Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Die Sitzung ist
eröffnet.
Es hat soeben eine Besprechung der Geschäftsführer
stattgefunden. Das Ergebnis dieser Besprechung möchte
ich Ihnen mitteilen - das ist auch die Begründung dafür,
warum die ursprünglich für heute zur Beratung vorgesehenen Tagesordnungspunkte 1 und 2 von der Tagesordnung abgesetzt worden sind -: Da die Verhandlungen
über die Friedensregelungen für das Kosovo noch andauern, haben sich die Fraktionen darauf verständigt,
den Kosovo-Antrag der Bundesregierung heute noch
nicht zu behandeln. Es ist vorgesehen, den Bundestag
hierzu für morgen, Freitag, 9 Uhr einzuberufen. Heute
sollen die Ausschüsse auf der Grundlage des an sie
überwiesenen Antrags auf Drucksache 14/1111 beraten.
Nach dem Kabinettsbeschluß über einen geänderten
Antrag soll dieser dann morgen formell an die Ausschüsse überwiesen werden. Danach wird das Plenum
unterbrochen werden.
Ich rufe jetzt Tagesordnungspunkt 3 auf:
Aktuelle Stunde
auf Verlangen der Fraktion der CDU/CSU
Haltung der Bundesregierung über die bekanntgewordenen Pläne des Bundesarbeitsministers, die Rentenanpassung für die Jahre
2000 und 2001 zu halbieren, und zu der beabsichtigten Neuregelung zum Schlechtwettergeld
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat zunächst
der Abgeordnete Norbert Blüm.
({0})
Frau Präsidentin!
Meine Damen und Herren! Eigentlich hatte ich nach
dem ungeschriebenen Gesetz, daß sich der Nachfolger
erst positionieren muß, vor,
({0})
mich im sozialpolitischen Bereich ein Jahr zurückzuhalten. Das, was jetzt bekanntgeworden ist, hält mich
allerdings nicht auf dem Stuhl. Was macht ihr mit den
Rentnern?
({1})
Das wollen wir vor dem Wahltag am nächsten Sonntag
und nicht danach erfahren.
({2})
Es kommt zu einer Halbierung bzw. zu einer Aussetzung der Rentenanpassung. Wenn im nächsten Jahr eine
Lohnerhöhung um netto 3 Prozent der Maßstab ist, dann
bedeutet das eine Rentenerhöhung um 1,5 Prozent, also
eine Halbierung der Rentenanpassung. Was haben Sie,
meine Damen und Herren, gesagt - mein Gedächtnis ist
gut -, als wir unsere demographische Formel eingeführt
haben? Da ging es um 0,5 Prozent. Da haben Sie von
Kahlschlag, von sozialer Kälte und von Rentenramponierung gesprochen. Wenn schon die Kürzung der
Rentenanpassung um 0,5 Prozent ein Kahlschlag ist, wie
ist das dann bei 1,5 Prozent?
({3})
Der Unterschied ist: Wir konnten mit einer demographischen Formel begründen, warum die Rentenanpassung gedämpft wird: aus Gründen der Generationengerechtigkeit. Das war eine systematische Antwort. Eine
Halbierung der Rentenanpassung ist eine Rente nach
Kassenlage, ist eine Willkürrente, ist eine Rente à la
Honecker. So weit sind Sie gekommen!
({4})
Wir haben in den 16 Jahren unserer Regierungszeit
vieles durchsetzen müssen. Aber Sie werden keine
Maßnahme finden, die nicht systematisch strukturell begründet war. Ihre Maßnahme ist ohne Sinn und Verstand, ohne Hand und Fuß und ohne Kopf. Ein Torso hat
mehr Glieder als Ihre Rentenpolitik.
({5})
Jetzt verstehe ich auch, warum Herr Hombach gesagt
hat, das soziale Netz müsse zu einem Trampolin werden:
Ihr laßt die Rentenversicherung hüpfen, ihr stellt die
Rentner aufs Trampolin. Das ist nicht unsere Sozialpoli3540
tik. Sozialpolitik muß berechenbar sein, sie muß kalkulierbar sein, sie muß verläßlich sein.
({6})
Die kleinen Renten sollen aufgestockt werden. Damit
erwischt ihr die Falschen! Nicht jeder kleine Rentner ist
ein armer Mann oder eine arme Frau, wenn er oder sie
wenige Beitragsjahre hat. Oder wollt ihr 10 Millionen
Rentner durch die Bedürfnisprüfungsanstalt mahlen und
fragen, ob sie ein Haus haben oder nicht? Das haben die
Arbeiter, die ein Leben lang gearbeitet haben, nicht verdient; sie müssen sich nicht rechtfertigen.
({7})
Wenn Sie eine Feuerversicherung abschließen, wird im
Brandfall auch nicht gefragt, ob Sie noch ein Haus haben, sondern Sie bekommen Ihre Versicherungssumme.
Wer ein Leben lang gearbeitet hat, der wird nicht gefragt, ob er noch ein Haus hat oder ob er bedürftig ist,
sondern der bekommt dann eine anständige Rente. Das
ist unsere Rentenpolitik, nicht diese gönnerhafte Politik,
die Sie betreiben.
({8})
Habt ihr euch von der Arbeiterbewegung schon so weit
entfernt, daß ihr die Malocher vergessen habt, die ein
Leben lang geschafft haben?
({9})
Die Arbeitslosen sollen rasiert werden. Die Bundesanstalt zahlt den Beitrag nicht mehr von 80 Prozent des
Bruttolohns
({10})
- ja, so konkret ist die Sozialpolitik -, sondern nur noch
vom Arbeitslosengeld. Das ist eine Halbierung. Sie
schaffen sich mit dieser Politik die Voraussetzungen für
eine bedürfnisorientierte Grundrente. Sie schaffen dadurch Armut.
({11})
Erst ramponieren Sie den Wagen, und dann kommen Sie
als Unfallhilfe. Laßt die Rentenversicherung in Ruhe,
dann braucht ihr das nicht zu machen!
({12})
Zum Schlechtwettergeld nur soviel: Als Beispiel für
ein „kleines Bündnis für Arbeit“ wollen wir uns einmal
das Beispiel des Kollegen Wiesehügel ansehen. Die Arbeitnehmer haben 20 Stunden weniger aufzubringen, die
Arbeitgeber 10 Stunden. Das sind zusammen 30 Stunden. Dafür muß die Bundesanstalt 30 Stunden mehr aufbringen. Was ist die Lösung? Strukturell hat sich gar
nichts verändert. Arbeitnehmer und Arbeitgeber haben
weniger aufzubringen. Es zahlt die Allgemeinheit: Das
sind ebenfalls Arbeitnehmer und Arbeitgeber. Das ist
ein Taschenspielertrick.
({13})
Was mit der linken Hand gegeben wird, wird mit der
rechten wieder genommen. Das ist nicht nur ein Taschenspielertrick: Es ist Zechprellerei. Ihr bestellt und
laßt andere bezahlen. Das ist nicht unsere Sozialpolitik.
({14})
Die Rentner haben noch im Ohr - mein Gedächtnis
ist hervorragend, unterschätzt mich nicht -, was ihr alles
im Wahlkampf gesagt habt.
Herr Kollege
Blüm, fünf Minuten dürfen Sie reden.
Was diese Regierung jetzt aber bei den Rentenanpassungen plan- und
sinnlos vorhat, übertrifft bei weitem das, was wir für
notwendig hielten. Wir konnten unsere Maßnahmen
durch Generationengerechtigkeit begründen. Das, was
die Regierung plant, ist Willkür.
({0})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie mich die Debatte kurz
unterbrechen. Ich bin gerade darauf hingewiesen worden, daß der Kollege Professor Hornhues heute seinen
60. Geburtstag feiert. Herr Hornhues, ich möchte Ihnen
dazu im Namen des Hauses herzlich gratulieren.
({0})
Zur Geschäftsordnung gebe ich jetzt dem Kollegen
Repnik das Wort.
Frau Präsidentin!
Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Der
Kollege Norbert Blüm hat soeben die große Verunsicherung deutlich gemacht, die in der Bevölkerung im Hinblick auf die Äußerungen des Bundesarbeitsministers
Riester herrscht.
({0})
Herr Riester hat mit einer Reihe von Äußerungen dazu
beigetragen, daß wir dieses Thema heute im Deutschen
Bundestag in dieser Aktuellen Stunde diskutieren.
({1})
Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion ist der Auffassung, daß Herr Riester unbedingt zu seinen Äußerungen
Stellung nehmen muß, und zwar heute im Plenum des
Deutschen Bundestages.
({2})
Nur er ist in der Lage, in dieser Frage, wie wir hoffen,
für Klarheit zu sorgen, die Verunsicherung zurückzunehmen und Klarheit insbesondere vor den Wahlen am
kommenden Sonntag zu schaffen. Deshalb beantragen
wir nach § 42 der Geschäftsordnung die Herbeirufung
des Bundesarbeitsministers Riester in diese Sitzung.
({3})
Ich bin eben
informiert worden, daß die F.D.P.-Fraktion diesen Antrag unterstützt und nicht extra zur Geschäftsordnung
reden will.
({0})
Zur Geschäftsordnung erhält jetzt der Kollege
Schmidt das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es ist schon manchmal sehr verwunderlich, daß eine durch Zufall auf die
Tagesordnung geratene Aktuelle Stunde stattfindet
({0})
und von den Oppositionsparteien auch noch zu einem
solchen Geplänkel genutzt wird. Ich will Sie nur darauf
hinweisen, Herr Repnik und Vertreter der F.D.P., daß
wir eine andere Reihenfolge der heutigen Tagesordnung
verabredet hatten.
({1})
- Lassen Sie mich das doch wenigstens begründen! Deswegen befindet sich der Arbeitsminister noch in
einer Sitzung der Arbeitsminister des Bundes und der
Länder in Essen. Wir werden jetzt eine Unterbrechung
der Sitzung bis zu dem Zeitpunkt beantragen, da der Arbeitsminister hier sein kann. Das können Sie gerne haben. Dann ist die Sache ausgestanden.
({2})
Ich schätze einmal, in zwei Stunden kann der Arbeitsminister hier sein.
({3})
- Er ist in Essen. Ich kann Ihnen nur sagen, wie lange es
unter Umständen dauert, bis er von Essen hier ist.
Wir beantragen Unterbrechung der Sitzung, bis der
Arbeitsminister hier sein kann.
({4})
Zur Geschäftsordnung liegt mir weiter eine Meldung des Kollegen Claus vor.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Auch die PDS-Fraktion unterstützt den
eingebrachten Antrag, den Arbeitsminister hier zu diesem Thema zu hören. Ich will ausdrücklich sagen, Sie
als Koalitionsfraktionen können für das terminliche
Durcheinander, das hier eingetreten ist - das natürlich
viele objektive Ursachen, aber auch Ursachen hat, die
bei Ihnen liegen -, nicht die Opposition verantwortlich
machen. Das wäre zurückzuweisen.
({0})
Möglicherweise können wir in einer Verständigung
der Geschäftsführer zum Verfahrensgang noch eine Regelung erzielen. Den Antrag aber, den Arbeitsminister
hier herbeizurufen, unterstützen wir ausdrücklich.
Vielen Dank.
({1})
Zur Geschäftsordnung, bitte.
Meine Damen und Herren von der Opposition!
Wenn Sie der Meinung sind, daß Sie den Herrn Minister
zur Unterstützung Ihres Wahlkampfes herzitieren müssen,
({0})
dann, kann ich nur sagen, ist das Ihr Recht.
