Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 5/7/1999

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen. Die Sitzung ist eröffnet. Interfraktionell ist vereinbart, die heutige Tagesord- nung um die Beratung der Vorlagen zum Kosovo- Konflikt zu erweitern. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist das so beschlossen. Damit rufe ich die soeben aufgesetzten Zusatzpunkte 7a und 7b auf: a) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses ({0}) zu dem Antrag der Bundesregierung Deutsche Beteiligung an der humanitären Hilfe im Zusammenhang mit dem Kosovo- Konflikt - Drucksachen 14/912, 14/982 - Berichterstattung: Abgeordnete Karl Lamers Dr. Christoph Zöpel Dr. Helmut Lippelt Fred Gebhardt b) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses ({1}) zu dem Entschließungsantrag der Fraktion der PDS zu der Abgabe einer Regierungserklärung des Bundeskanzlers Aktuelle Lage im Kosovo - Drucksachen 14/755, 14/865 Berichterstattung: Abgeordnete Dr. Christoph Zöpel Dr. Helmut Lippelt Wolfgang Gehrcke-Reymann Es liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion der PDS vor. Ich weise darauf hin, daß wir nach der Aussprache zwei namentliche Abstimmungen durchführen werden. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache zwei Stunden vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Bundesminister des Auswärtigen, Joseph Fischer.

Joseph Fischer (Minister:in)

Politiker ID: 11000552

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Trotz aller Bemühungen, ein Schweigen der Waffen im KosovoKrieg zu erreichen, bleibt die Lage äußerst bedrückend, die humanitäre Lage sogar katastrophal: weit über 1 Million Vertriebene und Flüchtlinge, eine unbekannte Anzahl von Getöteten, von Ermordeten, unsägliches menschliches Leid. Diese Entwicklung hält bedauerlicherweise auch am heutigen Tage an. Der UNHCR spricht von wahren „killing fields“ rund um Djakovica im Kosovo, Ärzte berichten über eine neue Qualität von Brutalität: Schußverletzungen selbst bei Kindern, Mißhandlungen von alten Menschen. Es gibt zunehmende Berichte von Vergewaltigungen. Die Zahl der intern Vertriebenen im Kosovo nimmt zu. Ihre Lage ist ebenfalls dramatisch. Die Befragungen der Flüchtlinge haben ein erschreckendes Bild von Massenerschießungen, Vergewaltigungen, Plünderungen und systematischer Zerstörung von Eigentum, von Wohnungen, von Häusern ergeben. Selbst die Deportation, die Räumung ganzer Städte hält an. Gleichzeitig sind die Lager in den Nachbarstaaten, in Mazedonien, aber auch in Albanien, angesichts dieser Politik der Vertreibung eines ganzen Volkes vollkommen überfüllt. In Mazedonien gibt es inzwischen zirka 211 000 Flüchtlinge. Skopje hat die Grenze zum Kosovo geschlossen. Ich möchte hier die Möglichkeit nutzen, die Regierung in Mazedonien dazu aufzufordern, ihre Grenze offenzuhalten. Die Menschen müssen eine Zufluchtsmöglichkeit haben. ({0}) Die Bundesrepublik Deutschland ist in der Europäischen Union vorangegangen und muß weiter vorange3388 hen. So wichtig es ist, die Menschen in der Region zu halten - aber angesichts der Größe des Dramas werden wir nicht darum herumkommen, auch bei uns in Europa, in Deutschland, in unseren Mitgliedstaaten in der Europäischen Union weitere Flüchtlinge aufzunehmen. Das ist ganz entscheidend. Ich möchte hier ebenfalls an die Mitgliedstaaten in der Europäischen Union appellieren, endlich ihre Grenzen aufzumachen und das notwendige Maß an Solidarität mit den Vertriebenen zu zeigen. ({1}) In Albanien sind es mittlerweile 400 000 Flüchtlinge. Anrainerstaaten und humanitäre Hilfsorganisationen sind von der beispiellosen Dimension dieses Exodus ohne militärische Hilfe von außen völlig überfordert. Dieses hat die Vergangenheit seit dem Gründonnerstag gezeigt; dieses gilt auch jetzt. Wenn wir der Meinung sind, daß die Menschen - und die meisten Menschen wollen dieses - in den unmittelbaren Nachbarstaaten bleiben sollen, dann müssen wir auch die Voraussetzungen dafür schaffen, daß sie dort bleiben können, und dies ist ohne militärische Hilfe schlechterdings nicht möglich. Die zivilen Organisationen sind angesichts der Größe dieses von der verbrecherischen Politik Milosevics verursachten Exodus, dieses Krieges gegen die albanische Zivilbevölkerung im Kosovo und ihrer systematischen Vertreibung schlicht überfordert. Dies hat die Praxis gezeigt. Der Antrag der Bundesregierung, der auf das humanitäre Engagement der NATO gründet, geht deswegen davon aus, daß wir bis zu 1 000 Soldaten in einem streng humanitären Auftrag mit einer Eigen- und Selbstschutzkomponente nach Albanien entsenden. Gemeinsam mit französischen Soldaten sollen sie vor allen Dingen im Süden Albaniens stationiert werden. Ich möchte ganz direkt die Diskussion, die in den Ausschüssen hier im Haus zu Recht geführt wurde, nochmals ansprechen. Es geht hier eindeutig nicht um eine Stationierung von Bodentruppen durch die Hintertür. Dieses hielte ich für völlig falsch. Wenn ein solcher Strategiewechsel notwendig wäre, müßte er von der Bundesregierung der deutschen Öffentlichkeit offen dargestellt werden, in das Plenum eingebracht und hier diskutiert werden. Alles andere wäre meines Erachtens verfehlt. ({2}) Der Einsatz ist strikt auf das Stationierungsgebiet in Albanien und Mazedonien begrenzt. Auch dieses ist auch und gerade unter dem Gesichtspunkt der Nothilfe ein ganz wichtiger Gesichtspunkt. Die Nothilfe darf nicht über dieses Gebiet hinaus geleistet werden. Der Bundesverteidigungsminister wird zu diesen Fragen nachher noch detailliert Stellung nehmen. Wichtig ist allerdings, daß es, da unsere Soldaten auch in Albanien und Mazedonien in einem gefährlichen Gebiet tätig sind, nicht nur um den Selbstschutz gehen kann, sondern auch um den Schutz von Mitarbeitern humanitärer Hilfsorganisationen und darum, daß dann, wenn Soldaten von Bündnispartnern, mit denen wir kooperieren, im alltäglichen Einsatz zusammenarbeiten, im Stationierungsgebiet in eine Gefahr geraten, dort selbstverständlich geholfen werden kann. Meine Damen und Herren, ich möchte hier auf die Ergebnisse des gestrigen G-8-Treffens eingehen. Wir hatten darüber gestern schon eine ausführliche Debatte im Ausschuß. Aber ich möchte es auch hier im Plenum erläutern. Das, was wir gestern erreicht haben, war aus meiner Sicht noch nicht der entscheidende Durchbruch zu einem Frieden, aber ein wichtiger Schritt dorthin; denn es ist gelungen, daß die Politik wieder Tritt gefaßt hat, daß die Suche nach einer politischen Lösung unter Einschluß Rußlands auf der Ebene der G 8 jetzt endlich vorangekommen ist und gleichzeitig eine substantielle, wie ich finde, wichtige inhaltliche Voraussetzung zum Erreichen einer Kapitel-VII-Resolution zur Beendigung des Krieges im Kosovo erreicht wurde. Das, was wir realistischerweise für erreichbar gehalten haben, haben wir am gestrigen Tag gemeinsam mit unseren Partnern und gemeinsam mit Rußland durchgesetzt. Ich finde, daß wir damit einen entscheidenden Schritt getan haben, um dem Frieden im Kosovo näherzukommen. ({3}) Ich plädiere hier für Realismus. Denn sosehr es mich auch freut, es bleibt festzuhalten: Der Krieg und die Vertreibungen halten an, das Morden hält an, und wir sind von einer Kapitel-VII-Resolution noch ein gehöriges Stück entfernt. Allerdings sind sich die beteiligten Staaten jetzt über das Ziel einig; sie haben sich über die Prinzipien geeinigt. Es sind die fünf Punkte, die wir zum erstenmal in der Europäischen Union formuliert haben. Es sind die Prinzipien, die dann in Washington Eingang in die Erklärung der NATO gefunden haben. Es sind die Prinzipien, die Kofi Annan zur Grundlage seiner Erklärung gemacht hat. Es ist die schrittweise Umsetzung dieser fünf Punkte, wie wir sie vor zwei Wochen in unserem Plan vorgelegt haben. Gemeinsam mit Rußland wollen wir hier einen Weg eröffnen, um eine dauerhafte Beendigung des Mordens und Vertreibens sowie ein dauerhaftes Schweigen der Waffen im Kosovo erreichen zu können. Voraussetzung dafür sind das unverzügliche und nachprüfbare Ende der Gewalt und Unterdrückung im Kosovo, der Rückzug der militärischen, polizeilichen und paramilitärischen Kräfte aus dem Kosovo und die Stationierung von wirksamen, internationalen, zivilen und Sicherheitspräsenzen im Kosovo. Das heißt für uns im Klartext, daß es eine robuste militärische Friedenstruppe im Kosovo geben muß, weil ohne diese weder die Waffen niedergelegt werden noch gar die Flüchtlinge und Vertriebenen zurückkommen. Dies ist das eigentliche Ziel. ({4}) Dies ist eines der schwierigen Problemfelder, die noch zu lösen sind. Aber die Diskussion mit Rußland hat gezeigt: Auch Rußland geht von einer robusten militärischen Präsenz aus. Auch Rußland weiß, daß wir uns eine zweite UNPROFOR-Erfahrung nicht werden erlauben können und nicht werden erlauben dürfen. ({5}) Selbstverständlich bleibt die Frage zum gegenwärtigen Zeitpunkt offen, und daran wird jetzt massiv zu arbeiten sein. Aber in der Tatsache, daß nicht mehr die Frage als solche zur Diskussion steht, sondern daß wir jetzt in die Diskussion über die genaue strukturelle Gestaltung dieser Friedenstruppe eintreten und das unverzüglich klären wollen, sehe ich den entscheidenden Schritt nach vorne. Selbstverständlich sind auch folgende Fragen noch offen: Welche Rolle spielen dabei die NATO, die Neutralen, Rußland und die Ukraine? Was wird Belgrad bereit sein zu akzeptieren, und was wird geschehen, wenn es nicht bereit ist, eine solche Friedenstruppe zu akzeptieren? Daran hängt ganz unmittelbar die Frage des Mandats: Wird Rußland sein Vetorecht an Belgrad abtreten - ja oder nein? Das ist eine ganz zentrale Frage, die vor allen Dingen von der russischen Politik zu entscheiden ist. Ich rate dringend dazu, dieses Vetorecht nicht in Belgrad zu hinterlegen, ({6}) sondern im Interesse Rußlands davon Gebrauch zu machen. Diese Fragen müssen jetzt angegangen werden. Darüber hinaus ist man sich einig, eine Übergangsverwaltung für den Kosovo einzurichten. Ich sage hier noch einmal ganz bewußt: Einer solchen internationalen Übergangsverwaltung wird es bedürfen. Bis man sich auf eine eigene Autonomieverwaltung geeinigt hat, bis sie ans Laufen gekommen ist und bis die ersten Erfahrungen gesammelt worden sind, wird es noch lange dauern. Das heißt, man braucht eine erfahrene internationale, auf den Beschlüssen des Sicherheitsrats gründende Übergangsverwaltung. Auch darauf hat man sich in einem Prinzip geeinigt. Außerdem hat man sich auf die sichere Rückkehr der Flüchtlinge und Vertriebenen, den ungehinderten Zugang für humanitäre Hilfsorganisationen zum Kosovo und einen politischen Prozeß zur Schaffung einer politischen Übergangsrahmenvereinbarung geeinigt, die eine substantielle Selbstverwaltung für den Kosovo - jetzt hören Sie zu, Herr Gysi, und spitzen Sie die Ohren, denn diesem Besatzungsstatut hat Rußland zugestimmt unter voller Berücksichtigung des Rambouillet-Abkommens und der Prinzipien der Souveränität und territorialen Unversehrtheit der Bundesrepublik Jugoslawien und der anderen Länder der Region sowie die Demilitarisierung der UCK vorsieht. Dies wurde mit Rußland so beschlossen und ist gemeinsames Prinzip. ({7}) Möglicherweise wissen die Russen nicht, was sie tun. Der Sozialismus mag zwar wenig Sinnvolles hervorgebracht haben. Aber über die Qualität der russischen Diplomatie brauchen Sie sich keine Sorgen zu machen. Da wird nichts unterzeichnet, was nicht sorgfältigst geprüft worden ist. Ich kann Ihnen an diesem Punkt nur sagen: Wenn hier nicht Böswilligkeit und politische Absicht regieren, sondern wenn ein Rest an Objektivität bleibt, dann müssen Sie, Herr Gysi, Ihre Kampagne gegen das Rambouillet-Abkommen schlicht und einfach einstellen und vergessen. ({8}) Darüber hinaus ist ein umfassendes Vorgehen zur wirtschaftlichen Entwicklung und Stabilisierung der Krisenregion notwendig. Hierzu möchte ich auf folgendes hinweisen: Am 27. Mai dieses Jahres wird auf Initiative der deutschen EU-Ratspräsidentschaft - ebenfalls auf dem Petersberg - auf der Ebene der hohen Beamten die Eröffnungskonferenz für die Entwicklung eines Balkan-Stabilitätspaktes zusammentreten. Das heißt, auch hier wird der Petersberg eine bedeutende Funktion haben. Denn damit beginnen wir ganz konkret die Arbeit am Stabilitätspakt für den südlichen Balkan. Dabei geht es darum, diese Region nach den dortigen Kriegen, Krisen und ethnischen Säuberungen an das Europa der Integration heranzuführen. Damit wird am 27. Mai dieses Jahres hier in Bonn auf dem Petersberg begonnen werden. ({9}) Wir stehen angesichts der dramatischen Situation im Kosovo, in Jugoslawien, auf dem Balkan unter einem hohen Zeitdruck. Sowohl zur Umsetzung der genannten Grundsätze, die dann in eine konkrete Sicherheitsratsresolution nach Kapitel VII umgegossen werden sollen, als auch zur Erarbeitung eines Fahrplans für weitere konkrete Schritte sind die zuständigen Politischen Direktoren heute mit der Arbeit beauftragt worden. Wir wollen damit innerhalb kürzester Zeit - eine genaue Frist kann ich Ihnen angesichts des Problemkomplexes allerdings nicht nennen; das ist keine diplomatische Formulierung; denn wir stehen unter einem hohen Zeitdruck - fertig werden. Der Bundeskanzler wird in der nächsten Woche auf seiner China-Reise als Vorsitzender der G 8 die chinesische Regierung, die ein ständiges Mitglied des Sicherheitsrates ist und über ein Vetorecht verfügt, auf höchster Ebene direkt unterrichten. Der chinesische Botschafter wurde bereits gestern von uns unterrichtet. Auch andere ständige Sicherheitsratsmitglieder werden in New York mit Vertretern Chinas sprechen. Ich möchte zum Abschluß nochmals betonen: Erstens. Mit dem heutigen Antrag schaffen wir die Voraussetzung für den humanitären Einsatz der Bundeswehr in Albanien. Dort ist er dringend notwendig, wenn wir Albanien nicht allein lassen wollen. Zweitens. Mit dem gestrigen Ergebnis haben wir einen wichtigen Schritt getan, allerdings noch nicht den substantiellen Durchbruch hin zum Frieden erreicht, den wir uns wünschen. Dennoch hat uns der gestrige Tag ein gehöriges Stück auf dem Weg zum Frieden weitergebracht. Wir werden gemeinsam mit unseren Bündnispartnern weiter daran arbeiten, Milosevic entschlossen militärisch entgegenzutreten. Gleichzeitig werden wir weiterhin vor Ort durch unsere Soldaten, durch die zivilen Organisationen sowie durch die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auf den vielfältigen Ebenen der Bundesregierung und der Nichtregierungsorganisationen humanitäre Hilfe leisten. Wir werden hier im Lande humanitäre Hilfe leisten. Sowohl als Bundesrepublik Deutschland als auch als Europäische Union werden wir uns langfristig humanitär, politisch und ökonomisch in der Krisenregion engagieren. ({10}) Wir werden entschlossen an einer Friedenslösung weiterarbeiten. Diese Friedenslösung allerdings - das muß klar sein - muß eine Durchsetzung der Prinzipien der Humanität, der Gerechtigkeit und des Lebensrechts aller Völker bedeuten, basierend auf der Achtung der Menschenrechte und des Friedens und nicht basierend auf einem Kniefall vor Milosevic. Ich bedanke mich. ({11})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile das Wort dem Kollegen Karl Lamers, CDU/CSU-Fraktion.

Not found (Mitglied des Bundestages)

, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Die CDU/CSU wird dem Antrag der Bundesregierung zustimmen, ({0}) weil wir wissen, daß wir dem Elend, der himmelschreienden Not der aus dem Kosovo Vertriebenen begegnen müssen, weil ihm ohne Mitwirkung weiterer militärischer Verbände nicht abgeholfen werden kann, weil die Bundesrepublik Deutschland dazu ihren Beitrag leisten muß und weil die Bundeswehr, wie sie durch ihre bisherige Arbeit in Mazedonien eindrucksvoll unter Beweis gestellt hat, für diese Aufgabe hervorragend geeignet ist, wofür ich ihr an dieser Stelle ausdrücklich unsere große Hochachtung und unseren herzlichen Dank ausdrücken möchte. ({1}) Verehrte Kolleginnen und Kollegen, die humanitäre Seite des Antrages veranlaßt mich zu einer Bemerkung zu dem Streit über die Aufnahme von Flüchtlingen in Europa. Dieser unselige Streit wird in Europa geführt; die Vereinigten Staaten haben sich in dieser Frage eindrucksvoll, großmütig und sehr schnell bereit erklärt, 20 000 Flüchtlinge aufzunehmen. Das hat in Europa bislang nur die Bundesrepublik Deutschland getan. Ich freue mich sehr, daß sich gestern der Bundesinnenminister für die Aufnahme weiterer 10 000 Flüchtlinge ausgesprochen hat. Das erkenne ich ausdrücklich an. ({2}) Andere Staaten haben diesbezüglich bislang nur sehr vage Versprechungen gemacht, darunter auch Großbritannien. Es reicht aber nicht aus, in einer an Churchill erinnernden und vielleicht erinnern sollenden Weise zum militärischen Durchhalten aufzufordern, aber das Allernotwendigste, das Unbezweifelbarste nicht zu tun. Das verleiht unserem moralischen Impetus, der hinter unserem mililtärischen Handeln steht, einen schalen Beigeschmack. Ich hoffe wirklich sehr, daß dieser Streit bald ein Ende haben wird; denn er ist, wie Helmut Kohl zu Recht gesagt hat, ein Skandal; er ist skandalös. ({3}) Herr Bundeskanzler, Sie als Ratspräsident sollten sich den Vorschlag von Helmut Kohl zu eigen machen, der gefragt hat, warum nicht die Kosten sowohl für die Maßnahmen, die in Albanien getroffen werden müssen, als auch für die Maßnahmen, die hier getroffen werden müssen, zur einen Hälfte aus dem EU-Etat und zur anderen Hälfte nach dem EU-Schlüssel von den Mitgliedsländern bezahlt werden. Hier braucht die Europäische Union ein klares Konzept. Es ist natürlich richtig, daß die heimatnahe Unterbringung unter jedem Aspekt die richtige ist. Es kann aber kein Zweifel daran bestehen, daß wir die Länder Mazedonien und Albanien entlasten müssen, weil sie die Kosten gar nicht alleine tragen können. Wir müssen die Voraussetzungen für eine menschenwürdige und heimatnahe Unterbringung schaffen. Gleichzeitig müssen wir einen Teil der Flüchtlinge in Westeuropa unterbringen. Hier muß die Europäische Union ein Konzept entwickeln, das bald in die Wirklichkeit umgesetzt werden muß. ({4}) Einige Bemerkungen zum zweiten Teil des Antrages der Bundesregierung. Er behandelt die Nothilfe, zu der deutsche Streitkräfte in Mazedonien und im Kosovo berechtigt werden sollen. Dieser Antrag hätte eigentlich schon bei der ersten Entsendung von Streitkräften gestellt werden müssen; denn es ist natürlich selbstverständlich, daß die deutschen Soldaten unseren alliierten Partnern helfen müssen, wenn diese in eine schwierige Lage gekommen sind. Wenn sich daran dennoch Diskussionen angeschlossen haben - auch in meiner Fraktion -, dann deswegen, weil damit eine gewisse Gefahr verbunden ist, auf diese Weise in Bodenkämpfe hineinzuschlittern. Zu dieser Diskussion hat auch die UnklarBundesminister Joseph Fischer heit der Formulierung des Textes der Bundesregierung erheblich beigetragen. ({5}) Auch heute, Herr Minister, haben Sie das gewissermaßen nur am Rande erwähnt, obwohl dieser Teil des Antrages militärisch und insofern politisch der bedeutsamere ist, und zwar aus dem Grunde, den ich soeben erwähnt habe. Diese Diskussionen hätte man sich sparen können, wenn man sorgfältiger vorgegangen wäre und wenn man vorher - wie das Volker Rühe immer getan hat - die Fraktionen des Bundestages konsultiert hätte, um Mißverständnisse und Fragen vorher auszuräumen. Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen, es ist wirklich keine Art - Sie von der Koalition wissen sehr gut, daß ich nicht zu übermäßiger Polemik neige -, in einer Woche, in der das Parlament den Haushalt diskutiert, ohne Not auch noch eine so brisante und wichtige Frage wie die Staatsbürgerschaft auf die Tagesordnung zu setzen, und auch noch den jetzt zu debattierenden Antrag zu stellen, obwohl Sie schon vor Wochen genau wußten - Sie hatten dafür doch übrigens schon Entwürfe -, daß sich diese Notwendigkeit ergeben würde. Das ist keine Art. Das ist eine Mißachtung des Parlaments und konkret auch eine Mißachtung der Opposition. ({6}) Da Sie uns in dieser Frage brauchen, sage ich: Das muß das letzte Mal gewesen sein. So geht das nicht weiter. Ich will auf andere mißverständliche Formulierungen in diesem Antrag jetzt nicht näher eingehen. Ich komme zu dem Ergebnis, daß die erwähnte Gefahr eines Hineinschlitterns nicht so sehr wahrscheinlich ist. Natürlich will das auch niemand. Deswegen werden wir dem Antrag, wie gesagt, zustimmen. Nun einige Überlegungen zu den in der letzten Zeit wieder verstärkten politischen Bemühungen und konkret zu der Petersberger Prinzipienerklärung: Wir begrüßen das Ergebnis, das gestern erreicht worden ist, natürlich sehr. Es ist - wie Staatssekretär Ischinger heute im Deutschlandfunk gesagt hat - ein „prozeduraler Fortschritt“. Wir müssen jetzt - so hat er gesagt - an die Substanz gehen. Herr Bundeskanzler, Sie haben mit dem amerikanischen Präsidenten etwas anderes formuliert: Sie haben von einem „substantiellen Fortschritt“ gesprochen. Ich glaube - auch wenn es protokollarisch nicht in Ordnung ist -, daß Herr Ischinger eher recht hat als Sie. Wir hoffen natürlich, daß aus dem prozeduralen Fortschritt ein substantieller Fortschritt wird. Das Wesentliche ist in der Tat, daß Rußland nunmehr dabei ist. Ich anerkenne ausdrücklich, daß sich die Bundesregierung darum bemüht hat. Das war nicht immer so. Die Aussicht auf ein Schweigen der Waffen und damit die Schaffung der elementaren Voraussetzung für die Rückkehr der Flüchtlinge sind besser geworden, zumindest ein wenig. Das Schweigen der Waffen, ein weitgehender Rückzug der serbischen Verbände und die Stationierung einer internationalen Schutztruppe sind in der Tat elementare, grundlegende und notwendige Voraussetzungen für die Rückkehr der Vertriebenen, aber natürlich keine hinreichenden Bedingungen für einen tragfähigen Frieden. Für einen solchen Frieden - wie schon für die näheren Umstände einer Waffenstillstandsregelung - gilt, daß die Beteiligung Rußlands beides verändert. Man mag dies bedauern; aber das ist fruchtlos. Man muß klar erkennen - auch für die Zukunft -, daß Rußland eine grundlegende Bedingung für westliches Handeln ist, unabhängig davon, wieviel oder wie wenig es in einem konkreten Fall zur Lösung des Problems beitragen kann. Es ist so, weil es im Wortsinn ein überragendes, ja ein wirklich existentielles Interesse nicht nur des Westens, sondern der gesamten Menschheit ist, daß der Westen in diesem Falle die Vereinigten Staaten - bei der Kontrolle der Abrüstung, der Nichtverbreitung der russischen Nuklearwaffen aktuell und konkret mitwirken kann, und weil prinzipiell und langfristig alles vermieden werden muß, was die Stabilität Rußlands beeinträchtigt, und alles getan werden muß, was sie stärkt. Diese grundlegende Gegebenheit erschien nicht nur der Bundesregierung, sondern dem gesamten Westen zeitweilig nicht hinreichend im Gedächtnis gewesen zu sein. Man mag natürlich sagen: Heute erpreßt uns die Schwäche Rußlands so, wie es früher die Stärke der Sowjetunion getan hat. Aber es steckt keine Intention hinter dieser Tatsache. Deswegen glaube ich: Wenn wir Rußland eine Chance geben, an der Lösung von Konflikten konstruktiv mitzuwirken, stärken wir die Stabilität Rußlands und den Frieden. Daher ist diese Betrachtungsweise, weiß Gott, ebenso moralisch wie unser Bestreben, den Kosovaren zu helfen. ({7}) Um nicht mißverstanden zu werden, will ich gleich hinzufügen, daß man mit ebenso gutem Recht sagen kann und muß, daß ein solches Ergebnis, wie es sich jetzt hoffentlich abzeichnet, ohne die NATO-Aktion wahrscheinlich nicht erreichbar gewesen wäre. Das jetzt einsetzende und noch offene Ringen um die entscheidenden Einzelheiten - die Texte vom Petersberg sind hinlänglich vage - einer zwar vorläufigen, aber für einen endgültigen Frieden tragfähigen Lösung wird natürlich von den Vorstellungen von einer endgültigen Lösung, vom Status des Kosovo und vom Frieden bestimmt. Ohne Zweifel haben diese vorläufigen Regelungen auch eine präjudizierende Wirkung, wie der Rambouillet-Entwurf klar gezeigt hat. Deswegen möchte ich daran erinnern, daß das Ziel, hier also unsere Vorstellung vom Frieden, unsere Mittel bestimmen sollte. Aber in Wirklichkeit bestimmen auch die Mittel das Ziel. Wenn man über bestimmte Mittel nicht verfügt, können auch bestimmte Ziele nicht angestrebt werden. Der Westen verfügt weder über die Fähigkeit, Bodentruppen einzusetzen, noch kann er offensichtlich das Problem alleine lösen; er braucht Rußland. Daran müssen wir uns erinnern, wenn es jetzt um die dauerhaften Vorstellungen von einer Lösung des Konflikts geht. Natürlich muß jedes Ergebnis für alle Beteiligten so weit wie irgend möglich akzeptabel sein. Das muß unser Ziel sein. Das gilt in erster Linie für die Kosovaren. Das Unrecht, das an ihnen geschehen ist, muß wiedergutgemacht werden. Sie müssen in den Kosovo zurückkehren können. Aber auch sie müssen von der Alles-odernichts-Haltung abkommen. Das Ergebnis sollte aber auch so weit wie irgend möglich von den Serben getragen werden können, und zwar deswegen, weil das nach meiner Überzeugung für die Entwicklung der Demokratie, für die Entwicklung demokratischen Denkens in Serbien entscheidend ist. ({8}) Das ist in der Tat, wie ich glaube, eine ganz wesentliche Bedingung für die Tragfähigkeit einer endgültigen Lösung. Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen, ich glaube, wir müssen uns auch darüber im klaren sein: Je mehr ein Ergebnis von allen Beteiligten akzeptiert und getragen wird, um so geringer ist der militärische Aufwand einer Präsenz in der Region für den Westen, um so geringer sind auch die Kosten für eine solche Präsenz, um so mehr Geld kann für das Entscheidende, nämlich für die Förderung der wirtschaftlichen Entwicklung und den Wiederaufbau, verwendet werden, denn nur dann, wenn eine Lösung wirklich von den Betroffenen getragen wird, kann Hilfe als Initialzündung wirken, nur dann kann in der Tat demokratisches Denken, kann ein Mindestmaß an Wohlstand und Prosperität, kann wirklich Frieden in der Region einkehren. Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit. ({9})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat Bundesminister Rudolf Scharping.

Rudolf Scharping (Minister:in)

Politiker ID: 11002769

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir unterhalten uns über einen Antrag der Bundesregierung mit dem Ziel, humanitäre Hilfsleistungen, die dringend notwendig sind, erbringen zu können. Sie sind wegen des erneuten alptraumhaften Anschwellens von Vertriebenenströmen nach Albanien und Mazedonien dringend notwendig. Sie sind notwendig, weil die Menschen diese beiden Länder in einem Zustand erreichen, der ihre Versorgung mit Lebensmitteln und vor allen Dingen mit medizinischer Hilfe völlig unabweisbar macht. Sie sind notwendig, weil sich die Situation im Kosovo jedenfalls für die vertriebenen Menschen auf dramatische Weise zugespitzt hat. Sie sind auch deshalb notwendig, weil die serbischen Sicherheitskräfte in einer Art und Weise gegen die Bevölkerung im Kosovo vorgehen, die sich schwer erschließen läßt, wenn man nur die Bilder sieht und die Berichte der Befragungsteams liest. Ich will ganz offen sagen: Wenn man direkt mit Vertriebenen redet, die nach einer Zeit schrecklicher Erlebnisse vier oder fünf Nächte in Blace im Freien und im Schlamm in völlig überfüllten Lagern verbracht haben und jetzt in Deutschland sind, fällt es schwer, die Tränen, die vergossen werden, nicht selbst zu weinen. Wenn man hört, daß in einer kleinen, im Nordwesten des Kosovo gelegenen Stadt Sicherheitskräfte mit einer Liste mit Namen herumgefahren sind, alle Ingenieure der Stadt in ein Haus getrieben haben, alle Ärzte der Stadt in ein anderes Haus getrieben haben und daß keiner dieser dort zusammengetriebenen Menschen das Haus wieder lebend verlassen hat, wenn man unmittelbar von einem Kinderarzt hört, der die Flucht mit seinen drei Kindern aus Pristina - Gott sei Dank - geschafft hat, was ihm in den sehr spärlichen Telefonkontakten über die Situation der Menschen zum Beispiel in der Hauptstadt des Kosovo geschildert wird, dann ist es ich mache überhaupt keinen Hehl daraus - mühsam, die Fassung zu bewahren und zu versuchen, irgendwie nachzuvollziehen, mit welcher bestialischen Grausamkeit gegen Menschen vorgegangen wird. Und warum? Nur wegen einer anderen ethnischen Abstammung! Ich sage das deswegen am Anfang, weil die humanitäre Hilfsaktion, das militärische Handeln und die politischen Bemühungen eine Einheit darstellen und weil sie alle dem gleichen Ziel dienen: diese Bestialität und diese Grausamkeit zu beenden, ihre Ursachen zu beseitigen, das Leid zu lindern und den Menschen die Rückkehr in ihre angestammte Heimat zu ermöglichen. Nur wenn man dieses Ziel und die Umstände, die dabei eine Rolle spielen, vor Augen hat, wird man deutlicher sehen, daß man dieses Leid zwar nicht ungeschehen machen kann; aber man kann es lindern und versuchen, denen, die dem Terror und der Brutalität entkommen sind, wieder eine Hoffnung zu geben. Ich finde, für uns als eine Demokratie ist das eine Verpflichtung - nicht alleine wegen unserer eigenen Vorgeschichte, sondern vor allen Dingen wegen der Überzeugungen, die diese Demokratie tragen. Ich möchte daran erinnern, was der Bundespräsident in diesem Zusammenhang gesagt hat: Wer diese Konsequenzen aus seinen eigenen demokratischen Idealen aufgebe, gefährde am Ende auch im Innern das, was unser Land zusammenhalte, nämlich eine gemeinsame Überzeugung von Demokratie, Rechtstaatlichkeit und Moral. ({0}) Ich erinnere mich sehr gut an ein Telefonat mit dem Bundesaußenminister in der Nacht von Karfreitag auf Karsamstag. Ich erwähne das, weil sich aus diesem Telefonat und aus den Reaktionen auf die Umstände in Blace sowie auf die dringenden Hilfsersuchen der mazedonischen Regierung manches von dem erklären läßt, was die Bundesregierung dann getan hat. Gewissermaßen über Nacht - ich sage das mit einem großen Kompliment an alle beteiligten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Bundesregierung - ist die größte humanitäre Hilfsaktion, die die Bundeswehr und die Bundesrepublik Deutschland jemals geleistet haben, aus dem Boden gestampft worden. ({1}) Das war eine Voraussetzung dafür, daß die unsäglichen Zustände in Blace verbessert werden konnten. Ich erinnere daran, daß daraus die Initiative entstanden ist, innerhalb der Europäischen Union für eine Aufnahme von Flüchtlingen zu werben. Ich schließe mich all denen an, die sagen: Hoffentlich halten sich alle an ihre Zusagen und erfüllen sie nicht auf eine so zögerliche Weise, daß die Zusagen am Ende nicht den Wert entfalten können, den sie eigentlich haben sollten. Angesichts der mehr als 400 000 Vertriebenen in Albanien und der über 200 000 Vertriebenen in Mazedonien ist es dringend erforderlich, auch die politische Stabilität dieser Länder im Auge zu behalten. Zumindest in Mazedonien mit seinem sehr prekären Gleichgewicht zwischen den dortigen ethnischen Gruppen droht die daraus entstehende Spannung das Land politisch und sozial zu zerreißen. Daran kann niemand Interesse haben. ({2}) Deswegen füge ich hinzu, daß wir in der Lage sein müssen, unmittelbar zu helfen. Die Bundeswehr tut das durch den Aufbau von Lagern ohnehin schon. Man muß sich einmal vorstellen, was das bedeutet, und sich überlegen, warum es gut ist, daß die Bundeswehr das gemeinsam mit Hilfsorganisationen tut. Das eine Lager beispielsweise, im etwas südlicheren Teil von Mazedonien, in Cegrane, war für 5 000 Menschen geplant, auf einem Acker, auf dem sich dürres Gras und einige Steine befanden, sonst nichts. 5 000 Menschen müssen aber versorgt werden, mit Wasser, mit medizinischer Hilfe, mit Lebensmitteln, mit Zelten, mit Decken. Das ist ein ziemlich hoher Aufwand. Er steigt rasend, wenn plötzlich 12 000 Menschen zusätzlich vor diesem Lager stehen. Dann wird das Lager auf 18 000 erweitert, und mittlerweile sind es schon viel, viel mehr dort. Man muß sich klarmachen, daß wir in dieser Situation jeden Tag ein Zeltlager in der Kapazität einer deutschen Kleinstadt aufbauen und danach betreiben müssen. Man muß sich klarmachen, daß der UNHCR dringend gebeten hat, die NATO solle helfen. Man muß sich vielleicht auch klarmachen, daß das ja nicht die NATO allein ist, sondern daß sieben, wenn Georgien zusagt, möglicherweise acht und dann hoffentlich noch mehr Nicht-NATO-Staaten an der Organisation dieser Hilfsmaßnahmen beteiligt sind: Lettland, Litauen, Rumänien, die Slowakei, Slowenien, Österreich und andere. Meine Damen und Herren, es geht darum, humanitäre Hilfe zu leisten und sich in dieser humanitären Hilfe gegenseitig zu unterstützen, auch durch Nothilfe. Es geht darum, auf diese Weise bei den Menschen die Hoffnung zu begründen, daß wir es ernst meinen mit dem politischen Ziel, daß sie in ihre Heimat zurückkehren können. Die Asymmetrie des Krieges, von der einmal gesprochen wurde - die jugoslawische Armee und die Spezialpolizei auf brutale Weise am Boden gegen die Bevölkerung, die NATO und die in ihr zusammengeschlossenen 19 Demokratien auf konsequente Weise in der Luft gegen die Ursachen dieses Leids und gegen die Kräfte, die es auslösen - beginnt sich aufzulösen. Wenn hier fein -, ziseliert erörtert wird, worin der Fortschritt besteht, will ich in diesem Zusammenhang auf drei Faktoren aufmerksam machen. Der erste ist, daß die politische Bewegung nach den Erfahrungen von Rambouillet und Paris, die jetzt langsam einsetzt, und zwar nicht erst seit heute oder seit gestern, sondern schon seit längerer Zeit, nur erklärt werden kann, wenn man in Rechnung stellt, daß es wachsenden militärischen Druck und wachsende Wirksamkeit des militärischen Eingreifens gibt. Das zweite ist, daß es von Anfang an eine Fortsetzung der politischen Bemühungen gegeben hat. Die fünf Punkte, deren Prinzipien gestern um den einen oder anderen Punkt ergänzt worden sind - der Bundesaußenminister hat das vorgetragen -, haben das Licht der diplomatischen Bühne schon Anfang April erblickt, also eine Woche, nachdem die NATO mit ihren militärischen Maßnahmen begonnen hatte. Am 3. April hat sich die NATO das schon zu eigen gemacht. Am 7. April hat der UN-Generalsekretär seine Rede gehalten, in der er von der „dunklen Wolke des Völkermordes“ sprach. Am 14. April beispielsweise haben sich die Regierungschefs der Europäischen Union getroffen, nachdem am 13. April die amerikanische Außenministerin und der russische Außenminister in Oslo zusammengekommen waren. Ich sage das deshalb, Herr Kollege Lamers, weil nur der das als rein prozeduralen und nicht auch als substantiellen Fortschritt begreifen kann, der die Ergebnisse des Außenministertreffens von gestern betrachtet, ohne sie mit dem zu vergleichen, was beispielsweise zwischen Frau Albright und Herrn Iwanow in Oslo am 13. April erörtert worden war. Denn man kann sehen, daß zum Beispiel die Frage einer robusten militärischen Sicherheitspräsenz im Kosovo am 13. April, um nur dieses Datum zu nehmen, von Rußland völlig anders beurteilt worden ist, als es Gott sei Dank heute beurteilt wird. Man kann sehen, daß Rußland sich von der Position zu lösen beginnt, es dürfe nichts gemacht werden, was nicht das Einvernehmen und die Zustimmung von Milosevic hat. Vor diesem Hintergrund - ich könnte auch noch andere Umstände nennen - redet man zu Recht auch von substantiellen Fortschritten. Es sollte Ihnen nicht schwerfallen, dies zu akzeptieren, vor allen Dingen deshalb, weil doch auch Sie wie die Bundesregierung immer wieder und mit guten Gründen dafür plädiert haben, Rußland in diese Bemühungen einzubeziehen. Das gelingt zunehmend besser. Meine Prognose - das nehme ich jedenfalls einmal für mich in Anspruch - war von Anfang an, daß Rußland seine europäische und weltweite Rolle am Ende nicht an Milosevic ketten und von ihm abhängig machen wird. Insofern kommen wir also auch politisch voran. Bei diesen Überlegungen darf ein dritter Faktor nicht übersehen werden, nämlich die innere Entwicklung in Jugoslawien selbst. Es gibt zunehmend stärkere Signale der Demoralisierung und der Desertion in der jugoslawischen Armee. Es gibt zunehmend stärkere Signale aus der Geschäftswelt - wie sollte es auch anders sein -, daß sie mit Milosevic und seinem Handeln nicht mehr einverstanden ist. Ich fand es unglaublich mutig, daß der ehemalige Generalstabschef Obradovic in einer öffentlichen Stellungnahme als Vorsitzender der kleinen serbischen Sozialdemokratie mitgeteilt hat, man solle dem serbischen Volk nun endlich deutlich sagen, daß die Ursache allen Leids die verbrecherische Vertreibungspolitik gegenüber den Kosovo-Albanern sei. ({3}) So etwas in Belgrad zu erklären ist wirklich mutig, vor allem dann, wenn man - wie ich - heute morgen gehört hat, daß Soran Djindjic nach Montenegro gegangen sei, wo er sich, wie man intern weiß, schon etwas länger als seit gestern aufhält. Wenn man alles zusammennimmt, auch das, was man hier aus zwei Gründen nicht mitteilen kann, nämlich wegen des Schutzes von Leben und Gesundheit derer, die man sonst zitieren müßte, und wegen des Interesses, die Kriegsverbrecher zu verfolgen deshalb kann man nicht immer alles in allen Einzelheiten belegen; es sei denn, man wollte die Verfolgung der Kriegsverbrecher und den noch wichtigeren Schutz des Lebens derer, die in Serbien oder im Kosovo aushalten, gefährden; dann könnte man hier fröhlich mit jeder aktuellen Nachricht operieren; aber ich finde, das verbietet sich -, wenn man also das alles zusammennimmt, dann kann man feststellen: Es gibt durch das Zusammenwirken der drei Faktoren - kontinuierliches politisches Bemühen, entschlossenes militärisches Handeln und Veränderungen, die mittlerweile deutlich sichtbar sind, in der innerjugoslawischen Situation - eine durchaus immer weiter wachsende Chance, in überschaubarer Zeit zu einer friedlichen politischen Lösung zu gelangen, und zwar auf der Grundlage jener fünf Punkte, die der Bundesaußenminister Anfang April dieses Jahres in die internationale Debatte eingebracht hat. Ich spreche ausdrücklich - ich weiß, das kann man von der Opposition nicht verlangen - dem Bundeskanzler und dem Bundesaußenminister wegen der sehr kollegialen Zusammenarbeit und wegen ihrer intensiven Bemühungen um eine enge Zusammenarbeit mit der NATO und um fortdauernde Kontakte mit Rußland - sei es der Besuch von Herrn Primakow; seien es andere Besuche bis in die jüngste Zeit - hohen Respekt, Dank und Anerkennung aus. ({4}) Ich hatte vorhin die Nicht-NATO-Staaten angesprochen, die sich hier auch beteiligen. Ich möchte deutlich machen: Es handelt sich dabei um ein strikt humanitäres Mandat, das räumlich begrenzt ist. Es ist auch durch die Fähigkeiten der internationalen Hilfsorganisationen sowie auch durch die Hoffnung - ohne daß man hier allzuviel Optimismus verbreiten sollte - begrenzt, daß es bald zu einer politischen Lösung kommt. Ich füge hinzu, daß wir die Soldaten, die wir dorthin schicken, nicht nur mit einem stolzen Lob ob ihrer Motivation und ihres Engagements begleiten, sondern auch darauf achten, daß sie auch in diesem Fall keinem unverantwortbaren Risiko ausgesetzt werden. Auch wenn sie schwerpunktmäßig in Südalbanien eingesetzt werden, muß man doch deutlich darauf hinweisen, daß das dortige Umfeld nicht wie in Westeuropa ist. Man kann nicht ausschließen - auch wenn es unwahrscheinlich ist -, daß sie auch in militärische Handlungen verwickelt werden könnten, insbesondere dann, wenn sie bei der Versorgung der Flüchtlinge und Vertriebenen in den Durchgangslagern im Norden Albaniens, zum Beispiel in Kukes, zu helfen versuchen. Also müssen sich unsere Soldaten selbst schützen können. Dazu sind 60 bis 80 Soldaten zur Eigensicherung, ausgerüstet mit Handfeuerwaffen, eingeplant. Alle anderen bauen Zeltplätze, transportieren Hilfsgüter, sorgen für Trinkwasseraufbereitung, betreuen sanitätsdienstlich und auch psychologisch Flüchtlinge oder koordinieren den Einsatz. Dazu ist beispielsweise die in das entsprechende NATO-Hauptquartier, das schon nach Albanien verlegt ist, integrierte Fernmeldeeinheit dringend erforderlich. Das Mandat beinhaltet im übrigen den Einsatz unbemannter Luftaufklärung durch die Bundeswehr und eine gewisse Erweiterung des bisher erteilten Mandates. Ich will Ihnen das an zwei Beispielen schildern. Wir bekamen Hinweise darauf, daß sich im südlichen Zipfel Serbiens, in der Nähe der Stadt Vranje, eine Artilleriestellung befinden könnte. Wir haben das wegen Gefahr im Verzuge mit der Drohne aufgeklärt. Dabei - übrigens auch als wir die Luftabwehrwaffen nach Mazedonien gebracht haben, um mit der Stinger Soldaten notfalls auch gegen Luftangriffe schützen zu können - haben wir das Problem festgestellt, daß wir diese Erkenntnisse und diese Möglichkeiten der Selbstverteidigung nicht auch für unsere Partner hätten einsetzen können. Es wäre ein kurioser Sachverhalt, wenn in Kumanovo Franzosen und Deutsche stationiert sind und man erst einmal feststellen müßte, ob nur die Deutschen angegriffen werden. Das wäre von vornherein lächerlich. Die gegenseitige Nothilfe ist zum Schutz der Mitarbeiter aller humanitären Organisationen erforderlich. Sie ist auch erforderlich, um die Kräfte der NATO-Staaten, die mit uns zusammenarbeiten, zu schützen, und sie ist im Zusammenhang mit der Drohne erforderlich, zum Beispiel um Anforderungen der mazedonischen Regierung gerecht zu werden. Das haben wir in der Vergangenheit getan. Der heutige Beschluß beinhaltet eine nachträgliche Billigung dieses Einsatzes ebenso wie eine Billigung des darüber hinausgehenden erweiterten Einsatzes. Ich will auch darauf hinweisen, daß ein darüber hinausgehender Einsatz, so wie es in dem Antrag der Bundesregierung steht, insbesondere auf dem Territorium der Bundesrepublik Jugoslawien nur im Rahmen eines VN-Mandats oder eines Friedensabkommens in Betracht kommt und in beiden Fällen, wie überhaupt immer, zwingend eine erneute konstitutive Zustimmung des Deutschen Bundestages erfordert. Es wird also weder eine schleichende Beteiligung an irgendwelchen anderen Maßnahmen geben, noch wird die Bundesregierung innerhalb der NATO einer solchen Entwicklung zustimBundesminister Rudolf Scharping men. Dafür gibt es gute politische wie auch militärische Gründe. Die humanitären Bemühungen finden also eine klare Grenze im Humanitären selbst. Lassen Sie mich noch auf einen Umstand aufmerksam machen, der mit humanitären Fragen zu tun hat. Kürzlich fand ein Gespräch des Präsidenten des Internationalen Roten Kreuzes, Sommaruga, mit Milosevic statt. In diesem Gespräch sind angeblich Abmachungen getroffen worden, die den Zugang zu den Binnenflüchtlingen ermöglichen sollten. Das sind leere Versprechungen geblieben. Es blieb bei einem Fernsehtermin, bei einer öffentlichen Bekundung. Danach sind alle Bemühungen des Internationalen Roten Kreuzes um Zugang in den Kosovo unbeantwortet geblieben und gescheitert. Dieselben Erfahrungen haben wir schon einmal bei der OSZE-Mission gemacht. Deshalb ist es um so dringender geworden, daß wenigstens denen geholfen werden kann, die unter zum Teil entsetzlichen Umständen Albanien oder Mazedonien erreichen. Ich füge hinzu: Das nährt meine Skepsis, daß zum Beispiel eine UN-Mission zur Feststellung von Umständen, die man für die Aufstellung einer internationalen Friedenstruppe und einer Interimsverwaltung braucht, ohne weiteres freien Zugang zu den Orten bekommt, die sie selbst festlegt. Wir haben in der Vergangenheit - das geht leider schon über Jahre hinweg so - mit Milosevic die Erfahrung gemacht, daß er den Propagandakrieg fast so gut wie den skrupellosen Krieg gegen die eigene Bevölkerung und ethnisch andere Bevölkerungsgruppen beherrscht. Vor diesem Hintergrund bitte ich Sie sehr herzlich, mit einer breiten Mehrheit im Deutschen Bundestag, an der ich persönlich nie einen Zweifel hatte, den Einsatz der deutschen Soldaten zu unterstützen. Sie haben diese Unterstützung durchaus notwendig. Sie wird ihnen guttun, und sie haben sie vor allen Dingen verdient. Wenn sich nämlich herausstellt, daß internationale Hilfsorganisationen mit ihren logistischen Möglichkeiten und von ihrer Leistungsfähigkeit her die Situation nicht bewältigen können, die sich jetzt in Mazedonien und Albanien entwickelt hat, dann ist es gut und richtig, wenn Kräfte einspringen, die das leisten können. Die Soldaten nehmen diese Aufgabe mit großer Begeisterung, mit hohem Verantwortungsbewußtsein und starker Motivation wahr. Diese Einsatzbereitschaft wird dadurch bestätigt und gestärkt, daß der Deutsche Bundestag mit breiter Mehrheit unserem Antrag zustimmt. Vielen Dank. ({5})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile das Wort dem Kollegen Ulrich Irmer, F.D.P.-Fraktion.

Ulrich Irmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000996, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Vielen Dank, Herr Präsident! - Meine Damen und Herren! Die Freien Demokraten im Deutschen Bundestag werden dem Antrag der Bundesregierung zustimmen, und zwar deshalb, weil wir die Unterstützung und Verstärkung des humanitären Einsatzes angesichts des Elends der Vertriebenen für unerläßlich halten. Der Bundesverteidigungsminister Scharping hat zu Beginn seiner Rede die Situation mit bewegenden Worten geschildert. Ich möchte Ihnen, Herr Scharping, ausdrücklich sagen, daß ich es als wohltuend empfinde, daß Sie in Ihrer Funktion als der für den Einsatz der Bundeswehr zuständige Minister hier ohne jedes Säbelrasseln, ohne aggressive Töne, sehr nachdenklich, sehr besonnen, sehr zurückhaltend, sehr abgewogen und damit der Situation angemessen Ihre Aufgabe erfüllen. Dafür möchte ich Ihnen danken. ({0}) Im übrigen macht sich ja wohl jeder hier im Hause, der über Einsätze der Bundeswehr abstimmen muß, die Sache keineswegs leicht, sondern wir sind uns alle unserer Verantwortung bewußt. Erlauben Sie mir, daß ich jetzt einen Gesichtspunkt anspreche, der mir in letzter Zeit durch den Kopf gegangen ist. Sicher werden nicht alle meine Auffassung teilen. Ich meine aber, daß sich ein Parlament, wenn es weiß, daß es für eine Wehrpflichtarmee Verantwortung trägt, um so mehr Mühe bei der Entscheidung über den Einsatz seiner Soldaten macht. ({1}) Wir hier im Deutschen Bundestag sind dadurch weit von der Gefahr entfernt, das Militär sozusagen als eine ständig präsente Einheit zu begreifen, die man auf Abruf dort einsetzen kann, wo es gerade notwendig ist. Auch wenn Wehrpflichtige natürlich nicht gegen ihren Willen bei diesen Aktionen eingesetzt werden, müssen wir uns bei der Entscheidung über diesen Einsatz doch um so mehr Skrupeln aussetzen, weil diese Armee aus der Gesellschaft und aus unserem Volk heraus kommt und in ständigem Austausch mit der Gesellschaft steht und weil sich die Bundeswehr gegenüber den Bürgern und der Gesellschaft ständig rechtfertigen muß - auch durch das, was sie in ihrem Inneren tut. Die Wehrpflichtigen, die in die Bundeswehr hineinkommen, repräsentieren nämlich dort die Gesellschaft, und umgekehrt kehren die wehrpflichtigen Soldaten wieder in die Gesellschaft zurück und vermitteln dort das, was die Bundeswehr braucht und benötigt. Ich möchte bei dieser Gelegenheit allen Soldaten den Dank unserer Fraktion für den Einsatz, den sie leisten, aussprechen. ({2}) Ich wünsche allen, die in diesem Einsatz sind, daß sie gesund und unversehrt zurückkehren. Ich möchte an dieser Stelle auch die Familien dieser Bundeswehrangehörigen nicht vergessen, die täglich und stündlich um sie zittern, weil diese Einsätze - machen wir uns da nichts vor - in hohem Maße gefährlich sind. Meine Damen und Herren, wir stimmen, wie gesagt, dem Antrag der Bundesregierung zu. Ich möchte jetzt dabei muß ich etwas kritisch werden - doch noch einmal die Frage stellen, warum es ausgerechnet bei der Diskussion über diesen Antrag mehr Probleme als bei früheren Vorlagen der Bundesregierung, in denen es um Kampfeinsätze ging, gegeben hat. Hier handelt es sich ja um einen rein humanitären Einsatz. Der Antrag enthält drei Teile: Der erste Teil beinhaltet die Verstärkung der Bundeswehr um bis zu 1000 Soldaten für ihre Aufgabe, humanitäre Hilfe zu leisten. Der zweite Teil legitimiert - ebenfalls unter humanitären Aspekten - eine gegenüber dem ursprünglichen Beschluß erweiterte Luftaufklärung durch die Drohnen. Der dritte Teil schließlich legitimiert die eigentlich selbstverständliche Nothilfe. Es handelt sich also um rein humanitäre Aufgaben. Was den Inhalt des Beschlusses betrifft, dürfte eigentlich niemand Bedenken haben. Selbst wer prinzipiell gegen die Beteiligung der Bundeswehr an den militärischen Einsätzen in Jugoslawien und im Kosovo ist, müßte dem Antrag zustimmen können, weil es sich um eine rein humanitäre Angelegenheit handelt. Um so verwunderlicher ist, weshalb es im Vorfeld ich räume ein: auch in meiner Fraktion - Irritationen und erhöhten Diskussionsbedarf gegeben hat. Ich muß der Bundesregierung in diesem Zusammenhang schon sagen, daß sie dem Parlament dieses Verfahren von oben herab zugemutet hat. Ich frage Sie: Warum haben wir diese Beschlußvorlage nicht bekommen, als wir in der Woche nach Ostern eine Sondersitzung zum Thema Kosovo hatten? ({3}) Zu diesem Zeitpunkt hatte die Bundesregierung die Eilentscheidung schon längst getroffen. ({4}) Indem Sie zu den Drohnen - das ist jetzt Inhalt der Beschlußvorlage - eine ausdrücklich so bezeichnete Eilentscheidung getroffen haben, haben Sie ja eingeräumt, daß diese Entscheidung der Zustimmung des Deutschen Bundestages bedarf. Denn nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes sind Sie zur Eilentscheidung in Situationen, in denen der Bundestag eigentlich zustimmen müßte, das aber aus zeitlichen Gründen nicht geht, ermächtigt. Die Frage bleibt aber: Warum haben Sie uns diesen Antrag nicht in der Woche nach Ostern, als wir zu diesem Thema debattiert haben, vorgelegt? Eine weitere Frage. Als wir Anfang der Woche Ihre Vorlage zum erstenmal auf den Tisch bekommen haben, haben wir Sie gefragt: Warum schreiben Sie in das Rubrum nicht das hinein, was in der Begründung steht? Wir haben Ihnen sogar eine goldene Brücke gebaut, indem wir Ihnen vorgeschlagen haben, in den Antrag aufzunehmen: Der Deutsche Bundestag stimmt … der deutschen Beteiligung an der humanitären Hilfe im Zusammenhang mit dem Kosovo-Konflikt zu nach Maßgabe des Beschlusses der Bundesregierung vom Soundsovielten. - In diesem Beschluß ist nämlich all das enthalten, was uns Anlaß zu Fragen gegeben hat. Hier ist der Verdacht aufgekommen, es solle durch die Hintertür der Einsatz von Bodentruppen ermöglicht werden. ({5}) Wer die Diskussion bei uns im Land kennt, weiß ja, daß die Menschen Angst davor haben. Deshalb verstehe ich es einfach nicht, weshalb Sie das - in einer gewissen handwerklichen Schluderigkeit - nicht ausdrücklich in Ihrem Antrag geklärt haben, und daß Sie sich, als wir Sie darum gebeten haben, auf die Position zurückgezogen haben: Das haben wir schon immer so gemacht. ({6}) Das sind die berühmten drei Grundsätze des deutschen Verwaltungshandelns: Erstens. Das haben wir noch nie so gemacht. Zweitens. Das haben wir schon immer so gemacht. Drittens. Da könnte ja jeder kommen. Sie haben gesagt, das haben wir schon immer so gemacht. - Es stimmt aber nicht; denn in allen früheren Beschlüssen war im Rubrum ausdrücklich der Passus enthalten: nach Maßgabe des Beschlusses der Bundesregierung vom Soundsovielten. Damit hätten Sie alles berücksichtigt. Sie haben aber nach dem dritten Verwaltungsgrundsatz „Da könnte ja jeder kommen“ gehandelt. Das ist eine Mißachtung der Opposition, die wir uns auf Dauer nicht gefallen lassen. ({7}) Ich appelliere also an Sie, das nächste Mal etwas mehr Umsicht walten zu lassen. In der Sache stimmen wir Ihnen, wie gesagt, zu. Ich räume auch ein, daß Sie, Herr Scharping und Herr Fischer, nicht nur in den Ausschüssen, sondern auch im Plenum in wünschenswerter Deutlichkeit gesagt haben, daß dies eine rein humanitäre Angelegenheit ohne Hintertür ist. Der Passus oben auf Seite 4 in Ihrem Antrag, der sich auf alle drei Teile Ihres Beschlusses bezieht, ist selbstverständlich ganz wichtig. Dort heißt es, daß ein darüber hinausgehender Einsatz nur im Rahmen eines UN-Mandates oder eines Friedensabkommens erfolgen darf und wird und daß dazu eine erneute Zustimmung des Deutschen Bundestages erforderlich wäre. Damit gehen wir eigentlich hinter das zurück, was wir im November und im Februar schon beschlossen haben. Denn mit dem Beschluß zur Extraction Force hatten wir bereits ein Eingreifen der Bundeswehr auf dem Territorium der Bundesrepublik Jugoslawien legitimiert. Im Beschluß vom Februar hatten wir vereinbart, daß zur Absicherung eines Abkommens, eines Rambouillet-Abkommens, auch ein Bodeneinsatz zulässig sei. Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zum Schluß noch einige Bemerkungen zu dem Ergebnis der gestrigen Außenministerkonferenz der G 8 machen. Natürlich ist das nicht der große Durchbruch. Ich warne davor, dieses Ergebnis zu bejubeln; das tut auch niemand. Ich warne aber auch davor, das Ergebnis für so gering zu halten wie die „Neue Zürcher Zeitung“ heute unter der Überschrift „Magere Ergebnisse“. Sicher ist das nichts Konkretes und sind mehr Fragen offen als beantwortet. Das war aber angesichts der Situation nicht anders zu erwarten. Ich halte es für ganz wesentlich, daß durch dieses Ergebnis, dem die Russen zugestimmt haben - das ist der entscheidende Punkt -, wieder der Weg zur Politik eröffnet worden ist, und zwar stärker als je zuvor. Ich halte es auch für ganz entscheidend, daß in diesem Beschluß den Vereinten Nationen wieder die Rolle zuerkannt wird, die sie eigentlich haben müßten, die aber leider in der Vergangenheit in den Hintergrund getreten ist. Wir alle hier haben, wenn es um die Erörterung einer denkbaren politischen Lösung ging, immer zwei Dinge betont. Erstens: Die Vereinten Nationen müssen wieder in die Verantwortung genommen werden. Zweitens: Um dies zu erreichen, müssen die Russen mit an Bord. Herr Scharping, ich verstehe, daß Sie Ihre Kollegen hier rühmen und preisen. ({8}) Das ist auch in Ordnung. Wie aber der russische Premierminister Primakow hier in Deutschland behandelt worden ist, als er von seiner Mission in Belgrad zur Berichterstattung zu uns gekommen ist, war schon schandbar. Das war keine Meisterleistung deutscher Diplomatie. ({9}) Wenn man schon sagt, die Russen mit ins Boot nehmen zu wollen, kann man den Premierminister nicht behandeln wie einen dummen Jungen, der seine Hausaufgaben schlecht erledigt hat. Das hätte ganz anders laufen müssen. Man hätte sagen müssen: Herr Primakow, das ist großartig! Wir bedanken uns bei Ihnen dafür, daß Sie sich eingesetzt haben und wie Sie sich eingesetzt haben. Wenn Ihr Ergebnis nicht unseren Erwartungen entspricht, dann liegt das nicht an Ihnen, sondern an Herrn Milosevic. Wir bitten und ermuntern Sie, auf diesem Wege weiterzumachen. - Gott sei Dank haben Sie aus diesem Fehler gelernt: Die Russen sind mit an Bord. Es bleibt natürlich die Frage: Wie sehen die Regelungen bezüglich der Sicherheitstruppe - hier heißt es wunderschön ausgedrückt „Sicherheitspräsenzen“, noch dazu also im Plural - aus? Ohne NATO wird und kann das gar nicht gehen. Ob die Russen ein NATOMandat akzeptieren, ist offen. Es gibt also Fragen über Fragen. Ich freue mich aber, daß es überhaupt zu einer Vereinbarung unter Beteiligung der Russen gekommen ist, und ermuntere die Bundesregierung, sich weiter um eine friedliche Regelung zur Lösung des Konfliktes zu bemühen. Ich danke Ihnen. ({10})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat nun der Kollege Gregor Gysi, PDS-Fraktion.

