Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Guten Morgen, liebe
Kolleginnen und Kollegen. Die Sitzung ist eröffnet.
Interfraktionell ist vereinbart, die heutige Tagesord-
nung um die Beratung der Vorlagen zum Kosovo-
Konflikt zu erweitern. Sind Sie damit einverstanden? -
Das ist der Fall. Dann ist das so beschlossen.
Damit rufe ich die soeben aufgesetzten Zusatzpunkte
7a und 7b auf:
a) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses ({0}) zu dem Antrag der Bundesregierung
Deutsche Beteiligung an der humanitären
Hilfe im Zusammenhang mit dem Kosovo-
Konflikt
- Drucksachen 14/912, 14/982 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Karl Lamers
Dr. Christoph Zöpel
Dr. Helmut Lippelt
Fred Gebhardt
b) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses ({1}) zu dem Entschließungsantrag der Fraktion
der PDS
zu der Abgabe einer Regierungserklärung des
Bundeskanzlers
Aktuelle Lage im Kosovo
- Drucksachen 14/755, 14/865 Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Christoph Zöpel
Dr. Helmut Lippelt
Wolfgang Gehrcke-Reymann
Es liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion der
PDS vor.
Ich weise darauf hin, daß wir nach der Aussprache
zwei namentliche Abstimmungen durchführen werden.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache zwei Stunden vorgesehen. - Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Bundesminister des Auswärtigen, Joseph Fischer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Trotz aller
Bemühungen, ein Schweigen der Waffen im KosovoKrieg zu erreichen, bleibt die Lage äußerst bedrückend,
die humanitäre Lage sogar katastrophal: weit über
1 Million Vertriebene und Flüchtlinge, eine unbekannte
Anzahl von Getöteten, von Ermordeten, unsägliches
menschliches Leid. Diese Entwicklung hält bedauerlicherweise auch am heutigen Tage an.
Der UNHCR spricht von wahren „killing fields“ rund
um Djakovica im Kosovo, Ärzte berichten über eine
neue Qualität von Brutalität: Schußverletzungen selbst
bei Kindern, Mißhandlungen von alten Menschen. Es
gibt zunehmende Berichte von Vergewaltigungen.
Die Zahl der intern Vertriebenen im Kosovo nimmt
zu. Ihre Lage ist ebenfalls dramatisch. Die Befragungen
der Flüchtlinge haben ein erschreckendes Bild von Massenerschießungen, Vergewaltigungen, Plünderungen und
systematischer Zerstörung von Eigentum, von Wohnungen, von Häusern ergeben. Selbst die Deportation, die
Räumung ganzer Städte hält an.
Gleichzeitig sind die Lager in den Nachbarstaaten, in
Mazedonien, aber auch in Albanien, angesichts dieser
Politik der Vertreibung eines ganzen Volkes vollkommen überfüllt. In Mazedonien gibt es inzwischen zirka
211 000 Flüchtlinge. Skopje hat die Grenze zum Kosovo
geschlossen.
Ich möchte hier die Möglichkeit nutzen, die Regierung in Mazedonien dazu aufzufordern, ihre Grenze offenzuhalten. Die Menschen müssen eine Zufluchtsmöglichkeit haben.
({0})
Die Bundesrepublik Deutschland ist in der Europäischen Union vorangegangen und muß weiter vorange3388
hen. So wichtig es ist, die Menschen in der Region zu
halten - aber angesichts der Größe des Dramas werden
wir nicht darum herumkommen, auch bei uns in Europa,
in Deutschland, in unseren Mitgliedstaaten in der Europäischen Union weitere Flüchtlinge aufzunehmen. Das
ist ganz entscheidend. Ich möchte hier ebenfalls an die
Mitgliedstaaten in der Europäischen Union appellieren,
endlich ihre Grenzen aufzumachen und das notwendige
Maß an Solidarität mit den Vertriebenen zu zeigen.
({1})
In Albanien sind es mittlerweile 400 000 Flüchtlinge.
Anrainerstaaten und humanitäre Hilfsorganisationen
sind von der beispiellosen Dimension dieses Exodus ohne militärische Hilfe von außen völlig überfordert. Dieses hat die Vergangenheit seit dem Gründonnerstag gezeigt; dieses gilt auch jetzt.
Wenn wir der Meinung sind, daß die Menschen - und
die meisten Menschen wollen dieses - in den unmittelbaren Nachbarstaaten bleiben sollen, dann müssen wir
auch die Voraussetzungen dafür schaffen, daß sie dort
bleiben können, und dies ist ohne militärische Hilfe
schlechterdings nicht möglich. Die zivilen Organisationen sind angesichts der Größe dieses von der verbrecherischen Politik Milosevics verursachten Exodus, dieses Krieges gegen die albanische Zivilbevölkerung im
Kosovo und ihrer systematischen Vertreibung schlicht
überfordert. Dies hat die Praxis gezeigt.
Der Antrag der Bundesregierung, der auf das humanitäre Engagement der NATO gründet, geht deswegen
davon aus, daß wir bis zu 1 000 Soldaten in einem
streng humanitären Auftrag mit einer Eigen- und Selbstschutzkomponente nach Albanien entsenden. Gemeinsam mit französischen Soldaten sollen sie vor allen Dingen im Süden Albaniens stationiert werden.
Ich möchte ganz direkt die Diskussion, die in den
Ausschüssen hier im Haus zu Recht geführt wurde,
nochmals ansprechen. Es geht hier eindeutig nicht um
eine Stationierung von Bodentruppen durch die Hintertür. Dieses hielte ich für völlig falsch. Wenn ein solcher
Strategiewechsel notwendig wäre, müßte er von der
Bundesregierung der deutschen Öffentlichkeit offen
dargestellt werden, in das Plenum eingebracht und hier
diskutiert werden. Alles andere wäre meines Erachtens
verfehlt.
({2})
Der Einsatz ist strikt auf das Stationierungsgebiet in
Albanien und Mazedonien begrenzt. Auch dieses ist auch und gerade unter dem Gesichtspunkt der Nothilfe ein ganz wichtiger Gesichtspunkt. Die Nothilfe darf
nicht über dieses Gebiet hinaus geleistet werden. Der
Bundesverteidigungsminister wird zu diesen Fragen
nachher noch detailliert Stellung nehmen.
Wichtig ist allerdings, daß es, da unsere Soldaten
auch in Albanien und Mazedonien in einem gefährlichen
Gebiet tätig sind, nicht nur um den Selbstschutz gehen
kann, sondern auch um den Schutz von Mitarbeitern
humanitärer Hilfsorganisationen und darum, daß dann,
wenn Soldaten von Bündnispartnern, mit denen wir
kooperieren, im alltäglichen Einsatz zusammenarbeiten,
im Stationierungsgebiet in eine Gefahr geraten, dort
selbstverständlich geholfen werden kann.
Meine Damen und Herren, ich möchte hier auf die
Ergebnisse des gestrigen G-8-Treffens eingehen. Wir
hatten darüber gestern schon eine ausführliche Debatte
im Ausschuß. Aber ich möchte es auch hier im Plenum
erläutern.
Das, was wir gestern erreicht haben, war aus meiner
Sicht noch nicht der entscheidende Durchbruch zu
einem Frieden, aber ein wichtiger Schritt dorthin; denn
es ist gelungen, daß die Politik wieder Tritt gefaßt hat,
daß die Suche nach einer politischen Lösung unter Einschluß Rußlands auf der Ebene der G 8 jetzt endlich
vorangekommen ist und gleichzeitig eine substantielle,
wie ich finde, wichtige inhaltliche Voraussetzung zum
Erreichen einer Kapitel-VII-Resolution zur Beendigung
des Krieges im Kosovo erreicht wurde. Das, was wir
realistischerweise für erreichbar gehalten haben, haben
wir am gestrigen Tag gemeinsam mit unseren Partnern
und gemeinsam mit Rußland durchgesetzt. Ich finde,
daß wir damit einen entscheidenden Schritt getan haben,
um dem Frieden im Kosovo näherzukommen.
({3})
Ich plädiere hier für Realismus. Denn sosehr es mich
auch freut, es bleibt festzuhalten: Der Krieg und die
Vertreibungen halten an, das Morden hält an, und wir
sind von einer Kapitel-VII-Resolution noch ein gehöriges Stück entfernt. Allerdings sind sich die beteiligten
Staaten jetzt über das Ziel einig; sie haben sich über die
Prinzipien geeinigt. Es sind die fünf Punkte, die wir zum
erstenmal in der Europäischen Union formuliert haben.
Es sind die Prinzipien, die dann in Washington Eingang
in die Erklärung der NATO gefunden haben. Es sind die
Prinzipien, die Kofi Annan zur Grundlage seiner Erklärung gemacht hat. Es ist die schrittweise Umsetzung dieser fünf Punkte, wie wir sie vor zwei Wochen in unserem Plan vorgelegt haben. Gemeinsam mit Rußland
wollen wir hier einen Weg eröffnen, um eine dauerhafte
Beendigung des Mordens und Vertreibens sowie ein
dauerhaftes Schweigen der Waffen im Kosovo erreichen
zu können.
Voraussetzung dafür sind das unverzügliche und
nachprüfbare Ende der Gewalt und Unterdrückung im
Kosovo, der Rückzug der militärischen, polizeilichen
und paramilitärischen Kräfte aus dem Kosovo und die
Stationierung von wirksamen, internationalen, zivilen
und Sicherheitspräsenzen im Kosovo. Das heißt für uns
im Klartext, daß es eine robuste militärische Friedenstruppe im Kosovo geben muß, weil ohne diese weder die
Waffen niedergelegt werden noch gar die Flüchtlinge
und Vertriebenen zurückkommen. Dies ist das eigentliche Ziel.
({4})
Dies ist eines der schwierigen Problemfelder, die
noch zu lösen sind. Aber die Diskussion mit Rußland hat
gezeigt: Auch Rußland geht von einer robusten militärischen Präsenz aus. Auch Rußland weiß, daß wir uns eine
zweite UNPROFOR-Erfahrung nicht werden erlauben
können und nicht werden erlauben dürfen.
({5})
Selbstverständlich bleibt die Frage zum gegenwärtigen Zeitpunkt offen, und daran wird jetzt massiv zu arbeiten sein. Aber in der Tatsache, daß nicht mehr die
Frage als solche zur Diskussion steht, sondern daß wir
jetzt in die Diskussion über die genaue strukturelle Gestaltung dieser Friedenstruppe eintreten und das unverzüglich klären wollen, sehe ich den entscheidenden
Schritt nach vorne. Selbstverständlich sind auch folgende Fragen noch offen: Welche Rolle spielen dabei die
NATO, die Neutralen, Rußland und die Ukraine? Was
wird Belgrad bereit sein zu akzeptieren, und was wird
geschehen, wenn es nicht bereit ist, eine solche Friedenstruppe zu akzeptieren? Daran hängt ganz unmittelbar die
Frage des Mandats: Wird Rußland sein Vetorecht an
Belgrad abtreten - ja oder nein? Das ist eine ganz zentrale Frage, die vor allen Dingen von der russischen
Politik zu entscheiden ist. Ich rate dringend dazu, dieses
Vetorecht nicht in Belgrad zu hinterlegen,
({6})
sondern im Interesse Rußlands davon Gebrauch zu machen. Diese Fragen müssen jetzt angegangen werden.
Darüber hinaus ist man sich einig, eine Übergangsverwaltung für den Kosovo einzurichten. Ich sage hier
noch einmal ganz bewußt: Einer solchen internationalen Übergangsverwaltung wird es bedürfen. Bis man
sich auf eine eigene Autonomieverwaltung geeinigt hat,
bis sie ans Laufen gekommen ist und bis die ersten Erfahrungen gesammelt worden sind, wird es noch lange
dauern. Das heißt, man braucht eine erfahrene internationale, auf den Beschlüssen des Sicherheitsrats gründende Übergangsverwaltung. Auch darauf hat man sich
in einem Prinzip geeinigt.
Außerdem hat man sich auf die sichere Rückkehr der
Flüchtlinge und Vertriebenen, den ungehinderten Zugang für humanitäre Hilfsorganisationen zum Kosovo
und einen politischen Prozeß zur Schaffung einer politischen Übergangsrahmenvereinbarung geeinigt, die eine
substantielle Selbstverwaltung für den Kosovo - jetzt
hören Sie zu, Herr Gysi, und spitzen Sie die Ohren, denn
diesem Besatzungsstatut hat Rußland zugestimmt unter voller Berücksichtigung des Rambouillet-Abkommens und der Prinzipien der Souveränität und territorialen Unversehrtheit der Bundesrepublik Jugoslawien und
der anderen Länder der Region sowie die Demilitarisierung der UCK vorsieht. Dies wurde mit Rußland so
beschlossen und ist gemeinsames Prinzip.
({7})
Möglicherweise wissen die Russen nicht, was sie tun.
Der Sozialismus mag zwar wenig Sinnvolles hervorgebracht haben. Aber über die Qualität der russischen Diplomatie brauchen Sie sich keine Sorgen zu machen. Da
wird nichts unterzeichnet, was nicht sorgfältigst geprüft
worden ist.
Ich kann Ihnen an diesem Punkt nur sagen: Wenn
hier nicht Böswilligkeit und politische Absicht regieren,
sondern wenn ein Rest an Objektivität bleibt, dann müssen Sie, Herr Gysi, Ihre Kampagne gegen das Rambouillet-Abkommen schlicht und einfach einstellen und
vergessen.
({8})
Darüber hinaus ist ein umfassendes Vorgehen zur
wirtschaftlichen Entwicklung und Stabilisierung der
Krisenregion notwendig. Hierzu möchte ich auf folgendes hinweisen: Am 27. Mai dieses Jahres wird auf Initiative der deutschen EU-Ratspräsidentschaft - ebenfalls auf dem Petersberg - auf der Ebene der hohen Beamten die Eröffnungskonferenz für die Entwicklung
eines Balkan-Stabilitätspaktes zusammentreten. Das
heißt, auch hier wird der Petersberg eine bedeutende
Funktion haben. Denn damit beginnen wir ganz konkret
die Arbeit am Stabilitätspakt für den südlichen Balkan.
Dabei geht es darum, diese Region nach den dortigen
Kriegen, Krisen und ethnischen Säuberungen an das Europa der Integration heranzuführen. Damit wird am 27.
Mai dieses Jahres hier in Bonn auf dem Petersberg begonnen werden.
({9})
Wir stehen angesichts der dramatischen Situation im
Kosovo, in Jugoslawien, auf dem Balkan unter einem
hohen Zeitdruck. Sowohl zur Umsetzung der genannten
Grundsätze, die dann in eine konkrete Sicherheitsratsresolution nach Kapitel VII umgegossen werden sollen,
als auch zur Erarbeitung eines Fahrplans für weitere
konkrete Schritte sind die zuständigen Politischen Direktoren heute mit der Arbeit beauftragt worden. Wir
wollen damit innerhalb kürzester Zeit - eine genaue
Frist kann ich Ihnen angesichts des Problemkomplexes
allerdings nicht nennen; das ist keine diplomatische
Formulierung; denn wir stehen unter einem hohen Zeitdruck - fertig werden.
Der Bundeskanzler wird in der nächsten Woche auf
seiner China-Reise als Vorsitzender der G 8 die chinesische Regierung, die ein ständiges Mitglied des Sicherheitsrates ist und über ein Vetorecht verfügt, auf höchster Ebene direkt unterrichten. Der chinesische Botschafter wurde bereits gestern von uns unterrichtet.
Auch andere ständige Sicherheitsratsmitglieder werden
in New York mit Vertretern Chinas sprechen.
Ich möchte zum Abschluß nochmals betonen:
Erstens. Mit dem heutigen Antrag schaffen wir die
Voraussetzung für den humanitären Einsatz der Bundeswehr in Albanien. Dort ist er dringend notwendig,
wenn wir Albanien nicht allein lassen wollen.
Zweitens. Mit dem gestrigen Ergebnis haben wir einen wichtigen Schritt getan, allerdings noch nicht den
substantiellen Durchbruch hin zum Frieden erreicht, den
wir uns wünschen. Dennoch hat uns der gestrige Tag ein
gehöriges Stück auf dem Weg zum Frieden weitergebracht.
Wir werden gemeinsam mit unseren Bündnispartnern
weiter daran arbeiten, Milosevic entschlossen militärisch
entgegenzutreten. Gleichzeitig werden wir weiterhin vor
Ort durch unsere Soldaten, durch die zivilen Organisationen sowie durch die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter
auf den vielfältigen Ebenen der Bundesregierung und
der Nichtregierungsorganisationen humanitäre Hilfe leisten. Wir werden hier im Lande humanitäre Hilfe leisten. Sowohl als Bundesrepublik Deutschland als auch
als Europäische Union werden wir uns langfristig humanitär, politisch und ökonomisch in der Krisenregion engagieren.
({10})
Wir werden entschlossen an einer Friedenslösung
weiterarbeiten. Diese Friedenslösung allerdings - das
muß klar sein - muß eine Durchsetzung der Prinzipien
der Humanität, der Gerechtigkeit und des Lebensrechts
aller Völker bedeuten, basierend auf der Achtung der
Menschenrechte und des Friedens und nicht basierend
auf einem Kniefall vor Milosevic.
Ich bedanke mich.
({11})
Ich erteile das Wort
dem Kollegen Karl Lamers, CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Verehrte
Kolleginnen und Kollegen! Die CDU/CSU wird dem
Antrag der Bundesregierung zustimmen,
({0})
weil wir wissen, daß wir dem Elend, der himmelschreienden Not der aus dem Kosovo Vertriebenen begegnen
müssen, weil ihm ohne Mitwirkung weiterer militärischer Verbände nicht abgeholfen werden kann, weil die
Bundesrepublik Deutschland dazu ihren Beitrag leisten
muß und weil die Bundeswehr, wie sie durch ihre bisherige Arbeit in Mazedonien eindrucksvoll unter Beweis
gestellt hat, für diese Aufgabe hervorragend geeignet ist,
wofür ich ihr an dieser Stelle ausdrücklich unsere große
Hochachtung und unseren herzlichen Dank ausdrücken
möchte.
({1})
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, die humanitäre
Seite des Antrages veranlaßt mich zu einer Bemerkung
zu dem Streit über die Aufnahme von Flüchtlingen in
Europa. Dieser unselige Streit wird in Europa geführt;
die Vereinigten Staaten haben sich in dieser Frage eindrucksvoll, großmütig und sehr schnell bereit erklärt,
20 000 Flüchtlinge aufzunehmen. Das hat in Europa
bislang nur die Bundesrepublik Deutschland getan. Ich
freue mich sehr, daß sich gestern der Bundesinnenminister für die Aufnahme weiterer 10 000 Flüchtlinge
ausgesprochen hat. Das erkenne ich ausdrücklich an.
({2})
Andere Staaten haben diesbezüglich bislang nur sehr
vage Versprechungen gemacht, darunter auch Großbritannien. Es reicht aber nicht aus, in einer an Churchill
erinnernden und vielleicht erinnern sollenden Weise
zum militärischen Durchhalten aufzufordern, aber das
Allernotwendigste, das Unbezweifelbarste nicht zu tun.
Das verleiht unserem moralischen Impetus, der hinter
unserem mililtärischen Handeln steht, einen schalen
Beigeschmack.
Ich hoffe wirklich sehr, daß dieser Streit bald ein Ende haben wird; denn er ist, wie Helmut Kohl zu Recht
gesagt hat, ein Skandal; er ist skandalös.
({3})
Herr Bundeskanzler, Sie als Ratspräsident sollten sich
den Vorschlag von Helmut Kohl zu eigen machen, der
gefragt hat, warum nicht die Kosten sowohl für die
Maßnahmen, die in Albanien getroffen werden müssen,
als auch für die Maßnahmen, die hier getroffen werden
müssen, zur einen Hälfte aus dem EU-Etat und zur anderen Hälfte nach dem EU-Schlüssel von den Mitgliedsländern bezahlt werden. Hier braucht die Europäische
Union ein klares Konzept. Es ist natürlich richtig, daß
die heimatnahe Unterbringung unter jedem Aspekt die
richtige ist. Es kann aber kein Zweifel daran bestehen,
daß wir die Länder Mazedonien und Albanien entlasten
müssen, weil sie die Kosten gar nicht alleine tragen
können. Wir müssen die Voraussetzungen für eine menschenwürdige und heimatnahe Unterbringung schaffen.
Gleichzeitig müssen wir einen Teil der Flüchtlinge in
Westeuropa unterbringen. Hier muß die Europäische
Union ein Konzept entwickeln, das bald in die Wirklichkeit umgesetzt werden muß.
({4})
Einige Bemerkungen zum zweiten Teil des Antrages
der Bundesregierung. Er behandelt die Nothilfe, zu der
deutsche Streitkräfte in Mazedonien und im Kosovo berechtigt werden sollen. Dieser Antrag hätte eigentlich
schon bei der ersten Entsendung von Streitkräften gestellt werden müssen; denn es ist natürlich selbstverständlich, daß die deutschen Soldaten unseren alliierten
Partnern helfen müssen, wenn diese in eine schwierige
Lage gekommen sind. Wenn sich daran dennoch Diskussionen angeschlossen haben - auch in meiner Fraktion -, dann deswegen, weil damit eine gewisse Gefahr
verbunden ist, auf diese Weise in Bodenkämpfe hineinzuschlittern. Zu dieser Diskussion hat auch die UnklarBundesminister Joseph Fischer
heit der Formulierung des Textes der Bundesregierung
erheblich beigetragen.
({5})
Auch heute, Herr Minister, haben Sie das gewissermaßen nur am Rande erwähnt, obwohl dieser Teil des
Antrages militärisch und insofern politisch der bedeutsamere ist, und zwar aus dem Grunde, den ich soeben
erwähnt habe. Diese Diskussionen hätte man sich sparen
können, wenn man sorgfältiger vorgegangen wäre und
wenn man vorher - wie das Volker Rühe immer getan
hat - die Fraktionen des Bundestages konsultiert hätte,
um Mißverständnisse und Fragen vorher auszuräumen.
Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen, es ist
wirklich keine Art - Sie von der Koalition wissen sehr
gut, daß ich nicht zu übermäßiger Polemik neige -, in
einer Woche, in der das Parlament den Haushalt diskutiert, ohne Not auch noch eine so brisante und wichtige
Frage wie die Staatsbürgerschaft auf die Tagesordnung
zu setzen, und auch noch den jetzt zu debattierenden
Antrag zu stellen, obwohl Sie schon vor Wochen genau
wußten - Sie hatten dafür doch übrigens schon Entwürfe
-, daß sich diese Notwendigkeit ergeben würde. Das ist
keine Art. Das ist eine Mißachtung des Parlaments und
konkret auch eine Mißachtung der Opposition.
({6})
Da Sie uns in dieser Frage brauchen, sage ich: Das muß
das letzte Mal gewesen sein. So geht das nicht weiter.
Ich will auf andere mißverständliche Formulierungen
in diesem Antrag jetzt nicht näher eingehen. Ich komme
zu dem Ergebnis, daß die erwähnte Gefahr eines Hineinschlitterns nicht so sehr wahrscheinlich ist. Natürlich
will das auch niemand. Deswegen werden wir dem Antrag, wie gesagt, zustimmen.
Nun einige Überlegungen zu den in der letzten Zeit
wieder verstärkten politischen Bemühungen und konkret
zu der Petersberger Prinzipienerklärung: Wir begrüßen das Ergebnis, das gestern erreicht worden ist, natürlich sehr. Es ist - wie Staatssekretär Ischinger heute im
Deutschlandfunk gesagt hat - ein „prozeduraler Fortschritt“. Wir müssen jetzt - so hat er gesagt - an die
Substanz gehen. Herr Bundeskanzler, Sie haben mit dem
amerikanischen Präsidenten etwas anderes formuliert:
Sie haben von einem „substantiellen Fortschritt“ gesprochen. Ich glaube - auch wenn es protokollarisch nicht in
Ordnung ist -, daß Herr Ischinger eher recht hat als Sie.
Wir hoffen natürlich, daß aus dem prozeduralen Fortschritt ein substantieller Fortschritt wird.
Das Wesentliche ist in der Tat, daß Rußland nunmehr dabei ist. Ich anerkenne ausdrücklich, daß sich die
Bundesregierung darum bemüht hat. Das war nicht immer so. Die Aussicht auf ein Schweigen der Waffen und
damit die Schaffung der elementaren Voraussetzung für
die Rückkehr der Flüchtlinge sind besser geworden, zumindest ein wenig. Das Schweigen der Waffen, ein
weitgehender Rückzug der serbischen Verbände und die
Stationierung einer internationalen Schutztruppe sind in
der Tat elementare, grundlegende und notwendige Voraussetzungen für die Rückkehr der Vertriebenen, aber
natürlich keine hinreichenden Bedingungen für einen
tragfähigen Frieden.
Für einen solchen Frieden - wie schon für die näheren Umstände einer Waffenstillstandsregelung - gilt,
daß die Beteiligung Rußlands beides verändert. Man
mag dies bedauern; aber das ist fruchtlos. Man muß klar
erkennen - auch für die Zukunft -, daß Rußland eine
grundlegende Bedingung für westliches Handeln ist, unabhängig davon, wieviel oder wie wenig es in einem
konkreten Fall zur Lösung des Problems beitragen kann.
Es ist so, weil es im Wortsinn ein überragendes, ja ein
wirklich existentielles Interesse nicht nur des Westens,
sondern der gesamten Menschheit ist, daß der Westen in diesem Falle die Vereinigten Staaten - bei der Kontrolle der Abrüstung, der Nichtverbreitung der russischen Nuklearwaffen aktuell und konkret mitwirken
kann, und weil prinzipiell und langfristig alles vermieden werden muß, was die Stabilität Rußlands beeinträchtigt, und alles getan werden muß, was sie stärkt.
Diese grundlegende Gegebenheit erschien nicht nur der
Bundesregierung, sondern dem gesamten Westen zeitweilig nicht hinreichend im Gedächtnis gewesen zu sein.
Man mag natürlich sagen: Heute erpreßt uns die
Schwäche Rußlands so, wie es früher die Stärke der Sowjetunion getan hat. Aber es steckt keine Intention hinter dieser Tatsache. Deswegen glaube ich: Wenn wir
Rußland eine Chance geben, an der Lösung von Konflikten konstruktiv mitzuwirken, stärken wir die Stabilität Rußlands und den Frieden. Daher ist diese Betrachtungsweise, weiß Gott, ebenso moralisch wie unser Bestreben, den Kosovaren zu helfen.
({7})
Um nicht mißverstanden zu werden, will ich gleich
hinzufügen, daß man mit ebenso gutem Recht sagen
kann und muß, daß ein solches Ergebnis, wie es sich
jetzt hoffentlich abzeichnet, ohne die NATO-Aktion
wahrscheinlich nicht erreichbar gewesen wäre.
Das jetzt einsetzende und noch offene Ringen um die
entscheidenden Einzelheiten - die Texte vom Petersberg
sind hinlänglich vage - einer zwar vorläufigen, aber für
einen endgültigen Frieden tragfähigen Lösung wird natürlich von den Vorstellungen von einer endgültigen Lösung, vom Status des Kosovo und vom Frieden bestimmt. Ohne Zweifel haben diese vorläufigen Regelungen auch eine präjudizierende Wirkung, wie der Rambouillet-Entwurf klar gezeigt hat. Deswegen möchte ich
daran erinnern, daß das Ziel, hier also unsere Vorstellung vom Frieden, unsere Mittel bestimmen sollte. Aber
in Wirklichkeit bestimmen auch die Mittel das Ziel.
Wenn man über bestimmte Mittel nicht verfügt, können
auch bestimmte Ziele nicht angestrebt werden. Der Westen verfügt weder über die Fähigkeit, Bodentruppen
einzusetzen, noch kann er offensichtlich das Problem
alleine lösen; er braucht Rußland. Daran müssen wir uns
erinnern, wenn es jetzt um die dauerhaften Vorstellungen von einer Lösung des Konflikts geht.
Natürlich muß jedes Ergebnis für alle Beteiligten so
weit wie irgend möglich akzeptabel sein. Das muß unser
Ziel sein. Das gilt in erster Linie für die Kosovaren. Das
Unrecht, das an ihnen geschehen ist, muß wiedergutgemacht werden. Sie müssen in den Kosovo zurückkehren
können. Aber auch sie müssen von der Alles-odernichts-Haltung abkommen.
Das Ergebnis sollte aber auch so weit wie irgend
möglich von den Serben getragen werden können, und
zwar deswegen, weil das nach meiner Überzeugung für
die Entwicklung der Demokratie, für die Entwicklung
demokratischen Denkens in Serbien entscheidend ist.
({8})
Das ist in der Tat, wie ich glaube, eine ganz wesentliche
Bedingung für die Tragfähigkeit einer endgültigen Lösung.
Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen, ich glaube, wir müssen uns auch darüber im klaren sein: Je mehr
ein Ergebnis von allen Beteiligten akzeptiert und getragen wird, um so geringer ist der militärische Aufwand
einer Präsenz in der Region für den Westen, um so geringer sind auch die Kosten für eine solche Präsenz, um
so mehr Geld kann für das Entscheidende, nämlich für
die Förderung der wirtschaftlichen Entwicklung und den
Wiederaufbau, verwendet werden, denn nur dann, wenn
eine Lösung wirklich von den Betroffenen getragen
wird, kann Hilfe als Initialzündung wirken, nur dann
kann in der Tat demokratisches Denken, kann ein Mindestmaß an Wohlstand und Prosperität, kann wirklich
Frieden in der Region einkehren.
Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
({9})
Das Wort hat Bundesminister Rudolf Scharping.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir
unterhalten uns über einen Antrag der Bundesregierung
mit dem Ziel, humanitäre Hilfsleistungen, die dringend
notwendig sind, erbringen zu können. Sie sind wegen
des erneuten alptraumhaften Anschwellens von Vertriebenenströmen nach Albanien und Mazedonien dringend
notwendig. Sie sind notwendig, weil die Menschen diese
beiden Länder in einem Zustand erreichen, der ihre Versorgung mit Lebensmitteln und vor allen Dingen mit
medizinischer Hilfe völlig unabweisbar macht. Sie sind
notwendig, weil sich die Situation im Kosovo jedenfalls
für die vertriebenen Menschen auf dramatische Weise
zugespitzt hat. Sie sind auch deshalb notwendig, weil
die serbischen Sicherheitskräfte in einer Art und Weise
gegen die Bevölkerung im Kosovo vorgehen, die sich
schwer erschließen läßt, wenn man nur die Bilder sieht
und die Berichte der Befragungsteams liest.
Ich will ganz offen sagen: Wenn man direkt mit Vertriebenen redet, die nach einer Zeit schrecklicher Erlebnisse vier oder fünf Nächte in Blace im Freien und im
Schlamm in völlig überfüllten Lagern verbracht haben
und jetzt in Deutschland sind, fällt es schwer, die Tränen, die vergossen werden, nicht selbst zu weinen.
Wenn man hört, daß in einer kleinen, im Nordwesten
des Kosovo gelegenen Stadt Sicherheitskräfte mit einer
Liste mit Namen herumgefahren sind, alle Ingenieure
der Stadt in ein Haus getrieben haben, alle Ärzte der
Stadt in ein anderes Haus getrieben haben und daß keiner dieser dort zusammengetriebenen Menschen das
Haus wieder lebend verlassen hat, wenn man unmittelbar von einem Kinderarzt hört, der die Flucht mit seinen
drei Kindern aus Pristina - Gott sei Dank - geschafft
hat, was ihm in den sehr spärlichen Telefonkontakten
über die Situation der Menschen zum Beispiel in der
Hauptstadt des Kosovo geschildert wird, dann ist es ich mache überhaupt keinen Hehl daraus - mühsam, die
Fassung zu bewahren und zu versuchen, irgendwie
nachzuvollziehen, mit welcher bestialischen Grausamkeit gegen Menschen vorgegangen wird. Und warum?
Nur wegen einer anderen ethnischen Abstammung!
Ich sage das deswegen am Anfang, weil die humanitäre Hilfsaktion, das militärische Handeln und die
politischen Bemühungen eine Einheit darstellen und
weil sie alle dem gleichen Ziel dienen: diese Bestialität
und diese Grausamkeit zu beenden, ihre Ursachen zu beseitigen, das Leid zu lindern und den Menschen die
Rückkehr in ihre angestammte Heimat zu ermöglichen.
Nur wenn man dieses Ziel und die Umstände, die dabei
eine Rolle spielen, vor Augen hat, wird man deutlicher
sehen, daß man dieses Leid zwar nicht ungeschehen machen kann; aber man kann es lindern und versuchen, denen, die dem Terror und der Brutalität entkommen sind,
wieder eine Hoffnung zu geben.
Ich finde, für uns als eine Demokratie ist das eine
Verpflichtung - nicht alleine wegen unserer eigenen
Vorgeschichte, sondern vor allen Dingen wegen der
Überzeugungen, die diese Demokratie tragen. Ich
möchte daran erinnern, was der Bundespräsident in diesem Zusammenhang gesagt hat: Wer diese Konsequenzen aus seinen eigenen demokratischen Idealen aufgebe,
gefährde am Ende auch im Innern das, was unser Land
zusammenhalte, nämlich eine gemeinsame Überzeugung
von Demokratie, Rechtstaatlichkeit und Moral.
({0})
Ich erinnere mich sehr gut an ein Telefonat mit dem
Bundesaußenminister in der Nacht von Karfreitag auf
Karsamstag. Ich erwähne das, weil sich aus diesem Telefonat und aus den Reaktionen auf die Umstände in
Blace sowie auf die dringenden Hilfsersuchen der mazedonischen Regierung manches von dem erklären läßt,
was die Bundesregierung dann getan hat. Gewissermaßen über Nacht - ich sage das mit einem großen Kompliment an alle beteiligten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Bundesregierung - ist die größte humanitäre
Hilfsaktion, die die Bundeswehr und die Bundesrepublik
Deutschland jemals geleistet haben, aus dem Boden gestampft worden.
({1})
Das war eine Voraussetzung dafür, daß die unsäglichen
Zustände in Blace verbessert werden konnten. Ich erinnere daran, daß daraus die Initiative entstanden ist, innerhalb der Europäischen Union für eine Aufnahme
von Flüchtlingen zu werben. Ich schließe mich all denen an, die sagen: Hoffentlich halten sich alle an ihre
Zusagen und erfüllen sie nicht auf eine so zögerliche
Weise, daß die Zusagen am Ende nicht den Wert entfalten können, den sie eigentlich haben sollten.
Angesichts der mehr als 400 000 Vertriebenen in Albanien und der über 200 000 Vertriebenen in Mazedonien ist es dringend erforderlich, auch die politische
Stabilität dieser Länder im Auge zu behalten. Zumindest in Mazedonien mit seinem sehr prekären Gleichgewicht zwischen den dortigen ethnischen Gruppen droht
die daraus entstehende Spannung das Land politisch und
sozial zu zerreißen. Daran kann niemand Interesse haben.
({2})
Deswegen füge ich hinzu, daß wir in der Lage sein
müssen, unmittelbar zu helfen. Die Bundeswehr tut das
durch den Aufbau von Lagern ohnehin schon. Man
muß sich einmal vorstellen, was das bedeutet, und sich
überlegen, warum es gut ist, daß die Bundeswehr das
gemeinsam mit Hilfsorganisationen tut.
Das eine Lager beispielsweise, im etwas südlicheren
Teil von Mazedonien, in Cegrane, war für 5 000 Menschen geplant, auf einem Acker, auf dem sich dürres
Gras und einige Steine befanden, sonst nichts. 5 000
Menschen müssen aber versorgt werden, mit Wasser,
mit medizinischer Hilfe, mit Lebensmitteln, mit Zelten,
mit Decken. Das ist ein ziemlich hoher Aufwand. Er
steigt rasend, wenn plötzlich 12 000 Menschen zusätzlich vor diesem Lager stehen. Dann wird das Lager auf
18 000 erweitert, und mittlerweile sind es schon viel,
viel mehr dort. Man muß sich klarmachen, daß wir in
dieser Situation jeden Tag ein Zeltlager in der Kapazität
einer deutschen Kleinstadt aufbauen und danach betreiben müssen. Man muß sich klarmachen, daß der
UNHCR dringend gebeten hat, die NATO solle helfen.
Man muß sich vielleicht auch klarmachen, daß das ja
nicht die NATO allein ist, sondern daß sieben, wenn
Georgien zusagt, möglicherweise acht und dann hoffentlich noch mehr Nicht-NATO-Staaten an der Organisation dieser Hilfsmaßnahmen beteiligt sind: Lettland,
Litauen, Rumänien, die Slowakei, Slowenien, Österreich
und andere.
Meine Damen und Herren, es geht darum, humanitäre
Hilfe zu leisten und sich in dieser humanitären Hilfe gegenseitig zu unterstützen, auch durch Nothilfe. Es geht
darum, auf diese Weise bei den Menschen die Hoffnung
zu begründen, daß wir es ernst meinen mit dem politischen Ziel, daß sie in ihre Heimat zurückkehren können.
Die Asymmetrie des Krieges, von der einmal gesprochen wurde - die jugoslawische Armee und die Spezialpolizei auf brutale Weise am Boden gegen die Bevölkerung, die NATO und die in ihr zusammengeschlossenen
19 Demokratien auf konsequente Weise in der Luft
gegen die Ursachen dieses Leids und gegen die Kräfte,
die es auslösen - beginnt sich aufzulösen. Wenn hier
fein -, ziseliert erörtert wird, worin der Fortschritt besteht, will ich in diesem Zusammenhang auf drei Faktoren aufmerksam machen.
Der erste ist, daß die politische Bewegung nach den
Erfahrungen von Rambouillet und Paris, die jetzt langsam einsetzt, und zwar nicht erst seit heute oder seit gestern, sondern schon seit längerer Zeit, nur erklärt werden kann, wenn man in Rechnung stellt, daß es wachsenden militärischen Druck und wachsende Wirksamkeit des militärischen Eingreifens gibt.
Das zweite ist, daß es von Anfang an eine Fortsetzung der politischen Bemühungen gegeben hat. Die fünf
Punkte, deren Prinzipien gestern um den einen oder anderen Punkt ergänzt worden sind - der Bundesaußenminister hat das vorgetragen -, haben das Licht der diplomatischen Bühne schon Anfang April erblickt, also eine
Woche, nachdem die NATO mit ihren militärischen
Maßnahmen begonnen hatte. Am 3. April hat sich die
NATO das schon zu eigen gemacht. Am 7. April hat der
UN-Generalsekretär seine Rede gehalten, in der er von
der „dunklen Wolke des Völkermordes“ sprach. Am 14.
April beispielsweise haben sich die Regierungschefs der
Europäischen Union getroffen, nachdem am 13. April
die amerikanische Außenministerin und der russische
Außenminister in Oslo zusammengekommen waren.
Ich sage das deshalb, Herr Kollege Lamers, weil nur
der das als rein prozeduralen und nicht auch als substantiellen Fortschritt begreifen kann, der die Ergebnisse
des Außenministertreffens von gestern betrachtet, ohne sie mit dem zu vergleichen, was beispielsweise zwischen Frau Albright und Herrn Iwanow in Oslo am 13.
April erörtert worden war. Denn man kann sehen, daß
zum Beispiel die Frage einer robusten militärischen
Sicherheitspräsenz im Kosovo am 13. April, um nur dieses Datum zu nehmen, von Rußland völlig anders beurteilt worden ist, als es Gott sei Dank heute beurteilt
wird. Man kann sehen, daß Rußland sich von der Position zu lösen beginnt, es dürfe nichts gemacht werden,
was nicht das Einvernehmen und die Zustimmung von
Milosevic hat.
Vor diesem Hintergrund - ich könnte auch noch andere Umstände nennen - redet man zu Recht auch von
substantiellen Fortschritten. Es sollte Ihnen nicht
schwerfallen, dies zu akzeptieren, vor allen Dingen deshalb, weil doch auch Sie wie die Bundesregierung immer wieder und mit guten Gründen dafür plädiert haben,
Rußland in diese Bemühungen einzubeziehen. Das gelingt zunehmend besser. Meine Prognose - das nehme
ich jedenfalls einmal für mich in Anspruch - war von
Anfang an, daß Rußland seine europäische und weltweite Rolle am Ende nicht an Milosevic ketten und von
ihm abhängig machen wird. Insofern kommen wir also
auch politisch voran.
Bei diesen Überlegungen darf ein dritter Faktor nicht
übersehen werden, nämlich die innere Entwicklung in
Jugoslawien selbst. Es gibt zunehmend stärkere Signale
der Demoralisierung und der Desertion in der jugoslawischen Armee. Es gibt zunehmend stärkere Signale aus
der Geschäftswelt - wie sollte es auch anders sein -, daß
sie mit Milosevic und seinem Handeln nicht mehr einverstanden ist. Ich fand es unglaublich mutig, daß der
ehemalige Generalstabschef Obradovic in einer öffentlichen Stellungnahme als Vorsitzender der kleinen serbischen Sozialdemokratie mitgeteilt hat, man solle dem
serbischen Volk nun endlich deutlich sagen, daß die Ursache allen Leids die verbrecherische Vertreibungspolitik gegenüber den Kosovo-Albanern sei.
({3})
So etwas in Belgrad zu erklären ist wirklich mutig, vor
allem dann, wenn man - wie ich - heute morgen gehört
hat, daß Soran Djindjic nach Montenegro gegangen sei,
wo er sich, wie man intern weiß, schon etwas länger als
seit gestern aufhält. Wenn man alles zusammennimmt,
auch das, was man hier aus zwei Gründen nicht mitteilen kann, nämlich wegen des Schutzes von Leben und
Gesundheit derer, die man sonst zitieren müßte, und wegen des Interesses, die Kriegsverbrecher zu verfolgen deshalb kann man nicht immer alles in allen Einzelheiten belegen; es sei denn, man wollte die Verfolgung der
Kriegsverbrecher und den noch wichtigeren Schutz des
Lebens derer, die in Serbien oder im Kosovo aushalten,
gefährden; dann könnte man hier fröhlich mit jeder aktuellen Nachricht operieren; aber ich finde, das verbietet
sich -, wenn man also das alles zusammennimmt, dann
kann man feststellen: Es gibt durch das Zusammenwirken der drei Faktoren - kontinuierliches politisches Bemühen, entschlossenes militärisches Handeln und Veränderungen, die mittlerweile deutlich sichtbar sind, in
der innerjugoslawischen Situation - eine durchaus immer weiter wachsende Chance, in überschaubarer Zeit
zu einer friedlichen politischen Lösung zu gelangen, und
zwar auf der Grundlage jener fünf Punkte, die der Bundesaußenminister Anfang April dieses Jahres in die
internationale Debatte eingebracht hat.
Ich spreche ausdrücklich - ich weiß, das kann man
von der Opposition nicht verlangen - dem Bundeskanzler und dem Bundesaußenminister wegen der sehr kollegialen Zusammenarbeit und wegen ihrer intensiven Bemühungen um eine enge Zusammenarbeit mit der
NATO und um fortdauernde Kontakte mit Rußland - sei
es der Besuch von Herrn Primakow; seien es andere Besuche bis in die jüngste Zeit - hohen Respekt, Dank und
Anerkennung aus.
({4})
Ich hatte vorhin die Nicht-NATO-Staaten angesprochen, die sich hier auch beteiligen. Ich möchte deutlich
machen: Es handelt sich dabei um ein strikt humanitäres Mandat, das räumlich begrenzt ist. Es ist auch durch
die Fähigkeiten der internationalen Hilfsorganisationen
sowie auch durch die Hoffnung - ohne daß man hier allzuviel Optimismus verbreiten sollte - begrenzt, daß es
bald zu einer politischen Lösung kommt.
Ich füge hinzu, daß wir die Soldaten, die wir dorthin
schicken, nicht nur mit einem stolzen Lob ob ihrer
Motivation und ihres Engagements begleiten, sondern
auch darauf achten, daß sie auch in diesem Fall keinem
unverantwortbaren Risiko ausgesetzt werden. Auch
wenn sie schwerpunktmäßig in Südalbanien eingesetzt
werden, muß man doch deutlich darauf hinweisen, daß
das dortige Umfeld nicht wie in Westeuropa ist. Man
kann nicht ausschließen - auch wenn es unwahrscheinlich ist -, daß sie auch in militärische Handlungen verwickelt werden könnten, insbesondere dann, wenn sie
bei der Versorgung der Flüchtlinge und Vertriebenen in
den Durchgangslagern im Norden Albaniens, zum Beispiel in Kukes, zu helfen versuchen. Also müssen sich
unsere Soldaten selbst schützen können. Dazu sind 60
bis 80 Soldaten zur Eigensicherung, ausgerüstet mit
Handfeuerwaffen, eingeplant.
Alle anderen bauen Zeltplätze, transportieren
Hilfsgüter, sorgen für Trinkwasseraufbereitung, betreuen sanitätsdienstlich und auch psychologisch Flüchtlinge
oder koordinieren den Einsatz. Dazu ist beispielsweise
die in das entsprechende NATO-Hauptquartier, das
schon nach Albanien verlegt ist, integrierte Fernmeldeeinheit dringend erforderlich.
Das Mandat beinhaltet im übrigen den Einsatz unbemannter Luftaufklärung durch die Bundeswehr und eine
gewisse Erweiterung des bisher erteilten Mandates.
Ich will Ihnen das an zwei Beispielen schildern. Wir
bekamen Hinweise darauf, daß sich im südlichen Zipfel
Serbiens, in der Nähe der Stadt Vranje, eine Artilleriestellung befinden könnte. Wir haben das wegen Gefahr
im Verzuge mit der Drohne aufgeklärt. Dabei - übrigens
auch als wir die Luftabwehrwaffen nach Mazedonien
gebracht haben, um mit der Stinger Soldaten notfalls
auch gegen Luftangriffe schützen zu können - haben wir
das Problem festgestellt, daß wir diese Erkenntnisse und
diese Möglichkeiten der Selbstverteidigung nicht auch
für unsere Partner hätten einsetzen können. Es wäre ein
kurioser Sachverhalt, wenn in Kumanovo Franzosen und
Deutsche stationiert sind und man erst einmal feststellen
müßte, ob nur die Deutschen angegriffen werden. Das
wäre von vornherein lächerlich.
Die gegenseitige Nothilfe ist zum Schutz der Mitarbeiter aller humanitären Organisationen erforderlich. Sie
ist auch erforderlich, um die Kräfte der NATO-Staaten,
die mit uns zusammenarbeiten, zu schützen, und sie ist
im Zusammenhang mit der Drohne erforderlich, zum
Beispiel um Anforderungen der mazedonischen Regierung gerecht zu werden. Das haben wir in der Vergangenheit getan. Der heutige Beschluß beinhaltet eine
nachträgliche Billigung dieses Einsatzes ebenso wie eine
Billigung des darüber hinausgehenden erweiterten Einsatzes.
Ich will auch darauf hinweisen, daß ein darüber hinausgehender Einsatz, so wie es in dem Antrag der Bundesregierung steht, insbesondere auf dem Territorium
der Bundesrepublik Jugoslawien nur im Rahmen eines
VN-Mandats oder eines Friedensabkommens in Betracht
kommt und in beiden Fällen, wie überhaupt immer,
zwingend eine erneute konstitutive Zustimmung des
Deutschen Bundestages erfordert. Es wird also weder
eine schleichende Beteiligung an irgendwelchen anderen
Maßnahmen geben, noch wird die Bundesregierung innerhalb der NATO einer solchen Entwicklung zustimBundesminister Rudolf Scharping
men. Dafür gibt es gute politische wie auch militärische
Gründe. Die humanitären Bemühungen finden also eine
klare Grenze im Humanitären selbst.
Lassen Sie mich noch auf einen Umstand aufmerksam machen, der mit humanitären Fragen zu tun hat.
Kürzlich fand ein Gespräch des Präsidenten des Internationalen Roten Kreuzes, Sommaruga, mit Milosevic
statt. In diesem Gespräch sind angeblich Abmachungen
getroffen worden, die den Zugang zu den Binnenflüchtlingen ermöglichen sollten. Das sind leere Versprechungen geblieben. Es blieb bei einem Fernsehtermin, bei
einer öffentlichen Bekundung. Danach sind alle Bemühungen des Internationalen Roten Kreuzes um Zugang
in den Kosovo unbeantwortet geblieben und gescheitert.
Dieselben Erfahrungen haben wir schon einmal bei der
OSZE-Mission gemacht. Deshalb ist es um so dringender geworden, daß wenigstens denen geholfen werden
kann, die unter zum Teil entsetzlichen Umständen Albanien oder Mazedonien erreichen.
Ich füge hinzu: Das nährt meine Skepsis, daß zum
Beispiel eine UN-Mission zur Feststellung von Umständen, die man für die Aufstellung einer internationalen
Friedenstruppe und einer Interimsverwaltung braucht,
ohne weiteres freien Zugang zu den Orten bekommt, die
sie selbst festlegt. Wir haben in der Vergangenheit - das
geht leider schon über Jahre hinweg so - mit Milosevic
die Erfahrung gemacht, daß er den Propagandakrieg fast
so gut wie den skrupellosen Krieg gegen die eigene Bevölkerung und ethnisch andere Bevölkerungsgruppen
beherrscht.
Vor diesem Hintergrund bitte ich Sie sehr herzlich,
mit einer breiten Mehrheit im Deutschen Bundestag, an
der ich persönlich nie einen Zweifel hatte, den Einsatz
der deutschen Soldaten zu unterstützen. Sie haben diese
Unterstützung durchaus notwendig. Sie wird ihnen guttun, und sie haben sie vor allen Dingen verdient. Wenn
sich nämlich herausstellt, daß internationale Hilfsorganisationen mit ihren logistischen Möglichkeiten und von
ihrer Leistungsfähigkeit her die Situation nicht bewältigen können, die sich jetzt in Mazedonien und Albanien
entwickelt hat, dann ist es gut und richtig, wenn Kräfte
einspringen, die das leisten können. Die Soldaten nehmen diese Aufgabe mit großer Begeisterung, mit hohem
Verantwortungsbewußtsein und starker Motivation
wahr. Diese Einsatzbereitschaft wird dadurch bestätigt
und gestärkt, daß der Deutsche Bundestag mit breiter
Mehrheit unserem Antrag zustimmt.
Vielen Dank.
({5})
Ich erteile das Wort
dem Kollegen Ulrich Irmer, F.D.P.-Fraktion.
Vielen Dank, Herr Präsident!
- Meine Damen und Herren! Die Freien Demokraten im
Deutschen Bundestag werden dem Antrag der Bundesregierung zustimmen, und zwar deshalb, weil wir die
Unterstützung und Verstärkung des humanitären Einsatzes angesichts des Elends der Vertriebenen für unerläßlich halten.
Der Bundesverteidigungsminister Scharping hat zu
Beginn seiner Rede die Situation mit bewegenden Worten geschildert. Ich möchte Ihnen, Herr Scharping, ausdrücklich sagen, daß ich es als wohltuend empfinde, daß
Sie in Ihrer Funktion als der für den Einsatz der Bundeswehr zuständige Minister hier ohne jedes Säbelrasseln, ohne aggressive Töne, sehr nachdenklich, sehr besonnen, sehr zurückhaltend, sehr abgewogen und damit
der Situation angemessen Ihre Aufgabe erfüllen. Dafür
möchte ich Ihnen danken.
({0})
Im übrigen macht sich ja wohl jeder hier im Hause, der
über Einsätze der Bundeswehr abstimmen muß, die
Sache keineswegs leicht, sondern wir sind uns alle unserer Verantwortung bewußt.
Erlauben Sie mir, daß ich jetzt einen Gesichtspunkt
anspreche, der mir in letzter Zeit durch den Kopf gegangen ist. Sicher werden nicht alle meine Auffassung teilen. Ich meine aber, daß sich ein Parlament, wenn es
weiß, daß es für eine Wehrpflichtarmee Verantwortung
trägt, um so mehr Mühe bei der Entscheidung über den
Einsatz seiner Soldaten macht.
({1})
Wir hier im Deutschen Bundestag sind dadurch weit von
der Gefahr entfernt, das Militär sozusagen als eine ständig präsente Einheit zu begreifen, die man auf Abruf
dort einsetzen kann, wo es gerade notwendig ist. Auch
wenn Wehrpflichtige natürlich nicht gegen ihren Willen
bei diesen Aktionen eingesetzt werden, müssen wir uns
bei der Entscheidung über diesen Einsatz doch um so
mehr Skrupeln aussetzen, weil diese Armee aus der Gesellschaft und aus unserem Volk heraus kommt und in
ständigem Austausch mit der Gesellschaft steht und weil
sich die Bundeswehr gegenüber den Bürgern und der
Gesellschaft ständig rechtfertigen muß - auch durch das,
was sie in ihrem Inneren tut. Die Wehrpflichtigen, die in
die Bundeswehr hineinkommen, repräsentieren nämlich
dort die Gesellschaft, und umgekehrt kehren die wehrpflichtigen Soldaten wieder in die Gesellschaft zurück
und vermitteln dort das, was die Bundeswehr braucht
und benötigt.
Ich möchte bei dieser Gelegenheit allen Soldaten den
Dank unserer Fraktion für den Einsatz, den sie leisten,
aussprechen.
({2})
Ich wünsche allen, die in diesem Einsatz sind, daß sie
gesund und unversehrt zurückkehren. Ich möchte an dieser Stelle auch die Familien dieser Bundeswehrangehörigen nicht vergessen, die täglich und stündlich um sie
zittern, weil diese Einsätze - machen wir uns da nichts
vor - in hohem Maße gefährlich sind.
Meine Damen und Herren, wir stimmen, wie gesagt,
dem Antrag der Bundesregierung zu. Ich möchte jetzt dabei muß ich etwas kritisch werden - doch noch einmal
die Frage stellen, warum es ausgerechnet bei der Diskussion über diesen Antrag mehr Probleme als bei früheren Vorlagen der Bundesregierung, in denen es um
Kampfeinsätze ging, gegeben hat. Hier handelt es sich ja
um einen rein humanitären Einsatz.
Der Antrag enthält drei Teile: Der erste Teil beinhaltet die Verstärkung der Bundeswehr um bis zu 1000
Soldaten für ihre Aufgabe, humanitäre Hilfe zu leisten.
Der zweite Teil legitimiert - ebenfalls unter humanitären
Aspekten - eine gegenüber dem ursprünglichen Beschluß erweiterte Luftaufklärung durch die Drohnen.
Der dritte Teil schließlich legitimiert die eigentlich
selbstverständliche Nothilfe. Es handelt sich also um
rein humanitäre Aufgaben.
Was den Inhalt des Beschlusses betrifft, dürfte eigentlich niemand Bedenken haben. Selbst wer prinzipiell
gegen die Beteiligung der Bundeswehr an den militärischen Einsätzen in Jugoslawien und im Kosovo ist,
müßte dem Antrag zustimmen können, weil es sich um
eine rein humanitäre Angelegenheit handelt.
Um so verwunderlicher ist, weshalb es im Vorfeld ich räume ein: auch in meiner Fraktion - Irritationen und
erhöhten Diskussionsbedarf gegeben hat. Ich muß der
Bundesregierung in diesem Zusammenhang schon sagen, daß sie dem Parlament dieses Verfahren von oben
herab zugemutet hat. Ich frage Sie: Warum haben wir
diese Beschlußvorlage nicht bekommen, als wir in der
Woche nach Ostern eine Sondersitzung zum Thema
Kosovo hatten?
({3})
Zu diesem Zeitpunkt hatte die Bundesregierung die Eilentscheidung schon längst getroffen.
({4})
Indem Sie zu den Drohnen - das ist jetzt Inhalt der Beschlußvorlage - eine ausdrücklich so bezeichnete Eilentscheidung getroffen haben, haben Sie ja eingeräumt, daß
diese Entscheidung der Zustimmung des Deutschen
Bundestages bedarf. Denn nach der Entscheidung des
Bundesverfassungsgerichtes sind Sie zur Eilentscheidung in Situationen, in denen der Bundestag eigentlich
zustimmen müßte, das aber aus zeitlichen Gründen nicht
geht, ermächtigt. Die Frage bleibt aber: Warum haben
Sie uns diesen Antrag nicht in der Woche nach Ostern,
als wir zu diesem Thema debattiert haben, vorgelegt?
Eine weitere Frage. Als wir Anfang der Woche Ihre
Vorlage zum erstenmal auf den Tisch bekommen haben,
haben wir Sie gefragt: Warum schreiben Sie in das Rubrum nicht das hinein, was in der Begründung steht?
Wir haben Ihnen sogar eine goldene Brücke gebaut, indem wir Ihnen vorgeschlagen haben, in den Antrag aufzunehmen: Der Deutsche Bundestag stimmt … der deutschen Beteiligung an der humanitären Hilfe im Zusammenhang mit dem Kosovo-Konflikt zu nach Maßgabe
des Beschlusses der Bundesregierung vom Soundsovielten. - In diesem Beschluß ist nämlich all das enthalten, was uns Anlaß zu Fragen gegeben hat.
Hier ist der Verdacht aufgekommen, es solle durch
die Hintertür der Einsatz von Bodentruppen ermöglicht werden.
({5})
Wer die Diskussion bei uns im Land kennt, weiß ja, daß
die Menschen Angst davor haben. Deshalb verstehe ich
es einfach nicht, weshalb Sie das - in einer gewissen
handwerklichen Schluderigkeit - nicht ausdrücklich in
Ihrem Antrag geklärt haben, und daß Sie sich, als wir
Sie darum gebeten haben, auf die Position zurückgezogen haben: Das haben wir schon immer so gemacht.
({6})
Das sind die berühmten drei Grundsätze des deutschen
Verwaltungshandelns: Erstens. Das haben wir noch nie
so gemacht. Zweitens. Das haben wir schon immer so
gemacht. Drittens. Da könnte ja jeder kommen.
Sie haben gesagt, das haben wir schon immer so gemacht. - Es stimmt aber nicht; denn in allen früheren
Beschlüssen war im Rubrum ausdrücklich der Passus
enthalten: nach Maßgabe des Beschlusses der Bundesregierung vom Soundsovielten. Damit hätten Sie alles berücksichtigt. Sie haben aber nach dem dritten Verwaltungsgrundsatz „Da könnte ja jeder kommen“ gehandelt.
Das ist eine Mißachtung der Opposition, die wir uns auf
Dauer nicht gefallen lassen.
({7})
Ich appelliere also an Sie, das nächste Mal etwas mehr
Umsicht walten zu lassen.
In der Sache stimmen wir Ihnen, wie gesagt, zu. Ich
räume auch ein, daß Sie, Herr Scharping und Herr
Fischer, nicht nur in den Ausschüssen, sondern auch im
Plenum in wünschenswerter Deutlichkeit gesagt haben,
daß dies eine rein humanitäre Angelegenheit ohne Hintertür ist. Der Passus oben auf Seite 4 in Ihrem Antrag,
der sich auf alle drei Teile Ihres Beschlusses bezieht, ist
selbstverständlich ganz wichtig. Dort heißt es, daß ein
darüber hinausgehender Einsatz nur im Rahmen eines
UN-Mandates oder eines Friedensabkommens erfolgen
darf und wird und daß dazu eine erneute Zustimmung
des Deutschen Bundestages erforderlich wäre.
