Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Guten Morgen, liebe
Kolleginnen und Kollegen! Die Sitzung ist eröffnet.
Heute vor 50 Jahren, am 5. Mai 1949, wurde in London der Europarat gegründet. Seine Gründungsmitglieder waren Belgien, Dänemark, Frankreich, Irland, Italien, Luxemburg, die Niederlande, Norwegen, Schweden
und das Vereinigte Königreich. Nur wenige Monate
später, im August 1949, traten ihm auch Griechenland
und die Türkei bei. Sämtliche an der Gründung beteiligte Staaten erfüllte der Gedanke, Europa müsse sich
nach den Schrecken des zweiten Weltkrieges und angesichts einer neuen, in seinem östlichen Teil erstarkenden
totalitären Bedrohung enger zusammenschließen, um
den geistigen, politischen und wirtschaftlichen Herausforderungen gewachsen zu sein. Dabei wußten sich die
Gründungsstaaten einig, daß ein solcher Zusammenschluß nur auf der Grundlage von Menschenrechten,
Demokratie, Freiheit und Rechtsstaatlichkeit sowie des
Strebens nach wirtschaftlichem und sozialem Fortschritt
möglich sei.
Die Bundesrepublik Deutschland trat dem Europarat
1950 zunächst als assoziiertes, 1951 als Vollmitglied bei
- eine Entscheidung, die in der Öffentlichkeit nicht
unumstritten war. Einige fürchteten - wie Kurt Schumacher -, die Mitgliedschaft im Europarat könne die Einheit Deutschlands erschweren. Der Eintritt in den Europarat war der erste Beitritt der Bundesrepublik
Deutschland zu einer internationalen politischen Organisation nach dem zweiten Weltkrieg, und er hat den Weg
frei gemacht für die verantwortliche Mitwirkung und
Einbindung der Bundesrepublik bei der politischen Gestaltung eines freiheitlichen und demokratischen Europa,
dem heute ganz Deutschland angehört.
Ich bin sicher, daß es nicht zuletzt diese Erfahrung
der Integration und der verantwortlichen Beteiligung der
Bundesrepublik war, die unser Land nach dem Ende des
Kommunismus bestärkt hat, die ebenfalls nicht unumstrittene rasche politische Erweiterung des Europarats
nach Kräften mit voranzutreiben. Den neuen Demokratien Mittelost- und Südosteuropas wurde die Chance
eröffnet, sich über den Europarat aktiv in die europäische Wertegemeinschaft zu integrieren und zugleich
entscheidende politische Unterstützung beim Aufbau
ihrer demokratischen und rechtsstaatlichen Strukturen zu
erfahren. Für den schwierigen Prozeß der Transformation war dies unerläßlich.
Trotz mancher Kritik an der unzureichenden Umsetzung eingegangener Verpflichtungen durch einzelne
Staaten hat sich die Erweiterung als der, wie ich meine,
einzig richtige und auch erfolgreiche Weg erwiesen.
Wer heute Bilanz zieht, wird erkennen müssen, daß sich
der Europarat nicht nur bei der Bewältigung der neuen
Aufgaben bewährt, sondern auch seine Fähigkeit zur
rechtlich-institutionellen Weiterentwicklung bewiesen
hat.
Ich erinnere in diesem Zusammenhang an die wohl
wichtigste Neuerung der vergangenen Jahre, die Schaffung eines einheitlichen und ständigen Gerichtshofs für
Menschenrechte, der im November des vergangenen
Jahres seine Arbeit aufgenommen hat und an den sich
nunmehr jeder der 770 Millionen Bürger der Mitgliedstaaten des Europarates direkt wenden kann. Vergessen
wir auch nicht, daß bereits die Europäische Menschenrechtskonvention von 1953, jenes grundlegende Dokument des Europarates, das Recht der Individualbeschwerde vorsah, das an sich schon einen Durchbruch in
der Geschichte des Völkerrechts darstellt.
Mehr als 170 Konventionen hat der Europarat in den
vergangenen fünf Jahren verabschiedet, darunter die
Europäische Sozialcharta, die als eine Art Pendant zur
Menschenrechtskonvention den Schutz wirtschaftlicher
und sozialer Grundrechte sichert, dann die Europäische
Konvention zum Schutz vor Folter und unmenschlichen
oder erniedrigenden Strafen; ebenso die Rahmenkonvention zur Bioethik.
Besondere Aufmerksamkeit verdient das unermüdliche Eintreten des Europarates für die Rechte nationaler
Minderheiten und Volksgruppen, das seinen Niederschlag in der 1994 verabschiedeten Rahmenkonvention
zum Schutz nationaler Minderheiten und der Charta zum
Schutz der Regional- und Minderheitensprachen gefunden hat. Kaum etwas vermag die Aktualität und bleibende Bedeutung des Europarates besser vor Augen zu führen als gerade dieses Engagement zugunsten ethnischer
Gruppen und bedrohter Minderheiten. Vergessen wir
nicht, daß es die gemeinsam entwickelten und von allen
Mitgliedstaaten anerkannten völkerrechtlichen Normen
und menschenrechtlichen Standards des Europarates
sind, die wir heute gegenüber der Bundesrepublik Jugoslawien einfordern und verteidigen.
Der Minderheitenschutz und die Situation in Kosovo
haben gerade auch in den Debatten der Parlamentarischen Versammlung des Europarates eine wichtige
Rolle gespielt. Man kann daher auch nicht vom Europarat sprechen, ohne die Bedeutung seiner Parlamentarischen Versammlung hervorzuheben. Mit Delegationen
aus 40 Ländern - mit der vor wenigen Tagen vollzogenen Aufnahme Georgiens in den Europarat wird eine
weitere hinzukommen - bildet die Parlamentarische
Versammlung nicht nur das größte parlamentarische
Forum Europas, sondern auch eine der wichtigsten
Stätten der Auseinandersetzung über Aufgaben und
Herausforderungen der Zukunft. Ich denke, wir haben
daher allen Grund, den Kolleginnen und Kollegen des
Deutschen Bundestages, die Mitglieder der Parlamentarischen Versammlung des Europarates waren und sind,
für ihre Arbeit zu danken und ihnen auch weiterhin unsere ausdrückliche Unterstützung zuzusichern.
({0})
Ein halbes Jahrhundert nach seiner Gründung ist der
Europarat nach wie vor Hüter des gemeinsamen europäischen Erbes von Demokratie, Freiheit und Menschenrechten. Seine in 50 Jahren erworbene große Autorität,
seine weitreichende Erfahrung und die immer wieder
unter Beweis gestellte Fähigkeit zur Anpassung an neue
Herausforderungen bleiben unverzichtbar, wenn es darum geht, am Ende dieses Jahrhunderts gemeinsam mit
anderen europäischen Institutionen, wie der OSZE, den
europäischen Regionalorganisationen und nicht zuletzt
der Europäischen Union, die Beziehungen zwischen den
Staaten der europäischen Völkerfamilie zu festigen und
auf der Grundlage gemeinsamer Überzeugungen und
Wertvorstellungen weiterzuentwickeln.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
({1})
Wir setzen nun die Haushaltsberatungen fort:
I. Zweite Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die
Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das
Haushaltsjahr 1999
({2})
- Drucksachen 14/300, 14/760 Beratung der Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses ({3})
- zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Bericht über den Stand und die voraussichtliche Entwicklung der Finanzwirtschaft
- zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Finanzplan des Bundes 1998 bis 2002
- Drucksachen 14/350, 13/11101, 14/272 Nr. 79,
14/625 Berichterstattung:
Abgeordnete Dietrich Austermann
Hans Georg Wagner
Oswald Metzger
Dr. Günter Rexrodt
Dr. Christa Luft
Ich rufe den Einzelplan 04 auf:
12. Einzelplan 04
Bundeskanzler und Bundeskanzleramt
- Drucksachen 14/604, 14/622 Berichterstattung:
Abgeordnete Adolf Roth ({4})
Manfred Hampel
Antje Hermenau
Oswald Metzger
Dankward Buwitt
Steffen Kampeter
Dr. Günter Rexrodt
Dr. Uwe-Jens Rössel
Es liegen je zwei Änderungsanträge der Fraktion der
CDU/CSU und der Fraktion der F.D.P. vor. Die PDS hat
einen Änderungsantrag eingebracht.
Die Fraktion der CDU/CSU hat außerdem einen Entschließungsantrag eingebracht, über den am Donnerstag
nach der Schlußabstimmung abgestimmt wird.
Ich weise darauf hin, daß wir im Anschluß an die
Aussprache über diesen Einzelplan namentlich abstimmen werden.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache vier Stunden vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem
Kollegen Michael Glos, CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine
sehr verehrten Damen und Herren! Kaum ist diese Bundesregierung ein halbes Jahr im Amt, schon pflegt sie
einen unerträglichen Umgang mit dem Parlament.
({0})
Ich finde es unmöglich, daß wir in dieser Woche, in der
der Haushalt im Mittelpunkt stehen muß, dazu gezwungen werden - weil Sie Ihre Mehrheiten brutal mißbrauchen -,
({1})
Präsident Wolfgang Thierse
gleichzeitig auch über das Staatsbürgerschaftsrecht zu
diskutieren und es zu verabschieden, und daß wir
gleichzeitig über eine sehr ernste Angelegenheit, nämlich den Einsatz weiterer deutscher Soldaten in Albanien
und Mazedonien, entscheiden müssen. Den Druck auf
das Parlament, dies alles in der Haushaltswoche tun zu
müssen, empfinde ich als schlimm. Er hätte nicht sein
müssen.
({2})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wenn sich
das die Herren Struck und Schlauch oder die Frau Müller gefallen lassen, dann ist das ihre Sache. Das spricht
eigentlich nicht dafür, daß sie überzeugte Parlamentarier
sind.
({3})
Die SPD - und die grüne Fraktion machen sich zum
Abnickverein dieser Bundesregierung.
({4})
Herr Gysi und seine Fraktion sind demokratische Gepflogenheiten ohnedies nicht gewohnt. Hier braucht einen überhaupt nichts zu wundern.
({5})
Herr Bundeskanzler, wenn Sie die Dinge mit Ihrer
unerträglichen Arroganz, die oft durchbricht, so weiter
betreiben, müssen Sie sich nicht wundern, wenn wir in
eine Stimmung geraten, die letztendlich auch Ihnen
nicht zugute kommt. Ich kann verstehen, daß Herr Lafontaine auch vor dieser Art und Weise des Umgangs
miteinander geflohen ist.
({6})
Er hat bei seiner Flucht ins saarländische Exil seinen
Oberbremser leider nicht mitgenommen. Im Gegenteil,
er hat den Oberbremser der Steuerreform, Herrn Eichel,
in den Führerstand hineingesetzt. Das war wohl auch ein
Stück seines letzten Streiches, den er hier gespielt hat.
({7})
Wenn wir die Leistungen und das Erscheinungsbild
dieser Regierung betrachten, dann ist eine Chaoskombo
dagegen eine geordnete Veranstaltung.
({8})
Was Sie dem Parlament in dieser Woche zumuten, ist
ohne Beispiel.
({9})
Ich sage noch einmal: Das Haushaltsrecht ist das Königsrecht des Parlaments, und Sie wollen verhindern,
daß über den Haushalt und Ihre wirtschafts-, finanz- und
sozialpolitischen Fehlleistungen diskutiert wird, die sich
inzwischen verheerend auf den deutschen Arbeitsmarkt
auswirken.
({10})
Die Regierung Schröder/Fischer ist in der Tat mit
großen Verheißungen angetreten. Nicht nur im Wahlkampf hat man den Bürgerinnen und Bürgern viel zugesagt. Ich zitiere die Regierungserklärung vom 10. November. Darin haben Sie, Herr Bundeskanzler, versprochen:
Wir machen dieses Land wieder zu einem Bewegungs-Ort.
({11})
Bei diesen Versprechungen haben sich die Leute nicht
nur Fischers abgelegte Turnschuhe vorgestellt, sondern
sie haben sich auch vorgestellt, daß Bewegung letztendlich zugunsten von mehr Arbeitsplätzen entsteht.
({12})
Sie haben das Land in der Tat zu einem Bewegungsort gemacht. Jeden Tag bewegt sich die Regierung in eine andere Richtung: Wirrwarr, Chaos und Verunsicherung auf allen Feldern der Wirtschafts-, Finanz- und Sozialpolitik. Die Wirtschaft bewegt sich in den Abschwung. Betriebe und Arbeitsplätze bewegen sich leider ins Ausland. Selbständige und Kleinverdiener bewegen sich aus dem Arbeitsmarkt heraus und werden in
Schwarzarbeit und Arbeitslosigkeit gedrängt. Die Preise
für Benzin, Heizöl, Gas und Strom bewegen sich nach
oben, und die Ökosteuer bewegt für die Umwelt überhaupt nichts.
({13})
Die Rentner bewegt die Angst vor ständig neuen Vorschlägen der Koalition über Rentenkürzungen, und alles
bewegt sich - Herr Eichel, wir möchten von Ihnen und
vom Bundeskanzler etwas dazu hören - in Richtung einer Mehrwertsteuererhöhung zum 1. Januar 2000.
Wie steht es mit dem Arbeitsmarkt? Herr Bundeskanzler, Sie haben versprochen - ich zitiere -:
Wir wollen uns jederzeit - nicht erst in vier Jahren
- daran messen lassen, in welchem Maße wir zur
Bekämpfung der Arbeitslosigkeit beitragen.
In der „Wirtschaftswoche“ tickt wöchentlich die
Schröder-Uhr. Sie zeigt die Bewegungen des Arbeitsmarktes seit dem Amtsantritt. Es gibt 323 112 Arbeitslose mehr und 337 000 Erwerbstätige weniger.
Die Bundesregierung bewegt auch ihre Wachstumsprognose, sie bewegt sie nach unten. 2,8 Prozent
Wachstum waren es 1998. Im Jahreswirtschaftsbericht
sind noch 2,0 Prozent Wachstum angekündigt worden.
Jetzt werden es allenfalls noch 1,5 Prozent Wachstum
bleiben.
Unbeweglich ist allein die Bundesregierung - wenn
man sieht, was inzwischen unsere wichtigen Wettbewerberländer, mit denen wir konkurrieren müssen, bewegt haben. Die Auswirkungen der internationalen
Wirtschafts- und Finanzkrisen werden als Ausrede
mißbraucht. Auch hier ist die Tatsache richtig, daß zum
Beispiel die USA wesentlich mehr als wir in Südostasien und in Südamerika engagiert sind. Trotzdem ist
dort die Wachstumsdynamik ungebrochen. Das zeigt,
daß die deutsche Konjunkturschwäche nicht nur auf die
internationalen Wirtschafts- und Finanzkrisen zurückzuführen ist. Sie ist zu einem gut Teil leider hausgemacht.
({14})
Die Politik Ihrer Regierung, Herr Bundeskanzler, hat
Menschen und Betriebe in Deutschland verunsichert. Sie
bewirkt derzeit ein Abwarten bei Investitionen. Es ist
ganz klar, daß die lahmende Investitionstätigkeit in
Deutschland sehr viel mit der Signalwirkung Ihrer sogenannten Steuerreform zu tun hat, die Sie auf den Weg
gebracht haben. Hier wird in einem sogenannten Steuerentlastungsgesetz etwas vorgelegt, was die Betriebe in
Wirklichkeit um 10 Milliarden DM mehr belastet. Das
ist Etikettenschwindel.
({15})
Herr Eichel, Sie waren zwar damals noch nicht im
Amt, aber Sie haben dieses Gesetz erst möglich gemacht. Sie waren von der hessischen Bevölkerung nicht
mehr legitimiert, im Bundesrat zuzustimmen, und haben
es dennoch getan.
({16})
Herr Bundeskanzler, eines haben Sie in dem Herrn
Eichel: Er war ein williger Erfüllungsgehilfe von Oskar
Lafontaine. Ich wünsche Ihnen, daß er auch ein Erfüllungsgehilfe Ihrer Politik ist. Nur wünsche ich dabei ein
bißchen mehr Erfolg und Sachverstand als unter Oskar
Lafontaine und bei ihm selbst in Hessen.
Obwohl die Bürger in Hessen Sie, Herr Eichel, wie
gesagt, abgewählt haben, haben Sie dies alles möglich
gemacht. Das alles bewegt natürlich die Menschen in
Deutschland. Ich brauche mir nur die neuen Meinungsumfragen anzusehen: Danach hat Ihre Regierung längst
die Mehrheit in der Bevölkerung verloren, und zwar
ausschließlich aus diesen innenpolitischen Gründen.
({17})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, Sie bewegen auch Arbeitsplätze; das ist schon richtig. Mehr Arbeitsplätze bekommen wir nur bei Kontrolleuren und
Steuerprüfern und möglicherweise in der Folge auch bei
Richtern und Staatsanwälten.
({18})
Das kann nicht der Sinn einer vernünftigen Regierungspolitik sein.
({19})
Als Sie noch Regierungschef in Niedersachsen waren, haben Sie die Verantwortung für die Konjunktur
und für Arbeitsplätze stets nach Bonn geschoben. Nun
sind Sie in Bonn, und nun tragen Sie hier die Verantwortung. Jetzt versuchen Sie diese Verantwortung wieder abzuschieben, zum Beispiel auf das „Bündnis für
Arbeit“ - eine nebulöse Veranstaltung - oder vielleicht
nach Brüssel auf einen sogenannten europäischen Beschäftigungspakt. Herr Bundeskanzler, Sie sind gewählt,
um zu regieren, und nicht, um zu moderieren. Sie tragen
die Verantwortung. Bündnisse und Beschäftigungspakte
dürfen nicht zu einer Alibiveranstaltung werden.
({20})
Herr Bundeskanzler, es sind auch Ihre Arbeitslosen,
mit denen wir es mittlerweile zu tun haben. Es ist ein
Trauerspiel, wenn ich als Beispiel nur einmal diese ganzen Orgien - hätte ich beinahe gesagt - um die geringfügigen Beschäftigungsverhältnisse nehme: Erst wollten
Sie die 630-DM-Jobs auf höchstens 10 Prozent in einem
Unternehmen begrenzen. Dann wollten sie die Grenze
für geringfügige Beschäftigung auf 300 DM senken. Im
nächsten Akt sollte die Pauschalsteuer entfallen und
durch eine Sozialversicherungspflicht ersetzt werden.
Jetzt sollen die meisten Menschen sowohl Steuern als
auch Sozialabgaben bezahlen.
Wir haben einen einmaligen Vorgang: Der Präsident
des Bundes der Steuerzahler ruft zum erstenmal zum
Steuerwiderstand in diesem Land auf, weil die Steuergesetze nicht praktikabel sind.
({21})
Selbst die Finanzämter blicken nicht mehr durch,
Herr Struck. Für viele Menschen geht diese Entscheidung an die eigene Substanz. Sie haben vielen Menschen den 630-DM-Job kaputtgemacht, und damit nehmen Sie diesen Menschen dringend benötigtes Geld
weg.
Dieses unsinnige Gesetz hat zum Beispiel folgendes
bewirkt: Bäckerhandwerk: 25 000 Kündigungen; Einzelhandel: 150 000 Kündigungen; Gebäudereiniger:
140 000 Kündigungen; Zeitungsverlage finden keine
Zusteller mehr; die Volkshochschulen müssen teilweise
schließen, weil sie keine Dozenten mehr finden;
({22})
sogar das Erzbistum Köln hat angegeben, die Gehälter
im April nicht zahlen zu können, weil die neue Regelung so kompliziert ist.
({23})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wenn man
selbst mit Gottes Hilfe nicht mehr durchblickt, dann
muß es doch ein elendes Gesetz sein, mit dem wir es zu
tun haben!
({24})
Es besteht eine weitere Gefahr: Sie machen unser
Land immer mehr zu einer Dienstleistungswüste. Ich
habe einmal die Leute in meinem eigenen Wahlkreis gebeten, mir ihre Erfahrungen zu schildern, und habe eine
Hotline geschaltet.
({25})
- Sie lachen darüber. Wissen Sie, warum Sie lachen,
meine Damen und Herren von der SPD? Weil Sie weit
weg von den Problemen der Menschen im Land sind
({26})
und weil Sie weit von den sogenannten kleinen Leuten
weg sind, für die Sie vorgegeben haben, angetreten zu
sein.
({27})
- Sie mögen darüber lachen, Frau Kollegin. Mich rührt
es schon eigenartig an, wenn Frauen mit Tränen in den
Augen kommen
({28})
und sagen: Ich habe dieses Geld, das ich mit dem 630DM-Job verdient habe und das ich jetzt nicht mehr bekomme, dringend benötigt. - Hören Sie sich doch einmal in der Wirklichkeit um! Die Menschen wären dankbar, wenn sie die Sorgen bei denen abladen könnten, denen sie bei der Wahl offensichtlich ein Stück mehr vertraut haben als uns.
({29})
Sie tauchen vor diesen ganzen Problemen weg.
({30})
Sie können doch nur noch inkognito in eine Gastwirtschaft gehen.
({31})
Gehen Sie doch einmal dort hin und fragen Sie, wie das
mit den Bedienungen und dem Service jetzt noch läuft jetzt, wo die Ausflugslokale öffnen, nachdem das Wetter
wieder schön wird.
({32})
Der Gipfel des Zynismus und der Volksverdummung
- so hätte ich beinahe gesagt - der SPD ist das Verhalten
einzelner Ministerpräsidenten.
({33})
Ich nehme als Beispiel einmal den hochgelobten Herrn
Clement. Der bringt es fertig, am vergangenen Freitag
diesen Gesetzen zuzustimmen und damit eine Mehrheit
im Bundesrat dafür zu schaffen und sich währenddessen
in einem Gespräch mit dem „Focus“, der montags erscheint, aber samstags schon auf die Agenturen geht,
schon von den Gesetzen zu distanzieren und Nachbesserungen zu fordern.
({34})
Meine sehr verehrten Damen von der SPD, die Mehrheit
der deutschen Bevölkerung wird Ihnen das auf die Dauer nicht durchgehen lassen.
({35})
Herr Bundeskanzler, Sie haben versprochen - ich zitiere Ihre Regierungserklärung, diesmal nicht die „Bild“Zeitung -:
Wir werden die Verwaltung schlanker und effizienter machen, und wir werden hemmende Bürokratie rasch beseitigen.
({36})
- Jetzt kommt die Praxis; ich höre den Zwischenruf,
Herr Kollege. Bei den 630-DM-Jobs sind beispielsweise
An- und Abmeldungen, Unterbrechungsabmeldungen,
Jahresmeldungen, Änderungsmeldungen usw. notwendig. Die Krankenkassen und Rentenversicherer werden
zu Hilfspolizisten der Schröder-Gesetze. Die Arbeitsämter müssen für jeden, der für wenige Stunden eine
Putzhilfe beschäftigt, eine eigene Betriebsnummer vergeben. Die Kommunen müssen 2 Millionen neue Lohnsteuerkarten ausstellen. Wo sind denn da die Verschlankung der Verwaltung und die Beseitigung der Bürokratie, verdammt noch mal?
({37})
Deswegen hat Herr Dr. Martin recht, der heute in der
„Bild“-Zeitung schreibt:
Die deutsche Steuerpolitik - hoffnungslos verheddert und verstrickt. Jetzt hat der Kanzler Korrekturen angekündigt.
Wir sind sehr gespannt, ob Sie dürfen, Herr Bundeskanzler.
Der Herr Riester hat Ihnen heute in der „Augsburger
Allgemeinen Zeitung“ wieder die rote Karte gezeigt. Ich
bin mal gespannt, wer stärker ist: Sie oder dieser Gewerkschaftsfunktionär, der jetzt Sozialminister ist. Die
Richtlinienkompetenz in unserem Land liegt nicht beim
Deutschen Gewerkschaftsbund, sondern sie liegt laut
Verfassung nach wie vor beim Bundeskanzler.
({38})
Ich darf aber noch einen Satz vorlesen. Es heißt in
dem Kommentar weiter:
Löblich. Doch worin besteht der Unterschied zwischen dem Mann, der morgens Zeitungen austrägt,
dem, der mittags eine Schülermannschaft trainiert,
und dem, der abends Pizzas ausfährt?
Ich kann, wenn Sie wieder korrigieren, nur raten:
Machen Sie es so, daß es praktikabel und letztendlich
verfassungsfest ist! Bis Ihnen etwas Richtiges einfällt,
nehmen Sie dieses unsinnige Gesetz ebenso wie das Gesetz gegen die sogenannte Scheinselbständigkeit rasch
wieder zurück!
({39})
Ich sage es noch einmal: Lassen Sie sich dabei weder
von Herrn Riester noch von Herrn Struck beeindrucken!
Angeblich hat ja die SPD-Fraktion einen kleinen Aufstand gegen Sie gemacht. Ihre Meinung über Herrn
Struck ist weidlich bekannt; Sie haben sie vorher öffentlich immer wieder geäußert,
({40})
ich will das deswegen an dieser Stelle nicht tun. Nur,
Herr Bundeskanzler, kriechen Sie dann nicht zu Kreuz,
sondern erklären Sie klipp und klar: Ich stehe hinter diesen Dingen, will, daß sie so praktiziert werden - oder
setzen Sie die Änderungen durch!
({41})
Ein weiteres Beispiel dafür, daß es nicht weitergeht,
ist die sogenannte Unternehmensteuerreform. Herr
Eichel, da wartet ein schwieriges Geschäft auf Sie. Die
Kommission, die eingesetzt worden ist, hat jetzt einen
Vorschlag vorgelegt, der so nicht zu verwirklichen ist.
Er ist untauglich, er ist nicht verfassungsfest, und es
zeigt sich immer mehr, daß die Petersberger Vorschläge,
die wir intensiv erarbeitet, beraten, eingebracht und im
Deutschen Bundestag verabschiedet haben und die von
Ihnen aus parteitaktischen Gründen torpediert und
kaputtgemacht worden sind,
({42})
der richtige Weg gewesen wären.
({43})
Sie haben gestern in bezug auf die Bundesschulden
mit Unflätigkeiten und Taschenspielertricks, mit windigen Berechnungen für Klein-Moritz draußen - dabei haben Sie die deutsche Wiedervereinigung weggelassen -,
({44})
Theo Waigel in Zweifel zu ziehen versucht. Herr Eichel,
Sie werden sich an Theo Waigel letztendlich messen
lassen müssen, und dann wird es heißen: Gewogen und
zu leicht befunden!
({45})
Theo Waigel hat als erster Finanzminister Deutschlands
das Gesetz von den ständig steigenden Staatsausgaben
durchbrochen. 1998 waren die Ausgaben im Bundeshaushalt um 3 Prozent niedriger als vier Jahre zuvor. Wie es beim hessischen Haushalt gewesen ist, können
Sie dann anschließend sagen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, der Herr
Bundeskanzler hat wörtlich gesagt: „Wir wollen nicht,
daß der Euro deutsch spricht.“ - Damit haben Sie für
Deutschland und für Europa einen verheerenden Kurswechsel eingeleitet, denn das wird als Abschied von der
Stabilitätspolitik verstanden.
({46})
Die Politik von Kohl und Waigel war eine Politik für
Stabilität der Währung. Die internationalen Devisenmärkte haben auf Ihre neuen Signale leider reagiert.
Glauben Sie nicht, daß Ihnen ein billiger Euro auf die
Dauer die Aufgabe abnimmt, die strukturellen Probleme
dieses Landes zu lösen!
({47})
Es ist der falsche Weg, meine sehr verehrten Damen und
Herren.
Ich könnte jetzt Professor Jochimsen zitieren, ich tue
es aus Zeitgründen nicht. Ich will nur sagen: Bei Ihrem
Amtsantritt als Bundeskanzler haben Sie versprochen, in
der EU einen gerechteren Beitrag für Deutschland
durchzusetzen, nachdem das, was Theo Waigel erreicht
habe, Ihrer Ansicht nach immer weniger ein Weg in die
richtige Richtung gewesen sei.
Seit dem Berliner EU-Gipfel ist klar: Alle anderen
Nationen haben ihre nationalen Interessen rigoros durchgesetzt. Der britische Beitragsrabatt bleibt erhalten. Sie
hätten einmal mit Ihrem Freund Tony sprechen sollen,
damit er Ihnen ein Stückchen entgegenkommt. Die französische Landwirtschaft bleibt ungeschoren. Die finanziellen Hilfen für Spanien und Portugal steigen sogar
noch an. Die Kohäsionsfonds bleiben offen, obwohl sie
reduziert und geschlossen werden sollten, nachdem die
Empfängerländer Mitglied in der Europäischen Währungsunion sind. Die Folge ist: Nur die Nettobelastung
Deutschlands wird im Jahre 2006 nach Angaben der EUKommission um 300 Millionen DM höher sei als 1999.
Auch hier gibt es also nur leere Versprechungen.
Der elende Krieg im ehemaligen Jugoslawien, der uns
besorgt macht - ich möchte diesen Krieg auch einmal
von der finanziellen Seite her betrachten -, wird den
deutschen Steuerzahlern, die nach wie vor die Hauptzahler in der EU sind, neben anderen Sorgen auch noch
viele finanzielle Sorgen bereiten. Ich möchte jetzt Herrn
Hänsch zitieren.
({48})
- Herr Kollege, Sie sollten mehr auf Ihre Genossen
hören, die im Gegensatz zu anderen noch einen guten
Ruf haben. Herr Hänsch hat noch einen seriösen Ruf. Er
spricht bereits von 30 Milliarden Euro - das sind fast 60
Milliarden DM -, die Deutschland für die Folgen des
Kosovo-Krieges aufbringen soll.
Sicherlich müssen wir alle an einer Stabilisierung des
Balkan interessiert sein. Aber wir dürfen nicht nur an
den Verbrecher Milosevic und an die unerträglichen
Vorgänge denken, die gegenwärtig im Kosovo passieren; wir müssen vielmehr die Auswirkungen sehen, die
dieser Krieg auf die dortigen Nachbarländer hat, zum
Beispiel auf Rumänien, Bulgarien und Ungarn. Wir wissen auch, daß wir die Menschen in diesem Teil Europas
nicht alleine lassen dürfen, nur weil Milosevic und seine
Clique schreckliche Verbrechen zu verantworten haben.
Im Gegenteil: Wir können in Westeuropa nur in Frieden
und Sicherheit leben, wenn auch in diesem Teil Europas
wieder die Verhältnisse in Ordnung gebracht werden,
wenn also Frieden, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit
dort herrschen.
({49})
Weil wir die Voraussetzungen dafür durchsetzen
wollen, sind wir letztendlich bereit - wenn alle Fakten
auf dem Tisch liegen -, auch die nötigen Maßnahmen
mitzutragen. Das haben wir als Opposition getan. Dies
war durchaus nicht selbstverständlich, insbesondere
nicht selbstverständlich für eine Opposition, die so behandelt wird, als ob man sie überhaupt nicht bräuchte.
Aber jetzt haben Sie unsere Zustimmung wohl wieder
ganz gerne, weil Sie nicht wissen, wie es in Ihren eigenen Reihen aussieht.
({50})
Herr Bundeskanzler, Sie haben heute hier Gelegenheit, an das Mikrophon zu treten und uns mitzuteilen,
wie die Mehrheiten in Ihren Reihen aussehen.
({51})
- Okay, das ist prima. - Sie haben auch Gelegenheit,
wieder einmal das deutsche Parlament zu unterrichten.
Sie können nicht nur Ausschüsse unterrichten, eventuell
noch mit dem Schild „Vertraulich“ an der Saaltür. Sie
müssen auch hier eine ganze Reihe von Fragen beantworten. Sie haben bisher die Opposition außen vor gelassen. Die Opposition ist nicht mehr unterrichtet worden. Am Anfang hatte es noch Gespräche gegeben, dann
nicht mehr. Ich möchte Ihnen ein paar Fragen stellen,
auf die ich von Ihnen gerne Antworten gehört hätte: Wie
weit soll die Nothilfe der deutschen Soldaten im Ernstfall gehen? Wie wird die Sicherheitslage unserer Soldaten, die wir nach Albanien schicken, eingeschätzt? Wo
werden sie stationiert? Wie werden sie bewaffnet sein?
({52})
- Herr Fischer, ich weiß schon, was Sie sagen wollen.
Es geht nicht, daß alles nur in den Ausschüssen diskutiert wird. Nicht alle Parlamentarier können Mitglieder
des Verteidigungsausschusses oder des Auswärtigen
Ausschusses sein.
({53})
Es müssen hier Beschlüsse gefaßt werden, die letztendlich für unser Land von großer Tragweite sind. Viele
Menschen machen sich zu Recht Sorgen über diese
Entwicklung im Kosovo und über die Auswirkungen auf
die internationalen Beziehungen. Sagen Sie, Herr Fischer, doch einmal, was sich in den letzten fünf oder
sechs Wochen verändert hat. Warum muß noch in dieser
Woche - quasi im Eilverfahren - der Beschluß über den
Einsatz von weiteren deutschen Soldaten gefaßt werden?
Wir sind grundsätzlich bereit mitzustimmen. Aber sagen
Sie, warum es vor zwei Wochen, als wir Sie aufgefordert haben, dies zu tun, nicht notwendig war und warum
es jetzt notwendig ist.
({54})
Wollte man über die Feierlichkeiten zum 1. Mai hinwegkommen?
Es gibt Menschen, die haben an diesem Tag Schlüsselerlebnisse gehabt. Herr Trittin hat auf einer Veranstaltung erfahren, wie es ist, wenn man gestört wird. Er
kommt aus einem Lager, das früher selbst immer nur gestört hat.
({55})
So hat er nur die halbe Zeit reden können. Das sind alles
neue Erlebnisse für ihn. Die Herren, die sich früher über
die Staatsmacht mokiert haben, repräsentieren sie heute
selber.
Wir wollen wissen, warum dieser Beschluß erst jetzt
gefaßt wird und warum dies letztendlich so schnell passiert.
({56})
- Ich kann nur sagen, daß ich darauf eigenlich nicht eingehen wollte. Aber da ich permanent Zwischenrufe von
der linken Seite dieses Hauses bekomme, muß ich darauf hinweisen: Nach dem Leitantrag für den Parteitag
der Grünen ist das Vorgehen der NATO durch schwerwiegende völkerrechtliche Einwände in Frage gestellt.
Bundestagsabgeordnete der Grünen haben die NATOAktionen im Kosovo mittlerweile als Angriffskrieg gebrandmarkt. Mitglieder des SPD-Parteivorstandes haben
in Unterschriftenlisten ein Ende der NATO-Aktionen
gefordert. Höhepunkt war der Auftritt von Herrn
Klimmt bei „Sabine Christiansen“. Sein Auftreten war
unsäglich und unerträglich. Oskar Lafontaine - nicht irgendwer - und Ministerpräsident Stolpe haben sich für
eine sofortige Feuerpause ausgesprochen, ebenso der
bayerische Landesverband der SPD unter der grandiosen
Führung von Renate Schmidt.
Noch eines in dieser Stunde: Unsere Soldaten brauchen jetzt keine Grundsatzdiskussionen oder überflüssige Strukturkommissionen, auch wenn diese von einem
ehemaligen Bundespräsidenten geleitet werden.
({57})
Unsere Soldaten haben Anspruch auf nachhaltige und
nachdrückliche Rückendeckung für ihren schwierigen
Auftrag, den sie ausführen. Dafür möchten wir uns
herzlich bedanken.
({58})
Notwendiger als eine Strukturkommission ist ein Ehrschutz für unsere Soldaten; denn man beginnt wieder,
sie als Mörder zu beschimpfen. Das kann man ungestraft
tun. Deswegen werden wir den Gesetzentwurf, mit dem
diese Beschimpfungen unter Strafe gestellt werden - er
war im Ausschuß abschließend beraten worden -, in der
nächsten Sitzungswoche erneut einbringen.
({59})
Unsere Soldaten sind keine Mörder; sie leisten Dienst
für Frieden und für Menschlichkeit. Ohne den Dienst
unserer Soldaten wäre die schlimme humanitäre Katastrophe noch größer.
Herr Bundeskanzler, Sie sind derzeit EU-Ratspräsident. Sorgen Sie dafür, daß auch unsere europäischen
Partner ihre Verpflichtungen bei der Aufnahme von
Flüchtlingen erfüllen!
({60})
Wir brauchen auch in diesem Bereich eine gerechte Lastenverteilung in Europa. Sorgen Sie dafür, daß nicht
wieder solche Dinge wie gestern geschehen! Ich glaube,
es war der Kollege Schmidt, der die 5 Millionen Menschen verunglimpft hat, die an Unterschriftenständen ihre Sorge über das Staatsangehörigkeitsrecht und ihr
Eintreten für bessere Integration zum Ausdruck gebracht
haben. In einer solch schwierigen Zeit muß man versöhnen, nicht spalten, so hat es einmal Willy Brandt gesagt.
({61})
Dieses neue Staatsbürgerschaftsrecht, das so viele
Fragen offenläßt - das wurde auch in den Expertenanhörungen deutlich -, soll jetzt im Eilverfahren durchgepaukt werden, weil Sie Ihre linken Partner bei Laune
halten wollen - das ist der einzige Grund. Sie sollten in
dieser schweren Zeit lieber einen Konsens suchen. Es
hat niemals den Versuch gegeben, einen Konsens mit
uns zu suchen.
({62})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, all das
zeigt: Die Sorgen der Bürger werden von Rotgrün nicht
ernst genommen. Diese Bundesregierung hat auf die
großen Herausforderungen unseres Landes keine Antwort. Deswegen brauchen wir einen Politikwechsel in
allen Bereichen.
Ich danke Ihnen.
({63})
Ich erteile das Wort
dem Fraktionsvorsitzenden der SPD, dem Kollegen Peter Struck.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr
verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Glos, Ihr
Niveau kennen wir. Ich denke aber, es wäre der Situation in unserem Lande angemessener gewesen, wenn Sie
hier heute etwas weniger kleinkariert und primitiv gesprochen hätten.
({0})
Es geht in dieser Debatte um die Grundlinien der
Politik: Schaffung von Arbeit, Steuerreform, Gesundheitsreform, Rentenreform. Das waren und sind die
dringendsten Projekte, die wir uns vorgenommen haben.
Sie werden aber im Augenblick von den besorgten Fragen der Menschen, wie es im Kosovo und in Jugoslawien weitergeht, überlagert. Wenn Sie, Herr Kollege Glos,
im Zusammenhang mit diesem Thema nur die Frage
stellen, wieviel Geld das denn wohl kosten wird, dann
zeigt das Ihre Geisteshaltung in diesen Fragen.
({1})
Wir haben in den letzten Wochen erfahren müssen,
daß die Schwerpunkte der von dieser Koalition vertretenen politischen Grundlinien nicht mehr allein von uns
bestimmt werden. Der mörderische Vertreibungskrieg
des Diktators Milosevic hat uns allen drastisch vor
Augen geführt, daß sich die Politik nicht in jedem Fall
vorausplanen läßt. Das Morden im Kosovo und die dort
stattfindenden Vertreibungen haben uns allen Entscheidungen abverlangt, die treffen zu müssen wir in einem
zivilisierten Europa nicht mehr für möglich gehalten
hätten.
Mehr als 1,1 Millionen Menschen sind inzwischen
von der Soldateska aus ihrer Heimat gehetzt worden. Sie
werden gejagt, ermordet, vergewaltigt, verstümmelt. Wir
sehen die Bilder der Flüchtlingslager und wollen nicht
wahrhaben, daß dies wirklich in Europa, wirklich vor
unserer Haustür geschieht. Wir wiegen uns beim Betrachten dieser Bilder häufig in der Hoffnung, als sähen
wir im wahrsten Sinne des Wortes fern. Lange genug
haben wir uns darüber hinaus in der Hoffnung gewiegt,
die Probleme des Balkans irgendwie fern von uns halten
zu können. Wir können es nicht. Wir dürfen die Blutspur, die Milosevic auf dem Balkan zieht, nicht noch
größer werden lassen.
({2})
Wir dürfen eine weitere Destabilisierung dieser europäischen Region nicht zulassen. Es kann nicht sein, daß es
dort brennt und der Rest Europas darüber hinwegschaut.
Die Idee von einem vereinten westlichen Europa
bekam nach dem zweiten Weltkrieg doch deshalb einen
solchen Aufwind, weil man Lehren aus der Barbarei
Hitlers ziehen wollte. Ein vereintes, freies Europa als
Antwort auf Völkermord, Vertreibung und Krieg - das
war der Ursprung, das war die Vision. Hinter einem vereinten Europa steckt mehr als ein gemeinsamer Markt
und Euro-Land. Nicht immer sind wir uns dessen bewußt, welch großer Wurf uns mit der Umsetzung dieser
europäischen Idee gelungen ist. Bei manchem geht das
in der Brüsseler Routine unter. Deshalb ist es hilfreich,
daß UN-Generalsekretär Kofi Annan uns Europäer in
der letzten Woche in Berlin noch einmal an die Einzigartigkeit dieser europäischen Integration erinnert hat, als
er sagte:
In der Geschichte gibt es wenig Beispiele für eine
Aussöhnung, die so vollkommen war wie die Versöhnung zwischen den Nationen Westeuropas, nach
dem langen und brutalen Konflikt, der 1945 sein
Ende fand.
Wir können uns aber auf diesen Lorbeeren nicht ausruhen. Die Einigung Westeuropas ist gelungen. Es geht
jetzt um die Einigung ganz Europas. Polen, Tschechien,
Ungarn, Estland und Slowenien sind schon auf dem
Weg; andere werden folgen. Aber wenn wir „ganz
Europa“ sagen, dann geht es auch darum, die jetzt noch
nicht befriedete Balkanregion heranzuholen, und dafür
brauchen wir den gleichen Mut, die gleiche Weitsicht
und den gleichen Willen zur Versöhnung.
({3})
Die Angriffe der NATO sind nach einer vielleicht zu
ausgiebigen Phase der Langmut die Antwort auf Vertreibung und Völkermord, auf schlimmste Verstöße gegen Menschenrechte. Europa kann diese Fußtritte von
Milosevic gegen die Menschlichkeit nicht hinnehmen,
wenn es andererseits stolz darauf ist, die höchsten Standards für Menschenrechte in der Gemeinschaft zu verwirklichen.
Meine Damen und Herren, Kofi Annan hat in Berlin
beschrieben, wie eine Lösung des Kosovo-Konflikts
aussehen muß. Sie muß sich daran messen lassen, ob die
Flüchtlinge und Binnenvertriebenen rasch und sicher in
ihre Heimat zurückkehren können. Wenn das der Fall
ist, wenn die Bewohner des Kosovo in Frieden und
Sicherheit unter voller Wahrung der politischen und
bürgerlichen Rechte aller leben können, wird das ein
Sieg für Europa. - So hat es Kofi Annan gesagt.
Ich tue mich schwer, die Vokabel „Sieg“ zu gebrauchen; denn es darf nicht der Eindruck entstehen, als ginge es der NATO um einen Sieg, gar um einen militärischen. Nein, es geht darum, dem Diktator Milosevic die
Einhaltung der elementarsten Menschenrechte, des
Rechts der Kosovaren auf Leben, Freiheit und Sicherheit
in ihrer Heimat abzutrotzen. Das ist unser einziges Ziel.
({4})
Und es scheint, daß die Aussicht, dies auf dem Verhandlungsweg zu erreichen, wieder gewachsen ist.
Auf Initiative der deutschen Regierung werden die
Außenminister der G 7 gemeinsam mit Rußland morgen
noch einmal ihre Vorstellungen konkretisieren. Natürlich hoffen wir, daß dann auch Milosevic endlich wieder
konstruktiv darauf eingeht. Ich danke Ihnen, Herr
Außenminister Fischer und Herr Bundeskanzler Schröder, für die Initiative, die Sie gerade in diesem Bereich
ergriffen haben, und wünsche Ihnen und uns allen großen politischen Erfolg.
({5})
Die Akzeptanz für das Vorgehen der NATO ist in der
Bevölkerung konstant. Dennoch werden mit jedem weiteren Tag der Luftangriffe, mit jedem weiteren zivilen
Opfer auf serbischer Seite die Fragen nach dem Ende
der Aktion lauter. Die Antwort lautet: Milosevic muß
mit dem Morden aufhören.
({6})
Milosevic muß der Rückkehr der Flüchtlinge ins Kosovo
zustimmen. Er muß mit dem Rückzug seiner Truppen
beginnen und eine Absicherung des Kosovo durch internationale Truppen bejahen.
Nach dem Beitrag des Kollegen Glos und nach Informationen, die ich gerade eben erhalten habe, scheint
es so zu sein, daß wir möglicherweise nicht mehr in dieser Woche über den Einsatz weiterer Soldaten entscheiden wollen, weil die CDU/CSU-Fraktion Fristeinrede geltend macht; dann möge es so sein. Wir werden
ausführlich beraten. Ich sage Ihnen aber klipp und klar,
um das klarzustellen: Wir werden dem, was die Bundesregierung vorgeschlagen hat, als SPD-Fraktion hier im
Deutschen Bundestag zustimmen.
({7})
Insofern sind Ihre Bemerkungen, Herr Kollege Glos,
auch völlig neben der Sache.
Bundespräsident Herzog hat die Entscheidung der
EU-Regierungschefs als den Beleg dafür gewertet, daß
der europäische Zug wieder ins Rollen gekommen ist;
denn sie bedeutet nach Meinung des Präsidenten nicht
mehr und nicht weniger, als daß die Europäer Seite an
Seite Gefahren für Leib und Leben ihrer Soldaten auf
sich nehmen, um Menschenrechte und damit Demokratie als gemeinsame Werte durchzusetzen und zu verteidigen.
Kollege Struck, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Glos?
Ja, bitte sehr.
Herr Kollege Struck, ich
wollte Sie nur fragen, welche Passage in meiner Rede
Sie veranlaßt hat zu sagen, wir würden Fristeinrede geltend machen?
({0})
Das ist völlig falsch, das hat niemand vor. Wir wollen
lediglich, daß alle Fragen, die im Raum stehen, geklärt
werden, damit wir in Kenntnis der Tatsachen entscheiden. Wenn Fragen offenbleiben, dann muß man die
Ausschußberatungen bis zu deren Beantwortung fortführen.
({1})
Wir sind selbstverständlich bereit, auf die Fristeinrede zu verzichten, wenn Sie begründen können, warum
Sie jetzt, in dieser Woche, diesen Beschluß brauchen.
({2})
Ihre Erklärung ist schon
recht hilfreich. Herr Kollege Glos, ich will aber noch auf
einen Punkt hinweisen - vielleicht kann ihn Herr
Schäuble in seinem Redebeitrag klarstellen -: Mir ist
mitgeteilt worden, die CDU/CSU-Fraktion wolle am
morgigen Donnerstag noch einmal beraten.
({0})
- Ja, natürlich; das bestreite ich überhaupt nicht.
Herr Kollege Rühe, ich darf Sie einmal ansprechen:
Der Bundesverteidigungsminister und die Mitglieder der
Bundesregierung haben einen Beschluß im Hinblick
darauf gefaßt, den Flüchtlingen in Mazedonien und in
Albanien möglichst schnell zu helfen. Wir wollen humanitäre Hilfe leisten.
({1})
Das heißt selbstverständlich auch: Nachdem die Fragen,
die berechtigterweise gestellt werden müssen - ich habe
keine Schwierigkeiten mit diesen Fragen; auch in meiner
Fraktion werden sie gestellt -, von der Bundesregierung
in den Ausschüssen beantwortet worden sind, müssen
wir in der Tat so schnell wie möglich noch in dieser
Woche entscheiden. Sollten wir uns in diesem Punkt
einig sein, nehme ich diese Tatsache zufrieden zur
Kenntnis.
({2})
Wir Europäer müssen selbstkritisch festhalten, daß
unsere Balkan-Politik in den vergangenen zehn Jahren
kurzatmig war. Wir müssen einräumen, daß das DaytonAbkommen Bosnien-Herzegowina zwar geholfen, aber
das Kosovo-Problem bewußt ausgeklammert hat. Europa muß sich mit aller Macht einschalten - auch mit militärischer Macht. Wenn das Ziel erreicht ist, den Völkermord an den Kosovaren zu stoppen, muß sich Europa
erst recht engagieren, um diese Region stärker an die
Gemeinschaft heranzuführen. Albanien und Mazedonien
brauchen unsere Hilfe in stärkerem Umfang. Aber auch
das serbische Volk muß die Gewißheit haben, daß der
Westen es nicht auf den Trümmern des MilosevicRegimes sitzen läßt.
({3})
Das Engagement des Außenministers, Joschka
Fischer, für einen Stabilitätspakt in dieser Region ist
richtig und verdient alle Unterstützung.
({4})
Die Europäische Union muß diesen Ländern das Gefühl
geben, nicht an der Tür des Westens abgewiesen zu
werden. Das muß unser Ziel sein.
Kurzfristig bedarf es noch größerer Unterstützung für
Mazedonien und Albanien, damit diese Länder weiter
zur Aufnahme der Flüchtlinge bereit und fähig sind. Wir
begrüßen es, daß sich die NATO, aber auch andere Länder wie Norwegen und Österreich entschlossen haben,
die humanitäre Hilfe in diesen Ländern zu intensivieren,
und daß wir uns an dieser Hilfe beteiligen, wie der Bundestag wohl in dieser Woche beschließen wird. Neue
Flüchtlingslager müssen gebaut, die Grundbedürfnisse
der Menschen befriedigt und Epidemien verhindert werden. Die Bundeswehr soll sich deshalb mit weiteren 600
Soldaten an diesem rein auf Hilfe für die Flüchtlinge
ausgerichteten Einsatz beteiligen.
Die Hilfsbereitschaft der Bevölkerung ist groß. Die
Hilfsorganisationen spüren die große Unterstützung der
Bürgerinnen und Bürger nicht nur in Mark und Pfennig.
Viele Menschen bieten sich als freiwillige Helfer an. In
vielen Orten entstehen spontane Initiativen: Schülergruppen engagieren sich; Kirchengemeinden organisieren Hilfstransporte; Studenten sammeln, um ihren Kollegen aus dem Kosovo Überbrückungssemester in
Deutschland zu ermöglichen.
Ich habe von dieser Stelle aus schon oft den Soldaten
für ihren Einsatz gedankt. Ich möchte auch allen anderen
Menschen, die hier helfen, dafür danken, daß sie uns mit
ihrem Engagement die Bestätigung für unsere Entscheidung geben, entschieden gegen Völkermord und Vertreibung auf unserem Kontinent einzutreten.
({5})
Die Bundesregierung und die Länderregierungen haben bereitwillig Flüchtlinge aus dem Kosovo in
Deutschland aufgenommen. Das ist ein Gebot der
Menschlichkeit. Es ist aber auch die Aufforderung an
unsere europäischen Partner, endlich auch ihren Aufnahmezusagen in vollem Umfang nachzukommen.
({6})
Das ist eine Frage der Solidarität mit den Betroffenen,
aber auch eine Frage der gerade jetzt notwendigen europäischen Solidarität.
Ich begrüße das Angebot des Bundesinnenministers,
über die Familienzusammenführung mehr Menschen
zum Beispiel aus dem Kosovo in Deutschland eine Bleibe zu geben. Ich weise aber darauf hin, daß der Beitrag,
den der Kollege Repnik gestern in der Geschäftsordnungsdebatte gebracht hat, mich allerdings zu der Befürchtung veranlaßt, daß die CDU- und CSU-regierten
Länder diese Bereitschaft offenbar nicht haben. Ich sage
deutlich: Die Situation der Menschen im Kosovo verlangt auch, daß wir bereit sind, mehr Menschen als bisher aufzunehmen.
({7})
Angesichts der Leiden der Menschen, aber auch angesichts der Besorgnis vieler unserer Mitbürger, wie es
denn nun weitergeht, habe ich es - im Gegensatz zu
meinem Vorredner - für richtig gehalten, diesem beherrschenden und bedrückenden Thema breiteren Raum zu
geben. Aber natürlich geht es in dieser Debatte auch um
den Haushalt dieser Koalition.
({8})
Der Kurs unseres Haushalts 1999 - das hat die beeindruckende Rede des Bundesfinanzministers, für die
ich Ihnen noch einmal herzlich danken möchte, Herr
Minister Eichel,
({9})
gezeigt - ist: mehr Investitionen und weniger Schulden.
Dieser Kurs bleibt. Ich weiß, daß wir hinsichtlich des
Haushalts 2000 darüber intensive Debatten führen werden, auch in meiner Fraktion. Es ist überhaupt kein Geheimnis, daß wir, wenn wir über Sparen reden müssen,
nicht nur in der Bevölkerung, sondern auch in der Fraktion darüber diskutieren müssen, ob diese oder jene
Sparmaßnahme richtig ist. Aber im Gegensatz zu der
Vorgängerregierung und dem Schuldenmacher Waigel
nehmen wir diese Verantwortung ernst. Das werden Sie
im Haushalt 2000 auch sehen.
({10})
Der Haushalt 1999 ist übrigens der erste Haushalt seit
1994, in dem die Ausgaben für die Zukunftsaufgaben
dieses Landes aufgestockt und nicht gesenkt worden
sind.
({11})
1 Milliarde DM mehr investieren wir in Forschung und
Innovation.
Dies ist der erste Haushalt dieser Republik, der einer
Energiewende Rechnung trägt und auf erneuerbare
Energieträger statt auf das Risiko Atomstrom setzt.
({12})
Dafür haben wir fast 300 Millionen DM zusätzlich zur
Verfügung gestellt.
Dies ist ein Haushalt, der sich trotz knapper Kassen
Luft geschaffen hat, um soziale Fehlentwicklungen bei
den Renten und bei der Familienförderung zu korrigieren.
Dies ist ein Haushalt, der es ernst meint mit der
Bekämpfung der Arbeitslosigkeit. Wir haben ein
2-Milliarden-Programm für 100 000 Jugendliche aufgelegt, von dem schon 60 000 Jugendliche Gebrauch gemacht und einen Ausbildungs- oder Arbeitsplatz gefunden haben. Das kann sich sehen lassen; darauf sind wir
stolz.
({13})
Was Sie, Herr Kollege Glos, über das „Bündnis für
Arbeit“ gesagt haben, spottet nun wirklich jeder Beschreibung.
({14})
Ich darf Sie daran erinnern, daß auch Herr Kohl schon
einmal ein „Bündnis für Arbeit“ versucht hat, und damals haben Sie das nicht so abqualifiziert wie eben. Er
ist allerdings gescheitert, weil er sich einseitig auf die
Seite der Arbeitgeber geschlagen hat. Das werden wir
nicht tun.
({15})
Wir begrüßen auch, daß dieser Tage, allen Querschüssen der Verbandsfunktionäre zum Trotz, mit Mark
Wössner, dem Aufsichtsratsvorsitzenden von Bertelsmann, einer der führenden Vertreter der deutschen Wirtschaft unmißverständlich klargestellt hat, daß er ausdrücklich hinter dem Primat der Regierungsarbeit steht,
die Arbeitslosigkeit zu bekämpfen. In „Capital“ erklärte
Wössner:
Für den Kampf gegen dieses Karzinom der deutschen Gesellschaft verdient und bekommt der Bundeskanzler die Unterstützung der Wirtschaft.
Das ist ein erfreuliches, ein ermutigendes Wort.
({16})
Ich zitiere aus einer heutigen Meldung, was ein weiterer nicht unbekannter Vertreter der deutschen Wirtschaft, Herr Kopper, gesagt hat.
({17})
- Da müssen Sie nicht lachen, Herr Kollege Kohl. Ich
verstehe das gar nicht.
({18})
- Das ist Ihre Sache.
({19})
Hilmar Kopper, der Beauftragte der Bundesregierung für Auslandsinvestitionen in Deutschland, hat
die Wirtschaft zur Mäßigung im Umgang mit der
rot-grünen Koalition aufgerufen. Drohungen aus
Strom- und Versicherungskonzernen, Unternehmensteile ins Ausland zu verlegen, seien nicht
glücklich, sagte Kopper dem Hamburger Magazin
stern … Auch die wohlfeile Kritik des BDIPräsidenten Hans-Olaf Henkel im Wall Street Journal am Standort Deutschland habe ausgewogener
sein können.
Er hat recht, der Herr Kopper.
({20})
In den letzten Wochen hatte man bei den Themen
Scheinselbständigkeit und 630-Mark-Jobs - Herr
Kollege Glos hat sich dem auch in aller Breite und auf
niedrigem Niveau gewidmet ({21})
mitunter den Eindruck, hier gehe es gar nicht mehr um
die Sache, sondern es solle von einigen mit einer Kampagne ausgelotet werden, wer die Macht im Staate hat.
Für meine Fraktion sage ich hier klipp und klar: Wir
wollen die Zusammenarbeit mit der Wirtschaft. Wir machen keine Politik gegen die Wirtschaft, sondern wir
wollen eine Politik mit der Wirtschaft zum Wohle des
Landes. Aber Dialog darf nicht Diktat bedeuten. Politik
wird nicht in den Verbandsspitzen gemacht, sondern
immer noch im Parlament und in der Regierung.
({22})
Wenn der sogenannte Bund der Steuerzahler jetzt zu einem Steuerboykott aufruft, dann ist das eine Ungeheuerlichkeit. Die seriöse Wirtschaft sollte sich von solchen
Rattenfängermethoden distanzieren.
({23})
Es kann für das Wohl dieses Landes nicht gut sein,
wenn inzwischen 20 Prozent der Erwerbstätigen keine
Beiträge mehr zur Sozialversicherung zahlen.
({24})
Auch Sie von der Union, allen voran Norbert Blüm, haben diese Entwicklung beklagt. Aber Sie haben nichts
getan und damit die Aushöhlung der Sozialsysteme in
Kauf genommen. Wir dagegen wollen nicht einer Entwicklung zusehen, in der immer mehr Menschen auf einer Basis arbeiten, die ihnen keinerlei soziale Sicherheit
gewährleistet.
({25})
Nehmen Sie das berühmte Beispiel von der Kellnerin
- auch Kollege Glos hat von den Biergärten gesprochen -,
die für einen Restaurantbesitzer als freie Unternehmerin
arbeitet.
({26})
- Quatsch! - Sie kauft bei ihm an der Theke Speisen und
Getränke, die sie dann an den Gast weiterverkauft.
Wenn das dann so weit geht, daß sie regreßpflichtig
wird, weil sie an der Theke zuwenig gekauft hat, da sie
an den Tischen zuwenig verkaufen konnte, dann ist das
tiefster Frühkapitalismus. Das wollen wir nicht; so einfach ist das.
({27})
Wir wollen auch nicht, daß Speditionen ihre Fahrer entlassen und als Scheinselbständige wieder beschäftigen.
Dagegen gehen wir vor.
({28})
Ich räume aber ein, daß es in der Computerbranche,
im Beratungsbereich und in der Versicherungswirtschaft
Fälle gibt, bei denen Unterscheidungen schwierig sind.
Wir müssen die Handhabung auf jeden Fall einfacher
machen. Wir müssen prüfen, ob wir Einkünfte aus einer
nebenamtlichen Lehr- bzw. Übungsleitertätigkeit im
Sport steuerlich besser behandeln können. Ich habe das
angekündigt. Meine Fraktion steht dazu.
({29})
Wir sprechen über die sogenannte Übungsleiterpauschale. Daran arbeiten wir. Das ist Konsens zwischen
den Koalitionsfraktionen, dem Kanzleramt, dem Arbeitsministerium und dem Wirtschaftsministerium. Eine
Expertenkommission wird zügig prüfen, wie man mit
Grenzfällen umgehen kann.
({30})
Es geht hier nicht um Nachbessern. Es geht auch
nicht darum, daß irgend jemand einknickt. Es geht darum, ein Gesetz für eine komplizierter gewordene Arbeitswelt kompatibel zu machen. Um nicht mehr und um
nicht weniger geht es.
({31})
Zur Diskussion über die 630-Mark-Beschäftigungsverhältnisse sage ich nur: Diese Diskussion ist
seltsam. Da wird im Augenblick ausgerechnet von
Großunternehmen mit Krokodilstränen darauf abgehoben, daß man doch für die Kleinverdiener Verständnis
haben müsse. Dieses Argument gebrauchen diejenigen,
die in großem Stil normale Arbeitsverhältnisse aufgelöst
und die Menschen zu Kleinverdienern gemacht haben!
({32})
So geht es nun wirklich nicht. Es kann nicht sein, daß
ein VW-Arbeiter, der Überstunden macht, für den Lohn
aus diesen Überstunden Steuern und Sozialabgaben
zahlt, daß sein Kollege aber, der nach Feierabend nebenher kellnert, dafür vom Fiskus nicht belangt werden
kann. Das kann man keinem Menschen erklären. Das ist
auch verfassungsrechtlich nicht verantwortbar.
({33})
Das wollten wir mit unserem 630-Mark-Gesetz ändern. Wir haben dies getan. Wir sind von der Richtigkeit
dieses Ansatzes weiterhin überzeugt.
({34})
Arbeitsminister Riester darf sich auf diesem Wege der
besonderen Solidarität der SPD-Bundestagsfraktion gewiß sein.
({35})
Im übrigen sollten Sie als Christdemokraten sich mit
selbstgefälligen Erklärungen zurückhalten.
({36})
Was sich Ihr Vorsitzender auf diesem Feld leistet, ist
({37})
schon Dialektik vom Feinsten. Auf dem Parteitag in Erfurt hat Herr Schäuble für sich in Anspruch genommen,
schon seit Jahren vor einer ungebremsten Umwandlung
regulärer Beschäftigungsverhältnisse in versicherungsfreie gewarnt zu haben. - Es ist ja wunderbar, wenn Sie
nicken, Herr Schäuble. Aber unseriös ist das trotzdem,
da Sie uns nie konkret sagen, wie Sie es denn machen
wollen. Mein Vorredner, Herr Glos, hat gesagt: Wir
müssen das alles wieder abschaffen. Sie müssen mir
schon erklären, wie diese beiden Positionen miteinander
zu vereinbaren sind.
({38})
Sie überlassen uns die Arbeit bei der Regelung der
630-Mark-Beschäftigungsverhältnisse.
({39})
- Ja, klar: Wir regieren, wir machen die Arbeit auch.
Ich möchte auf folgendes hinweisen: Gestern ist in
einer sehr interessanten Episode von Herrn Eichel und
Herrn Solms ein Vorgang in die Öffentlichkeit gebracht
worden, an dem auch ich beteiligt war, so daß ich bestätigen kann, daß sowohl die Aussagen von Herrn Solms
als auch die von Herrn Eichel richtig waren.
({40})
Wir haben im Rahmen eines Gesetzgebungsverfahrens,
das an den Vermittlungsausschuß überwiesen wurde,
über die Frage diskutiert, ob es denn wirklich angeht
oder ob man es ändern muß, daß 630-Mark-Nebenbeschäftigungsverhältnisse nicht voll in die Steuer- und
Versicherungspflicht einbezogen werden - so, wie
wir es dann gemacht haben. Es gab in diesem Kreis
Zustimmung von dem damals zuständigen Minister
Norbert Blüm;
({41})
es gab Zustimmung von dem damaligen und heutigen
Vorsitzenden der CDU/CSU-Bundestagsfraktion.
({42})
- Moment. - Es gab auf die Frage von uns Sozialdemokraten: „Können wir das dann nicht machen?“ - Herr
Solms hat das gestern dankenswerterweise wörtlich zitiert - die klare Antwort von Herrn Schäuble: Da müssen Sie Herrn Solms fragen.
({43})
Mit anderen Worten: Sie wollten; wir wollten. Was wir
jetzt machen, ist eigentlich nur das, was wir damals besprochen haben. Erinnern Sie sich einmal an Ihre eigenen
Reden und Taten, bevor Sie hier derartig herumpolemisieren.
({44})
Meine Damen und Herren von Union und F.D.P., dieser Haushalt ist ein Haushalt gegen Ihr altes „Weiter
so“. Wir haben den Ansatz für zukunftsträchtige und sozial befriedend wirkende Investitionen anheben können,
obwohl wir gezwungen sind zu sparen, wie Hans Eichel
das gestern dargestellt hat. Sie haben uns ein strukturelles Haushaltsdefizit von 30 Milliarden DM als Erblast hinterlassen. Ihnen müßte doch die Schamröte ins
Gesicht steigen angesichts der Watschen, die die obersten Bundesgerichte für die von Ihnen verantwortete
Politik in den letzten Jahren permanent austeilen.
({45})
Ich halte mich auch wegen eines Gespräches, das die
Fraktionsvorsitzenden gestern mit den Richtern des
Bundesverfassungsgerichts gehabt haben, mit Richterschelte zurück. Aber ich will doch sagen: Es ist schon
auffällig, wie Sie auch nach Ihrer Abwahl die Verfassungsgerichte immer noch mit Ihrer verfehlten Politik
beschäftigen.
({46})
Theo Waigel war es erlaubt, mit den Familien
Schlitten zu fahren, obwohl die Klage gegen die Ungerechtigkeit des bisherigen Familienlastenausgleichs
Anfang der 90er Jahre in Karlsruhe eingereicht worden
ist und dort also anhängig war. Es waren dann wir, die
aufgefordert wurden, das zu korrigieren. Wir werden das
natürlich tun, auch deshalb, weil wir schon immer der
Meinung waren, daß Familien steuerlich bessergestellt
werden müßten. Das haben wir übrigens auch im Deutschen Bundestag immer gesagt. Wir haben dafür aber
nie bei Ihnen die Mehrheit gefunden. Es ist schon abenteuerlich, daß ich mir manche Kritik aus Ihren Reihen zu
unseren Vorstellungen über Familienentlastung anhören
muß. Sie haben in 16 Jahren die Familien systematisch
steuerlich benachteiligt, und jetzt vergießen Sie Krokodilstränen.
({47})
Das Verfassungsgericht rennt bei uns offene Türen ein.
Theo Waigel konnte übrigens auch bei den DDRSonderrenten sparen, obwohl auch in diesem Fall seit
Anfang der 90er Jahre eine Klage anhängig war. Wir
werden das - das will ich hier für die Koalitionsfraktionen sagen - nach dem Karlsruher Spruch korrigieren.
Wir müssen es korrigieren.
({48})
- Herr Kollege Glos, ich will der Bevölkerung Ihren
Zwischenruf mitteilen.
({49})
Sie haben gesagt, das sei ein unsinniges Urteil.
({50})
Mein Respekt vor dem Bundesverfassungsgericht hindert mich daran, solch unsinnige Äußerungen zu tun,
Herr Kollege Glos.
({51})
Theo Waigel und die Regierungen Kohl haben jahrelang mit einer Spreizung zwischen den Steuersätzen
auf private Einkünfte und auf unternehmerische Einkünfte gearbeitet. Jetzt äußert der Bundesfinanzhof
Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit dieser Regelung.
Wir müssen das in Ordnung bringen. Fast schon im Monatstakt werden uns im Namen des Volkes die Erblasturteile Ihrer Politik serviert.
({52})
Das alles bei der künftigen Finanzplanung zu berücksichtigen macht die Arbeit des Finanzministers und der
Bundesregierung natürlich nicht einfacher. Er hat gestern klargemacht, daß mit ihm der von Ihnen beschrittene Weg weiter hinein in den Verschuldungsstaat nicht
zu machen ist. Sie, Herr Minister Eichel, haben dabei
unsere volle Unterstützung.
({53})
Wir wollen eine Unternehmensteuerreform aus
einem Guß - eine Reform, die den Namen wirklich verdient. Daran arbeiten unsere Experten, daran arbeitet das
Ministerium. Es ist wichtig, daß die Wirtschaft vernünftige Rahmenbedingungen bekommt, mit denen sie mittelfristig planen kann. Das ist wichtiger als die Frage, ob
wir die Reform noch in diesem Jahr verabschieden.
Wichtiger ist - wenn wir sie Anfang 2000 verabschieden -,
({54})
Klarheit für die deutsche Wirtschaft zu haben. Das ist
das, was sie braucht, und dies wird sie von uns auch bekommen.
({55})
Die Eckwerte der Steuerreform wie etwa die Spitzensteuersätze können nur im Rahmen einer finanzpolitischen Gesamtschau festgelegt werden. Steuerreform,
Haushalt 2000, Familienentlastungsgesetz und die weiteren Stufen der Ökosteuer müssen im Zusammenhang
gesehen werden wie kommunizierende Röhren. Wir
werden dazu im Frühsommer ein Konzept vorlegen.
Diejenigen, die sich heute unterbieten in den Forderungen nach immer geringeren Steuersätzen für Unternehmen, müssen gewillt sein, bei der Verbreiterung der
Bemessungsgrundlage, bei dem Schließen von Steuerschlupflöchern und bei dem Abbau von Subventionen
ebenso aktiv wie kreativ mitzuarbeiten.
({56})
Wir haben mit diesem Haushalt die ersten Steine aus
dem Weg geräumt. Es war ein Anfang. In der Debatte
zur ersten Regierungserklärung Gerhard Schröders damals konnten wir noch nicht ahnen, daß wir uns vor
allen Dingen mit außenpolitischen Fragen beschäftigen
müssen - habe ich ein chinesisches Sprichwort zitiert,
das lautet: „Jede noch so lange Reise beginnt mit dem
ersten Schritt.“ Wir haben diese ersten Schritte jetzt getan und werden unseren Weg fortsetzen, beharrlich und
mit dem Ziel vor Augen: mehr Beschäftigung, mehr Innovation, mehr Gerechtigkeit.
({57})
Ich erteile nun das
Wort Herrn Dr. Wolfgang Gerhardt, F.D.P.-Fraktion.
Frau Präsidentin!
Meine Damen und Herren! Der Kollege Struck hat zu
Beginn seiner Rede gesagt, es gehe in dieser Debatte um
die Grundlinien der Politik. Darauf will ich mich einlassen; aber dann geht es um die Grundlinien der Politik
nach innen wie nach außen.
Die erste Grundlinie der Politik muß die Kenntnisnahme der Wirklichkeit sein: Die Arbeitswelt hat sich
geändert. Die Industriegesellschaft hat sich gewandelt.
Die alten, festen wöchentlichen Arbeitszeiten bestehen
in großen Unternehmen so nicht mehr. Die Einheitsbeschäftigungsverhältnisse wandeln sich. Nur die Koalition steckt fest. Die Koalitionsvereinbarung gilt; sie
nimmt die Wirklichkeit nicht zur Kenntnis.
({0})
Die sozialen Sicherungssysteme sind unbeweglich
geworden - das weiß der Bundeskanzler wie auch wir -:
Die Wahl- und Entscheidungsmöglichkeiten sind geschwunden; die Möglichkeit, persönliche Verantwortung
ungebremst ins Kollektiv, in staatliche Regelungen zu
überführen, ist vorbei.
Beginnen wir mit einem Thema, das bei Ihnen in der
Koalition derzeit diskutiert wird. Seit zwei Jahrzehnten
versucht man, die Probleme der gesetzlichen Krankenversicherung durch Kostendämpfungsgesetze zu kurieren. Wir alle kennen den begrenzten Erfolg. Die Gestaltungsmöglichkeiten der Kassen werden jetzt wieder
verengt. Die Transparenz für die Inanspruchnahme von
Leistungen wird beseitigt. Alles wird budgetiert, alles
wird verriegelt, alles wird verbürokratisiert. Der freie
Arzt wird nach Ihrem Vorhaben in Zukunft eine Art
Scheinselbständiger.
({1})
Früher galt der Spruch: Wem Gott ein Amt gibt, dem
gibt er auch den dazugehörigen Verstand. - Diese Hoffnung hat Rotgrün gründlich enttäuscht.
({2})
Die „Süddeutsche Zeitung“ schreibt:
Es ist der große Irrtum der politischen Linken, daß
sich Solidarität und Wettbewerb nicht vereinbaren
lassen und daß deshalb auf Wettbewerb in einem
solidarischen Gesundheitswesen verzichtet werden
müsse.
Sie fügt hinzu:
Es mag manchem Politiker unbequem sein, aber es
gibt keine Alternative zu mehr Wettbewerb, wenn
das solidarische Gesundheitswesen erhalten bleiben
soll.
({3})
Das ist die politische Grundrichtung, die eingeschlagen
werden muß. Darüber streiten wir.
Diese Haltung setzt sich nahtlos fort. Lafontaine ist
zwar ab durch die Neue Mitte, aber sein Nachlaßverwalter, der Bundesarbeitsminister, ist noch da. Er läßt
jetzt das Prinzip „Ordnung vor Arbeit“ auf den deutschen Arbeitsmarkt niederregnen.
({4})
Dabei geht Ordnung so vor Arbeit, daß Arbeit verschwindet. Der deutsche Arbeitsmarkt leidet doch nicht,
wie der frühere Bundesfinanzminister uns weismachen
wollte, unter der Zinspolitik von Wim Duisenberg. Der
deutsche Arbeitsmarkt leidet unter strukturellen Problemen, die Sie bis heute nicht zur Kenntnis nehmen und
die Sie mit dem Vorschlag „Mit 60 in Rente“ zu kurieren versuchen, als stünden nahtlos Arbeitslose zur Verfügung, um auf vorhandene Arbeitsplätze nachzurücken.
({5})
Diese mechanische Vorstellung vom Arbeitsmarkt wird
von den noch vorhandenen Bodentruppen Oskar Lafontaines wider bessere Erkenntnis verteidigt, auch in Ihrer
eigenen Partei.
({6})
Meine Damen und Herren, es geht nicht nur um die
Frage 630-Mark-Jobs oder Scheinselbständige; es geht
vielmehr um die Geisteshaltung, die hinter Ihren Vorhaben steckt. Hinter dem Vorhaben, 630-Mark-Jobs zu
regulieren, steckt das Denken von SPD und Grünen, daß
es die nicht geben darf, die sich anders verhalten, als es
in sozialdemokratischen und grünen Parteiprogrammen
beschlossen wurde. Das ist der Anschlag auf die Lebenswirklichkeit.
({7})
Jetzt sagen Sie: Da muß eine Kommission eingerichtet werden, die das noch einmal überprüft. - Sie und die
Kommission haben ja Zeit. Aber bis die Kommission
mit der Überprüfung fertig ist, haben Tausende von
Menschen in Deutschland ihren Job verloren!
({8})
Herr Bundeskanzler - dafür mache ich Sie persönlich
verantwortlich -, Sie betreiben unter Ihrer Verantwortung einen einzigartigen Anschlag auf bestehende Arbeitsverhältnisse in Deutschland. Sie vernichten Beschäftigung! Das kulminiert in diesem Punkt.
({9})
Im übrigen - das sage ich jetzt auch der deutschen
Öffentlichkeit, und zwar im Nachgang zu vielen Erlebnissen, die ich im Bundestagswahlkampf hatte - hätte
man das erkennen können. Die Anzeigen, die die Zeitungsverleger heute schalten, verwundern mich doch etwas. Ich begegnete Zeitungsverlegern an einem Tag ihres jüngsten Treffens in Goslar, an dessen Vorabend der
jetzige Bundeskanzler in seiner früheren Eigenschaft als
niedersächsischer Ministerpräsident anwesend war. Da
wurde mir mit strahlenden Augen erklärt, gestern sei
Herr Schröder da gewesen, habe zu den berufsständischen Versorgungswerken positive Aussagen gemacht
und erklärt, daß man die Verlage bei einer möglichen
Regelung gegen den Mißbrauch der 630-Mark-Beschäftigungsverhältnisse selbstverständlich ausnehmen
werde.
({10})
Ich kann den Zeitungsverlegern und vielen anderen in
unserer Gesellschaft, die hohe Verantwortung haben,
nur sagen: Es stehen genügend Informationen zur Verfügung, den Wahrheitsgehalt solcher Aussagen abzuklären - nicht zuletzt das Parteiprogramm der Sozialdemokratischen Partei. Das hätte man vorher abklären können.
({11})
Jetzt bleiben viele kleine, freie Journalisten auf der
Strecke, die für verschiedene Lokalredaktionen arbeiten.
Jetzt bleiben viele Frauen - im übrigen auch Männer auf der Strecke, die morgens Zeitungen austragen. Sie
von den Regierungsfraktionen vernichten die Leistungsbereitschaft in unserer Gesellschaft; denn viele sind bereit, früh aufzustehen, etwas neben dem Hauptjob zu
machen, sich etwas dazuzuverdienen.
({12})
Damit zeigen sie eigene Leistungsbereitschaft, ehe sie
Ansprüche an Dritte stellen.
({13})
Dann geht es mir noch um eine dritte Abteilung, die
der Kollege Glos schon angesprochen hat. Es ist allmählich unerträglich,
({14})
daß der Ministerpräsident von Niedersachsen, Herr Glogowski, der Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen,
Herr Clement, der Chef des Kanzleramtes und viele andere aus der Fraktion der SPD - Herr Struck eben noch
- dauernd Nachbesserungen, Veränderungen und Entgegenkommen ankündigen, das in Interviews streuen, aber
nicht zu ihrem Wort stehen. Das sind Schwätzer. Das ist
die Glaubwürdigkeitsfrage, die gestellt werden muß.
({15})
Deshalb darf man das auch emotionalisieren. Ich
wundere mich ohnehin schon darüber, wie lange die
deutsche Öffentlichkeit bereit ist, hinzunehmen, daß
namhafte Sozialdemokraten an jedem Wochenende in
führenden deutschen Magazinen und Tageszeitungen
anderes sagen, als sie in Abstimmungen bekunden. Das
wollen wir diese Woche im Deutschen Bundestag auf
die Probe stellen.
({16})
Es geht nicht um eine etwaige Verbesserung. Wenn
Sie, Herr Bundeskanzler, Beschäftigung in Deutschland
sichern wollen, müssen Sie in dieser Woche mit uns abstimmen. Die Gesetze müssen weg! Das ist die einzige
Alternative.
({17})
Sie haben in Ihrer Rede - das konnte ich nachlesen vor Ihrer Wahl zum Parteivorsitzenden einige Passagen
zu den sozialen Sicherungssystemen nicht vorgetragen,
die in Ihrem Redetext vorhanden gewesen sein müssen.
Möglicherweise wollten Sie Ihren eigenen Genossinnen
und Genossen die Wahrheit, die Sie und ich kennen,
nicht zumuten. Wenn Sie aber Ihren eigenen Genossinnen und Genossen die Wahrheit über die Unfinanzierbarkeit der sozialen Sicherungssysteme verschweigen,
dann betrügen Sie nicht nur Ihre Genossinnen und Genossen, sondern auch die junge Generation in der Bundesrepublik Deutschland. Deshalb ist das kein Vorgang,
der nur einen SPD-Parteitag beschäftigen könnte.