Dr. Gregor Gysi (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000756, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Bundesaußenminister, Ihr Appell an Makedonien, die Grenzen wieder zu öffnen, findet unsere volle Unterstützung; denn wir können nicht Flucht und Vertreibung verurteilen, gleichzeitig aber die Grenzen geschlossen halten, wenn die Vertriebenen und Flüchtlinge kommen. Auf der anderen Seite ist dies eine Art Hilferuf Makedoniens nach mehr Hilfe durch die Staaten der NATO, aber auch der Europäischen Union insgesamt, weil Makedonien mit dieser Situation überfordert wird. Insofern unterstützen wir auch Ihren Appell an die EU-Länder, endlich den Verpflichtungen zur Aufnahme von Vertriebenen zu entsprechen. Wenn man sich die moralischen Begründungen gerade von Tony Blair und Jacques Chirac hinsichtlich dieses Krieges vor Augen hält und mit einbezieht, daß sie nicht bereit sind, Vertriebene aufzunehmen, dann wird das Ganze in besonderem Maße unglaubwürdig. Wenn das Schicksal der Kosovo-Albaner das eigentliche Anliegen des Krieges ist, dann ist doch nicht vermittelbar, weshalb sich die EU bei der Aufnahme von Vertriebenen und Flüchtlingen, bei der Hilfe für Makedonien und Albanien so schwertut. Das ist einfach nicht nachvollziehbar. ({0}) Wir dürfen aber natürlich nicht so tun, als ob dies in Deutschland völlig unproblematisch wäre. Ich erinnere daran, daß noch vor ein paar Tagen Baden-Württemberg und Bayern gesagt haben, daß sie nicht bereit sind, weitere Flüchtlinge und Vertriebene aufzunehmen. Das heißt: Im Militärischen ist offensichtlich schnell Einigkeit herzustellen. Wenn es aber um konkrete Hilfe für Flüchtlinge und Vertriebene geht, dann fehlt diese Einigkeit. Dazu paßt ja eben auch - dazu haben Sie, Herr Bundesaußenminister, hier nichts gesagt -, daß die Abschiebung von Kosovo-Albanern bis zum März 1999 durch deutsche Verwaltungs- und Oberverwaltungsgerichte bestätigt wurde, die sich dabei regelmäßig auf die Auskünfte Ihres Ministeriums gestützt haben. Das steht im klaren Widerspruch zu dem, was als Begründung für den Krieg angegeben worden ist. Eigentlich müßte uns das veranlassen, noch einmal sehr grundsätzlich über die Asylpraxis in Deutschland nachzudenken. Ich sage im Namen der Fraktion der PDS, daß wir dem Antrag der Bundesregierung nicht zustimmen werden. Vielmehr sind wir dafür, die vorgesehenen Mittel den Hilfsorganisationen vor Ort zur Verfügung zu stellen, ({1}) aber wir sind nicht dafür, weitere tausend Soldaten zu entsenden. Das hat zwei Gründe. Der erste Grund ist, daß schon jetzt ein Kontingent von 6 100 Soldaten durch diesen Bundestag beschlossen worden ist. Darunter sind 5 000 Soldaten, die für den Fall einer Implementierung vorgesehen sind, die gar nicht bevorsteht. Es hat uns niemand die Frage beantworten können, warum nicht aus diesem Kontingent die Soldaten für den Bau von Wasserleitungen und für andere humanitäre Hilfe in Albanien abgestellt werden können. Der zweite Grund hängt damit zusammen, daß man sich ja das Gesamtszenario ansehen muß. Die USA schicken immer mehr Waffen, nicht nur nach Albanien, sondern jetzt auch nach Ungarn; sie schicken immer mehr Soldaten. Man hört von Geheimplänen, die vorsehen, im Juni mit Bodentruppen einzumarschieren. Angesichts dessen können Sie von uns doch nicht erwarten, daß wir der Entsendung weiterer Soldaten zustimmen, da wir nicht wissen, inwiefern das zu einer Eskalation beiträgt. ({2}) Ich will auch etwas zu der Erklärung der G 8 sagen. Sie, Herr Außenminister, haben besonders hervorgehoben, daß Rußland jetzt dabei ist. Ich weise zunächst einmal darauf hin: Rußland war schon in der Kontaktgruppe dabei. Insofern ist das nichts Neues. Vielmehr muß ich hier feststellen: Nach Beginn des Krieges nahmen die Demütigungen Rußlands ihren Anfang, die wir immer kritisiert haben. Allerdings hat nicht die deutsche Regierung, sondern Präsident Clinton damit angefangen. Unmittelbar nach Beginn des Krieges - das wissen Sie ganz genau, Herr Außenminister - hat Jelzin ein G-8Treffen auf höchster Ebene vorgeschlagen, damit man sofort über die Situation beraten kann. Damals hat Clinton erklärt, daß er überhaupt keinen Grund für ein solches Treffen sehe, und so fand es nicht statt. Dann kam die Demütigung von Primakow hinzu, die ja gerade vom Kollegen Irmer beschrieben wurde. Primakow kann ja froh sein, daß er nicht als fünfte Kolonne bezeichnet wurde. Das war die Situation in Deutschland; damals wollte man über diese Fragen eigentlich gar nicht reden. Wenn ich die heutige Situation mit der damaligen vergleiche, muß ich sagen: Es ist durchaus günstig, wenn jetzt die diplomatischen Bemühungen intensiviert werden. Ob es Ihnen, Herr Außenminister, nun paßt oder nicht: Die Erklärung der G 8 - ich komme auch gleich noch auf die Schwächen zu sprechen - weicht nicht so erheblich vom Friedensvorschlag der PDS ab. Es tut mir leid. Schauen Sie ihn sich an. Genau mit dem Ziel, mich für eine Präsenz von UNO-Truppen einzusetzen, bin ich nach Belgrad gefahren, um dort dahin gehend Wege zu eröffnen, daß man das akzeptiert. Dafür bin ich hier maßlos diffamiert und beschimpft worden. ({3}) Wofür? - Für etwas, was Sie selbst jetzt unterschreiben. Nur, Sie interpretieren das in gewisser Weise falsch. Ich kann Texte ganz gut lesen. Da ist zum Beispiel vom Rückzug nicht d e r militärischen, polizeilichen und paramilitärischen Kräfte die Rede, sondern vom Rückzug militärischer, polizeilicher und paramilitärischer Kräfte. Das würde auch einen Teilabzug einschließen. Dann sagen Sie, Rambouillet sei hier voll bestätigt worden, ich solle meine Kampagne einstellen. Hören Sie zu: Ich habe gegen den politischen Teil - daß heißt, soweit es um die Autonomie und die Selbstverwaltung geht - nie eine Kampagne geführt. Genau das steht in der Erklärung, daß nämlich die substantielle Selbstverwaltung unter voller Berücksichtigung des RambouilletAbkommens gewährleistet werden soll. Was allerdings den militärischen Teil betrifft, so muß ich sagen: Es steht dort etwas völlig anderes als im RambouilletAbkommen. Dort steht nämlich, daß internationale zivile und Sicherheitspräsenzen in Übereinstimmung mit den Vereinten Nationen und nach Billigung durch den Sicherheitsrat zu stationieren sind. In unserem Friedensplan hieß es, daß die friedliche und sichere Rückkehr der Vertriebenen und Flüchtlinge auf eine vom Weltsicherheitsrat zu bestimmende Art und Weise zu gewährleisten ist. Das ist faktisch mit dem identisch, hat aber eben mit dem Rambouillet-Vertrag nichts zu tun, in dem von einer Besatzung durch die NATO die Rede war. Die UNO kam ja im militärischen Teil von Rambouillet überhaupt nicht vor. ({4}) - Es geht nicht um die Frage des Warum, sondern es geht darum, daß der Minister gesagt hat, es gebe eine Identität. Ich weise einfach auf die Unterschiede hin. Das Bemühen, die UNO einzuschalten, war damals äußerst gering, weil die NATO meinte, sich vom Sicherheitsrat und von der UNO einfach abkoppeln zu können, ({5}) und man hat deshalb das Mittel der Politik aufgegeben. Das, was hier steht, hätte man auch ohne den Krieg erreichen können. Ich komme jetzt auf die entscheidende Schwäche und auch auf die Widersprüche zu sprechen. Hier steht: „territoriale Unversehrtheit der Bundesrepublik Jugoslawien“. Clinton sprach aber am Mittwoch von „Besatzungstruppen“ und meinte damit die jugoslawischen Truppen im Kosovo. Wenn es denn Besatzungstruppen wären, geht er davon aus, daß dieser Teil nicht mehr zu Jugoslawien gehört. Das heißt, hier muß erst einmal Klarheit geschaffen werden. Es ist auch nicht gut, wenn von Ungarn jetzt Forderungen in bezug auf die Vojvodina erhoben werden, weil dann sofort eine Antihaltung aus der Sorge heraus entsteht, ganz Jugoslawien solle zerstückelt werden. Ein Punkt fehlt natürlich in der Erklärung der G 8 es gibt noch andere Schwächen, auf die ich hier aber nicht eingehen will -: Wann hören Sie auf, die Bundesrepublik Jugoslawien zu bombardieren? ({6}) Das Ende des Krieges ist der einzige Punkt, der hier überhaupt nicht vorkommt. Das ist deshalb besonders bemerkenswert, weil Präsident Clinton, also der Chef des ganzen Unternehmens, am Mittwoch hier in Deutschland - wo er ohne jede Begrüßung von deutscher Seite eingereist ist, um auch einmal zu zeigen, wem die Stützpunkte hier gehören gesagt hat, „erbarmungslos“ - das ist nun wörtlich, Herr Fischer - werde in Jugoslawien weiter gebombt. Jetzt frage ich Sie: Was bedeutet eigentlich im Zusammenhang mit Krieg, im Zusammenhang mit Bomben das Wort „erbarmungslos“? Das heißt, ohne jedes Erbarmen wird weiter gebombt. Hätten Sie nicht wenigstens das Verwenden eines solchen Begriffes kritisieren können? Aber diesen Mut, Herr Bundesaußenminister, haben Sie nicht. Insofern könnten auch Sie einmal Ihre Ohren spitzen. ({7}) Sie weigern sich, zu bestimmten Fragen Stellung zu nehmen. Sie haben noch nie erklärt, warum zunehmend zivile Objekte in Jugoslawien bombardiert werden. Auch Herr Scharping hat noch nie erklärt, was der militärische Zweck der Bombardierung von Düngemittelfabriken, von Heizkraftwerken, von Wasserkraftwerken oder Elektrizitätskraftwerken ist, worin der Zweck besteht, daß Häuser und Wohnungen nicht mehr beheizt werden können, nicht mehr mit Strom versorgt werden können. Sie kennen doch die Berichte: Es gibt ein schlimmes Leiden der Kosovo-Albaner, aber es gibt auch ein zunehmendes Leiden der serbischen Zivilbevölkerung. Darauf gehen Sie aber nie ein. Sie könnten wenigstens einmal zur Verhältnismäßigkeit im Rahmen dieses Krieges Stellung nehmen. ({8}) Auch die Zahl der Versehen nimmt zu; das tun Sie immer so ab. Da wird ein aus Kosovo-Albanern bestehender Flüchtlingstreck beschossen, da werden zwei Reisebusse beschossen. Dann werden versehentlich Wohngebiete beschossen. Aus Versehen werden Raketen nach Sofia oder an andere Orte Bulgariens geschickt. ({9}) Ich sage Ihnen folgendes dazu: Wir leben hier in einer Gesellschaft, wo jede Bürgerin und jeder Bürger für die kleinste Fahrlässigkeit am Arbeitsplatz haftet. Wenn Sie hier eine Frist versäumen, verlieren Sie ganze Ansprüche. Die Bundesregierung geht aber mit den Versehen um in dem Sinne: Einfach Pech gehabt; das ist nun einmal fehlgeleitet worden. Nein, man trägt auch für Fahrlässigkeit Verantwortung, das heißt auch für Versehen, die im Rahmen eines Krieges geschehen. ({10}) - Ja, das habe ich gemacht. ({11}) - Sie müssen sich doch nicht so aufregen, nur weil Sie so ein schlechtes Gewissen haben. ({12}) Bundesverteidigungsminister Scharping hat eben die entscheidenden Fortschritte genannt: Es gibt politische Bewegung, und es gibt Destabilisierung in Jugoslawien. Nur, Herr Bundesverteidigungsminister, das Kriegsziel war doch nicht, daß die russische Regierung sich bewegt oder daß es eine Destabilisierung in Jugoslawien gibt. Das Kriegsziel war - so haben Sie gesagt -, das Morden, das Töten, das Vertreiben der Kosovo-Albaner zu beenden. ({13}) Mit Blick auf dieses Kriegsziel, Herr Bundesverteidigungsminister, denke ich an Ihre Schilderung und die des Bundesaußenministers, der zu Beginn dieser Debatte gesagt hat, daß die Leiden noch schlimmer geworden seien. Wenn man also nach sechs Wochen Krieg feststellt, daß sich hinsichtlich des eigentlichen Kriegszieles nichts verbessert, sondern nur alles verschlimmert hat, ({14}) dann ist das nicht nur völkerrechtswidrig, sondern offensichtlich auch ein falscher Weg. Milosevic nutzt das Bombardement für eine systematische Vertreibung. Deshalb war das immer der falsche Weg. Wir haben im Unterschied zu Ihnen keine Sekunde daran geglaubt, daß er durch Bomben von seinen Verbrechen zurückzuhalten ist. ({15})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Kollege Gysi, Sie sind deutlich über der Zeit.

Dr. Gregor Gysi (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000756, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Deshalb sage ich: Beenden Sie den Krieg! Das ist die Voraussetzung für jede vernünftige politische Lösung auch und gerade im Interesse der Kosovo-Albaner und des Beendens ihres Leidens. ({0})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile dem Kollegen Rudolf Bindig, SPD-Fraktion, das Wort.

Rudolf Bindig (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000181, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich finde es angesichts der Ernsthaftigkeit der Probleme, die wir zu diskutieren haben, unangemessen, eine solche Aufgeregtheit und Aggression in das Parlament zu bringen. ({0}) Kernanliegen des Mandates, über welches wir heute beraten, ist es, der Bundesregierung die Möglichkeit zu geben, Personal und Gerät der Bundeswehr für humanitäre Hilfsleistungen in und für Mazedonien und Albanien im Zusammenhang mit dem Kosovo-Konflikt einzusetzen. Es geht um humanitäre Soforthilfe für Flüchtlinge. Die Lage der Flüchtlinge im Kosovo und in den Nachbarländern ist in der Tat dramatisch. Flüchtlingsströme hat es übrigens bereits lange vor dem Beginn der militärischen Aktionen durch die NATO im Kosovo gegeben. Im Juli 1998 kam es im Zuge der Ausweitung der Kampfhandlungen im Kosovo bereits zu einem Anstieg der Zahl der Flüchtlinge auf mehr als 120 000. Im September und Oktober 1998 stiegen die Flüchtlingszahlen auf etwa 300 000 an. Die Menschen hatten damals zum großen Teil im Freien Zuflucht gefunden, wo sie Regen und Kälte ausgesetzt waren. Wegen des unmittelbar bevorstehenden Winters zeichnete sich bereits damals eine humanitäre Katastrophe ab. Infolge des Holbrooke-Milosevic-Abkommens und des Einsatzes von OSZE-Beobachtern ging die Zahl der Flüchtlinge im November/Dezember 1998 zunächst wieder zurück. Dennoch blieb die humanitäre Lage fragil. Damals konnten zudem im Kosovo noch humanitäre Hilfsleistungen erbracht werden. Im Februar 1999, als die serbischen Militärs und paramilitärischen Einheiten nach dem „Hufeisenplan“ mit der Vertreibung der Kosovo-Albaner begannen, stiegen die Flüchtlingszahlen schnell wieder auf 230 000 an. Nach aktuellen Zahlen des UNHCR, des Internationalen Komitees des Roten Kreuzes und der NATO wird die Zahl der Flüchtlinge in Albanien jetzt auf zirka 405 000 Flüchtlinge, in Mazedonien auf 198 000 Flüchtlinge, in Montenegro auf rund 62 000 Flüchtlinge und in Bosnien-Herzegowina auf zirka 40 000 Flüchtlinge geschätzt. Über die Grenzen des Kosovo wären damit bereits zirka 700 000 Menschen vor der brutalen Vertreibung durch serbische Kräfte geflohen. Die Zahl der Flüchtlinge im Kosovo kann nur grob auf 350 000 bis 600 000 oder 700 000 geschätzt werden. Es läßt sich sagen, daß fast die gesamte albanische Bevölkerung des Kosovo inzwischen entweder auf der Flucht im Lande ist oder bereits über die Grenze vertrieben worden ist. Für die über die Grenzen geflohenen 700 000 Menschen - die Bevölkerung von sieben Großstädten oder von rund 20 Mittelstädten von 35 000 Einwohnern - galt und gilt es, in wenigen Tagen alles Überlebensnotwendige zu besorgen und es zum Teil, da es in der Region nicht verfügbar war, von weither heranzuschaffen. Die Lage der Flüchtlinge ist in dem jeweiligen Umfeld zu sehen. Sie ist unterschiedlich: Ohne Zweifel ist die Situation im Kosovo am dramatischsten; zugleich bestehen dort die geringsten Einwirkungsmöglichkeiten. Eine Versorgung über Air-Drop ist nicht möglich. Nur wenige humanitäre Hilfsorganisationen können dort unter Lebensgefahr - tätig sein. Der Auftrag und das Mandat der Bundeswehr bezieht sich dennoch ausdrücklich nicht auf humanitäre Hilfe für diese Flüchtlinge. Ebenso bezieht sich das Mandat nicht auf Hilfsleistungen für Flüchtlinge in Montenegro. Abgedeckt durch die vorangegangenen Beschlüsse des Bundestages, leistet die Bundeswehr bereits humanitäre Hilfe für Flüchtlinge in Mazedonien und in geringerem Maße auch in Albanien. Die Hilfe für die zirka 200 000 Vertriebenen in Mazedonien findet in einem schwierigen politischen Umfeld statt. Die hohe Zahl der bereits aufgenommenen Menschen und der weiter anhaltende Zustrom erfordern ganz außergewöhnliche organisatorische, logistische und technische Leistungen. Diese enormen Anforderungen konnten in Mazedonien nur durch den Einsatz der dort anwesenden Militärs der Extraction Force bewältigt werden. Erst durch den Einsatz der verschiedenen Militärs, in besonderem Maße auch der Bundeswehr, ist es gelungen, eine gewisse Struktur in die Flüchtlingshilfe zu bringen. Die verschiedenen vor Ort tätigen internationalen Hilfsorganisationen und nationalen Nichtregierungsorganisationen waren trotz beachtlicher Bemühungen allein nicht in der Lage, die sich stellende gigantische Aufgabe zu bewerkstelligen. Die Größe der Aufgabe überforderte sie. In wenigen Stunden galt es, die Lagerflächen zu planieren und zu befestigen, Zelte aufzubauen und auszustatten, Wasser heranzuschaffen und aufzubereiten, sanitäre Einrichtungen zu erstellen und Vorkehrungen für eine Fäkalien- und Abfallentsorgung zu treffen. Durch eine gewaltige Kraftanstrengung der vor Ort befindlichen Militärs und der Hilfsorganisationen ist es inzwischen gelungen, für zirka 105 000 Flüchtlinge in Lagern eine gewisse Versorgung zu sichern. Weitere zirka 95 000 Menschen leben in Gastfamilien. Der Einsatz der Militärs ist subsidiär angelegt. Die gesamte Organisation zum Aufbau und Betrieb eines Lagers einschließlich der medizinischen Versorgung wurde von der Bundeswehr nur so lange übernommen und betrieben, bis das Lager an zivile Organisationen übergeben werden konnte. Es ist einfach naiv, wenn hier in einem Antrag die Meinung vertreten wird, das könnten doch auch die zivilen Hilfsorganisationen tun. Es heißt dort, gegebenenfalls sollten Vorkehrungen getroffen werden, die Voraussetzungen dafür zu schaffen, daß die humanitäre Hilfe dann an zivile Kräfte übergeben wird. Das geschieht bereits. Man versucht, möglichst die zivilen Hilfsorganisationen heranzuziehen. Diese sagen aber: Wir schaffen das nicht, wir können das nicht; das Problem ist zu groß, und deshalb bitten wir darum, daß das Militär international tätig wird. ({1}) Deshalb ist es einfach falsch, wenn es in dem Antrag heißt, daß die nichtmilitärischen Kräfte diese Aufgabe zweifellos übernehmen könnten. Sie können es nicht, und deshalb sind diese Vorschläge nicht ernst zu nehmen. In Albanien ist die Situation der Flüchtlinge wieder anders gelagert. Die Zahl der Flüchtlinge ist mit 400 000 etwa doppelt so hoch wie in Mazedonien. Dort finden die Flüchtlinge Aufnahme in einem für sie freundlichen Umfeld. Allerdings sind die infrastrukturellen und die logistischen Voraussetzungen im ärmsten Land Europas wesentlich schwieriger. Da die Versorgung in Mittel- und Südalbanien besser zu organisieren ist und dieses Gebiet auch sicherer vor militärischen Übergriffen ist, sollen Flüchtlinge in großem Umfang vom Norden aus dorthin verlagert werden. Dazu gilt es erneut, Lager einzurichten und teilweise die Infrastruktur durch Pionierleistungen zu verbessern. Deutsche Organisationen wie das Technische Hilfswerk und die GTZ haben dort bereits etliches geleistet, aber auch sie brauchten die Unterstützung der Bundeswehr. Um auch in Albanien die weiteren notwendigen humanitären Hilfsleistungen erbringen zu können, soll durch die Operation „Allied Harbour“ eine Möglichkeit geschaffen werden, mit Hilfe von etwa 8 000 Soldaten Unterstützung zu gewähren. Deutschland muß dazu einen Anteil erbringen. Dazu brauchen wir hier das Mandat. Auch dieser Einsatz soll wieder nach dem Subsidiaritätsprinzip erfolgen: Dort, wo internationale humanitäre Hilfsorganisationen und Nichtregierungsorganisationen Arbeiten erledigen können, werden sie nicht nur die Möglichkeit dazu haben, sondern sollen sie diese Aufgabe vorrangig wahrnehmen. Auftrag der Bundeswehr ist die Unterstützung dieser humanitären Hilfsorganisationen und des UNHCR. Die eindeutig humanitäre Zielsetzung dieser Mission müßte es eigentlich auch denjenigen Kolleginnen und Kollegen des Hauses möglich machen, diesem Mandat zuzustimmen, die den militärischen Einsatzbeschlüssen nicht zugestimmt haben oder mit wachsender Skepsis gegenüberstehen. Diesen Kolleginnen und Kollegen sei gesagt: Nicht alles, was Militär macht, ist auch militärisch. Hier geht es um Not- und Flüchtlingshilfe im direkten und unmittelbarsten Sinne des Wortes; es geht um direkte Hilfe für Menschen in existentieller Not. Das müßte man doch unterstützen können. Wichtig scheint mir auch, daß bereits jetzt darüber nachgedacht wird, wie den Flüchtlingen mittelfristig Schutz und Unterkunft gewährt werden kann. Selbst wenn sich die gesamte Zielsetzung natürlich darauf richtet, zu erreichen, daß die Flüchtlinge möglichst bald in den Kosovo zurückkehren können, muß doch bei einer realistischen Betrachtung davon ausgegangen werden, daß ein Großteil der Flüchtlinge noch etliche Monate versorgt und unterstützt werden muß. Es ist undenkbar, daß die Flüchtlinge den nächsten Winter in Zeltlagern verbringen können. Deshalb sollte aus humanitärer Sicht schon jetzt darüber nachgedacht werden, wie nach der Sommerzeit, also im nächsten Herbst und im beginnenden Winter, für die Flüchtlinge ausreichender Schutz in Form von Gebäuden geschaffen werden kann. Dazu gehört die Überlegung, ob es nicht notwendig ist, einen größeren Teil dieser Personen nach Westeuropa zu bringen. Ich glaube, daß hier noch mehr getan werden könnte. ({2}) Man sollte bedenken, daß Albanien 400 000 Flüchtlinge aufgenommen hat. Das sind 12 Prozent der Bevölkerung. Dazu kann man natürlich sagen: Das sind Albaner in Albanien. Mazedonien hat 200 000 Flüchtlinge aufgenommen. Das sind 10 Prozent der Bevölkerung. Deutschland hat 10 000 Flüchtlinge aufgenommen. In Relation zu unserer Einwohnerzahl sind dies 0,0125 Prozent. Da muß noch mehr getan werden können! ({3}) Es ist einfach unwürdig, daß hierüber zwischen dem Bundesinnenminister und den Länderministern ein langer Streit geführt werden muß und sich der Bundesminister nur mühselig durchsetzen kann - und zwar nur unter geteilter Zustimmung einiger Bundesländer -, ein neues Kontingent für besondere Härtefälle zu schaffen, damit noch mehr Flüchtlinge aufgenommen werden können. Da kann und muß auch auf deutscher Seite noch mehr getan werden. ({4})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat nun der Kollege Christian Schmidt, CDU/CSU-Fraktion.

Christian Schmidt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002003, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Die CDU/CSU-Fraktion wird dem vorliegenden Antrag zustimmen, aber nicht deshalb, weil er gut formuliert ist, und schon gar nicht deshalb, weil er jetzt gestellt wird. Dies hätte viel früher geschehen müssen. ({0}) - Ich muß darauf hinweisen; denn der Verteidigungsminister hat das Problem Nothilfe von sich aus angesprochen. Ich erinnere mich daran, daß Bundeswehrsoldaten vor zwei Jahren im Rahmen einer Nothilfeaktion, als in Albanien innere Unruhen bestanden - Sie erinnern sich sicherlich daran -, mit Hubschraubern Menschen vom Flughafen Tirana ausgeflogen haben und wir diese Aktion kurz darauf - dies war nicht anders möglich - gebilligt haben, und zwar unter den Forderungen der damaligen Opposition, man möge beachten, daß das Verfassungsgericht verlange, daß bei Nothilfe, die gefährlich ist, vorher ein Beschluß des Parlaments herbeigeführt werde. Deswegen hätte das heutige Thema bereits vor sechs Wochen zur Diskussion gestellt werden müssen. Wir stimmen dem vorliegenden Antrag zu, weil es um die Linderung gemeiner Not und Gefahr für Leib und Leben der Vertriebenen geht. Da stimmen wir überein. Vertriebene bzw. Flüchtlinge müssen bei uns aufgenommen und von allen unseren politischen Stellen und privaten sowie staatlichen Organisationen im Rahmen des Erforderlichen unterstützt werden. In diesem Zusammenhang muß die große Spendenbereitschaft, die in unserer Bevölkerung besteht, angesprochen werden. Wir bedanken uns sehr dafür. ({1}) Woher kommt es eigentlich, daß in Deutschland ein solch großes, ja übergroßes Maß an Bereitschaft zur Unterstützung und zum Spenden - das kann man mit Fug und Recht sagen - vorhanden ist? Dies hängt nach meinem Empfinden mit unserer kollektiven Erinnerung zusammen, damit, daß es bei uns noch sehr viele Menschen gibt, die selber wissen, wie es ist, wenn man innerhalb einer Stunde mit einem Koffer und dem NotRudolf Bindig wendigsten am Leib Haus und Hof verlassen muß und nicht weiß, ob man zurückkommen kann und ob man auf der Flucht schlimme Dinge erlebt. All das, was der Bundesverteidigungsminister zu Beginn seiner Rede geschildert hat, findet sich in Erzählungen früherer Vertriebener wieder. Die Vertreibung aus dem Kosovo ist leider nicht die erste Vertreibung in Europa in diesem Jahrhundert; so etwas gab es schon vor über 50 Jahren. Dinge sind historisch nicht vollständig vergleichbar, es handelt sich vielmehr um subjektives Empfinden. Es ist eine Frage der politischen Debatte, wenn man eine Intervention humanitär und moralisch mit den Menschenrechten begründet und gleichzeitig diejenigen, die als Deutsche ebenso das Schicksal der Vertreibung erlebt haben, so an den Rand stellt, wie das diese Bundesregierung und insbesondere der Bundeskanzler tun. ({2}) Es würde dem Bundeskanzler gut anstehen, wenn er beim Bund der Vertriebenen - das ist eine Organisation, die eine Gruppe der Bevölkerung vertritt, die sehr großes Verständnis für das Schicksal der Menschen hat, die heute aus Heim und Hof gesetzt werden ({3}) zur Fünfzigjahrfeier erscheinen, dort eine Rede halten und sich für die Unterstützung bedanken würde. ({4}) Es hat sehr viel mehr miteinander zu tun, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Regierungskoalition, als Sie das offensichtlich wahrhaben wollen. Wir stimmen dem humanitären Auftrag zu. Wir wissen aber, daß der humanitäre Auftrag und der Auftrag zu Luftangriffen - Angriffen der Luftwaffe und der begleitenden Einheiten - gefährliche Aufträge sind. Erlauben Sie mir, daß ich bei dieser Gelegenheit an alle Opfer, insbesondere an die zwei amerikanischen Piloten denke, die vor zwei Tagen ums Leben gekommen sind. Sie stammen aus einer Garnison in meinem Wahlkreis. Vor ihrer Abreise hatte ich die Möglichkeit, mit dem Kommandeur zu sprechen. Das ist ein Tribut, den diese Menschen für diese Aktion zollen, der über das Vorstellbare hinausgeht. Wir sind allen zu Dank und zu Respekt verpflichtet. Das Mitgefühl gilt den hinterbliebenen Familienangehörigen. Der Bundesverteidigungsminister hat davon gesprochen, daß er immer davon ausgegangen ist, daß dieser Antrag eine große Zustimmung im Parlament erhält. Damit rechnet er auf die Rationalität der Opposition. Die Zustimmung der Opposition, Herr Minister, ist aber nicht selbstverständlich. Ihre Notwendigkeit muß von seiten der Regierung schlüssig dargelegt werden, und sie kann nicht ein Hilfsaggregat sein, weil man in seinen eigenen Parteien Mehrheiten offensichtlich nicht ohne Schwierigkeiten zustande bringt. ({5}) Wenn wir über Mehrheiten - nicht nur hier im Hause und über die politische Diskussion in den Parteien sprechen, dann mutet es schon etwas eigenartig an, daß sich Herr Gysi und die Regierungsmitglieder einerseits in heftigem Streit befinden, ich andererseits aber nicht höre, daß sich etwa in Mecklenburg-Vorpommern, wo die beiden Parteien gemeinsam auf der Regierungsbank sitzen, irgend etwas an Konsequenzen zeigt. ({6}) Gleichzeitig geben ganze SPD-Landesverbände, wie zum Beispiel der mir gut bekannte Landesverband Bayern, und Ministerpräsident Klimmt aus dem Saarland Hinweise auf die Völkerrechtswidrigkeit der Aktion. ({7}) Ich greife wahllos eine Zeitung heraus. Die Berliner haben uns freundlicherweise mit der „Berliner Zeitung“ versorgt. In der gestrigen Ausgabe stand auf Seite 22 links neben einem Artikel zur Scheinselbständigkeit: Körting fordert Stopp der Nato-Angriffe. Führende Berliner SPD-Politiker fordern, daß der NatoEinsatz … sofort gestoppt wird. ({8}) - Er schreit „prima“.- Rechts vom Artikel über die Scheinselbständigkeit steht: Der Landesvorstand von Bündnis 90/Die Grünen in Berlin fordert den sofortigen bedingungslosen Stopp der Luftschläge gegen Jugoslawien. Wo kommt das her? - Es ist in weiten Kreisen der die Regierung tragenden Parteien ein Grundmißtrauen gegen die NATO vorhanden. Wir setzen ein Grundvertrauen dagegen. Lassen Sie mich das bei dieser Gelegenheit personifizieren: Wir möchten dem gestern aus seinem Amt ausgeschiedenen höchsten deutschen Offizier in der NATO, dem Vorsitzenden des Militärausschusses, General Naumann, für seine kluge und verantwortungsvolle Arbeit danken. Er hat dazu beigetragen, daß das Bündnis in den letzten sechs Wochen in der Lage war, militärisch die Dinge umzusetzen, die politisch notwendig waren. ({9}) Ich weiß, das schmeckt Ihnen nicht. Aber wir müssen darüber reden. Wenn mich ein Kreisvorsitzender von Bündnis 90/ Die Grünen anschreibt, mich um Teilnahme an einer Diskussionsveranstaltung zum Thema „NATO-Luftangriffe“ bittet und mir mitteilt, er sei ein erklärter Gegner dieser Luftangriffe und würde mich deswegen einladen, weil ich als Vertreter der CSU der einzigen Partei angehören würde, die geschlossen hinter den Christian Schmidt ({10}) NATO-Luftangriffen stehe, mutet das schon etwas seltsam an. ({11}) Herr Bundesaußenminister, ich bin gerne bereit, bei Ihrer Partei da und dort ein Wort für Sie einzulegen. Aber die Rolle der Bundesregierung will ich nicht spielen. Das müssen Sie schon selbst machen. Die Frage wird sein, ob das, was gestern beschlossen worden ist - was unsere Unterstützung verdient -, dazu führt, daß der Kurzatmigkeit in der politischen Diskussion dieser Parteien weiter Vorschub geleistet wird, weil man damit den Begriff einer „innenpolitischen Atempause“ verbindet, oder ob man bereit ist, die Konsequenz, die der amerikanische Präsident gestern sehr deutlich gemacht hat, mitzutragen. Der Verteidigungsminister hat das deutlich gesagt - das ist zu unterstreichen -: Es geht um parallele Aktivitäten. Wer meint, man sei jetzt an dem Punkt angelangt, den Druck auf Milosevic - auch den militärischen - zu vermindern, Luft aus dem Ventil zu lassen, der wird sehr schnell merken, daß dem Bündnis und der Durchsetzung der Ziele von NATO und der freien Welt - jetzt auch der Russen - damit die wahre Gefahr droht. Deswegen wird der Erklärungsbedarf der Bundesregierung gegenüber den sie tragenden Parteien steigen. Ich stelle mit Interesse fest und respektiere selbstverständlich, daß wir diese Beschlußempfehlung heute mit einer großen Mehrheit dieses Hauses verabschieden werden. Aber es geht nicht, daß Bündnis 90/Die Grünen sagen - das hat auch der Kollege Schlauch getan -, sie seien eine Partei, in der jeder zerrissen ist, die Partei als Ganzes aber nicht - wunderschöne Formel -, und gleichzeitig so tun, als unterstelle man denen, die aus Verantwortungsbewußtsein, aber mit sehr, sehr großen Bauchschmerzen ob der Form, ob der Darstellungen und ob des Zeitpunktes zustimmen, sie seien diejenigen, die hier moralisch nicht tiefer nachdenken würden. ({12}) Es geht nicht, daß Sie die Moral für sich pachten, aber die wichtigen Entscheidungen von der Opposition mittragen lassen. ({13}) Wir sind froh und dankbar, daß Rußland einen Weg eingeschlagen hat, der zu einem Recht der Vereinten Nationen führt, das allemal besser ist als alles andere. Ich glaube, es ist hier angebracht, Kofi Annan zu danken, dem Generalsekretär der Vereinten Nationen, der in einer für die Vereinten Nationen sehr schwierigen Situation in einer sehr zurückhaltenden und klugen Weise agiert hat. ({14}) Ich denke, dieses G-8-Papier ist auch ein Tribut an Kofi Annans Politik. Die Frage, wie weit sich in diesem Sicherheitsratsmandat die Positionen der NATO und Rußlands wiederfinden werden, ist noch offen. Sie zu beantworten bleibt Außenminister Fischer vorbehalten, dem wir dabei sehr viel Erfolg wünschen. Diese Arbeit ist aber noch nicht geleistet. Das ist ein Punkt, auf den ich hinweisen will, der uns auch bei der Debatte über Ihre Antragsformulierung Sorge gemacht hat, nämlich: Wer ein VN-Mandat anstrebt, ein Kapitel-VII-Mandat, das heißt ein Mandat, das durchgesetzt werden kann, der geht, wenn dieses Mandat in Belgrad nicht akzeptiert wird, über das hinaus, was wir in diesem Hause besprochen haben. Deswegen unterstreiche ich, daß alle folgenden Fragen zur Durchsetzung eines VN-Mandats in diesem Parlament Punkt für Punkt erörtert und beschlossen werden müssen. Wir schlagen der Bundesregierung vor, daß sie gerade deswegen mit der Opposition in der nächsten Zeit in intensive Informationsgespräche eintritt. Der Herr Bundesaußenminister hat das gestern angekündigt. Ich stehe nicht an, das als positiv zu vermerken. Einen Fehler dürfen wir nicht machen - soviel zum Thema Kurzatmigkeit -, nämlich den Fehler von Dayton zu wiederholen. Sie hatten von der Holbrooke/ Milosevic-Mission, vom Pakt, gesprochen, Herr Kollege. So weit will ich nicht gehen, aber Dayton ist durchaus mit dem Namen Holbrooke verbunden. Wir Europäer sollten darauf achten, daß wir die potentiellen Krisenherde - Montenegro, Mazedonien und Albanien jetzt einbeziehen und nicht in ein weiteres Stückwerk verfallen, das uns in den nächsten Jahren womöglich wieder Probleme bereiten könnte, die wir alle nicht wollen. Dahin ist es ein langer Weg. Der erste Schritt zur Einbeziehung Rußlands, die wir immer gefordert haben - Sie wissen auch, daß sich der bayerische Ministerpräsident hier eingeschaltet hat -, ist getan. Daß sie nun stattfindet, ist gut. Ich habe mit dem amerikanischen Kongreßabgeordneten Weldon, der am letzten Wochenende in Wien Abgeordnete der Duma mit einer Delegation des Kongresses zusammengebracht hat, sehr engen Kontakt. In seinem Papier sind einige interessante Aspekte enthalten, die mit dem G-8-Papier übereinstimmen. Wir sollten die Parlamente in die Information und Unterstützung für das gemeinsame Ziel einbeziehen. Wenn man jedoch jemanden einbeziehen will, muß man auch bereit sein, selbst Verantwortung zu übernehmen. Hier ist in erster Linie die Exekutive gefragt. Sie trägt die Verantwortung, und an der Übernahme dieser Verantwortung werden wir sie messen. ({15})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht nun Kollege Winfried Nachtwei. Christian Schmidt ({0})

Winfried Nachtwei (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002743, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Kollege Schmidt, Sie erweckten gerade den Eindruck, als sei der Streit über die deutsche Kriegsbeteiligung irgendwie ehrenrührig. Das Gegenteil ist der Fall. ({0}) Daß es darüber in der Gesellschaft, in den Parteien, vor allem bei den Grünen, Streit gibt, ist notwendig und sinnvoll für die Demokratie. ({1}) Seit Februar dauert der Vertreibungskrieg von serbischen Militärs, Sonderpolizei und Mörderbanden gegen die kosovo-albanische Zivilbevölkerung an, und vielen ist offensichtlich nicht bewußt, daß es dafür schon vor einem Jahr einen Probelauf gegeben hat. Seit sechs Wochen dauern die NATO-Luftangriffe an, ohne daß sie die humanitäre Katastrophe stoppen, ohne daß sie den jugoslawischen Präsidenten zum politischen Einlenken bewegen konnten. Mit wachsender Sorge, ja Verzweiflung beobachteten wir in den letzten Wochen die Verschärfung des Krieges auf dem Boden und in der Luft. Nach den Erfahrungen dieses Krieges besteht keinerlei Veranlassung, sich falsche Hoffnungen zu machen oder sich gar einem Wunschdenken hinzugeben. Trotzdem: Die Ergebnisse des gestrigen Außenministertreffens der G-8-Staaten sind nicht weniger als der Durchbruch zu einem gemeinsamen Weg bei der politischen Lösung im Zusammenhang mit dem Kosovo-Krieg. Die führenden Industrienationen und Rußland einigten sich auf die grundsätzlichen Ziele und Schritte einer gemeinsamen Strategie. Dieser Durchbruch wird im Vergleich zu der Situation vor einigen Wochen besonders deutlich. Jetzt ist Rußland wieder voll dabei und trägt die Grundsätze der fünf Punkte mit. Der Weg zurück zu den Vereinten Nationen und zu einer eindeutigen völkerrechtlichen Absicherung der internationalen Kosovo-Politik ist vorgezeichnet. Damit wird die Außerkraftsetzung des internationalen Gewaltverbots durch die NATO-Luftangriffe nicht ungeschehen gemacht. Deutlich wird aber der feste Wille der Bundesregierung, diesen Ausnahmefall auf keinen Fall zum Regelfall werden zu lassen und zu einer Stärkung und einer Reform des Völkerrechts und der Vereinten Nationen zurückzufinden. ({2}) An dem gestrigen Verhandlungsdurchbruch haben viele mitgewirkt. Es ist aber - so denke ich - keine Übertreibung, wenn ich feststelle, daß der deutsche Außenminister Fischer daran einen ganz wesentlichen und vorwärtstreibenden Anteil hat. ({3}) Das ganze Haus, mit allen Abgeordneten, kann Ihnen, Herr Minister, bei der weiteren diplomatischen Schwerstarbeit nur volle Kraft und Rückenwind auch von denjenigen wünschen, die dem Eingreifen der NATO sonst distanziert oder ablehnend gegenüberstehen. Nun zum Antrag der Bundesregierung. In den Anrainerstaaten des Kosovo gibt es zur Zeit rund 700 000 Vertriebene, davon mehr als 400 000 allein in Albanien. Die Situation der Flüchtlinge ist dramatisch; teilweise ist die Lage nicht mehr unter Kontrolle. Zivile Hilfsorganisationen allein sind mit der Bewältigung dieser Lage völlig überfordert. Sie sind schon seit Wochen auf militärische Unterstützung angewiesen. Ein schneller Ausbau dieser Unterstützung ist überfällig. Notwendig ist die schnelle Erweiterung bzw. die Neuerrichtung von Flüchtlingslagern, notwendig ist eine medizinische Versorgung; notwendig sind schnelle und umfassende Transporthilfen, und notwendig ist die Sicherung der Hilfe gegen Bandenüberfälle. Die Bundeswehr verfügt über dafür geeignete Kräfte. Ihre Entsendung ist unbedingt notwendig und unumgänglich, um die Katastrophe auch nur einigermaßen wieder in den Griff zu bekommen und um ein Abrutschen ins Chaos zu verhindern. In den letzten Tagen wurden völlig zu Recht kritische Fragen an diesen neuen Bundeswehreinsatz gestellt - zu massiv sind inzwischen die Diskussionen in der NATO um einen möglichen Bodeneinsatz; zu naheliegend sind die Vermutungen, daß in Wirklichkeit dafür schon Vorbereitungen im Hintergrund getroffen werden. Mit der Kräftezusammensetzung des Bundeswehrkontingents und mit den Formulierungen des vorliegenden Antrages stellt die Bundesregierung aber eindeutig klar, daß diese Kräfte nicht für einen eventuellen Bodenkrieg zur Verfügung stehen. Alles andere würde in diesem Haus auf breiteste Ablehnung stoßen. Die PDS lehnt die Entsendung der Bundeswehrsoldaten zum Zweck der Flüchtlingshilfe ab. Sie zeigt damit ihre fortgesetzte Ignoranz gegenüber den realen Verhältnissen im Kosovo und in den Anrainerstaaten, ({4}) und sie setzt damit die Linie ihres Antrags zum Verteidigungshaushalt von vorgestern fort, in dem sie - das ist den meisten wahrscheinlich nicht aufgefallen - die Streichung der 50 Millionen DM für Maßnahmen der Bundeswehr im Zusammenhang mit internationalen humanitären und sonstigen Einsätzen - und damit konkret den Rückzug der deutschen SFOR-Anteile aus Bosnien - forderte. Offenbar ist Ihnen von der PDS die Aufrechterhaltung eines pseudoantimilitaristischen Images wichtiger als die Frage, wie die Hilfe vor Ort am besten und schnellsten organisiert werden kann. ({5}) Schwerpunkt aller Flüchtlingshilfen ist die Hilfe vor Ort. Alle, die die katastrophale Lage in den Anrainerstaaten wahrnehmen, wissen: Diese Länder können den Flüchtlingszustrom nicht bewältigen; ihre Stabilität ist akut gefährdet. Deshalb ist es nicht nur eine humanitäre Verpflichtung, sondern auch ein Gebot europäischer Stabilitätspolitik, schnell eine größere Zahl von Flüchtlingen in den europäischen Staaten aufzunehmen. Vor diesem Hintergrund ist die Haltung vieler europäischer Staaten, nur äußerst zögerlich Flüchtlinge aufzunehmen, völlig kurzsichtig. ({6}) Die reale Abschottungspolitik der anderen kann aber keine Rechtfertigung dafür sein, sich hierzulande gegen die Aufnahme weiterer Flüchtlinge zu stellen, wie es die CDU-Innenminister in den zurückliegenden Tagen getan haben. Ein solches Verhalten widerspricht voll und ganz der humanitären Dimension, die für den Einsatz und das Eingreifen der internationalen Gemeinschaft im Kosovo ansonsten völlig zu Recht in Anspruch genommen wird. ({7}) Zum Schluß möchte ich noch auf eine Seite der Flüchtlingspolitik zu sprechen kommen, die viel zuwenig bedacht wird. Zu Recht verweist die Bundesregierung - und eben gerade auch Minister Scharping - auf die großen Rekrutierungsprobleme und die hohe Desertionsrate der jugoslawischen Armee als Zeichen für Risse im serbischen Militärapparat. Aber warum wird das nur positiv vermerkt? Warum wird nicht auch alles dafür, eben für die Zersetzung des serbischen Vertreibungsapparates, getan? ({8}) Längst überfällig ist deshalb das Angebot der europäischen Staaten an die Deserteure der jugoslawischen Armee, sie aufzunehmen und ihnen Asyl zu gewähren. ({9}) Wir fordern die Bundesregierung auf, dazu die notwendigen Schritte zu tun und auch mit gutem Beispiel voranzugehen. Es geht darum, Krieg und Vertreibung zu stoppen, die sichere Rückkehr der Vertriebenen in ihre Heimat zu ermöglichen und die akute Not der Vertriebenen zu lindern. Dafür ist der heutige Beschluß ein notwendiger und unverzichtbarer Beitrag. Dafür ist die gestrige Einigung der G-8-Staaten ein hoffnungsvolles Zeichen. Danke schön. ({10})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat nun Kollege Paul Breuer, CDU/CSU-Fraktion.

Paul Breuer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000265, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn die CDU/CSU dem von der Bundesregierung vorgelegten Antrag auf deutsche Beteiligung an der humanitären Hilfe im Zusammenhang mit dem Kosovo-Konflikt, zu erbringen vorwiegend in Albanien - aber der Antrag bezieht sich auch auf Mazedonien -, zustimmt, dann tun wir dies aus zwei Gründen. Der erste Grund: Es ist überhaupt nicht zu übersehen, daß Albanien und Mazedonien mit dem kaum vorstellbaren Elend der Flüchtlinge, der Vertriebenen und ihrer unvorstellbar großen Zahl, dem menschlichen Elend nicht fertig werden können, auch nicht zusammen mit den internationalen Hilfsorganisationen, die trotz großer finanzieller Hilfen dies ebenfalls nicht leisten können, weil sie einer Unterstützung seitens der NATO, die sie ja auch wünschen, bedürfen. Das ist der eine Grund, warum wir zustimmen. Der zweite Grund, warum wir zustimmen, ist, daß glaubwürdig nachgewiesen ist, daß dieser Einsatz unseren Kriterien dafür entspricht, eine Eskalation dieses Konflikts zu vermeiden. ({0}) Herr Kollege Bindig, Sie haben soeben eine interessante Formulierung benutzt. Sie haben - ich weiß nicht, an welchen Kollegen Sie das adressierten - gesagt, nicht alles, was Militär sei oder was Militär mache, sei notwendigerweise militärisch. Man muß sich einmal überlegen, was Sie damit gesagt haben und wie das im Zusammenhang mit der Fragestellung, um die es hier geht, zu bewerten ist. Wenn Sie sich mit internationalen Hilfsorganisationen beschäftigen - ich weiß, Sie tun es - oder auch mit deutschen Hilfsorganisationen, zum Beispiel dem Deutschen Roten Kreuz, dann werden Sie dort zu hören bekommen - Sie haben es mit Sicherheit schon gehört -, daß es wegen der Entwicklung der bedauerlichen Kriegsszenarien innerhalb von Staaten, wegen der ethnischen, der religiös oder wie auch immer motivierten Probleme zunehmend notwendig erscheint, daß die Hilfsorganisationen von militärischer Seite unterstützt werden. Das hat man in der Vergangenheit für völlig unvorstellbar gehalten. Wir haben schon mehrfach festgestellt, daß gerade militärische Organisationen hier Entscheidendes leisten können. Auch die Bundeswehr kann das. Dafür müssen wir uns bei den Soldaten der Bundeswehr, die das aus dem Stand können, herzlich bedanken. Gerade die Bundeswehr ist im Bereich der humanitären Hilfe, die eigentlich nicht ihre Hauptaufgabe ist, zu großen Leistungen befähigt. ({1})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Kollege Breuer, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Paul Breuer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000265, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr gern.

Volker Kröning (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002707, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Breuer, Sie haben wie der Kollege Bindig die Zusammenarbeit zwiWinfried Nachtwei schen den staatlichen und nichtstaatlichen Organisationen bei der Hilfe für die Menschen in Not vor Ort angesprochen. Ich teile Ihre Ausführungen, daß uns die Hilfe der jeweiligen Organisation, aber auch die Zusammenarbeit dieser beiden Organisationstypen bei der Hilfe vor absolut neue und absolut ungewöhnliche Herausforderungen stellt. Aber darf ich Sie angesichts der These, die der Kollege Bindig aufgestellt hat, fragen, ob auch Ihnen das Problem bewußt ist - und, wenn ja, was Sie davon halten -, daß die Bundeswehr auf der einen Seite in einen internationalen bewaffneten Konflikt involviert ist und auf der anderen Seite eine Hilfsorganisation wie das Rote Kreuz, das international tätig ist, zur Neutralität verpflichtet ist? Diese Verhältnisse implizieren Möglichkeiten, aber auch Grenzen der Zusammenarbeit. Genau darauf wollte der Kollege Bindig hinweisen.

Paul Breuer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000265, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Kröning, ich stimme Ihnen zu, daß die internationalen Hilfsorganisationen Wert darauf legen müssen - aus den Gründen, die Sie beschrieben haben -, Grenzen zu ziehen. Aber ich möchte Wert darauf legen, festzustellen, daß die notwendige Hilfe für die Menschen angesichts der Umstände, die jetzt in diesen Ländern herrschen, ohne eine militärische Organisation überhaupt nicht mehr geleistet werden kann. Wenn die NATO nicht in der Lage wäre hier stimmen Sie sicherlich mit mir überein -, im Rahmen des Projekts „Allied Harbour“ zusammen mit NATO-Staaten und Nicht-NATO-Staaten Hilfe zu organisieren - hier ist die Teilnahme der Bundeswehr ein wichtiger Baustein -, dann wäre niemand in Europa in der Lage, den Menschen dort zu helfen. In diesem Zusammenhang fällt natürlich ein Widerspruch auf, auf dessen Darstellung ich nicht verzichten kann. Minister Scharping hat in seiner Rede vorhin darauf hingewiesen, daß die Hilfe dringlich sei. Ich stimme ihm zu. Aber wenn ich mir anschaue, seit wann über diese Hilfe und den deutschen Beitrag diskutiert wird, dann muß ich feststellen, daß von Dringlichkeit gar keine Rede sein kann. Ich habe nachgeschaut, wann Minister Scharping über den deutschen Beitrag zum erstenmal öffentlich gesprochen hat. Ich habe eine Meldung der Nachrichtenagentur „AFP“ gefunden, die von Anfang April datiert ist. Am 20. April dieses Jahres sprach der Fraktionsvorsitzende der SPD, Herr Struck, davon, daß noch in der Woche um den 20. April herum ein Beschluß des Deutschen Bundestages - er rechnete mit einer großen Mehrheit - erfolgen werde. Heute schreiben wir den 7. Mai 1999. Es sind also rund sechs Wochen vergangen, nachdem zum erstenmal über die Gewährleistung der Hilfe gesprochen worden ist. Was ist eigentlich aus der Dringlichkeit geworden? Es ist nicht verborgen geblieben - das läßt sich auch gar nicht verbergen -, daß es nicht etwa an organisatorischen Fragestellungen oder an Abstimmungsproblemen mit der NATO gelegen hat, daß die dringliche Hilfe nicht früher geleistet werden konnte. Nein, Sie haben sich durch parteitaktische und koalitionstaktische Überlegungen daran hindern lassen, früher einen Beschluß im Deutschen Bundestag herbeizuführen. Man kann Ihnen also den Vorwurf nicht ersparen, daß Ihnen Ihre Parteiund Koalitionstaktik offenbar wichtiger war als die Hilfe für die notleidenden Menschen in der betroffenen Region. Diesen Vorwurf kann man Ihnen wirklich nicht ersparen. ({0}) - Ich bin sehr gern dazu bereit, das genauestens zu analysieren. ({1}) - Ich habe es doch schon getan, verehrter Herr Kollege. - Ich bin auch davon überzeugt, daß der dafür Verantwortliche mit Sicherheit nicht Verteidigungsminister Scharping ist. Das wissen auch Sie ganz genau. Es sind ganz andere, die dabei eine Rolle spielen. Sie können von der Opposition, deren Aufgabe die Kontrolle der Regierung ist, nicht verlangen, darauf zu verzichten, diesen Sachverhalt darzustellen. ({2}) - Es ist offensichtlich, daß Sie eine gewisse Nervosität an den Tag legen, wenn man über Dinge redet, die der Wahrheit entsprechen. ({3}) Dieses zögerliche Vorgehen hatte aber auch noch den zweiten Effekt, daß Unsicherheiten in der politischen Debatte über die Vorlage entstanden sind. In die Vorlage sind, zum Teil öffentlich, Dinge hineininterpretiert worden, für die die Formulierungen in der Vorlage keinerlei Grundlage bieten. In deutschen Zeitungen war zu lesen, daß die Beteiligung Deutschlands an diesem Projekt der NATO zur humanitären Hilfe, „Allied Harbour“, so etwas wie ein fließender Übergang in einen Bodenkrieg sei.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Kollege Breuer, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Brecht?

