aber jedes Triumphgefühl verbietet sich. Es ist wahr, wir können erleichtert
sein, daß wir ein Ziel erreicht haben, das wir uns von
Anfang an gesteckt hatten, nämlich den Menschen im
Kosovo ein sicheres Leben unter demokratischen
Umständen zu erleichtern und zu garantieren. Aber es
ist auch wahr, daß die Freude darüber nicht ungeteilt ist.
Wir haben auch unausweichlich Leid zugefügt, zum
Beispiel vielen Zivilisten in Serbien. Folglich mischt
sich in unsere guten Gefühle von Stolz und Erleichterung natürlich auch Trauer. Wir haben nicht Leid im
Sinne von Vergeltung anderen Leids zugefügt oder
heimgezahlt. Manches ist in solchen Auseinandersetzungen unausweichlich. Man sollte das auch als einen
Teil der eigenen und der gemeinsamen Verantwortung
erkennen. Das hat die Bundesregierung versucht.
({4})
Bundesminister Rudolf Scharping
Auch wenn wir zwei Tage vor einer Wahl stehen, die
genauso etwas mit Europa zu tun hat wie das, was wir
hier besprechen, sollte es uns dennoch ab Montag kommender Woche in einer etwas gelasseneren Rückschau
gelingen, zu akzeptieren, daß die Bundesregierung, die
Bundesrepublik Deutschland - auch dank der sehr breiten Unterstützung hier im Deutschen Bundestag - die
Einheit aus humanitärer Hilfe, unausweichlichen militärischen Maßnahmen und notwendigen intensiven politischen Bemühungen immer erhalten und immer auch das
Gleichgewicht zwischen diesen Maßnahmen hergestellt
hat. Alle Initiativen für eine politische Lösung des
Konflikts gingen von der Bundesregierung, vom Bundeskanzler und vom Bundesaußenminister aus. Ich sage
das mit Anerkennung, nicht um den Bundeskanzler oder
einen geschätzten Kollegen zu loben, sondern um deutlich zu machen, daß auch durch die Gemeinsamkeit fast
aller Abgeordneten im Deutschen Bundestag eine
Grundlage entstanden ist, die wir für die Zukunft erhalten und, wenn es geht, ausbauen sollten.
({5})
Ich wundere mich ein bißchen darüber - das ist die
einzige Bemerkung, die ich zu den Kuriositäten und
Verrenkungen des Kollegen Gysi machen möchte -, daß
wir diese gelassene, freilich etwas durchmischte Freude
nicht so zum Ausdruck bringen können, wie es angesichts der herausragenden Rolle der Bundesrepublik
Deutschland bei der Lösung eines außerordentlich
schwierigen Konfliktes eigentlich geboten wäre.
({6})
Es ist ein Krieg zu Ende gegangen, der gegen europäische Werte und gegen die europäische Zivilisation
geführt worden ist, und zwar über lange Zeit, viermal
auf dem Balkan und auch im Kosovo. Es ist ein Krieg zu
Ende gegangen, der die Chance beinhaltet, Menschenrechte und Menschenwürde sowie die Bedingungen, die
man dafür braucht, wirklich zu sichern. Es ist ein Krieg
zu Ende gegangen, der mit Sicherheit, wenn man die
militärischen Gegenmaßnahmen nicht getroffen hätte das ist nun Gott sei Dank keine spekulative Erörterung;
wir wußten das angesichts von 600 000 Vertriebenen
schon vor dem März 1999 -, angesichts der Brutalitäten
und der Erfahrungen, die wir in den Jahren seit 1991
gemacht haben, das Kosovo von seiner albanischstämmigen Bevölkerung ebenso entleert wie auch alle Nachbarstaaten destabilisiert hätte. Es entsprach also nicht
nur unseren Wertvorstellungen, sondern auch unserem
Interesse, diese Entwicklung endgültig und dauerhaft zu
stoppen. Wir haben das geschafft.
({7})
In aller Kürze möchte ich darauf hinweisen, daß es
auch noch weitreichendere Erfahrungen und Perspektiven gibt. Der erste Punkt ist: Europäer und Amerikaner
haben im Rahmen einer militärischen Allianz, die zugleich ein Bündnis aus Demokratien und Wertegemeinschaften ist, diesen Krieg gemeinsam beendet. Wir sollten uns darüber klar sein, daß die Weiterentwicklung
der NATO nur dann sinnvoll eingebettet werden kann,
wenn wir das transatlantische Bündnis insgesamt festigen und erweitern, ihm mehr Pfeiler geben als die wirtschaftliche Konkurrenz, die wir untereinander hier und
da haben, ihm die gemeinsamen Überzeugungen hinzufügen.
({8})
Der zweite Punkt ist: Wir können mit einigem Selbstbewußtsein sagen, daß wir in der Europäischen Union das ist eine große Hoffnung für die Zukunft - in einer
ganz entscheidenden Bewährungsprobe in Europa zusammengehalten haben. Ich will auch das in eine größere Perspektive stellen: Es ist noch gar nicht so lange her,
daß wir den Abschluß des Westfälischen Friedens vor
350 Jahren und die Entstehung der territorialen Ordnung
Europas gefeiert haben. Doch Bestandteil dieser territorialen Ordnung war die Souveränität der Staaten. Sie
pflegen ihre Beziehungen untereinander. Aber wie sie
mit ihren Bürgern umgehen, bleibt allein ihnen überlassen.
Der Beginn der Überwindung dieses Gedankengutes
liegt in der Schlußakte von Helsinki und in den nachfolgenden Entwicklungen. Es ist von großer Bedeutung,
daß die in der Vergangenheit entstandenen und in diesem Jahrhundert wirksamen - scheinbar traditionellen Bindungen zwischen einzelnen europäischen Völkern
und Staaten in diesem Konflikt keine entscheidende
Rolle mehr gespielt haben. Ich erinnere hier insbesondere an Frankreich und Großbritannien.
Der dritte Punkt ist: Wir haben mit Rußland - Gott
sei Dank - in dem Prozeß, der bis nach Paris geführt hat
und leider gescheitert ist, seit Anfang April zu einem
zunehmend kooperativen Verhältnis gefunden. Das wird
durch die Nachrichten, die zum Teil übertrieben, zum
Teil falsch sind, in keiner Weise beschädigt.
Ich will im übrigen mit Blick auf die Bemerkungen
des Kollegen Lamers darauf aufmerksam machen, daß
der Deutsche Bundestag in einem vergleichbaren Fall,
nämlich bei der Entscheidung über das IFOR-Mandat in
Bosnien nach Dayton, fast zwei Wochen vor dem Beschluß des Weltsicherheitsrates der Vereinten Nationen
seine Zustimmung gegeben hat. Das passierte in einer
Situation, die mit der heutigen durchaus vergleichbar ist.
Wenn der Balkan insgesamt eine gute Perspektive
haben soll, dann müssen wir dazu beitragen. Das richtet
sich an alle Nationen, an alle Völker, an die Menschen,
die in den verschiedenen Staaten des Balkans leben, und
zwar ganz unabhängig von ihrer ethnischen Abstammung. Wir haben eine große Chance, die Völker auf
dem Balkan haben eine große Chance, auch das serbische Volk. Unser Appell gerade an das serbische Volk
lautet: Nehmt euer Schicksal in die eigene Hand! Überlaßt es nicht einem Diktator, sondern kommt nach
Europa!
({9})
Bundesminister Rudolf Scharping
Wenn man das bedenkt, macht der Auftrag der internationalen Friedenstruppe - und die deutsche Beteiligung daran - einen großen, einen guten, einen weit in
die Zukunft reichenden Sinn.
Ich danke dem Deutschen Bundestag für die erwartete, erhoffte - und hoffentlich gewährte - breite Unterstützung. Vor allen Dingen aber danke ich den Soldaten
und ihren Familien. Sie leisten etwas für die Glaubwürdigkeit von Frieden, Freiheit, Menschenwürde und
Menschenrechten. Sie leisten etwas für das internationale Ansehen der Bundesrepublik Deutschland. Sie leisten das unter einem großen Risiko, und das ist besonders anerkennenswert.
Es ist ihnen besonders dafür zu danken, daß sie es
voller Überzeugung, voller Engagement tun, wissend
um das Risiko, wissend aber auch darum, daß man sie
braucht, wenn man die Werte durchsetzen und bewahren
will, von denen wir heute gesprochen haben. Ich wünsche - wie andere hier - auch den Soldaten eine gesunde
Heimkehr. Ich versichere den Familien, daß wir alles für
die Sicherheit ihrer Väter und Söhne tun werden.
({10})
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Paul Breuer.
Frau Präsidentin! Meine
Damen und Herren! Bundesverteidigungsminister Scharping hat der großen Mehrheit des Verteidigungsausschusses am heutigen Morgen für die Unterstützung seiner Arbeit in den letzten Wochen gedankt. Ich darf an
dieser Stelle Ihnen, Herr Minister Scharping, und allen
anderen Beteiligten diesen herzlichen Dank erwidern.
({0})
Der kluge UNO-Generalsekretär Kofi Annan hat
gestern abend gesagt, dieser Waffenstillstand sei, so hoffe er, der Anfang vom Ende eines der dunkelsten Kapitel
in der Geschichte des Balkans. Er hat es als Hoffnung
ausgedrückt. Er hat dabei noch einmal deutlich gemacht,
daß die letzte Etappe der 79 Tage, die wir alle als bedrückend empfunden haben - aber es war richtig, sie
durchzustehen -, nicht so sehr im Fokus des Zeitraffers
stehen darf. Dieser Konflikt hat zehn Jahre gedauert:
seitdem Milosevic die Autonomie des Kosovo aufgehoben und damit die schlimmen Konflikte begründet hat,
die wir danach erlebt haben. Das heißt, daß wir heute
Dankbarkeit und Erleichterung empfinden können. Wir
wissen aber, daß wir uns auf einen schweren, langen
Weg machen.
Dieser Waffenstillstand schafft durch das Abrücken
des serbischen Militärs, des Paramilitärs, der Banden,
der Polizei, der Sonderpolizei und durch das Einrücken
der NATO-Kräfte die Möglichkeit, daß die Flüchtlinge
zurückkehren. Aber auf diesem Weg liegen nicht nur
schwere Steine und Felsen, sondern auch Minen. Das ist
geistig und tatsächlich ein vermintes Gelände.
Es gibt eine Reihe von Schwierigkeiten und Risiken,
die auf unsere Soldaten und auf die rückkehrende Bevölkerung zukommen. Wir möchten, daß unseren Soldaten versichert wird - ich bin gewiß, das geschieht -,
daß ein so sicheres Umfeld, wie nur irgend möglich, geschaffen wird. Das wäre dann auch für die Flüchtlinge
eine Gewähr. Ich weiß, es gibt viele Risiken, die man
nicht zu 100 Prozent ausschließen kann. Vor uns liegt
ein gefährlicher Weg. Wir wünschen unseren Soldaten,
denen wir herzlich danken - nicht nur denjenigen im
Balkan, aber ihnen besonders -, dafür viel Glück.
({1})
Wir bedanken uns auch bei ihren Familien. Ich traf
neulich in Mazedonien einen jungen Bundeswehrsoldaten, der mir erzählte, daß seine Frau zu Hause gerade
das erste Kind erwartet. Er muß nun - er will es auch in den Kosovo einrücken. Aller Wahrscheinlichkeit nach
wird das Kind in dieser Zeit zu Hause, hoffentlich gesund, geboren werden. Versetzen wir uns in die Gedanken- und Gefühlswelt dieser Familie: Die Frau empfindet Einsamkeit, weil ihr Mann in ungewissem Umfeld
unterwegs ist und er ihr nicht beistehen kann. Unsere
Soldaten sind keine Maschinen. Es sind Menschen mit
allen Gefühlen und allen Ängsten; sie brauchen die Unterstützung des Deutschen Bundestages, um das zu tun,
wofür wir sie einsetzen.
({2})
Auch die Familien brauchen diese Unterstützung.
Es geht darum, daß jetzt Vertrauen im Kosovo aufgebaut wird. Es ist ein weiter Weg - ich stimme dem zu,
was Verteidigungsminister Scharping gesagt hat -, aus
der Spirale von Gewalt und Rache herauszukommen.
Rache muß vermieden werden. Wir können in die Situation geraten, daß sich deutsche Streitkräfte zwischen
Rachsüchtige und deren Opfer stellen müssen. Das kann
man mit Verträgen leider nicht verhindern.
Meine Damen und Herren, es sei mir gestattet, darauf
hinzuweisen, daß wir alle die Haltung, die verbrecherische Art von Milosevic unterschätzt haben. Bedrückt hat
uns ja in den letzten Monaten, daß die Luftangriffe so
lange anhalten mußten. In diesem Zusammenhang
möchte ich davor warnen, möglicherweise auch die Gefahren, die vom Balkan, vom Kosovo ausgehen können,
zu unterschätzen. Wir brauchen viel Umsichtigkeit, und
wir müssen die richtigen Konsequenzen ziehen. Das läßt
sich nicht allein mit militärischer Gründlichkeit beantworten, das bedarf einer umfassenden Kombination von
militärischer Gründlichkeit und entsprechender diplomatisch-politischer Begleitung.
Die jetzt auf uns zukommende Aufgabe ist für
Deutschland von historischer Bedeutung. Deutschland
bzw. die Bundeswehr erhalten eine eigene Sicherheitszone, in der wir zusammen mit unseren Partnern und
Nachbarn, den Niederländern und den Österreichern,
Verantwortung tragen. Dies ist eine geschichtlich beBundesminister Rudolf Scharping
deutsame Situation. Wer hätte noch vor wenigen Jahrzehnten gedacht, daß die Europäer bzw. gerade die
Nachbarn Deutschlands, zum Beispiel die Niederländer,
auf der Basis ihrer geschichtlichen Erfahrungen dazu bereit wären, zusammen mit der Bundeswehr eine so
schwierige Aufgabe anzugehen? Ich bin dankbar dafür,
daß die Regierungen der letzten Jahrzehnte und insbesondere die Regierung Helmut Kohl und Klaus Kinkel
eine Grundlage dafür geliefert haben, daß dies heute geschehen kann.
({3})
Gestern abend konnte man sehen - diese Möglichkeit
haben wir ja angesichts der vielen Fernsehkanäle, die es
bei uns gibt -, wie in unseren Nachbarländern, in Holland und Österreich, darauf reagiert wird. Dazu muß ich
sagen: Das erfüllt mich ein Stück weit mit Befriedigung.
Wir haben eine gute politische Ausgangsbasis.
Aber eine Feststellung im Hinblick auf die schwere
Aufgabe der Bundeswehr muß man hier treffen - auch
dies muß gestattet sein -: Die Bundeswehr wird dadurch, daß sie auf lange Zeit eingesetzt wird - niemand
von uns kann sagen, wie lange der Einsatz dauern wird;
ich befürchte, sehr lange -, bei der Bewältigung ihrer
Aufgabe bis aufs äußerste gefordert sein. 12 000 bzw.
13 000 Soldaten - das heißt eine große Division - werden ständig im Kosovo im Einsatz sein. Da diese zweimal im Jahr abgelöst werden, sind als Grundlage drei
Divisionen erforderlich. Nebenbei gesagt: Dazu sind ungeheure finanzielle Mittel notwendig.
Auf ein weiteres möchte ich hinweisen - ich weiß,
manche Sozialdemokraten empfinden angesichts der jetzigen Situation so wie ich -: Wenn der sonst so geschätzte Kollege Kröning feststellt, daß der Bundeswehr
Geld entzogen werden müsse, bzw. nicht dazu bereit ist,
für die Erfüllung der Aufgabe der Bundeswehr im Kosovo weiter Mittel bereitzustellen, ist das ein Mangel an
Sensibilität. Wir müssen ihn gemeinsam - da wende ich
mich besonders an die Sozialdemokraten - von diesem
Weg abbringen.
({4})
Angesichts der Tatsache, daß sich unsere Soldaten in
dem schwierigsten Einsatz seit dem zweiten Weltkrieg
befinden, kann man nicht meinen, man leiste einen angemessenen politischen Beitrag, wenn man unseren in
der Demokratie großgewordenen und loyal zur Demokratie geführten Soldaten gleichzeitig das Geld entzieht
und die Kasernen abbricht. Das muß vermieden werden.
({5})
Herr Kollege
Breuer, denken Sie bitte an Ihre Redezeit.
Frau Präsidentin, ich
komme zum Schluß.