Damit gehen wir eigentlich hinter das zurück, was
wir im November und im Februar schon beschlossen
haben. Denn mit dem Beschluß zur Extraction Force
hatten wir bereits ein Eingreifen der Bundeswehr auf
dem Territorium der Bundesrepublik Jugoslawien legitimiert. Im Beschluß vom Februar hatten wir vereinbart,
daß zur Absicherung eines Abkommens, eines Rambouillet-Abkommens, auch ein Bodeneinsatz zulässig
sei.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zum
Schluß noch einige Bemerkungen zu dem Ergebnis der
gestrigen Außenministerkonferenz der G 8 machen.
Natürlich ist das nicht der große Durchbruch. Ich warne
davor, dieses Ergebnis zu bejubeln; das tut auch niemand. Ich warne aber auch davor, das Ergebnis für so
gering zu halten wie die „Neue Zürcher Zeitung“ heute
unter der Überschrift „Magere Ergebnisse“. Sicher ist
das nichts Konkretes und sind mehr Fragen offen als beantwortet. Das war aber angesichts der Situation nicht
anders zu erwarten.
Ich halte es für ganz wesentlich, daß durch dieses Ergebnis, dem die Russen zugestimmt haben - das ist der
entscheidende Punkt -, wieder der Weg zur Politik eröffnet worden ist, und zwar stärker als je zuvor. Ich
halte es auch für ganz entscheidend, daß in diesem Beschluß den Vereinten Nationen wieder die Rolle zuerkannt wird, die sie eigentlich haben müßten, die aber
leider in der Vergangenheit in den Hintergrund getreten
ist.
Wir alle hier haben, wenn es um die Erörterung einer
denkbaren politischen Lösung ging, immer zwei Dinge
betont. Erstens: Die Vereinten Nationen müssen wieder
in die Verantwortung genommen werden. Zweitens: Um
dies zu erreichen, müssen die Russen mit an Bord.
Herr Scharping, ich verstehe, daß Sie Ihre Kollegen
hier rühmen und preisen.
({8})
Das ist auch in Ordnung. Wie aber der russische Premierminister Primakow hier in Deutschland behandelt
worden ist, als er von seiner Mission in Belgrad zur Berichterstattung zu uns gekommen ist, war schon schandbar. Das war keine Meisterleistung deutscher Diplomatie.
({9})
Wenn man schon sagt, die Russen mit ins Boot nehmen
zu wollen, kann man den Premierminister nicht behandeln wie einen dummen Jungen, der seine Hausaufgaben schlecht erledigt hat. Das hätte ganz anders laufen
müssen. Man hätte sagen müssen: Herr Primakow, das
ist großartig! Wir bedanken uns bei Ihnen dafür, daß
Sie sich eingesetzt haben und wie Sie sich eingesetzt
haben. Wenn Ihr Ergebnis nicht unseren Erwartungen
entspricht, dann liegt das nicht an Ihnen, sondern an
Herrn Milosevic. Wir bitten und ermuntern Sie, auf
diesem Wege weiterzumachen. - Gott sei Dank haben
Sie aus diesem Fehler gelernt: Die Russen sind mit an
Bord.
Es bleibt natürlich die Frage: Wie sehen die Regelungen bezüglich der Sicherheitstruppe - hier heißt
es wunderschön ausgedrückt „Sicherheitspräsenzen“,
noch dazu also im Plural - aus? Ohne NATO wird und
kann das gar nicht gehen. Ob die Russen ein NATOMandat akzeptieren, ist offen. Es gibt also Fragen über
Fragen.
Ich freue mich aber, daß es überhaupt zu einer Vereinbarung unter Beteiligung der Russen gekommen ist,
und ermuntere die Bundesregierung, sich weiter um eine
friedliche Regelung zur Lösung des Konfliktes zu bemühen.
Ich danke Ihnen.
({10})
Das Wort hat nun
der Kollege Gregor Gysi, PDS-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Bundesaußenminister, Ihr Appell
an Makedonien, die Grenzen wieder zu öffnen, findet
unsere volle Unterstützung; denn wir können nicht
Flucht und Vertreibung verurteilen, gleichzeitig aber die
Grenzen geschlossen halten, wenn die Vertriebenen und
Flüchtlinge kommen.
Auf der anderen Seite ist dies eine Art Hilferuf Makedoniens nach mehr Hilfe durch die Staaten der NATO,
aber auch der Europäischen Union insgesamt, weil Makedonien mit dieser Situation überfordert wird. Insofern
unterstützen wir auch Ihren Appell an die EU-Länder,
endlich den Verpflichtungen zur Aufnahme von Vertriebenen zu entsprechen.
Wenn man sich die moralischen Begründungen gerade von Tony Blair und Jacques Chirac hinsichtlich dieses Krieges vor Augen hält und mit einbezieht, daß sie
nicht bereit sind, Vertriebene aufzunehmen, dann wird
das Ganze in besonderem Maße unglaubwürdig. Wenn
das Schicksal der Kosovo-Albaner das eigentliche Anliegen des Krieges ist, dann ist doch nicht vermittelbar,
weshalb sich die EU bei der Aufnahme von Vertriebenen und Flüchtlingen, bei der Hilfe für Makedonien
und Albanien so schwertut. Das ist einfach nicht nachvollziehbar.
({0})
Wir dürfen aber natürlich nicht so tun, als ob dies in
Deutschland völlig unproblematisch wäre. Ich erinnere
daran, daß noch vor ein paar Tagen Baden-Württemberg
und Bayern gesagt haben, daß sie nicht bereit sind, weitere Flüchtlinge und Vertriebene aufzunehmen. Das
heißt: Im Militärischen ist offensichtlich schnell Einigkeit herzustellen. Wenn es aber um konkrete Hilfe für
Flüchtlinge und Vertriebene geht, dann fehlt diese
Einigkeit. Dazu paßt ja eben auch - dazu haben Sie,
Herr Bundesaußenminister, hier nichts gesagt -, daß die
Abschiebung von Kosovo-Albanern bis zum März 1999
durch deutsche Verwaltungs- und Oberverwaltungsgerichte bestätigt wurde, die sich dabei regelmäßig auf die
Auskünfte Ihres Ministeriums gestützt haben. Das steht
im klaren Widerspruch zu dem, was als Begründung für
den Krieg angegeben worden ist. Eigentlich müßte uns
das veranlassen, noch einmal sehr grundsätzlich über die
Asylpraxis in Deutschland nachzudenken.
Ich sage im Namen der Fraktion der PDS, daß wir
dem Antrag der Bundesregierung nicht zustimmen
werden. Vielmehr sind wir dafür, die vorgesehenen
Mittel den Hilfsorganisationen vor Ort zur Verfügung zu
stellen,
({1})
aber wir sind nicht dafür, weitere tausend Soldaten zu
entsenden. Das hat zwei Gründe.
Der erste Grund ist, daß schon jetzt ein Kontingent
von 6 100 Soldaten durch diesen Bundestag beschlossen
worden ist. Darunter sind 5 000 Soldaten, die für den
Fall einer Implementierung vorgesehen sind, die gar
nicht bevorsteht. Es hat uns niemand die Frage beantworten können, warum nicht aus diesem Kontingent die
Soldaten für den Bau von Wasserleitungen und für andere humanitäre Hilfe in Albanien abgestellt werden können.
Der zweite Grund hängt damit zusammen, daß man
sich ja das Gesamtszenario ansehen muß. Die USA
schicken immer mehr Waffen, nicht nur nach Albanien,
sondern jetzt auch nach Ungarn; sie schicken immer
mehr Soldaten. Man hört von Geheimplänen, die vorsehen, im Juni mit Bodentruppen einzumarschieren. Angesichts dessen können Sie von uns doch nicht erwarten,
daß wir der Entsendung weiterer Soldaten zustimmen,
da wir nicht wissen, inwiefern das zu einer Eskalation
beiträgt.
({2})
Ich will auch etwas zu der Erklärung der G 8 sagen.
Sie, Herr Außenminister, haben besonders hervorgehoben, daß Rußland jetzt dabei ist. Ich weise zunächst
einmal darauf hin: Rußland war schon in der Kontaktgruppe dabei. Insofern ist das nichts Neues. Vielmehr
muß ich hier feststellen: Nach Beginn des Krieges nahmen die Demütigungen Rußlands ihren Anfang, die wir
immer kritisiert haben. Allerdings hat nicht die deutsche
Regierung, sondern Präsident Clinton damit angefangen.
Unmittelbar nach Beginn des Krieges - das wissen Sie
ganz genau, Herr Außenminister - hat Jelzin ein G-8Treffen auf höchster Ebene vorgeschlagen, damit man
sofort über die Situation beraten kann. Damals hat
Clinton erklärt, daß er überhaupt keinen Grund für ein
solches Treffen sehe, und so fand es nicht statt. Dann
kam die Demütigung von Primakow hinzu, die ja gerade
vom Kollegen Irmer beschrieben wurde. Primakow kann
ja froh sein, daß er nicht als fünfte Kolonne bezeichnet
wurde. Das war die Situation in Deutschland; damals
wollte man über diese Fragen eigentlich gar nicht reden.
Wenn ich die heutige Situation mit der damaligen vergleiche, muß ich sagen: Es ist durchaus günstig, wenn
jetzt die diplomatischen Bemühungen intensiviert
werden.
Ob es Ihnen, Herr Außenminister, nun paßt oder
nicht: Die Erklärung der G 8 - ich komme auch gleich
noch auf die Schwächen zu sprechen - weicht nicht so
erheblich vom Friedensvorschlag der PDS ab. Es tut mir
leid. Schauen Sie ihn sich an. Genau mit dem Ziel, mich
für eine Präsenz von UNO-Truppen einzusetzen, bin ich
nach Belgrad gefahren, um dort dahin gehend Wege zu
eröffnen, daß man das akzeptiert. Dafür bin ich hier
maßlos diffamiert und beschimpft worden.
({3})
Wofür? - Für etwas, was Sie selbst jetzt unterschreiben.
Nur, Sie interpretieren das in gewisser Weise falsch.
Ich kann Texte ganz gut lesen. Da ist zum Beispiel vom
Rückzug nicht d e r militärischen, polizeilichen und paramilitärischen Kräfte die Rede, sondern vom Rückzug
militärischer, polizeilicher und paramilitärischer Kräfte.
Das würde auch einen Teilabzug einschließen.
Dann sagen Sie, Rambouillet sei hier voll bestätigt
worden, ich solle meine Kampagne einstellen. Hören Sie
zu: Ich habe gegen den politischen Teil - daß heißt, soweit es um die Autonomie und die Selbstverwaltung
geht - nie eine Kampagne geführt. Genau das steht in
der Erklärung, daß nämlich die substantielle Selbstverwaltung unter voller Berücksichtigung des RambouilletAbkommens gewährleistet werden soll. Was allerdings
den militärischen Teil betrifft, so muß ich sagen: Es
steht dort etwas völlig anderes als im RambouilletAbkommen. Dort steht nämlich, daß internationale zivile und Sicherheitspräsenzen in Übereinstimmung mit
den Vereinten Nationen und nach Billigung durch den
Sicherheitsrat zu stationieren sind. In unserem Friedensplan hieß es, daß die friedliche und sichere Rückkehr der Vertriebenen und Flüchtlinge auf eine vom
Weltsicherheitsrat zu bestimmende Art und Weise zu
gewährleisten ist. Das ist faktisch mit dem identisch, hat
aber eben mit dem Rambouillet-Vertrag nichts zu tun, in
dem von einer Besatzung durch die NATO die Rede
war. Die UNO kam ja im militärischen Teil von Rambouillet überhaupt nicht vor.
({4})
- Es geht nicht um die Frage des Warum, sondern es
geht darum, daß der Minister gesagt hat, es gebe eine
Identität. Ich weise einfach auf die Unterschiede hin.
Das Bemühen, die UNO einzuschalten, war damals
äußerst gering, weil die NATO meinte, sich vom Sicherheitsrat und von der UNO einfach abkoppeln zu
können,
({5})
und man hat deshalb das Mittel der Politik aufgegeben.
Das, was hier steht, hätte man auch ohne den Krieg erreichen können.
Ich komme jetzt auf die entscheidende Schwäche und
auch auf die Widersprüche zu sprechen. Hier steht: „territoriale Unversehrtheit der Bundesrepublik Jugoslawien“. Clinton sprach aber am Mittwoch von „Besatzungstruppen“ und meinte damit die jugoslawischen
Truppen im Kosovo. Wenn es denn Besatzungstruppen
wären, geht er davon aus, daß dieser Teil nicht mehr zu
Jugoslawien gehört. Das heißt, hier muß erst einmal
Klarheit geschaffen werden.
Es ist auch nicht gut, wenn von Ungarn jetzt Forderungen in bezug auf die Vojvodina erhoben werden, weil
dann sofort eine Antihaltung aus der Sorge heraus entsteht, ganz Jugoslawien solle zerstückelt werden.
Ein Punkt fehlt natürlich in der Erklärung der G 8 es gibt noch andere Schwächen, auf die ich hier aber
nicht eingehen will -: Wann hören Sie auf, die Bundesrepublik Jugoslawien zu bombardieren?
({6})
Das Ende des Krieges ist der einzige Punkt, der hier
überhaupt nicht vorkommt.
Das ist deshalb besonders bemerkenswert, weil Präsident Clinton, also der Chef des ganzen Unternehmens,
am Mittwoch hier in Deutschland - wo er ohne jede Begrüßung von deutscher Seite eingereist ist, um auch
einmal zu zeigen, wem die Stützpunkte hier gehören gesagt hat, „erbarmungslos“ - das ist nun wörtlich, Herr
Fischer - werde in Jugoslawien weiter gebombt. Jetzt
frage ich Sie: Was bedeutet eigentlich im Zusammenhang mit Krieg, im Zusammenhang mit Bomben das
Wort „erbarmungslos“? Das heißt, ohne jedes Erbarmen
wird weiter gebombt. Hätten Sie nicht wenigstens das
Verwenden eines solchen Begriffes kritisieren können?
Aber diesen Mut, Herr Bundesaußenminister, haben Sie
nicht. Insofern könnten auch Sie einmal Ihre Ohren spitzen.
({7})
Sie weigern sich, zu bestimmten Fragen Stellung zu
nehmen. Sie haben noch nie erklärt, warum zunehmend
zivile Objekte in Jugoslawien bombardiert werden.
Auch Herr Scharping hat noch nie erklärt, was der militärische Zweck der Bombardierung von Düngemittelfabriken, von Heizkraftwerken, von Wasserkraftwerken
oder Elektrizitätskraftwerken ist, worin der Zweck besteht, daß Häuser und Wohnungen nicht mehr beheizt
werden können, nicht mehr mit Strom versorgt werden
können.
Sie kennen doch die Berichte: Es gibt ein schlimmes
Leiden der Kosovo-Albaner, aber es gibt auch ein zunehmendes Leiden der serbischen Zivilbevölkerung.
Darauf gehen Sie aber nie ein. Sie könnten wenigstens
einmal zur Verhältnismäßigkeit im Rahmen dieses Krieges Stellung nehmen.
({8})
Auch die Zahl der Versehen nimmt zu; das tun Sie
immer so ab. Da wird ein aus Kosovo-Albanern bestehender Flüchtlingstreck beschossen, da werden zwei
Reisebusse beschossen. Dann werden versehentlich
Wohngebiete beschossen. Aus Versehen werden Raketen nach Sofia oder an andere Orte Bulgariens geschickt.
({9})
Ich sage Ihnen folgendes dazu: Wir leben hier in
einer Gesellschaft, wo jede Bürgerin und jeder Bürger
für die kleinste Fahrlässigkeit am Arbeitsplatz haftet.
Wenn Sie hier eine Frist versäumen, verlieren Sie ganze
Ansprüche. Die Bundesregierung geht aber mit den Versehen um in dem Sinne: Einfach Pech gehabt; das ist
nun einmal fehlgeleitet worden.
Nein, man trägt auch für Fahrlässigkeit Verantwortung, das heißt auch für Versehen, die im Rahmen eines
Krieges geschehen.
({10})
- Ja, das habe ich gemacht.
({11})
- Sie müssen sich doch nicht so aufregen, nur weil Sie
so ein schlechtes Gewissen haben.
({12})
Bundesverteidigungsminister Scharping hat eben die
entscheidenden Fortschritte genannt: Es gibt politische
Bewegung, und es gibt Destabilisierung in Jugoslawien.
Nur, Herr Bundesverteidigungsminister, das Kriegsziel
war doch nicht, daß die russische Regierung sich bewegt
oder daß es eine Destabilisierung in Jugoslawien gibt.
Das Kriegsziel war - so haben Sie gesagt -, das Morden,
das Töten, das Vertreiben der Kosovo-Albaner zu beenden.
({13})
Mit Blick auf dieses Kriegsziel, Herr Bundesverteidigungsminister, denke ich an Ihre Schilderung und die
des Bundesaußenministers, der zu Beginn dieser Debatte
gesagt hat, daß die Leiden noch schlimmer geworden
seien. Wenn man also nach sechs Wochen Krieg feststellt, daß sich hinsichtlich des eigentlichen Kriegszieles
nichts verbessert, sondern nur alles verschlimmert hat,
({14})
dann ist das nicht nur völkerrechtswidrig, sondern offensichtlich auch ein falscher Weg. Milosevic nutzt das
Bombardement für eine systematische Vertreibung.
Deshalb war das immer der falsche Weg. Wir haben im
Unterschied zu Ihnen keine Sekunde daran geglaubt, daß
er durch Bomben von seinen Verbrechen zurückzuhalten
ist.
({15})
Kollege Gysi, Sie
sind deutlich über der Zeit.
Deshalb sage ich: Beenden
Sie den Krieg! Das ist die Voraussetzung für jede vernünftige politische Lösung auch und gerade im Interesse
der Kosovo-Albaner und des Beendens ihres Leidens.
({0})
Ich erteile dem Kollegen Rudolf Bindig, SPD-Fraktion, das Wort.
Herr Präsident! Verehrte
Kolleginnen und Kollegen! Ich finde es angesichts der
Ernsthaftigkeit der Probleme, die wir zu diskutieren haben, unangemessen, eine solche Aufgeregtheit und Aggression in das Parlament zu bringen.
({0})
Kernanliegen des Mandates, über welches wir heute
beraten, ist es, der Bundesregierung die Möglichkeit zu
geben, Personal und Gerät der Bundeswehr für humanitäre Hilfsleistungen in und für Mazedonien und Albanien im Zusammenhang mit dem Kosovo-Konflikt einzusetzen. Es geht um humanitäre Soforthilfe für Flüchtlinge. Die Lage der Flüchtlinge im Kosovo und in den
Nachbarländern ist in der Tat dramatisch.
Flüchtlingsströme hat es übrigens bereits lange vor
dem Beginn der militärischen Aktionen durch die
NATO im Kosovo gegeben. Im Juli 1998 kam es im Zuge der Ausweitung der Kampfhandlungen im Kosovo
bereits zu einem Anstieg der Zahl der Flüchtlinge auf
mehr als 120 000. Im September und Oktober 1998 stiegen die Flüchtlingszahlen auf etwa 300 000 an. Die
Menschen hatten damals zum großen Teil im Freien Zuflucht gefunden, wo sie Regen und Kälte ausgesetzt waren. Wegen des unmittelbar bevorstehenden Winters
zeichnete sich bereits damals eine humanitäre Katastrophe ab.
Infolge des Holbrooke-Milosevic-Abkommens und
des Einsatzes von OSZE-Beobachtern ging die Zahl der
Flüchtlinge im November/Dezember 1998 zunächst
wieder zurück. Dennoch blieb die humanitäre Lage fragil. Damals konnten zudem im Kosovo noch humanitäre
Hilfsleistungen erbracht werden. Im Februar 1999, als
die serbischen Militärs und paramilitärischen Einheiten
nach dem „Hufeisenplan“ mit der Vertreibung der Kosovo-Albaner begannen, stiegen die Flüchtlingszahlen
schnell wieder auf 230 000 an. Nach aktuellen Zahlen
des UNHCR, des Internationalen Komitees des Roten
Kreuzes und der NATO wird die Zahl der Flüchtlinge in
Albanien jetzt auf zirka 405 000 Flüchtlinge, in Mazedonien auf 198 000 Flüchtlinge, in Montenegro auf rund
62 000 Flüchtlinge und in Bosnien-Herzegowina auf
zirka 40 000 Flüchtlinge geschätzt.
Über die Grenzen des Kosovo wären damit bereits
zirka 700 000 Menschen vor der brutalen Vertreibung
durch serbische Kräfte geflohen. Die Zahl der Flüchtlinge im Kosovo kann nur grob auf 350 000 bis 600 000
oder 700 000 geschätzt werden. Es läßt sich sagen, daß
fast die gesamte albanische Bevölkerung des Kosovo inzwischen entweder auf der Flucht im Lande ist oder bereits über die Grenze vertrieben worden ist.
Für die über die Grenzen geflohenen 700 000 Menschen - die Bevölkerung von sieben Großstädten oder
von rund 20 Mittelstädten von 35 000 Einwohnern - galt
und gilt es, in wenigen Tagen alles Überlebensnotwendige zu besorgen und es zum Teil, da es in der Region
nicht verfügbar war, von weither heranzuschaffen.
Die Lage der Flüchtlinge ist in dem jeweiligen Umfeld zu sehen. Sie ist unterschiedlich: Ohne Zweifel ist
die Situation im Kosovo am dramatischsten; zugleich
bestehen dort die geringsten Einwirkungsmöglichkeiten.
Eine Versorgung über Air-Drop ist nicht möglich. Nur
wenige humanitäre Hilfsorganisationen können dort unter Lebensgefahr - tätig sein. Der Auftrag und das
Mandat der Bundeswehr bezieht sich dennoch ausdrücklich nicht auf humanitäre Hilfe für diese Flüchtlinge. Ebenso bezieht sich das Mandat nicht auf Hilfsleistungen für Flüchtlinge in Montenegro.
Abgedeckt durch die vorangegangenen Beschlüsse
des Bundestages, leistet die Bundeswehr bereits humanitäre Hilfe für Flüchtlinge in Mazedonien und in geringerem Maße auch in Albanien. Die Hilfe für die zirka
200 000 Vertriebenen in Mazedonien findet in einem
schwierigen politischen Umfeld statt. Die hohe Zahl der
bereits aufgenommenen Menschen und der weiter
anhaltende Zustrom erfordern ganz außergewöhnliche
organisatorische, logistische und technische Leistungen.
Diese enormen Anforderungen konnten in Mazedonien
nur durch den Einsatz der dort anwesenden Militärs der
Extraction Force bewältigt werden. Erst durch den Einsatz der verschiedenen Militärs, in besonderem Maße
auch der Bundeswehr, ist es gelungen, eine gewisse
Struktur in die Flüchtlingshilfe zu bringen. Die verschiedenen vor Ort tätigen internationalen Hilfsorganisationen und nationalen Nichtregierungsorganisationen
waren trotz beachtlicher Bemühungen allein nicht in der
Lage, die sich stellende gigantische Aufgabe zu bewerkstelligen. Die Größe der Aufgabe überforderte sie. In
wenigen Stunden galt es, die Lagerflächen zu planieren
und zu befestigen, Zelte aufzubauen und auszustatten,
Wasser heranzuschaffen und aufzubereiten, sanitäre Einrichtungen zu erstellen und Vorkehrungen für eine
Fäkalien- und Abfallentsorgung zu treffen. Durch eine
gewaltige Kraftanstrengung der vor Ort befindlichen
Militärs und der Hilfsorganisationen ist es inzwischen
gelungen, für zirka 105 000 Flüchtlinge in Lagern eine
gewisse Versorgung zu sichern. Weitere zirka 95 000
Menschen leben in Gastfamilien.
Der Einsatz der Militärs ist subsidiär angelegt. Die
gesamte Organisation zum Aufbau und Betrieb eines
Lagers einschließlich der medizinischen Versorgung
wurde von der Bundeswehr nur so lange übernommen
und betrieben, bis das Lager an zivile Organisationen
übergeben werden konnte. Es ist einfach naiv, wenn hier
in einem Antrag die Meinung vertreten wird, das könnten doch auch die zivilen Hilfsorganisationen tun. Es
heißt dort, gegebenenfalls sollten Vorkehrungen getroffen werden, die Voraussetzungen dafür zu schaffen, daß
die humanitäre Hilfe dann an zivile Kräfte übergeben
wird. Das geschieht bereits. Man versucht, möglichst die
zivilen Hilfsorganisationen heranzuziehen. Diese sagen
aber: Wir schaffen das nicht, wir können das nicht; das
Problem ist zu groß, und deshalb bitten wir darum, daß
das Militär international tätig wird.
({1})
Deshalb ist es einfach falsch, wenn es in dem Antrag
heißt, daß die nichtmilitärischen Kräfte diese Aufgabe
zweifellos übernehmen könnten. Sie können es nicht, und
deshalb sind diese Vorschläge nicht ernst zu nehmen.
In Albanien ist die Situation der Flüchtlinge wieder
anders gelagert. Die Zahl der Flüchtlinge ist mit 400 000
etwa doppelt so hoch wie in Mazedonien. Dort finden
die Flüchtlinge Aufnahme in einem für sie freundlichen
Umfeld. Allerdings sind die infrastrukturellen und die
logistischen Voraussetzungen im ärmsten Land Europas
wesentlich schwieriger.
Da die Versorgung in Mittel- und Südalbanien besser
zu organisieren ist und dieses Gebiet auch sicherer vor
militärischen Übergriffen ist, sollen Flüchtlinge in großem Umfang vom Norden aus dorthin verlagert werden.
Dazu gilt es erneut, Lager einzurichten und teilweise die
Infrastruktur durch Pionierleistungen zu verbessern.
Deutsche Organisationen wie das Technische Hilfswerk
und die GTZ haben dort bereits etliches geleistet, aber
auch sie brauchten die Unterstützung der Bundeswehr.
Um auch in Albanien die weiteren notwendigen humanitären Hilfsleistungen erbringen zu können, soll
durch die Operation „Allied Harbour“ eine Möglichkeit geschaffen werden, mit Hilfe von etwa 8 000 Soldaten Unterstützung zu gewähren. Deutschland muß dazu einen Anteil erbringen. Dazu brauchen wir hier das
Mandat.
Auch dieser Einsatz soll wieder nach dem Subsidiaritätsprinzip erfolgen: Dort, wo internationale humanitäre Hilfsorganisationen und Nichtregierungsorganisationen Arbeiten erledigen können, werden sie nicht nur die
Möglichkeit dazu haben, sondern sollen sie diese Aufgabe vorrangig wahrnehmen. Auftrag der Bundeswehr
ist die Unterstützung dieser humanitären Hilfsorganisationen und des UNHCR.
Die eindeutig humanitäre Zielsetzung dieser Mission müßte es eigentlich auch denjenigen Kolleginnen und
Kollegen des Hauses möglich machen, diesem Mandat
zuzustimmen, die den militärischen Einsatzbeschlüssen
nicht zugestimmt haben oder mit wachsender Skepsis
gegenüberstehen. Diesen Kolleginnen und Kollegen sei
gesagt: Nicht alles, was Militär macht, ist auch militärisch. Hier geht es um Not- und Flüchtlingshilfe im
direkten und unmittelbarsten Sinne des Wortes; es geht
um direkte Hilfe für Menschen in existentieller Not. Das
müßte man doch unterstützen können.
Wichtig scheint mir auch, daß bereits jetzt darüber
nachgedacht wird, wie den Flüchtlingen mittelfristig
Schutz und Unterkunft gewährt werden kann. Selbst
wenn sich die gesamte Zielsetzung natürlich darauf
richtet, zu erreichen, daß die Flüchtlinge möglichst bald
in den Kosovo zurückkehren können, muß doch bei
einer realistischen Betrachtung davon ausgegangen werden, daß ein Großteil der Flüchtlinge noch etliche
Monate versorgt und unterstützt werden muß. Es ist undenkbar, daß die Flüchtlinge den nächsten Winter in
Zeltlagern verbringen können.
Deshalb sollte aus humanitärer Sicht schon jetzt darüber nachgedacht werden, wie nach der Sommerzeit, also im nächsten Herbst und im beginnenden Winter, für
die Flüchtlinge ausreichender Schutz in Form von Gebäuden geschaffen werden kann. Dazu gehört die Überlegung, ob es nicht notwendig ist, einen größeren Teil
dieser Personen nach Westeuropa zu bringen. Ich glaube, daß hier noch mehr getan werden könnte.
({2})
Man sollte bedenken, daß Albanien 400 000 Flüchtlinge aufgenommen hat. Das sind 12 Prozent der Bevölkerung. Dazu kann man natürlich sagen: Das sind Albaner in Albanien. Mazedonien hat 200 000 Flüchtlinge
aufgenommen. Das sind 10 Prozent der Bevölkerung.
Deutschland hat 10 000 Flüchtlinge aufgenommen. In
Relation zu unserer Einwohnerzahl sind dies 0,0125
Prozent. Da muß noch mehr getan werden können!
({3})
Es ist einfach unwürdig, daß hierüber zwischen dem
Bundesinnenminister und den Länderministern ein langer Streit geführt werden muß und sich der Bundesminister nur mühselig durchsetzen kann - und zwar nur
unter geteilter Zustimmung einiger Bundesländer -, ein
neues Kontingent für besondere Härtefälle zu schaffen,
damit noch mehr Flüchtlinge aufgenommen werden
können. Da kann und muß auch auf deutscher Seite noch
mehr getan werden.
({4})
Das Wort hat nun
der Kollege Christian Schmidt, CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Die
CDU/CSU-Fraktion wird dem vorliegenden Antrag zustimmen, aber nicht deshalb, weil er gut formuliert ist,
und schon gar nicht deshalb, weil er jetzt gestellt wird.
Dies hätte viel früher geschehen müssen.
({0})
- Ich muß darauf hinweisen; denn der Verteidigungsminister hat das Problem Nothilfe von sich aus angesprochen. Ich erinnere mich daran, daß Bundeswehrsoldaten
vor zwei Jahren im Rahmen einer Nothilfeaktion, als in
Albanien innere Unruhen bestanden - Sie erinnern sich
sicherlich daran -, mit Hubschraubern Menschen vom
Flughafen Tirana ausgeflogen haben und wir diese Aktion kurz darauf - dies war nicht anders möglich - gebilligt haben, und zwar unter den Forderungen der damaligen Opposition, man möge beachten, daß das Verfassungsgericht verlange, daß bei Nothilfe, die gefährlich
ist, vorher ein Beschluß des Parlaments herbeigeführt
werde. Deswegen hätte das heutige Thema bereits vor
sechs Wochen zur Diskussion gestellt werden müssen.
Wir stimmen dem vorliegenden Antrag zu, weil es
um die Linderung gemeiner Not und Gefahr für Leib
und Leben der Vertriebenen geht. Da stimmen wir überein. Vertriebene bzw. Flüchtlinge müssen bei uns aufgenommen und von allen unseren politischen Stellen und
privaten sowie staatlichen Organisationen im Rahmen
des Erforderlichen unterstützt werden.
In diesem Zusammenhang muß die große Spendenbereitschaft, die in unserer Bevölkerung besteht, angesprochen werden. Wir bedanken uns sehr dafür.
({1})
Woher kommt es eigentlich, daß in Deutschland ein
solch großes, ja übergroßes Maß an Bereitschaft zur
Unterstützung und zum Spenden - das kann man mit
Fug und Recht sagen - vorhanden ist? Dies hängt nach
meinem Empfinden mit unserer kollektiven Erinnerung
zusammen, damit, daß es bei uns noch sehr viele Menschen gibt, die selber wissen, wie es ist, wenn man innerhalb einer Stunde mit einem Koffer und dem NotRudolf Bindig
wendigsten am Leib Haus und Hof verlassen muß und
nicht weiß, ob man zurückkommen kann und ob man
auf der Flucht schlimme Dinge erlebt. All das, was der
Bundesverteidigungsminister zu Beginn seiner Rede geschildert hat, findet sich in Erzählungen früherer Vertriebener wieder. Die Vertreibung aus dem Kosovo ist
leider nicht die erste Vertreibung in Europa in diesem
Jahrhundert; so etwas gab es schon vor über 50 Jahren.
Dinge sind historisch nicht vollständig vergleichbar,
es handelt sich vielmehr um subjektives Empfinden. Es
ist eine Frage der politischen Debatte, wenn man eine
Intervention humanitär und moralisch mit den Menschenrechten begründet und gleichzeitig diejenigen, die
als Deutsche ebenso das Schicksal der Vertreibung erlebt haben, so an den Rand stellt, wie das diese Bundesregierung und insbesondere der Bundeskanzler tun.
({2})
Es würde dem Bundeskanzler gut anstehen, wenn er
beim Bund der Vertriebenen - das ist eine Organisation, die eine Gruppe der Bevölkerung vertritt, die sehr
großes Verständnis für das Schicksal der Menschen hat,
die heute aus Heim und Hof gesetzt werden ({3})
zur Fünfzigjahrfeier erscheinen, dort eine Rede halten
und sich für die Unterstützung bedanken würde.
({4})
Es hat sehr viel mehr miteinander zu tun, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Regierungskoalition, als
Sie das offensichtlich wahrhaben wollen.
Wir stimmen dem humanitären Auftrag zu. Wir wissen aber, daß der humanitäre Auftrag und der Auftrag zu
Luftangriffen - Angriffen der Luftwaffe und der begleitenden Einheiten - gefährliche Aufträge sind. Erlauben
Sie mir, daß ich bei dieser Gelegenheit an alle Opfer,
insbesondere an die zwei amerikanischen Piloten denke,
die vor zwei Tagen ums Leben gekommen sind. Sie
stammen aus einer Garnison in meinem Wahlkreis. Vor
ihrer Abreise hatte ich die Möglichkeit, mit dem Kommandeur zu sprechen. Das ist ein Tribut, den diese Menschen für diese Aktion zollen, der über das Vorstellbare
hinausgeht. Wir sind allen zu Dank und zu Respekt verpflichtet. Das Mitgefühl gilt den hinterbliebenen Familienangehörigen.
Der Bundesverteidigungsminister hat davon gesprochen, daß er immer davon ausgegangen ist, daß dieser
Antrag eine große Zustimmung im Parlament erhält.
Damit rechnet er auf die Rationalität der Opposition. Die
Zustimmung der Opposition, Herr Minister, ist aber
nicht selbstverständlich. Ihre Notwendigkeit muß von
seiten der Regierung schlüssig dargelegt werden, und sie
kann nicht ein Hilfsaggregat sein, weil man in seinen
eigenen Parteien Mehrheiten offensichtlich nicht ohne
Schwierigkeiten zustande bringt.
({5})
Wenn wir über Mehrheiten - nicht nur hier im Hause und über die politische Diskussion in den Parteien sprechen, dann mutet es schon etwas eigenartig an, daß sich
Herr Gysi und die Regierungsmitglieder einerseits in
heftigem Streit befinden, ich andererseits aber nicht höre, daß sich etwa in Mecklenburg-Vorpommern, wo die
beiden Parteien gemeinsam auf der Regierungsbank sitzen, irgend etwas an Konsequenzen zeigt.
({6})
Gleichzeitig geben ganze SPD-Landesverbände, wie
zum Beispiel der mir gut bekannte Landesverband Bayern, und Ministerpräsident Klimmt aus dem Saarland
Hinweise auf die Völkerrechtswidrigkeit der Aktion.
({7})
Ich greife wahllos eine Zeitung heraus. Die Berliner haben uns freundlicherweise mit der „Berliner Zeitung“
versorgt. In der gestrigen Ausgabe stand auf Seite 22
links neben einem Artikel zur Scheinselbständigkeit:
Körting fordert Stopp der Nato-Angriffe. Führende
Berliner SPD-Politiker fordern, daß der NatoEinsatz … sofort gestoppt wird.
({8})
- Er schreit „prima“.- Rechts vom Artikel über die
Scheinselbständigkeit steht:
Der Landesvorstand von Bündnis 90/Die Grünen in
Berlin fordert den sofortigen bedingungslosen
Stopp der Luftschläge gegen Jugoslawien.
Wo kommt das her? - Es ist in weiten Kreisen der die
Regierung tragenden Parteien ein Grundmißtrauen gegen die NATO vorhanden. Wir setzen ein Grundvertrauen dagegen. Lassen Sie mich das bei dieser Gelegenheit
personifizieren: Wir möchten dem gestern aus seinem
Amt ausgeschiedenen höchsten deutschen Offizier in der
NATO, dem Vorsitzenden des Militärausschusses, General Naumann, für seine kluge und verantwortungsvolle Arbeit danken. Er hat dazu beigetragen, daß das
Bündnis in den letzten sechs Wochen in der Lage war,
militärisch die Dinge umzusetzen, die politisch notwendig waren.
({9})
Ich weiß, das schmeckt Ihnen nicht. Aber wir müssen
darüber reden.
Wenn mich ein Kreisvorsitzender von Bündnis 90/
Die Grünen anschreibt, mich um Teilnahme an einer
Diskussionsveranstaltung zum Thema „NATO-Luftangriffe“ bittet und mir mitteilt, er sei ein erklärter Gegner dieser Luftangriffe und würde mich deswegen einladen, weil ich als Vertreter der CSU der einzigen
Partei angehören würde, die geschlossen hinter den
Christian Schmidt ({10})
NATO-Luftangriffen stehe, mutet das schon etwas
seltsam an.
({11})
Herr Bundesaußenminister, ich bin gerne bereit, bei
Ihrer Partei da und dort ein Wort für Sie einzulegen.
Aber die Rolle der Bundesregierung will ich nicht spielen. Das müssen Sie schon selbst machen.
Die Frage wird sein, ob das, was gestern beschlossen
worden ist - was unsere Unterstützung verdient -, dazu
führt, daß der Kurzatmigkeit in der politischen Diskussion dieser Parteien weiter Vorschub geleistet wird, weil
man damit den Begriff einer „innenpolitischen Atempause“ verbindet, oder ob man bereit ist, die Konsequenz, die der amerikanische Präsident gestern sehr
deutlich gemacht hat, mitzutragen. Der Verteidigungsminister hat das deutlich gesagt - das ist zu unterstreichen -: Es geht um parallele Aktivitäten.
Wer meint, man sei jetzt an dem Punkt angelangt, den
Druck auf Milosevic - auch den militärischen - zu vermindern, Luft aus dem Ventil zu lassen, der wird sehr
schnell merken, daß dem Bündnis und der Durchsetzung
der Ziele von NATO und der freien Welt - jetzt auch der
Russen - damit die wahre Gefahr droht. Deswegen wird
der Erklärungsbedarf der Bundesregierung gegenüber
den sie tragenden Parteien steigen.
Ich stelle mit Interesse fest und respektiere selbstverständlich, daß wir diese Beschlußempfehlung heute mit
einer großen Mehrheit dieses Hauses verabschieden
werden. Aber es geht nicht, daß Bündnis 90/Die Grünen
sagen - das hat auch der Kollege Schlauch getan -, sie
seien eine Partei, in der jeder zerrissen ist, die Partei als
Ganzes aber nicht - wunderschöne Formel -, und
gleichzeitig so tun, als unterstelle man denen, die aus
Verantwortungsbewußtsein, aber mit sehr, sehr großen
Bauchschmerzen ob der Form, ob der Darstellungen und
ob des Zeitpunktes zustimmen, sie seien diejenigen, die
hier moralisch nicht tiefer nachdenken würden.
({12})
Es geht nicht, daß Sie die Moral für sich pachten,
aber die wichtigen Entscheidungen von der Opposition
mittragen lassen.
({13})
Wir sind froh und dankbar, daß Rußland einen Weg
eingeschlagen hat, der zu einem Recht der Vereinten
Nationen führt, das allemal besser ist als alles andere.
Ich glaube, es ist hier angebracht, Kofi Annan zu danken, dem Generalsekretär der Vereinten Nationen, der in
einer für die Vereinten Nationen sehr schwierigen
Situation in einer sehr zurückhaltenden und klugen Weise agiert hat.
({14})
Ich denke, dieses G-8-Papier ist auch ein Tribut an
Kofi Annans Politik.
Die Frage, wie weit sich in diesem Sicherheitsratsmandat die Positionen der NATO und Rußlands wiederfinden werden, ist noch offen. Sie zu beantworten bleibt
Außenminister Fischer vorbehalten, dem wir dabei sehr
viel Erfolg wünschen. Diese Arbeit ist aber noch nicht
geleistet. Das ist ein Punkt, auf den ich hinweisen will,
der uns auch bei der Debatte über Ihre Antragsformulierung Sorge gemacht hat, nämlich: Wer ein VN-Mandat
anstrebt, ein Kapitel-VII-Mandat, das heißt ein Mandat,
das durchgesetzt werden kann, der geht, wenn dieses
Mandat in Belgrad nicht akzeptiert wird, über das hinaus, was wir in diesem Hause besprochen haben. Deswegen unterstreiche ich, daß alle folgenden Fragen zur
Durchsetzung eines VN-Mandats in diesem Parlament
Punkt für Punkt erörtert und beschlossen werden müssen.
Wir schlagen der Bundesregierung vor, daß sie gerade deswegen mit der Opposition in der nächsten Zeit in
intensive Informationsgespräche eintritt. Der Herr Bundesaußenminister hat das gestern angekündigt. Ich stehe
nicht an, das als positiv zu vermerken.
Einen Fehler dürfen wir nicht machen - soviel zum
Thema Kurzatmigkeit -, nämlich den Fehler von
Dayton zu wiederholen. Sie hatten von der Holbrooke/
Milosevic-Mission, vom Pakt, gesprochen, Herr Kollege. So weit will ich nicht gehen, aber Dayton ist durchaus mit dem Namen Holbrooke verbunden. Wir Europäer sollten darauf achten, daß wir die potentiellen Krisenherde - Montenegro, Mazedonien und Albanien jetzt einbeziehen und nicht in ein weiteres Stückwerk
verfallen, das uns in den nächsten Jahren womöglich
wieder Probleme bereiten könnte, die wir alle nicht
wollen.
Dahin ist es ein langer Weg. Der erste Schritt zur
Einbeziehung Rußlands, die wir immer gefordert haben - Sie wissen auch, daß sich der bayerische Ministerpräsident hier eingeschaltet hat -, ist getan. Daß sie
nun stattfindet, ist gut.
Ich habe mit dem amerikanischen Kongreßabgeordneten Weldon, der am letzten Wochenende in Wien Abgeordnete der Duma mit einer Delegation des Kongresses zusammengebracht hat, sehr engen Kontakt. In seinem Papier sind einige interessante Aspekte enthalten,
die mit dem G-8-Papier übereinstimmen.
Wir sollten die Parlamente in die Information und
Unterstützung für das gemeinsame Ziel einbeziehen.
Wenn man jedoch jemanden einbeziehen will, muß man
auch bereit sein, selbst Verantwortung zu übernehmen.
Hier ist in erster Linie die Exekutive gefragt. Sie trägt
die Verantwortung, und an der Übernahme dieser Verantwortung werden wir sie messen.
({15})
Für die Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen spricht nun Kollege Winfried
Nachtwei.
Christian Schmidt ({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Kollege Schmidt, Sie erweckten gerade den Eindruck, als
sei der Streit über die deutsche Kriegsbeteiligung
irgendwie ehrenrührig. Das Gegenteil ist der Fall.
({0})
Daß es darüber in der Gesellschaft, in den Parteien, vor
allem bei den Grünen, Streit gibt, ist notwendig und
sinnvoll für die Demokratie.
({1})
Seit Februar dauert der Vertreibungskrieg von serbischen Militärs, Sonderpolizei und Mörderbanden gegen
die kosovo-albanische Zivilbevölkerung an, und vielen
ist offensichtlich nicht bewußt, daß es dafür schon vor
einem Jahr einen Probelauf gegeben hat.
Seit sechs Wochen dauern die NATO-Luftangriffe
an, ohne daß sie die humanitäre Katastrophe stoppen,
ohne daß sie den jugoslawischen Präsidenten zum politischen Einlenken bewegen konnten.
Mit wachsender Sorge, ja Verzweiflung beobachteten
wir in den letzten Wochen die Verschärfung des Krieges
auf dem Boden und in der Luft. Nach den Erfahrungen
dieses Krieges besteht keinerlei Veranlassung, sich falsche Hoffnungen zu machen oder sich gar einem
Wunschdenken hinzugeben. Trotzdem: Die Ergebnisse
des gestrigen Außenministertreffens der G-8-Staaten
sind nicht weniger als der Durchbruch zu einem gemeinsamen Weg bei der politischen Lösung im Zusammenhang mit dem Kosovo-Krieg.
Die führenden Industrienationen und Rußland einigten sich auf die grundsätzlichen Ziele und Schritte einer
gemeinsamen Strategie. Dieser Durchbruch wird im
Vergleich zu der Situation vor einigen Wochen besonders deutlich. Jetzt ist Rußland wieder voll dabei und
trägt die Grundsätze der fünf Punkte mit.
Der Weg zurück zu den Vereinten Nationen und zu
einer eindeutigen völkerrechtlichen Absicherung der internationalen Kosovo-Politik ist vorgezeichnet. Damit
wird die Außerkraftsetzung des internationalen Gewaltverbots durch die NATO-Luftangriffe nicht ungeschehen gemacht. Deutlich wird aber der feste Wille der
Bundesregierung, diesen Ausnahmefall auf keinen Fall
zum Regelfall werden zu lassen und zu einer Stärkung
und einer Reform des Völkerrechts und der Vereinten
Nationen zurückzufinden.
({2})
An dem gestrigen Verhandlungsdurchbruch haben
viele mitgewirkt. Es ist aber - so denke ich - keine
Übertreibung, wenn ich feststelle, daß der deutsche
Außenminister Fischer daran einen ganz wesentlichen
und vorwärtstreibenden Anteil hat.
({3})
Das ganze Haus, mit allen Abgeordneten, kann Ihnen,
Herr Minister, bei der weiteren diplomatischen
Schwerstarbeit nur volle Kraft und Rückenwind auch
von denjenigen wünschen, die dem Eingreifen der
NATO sonst distanziert oder ablehnend gegenüberstehen.
Nun zum Antrag der Bundesregierung. In den Anrainerstaaten des Kosovo gibt es zur Zeit rund 700 000
Vertriebene, davon mehr als 400 000 allein in Albanien.
Die Situation der Flüchtlinge ist dramatisch; teilweise
ist die Lage nicht mehr unter Kontrolle. Zivile Hilfsorganisationen allein sind mit der Bewältigung dieser Lage völlig überfordert. Sie sind schon seit Wochen auf
militärische Unterstützung angewiesen. Ein schneller
Ausbau dieser Unterstützung ist überfällig. Notwendig
ist die schnelle Erweiterung bzw. die Neuerrichtung von
Flüchtlingslagern, notwendig ist eine medizinische Versorgung; notwendig sind schnelle und umfassende
Transporthilfen, und notwendig ist die Sicherung der
Hilfe gegen Bandenüberfälle. Die Bundeswehr verfügt
über dafür geeignete Kräfte. Ihre Entsendung ist unbedingt notwendig und unumgänglich, um die Katastrophe
auch nur einigermaßen wieder in den Griff zu bekommen und um ein Abrutschen ins Chaos zu verhindern.
In den letzten Tagen wurden völlig zu Recht kritische
Fragen an diesen neuen Bundeswehreinsatz gestellt - zu
massiv sind inzwischen die Diskussionen in der NATO
um einen möglichen Bodeneinsatz; zu naheliegend sind
die Vermutungen, daß in Wirklichkeit dafür schon Vorbereitungen im Hintergrund getroffen werden. Mit der
Kräftezusammensetzung des Bundeswehrkontingents
und mit den Formulierungen des vorliegenden Antrages
stellt die Bundesregierung aber eindeutig klar, daß diese
Kräfte nicht für einen eventuellen Bodenkrieg zur Verfügung stehen. Alles andere würde in diesem Haus auf
breiteste Ablehnung stoßen.
Die PDS lehnt die Entsendung der Bundeswehrsoldaten zum Zweck der Flüchtlingshilfe ab. Sie zeigt damit ihre fortgesetzte Ignoranz gegenüber den realen
Verhältnissen im Kosovo und in den Anrainerstaaten,
({4})
und sie setzt damit die Linie ihres Antrags zum Verteidigungshaushalt von vorgestern fort, in dem sie - das ist
den meisten wahrscheinlich nicht aufgefallen - die
Streichung der 50 Millionen DM für Maßnahmen der
Bundeswehr im Zusammenhang mit internationalen humanitären und sonstigen Einsätzen - und damit konkret
den Rückzug der deutschen SFOR-Anteile aus Bosnien
- forderte. Offenbar ist Ihnen von der PDS die Aufrechterhaltung eines pseudoantimilitaristischen Images
wichtiger als die Frage, wie die Hilfe vor Ort am besten
und schnellsten organisiert werden kann.
({5})
Schwerpunkt aller Flüchtlingshilfen ist die Hilfe vor
Ort. Alle, die die katastrophale Lage in den Anrainerstaaten wahrnehmen, wissen: Diese Länder können den
Flüchtlingszustrom nicht bewältigen; ihre Stabilität ist
akut gefährdet. Deshalb ist es nicht nur eine humanitäre
Verpflichtung, sondern auch ein Gebot europäischer
Stabilitätspolitik, schnell eine größere Zahl von Flüchtlingen in den europäischen Staaten aufzunehmen. Vor
diesem Hintergrund ist die Haltung vieler europäischer
Staaten, nur äußerst zögerlich Flüchtlinge aufzunehmen,
völlig kurzsichtig.
({6})
Die reale Abschottungspolitik der anderen kann aber
keine Rechtfertigung dafür sein, sich hierzulande gegen
die Aufnahme weiterer Flüchtlinge zu stellen, wie es die
CDU-Innenminister in den zurückliegenden Tagen getan
haben. Ein solches Verhalten widerspricht voll und ganz
der humanitären Dimension, die für den Einsatz und das
Eingreifen der internationalen Gemeinschaft im Kosovo
ansonsten völlig zu Recht in Anspruch genommen wird.
({7})
Zum Schluß möchte ich noch auf eine Seite der
Flüchtlingspolitik zu sprechen kommen, die viel zuwenig bedacht wird. Zu Recht verweist die Bundesregierung - und eben gerade auch Minister Scharping - auf
die großen Rekrutierungsprobleme und die hohe Desertionsrate der jugoslawischen Armee als Zeichen für
Risse im serbischen Militärapparat. Aber warum wird
das nur positiv vermerkt? Warum wird nicht auch alles
dafür, eben für die Zersetzung des serbischen Vertreibungsapparates, getan?
({8})
Längst überfällig ist deshalb das Angebot der europäischen Staaten an die Deserteure der jugoslawischen Armee, sie aufzunehmen und ihnen Asyl zu gewähren.
({9})
Wir fordern die Bundesregierung auf, dazu die notwendigen Schritte zu tun und auch mit gutem Beispiel voranzugehen.
Es geht darum, Krieg und Vertreibung zu stoppen, die
sichere Rückkehr der Vertriebenen in ihre Heimat zu
ermöglichen und die akute Not der Vertriebenen zu lindern. Dafür ist der heutige Beschluß ein notwendiger
und unverzichtbarer Beitrag. Dafür ist die gestrige Einigung der G-8-Staaten ein hoffnungsvolles Zeichen.
Danke schön.
({10})
Das Wort hat nun
Kollege Paul Breuer, CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine
Damen und Herren! Wenn die CDU/CSU dem von der
Bundesregierung vorgelegten Antrag auf deutsche Beteiligung an der humanitären Hilfe im Zusammenhang
mit dem Kosovo-Konflikt, zu erbringen vorwiegend in
Albanien - aber der Antrag bezieht sich auch auf Mazedonien -, zustimmt, dann tun wir dies aus zwei
Gründen.
Der erste Grund: Es ist überhaupt nicht zu übersehen,
daß Albanien und Mazedonien mit dem kaum vorstellbaren Elend der Flüchtlinge, der Vertriebenen und ihrer
unvorstellbar großen Zahl, dem menschlichen Elend
nicht fertig werden können, auch nicht zusammen mit
den internationalen Hilfsorganisationen, die trotz großer
finanzieller Hilfen dies ebenfalls nicht leisten können,
weil sie einer Unterstützung seitens der NATO, die sie
ja auch wünschen, bedürfen. Das ist der eine Grund,
warum wir zustimmen.
Der zweite Grund, warum wir zustimmen, ist, daß
glaubwürdig nachgewiesen ist, daß dieser Einsatz unseren Kriterien dafür entspricht, eine Eskalation dieses
Konflikts zu vermeiden.
({0})
Herr Kollege Bindig, Sie haben soeben eine interessante Formulierung benutzt. Sie haben - ich weiß nicht,
an welchen Kollegen Sie das adressierten - gesagt, nicht
alles, was Militär sei oder was Militär mache, sei notwendigerweise militärisch. Man muß sich einmal überlegen, was Sie damit gesagt haben und wie das im Zusammenhang mit der Fragestellung, um die es hier geht,
zu bewerten ist.
Wenn Sie sich mit internationalen Hilfsorganisationen beschäftigen - ich weiß, Sie tun es - oder auch mit
deutschen Hilfsorganisationen, zum Beispiel dem Deutschen Roten Kreuz, dann werden Sie dort zu hören bekommen - Sie haben es mit Sicherheit schon gehört -,
daß es wegen der Entwicklung der bedauerlichen
Kriegsszenarien innerhalb von Staaten, wegen der ethnischen, der religiös oder wie auch immer motivierten
Probleme zunehmend notwendig erscheint, daß die
Hilfsorganisationen von militärischer Seite unterstützt
werden. Das hat man in der Vergangenheit für völlig
unvorstellbar gehalten.
Wir haben schon mehrfach festgestellt, daß gerade
militärische Organisationen hier Entscheidendes leisten
können. Auch die Bundeswehr kann das. Dafür müssen
wir uns bei den Soldaten der Bundeswehr, die das aus
dem Stand können, herzlich bedanken. Gerade die Bundeswehr ist im Bereich der humanitären Hilfe, die
eigentlich nicht ihre Hauptaufgabe ist, zu großen Leistungen befähigt.
({1})
Kollege Breuer, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Sehr gern.
Herr Kollege Breuer, Sie
haben wie der Kollege Bindig die Zusammenarbeit zwiWinfried Nachtwei
schen den staatlichen und nichtstaatlichen Organisationen bei der Hilfe für die Menschen in Not vor Ort angesprochen. Ich teile Ihre Ausführungen, daß uns die Hilfe
der jeweiligen Organisation, aber auch die Zusammenarbeit dieser beiden Organisationstypen bei der Hilfe vor
absolut neue und absolut ungewöhnliche Herausforderungen stellt. Aber darf ich Sie angesichts der These, die
der Kollege Bindig aufgestellt hat, fragen, ob auch Ihnen
das Problem bewußt ist - und, wenn ja, was Sie davon
halten -, daß die Bundeswehr auf der einen Seite in einen internationalen bewaffneten Konflikt involviert ist
und auf der anderen Seite eine Hilfsorganisation wie das
Rote Kreuz, das international tätig ist, zur Neutralität
verpflichtet ist? Diese Verhältnisse implizieren Möglichkeiten, aber auch Grenzen der Zusammenarbeit. Genau darauf wollte der Kollege Bindig hinweisen.
Herr Kollege Kröning, ich
stimme Ihnen zu, daß die internationalen Hilfsorganisationen Wert darauf legen müssen - aus den Gründen, die
Sie beschrieben haben -, Grenzen zu ziehen. Aber ich
möchte Wert darauf legen, festzustellen, daß die notwendige Hilfe für die Menschen angesichts der Umstände, die jetzt in diesen Ländern herrschen, ohne eine militärische Organisation überhaupt nicht mehr geleistet
werden kann. Wenn die NATO nicht in der Lage wäre hier stimmen Sie sicherlich mit mir überein -, im Rahmen des Projekts „Allied Harbour“ zusammen mit
NATO-Staaten und Nicht-NATO-Staaten Hilfe zu organisieren - hier ist die Teilnahme der Bundeswehr ein
wichtiger Baustein -, dann wäre niemand in Europa in
der Lage, den Menschen dort zu helfen.
In diesem Zusammenhang fällt natürlich ein Widerspruch auf, auf dessen Darstellung ich nicht verzichten
kann. Minister Scharping hat in seiner Rede vorhin darauf hingewiesen, daß die Hilfe dringlich sei. Ich stimme
ihm zu. Aber wenn ich mir anschaue, seit wann über
diese Hilfe und den deutschen Beitrag diskutiert wird,
dann muß ich feststellen, daß von Dringlichkeit gar
keine Rede sein kann. Ich habe nachgeschaut, wann Minister Scharping über den deutschen Beitrag zum erstenmal öffentlich gesprochen hat. Ich habe eine Meldung der Nachrichtenagentur „AFP“ gefunden, die von
Anfang April datiert ist. Am 20. April dieses Jahres
sprach der Fraktionsvorsitzende der SPD, Herr Struck,
davon, daß noch in der Woche um den 20. April herum
ein Beschluß des Deutschen Bundestages - er rechnete
mit einer großen Mehrheit - erfolgen werde.
Heute schreiben wir den 7. Mai 1999. Es sind also
rund sechs Wochen vergangen, nachdem zum erstenmal
über die Gewährleistung der Hilfe gesprochen worden
ist. Was ist eigentlich aus der Dringlichkeit geworden?
Es ist nicht verborgen geblieben - das läßt sich auch gar
nicht verbergen -, daß es nicht etwa an organisatorischen Fragestellungen oder an Abstimmungsproblemen
mit der NATO gelegen hat, daß die dringliche Hilfe
nicht früher geleistet werden konnte. Nein, Sie haben
sich durch parteitaktische und koalitionstaktische Überlegungen daran hindern lassen, früher einen Beschluß im
Deutschen Bundestag herbeizuführen. Man kann Ihnen
also den Vorwurf nicht ersparen, daß Ihnen Ihre Parteiund Koalitionstaktik offenbar wichtiger war als die Hilfe
für die notleidenden Menschen in der betroffenen Region. Diesen Vorwurf kann man Ihnen wirklich nicht ersparen.
({0})
- Ich bin sehr gern dazu bereit, das genauestens zu analysieren.
({1})
- Ich habe es doch schon getan, verehrter Herr Kollege.
- Ich bin auch davon überzeugt, daß der dafür Verantwortliche mit Sicherheit nicht Verteidigungsminister
Scharping ist. Das wissen auch Sie ganz genau. Es sind
ganz andere, die dabei eine Rolle spielen. Sie können
von der Opposition, deren Aufgabe die Kontrolle der
Regierung ist, nicht verlangen, darauf zu verzichten,
diesen Sachverhalt darzustellen.
({2})
- Es ist offensichtlich, daß Sie eine gewisse Nervosität
an den Tag legen, wenn man über Dinge redet, die der
Wahrheit entsprechen.
({3})
Dieses zögerliche Vorgehen hatte aber auch noch den
zweiten Effekt, daß Unsicherheiten in der politischen Debatte über die Vorlage entstanden sind. In die Vorlage
sind, zum Teil öffentlich, Dinge hineininterpretiert worden, für die die Formulierungen in der Vorlage keinerlei
Grundlage bieten. In deutschen Zeitungen war zu lesen,
daß die Beteiligung Deutschlands an diesem Projekt der
NATO zur humanitären Hilfe, „Allied Harbour“, so etwas
wie ein fließender Übergang in einen Bodenkrieg sei.
Kollege Breuer, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Brecht?
Ja, nach diesem Satz sehr
gern.