Wir unterstützen den Antrag auf Sitzungsunterbrechung und werden dann sicherlich in aller Klarheit vom
Bundesarbeitsminister hören, was er zu sagen hat. Dann
werden wir hier miteinander diskutieren können.
Vielen Dank.
({1})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist Unterbrechung der Sitzung
beantragt worden. Es ist Parlamentsbrauch, daß dem
auch stattgegeben wird.
Damit unterbreche ich die Sitzung. Der Wiederbeginn
der Sitzung wird Ihnen entsprechend bekanntgegeben.
({0})
Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Ich bitte darum, Platz zu nehmen. Die
unterbrochene Sitzung ist wieder eröffnet.
Bevor wir mit der Tagesordnung fortfahren, darf ich
Sie über das vorgesehene Verfahren zum KosovoAntrag der Regierung noch weiter informieren. Die zuständigen Ausschüsse haben heute nachmittag ab 17.30
Uhr Sitzungen anberaumt. Sie werden jedoch ihre Beratungen erst dann aufnehmen, wenn der erwartete geänderte Antrag der Bundesregierung zugegangen ist.
Wir setzen nun die Aktuelle Stunde fort. Der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung ist anwesend.
Damit hat sich der Herbeirufungsantrag erledigt.
Das Wort hat nunmehr der Kollege Klaus Wiesehügel
von der SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Meine
Damen und Herren! Hier war vorhin viel die Rede davon, daß man ein gutes Gedächtnis hat. Herr Blüm hat
mehrfach darauf verwiesen. Ich sage nur ganz deutlich:
Auch wir haben ein gutes Gedächtnis. Deswegen mußte
eine solche Regelung gemacht werden.
({0})
Die Bauarbeiter haben nicht vergessen, Norbert
Blüm, welch Schaden angerichtet worden ist, den ich
kurz darstellen will. Ich bin aber enttäuscht, oder vielleicht wächst bei mir auch die Erkenntnis, wenn ich höre, daß Sie sagen, daß die Struktur überhaupt nicht verändert worden ist. Das zeigt mir ganz deutlich: Als Sie
damals das Schlechtwettergeld gestrichen haben, haben
Sie nichts begriffen. Jetzt haben Sie immer noch nichts
begriffen.
({1})
Wir haben die Struktur geändert. Wir haben die
Struktur sogar sehr gut geändert,
({2})
weil unser Ziel nicht nur die Frage des Schlechtwettergeldes gewesen ist. Unser Ziel ist es immer gewesen, die
Winterarbeitslosigkeit zu beseitigen. Diese haben wir
mit einer solchen gemeinsamen Erklärung wesentlich
besser im Griff.
({3})
Die wichtigen Punkte will ich Ihnen einmal kurz
schildern. Wir sind in der Lage, über die Tarifvertragsparteien - so wird es auch im Gesetz stehen - zukünftig
die Sozialversicherungsbeiträge nicht mehr pro ausgefallener Stunde im Winter direkt zu Lasten der Arbeitgeber in der schwachen Liquiditätszeit zu finanzieren,
sondern zu Lasten einer Winterbauumlage, die die Arbeitgeber gemeinsam finanzieren.
({4})
- Ich komme gleich dazu. Warten Sie einen Augenblick.
({5})
Wir werden diese Dinge so regeln, daß es jetzt nicht
mehr zur Arbeitslosigkeit kommt.
({6})
Ein weiterer Punkt. Weil wir bestrebt sind, Arbeitsmarktpolitik zu machen, wird zukünftig immer dann,
wenn ein Unternehmen, obwohl im Tarifvertrag enthalten ist, daß nicht gekündigt werden kann, trotzdem aus
witterungsbedingten Gründen kündigt, der Schaden, der
der Bundesanstalt dadurch entsteht, ersetzt werden. Dies
ist ein wirksames und arbeitsmarktpolitisches Element,
das Arbeitslosigkeit vermeiden kann.
Noch eines. Sie haben nicht nur das Schlechtwettergeld gestrichen. Sie haben auch dafür gesorgt, daß die
gesamte Idee des ganzjährigen Beschäftigens und des
Winterbaus endgültig begraben wurde, indem Sie auch
die Winterbauausschüsse abgeschafft haben. Diese
Winterbauausschüsse werden wieder eingeführt, und
damit werden wir der Arbeitslosigkeit begegnen.
({7})
Sie behaupten, daß sich die Struktur überhaupt nicht
geändert habe. Doch genau in diesem Punkt geht es um
Strukturen. Wir werden durch Strukturmaßnahmen und
nicht nur durch die Wiedereinführung von Schlechtwettergeld die Winterarbeitslosigkeit auf ein Minimum reduzieren können.
({8})
Meine Damen und Herren, die Tarifvertragsparteien
am Bau waren immer in der Lage, ihre Probleme zu lösen. Sie haben sie auch jetzt wieder lösen können. Es
war aber schwieriger. Es war deswegen so schwierig,
weil Sie mit der Streichung des Schlechtwettergeldes die
Sozialpartnerschaft am Bau an den Rand des noch Möglichen getrieben haben.
({9})
Sie sind dafür direkt verantwortlich gewesen.
({10})
Weil hier des öfteren gesagt wird, wir hätten das zu
Lasten Dritter gemacht - ich komme nun zu Ihren Äußerungen -, möchte ich Sie bitten, mit mir einmal kurz
nachzurechnen - soweit Sie das können -: 51 Millionen
DM kostet das Ganze.
({11})
Jemand, der im Winter arbeitslos wird, kostet pro Monat
2 433 DM.
({12})
- Hören Sie doch einmal eine Minute zu! - Wenn er drei
Monate arbeitslos ist, kostet das 7 300 DM.
({13})
- Wollen Sie nun zuhören und etwas lernen, oder wollen
Sie reden?
({14})
7 000 Arbeitslose weniger bringen schon eine Einsparung in Höhe dieser 51 Millionen DM.
({15})
- Nun hören Sie auf zu plappern, rechnen Sie einmal
nach. Die Dinge sind nämlich positiv geregelt worden,
nicht zu Lasten Dritter, sondern zugunsten des Bundes.
({16})
Meine Damen und Herren, zum Schluß möchte ich
noch ganz kurz anmerken: Sowohl die 150 000 ArbeitKlaus Wiesehügel
nehmer, die sonst jeden Winter arbeitslos wurden, als
auch die Kassen des Bundes werden erheblich entlastet,
wenn weitergearbeitet wird. Ganz deutlich sage ich Ihnen: Sie sollten sich hier nicht beschweren. Sie haben
dafür gesorgt, daß in der letzten Zeit über 240 000 Bauarbeiter durch von Ihnen verursachte Strukturveränderungen ihren Arbeitsplatz auf Dauer verloren haben. Wir
sind dabei, dem Baugewerbe wieder eine Zukunft zu geben.
({17})
Das Wort für die
CDU/CSU-Fraktion hat der Kollege Peter Rauen.
Herr Präsident! Meine
sehr verehrten Damen und Herren! Herr Wiesehügel, ich
glaube, Sie wissen gar nicht, was Sie mit dieser neuen
Regelung wirklich anrichten.
({0})
Ich habe heute morgen vom Hauptverband der Deutschen Bauindustrie die Vereinbarung erhalten. Im letzten Absatz - dort wird erklärt, was jetzt gemacht wird steht: Aus Äußerungen von Staatssekretär Andres und
von Bundeskanzler Schröder selbst wurde deutlich, daß
bei Nichtzustandekommen einer einvernehmlichen Regelung die Gewerkschaften gute Chancen haben würden,
ihren der SPD-Fraktion bereits vorgelegten Gesetzentwurf mit einem Schlechtwettergeld ab der ersten Ausfallstunde im Deutschen Bundestag durchzusetzen.
Meine Damen und Herren, denken Sie einen Moment
darüber nach. Hier wurden die Arbeitgeber massiv erpreßt,
({1})
einer Regelung zuzustimmen, der sie ohne diesen Erpressungsversuch niemals zugestimmt hätten.
({2})
Ihnen, Herr Wiesehügel, wird das Lachen vergehen,
denn durch diese Neuregelung wird die Beschäftigung
deutscher Arbeitnehmer in hohem Maße gefährdet werden, und es werden noch mehr deutsche Arbeitnehmer
arbeitslos werden.
Das Schlechtwettergeld hat die Tarifpartner 25 Jahre
am Denken gehindert.
({3})
Bei den Tarifverhandlungen 1997, die nach der Abschaffung des Schlechtwettergeldes im Rahmen des Arbeitszeitgesetzes und der Änderung der Lohnfortzahlung
stattfanden, war es auf Grund moderner tariflicher Regelungen möglich - daran haben Sie, Herr Wiesehügel,
damals Gott sei Dank mitgewirkt -, die Lohnzusatzkosten in meinem Betrieb um 20 Prozent zu senken. Ich
darf erinnern: Sie machen mit Ihrem Ökosteuergesetz
die Welt verrückt und erreichen damit ganze 0,4 Prozent. Durch ordnungspolitische Maßnahmen und durch
tarifliche Vereinbarungen war es 1997 möglich, die
Lohnzusatzkosten auf einen Schlag um 20 Prozent zu
senken - das 40fache dessen, was Sie mit Ihrer gesamten Ökosteuerreform erreichen.
Meine Damen und Herren, ich will Ihnen sagen, warum dies möglich war. In meinem Betrieb haben wir vor
zwei Jahren vereinbart, jeweils im Sommer 150 Stunden
vorzuarbeiten. Das erarbeitete Geld geht auf ein Konto,
und zwar einschließlich der Sozialversicherungsbeiträge.
Über dieses Konto verfügen die Geschäftsführung und
der Betriebsratsvorsitzende. Das Geld wird im Winter
bei schlechter Witterung ausgezahlt. Das hat sich nach
anfänglichen Schwierigkeiten hervorragend eingespielt.
Unsere Mitarbeiter haben jetzt das ganze Jahr über ein
Einkommen. Wir haben mit der alten Schlechtwettergeldregelung überhaupt nichts mehr zu tun.
({4})
Wir haben auch die Umlage, für die wir 1,7 Prozent
einzahlen müssen, nicht mehr in Anspruch genommen.
Mein Betrieb, Herr Wiesehügel, hat von Mai 1997 bis
Mai 1999 in diese Winterbauumlage 224 000 DM eingezahlt, ohne einen Pfennig davon in Anspruch zu nehmen. Nur deshalb ist die Kasse heute gut gefüllt. Wenn
nun statt ab der 50. ab der 30. Stunde gezahlt wird und
die Sozialversicherungsbeiträge über die Umlage finanziert werden, dann wird die Winterbauumlage sprunghaft steigen müssen. Wir werden bei den Lohnzusatzkosten eine Mehrbelastung von 5 bis 6 Prozent bekommen.
({5})
Sie sollten sich wirklich einmal überlegen, was Sie mit
diesen Änderungen anrichten.
Ich muß mich schon sehr wundern, mit welcher Blauäugigkeit auch die Arbeitgeberverbände davon ausgehen
- ich habe es ihnen sehr deutlich gesagt -, die alte Flexibilisierung mit 150 Stunden könne noch aufrechterhalten werden. Ich hatte gestern ein Gespräch mit meinen Mitarbeitern zu diesem Thema. Die haben klar zu
erkennen gegeben, daß sie, wenn es auch für Nichtarbeit
wieder Geld gibt, nicht mehr bereit sind, 150 Stunden
vorzuarbeiten, wenn sie anschließend nicht die
Schlechtwettergeldregelung in Anspruch nehmen können.