({0})
Der Kosovo-Konflikt muß uns Lehre für die Zukunft
sein. Dazu möchte ich gern, wenn es mir gestattet wird,
drei Feststellungen treffen.
Für drei Feststellungen fehlt Ihnen die Zeit. Herr Kollege Breuer,
versuchen Sie, diese in einem Satz zusammenzufassen.
Frau Präsidentin, es ist
dann ein langer, aber guter Satz.
({0})
Dann los.
Ich bin mir sicher, daß Sie
die Geduld, die ich von Ihnen kenne, dafür aufbringen
werden.
Die Sicherheit Europas ist ohne die NATO und unsere transatlantischen Freunde in Nordamerika nicht
denkbar. Wir sollten deshalb nicht die kritische Distanz,
sondern die selbstbewußte Nähe zu ihnen suchen. Die
Sicherheit Europas ist zudem nur gemeinsam mit Rußland möglich. Und was die Meldungen des heutigen
Morgens angeht, so möchte ich die Bundesregierung
auffordern, alles zu tun, damit Rußland eingebunden
wird.
Wir müssen den europäischen Pfeiler der Allianz
stärken und ständig die Frage an uns richten, ob unser
Beitrag gut und angemessen ist. Dann bin ich mir sicher,
daß wir auf dem richtigen Wege sind.
Die CDU/CSU hat sich zu diesem Weg bekannt, in
den letzten Wochen zum Teil stärker als die rotgrüne
Koalition. Auf diese Feststellung legen wir Wert. Wir
haben zu diesem Prozeß einen guten Beitrag geleistet
und werden dem Antrag der Bundesregierung zustimmen.
Ich bedanke mich.
({0})
Das Wort hat
jetzt die Abgeordnete Angelika Beer.
Frau
Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich
denke, daß nicht nur mir und den meisten Mitgliedern
des Hauses, sondern auch der Bevölkerung gestern um
19 Uhr Wackersteine vom Herzen gefallen sind, als bekannt wurde, daß der UN-Sicherheitsrat den Weg zu
einem Friedensprozeß eröffnet hat und begleitet und in
Zukunft stärken wird.
({0})
Herr Breuer, ich will Ihnen eines sagen: Sie haben in
den letzten schwierigen Monaten Angriffe gegen uns
unternommen in dem Versuch, die Regierung zu spalten,
die Koalition auseinanderzutreiben. Eine solche Situation haben Sie in Ihrer Regierungszeit nie kennengelernt:
Wir sind nicht die pflegeleichte Jasager-Koalitionspartnerin, sondern Bedenkenträger. Ich glaube auch, daß das
gut und richtig ist, gerade wenn es um Menschenrechte
und um einen Krieg geht, den wir so zum erstenmal führen mußten. Diese Sorgen und Ängste haben nicht nur
die politisch Handelnden umgetrieben - ich glaube, das
bezieht sich auf alle Parteien -, sondern auch die Gesellschaft, mit zunehmender Dauer der NATO-Luftschläge,
um die ethnischen Säuberungen Milosevics endgültig zu
beenden, stärker.
Die Bedenken, die wir geäußert haben, die auch
heute noch diskutiert werden und mit denen wir auch
unserer Partei viel zugemutet haben - ich glaube, auch
das war richtig so -, entsprechen einer Zäsur. Diese Bedenken aber haben zu Ergebnissen geführt: Wir tragen
Verantwortung, nicht in Form von Lippenbekenntnissen,
wie manch andere es bisher getan haben, sondern unter
Anerkennung der Realität, Herr Gysi. Wir haben entschieden, daß der Militäreinsatz notwendig war, um die
Kriegsführung von Milosevic zu beenden und die Kosovaren zu retten. Wir hatten keine andere Möglichkeit,
nachdem Ihre Regierung über Jahre hinweg alle präventiven Mittel ungenutzt gelassen hat.
({1})
Zur Realität gehört aber auch, daß wir während der
Luftschläge alle Friedensinitiativen, die insbesondere
diese Regierung, aber auch die anderen Organisationen
und Personen, die heute oft erwähnt worden sind, aktiv
unterstützt haben. Dies widerlegt den an uns gerichteten
Vorwurf. Viele gerade aus Ihrer Partei, Herr Gysi, haben
gesagt, Rotgrün habe diesen Krieg erst möglich gemacht. Ich sage Ihnen: Nein! Rotgrün hat es möglich
gemacht, daß die Diplomatie immer im Vordergrund
stand. Wir können heute sagen: Wir haben das Fenster
zum Frieden geöffnet, und das mit Unterstützung der
internationalen Staatengemeinschaft.
({2})
Zu dieser Realität - das möchte ich zum Schluß sagen
- gehören nicht nur die Sorge und die Verantwortung für
die Flüchtlinge und die Vertriebenen, für die Entminung
und für die präventive Politik der Zukunft, sondern auch
die Verantwortung für und das Wissen um den schweren
Einsatz der Bundeswehrsoldaten. Das heißt, es gilt,
heute noch nicht endgültig aufzuatmen. Vielmehr wissen
wir, daß nach dem Einsatz am 24. März jetzt die nächste
schwere Phase mit unendlichen Gefahren kommt. Meine
Fraktion und meine Partei unterstreichen ausdrücklich
die heute oft geäußerte Hoffnung und den Wunsch, daß
die Soldaten diesen schwierigen Einsatz gut überstehen
und gesund zurückkommen; denn wir wissen, daß es ihr
Ziel ist, nach der humanitären Arbeit der letzten Monate
jetzt diesen Menschen, die sie versorgt haben, die Rückkehr ins Kosovo zu erleichtern und den Frieden auf dem
Balkan zu stabilisieren.
Vielen Dank.
({3})
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Günther Nolting.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Frau Kollegin Beer, Sie
haben der alten Koalition bis zum 27. September des
letzten Jahres die Militarisierung der Außenpolitik vorgeworfen.
({0})
Ich glaube, man braucht nicht viel Phantasie zu haben,
wie die heutige Diskussion verlaufen wäre, wenn Sie
heute noch in der Opposition wären: Sie, Frau Beer, und
Ihre Parteifreunde wären wahrscheinlich tagtäglich auf
der Straße, um eine Demonstration anzuführen, und
würden sich an Mahnwachen beteiligen.
({1})
Es ist schon eine verdrehte Politik. Ich glaube, nach der
Wende hat man solche Leute als Wendehals bezeichnet.
({2})
Im Kosovo ging es nicht um ein Kriegsziel der
NATO, sondern um die Frage an freiheitlich verfaßte
Gesellschaften, ob sie wegschauen wollen, wenn 55 Jahre nach Beendigung des zweiten Weltkrieges erneut
europäische Volksgruppen gefoltert, ermordet und vertrieben werden. Es ist schon bezeichnend, daß der Sprecher der SED-Nachfolgeorganisation PDS den Sicherheitsratsbeschluß der UN einfach ignoriert, abtut
({3})
und, losgelöst von dieser Beschlußlage, Parlament und
der Regierung Vorwürfe macht. Sie hätten bei Ihren
Bemerkungen auch Stellung dazu nehmen können, wie
es war, als Sie den Westen angegriffen haben, wer
eigentlich den Prager Frühling niedergeschlagen hat,
wer den Aufstand in Ungarn niedergeschlagen hat und
wer den Aufstand am 17. Juni niedergeschlagen hat.
Auch dazu hätten Sie sich heute äußern können, statt
den Westen hier einseitig anzugreifen.
({4})
Ich möchte mich für die F.D.P. bei allen bedanken,
die dazu beigetragen haben, daß es zum Beschluß des
Sicherheitsrates der UN gekommen ist. Die F.D.P.Bundestagsfraktion wird dem von der Bundesregierung
vorgelegten Antrag für die deutsche Beteiligung an der
KFOR-Truppe für den Kosovo zustimmen. Wir tun
dies aus staatspolitischen Überlegungen, aus bündnispolitischen Überlegungen und aus humanitären Gründen. Aber wir tun dies nicht ohne ernste Bedenken. Diese Bedenken beziehen sich nicht etwa darauf, daß wir
die Notwendigkeit bezweifeln, im Kosovo wieder zu einem Frieden zu kommen, als vielmehr auf die Art und
Weise, in der die Beschlußvorlage zustande gekommen
ist.
Herr Minister Scharping, weil es um Krieg und Frieden geht, haben wir die hektische Handlungsweise der
Bundesregierung gegenüber dem Parlament in dieser
Woche hingenommen. Wenn es um den Einsatz unserer
Soldaten geht, die dabei eventuell Leib und Leben riskieren, dann ist keine Sitzung zuviel, keine Frage überflüssig und keine Erläuterung unnötig.
Der SPD-Fraktionsvorsitzende hat den Hinweis auf
den Haushalt in einem Zwischenruf als „kleinlich“ abgetan. Wir werden bei den weiteren Beratungen, wenn
es auch um den Haushalt geht, darauf zurückkommen.
({5})
Es wird darum gehen, daß der Verteidigungsetat nicht
weiter gekürzt wird. Herr Minister, in dieser Frage haben Sie unsere Unterstützung.
({6})
Herr Kollege
Nolting, denken auch Sie bitte an die Zeit.
Letzter Satz,
Frau Präsidentin.
Ich denke, es wäre gut gewesen, wenn Sie sich auch
zu den Finanzen geäußert hätten. Ich erinnere die Bundesregierung an ihre Aussagen, den Verteidigungsetat
nicht weiter zu belasten, und hoffe, daß sie dazu steht.
Unsere Soldaten und ihre Familien brauchen diese Sicherheit. Ich sage Ihnen zu, Herr Minister, daß wir Sie in
dieser Frage unterstützen werden.
Vielen Dank.
({0})
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Dr. Christoph Zöpel.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Nach berechtigten Beklemmungen und Zweifeln in den vergangenen Wochen ist dies heute unstreitig ein Tag der
Freude. Bei der Bewertung bin ich zurückhaltend. Sicherlich werden diese Wochen in den Geschichtsbüchern der europäischen Geschichte des 20. Jahrhunderts
breiten Raum einnehmen. Was in den Geschichtsbüchern des 21. Jahrhunderts über Osteuropa stehen wird,
steht noch nicht fest. Auch das sollte heute gesagt werden.
Die Risiken kennen wir. Ich glaube, alles, was heute
durch Herrn Lamers und in den vergangenen Tagen vor
allem durch Mitglieder der Partei der Grünen hinsichtlich vorhandener Risiken geäußert worden ist, ist einer
Demokratie würdig. Wir kennen friedliche Handlungsoptionen und haben die Hoffnung, gewalttätige Handlungsoptionen vermeiden zu können. Nur, am Anfang
stand schon eine enttäuschte Hoffnung: die Hoffnung,
die in der Charta von Paris von 1989 niedergeschrieben
ist, daß es so etwas - Völkermord und Bombenattacken
- in Europa nicht mehr geben würde. Wer 1989 die Geschichte des 20. Jahrhunderts geschrieben hätte, hätte
sich geirrt.
Das, was wir hinter uns haben, wurde auch moralisch
diskutiert, obwohl das nicht der Kern der Sache war. Der
Kern der Sache war, daß die NATO wußte: Die ethnischen Verfolgungen im ehemaligen Jugoslawien sind
mit den Mitteln der NATO bekämpfbar. Wir haben in
der jüngeren Geschichte genug ethnische Verfolgungen
erlebt - und erleben sie noch heute -, die nicht bekämpfbar sind. Deshalb war es keine Frage der absoluten Moral. Gerade weil diese Verfolgungen bekämpft
werden konnten, wurden die Entscheidungen so schwierig. Für den Einsatz wurden sehr konkrete Bedingungen
festgesetzt, unter anderem, daß es zu keinem Verlust eigener Soldaten kommen sollte. Dies ist, von tragischen
Nebenunglücken abgesehen, gelungen.
Unbeteiligte Zivilisten in Serbien haben mehr Schaden genommen, als wir das wollten. Das hat damit zu
tun, daß sich die meisten - ich schließe mich da mit
ein - hinsichtlich der notwendigen Dauer dieser Auseinandersetzung geirrt haben. Der Kern war aber: Wir
konnten handeln. Deshalb stellte sich überhaupt erst die
moralische Frage.
Handeln konnten wir nur, weil die NATO auf die
Waffentechnik der USA gestützt ist. Das ist ohne jeden
Zweifel deutlich geworden. Das festzuhalten ist richtig.
Dennoch sollte ein realistisches und erwachsenes Verhältnis zu den USA jetzt nicht auf die Frage von Dankbarkeit oder Undankbarkeit reduziert werden.
({0})
Insbesondere mit republikanischen Kollegen des amerikanischen Kongresses über diesen Krieg diskutiert zu
haben, hat die meisten Äußerungen grüner Kollegen
- angesichts der rabiaten Kritik, die Mitglieder des amerikanischen Kongresses an diesem Krieg geäußert haben
- zu harmloser Kritik werden lassen. Zu einem erwachsenen Verhältnis zwischen den Demokratien Europas
und der USA gehört auch diese Erkenntnis.
({1})
Der Dialog mit den Vereinigten Staaten - so wie ich
ihn erlebt habe - hatte zwei Seiten. Auf der einen Seite
stellten Kollegen die Frage: Macht Europa bei den
NATO-Aktionen weiter mit? Man konnte darauf sehr
einfach antworten: Im Deutschen Bundestag gab es zu
dem Einsatz viel mehr Zustimmung als im amerikanischen Kongreß. Auf der anderen Seite gab es die Frage:
Warum regelt ihr Europäer das Kosovo-Problem nicht
selber? Bei dieser Frage sind wir bei der Quintessenz
des europäisch-amerikanischen Verhältnisses: Was können wir, wenn Völkerrechts- und Menschenrechtsverstöße in Europa passieren, selber regeln? Ich glaube, die
Beschlüsse des Ministerrats der WEU von Bremen und
jetzt des EU-Gipfels, eine europäische Sicherheitsidentität anzustreben, sind die richtige Antwort. Dazu sind
noch viele spannungsreiche Diskussionen mit den befreundeten Amerikanern zu erwarten.
({2})
Das Verhältnis zur UNO hat in der Frage, wie der
Sicherheitsrat effektiv werden kann, neue Realitätseinsichten zugelassen: Europa kann mit China nicht nur
über Menschenrechte sprechen - so berechtigt das ist -,
wenn Europa meint, man brauche China auch zur
Lösung von Konflikten in Europa. Das mußte man lernen. Ich hoffe, diese Erkenntnis bleibt. Daß Europa mit
Rußland bei komplizierten Verhältnissen dauerhaft gute
Beziehungen pflegen muß, selbst wenn Menschenrechte
und Mafia kritisch im Spiel sind, hat man ebenfalls gelernt. Hier haben wir Fortschritte erzielt, und die UNO
hat eine neue Realität hinzugewonnen.
Die Aufgabe, die sich uns heute stellt, liegt mir am
Herzen. Jeder, der sich dazu öffentlich äußert, sollte sich
über das klar sein, was er tut. Dieser Krieg ist geführt
worden, um Menschen nicht zu Vertriebenen werden
zu lassen. Diese Menschen wurden allerdings trotzdem
von Milosevic vertrieben, was durch die Attacken der
NATO beschleunigt wurde. Jetzt sollen sie in ihre Heimat zurückkehren. Nun weitherzig zu bedenken, wie
deren Schicksal ist, ist unsere Aufgabe. Ich habe kein
Verständnis dafür, schon heute darüber nachzudenken,
wie sie schnell wieder aus den EU-Staaten verschwunden sein können. Das hat mit Humanität und Christentum nichts gemein.
({3})
Compassion - auch ich möchte diesen Begriff verwenden - gilt für mich ebenso für unser Verhältnis zu den
Menschen in Serbien, soweit sie nicht schuldhaft in diesen Krieg verstrickt waren.
({4})
Nun wende ich mich der Lösung zu. Wir können
Szenarien über eine zukünftige Ordnung auf dem
Balkan malen, die jedoch alle nicht eintreten werden,
wenn nicht die eine Voraussetzung erfüllt ist: Nur wenn
wir alle, die wir schon zur Europäischen Union gehören,
fest davon überzeugt sind, daß auch Albaner, Mazedonier und Serben Europäer sind, dann wird der Konflikt
gelöst werden.
({5})
Die Voraussetzung ist, daß wir glauben, daß sie Europäer und keine merkwürdigen Bergvölker sind. - Im
Zusammenhang mit den albanischen Bergvölkern, die
etwas unzivilisiert sind, denke ich immer an Mutter Teresa. Vielleicht mag mancher darüber nachdenken, der
so etwas selbst in Landtagen erzählt hat.