Wir haben den Antrag intensiv geprüft. Der Vorwurf,
dieser humanitäre Einsatz biete einen fließenden Übergang in einen Bodenkrieg, ist völlig unsinnig. Aber die
zögerliche Vorlage hat vor dem Hintergrund, den ich
eben dargestellt habe, einen Beitrag dazu geleistet, so
etwas in sie hineinzuinterpretieren. Diesen Vorwurf
kann man Ihnen nicht ersparen.
({0})
Kollege Brecht.
Herr Kollege Breuer,
ich möchte auf Ihre ungeheuerliche Behauptung zurückVolker Kröning
kommen, es sei zu einer Verzögerung der Entscheidung
aus einem parteipolitischen Kalkül gekommen. Unterstellen Sie mit vollem Ernst einem führenden Sozialdemokraten oder einem führenden Grünen, eine notwendige Hilfeleistung - es geht um verfolgte Menschen, die
versorgt werden müssen - zu unterlassen, nur um innenpolitisch einen Vorteil zu erreichen?
Geschätzter Herr Kollege,
wie erklären Sie es sich denn, daß über diesen Einsatz
seitens des verantwortlichen Ministers seit Anfang April
- ich lege Ihnen alle Meldungen der Nachrichtenagenturen vor - gesprochen wird und daß am 20. April Ihr
Fraktionsvorsitzender, Herr Struck, in einem Pressegespräch unaufgefordert erklärt hat, es stünden ein Kabinettsbeschluß - für den darauffolgenden Tag - und ein
Bundestagsbeschluß bevor, um diesen Einsatz herbeizuführen? Seitdem ist nichts mehr geschehen, bis die Regierung in dieser Woche diesen Antrag überfallartig eingebracht hat. Die Gründe dafür können doch nicht in der
Sache liegen, werter Herr Kollege.
({0})
Im Hintergrund stehen koalitionstaktische Erwägungen, die wichtiger als die Orientierung an der Dringlichkeit der Angelegenheit waren.
({1})
Das heißt, daß diejenigen, die diese Politik betreiben, die
Vertreter dieser Koalition - ich denke, daß Verteidigungsminister Scharping nicht der Hauptverantwortliche
für die Verzögerung ist -, den Rücken nicht mehr so frei
haben, wie es notwendig ist. Man muß dazu in der Lage
sein, sich jeweils an der Sache zu orientieren. Es ist bedauerlich, daß es bei Ihnen so weit gekommen ist, daß
dies nicht mehr möglich ist.
Nehmen Sie zur Kenntnis - da sollten Sie dankbar
sein -, daß sich die Opposition - ich spreche hier für die
größte Oppositionsfraktion, für die CDU/CSU - nicht an
parteitaktischen Erwägungen orientiert,
({2})
sondern dazu bereit ist, Verantwortung zu übernehmen das gilt ja auch für die F.D.P., wie wir es vorhin gehört
haben -, obwohl in der deutschen Öffentlichkeit nicht zu
Unrecht eine große Sensibilität gegenüber diesen Fragestellungen vorhanden ist.
({3})
Seien Sie gewiß, daß es der deutschen Öffentlichkeit gar
nicht verborgen bleiben kann, daß das, was im Zusammenhang mit dieser Entscheidung bei Ihnen geschieht,
nicht sachlich orientiert ist.
Meine Damen und Herren, ich bin davon überzeugt,
daß der von dem an sich in Heidelberg stationierten Stab
organisierte Einsatz der NATO im Rahmen der humanitären Hilfsaktion „Allied Harbour“ in Albanien dazu
geeignet ist, den Menschen, den Vertriebenen und
Flüchtlingen, bei der Abwendung und Vermeidung von
Elend zu helfen. Ich bin davon überzeugt, daß die rechtlichen Kriterien, die in den Antrag der Bundesregierung
eingebaut sind, dazu geeignet sind und auch die Sicherheit bieten, daß eine unkontrollierte Eskalation vermieden wird.
Gleichwohl ist dieser Einsatz, auch der der deutschen
Soldaten, nicht völlig ungefährlich. Deswegen sind wir
dankbar dafür, daß sich deutsche Soldaten an diesem
Einsatz beteiligen. Wir sagen Ihnen aber gleichzeitig:
Gehen Sie sorgfältig bei diesem Einsatz vor! Auch wir
sind sorgfältig. Das haben wir in dieser Beratung gezeigt.
Ich bedanke mich.
({4})
Das Wort hat nun
der Kollege Reinhold Robbe, SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr
verehrten Damen und Herren! Vorweg ein Wort zum
Kollegen Breuer. Lieber Kollege Breuer, einerseits haben Sie unseren Soldatinnen und Soldaten für ihren Einsatz und für ihre Bereitschaft, all das, was sich im
Augenblick auf dem Balkan abspielt, mitzutragen, gedankt. Ich habe aber wenig Verständnis dafür - erlauben
Sie mir, das ganz offen zu sagen -, wenn diese Debatte
andererseits, während jetzt gerade die Angehörigen dieser Soldaten, ihre Frauen und die sonstigen Angehörigen, an den Fernsehgeräten diese Debatte verfolgen, von
unverständlicher Polemik begleitet wird.
({0})
Ich habe dafür, ehrlich gesagt, kein Verständnis. Wir
müssen sehr viel Sensibilität bei diesem Thema und
auch bei der Beratung des heutigen Antrags an den Tag
legen.
Als ich vor nunmehr etwa fünf Jahren als noch relativ
junger Abgeordneter in den Deutschen Bundestag gewählt wurde, habe ich es nicht einmal andeutungsweise
für möglich gehalten, daß ich mich bereits ein Jahr später mit Fragen auseinanderzusetzen hatte, bei denen es
nicht um die übliche parlamentarische Beratung irgendeines Themas ging, sondern schlichtweg um die schwierigste Entscheidung in meinem bisherigen politischen
Leben. 1995 ging es in diesem Hohen Hause um den ersten Einsatz der Bundeswehr in Ex-Jugoslawien. Ich
werde diese bewegende und in jeder Hinsicht aufregende Zeit niemals vergessen.
Wir wurden vor die Frage gestellt, ob es zu verantworten sei, dem schrecklichen Treiben eines furchtbaren
und skrupellosen Diktators Namens Milosevic weiterhin
tatenlos zuzuschauen oder ob wir uns nicht vielmehr
gemeinsam mit unseren Verbündeten daran beteiligen
sollten, dem Massenmorden, der tausendfachen Vertreibung und der elementaren Verletzung von MenschenDr. Eberhard Brecht
rechten ein Ende zu bereiten. Ich habe noch heute plastisch vor Augen, wie innerlich zerrissen meine damals
eigene Fraktion, ja eigentlich das gesamte Parlament
war. Auch wenn wir uns im klaren darüber waren, daß
die Bundeswehr bei früheren Einsätzen, beispielsweise
in Kambodscha oder in Somalia, gewisse Erfahrungen
mit Auslandseinsätzen vorzuweisen hatte, so standen wir
damals in der Bosnien-Frage doch zum erstenmal vor
einem elementaren Problem, unsere Soldaten in ein vom
Bürgerkrieg verwüstetes Land zu schicken, was mit
vielen Risiken für die Gesundheit und sogar mit Risiken
für Leib und Leben der Soldaten verbunden war.
Heute können wir ermessen und bewerten, wie richtig
es 1995 war, die rechtlichen Voraussetzungen für den
Bosnien-Einsatz zu schaffen. Wer einmal die Gelegenheit ergreifen konnte - wie viele das gemacht haben -,
in Rajlovac, Trogir oder Mostar vor Ort anzuschauen,
was unsere Armee an segensreicher Arbeit bei der Friedenssicherung im Land und vor allen Dingen beim Wiederaufbau im Rahmen der humanitären Hilfe leistet, der
wird mir beipflichten, wenn ich feststelle: Diese Armee,
diese deutsche Bundeswehr, erfüllt ihren militärischen
Auftrag in vorbildlicher Weise.
({1})
Gerade die Menschen in Bosnien schätzen unsere
Soldaten als Friedensbotschafter, die nicht nur für die
Sicherheit der Menschen sorgen, sondern in einem ganz
erheblichen Maße beim Bau von Brücken, Schulen,
Krankenhäusern und Straßen helfen. Unabhängig davon
haben die Sanitäter in vielen Notfällen ohne besonderen
Auftrag Menschenleben gerettet.
Weshalb, so werden Sie jetzt vielleicht fragen, ist diese Rückblende auf die Entwicklung in Bosnien von Bedeutung? Schließlich geht es in unserer heutigen Debatte
um die deutsche Beteiligung an der humanitären Hilfe
im Zusammenhang mit dem Kosovo-Konflikt. Nun, der
Rückblick ist aus meiner Sicht deshalb wichtig, weil die
furchtbaren Geschehnisse im Kosovo die traurige Fortsetzung dessen sind, was seinerzeit in Sarajevo begonnen hat. Da mag es dann für den einen oder anderen
Historiker oder Publizisten interessant und wichtig sein,
die Versäumnisse des Dayton-Abkommens immer und
immer wieder zu thematisieren und in diesem Zusammenhang auch nach Verantwortlichkeiten bei uns und
anderswo zu suchen. In der ganz konkreten aktuellen
Situation und vor dem Hintergrund der Tatsache, daß
Zehntausenden von Flüchtlingen und unschuldigen
Zivilisten möglichst sofort und wirksam geholfen werden muß, spielt diese Diskussion über mögliche Versäumnisse oder theoretische Planspielchen eine nach
meiner Auffassung untergeordnete Rolle.
({2})
Was dieses Parlament letztlich in seiner ganz überwiegenden Mehrheit bewogen hat, für die Beendigung
von Völkermord und ethnischer Säuberung zu stimmen,
ist unsere humanitäre Verpflichtung gegenüber denen,
die sich selber nicht helfen und schützen können. Diese
humanitäre Verpflichtung, die sich in erster Linie aus
den Menschenrechten ableitet, bildet auch die Grundlage
für den heutigen Antrag der Bundesregierung im Hinblick auf die deutsche Beteiligung an der humanitären
Hilfe.
Die deutsche Bevölkerung begleitet das Geschehen in
der Balkan-Region mit unbeschreiblich großer innerer
Anteilnahme. Nicht zuletzt deshalb konnte bis zum heutigen Tage so viel an Geld- und auch an Sachspenden
für die verfolgten und bedrohten Menschen im Kosovo
gesammelt werden. Hilfsbereitschaft und das Mitleiden
unserer Bevölkerung gehen weit über das hinaus, was in
anderen Ländern in diesem Zusammenhang beobachtet
werden kann. Deshalb sei an dieser Stelle der deutschen
Bevölkerung ebenso wie den vielen staatlichen und
nichtstaatlichen Hilfsorganisationen - hier wiederum
ganz besonders den Kirchen - ganz herzlich gedankt.
({3})
All diese Organisationen sorgen gemeinsam mit unserer
Bundeswehr dafür, daß diese Hilfe den von der Verfolgung und Mißhandlung gezeichneten Flüchtlingen
schnell und unbürokratisch auf direktem Wege zukommt.
Eines muß jedoch ganz unmißverständlich und klar
an dieser Stelle festgestellt werden: Ohne die Bundeswehr und ohne unsere NATO-Verbündeten könnte keinem einzigen Flüchtling geholfen werden. Im Bewußtsein unserer Verantwortung und Fürsorgepflicht gegenüber den Soldaten dürfen wir zu keiner Zeit vergessen,
wie hoch das Gefährdungspotential im Kosovo selber,
aber auch in den Anrainerstaaten ist. Wer in dieser Region Hilfe leisten will, muß gleichzeitig den umfassenden Schutz der Helfer sicherstellen. Nicht zuletzt deshalb enthält der vorliegende Antrag neben der Aufzählung der geplanten humanitären Hilfsleistungen auch
einen Abschnitt über die Gefahrenabwehr und über das
Recht der Soldaten auf Nothilfe.
Ich meine, daß es legitim sein muß, wenn man gerade
über den Passus der Nothilfe sehr ausführlich diskutiert
und sich umfassend Gedanken macht. Deshalb spielt es
nach meiner Auffassung überhaupt keine Rolle, ob ein
solcher Antrag einen Tag früher oder später vorgelegt
wird. Das ist völlig nebensächlich.
({4})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, alle deutschen Soldaten, die auf der Grundlage des vorliegenden
Antrages im Kosovo ihre Pflicht tun werden, dürfen
sicher sein, daß nicht nur eine knappe Mehrheit, sondern
der Deutsche Bundestag fast geschlossen den Antrag
und damit den Einsatz befürwortet. Das ist der beste
Vertrauens- und Solidaritätsbeweis für die Bundeswehr,
für die Soldaten.
Herzlichen Dank.
({5})
Ich schließe die Aus-
sprache.
Bevor wir zur Abstimmung kommen, möchte ich mittei-
len, daß mir eine Reihe von Erklärungen zur Abstimmung
nach § 31 der Geschäftsordnung vorliegen:*) eine Erklärung
von Konrad Gilges und weiteren 61 Abgeordneten von SPD
und Bündnis 90/Die Grünen, eine Erklärung von Annelie
Buntenbach und weiteren sechs Abgeordneten der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen, eine Erklärung von Klaus Barthel
und weiteren zwei Abgeordneten der SPD, eine Erklärung
von Harald Friese und weiteren drei Abgeordneten der SPD,
einzelne Erklärungen der Kollegen Günter Nooke, Karl
Lamers und Claudia Roth.
Wir kommen nun zur Abstimmung über die Be-
schlußempfehlung des Auswärtigen Ausschusses zum An-
trag der Bundesregierung zur deutschen Beteiligung an der
humanitären Hilfe im Zusammenhang mit dem Kosovo-
Konflikt, Drucksache 14/982. Der Auswärtige Ausschuß
empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 14/912 anzunehmen.
Die Fraktion der SPD verlangt namentliche Abstimmung.
Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die vor-
gesehenen Plätze einzunehmen. Sind alle Urnen besetzt? -
Das ist der Fall. Ich eröffne die Abstimmung. -
Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine
Stimme nicht abgegeben hat? - Das ist offensichtlich
nicht der Fall. Ich schließe die Abstimmung und bitte
die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Aus-
zählung zu beginnen. Das Ergebnis der Abstimmung
wird Ihnen später bekanntgegeben.
Wir kommen nun zur Abstimmung über den Ent-
schließungsantrag der Fraktion der PDS auf Drucksache
14/997. Die Fraktion der PDS verlangt namentliche Ab-
stimmung. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schrift-
führer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen. Sind alle
Urnen besetzt? - Das ist der Fall. Ich eröffne die zweite
namentliche Abstimmung. -
----------
*) Anlagen 2 bis 5
Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine
Stimme nicht abgegeben hat? - Das ist offensichtlich
nicht der Fall. Ich schließe die Abstimmung und bitte
die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Aus-
zählung zu beginnen. Das Ergebnis der Abstimmung
wird Ihnen später bekanntgegeben.*)
Es folgt nun die Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Auswärtigen Ausschusses zum
Entschließungsantrag der PDS zu der Abgabe einer
Regierungserklärung des Bundeskanzlers zur aktuellen Lage im Kosovo; Drucksache 14/865. Der Ausschuß empfiehlt, den Entschließungsantrag auf
Drucksache 14/755 abzulehnen. Wer stimmt für diese
Beschlußempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Damit ist diese Beschlußempfehlung mit
den Stimmen der SPD, der CDU/CSU, von Bündnis 90/Die Grünen und der F.D.P. gegen die Stimmen
der PDS angenommen.
Ich unterbreche jetzt die Sitzung bis zur Bekanntgabe
der Ergebnisse der namentlichen Abstimmungen.
({0})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir setzen unsere
Beratungen fort.
Ich gebe das von den Schriftführern ermittelte Er-
gebnis der namentlichen Abstimmung über die Be-
schlußempfehlung des Auswärtigen Ausschusses zu dem
Antrag der Bundesregierung zur deutschen Beteili-
gung an der humanitären Hilfe im Zusammenhang mit
dem Kosovo-Konflikt auf den Drucksachen 14/912 und
14/982 bekannt.
Abgegebene Stimmen 616. Mit Ja haben gestimmt
566, mit Nein haben gestimmt 43, Enthaltungen 7. Die
Beschlußempfehlung ist damit angenommen.
----------
*) Seite 3412 C
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 614;
davon:
ja: 565
nein: 42
enthalten: 7
Ja
CDU/CSU
Ulrich Adam
Peter Altmaier
Dietrich Austermann
Norbert Barthle
Günter Baumann
Brigitte Baumeister
Dr. Sabine Bergmann-Pohl
Otto Bernhardt
Hans-Dirk Bierling
Dr. Joseph-Theodor Blank
Renate Blank
Dr. Heribert Blens
Peter Bleser
Friedrich Bohl
Sylvia Bonitz
Wolfgang Bosbach
Klaus Brähmig
Dr. Ralf Brauksiepe
Monika Brudlewsky
Georg Brunnhuber
Klaus Bühler ({1})
Hartmut Büttner
({2})
Dankward Buwitt
Cajus Caesar
Peter H. Carstensen
({3})
Leo Dautzenberg
Albert Deß
Renate Diemers
Thomas Dörflinger
Marie-Luise Dött
Maria Eichhorn
Rainer Eppelmann
Anke Eymer
Ilse Falk
Dr. Hans Georg Faust
Ulf Fink
Ingrid Fischbach
Dirk Fischer ({4})
Axel E. Fischer ({5})
Herbert Frankenhauser
Dr. Gerhard Friedrich
({6})
Dr. Hans-Peter Friedrich
({7})
Erich G. Fritz
Hans-Joachim Fuchtel
Dr. Jürgen Gehb
Norbert Geis
Dr. Heiner Geißler
Georg Girisch
Michael Glos
Dr. Reinhard Göhner
Dr. Wolfgang Götzer
Kurt-Dieter Grill
Hermann Gröhe
Manfred Grund
Carl-Detlev Freiherr von
Hammerstein
Gottfried Haschke
({8})
Gerda Hasselfeldt
Norbert Hauser ({9})
Hansgeorg Hauser
({10})
Ursula Heinen
Manfred Heise
Siegfried Helias
Hans Jochen Henke
Ernst Hinsken
Peter Hintze
Klaus Hofbauer
Klaus Holetschek
Josef Hollerith
Dr. Karl-Heinz Hornhues
Siegfried Hornung
Joachim Hörster
Hubert Hüppe
Peter Jacoby
Georg Janovsky
Dr.-Ing. Rainer Jork
Dr. Harald Kahl
Bartholomäus Kalb
Steffen Kampeter
Dr. Dietmar Kansy
Manfred Kanther
Irmgard Karwatzki
Volker Kauder
Eckart von Klaeden
Ulrich Klinkert
Manfred Kolbe
Norbert Königshofen
Eva-Maria Kors
Hartmut Koschyk
Thomas Kossendey
Rudolf Kraus
Dr. Martina Krogmann
Dr. Paul Krüger
Dr. Hermann Kues
Dr. Karl A. Lamers
({11})
Dr. Norbert Lammert
Dr. Paul Laufs
Karl-Josef Laumann
Vera Lengsfeld
Werner Lensing
Peter Letzgus
Ursula Lietz
Walter Link ({12})
Eduard Lintner
Dr. Klaus Lippold
({13})
Dr. Manfred Lischewski
Wolfgang Lohmann
({14})
Julius Louven
Dr. Michael Luther
Erich Maaß ({15})
Dr. Martin Mayer
({16})
Wolfgang Meckelburg
Dr. Michael Meister
Dr. Angela Merkel
Friedrich Merz
Hans Michelbach
Meinolf Michels
Dr. Gerd Müller
Bernward Müller ({17})
Elmar Müller ({18})
Günter Nooke
Franz Obermeier
Friedhelm Ost
Eduard Oswald
Norbert Otto ({19})
Dr. Peter Paziorek
Anton Pfeifer
Dr. Friedbert Pflüger
Beatrix Philipp
Ronald Pofalla
Ruprecht Polenz
Marlies Pretzlaff
Dieter Pützhofen
Thomas Rachel
Dr. Peter Ramsauer
Helmut Rauber
Peter Rauen
Christa Reichard ({20})
Katherina Reiche
Erika Reinhardt
Klaus Riegert
Dr. Heinz Riesenhuber
Franz Romer
Hannelore Rönsch
({21})
Heinrich-Wilhelm Ronsöhr
Dr. Klaus Rose
Kurt Rossmanith
Adolf Roth ({22})
Dr. Christian Ruck
Anita Schäfer
Dr. Wolfgang Schäuble
Hartmut Schauerte
Heinz Schemken
Gerhard Scheu
Dietmar Schlee
Bernd Schmidbauer
Christian Schmidt ({23})
Dr.-Ing. Joachim Schmidt
({24})
Andreas Schmidt ({25})
Birgit Schnieber-Jastram
Dr. Andreas Schockenhoff
Reinhard Freiherr von
Schorlemer
Dr. Erika Schuchardt
Wolfgang Schulhoff
Clemens Schwalbe
Dr. Christian SchwarzSchilling
Wilhelm - Josef Sebastian
Horst Seehofer
Heinz Seiffert
Rudolf Seiters
Werner Siemann
Bärbel Sothmann
Margarete Späte
Wolfgang Steiger
Erika Steinbach
Dr. Wolfgang Freiherr von
Stetten
Andreas Storm
Dorothea Störr-Ritter
Max Straubinger
Matthäus Strebl
Thomas Strobl
Michael Stübgen
Dr. Rita Süssmuth
Dr. Susanne Tiemann
EdeltrautTöpfer
Gunnar Uldall
Arnold Vaatz
Andrea Voßhoff
Dr. Theodor Waigel
Peter Weiß ({26})
Gerald Weiß ({27})
Annette Widmann-Mauz
Heinz Wiese ({28})
Hans-Otto Wilhelm ({29})
Klaus-Peter Willsch
Werner Wittlich
Dagmar Wöhrl
Elke Wülfing
Peter Kurt Würzbach
Wolfgang Zeitlmann
Wolfgang Zöller
SPD
Brigitte Adler
Gerd Andres
Rainer Arnold
Hermann Bachmaier
Ernst Bahr
Doris Barnett
Dr. Hans-Peter Bartels
Eckhardt Barthel ({30})
Ingrid Becker-Inglau
Dr. Axel Berg
Hans-Werner Bertl
Friedhelm Julius Beucher
Petra Bierwirth
Lothar Binding ({31})
Kurt Bodewig
Klaus Brandner
Anni Brandt-Elsweier
Willi Brase
Rainer Brinkmann ({32})
Bernhard Brinkmann
({33})
Hans-Günter Bruckmann
Edelgard Bulmahn
Ursula Burchardt
Hans Martin Bury
Hans Büttner ({34})
Marion Caspers-Merk
Wolf-Michael Catenhusen
Dr. Peter Danckert
Dr. Herta Däubler-Gmelin
Karl Diller
Peter Dreßen
Rudolf Dreßler
Detlef Dzembritzki
Dieter Dzewas
Dr. Peter Eckardt
Ludwig Eich
Marga Elser
Peter Enders
Gernot Erler
Petra Ernstberger
Annette Faße
Lothar Fischer ({35})
Gabriele Fograscher
Iris Follak
Norbert Formanski
Rainer Fornahl
Hans Forster
Dagmar Freitag
Lilo Friedrich ({36})
Anke Fuchs ({37})
Arne Fuhrmann
Monika Ganseforth
Konrad Gilges
Iris Gleicke
Günter Gloser
Uwe Göllner
Günter Graf ({38})
Angelika Graf ({39})
Dieter Grasedieck
Monika Griefahn
Achim Großmann
Wolfgang Grotthaus
Karl Hermann Haack
({40})
Hans-Joachim Hacker
Klaus Hagemann
Manfred Hampel
Christel Hanewinckel
Alfred Hartenbach
Klaus Hasenfratz
Nina Hauer
Hubertus Heil
Reinhold Hemker
Frank Hempel
Rolf Hempelmann
Dr. Barbara Hendricks
Monika Heubaum
Reinhold Hiller ({41})
Stephan Hilsberg
Gerd Höfer
Jelena Hoffmann ({42})
Walter Hoffmann
({43})
Iris Hoffmann ({44})
Frank Hofmann ({45})
Ingrid Holzhüter
Eike Hovermann
Christel Humme
Lothar Ibrügger
Barbara Imhof
Brunhilde Irber
Gabriele Iwersen
Renate Jäger
Jann-Peter Janssen
Ilse Janz
Dr. Uwe Jens
Volker Jung ({46})
Johannes Kahrs
Ulrich Kasparick
Sabine Kaspereit
Susanne Kastner
Klaus Kirschner
Marianne Klappert
Siegrun Klemmer
Hans-Ulrich Klose
Fritz Rudolf Körper
Karin Kortmann
Anette Kramme
Nicolette Kressl
Angelika Krüger-Leißner
Horst Kubatschka
Ernst Küchler
Helga Kühn-Mengel
Ute Kumpf
Konrad Kunick
Dr. Uwe Küster
Werner Labsch
Christine Lambrecht
Brigitte Lange
Christian Lange ({47})
Präsident Wolfgang Thierse
Detlev von Larcher
Waltraud Lehn
Robert Leidinger
Klaus Lennartz
Dr. Elke Leonhard
Eckhart Lewering
Erika Lotz
Dr. Christine Lucyga
Dieter Maaß ({48})
Winfried Mante
Dirk Manzewski
Tobias Marhold
Lothar Mark
Christoph Matschie
Ingrid Matthäus-Maier
Heide Mattischeck
Markus Meckel
Ulrike Mehl
Ulrike Merten
Angelika Mertens
Dr. Jürgen Meyer ({49})
Ursula Mogg
Siegmar Mosdorf
Jutta Müller ({50})
Christian Müller ({51})
Franz Müntefering
Andrea Nahles
Volker Neumann
({52})
Gerhard Neumann ({53})
Dr. Edith Niehuis
Dr. Rolf Niese
Dietmar Nietan
Günter Oesinghaus
Eckhard Ohl
Leyla Onur
Manfred Opel
Holger Ortel
Adolf Ostertag
Kurt Palis
Albrecht Papenroth
Dr. Willfried Penner
Dr. Martin Pfaff
Georg Pfannenstein
Johannes Pflug
Dr. Eckhart Pick
Joachim Poß
Karin Rehbock-Zureich
Margot von Renesse
Renate Rennebach
Bernd Reuter
Dr. Edelbert Richter
Gudrun Roos
René Röspel
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Michael Roth ({54})
Birgit Roth ({55})
Gerhard Rübenkönig
Marlene Rupprecht
Thomas Sauer
Dr. Hansjörg Schäfer
Bernd Scheelen
Dr. Hermann Scheer
Siegfried Scheffler
Horst Schild
Dieter Schloten
Horst Schmidbauer
({56})
Ulla Schmidt ({57})
Silvia Schmidt ({58})
Dagmar Schmidt ({59})
Wilhelm Schmidt ({60})
Regina Schmidt-Zadel
Heinz Schmitt ({61})
Carsten Schneider
Dr. Emil Schnell
Walter Schöler
Olaf Scholz
Karsten Schönfeld
Fritz Schösser
Gisela Schröter
Dr. Mathias Schubert
Richard Schuhmann
({62})
Brigitte Schulte ({63})
Reinhard Schultz
({64})
Volkmar Schultz ({65})
Ilse Schumann
Ewald Schurer
Dr. R. Werner Schuster
Dietmar Schütz ({66})
Dr. Angelica Schwall-Düren
Ernst Schwanhold
Rolf Schwanitz
Bodo Seidenthal
Erika Simm
Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk
Dr. Cornelie SonntagWolgast
Wieland Sorge
Wolfgang Spanier
Dr. Margrit Spielmann
Jörg-Otto Spiller
Dr. Ditmar Staffelt
Antje-Marie Steen
Ludwig Stiegler
Rolf Stöckel
Rita Streb-Hesse
Dr. Peter Struck
Joachim Tappe
Jörg Tauss
Jella Teuchner
Dr. Gerald Thalheim
Franz Thönnes
Uta Titze-Stecher
Adelheid Tröscher
Hans-Eberhard Urbaniak
Simone Violka
Ute Vogt ({67})
Hans Georg Wagner
Hedi Wegener
Dr. Konstanze Wegner
Wolfgang Weiermann
Reinhard Weis ({68})
Matthias Weisheit
Gunter Weißgerber
Gert Weisskirchen
({69})
Dr. Ernst Ulrich von
Weizsäcker
Hans-Joachim Welt
Dr. Rainer Wend
Hildegard Wester
Lydia Westrich
Inge Wettig-Danielmeier
Dr. Margrit Wetzel
Dr. Norbert Wieczorek
Helmut Wieczorek
({70})
Jürgen Wieczorek ({71})
Heidemarie Wieczorek-Zeul
Dieter Wiefelspütz
Heino Wiese ({72})
Klaus Wiesehügel
Brigitte Wimmer ({73})
Engelbert Wistuba
Barbara Wittig
Dr. Wolfgang Wodarg
Verena Wohlleben
Hanna Wolf ({74})
Heidemarie Wright
Uta Zapf
Dr. Christoph Zöpel
Peter Zumkley
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Marieluise Beck ({75})
Volker Beck ({76})
Angelika Beer
Matthias Berninger
Dr. Thea Dückert
Franziska Eichstädt-Bohlig
Dr. Uschi Eid
Hans-Josef Fell
Andrea Fischer ({77})
Joseph Fischer ({78})
Katrin Göring-Eckardt
Rita Grießhaber
Winfried Hermann
Antje Hermenau
Kristin Heyne
Ulrike Höfken
Michaele Hustedt
Dr. Helmut Lippelt
Dr. Reinhard Loske
Oswald Metzger
Klaus Wolfgang Müller ({79})
Kerstin Müller ({80})
Christa Nickels
Simone Probst
Claudia Roth ({81})
Christine Scheel
Rezzo Schlauch
Albert Schmidt ({82})
Werner Schulz ({83})
Christian Sterzing
Jürgen Trittin
Dr. Antje Vollmer
Ludger Volmer
Helmut Wilhelm ({84})
Margareta Wolf ({85})
F.D.P.
Hildebrecht Braun
({86})
Ernst Burgbacher
Jörg van Essen
Ulrike Flach
Gisela Frick
Horst Friedrich ({87})
Rainer Funke
Dr. Wolfgang Gerhardt
Hans-Michael Goldmann
Joachim Günther ({88})
Dr. Karlheinz Guttmacher
Klaus Haupt
Ulrich Heinrich
Walter Hirche
Birgit Homburger
Dr. Werner Hoyer
Dr. Heinrich Leonhard Kolb
Gudrun Kopp
Jürgen Koppelin
Ina Lenke
Sabine LeutheusserSchnarrenberger
Jürgen W. Möllemann
Dirk Niebel
Günther Friedrich Nolting
Hans-Joachim Otto
({89})
Detlef Parr
Cornelia Pieper
Dr. Edzard Schmidt-Jortzig
Gerhard Schüßler
Marita Sehn
Carl-Ludwig Thiele
Dr. Dieter Thomae
Nein
CDU/CSU
Dr. Wolf Bauer
Wolfgang Börnsen
({90})
SPD
Harald Friese
Renate Gradistanac
Uwe Hiksch
Christine Lehder
BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN
Annelie Buntenbach
Monika Knoche
Steffi Lemke
Irmingard Schewe-Gerigk
Christian Simmert
Hans-Christian Ströbele
Sylvia Voß
PDS
Monika Balt
Eva Bulling-Schröter
Roland Claus
Heidemarie Ehlert
Dr. Ruth Fuchs
Fred Gebhardt
Präsident Wolfgang Thierse
Dr. Barbara Höll
Carsten Hübner
Sabine Jünger
Gerhard Jüttemann
Dr. Heidi Knake-Werner
Rolf Kutzmutz
Ursula Lötzer
Dr. Christa Luft
Heidemarie Lüth
Angela Marquardt
Manfred Müller ({91})
Kersten Naumann
Rosel Neuhäuser
Christine Ostrowski
Dr. Uwe-Jens Rössel
Christina Schenk
Gustav-Adolf Schur
Dr. Ilja Seifert
Dr. Winfried Wolf
Enthalten
CDU/CSU
Dr. Maria Böhmer
Klaus-Jürgen Hedrich
SPD
Klaus Barthel ({92})
Christel Deichmann
Götz-Peter Lohmann
({93})
Christa Lörcher
Waltraud Wolff ({94})
Entschuldigt wegen Übernahme einer Verpflichtung im Rahmen ihrer Mitgliedschaft in den Parlamentarischen Versammlungen
des Europarates und der WEU, der NAV, der OSZE oder der IPU
Abgeordnete({95})
Behrendt, Wolfgang, SPD Siebert, Bernd, CDU/CSU
Ich komme jetzt zu dem Ergebnis der namentlichen
Abstimmung über den Entschließungsantrag der PDS
zur deutschen Beteiligung an der humanitären Hilfe im
Zusammenhang mit dem Kosovo-Konflikt auf Drucksache 14/997.
Abgegebene Stimmen 605. Mit Ja haben gestimmt
29, mit Nein haben gestimmt 568, Enthaltungen 8. Der
Entschließungsantrag ist damit abgelehnt.
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 603;
ja: 28
nein: 566
enthalten: 9
Ja
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Sylvia Voß
PDS
Monika Balt
Eva Bulling-Schröter
Roland Claus
Heidemarie Ehlert
Dr. Ruth Fuchs
Fred Gebhardt
Dr. Barbara Höll
Carsten Hübner
Sabine Jünger
Gerhard Jüttemann
Dr. Heidi Knake-Werner
Rolf Kutzmutz
Ursula Lötzer
Dr. Christa Luft
Heidemarie Lüth
Angela Marquardt
Manfred Müller ({96})
Kersten Naumann
Rosel Neuhäuser
Petra Pau
Dr. Uwe-Jens Rössel
Gustav-Adolf Schur
Dr. Ilja Seifert
Nein
CDU/CSU
Ulrich Adam
Peter Altmaier
Dietrich Austermann
Norbert Barthle
Dr. Wolf Bauer
Günter Baumann
Brigitte Baumeister
Dr. Sabine Bergmann-Pohl
Otto Bernhardt
Hans-Dirk Bierling
Dr. Joseph-Theodor Blank
Renate Blank
Dr. Heribert Blens
Peter Bleser
Friedrich Bohl
Dr. Maria Böhmer
Sylvia Bonitz
Wolfgang Börnsen
({97})
Wolfgang Bosbach
Klaus Brähmig
Dr. Ralf Brauksiepe
Monika Brudlewsky
Georg Brunnhuber
Klaus Bühler ({98})
Hartmut Büttner
({99})
Dankward Buwitt
Cajus Caesar
Peter H. Carstensen
({100})
Leo Dautzenberg
Albert Deß
Renate Diemers
Thomas Dörflinger
Marie-Luise Dött
Maria Eichhorn
Rainer Eppelmann
Anke Eymer
Ilse Falk
Dr. Hans Georg Faust
Ulf Fink
Ingrid Fischbach
Dirk Fischer ({101})
Axel E. Fischer ({102})
Herbert Frankenhauser
Dr. Gerhard Friedrich
({103})
Dr. Hans-Peter Friedrich
({104})
Erich G. Fritz
Hans-Joachim Fuchtel
Dr. Jürgen Gehb
Norbert Geis
Georg Girisch
Michael Glos
Dr. Reinhard Göhner
Dr. Wolfgang Götzer
Kurt-Dieter Grill
Hermann Gröhe
Manfred Grund
Carl-Detlev Freiherr von
Hammerstein
Gottfried Haschke
({105})
Gerda Hasselfeldt
Norbert Hauser ({106})
Hansgeorg Hauser
({107})
Klaus-Jürgen Hedrich
Ursula Heinen
Manfred Heise
Siegfried Helias
Hans Jochen Henke
Ernst Hinsken
Peter Hintze
Klaus Hofbauer
Martin Hohmann
Klaus Holetschek
Josef Hollerith
Dr. Karl-Heinz Hornhues
Siegfried Hornung
Joachim Hörster
Hubert Hüppe
Peter Jacoby
Georg Janovsky
Dr.-Ing. Rainer Jork
Dr. Harald Kahl
Bartholomäus Kalb
Steffen Kampeter
Irmgard Karwatzki
Volker Kauder
Eckart von Klaeden
Ulrich Klinkert
Manfred Kolbe
Norbert Königshofen
Eva-Maria Kors
Hartmut Koschyk
Thomas Kossendey
Rudolf Kraus
Dr. Martina Krogmann
Dr. Paul Krüger
Dr. Hermann Kues
Dr. Karl A. Lamers
({108})
Dr. Norbert Lammert
Karl-Josef Laumann
Vera Lengsfeld
Werner Lensing
Peter Letzgus
Ursula Lietz
Walter Link ({109})
Dr. Klaus Lippold
({110})
Dr. Manfred Lischewski
Wolfgang Lohmann
({111})
Präsident Wolfgang Thierse
Julius Louven
Dr. Michael Luther
Erich Maaß ({112})
Dr. Martin Mayer
({113})
Wolfgang Meckelburg
Dr. Michael Meister
Dr. Angela Merkel
Friedrich Merz
Hans Michelbach
Meinolf Michels
Dr. Gerd Müller
Bernward Müller ({114})
Elmar Müller ({115})
Günter Nooke
Franz Obermeier
Friedhelm Ost
Eduard Oswald
Norbert Otto ({116})
Dr. Peter Paziorek
Anton Pfeifer
Dr. Friedbert Pflüger
Beatrix Philipp
Ronald Pofalla
Ruprecht Polenz
Marlies Pretzlaff
Dieter Pützhofen
Thomas Rachel
Dr. Peter Ramsauer
Helmut Rauber
Christa Reichard ({117})
Katherina Reiche
Erika Reinhardt
Klaus Riegert
Dr. Heinz Riesenhuber
Franz Romer
Hannelore Rönsch
({118})
Heinrich-Wilhelm Ronsöhr
Dr. Klaus Rose
Kurt Rossmanith
Adolf Roth ({119})
Dr. Christian Ruck
Anita Schäfer
Dr. Wolfgang Schäuble
Hartmut Schauerte
Heinz Schemken
Gerhard Scheu
Dietmar Schlee
Bernd Schmidbauer
Christian Schmidt ({120})
Dr.-Ing. Joachim Schmidt
({121})
Andreas Schmidt ({122})
Hans Peter Schmitz
({123})
Birgit Schnieber-Jastram
Dr. Andreas Schockenhoff
Reinhard Freiherr von
Schorlemer
Dr. Erika Schuchardt
Wolfgang Schulhoff
Clemens Schwalbe
Wilhelm - Josef Sebastian
Horst Seehofer
Heinz Seiffert
Rudolf Seiters
Werner Siemann
Bärbel Sothmann
Margarete Späte
Wolfgang Steiger
Erika Steinbach
Dr. Wolfgang Freiherr von
Stetten
Andreas Storm
Max Straubinger
Matthäus Strebl
Thomas Strobl
Dr. Rita Süssmuth
Dr. Susanne Tiemann
Edeltraut Töpfer
Gunnar Uldall
Arnold Vaatz
Andrea Voßhoff
Dr. Theodor Waigel
Peter Weiß ({124})
Gerald Weiß ({125})
Annette Widmann-Mauz
Heinz Wiese ({126})
Hans-Otto Wilhelm ({127})
Klaus-Peter Willsch
Willy Wimmer ({128})
Werner Wittlich
Dagmar Wöhrl
Elke Wülfing
Peter Kurt Würzbach
Wolfgang Zeitlmann
Wolfgang Zöller
SPD
Brigitte Adler
Gerd Andres
Rainer Arnold
Hermann Bachmaier
Ernst Bahr
Doris Barnett
Dr. Hans-Peter Bartels
Eckhardt Barthel ({129})
Ingrid Becker-Inglau
Dr. Axel Berg
Hans-Werner Bertl
Friedhelm Julius Beucher
Petra Bierwirth
Lothar Binding ({130})
Kurt Bodewig
Klaus Brandner
Anni Brandt-Elsweier
Willi Brase
Rainer Brinkmann ({131})
Bernhard Brinkmann
({132})
Hans-Günther Bruckmann
Edelgard Bulmahn
Ursula Burchardt
Hans Martin Bury
Hans Büttner ({133})
Marion Caspers-Merk
Wolf-Michael Catenhusen
Dr. Peter Danckert
Dr. Herta Däubler-Gmelin
Christel Deichmann
Karl Diller
Peter Dreßen
Rudolf Dreßler
Detlef Dzembritzki
Dieter Dzewas
Dr. Peter Eckardt
Ludwig Eich
Marga Elser
Peter Enders
Gernot Erler
Petra Ernstberger
Annette Faße
Lothar Fischer ({134})
Gabriele Fograscher
Iris Follak
Norbert Formanski
Rainer Fornahl
Hans Forster
Dagmar Freitag
Lilo Friedrich ({135})
Harald Friese
Anke Fuchs ({136})
Arne Fuhrmann
Monika Ganseforth
Konrad Gilges
Iris Gleicke
Günter Gloser
Uwe Göllner
Renate Gradistanac
Günter Graf ({137})
Angelika Graf ({138})
Dieter Grasedieck
Monika Griefahn
Achim Großmann
Wolfgang Grotthaus
Karl Hermann Haack
({139})
Hans-Joachim Hacker
Klaus Hagemann
Manfred Hampel
Christel Hanewinckel
Alfred Hartenbach
Klaus Hasenfratz
Nina Hauer
Hubertus Heil
Reinhold Hemker
Frank Hempel
Rolf Hempelmann
Dr. Barbara Hendricks
Monika Heubaum
Reinhold Hiller ({140})
Stephan Hilsberg
Jelena Hoffmann ({141})
Walter Hoffmann
({142})
Iris Hoffmann ({143})
Frank Hofmann ({144})
Ingrid Holzhüter
Eike Hovermann
Christel Humme
Lothar Ibrügger
Barbara Imhof
Brunhilde Irber
Gabriele Iwersen
Renate Jäger
Jann-Peter Janssen
Ilse Janz
Dr. Uwe Jens
Volker Jung ({145})
Johannes Kahrs
Ulrich Kasparick
Sabine Kaspereit
Susanne Kastner
Klaus Kirschner
Marianne Klappert
Siegrun Klemmer
Hans-Ulrich Klose
Fritz Rudolf Körper
Karin Kortmann
Nicolette Kressl
Angelika Krüger-Leißner
Horst Kubatschka
Ernst Küchler
Helga Kühn-Mengel
Ute Kumpf
Konrad Kunick
Dr. Uwe Küster
Werner Labsch
Christine Lambrecht
Brigitte Lange
Christian Lange ({146})
Detlev von Larcher
Waltraud Lehn
Robert Leidinger
Klaus Lennartz
Dr. Elke Leonhard
Eckhart Lewering
Götz-Peter Lohmann
({147})
Christa Lörcher
Erika Lotz
Dr. Christine Lucyga
Dieter Maaß ({148})
Winfried Mante
Dirk Manzewski
Tobias Marhold
Lothar Mark
Christoph Matschie
Ingrid Matthäus-Maier
Heide Mattischeck
Markus Meckel
Ulrike Mehl
Ulrike Merten
Angelika Mertens
Dr. Jürgen Meyer ({149})
Ursula Mogg
Siegmar Mosdorf
Jutta Müller ({150})
Christian Müller ({151})
Franz Müntefering
Andrea Nahles
Volker Neumann ({152})
Gerhard Neumann ({153})
Dr. Edith Niehuis
Dr. Rolf Niese
Dietmar Nietan
Günter Oesinghaus
Eckhard Ohl
Leyla Onur
Manfred Opel
Holger Ortel
Adolf Ostertag
Kurt Palis
Präsident Wolfgang Thierse
Albrecht Papenroth
Dr. Willfried Penner
Dr. Martin Pfaff
Georg Pfannenstein
Johannes Pflug
Dr. Eckhart Pick
Joachim Poß
Karin Rehbock-Zureich
Margot von Renesse
Renate Rennebach
Bernd Reuter
Dr. Edelbert Richter
Gudrun Roos
René Röspel
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Birgit Roth ({154})
Gerhard Rübenkönig
Marlene Rupprecht
Dr. Hansjörg Schäfer
Gudrun Schaich-Walch
Bernd Scheelen
Dr. Hermann Scheer
Siegfried Scheffler
Horst Schild
Dieter Schloten
Horst Schmidbauer
({155})
Ulla Schmidt ({156})
Silvia Schmidt ({157})
Dagmar Schmidt ({158})
Wilhelm Schmidt ({159})
Regina Schmidt-Zadel
Heinz Schmitt ({160})
Carsten Schneider
Dr. Emil Schnell
Walter Schöler
Olaf Scholz
Karsten Schönfeld
Fritz Schösser
Gisela Schröter
Dr. Mathias Schubert
Richard Schuhmann
({161})
Brigitte Schulte ({162})
Reinhard Schultz
({163})
Volkmar Schultz ({164})
Ilse Schumann
Ewald Schurer
Dr. R. Werner Schuster
Dietmar Schütz ({165})
Dr. Angelica Schwall-Düren
Ernst Schwanhold
Rolf Schwanitz
Bodo Seidenthal
Erika Simm
Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk
Dr. Cornelie SonntagWolgast
Wieland Sorge
Wolfgang Spanier
Dr. Margrit Spielmann
Jörg-Otto Spiller
Dr. Ditmar Staffelt
Antje-Marie Steen
Ludwig Stiegler
Rolf Stöckel
Rita Streb-Hesse
Dr. Peter Struck
Joachim Tappe
Jörg Tauss
Jella Teuchner
Dr. Gerald Thalheim
Franz Thönnes
Uta Titze-Stecher
Adelheid Tröscher
Hans-Eberhard Urbaniak
Simone Violka
Ute Vogt ({166})
Hans Georg Wagner
Hedi Wegener
Dr. Konstanze Wegner
Wolfgang Weiermann
Reinhard Weis ({167})
Matthias Weisheit
Gunter Weißgerber
Gert Weisskirchen
({168})
Dr. Ernst Ulrich von
Weizsäcker
Hans-Joachim Welt
Dr. Rainer Wend
Hildegard Wester
Lydia Westrich
Inge Wettig-Danielmeier
Dr. Margrit Wetzel
Dr. Norbert Wieczorek
Helmut Wieczorek
({169})
Heidemarie Wieczorek-Zeul
Dieter Wiefelspütz
Heino Wiese ({170})
Klaus Wiesehügel
Brigitte Wimmer ({171})
Engelbert Wistuba
Barbara Wittig
Dr. Wolfgang Wodarg
Verena Wohlleben
Hanna Wolf ({172})
Waltraud Wolff ({173})
Heidemarie Wright
Uta Zapf
Dr. Christoph Zöpel
Peter Zumkley
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Marieluise Beck ({174})
Volker Beck ({175})
Angelika Beer
Matthias Berninger
Dr. Thea Dückert
Franziska Eichstädt-Bohlig
Dr. Uschi Eid
Hans-Josef Fell
Andrea Fischer ({176})
Joseph Fischer ({177})
Katrin Göring-Eckardt
Rita Grießhaber
Winfried Hermann
Antje Hermenau
Kristin Heyne
Ulrike Höfken
Michaele Hustedt
Steffi Lemke
Dr. Helmut Lippelt
Oswald Metzger
Klaus Wolfgang Müller
({178})
Kerstin Müller ({179})
Christa Nickels
Simone Probst
Christine Scheel
Irmingard Schewe-Gerigk
Rezzo Schlauch
Albert Schmidt ({180})
Werner Schulz ({181})
Christian Simmert
Christian Sterzing
Jürgen Trittin
Dr. Antje Vollmer
Ludger Volmer
Helmut Wilhelm ({182})
Margareta Wolf ({183})
F.D.P.
Hildebrecht Braun
({184})
Ernst Burgbacher
Jörg van Essen
Ulrike Flach
Gisela Frick
Horst Friedrich ({185})
Rainer Funke
Dr. Wolfgang Gerhardt
Hans-Michael Goldmann
Joachim Günther ({186})
Dr. Karlheinz Guttmacher
Klaus Haupt
Ulrich Heinrich
Walter Hirche
Birgit Homburger
Dr. Werner Hoyer
Dr. Heinrich Leonhard Kolb
Gudrun Kopp
Jürgen Koppelin
Ina Lenke
Sabine LeutheusserSchnarrenberger
Jürgen W. Möllemann
Dirk Niebel
Günter Friedrich Nolting
Hans-Joachim Otto
({187})
Detlef Parr
Cornelia Pieper
Dr. Edzard Schmidt-Jortzig
Gerhard Schüßler
Marita Sehn
Carl-Ludwig Thiele
Dr. Dieter Thomae
Enthalten
SPD
Klaus Barthel ({188})
Uwe Hiksch
Christine Lehder
BÜNDNIS 90 /
DIE GRÜNEN
Annelie Buntenbach
Monika Knoche
Dr. Reinhard Loske
Hans-Christian Ströbele
PDS
Christina Schenk
Dr. Winfried Wolf
Entschuldigt wegen Übernahme einer Verpflichtung im Rahmen ihrer Mitgliedschaft in den Parlamentarischen Versammlungen
des Europarates und der WEU, der NAV, der OSZE oder der IPU
Abgeordnete({189})
Behrendt, Wolfgang, SPD Siebert, Bernd, CDU/CSU
Präsident Wolfgang Thierse
Ich rufe nun die Zusatzpunkte 5a bis b der Tagesord-
nung auf:
ZP 5 a) - Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Dr. Peter Struck, Otto Schily,
Wilhelm Schmidt ({190}) und weiteren
Abgeordneten der Fraktion der SPD, den
Abgeordneten Kerstin Müller ({191}), Rezzo
Schlauch, Kristin Heyne und weiteren
Abgeordneten der Fraktion BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN sowie den Abgeordneten Dr.
Wolfgang Gerhardt, Dr. Guido Westerwelle,
Jörg van Essen und weiteren Abgeordneten
der Fraktion der F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Reform des
Staatsangehörigkeitsrechts
- Drucksache 14/533 ({192})
- Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Dr. Jürgen Rüttgers, Erwin Marschewski, Günter Baumann, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der CDU/CSU
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur
Neuregelung des Staatsangehörigkeitsrechts
({193})
- Drucksache 14/535 ({194})
Beschlußempfehlung und Bericht des Innenausschusses ({195})
- Drucksache 14/867 Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Michael Bürsch
Marieluise Beck ({196})
Ulla Jelpke
b) Beratung der Beschlußempfehlung und des
Berichts des Innenausschusses ({197})
- zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Jürgen
Rüttgers, Erwin Marschewski, Günter Baumann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU
Integration und Toleranz
- zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Jürgen
Rüttgers, Erwin Marschewski, Günter Baumann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU
Modernes Ausländerrecht
- Drucksachen 14/534, 14/532, 14/867 Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Michael Bürsch
Marieluise Beck ({198})
Ulla Jelpke
Zum Gesetzentwurf zur Reform des Staatsangehörigkeitsrechts liegen neun Änderungsanträge und ein Entschließungsantrag der Fraktion der PDS vor. Über den
Gesetzentwurf zur Reform des Staatsangehörigkeitsrechts werden wir nach der Aussprache namentlich abstimmen.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache drei Stunden vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem
Bundesminister des Innern, Otto Schily.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren Kollegen! Ich vermute,
daß ein Teil der Redner der Opposition heute wieder den
Vorwurf erheben wird, wir hätten ein Gesetzgebungsverfahren durchgeführt, das sich zu schnell abgewickelt
hätte.
({0})
Wir debattieren über dieses Thema nun wahrlich seit geraumer Zeit.
({1})
Die frühere Regierungskoalition hat 16 Jahre darüber
debattiert, allerdings ohne Ergebnis.
({2})
Das Thema ist bis ins kleinste Detail ausdiskutiert worden. Mittlerweile dauert diese Debatte so lange, daß
einige in der Opposition ihre früheren Argumente bereits
vergessen haben.
({3})
Das sollte man vielleicht besonders berücksichtigen.
Gewiß war das kein einfacher Gesetzgebungsprozeß.
Das kann bei einem so schwierigen Thema auch gar
nicht anders sein. Das Ergebnis, das wir heute vermutlich auf breiter Grundlage beschließen werden, ist ein
Kompromiß. Ein Kompromiß - das ist das Kennzeichen eines Kompromisses - läßt natürlich auf der einen
oder anderen Seite Wünsche offen. Ich sage in allem
Freimut, daß ich den Gesetzentwurf, den ich im Januar
vorgelegt habe, für den konsequenteren Entwurf halte.
({4})
Deshalb meine ich aber nicht, daß wir die Reform, die
wir heute mit einer breiten Mehrheit beschließen werden, kleinreden sollten.
({5})
Das ist ein ganz wichtiger Reformschritt, den wir heute
vollziehen, der durchaus historische Dimensionen hat.
Präsident Wolfgang Thierse
Als Beleg dafür kann ich eine sachverständige Persönlichkeit zitieren, die Ihrer Partei, der CDU, angehört
({6})
und die den ersten Entwurf aus ihrer Sicht kritisiert hat,
aber den Kompromiß, den wir heute vorlegen, mit folgenden Worten kommentiert:
Das ist keine kleine Reform, sondern eine große Reform. Wir haben das Staatsangehörigkeitsrecht um das
Territorialelement ergänzt, das es vorher nicht gab.
Das ist ein großer Modernisierungsschritt. Er ist richtig, weil er eine elegante, unbürokratische und integrative Form der Zugehörigkeit bietet.
Das sagt die Berliner Ausländerbeauftragte, Frau John,
die Ihrer Partei angehört. Das ist doch ein Dokument,
das sich sehen lassen kann.
({7})
Nun haben wir gestern in der Debatte um den Etat des
Bundesinnenministeriums bei einem anderen Thema, bei
der Sportförderung, die Erfahrung gemacht, daß es ein
Wettrennen um die Urheberschaft von positiven Ergebnissen gibt. Das ist verständlich. Die einen sagen, es
war der sozialdemokratische Innenminister Zuber, die
anderen sagen, es war der freidemokratische Justizminister Caesar, und wieder andere sagen, es war der
F.D.P.-Abgeordnete Westerwelle, der das Optionsmodell in die Debatte gebracht hat.
({8})
Ich lasse das offen. Dieser Eifer, sich als Urheber der
Reform auszugeben, ist mir bei der Reform des Staatsangehörigkeitsrechts sehr willkommen. Denn damit wird
besonders prägnant, daß diese Reform viele und gute
Gründe hat.
Ich hoffe aber, daß sich auch einige Miturheberinnen
und Miturheber zu Wort melden, die ihre kreativen Bemühungen in der Vergangenheit nicht aus übertriebener
Bescheidenheit verschweigen sollten.
Dazu gehört beispielsweise unser CDU/CSU-Kollege
Altmaier.
({9})
Der Kollege Altmaier hat im Oktober 1995 Grundsätze
zu einem neuen Staatsangehörigkeitsrecht veröffentlicht,
in denen das Optionsmodell benannt wird. Dort heißt es
sehr zutreffend:
Ohne die soziale und rechtliche Integration der auf
Dauer in Deutschland lebenden Ausländer droht
eine nachhaltige Gefährdung des gesellschaftlichen
Friedens. Wir sehen CDU und CSU in einer besonderen Verantwortung, diese Herausforderung anzunehmen. Dabei kommt der Reform des Staatsangehörigkeitsrechts eine wichtige Bedeutung zu.
({10})
So Herr Altmaier im Oktober 1995. - Wie wahr, wie
wahr!
Dies hat er - wie übrigens auch in dem gerade angesprochenen Dokument - in einem Interview in der
„Frankfurter Rundschau“ vom 11. Dezember 1995 noch
einmal präzisiert. Da sagte er:
Ich verspreche mir immer noch am meisten von
dem sogenannten Optionsmodell, das ich gemeinsam mit den Kollegen Eckart von Klaeden und
Norbert Röttgen vorgelegt habe. Danach erwirbt
das Kind, sofern die Eltern nicht widersprechen,
mit der Geburt zusätzlich zur Staatsbürgerschaft der
Eltern auch die deutsche Staatsangehörigkeit.
Er beschreibt dort also, daß das Optionsmodell seine
Zielsetzung ist. Jetzt fände ich es angemessen, daß die
betreffenden Kolleginnen und Kollegen auch dazu stehen.
({11})
Auch Frau Süssmuth hatte im Juli 1998 folgendes zu
sagen: Gerade für Kinder und Jugendliche könnte die
doppelte Staatsangehörigkeit eine unterstützende Hilfe
zur Integration sein. Frau Süssmuth wörtlich:
Wir brauchen ein Staatsangehörigkeitsrecht, bei
dem das Abstammungsprinzip und das Territorialprinzip in eine ausgewogene Balance gestellt
werden.
({12})
Ich finde, Frau Süssmuth ist eine namhafte Persönlichkeit, die sich als Bundestagspräsidentin große Meriten
erworben hat. Anläßlich der Eröffnung des Reichstages
ist sie sehr gelobt worden. Ich denke, ihre Position sollte
heute zur Geltung kommen.
Um die bestehenden Urheberrechte klar zur Geltung
zu bringen, möchte ich sehr ausführlich und in vollem
Bewußtsein den Reformaufruf zitieren, den einige der
genannten Kollegen veröffentlicht haben. Da hieß es:
Die soziale und rechtliche Integration der in
Deutschland lebenden ausländischen Mitbürger ist
eine moralische Verpflichtung gegenüber den Betroffenen und unverzichtbar für die dauerhafte Bewahrung des gesellschaftlichen Friedens.
({13})
- Ich wiederhole: unverzichtbar.
Der Schaffung eines zeitgemäßen Staatsangehörigkeitsrechtes kommt dabei eine zentrale Bedeutung
zu. Als Volkspartei, die dem christlichen Menschenbild und den Grundwerten von Freiheit, Solidarität und Gerechtigkeit verpflichtet ist, steht die
CDU in einer besonderen Verantwortung.
({14})
Nur wenn die CDU die notwendigen Reformen von
sich aus entschlossen anpackt und gestaltet, werden
sie von einer breiten Mehrheit in der Bevölkerung
getragen werden. Das ist eine entscheidende Voraussetzung für das Gelingen der Integration.
Das wäre eine schöne Kampagne gewesen. So eine
Kampagne hätten Sie starten sollen.
({15})
Die Unterzeichner dieses Aufrufes setzen sich als
Mitglieder der CDU dafür ein, das Staatsangehörigkeitsrecht noch in dieser Legislaturperiode wie
folgt neu zu regeln: Die in Deutschland geborenen
Kinder ausländischer Eltern erhalten mit der Geburt
die deutsche Staatsangehörigkeit. Voraussetzung
ist, daß ein Elternteil dauerhaft und rechtmäßig in
Deutschland lebt, da zu erwarten ist, daß die Kinder
in unserem Land aufwachsen und bleiben werden.
Nach Erreichen der Volljährigkeit müssen sie sich
für eine der beiden Staatsangehörigkeiten entscheiden.
Wo sind Sie nun?
({16})
Unterzeichnet haben der Kollege Altmaier und die Kollegin Dr. Böhmer. Da finde ich die Unterschrift von
Herrn Eppelmann, von Herrn Escher, dem Bundesvorsitzenden der JU. Ich finde die Unterschrift von Herrn
Dr. Friedmann.