({18})
Ich werfe Ihnen nicht vor, daß Sie eine falsche Politik
machen, wenn ich anderer Meinung als Sie bin. Mein
Vorwurf trifft Sie in einem Punkt: Sie wissen genauso
gut wie ich, daß das, was Sie machen, falsch ist. Sie haben nur nicht die Courage, das zu ändern, und das muß
angesprochen werden.
({19})
Sie wissen, daß die sozialen Sicherungssysteme so
nicht mehr bestehen können. Damit wir uns nicht mißverstehen und damit kein falscher Zungenschlag in die
Diskussion kommt:
({20})
Wer wünschte sich nicht, daß die Rente auf gleichem
Niveau bleiben könnte, während die Rentenversicherungsbeiträge gesenkt werden? Die Wahrheit ist aber,
daß bei späterem Eintreten ins Berufsleben, bei früherem Ausscheiden aus dem Berufsleben und bei höherer
Lebenserwartung der älteren Generation Adam Riese
nicht widerlegt werden kann.
Ihr Versuch, Adam Riese zu widerlegen, wird die
Steuerzahler erheblich Geld kosten und am Ende sowohl
die ältere als auch die jüngere Generation betrügen, weil
Sie die jüngere so lange in unvermeidlich höhere Rentenversicherungsbeiträge treiben, bis das System explodiert und damit auch die ältere Generation verliert.
({21})
Der Vorwurf gegenüber Ihrer Amtsführung, Herr
Bundeskanzler, richtet sich nicht nur auf das, was Sie an
chaotischen Gesetzgebungsverläufen angerichtet haben.
Nein, der Vorwurf gegen Ihre Amtsführung besteht
darin, daß Sie ein Bundeskanzler sind, der die Wähler
bei der Bundestagswahl mit einem Modernisierungsanspruch gröblich getäuscht und die Neue Mitte, gebunden
an Ihre Person, in die Verantwortung gebracht hat und
jetzt das Programm der Regelungswut der alten Linken
auflegt. Selbst jetzt, nachdem Oskar Lafontaine weg ist,
haben Sie nicht die Courage, Ihre Partei auf einen modernen Kurs zu bringen. Dafür bezahlt Deutschland! Das
ist der Punkt, der hier angesprochen werden muß.
({22})
Sie wissen, Herr Bundeskanzler, daß die Arbeitsmärkte flexibilisiert werden müssen. Sie wissen wie ich,
daß die sozialen Sicherungssysteme reformiert werden
müssen. Sie wissen wie ich, daß die alten Finanzierungsgrundlagen im Gesundheitswesen nicht mehr tragen. Sie wissen auch, daß es ein Bockmist ist, was Sie
im Hinblick auf die 630-Mark-Verträge und die Scheinselbständigkeit angerichtet haben. Sie sind aber nicht als
irgend jemand gewählt worden. Wenn Sie Ihr Amt nicht
mit Courage ausführen können, müssen Sie es verlassen!
({23})
Sie müssen Ihre Fraktion in Kenntnis setzen über die
Wirklichkeit in der Bundesrepublik Deutschland.
({24})
Meine Damen und Herren, es geht auch um den innenpolitischen Teil. Herr Kollege Struck, es ist bemerkenswert, wie Sie immer wieder den Versuch unternehmen, mit dem Thema Kosovo einen Mantel über nahezu
alle Streitigkeiten nach dem Motto „Es wäre besser, wir
diskutierten über das Problem; denn da sind wir uns
einiger“ zu legen. Nein, meine Damen und Herren, die
deutsche Opposition findet auch zu Zeiten statt, da sich
Deutschland zum erstenmal in einer so schwierigen Situation wie der im Kosovo befindet.
({25})
Eine solche Aufgabe muß die Opposition wahrnehmen.
({26})
Man kann doch nicht immer über den Kosovo diskutieren und dabei innenpolitisch einen bleibenden Flurschaden hervorrufen. Sie werden in die Wirklichkeit zurückkommen, wenn hoffentlich das Problem im Kosovo gelöst ist, die Menschen dort in ihre Heimat zurückkehren
können und Sie dann auf das Elend zurückgeworfen
werden, das Sie in Deutschland im Bereich der Innen-,
der Rechts- und der Wirtschaftspolitik angerichtet haben.
({27})
Nein, das ist kein Weg.
Sie haben vor wenigen Tagen eine Anzeige geschaltet
und darauf aufmerksam gemacht, daß es wohl ganz gut
sei, in der jetzigen Situation das Thema Kosovo nicht zum
Gegenstand parteipolitischer Erörterungen zu machen.
({28})
Als ich die Anzeige las, habe ich mir vorgestellt, wie Sie
und der Bundesaußenminister reagiert hätten,
({29})
wenn die Bundesregierung Kohl/Kinkel oder wir als
F.D.P. in alter Regierungsverantwortung oder die CDU
eine solche Anzeige geschaltet hätten. So wahr wie das
Amen in der Kirche ist: Sie hätten sich nicht nur nicht
danach gerichtet, sondern Sie wären schon die ganze
Zeit mit Ihren Bodentruppen im Bonner Hofgarten gewesen und hätten gegen die NATO-Politik protestiert.
({30})
Bemerkenswerterweise ist die Erkenntnis mit der
Übernahme von Ämtern gekommen. Ich bezweifle nur,
ob die Erkenntnis ohne die Übernahme von Ämtern gekommen wäre. Die Frage der Glaubwürdigkeit ist aber
nicht an ein Amt gebunden, sondern an Erkenntnisfortschritt - egal, in welchem Amt man ist.
({31})
Deshalb sage ich Ihnen zum Thema Kosovo ganz offen, was neben Übereinstimmungen jetzt notwendig ist:
Uns reichen die täglichen Briefings über die Fernsehschirme nicht mehr aus.
({32})
Das reicht auch einem großen Teil der Bevölkerung
nicht mehr aus. Sie gewinnt genauso wie ich allmählich
den Eindruck, daß die notwendige Kombination von
Militärstrategie und Diplomatie so glücklich nicht mehr
ist, daß sie ein Stück Zusammenhalt verloren hat, daß
nach dem Einstieg hier jetzt Erklärungsprobleme auftreten. Die mögen Sie mir in Briefings oder Ausschußberatungen erklären können. Entscheidend ist aber, ob
die Gesellschaft die Erklärungen, die sie bekommt, akzeptiert und ob diese Erklärungen akkurat, gut verständlich sind und klar wahrgenommen werden.
Deshalb sage ich Ihnen: Angesichts Ihrer Ratspräsidentschaft möchte ich für die Fraktion der F.D.P. mehr
wissen, als ich gegenwärtig in Erklärungen im Deutschen Bundestag erhalten habe und als ich den Zeitungen entnehmen kann. Ich möchte von Ihnen wissen, wie
Sie, je länger militärische Aktionen andauern, in den
nächsten Schritten politisch agieren wollen. Denn Problemlösungskompetenz nach außen und die Frage der
militärischen Behandlung im Innern gehören zusammen.
Die NATO hat als Charakterbild nicht nur das Militärbündnis, sondern sie will immer auch die politische
Grundfestigkeit nach außen ausstrahlen.
Sie wissen ebenso wie der Bundesaußenminister - darin stimmen wir überein -, daß Probleme nicht allein
militärisch zu lösen sind, daß aber militärische Entschlossenheit dazugehört. Wir möchten allerdings beschrieben haben, und zwar nicht nur im Nachklapp zu
Pressekonferenzen, wie aus Ihrer Sicht konstitutiv Problemlösungen aussehen können, welche Qualität die
deutsche Bundesregierung in sie hineinlegt, mit wem sie
über Lösungen verhandelt und zu welchen Ergebnissen
sie in welchen Zeitabschnitten kommen will.
Wir haben übereinstimmend festgestellt, daß Rußland eine große Verantwortung hat. Wir haben gemeinsam ausgedrückt: Wir wollen sogar, daß Rußland diese
Verantwortung wahrnimmt. Rückblickend betrachtet
muß ich sagen: Äußere Zeichen sind manchmal auch
Symbole für innere Eindrücke. Unter diesem Gesichtspunkt waren der Empfang, der Umgang und die Kühle
im Bundeskanzleramt, als der russische Ministerpräsident Primakow hier zu Besuch war, nicht in Ordnung.
({33})
Wir spüren doch, daß eine linke Koalition in einem
Krieg ein Paradoxon ist. Wir merken das an Ihren
Haltungen und auch an Ihrem Vokabular. Daß Sie in
dieser Frage stark mit sich ringen müssen, das ist jedem klar.
({34})
Aber deshalb können Sie nicht sozusagen den Wunsch
haben, es möge keine Opposition stattfinden, nur weil
Sie damit Probleme haben. Vielleicht hätte die frühere
Bundesregierung nicht den dauernden Nachweis für ihre
Bündnisfähigkeit in der Weise erbringen müssen, wie
Sie es müssen.
({35})
Vielleicht hätte eine andere Bundesregierung sogar eher
eigene Initiativen voranbringen können. Man merkt, daß
Sie eine deutsche Schlüsselrolle spüren; man merkt aber
auch, daß Sie sie nicht klar genug wahrnehmen.
({36})
Mir reicht eben nicht aus, was bis heute erklärt worden
ist.
({37})
Jetzt möchte ich eine Frage stellen, die den Einsatz
von Bodentruppen betrifft.
({38})
- Ich will im Plenum des Deutschen Bundestages von
der deutschen Bundesregierung die notwendigen Auskünfte über ihr zukünftiges Verhalten in der Mixtur von
militärstrategischen Schritten und politischen Initiativen.
({39})
Wenn das von der Mehrheitsfraktion als Zumutung empfunden wird, wie die Zurufe zeigen, dann muß das der
deutschen Öffentlichkeit mitgeteilt werden.
({40})
Ich finde, daß gerade sehr kritische Situationen im Parlament besprochen werden müssen.
Was den Einsatz von Bodentruppen anbetrifft - eine
Diskussion, die wir in der ganzen deutschen Medienlandschaft haben und die viele von uns als Fragesteller
im Plenum oder untereinander führen -, möchte ich für
die Fraktion der F.D.P. erklären, daß er in den bisher
mandatierten NATO-Strategien für uns nicht in Frage
kommt.
({41})
Für die Fraktion der F.D.P. erkläre ich - auch weil Gespräche mit dem amerikanischen Präsidenten bevorstehen -, daß eine Mandatierung für deutsche Soldaten im
Kosovo selbst nur im Rahmen eines Mandats der Vereinten Nationen oder, wie im Abkommen von Rambouillet vorgesehen, im Rahmen eines von allen KonDr. Wolfgang Gerhardt
fliktparteien unterzeichneten Abkommens nach Zustimmung im Bundestag in Frage kommt.
({42})
- Ja, das steht in Ihrer Vorlage. Deshalb möchte ich wissen, ob Sie das auch so sehen,
({43})
ob Sie das vorgreiflich unseren Bündnispartnern mitteilen und ob der Bundeskanzler das zum Gegenstand des
Gesprächs mit dem amerikanischen Präsidenten zu machen gedenkt. Das ist doch keine Nebenfrage, die an
dieser Stelle erörtert werden muß.
({44})
Kurzum: Ich will einfach wissen, welche Aktivitäten
in der Sache gelten und welche Sie inhaltlich wahrnehmen. Es ist die Pflicht einer Opposition, das abzufragen;
anders würden wir unserer Aufgabe nicht gerecht. Natürlich gilt der Appell: Keine Parteipolitik! Das kann
aber nicht bedeuten, sich mit spärlichen Auskünften zu
begnügen. Wir wollen schon wissen, um was es geht.
({45})
Herr Kollege, denken Sie an Ihre Redezeit?
Ich komme zu einem bemerkenswerten Schluß,
({0})
weil bei der Wahrnehmung der Oppositionsrolle aus den
Reihen der SPD der Zwischenruf „Spalter“ kommt.
({1})
Wissen Sie, meine Damen und Herren Kollegen, die
Opposition im Deutschen Bundestag läßt sich von den
Sozialdemokraten nicht den Mund verbieten.
({2})
Schon gar nicht von einer Partei, die sich, als wir in der
Verantwortung waren, noch nicht einmal so solidarisch
mit unseren Entscheidungen verhalten hat, wie das die
Opposition heute tut.
Nein, meine Damen und Herren, wir werden nicht
zulassen, worauf Sie hinauswollen. Sie wollen eine Kosovo-Debatte führen und damit verdecken, was Sie im
Innern des Landes mit Ihren nicht erledigten Hausaufgaben anrichten.
({3})
Es ist Ihr gutes Recht, das zu versuchen. Die Opposition
wird das aber nicht zulassen. Sie suchen nach einem
Mäntelchen, das über alles gedeckt werden soll, erledigen aber in Deutschland Ihre Hausaufgaben nicht.
({4})
Sie schweifen ab. Das lassen wir nicht zu und werden es
auch nicht zulassen.
Die Opposition hat einen breiten, klaren demokratischen Auftrag der Kontrolle von Macht. Den nehmen
wir sowohl bei den strategischen Überlegungen im Kosovo wie in der innen-, wirtschafts-, sozial- und finanzpolitischen Debatte wahr.
({5})
Ich erteile das Wort
der Kollegin Kerstin Müller, Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es
ist in der Tat eine außerordentlich schwierige Situation,
in der wir hier den Haushalt beraten. Mir ist das in der
vergangenen Woche - es wird einigen von Ihnen ähnlich gegangen sein -, bei den Kundgebungen am
1. Mai zum Tag der Arbeit, noch einmal sehr bewußt
geworden. Dort gab es nämlich fast kein anderes Thema als den Krieg im Kosovo. Ich kann das gut verstehen. Uns alle beschäftigt dieser Krieg mehr als jedes
andere Thema.
Herr Gerhardt, daß Sie ausgerechnet dieser Bundesregierung und ausgerechnet dem Außenminister Fischer
vorwerfen, sie hätten nicht wirklich alles versucht, um
zu einer politischen Lösung zu kommen und die Spielräume auszuschöpfen, das ist wirklich völlig absurd.
({0})
Reden Sie doch einmal mit den Verbündeten; sie alle
werden Ihnen das bestätigen.
({1})
Ich werde später auf das Thema Kosovo zurückkommen.
Zunächst will ich den Vorwurf aufgreifen, wir würden nur deshalb so ausführlich darüber diskutieren, um
bestimmten innenpolitischen Debatten auszuweichen.
Ich muß ganz klar sagen: Das ist natürlich nicht der Fall.
Kommentare und angebliche - anonyme - Zitate haben
mich sehr geärgert, die besagen, daß der Krieg dieser
Koalition nutze oder ihr eine zweite Chance biete. Herr
Gerhardt, Sie haben das ja soeben auch unterstellt. Ich
sage hier ganz klar: Solche Beurteilungen sind nicht nur
absurd, sie sind schäbig und auch zynisch. Diese Koalition braucht keinen Krieg. Er bietet auch keine Chance,
meine Damen und Herren.
({2})
Wir sind angetreten, um den ungeheuren Reformstau
in diesem Land zu überwinden. Es geht darum, die Zukunftsfähigkeit zurückzugewinnen. Wir haben damit begonnen, und wir werden diesen Weg fortsetzen, konsequent und aller Polemik zum Trotz; denn zu diesem
Weg gibt es keine Alternative.
({3})
Wir brauchen eine umfassende Modernisierung von
Staat, Wirtschaft und Gesellschaft. Wir brauchen eine
Modernisierung, die ökologische Nachhaltigkeit und soziale Gerechtigkeit miteinander verbindet. Die von Ihnen, von der alten Regierung geschaffenen Ungerechtigkeiten sind doch mehr als zahlreich. Damit haben wir es
heute bei den sozialen und wirtschaftlichen Reformen zu
tun, mit den Ungerechtigkeiten zwischen den sozial
Schwachen und den Besserverdienenden, zwischen den
Familien mit und ohne Kinder, zwischen Männern und
Frauen, aber auch zwischen Einheimischen und Fremden. Es gibt keine Gerechtigkeit mehr zwischen den Generationen. Wir haben doch von Ihnen nicht zuletzt ein
zutiefst ungerechtes Steuersystem übernommen, das wir
jetzt modernisieren und reformieren.
({4})
Um die Gerechtigkeitslücke zu beseitigen, um die
Zukunftsfähigkeit zurückzugewinnen, brauchen wir eine
entschlossene Reformpolitik. Wir müssen und werden
dabei verkrustete Strukturen überwinden, eingefahrene
Denkbahnen verlassen und neue Lösungen finden. Wir
werden gemeinsam mit Arbeitgebern und Gewerkschaften im „Bündnis für Arbeit“ neue Wege für Beschäftigung und Ausbildung gehen. Wir entlasten mit
unserer Steuerreform untere Einkommen, Familien mit
Kindern und eben auch kleine und mittlere Unternehmen.
({5})
Wir werden mit einem neuen Generationenvertrag
mehr Generationengerechtigkeit schaffen. Wir werden
mit unserer Gesundheitsreform endlich den Patienten in
den Mittelpunkt stellen und werden mit einer neuen
Energiepolitik auf ökologische Nachhaltigkeit setzen alles Dinge, die Sie in der Vergangenheit versäumt haben und die wir jetzt anpacken werden.
({6})
Zentrales Anliegen der Koalition ist die Bekämpfung
der Massenerwerbslosigkeit. Deshalb hat für uns der Erfolg des „Bündnisses für Arbeit“ auch höchste Priorität. Daß das für Sie, Herr Glos, eine - wie haben Sie gesagt? - „nebulöse Veranstaltung“ ist, wundert mich
überhaupt nicht. Denn Sie haben den Erfolg des „Bündnisses für Arbeit“ ja nie gewollt. Sie haben 1995 durch
eine völlig nutzlose Konfrontation die damaligen Gespräche zum Scheitern gebracht. Wir greifen sie wieder
auf; denn wir wollen gemeinsam - und nur gemeinsam
wird das gehen - alle Möglichkeiten zum Abbau der Arbeitslosigkeit nutzen.
({7})
Natürlich sind die Gespräche nicht immer einfach.
Sie werden auch sicherlich nicht in allen wichtigen Fragen zu schnellen Ergebnissen führen. Wir müssen uns
alle darüber klar sein: Wir werden hier einen sehr langen
Atem brauchen. Aber die Gespräche haben begonnen.
Schon das allein ist ein wichtiger Erfolg. Alle Beteiligten, die Gewerkschaften, die Arbeitgeberverbände und
die Regierung, müssen und werden in dem „Bündnis für
Arbeit“ ihren konkreten Beitrag leisten.
Man kann aber schon jetzt festhalten, daß das Programm für 100 000 Ausbildungsplätze ein voller Erfolg ist. Ich rate Ihnen: Gehen Sie in Ihre Wahlkreise,
und reden Sie mit den zuständigen Sachbearbeitern der
dortigen Arbeitsämter. Dort wird man Ihnen genau das
bestätigen. Das Programm ist ein echter Renner. Die
Nachfrage ist wesentlich größer als das Angebot. Es gelingt erstmals - das ist der entscheidende Punkt -, Jugendliche zu erreichen, zu qualifizieren und zu vermitteln, zu denen jahrelang keine staatliche Stelle einen Zugang hatte. Das liegt daran, daß wir den Jugendlichen
mit unserem Programm signalisieren: Ihr gehört zu unserer Gesellschaft, ihr habt hier euren Platz, wir werden
euch eine Lebensperspektive schaffen. Deshalb wird
dieses Programm - dessen bin ich mir sicher - nicht nur
Signalwirkung für 100 000 Jugendliche, sondern darüber
hinaus auch für weitere Jugendliche und Unternehmen
haben. Das ist ein weiterer wichtiger Punkt, der über die
ursprüngliche Zielsetzung hinausgeht.
({8})
Einen weiteren großen Schritt in Richtung Zukunftsfähigkeit gehen wir mit dem Einstieg in eine nachhaltige
Energiepolitik. Wir setzen auf Energieeinsparung. Hier
setzen wir auf einen neuen zukunftsfähigen Energiemix,
und zwar ohne Atomenergie. Wir werden auch auf die
verstärkte Nutzung von regenerativen Energien setzen.
Anreize hierfür wird - ich weiß, das ist sehr umstritten;
aber ich bin mir sicher, daß wir am Ende der Legislaturperiode klare Ergebnisse haben werden - der Einstieg in
die ökologische Steuerreform schaffen. Sie ist und bleibt
der entscheidende Schlüssel, um die Wirtschaft ökologisch zu modernisieren. Energie wird schrittweise teurer
und Arbeit billiger.
Der Kollege Struck hat eben schon darauf hingewiesen: Die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer haben
am Ende des letzten Monats - erstmals seit Jahren - eine
konkrete Verbesserung auf ihrem Gehaltszettel feststellen können, weil wir die Lohnnebenkosten um 0,8 Prozent gesenkt haben. Hier muß ich Sie, verehrte Damen
und Herren von der Opposition, fragen: Wo ist denn Ihr
Vorschlag zu einer sozialverträglichen Senkung der
Lohnnebenkosten? Bei Ihnen herrscht doch nur Sendepause.
({9})
Kerstin Müller ({10})
Wir wollen und werden umsteuern. Deshalb werden das kann ich Ihnen versprechen - die zweite und dritte
Stufe der ökologischen Steuerreform in Kraft gesetzt
werden.
Wir haben ein 100 000-Dächer-Programm auf den
Weg gebracht, um eine verstärkte Nutzung der Solarenergie zu fördern. Es ist weltweit das größte Programm
dieser Art.
Wir haben ein Förderprogramm für erneuerbare Energien beschlossen, mit dem vor allem die Nutzung von
Biogas, Solarenergie und geothermischen Energien gefördert werden soll. Wir stellen zusätzliche Forschungsmittel für diese Bereiche bereit. Wir bereiten jetzt auch
eine entsprechende Energiesparverordnung vor.
Wirtschaftsminister Müller hat die Industrie, die
Umweltverbände und die Gewerkschaften zu einem
breitangelegten Energiedialog über die Konsensgespräche hinaus eingeladen, um gemeinsam nach neuen Wegen für eine nachhaltige und wettbewerbsfähige Energiepolitik zu suchen. Ich sage ganz klar: Meine Fraktion
begrüßt das nachdrücklich. Wir brauchen einen solchen
Energiedialog, damit sich umweltschonende Formen der
Energieerzeugung langfristig im globalen Wettbewerb
behaupten können. Deshalb muß man schon heute den
deutschen Markt für diese Technologien erschließen,
damit am Energiestandort Deutschland zukunftsfähige
Arbeitsplätze in diesen Bereichen geschaffen werden.
({11})
Zu unseren Zielen gehört auch untrennbar der vereinbarte Ausstieg aus der Atomenergie. Wir werden ihn das sage ich hier auch ganz deutlich - in dieser Legislaturperiode nicht vollziehen können, aber wir werden ihn
umfassend und unumkehrbar regeln. Wir wollen ihn,
wenn es irgendwie geht - das betone ich besonders für
meine Fraktion -, im Konsens vereinbaren. Wir sind dazu bereit. Nur, für einen Konsens braucht man natürlich
auch Partner. Einen Kompromiß zu schließen bedeutet
Geben und Nehmen. Wenn ich mir dagegen die Spielchen, die die Atomindustrie in den letzten Monaten getrieben hat, anschaue, habe ich den Eindruck, daß manche in der Industrie zwar gerne nehmen, aber den Sinn
des Gebens nicht ganz verstanden haben.
({12})
Im Moment spielt die Atomindustrie nur noch auf
Zeit. Bis heute verweigert sie die Einsicht in die Verträge über die Wiederaufarbeitung mit Frankreich und
Großbritannien. Bis heute versucht sie mit allen Tricks,
ihre tatsächlichen Lagerkapazitäten in den Reaktoren im
dunkeln zu halten. Jetzt sollen auch noch überflüssige
Atomtransporte quer durch die Republik erzwungen
werden. Monatelang wurden völlig überzogene Zahlen
über steuerliche Rückstellungen verbreitet. Für meine
Fraktion möchte ich ganz klar sagen: Mit Taschenspielertricks und mit Verschleppung bis zum SanktNimmerleins-Tag wird man nicht zum Konsens kommen.
({13})
Wenn es im Konsens nicht geht, dann haben wir die
Verantwortung, den Willen der Bevölkerung zum
Atomausstieg, der auch im Wahlergebnis zum Ausdruck
gekommen ist, per Gesetz zu regeln. Ich möchte daher
auch von dieser Stelle aus an die Vernünftigen in den
Reihen der Industrie appellieren: Stellen Sie Ihre Blokkadepolitik ein! Verhandeln Sie mit uns im Konsens!
Ein Konflikt würde beide Seiten, den Gesetzgeber, aber
auch die Industrie, teuer zu stehen kommen. Das wollen
wir nicht.
({14})
Das Leitbild der Nachhaltigkeit gilt für uns nicht nur
in der Wirtschaftspolitik. Es muß auch in der Finanzpolitik gelten. Sie, meine Damen und Herren von der
Opposition, haben seinerzeit den finanziellen Spielraum
zerstört, den man heute zur Lösung der Probleme dringend braucht. Schauen wir uns die Zahlen an - der
Finanzminister hat sie gestern vorgetragen -: Der vorliegende Entwurf umfaßt Ausgaben von knapp 486 Milliarden DM. Fast jede vierte Mark der Steuereinnahmen
wird heute allein für Zinsen ausgegeben. Dieses Geld
fehlt eben. Es fehlt für dringend notwendige Investitionen und für die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit. Zukunftsfähigkeit bedeutet für uns deshalb auch, zunächst
einmal diesen finanzpolitischen Spielraum zurückzugewinnen, um die Gesellschaft modernisieren zu können.
Der vorliegende Haushaltsentwurf ist zwar ein Übergangsentwurf, und dennoch - darauf sind wir stolz leiten wir die Wende zu einer nachhaltigen Haushaltspolitik ein. Der Regierungsentwurf wurde quer durch
alle Ressorts noch einmal um insgesamt 2,3 Milliarden
DM gekürzt. Das ist - das sage ich ganz klar - ein
wichtiger Erfolg der Haushaltspolitiker der Fraktionen
von SPD und Bündnis 90/Die Grünen.
({15})
Die Nettokreditaufnahme wurde um fast 3 Milliarden
DM vermindert, während die investiven Ausgaben sogar
um mehr als 1 Milliarde DM erhöht wurden. Bildung
und Wissenschaft fördern wir mit zusätzlich fast 1 Milliarde DM. Auch das ist ein wichtiger Beitrag zur
Zukunftssicherung.
Zukunftsfähigkeit und Gerechtigkeit, das bedeutet
insbesondere auch: Wir ergreifen Partei für die nächste
Generation. Bei unserer Einkommensteuerreform steht
deshalb die Entlastung der Menschen mit Kindern und
damit die Zukunft der Kinder im Mittelpunkt. Sie haben
zwar 16 Jahre lang von Familie geredet; der Beschluß
des Bundesverfassungsgerichts hat aber gezeigt: Das
waren alles Sonntagsreden. Das hat Ihnen das Bundesverfassungsgericht doch ins Abschlußzeugnis geschrieben. Ihre Politik hat den Familien geschadet. Das werden wir jetzt ändern. Wir werden eine familien- und
kinderfreundliche Politik machen.
({16})
Mit der Verabschiedung des Steuerentlastungsgesetzes haben wir damit bereits begonnen. Wir entlasten
Kerstin Müller ({17})
Familien mit zwei Kindern bereits in diesem Jahr um bis
zu 1 200 DM. Wir werden sie mit der Umsetzung des
Familienurteils weiter entlasten. Die Fachabgeordneten
meiner Fraktion haben dazu einen guten Vorschlag gemacht. Die Richter des Verfassungsgerichts haben gestern in einem Gespräch gesagt, der Gesetzgeber solle
Phantasie bei der Umsetzung zeigen. Wir haben das getan. Wir schlagen einen Kindergrundfreibetrag vor. Ein
Kindergrundfreibetrag, also ein steuerfreies Existenzminimum für Kinder, das würde jedes Kind endlich
gleich behandeln.
({18})
- Ich sehe, daß Sie, was die Umsetzung solcher Urteile
betrifft, mit Phantasie nicht viel am Hut haben. Ich finde
es wichtig, daß wir neue finanzpolitische Instrumente
entwickeln. Mir ist sehr wohl bekannt, daß es verfassungsrechtliche Bedenken gegen eine solche gerechte
Lösung gibt. Ich hoffe, daß wir sie ausräumen können.
Aber wenn dies nicht möglich ist, dann muß im ersten
Schritt - das ist klar - der Erhöhung des Kindergeldes
eine ganz besondere Bedeutung zukommen.
({19})
Entlastungen der Familien heißt für uns Nettoentlastungen der Familien. Für uns kommt bei der Finanzierung der Reform weder eine ausschließliche Umverteilung von Leistungen für Kinder noch die Anhebung der
Mehrwertsteuer in Frage. Meine Fraktion hält es für sehr
viel vernünftiger, das Ehegattensplitting in ein Realsplitting umzuwandeln, wie es bereits heute für Geschiedene gilt. Wir wollen das Leben mit Kindern und
nicht den Trauschein finanziell fördern. Dieser Gedanke
soll sich durch unsere Familien- und Finanzpolitik ziehen. Das ist gerecht und auch zukunftsfähig.
({20})
Das gilt auch für die anstehende Unternehmensteuerreform. Wir wollen und werden mit ihr fairen Wettbewerb ermöglichen. Wie ist es denn heute um die kleinen und mittleren Betriebe bestellt? Sie tragen nicht nur
den Löwenanteil der Ausbildungskosten, sie finanzieren
mit ihren Steuern auch noch die Subventionen für die
Großindustrie und die Konzerne. Das wollen wir ändern.
Damit haben wir bei unserer Steuerreform angefangen:
Um jährlich mehr als 5 Milliarden DM haben wir die
kleinen und mittleren Betriebe bereits im ersten Schritt
entlastet. Wir streichen auch - damit beginnen wir - ungerechte Vergünstigungen für Großunternehmen und
Konzerne. Das wird auch im Gesamtkonzept der Steuerreform fortgesetzt werden.
Unser Ziel ist ein Steuersatz von 35 Prozent. Das ist
richtig.
({21})
- Es geht nicht um das Wann, sondern wir werden ihn
schrittweise umsetzen. Die zentrale Frage ist, ob und
wie wir ihn finanzieren können. Für uns ist völlig klar:
Wir müssen ihn unter anderem durch den Abbau von
Subventionen finanzieren.
Wir unterstützen ganz klar und mit allem Nachdruck
die Initiative des Wirtschaftsministers Müller; das
Kirchturmsdenken mancher Lobbyisten muß endlich
überwunden werden.
({22})
Ich weiß nicht, wie oft ich in den letzten Wochen gehört
habe: Subventionen streichen, sicher; nur bitte nicht bei
mir. Ich sage ganz klar, daß es in Deutschland nicht so
laufen wird, wie sich das Herr Henkel vom BDI oder
andere Verbandsvertreter vorstellen, nämlich amerikanische Steuersätze zu deutschen Konditionen, das heißt
mit deutschen Subventionen, einzuführen.
({23})
Eine echte Nettoentlastung für alle wird es nicht geben. Man müßte dann nämlich sagen, wer dafür die Zeche bezahlt. So etwas würde eine unfaire und einseitige
Belastung der Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen mit
sich bringen, die Lage der kleinen und mittleren Unternehmen verschärfen und neue Löcher in die öffentlichen
Haushalte reißen.
({24})
Wir sind der Meinung: Jede Subvention muß auf den
Prüfstand.
Sehr verehrte Damen und Herren von der Opposition,
die Ergebnisse Ihrer Wirtschafts- und Steuerpolitik sind
einfach niederschmetternd. Ein Gesetz nach dem anderen
wird von den Gerichten für verfassungswidrig erklärt. Der
Grund ist immer der gleiche - wir haben das auch gestern
abend noch einmal klar erläutert -: Ihre Gesetze sind grob
ungerecht und verletzen ein ums andere Mal das Gleichbehandlungsgebot des Grundgesetzes. Hiervon zeugt auch
das Urteil des Bundesfinanzhofes aus der letzten Woche.
Wir müssen jetzt eine große Altlast bewältigen; aber wir
werden auch dieses umsetzen.
An Hand der am vergangenen Freitag vorgelegten
Thesen der Kommission zur Reform der Unternehmensteuerreform werden wir noch vor der Sommerpause ein
solides und vernünftiges Stufenkonzept erarbeiten. Die
Ziele dafür sind klar: Kleine und mittlere Unternehmen
müssen entlastet werden. Wir müssen niedrige Steuersätze bei privaten und gewerblichen Einkommen erreichen. Dafür müssen Subventionen und steuerliche Vergünstigungen und Sonderregelungen abgebaut werden.
Vor allem müssen alle Einkünfte künftig gleich behandelt werden. Das schafft Transparenz, Gerechtigkeit, ein
für Investitionen günstiges Klima, eine Stärkung des
Mittelstandes und Arbeitsplätze. Wir werden das umsetzen. Ich bin mir sicher, daß eine an diesen Zielen ausgerichtete Steuerreform auch die Zustimmung der Menschen in diesem Lande finden wird.
({25})
Kerstin Müller ({26})
Die alte Regierung ist in den vergangenen Jahren dem
Irrglauben gefolgt, man könne Arbeitsplätze nur schaffen, wenn man das soziale Netz unseres Landes systematisch zerstört. Begründet wurde das mit dem Anpassungsdruck, der wesentlich höhere Flexibilität auf dem
Arbeitsmarkt erfordert. Natürlich brauchen wir in sehr
vielen Bereichen der Wirtschaft höhere Flexibilität. Entscheidend aber ist doch, daß Menschen, die sich auf
einen flexiblen Arbeitsmarkt einstellen sollen, Risiken
eingehen sollen und häufig ihre Arbeitsstelle wechseln
müssen, im Gegenzug mehr Vertrauen in das soziale
Netz setzen können. Deshalb ist für uns die Modernisierung der Wirtschaft untrennbar mit der notwendigen
Modernisierung unserer Sozialsysteme, etwa des Gesundheitswesens, verknüpft.
Die in den kommenden Wochen zu beratende Reform
soll endlich gravierende strukturelle Defizite im vorhandenen System beseitigen. Ich kann hier der Gesundheitsministerin nur zustimmen, wenn sie sagt: Wir Deutsche geben zwar das meiste Geld für unser Gesundheitssystem aus,
({27})
aber das gesündeste Volk sind wir deshalb noch lange
nicht. Deshalb sehe ich das ganz klar so wie sie: Wir
brauchen auf diesem Gebiet grundlegende Reformen,
und diese werden wir auch anpacken.
Im Zentrum stehen für uns die Patientinnen und Patienten. Wir wollen ihre Rechte stärken und die Qualität
des Gesundheitssystems durch die Stärkung der Rolle
der Hausärzte sichern und verbessern. Wir wollen mit
einem Globalbudget die Handlungsfähigkeit der Ärzte
sichern und gleichzeitig die Kostenexplosion stoppen.
Nur so, nur durch beide Maßnahmen im Zusammenhang, werden wir erreichen, daß die Beiträge stabil bleiben und die Kosten nur im Rahmen der Lohnentwicklung steigen.
Die Reform ist sorgfältig vorbereitet worden. Jetzt
muß sie auch wie geplant umgesetzt werden. Dieser
Weg - das sage ich hier auch - ist nicht einfach. Wir haben es bei dieser Reform mit ganz mächtigen Lobbyisten zu tun, die eben nicht ohne Zeter-und-MordioGeschrei bereit sind, auf ihre liebgewordenen Pfründen
zu verzichten.
An dieser Stelle sage ich aber auch: Wer die dringend
notwendige Modernisierung durchsetzen will, der kann
nicht den Weg des geringsten Widerstands gehen, der
muß eben manchmal auch solchen Lobbyisten auf die
Füße treten. Deshalb braucht die Gesundheitsministerin
bei dieser Auseinandersetzung die volle Unterstützung
der Grünen und der sozialdemokratischen Fraktion.
({28})
Ich betone, daß sie ebenso wie Arbeitsminister Walter
Riester bei der Auseinandersetzung um die 630-DMJobs mit unserer Unterstützung rechnen kann.
({29})
Ich finde, insbesondere Sie, Herr Gerhardt, und Ihre
Kollegen sollten bei diesem Thema besser schamhaft
schweigen,
({30})
denn das Problem, das wir mit diesem Gesetz lösen
wollen, haben Sie verursacht.
({31})
Sie haben über Jahrzehnte zugelassen, daß Unternehmen
systematisch sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze
vernichten. Das konnte nicht so weitergehen. Die Sozialkassen werden geleert, sie werden ausgetrocknet.
({32})
Über dieses Problem haben wir in der letzten Legislaturperiode hier immer wieder diskutiert. Die Lasten
werden von immer weniger Arbeitnehmern getragen.
Für die Betroffenen heißt das eben allzuoft Altersarmut,
weil sie später in der Sozialhilfe landen.
Es gibt mit der Neuregelung, insbesondere bei der
Scheinselbständigkeit, Übergangsschwierigkeiten. Wir
werden diese Probleme bei der Anwendung des Gesetzes lösen. Aber für uns ist klar: An der Zielrichtung, an
der Grundlage des Gesetzes halten wir fest. Die Mißstände, die Sie produziert haben, werden und müssen in
jedem Fall beseitigt werden.
({33})
Es geht nicht nur um die ökologische Nachhaltigkeit
und um die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit - nicht nur
damit wird die Zukunftsfähigkeit wiederhergestellt -,
sondern wenn wir modernisieren wollen, dann brauchen
wir auch mehr Demokratie, dann brauchen wir mehr
Weltoffenheit. Deshalb müssen wir endlich auch das
überkommene Staatsbürgerschaftsrecht modernisieren. Hierzu wird Ihnen am Freitag ein Gesetzentwurf,
der auch von der F.D.P. getragen wird, vorliegen. Künftig soll danach eben nicht mehr die Abstammung allein
darüber entscheiden, ob jemand Inländer ist und damit
zu dieser Gesellschaft gehört. Künftig werden alle Kinder, auch die ausländischer Eltern, mit der Geburt Deutsche sein, wenn diese in Deutschland erfolgt.
Meine Damen und Herren, das ist ein historischer
Schritt. Mit dieser Reform des Staatsbürgerschaftsrechtes verabschiedet sich die Bundesrepublik vom völkischen Abstammungsrecht und findet endlich den Anschluß an Europa.
({34})
Ich will nicht verschweigen, daß wir gern mehr erreicht hätten, etwa daß wir den Mut zum Brückenschlag
für die erste Generation der Einwanderer durch die Hinnahme der doppelten Staatsbürgerschaft gehabt hätten.
Aber die Reform, die wir am Freitag verabschieden, ist
ein erster, ein entscheidender Schritt; denn sie signaliKerstin Müller ({35})
siert zumindest den hier geborenen Kindern: Ihr gehört
zu dieser Gesellschaft. Das wird - dessen bin ich ganz
sicher - das entscheidende Angebot zur Integration dieser Kinder, aber auch ihrer Familien sein.
({36})
Wir stellen uns damit der Tatsache, daß die Bundesrepublik längst ein Einwanderungsland geworden ist und
daß wir dieses Einwanderungsland gestalten wollen. Um
so beschämender finde ich es, meine Damen und Herren
von der CDU/CSU, daß Sie noch nicht einmal in der
Lage sind, diesen ersten Reformschritt mitzugehen.
Schlimmer noch - Herr Glos hat das heute noch einmal
angekündigt -: Sie halten an Ihrer unsäglichen Kampagne fest. Das heißt, Sie wollen die Gesellschaft weiter
spalten, obwohl der geänderte Gesetzentwurf die doppelte Staatsbürgerschaft - zum Bedauern meiner Fraktion - gar nicht mehr enthält. Die Kinder müssen sich
nämlich mit 18 Jahren für eine Staatsbürgerschaft entscheiden. Wenn es noch eines Beweises bedurft hätte,
dann ist spätestens jetzt klargeworden, daß es Ihnen nie
um die doppelte Staatsbürgerschaft gegangen ist. Sinn
und Zweck der Kampagne war ganz einfach parteipolitische Stimmungsmache auf dem Rücken der hier lebenden Ausländerinnen und Ausländer.
({37})
Ich fordere Sie auf, daß Sie vor dem Hintergrund dieses
Gesetzes Ihre Kampagne einstellen.
Ich frage mich vor allem - ich bin auf die Debatte am
Freitag gespannt -, was eigentlich diejenigen Abgeordneten aus Ihren Reihen, 150 an der Zahl, zu diesem Gesetzentwurf sagen werden, die in der letzten Legislaturperiode eine Initiative zur Reform des Staatsbürgerschaftsrechts eingebracht haben. Dieser Vorschlag war
fast identisch mit dem vorliegenden Gesetzentwurf. Ich
frage mich also, ob sich Ihre Kampagne auch gegen Ihre
eigenen Abgeordneten richtet. Das wäre eine interessante und ganz neue Variante von Oppositionsarbeit:
Die CDU/CSU-Fraktion macht eine Diffamierungskampagne gegen ihre eigenen Abgeordneten. Sie sind offensichtlich nicht bereit, diese Kampagne einzustellen oder
wenigstens - das wäre ja das Minimum - die Abstimmung in Ihrer Fraktion freizugeben. Wahrscheinlich
liegt es daran, daß der heimliche Vorsitzende aus Bayern, Herr Stoiber, das Ende der Kampagne nicht abgenickt hat.
Ich kann nur an die Abgeordneten appellieren, die
seinerzeit den Reformaufruf unterzeichnet haben: Sie
haben die einmalige Chance, am Freitag das Anliegen
Ihres Aufrufes in die Realität umzusetzen, indem Sie unserem Gesetzentwurf zustimmen. Ich sage auch: Sie tragen damit eine große Verantwortung; denn mit Ihrer Zustimmung fände diese historische Reform nicht nur eine
breitere Unterstützung im Parlament, sondern damit
könnte der unsäglichen Unterschriftenkampagne der
Boden entzogen werden. Dann könnten wir in Deutschland, wie sonst überall in Europa, endlich gemeinsam
über das reden, was notwendig ist, nämlich wie wir Integration gestalten wollen, anstatt die Augen zu verschließen. Deshalb fordere ich Sie im Namen von SPD
und Grünen noch einmal auf: Stimmen Sie dieser Reform des Staatsbürgerschaftsrechts am Freitag zu!
({38})
Ich möchte zum Schluß noch auf das Thema eingehen, das uns alle in den letzten Wochen am meisten bewegt hat, nämlich auf den Krieg im Kosovo. Im Kosovo
wird nicht nur über die Zukunft der Menschen in der
Region entschieden, sondern auch ein Stück weit über
die Zukunft Europas. Unser Ziel kann nur ein gemeinsames, friedliches und demokratisches Europa sein. Das
Eingreifen in Jugoslawien ist deshalb auch eine Verpflichtung. Wir müssen zukünftig rechtzeitig mit allen
nichtmilitärischen Mitteln einschreiten, wenn Menschenrechte systematisch mit Füßen getreten werden.
Die Möglichkeiten ziviler Konfliktlösung müssen weiterentwickelt werden. Vor allem muß man sie einsetzen,
solange sie noch Erfolg versprechen.
Wie damals, als wir vor der Entscheidung standen, fragen wir uns in diesen Wochen dennoch: Wenn die nichtmilitärischen Mittel zur Konfliktlösung versagen und wenn
wir nur wählen können, einem zweiten Bosnien hilflos
zuzusehen oder mit militärischem Einsatz den Versuch zu
unternehmen, Völkermord und Vertreibung zu verhindern, dürfen wir dann die Ultima ratio, das heißt den Einsatz militärischer Gewalt, verweigern? Ich meine, wie die
Mehrheit dieses Hauses: Nein, das dürfen wir nicht.
In diesem Hause und in meiner Fraktion und Partei
wird über diese Frage eine meist sehr nachdenkliche und
ernsthafte - Herr Glos, ich finde diese Haltung sehr angemessen - Debatte geführt.
({39})
Deshalb möchte ich an dieser Stelle hinzufügen: Es ist
richtig und notwendig, daß es gerade in Deutschland eine starke pazifistische Stimme gibt, die uns immer wieder mahnt, dem Militär nicht das Handeln zu überlassen.
Denn es ist ja richtig, daß Krieg immer mit der großen
Gefahr verbunden ist, daß das Primat der Politik verlorengeht. Zu Frieden und Demokratie kommen wir letztlich immer nur über einen politischen Weg, für den ja
gerade die deutsche Bundesregierung, insbesondere der
Außenminister, alles in ihrer Macht Stehende getan hat,
um im Rahmen des Rambouillet-Prozesses und auch
jetzt zu einer politischen Lösung zu kommen.
({40})
Wir müssen nach sechs Wochen Bombardierung aber
auch nüchtern bilanzieren, daß die Ziele der Luftangriffe
bisher nicht erreicht worden sind,
({41})
daß der fortgesetzte Massenmord und die Vertreibung
der albanischen Bevölkerung im Kosovo leider nicht
verhindert oder beendet werden konnten. Milosevic
konnte bisher nicht zum Einlenken gezwungen werden.
Das Bitterste ist: Die Rückführung der Flüchtlinge in
ihre Heimatorte ist völlig ungewiß.
Kerstin Müller ({42})
Gleichzeitig werden nach jeder neuen Bombennacht
viele Fragen immer drängender. Ich möchte sie hier
nennen: Warum werden offensichtlich mehr und mehr
zivile Einrichtungen angegriffen? Ich glaube, daß sich
viele fragen: Richtet sich der Krieg mehr und mehr auch
gegen die Zivilbevölkerung? Entspricht - diese Frage
müssen wir uns stellen, gerade wenn wir sagen: wir führen einen Krieg, um eine humanitäre Katastrophe abzuwenden - die NATO-Strategie noch der Verhältnismäßigkeit der Mittel?
({43})
Ich glaube, an vielen von uns nagen diese Zweifel jeden Tag. Auch ich stelle mir diese Fragen immer und
immer wieder. Dennoch, das Dilemma ist: Ein einseitiger, unbefristeter Stopp der Luftangriffe würde nur - das
ist meine feste Überzeugung - zu einer weiteren blutigen Runde im Kosovo und möglicherweise sogar zu einer Ausweitung des Krieges führen. Denn was sollte
Milosevic dann noch stoppen? Er hätte sich letztlich
durchgesetzt; er würde sich sogar im nachhinein in seiner menschenverachtenden Vertreibungspolitik bestärkt
fühlen. Das dürfen wir nicht zulassen.
({44})
Dennoch: Wir, das heißt das Parlament und die Regierung, müssen immer wieder sehr genau prüfen, ob
nicht eine befristete Feuerpause neue diplomatische
Spielräume schaffen könnte, ob das zum Beispiel die
Möglichkeit eröffnen würde, zumindest die verbliebenen
Teile der albanischen Bevölkerung im Kosovo zum Beispiel durch „air drops“ zu versorgen. Wir müssen auch
prüfen, ob nicht zumindest eine befristete Einstellung
der Bombardierung von Montenegro sinnvoll wäre,
denn dort droht eine völlige Destabilisierung mit
schlimmen Konsequenzen.
Ich glaube, wir dürfen auch eines nicht vergessen:
Militärischer Zwang alleine reicht nicht. Die Lösung
wird es nur auf politischer Ebene geben. Daher unterstützen wir - das sage ich noch einmal ganz deutlich nachdrücklich den Friedensplan des Außenministers und
die aktuellen Bemühungen der Bundesregierung, unter
Einbeziehung Rußlands und im Rahmen der UNO auf
dieser Grundlage endlich zu einer politischen Lösung zu
kommen. Ich glaube, das ist der einzige Weg, um den
Krieg letztlich beenden zu können.
({45})
Denken Sie an die
Redezeit!
Ich komme gleich zum Schluß.
Die Lage der Flüchtlinge in Albanien und Makedonien - das ist mein letzter Punkt - ist verheerend. Die
Hilfsorganisationen und die Helfer der Bundeswehr verrichten dort eine bewundernswerte Arbeit. Deshalb wird
auch ein sehr großer Teil meiner Fraktion dem Antrag
der Bundesregierung zustimmen.
Aber ich möchte zum Schluß noch etwas sagen: Ich
finde es beschämend, daß wir in Europa angesichts der
humanitären Katastrophe vor Ort eine Debatte über
Quoten in Europa führen. Wir müssen unbürokratisch
weitere Flüchtlinge aufnehmen, um die Länder vor Ort
zu entlasten.
({0})
Ich denke, daß diese Debatte sehr deutlich zeigt: Wir
stehen an einem Wendepunkt deutscher Innen- wie
Außenpolitik. Deutschland und Europa müssen sich auf
umfassende Veränderungsprozesse einstellen. Das Ziel
der Koalition ist ein Weg, der niemanden ausgrenzt,
nicht bei uns und nicht im Verhältnis zu anderen Nationen, ein gemeinsamer Weg für Demokratie, Frieden
und Zukunftsfähigkeit. Ich hoffe, daß es uns gelingt, ihn
zu gehen.
Danke schön.
({1})
Ich erteile das Wort
nun dem Kollegen Dr. Gysi, PDS-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine
Damen und Herren! Zunächst, Herr Glos: Ihre Bemerkung zu Beginn haben wir mit großem Wohlwollen aufgenommen. Sie haben gesagt, daß die PDS-Fraktion und
ich demokratische Gepflogenheiten nicht gewohnt seien.
Wir verstehen das als eine selbstkritische Bemerkung
und zugleich als das Versprechen, uns künftig demokratisch zu behandeln, und sehen der Zukunft deshalb mit
Freude entgegen.
({0})
Die Fraktion der PDS wird gegen den Etat des Bundeskanzlers und des Bundeskanzleramtes stimmen.
({1})
Das hängt mit unserer äußerst kritischen Bewertung der
Außen- und Innenpolitik der Bundesregierung zusammen.
Seit Wochen beschäftigen der völkerrechtswidrige
Angriffskrieg der NATO gegen Jugoslawien sowie das
Schicksal, die Vertreibung und die Leiden der KosovoAlbaner die gesamte Bevölkerung. Jeden Abend in den
Nachrichten hören wir zwei stereotype Sätze. Der eine
lautet: Das Leiden der Kosovo-Albaner nimmt nicht ab;
es nimmt sogar zu. Der andere lautet: Die NATO hat erklärt, sie werde ihr Bombardement forcieren. Wenn es aber
offensichtlich so ist, daß das zumindest vorgegebene Ziel,
die Leiden der Kosovo-Albaner zu lindern, mit einem
Bombardement nicht erreicht wird, dann wird es doch
höchste Zeit, dieses Mittel aufzugeben. Denn es führt und
kann letztlich auch nicht zu einem Erfolg führen.
({2})
Kerstin Müller ({3})
Kritik an der Bundesregierung hinsichtlich dieses
Krieges ist in diesem Hause selten. Sie ist unerwünscht.
Man setzt sich der Gefahr von Ausgrenzung und Diffamierung aus, wenn man sie dennoch übt. Ich halte sie
allerdings für dringend erforderlich und weise erneut
darauf hin, daß im Bundestag eine Kritik an diesem
Krieg, wie sie in der Bevölkerung besteht, völlig unterrepräsentiert ist.
Herr Bundesaußenminister Fischer, Sie brauchen
nicht zu lächeln. Ihr Problem ist in Wirklichkeit folgendes: Die Reden, die ich heute halte, hätten Sie vor drei
Jahren wortwörtlich so gehalten.
({4})
Ihre Schwierigkeit ist doch, das zu erklären. Das ist Ihr
Problem.
Ich möchte zunächst der These - sie ist soeben auch
von Frau Müller noch einmal aufgestellt worden -, daß
vor Beginn des Krieges, insbesondere in Rambouillet,
alle Möglichkeiten ausgeschöpft worden sind, deutlich
widersprechen. Es gibt mindestens fünf Umstände, die
danach eingetreten sind, die das widerlegen:
Erstens. Es wird allgemein anerkannt, daß der militärische Teil des Vertragsentwurfes nicht unterzeichnungsfähig war, auch nicht für einen demokratischeren Präsidenten in Jugoslawien. Darüber wurde nicht verhandelt, lautet Ihr Argument. Aber weshalb ist etwas vorgelegt worden, was sowieso nicht unterzeichnungsfähig war? Zu erklären ist auch nicht, weshalb während der Verhandlungspause gesagt wurde, daß nach Rückkehr der Verhandlungsseiten der Entwurf so, wie er vorliege, unterschrieben werden müsse, da etwas anderes nicht mehr in
Frage komme. Diesbezüglich sind also vorhandene Möglichkeiten niemals ausgeschöpft worden.
Zweitens. Ein weiterer Umstand ist der Friedensvorschlag von Bundesaußenminister Fischer. Hier schlagen
Sie plötzlich eine UN-Hoheit vor. Diesen Vorschlag hat
es während des Rambouillet-Prozesses zu keinem Zeitpunkt gegeben. Es gab damals viele Erklärungen, weshalb die Hoheit unbedingt bei der NATO liegen müsse.
Es wurde begründet, daß dies anders nicht gehe. Wenn
Sie drei Wochen nach Beginn des Krieges einen solchen
Vorschlag machen, warum haben Sie das dann nicht vor
Beginn des Krieges getan?
({5})
Denn es ist doch offenkundig, daß es für Milosevic viel
schwieriger gewesen wäre, nein zur UNO zu sagen. So
haben Sie es ihm doch extrem leichtgemacht, indem er
nur nein zur NATO zu sagen brauchte.
Drittens. Ein weiterer Umstand besteht darin, daß
Außenministerin Albright - das ist unstrittig - zur albanischen Seite gesagt hat - die wollte den Vertrag ja auch
nicht unterschreiben -: Ihr könnt unterschreiben; denn
die jugoslawische Seite unterschreibt ohnehin nicht. Es
gibt also kein Abkommen. Aber wenn ihr nicht unterschreibt, dann können wir nicht bombardieren.
Viertens. Der nächste Umstand - das ist am stärksten - ist die Tatsache, daß die Europäische Union vor
ungefähr einer Woche Wirtschaftssanktionen gegen Jugoslawien beschlossen hat. Es hat mich fast vom Hocker
gehauen, als ich dadurch erst einmal mitbekam, daß bis
dahin noch Handel getrieben worden ist. Jetzt frage ich
Sie: Wenn man fünf Wochen nach Kriegsbeginn Wirtschaftssanktionen beschließt, was hätte denn die EU
daran gehindert, diese im Oktober 1998 zu beschließen,
um Jugoslawien zum Einlenken zu bewegen? Angesichts dessen können Sie doch nicht im Ernst behaupten,
alle Möglichkeiten seien ausgeschöpft worden.
({6})
Jetzt will die NATO ein Embargo beschließen. Das
ist aus mehreren Gründen interessant: Ein Embargo darf
nur der Sicherheitsrat beschließen. Rußland und China
haben sich nie gegen Sanktionen gegenüber Jugoslawien
gewandt. Sie haben sie mit unterstützt. Sie waren nur
gegen eine militärische Intervention. Das heißt, man
hätte versuchen können, ein solches Embargo im Sicherheitsrat zu beschließen. Dies ist gar nicht versucht
worden.
Jetzt versucht es die NATO allein und begeht schon
wieder einen Völkerrechtsbruch. Die NATO darf zwar
entscheiden, ob sie selber mit Jugoslawien Handel treibt;
sie darf aber ein Embargo weder Mexiko, Indien noch
Rußland vorschreiben. Wenn sie dieses Embargo dann
noch mit militärischer Gewalt in jugoslawischen Häfen
durchsetzen will, dann bedeutet das, eine deutliche Eskalation in größerem internationalen Rahmen hinzunehmen. Ich kann nur feststellen: Die Grenzen der Verhältnismäßigkeit werden hier permanent verletzt. Dies
ist überhaupt nicht nachvollziehbar. Es ist nicht wahr,
daß alle Möglichkeiten genutzt wurden.
Fünftens. Sie sind mit Ihrer Politik hinter die von
Bismarck zurückgefallen. Bismarck kannte wenigstens
noch Zuckerbrot und Peitsche. Warum gab es nicht vor
und während Rambouillet, über oppositionelle Medien
in Jugoslawien verbreitet, das Angebot für eine wirkliche Integration Jugoslawiens, für eine Aufhebung der
Sicherheitsratssanktionen bis hin zu einer Mitgliedschaft
in der Europäischen Union für den Fall, daß die Menschenrechtsprobleme im Hinblick auf die KosovoAlbaner und alle anderen Menschen in Jugoslawien befriedigend gelöst werden? Es hat nie ein solches Angebot gegeben. Es hieß nur: Unterschreiben oder Bomben!
- So kommt man eben nicht zu politischen Lösungen;
das ist meine feste Überzeugung.
({7})
Von Beginn an waren auch die Kriegsziele eher verschwommen. Zu Beginn wurde - das können Sie doch
nicht alle vergessen haben - hier von Bundesverteidigungsminister Scharping erklärt, es gehe darum, durch
Bombardierung innerhalb weniger Tage die Unterschrift
von Milosevic unter das Rambouillet-Abkommen zu erzwingen. Ich habe damals gesagt: Wenn der Mann so ist,
wie Sie ihn beschreiben, glaube ich keine Sekunde lang
daran, daß er das unterschreibt. - Dazu kommt noch,
daß wir jetzt wissen, daß der Vertrag gar nicht unterschriftsfähig gewesen ist. Das wußte ich damals nicht.
Ein weiterer Umstand ist hinzugekommen - Sie wissen
ja, daß es in der Politik leider immer auch um GesichtsDr. Gregor Gysi
verlust geht -, nämlich der: Wie soll er denn seiner Bevölkerung erklären, daß er nach Tagen des Bombardements etwas unterschreibt, was er auch ohne Bomben
hätte haben können? Das heißt, was Sie vertreten haben,
war nie besonders logisch. Davon ist heute ja auch gar
keine Rede mehr. Aber man hätte es damals schon wissen können, daß das nicht zu erreichen ist, und man
hätte es auch wissen müssen.
Weiterhin wurde gesagt, es gehe um die Verhinderung einer humanitären Katastrophe. Ich habe hier gesagt, daß ich daran nicht glaube, daß ich vielmehr glaube, daß sich die Lage in jeder Hinsicht zuspitzt und verschlimmert. Das ist leider eine traurige Wahrheit geworden. Also ist auch dieses Kriegsziel, das hier genannt
wurde, nicht im entferntesten erreicht worden, ganz im
Gegenteil.
Es kommt auch noch die Widersprüchlichkeit der
Aussagen der Bundesregierung hinzu. Welche Auskünfte Ihres Ministeriums stimmen denn nun, Herr Außenminister? Ich habe den Lagebericht; ich kenne die
amtlichen Auskünfte. Bis in den März 1999 hinein hat
Ihr Ministerium gegenüber den deutschen Verwaltungsund Oberverwaltungsgerichten erklärt, daß es keine ethnischen Säuberungen und keine systematischen Vertreibungen von Kosovo-Albanern gebe, daß vielmehr die
Zivilbevölkerung das Opfer von Übergriffen - das wurde auch betont - einzelner und das Opfer der militärischen Auseinandersetzungen zwischen UCK und jugoslawischer Armee und Polizei sei. Weiter hieß es, daß
man nicht davon sprechen könne, daß jemand, weil er
Albaner sei, verfolgt werde. Das haben Sie erklärt, damit
die Oberverwaltungsgerichte noch im März 1999 Abschiebungen von Kosovo-Albanern sogar in das Kosovo
gutheißen konnten. Jetzt sagen Sie, die Verfolgung sei
schon die ganze Zeit über gelaufen, und deshalb hätten
die Bombenangriffe die Situation nicht verschlimmert.
Die Wahrheit aber ist folgende: Es gab schlimme
Menschenrechtsverletzungen; es gab auch Massaker; es
gab auch einzelne Vertreibungen. Aber die systematische Vertreibung begann mit der Bombardierung.
Milosevic hat die Bombardierungen genutzt, um eine
systematische Vertreibung der Kosovo-Albaner aus
nationalistisch-rassistischen Gründen und aus militärischen Gründen zu betreiben. Das aber hätte man wissen
können und sogar wissen müssen. Wer den „HufeisenPlan“ gekannt hat, der hat das sogar schriftlich gehabt.
Wenn man das gewußt hat, hätte es sich verboten, mit
den Bombardierungen zu beginnen. So hätte man die
Katastrophe verhindern können, die dann eingetreten ist.
({8})
Inzwischen müssen wir zur Kenntnis nehmen - auch
das will ich deutlich sagen -, daß immer das Gegenteil
von dem eintritt, was man beabsichtigt. Ich will Ihnen
ein Beispiel nennen. Ich habe mir damals jenes Werk
angesehen. Es sind ja 30 000 Leute, insbesondere Männer, über Nacht arbeitslos geworden. Sie hatten einen
gutbezahlten Job; sie hatten kein Interesse daran, zur
Armee oder zur Polizei zu gehen. Man hätte sie dazu
zwingen müssen; freiwillig wären sie dort nicht hingegangen. Jetzt haben sie nichts mehr; jetzt sitzen sie herum. Sie sind außerdem wütend und haßerfüllt. Ihre Bereitschaft, freiwillig zur Armee zu gehen, steigt. Sie gehen auch nicht irgendwie dorthin, sondern sie gehen
haßerfüllt dorthin. Sie gehen mit Wut im Bauch dorthin.
Man kann sich doch sehr gut ausrechnen, an wem dieser
Haß dann ausgelassen wird. Die NATO-Soldaten, ihre
vermeintlichen Gegner, bekommen sie nicht zu fassen.
Also lassen sie ihren Haß an den Kosovo-Albanern aus,
an der Zivilbevölkerung. Diese sind dann die wirklich
Leidtragenden. Das alles muß man wissen.
({9})
- Was ist denn das Ziel der Bombardierung von zivilen Objekten, Herr Bundesaußenminister? Warum
bombardiert man Heizkraftwerke, Elektrizitätswerke,
Wasserkraftwerke? Wem schaden Sie damit? Nutzt es
einem Kosovo-Albaner, wenn die Leute in Serbien frieren und kein Trinkwasser mehr haben und wenn ihnen
die Lebensmittel ausgehen? Wenn Sie die Elektrizitätswerke bombardieren, dann ist doch ein Ergebnis davon,
daß die Kühlanlagen ausfallen, so daß Lebensmittel verderben. Das ist doch ein großes Problem für die Bevölkerung. Das trifft doch nicht Milosevic; er hat doch genug Trinkwasser. Er hat es warm; er hat genug zu essen.
Das trifft immer nur die Bevölkerung. Das ist das eigentliche Problem.
({10})
Deshalb können Sie auch die These nicht aufrechterhalten, es richte sich nur gegen Milosevic und nicht gegen
die Zivilbevölkerung.
({11})
Nach der Haager Landkriegsordnung und nach dem
Genfer Abkommen muß auch im Krieg - wenn wir jetzt
schon die Bedingungen im Krieg diskutieren - die Verhältnismäßigkeit gewahrt werden. Ich sage Ihnen: Dieses Prinzip der Verhältnismäßigkeit wird von Nacht zu
Nacht mehr verletzt.
Nun kann es sein, daß Sie darauf gar keinen Einfluß
haben. Aber dann müßten Sie das ehrlich sagen. Dann
müßten Sie sagen: Wir hatten zwar zu Beginn das Recht,
ja oder nein zu sagen, aber jetzt entscheiden wir nichts
mehr. Aber Sie verteidigen auch noch täglich das Vorgehen, und das macht mir große Sorgen.
Insofern ist es leider wahr: Da Sie meinen, jeden Tag
Ihre Bündnistreue unter Beweis stellen zu müssen, was
Altbundeskanzler Kohl nicht mehr nötig gehabt hätte,
wäre von ihm eher einmal ein Nein zu erwarten gewesen
als von Ihnen. Das ist leider eine Tatsache. Ich hoffe,
daß wir das überwinden.
({12})
Der Haß, der dort erzeugt wird, wird uns begleiten.
Was werden die Folgen sein? Man wird viele Folgen registrieren. Ich habe von dem Haß gesprochen, den eine
ganze Generation abtragen müssen wird: antiamerikanische, antideutsche, antiwestliche Stimmung. Aber es
kommt noch etwas ganz anderes hinzu: Der europäiDr. Gregor Gysi
sche Integrationsprozeß, durch die EU gefördert, ist
um Jahre und Jahrzehnte zurückgeworfen.
({13})
- Ja, er ist zurückgeworfen, und auch das Verhältnis zu
Rußland ist dauerhaft beschädigt.
({14})
Ich frage Sie: Wer wird den Nutzen daraus ziehen?
({15})
Europa war gerade dabei, sich ökonomisch und politisch
so zu entwickeln, daß es ein gleichwertiger Konkurrent
der USA hätte werden können. Wir sind um Jahre zurückgeworfen. Die Rolle der USA als alleinige Weltmacht ist auf Jahre festgeschrieben. Sie brauchen einen
europäischen Konkurrenten nicht mehr ernsthaft zu
fürchten. Schauen Sie sich nur die Abwertung des Euro
im Vergleich zum Dollar an! Schauen Sie sich doch nur
an, wie die Anleger in den Dollar und nicht mehr in den
Euro investieren! Da haben Sie die klaren ökonomischen
und politischen Konsequenzen einer Auseinandersetzung, die hier stattgefunden hat.
({16})
Ich glaube, daß das eher die Motive der US-Führung
waren als der Schutz der Menschenrechte der KosovoAlbaner. Denn die Politik der USA sowohl bei der Vertreibung der Serben aus Kroatien als auch bei der Unterstützung von Pol Pot, als auch bei den Napalmbomben
in Vietnam macht mich und viele andere mißtrauisch
gegenüber den erklärten Zielen der USA hinsichtlich
dieses Krieges.
Aber es gibt noch eine andere Folge, die ich noch für
viel schlimmer halte, nämlich die Änderung der
NATO-Strategie. Sie wissen sehr gut, daß die europäischen Regierungen bestimmte Änderungen der NATOStrategie nicht wollten. Sie sind jetzt in Washington alle
beschlossen worden, unter dem Druck der USA und mit
der Begründung, daß das alles in diesem Krieg schon
praktiziert worden sei. Nicht mehr von Verteidigung des
Territoriums ist die Rede, sondern von Verteidigung der
Interessen, was man natürlich ganz anders definieren
kann. Es ist eine Ausweitung auf den gesamten euroatlantischen Raum enthalten. Es ist festgeschrieben, daß
man notfalls auch ohne UN-Mandat vorgehen könne. Es
wird ja gerade praktiziert - wie hätte man es jetzt plötzlich nicht mehr unterschreiben können? Es ist wieder,
auch schriftlich, die Aufnahme von Lettland, Litauen
und Estland diskutiert worden. Sie wissen, was das für
Rußland bedeutet.
Es gibt eine weitere Folge, auf die ich eigentlich erst
gekommen bin, als mir mein Stellvertreter Wolfgang
Gehrcke von dem Gespräch mit dem indischen Parlamentspräsidenten erzählt hat. Er hat dort erläutert, weshalb wir sehr bedauern, daß Indien Atomwaffen produziert und aufstellt, und welche Spirale das auslösen
kann; man sieht es an der Entwicklung in Pakistan. Darauf hat er mit einem Satz geantwortet, und zwar mit
einer Gegenfrage: Glauben Sie im Ernst, daß die NATO
Jugoslawien angegriffen hätte, wenn Jugoslawien
Atomwaffen besäße? - Das hat mich nachdenklich gemacht. Was werden die Diktatoren dieser Welt sich
während des Krieges und danach sagen? Sie sagen sich
doch nicht: Wir werden jetzt demokratisch, wir halten
jetzt die Menschenrechte ein. Sie machen sich einen Gedanken: Wie können wir so aufrüsten, daß ein Angriff
möglichst unwahrscheinlich wird? Sie kriegen ja auch
mit, daß die NATO Verluste möglichst vermeiden will.
Nicht nur Diktatoren, sondern auch demokratischere
Staaten wie Indien, die aber ein gewisses Mißtrauen gegenüber USA, NATO und Westen hegen, werden sich
sagen: Auch wir müssen gerüstet sein, damit uns so
etwas - von wem auch immer ausgehend - nicht passieren kann.
In der Duma hat das START-II-Rüstungsbegrenzungsabkommen überhaupt keine Chance mehr, ganz
egal wer dort künftig regiert oder Präsident wird. Die
militärische Frage wird eine völlig andere Rolle als in
der Vergangenheit spielen. Wir werden als Folge des
Krieges ein einzigartiges Aufrüstungsprogramm in ganz
vielen Staaten dieser Erde, einschließlich der NATO
übrigens, erleben. Der Hauptgewinner dieses Krieges ist
die Rüstungsindustrie, schon während dieses Krieges,
aber auch nach dem Krieg,
({17})
weil die Abrüstung, die wir uns nach der Überwindung
der bipolaren Welt erhofft hatten, nicht kommen wird.
Ganz im Gegenteil: Wir werden eine schlimme Aufrüstungsphase erleben. Das macht zumindest mir große
Sorgen, weil Aufrüstung immer auch soziales Elend und
immer neue Gefahren von Kriegen und eben nicht Chancen für politische und friedliche Lösungen bedeutet.
Deshalb glaube ich, daß die Bundesregierung hier
einen falschen Weg gegangen ist. Wenn man einen
falschen Weg gegangen ist, sollte man wenigstens die
Kraft haben, ihn zu korrigieren. Nehmen Sie wenigstens
auch einmal zur Frage der Verhältnismäßigkeit Stellung!
Ich kann nur sagen: Wir brauchen die Beendigung
dieser NATO-Angriffe. Wir brauchen den Rückzug von
Polizei und Militär Jugoslawiens aus dem Kosovo. Wir
brauchen eine UN-Friedenstruppe, die ein direkt verhandeltes Abkommen zwischen Kosovo-Albanern und
Jugoslawien sichert und umsetzt. Dazu gehört die Entwaffnung der UCK, dazu gehört aber auch, den Vertriebenen Sicherheit zu geben, daß sie wirklich zurückkehren können. Das wird ohne UNO-Truppe nicht gehen.
Das akzeptiere ich; das steht auch in unserem Antrag
drin. Bloß, die NATO hat sich desavouiert. Sie wird
dafür nicht mehr akzeptiert werden. Dann müssen es
eben andere Staaten machen, und die können es nicht
schlechter.
Ich füge hinzu: Es gibt immer politische Wege. Da
durch die Bomben alles schlimmer geworden ist, kann
man die Bombardierung jetzt nicht mit der Begründung
fortsetzen, es könnte sonst noch schlimmer werden.
Nein, dieses Argument, das Frau Müller hier gebracht
hat, ist, so glaube ich, absurd. Deshalb muß die Bombardierung unverzüglich eingestellt werden.
({18})
Es gibt natürlich auch viele innenpolitische Gründe
dafür, daß wir uns mit der Bundesregierung kritisch auseinandersetzen müssen. Sie haben im Dezember viele
Gesetze in den Bundestag eingebracht, denen wir zugestimmt haben: als es um die Verbesserung des Kündigungsschutzes ging, um die Reduzierung der Zuzahlung
zu Medikamenten, um das Programm für 100 000 Jugendliche, die eine Ausbildung bekommen sollen. Dem
haben wir zugestimmt. Aber seit Beginn dieses Jahres ist
eine Menge Murks produziert worden. Das hängt, so
glaube ich, in erster Linie damit zusammen, daß Sie,
Herr Bundeskanzler, sich nicht entscheiden können,
wessen Interessen Sie durchsetzen wollen.
({19})
Sie wollen es gerne allen recht machen. Das Ergebnis
ist, daß Gesetze herauskommen, mit denen alle unzufrieden sind. Das kann aber nicht die Lösung sein.
Die Inkonsequenz sieht man am Gesetz gegen
Scheinselbständigkeit genauso wie beim 630-MarkGesetz. Aber am schlimmsten - auch das will ich deutlich sagen - ist die ökologische Steuerreform. Sie ist
nicht ökologisch, sie ist für die Wirtschaft ungerecht,
und sie ist extrem unsozial. Wenn Frau Müller sagt, jetzt
hätten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer das erste
Mal wieder eine Abrechnung bekommen, nach der sie
netto mehr in der Tasche hätten als im Vormonat, muß
sie hinzufügen, was sie jetzt für Elektrizitätsrechnungen,
was sie für Heizkostenrechnungen bekommen.
({20})
- Das können Sie doch nicht leugnen. Sie können doch
nicht an der einen Stelle etwas günstiger machen, aber
dann die Gegenrechnung nicht zulassen - zumal Sie
Siemens die Gegenrechnung zubilligen: Wenn es für
Siemens denn teurer als 1 000 DM im Jahr wird, wird
der Rest über das Zollamt erstattet. Diese Möglichkeit
der Erstattung hätten Sozialhilfeempfängerinnen und
-empfänger, Arbeitslose, Rentnerinnen und Rentner
auch gerne. Aber denen ist solch ein Weg nicht eröffnet
worden.
({21})
Auch innerhalb der Wirtschaft ist die Ökosteuer extrem ungerecht. Wieso muß der Dienstleistungsbereich
voll bezahlen und das industrielle Gewerbe - gerade der
Sektor, der die meiste Energie verbraucht - nicht? Damit
verzichten Sie ja geradezu auf die ökologische Wirkung.
Genauso könnte ich anführen, daß die Regelung auch innerhalb der Industrie ungerecht ist: Ich habe vor kurzem
ein Kleinunternehmen besucht, das Heizkörper herstellt.
Für diesen Unternehmer kann der Betrag von
1 000 DM, den er auf jeden Fall zu entrichten hat, schon
fast den Ruin bedeuten. Siemens und dieses winzige Unternehmen gleich zu behandeln hat mit Wettbewerbsgerechtigkeit überhaupt nichts zu tun. Auch in der Landwirtschaft können die 1 000 DM für manche Betriebe,
insbesondere für Schweinezuchtbetriebe, schon den Ruin
bedeuten. Nein, das ist wirklich höchst ungerecht gestaltet. Wenn man das erkennt, muß man es dringend reformieren und darf nicht stur darauf beharren.
({22})
Herr Bundeskanzler, Sie haben gesagt, der Osten
werde Chefsache. Irgendwie habe ich den Eindruck, daß
dieser Vorgang unbearbeitet auf Ihrem Schreibtisch verstaubt. Es wird höchste Zeit, sich seiner anzunehmen.
Natürlich, das Programm für 100 000 Jugendliche wirkt
sich auch im Osten positiv aus. Wahr ist ebenfalls, daß
die Verstetigung der Mittel für Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen auch in den neuen Bundesländern positive
Wirkungen entfaltet.
Aber wo sind die wirklich durchgreifenden Ansätze?
Wann machen Sie wirkliche Regional- und Strukturpolitik? Wo bleibt die Investitionspauschale für Kommunen? Wann endlich werden die Abschlüsse aus der
DDR wirklich anerkannt? Und wann gehen wir - auch
Sie haben auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichts
gewartet - daran, Rentengerechtigkeit für die neuen
Bundesländer herzustellen? Nein, da passiert viel zuwenig. Nach wie vor werden die Leute mit Wasser-, Abwasser- und Straßenbaubeteiligungsgebühren so abgezockt, daß sie ihre Grundstücke verlieren. In all diesen
Bereichen müßte etwas unternommen werden.
Beim Bündnis für Arbeit wird es darum gehen, ob
letztlich ein Mehr an Arbeitsplätzen herauskommt. Bisher gibt es einen Abbau von Arbeitsplätzen. Sie werden
um grundlegende Reformen wie den Abbau von Überstunden, Arbeitszeitverkürzungen, Schaffung eines öffentlich geförderten Beschäftigungssektors nicht herumkommen. Die Lohnnebenkosten müssen endlich nach
der Wertschöpfung und nicht nach der Zahl der Beschäftigten und der Höhe der Bruttolöhne berechnet
werden,
({23})
damit die Einstellung von Arbeitskräften nicht, wie
heute, auch noch bestraft und die Entlassung von Arbeitskräften nicht, wie heute, auch noch belohnt wird.
Weil das zur Zeit so ist, steigen die Aktienkurse immer
dann, wenn ein Unternehmen Entlassungen ankündigt.
Genau das muß geändert werden, wenn man Wirtschaftspolitik und Arbeitsmarktpolitik zu einer Einheit
verhelfen will.
Herr Kollege, denken Sie an die Redezeit, bitte.
Danke schön, Frau Präsidentin. - Dann sage ich zum Schluß noch, daß wir auch
alle Maßnahmen zur Entschädigung von Verfolgten
der DDR unterstützen werden. Das haben wir schon in
der Volkskammer gemacht. Wir haben immer gesagt:
Man erreicht Gerechtigkeit nicht, indem man manchen
die Rente kürzt; man erreicht Gerechtigkeit nur, indem
man den einen die Rente beläßt und die anderen dafür
entschädigt, daß sie solche Renten nicht beziehen können. Das ist der Weg, um diesbezüglich Ausgleich zu
schaffen. Das war auch immer unser Anspruch.
Wir erwarten, Herr Bundeskanzler, daß Sie irgendwann einmal einen Terminplan vorlegen, der besagt, wie
es mit der Angleichung der Lebensverhältnisse in Ost
und West weitergeht. Es gibt nämlich ein Problem:
80 Prozent Lohn kann man zwar machen, aber nicht,
wenn man Preise von 100 bis 120 Prozent hat. Das aber
ist die Situation in den neuen Bundesländern. Deshalb
brauchen wir hier einen klaren Fahrplan.
({0})
Ein letzter Satz: Das alles umspannende Problem ist
und bleibt der Krieg. Ein völkerrechtswidriger Krieg,
der die vorgegebenen Ziele vollständig verfehlt, der
immer unverhältnismäßiger wird,
({1})
der die europäische Integration um Jahre zurückwirft,
der Haß, Feindschaft und Brutalität gerade auch gegen
die Kosovaren erzeugt, muß sofort gestoppt werden.
Träumen Sie nicht vom Sieg oder von bedingungsloser
Kapitulation, sondern von einer politischen Lösung.