Paul Breuer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000265, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja, nach diesem Satz sehr gern. Wir haben den Antrag intensiv geprüft. Der Vorwurf, dieser humanitäre Einsatz biete einen fließenden Übergang in einen Bodenkrieg, ist völlig unsinnig. Aber die zögerliche Vorlage hat vor dem Hintergrund, den ich eben dargestellt habe, einen Beitrag dazu geleistet, so etwas in sie hineinzuinterpretieren. Diesen Vorwurf kann man Ihnen nicht ersparen. ({0})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Kollege Brecht.

Dr. Eberhard Brecht (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000254, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Breuer, ich möchte auf Ihre ungeheuerliche Behauptung zurückVolker Kröning kommen, es sei zu einer Verzögerung der Entscheidung aus einem parteipolitischen Kalkül gekommen. Unterstellen Sie mit vollem Ernst einem führenden Sozialdemokraten oder einem führenden Grünen, eine notwendige Hilfeleistung - es geht um verfolgte Menschen, die versorgt werden müssen - zu unterlassen, nur um innenpolitisch einen Vorteil zu erreichen?

Paul Breuer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000265, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Geschätzter Herr Kollege, wie erklären Sie es sich denn, daß über diesen Einsatz seitens des verantwortlichen Ministers seit Anfang April - ich lege Ihnen alle Meldungen der Nachrichtenagenturen vor - gesprochen wird und daß am 20. April Ihr Fraktionsvorsitzender, Herr Struck, in einem Pressegespräch unaufgefordert erklärt hat, es stünden ein Kabinettsbeschluß - für den darauffolgenden Tag - und ein Bundestagsbeschluß bevor, um diesen Einsatz herbeizuführen? Seitdem ist nichts mehr geschehen, bis die Regierung in dieser Woche diesen Antrag überfallartig eingebracht hat. Die Gründe dafür können doch nicht in der Sache liegen, werter Herr Kollege. ({0}) Im Hintergrund stehen koalitionstaktische Erwägungen, die wichtiger als die Orientierung an der Dringlichkeit der Angelegenheit waren. ({1}) Das heißt, daß diejenigen, die diese Politik betreiben, die Vertreter dieser Koalition - ich denke, daß Verteidigungsminister Scharping nicht der Hauptverantwortliche für die Verzögerung ist -, den Rücken nicht mehr so frei haben, wie es notwendig ist. Man muß dazu in der Lage sein, sich jeweils an der Sache zu orientieren. Es ist bedauerlich, daß es bei Ihnen so weit gekommen ist, daß dies nicht mehr möglich ist. Nehmen Sie zur Kenntnis - da sollten Sie dankbar sein -, daß sich die Opposition - ich spreche hier für die größte Oppositionsfraktion, für die CDU/CSU - nicht an parteitaktischen Erwägungen orientiert, ({2}) sondern dazu bereit ist, Verantwortung zu übernehmen das gilt ja auch für die F.D.P., wie wir es vorhin gehört haben -, obwohl in der deutschen Öffentlichkeit nicht zu Unrecht eine große Sensibilität gegenüber diesen Fragestellungen vorhanden ist. ({3}) Seien Sie gewiß, daß es der deutschen Öffentlichkeit gar nicht verborgen bleiben kann, daß das, was im Zusammenhang mit dieser Entscheidung bei Ihnen geschieht, nicht sachlich orientiert ist. Meine Damen und Herren, ich bin davon überzeugt, daß der von dem an sich in Heidelberg stationierten Stab organisierte Einsatz der NATO im Rahmen der humanitären Hilfsaktion „Allied Harbour“ in Albanien dazu geeignet ist, den Menschen, den Vertriebenen und Flüchtlingen, bei der Abwendung und Vermeidung von Elend zu helfen. Ich bin davon überzeugt, daß die rechtlichen Kriterien, die in den Antrag der Bundesregierung eingebaut sind, dazu geeignet sind und auch die Sicherheit bieten, daß eine unkontrollierte Eskalation vermieden wird. Gleichwohl ist dieser Einsatz, auch der der deutschen Soldaten, nicht völlig ungefährlich. Deswegen sind wir dankbar dafür, daß sich deutsche Soldaten an diesem Einsatz beteiligen. Wir sagen Ihnen aber gleichzeitig: Gehen Sie sorgfältig bei diesem Einsatz vor! Auch wir sind sorgfältig. Das haben wir in dieser Beratung gezeigt. Ich bedanke mich. ({4})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat nun der Kollege Reinhold Robbe, SPD-Fraktion.

Reinhold Robbe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002762, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Vorweg ein Wort zum Kollegen Breuer. Lieber Kollege Breuer, einerseits haben Sie unseren Soldatinnen und Soldaten für ihren Einsatz und für ihre Bereitschaft, all das, was sich im Augenblick auf dem Balkan abspielt, mitzutragen, gedankt. Ich habe aber wenig Verständnis dafür - erlauben Sie mir, das ganz offen zu sagen -, wenn diese Debatte andererseits, während jetzt gerade die Angehörigen dieser Soldaten, ihre Frauen und die sonstigen Angehörigen, an den Fernsehgeräten diese Debatte verfolgen, von unverständlicher Polemik begleitet wird. ({0}) Ich habe dafür, ehrlich gesagt, kein Verständnis. Wir müssen sehr viel Sensibilität bei diesem Thema und auch bei der Beratung des heutigen Antrags an den Tag legen. Als ich vor nunmehr etwa fünf Jahren als noch relativ junger Abgeordneter in den Deutschen Bundestag gewählt wurde, habe ich es nicht einmal andeutungsweise für möglich gehalten, daß ich mich bereits ein Jahr später mit Fragen auseinanderzusetzen hatte, bei denen es nicht um die übliche parlamentarische Beratung irgendeines Themas ging, sondern schlichtweg um die schwierigste Entscheidung in meinem bisherigen politischen Leben. 1995 ging es in diesem Hohen Hause um den ersten Einsatz der Bundeswehr in Ex-Jugoslawien. Ich werde diese bewegende und in jeder Hinsicht aufregende Zeit niemals vergessen. Wir wurden vor die Frage gestellt, ob es zu verantworten sei, dem schrecklichen Treiben eines furchtbaren und skrupellosen Diktators Namens Milosevic weiterhin tatenlos zuzuschauen oder ob wir uns nicht vielmehr gemeinsam mit unseren Verbündeten daran beteiligen sollten, dem Massenmorden, der tausendfachen Vertreibung und der elementaren Verletzung von MenschenDr. Eberhard Brecht rechten ein Ende zu bereiten. Ich habe noch heute plastisch vor Augen, wie innerlich zerrissen meine damals eigene Fraktion, ja eigentlich das gesamte Parlament war. Auch wenn wir uns im klaren darüber waren, daß die Bundeswehr bei früheren Einsätzen, beispielsweise in Kambodscha oder in Somalia, gewisse Erfahrungen mit Auslandseinsätzen vorzuweisen hatte, so standen wir damals in der Bosnien-Frage doch zum erstenmal vor einem elementaren Problem, unsere Soldaten in ein vom Bürgerkrieg verwüstetes Land zu schicken, was mit vielen Risiken für die Gesundheit und sogar mit Risiken für Leib und Leben der Soldaten verbunden war. Heute können wir ermessen und bewerten, wie richtig es 1995 war, die rechtlichen Voraussetzungen für den Bosnien-Einsatz zu schaffen. Wer einmal die Gelegenheit ergreifen konnte - wie viele das gemacht haben -, in Rajlovac, Trogir oder Mostar vor Ort anzuschauen, was unsere Armee an segensreicher Arbeit bei der Friedenssicherung im Land und vor allen Dingen beim Wiederaufbau im Rahmen der humanitären Hilfe leistet, der wird mir beipflichten, wenn ich feststelle: Diese Armee, diese deutsche Bundeswehr, erfüllt ihren militärischen Auftrag in vorbildlicher Weise. ({1}) Gerade die Menschen in Bosnien schätzen unsere Soldaten als Friedensbotschafter, die nicht nur für die Sicherheit der Menschen sorgen, sondern in einem ganz erheblichen Maße beim Bau von Brücken, Schulen, Krankenhäusern und Straßen helfen. Unabhängig davon haben die Sanitäter in vielen Notfällen ohne besonderen Auftrag Menschenleben gerettet. Weshalb, so werden Sie jetzt vielleicht fragen, ist diese Rückblende auf die Entwicklung in Bosnien von Bedeutung? Schließlich geht es in unserer heutigen Debatte um die deutsche Beteiligung an der humanitären Hilfe im Zusammenhang mit dem Kosovo-Konflikt. Nun, der Rückblick ist aus meiner Sicht deshalb wichtig, weil die furchtbaren Geschehnisse im Kosovo die traurige Fortsetzung dessen sind, was seinerzeit in Sarajevo begonnen hat. Da mag es dann für den einen oder anderen Historiker oder Publizisten interessant und wichtig sein, die Versäumnisse des Dayton-Abkommens immer und immer wieder zu thematisieren und in diesem Zusammenhang auch nach Verantwortlichkeiten bei uns und anderswo zu suchen. In der ganz konkreten aktuellen Situation und vor dem Hintergrund der Tatsache, daß Zehntausenden von Flüchtlingen und unschuldigen Zivilisten möglichst sofort und wirksam geholfen werden muß, spielt diese Diskussion über mögliche Versäumnisse oder theoretische Planspielchen eine nach meiner Auffassung untergeordnete Rolle. ({2}) Was dieses Parlament letztlich in seiner ganz überwiegenden Mehrheit bewogen hat, für die Beendigung von Völkermord und ethnischer Säuberung zu stimmen, ist unsere humanitäre Verpflichtung gegenüber denen, die sich selber nicht helfen und schützen können. Diese humanitäre Verpflichtung, die sich in erster Linie aus den Menschenrechten ableitet, bildet auch die Grundlage für den heutigen Antrag der Bundesregierung im Hinblick auf die deutsche Beteiligung an der humanitären Hilfe. Die deutsche Bevölkerung begleitet das Geschehen in der Balkan-Region mit unbeschreiblich großer innerer Anteilnahme. Nicht zuletzt deshalb konnte bis zum heutigen Tage so viel an Geld- und auch an Sachspenden für die verfolgten und bedrohten Menschen im Kosovo gesammelt werden. Hilfsbereitschaft und das Mitleiden unserer Bevölkerung gehen weit über das hinaus, was in anderen Ländern in diesem Zusammenhang beobachtet werden kann. Deshalb sei an dieser Stelle der deutschen Bevölkerung ebenso wie den vielen staatlichen und nichtstaatlichen Hilfsorganisationen - hier wiederum ganz besonders den Kirchen - ganz herzlich gedankt. ({3}) All diese Organisationen sorgen gemeinsam mit unserer Bundeswehr dafür, daß diese Hilfe den von der Verfolgung und Mißhandlung gezeichneten Flüchtlingen schnell und unbürokratisch auf direktem Wege zukommt. Eines muß jedoch ganz unmißverständlich und klar an dieser Stelle festgestellt werden: Ohne die Bundeswehr und ohne unsere NATO-Verbündeten könnte keinem einzigen Flüchtling geholfen werden. Im Bewußtsein unserer Verantwortung und Fürsorgepflicht gegenüber den Soldaten dürfen wir zu keiner Zeit vergessen, wie hoch das Gefährdungspotential im Kosovo selber, aber auch in den Anrainerstaaten ist. Wer in dieser Region Hilfe leisten will, muß gleichzeitig den umfassenden Schutz der Helfer sicherstellen. Nicht zuletzt deshalb enthält der vorliegende Antrag neben der Aufzählung der geplanten humanitären Hilfsleistungen auch einen Abschnitt über die Gefahrenabwehr und über das Recht der Soldaten auf Nothilfe. Ich meine, daß es legitim sein muß, wenn man gerade über den Passus der Nothilfe sehr ausführlich diskutiert und sich umfassend Gedanken macht. Deshalb spielt es nach meiner Auffassung überhaupt keine Rolle, ob ein solcher Antrag einen Tag früher oder später vorgelegt wird. Das ist völlig nebensächlich. ({4}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, alle deutschen Soldaten, die auf der Grundlage des vorliegenden Antrages im Kosovo ihre Pflicht tun werden, dürfen sicher sein, daß nicht nur eine knappe Mehrheit, sondern der Deutsche Bundestag fast geschlossen den Antrag und damit den Einsatz befürwortet. Das ist der beste Vertrauens- und Solidaritätsbeweis für die Bundeswehr, für die Soldaten. Herzlichen Dank. ({5})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich schließe die Aus- sprache. Bevor wir zur Abstimmung kommen, möchte ich mittei- len, daß mir eine Reihe von Erklärungen zur Abstimmung nach § 31 der Geschäftsordnung vorliegen:*) eine Erklärung von Konrad Gilges und weiteren 61 Abgeordneten von SPD und Bündnis 90/Die Grünen, eine Erklärung von Annelie Buntenbach und weiteren sechs Abgeordneten der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, eine Erklärung von Klaus Barthel und weiteren zwei Abgeordneten der SPD, eine Erklärung von Harald Friese und weiteren drei Abgeordneten der SPD, einzelne Erklärungen der Kollegen Günter Nooke, Karl Lamers und Claudia Roth. Wir kommen nun zur Abstimmung über die Be- schlußempfehlung des Auswärtigen Ausschusses zum An- trag der Bundesregierung zur deutschen Beteiligung an der humanitären Hilfe im Zusammenhang mit dem Kosovo- Konflikt, Drucksache 14/982. Der Auswärtige Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 14/912 anzunehmen. Die Fraktion der SPD verlangt namentliche Abstimmung. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die vor- gesehenen Plätze einzunehmen. Sind alle Urnen besetzt? - Das ist der Fall. Ich eröffne die Abstimmung. - Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine Stimme nicht abgegeben hat? - Das ist offensichtlich nicht der Fall. Ich schließe die Abstimmung und bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Aus- zählung zu beginnen. Das Ergebnis der Abstimmung wird Ihnen später bekanntgegeben. Wir kommen nun zur Abstimmung über den Ent- schließungsantrag der Fraktion der PDS auf Drucksache 14/997. Die Fraktion der PDS verlangt namentliche Ab- stimmung. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schrift- führer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen. Sind alle Urnen besetzt? - Das ist der Fall. Ich eröffne die zweite namentliche Abstimmung. - ---------- *) Anlagen 2 bis 5 Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine Stimme nicht abgegeben hat? - Das ist offensichtlich nicht der Fall. Ich schließe die Abstimmung und bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Aus- zählung zu beginnen. Das Ergebnis der Abstimmung wird Ihnen später bekanntgegeben.*) Es folgt nun die Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Auswärtigen Ausschusses zum Entschließungsantrag der PDS zu der Abgabe einer Regierungserklärung des Bundeskanzlers zur aktuellen Lage im Kosovo; Drucksache 14/865. Der Ausschuß empfiehlt, den Entschließungsantrag auf Drucksache 14/755 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Damit ist diese Beschlußempfehlung mit den Stimmen der SPD, der CDU/CSU, von Bündnis 90/Die Grünen und der F.D.P. gegen die Stimmen der PDS angenommen. Ich unterbreche jetzt die Sitzung bis zur Bekanntgabe der Ergebnisse der namentlichen Abstimmungen. ({0}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir setzen unsere Beratungen fort. Ich gebe das von den Schriftführern ermittelte Er- gebnis der namentlichen Abstimmung über die Be- schlußempfehlung des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Bundesregierung zur deutschen Beteili- gung an der humanitären Hilfe im Zusammenhang mit dem Kosovo-Konflikt auf den Drucksachen 14/912 und 14/982 bekannt. Abgegebene Stimmen 616. Mit Ja haben gestimmt 566, mit Nein haben gestimmt 43, Enthaltungen 7. Die Beschlußempfehlung ist damit angenommen. ---------- *) Seite 3412 C Endgültiges Ergebnis Abgegebene Stimmen: 614; davon: ja: 565 nein: 42 enthalten: 7 Ja CDU/CSU Ulrich Adam Peter Altmaier Dietrich Austermann Norbert Barthle Günter Baumann Brigitte Baumeister Dr. Sabine Bergmann-Pohl Otto Bernhardt Hans-Dirk Bierling Dr. Joseph-Theodor Blank Renate Blank Dr. Heribert Blens Peter Bleser Friedrich Bohl Sylvia Bonitz Wolfgang Bosbach Klaus Brähmig Dr. Ralf Brauksiepe Monika Brudlewsky Georg Brunnhuber Klaus Bühler ({1}) Hartmut Büttner ({2}) Dankward Buwitt Cajus Caesar Peter H. Carstensen ({3}) Leo Dautzenberg Albert Deß Renate Diemers Thomas Dörflinger Marie-Luise Dött Maria Eichhorn Rainer Eppelmann Anke Eymer Ilse Falk Dr. Hans Georg Faust Ulf Fink Ingrid Fischbach Dirk Fischer ({4}) Axel E. Fischer ({5}) Herbert Frankenhauser Dr. Gerhard Friedrich ({6}) Dr. Hans-Peter Friedrich ({7}) Erich G. Fritz Hans-Joachim Fuchtel Dr. Jürgen Gehb Norbert Geis Dr. Heiner Geißler Georg Girisch Michael Glos Dr. Reinhard Göhner Dr. Wolfgang Götzer Kurt-Dieter Grill Hermann Gröhe Manfred Grund Carl-Detlev Freiherr von Hammerstein Gottfried Haschke ({8}) Gerda Hasselfeldt Norbert Hauser ({9}) Hansgeorg Hauser ({10}) Ursula Heinen Manfred Heise Siegfried Helias Hans Jochen Henke Ernst Hinsken Peter Hintze Klaus Hofbauer Klaus Holetschek Josef Hollerith Dr. Karl-Heinz Hornhues Siegfried Hornung Joachim Hörster Hubert Hüppe Peter Jacoby Georg Janovsky Dr.-Ing. Rainer Jork Dr. Harald Kahl Bartholomäus Kalb Steffen Kampeter Dr. Dietmar Kansy Manfred Kanther Irmgard Karwatzki Volker Kauder Eckart von Klaeden Ulrich Klinkert Manfred Kolbe Norbert Königshofen Eva-Maria Kors Hartmut Koschyk Thomas Kossendey Rudolf Kraus Dr. Martina Krogmann Dr. Paul Krüger Dr. Hermann Kues Dr. Karl A. Lamers ({11}) Dr. Norbert Lammert Dr. Paul Laufs Karl-Josef Laumann Vera Lengsfeld Werner Lensing Peter Letzgus Ursula Lietz Walter Link ({12}) Eduard Lintner Dr. Klaus Lippold ({13}) Dr. Manfred Lischewski Wolfgang Lohmann ({14}) Julius Louven Dr. Michael Luther Erich Maaß ({15}) Dr. Martin Mayer ({16}) Wolfgang Meckelburg Dr. Michael Meister Dr. Angela Merkel Friedrich Merz Hans Michelbach Meinolf Michels Dr. Gerd Müller Bernward Müller ({17}) Elmar Müller ({18}) Günter Nooke Franz Obermeier Friedhelm Ost Eduard Oswald Norbert Otto ({19}) Dr. Peter Paziorek Anton Pfeifer Dr. Friedbert Pflüger Beatrix Philipp Ronald Pofalla Ruprecht Polenz Marlies Pretzlaff Dieter Pützhofen Thomas Rachel Dr. Peter Ramsauer Helmut Rauber Peter Rauen Christa Reichard ({20}) Katherina Reiche Erika Reinhardt Klaus Riegert Dr. Heinz Riesenhuber Franz Romer Hannelore Rönsch ({21}) Heinrich-Wilhelm Ronsöhr Dr. Klaus Rose Kurt Rossmanith Adolf Roth ({22}) Dr. Christian Ruck Anita Schäfer Dr. Wolfgang Schäuble Hartmut Schauerte Heinz Schemken Gerhard Scheu Dietmar Schlee Bernd Schmidbauer Christian Schmidt ({23}) Dr.-Ing. Joachim Schmidt ({24}) Andreas Schmidt ({25}) Birgit Schnieber-Jastram Dr. Andreas Schockenhoff Reinhard Freiherr von Schorlemer Dr. Erika Schuchardt Wolfgang Schulhoff Clemens Schwalbe Dr. Christian SchwarzSchilling Wilhelm - Josef Sebastian Horst Seehofer Heinz Seiffert Rudolf Seiters Werner Siemann Bärbel Sothmann Margarete Späte Wolfgang Steiger Erika Steinbach Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten Andreas Storm Dorothea Störr-Ritter Max Straubinger Matthäus Strebl Thomas Strobl Michael Stübgen Dr. Rita Süssmuth Dr. Susanne Tiemann EdeltrautTöpfer Gunnar Uldall Arnold Vaatz Andrea Voßhoff Dr. Theodor Waigel Peter Weiß ({26}) Gerald Weiß ({27}) Annette Widmann-Mauz Heinz Wiese ({28}) Hans-Otto Wilhelm ({29}) Klaus-Peter Willsch Werner Wittlich Dagmar Wöhrl Elke Wülfing Peter Kurt Würzbach Wolfgang Zeitlmann Wolfgang Zöller SPD Brigitte Adler Gerd Andres Rainer Arnold Hermann Bachmaier Ernst Bahr Doris Barnett Dr. Hans-Peter Bartels Eckhardt Barthel ({30}) Ingrid Becker-Inglau Dr. Axel Berg Hans-Werner Bertl Friedhelm Julius Beucher Petra Bierwirth Lothar Binding ({31}) Kurt Bodewig Klaus Brandner Anni Brandt-Elsweier Willi Brase Rainer Brinkmann ({32}) Bernhard Brinkmann ({33}) Hans-Günter Bruckmann Edelgard Bulmahn Ursula Burchardt Hans Martin Bury Hans Büttner ({34}) Marion Caspers-Merk Wolf-Michael Catenhusen Dr. Peter Danckert Dr. Herta Däubler-Gmelin Karl Diller Peter Dreßen Rudolf Dreßler Detlef Dzembritzki Dieter Dzewas Dr. Peter Eckardt Ludwig Eich Marga Elser Peter Enders Gernot Erler Petra Ernstberger Annette Faße Lothar Fischer ({35}) Gabriele Fograscher Iris Follak Norbert Formanski Rainer Fornahl Hans Forster Dagmar Freitag Lilo Friedrich ({36}) Anke Fuchs ({37}) Arne Fuhrmann Monika Ganseforth Konrad Gilges Iris Gleicke Günter Gloser Uwe Göllner Günter Graf ({38}) Angelika Graf ({39}) Dieter Grasedieck Monika Griefahn Achim Großmann Wolfgang Grotthaus Karl Hermann Haack ({40}) Hans-Joachim Hacker Klaus Hagemann Manfred Hampel Christel Hanewinckel Alfred Hartenbach Klaus Hasenfratz Nina Hauer Hubertus Heil Reinhold Hemker Frank Hempel Rolf Hempelmann Dr. Barbara Hendricks Monika Heubaum Reinhold Hiller ({41}) Stephan Hilsberg Gerd Höfer Jelena Hoffmann ({42}) Walter Hoffmann ({43}) Iris Hoffmann ({44}) Frank Hofmann ({45}) Ingrid Holzhüter Eike Hovermann Christel Humme Lothar Ibrügger Barbara Imhof Brunhilde Irber Gabriele Iwersen Renate Jäger Jann-Peter Janssen Ilse Janz Dr. Uwe Jens Volker Jung ({46}) Johannes Kahrs Ulrich Kasparick Sabine Kaspereit Susanne Kastner Klaus Kirschner Marianne Klappert Siegrun Klemmer Hans-Ulrich Klose Fritz Rudolf Körper Karin Kortmann Anette Kramme Nicolette Kressl Angelika Krüger-Leißner Horst Kubatschka Ernst Küchler Helga Kühn-Mengel Ute Kumpf Konrad Kunick Dr. Uwe Küster Werner Labsch Christine Lambrecht Brigitte Lange Christian Lange ({47}) Präsident Wolfgang Thierse Detlev von Larcher Waltraud Lehn Robert Leidinger Klaus Lennartz Dr. Elke Leonhard Eckhart Lewering Erika Lotz Dr. Christine Lucyga Dieter Maaß ({48}) Winfried Mante Dirk Manzewski Tobias Marhold Lothar Mark Christoph Matschie Ingrid Matthäus-Maier Heide Mattischeck Markus Meckel Ulrike Mehl Ulrike Merten Angelika Mertens Dr. Jürgen Meyer ({49}) Ursula Mogg Siegmar Mosdorf Jutta Müller ({50}) Christian Müller ({51}) Franz Müntefering Andrea Nahles Volker Neumann ({52}) Gerhard Neumann ({53}) Dr. Edith Niehuis Dr. Rolf Niese Dietmar Nietan Günter Oesinghaus Eckhard Ohl Leyla Onur Manfred Opel Holger Ortel Adolf Ostertag Kurt Palis Albrecht Papenroth Dr. Willfried Penner Dr. Martin Pfaff Georg Pfannenstein Johannes Pflug Dr. Eckhart Pick Joachim Poß Karin Rehbock-Zureich Margot von Renesse Renate Rennebach Bernd Reuter Dr. Edelbert Richter Gudrun Roos René Röspel Dr. Ernst Dieter Rossmann Michael Roth ({54}) Birgit Roth ({55}) Gerhard Rübenkönig Marlene Rupprecht Thomas Sauer Dr. Hansjörg Schäfer Bernd Scheelen Dr. Hermann Scheer Siegfried Scheffler Horst Schild Dieter Schloten Horst Schmidbauer ({56}) Ulla Schmidt ({57}) Silvia Schmidt ({58}) Dagmar Schmidt ({59}) Wilhelm Schmidt ({60}) Regina Schmidt-Zadel Heinz Schmitt ({61}) Carsten Schneider Dr. Emil Schnell Walter Schöler Olaf Scholz Karsten Schönfeld Fritz Schösser Gisela Schröter Dr. Mathias Schubert Richard Schuhmann ({62}) Brigitte Schulte ({63}) Reinhard Schultz ({64}) Volkmar Schultz ({65}) Ilse Schumann Ewald Schurer Dr. R. Werner Schuster Dietmar Schütz ({66}) Dr. Angelica Schwall-Düren Ernst Schwanhold Rolf Schwanitz Bodo Seidenthal Erika Simm Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk Dr. Cornelie SonntagWolgast Wieland Sorge Wolfgang Spanier Dr. Margrit Spielmann Jörg-Otto Spiller Dr. Ditmar Staffelt Antje-Marie Steen Ludwig Stiegler Rolf Stöckel Rita Streb-Hesse Dr. Peter Struck Joachim Tappe Jörg Tauss Jella Teuchner Dr. Gerald Thalheim Franz Thönnes Uta Titze-Stecher Adelheid Tröscher Hans-Eberhard Urbaniak Simone Violka Ute Vogt ({67}) Hans Georg Wagner Hedi Wegener Dr. Konstanze Wegner Wolfgang Weiermann Reinhard Weis ({68}) Matthias Weisheit Gunter Weißgerber Gert Weisskirchen ({69}) Dr. Ernst Ulrich von Weizsäcker Hans-Joachim Welt Dr. Rainer Wend Hildegard Wester Lydia Westrich Inge Wettig-Danielmeier Dr. Margrit Wetzel Dr. Norbert Wieczorek Helmut Wieczorek ({70}) Jürgen Wieczorek ({71}) Heidemarie Wieczorek-Zeul Dieter Wiefelspütz Heino Wiese ({72}) Klaus Wiesehügel Brigitte Wimmer ({73}) Engelbert Wistuba Barbara Wittig Dr. Wolfgang Wodarg Verena Wohlleben Hanna Wolf ({74}) Heidemarie Wright Uta Zapf Dr. Christoph Zöpel Peter Zumkley BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Marieluise Beck ({75}) Volker Beck ({76}) Angelika Beer Matthias Berninger Dr. Thea Dückert Franziska Eichstädt-Bohlig Dr. Uschi Eid Hans-Josef Fell Andrea Fischer ({77}) Joseph Fischer ({78}) Katrin Göring-Eckardt Rita Grießhaber Winfried Hermann Antje Hermenau Kristin Heyne Ulrike Höfken Michaele Hustedt Dr. Helmut Lippelt Dr. Reinhard Loske Oswald Metzger Klaus Wolfgang Müller ({79}) Kerstin Müller ({80}) Christa Nickels Simone Probst Claudia Roth ({81}) Christine Scheel Rezzo Schlauch Albert Schmidt ({82}) Werner Schulz ({83}) Christian Sterzing Jürgen Trittin Dr. Antje Vollmer Ludger Volmer Helmut Wilhelm ({84}) Margareta Wolf ({85}) F.D.P. Hildebrecht Braun ({86}) Ernst Burgbacher Jörg van Essen Ulrike Flach Gisela Frick Horst Friedrich ({87}) Rainer Funke Dr. Wolfgang Gerhardt Hans-Michael Goldmann Joachim Günther ({88}) Dr. Karlheinz Guttmacher Klaus Haupt Ulrich Heinrich Walter Hirche Birgit Homburger Dr. Werner Hoyer Dr. Heinrich Leonhard Kolb Gudrun Kopp Jürgen Koppelin Ina Lenke Sabine LeutheusserSchnarrenberger Jürgen W. Möllemann Dirk Niebel Günther Friedrich Nolting Hans-Joachim Otto ({89}) Detlef Parr Cornelia Pieper Dr. Edzard Schmidt-Jortzig Gerhard Schüßler Marita Sehn Carl-Ludwig Thiele Dr. Dieter Thomae Nein CDU/CSU Dr. Wolf Bauer Wolfgang Börnsen ({90}) SPD Harald Friese Renate Gradistanac Uwe Hiksch Christine Lehder BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN Annelie Buntenbach Monika Knoche Steffi Lemke Irmingard Schewe-Gerigk Christian Simmert Hans-Christian Ströbele Sylvia Voß PDS Monika Balt Eva Bulling-Schröter Roland Claus Heidemarie Ehlert Dr. Ruth Fuchs Fred Gebhardt Präsident Wolfgang Thierse Dr. Barbara Höll Carsten Hübner Sabine Jünger Gerhard Jüttemann Dr. Heidi Knake-Werner Rolf Kutzmutz Ursula Lötzer Dr. Christa Luft Heidemarie Lüth Angela Marquardt Manfred Müller ({91}) Kersten Naumann Rosel Neuhäuser Christine Ostrowski Dr. Uwe-Jens Rössel Christina Schenk Gustav-Adolf Schur Dr. Ilja Seifert Dr. Winfried Wolf Enthalten CDU/CSU Dr. Maria Böhmer Klaus-Jürgen Hedrich SPD Klaus Barthel ({92}) Christel Deichmann Götz-Peter Lohmann ({93}) Christa Lörcher Waltraud Wolff ({94}) Entschuldigt wegen Übernahme einer Verpflichtung im Rahmen ihrer Mitgliedschaft in den Parlamentarischen Versammlungen des Europarates und der WEU, der NAV, der OSZE oder der IPU Abgeordnete({95}) Behrendt, Wolfgang, SPD Siebert, Bernd, CDU/CSU Ich komme jetzt zu dem Ergebnis der namentlichen Abstimmung über den Entschließungsantrag der PDS zur deutschen Beteiligung an der humanitären Hilfe im Zusammenhang mit dem Kosovo-Konflikt auf Drucksache 14/997. Abgegebene Stimmen 605. Mit Ja haben gestimmt 29, mit Nein haben gestimmt 568, Enthaltungen 8. Der Entschließungsantrag ist damit abgelehnt. Endgültiges Ergebnis Abgegebene Stimmen: 603; ja: 28 nein: 566 enthalten: 9 Ja BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Sylvia Voß PDS Monika Balt Eva Bulling-Schröter Roland Claus Heidemarie Ehlert Dr. Ruth Fuchs Fred Gebhardt Dr. Barbara Höll Carsten Hübner Sabine Jünger Gerhard Jüttemann Dr. Heidi Knake-Werner Rolf Kutzmutz Ursula Lötzer Dr. Christa Luft Heidemarie Lüth Angela Marquardt Manfred Müller ({96}) Kersten Naumann Rosel Neuhäuser Petra Pau Dr. Uwe-Jens Rössel Gustav-Adolf Schur Dr. Ilja Seifert Nein CDU/CSU Ulrich Adam Peter Altmaier Dietrich Austermann Norbert Barthle Dr. Wolf Bauer Günter Baumann Brigitte Baumeister Dr. Sabine Bergmann-Pohl Otto Bernhardt Hans-Dirk Bierling Dr. Joseph-Theodor Blank Renate Blank Dr. Heribert Blens Peter Bleser Friedrich Bohl Dr. Maria Böhmer Sylvia Bonitz Wolfgang Börnsen ({97}) Wolfgang Bosbach Klaus Brähmig Dr. Ralf Brauksiepe Monika Brudlewsky Georg Brunnhuber Klaus Bühler ({98}) Hartmut Büttner ({99}) Dankward Buwitt Cajus Caesar Peter H. Carstensen ({100}) Leo Dautzenberg Albert Deß Renate Diemers Thomas Dörflinger Marie-Luise Dött Maria Eichhorn Rainer Eppelmann Anke Eymer Ilse Falk Dr. Hans Georg Faust Ulf Fink Ingrid Fischbach Dirk Fischer ({101}) Axel E. Fischer ({102}) Herbert Frankenhauser Dr. Gerhard Friedrich ({103}) Dr. Hans-Peter Friedrich ({104}) Erich G. Fritz Hans-Joachim Fuchtel Dr. Jürgen Gehb Norbert Geis Georg Girisch Michael Glos Dr. Reinhard Göhner Dr. Wolfgang Götzer Kurt-Dieter Grill Hermann Gröhe Manfred Grund Carl-Detlev Freiherr von Hammerstein Gottfried Haschke ({105}) Gerda Hasselfeldt Norbert Hauser ({106}) Hansgeorg Hauser ({107}) Klaus-Jürgen Hedrich Ursula Heinen Manfred Heise Siegfried Helias Hans Jochen Henke Ernst Hinsken Peter Hintze Klaus Hofbauer Martin Hohmann Klaus Holetschek Josef Hollerith Dr. Karl-Heinz Hornhues Siegfried Hornung Joachim Hörster Hubert Hüppe Peter Jacoby Georg Janovsky Dr.-Ing. Rainer Jork Dr. Harald Kahl Bartholomäus Kalb Steffen Kampeter Irmgard Karwatzki Volker Kauder Eckart von Klaeden Ulrich Klinkert Manfred Kolbe Norbert Königshofen Eva-Maria Kors Hartmut Koschyk Thomas Kossendey Rudolf Kraus Dr. Martina Krogmann Dr. Paul Krüger Dr. Hermann Kues Dr. Karl A. Lamers ({108}) Dr. Norbert Lammert Karl-Josef Laumann Vera Lengsfeld Werner Lensing Peter Letzgus Ursula Lietz Walter Link ({109}) Dr. Klaus Lippold ({110}) Dr. Manfred Lischewski Wolfgang Lohmann ({111}) Präsident Wolfgang Thierse Julius Louven Dr. Michael Luther Erich Maaß ({112}) Dr. Martin Mayer ({113}) Wolfgang Meckelburg Dr. Michael Meister Dr. Angela Merkel Friedrich Merz Hans Michelbach Meinolf Michels Dr. Gerd Müller Bernward Müller ({114}) Elmar Müller ({115}) Günter Nooke Franz Obermeier Friedhelm Ost Eduard Oswald Norbert Otto ({116}) Dr. Peter Paziorek Anton Pfeifer Dr. Friedbert Pflüger Beatrix Philipp Ronald Pofalla Ruprecht Polenz Marlies Pretzlaff Dieter Pützhofen Thomas Rachel Dr. Peter Ramsauer Helmut Rauber Christa Reichard ({117}) Katherina Reiche Erika Reinhardt Klaus Riegert Dr. Heinz Riesenhuber Franz Romer Hannelore Rönsch ({118}) Heinrich-Wilhelm Ronsöhr Dr. Klaus Rose Kurt Rossmanith Adolf Roth ({119}) Dr. Christian Ruck Anita Schäfer Dr. Wolfgang Schäuble Hartmut Schauerte Heinz Schemken Gerhard Scheu Dietmar Schlee Bernd Schmidbauer Christian Schmidt ({120}) Dr.-Ing. Joachim Schmidt ({121}) Andreas Schmidt ({122}) Hans Peter Schmitz ({123}) Birgit Schnieber-Jastram Dr. Andreas Schockenhoff Reinhard Freiherr von Schorlemer Dr. Erika Schuchardt Wolfgang Schulhoff Clemens Schwalbe Wilhelm - Josef Sebastian Horst Seehofer Heinz Seiffert Rudolf Seiters Werner Siemann Bärbel Sothmann Margarete Späte Wolfgang Steiger Erika Steinbach Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten Andreas Storm Max Straubinger Matthäus Strebl Thomas Strobl Dr. Rita Süssmuth Dr. Susanne Tiemann Edeltraut Töpfer Gunnar Uldall Arnold Vaatz Andrea Voßhoff Dr. Theodor Waigel Peter Weiß ({124}) Gerald Weiß ({125}) Annette Widmann-Mauz Heinz Wiese ({126}) Hans-Otto Wilhelm ({127}) Klaus-Peter Willsch Willy Wimmer ({128}) Werner Wittlich Dagmar Wöhrl Elke Wülfing Peter Kurt Würzbach Wolfgang Zeitlmann Wolfgang Zöller SPD Brigitte Adler Gerd Andres Rainer Arnold Hermann Bachmaier Ernst Bahr Doris Barnett Dr. Hans-Peter Bartels Eckhardt Barthel ({129}) Ingrid Becker-Inglau Dr. Axel Berg Hans-Werner Bertl Friedhelm Julius Beucher Petra Bierwirth Lothar Binding ({130}) Kurt Bodewig Klaus Brandner Anni Brandt-Elsweier Willi Brase Rainer Brinkmann ({131}) Bernhard Brinkmann ({132}) Hans-Günther Bruckmann Edelgard Bulmahn Ursula Burchardt Hans Martin Bury Hans Büttner ({133}) Marion Caspers-Merk Wolf-Michael Catenhusen Dr. Peter Danckert Dr. Herta Däubler-Gmelin Christel Deichmann Karl Diller Peter Dreßen Rudolf Dreßler Detlef Dzembritzki Dieter Dzewas Dr. Peter Eckardt Ludwig Eich Marga Elser Peter Enders Gernot Erler Petra Ernstberger Annette Faße Lothar Fischer ({134}) Gabriele Fograscher Iris Follak Norbert Formanski Rainer Fornahl Hans Forster Dagmar Freitag Lilo Friedrich ({135}) Harald Friese Anke Fuchs ({136}) Arne Fuhrmann Monika Ganseforth Konrad Gilges Iris Gleicke Günter Gloser Uwe Göllner Renate Gradistanac Günter Graf ({137}) Angelika Graf ({138}) Dieter Grasedieck Monika Griefahn Achim Großmann Wolfgang Grotthaus Karl Hermann Haack ({139}) Hans-Joachim Hacker Klaus Hagemann Manfred Hampel Christel Hanewinckel Alfred Hartenbach Klaus Hasenfratz Nina Hauer Hubertus Heil Reinhold Hemker Frank Hempel Rolf Hempelmann Dr. Barbara Hendricks Monika Heubaum Reinhold Hiller ({140}) Stephan Hilsberg Jelena Hoffmann ({141}) Walter Hoffmann ({142}) Iris Hoffmann ({143}) Frank Hofmann ({144}) Ingrid Holzhüter Eike Hovermann Christel Humme Lothar Ibrügger Barbara Imhof Brunhilde Irber Gabriele Iwersen Renate Jäger Jann-Peter Janssen Ilse Janz Dr. Uwe Jens Volker Jung ({145}) Johannes Kahrs Ulrich Kasparick Sabine Kaspereit Susanne Kastner Klaus Kirschner Marianne Klappert Siegrun Klemmer Hans-Ulrich Klose Fritz Rudolf Körper Karin Kortmann Nicolette Kressl Angelika Krüger-Leißner Horst Kubatschka Ernst Küchler Helga Kühn-Mengel Ute Kumpf Konrad Kunick Dr. Uwe Küster Werner Labsch Christine Lambrecht Brigitte Lange Christian Lange ({146}) Detlev von Larcher Waltraud Lehn Robert Leidinger Klaus Lennartz Dr. Elke Leonhard Eckhart Lewering Götz-Peter Lohmann ({147}) Christa Lörcher Erika Lotz Dr. Christine Lucyga Dieter Maaß ({148}) Winfried Mante Dirk Manzewski Tobias Marhold Lothar Mark Christoph Matschie Ingrid Matthäus-Maier Heide Mattischeck Markus Meckel Ulrike Mehl Ulrike Merten Angelika Mertens Dr. Jürgen Meyer ({149}) Ursula Mogg Siegmar Mosdorf Jutta Müller ({150}) Christian Müller ({151}) Franz Müntefering Andrea Nahles Volker Neumann ({152}) Gerhard Neumann ({153}) Dr. Edith Niehuis Dr. Rolf Niese Dietmar Nietan Günter Oesinghaus Eckhard Ohl Leyla Onur Manfred Opel Holger Ortel Adolf Ostertag Kurt Palis Präsident Wolfgang Thierse Albrecht Papenroth Dr. Willfried Penner Dr. Martin Pfaff Georg Pfannenstein Johannes Pflug Dr. Eckhart Pick Joachim Poß Karin Rehbock-Zureich Margot von Renesse Renate Rennebach Bernd Reuter Dr. Edelbert Richter Gudrun Roos René Röspel Dr. Ernst Dieter Rossmann Birgit Roth ({154}) Gerhard Rübenkönig Marlene Rupprecht Dr. Hansjörg Schäfer Gudrun Schaich-Walch Bernd Scheelen Dr. Hermann Scheer Siegfried Scheffler Horst Schild Dieter Schloten Horst Schmidbauer ({155}) Ulla Schmidt ({156}) Silvia Schmidt ({157}) Dagmar Schmidt ({158}) Wilhelm Schmidt ({159}) Regina Schmidt-Zadel Heinz Schmitt ({160}) Carsten Schneider Dr. Emil Schnell Walter Schöler Olaf Scholz Karsten Schönfeld Fritz Schösser Gisela Schröter Dr. Mathias Schubert Richard Schuhmann ({161}) Brigitte Schulte ({162}) Reinhard Schultz ({163}) Volkmar Schultz ({164}) Ilse Schumann Ewald Schurer Dr. R. Werner Schuster Dietmar Schütz ({165}) Dr. Angelica Schwall-Düren Ernst Schwanhold Rolf Schwanitz Bodo Seidenthal Erika Simm Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk Dr. Cornelie SonntagWolgast Wieland Sorge Wolfgang Spanier Dr. Margrit Spielmann Jörg-Otto Spiller Dr. Ditmar Staffelt Antje-Marie Steen Ludwig Stiegler Rolf Stöckel Rita Streb-Hesse Dr. Peter Struck Joachim Tappe Jörg Tauss Jella Teuchner Dr. Gerald Thalheim Franz Thönnes Uta Titze-Stecher Adelheid Tröscher Hans-Eberhard Urbaniak Simone Violka Ute Vogt ({166}) Hans Georg Wagner Hedi Wegener Dr. Konstanze Wegner Wolfgang Weiermann Reinhard Weis ({167}) Matthias Weisheit Gunter Weißgerber Gert Weisskirchen ({168}) Dr. Ernst Ulrich von Weizsäcker Hans-Joachim Welt Dr. Rainer Wend Hildegard Wester Lydia Westrich Inge Wettig-Danielmeier Dr. Margrit Wetzel Dr. Norbert Wieczorek Helmut Wieczorek ({169}) Heidemarie Wieczorek-Zeul Dieter Wiefelspütz Heino Wiese ({170}) Klaus Wiesehügel Brigitte Wimmer ({171}) Engelbert Wistuba Barbara Wittig Dr. Wolfgang Wodarg Verena Wohlleben Hanna Wolf ({172}) Waltraud Wolff ({173}) Heidemarie Wright Uta Zapf Dr. Christoph Zöpel Peter Zumkley BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Marieluise Beck ({174}) Volker Beck ({175}) Angelika Beer Matthias Berninger Dr. Thea Dückert Franziska Eichstädt-Bohlig Dr. Uschi Eid Hans-Josef Fell Andrea Fischer ({176}) Joseph Fischer ({177}) Katrin Göring-Eckardt Rita Grießhaber Winfried Hermann Antje Hermenau Kristin Heyne Ulrike Höfken Michaele Hustedt Steffi Lemke Dr. Helmut Lippelt Oswald Metzger Klaus Wolfgang Müller ({178}) Kerstin Müller ({179}) Christa Nickels Simone Probst Christine Scheel Irmingard Schewe-Gerigk Rezzo Schlauch Albert Schmidt ({180}) Werner Schulz ({181}) Christian Simmert Christian Sterzing Jürgen Trittin Dr. Antje Vollmer Ludger Volmer Helmut Wilhelm ({182}) Margareta Wolf ({183}) F.D.P. Hildebrecht Braun ({184}) Ernst Burgbacher Jörg van Essen Ulrike Flach Gisela Frick Horst Friedrich ({185}) Rainer Funke Dr. Wolfgang Gerhardt Hans-Michael Goldmann Joachim Günther ({186}) Dr. Karlheinz Guttmacher Klaus Haupt Ulrich Heinrich Walter Hirche Birgit Homburger Dr. Werner Hoyer Dr. Heinrich Leonhard Kolb Gudrun Kopp Jürgen Koppelin Ina Lenke Sabine LeutheusserSchnarrenberger Jürgen W. Möllemann Dirk Niebel Günter Friedrich Nolting Hans-Joachim Otto ({187}) Detlef Parr Cornelia Pieper Dr. Edzard Schmidt-Jortzig Gerhard Schüßler Marita Sehn Carl-Ludwig Thiele Dr. Dieter Thomae Enthalten SPD Klaus Barthel ({188}) Uwe Hiksch Christine Lehder BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN Annelie Buntenbach Monika Knoche Dr. Reinhard Loske Hans-Christian Ströbele PDS Christina Schenk Dr. Winfried Wolf Entschuldigt wegen Übernahme einer Verpflichtung im Rahmen ihrer Mitgliedschaft in den Parlamentarischen Versammlungen des Europarates und der WEU, der NAV, der OSZE oder der IPU Abgeordnete({189}) Behrendt, Wolfgang, SPD Siebert, Bernd, CDU/CSU Präsident Wolfgang Thierse Ich rufe nun die Zusatzpunkte 5a bis b der Tagesord- nung auf: ZP 5 a) - Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Dr. Peter Struck, Otto Schily, Wilhelm Schmidt ({190}) und weiteren Abgeordneten der Fraktion der SPD, den Abgeordneten Kerstin Müller ({191}), Rezzo Schlauch, Kristin Heyne und weiteren Abgeordneten der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie den Abgeordneten Dr. Wolfgang Gerhardt, Dr. Guido Westerwelle, Jörg van Essen und weiteren Abgeordneten der Fraktion der F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Reform des Staatsangehörigkeitsrechts - Drucksache 14/533 ({192}) - Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Dr. Jürgen Rüttgers, Erwin Marschewski, Günter Baumann, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der CDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neuregelung des Staatsangehörigkeitsrechts ({193}) - Drucksache 14/535 ({194}) Beschlußempfehlung und Bericht des Innenausschusses ({195}) - Drucksache 14/867 Berichterstattung: Abgeordnete Dr. Michael Bürsch Marieluise Beck ({196}) Ulla Jelpke b) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Innenausschusses ({197}) - zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Jürgen Rüttgers, Erwin Marschewski, Günter Baumann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU Integration und Toleranz - zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Jürgen Rüttgers, Erwin Marschewski, Günter Baumann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU Modernes Ausländerrecht - Drucksachen 14/534, 14/532, 14/867 Berichterstattung: Abgeordnete Dr. Michael Bürsch Marieluise Beck ({198}) Ulla Jelpke Zum Gesetzentwurf zur Reform des Staatsangehörigkeitsrechts liegen neun Änderungsanträge und ein Entschließungsantrag der Fraktion der PDS vor. Über den Gesetzentwurf zur Reform des Staatsangehörigkeitsrechts werden wir nach der Aussprache namentlich abstimmen. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache drei Stunden vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem Bundesminister des Innern, Otto Schily.

Otto Schily (Minister:in)

Politiker ID: 11001970

Herr Präsident! Meine Damen und Herren Kollegen! Ich vermute, daß ein Teil der Redner der Opposition heute wieder den Vorwurf erheben wird, wir hätten ein Gesetzgebungsverfahren durchgeführt, das sich zu schnell abgewickelt hätte. ({0}) Wir debattieren über dieses Thema nun wahrlich seit geraumer Zeit. ({1}) Die frühere Regierungskoalition hat 16 Jahre darüber debattiert, allerdings ohne Ergebnis. ({2}) Das Thema ist bis ins kleinste Detail ausdiskutiert worden. Mittlerweile dauert diese Debatte so lange, daß einige in der Opposition ihre früheren Argumente bereits vergessen haben. ({3}) Das sollte man vielleicht besonders berücksichtigen. Gewiß war das kein einfacher Gesetzgebungsprozeß. Das kann bei einem so schwierigen Thema auch gar nicht anders sein. Das Ergebnis, das wir heute vermutlich auf breiter Grundlage beschließen werden, ist ein Kompromiß. Ein Kompromiß - das ist das Kennzeichen eines Kompromisses - läßt natürlich auf der einen oder anderen Seite Wünsche offen. Ich sage in allem Freimut, daß ich den Gesetzentwurf, den ich im Januar vorgelegt habe, für den konsequenteren Entwurf halte. ({4}) Deshalb meine ich aber nicht, daß wir die Reform, die wir heute mit einer breiten Mehrheit beschließen werden, kleinreden sollten. ({5}) Das ist ein ganz wichtiger Reformschritt, den wir heute vollziehen, der durchaus historische Dimensionen hat. Präsident Wolfgang Thierse Als Beleg dafür kann ich eine sachverständige Persönlichkeit zitieren, die Ihrer Partei, der CDU, angehört ({6}) und die den ersten Entwurf aus ihrer Sicht kritisiert hat, aber den Kompromiß, den wir heute vorlegen, mit folgenden Worten kommentiert: Das ist keine kleine Reform, sondern eine große Reform. Wir haben das Staatsangehörigkeitsrecht um das Territorialelement ergänzt, das es vorher nicht gab. Das ist ein großer Modernisierungsschritt. Er ist richtig, weil er eine elegante, unbürokratische und integrative Form der Zugehörigkeit bietet. Das sagt die Berliner Ausländerbeauftragte, Frau John, die Ihrer Partei angehört. Das ist doch ein Dokument, das sich sehen lassen kann. ({7}) Nun haben wir gestern in der Debatte um den Etat des Bundesinnenministeriums bei einem anderen Thema, bei der Sportförderung, die Erfahrung gemacht, daß es ein Wettrennen um die Urheberschaft von positiven Ergebnissen gibt. Das ist verständlich. Die einen sagen, es war der sozialdemokratische Innenminister Zuber, die anderen sagen, es war der freidemokratische Justizminister Caesar, und wieder andere sagen, es war der F.D.P.-Abgeordnete Westerwelle, der das Optionsmodell in die Debatte gebracht hat. ({8}) Ich lasse das offen. Dieser Eifer, sich als Urheber der Reform auszugeben, ist mir bei der Reform des Staatsangehörigkeitsrechts sehr willkommen. Denn damit wird besonders prägnant, daß diese Reform viele und gute Gründe hat. Ich hoffe aber, daß sich auch einige Miturheberinnen und Miturheber zu Wort melden, die ihre kreativen Bemühungen in der Vergangenheit nicht aus übertriebener Bescheidenheit verschweigen sollten. Dazu gehört beispielsweise unser CDU/CSU-Kollege Altmaier. ({9}) Der Kollege Altmaier hat im Oktober 1995 Grundsätze zu einem neuen Staatsangehörigkeitsrecht veröffentlicht, in denen das Optionsmodell benannt wird. Dort heißt es sehr zutreffend: Ohne die soziale und rechtliche Integration der auf Dauer in Deutschland lebenden Ausländer droht eine nachhaltige Gefährdung des gesellschaftlichen Friedens. Wir sehen CDU und CSU in einer besonderen Verantwortung, diese Herausforderung anzunehmen. Dabei kommt der Reform des Staatsangehörigkeitsrechts eine wichtige Bedeutung zu. ({10}) So Herr Altmaier im Oktober 1995. - Wie wahr, wie wahr! Dies hat er - wie übrigens auch in dem gerade angesprochenen Dokument - in einem Interview in der „Frankfurter Rundschau“ vom 11. Dezember 1995 noch einmal präzisiert. Da sagte er: Ich verspreche mir immer noch am meisten von dem sogenannten Optionsmodell, das ich gemeinsam mit den Kollegen Eckart von Klaeden und Norbert Röttgen vorgelegt habe. Danach erwirbt das Kind, sofern die Eltern nicht widersprechen, mit der Geburt zusätzlich zur Staatsbürgerschaft der Eltern auch die deutsche Staatsangehörigkeit. Er beschreibt dort also, daß das Optionsmodell seine Zielsetzung ist. Jetzt fände ich es angemessen, daß die betreffenden Kolleginnen und Kollegen auch dazu stehen. ({11}) Auch Frau Süssmuth hatte im Juli 1998 folgendes zu sagen: Gerade für Kinder und Jugendliche könnte die doppelte Staatsangehörigkeit eine unterstützende Hilfe zur Integration sein. Frau Süssmuth wörtlich: Wir brauchen ein Staatsangehörigkeitsrecht, bei dem das Abstammungsprinzip und das Territorialprinzip in eine ausgewogene Balance gestellt werden. ({12}) Ich finde, Frau Süssmuth ist eine namhafte Persönlichkeit, die sich als Bundestagspräsidentin große Meriten erworben hat. Anläßlich der Eröffnung des Reichstages ist sie sehr gelobt worden. Ich denke, ihre Position sollte heute zur Geltung kommen. Um die bestehenden Urheberrechte klar zur Geltung zu bringen, möchte ich sehr ausführlich und in vollem Bewußtsein den Reformaufruf zitieren, den einige der genannten Kollegen veröffentlicht haben. Da hieß es: Die soziale und rechtliche Integration der in Deutschland lebenden ausländischen Mitbürger ist eine moralische Verpflichtung gegenüber den Betroffenen und unverzichtbar für die dauerhafte Bewahrung des gesellschaftlichen Friedens. ({13}) - Ich wiederhole: unverzichtbar. Der Schaffung eines zeitgemäßen Staatsangehörigkeitsrechtes kommt dabei eine zentrale Bedeutung zu. Als Volkspartei, die dem christlichen Menschenbild und den Grundwerten von Freiheit, Solidarität und Gerechtigkeit verpflichtet ist, steht die CDU in einer besonderen Verantwortung. ({14}) Nur wenn die CDU die notwendigen Reformen von sich aus entschlossen anpackt und gestaltet, werden sie von einer breiten Mehrheit in der Bevölkerung getragen werden. Das ist eine entscheidende Voraussetzung für das Gelingen der Integration. Das wäre eine schöne Kampagne gewesen. So eine Kampagne hätten Sie starten sollen. ({15}) Die Unterzeichner dieses Aufrufes setzen sich als Mitglieder der CDU dafür ein, das Staatsangehörigkeitsrecht noch in dieser Legislaturperiode wie folgt neu zu regeln: Die in Deutschland geborenen Kinder ausländischer Eltern erhalten mit der Geburt die deutsche Staatsangehörigkeit. Voraussetzung ist, daß ein Elternteil dauerhaft und rechtmäßig in Deutschland lebt, da zu erwarten ist, daß die Kinder in unserem Land aufwachsen und bleiben werden. Nach Erreichen der Volljährigkeit müssen sie sich für eine der beiden Staatsangehörigkeiten entscheiden. Wo sind Sie nun? ({16}) Unterzeichnet haben der Kollege Altmaier und die Kollegin Dr. Böhmer. Da finde ich die Unterschrift von Herrn Eppelmann, von Herrn Escher, dem Bundesvorsitzenden der JU. Ich finde die Unterschrift von Herrn Dr. Friedmann. ({17}) - Herr Repnik, daß Ihnen das nicht gefällt, kann ich verstehen. An Ihrer Stelle würde mir das auch nicht gefallen. Es ist aber so. Das muß man sich manchmal sagen lassen. - Außerdem sehe ich die Unterschrift von Herrn Dr. Geißler, des Kollegen Grotz, des Kollegen Lammert, von Herrn Dr. Kues, von Herrn Kossendey - Herrn Kossendey erwähne ich deshalb, weil er ein Mann ist, der sich gut mit den türkischen Mitbürgerinnen und Mitbürgern auskennt -, von Herrn Krautscheid, von Herrn Pflüger, von Herrn Rommel, von dem von mir sehr geschätzten Kollegen Schwarz-Schilling und von Frau Süssmuth; sie habe ich schon erwähnt. Außerdem findet man eine Reihe von Unterschriften von Landtagsabgeordneten. Also, meine Damen und Herren: Stehen Sie zu dem Wort, das Sie damals gesagt haben. Oder stellen Sie sich hier vorne hin und sagen: Das war alles falsch; wir haben uns geirrt. Heute meinen wir alles anders. ({18}) Aber sich zu verstecken ist kein Beweis von Wildheit. ({19}) Das Thema Integration, das hier zu verhandeln ist, ist wahrlich ernst. Sie haben damals formuliert: Es geht um den gesellschaftlichen Frieden. Es geht um einen großen Teil der Wohnbevölkerung, der auf Dauer bei uns lebt und leben wird. Das können Sie nicht rückgängig machen und wollen es hoffentlich auch nicht. Wenn Sie es rückgängig machen wollten, müssen Sie das hier vorne sagen. Da Sie es aber nicht rückgängig machen können, müssen wir das tun, was uns auch das Bundesverfassungsgericht als Gebot auferlegt hat: Wir müssen dafür sorgen, daß Staatsvolk und Wohnbevölkerung zusammenkommen. Das ist für die Festigkeit unserer Gesellschaft notwendig. ({20}) Ich habe keine Illusion darüber, daß wir damit in eine völlig konfliktfreie Gesellschaft kommen. Was uns aber auf diese Weise gelingen wird, ist ein gewaltfreier, rechtsstaatlicher Interessenausgleich, weil wir den Menschen gleiche Rechte geben und weil alle, einschließlich der Zuwanderer, in die Rechtsgemeinschaft einbezogen werden. Das müssen wir erreichen. Das müssen wir uns als Zukunftsprognose vor Augen führen. Sie müssen versuchen, Ihr Vorstellungsvermögen so weit zu entwickeln, daß Sie beide Entwicklungen vergleichen, die in Gang gesetzt werden, wenn wir auf die Reform des Staatsangehörigkeitsrechts verzichten oder wenn wir sie vollziehen. Ich glaube, wenn wir es bei dem Status quo belassen, dann werden wir eine zunehmende Entfremdung der Zuwanderer haben, dann werden wir eine Abkehr der Jugendlichen, die in solchen Familien aufwachsen, von der Gesellschaft haben, wir werden eine zunehmende Gettoisierung haben, wir werden zunehmende Parallelgesellschaften haben - wir brauchen also diese Brücke in eine neue Entwicklung, die es uns ermöglicht, diese Menschen in die Gesellschaft hineinzunehmen und sie nicht davor stehen zu lassen. ({21}) Es ist sehr interessant, sich daran zu erinnern, was der französische Religionswissenschaftler Ernest Renan in einer Vorlesung in der Sorbonne-Universität im März 1982 zu der Frage gesagt hat, was eigentlich eine Nation sei. Er hat sich dieser Frage in einer sehr methodisch präzisen Art angenommen. Er hat zuerst untersucht, ob die Nation auf einer Ethnie beruht. Er kommt zu der Feststellung, daß das nicht richtig sein kann. Die Franzosen haben eine keltisch-iberisch-germanische Ethnie in sich aufgenommen. Deutschland ist keltischslawisch-germanisch. „Italien“, sagt er, ist „ethnisch überhaupt unentwirrbar“ - wie richtig. Er sagt: Eine Politik, die die Einheit einer Nation mit rassischen Argumenten betreibt, gründet also auf einer Chimäre; sie würde die europäische Zivilisation zugrunde richten. Wie wahr hat Renan damals gesprochen. „Eine Nation ist auch nicht identisch mit der Sprache“ - selbst das sagt er mit Recht. Er sagt: Sonst wären die Vereinigten Staaten und Großbritannien heute noch zusammen, sonst wären Spanien und Südamerika noch zusammen. Selbst die Sprache ist nicht unbedingt ein Einheitsband. Die Schweiz ist eine Nation mit verschiedenen Sprachen. Auch die Religion - sagt er - ist es nicht, was eine Nation ausmacht. Es sind auch nicht die Interessen. Er sagt: „Ein Zollverein ist kein Vaterland.“ Zur Geographie sagt er: Es gibt keine willkürlichere, gefährlichere Theorie, als die Nation zwischen „natürlichen Grenzen“ errichten zu wollen; die Vergangenheit zeigt, daß die Lebensräume der Nationen immer fluktuiert haben. Dann bringt er seine Definition von einer Nation. Er sagt: Eine Nation ist eine Seele, ein geistiges Prinzip. Zwei Dinge, die in Wahrheit nur eins sind, machen diese Seele, dieses geistige Prinzip aus. Eins davon gehört der Vergangenheit an, das andere der Gegenwart. Das eine ist der gemeinsame Besitz eines reichen Erbes an Erinnerungen, das andere ist das gegenwärtige Einvernehmen, der Wunsch, zusammenzuleben. ... Sie setzt eine Vergangenheit voraus, aber trotzdem faßt sie sich in der Gegenwart in einem greifbaren Faktum zusammen: der Übereinkunft, dem deutlich ausgesprochenen Wunsch, das gemeinsame Leben fortzusetzen. Der Historiker Hagen Schulze sagt mit Recht: Diese Definition hat bis heute ihre Gültigkeit behalten. - Ich denke, wir sollten die heutige Debatte nutzen, uns einmal auf Fragen zu besinnen, die sich damit beschäftigen, was unsere Gesellschaft und unseren Staat eigentlich zusammenhält. Meine Damen und Herren, eine homogene Gesellschaft ist, entgegen allen verbreiteten Vorurteilen, nicht tragfähig, weil sie ein Konstrukt ist, das sich nicht mit der Wirklichkeit in Einklang bringen läßt.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Kollege Schily, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Rupert Scholz?