({17})
- Herr Repnik, daß Ihnen das nicht gefällt, kann ich verstehen. An Ihrer Stelle würde mir das auch nicht gefallen. Es ist aber so. Das muß man sich manchmal sagen
lassen. - Außerdem sehe ich die Unterschrift von Herrn
Dr. Geißler, des Kollegen Grotz, des Kollegen Lammert,
von Herrn Dr. Kues, von Herrn Kossendey - Herrn
Kossendey erwähne ich deshalb, weil er ein Mann ist,
der sich gut mit den türkischen Mitbürgerinnen und
Mitbürgern auskennt -, von Herrn Krautscheid, von
Herrn Pflüger, von Herrn Rommel, von dem von mir
sehr geschätzten Kollegen Schwarz-Schilling und von
Frau Süssmuth; sie habe ich schon erwähnt. Außerdem
findet man eine Reihe von Unterschriften von Landtagsabgeordneten. Also, meine Damen und Herren: Stehen
Sie zu dem Wort, das Sie damals gesagt haben. Oder
stellen Sie sich hier vorne hin und sagen: Das war alles
falsch; wir haben uns geirrt. Heute meinen wir alles anders.
({18})
Aber sich zu verstecken ist kein Beweis von Wildheit.
({19})
Das Thema Integration, das hier zu verhandeln ist, ist
wahrlich ernst. Sie haben damals formuliert: Es geht um
den gesellschaftlichen Frieden. Es geht um einen großen
Teil der Wohnbevölkerung, der auf Dauer bei uns lebt
und leben wird. Das können Sie nicht rückgängig machen und wollen es hoffentlich auch nicht. Wenn Sie es
rückgängig machen wollten, müssen Sie das hier vorne
sagen. Da Sie es aber nicht rückgängig machen können,
müssen wir das tun, was uns auch das Bundesverfassungsgericht als Gebot auferlegt hat: Wir müssen dafür
sorgen, daß Staatsvolk und Wohnbevölkerung zusammenkommen. Das ist für die Festigkeit unserer Gesellschaft notwendig.
({20})
Ich habe keine Illusion darüber, daß wir damit in eine
völlig konfliktfreie Gesellschaft kommen. Was uns aber
auf diese Weise gelingen wird, ist ein gewaltfreier,
rechtsstaatlicher Interessenausgleich, weil wir den
Menschen gleiche Rechte geben und weil alle, einschließlich der Zuwanderer, in die Rechtsgemeinschaft
einbezogen werden. Das müssen wir erreichen.
Das müssen wir uns als Zukunftsprognose vor Augen
führen. Sie müssen versuchen, Ihr Vorstellungsvermögen so weit zu entwickeln, daß Sie beide Entwicklungen
vergleichen, die in Gang gesetzt werden, wenn wir auf
die Reform des Staatsangehörigkeitsrechts verzichten
oder wenn wir sie vollziehen. Ich glaube, wenn wir es
bei dem Status quo belassen, dann werden wir eine zunehmende Entfremdung der Zuwanderer haben, dann
werden wir eine Abkehr der Jugendlichen, die in solchen
Familien aufwachsen, von der Gesellschaft haben, wir
werden eine zunehmende Gettoisierung haben, wir werden zunehmende Parallelgesellschaften haben - wir
brauchen also diese Brücke in eine neue Entwicklung,
die es uns ermöglicht, diese Menschen in die Gesellschaft hineinzunehmen und sie nicht davor stehen zu
lassen.
({21})
Es ist sehr interessant, sich daran zu erinnern, was der
französische Religionswissenschaftler Ernest Renan in
einer Vorlesung in der Sorbonne-Universität im März
1982 zu der Frage gesagt hat, was eigentlich eine Nation sei. Er hat sich dieser Frage in einer sehr methodisch präzisen Art angenommen. Er hat zuerst untersucht, ob die Nation auf einer Ethnie beruht. Er kommt
zu der Feststellung, daß das nicht richtig sein kann. Die
Franzosen haben eine keltisch-iberisch-germanische
Ethnie in sich aufgenommen. Deutschland ist keltischslawisch-germanisch. „Italien“, sagt er, ist „ethnisch
überhaupt unentwirrbar“ - wie richtig. Er sagt:
Eine Politik, die die Einheit einer Nation mit rassischen Argumenten betreibt, gründet also auf einer
Chimäre; sie würde die europäische Zivilisation
zugrunde richten.
Wie wahr hat Renan damals gesprochen.
„Eine Nation ist auch nicht identisch mit der Sprache“ - selbst das sagt er mit Recht. Er sagt: Sonst wären
die Vereinigten Staaten und Großbritannien heute noch
zusammen, sonst wären Spanien und Südamerika noch
zusammen. Selbst die Sprache ist nicht unbedingt ein
Einheitsband. Die Schweiz ist eine Nation mit verschiedenen Sprachen.
Auch die Religion - sagt er - ist es nicht, was eine
Nation ausmacht. Es sind auch nicht die Interessen. Er
sagt: „Ein Zollverein ist kein Vaterland.“
Zur Geographie sagt er:
Es gibt keine willkürlichere, gefährlichere Theorie,
als die Nation zwischen „natürlichen Grenzen“ errichten zu wollen; die Vergangenheit zeigt, daß die
Lebensräume der Nationen immer fluktuiert haben.
Dann bringt er seine Definition von einer Nation. Er
sagt:
Eine Nation ist eine Seele, ein geistiges Prinzip.
Zwei Dinge, die in Wahrheit nur eins sind, machen
diese Seele, dieses geistige Prinzip aus. Eins davon
gehört der Vergangenheit an, das andere der Gegenwart. Das eine ist der gemeinsame Besitz eines
reichen Erbes an Erinnerungen, das andere ist das
gegenwärtige Einvernehmen, der Wunsch, zusammenzuleben. ... Sie setzt eine Vergangenheit voraus, aber trotzdem faßt sie sich in der Gegenwart in
einem greifbaren Faktum zusammen: der Übereinkunft, dem deutlich ausgesprochenen Wunsch, das
gemeinsame Leben fortzusetzen.
Der Historiker Hagen Schulze sagt mit Recht: Diese
Definition hat bis heute ihre Gültigkeit behalten. - Ich
denke, wir sollten die heutige Debatte nutzen, uns einmal auf Fragen zu besinnen, die sich damit beschäftigen,
was unsere Gesellschaft und unseren Staat eigentlich zusammenhält.
Meine Damen und Herren, eine homogene Gesellschaft ist, entgegen allen verbreiteten Vorurteilen, nicht
tragfähig, weil sie ein Konstrukt ist, das sich nicht mit
der Wirklichkeit in Einklang bringen läßt.
Kollege Schily, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Rupert
Scholz?
Herr Kollege Scholz, ich habe nur noch wenig Redezeit.
({0})
- Also gut, bitte schön, Herr Scholz.
Herr Schily, ich
finde es gut, daß Sie Renan zitiert haben. Renan ist für
den modernen Nationenbegriff ganz eindeutig der Richtige. Aber die Renansche These kann man auch zu dem
Prinzip zusammenfassen: Nation gründet sich auf die
Erlebnis- - das ist die Vergangenheit - und die Willensgemeinschaft. Das ist die kurze Formel für das, was Sie
eben vorgelesen haben. Erlebnis- und Willensgemeinschaft setzt allerdings voraus - das können Sie bei Renan sehr deutlich nachlesen -, daß eine entsprechende
Identifikationsbereitschaft da ist. Erlebnis- und Willensgemeinschaft bedeutet auch, daß beide Seiten - wenn es
unterschiedliche ethnische Teile gibt - dieses wollen.
Ich möchte Sie bitten, eine Antwort auf folgende Frage zu geben: Wie ist das in Deutschland? Haben Sie die
Bereitschaft wirklich auf allen Seiten? Nehmen Sie
wirklich genug Rücksicht darauf, diese Willens- und
Erlebnisgemeinschaft in konfliktfreier Form, in sich
wechselseitig akzeptierender und identifizierender Form
- eben im Sinne von Renan - zu verwirklichen?
({0})
({1})
Die Frage
ist mir sehr willkommen, Herr Kollege Scholz, weil sie
genau im Duktus meiner weiteren Ausführungen liegt.
Ich bin der Meinung: Wir müssen uns in der Tat darauf
einlassen, zu fragen, wie wir unsere künftige Gesellschaft gestalten wollen und wie das Verhältnis von Staat
und Gesellschaft aussehen soll.
({0})
- Lassen Sie uns doch jetzt eine Diskussion darüber führen. Die können Sie doch jetzt einmal annehmen. Lassen
Sie uns in dieser Frage weitergehen.
({1})
- Sie müssen zumindest die Geduld aufbringen, meine
Antwort zu hören. Sonst hat es keinen Zweck; dann
brauchen wir keine Zwischenfragen mehr zu stellen.
({2})
Wenn Sie Renan und Hagen Schulze, der das sehr
klar aufnimmt, weiterdenken, werden Sie entdecken, daß
Renan nicht für den homogenen Nationalstaat ist, sondern ihn für ein Übel hält. Er hat einmal sehr prophetisch in einem Brief zum Ausdruck gebracht, in welche
Lage wir kämen, wenn wir uns in einen nationalstaatlichen Wettbewerb um Elsaß-Lothringen begäben.
Deshalb - meiner Meinung nach sagt auch Hagen
Schulze zu Recht -: Das moderne Europa hat eine ganz
andere Perspektive. Das moderne Europa - das ist ein
Faktum - bringt auch Menschen zusammen, die unterschiedliche biographische und kulturelle Bezüge haben.
Dieser Erkenntnis muß man sich öffnen. Hagen Schulze
sagt weiter:
Nicht die Teilung in Nationen ist es, die Europa gefährdet, sondern der Drang zu Nationalstaaten für
alle noch so kleinen Nationalitäten, in denen die
unerfüllbare und chimärische Einheit von Nation,
Sprache und Staatsgebiet herbeigeführt werden soll.
Hören Sie zu, was Hagen Schulze noch schreibt - das
erinnert an den ersten Tagesordnungspunkt, den wir
heute behandelt haben -:
Daß das zerstörerische Prinzip der Ethnokratie, des
Primats des durch Blutsbande geeinten Volkes, die
Demokratie immer noch bedrohen und Europa in
neue, schwere Bewährungsproben stürzen kann,
beweist der schaurige Massenmord im zerfallenen
Jugoslawien. Nicht die Idee der Nation muß in
Europa überwunden werden, sondern die Fiktion
der schicksalhaften, objektiven und unentrinnbaren
Einheit von Volk, Nation, Geschichte, Sprache und
Staat.
Wie recht er doch hat!
({3})
Wir müssen im zusammenwachsenden Europa begreifen, daß sich Nationen, Kulturen, Ethnien und
Sprachfamilien anders begegnen können als unter dem
homogenen Nationalstaat, der ein Irrtum des vorigen
Jahrhunderts war, der übrigens auch am Ende des ersten
Weltkriegs ein Irrtum war, wie in den 14 Punkten
Wilsons deutlich wird.
({4})
Sie sind doch nicht so töricht, daß Sie nicht wenigstens
manchmal, in Einzelfällen begreifen, um was es geht.
({5})
Der SPD-Landtagsabgeordnete Dietmar Franzke hat
der Bayerischen Staatsregierung - einer ihrer Vertreter
ist heute zugegen ({6})
- Herr Zeitlmann, können Sie ein einziges Mal versuchen,
in einer Debatte zuzuhören, nur ein einziges Mal? ({7})
eine interessante Frage gestellt, die im März dieses Jahres folgendermaßen beantwortet wurde:
Auf Grund der guten Erfahrungen mit der Integration Otto von Habsburgs hält es die Staatsregierung
für vertretbar, bei Persönlichkeiten, die einen vergleichbaren Bezug zur deutschen und europäischen
Geschichte aufweisen, Doppelstaatsangehörigkeit
hinzunehmen.
Meine Damen und Herren, ich bin ein überzeugter Demokrat. Ich muß Ihnen sagen: Die Doppelstaatsangehörigkeit nur als Adelsprivileg zuzulassen widerspricht
meinen Grundüberzeugungen.
({8})
Meine Damen und Herren, heute ist die Stunde der
modernen Demokratie. Deshalb ist es vielleicht nicht so
ganz angebracht, daß ich mich dauernd mit Bezügen
zum Adel aufhalte. Aber im Blick darauf, daß wir demnächst alle gemeinsam nach Berlin umziehen, ist es
vielleicht verständlich, daß ich mich heute an den Ratschlag eines aufgeklärten Monarchen halte. Friedrich der
Große hat, als er gefragt wurde, ob ein Katholik - im
damals protestantischen Preußen - das Bürgerrecht erwerben dürfe, geantwortet:
Alle Religionen seindt gleich und guht, wann nur
die Leute, so sie profesieren, erliegte Leute seindt,
und wenn Türken und Heiden kämen und wollten
das Land pöplieren, so wollten wir sie Mosqueen
und Kirchen bauen.
Das ist eine gute Devise auch für unser Staatsangehörigkeitsrecht.
({9})
Ich erteile dem
Kollegen Dr. Jürgen Rüttgers das Wort.
Frau Präsidentin!
Werte Kolleginnen und Kollegen! Jedem in diesem Saal ist
klar, daß das Gesetz, über das wir heute zu befinden haben,
von einer großen und weitreichenden Bedeutung ist. In den
letzten Wochen und Monaten haben wir alle in der öffentlichen Diskussion gemerkt, daß es in unserem Land viele
Menschen gibt, für die das ein ganz wichtiges, ein existentielles politisches Thema ist, für das sie bereit sind, sich
persönlich zu engagieren. Deshalb war ich davon ausgegangen, daß die Debatte um das Gesetz, das der Bundesinnenminister eben als historisch bezeichnet hat, auch einen
entsprechenden Charakter bekommt.
Herr Schily, vom Prinzip her ist es zwar gut, wenn
Sie Kolleginnen und Kollegen aus der CDU/CSUBundestagsfraktion zitieren, weil das, was sie auch vor
dem Hintergrund ernsthafter Debatten, die wir in unserer
Fraktion geführt haben, sagen, in der Regel sehr bedenkenswert ist und ernst genommen werden muß.
({0})
Die Art und Weise, in der Sie heute Äußerungen dieser
Kollegen, die in dem Bemühen gemacht wurden, ihren persönlichen Beitrag zur Integration der rechtmäßig und dauerhaft in Deutschland lebenden Ausländer zu leisten, auf
das Niveau eines Winkeladvokaten heruntergezogen haben,
({1})
finde ich diesem Thema nicht angemessen.
({2})
Aus der Tatsache, daß Kollegen sich seit Jahren darum
bemühen, zu der Sache der in Deutschland lebenden
Ausländer ihren persönlichen Beitrag zu leisten, den
Schluß zu ziehen, sie müßten heute dem Gesetz, das Sie
diesem Hause vorgelegt haben, zustimmen, ist der Gipfel der Tatsachenverdrehung. Denn das, was Sie heute
zur Abstimmung bringen, hat mit Integration nun überhaupt nichts zu tun.
({3})
Was Sie heute vorlegen, ist nicht nur Stückwerk, sondern ein Gesetz, das Sie selbst noch im Januar als verfassungswidrig gekennzeichnet haben.
({4})
Weil ich es dieser Debatte nicht für angemessen halte,
will ich darauf verzichten, meinerseits zu zitieren, was
Kolleginnen und Kollegen aus der SPD-Fraktion, wenn
man mit ihnen über das von Ihnen betriebene Projekt redet, sagen. Ich will auch darauf verzichten, zu verlesen,
welche Funktionsträger der SPD unsere Unterschriftenaktion vor Ort unterschrieben haben. Inzwischen sind es
5 Millionen Menschen in Deutschland, die ein klares
Nein zu Ihrem Projekt gesagt haben.
({5})
Ich möchte eine zweite Anmerkung zu dem machen,
was Sie heute gesagt haben. Sie haben es in Ihrer Rede
für notwendig und richtig erachtet - ich will das gar
nicht qualifizieren -, über den Begriff der Nation nachzudenken. Das hat mich - das muß ich zugeben - ein
wenig verwundert, und zwar deshalb, weil Sie damit
doch wohl zum Ausdruck bringen wollten,
({6})
daß Sie mit diesem Gesetz das, was man unter Nation unter deutscher Nation - versteht, verändern wollen.
({7})
Sonst würde das, was Sie vorgetragen haben, keinen
Sinn machen.
({8})
Das, verehrter Herr Bundesinnenminister Schily, ist ein
wirklich überraschender Punkt in Ihrer Rede gewesen.
Sie haben recht, daß es immer lohnend ist, bei Ernest
Renan nachzulesen. Sie haben sicherlich recht, daß es
am Ende dieses Jahrhunderts, in dem so unglaublich viel
Schlimmes und so unglaublich viele Morde und Verbrechen im Namen der Nation begangen worden sind, notwendig ist, darüber nachzudenken, welche Aufgabe die
Nation im kommenden Jahrhundert hat.
Es ist sicherlich auch richtig - auch da kann man schon
erste Hinweise bei Ernest Renan nachlesen -, daß im
kommenden Jahrhundert Nationen, auch in Europa,
nicht überleben werden, wenn sie sich als eine Form der
Abgrenzung gegenüber anderen verstehen. Nationen
werden im kommenden Jahrhundert nur dann eine
Chance haben, wenn sie sich als offen, wenn sie sich,
wie wir es manchmal formulieren, als ein Haus mit offenen Fenstern und Türen verstehen, wenn sie nicht auf
Abgrenzung setzen, sondern auf Integration.
Warum Sie dann, werter Herr Bundesinnenminister
Schily, allerdings auch noch hingegangen sind und den
Kosovo-Konflikt und die furchtbaren ethnischen Verbrechen und Vertreibungen in diese Debatte eingeführt
haben, dafür fehlt mir jedes Verständnis. Soll das etwa
bedeuten, daß diejenigen, die glauben, daß auch im 21.
Jahrhundert die Nation noch erforderlich ist, damit Gesellschaft zusammenhält, eventuell Ursache bzw. Anlaß
geben für verbrecherische Ereignisse, wie sie im Kosovo
in den letzten Wochen und Monaten geschehen sind?
Die Wahrheit ist doch genau umgekehrt: Gerade weil
sich im ehemaligen Jugoslawien unter dem Druck einer
Diktatur kein vernünftiges offenes Verhältnis der verschiedenen Völker und Nationen entwickelt hat, kommt
es zu den Morden. Dort, wo es eine Übereinstimmung
zwischen Gesellschaften und Nationen gibt mit dem Anspruch, für jeden offen zu sein, der dort hinwill,
({9})
sind solche Verbrechen nicht möglich.
({10})
Wir werden über das Thema sicherlich noch weiter
diskutieren, ja diskutieren müssen, weil wir nach unserem Verständnis - zumindest ist dies das Verständnis
der Kolleginnen und Kollegen in der CDU/CSUFraktion - die Weiterentwicklung auch dessen, was wir
unter Nation verstehen, im Hinblick auf die Europäische
Union in den nächsten Jahren und Jahrzehnten vorantreiben wollen.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Cornelie
Sonntag?
Ja, bitte.
Bitte sehr, Frau
Kollegin.
Herr Kollege
Rüttgers, da Sie sich soeben dagegen verwahrten, irgendwelche Beziehungen, Vergleiche oder Bezüge zwischen
unserer heutigen Diskussion um die Reform des Staatsangehörigkeitsrechts und dem Kosovo-Konflikt herzustellen: Wie finden Sie es, daß Kollegen aus Ihren Reihen,
nämlich der Unionsfraktionen, in den letzten Wochen
noch einmal mit Verve gefordert haben, man solle wegen
der aktuellen Diskussion um das Kosovo und wegen der
Diskussion um Flüchtlingsaufnahme die Reform des
Staatsangehörigkeitsrechts, die meiner Meinung nach auf
einem völlig anderen Blatt steht, jetzt zurückziehen und
zunächst einmal ruhen lassen? Finden Sie nicht, daß Ängste in der Bevölkerung vor Zuwanderungsströmen wieder
dadurch geschürt worden sind, daß man zwei grundverschiedene Themen durcheinandergeworfen hat?
Frau Kollegin
Sonntag-Wolgast, ich finde es durchaus angemessen,
daß Sie als Parlamentarische Staatssekretärin versuchen,
Ihrem Minister hier zu helfen. Aber die Frage des Kosovo ist von ihm in diese Debatte eingeführt worden, und
zwar im Zusammenhang mit dem Nationenbegriff, und
dazu habe ich etwas gesagt. Die Frage, ob es nicht klug
gewesen wäre, den Versuch zu machen, bei einem solch
wichtigen Thema zu parteiübergreifenden Gesprächen
zu kommen, statt die Gesellschaft und die Nation zu
spalten, ist vor diesem Hintergrund mehr als berechtigt.
({0})
Werte Kolleginnen und Kollegen, wir lehnen Ihren
Gesetzentwurf ab. Er ist verfassungsrechtlich bedenklich, er ist integrationspolitisch unausgegoren, und er ist
mit einem unvertretbaren Verwaltungsaufwand verbunden. Er wirft mehr Fragen auf, als er beantwortet. Dies
war auch das Ergebnis der Sachverständigenanhörung
im Innenausschuß.
Wenn man das Ergebnis der Anhörung zusammenfassen will, muß man feststellen, daß die Sachverständigen,
egal, wie sie zum Optionsmodell stehen, gesagt haben,
dieser Gesetzentwurf sei Stückwerk, unausgereift und
nachbesserungsbedürftig, auch sei er in sich widersprüchlich, aber vor allen Dingen fehle die Abstimmung
mit anderen Gesetzen. Ich habe nie verstanden, warum
Sie auf seiten der rotgrünen Regierung nicht den Mut
gehabt haben, ein Gesamtkonzept für ein neues
Staatsangehörigkeitsrecht vorzulegen, sondern hier
den Versuch machen, einen einzelnen Punkt herauszugreifen. Ich habe übrigens auch nie verstanden, warum
es Ihnen nicht gelungen ist, hier ein übergreifendes Integrationskonzept, das über die Frage der Staatsangehörigkeit hinausgeht, vorzulegen.
({1})
Sie haben sich statt dessen für ein parlamentarisches
Verfahren entschieden, nach dem Motto: Augen zu und
durch. Es ging nicht um Argumente. Es ging auch nicht
um die politisch-parlamentarische Debatte; vielmehr waren es in der Anfangsphase dieser Diskussion zuerst das
Hochgefühl und dann die Arroganz der Macht, die Sie
haben glauben lassen, alle Gegenargumente übergehen
zu können. Wir haben Sie mit unserer Unterschriftenaktion eines Besseren belehrt.
({2})
Es ist nur noch ein Ausdruck von politischer Schwäche,
daß Sie jetzt nicht in der Lage sind, parteiübergreifende
Gespräche zu führen. Man muß den grünen Parteitag
überleben. Man muß versuchen - das hat wieder etwas
mit dem Kosovo zu tun, Frau Sonntag-Wolgast -, eine
Mehrheit für die Kosovo-Politik zu erhalten. Deshalb
können Sie keine neuen Überlegungen in dieser Frage
anstellen und auch keine neuen Gespräche anbieten.
Aber es soll wenigstens Vollzug in Sachen Staatsangehörigkeitsrecht gemeldet werden. Das ist nicht nur
schade, sondern bringt Sie mittel- und langfristig in Widerspruch zu all denjenigen, die erkannt haben, daß es
bei allem Streit richtig und notwendig gewesen wäre, zu
einem breiten Konsens zu gelangen. So haben zum Beispiel die Kirchen eindringlich dafür geworben, daß die
Reform des Staatsangehörigkeitsrechts vom Gesetzgeber
in einem breiten Konsens vorgenommen wird. Dabei
meinten die Kirchen einen Konsens - hier zitiere ich -,
„der über die jetzt vorliegenden Gesetzesentwürfe eine
Brücke schlägt“.
({3})
Das, was uns heute zur abschließenden Abstimmung
vorgelegt wird - ich habe es bereits gesagt -, ist Flickwerk. Die Rechtszersplitterung wird vorangetrieben.
Sie ist heute schon schlimm genug. Das Gesetz steht im
Widerspruch zum Ausländerrecht und enthält Ungereimtheiten, die dazu führen werden, daß nicht nur diejenigen, die unsere Auffassung bei dieser Reform teilen,
an diesem Gesetz verzweifeln werden, sondern auch
diejenigen, die angeblich davon profitieren sollen. Wer
als ausländischer Mitbürger in der konkreten Verwaltungspraxis mit diesem Gesetz konfrontiert wird, wird
seinen Glauben an die Integrationsbereitschaft unseres
Staates sehr schnell verlieren, weil die Widersprüche ihn
schlichtweg in die Verzweiflung treiben werden: Was
soll zum Beispiel in dem Fall einer jungen Mutter geschehen, die Doppelstaaterin ist, in Deutschland ein
Kind bekommt und - wenn sie nicht optiert - ihre deutsche Staatsbürgerschaft verliert, während ihr Kind diese
erhält? Wie soll das innerhalb einer Familie gelöst werden? Oder was soll in dem Fall geschehen, in dem jemand seiner deutschen Wehrpflicht nachgekommen ist,
aber der deutsche Staat ihm - wenn er nicht optiert sagt, du bist nicht mehr erwünscht? Was hat das alles
mit Integration zu tun?
Damit komme ich auf einen weiteren Punkt zu sprechen: Wir haben uns von seiten der CDU/CSUBundestagsfraktion darum bemüht, daß die Debatte
nicht nur auf die Frage der Staatsbürgerschaft verengt
wird. Wir haben uns vielmehr darum bemüht, ein Gesamtkonzept vorzulegen, in dem die drei Bereiche
Staatsbürgerschaftsrecht, Zugangsbegrenzung und Integrationskonzept berücksichtigt werden. Wir haben für
unser Integrationskonzept viel Zustimmung von Ausländerbeiräten und Ausländerorganisationen erfahren.
({4})
So schreibt zum Beispiel die EKD:
In vielen Bereichen finde ich eine Übereinstimmung mit dem, was die Kirchen in ihrem gemeinsamen Wort „...und der Fremdling, der in deinen
Toren ist“ geäußert haben.
Die IG BCE - die Industriegewerkschaft Bergbau,
Chemie, Energie - schreibt:
Integration bedeutet dabei für uns als Gewerkschaften nicht die Aufgabe der ethnischen, kulturellen und religiösen Identität. Wir begrüßen es,
daß die CDU/CSU dies genauso sieht.
Wir stellen heute unser Integrationskonzept zur Abstimmung. Wir waren entsetzt, als wir feststellen mußten, daß Sie auch im Innenausschuß unser Integrationskonzept aus den gleichen Gründen, die ich eben beschrieben habe - nacktes parteipolitisches Kalkül;
Augen zu und durch -, abgelehnt haben. Sie empfehlen
heute dem Deutschen Bundestag die Ablehnung unseres
Konzeptes. Ich werde es Ihnen sagen: Wenn Sie gleich
gegen den Antrag „Integration und Toleranz“ stimmen,
dann lehnen Sie Forderungen ab wie die: nach Ausweitung der Sprachförderung für Ausländer, Frau Beck,
({5})
nach Förderung ausländischer Kinder in Kindergärten
und in der Vorschulzeit, Herr Özdemir, nach schulbeDr. Jürgen Rüttgers
gleitenden Sprachkursen für ausländische Mütter, nach
berufsvorbereitenden Maßnahmen für ausländische Jugendliche, nach Förderung ausländischer Existenzgründungen in Deutschland, nach Mobilisierung des ausländischen Mittelstands für die Lehrlingsausbildung, nach
Einstellung von Polizeibeamten ausländischer Herkunft,
({6})
nach einer verstärkten Aufnahme von Mitbürgern ausländischer Herkunft in die demokratischen Parteien
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
- im Moment
nicht -, nach Herstellung der Voraussetzungen für einen
islamischen Religionsunterricht an den öffentlichen
Schulen, der der staatlichen Schulaufsicht unterliegt,
und nach einer Berücksichtigung des ausländischen Bevölkerungsanteils in Sendungen der Rundfunkanstalten.
({0})
Wie rechtfertigen Sie eigentlich Ihre Ablehnung dieser
konkreten Vorschläge zur Integration? Hiermit würde
mehr für die Integration in Deutschland getan als durch
die Einführung des Doppelpasses.
({1})
Welche anderen Gründe als rein parteipolitisches Kalkül
könnte es eigentlich dafür geben? Ist das der Bedeutung
der Sache angemessen?
Die Integration der dauerhaft und rechtmäßig in
Deutschland lebenden ausländischen Mitbürger ist für
den inneren Frieden und die Zukunft unseres Landes unzweifelhaft ein großes Thema. Wir haben dem Deutschen Bundestag ein Angebot zur Debatte über diese
zentrale Frage unseres Landes unterbreitet. Wenn dieses
Konzept heute niedergestimmt wird, dann bestätigt sich
unser Anfangsverdacht: Ihnen geht es nicht um Integration, sondern um die Erledigung dieses Themas vor den
nächsten Wahlen. Genau das wollen Sie.
({2})
Ich schließe, indem ich an jeden einzelnen Abgeordneten der Fraktion der SPD appelliere: Stimmen Sie für
unseren Antrag „Integration und Toleranz“! Ich appelliere an die Kolleginnen und Kollegen von der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen: Stimmen auch Sie für den Antrag „Integration und Toleranz“! Ich appelliere an die
Kolleginnen und Kollegen der Fraktion der Freien Demokraten: Nehmen Sie den Bericht der früheren Ausländerbeauftragten, Ihrer Parteifreundin Frau SchmalzJacobsen, zur Hand und vergleichen Sie die Forderungen mit diesem Konzept! Stimmen Sie für dieses Konzept! Letztlich appelliere ich an Sie alle von der Regierungskoalition: Machen Sie unsere ausländischen Mitbürger nicht zum Opfer Ihres parteipolitischen Kalküls!
({3})
Zu einer Kurzintervention gebe ich dem Kollegen Peter Altmaier das Wort.
Herr Bundesinnenminister Schily, Sie haben lang und breit aus unseren Interviews und Äußerungen zitiert. Ich hätte mir gewünscht, Sie hätten etwas häufiger aus den Interviews
und Äußerungen des Bundeskanzlers Schröder zu diesen
Themen zitiert. Aber davon werden Sie sehr wenige finden, weil er es bis heute nicht für richtig gehalten hat, in
dieser Frage öffentlich Stellung zu beziehen und für
einen breiten gesellschaftlichen Konsens zu werben.
({0})
Es ist wahr, daß es in der CDU/CSU eine ganze Reihe von Kolleginnen und Kollegen gibt, die sich seit vielen Jahren für ein vernünftiges Optionsmodell eingesetzt haben und weiterhin einsetzen. Aus diesem Grund
werden heute etwa 20 Kolleginnen und Kollegen der
Union nicht gegen Ihren Gesetzentwurf stimmen.
({1})
Ich nehme für uns in Anspruch, daß wir uns dabei nicht
von parteitaktischem Kalkül leiten lassen. Vielmehr sind
wir davon überzeugt, daß es als Antwort auf die Veränderungen, die sich in Deutschland in den letzten 20,
30 Jahren vollzogen haben - in Deutschland werden jedes Jahr 100 000 Kinder geboren, die nicht die deutsche
Staatsangehörigkeit haben -, notwendig ist, ein Signal
zu geben, das diesen jungen Menschen deutlich macht:
Ihr gehört dazu, ihr seid Teil dieser Gesellschaft; wir
nehmen euch an. Ich denke an ein Signal, das ohne generelle doppelte Staatsangehörigkeit und ohne all die gefährlichen Assoziationen und Folgen auskommt, die mit
diesem Begriff verbunden sind.
Ich nehme für mich und die Kolleginnen und Kollegen, die innerhalb der Union für dieses Thema gestritten
haben - es waren nicht nur Bundestagsabgeordnete; es
waren auch Oberbürgermeister, Landtagsabgeordnete
und viele Mitglieder in Ortsverbänden -, in Anspruch,
daß wir zusammen mit repektablen Kolleginnen und
Kollegen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und F.D.P.
- zum Beispiel Cem Özdemir und Frau SchmalzJacobsen - mehr für Integration bewirkt haben als fast
die gesamte Führungsspitze der Sozialdemokratischen
Partei.
Es gab im Jahre 1998 einen breiten gesellschaftlichen
Konsens für das Optionsmodell. Die Kirchen, der Städte- und Gemeindetag und auch viele gesellschaftliche
Gruppierungen waren dafür. Sie haben nach der Bundestagswahl diesen Konsens ohne Not aufgekündigt und
sind auf Ihren ursprünglichen Vorschlag einer generellen doppelten Staatsangehörigkeit zum Nulltarif - aus,
wie ich meine, rein koalitions- und parteitaktischen
Gründen - zurückgekommen. Damit haben Sie dem
Anliegen der Ausländerintegration geschadet.
({2})
Als es nach der Wahl in Hessen darum ging, in dieser
Frage Flagge zu zeigen und für die eigene Position zu
kämpfen, hat sich dann Ihr eigener Bundeskanzler postDr. Jürgen Rüttgers
wendend in die Büsche geschlagen und in einem Interview in der „Süddeutschen Zeitung“ erklärt, Minderheitenthemen wie Staatsangehörigkeitsrecht dürften nun
nicht mehr so sehr in den Vordergrund geschoben werden; man müsse sich mehr den eigentlich wichtigen
Themen zuwenden. Eine solche Aussage haben Sie bisher von niemandem aus unserer Gruppe gehört. Sie werden sie auch in Zukunft nicht hören.
Herr Kollege, denken Sie bitte an die Zeit.
Ich komme sofort zum
Ende. - Wir hätten es auch begrüßt, Herr Bundesinnenminister, wenn der Bundeskanzler es für nötig gefunden
hätte, dieser Debatte persönlich zu folgen und damit
auch in der Öffentlichkeit für seine Überzeugung einzutreten.
Wir werden Ihren Gesetzentwurf nicht ablehnen,
können ihm aber auch nicht zustimmen, weil Sie zu keinem Zeitpunkt versucht haben, einen Konsens zu finden,
weil Sie alle Gesprächsangebote abgelehnt haben, die
von Wolfgang Schäuble und der CDU/CSU in den letzten Wochen gemacht worden sind, und weil Sie jede
einzelne Forderung aus unserem Integrationspapier zurückgewiesen haben. Damit genügen Sie vielleicht Ihren
parteitaktischen Anliegen. Aber dem Anliegen der Integration von Ausländern in unsere Gesellschaft werden
Sie damit ganz sicher nicht gerecht.
({0})
Ich erteile das Wort
dem Bundesminister des Innern, Herrn Otto Schily. Bitte
sehr.
Herr Kollege Altmaier, zunächst einmal bedanke ich mich. Es ist
des Respekts würdig, daß Sie zu Ihren alten Überzeugungen stehen; ich finde das großartig; das ist absolut
anerkennenswert.
({0})
- Herr Zeitlmann, Sie können es einfach nicht lassen.
Sie, Herr Altmaier, haben nun behauptet - es kann ja
sein, daß Sie es nicht besser wissen -, ich hätte keine
Bemühungen unternommen, um zu einem Konsens zu
gelangen. Sie wissen vielleicht nicht, daß ich mich bemüht habe, mit Herrn Kollegen Schäuble zu einem Konsens zu kommen. Ich habe eine geschlagene Stunde mit
Herrn Schäuble und mit vielen anderen aus Ihrer Fraktion geredet. Natürlich ist mir an einem Konsens sehr gelegen. Der Konsens kann aber nicht darin bestehen, wie
Sie vielleicht denken und wie es mir immer gesagt worden ist, daß diese Debatte in der Art und Weise fortgesetzt wird, wie Sie es 16 Jahre lang gemacht haben,
nämlich ad calendas graecas. Das mache ich nicht mit.
({1})
Das aber war das Ergebnis dieser Gespräche. - Ich
will jetzt niemanden zitieren, aber wenn ich in Ihre
Reihen schaue, sehe ich viele, mit denen ich gesprochen
habe.
Ihr Appell, daß wir versuchen sollten, den Beschluß
auf einer breiten Grundlage zu fassen, ist völlig richtig.
Sie haben dabei an frühere Legislaturperioden erinnert.
Herr Altmaier, Sie wissen doch ganz genau, daß wir uns
in der vorangegangenen Legislaturperiode auf der Basis
des Optionsmodells hätten einigen können, wenn Sie
nicht der Gefangene von Herrn Kanther gewesen wären.
Sie konnten sich doch untereinander nicht einigen und
haben sich nicht getraut, einen entsprechenden Entwurf
vorzulegen. Sie sollten die Dinge hier nicht verdrehen.
({2})
Es ist immer noch Zeit, zu einem Konsens zu kommen. Insofern verstehe ich Ihre Haltung nicht. Aber ich
finde es, wie gesagt, erfreulich, daß Sie bei Ihrer hier
dargelegten Position bleiben. Das halte ich für konsequent und anerkennenswert.
({3})
- Nein, ich bin für eine weitergehende Lösung. Das ist
völlig richtig, Herr Zeitlmann. Wenn wir die Mehrheit
dafür weiterhin gehabt hätten, wäre ich auch dabei geblieben - das sage ich ganz offen und ehrlich -, nicht
zuletzt deshalb, weil wir uns jetzt einigen Verwaltungsaufwand einhandeln. Ich muß mich aber jetzt auf das
zubewegen, was mehrheitsfähig ist. Das ist auch in Ordnung; in der Politik ist das manchmal so.
Daß Sie sich aber jetzt enthalten, Herr Altmaier, halte
ich nicht für konsequent. Wenn jemand eher unserer
Auffassung ist, müßte er doch eigentlich konsequent
sein und unserem Gesetzentwurf zustimmen. Ich frage
mich nun, was Ihre Beweggründe für eine Enthaltung
sind. Das kann doch nicht an Bundeskanzler Schröder
liegen, der alles mit unterschrieben hat, und der daher
der Meinung ist, daß dies die richtige Lösung sei.
Weil Sie das Thema Doppelpaß angesprochen haben:
Ich darf Sie bitten - das meine ich sehr ernst -, zur
Kenntnis zu nehmen, daß es mir wahrlich nicht um die
Herbeiführung möglichst vieler doppelter Staatsbürgerschaften geht. Das ist nicht unser Ziel. Ich bin sogar der
Meinung, daß doppelte Staatsbürgerschaften vermieden
werden sollten. Nur will ich daran erinnern, daß für uns
Integration wichtiger als die Vermeidung der Mehrstaatigkeit ist.
({4})
Was Sie Otto von Habsburg zubilligen, nämlich eine
Mehrstaatigkeit, das sollten Sie auch dem einfachen türkischen Mitbürger zubilligen. Sie tun es ja auch, wenn
auch beschränkt auf eine gewisse Dauer, im Rahmen des
Optionsmodells.
Herr Altmaier, allen Respekt vor dem, was Sie gesagt
haben. Ich denke, daß Sie die Diskussion zum Anlaß
nehmen sollten, weiterzudenken und dem Gesetzentwurf
zuzustimmen.
Danke schön.
({5})
Zu einer Kurzintervention hat das Wort der Kollege Rüdiger Veit.
Meine Damen und Herren! Ich
könnte versucht sein, darüber zu philosophieren, welche
Rolle nun die F.D.P.-Fraktion angesichts des politischen
Zerrbildes, das wir gesehen haben, spielen sollte, um
den Grünen über ihren Bundeskongreß zu helfen.
Ich möchte aber Sie, Herr Rüttgers, etwas fragen,
wozu Sie mir während Ihres Redebeitrages keine Gelegenheit gegeben haben. Meine Frage wird aber nach der
Erklärung von Herrn Altmaier noch viel interessanter.
Sind Ihre verfassungsrechtlichen Bedenken gegen den
jetzt vorliegenden Gesetzentwurf groß genug, daß Sie
sich entschließen können, nach Karlsruhe zu gehen, oder
fehlt Ihnen jetzt bei 30 Enthaltungen aus der CDU/CSUFraktion eventuell das Quorum?
Herr Rüttgers, wollen Sie antworten? - Nein.
Ich bin der Auffassung, daß wir in der Debatte nach
der Kurzintervention des Kollegen Repnik fortfahren
sollten. Bitte sehr, Herr Kollege, Sie haben das Wort.
Frau Präsidentin!
Ich bin der Meinung, daß wir mitten in der Debatte sind
und daß wir daher nicht mit der Debatte fortzufahren
brauchen. Die Äußerung von Herrn Bundesinnenminister Schily bedarf einer Erwiderung im Rahmen meiner
Kurzintervention.
({0})
Der Herr Bundesminister Schily hat eine Äußerung gemacht, die ich nicht stehenlassen kann.
({1})
Herr Kollege Repnik, darf ich Sie kurz unterbrechen? Ich kann nach
einem Debattenbeitrag eine Kurzintervention zulassen.
Das habe ich getan. Herr Repnik, Sie haben das Wort.
Tatsache ist, daß
Herr Schily von seinem ursprünglichen Entwurf der
doppelten Staatsangehörigkeit nicht deswegen abgerückt
ist, weil er sich möglicherweise von Herrn Schäuble in
der Sache überzeugen ließ. Der Grund liegt vielmehr in
den 5 Millionen Unterschriften und in der klaren Quittung der hessischen Wähler.
({0})
Nachdem der neue Entwurf der Regierung vorlag, hat
unser Fraktionsvorsitzender Wolfgang Schäuble im Einvernehmen mit dem CSU-Vorsitzenden Edmund Stoiber
der Koalition neue Gespräche angeboten. Dieses Gesprächsangebot wurde von den Kirchen aufgegriffen, die
an die Koalition appelliert haben: Gehen Sie auf dieses
Gesprächsangebot ein! Es wurde ebenfalls vom Bundestagspräsidenten Thierse aufgegriffen, der an die Koalitionsfraktionen appelliert hat: Gehen Sie auf dieses
Gesprächsangebot ein! Herr Struck, der Fraktionsvorsitzende der SPD, ist anschließend auf Herrn Schäuble zugegangen und hat gesagt: Wir wollen in der Koalition
darüber sprechen.
Bis zum heutigen Tag, Herr Minister Schily, ist die
Koalition auf dieses Gesprächsangebot der Parteivorsitzenden der Union eine Antwort schuldig geblieben. Es
ist also nicht so, daß Sie zu irgendeinem Zeitpunkt bereit
gewesen wären, diese wichtige und gesellschaftspolitisch befriedende Frage einer konsensualen Lösung zuzuführen. Sie haben vielmehr dieses ehrlich und offen
gemeinte Angebot - das ernst zu nehmen Sie von den
Kirchen gebeten wurden - schlichtweg ignoriert und
sind nicht darauf eingegangen.
({1})
Jetzt darf der Bundesminister darauf antworten. Danach lasse ich keine
Kurzinterventionen mehr zu. Wir fahren dann mit der
Debatte in der vorgesehenen Rednerfolge fort.
Bitte sehr, Herr Bundesminister.
Herr Kollege Repnik, weil ich immer zu Milde aufgelegt bin, führe
ich das, was Sie gerade vorgetragen haben, einfach auf
schlechte Informationskanäle zurück.
({0})
- Nun hören Sie zu! Ich habe Ihnen doch auch zugehört.
Ich habe beispielsweise in der Evangelischen Akademie Tutzing ein Gespräch geführt, um das die dortigen Kirchenvertreter gebeten haben. Daran haben auch
einige hochrangige Politiker aus Ihren Reihen teilgenommen. Ich habe eine ganze Reihe von Gesprächen
auch mit Personen aus Ihren Reihen geführt - übrigens
auch schon vor der Hessenwahl. Deshalb ist das, was Sie
gesagt haben, nicht wahr. Aber ich habe mich nicht nur
auf Ihre Oppositionsfraktion beschränkt; es gibt noch
eine andere. Auch mit dieser Oppositionsfraktion habe
ich gesprochen.
({1})
- Nein, ich habe auch mit Herrn Westerwelle - er ist ein
Vertreter dieser Oppositionsfraktion - gesprochen, und
zwar vor der Hessenwahl.
({2})
Das war übrigens ein sehr angenehmes Gespräch.
Gespräche machen aber nur dann einen Sinn, wenn
die Zielsetzung konstruktiv ist. Das, was Sie hier betreiben, ist eine „Just for show“-Strategie. Sie wollen gar
keinen Konsens. Sie wollen uns nur davon abhalten, diese Reform des Staatsangehörigkeitsrechts zu vollziehen.
Sie sollten also ehrlich sein und dies sagen. Das wäre
auch in Ordnung; denn das ist Ihr demokratisches Recht.
Sie sollten die Dinge aber nicht verfälschen.
Im übrigen sollten Sie auch nicht mit Kampagnen den
Wählerwillen verfälschen; denn in Kenntnis dessen, was
wir vorhatten, haben uns die Wähler im Bundestagswahlkampf einen großen Sieg ermöglicht.
({3})
Wenn Sie also schon immer von der Landtagswahl reden, dann denken Sie bitte auch einmal daran, daß wir
im letzten Herbst auf der Basis dieser Staatsangehörigkeitsrechtsreform die Mehrheit errungen haben. Ich
glaube, das muß man Ihnen in Erinnerung rufen, damit
Sie nicht ganz vergessen, wo sie gelandet sind, nämlich
in der Opposition - und das für eine Weile.
({4})
Nun erteile ich dem
Kollegen Cem Özdemir das Wort.
Frau
Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Bevor ich
auf die Debattenbeiträge eingehe, gestatten Sie mir bitte
einen kleinen Rückblick historischer Art - oft wurde
nämlich der Vorwurf erhoben, wir würden etwas durch
das Parlament peitschen, die Debatte sei ganz neu, wir
hätten sie nie geführt -, um zu verdeutlichen, wie alt das
Gesetz ist, über das wir heute reden.
Welch Geistes Kind das Reichs- und Staatsangehörigkeitsrecht vom 22. Juli 1913 war, belegt ein Zitat
({0})
- hören Sie zu, dann werden Sie mir sicher zustimmen aus den Beratungen des Reichstages im Jahr 1912.
Da trug der Abgeordnete Herzog von der Wirtschaftlichen Vereinigung vor, dieses Gesetz solle
„auf der einen Seite verhindern, daß weiterhin
wertvolle deutsche Volkselemente dem Reiche und
seiner Stellung in der Welt verlorengehen, daß es
auf der anderen Seite aber ebenso sicher verhüten
möge, daß die deutsche Reichs- und Staatsangehörigkeit gewissermaßen ein Asyl wird für alle möglichen unerwünschten Elemente, die unser Volkstum gefährden und die keineswegs geeignet sind,
den deutschen Namen und deutsches Wesen in der
Welt zu Ehren zu bringen“.
… Noch im Frühjahr 1995 kritisierte der frühere
Bundespräsident Richard von Weizsäcker dieses
Gesetz,
- das Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetz das trotz zahlreicher Änderungen in seinem Kern
„aus der unseligen Blütezeit des zum Nationalismus
pervertierten Nationalstaatsdenkens stammt“.
Die einzige Möglichkeit, die das wilhelminische
Gesetz für Nichtdeutsche vorsah, um die deutsche
Staatsangehörigkeit zu erlangen, war und ist die
Einbürgerung. Mit einem - selbst für heutige Verhältnisse weitgehenden - Vorschlag
- jetzt komme ich zu Ihren Vorgängern scheiterten Sozialdemokraten und Liberale im
Reichstag: Sie wollten die Einbürgerung von Ausländern bereits nach zweijährigem Aufenthalt im
Reichsgebiet als einklagbares Recht ausgestalten.
Doch die Reichsregierung legte die Hürden für eine
Einbürgerung hoch und stellte sie ins alleinige Ermessen des Staates: Einbürgerung sollte eine Ausnahme sein und nicht die Regel.
Die Hürden sind hoch geblieben bis in unsere Tage.
Bevor ich in die Debatte einsteige, lassen Sie mich
Ihnen ein Zitat nicht vorenthalten. Der Korrespondent
der „Washington Post“ hat in den 90er Jahren, die
Kohl-Regierung der letzten 16 Jahre bilanzierend, zum
Thema „Staatsbürgerschaft und Umgang mit der Integration“ eine Überschrift gewählt, der, wie ich glaube,
nichts hinzuzufügen ist: „Come on, Germany! Get real!“ Frei übersetzt: „Deutschland, stell dich der Wirklichkeit!“
Ich bin froh, daß wir uns heute, nachdem Sie es 16
Jahre lang trotz mehrfacher Ankündigungen nicht geschafft haben, endlich der Realität stellen: Dieses Land
wird sich am 1. Januar 2000 ein neues, modernes, republikanisches, europäisches Staatsangehörigkeitsrecht zulegen.
({1})
Wir wollen - da wir schon bei der Historie sind auch eines nicht vergessen: Ich glaube, man sollte diesen
Tag auch nutzen, um denen zu danken, die in der Vergangenheit ihren Beitrag dazu geleistet haben, daß wir
zu dem Punkt gelangen konnten, an dem wir heute sind.
Viele werden sich gar nicht mehr daran erinnern: Herr
Kühn, der erste Ausländerbeauftragte, den die Bundesrepublik Deutschland hatte, damals, 1979, von der sozialliberalen Regierung eingesetzt - er war der frühere
Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen -, war einer
der ersten, der überhaupt von der Notwendigkeit einer
Reform des Staatsangehörigkeitsrechtes sprach und der
damals den revolutionären Vorschlag eingebracht hat,
quasi per Postkarte mit 18 Jahren die deutsche Staatsbürgerschaft zu verleihen. Ich nenne weiter Frau Funcke
von der F.D.P., die zweite Ausländerbeauftragte, die
sich damals einen Platz in den Herzen vieler Nichtdeutschen gesichert hat, die nach wie vor wegen ihres Engagements für Nichtdeutsche unvergessen ist und die sich
in der sozialliberalen Koalition vergeblich bemüht hat,
Bewegung in dieses Thema zu bringen. Schließlich nenne
ich Frau Schmalz-Jacobsen - ich habe sie vorhin schon
oben auf der Tribüne entdeckt. Auch ihr gilt, glaube ich,
der Dank des gesamten Hauses dafür,
({2})
daß sie sich bemüht und dafür eingesetzt hat, damals
Verständnis in der Koalition für etwas zu wecken, für
das in der Koalition eigentlich kein Verständnis zu wekken war, weil die Mehrheiten anders waren.
Wo ich schon einmal beim Dank bin, gestatten Sie
mir auch einen Dank in eigener Sache, nämlich einen
Dank an die Generation meiner Eltern, an die Menschen,
die in den 50er, 60er, 70er Jahren über die Anwerbeabkommen zu einer Zeit hierhergeholt worden sind, als es
in Deutschland einen großen Arbeitskräftemangel gab,
und die zum Wohlstand dieser Republik beigetragen haben. Sie sind hier alt geworden. Sie, die ungelernte Arbeitskräfte waren, kamen hierher, weil man ungelernte
Arbeitskräfte gesucht hat. Sie haben Arbeiten angenommen, die viele Deutsche damals nicht annehmen
wollten. Ich glaube, es wäre ungerecht, wenn man diesen Menschen, die jetzt kurz vor dem Rentenalter stehen, nun den Vorwurf macht, daß man damals keine
Konzepte für Integration hatte, daß man damals nicht
daran gedacht hat, daß sie bleiben werden, daß man keine Vorkehrungen für Sprachkurse und Integrationskurse
getroffen hat und daß ihr Deutsch nicht so gut ist. Das
sollten wir, glaube ich, nicht machen, im Gegenteil:
Ihnen gebührt unser Dank dafür, daß sie dieses Land mit
aufgebaut haben.
({3})
- Ich gestatte Ihnen gleich die Zwischenfrage; gestatten
Sie mir bitte, diesen Punkt kurz zu Ende zu führen.
Namens meiner Fraktion möchte ich auch noch folgendes anführen: Man kann über den Kompromiß vieles
sagen. Ich bedauere sehr, daß es uns nicht gelungen ist,
der ersten Generation, den Menschen, die in dieser Gesellschaft alt geworden sind, die diese Gesellschaft nicht
bedrohen, die weniger straffällig werden als vergleichbare
Deutsche, die immer loyal zu diesem Lande standen, die
doppelte Staatsbürgerschaft zu geben. Ich bedauere das
insbesondere mit Blick auf die F.D.P., weil sie blockiert
hat, diesen Menschen als Anerkennung ihrer Lebensleistung die doppelte Staatsbürgerschaft zu geben.
({4})
Es wäre uns kein Zacken aus der Krone gefallen. Es
hätte sich ja um einen überschaubaren Kreis von Personen gehandelt. Hierbei wäre uns, glaube ich, auch die
Mehrheit der Bevölkerung gefolgt.
Bitte sehr.
Jetzt lassen Sie die
Zwischenfrage zu. Bitte sehr, Herr Kollege Uhl.
Herr Kollege, gestatten Sie mir eine Frage, weil ich davon ausgehe, daß
Sie aus eigenem Erleben wissen, was Integration wirklich heißt. Nachdem das Problem den Praktikern seit
vielen Jahren bekannt ist, daß von der Sprachfähigkeit
die Schulausbildung abhängt und von der Schulausbildung die Berufsausbildung und daß nur so Integration
stattfinden kann, hat die Bundesregierung bereits 1995
ein Modellprojekt zur Förderung ausländischer Jugendlicher der zweiten und dritten Generation mit dem Ziel
der Integration dieser Ausländer gestartet. Nun werden
wir uns sicher nie über die Frage einigen können, wie
wir Integration betreiben sollen. Sie gehen den Weg
über die Ausreichung von deutschen Pässen; wir sind
der Meinung, daß man das anders angehen sollte. Darüber will ich nicht reden und Sie dazu auch nicht befragen.
Ich frage Sie vielmehr, was Sie davon halten, wenn
gerade in diesen Tagen, in denen das von Ihnen beschlossen wird, die gleiche Bundesregierung - nicht der
Innenminister, sondern die Kabinettskollegin - dieses
Modellprojekt zur Integration von Ausländern der
zweiten und dritten Generation in den großen deutschen
Städten - es sind sieben an der Zahl - aus finanziellen
Gründen stoppt. Das heißt, aufsuchende Integrationsarbeit - Streetwork -, zum Beispiel in München, dort in
einem ganz bestimmten Treffpunkt - ihn kenne ich ganz
genau - in einem Problemviertel, einem sozialen Brennpunkt - aber auch in anderen großen deutschen Städten -, ist nicht mehr möglich. Genau in diesen Tagen
werden diese Modellprojekte aus finanziellen Gründen
gestoppt. Meine Frage ist jetzt: Sind Sie mit mir der
Meinung, daß diese Politik, die in dem Ausreichen deutscher Pässe besteht, aber die zur gleichen Zeit die wahre
Integrationsarbeit in den großen deutschen Städten
stoppt, keine Integrationspolitik ist, sondern einen Akt
der zynischen Desintegration darstellt?
({0})
Herr
Kollege Uhl, ich bin mit Ihnen einer Meinung, daß wir
mehr für die Integration tun müssen. Wir haben in der
Haushaltsdebatte gestern ja festgestellt - da werden Sie
mir sicherlich zustimmen -, daß diese Bundesregierung
die Mittel für Integration, für Sprachkurse und Integrationshilfe, für berufsvorbereitende Jahre - dazu zählt auch
das 100 000-Ausbildungsplätze-Programm, das sich
speziell an diese Gruppe richtet, weil wir gerade da Probleme haben - ausgeweitet hat. Das ist sicherlich nicht
genug, aber es ist ein Anfang gemacht. Ich bin mir
sicher, wir werden noch mehr tun.
Lassen Sie mich folgendes hinzufügen: Sie reden von
Integration. Wir sind uns einig, da muß mehr getan werden. Der Kollege Rüttgers hat ein Papier vorgelegt.
Wenn man dieses Papier einmal nüchtern analysiert,
wird man feststellen: Die meisten der Aufforderungen
richten sich doch nicht an die Bundesregierung; sie
richten sich an die Landesregierungen.
({0})
Die Landesregierungen sind maßgeblich finanziell verantwortlich für all die Dinge, die Herr Kollege Rüttgers
genannt hat. Ich habe folgende Bitte - vielleicht können
wir hier ja Einigkeit erzielen -: Lassen Sie uns dieses
Spiel: Der Bund schiebt die Verantwortung auf die Länder,
({1})
die Länder schieben sie auf den Bund, gemeinsam
schieben wir sie auf die Kommunen, beenden.
({2})
Wir haben im Innenausschuß den Vorschlag gemacht
- ich glaube, er ist mit den Stimmen Ihrer Fraktionskollegen auch angenommen worden -, gemeinsam in die
Niederlande zu reisen und das dortige Modell zu
Sprach- und Integrationskursen anzuschauen. Ich bin
mir sicher, daß wir mit der Erkenntnis zurückkommen
werden, daß es ein gutes Modell ist. Solche Modelle
kann man nur durchsetzen, wenn Bund und Länder unionsregierte Länder genauso wie rotgrün regierte
Länder - zusammenarbeiten. Wir wollen - an uns wird
das garantiert nicht scheitern; die Einladung ergeht auch
an Sie, an die Opposition - in dieser Frage zusammenarbeiten.
Lassen Sie mich, weil die Zwischenfrage gestellt
wurde, noch ein bißchen auf die Union eingehen. Ich
glaube, es lohnt sich, die Haltung der Union in diesem
Punkt etwas näher zu betrachten. Von Herrn Kollegen
Repnik und von Herrn Kollegen Rüttgers beispielsweise
wurden verschiedentlich die Kirchen zitiert. Ich habe
das mit Interesse verfolgt. Ich muß allerdings fragen:
Wo war denn Ihre Sympathie für die Kirchen, als es
darum ging, für die Anhörung im Innenausschuß Sachverständige einzuladen?
({3})
Wir hatten uns darauf geeinigt, die Kirchen, den Städtetag etc. einzuladen. Sie haben diese gemeinsame Vereinbarung aufgekündigt, weil Sie die Kirchen nicht dabeihaben wollten,
({4})
weil Ihnen die Position der Kirchen nicht gefällt, weil
die Kirchen genau unsere Position stützen, unserer Position recht geben und sagen: Wir brauchen eine Reform
des Staatsangehörigkeitsrechtes.
({5})
Wir haben die Kirchen trotzdem eingeladen, weil wir
der Meinung sind, daß die Position der Kirchen wichtig
ist, daß sie gehört werden muß. Ich bin mir sicher, Ihre
Obleute werden Ihnen berichtet haben, was die Damen
und Herren der Kirchen zu Ihren Gesetzentwürfen zu
sagen hatten und was sie zu unseren Gesetzentwürfen
gesagt haben.
Da wir gerade beim Thema Verfassungskonformität
sind: Wir sollten, glaube ich, den Mitgliedern des Hohen
Hauses nicht vorenthalten, daß die Verfassungsrechtler,
nachdem sie unsere Gesetzentwürfe im großen und ganzen für verfassungskonform erklärt haben, nahezu einhellig gesagt haben, daß Ihre Gesetze alles andere als
verfassungskonform sind. Von daher würde ich Ihnen
raten, etwas bescheidener aufzutreten, was die Frage der
Verfassungsmäßigkeit angeht.
Da wir auch Herrn Kollegen Beckstein, den Landesinnenminister von Bayern, hier haben, gestatten Sie mir
einen kurzen Blick nach Bayern. Ich darf den CSUGeneralsekretär Dr. Thomas Goppel zitieren, der in einer Schülerzeitung auf eine Frage zum Staatsangehörigkeitsrecht in bezug auf die neue Bundesregierung und
ihr Vorhaben folgendes gesagt hat:
Die neue Bundesregierung hat sich entschlossen,
einen Ausländer, der eine gewisse Zeit in Deutschland lebt, ohne Überprüfung seiner persönlichen
Hintergründe in die Familie der Deutschen aufzunehmen, indem sie ihm einen Paß gibt und sagt, du
bist Deutscher.