Auch für einen Betrieb, Herr Wiesehügel, wäre es bei
224 000 DM noch interessant, flexibel zu reagieren. In
zwei Jahren müßten wir aber wohl 500 000 DM zahlen.
Deshalb sagen wir: Wir nehmen lieber ab der 30. Stunde
das Schlechtwettergeld in Anspruch - mit der Folge, daß
die Kassen nicht mehr gefüllt sind und die Winterbauumlage drastisch erhöht werden muß.
({6})
Was Sie da tun, ist verantwortungslos hoch drei; ich
will das sehr deutlich sagen.
({7})
Wir mittelständische Firmen, die noch deutsche Bauarbeiter beschäftigen, stehen in einem harten Wettbewerb,
überhaupt noch genügend Arbeit für unsere deutschen
Mitarbeiter zu bekommen. In dieser Situation die Lohnzusatzkosten so drastisch zu erhöhen ist so unverantwortlich, wie es unverantwortlicher nicht sein kann.
Daß Bundeskanzler Schröder an diesem Erpressungsversuch mitgewirkt hat, halte ich für höchst bedenklich.
Ich wundere mich schon, wie Schröder und Blair unter
der Überschrift „Der Weg nach vorne für Europas Sozialdemokraten“ vorschlagen können: Wir müssen unsere Politik in einem neuen, auf den heutigen Stand gebrachten wirtschaftlichen Rahmen betreiben, innerhalb
dessen der Staat die Wirtschaft nach Kräften fördert,
sich aber nie als Ersatz für Wirtschaft betrachtet. Die
Steuerfunktion von Märkten muß durch die Politik ergänzt und verbessert, nicht aber behindert werden.
Mit dieser Wiedereinführung des Schlechtwettergeldes wird die Entwicklung von Betrieben und werden
moderne, flexible Arbeitsformen in höchstem Maße verhindert. Das ist ein Rückfall in die Steinzeit.
({8})
Sie sollten sich dafür schämen, daß Sie als Führer der
Gewerkschaften gemeinsam mit Herrn Andres und anderen die Arbeitgeber so erpreßt haben.
({9})
Ich gebe das Wort
der Kollegin Franziska Eichstädt-Bohlig für das Bündnis
90/Die Grünen.
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte
Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter Herr Rauen!
Ich glaube, das Gegenteil ist der Fall: Diese Art, das
„Bündnis für Arbeit“ ernst zu nehmen und einen Interessenausgleich zwischen den drei Partnern - der Arbeitgeberseite, der Arbeitnehmerseite und der Gesellschaft allgemein, also hier der Arbeitslosenversicherung - zu finden, ist sehr viel besser, als es unter der alten Koalition
gewesen ist. Dies ist ein verantwortliches „Bündnis für
Arbeit“, das diesen Interessenausgleich behutsam organisiert hat und durchsetzen wird. Ich glaube, wir sollten
sehr stolz darauf sein, daß es mit dieser Regelung gelungen ist, einen Schritt nach vorne zu tun.
({0})
Tatsache ist doch, daß wir mit der alten Regelung das
Gegenteil des Gewollten erreicht haben, indem jeweils
zu Silvester bis zu 150 000 Arbeitnehmer im Baubereich
plötzlich arbeitslos wurden. Es war nicht einmal garantiert, daß sie ein Vierteljahr später wieder bei ihrem Arbeitgeber auftauchen und weiterarbeiten konnten. Im
Gegenteil ist die Folge gewesen, daß der graue Arbeitsmarkt im Baubereich forciert in Anspruch genommen
wurde. Insofern gehen wir jetzt einen guten Schritt hin
zu einer legalen, kontinuierlichen und für die einheimischen Arbeitnehmer funktionierenden Beschäftigung in
der Bauwirtschaft. Darauf sollten wir stolz sein.
Ich möchte noch einmal die wichtigsten Bausteine
der Modifizierung nennen: Die 50 Stunden Vorarbeit der
Arbeitnehmer werden auf 30 Stunden gesenkt. Das
Winterausfallgeld wird bis zur 100. Stunde gezahlt - das
war ein Kompromißangebot an die Arbeitgeberseite -;
dann tritt die Bundesanstalt für Arbeit in Vorlage. Diese
Mischung ist sehr behutsam austariert worden. Ich glaube, sie wird wirken und uns helfen, unser Ziel zu erreichen, obwohl sie scheinbar eine Mehrbelastung bringt.
Formal ist es richtig, daß die Bundesanstalt für Arbeit
jetzt rechnerisch mit 55 Millionen DM mehr belastet ist.
De facto werden wir damit aber Arbeitslosigkeit am Bau
verhindern und dadurch der Bundesanstalt für Arbeit dazu verhelfen, daß sie mit ihren Geldern besser kalkulieren kann und sie diese zur Lösung anderer Probleme im
Bereich der Arbeitslosigkeit einsetzen kann.
Wir sollten auch darüber nachdenken, daß mit der
jetzigen Regelung schleichend immer mehr halblegale
Strukturen im Baubereich entstehen, die keine kontinuierliche Beschäftigung ermöglichen.
({1})
Gerade im Baubereich, der momentan für „hire and fire“
sehr sensibel ist, ist es sehr wichtig, daß wir Kontinuität
garantieren.
({2})
- Das ist kein Eiertanz. Das ist vielmehr die Situation,
die Sie uns beim Schlechtwettergeld eingebrockt haben.
Wir haben in den letzten zwei Jahren erlebt, wie im Januar die Arbeitslosigkeit sprunghaft angestiegen ist. Das
wieder rückgängig zu machen ist eine sehr verantwortungsvolle Aufgabe.
Danke schön.
({3})
Es spricht für die
F.D.P.-Fraktion die Kollegin Dr. Irmgard Schwaetzer.
Herr Präsident!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die F.D.P. freut sich
natürlich, daß Bundeskanzler Kohl jetzt das Programm
der F.D.P. - ({0})
- daß Bundeskanzler Schröder jetzt das Programm der
F.D.P. übernimmt. - Der alte hat das in der Tat schon an
vielen Stellen getan, und wir haben das sehr geschätzt.
Aber wir schätzen es natürlich auch, wenn der neue
Bundeskanzler es übernimmt.
Aber das, was Sie jetzt hier in bezug auf das
Schlechtwettergeld debattiert haben, macht doch seinen
Ansatz völlig unglaubwürdig. Darin steht nämlich, daß
die Arbeitsmärkte flexibilisiert werden sollen. Was Sie
hier machen, ist das genaue Gegenteil: Die Flexibilisierung haben Sie zurückgedreht.
({1})
Wie immer, wenn diese Bundesregierung, Gewerkschaften und Arbeitgeber sich zusammenraufen, gibt es
einen Kompromiß auf dem kleinsten gemeinsamen
Nenner, und das ist wie immer der Beitragszahler, in
diesem Fall derjenige, der Beiträge an die Bundesanstalt
für Arbeit zahlt.
({2})
Deswegen ist diese Schlechtwettergeldregelung überflüssig; überflüssiger geht es gar nicht. Sie ist ein Rückschritt.
({3})
Der Bundeskanzler hat dies als ein „kleines Bündnis
für Arbeit“ bezeichnet. Wenn das die Konzeption des
„Bündnisses für Arbeit“ ist, dann gute Nacht für Beitrags- und Steuerzahler. Denn sie werden sich darauf
einrichten müssen, daß ein solches Bündnis sie teuer zu
stehen kommt. Wir werden versuchen, dies zu verhindern.
({4})
Ich möchte jetzt zum eigentlichen Thema dieser Aktuellen Stunde zurückkommen, zu den Rentenplänen der
Bundesregierung.
({5})
In diesem Zusammenhang muß auch ich auf das Papier
des Bundeskanzlers Schröder verweisen. Es ist übrigens
witzig, daß er nach England fahren mußte, um die Pläne
zur Rentenanpassung zu verkünden. Hier hat er sich das
offensichtlich nicht getraut.
({6})
In diesem Papier ist festgelegt, daß die Sozialversicherungssysteme reformiert werden müssen. Wenn Sie das
erreichen wollen, dann frage ich, warum Sie zuerst die
richtigen Reformen zurücknehmen, um sie anschließend
in einer verschärften und unsozialen Form wieder einzuführen. Genau das ist es, was Sie jetzt planen.
({7})
Es ist schlecht für die Rentner, wenn sie am heutigen
Tag hören müssen - Sie wollen das gut zwei Tage vor
der Europawahl vertuschen -, daß die Haushaltslöcher,
die der fahnenflüchtige frühere Bundesfinanzminister
Oskar Lafontaine mit verursacht hat,
({8})
jetzt durch eine Halbierung der Rentensteigerungen in
den Jahren 2000 und 2001 gestopft werden sollen. Dies
ist in höchstem Maße unsozial. Dies ist Wählerbetrug.
({9})
Die alte Regierung und die sie tragenden Fraktionen
haben einen demographischen Faktor in die Rentenversicherung eingeführt. Danach hätten die Rentner mit einem zwar etwas kleineren, aber sicheren und ständigen
Anstieg ihrer Renten rechnen können. Das, was Sie jetzt
einführen wollen - ich bin ziemlich sicher, daß Sie es
auch einführen werden; Sie versuchen das jetzt nur zu
vertuschen -, belastet die Rentner deutlich stärker als
alles, was die alte Regierung beschlossen hatte.
({10})
Wenn ich mich hier umschaue, dann frage ich mich,
wo eigentlich der Kollege Dreßler geblieben ist, der hier
mit unübertroffenem Zynismus die alte Bundesregierung
gegeißelt hat.
({11})
Haben Sie ihn stillgelegt? Was sagt er zu Ihren Rentenplänen?
Ich bin sicher, daß die Bundestagswahl im September
letzten Jahres auch ein Stückchen durch die Ankündigungen der die jetzige Bundesregierung stellenden Parteien in der Sozialpolitik gewonnen worden ist. Was Sie
jetzt machen - Sie haben die Neue Mitte mit Ihrem Gesetz über die 630-Mark-Jobs und über die Scheinselbständigkeit sowieso schon vertrieben; diesen Punkt
möchte ich festhalten -, ist glatter Wählerbetrug an den
Rentnern.
({12})
Aber gerade die Rentenversicherung braucht Kontinuität, Stabilität und Verläßlichkeit. Sie machen das genaue
Gegenteil.
({13})
Das Wort für die
PDS-Fraktion hat der Kollege Dr. Gregor Gysi.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Natürlich war die Beseitigung des
Schlechtwettergeldes in der letzten Legislaturperiode eine der traurigsten Entscheidungen der alten Koalition.
Durch diese Entscheidung hat sich die soziale Lage
Zehntausender Bauarbeiterinnen und Bauarbeiter in den
Wintermonaten ganz erheblich verschlechtert. Dadurch
gab es sehr viel Unruhe auf den Baustellen. Aber Sie
haben auch für sehr viel Unruhe auf den Baustellen gesorgt, weil Sie das Prinzip gleicher Lohn für gleiche Arbeit am gleichen Ort nicht durchgesetzt haben, wohl
wissend aller Folgen, die das bekanntlich hatte. Insofern
ist es selbstverständlich zu begrüßen, wenn die neue Koalition eine Regelung zur Wiedereinführung des
Schlechtwettergelds vorlegt.