Otto Schily (Minister:in)

Politiker ID: 11001970

Herr Kollege Scholz, ich habe nur noch wenig Redezeit. ({0}) - Also gut, bitte schön, Herr Scholz.

Prof. Dr. Rupert Scholz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002063, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Schily, ich finde es gut, daß Sie Renan zitiert haben. Renan ist für den modernen Nationenbegriff ganz eindeutig der Richtige. Aber die Renansche These kann man auch zu dem Prinzip zusammenfassen: Nation gründet sich auf die Erlebnis- - das ist die Vergangenheit - und die Willensgemeinschaft. Das ist die kurze Formel für das, was Sie eben vorgelesen haben. Erlebnis- und Willensgemeinschaft setzt allerdings voraus - das können Sie bei Renan sehr deutlich nachlesen -, daß eine entsprechende Identifikationsbereitschaft da ist. Erlebnis- und Willensgemeinschaft bedeutet auch, daß beide Seiten - wenn es unterschiedliche ethnische Teile gibt - dieses wollen. Ich möchte Sie bitten, eine Antwort auf folgende Frage zu geben: Wie ist das in Deutschland? Haben Sie die Bereitschaft wirklich auf allen Seiten? Nehmen Sie wirklich genug Rücksicht darauf, diese Willens- und Erlebnisgemeinschaft in konfliktfreier Form, in sich wechselseitig akzeptierender und identifizierender Form - eben im Sinne von Renan - zu verwirklichen? ({0}) ({1})

Otto Schily (Minister:in)

Politiker ID: 11001970

Die Frage ist mir sehr willkommen, Herr Kollege Scholz, weil sie genau im Duktus meiner weiteren Ausführungen liegt. Ich bin der Meinung: Wir müssen uns in der Tat darauf einlassen, zu fragen, wie wir unsere künftige Gesellschaft gestalten wollen und wie das Verhältnis von Staat und Gesellschaft aussehen soll. ({0}) - Lassen Sie uns doch jetzt eine Diskussion darüber führen. Die können Sie doch jetzt einmal annehmen. Lassen Sie uns in dieser Frage weitergehen. ({1}) - Sie müssen zumindest die Geduld aufbringen, meine Antwort zu hören. Sonst hat es keinen Zweck; dann brauchen wir keine Zwischenfragen mehr zu stellen. ({2}) Wenn Sie Renan und Hagen Schulze, der das sehr klar aufnimmt, weiterdenken, werden Sie entdecken, daß Renan nicht für den homogenen Nationalstaat ist, sondern ihn für ein Übel hält. Er hat einmal sehr prophetisch in einem Brief zum Ausdruck gebracht, in welche Lage wir kämen, wenn wir uns in einen nationalstaatlichen Wettbewerb um Elsaß-Lothringen begäben. Deshalb - meiner Meinung nach sagt auch Hagen Schulze zu Recht -: Das moderne Europa hat eine ganz andere Perspektive. Das moderne Europa - das ist ein Faktum - bringt auch Menschen zusammen, die unterschiedliche biographische und kulturelle Bezüge haben. Dieser Erkenntnis muß man sich öffnen. Hagen Schulze sagt weiter: Nicht die Teilung in Nationen ist es, die Europa gefährdet, sondern der Drang zu Nationalstaaten für alle noch so kleinen Nationalitäten, in denen die unerfüllbare und chimärische Einheit von Nation, Sprache und Staatsgebiet herbeigeführt werden soll. Hören Sie zu, was Hagen Schulze noch schreibt - das erinnert an den ersten Tagesordnungspunkt, den wir heute behandelt haben -: Daß das zerstörerische Prinzip der Ethnokratie, des Primats des durch Blutsbande geeinten Volkes, die Demokratie immer noch bedrohen und Europa in neue, schwere Bewährungsproben stürzen kann, beweist der schaurige Massenmord im zerfallenen Jugoslawien. Nicht die Idee der Nation muß in Europa überwunden werden, sondern die Fiktion der schicksalhaften, objektiven und unentrinnbaren Einheit von Volk, Nation, Geschichte, Sprache und Staat. Wie recht er doch hat! ({3}) Wir müssen im zusammenwachsenden Europa begreifen, daß sich Nationen, Kulturen, Ethnien und Sprachfamilien anders begegnen können als unter dem homogenen Nationalstaat, der ein Irrtum des vorigen Jahrhunderts war, der übrigens auch am Ende des ersten Weltkriegs ein Irrtum war, wie in den 14 Punkten Wilsons deutlich wird. ({4}) Sie sind doch nicht so töricht, daß Sie nicht wenigstens manchmal, in Einzelfällen begreifen, um was es geht. ({5}) Der SPD-Landtagsabgeordnete Dietmar Franzke hat der Bayerischen Staatsregierung - einer ihrer Vertreter ist heute zugegen ({6}) - Herr Zeitlmann, können Sie ein einziges Mal versuchen, in einer Debatte zuzuhören, nur ein einziges Mal? ({7}) eine interessante Frage gestellt, die im März dieses Jahres folgendermaßen beantwortet wurde: Auf Grund der guten Erfahrungen mit der Integration Otto von Habsburgs hält es die Staatsregierung für vertretbar, bei Persönlichkeiten, die einen vergleichbaren Bezug zur deutschen und europäischen Geschichte aufweisen, Doppelstaatsangehörigkeit hinzunehmen. Meine Damen und Herren, ich bin ein überzeugter Demokrat. Ich muß Ihnen sagen: Die Doppelstaatsangehörigkeit nur als Adelsprivileg zuzulassen widerspricht meinen Grundüberzeugungen. ({8}) Meine Damen und Herren, heute ist die Stunde der modernen Demokratie. Deshalb ist es vielleicht nicht so ganz angebracht, daß ich mich dauernd mit Bezügen zum Adel aufhalte. Aber im Blick darauf, daß wir demnächst alle gemeinsam nach Berlin umziehen, ist es vielleicht verständlich, daß ich mich heute an den Ratschlag eines aufgeklärten Monarchen halte. Friedrich der Große hat, als er gefragt wurde, ob ein Katholik - im damals protestantischen Preußen - das Bürgerrecht erwerben dürfe, geantwortet: Alle Religionen seindt gleich und guht, wann nur die Leute, so sie profesieren, erliegte Leute seindt, und wenn Türken und Heiden kämen und wollten das Land pöplieren, so wollten wir sie Mosqueen und Kirchen bauen. Das ist eine gute Devise auch für unser Staatsangehörigkeitsrecht. ({9})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Ich erteile dem Kollegen Dr. Jürgen Rüttgers das Wort.

Dr. Jürgen Rüttgers (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001899, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Jedem in diesem Saal ist klar, daß das Gesetz, über das wir heute zu befinden haben, von einer großen und weitreichenden Bedeutung ist. In den letzten Wochen und Monaten haben wir alle in der öffentlichen Diskussion gemerkt, daß es in unserem Land viele Menschen gibt, für die das ein ganz wichtiges, ein existentielles politisches Thema ist, für das sie bereit sind, sich persönlich zu engagieren. Deshalb war ich davon ausgegangen, daß die Debatte um das Gesetz, das der Bundesinnenminister eben als historisch bezeichnet hat, auch einen entsprechenden Charakter bekommt. Herr Schily, vom Prinzip her ist es zwar gut, wenn Sie Kolleginnen und Kollegen aus der CDU/CSUBundestagsfraktion zitieren, weil das, was sie auch vor dem Hintergrund ernsthafter Debatten, die wir in unserer Fraktion geführt haben, sagen, in der Regel sehr bedenkenswert ist und ernst genommen werden muß. ({0}) Die Art und Weise, in der Sie heute Äußerungen dieser Kollegen, die in dem Bemühen gemacht wurden, ihren persönlichen Beitrag zur Integration der rechtmäßig und dauerhaft in Deutschland lebenden Ausländer zu leisten, auf das Niveau eines Winkeladvokaten heruntergezogen haben, ({1}) finde ich diesem Thema nicht angemessen. ({2}) Aus der Tatsache, daß Kollegen sich seit Jahren darum bemühen, zu der Sache der in Deutschland lebenden Ausländer ihren persönlichen Beitrag zu leisten, den Schluß zu ziehen, sie müßten heute dem Gesetz, das Sie diesem Hause vorgelegt haben, zustimmen, ist der Gipfel der Tatsachenverdrehung. Denn das, was Sie heute zur Abstimmung bringen, hat mit Integration nun überhaupt nichts zu tun. ({3}) Was Sie heute vorlegen, ist nicht nur Stückwerk, sondern ein Gesetz, das Sie selbst noch im Januar als verfassungswidrig gekennzeichnet haben. ({4}) Weil ich es dieser Debatte nicht für angemessen halte, will ich darauf verzichten, meinerseits zu zitieren, was Kolleginnen und Kollegen aus der SPD-Fraktion, wenn man mit ihnen über das von Ihnen betriebene Projekt redet, sagen. Ich will auch darauf verzichten, zu verlesen, welche Funktionsträger der SPD unsere Unterschriftenaktion vor Ort unterschrieben haben. Inzwischen sind es 5 Millionen Menschen in Deutschland, die ein klares Nein zu Ihrem Projekt gesagt haben. ({5}) Ich möchte eine zweite Anmerkung zu dem machen, was Sie heute gesagt haben. Sie haben es in Ihrer Rede für notwendig und richtig erachtet - ich will das gar nicht qualifizieren -, über den Begriff der Nation nachzudenken. Das hat mich - das muß ich zugeben - ein wenig verwundert, und zwar deshalb, weil Sie damit doch wohl zum Ausdruck bringen wollten, ({6}) daß Sie mit diesem Gesetz das, was man unter Nation unter deutscher Nation - versteht, verändern wollen. ({7}) Sonst würde das, was Sie vorgetragen haben, keinen Sinn machen. ({8}) Das, verehrter Herr Bundesinnenminister Schily, ist ein wirklich überraschender Punkt in Ihrer Rede gewesen. Sie haben recht, daß es immer lohnend ist, bei Ernest Renan nachzulesen. Sie haben sicherlich recht, daß es am Ende dieses Jahrhunderts, in dem so unglaublich viel Schlimmes und so unglaublich viele Morde und Verbrechen im Namen der Nation begangen worden sind, notwendig ist, darüber nachzudenken, welche Aufgabe die Nation im kommenden Jahrhundert hat. Es ist sicherlich auch richtig - auch da kann man schon erste Hinweise bei Ernest Renan nachlesen -, daß im kommenden Jahrhundert Nationen, auch in Europa, nicht überleben werden, wenn sie sich als eine Form der Abgrenzung gegenüber anderen verstehen. Nationen werden im kommenden Jahrhundert nur dann eine Chance haben, wenn sie sich als offen, wenn sie sich, wie wir es manchmal formulieren, als ein Haus mit offenen Fenstern und Türen verstehen, wenn sie nicht auf Abgrenzung setzen, sondern auf Integration. Warum Sie dann, werter Herr Bundesinnenminister Schily, allerdings auch noch hingegangen sind und den Kosovo-Konflikt und die furchtbaren ethnischen Verbrechen und Vertreibungen in diese Debatte eingeführt haben, dafür fehlt mir jedes Verständnis. Soll das etwa bedeuten, daß diejenigen, die glauben, daß auch im 21. Jahrhundert die Nation noch erforderlich ist, damit Gesellschaft zusammenhält, eventuell Ursache bzw. Anlaß geben für verbrecherische Ereignisse, wie sie im Kosovo in den letzten Wochen und Monaten geschehen sind? Die Wahrheit ist doch genau umgekehrt: Gerade weil sich im ehemaligen Jugoslawien unter dem Druck einer Diktatur kein vernünftiges offenes Verhältnis der verschiedenen Völker und Nationen entwickelt hat, kommt es zu den Morden. Dort, wo es eine Übereinstimmung zwischen Gesellschaften und Nationen gibt mit dem Anspruch, für jeden offen zu sein, der dort hinwill, ({9}) sind solche Verbrechen nicht möglich. ({10}) Wir werden über das Thema sicherlich noch weiter diskutieren, ja diskutieren müssen, weil wir nach unserem Verständnis - zumindest ist dies das Verständnis der Kolleginnen und Kollegen in der CDU/CSUFraktion - die Weiterentwicklung auch dessen, was wir unter Nation verstehen, im Hinblick auf die Europäische Union in den nächsten Jahren und Jahrzehnten vorantreiben wollen.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Cornelie Sonntag?

Dr. Jürgen Rüttgers (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001899, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja, bitte.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Bitte sehr, Frau Kollegin.

Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002191, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Rüttgers, da Sie sich soeben dagegen verwahrten, irgendwelche Beziehungen, Vergleiche oder Bezüge zwischen unserer heutigen Diskussion um die Reform des Staatsangehörigkeitsrechts und dem Kosovo-Konflikt herzustellen: Wie finden Sie es, daß Kollegen aus Ihren Reihen, nämlich der Unionsfraktionen, in den letzten Wochen noch einmal mit Verve gefordert haben, man solle wegen der aktuellen Diskussion um das Kosovo und wegen der Diskussion um Flüchtlingsaufnahme die Reform des Staatsangehörigkeitsrechts, die meiner Meinung nach auf einem völlig anderen Blatt steht, jetzt zurückziehen und zunächst einmal ruhen lassen? Finden Sie nicht, daß Ängste in der Bevölkerung vor Zuwanderungsströmen wieder dadurch geschürt worden sind, daß man zwei grundverschiedene Themen durcheinandergeworfen hat?

Dr. Jürgen Rüttgers (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001899, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Kollegin Sonntag-Wolgast, ich finde es durchaus angemessen, daß Sie als Parlamentarische Staatssekretärin versuchen, Ihrem Minister hier zu helfen. Aber die Frage des Kosovo ist von ihm in diese Debatte eingeführt worden, und zwar im Zusammenhang mit dem Nationenbegriff, und dazu habe ich etwas gesagt. Die Frage, ob es nicht klug gewesen wäre, den Versuch zu machen, bei einem solch wichtigen Thema zu parteiübergreifenden Gesprächen zu kommen, statt die Gesellschaft und die Nation zu spalten, ist vor diesem Hintergrund mehr als berechtigt. ({0}) Werte Kolleginnen und Kollegen, wir lehnen Ihren Gesetzentwurf ab. Er ist verfassungsrechtlich bedenklich, er ist integrationspolitisch unausgegoren, und er ist mit einem unvertretbaren Verwaltungsaufwand verbunden. Er wirft mehr Fragen auf, als er beantwortet. Dies war auch das Ergebnis der Sachverständigenanhörung im Innenausschuß. Wenn man das Ergebnis der Anhörung zusammenfassen will, muß man feststellen, daß die Sachverständigen, egal, wie sie zum Optionsmodell stehen, gesagt haben, dieser Gesetzentwurf sei Stückwerk, unausgereift und nachbesserungsbedürftig, auch sei er in sich widersprüchlich, aber vor allen Dingen fehle die Abstimmung mit anderen Gesetzen. Ich habe nie verstanden, warum Sie auf seiten der rotgrünen Regierung nicht den Mut gehabt haben, ein Gesamtkonzept für ein neues Staatsangehörigkeitsrecht vorzulegen, sondern hier den Versuch machen, einen einzelnen Punkt herauszugreifen. Ich habe übrigens auch nie verstanden, warum es Ihnen nicht gelungen ist, hier ein übergreifendes Integrationskonzept, das über die Frage der Staatsangehörigkeit hinausgeht, vorzulegen. ({1}) Sie haben sich statt dessen für ein parlamentarisches Verfahren entschieden, nach dem Motto: Augen zu und durch. Es ging nicht um Argumente. Es ging auch nicht um die politisch-parlamentarische Debatte; vielmehr waren es in der Anfangsphase dieser Diskussion zuerst das Hochgefühl und dann die Arroganz der Macht, die Sie haben glauben lassen, alle Gegenargumente übergehen zu können. Wir haben Sie mit unserer Unterschriftenaktion eines Besseren belehrt. ({2}) Es ist nur noch ein Ausdruck von politischer Schwäche, daß Sie jetzt nicht in der Lage sind, parteiübergreifende Gespräche zu führen. Man muß den grünen Parteitag überleben. Man muß versuchen - das hat wieder etwas mit dem Kosovo zu tun, Frau Sonntag-Wolgast -, eine Mehrheit für die Kosovo-Politik zu erhalten. Deshalb können Sie keine neuen Überlegungen in dieser Frage anstellen und auch keine neuen Gespräche anbieten. Aber es soll wenigstens Vollzug in Sachen Staatsangehörigkeitsrecht gemeldet werden. Das ist nicht nur schade, sondern bringt Sie mittel- und langfristig in Widerspruch zu all denjenigen, die erkannt haben, daß es bei allem Streit richtig und notwendig gewesen wäre, zu einem breiten Konsens zu gelangen. So haben zum Beispiel die Kirchen eindringlich dafür geworben, daß die Reform des Staatsangehörigkeitsrechts vom Gesetzgeber in einem breiten Konsens vorgenommen wird. Dabei meinten die Kirchen einen Konsens - hier zitiere ich -, „der über die jetzt vorliegenden Gesetzesentwürfe eine Brücke schlägt“. ({3}) Das, was uns heute zur abschließenden Abstimmung vorgelegt wird - ich habe es bereits gesagt -, ist Flickwerk. Die Rechtszersplitterung wird vorangetrieben. Sie ist heute schon schlimm genug. Das Gesetz steht im Widerspruch zum Ausländerrecht und enthält Ungereimtheiten, die dazu führen werden, daß nicht nur diejenigen, die unsere Auffassung bei dieser Reform teilen, an diesem Gesetz verzweifeln werden, sondern auch diejenigen, die angeblich davon profitieren sollen. Wer als ausländischer Mitbürger in der konkreten Verwaltungspraxis mit diesem Gesetz konfrontiert wird, wird seinen Glauben an die Integrationsbereitschaft unseres Staates sehr schnell verlieren, weil die Widersprüche ihn schlichtweg in die Verzweiflung treiben werden: Was soll zum Beispiel in dem Fall einer jungen Mutter geschehen, die Doppelstaaterin ist, in Deutschland ein Kind bekommt und - wenn sie nicht optiert - ihre deutsche Staatsbürgerschaft verliert, während ihr Kind diese erhält? Wie soll das innerhalb einer Familie gelöst werden? Oder was soll in dem Fall geschehen, in dem jemand seiner deutschen Wehrpflicht nachgekommen ist, aber der deutsche Staat ihm - wenn er nicht optiert sagt, du bist nicht mehr erwünscht? Was hat das alles mit Integration zu tun? Damit komme ich auf einen weiteren Punkt zu sprechen: Wir haben uns von seiten der CDU/CSUBundestagsfraktion darum bemüht, daß die Debatte nicht nur auf die Frage der Staatsbürgerschaft verengt wird. Wir haben uns vielmehr darum bemüht, ein Gesamtkonzept vorzulegen, in dem die drei Bereiche Staatsbürgerschaftsrecht, Zugangsbegrenzung und Integrationskonzept berücksichtigt werden. Wir haben für unser Integrationskonzept viel Zustimmung von Ausländerbeiräten und Ausländerorganisationen erfahren. ({4}) So schreibt zum Beispiel die EKD: In vielen Bereichen finde ich eine Übereinstimmung mit dem, was die Kirchen in ihrem gemeinsamen Wort „...und der Fremdling, der in deinen Toren ist“ geäußert haben. Die IG BCE - die Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie - schreibt: Integration bedeutet dabei für uns als Gewerkschaften nicht die Aufgabe der ethnischen, kulturellen und religiösen Identität. Wir begrüßen es, daß die CDU/CSU dies genauso sieht. Wir stellen heute unser Integrationskonzept zur Abstimmung. Wir waren entsetzt, als wir feststellen mußten, daß Sie auch im Innenausschuß unser Integrationskonzept aus den gleichen Gründen, die ich eben beschrieben habe - nacktes parteipolitisches Kalkül; Augen zu und durch -, abgelehnt haben. Sie empfehlen heute dem Deutschen Bundestag die Ablehnung unseres Konzeptes. Ich werde es Ihnen sagen: Wenn Sie gleich gegen den Antrag „Integration und Toleranz“ stimmen, dann lehnen Sie Forderungen ab wie die: nach Ausweitung der Sprachförderung für Ausländer, Frau Beck, ({5}) nach Förderung ausländischer Kinder in Kindergärten und in der Vorschulzeit, Herr Özdemir, nach schulbeDr. Jürgen Rüttgers gleitenden Sprachkursen für ausländische Mütter, nach berufsvorbereitenden Maßnahmen für ausländische Jugendliche, nach Förderung ausländischer Existenzgründungen in Deutschland, nach Mobilisierung des ausländischen Mittelstands für die Lehrlingsausbildung, nach Einstellung von Polizeibeamten ausländischer Herkunft, ({6}) nach einer verstärkten Aufnahme von Mitbürgern ausländischer Herkunft in die demokratischen Parteien

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Dr. Jürgen Rüttgers (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001899, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

- im Moment nicht -, nach Herstellung der Voraussetzungen für einen islamischen Religionsunterricht an den öffentlichen Schulen, der der staatlichen Schulaufsicht unterliegt, und nach einer Berücksichtigung des ausländischen Bevölkerungsanteils in Sendungen der Rundfunkanstalten. ({0}) Wie rechtfertigen Sie eigentlich Ihre Ablehnung dieser konkreten Vorschläge zur Integration? Hiermit würde mehr für die Integration in Deutschland getan als durch die Einführung des Doppelpasses. ({1}) Welche anderen Gründe als rein parteipolitisches Kalkül könnte es eigentlich dafür geben? Ist das der Bedeutung der Sache angemessen? Die Integration der dauerhaft und rechtmäßig in Deutschland lebenden ausländischen Mitbürger ist für den inneren Frieden und die Zukunft unseres Landes unzweifelhaft ein großes Thema. Wir haben dem Deutschen Bundestag ein Angebot zur Debatte über diese zentrale Frage unseres Landes unterbreitet. Wenn dieses Konzept heute niedergestimmt wird, dann bestätigt sich unser Anfangsverdacht: Ihnen geht es nicht um Integration, sondern um die Erledigung dieses Themas vor den nächsten Wahlen. Genau das wollen Sie. ({2}) Ich schließe, indem ich an jeden einzelnen Abgeordneten der Fraktion der SPD appelliere: Stimmen Sie für unseren Antrag „Integration und Toleranz“! Ich appelliere an die Kolleginnen und Kollegen von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen: Stimmen auch Sie für den Antrag „Integration und Toleranz“! Ich appelliere an die Kolleginnen und Kollegen der Fraktion der Freien Demokraten: Nehmen Sie den Bericht der früheren Ausländerbeauftragten, Ihrer Parteifreundin Frau SchmalzJacobsen, zur Hand und vergleichen Sie die Forderungen mit diesem Konzept! Stimmen Sie für dieses Konzept! Letztlich appelliere ich an Sie alle von der Regierungskoalition: Machen Sie unsere ausländischen Mitbürger nicht zum Opfer Ihres parteipolitischen Kalküls! ({3})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Zu einer Kurzintervention gebe ich dem Kollegen Peter Altmaier das Wort.

Peter Altmaier (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002617, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Bundesinnenminister Schily, Sie haben lang und breit aus unseren Interviews und Äußerungen zitiert. Ich hätte mir gewünscht, Sie hätten etwas häufiger aus den Interviews und Äußerungen des Bundeskanzlers Schröder zu diesen Themen zitiert. Aber davon werden Sie sehr wenige finden, weil er es bis heute nicht für richtig gehalten hat, in dieser Frage öffentlich Stellung zu beziehen und für einen breiten gesellschaftlichen Konsens zu werben. ({0}) Es ist wahr, daß es in der CDU/CSU eine ganze Reihe von Kolleginnen und Kollegen gibt, die sich seit vielen Jahren für ein vernünftiges Optionsmodell eingesetzt haben und weiterhin einsetzen. Aus diesem Grund werden heute etwa 20 Kolleginnen und Kollegen der Union nicht gegen Ihren Gesetzentwurf stimmen. ({1}) Ich nehme für uns in Anspruch, daß wir uns dabei nicht von parteitaktischem Kalkül leiten lassen. Vielmehr sind wir davon überzeugt, daß es als Antwort auf die Veränderungen, die sich in Deutschland in den letzten 20, 30 Jahren vollzogen haben - in Deutschland werden jedes Jahr 100 000 Kinder geboren, die nicht die deutsche Staatsangehörigkeit haben -, notwendig ist, ein Signal zu geben, das diesen jungen Menschen deutlich macht: Ihr gehört dazu, ihr seid Teil dieser Gesellschaft; wir nehmen euch an. Ich denke an ein Signal, das ohne generelle doppelte Staatsangehörigkeit und ohne all die gefährlichen Assoziationen und Folgen auskommt, die mit diesem Begriff verbunden sind. Ich nehme für mich und die Kolleginnen und Kollegen, die innerhalb der Union für dieses Thema gestritten haben - es waren nicht nur Bundestagsabgeordnete; es waren auch Oberbürgermeister, Landtagsabgeordnete und viele Mitglieder in Ortsverbänden -, in Anspruch, daß wir zusammen mit repektablen Kolleginnen und Kollegen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und F.D.P. - zum Beispiel Cem Özdemir und Frau SchmalzJacobsen - mehr für Integration bewirkt haben als fast die gesamte Führungsspitze der Sozialdemokratischen Partei. Es gab im Jahre 1998 einen breiten gesellschaftlichen Konsens für das Optionsmodell. Die Kirchen, der Städte- und Gemeindetag und auch viele gesellschaftliche Gruppierungen waren dafür. Sie haben nach der Bundestagswahl diesen Konsens ohne Not aufgekündigt und sind auf Ihren ursprünglichen Vorschlag einer generellen doppelten Staatsangehörigkeit zum Nulltarif - aus, wie ich meine, rein koalitions- und parteitaktischen Gründen - zurückgekommen. Damit haben Sie dem Anliegen der Ausländerintegration geschadet. ({2}) Als es nach der Wahl in Hessen darum ging, in dieser Frage Flagge zu zeigen und für die eigene Position zu kämpfen, hat sich dann Ihr eigener Bundeskanzler postDr. Jürgen Rüttgers wendend in die Büsche geschlagen und in einem Interview in der „Süddeutschen Zeitung“ erklärt, Minderheitenthemen wie Staatsangehörigkeitsrecht dürften nun nicht mehr so sehr in den Vordergrund geschoben werden; man müsse sich mehr den eigentlich wichtigen Themen zuwenden. Eine solche Aussage haben Sie bisher von niemandem aus unserer Gruppe gehört. Sie werden sie auch in Zukunft nicht hören.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Herr Kollege, denken Sie bitte an die Zeit.

Peter Altmaier (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002617, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich komme sofort zum Ende. - Wir hätten es auch begrüßt, Herr Bundesinnenminister, wenn der Bundeskanzler es für nötig gefunden hätte, dieser Debatte persönlich zu folgen und damit auch in der Öffentlichkeit für seine Überzeugung einzutreten. Wir werden Ihren Gesetzentwurf nicht ablehnen, können ihm aber auch nicht zustimmen, weil Sie zu keinem Zeitpunkt versucht haben, einen Konsens zu finden, weil Sie alle Gesprächsangebote abgelehnt haben, die von Wolfgang Schäuble und der CDU/CSU in den letzten Wochen gemacht worden sind, und weil Sie jede einzelne Forderung aus unserem Integrationspapier zurückgewiesen haben. Damit genügen Sie vielleicht Ihren parteitaktischen Anliegen. Aber dem Anliegen der Integration von Ausländern in unsere Gesellschaft werden Sie damit ganz sicher nicht gerecht. ({0})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Ich erteile das Wort dem Bundesminister des Innern, Herrn Otto Schily. Bitte sehr.

Otto Schily (Minister:in)

Politiker ID: 11001970

Herr Kollege Altmaier, zunächst einmal bedanke ich mich. Es ist des Respekts würdig, daß Sie zu Ihren alten Überzeugungen stehen; ich finde das großartig; das ist absolut anerkennenswert. ({0}) - Herr Zeitlmann, Sie können es einfach nicht lassen. Sie, Herr Altmaier, haben nun behauptet - es kann ja sein, daß Sie es nicht besser wissen -, ich hätte keine Bemühungen unternommen, um zu einem Konsens zu gelangen. Sie wissen vielleicht nicht, daß ich mich bemüht habe, mit Herrn Kollegen Schäuble zu einem Konsens zu kommen. Ich habe eine geschlagene Stunde mit Herrn Schäuble und mit vielen anderen aus Ihrer Fraktion geredet. Natürlich ist mir an einem Konsens sehr gelegen. Der Konsens kann aber nicht darin bestehen, wie Sie vielleicht denken und wie es mir immer gesagt worden ist, daß diese Debatte in der Art und Weise fortgesetzt wird, wie Sie es 16 Jahre lang gemacht haben, nämlich ad calendas graecas. Das mache ich nicht mit. ({1}) Das aber war das Ergebnis dieser Gespräche. - Ich will jetzt niemanden zitieren, aber wenn ich in Ihre Reihen schaue, sehe ich viele, mit denen ich gesprochen habe. Ihr Appell, daß wir versuchen sollten, den Beschluß auf einer breiten Grundlage zu fassen, ist völlig richtig. Sie haben dabei an frühere Legislaturperioden erinnert. Herr Altmaier, Sie wissen doch ganz genau, daß wir uns in der vorangegangenen Legislaturperiode auf der Basis des Optionsmodells hätten einigen können, wenn Sie nicht der Gefangene von Herrn Kanther gewesen wären. Sie konnten sich doch untereinander nicht einigen und haben sich nicht getraut, einen entsprechenden Entwurf vorzulegen. Sie sollten die Dinge hier nicht verdrehen. ({2}) Es ist immer noch Zeit, zu einem Konsens zu kommen. Insofern verstehe ich Ihre Haltung nicht. Aber ich finde es, wie gesagt, erfreulich, daß Sie bei Ihrer hier dargelegten Position bleiben. Das halte ich für konsequent und anerkennenswert. ({3}) - Nein, ich bin für eine weitergehende Lösung. Das ist völlig richtig, Herr Zeitlmann. Wenn wir die Mehrheit dafür weiterhin gehabt hätten, wäre ich auch dabei geblieben - das sage ich ganz offen und ehrlich -, nicht zuletzt deshalb, weil wir uns jetzt einigen Verwaltungsaufwand einhandeln. Ich muß mich aber jetzt auf das zubewegen, was mehrheitsfähig ist. Das ist auch in Ordnung; in der Politik ist das manchmal so. Daß Sie sich aber jetzt enthalten, Herr Altmaier, halte ich nicht für konsequent. Wenn jemand eher unserer Auffassung ist, müßte er doch eigentlich konsequent sein und unserem Gesetzentwurf zustimmen. Ich frage mich nun, was Ihre Beweggründe für eine Enthaltung sind. Das kann doch nicht an Bundeskanzler Schröder liegen, der alles mit unterschrieben hat, und der daher der Meinung ist, daß dies die richtige Lösung sei. Weil Sie das Thema Doppelpaß angesprochen haben: Ich darf Sie bitten - das meine ich sehr ernst -, zur Kenntnis zu nehmen, daß es mir wahrlich nicht um die Herbeiführung möglichst vieler doppelter Staatsbürgerschaften geht. Das ist nicht unser Ziel. Ich bin sogar der Meinung, daß doppelte Staatsbürgerschaften vermieden werden sollten. Nur will ich daran erinnern, daß für uns Integration wichtiger als die Vermeidung der Mehrstaatigkeit ist. ({4}) Was Sie Otto von Habsburg zubilligen, nämlich eine Mehrstaatigkeit, das sollten Sie auch dem einfachen türkischen Mitbürger zubilligen. Sie tun es ja auch, wenn auch beschränkt auf eine gewisse Dauer, im Rahmen des Optionsmodells. Herr Altmaier, allen Respekt vor dem, was Sie gesagt haben. Ich denke, daß Sie die Diskussion zum Anlaß nehmen sollten, weiterzudenken und dem Gesetzentwurf zuzustimmen. Danke schön. ({5})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Zu einer Kurzintervention hat das Wort der Kollege Rüdiger Veit.

Rüdiger Veit (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003249, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Meine Damen und Herren! Ich könnte versucht sein, darüber zu philosophieren, welche Rolle nun die F.D.P.-Fraktion angesichts des politischen Zerrbildes, das wir gesehen haben, spielen sollte, um den Grünen über ihren Bundeskongreß zu helfen. Ich möchte aber Sie, Herr Rüttgers, etwas fragen, wozu Sie mir während Ihres Redebeitrages keine Gelegenheit gegeben haben. Meine Frage wird aber nach der Erklärung von Herrn Altmaier noch viel interessanter. Sind Ihre verfassungsrechtlichen Bedenken gegen den jetzt vorliegenden Gesetzentwurf groß genug, daß Sie sich entschließen können, nach Karlsruhe zu gehen, oder fehlt Ihnen jetzt bei 30 Enthaltungen aus der CDU/CSUFraktion eventuell das Quorum?

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Herr Rüttgers, wollen Sie antworten? - Nein. Ich bin der Auffassung, daß wir in der Debatte nach der Kurzintervention des Kollegen Repnik fortfahren sollten. Bitte sehr, Herr Kollege, Sie haben das Wort.

Hans Peter Repnik (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001825, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Ich bin der Meinung, daß wir mitten in der Debatte sind und daß wir daher nicht mit der Debatte fortzufahren brauchen. Die Äußerung von Herrn Bundesinnenminister Schily bedarf einer Erwiderung im Rahmen meiner Kurzintervention. ({0}) Der Herr Bundesminister Schily hat eine Äußerung gemacht, die ich nicht stehenlassen kann. ({1})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Herr Kollege Repnik, darf ich Sie kurz unterbrechen? Ich kann nach einem Debattenbeitrag eine Kurzintervention zulassen. Das habe ich getan. Herr Repnik, Sie haben das Wort.

Hans Peter Repnik (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001825, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Tatsache ist, daß Herr Schily von seinem ursprünglichen Entwurf der doppelten Staatsangehörigkeit nicht deswegen abgerückt ist, weil er sich möglicherweise von Herrn Schäuble in der Sache überzeugen ließ. Der Grund liegt vielmehr in den 5 Millionen Unterschriften und in der klaren Quittung der hessischen Wähler. ({0}) Nachdem der neue Entwurf der Regierung vorlag, hat unser Fraktionsvorsitzender Wolfgang Schäuble im Einvernehmen mit dem CSU-Vorsitzenden Edmund Stoiber der Koalition neue Gespräche angeboten. Dieses Gesprächsangebot wurde von den Kirchen aufgegriffen, die an die Koalition appelliert haben: Gehen Sie auf dieses Gesprächsangebot ein! Es wurde ebenfalls vom Bundestagspräsidenten Thierse aufgegriffen, der an die Koalitionsfraktionen appelliert hat: Gehen Sie auf dieses Gesprächsangebot ein! Herr Struck, der Fraktionsvorsitzende der SPD, ist anschließend auf Herrn Schäuble zugegangen und hat gesagt: Wir wollen in der Koalition darüber sprechen. Bis zum heutigen Tag, Herr Minister Schily, ist die Koalition auf dieses Gesprächsangebot der Parteivorsitzenden der Union eine Antwort schuldig geblieben. Es ist also nicht so, daß Sie zu irgendeinem Zeitpunkt bereit gewesen wären, diese wichtige und gesellschaftspolitisch befriedende Frage einer konsensualen Lösung zuzuführen. Sie haben vielmehr dieses ehrlich und offen gemeinte Angebot - das ernst zu nehmen Sie von den Kirchen gebeten wurden - schlichtweg ignoriert und sind nicht darauf eingegangen. ({1})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Jetzt darf der Bundesminister darauf antworten. Danach lasse ich keine Kurzinterventionen mehr zu. Wir fahren dann mit der Debatte in der vorgesehenen Rednerfolge fort. Bitte sehr, Herr Bundesminister.

Otto Schily (Minister:in)

Politiker ID: 11001970

Herr Kollege Repnik, weil ich immer zu Milde aufgelegt bin, führe ich das, was Sie gerade vorgetragen haben, einfach auf schlechte Informationskanäle zurück. ({0}) - Nun hören Sie zu! Ich habe Ihnen doch auch zugehört. Ich habe beispielsweise in der Evangelischen Akademie Tutzing ein Gespräch geführt, um das die dortigen Kirchenvertreter gebeten haben. Daran haben auch einige hochrangige Politiker aus Ihren Reihen teilgenommen. Ich habe eine ganze Reihe von Gesprächen auch mit Personen aus Ihren Reihen geführt - übrigens auch schon vor der Hessenwahl. Deshalb ist das, was Sie gesagt haben, nicht wahr. Aber ich habe mich nicht nur auf Ihre Oppositionsfraktion beschränkt; es gibt noch eine andere. Auch mit dieser Oppositionsfraktion habe ich gesprochen. ({1}) - Nein, ich habe auch mit Herrn Westerwelle - er ist ein Vertreter dieser Oppositionsfraktion - gesprochen, und zwar vor der Hessenwahl. ({2}) Das war übrigens ein sehr angenehmes Gespräch. Gespräche machen aber nur dann einen Sinn, wenn die Zielsetzung konstruktiv ist. Das, was Sie hier betreiben, ist eine „Just for show“-Strategie. Sie wollen gar keinen Konsens. Sie wollen uns nur davon abhalten, diese Reform des Staatsangehörigkeitsrechts zu vollziehen. Sie sollten also ehrlich sein und dies sagen. Das wäre auch in Ordnung; denn das ist Ihr demokratisches Recht. Sie sollten die Dinge aber nicht verfälschen. Im übrigen sollten Sie auch nicht mit Kampagnen den Wählerwillen verfälschen; denn in Kenntnis dessen, was wir vorhatten, haben uns die Wähler im Bundestagswahlkampf einen großen Sieg ermöglicht. ({3}) Wenn Sie also schon immer von der Landtagswahl reden, dann denken Sie bitte auch einmal daran, daß wir im letzten Herbst auf der Basis dieser Staatsangehörigkeitsrechtsreform die Mehrheit errungen haben. Ich glaube, das muß man Ihnen in Erinnerung rufen, damit Sie nicht ganz vergessen, wo sie gelandet sind, nämlich in der Opposition - und das für eine Weile. ({4})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Nun erteile ich dem Kollegen Cem Özdemir das Wort.

Cem Özdemir (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002746, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Bevor ich auf die Debattenbeiträge eingehe, gestatten Sie mir bitte einen kleinen Rückblick historischer Art - oft wurde nämlich der Vorwurf erhoben, wir würden etwas durch das Parlament peitschen, die Debatte sei ganz neu, wir hätten sie nie geführt -, um zu verdeutlichen, wie alt das Gesetz ist, über das wir heute reden. Welch Geistes Kind das Reichs- und Staatsangehörigkeitsrecht vom 22. Juli 1913 war, belegt ein Zitat ({0}) - hören Sie zu, dann werden Sie mir sicher zustimmen aus den Beratungen des Reichstages im Jahr 1912. Da trug der Abgeordnete Herzog von der Wirtschaftlichen Vereinigung vor, dieses Gesetz solle „auf der einen Seite verhindern, daß weiterhin wertvolle deutsche Volkselemente dem Reiche und seiner Stellung in der Welt verlorengehen, daß es auf der anderen Seite aber ebenso sicher verhüten möge, daß die deutsche Reichs- und Staatsangehörigkeit gewissermaßen ein Asyl wird für alle möglichen unerwünschten Elemente, die unser Volkstum gefährden und die keineswegs geeignet sind, den deutschen Namen und deutsches Wesen in der Welt zu Ehren zu bringen“. … Noch im Frühjahr 1995 kritisierte der frühere Bundespräsident Richard von Weizsäcker dieses Gesetz, - das Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetz das trotz zahlreicher Änderungen in seinem Kern „aus der unseligen Blütezeit des zum Nationalismus pervertierten Nationalstaatsdenkens stammt“. Die einzige Möglichkeit, die das wilhelminische Gesetz für Nichtdeutsche vorsah, um die deutsche Staatsangehörigkeit zu erlangen, war und ist die Einbürgerung. Mit einem - selbst für heutige Verhältnisse weitgehenden - Vorschlag - jetzt komme ich zu Ihren Vorgängern scheiterten Sozialdemokraten und Liberale im Reichstag: Sie wollten die Einbürgerung von Ausländern bereits nach zweijährigem Aufenthalt im Reichsgebiet als einklagbares Recht ausgestalten. Doch die Reichsregierung legte die Hürden für eine Einbürgerung hoch und stellte sie ins alleinige Ermessen des Staates: Einbürgerung sollte eine Ausnahme sein und nicht die Regel. Die Hürden sind hoch geblieben bis in unsere Tage. Bevor ich in die Debatte einsteige, lassen Sie mich Ihnen ein Zitat nicht vorenthalten. Der Korrespondent der „Washington Post“ hat in den 90er Jahren, die Kohl-Regierung der letzten 16 Jahre bilanzierend, zum Thema „Staatsbürgerschaft und Umgang mit der Integration“ eine Überschrift gewählt, der, wie ich glaube, nichts hinzuzufügen ist: „Come on, Germany! Get real!“ Frei übersetzt: „Deutschland, stell dich der Wirklichkeit!“ Ich bin froh, daß wir uns heute, nachdem Sie es 16 Jahre lang trotz mehrfacher Ankündigungen nicht geschafft haben, endlich der Realität stellen: Dieses Land wird sich am 1. Januar 2000 ein neues, modernes, republikanisches, europäisches Staatsangehörigkeitsrecht zulegen. ({1}) Wir wollen - da wir schon bei der Historie sind auch eines nicht vergessen: Ich glaube, man sollte diesen Tag auch nutzen, um denen zu danken, die in der Vergangenheit ihren Beitrag dazu geleistet haben, daß wir zu dem Punkt gelangen konnten, an dem wir heute sind. Viele werden sich gar nicht mehr daran erinnern: Herr Kühn, der erste Ausländerbeauftragte, den die Bundesrepublik Deutschland hatte, damals, 1979, von der sozialliberalen Regierung eingesetzt - er war der frühere Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen -, war einer der ersten, der überhaupt von der Notwendigkeit einer Reform des Staatsangehörigkeitsrechtes sprach und der damals den revolutionären Vorschlag eingebracht hat, quasi per Postkarte mit 18 Jahren die deutsche Staatsbürgerschaft zu verleihen. Ich nenne weiter Frau Funcke von der F.D.P., die zweite Ausländerbeauftragte, die sich damals einen Platz in den Herzen vieler Nichtdeutschen gesichert hat, die nach wie vor wegen ihres Engagements für Nichtdeutsche unvergessen ist und die sich in der sozialliberalen Koalition vergeblich bemüht hat, Bewegung in dieses Thema zu bringen. Schließlich nenne ich Frau Schmalz-Jacobsen - ich habe sie vorhin schon oben auf der Tribüne entdeckt. Auch ihr gilt, glaube ich, der Dank des gesamten Hauses dafür, ({2}) daß sie sich bemüht und dafür eingesetzt hat, damals Verständnis in der Koalition für etwas zu wecken, für das in der Koalition eigentlich kein Verständnis zu wekken war, weil die Mehrheiten anders waren. Wo ich schon einmal beim Dank bin, gestatten Sie mir auch einen Dank in eigener Sache, nämlich einen Dank an die Generation meiner Eltern, an die Menschen, die in den 50er, 60er, 70er Jahren über die Anwerbeabkommen zu einer Zeit hierhergeholt worden sind, als es in Deutschland einen großen Arbeitskräftemangel gab, und die zum Wohlstand dieser Republik beigetragen haben. Sie sind hier alt geworden. Sie, die ungelernte Arbeitskräfte waren, kamen hierher, weil man ungelernte Arbeitskräfte gesucht hat. Sie haben Arbeiten angenommen, die viele Deutsche damals nicht annehmen wollten. Ich glaube, es wäre ungerecht, wenn man diesen Menschen, die jetzt kurz vor dem Rentenalter stehen, nun den Vorwurf macht, daß man damals keine Konzepte für Integration hatte, daß man damals nicht daran gedacht hat, daß sie bleiben werden, daß man keine Vorkehrungen für Sprachkurse und Integrationskurse getroffen hat und daß ihr Deutsch nicht so gut ist. Das sollten wir, glaube ich, nicht machen, im Gegenteil: Ihnen gebührt unser Dank dafür, daß sie dieses Land mit aufgebaut haben. ({3}) - Ich gestatte Ihnen gleich die Zwischenfrage; gestatten Sie mir bitte, diesen Punkt kurz zu Ende zu führen. Namens meiner Fraktion möchte ich auch noch folgendes anführen: Man kann über den Kompromiß vieles sagen. Ich bedauere sehr, daß es uns nicht gelungen ist, der ersten Generation, den Menschen, die in dieser Gesellschaft alt geworden sind, die diese Gesellschaft nicht bedrohen, die weniger straffällig werden als vergleichbare Deutsche, die immer loyal zu diesem Lande standen, die doppelte Staatsbürgerschaft zu geben. Ich bedauere das insbesondere mit Blick auf die F.D.P., weil sie blockiert hat, diesen Menschen als Anerkennung ihrer Lebensleistung die doppelte Staatsbürgerschaft zu geben. ({4}) Es wäre uns kein Zacken aus der Krone gefallen. Es hätte sich ja um einen überschaubaren Kreis von Personen gehandelt. Hierbei wäre uns, glaube ich, auch die Mehrheit der Bevölkerung gefolgt. Bitte sehr.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Jetzt lassen Sie die Zwischenfrage zu. Bitte sehr, Herr Kollege Uhl.

Dr. Hans Peter Uhl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003247, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege, gestatten Sie mir eine Frage, weil ich davon ausgehe, daß Sie aus eigenem Erleben wissen, was Integration wirklich heißt. Nachdem das Problem den Praktikern seit vielen Jahren bekannt ist, daß von der Sprachfähigkeit die Schulausbildung abhängt und von der Schulausbildung die Berufsausbildung und daß nur so Integration stattfinden kann, hat die Bundesregierung bereits 1995 ein Modellprojekt zur Förderung ausländischer Jugendlicher der zweiten und dritten Generation mit dem Ziel der Integration dieser Ausländer gestartet. Nun werden wir uns sicher nie über die Frage einigen können, wie wir Integration betreiben sollen. Sie gehen den Weg über die Ausreichung von deutschen Pässen; wir sind der Meinung, daß man das anders angehen sollte. Darüber will ich nicht reden und Sie dazu auch nicht befragen. Ich frage Sie vielmehr, was Sie davon halten, wenn gerade in diesen Tagen, in denen das von Ihnen beschlossen wird, die gleiche Bundesregierung - nicht der Innenminister, sondern die Kabinettskollegin - dieses Modellprojekt zur Integration von Ausländern der zweiten und dritten Generation in den großen deutschen Städten - es sind sieben an der Zahl - aus finanziellen Gründen stoppt. Das heißt, aufsuchende Integrationsarbeit - Streetwork -, zum Beispiel in München, dort in einem ganz bestimmten Treffpunkt - ihn kenne ich ganz genau - in einem Problemviertel, einem sozialen Brennpunkt - aber auch in anderen großen deutschen Städten -, ist nicht mehr möglich. Genau in diesen Tagen werden diese Modellprojekte aus finanziellen Gründen gestoppt. Meine Frage ist jetzt: Sind Sie mit mir der Meinung, daß diese Politik, die in dem Ausreichen deutscher Pässe besteht, aber die zur gleichen Zeit die wahre Integrationsarbeit in den großen deutschen Städten stoppt, keine Integrationspolitik ist, sondern einen Akt der zynischen Desintegration darstellt? ({0})

Cem Özdemir (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002746, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Kollege Uhl, ich bin mit Ihnen einer Meinung, daß wir mehr für die Integration tun müssen. Wir haben in der Haushaltsdebatte gestern ja festgestellt - da werden Sie mir sicherlich zustimmen -, daß diese Bundesregierung die Mittel für Integration, für Sprachkurse und Integrationshilfe, für berufsvorbereitende Jahre - dazu zählt auch das 100 000-Ausbildungsplätze-Programm, das sich speziell an diese Gruppe richtet, weil wir gerade da Probleme haben - ausgeweitet hat. Das ist sicherlich nicht genug, aber es ist ein Anfang gemacht. Ich bin mir sicher, wir werden noch mehr tun. Lassen Sie mich folgendes hinzufügen: Sie reden von Integration. Wir sind uns einig, da muß mehr getan werden. Der Kollege Rüttgers hat ein Papier vorgelegt. Wenn man dieses Papier einmal nüchtern analysiert, wird man feststellen: Die meisten der Aufforderungen richten sich doch nicht an die Bundesregierung; sie richten sich an die Landesregierungen. ({0}) Die Landesregierungen sind maßgeblich finanziell verantwortlich für all die Dinge, die Herr Kollege Rüttgers genannt hat. Ich habe folgende Bitte - vielleicht können wir hier ja Einigkeit erzielen -: Lassen Sie uns dieses Spiel: Der Bund schiebt die Verantwortung auf die Länder, ({1}) die Länder schieben sie auf den Bund, gemeinsam schieben wir sie auf die Kommunen, beenden. ({2}) Wir haben im Innenausschuß den Vorschlag gemacht - ich glaube, er ist mit den Stimmen Ihrer Fraktionskollegen auch angenommen worden -, gemeinsam in die Niederlande zu reisen und das dortige Modell zu Sprach- und Integrationskursen anzuschauen. Ich bin mir sicher, daß wir mit der Erkenntnis zurückkommen werden, daß es ein gutes Modell ist. Solche Modelle kann man nur durchsetzen, wenn Bund und Länder unionsregierte Länder genauso wie rotgrün regierte Länder - zusammenarbeiten. Wir wollen - an uns wird das garantiert nicht scheitern; die Einladung ergeht auch an Sie, an die Opposition - in dieser Frage zusammenarbeiten. Lassen Sie mich, weil die Zwischenfrage gestellt wurde, noch ein bißchen auf die Union eingehen. Ich glaube, es lohnt sich, die Haltung der Union in diesem Punkt etwas näher zu betrachten. Von Herrn Kollegen Repnik und von Herrn Kollegen Rüttgers beispielsweise wurden verschiedentlich die Kirchen zitiert. Ich habe das mit Interesse verfolgt. Ich muß allerdings fragen: Wo war denn Ihre Sympathie für die Kirchen, als es darum ging, für die Anhörung im Innenausschuß Sachverständige einzuladen? ({3}) Wir hatten uns darauf geeinigt, die Kirchen, den Städtetag etc. einzuladen. Sie haben diese gemeinsame Vereinbarung aufgekündigt, weil Sie die Kirchen nicht dabeihaben wollten, ({4}) weil Ihnen die Position der Kirchen nicht gefällt, weil die Kirchen genau unsere Position stützen, unserer Position recht geben und sagen: Wir brauchen eine Reform des Staatsangehörigkeitsrechtes. ({5}) Wir haben die Kirchen trotzdem eingeladen, weil wir der Meinung sind, daß die Position der Kirchen wichtig ist, daß sie gehört werden muß. Ich bin mir sicher, Ihre Obleute werden Ihnen berichtet haben, was die Damen und Herren der Kirchen zu Ihren Gesetzentwürfen zu sagen hatten und was sie zu unseren Gesetzentwürfen gesagt haben. Da wir gerade beim Thema Verfassungskonformität sind: Wir sollten, glaube ich, den Mitgliedern des Hohen Hauses nicht vorenthalten, daß die Verfassungsrechtler, nachdem sie unsere Gesetzentwürfe im großen und ganzen für verfassungskonform erklärt haben, nahezu einhellig gesagt haben, daß Ihre Gesetze alles andere als verfassungskonform sind. Von daher würde ich Ihnen raten, etwas bescheidener aufzutreten, was die Frage der Verfassungsmäßigkeit angeht. Da wir auch Herrn Kollegen Beckstein, den Landesinnenminister von Bayern, hier haben, gestatten Sie mir einen kurzen Blick nach Bayern. Ich darf den CSUGeneralsekretär Dr. Thomas Goppel zitieren, der in einer Schülerzeitung auf eine Frage zum Staatsangehörigkeitsrecht in bezug auf die neue Bundesregierung und ihr Vorhaben folgendes gesagt hat: Die neue Bundesregierung hat sich entschlossen, einen Ausländer, der eine gewisse Zeit in Deutschland lebt, ohne Überprüfung seiner persönlichen Hintergründe in die Familie der Deutschen aufzunehmen, indem sie ihm einen Paß gibt und sagt, du bist Deutscher. Ich finde, auf dieser Ebene sollte die Auseinandersetzung wirklich nicht stattfinden. ({6}) Daß man in der Politik manchmal zuspitzt und polemisiert, ist in Ordnung. Aber man sollte bei der Wahrheit bleiben. ({7}) Weder das alte noch das neue Staatsangehörigkeitsrecht sieht vor, daß die Staatsbürgerschaft quasi an der Grenze oder per Hauswurfsendung in die Briefkästen verteilt wird. Die Hürden sind sowohl im ersten Entwurf von Schily als auch in dem Gruppenantrag höher gelegt als bei dem, was Sie in den letzten 16 Jahren gemacht haben. Ich darf daran erinnern, daß wir auch bei denjenigen, die über den Rechtsanspruch eingebürgert werden, deutsche Sprachkenntnisse verlangen. Ich darf daran erinnern, daß wir für alle, die eingebürgert werden wollen, zukünftig das Erfordernis vorsehen, daß sie sich verfassungskonform verhalten. Das hatten Sie nicht vorgesehen. ({8}) Von daher möchte ich Herrn Goppel auffordern, diese Aussage zurückzunehmen. Ich darf noch ein Weiteres hinzufügen, das jeder Beschreibung spottet. Wörtliches Zitat - es geht um die Ausländer und insbesondere um die Türken hier -: Die leben hier ihre ganz eigene kulturelle und soziale und sonstige Welt, machen eine eigene Stadt in der Stadt, haben nichts mit Deutschenland zu tun, reden nicht deutsch. ({9}) Hier spricht einer von denen, die er meint. Hier hinten sitzt eine, das ist Kollegin Ekin Deligöz. Der Kollege Sebastian Edathy sitzt hier, Frau Leyla Onur sitzt hier, und ich hoffe, eines Tages werden auch in den Fraktionen von CDU/CSU und F.D.P. Abgeordnete nichtdeutscher Herkunft sitzen. Etwas mehr Realität darf es schon sein, ({10}) ein etwas größerer Bezug zu dieser Gesellschaft darf es schon sein. Mir fehlen eigentlich die Worte. Ich will dazu nur sagen: Wenn man aus der Dummheit solcher Äußerungen Energie gewinnen könnte, dann hätten wir wohl alle Energieprobleme für die Zukunft gelöst. ({11}) Aus diesem Grunde spreche ich auch hier meine Aufforderung aus, doch bei der Realität zu bleiben. Aber ich bleibe bei Bayern. Herr Innenminister Beckstein wird sicherlich auch dazu Stellung nehmen können, daß gerade unsere bayerischen Landsleute, die hier sitzen, sehr viel Kompetenz haben, weil sie nämlich wissen, worum es geht. Sie sind alle doppelte Staatsbürger, während ich das Privileg nicht habe. Ich habe den türkischen Paß nicht. Ich wurde ausgebürgert, weil ich in der Türkei nicht in die Armee gehen wollte. Alle Bayern haben das Privileg der doppelten Staatsbürgerschaft, weil nämlich die Verfassung des Freistaates Bayern in Art. 7 sagt: Staatsbürger ist ohne Unterschied der Geburt, der Rasse, des Geschlechts, des Glaubens, des Berufs jeder Staatsangehörige, der das 18. Lebensjahr vollendet hat. ({12}) Insofern denke ich, daß gerade unsere bayerischen Freunde berufen sein müßten, Gründe zu nennen, aus denen Menschen darauf angewiesen sein können, die doppelte Staatsbürgerschaft zu haben - weil sie nicht ausgebürgert werden können, weil das Land, aus dem sie kommen, sie nicht entläßt oder unzumutbare Hürden aufstellt. Ich darf, da wir gerade bei der Union sind, noch jemanden zitieren, der bei Ihnen wohl unbestritten hohes Ansehen genießt, und das ist Adenauer. Adenauer, der erste Bundeskanzler der Bundesrepublik, hat im Rahmen des Versöhnungsprozesses mit Frankreich den Vorschlag gemacht und die Idee in die Debatte geworfen - die leider anschließend nicht aufgegriffen wurde -, daß man mit Frankreich eine doppelte Staatsbürgerschaft auf Gegenseitigkeitsbasis vereinbart. Das hieße, alle Franzosen sollten zusätzlich die deutsche Staatsbürgerschaft haben, und alle deutschen Staatsbürger sollten den französischen Paß haben. Die Union war also in dieser Frage schon einmal weiter. Deshalb hier auch mein Appell: Erinnern Sie sich an die Europäer in Ihrer Fraktion! Helfen Sie mit, ein Staatsangehörigkeitsrecht zu gestalten, das europäisch ist. Ich habe noch ein weiteres Zitat aus der Union. Herr Pützhofen, Mitglied Ihrer Fraktion, gleichzeitig Oberbürgermeister von Krefeld, sagte folgendes: Der Städtetag ist dafür, Kindern ausländischer Mitbürger mit ihrer Geburt in Deutschland die deutsche Staatsangehörigkeit zu geben. Bei Volljährigkeit müssen sie sich für einen Paß entscheiden. Genau das will die Regierung machen. Ich will es noch einmal ausdrücklich sagen, bevor ein etwas seltsamer Zungenschlag aufkommt: Es geht hier nicht darum, daß wir die Union pauschal verdammen. Ich weiß, daß es viele in der CDU/CSU gibt, die ähnlich denken wie wir, die der Meinung sind, daß es unklug ist, eine Gesellschaft von Minderheiten und Mehrheit zu haben, eine Gesellschaft mit Ghettos, mit Parallelgesellschaften, mit Ausländern und Inländern. ({13}) Diese Mehrheit, die sich hier für den Gruppenantrag gefunden hat - ich nehme Sie gleich dran, Frau Kollegin -, ({14}) möchte dieses ändern. Wir sind der Meinung, es ist besser für Deutschland, wenn wir alle, die wir hier leben, gleiche Rechte und gleiche Pflichten haben. ({15}) Wir wollen für Nichtdeutsche nicht nur Rechte, sondern auch Pflichten. Wir wollen, daß sie hier ihren Wehrdienst ableisten. Wir wollen, daß sie hier von ihrem Wahlrecht Gebrauch machen. Wir wollen, daß sie ihre Kinder hier aufwachsen lassen, daß die Kinder in deutsche Kindergärten, in deutsche Schulen gehen, wie es Ihr Kollege Eylmann gesagt hat, mit inländischem Bewußtsein aufwachsen. Sie wollen eine Gesellschaft der Parallelstrukturen, sie wollen eine Gesellschaft aus Ausländern und Inländern. Ich glaube, die Mehrheit der Bevölkerung wird uns zustimmen, daß unser Weg der bessere ist, für die Mehrheit wie für die Minderheit.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Gestatten Sie Zwischenfragen?