Ich finde, auf dieser Ebene sollte die Auseinandersetzung wirklich nicht stattfinden.
({6})
Daß man in der Politik manchmal zuspitzt und polemisiert, ist in Ordnung. Aber man sollte bei der Wahrheit
bleiben.
({7})
Weder das alte noch das neue Staatsangehörigkeitsrecht sieht vor, daß die Staatsbürgerschaft quasi an der
Grenze oder per Hauswurfsendung in die Briefkästen
verteilt wird. Die Hürden sind sowohl im ersten Entwurf
von Schily als auch in dem Gruppenantrag höher gelegt
als bei dem, was Sie in den letzten 16 Jahren gemacht
haben.
Ich darf daran erinnern, daß wir auch bei denjenigen,
die über den Rechtsanspruch eingebürgert werden, deutsche Sprachkenntnisse verlangen. Ich darf daran erinnern, daß wir für alle, die eingebürgert werden wollen,
zukünftig das Erfordernis vorsehen, daß sie sich verfassungskonform verhalten. Das hatten Sie nicht vorgesehen.
({8})
Von daher möchte ich Herrn Goppel auffordern, diese
Aussage zurückzunehmen.
Ich darf noch ein Weiteres hinzufügen, das jeder Beschreibung spottet. Wörtliches Zitat - es geht um die
Ausländer und insbesondere um die Türken hier -:
Die leben hier ihre ganz eigene kulturelle und soziale und sonstige Welt, machen eine eigene Stadt
in der Stadt, haben nichts mit Deutschenland zu
tun, reden nicht deutsch.
({9})
Hier spricht einer von denen, die er meint. Hier hinten sitzt eine, das ist Kollegin Ekin Deligöz. Der Kollege
Sebastian Edathy sitzt hier, Frau Leyla Onur sitzt hier,
und ich hoffe, eines Tages werden auch in den Fraktionen von CDU/CSU und F.D.P. Abgeordnete nichtdeutscher Herkunft sitzen. Etwas mehr Realität darf es schon
sein,
({10})
ein etwas größerer Bezug zu dieser Gesellschaft darf es
schon sein.
Mir fehlen eigentlich die Worte. Ich will dazu nur sagen: Wenn man aus der Dummheit solcher Äußerungen
Energie gewinnen könnte, dann hätten wir wohl alle
Energieprobleme für die Zukunft gelöst.
({11})
Aus diesem Grunde spreche ich auch hier meine Aufforderung aus, doch bei der Realität zu bleiben.
Aber ich bleibe bei Bayern. Herr Innenminister Beckstein wird sicherlich auch dazu Stellung nehmen können, daß gerade unsere bayerischen Landsleute, die hier
sitzen, sehr viel Kompetenz haben, weil sie nämlich
wissen, worum es geht. Sie sind alle doppelte Staatsbürger, während ich das Privileg nicht habe. Ich habe den
türkischen Paß nicht. Ich wurde ausgebürgert, weil ich
in der Türkei nicht in die Armee gehen wollte.
Alle Bayern haben das Privileg der doppelten Staatsbürgerschaft, weil nämlich die Verfassung des Freistaates Bayern in Art. 7 sagt:
Staatsbürger ist ohne Unterschied der Geburt, der
Rasse, des Geschlechts, des Glaubens, des Berufs
jeder Staatsangehörige, der das 18. Lebensjahr
vollendet hat.
({12})
Insofern denke ich, daß gerade unsere bayerischen
Freunde berufen sein müßten, Gründe zu nennen, aus
denen Menschen darauf angewiesen sein können, die
doppelte Staatsbürgerschaft zu haben - weil sie nicht
ausgebürgert werden können, weil das Land, aus dem
sie kommen, sie nicht entläßt oder unzumutbare Hürden
aufstellt.
Ich darf, da wir gerade bei der Union sind, noch jemanden zitieren, der bei Ihnen wohl unbestritten hohes
Ansehen genießt, und das ist Adenauer. Adenauer, der
erste Bundeskanzler der Bundesrepublik, hat im Rahmen
des Versöhnungsprozesses mit Frankreich den Vorschlag gemacht und die Idee in die Debatte geworfen
- die leider anschließend nicht aufgegriffen wurde -,
daß man mit Frankreich eine doppelte Staatsbürgerschaft auf Gegenseitigkeitsbasis vereinbart. Das hieße,
alle Franzosen sollten zusätzlich die deutsche Staatsbürgerschaft haben, und alle deutschen Staatsbürger sollten
den französischen Paß haben.
Die Union war also in dieser Frage schon einmal
weiter. Deshalb hier auch mein Appell: Erinnern Sie
sich an die Europäer in Ihrer Fraktion! Helfen Sie mit,
ein Staatsangehörigkeitsrecht zu gestalten, das europäisch ist.
Ich habe noch ein weiteres Zitat aus der Union. Herr
Pützhofen, Mitglied Ihrer Fraktion, gleichzeitig Oberbürgermeister von Krefeld, sagte folgendes:
Der Städtetag ist dafür, Kindern ausländischer Mitbürger mit ihrer Geburt in Deutschland die deutsche Staatsangehörigkeit zu geben. Bei Volljährigkeit müssen sie sich für einen Paß entscheiden.
Genau das will die Regierung machen. Ich will es
noch einmal ausdrücklich sagen, bevor ein etwas seltsamer Zungenschlag aufkommt: Es geht hier nicht darum, daß wir die Union pauschal verdammen. Ich weiß,
daß es viele in der CDU/CSU gibt, die ähnlich denken
wie wir, die der Meinung sind, daß es unklug ist, eine
Gesellschaft von Minderheiten und Mehrheit zu haben,
eine Gesellschaft mit Ghettos, mit Parallelgesellschaften, mit Ausländern und Inländern.
({13})
Diese Mehrheit, die sich hier für den Gruppenantrag gefunden hat - ich nehme Sie gleich dran, Frau Kollegin -,
({14})
möchte dieses ändern. Wir sind der Meinung, es ist besser für Deutschland, wenn wir alle, die wir hier leben,
gleiche Rechte und gleiche Pflichten haben.
({15})
Wir wollen für Nichtdeutsche nicht nur Rechte, sondern auch Pflichten. Wir wollen, daß sie hier ihren
Wehrdienst ableisten. Wir wollen, daß sie hier von ihrem Wahlrecht Gebrauch machen. Wir wollen, daß sie
ihre Kinder hier aufwachsen lassen, daß die Kinder in
deutsche Kindergärten, in deutsche Schulen gehen, wie
es Ihr Kollege Eylmann gesagt hat, mit inländischem
Bewußtsein aufwachsen.
Sie wollen eine Gesellschaft der Parallelstrukturen,
sie wollen eine Gesellschaft aus Ausländern und Inländern. Ich glaube, die Mehrheit der Bevölkerung wird uns
zustimmen, daß unser Weg der bessere ist, für die
Mehrheit wie für die Minderheit.
Gestatten Sie
Zwischenfragen?
Bitte.
Bitte sehr, Frau
Kollegin Aigner.
Sehr geehrter Herr Kollege, ich bedanke mich, daß Sie mich drannehmen. Das ist
sehr freundlich.
({0})
- Jetzt kommt die bayerische Doppelstaatsbürgerschaft.
Ich
mache das immer.
Ich habe eine konkrete
Frage zu Ihrem Gesetzentwurf. Es soll optiert werden,
und die andere Staatsangehörigkeit soll aufgegeben
werden. Es gibt aber beispielsweise bestimmte Gründe,
bei deren Vorliegen das nicht verlangt wird. Es heißt
beispielsweise in § 87 Abs. 1 Nr. 5 des Gesetzentwurfs:
dem Ausländer bei Aufgabe der ausländischen
Staatsangehörigkeit erhebliche Nachteile insbesondere wirtschaftlicher oder vermögensrechtlicher Art
entstehen würden, die über den Verlust der staatsbürgerlichen Rechte hinausgehen …
Könnten Sie mir sagen, wie ich das genau verstehen
soll? Wenn eine Erbschaft nicht angetreten werden
kann, ist das dann ein Grund dafür, daß die andere
Staatsbürgerschaft nicht aufgegeben werden muß? Das
würde mich einfach einmal konkret interessieren.
({0})
Ich
kann Ihnen auch sagen, was damit gemeint ist.
Übrigens, bei dieser Gelegenheit: Es macht nichts,
von mir aus dürften Sie sich auch gern setzen, Frau
Kollegin.
Nein, wir wollen
schon die Spielregeln einhalten.
Ich
weiß, ich weiß; sonst heißt es wieder, die Türken führen
hier neue Sitten ein. Keine Sorge, ich halte mich an die
Gepflogenheiten dieser Republik.
({0})
- Ich bin ein patriotischer Schwabe.
Solange die Kollegin
stehen bleibt, ist die Uhr gestoppt. Wenn sie sich setzte,
wäre das für Sie nachteilig, weil dann die Uhr wieder
liefe.
So
ist es. Ein Argument mehr. Wir sind uns also einig.
Der § 87 regelt bereits heute Ausnahmetatbestände,
bei deren Vorliegen die Mehrstaatlichkeit hingenommen
werden kann. Wir werden dies um den Punkt der wirtschaftlichen Hindernisse, den Sie genannt haben, erweitern.
Ich will Ihnen als ganz konkretes Beispiel einen Arbeitgeber nennen, der in einem anderen Land eine Fabrik hat, der aber, wenn er den Paß des Landes verliert,
beispielsweise ausgebürgert werden würde, oder aus anderen Gründen nicht mehr die Möglichkeit hätte, frei
zwischen den Ländern zu verkehren. In solchen Fällen
macht es sicherlich Sinn, daß man die Mehrstaatlichkeit
hinnimmt.
({0})
Es gibt auch viele andere Bereiche.
Aber ich darf Ihnen vielleicht zur Kenntnis geben,
daß Ihre Fraktion einen Gesetzentwurf hier eingebracht
hat, in dem ebenfalls die Erweiterung des § 87 gefordert
wird und in dem ähnliche Tatbestände wie bei uns genannt werden.
({1})
Von daher rate ich Ihnen: Lesen Sie einmal die Anträge
Ihrer eigenen Fraktion. Auch Ihre Fraktion ist der Meinung, daß § 87 ausgebaut werden muß, weil bisher Menschen, die die doppelte Staatsbürgerschaft gar nicht
wollen, aber darauf angewiesen sind, teilweise nicht erfaßt werden.
Gestatten Sie eine
weitere Zwischenfrage der Kollegin Aigner? - Bitte
sehr, Frau Kollegin Aigner.
Herr Özdemir, Sie haben
meine Frage nicht korrekt beantwortet. Ich habe gefragt,
ob ein Grund für die doppelte Staatsbürgerschaft ist,
wenn jemand im anderen Falle auf eine Erbschaft verzichten müßte. Dazu möchte ich Sie jetzt um eine klare
Antwort bitten.
Das
kann ein Grund sein; ich hoffe, es wäre ein Grund. Das
wird sicherlich von der Interpretation des Gesetzes abhängen. Die Einbürgerungsrichtlinien sind noch nicht
auf den Weg gebracht. Sie wissen, daß das noch geschehen muß. Meines Erachtens sollte es einen Grund darstellen. Übrigens haben wir nicht nur in der Türkei, sondern auch in Skandinavien Probleme mit dem Erbrecht.
({0})
- Und in Italien. - In solchen Fällen, denke ich, sind wir
uns einig, daß die doppelte Staatsbürgerschaft der Antragsteller hingenommen werden sollte.
({1})
Gestatten Sie eine
Zwischenfrage des Kollegen Fromme?
Ja.
Bitte sehr.
Herr Kollege Özdemir, ich frage Sie hinsichtlich § 87 Abs. 1 Nr. 5:
Können Sie ausschließen - und wenn ja, mit welcher
Begründung -, daß hierdurch millionenfache Doppelstaatlichkeiten entstehen?
Ich
halte nichts davon, irgendwelche Zahlen in die Landschaft zu setzen, was die Frage der Doppelstaatsbürger
angeht. Ich will Ihnen folgendes sagen, vielleicht auch
als Argument dafür, warum wir Skepsis haben. Ich habe
vorhin erläutert, warum ich mit den Regelungen für die
erste Generation unzufrieden bin. Ich glaube, das Gesetz
wird dazu führen, daß viele von der ersten Generation leider, ich bedaure das sehr - von dem Instrument der
Einbürgerung zunächst keinen Gebrauch machen werden, weil die Beibehaltung der Staatsbürgerschaft für sie
aus psychologischen Gründen sehr wichtig ist. Die
Punkte, die wir beim § 87 des Ausländergesetzes genannt haben, die richtig und nachvollziehbar sind, werden den Kreis erweitern; aber es wird eine bestimmte
Gruppe von Menschen geben, vor allem alte Menschen,
die davon keinen Gebrauch machen werden, weil sie der
Meinung sind, daß sie, wenn sie ihren Paß aufgeben
müssen, emotionale Nachteile zu befürchten haben.
Von daher glaube ich nicht, daß es sich um Millionen
handeln wird, die eingebürgert werden wollen. Im wesentlichen wird das Geburtsrecht dazu führen, daß Kinder von Ausländern, die hier auf die Welt kommen und
deren Eltern bereits hier gelebt haben, deutsche Staatsbürger werden. Der Anteil derer, die sich auf Grund des
Ausländergesetzes einbürgern lassen, wird wachsen,
aber er wird nicht in die Millionen gehen. Da kann ich
Sie beruhigen.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Nachfrage des Kollegen Fromme? Bitte sehr.
Ich
glaube aber, daß wir langsam weitermachen sollten,
sonst kommen wir nicht voran, und wir haben noch
Wichtiges vor.
Wenn Ihnen
meine Fragen unangenehm sind.
Nein, sie sind mir nicht unangenehm, im Gegenteil.
Wenn Sie
nicht wissen, wie viele Fälle es geben wird, und in der
Öffentlichkeit den Eindruck erwecken, Doppelstaatlichkeit sei nicht gewollt, halten Sie das dann nicht für Etikettenschwindel?
Nein, es ist deshalb kein Etikettenschwindel, Herr Kollege - ich erkläre es Ihnen noch einmal, vielleicht
kommt es dann ja doch noch an -: Die doppelte Staatsbürgerschaft ist keine Erfindung dieser Regierung. Wir
haben nach den Gesetzen, die Sie mit verabschiedet haben, bereits bis zu 2 Millionen Doppelstaatsbürger.
({0})
Dazu gehören die Nachfahren der Aussiedler, die zu uns
kommen und von denen wir zu Recht - ich glaube, da
sind wir uns alle einig - nicht verlangen, daß sie ihren
Paß aufgeben, weil sie Nachteile hätten, weil sie sich
freikaufen müßten. Auch binationale Ehen gehören dazu. Jede sechste neu geschlossene Ehe ist eine binationale Ehe. Ich denke, auch bei Ihnen gibt es binationale
Ehen. Die Kinder aus binationalen Ehen haben selbstverständlich die doppelte Staatsbürgerschaft. Ich kenne
niemanden bei Ihnen, der das abschaffen möchte. Wir
haben nach § 87 des Ausländergesetzes, alt wie neu,
Fälle, die die doppelte Staatsbürgerschaft bekommen,
weil sie nicht ausgebürgert werden können, weil das
eine unzumutbare Härte darstellt etc. Das heißt, egal was
wir heute hier beschließen: Die doppelte Staatsbürgerschaft gab es, es wird sie weiterhin geben, und es wird
sie in Zukunft sogar vermehrt geben. Es gehört bei guten
Europäern wohl dazu, daß man das nicht als Übel, sondern als Realität in einer globalisierten Welt betrachtet.
({1})
Gestatten Sie eine
Zwischenfrage der Kollegin Leutheusser-Schnarrenberger?
Ja.
Herr Kollege, können Sie mir noch einmal bestätigen,
daß sich gerade diese in den geltenden § 87 des Ausländergesetzes aufzunehmende Passage auf viele problematische Einzelfälle bezieht, die jeden Abgeordneten im
Parlament schon seit vielen Jahren beschäftigen und angesichts derer wir über Fraktionsgrenzen hinweg immer
der Meinung waren, daß es notwendig ist, in diesem
System die Möglichkeit zu eröffnen, in wirklich schwieCem Özdemir
rigen Einzelfällen endlich sachgerechte und angemessene Entscheidungen zu treffen, und daß Integration
nicht eine Frage der Zahl ist, sondern eine Frage, mit
welchem Bewußtsein, mit welcher Einstellung wir mit
den Menschen, die sich zu Deutschland bekennen, umgehen?
({0})
Ich
kann Ihnen das sehr gerne bestätigen, Frau Kollegin. Ich
glaube, die Antragsteller haben es sich da nicht einfach
gemacht. Wir haben uns vielmehr jeden Fall einzeln angeschaut und über jeden Spiegelstrich sehr lange diskutiert. Ich will Ihnen gar nicht verhehlen, daß wir unzufrieden sind mit der Menge dessen, was dabei herausgekommen ist.
Gerade das Beispiel der Asylbewerber ist dafür
typisch. Ich kann mir nicht vorstellen, daß irgend jemand nachvollziehen kann, daß man jemanden, der aus
einem Land geflohen ist und mit ihm nichts mehr zu tun
haben will, zwingt, zur Botschaft des Landes zu gehen,
aus dem er geflohen ist. Von daher ist es doch nachvollziehbar, daß diese Menschen einen sehr engen Bezug zu
unserer Gesellschaft haben, wenn sie hier als Asylbewerber anerkannt worden sind.
Es gibt weiterhin wirtschaftliche Gründe. Auch hier
ist doch eigentlich ersichtlich: Bei Menschen, die hier
auf Dauer leben, die hier wirtschaftlich tätig sind und
die internationale Geschäfte abwickeln, ist es sinnvoll,
die doppelte Staatsbürgerschaft hinzunehmen. Andere
Fälle haben wir im einzelnen genannt.
Ich vermute, jeder von Ihnen kann, wenn er die Realität in seinem Wahlkreis betrachtet, Hunderte von Beispielen auffinden, an denen er erkennt, um welche Einzelschicksale es sich handelt. Uns geht es darum, im
Sinne der Menschen eine unbürokratische Lösung zu
finden. Insofern wird sich dieses Gesetz meines Erachtens bewähren.
Noch einmal zurück zum Thema der Staatsbürgerschaft. Es klang hier verschiedentlich die Frage an, was
mit Staatsbürgerschaft eigentlich gemeint ist. Ich habe
das Gefühl, daß wir über unterschiedliche Gegenstände
sprechen. Für uns ist ein deutscher Staatsbürger nicht
jemand, der sozusagen eine Bluttransfusion über sich hat
ergehen lassen. Für uns ist ein deutscher Staatsbürger
nicht jemand, der bestimmte Musikgewohnheiten, Kleidungsgewohnheiten, Eßgewohnheiten oder sonstige
Gewohnheiten sein eigen nennt.
Für uns ist ein deutscher Staatsbürger, der zu dieser
Gesellschaft gehört, jemand, der sich zur Verfassung
dieses Landes bekennt und der die Werte dieser Gesellschaft mit uns teilt, wozu beispielsweise die Gleichberechtigung von Mann und Frau gehört. Da dulden wir
keine Ausnahme.
({0})
Niemand kann für sich in Anspruch nehmen, zu sagen:
In meiner Kultur ist das anders. Das geht nicht. Das
werden wir nicht hinnehmen. Jeder, der hier lebt, muß
das Recht auf körperliche Unversehrtheit und alle Prinzipien unserer Verfassung akzeptieren. - Das ist die erste Voraussetzung.
Die zweite Voraussetzung ist, daß jeder, der hier lebt,
natürlich auch die Amtssprache beherrschen sollte - das
ist doch eine Selbstverständlichkeit -, und zwar nicht aus
Schikane den Menschen gegenüber, sondern aus Schutz
für die Betroffenen. Wer die Amtssprache nicht beherrscht, der wird nie erfahren, was ein Betriebsrat, was
eine Gewerkschaft und was Verbraucherschutz ist.
({1})
Auch hier gilt die Einladung an Sie, mitzuwirken. Wir
müssen sehen, daß wir diese Kenntnisse ausbauen. Hier
gilt es mehr zu tun.
Wer diese zwei Voraussetzungen mitbringt, der hat
die Voraussetzungen erfüllt, Staatsbürger dieses Landes
zu sein. Ich bitte Sie wirklich, in der Frage der Loyalität
die Art der Argumentation, die wir in den letzten Jahren
gehabt haben, nicht mehr zu gebrauchen. Ich meine den
ständigen Generalverdacht, der gegen 7 Millionen
Nichtdeutsche erhoben wird, die dazugehören, die in
dieser Gesellschaft ihren Beitrag zum Wohlstand unserer Republik leisten und die in der Mehrzahl loyale Bürger sind: Ich höre immer wieder diese wirklich an den
Haaren herbeigezogenen Argumente, daß durch die Einbürgerung einer Person serbokroatischer, bosnischer,
türkischer oder kurdischer Herkunft die entsprechenden
Konflikte in unser Land hineingetragen werden. Das ist
doch nicht die Realität. Die Mehrzahl hat mit Gewalt
nichts am Hut. Auf diese Argumentation sollten Sie also
wirklich verzichten.
Auf eines möchte ich noch eingehen - denn es paßt
zu der Debatte von heute früh über die Krisen im Kosovo und in Bosnien-Herzegowina -: Verteidigungsminister Scharping hat auf eine Anfrage ausdrücklich bestätigt, daß es bereits heute in der Bundeswehr Soldaten
gibt, die serbokroatische Namen haben, die der verschiedensten Herkunft sind, die sogar in dieser Krisenregion zum Einsatz kommen und einen vorbildlichen
Dienst leisten. Es gab weder bei der Polizei noch beim
Bundesgrenzschutz, der Bundeswehr oder irgendeiner
anderen öffentlichen Verwaltung Fälle, in denen es bisher auch nur den Hauch eines Verdachtes gegeben hätte,
daß diese Menschen illoyal sind. Ich bitte Sie: Nehmen
Sie diesen Generalverdacht gegenüber den Nichtdeutschen, die bei uns leben, zurück. Wir sind gegenüber
dieser Republik loyal. Wir bekennen uns in der Mehrzahl zu diesem Land.
({2})
Gerade wenn wir wollen, daß sich diese Menschen
einbürgern lassen - und das wollen wir -, dann dürfen
wir ihnen nicht mit Mißtrauen begegnen. Wem mit
Mißtrauen begegnet wird, der wird die Angebote zur
Integration und zur Einbürgerung nicht annehmen.
Deshalb ist es auch hier wichtig, die Sache mit etwas
mehr Gelassenheit anzugehen. Ich glaube, dann kommen wir einen Schritt weiter.
Im letzten Teil meiner Rede möchte ich noch eines
ansprechen: Ich denke, daß wir mit diesem Gesetzentwurf nicht das Ende der Fahnenstange im Hinblick auf
die Integrationspolitik erreicht haben. Im Grunde könnte
man sagen: Das, was wir hier machen, ist eine nachholende Reform der 80er Jahre. Die Reform des Staatsangehörigkeitsrechts hätte eigentlich in die 80er Jahre gehört. Da wäre sie angemessen gewesen.
({3})
Insbesondere im Rahmen der deutsch-deutschen Vereinigung hätte eine Möglichkeit bestanden, das Staatsangehörigkeitsrecht umfassend zu reformieren. Diese Gelegenheit wurde verpaßt. Wir holen das heute zur Jahrtausendwende nach.
Natürlich müssen wir uns darum kümmern, welche
Folgeentwicklungen notwendig sind. Durch das Gesetz
wird bereits impliziert, daß wir uns beispielsweise um
die Frage kümmern müssen, was mit denjenigen passiert, die 23 Jahre alt sind, sich aus Deutschland ausbürgern lassen, den deutschen Paß nicht annehmen und ihren bisherigen Paß behalten. Darum werden wir uns sehr
bald zu kümmern haben; denn die ersten Kinder werden
bald als deutsche Staatsbürger geboren werden. Wir
müssen uns um die Frage kümmern, wie wir mit den
Aufenthaltstiteln umgehen. Ich glaube, daß der Bereich
der Aufenthaltsberechtigungen und -erlaubnisse nicht
mehr zeitgemäß geregelt ist.
Ein weiterer wichtiger Punkt, der uns in Zukunft
vermehrt beschäftigen wird, ist der Tatbestand der Diskriminierung. Wie gehen wir mit Diskriminierung um?
Wie gehen wir damit um, daß wir zukünftig deutsche
Staatsbürger haben werden, deren Name nicht typisch
deutsch sein wird? Aus dem Namen Özdemir wird machen Sie sich keine Hoffnungen - kein Ötzdemeier
werden. Wie gehen wir mit der Tatsache um, daß sich
die Haarfarbe und die Hautfarbe nicht ändern werden?
Wir werden deutsche Staatsbürger mit dunkler
Hautfarbe haben. Wir werden deutsche Staatsbürger
haben, die etwas mehr Sonne abbekommen haben als
der Durchschnitt dieser Republik. Diese Menschen
werden - wie viele Nichtdeutsche schon heute - beim
Abschluß von Versicherungen, beim Einlaß in
Diskotheken und in anderen Situationen Probleme
haben. Darum müssen wir uns dringend der Frage
zuwenden, wie wir Instrumente schaffen können, durch
die Diskriminierung zukünftig besser bekämpft werden
kann. Hier können wir, so glaube ich, von unseren
Nachbarländern lernen. Wir brauchen meines Erachtens
zusätzlich zur Reform des Staatsangehörigkeitsrechtes
ein Antidiskriminierungsgesetz, das klarmacht, daß
Diskriminierung kein Kavaliersdelikt ist und nicht
hingenommen werden kann.
({4})
Zu diesem Thema gehört auch, daß wir unsere Aufmerksamkeit den Medien widmen müssen. Ich spreche
das regelmäßig an, weil man das gar nicht oft genug sagen kann. Ich freue mich darüber, daß deutsche Zeitungen wie der „Tagesspiegel“, die „Berliner Zeitung“, die
„Rundschau“ und jetzt auch die „FAZ“ Menschen nichtdeutscher Herkunft einstellen, damit das, was dort diskutiert wird, in die bundesdeutsche Diskussion Eingang
findet.
Genauso wichtig ist aber auch, daß ausländische Medien stärker, besser und objektiver über dieses Land berichten. Sie wissen, welche Probleme ich mit der türkischen Presse habe, Probleme, die uns alle betreffen
sollten. Es kann nicht hingenommen werden, daß ein
Deutschlandbild vermittelt wird, das mit der Realität
nicht viel gemeinsam hat. Auch hier meine Aufforderung: Lassen Sie uns gemeinsam schauen, daß wir interkulturelle Medien schaffen. Warum gibt es nicht zum
Beispiel ein deutsch-türkisches Arte, warum gibt es
nicht ein Radio, das bundesweit 24 Stunden in verschiedenen Sprachen sendet wie Radio Multikulti von SFB in
Berlin? Diese Sender müssen nicht nur in Türkisch und
Kurdisch, sondern auch in Russisch und Polnisch, also
in den Sprachen der Menschen, die heute bei uns leben,
senden und müssen bundesweit empfangen werden können. Das ist wichtig, damit wir diese Menschen erreichen und damit wir Parallelgesellschaften, die wir alle
nicht wollen, verhindern.
Ich komme zum Schluß. Mein Appell an alle: Nutzen
Sie die Möglichkeiten, die dieses Staatsangehörigkeitsrecht bietet. Wir sollten das Staatsangehörigkeitsrecht
gemeinsam dazu nutzen, daß es mehr Rechtsfrieden in
dieser Republik gibt. Es soll dazu beitragen, daß die
Schere zwischen Wohnbevölkerung und Staatsvolk nicht
größer, sondern kleiner wird. Wir wollen eine Gesellschaft, in der alle Menschen, die hier leben, gleich an
Rechten und gleich an Pflichten sind. Helfen Sie mit, die
Probleme im nächsten Jahrtausend zu verringern und
nicht noch zu vergrößern!
({5})
Ich erteile der Kollegin Deligöz das Wort zu einer Kurzintervention.
Herzlichen Dank, Herr Özdemir, daß Sie darauf hingewiesen
haben, daß wir ein Gesetz schaffen werden, das auf die
Bedürfnisse der Menschen eingeht. Die Gesellschaft ist
nicht einheitlich, sondern vielfältig. Die Menschen in
dieser Gesellschaft haben unterschiedliche Bedürfnisse.
Deswegen müssen wir in einen Gesetzentwurf Ermessensspielräume einbauen, um auf die konkrete Situation
und die Bedürfnisse eingehen zu können.
Es ist ganz wichtig, an diesem Punkt festzuhalten,
daß es nicht angebracht ist, in Schwarzweißdenkerei zu
verfallen. Außerdem ist es wichtig zu sagen, was Integration ist. Integration ist nämlich nicht das Verfahren
gemäß dem Motto: Die Guten ins Töpfchen und die
Schlechten ins Kröpfchen. Das hat Herr Uhl in München bereits praktiziert. Integration ist aber nicht einseitig. Integration ist vielfältig. Ich denke, wir machen nun
den ersten wichtigen Schritt.
({0})
Ich erteile das Wort
dem Kollegen Dr. Guido Westerwelle.
Frau Präsidentin!
Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen! In dieser Debatte war bisher sehr viel von Rechtsgeschichte
die Rede. Sogar Philosophen wurden zitiert, weil es um
das Verständnis des Nationalstaates in der deutschen
und europäischen Geschichte und um die Entwicklung
des Staatsangehörigkeitsrechts ging. Ich persönlich
glaube, wir sollten diese Debatte etwas einfacher führen.
({0})
Es geht hier nicht um Rechtskonstruktionen. Es geht hier
um die ausländischen Kinder, die in Deutschland geboren werden und die wir mit diesem Gesetz integrieren
wollen.
({1})
Mit dem heutigen Tag wird eine langjährige Beratung
über die Reform des Staatsangehörigkeitsrechts beendet.
Die Beendigung dieser Beratung ist überfällig. Sie freut
mich sehr; das will ich hier auch nicht verschweigen.
Ich habe den Debattenbeiträgen sehr genau zugehört:
Die Mehrheit der CDU/CSU ist ganz dagegen. Ein, wie
ich finde, sehr respektabler Teil der Union - was ich
würdige - wird sich der Stimme enthalten. Bei der SPDFraktion gibt es - mit geheimem Vorbehalt - viele, die
gerne mehr gehabt hätten. Die Grünen hätten am liebsten alle etwas anderes gehabt. Ich möchte Ihnen verkünden: Die Freien Demokraten sind zu 100 Prozent mit
diesem Gesetzentwurf zufrieden.
({2})
Dieses neue Staatsangehörigkeitsrecht trägt die
Handschrift der Freien Demokraten. Es ist ein Signal an
alle integrationswilligen Menschen ausländischer
Herkunft, die dauerhaft und rechtmäßig in Deutschland
leben.
Weil es harte und langwierige Verhandlungen gewesen sind, möchte ich mich bei denen bedanken, die sie
geführt haben. Das will ich namentlich tun. Das hat
nichts mit irgendwelchen - wie man manchmal im
Blätterwald lesen durfte - Koalitionsliebäugeleien zu
tun. Es geht schlichtweg um eine Mehrheit der Vernunft,
die in diesem Hause organisiert wird.
({3})
Ausdrücklich möchte ich dem Bundesinnenminister
für seine sehr faire Verhandlungsführung danken. Ich
möchte in diesen Dank jemanden einschließen, der in
dieser Debatte bisher noch nicht so im Licht gestanden
hat - Sie verzeihen, daß ich das namentlich tue; ich nenne nicht nur Sie, Herr Kollege Bürsch -: Ich möchte Sie,
Herr Kollege Wiefelspütz, namentlich nennen und mich
bei Ihnen für die sehr zuverlässige Art der Verhandlungsführung bedanken. Es ist wichtig, daß man in solchen Verhandlungen weiß: Man kann sich auf das Wort
des Gegenübers verlassen. - Das konnten wir uns hier,
glaube ich, gegenseitig zusagen.
({4})
Mein Dank gilt selbstverständlich auch dem rheinland-pfälzischen Staatsminister Peter Caesar, der zusammen mit Rainer Brüderle dafür gesorgt hat, daß wir
für dieses Vorhaben auch die notwendige Mehrheit im
Bundesrat bekommen werden.
Mein Dank gilt schließlich - das zu sagen ist mir eine
Herzensangelegenheit; Sie werden verstehen, daß ich
das tue - meiner Parteifreundin, unserer stellvertretenden Bundesvorsitzenden, der früheren Ausländerbeauftragten Cornelia Schmalz-Jacobsen. Ich hätte Ihnen,
Frau Schmalz-Jacobsen, gegönnt - Sie sind freiwillig
aus dem Mandat ausgeschieden -, daß Sie heute eine
Rede zu diesem erfolgreichen Abschluß unseres Vorhabens hätten halten können. Herzlichen Dank!
({5})
Meine sehr geehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, dieses Gesetz ist vor allem ein
Signal an die jungen Menschen, die in unserem Lande
geboren sind und hier aufwachsen. Es ist ein Signal, daß
sie dazugehören, daß sie Teil unserer Gesellschaft sind.
Dieses Signal wird von einer großen Mehrheit der deutschen Bevölkerung nicht nur verstanden, sondern auch
gewollt.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Union, Sie
haben zur Reform des Staatsangehörigkeitsrechts fünf
Millionen Unterschriften gesammelt, hier eingebracht
und sie zum Beleg dafür erhoben, dieser Gesetzentwurf
sei nicht von der Mehrheit der Bevölkerung gedeckt. Ich
möchte Ihnen ausdrücklich widersprechen: Der rotgrüne
Doppelpaß ist vom Tisch. Dagegen haben Sie Unterschriften gesammelt.
({6})
Der vorliegende Gesetzentwurf wird von zwei Dritteln
der Bevölkerung - das besagen alle Untersuchungen unterstützt, weil wir eben nicht den Doppelpaß zum
Nulltarif an alle geben, sondern festlegen: Die ausländischen Kinder, die in Deutschland geboren werden,
sollten integriert aufwachsen, sollten mit einem inländischen Bewußtsein und nicht mit einer ausländischen
Identität aufwachsen, weil wir die Gettoisierung in den
Städten nur verhindern können, wenn wir die Gettoisierung in den Köpfen dieser Kinder rechtzeitig bekämpfen.
({7})
Die doppelte Staatsangehörigkeit, wie sie von rotgrün ursprünglich beabsichtigt war, ist vom Tisch. Die
Regierung hat diese Pläne zurückgezogen. Wir freuen
uns, daß wir jetzt eine Linie der Vernunft haben. Die
hier geborenen Kinder sollen hier Deutsch lernen und
die deutsche Kultur erleben. Sie sollen aber auch die
Chancen durch den deutschen Paß bekommen.
Das Staatsangehörigkeitsrecht ersetzt nicht die Integration, aber es ergänzt sie. Das muß in diesem Haus
klar gesagt werden.
({8})
Gestatten Sie eine
Zwischenfrage des Kollegen Marschewski?
Bitte sehr.
Bitte sehr, Herr
Kollege.
Herr Kollege
Westerwelle, Sie sprachen von der Integration. Können
Sie mir sagen, warum Sie in dem Antrag kein Wort über
die Integration verloren haben?
Ich habe eine zweite Frage. Sie sagen wider besseres
Wissen, der Doppelpaß sei vom Tisch. Können Sie bestätigen, daß Sie bei Flüchtlingen, bei Leuten, die wirtschaftliche Nachteile erleiden würden, oder bei EUAusländern so viele Ausnahmen gemacht haben, daß
über 1 Million Menschen in Deutschland den Doppelpaß
nach Ihrem Gesetzentwurf mühelos erwerben können?
Ich fange mit Ihrer
ersten Frage an. Verehrter Herr Kollege, wir haben auch
in der letzten Legislaturperiode immer fair zusammengearbeitet. Deswegen möchte ich Sie doch bitten, folgendes nicht zu übersehen: Natürlich sind in diesem Gesetzentwurf auch wichtige Integrationspunkte enthalten,
zum Beispiel das Erlernen der deutschen Sprache. Es ist
etwas Neues, daß wir das in das Staatsangehörigkeitsrecht aufnehmen.
Ich habe aus den Reihen der Union - auch im Innenausschuß - gehört, es sei Ihnen zu unpräzise, daß wir
von ausreichenden Sprachkenntnissen gesprochen haben.
({0})
Ich bin der Meinung, der Gesetzgeber kann in derartigen
Fragen nur mit unbestimmten Rechtsbegriffen arbeiten.
Deswegen wird man auch auf die Verwaltungspraxis
Rücksicht nehmen und sich darauf einstellen müssen.
Sie haben das kritisiert und deshalb möchte ich Ihnen
§ 7 Ihres eigenen Gesetzentwurfs, der auch heute beraten wird, vortragen. Da heißt es in Abs. 1 Ziffer 2:
erkennbar in die Lebensverhältnisse der Bundesrepublik Deutschland eingeordnet sind, insbesondere
ausreichende Kenntnisse der deutschen Sprache …
nachweisen,
Deswegen sind wir in dieser Sache überhaupt nicht auseinander.
({1})
- Das haben Sie sehr wohl gefragt.
({2})
- Nein, Herr Kollege Marschewski, ich habe verfolgt,
wie Sie das machen. Ich antworte jetzt auch gleich auf
die zweite Frage, die Sie gestellt haben. Es ist doch so,
daß Sie bei Ihren Fragen ins Schwimmen geraten.
({3})
Sie schwimmen maßlos, weil Sie genau wissen, daß ein
großer Teil der Union genauso denkt und diesem Gesetzentwurf am liebsten zustimmen würde und die Enthaltung lediglich aus dem Gruppendruck der Fraktion
heraus wählt.
({4})
Gestatten Sie eine
weitere Zwischenfrage?
Nein, Frau Präsidentin, ich muß zunächst die zweite Frage des Kollegen
Marschewski beantworten.
Sie haben gesagt, es gebe noch den Doppelpaß. Dazu
möchte ich Ihnen den Partei- und Fraktionsvorsitzenden
der CDU zitieren. Wolfgang Schäuble hat es in dieser
Woche im Plenum des Deutschen Bundestags als einen
Erfolg der Union gefeiert, daß der Doppelpaß wegen Ihrer Kampagne und des Wahlergebnisses in Hessen vom
Tisch sei. Herr Schäuble hat hier gesagt: Auf Grund der
Tatsache, daß 5 Millionen Menschen Ihr Vorhaben der
regelmäßigen doppelten Staatsangehörigkeit abgelehnt
haben, haben Sie dieses Vorhaben Gott sei Dank aufgegeben. Das ist unser Erfolg, und den lassen wir uns nicht
kleinreden. - Sie sind doch selbst der Meinung, der
Doppelpaß ist vom Tisch. Wehren Sie sich doch nicht
weiter gegen Popanz von gestern, stimmen Sie heute zu!
({0})
Herr Marschewski
möchte eine weitere Frage stellen. Danach möchte Herr
Schily eine Frage stellen, lassen Sie die auch zu?
Ja.
Herr Kollege
Westerwelle, richtig ist, daß Sie uns gefolgt sind und
den generellen Doppelpaß abgeschafft haben. Wieso
aber kommen Sie dazu zu verneinen - ich stelle die Frage noch einmal -, daß im Gesetzentwurf steht, daß über
1 Million Ausländer den Doppelpaß kostenlos ohne
weiteres erwerben können? Damit führen Sie den Doppelpaß indirekt durch die Hintertür ein, Herr Westerwelle.
({0})
Nein, ich muß Sie
noch einmal auf etwas aufmerksam machen - vielleicht
kommen wir dann ja weiter -: Das, was wir an unzumutbaren Härtefällen, in denen wir unter bestimmten
Bedingungen den Doppelpaß akzeptieren, in den Gesetzentwurf aufgenommen haben, ist bereits geltende
Rechtslage.
({0})
- Da Sie jetzt sagen, das sei falsch, möchte ich - etwas
anderes macht doch wenig Sinn; wir sind doch beide
vom Fach - etwas zitieren, denn ein Blick ins Gesetz
erleichtert die Rechtsfindung!
({1})
Ich habe hier eine schöne kleine dtv-Ausgabe „Ausländerrecht“ aus dem Hause Beck, die jedermann im ersten
Semester Jura bekommt.
({2})
- Das ist aber keine alte Ausgabe, sondern eine ganz
neue. So schlecht, daß wir uns das nicht leisten könnten,
steht es um die Finanzen der F.D.P. noch nicht.
({3})
Ich zitiere aus den Einbürgerungsrichtlinien 5.3.3.:
Ausnahmen
- gemeint sind Ausnahmen von dem Prinzip der Vermeidung der Mehrstaatigkeit können in Betracht kommen, wenn vorrangige Gesichtspunkte es erfordern, daß das rechtspolitische
Ordnungsprinzip, Mehrstaatigkeit zu vermeiden,
zurücktritt,
({4})
und
- jetzt kommt es wenn die Versagung der Einbürgerung eine unzumutbare Härte darstellen würde.
({5})
Im weiteren finden Sie in den Einbürgerungsrichtlinien
dann die gesamten einzelnen Ziffern, die Sie jetzt auch
bei uns im Gesetzentwurf finden.
({6})
Zum Beispiel finden Sie dort bereits das, was von Ihnen
kritisiert worden ist:
Danach kommen Ausnahmen vom Einbürgerungshindernis eintretender Mehrstaatigkeit in Betracht,
wenn
- jetzt kommt Ziffer 5.3.3.4. der Einbürgerung älterer Personen ausschließlich
das Hindernis eintretender Mehrstaatigkeit entgegensteht, die Entlassung auf unverhältnismäßige
Schwierigkeiten stößt und die Versagung der Einbürgerung eine besondere Härte darstellen würde.
Das ist nahezu wörtlich das, was wir in unserem Entwurf haben.
({7})
Sie erwecken den Eindruck, wir würden mehr Doppelpässe zulassen. Dieser Eindruck ist falsch.
({8})
Wir bleiben dabei: Das Prinzip der Vermeidung der
Mehrstaatigkeit wird nicht in Frage gestellt.
({9})
Übrigens hat sich auch der Bundesinnenminister expressis verbis so geäußert.
Und nun kommt
eine Zwischenfrage des Kollegen Schily, bitte sehr.
({0})
Ich kann Ihnen die
ganzen Einbürgerungsrichtlinien vorlesen!
Wir können auch
noch ein Seminar veranstalten; das wäre sicher hochinteressant. Aber im Moment hat Herr Schily eine Frage,
bitte sehr!
Herr Kollege Westerwelle,
könnten Sie dem Haus mitteilen, in wieviel Prozent der
Fälle die Mehrstaatigkeit bei der Einbürgerung unter
dem geltenden Recht hingenommen worden ist?
Nein, das kann ich
aus dem Kopf nicht. Können Sie es? Sie sind der
Minister.
({0})
Können Sie bestätigen, daß im
Jahre 1995 Mehrstaatigkeit in etwa 34 Prozent der Fälle
hingenommen worden ist?
({0})
Vielen Dank für
die weiterführende Zwischenfrage.
({0})
Meine sehr geehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, aus der Sicht der Freien Demokraten und aus der Sicht der Antragsteller sollen die
Kinder nicht mit einem ausländischen Bewußtsein aufwachsen, sondern von Anfang an wissen, daß sie Teil
unserer Gesellschaft sind.
({1})
Wir wollen sie eben nicht erst künstlich von ihren Altersgenossen abgrenzen, um sie anschließend mit großem Aufwand und ungewissen Erfolgsaussichten wieder
integrieren zu müssen.
({2})
Die Aussaat von Haß, Gewalt, Fanatismus und Extremismus
({3})
fällt dort auf besonders fruchtbaren Boden, wo sich Jugendliche ausgegrenzt und benachteiligt fühlen.
({4})
Wer verhindern will, daß die nächste Generation der in
Deutschland geborenen Kinder unter den Einfluß ausländischer Fanatiker gerät, der muß sie so bald und so
weit wie möglich integrieren - durch die Vermittlung
unserer Kultur und der deutschen Sprache, aber eben
auch durch den deutschen Paß.
({5})
Deswegen bin ich der Meinung, daß unsere Regelung
ein wesentlicher Fortschritt ist. Der Spruch „Es ist ein
wirklich großer Wurf!“ paßt. Wer nämlich die in
Deutschland geborenen Kinder ausländischer Eltern
nicht vernünftig integriert, riskiert große soziale Verwerfungen in den nächsten Jahren. Was wir heute beschließen, liegt im nationalen Interesse der deutschen Gesellschaft.
({6})
Was wir heute nicht tun, werden wir in wenigen Jahren
mit Zins und Zinseszins zurückzuzahlen haben.
Der Desintegration jugendlicher Ausländer, die sich
in einer als feindselig empfundenen Umwelt selbst gettoisieren, muß entgegengewirkt werden. Darum geht es.
Deshalb wollen wir den hier geborenen Kindern mit der
Geburt die deutsche Staatsangehörigkeit zuerkennen.
Und weil sie sich eben als Minderjährige noch nicht
selbst entscheiden können, nehmen wir für diese Zeit
eine doppelte Staatsangehörigkeit, selbstverständlich
begrenzt, in Kauf; wenn sie dann volljährig sind, können
sie sich entscheiden, und dann müssen sie sich entscheiden. Damit macht die Gesellschaft ein Integrationsangebot, aber sie verlangt von den jungen Erwachsenen auch,
daß sie sich bewußt für die Integration entscheiden.
({7})
Das heißt: Dem Integrationsangebot des Staates muß
eine aktive Integrationsentscheidung für diesen Staat
folgen.
Das gilt auch für das Angebot an die erwachsenen
Einbürgerungswilligen. Wer Deutscher werden möchte,
soll sich durch die Aufgabe seiner bisherigen Staatsangehörigkeit zu unserem Land bekennen. Der deutsche
Paß ist nämlich nicht irgendein Papier, das man gerne
zusätzlich in Empfang nimmt, sondern setzt eine bewußte Hinwendung zum deutschen Staat voraus. Deshalb verlangen wir von dem einbürgerungswilligen
Ausländer grundsätzlich die Aufgabe seiner bisherigen
Staatsangehörigkeit. Das gilt auch für diejenigen, die bereits lange in Deutschland leben. Hier gibt es einen Dissens, Herr Kollege Özdemir, zu dem, was Sie weitergehend gewollt haben, was wir aber nicht akzeptieren
wollten.
Ich will Ihnen das aus meiner Sicht nochmals begründen; Sie kennen meine Meinung dazu, wir haben oft
genug darüber gesprochen. Wenn jemand 20, 30 Jahre in
Deutschland lebt, dann kennt er das Land, und ich meine, dann ist ihm auch eine bewußte Entscheidung für das
Land, in dem er lebt, zuzumuten.
({8})
Das unterscheidet ihn von den Nichtvolljährigen und
den Kindern.
Diese Haltung wird übrigens von vielen ehemals
ausländischen Mitbürgern geteilt, die sich unter Aufgabe
ihrer früheren Staatsangehörigkeit haben einbürgern lassen. Viele Erwachsene haben sich unter Aufgabe ihrer
alten Staatsangehörigkeit einbürgern lassen, und sie sind
genau diejenigen, die schreiben: Wir konnten das; warum verlangt ihr das nicht auch von den anderen? Das ist
zumutbar, und es ist sinnvoll im Interesse einer Integrationspolitik für unser Land.
Gestatten Sie eine
Zwischenfrage?
Selbstverständlich, gern.
Bitte sehr, Herr
Kollege.
Herr
Kollege Westerwelle, nur eine kurze Zwischenfrage,
weil ich die Debatte jetzt nicht weiter ausdehnen möchte. Ein Beispiel aus einer Veranstaltung, die ich vor kurzem hatte: Ein älterer Bürger, ungefähr 60 Jahre alt, türkischer Herkunft, lebt hier seit Anfang der 60er Jahre,
hat sich noch nie etwas zuschulden kommen lassen, ist
hier, so würden wir sagen, bestens integriert. Ich halte
einen Vortrag, versuche, unser Staatsangehörigkeitsrecht
zu begründen. Dann kommt dieser Bürger zu mir und
sagt: „Ich lebe hier. Ich möchte mich einbürgern lassen.
Aber kannst du mir wirklich garantieren, daß, wenn ich
eines Tages mit deutschem Paß sterbe, ich aber in der
Türkei beerdigt werden möchte, weil dort meine Vorfahren schon immer gelebt haben, dies auch wirklich möglich ist?“ Und er sagt zu mir: „Ich möchte den türkischen Paß behalten, damit ich diese Garantie habe.“ Wir können das Beispiel auch mit einer anderen Staatsangehörigkeit bilden. - Diesem Mann geht es nicht darum, doppeltes Wahlrecht zu haben, und dem geht es
ganz offensichtlich auch nicht um irgendwelche sonstigen Vorteile, sondern es geht um ganz menschliche
Dinge. Wieso würde uns ein Zacken aus der Krone fallen, wenn wir in diesen Fällen großzügig wären, für einen abgeschlossenen Kreis von Leuten, die bis 1973
über die Anwerbeabkommen zu uns gekommen sind?
Ich glaube nicht,
daß es hier um einen Zacken aus der Krone geht, sondern es geht hier darum, ob wir politisch wollen, daß
diejenigen, die lange in Deutschland leben, sich auch
bewußt für das Land entscheiden, in dem sie leben. Ich
kann bei einem jungen Menschen, bei einem Nichtvolljährigen keine Entscheidung verlangen, wohl aber von
einem Erwachsenen, erst recht, wenn er 20, 30 Jahre in
Deutschland lebt. Von ihm kann ich, weil er unser Land
kennt, erwarten, daß er sich für eine Staatsangehörigkeit
entscheidet. Wir haben da einen unterschiedlichen
Denkansatz: Für Sie ist Integrationspolitik nur das Integrationsangebot des Staates, für uns ist Integrationspolitik das Integrationsangebot des Staates und die Annahmeentscheidung der Betroffenen.
({0})
Wir halten also am Grundsatz der Vermeidung von
Mehrfachstaatsangehörigkeit klar und eindeutig fest. Bereits bisher war es in Ausnahmefällen möglich, bei der
Einbürgerung die ausländische Staatsangehörigkeit beizubehalten.
Gestatten Sie eine
Zwischenfrage der Kollegin?
Ja.
Ich
möchte eine Frage zu dem stellen, was Sie über Angebot
und „Nachfrage“, also Annahme gesagt haben. Menschen, die zunächst 2 000 oder 3 000 Kilometer entfernt
gelebt haben und dann zu uns gekommen sind, haben
schon eine gewisse Integrationsleistung erbracht, wenn
sie 20 oder 30 Jahre bei uns leben. Stimmen Sie mir zu,
daß von staatlicher Seite bisher noch viel zuwenig unternommen worden ist, diesen Menschen in Sachen Integration ein Angebot zu unterbreiten?
Das steht auf
einem anderen Blatt. Hier möchte ich Ihnen, Frau Kollegin, überhaupt nichts vormachen: Das, was heute beschlossen werden soll, haben wir jahrelang innerhalb der
alten Koalition diskutiert. Herr Kollege Schily hat in
vielen Punkten recht, aber mit diesem Hinweis hat er besonders recht. Ich habe in der letzten Legislaturperiode,
als wir selber Regierungspartei waren, die Verhandlungen mit unserem Koalitionspartner über die Reform des
Staatsangehörigkeitsrechts führen dürfen. Die Verhandlungen sind an einer Person gescheitert, an einem Mann,
den ich hoch achte, aber dessen Meinung ich in dieser
Frage nicht teile, nämlich an dem damaligen Bundesinnenminister. Ich kann Ihnen, liebe Kolleginnen und
Kollegen von der Union, nur sagen: Wir hätten uns in
der letzten Legislaturperiode besser auf das verständigt,
was heute vorliegt!
({0})
Ich möchte noch einen weiteren Gedanken in die Debatte einbringen. Wenn ein ausländischer Staat jemandem die Entlassung aus seiner Staatsangehörigkeit
verweigert oder unzumutbar erschwert, dann muß eine
Einbürgerung nach unserem Recht dennoch möglich
sein. Die Zahl der Ausnahmefälle wird durch unser Gesetz nicht ausgedehnt. Die Regelung der Ausnahmefälle
wird lediglich flexibler gestaltet, damit die Härtefälle
angemessen gelöst werden können.
Ich möchte Ihnen über einen Fall aus der Praxis berichten, über einen der ersten Prozesse, den ich als junger zugelassener Anwalt Anfang der 90er Jahre geführt
habe - ich weiß, daß viele Anwaltskolleginnen und
-kollegen ähnliche Prozesse geführt haben -: Damals
kam ein junger serbischer Kfz-Lehrling in meine Kanzlei. Er sprach mit seinen 19 Jahren Pfälzer-Dialekt. Er
setzte sich vor mir an den Schreibtisch und sagte: „Ich
möchte gerne Deutscher werden.“ Auch heute noch erleben wir, daß bestimmte Länder - aus Vorstellungen
heraus, die wir hier in Mitteleuropa nicht akzeptieren
können - ihre Staatsbürger nicht aus ihrer Staatsbürgerschaft entlassen oder nur unter Härten, die man wirklich
niemandem zumuten kann.
Im Falle dieses jungen Serben war es so: Der serbische Staat wollte junge wehrfähige Männer nicht aus der
Staatsangehörigkeit entlassen. Deswegen sollte dieser
junge Mann allein für die Entgegennahme des Antrags
auf Ausbürgerung eine Gebühr von über 10 000 DM
zahlen. So einen Betrag kann ein Kfz-Lehrling nicht einfach aufbringen. Ich möchte, daß dieser junge Mann, der
immer in Deutschland gelebt hat und der den Dialekt
seiner Landsmannschaft in der Pfalz spricht, Deutscher
werden kann. Deshalb beschließen wir heute dieses Gesetz.
({1})
Die Behauptung, durch das Gesetz werde die doppelte Staatsangehörigkeit durch die Hintertür eingeführt,
wird entweder bewußt falsch gebraucht oder zeugt von
Unkenntnis. Den Doppelpaß aus der rotgrünen Koalitionsvereinbarung gibt es mit diesem Gesetz nicht, weder
offen noch verdeckt, weder durch die Vorder- noch
durch die Hintertür. Deswegen sage ich Ihnen ganz
offen: Wir haben vielleicht eine unterschiedliche Auffassung über die Unterschriftenkampagne. Aber ich fände es großartig, wenn Sie nach dieser Debatte Ihre Unterschriftenkampagne einfach einstellen würden. Sie hat
sich zeitlich und durch den heutigen Beschluß erledigt.
({2})
Ich respektiere, daß Sie Unterschriften gesammelt haben. Ich habe nie kritisiert, wenn jemand seine Unterschrift unter ein Vorhaben setzt. Aber bitte kämpfen Sie
nicht gegen etwas, das ad acta gelegt worden ist!
Im Gegensatz zum bisherigen Recht setzt das neue
Einbürgerungsrecht zusätzlich ausreichende Kenntnisse der deutschen Sprache und auch ein Bekenntnis
zum Grundgesetz voraus. Darüber ist in der Debatte
überhaupt noch nicht gesprochen worden. Es ist eine
wesentliche Änderung gegenüber der bisherigen
Rechtslage, die aus meiner Sicht von Ihnen geteilt werden müßte; denn Sie selber haben solche Vorschläge in
der Debatte und auch in Ihrem Antrag gemacht.
Es wird eine Schutzklausel geben, mit der die Einbürgerung von extremistischen Ausländern ausgeschlossen ist. Dies zeigt, daß alle Vorwürfe, die deutsche
Staatsangehörigkeit könne jetzt zum Nulltarif erworben
werden oder extremistische Bombenleger könnten nach
dem Gesetz den deutschen Paß erhalten, gegenstandslos,
unhaltbar und eigentlich nur parteipolitische, kleinkarierte Propaganda sind.
({3})
Sie sind ebenso politisch motiviert wie die Behauptung, das Gesetz sei verfassungswidrig. Anders als Sie,
Herr Kollege Rüttgers, habe ich die Anhörung von morgens bis abends verfolgt. Seien Sie mir nicht böse, wenn
ich Ihnen sage: Diese Anhörung war für Ihre Position,
der Gesetzentwurf sei mit dem Grundgesetz nicht vereinbar, ein absolutes Waterloo.
({4})
Ihre Position ist ernstzunehmend überhaupt nicht mehr
vertreten worden. Wen wundert es auch? Schließlich
dürfen wir nicht nur Art. 16 Abs. 1 Satz 1 GG lesen,
sondern müssen auch Art. 16 Abs. 1 Satz 2 GG lesen.
Die Zweifel an der Verfassungswidrigkeit sind ausgeräumt; sofern sie überhaupt jemals ernsthaft bestanden
haben.
Wir haben eine Menge Anregungen der Sachverständigen aufgenommen - das ist doch der Sinn von Sachverständigenanhörungen -, und wir haben diese Anregungen eingearbeitet. Übrigens, im Innenausschuß hat
es auch einen Änderungsantrag der Union zur Verwaltungspraxis gegeben. Anfänglich waren wir anderer
Meinung; aber Sie haben uns in der Debatte überzeugt.
Die Mehrheit der Unterzeichner dieses Gruppenantrages
hat diesem Änderungsantrag der Union zugestimmt.
Sie haben sich an den Beratungen vollständig beteiligen können. Deswegen akzeptieren wir als Oppositionspartei den Vorwurf gar nicht ernsthaft, der Gesetzentwurf sei von einer Mehrheit durchgepeitscht worden. Es
wurde nichts durchgepeitscht, sondern es wurde seriös
und sachlich beraten.
({5})
Alle Argumente für und wider eine solche Reform sind
längst x-fach ausgetauscht worden. Der Gesetzentwurf
liegt lange genug vor. Er wurde ausführlich beraten.
Ich selber habe gerade in den letzten Monaten mit
vielen Kolleginnen und Kollegen aus der Union, übrigens auch aus ihrer Spitze, das Gespräch gesucht - ich
will keine Namen nennen -, aber es war keine Verständigung möglich. Eines sage ich Ihnen ganz klar: Wer
jetzt eine Aussetzung oder eine Verschiebung der Beratungen fordert, der will in Wahrheit die überfällige
Reform zugunsten der hier geborenen Kinder auf den
Sankt-Nimmerleins-Tag verschieben. Wir wollen das
nicht.
({6})
Liebe Kolleginnen und Kollegen aus der Union, leider ist von Ihnen ein unzulässiger Zusammenhang zwischen der Reform und den traurigen Ereignissen im Kosovo hergestellt worden. Dazu stelle ich klar: Zwischen
beiden Ereignissen besteht nicht der geringste sachliche
Zusammenhang. Die Ereignisse im Kosovo können keine Verschleppung, kein Hinhalten, kein Verzögern und
kein Verschieben rechtfertigen. Die Zeit ist überreif.
({7})
Jahrelang haben wir gerungen. In der Regierung haben
wir es nicht hinbekommen, weil wir uns nicht einig wurden. Sie werden verstehen, daß die F.D.P. zu dem steht,
was sie in ihrem Wahlprogramm den Wählerinnen und
Wählern angeboten hat. Daß wir erst in die Opposition
mußten, um das Optionsmodell durchzusetzen, ist wirklich
ein bitterer Nebengeschmack der ganzen Diskussion.