Weil sie alle Europäer sind, müssen die Prinzipien
von Kopenhagen, die der Bundesaußenminister erwähnt hat, eine andere Bedeutung erhalten. Diese Prinzipien können nämlich zweierlei sein: entweder eine
Abwehr gegen solche, die wir nicht wollen, oder eine
Einladung, sich uns anzuschließen. Wer im Europa von
heute die Prinzipien von Kopenhagen nicht als eine
Einladung an Albaner, Serben, Mazedonier und andere
begreift, sich in Europa zu integrieren, und ihnen nicht
mitteilt, daß wir mit ihnen in einem staatsähnlichen
europäischen Gebilde zusammenleben wollen, der zieht
nicht die richtigen Konsequenzen. Alle Szenarien nützen
dann nichts.
Ich wünsche mir als entscheidende Voraussetzung für
alles, was jetzt geschehen kann - Stabilitätspakt, Aufbau
der Zivilverwaltung und ähnliches - folgende Vision.
Wir möchten mit diesen Völkern in einem Europa
zusammenleben und erleben, daß Konflikte, die mit
Gewalt verbunden sind - die es, wie in Nordirland oder
im Baskenland, immer geben wird -, als Probleme der
inneren Sicherheit Europas von Europäern human gelöst
werden können.
Herzlichen Dank.
({6})
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Christian Schmidt.
Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Sowohl das, was Kollege Zöpel gerade mit seinen Hinweisen auf die Kopenhagener Dokumente, auf die Charta
von Paris und auf all die diplomatischen und präventiven Versuche, in Europa nach dem Fall des Eisernen
Vorhangs eine Friedensordnung zu erreichen, dargelegt
hat, als auch die Politik von Volker Rühe, von Helmut
Kohl und von Theo Waigel haben in den letzten Jahren
die Grundlage dafür gelegt, daß wir heute an diesem
Punkt angekommen sind.
({0})
Kollegin Beer widerspricht dem zwar, aber ihre Rede
war wohl eher an die eigene Partei gerichtet als an irgend jemand anderen. Ernst zu nehmen waren ihre Begründungen jedenfalls nicht.
Wir müssen den Blick nach vorne richten und überlegen, wie die Kernfragen, die sich uns nach den Militäraktionen in der heutigen Situation stellen, beantwortet
werden können. Diese Fragen gehen sehr in die Tiefe:
Welche Kriegsziele verfolgte man? Waren sie überhaupt
klar genug definiert? Wenn ja, sind sie wirklich erreicht
worden? Wie lange werden wir dort militärisch engagiert sein müssen? Sind wir uns über das Ausmaß des
politischen Engagements bewußt? Welche Gefahren
drohen in der kommenden Zeit noch aus Jugoslawien?
Was können wir Europäer bzw. was sind wir Europäer
verpflichtet zu tun? Welche Auswirkungen wird dieser
Konflikt auf die zukünftige Struktur der Vereinten Nationen haben? Auch die Beantwortung dieser Frage bedarf einer langen Diskussion. Auch das bedarf einer langen Diskussion. Welche Lehren zieht die NATO aus
dem Konflikt?
Herr Kollege Zöpel, ich darf an das anschließen, was
Sie gesagt haben. Natürlich wird auch in Zukunft und
gerade bei Lösungen regionaler Konflikte in Europa das
europäische Engagement innerhalb der NATO anders
bewertet werden müssen, als es vielleicht vor Jahren
noch der Fall gewesen ist. Diese Fragen kommen nicht
nur aus Washington - jawohl, auch daher -, sondern
werden auch bei uns selbst gestellt.
Damit bin ich beim Thema Kosten. Ich erlaube es
mir nun doch noch, es einzubringen. Der Kollege Struck
hat zwar in seiner Rede, die er zunächst abgelesen hat dann ging er zum freien Vortrag über ({1})
- Diese parteipolitische Holzhackerei, die wir dabei erlebt haben, war der heutigen Debatte nicht würdig.
({2})
Der Kollege Struck hat zwar das Kostenargument
beiseite gewischt. Aber wenn ich allein die Satellitenaufklärung, die Frage der europäischen Möglichkeiten,
auch militärisch aktiv zu werden, betrachte, dann mag
sagen, wer will - ich kann es nicht -, daß das für den
Haushalt ohne Relevanz wäre. Dabei sind wir natürlich
bei zentralen Themen. Herr Verteidigungsminister, die
Überholungen in der Wehrstrukturkommission sind
durch Einwürfe des Kollegen Kröning oder des Herrn
Finanzminister Eichel bereits in Frage gestellt. Wir müssen uns darüber in den nächsten Jahren schon sehr intensiv Gedanken machen. Wir sind dazu konstruktiv bereit.
Das will ich für unsere Seite nur anbieten.
Eines jedenfalls scheint klar zu sein: Der KosovoKonflikt ist nicht ein singulärer Konflikt, sondern ein
Mosaikstein im Bild des auseinanderbrechenden Jugoslawiens und der Machtarroganz des Slobodan Milosevic. Auch unserer Zeit wird es nur schwer gelingen, die
Probleme dieser Region zu lösen - ich empfehle jedem
die Lektüre von Ivo Andric; er hat dies über den Lauf
der Jahrhunderte an Beispielen literarisch hervorragend
dargestellt -, den ewigen Frieden auf dem Balkan zu installieren. Realistisch ist es, hier die eigenen Ansprüche
zu reduzieren und zu versuchen, möglichst den Grundstein für eine lange Phase des Friedens in diesem Teil
Europas zu legen. Wir müssen dies gemeinsam mit den
dort lebenden Menschen erarbeiten. Wir wären überheblich, wenn wir meinten, wir könnten das ohne diejenigen, die davon betroffen sind und dort leben.
({3})
Wenn es uns schon nicht gelingen wird, die Menschen zu verbessern - daran glaube ich nicht -, so muß
es doch gelingen, die namentlich zu benennenden Verursacher der Verbrechen auszuschalten. Milosevic
war Verursacher dieses Krieges. Er war auch Verursacher des Krieges zwischen Serben und Slowenen und
zwischen Serben und Kroaten, und er war - gemeinsam
mit seinem Vasallen Karadzic - der Verantwortliche für
den Bosnien-Krieg. Kann man einen solchen Despoten
als Verhandlungspartner akzeptieren, obwohl wir doch
wissen, daß es noch ein paar Dominosteine gibt, die dieser ideologisch verblendete Mensch auf dem Altar seiner
großserbischen Vorstellungen und seiner Machterhaltung opfern möchte?
Als nach der Unabhängigkeit Kroatiens und Sloweniens die serbische Armee aus diesen Teilen Jugoslawiens
abzog und in Bosnien Unterschlupf fand, hatten viele die
Befürchtung, daß die Freude des einen das Leid des anderen werden könnte. So ist es auch gekommen. Die
nach Bosnien hinüberziehenden Truppen waren später
ein Teil der Kräfte, die Bosnien in die Knie zu zwingen
versuchten.
Drei Jahre später hat es auch Richard Holbrooke bei
der Befriedung Bosniens durch das Dayton-Abkommen
nicht geschafft, die Frage des Kosovo einzubeziehen.
Der Kosovo war in Dayton nicht berücksichtigt worden
und somit letztendlich schutzlos. Dreieinhalb Jahre nach
dem Dayton-Abkommen ist es nun gelungen, Frieden
für den Kosovo wenigstens in Aussicht zu stellen.
Wir wissen, daß gewisse Entwicklungen in Montenegro, in der Vojvodina und im Sandschak mit den dort
lebenden Minderheiten nicht geregelt sind.
({4})
Ich meine, Herr Kollege Schmidt, daß dies eine sehr
ernste und sehr nachdenkenswerte Frage ist.
({5})
- Im Gegensatz zu Herrn Struck habe ich meine Rede
selber geschrieben.
({6})
Die Frage, wie wir in diesen Regionen Serbiens und
im ehemaligen Jugoslawien, in Montenegro den Schutz
der dort Lebenden sicherstellen können, ist nicht beantwortet. Die serbische Armee zieht aus dem Kosovo ab.
Wo zieht sie hin? In zerbombte Kasernen? Nein! Sie
wird ein Unsicherheitsfaktor werden. Wir müssen womöglich aufpassen, daß die Republik Montenegro nicht
ins Zielfeuer und zur Zielscheibe von Herrn Milosevic
gerät.
Sind diese Gefahren in den Verhandlungen der letzten Wochen berücksichtigt worden? Ich weiß es nicht.
Ich glaube, in dieser Hinsicht liegt noch ein schwieriger
Teil des Weges vor uns. Das macht uns im Jubel etwas
verhalten. Wir meinen, wir müssen alle Kräfte sammeln,
um auch in den nächsten Jahren diplomatische und politische Anstrengungen zu unternehmen, die dahin zielen,
den Balkan zu befrieden.
Zum Stichwort Wirtschaftsembargo. Soll Herr Milosevic Geld erhalten? Nein, auf keinen Fall. Aber die
Tatsache, daß es auch zu Beginn des jetzt beendeten
Konfliktes offensichtlich nicht gelungen ist, ein Energieembargo gegen Jugoslawien zu verhängen - als man
die Raffinerien bombardiert hat, bestand kein Energieembargo -, gibt kein ermutigendes Beispiel für die
Zukunft.
Wir müssen auch darüber nachdenken, wie die Solidarität auf der Ebene der Vereinten Nationen besser
gesichert werden kann. Gott sei Dank haben die Chinesen eingelenkt. Insgesamt aber hat die NATO die Überzeugungsarbeit für die Art und Weise und für die
Grundlagen ihrer politischen und militärischen AktioChristian Schmidt ({7})
nen, für die auch wir uns entschieden haben, nicht so
intensiv betrieben, wie es hätte sein sollen. Wenn man
weiß, daß man im Sicherheitsrat ohne China keine Resolution durchbringen wird, dann hätte es wohl doch der
Klugheit entsprochen, die Chinesen von vornherein soweit wie möglich in die G-8-Gespräche, in die Informationsarbeit und in Konsultationen einzubeziehen. Wir
sollten diese Dinge zukünftig genauso wie die Einbindung Rußlands bedenken.
({8})
Auch die Einbindung der islamischen Länder ist ein
ganz entscheidender Faktor.
Wir müssen bei der Frage der Kosten im übrigen daran denken, daß wir Deutschen die Kosten nicht allein
tragen. Vielmehr muß das, was zu bezahlen ist und was
geleistet werden muß, gleichmäßig und gerecht auf allen
Schultern verteilt werden.
({9})
Denn Solidarität ist bekanntermaßen auch ein europäisches Grundprinzip. Wir fordern das ein. Das wird dann
aber wohl erfordern, daß über das, was in Berlin auf
dem als „Erfolg“ apostrophierten Gipfel vereinbart worden ist, noch einmal gehörig nachgedacht werden muß,
({10})
sonst wird diese Gerechtigkeit in Europa nicht eintreten.
Zwei Tage vor den Europawahlen, bei denen wir die
Zustimmung der Bürgerinnen und Bürger zur europäischen Integration erbitten,
({11})
möchte ich schon mit aller Ernsthaftigkeit darauf verweisen, daß das auch Konsequenzen für die Beachtung
von Volksgruppen- und Minderheitenrechten haben
muß. Dazu gehört auch - ich spreche das an, auch wenn
auf der Regierungsbank Unruhe aufkommt
Herr Kollege
Schmidt, ich muß Sie jetzt bitten, zum Ende zu kommen.
- die Beseitigung rechtlicher Altlasten wie zum Beispiel der
Beneš-Dekrete in der Tschechischen Republik.
({0})
Nach den Erfahrungen, die wir jetzt gemacht haben,
müssen wir für die Zukunft die Einheit der Rechtsordnung für ganz Europa festschreiben. Das ist unsere Aufgabe.
({1})
Ich gebe dem Kollegen Hans-Christian Ströbele das Wort zu einer persönlichen Erklärung nach § 31 unserer Geschäftsordnung.
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Selbstverständlich bin auch ich erleichtert und froh
darüber, daß die Bombardierungen und die Vertreibungen im ehemaligen Jugoslawien gestern beendet wurden.
Auch ich sehe und erkenne an, daß diese Bundesregierung - allen voran der Außenminister - beim Zustandekommen dieser diplomatischen Lösung ein erhebliches
Maß an Verdiensten haben.
({0})
Natürlich begrüße auch ich, daß die Russen in die
Verhandlungen einbezogen worden sind und daß der
ganze Friedensprozeß im ehemaligen Jugoslawien durch
das Mandat der UNO gestern nun endlich auf eine völkerrechtliche Grundlage gestellt werden konnte.
Auch ich lehne deshalb den Antrag der Bundesregierung und die deutsche Beteiligung an der Friedenssicherung nicht ab. Aber, verehrte Kolleginnen und Kollegen,
bei aller Freude und bevor hier der Stolz ausbricht, dürfen wir doch nicht vergessen, daß der militärische Teil
der Doppelstrategie der NATO zu Tausenden von Toten,
zu Tausenden von verletzten, verstümmelten Menschen
in Serbien und im Kosovo geführt hat, daß einem ganzen Volk die Lebensgrundlage weggebombt worden ist
und daß einem ganzen Land die Infrastruktur zusammengebombt worden ist. Das dürfen wir nicht vergessen.
Den Versuch der Bundesregierung, in ihrem Antrag
nachträglich zu rechtfertigen, daß der militärische Teil
der Doppelstrategie der NATO ohne völkerrechtliche
Grundlage gegen das Völkerrecht praktiziert worden ist,
mit diesen fürchterlichen Folgen, mit diesem viel zu hohen Preis, lehne ich ab.
Ich bin der Auffassung, daß in dem Antrag und in den
Papieren, auf die in dem Antrag Bezug genommen wird,
erhebliche Risiken für den Friedensprozeß, im Kosovo
und in den benachbarten Ländern übriggeblieben und
nicht beseitigt worden sind. Ich will diese vier Risiken
nur kurz andeuten.
Erstens. Die Rolle der russischen Soldaten ist nach
wie vor ungeklärt.
Zweitens. Die Entwaffnung der UCK ist im Gegensatz zur Entwaffnung der serbischen Militärs weitgehend ungeklärt.
Drittens. Wenn man weiß, daß der neue Stabschef der
UCK, ein Brigadegeneral aus Kroatien, an ethnischen
Säuberungen in Kroatien beteiligt war und direkte Verantwortung für die Vertreibung von Hunderttausenden
von Serben aus der Krajina mitträgt, dann kann man die
Angst und die Furcht der Serben im Kosovo vor Vertreibungen und vor Massakern, die ihnen jetzt möglicherweise bevorstehen, verstehen.
({1})
Christian Schmidt ({2})
Ich nenne ein letztes wesentliches Risiko, das nicht
beseitigt worden ist. Wenn man das tut, was hier von
mehreren Rednern, auch von der Bundesregierung, angekündigt worden ist, daß man Serbien keine ökonomische Unterstützung gewähren wird, solange Milosevic
dort Präsident ist und dort keine demokratischen Verhältnisse hergestellt sind, dann nimmt man wiederum
die gesamte serbische Bevölkerung in Haftung für das,
was Staatspräsident Milosevic verbrochen hat, und
nimmt in Kauf, daß diesem Volk die Lebensgrundlagen
vorenthalten werden, daß es geradezu zur Flucht auch
nach Mitteleuropa gezwungen wird.
Aus diesen Gründen lehne ich den Antrag der Bundesregierung zwar nicht ab, aber ich kann ihm auch
nicht zustimmen. Ich werde mich wie einige andere
Kollegen aus der Bündnisgrünen-Fraktion enthalten.
({3})
Ich schließe die
Aussprache.
Es sollen einige weitere Erklärungen nach § 31 unserer Geschäftsordnung zu Protokoll gegeben werden, und
zwar eine Erklärung des Kollegen Wolfgang Börnsen
({0}), eine gemeinsame Erklärung der Kollegen
Annelie Buntenbach, Monika Knoche, Steffi Lemke,
Irmingard Schewe-Gerigk, Christian Simmert und Sylvia Voß, eine Erklärung von Dr. Antje Vollmer, eine
weitere gemeinsame Erklärung von Dr. Hermann
Scheer, Dr. Axel Berg, Ute Vogt ({1}) und Harald Friese, eine weitere gemeinsame Erklärung von
Christel Deichmann und Götz-Peter Lohmann ({2}), eine weitere gemeinsame Erklärung von
Christian Sterzing, Claudia Roth ({3}), Winfried
Hermann, Hans-Josef Fell und Winfried Nachtwei sowie
eine Erklärung von Detlev von Larcher.*)
*) Anlage 2
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir kommen nunmehr zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung
des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Bundesregierung zur deutschen Beteiligung an einer internationalen Sicherheitspräsenz im Kosovo zur Gewährleistung eines sicheren Umfeldes für die Flüchtlingsrückkehr und zur militärischen Absicherung einer Friedensregelung für das Kosovo auf der Grundlage der Resolution 1244 des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen vom 10. Juni 1999, Drucksache 14/1133 und
14/1136. Der Ausschuß empfiehlt, dem Antrag der Bundesregierung zuzustimmen. Es ist namentliche Abstimmung verlangt. Ich bitte die Schriftführerinnen und
Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen. Sind alle Urnen besetzt? - Das ist der Fall. Ich eröffne
die Abstimmung. Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine
Stimme nicht abgegeben hat? - Das ist nicht der Fall.