({2})
Liebe Kolleginnen
und Kollegen, das mit dem einen Satz ist immer problematisch. Es war auf jeden Fall ein langer Satz.
Zu einer Kurzintervention hat die Kollegin Antje
Hermenau das Wort.
Ich beziehe mich auf die Ausführungen des Kollegen
Gysi, vor allen Dingen auf die zur Rolle der NATO und
auf seine, sagen wir, merkwürdige Auswahl pazifistischer Grundpositionen.
Herr Gysi, es ist nicht das erste Mal, aber in dieser
Rede ist es mir besonders stark aufgefallen: Sie bedienen sich in einer gewissen Art und Weise eines Eklektizismus des Pazifismus, stellen das hier vor. Sie sagen
uns: Natürlich können wir als ehemalige DDR-Bürger wir sind beide aus der ehemaligen DDR - nicht einem
Krieg der NATO zustimmen. Sie bauen hier ein Haßbild
im Hinblick auf Amerika und die NATO auf, das Sie am
Montagabend, 21 Uhr, von Karl-Eduard von Schnitzler
übernommen haben. Wir zwei wissen, wovon ich rede.
({0})
Ich verlange und erwarte nicht, daß wir jetzt alle die
NATO lieben. Aber ein bißchen kritische Annäherung,
ein bißchen kritischen Verstand hätte ich schon erwartet.
Sie ergehen sich in demselben geballten Kleinbürgertum, das die Russen 1968 dazu bewogen hat, zur
NVA - die Sie inzwischen zu einer Friedensarmee umtaufen wollen, was ich für eine Perfidie halte - zu sagen:
({1})
Wir können die NVA gar nicht zum Einmarsch in die
Tschechoslowakei hinzuziehen, weil die NVA unzuverlässig ist. - Das, was Sie hier vortragen, ist geballtes
Kleinbürgertum, aber keine differenzierte Position dazu,
wie Sie sich verhalten wollen.
Sie haben damals zum Beispiel militärische Aktionen in Nicaragua unterstützt. Die waren für Sie völlig
Rechtens. Sie haben militärische Aktionen in anderen
Ländern der dritten Welt unterstützt, wo Befreiungskriege herrschten. Die waren für Sie völlig Rechtens. Daß
jetzt ein Volk unterdrückt wird - ich rede nicht von den
Serben; Sie wissen das -, ist Ihnen völlig egal. Das stellen Sie hier - es entspricht Ihrem Feindbild, das Sie
übernommen und nicht differenziert aufgearbeitet haben
- so eklektizistisch zur Debatte, weil wir in fünf neuen
Ländern Landtagswahlen haben. Das, Herr Gysi, ist
heute deutlich geworden.
Danke schön.
({2})
Herr Kollege Gysi,
möchten Sie antworten? - Bitte sehr.
({0})
Frau Kollegin, ich will unser unterschiedliches Verhältnis zum Kleinbürgertum
nicht weiter definieren. Dazu könnte ich eine Menge sagen.
({0})
Ich glaube, daß meine Entfernung davon etwas größer
ist als Ihre.
Aber davon abgesehen: Ich habe nie behauptet, Pazifist zu sein. Ich habe auch gar keine pazifistischen Argumente benutzt. Ich sage gar nicht, daß jede Gewaltanwendung zu jeder Zeit völlig unrechtmäßig ist. Ich
hätte immer akzeptiert, wenn die chilenische Bevölkerung Pinochet mit Gewalt davongejagt hätte. Ich würde
übrigens auch der serbischen Bevölkerung durchaus zubilligen, Milosevic mit Gewalt davonzujagen. Aber wir
beide sind dafür nicht zuständig. Das ist Sache der jugoslawischen Bevölkerung. Das zu akzeptieren fällt Ihnen
offensichtlich schwer.
({1})
Zweiter Punkt. Hier geht es um einen Angriffskrieg.
({2})
Ich habe das übrigens schon in meiner letzten Rede gesagt: Der Angriff der Sowjetunion gegen Afghanistan
war genauso völkerrechtswidrig. Der Angriff der fünf
Staaten auf die CSSR war ebenso völkerrechtswidrig.
Daraus aber zu schlußfolgern, daß gerade Sie einem
völkerrechtswidrigen Angriff der NATO auf Jugoslawien zustimmen müssen, halte ich für abenteuerlich und
perfide. Das gleiche gilt für den Wandel der Positionen,
auf deren Grundlage Sie entscheiden.
({3})
Jetzt erteile ich das
Wort dem Bundeskanzler Gerhard Schröder.
Gerhard Schröder, Bundeskanzler ({0}): Frau Präsidentin!
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte
zunächst ein paar Bemerkungen zu dem machen, was
Herr Gysi zum Kosovo-Konflikt und zu den denkbaren
Lösungen, wie er sie sich vorstellt, gesagt hat. Insbesondere aber will ich etwas zu der Art und Weise sagen, in
der er argumentiert hat.
Ich hatte während des Zuhörens den Eindruck, Herr
Gysi, daß Sie aus Tätern Opfer und aus Opfern Täter
machen wollen. Opfer ist nicht Milosevic. Opfer sind
Hunderttausende Vertriebene, Tausende Ermordete. Das
sind die Opfer.
({1})
Milosevic und die Belgrader Führung sind die Täter.
Sie haben hier deutlich gemacht, daß diejenigen, die
die Opfer mit militärischen und politischen Mitteln
schützen wollen, die eigentlichen Täter sind. Das geht
nicht,
({2})
das ist Winkeladvokatentum schlimmster Sorte, Herr
Gysi.
({3})
Ich denke, es ist an der Zeit, gerade hier darzustellen,
um was es bei dieser Auseinandersetzung geht und wie
und warum sie geführt wird. Denn ich kann schon verstehen, daß sich viele Mitbürgerinnen und Mitbürger
Sorgen über die Fragen machen, wie es weitergeht und
wie dieser Konflikt beendet werden kann.
Deshalb ist es immer wieder sinnvoll, deutlich zu
machen, was die Motive der westlichen Staatengemeinschaft für diese Intervention waren und sind.
({4})
Das Motiv ist, das Morden im Kosovo zu beenden. Das
ist das einzige, das entscheidende Motiv, das wir haben.
Die militärischen Mittel, die wir dazu einsetzen, die die
gesamte westliche Staatengemeinschaft dazu einsetzt,
sind nicht Selbstzweck. Das muß jeder, der uns zuschaut
und zuhört, verstehen. Sie sind ausschließlich Mittel zu
einem einzigen Zweck: das Morden im Kosovo zu beenden. Jeder von uns, gleichgültig auf welcher politischen Seite er hier im Hohen Hause steht, wäre doch
froh darüber, wenn die militärischen Mittel nicht hätten
eingesetzt werden müssen.
({5})
Niemand - das gilt es zu erkennen - hier im Deutschen
Bundestag hatte ein irgendwie geartetes Interesse daran,
aus einem anderen Motiv als dem, das ich genannt habe,
zu diesen militärischen Mitteln zu greifen. Als Folge dessen gilt: Sobald die militärischen Mittel nicht mehr eingesetzt werden müssen, weil der Zweck, zu dem sie eingesetzt werden, erreicht ist oder auf andere Weise erreicht
werden kann, wird das geschehen. Die NATO, die deutsche Bundesregierung und das deutsche Parlament bis auf
die eine Ausnahme hatten doch nur eine einzige Strategie,
nämlich das Morden zu beenden. Sie wären froh gewesen,
das ohne militärische Mittel zu können.
So aber war die Situation nicht. Deswegen hatten wir
zu einer Doppelstrategie zu greifen: Auf der einen Seite
der Not gehorchend und in Nothilfe im wahrsten Sinne
des Wortes handelnd, um Not von Menschen im Kosovo
zu wenden - ({6})
- Ich komme gleich dazu. Nun halten Sie sich doch noch
einen Moment zurück. Das müßte doch selbst Ihnen
möglich sein.
Ich sage also: Um Not zu wenden, haben wir in Nothilfe und zugleich auf der Basis von Sicherheitsratsbeschlüssen gehandelt. Deswegen ist es wirklich falsch,
die völkerrechtliche Legitimation dieses Handelns dauernd in Frage zu stellen.
({7})
Das ist nicht richtig, meine Damen und Herren, und es
wird durch die Wiederholung auch nicht richtiger.
Wir hatten also eine Doppelstrategie anzuwenden.
Der eine Teil dieser Strategie - aber eben nur der eine
Teil - ist der militärische. Der andere und während der
militärischen Aktionen zu keinem einzigen Zeitpunkt
ungenutzt gelassene Teil ist der politische. Doppelstrategie heißt hier, militärisch handeln zu müssen, um politisch weiterzukommen. Das ist der Zusammenhang, um
den es geht.
Noch einmal: Das Militärische ist kein Selbstzweck
und wird es nie werden, solange wir hier etwas zu sagen
haben. Aber wir mußten dieses Mittel einsetzen, um
einer politischen Lösung näherzukommen.
Jetzt wird gesagt: Ihr seid ihr nicht nähergekommen.
- Das ist ganz schrecklich falsch, meine Damen und
Herren.
({8})
- Wenn Sie einmal anfingen nachzudenken, bevor Sie
dazwischenrufen, würden Sie darauf kommen, warum
das falsch ist: Wenn Sie sich einmal anschauen, wie die
politische Situation zu Beginn dieses Konfliktes, zu Beginn der militärischen Maßnahmen war - da wende ich
mich insbesondere an Sie, Herr Gerhardt -, dann können
Sie feststellen, daß zu Beginn dieser militärischen Maßnahmen die westliche Staatengemeinschaft eine Position
vertreten hat, die durch die berühmten fünf Punkte, die
Sie kennen, beschrieben wird.
Die westliche Staatengemeinschaft, die NATO, hat
diese fünf Punkte immer wieder besonders betont: erstens Rückzug der militärischen und der paramilitärischen Einheiten und der Sonderpolizei.
Der zweite Punkt betraf die Rückkehr der Flüchtlinge - zum einen, um keiner weiteren Destabilisierung
Mazedoniens und Albaniens Vorschub zu leisten, aber
auch, weil sonst wirklich die Gefahr besteht, daß Westeuropa in großem Umfang die Flüchtlinge aufnehmen
muß. Wir haben ein eigenes Interesse daran, daß die
Menschen dort, in ihrer Heimat, leben können und nicht
bei uns Zuflucht suchen müssen - was sie jetzt tun und
wobei wir alle zusammen ihnen auch helfen.
Der dritte Punkt war: Damit die Flüchtlinge zurückkehren können, muß es eine internationale militärische
Schutztruppe geben, und zwar deshalb eine militärische, weil sie in der Lage sein muß, diese Menschen zu
schützen; denn diese haben schrecklichste Erfahrungen
gemacht, was es heißt, ohne Schutz zu sein.
Deshalb ist, bezogen auf die Schutztruppe, eines
wirklich abenteuerlich: Zu glauben, mit ein paar Blauhelmen - wie vielen auch immer -, die nach internationalem Recht bestenfalls in der Lage sind, sich selber und
vielleicht in Nothilfe jemanden, der neben ihnen steht,
zu verteidigen, den Schutz für die Flüchtlinge, die ihre
Heimat wiederhaben wollen, garantieren zu können, das
ist abenteuerlich.
({9})
Das widerspricht im übrigen auch allen Erfahrungen,
die in Bosnien gemacht worden sind. Niemand weiß das
so gut wie der Kollege Rühe, der damals zuständig war.
Wir haben dort die Erfahrung machen müssen, daß von
den gleichen Leuten die Blauhelmsoldaten der UNO
an Pfähle gekettet worden sind, als Geiseln benutzt wurden und zynisch und höhnisch zur Schau gestellt worden
sind. Wollen Sie das im Kosovo wieder haben? Oder
wie stellen Sie sich das vor, meine Damen und Herren?
({10})
Es geht kein Weg daran vorbei, daß man dort eine gut
ausgerüstete Truppe, die logistisch auch handeln kann,
braucht, um die Flüchtlinge zu schützen. Diese Truppe
ist aber kein Selbstzweck; das muß man den Menschen,
die sich Sorgen machen und auf diese Debatten schauen,
immer wieder klarmachen. Wir wollen sie dort nicht
haben, weil uns nichts anderes einfiele oder weil wir
irgendein Land besetzen wollten. Nein, diese Schutztruppe dient ausschließlich dazu, zurückkehrenden
Flüchtlingen Schutz zu gewähren und damit Frieden in
der Region zu garantieren. Das ist ein Motiv für diese
Truppe,
({11})
und das muß sie können, aber ohne einen Kern der
NATO kann sie es eben nicht.
Warum, glauben Sie denn, sagt die Belgrader Führung vor dem Hintergrund der Bosnien-Erfahrung: unbewaffnete - ja, bewaffnete - nein?
({12})
- Ich sage es doch nur, weil Sie - mir ist das jedenfalls
so aufgefallen - als eine Art Strafverteidiger aufgetreten sind und weil Sie den Versuch gemacht haben, aus
Opfern Täter zu machen. Deswegen muß ich das betonen.
Ich sage noch einmal: Das sind die Motive. Jetzt wird
gesagt, wir hätten mit unseren Maßnahmen politisch
nichts erreicht. Ich habe deutlich gemacht, wie die Situation am Anfang war: Wo stand die Staatengemeinschaft? Auf den Standpunkten, die ich genannt habe. Wo
stand Milosevic? Da, wo er bedauerlicherweise immer
noch steht. Wo stand Rußland? Rußland - ich sage das
mit allem Respekt vor der russischen Führung - hatte
sich am Beginn dieses Konfliktes nicht in der Lage gesehen, im Sicherheitsrat einer Resolution nach Kapitel
VII der Charta der Vereinten Nationen zuzustimmen,
und hat diese Position über ganz lange Zeit beibehalten.
Rußland hat sich zum Beispiel nicht in der Lage gesehen, zunächst als eigene Position und dann in der Vermittlerrolle, das deutlich zu machen und zu übernehmen,
worum es geht, nämlich daß die Flüchtlinge Schutz
durch eine Truppe brauchen, über deren Ausrüstung ich
mich geäußert habe.
In der NATO hatten wir zudem Diskussionen über
die Notwendigkeit, Bodentruppen einzusetzen. Das
sind die Debatten, die Sie alle kennen - insbesondere
in der Öffentlichkeit Großbritanniens, aber auch in anderen Ländern; ich will keine weiteren besonders nennen. Was ist in der Zwischenzeit als Ausfluß der verfolgten Doppelstrategie geschehen? Die NATO debattiert nicht über Bodentruppen. Ich betrachte das - nicht
nur, aber auch - als Erfolg unserer Diskussionen und
Bemühungen.
({13})
Ich habe deutlich gemacht - gleichgültig, wo: in
Amerika ebenso wie in anderen westlichen Hauptstädten; in Amerika übrigens in Übereinstimmung mit dem
Kollegen Dr. Kohl -, daß und warum Deutschland keine
Bodentruppen einsetzen wird. Insofern gibt es gar nichts
kritisch zu hinterfragen - es sei denn, man fragt nur,
weil man in der Frage den Eindruck nahelegen will, es
gäbe eine andere Position der deutschen Bundesregierung. Die gibt es aber nicht. Wir haben uns deutlich dazu geäußert, daß und aus welchen Gründen wir keine
Bodentruppen wollen. Das hat außenpolitische Gründe,
das hat innenpolitische Gründe, das hat aber auch den
Grund, daß wir wirklich davon überzeugt sind, daß die
NATO - wie es gestern der französische Präsident gesagt hat - keinen Anlaß hat, ihre Strategie zu ändern,
weil diese Strategie zu greifen beginnt. Sie können das
an den Bewegungen, die es in der letzten Zeit gegeben
hat, erkennen. Dabei sind die Veränderungen der russischen Position natürlich das Wichtigste.
Ich habe der Presse entnommen und bin dankbar dafür, daß Sie, Herr Dr. Kohl, ebenso wie viele andere mit
Jelzin geredet haben. Ich sage ausdrücklich: Jeder Gesprächskontakt, der insbesondere mit Mitgliedern der
russischen Führung aufgenommen wird und der dem
Ziel dient, auf einer rationalen Basis zu einer politischen
Bundeskanzler Gerhard Schröder
Lösung zu kommen, ist der deutschen Bundesregierung
und ist, glaube ich, uns allen hochwillkommen.
({14})
Es hat also nicht zuletzt durch die Erfolge der
Tschernomyrdin-Mission, hinter der der Wille des russischen Präsidenten steht, Annäherung in der Sache und in
zentralen politischen Positionen gegeben. Was wir noch
hinbekommen müssen und woran gearbeitet wird, ist,
die Frage zu beantworten, wie das eigentlich mit dem
Zeitpunkt ist. Die nachvollziehbare und klare Position
der westlichen Staatengemeinschaft ist immer gewesen
und ist noch: Wir müssen verifizierbar sehen können,
daß mit dem Rückzug begonnen wird. Das ist ein ganz
wichtiger Punkt, der früher übrigens auch nicht so hieß.
Der Rückzug muß also begonnen werden, nicht beendet
sein, ehe die Bombardements ausgesetzt werden können.
Aber begonnen! Dann kann man über eine Aussetzung
reden. Ich denke, man kann spüren, kann sehen, daß sich
die Positionen auch in dieser Frage anzunähern beginnen.
Vielleicht kann man dazu kommen, die Frage zu beantworten: Wie definiert man „beginnen“? Gibt es einen
fixierbaren Zeitpunkt, zu dem das eine und das andere
passiert? Ist das eine Möglichkeit weiterzukommen? Ich
finde, daß es lohnt, solche Diskussionen in das Bündnis
hineinzutragen. Ich sage auch mit Freude, daß ich dem
Außenminister, der sich wirklich krummgelegt hat, um
zu diesen Erfolgen zu kommen, dafür sehr dankbar bin.
({15})
Die politischen Direktoren der G 7 haben zusammen mit
Rußland eine Position fixiert, die vor vier Wochen so
noch nicht denkbar gewesen wäre. Daß sich die G-7Staaten auf Außenministerebene morgen in Bonn mit
Rußland treffen werden, war vor vier Wochen nicht
möglich, ist aber jetzt geleistet.
Ich denke, meine Damen und Herren, dies alles zeigt
zweierlei: einmal, daß es ganz schrecklich falsch wäre,
der Bundesregierung zu unterstellen, sie hätte nur auf
die militärischen Maßnahmen gesetzt, was leider gelegentlich geschieht, und zum anderen, daß es falsch wäre,
zu glauben, es hätte sich als Folge der militärischen
Maßnahmen nichts bewegt. Von einem bin ich nach wie
vor fest überzeugt: Ohne die militärischen Maßnahmen
wären wir noch dort, wo wir am Anfang waren. Das gilt
es zu erkennen. Auf diesem Hintergrund muß man dann
die Frage bewerten: War das richtig? War es angemessen?
({16})
- Da ist es wieder! Sie erliegen immer wieder der Versuchung, aus Opfern Täter zu machen.
({17})
Sie verwechseln immer wieder Ursache und Wirkung.
Ich befürchte, Sie verwechseln es nicht, weil Sie zu
dumm wären, das anders zu begreifen, sondern Sie
wollen es nicht begreifen. Das ist der eigentliche Punkt.
({18})
Ich glaube also, daß die Bemühungen, die wir unternommen haben, wirklich Bewegung gebracht haben Herr Glos, übrigens Bewegung in die richtige Richtung,
nicht in die falsche.
({19})
Sie sollten gelegentlich - ich sage das bei aller meiner
Freude, bayerischer Polemik, in diesem Fall fränkischer
Polemik, zuzuhören - bei Ihrer Argumentation auch
Wahrhaftigkeit nicht völlig außen vor lassen.
({20})
Meine Damen und Herren, wir haben aber durch die
politischen Aktivitäten noch ein bißchen mehr erreicht.
Es ist am Anfang nicht so gewesen, daß die Rolle der
Vereinten Nationen in diesem Prozeß unumstritten gewesen wäre. Es ist nicht so gewesen, daß der Generalsekretär der Vereinten Nationen, ausgestattet mit der
Unterstützung der gesamten Europäischen Union, eingeschlossen natürlich die Unterstützung der Bundesregierung, zu seinem Teil für die politische Bewegung hat
sorgen können. Nein, das ist am Anfang nicht so gewesen. Es war schon so, daß die deutsche Bundesregierung,
daß der Außenminister, daß auch ich dazu beigetragen
haben, und zwar dadurch, daß wir in Brüssel die Staatsund Regierungschefs mit dem Generalsekretär zusammengebracht haben. Damit haben wir dazu beigetragen,
daß die UN mehr und mehr die ihr auch nach unserer festen Überzeugung zukommende Rolle spielen kann.
Auch das war am Anfang keine Selbstverständlichkeit.
Ich denke also, wenn man einen Strich darunter zieht
und fair ist, muß man sehen, daß diese Doppelstrategie
politisch ohne Alternative war und zu greifen beginnt.
In dem Zusammenhang noch ein Punkt: Es war vor
diesem Hintergrund nicht in Ordnung, von blinder Gefolgschaftstreue zur NATO zu reden.
({21})
Diejenigen, die diesen Vorwurf erhoben haben und meinen, ihn weiter aufrechterhalten zu müssen, sollten sich
doch einmal mit der Entwicklung auseinandersetzen und
danach ihren Vorwurf überdenken; denn das ist eine Art
und Weise der Auseinandersetzung, die fehlgeleitet ist
und die auch Narben hinterläßt.
Vielmehr verhält es sich genau umgekehrt: Ohne die
politische Festigkeit, mit der wir den militärischen Teil
begleitet haben, und ohne die völlige Unbezweifelbarkeit der Solidarität der Deutschen im Bündnis hätte
Bundeskanzler Gerhard Schröder
uns die objektive Möglichkeit gefehlt, die politischen
Erfolge, die wir errungen haben, zu erzielen.
({22})
Ohne diese nahtlose Bündnissolidarität hätte man bestenfalls über die Versuche einer deutschen Bundesregierung gelächelt, sich außerhalb dieser Solidarität um
eine politische Lösung zu bemühen. Das wäre völlig
unmöglich gewesen.
({23})
Eine Bemerkung zu den Flüchtlingen. Deutschland
hat in der EU beispielhaft - ich füge hinzu: wieder einmal - seine humanen Verpflichtungen erfüllt, insbesondere auch die Menschen in unserem Land. Wir haben
jeden Grund, ihnen dafür dankbar zu sein.
({24})
Aber auch die Forderung - ich weiß nicht, von wem sie
erhoben worden ist - an die deutsche Bundesregierung,
auf öffentlichen und auf nichtöffentlichen Wegen Druck
auf die Partner in der EU auszuüben, genauso wie wir
Flüchtlinge aufzunehmen, ist richtig. Nur, der EURatspräsident - das wissen diejenigen, die auch einmal
mit europäischen Angelegenheiten befaßt waren - kann
nichts anordnen. Die Entscheidungen über die Aufnahme von Flüchtlingen werden noch immer auf nationaler
Ebene getroffen, zum Beispiel in Frankreich, in Großbritannien oder in anderen Staaten. Trotzdem möchte ich
darauf hinweisen: Es kann nicht sein, daß wir hier über
die Aufnahme des nächsten Flüchtlingskontingents diskutieren, ohne deutlich zu machen, daß auch die anderen
Staaten erst einmal ihre Pflicht tun müssen. Das sollten
wir hier auch deutlich sagen.
({25})
Ich bin ziemlich sicher, daß dann, wenn es einer politischen Lösung hilft, wenn es sein muß und wenn auch
die anderen Staaten ihre Aufgaben erfüllt haben, die
Deutschen nach wie vor großzügig sein werden. Aber
die politische Debatte muß auch über die Partner in der
EU und deren Verpflichtungen geführt werden.
Darüber hinaus werden der Außenminister und der
Verteidigungsminister bis ins kleinste, auch in den Ausschüssen, begründen, daß und warum wir vor allem Albanien helfen müssen.
({26})
Ich finde, daß das auf der Hand liegt. Die dortigen
Flüchtlingsströme kann keine der zivilen Organisationen
- sei sie auch noch so gut ausgerüstet - wirklich bewältigen. Das ist der Grund, warum wir der Meinung sind,
daß die Bundeswehr in einer solchen Situation helfen
soll und muß. Daß die Voraussetzungen für einen weiteren Einsatz von Bundeswehrsoldaten erfüllt sind, weil
die Zahl der Flüchtlinge dramatisch zugenommen hat,
konnten Sie in den letzten Tagen auf den Bildschirmen
sehen. Deshalb ergibt sich die Notwendigkeit, über einen weiteren Einsatz von Bundeswehrsoldaten zu entscheiden, aus der Dramatik der dortigen Situation.
Eine parlamentarische Entscheidung über einen solchen Einsatz der Bundeswehr ist notwendig, weil uns das
Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil vorgeschrieben hat, daß der Bundestag jedem, aber auch wirklich jedem Einsatz zustimmen muß, bei dem die Gefahr besteht,
daß sich deutsche Soldaten - was auch bei humanitären
Einsätzen möglich ist - im Falle eines Angriffs verteidigen müssen. Es besteht also eine verfassungsgerichtliche
Notwendigkeit, vor einem solchen Einsatz die Zustimmung des Deutschen Bundestages einzuholen.
Es mag den einen oder anderen nachdenklich machen, ob uns das, was uns das Bundesverfassungsgericht
auferlegt hat, wirklich noch Handlungsmöglichkeiten in
solchen Konfliktfällen eröffnet.
({27})
Das ist eine theoretische Debatte; denn wir haben uns an
die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu
halten. Wir werden das auch tun und davon keinen Millimeter abweichen.
({28})
Es wird deutlich, daß unsere Strategie ohne Alternative war und ist. Sie beginnt zu greifen.
Ich möchte ein paar Bemerkungen zur innenpolitischen Situation machen. Ich möchte gerne das Zerrbild
über die deutsche Gesellschaft, auch über die deutsche
Wirtschaftsgesellschaft, das die Vorredner vermittelt
haben, richtigstellen. Es ist gesagt worden, die Arbeitslosigkeit sei gestiegen. Das ist falsch. Wenn Sie sich
einmal die Zahlen für März 1998 anschauen
({29})
- ich werde nur zwei Zahlen anführen; die werden auch
Sie sich merken können -, dann stellen Sie fest, daß im
März 1998 4,7 Millionen Menschen arbeitslos waren,
während im März 1999 4,3 Millionen Menschen arbeitslos waren. Auch die Zahlen für April 1999, die ich noch
nicht habe, werden vergleichsweise niedriger sein. Nun
können Sie sagen: 400 000 Arbeitslose weniger, das interessiert uns überhaupt nicht. - Aber uns interessiert das!
Es ist wichtig, daß dieser Unterschied aufgezeigt wird.
({30})
Sprechen wir einmal über Jugendarbeitslosigkeit: Bei
den unter 25jährigen ist die Arbeitslosigkeit um 11 Prozent zurückgegangen, insgesamt ist sie leider nur um
7 Prozent zurückgegangen. Die Jugendarbeitslosigkeit
ist signifikant abgesunken, und zwar seit November
letzten Jahres. Das ist ein großer Erfolg, den Sie nicht
kleinreden sollten.
({31})
Bundeskanzler Gerhard Schröder
Er kommt insbesondere den jungen Menschen im Osten
Deutschlands zugute.
Wir haben das 100 000-Ausbildungsplätze-Programm aufgelegt.
({32})
- „So wenig erfolgreich“. Es ist interessant, daß ausgerechnet Sie das sagen. Wann haben Sie denn jemals in
den 16 Jahren, in denen Sie regiert haben, ein solch erfolgreiches Programm aufgelegt? Sie haben die jungen
Leute doch alleine gelassen. Die haben Sie doch gar
nicht interessiert.
({33})
Wir haben dieses Programm auf den Weg gebracht.
Nach den Zahlen für Mai 1999 sind 100 000 junge Menschen mehr in Ausbildung und/oder Beschäftigung.
({34})
- Wir werden einmal sehen, wie lange. Sie werden sich
wundern, was uns noch einfällt, um diesen jungen Leuten Möglichkeiten zu geben. Seien Sie sich da ganz sicher. Eine Pennerei, wie Sie sie in dieser Frage an den
Tag gelegt haben, hört jedenfalls auf.
({35})
Was Sie zu den Wachstumszahlen gesagt haben,
wundert mich sehr. Es ist richtig: Die Institute rechnen
für das erste Halbjahr mit weniger Wachstum. Sie sagen
ganz deutlich, womit das zu tun hat: mit den internationalen Einflüssen, die insbesondere auf den Export Wirkungen gezeitigt haben, die zu den verminderten
Wachstumszahlen führen.
({36})
Aber die gleichen Institute sagen - noch sehr vorsichtig,
man kann nur hoffen, daß sie recht behalten -, daß es in
der zweiten Hälfte dieses Jahres mit dem Wachstum
nach oben geht. Sie prognostizieren für das nächste Jahr
ein Wachstum von 2,6 Prozent. Statt sich darüber zu
freuen und mitzuhelfen, daß sich hier die psychologischen Wirkungen entfalten können, stellen Sie sich ins
mosernde Abseits und kritikastern nur. Wir brauchen
und wir wollen dieses Wachstum!
({37})
Es ist übrigens wahr, daß die Zahlen nur zum Teil
aus den wirtschaftlichen Antriebskräften erklärbar sind.
Keine Frage, insbesondere im Osten des Landes sind sie
auch aus dem erklärbar, was die Bundesregierung über
die Bundesanstalt für Arbeit auf dem zweiten Arbeitsmarkt tut. Es macht Sinn, einmal zu erklären, warum es
diesen zweiten Arbeitsmarkt geben muß. Es ist doch
nicht so, daß es hier einen einzigen unter uns gibt, der
einen zweiten Arbeitsmarkt als Selbstzweck betrachtet,
der sich ihn wünscht. Jeder, der im ersten Arbeitsmarkt
sein Einkommen und Auskommen findet, ist uns lieb.
({38})
Aber wir wissen, daß der ständige Strukturwandel,
nirgendwo so dramatisch sichtbar wie im Osten unseres
Landes, Ungleichzeitigkeiten produziert. Es sind Ungleichzeitigkeiten, die damit zu tun haben, daß die Vernichtung alter Arbeitsplätze ein ständiges Merkmal dieses Strukturwandels ist, den im übrigen niemand aufhalten kann und aufhalten darf. Wir wissen, daß durch
den Strukturwandel auch neue Arbeitsplätze entstehen,
aber bedauerlicherweise nicht zur gleichen Zeit, nicht
am gleichen Ort und nicht für alle Qualifikationen. Hier
setzen unsere Bemühungen an, in Zusammenarbeit mit
den Ländern im Rahmen von Strukturpolitik, auch regionaler Strukturpolitik, und durch Qualifizierungsmaßnahmen, die die Leute fit machen, Beschäftigung auch
auf dem ersten Arbeitsmarkt zu ermöglichen. Natürlich
sind für die Zeit zwischen der Vernichtung alter und
dem Aufwuchs neuer Arbeitsplätze Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen auf dem zweiten Arbeitsmarkt nötig.
Der Grund für deren Existenz ist, diese Ungleichzeitigkeit zu überwinden.
Früher, als Sie noch regierten, gab es pünktlich vor
Wahlen immer einen enormen Aufwuchs der Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen. Infolgedessen veränderten sich
dann auch die Arbeitsmarktzahlen positiv. Leider war es
nur so, daß man unmittelbar nach den Wahlen vergaß,
wie dieser Aufwuchs zustande gekommen war, und ihn
auch nicht weiterführte.
({39})
Das ist die Erfahrung, die die Menschen im Osten unseres Landes mit Ihnen gemacht haben: vor Wahlen immer
mehr Arbeitsplätze, nach Wahlen pünktlich ein Ende der
Maßnahmen.
({40})
Das Interessante ist nun, daß die Menschen im Osten
jetzt eine andere Erfahrung machen, nämlich die, daß
wir die Arbeitsmarktmaßnahmen, die Sie vor Wahlen
initiiert haben, unabhängig von Wahlterminen verstetigen.
({41})
Wir werden, meine Damen und Herren, 6,3 Milliarden DM mehr für Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen speziell im Osten ausgeben. Das hilft den Menschen, Arbeit
zu finden, sich zu qualifizieren und sich Chancen im ersten Arbeitsmarkt zu suchen und zu eröffnen. Wir wollen das und werden es deshalb weiterführen. Diese Politik ist eine fundamental andere Arbeitsmarktpolitik, als
Sie sie gemacht haben. Diesen Unterschied - seien Sie
sich dessen sicher - werden wir den Menschen deutlich
machen.
({42})
Sie werden dann auch verstehen, daß das Geld kostet,
aber daß es besser ist, Arbeit zu bezahlen, als Arbeitslosigkeit bezahlen zu müssen.
({43})
Bundeskanzler Gerhard Schröder
Ich will ein paar Bemerkungen zu den hier heiß diskutierten Fragen der Scheinselbständigkeit, der arbeitnehmerähnlichen Selbständigkeit und den 630-MarkArbeitsverhältnissen machen. Worum geht es dabei
überhaupt? Es ist von einigen Rednern - ich habe genau
zugehört - zu Recht darauf hingewiesen worden, daß
sich diese ganzen Probleme auf den Bereich konzentrieren, den man Dienstleistungssektor nennt. Das ist wahr.
So hatten wir im Dienstleistungssektor das interessante
Phänomen, daß sich dieser wachsende Sektor des ersten
Arbeitsmarktes anders ausfächerte als der Sektor der
Produktion. Dies hatte Folgen für die arbeitenden Menschen, für die Rentenversicherung, die Sozialversicherung und die Krankenversicherung.
Ich habe den Satz, die Sozialsysteme hätten kein
Ausgaben-, sondern nur ein Einnahmenproblem, immer
für einen törichten Satz gehalten. Ich sage ohne Abstriche: Das ist ein törichter Satz.
({44})
Wir haben da natürlich auch Ausgabenprobleme. Aber
umgekehrt ist es genauso töricht, angesichts der Entwicklungen auf dem Dienstleistungssektor zu verschweigen, daß wir ein Einnahmenproblem bekommen,
wenn wir es so weiterlaufen lassen. Alle unsere sozialen
Sicherungssysteme werden nämlich auf absehbare Zeit
so bleiben. Man kann zwar Ergänzungen vornehmen;
man wird das sogar tun müssen. Aber sie sind an Vollerwerbsarbeitsverhältnisse gekoppelt. Für diese werden
Beiträge in die Sozialkassen gezahlt, von denen wiederum Renten, Leistungen der Krankenkassen und andere
Sozialleistungen finanziert werden.
Wenn wir, meine Damen und Herren, jetzt nicht politisch darauf reagieren und gestatten, daß sich der dynamischere Teil des Arbeitsmarktes völlig anders als unser
bisheriges System entwickelt, dann ist doch völlig klar,
daß die Sozialkassen riesige Schwierigkeiten bekommen
und es dort zu Erosionen kommt. Das kann doch niemand wollen.
Ich vermute, das war auch der Hintergrund jener Botschaft, die gestern der Bundesfinanzminister und heute
der Fraktionsvorsitzende der SPD an die Adresse der
Union, mit der das diskutiert worden ist, gerichtet haben,
daß nämlich bei einer Volkspartei, die nicht nur einen
Teil der Bevölkerung vertritt und auch nicht nur auf
einen Teil von Wählerschaft sieht, die Sensibilität für
dieses Problem, das es objektiv gibt, natürlich größer ist
als bei einer Klientelpartei. Das ist ja klar.
({45})
Deshalb haben mich die Differenzen zwischen CDU und
F.D.P. insoweit auch gar nicht verwundert, denn sie haben etwas mit unterschiedlichen Funktionen zu tun.
Wenn das aber so ist, meine Damen und Herren, daß
wir aufpassen müssen, daß sich der dynamischere Teil
des Arbeitsmarktes, der Wirtschaft nicht in Richtung auf
die Zerstörung der sozialen Sicherungssysteme entwikkelt - damit würde Solidarität in der Gesellschaft zu existieren aufhören -, dann müssen wir handeln.
({46})
Es stellt sich allenfalls die Frage nach dem Wie des
Handelns.
({47})
- Ich komme ja dazu; machen Sie sich mal keine Gedanken. Mir ist schon klar, daß Sie über ernsthafte Fragen ungern diskutieren,
({48})
aber glauben Sie nicht, daß Ihre Dölmerei draußen verfängt. Das werden Sie schon noch erleben.
Es geht also um die Frage nach dem Wie. Erstens
geht es um die Frage, wie diejenigen zu behandeln sind,
die als Selbständige erscheinen, obwohl sie nach allem,
was man tatsächlich weiß, in Wirklichkeit Arbeitnehmer
sind. Es geht also um die sogenannten Scheinselbständigen. Hier muß man Regelungen finden. Ich denke, daß
das, was im Streit ist und überprüft werden muß, insbesondere der Zeitpunkt ist, in dem festgestellt wird, ob sie
selbständig oder scheinselbständig sind und zu welchem
Zeitpunkt die Folgen sowohl für den betroffenen Arbeitnehmer als auch für den Arbeitgeber einsetzen.
Wird Scheinselbständigkeit festgestellt - das war früher übrigens schon genauso -, besteht die Pflicht des
Arbeitnehmers zur Versicherung und die Pflicht des Arbeitgebers zur Beitragszahlung. Ich halte es nicht für gerechtfertigt, diese Pflicht auf einen früheren Zeitpunkt
als den der Feststellung zu beziehen.
({49})
Ich denke, das wird einer der Punkte sein, über den
ernsthaft geredet werden muß.
({50})
- Das ist überhaupt kein neuer Vorschlag. Es ist einfach
ein Gebot der Fairneß, meine Damen und Herren,
({51})
daß man jemanden mit den Konsequenzen eines Gesetzes erst dann belastet, wenn die entsprechenden Feststellungen verbindlich getroffen worden sind.
Der zweite Punkt betrifft ein schwieriges Problem, das
Problem der Abgrenzung zwischen Sozialversicherungsrecht und Arbeitsrecht. Also hat die Feststellung, daß
Scheinselbständigkeit statt Selbständigkeit vorliegt, auch
eine Konsequenz in arbeitsrechtlicher Hinsicht. Hier muß
man zu besseren Abgrenzungen kommen. Das betrifft
sehr viele Menschen, die im Medienbereich arbeiten. Ich
finde, angesichts der Tatsache, daß weit mehr als zehn
Jahre in diesem Sektor nichts, aber auch gar nichts getan
worden ist - es ist doch Ihr Versagen, mit dem wir es hier
zu tun haben, meine Damen und Herren -,
({52})
Bundeskanzler Gerhard Schröder
kann und muß man über solche Abgrenzungsprobleme
reden.
({53})
Es gibt weiter die arbeitnehmerähnlichen Selbständigen in diesem Sektor. Das sind Menschen, die als
Selbständige akzeptiert sind, aber nur für einen bestimmten Unternehmer arbeiten. Dabei geht es schlicht
um die Frage: Soll man hinnehmen, daß sich die Betroffenen überhaupt nicht sozialversichern müssen, sich
auch nicht zwischen Alternativen entscheiden müssen,
aber dann, wenn etwas schiefgeht, in die Sozialhilfe
fallen und damit den Beitragszahlern, die ihr Leben lang
treu und brav ihre Beiträge gezahlt haben, zur Last fallen, oder soll man das nicht zulassen? In dem Gesetz
steht, daß das nicht zugelassen wird. In dem Gesetz steht
aber auch - diesen Punkt muß man erwähnen -, daß
niemand, der eine Versicherung, welcher Art auch immer, hat, gezwungen werden soll, in die Sozialversicherungskassen einzuzahlen.
Dies ist ein vernünftiger Weg, den man sich aber auch
unter dem folgenden Aspekt anschauen sollte: Es wird
eingewandt, daß man auf diese Weise den Existenzgründern den Schritt in die volle Selbständigkeit erschweren
würde. Es wird dann folgendermaßen argumentiert: Der
Existenzgründer hat zunächst nur einen Auftraggeber, von
dem er abhängig ist; er ist also in einer arbeitnehmerähnlichen Situation. Aber dieser Existenzgründer hat die
Chance, den Schritt aus der abhängigen Beschäftigung in
die volle Selbständigkeit zu gehen, indem er sich mehrere
Auftraggeber sucht. Ich bin absolut dafür, daß diese Regelung aufrechterhalten bleibt.
({54})
- Nein, es ist ja gar nicht so.
Schon im Gesetz ist die Regelung enthalten, daß der
Betroffene 50 Prozent und mehr seiner Beitragsleistung
- wozu er verpflichtet ist - an die Sozialkassen erlassen
bekommen kann. Ich bin uneingeschränkt der Auffassung, daß sich die Kommission, gegen die Sie so polemisiert haben, genau anschauen muß, ob es nicht Sinn
macht, jemanden für drei oder auch fünf Jahre ganz von
dieser Verpflichtung freizustellen. Nach dieser Zeit kann
man nämlich genau feststellen, ob er den Schritt in die
Selbständigkeit geschafft hat oder ob er ein arbeitnehmerähnlicher Selbständiger geblieben ist. So pragmatisch ist die Regelung.
({55})
- Angesichts Ihres Geschreis muß ich sagen, daß es nur
die folgende Alternative gibt: Entweder findet man eine
Regelung, die diesen Sektor auf möglichst angemessene
Weise anderen Sektoren gleichstellt, oder man findet
diese Regelung nicht. Sie aber verwechseln Flexibilität
mit dem Recht auf Ausbeutung. Das ist Ihr Problem,
meine Damen und Herren.
({56})
In beiden Bereichen geht es um die Frage, ob man
eine Entwicklung auf dem ersten Arbeitsmarkt stoppen
kann, die die sozialen Versicherungssysteme - unabhängig von der Frage, wie man sie reformieren kann - zerstören würde, wenn man sie weiter zulassen würde, so
wie Sie es offenkundig vorhatten. Unsere Antwort lautet: nein.
({57})
Ich räume ein, daß dieses Thema Gegenstand einer
Auseinandersetzung ist, was angesichts der Diskussion
über einen Sektor, in dem so lange Mißbrauch betrieben
wurde - das haben Sie zugelassen -, nicht verwundern
kann. Natürlich gibt es im Rahmen dieser Diskussion
Auseinandersetzungen um schwierige, aber wichtige
Abgrenzungsfragen. Diese Probleme werden so gelöst
werden, daß die notwendige Solidarität gewährleistet
wird, ohne daß das Recht des einzelnen auf ein selbstbestimmtes Arbeitsleben eingeschränkt wird. Das ist die
Aufgabe, die wir lösen werden.
({58})
In der Debatte sind viele Einwände gegen die
Steuerpolitik dieser Regierung gemacht worden.
({59})
Ich kann diese Kritik schon aus intellektuellen Gründen
nur schlecht nachvollziehen.
({60})
Was haben wir mit unserer Politik, zu der wir ohne
Wenn und Aber stehen, bisher erreicht? Wir haben
schon vor den Wahlen gesagt, daß wir Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, also diejenigen, die nicht soviel
in der Tasche haben, entlasten werden.
({61})
Das haben wir gemacht. Schauen Sie sich die Veränderung beim Eingangssteuersatz und die Veränderungen
für Familien mit Kindern an. Da beißt die Maus keinen
Faden ab: Wenn die Entlastungsmaßnahmen voll greifen, wird die Entlastung für Familien mit Kindern 2 500
DM pro Jahr betragen. Das ist versprochen und wird gehalten. Die Veränderungen sind auf den Weg gebracht.
({62})
Nun können Sie das kritisieren; damit habe ich überhaupt kein Problem. Aber dann müssen Sie sich auch
vorwerfen lassen, daß Sie keine Entlastung von Familien
mit Kindern wollen, sondern etwas anderes.
({63})
Damit würde eine Entwicklung fortgesetzt, die das Bundesverfassungsgericht wiederholt auf den Plan gerufen
hat. Auch da gilt es einmal in aller Klarheit zu sagen: Es
waren doch nicht unsere Steuergesetze, die beim BunBundeskanzler Gerhard Schröder
desverfassungsgericht durchgefallen sind, sondern Ihre
Steuergesetze!
({64})
Es gehört schon eine gehörige Portion Dreistigkeit dazu,
angesichts dessen, was Sie selber an verfassungswidrigen Steuergesetzen zu verantworten haben, uns auf verfassungsrechtliche Bedenken hinzuweisen. Das ist schon
dreist!
({65})
Seien Sie sicher: Der Weg, der eingeschlagen worden
ist, nämlich auch und gerade im Steuerrecht soziale Gerechtigkeit mit Stärkung der Wirtschaftskraft zu verbinden, wird weitergegangen.
({66})
Der Herr Finanzminister hat gestern dargestellt, wie die
einzelnen Schritte aussehen und in welcher Abfolge sie
umgesetzt werden.
({67})
Sie können sicher sein, daß Sie früh genug damit beschäftigt werden. Aber Sie müssen sich schon entscheiden, was Sie uns vorwerfen wollen: Auf der einen Seite
sagen Sie, alles gehe zu schnell und zu hektisch. Auf der
anderen Seite klagen Sie, Sie wüßten nicht früh genug,
was kommen soll und was nicht.
Nein, seien Sie ganz sicher: Der Bundesfinanzminister wird diese Reform, die nur in Stufen zu realisieren
sein wird, sehr sorgfältig vorbereiten und Ihnen Schritt
für Schritt im Parlament vorlegen, so daß wir eine breite
Diskussion über die Fragen führen können: Erstens. Wer
ist verantwortlich für das, was in der Vergangenheit gemacht worden ist, was die Familien ins Abseits gestellt
hat und was ganz offenkundig verfassungswidrig war?
Zweitens. Wer ist verantwortlich für die Besserung des
Zustandes, die das Gericht uns aufgegeben hat? Wir haben uns doch nicht danach gedrängt, Ihre Versäumnisse
auszugleichen, sondern das Bundesverfassungsgericht
hat uns das aufgegeben.
Wir werden es tun, Schritt für Schritt. Dann werden
wir das, was sich die Koalition vorgenommen hat, insbesondere auf dem Gebiete des Steuerrechts, umsetzen,
nämlich die zweite und dritte Stufe der Ökosteuerreform, den Familienlastenausgleich und die Unternehmensteuerreform. Vermutlich müssen wir uns, wenn das
nicht europaweit zu schaffen ist - daran arbeiten wir -,
auch mit einer vernünftigeren Variante der Besteuerung
von Kapitalerträgen auseinandersetzen. Dann werden
wir Ihnen ein Gesamtkonzept vorlegen. Über dieses Gesamtkonzept wird dann politisch diskutiert, ebenso wie
über diesen Haushalt und die sozialpolitischen sowie die
außenpolitischen Maßnahmen, die diese Regierung verantwortet. Dann werden wir sehen, wie weit wir damit
kommen. Wir sind da nicht ängstlich. Wir sind davon
überzeugt, daß der Weg, den wir im Äußeren wie im Inneren eingeschlagen haben, ein richtiger Weg ist. Wir
werden ihn unbeirrt fortsetzen.
({68})
Zu einer Kurzintervention erteile ich das Wort dem Kollegen Dr. Gregor
Gysi.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich verstehe überhaupt nicht, weshalb
Sie sich so aufregen. Die Kurzintervention ist ein selbstverständliches parlamentarisches Recht, das wir Ihnen
noch nie abgesprochen haben. Nehmen Sie es doch einfach so hin.
Herr Bundeskanzler, ich möchte zu zwei Dingen, die
am Beginn Ihrer Ausführungen standen, etwas sagen:
Weder in meiner Rede noch insgesamt durch die PDS
hat es je eine Verwechslung von Tätern und Opfern
gegeben. Opfer ist zweifellos in erster Linie die Zivilbevölkerung des Kosovo, und das seit langer Zeit. Ich habe
ein Vertriebenenlager besucht. Ich habe mit vielen dort
gesprochen. Es sind zum großen Teil PDS-Gruppen, die
in den neuen Bundesländern ankommende Vertriebene
unterstützen und direkte Hilfe leisten. Da hat es also
noch nie eine Verwechslung gegeben. Es gibt ein zweites Opfer, das allerdings häufig vernachlässigt wird: Das
ist zunehmend die serbische Zivilbevölkerung, der
Trinkwasser fehlt, der die Lebensmittel ausgehen usw.
Nur, falls Sie mit dem Begriff „Opfer“ die NATO
meinten: Die ist allerdings für mich nicht Opfer; das ist
wahr. Wenn man einen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg beginnt und immer mehr zivile Objekte bombardiert, dann kommt man eben in eine völlig andere Rolle
und Bewertung.
Täter ist selbstverständlich die jugoslawische Regierung um Milosevic hinsichtlich all der Menschenrechtsverletzungen, die sie zu verantworten hat. Das ist klar.
Da gab und gibt es keine Verwechslung.
({0})
Nur, auch die NATO ist auf Grund der immer stärkeren
Bombardierung ziviler Objekte weiß Gott nicht unschuldig, weder in einem völkerrechtlichen noch in einem
humanen und zivilisatorischen Sinne.
Eine zweite Bemerkung - Herr Bundeskanzler, da
habe ich mich sehr gewundert -: Das Ziel dieses Krieges
soll doch sein, das Morden im Kosovo, wie Sie gesagt
haben, zu beenden und die Leiden der Kosovo-Albaner
zu lindern. Jetzt stellen aber wir und auch andere fest,
daß dieses Morden nicht aufgehört hat, sondern viel
schlimmer geworden ist. Die Leiden haben noch zugenommen. Deshalb muß man auch unter diesem Gesichtspunkt den Krieg an sich in Frage stellen.
Sie sagen, das sei falsch, weil der Krieg Erfolge habe,
und bewerten die Bewegung der russischen Regierung
und die neuen Aktivitäten von Kofi Annan als Erfolg.
Bundeskanzler Gerhard Schröder
Nur, das ist ein bißchen winkeladvokatisch. Denn das
Ziel des Krieges bestand doch nicht darin, Kofi Annan
oder die russische Regierung in Bewegung zu setzen,
sondern darin, das Leiden der kosovo-albanischen Bevölkerung zu beenden.
({1})
Davon aber kann keine Rede sein. Es ist ständig
schlimmer geworden. Da das so ist, kann ich nur sagen:
Wenn das Leiden der Kosovo-Albaner so wäre wie vor
Beginn des Krieges, wäre es immerhin geringer. Deshalb ist der Krieg falsch. Er führt nicht zu dem ursprünglichen Ziel - vielleicht zu einem anderen -, und
das ist das Hauptproblem.
({2})
Das Wort hat jetzt
der Vorsitzende der Fraktion der CDU/CSU, Dr. Wolfgang Schäuble.
Frau Präsidentin! Meine
verehrten Kolleginnen und Kollegen! Wenn man dem
Bundeskanzler zugehört hat, hat man ein wenig den
Eindruck gehabt, daß die deutsche Politik - der Einzelplan 04 ist immerhin Anlaß zur Generalaussprache über
die Politik der Bundesrepublik Deutschland; der Bundeskanzler hat dazu eine Stunde gesprochen - im wesentlichen aus der Krise im Kosovo und aus 630-MarkVerträgen besteht. Das ist schon ein bißchen wenig,
Herr Bundeskanzler, im Hinblick auf die Perspektiven
Ihrer Politik.
({0})
Nun ist es wahr, notwendig und unvermeidlich, daß
die Krise im Kosovo die Debatte hier und auch die Tonart überlagert. Ich will der Versuchung widerstehen,
Herr SPD-Vorsitzender Schröder, auf Ihre koalitionsinternen Streitigkeiten, was das Verhältnis zwischen
SPD und PDS in Schwerin oder Magdeburg anbetrifft,
einzugehen. Es ist angesichts dessen, daß Ihre Mehrheit
im Bundesrat auf der Zusammenarbeit mit der PDS beruht, schon bemerkenswert, wie Sie hier miteinander
umgehen.
({1})
Wir als CDU/CSU-Fraktion haben die Ziele und Aktionen der NATO sowie die Beteiligung der Bundeswehr
daran unterstützt. Wir haben das geschlossener getan als
große Teile Ihres eigenen Regierungslagers. Wir haben
es innerhalb der klaren Grenzen getan, die sich durch die
Beschlußlage ergeben und von denen wir immer gesagt
haben, sie dürften nicht in unkontrollierbarer und unkalkulierbarer Weise überschritten werden; es dürfe keine
unkontrollierbare Eskalation geben.
Ich bin sehr froh, daß Sie meinen Warnungen in der
letzten Debatte - das betrifft insbesondere den Vizekanzler - vor einer Übersteigerung der Rhetorik, die
politische Lösungen erschwert, inzwischen gefolgt sind.
Auch das ist gut. Über all dies braucht nicht gestritten zu
werden; es bleibt bei unserer geschlossenen Haltung.
Wir sind in dieser Frage geschlossener und verläßlicher
als Teile Ihres eigenen Regierungslagers.
({2})
Sie, Herr Bundeskanzler, haben eine halbe Stunde zu
diesem Thema gesprochen, und Sie haben nicht eine
einzige der Fragen, die die Kollegen Glos und Gerhardt
gestellt haben, beantwortet.
({3})
Es hilft nichts. So sehr wir uns in bezug auf die Unausweichlichkeit des Handelns der NATO und der Beteiligung der Bundesrepublik Deutschland und der Bundeswehr daran einig sind - daß es uns allen schwerfällt, ist
ebenfalls keine Frage -, so sehr müssen Antworten gegeben werden, damit die Menschen es auch verstehen.
Natürlich wird zunehmend die Frage gestellt, ob denn
die Ziele, die die NATO hinsichtlich einer künftigen
Regelung im Kosovo genannt hat, so noch erreichbar
sind. Wir erleben jetzt seit sechs Wochen Tag für Tag
die NATO-Aktionen. Wer plausibel sein will, wer die
Zustimmung der Bevölkerung, der Öffentlichkeit und
der großen politischen Gruppierungen erhalten will, der
muß realistisch mit den Fragen der Menschen umgehen
und muß auf sie Antworten geben. Deswegen entspricht
das Ausweichen und das Verweigern von Antworten
nicht Ihrer Verantwortung.
Ich füge eine Bemerkung hinzu. Der Kollege Gerhardt und der Kollege Glos haben es gesagt: Seit Wochen werden weder der Deutsche Bundestag noch die
große Oppositionsfraktion, die die Politik der Regierung
unterstützt, über die Beratungen innerhalb der Atlantischen Allianz vor und nach dem Washingtoner Gipfel
außer in Form von Pressemitteilungen und Fernsehstatements in irgendeiner Weise unterrichtet. Auch Ihr
Debattenbeitrag hat dazu keinerlei Antwort gegeben.
({4})
Wenn man sich an Ihre öffentlichen Erklärungen,
Herr Bundeskanzler, hält, dann ist es furchtbar schwierig. Sie haben in Ihrer Erklärung zum 1. Mai gesagt: Die
Bundesregierung hat jede denkbare diplomatische und
politische Initiative ergriffen usw. Dann heißt es: Die
Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union
haben sich die Vorschläge der Bundesregierung auf dem
informellen Gipfel in Brüssel zu eigen gemacht, und sie
fanden Eingang in die Beschlüsse auf dem Gipfel der
NATO in Washington. Weiter haben Sie gesagt: Der
deutsche Vorschlag zur Entwicklung eines Stabilitätspakts für die Balkanstaaten hat dabei breite Unterstützung gefunden. - Wir hätten das gern ein wenig genauer gewußt. Denn laut einer Agenturmeldung vom
4. Mai haben Sie gesagt, allerdings sei der Einfluß der
Deutschen in der NATO gering. 90 Prozent des Materials und der Kosten des Kosovo-Kriegs würden von den
US-Amerikanern getragen. Dies erkläre, wer das Sagen
habe. - Ich frage: Was gilt denn jetzt? Machen Sie es
doch ein bißchen weniger großsprecherisch. Sagen Sie
das vielmehr lieber etwas genauer und realistischer.
Wenn es öffentlich nicht geht, dann sagen Sie vertraulich und informell - auf unsere Vertraulichkeit können
Sie sich verlassen -, was wirklich Stand der Absprachen, der Überlegungen und der Beratungen innerhalb
der NATO ist.
({5})
Ich möchte eine weitere Bemerkung hinzufügen. Ich
meine die Anzeige der SPD zum Europawahlkampf. Sie
ist ganzseitig; Sie haben genügend Geld. Das ist in Ordnung. Wir haben sie ja gesehen. Ich will auch weiter
nicht dafür werben. Aber eines geht nicht - da muß ich
widersprechen -, nämlich eine Seite lang mit dem
Kosovo-Thema Europa-Wahlkampf zu machen - im
Mittelpunkt der ganzen Anzeige steht die große Verantwortung, die Sie angeblich für das Kosovo tragen - und
im letzten Satz der Anzeige zu schreiben:
Zugleich appelliert die SPD an das Verantwortungsgefühl aller Parteien, den Konflikt im Kosovo nicht
zum Gegenstand des Wahlkampfes zu machen.
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, ein solches Maß an
Scheinheiligkeit geht dann doch zu weit.
({6})
Das will ich Ihnen in aller Ruhe und aller Freundschaft
sagen: Sie nähren mit solchem Verhalten - manche sagen, das sei ziemlich typisch für Sie, auch für Sie persönlich - doch den Verdacht, daß es Ihnen auch in den
ernsten Zeiten der Krise im Kosovo in erster Linie um
innerparteiliche Rücksichtnahme, in zweiter Linie um
innenpolitische Positionsgewinne und überhaupt nicht
um die Sache geht.
({7})
Der Verdacht, daß Sie diese Haushaltswoche mit allen möglichen anderen Debatten überlagern, weil Sie
von der Problematik der Haushaltspolitik und der Politik
dieser Bundesregierung insgesamt ablenken wollen, ist
nicht von uns erhoben worden.
({8})
Die Frage ist nicht beantwortet, warum über den Antrag
hinaus, in dieser Haushaltswoche das Staatsangehörigkeitsrecht in zweiter und dritter Lesung zu behandeln darüber haben wir gestern diskutiert; in der Geschäftsordnungsdebatte hat übrigens der Geschäftsführer der
SPD aus angeblich vertraulichen Telefongesprächen seines Fraktionsvorsitzenden mit einem Kollegen wahrheitswidrig berichtet,
({9})
was auch eine eigene Art des Umgangs zwischen Fraktionsvorsitzenden ist; Herr Kollege Struck, reden Sie
einmal mit Ihrem Geschäftsführer, damit er wieder ein
Minimum von Anstand einhält
({10})
und nicht noch aus vertraulichen Gesprächen verleumderische Behauptungen macht -, vorgesehen war, das
Mandat für die Bundeswehr im Kosovo-Konflikt in dieser Woche zu erweitern - eine Debatte, die Ihnen nicht
leichtfällt, die der SPD nicht leichtfällt, die den Grünen
nicht leichtfällt und die auch der CDU/CSU-Fraktion
nicht leichtfällt. Die Begründung, warum dieser Antrag
erst in dieser Woche, quasi überfallartig, im Deutschen
Bundestag eingebracht wird, obwohl der Verteidigungsminister und der SPD-Fraktionsvorsitzende ihn
doch seit Wochen angekündigt haben,
({11})
auch in Presseerklärungen, haben Sie nicht gegeben. Der
Grund ist entweder, daß Sie sich nicht getraut haben,
früher den Antrag auf eine ordnungsgemäße Erweiterung des Mandats einzubringen, oder daß Sie von der
Haushaltsdebatte ablenken wollen.
({12})
Deswegen sage ich Ihnen in aller Entschiedenheit:
Wir stehen zu der Unterstützung, die wir beschlossen
haben. Es bleibt dabei; wir werden auch weiterhin verläßlich sein: für die NATO, für die Bundeswehr, für die
Beteiligung der Bundesrepublik. Wir werden genauso
klar dabei bleiben, daß es keine unkontrollierbare Eskalation geben darf und daß auch der erste Schritt dazu
falsch ist. Aber wir werden Sie bei aller Unterstützung
der Ziele nicht aus der Verantwortung entlassen.
({13})
Sie müssen zunehmend erklären, ob diese Ziele, wie sie
vor Wochen Grundlage unserer Beschlußfassung waren,
nach den internen Überlegungen der NATO überhaupt
noch erreichbar sind oder was sich verändert.
({14})
Sie werden eines Tages auch erklären müssen, wenn die
Ziele nicht zu erreichen sind, was der Grund dafür gewesen ist und was Sie falsch gemacht haben, so daß die
Ziele nicht erreicht werden konnten. Aus dieser Verantwortung werden wir Sie nicht entlassen können. Da wird
Ihnen kein Schauspielertrick helfen.
({15})
Ich will in diesem Zusammenhang auch sagen: Herr
Bundeskanzler, wenn Worte einen Sinn machen, dann
haben Sie in Ihrem Debattenbeitrag eben Ihren Bundesinnenminister kräftig gerügt. Das mag berechtigt
sein; nur muß es dann klar sein. Der Bundesinnenminister hat uns angegriffen, weil wir gesagt haben: Wir
haben doch schon ein paar hunderttausend Menschen
aus dem Kosovo in Deutschland. Es ist doch eine Irreführung der Öffentlichkeit, wenn gesagt wird: Die Deutschen haben 10 000 Menschen aufgenommen, und wir
werden doch in dieser schlimmen Situation der Vertriebenen und Flüchtlinge in Mazedonien und Albanien
nicht kleinlich sein und weitere aufnehmen. - Natürlich
nicht! Aber wenn die deutsche Öffentlichkeit das Gefühl
haben soll, sie würde von den politisch Verantwortlichen verstanden, gehört auch dazu, darauf hinzuweisen,
daß die 10 000 im Grunde nur ein ganz kleiner Teil sind.
Wir haben doch in den letzten Jahren eine starke Zuwanderung von Menschen aus dem Kosovo und aus Albanien gehabt. Es sind eher Hunderttausende, die sich in
Deutschland aufhalten, als nur 10 000.
({16})
Wenn Sie nun sagen, ehe man über eine Erweiterung des
deutschen Kontingents redet, sollen zunächst einmal
auch die anderen in der Europäischen Union ein paar
aufnehmen, dann haben Sie Ihren Innenminister kritisiert. Der hat nämlich über eine Erweiterung des deutschen Kontingents geredet, ohne daß die anderen in der
Europäischen Union bisher durch die deutsche Präsidentschaft zur Solidarität veranlaßt wurden.
({17})
Im übrigen sage ich noch einmal gegen alle Verleumdungen, die Sie versuchen - das werden Sie am Freitag
noch einmal machen -: Wir brauchen die Hilfs- und
Aufnahmebereitschaft unserer Bevölkerung. Wir können
stolz sein auf das große Maß an Hilfsbereitschaft in allen
Teilen unserer Bevölkerung. Wir sollten damit pfleglich
umgehen.
({18})
Das heißt auch, daß wir nicht ohne Not in der Frage
der Integration ausländischer Mitbürger Streit fortsetzen,
wo wir ihn nicht fortsetzen müssen. Das Angebot von
CDU und CSU steht: Wir können auf der Basis beider
Gesetzentwürfe den Weg einer gemeinsamen Lösung gehen. Dazu sind wir bereit. Sie dagegen sind dazu nicht bereit; Sie haben dieses Angebot brüsk zurückgewiesen.
({19})
Damit spalten Sie unser Volk: Sie können die Tatsache,
daß 5 Millionen Menschen Ihr Vorhaben der regelmäßigen doppelten Staatsangehörigkeit, das Sie Gott sei
Dank aufgegeben haben - das ist unser Erfolg, und den
lassen wir uns nicht kleinreden -, ablehnen, nicht ignorieren. Wenn Sie das im Deutschen Bundestag als „widerwärtig“ bezeichnen, stellen Sie sich gegen die Bevölkerung in Deutschland,
({20})
und das sollten demokratisch Verantwortliche niemals
tun.
({21})
Deswegen appelliere ich noch einmal an Sie: Geben
Sie den unsinnigen Versuch des „Augen zu und durch“
und „Weg mit Schaden, koste es, was es wolle“ auf, und
lassen Sie uns versuchen, eine gemeinsame Lösung zu
finden! Ihr Gesetz enthält keinen Ansatz, der die Integration ausländischer Mitbürger in unserem Lande fördert.
({22})
Wir haben dazu ein umfassendes Konzept. Deswegen
bieten wir Ihnen an: Suchen wir eine gemeinsame
Lösung! Wenn Sie Ihren eigenen Weg gehen wollen,
spalten Sie die Bevölkerung und schaden der Aufnahmebereitschaft.
({23})
Entweder wollen Sie dieses Vorhaben im Schatten
der Haushaltsdebatte durchziehen, oder Sie wollen von
der Haushaltsdebatte ablenken. Deswegen sage ich auch das gehört in diese Debatte hinein -: Diese Debatte
entlarvt das Scheitern Ihrer Regierung. Manche haben
mit dem Rücktritt Lafontaines vor ein paar Wochen die
Hoffnung verbunden, es werde nun besser. Denn der
Start Ihrer Regierung war ja nach der Auffassung aller selbst nach Ihrer eigenen Auffassung - ein einziges Desaster. Manche haben gehofft, das sei eine zweite Chance, die Chance auf einen neuen Anfang. Aber es ist
nichts besser geworden, seitdem sich Lafontaine aus der
Politik zurückgezogen hat. Ob es ein dauerhafter Rückzug ist, bleibt ja abzuwarten.
In den ersten Wochen Ihrer Regierungszeit haben Sie
in der Gesetzgebung eine große Hektik verbreitet - da
ging alles in die falsche Richtung -, seit Weihnachten
sind wir nur noch damit beschäftigt nachzubessern. Herr
Bundeskanzler, es geht doch nicht um die Korrektur von
Entscheidungen, die in 16 Jahren der Regierung von
Helmut Kohl getroffen wurden. Sie sind doch zur Zeit
ausschließlich mit der Korrektur Ihrer eigenen Entscheidungen beschäftigt.
({24})
Nach Hektik und Korrektur ist jetzt in Wahrheit totaler
Stillstand eingetreten.
Die Bevollmächtigte des Landes Nordrhein-Westfalen beim Bund hat in diesen Tagen zu einer Ausstellungseröffnung eingeladen, die gestern abend in der
Landesvertretung Nordrhein-Westfalen stattfand. Ich
dachte, diese Ausstellung am Tag vor der Debatte über
Ihren Einzelplan sei das Motto dieser Haushaltsdebatte.
Der Titel der Ausstellung lautet nämlich „Der Leere gewahr“. Das ist das Kennzeichen dieser Haushaltsdebatte.
({25})
Sie sind ja gelegentlich sehr mit Bekleidungsfragen beschäftigt gewesen. Inzwischen stellen wir fest, des
Kanzlers neue Kleider sind wie des Kaisers neue Kleider: Wer genau hinschaut, findet nichts. Die Politik dieser Regierung ist durch vollständigen Stillstand gekennzeichnet.
Sie haben angekündigt, den vielgelobten Aufbau Ost
zur Chefsache machen zu wollen. Die Ankündigung, der
Kanzler mache etwas zur Chefsache, ist längst zu einer
Drohung geworden. Hier haben Sie noch einmal davon
geredet, was die Menschen in den neuen Bundesländern
empfinden. Ihr Staatsminister im Kanzleramt hat es fertiggebracht - auch das paßt zum Titel „Der Leere gewahr“ -, ein Interview zu geben, das die „Thüringer
Allgemeine Zeitung“ nicht drucken konnte. Veröffentlicht wurde nur ein Bild des Staatsministers - und im
übrigen hinreichend weißer Raum. Dies ist inzwischen
kennzeichnend für die Ergebnisse rotgrüner RegierungsDr. Wolfgang Schäuble
politik: Genau hingeschaut, bleibt nichts - „Der Leere
gewahr“.
({26})
Anhand einiger Fragen, die wir hier diskutieren, will
ich Ihnen das aufzeigen. Was ist das für ein Finanzminister, der in seiner Haushaltsrede ständig ankündigt, im
nächsten Haushalt solle gespart werden? Meine Damen
und Herren, wir beraten gerade den Haushalt 1999. In
diesem Haushalt gibt es die seit Jahrzehnten höchste Steigerungsrate der Ausgaben: 6,3 Prozent mehr Ausgaben.
({27})
Das ist genau dieselbe Politik: Zuerst gehen Sie in die
falsche Richtung, und dann kündigen Sie an, daß Sie den
Mist nächstes Jahr wieder halbwegs in Ordnung bringen
werden. Sparen Sie doch jetzt und nicht erst 2000! Sie
steigern die Ausgaben.
({28})
Sie haben 30 Milliarden DM Steuermehreinnahmen
für den Bundeshaushalt 1999 und kommen nicht hin.
Wir hatten Ihnen einen Haushaltsentwurf vorgelegt. Der
heutige Parlamentarische Staatssekretär im Bundesfinanzministerium hat Ihnen damals geraten: Laßt uns den
Waigelschen Haushalt nehmen; wir werden keinen besseren hinbekommen. - Da hatten wir eine Steigerungsrate der Ausgaben von 1,9 Prozent. Jetzt haben wir eine
Ausgabensteigerung von 6,3 Prozent. So zerrüttet man
die Grundlagen von Wachstum, Investition und Beschäftigung.
({29})
Herr Bundeskanzler, jetzt haben Sie wieder einen Taschenspielertrick gemacht und gesagt, die Arbeitslosenzahl sei im März 1999 um 400 000 niedriger gewesen
als im März vergangenen Jahres. Das ist richtig, unbestritten. Aber, Herr Bundeskanzler, die Arbeitslosigkeit
war 1998 von - ({30})
Liebe Kolleginnen
und Kollegen, wenn Sie so nett wären, jetzt wieder dem
Redner zu folgen.
({0})
Verehrte
Kolleginnen und Kollegen, liebe Freunde der CDU/
CSU-Fraktion, lassen Sie uns doch über die Arbeitslosigkeit reden. Es ist wichtig, hier einiges klarzustellen.
Die Arbeitslosenzahl ist von Januar bis Oktober 1998
saisonbereinigt um über 400 000 gesunken. Wenn Sie
die Zahlen von März 1999 mit den Zahlen von März
1998 vergleichen, stellen Sie fest: Das sind genau die
400 000, um die die Arbeitslosenzahl unter der Regierungsverantwortung Ihres Vorgängers Helmut Kohl gesunken ist. Das ist die Wahrheit.
({0})
Herr Bundeskanzler, seit Sie regieren, haben wir nur
noch Stagnation. Die Zahl der Arbeitsplätze ist gesunken; die Arbeitslosigkeit stagniert saisonbereinigt. Aber
Sie müssen die Wahrheit sagen: Da die Zahl der Erwerbspersonen durch die demographische Entwicklung
laufend zurückgeht, bedeutet eine Stagnation der Arbeitslosigkeit in Wahrheit eine Verschlechterung auf
dem Arbeitsmarkt. Das ist die Folge Ihrer Politik: von
Verunsicherung der Wirtschaft, Steuerchaos, ständigen
Ankündigungen und Korrekturen, Höherbelastungen.
Sie haben gesagt, Sie kümmern sich um den Mittelstand.
Das ist die schlimmste Drohung, die man gegenüber
dem Mittelstand aussprechen kann.
({1})
Sie haben selber gesagt: Die wirtschaftliche Entwicklung hängt nicht nur von Zahlen, sondern auch von
Psychologie ab. Verehrter Herr Bundeskanzler, verehrte
Kolleginnen und Kollegen von Rotgrün, das Durcheinander, das Chaos, die ständigen Steuererhöhungen, einschließlich der teilweisen Korrekturen, führen zu der
tiefgreifendsten Verunsicherung, die für die Wirtschaft
in allen Bereichen, im produzierenden Gewerbe wie im
Dienstleistungsgewerbe, überhaupt möglich ist. Deswegen ist Ihnen die konjunkturelle Entwicklung weggebrochen. Sie verschlechtert sich von Monat zu Monat.
Ihre Ausrede, das sei außenwirtschaftlich bedingt, entlarvt sich bei einer ruhigen, genauen Betrachtung durch
einen europäischen Vergleich: Die Entwicklung in
Deutschland ist im Vergleich zu der anderer europäischer Länder seit Oktober 1998 signifikant schlechter.
({2})
Der Deutsche Aktienindex entwickelt sich schlechter als
europäische Aktienindizes. Wenn es in Deutschland auf
einmal schlechter läuft als in anderen europäischen Ländern, kann die Ursache, Herr Bundeskanzler, nicht in
Südamerika liegen. Sie liegt vielmehr im Kanzleramt
und in Ihrer Regierung.
({3})
Ich will Ihnen das einmal an den wenigen Beispielen,
um die sich die ganze Debatte dreht, darlegen: 630Mark-Verträge, Scheinselbständigkeit, Ökosteuer. Was
ist das Problem Ihrer Politik? Natürlich haben wir langfristige Probleme; darüber besteht doch gar kein Streit.
Daß ein arbeitskosten-, ein lohnkostenorientiertes Sozialversicherungssystem auf Dauer ein Problem hat,
wenn ein größerer Teil der Beschäftigung sozialversicherungsfrei ist, ist völlig unstreitig. Die Frage ist, wie
man es löst.
Sie sind nach dem Prinzip vorgegangen, zuerst zu
handeln und dann nachzudenken, wie man vorgehen
könnte, um anschließend gegebenenfalls zu korrigieren.
Ich würde vorschlagen: Wir denken zuerst darüber nach,
wie wir das Problem lösen können, und dann handeln
wir. Das wäre der bessere Weg mit weniger Verunsicherung.
({4})
Das eigentliche Problem Ihrer Politik besteht darin,
daß es Ihnen in Wahrheit überhaupt nicht darum gegangen ist, irgendwelche sachlichen Probleme zu lösen. Ihnen ist es statt dessen darum gegangen, das Geld wieder
einzukassieren, das Sie von Oktober bis Dezember
fälschlicherweise und leichtfertigerweise ausgegeben
und verschwendet haben. Das ist das Problem.
({5})
Ich komme jetzt zum Stichwort Ökosteuer. Darunter
verstehen die Menschen, daß das Steuersystem Anreize
zum Energiesparen gibt. Das nennt man Ökosteuer. Wie
wollen Sie unter diesem Gesichtspunkt vertreten, daß
der Steuersatz um so niedriger ist, je höher der Energieverbrauch ist? Das ist doch grober Unfug. Das zeigt
auch, daß es Ihnen nur darum geht, Einnahmequellen zu
erschließen. Es geht Ihnen nicht um die Lösung eines
sachlichen Problems.
Wenn Sie das Problem Energieverbrauch und Umweltschutz in Angriff nehmen wollen, dann müssen Sie
in Gottes Namen darüber nachdenken, wie Sie es vermeiden können, daß der Umweltschutz gegen die Arbeitsplätze ausgespielt wird. Darüber haben Sie nicht
nachgedacht. Sie haben im Wege des Nachbesserns den
größten Unfug beseitigt. Aber dabei ist ein solcher
Krampf herausgekommen, daß es nur noch um das Abkassieren und nicht mehr um eine sachliche Lösung
geht.
({6})
Ich komme nun zu den Scheinselbständigen und den
630-Mark-Verträgen. - Lassen Sie uns ganz ruhig bleiben. - Ich habe schon auf dem Leipziger Parteitag meiner Partei - ich weiß gar nicht mehr, wann der war; das
liegt schon ein paar Jahre zurück - gesagt: Wir haben
ein Problem und jede Lösung ist schwierig. Die Tatsache aber, daß jede Lösung schwierig ist, ändert nichts
daran, daß wir ein Problem haben. Deswegen haben wir
daran gearbeitet; wir hatten noch keine richtige Lösung
gefunden. Das haben wir immer zugegeben.
({7})
- Ach was, wir waren schon auf dem Weg.
({8})
- Ich sage es Ihnen doch gerade. Sie können das Problem nur lösen, wenn Sie den Abstand zwischen Transfereinkommen und Arbeitseinkommen so verändern,
daß sich auch geringer bezahlte Arbeit, auch Teilzeitarbeit lohnen. Wenn die Menschen ohne Arbeit genausoviel Geld haben wie die mit Arbeit, dann geht es nicht.
({9})
- Ja, natürlich. Deswegen waren wir beim Kombilohn,
den Sie blockiert haben.
Sie können das Problem nur in einem Gesamtkonzept
lösen. Dieses Gesamtkonzept muß das Ziel „Arbeit für
alle“ verfolgen. Es muß mehr Flexibilisierung und Anreize enthalten, auch geringer bezahlte und geringer
qualifizierte Arbeit aufzunehmen, weil das besser ist, als
gar keine Arbeit zu haben. Nur wenn Sie die Elemente
der Eigenverantwortung stärken und mehr Flexibilität
und Differenzierung durchsetzen, werden Sie es schaffen.
Sie wollten aber nur ein Abkassiermodell verwirklichen. Was war es sonst? Bei Ihnen stand doch die
Überlegung im Vordergrund, den Zuschuß zur Rentenversicherung - Sie brauchten 4,5 Milliarden DM für die
Rentenversicherung - nicht zu 100 Prozent vom Bund
bezahlen zu lassen, sondern zu 57 Prozent von den Ländern und Gemeinden. Das war Ihr Ansatz. Das ist genau
der Weg, auf dem Politik scheitert und der ins Chaos
führen muß. Deswegen ist das, was Sie gemacht haben,
nicht nur ungenügend, sondern es schadet unserem
Land, weil es unser Land nicht voranbringt, sondern zurückwirft.
({10})
Manchmal wird einem fast schwindelig, wenn man
die Agenturmeldungen liest. Ich habe gestern eine
Agenturmeldung von „dpa“ von 17.18 Uhr gelesen.
Darin hat Herr Riester - er ist immer noch Arbeitsminister, auch wenn er nicht so häufig da ist; er wird auch
nicht mehr oft da sein, wenn man die Debatte richtig
verfolgt - erklärt, er habe mit Bundeskanzler Schröder
in einem Gespräch vereinbart, das 630-Mark-Gesetz
nicht zu verändern. Auch beim Gesetz für die arbeitnehmerähnlichen Selbständigen gebe es aktuell keinen
Änderungsbedarf. „Das“ - so Riester wörtlich - „ist die
gemeinsame Position von Gerhard Schröder und mir.“
In der Agenturmeldung von „Reuters“ von 17.53 Uhr
war zu lesen, Schröder habe bei dem Treffen mit den
jungen Abgeordneten den klaren Willen gezeigt, in beiden Bereichen - 630-Mark-Jobs und Scheinselbständigkeit - Probleme nicht nur durch Korrekturen an der Umsetzung der Regelungen, sondern auch durch Gesetzesänderungen zu lösen. - Ja, was gilt denn nun? Nicht
einmal 35 Minuten beträgt die Halbwertszeit Ihrer Erklärungen, Herr Bundeskanzler.