({8})
Für die Zukunft möchte ich sagen: Wenn der bayerische Ministerpräsident Stoiber wörtlich verkündet:
„Wenn wir wieder die Regierung übernehmen, dann
wird dieses Gesetz keinen Bestand haben“, dann möchte
ich Ihnen von der CSU und dem geehrten Herrn Stoiber
sagen: Sie müssen schon mit der absoluten Mehrheit im
Deutschen Bundestag rechnen; denn die F.D.P. hält an
dem, was hier vereinbart worden ist, fest. Nicht nach
hinten, nicht erweitern - das ist der goldene Mittelweg,
den wir hier vereinbart haben. Dabei bleibt es.
({9})
- Herr Kollege Beckstein, ich habe den Zwischenruf von
der Bundesratsbank gehört. Ich will Ihnen dazu nur sagen: Ich verstehe, daß Sie sich aufregen. Sie haben dieses Gesetz nie gewollt; das akzeptiere ich. Aber wir haben Sie in der alten Koalition zu keiner Stunde darüber
im unklaren gelassen, daß wir dieses Optionsmodell zugunsten der hier geborenen Kinder wollen. Sie können
uns wirklich keinen Verrat, mangelnde Treue oder mangelnde Loyalität vorwerfen, wenn wir genau das tun,
was wir unseren Wählerinnen und Wählern bei der Bundestagswahl versprochen haben.
({10})
Ich apelliere an Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen
von der Union, daß Sie noch einmal darüber nachdenken. Ich freue mich sehr darüber und will es gar nicht
kleinreden, daß sich so viele von Ihnen enthalten werden. Ich weiß, wie schwer diese Entscheidung ist. Die
Spitzen, die aus den Reihen der Grünen und der SPD
kamen, weil sich jetzt über 20 Abgeordnete enthalten
und dem Gesetz nicht zustimmen werden, halte ich nicht
für ganz ehrlich. Schauen Sie einmal, wie viele bei Ihnen in bezug auf die 630-Mark-Verhältnisse eine andere
Meinung als die Regierung haben. Trotzdem stimmen
Sie nicht so ab, wie Sie es wollen. Sich zu enthalten ist
schon ganz ordentlich und respektabel, auch wenn Zustimmen schöner wäre.
({11})
Besser als unser früherer Kollege Horst Eylmann
kann man es nicht beschreiben. Er hat in der letzten
Wahlperiode gesagt: Die Verleihung der deutschen
Staatsbürgerschaft ist selbstverständlich keine Garantie
für eine reibungslose Integration. Sie kann nur ein Mittel
unter vielen sein, die Eingliederung zu erleichtern. Sie
ist die ausgestreckte Hand, die den bei uns mit einem
gesicherten Aufenthaltsstatus lebenden Ausländern signalisieren soll: Ihr seid uns willkommen; übernehmt
mit uns gemeinsam Verantwortung für dieses Land, in
dem Ihr Euch zu leben entschlossen habt. - Das ist eine
sehr weise und präzise Beschreibung des früheren CDUAbgeordneten Horst Eylmann.
Ich apelliere an Sie: Lassen Sie uns heute dieses Gesetz beschließen. Es geht um die Kinder von Eltern, die
hier seit Jahren rechtmäßig leben. Diese Kinder sollten
mit einem deutschen inländischen Bewußtsein groß
werden. Sie sprechen unsere Sprache; die Sprache ihrer
Eltern sprechen sie allenfalls mit einem deutschen Akzent. Diese Kinder gehören zu uns. Sie sollen mit uns
aufwachsen. Sie sind wertvolle Staatsbürgerinnen und
Staatsbürger. Diesem Ziel dient dieses Gesetz.
({12})
Nun erteile ich zu
einer Kurzintervention dem Kollegen Röttgen das Wort.
Herr Kollege Westerwelle, Sie haben die Gruppe, für die Peter Altmaier
eben erklärt hat, daß sie sich der Stimme enthält, aufgefordert, doch dem Gesetz zuzustimmen. In Ihrer Rede
haben Sie auch gesagt, daß diejenigen, die sich enthalten, dann, wenn sie so abstimmen würden, wie es ihrer
Meinung entspricht, am liebsten zustimmen würden.
Weil dieses noch einmal behauptet worden ist, obwohl
der Kollege Altmaier dargelegt hat, daß die Stimmenthaltung unserer Auffassung entspricht, will ich Ihnen
noch einmal ganz nüchtern die Punkte darlegen, warum
eine Stimmenthaltung unsere Auffassung widerspiegelt
und wir uns dabei nicht verbiegen.
Von der Position, die wir seit Jahren vertreten haben
und die auch in dieser Debatte formuliert worden ist,
haben wir nichts zurückzunehmen. Von unseren Äußerungen sowohl über die gesellschaftliche Bedeutung und
die ethische Dimension der Integration als auch über die
Bedeutung der Reform des Staatsangehörigkeitsrechts
für das Anliegen der Integration nehmen wir keine Silbe
und keine Formulierung zurück. Dieses bleibt unsere
Position; wir treten weiterhin für sie ein.
Der erste Grund für die Stimmenthaltung ist unsere
Auffassung, daß das Modell, das auch wir vertreten, im
vorliegenden Gesetzentwurf eine schlechte inhaltliche
und technische Ausführung erhält. Wir sind in dieser
Auffassung durch die Sachverständigenanhörung des
Innenausschusses bestätigt worden. Ich habe daran teilgenommen; es gab keinen Sachverständigen, der diesem
Gesetzentwurf uneingeschränkt zugestimmt bzw. gesagt
hat, daß dieses Gesetz ein gutes Gesetz sei.
({0})
Das ist das Ergebnis der Sachverständigenanhörung. Ich
will es nicht im einzelnen aufführen.
Zweitens hat es im anschließenden parlamentarischen
Verfahren keine Möglichkeit gegeben, diese konkret benannten Mängel in der Sachverständigenanhörung zu
beheben, sondern der Gesetzentwurf ist in den anschließenden Ausschußberatungen - das ist gar keine Polemik, sondern eine ganz nüchterne Bemerkung - durchgepeitscht worden, was dazu geführt hat, daß die Mitglieder der CDU/CSU-Fraktion im Rechtsausschuß erklärt haben: Wir haben keine seriösen Beratungsunterlagen vorliegen. Uns war nämlich das Protokoll der Anhörung noch nicht zugegangen, und die Änderungsanträge
wurden eingereicht, als wir in Berlin waren. Es hat keine
angemessene seriöse Möglichkeit gegeben, auf die
sachliche Kritik der Sachverständigen einzugehen und
das Gesetz zu verbessern. Das ist der zweite Punkt.
Der dritte Punkt - Peter Altmaier hat ihn schon angesprochen -: Es hat ein klares, öffentlich verbindliches
Angebot des Fraktionsvorsitzenden während der Eröffnungssitzung im Reichstag gegeben, sich zusammenzusetzen und einen Konsens herbeizuführen.
({1})
Es hat einen Vorstoß der großen Koalition in Bremen
gegeben, auf dieser Grundlage zu verhandeln. Von Ihrer
Seite gab es eine Konsensverweigerung. Das ist eine
ganz nüchterne Feststellung.
Der Vertreter der evangelischen Kirche, der als Sachverständiger gehört wurde, hat an die KoalitionsfrakDr. Guido Westerwelle
tionen und die F.D.P. appelliert, einen Konsens herbeizuführen. Ich bestreite ja nicht, daß es in der letzten Legislaturperiode auch bei uns daran gemangelt hat. Das
haben wir immer kritisiert, und das kritisiere ich auch
heute noch.
Herr Kollege, Ihre
Redezeit ist abgelaufen.
Sie haben recht. Leider war diese Konsensverweigerung auf beiden Seiten zu beklagen.
Der letzte Punkt ist: Es fehlt an einem Integrationskonzept. Deshalb können wir diesem Gesetzentwurf aus
inhaltlichen Gründen nicht zustimmen.
({0})
Nun darf Herr Westerwelle darauf antworten. Bitte sehr.
Frau Präsidentin!
Lieber Herr Kollege, ich darf noch einmal ausdrücklich
sagen: Ich freue mich ehrlich darüber - das sage ich ohne jede Ironie -, daß Sie sich entschieden haben, im
Parlament das Wort zu ergreifen, wie es Herr Kollege
Altmaier schon vorhin getan hat, und hier zu erklären,
daß Sie zu dem stehen, was Sie immer gesagt haben. Ich
weiß, daß dies nicht einfach ist, was jeder hier im Hause
bestätigen kann. Ich finde es hervorragend, daß Sie dazu
den Mut hatten.
Ich will nicht inhaltlich auf Ihren Beitrag antworten.
Dazu habe ich in meiner Rede Stellung genommen. Ich
möchte aber auf einen Punkt hinweisen: Die Kirchen
können Sie als Kronzeugen wirklich nicht für sich in
Anspruch nehmen.
({0})
- Nein, die Kirchen können Sie nicht als Kronzeugen in
Anspruch nehmen. Sie haben sich nämlich sowohl zu Ihrer Kampagne als auch zu dem vorliegenden Integrationskonzept unmißverständlich geäußert.
({1})
Der zweite Punkt. In einer Anhörung mit Sachverständigen ist es doch selbstverständlich, daß jeder
Sachverständige etwas findet, wie man das Gesetz noch
besser machen könnte. Ob das Gesetz dadurch wirklich
besser werden würde, müssen wir als Parlamentarierinnen und Parlamentarier entscheiden. In dieser Anhörung
gab es bei der Beurteilung des Gesetzentwurfs einen
Grundtenor: verfassungskonform und von der Richtung
her sinnvoll. Natürlich gab es da und dort andere Vorstellungen, was das Normalste von der Welt ist.
Jeder von uns, der einen solch langen Gesetzentwurf
liest, findet natürlich hier und da etwas, warum er dem
Gesetz vielleicht doch nicht zustimmen kann. Offen gestanden: Das Spiel kenne ich noch aus der letzten
Legislaturperiode, als wir auf der Mehrheitsseite dieses
Hauses saßen. Selbst wenn von Ihnen gestellte Anträge
Parteitagsbeschlüsse der F.D.P. enthielten, damit wir ihnen zustimmen sollten, habe ich immer lange nachgeschaut, ob ich nicht irgendwo einen Spiegelstrich finde,
der mich nicht hundertprozentig zufriedenstellt. Ich habe
immer einen kleinen Fehler gefunden, so daß wir diese
Anträge ablehnen konnten.
Hier geht es nicht um Parteipolitik, sondern hier geht
es um eine der wichtigsten gesellschaftspolitischen Reformen unserer Zeit.
({2})
Nun hat das Wort
die Kollegin Ulla Jelpke, PDS-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine Damen
und Herren! Die PDS ist der Meinung, daß der heute
vorliegende Gesetzentwurf trotz einzelner löblicher Ansätze, die in die richtige Richtung gehen, nicht geeignet
für ein modernes und demokratisches Staatsbürgerschaftsrecht ist. Er ist allenfalls ein halbherziges Reförmchen, in das neue Rückwärtsgänge in manchen Paragraphen eingebaut sind.
Es ist richtig, wie hier schon gesagt wurde: Seit Jahren diskutiert dieses Parlament über eine Staatsbürgerschaftsreform. In diesem Zusammenhang möchte ich
daran erinnern, daß etwa 7 Millionen Migrantinnen und
Migranten in Deutschland, die keinen deutschen Paß haben, gehofft haben, daß ihre Situation auch mit diesem
Gesetz - ich sage bewußt: auch mit diesem Gesetz endlich eine Veränderung erfährt, und der Zustand beendet wird, häufig als Menschen zweiter oder dritter
Klasse in diesem Land behandelt zu werden. Die PDS
ist zutiefst davon überzeugt, daß es wenig Sinn macht,
Menschen, die hier seit Jahren arbeiten, ihre Steuern
zahlen und ihre Kinder zur Schule schicken, dermaßen
zu benachteiligen, wie es gegenwärtig geschieht.
Erst vor wenigen Tagen haben wir die Kleine Anfrage an die neue Bundesregierung gestellt, durch welche
Bundesgesetze, Bundesverordnungen und Bundesverwaltungsvorschriften Ausländerinnen und Ausländer
einerseits und Deutsche andererseits unterschiedlich behandelt werden. Die Bundesregierung hat uns darauf geantwortet - ich zitiere -:
Eine Auflistung aller Normen des geltenden Bundesrechts, die etwa im Bereich des Zivil-, Straf-,
Verwaltungs-, Sozial- oder Steuerrechts unterschiedliche Regelungen für Deutsche und Ausländer enthalten, würde einen unverhältnismäßigen
Aufwand erfordern, der nicht zu vertreten ist.
Dies macht deutlich, daß es vor allen Dingen darauf ankommt, Menschen ausländischer Herkunft, die hier leben, den Deutschen gleichzustellen, ihnen die gleichen
Rechte zu geben. Nur so kann verhindert werden, daß
Ausländerfeindlichkeit, Rassismus und Antisemitismus
in diesem Land weiter voranschreiten.
({0})
Es ist heute viel Kritik geübt worden. Ich möchte auf
einen Punkt eingehen, den Herr Özdemir - auf eine Frage an ihn hin - angesprochen hat. Vielleicht kann ich
Ihnen da helfen.
Da dieses Gesetz nicht die Möglichkeit der
Mehrstaatigkeit eröffnen soll, was Sie, SPD und Grüne, allerdings vor den Wahlen versprochen haben, muß
einmal auf die Kritik der Migrantenverbände und
-organisationen hingewiesen werden. Diese haben
durchweg kritisiert, daß dieser Gesetzentwurf nicht weit
genug greift und daß durch die Verengung der Möglichkeit der Mehrstaatigkeit vor allen Dingen Türkinnen und
Türken ausgegrenzt werden.
({1})
Herr Özdemir, Sie haben hier gesagt, daß insbesondere die Arbeitsmigranten, die vor 20 oder 30 Jahren
nach Deutschland gekommen sind, berücksichtigt werden sollen. Natürlich kann derjenige, der türkischer Herkunft ist und Deutscher werden will, die deutsche
Staatsangehörigkeit bekommen. Aber der Härtefall wird
niemals eintreten, da beispielsweise die Erbschaftsregelungen längst zwischen Deutschland und der Türkei getroffen worden sind; sie behalten das Erbschaftsrecht.
Von daher ist der Kreis derer, die die Mehrstaatigkeit
haben werden, sehr eingegrenzt. Sie wissen aber doch
besser als ich, daß viele Menschen türkischer Herkunft,
die hierhergekommen sind, ihre türkische Staatsbürgerschaft überhaupt nicht abgeben wollen. Das ist heute
auch schon einmal gesagt worden.
Insofern haben Sie der CDU/CSU eigentlich ein Angebot gemacht, das sie hätte annehmen müssen; denn ihre einzige Angst - das haben wir heute gemerkt - ist,
daß zu viele Menschen zwei Pässe haben könnten. Das
halte ich im Grunde genommen für heuchlerisch. Diese
Möglichkeit ist nämlich mit diesem Gesetz ganz offensichtlich eingeschränkt worden.
Daß es bei der Durchsetzung dieses Gesetzes Panik
gegeben hat, ist unbestreitbar. Außer der PDS hat es in
der Tat keine Partei für nötig befunden, Migrantenorganisationen und -verbände anzuhören. Es war Ihnen vor
allen Dingen wichtig, Ihren Entwurf verfassungsdicht zu
bekommen. Ich denke aber, es wäre sehr wichtig gewesen, die Meinung der Migrantenverbände zu hören,
insbesondere ihre Auffassung von Integration und Möglichkeiten, wie das Miteinander-Leben in diesem Land
besser und leichter gestaltet werden könnte.
Wer sich aber einmal den Gesetzentwurf genau anschaut, der sieht, daß er nicht nur inhaltlich in vielen
einzelnen Paragraphen mit der heißen Nadel gestrickt
wurde. Ich wundere mich, daß Sie es noch nicht einmal
hinbekommen haben, eine sprachliche Überarbeitung
vorzunehmen. So zum Beispiel können wir lesen: Deutscher ist, wer die Staatsangehörigkeit in einem Bundesstaat - seit wann haben wir noch Bundesstaaten? - oder
die unmittelbare Reichsangehörigkeit besitzt. Wir finden
auch Worte wie „Reichskanzler“, „Reichskasse“,
„Reichsmilitärgesetz“. Ich meine, so viel Zeit hätte allemal sein müssen, um diesem Gesetz eine Fassung zu
geben, die es lesbar macht. Offensichtlich aber soll der
Verbleib dieser Worte daran erinnern, daß durch dieses
Gesetz eben keine grundsätzlichen Änderungen vorgenommen werden.
Damit bin ich beim nächsten Punkt: Im Gesetz geht
es auch um das Abstammungsprinzip, um das Blutsrecht. Man muß leider sagen, daß das in weiten Teilen
erhalten bleibt und daß das Gesetz in dieser Hinsicht
keineswegs modern ist, wie es Herr Schily versucht hat,
in seinem theoretischen Debattenbeitrag zum Ausdruck
zu bringen.
Ich möchte ein Beispiel nennen, das in diesem Hause
bisher nicht zur Kenntnis genommen wurde. Das alte
Staatsbürgerschaftsgesetz enthielt zum Beispiel die Regelung, daß Personen, die „in dem Gebiete des Deutschen Reiches vom 31.12.1937 Aufnahme gefunden“
hatten oder Ehegatten oder Nachfahren solcher Menschen waren, „auf Antrag“ eingebürgert wurden. Diese
Regelung wird jetzt durch eine pauschale Überleitung
ersetzt, das heißt, diese Menschen werden, ohne daß sie
gefragt worden sind und ohne daß sie einen Antrag gestellt haben, pauschal zu deutschen Staatsangehörigen
erklärt.
Man muß sich das einfach einmal vor Augen halten:
Mit dem heutigen Gesetz verweigern Sie auf der einen
Seite Migrantinnen und Migranten die deutsche Staatsangehörigkeit, und auf der anderen Seite wird mit dieser
pauschalen Überleitung Menschen, die in Polen oder
anderen osteuropäischen Ländern leben, die deutsche
Staatsangehörigkeit, ohne daß diese Menschen das überhaupt beantragt haben, geradezu aufgedrängt. Ich sage
das hier auch vor dem Hintergrund, daß uns polnische
und osteuropäische Organisationen angesprochen haben,
die das nicht gerade für ein Zeichen guter Nachbarschaft
halten. Denn sie wissen, daß das Debatten in Polen und
anderen Ländern auslösen wird.
In der letzten Debatte zu diesem Thema habe ich
schon sehr deutlich gesagt, daß F.D.P., SPD und Grüne
hiermit ein Kompromißangebot an die CDU/CSU gemacht haben. Ich verstehe die ganze Aufregung nicht,
und ich verstehe auch nicht, warum die CDU/CSU diesen Gesetzentwurf, der inhaltlich dem entspricht, was sie
1994 in ihre Koalitionsvereinbarung hineingeschrieben
hat, nicht mitträgt.
Auch ich begrüße es sehr, wenn Sie Ihre Kampagne,
die mit ausländerfeindlichen und rassistischen Inhalten
geführt wurde, endlich einstellen, nachdem dieser Gesetzentwurf verabschiedet ist.
Ich hoffe, daß wir in Zukunft über weitere Punkte
auch an Hand der eingebrachten Änderungsanträge, die
wir beispielsweise in diese Debatte eingebracht haben,
diskutieren können. Dabei handelt es sich übrigens
durchgehend um Forderungen, die auch die Migrantenverbände gestellt haben. Ich will nur einige wenige kurz
nennen. Es geht zum einen darum, daß die Verleihung
der doppelten Staatsbürgerschaft nicht zu erschweren ist,
wie das die Regierung tut, sondern daß sie zu erleichtern
ist. Die PDS hat außerdem ein eigenständiges Aufenthaltsrecht für Ehepartnerinnen und Ehepartner
ausländischer Herkunft gefordert. Darüber hinaus haben wir gefordert, daß die Fristen der Einbürgerung von
acht Jahren auf fünf Jahre verkürzt werden. Besonders
wichtig ist für uns: Den neu eingeführten Paragraphen eine Art Gesinnungs-TÜV -, der besagt, daß man erst
einmal auf die FDGO schwören muß, halten wir zweifellos für ein Einfallstor in Richtung Gesinnungsschnüffelei. Meiner Meinung nach ist er völlig überflüssig.
({2})
Wir haben außerdem darauf hingewiesen, daß die
Forderung, daß Menschen die deutsche Sprache ausreichend beherrschen müssen, undefiniert ist und daß das
wahrscheinlich eine sehr hohe Hürde für die Einbürgerung von Menschen darstellt. Ich meine insbesondere
diejenigen, die aus der älteren Generation kommen.
Wir finden besonders bei einer rotgrünen Regierung
skandalös, daß sie die Gebühren für die Einbürgerung
von 100 DM auf 500 DM pro Person erhöhen möchte.
Wenn wir uns überlegen, was das für eine Familie kosten würde, dann muß ich schon sagen: Das ist völlig
unverständlich.
Denken Sie an die
Zeit, Frau Kollegin.
Zum Schluß möchte ich Ihnen
mitteilen, daß sich der größte Teil meiner Fraktion enthalten wird. Wenige werden dagegen stimmen, und es
wird einige Stimmen dafür geben. Ich hoffe auf eine
weitere Diskussion unserer Änderungsanträge - sie werden wir natürlich in anderer Form wieder einbringen und auf weitere Debatten über ein wirklich modernes,
demokratisches Staatsbürgerschaftsrecht.
Danke.
({0})
Das Wort hat jetzt
der Kollege Michael Bürsch.
Meine lieben Kolleginnen und Kollegen!
Ausländische Mitbürgerinnen und Mitbürger sind
eine Bereicherung unserer Gesellschaft. Ihre Integration ist nicht nur Notwendigkeit, sondern politische Chance und Ziel unseres Wollens.
({0})
So begründet die CDU/CSU-Fraktion ihren eigenen
Antrag zur Staatsangehörigkeit. Gerne mache ich mir
diese Argumentation am heutigen Tage zu eigen. Genauso objektiv und sachbezogen läßt sich nämlich die
Zielsetzung der Gesetzesvorlage beschreiben, über die
wir heute abschließend entscheiden wollen.
Leider hat sich die politische Auseinandersetzung in
den vergangenen Wochen und Monaten auch hier im
Bundestag zu häufig durch den Austausch von Emotionen, von Vorurteilen und von Glaubensbekenntnissen
ausgezeichnet. Gerade das schwierige Thema Staatsangehörigkeit ist dafür, meine ich, denkbar ungeeignet.
Am Ende dieses Gesetzgebungsverfahrens und im
Blick auf die Zukunft kommt es jetzt auf eine Versachlichung des Verfahrens an. Das will ich an dieser Stelle
der Debatte versuchen. Ich will versuchen, die Materie
Staatsangehörigkeit nach objektiven Kriterien kurz zu
beschreiben und deutlich zu machen, worum es im Kern
geht. Ich will mich auch bemühen, einige der vorgetragenen Bedenken mit sachlichen Argumenten zu entkräften.
Weiterhin werde ich auf die Vorschläge der Opposition eingehen, um deutlich zu machen, daß wir uns natürlich auch diesen Vorschlägen mit der gebotenen Sorgfalt und Ausführlichkeit gewidmet haben. Herr Rüttgers,
seien Sie deshalb bitte nicht überrascht, daß ich mich
mit diesen Vorschlägen in der heutigen Debatte etwas
länger befasse, als Sie es getan haben. Sie haben sich offenbar auf andere Dinge konzentriert, die eher in das
Fach Polemik und Regierungsbeschimpfung gefallen
sind.
({1})
Ziel der Reform der Staatsangehörigkeit ist es, den
lange hier lebenden Ausländern und ihren Kindern durch
rechtliche Gleichstellung und politische Teilhabe die
Integration und Eingliederung in unsere Gesellschaft zu
ermöglichen. Das ist das Ziel - nicht mehr und nicht
weniger. Dieses Ziel konnte von der früheren Bundesregierung nicht erreicht werden. Das ist die Tatsache.
Eine Staatsangehörigkeit kann man grundsätzlich auf
drei Arten erwerben: durch Abstammung, nach dem
Territorial- oder Geburtsortsprinzip - um den lateinischen Begriff zu vermeiden -, das heißt durch Anknüpfung an den Geburtsort, und schließlich durch Einbürgerung.
Für die Reformbemühungen zum Staatsangehörigkeitsrecht bestand in der Regierung wie auch in der Opposition schon länger Einigkeit darüber, daß die Fristen
für Anspruchseinbürgerungen verkürzt werden sollten.
({2})
Das geschieht jetzt auch.
Einigkeit bestand seit vielen Jahren auch darüber, daß
ein entscheidender Reformansatz beim Geburtsortsprinzip liegt, dessen Einführung in das deutsche Recht
die Sozialdemokraten schon seit 86 Jahren fordern; ich
habe in der ersten Debatte darauf hingewiesen. Die
F.D.P. und das Land Rheinland-Pfalz haben dazu schon
in der letzten Legislaturperiode ein Optionsmodell vorgelegt. Es wurde heute auch schon über die Initiative in
der CDU vom Juni 1996 für ein zeitgemäßes Staatsangehörigkeitsrecht berichtet.
Es ist auch noch erwähnenswert: Im August 1996
unterbreitete eine Unionskommission einen Reformvorschlag, der ebenfalls ein modifiziertes Geburtsortsprinzip enthielt. Vorsitzender dieser Kommission - das ist
ganz apart - war der renommierte Verfassungsrechtler
und Bundestagsabgeordnete Rupert Scholz. Eine interessante Variante!
In der letzten Legislaturperiode stand das Thema
Staatsangehörigkeit zwischen 1995 und 1998 dreimal
auf der Tagesordnung des Innenausschusses: im November 1995 und schließlich im März 1998. Insgesamt
acht Anträge und Gesetzentwürfe wurden in dieser Zeit
beraten. Auch dabei bildete das Geburtsortsprinzip einen
Schwerpunkt der Überlegungen.
Das heißt, wir haben in dieser Legislaturperiode bei
dem entscheidenden Punkt dieser Reform beileibe nicht
bei Null angefangen, sondern konnten mit unserer Gesetzesinitiative auf zahlreichen Vorschlägen und intensiven Diskussionen auch hier im Bundestag aufbauen.
Nun zur Frage von Konsens und Kompromiß, die
heute schon eine größere Rolle gespielt hat: Politik ist
bekanntlich die Kunst des Möglichen, also bei widerstreitenden Konzepten oder Vorschlägen die Kunst,
Kompromisse zu schließen. Ein Kompromiß zeichnet
sich in der Politik - wie im Leben - bekanntlich durch
gegenseitiges Nachgeben aus. Das ist mit dem jetzt gefundenen Kompromiß der Fall. Die Regierung hat auf
einige ihrer ursprünglichen Vorstellungen verzichtet,
aber so funktioniert eben parlamentarische Demokratie,
wenn man sie konstruktiv nutzt.
Heute steht mit diesem Geburtsortsprinzip ein entscheidender Reformansatz zur Abstimmung. Darauf haben sich drei Fraktionen hier im Bundestag geeinigt.
Wir können jetzt lange hin- und herbewegen, Herr
Rüttgers oder Herr Röttgen oder wer sonst noch von der
CDU darauf hingewiesen hat, wer wen angerufen hat
und wer welches Telefonat nicht beantwortet oder nicht
rechtzeitig zurückgerufen hat. Ich glaube, Sie könnten
einmal ehrlich sagen, was wirklich der Tatsache zugrunde liegt, daß kein Kompromiß möglich war.
Es ist doch nicht zu bestreiten, daß es eine Partei, eine
kleinere Partei, eine Schwesterpartei in Bayern gibt, die
sich diesem Reformansatz schon immer völlig verschlossen hat, und das war und ist die CSU. Das ist ein
Faktum; das ist keine Polemik.
Ich glaube, es müssen noch mindestens hundert weitere Jahre vergehen, bis diese Art von Fortschritt beim
Staatsangehörigkeitsrecht auch bis nach Bayern gelangt.
Es scheint fast so, als ob bei diesem Thema das russische Wort „njet“ in den Sprachschatz der Bayern Eingang gefunden hat.
Auf jeden Fall: Es hat doch keinen Sinn, darüber zu
debattieren, wer sich vielleicht mit wem nicht zusammengesetzt hat. Es war doch aus der Sicht der
CDU/CSU gar nicht möglich, hierzu einen Kompromiß
zu finden, weil es die CSU nicht wollte. Über diese
Hürde konnte keiner springen, auch Herr Schäuble nicht.
Es wollte oder konnte von Ihrer Seite keiner einen
Kompromiß eingehen.
({3})
- Ich werde mir Mühe geben, Herr Kollege Stiegler,
Bayern und die CSU zu unterscheiden.
({4})
Ich komme zu einem Vorschlag der Union. War die
sogenannte Einbürgerungszusicherung eine mögliche
Alternative für die Reform des Staatsangehörigkeitsrechts? Diese Problematik ist heute, wenn auch sehr
kurz, von Herrn Rüttgers und anderen angesprochen
worden. Hätte dieser Unionsvorschlag überhaupt
Grundlage für einen Kompromiß sein können?
Bei nüchterner Abwägung der Fakten lautet die Antwort: nein; denn diese Einbürgerungszusicherung bringt
überhaupt keine nennenswerten Verbesserungen für die
ausländischen Kinder.
Herr
Kollege Bürsch, darf ich Sie unterbrechen? Würden Sie
eine Zwischenfrage des Kollegen Wolf zulassen?
({0})
Ich wäre ja intolerant,
wenn ich es nicht täte. Ich mache das, auch wenn es
wahrscheinlich mit dem vorigen Thema zu tun hat, mit
der Frage, wie welcher Kompromiß zustande kommen
konnte. - Bitte schön.
Herr
Kollege Wolf.
Es hat etwas mit Ihren
Bemerkungen zur CSU zu tun.
Wir haben schlicht und ergreifend ein Problem, Menschen eine Antwort zu geben. Vielleicht können Sie mir
ja diese Antwort geben. Ich habe eine Frage an Sie.
Herr Kollege Bürsch, die Kriminalitätsstatistik, die
vor kurzem in München vorgelegt wurde, hat eindeutig
bewiesen, daß die Ausweisung eines Täters, der große
Schlagzeilen gemacht hat, die Ausweisung von Mehmet,
sehr wohl eine abschreckende Wirkung für jugendliche
Straftäter aus dem Bereich der Ausländer gezeigt hat.
Ich frage Sie jetzt, was wir künftig Eltern von Kindern antworten sollen, die Opfer von Straftaten werden,
die hätten geschützt werden können, wenn Straftäter wie
Mehmet ausgewiesen worden wären, die aber künftig,
wenn dieser Gesetzentwurf beschlossen wird, nicht mehr
ausgewiesen werden können? Was sollen wir diesen Eltern und Kindern sagen, die wir nicht ausreichend schützen können, weil Sie ein solches Gesetz beschließen?
Herr Kollege, ich habe
mir vorgenommen, dieses Thema zur Sachlichkeit zurückzubringen.
({0})
Ich sage Ihnen als Jurist, der auch Interesse für Kriminologie hatte und hat: Es ist erwiesen - darüber können wir gern noch alle möglichen Statistiken austauschen -, daß die Kriminalität von Ausländern, wenn
man die Taten vernachlässigt, die nur sie begehen können, also Straftaten in bezug auf das Asylbewerberverfahren und von durchreisenden Ausländern, die hier keinen dauernden Aufenthalt nehmen, nicht größer als bei
Deutschen ist.
({1})
Als zweites kann ich Ihnen dazu sagen: Es ist leider
so, daß es überall auf der Welt Menschen gibt, die sich
nicht an die Regeln halten, die gegeben sind. Dieses abweichende Verhalten müssen wir wohl ertragen. Das
betrifft Mehmet, das betrifft alle Jungen und Mädchen in
dieser unserer Gesellschaft, haben sie die deutsche oder
eine ausländische Staatsbürgerschaft oder die Doppelstaatsbürgerschaft. Das spielt für die Betrachtung aus
meiner Sicht keine Rolle.
Insofern können Sie den Eltern sagen: Es gibt leider
diese Abweichler. Wir müssen etwas dafür tun, das abzustellen, und das ist zum Beispiel, die Toleranz gegenüber Ausländern zu verstärken.
({2})
Ich hatte begonnen, etwas zu dem Thema Einbürgerungszusicherung, zu dieser Alternative, die die CDU
vorgelegt hat, zu sagen. Es ist keine nennenswerte Verbesserung, denn § 85 des geltenden Ausländergesetzes
zeigt, daß die Einbürgerungszusicherung teilweise die
bestehenden Anforderungen verschärft. Wenn man sich
dann noch die äußerst strengen und zahlreichen Voraussetzungen für den Erhalt der Einbürgerungszusicherung
vor Augen führt, fragt man sich, worin da noch die Integrationswirkung eines Gesetzes liegen soll, das an allen
Ecken und Enden Ausschluß- und Verlustgründe aufführt.
Laut Begründung des Unionsentwurfes sollen durch
die Einbürgerungszusicherung die Kinder der zweiten
und dritten Ausländergeneration begünstigt werden. Ich
habe mir einmal seriöse Schätzungen dazu geben lassen,
wie viele das überhaupt betreffen würde. Auf Grund der
Fülle von Voraussetzungen, Herr Marschewski, würden
nach ersten seriösen Schätzungen weniger als 10 Prozent
der in Deutschland geborenen ausländischen Kinder in
den Genuß der Einbürgerungszusicherung kommen.
Diese niedrige Quote zeugt doch eher von viel Mißtrauen gegenüber Ausländern als von Vertrauen in ihre Integrationsbereitschaft und Integrationsfähigkeit.
Zur Frage der doppelten Staatsangehörigkeit muß
etwas gesagt werden, denn diese Frage hat bei der Reform des Staatsangehörigkeitsrechts, die meisten Emotionen ausgelöst. Ich gebe keinen Kommentar zur Unterschriftenaktion ab; darüber ist heute schon viel gesagt
worden. Ich nenne einige Punkte, die sich an Fakten orientieren.
Tatsache ist - nur noch einmal zur Erinnerung -, daß
in Deutschland eine beträchtliche Zahl von Menschen
Doppelstaatler oder Mehrstaatler sind. Wir mögen in
den Zahlen auseinandergehen. Ich kenne seriöse Schätzungen von zwei Millionen. Vorhin wurde von der
CDU/CSU zugerufen: 500 000 bzw. eine Million. Es
mag hinsichtlich der Zahl Streit geben, aber Tatsache ist:
Die CDU/CSU selbst war es, die 1990 die in § 87 des
Ausländergesetzes geregelten Ausnahmen für die Hinnahme von Mehrstaatlichkeit eingeführt hat.
({3})
Dabei müssen Sie sich doch etwas gedacht haben. Es
muß für Sie einen Grund gegeben haben, den Ausländern diese Möglichkeit - zu Recht - zu eröffnen.
Haben denn diese Menschen mit Mehrstaatlichkeit
wirklich die Republik in ihren Grundfesten erschüttert?
Die Antwort lautet: nein. Sie sind in aller Regel ehrenwerte Mitglieder der Gesellschaft wie Sie und ich - ich
gehe einmal davon aus -, und sie zahlen hier Steuern,
bieten Arbeitsplätze an und leisten ihren gesellschaftlichen Beitrag. Darauf haben Sie von der Union doch in
Ihrem eigenen Antrag hingewiesen. Auch in Holland
und in anderen Ländern hat die Mehrstaatlichkeit in der
Gesellschaft keine nachteilige Wirkung gezeigt. In
Schweden hat gerade in diesen Tagen eine vom Parlament eingesetzte unabhängige Kommission empfohlen,
die generelle Hinnahme der doppelten Staatsangehörigkeit als integrationsfördernde Maßnahme einzuführen.
Das könnten wir uns doch womöglich zum Vorbild
nehmen.
({4})
Schließlich - darauf muß ich noch hinweisen, wohlgemerkt die CSU und die Bayern unterscheidend -: Die
bayerische Verfassung weist in den Art. 7 und 8 die
doppelte Staatsbürgerschaft aus. Dort heißt es unter anderem:
Alle deutschen Staatsangehörigen, die in Bayern ihren Wohnsitz haben, besitzen die gleichen Rechte
und Pflichten wie die bayerischen Staatsangehörigen.
({5})
So steht es in der Verfassung. Da kann man jetzt natürlich dem hier anwesenden Innenminister des Freistaates
Bayern ein paar Fragen stellen, die auch die „Zeit“ sich
im März dieses Jahres gestellt hat:
Was ist ... mit den Bayern, die den Freistaat, ihre
angestammte Heimat, verlassen und ins restliche
Deutschland oder gar ins ... Ausland auswandern?
({6})
Behalten sie neben der deutschen auch ihre bayerische Staatsangehörigkeit? Verlieren sie ihre bayerische Staatsangehörigkeit? Und, wenn ja, was aber
schwer vorstellbar ist, erhalten sie sie nach ihrer
Rückkehr zurück?
Fragen über Fragen bei der Doppelstaatlichkeit nach der
bayerischen Verfassung.
Ich meine, nichts könnte die Bayern daran hindern,
den entspannten Umgang mit der doppelten Staatsangehörigkeit ihrer eigenen Landsleute auf die Frage der
Mehrstaatlichkeit auf Bundesebene zu übertragen.
({7})
Wir sehen: Bei Betrachtung der Fakten liegt kein
sachlicher Grund vor, die doppelte Staatsangehörigkeit
zu diffamieren oder zu diskreditieren, es sei denn, man
geht mit den Fakten so um wie der Kollege Zeitlmann,
der über unseren Gesetzentwurf vor kurzem äußerte:
„Auch ein extremistischer Bombenleger kann Deutscher
werden.“ - Na gut. Man braucht nicht Rechtswissenschaft studiert zu haben, um diese hanebüchene Verunglimpfung unseres Entwurfs zu widerlegen.
({8})
Ganz sachlich erlaube ich mir den Hinweis: Auch da
erleichtert ein Blick in das Gesetz die Rechtskenntnis
und verhindert peinliche Falschaussagen.
Wie geht es nach der Verabschiedung des Gesetzes
weiter? In einem hat die Opposition mit ihrem Antrag
„Integration und Toleranz“ recht: Es bleibt viel zu tun,
um Fremdenfeindlichkeit bei uns zu bekämpfen. Die Reform des Staatsangehörigkeitsrechts kann nur der Anfang sein.
Allerdings sollten politische Forderungen einerseits und
Taten andererseits übereinstimmen. Da ist das Verhalten
der Union nicht ohne Widersprüche. Ein Beispiel: Einerseits hebt der Unionsantrag die Bedeutung der
Sprachförderung hervor und fordert ihre Ausweitung
unter finanzieller Beteiligung des Bundes. Andererseits
wurde im Haushaltsausschuß für den Etat des Arbeitsministeriums die Aufstockung der Bundesmittel für
Sprachförderung um über ein Viertel von 27 auf 34 Millionen DM beantragt. Wer sich diesem Antrag nicht anschließen konnte und ihn abgelehnt hat, war die Union.
Das ist zumindest ein widersprüchliches Verhalten.
Ebenso hat die Union der Erhöhung des Etats der
Ausländerbeauftragten nicht zugestimmt.
Wenn man sich im übrigen das Integrationspapier,
das in den Bundestag eingebracht worden ist, ansieht,
dann kann man feststellen: Dieses Papier enthält eine
Reihe von allgemeinen, im Grunde von jedermann geteilten Überzeugungen und Forderungen, denen sich
wirklich kaum widersprechen läßt, zum Beispiel die
„Würdigung und Unterstützung der großen Städte als
Integrationszentren“, die „verstärkte Aufnahme von
Mitbürgern ausländischer Herkunft in die demokratischen Parteien“ - jawohl! - oder die „Einstellung von
Polizeibeamten ausländischer Herkunft“. Gerade die
letzten Punkte empfehle ich besonders der CSU zur
Lektüre.
({9})
Manche Christdemokraten nennen diese Vorschläge wie es auch heute geschehen ist - ein umfassendes Integrationskonzept. Herr Rüttgers, bei allem Respekt:
Wenn Sie sich die sechseinhalb Seiten, um die es letztlich geht, ansehen, dann sollten Sie diese Beurteilung
etwas niedriger hängen. Das ist eine Bekundung guten
Willens; aber es ist noch kein Integrationskonzept. Wir
haben in der Begründung unseres Gesetzentwurfes ähnliche Vorstellungen stehen. Da muß man nicht sagen,
wir hätten kein Integrationskonzept.
Im Prinzip stimme ich auch dem Kollegen Repnik zu,
wenn er uns Politikern die Aufgabe vorgibt, für gesellschaftlichen Konsens zu sorgen und die Gesellschaft für
Reformen aufnahmebereit zu machen. Genau darum haben sich die Regierungsparteien, SPD und Grüne, bei
der Reform des Staatsangehörigkeitsrechts nachhaltig
bemüht. Dafür hat sich bei der Erarbeitung dieses Gesetzentwurfes im Bundestag auch eine Reihe von Abgeordneten eingesetzt.
Ich möchte mich dem anschließen, was der Kollege
Westerwelle bereits sagte: Es gibt Anlaß, sowohl dem
Innenminister als auch den Kolleginnen und Kollegen
aus drei Fraktionen zu danken, nämlich Marieluise
Beck, Cem Özdemir, aus unserer Fraktion Sebastian
Edathy, Ludwig Stiegler, Rüdiger Veit und Dieter Wiefelspütz. Natürlich danke ich auch dem liberalen Kollegen Guido Westerwelle für die konstruktive, engagierte
Zusammenarbeit bei der Suche nach einem tragfähigen
Kompromiß.
Am Rande bemerkt: Bei dieser Zusammenarbeit habe
ich ein ganz neues „Westerwelle-Gefühl“ entdeckt. Herr
Kollege, Sie haben tatsächlich einen ganzen Tag in der
Expertenanhörung verbracht und nicht einmal in acht
Stunden ein Interview gegeben.
({10})
Das war hervorragend. Sie haben sich auf die Sache
konzentriert, was sie auch wert war.
({11})
Einen Nachsatz noch, einen Hinweis, der leicht vergessen wird: Was wäre Politik ohne solide Zuarbeit und
Amtshilfe von seiten der Arbeitsebene? Stellvertretend
für diese Arbeitsebene möchte ich heute den zuständigen
Referatsleiter aus dem Bundesinnenministerium, Herrn
Frank Mengel, nennen, der unsere Arbeit mit großer
Sachkunde, Beharrlichkeit und erfreulicher juristischer
Kreativität begleitet hat. - Dies als kleines Kontrastprogramm zur üblichen Beamtenschelte.
({12})
Herr
Bürsch, ich möchte Sie bitten, zum Schluß zu kommen.
Mein Fazit am Ende
dieses Gesetzgebungsverfahrens lautet: Die über Fraktionsgrenzen hinweg praktizierte Zusammenarbeit macht
durchaus Mut, daß es zukünftig im Bundestag auch zu
anderen essentiellen Fragen gelingen wird, politischen
und gesellschaftlichen Konsens zu befördern. Das ist
auch nötig. Insofern bleibt der Appell von heute besteDr. Michael Bürsch
hen, daß wir in Zukunft mit dem Thema Integration in
gemeinsamem Interesse sorgsam, sensibel und auch
konsensorientiert umgehen. Was wir brauchen, ist eine
echte Koalition für Integration und Toleranz.
Herr
Kollege Bürsch, Ihre Redezeit ist seit zwei Minuten abgelaufen.
Ich nehme die unserer
Fraktion zur Verfügung stehende Redezeit etwas mehr
als vorgesehen in Anspruch, Herr Präsident.
Das geht
dann zu Lasten Ihrer Kollegen.
Das ist so verabredet. Abschließend möchte ich feststellen: Das Gesetz, das
wir heute verabschieden, ist ein Kompromiß. Aber er ist
ein Kompromiß, der weiterführt. Er legt beim Staatsangehörigkeitsrecht das fest, was unter den derzeitigen
politischen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen
möglich war.
Ich meine, wir tun recht daran, den erreichten Kompromiß nicht auf die lange Bank zu schieben, sondern
ihn heute zu verabschieden. Mit dieser Ansicht stehe ich
nicht allein. Ich kann mich auf einen großen Deutschen
berufen, auf Johann Wolfgang von Goethe, der uns für
heute und für die kommenden Monate und Jahre mit
folgendem Ratschlag weiterhilft:
Was heute nicht geschieht, ist morgen nicht getan,
Und keinen Tag soll man verpassen.
Das Mögliche soll der Entschluß
Beherzt sogleich beim Schopfe fassen,
Er will es dann nicht fahren lassen,
Und wirket weiter, weil er muß.
Danke schön.
({0})
Zu einer
Kurzintervention erteile ich das Wort dem Abgeordneten Otto Schily.
Herr Präsident! Meine Damen
und Herren Kolleginnen und Kollegen! Heute wurden
viele Dankadressen formuliert; denen will ich mich anschließen. Ich möchte es nicht versäumen, dem Vorsitzenden des Innenausschusses für seine souveräne Verhandlungsführung meinen besonderen Dank auszusprechen. Dem Gesetzgebungsverfahren hat es sehr gedient,
daß wir diesen Vorsitzenden hatten.
Danke schön.
({0})
Als
nächster Redner hat das Wort der Kollege Meinrad Belle
von der CDU/CSU-Fraktion. Bitte, Herr Belle.
Herr Präsident! Meine
sehr geehrten Damen und Herren! Erlauben Sie mir zwei
Vorbemerkungen. Die erste ist an den Herrn Bundesinnenminister gerichtet. Ich halte es für unfair, daß Sie,
Herr Minister, heute auf die abweichende Meinung verschiedener Kolleginnen und Kollegen der CDU zu diesem Gesetzentwurf hingewiesen haben. Damit haben Sie
nur von Ihrer eigenen Meinung, die Sie noch im Januar
ganz massiv vertreten haben, abgelenkt. Damals haben
Sie das Optionsmodell entschieden abgelehnt. Das ist,
finde ich, nicht ganz in Ordnung.
({0})
Die zweite Bemerkung. Vorhin wurde die Zahl der
Doppelstaatler mit über 2 Millionen beziffert. Ich
möchte darauf hinweisen, daß der Mikrozensus 1997/98
eine Zahl von unter 580 000 Doppelstaatlern in
Deutschland ergeben hat.
Vor drei Jahren habe ich an einer Fernsehdiskussion
des NDR 3 zum Thema Staatsangehörigkeitsrecht teilgenommen. Daran waren unter anderem Professor Badura und Herr Haki Keskin, ein einflußreicher Vertreter
der Türken in Deutschland, beteiligt. Als Moderator
fungierte Herr Peter Merseburger, bekannt von Panorama, nicht gerade als Anhänger der CDU verdächtigt.
Peter Merseburger wies in dieser Diskussion darauf
hin, daß er während des Golfkrieges in Großbritannien
gelebt und dort hautnah die Loyalitätskonflikte der Briten mit arabischer Abstammung mitbekommen hat. Er
fragte in der Diskussion: Herr Keskin, warum wollen Sie
unbedingt die doppelte Staatsbürgerschaft? - Die Antwort lautete: Ich lebe seit Jahren in Deutschland. Meine
Familie und ich fühlen uns als Deutsche. Meine Kinder
sprechen besser Deutsch als Türkisch. Wir beabsichtigen
nicht, in die Türkei zurückzugehen. Es könnte aber der
Fall eintreten, daß in Deutschland wieder Vorfälle wie
im Dritten Reich mit fremdenfeindlichen Ausschreitungen geschehen. Dann will ich einfach die Möglichkeit
haben, mich mit meiner Familie in unser ursprüngliches
Heimatland zurückzuziehen. - Mein Einwurf war: Sehen
Sie, genau das wollen wir nicht. Wenn Sie die deutsche
Staatsangehörigkeit haben, dann mit allen Rechten und
Pflichten und ohne Rückzugsmöglichkeit.
Warum habe ich diese Begebenheit erzählt? Zwar haben Sie von der Koalition den ersten Entwurf mit der
Einführung der regelmäßigen doppelten Staatsangehörigkeit zurückgezogen, nachdem sich fast 70 Prozent
der Bevölkerung vehement gegen die doppelte Staatsangehörigkeit ausgesprochen haben. Aber mit dem heute
zu verabschiedenden Gesetz wird - das ist ganz wesentlich für uns - die regelmäßige doppelte Staatsangehörigkeit durch die Hintertür eingeführt. Bisher haben wir uns
zum Teil in höheren Sphären bewegt. Ich möchte die
Diskussion wieder auf den Boden des Gesetzentwurfes
zurückbringen.
Die in Deutschland geborenen Kinder ausländischer
Eltern sollen zukünftig mit der Geburt die deutsche
Staatsangehörigkeit erwerben. Eine Ablehnungsmöglichkeit für die Eltern ist nicht vorgesehen, so daß die
deutsche Staatsangehörigkeit den Ausländerkindern aufgezwungen und damit unter Umständen die Saat für
Konflikte in diesen Familien gelegt wird.
Der Jugendliche hat mit Erreichen der Volljährigkeit
zu erklären, ob er die deutsche oder die ausländische
Staatsangehörigkeit erhalten will. Auf Antrag ist ihm
allerdings auch zu genehmigen, die deutsche Staatsangehörigkeit zusätzlich zu behalten, wenn ihm die Aufgabe der ausländischen Staatsangehörigkeit nicht möglich oder nicht zumutbar ist. Damit, meine Damen und
Herren, geben Sie doch jedem cleveren oder durch einen
cleveren Anwalt beratenen Doppelstaatler die Möglichkeit, beide Staatsangehörigkeiten auf Dauer zu behalten.
({1})
Vom zusätzlichen Aufwand in dem sehr verwaltungsintensiven Verfahren oder bei den Gerichten will
ich schon gar nicht reden.
Um die Öffentlichkeit zu beruhigen, wird zwar einerseits der Grundsatz der Vermeidung der Mehrstaatigkeit
formell aufrechterhalten, andererseits aber erweitern Sie,
Herr Westerwelle - da bin ich anderer Meinung; wir haben uns vorhin schon verständigt -, die Ausnahmetatbestände für die Einbürgerung unter Hinnahme der
Mehrstaatigkeit in einer aus unserer Sicht unverhältnismäßigen Art und Weise: zum Beispiel für ältere Personen, bei wirtschaftlichen Nachteilen für politisch Verfolgte und EU-Bürger, bei unverhältnismäßigen Schwierigkeiten - Nachteile wirtschaftlicher oder vermögensrechtlicher Art - und bei besonderen Härten. Dies führt
im Ergebnis zu Hunderttausenden von neuen Doppelstaatlern in Deutschland.
Das ist nichts anderes als eine großangelegte Täuschung der Wähler. Diese gehen nämlich nach Rücknahme Ihres ersten Gesetzentwurfs davon aus, daß die
doppelte Staatsangehörigkeit vom Tisch ist. Lieber Herr
Dr. Westerwelle, was bleibt da von Ihren hehren Schwüren gegen die doppelte Staatsbürgerschaft?
Herr
Kollege Belle, erlauben Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Stadler?
Nein.
Erlauben
Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Westerwelle?
Nein, ich erlaube ausnahmsweise - entgegen meiner sonstigen Übung - keine
Zwischenfrage, und zwar einfach deshalb, weil Sie dieses Gesetz in einer Art und Weise durch die Ausschüsse
gepeitscht haben, die nicht mehr vertretbar war.
({0})
Ich möchte einige wenige Sätze zum zeitlichen Ablauf des Gesetzgebungsverfahrens sagen. Sie empören
sich über den Vorwurf des Durchpeitschens dieses
schlechten Entwurfs.
({1})
Tatsache ist aber: Am 19. März 1999 findet die erste Lesung des Entwurfes statt. In der Osterpause wird die
Anhörung durchgezogen. Die abschließende Beratung
im Innen- und im Rechtsausschuß kann nur mit einem
unkorrigierten Protokoll über die Anhörung stattfinden,
und dies alles, meine Damen und Herren, noch bevor der
Bundesrat in einem ersten Durchgang Gelegenheit zur
Stellungnahme hatte. Seit ich im Bundestag bin, hat es
das noch nie gegeben. Ohne Not wird der Bundesrat
brüskiert, nach dem Motto: Wir haben die Mehrheit, was
interessiert uns die Stellungnahme der Bundesländer!
Die zweite und die dritte Lesung müssen unbedingt in
der Haushaltswoche erfolgen - entgegen der jahrzehntelangen Übung in diesem Hohen Hause. Entsprechend
dem Haushaltsrecht, dem Königsrecht des Parlaments,
hat der Haushalt in einer solchen Woche eigentlich immer absoluten Vorrang.
Mehrfach schlägt unser Fraktionsvorsitzender
Dr. Schäuble vor, ohne Vorbedingungen über eine Gesamtreform des Staatsangehörigkeitsrechts zu reden.
Dazu gehört nämlich auch der Teil „Integration“, der aus
meiner Sicht bei Ihnen nach wie vor fehlt. Diese Angebote des Fraktionsvorsitzenden wurden bis heute nicht
beantwortet. Nachdem auch der Herr Bundestagspräsident Konsensgespräche befürwortet, regt Wolfgang
Schäuble in einem Telefongespräch mit Herrn Struck an,
ohne Zeitdruck über die Reform zu reden. Eine Antwort
erfolgt nicht - außer, wenn Sie so wollen, durch den Geschäftsordnungsantrag auf Aufsetzung auf die heutige
Tagesordnung.
Meine Damen und Herren, es kann daher nicht oft
genug gesagt werden: Ohne Rücksicht auf Verluste, aus
parteipolitischen Gründen, nämlich wegen der Beendigung der für Sie nachteiligen Diskussion - auch im Hinblick auf die Europawahl -, wird dieses Gesetz durchgepeitscht.
Ich möchte noch ein paar Anmerkungen zur Anhörung der Sachverständigen und zur Umsetzung der
Ergebnisse machen. Ein Teil der Staats- und Verfassungsrechtler bezeichnet den Gesetzentwurf als verfassungsrechtlich überaus zweifelhaft. Ich habe da eine
etwas andere Erinnerung als Sie, Herr Westerwelle.
Aber, meine Damen und Herren - jetzt kommt es -, alle
Juristen sehen einen erheblichen Nachbesserungs- und
Überarbeitungsbedarf.
Da werden administrative Probleme und eine Vielzahl von Verwaltungsgerichtsverfahren wegen der Verwendung vieler unbestimmter Rechtsbegriffe vorhergesagt. Es werden Regelungen für die ungelösten Probleme bei der Beendigung der Staatsangehörigkeit mit dem
23. Lebensjahr angemahnt. Die Sachverständigen beanstanden den fehlenden Integrationsanreiz. Es werden
Regelungen gegen den Mißbrauch der doppelten Staatsangehörigkeit gefordert, weil Mißbrauchsmöglichkeiten
zur Verfassungswidrigkeit führen könnten. Von Bevölkerungswissenschaftlern werden verstärkt LoyalitätsMeinrad Belle
konflikte befürchtet. Die kommunalen Spitzenverbände
beklagen den außerordentlich hohen Aufwand beim Gesetzesvollzug und ein übermäßiges Ansteigen der Sozialhilfe.
({2})
Nun das Ergebnis der Ausschußberatungen: Ein ganz
geringer Teil der Beanstandungen wird mit Ihren kurzfristig eingebrachten Änderungsanträgen erledigt. Der
überwiegende und wichtigere Teil der Beanstandungen
wird überhaupt nicht zur Kenntnis genommen und mit
der Arroganz der politischen Mehrheiten vom Tisch gefegt.
Wir folgern daher: Es ist ein schlechtes Gesetz, mit
heißer Nadel genäht, ein zusammengebasteltes Stückwerk, das integrationspolitisch verfehlt ist. Wir werden
dieses Gesetz daher heute ablehnen.
({3})
Zu einer
Kurzintervention erteile ich das Wort dem Kollegen Dr.
Max Stadler.
Lieber Herr Kollege Belle,
die Bewertung des Gesetzentwurfes ist natürlich jedem
unbenommen. Es ist aber wichtig, in der Debatte klarzustellen, worum es wirklich geht.
Dieses Reformvorhaben betrifft zwei verschiedene
Kernpunkte. Es betrifft zum einen die Integration der
Kinder. Dazu hat Herr Dr. Westerwelle in seinem Redebeitrag ausführlich Stellung genommen.
Sie haben sich nun auf die Möglichkeit bezogen, daß
bei Erwachsenen bei Anträgen auf Einbürgerung ausnahmsweise die doppelte Staatsbürgerschaft hingenommen wird. Sie haben in Ihrem Beitrag soeben den
Eindruck erweckt, als werde dies hunderttausendfach eine erhebliche Erweiterung gegenüber der jetzigen Gesetzeslage - stattfinden.
Tatsächlich sieht die Situation so aus, daß schon nach
geltendem Recht - § 87 des Ausländergesetzes - in
vielen Fällen davon abgesehen werden kann, daß der
Bewerber seine bisherige Staatsangehörigkeit aufgibt.
Ich darf Sie mit Hinweis auf die Ausschußberatungen
daran erinnern, daß gerade aus den Reihen Ihrer Fraktion ganz praktische Fälle genannt worden sind, nämlich
die von iranischen Staatsangehörigen, die äußerste
Schwierigkeiten haben, die deutsche Staatsbürgerschaft
zu erwerben und ihre bisherige Staatsangehörigkeit aufzugeben.
Von Ihrer Seite wurde darauf hingewiesen, daß die
Verwaltungspraxis hier künftig großzügiger sein müßte,
weil ein Fall von Unzumutbarkeit vorliegt. Diese Unzumutbarkeitsfälle - etwa bei politischen Flüchtlingen sind bisher nach § 87 Abs. 1 Nr. 4 des Ausländergesetzes ohnehin schon geltendes Recht.
Das Wichtigste, was ich auf Grund Ihres Beitrags
hervorheben möchte, ist: Wenn es so wäre, daß der
Doppelpaß durch die Neuregelung - Sie haben von
einem großen Täuschungsmanöver gesprochen - in
breiter Front ermöglicht wird, dann wäre die Kritik nicht
verständlich, die von den Hauptbetroffenen, nämlich
von den Vertretern der türkischen Gemeinde in
Deutschland - Sie alle haben das Schreiben von Professor Keskin erhalten, in dem beklagt wird, daß gerade die
erste Generation der türkischen Staatsangehörigen nicht
die Chance erhält, künftig den Doppelpaß zu bekommen
-, an unserem Gesetzentwurf geübt wird. Es kann also
nur eines von beiden richtig sein: entweder Ihr Vorwurf,
daß die doppelte Staatsangehörigkeit durch die Hintertür
massiv ausgeweitet wird, oder der Vorwurf der zahlenmäßig am stärksten betroffenen Gruppe, daß wir sie
nicht berücksichtigt haben.
Ich sage Ihnen, das letztere ist der Fall. Herr Dr. Westerwelle hat in seinem Beitrag die politischen Gründe
für unsere Entscheidung dargelegt. Die Positionen waren
ja unter den Verhandlungspartnern strittig. Eins von beiden kann nur zutreffen.
Mein letzter -
Nein,
die Zeit ist abgelaufen.
Herr Belle, wollen Sie erwidern? - Bitte schön.