Aber ich möchte in diesem Zusammenhang hinzufügen, daß die alte Regelung, die beseitigt worden ist, besser war als die, die jetzt eingeführt werden soll, allein
schon deshalb, weil die Bauarbeiter dann, wenn die
Baubetriebe nicht aus witterungsbedingten, sondern aus
anderen Gründen kündigen, ihre Überstunden umsonst
angesammelt haben. Dann war ihr Ansammeln „für
naß“. Wenn die jetzt geplante Regelung eingeführt wird,
dann befinden sich die Bauarbeiter in dieser Beziehung
in derselben Situation wie vorher.
({0})
Dennoch bin ich der Meinung, daß es sehr vernünftig ist,
das Schlechtwettergeld wieder einzuführen.
Ich möchte auf das eigentliche Schwerpunktthema
zurückkommen, nämlich auf die Ankündigung Ihres
Ministeriums, Herr Riester, die Rentensteigerungen im
nächsten und übernächsten Jahr zu senken, also die
Renten nicht mehr an die Nettolohnentwicklung anzupassen. Das bedeutet faktisch immer eine Rentenkürzung, wenn man sich die Gesamtkostenstrukturentwicklung in diesem Zusammenhang anschaut.
Ich muß Ihnen ehrlich sagen: Das ist nun wirklich ein
starkes Stück. Das widerspricht eindeutig allen Wahlversprechen der SPD vor der Septemberwahl 1998. Sie
können natürlich sagen, das steht heute noch nicht fest.
Ich befürchte, Sie werden auch keine Auskünfte geben,
weil Sie sagen, das ist alles noch in der Diskussion und
Vorbereitung. Aber auch das ist nur die Wiederholung
der Fehler, die Sie früher gerügt haben, nämlich vor der
Wahl nicht die Wahrheit zu sagen. Das ist nicht hinnehmbar.
Sagen Sie heute wenigstens klipp und klar, was Sie
diesbezüglich vorhaben. Gewinnen oder verlieren Sie
die Wahlen, aber gewinnen oder verlieren Sie sie ehrlich
und nicht dadurch, daß Sie die Leute vor der Wahl im
unklaren lassen, um nach der Wahl die Sparpläne bekanntzugeben.
({1})
Man darf in der Gesellschaft selbstverständlich sparen. Man darf das aber nicht bei den Alten tun, die ihre
Arbeit und ihre Beiträge bereits geleistet haben. Man
darf das nicht bei den Kranken tun und auch nicht bei
den Kindern und der Jugend, die die Zukunft bedeuten.
Diese müssen ebenso wie Kultur und Bildung Tabubereiche sein.
({2})
Im Dezember 1998 die alte Regierung zu schelten,
die Senkung des Rentenniveaus wieder zurückzunehmen, um im Juni 1999 die Kürzung der Renten für das
nächste Jahr anzukündigen, ist wirklich ein starkes
Stück. Dann hätten Sie es auch bei der alten Regelung
lassen können.
({3})
Ich sage Ihnen jetzt, worin der Unterschied besteht
und was die Sache sogar gefährlicher macht. Wir haben
die alte Regelung kritisiert - wir werden auch Ihre Vorschläge ganz deutlich kritisieren. Aber das hatte wenigstens noch eine gesetzliche Grundlage. Das, was Sie
jetzt einführen, ist Willkür anstelle einer gesetzlichen
Grundlage. Sie wollen Jahr für Jahr entscheiden, um
wieviel Sie erhöhen oder nicht erhöhen werden. Dann
weiß man, ein Jahr vor der Wahl wird erhöht, und anschließend wird drei Jahre lang gesenkt. Nein, das geht
nicht, dann ist Berechenbarkeit wichtiger als Willkür
und Unberechenbarkeit. Deshalb meine ich, man hätte
diesen Weg überhaupt nicht gehen dürfen.
({4})
Ich sage Ihnen jetzt etwas zu den Plänen zur Rentensenkung, auf die es hinausläuft. Ich habe gehört, auch
bei den Arbeitslosen soll gesenkt werden. Es wird immer dramatischer. Ich meine, die Leute haben nicht nur
einen Regierungswechsel gewählt, sie wollten einen Politikwechsel. Sie wollten nicht, daß sich der Sozialabbau
noch dramatischer fortsetzt.
Ich habe das Papier von Blair und Schröder gelesen.
Das ist Neoliberalismus in Reinkultur. Ich verstehe den
Urheberrechtsstreit, den die F.D.P. jetzt mit Schröder
führen will.
({5})
In dem Papier steht kein Satz, den nicht auch Gerhardt
und Westerwelle hätten unterschreiben können. Natürlich sind die jetzt ein wenig sauer, weil sie es schon seit
Jahren sagen und Schröder es jetzt verkündet. Ein solcher Urheberrechtsstreit, befürchte ich, würde zugunsten
der F.D.P. ausgehen.
({6})
Das sagt aber nichts Gutes über die F.D.P., es sagt nur
etwas Schlechtes über den Bundeskanzler.
({7})
Ich finde es einfach verheerend, wenn der Kanzler
den Sprachgebrauch übernimmt und mit „modern“ Sozialabbau und Deregulierung, das heißt, Einschränkung
der Rechte der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer,
gleichsetzt.
({8})
Ich finde das überhaupt nicht modern. Das Ziel soziale
Gerechtigkeit ist nicht verstaubt, sondern ein höchst aktuelles, das gerade im nächsten Jahrhundert besonders
wichtig wird.
Deshalb geht die Entwicklung, die Schröder eingeleitet hat - dabei unterscheidet ihn von Blair nur, daß er
es während seiner Regierungszeit macht und nicht vorDr. Gregor Gysi
her in seiner Partei klärt, was ein beachtlicher Unterschied ist -, wirklich zu weit. Das verletzt auch sozialdemokratische Traditionen in großem Umfang.
Ich lese das Ganze als Angebot zur Koalition entweder an die CDU oder an die F.D.P. Insofern ist mir auch
klar, was in Bremen passiert. Das heißt, daß die in dieser
Gesellschaft von sozialen Kürzungen Betroffenen in Ihrer Partei niemanden mehr haben, der ihre Interessen
vertritt. Es ist schon eine Veränderung dieser Gesellschaft, wenn auch die Sozialdemokratie nur noch Sozialabbau und Deregulierung fordert.
({9})
Das ist der eigentliche Skandal. Deshalb bin ich der
Meinung, hier muß mehr Ehrlichkeit her. Es muß gesagt
werden, was man vorhat. Wenn Sie mit neuen Personen
einfach das fortsetzen, was die alte Koalition gemacht
hat, dann hätte man sich den Regierungswechsel auch
schenken können. Das ist nicht das, was die Leute im
September 1998 gewählt haben.
({10})
Noch etwas ist bedauerlich: Damit verleiht der
Kanzler der Politik der alten Koalition im nachhinein die
Weihe. Wenn er heute dasselbe verkündet, dann hatte
die alte Koalition doch recht.
({11})
Aus diesem Widerspruch werden wir Sie nicht entlassen. Wir finden: Sie hatten nicht recht, und auch der
Kanzler hat nicht recht. Das ist der Unterschied zwischen uns, und der bleibt auch bestehen.
({12})
Ich gebe das Wort
dem Kollegen Andreas Storm, CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine
Damen und Herren! Der Bundesarbeitsminister hat in
der vergangenen Woche verkündet, er habe dem Bundesfinanzminister Sparvorschläge in einer Größenordnung von 12,8 Milliarden DM für das nächste Jahr unterbreitet. Nun weiß jeder, der die Struktur des Sozialetats kennt: Dieses Einsparziel ist ohne massive Einschnitte bei der Rente bis hin zur Nullrunde nicht erreichbar. Alle fragen: Wie wird denn nun gekürzt, Herr
Minister? - Aber der Sozialminister schweigt.
({0})
Am Wochenende wurde bekannt, daß das Arbeitsministerium eine Halbierung der Rentenanpassung in den
beiden kommenden Jahren vorgeschlagen hat. Detaillierte Berechnungen wurden vorgelegt. - Aber der Sozialminister schweigt.
({1})
Am Montag erklärte der Rentenberater des Bundesarbeitsministers, Professor Rürup, im „Focus“ zu den Plänen für eine faktische Aussetzung der Rentenanpassung
wörtlich:
Ich hoffe nicht, daß die Regierung zu solch einer
Maßnahme greift. Ein solcher Schritt würde das
Vertrauen in unsere Alterssicherung endgültig zerstören und die Regierung sozialpolitisch disqualifizieren.
So weit Ihr Rentenexperte, Herr Riester. - Aber der Sozialminister schweigt.
({2})
Am Dienstag erklärte DAG-Vorstandsmitglied Lutz
Freitag, der auch alternierender Vorstandsvorsitzender
der BfA, mithin des größten Rentenversicherungsträgers, ist, eine Halbierung der Nettoanpassung sei sozial
unerträglich. Der Grundsatz, daß die Renten mit einjähriger Verzögerung dem Zuwachs der Nettolöhne folgen,
dürfe nicht fallengelassen werden wie eine heiße Kartoffel. - Aber der Sozialminister schweigt!
({3})
Gestern, lieber Herr Andres, erklärte der Staatssekretär im Arbeitsministerium im „ZDF“, diese Einsparungen müßten kommen. Bundesfinanzminister Eichel ergänzt, es werde bei der Rente zwar keine Kürzungen,
aber auch nicht immer einen Zuwachs geben. Im Klartext: Die Bundesregierung kündigt durch die Hintertür
die Rente nach Kassenlage an. - Der Sozialminister
schweigt.
({4})
Herr Riester, Ihre rentenpolitische Bilanz fällt verheerend aus. Drei Akte in nur acht Monaten.
({5})
Erster Akt. Der demographische Faktor in der Rentenformel wird ausgesetzt, weil die damit verbundene
Minderung der Rentenerhöhung um ein halbes Prozent
pro Jahr als untragbar hoch und somit unsozial erklärt
wird.
Zweiter Akt. Durch die erste Stufe der Ökosteuer
zum 1. April wird der Realwert der Renten um 1 Prozent
gemindert. VdK-Präsident Walter Hirrlinger hat vorgerechnet, daß ein Rentnerhaushalt mit 2 000 DM im Monat durch die Preissteigerungen in der Folge der Ökosteuer mit 20 DM monatlich belastet wird. Falls die
Rentenanpassung im kommenden Jahr nach Kassenlage
erfolgt, hat das zur Folge, daß die Rentner nicht an den
sich aus der Senkung der Rentenbeiträge ergebenden
Nettoeinkommenszuwächsen der Arbeitnehmer teilhaDr. Gregor Gysi
ben können. Das wäre ganz klar Betrug. Die Rentner
müßten einseitig die Belastungen aus der ökologischen
Steuerreform tragen, ohne daß sie von den Entlastungen
profitieren könnten.
({6})
Dritter Akt. Eine Halbierung des Rentenanstiegs in
den nächsten beiden Jahren hätte eine Kürzung der Leistungsansprüche um 3 bis 4 Prozent zur Folge. Mit anderen Worten: Die dadurch verursachten Einschnitte wären bereits zum Jahresende 2001 höher als bei Beibehaltung der demographischen Komponente in der Rentenformel bis zum Jahre 2005.
({7})
Besonders schlimm: Durch die beabsichtigte Rente
nach Kassenlage wird nicht nur das Vertrauen in die
Rentenpolitik erschüttert. Es wird vor allen Dingen kein
einziges der langfristigen strukturellen Probleme der
Rentenversicherung gelöst. Die Regierung stopft lediglich diejenigen Löcher,
({8})
die sie durch ihre teuren Wahlversprechen und nicht
zuletzt durch die Rücknahme der Reform von Norbert
Blüm selbst geschaffen hat. Sie betreiben reine Flickschusterei. Die Rentner werden bei Ihnen als Sparschweine mißbraucht.