Cem Özdemir (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002746, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Bitte.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Bitte sehr, Frau Kollegin Aigner.

Ilse Aigner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003028, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Kollege, ich bedanke mich, daß Sie mich drannehmen. Das ist sehr freundlich. ({0}) - Jetzt kommt die bayerische Doppelstaatsbürgerschaft.

Cem Özdemir (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002746, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich mache das immer.

Ilse Aigner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003028, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich habe eine konkrete Frage zu Ihrem Gesetzentwurf. Es soll optiert werden, und die andere Staatsangehörigkeit soll aufgegeben werden. Es gibt aber beispielsweise bestimmte Gründe, bei deren Vorliegen das nicht verlangt wird. Es heißt beispielsweise in § 87 Abs. 1 Nr. 5 des Gesetzentwurfs: dem Ausländer bei Aufgabe der ausländischen Staatsangehörigkeit erhebliche Nachteile insbesondere wirtschaftlicher oder vermögensrechtlicher Art entstehen würden, die über den Verlust der staatsbürgerlichen Rechte hinausgehen … Könnten Sie mir sagen, wie ich das genau verstehen soll? Wenn eine Erbschaft nicht angetreten werden kann, ist das dann ein Grund dafür, daß die andere Staatsbürgerschaft nicht aufgegeben werden muß? Das würde mich einfach einmal konkret interessieren. ({0})

Cem Özdemir (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002746, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich kann Ihnen auch sagen, was damit gemeint ist. Übrigens, bei dieser Gelegenheit: Es macht nichts, von mir aus dürften Sie sich auch gern setzen, Frau Kollegin.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Nein, wir wollen schon die Spielregeln einhalten.

Cem Özdemir (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002746, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich weiß, ich weiß; sonst heißt es wieder, die Türken führen hier neue Sitten ein. Keine Sorge, ich halte mich an die Gepflogenheiten dieser Republik. ({0}) - Ich bin ein patriotischer Schwabe.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Solange die Kollegin stehen bleibt, ist die Uhr gestoppt. Wenn sie sich setzte, wäre das für Sie nachteilig, weil dann die Uhr wieder liefe.

Cem Özdemir (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002746, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

So ist es. Ein Argument mehr. Wir sind uns also einig. Der § 87 regelt bereits heute Ausnahmetatbestände, bei deren Vorliegen die Mehrstaatlichkeit hingenommen werden kann. Wir werden dies um den Punkt der wirtschaftlichen Hindernisse, den Sie genannt haben, erweitern. Ich will Ihnen als ganz konkretes Beispiel einen Arbeitgeber nennen, der in einem anderen Land eine Fabrik hat, der aber, wenn er den Paß des Landes verliert, beispielsweise ausgebürgert werden würde, oder aus anderen Gründen nicht mehr die Möglichkeit hätte, frei zwischen den Ländern zu verkehren. In solchen Fällen macht es sicherlich Sinn, daß man die Mehrstaatlichkeit hinnimmt. ({0}) Es gibt auch viele andere Bereiche. Aber ich darf Ihnen vielleicht zur Kenntnis geben, daß Ihre Fraktion einen Gesetzentwurf hier eingebracht hat, in dem ebenfalls die Erweiterung des § 87 gefordert wird und in dem ähnliche Tatbestände wie bei uns genannt werden. ({1}) Von daher rate ich Ihnen: Lesen Sie einmal die Anträge Ihrer eigenen Fraktion. Auch Ihre Fraktion ist der Meinung, daß § 87 ausgebaut werden muß, weil bisher Menschen, die die doppelte Staatsbürgerschaft gar nicht wollen, aber darauf angewiesen sind, teilweise nicht erfaßt werden.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage der Kollegin Aigner? - Bitte sehr, Frau Kollegin Aigner.

Ilse Aigner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003028, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Özdemir, Sie haben meine Frage nicht korrekt beantwortet. Ich habe gefragt, ob ein Grund für die doppelte Staatsbürgerschaft ist, wenn jemand im anderen Falle auf eine Erbschaft verzichten müßte. Dazu möchte ich Sie jetzt um eine klare Antwort bitten.

Cem Özdemir (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002746, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Das kann ein Grund sein; ich hoffe, es wäre ein Grund. Das wird sicherlich von der Interpretation des Gesetzes abhängen. Die Einbürgerungsrichtlinien sind noch nicht auf den Weg gebracht. Sie wissen, daß das noch geschehen muß. Meines Erachtens sollte es einen Grund darstellen. Übrigens haben wir nicht nur in der Türkei, sondern auch in Skandinavien Probleme mit dem Erbrecht. ({0}) - Und in Italien. - In solchen Fällen, denke ich, sind wir uns einig, daß die doppelte Staatsbürgerschaft der Antragsteller hingenommen werden sollte. ({1})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Fromme?

Cem Özdemir (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002746, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ja.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Bitte sehr.

Jochen Konrad Fromme (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003126, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Özdemir, ich frage Sie hinsichtlich § 87 Abs. 1 Nr. 5: Können Sie ausschließen - und wenn ja, mit welcher Begründung -, daß hierdurch millionenfache Doppelstaatlichkeiten entstehen?

Cem Özdemir (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002746, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich halte nichts davon, irgendwelche Zahlen in die Landschaft zu setzen, was die Frage der Doppelstaatsbürger angeht. Ich will Ihnen folgendes sagen, vielleicht auch als Argument dafür, warum wir Skepsis haben. Ich habe vorhin erläutert, warum ich mit den Regelungen für die erste Generation unzufrieden bin. Ich glaube, das Gesetz wird dazu führen, daß viele von der ersten Generation leider, ich bedaure das sehr - von dem Instrument der Einbürgerung zunächst keinen Gebrauch machen werden, weil die Beibehaltung der Staatsbürgerschaft für sie aus psychologischen Gründen sehr wichtig ist. Die Punkte, die wir beim § 87 des Ausländergesetzes genannt haben, die richtig und nachvollziehbar sind, werden den Kreis erweitern; aber es wird eine bestimmte Gruppe von Menschen geben, vor allem alte Menschen, die davon keinen Gebrauch machen werden, weil sie der Meinung sind, daß sie, wenn sie ihren Paß aufgeben müssen, emotionale Nachteile zu befürchten haben. Von daher glaube ich nicht, daß es sich um Millionen handeln wird, die eingebürgert werden wollen. Im wesentlichen wird das Geburtsrecht dazu führen, daß Kinder von Ausländern, die hier auf die Welt kommen und deren Eltern bereits hier gelebt haben, deutsche Staatsbürger werden. Der Anteil derer, die sich auf Grund des Ausländergesetzes einbürgern lassen, wird wachsen, aber er wird nicht in die Millionen gehen. Da kann ich Sie beruhigen.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Herr Kollege, gestatten Sie eine Nachfrage des Kollegen Fromme? Bitte sehr.

Cem Özdemir (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002746, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich glaube aber, daß wir langsam weitermachen sollten, sonst kommen wir nicht voran, und wir haben noch Wichtiges vor.

Jochen Konrad Fromme (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003126, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Wenn Ihnen meine Fragen unangenehm sind.

Cem Özdemir (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002746, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Nein, sie sind mir nicht unangenehm, im Gegenteil.

Jochen Konrad Fromme (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003126, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Wenn Sie nicht wissen, wie viele Fälle es geben wird, und in der Öffentlichkeit den Eindruck erwecken, Doppelstaatlichkeit sei nicht gewollt, halten Sie das dann nicht für Etikettenschwindel?

Cem Özdemir (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002746, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Nein, es ist deshalb kein Etikettenschwindel, Herr Kollege - ich erkläre es Ihnen noch einmal, vielleicht kommt es dann ja doch noch an -: Die doppelte Staatsbürgerschaft ist keine Erfindung dieser Regierung. Wir haben nach den Gesetzen, die Sie mit verabschiedet haben, bereits bis zu 2 Millionen Doppelstaatsbürger. ({0}) Dazu gehören die Nachfahren der Aussiedler, die zu uns kommen und von denen wir zu Recht - ich glaube, da sind wir uns alle einig - nicht verlangen, daß sie ihren Paß aufgeben, weil sie Nachteile hätten, weil sie sich freikaufen müßten. Auch binationale Ehen gehören dazu. Jede sechste neu geschlossene Ehe ist eine binationale Ehe. Ich denke, auch bei Ihnen gibt es binationale Ehen. Die Kinder aus binationalen Ehen haben selbstverständlich die doppelte Staatsbürgerschaft. Ich kenne niemanden bei Ihnen, der das abschaffen möchte. Wir haben nach § 87 des Ausländergesetzes, alt wie neu, Fälle, die die doppelte Staatsbürgerschaft bekommen, weil sie nicht ausgebürgert werden können, weil das eine unzumutbare Härte darstellt etc. Das heißt, egal was wir heute hier beschließen: Die doppelte Staatsbürgerschaft gab es, es wird sie weiterhin geben, und es wird sie in Zukunft sogar vermehrt geben. Es gehört bei guten Europäern wohl dazu, daß man das nicht als Übel, sondern als Realität in einer globalisierten Welt betrachtet. ({1})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Leutheusser-Schnarrenberger?

Cem Özdemir (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002746, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ja.

Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001336, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege, können Sie mir noch einmal bestätigen, daß sich gerade diese in den geltenden § 87 des Ausländergesetzes aufzunehmende Passage auf viele problematische Einzelfälle bezieht, die jeden Abgeordneten im Parlament schon seit vielen Jahren beschäftigen und angesichts derer wir über Fraktionsgrenzen hinweg immer der Meinung waren, daß es notwendig ist, in diesem System die Möglichkeit zu eröffnen, in wirklich schwieCem Özdemir rigen Einzelfällen endlich sachgerechte und angemessene Entscheidungen zu treffen, und daß Integration nicht eine Frage der Zahl ist, sondern eine Frage, mit welchem Bewußtsein, mit welcher Einstellung wir mit den Menschen, die sich zu Deutschland bekennen, umgehen? ({0})

Cem Özdemir (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002746, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich kann Ihnen das sehr gerne bestätigen, Frau Kollegin. Ich glaube, die Antragsteller haben es sich da nicht einfach gemacht. Wir haben uns vielmehr jeden Fall einzeln angeschaut und über jeden Spiegelstrich sehr lange diskutiert. Ich will Ihnen gar nicht verhehlen, daß wir unzufrieden sind mit der Menge dessen, was dabei herausgekommen ist. Gerade das Beispiel der Asylbewerber ist dafür typisch. Ich kann mir nicht vorstellen, daß irgend jemand nachvollziehen kann, daß man jemanden, der aus einem Land geflohen ist und mit ihm nichts mehr zu tun haben will, zwingt, zur Botschaft des Landes zu gehen, aus dem er geflohen ist. Von daher ist es doch nachvollziehbar, daß diese Menschen einen sehr engen Bezug zu unserer Gesellschaft haben, wenn sie hier als Asylbewerber anerkannt worden sind. Es gibt weiterhin wirtschaftliche Gründe. Auch hier ist doch eigentlich ersichtlich: Bei Menschen, die hier auf Dauer leben, die hier wirtschaftlich tätig sind und die internationale Geschäfte abwickeln, ist es sinnvoll, die doppelte Staatsbürgerschaft hinzunehmen. Andere Fälle haben wir im einzelnen genannt. Ich vermute, jeder von Ihnen kann, wenn er die Realität in seinem Wahlkreis betrachtet, Hunderte von Beispielen auffinden, an denen er erkennt, um welche Einzelschicksale es sich handelt. Uns geht es darum, im Sinne der Menschen eine unbürokratische Lösung zu finden. Insofern wird sich dieses Gesetz meines Erachtens bewähren. Noch einmal zurück zum Thema der Staatsbürgerschaft. Es klang hier verschiedentlich die Frage an, was mit Staatsbürgerschaft eigentlich gemeint ist. Ich habe das Gefühl, daß wir über unterschiedliche Gegenstände sprechen. Für uns ist ein deutscher Staatsbürger nicht jemand, der sozusagen eine Bluttransfusion über sich hat ergehen lassen. Für uns ist ein deutscher Staatsbürger nicht jemand, der bestimmte Musikgewohnheiten, Kleidungsgewohnheiten, Eßgewohnheiten oder sonstige Gewohnheiten sein eigen nennt. Für uns ist ein deutscher Staatsbürger, der zu dieser Gesellschaft gehört, jemand, der sich zur Verfassung dieses Landes bekennt und der die Werte dieser Gesellschaft mit uns teilt, wozu beispielsweise die Gleichberechtigung von Mann und Frau gehört. Da dulden wir keine Ausnahme. ({0}) Niemand kann für sich in Anspruch nehmen, zu sagen: In meiner Kultur ist das anders. Das geht nicht. Das werden wir nicht hinnehmen. Jeder, der hier lebt, muß das Recht auf körperliche Unversehrtheit und alle Prinzipien unserer Verfassung akzeptieren. - Das ist die erste Voraussetzung. Die zweite Voraussetzung ist, daß jeder, der hier lebt, natürlich auch die Amtssprache beherrschen sollte - das ist doch eine Selbstverständlichkeit -, und zwar nicht aus Schikane den Menschen gegenüber, sondern aus Schutz für die Betroffenen. Wer die Amtssprache nicht beherrscht, der wird nie erfahren, was ein Betriebsrat, was eine Gewerkschaft und was Verbraucherschutz ist. ({1}) Auch hier gilt die Einladung an Sie, mitzuwirken. Wir müssen sehen, daß wir diese Kenntnisse ausbauen. Hier gilt es mehr zu tun. Wer diese zwei Voraussetzungen mitbringt, der hat die Voraussetzungen erfüllt, Staatsbürger dieses Landes zu sein. Ich bitte Sie wirklich, in der Frage der Loyalität die Art der Argumentation, die wir in den letzten Jahren gehabt haben, nicht mehr zu gebrauchen. Ich meine den ständigen Generalverdacht, der gegen 7 Millionen Nichtdeutsche erhoben wird, die dazugehören, die in dieser Gesellschaft ihren Beitrag zum Wohlstand unserer Republik leisten und die in der Mehrzahl loyale Bürger sind: Ich höre immer wieder diese wirklich an den Haaren herbeigezogenen Argumente, daß durch die Einbürgerung einer Person serbokroatischer, bosnischer, türkischer oder kurdischer Herkunft die entsprechenden Konflikte in unser Land hineingetragen werden. Das ist doch nicht die Realität. Die Mehrzahl hat mit Gewalt nichts am Hut. Auf diese Argumentation sollten Sie also wirklich verzichten. Auf eines möchte ich noch eingehen - denn es paßt zu der Debatte von heute früh über die Krisen im Kosovo und in Bosnien-Herzegowina -: Verteidigungsminister Scharping hat auf eine Anfrage ausdrücklich bestätigt, daß es bereits heute in der Bundeswehr Soldaten gibt, die serbokroatische Namen haben, die der verschiedensten Herkunft sind, die sogar in dieser Krisenregion zum Einsatz kommen und einen vorbildlichen Dienst leisten. Es gab weder bei der Polizei noch beim Bundesgrenzschutz, der Bundeswehr oder irgendeiner anderen öffentlichen Verwaltung Fälle, in denen es bisher auch nur den Hauch eines Verdachtes gegeben hätte, daß diese Menschen illoyal sind. Ich bitte Sie: Nehmen Sie diesen Generalverdacht gegenüber den Nichtdeutschen, die bei uns leben, zurück. Wir sind gegenüber dieser Republik loyal. Wir bekennen uns in der Mehrzahl zu diesem Land. ({2}) Gerade wenn wir wollen, daß sich diese Menschen einbürgern lassen - und das wollen wir -, dann dürfen wir ihnen nicht mit Mißtrauen begegnen. Wem mit Mißtrauen begegnet wird, der wird die Angebote zur Integration und zur Einbürgerung nicht annehmen. Deshalb ist es auch hier wichtig, die Sache mit etwas mehr Gelassenheit anzugehen. Ich glaube, dann kommen wir einen Schritt weiter. Im letzten Teil meiner Rede möchte ich noch eines ansprechen: Ich denke, daß wir mit diesem Gesetzentwurf nicht das Ende der Fahnenstange im Hinblick auf die Integrationspolitik erreicht haben. Im Grunde könnte man sagen: Das, was wir hier machen, ist eine nachholende Reform der 80er Jahre. Die Reform des Staatsangehörigkeitsrechts hätte eigentlich in die 80er Jahre gehört. Da wäre sie angemessen gewesen. ({3}) Insbesondere im Rahmen der deutsch-deutschen Vereinigung hätte eine Möglichkeit bestanden, das Staatsangehörigkeitsrecht umfassend zu reformieren. Diese Gelegenheit wurde verpaßt. Wir holen das heute zur Jahrtausendwende nach. Natürlich müssen wir uns darum kümmern, welche Folgeentwicklungen notwendig sind. Durch das Gesetz wird bereits impliziert, daß wir uns beispielsweise um die Frage kümmern müssen, was mit denjenigen passiert, die 23 Jahre alt sind, sich aus Deutschland ausbürgern lassen, den deutschen Paß nicht annehmen und ihren bisherigen Paß behalten. Darum werden wir uns sehr bald zu kümmern haben; denn die ersten Kinder werden bald als deutsche Staatsbürger geboren werden. Wir müssen uns um die Frage kümmern, wie wir mit den Aufenthaltstiteln umgehen. Ich glaube, daß der Bereich der Aufenthaltsberechtigungen und -erlaubnisse nicht mehr zeitgemäß geregelt ist. Ein weiterer wichtiger Punkt, der uns in Zukunft vermehrt beschäftigen wird, ist der Tatbestand der Diskriminierung. Wie gehen wir mit Diskriminierung um? Wie gehen wir damit um, daß wir zukünftig deutsche Staatsbürger haben werden, deren Name nicht typisch deutsch sein wird? Aus dem Namen Özdemir wird machen Sie sich keine Hoffnungen - kein Ötzdemeier werden. Wie gehen wir mit der Tatsache um, daß sich die Haarfarbe und die Hautfarbe nicht ändern werden? Wir werden deutsche Staatsbürger mit dunkler Hautfarbe haben. Wir werden deutsche Staatsbürger haben, die etwas mehr Sonne abbekommen haben als der Durchschnitt dieser Republik. Diese Menschen werden - wie viele Nichtdeutsche schon heute - beim Abschluß von Versicherungen, beim Einlaß in Diskotheken und in anderen Situationen Probleme haben. Darum müssen wir uns dringend der Frage zuwenden, wie wir Instrumente schaffen können, durch die Diskriminierung zukünftig besser bekämpft werden kann. Hier können wir, so glaube ich, von unseren Nachbarländern lernen. Wir brauchen meines Erachtens zusätzlich zur Reform des Staatsangehörigkeitsrechtes ein Antidiskriminierungsgesetz, das klarmacht, daß Diskriminierung kein Kavaliersdelikt ist und nicht hingenommen werden kann. ({4}) Zu diesem Thema gehört auch, daß wir unsere Aufmerksamkeit den Medien widmen müssen. Ich spreche das regelmäßig an, weil man das gar nicht oft genug sagen kann. Ich freue mich darüber, daß deutsche Zeitungen wie der „Tagesspiegel“, die „Berliner Zeitung“, die „Rundschau“ und jetzt auch die „FAZ“ Menschen nichtdeutscher Herkunft einstellen, damit das, was dort diskutiert wird, in die bundesdeutsche Diskussion Eingang findet. Genauso wichtig ist aber auch, daß ausländische Medien stärker, besser und objektiver über dieses Land berichten. Sie wissen, welche Probleme ich mit der türkischen Presse habe, Probleme, die uns alle betreffen sollten. Es kann nicht hingenommen werden, daß ein Deutschlandbild vermittelt wird, das mit der Realität nicht viel gemeinsam hat. Auch hier meine Aufforderung: Lassen Sie uns gemeinsam schauen, daß wir interkulturelle Medien schaffen. Warum gibt es nicht zum Beispiel ein deutsch-türkisches Arte, warum gibt es nicht ein Radio, das bundesweit 24 Stunden in verschiedenen Sprachen sendet wie Radio Multikulti von SFB in Berlin? Diese Sender müssen nicht nur in Türkisch und Kurdisch, sondern auch in Russisch und Polnisch, also in den Sprachen der Menschen, die heute bei uns leben, senden und müssen bundesweit empfangen werden können. Das ist wichtig, damit wir diese Menschen erreichen und damit wir Parallelgesellschaften, die wir alle nicht wollen, verhindern. Ich komme zum Schluß. Mein Appell an alle: Nutzen Sie die Möglichkeiten, die dieses Staatsangehörigkeitsrecht bietet. Wir sollten das Staatsangehörigkeitsrecht gemeinsam dazu nutzen, daß es mehr Rechtsfrieden in dieser Republik gibt. Es soll dazu beitragen, daß die Schere zwischen Wohnbevölkerung und Staatsvolk nicht größer, sondern kleiner wird. Wir wollen eine Gesellschaft, in der alle Menschen, die hier leben, gleich an Rechten und gleich an Pflichten sind. Helfen Sie mit, die Probleme im nächsten Jahrtausend zu verringern und nicht noch zu vergrößern! ({5})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Ich erteile der Kollegin Deligöz das Wort zu einer Kurzintervention.

Ekin Deligöz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003068, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herzlichen Dank, Herr Özdemir, daß Sie darauf hingewiesen haben, daß wir ein Gesetz schaffen werden, das auf die Bedürfnisse der Menschen eingeht. Die Gesellschaft ist nicht einheitlich, sondern vielfältig. Die Menschen in dieser Gesellschaft haben unterschiedliche Bedürfnisse. Deswegen müssen wir in einen Gesetzentwurf Ermessensspielräume einbauen, um auf die konkrete Situation und die Bedürfnisse eingehen zu können. Es ist ganz wichtig, an diesem Punkt festzuhalten, daß es nicht angebracht ist, in Schwarzweißdenkerei zu verfallen. Außerdem ist es wichtig zu sagen, was Integration ist. Integration ist nämlich nicht das Verfahren gemäß dem Motto: Die Guten ins Töpfchen und die Schlechten ins Kröpfchen. Das hat Herr Uhl in München bereits praktiziert. Integration ist aber nicht einseitig. Integration ist vielfältig. Ich denke, wir machen nun den ersten wichtigen Schritt. ({0})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Ich erteile das Wort dem Kollegen Dr. Guido Westerwelle.

Dr. Guido Westerwelle (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002944, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen! In dieser Debatte war bisher sehr viel von Rechtsgeschichte die Rede. Sogar Philosophen wurden zitiert, weil es um das Verständnis des Nationalstaates in der deutschen und europäischen Geschichte und um die Entwicklung des Staatsangehörigkeitsrechts ging. Ich persönlich glaube, wir sollten diese Debatte etwas einfacher führen. ({0}) Es geht hier nicht um Rechtskonstruktionen. Es geht hier um die ausländischen Kinder, die in Deutschland geboren werden und die wir mit diesem Gesetz integrieren wollen. ({1}) Mit dem heutigen Tag wird eine langjährige Beratung über die Reform des Staatsangehörigkeitsrechts beendet. Die Beendigung dieser Beratung ist überfällig. Sie freut mich sehr; das will ich hier auch nicht verschweigen. Ich habe den Debattenbeiträgen sehr genau zugehört: Die Mehrheit der CDU/CSU ist ganz dagegen. Ein, wie ich finde, sehr respektabler Teil der Union - was ich würdige - wird sich der Stimme enthalten. Bei der SPDFraktion gibt es - mit geheimem Vorbehalt - viele, die gerne mehr gehabt hätten. Die Grünen hätten am liebsten alle etwas anderes gehabt. Ich möchte Ihnen verkünden: Die Freien Demokraten sind zu 100 Prozent mit diesem Gesetzentwurf zufrieden. ({2}) Dieses neue Staatsangehörigkeitsrecht trägt die Handschrift der Freien Demokraten. Es ist ein Signal an alle integrationswilligen Menschen ausländischer Herkunft, die dauerhaft und rechtmäßig in Deutschland leben. Weil es harte und langwierige Verhandlungen gewesen sind, möchte ich mich bei denen bedanken, die sie geführt haben. Das will ich namentlich tun. Das hat nichts mit irgendwelchen - wie man manchmal im Blätterwald lesen durfte - Koalitionsliebäugeleien zu tun. Es geht schlichtweg um eine Mehrheit der Vernunft, die in diesem Hause organisiert wird. ({3}) Ausdrücklich möchte ich dem Bundesinnenminister für seine sehr faire Verhandlungsführung danken. Ich möchte in diesen Dank jemanden einschließen, der in dieser Debatte bisher noch nicht so im Licht gestanden hat - Sie verzeihen, daß ich das namentlich tue; ich nenne nicht nur Sie, Herr Kollege Bürsch -: Ich möchte Sie, Herr Kollege Wiefelspütz, namentlich nennen und mich bei Ihnen für die sehr zuverlässige Art der Verhandlungsführung bedanken. Es ist wichtig, daß man in solchen Verhandlungen weiß: Man kann sich auf das Wort des Gegenübers verlassen. - Das konnten wir uns hier, glaube ich, gegenseitig zusagen. ({4}) Mein Dank gilt selbstverständlich auch dem rheinland-pfälzischen Staatsminister Peter Caesar, der zusammen mit Rainer Brüderle dafür gesorgt hat, daß wir für dieses Vorhaben auch die notwendige Mehrheit im Bundesrat bekommen werden. Mein Dank gilt schließlich - das zu sagen ist mir eine Herzensangelegenheit; Sie werden verstehen, daß ich das tue - meiner Parteifreundin, unserer stellvertretenden Bundesvorsitzenden, der früheren Ausländerbeauftragten Cornelia Schmalz-Jacobsen. Ich hätte Ihnen, Frau Schmalz-Jacobsen, gegönnt - Sie sind freiwillig aus dem Mandat ausgeschieden -, daß Sie heute eine Rede zu diesem erfolgreichen Abschluß unseres Vorhabens hätten halten können. Herzlichen Dank! ({5}) Meine sehr geehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, dieses Gesetz ist vor allem ein Signal an die jungen Menschen, die in unserem Lande geboren sind und hier aufwachsen. Es ist ein Signal, daß sie dazugehören, daß sie Teil unserer Gesellschaft sind. Dieses Signal wird von einer großen Mehrheit der deutschen Bevölkerung nicht nur verstanden, sondern auch gewollt. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Union, Sie haben zur Reform des Staatsangehörigkeitsrechts fünf Millionen Unterschriften gesammelt, hier eingebracht und sie zum Beleg dafür erhoben, dieser Gesetzentwurf sei nicht von der Mehrheit der Bevölkerung gedeckt. Ich möchte Ihnen ausdrücklich widersprechen: Der rotgrüne Doppelpaß ist vom Tisch. Dagegen haben Sie Unterschriften gesammelt. ({6}) Der vorliegende Gesetzentwurf wird von zwei Dritteln der Bevölkerung - das besagen alle Untersuchungen unterstützt, weil wir eben nicht den Doppelpaß zum Nulltarif an alle geben, sondern festlegen: Die ausländischen Kinder, die in Deutschland geboren werden, sollten integriert aufwachsen, sollten mit einem inländischen Bewußtsein und nicht mit einer ausländischen Identität aufwachsen, weil wir die Gettoisierung in den Städten nur verhindern können, wenn wir die Gettoisierung in den Köpfen dieser Kinder rechtzeitig bekämpfen. ({7}) Die doppelte Staatsangehörigkeit, wie sie von rotgrün ursprünglich beabsichtigt war, ist vom Tisch. Die Regierung hat diese Pläne zurückgezogen. Wir freuen uns, daß wir jetzt eine Linie der Vernunft haben. Die hier geborenen Kinder sollen hier Deutsch lernen und die deutsche Kultur erleben. Sie sollen aber auch die Chancen durch den deutschen Paß bekommen. Das Staatsangehörigkeitsrecht ersetzt nicht die Integration, aber es ergänzt sie. Das muß in diesem Haus klar gesagt werden. ({8})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Marschewski?

Dr. Guido Westerwelle (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002944, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Bitte sehr.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Bitte sehr, Herr Kollege.

Erwin Marschewski (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001424, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Westerwelle, Sie sprachen von der Integration. Können Sie mir sagen, warum Sie in dem Antrag kein Wort über die Integration verloren haben? Ich habe eine zweite Frage. Sie sagen wider besseres Wissen, der Doppelpaß sei vom Tisch. Können Sie bestätigen, daß Sie bei Flüchtlingen, bei Leuten, die wirtschaftliche Nachteile erleiden würden, oder bei EUAusländern so viele Ausnahmen gemacht haben, daß über 1 Million Menschen in Deutschland den Doppelpaß nach Ihrem Gesetzentwurf mühelos erwerben können?

Dr. Guido Westerwelle (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002944, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ich fange mit Ihrer ersten Frage an. Verehrter Herr Kollege, wir haben auch in der letzten Legislaturperiode immer fair zusammengearbeitet. Deswegen möchte ich Sie doch bitten, folgendes nicht zu übersehen: Natürlich sind in diesem Gesetzentwurf auch wichtige Integrationspunkte enthalten, zum Beispiel das Erlernen der deutschen Sprache. Es ist etwas Neues, daß wir das in das Staatsangehörigkeitsrecht aufnehmen. Ich habe aus den Reihen der Union - auch im Innenausschuß - gehört, es sei Ihnen zu unpräzise, daß wir von ausreichenden Sprachkenntnissen gesprochen haben. ({0}) Ich bin der Meinung, der Gesetzgeber kann in derartigen Fragen nur mit unbestimmten Rechtsbegriffen arbeiten. Deswegen wird man auch auf die Verwaltungspraxis Rücksicht nehmen und sich darauf einstellen müssen. Sie haben das kritisiert und deshalb möchte ich Ihnen § 7 Ihres eigenen Gesetzentwurfs, der auch heute beraten wird, vortragen. Da heißt es in Abs. 1 Ziffer 2: erkennbar in die Lebensverhältnisse der Bundesrepublik Deutschland eingeordnet sind, insbesondere ausreichende Kenntnisse der deutschen Sprache … nachweisen, Deswegen sind wir in dieser Sache überhaupt nicht auseinander. ({1}) - Das haben Sie sehr wohl gefragt. ({2}) - Nein, Herr Kollege Marschewski, ich habe verfolgt, wie Sie das machen. Ich antworte jetzt auch gleich auf die zweite Frage, die Sie gestellt haben. Es ist doch so, daß Sie bei Ihren Fragen ins Schwimmen geraten. ({3}) Sie schwimmen maßlos, weil Sie genau wissen, daß ein großer Teil der Union genauso denkt und diesem Gesetzentwurf am liebsten zustimmen würde und die Enthaltung lediglich aus dem Gruppendruck der Fraktion heraus wählt. ({4})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage?

Dr. Guido Westerwelle (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002944, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Nein, Frau Präsidentin, ich muß zunächst die zweite Frage des Kollegen Marschewski beantworten. Sie haben gesagt, es gebe noch den Doppelpaß. Dazu möchte ich Ihnen den Partei- und Fraktionsvorsitzenden der CDU zitieren. Wolfgang Schäuble hat es in dieser Woche im Plenum des Deutschen Bundestags als einen Erfolg der Union gefeiert, daß der Doppelpaß wegen Ihrer Kampagne und des Wahlergebnisses in Hessen vom Tisch sei. Herr Schäuble hat hier gesagt: Auf Grund der Tatsache, daß 5 Millionen Menschen Ihr Vorhaben der regelmäßigen doppelten Staatsangehörigkeit abgelehnt haben, haben Sie dieses Vorhaben Gott sei Dank aufgegeben. Das ist unser Erfolg, und den lassen wir uns nicht kleinreden. - Sie sind doch selbst der Meinung, der Doppelpaß ist vom Tisch. Wehren Sie sich doch nicht weiter gegen Popanz von gestern, stimmen Sie heute zu! ({0})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Herr Marschewski möchte eine weitere Frage stellen. Danach möchte Herr Schily eine Frage stellen, lassen Sie die auch zu?

Dr. Guido Westerwelle (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002944, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ja.

Erwin Marschewski (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001424, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Westerwelle, richtig ist, daß Sie uns gefolgt sind und den generellen Doppelpaß abgeschafft haben. Wieso aber kommen Sie dazu zu verneinen - ich stelle die Frage noch einmal -, daß im Gesetzentwurf steht, daß über 1 Million Ausländer den Doppelpaß kostenlos ohne weiteres erwerben können? Damit führen Sie den Doppelpaß indirekt durch die Hintertür ein, Herr Westerwelle. ({0})

Dr. Guido Westerwelle (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002944, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Nein, ich muß Sie noch einmal auf etwas aufmerksam machen - vielleicht kommen wir dann ja weiter -: Das, was wir an unzumutbaren Härtefällen, in denen wir unter bestimmten Bedingungen den Doppelpaß akzeptieren, in den Gesetzentwurf aufgenommen haben, ist bereits geltende Rechtslage. ({0}) - Da Sie jetzt sagen, das sei falsch, möchte ich - etwas anderes macht doch wenig Sinn; wir sind doch beide vom Fach - etwas zitieren, denn ein Blick ins Gesetz erleichtert die Rechtsfindung! ({1}) Ich habe hier eine schöne kleine dtv-Ausgabe „Ausländerrecht“ aus dem Hause Beck, die jedermann im ersten Semester Jura bekommt. ({2}) - Das ist aber keine alte Ausgabe, sondern eine ganz neue. So schlecht, daß wir uns das nicht leisten könnten, steht es um die Finanzen der F.D.P. noch nicht. ({3}) Ich zitiere aus den Einbürgerungsrichtlinien 5.3.3.: Ausnahmen - gemeint sind Ausnahmen von dem Prinzip der Vermeidung der Mehrstaatigkeit können in Betracht kommen, wenn vorrangige Gesichtspunkte es erfordern, daß das rechtspolitische Ordnungsprinzip, Mehrstaatigkeit zu vermeiden, zurücktritt, ({4}) und - jetzt kommt es wenn die Versagung der Einbürgerung eine unzumutbare Härte darstellen würde. ({5}) Im weiteren finden Sie in den Einbürgerungsrichtlinien dann die gesamten einzelnen Ziffern, die Sie jetzt auch bei uns im Gesetzentwurf finden. ({6}) Zum Beispiel finden Sie dort bereits das, was von Ihnen kritisiert worden ist: Danach kommen Ausnahmen vom Einbürgerungshindernis eintretender Mehrstaatigkeit in Betracht, wenn - jetzt kommt Ziffer 5.3.3.4. der Einbürgerung älterer Personen ausschließlich das Hindernis eintretender Mehrstaatigkeit entgegensteht, die Entlassung auf unverhältnismäßige Schwierigkeiten stößt und die Versagung der Einbürgerung eine besondere Härte darstellen würde. Das ist nahezu wörtlich das, was wir in unserem Entwurf haben. ({7}) Sie erwecken den Eindruck, wir würden mehr Doppelpässe zulassen. Dieser Eindruck ist falsch. ({8}) Wir bleiben dabei: Das Prinzip der Vermeidung der Mehrstaatigkeit wird nicht in Frage gestellt. ({9}) Übrigens hat sich auch der Bundesinnenminister expressis verbis so geäußert.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Und nun kommt eine Zwischenfrage des Kollegen Schily, bitte sehr. ({0})

Dr. Guido Westerwelle (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002944, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ich kann Ihnen die ganzen Einbürgerungsrichtlinien vorlesen!

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Wir können auch noch ein Seminar veranstalten; das wäre sicher hochinteressant. Aber im Moment hat Herr Schily eine Frage, bitte sehr!

Otto Schily (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001970, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Westerwelle, könnten Sie dem Haus mitteilen, in wieviel Prozent der Fälle die Mehrstaatigkeit bei der Einbürgerung unter dem geltenden Recht hingenommen worden ist?

Dr. Guido Westerwelle (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002944, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Nein, das kann ich aus dem Kopf nicht. Können Sie es? Sie sind der Minister. ({0})

Otto Schily (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001970, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Können Sie bestätigen, daß im Jahre 1995 Mehrstaatigkeit in etwa 34 Prozent der Fälle hingenommen worden ist? ({0})

Dr. Guido Westerwelle (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002944, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Vielen Dank für die weiterführende Zwischenfrage. ({0}) Meine sehr geehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, aus der Sicht der Freien Demokraten und aus der Sicht der Antragsteller sollen die Kinder nicht mit einem ausländischen Bewußtsein aufwachsen, sondern von Anfang an wissen, daß sie Teil unserer Gesellschaft sind. ({1}) Wir wollen sie eben nicht erst künstlich von ihren Altersgenossen abgrenzen, um sie anschließend mit großem Aufwand und ungewissen Erfolgsaussichten wieder integrieren zu müssen. ({2}) Die Aussaat von Haß, Gewalt, Fanatismus und Extremismus ({3}) fällt dort auf besonders fruchtbaren Boden, wo sich Jugendliche ausgegrenzt und benachteiligt fühlen. ({4}) Wer verhindern will, daß die nächste Generation der in Deutschland geborenen Kinder unter den Einfluß ausländischer Fanatiker gerät, der muß sie so bald und so weit wie möglich integrieren - durch die Vermittlung unserer Kultur und der deutschen Sprache, aber eben auch durch den deutschen Paß. ({5}) Deswegen bin ich der Meinung, daß unsere Regelung ein wesentlicher Fortschritt ist. Der Spruch „Es ist ein wirklich großer Wurf!“ paßt. Wer nämlich die in Deutschland geborenen Kinder ausländischer Eltern nicht vernünftig integriert, riskiert große soziale Verwerfungen in den nächsten Jahren. Was wir heute beschließen, liegt im nationalen Interesse der deutschen Gesellschaft. ({6}) Was wir heute nicht tun, werden wir in wenigen Jahren mit Zins und Zinseszins zurückzuzahlen haben. Der Desintegration jugendlicher Ausländer, die sich in einer als feindselig empfundenen Umwelt selbst gettoisieren, muß entgegengewirkt werden. Darum geht es. Deshalb wollen wir den hier geborenen Kindern mit der Geburt die deutsche Staatsangehörigkeit zuerkennen. Und weil sie sich eben als Minderjährige noch nicht selbst entscheiden können, nehmen wir für diese Zeit eine doppelte Staatsangehörigkeit, selbstverständlich begrenzt, in Kauf; wenn sie dann volljährig sind, können sie sich entscheiden, und dann müssen sie sich entscheiden. Damit macht die Gesellschaft ein Integrationsangebot, aber sie verlangt von den jungen Erwachsenen auch, daß sie sich bewußt für die Integration entscheiden. ({7}) Das heißt: Dem Integrationsangebot des Staates muß eine aktive Integrationsentscheidung für diesen Staat folgen. Das gilt auch für das Angebot an die erwachsenen Einbürgerungswilligen. Wer Deutscher werden möchte, soll sich durch die Aufgabe seiner bisherigen Staatsangehörigkeit zu unserem Land bekennen. Der deutsche Paß ist nämlich nicht irgendein Papier, das man gerne zusätzlich in Empfang nimmt, sondern setzt eine bewußte Hinwendung zum deutschen Staat voraus. Deshalb verlangen wir von dem einbürgerungswilligen Ausländer grundsätzlich die Aufgabe seiner bisherigen Staatsangehörigkeit. Das gilt auch für diejenigen, die bereits lange in Deutschland leben. Hier gibt es einen Dissens, Herr Kollege Özdemir, zu dem, was Sie weitergehend gewollt haben, was wir aber nicht akzeptieren wollten. Ich will Ihnen das aus meiner Sicht nochmals begründen; Sie kennen meine Meinung dazu, wir haben oft genug darüber gesprochen. Wenn jemand 20, 30 Jahre in Deutschland lebt, dann kennt er das Land, und ich meine, dann ist ihm auch eine bewußte Entscheidung für das Land, in dem er lebt, zuzumuten. ({8}) Das unterscheidet ihn von den Nichtvolljährigen und den Kindern. Diese Haltung wird übrigens von vielen ehemals ausländischen Mitbürgern geteilt, die sich unter Aufgabe ihrer früheren Staatsangehörigkeit haben einbürgern lassen. Viele Erwachsene haben sich unter Aufgabe ihrer alten Staatsangehörigkeit einbürgern lassen, und sie sind genau diejenigen, die schreiben: Wir konnten das; warum verlangt ihr das nicht auch von den anderen? Das ist zumutbar, und es ist sinnvoll im Interesse einer Integrationspolitik für unser Land.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Dr. Guido Westerwelle (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002944, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Selbstverständlich, gern.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Bitte sehr, Herr Kollege.

Cem Özdemir (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002746, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Kollege Westerwelle, nur eine kurze Zwischenfrage, weil ich die Debatte jetzt nicht weiter ausdehnen möchte. Ein Beispiel aus einer Veranstaltung, die ich vor kurzem hatte: Ein älterer Bürger, ungefähr 60 Jahre alt, türkischer Herkunft, lebt hier seit Anfang der 60er Jahre, hat sich noch nie etwas zuschulden kommen lassen, ist hier, so würden wir sagen, bestens integriert. Ich halte einen Vortrag, versuche, unser Staatsangehörigkeitsrecht zu begründen. Dann kommt dieser Bürger zu mir und sagt: „Ich lebe hier. Ich möchte mich einbürgern lassen. Aber kannst du mir wirklich garantieren, daß, wenn ich eines Tages mit deutschem Paß sterbe, ich aber in der Türkei beerdigt werden möchte, weil dort meine Vorfahren schon immer gelebt haben, dies auch wirklich möglich ist?“ Und er sagt zu mir: „Ich möchte den türkischen Paß behalten, damit ich diese Garantie habe.“ Wir können das Beispiel auch mit einer anderen Staatsangehörigkeit bilden. - Diesem Mann geht es nicht darum, doppeltes Wahlrecht zu haben, und dem geht es ganz offensichtlich auch nicht um irgendwelche sonstigen Vorteile, sondern es geht um ganz menschliche Dinge. Wieso würde uns ein Zacken aus der Krone fallen, wenn wir in diesen Fällen großzügig wären, für einen abgeschlossenen Kreis von Leuten, die bis 1973 über die Anwerbeabkommen zu uns gekommen sind?

Dr. Guido Westerwelle (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002944, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ich glaube nicht, daß es hier um einen Zacken aus der Krone geht, sondern es geht hier darum, ob wir politisch wollen, daß diejenigen, die lange in Deutschland leben, sich auch bewußt für das Land entscheiden, in dem sie leben. Ich kann bei einem jungen Menschen, bei einem Nichtvolljährigen keine Entscheidung verlangen, wohl aber von einem Erwachsenen, erst recht, wenn er 20, 30 Jahre in Deutschland lebt. Von ihm kann ich, weil er unser Land kennt, erwarten, daß er sich für eine Staatsangehörigkeit entscheidet. Wir haben da einen unterschiedlichen Denkansatz: Für Sie ist Integrationspolitik nur das Integrationsangebot des Staates, für uns ist Integrationspolitik das Integrationsangebot des Staates und die Annahmeentscheidung der Betroffenen. ({0}) Wir halten also am Grundsatz der Vermeidung von Mehrfachstaatsangehörigkeit klar und eindeutig fest. Bereits bisher war es in Ausnahmefällen möglich, bei der Einbürgerung die ausländische Staatsangehörigkeit beizubehalten.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin?

Dr. Guido Westerwelle (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002944, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ja.

Ekin Deligöz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003068, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich möchte eine Frage zu dem stellen, was Sie über Angebot und „Nachfrage“, also Annahme gesagt haben. Menschen, die zunächst 2 000 oder 3 000 Kilometer entfernt gelebt haben und dann zu uns gekommen sind, haben schon eine gewisse Integrationsleistung erbracht, wenn sie 20 oder 30 Jahre bei uns leben. Stimmen Sie mir zu, daß von staatlicher Seite bisher noch viel zuwenig unternommen worden ist, diesen Menschen in Sachen Integration ein Angebot zu unterbreiten?

Dr. Guido Westerwelle (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002944, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Das steht auf einem anderen Blatt. Hier möchte ich Ihnen, Frau Kollegin, überhaupt nichts vormachen: Das, was heute beschlossen werden soll, haben wir jahrelang innerhalb der alten Koalition diskutiert. Herr Kollege Schily hat in vielen Punkten recht, aber mit diesem Hinweis hat er besonders recht. Ich habe in der letzten Legislaturperiode, als wir selber Regierungspartei waren, die Verhandlungen mit unserem Koalitionspartner über die Reform des Staatsangehörigkeitsrechts führen dürfen. Die Verhandlungen sind an einer Person gescheitert, an einem Mann, den ich hoch achte, aber dessen Meinung ich in dieser Frage nicht teile, nämlich an dem damaligen Bundesinnenminister. Ich kann Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Union, nur sagen: Wir hätten uns in der letzten Legislaturperiode besser auf das verständigt, was heute vorliegt! ({0}) Ich möchte noch einen weiteren Gedanken in die Debatte einbringen. Wenn ein ausländischer Staat jemandem die Entlassung aus seiner Staatsangehörigkeit verweigert oder unzumutbar erschwert, dann muß eine Einbürgerung nach unserem Recht dennoch möglich sein. Die Zahl der Ausnahmefälle wird durch unser Gesetz nicht ausgedehnt. Die Regelung der Ausnahmefälle wird lediglich flexibler gestaltet, damit die Härtefälle angemessen gelöst werden können. Ich möchte Ihnen über einen Fall aus der Praxis berichten, über einen der ersten Prozesse, den ich als junger zugelassener Anwalt Anfang der 90er Jahre geführt habe - ich weiß, daß viele Anwaltskolleginnen und -kollegen ähnliche Prozesse geführt haben -: Damals kam ein junger serbischer Kfz-Lehrling in meine Kanzlei. Er sprach mit seinen 19 Jahren Pfälzer-Dialekt. Er setzte sich vor mir an den Schreibtisch und sagte: „Ich möchte gerne Deutscher werden.“ Auch heute noch erleben wir, daß bestimmte Länder - aus Vorstellungen heraus, die wir hier in Mitteleuropa nicht akzeptieren können - ihre Staatsbürger nicht aus ihrer Staatsbürgerschaft entlassen oder nur unter Härten, die man wirklich niemandem zumuten kann. Im Falle dieses jungen Serben war es so: Der serbische Staat wollte junge wehrfähige Männer nicht aus der Staatsangehörigkeit entlassen. Deswegen sollte dieser junge Mann allein für die Entgegennahme des Antrags auf Ausbürgerung eine Gebühr von über 10 000 DM zahlen. So einen Betrag kann ein Kfz-Lehrling nicht einfach aufbringen. Ich möchte, daß dieser junge Mann, der immer in Deutschland gelebt hat und der den Dialekt seiner Landsmannschaft in der Pfalz spricht, Deutscher werden kann. Deshalb beschließen wir heute dieses Gesetz. ({1}) Die Behauptung, durch das Gesetz werde die doppelte Staatsangehörigkeit durch die Hintertür eingeführt, wird entweder bewußt falsch gebraucht oder zeugt von Unkenntnis. Den Doppelpaß aus der rotgrünen Koalitionsvereinbarung gibt es mit diesem Gesetz nicht, weder offen noch verdeckt, weder durch die Vorder- noch durch die Hintertür. Deswegen sage ich Ihnen ganz offen: Wir haben vielleicht eine unterschiedliche Auffassung über die Unterschriftenkampagne. Aber ich fände es großartig, wenn Sie nach dieser Debatte Ihre Unterschriftenkampagne einfach einstellen würden. Sie hat sich zeitlich und durch den heutigen Beschluß erledigt. ({2}) Ich respektiere, daß Sie Unterschriften gesammelt haben. Ich habe nie kritisiert, wenn jemand seine Unterschrift unter ein Vorhaben setzt. Aber bitte kämpfen Sie nicht gegen etwas, das ad acta gelegt worden ist! Im Gegensatz zum bisherigen Recht setzt das neue Einbürgerungsrecht zusätzlich ausreichende Kenntnisse der deutschen Sprache und auch ein Bekenntnis zum Grundgesetz voraus. Darüber ist in der Debatte überhaupt noch nicht gesprochen worden. Es ist eine wesentliche Änderung gegenüber der bisherigen Rechtslage, die aus meiner Sicht von Ihnen geteilt werden müßte; denn Sie selber haben solche Vorschläge in der Debatte und auch in Ihrem Antrag gemacht. Es wird eine Schutzklausel geben, mit der die Einbürgerung von extremistischen Ausländern ausgeschlossen ist. Dies zeigt, daß alle Vorwürfe, die deutsche Staatsangehörigkeit könne jetzt zum Nulltarif erworben werden oder extremistische Bombenleger könnten nach dem Gesetz den deutschen Paß erhalten, gegenstandslos, unhaltbar und eigentlich nur parteipolitische, kleinkarierte Propaganda sind. ({3}) Sie sind ebenso politisch motiviert wie die Behauptung, das Gesetz sei verfassungswidrig. Anders als Sie, Herr Kollege Rüttgers, habe ich die Anhörung von morgens bis abends verfolgt. Seien Sie mir nicht böse, wenn ich Ihnen sage: Diese Anhörung war für Ihre Position, der Gesetzentwurf sei mit dem Grundgesetz nicht vereinbar, ein absolutes Waterloo. ({4}) Ihre Position ist ernstzunehmend überhaupt nicht mehr vertreten worden. Wen wundert es auch? Schließlich dürfen wir nicht nur Art. 16 Abs. 1 Satz 1 GG lesen, sondern müssen auch Art. 16 Abs. 1 Satz 2 GG lesen. Die Zweifel an der Verfassungswidrigkeit sind ausgeräumt; sofern sie überhaupt jemals ernsthaft bestanden haben. Wir haben eine Menge Anregungen der Sachverständigen aufgenommen - das ist doch der Sinn von Sachverständigenanhörungen -, und wir haben diese Anregungen eingearbeitet. Übrigens, im Innenausschuß hat es auch einen Änderungsantrag der Union zur Verwaltungspraxis gegeben. Anfänglich waren wir anderer Meinung; aber Sie haben uns in der Debatte überzeugt. Die Mehrheit der Unterzeichner dieses Gruppenantrages hat diesem Änderungsantrag der Union zugestimmt. Sie haben sich an den Beratungen vollständig beteiligen können. Deswegen akzeptieren wir als Oppositionspartei den Vorwurf gar nicht ernsthaft, der Gesetzentwurf sei von einer Mehrheit durchgepeitscht worden. Es wurde nichts durchgepeitscht, sondern es wurde seriös und sachlich beraten. ({5}) Alle Argumente für und wider eine solche Reform sind längst x-fach ausgetauscht worden. Der Gesetzentwurf liegt lange genug vor. Er wurde ausführlich beraten. Ich selber habe gerade in den letzten Monaten mit vielen Kolleginnen und Kollegen aus der Union, übrigens auch aus ihrer Spitze, das Gespräch gesucht - ich will keine Namen nennen -, aber es war keine Verständigung möglich. Eines sage ich Ihnen ganz klar: Wer jetzt eine Aussetzung oder eine Verschiebung der Beratungen fordert, der will in Wahrheit die überfällige Reform zugunsten der hier geborenen Kinder auf den Sankt-Nimmerleins-Tag verschieben. Wir wollen das nicht. ({6}) Liebe Kolleginnen und Kollegen aus der Union, leider ist von Ihnen ein unzulässiger Zusammenhang zwischen der Reform und den traurigen Ereignissen im Kosovo hergestellt worden. Dazu stelle ich klar: Zwischen beiden Ereignissen besteht nicht der geringste sachliche Zusammenhang. Die Ereignisse im Kosovo können keine Verschleppung, kein Hinhalten, kein Verzögern und kein Verschieben rechtfertigen. Die Zeit ist überreif. ({7}) Jahrelang haben wir gerungen. In der Regierung haben wir es nicht hinbekommen, weil wir uns nicht einig wurden. Sie werden verstehen, daß die F.D.P. zu dem steht, was sie in ihrem Wahlprogramm den Wählerinnen und Wählern angeboten hat. Daß wir erst in die Opposition mußten, um das Optionsmodell durchzusetzen, ist wirklich ein bitterer Nebengeschmack der ganzen Diskussion. ({8}) Für die Zukunft möchte ich sagen: Wenn der bayerische Ministerpräsident Stoiber wörtlich verkündet: „Wenn wir wieder die Regierung übernehmen, dann wird dieses Gesetz keinen Bestand haben“, dann möchte ich Ihnen von der CSU und dem geehrten Herrn Stoiber sagen: Sie müssen schon mit der absoluten Mehrheit im Deutschen Bundestag rechnen; denn die F.D.P. hält an dem, was hier vereinbart worden ist, fest. Nicht nach hinten, nicht erweitern - das ist der goldene Mittelweg, den wir hier vereinbart haben. Dabei bleibt es. ({9}) - Herr Kollege Beckstein, ich habe den Zwischenruf von der Bundesratsbank gehört. Ich will Ihnen dazu nur sagen: Ich verstehe, daß Sie sich aufregen. Sie haben dieses Gesetz nie gewollt; das akzeptiere ich. Aber wir haben Sie in der alten Koalition zu keiner Stunde darüber im unklaren gelassen, daß wir dieses Optionsmodell zugunsten der hier geborenen Kinder wollen. Sie können uns wirklich keinen Verrat, mangelnde Treue oder mangelnde Loyalität vorwerfen, wenn wir genau das tun, was wir unseren Wählerinnen und Wählern bei der Bundestagswahl versprochen haben. ({10}) Ich apelliere an Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Union, daß Sie noch einmal darüber nachdenken. Ich freue mich sehr darüber und will es gar nicht kleinreden, daß sich so viele von Ihnen enthalten werden. Ich weiß, wie schwer diese Entscheidung ist. Die Spitzen, die aus den Reihen der Grünen und der SPD kamen, weil sich jetzt über 20 Abgeordnete enthalten und dem Gesetz nicht zustimmen werden, halte ich nicht für ganz ehrlich. Schauen Sie einmal, wie viele bei Ihnen in bezug auf die 630-Mark-Verhältnisse eine andere Meinung als die Regierung haben. Trotzdem stimmen Sie nicht so ab, wie Sie es wollen. Sich zu enthalten ist schon ganz ordentlich und respektabel, auch wenn Zustimmen schöner wäre. ({11}) Besser als unser früherer Kollege Horst Eylmann kann man es nicht beschreiben. Er hat in der letzten Wahlperiode gesagt: Die Verleihung der deutschen Staatsbürgerschaft ist selbstverständlich keine Garantie für eine reibungslose Integration. Sie kann nur ein Mittel unter vielen sein, die Eingliederung zu erleichtern. Sie ist die ausgestreckte Hand, die den bei uns mit einem gesicherten Aufenthaltsstatus lebenden Ausländern signalisieren soll: Ihr seid uns willkommen; übernehmt mit uns gemeinsam Verantwortung für dieses Land, in dem Ihr Euch zu leben entschlossen habt. - Das ist eine sehr weise und präzise Beschreibung des früheren CDUAbgeordneten Horst Eylmann. Ich apelliere an Sie: Lassen Sie uns heute dieses Gesetz beschließen. Es geht um die Kinder von Eltern, die hier seit Jahren rechtmäßig leben. Diese Kinder sollten mit einem deutschen inländischen Bewußtsein groß werden. Sie sprechen unsere Sprache; die Sprache ihrer Eltern sprechen sie allenfalls mit einem deutschen Akzent. Diese Kinder gehören zu uns. Sie sollen mit uns aufwachsen. Sie sind wertvolle Staatsbürgerinnen und Staatsbürger. Diesem Ziel dient dieses Gesetz. ({12})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Nun erteile ich zu einer Kurzintervention dem Kollegen Röttgen das Wort.