Lieber Herr Dr. Stadler,
ich möchte darauf aufmerksam machen, daß wir in den
Fällen der Iraner sowieso einer Meinung sind. Insoweit
gibt es keine Diskussion. Das sind aber auch keine Hunderttausende von Fällen. Daß Herr Keskin eine ganz andere Meinung hat, habe ich vorhin schon gesagt. Natürlich geht dieser Gesetzentwurf Herrn Keskin nicht weit
genug. Das ist selbstverständlich und kann daher nicht
als Begründung für Ihren Gesetzentwurf herangezogen
werden.
Die Zahl der Fälle, die durch die Erweiterung der
Zahl der Ausnahmetatbestände auf uns zukommen werden - ich kann mir vorstellen, daß der Herr Innenminister Beckstein nachher in seiner abschließenden
Rede noch ein bißchen dazu sagen wird - beträgt nach
meiner Erinnerung aus den Diskussionen in diesem Zusammenhang 800 000.
Liebe
Kolleginnen und Kollegen, wegen des Zeitdrucks werde
ich jetzt keine Kurzinterventionen mehr zulassen. Ich
bitte um Ihr Verständnis.
({0})
Als nächste Rednerin hat die Kollegin Marieluise
Beck vom Bündnis 90/Die Grünen das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Auch ich habe mich gefreut, daß meine
Amtsvorgängerin, Frau Schmalz-Jacobsen, die Debatte
verfolgt.
Dieses Gesetz hat einen langen Weg genommen. In
dieser Legislaturperiode waren es fünf Monate Beratungen; aber eine langjährige politische Auseinandersetzung - auch in diesem Hause - mit immer wieder neuen
Anläufen und neuen Versuchen, Konsens herzustellen,
denen sich - wie das heute morgen schon häufig betont
wurde - insbesondere die CSU immer wieder mit Beharrlichkeit verweigert hat, ist vorausgegangen.
({0})
Es geht in dieser Debatte in der Tat nicht nur um die
Reform des Staatsbürgerschafts- und Ausländerrechts,
sondern auch um das Selbstverständnis unserer Gesellschaft. Noch einmal: Es geht um die grundsätzliche
Frage, ob wir nach 40 Jahren, in denen es Zuwanderung
nach Deutschland gegeben hat, anerkennen, daß diese
Zuwanderung Fakt ist, ob wir uns mit der Realität auseinandersetzen wollen oder ob wir nach wie vor vor dieser Realität die Augen verschließen und sie deswegen
nicht gestalten wollen.
({1})
Diese Frage ist eigentlich der Kern der Unionskampagne gewesen. Mit dieser Kampagne haben Sie noch
einmal alle Stimmen in der Gesellschaft gegen Einwanderung und Zuwanderung einsammeln wollen. Sie haben
in dieser Gesellschaft noch einmal den Reflex auf die
Tatsache mobilisieren wollen,
({2})
daß Einwanderung und Zuwanderung auch die deutsche
Gesellschaft verändern - ob wir es wollen oder nicht.
Wir müssen uns heute den Fragen stellen, ob wir mit
dieser Zuwanderung und der damit einhergehenden Veränderung dieser Gesellschaft fruchtbar umgehen wollen,
ob wir sie gestalten wollen, ob wir die Herausforderung
annehmen wollen, ob wir sie zum Positiven wenden
wollen, ob wir anerkennen wollen, daß sich auch die
deutsche Mehrheitsgesellschaft durch diese Zuwanderung verändert hat und weiter wird verändern müssen genau so, wie sich auch die Zugewanderten haben verändern müssen und weiterhin von ihnen erwartet wird,
sich anzupassen.
({3})
Um diese Auseinandersetzung geht es im Kern. Das
ist die zentrale Frage von Integration. Soll - wie Sie es
in den Debatten immer wieder betont haben - den Zugewanderten abverlangt werden, sich zu assimilieren,
das heißt, in unserem Stadtbild und in unseren Straßen
nicht mehr erkennbar als Menschen anderer Kultur und
anderer Herkunft zu erscheinen? Sollen sie sich assimilieren? Sollen sie ganz genau so wie wir werden? Oder
können wir es als eine moderne Gesellschaft aushalten,
daß unter uns gleichberechtigte Bürgerinnen und Bürger
leben, die das Recht haben, anders als die deutsche
Mehrheitsgesellschaft zu sein?
({4})
Das ist die Herausforderung, um die es geht. Das ist das
eigentliche Thema und nicht die vordergründige Frage
„Doppelpaß, ja oder nein?“.
Es geht auch um unseren Alltag. Es geht zum Beispiel um die Frage, ob es diese Gesellschaft als normal
anerkennt, daß auch schwarze Menschen mit einem
deutschen Paß zu uns gehören.
({5})
Es kann nicht sein, daß ein Schwarzer erzählt: Immer
und immer wieder passiert es mir, daß ich, wenn ich in
eine Polizeikontrolle komme und meinen deutschen Paß
vorzeige, auf die Wache muß, weil der Polizist einfach
nicht glauben kann, daß dieser Paß nicht gefälscht, sondern ein echter deutscher Paß ist. Wir als Mehrheitsgesellschaft haben nicht gelernt, daß auch Andersaussehende, Andersseiende integraler Teil unserer Gesellschaft geworden sind.
Es geht also um Vielfalt statt Homogenität. Das ist
die Herausforderung, der sich unsere Gesellschaft stellen
muß. Die rotgrüne Regierung - und das ist der eigentliche Bruch mit dem Denken der alten Koalition - sagt:
Diese Herausforderung nehmen wir an, und zwar gerne;
wir akzeptieren gerne, daß unsere Gesellschaft eine Zuwanderungsgesellschaft geworden ist, die uns abverlangt, Veränderungen herbeizuführen.
({6})
Die Erleichterung der Einbürgerung ist also insofern
nur ein Baustein, nur ein Schritt, der überfällig ist. Ich
meine, daß Sie nicht umhinkommen werden, meine Damen und Herren von der Union, sich dieser Tatsache
und der Notwendigkeit von Veränderung zu stellen,
wenn Sie den Anschluß an Europa behalten wollen. Ein
Teil von Ihnen hat das begriffen. Der Weg nach Europa
wird uns als Politik und als Gesellschaft immer und immer wieder vor die Notwendigkeit stellen, Vielfältigkeit,
Veränderung, Andersartigkeit zuzulassen, gerne zu akzeptieren und als positiven und befruchtenden Teil unserer Gesellschaft zu gestalten.
({7})
Wir stehen also am Ende eines Gesetzgebungsverfahrens, aber wir stehen am Anfang eines Prozesses, zu
dem Einbürgerung als Teil einer Integrationspolitik gehört, zu dem aber auch gehört, daß alle Bürger dieser
Gesellschaft, auch wenn sie anderer kultureller Herkunft
sind, auch wenn sie einen Teil dieser Andersartigkeit
bewahren wollen oder sich nur langsam verändern wollen, als gleichberechtigte Menschen in dieser Gesellschaft akzeptiert werden. Wir müssen ihnen anbieten,
uns auf gleicher Augenhöhe zu begegnen.
Es geht um Demokratie, meine Damen und Herren.
Es kann nicht angehen, daß viele Menschen, die seit
Jahrzehnten in dieser Gesellschaft leben und damit faktisch, durch den Alltag, integriert sind, von staatsbürgerlichen Rechten ausgeschlossen werden. Das kann
eine Demokratie nicht aushalten.
({8})
Wir sind deswegen mit diesem Staatsbürgerschaftsrecht
gefordert, mehr Bürgerinnen und Bürger zu StaatsbürMarieluise Beck ({9})
gern zu machen. Es muß unser Interesse sein, möglichst
viele der hier lebenden Menschen in den demokratischen
Prozeß einzubeziehen. Es ist die Verantwortung von
Politik, diesen Prozeß anzustoßen, ihn zu gestalten, ihn
herbeizuführen.
Ich sage Ihnen: Die Ausländerbeauftragte wird, wenn
dieses Gesetz verabschiedet ist und zur Umsetzung gelangt, bei den Migranten und Migrantinnen werben, diesen Schritt in die deutsche Staatsbürgerschaft hinein zu
tun. Denn wir wollen diese Staatsbürgerinnen und
Staatsbürger als aktive, teilhabende, gleichberechtigte
Mitglieder unserer Gesellschaft. Das wird der deutschen
Republik, das wird unserer Demokratie guttun.
({10})
Frau
Kollegin Beck, erlauben Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Singhammer?
Bitte.
Bitte,
Herr Singhammer.
Frau Kollegin Beck, Sie haben davon gesprochen, daß Sie für Ihre
Gesetze und für die Folgerungen daraus werben wollen.
In dem Zusammenhang meine Frage: Trifft es zu, daß
im Haushalt auch dieses Jahres für Ihren Zuständigkeitsbereich eine Summe von 1,5 Millionen DM vorgesehen ist, um in türkischsprachigen Zeitungen für diesen
Doppelpaß zu werben, also bei Menschen, die offensichtlich, bis jetzt jedenfalls, Deutsch noch nicht in ausreichender Weise verstehen?
Lieber Herr Kollege, wir debattieren seit
vier Stunden, aber Sie scheinen immer noch nicht verstanden zu haben, daß der Doppelpaß vom Tisch ist. Ich
weiß nicht, ob Sie die ganze Zeit im Restaurant gesessen
haben.
({0})
Zu unserem Bedauern sind wir jetzt auf einer Ebene, auf
der wir nach wie vor Mehrstaatigkeit vermeiden müssen.
Das nur zur Information.
In der Tat hat sich diese rotgrüne Regierung entschieden, in ihrem Haushalt der Ausländerbeauftragten die
Möglichkeit zu dem zu geben, wozu sie qua Gesetz verpflichtet ist, nämlich zu informieren und aufzuklären
über Gesetze, die die hier lebenden Migranten und Migrantinnen betreffen. Das bedeutet, zum Beispiel darüber zu informieren, daß die Fristen verkürzt sind, zum
Beispiel darüber, daß Kinder zwischen 1 und 10 Jahren
hier eingebürgert werden können, wenn die anderen
Voraussetzungen für die Einbürgerung nach Geburt
vorliegen. Das werden diese Regierung und ihre Ausländerbeauftragte nach dem Gesetzesauftrag tun, und
das ist mit Mitteln versehen worden.
({1})
Es geht bei der Einbürgerung in der Tat um einen
Schritt in Richtung Integration. Sie von der Union haben
allerdings recht: Zur Integration gehört viel mehr. Aber
jetzt nur allgemeine Absichtserklärungen dazu abzugeben ist nicht Aufgabe des Parlaments. Das Parlament
muß sich schon fragen lassen, was es konkret meint.
Hier haben wir viel vor uns. Wir müssen für eine Antidiskriminierungsgesetzgebung sorgen, mit der sehr genau die bürgerrechtlichen Beziehungen zwischen den
Menschen in unserer Gesellschaft berücksichtigt werden
und mit der es möglich ist, Diskriminierungen entgegenzutreten. Wir laden Sie, wenn Sie sich tatsächlich auf
Integrationskurs begeben wollen, herzlich ein, an den
Beratungen darüber teilzunehmen.
Es geht um ein Bündnis für Demokratie und Toleranz, das vom Bundesinnenminister, Bundesjustizminister und auch von der Ausländerbeauftragten gestaltet
wird. Wir wissen, daß die Gesellschaft Demokratie, Toleranz, Vielfalt und Respekt für andere dringend nötig
hat.
Es geht um Initiativen in der Bildungs- und Schulpolitik, die auch den Kindern gleiche Chancen ermöglichen sollen, die aus Familien nichtdeutscher Herkunft
stammen.
({2})
Es geht um ernsthafte Initiativen - auch hier bin ich
gespannt, wie Sie sich verhalten werden -, mit denen die
Zugangshürden für Migrantinnen und Migranten auf
dem Arbeits- und Bildungsmarkt abgebaut werden sollen. Gerade diese Zugangshürden verhindern oft die Integration von Migrantinnen und Migranten. Das wird
eine schwierige und eine konfliktträchtige Debatte. Wir
werden sehr genau beobachten, wie Sie sich bei der Diskussion dieser Fragen verhalten werden.
({3})
Es geht auch um einen Dialog mit dem Islam, um
Religionsfreiheit, um zu verhindern, daß sich Fundamentalismus in dieser Gesellschaft durchsetzt.
England hat uns gezeigt, daß eine staatliche Politik,
die Migranten auch faktisch zu gleichberechtigten Bürgern macht, Konflikte, die noch aus den Herkunftsländern herrühren, minimiert. Wenn die Migranten wirklich
zur Gesellschaft gehören und nicht draußen gehalten
werden, dann bestimmen nicht mehr die Themen der
Herkunftsländer, sondern die Themen des Inlandes ihr
Denken. Das hat uns England vorgemacht. Schauen Sie
über die deutschen Grenzen! Sie werden das tun müssen,
wenn Sie den Weg in eine moderne Gesellschaft mitgehen und den Anschluß nicht verpassen wollen.
Ich möchte zum Schluß noch sagen: Ich freue mich
auf den 1. Januar 2000, wenn das erste Kind von Migranten, das nach dem bisherigen Recht noch als AusMarieluise Beck ({4})
länder geboren würde, als deutsches Kind zur Welt
kommt. Das ist ein Schritt in eine moderne Gesellschaft.
({5})
Wir wollen die Migrantinnen und Migranten als gleichberechtigte Bürgerinnen und Bürger in dieser Gesellschaft. Das ist der zentrale Gehalt dieses Gesetzes.
({6})
Es wird
mir mitgeteilt, daß es - das betrifft einige Parteien Landesparteitage gibt und daß die Zeit dafür knapp wird.
Deswegen möchte ich Sie bitten, sich mit Zwischenfragen sehr zurückzuhalten.
Für die PDS spricht jetzt die Kollegin Dr. Evelyn
Kenzler. Bitte schön.
Herr Präsident! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Nach der Anhörung im Innenausschuß sollen alle verfassungsrechtlichen und anderen Bedenken - so jedenfalls die Auffassung der Regierungskoalition - ausgeräumt sein. Nach meiner Auffassung ist der vorliegende Entwurf trotz einiger Verbesserungen nicht nur aus politischen, sondern auch aus
rechtlichen und insbesondere aus verfassungsrechtlichen
Gründen unbefriedigend und zum Teil bedenklich.
Zum einen sehe ich auch nach der Aufnahme einer
Altersgrenze von 21 Jahren in das Gesetz für die Beantragung einer sogenannten Beibehaltungsgenehmigung
verfassungsrechtliche Probleme bei der Einführung des
Optionsmodells.
Mit Geburt erhalten zwar die Kinder der bei uns lebenden ausländischen Eltern nach den Voraussetzungen
des § 4 des Staatsangehörigkeitsgesetzes neben der ausländischen die deutsche Staatsangehörigkeit. Mit Eintritt
der Volljährigkeit können sie also alle staatsbürgerlichen
Rechte und Pflichten ohne Einschränkungen wahrnehmen. Dieser Status erlischt jedoch spätestens mit Vollendung des 23. Lebensjahres, falls der Betreffende seine
ausländische Staatsangehörigkeit nicht aufgeben will.
Das ist meines Erachtens mit dem verfassungsrechtlichen Grundsatz der Einheitlichkeit und Unbeschränkbarkeit der deutschen Staatsangehörigkeit nicht zu vereinbaren. Der Wegfall staatsbürgerlicher Grundrechte
und Pflichten mit Erreichen einer bestimmten Altersgrenze per Gesetz hebelt diesen Grundsatz für den betroffenen Personenkreis aus. Das ist bedenklich.
Hinzu kommt, daß die betroffenen jungen Menschen
in erhebliche rechtliche Konfliktsituationen geraten
können. Stellen Sie sich einmal vor, daß junge Deutsche,
die unter das Optionsmodell fallen, auf Grund ihres passiven Wahlrechts mit 20 Jahren in den Bundestag gewählt werden. Mit 23 Jahren erlischt jedoch die deutsche
Staatsangehörigkeit, weil sie bzw. er die ausländische
Staatsangehörigkeit nicht aufgegeben hat oder ein Antrag auf Erteilung der Beibehaltungsgenehmigung
rechtskräftig abgewiesen wurde. Es ist absurd, daß in
diesem Fall wegen des Wegfalls der Voraussetzungen
für die Wählbarkeit das Mandat erlischt.
({0})
Ähnlich verhält es sich mit der Wahrnehmung des Zugangs zu einem öffentlichen Amt oder mit einem bereits
begonnenen Wehrdienst.
Zum anderen besteht nach meiner Auffassung nach
wie vor zumindest Bedenken in Hinsicht auf Art. 16
Abs. 1 GG. Mir ist bewußt, daß es erhebliche Auslegungsprobleme auf Grund der in sich widersprüchlichen
Regelungen zum Entzug und zum Verlust gibt. Das vorgeschlagene Optionsmodell bringt hierzu jedoch keine
Klarstellung, sondern wird die seit Jahren anhaltenden
Diskussionen weiter entfachen. Das Problem ist nämlich, daß das Grundgesetz völlig zu Recht eine Entziehung der Staatsangehörigkeit negatorisch ausschließt.
Im nächsten Satz läßt es allerdings den Verlust der
Staatsangehörigkeit mit bestimmten Einschränkungen
zu. Diese Gründe laufen im Kern auf eine antragsbedingte Selbstausbürgerung, das heißt, auf eine willentliche und damit selbst beeinflußbare Entscheidung hinaus.
Hieraus ergibt sich ein Widerspruch zum Text des
Grundgesetzes selbst. In Art. 16 Abs. 1 Satz 1 wird der
Entzug kategorisch verboten. In Satz 2 wird der Entzug
dem Grunde nach zugelassen, indem ein Verlust der
Staatsangehörigkeit gegen den Willen des Betroffenen,
wenn auch mit Einschränkungen, möglich ist.
Sicher kann man die vorgeschlagene Optionslösung
nicht mit einem Entzug der Staatsangehörigkeit im Sinne einer Zwangsausbürgerung gleichsetzen. Das Erlöschen nach einem bestimmten Zeitablauf ist aber zumindest für die Betroffenen, die beide Staatsangehörigkeiten
behalten wollen und deshalb keine Erklärung abgeben,
eine von ihrem Willen faktisch unabhängige und somit
unbeeinflußbare Wegnahme der Staatsangehörigkeit.
Das Gesetz versetzt sie damit in eine nicht gewollte
Zwangssituation, in der ihnen eine Entweder-oderEntscheidung abverlangt wird und in der das Erlöschen
der deutschen Staatsangehörigkeit bei Nichttreffen dieser Entscheidung auch gegen ihren Willen und für sie
damit unvermeidbar erfolgt. Daran ändert auch die vorgenannte Beibehaltungsgenehmigung nichts.
Wir wissen, daß der seit Anfang der 80er Jahre anhaltende Streit um eine dringend notwendige Reform auf
diesem Gebiet immer auch eine verfassungsrechtliche
Auseinandersetzung war. Die nicht eindeutige Verfassungslage und die seit Jahren schwelende Diskussion
macht es deshalb dem Gesetzgeber auch nicht einfach.
Um so notwendiger wäre es jedoch gewesen, ausgehend
von einer Grundgesetzänderung zur Einführung des Ius
soli und zur Abschaffung der unsäglichen Bestimmung
über die „deutsche Volkszugehörigkeit“ in Art. 116 GG
eine wirkliche Neuregelung zur doppelten Staatsbürgerschaft zu entwickeln.
Die Mehrheit meiner Fraktion, ich eingeschlossen,
wird sich deshalb wegen der politischen Kritik und der
rechtlichen Bedenken in der Schlußabstimmung enthalten. Um die wenigen Verbesserungen und die behutsame
Öffnung jedoch nicht zu blockieren, werden unsere
Marieluise Beck ({1})
Kollegen in Mecklenburg-Vorpommern, wenn auch mit
einigen Bauchschmerzen, ihre Zustimmung im Bundesrat geben.
Danke schön.
({2})
Ich erteile das Wort dem Minister für Inneres des Landes
Nordrhein-Westfalen, Dr. Fritz Behrens.
Dr. Fritz Behrens, Minister ({0}):
Herr Präsident! Meine Damen und Herren Abgeordnete
des Deutschen Bundestages! So viel Zeit muß sein, um
zu sagen, daß es für mich eine große Freude und Ehre
ist, wenn mir heute erstmals in diesem Hause das Wort
erteilt wird.
({1})
Als Gast will ich damit rücksichtsvoll umgehen, auf Ihre
zeitlichen Bedrängnisse Rücksicht nehmen und manches
von dem weglassen, was ich sagen wollte. Ich will auch
auf manche Entgegnung auf Bemerkungen meiner Vorredner verzichten - es wäre an sich notwendig gewesen,
darauf einzugehen - und schnell zum Kern meiner Ausführungen kommen.
In Übereinstimmung mit anderen SPD-geführten
Landesregierungen spreche ich mich namens der nordrhein-westfälischen Landesregierung nachdrücklich dafür aus, das Gesetz zur Reform des Staatsangehörigkeitsrechtes heute zu verabschieden.
({2})
Diese Reform ist überfällig. Das steht nach den jahre-, ja
fast jahrzehntelangen Diskussionen über Modelle wohl
außer Frage. Wie lange sollten wir angesichts dieser
Tatsache noch miteinander streiten und auf einen ersten
wirksamen Schritt warten? Wir können uns Stillstand in
dieser wichtigen Frage der Innenpolitik nicht leisten.
Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang doch etwas zu dem integrationspolitischen Konzept, auf das
Herr Rüttgers so stolz ist, sagen: Konzepte und Papiere
gibt es in allen Parteien in großer Zahl und auf allen
Ebenen des politischen Handelns. An die CDU/CSU ist
die Frage zu richten, warum erst jetzt ein solches Papier
vorgelegt wird, warum 16 Jahre lang nichts passiert ist.
Es gab viele wohlfeile Worte, aber wo blieben die Taten
in den letzten 16 Jahren?
({3})
Sicher ist mit der jetzt vorgelegten Lösung die notwendige Gesamtreform unseres Staatsangehörigkeitsrechtes nicht abgeschlossen. Wichtige Bausteine sind
aber entscheidungsreif und ihre Umsetzung so vordringlich, daß weitere Verzögerungen nicht zu vertreten sind.
Auch ich verhehle nicht mein Bedauern, daß wichtige
Positionen, die die alten Entwürfe meiner Partei, aber
auch der Partei von Frau Schmalz-Jacobsen auszeichneten, nicht gehalten werden konnten. Es überwiegt aber
bei mir die Genugtuung, daß bei einer so bedeutsamen
Frage wie der Reform des Staatsangehörigkeitsrechtes,
die nichts weniger als polarisierende Stimmungsmache
vertragen könnte, ein tragfähiger Kompromiß erreicht
werden konnte, der eine breite Mehrheit hier im Bundestag und auch im Bundesrat findet und, davon bin ich
überzeugt, auch in unserer Bevölkerung finden wird.
({4})
Ich weiß, daß der großen Mehrheit der CDU/CSU
und der von dieser Partei getragenen Landesregierungen
die ganze Richtung des Reformkonzeptes nicht paßt.
Das versuchen Sie doch mit Argumenten zur Sache zu
verschleiern. Ich nehme konkrete Einwände gegen
Änderungsvorschläge und Reformansätze sehr ernst.
Aber die bisher von Ihnen vorgetragenen konkreten
Einwände haben mich letztlich nicht überzeugt. Gerade
auch nach den Änderungen, die der Gesetzentwurf im
Zuge der Sachverständigenanhörung, die im Innenausschuß des Bundestages stattfand, in den Ausschußberatungen im Bundestag und Bundesrat schließlich erfahren
hat, wird das Optionsmodell einer verfassungsrechtlichen Überprüfung standhalten; davon bin ich überzeugt.
Wir fordern in diesen Tagen alle, meine Damen und
Herren, nicht zuletzt angesichts der Situation der
Flüchtlinge auf dem Balkan, die Solidarität der europäischen Staaten ein. Auch ich tue es in der Frage der Aufnahme weiterer Flüchtlinge; aber darüber reden wir hier
nicht. Wir erwarten, daß sie sich wie wir verhalten.
Auch wir könnten, wie ich meine, ab und zu diesen
Blick über die Grenzen vertragen. So frage ich die
CDU/CSU, ob nicht auch im Zusammenhang mit unserem heutigen Thema ein Blick über die Grenzen zu unseren Nachbarn in Europa sinnvoll wäre, weil das zu anderen politischen Einsichten und Erkenntnissen führen
könnte.
({5})
Diese Welt, meine Damen und Herren, wird nicht alleine am deutschen Wesen genesen, sondern wir müssen
auch bereit sein, von anderen und ihren Erfahrungen zu
lernen. Ich halte es zumindest für eine Fehleinschätzung
- eher noch für eine Verdrehung von Tatsachen oder gar
für reine Agitation -, wenn behauptet wird, das Gesetz
führe zu einer nahezu schrankenlosen Hinnahme von
Mehrstaatigkeit. Ich will noch einmal aus meiner Sicht
deutlich unterstreichen, daß die neue Regelung nicht auf
die Hinnahme von Mehrstaatigkeit abzielt. Sie nimmt
Mehrstaatigkeit vielmehr nur hin, weil dem Einbürgerungsbewerber ansonsten unzumutbare Belastungen entstehen würden.
Bei sachgerechter Betrachtung werden sich die Auswirkungen der vorgesehenen Erweiterung der Zahl der
Ausnahmetatbestände des § 87 des Ausländergesetzes,
die eine Hinnahme von Mehrstaatigkeit rechtfertigen, in
Grenzen halten. Auch die Freistellung politisch Verfolgter von Entlassungsbemühungen aus ihrer ursprünglichen Staatsangehörigkeit halte ich für richtig. Diesen
Menschen werden heute Bemühungen und Nachweise
abverlangt, die - gemessen an den für Verwaltungsverfahren in Deutschland maßgeblichen Rechtsvorstellungen und im übrigen auch aus politischen Gründen kaum zu vertreten sind.
({6})
Die zur Zeit notwendige individuelle Prüfung belastet
auch die Einbürgerungsbehörden - da Sie immer von
Belastungen sprechen, muß auch auf die Belastungen
durch das geltende Recht hingewiesen werden - in unverhältnismäßiger Weise, zumal in nahezu all diesen
Fällen die Mehrstaatigkeit schließlich hingenommen
werden muß und schon heute hingenommen wird.
Fortgeschrittenes Alter eines Einbürgerungsbewerbers allein wird auch künftig nicht die Hinnahme von
Mehrstaatigkeit rechtfertigen.
Es ist auch nicht ersichtlich, daß die Ausnahmen vom
Grundsatz der Vermeidung von Mehrstaatigkeit für
Ausländerkinder, die hier seit 1990 geboren wurden
oder künftig in Deutschland geboren werden, ein wirkliches Problem mit sich bringen. Das Reformgesetz geht
vielmehr - auch das ist sein integrationspolitisches
Ziel - von der Erwartung aus, daß die weit überwiegende Mehrheit der in Deutschland geborenen und hier heranwachsenden jungen Ausländerinnen und Ausländer
für die deutsche Staatsangehörigkeit optieren, sobald sie
volljährig geworden sind.
Ich halte es für ganz wichtig - vielleicht sogar für den
Kern dieses Gesetzes -, daß gerade die jungen ausländischen Mitbürgerinnen und Mitbürger hiermit erstmals
eine wirkliche Chance zur Integration, daß sie ein Angebot bekommen. Denn rechtliche Gleichstellung gehört
unverzichtbar dazu. Alles andere bleibt Lippenbekenntnis.
({7})
Die eindeutigen Vorgaben im Gesetz zur Hinnahme
von Mehrstaatigkeit verbieten es, hier etwa von Mogelpackungen zu sprechen oder andere Begriffe, die ich
heute wieder gehört habe, zu verwenden. Man kann ja
unterschiedlicher Auffassung sein. Bei der Diskussion
über grundsätzliche Verfassungsfragen sollte man aber
zumindest Polemik vermeiden. Das sage ich ganz nüchtern und unaufgeregt. Ich appelliere an alle, zu einer
sachgerechten Diskussion zumindest nach der bevorstehenden Verabschiedung des Gesetzes zurückzukehren.
({8})
Durch das Reformgesetz werden - das ist unzweifelhaft - zusätzliche Aufgaben auf unsere Behörden in den
Ländern und Kommunen zukommen. Das will ich in
keiner Weise bestreiten. Ein Blick in die Ausländerstatistik zeigt aber, daß die Verkürzung des erforderlichen
Inlandsaufenthaltes bei Anspruchseinbürgerungen den
Kreis der potentiell für eine Einbürgerung in Betracht
kommenden Personen um allenfalls 20 Prozent vergrößern wird.
Der zusätzliche Aufwand für Standesämter und Ausländerbehörden im Zusammenhang mit der Feststellung
des Ius-soli-Erwerbs ist gering. Dies ist vor allem deshalb der Fall, weil nach dem Ergebnis der Ausschußberatungen der Standesbeamte nicht mehr zu klären haben
wird, ob das hier geborene Ausländerkind außer der
deutschen Staatsangehörigkeit noch weitere Staatsangehörigkeiten besitzt. Diese Frage soll ja erst im Optionsverfahren geprüft werden.
Der vorübergehend zu erwartende zusätzliche Verwaltungsaufwand wird durch den Wegfall der individuellen Einbürgerung der Spätaussiedler mit Sicherheit
kompensiert werden. Im Zusammenhang mit der Diskussion um die Belastungen unserer Behörden und Einrichtungen muß auch dies ganz deutlich gesagt werden.
({9})
Niemand will allerdings ernsthaft bestreiten, daß im
Rahmen der künftigen Optionsverfahren erhebliche zusätzliche Belastungen auf die Einbürgerungsbehörden
zukommen werden. Das ist dann der zu zahlende Preis,
der mit der Konsenslösung und mit dem Optionsmodell
verbunden ist. Immerhin ist für die kommunalen Einbürgerungsbehörden erreicht worden, daß sie bei den
Einbürgerungsverfahren erstmals ihre Kosten erstattet
bekommen. Auch das muß ein Kommunalminister in
diesem Parlament einmal feststellen dürfen.
({10})
Ich bitte Sie also, meine Damen und Herren, diesem
Gesetz heute Ihre Zustimmung zu geben. Dieser erste
wichtige Schritt bedarf natürlich - da gibt es keinen
Zweifel - später der Vervollständigung hin zu einer
Gesamtreform, die notwendige Harmonisierungen mit
dem Ausländergesetz und auch mit anderen Regelungen
enthalten muß. Sie bedarf natürlich ebenfalls - auch da
gibt es überhaupt keinen Zweifel - der Ergänzung um
integrationspolitische Konzepte, Maßnahmen und Pakete auf allen politischen Ebenen. Es kann doch daran
überhaupt kein Zweifel bestehen, daß die Bemühungen
auf allen Ebenen - angefangen von den Kommunen über
die Länder bis zum Bund - in den letzten Jahren durchaus Vorzeigenswertes zustande gebracht haben. Ich
könnte lange darüber sprechen, will dies aber aus Gründen der Zeitökonomie nicht tun.
Meine Damen und Herren, machen Sie heute diesen
ersten wichtigen Schritt! Setzen Sie ein Zeichen für alle
Menschen in unserem Land, daß es uns Deutschen mit
dem Integrationsangebot an unsere ausländischen Mitbürger ernst ist. Ich bin davon überzeugt: Dieses Angebot wird mittel-, langfristig und auf Dauer zum inneren
Frieden in unserem Land beitragen.
Vielen Dank.
({11})
Als
nächstem Redner erteile ich dem Minister des Innern des
Freistaates Bayern, Herrn Dr. Günther Beckstein, das
Wort.
Minister Dr. Fritz Behrens ({0})
Dr. Günther Beckstein, Staatsminister ({1})
({2}): Sehr geehrter
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren
Abgeordneten! Durch die Gesetzentwürfe, die heute zur
Diskussion stehen, wird eine fundamentale Änderung
unseres Staates beabsichtigt;
({3})
darauf hat auch Herr Bundesinnenminister Schily hingewiesen. Es handelt sich aber nicht um ein ausgereiftes
Gesetzeswerk, das wenigstens vom rein Handwerklichen, vom Fachlichen her anerkannt wäre, das man nur
politisch ablehnt. Es ist offensichtlich kein handwerklich
schöner Maßschuh, dessen politische Farbe einem vielleicht nicht paßt. Es ist vielmehr Flickschusterei und
schlichtweg nicht akzeptabel. Daß es ein „Entwurf
Schily III“ ist - es ist der dritte Entwurf innerhalb von
vier Monaten -, ist ein Zeichen dafür. Einzelne Gesichtspunkte sind heute früh schon angesprochen worden; ich will diese aus Zeitgründen nicht im Detail darlegen.
Es steht dem Bundesrat nicht zu, die Beratungsgeschwindigkeit im Bundestag anzusprechen.
({4})
Eines aber ist überhaupt nicht zweifelhaft: Das Verfahren, das hier gewählt worden ist, bedeutet eine schwere
Mißachtung des Verfassungsorgans Bundesrat.
({5})
Dies ist ein Zitat des Vorsitzenden des Innenausschusses
des Bundesrates, Herrn Kollegen Wienholtz von der
SPD, der ausdrücklich festgestellt hat: Eine solche Mißachtung hat es in den letzten 20 Jahren nur ein einziges
Mal gegeben. Die Beratungen im Bundesrat wurden
nämlich am 30. April beendet, und zu diesem Zeitpunkt
waren die Beratungen im Innen- und Rechtsausschuß
des Bundestages bereits abgeschlossen. Es ist zutiefst zu
bedauern, daß man noch nicht einmal die verfahrensmäßige „political correctness“ gehabt hat, die Beratungsergebnisse des Bundesrates im Ausschuß aufzunehmen
und damit ernst zu nehmen.
({6})
Diese gröbliche Mißachtung des Verfassungsorgans
Bundesrat in einer solchen Frage ist unerträglich.
({7})
Der Gesetzentwurf selbst ist staatspolitisch verfehlt,
verfassungsrechtlich bedenklich und läßt die notwendige
Folgenabschätzung vermissen.
({8})
Der Paß ist kein Mittel der Integration. Das sollten wir
Deutsche wissen, weil wir beinahe wie im Labor beobachten können - das ist hier anders als in den USA oder
England -, welche Auswirkungen der Paß auf die Integration hat. Wir haben hier nämlich mehr als 1 Million
Menschen aus einem anderen Kulturkreis, die den Paß in
dem Augenblick bekommen haben, als sie nach
Deutschland kamen. Damit aber sind sie leider noch
nicht integriert. Wir sehen das an den Problemen, die
die Kinder von Spätaussiedlern - beispielsweise aus
Kasachstan - haben.
({9})
Wenn ein Amerikaner oder ein Engländer sagt: Der
Paß ist ein hervorragendes Mittel zur Integration, dann
nehme ich das ernst. Wenn das jemand in diesem Hause
sagt, aber nicht erwähnt, daß wir mit der Integration von
Spätaussiedlern Riesenprobleme haben, obwohl diese
den deutschen Paß besitzen, dann kann ich nur sagen:
Ihnen fehlt der ernsthafte Wille, sich mit den Problemen
auseinanderzusetzen.
({10})
Es geht Ihnen eher darum, hier politisch etwas durchziehen zu wollen, in der falschen Hoffnung, sich dadurch
Wählerstimmen zu verschaffen. Es geht Ihnen nicht
wirklich darum, die Integration voranzubringen.
({11})
Die Integration junger Menschen, der zweiten und
dritten Generation, ist ein Thema, das uns in den Ländern existentiell beschäftigt. Ich sage hier für den Freistaat Bayern: Ich bin bereit, mit jedem anderen Bundesland darüber in einen Wettbewerb einzutreten, wer von
uns mehr dafür tut.
({12})
In vielen Fällen wird von Kollegen auch aus diesem
Haus - ich nenne zum Beispiel Politiker aus SchleswigHolstein - angemahnt, daß man endlich in den Ländern
etwas tun soll. Ihnen sage ich: Tun Sie das doch in den
Ländern, in denen Sie an der Regierung sind, und schauen Sie, was wir getan haben!
({13})
Deswegen haben wir weniger Probleme als andere
Länder. Wir stellen aber fest, daß die Probleme größer
werden. Ich nenne hier Selbstethnifizierung und Ghettobildung. Ich meine, daß uns das große Schwierigkeiten
bereiten wird. Wer diese Probleme nicht sieht,
verschließt die Augen vor der Wirklichkeit.
({14})
- Lieber Herr Özdemir, wir sind uns in den Diskussionen in der Regel darüber einig gewesen, daß man die
Integrationsprobleme nicht dadurch ernsthaft löst, daß
man jemandem einen zweiten Paß in die Tasche steckt.
Vielmehr sind folgende Problemkreise zu beachten: erstens Sprachbildung, zweitens schulische Bildung, drittens berufliche Ausbildung, viertens die Frage der Integration in die Arbeitswelt und fünftens natürlich die
Frage der Integration in die Gesellschaft - das geht vom
Sportverein bis zur Feuerwehr und den anderen gesellschaftlichen Gruppen.
({15})
Herr
Beckstein, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Edathy?
Dr. Günther Beckstein, Staatsminister ({0}): Ja.
Herr Beckstein, Sie haben
davon gesprochen, daß es schlecht sei, die Augen vor
der Wirklichkeit zu verschließen. Wir haben hier verschiedene Positionen gehört.
({0})
Mein Eindruck ist - auch wenn ich persönlich mit einzelnen Punkten so nicht einverstanden bin -, daß sich
hier Menschen zu einem Bündnis zusammengefunden
haben, die guten Willens sind und die die Wirklichkeit
zur Kenntnis nehmen. Unter anderen hat ja auch der
Kollege Altmaier darauf hingewiesen.
Ich habe mir einmal Zahlen geben lassen. In Bayern
leben 1,1 Millionen Menschen, die nicht die deutsche
Staatsbürgerschaft haben; das sind fast 10 Prozent der
Bevölkerung in Ihrem Bundesland. Ich frage Sie, Herr
Staatsminister, jetzt: Stimmen Sie mir zu, daß wir als
Demokraten - egal, ob man Mitglied der CSU oder Mitglied der SPD ist - zumindest auf lange Sicht kein Interesse daran haben können, daß ein großer Teil der hier
lebenden Bevölkerung nicht zum Staatsvolk gehört, und
müßten nicht gerade Sie als Innenminister eines Bundeslandes ein Interesse daran haben, daß wir mit Einbürgerungsfragen vielleicht auch in der Hinsicht offensiver umgehen,
({1})
daß wir den Menschen die Entscheidung erleichtern, ja
zum Erwerb der deutschen Staatsbürgerschaft zu sagen?
({2})
Dr. Günther Beckstein, Staatsminister ({3}):
Herr Abgeordneter, wir haben selbstverständlich ein
großes Interesse daran, daß Ausländerinnen und Ausländer der zweiten und dritten Generation integriert werden.
({4})
Aber wir haben ein existentielles Interesse daran, daß es
sich dabei um wirkliche Integration handelt und daß
nicht Schwierigkeiten hinter einem Doppelpaß versteckt
werden.
({5})
Deswegen muß man sich mehr Mühe geben. Es gibt
in Bayern mehr als 7 000 Sprachkurse, und wir halten
dabei die Fördergruppenhöchststärke von acht Kindern
ein. Auf diese Weise versuchen wir, die Sprachschwierigkeiten zu reduzieren. Das ist ein wichtiger Schritt.
Sie wollen jetzt die Staatsangehörigkeit auch an solche Kinder verleihen, die nach der Geburt in die Türkei
zur Ausbildung gebracht werden. Wir wissen doch, daß
das ein leider immer größeres Problem ist. In der Diskussion heute vormittag ist kein einziges Mal gesagt
worden - auch nicht von Ihnen, Herr Özdemir -, daß es
zutiefst unerwünscht ist, daß Türkinnen und Türken, die
hier geboren sind - bei Mädchen stellt sich das Problem
noch viel stärker -, von den Eltern im Alter von drei
oder vier Jahren nach Hause gebracht werden, damit sie
dort erzogen werden. Die betreffenden Personen haben
jetzt uneingeschränkt die Möglichkeit dazu, weil sie ihren Doppelpaß haben und dann mit 18, 19, 20 zurückkommen können. Sie haben dann ihre schulische Ausbildung komplett in der Türkei erfahren. Sie werden
dann zwar den deutschen Paß haben, aber sie werden
nicht ordentlich Deutsch können. Das kann doch kein
Mensch als Integration bezeichnen.
({6})
Wer jetzt einwirft, das seien nur Einzelfälle, dem sage
ich: Er hat keine Ahnung von gesellschaftlichen Realitäten.
({7})
Ich habe die Ausländerbehörden der Stadt München und
der Stadt Nürnberg gefragt, wie viele dieser jungen, bei
uns geborenen Menschen zum Zwecke der Erziehung in
das Heimatland Türkei zurückgebracht werden. Die Angaben bewegten sich zwischen 30 und 40 Prozent. Das
sind keine Einzelfälle, die man vernachlässigen könnte.
Wir müssen uns um die Integration ernsthafter kümmern. Das kann aber nicht in der Weise geschehen, daß
man Kindern auch gegen den Willen der Eltern einen
Doppelpaß gibt. Warum ist denn die Türkische Gemeinde gegen dieses Gesetz und sagt, wir trügen Konflikte in
die Familien hinein?
({8})
Unser Konzept, Herr Westerwelle, ist das bessere. Wir
bieten jungen Menschen an: Ihr bekommt die Einbürgerungszusicherung, ihr bekommt den Kinderausweis, ihr
bekommt den Personalausweis.
({9})
Wir zwingen sie aber nicht in eine doppelte Staatsangehörigkeit hinein, mit der Verpflichtung, sich später zu
entscheiden. Viele türkische Familien sagen uns: Mit
dem Doppelpaß tragt ihr Unfrieden in die Familien hinein. Damit wird nicht die Erziehungsfähigkeit in einem
schwierigen Punkt gefördert, sondern sie wird weiter
zerstört. Deshalb tragen Sie mit Schuld daran, wenn sich
dadurch in den nächsten Jahren die Schwierigkeiten
weiter steigern.
({10})
Das Gesetz ist aus meiner Sicht schlichtweg falsch.
Darüber kann man politisch streiten. Aus meiner Sicht
ist das Ius soli aber nicht etwa das modernere Recht. Die
Zufälligkeit des Ortes, an dem man geboren ist, hat weit
weniger Einfluß auf den Menschen als die Frage, in
welcher Generationenfolge man sich befindet.
({11})
Wir wissen, daß das doch die Realität bei überwältigenden Teilen der hier seit vielen Jahren und Jahrzehnten
lebenden türkischen Staatsangehörigen ist. Warum hat
denn, Herr Schily, die Bundesregierung nicht den Mut
gehabt, Herrn Öcalan, der wegen schwerster Verbrechen gesucht ist, nach Deutschland holen zu lassen?
({12})
Man hatte nicht den Mut dazu, weil man gesehen hat,
daß aus Öcalans Heimat zu viele Emotionen kommen.
({13})
- Ich kann Ihnen sagen, daß ich die Bundesregierung
dabei unterstützt habe. Aber was ich immer angegriffen
habe, ist, daß die Bundesregierung nicht den Mut hatte,
dann zu sagen: Wir lassen Öcalan unter rechtsstaatlichen
Garantien in die Türkei ausliefern.
({14})
Ich kann nur sagen: Wir wissen doch zum Beispiel
von seit Jahrzehnten bei uns lebenden Serben, daß sie
aus dem Ostergottesdienst der serbisch-orthodoxen Kirche in München mit Transparenten mit Bildern und Aufschriften wie „Clinton = Hitler“ zum US-Generalkonsulat gezogen sind. Diese Beleidigung haben wir natürlich
mit Hilfe der Polizei unterbunden. Da wird deutlich, daß
selbst bei Jahrzehnte hier Lebenden alte Bindungen
fortwirken. Deswegen kann ich nur sagen: Das Ius soli
ist nicht etwa das modernere Recht; vielmehr ist es nur
etwas, das heute als eine Art „political correctness“ dargestellt wird.
({15})
Herr Westerwelle, wir werden den Doppelpaß millionenfach durch die Hintertür bekommen. Ich darf das
einmal überschlägig berechnen: In Deutschland werden
jährlich zirka 80 000 Kinder geboren, die unabhängig
davon, ob es von den Eltern abgelehnt wird oder nicht,
den Doppelpaß bekommen. Es gibt schätzungsweise
weitere 700 000 in Deutschland geborene Kinder, die
jetzt unter 10 Jahre alt sind und auf Antrag die doppelte
Staatsangehörigkeit erhalten können. In diesen Fällen
werden wir durch die doppelte Staatsangehörigkeit
eventuell die Probleme in den Schulen lösen können,
in denen die Kinder, die nicht Deutsche sind, die überwältigende Mehrzahl sind. In Berlin gibt es sogar zwei
Schulen, an denen kein einziges Kind mehr Deutsch als
Muttersprache hat. Dieses Problem hat man durch den
Doppelpaß formal gelöst. Inhaltlich hat man es aber
nicht gelöst; vielmehr wird die inhaltliche Lösung durch
den Doppelpaß schwieriger. Als dritte Zahl nenne ich
die 1,6 Millionen EU-Staatsangehörigen, die auf Gegenseitigkeit das Recht der doppelten Staatsangehörigkeit bekommen. Dabei frage ich mich - das ist schon
schwer zu ertragen -, warum bei Tschechen oder Ungarn nicht etwas Entsprechendes gemacht wird. Ich verstehe auch, daß Türken sagen: Das sind völlig inakzeptable Voraussetzungen. Sie würden eher akzeptieren,
wenn wir sagen: Wir sind generell gegen den Doppelpaß. Aber daß man beispielsweise Ungarn den Doppelpaß nicht erteilt, Portugiesen hingegen doch, ist für sie
nicht verständlich.
({16})
Herr Schily, Sie haben als Bundestagsabgeordneter
natürlich nicht Zugang zu den Zahlen der Verwaltungen.
Deswegen hätten Sie darlegen müssen, daß von den
34 Prozent Ausnahmefällen ein überwältigender Anteil
Aussiedler sind, die die doppelte Staatsangehörigkeit
behalten. Im vergangenen Jahr lag der Anteil der Türken
unter den neuen Doppelstaatlern unter 3 Prozent.
Mir geht es hierbei darum: Wer meint, daß damit die
Iranfälle vernünftig gelöst werden, liegt leider nicht
richtig. Ich habe mehrfach an Herrn Schily geschrieben,
daß wir bei der Frage der Iranfälle zu einer vernünftigeren Härtefallregelung kommen. Er hat sich dazu nicht in
der Lage gesehen und dies mit einem Hinweis nicht etwa auf unser Recht, sondern auf das deutsch-iranische
Niederlassungsabkommen aus den 30er Jahren begründet.
Herr
Minister Beckstein, ich darf Sie darauf hinweisen, daß
die angemeldete Redezeit abgelaufen ist.
({0})
Dr. Günther Beckstein, Staatsminister ({1}):
Gerade weil der Bundesrat in solch einer Weise betroffen ist, bin ich mir sicher, daß die CDU/CSU-Fraktion
Verständnis dafür hat, wenn ich noch anderthalb Minuten in Anspruch nehme. Mehr ist es nicht.
({2})
- Meine Damen und Herren, den gesamten Vormittag
über bewundere ich die Diskussionskultur dieses Bundestages. Ich glaube, daß es deswegen auch angemessen
ist, wenn der Bundesrat von seinem verfassungsgemäßen - ich wiederhole: verfassungsgemäßen - Rederecht
Gebrauch macht, und daß dies auch akzeptiert werden
sollte.
({3})
Bisher war es so: Unzumutbare Härtefälle konnten
gelöst werden. Das haben wir getan. Aber das wird jetzt
in einer Weise ausgedehnt, daß der Doppelpaß in der Tat
millionenfach durch die Hintertür eingeführt wird. Das
betrifft alle Menschen, die über 60 Jahre alt sind, wenn
man den Begriff „ältere Personen“ gemäß den bisherigen verwaltungsrechtlichen Vorgaben nennt. Das wären
450 000 Menschen. Hinzu kommt, daß die DoppelstaatStaatsminister Dr. Günther Beckstein ({4})
lichkeit hingenommen wird, wenn im Heimatland wirtschaftliche oder vermögensrechtliche Nachteile drohen. Es gibt kaum ein Land, in dem es zu keinen Nachteilen beim Grunderwerb kommt. Deutschland ist dabei
eine der ganz wenigen Ausnahmen. In fast allen anderen
Ländern entstehen Nachteile beim Grunderwerb. Damit
ist bereits diese Voraussetzung gegeben. Wenn man annimmt, daß von dieser Ausnahmeregelung nur 25 Prozent der dafür in Frage kommenden türkischen Personen
Gebrauch machen, dann liegen wir bei schätzungsweise
500 000 Menschen. Dazu kann ich nur sagen: Wir haben
die Zahlen dargestellt.
Die verfassungsrechtlichen Probleme werden nach
Abschluß des Gesetzgebungsverfahrens von uns und
vielleicht auch von anderen noch sorgfältig geprüft werden. Die Folgenabschätzung beinhaltet zwei Punkte. Wir
werden später eine Menge von Doppelstaatlern haben,
die keinen Bezug zu unserem Land haben; denn auch
derjenige, der im Ausland lebt, dort in der Zeit der Optionsverpflichtung Abkömmlinge hat, vererbt nach dem
von Ihnen so abgelehnten Ius sanguinis das Staatsangehörigkeitsrecht. Selbst dessen Abkömmlinge werden
wiederum mit einer wenig gelungenen Ausschlagemöglichkeit Deutsche.
Daraus werden erhebliche Sozialkosten entstehen. Es
ist auch heute mehrfach darauf hingewiesen worden, daß
dieses Gesetz verwaltungsmäßig mit vernünftigem Aufwand keineswegs zu vollziehen ist. Ich glaube, es gibt
keinen, der ein bißchen Ahnung von Verwaltungsvorgängen hat, der meint, daß dies mit vernünftigen verwaltungsmäßigen Bedingungen zu handhaben ist.
({5})
Deswegen kann ich nur auf diese Bedenken hinweisen und wünsche eine angemessene Beratung.
({6})
Als
nächster Redner hat der Kollege Joachim Stünker von
der SPD-Fraktion das Wort.
Herr Präsident! Meine
sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Auch ich möchte mich angesichts der
fortgeschrittenen Zeit und der vereinbarten Verkürzung
der Redezeiten auf das Wesentliche beschränken, was
heute nachmittag noch zu sagen ist.
Kaum ein Thema ist in unserem Land in den zurückliegenden Jahren, Monaten und Wochen bis hinein in die
heutige Bundestagsdebatte derart leidenschaftlich, emotional und ebenso populistisch national wie politisch
vordergründig diskutiert worden wie die notwendige
Neuregelung des Staatsangehörigkeitsrechtes. Solch eine
Rede haben wir gerade eben gehört.
({0})
Es geht nicht darum, daß, wie der Kollege Glos gestern gesagt hat, heute das Staatsbürgerschaftsrecht verabschiedet werden muß, um die Linken bei Laune zu
halten, sondern es geht darum, daß eine wichtige, notwendige Reform in diesem Land endlich auf den Weg
gebracht und umgesetzt wird.
In der Diskussion zu diesem Reformvorhaben werden
vielfältig und facettenreich immer wieder insbesondere
verfassungsrechtliche Bedenken gegen Art und Inhalt
der Neuregelungen ins Feld geführt. Auch Herr Minister
Beckstein hat eben wieder von „verfassungsrechtlich
bedenklichen Regelungen“ gesprochen. Untersucht man
diese Argumente jedoch genauer, stellt man fest, daß sie
verfassungsrechtlich nicht tragen und im Grunde nur
vorgeschoben sind, um ein politisch nicht gewünschtes
Ergebnis zu verhindern oder zumindest in der Öffentlichkeit zu diskreditieren.
({1})
Das immer wieder gebrauchte Hauptargument ist die
angeblich drohende doppelte Staatsangehörigkeit. Das
Optionsmodell lasse diese gleichsam durch die Hintertür
zu. Das wurde heute und auch im Verlauf der übrigen
Debatten dieser Woche mehrfach gesagt.
Es ist bereits darauf hingewiesen worden: Es gibt die
doppelte Staatsbürgerschaft bereits nach geltendem
Recht. Dennoch sagen Sie immer wieder, Sie wollten
das vom Bundesverfassungsgericht verfassungsrechtlich
überprüfen lassen, und erwecken damit in der breiten
Öffentlichkeit den Eindruck, als sei Mehrstaatigkeit an
sich verfassungswidrig.
Ich habe mir die Mühe gemacht, in die Entstehungsgeschichte des Art. 116 unseres Grundgesetzes einzusteigen, um diese Argumentation zu überprüfen. Ich darf
Ihnen sagen: Die Protokolle des Parlamentarischen Rates
aus dem Jahre 1949 fördern hier Erstaunliches zutage. In
der Sitzung des Hauptausschusses des Parlamentarischen
Rates vom 14. Januar 1949 ist diese Frage eingehend und
abschließend erörtert worden. Hintergrund war, daß in
dem Entwurf des Organisationsausschusses zur Fassung
des Art. 116 Abs. 2 sehr wohl Bedingungen enthalten waren, die Mehrstaatigkeit ausdrücklich verhindern sollten.
Nun zwei Protokollnotizen. Zunächst ein Zitat des
Vorsitzenden Carlo Schmid, jenes großen Sozialdemokraten, der, wie ich meine, nicht zu Unrecht als einer der
Hauptväter unserer Verfassung gilt:
Es ist nicht zu bestreiten, daß die Entwicklung des
Staatsangehörigkeitsrechtes international eine klare
Tendenz gegen die doppelte Staatsangehörigkeit
aufweist. Mehrere Länder, die noch vor einigen
Jahren die doppelte Staatsangehörigkeit zugelassen
haben, haben sie nunmehr in ihrer Gesetzgebung
ausgeschlossen. Ob diese Entwicklung sehr glücklich ist, ob sie nicht vielmehr ein verspäteter Nachtrabant des nationalstaatlichen Denkens ist, möchte
ich dahingestellt sein lassen. Gerade wenn man sich
von dem nationalstaatlichen Denken entfernen will,
sollte man kein Staatsangehörigkeitsmonopol
schaffen, sondern ruhig zwei, drei, vier Staatsangehörigkeiten zulassen.
({2})
Aus diesem Grund wäre auch ich dafür, diese Bedingung zu streichen.
Staatsminister Dr. Günther Beckstein ({3})
Dann ein Zitat von Dr. Laforet, 1949 Abgeordneter
der CSU, Herr Minister Beckstein, im Parlamentarischen Rat:
Vor allem im Verhältnis zur Schweiz sind doppelte
Staatsangehörigkeiten heute durchaus möglich und
häufig. Ich möchte dringend davor warnen, die
doppelte Staatsangehörigkeit auszuschließen, jedenfalls nicht im Grundgesetz, sondern die Regelung dem künftigen Bundesgesetz zu überlassen.
Wir sollten aus dem Artikel alles streichen, was
eine doppelte Staatsangehörigkeit ausschließt. Im
übrigen schließe ich mich den Argumenten des
Vorsitzenden an.
({4})
So also ein CSU-Mitglied 1949; so ändern sich die Zeiten.
({5})
Daraufhin sind die genannten Bedingungen gestrichen worden, und Art. 116 hat seine heute gültige Fassung erhalten. - Herr Schäuble, Sie schütteln mit dem
Kopf, aber so ist es. Lesen Sie die Protokolle nach.
({6})
Dieser kurze historische Rückblick in die Entstehungsgeschichte zeigt unter anderem, liebe Kolleginnen
und Kollegen von der CDU/CSU, daß es in Ihren Reihen
bereits vor 50 Jahren wesentlich fortschrittlicher und liberaler denkende Menschen gegeben hat als diejenigen,
die heute bei Ihnen beim Staatsangehörigkeitsrecht den
Ton angeben. Ihre heutige amtliche Position zum Staatsangehörigkeitsrecht läßt sich wie folgt skizzieren: Vorwärts, wir müssen zurück! Die Mütter und Väter unseres
Grundgesetzes hingegen wußten bereits, daß ein modernes Staatsangehörigkeitsrecht nicht dogmatisch, deutschtümelnd sein darf, sondern dynamisch sein muß. Nur so
können gesellschaftliche Entwicklungen und Veränderungen in der Wohnbevölkerung eines Staates aufgenommen und demokratisch-pluralistisch angepaßt werden.
Es kann keine Rede davon sein, daß die moderate
Erweiterung der doppelten Staatsangehörigkeit - wie
in der jetzigen Regelung vorgesehen - sozusagen durch
die Hintertür in das Gesetz kommt. Aus verfassungsrechtlicher Sicht muß man sagen: Sie kommt durch den
Haupteingang.
({7})
Die vorgesehenen Vorschriften sind verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Da ich davon ausgehe, meine
Damen und Herren von der Opposition, daß Sie dies
ganz genau wissen, ist Ihre diesbezügliche Diskussion
für mich nichts anderes als - um mit Carlo Schmid zu
sprechen - „ein verspäteter Nachttrabant des nationalstaatlichen Denkens“. Dieses Denken sollten Sie am Ende dieses Jahrhunderts, kurz vor dem Übergang in ein
neues Jahrhundert, aufgeben.
({8})
Dem Gang der CDU/CSU-Fraktion nach Karlsruhe Kollege Rüttgers, Sie haben ihn zwar nicht hier, aber in
Interviews angekündigt - werden wir mit Gelassenheit
entgegensehen. Man könnte fast versucht sein, die Frage
zu stellen, ob Ihnen nicht die Verhängung einer Mißbrauchsgebühr drohen müßte, wenn Sie dort wirklich
hingehen.
({9})
Die Anhörung der Experten im Innenausschuß des Deutschen Bundestages hat gezeigt, daß verfassungsrechtlich
keine Bedenken mehr gegen diese Neuregelung anzumelden sind.
Ich möchte auf einen Aufsatz in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ vom 8. März dieses Jahres hinweisen. Er stammt von dem Hamburger Staatsrechtler und
Völkerrechtler Professor Ingo von Münch. Unter der
Überschrift „Was bedeutet eigentlich Staatsangehörigkeit?“ kommt er am Schluß zu einer, wie ich meine, bemerkenswerten Feststellung. Ingo von Münch führt dort
aus:
Wie immer das Ergebnis der Debatte im Parlament
sein wird
- also das Ergebnis heute eine Merkwürdigkeit bleibt bestehen, nämlich daß
einerseits die Staatsangehörigkeit in einer Welt der
Globalisierung und im Europa der politischen Union immer weniger wichtig wird, andererseits über
und um den Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit so erbittert gekämpft wird.
Fürwahr, meine Damen und Herren! Diejenigen in diesem Hause - als Neuling im Deutschen Bundestag habe
ich allen Kolleginnen und Kollegen - mit sehr viel
Aufmerksamkeit zugehört -, die fast in jeder Debatte der
letzten Wochen und Monate von den Menschen in unserem Land in ökonomischen Fragen ein hohes Maß an
Flexibilität, globalem Denken und Handeln fordern, die
die Bedingungen der „zweiten Moderne“ neoliberal
formulieren wollen, erweisen sich in Sachen Staatsangehörigkeitsrecht als die Ewiggestrigen.