({11})
Weil Ihnen nicht einmal mehr die Korrektur Ihres eigenen Unfugs gelingt und Sie sich immer mehr darin
verstricken, machen Sie jetzt den Ansatz zur Methode,
überhaupt nicht mehr zu entscheiden. Ich habe schon in
früheren Debatten gesagt: Nichts gegen ein „Bündnis
für Arbeit“, wenn es nicht dazu dient, Verantwortung
zu verwischen. Für die politischen, für die gesetzgeberischen Entscheidungen bleiben Regierung und Parlament
verantwortlich und für die Tarifentscheidungen die Tarifpartner.
Das „Bündnis für Arbeit“ wird mehr und mehr zur
Alibiveranstaltung; es wird nichts entschieden. Wenn
das „Bündnis für Arbeit“ den Sinn haben sollte, daß sich
die Verantwortlichen von Politik, Regierung, Wirtschaft
und Gewerkschaften darauf verständigen, daß man in
den jeweiligen Entscheidungen der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit und der Schaffung von Beschäftigung den
Vorrang gibt, dann wäre das wunderbar. Nur, davon
können wir nichts erkennen. In der Regierungspolitik
und in Ihren Entscheidungen wird jedenfalls der Beschäftigung kein Vorrang gegeben. Vielmehr fällt sie
absolut unter den Tisch. Auch die Tarifverträge geben
dem Gesichtspunkt der Beschäftigung bisher keinen
Vorrang in unserem Lande.
Aber die Methode, nicht mehr zu entscheiden und
auszuweichen, erscheint erfolgversprechend für Sie. Im
Zusammenhang mit der Energiepolitik haben Sie ein
paar Monate lang im rotgrünen Lager so hin und her gequatscht, daß einem fast schon das Mitleid kommen
konnte. Sitzt der Herr Trittin noch auf der Regierungsbank? Ist er noch anwesend?
({12})
Steht er überhaupt noch für die Regierungspolitik?
({13})
Die energiepolitischen Fragen sind schwierig. Unser
Land braucht Klarheit. Wir brauchen eine langfristig sichere Energieversorgung, die auch globaler Verantwortung gerecht wird und die die Risiken minimiert.
Das sind schwierige Fragen. Aber die müssen Sie doch
entscheiden!
Was macht jetzt der Wirtschaftsminister? - Er hat in
der kurzen Zeit, in der er Herrn Lafontaine vertreten hat,
sowieso viele Ideen gehabt. - Er setzt jetzt eine Kommission ein, in der alle Parteien, alle gesellschaftlichen
Gruppen zusammen palavern sollen, damit man als Regierung ja nicht mehr entscheiden muß. Sagen Sie doch,
was Ihre Position ist, und lassen Sie uns dann darüber
streiten, ob das der richtige Weg ist! Weichen Sie Ihrer
politischen Verantwortung und der parlamentarischen
Entscheidung nicht aus!
({14})
Der Herr Müller hat als Wirtschaftsminister den Vorschlag gemacht, man könne die Steuern für die Unternehmen um so viel senken, wie die Unternehmerverbände ihrerseits in der Lage seien, Vorschläge für den
Abbau von Subventionen zu machen.
({15})
- Das ist eine gute Idee. Nur, dann brauchen wir keinen
Wirtschaftsminister. Dann sollten wir wirklich - ich
weiß nicht, welchen Einzelplan das betrifft, Dietrich
Austermann - das Ministergehalt streichen. Der Mann
ist völlig überflüssig, wenn er nicht selber Vorschläge
machen kann.
Sie wollen die Verantwortung für Ihre Entscheidungen immer wegschieben. Auch der Herr Eichel redet
schon davon - ich habe das am Sonntag im Fernsehen
gesehen -: In der Steuergesetzgebung sei er gerne bereit,
die Vorschläge zu machen, für die es einen Konsens
zwischen den gesellschaftlichen Gruppen gebe.
Der Herr Scharping will inzwischen die Fragen, wie
die künftige Struktur der Bundeswehr aussehen soll,
durch eine große Kommission untersuchen lassen. Ich
habe nichts dagegen.
({16})
Ich habe Respekt vor Richard von Weizsäcker und vor
allen Mitgliedern der Kommission sowieso.
({17})
Aber ich sage Ihnen: Wenn Sie nicht die Kraft haben, als
Regierung selber zu entscheiden, dann sind Sie fehl am
Platze. Sie müssen die Verantwortung tragen.
({18})
Das Ergebnis Ihrer Politik ist: Erst Hektik in die falsche Richtung, dann Bemühungen um Korrektur dessen,
was falsch war, dann Verlagerung der Verantwortung
auf irgendwelche Konsensrunden, bei denen nichts herauskommt. Das Ergebnis Ihrer Politik ist Stillstand in
diesem Lande - so wie auf dem Arbeitsmarkt.
Ich habe Ihnen schon einmal gesagt: Ich weiß vielleicht besser als andere,
({19})
daß es schwierig ist, Reformen in diesem Lande durchzusetzen. Das ist keine Frage. Warum soll man darüber
streiten? Wir haben in diesen Tagen 50 Jahre das
Grundgesetz. Wir sind eine hochentwickelte, komplexe
und komplizierte Gesellschaft. Wir haben gestern abend
auch mit den Mitgliedern des Verfassungsgerichts in
einem Punkt darüber diskutiert. Das ist alles wahr. Aber
gerade weil dies kompliziert ist, ist es eine Katastrophe,
daß diese Regierung, die mit dem Versprechen angetreten ist, Reformen für unser Land durchzusetzen,
({20})
durch ihre Unfähigkeit den Begriff der Reformen in
einem solchen Maße diskreditiert.
({21})
Auch das schadet unserem Land. Unser Land braucht
Innovationen.
({22})
Sie haben es immer noch nicht verstanden: Wenn wir
mehr Innovationen wollen, wenn wir mehr ReaktionsDr. Wolfgang Schäuble
fähigkeit auf die Entwicklungen wollen, die auf dem
Arbeitsmarkt, in der Arbeitswelt und in der Gesellschaft
stattfinden - die gesellschaftlichen Veränderungen sind:
der Altersaufbau, die Tatsache, daß die Hälfte aller
Haushalte Einpersonenhaushalte sind, und die Globalisierung -, und wenn wir die notwendigen Anpassungen
an die sich verändernde Wohlstandsgesellschaft erreichen wollen, müssen wir die Kräfte der Veränderung
stärken.
({23})
Das geht nicht mit bürokratischem Zentralismus. Deswegen sind Sie auf dem Berliner Gipfel in der Europäischen Union gescheitert. Wer anfängt, nur ein paar Milliarden hin- und herschieben zu wollen, hat schon verloren. Sie hätten stärker auf die Verwirklichung des Subsidiaritätsprinzips in Europa setzen müssen. Nicht europäische Beschäftigungsprogramme lösen unsere Probleme am Arbeitsmarkt, sondern die Stärkung der Betriebe - durch Arbeitgeber, Gewerkschaften und Betriebsräte -, die Stärkung der Eigenverantwortung sowie
mehr Flexibilität im Arbeitsrecht und im Kündigungsschutzrecht. Das ist der richtige Weg. Alle Entscheidungen, die Sie getroffen haben, waren falsch.
({24})
Zur Rückgängigmachung aller Reformen für mehr
Eigenverantwortung. Jetzt ist die Gesundheitsministerin
völlig und hoffnungslos in die Frage verstrickt, wie sie
das Gesundheitssystem und die gesetzlichen Krankenkassen bezahlbar halten will. Unsere behutsamen, maßvollen, natürlich umstrittenen, aber in der Richtung
richtigen Schritte, Elemente der Eigenverantwortung zur
Förderung von Sparsamkeit in die sozialen Sicherungssysteme einzuführen, waren vernünftig und notwendig.
Sie haben das rückgängig gemacht. Den demographischen Faktor aus der Rentenversicherung zurückzunehmen und jetzt nach Kassenlage über die Rente zu diskutieren ist Unfug und im übrigen das schlimmste Unrecht
im Hinblick auf die langfristige Sicherheit unserer Renten.
({25})
Sie machen eine Steuerpolitik, die überhaupt nicht
mehr von Entlastung der Wirtschaft und von Arbeitsplätzen, sondern nur noch von Umverteilungsmodellen
redet.
({26})
Sie hatten im Oktober des letzten Jahres einen Spielraum von 20 Milliarden DM für eine Nettoentlastung im
Jahre 1999. Diesen Spielraum haben Sie verwirtschaftet.
Inzwischen ist eines unstreitig - das ist in der Debatte
schon gesagt worden; Michael Glos und der Kollege
Gerhardt haben es dargelegt -: Natürlich war auch unser
Petersberger Modell Einwänden und kritischen Fragen
ausgesetzt - es gibt nichts, bei dem es nicht auch kritische Einwände gibt. Wenn man aber in diesen Wochen
die Hilflosigkeit Ihrer Bemühungen zur Unternehmensteuerreform sieht, dann zeigt sich immer mehr, daß wir
auf dem richtigen Weg waren. Es wird immer klarer,
welch schwere Verantwortung Sie, Herr Bundeskanzler,
als damaliger Ministerpräsident von Niedersachsen,
Herr Eichel, Herr Lafontaine und all die anderen Blokkierer, auf sich geladen haben, als Sie in der vergangenen Legislaturperiode Schritte für eine Entlastung der
Wirtschaft und für Arbeitsplätze blockiert haben. Daß
Sie jetzt nicht zu einer Politik fähig sind, die die Steuerund Abgabenbelastung schrittweise reduziert, das ist das
eigentliche Elend, wo es doch darum geht, in unserem
Lande für mehr Beschäftigung und für Arbeit für alle zu
sorgen.
({27})
Der Start ist Ihnen gründlich mißlungen; das ist unstreitig. Die Richtung Ihrer Politik ist falsch. Es fehlt die
Substanz in Ihrer Politik.
({28})
- Ja, es sind traurige Geschichten. Aber leider sind sie
alle wahr.
({29})
Wir erleben nach etwas mehr als 100 Tagen eine
dramatische Verschlechterung des Wirtschaftsklimas,
der Investitionsbereitschaft, der Konjunktur und der
Wirtschaftswachstumserwartungen
({30})
sowie eine Stagnation am Arbeitsmarkt, wo wir im letzten Jahr saisonbereinigt noch einen Rückgang der Zahl
der Arbeitslosen um 400 000 zu verzeichnen hatten.
({31})
Viele - auch in Ihren eigenen Reihen - haben gehofft,
daß Sie nach dem Abgang von Lafontaine - wenn es
denn geholfen hätte, sollte es mir sehr recht sein; ich
habe keine Schadenfreude wegen des Elends, das Ihre
falsche Politik produziert, weil mir das Land und die
Menschen, die Opfer dieser Politik sind, leid tun - die
Chance zu einem zweiten Anfang, zu einem neuen Start
nutzen würden. Jetzt aber sind Sie dabei, diese zu vertun.
Der „Spiegel“ hat in diesen Tagen gefragt: Was wird
den Kanzler als nächstes davon abhalten - zuerst war es
Lafontaine, dann war es der Krieg im Kosovo -, das zu
tun, wofür er gewählt wurde? Meine Antwort ist einfach, und sie ist bitter: Sie sind nicht in der Lage, das zu
tun, wofür Sie gewählt wurden und was Ihre Verantwortung ist, weil Sie vor der Wahl keine Vorstellung
hatten, wofür Sie überhaupt Kanzler werden wollten. An
Kanzleramtszäunen rütteln, letztlich aber keine Vorstellung von der Politik des Landes haben!
({32})
Das rotgrüne Lager ist zerrissen.
({33})
- Entschuldigung, es ist doch herzzerreißend, wie es in
der SPD zugeht. Daß Sie in der eigenen Fraktion, obwohl Sie und die Fraktionsvorsitzenden Struck und
Schlauch dafür waren, das 630-Mark-Gesetz und das
Scheinselbständigengesetz zu korrigieren, aufgelaufen
sind, ist doch ein Menetekel; Sie haben auch in Ihrer
SPD-Fraktion keine Unterstützung.
Die Grünen - ach du lieber Himmel - sind ja wirklich
nur noch ein Bild des Jammers. Sie sind einmal für
Ideen angetreten, hatten mal ein paar Punkte. Das einzige, was sie noch hier und zusammenhält, sind die Posten
und die Angst, sie zu verlieren - nichts anderes.
({34})
Diese Zerrissenheit und Ihr Mangel an Substanz sind
der Grund, der Sie auch beim nächstenmal hindert, unser
Land voranzubringen. Es liegt an der Inhaltsleere Ihrer
Politik, an der Tatsache, daß es nur noch um Medieninszenierung, Ereignismanagement, Talk-Shows und sonst
etwas geht, um nacktes Überleben. Im Augenblick sind
Sie nur noch mit der Frage beschäftigt, wie Sie über den
Grünen-Parteitag hinwegkommen, ohne daß Ihnen die
Koalition auseinanderfliegt. Und dann kommt wieder
das Postengeschacher um die EU-Kommission. Die
Substanz des Landes und der politischen Probleme beschäftigt Sie überhaupt nicht.
({35})
Ich sage Ihnen: Die Menschen werden dieser Tatsache
zunehmend gewahr, so wie es die Ausstellung in der
Landesvertretung Nordrhein-Westfalen gestern abend
zeigte. Die Bevölkerung merkt es, sie wird der Leere
gewahr.
Herr Bundeskanzler, Sie werden Ihrer Verantwortung
nicht gerecht!
({36})
Das Wort hat jetzt
der Kollege Klaus Hagemann, SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine
sehr verehrten Damen und Herren! Herr Dr. Schäuble,
Sie haben soeben in einer sehr polemischen Weise festgestellt, daß die Richtung dieser Regierung nicht stimme. Ich bin ganz anderer Meinung: Die Weichen sind
seit dem 27. September in die richtige Richtung gestellt
worden, nämlich für mehr Innovation, für mehr soziale
Gerechtigkeit. Dies ist in den letzten 16 Jahren unter
Ihrer Verantwortung leider vergessen worden.
({0})
Sie haben, sehr geehrter Herr Dr. Schäuble, in Ihrer
35-minütigen Rede wichtige Probleme nicht angesprochen, haben keine Antworten darauf gegeben. Ich
möchte diese Probleme in Frageform ansprechen: Wie
wollen Sie denn das Problem der Verschuldung lösen?
Wie soll man einen Haushalt, der mit 1,5 Billionen DM,
1 500 Milliarden DM, belastet ist, für den in diesem Jahr
82 Milliarden DM allein an Zinsen aufgebracht werden
sollen, in den nächsten Jahren in den Griff bekommen?
Ich stelle auch Fragen zu den 630-Mark-Jobs. Dazu haben Herr Kollege Schäuble und Herr Gerhardt nur gesagt: Die Gesetze müssen weg. Aber Alternativen haben
sie nicht aufgezeigt. Soll es wieder massenhaften Mißbrauch geben? Soll es wieder Illegalität geben?
Herr Kollege Hagemann, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen
Westerwelle?
({0})
Ja, bitte.
Herr Kollege, da
Sie gleich am Anfang Ihrer Rede die Regelungen der
630-Mark-Jobs verteidigen, möchte ich Sie auf eine
Meldung hinweisen, die seit etwa zwei Stunden über die
Ticker läuft. Darin äußert der haushaltspolitische Sprecher Ihres Koalitionspartners, Herr Metzger, genau die
Kritik, die beispielsweise auch unser Vorsitzender vorgetragen hat. Nach ADN heißt es: Der grüne Haushaltsexperte Oswald Metzger kritisierte am Mittwoch in
scharfer Form das Konzept von Bundesarbeitsminister
Walter Riester. - Jetzt kommt der entscheidende Satz:
Dabei handele es sich um eine Einladung zur Schwarzarbeit.
({0})
Wie stehen Sie dazu? Stimmen Sie dieser Einschätzung zu? Wenn Sie das tun, werden Sie dann etwas verändern?
({1})
Ich kenne die Äußerungen
von Herrn Metzger nicht. Ich weiß auch nicht, ob er sich
tatsächlich in dieser Art und Weise geäußert hat.
Ich habe die Frage gestellt: Wo sind Ihre Alternativen?
({0})
Wollen Sie wieder zu der alten Regelung zurückkehren,
({1})
durch die es möglich war, massenhaft Mißbrauch zu betreiben, daß Leute sich von der Zahlung ihrer Sozialbeiträge befreien konnten und daß diejenigen, die ordentliche Arbeitsverträge abgeschlossen haben, diese Kosten
übernehmen müssen? Sind das die Lösungen, die Sie
anbieten? Sie haben keine Antwort auf diese Frage gegeben.
({2})
Ich muß noch eine Frage an Herrn Dr. Schäuble
richten: Wo ist Ihre Stellungnahme zu den ErblastDr. Wolfgang Schäuble
urteilen, die das Bundesverfassungsgericht fast vierwöchentlich fällt und in denen die Leistungen und Fehlleistungen Ihrer Politik beurteilt werden? Diese Frage haben Sie auch nicht beantwortet.
Sie haben darauf hingewiesen, daß die Ausgaben im
Haushalt weiterhin steigen würden. Natürlich steigen
sie, aber nicht in der Größenordnung, die Sie genannt
haben. Die Haushaltsausgaben steigen nur um 1,2 Prozent. Das will ich hier richtigstellen. Das haben die Beratungen im Haushaltsausschuß ergeben.
Sie haben auch davon gesprochen, daß die rotgrüne
Mehrheit durch ihre Gesetze Geld verschwende. Ich frage Sie: Ist die Kindergelderhöhung Geldverschwendung?
({3})
Sind die Regelungen der Steuergesetzgebung, durch die
die Familien, die Arbeitnehmer und auch die mittelständischen Betriebe entlastet werden, Geldverschwendung?
Wenn Sie dieser Meinung sind, dann haben Sie aber
eine seltsame Auffassung.
Wenn ich mir die Haushaltsberatungen - um zu dem
Thema zurückzukehren, das ich eigentlich behandeln
soll - anschaue, dann frage ich mich, wo die Sparvorschläge der Union waren, von denen die Rede gewesen
ist. Sie waren nicht vorhanden. Die „FAZ“ hat heute in
einem Kommentar in ihrem Wirtschaftsteil kritisiert, daß
die Union und die F.D.P. durch ihre Anträge nur draufgesattelt haben. Ihr Vorschlag bestand darin, bei der aktiven Arbeitsmarktpolitik zu streichen, obwohl wir - das
muß man bedenken - hier wirklich nur das fortsetzen,
was Sie als sogenannte Wahlkampf-ABM vor der Bundestagswahl begonnen haben. Dies wollen wir verstetigen und weiterführen. Sie kritisieren genau das, was in
Ihrer Regierungszeit schon falsch war.
Sie haben immer wieder unsere Öffentlichkeitsarbeit kritisiert und haben dabei nicht bedacht, daß gerade
im Hinblick auf die wichtigen Gipfel, die in den nächsten Tagen in Bonn oder in anderen deutschen Städten
stattfinden bzw. stattgefunden haben, auch eine entsprechende Öffentlichkeitsarbeit vonnöten ist, damit die
Journalisten entsprechend unterstützt werden und damit
sich unser Land so darstellen kann, wie es notwendig ist.
Wir müssen diese Chance nutzen. Deswegen kommt
Ihre Kritik nicht an.
Ich möchte noch einen anderen Titel, über den ich
Bericht erstattet habe, ansprechen, nämlich die Entwicklung der Baukosten für das neue Bundeskanzleramt
in Berlin.
Gestatten Sie eine
weitere Zwischenfrage?
Herr Koppelin, selbstverständlich. Wenn wir nicht zu den Druckern gehen müssen, können wir diskutieren.
Herzlichen Dank, Herr
Kollege. Ich hatte schon die ganze Zeit gewartet.
Sie haben nach Sparvorschlägen gefragt. Wir diskutieren unter anderem über den Etat des Bundeskanzlers.
Können Sie der vielleicht staunenden Öffentlichkeit
mitteilen, was die Dolmetscherin kostet, die der Herr
Bundeskanzler jetzt dringend benötigt? Teilen Sie unsere Auffassung, daß diese Frau eine Scheinselbständige
ist, da sie sich vom Bundeskanzleramt nicht fest einstellen lassen will und nur den Auftraggeber Bundeskanzler hat?
Nur nach Ihrer Definition
ist die Dame scheinselbständig. Diese Auffassung haben
Sie in den Beratungen des Haushaltsausschusses immer
wieder deutlich gemacht. Auch in dem vorliegenden
Gutachten des Bundesrechnungshofes ist deutlich nachgewiesen, daß Ihre Auffassung nicht zutrifft: Die Dame
ist für das Bundeskanzleramt nur beschränkt tätig, und
sie bekommt weitere Aufträge.
Da Sie die Kosten angesprochen haben: Im Gutachten
des Bundesrechnungshofs ist auch deutlich herausgestellt worden, daß gleichzeitig erhebliche Kosten im
Auswärtigen Amt eingespart werden. Lieber Herr Koppelin, wir erinnern uns - das möchte ich deutlich unterstreichen - an Ihre „Draufsattelungsanträge“, die Sie
immer wieder gestellt haben. Lenken Sie davon durch
Ihre Bemerkungen nicht ab!
({0})
Ich möchte auf die Kostenentwicklung beim Bundeskanzleramt zu sprechen kommen. Bis zum 27. September war die Marschrichtung, daß die Baukosten
knapp 400 Millionen DM betragen sollten. Nach dem
Regierungswechsel kamen die Baufachleute - ich
möchte fast sagen: zur Beichte - ins Bundeskanzleramt,
um darauf hinzuweisen, daß sie diesen Betrag nicht halten könnten und daß sie mit Mehrkosten von mindestens
40 bis 45 Millionen DM rechneten.
Das ist eine Entwicklung, die so nicht hingenommen
werden darf. Zusätzliche Vorstellungen haben zusätzliche Aufträge und damit zusätzliche Gelder notwendig
gemacht. Es ist zu kritisieren, daß die Baukosten nicht
unter Kontrolle gehalten werden konnten. Durch
„Marschbefehl“ wurde dies verhindert.
Ich war Bürgermeister und habe in der Kommunalpolitik viele Bauprojekte politisch mit zu verantworten
gehabt. Wenn Baukostensteigerungen von 10 bis 15
Prozent, wie wir sie jetzt beobachten, in der Kommunalpolitik angefallen wären, dann hätte das zu einem mittleren Erdbeben geführt. Ich hoffe, daß die Kostenentwicklung der Baumaßnahmen des Bundeskanzleramtes,
genauso die Kostenentwicklung anderer Baumaßnahmen
in Berlin eingehalten wird. Hohe Anforderungen kommen auf uns zu. Wenn jetzt plötzlich Gelder für ein Prozeßkostenrisiko eingestellt werden sollen, dann frage ich
mich, was mit diesem Geld beabsichtigt ist. Wir müssen
genau hinschauen, damit keine weiteren Kosten vernebelt werden. In den weiteren Beratungen müssen wir
dieses Problem im Blick haben.
Die Personalkosten wurden schon angesprochen.
Auch auf diesem Gebiet sind im Bundeskanzleramt erKlaus Hagemann
hebliche Veränderungen vorgenommen worden. Im
Europabereich, im Kulturbereich und in der Verantwortung für Aufbau Ost sind Aufgaben hinzugekommen.
All das hat mehr Stellen gebracht. Von uns wurden mehr
Stellen bewilligt, um das Büro des Bundeskanzlers außer Dienst, Helmut Kohl, hinsichtlich des Personals ordentlich auszustatten.
Ich möchte zum Schluß meiner Rede kommen; ich
habe nur wenige Minuten Zeit gehabt. Wir haben in den
Haushaltsberatungen intensiv gearbeitet, um Einsparungen vorzunehmen. Wir haben 2,5 Milliarden DM eingespart. Dafür haben wir im Ausschuß heftig gekämpft.
Was wir in den Beratungen erlebt haben, war aber nur
ein laues Lüftchen, wenn wir auf das blicken, was im
nächsten Haushaltsjahr und in den darauffolgenden Jahren auf Grund der hohen Verschuldung und der vielen
zu zahlenden Zinsen auf uns zukommt. Wir sind guten
Mutes, die Probleme erfolgreich anzupacken und weiterhin die Regierungspolitik in die richtige Richtung
lenken zu können. Wir werden unsere Entscheidungen
im Interesse des Volkes treffen.
Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
({1})
Nächster Redner in
dieser Debatte ist der Kollege Dr. Michael Luther,
CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin!
Meine Damen und Herren! Während der Rede des Bundeskanzlers habe ich mir eine Frage gestellt: Ist der
Aufbau Ost überhaupt noch Chefsache? Auf jeden Fall
hat der zuständige Staatsminister im Kanzleramt heute
nicht geredet; vielmehr hat er gestern zum allgemeinen
Finanzhaushalt gesprochen. Für mich stellt sich die Frage, ob dieser Bereich jetzt in das Finanzministerium abgeschoben wird.
Ich achte Herrn Schwanitz. Ich meine, er ist gutwillig. Allein, wir haben in den letzten Wochen festgestellt,
daß er ohne Einfluß ist, leider nichts bewirkt und zu einem Ankündigungspolitiker wird.
({0})
Wir haben ihn als einen Ankündigungsminister von
Luftblasen erlebt. Das Interview in der „Thüringer Allgemeinen“ ist für mich nichts Besonderes, sondern symptomatisch für unsere Erlebnisse.
Lassen Sie mich das an einem Beispiel erläutern:
Herr Schwanitz hat angekündigt, 100 Milliarden DM für
den Aufbau Ost bereitzustellen, 10 Milliarden DM mehr
als im vergangenen Jahr. Was ist dazu zu sagen? Zunächst einmal muß kritisch festgestellt werden, daß gemäß einer Rechenvorschrift die Ausgaben, die im Osten
ausgegeben werden, addiert werden müssen. Das bedeutet, auch die Ausgaben, die für die Bundesbauten in
Berlin ausgegeben werden, werden zu den Aufbau-OstMitteln gezählt. Aber nicht nur das, es geht noch weiter:
Um 6,4 Milliarden DM steigt der Zuschuß zur Sozialversicherung. Gemäß dieser Rechenmethode und der
Meinung von Herrn Schwanitz sind auch das Mittel für
den Aufbau Ost. Wenn man das hinterfragt, stellt man
fest, daß die Ökosteuer, die in den neuen Bundesländern
bezahlt wird, in den Ausgaben wieder als Mittel für den
Aufbau Ost auftaucht. Ich halte es für einigermaßen infam, das als besondere Leistung für den Aufbau Ost hinzustellen.
({1})
Ich stelle fest: Die Mittel für den Aufbau Ost gehen
zurück. 100 Millionen DM weniger werden für den sozialen Wohnungsbau ausgegeben, 200 Millionen DM
weniger für die Förderung der regionalen Wirtschaftsstruktur. Im Ausschuß für die Angelegenheiten der neuen Länder hat Herr Professor Pohl vom Wirtschaftsinstitut in Halle dargestellt, was in den neuen Bundesländern geschehen muß. Er hat gesagt, wir hätten in den
neuen Bundesländern ungefähr 6 Millionen Arbeitsplätze, bräuchten aber, um ein dem Westen vergleichbares
Niveau zu erreichen, zirka 6,3 bis 6,5 Millionen Arbeitsplätze.
({2})
- Ich sage gleich etwas dazu.
Nach wie vor findet ein Strukturwandel in den neuen
Bundesländern statt. An vielen Stellen werden wir auch
noch einen Personalrückgang erleben, ich nenne als Beispiele den öffentlichen Dienst und die Bauwirtschaft,
deren Situation wir alle kennen. Wenn Sie das betrachten, kommen Sie nicht an der Feststellung vorbei, daß
man in den neuen Bundesländern in Zukunft 1 Million
neue Arbeitsplätze schaffen muß. Wachstumsbranchen
sind die Industrie und das Dienstleistungsgewerbe. Beide sind gewachsen, stehen auf stabiler Grundlage und
haben zweistellige Wachstumsraten. Das ist ein Erfolg
der alten Bundesregierung, die dafür die Grundlagen
gelegt hat.
({3})
Die Antwort auf die Frage, was heute zu tun ist, ist
klar: Es muß die Politik fortgesetzt werden, die für mehr
Investitionen in den neuen Bundesländern sorgt. Dafür
brauchen wir dieselben investiven Mittel, zum Beispiel
die GA-Mittel, wie im vergangenen Jahr und nicht weniger. Deshalb bitte ich Sie, wenn Sie es mit dem Aufbau Ost wirklich ernst meinen: Stimmen Sie unserem
entsprechenden Antrag zum Haushalt zu!
Wir brauchen allerdings nicht solche Vorschläge, wie
Sie sie zum Thema Infrastruktur gemacht haben. Sie
bieten zum Beispiel dem Freistaat Sachsen den Bau der
A 14 nur unter der Bedingung an, daß die Mittel dafür
durch Kürzungen bei anderen Straßenbaumaßnahmen
gewonnen werden. Ich meine, so kann man keine Politik
für die neuen Bundesländer und für den Aufbau Ost betreiben.
({4})
Sagen Sie nicht, Sie hätten nicht genügend Geld. Wir
haben heute schon öfter gehört, wie hoch dieses Jahr der
Aufwuchs im Haushalt ist: 30 Milliarden DM. Aber wir
können natürlich auch keine sozialistischen Experimente
gebrauchen.
({5})
Meine letzte Bemerkung bezieht sich auf den zweiten
Arbeitsmarkt. Es ist festzustellen, daß AB-Maßnahmen
keine Brückenfunktion hin zum ersten Arbeitsmarkt haben. Sie sind als sozialpolitische Maßnahmen notwendig, aber man muß um ihre Funktion wissen. Ein wirksames Mittel, um Brücken in den ersten Arbeitsmarkt zu
bauen, ist das Instrument des Lohnkostenzuschusses für
Ostdeutschland. Die Arbeitsämter bestätigen uns das: 50
bis 60 Prozent der so Geförderten behalten später ihren
Arbeitsplatz. Auf Grund dieses Erfolges ist das ein sehr
wichtiges Instrument.
({6})
Die diesbezüglichen Meldungen, die wir von den Arbeitsämtern erhielten, standen in den sächsischen Zeitungen; sie stammen von Herrn Germann vom Landesarbeitsamt in Sachsen. Ab diesem Monat gibt es dafür
kaum mehr Geld. Wer so Politik betreibt, muß sich nicht
wundern, daß er am Leben und an den Bedürfnissen der
neuen Bundesländer vorbei regiert.
({7})
Meine Damen und Herren, die Union ist die Partei
der deutschen Einheit, und für die Union bleibt der Aufbau Ost ein wichtiger Baustein der Politik.
Schönen Dank.
({8})
Zu einer Kurzintervention erteile ich jetzt dem Kollegen Rolf Schwanitz
das Wort.
Herr Kollege Dr. Luther, Sie
haben mich freundlicherweise angesprochen. Das gibt
mir die Gelegenheit, dazu etwas zu sagen.
Erstens. Wir sollten uns nicht vorwerfen, wer wann
geredet hat. Ich habe gestern gesprochen; da war von Ihrer Seite niemand da. Der Begriff Aufbau Ost fiel überhaupt nicht. - Ich denke, das sollten wir lassen.
Kommen wir zu den Dingen, die Sie hier angesprochen haben, zu der sogenannten GA-Förderung und der
aktiven Arbeitsmarktpolitik Ost.
Zunächst zum Thema GA-Förderung. Selbstverständlich kann man sich bei vielem mehr wünschen,
aber das, was wir für diesen Haushaltstitel einstellen,
entspricht exakt dem, was Sie noch im letzten Herbst in
dem sogenannten Entwurf von Herrn Waigel für das
Haushaltsjahr 1999 vorgesehen hatten. Sie haben sich
hier vorne hingestellt und gejubelt, welche Aufbauleistung für Ostdeutschland mit diesem Haushaltsansatz
erbracht wird.
({0})
Herr Luther, ein Stückchen weniger Scheinheiligkeit an
dieser Stelle würde Ihnen guttun.
Ich würde Ihnen übrigens auch empfehlen, einmal
den Blick auf die Landeshaushalte Ost zu richten. In
diesen sind nämlich die Komplementärmittel in gleicher
Höhe eingestellt, wie wir sie im Bundeshaushalt veranschlagt haben. Sie sollten gelegentlich auch mit dem
einen oder anderen Finanzminister Ost reden. Dann hören Sie nämlich interessante Zwischentöne über die
Schwierigkeiten, komplementär zu finanzieren. All das
gehört zur Wahrheit.
({1})
Nun zur aktiven Arbeitsmarktpolitik. Bevor Sie
hier in kollektive Gedächtnislosigkeit verfallen,
({2})
möchte ich Sie an eines erinnern: Als Sie im letzten Jahr
im Haushaltsentwurf für das Jahr 1999 die Mittel eingestellt haben - übrigens in exakt gleicher Höhe -, haben
Sie gejubelt, Sie würden die aktive Arbeitsmarktpolitik
auch im Folgejahr, also 1999, verstetigen. Damals haben
wir gesagt: Das glauben wir nicht. Wir haben zugelegt,
haben gegenüber dem Wahlkampfetat Ihrer Regierung
16 Prozent mehr eingestellt. 20 Milliarden DM insgesamt für aktive Arbeitsmarktpolitik! Bei den Strukturanpassungsmaßnahmen wurden für das Jahr 1999 allein im
Bereich des Landesarbeitsamtes Sachsen gegenüber dem
Vorjahr 200 Millionen DM mehr als das eingestellt, was
Sie bereits im Herbst für 1999 bejubelt haben. Jetzt aber
stellen Sie sich hier hin und sagen: Das reicht alles nicht.
Im übrigen werden Sie in dieser Woche - ich glaube,
das muß man der Öffentlichkeit einmal sagen - einen
Antrag stellen, in dem Sie als CDU fordern werden, daß
die Zuschüsse zur Bundesanstalt für Arbeit um 7,8 Milliarden DM gekürzt werden.
({3})
Und die F.D.P. wird sich hinstellen und eine Kürzung in
Höhe von 6 Milliarden DM verlangen.
Ich kann nur sagen: Wenn man das umsetzen wollte,
was Sie - selbstverständlich morgen, nicht heute; heute
paßt es etwas schlecht - mit Ihren Änderungsanträgen bewirken wollen, dann hätten wir die aktive Arbeitsmarktpolitik in Ostdeutschland bereits im April einstellen müssen.
Das ist der Gipfel der Scheinheiligkeit, Herr Luther.
({4})
Zur Erwiderung hat
zunächst der Kollege Dr. Michael Luther das Wort.
Herr Schwanitz,
ich freue mich, daß ich Ihnen Gelegenheit geben konnte,
heute in der Debatte zum Einzelplan 04 - Bundeskanzler
und Bundeskanzleramt -, zu der dieses Thema eigentlich gehört, ein paar Bemerkungen zum Aufbau Ost machen zu können.
({0})
- Ich war gestern im Plenum.
Zweitens. Ich glaube, wenn wir uns heute darüber
unterhalten, was für den Aufbau Ost und die neuen
Bundesländer wichtig ist, dann müssen wir sagen, welche politischen Schwerpunkte wir setzen wollen.
Ich habe heute sehr aufmerksam der Rede des Bundeskanzlers gelauscht.
({1})
In einer Stunde Redezeit ging es 35 bis 40 Minuten lang
um das Thema Kosovo - ich denke, das ist ein wichtiges
Thema -, 10 Minuten um die Erklärung der Verfahrensweise in bezug auf die Scheinselbständigkeit und in
zwei oder drei Sätzen um den Aufbau Ost. Das ist einfach zuwenig. Außerdem ist es viel zuwenig, wenn es
darum geht, Signale zu setzen, in welche Richtung der
Aufbau Ost geführt werden sollte.
({2})
Ich habe hier ganz klar formuliert, was für uns wichtig
ist: Die Mittel müssen in die Investitionen fließen.
Herr Schwanitz, ich kann nichts dafür, wenn in Sachsen-Anhalt - wahrscheinlich haben Sie sich dort mit den
Finanzministern unterhalten - im letzten Jahr über
200 Millionen DM an GA-Mitteln nicht abgerufen worden sind, weil das Land Sachsen-Anhalt nicht in der Lage war, diese Mittel kozufinanzieren. Ich denke, diese
Politik sollte kein Vorbild für die Politik des Deutschen
Bundestages sein. Wir sollten vielmehr die Länder unterstützen, die versuchen, Investitionen insgesamt zu befördern.
({3})
Herr Kollege Mark,
Sie haben jetzt das Wort für die SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine Damen
und Herren! Es war höchste Zeit, daß Sozialdemokraten
und Bündnisgrüne die politische Verantwortung in
Deutschland übernommen haben,
({0})
um auch im Bereich der Kultur tragfähige Konzepte für
die Kulturpolitik des Bundes umzusetzen. Der Erfolg
unserer Bemühungen zeigt sich in drei Punkten: in der
Bündelung der kulturellen Mitverantwortung unter Wahrung der Kulturhoheit der Länder, im Wachstum des
Kulturetats und schließlich in der Rückkehr zu Werten
wie Ehrlichkeit und innovativem Verantwortungsbewußtsein in bezug auf die politische Gestaltung.
Die Zusammenfassung der früher auf verschiedene
Ministerien verstreuten kulturellen Aufgaben in einer
Behörde und ihre Aufwertung durch einen eigenen, im
Kanzleramt angesiedelten Staatsminister verdeutlichen
den großen Stellenwert, den die Kulturpolitik für diese
Regierung einnimmt.
({1})
Die Bündelung der kulturellen Aufgaben und ihre
Aufwertung tragen bereits erste Früchte. Seit langem
wurde nicht mehr so viel und so konsequent auf allen
Politikebenen der Bundesrepublik über Kulturpolitik
nachgedacht wie in den letzten Monaten. Noch nie war
die Wertschätzung und der Stellenwert der Kulturpolitik
im Vergleich mit anderen Politikfeldern so hoch wie
jetzt. Die bundespolitische Aufwertung wirkt sich auch
auf Länder und Kommunen aus. Wir sind stolz darauf,
daß wir eine neue Kulturdiskussion angestoßen haben
und daß wir trotz aller finanzieller Probleme, die wir
vorfanden, konsequent daran arbeiten, diese Diskussion
materiell und mental zu fundieren und Kultur als
Grundbedürfnis bzw. Grunddaseinsfunktion anzuerkennen und durchzusetzen.
({2})
Der Kulturetat ist deutlich gewachsen, und zwar auf
fast 1,8 Milliarden DM.
({3})
Wer will, daß Deutschland im Ausland wieder als Kulturnation wahrgenommen wird, der muß auch perspektivisch und konzeptionell in die Kultur investieren, der
muß die Kulturschaffenden und ihre Institutionen unterstützen und ein künstlerisch kreatives Klima schaffen.
Wir tun dies auch, weil wir wissen, daß Kultur nicht erst
seit heute wieder zu einem wichtigen Wirtschaftsfaktor
geworden ist, der Arbeitsplätze schafft und Lebensqualität fördert, insbesondere die urbane. Es wird sich noch
zeigen: Die Attraktivität des Standortes Deutschland
wird durch das weltweit einmalige, dezentrale und
hochwertige Kulturangebot im Sinne weicher Standortfaktoren mit gesichert und begünstigt.
Vor diesem Hintergrund ist auch die Verdoppelung
der Fördermittel für die Hauptstadt Berlin von
60 Millionen DM auf 120 Millionen DM zu sehen. Das
gilt ebenso für Weimar, die Kulturhauptstadt Europas
1999, für die wir die ursprünglich vorgesehenen Mittel
von 5 Millionen DM auf 18,2 Millionen DM erhöht haben.
({4})
Diese Förderungen für Berlin und Weimar, aber auch für
Bonn lassen die bereits separat festgelegten Etatpositionen der einzelnen Zuschußempfänger unberührt.
Die Investitionen in die Kultur der neuen Bundesländer haben wir für 1999 separat um 90 Millionen DM
erhöht
({5})
und eine Verpflichtungsermächtigung von 30 Millionen
DM für das Jahr 2000 ausgesprochen. Die für Kultur zuständigen Ministerien der neuen Bundesländer haben inzwischen Projekte angemeldet, die sie zu 50 Prozent
mitfinanzieren, so daß es zu einem großen Investitionsschub von fast einer viertel Milliarde DM kommen wird.
({6})
Das ist gut für die Kultur, für die Bauwirtschaft und für
die Beschäftigung. Das alles ist kein Strohfeuer, sondern
ein konkreter Beitrag zur Vollendung der inneren Einheit in Deutschland und zur Angleichung der Lebensverhältnisse in Ost und West.
Der Kulturetat macht deutlich, daß durch die Sozialdemokraten wieder Ehrlichkeit und Verantwortungsbewußtsein in die Politik zurückkehren, denn die Aufstokkung der Haushaltsmittel wird von Konzepten und
Handlungskriterien begleitet.
Man kann verantwortungsbewußte Kulturpolitik des
Bundes nicht nach dem Gießkannenprinzip oder nach
Gutsherrenart machen. Auch lautes Protestieren kann
kein Beurteilungskriterium sein. Förderkriterien müssen klar formuliert und nachvollziehbar sein. Was wir
brauchen, sind langfristige Konzepte zu Fördergrundlagen, die den Zuwendungsempfängern Planungssicherheit, aber auch Flexibilität und Eigenverantwortung verschaffen. Wir brauchen eine sinnvolle und abgestimmte
Aufgabenverteilung zwischen Bund und Ländern, und
wir brauchen die ehrliche und beständige Überprüfung,
ob die Fördergründe noch vorliegen und ob die Mittel
sachgerecht verwendet werden. Qualitätskontrolle darf
bei der Kulturförderung des Bundes kein Fremdwort
sein. Der Kulturhaushalt 1999 trägt erste Entwicklungsansätze in dieser Richtung.
Mit dem Fall des Eisernen Vorhangs sind die beiden
Emigrantenorchester aus Prag und Ungarn, die Bamberger Symphoniker und die Philharmonia Hungarica, nicht bedeutungslos geworden, aber der ursprüngliche, in einer bestimmten historischen Situation entstandene Fördergrund ist weggefallen. Die Fairneß gegenüber allen anderen Orchestern in Deutschland gebietet
es, die Förderung zurückzufahren oder zu beenden. In
welchen Schritten dies geschehen wird, ist differenziert
zu betrachten. Das objektive Ausloten von neuen Fördermöglichkeiten, Kooperationen, Fusionen und ähnlichem soll und muß im Einzelfall in solche Änderungskonzepte einfließen. Kein Orchester der Welt kann
überleben, wenn die Förderbedingungen von heute auf
morgen gravierend negativ verändert werden. Wir haben
deshalb die Kürzungen bei beiden Orchestern vollständig zurückgenommen.
Föderalismus heißt, daß sich der Bund auf die Förderung von Kultur mit gesamtstaatlicher Bedeutung und
internationaler Reputation zu beschränken hat. Zu diesen
kulturellen Werten von nationalem Rang gehören zum
Beispiel die Bayreuther Festspiele und das Deutsche
Museum in München. Auch hier wurden die Kürzungen
zurückgenommen.
In den nächsten zehn Jahren werden für den Ausbau
der Museumsinsel in Berlin 900 Millionen DM in die
Stiftung Preußischer Kulturbesitz investiert. Der Bund
trägt so dafür Sorge, daß die ursprünglich auf 20 Jahre
angelegten Baumaßnahmen beschleunigt werden und
der Baustellencharakter Berlins auf zehn Jahre reduziert
wird.
Aufgabe des Bundes ist es aber auch, übergreifende
Konzepte zu entwickeln, um seiner gesamtstaatlichen
Verantwortung gerecht zu werden. Dazu gehören zum
Beispiel ein Konzept zur Erhaltung, Pflege und Finanzierung der Weltkulturgüter in Deutschland und ein
Konzept für die Gedenkstätten in Deutschland, bei denen wir die interdisziplinäre Vernetzung der Forschungsbereiche anstreben und fordern.
Die Deutsche Welle erhält, genau wie letztes Jahr,
knapp über 600 Millionen DM aus dem Kulturhaushalt.
Die Deutsche Welle hat damit Probleme, weil sich einige Prämissen ihrer Arbeit verändert haben. Trotzdem
muß eine kurze Durststrecke intelligent überstanden
werden. Dabei setze ich auf die Flexibilität im Management der Deutschen Welle. Die Bundesregierung unterstützt den Auslandrundfunk mit mehr als einem Drittel
der im Kulturetat zur Verfügung stehenden Mittel. Wir
tun dies aus gutem Grund, denn die Deutsche Welle leistet insbesondere im Bereich des Hörfunks hervorragende Arbeit. Dies wird gerade durch die seit Beginn des
Kosovo-Krieges spontan ausgeweitete Berichterstattung
wieder deutlich.
({7})
Die derzeitige schwierige Situation des Senders hat zumindest bewirkt, daß über neue Konzepte, Ziele und
Vereinbarungen, aber auch über Programmgestaltung
und -rechte nachgedacht wird. Ich ermuntere alle Beteiligten, diese Herausforderung kreativ und innovativ anzugehen und eine planungssichernde mittelfristige
Finanzplanung zu entwickeln, in der auch die Digitalisierung erfaßt sein muß.
Es liegen noch große Aufgaben vor uns, aber der Etat
für 1999 verdeutlicht, daß durch Sozialdemokraten und
Bündnisgrüne ein wichtiger Schritt nach vorne getan
wurde.
Mir standen leider nur wenige Minuten zur Verfügung; deswegen mußte ich im Schnellverfahren hier
vortragen und viele Punkte weglassen.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
({8})
Herr Kollege Mark,
dies war Ihre erste Rede im Plenum des Deutschen Bundestages. Im Namen aller Kolleginnen und Kollegen beglückwünsche ich Sie dazu.
({0})
Nächster Redner in dieser Debatte ist jetzt der Kollege Hans-Joachim Otto, F.D.P.-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Kulturpolitik
der rotgrünen Koalition kommt auf einer ungeheuer hohen Bugwelle daher: Da ist ein strahlender Kulturstaatsminister angekündigt und eine geradezu neue Epoche von Kultur heraufbeschworen worden. Ein halbes
Jahr ist herum, und wir haben Gelegenheit, eine erste
Bilanz zu ziehen.
Herr Staatsminister Naumann, Sie sind wirklich ein
Riese in Ankündigungen, ein Riese in Schlagzeilen. Sie
sind allerdings ein Zwerg in der Umsetzung Ihrer zahlreichen Ankündigungen.
({0})
Es gibt in dieser Bundesregierung kaum einen anderen
Bereich, wo Anspruch und Wirklichkeit so weit auseinanderklaffen wie gerade auf dem Gebiet der Kulturpolitik. Das will bei dieser Bundesregierung etwas heißen.
Ich will in den wenigen Minuten meiner Redezeit, die
mir zur Verfügung stehen, an drei Beispielen die hehren
Ankündigungen der neuen Bundesregierung mit dem
kontrastieren, was bisher geschehen bzw. unterblieben
ist.
Erstes Beispiel. Die neue Bundesregierung hat unter
anderem erklärt, sie wolle nunmehr eine kraftvolle, starke Stiftungsrechtsreform auf den Weg bringen. Die
F.D.P.-Fraktion hat einen entsprechenden Antrag eingebracht. Die Bundesregierung hat dazu festgestellt, er sei
zwar ganz interessant, aber man werde einen neuen
Entwurf vorlegen. Was ist seitdem geschehen, meine
Damen und Herren? - Nichts, totale Fehlanzeige. Herr
Naumann, ich frage Sie: Wann kommen Sie über mit
Ihrem großen Wurf der Stiftungsrechtsreform? Zur
letzten Rede des Staatssekretärs Pick in diesem Zusammenhang - er ist leider nicht mehr anwesend - muß ich
sagen: Das einzige, was ihm eingefallen ist, ist eine Aneinanderreihung von Bedenken gegen eine Stiftungsrechtsreform. Es ist überhaupt nichts übriggeblieben von
einem kraftvollen Wurf.
({1})
Zweites Beispiel. Die neue Bundesregierung ist unter
anderem damit angetreten - dies ist auch im Koalitionsvertrag niedergelegt worden -, ein neues umfassendes
Gedenkstättenkonzept entwickeln zu wollen. Auch da
frage ich mich - gestern gab es von Ihnen, Herr Naumann, die Pressemitteilung, daß Sie in diesem Bereich
etwas tun wollen -: Wo bitte schön bleibt das neue Gedenkstättenkonzept? Dafür bestünde allzumal Anlaß angesichts der Tatsache, daß in diesem Hause am 25. Juni
dieses Jahres die Debatte und Entscheidung über das
Holocaust-Mahnmal ansteht. Herr Staatsminister Dr.
Naumann, ich möchte hier keine Holocaust-MahnmalDebatte führen. Aber wenn Sie schon ein so vehementer
Verfechter eines Konzeptes sind, das den Bund Investitionsmittel in Höhe von 80 Millionen DM kostet, und
gleichzeitig im Lande draußen die Gedenkstätten an
authentischen Orten, wie beispielsweise das KZ Sachsenhausen, verfallen,
({2})
dann müssen wir uns doch gemeinsam Gedanken darüber machen, wie wir die wenigen uns zur Verfügung
stehenden Gelder sinnvoll einsetzen, um nicht einfach
nur ein bombastisches Projekt auf den Weg zu bringen.
({3})
Darüber wird noch zu sprechen sein. Es geht hier beileibe nicht nur um Geld, sondern darum, dies alles ins Lot
zu bringen.
Herr Kollege Otto,
gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Von Frau
Griefahn immer. Bitte schön.
Herr Kollege Otto, Sie waren immer im Kulturausschuß, wenn auch ich anwesend
war. Deswegen müßte Ihnen nicht entgangen sein, daß
der Herr Staatsminister angekündigt hat - das ist in den
Zahlen wiederzufinden -, daß die für die Erhaltung der
Gedenkstätten vorgesehenen Gelder verdoppelt werden.
Sie können also nicht sagen: Die verfallen, und die SPD
macht statt dessen etwas anderes.
({0})
Liebe
Frau Kollegin Griefahn, die Gedenkstättenkonzeption
betrifft nicht nur - das wissen wir beide - den Bund.
Das ist eine Angelegenheit, die zwischen den Ländern
und dem Bund geregelt werden muß. Wenn Herr
Staatsminister Naumann jetzt in einer seiner zahlreichen
hehren Ankündigungen sagt, die Bundesförderung von
Gedenkstätten in den Ländern, vorzugsweise in den
neuen Bundesländern, müsse verstetigt werden, das
heißt, die Zuschüsse, die wir, die frühere Regierung
bzw. die alte Mehrheit, auf den Weg gebracht haben,
müßten über mehr als 10 Jahre laufen, dann frage ich
mich wirklich: Wo nimmt er denn die Gelder her, wenn
er an anderen Stellen sparen muß? Das große Problem
ist: Hier werden Erwartungen geweckt, die wir als Bund,
die wir alle - das prophezeie ich Ihnen - nicht erfüllen
können.
({0})
Kosten in Höhe von 80 Millionen DM im Rahmen eines
neuen Gedenkstättenkonzeptes, das ist eine Tatsache,
die wir uns sehr genau überlegen müssen.
Herr Kollege Otto, es
gibt den Wunsch nach einer zweiten Zwischenfrage, und
zwar von seiten des Kollegen Tauss.
Auch
Herrn Tauss kann ich nicht ablehnen. Den habe ich noch
nie abgelehnt. Bitte schön, Herr Tauss.
Lieber Herr Otto, ich bin Ihnen
geradezu dankbar. Sie haben soeben beklagt, daß das
KZ Sachsenhausen verfällt. Der Zustand ist in der Tat da sind wir uns einig - nicht sehr schön. Mich würde
interessieren, unter welcher Verantwortung das KZ
Sachsenhausen in den letzten Jahren verfallen konnte.
Ich stelle außerdem die Frage, wo die Reform des
Stiftungsrechtes, die die F.D.P. immer angekündigt hat,
in den letzten 16 Jahren geblieben ist,
({0})
an wem Sie gescheitert sind. In Verbindung damit
möchte ich weiter fragen, ob Sie zur Kenntnis genomHans-Joachim Otto ({1})
men haben, daß die Koalition im Herbst diesen Jahres,
wie angekündigt, eine Reform des Stiftungsrechts nicht nur in den Eckpunkten, sondern in wesentlichen
Punkten klar konturiert - vorlegen wird. Haben Sie auch
das nicht zur Kenntnis genommen? Würden Sie es
freundlicherweise jetzt zur Kenntnis nehmen? Nachdem
Sie sich mir gegenüber so freundlich geäußert haben,
wäre es ein weiterer Beweis Ihrer Freundlichkeit, wenn
Sie auch inhaltlich zur Kenntnis nähmen, was hier diskutiert wird.
({2})
Ihre Fragen sind immer wieder charmant, aber sie gleichen sich.
Schon als es um die Stiftungsrechtsreform ging, haben
Sie mir die gleiche Frage gestellt. Sie haben es immer
darauf abgesehen, die Vergangenheit zu bewerten, und
vergessen dabei, daß Sie nunmehr seit über einem halben Jahr in der Verantwortung sind.
({0})
- Ja, ja.
Aber ich will gern Ihre Frage beantworten. Das Gedenkstättenkonzept der alten Bundesregierung, das ja
noch nach wie vor in Kraft ist, sieht vor, zahlreiche
wichtige Gedenkstätten vor allen Dingen in den neuen
Bundesländern zu fördern. Normalerweise ist das ja das wissen wir beide - eine Aufgabe der Länder, im
Falle Sachsenhausen also eine Aufgabe des Landes
Brandenburg. Da das Land Brandenburg sich nicht in
der Lage sah, für diese extrem wichtige, zentrale Einrichtung allein zu sorgen, hat sich der Bund bereit erklärt, Sachsenhausen und andere Gedenkstätten finanziell zu fördern. Das war ein Verdienst der alten Bundesregierung, und ich bin der Auffassung, daß Sie dankbar sein sollten und das nicht kritisieren sollten.
Was ich hier heftig kritisiere - das werde ich auch in
Zukunft tun -, ist folgendes: Seien Sie doch in Zeiten, in
denen jeder, auch Herr Eichel, sagt, es müsse gespart
werden, vorsichtig, und machen Sie nicht schon jetzt
große Ankündigungen dahin gehend, daß sich der Bund
an der finanziellen Unterstützung für die Länder bei den
Gedenkstätten für einen Zeitraum von über zehn Jahren
beteiligen werde. Das werden Sie nicht durchhalten
können; Sie wecken Erwartungen, die Sie später nicht
einlösen können.
Meine Damen und Herren - meine Redezeit ist knapp
-, lassen Sie mich noch ein drittes Beispiel ansprechen,
das ich wirklich für schwerwiegend halte: Liebe Kolleginnen und Kollegen von Rotgrün, Sie haben in Ihrem
Koalitionsvertrag vollmundig eine „Reform der medialen Außenrepräsentanz“ angekündigt. Worum geht es? Es geht um die Deutsche Welle. Einige Vorredner, insbesondere Herr Mark, haben zu Recht darauf hingewiesen, daß wir gerade jetzt im Kosovo-Konflikt alles dafür
tun müssen - die Deutsche Welle tut es -, um die Informationsfreiheit in Serbien und im Kosovo zu gewährleisten. Die Deutsche Welle leistet dort Vorbildliches; sie
hat den Etat für diesen Bereich verdoppelt.
({1})
Sie ist ein echtes Krisenradio; sie ist die meistgehörte
Rundfunkstation in dieser Region. Und was macht die
Regierung in dieser Zeit als Dank für die Leistungen der
Deutschen Welle? - Sie kürzt entgegen allen Zusagen
und allen Planungen den Etat radikal herunter. Wo ist
denn da die große „Reform der medialen Außenrepräsentanz“? Es handelt sich hier um eine Abstrafaktion
von Herrn Naumann persönlich gegen einen politisch
mißliebigen Sender. Das ist empörend.
({2})
Lieber Herr Naumann, es geht darum, daß Verfassungsgrundsätze zu beachten sind. Sie können nicht nach
Gutsherrenart einfach eingreifen und sagen: Da nehme
ich einmal 30 Millionen heraus. - Hier gibt es Vorgaben. Die Rundfunkfreiheit gilt - das wissen wir beide,
darin stimmen wir überein - auch für die Deutsche
Welle. Der Gesetzgeber kann nicht einfach hingehen
und sagen: Ich ändere nichts an den Aufgaben, aber ich
streiche 30 Millionen DM im Etat weg.
Lieber Herr Kollege Mark, Sie haben ja in der Theorie so recht, wenn Sie sagen: Wir müssen den Kulturinstitutionen langfristige Konzepte und langfristig tragbare
Finanzierungsmöglichkeiten anbieten; wir müssen ihnen
Planungssicherheit geben. Lieber Herr Kollege Mark,
wo ist denn die Planungssicherheit für die Deutsche
Welle? Sie ist völlig unter den Tisch gefallen.
({3})
Mir ist ja berichtet worden, daß Sie persönlich im
Haushaltsausschuß die Meinung vertreten haben, man
solle die Kürzungen bei der Deutschen Welle in dieser
Form nicht durchführen. Das ehrt Sie. Aber wo ist Ihr
Erfolg? Wo ist die Planungssicherheit, von der Sie gesprochen haben? Was können Sie den Mitarbeiterinnen
und Mitarbeitern der Deutschen Welle, die insbesondere
in dieser Krisenzeit Vorbildliches leisten, anbieten?
Lassen Sie mich zum Schluß kommen. Die Kulturpolitik ist in den Ländern und auch im Bund normalerweise ein Politikbereich, in dem man sich um einen
parteiübergreifenden oder fraktionsübergreifenden Konsens bemühen sollte. Ich versichere Ihnen, daß die
F.D.P.-Fraktion sich auch in der Zukunft dort um Konsens bemüht, wo er möglich ist, wo er angesagt ist.
Aber, lieber Herr Dr. Naumann, Ihre Politik mit den
großen Ankündigungen, mit dem großen Gestus des erhobenen Zeigefingers, mit dem Sie sogar bis nach England gelaufen sind, macht es uns in vielen Fragen verdammt schwer, diesen Konsens, den wir eigentlich befürworten und den wir für notwendig halten, einzuhalten.
Herr Kollege Otto,
Sie müssen wirklich zum Schluß kommen.
Wenn Sie,
Herr Dr. Naumann, einmal aus Ihrer Wolke auf den
harten Boden der politischen Realität herunterkommen,
dann wird es uns gelingen, vielleicht nicht nur wieder
den Konsens hier im Deutschen Bundestag zu fördern,
sondern auch eine in der Tat erfolgreiche Kulturpolitik
zu machen, die dazu führt, daß die Kulturinstitutionen in
Deutschland -
Herr Kollege Otto,
kommen Sie bitte zum Schluß.
Liebe
Frau Vizepräsidentin, Sie haben zwei -
Hier werden keine
Dialoge mit der Präsidentin geführt. Ihre Redezeit ist
abgelaufen.
Jawohl.
Ich komme zum Ende.
Herr Dr. Naumann, kommen Sie zurück auf den Boden der Realität! Lassen Sie die Ankündigungen sein!
Dann können wir zusammenarbeiten.
Vielen Dank.
({0})
Liebe Kolleginnen
und Kollegen, ich möchte Sie darauf verweisen, daß wir
noch zwei Redner vor der namentlichen Abstimmung
haben. Ich möchte Sie ausdrücklich darum bitten, auch
diesen beiden Reden noch die volle Aufmerksamkeit zu
widmen und die notwendigen Gespräche außerhalb des
Plenarsaals zu führen.
({0})
Jetzt spricht für die Bundesregierung der Staatsminister Dr. Michael Naumann.
Verehrte Vizepräsidentin! Herr Abgeordneter Naumann, ich verstehe ja, daß Sie nach drei Jahrzehnten ununterbrochener Regierungsbeteiligung - ({0})
- Das habe ich gesagt: Otto.
({1})
- Herr Otto.
({2})
- Pardon.
({3})
- Gott sei Dank, vor allem die Verwandlung.
Lieber Herr Otto, eines steht fest: Nach drei Jahrzehnten ununterbrochener Regierungsbeteiligung stehen
Sie mit Ihrer Partei unter einer Art postelektoralem
Schock. Sie können sich gar nicht vorstellen, was es
heißt, in der Opposition zu sein.
({4})
Wir haben jetzt vier Jahre Zeit. Das heißt, die „leeren Ankündigungen“, die Sie hier monieren, sind nichts anderes
als Darstellungen unserer Regierungspläne. Wir werden
sie mit Ihrer vielversprochenen Hilfe auch durchsetzen.
Das dauert sicherlich nicht eine Woche, nicht zwei Wochen und auch nicht sechs Monate, sondern ebenjene Zeit,
die wir sinnvoll zu nutzen wissen werden.
({5})
Lassen Sie mich gleich zu Beginn meinen Dank an
die Berichterstatter aussprechen. Sie haben mit ihrer
konstruktiven Arbeit die Haushaltsberatungen begleitet
und damit ermöglicht, daß diese Regierung ihre sehr
realen kulturpolitischen Initiativen umsetzen kann.
Seit einigen Monaten bereichert eine in der Tat engagierte Debatte, die manchen etwas schrill in den Ohren
klingen mag, ganz einfach weil sie ungewöhnlich ist und
in der Vergangenheit nicht stattgefunden hat, Deutschlands und Europas Kulturpolitik, den politischen Diskurs
im Lande. Diese neue, bisweilen konfliktreiche Form des
gesellschaftlichen Selbstverständnisses mit vielen Stimmen - dazu zähle ich natürlich auch diejenigen der Opposition - erweitert die politische Kultur unseres Landes.
Das ist keine Diskussion im Wolkenkuckucksheim. Da
geht es in der Tat um einen hohen und wertvollen Etat.
Das war und bleibt die Absicht der Bundesregierung:
der Innovationskraft und der Phantasie, die der künstlerischen Tätigkeit mehr als allen anderen menschlichen
Tätigkeiten zu eigen ist, genau jenen freiheitlichen
Raum zu eröffnen, in der Idee des Kulturstaates beschlossen ist.
({6})
Noch etwas, Herr Otto: Ich habe zwei Jahrzehnte
meines Lebens als Journalist zugebracht. Ich weiß Art. 5
des Grundgesetzes zu schätzen. Niemand in der Deutschen Welle - und übrigens auch nicht Sie - darf mir
vorwerfen, daß ich mit parteipolitischen Maximen in
den Etat dieser Institution einzugreifen gedenke.
({7})
- Sie dürfen es vorwerfen, aber Sie werden es nicht belegen können.
Die neue Bundesregierung hat einen kulturpolitischen
Etat vorgefunden, der an entscheidenden Stellen erhöht
worden ist. Das Ergebnis kann sich sehen lassen:
60 Millionen DM mehr für die Hauptstadtkultur,
120 Millionen DM mehr für die Kulturförderung in
Ostdeutschland.
({8})
Hans-Joachim Otto ({9})
Auf Grund einer haushaltstechnischen Verfügung
können von diesen 120 Millionen DM ungefähr 30 Millionen DM - obwohl schon eingeplant - erst im kommenden Jahr ausgegeben werden. Dies allein hat die
Opposition dazu verführt, uns eine sogenannte Kulturlüge Ost zu unterstellen. Angesichts dieses Sachverhaltes - der Kulturetat für die neuen Länder liegt um 100
Prozent höher als der vorangegangene - den Begriff
„Lüge“ zu gebrauchen ist selbst lügenhaft.
({10})
Im übrigen dürfen wir bei der Beurteilung der Erhöhung der Kulturfördermittel nicht übersehen, daß unsere
Politik traditionelle Subventionsstrukturen übernommen hat, die es zu korrigieren gilt. Das werden wir in
den nächsten Jahren tun - behutsam und unter Rücksicht
auf gewachsene Strukturen. Unter dieser Begleitmusik
parteipolitische Präferenzen zu artikulieren, davon wird
nicht die Rede sein. Vielmehr wird untersucht werden,
wie sinnhaft klassische Subventionspolitik im kulturpolitischen Bereich noch ist.
({11})
Zu den schönsten Kulturinstitutionen der Republik
zählt die Stiftung Preußischer Kulturbesitz. Sie bildet
das Kernstück der kulturellen Identität der Hauptstadt.
Ich habe mich für eine zügige Nachfolge an der Spitze
der Stiftung eingesetzt. Der neue Präsident, Professor
Lehmann, hat nach langen, langen Diskussionen, die
während der vorangegangenen Legislaturperiode diese
Stiftung lähmten, bereits zum 1. Februar die Nachfolge
angetreten. Der neue Generaldirektor, Professor Schuster,
wird mit ihm zusammenarbeiten. Ich konnte ihn, Herr
Glos, den Bayern entreißen - mit Vergnügen!
({12})
Sie fragen, was die Regierung in den vergangenen
Monaten kulturpolitisch angestoßen hat: Auf europäischer Ebene kämpfen wir, unterstützt von den Kulturministern Frankreichs, Italiens, Englands und anderer Länder um die Beibehaltung des gebundenen Ladenpreises
für Bücher. Da wenigstens hoffe ich auch auf die Unterstützung der Opposition.
({13})
Die medienpolitische Interessenvertretung des Bundes wird in Zusammenarbeit mit den Ländern allfälligen
Angriffen aus rüssel auf die Strukturen des dualen
Rundfunksystems und hier des öffentlich-rechtlichen
Fernsehens gestärkt widerstehen.
({14})
Mit unseren osteuropäischen Nachbarn, zumal mit
Polen, intensivieren wir die Gespräche um die Rückführung sogenannter Beutekunst. Ich hoffe und glaube, daß
sich diese Gespräche in der richtigen Richtung entwickeln. Sie werden behutsam geführt und sollten - darum bitte ich Sie - nicht Gegenstand parteipolitischer
Diskussionen sein.
({15})
Mit Frankreich werden wir den Austausch junger musisch interessierter Schüler zwischen den Hauptstädten
in dem Projekt des „Voltaire-Stipendiums“ fördern.
Ja, Herr Otto, wir wollen das Stiftungsrecht in Angriff nehmen - nicht um den Staat aus seiner kulturpolitischen Verantwortung zu entlassen, sondern um die
Idee einer Zivilgesellschaft, die ihrem eigenen kulturellen Anspruch gerecht wird, zu befördern.
({16})
Dies ist keine leere Ankündigung, sondern wir tun dies
mit der Behutsamkeit, die dieses schwierige Thema verdient.
({17})
Ihre Partei war 16 Jahre lang darum bemüht, dieses
Recht zu verändern; es ist ihr nicht gelungen. Uns wird
es gelingen.
({18})
Wir haben ein äußerst erfolgreiches Bündnis für den
Film gegründet, was die Rechte der unabhängigen Produzenten in Deutschland gegenüber den öffentlichrechtlichen Anstalten stärken wird. Ich betone ausdrücklich, daß dieses Bündnis nicht nur in Zusammenarbeit mit der Regierungskoalition, sondern auch mit
Kooperation und unter Einbeziehung des außerordentlichen Sachverstandes meines Beinahe-Namenskollegen
Neumann von der Union aus dem kulturpolitischen Ausschuß zustande gekommen ist. Ich glaube, daß wir in
Zusammenarbeit mit Frankreich und Italien hier einen
nicht unbeträchtlichen Erfolg erzielen und dafür sorgen
können, den europäischen Film und vor allem den deutschen Film wieder der Bedeutung zuzuführen, die ihm
von seinem ästhetischen Anspruch, aber auch seinem
Können her zukommt.
({19})
Bitte gestatten Sie mir noch einige Anmerkungen zu
dem zentralen kulturpolitischen Thema der letzten Wochen und Monate, dem Holocaust-Mahnmal. Ich stehe
nicht an zu sagen, daß wir es waren, die vorgeschlagen
haben, diese für die nationale Identität wichtige Debatte
in den Bundestag zu verlagern. Der Bundestag wird über
dieses Mahnmal entscheiden. Der Kulturausschuß des
Bundestages wird - davon gehe ich aus -, nachdem die
entsprechenden Anträge vom Bundestag an den Ausschuß überwiesen worden sind, in Kürze eine entscheidungsfähige Grundlage vorlegen können.
({20})
Daß ich nach wie vor für eine erweiterte Konzeption
eines Holocaust-Mahnmals eintrete, mag nicht als billige
Einflußnahme mißverstanden werden. Ich finde es bedauerlich, Herr Otto, daß Ihnen die Summe von 80 Millionen DM fast schon als eine Art Vorwurf über die
Lippen geht. Hier möchte ich gerne Peter Struck zitieren, der ganz richtig gesagt hat: Dies ist in diesem ZuStaatsminister Dr. Michael Naumann
sammenhang die allerletzte Frage, die diskutiert werden
sollte.
({21})
Unser Land hat seine moralische und kulturelle Verpflichtung, sich im Prozeß des Erinnerns seiner eigenen
Geschichte zu stellen und ihrer ungezählten Opfer zu
gedenken, mit großem Ernst wahrgenommen. Ich glaube, daß die entsprechenden Debatten im Bundestag das
auch widerspiegeln werden.
Kluge Kulturpolitik wird der Politik im allgemeinen
zu einer glücklicheren Zukunft verhelfen. Eine Erlösung
von allem gesellschaftlichen Übel - auch dem alltäglichen - wird aber auch die beste Kulturpolitik nicht
möglich machen. Sie gedeiht nur in einer sozial gerechten, freien Gesellschaft, und sie ist zugleich deren Bedingung.
Ich danke Ihnen.
({22})
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Dr. Norbert Lammert.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn das Urteilsvermögen und die Durchsetzungskraft des Staatsministers für Kultur auch nur annähernd so eindrucksvoll
wären wie seine Medienpräsenz und seine Liebe zur
rhetorischen Selbstdarstellung, dann brauchten wir diese
Debatte wahrscheinlich gar nicht zu führen.
({0})
Denn wir streiten nicht über den Rang der Kultur. Aber
über das Mißverhältnis von Ansprüchen und Leistungen
wird man reden dürfen.
Wenige Monate nach Konzentration der Aufgaben
der nationalen Kulturpolitik im Kanzleramt, die ich ausdrücklich begrüßt habe, und der Installierung eines leibhaftigen Staatsministers für Kultur und Medien ist die
anfängliche Begeisterung zunehmend einer immer größeren Ernüchterung gewichen. Der erste von Michael
Naumann zu vertretende Kulturhaushalt ist ein solches
Dokument der Entzauberung. Nach der pompösen
Ouvertüre folgt ein eher tristes Melodram; denn jetzt
wird die Diskrepanz zwischen den öffentlichen Ankündigungen und den tatsächlichen Absichten und Beschlüssen dieser Regierung offenkundig.
({1})
Herr Naumann läuft mit einer fröhlichen Attitüde
durch die Haushaltsberatungen, erklärt, daß er ganz andere Vorstellungen über die Dotierung wichtiger Kultureinrichtungen habe, als sie die von ihm vertretene Regierung in ihrem Haushaltsentwurf beschlossen hat, und
unterstellt mit einer bemerkenswerten Selbstverständlichkeit, daß im parlamentarischen Haushaltsverfahren
das Parlament die Pannen beseitigt, die seine Bundesregierung im Haushaltsentwurf selbst verursacht hat. Nun
stehe ich nicht an, Herr Kollege Mark, ausdrücklich zu
bestätigen, daß uns das gelungen ist. Wir haben durch
eine beachtliche Kooperation der Kultur- und der Haushaltspolitiker eine Reihe dieser Macken beseitigen können.
({2})
Wir geben heute mit unseren Anträgen die Gelegenheit,
wichtige, noch unerledigte Probleme zu lösen.
Ich will, weil wir auch dazu einen Antrag vorgelegt
haben, ein Stichwort aufgreifen, das vorhin schon angesprochen worden ist. Die Mittel für die Deutsche Welle
- unabhängig von der Frage, daß sie einen gesetzlichen
Programmauftrag hat, unabhängig davon, daß es einstimmige Beschlüsse der Aufsichtsgremien unter Beteiligung der Bundesregierung gibt - ausgerechnet in
einem Augenblick zu kürzen, in dem die besondere nicht nur medienpolitische - Aufgabe dieser Sendeanstalt für jeden offenkundig ist, ist ein Schildbürgerstreich, auf den man erst einmal kommen muß und der
besonders peinlich ist, wenn er jetzt in der Zuständigkeit
des Kanzleramtes veranstaltet wird.
({3})
Wir werden im Deutschen Bundestag gewiß noch
Gelegenheit haben, über die Medienpolitik der Bundesregierung oder das, was sie dafür hält, im einzelnen zu
reden. Das kann heute nicht abschließend behandelt
werden.
Der Kollege Otto hat zu Recht darauf hingewiesen,
daß zu den besonderen Vorlieben von Herrn Staatsminister Naumann die Ankündigung von Programmen gehört. Nun will ich keinen Augenblick bestreiten, Herr
Naumann, daß den allermeisten der von Ihnen angekündigten Programme ein gewisser Reiz durchaus nicht abzusprechen ist. Noch schöner wäre es, wenn sie nicht
folgenlos blieben und wenn zwischen den Ankündigungen sowie den meistens innerhalb weniger Tage in Aussicht gestellten Vollzugsterminen und dem Zeitpunkt, an
dem dann tatsächlich etwas Verhandlungsfähiges vorgelegt wird, nicht immer größere Abstände entstehen
würden. Das wäre ganz gewiß auch im Interesse der Beratungskultur dieses Parlaments und insbesondere des
zuständigen Ausschusses erwünscht.
Ich möchte gern auf einen anderen Punkt zu sprechen
kommen, bei dem meines Erachtens ein Mißverständnis
der Amtsaufgaben eines Staatsministers für Kultur gegeben ist. Das ist die bei Ihnen, Herr Naumann, ausgeprägte Neigung, mit der Gebärde eines Zensors durch
das Land zu reisen und allen öffentlichen Kultureinrichtungen zuallererst Zensuren für das zu erteilen, was
jedenfalls Ihren Ansprüchen nicht genügt.
Da werden die Berliner Filmfestspiele öffentlich vorgeführt. Das Ergebnis eines zehnjährigen gründlichen
Diskussionsprozesses über die Errichtung eines Mahnmals in Berlin wurde in Bausch und Bogen mit dem nun
wirklich peinlichen Vergleich, das sei Speersche Architektur, zurückgewiesen. Sie empfehlen nun, den Entwurf
in modifizierter Form zu realisieren. Die Aufmerksamkeit der britischen Öffentlichkeit wird durch den Hinweis erzeugt, daß die Berichterstattung der britischen
Medien Ihren Ansprüchen nicht genüge. Sie äußern sich
auch zur Rolle der Wehrmacht mit einem der unsäglichen Pauschalurteile, die sich für einen für Kultur verantwortlichen Vertreter der Bundesregierung von selbst
verbieten sollten.
In den letzten Tagen habe ich wieder unnötigerweise
diskriminierende Bemerkungen über Privateigentümer
von Kunst- und Kulturgütern im Zusammenhang mit
Rechtsansprüchen wegen stattgefundener Enteignungen
gelesen.
Herr Kollege
Lammert, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin
Griefahn?
Sofort.
Es ist ein Thema nicht erst dann angemessen öffentlich behandelt, wenn der leibhaftige Staatsminister für
Kultur ihm die Ehre einer öffentlichen Kommentierung
hat angedeihen lassen. Manchmal wäre es schlicht und
ergreifend hilfreich, wenn Sie einmal zu einem Sachverhalt nichts sagen würden,
({0})
statt diejenigen, die mit großem Engagement bei der Sache sind, wahrscheinlich nicht beabsichtigt, aber regelmäßig gegen sich aufzubringen.
Bitte schön.
Herr Kollege, stimmen Sie
mir zu, daß es, obwohl es einen zehnjährigen Diskussionsprozeß um das Holocaust-Mahnmal gegeben hat, zu
keiner Entscheidung im letzten Jahr gekommen ist und
daß diese Entscheidung hätte getroffen werden können,
wenn sich alle einig gewesen wären? Stimmen Sie mir
zu, daß es sehr verdienstvoll ist, daß Herr Naumann diesen Knoten durchgeschlagen hat, um die Diskussion
einer Lösung zuzuführen?
({0})
Das erste ist mir
auch aufgefallen. Beim zweiten kann ich Ihnen beim besten Willen nicht zustimmen.
Ich habe auch nicht den Eindruck, daß es der Diskussion gut bekommen ist, daß der in der Bundesregierung
nun für dieses Thema Verantwortliche das Bemühen von
vielen Sachverständigen und Experten, von Künstlern,
Architekten und Journalisten, die sich über zehn Jahre
hinweg um dieses Thema gekümmert
({0})
und am Ende einen Vorschlag zu realisieren empfohlen
haben, in Bausch und Bogen zurückgewiesen hat, wie
das passiert ist.
Ich kritisiere nicht das Interesse an der Umsetzung
eines Ergebnisses, sondern ich kritisiere die Attitüde,
({1})
die ich vorhin angesprochen habe, nämlich erst allen zu
erklären, daß sie offenkundig nicht hinreichend Sachverstand mitbringen, um dann selber einen Vorschlag zu
präsentieren, der sich kleinlaut an genau dem Ergebnis
orientiert, das man zunächst kategorisch abgelehnt hat.
({2})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ein Konzept künftiger Kulturpolitik können wir bisher nicht erkennen. Das einzige, was sich erkennen läßt, ist die Neigung zur Konzentration kulturpolitischer Anstrengungen
in der Hauptstadt Berlin. Nun kann kein Zweifel daran
bestehen, daß sich der Kulturstaat Bundesrepublik
Deutschland insbesondere in seiner Hauptstadt darstellen muß. Aber klar sein muß auch, daß die erwünschte
und notwendige Aufstockung der Bundesmittel für national bedeutende kulturelle Einrichtungen in Berlin
nicht zu Lasten bedeutender kultureller Einrichtungen in
anderen Teilen unseres Landes erfolgen darf. Die Bundesrepublik Deutschland ist ein Kulturstaat, der vom
kulturellen Reichtum in der regionalen Vielfalt lebt.