Ich schließe die Abstimmung und bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Bis zum Vorliegen des Ergebnisses der namentlichen Abstimmung unterbreche ich die Sitzung.
({4})
Liebe Kolleginnen
und Kollegen, die unterbrochene Sitzung ist wieder eröffnet.
Ich gebe das von den Schriftführern und Schriftführerinnen ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung über den Kosovo-Antrag der Bundesregierung bekannt: Abgegebene Stimmen 540. Mit Ja haben gestimmt 505, mit Nein haben gestimmt 24, Enthaltungen
11. Die Beschlußempfehlung ist angenommen.
({0})
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 540;
davon:
ja: 505
nein: 24
enthalten: 11
Ja
SPD
Brigitte Adler
Gerd Andres
Rainer Arnold
Hermann Bachmaier
Ernst Bahr
Doris Barnett
Dr. Hans-Peter Bartels
Eckhardt Barthel ({1})
Klaus Barthel ({2})
Ingrid Becker-Inglau
Dr. Axel Berg
Hans-Werner Bertl
Friedhelm Julius Beucher
Petra Bierwirth
Rudolf Bindig
Lothar Binding ({3})
Kurt Bodewig
Klaus Brandner
Anni Brandt-Elsweier
Willi Brase
Rainer Brinkmann ({4})
Hans-Günter Bruckmann
Dr. Michael Bürsch
Hans Martin Bury
Hans Büttner ({5})
Marion Caspers-Merk
Wolf-Michael Catenhusen
Dr. Herta Däubler-Gmelin
Christel Deichmann
Karl Diller
Peter Dreßen
Rudolf Dreßler
Detlef Dzembritzki
Dieter Dzewas
Dr. Peter Eckardt
Ludwig Eich
Marga Elser
Peter Enders
Gernot Erler
Annette Faße
Lothar Fischer ({6})
Gabriele Fograscher
Norbert Formanski
Rainer Fornahl
Hans Forster
Dagmar Freitag
Lilo Friedrich ({7})
Harald Friese
Anke Fuchs ({8})
Arne Fuhrmann
Monika Ganseforth
Konrad Gilges
Iris Gleicke
Günter Gloser
Uwe Göllner
Renate Gradistanac
Günter Graf ({9})
Angelika Graf ({10})
Dieter Grasedieck
Monika Griefahn
Wolfgang Grotthaus
Karl-Hermann Haack
({11})
Hans-Joachim Hacker
Klaus Hagemann
Manfred Hampel
Christel Hanewinckel
Alfred Hartenbach
Anke Hartnagel
Klaus Hasenfratz
Nina Hauer
Hubertus Heil
Reinhold Hemker
Frank Hempel
Dr. Barbara Hendricks
Gustav Herzog
Monika Heubaum
Reinhold Hiller ({12})
Stephan Hilsberg
Gerd Höfer
Jelena Hoffmann ({13})
Walter Hoffmann
({14})
Frank Hofmann ({15})
Ingrid Holzhüter
Eike Hovermann
Christel Humme
Barbara Imhof
Brunhilde Irber
Gabriele Iwersen
Renate Jäger
Jann-Peter Janssen
Ilse Janz
Dr. Uwe Jens
Volker Jung ({16})
Johannes Kahrs
Ulrich Kasparick
Sabine Kaspereit
Susanne Kastner
Hans-Peter Kemper
Klaus Kirschner
Marianne Klappert
Siegrun Klemmer
Hans-Ulrich Klose
Fritz Rudolf Körper
Karin Kortmann
Anette Kramme
Nicolette Kressl
Volker Kröning
Angelika Krüger-Leißner
Horst Kubatschka
Ernst Küchler
Helga Kühn-Mengel
Ute Kumpf
Konrad Kunick
Dr. Uwe Küster
Werner Labsch
Christine Lambrecht
Brigitte Lange
Christian Lange ({17})
Detlev von Larcher
Christine Lehder
Robert Leidinger
Dr. Elke Leonhard
Eckhart Lewering
Götz-Peter Lohmann
({18})
Erika Lotz
Dr. Christine Lucyga
Dieter Maaß ({19})
Winfried Mante
Dirk Manzewski
Tobias Marhold
Lothar Mark
Ulrike Mascher
Christoph Matschie
Ingrid Matthäus-Maier
Ulrike Mehl
Ulrike Merten
Angelika Mertens
Dr. Jürgen Meyer ({20})
Ursula Mogg
Christoph Moosbauer
Siegmar Mosdorf
Jutta Müller ({21})
Christian Müller ({22})
Volker Neumann ({23})
Dr. Edith Niehuis
Dr. Rolf Niese
Dietmar Nietan
Günter Oesinghaus
Eckhard Ohl
Leyla Onur
Manfred Opel
Holger Ortel
Adolf Ostertag
Kurt Palis
Albrecht Papenroth
Dr. Willfried Penner
Dr. Martin Pfaff
Georg Pfannenstein
Johannes Pflug
Dr. Eckhart Pick
Joachim Poß
Karin Rehbock-Zureich
Margot von Renesse
Renate Rennebach
Bernd Reuter
Dr. Edelbert Richter
Reinhold Robbe
Gudrun Roos
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Michael Roth ({24})
Birgit Roth ({25})
Gerhard Rübenkönig
Thomas Sauer
Dr. Hansjörg Schäfer
Gudrun Schaich-Walch
Rudolf Scharping
Bernd Scheelen
Dr. Hermann Scheer
Siegfried Scheffler
Horst Schild
Otto Schily
Dieter Schloten
Horst Schmidbauer
({26})
Ulla Schmidt ({27})
Silvia Schmidt ({28})
Dagmar Schmidt ({29})
Wilhelm Schmidt ({30})
Regina Schmidt-Zadel
Heinz Schmitt ({31})
Carsten Schneider
Walter Schöler
Olaf Scholz
Fritz Schösser
Gerhard Schröder
Gisela Schröter
Dr. Mathias Schubert
Richard Schuhmann
({32})
Brigitte Schulte ({33})
Volkmar Schultz ({34})
Ilse Schumann
Ewald Schurer
Dr. R. Werner Schuster
Dietmar Schütz ({35})
Dr. Angelica Schwall-Düren
Ernst Schwanhold
Bodo Seidenthal
Erika Simm
Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk
Dr. Cornelie SonntagWolgast
Wieland Sorge
Wolfgang Spanier
Dr. Margrit Spielmann
Jörg-Otto Spiller
Dr. Ditmar Staffelt
Antje-Marie Steen
Ludwig Stiegler
Rolf Stöckel
Rita Streb-Hesse
Joachim Stünker
Joachim Tappe
Dr. Gerald Thalheim
Franz Thönnes
Uta Titze-Stecher
Adelheid Tröscher
Hans-Eberhard Urbaniak
Rüdiger Veit
Günter Verheugen
Simone Violka
Ute Vogt ({36})
Hans Georg Wagner
Hedi Wegener
Dr. Konstanze Wegner
Wolfgang Weiermann
Reinhard Weis ({37})
Matthias Weisheit
Gunter Weißgerber
Gert Weisskirchen
({38})
Dr. Ernst Ulrich von
Weizsäcker
Dr. Rainer Wend
Hildegard Wester
Lydia Westrich
Dr. Margrit Wetzel
Dr. Norbert Wieczorek
Helmut Wieczorek
({39})
Jürgen Wieczorek ({40})
Heidemarie Wieczorek-Zeul
Dieter Wiefelspütz
Heino Wiese ({41})
Klaus Wiesehügel
Brigitte Wimmer ({42})
Engelbert Wistuba
Barbara Wittig
Dr. Wolfgang Wodarg
Verena Wohlleben
Hanna Wolf ({43})
Waltraud Wolff ({44})
Uta Zapf
Peter Zumkley
CDU/CSU
Ulrich Adam
Ilse Aigner
Norbert Barthle
Dr. Wolf Bauer
Günter Baumann
Brigitte Baumeister
Meinrad Belle
Dr. Sabine Bergmann-Pohl
Otto Bernhardt
Dr. Joseph-Theodor Blank
Dr. Heribert Blens
Dr. Norbert Blüm
Friedrich Bohl
Jochen Borchert
Wolfgang Bosbach
Dr. Wolfgang Bötsch
Monika Brudlewsky
Georg Brunnhuber
Hartmut Büttner
({45})
Peter H. Carstensen
({46})
Leo Dautzenberg
Hubert Deittert
Renate Diemers
Thomas Dörflinger
Hansjürgen Doss
Marie-Luise Dött
Maria Eichhorn
Anke Eymer
Ilse Falk
Dr. Hans Georg Faust
Ingrid Fischbach
Axel E. Fischer
({47})
Herbert Frankenhauser
Dr. Gerhard Friedrich
({48})
Dr. Hans-Peter Friedrich
({49})
Erich G. Fritz
Jochen-Konrad Fromme
Dr. Jürgen Gehb
Norbert Geis
Dr. Heiner Geißler
Georg Girisch
Michael Glos
Dr. Reinhard Göhner
Peter Götz
Dr. Wolfgang Götzer
Hermann Gröhe
Manfred Grund
Carl-Detlev Freiherr von
Hammerstein
Gerda Hasselfeldt
Norbert Hauser ({50})
Hansgeorg Hauser
({51})
Ursula Heinen
Manfred Heise
Siegfried Helias
Hans Jochen Henke
Ernst Hinsken
Peter Hintze
Klaus Hofbauer
Martin Hohmann
Josef Hollerith
Dr. Karl-Heinz Hornhues
Joachim Hörster
Hubert Hüppe
Peter Jacoby
Georg Janovsky
Dr. Harald Kahl
Bartholomäus Kalb
Steffen Kampeter
Manfred Kanther
Irmgard Karwatzki
Volker Kauder
Eckart von Klaeden
Ulrich Klinkert
Dr. Helmut Kohl
Manfred Kolbe
Norbert Königshofen
Eva-Maria Kors
Thomas Kossendey
Rudolf Kraus
Dr. Martina Krogmann
Dr. Hermann Kues
Vizepräsident Rudolf Seiters
Karl Lamers
Dr. Karl A. Lamers
({52})
Dr. Norbert Lammert
Dr. Paul Laufs
Karl-Josef Laumann
Peter Letzgus
Ursula Lietz
Walter Link ({53})
Eduard Lintner
Dr. Klaus Lippold
({54})
Dr. Manfred Lischewski
Wolfgang Lohmann
({55})
Julius Louven
Dr. Michael Luther
Erwin Marschewski
Dr. Martin Mayer
({56})
Wolfgang Meckelburg
Dr. Michael Meister
Dr. Angela Merkel
Friedrich Merz
Hans Michelbach
Meinolf Michels
Dr. Gerd Müller
Bernward Müller ({57})
Elmar Müller
({58})
Claudia Nolte
Günter Nooke
Franz Obermeier
Friedhelm Ost
Eduard Oswald
Norbert Otto ({59})
Dr. Peter Paziorek
Anton Pfeifer
Dr. Friedbert Pflüger
Beatrix Philipp
Ronald Pofalla
Marlies Pretzlaff
Dr. Bernd Protzner
Thomas Rachel
Helmut Rauber
Peter Rauen
Christa Reichard
({60})
Hans-Peter Repnik
Klaus Riegert
Dr. Heinz Riesenhuber
Franz Romer
Dr. Klaus Rose
Kurt Rossmanith
Adolf Roth ({61})
Norbert Röttgen
Dr. Christian Ruck
Dr. Jürgen Rüttgers
Anita Schäfer
Dr. Wolfgang Schäuble
Hartmut Schauerte
Heinz Schemken
Karl-Heinz Scherhag
Gerhard Scheu
Norbert Schindler
Dietmar Schlee
Bernd Schmidbauer
Christian Schmidt ({62})
Dr.-Ing. Joachim Schmidt
({63})
Andreas Schmidt ({64})
Hans Peter Schmitz
({65})
Dr. Andreas Schockenhoff
Reinhard Freiherr von
Schorlemer
Dr. Erika Schuchardt
Wolfgang Schulhoff
Clemens Schwalbe
Wilhelm-Josef Sebastian
Heinz Seiffert
Bernd Siebert
Johannes Singhammer
Bärbel Sothmann
Andreas Storm
Dorothea Störr-Ritter
Max Straubinger
Matthäus Strebl
Thomas Strobl
Dr. Rita Süssmuth
Edeltraut Töpfer
Dr. Hans-Peter Uhl
Arnold Vaatz
Angelika Volquartz
Andrea Voßhoff
Dr. Theodor Waigel
Peter Weiß ({66})
Gerald Weiß ({67})
Annette Widmann-Mauz
Heinz Wiese ({68})
Hans-Otto Wilhelm ({69})
Klaus-Peter Willsch
Matthias Wissmann
Werner Wittlich
Dagmar Wöhrl
Elke Wülfing
Wolfgang Zeitlmann
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Volker Beck ({70})
Matthias Berninger
Ekin Deligöz
Dr. Thea Dückert
Franziska Eichstädt-Bohlig
Dr. Uschi Eid
Hans-Josef Fell
Andrea Fischer ({71})
Joseph Fischer ({72})
Katrin Göring-Eckardt
Rita Grießhaber
Winfried Hermann
Antje Hermenau
Kristin Heyne
Michaele Hustedt
Dr. Angelika Köster-Loßack
Dr. Helmut Lippelt
Dr. Reinhard Loske
Kerstin Müller ({73})
Winfried Nachtwei
Christa Nickels
Cem Özdemir
Simone Probst
Claudia Roth ({74})
Christine Scheel
Rezzo Schlauch
Albert Schmidt ({75})
Christian Sterzing
Ludger Volmer
Helmut Wilhelm ({76})
Margareta Wolf ({77})
F.D.P.
Hildebrecht Braun
({78})
Ernst Burgbacher
Jörg van Essen
Ulrike Flach
Gisela Frick
Paul K. Friedhoff
Dr. Wolfgang Gerhardt
Dr. Karlheinz Guttmacher
Ulrich Heinrich
Walter Hirche
Birgit Homburger
Dr. Werner Hoyer
Ulrich Irmer
Dr. Klaus Kinkel
Dr. Heinrich Kolb
Jürgen W. Möllemann
Dirk Niebel
Gerhard Schüßler
Dr. Irmgard Schwaetzer
Dr. Hermann Otto Solms
Dr. Dieter Thomae
Dr. Guido Westerwelle
Nein
SPD
Uwe Hiksch
René Röspel
CDU/CSU
Wolfgang Börnsen
({79})
Siegfried Hornung
PDS
Maritta Böttcher
Eva Bulling-Schröter
Roland Claus
Dr. Heinrich Fink
Dr. Ruth Fuchs
Wolfgang Gehrcke-Reymann
Dr. Klaus Grehn
Dr. Barbara Höll
Carsten Hübner
Gerhard Jüttemann
Dr. Evelyn Kenzler
Dr. Heidi Knake-Werner
Heidi Lippmann-Kasten
Ursula Lötzer
Heidemarie Lüth
Angela Marquardt
Rosel Neuhäuser
Gustav-Adolf Schur
Enthalten
SPD
Christa Lörcher
CDU/CSU
Renate Blank
Manfred Carstens ({80})
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Annelie Buntenbach
Monika Knoche
Steffi Lemke
Irmingard Schewe-Gerigk
Christian Simmert
Sylvia Voß
F.D.P.