Dr. Norbert Röttgen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002765, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Westerwelle, Sie haben die Gruppe, für die Peter Altmaier eben erklärt hat, daß sie sich der Stimme enthält, aufgefordert, doch dem Gesetz zuzustimmen. In Ihrer Rede haben Sie auch gesagt, daß diejenigen, die sich enthalten, dann, wenn sie so abstimmen würden, wie es ihrer Meinung entspricht, am liebsten zustimmen würden. Weil dieses noch einmal behauptet worden ist, obwohl der Kollege Altmaier dargelegt hat, daß die Stimmenthaltung unserer Auffassung entspricht, will ich Ihnen noch einmal ganz nüchtern die Punkte darlegen, warum eine Stimmenthaltung unsere Auffassung widerspiegelt und wir uns dabei nicht verbiegen. Von der Position, die wir seit Jahren vertreten haben und die auch in dieser Debatte formuliert worden ist, haben wir nichts zurückzunehmen. Von unseren Äußerungen sowohl über die gesellschaftliche Bedeutung und die ethische Dimension der Integration als auch über die Bedeutung der Reform des Staatsangehörigkeitsrechts für das Anliegen der Integration nehmen wir keine Silbe und keine Formulierung zurück. Dieses bleibt unsere Position; wir treten weiterhin für sie ein. Der erste Grund für die Stimmenthaltung ist unsere Auffassung, daß das Modell, das auch wir vertreten, im vorliegenden Gesetzentwurf eine schlechte inhaltliche und technische Ausführung erhält. Wir sind in dieser Auffassung durch die Sachverständigenanhörung des Innenausschusses bestätigt worden. Ich habe daran teilgenommen; es gab keinen Sachverständigen, der diesem Gesetzentwurf uneingeschränkt zugestimmt bzw. gesagt hat, daß dieses Gesetz ein gutes Gesetz sei. ({0}) Das ist das Ergebnis der Sachverständigenanhörung. Ich will es nicht im einzelnen aufführen. Zweitens hat es im anschließenden parlamentarischen Verfahren keine Möglichkeit gegeben, diese konkret benannten Mängel in der Sachverständigenanhörung zu beheben, sondern der Gesetzentwurf ist in den anschließenden Ausschußberatungen - das ist gar keine Polemik, sondern eine ganz nüchterne Bemerkung - durchgepeitscht worden, was dazu geführt hat, daß die Mitglieder der CDU/CSU-Fraktion im Rechtsausschuß erklärt haben: Wir haben keine seriösen Beratungsunterlagen vorliegen. Uns war nämlich das Protokoll der Anhörung noch nicht zugegangen, und die Änderungsanträge wurden eingereicht, als wir in Berlin waren. Es hat keine angemessene seriöse Möglichkeit gegeben, auf die sachliche Kritik der Sachverständigen einzugehen und das Gesetz zu verbessern. Das ist der zweite Punkt. Der dritte Punkt - Peter Altmaier hat ihn schon angesprochen -: Es hat ein klares, öffentlich verbindliches Angebot des Fraktionsvorsitzenden während der Eröffnungssitzung im Reichstag gegeben, sich zusammenzusetzen und einen Konsens herbeizuführen. ({1}) Es hat einen Vorstoß der großen Koalition in Bremen gegeben, auf dieser Grundlage zu verhandeln. Von Ihrer Seite gab es eine Konsensverweigerung. Das ist eine ganz nüchterne Feststellung. Der Vertreter der evangelischen Kirche, der als Sachverständiger gehört wurde, hat an die KoalitionsfrakDr. Guido Westerwelle tionen und die F.D.P. appelliert, einen Konsens herbeizuführen. Ich bestreite ja nicht, daß es in der letzten Legislaturperiode auch bei uns daran gemangelt hat. Das haben wir immer kritisiert, und das kritisiere ich auch heute noch.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Herr Kollege, Ihre Redezeit ist abgelaufen.

Dr. Norbert Röttgen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002765, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sie haben recht. Leider war diese Konsensverweigerung auf beiden Seiten zu beklagen. Der letzte Punkt ist: Es fehlt an einem Integrationskonzept. Deshalb können wir diesem Gesetzentwurf aus inhaltlichen Gründen nicht zustimmen. ({0})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Nun darf Herr Westerwelle darauf antworten. Bitte sehr.

Dr. Guido Westerwelle (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002944, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Lieber Herr Kollege, ich darf noch einmal ausdrücklich sagen: Ich freue mich ehrlich darüber - das sage ich ohne jede Ironie -, daß Sie sich entschieden haben, im Parlament das Wort zu ergreifen, wie es Herr Kollege Altmaier schon vorhin getan hat, und hier zu erklären, daß Sie zu dem stehen, was Sie immer gesagt haben. Ich weiß, daß dies nicht einfach ist, was jeder hier im Hause bestätigen kann. Ich finde es hervorragend, daß Sie dazu den Mut hatten. Ich will nicht inhaltlich auf Ihren Beitrag antworten. Dazu habe ich in meiner Rede Stellung genommen. Ich möchte aber auf einen Punkt hinweisen: Die Kirchen können Sie als Kronzeugen wirklich nicht für sich in Anspruch nehmen. ({0}) - Nein, die Kirchen können Sie nicht als Kronzeugen in Anspruch nehmen. Sie haben sich nämlich sowohl zu Ihrer Kampagne als auch zu dem vorliegenden Integrationskonzept unmißverständlich geäußert. ({1}) Der zweite Punkt. In einer Anhörung mit Sachverständigen ist es doch selbstverständlich, daß jeder Sachverständige etwas findet, wie man das Gesetz noch besser machen könnte. Ob das Gesetz dadurch wirklich besser werden würde, müssen wir als Parlamentarierinnen und Parlamentarier entscheiden. In dieser Anhörung gab es bei der Beurteilung des Gesetzentwurfs einen Grundtenor: verfassungskonform und von der Richtung her sinnvoll. Natürlich gab es da und dort andere Vorstellungen, was das Normalste von der Welt ist. Jeder von uns, der einen solch langen Gesetzentwurf liest, findet natürlich hier und da etwas, warum er dem Gesetz vielleicht doch nicht zustimmen kann. Offen gestanden: Das Spiel kenne ich noch aus der letzten Legislaturperiode, als wir auf der Mehrheitsseite dieses Hauses saßen. Selbst wenn von Ihnen gestellte Anträge Parteitagsbeschlüsse der F.D.P. enthielten, damit wir ihnen zustimmen sollten, habe ich immer lange nachgeschaut, ob ich nicht irgendwo einen Spiegelstrich finde, der mich nicht hundertprozentig zufriedenstellt. Ich habe immer einen kleinen Fehler gefunden, so daß wir diese Anträge ablehnen konnten. Hier geht es nicht um Parteipolitik, sondern hier geht es um eine der wichtigsten gesellschaftspolitischen Reformen unserer Zeit. ({2})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Nun hat das Wort die Kollegin Ulla Jelpke, PDS-Fraktion.

Ulla Jelpke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001023, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die PDS ist der Meinung, daß der heute vorliegende Gesetzentwurf trotz einzelner löblicher Ansätze, die in die richtige Richtung gehen, nicht geeignet für ein modernes und demokratisches Staatsbürgerschaftsrecht ist. Er ist allenfalls ein halbherziges Reförmchen, in das neue Rückwärtsgänge in manchen Paragraphen eingebaut sind. Es ist richtig, wie hier schon gesagt wurde: Seit Jahren diskutiert dieses Parlament über eine Staatsbürgerschaftsreform. In diesem Zusammenhang möchte ich daran erinnern, daß etwa 7 Millionen Migrantinnen und Migranten in Deutschland, die keinen deutschen Paß haben, gehofft haben, daß ihre Situation auch mit diesem Gesetz - ich sage bewußt: auch mit diesem Gesetz endlich eine Veränderung erfährt, und der Zustand beendet wird, häufig als Menschen zweiter oder dritter Klasse in diesem Land behandelt zu werden. Die PDS ist zutiefst davon überzeugt, daß es wenig Sinn macht, Menschen, die hier seit Jahren arbeiten, ihre Steuern zahlen und ihre Kinder zur Schule schicken, dermaßen zu benachteiligen, wie es gegenwärtig geschieht. Erst vor wenigen Tagen haben wir die Kleine Anfrage an die neue Bundesregierung gestellt, durch welche Bundesgesetze, Bundesverordnungen und Bundesverwaltungsvorschriften Ausländerinnen und Ausländer einerseits und Deutsche andererseits unterschiedlich behandelt werden. Die Bundesregierung hat uns darauf geantwortet - ich zitiere -: Eine Auflistung aller Normen des geltenden Bundesrechts, die etwa im Bereich des Zivil-, Straf-, Verwaltungs-, Sozial- oder Steuerrechts unterschiedliche Regelungen für Deutsche und Ausländer enthalten, würde einen unverhältnismäßigen Aufwand erfordern, der nicht zu vertreten ist. Dies macht deutlich, daß es vor allen Dingen darauf ankommt, Menschen ausländischer Herkunft, die hier leben, den Deutschen gleichzustellen, ihnen die gleichen Rechte zu geben. Nur so kann verhindert werden, daß Ausländerfeindlichkeit, Rassismus und Antisemitismus in diesem Land weiter voranschreiten. ({0}) Es ist heute viel Kritik geübt worden. Ich möchte auf einen Punkt eingehen, den Herr Özdemir - auf eine Frage an ihn hin - angesprochen hat. Vielleicht kann ich Ihnen da helfen. Da dieses Gesetz nicht die Möglichkeit der Mehrstaatigkeit eröffnen soll, was Sie, SPD und Grüne, allerdings vor den Wahlen versprochen haben, muß einmal auf die Kritik der Migrantenverbände und -organisationen hingewiesen werden. Diese haben durchweg kritisiert, daß dieser Gesetzentwurf nicht weit genug greift und daß durch die Verengung der Möglichkeit der Mehrstaatigkeit vor allen Dingen Türkinnen und Türken ausgegrenzt werden. ({1}) Herr Özdemir, Sie haben hier gesagt, daß insbesondere die Arbeitsmigranten, die vor 20 oder 30 Jahren nach Deutschland gekommen sind, berücksichtigt werden sollen. Natürlich kann derjenige, der türkischer Herkunft ist und Deutscher werden will, die deutsche Staatsangehörigkeit bekommen. Aber der Härtefall wird niemals eintreten, da beispielsweise die Erbschaftsregelungen längst zwischen Deutschland und der Türkei getroffen worden sind; sie behalten das Erbschaftsrecht. Von daher ist der Kreis derer, die die Mehrstaatigkeit haben werden, sehr eingegrenzt. Sie wissen aber doch besser als ich, daß viele Menschen türkischer Herkunft, die hierhergekommen sind, ihre türkische Staatsbürgerschaft überhaupt nicht abgeben wollen. Das ist heute auch schon einmal gesagt worden. Insofern haben Sie der CDU/CSU eigentlich ein Angebot gemacht, das sie hätte annehmen müssen; denn ihre einzige Angst - das haben wir heute gemerkt - ist, daß zu viele Menschen zwei Pässe haben könnten. Das halte ich im Grunde genommen für heuchlerisch. Diese Möglichkeit ist nämlich mit diesem Gesetz ganz offensichtlich eingeschränkt worden. Daß es bei der Durchsetzung dieses Gesetzes Panik gegeben hat, ist unbestreitbar. Außer der PDS hat es in der Tat keine Partei für nötig befunden, Migrantenorganisationen und -verbände anzuhören. Es war Ihnen vor allen Dingen wichtig, Ihren Entwurf verfassungsdicht zu bekommen. Ich denke aber, es wäre sehr wichtig gewesen, die Meinung der Migrantenverbände zu hören, insbesondere ihre Auffassung von Integration und Möglichkeiten, wie das Miteinander-Leben in diesem Land besser und leichter gestaltet werden könnte. Wer sich aber einmal den Gesetzentwurf genau anschaut, der sieht, daß er nicht nur inhaltlich in vielen einzelnen Paragraphen mit der heißen Nadel gestrickt wurde. Ich wundere mich, daß Sie es noch nicht einmal hinbekommen haben, eine sprachliche Überarbeitung vorzunehmen. So zum Beispiel können wir lesen: Deutscher ist, wer die Staatsangehörigkeit in einem Bundesstaat - seit wann haben wir noch Bundesstaaten? - oder die unmittelbare Reichsangehörigkeit besitzt. Wir finden auch Worte wie „Reichskanzler“, „Reichskasse“, „Reichsmilitärgesetz“. Ich meine, so viel Zeit hätte allemal sein müssen, um diesem Gesetz eine Fassung zu geben, die es lesbar macht. Offensichtlich aber soll der Verbleib dieser Worte daran erinnern, daß durch dieses Gesetz eben keine grundsätzlichen Änderungen vorgenommen werden. Damit bin ich beim nächsten Punkt: Im Gesetz geht es auch um das Abstammungsprinzip, um das Blutsrecht. Man muß leider sagen, daß das in weiten Teilen erhalten bleibt und daß das Gesetz in dieser Hinsicht keineswegs modern ist, wie es Herr Schily versucht hat, in seinem theoretischen Debattenbeitrag zum Ausdruck zu bringen. Ich möchte ein Beispiel nennen, das in diesem Hause bisher nicht zur Kenntnis genommen wurde. Das alte Staatsbürgerschaftsgesetz enthielt zum Beispiel die Regelung, daß Personen, die „in dem Gebiete des Deutschen Reiches vom 31.12.1937 Aufnahme gefunden“ hatten oder Ehegatten oder Nachfahren solcher Menschen waren, „auf Antrag“ eingebürgert wurden. Diese Regelung wird jetzt durch eine pauschale Überleitung ersetzt, das heißt, diese Menschen werden, ohne daß sie gefragt worden sind und ohne daß sie einen Antrag gestellt haben, pauschal zu deutschen Staatsangehörigen erklärt. Man muß sich das einfach einmal vor Augen halten: Mit dem heutigen Gesetz verweigern Sie auf der einen Seite Migrantinnen und Migranten die deutsche Staatsangehörigkeit, und auf der anderen Seite wird mit dieser pauschalen Überleitung Menschen, die in Polen oder anderen osteuropäischen Ländern leben, die deutsche Staatsangehörigkeit, ohne daß diese Menschen das überhaupt beantragt haben, geradezu aufgedrängt. Ich sage das hier auch vor dem Hintergrund, daß uns polnische und osteuropäische Organisationen angesprochen haben, die das nicht gerade für ein Zeichen guter Nachbarschaft halten. Denn sie wissen, daß das Debatten in Polen und anderen Ländern auslösen wird. In der letzten Debatte zu diesem Thema habe ich schon sehr deutlich gesagt, daß F.D.P., SPD und Grüne hiermit ein Kompromißangebot an die CDU/CSU gemacht haben. Ich verstehe die ganze Aufregung nicht, und ich verstehe auch nicht, warum die CDU/CSU diesen Gesetzentwurf, der inhaltlich dem entspricht, was sie 1994 in ihre Koalitionsvereinbarung hineingeschrieben hat, nicht mitträgt. Auch ich begrüße es sehr, wenn Sie Ihre Kampagne, die mit ausländerfeindlichen und rassistischen Inhalten geführt wurde, endlich einstellen, nachdem dieser Gesetzentwurf verabschiedet ist. Ich hoffe, daß wir in Zukunft über weitere Punkte auch an Hand der eingebrachten Änderungsanträge, die wir beispielsweise in diese Debatte eingebracht haben, diskutieren können. Dabei handelt es sich übrigens durchgehend um Forderungen, die auch die Migrantenverbände gestellt haben. Ich will nur einige wenige kurz nennen. Es geht zum einen darum, daß die Verleihung der doppelten Staatsbürgerschaft nicht zu erschweren ist, wie das die Regierung tut, sondern daß sie zu erleichtern ist. Die PDS hat außerdem ein eigenständiges Aufenthaltsrecht für Ehepartnerinnen und Ehepartner ausländischer Herkunft gefordert. Darüber hinaus haben wir gefordert, daß die Fristen der Einbürgerung von acht Jahren auf fünf Jahre verkürzt werden. Besonders wichtig ist für uns: Den neu eingeführten Paragraphen eine Art Gesinnungs-TÜV -, der besagt, daß man erst einmal auf die FDGO schwören muß, halten wir zweifellos für ein Einfallstor in Richtung Gesinnungsschnüffelei. Meiner Meinung nach ist er völlig überflüssig. ({2}) Wir haben außerdem darauf hingewiesen, daß die Forderung, daß Menschen die deutsche Sprache ausreichend beherrschen müssen, undefiniert ist und daß das wahrscheinlich eine sehr hohe Hürde für die Einbürgerung von Menschen darstellt. Ich meine insbesondere diejenigen, die aus der älteren Generation kommen. Wir finden besonders bei einer rotgrünen Regierung skandalös, daß sie die Gebühren für die Einbürgerung von 100 DM auf 500 DM pro Person erhöhen möchte. Wenn wir uns überlegen, was das für eine Familie kosten würde, dann muß ich schon sagen: Das ist völlig unverständlich.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Denken Sie an die Zeit, Frau Kollegin.

Ulla Jelpke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001023, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Zum Schluß möchte ich Ihnen mitteilen, daß sich der größte Teil meiner Fraktion enthalten wird. Wenige werden dagegen stimmen, und es wird einige Stimmen dafür geben. Ich hoffe auf eine weitere Diskussion unserer Änderungsanträge - sie werden wir natürlich in anderer Form wieder einbringen und auf weitere Debatten über ein wirklich modernes, demokratisches Staatsbürgerschaftsrecht. Danke. ({0})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Das Wort hat jetzt der Kollege Michael Bürsch.

Dr. Michael Bürsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003018, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Ausländische Mitbürgerinnen und Mitbürger sind eine Bereicherung unserer Gesellschaft. Ihre Integration ist nicht nur Notwendigkeit, sondern politische Chance und Ziel unseres Wollens. ({0}) So begründet die CDU/CSU-Fraktion ihren eigenen Antrag zur Staatsangehörigkeit. Gerne mache ich mir diese Argumentation am heutigen Tage zu eigen. Genauso objektiv und sachbezogen läßt sich nämlich die Zielsetzung der Gesetzesvorlage beschreiben, über die wir heute abschließend entscheiden wollen. Leider hat sich die politische Auseinandersetzung in den vergangenen Wochen und Monaten auch hier im Bundestag zu häufig durch den Austausch von Emotionen, von Vorurteilen und von Glaubensbekenntnissen ausgezeichnet. Gerade das schwierige Thema Staatsangehörigkeit ist dafür, meine ich, denkbar ungeeignet. Am Ende dieses Gesetzgebungsverfahrens und im Blick auf die Zukunft kommt es jetzt auf eine Versachlichung des Verfahrens an. Das will ich an dieser Stelle der Debatte versuchen. Ich will versuchen, die Materie Staatsangehörigkeit nach objektiven Kriterien kurz zu beschreiben und deutlich zu machen, worum es im Kern geht. Ich will mich auch bemühen, einige der vorgetragenen Bedenken mit sachlichen Argumenten zu entkräften. Weiterhin werde ich auf die Vorschläge der Opposition eingehen, um deutlich zu machen, daß wir uns natürlich auch diesen Vorschlägen mit der gebotenen Sorgfalt und Ausführlichkeit gewidmet haben. Herr Rüttgers, seien Sie deshalb bitte nicht überrascht, daß ich mich mit diesen Vorschlägen in der heutigen Debatte etwas länger befasse, als Sie es getan haben. Sie haben sich offenbar auf andere Dinge konzentriert, die eher in das Fach Polemik und Regierungsbeschimpfung gefallen sind. ({1}) Ziel der Reform der Staatsangehörigkeit ist es, den lange hier lebenden Ausländern und ihren Kindern durch rechtliche Gleichstellung und politische Teilhabe die Integration und Eingliederung in unsere Gesellschaft zu ermöglichen. Das ist das Ziel - nicht mehr und nicht weniger. Dieses Ziel konnte von der früheren Bundesregierung nicht erreicht werden. Das ist die Tatsache. Eine Staatsangehörigkeit kann man grundsätzlich auf drei Arten erwerben: durch Abstammung, nach dem Territorial- oder Geburtsortsprinzip - um den lateinischen Begriff zu vermeiden -, das heißt durch Anknüpfung an den Geburtsort, und schließlich durch Einbürgerung. Für die Reformbemühungen zum Staatsangehörigkeitsrecht bestand in der Regierung wie auch in der Opposition schon länger Einigkeit darüber, daß die Fristen für Anspruchseinbürgerungen verkürzt werden sollten. ({2}) Das geschieht jetzt auch. Einigkeit bestand seit vielen Jahren auch darüber, daß ein entscheidender Reformansatz beim Geburtsortsprinzip liegt, dessen Einführung in das deutsche Recht die Sozialdemokraten schon seit 86 Jahren fordern; ich habe in der ersten Debatte darauf hingewiesen. Die F.D.P. und das Land Rheinland-Pfalz haben dazu schon in der letzten Legislaturperiode ein Optionsmodell vorgelegt. Es wurde heute auch schon über die Initiative in der CDU vom Juni 1996 für ein zeitgemäßes Staatsangehörigkeitsrecht berichtet. Es ist auch noch erwähnenswert: Im August 1996 unterbreitete eine Unionskommission einen Reformvorschlag, der ebenfalls ein modifiziertes Geburtsortsprinzip enthielt. Vorsitzender dieser Kommission - das ist ganz apart - war der renommierte Verfassungsrechtler und Bundestagsabgeordnete Rupert Scholz. Eine interessante Variante! In der letzten Legislaturperiode stand das Thema Staatsangehörigkeit zwischen 1995 und 1998 dreimal auf der Tagesordnung des Innenausschusses: im November 1995 und schließlich im März 1998. Insgesamt acht Anträge und Gesetzentwürfe wurden in dieser Zeit beraten. Auch dabei bildete das Geburtsortsprinzip einen Schwerpunkt der Überlegungen. Das heißt, wir haben in dieser Legislaturperiode bei dem entscheidenden Punkt dieser Reform beileibe nicht bei Null angefangen, sondern konnten mit unserer Gesetzesinitiative auf zahlreichen Vorschlägen und intensiven Diskussionen auch hier im Bundestag aufbauen. Nun zur Frage von Konsens und Kompromiß, die heute schon eine größere Rolle gespielt hat: Politik ist bekanntlich die Kunst des Möglichen, also bei widerstreitenden Konzepten oder Vorschlägen die Kunst, Kompromisse zu schließen. Ein Kompromiß zeichnet sich in der Politik - wie im Leben - bekanntlich durch gegenseitiges Nachgeben aus. Das ist mit dem jetzt gefundenen Kompromiß der Fall. Die Regierung hat auf einige ihrer ursprünglichen Vorstellungen verzichtet, aber so funktioniert eben parlamentarische Demokratie, wenn man sie konstruktiv nutzt. Heute steht mit diesem Geburtsortsprinzip ein entscheidender Reformansatz zur Abstimmung. Darauf haben sich drei Fraktionen hier im Bundestag geeinigt. Wir können jetzt lange hin- und herbewegen, Herr Rüttgers oder Herr Röttgen oder wer sonst noch von der CDU darauf hingewiesen hat, wer wen angerufen hat und wer welches Telefonat nicht beantwortet oder nicht rechtzeitig zurückgerufen hat. Ich glaube, Sie könnten einmal ehrlich sagen, was wirklich der Tatsache zugrunde liegt, daß kein Kompromiß möglich war. Es ist doch nicht zu bestreiten, daß es eine Partei, eine kleinere Partei, eine Schwesterpartei in Bayern gibt, die sich diesem Reformansatz schon immer völlig verschlossen hat, und das war und ist die CSU. Das ist ein Faktum; das ist keine Polemik. Ich glaube, es müssen noch mindestens hundert weitere Jahre vergehen, bis diese Art von Fortschritt beim Staatsangehörigkeitsrecht auch bis nach Bayern gelangt. Es scheint fast so, als ob bei diesem Thema das russische Wort „njet“ in den Sprachschatz der Bayern Eingang gefunden hat. Auf jeden Fall: Es hat doch keinen Sinn, darüber zu debattieren, wer sich vielleicht mit wem nicht zusammengesetzt hat. Es war doch aus der Sicht der CDU/CSU gar nicht möglich, hierzu einen Kompromiß zu finden, weil es die CSU nicht wollte. Über diese Hürde konnte keiner springen, auch Herr Schäuble nicht. Es wollte oder konnte von Ihrer Seite keiner einen Kompromiß eingehen. ({3}) - Ich werde mir Mühe geben, Herr Kollege Stiegler, Bayern und die CSU zu unterscheiden. ({4}) Ich komme zu einem Vorschlag der Union. War die sogenannte Einbürgerungszusicherung eine mögliche Alternative für die Reform des Staatsangehörigkeitsrechts? Diese Problematik ist heute, wenn auch sehr kurz, von Herrn Rüttgers und anderen angesprochen worden. Hätte dieser Unionsvorschlag überhaupt Grundlage für einen Kompromiß sein können? Bei nüchterner Abwägung der Fakten lautet die Antwort: nein; denn diese Einbürgerungszusicherung bringt überhaupt keine nennenswerten Verbesserungen für die ausländischen Kinder.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Kollege Bürsch, darf ich Sie unterbrechen? Würden Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Wolf zulassen? ({0})

Dr. Michael Bürsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003018, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich wäre ja intolerant, wenn ich es nicht täte. Ich mache das, auch wenn es wahrscheinlich mit dem vorigen Thema zu tun hat, mit der Frage, wie welcher Kompromiß zustande kommen konnte. - Bitte schön.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Kollege Wolf.

Aribert Wolf (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003269, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Es hat etwas mit Ihren Bemerkungen zur CSU zu tun. Wir haben schlicht und ergreifend ein Problem, Menschen eine Antwort zu geben. Vielleicht können Sie mir ja diese Antwort geben. Ich habe eine Frage an Sie. Herr Kollege Bürsch, die Kriminalitätsstatistik, die vor kurzem in München vorgelegt wurde, hat eindeutig bewiesen, daß die Ausweisung eines Täters, der große Schlagzeilen gemacht hat, die Ausweisung von Mehmet, sehr wohl eine abschreckende Wirkung für jugendliche Straftäter aus dem Bereich der Ausländer gezeigt hat. Ich frage Sie jetzt, was wir künftig Eltern von Kindern antworten sollen, die Opfer von Straftaten werden, die hätten geschützt werden können, wenn Straftäter wie Mehmet ausgewiesen worden wären, die aber künftig, wenn dieser Gesetzentwurf beschlossen wird, nicht mehr ausgewiesen werden können? Was sollen wir diesen Eltern und Kindern sagen, die wir nicht ausreichend schützen können, weil Sie ein solches Gesetz beschließen?

Dr. Michael Bürsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003018, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege, ich habe mir vorgenommen, dieses Thema zur Sachlichkeit zurückzubringen. ({0}) Ich sage Ihnen als Jurist, der auch Interesse für Kriminologie hatte und hat: Es ist erwiesen - darüber können wir gern noch alle möglichen Statistiken austauschen -, daß die Kriminalität von Ausländern, wenn man die Taten vernachlässigt, die nur sie begehen können, also Straftaten in bezug auf das Asylbewerberverfahren und von durchreisenden Ausländern, die hier keinen dauernden Aufenthalt nehmen, nicht größer als bei Deutschen ist. ({1}) Als zweites kann ich Ihnen dazu sagen: Es ist leider so, daß es überall auf der Welt Menschen gibt, die sich nicht an die Regeln halten, die gegeben sind. Dieses abweichende Verhalten müssen wir wohl ertragen. Das betrifft Mehmet, das betrifft alle Jungen und Mädchen in dieser unserer Gesellschaft, haben sie die deutsche oder eine ausländische Staatsbürgerschaft oder die Doppelstaatsbürgerschaft. Das spielt für die Betrachtung aus meiner Sicht keine Rolle. Insofern können Sie den Eltern sagen: Es gibt leider diese Abweichler. Wir müssen etwas dafür tun, das abzustellen, und das ist zum Beispiel, die Toleranz gegenüber Ausländern zu verstärken. ({2}) Ich hatte begonnen, etwas zu dem Thema Einbürgerungszusicherung, zu dieser Alternative, die die CDU vorgelegt hat, zu sagen. Es ist keine nennenswerte Verbesserung, denn § 85 des geltenden Ausländergesetzes zeigt, daß die Einbürgerungszusicherung teilweise die bestehenden Anforderungen verschärft. Wenn man sich dann noch die äußerst strengen und zahlreichen Voraussetzungen für den Erhalt der Einbürgerungszusicherung vor Augen führt, fragt man sich, worin da noch die Integrationswirkung eines Gesetzes liegen soll, das an allen Ecken und Enden Ausschluß- und Verlustgründe aufführt. Laut Begründung des Unionsentwurfes sollen durch die Einbürgerungszusicherung die Kinder der zweiten und dritten Ausländergeneration begünstigt werden. Ich habe mir einmal seriöse Schätzungen dazu geben lassen, wie viele das überhaupt betreffen würde. Auf Grund der Fülle von Voraussetzungen, Herr Marschewski, würden nach ersten seriösen Schätzungen weniger als 10 Prozent der in Deutschland geborenen ausländischen Kinder in den Genuß der Einbürgerungszusicherung kommen. Diese niedrige Quote zeugt doch eher von viel Mißtrauen gegenüber Ausländern als von Vertrauen in ihre Integrationsbereitschaft und Integrationsfähigkeit. Zur Frage der doppelten Staatsangehörigkeit muß etwas gesagt werden, denn diese Frage hat bei der Reform des Staatsangehörigkeitsrechts, die meisten Emotionen ausgelöst. Ich gebe keinen Kommentar zur Unterschriftenaktion ab; darüber ist heute schon viel gesagt worden. Ich nenne einige Punkte, die sich an Fakten orientieren. Tatsache ist - nur noch einmal zur Erinnerung -, daß in Deutschland eine beträchtliche Zahl von Menschen Doppelstaatler oder Mehrstaatler sind. Wir mögen in den Zahlen auseinandergehen. Ich kenne seriöse Schätzungen von zwei Millionen. Vorhin wurde von der CDU/CSU zugerufen: 500 000 bzw. eine Million. Es mag hinsichtlich der Zahl Streit geben, aber Tatsache ist: Die CDU/CSU selbst war es, die 1990 die in § 87 des Ausländergesetzes geregelten Ausnahmen für die Hinnahme von Mehrstaatlichkeit eingeführt hat. ({3}) Dabei müssen Sie sich doch etwas gedacht haben. Es muß für Sie einen Grund gegeben haben, den Ausländern diese Möglichkeit - zu Recht - zu eröffnen. Haben denn diese Menschen mit Mehrstaatlichkeit wirklich die Republik in ihren Grundfesten erschüttert? Die Antwort lautet: nein. Sie sind in aller Regel ehrenwerte Mitglieder der Gesellschaft wie Sie und ich - ich gehe einmal davon aus -, und sie zahlen hier Steuern, bieten Arbeitsplätze an und leisten ihren gesellschaftlichen Beitrag. Darauf haben Sie von der Union doch in Ihrem eigenen Antrag hingewiesen. Auch in Holland und in anderen Ländern hat die Mehrstaatlichkeit in der Gesellschaft keine nachteilige Wirkung gezeigt. In Schweden hat gerade in diesen Tagen eine vom Parlament eingesetzte unabhängige Kommission empfohlen, die generelle Hinnahme der doppelten Staatsangehörigkeit als integrationsfördernde Maßnahme einzuführen. Das könnten wir uns doch womöglich zum Vorbild nehmen. ({4}) Schließlich - darauf muß ich noch hinweisen, wohlgemerkt die CSU und die Bayern unterscheidend -: Die bayerische Verfassung weist in den Art. 7 und 8 die doppelte Staatsbürgerschaft aus. Dort heißt es unter anderem: Alle deutschen Staatsangehörigen, die in Bayern ihren Wohnsitz haben, besitzen die gleichen Rechte und Pflichten wie die bayerischen Staatsangehörigen. ({5}) So steht es in der Verfassung. Da kann man jetzt natürlich dem hier anwesenden Innenminister des Freistaates Bayern ein paar Fragen stellen, die auch die „Zeit“ sich im März dieses Jahres gestellt hat: Was ist ... mit den Bayern, die den Freistaat, ihre angestammte Heimat, verlassen und ins restliche Deutschland oder gar ins ... Ausland auswandern? ({6}) Behalten sie neben der deutschen auch ihre bayerische Staatsangehörigkeit? Verlieren sie ihre bayerische Staatsangehörigkeit? Und, wenn ja, was aber schwer vorstellbar ist, erhalten sie sie nach ihrer Rückkehr zurück? Fragen über Fragen bei der Doppelstaatlichkeit nach der bayerischen Verfassung. Ich meine, nichts könnte die Bayern daran hindern, den entspannten Umgang mit der doppelten Staatsangehörigkeit ihrer eigenen Landsleute auf die Frage der Mehrstaatlichkeit auf Bundesebene zu übertragen. ({7}) Wir sehen: Bei Betrachtung der Fakten liegt kein sachlicher Grund vor, die doppelte Staatsangehörigkeit zu diffamieren oder zu diskreditieren, es sei denn, man geht mit den Fakten so um wie der Kollege Zeitlmann, der über unseren Gesetzentwurf vor kurzem äußerte: „Auch ein extremistischer Bombenleger kann Deutscher werden.“ - Na gut. Man braucht nicht Rechtswissenschaft studiert zu haben, um diese hanebüchene Verunglimpfung unseres Entwurfs zu widerlegen. ({8}) Ganz sachlich erlaube ich mir den Hinweis: Auch da erleichtert ein Blick in das Gesetz die Rechtskenntnis und verhindert peinliche Falschaussagen. Wie geht es nach der Verabschiedung des Gesetzes weiter? In einem hat die Opposition mit ihrem Antrag „Integration und Toleranz“ recht: Es bleibt viel zu tun, um Fremdenfeindlichkeit bei uns zu bekämpfen. Die Reform des Staatsangehörigkeitsrechts kann nur der Anfang sein. Allerdings sollten politische Forderungen einerseits und Taten andererseits übereinstimmen. Da ist das Verhalten der Union nicht ohne Widersprüche. Ein Beispiel: Einerseits hebt der Unionsantrag die Bedeutung der Sprachförderung hervor und fordert ihre Ausweitung unter finanzieller Beteiligung des Bundes. Andererseits wurde im Haushaltsausschuß für den Etat des Arbeitsministeriums die Aufstockung der Bundesmittel für Sprachförderung um über ein Viertel von 27 auf 34 Millionen DM beantragt. Wer sich diesem Antrag nicht anschließen konnte und ihn abgelehnt hat, war die Union. Das ist zumindest ein widersprüchliches Verhalten. Ebenso hat die Union der Erhöhung des Etats der Ausländerbeauftragten nicht zugestimmt. Wenn man sich im übrigen das Integrationspapier, das in den Bundestag eingebracht worden ist, ansieht, dann kann man feststellen: Dieses Papier enthält eine Reihe von allgemeinen, im Grunde von jedermann geteilten Überzeugungen und Forderungen, denen sich wirklich kaum widersprechen läßt, zum Beispiel die „Würdigung und Unterstützung der großen Städte als Integrationszentren“, die „verstärkte Aufnahme von Mitbürgern ausländischer Herkunft in die demokratischen Parteien“ - jawohl! - oder die „Einstellung von Polizeibeamten ausländischer Herkunft“. Gerade die letzten Punkte empfehle ich besonders der CSU zur Lektüre. ({9}) Manche Christdemokraten nennen diese Vorschläge wie es auch heute geschehen ist - ein umfassendes Integrationskonzept. Herr Rüttgers, bei allem Respekt: Wenn Sie sich die sechseinhalb Seiten, um die es letztlich geht, ansehen, dann sollten Sie diese Beurteilung etwas niedriger hängen. Das ist eine Bekundung guten Willens; aber es ist noch kein Integrationskonzept. Wir haben in der Begründung unseres Gesetzentwurfes ähnliche Vorstellungen stehen. Da muß man nicht sagen, wir hätten kein Integrationskonzept. Im Prinzip stimme ich auch dem Kollegen Repnik zu, wenn er uns Politikern die Aufgabe vorgibt, für gesellschaftlichen Konsens zu sorgen und die Gesellschaft für Reformen aufnahmebereit zu machen. Genau darum haben sich die Regierungsparteien, SPD und Grüne, bei der Reform des Staatsangehörigkeitsrechts nachhaltig bemüht. Dafür hat sich bei der Erarbeitung dieses Gesetzentwurfes im Bundestag auch eine Reihe von Abgeordneten eingesetzt. Ich möchte mich dem anschließen, was der Kollege Westerwelle bereits sagte: Es gibt Anlaß, sowohl dem Innenminister als auch den Kolleginnen und Kollegen aus drei Fraktionen zu danken, nämlich Marieluise Beck, Cem Özdemir, aus unserer Fraktion Sebastian Edathy, Ludwig Stiegler, Rüdiger Veit und Dieter Wiefelspütz. Natürlich danke ich auch dem liberalen Kollegen Guido Westerwelle für die konstruktive, engagierte Zusammenarbeit bei der Suche nach einem tragfähigen Kompromiß. Am Rande bemerkt: Bei dieser Zusammenarbeit habe ich ein ganz neues „Westerwelle-Gefühl“ entdeckt. Herr Kollege, Sie haben tatsächlich einen ganzen Tag in der Expertenanhörung verbracht und nicht einmal in acht Stunden ein Interview gegeben. ({10}) Das war hervorragend. Sie haben sich auf die Sache konzentriert, was sie auch wert war. ({11}) Einen Nachsatz noch, einen Hinweis, der leicht vergessen wird: Was wäre Politik ohne solide Zuarbeit und Amtshilfe von seiten der Arbeitsebene? Stellvertretend für diese Arbeitsebene möchte ich heute den zuständigen Referatsleiter aus dem Bundesinnenministerium, Herrn Frank Mengel, nennen, der unsere Arbeit mit großer Sachkunde, Beharrlichkeit und erfreulicher juristischer Kreativität begleitet hat. - Dies als kleines Kontrastprogramm zur üblichen Beamtenschelte. ({12})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Bürsch, ich möchte Sie bitten, zum Schluß zu kommen.

Dr. Michael Bürsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003018, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Mein Fazit am Ende dieses Gesetzgebungsverfahrens lautet: Die über Fraktionsgrenzen hinweg praktizierte Zusammenarbeit macht durchaus Mut, daß es zukünftig im Bundestag auch zu anderen essentiellen Fragen gelingen wird, politischen und gesellschaftlichen Konsens zu befördern. Das ist auch nötig. Insofern bleibt der Appell von heute besteDr. Michael Bürsch hen, daß wir in Zukunft mit dem Thema Integration in gemeinsamem Interesse sorgsam, sensibel und auch konsensorientiert umgehen. Was wir brauchen, ist eine echte Koalition für Integration und Toleranz.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Kollege Bürsch, Ihre Redezeit ist seit zwei Minuten abgelaufen.

Dr. Michael Bürsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003018, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich nehme die unserer Fraktion zur Verfügung stehende Redezeit etwas mehr als vorgesehen in Anspruch, Herr Präsident.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das geht dann zu Lasten Ihrer Kollegen.

Dr. Michael Bürsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003018, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Das ist so verabredet. Abschließend möchte ich feststellen: Das Gesetz, das wir heute verabschieden, ist ein Kompromiß. Aber er ist ein Kompromiß, der weiterführt. Er legt beim Staatsangehörigkeitsrecht das fest, was unter den derzeitigen politischen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen möglich war. Ich meine, wir tun recht daran, den erreichten Kompromiß nicht auf die lange Bank zu schieben, sondern ihn heute zu verabschieden. Mit dieser Ansicht stehe ich nicht allein. Ich kann mich auf einen großen Deutschen berufen, auf Johann Wolfgang von Goethe, der uns für heute und für die kommenden Monate und Jahre mit folgendem Ratschlag weiterhilft: Was heute nicht geschieht, ist morgen nicht getan, Und keinen Tag soll man verpassen. Das Mögliche soll der Entschluß Beherzt sogleich beim Schopfe fassen, Er will es dann nicht fahren lassen, Und wirket weiter, weil er muß. Danke schön. ({0})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Zu einer Kurzintervention erteile ich das Wort dem Abgeordneten Otto Schily.

Otto Schily (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001970, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren Kolleginnen und Kollegen! Heute wurden viele Dankadressen formuliert; denen will ich mich anschließen. Ich möchte es nicht versäumen, dem Vorsitzenden des Innenausschusses für seine souveräne Verhandlungsführung meinen besonderen Dank auszusprechen. Dem Gesetzgebungsverfahren hat es sehr gedient, daß wir diesen Vorsitzenden hatten. Danke schön. ({0})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Als nächster Redner hat das Wort der Kollege Meinrad Belle von der CDU/CSU-Fraktion. Bitte, Herr Belle.

Meinrad Belle (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000138, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Erlauben Sie mir zwei Vorbemerkungen. Die erste ist an den Herrn Bundesinnenminister gerichtet. Ich halte es für unfair, daß Sie, Herr Minister, heute auf die abweichende Meinung verschiedener Kolleginnen und Kollegen der CDU zu diesem Gesetzentwurf hingewiesen haben. Damit haben Sie nur von Ihrer eigenen Meinung, die Sie noch im Januar ganz massiv vertreten haben, abgelenkt. Damals haben Sie das Optionsmodell entschieden abgelehnt. Das ist, finde ich, nicht ganz in Ordnung. ({0}) Die zweite Bemerkung. Vorhin wurde die Zahl der Doppelstaatler mit über 2 Millionen beziffert. Ich möchte darauf hinweisen, daß der Mikrozensus 1997/98 eine Zahl von unter 580 000 Doppelstaatlern in Deutschland ergeben hat. Vor drei Jahren habe ich an einer Fernsehdiskussion des NDR 3 zum Thema Staatsangehörigkeitsrecht teilgenommen. Daran waren unter anderem Professor Badura und Herr Haki Keskin, ein einflußreicher Vertreter der Türken in Deutschland, beteiligt. Als Moderator fungierte Herr Peter Merseburger, bekannt von Panorama, nicht gerade als Anhänger der CDU verdächtigt. Peter Merseburger wies in dieser Diskussion darauf hin, daß er während des Golfkrieges in Großbritannien gelebt und dort hautnah die Loyalitätskonflikte der Briten mit arabischer Abstammung mitbekommen hat. Er fragte in der Diskussion: Herr Keskin, warum wollen Sie unbedingt die doppelte Staatsbürgerschaft? - Die Antwort lautete: Ich lebe seit Jahren in Deutschland. Meine Familie und ich fühlen uns als Deutsche. Meine Kinder sprechen besser Deutsch als Türkisch. Wir beabsichtigen nicht, in die Türkei zurückzugehen. Es könnte aber der Fall eintreten, daß in Deutschland wieder Vorfälle wie im Dritten Reich mit fremdenfeindlichen Ausschreitungen geschehen. Dann will ich einfach die Möglichkeit haben, mich mit meiner Familie in unser ursprüngliches Heimatland zurückzuziehen. - Mein Einwurf war: Sehen Sie, genau das wollen wir nicht. Wenn Sie die deutsche Staatsangehörigkeit haben, dann mit allen Rechten und Pflichten und ohne Rückzugsmöglichkeit. Warum habe ich diese Begebenheit erzählt? Zwar haben Sie von der Koalition den ersten Entwurf mit der Einführung der regelmäßigen doppelten Staatsangehörigkeit zurückgezogen, nachdem sich fast 70 Prozent der Bevölkerung vehement gegen die doppelte Staatsangehörigkeit ausgesprochen haben. Aber mit dem heute zu verabschiedenden Gesetz wird - das ist ganz wesentlich für uns - die regelmäßige doppelte Staatsangehörigkeit durch die Hintertür eingeführt. Bisher haben wir uns zum Teil in höheren Sphären bewegt. Ich möchte die Diskussion wieder auf den Boden des Gesetzentwurfes zurückbringen. Die in Deutschland geborenen Kinder ausländischer Eltern sollen zukünftig mit der Geburt die deutsche Staatsangehörigkeit erwerben. Eine Ablehnungsmöglichkeit für die Eltern ist nicht vorgesehen, so daß die deutsche Staatsangehörigkeit den Ausländerkindern aufgezwungen und damit unter Umständen die Saat für Konflikte in diesen Familien gelegt wird. Der Jugendliche hat mit Erreichen der Volljährigkeit zu erklären, ob er die deutsche oder die ausländische Staatsangehörigkeit erhalten will. Auf Antrag ist ihm allerdings auch zu genehmigen, die deutsche Staatsangehörigkeit zusätzlich zu behalten, wenn ihm die Aufgabe der ausländischen Staatsangehörigkeit nicht möglich oder nicht zumutbar ist. Damit, meine Damen und Herren, geben Sie doch jedem cleveren oder durch einen cleveren Anwalt beratenen Doppelstaatler die Möglichkeit, beide Staatsangehörigkeiten auf Dauer zu behalten. ({1}) Vom zusätzlichen Aufwand in dem sehr verwaltungsintensiven Verfahren oder bei den Gerichten will ich schon gar nicht reden. Um die Öffentlichkeit zu beruhigen, wird zwar einerseits der Grundsatz der Vermeidung der Mehrstaatigkeit formell aufrechterhalten, andererseits aber erweitern Sie, Herr Westerwelle - da bin ich anderer Meinung; wir haben uns vorhin schon verständigt -, die Ausnahmetatbestände für die Einbürgerung unter Hinnahme der Mehrstaatigkeit in einer aus unserer Sicht unverhältnismäßigen Art und Weise: zum Beispiel für ältere Personen, bei wirtschaftlichen Nachteilen für politisch Verfolgte und EU-Bürger, bei unverhältnismäßigen Schwierigkeiten - Nachteile wirtschaftlicher oder vermögensrechtlicher Art - und bei besonderen Härten. Dies führt im Ergebnis zu Hunderttausenden von neuen Doppelstaatlern in Deutschland. Das ist nichts anderes als eine großangelegte Täuschung der Wähler. Diese gehen nämlich nach Rücknahme Ihres ersten Gesetzentwurfs davon aus, daß die doppelte Staatsangehörigkeit vom Tisch ist. Lieber Herr Dr. Westerwelle, was bleibt da von Ihren hehren Schwüren gegen die doppelte Staatsbürgerschaft?

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Kollege Belle, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Stadler?

Meinrad Belle (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000138, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Nein.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Westerwelle?

Meinrad Belle (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000138, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Nein, ich erlaube ausnahmsweise - entgegen meiner sonstigen Übung - keine Zwischenfrage, und zwar einfach deshalb, weil Sie dieses Gesetz in einer Art und Weise durch die Ausschüsse gepeitscht haben, die nicht mehr vertretbar war. ({0}) Ich möchte einige wenige Sätze zum zeitlichen Ablauf des Gesetzgebungsverfahrens sagen. Sie empören sich über den Vorwurf des Durchpeitschens dieses schlechten Entwurfs. ({1}) Tatsache ist aber: Am 19. März 1999 findet die erste Lesung des Entwurfes statt. In der Osterpause wird die Anhörung durchgezogen. Die abschließende Beratung im Innen- und im Rechtsausschuß kann nur mit einem unkorrigierten Protokoll über die Anhörung stattfinden, und dies alles, meine Damen und Herren, noch bevor der Bundesrat in einem ersten Durchgang Gelegenheit zur Stellungnahme hatte. Seit ich im Bundestag bin, hat es das noch nie gegeben. Ohne Not wird der Bundesrat brüskiert, nach dem Motto: Wir haben die Mehrheit, was interessiert uns die Stellungnahme der Bundesländer! Die zweite und die dritte Lesung müssen unbedingt in der Haushaltswoche erfolgen - entgegen der jahrzehntelangen Übung in diesem Hohen Hause. Entsprechend dem Haushaltsrecht, dem Königsrecht des Parlaments, hat der Haushalt in einer solchen Woche eigentlich immer absoluten Vorrang. Mehrfach schlägt unser Fraktionsvorsitzender Dr. Schäuble vor, ohne Vorbedingungen über eine Gesamtreform des Staatsangehörigkeitsrechts zu reden. Dazu gehört nämlich auch der Teil „Integration“, der aus meiner Sicht bei Ihnen nach wie vor fehlt. Diese Angebote des Fraktionsvorsitzenden wurden bis heute nicht beantwortet. Nachdem auch der Herr Bundestagspräsident Konsensgespräche befürwortet, regt Wolfgang Schäuble in einem Telefongespräch mit Herrn Struck an, ohne Zeitdruck über die Reform zu reden. Eine Antwort erfolgt nicht - außer, wenn Sie so wollen, durch den Geschäftsordnungsantrag auf Aufsetzung auf die heutige Tagesordnung. Meine Damen und Herren, es kann daher nicht oft genug gesagt werden: Ohne Rücksicht auf Verluste, aus parteipolitischen Gründen, nämlich wegen der Beendigung der für Sie nachteiligen Diskussion - auch im Hinblick auf die Europawahl -, wird dieses Gesetz durchgepeitscht. Ich möchte noch ein paar Anmerkungen zur Anhörung der Sachverständigen und zur Umsetzung der Ergebnisse machen. Ein Teil der Staats- und Verfassungsrechtler bezeichnet den Gesetzentwurf als verfassungsrechtlich überaus zweifelhaft. Ich habe da eine etwas andere Erinnerung als Sie, Herr Westerwelle. Aber, meine Damen und Herren - jetzt kommt es -, alle Juristen sehen einen erheblichen Nachbesserungs- und Überarbeitungsbedarf. Da werden administrative Probleme und eine Vielzahl von Verwaltungsgerichtsverfahren wegen der Verwendung vieler unbestimmter Rechtsbegriffe vorhergesagt. Es werden Regelungen für die ungelösten Probleme bei der Beendigung der Staatsangehörigkeit mit dem 23. Lebensjahr angemahnt. Die Sachverständigen beanstanden den fehlenden Integrationsanreiz. Es werden Regelungen gegen den Mißbrauch der doppelten Staatsangehörigkeit gefordert, weil Mißbrauchsmöglichkeiten zur Verfassungswidrigkeit führen könnten. Von Bevölkerungswissenschaftlern werden verstärkt LoyalitätsMeinrad Belle konflikte befürchtet. Die kommunalen Spitzenverbände beklagen den außerordentlich hohen Aufwand beim Gesetzesvollzug und ein übermäßiges Ansteigen der Sozialhilfe. ({2}) Nun das Ergebnis der Ausschußberatungen: Ein ganz geringer Teil der Beanstandungen wird mit Ihren kurzfristig eingebrachten Änderungsanträgen erledigt. Der überwiegende und wichtigere Teil der Beanstandungen wird überhaupt nicht zur Kenntnis genommen und mit der Arroganz der politischen Mehrheiten vom Tisch gefegt. Wir folgern daher: Es ist ein schlechtes Gesetz, mit heißer Nadel genäht, ein zusammengebasteltes Stückwerk, das integrationspolitisch verfehlt ist. Wir werden dieses Gesetz daher heute ablehnen. ({3})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Zu einer Kurzintervention erteile ich das Wort dem Kollegen Dr. Max Stadler.

Dr. Max Stadler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002805, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Lieber Herr Kollege Belle, die Bewertung des Gesetzentwurfes ist natürlich jedem unbenommen. Es ist aber wichtig, in der Debatte klarzustellen, worum es wirklich geht. Dieses Reformvorhaben betrifft zwei verschiedene Kernpunkte. Es betrifft zum einen die Integration der Kinder. Dazu hat Herr Dr. Westerwelle in seinem Redebeitrag ausführlich Stellung genommen. Sie haben sich nun auf die Möglichkeit bezogen, daß bei Erwachsenen bei Anträgen auf Einbürgerung ausnahmsweise die doppelte Staatsbürgerschaft hingenommen wird. Sie haben in Ihrem Beitrag soeben den Eindruck erweckt, als werde dies hunderttausendfach eine erhebliche Erweiterung gegenüber der jetzigen Gesetzeslage - stattfinden. Tatsächlich sieht die Situation so aus, daß schon nach geltendem Recht - § 87 des Ausländergesetzes - in vielen Fällen davon abgesehen werden kann, daß der Bewerber seine bisherige Staatsangehörigkeit aufgibt. Ich darf Sie mit Hinweis auf die Ausschußberatungen daran erinnern, daß gerade aus den Reihen Ihrer Fraktion ganz praktische Fälle genannt worden sind, nämlich die von iranischen Staatsangehörigen, die äußerste Schwierigkeiten haben, die deutsche Staatsbürgerschaft zu erwerben und ihre bisherige Staatsangehörigkeit aufzugeben. Von Ihrer Seite wurde darauf hingewiesen, daß die Verwaltungspraxis hier künftig großzügiger sein müßte, weil ein Fall von Unzumutbarkeit vorliegt. Diese Unzumutbarkeitsfälle - etwa bei politischen Flüchtlingen sind bisher nach § 87 Abs. 1 Nr. 4 des Ausländergesetzes ohnehin schon geltendes Recht. Das Wichtigste, was ich auf Grund Ihres Beitrags hervorheben möchte, ist: Wenn es so wäre, daß der Doppelpaß durch die Neuregelung - Sie haben von einem großen Täuschungsmanöver gesprochen - in breiter Front ermöglicht wird, dann wäre die Kritik nicht verständlich, die von den Hauptbetroffenen, nämlich von den Vertretern der türkischen Gemeinde in Deutschland - Sie alle haben das Schreiben von Professor Keskin erhalten, in dem beklagt wird, daß gerade die erste Generation der türkischen Staatsangehörigen nicht die Chance erhält, künftig den Doppelpaß zu bekommen -, an unserem Gesetzentwurf geübt wird. Es kann also nur eines von beiden richtig sein: entweder Ihr Vorwurf, daß die doppelte Staatsangehörigkeit durch die Hintertür massiv ausgeweitet wird, oder der Vorwurf der zahlenmäßig am stärksten betroffenen Gruppe, daß wir sie nicht berücksichtigt haben. Ich sage Ihnen, das letztere ist der Fall. Herr Dr. Westerwelle hat in seinem Beitrag die politischen Gründe für unsere Entscheidung dargelegt. Die Positionen waren ja unter den Verhandlungspartnern strittig. Eins von beiden kann nur zutreffen. Mein letzter -

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Nein, die Zeit ist abgelaufen. Herr Belle, wollen Sie erwidern? - Bitte schön.