({9})
Durch Tricks und Schönrechnen versucht das Bundesarbeitsministerium, die wahre Lage der Rentenfinanzen zu verschleiern. Wir haben schon im März vorgerechnet, daß wegen der Aussetzung des demographischen Faktors und der von Ihnen beschlossenen Steuerreform der Beitragssatz bereits im übernächsten Jahr auf
20 Prozent und bis 2005 auf 21 Prozent steigt.
({10})
Was macht der Arbeitsminister? Er greift in die Trickkiste; er ignoriert bei seinen Berechnungen die Steuerreform und den Demographiefaktor. Aber Professor
Rürup, Ihr Berater, hat am Montag im „Focus“ die Katze
aus dem Sack gelassen: Ohne Abstriche am Leistungsniveau werde der Beitragssatz schon nächstes Jahr auf
20,5 Prozent steigen. Eine Lücke von 15 Milliarden DM
klafft in der Rentenkasse.
({11})
Meine Damen und Herren, das riecht nach Rentenlüge.
Herr Minister, brechen Sie endlich Ihr Schweigen und
sagen Sie den Menschen die Wahrheit! Sonst müssen
wir bei der nächsten Rentendebatte die Bilanz ziehen:
Erst folgt er dem Walter Arendt. Wann folgt er dem Lafontaine?
({12})
Als nächster Redner
spricht für die Bundesregierung der Bundesminister für
Arbeit und Sozialordnung, Walter Riester.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich höre einiges Widersprüchliches.
({0})
Von Herrn Gysi - ({1})
- Ich habe gehört, Sie wollen, daß ich hier spreche.
({2})
Vom Fraktionsvorsitzenden Gysi höre ich, das
Arbeitsministerium hätte verlauten lassen, wo gekürzt
werden soll. Dann wird mir mitgeteilt, ein Abgeordneter
sei der Auffassung, ich hätte in jüngster Zeit Äußerungen gemacht, die erklärungsbedürftig seien. Nun höre
ich von Herrn Storm: Der Arbeitsminister schweigt.
({3})
Ich frage mich, wie Schweigen so erklärungsbedürftig
sein kann.
In der Tat habe ich mich zu einzelnen möglichen Gesichtspunkten der Haushaltskonsolidierung nicht geäußert. Ich will Ihnen auch sagen, warum.
({4})
- Ich hoffe, Sie haben daran Interesse. - Ich habe mich
nicht dazu geäußert, weil ich bis jetzt nur mit dem Finanzminister über mögliche Gesichtspunkte der Haushaltskonsolidierung gesprochen habe
({5})
und weil die Entscheidung darüber am 30. Juni im Kabinett getroffen wird und ich vorher mit den Regierungsfraktionen darüber sprechen werde, welche Gesichtspunkte wir angehen.
({6})
Was haben wir jetzt erlebt? Ich glaube, es ist für den
Bürger sehr gut, das einmal nachzuvollziehen: Nachdem
der Finanzminister das erste Mal erklärt hat, daß er den
Schuldenberg, den Sie während ihrer 16jährigen Amtszeit angerichtet haben,
({7})
bereinigt, indem er die Haushaltskonsolidierung angeht,
kam von der Opposition der Aufschrei: Das schafft der
nie! Er schafft es nicht, die Schulden abzubauen, die wir
aufgebaut haben.
({8})
Danach hat die jetzige Regierungsmannschaft erklärt:
Wir stehen dazu; wir packen das an. Wir werden die
Schulden nicht weiter steigen lassen. - Dann hatte die
Opposition auf einmal die Erkenntnis, daß es gar nicht
möglich sei zu sparen.
({9})
Nun wird Punkt für Punkt in die Diskussion hineingeschrien; es beginnt eine regelrechte Kampagne. Mein
Vorgänger, der immer mit dem Spruch, die Renten seien
sicher,
({10})
geglänzt hat, sagte: Verunsichert mir bitte die Rentner
nicht! Eine verlogenere Kampagne habe ich bisher noch
nicht erlebt. Denn Sie selbst machen bewußt Stimmung
und verunsichern damit die Rentner.
({11})
Ich sage Ihnen aber eines: Jedem, der diese Kampagne verfolgt, wird zumindest eine Sache ganz klar:
Haushaltskonsolidierung und Abbau von Schulden waren noch nie Ihre Sache.
({12})
Sie sind selbst heute als Opposition nicht in der Lage das wäre für mich ein Stück Übernehmen von politischer Verantwortung -, bei der Korrektur und dem Abbau der strukturellen Schulden mitzuarbeiten, die Sie
über Jahre vor sich hergeschoben haben.
({13})
Das wäre das mindeste an politischer Verantwortung,
was ich erwarten würde.
({14})
Das wäre auch das mindeste, was der Bürger von Ihnen
erwarten kann.
({15})
Denn zwischenzeitlich sind wir in der Situation, daß jede vierte Mark im Haushalt wegen des Schuldenberges,
den Sie angerichtet haben, für Zinslasten ausgegeben
wird.
({16})
Weil wir nicht in dieser Form weiter Schulden machen wollen, hat der Finanzminister gesagt: Wir werden
uns der Herausforderung stellen.
({17})
Deswegen sage ich Ihnen: Wir werden uns auch in unserem Bereich der Herausforderung stellen. Wenn Sie jedoch dokumentieren, daß Sie an keinem einzigen Punkt
bereit und in der Lage sind zu sparen,
({18})
um das abzutragen, was Sie an Schulden aufgetürmt haben, dann zeigen Sie damit dem Bürger, wie unfähig Sie
selbst in der Opposition hinsichtlich der Korrektur dieser
Punkte sind.
({19})
Ich möchte Ihnen zum Abschluß noch folgendes sagen: Hören Sie auf mit dieser Argumentation, und zwar
nicht aus Fairneß gegenüber der Regierung - das kann
man von Ihnen gar nicht erwarten -, sondern aus Fairneß gegenüber dem Bürger, der einen Anspruch darauf
hat, daß er nicht Tag für Tag verunsichert wird.
Herzlichen Dank.
({20})
Als nächste Rednerin spricht für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen die
Kollegin Thea Dückert.
Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen,
gerade auch von der CDU/CSU! Ich verstehe sehr gut,
daß Sie so wenige Tage vor der Europawahl zu jedem
Wahlkampfmittel greifen, das Ihnen gerade in die Quere
kommt.
({0})
Aber ich werde diese vordergründigen Spekulationen
über den Konsolidierungskurs nicht kommentieren, weil
Sie hier vordergründigen Wahlkampf betreiben
({1})
und weil Sie - das finde ich viel relevanter - mit dieser
Debatte jede vernünftige Reformdiskussion schon im
Vorfeld vergiften.
({2})
Noch etwas tun Sie: Sie schüren wieder Ängste bei den
alten Menschen.
({3})
Es gibt einen guten parlamentarischen Brauch, der da
lautet: Lassen wir mal ein bißchen Wasser den Rhein
herunterfließen, bevor ein ehemaliger Ressortchef sich
hier in eine solche Debatte einmischt. Herr Kollege
Blüm, Sie hätten gut daran getan, sich an diesen alten
Brauch zu halten.
({4})
Ich habe Sie immer als einen seriösen und engagierten Streiter für eine Rentenreform erfahren. Was Sie hier
gemacht haben, war billiger Populismus,
({5})
das war Schüren von Existenzängsten bei den Rentnerinnen und Rentnern mit der Behauptung einer Rentenkürzung, die Sie selbst in die Welt gesetzt haben und die
Sie für Ihre Kampagne hier bemühen.
({6})
Sie sind sich nicht einmal zu schade dafür, bezüglich der
Arbeit unseres Ministers hier einen Honecker-Vergleich
aufs Tapet zu bringen.
({7})
Ich finde, das entlarvt Sie selbst, und das zeigt, wie wenig Interesse Sie haben, hier eine reelle Diskussion zu
führen.
({8})
Wir kennen das schon; das ist das gleiche Muster wie
in der Debatte im Frühjahr. Damals haben CDU, CSU
und F.D.P. immer wieder behauptet, in diesem Jahr
werde es keine Rentensteigerung geben.
({9})
- Sie haben das behauptet. - Das war Ihre Rentenlüge.
Das wissen Sie ganz genau. Die Rentenanpassung wird
zum 1. Juli erfolgen. Die Wahrheit ist, daß Sie diese
Rentenanpassung verhindern wollten.
({10})
Mehr noch: Wir haben die Beitragssätze zur Rentenversicherung am 1. April dieses Jahres gesenkt, nach
vielen, vielen Jahren schamloser Steigerungen dieser
Beiträge in der Zeit Ihrer Politik.
({11})
Wir haben über die Ökosteuer die Möglichkeit gefunden, hier einen ersten Schritt zu gehen. Wir werden diesen Weg fortsetzen.
({12})
- Ich weiß - das zeigen auch Ihre Zwischenrufe -: Sie
sind kampagnenwillig, bei jeder Thematik, die Emotionen schürt. Das nutzen Sie hier und heute im Angesicht
der Europawahl aus.
Es ist selbstverständlich richtig - darüber sollten wir
mit kühlem Kopf diskutieren -, daß der Konsolidierungsbedarf, den Herr Eichel genannt hat, besteht. Genauso richtig ist, daß wir diese Erblast abzubauen haben,
weil Sie nicht den Mut hatten, eine Haushaltspolitik zu
machen, die die zukünftige Generation nicht belastet,
weil Sie nicht den Mut hatten, reale Reformen des Sozialstaates anzugehen. Das werden wir ändern.
({13})
Jede vierte Mark für die Zinsen, das ist zuviel. Wir
wollen einen fairen Ausgleich zwischen den Generationen. Wir wissen, daß die Konsolidierung jeden
Haushaltsbereich betreffen wird, auch den Sozialhaushalt.
Wir haben zweierlei zu schultern: erstens den Konsolidierungsbedarf und zweitens den Bedarf echter Reformen. Denn das Sozialsystem, das Sie uns hinterlassen
haben, muß so umgestaltet werden, daß es den Herausforderungen des nächsten Jahrtausends und den Veränderungen - zum Beispiel in den Erwerbsbiographien,
hinsichtlich der Flexibilität der Lebensläufe, des Einund Austritts in Erwerbstätigkeit, in selbständige Tätigkeit - gerecht wird. Für diese Veränderungen haben Sie
überhaupt keine Vorsorge getroffen.
Wir werden beides angehen. Wenn wir das bewältigen, dann haben wir in diesen Jahren mehr geschafft, als
es bei Ihnen je denkbar war, nämlich eine Reform des
Sozialstaats, die auf die Veränderungen flexibel, mit
Finanzierungssicherheit und mit einem fairen sozialen
Ausgleich reagiert.
Das ist das Ziel unserer Politik. Ich sage Ihnen eines:
Das werden wir in Ruhe diskutieren. Das lassen wir uns
nicht von Ihnen zerreden. Denn wir wissen ganz genau,
daß wir gerade für die Rentenreform einen breiten gesellschaftlichen Konsens - über die Generationen, über
die Geschlechter und über die unterschiedlichen gesellschaftlichen Gruppen hinweg - brauchen. Das werden
wir angehen.