Jürgen Koppelin
Entschuldigt wegen Übernahme einer Verpflichtung im Rahmen ihrer Mitgliedschaft in den Parlamentarischen Versammlungen
des Europarates und der WEU, der NAV, der OSZE oder der IPU
Abgeordnete({81})
Behrendt, Wolfgang, SPD
Neumann ({82}), Gerhard,
SPD
Bierling, Hans-Dirk,
CDU/CSU
Siebert, Bernd, CDU/CSU
Bühler ({83}), Klaus,
CDU/CSU
Zierer, Benno, CDU/CSU
Haack ({84}), KarlHermann, SPD
Vizepräsident Rudolf Seiters
Bevor ich nunmehr die Aktuelle Stunde aufrufe, gebe
ich Ihnen noch folgendes bekannt: Interfraktionell wird
vorgeschlagen, den Antrag der Fraktionen der SPD und
Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 14/795 sowie
den Antrag der PDS auf Drucksache 14/708, die beide
den Bau zweier Atomkraftwerke in der Ukraine betreffen, nachträglich auch an den Finanzausschuß zur Mitberatung zu überweisen.
Des weiteren soll der bereits zur federführenden Beratung an den Verteidigungsausschuß überwiesene Antrag der Fraktion der F.D.P. „50 Jahre Nordatlantisches
Bündnis“, Drucksache 14/792, nunmehr dem Auswärtigen Ausschuß zur federführenden Beratung und dem
Verteidigungsausschuß zur Mitberatung überwiesen
werden. Sind Sie damit einverstanden? - Ich höre keinen
Widerspruch. Dann ist es so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 3 auf:
Aktuelle Stunde
auf Verlangen der Fraktionen SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Haltung der Bundesregierung zum Skandal
der dioxinverseuchten belgischen Lebensmittel
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat für die
SPD-Fraktion der Kollege Karsten Schönfeld.
Herr Präsident! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Hätte ein ehemaliger Bundesminister diesen Satz nicht in einem anderen Zusammenhang mißbraucht, könnte ich meine Rede mit einem
optimistischen „Die Lebensmittel in Deutschland sind
sicher“ beginnen.
Unsere Einzelhändler in den Regionen an der Grenze
zu Belgien erleben zur Zeit einen kräftigen Ansturm.
Das Vertrauen in unsere Nahrungsmittel ist mit Recht
weiterhin hoch. Nach Bekanntwerden des Dioxinskandals sind in allen Bundesländern Kontrollen durchgeführt worden. Bisher sind keine höheren Dioxinwerte in
Lebensmitteln festgestellt worden. Ganz sicher geht der
Verbraucher, wenn er beim Einkauf auf deutsche Produkte zurückgreift.
({0})
Die belgische Taktik im Umgang mit dem Dioxinskandal der Landwirtschaft ist von Bundesminister
Funke zu Recht scharf kritisiert worden. Es hätte alles
dafür getan werden müssen, die Öffentlichkeit frühzeitig
und vollständig zu informieren. Die Bundesregierung
hat sofort nach Bekanntwerden des Skandals die Öffentlichkeit umfassend informiert. Die öffentliche Ausschußsitzung am letzten Montag und die Aktuelle Stunde heute zeigen, daß wir nichts zu verbergen haben und
daß wir den Dialog mit allen beteiligten und betroffenen
Menschen suchen.
({1})
Trotzdem ist der Imageschaden für die Landwirtschaft in ganz Europa enorm, der wirtschaftliche Schaden ebenfalls. Unsere Konkurrenten auf den wichtigen
Exportmärkten lachen sich ins Fäustchen. Inzwischen
räumen Handelsketten weltweit belgische Nahrungsmittel aus den Regalen. Auch deutsche Exporte sind
schon von der Kettenreaktion erfaßt. Schließlich betrachtet man in Asien und Amerika die Situation nicht so
differenziert, wie wir es hier in Europa tun. Ein Lebensmittelskandal in Belgien wird dann schnell zu einer
gesamteuropäischen Sache. Auch teure Werbekampagnen können das unnötig gestörte Vertrauen so schnell
nicht wiederaufbauen.
Es hilft deshalb auch nicht, immer wieder nur darauf
hinzuweisen, daß bei uns in Deutschland das Problem so
nicht entstanden wäre. Wir müssen auf europäischer
Ebene die notwendigen politischen Konsequenzen aus
dem Dioxinskandal ziehen. Die SPD-Bundestagsfraktion
fordert zusätzliche Kontrollinstanzen der Europäischen
Union, damit in allen Nationalstaaten die Lebensmittelkontrollen vorschriftsgemäß durchgeführt werden.
({2})
Zweifelhafte Roh- und Ausgangsstoffe für Futtermittel müssen von vornherein von der Verarbeitung und
Verfütterung ausgeschlossen werden. Wir werden uns
deshalb auf europäischer Ebene für eine Präzisierung der
futtermittelrechtlichen Vorschriften einsetzen.
Im deutschen Futtermittelrecht sind alle erforderlichen Regelungen enthalten, um in den Handel mit belastenden Futtermitteln eingreifen zu können. Verstöße
werden mit Geldbußen von bis zu 50 000 DM geahndet.
Wir müssen uns allerdings auch fragen, ob diese Höhe
als abschreckende Wirkung ausreicht. Hier müssen wir
ernsthaft darüber nachdenken, ob eine Verschärfung
notwendig ist.
Die SPD-Fraktion fordert seit Jahren eine offene Deklaration der Futtermittelinhaltsstoffe. Der mündige
Verbraucher und auch der Landwirt als Verbraucher von
Futtermitteln müssen wissen, was in den Produkten enthalten ist. Wenn die Verbraucher genauer Bescheid
wüßten, dann würden sie beim Kauf genauer hinsehen.
({3})
Wir kämpfen in allen Bereichen für bessere Kennzeichnungsregelungen. Das ist der entscheidende Schlüssel.
Um es ökonomisch zu formulieren: Marktwirtschaft
kann nur dann funktionieren, wenn tatsächlich Transparenz auf den Märkten herrscht.
({4})
Den wirksamsten Schutz - auch das muß gesagt werden - bestimmt der Verbraucher über sein Kaufverhalten
allerdings auch selbst. Solange der Trend zu niedrigen
Preisen stärker ist als das Verlangen nach hoher Qualität, sind die Anreize hoch, bei der Produktion auch zu
unerlaubten Mitteln zu greifen. Das ist zwar keine Ausrede für kriminelle Machenschaften, aber eine Tatsache,
die wir bedenken sollten.
Wir werden uns für eine nachhaltige Landwirtschaft
auch bei den anstehenden WTO-Verhandlungen einsetzen. Die Förderung überschaubarer regionaler ProdukVizepräsident Rudolf Seiters
tion, der regionalen Stoffkreisläufe und der regionalen
Vermarktung ist eine wirkungsvolle Maßnahme, um
Skandale wie den, über den wir uns jetzt unterhalten, zu
verhindern.
Vielen Dank.
({5})
Ich gebe das Wort
für die CDU/CSU-Fraktion dem Kollegen Wolfgang
Zöller.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Lassen Sie mich
zur heutigen Aktuellen Stunde folgende Fragen stellen
und einige Anmerkungen machen.
Erstens. Welchen Sinn soll die heutige Aktuelle
Stunde haben?
({0})
Am 2. Juni dieses Jahres hat die CDU/CSU einen Antrag auf Sondersitzung des Gesundheitsausschusses gestellt, der von der SPD abgelehnt wurde.
({1})
Die SPD hat dann einen gleichlautenden Antrag eingebracht. Sie wollte in der darauffolgenden Woche eine
Aktuelle Stunde abhalten. Gott sei Dank fand allerdings
am letzten Montag eine gemeinsame Sitzung des Gesundheitsausschusses und des Landwirtschaftsausschusses statt.
({2})
Dann stellte die SPD den Antrag, heute eine Aktuelle
Stunde auf die Tagesordnung zu setzen. Was das mit
Logik zu tun haben soll, muß mir erst einmal jemand erklären. Er wird sich dabei auf jeden Fall schwertun.
({3})
Man wird den Verdacht nicht los, daß die SPD mit
einer vorgeschobenen Aktuellen Stunde das Anliegen
der F.D.P., eine Aktuelle Stunde zu einem wichtigen
Thema abzuhalten, verhindern wollte. Das hat mit Demokratie recht wenig zu tun.
({4})
Zweitens. Ich begrüße ausdrücklich das Verhalten der
zur Zeit noch in der Opposition befindlichen Fraktionen
von CDU/CSU und F.D.P.,
({5})
die nicht wie die frühere Opposition - wie zum Beispiel
beim BSE-Skandal - den Eindruck erwecken, als sei
BSE in Deutschland und nicht in England ausgebrochen,
wohl wissend um all die negativen Auswirkungen auf
unsere Landwirtschaft. Deshalb gilt es heute festzuhalten: Der Dioxinskandal ist in Belgien passiert. Wir müssen alles unternehmen, um unsere Bürgerinnen und Bürger vor gesundheitlichen Schäden zu schützen.
({6})
Zu dem Vorschlag des SPD-Kollegen, eine bessere
Deklaration würde das Problem lösen, kann ich nur fragen: Glauben Sie wirklich, daß die Verbrecher in Belgien auf die Deklaration schreiben würden, wir haben ein
bißchen Dioxin in die Produkte gemischt? Wie blauäugig sind Sie eigentlich, daß Sie solche Forderungen erheben?
({7})
Drittens. In der gemeinsamen Sitzung des Gesundheitsausschusses und des Ausschusses für Ernährung,
Landwirtschaft und Forsten hat die Bundesregierung
eine Vorgehensweise vorgeschlagen, die wir grundsätzlich für richtig halten. Allerdings sehen wir in diesem
Vorschlag zwei Schwachstellen: Zum einen haben sich
die eingeleiteten Maßnahmen, die uns vorgestellt wurden, nur auf bestimmte Geflügelerzeugnisse beschränkt,
als nicht ausreichend erwiesen. Aus diesem Grunde
halte ich die Pressemitteilung des Gesundheitsministeriums vom 2. Juni für fachlich falsch. Darin schreibt die
Ministerin: Mit der Entscheidung, bestimmte Geflügelerzeugnisse vom Markt zu nehmen, ist der Verbraucherschutz gesichert.
Zum anderen muß der Vertriebsweg des verseuchten
Materials klar nachvollziehbar sein, um die Folgeprodukte ebenfalls vom Markt nehmen zu können. Eine solche Maßnahme muß sehr schnell und gründlich durchgeführt werden, um das Vertrauen in die Lebensmittel
wiederherzustellen.
Im übrigen kann ich nur jedem empfehlen: Kaufen
Sie deutsche Produkte mit Qualitätsnachweis. Dies ist
der beste Schutz vor verseuchtem Material.
({8})
Meine sehr geehrten Damen und Herren, lassen Sie
mich noch einen Punkt ansprechen, den ich für sehr
wichtig halte. Das Strafmaß für solch kriminelles Handeln muß schnellstmöglich europaweit wesentlich verschärft werden. Wer aus Profitgier wissentlich die Gesundheit der Menschen aufs Spiel setzt, darf nicht mit
einer läppischen Geldstrafe davonkommen. Solchen
skrupellosen Geldgeiern muß die Möglichkeit, mit Lebensmitteln zu handeln, auf Lebenszeit entzogen werden.
Ich danke Ihnen.
({9})
Als nächste Rednerin spricht die Kollegin Marita Sehn, F.D.P.-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen
und Herren! Auch ich frage: Was ist eigentlich aktuell
an der heutigen Aktuellen Stunde? Die Fraktionen der
Grünen und der SPD wollen mehr über die Haltung der
Bundesregierung zum Skandal der dioxinverseuchten
belgischen Lebensmittel wissen. Hat sich die Haltung
der Bundesregierung seit Montag, seit der gemeinsamen
Sitzung von Ernährungs- und Gesundheitsausschuß verändert? Nein, vielmehr geht es heute einzig und allein
darum, die von uns beantragte Aktuelle Stunde
zum Schröder/Blair-Papier zu verhindern. Das ist der
Grund.
({0})
Die europäische Integration darf sich nicht nur auf
Richtlinien und Verordnungen stützen, sondern muß vor
allem von dem Vertrauen der Partnerstaaten untereinander getragen werden. In dem Schröder/Blair-Papier, das
die SPD am liebsten nicht öffentlich diskutieren will
- sie traut sich nicht, es hier im Deutschen Bundestag
vorzustellen -, steht:
Allzuoft wurden Rechte höher bewertet als Pflichten . . . Geht der Gedanke der gegenseitigen Verantwortung verloren, so führt dies zum Verfall des
Gemeinsinns, zu mangelnder Verantwortung gegenüber Nachbarn . . . und einer Überlastung des
Rechtssystems.
Nichts anderes steht in den Wiesbadener Grundsätzen
der F.D.P. Ich bin darauf gespannt, wie Sie das Zauberwort „Umdenken“ in Ihrer Partei demnächst behandeln
werden.
({1})
Der Verlauf des Dioxinskandals war leider nicht von
Verantwortung und Vertrauen geprägt. Wie kommt es,
daß zwar Paris und Den Haag von der belgischen Regierung über die entdeckten Dioxinverseuchungen informiert wurden, aber nicht Deutschland als EU-Ratspräsidentschaft und auch nicht die EU-Kommission? Was hat
Frankreich und die Niederlande daran gehindert, ihrerseits die Erkenntnisse weiterzugeben?
({2})
Ich möchte daran erinnern: Die ersten Hinweise lagen
bereits Mitte Februar, die ersten Untersuchungsergebnisse Mitte März vor. Deshalb sind zusätzliche und intensivierte Kontrollmaßnahmen nicht der Weg in die
Zukunft, sondern nur ein Schritt zu noch mehr Bürokratie und Regulierung, von denen alle Betriebe betroffen
wären.
Entscheidend ist vielmehr, daß die bereits bestehenden Kontrollen nicht zum Selbstzweck verkommen. Was
nützt es, Erkenntnisse zu gewinnen, wenn diese nicht
weitergegeben und verfolgt werden? Aufgedeckte Verstöße müssen zu Konsequenzen führen und die wenigen
schwarzen Schafe hart bestraft werden, um die Mehrheit
der vorbildlichen Betriebe zu schützen.
({3})
Denn das größte Kapital der Landwirte ist das Vertrauen der Verbraucher in die Qualität erzeugter Produkte, in die tatsächliche Anwendung der insbesondere
in Deutschland hohen Umwelt-, Gesundheits- und Hygienestandards und in die Verläßlichkeit der Verbraucheraufklärung. Kriminelle Machenschaften und
Schlampereien, die zwar entdeckt, aber nicht konsequent
öffentlich gemacht und verfolgt werden, erschüttern dieses Vertrauen nachhaltig. Sie schaden dem Verbraucherschutz und dem Ansehen der Landwirte erheblich.
Schnelles Handeln ist jetzt erforderlich. Die Verursacher müssen hart bestraft werden. Eine ausgedehnte
neue Kennzeichnungsverordnung hilft nach meiner Ansicht nicht weiter. Wer mit Dioxin verunreinigtes Fett
verwendet, wird dies kaum auf das Etikett schreiben Pflicht hin oder her.
Aber was auch immer im einzelnen getan wird, eines
ist grundsätzlich klar: Die Verbraucher in Deutschland
leben am gesündesten, wenn sie deutsche Produkte kaufen. Die Skandale um BSE und Dioxin haben dies einmal mehr bewiesen.
Was soll man denn davon halten, wenn es in Belgien
Containersammelstellen gibt, in die jeder sein altes Fett
aus dem Haushalt entsorgen kann, und die gesammelten
Fette dann verfüttert werden. In einem Brief an ihre Botschaften im Ausland hat die belgische Regierung die
hohe Qualität der Nahrungsmittel gelobt und festgestellt:
Die Belgier lieben ihr Essen. Dem kann ich nur entgegnen: Und die Deutschen lieben ihre Gesundheit.
Angesichts der Weigerung Brüssels, potentiell verseuchte Milch vom eigenen Markt zu nehmen, kann
einem die belgische Bevölkerung, die unnötigen Risiken
ausgesetzt wird, nur leid tun. Wo bleibt hier der Verbraucherschutz?
Der wirtschaftliche Schaden für die unbeteiligten
deutschen Landwirte läßt sich derzeit noch nicht abschätzen. Aber die zahlreichen generellen Einfuhrbeschränkungen von ungefähr 20 Drittländern verheißen
nichts Gutes. Die Einkommensausfälle der Landwirte
müssen auf jeden Fall ausgeglichen werden. Die Haftung für die Ausfälle kann niemand anderes als der Verursacher übernehmen: die belgische Regierung.
({4})
Für die PDSFraktion spricht die Kollegin Kersten Naumann.