Meinrad Belle (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000138, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Lieber Herr Dr. Stadler, ich möchte darauf aufmerksam machen, daß wir in den Fällen der Iraner sowieso einer Meinung sind. Insoweit gibt es keine Diskussion. Das sind aber auch keine Hunderttausende von Fällen. Daß Herr Keskin eine ganz andere Meinung hat, habe ich vorhin schon gesagt. Natürlich geht dieser Gesetzentwurf Herrn Keskin nicht weit genug. Das ist selbstverständlich und kann daher nicht als Begründung für Ihren Gesetzentwurf herangezogen werden. Die Zahl der Fälle, die durch die Erweiterung der Zahl der Ausnahmetatbestände auf uns zukommen werden - ich kann mir vorstellen, daß der Herr Innenminister Beckstein nachher in seiner abschließenden Rede noch ein bißchen dazu sagen wird - beträgt nach meiner Erinnerung aus den Diskussionen in diesem Zusammenhang 800 000.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wegen des Zeitdrucks werde ich jetzt keine Kurzinterventionen mehr zulassen. Ich bitte um Ihr Verständnis. ({0}) Als nächste Rednerin hat die Kollegin Marieluise Beck vom Bündnis 90/Die Grünen das Wort.

Marieluise Beck-Oberdorf (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002624, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Auch ich habe mich gefreut, daß meine Amtsvorgängerin, Frau Schmalz-Jacobsen, die Debatte verfolgt. Dieses Gesetz hat einen langen Weg genommen. In dieser Legislaturperiode waren es fünf Monate Beratungen; aber eine langjährige politische Auseinandersetzung - auch in diesem Hause - mit immer wieder neuen Anläufen und neuen Versuchen, Konsens herzustellen, denen sich - wie das heute morgen schon häufig betont wurde - insbesondere die CSU immer wieder mit Beharrlichkeit verweigert hat, ist vorausgegangen. ({0}) Es geht in dieser Debatte in der Tat nicht nur um die Reform des Staatsbürgerschafts- und Ausländerrechts, sondern auch um das Selbstverständnis unserer Gesellschaft. Noch einmal: Es geht um die grundsätzliche Frage, ob wir nach 40 Jahren, in denen es Zuwanderung nach Deutschland gegeben hat, anerkennen, daß diese Zuwanderung Fakt ist, ob wir uns mit der Realität auseinandersetzen wollen oder ob wir nach wie vor vor dieser Realität die Augen verschließen und sie deswegen nicht gestalten wollen. ({1}) Diese Frage ist eigentlich der Kern der Unionskampagne gewesen. Mit dieser Kampagne haben Sie noch einmal alle Stimmen in der Gesellschaft gegen Einwanderung und Zuwanderung einsammeln wollen. Sie haben in dieser Gesellschaft noch einmal den Reflex auf die Tatsache mobilisieren wollen, ({2}) daß Einwanderung und Zuwanderung auch die deutsche Gesellschaft verändern - ob wir es wollen oder nicht. Wir müssen uns heute den Fragen stellen, ob wir mit dieser Zuwanderung und der damit einhergehenden Veränderung dieser Gesellschaft fruchtbar umgehen wollen, ob wir sie gestalten wollen, ob wir die Herausforderung annehmen wollen, ob wir sie zum Positiven wenden wollen, ob wir anerkennen wollen, daß sich auch die deutsche Mehrheitsgesellschaft durch diese Zuwanderung verändert hat und weiter wird verändern müssen genau so, wie sich auch die Zugewanderten haben verändern müssen und weiterhin von ihnen erwartet wird, sich anzupassen. ({3}) Um diese Auseinandersetzung geht es im Kern. Das ist die zentrale Frage von Integration. Soll - wie Sie es in den Debatten immer wieder betont haben - den Zugewanderten abverlangt werden, sich zu assimilieren, das heißt, in unserem Stadtbild und in unseren Straßen nicht mehr erkennbar als Menschen anderer Kultur und anderer Herkunft zu erscheinen? Sollen sie sich assimilieren? Sollen sie ganz genau so wie wir werden? Oder können wir es als eine moderne Gesellschaft aushalten, daß unter uns gleichberechtigte Bürgerinnen und Bürger leben, die das Recht haben, anders als die deutsche Mehrheitsgesellschaft zu sein? ({4}) Das ist die Herausforderung, um die es geht. Das ist das eigentliche Thema und nicht die vordergründige Frage „Doppelpaß, ja oder nein?“. Es geht auch um unseren Alltag. Es geht zum Beispiel um die Frage, ob es diese Gesellschaft als normal anerkennt, daß auch schwarze Menschen mit einem deutschen Paß zu uns gehören. ({5}) Es kann nicht sein, daß ein Schwarzer erzählt: Immer und immer wieder passiert es mir, daß ich, wenn ich in eine Polizeikontrolle komme und meinen deutschen Paß vorzeige, auf die Wache muß, weil der Polizist einfach nicht glauben kann, daß dieser Paß nicht gefälscht, sondern ein echter deutscher Paß ist. Wir als Mehrheitsgesellschaft haben nicht gelernt, daß auch Andersaussehende, Andersseiende integraler Teil unserer Gesellschaft geworden sind. Es geht also um Vielfalt statt Homogenität. Das ist die Herausforderung, der sich unsere Gesellschaft stellen muß. Die rotgrüne Regierung - und das ist der eigentliche Bruch mit dem Denken der alten Koalition - sagt: Diese Herausforderung nehmen wir an, und zwar gerne; wir akzeptieren gerne, daß unsere Gesellschaft eine Zuwanderungsgesellschaft geworden ist, die uns abverlangt, Veränderungen herbeizuführen. ({6}) Die Erleichterung der Einbürgerung ist also insofern nur ein Baustein, nur ein Schritt, der überfällig ist. Ich meine, daß Sie nicht umhinkommen werden, meine Damen und Herren von der Union, sich dieser Tatsache und der Notwendigkeit von Veränderung zu stellen, wenn Sie den Anschluß an Europa behalten wollen. Ein Teil von Ihnen hat das begriffen. Der Weg nach Europa wird uns als Politik und als Gesellschaft immer und immer wieder vor die Notwendigkeit stellen, Vielfältigkeit, Veränderung, Andersartigkeit zuzulassen, gerne zu akzeptieren und als positiven und befruchtenden Teil unserer Gesellschaft zu gestalten. ({7}) Wir stehen also am Ende eines Gesetzgebungsverfahrens, aber wir stehen am Anfang eines Prozesses, zu dem Einbürgerung als Teil einer Integrationspolitik gehört, zu dem aber auch gehört, daß alle Bürger dieser Gesellschaft, auch wenn sie anderer kultureller Herkunft sind, auch wenn sie einen Teil dieser Andersartigkeit bewahren wollen oder sich nur langsam verändern wollen, als gleichberechtigte Menschen in dieser Gesellschaft akzeptiert werden. Wir müssen ihnen anbieten, uns auf gleicher Augenhöhe zu begegnen. Es geht um Demokratie, meine Damen und Herren. Es kann nicht angehen, daß viele Menschen, die seit Jahrzehnten in dieser Gesellschaft leben und damit faktisch, durch den Alltag, integriert sind, von staatsbürgerlichen Rechten ausgeschlossen werden. Das kann eine Demokratie nicht aushalten. ({8}) Wir sind deswegen mit diesem Staatsbürgerschaftsrecht gefordert, mehr Bürgerinnen und Bürger zu StaatsbürMarieluise Beck ({9}) gern zu machen. Es muß unser Interesse sein, möglichst viele der hier lebenden Menschen in den demokratischen Prozeß einzubeziehen. Es ist die Verantwortung von Politik, diesen Prozeß anzustoßen, ihn zu gestalten, ihn herbeizuführen. Ich sage Ihnen: Die Ausländerbeauftragte wird, wenn dieses Gesetz verabschiedet ist und zur Umsetzung gelangt, bei den Migranten und Migrantinnen werben, diesen Schritt in die deutsche Staatsbürgerschaft hinein zu tun. Denn wir wollen diese Staatsbürgerinnen und Staatsbürger als aktive, teilhabende, gleichberechtigte Mitglieder unserer Gesellschaft. Das wird der deutschen Republik, das wird unserer Demokratie guttun. ({10})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Frau Kollegin Beck, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Singhammer?

Marieluise Beck-Oberdorf (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002624, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Bitte.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Bitte, Herr Singhammer.

Johannes Singhammer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002800, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Kollegin Beck, Sie haben davon gesprochen, daß Sie für Ihre Gesetze und für die Folgerungen daraus werben wollen. In dem Zusammenhang meine Frage: Trifft es zu, daß im Haushalt auch dieses Jahres für Ihren Zuständigkeitsbereich eine Summe von 1,5 Millionen DM vorgesehen ist, um in türkischsprachigen Zeitungen für diesen Doppelpaß zu werben, also bei Menschen, die offensichtlich, bis jetzt jedenfalls, Deutsch noch nicht in ausreichender Weise verstehen?

Marieluise Beck-Oberdorf (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002624, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Lieber Herr Kollege, wir debattieren seit vier Stunden, aber Sie scheinen immer noch nicht verstanden zu haben, daß der Doppelpaß vom Tisch ist. Ich weiß nicht, ob Sie die ganze Zeit im Restaurant gesessen haben. ({0}) Zu unserem Bedauern sind wir jetzt auf einer Ebene, auf der wir nach wie vor Mehrstaatigkeit vermeiden müssen. Das nur zur Information. In der Tat hat sich diese rotgrüne Regierung entschieden, in ihrem Haushalt der Ausländerbeauftragten die Möglichkeit zu dem zu geben, wozu sie qua Gesetz verpflichtet ist, nämlich zu informieren und aufzuklären über Gesetze, die die hier lebenden Migranten und Migrantinnen betreffen. Das bedeutet, zum Beispiel darüber zu informieren, daß die Fristen verkürzt sind, zum Beispiel darüber, daß Kinder zwischen 1 und 10 Jahren hier eingebürgert werden können, wenn die anderen Voraussetzungen für die Einbürgerung nach Geburt vorliegen. Das werden diese Regierung und ihre Ausländerbeauftragte nach dem Gesetzesauftrag tun, und das ist mit Mitteln versehen worden. ({1}) Es geht bei der Einbürgerung in der Tat um einen Schritt in Richtung Integration. Sie von der Union haben allerdings recht: Zur Integration gehört viel mehr. Aber jetzt nur allgemeine Absichtserklärungen dazu abzugeben ist nicht Aufgabe des Parlaments. Das Parlament muß sich schon fragen lassen, was es konkret meint. Hier haben wir viel vor uns. Wir müssen für eine Antidiskriminierungsgesetzgebung sorgen, mit der sehr genau die bürgerrechtlichen Beziehungen zwischen den Menschen in unserer Gesellschaft berücksichtigt werden und mit der es möglich ist, Diskriminierungen entgegenzutreten. Wir laden Sie, wenn Sie sich tatsächlich auf Integrationskurs begeben wollen, herzlich ein, an den Beratungen darüber teilzunehmen. Es geht um ein Bündnis für Demokratie und Toleranz, das vom Bundesinnenminister, Bundesjustizminister und auch von der Ausländerbeauftragten gestaltet wird. Wir wissen, daß die Gesellschaft Demokratie, Toleranz, Vielfalt und Respekt für andere dringend nötig hat. Es geht um Initiativen in der Bildungs- und Schulpolitik, die auch den Kindern gleiche Chancen ermöglichen sollen, die aus Familien nichtdeutscher Herkunft stammen. ({2}) Es geht um ernsthafte Initiativen - auch hier bin ich gespannt, wie Sie sich verhalten werden -, mit denen die Zugangshürden für Migrantinnen und Migranten auf dem Arbeits- und Bildungsmarkt abgebaut werden sollen. Gerade diese Zugangshürden verhindern oft die Integration von Migrantinnen und Migranten. Das wird eine schwierige und eine konfliktträchtige Debatte. Wir werden sehr genau beobachten, wie Sie sich bei der Diskussion dieser Fragen verhalten werden. ({3}) Es geht auch um einen Dialog mit dem Islam, um Religionsfreiheit, um zu verhindern, daß sich Fundamentalismus in dieser Gesellschaft durchsetzt. England hat uns gezeigt, daß eine staatliche Politik, die Migranten auch faktisch zu gleichberechtigten Bürgern macht, Konflikte, die noch aus den Herkunftsländern herrühren, minimiert. Wenn die Migranten wirklich zur Gesellschaft gehören und nicht draußen gehalten werden, dann bestimmen nicht mehr die Themen der Herkunftsländer, sondern die Themen des Inlandes ihr Denken. Das hat uns England vorgemacht. Schauen Sie über die deutschen Grenzen! Sie werden das tun müssen, wenn Sie den Weg in eine moderne Gesellschaft mitgehen und den Anschluß nicht verpassen wollen. Ich möchte zum Schluß noch sagen: Ich freue mich auf den 1. Januar 2000, wenn das erste Kind von Migranten, das nach dem bisherigen Recht noch als AusMarieluise Beck ({4}) länder geboren würde, als deutsches Kind zur Welt kommt. Das ist ein Schritt in eine moderne Gesellschaft. ({5}) Wir wollen die Migrantinnen und Migranten als gleichberechtigte Bürgerinnen und Bürger in dieser Gesellschaft. Das ist der zentrale Gehalt dieses Gesetzes. ({6})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Es wird mir mitgeteilt, daß es - das betrifft einige Parteien Landesparteitage gibt und daß die Zeit dafür knapp wird. Deswegen möchte ich Sie bitten, sich mit Zwischenfragen sehr zurückzuhalten. Für die PDS spricht jetzt die Kollegin Dr. Evelyn Kenzler. Bitte schön.

Dr. Evelyn Kenzler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003159, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Nach der Anhörung im Innenausschuß sollen alle verfassungsrechtlichen und anderen Bedenken - so jedenfalls die Auffassung der Regierungskoalition - ausgeräumt sein. Nach meiner Auffassung ist der vorliegende Entwurf trotz einiger Verbesserungen nicht nur aus politischen, sondern auch aus rechtlichen und insbesondere aus verfassungsrechtlichen Gründen unbefriedigend und zum Teil bedenklich. Zum einen sehe ich auch nach der Aufnahme einer Altersgrenze von 21 Jahren in das Gesetz für die Beantragung einer sogenannten Beibehaltungsgenehmigung verfassungsrechtliche Probleme bei der Einführung des Optionsmodells. Mit Geburt erhalten zwar die Kinder der bei uns lebenden ausländischen Eltern nach den Voraussetzungen des § 4 des Staatsangehörigkeitsgesetzes neben der ausländischen die deutsche Staatsangehörigkeit. Mit Eintritt der Volljährigkeit können sie also alle staatsbürgerlichen Rechte und Pflichten ohne Einschränkungen wahrnehmen. Dieser Status erlischt jedoch spätestens mit Vollendung des 23. Lebensjahres, falls der Betreffende seine ausländische Staatsangehörigkeit nicht aufgeben will. Das ist meines Erachtens mit dem verfassungsrechtlichen Grundsatz der Einheitlichkeit und Unbeschränkbarkeit der deutschen Staatsangehörigkeit nicht zu vereinbaren. Der Wegfall staatsbürgerlicher Grundrechte und Pflichten mit Erreichen einer bestimmten Altersgrenze per Gesetz hebelt diesen Grundsatz für den betroffenen Personenkreis aus. Das ist bedenklich. Hinzu kommt, daß die betroffenen jungen Menschen in erhebliche rechtliche Konfliktsituationen geraten können. Stellen Sie sich einmal vor, daß junge Deutsche, die unter das Optionsmodell fallen, auf Grund ihres passiven Wahlrechts mit 20 Jahren in den Bundestag gewählt werden. Mit 23 Jahren erlischt jedoch die deutsche Staatsangehörigkeit, weil sie bzw. er die ausländische Staatsangehörigkeit nicht aufgegeben hat oder ein Antrag auf Erteilung der Beibehaltungsgenehmigung rechtskräftig abgewiesen wurde. Es ist absurd, daß in diesem Fall wegen des Wegfalls der Voraussetzungen für die Wählbarkeit das Mandat erlischt. ({0}) Ähnlich verhält es sich mit der Wahrnehmung des Zugangs zu einem öffentlichen Amt oder mit einem bereits begonnenen Wehrdienst. Zum anderen besteht nach meiner Auffassung nach wie vor zumindest Bedenken in Hinsicht auf Art. 16 Abs. 1 GG. Mir ist bewußt, daß es erhebliche Auslegungsprobleme auf Grund der in sich widersprüchlichen Regelungen zum Entzug und zum Verlust gibt. Das vorgeschlagene Optionsmodell bringt hierzu jedoch keine Klarstellung, sondern wird die seit Jahren anhaltenden Diskussionen weiter entfachen. Das Problem ist nämlich, daß das Grundgesetz völlig zu Recht eine Entziehung der Staatsangehörigkeit negatorisch ausschließt. Im nächsten Satz läßt es allerdings den Verlust der Staatsangehörigkeit mit bestimmten Einschränkungen zu. Diese Gründe laufen im Kern auf eine antragsbedingte Selbstausbürgerung, das heißt, auf eine willentliche und damit selbst beeinflußbare Entscheidung hinaus. Hieraus ergibt sich ein Widerspruch zum Text des Grundgesetzes selbst. In Art. 16 Abs. 1 Satz 1 wird der Entzug kategorisch verboten. In Satz 2 wird der Entzug dem Grunde nach zugelassen, indem ein Verlust der Staatsangehörigkeit gegen den Willen des Betroffenen, wenn auch mit Einschränkungen, möglich ist. Sicher kann man die vorgeschlagene Optionslösung nicht mit einem Entzug der Staatsangehörigkeit im Sinne einer Zwangsausbürgerung gleichsetzen. Das Erlöschen nach einem bestimmten Zeitablauf ist aber zumindest für die Betroffenen, die beide Staatsangehörigkeiten behalten wollen und deshalb keine Erklärung abgeben, eine von ihrem Willen faktisch unabhängige und somit unbeeinflußbare Wegnahme der Staatsangehörigkeit. Das Gesetz versetzt sie damit in eine nicht gewollte Zwangssituation, in der ihnen eine Entweder-oderEntscheidung abverlangt wird und in der das Erlöschen der deutschen Staatsangehörigkeit bei Nichttreffen dieser Entscheidung auch gegen ihren Willen und für sie damit unvermeidbar erfolgt. Daran ändert auch die vorgenannte Beibehaltungsgenehmigung nichts. Wir wissen, daß der seit Anfang der 80er Jahre anhaltende Streit um eine dringend notwendige Reform auf diesem Gebiet immer auch eine verfassungsrechtliche Auseinandersetzung war. Die nicht eindeutige Verfassungslage und die seit Jahren schwelende Diskussion macht es deshalb dem Gesetzgeber auch nicht einfach. Um so notwendiger wäre es jedoch gewesen, ausgehend von einer Grundgesetzänderung zur Einführung des Ius soli und zur Abschaffung der unsäglichen Bestimmung über die „deutsche Volkszugehörigkeit“ in Art. 116 GG eine wirkliche Neuregelung zur doppelten Staatsbürgerschaft zu entwickeln. Die Mehrheit meiner Fraktion, ich eingeschlossen, wird sich deshalb wegen der politischen Kritik und der rechtlichen Bedenken in der Schlußabstimmung enthalten. Um die wenigen Verbesserungen und die behutsame Öffnung jedoch nicht zu blockieren, werden unsere Marieluise Beck ({1}) Kollegen in Mecklenburg-Vorpommern, wenn auch mit einigen Bauchschmerzen, ihre Zustimmung im Bundesrat geben. Danke schön. ({2})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Ich erteile das Wort dem Minister für Inneres des Landes Nordrhein-Westfalen, Dr. Fritz Behrens. Dr. Fritz Behrens, Minister ({0}): Herr Präsident! Meine Damen und Herren Abgeordnete des Deutschen Bundestages! So viel Zeit muß sein, um zu sagen, daß es für mich eine große Freude und Ehre ist, wenn mir heute erstmals in diesem Hause das Wort erteilt wird. ({1}) Als Gast will ich damit rücksichtsvoll umgehen, auf Ihre zeitlichen Bedrängnisse Rücksicht nehmen und manches von dem weglassen, was ich sagen wollte. Ich will auch auf manche Entgegnung auf Bemerkungen meiner Vorredner verzichten - es wäre an sich notwendig gewesen, darauf einzugehen - und schnell zum Kern meiner Ausführungen kommen. In Übereinstimmung mit anderen SPD-geführten Landesregierungen spreche ich mich namens der nordrhein-westfälischen Landesregierung nachdrücklich dafür aus, das Gesetz zur Reform des Staatsangehörigkeitsrechtes heute zu verabschieden. ({2}) Diese Reform ist überfällig. Das steht nach den jahre-, ja fast jahrzehntelangen Diskussionen über Modelle wohl außer Frage. Wie lange sollten wir angesichts dieser Tatsache noch miteinander streiten und auf einen ersten wirksamen Schritt warten? Wir können uns Stillstand in dieser wichtigen Frage der Innenpolitik nicht leisten. Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang doch etwas zu dem integrationspolitischen Konzept, auf das Herr Rüttgers so stolz ist, sagen: Konzepte und Papiere gibt es in allen Parteien in großer Zahl und auf allen Ebenen des politischen Handelns. An die CDU/CSU ist die Frage zu richten, warum erst jetzt ein solches Papier vorgelegt wird, warum 16 Jahre lang nichts passiert ist. Es gab viele wohlfeile Worte, aber wo blieben die Taten in den letzten 16 Jahren? ({3}) Sicher ist mit der jetzt vorgelegten Lösung die notwendige Gesamtreform unseres Staatsangehörigkeitsrechtes nicht abgeschlossen. Wichtige Bausteine sind aber entscheidungsreif und ihre Umsetzung so vordringlich, daß weitere Verzögerungen nicht zu vertreten sind. Auch ich verhehle nicht mein Bedauern, daß wichtige Positionen, die die alten Entwürfe meiner Partei, aber auch der Partei von Frau Schmalz-Jacobsen auszeichneten, nicht gehalten werden konnten. Es überwiegt aber bei mir die Genugtuung, daß bei einer so bedeutsamen Frage wie der Reform des Staatsangehörigkeitsrechtes, die nichts weniger als polarisierende Stimmungsmache vertragen könnte, ein tragfähiger Kompromiß erreicht werden konnte, der eine breite Mehrheit hier im Bundestag und auch im Bundesrat findet und, davon bin ich überzeugt, auch in unserer Bevölkerung finden wird. ({4}) Ich weiß, daß der großen Mehrheit der CDU/CSU und der von dieser Partei getragenen Landesregierungen die ganze Richtung des Reformkonzeptes nicht paßt. Das versuchen Sie doch mit Argumenten zur Sache zu verschleiern. Ich nehme konkrete Einwände gegen Änderungsvorschläge und Reformansätze sehr ernst. Aber die bisher von Ihnen vorgetragenen konkreten Einwände haben mich letztlich nicht überzeugt. Gerade auch nach den Änderungen, die der Gesetzentwurf im Zuge der Sachverständigenanhörung, die im Innenausschuß des Bundestages stattfand, in den Ausschußberatungen im Bundestag und Bundesrat schließlich erfahren hat, wird das Optionsmodell einer verfassungsrechtlichen Überprüfung standhalten; davon bin ich überzeugt. Wir fordern in diesen Tagen alle, meine Damen und Herren, nicht zuletzt angesichts der Situation der Flüchtlinge auf dem Balkan, die Solidarität der europäischen Staaten ein. Auch ich tue es in der Frage der Aufnahme weiterer Flüchtlinge; aber darüber reden wir hier nicht. Wir erwarten, daß sie sich wie wir verhalten. Auch wir könnten, wie ich meine, ab und zu diesen Blick über die Grenzen vertragen. So frage ich die CDU/CSU, ob nicht auch im Zusammenhang mit unserem heutigen Thema ein Blick über die Grenzen zu unseren Nachbarn in Europa sinnvoll wäre, weil das zu anderen politischen Einsichten und Erkenntnissen führen könnte. ({5}) Diese Welt, meine Damen und Herren, wird nicht alleine am deutschen Wesen genesen, sondern wir müssen auch bereit sein, von anderen und ihren Erfahrungen zu lernen. Ich halte es zumindest für eine Fehleinschätzung - eher noch für eine Verdrehung von Tatsachen oder gar für reine Agitation -, wenn behauptet wird, das Gesetz führe zu einer nahezu schrankenlosen Hinnahme von Mehrstaatigkeit. Ich will noch einmal aus meiner Sicht deutlich unterstreichen, daß die neue Regelung nicht auf die Hinnahme von Mehrstaatigkeit abzielt. Sie nimmt Mehrstaatigkeit vielmehr nur hin, weil dem Einbürgerungsbewerber ansonsten unzumutbare Belastungen entstehen würden. Bei sachgerechter Betrachtung werden sich die Auswirkungen der vorgesehenen Erweiterung der Zahl der Ausnahmetatbestände des § 87 des Ausländergesetzes, die eine Hinnahme von Mehrstaatigkeit rechtfertigen, in Grenzen halten. Auch die Freistellung politisch Verfolgter von Entlassungsbemühungen aus ihrer ursprünglichen Staatsangehörigkeit halte ich für richtig. Diesen Menschen werden heute Bemühungen und Nachweise abverlangt, die - gemessen an den für Verwaltungsverfahren in Deutschland maßgeblichen Rechtsvorstellungen und im übrigen auch aus politischen Gründen kaum zu vertreten sind. ({6}) Die zur Zeit notwendige individuelle Prüfung belastet auch die Einbürgerungsbehörden - da Sie immer von Belastungen sprechen, muß auch auf die Belastungen durch das geltende Recht hingewiesen werden - in unverhältnismäßiger Weise, zumal in nahezu all diesen Fällen die Mehrstaatigkeit schließlich hingenommen werden muß und schon heute hingenommen wird. Fortgeschrittenes Alter eines Einbürgerungsbewerbers allein wird auch künftig nicht die Hinnahme von Mehrstaatigkeit rechtfertigen. Es ist auch nicht ersichtlich, daß die Ausnahmen vom Grundsatz der Vermeidung von Mehrstaatigkeit für Ausländerkinder, die hier seit 1990 geboren wurden oder künftig in Deutschland geboren werden, ein wirkliches Problem mit sich bringen. Das Reformgesetz geht vielmehr - auch das ist sein integrationspolitisches Ziel - von der Erwartung aus, daß die weit überwiegende Mehrheit der in Deutschland geborenen und hier heranwachsenden jungen Ausländerinnen und Ausländer für die deutsche Staatsangehörigkeit optieren, sobald sie volljährig geworden sind. Ich halte es für ganz wichtig - vielleicht sogar für den Kern dieses Gesetzes -, daß gerade die jungen ausländischen Mitbürgerinnen und Mitbürger hiermit erstmals eine wirkliche Chance zur Integration, daß sie ein Angebot bekommen. Denn rechtliche Gleichstellung gehört unverzichtbar dazu. Alles andere bleibt Lippenbekenntnis. ({7}) Die eindeutigen Vorgaben im Gesetz zur Hinnahme von Mehrstaatigkeit verbieten es, hier etwa von Mogelpackungen zu sprechen oder andere Begriffe, die ich heute wieder gehört habe, zu verwenden. Man kann ja unterschiedlicher Auffassung sein. Bei der Diskussion über grundsätzliche Verfassungsfragen sollte man aber zumindest Polemik vermeiden. Das sage ich ganz nüchtern und unaufgeregt. Ich appelliere an alle, zu einer sachgerechten Diskussion zumindest nach der bevorstehenden Verabschiedung des Gesetzes zurückzukehren. ({8}) Durch das Reformgesetz werden - das ist unzweifelhaft - zusätzliche Aufgaben auf unsere Behörden in den Ländern und Kommunen zukommen. Das will ich in keiner Weise bestreiten. Ein Blick in die Ausländerstatistik zeigt aber, daß die Verkürzung des erforderlichen Inlandsaufenthaltes bei Anspruchseinbürgerungen den Kreis der potentiell für eine Einbürgerung in Betracht kommenden Personen um allenfalls 20 Prozent vergrößern wird. Der zusätzliche Aufwand für Standesämter und Ausländerbehörden im Zusammenhang mit der Feststellung des Ius-soli-Erwerbs ist gering. Dies ist vor allem deshalb der Fall, weil nach dem Ergebnis der Ausschußberatungen der Standesbeamte nicht mehr zu klären haben wird, ob das hier geborene Ausländerkind außer der deutschen Staatsangehörigkeit noch weitere Staatsangehörigkeiten besitzt. Diese Frage soll ja erst im Optionsverfahren geprüft werden. Der vorübergehend zu erwartende zusätzliche Verwaltungsaufwand wird durch den Wegfall der individuellen Einbürgerung der Spätaussiedler mit Sicherheit kompensiert werden. Im Zusammenhang mit der Diskussion um die Belastungen unserer Behörden und Einrichtungen muß auch dies ganz deutlich gesagt werden. ({9}) Niemand will allerdings ernsthaft bestreiten, daß im Rahmen der künftigen Optionsverfahren erhebliche zusätzliche Belastungen auf die Einbürgerungsbehörden zukommen werden. Das ist dann der zu zahlende Preis, der mit der Konsenslösung und mit dem Optionsmodell verbunden ist. Immerhin ist für die kommunalen Einbürgerungsbehörden erreicht worden, daß sie bei den Einbürgerungsverfahren erstmals ihre Kosten erstattet bekommen. Auch das muß ein Kommunalminister in diesem Parlament einmal feststellen dürfen. ({10}) Ich bitte Sie also, meine Damen und Herren, diesem Gesetz heute Ihre Zustimmung zu geben. Dieser erste wichtige Schritt bedarf natürlich - da gibt es keinen Zweifel - später der Vervollständigung hin zu einer Gesamtreform, die notwendige Harmonisierungen mit dem Ausländergesetz und auch mit anderen Regelungen enthalten muß. Sie bedarf natürlich ebenfalls - auch da gibt es überhaupt keinen Zweifel - der Ergänzung um integrationspolitische Konzepte, Maßnahmen und Pakete auf allen politischen Ebenen. Es kann doch daran überhaupt kein Zweifel bestehen, daß die Bemühungen auf allen Ebenen - angefangen von den Kommunen über die Länder bis zum Bund - in den letzten Jahren durchaus Vorzeigenswertes zustande gebracht haben. Ich könnte lange darüber sprechen, will dies aber aus Gründen der Zeitökonomie nicht tun. Meine Damen und Herren, machen Sie heute diesen ersten wichtigen Schritt! Setzen Sie ein Zeichen für alle Menschen in unserem Land, daß es uns Deutschen mit dem Integrationsangebot an unsere ausländischen Mitbürger ernst ist. Ich bin davon überzeugt: Dieses Angebot wird mittel-, langfristig und auf Dauer zum inneren Frieden in unserem Land beitragen. Vielen Dank. ({11})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Als nächstem Redner erteile ich dem Minister des Innern des Freistaates Bayern, Herrn Dr. Günther Beckstein, das Wort. Minister Dr. Fritz Behrens ({0}) Dr. Günther Beckstein, Staatsminister ({1}) ({2}): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren Abgeordneten! Durch die Gesetzentwürfe, die heute zur Diskussion stehen, wird eine fundamentale Änderung unseres Staates beabsichtigt; ({3}) darauf hat auch Herr Bundesinnenminister Schily hingewiesen. Es handelt sich aber nicht um ein ausgereiftes Gesetzeswerk, das wenigstens vom rein Handwerklichen, vom Fachlichen her anerkannt wäre, das man nur politisch ablehnt. Es ist offensichtlich kein handwerklich schöner Maßschuh, dessen politische Farbe einem vielleicht nicht paßt. Es ist vielmehr Flickschusterei und schlichtweg nicht akzeptabel. Daß es ein „Entwurf Schily III“ ist - es ist der dritte Entwurf innerhalb von vier Monaten -, ist ein Zeichen dafür. Einzelne Gesichtspunkte sind heute früh schon angesprochen worden; ich will diese aus Zeitgründen nicht im Detail darlegen. Es steht dem Bundesrat nicht zu, die Beratungsgeschwindigkeit im Bundestag anzusprechen. ({4}) Eines aber ist überhaupt nicht zweifelhaft: Das Verfahren, das hier gewählt worden ist, bedeutet eine schwere Mißachtung des Verfassungsorgans Bundesrat. ({5}) Dies ist ein Zitat des Vorsitzenden des Innenausschusses des Bundesrates, Herrn Kollegen Wienholtz von der SPD, der ausdrücklich festgestellt hat: Eine solche Mißachtung hat es in den letzten 20 Jahren nur ein einziges Mal gegeben. Die Beratungen im Bundesrat wurden nämlich am 30. April beendet, und zu diesem Zeitpunkt waren die Beratungen im Innen- und Rechtsausschuß des Bundestages bereits abgeschlossen. Es ist zutiefst zu bedauern, daß man noch nicht einmal die verfahrensmäßige „political correctness“ gehabt hat, die Beratungsergebnisse des Bundesrates im Ausschuß aufzunehmen und damit ernst zu nehmen. ({6}) Diese gröbliche Mißachtung des Verfassungsorgans Bundesrat in einer solchen Frage ist unerträglich. ({7}) Der Gesetzentwurf selbst ist staatspolitisch verfehlt, verfassungsrechtlich bedenklich und läßt die notwendige Folgenabschätzung vermissen. ({8}) Der Paß ist kein Mittel der Integration. Das sollten wir Deutsche wissen, weil wir beinahe wie im Labor beobachten können - das ist hier anders als in den USA oder England -, welche Auswirkungen der Paß auf die Integration hat. Wir haben hier nämlich mehr als 1 Million Menschen aus einem anderen Kulturkreis, die den Paß in dem Augenblick bekommen haben, als sie nach Deutschland kamen. Damit aber sind sie leider noch nicht integriert. Wir sehen das an den Problemen, die die Kinder von Spätaussiedlern - beispielsweise aus Kasachstan - haben. ({9}) Wenn ein Amerikaner oder ein Engländer sagt: Der Paß ist ein hervorragendes Mittel zur Integration, dann nehme ich das ernst. Wenn das jemand in diesem Hause sagt, aber nicht erwähnt, daß wir mit der Integration von Spätaussiedlern Riesenprobleme haben, obwohl diese den deutschen Paß besitzen, dann kann ich nur sagen: Ihnen fehlt der ernsthafte Wille, sich mit den Problemen auseinanderzusetzen. ({10}) Es geht Ihnen eher darum, hier politisch etwas durchziehen zu wollen, in der falschen Hoffnung, sich dadurch Wählerstimmen zu verschaffen. Es geht Ihnen nicht wirklich darum, die Integration voranzubringen. ({11}) Die Integration junger Menschen, der zweiten und dritten Generation, ist ein Thema, das uns in den Ländern existentiell beschäftigt. Ich sage hier für den Freistaat Bayern: Ich bin bereit, mit jedem anderen Bundesland darüber in einen Wettbewerb einzutreten, wer von uns mehr dafür tut. ({12}) In vielen Fällen wird von Kollegen auch aus diesem Haus - ich nenne zum Beispiel Politiker aus SchleswigHolstein - angemahnt, daß man endlich in den Ländern etwas tun soll. Ihnen sage ich: Tun Sie das doch in den Ländern, in denen Sie an der Regierung sind, und schauen Sie, was wir getan haben! ({13}) Deswegen haben wir weniger Probleme als andere Länder. Wir stellen aber fest, daß die Probleme größer werden. Ich nenne hier Selbstethnifizierung und Ghettobildung. Ich meine, daß uns das große Schwierigkeiten bereiten wird. Wer diese Probleme nicht sieht, verschließt die Augen vor der Wirklichkeit. ({14}) - Lieber Herr Özdemir, wir sind uns in den Diskussionen in der Regel darüber einig gewesen, daß man die Integrationsprobleme nicht dadurch ernsthaft löst, daß man jemandem einen zweiten Paß in die Tasche steckt. Vielmehr sind folgende Problemkreise zu beachten: erstens Sprachbildung, zweitens schulische Bildung, drittens berufliche Ausbildung, viertens die Frage der Integration in die Arbeitswelt und fünftens natürlich die Frage der Integration in die Gesellschaft - das geht vom Sportverein bis zur Feuerwehr und den anderen gesellschaftlichen Gruppen. ({15})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Beckstein, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Edathy? Dr. Günther Beckstein, Staatsminister ({0}): Ja.

Sebastian Edathy (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003111, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Beckstein, Sie haben davon gesprochen, daß es schlecht sei, die Augen vor der Wirklichkeit zu verschließen. Wir haben hier verschiedene Positionen gehört. ({0}) Mein Eindruck ist - auch wenn ich persönlich mit einzelnen Punkten so nicht einverstanden bin -, daß sich hier Menschen zu einem Bündnis zusammengefunden haben, die guten Willens sind und die die Wirklichkeit zur Kenntnis nehmen. Unter anderen hat ja auch der Kollege Altmaier darauf hingewiesen. Ich habe mir einmal Zahlen geben lassen. In Bayern leben 1,1 Millionen Menschen, die nicht die deutsche Staatsbürgerschaft haben; das sind fast 10 Prozent der Bevölkerung in Ihrem Bundesland. Ich frage Sie, Herr Staatsminister, jetzt: Stimmen Sie mir zu, daß wir als Demokraten - egal, ob man Mitglied der CSU oder Mitglied der SPD ist - zumindest auf lange Sicht kein Interesse daran haben können, daß ein großer Teil der hier lebenden Bevölkerung nicht zum Staatsvolk gehört, und müßten nicht gerade Sie als Innenminister eines Bundeslandes ein Interesse daran haben, daß wir mit Einbürgerungsfragen vielleicht auch in der Hinsicht offensiver umgehen, ({1}) daß wir den Menschen die Entscheidung erleichtern, ja zum Erwerb der deutschen Staatsbürgerschaft zu sagen? ({2}) Dr. Günther Beckstein, Staatsminister ({3}): Herr Abgeordneter, wir haben selbstverständlich ein großes Interesse daran, daß Ausländerinnen und Ausländer der zweiten und dritten Generation integriert werden. ({4}) Aber wir haben ein existentielles Interesse daran, daß es sich dabei um wirkliche Integration handelt und daß nicht Schwierigkeiten hinter einem Doppelpaß versteckt werden. ({5}) Deswegen muß man sich mehr Mühe geben. Es gibt in Bayern mehr als 7 000 Sprachkurse, und wir halten dabei die Fördergruppenhöchststärke von acht Kindern ein. Auf diese Weise versuchen wir, die Sprachschwierigkeiten zu reduzieren. Das ist ein wichtiger Schritt. Sie wollen jetzt die Staatsangehörigkeit auch an solche Kinder verleihen, die nach der Geburt in die Türkei zur Ausbildung gebracht werden. Wir wissen doch, daß das ein leider immer größeres Problem ist. In der Diskussion heute vormittag ist kein einziges Mal gesagt worden - auch nicht von Ihnen, Herr Özdemir -, daß es zutiefst unerwünscht ist, daß Türkinnen und Türken, die hier geboren sind - bei Mädchen stellt sich das Problem noch viel stärker -, von den Eltern im Alter von drei oder vier Jahren nach Hause gebracht werden, damit sie dort erzogen werden. Die betreffenden Personen haben jetzt uneingeschränkt die Möglichkeit dazu, weil sie ihren Doppelpaß haben und dann mit 18, 19, 20 zurückkommen können. Sie haben dann ihre schulische Ausbildung komplett in der Türkei erfahren. Sie werden dann zwar den deutschen Paß haben, aber sie werden nicht ordentlich Deutsch können. Das kann doch kein Mensch als Integration bezeichnen. ({6}) Wer jetzt einwirft, das seien nur Einzelfälle, dem sage ich: Er hat keine Ahnung von gesellschaftlichen Realitäten. ({7}) Ich habe die Ausländerbehörden der Stadt München und der Stadt Nürnberg gefragt, wie viele dieser jungen, bei uns geborenen Menschen zum Zwecke der Erziehung in das Heimatland Türkei zurückgebracht werden. Die Angaben bewegten sich zwischen 30 und 40 Prozent. Das sind keine Einzelfälle, die man vernachlässigen könnte. Wir müssen uns um die Integration ernsthafter kümmern. Das kann aber nicht in der Weise geschehen, daß man Kindern auch gegen den Willen der Eltern einen Doppelpaß gibt. Warum ist denn die Türkische Gemeinde gegen dieses Gesetz und sagt, wir trügen Konflikte in die Familien hinein? ({8}) Unser Konzept, Herr Westerwelle, ist das bessere. Wir bieten jungen Menschen an: Ihr bekommt die Einbürgerungszusicherung, ihr bekommt den Kinderausweis, ihr bekommt den Personalausweis. ({9}) Wir zwingen sie aber nicht in eine doppelte Staatsangehörigkeit hinein, mit der Verpflichtung, sich später zu entscheiden. Viele türkische Familien sagen uns: Mit dem Doppelpaß tragt ihr Unfrieden in die Familien hinein. Damit wird nicht die Erziehungsfähigkeit in einem schwierigen Punkt gefördert, sondern sie wird weiter zerstört. Deshalb tragen Sie mit Schuld daran, wenn sich dadurch in den nächsten Jahren die Schwierigkeiten weiter steigern. ({10}) Das Gesetz ist aus meiner Sicht schlichtweg falsch. Darüber kann man politisch streiten. Aus meiner Sicht ist das Ius soli aber nicht etwa das modernere Recht. Die Zufälligkeit des Ortes, an dem man geboren ist, hat weit weniger Einfluß auf den Menschen als die Frage, in welcher Generationenfolge man sich befindet. ({11}) Wir wissen, daß das doch die Realität bei überwältigenden Teilen der hier seit vielen Jahren und Jahrzehnten lebenden türkischen Staatsangehörigen ist. Warum hat denn, Herr Schily, die Bundesregierung nicht den Mut gehabt, Herrn Öcalan, der wegen schwerster Verbrechen gesucht ist, nach Deutschland holen zu lassen? ({12}) Man hatte nicht den Mut dazu, weil man gesehen hat, daß aus Öcalans Heimat zu viele Emotionen kommen. ({13}) - Ich kann Ihnen sagen, daß ich die Bundesregierung dabei unterstützt habe. Aber was ich immer angegriffen habe, ist, daß die Bundesregierung nicht den Mut hatte, dann zu sagen: Wir lassen Öcalan unter rechtsstaatlichen Garantien in die Türkei ausliefern. ({14}) Ich kann nur sagen: Wir wissen doch zum Beispiel von seit Jahrzehnten bei uns lebenden Serben, daß sie aus dem Ostergottesdienst der serbisch-orthodoxen Kirche in München mit Transparenten mit Bildern und Aufschriften wie „Clinton = Hitler“ zum US-Generalkonsulat gezogen sind. Diese Beleidigung haben wir natürlich mit Hilfe der Polizei unterbunden. Da wird deutlich, daß selbst bei Jahrzehnte hier Lebenden alte Bindungen fortwirken. Deswegen kann ich nur sagen: Das Ius soli ist nicht etwa das modernere Recht; vielmehr ist es nur etwas, das heute als eine Art „political correctness“ dargestellt wird. ({15}) Herr Westerwelle, wir werden den Doppelpaß millionenfach durch die Hintertür bekommen. Ich darf das einmal überschlägig berechnen: In Deutschland werden jährlich zirka 80 000 Kinder geboren, die unabhängig davon, ob es von den Eltern abgelehnt wird oder nicht, den Doppelpaß bekommen. Es gibt schätzungsweise weitere 700 000 in Deutschland geborene Kinder, die jetzt unter 10 Jahre alt sind und auf Antrag die doppelte Staatsangehörigkeit erhalten können. In diesen Fällen werden wir durch die doppelte Staatsangehörigkeit eventuell die Probleme in den Schulen lösen können, in denen die Kinder, die nicht Deutsche sind, die überwältigende Mehrzahl sind. In Berlin gibt es sogar zwei Schulen, an denen kein einziges Kind mehr Deutsch als Muttersprache hat. Dieses Problem hat man durch den Doppelpaß formal gelöst. Inhaltlich hat man es aber nicht gelöst; vielmehr wird die inhaltliche Lösung durch den Doppelpaß schwieriger. Als dritte Zahl nenne ich die 1,6 Millionen EU-Staatsangehörigen, die auf Gegenseitigkeit das Recht der doppelten Staatsangehörigkeit bekommen. Dabei frage ich mich - das ist schon schwer zu ertragen -, warum bei Tschechen oder Ungarn nicht etwas Entsprechendes gemacht wird. Ich verstehe auch, daß Türken sagen: Das sind völlig inakzeptable Voraussetzungen. Sie würden eher akzeptieren, wenn wir sagen: Wir sind generell gegen den Doppelpaß. Aber daß man beispielsweise Ungarn den Doppelpaß nicht erteilt, Portugiesen hingegen doch, ist für sie nicht verständlich. ({16}) Herr Schily, Sie haben als Bundestagsabgeordneter natürlich nicht Zugang zu den Zahlen der Verwaltungen. Deswegen hätten Sie darlegen müssen, daß von den 34 Prozent Ausnahmefällen ein überwältigender Anteil Aussiedler sind, die die doppelte Staatsangehörigkeit behalten. Im vergangenen Jahr lag der Anteil der Türken unter den neuen Doppelstaatlern unter 3 Prozent. Mir geht es hierbei darum: Wer meint, daß damit die Iranfälle vernünftig gelöst werden, liegt leider nicht richtig. Ich habe mehrfach an Herrn Schily geschrieben, daß wir bei der Frage der Iranfälle zu einer vernünftigeren Härtefallregelung kommen. Er hat sich dazu nicht in der Lage gesehen und dies mit einem Hinweis nicht etwa auf unser Recht, sondern auf das deutsch-iranische Niederlassungsabkommen aus den 30er Jahren begründet.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Minister Beckstein, ich darf Sie darauf hinweisen, daß die angemeldete Redezeit abgelaufen ist. ({0}) Dr. Günther Beckstein, Staatsminister ({1}): Gerade weil der Bundesrat in solch einer Weise betroffen ist, bin ich mir sicher, daß die CDU/CSU-Fraktion Verständnis dafür hat, wenn ich noch anderthalb Minuten in Anspruch nehme. Mehr ist es nicht. ({2}) - Meine Damen und Herren, den gesamten Vormittag über bewundere ich die Diskussionskultur dieses Bundestages. Ich glaube, daß es deswegen auch angemessen ist, wenn der Bundesrat von seinem verfassungsgemäßen - ich wiederhole: verfassungsgemäßen - Rederecht Gebrauch macht, und daß dies auch akzeptiert werden sollte. ({3}) Bisher war es so: Unzumutbare Härtefälle konnten gelöst werden. Das haben wir getan. Aber das wird jetzt in einer Weise ausgedehnt, daß der Doppelpaß in der Tat millionenfach durch die Hintertür eingeführt wird. Das betrifft alle Menschen, die über 60 Jahre alt sind, wenn man den Begriff „ältere Personen“ gemäß den bisherigen verwaltungsrechtlichen Vorgaben nennt. Das wären 450 000 Menschen. Hinzu kommt, daß die DoppelstaatStaatsminister Dr. Günther Beckstein ({4}) lichkeit hingenommen wird, wenn im Heimatland wirtschaftliche oder vermögensrechtliche Nachteile drohen. Es gibt kaum ein Land, in dem es zu keinen Nachteilen beim Grunderwerb kommt. Deutschland ist dabei eine der ganz wenigen Ausnahmen. In fast allen anderen Ländern entstehen Nachteile beim Grunderwerb. Damit ist bereits diese Voraussetzung gegeben. Wenn man annimmt, daß von dieser Ausnahmeregelung nur 25 Prozent der dafür in Frage kommenden türkischen Personen Gebrauch machen, dann liegen wir bei schätzungsweise 500 000 Menschen. Dazu kann ich nur sagen: Wir haben die Zahlen dargestellt. Die verfassungsrechtlichen Probleme werden nach Abschluß des Gesetzgebungsverfahrens von uns und vielleicht auch von anderen noch sorgfältig geprüft werden. Die Folgenabschätzung beinhaltet zwei Punkte. Wir werden später eine Menge von Doppelstaatlern haben, die keinen Bezug zu unserem Land haben; denn auch derjenige, der im Ausland lebt, dort in der Zeit der Optionsverpflichtung Abkömmlinge hat, vererbt nach dem von Ihnen so abgelehnten Ius sanguinis das Staatsangehörigkeitsrecht. Selbst dessen Abkömmlinge werden wiederum mit einer wenig gelungenen Ausschlagemöglichkeit Deutsche. Daraus werden erhebliche Sozialkosten entstehen. Es ist auch heute mehrfach darauf hingewiesen worden, daß dieses Gesetz verwaltungsmäßig mit vernünftigem Aufwand keineswegs zu vollziehen ist. Ich glaube, es gibt keinen, der ein bißchen Ahnung von Verwaltungsvorgängen hat, der meint, daß dies mit vernünftigen verwaltungsmäßigen Bedingungen zu handhaben ist. ({5}) Deswegen kann ich nur auf diese Bedenken hinweisen und wünsche eine angemessene Beratung. ({6})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Als nächster Redner hat der Kollege Joachim Stünker von der SPD-Fraktion das Wort.

Joachim Stünker (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003244, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Auch ich möchte mich angesichts der fortgeschrittenen Zeit und der vereinbarten Verkürzung der Redezeiten auf das Wesentliche beschränken, was heute nachmittag noch zu sagen ist. Kaum ein Thema ist in unserem Land in den zurückliegenden Jahren, Monaten und Wochen bis hinein in die heutige Bundestagsdebatte derart leidenschaftlich, emotional und ebenso populistisch national wie politisch vordergründig diskutiert worden wie die notwendige Neuregelung des Staatsangehörigkeitsrechtes. Solch eine Rede haben wir gerade eben gehört. ({0}) Es geht nicht darum, daß, wie der Kollege Glos gestern gesagt hat, heute das Staatsbürgerschaftsrecht verabschiedet werden muß, um die Linken bei Laune zu halten, sondern es geht darum, daß eine wichtige, notwendige Reform in diesem Land endlich auf den Weg gebracht und umgesetzt wird. In der Diskussion zu diesem Reformvorhaben werden vielfältig und facettenreich immer wieder insbesondere verfassungsrechtliche Bedenken gegen Art und Inhalt der Neuregelungen ins Feld geführt. Auch Herr Minister Beckstein hat eben wieder von „verfassungsrechtlich bedenklichen Regelungen“ gesprochen. Untersucht man diese Argumente jedoch genauer, stellt man fest, daß sie verfassungsrechtlich nicht tragen und im Grunde nur vorgeschoben sind, um ein politisch nicht gewünschtes Ergebnis zu verhindern oder zumindest in der Öffentlichkeit zu diskreditieren. ({1}) Das immer wieder gebrauchte Hauptargument ist die angeblich drohende doppelte Staatsangehörigkeit. Das Optionsmodell lasse diese gleichsam durch die Hintertür zu. Das wurde heute und auch im Verlauf der übrigen Debatten dieser Woche mehrfach gesagt. Es ist bereits darauf hingewiesen worden: Es gibt die doppelte Staatsbürgerschaft bereits nach geltendem Recht. Dennoch sagen Sie immer wieder, Sie wollten das vom Bundesverfassungsgericht verfassungsrechtlich überprüfen lassen, und erwecken damit in der breiten Öffentlichkeit den Eindruck, als sei Mehrstaatigkeit an sich verfassungswidrig. Ich habe mir die Mühe gemacht, in die Entstehungsgeschichte des Art. 116 unseres Grundgesetzes einzusteigen, um diese Argumentation zu überprüfen. Ich darf Ihnen sagen: Die Protokolle des Parlamentarischen Rates aus dem Jahre 1949 fördern hier Erstaunliches zutage. In der Sitzung des Hauptausschusses des Parlamentarischen Rates vom 14. Januar 1949 ist diese Frage eingehend und abschließend erörtert worden. Hintergrund war, daß in dem Entwurf des Organisationsausschusses zur Fassung des Art. 116 Abs. 2 sehr wohl Bedingungen enthalten waren, die Mehrstaatigkeit ausdrücklich verhindern sollten. Nun zwei Protokollnotizen. Zunächst ein Zitat des Vorsitzenden Carlo Schmid, jenes großen Sozialdemokraten, der, wie ich meine, nicht zu Unrecht als einer der Hauptväter unserer Verfassung gilt: Es ist nicht zu bestreiten, daß die Entwicklung des Staatsangehörigkeitsrechtes international eine klare Tendenz gegen die doppelte Staatsangehörigkeit aufweist. Mehrere Länder, die noch vor einigen Jahren die doppelte Staatsangehörigkeit zugelassen haben, haben sie nunmehr in ihrer Gesetzgebung ausgeschlossen. Ob diese Entwicklung sehr glücklich ist, ob sie nicht vielmehr ein verspäteter Nachtrabant des nationalstaatlichen Denkens ist, möchte ich dahingestellt sein lassen. Gerade wenn man sich von dem nationalstaatlichen Denken entfernen will, sollte man kein Staatsangehörigkeitsmonopol schaffen, sondern ruhig zwei, drei, vier Staatsangehörigkeiten zulassen. ({2}) Aus diesem Grund wäre auch ich dafür, diese Bedingung zu streichen. Staatsminister Dr. Günther Beckstein ({3}) Dann ein Zitat von Dr. Laforet, 1949 Abgeordneter der CSU, Herr Minister Beckstein, im Parlamentarischen Rat: Vor allem im Verhältnis zur Schweiz sind doppelte Staatsangehörigkeiten heute durchaus möglich und häufig. Ich möchte dringend davor warnen, die doppelte Staatsangehörigkeit auszuschließen, jedenfalls nicht im Grundgesetz, sondern die Regelung dem künftigen Bundesgesetz zu überlassen. Wir sollten aus dem Artikel alles streichen, was eine doppelte Staatsangehörigkeit ausschließt. Im übrigen schließe ich mich den Argumenten des Vorsitzenden an. ({4}) So also ein CSU-Mitglied 1949; so ändern sich die Zeiten. ({5}) Daraufhin sind die genannten Bedingungen gestrichen worden, und Art. 116 hat seine heute gültige Fassung erhalten. - Herr Schäuble, Sie schütteln mit dem Kopf, aber so ist es. Lesen Sie die Protokolle nach. ({6}) Dieser kurze historische Rückblick in die Entstehungsgeschichte zeigt unter anderem, liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU, daß es in Ihren Reihen bereits vor 50 Jahren wesentlich fortschrittlicher und liberaler denkende Menschen gegeben hat als diejenigen, die heute bei Ihnen beim Staatsangehörigkeitsrecht den Ton angeben. Ihre heutige amtliche Position zum Staatsangehörigkeitsrecht läßt sich wie folgt skizzieren: Vorwärts, wir müssen zurück! Die Mütter und Väter unseres Grundgesetzes hingegen wußten bereits, daß ein modernes Staatsangehörigkeitsrecht nicht dogmatisch, deutschtümelnd sein darf, sondern dynamisch sein muß. Nur so können gesellschaftliche Entwicklungen und Veränderungen in der Wohnbevölkerung eines Staates aufgenommen und demokratisch-pluralistisch angepaßt werden. Es kann keine Rede davon sein, daß die moderate Erweiterung der doppelten Staatsangehörigkeit - wie in der jetzigen Regelung vorgesehen - sozusagen durch die Hintertür in das Gesetz kommt. Aus verfassungsrechtlicher Sicht muß man sagen: Sie kommt durch den Haupteingang. ({7}) Die vorgesehenen Vorschriften sind verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Da ich davon ausgehe, meine Damen und Herren von der Opposition, daß Sie dies ganz genau wissen, ist Ihre diesbezügliche Diskussion für mich nichts anderes als - um mit Carlo Schmid zu sprechen - „ein verspäteter Nachttrabant des nationalstaatlichen Denkens“. Dieses Denken sollten Sie am Ende dieses Jahrhunderts, kurz vor dem Übergang in ein neues Jahrhundert, aufgeben. ({8}) Dem Gang der CDU/CSU-Fraktion nach Karlsruhe Kollege Rüttgers, Sie haben ihn zwar nicht hier, aber in Interviews angekündigt - werden wir mit Gelassenheit entgegensehen. Man könnte fast versucht sein, die Frage zu stellen, ob Ihnen nicht die Verhängung einer Mißbrauchsgebühr drohen müßte, wenn Sie dort wirklich hingehen. ({9}) Die Anhörung der Experten im Innenausschuß des Deutschen Bundestages hat gezeigt, daß verfassungsrechtlich keine Bedenken mehr gegen diese Neuregelung anzumelden sind. Ich möchte auf einen Aufsatz in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ vom 8. März dieses Jahres hinweisen. Er stammt von dem Hamburger Staatsrechtler und Völkerrechtler Professor Ingo von Münch. Unter der Überschrift „Was bedeutet eigentlich Staatsangehörigkeit?“ kommt er am Schluß zu einer, wie ich meine, bemerkenswerten Feststellung. Ingo von Münch führt dort aus: Wie immer das Ergebnis der Debatte im Parlament sein wird - also das Ergebnis heute eine Merkwürdigkeit bleibt bestehen, nämlich daß einerseits die Staatsangehörigkeit in einer Welt der Globalisierung und im Europa der politischen Union immer weniger wichtig wird, andererseits über und um den Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit so erbittert gekämpft wird. Fürwahr, meine Damen und Herren! Diejenigen in diesem Hause - als Neuling im Deutschen Bundestag habe ich allen Kolleginnen und Kollegen - mit sehr viel Aufmerksamkeit zugehört -, die fast in jeder Debatte der letzten Wochen und Monate von den Menschen in unserem Land in ökonomischen Fragen ein hohes Maß an Flexibilität, globalem Denken und Handeln fordern, die die Bedingungen der „zweiten Moderne“ neoliberal formulieren wollen, erweisen sich in Sachen Staatsangehörigkeitsrecht als die Ewiggestrigen. ({10}) Ich darf für die sozialdemokratische Fraktion abschließend sagen: Das jetzt zur Verabschiedung anstehende Optionsmodell ist für die Bundesrepublik Deutschland ein gesellschaftlicher Kompromiß. Ich meine, es ist ein Kompromiß, der tragen kann, ein Kompromiß, der, wenn man ihn ohne Vorurteile und nicht durch die ideologische Brille betrachtet, geeignet ist, zu versöhnen, statt zu spalten. Er hätte die Zustimmung aller Fraktionen dieses Hohen Hauses verdient. Schönen Dank. ({11})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Als nächster Redner hat der Kollege Erwin Marschewski von der CDU/CSU-Fraktion das Wort.