Eine Berliner Republik, die ihr Selbstverständnis als
Kulturstaat auf die Hauptstadt reduziert, wird es mit der
Union ganz gewiß nicht geben.
({3})
Wir werden hoffentlich in ruhigerer Stunde Gelegenheit haben, über wichtige Aufgabenstellungen der Kulturpolitik miteinander zu reden.
Ich will eine abschließende Bemerkung machen. Die
Kulturpolitik eignet sich noch weniger als andere Bereiche zur Selbstinszenierung. Zugleich ist die Versuchung
in diesem Bereich ganz offenkundig noch größer als anderswo. Ein Medium, das selbst die Botschaft ist, ist als
Medium eher zuviel und als Botschaft entschieden zuwenig.
({4})
In der Kulturpolitik geht es um Wirkung, nicht um Wirbel. Die CDU/CSU-Fraktion wird in ihrer Kulturpolitik
mit Nachdruck darauf hinwirken, daß genau diese Gewichtung eingehalten wird.
({5})
Ich schließe
die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung, und zwar zunächst
über die Änderungsanträge der Fraktion der CDU/CSU,
F.D.P. und PDS.
Änderungsantrag der CDU/CSU, Drucksache 14/904:
Wer stimmt dafür? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? -
Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen der Koaliti-
onsfraktionen gegen die Stimmen der gesamten Opposi-
tion abgelehnt worden.
Änderungsantrag der CDU/CSU, Drucksache 14/905:
Wer stimmt dafür? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? -
Auch dieser Änderungsantrag ist mit den Stimmen der
Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Opposition
abgelehnt worden.
Änderungsantrag der F.D.P., Drucksache 14/914:
Wer stimmt dafür? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? -
Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen der Koaliti-
onsfraktionen gegen die Stimmen der gesamten Opposi-
tion abgelehnt worden.
Änderungsantrag der F.D.P., Drucksache 14/915:
Wer stimmt dafür? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? -
Auch dieser Änderungsantrag ist bei dem eben festge-
stellten Stimmenverhältnis abgelehnt worden.
Änderungsantrag der PDS, Drucksache 14/946: Wer
stimmt dafür? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der
Änderungsantrag ist mit den Stimmen des gesamten
Hauses mit Ausnahme der PDS, die zugestimmt hat, ab-
gelehnt worden.
Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Einzel-
plan 04 in der Ausschußfassung. Die Fraktion der SPD
verlangt namentliche Abstimmung. Ich bitte die Schrift-
führerinnen und Schriftführer, die vorgesehenen Plätze
einzunehmen. Sind alle Urnen besetzt? - Das ist der
Fall. Ich eröffne die Abstimmung. -
Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine
Stimme nicht abgegeben hat? - Das ist nicht der Fall.
Ich schließe die Abstimmung und bitte die Schriftführer,
mit der Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis der Ab-
stimmung wird Ihnen später bekanntgegeben.*)
Ich rufe auf:
13. Einzelplan 05
Auswärtiges Amt
- Drucksachen 14/605, 14/622 Berichterstattung:
Abgeordnete Uta Titze-Stecher
Herbert Frankenhauser
Dr. Barbara Höll
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache anderthalb Stunden vorgesehen. - Dazu
höre ich keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile zunächst dem
Abgeordneten Herbert Frankenhauser das Wort.
Frau Präsi-
dentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Auch
wenn in der vorangegangenen Zeit bereits sehr viel über
------
*) Seite 3128 C
die Problematik des sogenannten Kosovo-Konfliktes gesprochen worden ist, kann dieses ebenso drängende wie
ungelöste Problem in der Berichterstattung über den
Einzelplan des Auswärtigen Amtes nicht unberücksichtigt gelassen werden.
Ich darf daran erinnern, daß es auch bei der Einzelplanberatung im Haushaltsausschuß zur „Humanitären
Hilfe“ zu intensiven Beratungen und - sagen wir es
einmal - auch zu Schwierigkeiten innerhalb der Koalitionsfraktionen bei der notwendigen Etatisierung gekommen ist, die aber durch unseren Vorstoß für eine angemessene, realistische Budgetierung dann doch noch zufriedenstellend geregelt werden konnte, indem nunmehr
eine - zumindest vorübergehend ausreichende - Einstellung der Mittel im Einzelplan 60 beschlossen worden
ist.
Bei aller gebotenen Zurückhaltung muß nachgefragt
werden, ob denn dieses katastrophale Ausmaß der Vertreibung aus dem Kosovo und deren teils unbeschreibliche Folgen wirklich nicht zumindest annähernd absehbar waren. Müssen wir nicht alle mit Bestürzung feststellen, daß offensichtlich weder die Europäische Union
noch die NATO ausreichend fähig und in der Lage ist,
unverzüglich und effektiv auf solche Notsituationen zu
reagieren, um tatsächlich umfassende Hilfe bringen zu
können?
Kann es denn sein, daß die Bundesregierung einerseits als Erfolg verkündet, daß „fast 50 000 Plätze zur
Unterbringung von Vertriebenen in Mazedonien“ bereitgestellt worden sind, andererseits aber darauf hinweist,
daß es am Dienstag dieser Woche allein 9 000 neue und
insgesamt bereits mehr als 193 000 Flüchtlinge aus dem
Kosovo allein in Mazedonien gibt, die zum großen Teil
nicht untergebracht und versorgt werden können?
({0})
Es konnte mir bislang niemand schlüssig erklären,
weshalb es für die Europäische Union und die NATO
nicht einmal möglich sein soll, ausreichend Zelte und
Trinkwasser zur Verfügung zu stellen. Allen Berichten
vor Ort ist zu entnehmen, daß das UNHCR organisatorisch völlig überfordert sein soll.
({1})
Dies ist schlimm genug. Aber was macht die Europäische Gemeinschaft? Ich fordere deshalb die Bundesregierung auf, im Rahmen ihrer EU-Präsidentschaft alles
zu tun, um eine effiziente, sofort einsetzbare Organisationseinheit „Humanitäre Hilfe“ im europäischen Verbund zu schaffen. Es ist auch dringend geboten, daß sich
die Bundesregierung engagiert dafür einsetzt, das
UNHCR zu einer wirklich effektvollen und leistungsfähigen Organisation umzugestalten.
Völlig unverständlich ist die Haltung der Bundesregierung, insbesondere als Präsidentschaft der EU, in der
Frage der Flüchtlingsaufnahme. Zunächst erklärte vor
etwa acht Tagen Herr Bundesinnenminister Schily mit
ausdrücklicher Zustimmung des SPD-FraktionsvorsitVizepräsidentin Dr. Antje Vollmer
zenden Struck, daß keine weiteren Flüchtlinge in der
Bundesrepublik aufgenommen werden sollten.
({2})
Eine Woche später dann wieder eine Kehrtwendung,
nach der jetzt doch zusätzlich 10 000 Flüchtlinge in der
Bundesrepublik aufgenommen werden sollen.
({3})
Die Europäische Union ist eine Wertegemeinschaft,
und wir alle haben ein Interesse daran, die Verbindlichkeit dieser Werte auch weiterhin zu stärken und uns gegen alle Rezepte ethnischer und kultureller Konfrontation zur Wehr zu setzen. Es gilt, das europäische Einigungswerk fortzuführen und das Bekenntnis zur Würde
des Menschen, das dem Wertekatalog unserer Verfassung und gemeinsamer europäischer und internationaler
Grundüberzeugung entspricht, gerade auch in Krisen mit
glaubwürdigem Leben zu erfüllen.
Zu den großen Aufgaben der Europäischen Union
gehört demzufolge auch eine gemeinsame Flüchtlingspolitik. Jedes Land in der Europäischen Union muß
einen angemessenen Teil der Flüchtlinge übernehmen.
Deutschland darf nicht mehr als alle anderen zusammen
übernehmen. Wenn 10 000 von 13 000 ausgewiesenen
Kosovaren allein nach Deutschland kommen, ist es mit
der humanitären europäischen Solidarität offensichtlich
nicht so weit her.
({4})
Mit enttäuschtem Blick auf die bisher sehr geringe
Aufnahme von Flüchtlingen in anderen Staaten der Europäischen Union kann man nur feststellen, daß mit leeren Versprechungen Menschen in Not nicht geholfen
werden kann. Die Bundesregierung muß bedauerlicherweise zur Kenntnis nehmen, daß die Quoten für die
Aufnahme von Flüchtlingen, deren Erfüllung zugesagt
worden ist, zum Beispiel in Norwegen nur bei 36 Prozent, in Österreich bei 23 Prozent, in Schweden bei
15 Prozent und in Dänemark bei 10 Prozent liegen.
Auch sonst kann man nur Enttäuschendes von der
deutschen EU-Präsidentschaft berichten. Der EUHaushalt von 1999 bis 2006 wird entgegen den Ankündigungen um über 20 Prozent - ohne Berücksichtigung
der Inflationsrate - steigen. Die für die Osterweiterung
bislang vorgesehenen Mittel sind völlig unrealistisch.
Von der vollmundig angekündigten Nettoentlastung der
Bundesrepublik Deutschland ist faktisch nichts geblieben.
({5})
Eine Neuorganisation und eine neue Struktur der EU
sind nicht erkennbar. Im Rahmen der deutschen EUPräsidentschaft ist noch nicht einmal ein Vorstoß unternommen worden - zumindest ist mir ein solcher nicht
bekannt -, den unvorstellbaren Mißstand, daß in mehr
als zwölf Staaten der EU Subventionsbetrug keinen
Straftatbestand darstellt, abzustellen. Offensichtlich ist
der neue Leiter des Planungsstabes im Auswärtigen
Amt, Herr Schmierer, noch überfordert - er ist als Exvorsitzender des Kommunistischen Bundes Westdeutschlands nunmehr in der Vergütungsgruppe A 16
gelandet -, seinen Sponti-Spezi auf solche Problemstellungen hinzuweisen.
({6})
Übrigens bin ich gespannt, Herr Minister Fischer, ob
Ihr Kollege Riester bei Herrn Schmierer, der zunächst ja
einen Werkvertrag erhalten mußte, nicht noch Scheinselbständigkeit feststellen muß.
({7})
Das ist eine der Merkwürdigkeiten, die es seit dem Regierungswechsel zu Rotgrün gibt.
Für die wundersamen Wandlungen möchte ich nur
zwei Beispiele anführen.
({8})
- Wenn ich mehr Redezeit zur Verfügung hätte, könnte
ich diese Beispielliste auch ausweiten, Herr Fischer. SPD und Grüne haben sich im Rahmen der Haushaltsberatungen 1997 vehement gegen die Genehmigung der
Lieferung von Fregatten an die Türkei ausgesprochen.
Heute muß man als Tatsache feststellen: Der Waffenexport hat noch nie so gut wie unter Fischer und Schröder
floriert.
({9})
Von dem Antrag der Grünen vom November 1997,
für „Humanitäre Minenräumung“ in den Haushalt 1998
99,1 Millionen DM einzustellen, sind jetzt noch immerhin „beachtliche“ 17 Millionen DM übriggeblieben.
({10})
Besonders interessant wird auch die Entwicklung des
Verhältnisses zwischen Bundesregierung und Koalitionsfraktionen bezüglich der Ausstattungshilfe. Während es die Grünen im Haushaltsausschuß zunächst abgelehnt haben, den Bericht der Bundesregierung über
eine Neukonzeption der Ausstattungshilfe überhaupt zur
Kenntnis zu nehmen, hat der Bundesinnenminister bereits Zusagen, die aus dem Programm finanziert werden,
bis zum Jahr 2002 gegeben.
Im übrigen bleibt - da sind wir gespannt - abzuwarten, welche Auswirkungen die Ankündigungen des derzeitigen Bundesfinanzministers auf den Einzelplan 05
des Haushaltes haben werden.
Es ist an dieser Stelle angebracht, auch allen Mitbürgerinnen und Mitbürgern, die derzeit in humanitären
Organisationen oder in der Bundeswehr in Albanien und
Mazedonien mit hohem Engagement einen vorbildlichen
Dienst leisten, herzlich zu danken und ihnen hohe Anerkennung zu zollen.
Vielen Dank.
({11})
Das Wort hat
jetzt die Abgeordnete Uta Titze-Stecher.
Frau Präsidentin! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Die Tatsache, daß zum Einzelplan 05 bisher keine Anträge vorliegen, kennzeichnet
das große Einvernehmen, das im Haushaltsausschuß
zumindest bei diesem Etat geherrscht hat.
Im Einzelplan 05 für den Geschäftsbereich des Auswärtigen Amtes sind für das laufende Haushaltsjahr
1999 insgesamt 3,641 Milliarden DM etatisiert. Dies bedeutet gegenüber dem zweiten Regierungsentwurf der
neuen Regierung eine Absenkung um rund 18 Millionen
DM oder 0,5 Prozent. Dies war das Ergebnis der parlamentarischen Beratungen im Haushaltsausschuß.
Das Volumen des Einzelplans 05 verteilt sich, grob
gesagt, auf drei große Bereiche.
Der erste Bereich umfaßt die Betriebskosten, die
sich auf das Ministerium selbst und die 223 Auslandsvertretungen des Bundes beziehen.
({0})
- Also, Herr Irmer. Am besten sind immer diejenigen
Gags, die einem spontan einfallen. - Auf den Bereich
Betriebskosten entfallen 42,6 Prozent des Gesamtetats
des Auswärtigen Amtes. In Ziffern sind dies 1,549 Milliarden DM. Dem in bundeseigener Verwaltung geführten Auswärtigen Dienst sind insbesondere folgende
Aufgaben zugewiesen: Vertretung der Interessen der
Bundesrepublik Deutschland im Ausland, Pflege und
Förderung der auswärtigen Beziehungen, Information
der Bundesregierung über die Verhältnisse und Entwicklungen im Ausland.
Herr Außenminister - ich drehe mich vom Mikro
nicht weg; wenn ich das täte, dann würden mich die Abgeordneten, die Adressaten meiner Rede, nicht hören -:
Ich bedanke mich bei Ihnen ausdrücklich dafür, daß das
Auswärtige Amt die Lageberichte zum Kosovo, auf deren Grundlage bis zuletzt Abschiebeurteile von Gerichten gefällt worden sind, zurückgezogen hat. Es war
höchste Zeit.
({1})
Der Auswärtige Dienst leistet Hilfe und Beistand für
Deutsche im Ausland. Er arbeitet mit bei der Gestaltung
der internationalen Rechtsbeziehungen, beispielsweise
bei der Arbeit an der Reform der UNO. Er koordiniert
im Rahmen der Politik der Bundesregierung alle die außenpolitischen Beziehungen betreffenden Vorhaben
staatlicher und anderer öffentlicher Einrichtungen. Angesichts der Fülle der genannten Aufgaben denken wir,
daß das dafür vorgesehene Finanzvolumen ausreichend
ist.
Überproportionale Zuwächse bei den Betriebskosten
sind auf den Berlin-Umzug zurückzuführen. Für die
Neuausstattung des Dienstgebäudes in Berlin - Herr
Minister, für diese Entscheidung können Sie nichts; wir
Haushälter hätten es gern anders gehabt - stehen 48,7
Millionen DM zur Verfügung. Für dieses Jahr sind davon 35 Millionen DM etatisiert. Der Rest wird über
Verpflichtungsermächtigungen bereitgestellt. Die Betriebskosten des Dienstes sind fast vollständig flexibilisiert.
Die Personalkosten sind zwar ausreichend veranschlagt. Ich mache aber darauf aufmerksam, daß es bei
einer außergewöhnlichen Steigerung des Dollarkurses zu
Risiken kommen kann, die aber nicht nur dieses Haus,
sondern alle Häuser betreffen können, die im Ausland
Personal haben.
Weil ich gerade beim Thema Personal bin: Ich bitte
das Haus dringend, dafür Sorge zu tragen, daß für die
verbleibenden 85 Mitarbeiter des einfachen Dienstes,
für die eine Zusage besteht, am derzeitigen Dienstort zu
verbleiben, Arbeitsplätze durch eine großzügige Ausstattung der in Bonn verbleibenden und unter Personalnot leidenden Arbeitseinheiten gefunden werden. Wir
müssen uns im Haushaltsausschuß fraktionsübergreifend
darüber verständigen, ob wir Stellen aus dem Personalüberhang mit dem kw-Vermerk „Wegfall mit Ausscheiden des Stelleninhabers“ versehen und auf die sicherlich auch für das Haushaltsjahr 2000 zu erbringende
Einsparquote anrechnen. Die betroffenen Menschen
können nichts für unsere parlamentarische Entscheidung
wegzuziehen.
Der zweite große Bereich im auswärtigen Etat ist der
Kulturhaushalt. Darüber hat Herr Naumann aus kompetenter Sicht gesprochen. Auch im auswärtigen Etat
wird Kulturarbeit geleistet, die sich auswärtige Kulturpolitik, AKP, nennt. Die Substanzgarantie für die AKP
konnte dadurch umgesetzt werden, daß der stetige Abwärtstrend, den die ehemalige Regierung zwischen 1995
und 1998 zu verantworten hatte, in einen klaren Aufwärtstrend umgekehrt wurde. Dies geschah übrigens auf
ausdrücklichen Wunsch des Ministers selbst. Die Zunahme der Mittel um 3,6 Millionen DM in 1999 setzt
sich auch in der mittelfristigen Finanzplanung fort.
Dieses Signal halte ich für sehr wichtig, weil der
- ich zitiere - „Kulturdialog als neue Dimension einer
Außenpolitik der Zukunft“ entwickelt werden muß, so
Bundespräsident Roman Herzog anläßlich der ersten
Konferenz „Deutsch-Russisches Kulturforum Potsdamer
Begegnungen“ am 27. April dieses Jahres. Aber nicht
nur für den Bundespräsidenten, für uns alle ist der Kulturdialog ein unerläßlicher Beitrag zur Bildung eines
europäischen Selbstverständnisses sowie eine Brücke
zwischen Deutschland und den Völkern der Welt, eine
Brücke, die es angesichts der ethnischen Auseinandersetzungen im Kosovo, aber nicht nur dort, zu stabilisieren gilt, weil dies für das Überleben der Völker wesentlich ist.
Nach dem Ende des kalten Krieges und zu Beginn
des neuen Jahrtausends wird das Muster der Bündnisund Feindschaftsbildung unter den Nationen nicht oder
immer weniger von Ideologien geprägt, sondern immer
mehr durch Kulturen. Die bipolare Machtstruktur des
kalten Krieges ist durch eine Mischung uni- und multipolarer Systeme abgelöst worden. Die Folge davon ist,
daß Nationen ihre Identität zunehmend mehr auf der
Grundlage der eigenen Herkunft, Religion, Sprache,
Sitten und Wertvorstellungen definieren bzw. sich reorientieren.
Wenn man den Thesen von Samuel Huntington folgt
- Stichwort „Kampf der Kulturen“ -, dann werden sich
die Konfliktherde der Zukunft vor allem entlang der
Bruchlinien der Kulturen und weniger auf Grund von
Macht- und Wirtschaftsinteressen entwickeln. Unabhängig davon, ob man die dort beschriebenen Szenarien für
das nächste Jahrhundert teilt, besteht für uns die Pflicht,
Politik nach Maßgabe kultureller und zivilisatorischer
Wertvorstellungen zu gestalten. Ich denke, dieser Pflicht
sind wir bei der Aufstellung des Haushaltes des Auswärtigen Amtes vorbildlich nachgekommen. - Ich habe
eigentlich erwartet, daß Sie jetzt zustimmen, auch Sie,
meine Damen und Herren von der Opposition.
({2})
Konkret haben wir im Kulturbereich den Stipendientitel erhöht. Dies war wegen sinkender Stipendienvergabezahlen und entsprechender öffentlicher Reaktionen
auf den Rückgang ausländischer Stipendiaten an deutschen Hochschulen, die Sie ja kennen, dringend erforderlich. Mein Dank gilt hier einvernehmlich allen Berichterstattern. Gemeinsam haben wir dafür gesorgt, daß
Stipendienvergabe, Austauschmaßnahmen, Beihilfen für
Nachwuchswissenschaftler, Studenten und Hochschulpraktikanten aus dem Ausland, Betreuung und Nachbetreuung durch die dafür vorgesehenen Organisationen,
DAAD, Alexander-von-Humboldt-Stiftung, FulbrightKommission - ich kann sie jetzt nicht alle aufzählen -,
auf angemessenem Niveau durchgeführt werden können.
Mit Blick auf die Osterweiterung und die damit erforderlich werdenden Integrationsangebote von unserer
Seite her haben wir ebenfalls einvernehmlich Mittel für
die Bewilligung von Stipendien für polnische Studenten
an der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt an der
Oder und ebenso einen Zuschuß an den Bundesverband
der deutsch-polnischen Gesellschaft bereitgestellt.
({3})
- Ich bedanke mich, Herr Kollege Urbaniak. - Ich muß
das immer wieder betonen, daß gerade im Kulturbereich
zwischen den Berichterstattern größtes Einvernehmen
herrschte.
Konkret möchte ich noch zwei Titel nennen, die zwar
in den Bereich der politischen Aufgaben des Amtes fallen, aber doch im Zusammenhang mit den europäischen
Integrationsmaßnahmen zu sehen sind: Da ist einmal die
Förderung des europäischen Gedankens, der sich in einem erhöhten Zuschuß an die Europäische Akademie in
Berlin ausdrückt, dann die Errichtung eines Haushaltsansatzes für das „Haus der Deutsch-Polnischen Zusammenarbeit in Gleiwitz“. Ich denke, auch das ist eine Anerkennung durch das Haus wert.
({4})
Ich gebe zu, diese Aufstockungen nehmen sich bescheiden aus, aber angesichts der Haushaltszwänge und
Sparvorgaben zeigt sich gerade bei solchen Vorhaben,
daß der durch die neue Regierung vorgelegte Haushaltsentwurf mehr als ein paar korrigierende Duftmarken setzt. Er konkretisiert eigentlich bereits vollzogene
politische Weichenstellungen, so die europäische Integrationsidee. Sie ist ein gesamteuropäisches Anliegen;
das spiegelt sich auch im Haushalt wider. Insofern geht
es heute nicht mehr um das Ob, sondern nur noch um
die Gestaltung des Wie und Wann der Osterweiterung,
wie Sie, Herr Bundesaußenminister, in Ihrer historischen
und wegweisenden Rede vor dem Parlament in Straßburg am 12. Januar dieses Jahres im Zusammenhang mit
der Osterweiterung und der Forderung nach mehr Demokratie formuliert haben. So hieß es in einem „Zeit“Artikel; dieses Lob kann ich vollständig mittragen und
gebe es weiter.
Es ist mir der Kürze der Zeit wegen nicht möglich,
ausführlich auf die Programmarbeit sowie die Bereiche
Förderung des Schulwesens im Ausland und internationalen Zusammenarbeit im Schulbereich, kurz Schulfonds genannt, einzugehen. Ich kann mir aber nicht verkneifen, folgendes zu sagen. Ich bitte Sie, Herr Fischer,
spitzen Sie die Ohren, denn hier geht es um viel Geld.
Im Rahmen der „Bemerkungen zur Haushalts- und Wirtschaftsführung des Bundes 1998“ hat der Bundesrechnungshof detailliert Stellung zu dem Schwerpunktthema
Verwaltung und Nutzung von Liegenschaften durch den
Bund genommen.
({5})
- Auch wenn es vor Ihrer Zeit war, ist das Auswärtige
Amt besonders davon betroffen, weil Sie auch jetzt noch
sehr viele Liegenschaften im Ausland haben.
Speziell zu den deutschen Schulen im Ausland hat
der Rechnungsprüfungsausschuß - und das ist das Parlament - nachdrücklich die Empfehlungen des BRH
zum Aufbau eines Liegenschaftsmanagements zur Verwertung und Nutzung der Liegenschaften unterstützt,
und zwar sollen zur Kostenentlastung des Bundes und
zur Gleichbehandlung der deutschen Schulen im Ausland Schulträgern in geeigneten Fällen bundeseigene
Grundstücke zum Erwerb angeboten werden. Es hat sich
herausgestellt, daß die Schulen, die auf eigenen Grundstücken erbaut werden, wesentlich besser gepflegt und
erhalten werden und den Bund weniger kosten. Das ist
normale Erfahrung, und diese sollten wir uns zunutze
machen.
Bitte verwerten Sie unverzüglich die nicht benötigten
Liegenschaften; der Haushaltsausschuß wird es Ihnen
danken.
Abschließend möchte ich im Zusammenhang mit der
Auslandskulturarbeit dafür plädieren, daß die Flexibilisierungsmaßnahmen im Bereich der Personalwirtschaft
auf Zuwendungsempfänger ausgedehnt werden, beispielsweise auf das weltweit agierende Goethe-Institut.
Dies würde zum langen Atem, den die Kulturarbeit
braucht, beitragen.
Der dritte große Ausgabenbereich mit knapp 25 Prozent oder rund 891 Millionen DM Anteil am Gesamtetat
ist der allgemeine Bewilligungsteil, also derjenige Teil,
in dem die politischen Ausgaben veranschlagt sind. Hier
haben wir die stärksten Schwankungen zu verzeichnen,
im Haushalt 1999 einen Zuwachs von 6 Prozent.
Der Zuwachs entsteht vor allem durch die Kosten für
Konferenzen im Zuge der EU-Ratspräsidentschaft. Wir
haben da knapp 6 Millionen DM mehr etatisiert. Wir
haben den deutsch-tschechischen Zukunftsfonds von
20 Millionen DM auf 40 Millionen DM einvernehmlich
verdoppelt - der Dank geht an alle.
({6})
Wir haben auf Grund der Zusage des Altbundeskanzlers
Kohl gegenüber der Witwe von Yzak Rabin einen neuen
Titel mit einem Ansatz von 2,5 Millionen DM für den
Aufbau des Yzak-Rabin-Centers for Israel Studies in Jerusalem etatisiert.
({7})
Auch das halten wir für extrem wichtig, weil die FundRaising-Bemühungen sowohl in England als auch in
Frankreich nach Aussagen von Frau Rabin von der deutschen Haltung in diesem Punkt abhängig gemacht werden. Hier sind wir gegenüber dem Altbundeskanzler,
dem Staat Israel und der Witwe Rabin im Wort. Wir stehen auch inhaltlich hinter diesem Projekt, das sich mit
Fragen des Nahost-Friedensprozesses beschäftigen wird.
Ich gehe bewußt jetzt nicht auf das ein, was ich mir
dazu noch notiert habe. Auch im Einzelplan 23, auf den
die Kollegen später eingehen werden, wird sicher ausdrücklich auf die durch die neue Bundesregierung erhöhten Mittelansätze für die deutsch-palästinensische
Entwicklungszusammenarbeit hingewiesen werden.
Im Bereich der allgemeinen Bewilligungen für politische Ausgaben haben wir - ebenfalls einvernehmlich durch Umschichtungen die Mittel für humanitäre Hilfsmaßnahmen im Ausland außerhalb der Entwicklungshilfe erhöht, wenn auch nur um 1 Million DM - ein Zeichen.
Die aktuelle Entwicklung des Kosovo-Konflikts hat
alle Ansätze in den dafür zuständigen Einzelplänen 05,
06, 14 und 23 über den Haufen geworfen, so daß wir uns
gezwungen sahen - Herr Kollege Frankenhauser hat es
bereits erklärt -, angesichts der offensichtlichen Kosten
für die Folgen des humanitären Einsatzes einen eigenen
Haushaltstitel mit 300 Millionen DM Sonderleistungen
des Bundes für humanitäre Hilfe zu schaffen. Wir haben
auch das einvernehmlich geschafft, und wir denken, daß
diese Entscheidung wieder einmal deutlich macht, daß
im Vordergrund eines militärischen Einsatzes mit dem
Ziel der Verhinderung der humanitären Katastrophe die
konkrete Hilfe für die betroffenen Flüchtlinge stehen
muß.
({8})
Das gewährleisten wir natürlich mit diesem Haushaltsansatz.
Der Antrag der Bundesregierung „Deutsche Beteiligung an der humanitären Hilfe im Zusammenhang mit
dem Kosovo-Konflikt“, über den hoffentlich am kommenden Freitag, also übermorgen, vom Parlament entschieden werden wird, ist eine aktuelle Reaktion auf die
Hilferufe der humanitären Hilfsorganisationen, die sich
den Anforderungen der täglich um Tausende von Menschen anwachsenden Flüchtlingsströme nicht mehr gewachsen sehen und daher die unmittelbare Beteiligung
und Unterstützung aller notwendigen Hilfsmaßnahmen
durch die NATO anfordern. Neben den NATO-Verbündeten haben bisher auch acht Partnernationen Beteiligung zugesagt.
Dieser umfassende Beitrag der NATO soll sowohl
den Flüchtlingen mit den gebotenen Maßnahmen helfen
als auch - ich denke, auch das wissen Sie, zumindest die
Kollegen der Facharbeitsgruppen, richtig einzuschätzen
- zur Stabilisierung der überforderten Nachbarstaaten
Mazedonien und Albanien beitragen.
({9})
Wir haben einen neuen Ausschuß für Menschenrechte, der sich all dieser Fragen annimmt, die unter der
Überschrift der humanitären Hilfsmaßnahmen gestreift
werden. Was die Höhe der notwendigen Kosten für die
Betreuung der Flüchtlinge betrifft, war dieser Ausschuß
der erste, der sich bei uns gemeldet hat. Diese Tatsache
möchte ich ausdrücklich zu Protokoll geben.
Die zusätzlichen Kosten des Einsatzes von bis zu
1 000 weiteren Soldaten des Heeres, der Luftwaffe, der
Marine und der zentralen Sanitätsdienststellen für humanitäre Hilfsleistungen werden für 12 Monate auf 330
Millionen DM beziffert. Ich denke, daß sowohl der
Außenminister als auch der Verteidigungsminister auf
diesen Antrag dezidiert eingehen werden. Ich erspare
mir deswegen weitere Details. Ich denke, daß mit den
vorgesehenen 330 Millionen DM im Einzelplan 60 die
erforderlichen Mittel zumindest für dieses Jahr vorhanden sind. Wir halten dies für haushaltsrechtlich korrekt.
Wir haben einvernehmlich - Dank an alle Kollegen die Leistungen an Organisationen und Einrichtungen
im internationalen Bereich - wie zum Beispiel an das
IRK, UNICEF, UNHCR und UNRWA - aufgestockt.
Dabei wissen wir alle, daß die deutschen Beiträge im
internationalen Vergleich beschämend gering sind.
Besonders hervorheben möchte ich, daß auf Antrag
der Arbeitsgruppe „Menschenrechte“ der Regierungsfraktionen die Mittel für das „Büro der Menschenrechtshochkommissarin“ und für den „VN-Fonds für Folteropfer“ aufgestockt worden sind. Wir haben die Förderung
der Menschenrechte durch das Auswärtige Amt ebenfalls erhöht. Damit werden die Feldmissionen der Hochkommissarin für Menschenrechte und die Maßnahmen
zur Stärkung der Handlungsfähigkeit auf dem Feld der
Konfliktprävention und Konfliktregelung unterstützt.
Außerdem haben wir einen Posten für Vorbereitungsmaßnahmen des zivilen Friedensdienstes eingestellt. Mit
200 000 DM unterstützen wir die Gründung eines Forschungszentrums für OSZE-Studien beim Institut für
Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg.
Ute Titze-Stecher
Weil meine Redezeit abgelaufen ist, will ich noch abschließend eine Bemerkung zur Ausstattungshilfe machen. Die Ausstattungshilfe insgesamt befindet sich in
der Diskussion. Das heißt, die Frage der Fortführung
und Ausgestaltung der Ausstattungshilfe für ausländische Streitkräfte ist auf Leitungsebene noch nicht entschieden. Ich halte dies für ein außerordentlich wirksames und sinnvolles Instrument der außenpolitischen Arbeit.
({10})
- Ja, ich kann dies wirklich einschätzen. - Ich denke,
daß man angesichts globaler Veränderungen nicht die
Frage der Fortführung, sondern nur die Frage der Ausgestaltung zu entscheiden hat. Schwerpunktmäßig kann
man nennen: andere Justierungen und Orientierungen
bei der Gesundheitsversorgung der Bevölkerung in entlegenen Gebieten durch Sanitätsstationen der Streitkräfte, bei der Ausbildung in technischen Berufen für den
Einsatz im Falle von Naturkatastrophen und bei der
Flüchtlingsversorgung. Das heißt, man muß die Ausstattungshilfe anpassen, damit die Absicht der neuen
Bundesregierung, sich an neuen Anforderungen zu
orientieren, die die Fähigkeiten der Empfängerländer zur
Teilnahme an Friedensmissionen und Konfliktverhütung
stärken, insgesamt unterstützt wird.
Da wir die meisten Punkte einvernehmlich geregelt
haben, ist meine Bitte an die Opposition gerechtfertigt:
Wir stimmen in jedem Fall dem Haushalt des Einzelplans 05 zu. Ich bitte Sie, dasselbe zu tun!
({11})
Bevor wir in
der Debatte fortfahren, möchte ich Ihnen das von den
Schriftführern und Schriftführerinnen ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung über den Einzelplan 04, den Geschäftsbereich des Bundeskanzlers und
des Bundeskanzleramtes, bekanntgeben: Abgegebene
Stimmen 612. Mit Ja haben gestimmt 334, mit Nein haben gestimmt 278, Enthaltungen gab es keine. Der Einzelplan 04 ist damit angenommen worden.
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 612
davon:
ja: 334
nein: 278
Ja
SPD
Brigitte Adler
Gerd Andres
Rainer Arnold
Hermann Bachmaier
Ernst Bahr
Doris Barnett
Dr. Hans-Peter Bartels
Eckhardt Barthel ({0})
Klaus Barthel ({1})
Ingrid Becker-Inglau
Dr. Axel Berg
Hans-Werner Bertl
Friedhelm Julius Beucher
Petra Bierwirth
Rudolf Bindig
Lothar Binding ({2})
Kurt Bodewig
Klaus Brandner
Anni Brandt-Elsweier
Willi Brase
Dr. Eberhard Brecht
Rainer Brinkmann ({3})
Bernhard Brinkmann
({4})
Hans-Günter Bruckmann
Edelgard Bulmahn
Ursula Burchardt
Dr. Michael Bürsch
Hans Martin Bury
Hans Büttner ({5})
Marion Caspers-Merk
Wolf-Michael Catenhusen
Dr. Peter Wilhelm Danckert
Christel Deichmann
Karl Diller
Peter Dreßen
Rudolf Dreßler
Detlef Dzembritzki
Dieter Dzewas
Dr. Peter Eckardt
Sebastian Edathy
Ludwig Eich
Marga Elser
Peter Enders
Gernot Erler
Petra Ernstberger
Annette Faße
Lothar Fischer ({6})
Gabriele Fograscher
Iris Follak
Norbert Formanski
Rainer Fornahl
Hans Forster
Dagmar Freitag
Lilo Friedrich ({7})
Harald Friese
Anke Fuchs ({8})
Arne Fuhrmann
Monika Ganseforth
Konrad Gilges
Iris Gleicke
Günter Gloser
Uwe Göllner
Renate Gradistanac
Günter Graf ({9})
Angelika Graf ({10})
Dieter Grasedieck
Achim Großmann
Wolfgang Grotthaus
Karl Hermann Haack
({11})
Hans-Joachim Hacker
Christel Hanewinckel
Alfred Hartenbach
Anke Hartnagel
Klaus Hasenfratz
Nina Hauer
Hubertus Heil
Reinhold Hemker
Frank Hempel
Rolf Hempelmann
Dr. Barbara Hendricks
Gustav Herzog
Monika Heubaum
Uwe Hiksch
Reinhold Hiller ({12})
Stephan Hilsberg
Gerd Höfer
Jelena Hoffmann ({13})
Walter Hoffmann
({14})
Iris Hoffmann ({15})
Frank Hofmann ({16})
Ingrid Holzhüter
Eike Hovermann
Christel Humme
Lothar Ibrügger
Barbara Imhof
Brunhilde Irber
Gabriele Iwersen
Renate Jäger
Jann-Peter Janssen
Ilse Janz
Dr. Uwe Jens
Johannes Kahrs
Ulrich Kasparick
Sabine Kaspereit
Susanne Kastner
Hans-Peter Kemper
Klaus Kirschner
Marianne Klappert
Siegrun Klemmer
Hans-Ulrich Klose
Walter Kolbow
Fritz Rudolf Körper
Karin Kortmann
Anette Kramme
Nicolette Kressl
Angelika Krüger-Leißner
Horst Kubatschka
Ernst Küchler
Helga Kühn-Mengel
Ute Kumpf
Konrad Kunick
Dr. Uwe Küster
Werner Labsch
Christine Lambrecht
Brigitte Lange
Christian Lange ({17})
Detlev von Larcher
Christine Lehder
Waltraud Lehn
Robert Leidinger
Klaus Lennartz
Eckhart Lewering
Götz-Peter Lohmann
({18})
Christa Lörcher
Erika Lotz
Dr. Christine Lucyga
Dieter Maaß ({19})
Winfried Mante
Dirk Manzewski
Tobias Marhold
Ulrike Mascher
Christoph Matschie
Heide Mattischeck
Markus Meckel
Ulrike Mehl
Ulrike Merten
Angelika Mertens
Dr. Jürgen Meyer ({20})
Ursula Mogg
Christoph Moosbauer
Siegmar Mosdorf
Michael Müller ({21})
Jutta Müller ({22})
Christian Müller ({23})
Franz Müntefering
Andrea Nahles
Volker Neumann ({24})
Gerhard Neumann ({25})
Dr. Edith Niehuis
Dr. Rolf Niese
Dietmar Nietan
Günter Oesinghaus
Eckhard Ohl
Leyla Onur
Manfred Opel
Holger Ortel
Adolf Ostertag
Kurt Palis
Albrecht Papenroth
Dr. Willfried Penner
Dr. Martin Pfaff
Georg Pfannenstein
Johannes Pflug
Dr. Eckhart Pick
Joachim Poß
Karin Rehbock-Zureich
Margot von Renesse
Renate Rennebach
Bernd Reuter
Dr. Edelbert Richter
Reinhold Robbe
Gudrun Roos
René Röspel
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Michael Roth ({26})
Birgit Roth ({27})
Gerhard Rübenkönig
Marlene Rupprecht
Thomas Sauer
Dr. Hansjörg Schäfer
Gudrun Schaich-Walch
Bernd Scheelen
Dr. Hermann Scheer
Siegfried Scheffler
Horst Schild
Otto Schily
Dieter Schloten
Horst Schmidbauer
({28})
Ulla Schmidt ({29})
Silvia Schmidt ({30})
Dagmar Schmidt ({31})
Wilhelm Schmidt ({32})
Regina Schmidt-Zadel
Heinz Schmitt ({33})
Dr. Emil Schnell
Walter Schöler
Olaf Scholz
Karsten Schönfeld
Fritz Schösser
Ottmar Schreiner
Gerhard Schröder
Gisela Schröter
Dr. Mathias Schubert
Richard Schuhmann
({34})
Brigitte Schulte ({35})
Reinhard Schultz
({36})
Volkmar Schultz ({37})
Ewald Schurer
Dietmar Schütz ({38})
Dr. Angelica Schwall-Düren
Ernst Schwanhold
Bodo Seidenthal
Erika Simm
Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk
Dr. Cornelie SonntagWolgast
Wieland Sorge
Wolfgang Spanier
Dr. Margrit Spielmann
Jörg-Otto Spiller
Dr. Ditmar Staffelt
Antje-Marie Steen
Ludwig Stiegler
Rolf Stöckel
Rita Streb-Hesse
Joachim Stünker
Joachim Tappe
Jella Teuchner
Dr. Gerald Thalheim
Franz Thönnes
Adelheid Tröscher
Hans-Eberhard Urbaniak
Rüdiger Veit
Simone Violka
Ute Vogt ({39})
Hans Georg Wagner
Hedi Wegener
Dr. Konstanze Wegner
Wolfgang Weiermann
Reinhard Weis ({40})
Matthias Weisheit
Gunter Weißgerber
Gert Weisskirchen
({41})
Dr. Ernst Ulrich von
Weizsäcker
Hans-Joachim Welt
Dr. Rainer Wend
Hildegard Wester
Lydia Westrich
Inge Wettig-Danielmeier
Dr. Margrit Wetzel
Dr. Norbert Wieczorek
Helmut Wieczorek
({42})
Jürgen Wieczorek ({43})
Dieter Wiefelspütz
Heino Wiese ({44})
Klaus Wiesehügel
Brigitte Wimmer
({45})
Engelbert Wistuba
Dr. Wolfgang Wodarg
Verena Wohlleben
Hanna Wolf ({46})
Waltraud Wolff ({47})
Heidemarie Wright
Dr. Christoph Zöpel
Peter Zumkley
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Marieluise Beck ({48})
Volker Beck ({49})
Matthias Berninger
Annelie Buntenbach
Ekin Deligöz
Dr. Thea Dückert
Franziska Eichstädt-Bohlig
Dr. Uschi Eid
Hans-Josef Fell
Andrea Fischer ({50})
Joseph Fischer ({51})
Katrin Göring-Eckardt
Winfried Hermann
Kristin Heyne
Ulrike Höfken
Michaele Hustedt
Monika Knoche
Steffi Lemke
Dr. Helmut Lippelt
Dr. Reinhard Loske
Klaus Wolfgang Müller
({52})
Kerstin Müller ({53})
Winfried Nachtwei
Christa Nickels
Cem Özdemir
Simone Probst
Claudia Roth ({54})
Christine Scheel
Irmingard Schewe-Gerigk
Rezzo Schlauch
Albert Schmidt ({55})
Werner Schulz ({56})
Christian Simmert
Christian Sterzing
Jürgen Trittin
Ludger Volmer
Sylvia Voß
Helmut Wilhelm ({57})
Margareta Wolf ({58})
Nein
CDU/CSU
Ulrich Adam
Ilse Aigner
Peter Altmaier
Norbert Barthle
Dr. Wolf Bauer
Günter Baumann
Brigitte Baumeister
Meinrad Belle
Dr. Sabine Bergmann-Pohl
Otto Bernhardt
Hans-Dirk Bierling
Dr. Joseph-Theodor Blank
Dr. Heribert Blens
Peter Bleser
Dr. Norbert Blüm
Dr. Maria Böhmer
Sylvia Bonitz
Wolfgang Börnsen
({59})
Dr. Wolfgang Bötsch
Klaus Brähmig
Dr. Ralf Brauksiepe
Monika Brudlewsky
Georg Brunnhuber
Klaus Bühler ({60})
Hartmut Büttner
({61})
Dankward Buwitt
Manfred Carstens ({62})
Leo Dautzenberg
Hubert Deittert
Albert Deß
Renate Diemers
Thomas Dörflinger
Marie-Luise Dött
Maria Eichhorn
Rainer Eppelmann
Anke Eymer
Ilse Falk
Dr. Hans Georg Faust
Ingrid Fischbach
Axel Fischer ({63})
Dr. Gerhard Friedrich
({64})
Dr. Hans-Peter Friedrich
({65})
Erich G. Fritz
Jochen-Konrad Fromme
Hans-Joachim Fuchtel
Dr. Jürgen Gehb
Dr. Heiner Geißler
Georg Girisch
Dr. Reinhard Göhner
Dr. Wolfgang Götzer
Kurt-Dieter Grill
Hermann Gröhe
Manfred Grund
Carl-Detlev Freiherr von
Hammerstein
Gottfried Haschke
({66})
Gerda Hasselfeldt
Norbert Hauser ({67})
Hansgeorg Hauser
({68})
Ursula Heinen
Manfred Heise
Siegfried Helias
Ernst Hinsken
Peter Hintze
Klaus Hofbauer
Martin Hohmann
Klaus Holetschek
Josef Hollerith
Siegfried Hornung
Joachim Hörster
Hubert Hüppe
Peter Jacoby
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer
3130 Deutscher Bundestag - 14. Wahlperiode - 38. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 5. Mai 199
Susanne Jaffke
Georg Janovsky
Dr.-Ing. Rainer Jork
Dr. Harald Kahl
Bartholomäus Kalb
Steffen Kampeter
Irmgard Karwatzki
Volker Kauder
Eckart von Klaeden
Ulrich Klinkert
Dr. Helmut Kohl
Manfred Kolbe
Norbert Königshofen
Eva-Maria Kors
Hartmut Koschyk
Thomas Kossendey
Rudolf Kraus
Dr. Martina Krogmann
Dr. Paul Krüger
Dr. Hermann Kues
Karl Lamers
Dr. Karl A. Lamers
({69})
Dr. Paul Laufs
Karl-Josef Laumann
Werner Lensing
Peter Letzgus
Ursula Lietz
Walter Link ({70})
Eduard Lintner
Dr. Klaus Lippold
({71})
Dr. Manfred Lischewski
Wolfgang Lohmann
({72})
Julius Louven
Erich Maaß ({73})
Erwin Marschewski
Dr. Martin Mayer
({74})
Wolfgang Meckelburg
Dr. Michael Meister
Dr. Angela Merkel
Friedrich Merz
Hans Michelbach
Meinolf Michels
Dr. Gerd Müller
Bernward Müller ({75})
Elmar Müller ({76})
Bernd Neumann ({77})
Günter Nooke
Franz Obermeier
Eduard Oswald
Norbert Otto ({78})
Dr. Peter Paziorek
Anton Pfeifer
Dr. Friedbert Pflüger
Beatrix Philipp
Ronald Pofalla
Ruprecht Polenz
Marlies Pretzlaff
Dr. Bernd Protzner
Dieter Pützhofen
Thomas Rachel
Dr. Peter Ramsauer
Helmut Rauber
Christa Reichard ({79})
Katherina Reiche
Erika Reinhardt
Hans-Peter Repnik
Klaus Riegert
Dr. Heinz Riesenhuber
Franz Romer
Hannelore Rönsch
({80})
Heinrich-Wilhelm Ronsöhr
Dr. Klaus Rose
Kurt Rossmanith
Adolf Roth ({81})
Norbert Röttgen
Dr. Christian Ruck
Volker Rühe
Dr. Jürgen Rüttgers
Anita Schäfer
Hartmut Schauerte
Heinz Schemken
Gerhard Scheu
Norbert Schindler
Dietmar Schlee
Bernd Schmidbauer
Christian Schmidt ({82})
Dr.-Ing. Joachim Schmidt
({83})
Andreas Schmidt ({84})
Hans Peter Schmitz
({85})
Birgit Schnieber-Jastram
Dr. Rupert Scholz
Reinhard Freiherr von
Schorlemer
Dr. Erika Schuchardt
Wolfgang Schulhoff
Clemens Schwalbe
Dr. Christian SchwarzSchilling
Wilhelm-Josef Sebastian
Horst Seehofer
Heinz Seiffert
Werner Siemann
Johannes Singhammer
Bärbel Sothmann
Margarete Späte
Carl-Dieter Spranger
Wolfgang Steiger
Andreas Storm
Dorothea Störr-Ritter
Max Straubinger
Matthäus Strebl
Thomas Strobl
Michael Stübgen
Edeltraut Töpfer
Dr. Hans-Peter Uhl
Arnold Vaatz
Angelika Volquartz
Andrea Voßhoff
Peter Weiß ({86})
Gerald Weiß ({87})
Annette Widmann-Mauz
Heinz Wiese ({88})
Hans-Otto Wilhelm ({89})
Klaus-Peter Willsch
Willy Wimmer ({90})
Werner Wittlich
Dagmar Wöhrl
Elke Wülfing
Peter Kurt Würzbach
Wolfgang Zeitlmann
Benno Zierer
Wolfgang Zöller
F.D.P.
({91})
Ernst Burgbacher
Jörg van Essen
Ulrike Flach
Horst Friedrich ({92})
Dr. Wolfgang Gerhardt
Hans-Michael Goldmann
Joachim Günther ({93})
Dr. Karlheinz Guttmacher
Klaus Haupt
Ulrich Heinrich
Walter Hirche
Birgit Homburger
Ulrich Irmer
Dr. Heinrich Leonhard Kolb
Gudrun Kopp
Ina Lenke
Sabine LeutheusserSchnarrenberger
Dirk Niebel
Hans-Joachim Otto
({94})
Detlef Parr
Cornelia Pieper
Dr. Günter Rexrodt
Dr. Edzard Schmidt-Jortzig
Gerhard Schüßler
Dr. Irmgard Schwaetzer
Marita Sehn
Dr. Max Stadler
Carl-Ludwig Thiele
Dr. Dieter Thomae
Jürgen Türk
PDS
Monika Balt
Maritta Böttcher
Eva Bulling-Schröter
Roland Claus
Heidemarie Ehlert
Dr. Heinrich Fink
Dr. Ruth Fuchs
Dr. Gregor Gysi
Dr. Barbara Höll
Ulla Jelpke
Sabine Jünger
Dr. Evelyn Kenzler
Dr. Heidi Knake-Werner
Ursula Lötzer
Dr. Christa Luft
Heidemarie Lüth
Angela Marquardt
Manfred Müller ({95})
Kersten Naumann
Rosel Neuhäuser
Dr. Uwe-Jens Rössel
Christina Schenk
Gustav-Adolf Schur
Dr. Ilja Seifert
Entschuldigt wegen Übernahme einer Verpflichtung im Rahmen ihrer Mitgliedschaft in den Parlamentarischen Versammlungen
des Europarates und der WEU, der NAV, der OSZE oder der IPU
Abgeordnete({96})
Behrendt, Wolfgang, SPD Siebert, Bernd, CDU/CSU
Wir fahren in der Debatte fort. Ich gebe dem Abgeordneten Dr. Werner Hoyer das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Meine Vorrednerin hat so
viele Details zutreffend berichtet, daß ich selbst in den
Fällen nicht auf die Details eingehen möchte, in denen
ich anderer Meinung bin, wie zum Beispiel bei den
Mitteln für die Minenräumung und für die Ausstattungshilfe. Ich möchte mich in meiner Rede auf ein paar wenige Schwerpunkte konzentrieren.
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer
Unsere Beratungen waren fair und sachbezogen. Dafür insbesondere der Hauptberichterstatterin und den anderen Kolleginnen und Kollegen herzlichen Dank. Mein
Dank gilt dem Hause, das mit großem Engagement mitgearbeitet hat. An dieser Stelle gilt mein Dank auch den
Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Auswärtigen
Amtes einschließlich aller Auslandsvertretungen insgesamt für ihre geleistete großartige Arbeit.
({0})
Neun Jahre nach Inkrafttreten des Gesetzes über den
Auswärtigen Dienst sieht sich dieser Dienst außergewöhnlichen Herausforderungen und Belastungen gegenüber. Er muß diese Belastungen unter immer größeren
Sparzwängen bewältigen, während ihm auf der anderen
Seite immer mehr Serviceleistungen für die Bürgerinnen
und Bürger abverlangt werden. Deswegen ist im Auswärtigen Dienst, der mittlerweile vom Personalumfang
her wieder den Umfang von vor der Wende hat und
gleichzeitig insbesondere in den Reformstaaten Mittel-,
Ost- und Südosteuropas und in Zentralasien zahlreiche
neue Auslandsvertretungen betreibt, bei den Einsparungen das Ende der Fahnenstange erreicht.
In den letzten Jahren ist die deutliche Leistungssteigerung der Wirtschaftsabteilungen unserer Auslandsvertretungen zu Recht gewürdigt worden. Auch bei der
auswärtigen Kulturpolitik hat es viel frischen Wind gegeben, trotz mancher schmerzlicher Entscheidungen.
Aber bei alldem bleibt ein Bereich der deutschen Auslandsvertretungen immer weiter zurück, obwohl hier der
größte Arbeitsdruck herrscht: die Rechts- und Konsularabteilungen der Botschaften und Generalkonsulate.
Dieser Bereich mag nicht so spektakulär sein, und er
mag auch ein nicht so schönes politisches Profil bieten;
aber er ist enorm wichtig und total überlastet. Ein Blick
in die Auslandsvertretungen, insbesondere in dem Gebiet der früheren Sowjetunion und praktisch im gesamten Mittel- und Osteuropa, zeigt, wie kritisch die Verhältnisse geworden sind. Es ist deshalb höchste Zeit, den
Bereich der Rechts- und Konsularabteilungen der Auslandsvertretungen von den Rasenmäher-Stellenkürzungen auszunehmen.
Ich weiß, wie schwer dies ist. Wir haben es in den
letzten Jahren oft genug versucht und sind am Finanzminister gescheitert. Aber noch weitere Kürzungen verträgt dieser Bereich nicht.
({1})
Die F.D.P.-Fraktion stellt deshalb auch in der Plenardebatte erneut den Antrag, bei den Stellenkürzungen im
Haushaltsgesetz die ausdrückliche Herausnahme der
Rechts- und Konsularabteilungen der Auslandsvertretungen vorzusehen.
({2})
Diese Abteilungen sind auch vorgeschobene Posten
der inneren Sicherheit und sollten deshalb den anderen
öffentlichen Diensten, wie Polizei, Justiz und Zoll, die
sich um innere Sicherheit bemühen, nicht nachstehen.
Ich merke an dieser Stelle ausdrücklich an, daß der
Antrag, den wir hier erneut vorlegen, neben dem Auswärtigen Dienst auch für den gesamten Bereich des
BKA und BGS - und dort nicht nur für die Polizeivollzugsbeamten -, für das deutsche Patent- und Markenamt
sowie für den Zoll und die Justiz gilt. Ich sage das deshalb, weil ich als Berichterstatter für diese Ressorts nicht
noch einmal ausdrücklich das Wort ergreifen kann.
Ich bedaure, daß die Koalition unserem Antrag im
Haushaltsausschuß aus taktischen Gründen nicht zustimmen konnte. Aber ich habe sehr wohl die Signale
aufgenommen, daß man für den Haushalt des Jahres
2000 in dieser Frage eine Öffnung ins Auge faßt. Wir
werden darauf zurückkommen.
Die F.D.P. bekennt sich zu dem Gesetz über den
Auswärtigen Dienst. Das Gesetz war ein großes Anliegen Ihres Vorvorgängers Hans-Dietrich Genscher, und
es war ein Quantensprung in der Entwicklung der deutschen Diplomatie und der materiellen Grundlagen des
Dienstes. Natürlich wissen wir alle, daß noch viele ambitiöse Vorhaben aus diesem Gesetzeswerk der Realisierung bedürfen, und wir wissen auch, wie schwer dies
angesichts knapper Kassen ist. Wir sind von der Opposition früher oft genug dafür kritisiert worden. Nun kann
die frühere Opposition selber gestalten. Sie wird dabei in
der F.D.P. einen gesprächsbereiten Partner finden, auch
wenn es zum Beispiel darum geht, dem Thema Personalreserve zu Leibe zu rücken.
({3})
Der Begriff ist sicherlich unglücklich, aber was sich
dahinter verbirgt, ist die dringende Notwendigkeit, diplomatische Vertreter Deutschlands im Ausland endlich
angemessen auf ihre Aufgaben vorzubereiten.
Herr Minister, ich appelliere an Sie, gemeinsam mit
dem Parlament hier den Einstieg beim Haushalt 2000 zu
finden. Einen Weg müssen wir auch finden, um die
Strukturprobleme des Dienstes insbesondere bei der
Übernahme von Anwärtern und bei der langen Wartezeit
auf die Übernahme als Beamte auf Lebenszeit zu bewältigen. Was diese Fragen angeht, hängt der Auswärtige Dienst hinter allen anderen Ressorts der Bundesregierung zurück.
({4})
- Das ist bekannt, und das ist auch keine Frage von
Schuldzuweisung. Aber wenn wir uns hier entschließen
könnten, auch unter uns Haushältern, diesem Problem
beim nächstenmal tatsächlich zu Leibe zu rücken, dann
wäre schon sehr viel gewonnen. Es ist gut, wenn so etwas einmal protokollfest wird.
({5})
Die deutsche Außenpolitik wird gegenwärtig natürlich völlig von dem Thema Kosovo überlagert. Aber sosehr uns die Bewältigung der akuten Situation beschäftigt und aufrüttelt und sosehr sie Kräfte bündelt, so
wichtig ist es doch auf der anderen Seite, über den Tag
hinaus zu denken und die Frage zu stellen, wie deutsche
Außenpolitik jenseits vom Kosovo aussehen wird.
Denn es gilt auch, Lehren zu ziehen, insbesondere in
einer Zeit, in der die internationalen Organisationen
weiterentwickelt werden und diese Weiterentwicklung
an uns teilweise vorbeigeht, wir uns zumindest angesichts unseres Zeitdrucks diesem Thema nicht hinreichend zuwenden können. Bei aller Emotionalisierung
auf Grund der Kosovo-Krise muß die Entscheidung über
Krieg und Frieden, über den Einsatz unserer Soldaten,
ebenso wie die Entscheidung über die deutsche Einbettung in internationale Sicherheitssysteme mit kühlem
Kopf und analytischem Verstand getroffen werden.
Noch so berechtigte Empörung, noch so verständliche
Wut sind niemals ein guter Ratgeber und erst recht keine
Legitimation, die Achtung vor dem Völkerrecht zu relativieren bzw. Dilemmata zum Beispiel zwischen Völkerrecht einerseits und ethisch begründeter Handlungsnotwendigkeit andererseits, in denen man sich hin und wieder befinden kann, einer vermeintlich einfachen Auflösung zuzuführen.
Der Vertrag von Amsterdam gibt einige Hinweise,
indem er die institutionellen Voraussetzungen für die
Weiterentwicklung der gemeinsamen europäischen
Außen- und Sicherheitspolitik schafft. Es gilt, diese mit
Leben zu erfüllen, damit Europa nicht noch einmal ein
so jammervolles Bild abgibt, wie dies im Kosovo-Krieg
der Fall ist. Wo waren denn Gesicht und Stimme Europas, als hier die wichtigsten Entscheidungen getroffen
wurden? Nach dem Vertrag von Amsterdam wird sich
keiner mehr herausreden können, daß es die institutionellen Voraussetzungen nicht gebe. Es gibt sie. Es stellt
sich nur die Frage nach dem politischen Willen und der
Entschlossenheit der europäischen Akteure, sie zu nutzen.
({6})
Die wichtigste Weichenstellung, die wir in der nächsten Zeit werden vornehmen müssen, betrifft das Verhältnis der internationalen Organisationen zueinander.
Wenn wir eines aus der Katastrophe auf dem Balkan
gelernt haben sollten, dann ist dies die Erkenntnis, daß
wir auf der einen Seite hinsichtlich der Systeme kooperativer Sicherheit und auf der anderen Seite hinsichtlich
der Systeme kollektiver Verteidigung Ordnung in unser
Denken bringen müssen. Die NATO ist eben keine
Ersatz-UNO und würde sich völlig überheben, wollte sie
sich in diese Richtung entwickeln.
UNO und OSZE sind Systeme kooperativer Sicherheit, die konfliktverhindernd, konfliktentschärfend und
konfliktbeendend nach innen wirken sollen. NATO und
WEU sind zunächst einmal Systeme kollektiver Verteidigung, die ihre allererste Aufgabe darin zu sehen haben, der Bedrohung eines oder mehrerer Bündnispartner
von außen entgegenzuwirken.
Die NATO hat, um dieses Ziel erreichen zu können,
eine Integrationstiefe erreicht wie kein anderes Verteidigungsbündnis in der Geschichte zuvor. Das schafft auch
Abhängigkeiten. Das Recht der nationalen Parlamente,
über die Beteiligung der eigenen Soldaten an militärischen Auseinandersetzungen in jedem einzelnen Fall
selbst zu entscheiden, darf hierdurch nicht ausgehöhlt
werden. Denn die NATO hat ihre einmalige Integrationstiefe nur dadurch erreichen können, daß sie zuallererst als ein System kollektiver Verteidigung verstanden
worden ist.
Dies muß auch bei der Realisierung des neuen strategischen Konzeptes der NATO so bleiben. Wir sollten
vorsichtig sein, einmal so eben von der „neuen NATO“
zu sprechen.
({7})
- Sie sprechen vielleicht nicht davon. Aber manch anderer spricht und schreibt ganz fröhlich darüber.
({8})
- Das wäre in der Tat ein Kollateralschaden; denn dann
müßten wir über den Vertrag sprechen, und zwar hier,
und wir müßten über seine in der Substanz veränderte
Gestalt abstimmen.
({9})
Die dann zu erwartende Debatte beinhaltet Risiken deswegen will ich sie nicht -, die zum Gegenteil dessen
führen könnten, was wir brauchen. Wir brauchen eine
leistungsfähige, tief integrierte und auf Grund ihres
politischen Zusammenhalts starke Nordatlantische Allianz.
Alles, was sie schwächen könnte, sollte vermieden werden.
({10})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist gut, daß wir
hier in Deutschland einen breiten Konsens darüber haben, daß die Mitgliedstaaten der Allianz ihre Entscheidungen in den Rahmen des Völkerrechts und unter das
Mandat der Völkergemeinschaft stellen. Vielleicht resultiert aus dem Kosovo-Krieg eine gewisse katalytische
Wirkung, an deren Ende der Multilateralismus wieder
eine Chance bekommt.
Das setzt dann allerdings voraus, daß wir uns der Reform von OSZE und UNO beherzt zuwenden.
({11})
Viele wollten das in den letzten Jahren nicht, weil sie die
UNO unter- und die NATO überschätzt haben. Beiden
Organisationen, die wir auch in Zukunft vor allem in ihrer originären Funktion brauchen werden, wird man damit nicht gerecht. Natürlich wird es möglicherweise
wieder Dilemmasituationen geben. Was tun, wenn die
moralische Verantwortung zum Handeln zwingt, aber
der Legitimator nicht handlungsfähig ist?
({12})
Denn dann ist leicht die Büchse der Pandora geöffnet.
Deshalb muß deutlich bleiben, daß die Berufung auf die
ethische Notsituation das Völkerrecht nicht zur DispoDr. Werner Hoyer
sitionen stellen darf. Wir müssen deutlich machen, daß
das Völkerrecht nicht in einen künstlichen Gegensatz zu
Ethik und Moral gebracht werden darf, sondern für
sich genommen eine höchst moralische Qualität besitzt.
Also muß der absolute Ausnahmecharakter einer
solchen Notsituation klar sein. Wir müssen über die
Kriterien diskutieren, die als Sicherung gegen eine mißbräuchliche Nutzung des Arguments der humanitären
Notsituation herangezogen werden könnten. Denn bedenken wir: Es könnten auch andere auf die Idee kommen, diesen Argumentationszusammenhang für ihre
Zwecke und Ziele zu bemühen.
Meine Damen und Herren, Cora Stephan schreibt in
der „Welt“ vom 1. Mai:
Es ist ... ein schrecklicher Irrtum, wenn Politiker
auf Moralmission behaupten, in Fragen von Leben
und Tod komme es nicht so auf die Regeln und die
Formen an. Nichts könnte falscher sein. Mit Regeln
und Regularien schützen sich Soldaten und Armeen
und die Gesellschaften, die sie entsenden, seit Tausenden von Jahren vor der völligen Entfesselung
des Krieges und vor dem eigenen Irrtum.
Das heißt für uns, daß wir eine Verpflichtung haben,
den Menschen in Serbien eine Perspektive zu geben, und
dies muß eine europäische Perspektive sein. Deswegen
stimme ich den Überlegungen, soweit sie bisher schon
deutlich geworden sind, bezüglich eines Stabilitätspakts für den Balkan zu. Nur, wir müssen diese
Chance mit Verstand und Engagement ergreifen, nicht
mit dem alten Rigorismus der Friedensbewegung, die
- da bemühe ich noch einmal Cora Stephan - die Politik
wieder zu bestimmen scheint:
diesmal nicht mit einem pazifistischen, sondern mit
einem moralischen Imperativ, der ebenfalls dazu
angetan ist, alle Argumente unterhalb der großen
moralischen Geste für belanglos zu erklären.
Am Ende kommt in der Tat wieder Politik, meine
Damen und Herren, und die hat sehr viel weniger, als
wir uns das wünschen, mit Prinzipien zu tun als mit
Abwägen, mit Vermitteln und mit Kompromissen. Deswegen ist es an der Zeit, daß wir über diesen furchtbaren
Krieg hinausdenken und nicht nur fragen, wie wir den
Krieg bewältigen können, sondern auch, wie wir den
Frieden gewinnen und bewahren können.
Herzlichen Dank.
({13})
Das Wort hat
jetzt die Abgeordnete Rita Grießhaber.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! In Zeiten
großer außenpolitischer Herausforderungen verhandeln
wir heute einen Haushalt, der schon in sogenannten
normalen Zeiten einen großen prozentualen Nachholbedarf im Vergleich zum Gesamthaushalt aufweist. Seit
der deutschen Einheit und dem Zerfall der Sowjetunion
haben sich nicht nur in Mittel- und Osteuropa gewaltige
Veränderungen vollzogen, auch die Entwicklung in Asien und Afrika stellt die deutsche Außenpolitik vor neue
und große Herausforderungen. Im Haushalt des Auswärtigen Amtes hat sich das nur in den Jahren unmittelbar nach 1990 widergespiegelt. Danach herrschte wieder
Bescheidenheit.
Bescheidenheit in der finanziellen Ausstattung bedeutet jedoch nicht Bescheidenheit in den politischen
Zielen. Das gilt nicht nur für die Bundesregierung; das
gilt ganz besonders auch für den Außenminister. Nun ist
es sicher richtig: Es gibt keine grüne Außenpolitik. Aber
wir Grüne wissen sehr zu schätzen, welche Akzente
Joschka Fischer in den letzten Monaten gesetzt hat:
({0})
Das geht vom Empfang des chinesischen Menschenrechtlers Wei Jinsheng bis hin zu seinem unermüdlichen
Einsatz für eine politische Lösung im Kosovo. Es ist der
Fischer-Friedensplan, der den UN-Generalsekretär wieder ins Rampenlicht rückt. Dieser Plan legt nicht umsonst Wert auf die Einbindung Rußlands und das Bemühen um ein UN-Mandat für eine Sicherheitstruppe, die
ihren Namen verdient.
Für diesen engagierten Einsatz in den letzten Wochen
und Monaten möchte ich dem Minister herzlich danken,
aber nicht nur dem Minister, sondern auch den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Auswärtigen Amtes.
({1})
Sie mußten sich ja nicht nur auf den neuen Minister einstellen. Die EU-Ratspräsidentschaft gleich nach dem
Regierungswechsel war und ist eine große Herausforderung. Der Krieg im Kosovo fordert alle über ihre Grenzen hinaus.
({2})
Auch wenn der Krieg, den Milosevic gegen die Bevölkerung des Kosovo begonnen hat, zur Zeit alles überschattet, gilt unsere Sorge auch unvermindert der Entwicklung in Rußland. Es ist gut, daß Rußland auf die
politische Bühne zurückgekehrt ist, zuerst über die
Kontaktgruppe in Rambouillet, jetzt mit dem russischen
Kosovo-Beauftragten Tschernomyrdin. Unser Bemühen
muß es jetzt sein, alles zu tun, damit Rußland von der
serbischen Schutzmacht zum Vermittler im Kosovo
wird.
Wohin sich Rußland entwickeln wird, ist noch lange
nicht entschieden. Es ist die Aufgabe des Westens und
der deutschen Außenpolitik, die Kräfte für Demokratie
und Marktwirtschaft zu stützen. Auch in Rußland beginnt, wenn auch zaghaft, die Diskussion, wie neue aggressive, totalitäre Systeme an ihrer Ausbreitung gehindert werden können. Ob es solchen Ansätzen gelingt,
mehrheitsfähig zu werden, wird über die Zukunft Rußlands entscheiden. Unsere Rußlandpolitik braucht mehr
als Männerfreundschaften und Wirtschaftskredite. Sie
muß substantiell den schwierigen Demokratisierungsprozeß unterstützen.
({3})
Das Ende der Blockkonfrontation zeigt, daß es bei
immer mehr Konflikten nicht um zwischenstaatliche,
sondern um innerstaatliche Auseinandersetzungen geht.
Gerade deshalb brauchen wir eine Reform der Vereinten Nationen. Wir brauchen einen Sicherheitsrat, der
seiner weltpolitischen Verantwortung gerecht wird, und
wir brauchen ein Völkerrecht, in dem die Durchsetzung
der Menschenrechte und die Wahrung staatlicher Souveränität zu einem neuen Gleichgewicht finden, Herr Hoyer. Mit Kofi Annans Worten:
Regierungen dürfen sich nicht mehr hinter Staatsgrenzen verstecken können, wenn sie Menschenrechte verletzen.
Wie schwer es der Europäischen Union immer noch
fällt, zu einer gemeinsamen Außenpolitik zu finden,
hat einmal mehr die Diskussion in der Menschenrechtskommission der Vereinten Nationen in Genf gezeigt. So
ist es im Rahmen der EU-Präsidentschaft nicht gelungen, eine Resolution zu China einzubringen. Um so
wichtiger waren die klaren Worte von Außenminister
Fischer in Genf. Zehn Jahre nach der blutigen Niederschlagung der Demokratiebewegung muß die chinesische Führung wissen, daß die Massaker von damals
nicht vergessen sind und daß die Menschenrechtsverletzungen von heute nicht gebilligt werden.
({4})
Die Notwendigkeit eines starken europäischen Engagements wurde in diesem Hause schon viel beschworen.
Ich begrüße sehr, daß die Kollegen Schäuble und
Lamers in ihrem gestern in der „FAZ“ veröffentlichten
Papier betonen, daß auch sie die vom Außenminister in
Straßburg angestoßene Verfassungsdebatte wollen.
({5})
Wenn es hier Gemeinsamkeiten geben soll, setzt dies
allerdings voraus, daß Sie Ihre innerparteilichen Diskussionen über den europapolitischen Kurs entscheiden. Für
uns bedeutet Europa: demokratische Strukturen, eine
rechtsstaatliche Verfassung und transparente Institutionen. Diese Verdeutlichung, daß Europa gelebte und lebendige Demokratie sein soll, daß der Wille, sich gemeinsam demokratische Strukturen und Institutionen zu
schaffen, Europa ausmacht, kommt mir in Ihrem Papier
zu kurz. Denn ein Verfassungsvertrag Europas darf nicht
nur eine einfache technokratische Gebrauchsanweisung
sein. Die Debatte um die Verfassung selbst ist eine
Chance, die Legitimität der EU zu festigen.
({6})
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zum
Schluß zu dem Thema zurückkommen, das uns zur Zeit
am meisten beschäftigt. Ein Ende des Krieges im Kosovo wird es nur geben, wenn wir allen involvierten Ländern Perspektiven in einer gesamteuropäischen Friedensordnung bieten. Dafür brauchen wir ein langfristig
angelegtes Konzept, mit dem wir den Weg Südosteuropas nach Europa unterstützen, das heißt einen Stabilitätspakt für die Region.
({7})
Er muß auf den verschiedenen Ebenen Signale für die
Heranführung der Region an die EU aussenden.
Der 50. Geburtstag des Europarates, den wir heute
begehen, und andere Jubiläen in diesem Jahr führen
uns vor Augen, wie wichtig multilaterale Einrichtungen von der UNO und der NATO bis zur OSZE waren
und sind. Auch Südosteuropa braucht mehr multinationale Netze.
Sehr beeindruckt hat mich in diesem Zusammenhang
die Rede der bulgarischen Außenministerin Michailowa
im Auswärtigen Ausschuß. Es ermutigt, zu hören, in
welchem Umfang die Prinzipien der EU in Bulgarien
angekommen sind. Die Bemühungen um einen fairen
Ausgleich mit den nationalen Minderheiten und die Anstrengungen über die Landesgrenzen hinweg zu einer
guten Kooperation mit allen Nachbarn - beispielhaft dafür steht der bulgarisch-mazedonische Vertrag - sind
wichtige Silberstreifen am südosteuropäischen Horizont.
Das Gegenteil - das ethnisch-nationalistische Machtprinzip in Belgrad, das die ganze Region destabilisiert
und noch in Angst und Unruhe versetzt - darf in Europa
keine Zukunft haben.
Vielen Dank.
({8})
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Fred Gebhardt.
Frau Präsidentin! Meine
Damen und Herren! „Deutsche Außenpolitik ist Friedenspolitik“, so heißt es in der bündnisgrünen-sozialdemokratischen Koalitionsvereinbarung. Wie weit dieser
Satz von der Realität entfernt ist, erfahren wir seit nunmehr sechs Wochen. Heute ist der Tag 43 des Krieges
gegen Jugoslawien, und ein Ende ist nicht in Sicht. Ist
das eine neue deutsche Friedenspolitik?
Dabei hätte die neue Regierung durchaus die Möglichkeit gehabt, die Ernsthaftigkeit der Koalitionsvereinbarung unter Beweis zu stellen. Sie hätte deutliche Zeichen setzen können, wie sie ihre Friedenspolitik entwickeln möchte. Das ist nicht geschehen. Statt einen
Beitrag zur Zivilisierung der internationalen Beziehungen zu leisten und die Zusage der alten Bundesregierung
zur Beteiligung der Bundeswehr an einem NATOEinsatz in Jugoslawien zumindest einer Überprüfung zu
unterziehen, hat sie den Marschbefehl unterzeichnet.
Statt ein deutliches Signal in Richtung Abrüstung zu
setzen, zumindest jedoch weiterer Aufrüstung eine AbRita Grießhaber
sage zu erteilen, überschlagen sich die Beschaffungsvorhaben geradezu.
Dies ist beschämend genug für eine Regierung, die
angetreten ist, Friedenspolitik mehr Raum zu geben.
({0})
Vollends zur Farce wird die neue Friedenspolitik durch
die deutsche Beteiligung am Krieg der NATO gegen Jugoslawien. Meine Damen und Herren, ich gehöre einer
Generation an, die den letzten großen Krieg noch selbst
erlebt hat. Das ist sicher ein Grund dafür, daß ich heute
nicht zu denen gehöre, die im Vertrauen auf eine überlegene Militärtechnik einem Krieg zustimmen - schon gar
nicht, wenn er rechtswidrig ist.
In jedem Krieg sind Menschen die Leidtragenden.
Dies ist bei diesem Krieg, der angeblich aus humanitären Gründen geführt wird, nicht anders. Keine einzige
der bisher abgeworfenen Bomben hat dazu geführt, das
Leid der kosovo-albanischen Bevölkerung zu vermindern. Im Gegenteil: Die Vertreibungen und Greueltaten,
die von der jugoslawischen Armee, von den Paramilitärs
und Polizeieinheiten ausgehen, sind weiter eskaliert. Es
sind die Kosovaren, gegen die sich der Haß entlädt, an
denen Vergeltung für die NATO-Bombardierungen
geübt wird.
({1})
Es sind nicht nur die Kosovaren, die unter diesen
Angriffen leiden. Angeblich richtet sich der Krieg nicht
gegen das jugoslawische Volk, sondern nur gegen seine
Führung.
({2})
Aber das gesamte Volk leidet. Die Bomben der NATO
fallen längst nicht nur auf militärische Ziele,
({3})
sondern zerstören die Infrastruktur, verseuchen die Umwelt und vernichten damit auf lange Zeit die Lebensgrundlagen der Bevölkerung.
({4})
Angesichts dieser umfassenden Zerstörung zu behaupten, daß der Krieg aus humanitären Gründen geführt
werden muß, ist zynisch.
({5})
Wenn Friedenspolitik ihrem Namen gerecht werden soll,
kann es nur eine Konsequenz geben: Der Krieg, der
nichts gelöst hat, aber alles verschlimmert, muß beendet
werden.
({6})
Die deutsche Außenpolitik wird immer mehr von
militärischen Überlegungen dominiert.
({7})
Und es ist zu allem Überfluß eine Regierung aus Sozialdemokraten und Bündnisgrünen, die sich anschickt, diese von den Konservativen begonnene Entwicklung zu
vollenden.
Die Haushaltsplanung der neuen Bundesregierung
sieht allein für Auslandseinsätze der Bundeswehr
einen Betrag von 1,25 Milliarden DM vor. Ich rede hier
von der momentanen Planung. Denn welche Einsätze im
NATO-Rahmen noch kommen - jetzt, da die neue
NATO-Strategie offiziell beschlossen ist -, kann bei der
Freude der neuen Regierung an militärischen Interventionen nicht abgesehen werden.
Demgegenüber stehen folgende Zahlen für friedenspolitische Aktivitäten: Gerade einmal 69 Millionen
DM sind für humanitäre Hilfeleistungen vorgesehen,
10,7 Millionen DM für friedenserhaltende Maßnahmen
der Vereinten Nationen und 17 Millionen DM für Minenräumung im Rahmen der Ausstattungshilfe. Selbst wenn
man noch die an anderer Stelle im Haushalt eingefügten
Posten von 5 Millionen DM für den zivilen Friedensdienst und 2 Millionen DM für Konfliktforschung hinzurechnet, übersteigt die Summe der friedenspolitischen
Maßnahmen der neuen Bundesregierung nur knapp den
Betrag von 100 Millionen DM.
Die Gegenüberstellung der Zahlen zeigt deutlich, wo
die Bundesregierung ihren Schwerpunkt setzt. Die Politik der Bundesregierung spiegelt wider, was die Richtungsdebatte um die neue NATO-Strategie ausmachte:
Bei allen Details ging es im Kern um die Frage, ob der
militärische Faktor gestärkt, ob sein Einfluß ausgebaut
bzw. auf altem Niveau gehalten wird. Die Ergebnisse
der Debatte zeigen, wohin der Weg geht: zu einer Stärkung des militärischen Faktors. Dies ist nicht der Weg
zu einem zukunftsträchtigen Frieden in Europa oder gar
weltweit. Das neue Strategiekonzept der NATO macht
den Frieden nicht sicherer, sondern gefährdet ihn beträchtlich.
({8})
Darüber täuscht auch nicht der Außenminister hinweg, der seiner Klientel in der „taz“ noch vor dem
Jubelgipfel, nämlich am 15. April, weiszumachen suchte:
Das Kosovo ist und bleibt ein Ausnahmefall. Niemand sollte denken, das sei die neue Regel der
neuen NATO.
({9})
- Nein, Herr Fischer, so ist es nicht.
({10})
Jugoslawien wird nicht die Ausnahme bleiben. Es markiert den Beginn einer neuen Strategie.