Herr Präsident! Meine
Damen und Herren! Sie sind sicherlich mit mir einer
Meinung, daß die Gesundheit der Bürger eines der höchsten zu schützenden Güter ist. Die Gefahren, die von
dem hochtoxischen Seveso-Gift Dioxin ausgehen, sind
völlig unstrittig. Der feste Wille, alles dafür zu tun, daß
dieses Gift nicht in die Nahrungskette gelangt, wird
niemandem in der Bundesrepublik abgesprochen. Auch
das Kontrollsystem zur Verhinderung der Belastung von
Nahrungsmitteln mit gesundheitsschädlichen Stoffen
wird auf einem hohen Niveau als ausreichend eingeschätzt.
Schon am Montag wurde in einer gemeinsamen Sitzung des Gesundheits- und des Agrarausschusses deutlich, daß alle ihre Hände in Unschuld waschen. Der
Hintergrund ist klar: Der Schwarze Peter wird der belgischen Regierung zugeschoben. Damit wird versucht,
von den eigenen und wirklichen Versäumnissen in der
Lebensmittelsicherheit abzulenken. Auch Deutschland
hatte und hat seine Lebensmittelskandale. Ich denke nur
an die 4 000 notgeschlachteten Hormonkälber in Nordrhein-Westfalen.
Die Dioxingefahr - nicht nur diese - begleitet uns
stetig. Sie ist also kein speziell belgisches Problem. Erinnert sei nur an den Dioxinunfall im März dieses Jahres
in Duisburg und an die Dioxinwolke durch PVC bei der
Düsseldorfer Flughafenkatastrophe. Niemand soll nach
der heutigen Debatte sagen, in Deutschland seien keine
neuen Fälle von Verletzungen des Lebensmittelrechts,
des Tier- und Umweltschutzes möglich.
Die in der gemeinsamen Ausschußsitzung erhobenen
Forderungen nach strengeren Strafen, nach Entzug der
Betriebsgenehmigung, nach Schaffung einer gesamteuropäischen Kontrollinstanz setzen an den Symptomen
an, nicht aber an der Ursache. Welche Forderungen
werden wir noch hören, wenn die Ernährungsindustrie
vollständig globalisiert ist, in einer Handvoll weniger
Multis liegt und Risikotechnologien, wie die Gentechnik, zum Alltag gehören?
({0})
Wird nun jedes Land versuchen, mit Umwelt- und Gesundheitsstandards seine Grenzen dichtzumachen? Werden die Großen und Mächtigen dann die Kleinen noch
stärker erpressen, um zum Beispiel ihr Hormonfleisch
abzusetzen?
Es ist überhaupt nicht nachzuvollziehen, welche
neuen Erkenntnisse durch die heutige Veranstaltung gewonnen werden sollen. Wenn die Bundesregierung hier
heute keine Änderungen erreicht, warum hat dann die
Regierung aus taktischen Gründen die Aktuelle Stunde
über das Schröder/Blair-Papier aus der Debatte hinauslanciert?
({1})
Doch sicher, weil es in seinem Kern wiederum auf die
Sicherung von Profiten gerichtet ist.
({2})
Für die soziale Sicherheit soll zukünftig jeder selbst verantwortlich sein.
Nur durch die Veränderung der Agrarproduktion und
der gesamten Kette der Nahrungsgüterwirtschaft können
viele Ursachen der Gesundheitsgefährdung reduziert
werden. Sicherheiten sowohl in der Wirtschaft als auch
für den Verbraucher kann nur der ökologische Landbau
geben.
({3})
Denn nur bei ökologischen Produkten mit dem Siegel
der Verbände des ökologischen Landbaus ist geklärt,
was den konventionellen Lebensmitteln fehlt. Das betrifft die Herkunftskennzeichnung, die strengen Kontrollmechanismen und nicht zuletzt die Gewißheit über
gesundheitliche Unbedenklichkeit.
Wer jedoch für Globalisierung plädiert, gibt nicht nur
die Kontrolle über die Produktion aus der Hand. Auch
der Steuerzahler muß dann für die Vernichtung der Lebensmittel oder Tiere, also mehr oder weniger für den
gesamten Kostenaufwand, der einem Lebensmittelskandal anhängt, aufkommen und letztendlich mit seiner Gesundheit bezahlen. Die Globalisierung ermutigt dazu,
aus Profitinteressen gesetzliche Vorschriften zu umgehen.
Schon vor 150 Jahren formulierte der Engländer
Dunning folgendes:
Das Kapital hat einen Horror vor Abwesenheit von
Profit . . . wie die Natur vor der Leere. Mit entsprechendem Profit wird Kapital kühn.
({4})
Er schrieb, bei 50 Prozent werde das Kapital waghalsig.
Für 100 Prozent stampfe es alle menschlichen Gesetze
unter seinen Fuß. Aber bei 300 Prozent existiere kein
Verbrechen, das es nicht riskiere, selbst auf die Gefahr
des Galgens. - Meine Damen und Herren, es ist nicht zu
erkennen, daß sich an dieser Aussage von vor 150 Jahren etwas gegenüber der heutigen Situation geändert hat.
({5})
Was wir dringend brauchen, sind regionale Wirtschaftskreisläufe. Die Tierproduktion könnte zum Beispiel Bestandteil einer Vertragslandwirtschaft sein, bei
der sich die Partner auf ein strenges Produktionsregime
einigen. So können sie den Einsatz von gesundheitsgefährdenden Stoffen ausschließen und die Herkunft der
Erzeugnisse exakt nachweisen. Treten in einer solchen
Kette Pannen auf, dann ist von den Folgen nur diese
Kette betroffen. Für die übrigen Landwirte halten sich
die Auswirkungen in Grenzen. Zugleich haben die Verbraucher die Chance, durch ihre Kaufentscheidung direkt auf einen bestimmten Hersteller Einfluß zu nehmen.
Die erfolgreiche Bekämpfung der Ursachen von Lebensmittelskandalen setzt neben der staatlichen auch
eine gesellschaftliche Kontrolle der Produktion voraus.
Sie darf sich nicht nur auf die Einhaltung bestimmter
Vorschriften beschränken. Die Gestaltung der Produktion und die Verwendung der Gewinne sind vielmehr in
diese gesellschaftliche Kontrolle einzuschließen.
Danke.
({6})
Für die Bundesregierung spricht nunmehr die Bundesministerin für Gesundheit, Frau Andrea Fischer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Alle Politiker und Vertreter der Medien, die in den letzten Tagen
das, was in Belgien bei der Verunreinigung von Futtermitteln durch ungeeignetes Öl geschehen ist, als Skandal
bezeichnet haben, haben recht. Dieser Skandal hat weitreichende Folgen für die Verbraucherpolitik. Er hat das
Vertrauen in die Lebensmittelsicherheit erschüttert. Er
hat das Vertrauen in die europäischen Institutionen, die
diese Lebensmittelsicherheit zu wahren haben, erschüttert, und er hat das Vertauen in all diejenigen Produzenten und Händler erschüttert, die mit dieser Verunreinigung gar nichts zu tun haben, weil sie anständig produzieren.
({0})
Das ist ein Vertrauensverlust, der uns sicherlich noch
lange beschäftigen wird und der vor dem Hintergrund
dessen, was geschehen ist, nur sehr schwer zu heilen
sein wird.
Es ist soeben gesagt worden, daß wir alles auf die
belgische Regierung schieben würden. Es tut mir leid:
Da uns die belgische Regierung über Wochen hinweg
nicht informiert hat und wir deswegen erst zu einem sehr
späten Zeitpunkt tätig werden konnten, muß ich feststellen, daß die Ursache bei der belgischen Regierung
liegt.
Auf dem Gesundheitsministerrat am letzten Dienstag
hat übrigens der neue belgische Kollege, der für die Gesundheitspolitik zuständig ist, ausdrücklich zugegeben,
daß die belgische Regierung einen Fehler gemacht hat.
Die anderen Gesundheitsminister der Europäischen
Union haben - um es diplomatisch zu formulieren - ihre
Verärgerung über die Informationspolitik der belgischen
Regierung zum Ausdruck gebracht und ihrer Befürwortung der sehr drastischen Maßnahmen der EU-Kommission Ausdruck verliehen. Belgien hatte ja kritisiert, daß
die EU-Kommission so sehr in den Handel eingegriffen
hatte. Von seiten der anderen Gesundheitsminister der
EU wurde Unterstützung für das Vorgehen der EUKommission signalisiert und klargemacht, daß ihnen
allen eine Lebensmittelkontrolle im Sinne eines vorbeugenden Verbraucherschutzes sehr wichtig ist.
Wir haben bereits am Montag dieser Woche im zuständigen Ausschuß über folgendes gesprochen: Jede Institution und jedes Regelwerk müssen ständig überprüft
werden. Im Lichte der Erfahrungen der letzten Woche
wird man das tun müssen. Aber ich will darauf beharren:
Jede Regelung bzw. jede Verabredung, die zum Beispiel
in diesem Falle zwischen Staaten getroffen wird, ist nur
so gut wie diejenigen, die sich daran halten.
({1})
Aus der Tatsache, daß ein Akteur einen Fehler gemacht
hat, würde ich noch nicht schließen, daß das ganze System nicht taugt. Wir sollten klarmachen, daß ein solches System nur funktionieren kann, wenn sich alle an
dessen Regeln halten.
Die EU-Kommission hat, nachdem sie davon erfahren hat, Exportverbote für Lebensmitteltiere und Lebensmittel tierischer Herkunft aus Belgien ausgesprochen. Das ist, wie gesagt, von der belgischen Regierung
kritisiert, von den übrigen Mitgliedern des EU-Gesundheitsministerrats aber unterstützt worden. Diese EU-Entscheidungen sind am 3. und 4. Juni gefallen.
Herr Kollege Zöller, im nachhinein haben Sie mit Ihrer Kritik an meiner Presseerklärung recht. Am 2. Juni
haben wir aber noch nicht gewußt, daß diese Exportverbote auch auf Schweine und Rinder aus Belgien ausgedehnt werden. Wir sind davon ausgegangen, daß es nur
um Geflügelprodukte geht. - Wir haben die Information
nach Bekanntwerden aber sofort weitergegeben und dies
mit einer Dringlichkeitsverordnung auf eine sichere
rechtliche Grundlage gestellt.
({2})
Obwohl ich am Dienstag mit einer gewissen Erleichterung die Selbstkritik der belgischen Regierung im EUGesundheitsministerrat vernommen habe, muß ich klarstellen, daß wir noch immer nicht die Vertriebswege der
Lebensmittel tierischer Herkunft und der Lebensmitteltiere, die mit diesem dioxinverseuchten Futter gefüttert
worden sind, kennen, auch nicht die Behörden, die diese
Unbedenklichkeitsbescheinigungen ausstellen. Es bleibt
uns also überhaupt nichts anderes übrig, als ein Vermarktungsverbot für sämtliche Produkte aus Belgien
auszusprechen. Wir verfügen nämlich nicht über Informationen, um die Guten von den Schlechten unterscheiden zu können. Das heißt: Die Verordnung trifft natürlich auch die Erzeugnisse unbeteiligter Wirtschaftsakteure. Angesichts dieser Politiklage aber ist die Situation
schwierig.
Wir haben aus Belgien bislang zehn Untersuchungsergebnisse mit deutlich erhöhten Dioxinwerten erhalten.
Zu meiner Erleichterung sind alle Messungen, die in
Deutschland zum Abschluß gekommen sind - Sie wissen, das dauert seine Zeit -, negativ. Es gibt nur einen
einzigen Fall mit einem leicht erhöhten Dioxinwert. Wir
haben in Deutschland also bislang nur Produkte mit
gesundheitlich unbedenklichen Werten gefunden. Das
wird uns jedoch nicht beruhigen. Wir werden weiter
daran arbeiten, auch daran, eine Dioxinbelastung zu
vermeiden.
Noch ein Nachtrag zur schlechten Informationspolitik
der belgischen Regierung: Wir haben gestern von seiten
der belgischen Regierung den Hinweis bekommen, daß
die Produkte zusätzlich noch auf PCB zu untersuchen
seien. Unsere Behörden haben aber ohnehin schon auf
PCB getestet. Wir hatten immer vorgeschlagen, dies
sicherheitshalber zu tun. - Wir haben diesen Hinweis
gestern direkt an die Landesbehörden weitergegeben.
Ich habe heute nachmittag gehört, daß es aus Belgien
erste Werte gibt. Die Ergebnisse kann ich Ihnen noch
nicht mitteilen; das wird zur Zeit beim Bundesinstitut
für gesundheitlichen Verbraucherschutz und Veterinärmedizin geprüft.
Es ist wirklich sehr mißlich, mit welcher Verzögerung dies bei uns bekannt wird. Wir haben aber alles
getan, die Informationen so weiterzugeben, wie es notwendig ist. Ich hoffe, daß die Prüfungsergebnisse hier
negativ sind.
Lieber Herr Kollege Zöller, ich will ausdrücklich
sagen, daß ich es sehr schätze, daß die Opposition keine
Panikmache gestartet hat. Die Lage ist zu ernst; wir
müssen uns darum kümmern. Ich sehe es aber wie Sie:
Es gibt zur Zeit keine Veranlassung zur Panikmache.
Lassen Sie mich abschließend noch einen persönlichen Gedanken anschließen. Ich finde schon, daß es uns
als Verbraucherinnen und Verbraucher nachdenklich
machen muß, wie oft wir in den letzten Jahren mit solchen Problemen konfrontiert worden sind. Ich spreche
hier ausdrücklich auch als Verbraucherin, die selber
Lebensmittel kauft und ißt. Es sollte uns einmal innehalten lassen, wie hoch dadurch, was wir kaufen, nach
welchen Kriterien wir unsere Lebensmittel auswählen,
unser Anteil an einer industrialisierten Landwirtschaft
ist. Nachher erst ärgern wir uns über die Folgen dessen.
Das sollte für uns alle Anlaß sein, noch einmal darüber
nachzudenken.
Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.
({3})
Für die SPDFraktion gebe ich der Kollegin Heidi Wright das Wort.
Herr Präsident! Verehrte
Kolleginnen und Kollegen! Die Europäische Union besteht weiß Gott nicht aus Bananenrepubliken, wenngleich wir ein europäisches Bananenproblem haben.
Die EU besteht aus 15 Nationen, die sich in europäischen Verträgen, Richtlinien und Rechtsakten ihren politischen und administrativen Rahmen geben. So wurde
im Oktober 1995 die Richtlinie 95/53 des Rates mit den
Grundregeln für die Durchführung der amtlichen Futtermittelkontrollen erlassen. Weiter hat die Europäische
Union einen Ständigen Veterinärausschuß und ein
Schnellwarnsystem.
So weit, so gut, wenn nicht ein Dioxinskandal via
Belgien uns wieder einmal eines Schlechteren belehren
würde.
Zum Schnellwarnsystem. Vor dem Warnen gibt es ja
erst einmal Warnsignale, zum Beispiel wenn Hühner
schlecht schlüpfen, ein schlechtes Legeverhalten haben
oder von der Stange fallen - nein, da sitzen sie ja schon
längst nicht mehr. Wenn diese Warnsignale jedoch, wie
in unserem Nachbarland Belgien, nicht schnell beachtet,
sondern unverantwortlich langsam, ja in unglaublicher
Ignoranz mißachtet werden, wird einem Skandal der
Weg bereitet, der in seinem Sog mehr und mehr Bereiche mit sich zieht. Die Folgen sind horrende betriebswirtschaftliche und volkswirtschaftliche Schäden und
wieder einmal ein politisches Chaos, das seinesgleichen
nur im BSE-Skandal findet.
Kurz zum Ablauf und zum belgischen Umgang mit
dem Schnellwarnsystem. Am 19. März wurde das belgische Landwirtschaftsministerium über Probleme in einigen Tierbeständen unterrichtet und brauchte bis zum
26. April, um in Analysen hohe Dioxinkonzentrationen
aufzuzeigen. Jedoch weder am 19. März noch am
26. April warnte das belgische Landwirtschaftsministerium schnell, sondern erst, nachdem Domino um Domino fielen, am 27. Mai in einer Pressemitteilung.
Die politische Mißachtung der europäischen Ebene
macht diesen Skandal, der - das betone ich - ein Skandal in der Entsorgungsbranche ist, erst wirklich zu einem
Desaster für die Futtermittelbranche sowie zu einem
Fiasko für die belgische Landwirtschaft und ist ein
schwerer Schaden für den gesamten Verbraucherschutz.
Festzuhalten ist: Für die deutschen Verbraucher wurde und wird alles getan, um kontaminierte Futter- und
Lebensmittel aufzuspüren und zu beschlagnahmen.