({14})
Als nächster Redner
spricht für die CDU/CSU-Fraktion der Kollege Norbert
Blüm.
({0})
Herr Präsident!
Meine Damen und Herren! Der Arbeitsminister hat sein
Schweigen gebrochen - und nichts gesagt.
({0})
Herr Arbeitsminister, die Frage läßt sich ganz einfach
beantworten: Planen Sie eine Manipulation der Rentenanpassung? Soll die Rente gekürzt werden, ja oder nein?
So einfach ist das.
({1})
Diese Frage, Herr Kollege Riester, hätte ich Ihnen in den
16 Jahren zu jeder Zeit - im Frühjahr, im Herbst, im
Winter, morgens, abends - beantworten können: Zu keiner Zeit haben wir die Rentenanpassung manipuliert.
({2})
- Sie verwechseln mich mit Ehrenberg; das ist Ihre Tradition.
({3})
Herr Kollege Riester, Ihre Partei hat einen Wahlkampf geführt mit der Behauptung, ein besseres Konzept zu haben. Neun Monate sind Sie nun im Amt. Neun
Monate, verehrte Frau Kollegin, ist Wasser den Rhein
heruntergeflossen. Neun Monate haben Sie kein Konzept vorgelegt, obwohl Sie im Wahlkampf behauptet
haben, das bessere zu haben. Eine Rente, die von jährlichen Entscheidungen einer Regierung abhängt, die nicht
in einen Regelmechanismus eingebaut ist, die nicht in
eine - das Jahr überlebende - Gesetzesform gegossen
ist, ist eine - das wiederhole ich im vollen Bewußtsein
dessen, was ich sage - Rente à la Honecker. So ist in der
DDR Rentenpolitik gemacht worden.
({4})
Ganz langsam zum Mitschreiben: Das ist - so wie damals in der DDR - eine Willkürrente - Anpassung nach
Laune der Regierenden, Anpassung nach Kassenlage.
Das hat es in den 16 Jahren unserer Regierungszeit nicht
gegeben.
({5})
- Sie können natürlich ein Konzept vorlegen, das anderer Art ist. Dann diskutieren wir das.
Sehr verehrte Frau Kollegin Dückert, Sie sprechen
die Verunsicherung in bezug auf die Rente und die
Angst der Rentner an. Seit wann machen Leute, die eine
Frage stellen, den Menschen Angst? Angst machen diejenigen, die keine Antwort geben.
({6})
Wir haben nicht nur ein Konzept vorgelegt, sondern sind
mit einem Gesetz in den Wahlkampf gegangen - und
nicht nur mit Ankündigungen. Dieses Gesetz haben Sie
zurückgenommen, ohne den Menschen zu sagen, was
Sie an die Stelle dieses Gesetzes setzen wollen. Das
nenne ich Verunsicherung. Das nenne ich unsolide Sozialpolitik.
({7})
Wie kommen Sie zu der Behauptung, wir hätten in
diesem Jahr die Anpassung verhindern wollen? Wo haben Sie das her? Ein Blick in die Gesetzeslage - von uns
beschlossen, von Ihnen abgelehnt - beweist, daß die
demographische Formel mit einer Rentenerhöhungsminderung von 0,5 Prozent gezogen hätte, aber nicht
eine Minderung der Rentenerhöhung um 1,5 Prozent, also eine Halbierung im nächsten Jahr.
Das, meine Damen und Herren, haben Sie im Wahlkampf als Rentenkürzung, als Kaputtschlagen und als
Kahlschlag bezeichnet. So haben Sie die Rentner auf die
Barrikaden geschickt. Aber jetzt kommen Sie daher und
planen willkürlich eine Halbierung. Warum planen Sie,
Herr Riester, nicht eine Viertelung oder eine Verminderung um zwei Drittel, weil die Kassenlage es erfordert?
„Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben.“ In diesem
Fall bestrafen Sie die Rentner. Sie bestrafen die Rentner,
indem Sie die Reform, die wir gemacht haben, aussetzen
und doppelt und dreifach nachholen müssen, was wir
mit Augenmaß in einer Rentenreform beschlossen und
vor den Wahlen den Wählern gesagt haben.
Herr Riester, ich fordere Sie in aller Kollegialität
auf - ({8})
- Ich kann ihn auch als Gewerkschafter auffordern! Ich bleibe dabei: Das ist eine Rente à la Honecker. Ich
habe nicht gesagt, Herr Riester sei Honecker.
Herr Riester, beantworten Sie folgende Frage: Was
beabsichtigen Sie mit der Anpassung? Soll sie halbiert
werden oder nicht? Beantworten Sie sie vor dem 13. Juni und nicht danach. Die Rentner wollen die Antwort bis
zum Wahltag wissen.
({9})
Das, verehrte Frau Kollegin, hat nichts mit Angstmachen zu tun, sondern mit Ehrlichkeit und Klarheit.
Zur Rentenversicherung. Ich weiß, daß die Bäume
nicht in den Himmel wachsen. Was wir in diesem Bereich brauchen, ist ein verläßliches Regelsystem, das
nicht von den jährlichen Entscheidungen einer Regierung oder einer Regierungsmehrheit abhängig ist, ein
Regelmechanismus, den man berechnen kann, eine demographische Formel, die verantwortbar ist. Was wir
aber nicht brauchen, ist eine Rente gemäß dem Motto
„Rein in die Kartoffeln, raus aus den Kartoffeln“. Vor
den Wahlen Versprechungen zu machen und diese anschließend wieder einzukassieren - das nenne ich unsolide. Herr Riester, ich erwarte von Ihnen, daß Sie in dieser Diskussion ja oder nein sagen. Soll die Anpassung
halbiert werden, ja oder nein? Das ist die Frage, die wir
heute stellen.
({10})
Sie brauchen, um sie zu beantworten, keine Ausflüge
zur Sparphilosophie zu machen; Sie müssen nicht der
ganzen Welt erklären, was Sie - nachdem Sie 30 Milliarden DM mehr ausgegeben haben - nicht alles sparen
können. Sie können die Frage mit einem Wort beantworten: ja oder nein. Das ist die Frage, die heute hier an
diesem Pult beantwortet werden muß.
({11})
Das Wort für die
SPD-Fraktion hat der Kollege Kurt Bodewig.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Allein der Titel dieser Aktuellen
Stunde entlarvt Ihr Ziel. Er lautet: Haltung der Bundesregierung über die bekanntgewordenen Pläne des Bundesarbeitsministers. - Wem sind sie wo bekanntgeworden? Das ist reine Spekulation.
Kollege Blüm hat soeben nach dem Motto „Blüm Klappe, die zweite!“ genau das wiederholt, was er in
seiner vorherigen Rede in einer Eingangsreflexion gesagt hat. Kollege Blüm, Ihrer Ankündigung, daß eine
einjährige Abstinenz manchmal sinnvoll ist, sind Sie
heute leider nicht nachgekommen.
({0})
Sie hätten gut daran getan, dieser Ankündigung nachzukommen. Eines sollten Sie in jedem Fall tun: Sie sollten
sich für Ihren ungehörigen Honecker-Vergleich entschuldigen.
({1})
Jede Woche treiben Union und F.D.P. - heute in
trauter Eintracht mit der PDS - eine, wie wir im Rheinland sagen, neue Sau durchs Dorf. Dabei sprechen Sie
immer in Halbwahrheiten. Lassen Sie mich Ihren Halbwahrheiten ein paar Wahrheiten entgegensetzen, die etwas mit dem Sozialstaat und den Handlungsspielräumen
in dieser Gesellschaft zu tun haben,
({2})
nämlich die bittere Wahrheit über den Schuldenberg,
den Sie hinterlassen haben: Sie haben Bundesschulden
in Höhe von 1 500 Milliarden DM hinterlassen.
({3})
Damit haben Sie Maßstäbe gesetzt, in denen wir uns
bewegen müssen. Wir haben pro Jahr Zinsverpflichtungen in Höhe von 90 Milliarden DM und eine Zinssteuerquote von 25 Prozent. Das sind die Maßstäbe, die Sie
formuliert und die Sie gesetzt haben.
Der Grund für die heutige Aktuelle Stunde ist ja der
Wahlkampf.
({4})
Angesichts des Wahlkampfes sprechen Herr Schäuble,
Herr Austermann und der Bundesvorstand der CDU in
einer Erklärung davon, daß wir Rentenpolitik nach Kassenlage betreiben. Das scheint die offizielle Sprachregelung für den Europa-Wahlkampf zu sein.
({5})
Machen Sie es sich nicht etwas leicht? Könnte es sein,
daß es Ihnen wie der F.D.P. ergehen wird, die in Bremen
für ihr Wahlkampfgetöse die entsprechende Antwort bekommen hat, nämlich nur 2,5 Prozent der Stimmen und
somit weniger Stimmen als PDS und DVU?
({6})
Sie sollten darüber nachdenken, was eine Verrohung
der Sitten bedeutet, von der Kollege Ramsauer in einer
Presseerklärung gesprochen hat. Er belegt dies mit Formulierungen wie „Rentendiebe“, „Stehler“, „Hehler“,
„Bandenchef Schröder“ usw. Ich glaube, Sie tun nicht
gut daran, in unserer Gesellschaft mit diesen Maßstäben
und Formulierungen Sachdebatten zu führen. Sie erreichen damit im Gegenteil etwas, was angesichts eines
solch diffizilen Systems, wie es das Rentensystem ist,
fatale Folgen hat: Gerade das Rentensystem lebt davon,
daß die Menschen Vertrauen in seine Funktionsfähigkeit
haben.
({7})
Dieses Vertrauen zerstören Sie mit Ihrer Art und Weise
der Darstellung.
Frau Schwaetzer - Sie machen Ihrem Namen ja immer alle Ehre -,
({8})
es stellt sich einfach die Frage: Wo sind denn Ihre
Hemmschwellen, wenn Sie unbewiesene Spekulationen
als Tatsachen darstellen?
({9})
Dazu kann ich Ihnen nur sagen: Das erinnert mich daran, daß ein Mieter in seiner Wohnung eine Brandbombe
mit Zeitzünder hinterläßt, das Haus brennt und Sie auf
den Nachmieter zeigen und rufen: Brandstifter!.
({10})
Damit dies deutlicher wird, will ich es daran belegen,
wie Sie, Kollege Blüm, Rentenpolitik betreiben - ich
will Ihr Gedächtnis auffrischen -: Im Jahre 1983 haben
Sie als erstes die fällige Rentenerhöhung vom 1. Januar
auf den 1. Juli verschoben. Sie haben zum 1. Juli 1983
eine Beteiligung der Rentner in Höhe von 1 Prozent an
der Krankenversicherung eingeführt.
({11})
Dies haben Sie in den folgenden Jahren um weitere Prozentpunkte bis auf 5,2 Prozent im Jahr 1986 erhöht.
({12})
Herr Blüm - hören Sie zu; denn es waren Ihre Worte,
daß Sie nicht manipuliert haben; hiermit will ich Ihnen
das Gegenteil belegen -, Sie haben 1991 die sozialen Sicherungssysteme im Sinne eines Verschiebebahnhofes
zur Finanzierung der deutschen Einheit benutzt.
({13})
Auch das ist nachweisbar. Sie haben den Rentenzahlern
immer mehr Leistungen aufgebürdet.
Das kann man so fortsetzen: 1994 haben Sie am Beitragssatz manipuliert, indem Sie ihn vor der Bundestagswahl im Jahre 1994 auf 19,2 Prozent hochgezogen
und vor der Wahl im gleichen Jahr auf 18,6 Prozent
wieder abgesenkt haben. Das ist die von Ihnen immer
wieder herausgestellte Solidität.