Im übrigen, meine Damen und Herren: Wie glaubwürdig ist es, wenn die selbsternannten Wächter der
gemeinsamen Werte diese in Jugoslawien mit Bomben
und Raketen angeblich verteidigen, sie ihnen aber in
ihrem eigenen NATO-Haus nicht einmal deutliche
Worte wert sind, wie das Beispiel Türkei zeigt?
Schließlich sind die dortigen Verhältnisse denen im
Kosovo gar nicht so unähnlich.
Um Mißverständnissen vorzubeugen: Ich bin nicht
der Ansicht, daß die NATO gegen die Türkei Waffengewalt androhen oder anwenden sollte. Dies lehne ich
ab, so wie ich auch Bombenangriffe auf Jugoslawien
ablehne. Jedoch finde ich es unerträglich, daß die NATO
keinen ernsthaften Versuch unternommen hat, die Türkei von ihrem Krieg gegen die kurdische Bevölkerung
abzubringen.
({11})
Daß sie in ihrem eigenen Bündnis die Einhaltung der
Menschen- und Minderheitenrechte nicht einmal mit
offenen Worten anmahnt, wirft ein bezeichnendes Licht
auf die Doppelmoral der NATO-Partner, stellt die
Glaubwürdigkeit ihrer Werteverteidigung in Frage und
gibt einen erschreckenden Ausblick auf das, was zu erwarten sein mag, wenn die neue NATO-Strategie erst
vollends entfaltet wird.
Wie glaubwürdig ist eine Politik, die Kriegführung aus
angeblich humanitären Gründen legitimiert, jedoch die
eigenen Grenzen vor den Menschen verschließt, die die
Hauptleidtragenden des Konflikts sind, der durch Bomben
noch verschärft wird? Es ist beschämend, mit welcher
Vehemenz am mehr als fragwürdigen Konzept der fast
ausschließlichen Hilfe vor Ort festgehalten wird, obwohl
die Hauptaufnahmeländer mit ihrer unzureichenden Infrastruktur vom Andrang der Flüchtlinge überfordert sind
und eine weitere Destabilisierung der gesamten Region
droht. Auch die vom Innenminister gerade erfolgte Zusage zur Aufstockung des Vertriebenenkontingents auf
20 000 ist angesichts der bislang mehr als 600 000 Menschen, die in Anrainerstaaten Jugoslawiens Zuflucht gesucht haben, weiterhin unzureichend. Ich glaube, die Devise kann nicht sein, weitere Militärpakte dieser Art aufrechtzuerhalten. Die Devise muß vielmehr lauten: Abrüsten, Reduzieren des Militärs, Abbau seines Einflusses.
Die Stärkung der NATO ist der falsche Weg. Zu leicht
und zu schnell führt er - das erleben wir in diesen Tagen
- in den Krieg. Wir werden diesen Weg nicht mitgehen.
({12})
Das Wort hat
jetzt der Herr Bundesminister Joschka Fischer.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich möchte
mich bei den Vorrednerinnen und Vorrednern recht
herzlich für das bedanken, was sie über den Auswärtigen Dienst gesagt haben. Ich freue mich ganz besonders über die angekündigte Unterstützung bei den kommenden Haushaltsberatungen.
({0})
- Des ganzen Hauses! Wenn es das ganze Haus wäre,
wäre ich hochzufrieden. Wenn noch der Finanzminister
dabei wäre, wäre ich noch zufriedener;
({1})
denn eine der Übungen ist: Die Fachpolitikerinnen und
Fachpolitiker sind sich beim Einzelplan des Außenministers - und nicht nur dort - in der Regel über die notwendige Verstärkung schnell einig, aber das sagt nichts
über das Gesamtergebnis aus.
Angesichts der Situation, die der Finanzminister
offenbart hat, und angesichts dessen, was an Sparzwängen auf uns zukommt - ich möchte keine parteipolitische Wertung vornehmen, sondern das einfach nur in
den Raum stellen -, fürchte ich, daß wir sehr beten müssen, damit vieles von dem, was versprochen wurde, auch
eingehalten wird.
Sie haben einige richtige Punkte angesprochen, Herr
Kollege Hoyer. Das betraf die Personalausstattung, vor
allen Dingen den Nachwuchs. Ich denke, die Qualität
des Nachwuchses ist der Ast, auf dem der Auswärtige
Dienst der Bundesrepublik Deutschland zu Recht sitzt
und auf den er stolz sein kann. Ihn würden wir mit Kürzungen absägen.
({2})
Wenn es sieben Jahre und mehr dauert, bis das Probeverhältnis beendet ist und es zu einer Festeinstellung
kommt, dann wird sich das auf den ausgewählten Nachwuchs auswirken. Die Konkurrenz um hochqualifizierten Nachwuchs ist heute groß. Die Bezahlung ist auch
bei denen sehr gut, die eine Karriere beginnen, wenn sie
die entsprechenden Voraussetzungen mitbringen. Der
Auswärtige Dienst lebt noch viel mehr als andere Bereiche der Bundesverwaltung von der Qualität der
Beschäftigten. Insofern sehe ich das mit großer Sorge.
Gestatten Sie mir aber, daß ich all die vielen Probleme, die Sie angesprochen haben, angesichts der drängenden politischen Fragen, auf die ich hier zu sprechen
kommen möchte, in den Hintergrund stelle. Ich teile das
meiste von dem, was in den Detailfragen angesprochen
wurde.
Lieber Fred Gebhardt, wir müssen nicht einer Meinung sein. Aber ich frage mich, warum es angesichts der
dramatischen Situation im Kosovo zu einem solchen
Ausblenden von wesentlichen Teilen der Realität
kommt.
({3})
Ich würde diese Diskussion ja ernsthaft führen, wenn es
nicht einen zehnjährigen Vorlauf mit Milosevic und seiner Politik gäbe. Das wird regelmäßig ausgeblendet.
({4})
Es wird regelmäßig ausgeblendet, daß es nicht eine
blutrünstige, kriegslüsterne NATO gibt. Statt dessen haFred Gebhardt
ben wir zehn Jahre Appeasement-Politik gemacht - es
gab ein Nichteingreifen, das die UN in eine substantielle
Krise führte. Ich erinnere an die Bilder von an Laternenpfähle angebundenen, vergeiselten Blauhelmen, die alle,
die ein Interesse an starken Vereinten Nationen haben,
im Mark erschüttert haben müssen, weil sie diese Institution im Kern geschwächt haben.
Ich darf doch daran erinnern, daß die „sicheren Häfen“, die auf Beschluß des Sicherheitsrates eingerichtet
wurden, dazu geführt haben, daß wir bis heute nicht genau wissen, was aus den 6 000 bis 7 000 Männern geworden ist. Wir gehen davon aus, daß sie in Massengräbern liegen, obwohl sie sich eigentlich in die Obhut der
Vereinten Nationen in Srebrenica begeben haben.
Wir haben doch die Erfahrung gemacht, daß alles
versucht wurde, damit es nicht zur militärischen Intervention kommt, daß Peace keeping Vorrang hatte. Das
hatte zur Konsequenz, daß dies 200 000 Menschen in
Bosnien mit dem Leben bezahlen mußten, daß es Massenvergewaltigungen von Frauen und Konzentrationslager gegeben hat. Es gab doch eine barbarische Vertreibungspolitik und in Bosnien sogar eine Vernichtungspolitik gegenüber den Muslimen. Das kann man doch
nicht ignorieren.
Dies alles ging von einer bestimmten Politik aus. Das
möchte ich Ihnen, lieber Fred Gebhardt, und auch allen
anderen sagen. Die „Frankfurter Rundschau“ ist über jeden Verdacht, daß sie eine Postille von Kriegstreibern
sei, erhaben. Ich kann nur empfehlen, ihre Dokumentationsseite vom 28. April 1999 zu lesen. Dort wurde die
Denkschrift des jugoslawischen Historikers Vaso Cubrilovic von 1937 in einer nur wenig gekürzten Form Wiederholungen wurden herausgenommen - über die
Vertreibung der Albaner veröffentlicht. Man könnte
meinen, das wäre das Programm des Jahres 1999. Es ist
aber 1937 geschrieben worden. Dies war auch die
Grundlage der Erklärung der serbischen Akademie der
Wissenschaften von 1986. Auf dieser Grundlage fußt die
Politik, die wir heute sehen. Daher verstehe ich nicht,
daß man nicht begreift, daß es sich hierbei um eine völkische Politik handelt, die sich auf die Überhöhung der
eigenen Nation gründet, die einen Kampf um Lebensraum gegenüber einem anderen Volk programmatisch
thematisiert und dann mit den brutalsten Mitteln - zu
denen man sich schon damals bekannt hat - umzusetzen
versucht. Dies ist seit 1991/92 im ehemaligen Jugoslawien der Fall. Nur das hat die Völkergemeinschaft zum
Eingreifen gezwungen und zwingt sie weiterhin zum
Eingreifen; ansonsten würden wir dieses Europa nicht
wiedererkennen.
({5})
Ich kann Ihnen diesen Artikel nur zur Lektüre empfehlen. Es wird Ihnen dann wie Schuppen von den Augen fallen. Man wird dies allerdings nicht verstehen,
wenn man - das ist natürlich eine völlig andere Diskussion - an alten Feindbildern aus dem Kalten Krieg festhält - man hat zu der Zeit ja auch auf unterschiedlicher
Seite gestanden - und meint, die Fortsetzung des Kalten
Krieges gegen die NATO unter heutigen Bedingungen
führen zu können. Ich kann Ihnen nur sagen: Sie werden
merken, daß Sie sich da täuschen. Es geht im Kosovo
nicht nur um Menschenrechte. Es geht nicht nur um das
Schicksal von mittlerweile über 1 Million Menschen. Es
geht nicht nur um das furchtbare Schicksal der Ermordeten und der Vertriebenen. Es geht auch darum, ob in
dieser Region das Europa der Integration die Zukunft
bestimmen wird oder ob man zum Europa der Vergangenheit zurückkehrt.
({6})
Wenn man mit den Anrainerstaaten spricht, stellt man
fest, daß alle drei Dinge wollen: Sie wollen Demokratie, sie wollen einen ähnlichen Wohlstand wie wir ihn
haben - den wollen sie durch den Beitritt zur EU gewährleisten -, und sie wollen Sicherheit; die wollen sie
durch den Beitritt zur NATO gewährleisten. Das ist der
Kern dessen, worum es geht. Unter NATO verstehen
diese Länder nicht, daß sie - ich komme nachher noch
einmal darauf zu sprechen - an einem neuen imperialistischen Großunternehmen zur Beherrschung der Welt
teilhaben sollen. Nein, sie wollen Sicherheit in ihren
Grenzen, sie wollen Sicherheit voreinander und für sich.
Das ist es, was sie mit der NATO verbinden. Sie wollen
wirtschaftliche Entwicklung und einen ähnlichen Wohlstand, eine Teilhabe an Lebenschancen, wie wir sie haben, durch den Beitritt zur Europäischen Union gewährleisten. Ich sage ganz bewußt: Auf der Grundlage
von Demokratie gehört für uns das serbische Volk mit
seinen legitimen Interessen selbstverständlich mit dazu.
({7})
Die große Tragödie - das kann man doch auch und
gerade aus der deutschen Geschichte lernen - ist es
doch, daß immer dann, wenn sich der Name eines Volkes zum nationalistischen Programm überhöht und dann
noch mit dem Zusatz „groß“ versehen wird, solche Dinge passieren wie jetzt in Jugoslawien. „Großdeutschland“ hieß es bei uns: Was hat das in unserem Land an
Furchtbarem angerichtet! Wenn ich „Großserbien“ oder
irgendein anderes nationalistisches Adjektiv in Verbindung mit dem Namen eines Staates höre, dann weiß ich
immer schon: Es läuft auf die Selbstzerstörung eines
Volkes hinaus. Jeder dieser Nationalismen auf dem
Balkan hat ja ein solches Programm, das Veränderungen auf den Landkarten mit sich bringt, die auf Vertreibungen, auf Mord und auf Totschlag hinauslaufen. Ich
kann davor nur warnen. Insofern müssen gerade die
Länder dieser Region an das Europa der Integration herangeführt werden. Das ist die Aufgabe unseres Stabilitätspaktes.
({8})
Wünschen Sie, daß ich die Fragen, die heute morgen
vom Kollegen Glos gestellt worden sind, heute beantworte, oder soll ich sie in der Freitagsdebatte beantworten? In den Ausschüssen haben wir sie schon beantworBundesminister Joseph Fischer
tet. Wenn Sie sie auch im Plenum beantwortet wünschen, kann ich sie jetzt beantworten.
({9})
- Gut, dann kann ich Ihnen vielleicht vor der Fraktionssitzung eine klare Antwort geben. Die Frage nach der
Bewaffnung würde ich gerne dem Kollegen Scharping
für seine Haushaltsdebatte überlassen, weil sie in der Tat
eine originäre Frage des Verteidigungsministeriums ist.
Ich habe mir diese Frage aus der Rede von Herrn
Glos extra aufgeschrieben: Wie weit soll die Nothilfe
durch deutsche Soldaten im Ernstfall gehen? - Die
Nothilfe bezieht sich innerhalb des Stationierungsgebietes - und zwar nur innerhalb des Stationierungsgebietes - auf in Gefahr geratene Angehörige internationaler humanitärer Organisationen und auch auf Mitglieder nationaler humanitärer Organisationen der Bundesrepublik Deutschland. Sie bezieht sich auch auf Angehörige von verbündeten Streitkräften im Stationierungsgebiet.
Ich möchte auch die Frage „Warum jetzt?“ gleich beantworten. Ich habe das schon heute morgen im Ausschuß erläutert. Wir wußten, daß die Stationierung von
Bodentruppen angesichts der Situation humanitär notwendig ist. Der Kollege Pflüger war in Albanien; er hat
die Situation vor Ort erleben können. Die aktuellen
Tagesnachrichten bringen immer neue Vertreibungszahlen. Albanien ist willens, das Problem innerhalb seiner Grenzen zu lösen, aber ohne internationale Hilfe dazu nicht in der Lage. Wir haben erlebt, daß die humanitären Organisationen überfordert sind, wenn das Militär
das nicht macht. Die NATO hat jetzt einen entsprechenden Stab in Albanien disloziert. Es sollen dort etwa
8 000 Soldaten zum humanitären Einsatz kommen. Die
Bundesrepublik Deutschland will sich daran mit bis zu
1 000 Soldaten beteiligen, um die humanitäre Katastrophe dort abwenden zu können.
Mit Blick auf die Finanzen füge ich gleich hinzu:
Wir werden die Herausforderung haben, winterfeste
Quartiere zumindest für einen Teil der Vertriebenen einrichten zu müssen, selbst wenn wir - was ich hoffe unverzüglich zu einem Schweigen der Waffen und
- unter internationalem Schutz - zu einer Rückkehr der
Vertriebenen in den Kosovo - aber dort haben wir es
ebenfalls mit massiven Zerstörungen zu tun - kommen
können.
Ich kann Ihnen nur nochmals klar versichern: Wir
wollten - und das haben wir erreicht - eine solche Entscheidung nicht vor dem Gipfel in Washington treffen,
weil die Debatte um das Ja oder Nein von Bodentruppen vorher sehr viele Unklarheiten geschaffen hat und
weil wir sonst eine ganz andere Debatte bekommen
hätten. Darüber hinaus wollten wir die Dinge so durcharbeiten, daß auch nicht der Hauch eines Zweifels daran
bestehen kann, daß es sich nicht um die Dislozierung
von Bodentruppen durch die Hintertür handelt.
Eines will ich Ihnen klipp und klar sagen - der Bundeskanzler hat das heute schon betont -: Die Bundesregierung lehnt eine Veränderung ihrer bisherigen Position zum Thema Bodentruppen ab; und ich kenne auch
keine Stimmen im Bündnis, die diese Veränderung fordern. Wir sehen dazu keine Notwendigkeit. Meines Erachtens wäre jede Bundesregierung auch völlig auf dem
Irrweg, wenn eine solche Entscheidung - so sie denn
notwendig werden würde - nicht offen als eine strategische Änderung im Parlament diskutiert würde. Das würde die Mehrheit dieses Hauses erfordern. Diese Mehrheit ist nicht gegeben; das sagen wir allen Bündnispartnern, und zwar auf allen Ebenen: ob in Washington, ob
in Brüssel, ob bilateral, ob in Telefonkonferenzen, die
fast täglich stattfinden.
Das waren ganz offensichtlich - auch das muß eine
in der Verantwortung stehende Bundesregierung zur
Grundlage ihrer Entscheidung machen - die Gründe
dafür, daß wir die Entscheidung zum jetzigen Zeitpunkt eingefordert haben. Das hat nichts - das wurde
uns ja immer unterstellt - mit einem Parteitag zu tun;
der findet später statt. Es hat nichts mit dem 1. Mai zu
tun; ein solches Argument ist albern. Ausschlaggebend
war allein dieses sachliche und, wie ich finde, sehr
zwingende Argument. All dies haben wir Ihnen jetzt
dargelegt.
Bei der Nothilfe geht es nicht um Selbstverteidigung.
Aber können wir denn zum Beispiel französischen Partnern, mit denen wir im Süden Albaniens gemeinsam
humanitär tätig sind, falls sie in eine bedrohliche Situation kommen, die Nothilfe verweigern?
({10})
Können wir diese Nothilfe humanitären Organisationen
im Stationierungsgebiet, wenn sie in eine prekäre Situation kommen, verweigern? Allen Ernstes: Nein. Es geht
nur um diese Nothilfe und um nichts anderes. Ich bitte,
das festzuhalten.
Es wurde die Frage der Apache-Hubschrauber und
damit die Frage einer Nothilfe im Gebiet der Bundesrepublik Jugoslawien angesprochen. Das wird durch
eine Formulierung, die wir bewußt in den Antrag hineingeschrieben haben, ausdrücklich ausgeschlossen.
Zur Sicherheitslage unserer Soldaten wird der Verteidigungsminister sicher noch ausgiebig Stellung nehmen.
Nur soviel: Es geht um die Sicherheitslage in einem
Spannungsgebiet, in einem kriegsnahen Gebiet: in Albanien und in Mazedonien. Das wollen wir nicht verhehlen. Ich möchte jedoch hinzufügen: In der Frage des Engagements von Bodentruppen auf dem Boden der Bundesrepublik Jugoslawien waren wir mit der ExtractionForce-Entscheidung wesentlich weiter als mit der jetzt
vor uns liegenden Entscheidung. Ich bitte Sie, auch das
zu berücksichtigen.
Der Bundesverteidigungsminister wird auch noch
ausführlich zu der Frage Stellung nehmen, wo die deutschen Truppen stationiert werden. Sie werden im
Süden Albaniens stationiert. Im Norden sollen es die
Niederländer und die Italiener sein, im Süden die Deutschen und die Franzosen. Aber auch die Niederländer
und die Italiener stehen nicht in dem Ruf, einen
Bodenkrieg indirekt, sozusagen durch die Hintertür, beginnen zu wollen.
Neben der Frage der Bewaffnung sind das die Fragen,
die gestellt wurden. Wir wurden gebeten, sie hier im
Parlament zu beantworten. Ich hoffe, ich konnte sie so
ausreichend beantworten, daß Sie damit zufriedengestellt sind.
Wir hoffen, daß es auf dem G-8-Gipfeltreffen morgen
gelingt, gemeinsam mit Rußland und gemeinsam mit unseren westlichen Partnern auf der Ebene der G 8 einen
entscheidenden Schritt voranzukommen, so daß wir den
Fünf-Punkte-Plan in eine Kapitel-VII-Resolution umsetzen können. Wir glauben nicht, daß wir das schon morgen
werden erreichen können. Aber daß wir uns einen entscheidenden Schritt dorthin bewegen können, dieser Versuch wird den Schweiß aller Edlen wert sein.
Ich kann Ihnen nur sagen: Wir haben von Anfang an
eine initiative Politik im Rahmen des Bündnisses zu
betreiben versucht, und ich denke, das ist auch einigermaßen gelungen. Der Fünf-Punkte-Friedensplan, der
Stabilitätspakt, die Einbeziehung von Kofi Annan, die
verstärkte Einbeziehung Rußlands und der Vereinten
Nationen, all dieses zusammengenommen zeigt, daß wir
eine dynamische politische Rolle gespielt haben, allerdings immer im Bündnis. Der Bundeskanzler hat heute
zu Recht darauf hingewiesen: Dies alles wäre nicht
möglich gewesen, wenn in der Frage unserer militärischen Solidarität nicht zweifelsfrei Klarheit darüber bestanden hätte, daß wir im Bündnis, in der Solidarität mit
unseren Bündnispartnern handeln und in dieser Solidarität dann auch stehen, wenn sie gefragt ist.
({11})
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich noch in
aller Kürze den NATO-Gipfel ansprechen. Eine völlige
Verkennung der Situation! Ich kann Ihnen nur sagen:
Sie müssen die Ausgangspapiere kennen und mit dem
abgleichen, was wir jetzt erreicht haben. Das ist ein
Kompromiß, selbstverständlich. In der US-Innenpolitik
bekommen Sie nichts durch, was eine Unterstellung der
NATO unter die UN mit sich brächte. Man mag das teilen oder nicht teilen, es ist ein politisches Faktum, mit
dem man rechnen muß. Und wenn man ein Bündnis mit
den USA für unverzichtbar hält, und ich halte es - das
scheint uns zu unterscheiden - in der Tat für unverzichtbar, dann muß man sich darauf einstellen. Selbst für ein
vereinigtes Europa wäre ein Verzicht auf die Präsenz der
USA in Europa meines Erachtens eine völlig falsche
Entwicklung, die große Risiken mit sich brächte. Aber
wenn ich dies in Rechnung stelle, dann muß ich eine
Kompromißformulierung finden. Nur, gerade auf dem
Hintergrund der Kosovo-Erfahrung sage ich Ihnen: Der
Kosovo wird die Ausnahme bleiben. Das sage ich nicht,
weil ich Ihnen hier ein X für ein U vormachen will, sondern es zeigt sich: Die NATO ist ein Sicherheitsbündnis
in Europa und für Europa. Alles andere wäre eine Überforderung der NATO und würde sie letztendlich gefährden oder gar auf ihre Zerstörung hinauslaufen.
({12})
Alle in Washington haben - das hören Sie hinter verschlossenen Türen und hinter vorgehaltener Hand - diese Erfahrung mittlerweile auch als die ihre begriffen und entsprechend umgesetzt. Dort hat niemand mehr von der „neuen
NATO“, wie wir das ja noch vor einem halben Jahr, auch
hier im Hause, gehört haben, von der Vision einer neuen
NATO, sozusagen von einer raumausgreifenden Juniorpartnerin für die Supermacht USA gesprochen, sondern es
ist völlig klar: Es handelt sich hier um ein Sicherheitsbündnis, um ein Bündnis für Europa und in Europa.
Ich denke, wir sind gut beraten, dies auch im Zusammenhang mit anderen Organisationen zu sehen. Die
OSZE in ihrer Funktion gewinnt nichts als Alternative,
sondern als Ergänzung, auch und gerade als eine zweite
Sicherheitssäule für die europäische Sicherheit. Dasselbe gilt für die Vereinten Nationen.
Ich denke, gerade durch den Kosovo-Krieg sind zwei
Dinge klar geworden: Wir können für die Sicherheit in
Europa nicht auf die Partnerschaft mit Rußland verzichten, wobei Rußland sich durch seine Blockadehaltung im UN-Sicherheitsrat ein Stück weit selbst aus
einer produktiven Rolle herausgebracht hat, und wir
können auf eine substantielle Reform der Vereinten
Nationen nicht verzichten.
({13})
Wenn das richtig ist und nicht nur leere Sprüche sind,
was ich hier von allen Fraktionen über die Rolle der
Vereinten Nationen höre, dann müssen wir allen Ernstes
eine Reform voranbringen, die eine Selbstblockade des
Sicherheitsrates als Inhaber des Gewaltmonopols in der
Tat verhindert.
({14})
Der Kollege Gysi hat heute morgen hier erklärt, in
Wirklichkeit würden die Amerikaner den Kosovo-Krieg
führen, um Europa in neue Abhängigkeiten zu bringen;
man könne das auch an der Entwicklung des DAX im
Verhältnis zum Dow-Jones und ähnlichem ablesen.
({15})
Also, das ist nun wirklich Unfug. Das wird nur noch
übertroffen von manchen Analysen in vollautonomen
Blättern, die ich jüngst gelesen habe - das ist dann noch
etwas kurioser. Ich kann euch sagen, liebe Leute: Das ist
einfach abwegig. Das Problem des Unilateralismus ist
doch nicht, daß hier eine böse Absicht einer USimperialistischen Weltbeherrschungsstrategie besteht. Er
ist vielmehr das Ergebnis des Zusammenbruchs der Sowjetunion - woran dies wohl gelegen hat, das ist eine
Frage, die ihr euch selbst mal stellen müßt -, und vor allen Dingen ist er ein Ergebnis der Schwäche zum Beispiel
Europas, zum Beispiel der Vereinten Nationen, die letztendlich immer noch den Strukturen des Kalten Krieges
und der unmittelbaren Nachkriegszeit verhaftet sind.
({16})
Wenn man eine Reform der Strukturen der Vereinten
Nationen will, dann muß man sich in der Tat die Frage
stellen, inwieweit man neue Konflikte, die nach dem Zusammenbruch von Staaten entstehen, regeln kann. Hier
gibt es in der Tat einen Zusammenhang zwischen dem
Kurdistan-Problem und dem Kosovo-Problem, zwischen
Ostwestafrika/Zentralafrika und dem Kosovo-Problem. Es
wäre interessant, diese Zusammenhänge jenseits der
Ideologien und der Polemik vertiefend zu erörtern. Ich
möchte nur hinzufügen: Wenn man eine solche Reform
will, dann muß man in der Tat eine Möglichkeit schaffen,
daß das Veto im UN-Sicherheitsrat durch eine äußerst
qualifizierte Mehrheit überwunden werden kann, oder
man muß dieses Veto so an bestimmte Grundlagen der
Vereinten Nationen, etwa an bestimmte Konventionen,
binden, daß es nicht mehr im nationalen Interesse genutzt
werden kann. Wenn man das nicht macht, wird es immer
wieder dazu kommen, daß die Staaten das Veto-Recht in
ihrem Sinne mißbrauchen.
Wenn zum Beispiel die Volksrepublik China aus ihrer Sicht zu Recht beleidigt und empört darüber ist, daß
Mazedonien Taiwan anerkannt hat, und deswegen die
Vetokarte zieht, wenn es um die Verlängerung eines
sinnvollen Blauhelm-Mandats in Mazedonien geht, dann
macht dies das Problem klar, auf das ich hinweisen
möchte.
({17})
Ich muß mich jetzt aus Zeitgründen auf diese Punkte beschränken. Ich hätte gern noch etwas zur Agenda 2000,
zu Europa, zu den Menschenrechten und zur veränderten
Rolle Deutschlands in Europa und in der Welt in diesem
Zusammenhang gesagt. Aber meine Redezeit ist bereits
abgelaufen.
Lassen Sie mich zum Abschluß nur noch eines hinzufügen: Wenn wir das alles tatsächlich zu einem politischen Ganzen zusammenfügen, dann werden wir feststellen, daß das letztendlich auf die Vollendung des
europäischen Einigungswerkes hinausläuft. Ich sage
dies ganz bewußt, und zwar so, wie ich es auch gestern
im Europaparlament gesagt habe. In seiner Abschiedsrede hat François Mitterrand gesagt: Nationalismus - das
ist der Krieg. - Das Europa der Integration ist der Frieden. Das erleben wir seit Jahrzehnten. Dieses Europa der
Integration zu vollenden war die Aufgabe des Berliner
Gipfels. Vor uns liegt die Aufgabe, Frieden auf dem
südlichen Balkan zu stiften. Zu unserer Aufgabe gehört
auch die Integration von Ländern mit sehr schwachen
Ökonomien wie Mazedonien, Albanien und anderen
Staaten. Das wird für unser Land mit der größten
Volkswirtschaft in der Europäischen Union nicht weniger, sondern mehr Lasten, aber auch mehr Chancen mit
sich bringen. Insofern ist die Vollendung der europäischen Integration, also die Herausbildung des politischen Subjekts „Europäische Union“, die große Aufgabe, vor der wir ganz unmittelbar stehen und die wir
bewältigen müssen.
Ich bedanke mich.
({18})
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Professor Dr. Karl-Heinz Hornhues.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Sehr
geehrter Herr Minister! Heute morgen haben Michael
Glos und Wolfgang Schäuble schon deutlich gemacht
- das ist auch in der vergangenen Sitzungswoche diskutiert worden -, daß wir bezüglich der Grundfragen des
Kosovo-Konflikts hinter der Bundesregierung stehen
und sie unterstützen. Wir sind Ihnen, Herr Minister, für
Ihre hier gegebenen Antworten dankbar. Wir bitten
allerdings dringend darum, die Opposition auch über die
weiteren Schritte - wie angemahnt und erbeten - intensiv zu informieren; denn auch uns fällt es nicht immer
ganz leicht, jeden Schritt der Bundesregierung in diesem
Zusammenhang ohne weiteres zu verstehen. Es bedarf
ab und zu einer Erläuterung.
({0})
Ich wünsche, daß sich die Hoffnungen, die hier angeklungen sind und die mit dem bevorstehenden G-8Treffen verbunden werden, auch in dem angekündigten
Maße erfüllen werden. Wir hoffen, daß mit der NATOStrategie letztendlich das erreicht werden kann, was
vorher nicht erreicht werden konnte, nämlich daß Rußland ins gemeinsame Boot zurückkehrt. Dies wäre wohl
kaum denkbar gewesen, wenn die NATO nicht gehandelt hätte. Zu glauben, dies hätte man vorher erreichen
können war blanke Illusion. Es ist lange versucht worden, mit Rußland im Rahmen der Beratungen in den
Vereinten Nationen zu einem Handlungskonzept zu gelangen. Es gelingt erst jetzt.
Dafür will ich denjenigen danken, die sich darum
bemüht haben. Vor allen Dingen möchte ich demjenigen
Dank sagen, der Rußland die entscheidende Weichenstellung zurück zu uns gegeben hat. Ich meine den russischen Präsidenten. Vor allen Dingen er war es, der in
den letzten Tagen klar und deutlich entschieden hat, wohin der Weg Rußlands in letzter Konsequenz führen soll.
Ich hatte die Gelegenheit, mit seinem Beauftragten in
dieser Frage, Herrn Tschernomyrdin, unmittelbar nach
seiner ersten Rückkehr aus Belgrad zu sprechen. In bin
sicher, daß Rußland - auch um seiner eigenen Position
in Europa willen - mit größter Ernsthaftigkeit alle Anstrengungen unternehmen wird, um zu einem Ergebnis
zu kommen, das unseren Grundvorstellungen entspricht
und mit dem wir einverstanden sein können. Mein besonderer Dank gilt der russischen Seite.
({1})
Ich habe mich gefreut, daß der Bundeskanzler heute
morgen dem russischen Präsidenten gedankt hat. Dieser
Dank war überfällig. Ich habe mir eben aus dem Computer die Überschriften der Presseberichte zu seinem
Antrittsbesuch in Moskau herausgesucht. Die Überschrift in der „taz“ lautete: „Für Jelzin reichen heute
30 Minuten“. Gleichzeitig berichtete die „taz“, Schröder
habe die halbe russische Opposition getroffen. Es gibt
noch ein paar andere Überschriften dieser Art.
Ich freue mich, daß sich der Bundeskanzler eines
Besseren besonnen hat. Er hat begriffen, daß Jelzin, über
den so viel geredet, gelächelt und geschimpft worden ist,
in dieser entscheidenden Phase vielleicht derjenige ist,
der endlich zu einer Lösung verhelfen kann: Frieden für
die Menschen im Kosovo, Rückkehr der Flüchtlinge in
ihre Heimat und eine langfristig sichere Zukunft.
({2})
Die Debatten in Rußland machen deutlich, daß dies
alles nicht einfach ist. Wer sich die Resolutionen unserer
verehrten Kolleginnen und Kollegen in der Duma, dem
russischen Parlament, ansieht, der begreift, daß es für
eine Regierung nicht besonders leicht ist, wenn sie das
Parlament total gegen sich hat. Wir sollten begreifen,
was wir vor uns haben, wenn wir davon reden, Rußland
müsse ins europäische Boot, und wenn wir sagen, wir
wollen mit Rußland gemeinsame Sache machen.
Dieses russische Parlament ist zweifelsfrei frei gewählt und vertritt eine völlig andere Auffassung als wir.
Dies gilt leider nicht nur für die Kommunisten und die
Anhänger von Schirinowskij, sondern auf breiter Front.
Dies muß uns für die Zukunft zu denken geben. Wir
müssen überprüfen, in welchem Umfang es uns möglich
sein kann, im Dialog mit unseren russischen Kollegen
unsere Auffassungen einander so anzunähern, daß der
Gedanke „Rußland in Europa“ nicht nur eine Hoffnung
bleibt, sondern gelebte Wirklichkeit wird.
({3})
In Rußland stehen im Dezember Wahlen an. Dies sollten
wir im Auge haben. Wir können und wollen in diesem
Bereich unseren Beitrag leisten.
Noch ist das Ziel nicht erreicht; Sie, Herr Minister,
haben darauf hingewiesen. Wir müssen uns davor hüten, die Welt von morgen gestalten zu wollen, bevor
wir den Punkt, von dem aus wir gestalten können, tatsächlich erreicht haben. Ich gebe Ihnen recht, daß es
notwendig ist, über die Welt von morgen nachzudenken. Die Grundidee eines Stabilitätspakts für den
Balkan ist richtig und findet unsere Unterstützung. Ein
solcher Plan bedarf der Konkretisierung. Dies gilt vor
allen Dingen dann, wenn das Problem Kosovo - so
Gott will - bald gelöst sein sollte. Ich erinnere daran,
daß in diesem Hause, als in Dayton verhandelt wurde,
ähnliche Gedanken erörtert und ähnliche Pläne geschmiedet worden sind. Als Dayton die Probleme anscheinend löste, haben wir alle miteinander - ich sage
das bewußt - unsere Begeisterung für eine derartige
Initiative schnell vergessen; es gab schließlich andere
Probleme, die vor uns lagen.
Ich mahne an, bei der Grundidee auch dann zu bleiben, wenn die Probleme, die uns jetzt zu diesen Überlegungen führen, gelöst sind. Wir könnten schon einigen
der Länder, die wir im Blick haben, Beweise dafür geben, daß unsere Reden sie nicht einfach nur für den
Moment beruhigen sollen; vielmehr können wir einige
kleine Schritte tun, die ihnen die Gewißheit geben, daß
unserem Bemühen Ernsthaftigkeit zugrunde liegt.
Frau Kollegin Grießhaber hat eben die bulgarische
Außenministerin zitiert. Es war schon überzeugend, wie
diese die Haltung ihres Landes dargelegt hat. Es wäre
sicherlich auch für sie leichter, ihr Parlament in der
Debatte über die Öffnung des eigenen Luftraums für
NATO-Flugzeuge zu überzeugen, wenn sie ein Wort
von uns darüber hören würde wie wir Bulgarien bei seinen Problemen intensiver als bisher zu helfen gedenken.
({4})
Rumänien steht vor ähnlichen Problemen. All diese
Länder haben riesige Probleme und brauchen mehr als
Versprechungen für die fernere Zukunft.
Es gibt noch ein Land, das wir beinahe ganz vergessen haben: die Slowakei. Die Slowakei haben wir bei
den Verhandlungen um die EU-Erweiterung nicht aus
ökonomischen Gründen außen vor gelassen, sondern
wegen demokratischer Defizite. Diese sind inzwischen
behoben.
({5})
Herr Außenminister, ich wäre Ihnen außerordentlich
dankbar, wenn im Rahmen unserer Ratspräsidentschaft
noch eine Initiative ergriffen und der Slowakei deutlich
gemacht werden könnte, daß sie uns jetzt willkommen
ist und in den Kreis der Beitrittsländer aufgenommen
werden könnte.
({6})
Meine sehr geehrten Damen und Herren, viele Zukunftsperspektiven sind schon andiskutiert worden, auf
allen Seiten machen sich viele Gedanken. Im Raum steht
immer auch die Frage, ob man nach dem, was geschehen
ist, verlangen kann, daß die Menschen wieder zusammenleben. Wenn sie nicht wollen und man sie nicht dafür gewinnen kann, wird dieses vermutlich unmöglich
sein. Ich habe am vergangenen Donnerstag in Berlin
einer Tagung beigewohnt, bei der auf die gleiche Frage
der Bischof von Berlin gesagt hat: Ich bin Vertriebener,
ich stamme aus Westpreußen; ich hätte mir 1945/46 nie
vorstellen können, daß wir Deutsche und Polen so zusammenleben, wie wir heute zusammenleben.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, das hat rund
50 Jahre gedauert, und ich glaube, wir brauchen auch
hier einen langen Atem; denn die Perspektive auf eine
Zukunft in Europa für diese Region zu eröffnen heißt
auch, unser Leitbild von Europa als Maßstab zu nehmen.
Es kann kein anderes geben, weil es sonst nicht mehr
unser Europa ist. Ich will unser Europa behalten. Dementsprechend muß unsere Politik auf diesen Punkt ausgerichtet werden. Alle Überlegungen anderer Art, so
berechtigt sie im Moment sein mögen, sollten wir beiseite lassen.
Heute haben wir den 5. Mai. Ich bin Mitglied der
deutschen Delegation des Europarates und insoweit ein
wenig bekümmert, daß außer dem Präsidenten heute
morgen niemand gemerkt hat, daß dieses für uns einmal
unglaublich wichtige Gremium, durch das wir Mitglied
in der europäischen Staatengemeinschaft wurden, heute
50 Jahre alt wird. Auch Sie, Herr Außenminister, haben
keine Zeit gefunden, etwas dazu zu sagen.
Wenn wir jetzt Strukturveränderungen angehen, müssen wir uns über eines klar sein: Versprechungen zu machen, die nur begrenzt zu halten sind, macht wenig Sinn.
Wir müssen uns die Frage stellen, welche Rolle die Institutionen, die wir haben, also zum Beispiel der Europarat, in dem 40 europäische Nationen, also fast alle, Mitglied sind
({7})
- Entschuldigung, 41; Georgien ist dazugekommen -,
spielen können. Der ehemalige ungarische Premier- und
Außenminister, Horn, hat recht, wenn er morgen im
„Stern“ - so habe ich es gerade in einer Agenturmeldung
gelesen - sagt: Von Deutschland hängt es stark ab, wie
sich Europa weiterentwickelt. - Deswegen meine dringende herzliche Bitte, diese Fragen aufzunehmen. Ich
glaube, daß wir da eine ganz wichtige führende Rolle
spielen können.
Ein letztes Wort noch an Sie, Herr Minister. Ich
möchte Ihnen noch zwei Dinge mitgeben, die mir wichtig sind. Eines ist das Schicksal von Rugova. Er war für
viele von uns Gesprächspartner; wir haben ihn immer
wieder gedrängt, Gewalt zu meiden und zur Lösung seiner Probleme nicht zur Gewalt zu greifen. Er bedarf unserer Unterstützung und Hilfe sowie der Freiheit des
Reisens.
({8})
Ein Weiteres: Am gestrigen Tage zu dieser Stunde
hat die jugoslawische Marine den Hafen von Montenegro blockiert und alles dichtgemacht. Auch dort kämpft
jemand, der sich unseren Ideen verpflichtet fühlt und im
vergangenen Jahr noch mit uns diskutiert hat, der montenegrinische Präsident Djukanovic. Wir sollten auch
Montenegro trotz all dem anderen, was uns sonst noch
beschäftigt, nicht völlig vergessen. Es könnte sonst sein,
daß uns neues Unheil droht.
({9})
Zum Schluß ein Wort des Dankes an die Haushälter
dafür, daß sie immer wieder unsere Ideen aufgreifen. Ich
darf auch für den Fachausschuß und seinen Vorsitzenden sagen, daß wir dafür immer sehr dankbar sind.
Der zweite Dank gilt all denjenigen, die sich mit
Blick auf das Kosovo engagieren - den Spendern, den
Hilfsorganisationen, den Menschen, die im einzelnen
tätig sind. Aber ich möchte in dieser Stunde vor allen
Dingen auch den Soldaten danken, unseren eigenen,
aber auch den Alliierten. Fast die ganze britische Garnison aus meinem Wahlkreis - ich habe keine deutschen
Truppen in meinem Wahlkreis - ist im Einsatz. In meinem Wahlkreis leben Hunderte und Aberhunderte von
britischen Frauen und Kindern, die an ihre Männer und
Väter denken. Sie sollten genauso in unsere Gedanken
einbezogen sein wie unsere eigenen Soldaten, vor allen
Dingen deren Familienangehörige, die es unter der Last,
unter der sie Tag für Tag leiden müssen, manchmal
schwer genug haben, wenn sie sich die Frage stellen,
wie es morgen aussieht, was sie noch zu erwarten haben.
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({10})
Das Wort hat
jetzt Kollegin Uta Zapf.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Erlauben Sie, daß ich meine Ausführungen hauptsächlich unter die Überschrift Stabilität und
Sicherheit stelle. Ich glaube, das ist angesichts der Diskussion, die wir in den letzten Wochen zu führen hatten,
ein angemessener Blickwinkel, um hier Stellung zu
nehmen.
Ein chinesischer Fluch lautet: „Mögest du in interessanten Zeiten leben!“ In der Tat leben wir in interessanten und, wie ich hinzufügen möchte, auch in schweren
Zeiten, aber ob uns dies zum Fluch oder zum Segen gereicht, wird davon abhängen, wie wir die Herausforderungen der vor uns stehenden Probleme meistern.
Diese Bundesregierung wurde gleich am Anfang ihrer
Amtszeit mit drei großen Herausforderungen konfrontiert, deren Lösung eine Weichenstellung für die zukünftige Sicherheitsarchitektur Europas bedeutet. Dies
waren: erstens die Erweiterung der Europäischen Union,
zweitens die NATO-Osterweiterung zusammen mit der
Neurorientierung der NATO-Strategie und drittens natürlich der Konflikt im Kosovo.
Die neue Bundesregierung hat Kontinuität in der
Außenpolitik versprochen, und Kontinuität bedeutet das
Vorantreiben des Erweiterungsprozesses der Europäischen Union in dem Bewußtsein, daß dies ein Kernelement europäischer Sicherheit ist, denn Europa ist nicht
nur eine Veranstaltung zur Stärkung der Wirtschaftskraft, sondern es ist zunehmend auch ein Begriff für
gemeinsame Sorge um Ökologie, um soziale Systeme
und natürlich um Stabilität und Sicherheit.
Kontinuität bedeutet auch Einbindung in die transatlantische Partnerschaft, weil wir wissen, daß das Bündnis ein wichtiger Garant für den Frieden ist. Kontinuität
bedeutet aber gleichzeitig Fortentwicklung, indem man
den neuen Herausforderungen durch neue Konflikte
nach dem Ende der Ost-West-Konfrontation Rechnung
trägt und den Wandel in den internationalen Beziehungen aktiv mitgestaltet. Diese Bundesregierung wird
hierbei - wie bisher schon - auch in Zukunft ihren politischen Handlungsspielraum nutzen.
Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, die erste
Herausforderung der neuen Bundesregierung liegt in der
Ratspräsidentschaft der Europäischen Union. Die Vertiefung und Erweiterung der EU - es wurde hier
schon angeführt - erfordert politische und institutionelle
Reformen. Daß dies in der Tat bei so vielen Teilnehmerstaaten nicht so einfach ist, zeigen die Verhandlungen
zur Agenda 2000. Ich denke, die Bundesregierung hat
die Ratspräsidentschaft genutzt, um einen tragfähigen
Kompromiß zu erreichen.
({0})
- Da kann man ruhig einmal klatschen; das finde ich
auch. ({1})
Die Reformen müssen aber weitergetrieben werden, damit die Erweiterung der EU auch tatsächlich gelingt.
Es ist auch ein Erfolg der deutschen Ratspräsidentschaft, daß die Krise um die EU-Kommission erfolgreich beigelegt und die Vertrauensverluste in Europa
minimiert werden konnten.
Die ökonomischen und politischen Verflechtungen
und Interdependenzen sowie die gemeinsamen Kriterien
im Bereich Menschenrechte, Rechtsstaatlichkeit und
demokratische Strukturen sind Voraussetzungen einer
tragfähigen Sicherheit im europäischen Raum. Die Erweiterung der EU um die bisherigen Beitrittskandidaten
wird die europäische Sicherheit deshalb stärken. Die
Kosovo-Krise hat das Bewußtsein dafür geschärft, daß
die Einbindung der südosteuropäischen Staaten in die
euro-atlantischen Strukturen in unserem außen-, stabilitäts- und sicherheitspolitischen Interesse liegt und
einen wichtigen Ansatz zur Prävention und nachhaltigen
Konfliktregelung in diesem Raum darstellt.
({2})
Wir begrüßen und unterstützen deshalb ausdrücklich
den von der Bundesregierung vorgelegten Plan zu einem
Stabilitätspakt auf dem Balkan, der den südosteuropäischen Ländern langfristig eine EU-Beitrittsperspektive
gibt.
({3})
Dieser Ansatz ist notwendig, um den betreffenden Ländern einen Anreiz zu geben, die Demokratisierung voranzutreiben und einer Politik entgegenzutreten, deren
traurige Folgen wir im Kosovo-Konflikt sehen.
Es gibt in Europa ein bislang ungelöstes, schwieriges
Problem, über das wir im Moment nicht reden, das aber
auch außen- und sicherheitspolitische Aspekte und
ebenso hohe Relevanz hat, nämlich die Frage des EUBeitritts der Türkei. Das unglückliche Ergebnis des Luxemburger Gipfels hat das Verhältnis zur Türkei beschädigt, mehr noch in der Folge die Vorgänge um die
Verhaftung Öcalans. Wir können kein Interesse daran
haben, daß sich die Türkei von Europa abwendet. Der
NATO-Partner Türkei muß eine Beitrittsperspektive haben. Die Türkei muß aber ebenso wie andere Beitrittskandidaten die Kopenhagener Kriterien erfüllen. Hier
liegt ein Schlüssel zur Lösung des Kurden-Problems.
({4})
Wir begrüßen, daß die Bundesregierung neue Akzente im Verhältnis zur Türkei gesetzt hat bzw. setzen
will. Ich zitiere Gerhard Schröder, der am Anfang seiner
Regierungszeit gesagt hat, daß er sich „mit großem
Nachdruck für die weitere Heranführung der Türkei an
die Europäische Union“ einsetzen werde. Ich halte dies
für einen wichtigen Aspekt, so schwierig auch die Diskussion bei uns ist. Unter sicherheitspolitischen, aber
auch unter innenpolitischen Gesichtspunkten müssen wir
diese Diskussion führen, und zwar möglichst bald.
({5})
Kolleginnen und Kollegen, EU und NATO waren für
Westeuropa immer der Garant für Stabilität und Frieden.
Die Erweiterung von EU und NATO um mittelosteuropäische und südosteuropäische Länder bleibt dem Ziel
verpflichtet, Stabilität in Europa zu festigen.
Ohne die feste Einbindung Rußlands in eine Partnerschaft wird dieses Ziel nicht erreicht werden können.
Wir können dankbar sein, daß es die NATO-RußlandGrundakte gibt, auch wenn das Verhältnis zur Zeit
etwas getrübt erscheint. Diese Grundakte ist eine
Grundlage, auf der eine Sicherheitspartnerschaft mit
Rußland weitergetrieben werden muß. Ich bin der Kollegin Grießhaber und dem Kollegen Hornhues dankbar,
daß sie das Verhältnis zu Rußland ausdrücklich und im
selben Sinne, wie ich es verstehe, angesprochen haben.
In bezug auf diese partnerschaftliche Bindung, die
wir brauchen, war auch die Diskussion um die neue
NATO-Strategie so wichtig. Ich danke der Bundesregierung - Herr Fischer, Sie haben den Punkt vorhin erwähnt -, daß sie in der Tat einen erheblichen Beitrag zur
Gestaltung dieser neuen NATO-Strategie in eine Richtung geleistet hat, die wir nur erfreulich finden können.
({6})
Die Bekenntnisse zur Verantwortung für Stabilität
und Sicherheit im euro-atlantischen Raum, zur Partnerschaft mit Nichtmitgliedstaaten, zum Dialog und zur
friedlichen Streitbeilegung sowie zur Abrüstung und
Rüstungskontrolle sind wichtige, zukunftsweisende
Kernelemente dieser neuen NATO-Strategie. Wir sollten
sie als Grundlage für Stabilität in unserem Raum nutzen.
In diesen Prinzipien liegt eine Chance für eine neue stabile Sicherheitsarchitektur. Diese Ansätze müssen mit
Nachdruck weiterentwickelt werden.
Ich darf, wenn auch nur am Rande, noch erwähnen,
daß auch die Diskussion um den Einsatz atomarer Waffen in der NATO wohl keine Verstörung bewirkt hat,
sondern eher einen heilsamen Nachdenkens- und Diskussionsprozeß auslösen wird; denn nun wird auch innerhalb der NATO über dieses Thema diskutiert werden.
({7})
Zukünftige Aufgabe europäischer Sicherheitspolitik
ist es, das Zusammenspiel aller Organisationen, wie UN,
OSZE, EU und NATO, zu verbessern und damit ein
sicherheitspolitisches Netzwerk zu schaffen. „Interlocking“ und nicht „interblocking institutions“ sind Ziel
dieser Politik. Nur dann wird Krisenprävention auf allen Ebenen möglich werden: ökonomisch, ökologisch,
sozial, diplomatisch und durch militärische Strukturen
abgesichert. Ich denke, dies ist ein wichtiger Aspekt.
Wie fragil die Stabilität im gewünschten gemeinsamen Haus Europa ist, haben der Bosnien- und der Kosovo-Konflikt gezeigt. Wir müssen aus diesen Erfahrungen
die Lehren ziehen. Prävention darf angesichts von Massenvertreibung und Völkermord vor unserer Haustür
nicht länger ein Lippenbekenntnis sein. Die neue Bundesregierung hat Krisenprävention in ihren Koalitionsvereinbarungen ausdrücklich als vordringliche Aufgabe
festgehalten.
Wer Prävention will, muß die Vereinten Nationen
und die OSZE stärken und reformieren. Herr Minister
Fischer, ich bin Ihnen dankbar für Ihre deutlichen Worte
zur Reform der UNO. Ich glaube, ich hätte das hier nicht
so deutlich auszudrücken gewagt, weil dies doch immerhin ein schwieriger und langwieriger Prozeß ist.
({8})
Konkret bedeutet dies vorrangig die Stärkung der
OSZE, die ihre politische Stärke auch in Krisenzeiten
gerade durch die erfolgreichen Verhandlungen zur Anpassung des KSE-Vertrages bewiesen hat. Hier hat die
Bundesregierung einen wesentlichen Beitrag geleistet.
Der KSE-Vertrag bleibt nach dieser Anpassung ein
wichtiger Eckpfeiler europäischer Stabilität und Sicherheit. Ich erinnere daran, mit welcher Besorgnis wir zu
einem gewissen Zeitpunkt die Diskussion um die
NATO-Strategie mit der Diskussion um die KSEAnpassungsverhandlungen verbunden haben. Ich denke,
in beiden Fällen ist es gelungen, zu einem sehr guten
Ergebnis zu kommen, mit dem wir leben können.
Zur Stärkung der OSZE gehören die personellen und
finanziellen Mittel, damit sie die ihr zugewiesenen Aufgaben erfüllen kann. Neben der Vertrauensbildung und
der Abrüstung ist der Bereich der zivilen Konfliktregelung immer wichtiger geworden. Dort sind der OSZE
enorme zusätzliche Aufgaben erwachsen. Die durchgeführten und laufenden OSZE-Missionen zeigen, wie
wirksam diese Art der Intervention sein kann. Leider
wird über diese Erfolge nicht viel gesprochen; berichtet
wird nur, wenn Blut fließt.
Wir unterstützen deshalb nachdrücklich die Pläne zur
politischen und operativen Stärkung der OSZE, die der
Chairman in Office, Knut Vollebaek, am 28. April in
Wien vorgetragen hat. Die OSZE wird und muß nach
der Beendigung des Kosovo-Krieges eine führende
Rolle bei der Integration südosteuropäischer Krisenregionen in die europäischen und die euroatlantischen
Strukturen spielen.
({9})
Dies setzt aber eine wesentliche Verbesserung ihrer operationellen Fähigkeiten voraus. Die Aufgaben werden
weit über die Anforderungen hinausgehen, die zum Beispiel die Aufstellung der Kosovo-Verifikationsmission an
die OSZE stellte, und dies war schon schwierig genug.
Deshalb sind die Ausbildung und der Aufbau eines
Pools von geeigneten Frauen und Männern zum Einsatz
in solchen Missionen, wie die Bundesregierung es jetzt
auf den Weg gebracht hat, ein wichtiger Ansatz. Die
OSZE braucht solche Fachleute, die in Konfliktsituationen schnell einsetzbar sind, sozusagen diplomatische
„stand-by forces“. Wie wichtig dies ist, zeigen, wie gesagt, die Schwierigkeiten bei der KVM.
Ich freue mich auch darüber, daß jetzt der zivile
Friedensdienst auf den Weg gebracht wurde. Diese
„peace corps“ können in Konfliktgebieten in der zivilen
Gesellschaft wichtige Arbeit leisten. Dafür brauchen sie
die Ausbildung und die soziale Absicherung, die jetzt
gewährleistet werden.
({10})
Eine weitere Lehre aus dem Kosovo-Konflikt ist, daß
wir dazu beitragen müssen, die Selbstblockade des UNSicherheitsrates und damit seine Entscheidungsunfähigkeit in Konflikten aufzulösen. Dies wird - ich habe
schon erwähnt, daß ich sehr froh bin, daß Minister Fischer dies deutlich hervorgehoben hat - nur langfristig
durch eine Reform der UN gesichert werden können.
Um so erfreulicher ist es, daß sich der Generalsekretär
der UN in die Bemühungen um eine Friedenslösung im
Kosovo eingeschaltet hat. Dank der Anstöße des Fischer-Planes ist Bewegung in die internationale Diskussion gekommen. Wir hoffen auf ein UN-Mandat.
Es hat sich auch gezeigt - das wurde von den Kolleginnen und Kollegen schon erwähnt -, wie wichtig es
ist, daß Rußland in die Suche nach einer politischen Regelung eingebunden wird. Wir begrüßen, daß Rußland
bereit ist, durch seine Vermittlungstätigkeit einen Beitrag zur Friedenslösung zu leisten. Wir alle wünschen
uns, daß dies möglichst schnell geschieht.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie mich einen letzten Punkt ansprechen. Es liegt in unserem ureigenen Interesse, daß eine weitere Destabilisierung
Südosteuropas verhindert wird. Milosevic betreibt
Kriegsführung durch Vertreibung von Menschen aus
dem Kosovo: Krieg gegen die albanischen Kosovaren
und Krieg durch Destabilisierung der Nachbarländer. Er
versucht, diese Region in ein Chaos zu stürzen. Deshalb
ist Hilfe für Mazedonien und Albanien vorrangig, und
zwar Hilfe zur Bewältigung der Probleme, die aus der
Vertreibung von fast 1 Million Menschen entstehen.
Diese Hilfe ist schnell nötig. Ich denke, am Freitag dieser Woche werden wir entsprechend entscheiden.
Ich habe deshalb kein bißchen Verständnis für die
kleinliche Diskussion über die Aufnahme von Vertriebenen in den europäischen Ländern. Ich möchte Herrn
Minister Schily für seine diesbezügliche Initiative ausdrücklich danken. Ich fordere aber vor allen Dingen die
anderen europäischen Länder auf, ihre Kleinlichkeit
endlich aufzugeben. Wie oft haben wir in Europa Solidarität und Stabilität beschworen! Hier ist ein ganz konkreter und schnell umzusetzender Punkt, an dem wir
dies einlösen können. Es wäre ein gutes Zeichen, wenn
dies geschähe.
Ich danke Ihnen.
({11})
Für die
CDU/CSU spricht jetzt der Kollege Dr. Andreas Schokkenhoff.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Als
der ehemalige Bundeskanzler Helmut Kohl vor zwei
Jahren gesagt hat, die politische Einigung Europas sei
eine Frage von Krieg und Frieden, hat er bei der damaligen Opposition Hohngelächter geerntet.
({0})
Sie, Herr Außenminister, haben von diesem Pult aus den
damaligen Bundeskanzler verspottet, ihm Sentimentalität und falsches Pathos vorgeworfen. Heute würden Sie
wohl nicht mehr feixen.
({1})
Die politische Einigung Europas ist eine Frage von
Krieg und Frieden - damit hat Helmut Kohl unbeirrt von
allen Anfeindungen ausgedrückt, was für uns, die
CDU/CSU, seit fünf Jahrzehnten die außenpolitische
Grundüberzeugung ist und auch künftig bleiben wird:
Wir Deutsche haben ein existentielles Interesse an der
Einigung Europas sowie ein existentielles Interesse an
der Nordatlantischen Allianz. Mit der Wirtschafts- und
Währungsunion haben wir einen entscheidenden
Schritt zur Politischen Union Europas erreicht. Der wirtschaftliche Teil muß dringend durch den außen- und
sicherheitspolitischen Teil der europäischen Einigung
ergänzt werden.
Der Kosovo-Konflikt zeigt einmal mehr, daß allein
die Vereinigten Staaten von Amerika in der Lage sind,
NATO-Operationen zu führen. Es ist aber keineswegs
selbstverständlich, daß die Amerikaner immer die
Hauptverantwortung für die Sicherheit in und für Europa
übernehmen. Die Europäische Union muß auch in der
Außen- und Sicherheitspolitik ein ebenbürtiger Partner
der USA werden und endlich den europäischen Pfeiler
der NATO schaffen.
({2})
Die politische und strategische Rolle der Vereinigten
Staaten in Europa hat am Ende dieses Jahrhunderts nicht
an Bedeutung verloren. Im Gegenteil: Wir Europäer und
damit auch wir Deutsche sind es, die einen stärkeren
Beitrag zu unserer eigenen Sicherheit leisten müssen,
und zwar nicht nur militärisch, sondern auch politisch
und diplomatisch. Nur ein starkes und handlungsfähiges
Europa, das eigenständig entscheiden und operieren
kann, ist ein relevanter Partner Amerikas.
Herr Hoyer, Sie haben darauf hingewiesen, daß durch
den Vertrag von Amsterdam neue Instrumentarien geschaffen werden. Auf dem Kölner Gipfel in wenigen
Wochen wird erstmals ein Hoher Repräsentant der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik benannt. Es
kommt jetzt darauf an, daß die Wahl auf eine Persönlichkeit fällt, die politischen Rang besitzt und Regierungserfahrung hat, so daß sie der Gemeinsamen Außenund Sicherheitspolitik Autorität nach außen und innen
verleihen kann. Dieser Repräsentant muß die EU in Krisensituationen vertreten, und er muß dem Rat eigene
Vorschläge unterbreiten können. Der Vorschlag, diese
Funktion mit der des WEU-Generalsekretärs zu verbinden, findet unsere ausdrückliche Zustimmung.
Die Katastrophe auf dem Balkan macht allerdings
auch deutlich, daß der Vertrag von Amsterdam bei weitem nicht ausreicht, um aus der Europäischen Union
eine diplomatische und militärische Macht zu machen.
Eine effiziente Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik setzt weitere Integrationsschritte voraus. Wir
brauchen im zweiten Pfeiler der Europäischen Union
eine spezifische Klausel über die verstärkte Zusammenarbeit, die es einer Gruppe von Mitgliedstaaten ermöglicht, gemeinsame diplomatische und militärische Maßnahmen durchzuführen, die nicht von allen Mitgliedstaaten getragen werden. So haben wir es ja auch bei der
Wirtschafts- und Währungsunion gemacht: Es haben
eben nicht alle Mitgliedstaaten ihre eigene Währung zugunsten des Euro aufgegeben. Ebenso darf auch beim
Aufbau eines diplomatischen und sicherheitspolitischen
Instrumentariums der Europäischen Union nicht das
zögerlichste Mitgliedsland das Tempo bestimmen.
Wir müssen auch in der Außen- und Sicherheitspolitik endlich dazu kommen, daß es mehr Mehrheitsentscheidungen gibt. Um nur ein Beispiel zu nennen: Die
Art und Weise, wie die EU bei der Umsetzung der Zollunion mit der Türkei vertragsbrüchig wird, weil ein Mitgliedsland die anderen daran hindert,
({3})
verbindlich zugesagte Verpflichtungen zu erfüllen, ist
eines internationalen Akteurs unwürdig.
({4})
Die deutsche Präsidentschaft hat die Reform der Institutionen und Entscheidungsverfahren verschoben. Sie
muß aber unverzüglich in Angriff genommen werden,
um die politische Handlungsfähigkeit Europas zu ermöglichen. Die Europäische Union braucht einen gemeinsamen und zentralen diplomatischen Apparat zur
Krisenbewältigung und zur Erarbeitung gemeinsamer
europäischer Positionen. Nach den schlimmen Erfahrungen in Bosnien-Herzegowina haben wir alle eine
präventive Diplomatie gefordert. Aber in Dayton haben
wir, wie unsere amerikanischen Partner, das Thema
Kosovo ausgeklammert. Wir waren auf den Krieg im
Kosovo genauso unvorbereitet wie auf die anderen
Kriege auf dem Balkan. Aber was uns noch viel mehr zu
denken geben muß, ist: Wir haben nicht nur keine präventive Diplomatie, nein, wir haben auch keine Diplomatie für die Phase nach Beendigung der militärischen
Aktionen.
Karl Lamers hat in der letzten Sitzungswoche die
Fragen gestellt, auf die wir eine Antwort brauchen,
wenn wir das gemeinsame Handeln der Europäer vom
Ende her bedenken wollen: Ist Rambouillet überhaupt
noch umzusetzen? Können die Kosovo-Albaner überhaupt wieder in der Bundesrepublik Jugoslawien unter
serbischer Führung leben? Karl-Heinz Hornhues hat diese Frage vorhin wiederholt. Wir müssen auch Tabus
brechen: Entspricht die Vorstellung von einem multiethnischen, freien und demokratischen Jugoslawien
vielleicht unseren politischen Idealen, nicht aber den
politischen Realitäten auf dem Balkan? Das sind Fragen,
die die Bundesregierung nicht öffentlich erörtert.
Natürlich gibt es keine Alternative zu den Luftschlägen gegen den Apparat von Milosevic. Aber um die Akzeptanz dafür weiterhin zu erhalten, müssen wir, muß
die Bundesregierung die Sprachlosigkeit in bezug auf
die politischen Ziele überwinden, denen diese militärischen Aktionen dienen.
Auf solche Fragen werden die Europäer auch in Zukunft keine Antwort finden, wenn die Europäische Union nicht über einen eigenen diplomatischen Apparat zur
Analyse und Planung verfügt, der dem Rat eigenständig
Handlungsvorschläge unterbreitet. Der Hohe Vertreter
der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik muß
die volle und direkte Verantwortung für diesen Apparat
bekommen.
Wir brauchen eine europäische Rüstungs- und Abrüstungspolitik, die die zwischenstaatliche Kooperation
überwindet und langfristig eine integrierte Verteidigungsindustrie ermöglicht. Als ein Schritt in diese
Richtung muß die im Vertrag von Maastricht vorgesehene europäische Rüstungsagentur endlich die Verantwortung für konkrete Beschaffungsprogramme übertragen bekommen und für die Programme mit einem Etat
ausgestattet werden.
Meine Damen und Herren, die CDU/CSU steht ohne
Wenn und Aber zur Wertegemeinschaft der NATO. Im
Interesse dieser gemeinsamen Werte und im Interesse
unserer eigenen Sicherheit brauchen wir eine europäische Diplomatie und Verteidigung innerhalb des transatlantischen Bündnisses. Kürzungen im Verteidigungshaushalt - dazu kommen wir gleich - zeugen angesichts
der außen- und sicherheitspolitischen Lage und der humanitären Katastrophe auf dem Balkan von einer falschen Prioritätensetzung.
Wir fordern die Bundesregierung und die Koalitionsfraktionen auf, die Fähigkeit der EU zu eigenständigem
Handeln auf dem Gebiet der Außen-, Sicherheits- und
Verteidigungspolitik zu stärken. An unserer Bereitschaft
dazu bestand nie ein Zweifel. Jetzt müssen Sie Ihren
politischen Willen klarstellen. Wenn die Koalitionsfraktionen intern zwischen Pazifismus und internationaler
Verantwortung lavieren, schaden sie den Interessen der
Bundesrepublik Deutschland.
Vielen Dank.
({5})
Ich
schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den Einzelplan 05
- Auswärtiges Amt - in der Ausschußfassung. Wer
stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? Dann ist der Einzelplan 05 mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der CDU/CSU, der
F.D.P. und der PDS angenommen.
Ich rufe auf:
14. Einzelplan 14
Bundesministerium der Verteidigung
- Drucksachen 14/613, 14/622 Berichterstattung:
Abgeordnete Dietrich Austermann
Bartholomäus Kalb
Oswald Metzger
Dr. Uwe-Jens Rössel
Es liegt je ein Änderungsantrag der Fraktionen der
CDU/CSU, der F.D.P. und der PDS vor. Die Fraktion
der F.D.P. hat zum Einzelplan 14 außerdem einen Entschließungsantrag eingebracht, über den am Donnerstag nach der Schlußabstimmung abgestimmt werden
wird.
Ich weise darauf hin, daß wir im Anschluß an die
Aussprache über diesen Einzelplan namentlich abstimmen werden. Das wird kurz nach 19.00 Uhr sein.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache anderthalb Stunden vorgesehen. - Ich
höre keinen Widerspruch. Dann ist es so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat als erster
Redner der Kollege Dietrich Austermann von der
CDU/CSU.
Herr Präsident!
Meine Damen und Herren! Bei den Haushaltsberatungen
geht es vorrangig um Ausgaben und Einnahmen, um
Titel, Kapitel und Steigerungsraten. Dies überdeckt gelegentlich, daß hinter allem eine große Zahl von Menschen, von Mitarbeitern im öffentlichen Dienst steht, deren Arbeit ermöglicht oder gestaltet wird. Immerhin ist
der Verteidigungsminister Chef von 60 Prozent aller
Mitarbeiter des öffentlichen Dienstes des Bundes. Wenn
es nach den Finanzen, nach den Gehältern geht, umfaßt
sein Bereich leider nur 40 Prozent, dennoch eine große
Zahl.
Gerade in der gegenwärtigen Situation von Kampfeinsätzen gegen die Politik eines aggressiven Diktators
muß deshalb mit einem Dank an die Soldaten und Soldatinnen, zivilen Mitarbeiter und Wehrpflichtigen begonnen werden, die im Auftrag des deutschen Parlaments im Inland und jetzt zur Wiederherstellung von
Freiheit und Menschenwürde auch im Ausland, zum
Schutz von Schutzlosen und in Erfüllung von Verpflichtungen innerhalb der westlichen Verteidigungsgemeinschaft ihren Dienst leisten.
({0})
Ich finde die Art und Weise, wie die Debatte läuft, gut.
Ich begrüße es, daß wir den Soldaten unseren gemeinsam Dank zum Ausdruck bringen. Es ist natürlich trotzdem die Frage zu stellen, ob und wie das, was sich in
letzter Zeit geändert hat, von unterschiedlichen Seiten
bewertet wird.
Dies dürfte mein einziger kritischer Ansatz sein: Ich
erwarte angesichts der Position von Union und F.D.P. in
den Fragen dieses Einsatzes, in den Fragen der Arbeit
unserer Soldaten, daß manche Arroganz und manche
Überheblichkeit offizieller Sprecher - auch der Regierung - uns gegenüber zurückgedreht wird, um uns die
Geschichte nicht so schwer zu machen. Dies sollte insbesondere dann gelten, wenn man sich vor Augen führt,
wie groß die Zahl derjenigen ist, die hinter dem stehen,
was die Regierung macht.
Wir stellen bei der Beratung des Verteidigungsetats
natürlich die Frage, ob die Soldaten für einen derartigen
Dienst gut genug ausgerüstet, ausgebildet und mit einem
klaren Auftrag eingesetzt werden. Bisher kann diese
Frage mit einem eindeutigen Ja beantwortet werden.
Vor wenigen Tagen hat der Bundesverteidigungsminister eine Bestandsaufnahme über die Bundeswehr an
der Schwelle zum 21. Jahrhundert vorgelegt. Darin heißt
es:
Deutsche Sicherheitspolitik ist an klaren Werten
ausgerichtet. Die Basis liegt im Grundgesetz und in
der westlichen Wertegemeinschaft. Die Glaubwürdigkeit dieser Politik wird durch Streitkräfte unterstützt, die unseren Verpflichtungen gegenüber dem
Bündnis und für die Sicherheit und Stabilität in und
für Europa gerecht werden.
Diese richtige Beschreibung stellt einen Extrakt aus
4 000 Seiten dar, die im Verteidigungsministerium als
Basis dieser sogenannten Wehrstrukturkommission erarbeitet worden sind.
Der Bundesverteidigungsminister hat in dieser umfangreichen Bestandsaufnahme darauf hingewiesen, daß
die konzeptionellen und planerischen Vorgaben für die
Bundeswehr in der ersten Hälfte dieses Jahrzehnts gelegt
worden seien und daß Organisation und Struktur im wesentlichen immer noch auf die Landes- und Bündnisverteidigung ausgerichtet seien. Er vertritt die Auffassung, daß die grundlegende Veränderung der sicherheitspolitischen Lage in Europa eine Anpassung der Fähigkeiten unserer Streitkräfte an das erweiterte Aufgabenspektrum der Allianz und die zunehmende Teilnahme an Friedenseinsätzen erfordert. In seinem Bericht
verweist er dazu auf den seiner Ansicht nach begrenzten
Umfang und die Zusammensetzung der Krisenreaktionskräfte - was ja wohl nur heißen kann, daß er die
Erwartung ausspricht, deren Zahl solle erhöht werden -,
das zunehmende personelle Fehlen im Führercorps, vor
allem bei den Unteroffizieren, sowie die unzureichende
Materiallage und die fehlenden finanziellen Voraussetzungen im Verteidigungshaushalt.
Wenn das so ist, dann wundert man sich über die Absicht des Finanzministers - dazu ist in letzter Zeit einiges zu unserer Kenntnis gelangt -, daß er den Umfang
des Einzelplans 14 im Jahre 2000 von jetzt 47 Milliarden DM auf 45 Milliarden DM reduzieren will. Das wäre eine unerträglich niedrige Größenordnung, wenn die
Aufgaben, die hier beschrieben worden sind, tatsächlich
erfüllt werden sollen.
Nimmt man dies als maßgebliche Kriterien für die
Notwendigkeit, eine grundsätzliche Überprüfung der
Bundeswehr vorzunehmen, muß man sich allerdings
über die jetzt eingesetzte Wehrstrukturkommission
wundern, insbesondere über die personelle Zusammensetzung. Nicht daß einem einzigen der ausgewählten
Mitglieder der Kommission der Respekt versagt werden
soll! Aber hier scheint es mehr um die Frage eines gesellschaftlichen Konsenses zu gehen - vielleicht einen
neuen runden Tisch in Verteidigungsfragen - und weniger um knallharte Fakten. Ich frage mich schon, was
Waltraud Schoppe, Richard Schröder oder Ignatz Bubis,
aber auch der ehemalige Bundespräsident und verschiedene Politikwissenschaftler dazu beitragen können, die
Frage zu beantworten, was es in Zukunft mit der strategischen Aufklärungsfähigkeit, mit der Fähigkeit zum
weitreichenden Lufttransport und mit Rüstungskapazitäten auf sich haben soll. Diese Fragen haben Sie, Herr
Scharping, nämlich in der Bestandsaufnahme Ihres Ministeriums erwähnt. Da wundert es nicht, daß der Bundeswehr-Verband ein eigenes Expertengremium gründet, das diese Kommission vor sich hertreiben will. Wie
gesagt: Nichts gegen die Persönlichkeiten, die benannt
und berufen worden sind. Wenn man sich aber die Frage
stellt, ob sie der Aufgabe, die sie haben - aus der Bestandsaufnahme die richtigen Schlußfolgerungen zu ziehen -, gerecht werden, sind die Zweifel der Union, so
glaube ich, angebracht.
Meine Damen und Herren, in der Bestandsaufnahme
hat der Bundesverteidigungsminister den Ausblick wie
folgt beschrieben - dieser Ausblick ist gewissermaßen
der Handlungsauftrag -: In Zukunft werden Krisenvorbeugung und Konfliktbewältigung sowie Partnerschaft
und Kooperation an Bedeutung gewinnen. Die Bundeswehr muß Fähigkeiten entwickeln, um diese Aufgaben
wirksamer wahrnehmen zu können. Die im Auftrag der
Bundeswehr enthaltenen Aufgaben werden dazu im wesentlichen auch weiter Gültigkeit behalten. Dazu gehören Landes- und Bündnisverteidigung wie eine Überprüfung und Neubewertung der gesamten Rüstungsplanung.
Soll es tatsächlich so sein, daß die Kommission Empfehlungen an das einzig zur Entscheidung berufene
Gremium, den Bundestag, abgibt, welche Waffen beschafft werden, wieviel Soldaten zu den Krisenreaktionskräften gehören und mit welchen Ländern Rüstungskooperation betrieben wird?
({1})
Ich teile die Position des Kollegen Kröning, der mit
Recht gesagt hat: Über die Größe der Bundeswehr, die
Zahl der Soldaten und die Bewaffnung wird vom Bundestag entschieden und nicht von den ehrenwerten Mitgliedern dieser Kommission.
Offensichtlich handelt es sich hier nur um weiße Salbe für die Grünen und eine größer werdende Zahl von
Kollegen der SPD, die sich im Prinzip eine ganz andere
Armee wünschen: kleiner und vielleicht auch ohne
Wehrpflicht. Aber das ist nicht die Position der Union.
Ich komme zu den Haushaltsberatungen und den
Zahlen. Die Beratungen waren von einem angesichts der
Situation unverständlichen Hickhack innerhalb der
rotgrünen Koalition und zwischen den rotgrünen Haushältern und dem Verteidigungsminister selbst geprägt.
Da verrät man kein Geheimnis; man plaudert nicht aus
Sitzungen, sondern beschreibt nur das, worüber auch die
Zeitungen berichtet haben. An zwei verschiedenen Tagen mußte die Sitzung unterbrochen werden, damit unter
Einschaltung der Fraktionsvorsitzenden, des roten und
der grünen, zwischen den Parteien vermittelt werden
konnte. In der Zeitung war zu lesen, der Verteidigungsminister habe mit seinem Rücktritt gedroht.
({2})
Lassen wir einmal dahingestellt, ob er das tatsächlich
gemacht hat. Die Zeitungen sind jeden Tag voll davon.
Irgendein Minister droht immer gerade mit Rücktritt leider nicht Herr Trittin; das Rücktrittsangebot könnte
man annehmen. Heute hat angeblich Herr Riester mit
Rücktritt gedroht. Es gab Konflikte mit Kollegen in der
eigenen Partei.
Im Ergebnis bleibt festzuhalten, daß die Opposition,
jedenfalls F.D.P. und CDU/CSU, den Minister in der
Frage gestützt hat und stützen mußte, welche finanziellen Möglichkeiten die Bundesregierung tatsächlich hat.
({3})
Wenn man sich diese Situation vor Augen hält, dann
stellt man fest, daß sie in den letzten 17 Jahren einmalig
war. Übrigens ist auch die Größe dieses Haushaltes einmalig.
Wir stellen fest: Sie haben mit Ihrer Mehrheit im
Haushaltsausschuß den Verteidigungsetat gegenüber
dem Waigel-Entwurf um eine halbe Milliarde DM
gekürzt. Der Plafond beträgt 47 Milliarden DM, Zuwachsmöglichkeiten sind ausgeschlossen. Dieser
Haushalt ist die Basis für den Haushalt des Jahres
2000. Ich habe von den Gefahren, die darin liegen,
gesprochen.
Wir müssen uns vor Augen halten, daß mit diesem
um eine halbe Milliarde DM abgeschmolzenen Etat besondere Risiken und Belastungen finanziert werden
müssen: die Devisenentwicklung, die Mehrausgaben
von 500 Millionen DM im Rahmen der Gehaltserhöhung
für die im Verteidigungsministerium tätigen Beschäftigten des öffentlichen Dienstes, der Bosnien-Einsatz,
Kampfeinsätze, humanitäre Einsätze. Insgesamt muß
man feststellen: All diese Kosten überschreiten in der
Summe deutlich den Betrag von 1,5 Milliarden DM, und
dies bei einem gegenüber unserem Entwurf reduzierten
Ansatz.
Wenn ich diese Fingerhakeleien im Haushaltsausschuß sehe - rotgrüne Politiker gegen den Verteidigungsminister -, kann ich nur empfehlen, Herr Scharping, sich gelegentlich umzusehen, um festzustellen, ob
Ihnen die eigene Truppe noch folgt. Damit meine ich
nicht Soldaten, Soldatinnen und Wehrpflichtige. Es geht
schließlich darum, Mehrheiten zu haben für das, was Sie
tun und dienstlich anordnen müssen.
Die Bundeswehr soll für mehr Auslandseinsätze fit
gemacht werden. Das liegt, wie eine Zeitung in den
letzten Tagen schrieb, in der Logik der neuen NATOStrategie. Aber wer dieser Logik folgt, muß wissen, daß
er eine Armee nicht für ein Kosovo 2 umrüsten und
dann, wenn es soweit ist, zu Hause behalten kann, weil
ihm die Sache politisch oder militärisch zu heiß ist.
Deshalb geht es bei der Strukturkommission in Wahrheit
wohl eher um die Frage, ob dieses Maß an Verantwortung auch tatsächlich gewollt ist.
Die Frage, ob die Wehrpflicht beibehalten werden
soll oder nicht, werden wir hier im Hause beantworten
müssen. Das sollte nicht diese Kommission tun.