Festzuhalten ist: Die Bundesregierung hat angemessen
und schnell gehandelt.
({0})
Festzuhalten ist: Der deutsche Verbraucher kann sich
auf die Mechanismen der deutschen Kontrollsysteme
verlassen, und das muß auch so sein. Jede Schludrigkeit
und jedes Nachlassen wären fatal.
Hier will ich mit erhobenem Zeigefinger in Erinnerung rufen, daß manches Mal über diese besonderen
deutschen Kontrollen gestöhnt wurde und der Blick gerade in die belgische Nachbarschaft gerichtet wurde, wo
alles nicht so stur deutsch kontrolliert wird. Ich denke,
Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser. Dies gilt insbesondere im Zusammenhang mit landwirtschaftlicher
Produktion. Wir dürfen doch mit gutem Selbstbewußtsein unseren Verbrauchern gegenüber sagen, daß alles
getan wird, um die Lebensmittelsicherheit ständig zu erhöhen. So gibt es - um dies bei dem Skandalgift Dioxin
aufzuzeigen - in Deutschland eine eigene Bund-LänderArbeitsgruppe Dioxin.
Aber natürlich ist der Verbraucher auch selbst gefragt. Wer nur das billigste Lebensmittel nachfragt, wer
die Frage nach der Herkunft erst dann stellt, wenn der
Skandal in der Zeitung steht, wer sich nicht darum
schert, wo, wie und von wem produziert wird, hat zwar
natürlich ein Anrecht auf Lebensmittelsicherheit, aber er
macht diesen Weg der Lebensmittelsicherheit immer
schwerer. Deshalb sage ich: Sicherheit, Kontrolle und
Qualität haben ihren Preis, der auch offensiv zu vertreten ist. Dieser Preis macht sich im Bauernladen, in der
Metzgerei, aber auch an der Konsumtheke in Mark und
Pfennig fest.
({1})
Ich habe in dieser Woche meinen Futtermittelhersteller vor Ort aufgesucht, von dem ich weiß, daß er keiner der ganz großen, aber einer der ganz tollen ist. Dort
werden nämlich über die staatliche Kontrolle hinaus eine
betriebseigene Laborüberwachung und eine Wareneingangskontrolle durchgeführt. Das kostet natürlich etwas,
zunächst den Betrieb, dann den Abnehmer, schafft aber
auch etwas, nämlich Vertrauen und Sicherheit. Davon
können wir nicht genug haben.
Vielen Dank.
({2})
Als nächster Redner
hat das Wort der Kollege Peter Bleser von der
CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine
Damen und Herren! Auch wenn es weh tut, ich muß es
noch einmal sagen: Diese Aktuelle Stunde ist aus parteitaktischen Gründen zustande gekommen,
({0})
weil die Sozialdemokraten gefürchtet haben, das Schröder/Blair-Papier zu diskutieren.
({1})
Ich kann das nur so werten, daß Sie eine panische Angst
vor den Folgen der Eskapaden Ihres Bundeskanzlers und
vor der Diskussion hier im Plenum haben.
({2})
Trotzdem hat diese Aktuelle Stunde etwas Gutes.
({3})
Deshalb ist sie notwendig. Das Thema ist es auch wert,
in diesem Saal diskutiert zu werden.
Der Dioxinskandal in Belgien hat für mich zunächst
einmal drei Aspekte. Erstens: die strafrechtliche Verfolgung der Täter. Zweitens: die politischen Konsequenzen, die daraus zu ziehen sind. Drittens: Wie können wir
das Vertrauen der Verbraucher dauerhaft zurückgewinnen?
Es ist für mich eine Selbstverständlichkeit, daß bei
der Verfolgung der Verantwortlichen für diesen
schlimmen Lebensmittelskandal die volle Härte des Gesetzes angewendet wird.
({4})
Der Schaden allerdings, der über 2 000 landwirtschaftlichen Betrieben, die dieses Futter ahnungslos verwandten, entstanden ist, aber auch der Schaden der Handelsunternehmen und der Verbraucher, muß ersetzt werden.
Ich verlange diesen Ersatz zur Not auch vom belgischen
Staat, wenn bei den Unternehmen nichts mehr zu holen
sein sollte.
({5})
Darüber hinaus haben die politisch Verantwortlichen,
wenn sie es noch nicht getan haben, die Konsequenzen
zu ziehen. Auch die Mitwisserschaft über einen Lebensmittelskandal muß geahndet werden. Offensichtlich
funktioniert nämlich die Unterrichtung zwischen den
Mitgliedstaaten der EU überhaupt nicht; denn sonst wäre
es kaum vorstellbar, daß sowohl der französische wie
auch der niederländische Landwirtschaftsminister ihr
frühzeitiges Wissen über diesen Futtermittelskandal, der
mittlerweile mehrere Staaten umfaßt, für sich behalten
konnten.
Der Bundesregierung will ich keinen Vorwurf über
die Art und Weise machen, wie sie nach dem Bekanntwerden der Ereignisse reagiert hat. Was ich Ihnen aber
vorwerfe, ist, daß Sie nach diesem Lebensmittelskandal,
der nur das vorläufige Ende einer Serie darstellt - ich
erinnere nur an den BSE-Skandal -, keine weitreichenden Veränderungen in der europäischen Agrarpolitik
durchsetzen wollen. Im Gegenteil: Mit den AgendaBeschlüssen wird die europäische Agrarpolitik völlig an
den Interessen der Verbraucher und der Landwirte vorbei in eine Sackgasse manövriert.
({6})
Die Verbraucher haben nach diesem Vorfall, bei dem
Abfälle in Futtermittel gemischt wurden, den letzten
Rest von Vertrauen in die europäische Agrarpolitik verloren. Es dreht sich einem buchstäblich der Magen um,
wenn man daran denkt, was für Schweinereien in Europa möglich sind.
Wir brauchen erstens eine offene Deklaration bei den
Futtermitteln.
({7})
Ich weiß, daß ich damit eine eventuell etwas unbequeme
Haltung einnehme. Wir brauchen zweitens eine Verschärfung der Strafvorschriften, eine Verbesserung der
Kontrolle und eine Verbesserung der Informationsstränge innerhalb der EU.
({8})
Wir brauchen drittens eine generelle Änderung der europäischen Agrarpolitik, die sich an den Wünschen und
den Qualitätsvorstellungen der Verbraucher orientiert.
({9})
Dabei darf die wissenschaftliche Unbedenklichkeit von
Nahrungsmitteln nicht das einzige Kriterium dafür sein,
was erlaubt ist und was nicht. Vielmehr müssen auch der
vorbeugende Verbraucherschutz und die Art und Weise
der Produktion berücksichtigt werden. Tierschutz, Umweltschutz und Erhalt der Kulturlandschaft stehen für
die meisten Verbraucher in einem engen Zusammenhang mit der Qualität von Lebensmitteln.
({10})
Ich fasse zusammen und komme zum Schluß: Der
belgische Lebensmittelskandal wird nicht der letzte sein,
wenn wir es nicht schaffen, von der Weltmarktideologie
im Nahrungsmittelbereich wegzukommen. In dieser
Ideologie wird das Produzieren von Schrauben mit der
Produktion von Nahrungsmitteln auf eine Ebene gestellt.
Die Ernährung jedoch gehört für die Menschen zu den
sensibelsten Angelegenheiten. Die Politik hat deshalb
die Pflicht, die Bedürfnisse unserer Mitbürger in den
Mittelpunkt zu stellen. An diesem Kriterium gemessen,
Herr Minister Funke - jetzt sind Sie wieder an der
Reihe -, ist der unter Ihrer Moderation zustande gekommene Agenda-2000-Beschluß der Weg in die falsche Richtung.
({11})
Ich fordere Sie auf, im Rahmen der WTO-Verhandlungen für eine Umkehr dieser Politik zu sorgen. Für uns
in der CDU/CSU jedenfalls sind der Schutz der Gesundheit, eine artgerechte Haltung und Fütterung von Tieren
({12})
sowie der Erhalt unserer Kulturlandschaft über wirtschaftliche Erwägungen zu stellen.
Ich bedanke mich.
({13})
Als
nächste Rednerin hat die Kollegin Ulrike Höfken,
Bündnis 90/Die Grünen, das Wort.
Sehr
geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Mir bleibt ja glatt die Sprache weg. Peter Bleser
kommt - sozusagen geklärt durch die neue Oppositionsrolle - zu richtigen Erkenntnissen.
({0})
Er gehörte einer Bundesregierung an, die jahrelang verhindert hat, daß es zu einer verbraucher-, umwelt- und
tiergerechten Produktion kommt. Ich meine, man hat ja
Gelegenheit, immer neu zu lernen. Ich hoffe, da gibt es
entsprechende Konsequenzen.
Um die politischen Konsequenzen geht es in diesem
Fall tatsächlich. Ich will ein bißchen Wasser in den
Wein schütten. Also, unsere Minister in Deutschland,
Frau Fischer und Herr Funke, können so genial sein, wie
sie wollen.
({1})
Sie haben schnell und gut gehandelt. Aber so, wie die
Situation ist, können sie nur Nachsorge betreiben. Das
Kind ist schon in den Brunnen gefallen. Das heißt, man
muß sich doch hier über die Ursachenbekämpfung und
über eine neue, qualitativ ausgerichtete Agrarpolitik Gedanken machen. Da haben wir natürlich auch Konsequenzen zu ziehen. Das ist richtig.
Ich will aber noch ein Wort darüber verlieren, um
was es hier eigentlich geht. Das geht in der Diskussion wo immer gesagt wird, wir in Deutschland sind so sicher
- ein wenig verloren. Wir leben im Binnenmarkt. Genau
da fangen ja die Schwierigkeiten an. Tonnenweise gehen
jeden Tag die belgischen Lebensmittel über die Grenze:
als Rohstoffe für unsere Verarbeitungsindustrie. Auf den
Produkten steht dann zwar ein deutscher Name drauf:
Produkt sowieso, in Ulm oder sonstwo hergestellt, aber
natürlich sind darin Rohstoffe aus allen Ländern Europas enthalten. Das macht das Problem nun gerade aus.
Bei Dioxinen - um das noch einmal ganz klar zu sagen - handelt es sich wirklich um die giftigsten Stoffe,
die es überhaupt gibt. Selbst kleinste Konzentrationen kaum über der Nachweisgrenze - sind schädigend. Man
kann das in Experimenten sehen. Schon nach kurzer Expositionszeit sind beispielsweise befruchtete Fischeier
schwer geschädigt, bei Konzentrationen, die etwa in einer Menge von einem Mikrogramm pro Tonne vorhanden sind.
Es handelt sich hier um 80 Tonnen verseuchter Futtermittel. Man kann sich leicht vorstellen, welche Dimensionen eine solche Schädigung annehmen kann.
Hier geht es nicht um Panikmache, sondern darum, sich
einfach bewußt zu werden, was für ein Spiel getrieben
und mit welcher Fahrlässigkeit hier Körperverletzung
betrieben wird.
Aber, es ist auch schon erwähnt worden, da ist auch
der wirtschaftliche Schaden. In Belgien, sagt man, beläuft er sich zur Zeit auf 1,6 Milliarden DM. Würde man
ihn in Deutschland schätzen, käme man, glaube ich, auf
ähnliche Summen. Das sind enorme Summen, die den
Bauern und der verarbeitenden Industrie einfach so zur
Last fallen. Das ist wirklich ein Skandal.
Was mich maßlos ärgert, ist, daß bis heute die Listen,
die ja angeblich vorhanden sein sollen, nicht vorliegen.
Wir haben heute das Inkrafttreten der Dringlichkeitsverordnung. Aber die Verarbeiter, die beispielsweise aus
Belgien Rohstoffe beziehen und bezogen haben, haben
diese Liste der angeblich lokalisierten Betriebe nicht.
Das heißt, hier wird doch von Dehaene, dem belgischen
Ministerpräsidenten, im Rahmen des Wahlkampfes die
Situation noch weiter ausgenutzt und unter Wahlkampfgesichtspunkten bewußt und fahrlässig weiterer Schaden
initiiert. Ich denke, eine solche Regierung darf wirklich
nicht mehr unterstützt werden und wird das hoffentlich
von den Wählerinnen und Wählern auch nicht mehr,
wenn die Wahl ansteht.
Aber zu Deutschland. Ich denke, wir müssen uns intensiv dafür einsetzen, daß es zu einer EU-weiten und
deutschlandweiten offenen Deklaration aller Inhaltsstoffe der Futtermittel kommt. Das erhöht die Transparenz.
Auch wenn immer von krimineller Energie gesprochen
wird: Transparenz ist ein wichtiges Gegenmittel gegen
diese kriminelle Energie.
({2})
Außerdem brauchen wir EU-weite Sicherheitsstandards. Das ist doch auch die Konsequenz aus diesem
Skandal. Sowohl im Kontrollbereich als auch im Standardbereich muß es ein EU-weites Vorgehen geben.
Man braucht auch eine entsprechende Personalausstattung, sowohl bei den Ländern als auch auf der Bundes- und der EU-Ebene. Dafür muß Sorge getragen werden.
Als letztes will ich noch sagen: Wir als Grüne stehen
für eine umweltgerechte und ökologische Produktion
und für eine Stärkung dieser Produktionsarten. Dafür
stehen wir auch mit unserem Europaprogramm. Wir
wollen erreichen, daß diese Art und Weise der Produktion, die dazu beiträgt, solche Schäden überhaupt zu
verhindern, europaweit gestärkt wird und daß auch dies
im Rahmen des Europäischen Parlaments mit einer starken grünen Fraktion der Fall ist.
Danke.
({3})
Als
nächste Rednerin hat die Kollegin Jella Teuchner von
der SPD-Fraktion das Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident!
Meine Damen und Herren! Die bekannte Chronologie
der Ereignisse zeigt eine Seite des Dioxinskandals auf.
Die belgische Informationspolitik läßt sich nur mit mangelndem Verantwortungsbewußtsein erklären. Statt wie
vorgeschrieben die Kommission und die EU-Mitgliedstaaten sofort nach Bekanntwerden der Vergiftung von
Hühnerfutter zu informieren, wurde gewartet, bis die
durch dieses Futter belasteten Lebensmittel bereits verbraucht wurden.
Die andere Seite des Skandals ist der Verkauf von dioxinbelasteten Fetten. Noch ist nicht klar, wie das Dioxin in die Fette gelangte. Ein beim Umgang mit Lebensmitteln in keinster Weise angemessener Mangel an
Sorgfalt ist eine Möglichkeit.
Das Ergebnis dieses Skandals sind zu Recht verunsicherte Verbraucher und ein Verlust an Vertrauen in Lebensmittel. Daran ändert auch die Tatsache nichts, daß
nach dem jetzigen Stand der Dinge in deutschen Lebensmittel keine erhöhten Dioxinwerte festgestellt wurden. Festzuhalten bleibt allerdings, daß die bestehenden
Kontrollen nicht ausreichten, Lebensmittel vor Schlamperei und Verantwortungslosigkeit zu schützen.
Die Vergiftung eines Rohstoffes der Futtermittelherstellung wurde erst durch die Erkrankung damit gefütterter Hennen festgestellt. Notwendige Schutzmaßnahmen konnten nicht oder nur sehr verspätet ergriffen
werden, weil eben versäumt wurde, schnell und umfassend zu informieren. Wegen der schwerwiegenden Versäumnisse - Einzelheiten der seit März bekannten Vergiftungen wurden erst im ständigen Futtermittelausschuß
am 31. Mai bekanntgegeben - droht der belgischen Regierung die Einleitung eines Verfahrens wegen Vertragsverletzung durch die Europäische Kommission.
Sollte sich herausstellen, daß den Produzenten der
vergifteten Fette oder einem Zulieferer rechtswidriges
Verhalten nachgewiesen werden kann, müssen harte
Strafen folgen. Das ist heute auch schon des öfteren gesagt worden. Um allerdings das Vertrauen der Verbraucher in die Unbedenklichkeit der Lebensmittel wiederherzustellen, werden diese Maßnahmen alleine nicht
ausreichen. Es muß sichergestellt werden, daß die Vergiftung von Lebensmitteln in Zukunft festgestellt wird,
bevor die vergifteten Lebensmittel gegessen werden.
({0})
Der Dioxinskandal muß daher weitreichende Konsequenzen haben: eine Überprüfung der europäischen
Vorschriften zur Verwendung von Rohstoffen in Futtermitteln und eine verstärkte Überwachung der vorgeschriebenen Durchführung von Lebensmittelkontrollen.