Sie haben mit dem Arbeitslosenhilfe-Reformgesetz
die Zwangsverrentung von Arbeitslosen, die Anspruch
auf Altersrente haben, eingeführt. Sie haben mit dem
Altersteilzeitgesetz das Vorziehen der Anhebung der
Altersgrenze von 60 Jahren für die Altersrente wegen
Arbeitslosigkeit zuerst auf 63 und jetzt auf 65 Jahre bewirkt. Die vorzeitige Inanspruchnahme der Altersrente
wegen Arbeitslosigkeit ist nur mit versicherungsmathematischen Abschlägen möglich: minus 3,6 Prozent pro
Jahr. Das sind Eingriffe in Rentenbestandteile und in
Leistungen für Rentner. Das haben Sie eben mit dem
Begriff Manipulation gut beschrieben.
Sie haben mit dem Rentenreformgesetz - damit
komme ich zu Herrn Storm - die schrittweise Absenkung des Standardrentenniveaus auf 64 Prozent durch
Einführung eines demographischen Faktors beschlossen.
({14})
Das hat auch Professor Rürup noch einmal deutlich kritisiert, weil Sie gerade nach unten keinerlei Absicherung
des demographischen Faktors eingeführt haben.
Sie haben die Anhebung der Altersgrenze für
Schwerbehinderte eingeführt und die arbeitsmarktbedingten Erwerbsminderungsrenten abgeschafft. Das sind
ganz massive Eingriffe, die Rentner auch in ihrem
Portemonnaie deutlich spüren können.
Ich will Ihnen auch sagen: Die schwierige Lage, in
der sich die Rentenversicherung befindet, ist das Ergebnis Ihrer Regierungszeit.
({15})
Sie haben jahrelange Belastungen der Rentenkassen
durch sogenannte versicherungsfremde Leistungen verursacht.
({16})
Sie haben nie die Transparenz eingeführt, die wir brauchen. Durch die Zustimmung zur Mehrwertsteuererhöhung im letzten Jahr, bei der wir einen Teil der Mehreinnahmen dazu verwendet haben, die Rentenkassen zu
entlasten, haben wir Verantwortung gezeigt.
Regierungsverantwortung ist mir immer lieber als die
Frustration, die ich zur Zeit bei Ihnen feststelle.
({17})
Zu dem, was wir vorgestern von Ihrem Fraktionsvorsitzenden gehört haben, sage ich Ihnen: Man muß schon
ganz schön wirr oder zynisch sein, wenn man meint,
schon die Freude über einen wahrscheinlichen Frieden
mache uns zu Komplizen von Milosevic. Eine solche
Behauptung ist ungehörig; das ist kein Stil. Deswegen
appelliere ich an Sie: Lassen Sie diese Rhetorik, und
kehren Sie wieder zurück zu einer konstruktiven Verantwortung! Dies wäre im Sinne aller Beitragszahler und
aller Rentenbezieher.
Vielen Dank.
({18})
Das Wort für die
CDU/CSU-Fraktion hat der Kollege Johannes Singhammer.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Arbeitsminister Riester, Sie hätten hier und heute die Gelegenheit gehabt, mit einem einzigen Satz für Klarheit zu
sorgen, nämlich indem Sie gesagt hätten: Nein, diese
Pläne wollen wir nicht verwirklichen.
({0})
Weil Sie das nicht getan haben, müssen 19 Millionen
Rentnerinnen und Rentner in Deutschland nach wie vor
davon ausgehen, daß die Rentenerhöhung halbiert werden wird.
({1})
Deshalb sage ich Ihnen: Wenn es einen Straftatbestand
„Täuschung von Rentnern vor Wahlen“ gäbe, für den
Freiheitsentzug vorgesehen wäre, dann wäre die Regierungsbank noch leerer, als sie heute ohnehin schon ist.
({2})
Vor der Wahl hatten wir unser Rentenkonzept mit der
demographischen Komponente beschlossen und auf den
Weg gebracht. Sie haben das als Teufelszeug kritisiert
und angekündigt, Sie wollten es wieder ändern. Sie haben die Rentenreform der vergangenen Bundesregierung
in einer ersten Phase auch tatsächlich ausgesetzt - das ist
richtig. Aber nun kommt das Heimtückische: Jetzt beKurt Bodewig
ginnen Sie nämlich, weit mehr als alles andere die Rentenerhöhungen herunterzufahren.
({3})
Die Mehrausgaben, die durch die Aussetzung der Rentenreform notwendig waren, betragen 4 Milliarden DM.
Ihre Pläne, die Sie heute nicht dementiert haben, bedeuten Rentenkürzungen von 14 Milliarden DM. Das heißt,
4 Milliarden DM geben Sie, und dann kassieren Sie
14 Milliarden DM wieder ein, also das Dreieinhalbfache. Das nenne ich unehrlich und schäbig.
({4})
Die Blümsche Reform sah mit dem demographischen
Faktor eine moderate Berücksichtigung der Verlängerung der Lebenserwartung bei der Rentenanpassung vor.
Passen Sie nun genau auf - jetzt kommt der entscheidende Punkt -: Innerhalb von 30 Jahren sollte das Rentenniveau von derzeit zirka 69 Prozent um 5 Prozent auf
64 Prozent sinken, damit die Rente sicher und der Generationenvertrag in einem stabilen Gleichgewicht bleibt.
So weit richtig. Mit Ihren Plänen allerdings, Herr Riester,
({5})
senken Sie das Rentenniveau schon innerhalb von zwei
Jahren um 2,4 Prozent auf 66,6 Prozent. Das ist ungerecht und verwerflich, weil diese Mittel nicht zur Sanierung Ihres Haushalts aufgewandt werden dürfen.
({6})
Sie tun noch ein Zweites: Künftig benutzen Sie die
Rente nach Kassenlage als Steinbruch zum Stopfen von
Haushaltslöchern.
({7})
Dieser Systembruch wird gravierende Folgen haben. Die
Rentner, von denen viele auf eine klare Perspektive angewiesen sind, werden diese künftig nicht mehr haben,
weil sie nicht wissen, wie die Kassenlage ist. Wenn ich
sehe, welche Mehrkosten beispielsweise auf Grund des
Kosovo-Kriegs auf die öffentlichen Kassen zukommen,
muß ich sagen: Bei Ihnen ist die Kassenlage im Zweifel
schlecht.
({8})
Wenn ich sehe, wie schlecht der Bundeskanzler in bezug
auf Europa verhandelt hat, - er hat den deutschen Beitrag nicht verringert -, dann sage ich Ihnen voraus, daß
die Kassenlage eher ungünstiger als günstiger werden
wird.
Die Folgen für die 35 Millionen Beitragszahler werden nicht ausbleiben; denn wer keine Sicherheit mehr
hat, für seine eingezahlten Beiträge später ein entsprechendes Äquivalent für seine Lebensleistung in ausreichender Höhe zu bekommen, der wird immer weniger
bereit sein, seine Beiträge zu zahlen. Vielmehr wird er
versuchen, Umwege zu finden, um weniger Beiträge
zahlen zu müssen. Damit wird der Generationenvertrag
in eine Schieflage kommen, für die Sie mit Ihrer Kampagne, mit Ihren Ankündigungen und mit Ihren Plänen
die Voraussetzungen geschaffen haben.
Deshalb komme ich noch einmal abschließend zu Ihnen, Herr Riester: Sie haben jetzt und hier die Gelegenheit, alles klarzumachen. Sagen Sie vor dem 13. Juni
klipp und klar, ob Sie Ihre Pläne umsetzen werden oder
nicht. Ich fordere Sie ein letztes Mal auf: Sagen Sie der
deutschen Öffentlichkeit, was Sie wirklich vorhaben!
({9})
Für die SPDFraktion spricht nun der Kollege Gerd Andres.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr
verehrten Damen und Herren! Meine erste Bemerkung
richte ich an den Abgeordneten Norbert Blüm.
({0})
Ich fordere Norbert Blüm auf, das, was er in seinem
zweiten Debattenbeitrag gesagt hat, zurückzunehmen.
Ich erinnere den Kollegen Blüm daran, daß er im Sommer letzten Jahres, als wir eine Debatte über die soziale
Grundsicherung führten, schon einmal im Deutschen
Bundestag Walter Riester mit Erich Honecker verglichen hat. Ich sage jetzt ausdrücklich - wir haben damals
anschließend ein privates Gespräch darüber geführt -,
daß der frühere Bundesarbeitsminister damals zu erkennen gegeben hat, daß ihm bei dieser Bemerkung die
Gäule etwas durchgegangen sind.
({1})
Ich fordere Dich, Norbert Blüm, als Bundestagskollegen und als früheren Bundesarbeitsminister auf, diesen
Vergleich des Bundesarbeitsministers mit Erich Honekker zurückzunehmen.
({2})
Die zweite Bemerkung, die ich machen möchte,
richtet sich auch an den früheren Arbeitsminister Norbert Blüm:
({3})
Eines ist leider klar - da kannst Du noch dreimal „Ja
oder Nein“ dazwischenrufen -: Wir haben von einer
Bundesregierung, die mehr als 16 Jahre regiert hat, einen Haushalt geerbt, der ein strukturelles Defizit von 30
Milliarden DM aufweist.
({4})
- Seien Sie lieber leise! - Der Abgeordnete Blüm hat
auf Grund seiner früheren Position als Bundesarbeitsminister eine große Verantwortung dafür, daß die Kassenlage des Bundes heute so aussieht, wie sie ist.
({5})
Auch meine nächste Bemerkung richtet sich an den
Abgeordneten Norbert Blüm: Der Bundesetat besteht zu
rund einem Drittel aus dem Haushalt des Arbeits- und
Sozialministers. Der Haushalt für Arbeit und Soziales
wird also seinen Beitrag dazu leisten müssen, das strukturelle Defizit von 30 Milliarden DM auszugleichen.
Dort werden in den unterschiedlichsten Feldern Entscheidungen notwendig sein, die etwas damit zu tun haben, wie schludrig und wie schlampig Sie über 16 Jahre
mit den Staatsfinanzen umgegangen sind. Damit auch
dies völlig klar ist.
({6})
Nun sage ich noch etwas zu dem ehrenwerten Herrn
Storm. Er muß sich nun einmal entscheiden. Herr Professor Rürup war bekanntermaßen der Erfinder des Demographiefaktors in der Rentenformel. Sie müssen sich
nun entscheiden, welcher Berater Herr Professor Rürup
war: der von Norbert Blüm oder der von uns.
({7})
Wir haben die demographische Rentenformel aufgehoben. Das haben wir im Wahlkampf zugesagt. Das haben wir gemacht. Wir sind jetzt dabei, darüber zu diskutieren, wie ein Sparkonzept aussieht. Das werden wir öffentlich machen können, weil die Entscheidungen noch
gar nicht gefallen sind. Sie fallen zum 30. Juni.
({8})
Jetzt sage ich noch einmal etwas zu Norbert Blüm.
Man kann sich daran beteiligen, Gerüchte in der Presse
zu streuen und sonstwo in die Welt zu setzen, anschließend hier eine Debatte führen und sagen, die Bundesregierung solle sich dazu äußern. Wenn wir uns dazu äußern - nicht so wie hier der CSU-Kollege -, dann sagen
Sie: Sie haben nicht dementiert, also wird es stattfinden.