Meine Damen und Herren, in der Bestandsaufnahme
ist dargestellt, daß wir fähig sind, internationale Rüstungsvorhaben gemeinsam mit anderen Ländern zu bewältigen. Ich habe da so meine Zweifel, wenn ich sehe,
daß in den letzten sieben Monaten kein einziger Vertrag,
kein einziges Abkommen, weder über den Tiger noch
über das GTK, endgültig abgeschlossen und unterzeichnet worden ist. Man muß hier eigentlich sagen: Im Geschäftsgang herrscht Stillstand der Rechtspflege. Offensichtlich besteht nicht mehr die Fähigkeit, internationale
Projekte auch zeitgerecht abzuwickeln. Welchen Beitrag
die Strukturkommission hier leisten kann, muß offenbleiben.
Zur Kritik am Verteidigungsminister, die in diesen
Tagen geäußert worden ist, gehört auch das, was der
Kollege Kröning in einem in den letzten Tagen in die
Zeitungen lancierten Aufsatz geschrieben hat. Er fordert,
bis zum Jahr 2005 solle die Bundeswehr auf 270 000
Mann reduziert und das Zivilpersonal um 20 Prozent
verringert werden. Man kann sagen, das spiele keine
Rolle. Da wir aber gemeinsam die Auffassung vertreten,
daß hier über die Größe der Bundeswehr entschieden
wird, muß gelegentlich auch das ernst genommen werden, was ehrenwerte Kollegen aus dem Verteidigungsausschuß dazu gesagt haben.
Was bedeutet die Reduktion der Zahl der Bundeswehrsoldaten auf 270 000 in der gegenwärtigen Situation, in der wir möglicherweise mehr Soldaten für Krisenreaktionskräfte brauchen? Die Zahl der zivilen Mitarbeiter um 20 Prozent zu reduzieren heißt, daß wir 90 000
Mitarbeiter weniger haben. 60 000 Soldaten und 30 000
zivile Mitarbeiter bis zum Jahre 2005 abzubauen heißt,
daß es pro Jahr 15 000 öffentliche Mitarbeiter weniger
im Zuständigkeitsbereich des Verteidigungsministers
geben wird.
Ich glaube, daß dies deutlich macht, daß die Unterstützung, die der Minister braucht und die er von uns
bekommt, bei weitem nicht in der gesamten Truppe,
wenn ich diese Bezeichnung für die Abgeordneten von
SPD und Grünen wählen darf, vorhanden ist. Dies ist
ernst zu nehmen, da es in den Haushaltsberatungen bereits den ersten Versuch gab - ich habe das vor ein paar
Monaten gesagt -, die Zahl der Berufssoldaten und der
Wehrpflichtigen deutlich zu reduzieren.
Lassen Sie mich etwas zum Beschaffungs- und Materialhaushalt sagen. Die Finanzierung aller wesentlichen Großvorhaben der Bundeswehr - Panzerhaubitze,
Hubschrauber Tiger und NH 90, Eurofighter, Fregatte
124, Einsatzgruppenversorger und U-Boote Klasse 212
- ist gesichert. Festzustellen bleibt, daß gleichwohl kein
einziges internationales Vorhaben in den letzten sieben
Monaten unterzeichnet worden ist.
Es bleibt weiter festzustellen, daß wir große Probleme
bei Vorhaben haben, für die ein aktueller Bedarf besteht.
Ich nenne das Stichwort Superfuchs. Herr Kollege
Wieczorek, wir haben vor einiger Zeit gemeinsam entschieden - das ist inzwischen Jahre her -, ein gepanzertes Fahrzeug für etwaige Krisenreaktionskräfte bereitzustellen. Das Fahrzeug ist bis heute nicht funktionsfähig.
Das gleiche gilt für die Panzerabwehrrakete langer
Reichweite; die Entwicklung läuft seit 15 Jahren. Das
gleiche gilt für den NH 90, der zu schwer ist. Das gleiche gilt für den Tiger, der sich von Apache nur durch die
Reichweite seiner Bewaffnung unterscheidet, wobei bedauerlich ist, daß ein zweites dieser Fluggeräte heute in
Albanien abgestürzt sein soll. Der Tiger ist noch nicht
funktionsfähig, obwohl wir bereits im Jahre 1995 die Serienvorbereitung beschlossen haben. Er ist nicht in der
Lage, herkömmliche Waffensysteme zu nutzen. Entscheidungen sind auch zur raumgestützten Aufklärung
zu treffen, um Bedrohungen, insbesondere aus dem
Mittleren Osten, zu verifizieren.
Überprüfungen sollte es auch bei den Kosten der Einsätze der Flugbereitschaft geben. Das ist eine Position,
die wir, SPD, Grüne, CDU/CSU und F.D.P., gemeinsam
vertreten. Die Flugbereitschaft erfüllt auch sachfremde
Aufträge für andere Ressorts. Besonders engagiert
scheint hier der Umweltminister zu sein. Die Beschränkung des Ansatzes könnte nach unserer Meinung auf
reine Bundeswehreinsätze erfolgen.
Nachdem wir im Berichterstattergespräch den
Wunsch geäußert haben, auch die Liste der Inlandsflüge zu bekommen, hätte ich gern - ich tue es nun über
das Protokoll - den Bundesumweltminister gefragt, ob
er bereit ist, offenzulegen, welche Flüge er mit der
Flugbereitschaft seit dem Regierungswechsel unternommen hat, und darüber Auskunft zu geben, ob diese
Flüge auch tatsächlich dienstlichen Anlässen gedient
haben.
Meine Damen und Herren, ich komme zum Schluß.
Wir fordern Sie auf, der Bundeswehr die Mittel zur Verfügung zu stellen, die sie in der schwierigen Situation
tatsächlich braucht. Das heißt für uns nicht, daß wir zusätzliche Mittel benötigen. Eine Zeitung schrieb von
einer Kriegssteuer. Es ist völlig abwegig, eine solche für
notwendig zu halten. Bei einem Haushalt von 485 Milliarden DM sind Ausgaben in Höhe von 1,5 Milliarden
DM in diesem Jahr für den Kosovo und alles, was dazugehört, durchaus zu bewältigen.
Wir wollen, daß der Verteidigungsetat eine Größenordnung behält, die ihm darüber hinaus die sonstigen
Aufgaben erledigen hilft. Deswegen fordern wir in diesen Haushaltsberatungen, dem Verteidigungsetat zusätzliche 770 Millionen DM bereitzustellen. Wir bitten
Sie hierbei um Ihre Unterstützung.
({4})
Wir erwarten dabei insbesondere die Unterstützung der
Regierungsparteien, im Interesse der Arbeit, die Ihr Minister hat. Wir werden dem Verteidigungsetat zustimmen, weil wir finden, daß es notwendig ist, unserer
Bundeswehr vom ganzen Haus die Unterstützung zu geben, die sie für ihren schwierigen Auftrag braucht.
Herzlichen Dank.
({5})
Als
nächster Redner hat der Kollege Volker Kröning von der
SPD-Fraktion das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr
verehrten Damen und Herren! Der Bundeshaushalt 1999
ist für die Bundeswehr und das Bundesministerium der
Verteidigung in dreifacher Hinsicht von Bedeutung.
Erstens. Das Ressort ist wie alle Ressorts dem Zwang
zur Konsolidierung - ich sage mit dem Bundesminister
der Finanzen: zur Sanierung der Staatsfinanzen - unterworfen. Dies war und ist bei der Reduzierung der Ausgabenzuwachsrate und der Bewältigung der Lohn- und
Gehaltsrunde 1999 schmerzhaft.
Zweitens. Wir befinden uns mit der Haushaltswirtschaft des Ministeriums und der Planung der Bundeswehr in einer Umbruchsituation. Zum einen will Minister Scharping die modernen Methoden der Haushaltsführung, insbesondere Budgetierung und Controlling,
verbunden mit Kosten- und Leistungsverantwortung,
ausbauen. Darin hat er unsere volle Unterstützung. Auf
diesem Wege sind wir im Laufe der Beratungen des
Haushalts - im Parlament mehr als in der Regierung einen großen Schritt vorangekommen. Zum anderen ist
inzwischen, wie im Koalitionsvertrag vorgesehen, die
Kommission „Zukunft der Bundeswehr“ eingesetzt worden. Ungeachtet dessen, Herr Kollege Austermann, wird
die Bestandsaufnahme, die der Minister gleichzeitig
vorgelegt hat, nicht nur diese Kommission beschäftigen,
sondern auch die Ausschüsse, und das sicherlich nicht
erst in einem Jahr, sondern sofort. Damit erweist sich
nicht nur der Verteidigungshaushalt 1999, sondern auch
der Verteidigungshaushalt 2000 - das ist vorauszusehen
- als Übergangshaushalt - ich möchte lieber sagen: als
Brückenhaushalt - zwischen alter und neuer Bundeswehrplanung. Spätestens zum Haushalt 2001 brauchen
wir - unabhängig davon, welche Kommissionsergebnisse zu welchem Zeitpunkt vorliegen werden - eine Planungsgrundlage von Dauer.
Drittens - das hat heute schon den ganzen Tag beherrscht -: Wir befinden uns in einem internationalen
bewaffneten Konflikt, einem Krieg, wie man ohne Umschweife sagen sollte. Darauf haushaltspolitisch zu reagieren, ohne die außenpolitische Handlungsfähigkeit der
Regierung und den innenpolitisch besonders wichtigen
Entscheidungsvorrang des Parlaments zu beeinträchtigen, ist uns gelungen. Das sollte Anerkennung finden.
Die bisherigen Signale der Zustimmung zum Verteidigungshaushalt zeigen auch das richtige Echo.
({0})
Die geplanten, errechneten und belegten militärischen Aufwendungen der Bundeswehr, besonders der
Luftwaffe und des Heeres, sind in den Haushalt integriert, zunächst wie bisher im Einzelplan 14, dann aber
auch - zumindest für dieses Jahr - im Einzelplan 60.
Die regulären Aufgaben der Bundeswehr in den Bereichen der Landes- und der Bündnisverteidigung werden
nicht mehr, sondern weniger als bisher tangiert. Das
sollte auch die bisherige Koalition und neue Opposition beachten. Die humanitären Aufwendungen, zu denen sich die Bundesregierung bisher in einem europaweit herausragenden Maße bereit gefunden hat - auch
und nicht zuletzt die humanitären Maßnahmen, die die
Bundeswehr leistet -, werden zusammenfassend finanziert.
Lassen Sie mich nach diesen Vorbemerkungen ein
paar einzelne Blicke auf die Haushaltsberatungen 1999
werfen und auch einen Ausblick auf 2000 geben. Der
Haushaltsausschuß hatte bereits 1996 beschlossen, sich
über die Ausgaben der Bundeswehreinsätze im ehemaligen Jugoslawien quartalsweise berichten zu lassen.
Anläßlich der Haushaltsberatungen für dieses Jahr haben
wir im Hinblick auf die aktuelle Lage, die noch voller
Unwägbarkeiten steckt und über das Haushaltsjahr hinweg noch nicht überschaubar ist, sogar darum gebeten,
einen monatlichen Bericht zu erhalten.
Über den Bericht zum April werden wir noch in der
nächsten Sitzungswoche sprechen müssen. Aus den Berichten zu den Monaten Januar bis März 1999 ergibt sich
aber, daß der Ausgaben- und Kostenrahmen für SFOR,
also für den Einsatz der Bundeswehr in Bosnien, eingehalten wird. Da die Finanzierung dieser Friedenseinsätze
aus dem Einzelplan 14 erfolgt, sollte beizeiten geprüft
werden, ob und inwieweit man diesen Einsatz reduzieren kann. Dabei ist klar, daß bei solch einer Entscheidung im Hinblick auf die Instabilität in der ganzen Region, die ja leider nicht ab-, sondern zugenommen hat,
besondere Sensibilität nötig ist.
Die Beschlüsse des Bundestages zu den weiteren Einsätzen, nämlich im Zusammenhang mit dem Kosovo also vom Oktober und November 1998 über den Februar
1999 bis zu der Entscheidung, die in dieser Woche zu
treffen sein wird -, hat der Haushaltsausschuß ebenfalls
im notwendigen Umfang umgesetzt. Gegen Zahlenspekulationen, die besonders in den letzten Wochen angestellt worden sind und mit denen teilweise Schindluder
getrieben worden ist,
({1})
spreche ich vor der Öffentlichkeit aus, daß der Luftwaffeneinsatz bei weitem noch nicht den vorgesehenen, aus
dem Einzelplan 14 zu finanzierenden Umfang erreicht
hat. Dasselbe gilt für den Einsatz des Heeres, der aus
dem Einzelplan 60 finanziert wird.
Ich bleibe dabei: Die Verteilung der Finanzierung selbst der Finanzierung der Einsätze im Balkan - auf
verschiedene Einzelpläne ist haushaltssystematisch unbefriedigend und politisch sicher eher nachteilig als
vorteilhaft. Aber für dieses Jahr ist mehr Spielraum als
in der Vergangenheit geschaffen worden. Nach gegenwärtigem Ermessen reicht der Ansatz aus.
({2})
Militärisch ist also hinreichend Vorsorge getroffen
worden. Das ist die Verantwortung des Haushaltsausschusses, und das ist die Verantwortung, über die in dieser Stunde Rechenschaft abgelegt werden muß. Doch
ebenso klar darf ich namens beider Koalitionsfraktionen
sagen: Wenn neue Beschlüsse zu fassen sind, muß und
wird sich auch der Haushaltsausschuß damit befassen.
Was wir nicht mehr im Rahmen der Haushaltsaufstellung erreichen können, werden wir im Haushaltsvollzug
leisten.
Dasselbe gilt für die humanitären Maßnahmen. Die
außerordentlichen Anstrengungen, die der Bundesminister der Verteidigung und die Bundeswehr auf humanitärem Gebiet unternommen haben und weiter unternehmen werden, gehen nach dem Beschluß des Haushaltsausschusses in der Bereinigungssitzung nicht zu
Lasten der finanziellen Vorsorge für militärische Einsätze. Mit 300 Millionen DM, die sich schon 14 Tage später als dringend nötigt erwiesen haben, haben wir vielmehr Vorsorge für die Leistungen aller Ressorts getroffen. Leider Gottes oder auch Gott sei Dank muß man sagen, daß diese Vorsorge zur Zeit vor allen Dingen der
hochengagierten und der hochleistungsfähigen Bundeswehr obliegt.
Herr Minister, ich darf nicht nur der Truppe, sondern
auch Ihnen und dem in dieser Woche in Bonn anwesenden Parlamentarischen Staatssekretär Walter Kolbow für
Ihr Engagement danken.
({3})
Gerade weil der Einsatz der Bundeswehr im Rahmen
der NATO humanitär begründet wird, haben wir uns
bemüht, auseinanderzuhalten, was auf der einen Seite
mit dem Waffengang und hoffentlich bald mit einer Absicherung des Waffenstillstandes und eines Friedensprozesses zusammenhängt - ich nehme an, diese Thematik
wird, wenn wir erst über ein ziviles Aufbauprogramm
reden werden, noch in eine ganz andere Dimension hineinwachsen - und was auf der anderen Seite im engen,
strengen Sinne humanitär ist. Das ist die unmittelbare
Hilfe für Menschen in der Not, die zur Zeit leider nur
außerhalb und nicht innerhalb des Kosovo möglich ist.
Wie ich schon angedeutet habe, rechne ich damit, daß
allein diese Aufgabe - vom zivilen Aufbauprogramm
ganz zu schweigen - noch mehr kosten wird, als uns zur
Zeit klar ist. Mir sind aber die materiellen Kosten zur
Verhinderung von immateriellen Opfern allemal lieber
als eine Schädigung von Leib und Leben der Menschen.
({4})
Der Einzelplan 14, also das Verteidigungsbudget,
aber auch die übrigen, in anderen Einzelplänen veranschlagten Verteidigungsausgaben nach den Kriterien
der NATO haben durch die Zunahme der AuslandsVolker Kröning
einsätze den Charakter eines Zwitters bekommen. Zum
einen sind die klassischen Aufgaben der Landes- und
Bündnisverteidigung zu finanzieren, doch zunehmend
auch neue Aufgaben, die sich schon lange vor dem
50-Jahres-Gipfel der NATO abgezeichnet haben.
Der frühere Verteidigungsminister Rühe hat sich damit bereits im Rahmen des Verteidigungshaushaltes
herumschlagen müssen, und auch wenn Minister Scharping die für 1999 gefundene Lösung als Entlastung empfinden wird, ja muß - und wir alle teilen dieses Gefühl -,
sollten die künftigen Verteidigungshaushalte alte und
neue Aufgaben und Ausgaben integrieren.
Nach dem Ergebnis des Berichterstattergespräches
hätte die Summe von Plafond und militärischen Verstärkungsmitteln 47,381 Milliarden DM statt nunmehr
47,490 Milliarden DM betragen, aber der Plafond wäre
mit 47,319 Milliarden DM höher als mit nunmehr
47,049 Milliarden DM ausgefallen. Doch wichtiger und
für die Zukunft entscheidend ist, daß wir mit der erhöhten Beteiligung des Ressorts aus dem Verkauf von Material und Grundstücken mit insgesamt bis zu 232 Millionen DM im Jahr 1999 einen Schritt in Richtung einer
effektiven Verstärkung der investiven Ausgaben getan
haben. Dieses war ein ausdrücklicher Wunsch des Verteidigungsausschusses, ich glaube, sogar ein einmütiger
Wunsch dieses Ausschusses, und ich freue mich, daß
wir im Laufe der Verhandlungen diesem Interesse auch
Rechnung tragen konnten.
Dies und die Einführung der Budgetierung bei den
Universitäten der Bundeswehr, den Bundeswehrkrankenhäusern und dem Flugmedizinischen Institut der
Bundeswehr, auf die sich das Verteidigungsministerium
und das Finanzministerium bisher nicht hatten verständigen können, und der Ausbau der gegenseitigen Dekkungsfähigkeit im Verteidigungshaushalt zugunsten der
Verbesserung der Informationstechnologien zeigen, daß
sich die parlamentarischen Beratungen trotz aller
Schwierigkeiten und trotz aller Begleitmusik gelohnt
haben. Dies ist der Nutzen für das Ressort, den wir festhalten sollten, dies ist der Nutzen für die Bundeswehr,
über den ich froh bin.
({5})
Doch auch der Nutzen für den Gesamthaushalt darf
nicht verschwiegen werden. Die Einsparungen im Rahmen der globalen Minderausgabe sollen nach dem
Willen des Haushaltsausschusses im Bereich der nichtinvestiven Ausgaben erfolgen. Dabei will ich festhalten
- und dies trägt auch der Besonderheit des Verteidigungshaushalts Rechnung -: So bedenklich globale
Minderausgaben im allgemeinen sind - ich nehme an,
davon wird noch die Rede sein -, globale Minderausgaben also, die nicht schon im Rahmen der Haushaltsaufstellung aufgelöst sind, so sehr sollte respektiert, ja geradezu appelliert werden, daß diese Verantwortung im
Zeichen des Strukturwandels der Verteidigung von der
Fachpolitik wahrgenommen wird, also vom Verteidigungsminister und vom Verteidigungsausschuß.
Dagegen ist der Haushaltsausschuß den Wünschen
des Verteidigungsausschusses zur Personalstruktur
nicht gefolgt - bis auf eine Verbesserung bei der Entsendung deutschen Personals zu den Vereinten Nationen, für die sich auch Herr Minister Scharping besonders eingesetzt hat. Die weitgehenden Vorschläge des
Ausschusses zur Personalstruktur dagegen hätten - ich
bitte um Verständnis, daß wir das geltend machen müssen - die Ergebnisse der Kommission „Zukunft der
Bundeswehr“ und/oder eigenständige Entscheidungen
des Ressorts in der nächsten Zeit präjudiziert. Zwischen
dem Ressort und dem Finanzministerium ist leider noch
nicht einmal die bisher geltende Zielstruktur 340 000
abgestimmt. Ich nehme an, daß das im Hinblick auf neue
Entwicklungen auch gar nicht mehr passieren wird.
Um so mehr betone ich, daß es keinen Beförderungsstau geben wird. 1999 werden wie 1998 durch sogenannten Ermächtigungsvermerk Beförderungsstellen,
die sogenannten Supplementärstellen, für Oberstabsfeldwebel und Stabsfeldwebel, an der Zahl 900, zur Verfügung stehen. Dazu kommen, wie im Regierungsentwurf vorgesehen war, 10 Unteroffiziers- und 64 Offiziersstellen, die 1999 im Ministerium für Beförderungen
genutzt werden können.
Weitere Anträge zur Personalstruktur, die möglicherweise gesondert zu finanzieren gewesen wären oder
zu finanzieren sein werden, lagen und liegen dem Haushaltsausschuß nicht vor.
Im übrigen hat der Verteidigungsausschuß auf Antrag
der Koalitionsfraktionen die Bundesregierung um einen
Bericht zur Beförderungssituation aller Besoldungsgruppen und auch zur Situation der Wehrdienstleistenden gebeten. Diesen Bericht, der demnächst vorliegen
soll, müssen die Ausschüsse auswerten. Aus ihm werden
Konsequenzen gezogen werden müssen. Deshalb, aber
auch nur deshalb, meine Damen und Herren von der
F.D.P., können wir heute Ihren Anträgen auf Erhöhung
des Wehrsoldes und auf Vereinheitlichung der Bundeswehrbesoldung in Ost und West nicht nähertreten. Dies
würde im übrigen nicht nur die Bundeswehr betreffen,
sondern die gesamte Bundesverwaltung. Ich darf allerdings darauf hinweisen - das ist eine Mitteilung der
letzten Tage -, daß das Problem der unterschiedlichen
Bezahlung bei den Auslandseinsätzen unserer Soldaten
im Bereich der Exekutive in Kürze gelöst sein wird.
({6})
- Ich hatte mich auch dafür eingesetzt. Aber für uns war
das zum damaligen Zeitpunkt - leider Gottes - noch
nicht entscheidungsreif.
({7})
Der Verteidigungshaushalt hat in den zurückliegenden Jahren tiefe Einschnitte erfahren. Das ist uns wohl
bewußt. Das ist oft genug hier debattiert worden. Sie
folgten oft einer unsoliden, ja hektischen Haushalts- und
Finanzpolitik und griffen sogar während eines laufenden
Haushaltsjahres öfter in den Verteidigungshaushalt ein.
Dies verursachte die bekannten desolaten Zustände, besonders bei der Material- und Gebäudeerhaltung. Dies
schuf sogar - das wissen wir - Mißtrauen und Frustration in der Truppe.
Wir lehnen solche Spardiktate ab. Aber zugleich können und wollen wir keine Füllhörner ausschütten. Wir
wollen nichts versprechen, was wir nicht halten können
und was auch Sie, meine Damen und Herren von der
CDU/CSU-Fraktion, nicht gehalten haben, als Sie noch
an der Regierung waren.
Ihren Antrag auf Ausweitung des Verteidigungshaushaltes noch über das Maß der Nominal- und Effektivstärke hinaus, die ich beschrieben habe, lehnen wir ab.
Er ist genauso konzeptionslos, wie es die frühere Regierungspolitik auf diesem Feld war. Der haushaltspolitischen Realität wird sich - das muß man, wenn auch
schweren Herzens, für die Zukunft feststellen - kein
Ressort - ich betone: kein Ressort - verschließen können. Aber wir haben den Willen, die sich aus der Sanierung der Staatsfinanzen ergebenden Notwendigkeiten im
Rahmen eines kooperativen Umgangs zwischen Fachpolitikern und Haushältern durchzusetzen.
({8})
Wir setzen dabei auf gescheite und vor allen Dingen auf
faire Lösungen. Dafür gibt es Beispiele aus den letzten
Wochen und Monaten.
({9})
- Über Intelligenzquotienten streite ich mit niemandem.
Auch in den nächsten Jahren ist mit harten und zähen
Verhandlungen angesichts der Spannung zwischen Teilinteressen und Gesamtinteressen zu rechnen. Nur ein
sorgfältig konzipierter Haushalt kann mehr als ein Jahr
überstehen, kann von Dauer sein. Uns alle in den Koalitionsfraktionen eint das Ziel - ich hoffe, auch in der
Breite dieses Hauses -, einer Organisation wie der Bundeswehr und den Menschen, die ihr und uns dienen, die
Planungssicherheit zu geben, die sie brauchen.
Schönen Dank.
({10})
Als
nächster Redner hat das Wort der Kollege Jürgen
Koppelin von der F.D.P.-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Ich habe während der Haushaltsberatungen schon manches Mal für meine Fraktion
zum Einzelplan 14 Stellung nehmen dürfen. Ich habe
wie die beiden Vorredner immer zu einzelnen Positionen
des Haushaltes Stellung genommen. Ich gestehe allerdings, daß es mir bei dieser Haushaltsberatung - zu
einem Zeitpunkt, zu dem deutsche Soldaten im Ausland
im Auftrag der NATO einen schweren Dienst tun - nicht
leichtfällt, meinen Blick nur auf den Haushalt und auf
einzelne Haushaltspositionen zu richten.
Natürlich beklagen auch wir Freien Demokraten, daß
der Haushalt des Verteidigungsministers erneut reduziert
wurde und daß die Vorbelastungen für diesen Haushalt
weit über 1 Milliarde DM betragen. Dennoch erkenne
ich an - das will ich ausdrücklich betonen -, daß der
Verteidigungsminister um seinen Etat gekämpft hat.
Herr Kollege Kröning, als Sie eben dem Minister gedankt haben, hat sich das gut angehört. Aber der Dank
kostet auch nichts. Sie hätten den Minister bei den
Haushaltsberatungen unterstützen sollen. Das wäre das
Richtige gewesen.
({0})
Kollege Austermann hat schon darauf hingewiesen:
Die Reduzierungen im Einzelplan 14 durch die rotgrünen Abgeordneten wären sicherlich noch höher ausgefallen, wenn nicht die Opposition den Verteidigungsminister massiv unterstützt hätte.
({1})
Doch heute, da die Bundeswehr mit zirka 6 000 Bundeswehrangehörigen auf dem Balkan ihren Beitrag zum
Einsatz der NATO im Kosovo erbringt, in einer Zeit, wo
Angehörige der Bundeswehr im Ernstfall ihr Leben zum
Schutz der Menschen im Kosovo einsetzen, wo Soldaten
der Bundeswehr einen schwierigen und gefährlichen
Auftrag erfüllen, müssen Diskussionsbeiträge darüber,
ob diese oder jene Kostenstelle im Haushalt ausreichend
ist, in den Hintergrund treten. Wir Freien Demokraten
sind davon überzeugt, daß bei dieser Debatte über den
Haushalt des Bundesverteidigungsministers andere Antworten als nur eine Diskussion über den Haushalt selbst
gegeben werden müssen.
Die Soldaten der Bundeswehr, die durch die Entscheidung des Parlaments zusammen mit den Angehörigen der anderen NATO-Staaten im Ausland dem Auftrag nachgehen, den wir als Parlament gegeben haben,
erwarten von uns klare Aussagen darüber, wie wir zur
Bundeswehr und zu den Soldaten der Bundeswehr stehen.
So geht in dieser Stunde der Debatte über den Verteidigungsetat zuallererst ein Dank und eine Anerkennung
an die Soldaten der Bundeswehr, die jetzt einen
schwierigen Auftrag erfüllen.
({2})
Wir verbinden damit den innigen Wunsch, daß sie alle
von diesem Auslandseinsatz heil und gesund wieder zurückkommen. Wir sagen zu, daß wir alles unternehmen
werden, damit der Schutz unserer Soldaten, die einen
verantwortungsvollen und gefährlichen Dienst versehen,
ein vorrangiges Ziel bleibt. Wir hoffen sehr, daß dieser
Einsatz bald beendet ist, und dabei setzen wir sehr stark
auf die russische Diplomatie.
Wir fühlen auch mit den Angehörigen unserer Soldaten, die in dieser Zeit sicherlich in großer Sorge sind.
Wir denken an die vielen Flüchtlinge, die die Auseinandersetzungen auf dem Balkan erleiden und ertragen
müssen. Wir denken auch an die unschuldigen Opfer,
die dieser Krieg schon gefordert hat.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, unsere Soldaten
verdienen jedoch nicht nur unsere volle Solidarität und
unsere Unterstützung. Sie haben auch Anspruch auf
gleiche Besoldung. Ein Bundeswehrangehöriger aus den
neuen Bundesländern erhält noch immer 13,5 Prozent
weniger Sold als ein Soldat aus den alten Bundesländern. Wer für Deutschland Frieden und Menschenrechte
schützt, der verdient auch den gleichen Sold. Das ist unsere Auffassung.
({3})
Wir Freien Demokraten haben deshalb einen Antrag gestellt, diese Ungerechtigkeit zu beseitigen. Wir bitten um
die Unterstützung aus allen anderen Fraktionen.
Für die F.D.P.-Fraktion will ich die heutige Debatte
nutzen, um Ihnen, Herr Bundesverteidigungsminister,
den Respekt meiner Fraktion für Ihre Amtsführung auszusprechen.
({4})
Natürlich bewerten wir das eine oder andere aus unserer
Sicht auch anders. Aber es bleibt unser Respekt. Wir
können es deswegen nicht gutheißen, wenn, wie am
1. Mai auf einer Kundgebung in Ludwigshafen geschehen, Demonstranten Sie bei Ihrer Rede stören und mit
Sprechchören und Trillerpfeifen niederschreien wollen.
Es muß in dieser Debatte jedoch auch gefragt werden
dürfen, ob solche Demonstranten nicht ermuntert werden, wenn es Mitgliedern der Bundesregierung, wie der
Parlamentarischen Staatssekretärin Altmann, erlaubt
bleibt, in einer Anzeige zu behaupten, die Bundesregierung führe zur Zeit einen Angriffskrieg.
({5})
Herr Minister, ich frage Sie: Wie können Sie mit dieser
Parlamentarischen Staatssekretärin noch an einem Kabinettstisch sitzen?
({6})
Darauf haben wir eine Antwort verdient. Es ist ebensowenig erträglich, daß sich Mitglieder der Fraktion der
Grünen - Herr Verteidigungsminister, es ist immerhin
Ihr Koalitionspartner - dieser Auffassung in Anzeigen
angeschlossen haben. Herr Verteidigungsminister, was
sagen Sie dazu, daß Teile Ihres grünen Koalitionspartners Sie persönlich eines Angriffskrieges bezichtigen?
Wir Freien Demokraten werden zum Haushalt des
Verteidigungsministers eine namentliche Abstimmung
beantragen. Damit geben wir besonders der Fraktion der
Grünen Gelegenheit, öffentlich zu zeigen, ob sie die
Politik des Verteidigungsministers noch mittragen will.
Wir werden dann sehen, wie die Parlamentarische
Staatssekretärin Altmann und die anderen Mitglieder der
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, die von einem Angriffskrieg gesprochen haben, abstimmen werden. Ich
sage in Richtung von Bündnis 90/Die Grünen: Wenn
man in Regierungsverantwortung ist, dann darf sich eine
Fraktion bei dieser Abstimmung nicht davonschleichen.
({7})
Wir werden sehr genau darauf achten, wer an der Abstimmung teilnimmt.
In dieser Situation sind klare Aussagen und ein klares
Bekenntnis zur Bundeswehr angezeigt. Dafür gehört für
uns Freie Demokraten auch die Fortsetzung der bisherigen Form für öffentliche Gelöbnisfeiern. Sie, Herr
Verteidigungsminister, haben sich dazu bekannt. Aber
wie steht es mit Ihrem Koalitionspartner?
({8})
Das Verhalten von Herrn Trittin bei einer öffentlichen
Gelöbnisfeier in Berlin sowie die Aussagen und Forderungen der Kollegin Angelika Beer - sie ruft gerade dazwischen -, die sich für Störungen der öffentlichen Gelöbnisfeiern ausspricht, sind ja nicht vom Tisch und bei
vielen noch in schlechter Erinnerung. Herr Verteidigungsminister, es wäre gut, wenn Sie dazu in dieser Debatte ein Wort sagen würden.
Lassen Sie mich auf das beherrschende Thema Kosovo zurückkommen. Sie, Herr Minister, haben auf der
Kundgebung in Ludwigshafen gesagt: „Europa kann nur
ein friedlicher Kontinent bleiben, wenn die Menschenrechte überall respektiert werden.“ Dem stimmen wir zu.
Deshalb ist es weiterhin notwendig, daß wir denjenigen
entschieden entgegentreten, die die Menschenrechte
verletzen. Es ist wahr, daß dann, wenn die NATO jetzt
beim Einsatz im Kosovo scheitert, nicht nur die Glaubwürdigkeit der NATO verloren wäre, sondern auch die
Folgen für die gesamte Stabilität in Europa unübersehbar wären.
Was sagen Sie eigentlich, Herr Verteidigungsminister, denjenigen aus Ihrer Fraktion, die nun, wie zum
Beispiel der Kollege von Larcher, eine Feuerpause fordern, oder die, wie der Kollege Hermann Scheer, einen
Stopp der NATO-Angriffe fordern und die Angaben der
NATO in Zweifel ziehen? Was sagen Sie zu den Äußerungen des Bundesumweltministers Trittin auf der Veranstaltung in Göttingen, und was sagen Sie zu den Äußerungen des fahnenflüchtigen Oskar Lafontaine in
Saarbrücken am 1. Mai?
({9})
Ich wiederhole hier noch einmal, Herr Bundesverteidigungsminister: Die F.D.P.-Fraktion unterstützt Sie.
Aber wir fragen auch: Haben Sie noch die Unterstützung
von allen Teilen der eigenen Koalition? Die Angehörigen der Bundeswehr, die jetzt im Kosovo-Konflikt im
Einsatz sind, haben darauf doch wohl eine Antwort verdient.
({10})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, jetzt wurde, wie der
Verteidigungsminister bereits vor längerer Zeit angekündigt hat, eine Wehrstrukturkommission eingesetzt.
Diese soll Vorschläge über Auftrag, Umfang, Ausrüstung und Ausbildung der Streitkräfte unterbreiten. Ich
verhehle nicht, daß sich die F.D.P.-Bundestagsfraktion
bei der Besetzung dieser Kommission auch andere perJürgen Koppelin
sonelle Konstellationen hätte vorstellen können. Wir
hätten es begrüßt, wenn zum Beispiel der Deutsche
Bundeswehr-Verband dabeigewesen wäre oder Experten
der Fraktionen an der Arbeit der Kommission beteiligt
worden wären.
({11})
Bei der Gelegenheit, Herr Verteidigungsminister,
möge man sich einmal vorstellen, Unternehmen wie
Volkswagen oder Siemens hätten eine Kommission gegründet, um ein Zukunftsprogramm zur Strukturierung
zu entwerfen, und in diese hohe kirchliche Würdenträger
berufen. Ich glaube, das würde nicht ganz so gut funktionieren. Sie verfahren aber genau nach diesem System.
Da das Parlament an der Kommissionsarbeit nicht
beteiligt worden ist, verwundert es natürlich nicht, wenn
nun begleitende Diskussionsbeiträge aus den Fraktionen
kommen. Ich warne allerdings davor, eine Reduzierung
der Bundeswehrstärke nur mit Blick auf den Haushalt zu
fordern, wie das der Kollege Volker Kröning von der
SPD schon früher und eben auch noch einmal getan hat.
Kollege Kröning, Verteidigungspolitik macht man nicht
je nach Haushaltslage, sondern nach den jeweils erforderlichen Notwendigkeiten.
({12})
Bei jeder Diskussion um die Zukunft der Bundeswehr, Herr Kollege, sollten wir nicht vergessen, daß auf
deutschem Boden die Bürger noch nie so frei waren, so
ohne Furcht und Gefahr von außen waren. Dazu haben
die Soldaten der Bundeswehr einen großen Beitrag geleistet. Auch bei der Erfüllung ihrer internationalen
Aufgaben werden sie immer das bleiben, was sie gewesen sind: Soldaten in einer Demokratie. Diesen Soldaten
und allen Angehörigen der Bundeswehr fühlen wir Freien Demokraten uns verpflichtet. Aus dieser Verpflichtung heraus, Herr Kollege Kröning, und nicht, weil Ihr
Haushalt uns überzeugt, wird die Freie Demokratische
Partei auch als Oppositionspartei dem Einzelplan 14,
dem Etat des Verteidigungsministers, zustimmen.
Vielen Dank für Ihre Geduld.
({13})
Als
nächste Rednerin hat die Kollegin Angelika Beer vom
Bündnis 90/Die Grünen das Wort.
Herr
Präsident! Verehrte Damen und Herren! Wir stehen vor
wichtigen Veränderungen im sicherheits- und verteidigungspolitischen Bereich und gleichzeitig vor der
schwierigen Herausforderung, daß wir unsere Vorstellungen nicht bruchlos umsetzen können, sondern zunächst, Herr Kollege Koppelin, die Versäumnisse der
letzten Regierung, die auch Sie mitgetragen haben, in
möglichst konstruktiver und zukunftsweisender Art abarbeiten müssen. Aus diesem Grunde ist in diesem
Haushalt noch wenig von unserer grünen oder auch rotgrünen Handschrift zu lesen.
Ich will durchaus die Punkte hervorheben, die wir für
positiv und vorwärtsweisend halten. An der Stelle
möchte ich insbesondere darauf hinweisen, daß es sich
nach wie vor um einen Übergangshaushalt handelt. Ich
habe das schon einmal erwähnt; wir sehen aber ganz
klar, daß wir uns eine Politik des „Weiter so“, wie Sie
sie betrieben haben - das hat ja auch zur verschärften finanziellen Situation beigetragen -, keineswegs erlauben
können.
Natürlich dürfen wir nicht vergessen, daß der tragische und grausame, von Milosevic zu verantwortende
Krieg im Kosovo vor allen Dingen die Versäumnisse der
Vergangenheit deutlich macht, nicht nur im konkreten
politischen Alltag, sondern auch bei der Schaffung der
Grundlagen für eine andere Politik. Es wird deutlich,
daß die internationale Staatengemeinschaft eben noch
nicht über Mittel verfügt, um auf einen solchen Konflikt
rechtzeitig einzuwirken. Das liegt zum einen an der
Schwäche der OSZE und anderen internationalen Organisationen. Die Folgerung daraus für uns ist aber, daß
die OSZE und die Vereinten Nationen gestärkt werden
müssen und nicht marginalisiert werden dürfen.
({0})
Auf der nationalstaatlichen Ebene, die ich auch ansprechen möchte, ist ebenfalls viel nachzuholen. Aus
diesem Grunde haben wir in den Einzelplänen des Auswärtigen Amtes und des BMZ die Mittel für zivile Konfliktbewältigung zum erstenmal wieder erhöht, nachdem sie in den letzten Jahren stagnierten bzw. reduziert
wurden.
Welche Rolle wollen wir der Bundeswehr in diesem
Zusammenhang zuweisen? - Sie kann eine unterstützende Rolle annehmen. Allerdings stehen wir dann in
der Verantwortung, daß das Primat der Politik und die
Kontrolle des Parlaments auch in Zukunft gewährleistet
bleiben. Die Bundeswehr ist bisher noch nicht genügend
auf die anspruchsvollen Aufgaben internationaler Friedenssicherung vorbereitet.
Wenn ich im folgenden einige Überlegungen dazu
anstelle, will ich in keiner Weise die Ergebnisse der
Kommission „Zukunft der Bundeswehr“ vorwegnehmen. Im Gegenteil, ich begrüße ausdrücklich die Zusammensetzung der Kommission und deren Unabhängigkeit sowie deren Arbeitsteilung. Gerade die Unabhängigkeit von Politikern halte ich für begrüßenswert.
Ansonsten hätte ich Zweifel, ob diese Kommission den
gewaltigen Aufgaben gewachsen ist.
Wir gehen davon aus, daß es der Kommission trotz
des hohen Erwartungsdrucks gelingen wird, ein breites
Spektrum von Optionen zu überprüfen und diese ausgewogen zu bewerten. Ihre Einberufung wird die Grundlage für die notwendigen politischen Entscheidungen
schaffen.
Es ist ja keineswegs so, Herr Kollege Austermann,
daß die Kommission dann die Entscheidungen trifft,
sondern sie soll die Optionen so vorbereiten, daß die
Politik - Parlament und Verteidigungsminister - die
Konsequenzen aus dieser Arbeit ziehen kann.
Ich halte es auch für ganz besonders notwendig - es
ist schon merkwürdig, daß das bei Ihnen noch nicht angekommen ist -, daß wir eben nicht im Eilverfahren
Entscheidungen übers Knie brechen wollen,
({1})
sondern daß die Ergebnisse insbesondere für die Betroffenen, für die Soldaten, kalkulierbar sein müssen. Deswegen ist der Zeitraum der Arbeit dieser Kommission
auch richtig gesetzt.
({2})
Ich möchte betonen, daß ich es begrüße, daß sich der
Minister für eine öffentliche Diskussion während der
Arbeit der Kommission ausgesprochen hat. Gerade vor
dem Hintergrund der neuen Aufgaben, die doch auf der
Hand liegen - wir sehen heute, daß die Bundeswehr den
Aufgaben der Zukunft nicht gewachsen ist; das wird
doch an jeder Entscheidung, die wir hier zu treffen haben, deutlich -, ist es notwendig, transparent und offen
zu diskutieren.
Ich sage Ihnen eines: Die Öffentlichkeit, die Gesellschaft, ist nicht mehr mit Beruhigungspillen, wie Sie sie
in den letzten Jahren nur noch angeboten haben, zufriedenzustellen. Die Gesellschaft will ja die Zukunft der
Bundeswehr und deren Aufgaben und Strukturen tragen.
Dazu muß man aber Mut zur Transparenz haben und
darf nicht mit Scheuklappen diese Diskussion zu verhindern suchen. Dafür sind Sie, Herr Breuer, prädestiniert.
Sie haben die Arbeit der Kommission schon im vorhinein diskreditiert, Sie haben die personelle Zusammensetzung diskreditiert.
Wir sprechen uns in eineinhalb Jahren wieder. Dann
sind Sie nämlich aus dem Film heraus; dann wissen Sie
überhaupt nicht mehr, was Sicherheitspolitik der Zukunft bedeutet.
({3})
Angesichts der Tatsache, daß Interessenpolitik, gar
nationale Interessenpolitik, im traditionellen Sinn definierte Interessenpolitik in einem integrierten Europa gar
nicht mehr zeitgemäß ist, stellen sich viele die Frage,
wozu die Bundeswehr überhaupt noch gebraucht wird.
Vor diesem Hintergrund sehe ich die Aufgabe dieser
Kommission und des Parlaments darin, ein außen- und
ein friedenspolitisches Konzept zu entwickeln, eine
Konzeption, in der die Bundeswehr Bestandteil einer
präventiven Außen- und Sicherheitspolitik sein wird.
Ich gehe davon aus, daß die Veränderungen der Bundeswehr angesichts der zukünftigen Aufgaben zu einer
Reduzierung der bisherigen Hauptaufgabe, nämlich der
Landesverteidigung, führen werden. Ich denke, daß dies
natürlich auch Folgen für die Strukturen und Aufgaben
haben wird. Wir gehen davon aus, daß aufgrund der sicherheitspolitischen Rahmenbedingungen und der Entwicklung der Aufgaben die Streitkräfte der Bundeswehr
deutlich reduziert werden können, um so den Spielraum
zu gewinnen, sie personell und materiell besser auf ihre
Aufgaben vorzubereiten.
Aus Sicht der Grünen - daraus mache ich überhaupt
keinen Hehl - sollte an die Stelle der Wehrpflicht und
des Zivildienstes ein freiwilliger Dienst treten, da die
Wehrpflicht auf Dauer aus unserer Sicht gesellschaftlich
nicht mehr zu rechtfertigen ist.
({4})
Allerdings gehen wir offen mit dieser Position in die öffentliche Auseinandersetzung. Wir haben ja gesehen,
daß fast quer durch alle Parteien ähnliche Diskussionen
laufen.
Welche anderen Aufgaben könnte es für die Bundeswehr geben? - Grüne Vorstellungen zielen auf eine
Entnationalisierung der Sicherheitspolitik. Es ist klar,
daß dies unter den gegenwärtigen Bedingungen des internationalen Systems nicht umsetzbar ist, auch nicht in
Kürze. Trotzdem meinen wir, daß man in diese Richtung
denken muß und auch erste Schritte tun sollte.
Die Bundeswehr kann nicht die zentrale Institution
präventiver Politik sein. Das ist die Aufgabe der Diplomatie, der zivilen Politik und - zunehmend in der Gesellschaftswelt - die Aufgabe der Zivilgesellschaft. Unser Konzept präventiver Sicherheitspolitik zielt auf die
Integration dieser verschiedenen Handlungsebenen, die
sich ergänzen und die sich nicht gegenseitig ausschließen sollten. Damit muß eindeutig der Primat der Politik
und des Zivilen vor dem Militärischen gewährleistet
sein.
Das Ziel einer präventiven Sicherheitspolitik für die
Bundesrepublik Deutschland ist eine langfristig angelegte Politik der Reduzierung und Vermeidung von Gewalt sowie die Herstellung einer politischen Ordnung,
die Frieden in der internationalen Politik gewährleisten
will. Wir wissen, daß Konflikte nicht aus der Welt verbannt werden können. Das ist auch die bittere Erfahrung
der heutigen Tage. Uns geht es aber um die zivile und
friedliche Bearbeitung von Konflikten bzw. um die
Deeskalation von Gewalt, wenn es zu einem gewaltsamen Konfliktaustrag kommt, und um die Wiederherstellung einer friedensfähigen Situation. Zu entsprechenden Maßnahmen muß man den Mut haben, bevor
man gezwungen wird, Militär einzusetzen.
({5})
Weil Sie es nicht verstehen, sage ich: Das bedeutet
die Weiterentwicklung der internationalen Rechtsordnung, einer internationalen Strukturpolitik und die
Schaffung regionaler und internationaler Instrumente für
Konfliktfrüherkennung, rechtzeitiges Eingreifen und für die Zeit nach einem Konflikt; auch daran müssen wir
denken - die Schaffung von Instrumenten für eine Friedenskonsolidierung.
Wo nichts anderes möglich ist, müssen wir die Anwendung militärischer Mittel zur Verhinderung und
Abwehr von Gewalt im Rahmen der internationalen
Gemeinschaft sehr genau - Einzelfall für Einzelfall prüfen und gemeinsam auf einer eindeutigen völkerrechtlichen Grundlage, falls notwendig, vorgehen.
Wir treten dafür ein, daß Soldaten, die in schwierige
und gefährliche Situationen geraten können, optimal
ausgerüstet sind. Gleichzeitig - das ist meiner Ansicht
nach die wichtigere Rolle - werden Einsätze in Zukunft
nicht klassische Kampfeinsätze sein,
({6})
sondern Einsätze, in denen Soldaten im Sinne der Agenda für den Frieden handeln können und handeln müssen.
Auch deshalb wollen wir uns im Rahmen der Vereinten
Nationen an Stand-by-Agreements beteiligen. Die ersten Schritte auf diesem Weg sind gemacht.
Diese komplexen Anforderungen - ich weiß, daß Sie
diese Überlegungen nicht gewohnt sind - gehören zur
Sicherheitspolitik dazu. Sie werden Auswirkungen auf
die Ausbildung der Soldaten und natürlich auch auf den
Einzelplan 14 haben.
({7})
Wir dürfen die Möglichkeiten einer präventiven Politik aber auch nicht überschätzen. Wenn es uns gelingt,
diese Politik zunächst in Europa konkret werden zu lassen, sie weiterzuentwickeln und so die Transformationsstaaten und neuen Demokratien in ein solches Konzept
zu integrieren, sind wir einen wichtigen Schritt weitergekommen, der sehr viel mehr zur Stabilität beiträgt als
die Polemik, die Sie sich heute zum Teil erlaubt haben.
({8})
Herr Koppelin, Sie versuchen, die Koalition mit Zitaten und Unterstellungen gerade in der Frage des Kosovo-Einsatzes zu spalten, in der wir Gott sei Dank einen
breiten Konsens haben. In diesem Zusammenhang frage
ich Sie nur, ohne daß ich die Beschlüsse Ihres F.D.P.Landesparteitages angreifen will: Was sagen Sie denn zu
der heutigen Entscheidung des F.D.P.-Landesparteitages, auf dem eine sofortige und einseitige Beendigung
der Luftwaffeneinsätze gefordert wird? Setzen Sie sich
damit argumentativ auseinander, anstatt sich in Polemiken zu ergießen, die weder den betroffenen Menschen
im Kosovo noch dem Bündnis, noch der Politik für die
Zeit nach dem Krieg auch nur ansatzweise helfen!
({9})
Frau
Kollegin Beer, erlauben Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Nolting?
Aber gerne, da Sie, Herr Kollege Nolting, heute nicht
reden durften.
({0})
Bitte
schön, Herr Nolting.
Frau Kollegin
Beer, vielleicht können Sie sich daran erinnern, daß ich
in der ersten Runde der Haushaltsdebatte geredet habe.
Deshalb hat der Kollege Koppelin heute gesprochen.
Wie stehen Sie denn zu Ihrer Aussage, die Sie am
29. April im „Morgenmagazin“ um 7.37 Uhr gemacht
haben,
({0})
nämlich zu möglichen Kollateralschäden bei Luftschlägen gegen Jugoslawien? In diesem Zusammenhang
haben Sie unter anderem gesagt: Ich möchte dieses Wort
Kollateralschaden nicht benutzen, und ich denke, wenn
Zivilisten ermordet werden, muß man das auch so sagen.
({1})
Stehen Sie noch heute zu dieser Aussage, daß das,
was die NATO dort betreibt, Mord ist?
Natürlich stehe ich noch zu dieser Aussage, genauso wie
ich zu einer anderen Aussage stehe, die Sie ebenfalls
hätten zitieren können - leider haben Sie es nicht getan
-, nämlich daß ich es für falsch halte, immer zu sagen,
es gebe keine völkerrechtlichen Zweifel, wenn es sie
gibt.
({0})
Sie sind eindeutig vorhanden, und deswegen bin ich für
Klarheit in der Sprache. Das Wort Kollateralschäden bin
ich, wenn Zivilisten umkommen, gleich auf welche Art,
nicht bereit zu benutzen.
({1})
- Ich habe mich nicht zu entzaubern. - Herr Kollege
Nolting, Sie können sich wieder setzen.
Frau
Kollegin Beer, erlauben Sie auch eine Zwischenfrage
des Kollegen Braun?
Herr
Kollege Braun.
Herr
Braun, bitte schön.
Frau Beer,
nachdem Sie Ihre damalige Äußerung in diesem Hause
noch einmal bestätigt haben: Wären Sie bereit, zum
Stichwort Mord den Wortlaut des § 211 des Strafgesetzbuches nachzulesen, wo der Gesetzgeber vorsätzliche
Tötung aus niedrigen Beweggründen oder aus anderen
besonders zu mißbilligenden Gründen als Mord qualifiziert?
Das
brauche ich mir jetzt nicht durchzulesen. Sie wissen geAngelika Beer
nau, daß wir wissen und anerkennen, daß die NATO
insgesamt 50 Prozent ihrer Angriffe abgebrochen hat,
weil sie nicht ausschließen konnte, daß Zivilopfer getroffen werden. Sie wissen auch, daß wir, wenn die
Luftschläge zivile Ziele getroffen haben, jede Anschuldigung eindeutig zurückgewiesen haben, wenn der Verdacht geäußert worden ist, man habe bewußt und gezielt
Zivilisten angegriffen. Da gibt es überhaupt keine Differenz, und dabei können Sie es belassen.
({0})
- Nein, ich möchte jetzt fortfahren und damit auch zum
Ende kommen.
({1})
- Das ist nicht ungeheuerlich, sondern eine andere Debatte.
Ich habe eben aufgezeigt, wie man Möglichkeiten
entwickeln kann, gestaltend auf internationale Politik
einzuwirken. Unstrittig ist das Ziel: die Zivilisierung der
internationalen Beziehungen. Strittig ist der Weg, da
viele ein pessimistisches Bild von den internationalen
Beziehungen haben. Eine vorausschauende Politik wird
zwar im Moment Mittel beanspruchen, und sie muß
politisch durchgesetzt werden; dafür müssen auf mittlere
und längere Frist Ressourcen auf nationalstaatlicher wie
internationaler Ebene zur Verfügung gestellt werden.
Sonst werden wir den politischen Anforderungen, die
auch Auswirkungen auf die Streitkräfte haben, nicht genügen können.
Unsere Überlegungen einer präventiven Sicherheitspolitik zielen darauf, wie eine solche Politik mittels
der Bundeswehr unterstützt werden kann. Der Krieg im
Kosovo - damit will ich dann auch schließen - macht
die Dringlichkeit von Maßnahmen zur Entwicklung dieser präventiven Politik deutlich, damit wir in Zukunft
nicht mehr erst dann handeln, wenn das Kind in den
Brunnen gefallen ist, sondern schon früher.
Ansonsten, Herr Kollege Koppelin, empfehle ich Ihnen, am Freitag eine Aktuelle Stunde oder eine Sondersitzung zu den Aussagen der Abgeordneten Beer zu beantragen.
({2})
Zu einer
Kurzintervention erteile ich dem Kollegen Koppelin das
Wort.
Die Kollegin Beer hat
das angesprochen, was meine Parteifreunde in Thüringen geäußert haben. Ich will dazu gerne Stellung nehmen, Kollegin Beer; ich hätte das auch in Frageform
gemacht. Das sind genau die Fragen, die auch mein
Parteivorsitzender heute bei der großen Aussprache gestellt hat und die meine Parteifreunde, vor allem in den
neuen Bundesländern, stellen.
({0})
Ich bedaure ausdrücklich - das will ich hier einmal sagen, Kollegin Beer; darauf können Sie später eingehen,
denn Sie können gleich auch reden, wenn Sie wollen -,
daß der Bundeskanzler zu diesen Fragen heute nicht
Stellung genommen hat. Das macht manche Entscheidung schwer. Ich hoffe, daß gleich der Verteidigungsminister Stellung dazu nehmen wird.
Wenn Sie mir vorwerfen, Kollegin Beer, ich wollte
mit meiner Rede eine Spaltung der Koalition herbeiführen: Das habe ich überhaupt nicht nötig, denn das haben
Sie mit Ihrer Rede selber gemacht.
({1})
Zur Erwiderung erteile ich das Wort der Kollegin Beer.
Herr
Kollege Koppelin, wenn Sie die gesamte Debatte verfolgt und sich vielleicht etwas besser informiert hätten,
dann hätten Sie der Bundesregierung heute nicht unterstellen können, daß sie nicht in der Lage gewesen sei,
auf alle Fragen zum Kosovo-Einsatz zu antworten. Das
ist dezidiert und ausführlich geschehen. Sie hätten hier
im Plenum sitzen sollen, statt mit weiteren Unterstellungen zu versuchen, einen so wichtigen humanitären Einsatz, den wir unternehmen wollen und den wir nachher
auch noch in den Ausschüssen diskutieren wollen, in
eine solche Polemik der Oppositionsdebatte hineinzuziehen.
Ich habe Sie nur gebeten, sich mit den Argumenten
Ihrer Partei auseinanderzusetzen, anstatt anderen zu unterstellen, daß sie nicht wissen, was sie tun. Wir wissen,
was wir tun. Wir wollen dieses Mandat, um den Flüchtlingen in Albanien durch einen humanitären Einsatz der
Bundeswehr endlich Hilfe zu gewähren. Denn das müssen wir tun, wenn es um die Menschen geht.
({0})
Als
nächster Redner hat das Wort der Kollege Dr. Winfried
Wolf von der PDS-Fraktion.
Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Es gibt offensichtlich manchmal Gemeinsamkeiten zwischen der
CDU/CSU, der F.D.P. und der PDS. Beim letzten Beitrag hatte ich bei Ihnen, Herr Breuer und Herr Koppelin,
den Eindruck, daß Sie wie ich die Vorrednerin als
Traumtänzerin einschätzen, wobei das für uns - hier beginnt dann der Unterschied - ein Alptraum ist. Es geht
nämlich um den Alptraum Krieg. Ich glaube, daß dies
gerade bei dem Einzeletat Rüstung das bestimmende
Thema ist und sein sollte.
Nachdem in den letzten Tagen etwas Bewegung in
die Position der NATO und der Bundesregierung gekommen ist, könnten wir uns möglicherweise darüber
einig sein, daß schwere Fehler in diesem Krieg begangen wurden. Ich möchte dazu ein Zitat anführen: Der erste Fehler ist der,
… daß man die UNO beiseite geschoben hat ... Wer
internationalen Frieden will, muß das internationale Recht stärken … Und das internationale Recht
kann nur durch die Vereinten Nationen konstituiert
werden, nicht durch andere, die sich selbst mandatieren …
Der zweite große Fehler war,
… die augenblickliche Schwäche Rußlands so
schamlos auszunutzen … Wir werden auf der Welt
keinen Frieden erreichen können ohne Rußland.
- Herr Koppelin, ich glaube nicht, daß momentan auf
die russische Diplomatie gesetzt wird. Es wird auf die
Schwäche Rußlands gesetzt und mit IWF-Krediten gepokert.
({0})
Weiter das Zitat:
Wir hören jetzt oft den Satz, die NATO müsse ihr
Gesicht wahren. Sie könne jetzt nicht anders, sie
müsse jetzt siegen … Wir sollten uns fragen: Wessen Sieg wäre dieser Sieg eigentlich? Was bedeutet
eigentlich Gesichtswahrung gegenüber dem Elend
der Menschen, die unter diesem Krieg leiden?
({1})
Es geht nicht um Sieg und nicht um Gesichtswahrung. Es geht darum, Menschenleben zu retten …
in Jugoslawien.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, bei diesen Eingangspassagen handelt es sich um Zitate aus der Rede
von Oskar Lafontaine am 1. Mai dieses Jahres in Saarbrücken. Von daher hätte man etwas Nachdenklichkeit auf den Bänken der Sozialdemokratie erwarten
können.
({2})
In Saarbrücken gab es dazu ungeteilten Beifall.
Es ist einfach eine Tatsache: Dieser Krieg wird von
Tag zu Tag unmenschlicher. Gerade war über den Tikker zu lesen, daß Bill Clinton, in dessen Namen der
Krieg vor allem geführt wird, angekündigt hat, die
Bombardements zu verschärfen. Es werden inzwischen
überwiegend zivile Ziele angegriffen. Dies wird von
NATO-Sprecher Shea noch zynisch kommentiert, wenn
er zum Beispiel die Bombardierung einer Tabakfabrik
mit der weltweiten Kampagne gegen Nikotingenuß in
Verbindung bringt.
Das Schlimme ist: Wir können in der Presse schwarz
auf weiß lesen, daß es primär zivile Ziele sind, die angegriffen werden. Das können wir nicht nur in den drei
Ausgaben der Zeitung „Gegen den Krieg“, die die PDS
herausbrachte,
({3})
sondern auch in der „Welt am Sonntag“ vom letzten
Sonntag. Dort wird beschrieben, daß immer mehr zivile
Ziele angegriffen werden. Weiter heißt es wörtlich:
Was könnte die NATO auch anderes tun? Bodentruppen will sie nicht einsetzen. Die erkannten militärischen Ziele sind weitgehend abgearbeitet.
Das ist die Sprache des Krieges: Bombenziele werden
abgearbeitet.
Es war übrigens erneut Oskar Lafontaine in seiner
Rede am 1. Mai, der auf diese Sprache einging und dort
sagte:
Würden diese Leute, wenn die eigenen Frauen und
Kinder ums Leben kamen, davon sprechen, daß
Kollateralschäden eingetreten sind?
Die Sprache lügt hier an dieser Stelle. Eine korrekte
Übersetzung des Begriffs „Kollateralschaden“ müßte
lauten: ein seitlich aufgetretener Schaden, eine Nebenerscheinung des Krieges. Wenn aber ein Flüchtlingstreck,
wenn ein Zug, wenn Busse, wenn Wohnsiedlungen und
Fernsehanstalten bombardiert werden, dann waren die
zivilen Opfer nicht die Nebensache, sondern die Hauptsache. Sie waren das Wesen dieser Angriffe.
({4})
So sieht die bisherige Bilanz des Krieges aus: Getroffen wird primär die Zivilbevölkerung. Nach den vorliegenden glaubwürdigen Zahlen kamen bisher 1 200 Menschen, überwiegend Zivilistinnen und Zivilisten, ums
Leben.
({5})
Selbst wenn es sofort einen Waffenstillstand geben würde, ist festzustellen: Das Land wurde nach Einschätzung
von Spezialisten auf den Entwicklungsstand von 1945
zurückgebombt. Diese Schäden bezahlt nicht die Familie
Milosevic; sie werden von den Menschen in Montenegro, in Serbien, im Kosovo und in der Wojwodina
({6})
und inzwischen auch von den Vertriebenen und Flüchtlingen in Makedonien und in Albanien bezahlt.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, der vielfache Hinweis auf die Verbrechen der Milosevic-Regierung hat in
dieser Debatte eine Rechtfertigungsfunktion. Diese Taten, soweit sie belegt sind, werden nicht bestritten. Sie
wurden von uns vor Beginn des Krieges dargelegt, sie
wurden zu Beginn des Krieges dargelegt, und sie wurDr. Winfried Wolf
den auch heute wieder in der Debatte von Gregor Gysi
dargelegt.
({7})
Aber entscheidend ist: SPD und Bündnisgrüne und diese
Bundesregierung handeln hier eindeutig als Rechtsbrecher. Die erwähnten Verbrechen rechtfertigen in keiner
Weise ihr Tun.
Gerade das war die Auffassung der gleichen Beteiligten. Es waren Angelika Beer und Ludger Volmer, die
vor knapp einem Jahr in diesem Bundestag feststellten ich zitiere -:
… die Menschenrechtsverletzungen durch serbische Militär- und Polizeikräfte entbinden die internationale Staatengemeinschaft nicht von der
Rechtsförmlichkeit eigenen Handelns … Selbst bei
der schwersten aller denkbaren Menschenrechtsverletzungen, einem Völkermord, wäre … keine
Abweichung von der Notwendigkeit einer autorisierenden Resolution des Sicherheitsrates möglich.
Und weiter formulieren Frau Beer und Herr Volmer und
andere Abgeordnete der Grünen laut Bundestagsprotokoll vom 19. Juni 1998:
Eine deutsche Beteiligung an einem NATO-Einsatz
ohne UNO-Mandat … würde fundamental gegen
die Verfassung der Bundesrepublik Deutschland
verstoßen.
Worte, die mit Leidenschaft vor zehn Monaten hier gesprochen wurden. Selbst bei Völkermord nur mit UNOMandat!
({8})
Doch genau diese völkerrechtlichen Positionen werden von der neuen Regierung weggefegt.
({9})
Kollege Willy Wimmer von der CDU, ehemals
Staatssekretär im Verteidigungsministerium, hat es vor
wenigen Tagen in einem Interview mit der „Süddeutschen Zeitung“ auf den Punkt gebracht.
({10})
Er sagte:
Die Bombenangriffe zerstören mehr, als sie schützen. Sie schützen die Flüchtlinge nicht … Sie zerstören aber das Rechtsdach, unter dem wir in Europa leben.
Ein Parlamentarier der Opposition, von den Christen!
({11})
Werte Kolleginnen und Kollegen, SPD und Grüne
handeln mit ihrer Politik in Jugoslawien eindeutig nach
dem Grundsatz: Was kümmert uns unser Geschwätz von
gestern? Das gilt übrigens für den Etat Verteidigung
insgesamt.
In der Haushaltsdebatte in diesem Saal am 26. November 1997 führte die Kollegin Beer aus:
Wir beantragen heute die Streichung von 4,846 Milliarden DM aus dem Einzelplan 14
- Verteidigung als Signal für die Möglichkeit des Einstieges … in
einen neuen Gesellschaftsvertrag.
({12})
Dann wandte sich Frau Beer an die Regierung Kohl
und an Verteidigungsminister Rühe.
Herr
Kollege Wolf, erlauben Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Austermann?
Selbstverständlich.
Bitte
schön, Herr Austermann.
({0})
Herr Kollege,
ich lese gerade in Ihrer lustigen Selbstdarstellung, daß
Sie Aktionär bei Daimler-Chrysler sind.
({0})
Das irritiert mich deshalb, weil, wenn ich das richtig
sehe, die Firma Daimler-Chrysler ja einer der größten
Rüstungsproduzenten in Deutschland ist. Können Sie
mir erklären, wie das mit Ihrem Engagement, das Sie
hier eben so sichtbar zum Ausdruck gebracht haben, zu
vereinbaren ist?
({1})
Herr Kollege Austermann,
erstens müßten Sie korrekt zitieren. Aber Sie wissen ja,
daß im Bundestagshandbuch steht, daß ich kritischer
Aktionär bei Daimler-Chrysler bin und vorher bei
Daimler war.
({0})
Zweitens wissen Sie selber und die Öffentlichkeit
natürlich auch, daß kritische Aktionäre eine Aktie haben, um die minimalen Möglichkeiten der Demokratie,
die es bei diesen Molochen und Großkonzernen gibt, auf
den Hauptversammlungen zu nutzen. Ich werde in der
nächsten Woche in der Schleyer-Halle in Stuttgart anwesend sein, das Wort ergreifen und zu dem Thema reden, so wie ich vor knapp einem Jahr auf der Hauptversammlung am 17. September in der Schleyer-Halle geredet habe. Damals habe ich die Frage gestellt: Herr
Schrempp, wird es möglich sein, daß eine rotgrüne Regierung in der Lage ist, den Eurofighter und andere Aufrüstungsprojekte zu stoppen? Darauf hat Herr Schrempp
laut Protokoll geantwortet: Herr Dr. Wolf, das wird
nicht möglich sein. Diese Projekte werden alle durchgeführt werden, egal wer in Bonn oder Berlin konkret die
Regierung stellt.
({1})
Das zeigt die Macht dieser Konzerne, und das zeigt,
wie wichtig es ist, als kritischer Aktionär diese Fragen
zu stellen.
({2})
Ich habe vorhin die Kollegin Beer mit ihrer Rede
vom 26. November 1997 zitiert. Sie hat gesagt, daß
Rüstungsetats für einen Gesellschaftsvertrag gekürzt
werden sollen. Die Kollegin geht weiter. Sie sagte damals: Da der neue Gesellschaftsvertrag mit Ihnen, Herr
Rühe und Herr Kohl, nicht zu machen ist, hoffen wir,
„daß wir schnellstmöglich selber in die Verantwortung
kommen“.
Diese Hoffnung ging auf. Das Versprechen eines
solch neuen Gesellschaftsvertrags wird von der neuen
Regierung jedoch Tag für Tag gebrochen. Die Friedensdividende, die 1990 versprochen wurde und die es unter
der Regierung Kohl nicht gab, gibt es auch unter der
Regierung Schröder nicht; der Rüstungsetat 1999 wird
nicht reduziert, er steigt. Auch hier zeigt sich die pure
Kontinuität der Politik von Rühe und Scharping. Alle
Aufrüstungsprogramme, die von den Grünen in den
letzten Legislaturperioden gekürzt werden sollten, werden fortgesetzt. Und es wird noch weit schlimmer kommen: Diesen Krieg werden auch die deutschen Steuerzahlenden begleichen müssen, zum Beispiel durch eine
mühsam versteckte Kriegssteuer in Form einer erneut
erhöhten Mehrwertsteuer.
Werte Damen und Herren, die PDS bleibt bei ihrem
Nein zum Rüstungsetat. Sie fordert - inzwischen weitgehend allein - das, was bis vor wenigen Monaten auch
die Grünen gefordert haben:
({3})
massive Kürzungen im Wehretat für einen Gesellschaftsvertrag, für ein soziales, ökologisches, gerechtes
und ziviles Land. Wir fordern - seit dem ersten Tag des
Krieges und heute erst recht und verstärkt - mit zunehmend mehr Abgeordneten der SPD und einer Minderheit
der Grünen das sofortige Ende dieses Krieges und den
sofortigen Stopp der Bombardements.
Danke schön.
({4})
Ich erteile dem Kollegen Dr. Ludger Volmer das Wort zu
einer Kurzintervention.
Der Vorredner hat gerade einige Äußerungen angesprochen, die die Kollegin Beer und ich in der Vergangenheit zur völkerrechtlichen Grundlage eines eventuellen
militärischen Einsatzes der NATO gemacht haben. Dazu
möchte ich folgendes ausführen, Herr Kollege Wolf.
Niemand bestreitet, daß es richtig war, danach zu fragen,
ob es für eine eventuelle militärische Aktion eine ausreichende völkerrechtliche Grundlage gibt. Diese Diskussion ist bis heute strittig geführt; es gibt sehr unterschiedliche Meinungen dazu. Auch die Völkerrechtler
und Verfassungsrechtler mögen dazu weiterhin unterschiedlicher Meinung sein.
Ich möchte von Ihnen nur eine Antwort haben, die
Sie und Ihre Fraktion bis heute nicht gegeben haben.
Alle, aber auch wirklich alle Versuche sind von dieser
Bundesregierung unternommen worden, auf dem Verhandlungswege zu einer friedlichen Lösung zu kommen
und den beginnenden Völkermord zu stoppen. Wie gehen Sie damit um, daß in dieser bestimmten historischen
Situation nicht nur diese Regierung, sondern das gesamte Parlament und jeder einzelne in das Entscheidungsdilemma geraten ist, zwischen völkerrechtlicher
Legalität und moralischer Legitimität und Verpflichtung, dort einzugreifen, abwägen zu müssen?
Ich nehme jedem, der anderer Meinung ist als ich selber, die Ernsthaftigkeit seiner Entscheidung ab, wenn
ich erkennen kann, daß er sich diesem Dilemma zwischen Legalität und Legitimität wirklich ausgesetzt hat.
Das kann ich bei Ihnen und bei Ihrer gesamten Fraktion
nicht erkennen. Wie Bundesminister Fischer in der letzten Debatte zu Recht dargestellt hat, betätigen Sie sich
als Weißwäscher von Milosevics Politik, weil Sie nicht
bereit sind,
({0})
zu beschreiben, welche Greueltaten im Kosovo stattfinden.
Den Krieg hat nicht die NATO begonnen; den Krieg
hat ein Despot gegen einen Teil seines eigenen Staatsvolks angezettelt. Genauso, wie wir beschreiben können,
daß ein Militäreinsatz ohne Zustimmung des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen einen völkerrechtlichen
Mangel aufweist, genauso können wir sagen, daß das
gesamte Völkerrecht eine große Lücke in dem Bereich
aufweist, wo es keine Regelungen dafür vorsieht, wie
die internationale Gemeinschaft vorgehen kann, wenn in
einem innerstaatlichen Konflikt ein Despot einen großen
Teil seines eigenen Volkes massakriert.
({1})
Daraus kann und muß man ableiten, daß es in bestimmten historischen Situationen eine Art übergesetzlichen Notstand und eine Art Nothilfeverpflichtung gibt.
Aus dieser singulären Tatsache kann man nun gerade
nicht ableiten, daß dies zum Völkergewohnheitsrecht
wird.
Von daher ist es richtig, kritisch darauf hinzuweisen,
daß es diese völkerrechtlichen Mängel gibt. Ich lasse mir
diese Kritik von jedem gefallen, der sich dem Dilemma
wirklich aussetzt. Ich lasse sie mir aber nicht von jemandem gefallen, der die Realität verbiegt, nur um sein
eigenes Weltbild zu retten.
({2})
Zur Erwiderung Herr Kollege Wolf.
Sehr geehrter Herr Kollege Ludger Volmer! Werte Kolleginnen und Kollegen!
Wenn das Weltbild angesprochen wird, dann kann ich
sagen, daß es bei mir immer das gleiche war, aber ein
anderes, als Sie hier unterstellen.
({0})
Es war gegen den Putsch in Griechenland am 21. April
1967 gerichtet, gegen den Vietnamkrieg, gegen den
Einmarsch in Afghanistan, gegen den Prager Einmarsch
der Sowjets. Genauso ist es gegen diesen Krieg in Jugoslawien gerichtet.
({1})
Was das Gewohnheitsrecht betrifft, Herr Kollege
Ludger Volmer, kann ich nur sagen: Ich gehe fest davon
aus - die Kollegen, die einigermaßen rational denken
können, auch -, daß damit ein Paradigmenwechsel eingetreten ist, daß damit wirklich Gewohnheitsrecht geschaffen werden wird. Das hat sich ganz konkret auf der
NATO-Tagung zur 50-Jahr-Feier in Washington niedergeschlagen, wo gesagt wurde, daß die NATO-Charta so
geändert wird, daß das nicht eine Ausnahme, sondern
regelmäßig möglich ist.
({2})
Wenn Sie, Kollege Ludger Volmer, sagen, daß alle
Versuche vor Beginn des Krieges am 24. März unternommen worden seien, um diesen Krieg nicht führen zu
müssen, dann verweise ich auf drei Tatbestände.
Erstens. Im Herbst letzten Jahres gab es ein Abkommen zwischen Holbrooke und Milosevic. In diesem
Abkommen wurde festgelegt, daß 2 000 OSZEBeobachter ins Land kommen sollen. Diese wurden
nicht gebracht. Es wurden maximal 1 300 zur Überwachung entsandt. Trotzdem wird in den Berichten des
Auswärtigen Amtes - und zwar aktualisierten Berichten,
nicht irgendwelchen alten Berichten von Beamten der
CDU - geschrieben, daß sich die Lage in diesem Zeitraum verbessert habe.
({3})
Zweitens. In Rambouillet hat es sich unserer Ansicht
nach um eine erpresserische Situation Jugoslawien gegenüber gehandelt.
({4})
Das ist spätestens dann deutlich geworden, liebe Kollegen von der SPD, als Sie selber den Vertrag sehen
konnten. Ich kenne viele SPD-Kollegen, die jetzt, nachdem sie den Vertrag mit Annex B gelesen haben, sagen:
Ja, das war Erpressung. So kann es nicht sein. Das ist
ein reiner Kapitulationsvertrag.
({5})
Drittens. Denken Sie daran, daß in Rambouillet,
nachdem Milosevic unter diesem Druck in vielen Punkten nachgegeben hat,
({6})
der entscheidende Punkt der war, ob UN-Truppen im
Land sein würden oder NATO-Truppen im Kosovo sein
würden. Da wurde gesagt: Niemals UN, es müssen
NATO-Truppen sein. Jetzt sagen Sie: Wir holen die
UNO wieder herein; sie müsse irgendwie in der internationalen Truppe drin sein. Das geht zurück zu dem, was
in Rambouillet erreicht worden ist.
({7})
Zum Schluß, werter Kollege Ludger Volmer -
Herr
Kollege Wolf, Ihre Zeit ist zu Ende.
Haben Sie mit dem Kollegen Ludger Volmer verglichen? - Aber okay. Ich darf
nicht kommentieren.
({0})
Für die
Bundesregierung spricht nun der Bundesminister der
Verteidigung, Rudolf Scharping.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Vor wenigen Tagen ist eine Umfrage veröffentlicht worden, die nach der Vertrauenswürdigkeit und der
Glaubwürdigkeit öffentlicher Institutionen fragte. Die
Polizei lag mit 84 Prozent an der ersten Stelle, die Bundeswehr und das Bundesverfassungsgericht mit 73 bzw.
74 Prozent folgten in dieser Wertschätzung an zweiter
Stelle.
Diese Wertschätzung ist gut begründet. Sie macht das
ausgeprägte Vertrauen in der Bevölkerung deutlich. Ich
denke, man sollte am Anfang dieser Debatte sagen, daß
man auf die Leistungen der Bundeswehr ebenso stolz
sein kann, wie man keinen Grund hat, sie in irgendeiner
Weise zu verstecken, weder hinter Kasernenmauern
noch sonstwo.
({0})
Die Leistungen sind auch deshalb so erstaunlich, weil
die Bundeswehr wie kein anderer Bereich, der von der
Politik zu verantworten wäre, seit der deutschen Einheit
Veränderungen durchmachen mußte. Die Zahl der Soldaten in Deutschland ist von 700 000 auf 340 000 gesunken, die Zahl der Zivilbeschäftigen von über 200 000
auf 140 000, die Zahl der Mitarbeiter allein in der territorialen Wehrverwaltung von 78 800 auf 56 500. Dadurch ist der Anteil, den wir für Verteidigungsausgaben
in Relation zum Bruttoinlandsprodukt ausgeben, von 3,0
auf 1,5 Prozent ebenfalls halbiert worden.
Gleichzeitig müssen die Angehörigen der Bundeswehr mit Belastungen fertig werden, von denen ich jetzt
nur einige nenne. Das Defizit bei den Unteroffizieren
ergibt sich zum Beispiel daraus, daß die Laufbahn der
Unteroffiziere im Verhältnis zu den Laufbahnen in Polizei und Bundesgrenzschutz hinsichtlich der Besoldung
und der Beförderungsmöglichkeiten zurückgeblieben ist.
({1})
Man muß das offen aussprechen; denn sonst gibt es keinen Grund, irgend etwas zu ändern. Dasselbe gilt übrigens für die Ost-West-Besoldung und für manches andere.
Ich erwähne das nicht nur, um eine Leistung zu beschreiben, sondern um auch bei dieser Etatdebatte noch
einmal zu bekräftigen: Angesichts solcher tiefgreifenden
Veränderungen, die übrigens auch Herausforderungen
für die betroffenen Menschen und ihre Familien bedeutet haben, gilt für die Zukunft unverändert das Prinzip
planerischer und sozialer Sicherheit. Wenn man Änderungen herbeiführen will, muß man dafür eine sichere
Grundlage haben.
({2})
Ich sage dies auch im Zusammenhang mit diesem Haushalt.
Trotz dieser erheblichen Veränderungen - ich könnte
sie mit vielen anderen Beispielen und Zahlen belegen nimmt die Bundeswehr im übrigen Verpflichtungen für
die Gesellschaft wahr, von denen - jedenfalls nach meinem Empfinden - in der Öffentlichkeit zuwenig gesprochen wird, was bedeutet, daß darüber auch zuwenig Informationen und Bewußtsein vorhanden sind. Wir haben
zur Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit im Rahmen
des Programmes, das der Bundesarbeitsminister dankenswerterweise und mit großem Erfolg aufgelegt hat,
5 000 zusätzliche Plätze für Wehrdienstleistende bereitgestellt, die arbeitslos sind. Wir haben die Zahl der Ausbildungsplätze um 200 erhöht und damit den absoluten
Löwenanteil bei der Erhöhung der Zahl der Ausbildungsplätze im Bereich der Bundesverwaltung erbracht.