({10})
Ich darf für die sozialdemokratische Fraktion abschließend sagen: Das jetzt zur Verabschiedung anstehende Optionsmodell ist für die Bundesrepublik
Deutschland ein gesellschaftlicher Kompromiß. Ich
meine, es ist ein Kompromiß, der tragen kann, ein Kompromiß, der, wenn man ihn ohne Vorurteile und nicht
durch die ideologische Brille betrachtet, geeignet ist, zu
versöhnen, statt zu spalten. Er hätte die Zustimmung aller Fraktionen dieses Hohen Hauses verdient.
Schönen Dank.
({11})
Als
nächster Redner hat der Kollege Erwin Marschewski
von der CDU/CSU-Fraktion das Wort.
Herr Präsident!
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir stehen
heute am Ende einer, wie ich meine, etwas übereilten
Debatte. Lassen Sie mich trotzdem ein kurzes Resümee
der Gesamtdiskussion ziehen.
Die Absicht von Rotgrün war, zum erstenmal in der
modernen deutschen Geschichte die generelle doppelte
Staatsbürgerschaft in Deutschland einzuführen. Dies
haben Sie, Herr Bundesinnenminister, mit der Behauptung versucht, sie werde zur Integration ausländischer
Mitbürger führen. Dafür sei auch die klare Mehrheit der
Deutschen. - Beides war und ist falsch. Millionen Bürger haben sich an unserer Unterschriftenaktion beteiligt.
Die Union hat aufgeklärt und informiert.
({0})
Wir waren sehr erfolgreich. Wir haben zusammen mit
der überwiegenden Mehrheit der deutschen Bevölkerung
die Absicht der Regierung Schröder gestoppt, in
Deutschland den generellen Doppelpaß einzuführen.
Das war gut so.
({1})
Leider haben wir Sie nicht völlig zur Umkehr bewegen
können: Nach dem ersten Schily-Entwurf folgte der zweite
- dann der dritte und jetzt der vierte. Ich glaube aber, daß
auch „Schily IV“, Herr Bundesinnenminister, mangelhaft
ist. Denn: Erstens. Sie verlangen bei der Einbürgerung von
Erwachsenen weiterhin keine Integration, keine erkennbare Einordnung in unsere politischen, kulturellen und sozialen Lebensverhältnisse. Wir wissen doch: Integration erfolgt nicht durch einen Paß, sondern durch das Leben.
({2})
Zweitens. Sie verlangen von erwachsenen Ausländern
noch nicht einmal, daß sie ihren Lebensunterhalt selbst
bestreiten können. Es ist einmalig in der Welt, daß jemand, der eine fremde Staatsangehörigkeit annimmt,
selbst nicht in der Lage sein muß, seinen Lebensunterhalt zu bestreiten.
Drittens. Ihr Verzicht auf die doppelte Staatsbürgerschaft bedeutet - Herr Kollege Beckstein hat das schon
gesagt -, daß mehrere hunderttausend Ausländer die
doppelte Staatsbürgerschaft durch die Hintertür erlangen
können. Das kann nur jemand akzeptieren, der diesen
Gesetzentwurf als ersten Schritt zur Hinnahme der doppelten Staatsbürgerschaft ansieht. Weil wir das nicht
wollen, lehnen wir diesen Gesetzentwurf ab.
Wir lehnen ihn auch ab, weil es falsch ist, Kindern
mit der Geburt - auch gegen den Willen der Eltern - den
Doppelpaß zu geben. Entscheiden sich diese Kinder bis
zum Alter von 23 Jahren nicht für eine der beiden
Staatsbürgerschaften, dann nehmen Sie ihnen diesen
wieder ab - quasi nach dem Motto: „Wer nichts tut, wird
vom Deutschen wieder zum Ausländer“, wie es die
„FAZ“ geschrieben hat. Das ist mehr als absurd, meine
Damen und Herren. Wenn jemandem der deutsche Paß
entzogen wird, der bis zu einem Alter von 23 Jahren
Deutscher war, der beamtet war, der wählen durfte und
der zur Bundeswehr ging, dann dient dieser Entzug mitnichten der Integration ausländischer Mitbürger. Auch
deswegen ist dieses Modell abzulehnen.
Ganz zu schweigen von den Rechtsproblemen: Es
gab in der Anhörung kaum jemanden, der keine verfassungsrechtlichen Probleme mit diesem Entwurf hatte. Zu
diesen zählten am Anfang auch Sie, Herr Schily, und wie ich gelesen habe - der Bundeskanzler. Trotzdem
bringen Sie diesen Rumpfentwurf ein, obwohl er nicht
den Anforderungen einer modernen Integrationspolitik
entspricht.
Ich darf in diesem Zusammenhang aus einem Brief
der SPD-Kollegin Nahles an mich zitieren. Ob ich ihn
gezielt oder irrtümlich bekommen habe, weiß ich nicht,
vielleicht aber auch in der Absicht, daß ich ihn hier vortrage. In diesem Brief schreibt die Kollegin Nahles - ich
darf zitieren -:
An die Genossen der SPD-Fraktion; Kinder, die
zunächst von Amts wegen Deutsche werden sollen,
bekommen eine familiäre Zeitbombe unter das Bett
gelegt. Von ihrer Staatsbürgerschaft haben sie
nichts, außer der Erwartung, daß es mit 23 so oder
so knallt.
Recht hat sie, die Kollegin Nahles. Deswegen meine ich,
Sie sollten von Ihrem Modell Abstand nehmen.
({3})
Ich weiß nicht, wie viele Kolleginnen und Kollegen
bei dieser schwierigen Frage, in der es verschiedene
Meinungen geben kann, den Mut aufbringen, hier im
Bundestag eine eigene Meinung zum Ausdruck zu bringen, so wie es eine Reihe unserer Kollegen tut. Ich fordere Sie auf, den Mut zu haben, in dieser schwierigen
Frage nach Ihrem Gewissen zu entscheiden.
({4})
All diese Fragen hätten einer ausführlichen Diskussion bedurft. Sie haben unser Angebot, gemeinsam zu
handeln und zu einem Konsens zu kommen, jedoch abgelehnt - trotz der besonderen Bedeutung der Staatsbürgerschaft; denn durch das Staatsbürgerrecht wird das
Staatsvolk bestimmt, von dem nach unserer Verfassung
alle Staatsgewalt ausgeht. Aber Ihnen ging es offensichtlich darum - das muß man nach dieser hektischen
Debatte einfach sagen -, den Unwillen der Bevölkerung
gegenüber SPD und Grünen wettzumachen, den Sie mit
Ihrem Versuch, die generelle doppelte Staatsbürgerschaft in Deutschland einzuführen, verursacht haben.
({5})
Ihre Absicht ist, dies schnell vergessen zu machen.
Das ist kein guter Ratgeber für eine so wichtige Reform.
Lassen Sie mich zum Schluß Rudolf Wassermann
zitieren, den früheren Vorsitzenden der sozialdemokratischen Juristen und OLG-Präsidenten von Braunschweig.
Herr Wassermann schreibt:
Was wir besonders nach den furchtbaren Anschlägen von Mölln und Solingen den Ausländern
schulden, sind Achtung, Respekt, Verständnis, Hilfe und Toleranz. Denjenigen, die Deutsche werden
wollen, sollten wir die Einbürgerung erleichtern,
aber ohne Rückversicherung durch häufige doppelte Staatsbürgerschaft.
Weiter schreibt er:
Eine auf der Grundlage der doppelten Staatsbürgerschaft bewirkte Integration wäre keine echte, sondern eine Scheinintegration, die weniger Nutzen als
Gefahren bringt.
Dem haben wir als Union nichts hinzuzufügen. Wir
können Ihrem Entwurf nicht zustimmen. Wir lehnen ihn
deswegen zu Recht ab.
({6})
Als
letzter Redner in dieser Aussprache hat der Kollege
Hans-Peter Kemper von der SPD-Fraktion das Wort. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bitte Sie, noch Geduld zu haben und dem Redner zuzuhören. Es ist ein
kurzer Beitrag.
Herr Präsident! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Herr Marschewski, wenn Sie
in diesem Zusammenhang das Wort „Mut“ in den Mund
nehmen, dann frage ich mich, woher Sie den Mut nehmen, nach 16jähriger Regierungszeit hier heute eine solche Rede zu halten.
({0})
Die CDU/CSU war 16 Jahre an der Regierung und hat in
dieser Frage nichts, aber auch gar nichts bewegt. Sie haben sich trotz zweier anderslautender Koalitionsvereinbarungen in Sachen Staatsbürgerschaftsrecht nicht ein
winziges Stück bewegt.
({1})
Ihre Bilanz nach 16 Jahren lautet: Stagnation. Sie lautet
nicht: Integration.
Für uns ist der heutige Tag ein Tag der Freude; denn
wir werden gleich mit der Mehrheit des Hauses ein neues Staatsbürgerschaftsrecht beschließen, das sich an das
Staatsbürgerschaftsrecht der meisten europäischen
Staaten anlehnt, das aber auch der Tatsache Rechnung
trägt, daß in den letzten 30 Jahren Einwanderung stattgefunden hat und über 7 Millionen ausländische Mitbürger
dauerhaft bei uns wohnen, die meisten davon für immer.
Der Antrag der Union „Toleranz und Integration“
liest sich auf dem Papier recht gut. Aber er ist völlig unglaubwürdig, wenn er nach 16 Jahren Regierungsuntätigkeit plötzlich aus dem Hut gezaubert wird. Er wird so
lange unglaubwürdig bleiben, wie Sie mit Äußerungen
wie „Bürgerrechte zu Discountpreisen“, „TeilzeitDeutsche“ oder „Staatsbürgerschaft zum Nulltarif“ den
Boden einer sachlichen Auseinandersetzung verlassen.
({2})
Eines allerdings kann man der Union nicht absprechen: Sie verhält sich in dieser Frage absolut logisch.
Nachdem endlich Bewegung in diese Geschichte gekommen ist, haben Sie eine Unterschriftenaktion auf
den Weg gebracht, die ich im Gegensatz zu meinen
Kollegen Bürsch und Westerwelle nicht so zurückhaltend beurteile. Ich sage: Das ist eine absolut integrationsfeindliche Aktion gewesen, die als Kern Ausländerfeindlichkeit in sich barg.
({3})
Meine Damen und Herren, hier haben Sie der Integration einen Bärendienst erwiesen. Ich bin froh, daß einige
Persönlichkeiten der Union diesem Unterfangen widersprochen haben.
Es geht allerdings noch weiter - Sie bleiben Ihrer
Logik treu -: In der ersten Lesung - auch heute kam das
wieder durch - haben Sie einen sehr engen Zusammenhang zwischen Kriminalität, Extremismus und unserem Staatsbürgerschaftsrecht herzustellen versucht.
Ich denke, es ist infam, was Sie da gemacht haben.
({4})
Es gibt ausreichend Aussagen - auch von Ihnen -, die in
eine andere Richtung gehen und die ganz deutlich zeigen, daß sich die ausländische Wohnbevölkerung genauso gesetzestreu verhält wie die deutsche Wohnbevölkerung. Sie haben allen Grund, sich bei der ausländischen
Wohnbevölkerung für diese diffamierenden Äußerungen
zu entschuldigen.
({5})
Natürlich gibt es Probleme - darüber haben wir keinen Dissens - bei der organisierten Kriminalität und bei
denen, die sich nur kurzfristig hier aufhalten. Aber genau die wollen wir ja nicht einbürgern. Wir wollen diejenigen einbürgern, die längst integriert sind und nur auf
Grund Ihrer verfehlten Staatsbürgerschaftspolitik noch
einen ausländischen Paß haben.
Ich möchte noch ganz kurz auf den Vergleich auf der
Grundlage der von Ihnen immer wieder angeführten
Statistik „Wohnbevölkerung und Straftäter“ eingehen.
Der Ausländeranteil an der Wohnbevölkerung beträgt
9 Prozent, der Ausländeranteil an den Straftätern liegt
bei 30 Prozent. Dafür gibt es viele Gründe. Einige davon
hat der Kollege Bürsch schon angesprochen. Ein Grund
ist: In der Straftäterstatistik tauchen die Leute auf, die
hier nur durchreisen, die sich hier illegal aufhalten.
Ebenso sind Stationierungsstreitkräfte, Touristen und
Urlauber in dieser Statistik zu finden, während sie in der
Wohnbevölkerungsstatistik nicht auftauchen.
Herr Zeitlmann hat in seiner letzten Rede gesagt, es
gebe Stadtteile in deutschen Städten mit einem besonders hohen Ausländeranteil, die sehr stark kriminalitätsbelastet seien. Das stimmt. Das rührt aber daher,
daß dort besonders viele junge Menschen ohne Ausbildungs- oder Arbeitsplatz und mit Integrationsschwierigkeiten wohnen. - Das gleiche Problem hätten wir bei
einer solchen Ausgangslage auch bei der deutschen
Wohnbevölkerung. - Hinzu kommt, daß junge Menschen kriminalitätsanfälliger sind als über 60jährige. Das
ist überhaupt keine Frage. Die sozialen Lebensumstände
der ausländischen Jugendlichen sind schlechter. Die
Probleme haben in Ihrer Regierungszeit zugenommen.
Sie haben es versäumt, dagegen mit Primärprävention
vorzugehen; statt dessen beschimpfen Sie Ausländer
pauschal als Kriminelle.
({6})
Ich will nur noch auf einen Punkt eingehen: Es ist
völlig gleich, ob die deutsche Staatsbürgerschaft am Beginn oder in der Mitte der Integration steht oder ob sie
den Abschluß der Integration darstellt. Wichtig ist - das
ist für mich ausschlaggebend -: Wir gehen heute die
ersten Schritte in die richtige Richtung, in eine andere
Richtung, als Sie es 16 Jahre lang getan haben. Wir
stellen heute die Weichen für eine neue, für eine bessere
Zukunft auch unserer über 7 Millionen ausländischen
Mitbürger.
Vielen Dank.
({7})
Ich
schließe die Aussprache.
Bevor wir zu den Abstimmungen kommen, will ich
Ihnen mitteilen, daß zu dem letzten heute verbleibenden
Tagesordnungspunkt nur zwei Redner sprechen werden.
Die anderen Reden werden zu Protokoll gegeben.
Wir kommen nun zur Abstimmung. Es liegt eine gan-
ze Reihe von Erklärungen zur Abstimmung nach § 31
der Geschäftsordnung vor. Diese werden zu Protokoll
genommen.*)
Wir stimmen jetzt ab über den Gesetzentwurf der
Abgeordneten Dr. Peter Struck, Otto Schily, Wilhelm
Schmidt und weiterer Abgeordneter der Fraktion der
SPD, der Abgeordneten Kerstin Müller, Rezzo
Schlauch, Kristin Heyne und weiterer Abgeordneter der
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen sowie der Abgeordne-
ten Dr. Wolfgang Gerhardt, Dr. Guido Westerwelle,
Jörg van Essen und weiterer Abgeordneter der Fraktion
der F.D.P. zur Reform des Staatsangehörigkeitsrechts in
der Ausschußfassung, Drucksachen 14/533 und 14/867
Nr. 1.
Dazu liegen neun Änderungsanträge der Fraktion der
PDS vor, über die wir zuerst abstimmen müssen.
Änderungsantrag auf Drucksache 14/988. Wer stimmt
dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der
Antrag ist gegen die Stimmen aller Fraktionen mit Aus-
nahme der PDS-Fraktion abgelehnt.
Änderungsantrag auf Drucksache 14/989. Wer stimmt
dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der
Antrag ist mit dem gleichen Stimmergebnis abgelehnt.
Änderungsantrag auf Drucksache 14/990. Wer stimmt
dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der
Antrag ist mit dem gleichen Stimmergebnis abgelehnt.
Änderungsantrag auf Drucksache 14/991. Wer stimmt
dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der
Antrag ist mit dem gleichen Stimmergebnis abgelehnt.
--------
*) Anlagen 6 und 7
Änderungsantrag auf Drucksache 14/992. Wer stimmt
dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der
Antrag ist mit dem gleichen Stimmergebnis abgelehnt.
Änderungsantrag auf Drucksache 14/993. Wer stimmt
dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der
Antrag ist mit dem gleichen Stimmergebnis abgelehnt.
Änderungsantrag auf Drucksache 14/994. Wer stimmt
dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der
Antrag ist mit dem gleichen Stimmergebnis abgelehnt.
Änderungsantrag auf Drucksache 14/995. Wer stimmt
dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der
Antrag ist mit dem gleichen Stimmergebnis abgelehnt.
Änderungsantrag auf Drucksache 14/996. Wer stimmt
dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der
Antrag ist mit dem gleichen Stimmergebnis abgelehnt.
Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Ge-
setzentwurf in der Ausschußfassung. Wer stimmt da-
für? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetz-
entwurf in der Ausschußfassung ist mit den Stimmen
von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und F.D.P. gegen
die Stimmen von CDU/CSU bei Enthaltung der PDS-
Fraktion und einiger CDU/CSU-Mitglieder ange-
nommen.
Wir kommen
zur dritten Beratung
und Schlußabstimmung. Die Fraktion der SPD verlangt
namentliche Abstimmung. Ich bitte die Schriftführerin-
nen und Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzu-
nehmen. Ist das erfolgt? - Dann eröffne ich die Ab-
stimmung. -
Ist ein Mitglied des
Hauses anwesend, das seine Stimme noch nicht abgege-
ben hat? - Das ist offensichtlich nicht der Fall. Ich
schließe die Abstimmung und bitte die Schriftführerin-
nen und Schriftführer mit der Auszählung zu beginnen.
Das Ergebnis der Abstimmung wird Ihnen später be-
kanntgegeben.*)
Wir setzen die Beratung fort. Ich bitte die Kollegin-
nen und Kollegen, ihre Plätze einzunehmen, damit ich
eine Übersicht habe, wer wofür stimmt.
Wir kommen zunächst zur Abstimmung über den
Entschließungsantrag der Fraktion der PDS auf Druck-
sache 14/960. Wer stimmt für diesen Entschließungsan-
trag? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Damit ist dieser
Entschließungsantrag gegen die Stimmen der PDS-
Fraktion abgelehnt.
Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Gesetz-
entwurf der Fraktion der CDU/CSU zur Neuregelung
des Staatsangehörigkeitsrechts auf der Drucksa-
che 14/535. Der Innenausschuß empfiehlt auf Drucksa-
che 14/867 Nr. 2, den Gesetzentwurf abzulehnen.
--------
*) Seite 3464A
Ich lasse über den Gesetzentwurf der CDU/CSU auf
Drucksache 14/535 abstimmen. Ich bitte diejenigen, die
dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzei-
chen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Damit
ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung mit den
Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen, SPD, PDS und
F.D.P. bei mehreren Enthaltungen in der CDU/CSU-
Fraktion abgelehnt.
Damit entfällt nach unserer Geschäftsordnung die
weitere Beratung.
Wir kommen nun zur Abstimmung über die Be-
schlußempfehlung des Innenausschusses zu dem Antrag
der Fraktion der CDU/CSU zu Integration und Toleranz,
Drucksache 14/867 Nr. 3. Der Ausschuß empfiehlt, den
Antrag auf Drucksache 14/534 abzulehnen.
Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Ge-
genprobe! - Enthaltungen? - Diese Beschlußempfeh-
lung ist gegen die Stimmen der CDU/CSU-Fraktion an-
genommen.
Wir kommen jetzt zur Abstimmung über die Be-
schlußempfehlung des Innenausschusses zu dem Antrag
der Fraktion der CDU/CSU zu einem modernen Auslän-
derrecht, Drucksache 14/867 Nr. 3. Der Ausschuß emp-
fiehlt, den Antrag auf Drucksache 14/532 abzulehnen.
Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Ge-
genprobe! - Enthaltungen? - Damit ist diese Be-
schlußempfehlung gegen die Stimmen der CDU/CSU-
Fraktion angenommen.
Ich rufe nunmehr die Tagesordnungspunkte III a und
III b auf:
a) Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten
Dr. Norbert Blüm, Klaus-Jürgen Hedrich, Dr.
Christian Ruck, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der CDU/CSU
Kampf gegen Kinderarbeit
- Drucksachen 14/662, 14/861 -
b) Beratung des Antrags der Fraktionen SPD,
CDU/CSU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und
F.D.P.
Forderungen an das neue Übereinkommen der
Internationalen Arbeitsorganisation ({0}) zur
Bekämpfung der Kinderarbeit
- Drucksache 14/885 ({1}) Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem
Abgeordneten Dr. Norbert Blüm, CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin!
Meine Damen und Herren! Daß es am Ende dieses Jahrhunderts noch Ausbeutung und Sklaverei gibt - und das
ausgerechnet bei Kindern -, ist eine Schande.
({0})
Es geht jetzt nicht um eine feinnervige Definition, was
Kinderarbeit ist, sondern es geht um die eklatanten Verstöße gegen die Gesundheit der Kinder. Es handelt sich - in
diesem Zusammenhang möchte ich das schöne Wort „Arbeit“ gar nicht verwenden - um Kinderprostitution. Das
ist ein Verbrechen. Es handelt sich um Kindersoldaten.
Auch das ist ein Verbrechen. Bei diesen Arbeiten - erschrecken Sie sich bitte nicht über das Wort; wenn Sie sich
erregen wollen, dann über den Anlaß - verrecken Kinder.
Wenn Kinder bei der Herstellung von Feuerwerkskörpern
eingesetzt werden, dann kann man die Uhr danach stellen,
wie lange sie noch zu leben haben. Wir bestaunen dann am
Silvesterabend das Zischen, Krachen und Aufblitzen von
Raketen, die diese Kinder hergestellt haben.
({1})
Ich gönne niemandem eine fröhliche Party auf einem
Teppich, der mit wundgescheuerten Kinderhänden hergestellt wurde. Ich gönne niemandem, daß er sein Zimmer mit Kohlen heizt, die von Kindern in kolumbianischen Bergwerken abgebaut worden sind. Ich kenne diese Bergwerke. In Deutschland würde man dort keinen
Hund hineinschicken. Unsere Kinder, die Kinder der
Wohlstandsgesellschaft, spielen und haben ihren Spaß
mit Kinderspielzeug, das von Kindern unter Tränen hergestellt worden ist.
Ich finde es gut, daß wir darin übereinstimmen, solche Verhältnisse abzuschaffen, und daß es heute hierüber keinen Parteienstreit gibt, der sonst immer sein
muß. Ich finde es gut, daß der Bundestag heute wie im
Mai des vergangenen Jahres über alle Parteigrenzen
hinweg hier seine klare Ablehnung zum Ausdruck
bringt.
Mit der Beschreibung von Kinderarbeit ist ja das
Elend noch nicht beseitigt. Eine Handvoll konkreter
Maßnahmen ist mir lieber als ein ganzer Sack voller
Proklamationen. Darum geht es in dem Übereinkommen, das die ILO jetzt verabschieden soll. Dem gilt auch
die Große Anfrage der CDU/CSU.
Im Mittelpunkt stehen nicht Definitionen von verbotenen Arbeiten, die sowieso nach geltender Rechtslage
verboten sind. Es geht darum, die konkreten Verhältnisse zu verändern. Dafür ist es aus meiner Sicht notwendig, daß das ILO-Übereinkommen nicht in seiner jetzigen Form bleibt. Es bleibt hinter den Erwartungen dieses
Deutschen Bundestages zurück, und zwar hinter den
Erwartungen aller Fraktionen.
Im Mai letzten Jahres hatten wir die Beteiligung von
Nichtregierungsorganisationen gefordert. Davon steht
in diesem Übereinkommen nichts. Wir hatten gefordert,
daß Kinder Zugang zu Rechtsmitteln haben. Auch davon
steht in diesem Übereinkommen nichts. Es enttäuscht
mich, wenn die Bundesregierung in ihrer Antwort auf
unsere Anfrage mitteilt:
Die Bundesregierung ist nicht der Auffassung, daß,
soweit die in Frage 1 erwähnten Forderungen nicht
berücksichtigt wurden,
- zum Beispiel die Beteiligung von Nichtregierungsorganisationen ...ein neuerlicher Vorstoß in zweiter Lesung Erfolg
haben wird.
Vizepräsidentin Petra Bläss
Das schlechte Gewissen der Bundesregierung kann
man an der Antwort auf Frage 4 ablesen, daß nach
Kompromissen gesucht werde, die darin bestehen
könnten, den Sozialpartnerorganisationen ein Vorschlagsrecht dazu einzuräumen, welche Nichtregierungsorganisationen zu beteiligen seien. Dazu möchte
ich einmal etwas Grundsätzliches sagen: Ich bin ein Anhänger der Sozialpartnerschaft von Gewerkschaften und
Arbeitgebern. Aber die Nichtregierungsorganisationen
sind nicht die Filialen der Gewerkschaften oder der Arbeitgeber. Sie müssen nicht darum bitten, um zu Wort zu
kommen. Sie haben ein eigenes Recht im Kampf gegen
Kinderarbeit.
({2})
Ich möchte auch darauf hinweisen, daß der von vielen
Nichtregierungsorganisationen initiierte „Global March
against Child Labor“ das Gewissen der Welt wachgerüttelt hat. Hier zeigt sich, daß wir auf die Nichtregierungsorganisationen angewiesen sind, nicht nur auf den
Staat und die etablierten Sozialpartner. Ich warne die
Sozialpartner - bei allem Respekt - davor, sich so zu
benehmen, als hätten sie das Monopol in allen Sozialfragen. Ich bin nicht für einen Kampf zwischen Sozialpartnerorganisationen und Nichtregierungsorganisationen, sondern für Zusammenarbeit.
Auf Frage 5 unserer Anfrage - Zugang der Kinder zu
Rechtsmitteln - lautet die Antwort:
Die Bundesregierung ist der Auffassung, daß eine
solche Forderung nicht in bezug auf das Übereinkommen gestellt werden sollte.
Das ist ein starkes Stück. Verehrte Frau Kollegin, die
Bundesregierung hat den Auftrag des Parlamentes zu erfüllen. Die Bundesregierung ist kein selbständiger Verein. Das Parlament hat im Mai letzten Jahres der Bundesregierung den Auftrag erteilt, dafür zu sorgen, daß
die Forderung nach Zugang der Kinder zu Rechtsmitteln
in das Übereinkommen hineingeschrieben wird. Private
Meinungen interessieren mich in diesem Zusammenhang gar nicht. Die Bundesregierung handelt im Auftrag
des Parlaments. Wo sind wir denn? Sie haben uns nicht
zu zensieren. Sie können uns nicht vorschreiben, welche
Auffassung wir haben sollen.
Zur Sache selber: Es geht gar nicht um das Recht auf
eine Individualklage, sondern um ganz einfache Sachen.
Die Kinder in Indien, die zum obersten Gericht vorgedrungen sind, haben jeden Prozeß gewonnen; aber die
meisten Kinder kommen da gar nicht hin, weil sie daran
durch lokale Autoritäten behindert werden. Es geht darum, dies zu ändern. Diese Forderung steht in Übereinstimmung mit der Kinderrechtskonvention, die wir
1992 ratifiziert haben und die 1989 von der VNGeneralversammlung verabschiedet wurde.
Ich finde die hier geäußerte Vorstellung merkwürdig,
es störe die Akzeptanz, wenn das in diesem Übereinkommen stehe. In New York sagen wir ja, und in Genf
sagen wir nein! Was für eine internationale Gemeinschaft ist es eigentlich, die einmal etwas beschließt und
in einem anderen Zusammenhang sagt, es störe die Akzeptanz? Die Gründe, warum wir Wert darauf legen, daß
Kinder gehört werden, sind handfest. Daß Kinder Zugang zu Gerichten haben, ist ein handfestes Instrument
im Kampf gegen Kinderarbeit.
({3})
Ich möchte dafür Dank sagen, daß wir es bei aller
Hektik geschafft haben, einen Konsens zu finden. Unsere Vorschläge richten sich nicht gegen die ILO. Auch an
sie richtet sich mein Dank. Ich verbinde meinen Dank an
die ILO mit dem Ratschlag, im Kampf gegen die Kinderarbeit ihre ganze Phantasie nicht so sehr auf Statistiken, Papiere und Diagramme zu kaprizieren, sondern
mehr Aktionen vor Ort zu ermöglichen.
Es geht nicht nur darum, gegen Kinderarbeit zu
kämpfen; vielmehr geht es auch darum, für Schulbildung einzutreten. Ich bin für Verbote; aber es ist zu bequem, nur zu verbieten. Ausschließlich zu helfen ist
auch zuwenig. Wir brauchen beides: verbieten und helfen. Ich kenne die Einwände: Man dürfe erst verbieten,
wenn das Gesamtsystem verändert und die Armut beseitigt ist. Auch die deutsche Geschichte kennt diese Einwände. Dieselbe Debatte mit denselben Argumenten haben wir bei uns vor hundert Jahren geführt: Erst müsse
die Armut beseitigt werden und dann die Kinderarbeit.
Als das preußische Heer keine gesunden Rekruten mehr
hatte, war die Kinderarbeit über Nacht verboten. Da
ging es plötzlich. Deshalb bin ich für eine Doppelstrategie: Nicht verbieten allein, sondern verbieten und helfen.
({4})
Kinder, denen der Zugang zur Schulbildung beschnitten wird, haben auch später als Erwachsene weniger Chancen. So pflanzt sich das Unrecht fort: Als Kinder zur Arbeit gezwungen, als Erwachsene arbeitslos,
und deshalb werden die eigenen Kinder wieder in die
Arbeit geschickt.
Ich finde es gut, daß der Deutsche Bundestag, wenn
auch zu später Stunde, ganz eindeutig zum Ausdruck
bringt: Für diesen Skandal gibt es keine Spur an Verständnis. Ich finde es gut, daß es dem Deutschen Bundestag weniger um Proklamation geht. Wir fordern die
Bundesregierung auf - wir haben es schon einmal übereinstimmend beschlossen -, die Position der Nichtregierungsorganisationen zu stärken und den Zugang der
Kinder zu Rechtsmitteln auch in diesem Übereinkommen durchzusetzen.
Nicht die Worte des Übereinkommens zählen, sondern nur die Tatsache, ob aus ihm Konsequenzen gezogen werden können. Es geht um Umsetzung und Durchsetzung, nicht um eine akademische Diskussion. Es geht
auch nicht darum, das deutsche Jugendarbeitsschutzgesetz weltweit zu exportieren. Daran denkt niemand. Es
geht um die Beseitigung der schlimmsten Formen der
Kinderarbeit, der Ausbeutung und der Versklavung.
({5})
Liebe Kolleginnen
und Kollegen, ich gebe Ihnen zunächst das von den
Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Schlußabstimmung über den
Gesetzentwurf zur Reform des Staatsangehörigkeitsrechts bekannt, eingebracht von Abgeordneten aus den
Fraktionen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und
F.D.P., Drucksachen 14/533 und 14/867 Nr. 1. Abgegebene Stimmen 588. Mit Ja haben gestimmt 365, mit
Nein haben gestimmt 184, Enthaltungen 39. Damit ist
der Gesetzentwurf angenommen.
({0})
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 586;
davon:
ja: 365
nein: 182
enthalten: 39
Ja
SPD
Brigitte Adler
Gerd Andres
Rainer Arnold
Hermann Bachmaier
Ernst Bahr
Doris Barnett
Dr. Hans-Peter Bartels
Eckhardt Barthel ({1})
Klaus Barthel ({2})
Ingrid Becker-Inglau
Dr. Axel Berg
Hans-Werner Bertl
Friedhelm Julius Beucher
Petra Bierwirth
Lothar Binding ({3})
Kurt Bodewig
Klaus Brandner
Anni Brandt-Elsweier
Willi Brase
Rainer Brinkmann ({4})
Bernhard Brinkmann
({5})
Hans-Günter Bruckmann
Edelgard Bulmahn
Ursula Burchardt
Hans Martin Bury
Hans Büttner ({6})
Marion Caspers-Merk
Wolf-Michael Catenhusen
Dr. Peter Danckert
Dr. Herta Däubler-Gmelin
Christel Deichmann
Karl Diller
Peter Dreßen
Rudolf Dreßler
Detlef Dzembritzki
Dieter Dzewas
Dr. Peter Eckardt
Ludwig Eich
Marga Elser
Peter Enders
Gernot Erler
Petra Ernstberger
Annette Faße
Lothar Fischer ({7})
Gabriele Fograscher
Iris Follak
Norbert Formanski
Rainer Fornahl
Hans Forster
Dagmar Freitag
Lilo Friedrich ({8})
Harald Friese
Anke Fuchs ({9})
Arne Fuhrmann
Monika Ganseforth
Konrad Gilges
Iris Gleicke
Günter Gloser
Uwe Göllner
Renate Gradistanac
Günter Graf ({10})
Angelika Graf ({11})
Dieter Grasedieck
Monika Griefahn
Achim Großmann
Wolfgang Grotthaus
Karl Hermann Haack
({12})
Hans-Joachim Hacker
Klaus Hagemann
Manfred Hampel
Christel Hanewinckel
Alfred Hartenbach
Klaus Hasenfratz
Nina Hauer
Hubertus Heil
Reinhold Hemker
Frank Hempel
Rolf Hempelmann
Monika Heubaum
Uwe Hiksch
Reinhold Hiller ({13})
Stephan Hilsberg
Gerd Höfer
Jelena Hoffmann ({14})
Walter Hoffmann
({15})
Iris Hoffmann ({16})
Frank Hofmann ({17})
Ingrid Holzhüter
Eike Hovermann
Christel Humme
Lothar Ibrügger
Barbara Imhof
Brunhilde Irber
Gabriele Iwersen
Renate Jäger
Jann-Peter Janssen
Ilse Janz
Dr. Uwe Jens
Volker Jung ({18})
Johannes Kahrs
Ulrich Kasparick
Sabine Kaspereit
Susanne Kastner
Klaus Kirschner
Marianne Klappert
Siegrun Klemmer
Fritz Rudolf Körper
Karin Kortmann
Anette Kramme
Nicolette Kressl
Angelika Krüger-Leißner
Horst Kubatschka
Ernst Küchler
Helga Kühn-Mengel
Ute Kumpf
Konrad Kunick
Dr. Uwe Küster
Werner Labsch
Christine Lambrecht
Brigitte Lange
Christian Lange ({19})
Detlev von Larcher
Christine Lehder
Waltraud Lehn
Robert Leidinger
Klaus Lennartz
Dr. Elke Leonhard
Eckhart Lewering
Götz-Peter Lohmann
({20})
Christa Lörcher
Erika Lotz
Dr. Christine Lucyga
Dieter Maaß ({21})
Winfried Mante
Dirk Manzewski
Tobias Marhold
Lothar Mark
Christoph Matschie
Ingrid Matthäus-Maier
Heide Mattischeck
Markus Meckel
Ulrike Mehl
Ulrike Merten
Angelika Mertens
Dr. Jürgen Meyer ({22})
Ursula Mogg
Christoph Moosbauer
Jutta Müller ({23})
Christian Müller ({24})
Franz Müntefering
Volker Neumann ({25})
Gerhard Neumann ({26})
Dr. Edith Niehuis
Dr. Rolf Niese
Dietmar Nietan
Günter Oesinghaus
Eckhard Ohl
Leyla Onur
Manfred Opel
Holger Ortel
Adolf Ostertag
Kurt Palis
Albrecht Papenroth
Dr. Willfried Penner
Dr. Martin Pfaff
Georg Pfannenstein
Johannes Pflug
Dr. Eckhart Pick
Joachim Poß
Karin Rehbock-Zureich
Margot von Renesse
Renate Rennebach
Bernd Reuter
Dr. Edelbert Richter
Gudrun Roos
René Röspel
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Michael Roth ({27})
Birgit Roth ({28})
Gerhard Rübenkönig
Marlene Rupprecht
Thomas Sauer
Dr. Hansjörg Schäfer
Gudrun Schaich-Walch
Bernd Scheelen
Dr. Hermann Scheer
Siegfried Scheffler
Horst Schild
Dieter Schloten
Horst Schmidbauer
({29})
Ulla Schmidt ({30})
Silvia Schmidt ({31})
Dagmar Schmidt ({32})
Wilhelm Schmidt
({33})
Regina Schmidt-Zadel
Heinz Schmitt ({34})
Carsten Schneider
Walter Schöler
Olaf Scholz
Karsten Schönfeld
Fritz Schösser
Gisela Schröter
Richard Schuhmann
({35})
Brigitte Schulte ({36})
Volkmar Schultz ({37})
Ilse Schumann
Ewald Schurer
Dr. R. Werner Schuster
Dietmar Schütz ({38})
Dr. Angelica Schwall-Düren
Ernst Schwanhold
Rolf Schwanitz
Bodo Seidenthal
Erika Simm
Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk
Vizepräsidentin Petra Bläss
Dr. Cornelie SonntagWolgast
Wieland Sorge
Wolfgang Spanier
Dr. Margrit Spielmann
Jörg-Otto Spiller
Dr. Ditmar Staffelt
Antje-Marie Steen
Ludwig Stiegler
Rolf Stöckel
Rita Streb-Hesse
Dr. Peter Struck
Joachim Tappe
Jörg Tauss
Jella Teuchner
Dr. Gerald Thalheim
Franz Thönnes
Uta Titze-Stecher
Adelheid Tröscher
Hans-Eberhard Urbaniak
Simone Violka
Ute Vogt ({39})
Hans Georg Wagner
Hedi Wegener
Dr. Konstanze Wegner
Wolfgang Weiermann
Reinhard Weis ({40})
Matthias Weisheit
Gunter Weißgerber
Gert Weisskirchen
({41})
Dr. Ernst Ulrich von
Weizsäcker
Hans-Joachim Welt
Dr. Rainer Wend
Hildegard Wester
Lydia Westrich
Inge Wettig-Danielmeier
Dr. Margrit Wetzel
Dr. Norbert Wieczorek
Helmut Wieczorek
({42})
Jürgen Wieczorek ({43})
Heidemarie Wieczorek-Zeul
Dieter Wiefelspütz
Heino Wiese ({44})
Klaus Wiesehügel
Brigitte Wimmer ({45})
Engelbert Wistuba
Barbara Wittig
Dr. Wolfgang Wodarg
Verena Wohlleben
Hanna Wolf ({46})
Waltraud Wolff ({47})
Heidemarie Wright
Uta Zapf
Dr. Christoph Zöpel
Peter Zumkley
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Marieluise Beck ({48})
Volker Beck ({49})
Angelika Beer
Matthias Berninger
Annelie Buntenbach
Dr. Thea Dückert
Franziska Eichstädt-Bohlig
Dr. Uschi Eid
Hans-Josef Fell
Andrea Fischer ({50})
Joseph Fischer ({51})
Katrin Göring-Eckardt
Rita Grießhaber
Winfried Hermann
Antje Hermenau
Kristin Heyne
Ulrike Höfken
Michaele Hustedt
Steffi Lemke
Dr. Helmut Lippelt
Dr. Reinhard Loske
Klaus Wolfgang Müller
({52})
Kerstin Müller ({53})
Christa Nickels
Simone Probst
Claudia Roth ({54})
Christine Scheel
Irmingard Schewe-Gerigk
Rezzo Schlauch
Albert Schmidt ({55})
Werner Schulz ({56})
Christian Simmert
Christian Sterzing
Hans-Christian Ströbele
Jürgen Trittin
Dr. Antje Vollmer
Ludger Volmer
Sylvia Voß
Helmut Wilhelm ({57})
Margareta Wolf ({58})
F.D.P.
Hildebrecht Braun
({59})
Ernst Burgbacher
Jörg van Essen
Ulrike Flach
Horst Friedrich ({60})
Hans-Michael Goldmann
Dr. Karlheinz Guttmacher
Klaus Haupt
Ulrich Heinrich
Walter Hirche
Birgit Homburger
Dr. Werner Hoyer
Dr. Heinrich L. Kolb
Gudrun Kopp
Jürgen Koppelin
Ina Lenke
Sabine LeutheusserSchnarrenberger
Jürgen W. Möllemann
Dirk Niebel
Günther Friedrich Nolting
Detlef Parr
Dr. Edzard Schmidt-Jortzig
Gerhard Schüßler
Marita Sehn
Dr. Max Stadler
Carl-Ludwig Thiele
Dr. Dieter Thomae
PDS
Dr. Heinrich Fink
Dr. Ruth Fuchs
Fred Gebhardt
Dr. Barbara Höll
Dr. Christa Luft
Manfred Müller ({61})
Kersten Naumann
Rosel Neuhäuser
Gustav-Adolf Schur
Nein
CDU/CSU
Ulrich Adam
Dietrich Austermann
Norbert Barthle
Dr. Wolf Bauer
Günter Baumann
Brigitte Baumeister
Dr. Sabine Bergmann-Pohl
Otto Bernhardt
Hans-Dirk Bierling
Dr. Joseph-Theodor Blank
Renate Blank
Peter Bleser
Dr. Maria Böhmer
Sylvia Bonitz
Wolfgang Börnsen
({62})
Wolfgang Bosbach
Klaus Brähmig
Dr. Ralf Brauksiepe
Monika Brudlewsky
Georg Brunnhuber
Klaus Bühler ({63})
Hartmut Büttner
({64})
Dankward Buwitt
Cajus Caesar
Leo Dautzenberg
Albert Deß
Renate Diemers
Thomas Dörflinger
Marie-Luise Dött
Maria Eichhorn
Rainer Eppelmann
Anke Eymer
Dr. Hans Georg Faust
Ingrid Fischbach
Axel E. Fischer
({65})
Herbert Frankenhauser
Dr. Gerhard Friedrich
({66})
Dr. Hans-Peter Friedrich
({67})
Erich G. Fritz
Hans-Joachim Fuchtel
Dr. Jürgen Gehb
Norbert Geis
Georg Girisch
Michael Glos
Dr. Reinhard Göhner
Dr. Wolfgang Götzer
Kurt-Dieter Grill
Manfred Grund
Carl-Detlev Freiherr von
Hammerstein
Gerda Hasselfeldt
Hansgeorg Hauser
({68})
Klaus-Jürgen Hedrich
Ursula Heinen
Siegfried Helias
Hans Jochen Henke
Ernst Hinsken
Peter Hintze
Klaus Hofbauer
Klaus Holetschek
Josef Hollerith
Dr. Karl-Heinz Hornhues
Siegfried Hornung
Joachim Hörster
Hubert Hüppe
Susanne Jaffke
Georg Janovsky
Dr.-Ing. Rainer Jork
Bartholomäus Kalb
Steffen Kampeter
Dr. Dietmar Kansy
Manfred Kanther
Volker Kauder
Ulrich Klinkert
Dr. Helmut Kohl
Manfred Kolbe
Hartmut Koschyk
Rudolf Kraus
Dr. Paul Krüger
Dr. Hermann Kues
Dr. Karl A. Lamers
({69})
Dr. Norbert Lammert
Dr. Paul Laufs
Karl-Josef Laumann
Vera Lengsfeld
Werner Lensing
Peter Letzgus
Ursula Lietz
Walter Link ({70})
Eduard Lintner
Dr. Klaus Lippold
({71})
Dr. Manfred Lischewski
Wolfgang Lohmann
({72})
Dr. Michael Luther
Erich Maaß ({73})
Dr. Martin Mayer
({74})
Wolfgang Meckelburg
Dr. Michael Meister
Dr. Angela Merkel
Friedrich Merz
Hans Michelbach
Meinolf Michels
Vizepräsidentin Petra Bläss
Dr. Gerd Müller
Bernward Müller ({75})
Elmar Müller ({76})
Franz Obermeier
Friedhelm Ost
Eduard Oswald
Norbert Otto ({77})
Dr. Peter Paziorek
Anton Pfeifer
Beatrix Philipp
Ronald Pofalla
Marlies Pretzlaff
Thomas Rachel
Dr. Peter Ramsauer
Helmut Rauber
Peter Rauen
Christa Reichard ({78})
Erika Reinhardt
Klaus Riegert
Dr. Heinz Riesenhuber
Franz Romer
Hannelore Rönsch
({79})
Heinrich-Wilhelm Ronsöhr
Kurt Rossmanith
Adolf Roth ({80})
Dr. Christian Ruck
Dr. Wolfgang Schäuble
Hartmut Schauerte
Gerhard Scheu
Norbert Schindler
Dietmar Schlee
Bernd Schmidbauer
Christian Schmidt ({81})
Dr.-Ing. Joachim Schmidt
({82})
Andreas Schmidt ({83})
Hans Peter Schmitz
({84})
Dr. Andreas Schockenhoff
Reinhard Freiherr von
Schorlemer
Dr. Erika Schuchardt
Wolfgang Schulhoff
Clemens Schwalbe
Wilhelm-Josef Sebastian
Horst Seehofer
Heinz Seiffert
Werner Siemann
Bärbel Sothmann
Margarete Späte
Wolfgang Steiger
Erika Steinbach
Dr. Wolfgang Freiherr von
Stetten
Andreas Storm
Dorothea Störr-Ritter
Max Straubinger
Matthäus Strebl
Thomas Strobl
Dr. Susanne Tiemann
Arnold Vaatz
Andrea Voßhoff
Gerald Weiß ({85})
Annette Widmann-Mauz
Heinz Wiese ({86})
Hans-Otto Wilhelm ({87})
Willy Wimmer ({88})
Werner Wittlich
Peter Kurt Würzbach
Wolfgang Zeitlmann
Wolfgang Zöller
PDS
Carsten Hübner
Enthalten
CDU/CSU
Dr. Heribert Blens
Ilse Falk
Ulf Fink
Dr. Heiner Geißler
Hermann Gröhe
Norbert Hauser ({89})
Irmgard Karwatzki
Eckart von Klaeden
Norbert Königshofen
Thomas Kossendey
Dr. Martina Krogmann
Dr. Friedbert Pflüger
Ruprecht Polenz
Dieter Pützhofen
Heinz Schemken
Birgit Schnieber-Jastram
Dr. Christian SchwarzSchilling
Dr. Rita Süssmuth
Peter Weiß ({90})
Elke Wülfing
SPD
Hans-Ulrich Klose
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Monika Knoche
PDS
Eva Bulling-Schröter
Roland Claus
Sabine Jünger
Gerhard Jüttemann
Dr. Heidi Knake-Werner
Ursula Lötzer
Heidemarie Lüth
Angela Marquardt
Dr. Uwe-Jens Rössel
Christina Schenk
Dr. Ilja Seifert
Entschuldigt wegen Übernahme einer Verpflichtung im Rahmen ihrer Mitgliedschaft in den Parlamentarischen Versammlungen
des Europarates und der WEU, der NAV, der OSZE oder der IPU
Abgeordnete({91})
Behrendt, Wolfgang, SPD Siebert, Bernd, CDU/CSU Verheugen, Günter, SPD Zierer, Benno, CDU/CSU
Nächste Rednerin in der Debatte ist die Kollegin Dr.
Angelika Köster-Loßack, Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen
und Kollegen! Diese kurze Debatte findet im Vorfeld
der Genfer ILO-Tagung statt, bei dem ein Übereinkommen zur Bekämpfung der schlimmsten Formen der
Kinderarbeit erzielt werden soll. Schlimmste Formen
sind die Sklaverei, die Schuldknechtschaft, Zwangsarbeit, Prostitution und die Rekrutierung von Kindern als
Soldaten.
Ich möchte noch einmal darauf hinweisen, daß die
Kinderrechtskonvention, die die Rechte der Kinder umfassend regelt, leider erst von 73 Staaten ratifiziert wurde. Um aber möglichst viele Staaten dazu zu bringen,
ein Übereinkommen zum Schutz der Kinder zu unterschreiben, will man jetzt in Genf zumindest die
schlimmsten Formen ächten. Dies ist allerdings nur ein
erster Zwischenschritt; er ist keineswegs ausreichend.
Kinder müssen nicht nur vor den schlimmsten Exzessen
bewahrt werden, sondern alle Kinder müssen wenigstens
Zugang zu einer Basisgesundheitsversorgung und zur
Grundbildung bekommen.
({0})
Nur dadurch können mehr Kinder wenigstens einen Teil
des großen Potentials, das in ihnen allen steckt, ausschöpfen. Eine zentrale Aufgabe vor allem im Rahmen
unserer Entwicklungszusammenarbeit ist deswegen die
Förderung des Auf- und Ausbaus von Basisgesundheitsdiensten und Institutionen der Grundbildung.
Damit Kinder überhaupt eine Chance haben, in die
Schule zu gehen, muß selbstverständlich die Armut in
vielen Ländern viel stärker bekämpft werden, denn in
den meisten Fällen sind Kinder gezwungen zu arbeiten,
um ihren Familien das Überleben zu sichern. Es wäre
natürlich vermessen zu sagen, daß von Deutschland, von
Europa oder von anderen Ländern des Nordens die Probleme der Kinderarbeit gänzlich gelöst werden könnten.
Vizepräsidentin Petra Bläss
Das wäre eine völlige Überforderung. Vielmehr müssen
die Verantwortlichen in den betroffenen Ländern selbst
wirksame Mittel auch jenseits von Gesetzessanktionen
ergreifen, um die Kinderarbeit zurückzudrängen und
zum Verschwinden zu bringen.
Es gibt Länder, in denen es schon sehr viele Gesetze
hierzu gibt. Ein Beispiel dafür ist Indien. Die Menschenrechtskommission hat die dortige Kinderarbeit zu einem
zentralen Punkt erhoben, aber die Umsetzung - das
wurde schon von meinem Vorredner gesagt - läßt zu
wünschen übrig.
Deswegen ist es insbesondere auch im Rahmen unserer Entwicklungs- und Menschenrechtspolitik notwendig, in all diesen Ländern einen intensiven Dialog über
Kinderrechte sowohl mit den Regierungen als auch mit
Nichtregierungsorganisationen zu führen.
Wenn Kinder vom Zugang zur Grundbildung ausgeschlossen werden, hat das Folgen. Die schlimmen Folgen der Kinderarbeit können wir besichtigen, wenn wir
auf Besuchsreisen in den betreffenden Ländern sind.
Den Kindern wird jede Hoffnung auf eine bessere Zukunft genommen. Wenn Selbsthilfeorganisationen von
Kindern bestehen, sollten diese zukünftig an der Gestaltung des Übereinkommens beteiligt werden. Diese
Selbsthilfeorganisationen von Kindern, die insbesondere
in lateinamerikanischen Ländern aktiv sind, dürfen wegen ihrer Aktivitäten nicht kriminalisiert werden, genausowenig wie die arbeitenden Kinder selbst. Sie sind die
Opfer ungerechter gesellschaftlicher Verhältnisse und
keine Kriminellen.
({1})
In unserem Antrag fordern wir, daß Aktionsprogramme zur Beseitigung der schlimmsten Formen der
Kinderarbeit in das ILO-Übereinkommen mit aufgenommen werden. Das ist wichtig, damit es nicht bei den
unverbindlichen Absichtserklärungen, die bisher die
Regel waren, bleibt. Noch einmal: Die Nichtregierungsorganisationen, die in diesem Bereich über langjährige
Erfahrungen verfügen und sehr viel Engagement zeigen,
sollen bei der Planung und Durchführung der Aktionsprogramme wirklich mit einbezogen werden. Nur so
kann sichergestellt werden, daß möglichst viel Sachverstand eingebracht wird.
Zum letzten Punkt: Der Einsatz von Kindern als
Soldaten muß geächtet und dann auch verboten werden.
Dieses Thema steht auch auf der Tagesordnung für die
Verhandlungen um ein Zusatzprotokoll zur Kinderrechtskonvention der Vereinten Nationen. Wir müssen
das mit Nachdruck angehen. In diesem Zusammenhang
möchte ich auch zu bedenken geben, ob nicht die Bundeswehr die Rekrutierung von unter 18jährigen einstellen sollte. Das würde die internationale Glaubwürdigkeit
der Deutschen bei den zuvor schon angesprochenen
schwierigen Verhandlungen erhöhen.
({2})
Besonders erfreulich ist natürlich, daß wir bei der Beratung dieses Themas eine gute Tradition fortsetzen: Ich
finde es vorbildlich, daß der Antrag überfraktionell verabschiedet wird. Wir alle hoffen, daß die Verhandlungen
über ein ILO-Übereinkommen zur Beseitigung der
schlimmsten Formen der Kinderarbeit zum Erfolg führen. Kinder werden die Zukunft gestalten. Sie gehören in
die Schule und möglichst auch auf Spielplätze. Sie dürfen nicht in Zwangsarbeit, Prostitution oder als Soldaten
in bewaffnete Konflikte geschickt werden. Sonst haben
wir keine Zukunft.
Ich danke Ihnen.
({3})
Letzte Rednerin in
dieser Debatte ist die Parlamentarische Staatssekretärin
Ulrike Mascher.
Frau Präsidentin! Liebe Kollegen, liebe Kolleginnen! Kinderarbeit das ist in Deutschland die Erinnerung an ein dunkles
Kapitel unserer eigenen Sozialgeschichte. Für Millionen
Kinder in den Entwicklungsländern ist sie tagtäglich erlittene Realität.
Wenn wir von Kinderarbeit reden, dann meinen wir
nicht das Austragen von Zeitungen, das Mithelfen im
elterlichen Landwirtschaftsbetrieb oder die Handreichungen bei Sportveranstaltungen, die im deutschen Jugendarbeitsschutzgesetz genau geregelt sind. Die Kinderarbeit, über die wir hier reden und die uns alle bedrückt, heißt: elende Schwerstarbeit in kleinen Kohlegruben, in Ziegeleien und in stinkenden Gerbereien,
Hantieren mit gefährlichen Arbeitsstoffen ohne irgendeine Schutzausrüstung. Das heißt ferner: Schuldknechtschaft, recht- und schutzloses Dasein als Straßenkinder
und oft Kinderprostitution.
Wir sind uns alle einig: Kinderarbeit ist eines der
schlimmsten Übel unserer Zeit. Darum steht die Bekämpfung der Kinderarbeit auch bei der Internationalen Arbeitsorganisation, IAO, ganz oben auf der Tagesordnung. Die IAO möchte ein internationales Abkommen zustande bringen, das die unverzügliche Beseitigung der schlimmsten Formen von Kinderarbeit zum
Ziel hat. Wir machen uns keine Illusionen: Das Paradies
ist damit noch nicht erreicht.
Sowohl die alte als auch die neue Bundesregierung
unterstützen die Internationale Arbeitsorganisation bei
diesem Abkommen vorbehaltlos. Ich möchte mich bei
dem früheren Arbeitsminister, Norbert Blüm, für sein
großes Engagement in dieser Frage bedanken.
({0})
Ich habe einmal erlebt, wie er mit einer fulminanten Rede die Delegierten der IAO begeistert hat. Fortschritte
gab es aber - wie immer - nur zentimeterweise.
Schon am 28. Mai 1998 brachten die damaligen
Koalitions- und Oppositionsfraktionen einen gemeinsamen Entschließungsantrag in den Deutschen Bundestag
mit dem Ziel ein, die Verhandlungsposition der damaligen Bundesregierung kurz vor Beginn der ersten BeraDr. Angelika Köster-Loßack
tungen in Genf zu stärken. Wenn dieselben Fraktionen
jetzt erneut einen gemeinsamen Entschließungsantrag
einbringen, dann zeigt dies, daß wir beim Thema Kinderarbeit weiterhin auf der gleichen Linie liegen.
Ich bewerte diesen Entschließungsantrag wie auch die
Große Anfrage der CDU/CSU-Fraktion als Unterstützung eines Anliegens, das der Bundesregierung, den
Koalitionsfraktionen und den Oppositionsfraktionen
weiterhin gemeinsam ist. Wir haben in der Bundesrepublik zum Glück einen großen gesellschaftllichen Konsens. Gewerkschaften, Wirtschaftsverbände und Nichtregierungsorganisationen in unserem Land tragen diesen
Kampf gegen Kinderarbeit mit. Ich bin mir sicher - da
gibt es ermutigende Anzeichen -, daß es in dieser Frage
eine breite und einhellige Unterstützung aller Bürger
und Bürgerinnen gibt.
Der Entschließungsantrag stellt Anforderungen an
den Inhalt, also an die Qualität des vorgesehenen neuen
Übereinkommens. Wir müssen uns aber darüber im klaren sein, daß der Inhalt nicht der alleinige Maßstab sein
kann, an dem das Übereinkommen zu messen ist. Ebenso wichtig ist, daß möglichst viele Länder das Übereinkommen ratifizieren. Das gilt besonders für die Länder,
in denen die Kinderarbeit immer noch einen bedrückenden Stellenwert im Wirtschaftssystem hat.
Das ist gerade der Grund, weshalb das seit 1973 bestehende Übereinkommen der IAO über das Beschäftigungsmindestalter um das heute zur Dis kussion stehende
Übereinkommen ergänzt werden soll. Das alte Übereinkommen ist auch wegen zu hoher Anforderungen und seiner komplizierten Ausnahmeregelungen nur von 64 der
174 Mitgliedstaaten der Internationalen Arbeitsorganisation
ratifiziert worden. Darunter befinden sich die Bundesrepublik Deutschland und auch die damalige Deutsche Demokratische Republik. Aber Industrieländer wie Österreich,
die Schweiz, Großbritannien, die USA, Kanada, Japan, Australien und Neuseeland haben dieses Übereinkommen leider nicht ratifiziert. Damit ist es im Weltmaßstab leider
weitgehend unwirksam geblieben.
Wir müssen also versuchen zu erreichen, daß nicht wieder hochentwickelte Industriestaaten, aber auch weniger
entwickelte Länder dem neuen Abkommen ihre Zustimmung verweigern. Das macht die Aufgabe nicht leicht; das
wissen Sie, Herr Dr. Blüm. Ein Übereinkommen mit einem
zu dürftigen Inhalt ist unsinnig. Ein Übereinkommen aber,
das für Länder mit Kinderarbeit eine zu hohe Meßlatte
setzt, wird auch keinen Erfolg haben. Wir müssen versuchen, einen vernünftigen Mittelweg zu finden. Um diesen
Mittelweg bemüht sich die Bundesregierung bei den Beratungen in Genf derzeit intensiv.
Eine von allen im Bundestag vertretenen Parteien getragene Entschließung wird uns bei dieser Aufgabe sicher eine wertvolle Unterstützung sein. Dafür bedanke
ich mich bei allen Fraktionen. Ich bitte Sie, uns auch
weiterhin im wichtigen Kampf gegen die Kinderarbeit
zu unterstützen.
Ich freue mich, daß Norbert Blüm sein großes Engagement gegen Kinderarbeit jetzt auch als freier Abgeordneter
({1})
mit großer Intensität fortsetzt. Ich versichere Ihnen, daß
die Bundesregierung ihren Part, die mühsame Arbeit der
Aushandlung von kleinen und größeren Fortschritten,
mit genauso großem Engagement fortsetzen wird.
({2})
Danke.
({3})
Ich schließe die Aus-
sprache.
Die Kolleginnen Petra Ernstberger und Rosel Neu-
häuser sowie der Kollege Klaus Haupt haben ihre Reden
zu Protokoll gegeben.*) Ich setze das Einverständnis des
Hauses voraus.
Wir kommen damit zur Abstimmung über den Antrag
der Fraktionen der SPD, der CDU/CSU, des Bündnisses
90/Die Grünen und der F.D.P. zu den Forderungen an
das neue Übereinkommen der Internationalen Arbeitsorganisation zur Bekämpfung der Kinderarbeit auf Drucksache 14/885 ({0}). Wer stimmt für diesen Antrag? Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Damit ist dieser Antrag einstimmig angenommen.
({1})
Wir sind damit am Schluß unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages ein auf Mittwoch, den 16. Juni 1999, 12 Uhr.
Die Sitzung ist geschlossen.