Was stattfindet, wird in den nächsten Wochen entschieden.
Ich sage noch einmal ausdrücklich: Bei einem Anteil
von 12,8 Milliarden DM, der an Einsparung zu erbringen ist, werden auch Bereiche erfaßt werden, bei denen
wir notwendige Anpassungen vornehmen müssen.
({9})
Aber ich füge gleich hinzu: - ({10})
- Es kommt kein Eiertanz, Frau Schwaetzer. Im übrigen
habe ich einen Hinweis an Sie. Herr Niebel und Sie machen hier immer so qualifizierte Zwischenrufe. Lassen
Sie sie doch sein! Ich gebe Ihnen noch einen Tip: Nach
Bremen würde ich an Ihrer Stelle meine Partei umbenennen. Statt F.D.P. würde ich sie „Fast Drei Prozent“
nennen. Dann sind Sie zureichend bedient. Das reicht
auch.
({11})
- Ja, fast drei Prozent. Deswegen würde ich keine so
dicke Lippe riskieren. Wir warten einmal ab, was am
kommenden Sonntag herauskommt. Dann können Sie
hier noch qualifiziertere Zwischenrufe machen.
Damit bin ich bei einem zweiten Kapitel - damit wir
uns hierbei auch nicht vertun -:
({12})
Ich habe hier das Abkommen in der Hand, das vom
Verband der Deutschen Bauindustrie, vom Bauhandwerk, von der IG BAU und von der Bundesregierung
unterschrieben ist. Auch hier rede ich über die Glaubwürdigkeit oder Nichtglaubwürdigkeit von Norbert
Blüm, damit wir uns auch hierbei richtig verstehen.
Nachdem Sie eine jahrzehntelange, auf Tarifvereinbarungen basierende Schlechtwettergeldregelung völlig
leichtfertig kaputtgemacht haben, ist im Winter
1995/1996 die Zahl der arbeitslosen Bauarbeiter auf
über 360 000 Menschen angestiegen. Die angebliche Ersparnis, auf die Arbeitsminister Blüm immer hingewiesen hat, hat sich dahin gehend entwickelt, daß die Bundesanstalt für Arbeit kräftig Arbeitslosengeld für arbeitslose Bauarbeiter zahlen mußte.
Im Frühjahr danach gab es eine Tarifvereinbarung Norbert Blüm, immer gut zuhören, denn wir reden darüber, worum es geht - zwischen den Gewerkschaften
und der Bauwirtschaft. Dann kam dieser ehemalige
Bundesarbeitsminister und sagte: Die Tarifvertragsparteien haben sich geeinigt, es wäre schön, wenn der Gesetzgeber mit entsprechenden Anpassungen des Gesetzes dieser Einigung folgen könnte.
Was ist jetzt passiert? Das will ich Ihnen sagen. Die
Tarifvertragsparteien haben sich erneut geeinigt.
({13})
Sie werden heute in der „Frankfurter Rundschau“ einen
Artikel finden, der überschrieben ist: „Bauindustrie lobt
Schröder“.
({14})
Ignaz Walter lobt darin ausdrücklich diese Vereinbarung
der Tarifvertragsparteien. Damit Sie sich Ihr dummes
Argument - das sage ich einmal so; das geht auch
an den Fraktionsvorsitzenden der CDU/CSU - „zu Lasten Dritter“ so richtig auf der Zunge zergehen lassen
können -
Herr Kollege, Sie
haben schon über eine Minute überzogen. Ich muß Sie
darauf aufmerksam machen, daß Ihre Redezeit abgelaufen ist.
Ich habe eine Minute überzogen.
Ich sage Ihnen vorher, daß die neue Regelung nicht
zu Mehrausgaben für die öffentliche Hand oder für die
Bundesanstalt für Arbeit führen wird. Vielmehr wird die
neue Regelung, die wir getroffen haben, dazu führen,
daß im Winter weniger Bauarbeiter aus witterungsbedingten Gründen entlassen werden.
({0})
Das wird dann auch dazu führen, daß wir Einsparungen bei der Winterbauumlage für die Bauwirtschaft erzielen können. Das ist die Wahrheit.
({1})
Wir werden sie in den nächsten Beratungen im Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung und hier im Haus
mit den entsprechenden Anpassungen in einer gesonderten Debatte noch einmal deutlich darstellen.
Schönen Dank.
({2})
Das Wort - ebenfalls für die SPD-Fraktion - hat der Kollege Konrad
Gilges.
Herr Präsident! Meine sehr
verehrten Damen und Herren! Der Kollege Andres hat ja
schon gesagt, daß die Regelung zum Schlechtwettergeld
eine gute Regelung ist.
({0})
Wichtig ist, daß wir damit ein Wahlversprechen eingehalten haben.
({1})
Wir haben in unserem Wahlprogramm stehen: Wir werden die Regelung der alten Regierung im Interesse der
Bauarbeiter korrigieren. Das steht ausdrücklich da drin.
({2})
Deshalb handelt es sich hierbei um das Erfüllen eines
Wahlversprechens.
Daß Sie das ärgert, kann ich verstehen und auch
nachvollziehen. Als wir in der Opposition waren, haben
wir uns auch immer geärgert, wenn Sie Ihre Wahlversprechen, selbst wenn sie schlecht für die Bürgerinnen
und Bürger waren, hier gegen unseren Willen und gegen
unsere Stimmen durchgezogen haben. Es ist aber nun
einmal so, daß wir jetzt die Mehrheit haben und nicht
mehr Sie. Daran müssen Sie sich gewöhnen. Der Zustand, daß wir die Mehrheit haben, wird auch noch lange
andauern. Richten Sie sich auf eine lange Oppositionszeit ein.
({3})
Herr Blüm, Sie sind ja, wie wir alle wissen, ein Rechenkünstler. Ich kann mich erinnern, daß Sie im Plenum des Deutschen Bundestages und auch im Ausschuß
gesagt haben, mit der Abschaffung der Schlechtwettergeldregelung werden 700 Millionen DM eingespart.
Diese Regelung ist ja, wie Sie wissen, 1959/60 von der
Regierung Konrad Adenauer eingeführt und damals einhellig von den Arbeitgebern, den Gewerkschaften und
der SPD-Opposition begrüßt worden; nun wurden diese
Errungenschaften der Regierung Konrad Adenauer vom
Enkel Kohl abgeschafft. Was ist aber geschehen, Herr
Rechenkünstler Blüm? Die Bundesanstalt für Arbeit hat
die neue Regelung 1,5 Milliarden DM gekostet. Das
heißt, durch die Abschaffung des Schlechtwettergeldes
haben sich die Kosten für die Bundesanstalt für Arbeit
zum Nachteil des Steuerzahlers, zum Nachteil der Arbeitnehmer und der Arbeitgeber, die ja Beiträge zahlen,
verdoppelt. Dazu hat die F.D.P. geschwiegen. Sie hat
das alles mitgemacht. Deren Abgeordnete schreien ja
immer nur, wenn sie polemisch werden können. Aber
wenn es um die Sache und um echte Fragestellungen
geht, schweigen sie. Ihre Rechnerei hat also nicht gestimmt, und deshalb mußte das korrigiert werden.
Ich glaube, daß die Vereinbarung, die mit Unterstützung der Regierung von den Tarifvertragsparteien getroffen wurde, sehr gut ist. Sie, Herr Rauen, sagen, die
Unternehmer seien erpreßt worden, damit diese Vereinbarung zustande kommt. Ich habe in den 20 Jahren, in
denen ich in diesem Hohen Hause angehöre, noch nie so
etwas Dummes gehört.
({4})
Als Gewerkschaftsfunktionär muß ich Ihnen sagen: Man
kann keinen Unternehmer erpressen.
({5})
Umgekehrt lasse ich das schon einmal gelten, aber ich
habe noch nie erlebt, daß man einen Arbeitgeber erpressen kann. Man kann ihn schon einmal bestreiken; dann
muß er nachgeben. Aber wenn der Arbeitgeber einer
freiwilligen Vereinbarung zustimmt, die ja dieser Regelung zugrunde liegt, ist er nicht erpreßt worden, sondern
dann liegt diese Regelung auch in seinem Interesse. Diese Vereinbarung liegt im Interesse der Arbeitgeber und
der Arbeitnehmer.
({6})
Die Damen und Herren von der F.D.P. haben uns in
der letzten Legislaturperiode auf das heftigste beschimpft, weil wir an einer freiwilligen Vereinbarung
Kritik geübt haben. Jetzt kommt eine freiwillige Vereinbarung zwischen den Arbeitgebern und den Arbeitnehmern, also den Tarifvertragsparteien, zustande, aber
auch jetzt beschimpfen Sie uns wieder. Irgendwo stimmt
etwas in Ihrer Logik nicht. Etwas Besseres können Sie
doch überhaupt nicht verlangen als eine solche freiwillige Vereinbarung,
({7})
weil sie völlig unserem Verständnis der Sozialpartnerschaft entspricht. Ich als jemand, der eher auf der radikalen Seite der Gewerkschaften steht, habe damit eigentlich mehr Schwierigkeiten, als Sie damit haben
dürften. Die Situation in diesem Hohen Hause ist wirkGerd Andres
lich kurios. Ich habe manchmal den Eindruck, Sie machen Opposition um der Opposition willen und nicht um
der Sache willen.
({8})
Zum Schluß sage ich: Es ist gut, daß Bauarbeiter
dank der Vereinbarung nicht mehr Saisonarbeiter sind;
es ist gut, daß die Jahreseinkommen für Bauarbeiter verstetigt werden; auch die Bautätigkeit wird dadurch verstetigt, daß die Bauarbeiter ganzjährig beschäftigt sind.
Kurzum, es handelt sich um eine gute Vereinbarung.
Wir werden dazu ein gutes Gesetz erlassen. Die Bauarbeiter werden sich freuen. Ich hoffe, das gleiche gilt
auch für die Arbeitgeber.
({9})
Liebe Kolleginnen
und Kollegen, auch in einer Aktuellen Stunde ist eine
Erklärung zur Aussprache nach § 30 unserer Geschäftsordnung möglich. Ich weise allerdings darauf hin, daß in
dieser Erklärung nur solche Äußerungen zurückgewiesen werden dürfen, die sich in der Aussprache auf die
eigene Person bezogen haben.
Ich gebe das Wort nach § 30 dem Kollegen Norbert
Blüm.
({0})
Herr Präsident!
Meine Damen und Herren! Ich habe Walter Riester nicht
mit Erich Honecker verglichen. Mein Vergleich besteht
darin: Der Eingriff einer Regierung in eine Rentenformel unter dem Gesichtspunkt der Zweckmäßigkeit, zum
Beispiel wegen der Kassenlage, ist vergleichbar mit der
Rentenregelung der DDR, wo es jährlich Rentenerhöhungen auf Grund von Entscheidungen der Regierung
gab. Es geht also um Willkür oder eine verläßliche
Rentenformel. Deshalb halte ich meinen Vergleich, was
den Eingriff dieser Regierung in die Rentenformel angeht, mit der Honecker-Regelung aufrecht, ohne Riester
mit Honecker zu vergleichen.
({0})
Die Aktuelle Stunde
ist beendet.
Wir sind damit am Schluß unserer Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Freitag, den 11. Juni 1999, 9 Uhr
ein. Ich mache allerdings darauf aufmerksam, daß sich
dieser Termin noch ändern kann. Sollte dies der Fall
sein, werden Sie rechtzeitig benachrichtigt.
Die Sitzung ist geschlossen.