Erwin Marschewski (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001424, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir stehen heute am Ende einer, wie ich meine, etwas übereilten Debatte. Lassen Sie mich trotzdem ein kurzes Resümee der Gesamtdiskussion ziehen. Die Absicht von Rotgrün war, zum erstenmal in der modernen deutschen Geschichte die generelle doppelte Staatsbürgerschaft in Deutschland einzuführen. Dies haben Sie, Herr Bundesinnenminister, mit der Behauptung versucht, sie werde zur Integration ausländischer Mitbürger führen. Dafür sei auch die klare Mehrheit der Deutschen. - Beides war und ist falsch. Millionen Bürger haben sich an unserer Unterschriftenaktion beteiligt. Die Union hat aufgeklärt und informiert. ({0}) Wir waren sehr erfolgreich. Wir haben zusammen mit der überwiegenden Mehrheit der deutschen Bevölkerung die Absicht der Regierung Schröder gestoppt, in Deutschland den generellen Doppelpaß einzuführen. Das war gut so. ({1}) Leider haben wir Sie nicht völlig zur Umkehr bewegen können: Nach dem ersten Schily-Entwurf folgte der zweite - dann der dritte und jetzt der vierte. Ich glaube aber, daß auch „Schily IV“, Herr Bundesinnenminister, mangelhaft ist. Denn: Erstens. Sie verlangen bei der Einbürgerung von Erwachsenen weiterhin keine Integration, keine erkennbare Einordnung in unsere politischen, kulturellen und sozialen Lebensverhältnisse. Wir wissen doch: Integration erfolgt nicht durch einen Paß, sondern durch das Leben. ({2}) Zweitens. Sie verlangen von erwachsenen Ausländern noch nicht einmal, daß sie ihren Lebensunterhalt selbst bestreiten können. Es ist einmalig in der Welt, daß jemand, der eine fremde Staatsangehörigkeit annimmt, selbst nicht in der Lage sein muß, seinen Lebensunterhalt zu bestreiten. Drittens. Ihr Verzicht auf die doppelte Staatsbürgerschaft bedeutet - Herr Kollege Beckstein hat das schon gesagt -, daß mehrere hunderttausend Ausländer die doppelte Staatsbürgerschaft durch die Hintertür erlangen können. Das kann nur jemand akzeptieren, der diesen Gesetzentwurf als ersten Schritt zur Hinnahme der doppelten Staatsbürgerschaft ansieht. Weil wir das nicht wollen, lehnen wir diesen Gesetzentwurf ab. Wir lehnen ihn auch ab, weil es falsch ist, Kindern mit der Geburt - auch gegen den Willen der Eltern - den Doppelpaß zu geben. Entscheiden sich diese Kinder bis zum Alter von 23 Jahren nicht für eine der beiden Staatsbürgerschaften, dann nehmen Sie ihnen diesen wieder ab - quasi nach dem Motto: „Wer nichts tut, wird vom Deutschen wieder zum Ausländer“, wie es die „FAZ“ geschrieben hat. Das ist mehr als absurd, meine Damen und Herren. Wenn jemandem der deutsche Paß entzogen wird, der bis zu einem Alter von 23 Jahren Deutscher war, der beamtet war, der wählen durfte und der zur Bundeswehr ging, dann dient dieser Entzug mitnichten der Integration ausländischer Mitbürger. Auch deswegen ist dieses Modell abzulehnen. Ganz zu schweigen von den Rechtsproblemen: Es gab in der Anhörung kaum jemanden, der keine verfassungsrechtlichen Probleme mit diesem Entwurf hatte. Zu diesen zählten am Anfang auch Sie, Herr Schily, und wie ich gelesen habe - der Bundeskanzler. Trotzdem bringen Sie diesen Rumpfentwurf ein, obwohl er nicht den Anforderungen einer modernen Integrationspolitik entspricht. Ich darf in diesem Zusammenhang aus einem Brief der SPD-Kollegin Nahles an mich zitieren. Ob ich ihn gezielt oder irrtümlich bekommen habe, weiß ich nicht, vielleicht aber auch in der Absicht, daß ich ihn hier vortrage. In diesem Brief schreibt die Kollegin Nahles - ich darf zitieren -: An die Genossen der SPD-Fraktion; Kinder, die zunächst von Amts wegen Deutsche werden sollen, bekommen eine familiäre Zeitbombe unter das Bett gelegt. Von ihrer Staatsbürgerschaft haben sie nichts, außer der Erwartung, daß es mit 23 so oder so knallt. Recht hat sie, die Kollegin Nahles. Deswegen meine ich, Sie sollten von Ihrem Modell Abstand nehmen. ({3}) Ich weiß nicht, wie viele Kolleginnen und Kollegen bei dieser schwierigen Frage, in der es verschiedene Meinungen geben kann, den Mut aufbringen, hier im Bundestag eine eigene Meinung zum Ausdruck zu bringen, so wie es eine Reihe unserer Kollegen tut. Ich fordere Sie auf, den Mut zu haben, in dieser schwierigen Frage nach Ihrem Gewissen zu entscheiden. ({4}) All diese Fragen hätten einer ausführlichen Diskussion bedurft. Sie haben unser Angebot, gemeinsam zu handeln und zu einem Konsens zu kommen, jedoch abgelehnt - trotz der besonderen Bedeutung der Staatsbürgerschaft; denn durch das Staatsbürgerrecht wird das Staatsvolk bestimmt, von dem nach unserer Verfassung alle Staatsgewalt ausgeht. Aber Ihnen ging es offensichtlich darum - das muß man nach dieser hektischen Debatte einfach sagen -, den Unwillen der Bevölkerung gegenüber SPD und Grünen wettzumachen, den Sie mit Ihrem Versuch, die generelle doppelte Staatsbürgerschaft in Deutschland einzuführen, verursacht haben. ({5}) Ihre Absicht ist, dies schnell vergessen zu machen. Das ist kein guter Ratgeber für eine so wichtige Reform. Lassen Sie mich zum Schluß Rudolf Wassermann zitieren, den früheren Vorsitzenden der sozialdemokratischen Juristen und OLG-Präsidenten von Braunschweig. Herr Wassermann schreibt: Was wir besonders nach den furchtbaren Anschlägen von Mölln und Solingen den Ausländern schulden, sind Achtung, Respekt, Verständnis, Hilfe und Toleranz. Denjenigen, die Deutsche werden wollen, sollten wir die Einbürgerung erleichtern, aber ohne Rückversicherung durch häufige doppelte Staatsbürgerschaft. Weiter schreibt er: Eine auf der Grundlage der doppelten Staatsbürgerschaft bewirkte Integration wäre keine echte, sondern eine Scheinintegration, die weniger Nutzen als Gefahren bringt. Dem haben wir als Union nichts hinzuzufügen. Wir können Ihrem Entwurf nicht zustimmen. Wir lehnen ihn deswegen zu Recht ab. ({6})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Als letzter Redner in dieser Aussprache hat der Kollege Hans-Peter Kemper von der SPD-Fraktion das Wort. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bitte Sie, noch Geduld zu haben und dem Redner zuzuhören. Es ist ein kurzer Beitrag.

Hans Peter Kemper (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001083, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Marschewski, wenn Sie in diesem Zusammenhang das Wort „Mut“ in den Mund nehmen, dann frage ich mich, woher Sie den Mut nehmen, nach 16jähriger Regierungszeit hier heute eine solche Rede zu halten. ({0}) Die CDU/CSU war 16 Jahre an der Regierung und hat in dieser Frage nichts, aber auch gar nichts bewegt. Sie haben sich trotz zweier anderslautender Koalitionsvereinbarungen in Sachen Staatsbürgerschaftsrecht nicht ein winziges Stück bewegt. ({1}) Ihre Bilanz nach 16 Jahren lautet: Stagnation. Sie lautet nicht: Integration. Für uns ist der heutige Tag ein Tag der Freude; denn wir werden gleich mit der Mehrheit des Hauses ein neues Staatsbürgerschaftsrecht beschließen, das sich an das Staatsbürgerschaftsrecht der meisten europäischen Staaten anlehnt, das aber auch der Tatsache Rechnung trägt, daß in den letzten 30 Jahren Einwanderung stattgefunden hat und über 7 Millionen ausländische Mitbürger dauerhaft bei uns wohnen, die meisten davon für immer. Der Antrag der Union „Toleranz und Integration“ liest sich auf dem Papier recht gut. Aber er ist völlig unglaubwürdig, wenn er nach 16 Jahren Regierungsuntätigkeit plötzlich aus dem Hut gezaubert wird. Er wird so lange unglaubwürdig bleiben, wie Sie mit Äußerungen wie „Bürgerrechte zu Discountpreisen“, „TeilzeitDeutsche“ oder „Staatsbürgerschaft zum Nulltarif“ den Boden einer sachlichen Auseinandersetzung verlassen. ({2}) Eines allerdings kann man der Union nicht absprechen: Sie verhält sich in dieser Frage absolut logisch. Nachdem endlich Bewegung in diese Geschichte gekommen ist, haben Sie eine Unterschriftenaktion auf den Weg gebracht, die ich im Gegensatz zu meinen Kollegen Bürsch und Westerwelle nicht so zurückhaltend beurteile. Ich sage: Das ist eine absolut integrationsfeindliche Aktion gewesen, die als Kern Ausländerfeindlichkeit in sich barg. ({3}) Meine Damen und Herren, hier haben Sie der Integration einen Bärendienst erwiesen. Ich bin froh, daß einige Persönlichkeiten der Union diesem Unterfangen widersprochen haben. Es geht allerdings noch weiter - Sie bleiben Ihrer Logik treu -: In der ersten Lesung - auch heute kam das wieder durch - haben Sie einen sehr engen Zusammenhang zwischen Kriminalität, Extremismus und unserem Staatsbürgerschaftsrecht herzustellen versucht. Ich denke, es ist infam, was Sie da gemacht haben. ({4}) Es gibt ausreichend Aussagen - auch von Ihnen -, die in eine andere Richtung gehen und die ganz deutlich zeigen, daß sich die ausländische Wohnbevölkerung genauso gesetzestreu verhält wie die deutsche Wohnbevölkerung. Sie haben allen Grund, sich bei der ausländischen Wohnbevölkerung für diese diffamierenden Äußerungen zu entschuldigen. ({5}) Natürlich gibt es Probleme - darüber haben wir keinen Dissens - bei der organisierten Kriminalität und bei denen, die sich nur kurzfristig hier aufhalten. Aber genau die wollen wir ja nicht einbürgern. Wir wollen diejenigen einbürgern, die längst integriert sind und nur auf Grund Ihrer verfehlten Staatsbürgerschaftspolitik noch einen ausländischen Paß haben. Ich möchte noch ganz kurz auf den Vergleich auf der Grundlage der von Ihnen immer wieder angeführten Statistik „Wohnbevölkerung und Straftäter“ eingehen. Der Ausländeranteil an der Wohnbevölkerung beträgt 9 Prozent, der Ausländeranteil an den Straftätern liegt bei 30 Prozent. Dafür gibt es viele Gründe. Einige davon hat der Kollege Bürsch schon angesprochen. Ein Grund ist: In der Straftäterstatistik tauchen die Leute auf, die hier nur durchreisen, die sich hier illegal aufhalten. Ebenso sind Stationierungsstreitkräfte, Touristen und Urlauber in dieser Statistik zu finden, während sie in der Wohnbevölkerungsstatistik nicht auftauchen. Herr Zeitlmann hat in seiner letzten Rede gesagt, es gebe Stadtteile in deutschen Städten mit einem besonders hohen Ausländeranteil, die sehr stark kriminalitätsbelastet seien. Das stimmt. Das rührt aber daher, daß dort besonders viele junge Menschen ohne Ausbildungs- oder Arbeitsplatz und mit Integrationsschwierigkeiten wohnen. - Das gleiche Problem hätten wir bei einer solchen Ausgangslage auch bei der deutschen Wohnbevölkerung. - Hinzu kommt, daß junge Menschen kriminalitätsanfälliger sind als über 60jährige. Das ist überhaupt keine Frage. Die sozialen Lebensumstände der ausländischen Jugendlichen sind schlechter. Die Probleme haben in Ihrer Regierungszeit zugenommen. Sie haben es versäumt, dagegen mit Primärprävention vorzugehen; statt dessen beschimpfen Sie Ausländer pauschal als Kriminelle. ({6}) Ich will nur noch auf einen Punkt eingehen: Es ist völlig gleich, ob die deutsche Staatsbürgerschaft am Beginn oder in der Mitte der Integration steht oder ob sie den Abschluß der Integration darstellt. Wichtig ist - das ist für mich ausschlaggebend -: Wir gehen heute die ersten Schritte in die richtige Richtung, in eine andere Richtung, als Sie es 16 Jahre lang getan haben. Wir stellen heute die Weichen für eine neue, für eine bessere Zukunft auch unserer über 7 Millionen ausländischen Mitbürger. Vielen Dank. ({7})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Ich schließe die Aussprache. Bevor wir zu den Abstimmungen kommen, will ich Ihnen mitteilen, daß zu dem letzten heute verbleibenden Tagesordnungspunkt nur zwei Redner sprechen werden. Die anderen Reden werden zu Protokoll gegeben. Wir kommen nun zur Abstimmung. Es liegt eine gan- ze Reihe von Erklärungen zur Abstimmung nach § 31 der Geschäftsordnung vor. Diese werden zu Protokoll genommen.*) Wir stimmen jetzt ab über den Gesetzentwurf der Abgeordneten Dr. Peter Struck, Otto Schily, Wilhelm Schmidt und weiterer Abgeordneter der Fraktion der SPD, der Abgeordneten Kerstin Müller, Rezzo Schlauch, Kristin Heyne und weiterer Abgeordneter der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen sowie der Abgeordne- ten Dr. Wolfgang Gerhardt, Dr. Guido Westerwelle, Jörg van Essen und weiterer Abgeordneter der Fraktion der F.D.P. zur Reform des Staatsangehörigkeitsrechts in der Ausschußfassung, Drucksachen 14/533 und 14/867 Nr. 1. Dazu liegen neun Änderungsanträge der Fraktion der PDS vor, über die wir zuerst abstimmen müssen. Änderungsantrag auf Drucksache 14/988. Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Antrag ist gegen die Stimmen aller Fraktionen mit Aus- nahme der PDS-Fraktion abgelehnt. Änderungsantrag auf Drucksache 14/989. Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Antrag ist mit dem gleichen Stimmergebnis abgelehnt. Änderungsantrag auf Drucksache 14/990. Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Antrag ist mit dem gleichen Stimmergebnis abgelehnt. Änderungsantrag auf Drucksache 14/991. Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Antrag ist mit dem gleichen Stimmergebnis abgelehnt. -------- *) Anlagen 6 und 7 Änderungsantrag auf Drucksache 14/992. Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Antrag ist mit dem gleichen Stimmergebnis abgelehnt. Änderungsantrag auf Drucksache 14/993. Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Antrag ist mit dem gleichen Stimmergebnis abgelehnt. Änderungsantrag auf Drucksache 14/994. Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Antrag ist mit dem gleichen Stimmergebnis abgelehnt. Änderungsantrag auf Drucksache 14/995. Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Antrag ist mit dem gleichen Stimmergebnis abgelehnt. Änderungsantrag auf Drucksache 14/996. Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Antrag ist mit dem gleichen Stimmergebnis abgelehnt. Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Ge- setzentwurf in der Ausschußfassung. Wer stimmt da- für? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetz- entwurf in der Ausschußfassung ist mit den Stimmen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und F.D.P. gegen die Stimmen von CDU/CSU bei Enthaltung der PDS- Fraktion und einiger CDU/CSU-Mitglieder ange- nommen. Wir kommen zur dritten Beratung und Schlußabstimmung. Die Fraktion der SPD verlangt namentliche Abstimmung. Ich bitte die Schriftführerin- nen und Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzu- nehmen. Ist das erfolgt? - Dann eröffne ich die Ab- stimmung. -

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Ist ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine Stimme noch nicht abgege- ben hat? - Das ist offensichtlich nicht der Fall. Ich schließe die Abstimmung und bitte die Schriftführerin- nen und Schriftführer mit der Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis der Abstimmung wird Ihnen später be- kanntgegeben.*) Wir setzen die Beratung fort. Ich bitte die Kollegin- nen und Kollegen, ihre Plätze einzunehmen, damit ich eine Übersicht habe, wer wofür stimmt. Wir kommen zunächst zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion der PDS auf Druck- sache 14/960. Wer stimmt für diesen Entschließungsan- trag? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Damit ist dieser Entschließungsantrag gegen die Stimmen der PDS- Fraktion abgelehnt. Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Gesetz- entwurf der Fraktion der CDU/CSU zur Neuregelung des Staatsangehörigkeitsrechts auf der Drucksa- che 14/535. Der Innenausschuß empfiehlt auf Drucksa- che 14/867 Nr. 2, den Gesetzentwurf abzulehnen. -------- *) Seite 3464A Ich lasse über den Gesetzentwurf der CDU/CSU auf Drucksache 14/535 abstimmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzei- chen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Damit ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung mit den Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen, SPD, PDS und F.D.P. bei mehreren Enthaltungen in der CDU/CSU- Fraktion abgelehnt. Damit entfällt nach unserer Geschäftsordnung die weitere Beratung. Wir kommen nun zur Abstimmung über die Be- schlußempfehlung des Innenausschusses zu dem Antrag der Fraktion der CDU/CSU zu Integration und Toleranz, Drucksache 14/867 Nr. 3. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 14/534 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Ge- genprobe! - Enthaltungen? - Diese Beschlußempfeh- lung ist gegen die Stimmen der CDU/CSU-Fraktion an- genommen. Wir kommen jetzt zur Abstimmung über die Be- schlußempfehlung des Innenausschusses zu dem Antrag der Fraktion der CDU/CSU zu einem modernen Auslän- derrecht, Drucksache 14/867 Nr. 3. Der Ausschuß emp- fiehlt, den Antrag auf Drucksache 14/532 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Ge- genprobe! - Enthaltungen? - Damit ist diese Be- schlußempfehlung gegen die Stimmen der CDU/CSU- Fraktion angenommen. Ich rufe nunmehr die Tagesordnungspunkte III a und III b auf: a) Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten Dr. Norbert Blüm, Klaus-Jürgen Hedrich, Dr. Christian Ruck, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU Kampf gegen Kinderarbeit - Drucksachen 14/662, 14/861 - b) Beratung des Antrags der Fraktionen SPD, CDU/CSU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und F.D.P. Forderungen an das neue Übereinkommen der Internationalen Arbeitsorganisation ({0}) zur Bekämpfung der Kinderarbeit - Drucksache 14/885 ({1}) Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem Abgeordneten Dr. Norbert Blüm, CDU/CSU-Fraktion.

Dr. Norbert Blüm (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000204, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Daß es am Ende dieses Jahrhunderts noch Ausbeutung und Sklaverei gibt - und das ausgerechnet bei Kindern -, ist eine Schande. ({0}) Es geht jetzt nicht um eine feinnervige Definition, was Kinderarbeit ist, sondern es geht um die eklatanten Verstöße gegen die Gesundheit der Kinder. Es handelt sich - in diesem Zusammenhang möchte ich das schöne Wort „Arbeit“ gar nicht verwenden - um Kinderprostitution. Das ist ein Verbrechen. Es handelt sich um Kindersoldaten. Auch das ist ein Verbrechen. Bei diesen Arbeiten - erschrecken Sie sich bitte nicht über das Wort; wenn Sie sich erregen wollen, dann über den Anlaß - verrecken Kinder. Wenn Kinder bei der Herstellung von Feuerwerkskörpern eingesetzt werden, dann kann man die Uhr danach stellen, wie lange sie noch zu leben haben. Wir bestaunen dann am Silvesterabend das Zischen, Krachen und Aufblitzen von Raketen, die diese Kinder hergestellt haben. ({1}) Ich gönne niemandem eine fröhliche Party auf einem Teppich, der mit wundgescheuerten Kinderhänden hergestellt wurde. Ich gönne niemandem, daß er sein Zimmer mit Kohlen heizt, die von Kindern in kolumbianischen Bergwerken abgebaut worden sind. Ich kenne diese Bergwerke. In Deutschland würde man dort keinen Hund hineinschicken. Unsere Kinder, die Kinder der Wohlstandsgesellschaft, spielen und haben ihren Spaß mit Kinderspielzeug, das von Kindern unter Tränen hergestellt worden ist. Ich finde es gut, daß wir darin übereinstimmen, solche Verhältnisse abzuschaffen, und daß es heute hierüber keinen Parteienstreit gibt, der sonst immer sein muß. Ich finde es gut, daß der Bundestag heute wie im Mai des vergangenen Jahres über alle Parteigrenzen hinweg hier seine klare Ablehnung zum Ausdruck bringt. Mit der Beschreibung von Kinderarbeit ist ja das Elend noch nicht beseitigt. Eine Handvoll konkreter Maßnahmen ist mir lieber als ein ganzer Sack voller Proklamationen. Darum geht es in dem Übereinkommen, das die ILO jetzt verabschieden soll. Dem gilt auch die Große Anfrage der CDU/CSU. Im Mittelpunkt stehen nicht Definitionen von verbotenen Arbeiten, die sowieso nach geltender Rechtslage verboten sind. Es geht darum, die konkreten Verhältnisse zu verändern. Dafür ist es aus meiner Sicht notwendig, daß das ILO-Übereinkommen nicht in seiner jetzigen Form bleibt. Es bleibt hinter den Erwartungen dieses Deutschen Bundestages zurück, und zwar hinter den Erwartungen aller Fraktionen. Im Mai letzten Jahres hatten wir die Beteiligung von Nichtregierungsorganisationen gefordert. Davon steht in diesem Übereinkommen nichts. Wir hatten gefordert, daß Kinder Zugang zu Rechtsmitteln haben. Auch davon steht in diesem Übereinkommen nichts. Es enttäuscht mich, wenn die Bundesregierung in ihrer Antwort auf unsere Anfrage mitteilt: Die Bundesregierung ist nicht der Auffassung, daß, soweit die in Frage 1 erwähnten Forderungen nicht berücksichtigt wurden, - zum Beispiel die Beteiligung von Nichtregierungsorganisationen ...ein neuerlicher Vorstoß in zweiter Lesung Erfolg haben wird. Vizepräsidentin Petra Bläss Das schlechte Gewissen der Bundesregierung kann man an der Antwort auf Frage 4 ablesen, daß nach Kompromissen gesucht werde, die darin bestehen könnten, den Sozialpartnerorganisationen ein Vorschlagsrecht dazu einzuräumen, welche Nichtregierungsorganisationen zu beteiligen seien. Dazu möchte ich einmal etwas Grundsätzliches sagen: Ich bin ein Anhänger der Sozialpartnerschaft von Gewerkschaften und Arbeitgebern. Aber die Nichtregierungsorganisationen sind nicht die Filialen der Gewerkschaften oder der Arbeitgeber. Sie müssen nicht darum bitten, um zu Wort zu kommen. Sie haben ein eigenes Recht im Kampf gegen Kinderarbeit. ({2}) Ich möchte auch darauf hinweisen, daß der von vielen Nichtregierungsorganisationen initiierte „Global March against Child Labor“ das Gewissen der Welt wachgerüttelt hat. Hier zeigt sich, daß wir auf die Nichtregierungsorganisationen angewiesen sind, nicht nur auf den Staat und die etablierten Sozialpartner. Ich warne die Sozialpartner - bei allem Respekt - davor, sich so zu benehmen, als hätten sie das Monopol in allen Sozialfragen. Ich bin nicht für einen Kampf zwischen Sozialpartnerorganisationen und Nichtregierungsorganisationen, sondern für Zusammenarbeit. Auf Frage 5 unserer Anfrage - Zugang der Kinder zu Rechtsmitteln - lautet die Antwort: Die Bundesregierung ist der Auffassung, daß eine solche Forderung nicht in bezug auf das Übereinkommen gestellt werden sollte. Das ist ein starkes Stück. Verehrte Frau Kollegin, die Bundesregierung hat den Auftrag des Parlamentes zu erfüllen. Die Bundesregierung ist kein selbständiger Verein. Das Parlament hat im Mai letzten Jahres der Bundesregierung den Auftrag erteilt, dafür zu sorgen, daß die Forderung nach Zugang der Kinder zu Rechtsmitteln in das Übereinkommen hineingeschrieben wird. Private Meinungen interessieren mich in diesem Zusammenhang gar nicht. Die Bundesregierung handelt im Auftrag des Parlaments. Wo sind wir denn? Sie haben uns nicht zu zensieren. Sie können uns nicht vorschreiben, welche Auffassung wir haben sollen. Zur Sache selber: Es geht gar nicht um das Recht auf eine Individualklage, sondern um ganz einfache Sachen. Die Kinder in Indien, die zum obersten Gericht vorgedrungen sind, haben jeden Prozeß gewonnen; aber die meisten Kinder kommen da gar nicht hin, weil sie daran durch lokale Autoritäten behindert werden. Es geht darum, dies zu ändern. Diese Forderung steht in Übereinstimmung mit der Kinderrechtskonvention, die wir 1992 ratifiziert haben und die 1989 von der VNGeneralversammlung verabschiedet wurde. Ich finde die hier geäußerte Vorstellung merkwürdig, es störe die Akzeptanz, wenn das in diesem Übereinkommen stehe. In New York sagen wir ja, und in Genf sagen wir nein! Was für eine internationale Gemeinschaft ist es eigentlich, die einmal etwas beschließt und in einem anderen Zusammenhang sagt, es störe die Akzeptanz? Die Gründe, warum wir Wert darauf legen, daß Kinder gehört werden, sind handfest. Daß Kinder Zugang zu Gerichten haben, ist ein handfestes Instrument im Kampf gegen Kinderarbeit. ({3}) Ich möchte dafür Dank sagen, daß wir es bei aller Hektik geschafft haben, einen Konsens zu finden. Unsere Vorschläge richten sich nicht gegen die ILO. Auch an sie richtet sich mein Dank. Ich verbinde meinen Dank an die ILO mit dem Ratschlag, im Kampf gegen die Kinderarbeit ihre ganze Phantasie nicht so sehr auf Statistiken, Papiere und Diagramme zu kaprizieren, sondern mehr Aktionen vor Ort zu ermöglichen. Es geht nicht nur darum, gegen Kinderarbeit zu kämpfen; vielmehr geht es auch darum, für Schulbildung einzutreten. Ich bin für Verbote; aber es ist zu bequem, nur zu verbieten. Ausschließlich zu helfen ist auch zuwenig. Wir brauchen beides: verbieten und helfen. Ich kenne die Einwände: Man dürfe erst verbieten, wenn das Gesamtsystem verändert und die Armut beseitigt ist. Auch die deutsche Geschichte kennt diese Einwände. Dieselbe Debatte mit denselben Argumenten haben wir bei uns vor hundert Jahren geführt: Erst müsse die Armut beseitigt werden und dann die Kinderarbeit. Als das preußische Heer keine gesunden Rekruten mehr hatte, war die Kinderarbeit über Nacht verboten. Da ging es plötzlich. Deshalb bin ich für eine Doppelstrategie: Nicht verbieten allein, sondern verbieten und helfen. ({4}) Kinder, denen der Zugang zur Schulbildung beschnitten wird, haben auch später als Erwachsene weniger Chancen. So pflanzt sich das Unrecht fort: Als Kinder zur Arbeit gezwungen, als Erwachsene arbeitslos, und deshalb werden die eigenen Kinder wieder in die Arbeit geschickt. Ich finde es gut, daß der Deutsche Bundestag, wenn auch zu später Stunde, ganz eindeutig zum Ausdruck bringt: Für diesen Skandal gibt es keine Spur an Verständnis. Ich finde es gut, daß es dem Deutschen Bundestag weniger um Proklamation geht. Wir fordern die Bundesregierung auf - wir haben es schon einmal übereinstimmend beschlossen -, die Position der Nichtregierungsorganisationen zu stärken und den Zugang der Kinder zu Rechtsmitteln auch in diesem Übereinkommen durchzusetzen. Nicht die Worte des Übereinkommens zählen, sondern nur die Tatsache, ob aus ihm Konsequenzen gezogen werden können. Es geht um Umsetzung und Durchsetzung, nicht um eine akademische Diskussion. Es geht auch nicht darum, das deutsche Jugendarbeitsschutzgesetz weltweit zu exportieren. Daran denkt niemand. Es geht um die Beseitigung der schlimmsten Formen der Kinderarbeit, der Ausbeutung und der Versklavung. ({5})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich gebe Ihnen zunächst das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Schlußabstimmung über den Gesetzentwurf zur Reform des Staatsangehörigkeitsrechts bekannt, eingebracht von Abgeordneten aus den Fraktionen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und F.D.P., Drucksachen 14/533 und 14/867 Nr. 1. Abgegebene Stimmen 588. Mit Ja haben gestimmt 365, mit Nein haben gestimmt 184, Enthaltungen 39. Damit ist der Gesetzentwurf angenommen. ({0}) Endgültiges Ergebnis Abgegebene Stimmen: 586; davon: ja: 365 nein: 182 enthalten: 39 Ja SPD Brigitte Adler Gerd Andres Rainer Arnold Hermann Bachmaier Ernst Bahr Doris Barnett Dr. Hans-Peter Bartels Eckhardt Barthel ({1}) Klaus Barthel ({2}) Ingrid Becker-Inglau Dr. Axel Berg Hans-Werner Bertl Friedhelm Julius Beucher Petra Bierwirth Lothar Binding ({3}) Kurt Bodewig Klaus Brandner Anni Brandt-Elsweier Willi Brase Rainer Brinkmann ({4}) Bernhard Brinkmann ({5}) Hans-Günter Bruckmann Edelgard Bulmahn Ursula Burchardt Hans Martin Bury Hans Büttner ({6}) Marion Caspers-Merk Wolf-Michael Catenhusen Dr. Peter Danckert Dr. Herta Däubler-Gmelin Christel Deichmann Karl Diller Peter Dreßen Rudolf Dreßler Detlef Dzembritzki Dieter Dzewas Dr. Peter Eckardt Ludwig Eich Marga Elser Peter Enders Gernot Erler Petra Ernstberger Annette Faße Lothar Fischer ({7}) Gabriele Fograscher Iris Follak Norbert Formanski Rainer Fornahl Hans Forster Dagmar Freitag Lilo Friedrich ({8}) Harald Friese Anke Fuchs ({9}) Arne Fuhrmann Monika Ganseforth Konrad Gilges Iris Gleicke Günter Gloser Uwe Göllner Renate Gradistanac Günter Graf ({10}) Angelika Graf ({11}) Dieter Grasedieck Monika Griefahn Achim Großmann Wolfgang Grotthaus Karl Hermann Haack ({12}) Hans-Joachim Hacker Klaus Hagemann Manfred Hampel Christel Hanewinckel Alfred Hartenbach Klaus Hasenfratz Nina Hauer Hubertus Heil Reinhold Hemker Frank Hempel Rolf Hempelmann Monika Heubaum Uwe Hiksch Reinhold Hiller ({13}) Stephan Hilsberg Gerd Höfer Jelena Hoffmann ({14}) Walter Hoffmann ({15}) Iris Hoffmann ({16}) Frank Hofmann ({17}) Ingrid Holzhüter Eike Hovermann Christel Humme Lothar Ibrügger Barbara Imhof Brunhilde Irber Gabriele Iwersen Renate Jäger Jann-Peter Janssen Ilse Janz Dr. Uwe Jens Volker Jung ({18}) Johannes Kahrs Ulrich Kasparick Sabine Kaspereit Susanne Kastner Klaus Kirschner Marianne Klappert Siegrun Klemmer Fritz Rudolf Körper Karin Kortmann Anette Kramme Nicolette Kressl Angelika Krüger-Leißner Horst Kubatschka Ernst Küchler Helga Kühn-Mengel Ute Kumpf Konrad Kunick Dr. Uwe Küster Werner Labsch Christine Lambrecht Brigitte Lange Christian Lange ({19}) Detlev von Larcher Christine Lehder Waltraud Lehn Robert Leidinger Klaus Lennartz Dr. Elke Leonhard Eckhart Lewering Götz-Peter Lohmann ({20}) Christa Lörcher Erika Lotz Dr. Christine Lucyga Dieter Maaß ({21}) Winfried Mante Dirk Manzewski Tobias Marhold Lothar Mark Christoph Matschie Ingrid Matthäus-Maier Heide Mattischeck Markus Meckel Ulrike Mehl Ulrike Merten Angelika Mertens Dr. Jürgen Meyer ({22}) Ursula Mogg Christoph Moosbauer Jutta Müller ({23}) Christian Müller ({24}) Franz Müntefering Volker Neumann ({25}) Gerhard Neumann ({26}) Dr. Edith Niehuis Dr. Rolf Niese Dietmar Nietan Günter Oesinghaus Eckhard Ohl Leyla Onur Manfred Opel Holger Ortel Adolf Ostertag Kurt Palis Albrecht Papenroth Dr. Willfried Penner Dr. Martin Pfaff Georg Pfannenstein Johannes Pflug Dr. Eckhart Pick Joachim Poß Karin Rehbock-Zureich Margot von Renesse Renate Rennebach Bernd Reuter Dr. Edelbert Richter Gudrun Roos René Röspel Dr. Ernst Dieter Rossmann Michael Roth ({27}) Birgit Roth ({28}) Gerhard Rübenkönig Marlene Rupprecht Thomas Sauer Dr. Hansjörg Schäfer Gudrun Schaich-Walch Bernd Scheelen Dr. Hermann Scheer Siegfried Scheffler Horst Schild Dieter Schloten Horst Schmidbauer ({29}) Ulla Schmidt ({30}) Silvia Schmidt ({31}) Dagmar Schmidt ({32}) Wilhelm Schmidt ({33}) Regina Schmidt-Zadel Heinz Schmitt ({34}) Carsten Schneider Walter Schöler Olaf Scholz Karsten Schönfeld Fritz Schösser Gisela Schröter Richard Schuhmann ({35}) Brigitte Schulte ({36}) Volkmar Schultz ({37}) Ilse Schumann Ewald Schurer Dr. R. Werner Schuster Dietmar Schütz ({38}) Dr. Angelica Schwall-Düren Ernst Schwanhold Rolf Schwanitz Bodo Seidenthal Erika Simm Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk Vizepräsidentin Petra Bläss Dr. Cornelie SonntagWolgast Wieland Sorge Wolfgang Spanier Dr. Margrit Spielmann Jörg-Otto Spiller Dr. Ditmar Staffelt Antje-Marie Steen Ludwig Stiegler Rolf Stöckel Rita Streb-Hesse Dr. Peter Struck Joachim Tappe Jörg Tauss Jella Teuchner Dr. Gerald Thalheim Franz Thönnes Uta Titze-Stecher Adelheid Tröscher Hans-Eberhard Urbaniak Simone Violka Ute Vogt ({39}) Hans Georg Wagner Hedi Wegener Dr. Konstanze Wegner Wolfgang Weiermann Reinhard Weis ({40}) Matthias Weisheit Gunter Weißgerber Gert Weisskirchen ({41}) Dr. Ernst Ulrich von Weizsäcker Hans-Joachim Welt Dr. Rainer Wend Hildegard Wester Lydia Westrich Inge Wettig-Danielmeier Dr. Margrit Wetzel Dr. Norbert Wieczorek Helmut Wieczorek ({42}) Jürgen Wieczorek ({43}) Heidemarie Wieczorek-Zeul Dieter Wiefelspütz Heino Wiese ({44}) Klaus Wiesehügel Brigitte Wimmer ({45}) Engelbert Wistuba Barbara Wittig Dr. Wolfgang Wodarg Verena Wohlleben Hanna Wolf ({46}) Waltraud Wolff ({47}) Heidemarie Wright Uta Zapf Dr. Christoph Zöpel Peter Zumkley BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Marieluise Beck ({48}) Volker Beck ({49}) Angelika Beer Matthias Berninger Annelie Buntenbach Dr. Thea Dückert Franziska Eichstädt-Bohlig Dr. Uschi Eid Hans-Josef Fell Andrea Fischer ({50}) Joseph Fischer ({51}) Katrin Göring-Eckardt Rita Grießhaber Winfried Hermann Antje Hermenau Kristin Heyne Ulrike Höfken Michaele Hustedt Steffi Lemke Dr. Helmut Lippelt Dr. Reinhard Loske Klaus Wolfgang Müller ({52}) Kerstin Müller ({53}) Christa Nickels Simone Probst Claudia Roth ({54}) Christine Scheel Irmingard Schewe-Gerigk Rezzo Schlauch Albert Schmidt ({55}) Werner Schulz ({56}) Christian Simmert Christian Sterzing Hans-Christian Ströbele Jürgen Trittin Dr. Antje Vollmer Ludger Volmer Sylvia Voß Helmut Wilhelm ({57}) Margareta Wolf ({58}) F.D.P. Hildebrecht Braun ({59}) Ernst Burgbacher Jörg van Essen Ulrike Flach Horst Friedrich ({60}) Hans-Michael Goldmann Dr. Karlheinz Guttmacher Klaus Haupt Ulrich Heinrich Walter Hirche Birgit Homburger Dr. Werner Hoyer Dr. Heinrich L. Kolb Gudrun Kopp Jürgen Koppelin Ina Lenke Sabine LeutheusserSchnarrenberger Jürgen W. Möllemann Dirk Niebel Günther Friedrich Nolting Detlef Parr Dr. Edzard Schmidt-Jortzig Gerhard Schüßler Marita Sehn Dr. Max Stadler Carl-Ludwig Thiele Dr. Dieter Thomae PDS Dr. Heinrich Fink Dr. Ruth Fuchs Fred Gebhardt Dr. Barbara Höll Dr. Christa Luft Manfred Müller ({61}) Kersten Naumann Rosel Neuhäuser Gustav-Adolf Schur Nein CDU/CSU Ulrich Adam Dietrich Austermann Norbert Barthle Dr. Wolf Bauer Günter Baumann Brigitte Baumeister Dr. Sabine Bergmann-Pohl Otto Bernhardt Hans-Dirk Bierling Dr. Joseph-Theodor Blank Renate Blank Peter Bleser Dr. Maria Böhmer Sylvia Bonitz Wolfgang Börnsen ({62}) Wolfgang Bosbach Klaus Brähmig Dr. Ralf Brauksiepe Monika Brudlewsky Georg Brunnhuber Klaus Bühler ({63}) Hartmut Büttner ({64}) Dankward Buwitt Cajus Caesar Leo Dautzenberg Albert Deß Renate Diemers Thomas Dörflinger Marie-Luise Dött Maria Eichhorn Rainer Eppelmann Anke Eymer Dr. Hans Georg Faust Ingrid Fischbach Axel E. Fischer ({65}) Herbert Frankenhauser Dr. Gerhard Friedrich ({66}) Dr. Hans-Peter Friedrich ({67}) Erich G. Fritz Hans-Joachim Fuchtel Dr. Jürgen Gehb Norbert Geis Georg Girisch Michael Glos Dr. Reinhard Göhner Dr. Wolfgang Götzer Kurt-Dieter Grill Manfred Grund Carl-Detlev Freiherr von Hammerstein Gerda Hasselfeldt Hansgeorg Hauser ({68}) Klaus-Jürgen Hedrich Ursula Heinen Siegfried Helias Hans Jochen Henke Ernst Hinsken Peter Hintze Klaus Hofbauer Klaus Holetschek Josef Hollerith Dr. Karl-Heinz Hornhues Siegfried Hornung Joachim Hörster Hubert Hüppe Susanne Jaffke Georg Janovsky Dr.-Ing. Rainer Jork Bartholomäus Kalb Steffen Kampeter Dr. Dietmar Kansy Manfred Kanther Volker Kauder Ulrich Klinkert Dr. Helmut Kohl Manfred Kolbe Hartmut Koschyk Rudolf Kraus Dr. Paul Krüger Dr. Hermann Kues Dr. Karl A. Lamers ({69}) Dr. Norbert Lammert Dr. Paul Laufs Karl-Josef Laumann Vera Lengsfeld Werner Lensing Peter Letzgus Ursula Lietz Walter Link ({70}) Eduard Lintner Dr. Klaus Lippold ({71}) Dr. Manfred Lischewski Wolfgang Lohmann ({72}) Dr. Michael Luther Erich Maaß ({73}) Dr. Martin Mayer ({74}) Wolfgang Meckelburg Dr. Michael Meister Dr. Angela Merkel Friedrich Merz Hans Michelbach Meinolf Michels Vizepräsidentin Petra Bläss Dr. Gerd Müller Bernward Müller ({75}) Elmar Müller ({76}) Franz Obermeier Friedhelm Ost Eduard Oswald Norbert Otto ({77}) Dr. Peter Paziorek Anton Pfeifer Beatrix Philipp Ronald Pofalla Marlies Pretzlaff Thomas Rachel Dr. Peter Ramsauer Helmut Rauber Peter Rauen Christa Reichard ({78}) Erika Reinhardt Klaus Riegert Dr. Heinz Riesenhuber Franz Romer Hannelore Rönsch ({79}) Heinrich-Wilhelm Ronsöhr Kurt Rossmanith Adolf Roth ({80}) Dr. Christian Ruck Dr. Wolfgang Schäuble Hartmut Schauerte Gerhard Scheu Norbert Schindler Dietmar Schlee Bernd Schmidbauer Christian Schmidt ({81}) Dr.-Ing. Joachim Schmidt ({82}) Andreas Schmidt ({83}) Hans Peter Schmitz ({84}) Dr. Andreas Schockenhoff Reinhard Freiherr von Schorlemer Dr. Erika Schuchardt Wolfgang Schulhoff Clemens Schwalbe Wilhelm-Josef Sebastian Horst Seehofer Heinz Seiffert Werner Siemann Bärbel Sothmann Margarete Späte Wolfgang Steiger Erika Steinbach Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten Andreas Storm Dorothea Störr-Ritter Max Straubinger Matthäus Strebl Thomas Strobl Dr. Susanne Tiemann Arnold Vaatz Andrea Voßhoff Gerald Weiß ({85}) Annette Widmann-Mauz Heinz Wiese ({86}) Hans-Otto Wilhelm ({87}) Willy Wimmer ({88}) Werner Wittlich Peter Kurt Würzbach Wolfgang Zeitlmann Wolfgang Zöller PDS Carsten Hübner Enthalten CDU/CSU Dr. Heribert Blens Ilse Falk Ulf Fink Dr. Heiner Geißler Hermann Gröhe Norbert Hauser ({89}) Irmgard Karwatzki Eckart von Klaeden Norbert Königshofen Thomas Kossendey Dr. Martina Krogmann Dr. Friedbert Pflüger Ruprecht Polenz Dieter Pützhofen Heinz Schemken Birgit Schnieber-Jastram Dr. Christian SchwarzSchilling Dr. Rita Süssmuth Peter Weiß ({90}) Elke Wülfing SPD Hans-Ulrich Klose BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Monika Knoche PDS Eva Bulling-Schröter Roland Claus Sabine Jünger Gerhard Jüttemann Dr. Heidi Knake-Werner Ursula Lötzer Heidemarie Lüth Angela Marquardt Dr. Uwe-Jens Rössel Christina Schenk Dr. Ilja Seifert Entschuldigt wegen Übernahme einer Verpflichtung im Rahmen ihrer Mitgliedschaft in den Parlamentarischen Versammlungen des Europarates und der WEU, der NAV, der OSZE oder der IPU Abgeordnete({91}) Behrendt, Wolfgang, SPD Siebert, Bernd, CDU/CSU Verheugen, Günter, SPD Zierer, Benno, CDU/CSU Nächste Rednerin in der Debatte ist die Kollegin Dr. Angelika Köster-Loßack, Bündnis 90/Die Grünen.

Dr. Angelika Köster-Loßack (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002704, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Diese kurze Debatte findet im Vorfeld der Genfer ILO-Tagung statt, bei dem ein Übereinkommen zur Bekämpfung der schlimmsten Formen der Kinderarbeit erzielt werden soll. Schlimmste Formen sind die Sklaverei, die Schuldknechtschaft, Zwangsarbeit, Prostitution und die Rekrutierung von Kindern als Soldaten. Ich möchte noch einmal darauf hinweisen, daß die Kinderrechtskonvention, die die Rechte der Kinder umfassend regelt, leider erst von 73 Staaten ratifiziert wurde. Um aber möglichst viele Staaten dazu zu bringen, ein Übereinkommen zum Schutz der Kinder zu unterschreiben, will man jetzt in Genf zumindest die schlimmsten Formen ächten. Dies ist allerdings nur ein erster Zwischenschritt; er ist keineswegs ausreichend. Kinder müssen nicht nur vor den schlimmsten Exzessen bewahrt werden, sondern alle Kinder müssen wenigstens Zugang zu einer Basisgesundheitsversorgung und zur Grundbildung bekommen. ({0}) Nur dadurch können mehr Kinder wenigstens einen Teil des großen Potentials, das in ihnen allen steckt, ausschöpfen. Eine zentrale Aufgabe vor allem im Rahmen unserer Entwicklungszusammenarbeit ist deswegen die Förderung des Auf- und Ausbaus von Basisgesundheitsdiensten und Institutionen der Grundbildung. Damit Kinder überhaupt eine Chance haben, in die Schule zu gehen, muß selbstverständlich die Armut in vielen Ländern viel stärker bekämpft werden, denn in den meisten Fällen sind Kinder gezwungen zu arbeiten, um ihren Familien das Überleben zu sichern. Es wäre natürlich vermessen zu sagen, daß von Deutschland, von Europa oder von anderen Ländern des Nordens die Probleme der Kinderarbeit gänzlich gelöst werden könnten. Vizepräsidentin Petra Bläss Das wäre eine völlige Überforderung. Vielmehr müssen die Verantwortlichen in den betroffenen Ländern selbst wirksame Mittel auch jenseits von Gesetzessanktionen ergreifen, um die Kinderarbeit zurückzudrängen und zum Verschwinden zu bringen. Es gibt Länder, in denen es schon sehr viele Gesetze hierzu gibt. Ein Beispiel dafür ist Indien. Die Menschenrechtskommission hat die dortige Kinderarbeit zu einem zentralen Punkt erhoben, aber die Umsetzung - das wurde schon von meinem Vorredner gesagt - läßt zu wünschen übrig. Deswegen ist es insbesondere auch im Rahmen unserer Entwicklungs- und Menschenrechtspolitik notwendig, in all diesen Ländern einen intensiven Dialog über Kinderrechte sowohl mit den Regierungen als auch mit Nichtregierungsorganisationen zu führen. Wenn Kinder vom Zugang zur Grundbildung ausgeschlossen werden, hat das Folgen. Die schlimmen Folgen der Kinderarbeit können wir besichtigen, wenn wir auf Besuchsreisen in den betreffenden Ländern sind. Den Kindern wird jede Hoffnung auf eine bessere Zukunft genommen. Wenn Selbsthilfeorganisationen von Kindern bestehen, sollten diese zukünftig an der Gestaltung des Übereinkommens beteiligt werden. Diese Selbsthilfeorganisationen von Kindern, die insbesondere in lateinamerikanischen Ländern aktiv sind, dürfen wegen ihrer Aktivitäten nicht kriminalisiert werden, genausowenig wie die arbeitenden Kinder selbst. Sie sind die Opfer ungerechter gesellschaftlicher Verhältnisse und keine Kriminellen. ({1}) In unserem Antrag fordern wir, daß Aktionsprogramme zur Beseitigung der schlimmsten Formen der Kinderarbeit in das ILO-Übereinkommen mit aufgenommen werden. Das ist wichtig, damit es nicht bei den unverbindlichen Absichtserklärungen, die bisher die Regel waren, bleibt. Noch einmal: Die Nichtregierungsorganisationen, die in diesem Bereich über langjährige Erfahrungen verfügen und sehr viel Engagement zeigen, sollen bei der Planung und Durchführung der Aktionsprogramme wirklich mit einbezogen werden. Nur so kann sichergestellt werden, daß möglichst viel Sachverstand eingebracht wird. Zum letzten Punkt: Der Einsatz von Kindern als Soldaten muß geächtet und dann auch verboten werden. Dieses Thema steht auch auf der Tagesordnung für die Verhandlungen um ein Zusatzprotokoll zur Kinderrechtskonvention der Vereinten Nationen. Wir müssen das mit Nachdruck angehen. In diesem Zusammenhang möchte ich auch zu bedenken geben, ob nicht die Bundeswehr die Rekrutierung von unter 18jährigen einstellen sollte. Das würde die internationale Glaubwürdigkeit der Deutschen bei den zuvor schon angesprochenen schwierigen Verhandlungen erhöhen. ({2}) Besonders erfreulich ist natürlich, daß wir bei der Beratung dieses Themas eine gute Tradition fortsetzen: Ich finde es vorbildlich, daß der Antrag überfraktionell verabschiedet wird. Wir alle hoffen, daß die Verhandlungen über ein ILO-Übereinkommen zur Beseitigung der schlimmsten Formen der Kinderarbeit zum Erfolg führen. Kinder werden die Zukunft gestalten. Sie gehören in die Schule und möglichst auch auf Spielplätze. Sie dürfen nicht in Zwangsarbeit, Prostitution oder als Soldaten in bewaffnete Konflikte geschickt werden. Sonst haben wir keine Zukunft. Ich danke Ihnen. ({3})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Letzte Rednerin in dieser Debatte ist die Parlamentarische Staatssekretärin Ulrike Mascher.

Ulrike Mascher (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001432

Frau Präsidentin! Liebe Kollegen, liebe Kolleginnen! Kinderarbeit das ist in Deutschland die Erinnerung an ein dunkles Kapitel unserer eigenen Sozialgeschichte. Für Millionen Kinder in den Entwicklungsländern ist sie tagtäglich erlittene Realität. Wenn wir von Kinderarbeit reden, dann meinen wir nicht das Austragen von Zeitungen, das Mithelfen im elterlichen Landwirtschaftsbetrieb oder die Handreichungen bei Sportveranstaltungen, die im deutschen Jugendarbeitsschutzgesetz genau geregelt sind. Die Kinderarbeit, über die wir hier reden und die uns alle bedrückt, heißt: elende Schwerstarbeit in kleinen Kohlegruben, in Ziegeleien und in stinkenden Gerbereien, Hantieren mit gefährlichen Arbeitsstoffen ohne irgendeine Schutzausrüstung. Das heißt ferner: Schuldknechtschaft, recht- und schutzloses Dasein als Straßenkinder und oft Kinderprostitution. Wir sind uns alle einig: Kinderarbeit ist eines der schlimmsten Übel unserer Zeit. Darum steht die Bekämpfung der Kinderarbeit auch bei der Internationalen Arbeitsorganisation, IAO, ganz oben auf der Tagesordnung. Die IAO möchte ein internationales Abkommen zustande bringen, das die unverzügliche Beseitigung der schlimmsten Formen von Kinderarbeit zum Ziel hat. Wir machen uns keine Illusionen: Das Paradies ist damit noch nicht erreicht. Sowohl die alte als auch die neue Bundesregierung unterstützen die Internationale Arbeitsorganisation bei diesem Abkommen vorbehaltlos. Ich möchte mich bei dem früheren Arbeitsminister, Norbert Blüm, für sein großes Engagement in dieser Frage bedanken. ({0}) Ich habe einmal erlebt, wie er mit einer fulminanten Rede die Delegierten der IAO begeistert hat. Fortschritte gab es aber - wie immer - nur zentimeterweise. Schon am 28. Mai 1998 brachten die damaligen Koalitions- und Oppositionsfraktionen einen gemeinsamen Entschließungsantrag in den Deutschen Bundestag mit dem Ziel ein, die Verhandlungsposition der damaligen Bundesregierung kurz vor Beginn der ersten BeraDr. Angelika Köster-Loßack tungen in Genf zu stärken. Wenn dieselben Fraktionen jetzt erneut einen gemeinsamen Entschließungsantrag einbringen, dann zeigt dies, daß wir beim Thema Kinderarbeit weiterhin auf der gleichen Linie liegen. Ich bewerte diesen Entschließungsantrag wie auch die Große Anfrage der CDU/CSU-Fraktion als Unterstützung eines Anliegens, das der Bundesregierung, den Koalitionsfraktionen und den Oppositionsfraktionen weiterhin gemeinsam ist. Wir haben in der Bundesrepublik zum Glück einen großen gesellschaftllichen Konsens. Gewerkschaften, Wirtschaftsverbände und Nichtregierungsorganisationen in unserem Land tragen diesen Kampf gegen Kinderarbeit mit. Ich bin mir sicher - da gibt es ermutigende Anzeichen -, daß es in dieser Frage eine breite und einhellige Unterstützung aller Bürger und Bürgerinnen gibt. Der Entschließungsantrag stellt Anforderungen an den Inhalt, also an die Qualität des vorgesehenen neuen Übereinkommens. Wir müssen uns aber darüber im klaren sein, daß der Inhalt nicht der alleinige Maßstab sein kann, an dem das Übereinkommen zu messen ist. Ebenso wichtig ist, daß möglichst viele Länder das Übereinkommen ratifizieren. Das gilt besonders für die Länder, in denen die Kinderarbeit immer noch einen bedrückenden Stellenwert im Wirtschaftssystem hat. Das ist gerade der Grund, weshalb das seit 1973 bestehende Übereinkommen der IAO über das Beschäftigungsmindestalter um das heute zur Dis kussion stehende Übereinkommen ergänzt werden soll. Das alte Übereinkommen ist auch wegen zu hoher Anforderungen und seiner komplizierten Ausnahmeregelungen nur von 64 der 174 Mitgliedstaaten der Internationalen Arbeitsorganisation ratifiziert worden. Darunter befinden sich die Bundesrepublik Deutschland und auch die damalige Deutsche Demokratische Republik. Aber Industrieländer wie Österreich, die Schweiz, Großbritannien, die USA, Kanada, Japan, Australien und Neuseeland haben dieses Übereinkommen leider nicht ratifiziert. Damit ist es im Weltmaßstab leider weitgehend unwirksam geblieben. Wir müssen also versuchen zu erreichen, daß nicht wieder hochentwickelte Industriestaaten, aber auch weniger entwickelte Länder dem neuen Abkommen ihre Zustimmung verweigern. Das macht die Aufgabe nicht leicht; das wissen Sie, Herr Dr. Blüm. Ein Übereinkommen mit einem zu dürftigen Inhalt ist unsinnig. Ein Übereinkommen aber, das für Länder mit Kinderarbeit eine zu hohe Meßlatte setzt, wird auch keinen Erfolg haben. Wir müssen versuchen, einen vernünftigen Mittelweg zu finden. Um diesen Mittelweg bemüht sich die Bundesregierung bei den Beratungen in Genf derzeit intensiv. Eine von allen im Bundestag vertretenen Parteien getragene Entschließung wird uns bei dieser Aufgabe sicher eine wertvolle Unterstützung sein. Dafür bedanke ich mich bei allen Fraktionen. Ich bitte Sie, uns auch weiterhin im wichtigen Kampf gegen die Kinderarbeit zu unterstützen. Ich freue mich, daß Norbert Blüm sein großes Engagement gegen Kinderarbeit jetzt auch als freier Abgeordneter ({1}) mit großer Intensität fortsetzt. Ich versichere Ihnen, daß die Bundesregierung ihren Part, die mühsame Arbeit der Aushandlung von kleinen und größeren Fortschritten, mit genauso großem Engagement fortsetzen wird. ({2}) Danke. ({3})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Ich schließe die Aus- sprache. Die Kolleginnen Petra Ernstberger und Rosel Neu- häuser sowie der Kollege Klaus Haupt haben ihre Reden zu Protokoll gegeben.*) Ich setze das Einverständnis des Hauses voraus. Wir kommen damit zur Abstimmung über den Antrag der Fraktionen der SPD, der CDU/CSU, des Bündnisses 90/Die Grünen und der F.D.P. zu den Forderungen an das neue Übereinkommen der Internationalen Arbeitsorganisation zur Bekämpfung der Kinderarbeit auf Drucksache 14/885 ({0}). Wer stimmt für diesen Antrag? Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Damit ist dieser Antrag einstimmig angenommen. ({1}) Wir sind damit am Schluß unserer heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages ein auf Mittwoch, den 16. Juni 1999, 12 Uhr. Die Sitzung ist geschlossen.