Es muß ausgeschlossen werden, daß über Futtermittel
Lebensmittel vergiftet werden. Wenn die Verwendung
aufbereiteter Fette für Futtermittel das Risiko einer Vergiftung von Lebensmitteln mit sich bringt, dann dürfen
diese eben nicht verwendet werden. Wenn die Unbedenklichkeit der Tiermehlfütterung nicht sichergestellt
werden kann, dann muß eben auf die Tiermehlfütterung
verzichtet werden.
({1})
Die europäischen Vorschriften müssen in diesem
Sinne überprüft und eventuell auch angepaßt und harmonisiert werden. Denkbar wäre es zum Beispiel, nur
Futter aus einheimischen Futtermitteln zuzulassen.
Ebenso muß aber auch sichergestellt werden, daß die
vorgeschriebenen Lebensmittelkontrollen durchgeführt
und die notwendigen Konsequenzen aus den Ergebnissen der Lebensmittelkontrollen gezogen werden.
Für die Lebensmittelkontrollen sind die einzelnen
EU-Mitgliedstaaten verantwortlich. Die Durchführung
der Lebensmittelkontrollen muß in Zukunft auch durch
die EU kontrolliert werden. Wir müssen uns dafür einsetzen, daß auf EU-Ebene die Standards bei der Probenahme und auch bei den Untersuchungsverfahren an Lebensmitteln vereinheitlicht werden; denn nur dann können wir von einem gleichen Niveau ausgehen.
Eine Maßnahme zur Stärkung des Vertrauens in die
Unbedenklichkeit der Lebensmittel muß auch eine Verbesserung der Kennzeichnung von Lebensmitteln sein.
Die vollständige Deklaration von Inhaltsstoffen, wie sie
heute freundlicherweise auch vom Kollegen Bleser angesprochen wurde, sollte genauso eine Selbstverständlichkeit sein wie die Herkunftsangabe der Lebensmittel
im Klartext.
Aus dem Dioxinskandal müssen Konsequenzen gezogen werden. Mängel in der Lebensmittelkontrolle
müssen aufgedeckt werden. Die Verantwortung gegenüber dem Verbraucher steht im Umgang mit Lebensmitteln an erster Stelle. Der Verbraucher muß sich auch
in Zukunft darauf verlassen können, daß die Vorschriften eingehalten werden und daß er gesunde Lebensmittel
bekommt.
({2})
Als
nächster Redner hat der Kollege Peter Altmaier von der
CDU/CSU-Fraktion das Wort.
Herr Präsident! Meine
Damen und Herren! Der eigentliche Skandal, Frau Ministerin Fischer und Herr Minister Funke, besteht doch
darin, daß wir jetzt - nur wenige Monate nach dem
BSE-Skandal - schon wieder einen Lebensmittelskandal
in der Europäischen Union haben, bei dem die Öffentlichkeit um Wochen zu spät, unvollständig und dann
auch noch widersprüchlich informiert wird. Die Politik
aus allen Mitgliedsländern steht offenbar hilflos vor diesem Skandal. Sie rennt den Ereignissen hinterher, statt
sie zu gestalten; sie ist nicht imstande, rechtzeitig Abhilfe zu schaffen, und offenbar auch außerstande, Lehren
aus den Skandalen der Vergangenheit zu ziehen. Dann
dürfen wir uns doch nicht wundern, wenn sich die Verbraucher - auch bei uns in Deutschland - die Fragen
stellen, was sie überhaupt noch essen dürfen, wie sie geschützt werden, welches Ei unbedenklich ist und welches nicht!
Es ist rührend, daß die Vertreter der Koalition der
Regierung ein Unbedenklichkeitsattest ausstellen, obwohl wir sie noch nicht einmal angegriffen und bislang
keinerlei öffentliche Vorwürfe gegen die Bundesregierung erhoben haben.
({0})
- Ja, Herr Kollege Schmidt, für den Bürger - das ist das
Entscheidende - ist es völlig egal, ob das Versagen in
Belgien, bei der Europäischen Kommission, bei der
deutschen Bundesregierung oder sonstwo zu lokalisieren
ist. Der Bürger erwartet von der Politik insgesamt, daß
sie dafür sorgt, daß er seine Lebensmittel ohne Bedenken kaufen und verzehren kann.
({1})
Wenn wir vermeiden wollen, daß ein Vertrauensverlust entsteht, müssen wir dafür sorgen, daß Konsequenzen gezogen werden: Erstens. Herr Minister Funke, wir
sind uns einig, daß in diesem Fall der Fehler in erster
Linie bei der belgischen Regierung liegt. Welche Konsequenzen werden denn daraus gezogen? Ist die Bundesregierung bereit, die Kommission zu ermuntern, ein
Vertragsverletzungsverfahren gegen Belgien einzuleiten?
({2})
Denn das ist die Voraussetzung, damit in der Folge dieses Skandals Amtshaftungs- und Entschädigungsansprüche geltend gemacht werden können.
({3})
Zweitens. Ein ähnlicher Skandal kann sich jederzeit
in einem anderen EU-Mitgliedstaat wiederholen. Welche Schlußfolgerungen ziehen wir daraus auf europäischer Ebene? Herr Minister und Frau Ministerin, ist die
Bundesregierung bereit, darüber nachzudenken, ob man
in Zukunft der Kommission das Recht einräumt, unmittelbare Kontrollen vor Ort - unangemeldet und in jedem
Betrieb - durchzuführen?
({4})
Es gibt einen entsprechenden Kommissionsvorschlag,
der im Ministerrat bisher keine Mehrheit gefunden hat.
Die Kommission kann zwar die Kontrolleure kontrollieren; aber sie hat keine Möglichkeit, direkt in die Betriebe zu gehen. Was nutzen uns die besten Kontrollen in
Deutschland oder sonstwo, wenn es in anderen Mitgliedstaaten laxere Kontrollen gibt, die sich über den
Export auch bei uns auswirken?
Drittens. Das Frühwarnsystem, das wir in der Richtlinie über die Produkthaftung festgelegt haben, muß überprüft und verschärft werden. Es ist so, daß die belgische
Regierung diese Richtlinie offenbar anders als die
Kommission und alle anderen Mitgliedstaaten auslegt.
Wäre es nicht eine Überlegung wert, eine Mißachtung
der Informationspflichten in dieser Richtlinie durch ganz
konkrete Geldbußen für den betroffenen Mitgliedstaat
zu sanktionieren, um deutlich zu machen, daß die Informationen, wenn sie vor Ort vorhanden sind, auch
weitergegeben werden müssen, und zwar nicht erst mit
mehrwöchiger Verspätung?
Viertens. Der Kollege Bleser hat die Futtermittelverordnung angesprochen. Es gibt einen Vorschlag der Europäischen Kommission, nach dem darauf verzichtet
werden soll, Tiermehl zu Futtermitteln zu verarbeiten.
Die Mitgliedstaaten sind dieser Empfehlung bislang
nicht gefolgt. Mich würde interessieren, Herr Minister
Funke, ob die Bundesregierung denn bereit ist, mit gutem Beispiel voranzugehen und festzuschreiben, daß
Tiermehl, das von Kadavern verendeter Tiere stammt,
nicht mehr verarbeitet werden darf.
Meine Damen und Herren, die heutige Aktuelle Stunde hat sich dann gelohnt, wenn nicht nur Beruhigungspillen für die Öffentlichkeit verteilt und Fensterreden
gehalten werden, sondern wenn die Bundesregierung ihre Ratspräsidentschaft, die noch drei Wochen dauern
wird, dazu nutzt, aus diesem Skandal die Lehren zu ziehen, wenn es konkrete Arbeitsaufträge an die Europäische Kommission gibt und wenn der Wille der politisch
Verantwortlichen deutlich wird, das, was als notwendig
erkannt worden ist, auch endlich umzusetzen.
Vielen Dank.
({5})
Als
nächster Redner hat das Wort der Bundesminister für
Ernährung, Landwirtschaft und Forsten, Karl-Heinz
Funke.
Herr Präsident! Meine sehr
verehrten Damen und Herren! Lassen Sie mich eines
vorweg sagen: Ich bin sehr dankbar, daß wir im Grundsatz einig sind über das, worum es hier geht, und auch
über die Schlußfolgerungen, die zu ziehen sind. Ich
finde es auch sehr gut, daß dieser Skandal in dieser
sachlichen Form diskutiert wird.
Ich schließe mich völlig denen an, die darauf hingewiesen haben, daß die Kennzeichnungsregelungen vielfältigster Art, die wir in Europa haben, unvollkommen
sind. Wir haben einige Kennzeichnungsregelungen, aber
längst nicht in der gebotenen Klarheit und in dem notwendigen Umfang.
({0})
Ich bin Ihnen außerordentlich dankbar, Frau Kollegin
Sehn, daß Sie auch darauf hingewiesen haben, daß man
nicht immer sofort nach neuen Regelungen, nach neuen
Sanktionsmechanismen rufen sollte - was die Bestrafung anbelangt, sind wir uns einig -, sondern daß man
zu prüfen hat, ob das, was wir haben, ausreicht, ob nicht
der Mangel vielmehr im Vollzug liegt. Ich glaube, so ist
es: Im Regelungs- und Maßnahmenvollzug liegt die entscheidende Ursache auch für das, was wir hier als Skandal zu bezeichnen haben.
Herr Kollege Altmaier, es ist nämlich so: Das Vertragsverletzungsverfahren bezieht sich ausdrücklich
auch auf die Richtlinie, die Belgien an sich dazu gezwungen hätte - das ist das Schnellmeldeverfahren -,
sofort die entsprechenden Institutionen der Europäischen
Kommission und die Mitgliedstaaten zu unterrichten.
Das ist also ein Teil dieses Vertragsverletzungsverfahrens.
Im übrigen sind wir uns völlig darüber einig - die
Bundesregierung hat das von Anfang an gesagt -, daß
dieses Vertragsverletzungsverfahren anzustreben ist. Da
geht es um die Frage: Wer haftet eigentlich für die umfänglichen Schäden in allen Bereichen, die betroffen
sind? Das geht bis hin zu der Frage: Wer bezahlt eigentlich die umfangreichen Kontrollen, die zusätzlich - teuer
genug - durchgeführt werden müssen?
Wir haben bereits Ende Mai, als diese Thematik aufkam, mit dem Agrarkommissar darüber geredet - das ist
genau das, was Sie eben angesprochen haben; darin waren wir in der gemeinsamen Sitzung des Ernährungsund des Gesundheitsausschusses auch völlig einig -, daß
es darauf ankommt, daß die EU auch kontrolliert, ob
das, was längst zwingend vorgeschrieben und geboten
ist, auch in allen Mitgliedstaaten enstprechend umgesetzt und vollzogen wird - das ist das Entscheidende -,
damit nicht in dem einen Mitgliedstaat so gehandelt
wird, während ein anderer großzügig darauf verzichtet
oder unter ganz anderen Voraussetzungen darangeht.
Wir müssen zur Kenntnis nehmen, daß sich hier seit
dem 1. Januar 1993, mit dem gemeinsamen Markt, gegenüber früher etwas geändert hat und daß eine solche
Aufsicht, eine solche Kontrolle der Kontrolle, unbedingt
notwendig ist. Ich schließe mich dieser Forderung ausdrücklich an. Ihre Fragen, ob die Bundesregierung das
nachdrücklich unterstützt, kann ich also eindeutig mit Ja
beantworten. Das ist bereits in den ersten Tagen, an denen wir uns mit diesem Thema auseinanderzusetzen
hatten, geschehen.
Ich will Ihnen etwas sagen, was Holland und auch
Frankreich anbelangt, damit da nicht irgendwelche Legenden geboren werden. Auch Holland und Frankreich
sind zu spät, allerdings eher als wir, und zwar per Fax
informiert worden - ich habe mir das von der zuständigen holländischen Staatssekretärin schildern und bestätigen lassen -, also auch völlig unzureichend, als wäre
das ein Geschäftsgang unbedeutender Art, der sich nebenbei vollzöge. Auch sie sind entschieden zu spät informiert worden. Entsprechende Kritik ist auch dort geübt worden.
Ich will noch auf einen Gedankengang hinweisen,
weil ich meine, daß wir uns jetzt auch darum zu kümmern haben - wir tun das -: Das sind die Maßnahmen,
die Drittländer ergriffen haben. Sie haben zum Beispiel
auch den Import - aus unserer Sicht den Export - deutscher Waren generell gesperrt. Ich halte diese Maßnahmen von Drittländern für völlig unakzeptabel. Wir haben die Botschaften eingeschaltet, den CMAAbsatzfonds bemüht, um deutlich zu machen, daß man
nicht etwa wegen dieser Vorfälle in Belgien deutsche
Waren nicht mehr importieren kann. Ich hielte es für
schlimm, wenn die Lebensmittelbranche und die Landwirtschaft bei uns auf diese Weise in Mitleidenschaft
gezogen würden. Wir haben entsprechende Maßnahmen
ergriffen.
({1})
Ich will noch ganz schnell zwei Gedanken aufgreifen.
Ich war doch sehr überrascht über das, was die Kollegin
Naumann hier zum ökologischen Landbau, zur regionalen Vermarktung gesagt hat, als sei das nun das Mittel,
um mit solchen Skandalen fertig zu werden. In den fünf
neuen Ländern sprechen Sie immer von „unseren
Strukturen“. Die Strukturen, die dort überwiegend bestehen, sind lediglich dazu geeignet, für anonyme
Märkte zu produzieren. Wenn Sie konsequent sind, legen Sie jetzt Umstruktierungsprogramme für einen
Großteil der Landwirtschaft in den fünf neuen Ländern
vor, sonst machen Ihre Äußerungen wirklich keinen
Sinn.
({2})
In der Heimat des Kollegen Bleser, dessen Argumente
ich auch nicht ganz nachvollziehen kann, wären die
Strukturen eher dazu geeignet, so etwas zu machen, in
den fünf neuen Ländern aber überhaupt nicht.
Ich bitte auch darum, technische Unfälle, die es zugegebenermaßen in Betrieben gegeben hat und immer
wieder gibt, nicht mit diesem Lebensmittelskandal in
Belgien zu vergleichen. Dagegen wehre ich mich entschieden. Damit betreibt man keine Aufklärung, sondern
wiederum Verschleierung, nur von einer anderen Seite
her. Das können wir nicht gebrauchen.
Es hilft auch nicht, auf die Agenda zu verweisen. Es
scheint, daß man die Agenda für alles verantwortlich
machen kann. Ich bin überzeugt, daß dann, wenn es im
kommenden Winter eine überdurchschnittliche Zunahme von Wintersportunfällen gibt, der Agenda dafür die
Schuld gegeben wird. Ich sehe das kommen, daß einige
es so drehen werden, daß die Agenda sowie Funke und
Fischer dafür verantwortlich sind. Von mir aus sollen
sie das machen. Aber weder durch die Agenda noch
durch die Weltmarktorientierung oder die Globalisierung ist es zu diesem Skandal gekommen. Ich möchte
deutlich sagen, daß er nicht durch die Globalisierung zustande gekommen ist. Allenfalls könnte man anmerken ich halte auch diese Konstruktion schon für gewagt; Sie
von der CDU/CSU dürfen da ruhig mit dem Kopf
schütteln -, daß der Binnenmarkt am 1. Januar 1993 geschaffen wurde, ohne zu fragen, welche zusätzlichen
Maßnahmen bei der Lebensmittelkontrolle und -überwachung, in der Veterinärüberwachung und der Gewerbeaufsicht notwendig sind, um mit einem größeren
Markt ohne Grenzen fertig zu werden. Ich könnte es
nachvollziehen, wenn das Problem in diesem Zusammenhang gesehen wird; einen anderen kann ich überhaupt nicht sehen.
Das, was Sie, Herr Kollege Bleser, zu WTO II und zu
den Gesundheitsstandards gesagt haben, halte ich für
richtig. Im Gegensatz zur früheren Bundesregierung
werden wir darauf drängen, daß solche Standards bei
den WTO-Verhandlungen eine Rolle spielen.
Vielen Dank, meine Damen und Herren.
({3})
Es sind
zwei Reden, nämlich die des Kollegen Dr. Harald Kahl
und die der Kollegin Helga Kühn-Mengel, zu Protokoll
gegeben worden.*)
Ich hoffe, daß Sie damit einverstanden sind. Damit sind wir am Ende dieser Aussprache und am
Schluß der Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Mittwoch, den 16. Juni 1999, 12 Uhr ein.
Die Sitzung ist geschlossen.