Wir geben im Jahre 1999 für zivilberufliche Ausbildung
2,2 Milliarden DM aus. Damit ist die Bundeswehr der
größte Investor in Ausbildung in der gesamten Bundesrepublik Deutschland.
({3})
Im übrigen geben wir noch 3,7 Milliarden DM für absolut verteidigungsfremde Aufgaben aus. Ich könnte
sie im einzelnen darstellen. Ich nenne nur ein Beispiel,
was ich schon mit Blick auf künftige Haushaltsberatungen erwähne, um Neugierigen das Informationsbedürfnis zu befriedigen. In dieser Summe sind 770 Millionen
DM für die Finanzierung der Bauverwaltung der Länder
enthalten.
({4})
Wenn ein großes Bedürfnis bestehen sollte, sich mit
dem Verteidigungshaushalt so auseinanderzusetzen, wie
ich es manchmal vermute - um nicht zu sagen: befürchte -,
dann werden genau diese Ausgaben auf den Prüfstand
kommen; denn eines will ich absolut deutlich machen:
In einer Zeit, in der dauerhaft immer stärker internationales Krisenengagement der Bundeswehr gefordert ist,
wird in der militärischen Leistungsfähigkeit, in der Ausbildung und in der Ausrüstung der Bundeswehr nichts
eingespart werden können. Es wird auch nichts eingespart werden. Wer der Auffassung ist, man müsse nach
Sparmöglichkeiten suchen, der findet sie dort, wo ich sie
gerade geschildert habe. Dabei wünsche ich dann jedem
viel Vergnügen.
({5})
Herr
Bundesminister Scharping, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Koppelin?
Aber gerne.
Bitte
schön, Herr Koppelin.
Herr Minister, ich bin
Ihnen für den Hinweis sehr dankbar, welchen Beitrag
die Bundeswehr an die Bauverwaltung der Länder zahlt.
Ich will ausdrücklich erwähnen, daß Rheinland-Pfalz in
dieser Angelegenheit eine positive Ausnahme ist. Nehmen Sie zur Kenntnis, daß die F.D.P.-Fraktion im Haushaltsausschuß dazu einen Antrag gestellt hat, um Sie
auch von diesen Kosten zu entlasten, daß aber die rotgrüne Koalition diesen Antrag leider abgelehnt hat?
Herr Koppelin, ich hätte es, ehrlich gesagt, auch
für falsch gehalten, wenn man dies übers Knie bricht;
({0})
denn Sie weisen zu Recht auf das gute Beispiel des Landes Rheinland-Pfalz hin. Sie wissen aber auch, daß es
bei Ihrem Beispiel eine gewisse Zeit gebraucht hat, um
die Bauverwaltung so zu modernisieren, daß man die
Vereinbarungen mit ihr treffen konnte, die jetzt seitens
des Bundesverteidigungsministeriums gerade mit diesem Teil der Bauverwaltung abgeschlossen werden. Die
Länder sind da - mit Verlaub und völlig unabhängig von
parteipolitischen Konstellationen - insgesamt auf dem
richtigen Weg, manche etwas schneller als andere. Ich
will das jetzt nicht weiter ausführen.
Ich wollte auf diese zivilen und gesellschaftlichen
Leistungen der Bundeswehr aufmerksam machen, nicht
nur im Zusammenhang mit Ausbildung oder Leistungen
für die Bauverwaltung oder anderem. Dasselbe gilt für
den Sport, die Umwelt, den Aufbau Ost, die Krankenhäuser und das Rettungswesen, an dem sich die Bundeswehr im zivilen Interesse beteiligt. Die Rettungsflüge, die von Bundeswehrhubschraubern unternommen
werden, dienen zu 99 Prozent zivilen Zwecken.
Vor diesem Hintergrund - einschließlich der Hilfe in
Katastrophenfällen - kann ich nur sagen: Wer über den
Haushalt redet, muß sich auch noch mit einer anderen
Tatsache auseinandersetzen. Wenn mir Ministerpräsidenten geschrieben haben, ihr habt uns freundlicherweise bei der Katastrophe Hochwasser geholfen, ihr
habt uns freundlicherweise bei der Schneekatastrophe in
Galtür geholfen - das haben uns die Österreicher geschrieben -, ist hinzuzufügen, daß wir die Einsätze dort
bisher unter „Übungsbetrieb“ abgerechnet haben. Insofern ist die Hilfe für die, die sie bestellen, kostenfrei.
Wenn jemand das Bedürfnis hat, betriebswirtschaftliche
Erwägungen konsequent durchzudeklinieren, dann können wir das gerne tun. Aber ich bin ziemlich sicher, daß
eine Vielzahl von Abgeordneten, die diese Erwägung
abstrakt für richtig halten mögen, schon bei der kritischen Prüfung allein der Kleinststandorte der Bundeswehr die Frage stellen würden, ob wir hier nicht das
Prinzip, Arbeitsplätze in den Regionen zu sichern, dem
Prinzip der Wirtschaftlichkeit vorziehen sollten. Das ist
einfach eine Tatsache.
({1})
Vor diesem Hintergrund sage ich - auch mit Blick
auf die Zukunft -: Denjenigen, der glaubt, daß er einer
Verkleinerung der Bundeswehr - aus welchen Gründen auch immer - das Wort reden müßte - daß man über
diese Frage unbefangen nachdenken muß, ist völlig klar -,
weil man zum Beispiel im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt und im Verhältnis zu den Steuereinnahmen des
Bundes Einsparungen erzielten könnte, warne ich.
({2})
Denn die Bundesrepublik Deutschland ist in der Reihe
der NATO-Staaten - das sind bekanntlich 18; ich lasse
Island einmal für einen Moment außerhalb der Betrachtung - bei ihren Aufwendungen für Sicherheit und Verteidigung auf dem 14. Platz angekommen. Man kann
nicht dauerhaft außenpolitisch in der ersten Reihe sein
wollen, wenn man sicherheitspolitisch auf dem 14. Platz
ist. Das ist eine banale Tatsache.
({3})
Das wird auch nicht dadurch geändert, daß man in
vielen anderen Bereichen die Fähigkeit ausbauen muß
- das habe ich hier im Parlament immer wieder unterstützt und will es auch heute sagen -, internationales
Engagement und Friedenssicherung zunächst zu gründen
auf die Stärkung internationaler Organisationen, auf Krisenprävention, auf Krisenbewältigung, auf die Hilfe bei
der Beseitigung von Ursachen, aus denen gewalttätige
Auseinandersetzungen entstehen können.
Damit komme ich zu dem internationalen Engagement, das die Bundeswehr in Zukunft viel stärker prägen wird als in der Vergangenheit. Krisenprävention und
Krisenbewältigung sind Stichworte, die nicht nur in der
neuen NATO-Strategie eine Rolle spielen, sondern die
die Bundeswehr schon jetzt sehr praktisch prägen, ihr
Leben bestimmen, ihre Fähigkeiten manchmal deutlich
stärker beanspruchen, als auf Dauer - jedenfalls bei
gleichbleibenden Fähigkeiten - verantwortbar wäre. Das
gilt für Bosnien-Herzegowina, das gilt für die humanitäre Hilfe in Mazedonien und Albanien, das gilt für die
Stand-by-Arrangements. Das sage ich jetzt den Kollegen
der CDU/CSU.
({4})
- Das können wir gerne tun.
Daß die Bundesregierung es absolut ernst meint mit
der Stärkung internationaler Organisationen, können Sie
daran erkennen, daß wir im ersten halben Jahr unserer
Amtszeit mit den Vereinten Nationen - ich habe mit
dem Herrn Generalsekretär dreimal darüber gesprochen Gott sei Dank eine Vereinbarung getroffen haben, die
die Geschwindigkeit und die Effizienz in der Reaktion
der Vereinten Nationen verbessern hilft. Damit sind wir
dann in einer Reihe mit sehr vielen zivilisierten Staaten,
die das ebenfalls tun und den Vereinten Nationen entsprechende Fähigkeiten und entsprechende Kräfte annoncieren, damit sie ihre Arbeit schneller und besser erledigen können. Ich halte das für einen großen politischen Fortschritt.
({5})
Ich will jetzt eine Frage im Rahmen des Gesamtthemas Kosovo beantworten. In dem Antrag der BunJürgen Koppelin
desregierung wird von einem Mandat der Vereinten Nationen oder einem Abkommen gesprochen und in beiden
Fällen von der Voraussetzung, daß es einen konstitutiven Beschluß des Deutschen Bundestages gibt. Ich
glaube, damit ist die Frage, die offengeblieben war, beantwortet.
Da wir in diesen Fragen bisher einen sehr großen
Konsens hatten - ich hoffe, das bleibt so -, will ich Ihnen ebenso deutlich sagen: Es steht ausdrücklich keine
Absicht dahinter, sich in irgendeiner Form am Boden
außerhalb Albaniens und Mazedoniens und außerhalb
des humanitären Auftrages bzw. der anderen Mandate,
die erteilt sind, zu engagieren. Ich will das sehr deutlich
sagen. Ich kann nicht ausschließen - aber das ist schon
eine fast spekulative Debatte über die Entwicklungen in
den nächsten Tagen oder Wochen -, daß wir schneller
zu einem VN-Mandat als zu einem Abkommen kommen
werden. Es ist durchaus möglich, daß ein VN-Mandat
dem Abkommen vorausgeht und die Chancen zu seinem
Abschluß verbessert. Auf diese Dinge sollte man sich
einrichten.
Da der Deutsche Bundestag ohnehin für den Fall, daß
das geschieht, nach seiner Meinung und Zustimmung
gefragt werden muß, denke ich, ist der humanitäre Charakter insgesamt zweifelsfrei.
Herr
Kollege Scharping, erlauben Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Irmer?
Ja, bitte.
Herr
Irmer.
Herr Minister Scharping, ich
weiß, daß auch Sie die Vorlage der Bundesregierung so
verstehen wie ich und daß Sie deshalb meine Frage mit
ja beantworten werden.
({0})
In den Diskussionen unter den Abgeordneten ist folgende Frage aufgetreten: Eine Passage in der Beschlußvorlage der Bundesregierung, die Sie gerade zitiert haben,
ist auf Grund drucktechnischer Probleme nicht klar zu
erkennen. Dort wird von einem UN-Mandat und Friedensabkommen und davon gesprochen, daß ein erneuter
Beschluß des Deutschen Bundestages auf jeden Fall
Voraussetzung ist. Das bezieht sich doch auf die Ziffern
I, II und III in gleicher Weise, das heißt auf die Ausweitung der humanitären Hilfsleistungen, auf die Ausweitung des Drohnenauftrages und auf die Nothilfeaktionen. Es ist nämlich heute nachmittag gefragt worden, ob sich das - im Druck sieht das so aus - nur auf
den dritten Teil bezieht. Ich verstehe es doch richtig, daß
es sich auf alle drei vorgeschlagenen Maßnahmen bezieht?
Die Antwort ist die von Ihnen erwartete.
({0})
Sie verstehen das richtig.
({1})
Ich will jetzt noch etwas zu diesem ernsten Thema
sagen. Manchmal vergaloppiert man sich in Formulierungen; davon soll übrigens auch ein Verteidigungsminister nicht völlig frei sein. Sie werden gleich merken,
was ich meine.
Ich habe gerade eine „dpa“-Meldung in die Hand bekommen, aus der ich auszugsweise zitieren will:
Flüchtlingsberichte über Greueltaten häuften sich
Die Flüchtlinge hatten vor allem Verletzungen an
Rücken, Beinen und Händen. Einer konnte keinen
Finger mehr bewegen, weil seine Hände nach den
Schlägen schwer geschwollen waren.
Man muß wissen, diese Menschen waren bei der Spezialpolizei in Pristina inhaftiert.
60 Männer, die zur gleichen Zeit abgeführt worden
waren, befänden sich noch in der Gewalt der Polizei, hieß es.
Die Vertriebenen … sind nach Angaben des
UNHCR traumatisierter denn je. Viele seien in
Tränen aufgelöst und hysterisch. Wieder häuften
sich Berichte, serbische Paramilitärs hinderten
Männer an der Flucht oder holten sie unterwegs
von den Traktoren … An der Grenze kommen
praktisch nur Frauen, Kinder und Alte an.
Viele Flüchtlinge berichten laut UNHCR von
Erschießungen.
Ich zitiere das einfach und knüpfe, ohne das überzubewerten, den schlichten Hinweis an, daß sich jeder, der
sich wie der Kollege Gysi oder der Kollege Wolf - sie
benutzten zum Beispiel die Formulierung, der Krieg habe am 24. März begonnen ({2})
äußert, nach der Methode betätigt: Ich muß die Augen
nur fest schließen und meine Phantasie möglichst anstrengen, dann bekomme ich auch genau das ideologische Bild zusammen, das ich schon immer von der
Welt hatte. Das ist die Methode, die dahinter steckt.
({3})
Ich muß all diesen Kollegen sagen: Wer allerlei Erörterungen, ob rechtlicher oder sonstiger Natur, anstellt,
ohne auch nur einen einzigen Satz auf die seit Monaten
von Vertreibung, Mord, Erschießung und anderen Greueltaten betroffenen Menschen zu verwenden, der hat in
meinen Augen jede moralische, jede politische und jede
demokratische Glaubwürdigkeit eindeutig beschädigt,
die in einer auf Menschen orientierten Politik der Maßstab sein müßte.
({4})
Das humanitäre Mandat ist notwendig geworden. Ich
kann das sehr genau nachvollziehen. Ich erinnere mich
an die Telefonate mit dem Kollegen Fischer in der Nacht
von Karfreitag auf Ostersamstag. Ich weiß, wie das Lager in Blace, diese Schlammwüste, freigeräumt worden
ist. Nur deshalb, weil die Bundesregierung innerhalb
von zehn Stunden zusagen konnte, sie werde Menschen
nach Deutschland ausfliegen, sie werde eine europäische
Initiative ergreifen, sie werde noch am Ostersamstag mit
Hilfsflügen beginnen. Ich weiß, wie das entstanden ist.
({5})
({6})
Ich will Sie auf einen einzigen Punkt aufmerksam
machen, lieber Herr Kollege Wolf - das „lieber“ streichen Sie besser gleich wieder -:
({7})
Sie haben kritisiert, es seien nur 1 300 OSZEBeobachter ins Land gekommen. Soll ich Ihnen einmal
an Hand unserer Unterlagen zeigen, wie oft wir uns mit
der jugoslawischen Regierung herumschlagen mußten,
damit für die Leute überhaupt ein Visum erteilt worden
ist? Soll ich Ihnen einmal erzählen, daß sie sogar verweigert hat, einem Rettungshubschrauber die Einfluggenehmigung zu erteilen? Ich könnte noch weitere Beispiele nennen. Ich will Ihnen aber nicht zuviel Ehre antun.
({8})
Ich möchte auch die CDU/CSU auf einen Umstand
aufmerksam machen, den ich einem Interview vom
20. Januar 1999, veröffentlicht in der „Saarbrücker Zeitung“, entnehme. Die Frage war: „Fordern Sie, daß die
NATO militärisch im Kosovo eingreift?“ Die Antwort
war: „Ich sehe eine große Gefahr für Europa. Deswegen
muß entschlossen politisch gehandelt werden, ohne daß
man militärische Optionen ausschließt, etwa durch das
Gerede von deutschen Ministern.“ Dann war die Frage:
„Macht Ihnen die Rolle eines Oppositionspolitikers zu
schaffen, der nur appellieren, aber nicht handeln kann?“
Ich zitiere den Schluß der Antwort: „Die deutsche Regierung ist weggetaucht. Fischer schielt auf die eigene
Basis, anstatt auf die Toten im Kosovo zu blicken.“
({9})
Nun ist der Kollege Rühe - wie leider häufiger in solchen Debatten - nicht anwesend. Ich will bei dieser Gelegenheit aber noch einmal sehr deutlich sagen, daß diese Bocksprünge - im Januar heißt es: man darf keine
militärische Option ausschließen, Fischer taucht weg, er
schielt nur auf die eigene Basis; im März sagt man dann
genau das Gegenteil - auch nicht gut für die Glaubwürdigkeit von Politik sind, da man dann den Eindruck
bekommen muß, es ginge je nach Stimmung mal in die
eine und mal in die andere Richtung.
({10})
Weil es in der Hoffnung auf einen großen Konsens
um die Frage geht, wie sich die Angelegenheit mit dem
humanitären Mandat gestalten wird, hoffe ich sehr, daß
alle Mitglieder des Deutschen Bundestages - ich schließe die Bundesregierung ausdrücklich ein - weiterhin die
Kraft haben, zwei Dinge im Auge zu behalten: die Menschen, die von einer grausamen Vertreibung und Verfolgung betroffen sind, und die Maßnahmen, die man dagegen treffen muß. Ich hoffe, daß diese Maßnahmen
nicht mehr allzu lange militärischer Art sein müssen.
Das müßte man aber sehr sorgfältig darstellen, wenn
man diese Hoffnung im einzelnen begründen wollte. Dafür fehlt mir jedenfalls heute die Zeit.
Ich will etwas zu den Entwicklungen im Zusammenhang mit den Folgerungen für die Bundeswehrstruktur
sagen. Das strategische Konzept der NATO unterscheidet nicht mehr zwischen Krisenreaktionskräften und
Hauptverteidigungskräften. Das wird auch für die Streitkräfteplanung innerhalb der Bundeswehr und übrigens
auch für die Arbeit der Kommission Folgen haben. Ich
verstehe die Schwierigkeiten insbesondere der Kollegen
der CDU/CSU-Opposition. Es sind nun wirklich eine
Reihe von Leuten in der Kommission versammelt, die
den großen Vorteil haben, große Autorität und große
persönliche Integrität mit großer Unabhängigkeit zu
verbinden - das übrigens auch mit enormem Sachverstand. Daß zum Beispiel der ehemalige Bundespräsident
Richard von Weizsäcker Vorsitzender einer Kommission zur Reform der Vereinten Nationen war, scheint Ihnen entgangen zu sein. Wenn es aber um internationale
Politik und die Stärkung internationaler Organisationen
geht, ist es klug, einen Mann mit dieser Integrationsfähigkeit, mit dieser Autorität, mit diesem Ansehen und
mit diesen Kenntnissen internationaler Politik zu haben.
Ich nehme an, Sie haben auch nichts dagegen, daß
Agnes Hürland-Büning dabei ist. Ich könnte Ihnen noch
viele andere als Beispiel nennen. Ich kenne Ihre Verlegenheit.
Was die von Ihnen so apostrophierten kirchlichen
Würdenträger angeht: Ich möchte Sie damit vertraut machen - dazu muß ich mich jetzt aber sehr kurz fassen -,
daß zum Beispiel der Chef der Deutschen Bank sagt:
Wenn ich mich mit neuen Fragen beschäftigen will auch mit neuen Geschäftsfeldern -, dann muß ich Leute
von außerhalb der Bank, von außerhalb der Betriebsund der Volkswirtschaft hören. - Sie haben offenbar ein
Verständnis der Entwicklung von Politik, das auf ein
Puzzle von Fachkenntnissen im engsten Sinne des Wortes setzt. Daraus entsteht keine politische Perspektive.
({11})
Wenn Sie sich später einmal die Ergebnisse anschauen werden Sie sich - darüber schließe ich schon heute
eine Wette mit Ihnen ab -, über die Kritik, die Sie jetzt
leichtfertig äußern, ziemlich ärgern müssen. Ich bin mir
aber auch sicher, daß Sie einen Weg finden werden,
dann zu sagen, Sie hätten Ihre Kritik ja geäußert, damit
die Ergebnisse gut werden, und das hätten Sie dann wenigstens auch geschafft. Ich bin mir ziemlich sicher, daß
es so kommen wird.
({12})
Ich will noch im Zusammenhang mit dem, was der
Kollege Austermann gesagt hat, einen zweiten Hinweis
geben und dann zum Schluß kommen. Kollege Austermann, alles, was Sie im Zusammenhang mit internationalen Projekten - ob das jetzt der „Tiger“, der „NH
90“, das „GTK“ oder etwas anderes ist - gesagt haben,
ist falsch. Zum Beispiel habe ich im Dezember 1998 in
Brüssel die Regierungsabkommen unterschrieben. Ich
gebe Ihnen noch einen zusätzlichen Hinweis. Wenn Sie
einmal in die Bestandsaufnahme blicken, dann werden
Sie feststellen, daß Sie dieser Bundesregierung, was die
Ausrüstung der Bundeswehr angeht, einen Zustand hinterlassen haben, bei dem man sich an manchen Stellen
wirklich die Haare raufen müßte. Denn das, was wir in
diesem Haushalt aufwenden müssen, um Material einsatzfähig zu halten, ist auf einem unverantwortlich
hohen Niveau, und zwar nur deshalb, weil das in der
Vergangenheit nicht ordentlich geplant, nicht ordentlich
gepflegt und auch nicht ordentlich finanziert worden ist.
({13})
- Sie verläßt der Mut auch nie.
({14})
Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Austermann?
Gerne.
Ich glaube, Herr
Minister, Sie haben es viel schwerer, wenn Sie bei der
wichtigen Frage, wie man zur Bundeswehr steht, die ungeordneten Truppen in Ihren eigenen Reihen sehen.
({0})
Ich möchte drei Fragen stellen.
Erstens. Vorhin haben Sie Kritik an Abwesenden
vorgebracht. Jetzt sind Sie dabei, den fünften Beschluß
zum Thema internationale Einsätze im Kosovo zu fassen. Über vier ist bisher entschieden worden. Gibt es
einen einzigen, bei dem Sie bestreiten können, daß die
Union geschlossen zugestimmt hat?
Zweitens. Ich möchte auf Ihre Feststellung von eben
zurückkommen.
({1})
- Ich habe Ihnen vorhin die Frage erspart, was denn mit
der Lüge von Herrn Fischer in bezug auf das Rambouillet-Abkommen war. - Ich möchte Ihnen, Herr Minister,
die Frage stellen: Wann ist beispielsweise im Hinblick
auf „GTK“, wann ist beispielsweise im Hinblick auf den
„Tiger“ mit den Franzosen eine verbindliche Vereinbarung unterzeichnet worden, die etwas über Stückzahlen
und über Vertragsinhalte vorsieht? Ich kenne die Vereinbarung vom Dezember 1998. Sie wissen genau wie
ich, daß es bis heute keine verbindliche Festlegung gibt
und daß noch nicht einmal das Fluggerät fertig ist.
Drittens. Sie haben kritisiert, daß, was die Materialerhaltung betrifft, nur unzureichende Mittel vorhanden
sind. Ist es nicht so, daß Ihre eigenen Freunde Sie im
Haushaltsausschuß im Stich gelassen haben, als es um
die Frage ging, Mittel in ausreichendem Maße zur Verfügung zu stellen? Dabei haben wir natürlich daran gedacht, daß das für Materialerhaltung und -instandsetzung
aufgebracht werden soll.
({2})
Zum ersten. Ich stimme Ihnen zu: Sie als
CDU/CSU haben diese Beschlüsse geschlossen unterstützt - auch die F.D.P., auch die Grünen,
({0})
auch die SPD. Das ist auch gut so.
Zum zweiten. Sie dürfen bitte nicht von mir verlangen, daß ich in einem halben Jahr alles das abschließe,
was Sie - ich meine nicht Sie persönlich - mir auf den
Schreibtisch gelegt haben.
({1})
Das schaffe ich nicht. Ich arbeite gerne 18 oder 20 Stunden am Tag - wenn es sein muß; leider muß es im Moment oft sein -, aber ich kann nicht Vorgänge, die Sie
zum Teil seit Jahren versucht haben zu bearbeiten - ich
unterstelle gar keine schlechten Absichten oder sonst
etwas -, innerhalb kürzester Zeit abschließen. Sie wissen
selbst, wie schwierig das manchmal ist. Ich weiß jedoch
auch, daß wir den deutsch-französischen Gipfel und das
Treffen der Verteidigungsminister am Rande der
Herbsttagung gebraucht haben, um mit Frankreich und
anderen wenigstens das Regierungsabkommen zu unterschreiben. Auf dieser Grundlage gibt es einen Industrievertrag. Ich hoffe - aber das ist eine Hoffnung -, daß der
vor den Sommerferien endgültig fertig wird.
Das dritte beantworte ich Ihnen privat, damit ich noch
Zeit für eine kurze Bemerkung habe, wenn Sie, Herr
Präsident, es mir gestatten.
Im Zusammenhang mit dem strategischen Konzept
haben wir immer gesagt, die NATO soll Krisenprävention und Konfliktbewältigung bloß nicht irgendwie betreiben, sondern dabei strikt an die Charta der Vereinten
Nationen sowie an die Beachtung des internationalen
Rechtes gebunden sein und weiterhin den festen Willen
zur Kooperation mit Rußland, der Ukraine und anderen
Staaten haben. Das hat Konsequenzen im Zusammenhang
mit dem Haushalt und der künftigen Entwicklung des
Haushaltes des Verteidigungsministeriums. Ich will ausdrücklich sagen: Die Haushaltsberatungen waren - warum sollte man das verschweigen? - zum Teil auch inBundesminister Rudolf Scharping
nerhalb der Fraktion, innerhalb der Koalition - nicht
Fraktion - streitig.
({2})
Das ist auch nicht anders zu erwarten. Denn wir müssen
uns - das ist nun mal leider so - mit der Tatsache auseinandersetzen, daß wir alle zusammen von Ihnen einen
Haushalt übernommen haben, in dem 25 Prozent der
Steuereinnahmen nur zur Bedienung von Zinsen ausgegeben werden müssen.
({3})
Natürlich kann und wird sich die Bundeswehr auch
dem notwendigen Konsolidieren der öffentlichen Finanzen nicht entziehen. Das ist völlig klar. Das hat sie ja
bewiesen - der Verteidigungsminister, hoffe ich, durch
sein Verhalten im Zusammenhang mit den Haushaltsberatungen auch. Wenn man den Haushalt fair beurteilen will, muß man allerdings zwei Gesichtspunkte anfügen: Das erste ist: Wir sind schon im Mai, und insofern
ist eine solche Brücke akzeptabel. Das zweite ist: Die
Koalition hat, und zwar in deutlicher Veränderung dessen, was früher gemacht worden ist, zum erstenmal Globalbudgets zur Verfügung gestellt. Sie hat zum erstenmal Möglichkeiten einer effizienten und flexiblen Bewirtschaftung von Haushaltsmitteln zur Verfügung gestellt. Sie hat zum ersten Mal eine Regelung über die
militärischen Verkäufe getroffen, die es mir ermöglichen, jetzt von den dauernd reklamierten Blicken auf die
Flugbereitschaft zu den Taten zu kommen, die notwendig sind. Die werden auch geschehen. Der Investitionsanteil steigt. Er ist insgesamt dennoch zu niedrig. Das ist
eine eingeleitete und hoffentlich durchzuhaltende Entwicklung.
Das heißt unter dem Strich: Ich rate jedem ab,
Sicherheitspolitik eines Landes nach kurzfristigen Erwägungen zu beurteilen. Das geht einfach nicht. Der
Haushalt für das Jahr 1999 ist in einer zu Teilen durchaus streitigen Debatte zu einem wirklich vernünftigen
Ergebnis gekommen. Auf dieser Grundlage wird die
Bundeswehr das bleiben, was sie in der Vergangenheit
war: trotz mancher Belastungen zuverlässig, handlungsfähig und innovativ.
Ich finde, das Parlament hat guten Grund - die Bundesregierung ohnehin -, den Angehörigen der Bundeswehr, aber auch den Familien der Angehörigen der Bundeswehr ausdrücklich Dank zu sagen und einen hohen
Respekt auszusprechen;
({4})
denn das, was sie leisten, ist für das Ansehen und die Sicherheit unseres Landes von zentraler Bedeutung.
({5})
Ich erteile das Wort
dem Kollegen Paul Breuer für die CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine
Damen und Herren! Jeder, der sich mit der Verteidigungs- und Sicherheitspolitik über längere Zeiträume
beschäftigt hat - aber nicht nur solche Kollegen hier in
diesem Hohen Hause -, spürt, daß der Verteidigungshaushalt 1999 etwas Besonderes an sich hat: nicht, weil
er von einer neuen Regierung zu verantworten ist, sondern deshalb, weil er der erste Haushalt in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland ist, der zu
einem Zeitpunkt endberaten wird, zu dem sich deutsche
Soldaten innerhalb eines Einsatzes der NATO in einem
bewaffneten Konflikt befinden. Das heißt, daß man hier
nicht business as usual machen kann, sondern man muß
mit einer besonderen Sensibilität und unter Anlegung
besonderer Kriterien an diese Beratungen herangehen.
Das fordert jeden hier in diesem Hause, Regierung und
Opposition.
Aber eines darf nicht vorkommen - und das ist das,
was ich soeben in der Auseinandersetzung mit Frau Beer
sehr deutlich empfunden habe -: daß man den Eindruck
haben muß, daß man in der Regierung und in der Koalition nicht zu dem steht, was von der Führung der Regierung eigentlich gewollt wird.
({0})
Frau Beer, Sie sagen immer, Sie seien zerrissen. Ich sage Ihnen: Wer, wie Sie es getan haben, das, was leider in
Kauf genommen werden muß, daß nämlich in Jugoslawien Opfer in der zivilen Bevölkerung leider nicht vermieden werden können, Mord nennt, unterstellt demjenigen, der in Deutschland die Hauptverantwortung für
die Bundeswehr hat, der der Inhaber der Befehls- und
Kommandogewalt ist, nämlich dem Verteidigungsminister, daß er ein Mörder sei. Und es geht noch weiter:
Er unterstellt es diesem Hause, denn wir haben mit der
konstitutiven Zustimmung zu diesem Auftrag ja den
Weg dafür frei gemacht. Das ist, Frau Kollegin Beer
- mit Verlaub gesagt -, ein Skandal. Das ist nicht tragbar.
({1})
Herr Kollege Breuer, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Angelika Beer?
Ich möchte ihre Frage erst
zu einem späteren Zeitpunkt zulassen, um jetzt im Zusammenhang fortfahren zu können.
({0})
Ich habe mich eben gefragt, wen der Verteidigungsminister, als er die Mahnungen im Zusammenhang mit
dem Haushalt ausgesprochen hat, hier in diesem Hause
eigentlich gemeint hat. Ich habe beobachtet, Herr Kollege Scharping, daß Sie während Ihrer Rede vorzugsweise
in die Richtung Ihrer eigenen Fraktion geschaut haben.
Ihre Körpersprache war sehr verräterisch. Ich habe gesehen, daß Sie dabei Ihre Augen vor allen Dingen auf
den sehr geschätzten Kollegen Volker Kröning gerichtet
haben. Herr Kollege Scharping, Sie haben einen guten
Grund, Ihren Kollegen anzuschauen; denn eben dieser
Kollege hat in meinen Augen die Herausforderung, die
ich eben beschrieben habe, nämlich einen Haushalt zu
einem Zeitpunkt zu beraten, an dem sich die Bundeswehr in einem bewaffneten Konflikt befindet, überhaupt
nicht erkannt.
({1})
Herr Kollege Kröning, Sie haben in diesen Haushaltsberatungen deutlich gemacht, daß es zunächst geplant war, bei der Bundeswehr, die eine schwierige Zeit
durchmacht, mehr als 1 Milliarde DM einzusparen. Sie
hätten es zu verantworten gehabt, daß den Soldaten, die
sich im Konflikt befinden, Sicherheit in Form einer guten Ausrüstung verweigert worden wäre, nur weil Sie
hier mit der Ärmelschonermentalität eines Buchhalters
Politik zu machen versuchen. Dies ist nicht zulässig.
({2})
Herr Kollege Kröning, wenn Sie den Verteidigungshaushalt wie jeden anderen Haushalt - Sie haben es ja
geschafft - um zwei mal 0,5 Prozent kürzen - Ihr Zwilling Metzger war dabei -, dann haben Sie die besonderen Herausforderungen, die an den Verteidigungshaushalt 1999 gestellt werden, auch nicht annähernd erkannt.
Das muß deutlich festgestellt werden.
({3})
Das heißt, wenn wir allen Soldaten der Bundeswehr,
aber insbesondere den Soldaten, die sich in dem jetzigen
schwierigen Einsatz befinden, unseren besonderen Dank
aussprechen - das möchte ich hiermit tun -, dann tun
wir das insbesondere deshalb, weil sie ihren Dienst trotz
der Attentate, die Sie auf den Haushalt zu verüben versuchen, verrichten.
({4})
Das ist unglaublich.
({5})
Herr Kollege Breuer, ich möchte einen Augenblick unterbrechen. Ich
möchte alle Kolleginnen und Kollegen daran erinnern,
daß wir uns hier in einer sehr ernsten Debatte befinden.
Ich finde es deshalb nicht angemessen, auch nicht mit
Blick auf die folgende namentliche Abstimmung, wenn
sich Kollegen im Saal unterhalten, während über dieses
Thema diskutiert wird. Ich möchte alle Kollegen bitten,
an dieser Debatte teilzunehmen, oder ihre Gespräche
draußen zu führen. Ich bitte um Ihr Verständnis.
({0})
Vielen Dank, Herr Präsident. Das hilft insbesondere dem Redner. Aber es erleichtert auch den Dialog.
Wenn ich das Ergebnis der bisherigen Beratungen
über den Verteidigungshaushalt am heutigen Tag zusammenfasse - Herr Kollege Kröning, hier spreche ich
Sie ganz persönlich an -, dann muß ich feststellen, daß
die rotgrünen Haushälter etwa 700 Millionen DM aus
dem Verteidigungshaushalt, über den zu einem Zeitpunkt beschlossen wird, an dem sich die Bundeswehr
einer besonderen Bewährungsprobe stellen muß, herausgestrichen haben. Wir stellen heute den Antrag, dies
wieder rückgängig zu machen. Wir fordern Sie von der
Koalition dazu auf: Unterstützen Sie unseren Antrag;
denn die besondere Bewährungsprobe für die Bundeswehr muß in diesem Hause gewürdigt werden.
({0})
Wenn wir demnächst darüber diskutieren, meine sehr
verehrten Kollegen Verteidigungspolitiker insbesondere
bei der SPD, dann sagen Sie nicht: Wir konnten nichts
dafür. Aber wir haben mit besonders grimmigen Gesichtern gegen den Antrag Ihrer Fraktion gestimmt. Damit kommen Sie nicht durch. Sie haben jetzt die
Chance, unserem Antrag zuzustimmen und damit deutlich zu machen, daß Sie die besondere Herausforderung
erkennen. Stimmen Sie nicht zu, versagen Sie in dieser
Frage.
Herr Kollege
Breuer, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Kröning?
Gerne.
Herr Kollege Breuer, bevor
ich Ihnen meine Frage stelle, möchte ich folgende Bemerkung machen: Ich muß Ihnen überlassen, zu beurteilen, ob Sie vorhin zugehört haben und ob Sie noch
ernst genommen werden wollen, wenn Sie nach Ihren
Ausführungen dem Verteidigungshaushalt zustimmen.
Gestatten Sie mir folgende Frage: Können Sie mir bestätigen, daß der Regierungsentwurf für den Bundeshaushalt 1999 eine Ausgabenzuwachsrate von 1,7 Prozent vorsah und daß der Haushaltsentwurf nunmehr,
nach den Beratungen des Haushaltsausschusses - ihr
Abschluß fand unter dem wenn auch unterschiedlich
starken Beifall aller Ausschußmitglieder statt -, nur
noch eine Ausgabenzuwachsrate von 1,2 Prozent beinhaltet?
({0})
Können Sie mir bestätigen, daß der Verteidigungshaushalt zunächst um 1,3 Prozent steigen sollte und daß er
nun zusammen mit den Verstärkungsmitteln für militärische und humanitäre Aufgaben um mehr als 1,8 Prozent
steigt? Spricht das nicht für sich selbst?
Herr Kollege Kröning,
zum ersten Teil Ihrer Frage: Obwohl leider zu erwarten
ist, daß Sie unseren Erhöhungsvorschlägen, deren Umsetzung den Etat auf die Höhe des Entwurfes der VorPaul Breuer
gängerregierung führen würde, nicht zustimmen werden,
werden wir dem Verteidigungsetat aus der besonderen
Verantwortung für den Verteidigungsetat in dieser besonderen sicherheitspolitischen Situation gleichwohl zustimmen. Wir tun das nicht deshalb, weil wir Ihnen und
Ihrer Tätigkeit zustimmen, sondern weil auch wir als
Opposition in einer besonderen Verantwortung stehen
und diese Verantwortung tragen wollen.
({0})
Zum zweiten Teil Ihrer Frage. Versuchen Sie doch
nicht, dieses Verwirrspiel zu betreiben. Tatsache ist, daß
Sie den Verteidigungsetat zweimal, genau wie die anderen Haushalte, trotz der besonderen Belastung um
0,5 Prozent geschoren haben. Sie haben darüber hinaus
dem Verteidigungsetat die notwendigen Personalverstärkungsmittel - Stichwort „Tarifrunde 1999“ - nicht
zugeführt. Deswegen beinhaltet der Verteidigungsetat
weniger als vorgesehen. Diese Tatsache muß hier deutlich ausgesprochen werden.
({1})
Ich möchte nun ein paar Worte zur Wehrstrukturkommission sagen. Herr Bundesminister Scharping, ich
bin davon überzeugt, daß Sie mittlerweile insgeheim
- Sie werden es hier nicht eingestehen - zugeben müssen, daß sich das Erstaunen vor dieser Kommission und
ihr Effekt in der Öffentlichkeit, den Sie erzielen wollten
- sie ist zwar respektabel besetzt, aber hinsichtlich ihrer
Zuzammensetzung erscheint sie recht willkürlich; der
aktuelle sicherheits- und verteidigungspolitische Sachverstand einzelner Mitglieder muß sehr hinterfragt werden -, in Grenzen halten. Ihre Erwartung, daß die Öffentlichkeit oder auch der Deutsche Bundestag vor dieser Kommission in Ehrfurcht erstarren, ist jedenfalls
nicht eingetreten.
({2})
Frau Kollegin Beer, wenn Sie sagen, wir sollten einmal darauf achten, wo wir in anderthalb Jahren am Ende
dieser Diskussion stehen, dann will ich Ihnen entgegnen:
Sie sollten einmal darauf achten, wo Sie in anderthalb
Jahren mit Ihren politischen Positionen überhaupt sind.
({3})
Wenn man insbesondere für Verteidigungs- und Sicherheitspolitik den Anspruch erheben muß, berechenbar
und zuverlässig zu sein, dann muß ich feststellen, daß
Sie das Beispiel einer politischen Persönlichkeit sind,
die gerade diesen Kriterien nicht entspricht. Das ist
meine Erfahrung mit Ihnen aus der Vergangenheit - bei
allem persönlichen Respekt, den ich vor Ihnen habe.
({4})
Herr Kollege Breuer,
gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten
Nolting?
Bitte schön.
Herr Kollege
Breuer, sind Sie mit mir einer Meinung, daß man vor
allen Dingen die Betroffenen in diese Zukunftskommission hätte mit einladen müssen, zum Beispiel den Bundeswehr-Verband und die Jugendorganisationen, um deren Zukunft es in einer Zukunftskommission gerade
geht?
Herr Kollege Günther
Nolting, das ist eine Kritik, die wir gemeinsam und zu
Recht geäußert haben.
({0})
Die Notwendigkeit, die Betroffenen in die Beratungen
der Kommission einzubeziehen, ist vom Minister nicht
erkannt worden. Er hat einen schwerwiegenden Fehler
gemacht, weil er über die von mir eben erhobenen Bedenken hinaus einen Beitrag dazu geleistet hat, daß jetzt
auch noch andere als diejenigen, von denen man das
ohnehin schon erwartet hat, die Ergebnisse dieser
Kommission von außen bezweifeln werden. Jetzt werden es auch die Betroffenen selbst sein.
Herr Kollege Kröning, ich habe Ihre Kommentare
eben schon vernommen.
({1})
Mit Ihrem Vorschlag, die Bundeswehr auf 270 000 Soldaten zu reduzieren,
({2})
während der von Ihnen getragene Minister davon
spricht, die Kommission arbeite ergebnisoffen, versuchen Sie, das Ergebnis der Kommission zu präjudizieren. Sie sagen ja von vornherein, was Sie mindestens
fordern. Ich will Sie darauf hinweisen, daß mit der Umsetzung dieser Zielvorgabe 150 bis 200 Bundeswehrstandorte gefährdet würden. Das sind 150 bis 200
Orte, an denen auch Kolleginnen und Kollegen Ihrer
Fraktion - die SPD ist ja eine Volkspartei, die in der
Fläche Kandidaten aufstellt - künftig kandidieren und
gewählt werden wollen. Sie befürworten einen Abbau
von 15 000 Soldaten pro Jahr in einer Zeit, in der
Deutschland sicherheitspolitisch herausgefordert ist; da
sollte man den Soldaten nicht ihre Existenzgrundlage
nehmen, insbesondere nicht denjenigen, die heute im
Ausland eingesetzt sind. Das ist nicht verantwortbar,
was Sie hier machen.
({3})
Meine Damen und Herren, sie sollten darüber hinaus
sehen - das sage ich allerdings auch an die Adresse der
Kollegen von der F.D.P. -, daß man mit Forderungen
nach einer Reduzierung der Wehrpflicht auf fünf Monate und der Aufstellung von Krisenreaktionskräften mit
einer Stärke von 150 000 ungeheuer sorgfältig umgehen
muß. Ich bin der Meinung - diese Meinung wird von
vielen in meiner Fraktion geteilt -,
({4})
daß man die Krisenreaktionsfähigkeit weiterentwickeln
muß. Wer aber die Prioritäten in der Bundeswehr auf die
Krisenreaktionsfähigkeit legen will, setzt einen falschen
Schwerpunkt. Er setzt sich nämlich selbst unter Druck,
zukünftig auf allen möglichen Schauplätzen dieses
Kontinents, vielleicht sogar in seiner Nähe, mit deutschen Soldaten vertreten sein zu müssen. Diese Gefahr
muß man sehen.
Ähnliche Überlegungen stimmen mich, Herr Kollege
Scharping, bedenklich im Hinblick auf die Stand-byarrangements. Unsere Nachbarn, auch unsere Partner,
schätzen die deutsche Leistungsfähigkeit, ob es die finanzielle oder eine andere ist, zumeist höher ein als wir
selbst. Sie verstehen das Geschäft ganz gut, uns ständig,
insbesondere dann, wenn es um Geldzahlungen geht,
moralisch unter Druck zu setzen. Wer vorschnell Arrangements trifft, setzt sich mehr unter Druck, als er es
vielleicht selbst glaubt.
({5})
Deshalb muß man bei diesen Stand-by-arrangements
vorsichtig sein.
Meine Damen und Herren, wenn ich den Bundeshaushalt für den Bereich der Verteidigung insgesamt
betrachte, stelle ich eines fest: Wir dürfen insbesondere
nicht dem Fehler unterliegen, zu glauben - ich appelliere
damit noch einmal an Sie, Herr Kollege Kröning -, man
könne die Probleme der Finanzierung der Bundeswehr
bei noch so großen Rationalisierungsanstrengungen der
Bundeswehr aus der Substanz der Bundeswehr lösen.
Das geht nicht. Sie versuchen das durch Ihren Vorschlag, die Stärke auf 270 000 Mann zu begrenzen. Das
ist der Versuch, die Gesundung eines Körpers auf der
Basis einer Amputation herbeizuführen. Das geht nicht,
er gesundet dabei nicht. Zunächst einmal müssen wir auf
der Basis einer sicherheitspolitischen Analyse darüber
reden, ob es auf Dauer vertretbar ist, daß der Verteidigungsetat keine realen Zuwächse bekommt. Ich bin der
Meinung, der Verteidigungsetat müsse mittel- und langfristig real im Vergleich zum Bundeshaushalt wachsen.
Nur auf dieser Basis ist die Aufrechterhaltung der Sicherheit und der Verteidigungsfähigkeit dieses Landes
gewährleistet sowie die Möglichkeit, internationale Beiträge zur Stabilität zu leisten, gegeben.
({6})
Der Versuch der Lösung der Probleme durch Aderlaß und
Amputation ist untauglich. Sie werden damit scheitern.
Untauglich ist auch der Versuch, die Probleme der
Bundeswehr zu verdrängen, indem man nicht den Mut
hat zu sagen: Wir brauchen mittelfristig und langfristig
für die Bundeswehr mehr Geld; die Zeiten, in denen dieser Etat nach der sicherheitspolitischen Veränderung der
Welt, nach dem Ende des Ost-West-Konfliktes unter anderen Gesichtspunkten gesehen werden konnte und
mußte, sind vorbei; die Friedensdividende kann nicht
weiter ausgeschüttet werden. - Das ist die Feststellung,
die zunächst einmal getroffen werden muß.
Sie wissen genausogut wie ich, daß der Verteidigungsetat, wenn er auf der Basis der Werte von 1989
fortgeschrieben worden wäre, heute nicht in der Größenordnung von 48 Milliarden DM existierte, sondern
fast den doppelten Umfang haben würde. Aber wir müssen feststellen - Verteidigungsminister Scharping hat
das selbst neulich in Expertenrunden gesagt -, daß
wir heute mit vergleichbaren Nationen hinsichtlich der
Finanzausstattung zum Teil nicht mehr mithalten können, weil wir von der Friedensdividende zu üppig Gebrauch gemacht haben.
Selbst wenn Sie darauf verweisen würden, wir hätten
das ja auch gemacht, die Vorgängerregierung habe es
auch gemacht, würde ich dasselbe sagen und würde einräumen, daß es vielleicht falsch war, dies zum Schluß
immer noch so zu machen. Wir müssen aber heute erkennen, daß sich die Situation verändert hat; sonst können wir unseren Beitrag für Frieden und Stabilität, den
wir leisten wollen, innerhalb der NATO und innerhalb
Europas nicht so erbringen, wie es notwendig erscheint.
({7})
Meine Damen und Herren, am Ende noch eine Stellungnahme zu der Frage der Unterstützung der schwierigen und herausfordernden Anstrengungen, die die Bundeswehr heute im Zusammenhang mit dem KosovoKonflikt unternehmen muß: Sie können sich über die
größte Oppositionspartei, über die CDU/CSU, in diesem
Zusammenhang überhaupt nicht beschweren. Kollege
Austermann hat eben richtigerweise darauf hingewiesen,
daß wir Sie in allen Entscheidungen, die bisher getroffen
worden sind, anteilmäßig stärker unterstützt haben, als
das bei Teilen der Koalition der Fall gewesen ist. Das
gilt auch für die öffentlichen Äußerungen.
Ich will einmal versuchen, an einem Beispiel aus
meinem eigenen Wahlkreis deutlich zu machen, was
„Unterstützung“ beispielsweise aus der SPD heißen
kann. In meiner Heimatstadt Siegen hat sich die Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Frauen - das ist
eine ehrbare Organisation; Mitglieder dieser Organisation sind auch hier mit im Raume - öffentlich geäußert.
Da heißt die Schlagzeile in der Siegener Zeitung: „AsF
macht gegen Krieg mobil“.
({8})
- Nun ist das, Frau Kollegin Wohlleben, kein Artikel
vom Sommer des letzten Jahres, sondern ein Artikel
vom 27. April 1999. Da sammelt die AsF Unterschriften
dafür, daß „ ... um Himmels willen ...“ die Luftangriffe
eingestellt werden sollen.
({9})
Dann schaue ich mir einmal an, an wen diese Unterschriften geschickt werden sollen. - Ja, nicht etwa an die
Bundes-SPD, sondern in diesem Artikel steht, man
wolle diese Unterschriften der NATO übersenden.
Wann versteht es die Sozialdemokratie in all ihren
Teilen, wer die NATO eigentlich ist? - Die NATO ist
nicht Herr Solana, die NATO sind wir alle gemeinsam;
die NATO ist Herr Scharping,
({10})
die NATO ist Herr Bundeskanzler Schröder. Machen
Sie doch nicht den Versuch,
({11})
von dieser Verantwortung, die wir haben, abzulenken.
Wissen Sie, was ich beschämend finde? - Ich finde
beschämend, daß zwei Bundestagskollegen von der SPD
diesem Treiben der Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Frauen ohne öffentlichen Kommentar zusehen. Es kann doch nicht sein, daß Sie von uns verlangen,
Ihnen Unterstützung zu geben, während Ihnen die eigenen Leute von Ihrer vielbeschworenen Basis diese Unterstützung versagen. Mit Verlaub: Einige Kollegen in
der CDU/CSU fühlen sich bei aller Unterstützung und
grundsätzlicher Zustimmung durch dieses Treiben mißbraucht. Das kann so nicht weitergehen.
Ich bedanke mich.
({12})
Ich gebe das Wort zu
einer Kurzintervention dem Kollegen Günther Nolting.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Breuer,
Sie haben das Diskussionspapier der F.D.P. gerade kritisiert. Ich denke, Sie sollten es einmal lesen. Dann kämen
Sie zu einer neuen Bewertung.
({0})
In diesem Diskussionspapier sprechen wir uns eindeutig für die Beibehaltung der Wehrpflicht aus. Wir
wollen allerdings Grundwehrdienstleistende in Zukunft
nicht mehr auf Funktionsstellen einsetzen und kommen
deswegen zu einer Verkürzung der Grundwehrdienstzeit.
Wir wollen mit diesem Diskussionspapier eine Stärkung der Bundeswehr insgesamt erreichen. Wir wollen
die Einsatzfähigkeit der Bundeswehr erhöhen - über den
Mangel auf diesem Gebiet haben wir heute ja einiges
gehört -, und wir stellen diese Vorschläge zur Diskussion. Es muß in einer Demokratie möglich sein, auch abweichende Meinungen vorzutragen, in einem Papier zusammenzufassen und zur Diskussion zu stellen.
Ich sage aber auch, daß wir unsere Überlegungen auf
Grund außen- und sicherheitspolitischer Gesichtspunkte
und nicht, wie Sie es gerade getan haben, auf Grund regionalpolitischer Überlegungen vorgestellt haben. Ich
halte es für falsch, heute all diejenigen, die Änderungsvorschläge machen, in eine bestimmte Ecke zu stellen
und zu argumentieren, wegen dieser Vorschläge müßten
soundso viele Standorte geschlossen werden.
Sie betreiben damit eine Politik auf dem Rücken der
Soldaten und schüren Ängste. Dies darf einfach nicht
sein. Sehen Sie sich unser Papier noch einmal an! Dann
werden Sie zu einer anderen Schlußfolgerung kommen.
Vielen Dank.
({1})
Das Wort zur Erwiderung hat der Kollege Breuer.
Herr Kollege Nolting, ich
will meine Antwort kurz halten, da ich gerade das Wort
gehabt habe.
({0})
Der Hauptvorwurf, den ja nicht wir alleine Ihnen machen - auch aus Ihrer Fraktion gab es diesen Vorwurf;
ich könnte Herrn Kinkel zitieren -, ist, daß Sie die falschen Vorschläge zur falschen Zeit machen. Den
Grundwehrdienst auf fünf Monate zu reduzieren hieße,
die Glaubwürdigkeit der allgemeinen Wehrpflicht in
Frage zu stellen.
({1})
Angesichts der Tatsache, daß der Kollege Möllemann, der beileibe kein Befürworter der allgemeinen
Wehrpflicht ist und der den Übergang zu einer Berufsarmee möchte, sagt, dies sei das richtige Signal auf dem
Weg des Übergangs zu einer Berufsarmee, können Sie
erkennen, welche Mißverständnisse Sie mit diesem Papier auslösen können.
({2})
Zu einer Erklärung
zur Aussprache nach § 30 der Geschäftsordnung gebe
ich nunmehr das Wort der Kollegin Angelika Beer.
Herr
Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich
möchte eine Richtigstellung zu einer Aussage treffen,
die in dieser Debatte gefallen ist. Der Kollege Nolting
hat mir während der Debatte ein Zitat vom 29. April
vorgehalten, das ich bestätigt habe. Mit dem darin enthaltenen Begriff „ermordete Zivilisten“, der auch von
dem Kollegen Nolting genannt wurde, wollte ich während des Gesprächs innerhalb der Sendung auf die Grausamkeit des Sterbens hinweisen. Ich habe diese Aussage
aber nicht im Hinblick auf eine strafrechtliche Bewertung gemacht.
Ich möchte hier richtigstellen, daß der Begriff „getötete Zivilisten“ der richtige und zutreffende Begriff ist.
Ich möchte dies insbesondere aus zwei Gründen auch
qua Protokoll richtigstellen, damit keine Unklarheit
bleibt. Erstens war keiner der Fehlschläge während der
Luftangriffe durch die NATO - ich habe das vorhin
schon gesagt - gewollt oder ist fahrlässig riskiert worden. Es gibt keinen chirurgisch sauberen Krieg; leider
kommt es dabei auch zu Fehlschlägen und Opfern unter
Zivilisten.
Der zweite Grund, warum ich das richtigstellen
möchte, ist insbesondere die Rede des Herrn Dr. Wolf
von der PDS, der nach mir gesprochen hat und der in
dieser Debatte mit keinem einzigen Wort das mörderische Treiben von Milosevic erwähnt hat.
({0})
Ich sage Ihnen, Herr Wolf: Die Soldaten der NATO, die
jetzt im Einsatz sind, sind keine Mörder, sondern Soldaten, die den Auftrag haben, die Kosovo-Albaner zu
schützen, zu retten und irgendwann frei in ihre Heimat
zurückzuführen.
({1})
Herr Kollege Wolf,
ich kann Ihnen das Wort leider nicht mehr geben, da die
Aussprache geschlossen ist. Ich erlaube mir nur den
Hinweis, daß nach § 30 der Geschäftsordnung Äußerungen zurückgewiesen werden können, die auf die eigene
Person gemünzt sind, oder Äußerungen richtiggestellt
werden können.
({0})
Deswegen kann der Kollege Wolf - obwohl ich vestehe,
daß er sich hat melden wollen - keine Erwiderung mehr
geben; die Aussprache ist geschlossen.
Wir kommen zur Abstimmung, und zwar zunächst
über die Änderungsanträge.
Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU auf
Drucksache 14/903. Wer stimmt dafür? - Wer stimmt
dagegen? - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist
mit den Stimmen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen
und PDS gegen die übrigen Stimmen des Hauses abgelehnt.
Änderungsantrag der Fraktion der F.D.P. auf Drucksache 14/916. Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Antrag ist mit den Stimmen
von SPD und Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen von CDU/CSU, F.D.P. und PDS abgelehnt.
Änderungsantrag der Fraktion der PDS auf Drucksache 14/950. Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen?
- Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist mit den
Stimmen des Hauses gegen die Stimmen der PDS abgelehnt.
Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Einzelplan 14 in der Ausschußfassung. Die Fraktion der F.D.P.
verlangt namentliche Abstimmung. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, soweit sie das noch nicht
gemacht haben, die vorgesehenen Plätze einzunehmen.
- Sind alle Urnen besetzt? - Dann eröffne ich die Abstimmung.
Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine Stimme noch nicht abgegeben hat? - Das ist nicht
der Fall. Ich schließe die Abstimmung. Ich bitte die
Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis der Abstimmung wird
Ihnen später bekanntgegeben. Wir setzen die Beratungen fort.
Ich rufe auf:
15. Einzelplan 23
Bundesministerium für wirtschaftliche
Zusammenarbeit und Entwicklung
- Drucksachen 14/618, 14/622 Berichterstattung: Abgeordnete Antje Hermenau
Michael von Schmude
Dr. Barbara Höll
Es liegen zwei Änderungsanträge der Fraktion der
PDS vor.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Stunde vorgesehen. - Ich höre keinen
Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat für die
CDU/CSU-Bundestagsfraktion der Kollege Michael von
Schmude.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die abschließenden Beratungen im Haushaltsausschuß zu diesem
Einzelplan haben in erschreckender Weise verdeutlicht,
daß die rotgrüne Entwicklungspolitik weit hinter den
selbstgesteckten Zielen zurückbleibt und die Erwartungen der Länder der Dritten Welt enttäuscht. Das war
eigentlich vorherzusehen; denn es deckt sich mit der generellen Politik dieser Bundesregierung: vollmündige
Ankündigungen, die sich dann als leere Versprechungen
entpuppen. Frau Ministerin, das ist eine Känguruhpolitik: große Sprünge und nichts im Beutel.
({0})
Ich halte fest: Der Einzelplan 23 schloß 1998 mit
7,9 Milliarden DM ab. Ihr Regierungsentwurf lag dann
bei 7,8 Milliarden DM. Jetzt wurden Sie im Haushaltsausschuß um weitere 40 Millionen DM gerupft. Das ist
das Ergebnis. Der neue Stellenwert der Entwicklungspolitik wird auch daran deutlich, daß die Entwicklungshilfe - sozusagen unter „ferner liefen“ - der vorletzte
Punkt Ihrer Koalitionsvereinbarung ist. So spiegeln es
die Zahlen wider, Frau Ministerin. Sie werden sich mit
Ihrem Haushalt an dem Ist-Ergebnis von 1998 messen
lassen müssen.
Wie sieht das Zahlenwerk im einzelnen aus? Der alte
Regierungsentwurf beinhaltete noch Verstärkungsmittel
aus Forderungsverkäufen in Höhe von 200 Millionen
DM. Die wurden Ihnen in Etappen auf ganze 76 Millionen DM zusammengestrichen. Dann hat man Ihnen noch
den Verstärkungsvermerk weggenommen. Das haben
Sie gar nicht bemerkt.
Die Barmittel bei der FZ wurden Ihnen um 244
Millionen DM gekürzt. Sie haben sich dafür vom Bundesminister der Finanzen 20 Millionen DM für die
Mittel- und Osteuropaförderung durch Umschichtungen aus dem Einzelplan 60 wiedergeholt. Aber diese
Mittel hatten Sie bereits im vergangenen Jahr zur BeAngelika Beer
wirtschaftung zur Verfügung. Sie haben sich vom Finanzminister nach Strich und Faden über den Tisch
ziehen lassen.
Frau Ministerin, Sie werden noch einmal kräftig zur
Kasse gebeten. Denn Sie haben akzeptiert, daß Ihr
Haushalt mit einem Dollar-Kurs von 1,6695 DM gerechnet wurde. Inzwischen liegt der Dollar bei 1,84 DM.
Das kostet Sie möglicherweise weitere 50 Millionen
DM. Dafür können Sie sich unter anderem bei Herrn Lafontaine bedanken, der den Euro in unverantwortlicher
Weise weichgeredet und damit das Vertrauen in die
neue Währung aufs Spiel gesetzt hat.
({1})
Wir von der CDU/CSU begrüßen nachdrücklich, lieber Kollege Dr. Schnell, die Ausweitung der Verbundfinanzierung. Wir warnen diese Regierung allerdings vor
einer leichtfertigen, leichtsinnigen Kreditvergabe. Der
deutsche Steuerzahler kann zu Recht erwarten, daß die
Bonitätsprüfungen weiterhin sorgfältig vorgenommen
werden und daß nicht durch Ihre politische Einflußnahme unnötige Kreditrisiken aufgebaut werden.
Sie haben für Ihre Schuldenerlaßpolitik in Ihrem
Haushalt keinen erkennbaren Spielraum; Sie haben dafür keine finanzielle Vorsorge getroffen. Aber vor allem
fehlt Ihnen das Konzept. Es darf nicht nur darum gehen,
Schulden zu erlassen und koordiniert mit anderen zu
handeln, sondern es muß darum gehen, gemeinsam die
Ursachen der Überschuldung zu beseitigen, und das darf
nicht zu einer Verschlechterung der Zahlungsmoral bei
den Ländern der Dritten Welt führen.
({2})
Dafür haben Sie die EU-Ratspräsidentschaft und den
Gipfel von Berlin eben nicht genutzt. Die Absprachen,
die Sie getroffen haben, sind nicht geeignet, dieses Ziel
zu erreichen. Ja, man könnte über den Berliner Gipfel
sagen: Außer Spesen nichts gewesen.
Sie haben angekündigt, die multilaterale Zusammenarbeit gegenüber der bilateralen zu verstärken.
Das hat man in Brüssel gern gehört; denn es paßt überhaupt nicht zu der deutschen Forderung, den EUBeitrag für unser Land zu senken. Wir waren uns im
Haushaltsausschuß über die Fraktionsgrenzen hinweg
immer darin einig, daß im Gegenteil die bilaterale Zusammenarbeit zu Lasten der multilateralen gestärkt
werden muß. Das wäre auch den Nichtregierungsorganisationen zugute gekommen. Vor allem hätten wir die
Kontrolle über die Verwendung der Mittel, die wir für
die Entwicklungshilfe zur Verfügung stellen, in der
Hand behalten.
Der Europäische Rechnungshof deckt in seinen Berichten immer wieder Fälle von Mißbrauch, von Verschwendung auch beim Europäischen Entwicklungsfonds auf, was ja angesichts der Skandale in der EUKommission niemanden wundert. In diesem Zusammenhang kann ich überhaupt nicht verstehen, wie Sie,
Frau Ministerin, für den Europäischen Entwicklungsfonds freiwillig Gelder nach Brüssel überweisen, die
dort als Festgelder angelegt werden, weil man sie überhaupt noch nicht braucht. Mit dieser Art von deutscher
Großzügigkeit entsteht ein völlig falscher Eindruck.
Man fördert damit in Brüssel die Politik des leichten
Geldes.
Auf unser Drängen hin haben Sie wenigstens 66 Millionen DM aus diesem Titel gestrichen. Es hätten aber
noch weitere 75 Millionen DM sein können. Die wären
bei der Finanzierung der Kosovo-Hilfe besser angelegt
gewesen als in Brüssel. Oder wollen Sie hier, beim EEF,
eine Haushaltsreserve verstecken, wie Sie es auch bei
den viel zu niedrig angesetzten Einnahmen aus Zins und
Tilgung gemacht haben?
Sie, Frau Ministerin, sitzen ja nun auch im Bundessicherheitsrat. Da bin ich schon sehr überrascht über Ihre
Wandlung. Erst kürzlich hat diese Regierung - übrigens
auf dem Höhepunkt der Öcalan-Auseinandersetzungen eine Gewährleistung zur Lieferung von U-Booten an
die Türkei beschlossen. Erst kürzlich ist unter Ihrer
Mitwirkung die Lieferung von Fährschiffen, die man
auch als Truppentransporter einsetzen kann, an Indonesien freigegeben worden. Ich stelle das einmal fest.
Neue politische Akzente haben Sie da offensichtlich
nicht gesetzt, Frau Ministerin.
Es ist Ihnen auch nicht gelungen, die Fäden der Entwicklungspolitik nun voll in die Hand zu bekommen.
Der Bundesfinanzminister verfügt im Einzelplan 60
weiterhin über erhebliche Mittel für die Beratungshilfe
für mittel- und osteuropäische Staaten. Außerdem verfügt er noch über einen Ansatz von 300 Millionen DM
für humanitäre Hilfe im Kosovo. Um die Federführung
bei der Vergabe dieses Geldes streiten sich - das haben
wir ja im Haushaltsausschuß erlebt - das Außenministerium und das Verteidigungsministerium, obgleich eigentlich auch hier der Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung ein Wort mitzureden hätte. Ich vermisse Ihre Aktivitäten auf diesem
Gebiet.
({3})
Wir stellen fest, Herr Kollege Schuster: Handwerkliche Fehlgriffe, rückläufige Haushaltsmittel und mangelnder Sparwille zeichnen diesen Einzelplan aus. Die
Hoffnungen der Nichtregierungsorganisationen werden
ebenso enttäuscht wie die Hoffnungen der Länder der
Dritten Welt.
Wir lehnen diesen Haushalt deshalb ganz entschieden
ab.
({4})
Bevor ich das Wort
weitergebe, darf ich das von den Schriftführern und
Schriftführerinnen ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung zum Einzelplan 14, Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Verteidigung, bekanntgeben. Abgegebene Stimmen 584. Mit Ja haben
gestimmt 549, mit Nein haben gestimmt 30, Enthaltungen 5. Der Einzelplan 14 ist damit angenommen.
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 583;
davon:
ja: 548
nein: 30
enthalten: 5
Ja
SPD
Brigitte Adler
Gerd Andres
Rainer Arnold
Hermann Bachmaier
Ernst Bahr
Doris Barnett
Dr. Hans-Peter Bartels
Eckhardt Barthel ({0})
Klaus Barthel ({1})
Dr. Axel Berg
Hans-Werner Bertl
Friedhelm Julius Beucher
Petra Bierwirth
Rudolf Bindig
Lothar Binding ({2})
Kurt Bodewig
Klaus Brandner
Anni Brandt-Elsweier
Willi Brase
Dr. Eberhard Brecht
Rainer Brinkmann ({3})
Bernhard Brinkmann
({4})
Edelgard Bulmahn
Dr. Michael Bürsch
Hans Martin Bury
Hans Büttner ({5})
Marion Caspers-Merk
Dr. Peter Danckert
Christel Deichmann
Karl Diller
Peter Dreßen
Rudolf Dreßler
Detlef Dzembritzki
Dieter Dzewas
Dr. Peter Eckardt
Sebastian Edathy
Ludwig Eich
Marga Elser
Peter Enders
Gernot Erler
Petra Ernstberger
Annette Faße
Lothar Fischer ({6})
Gabriele Fograscher
Iris Follak
Norbert Formanski
Rainer Fornahl
Hans Forster
Dagmar Freitag
Lilo Friedrich ({7})
Harald Friese
Anke Fuchs ({8})
Arne Fuhrmann
Monika Ganseforth
Konrad Gilges
Iris Gleicke
Günter Gloser
Renate Gradistanac
Günter Graf ({9})
Angelika Graf ({10})
Dieter Grasedieck
Achim Großmann
Wolfgang Grotthaus
Karl Hermann Haack
({11})
Hans-Joachim Hacker
Christel Hanewinckel
Alfred Hartenbach
Klaus Hasenfratz
Nina Hauer
Hubertus Heil
Reinhold Hemker
Frank Hempel
Dr. Barbara Hendricks
Gustav Herzog
Monika Heubaum
Reinhold Hiller ({12})
Stephan Hilsberg
Gerd Höfer
Jelena Hoffmann ({13})
Walter Hoffmann
({14})
Iris Hoffmann ({15})
Frank Hofmann ({16})
Ingrid Holzhüter
Eike Hovermann
Christel Humme
Lothar Ibrügger
Barbara Imhof
Brunhilde Irber
Gabriele Iwersen
Renate Jäger
Jann-Peter Janssen
Ilse Janz
Dr. Uwe Jens
Johannes Kahrs
Ulrich Kasparick
Sabine Kaspereit
Susanne Kastner
Hans-Peter Kemper
Klaus Kirschner
Marianne Klappert
Siegrun Klemmer
Hans-Ulrich Klose
Walter Kolbow
Fritz Rudolf Körper
Karin Kortmann
Anette Kramme
Nicolette Kressl
Angelika Krüger-Leißner
Horst Kubatschka
Ernst Küchler
Helga Kühn-Mengel
Ute Kumpf
Dr. Uwe Küster
Werner Labsch
Christine Lambrecht
Brigitte Lange
Christian Lange ({17})
Detlev von Larcher
Christine Lehder
Waltraud Lehn
Robert Leidinger
Klaus Lennartz
Dr. Elke Leonhard
Eckhart Lewering
Götz-Peter Lohmann
({18})
Erika Lotz
Dr. Christine Lucyga
Dieter Maaß ({19})
Winfried Mante
Dirk Manzewski
Tobias Marhold
Ulrike Mascher
Christoph Matschie
Heide Mattischeck
Markus Meckel
Ulrike Mehl
Ulrike Merten
Angelika Mertens
Dr. Jürgen Meyer ({20})
Ursula Mogg
Christoph Moosbauer
Siegmar Mosdorf
Michael Müller ({21})
Jutta Müller ({22})
Christian Müller ({23})
Franz Müntefering
Andrea Nahles
Volker Neumann ({24})
Gerhard Neumann ({25})
Dr. Edith Niehuis
Dr. Rolf Niese
Dietmar Nietan
Günter Oesinghaus
Eckhard Ohl
Leyla Onur
Manfred Opel
Holger Ortel
Adolf Ostertag
Kurt Palis
Albrecht Papenroth
Dr. Willfried Penner
Dr. Martin Pfaff
Georg Pfannenstein
Johannes Pflug
Dr. Eckhart Pick
Joachim Poß
Karin Rehbock-Zureich
Margot von Renesse
Renate Rennebach
Bernd Reuter
Dr. Edelbert Richter
Reinhold Robbe
Gudrun Roos
René Röspel
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Michael Roth ({26})
Birgit Roth ({27})
Marlene Rupprecht
Thomas Sauer
Dr. Hansjörg Schäfer
Gudrun Schaich-Walch
Bernd Scheelen
Dr. Hermann Scheer
Siegfried Scheffler
Otto Schily
Dieter Schloten
Horst Schmidbauer
({28})
Ulla Schmidt ({29})
Silvia Schmidt ({30})
Dagmar Schmidt ({31})
Wilhelm Schmidt ({32})
Regina Schmidt-Zadel
Heinz Schmitt ({33})
Dr. Emil Schnell
Walter Schöler
Olaf Scholz
Karsten Schönfeld
Fritz Schösser
Ottmar Schreiner
Gerhard Schröder
Gisela Schröter
Dr. Mathias Schubert
Richard Schuhmann
({34})
Brigitte Schulte ({35})
Reinhard Schultz
({36})
Volkmar Schultz ({37})
Ewald Schurer
Dietmar Schütz ({38})
Dr. Angelica Schwall-Düren
Ernst Schwanhold
Bodo Seidenthal
Erika Simm
Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk
Dr. Cornelie SonntagWolgast
Wieland Sorge
Wolfgang Spanier
Dr. Margrit Spielmann
Jörg-Otto Spiller
Dr. Ditmar Staffelt
Antje-Marie Steen
Ludwig Stiegler
Rolf Stöckel
Rita Streb-Hesse
Joachim Stünker
Joachim Tappe
Jella Teuchner
Dr. Gerald Thalheim
Franz Thönnes
Adelheid Tröscher
Hans-Eberhard Urbaniak
Rüdiger Veit
Simone Violka
Ute Vogt ({39})
Hans Georg Wagner
Hedi Wegener
Dr. Konstanze Wegner
Wolfgang Weiermann
Reinhard Weis ({40})
Matthias Weisheit
Gunter Weißgerber
Gert Weisskirchen
({41})
Hans-Joachim Welt
Dr. Rainer Wend
Hildegard Wester
Lydia Westrich
Inge Wettig-Danielmeier
Dr. Margrit Wetzel
Dr. Norbert Wieczorek
Vizepräsident Rudolf Seiters
Helmut Wieczorek
({42})
Jürgen Wieczorek ({43})
Dieter Wiefelspütz
Heino Wiese ({44})
Klaus Wiesehügel
Brigitte Wimmer
({45})
Engelbert Wistuba
Dr. Wolfgang Wodarg
Verena Wohlleben
Hanna Wolf ({46})
Waltraud Wolff ({47})
Heidemarie Wright
Dr. Christoph Zöpel
Peter Zumkley
CDU/CSU
Ulrich Adam
Ilse Aigner
Peter Altmaier
Norbert Barthle
Günter Baumann
Brigitte Baumeister
Meinrad Belle
Dr. Sabine Bergmann-Pohl
Otto Bernhardt
Hans-Dirk Bierling
Dr. Joseph-Theodor Blank
Renate Blank
Dr. Heribert Blens
Dr. Norbert Blüm
Friedrich Bohl
Dr. Maria Böhmer
Sylvia Bonitz
Wolfgang Börnsen
({48})
Wolfgang Bosbach
Dr. Wolfgang Bötsch
Klaus Brähmig
Dr. Ralf Brauksiepe
Monika Brudlewsky
Georg Brunnhuber
Klaus Bühler ({49})
Hartmut Büttner
({50})
Dankward Buwitt
Manfred Carstens ({51})
Peter H. Carstensen
({52})
Leo Dautzenberg
Hubert Deittert
Albert Deß
Renate Diemers
Thomas Dörflinger
Maria Eichhorn
Rainer Eppelmann
Anke Eymer
Ilse Falk
Dr. Hans Georg Faust
Ingrid Fischbach
Dirk Fischer ({53})
Axel E.Fischer ({54})
Dr. Gerhard Friedrich
({55})
Dr. Hans-Peter Friedrich
({56})
Erich G. Fritz
Jochen-Konrad Fromme
Hans-Joachim Fuchtel
Dr. Jürgen Gehb
Dr. Heiner Geißler
Georg Girisch
Dr. Reinhard Göhner
Dr. Wolfgang Götzer
Kurt-Dieter Grill
Hermann Gröhe
Manfred Grund
Gottfried Haschke
({57})
Gerda Hasselfeldt
Norbert Hauser ({58})
Hansgeorg Hauser
({59})
Ursula Heinen
Manfred Heise
Siegfried Helias
Ernst Hinsken
Peter Hintze
Klaus Hofbauer
Martin Hohmann
Klaus Holetschek
Josef Hollerith
Siegfried Hornung
Joachim Hörster
Hubert Hüppe
Peter Jacoby
Susanne Jaffke
Georg Janovsky
Dr.-Ing. Rainer Jork
Dr. Harald Kahl
Bartholomäus Kalb
Steffen Kampeter
Irmgard Karwatzki
Volker Kauder
Eckart von Klaeden
Ulrich Klinkert
Manfred Kolbe
Norbert Königshofen
Eva-Maria Kors
Hartmut Koschyk
Thomas Kossendey
Rudolf Kraus
Dr. Martina Krogmann
Dr. Paul Krüger
Dr. Hermann Kues
Karl Lamers
Dr. Karl A. Lamers
({60})
Dr. Paul Laufs
Karl-Josef Laumann
Werner Lensing
Peter Letzgus
Ursula Lietz
Walter Link ({61})
Eduard Lintner
Dr. Manfred Lischewski
Wolfgang Lohmann
({62})
Julius Louven
Erich Maaß ({63})
Erwin Marschewski
Dr. Martin Mayer
({64})
Wolfgang Meckelburg
Dr. Michael Meister
Dr. Angela Merkel
Friedrich Merz
Hans Michelbach
Meinolf Michels
Dr. Gerd Müller
Bernward Müller ({65})
Elmar Müller ({66})
Bernd Neumann ({67})
Günter Nooke
Franz Obermeier
Friedhelm Ost
Eduard Oswald
Norbert Otto ({68})
Dr. Friedbert Pflüger
Ruprecht Polenz
Marlies Pretzlaff
Dr. Peter Ramsauer
Helmut Rauber
Christa Reichard ({69})
Erika Reinhardt
Hans-Peter Repnik
Klaus Riegert
Franz Romer
Hannelore Rönsch
({70})
Heinrich-Wilhelm Ronsöhr
Dr. Klaus Rose
Kurt Rossmanith
Adolf Roth ({71})
Norbert Röttgen
Dr. Christian Ruck
Volker Rühe
Anita Schäfer
Heinz Schemken
Gerhard Scheu
Norbert Schindler
Dietmar Schlee
Bernd Schmidbauer
Christian Schmidt ({72})
Dr.-Ing. Joachim Schmidt
({73})
Birgit Schnieber-Jastram
Reinhard Freiherr von
Schorlemer
Dr. Erika Schuchardt
Diethard W. Schütze ({74})
Clemens Schwalbe
Dr. Christian SchwarzSchilling
Wilhelm-Josef Sebastian
Horst Seehofer
Heinz Seiffert
Werner Siemann
Johannes Singhammer
Bärbel Sothmann
Margarete Späte
Carl-Dieter Spranger
Wolfgang Steiger
Andreas Storm
Dorothea Störr-Ritter
Max Straubinger
Matthäus Strebl
Thomas Strobl
Michael Stübgen
Dr. Rita Süssmuth
Dr. Susanne Tiemann
Edeltraut Töpfer
Dr. Hans-Peter Uhl
Arnold Vaatz
Angelika Volquartz
Andrea Voßhoff
Peter Weiß ({75})
Gerald Weiß ({76})
Annette Widmann-Mauz
Heinz Wiese ({77})
Hans-Otto Wilhelm ({78})
Klaus-Peter Willsch
Werner Wittlich
Dagmar Wöhrl
Elke Wülfing
Peter Kurt Würzbach
Wolfgang Zeitlmann
Benno Zierer
Wolfgang Zöller
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Marieluise Beck ({79})
Volker Beck ({80})
Matthias Berninger
Ekin Deligöz
Dr. Thea Dückert
Franziska Eichstädt-Bohlig
Dr. Uschi Eid
Hans-Josef Fell
Andrea Fischer ({81})
Joseph Fischer ({82})
Katrin Göring-Eckardt
Antje Hermenau
Kristin Heyne
Ulrike Höfken
Michaele Hustedt
Steffi Lemke
Dr. Helmut Lippelt
Dr. Reinhard Loske
Oswald Metzger
Klaus Wolfgang Müller
({83})
Kerstin Müller ({84})
Winfried Nachtwei
Christa Nickels
Cem Özdemir
Simone Probst
Claudia Roth ({85})
Christine Scheel
Rezzo Schlauch
Albert Schmidt ({86})
Werner Schulz ({87})
Christian Sterzing
Jürgen Trittin
Ludger Volmer
Helmut Wilhelm ({88})
Margareta Wolf ({89})
Vizepräsident Rudolf Seiters
F.D.P.
({90})
Ernst Burgbacher
Jörg van Essen
Ulrike Flach
Paul K. Friedhoff
Horst Friedrich ({91})
Dr. Wolfgang Gerhardt
Hans-Michael Goldmann
Joachim Günther ({92})
Dr. Karlheinz Guttmacher
Klaus Haupt
Walter Hirche
Birgit Homburger
Ulrich Irmer
Dr. Heinrich L. Kolb
Gudrun Kopp
Ina Lenke
Sabine LeutheusserSchnarrenberger
Dirk Niebel
Hans-Joachim Otto
({93})
Cornelia Pieper
Dr. Günter Rexrodt
Dr. Edzard Schmidt-Jortzig
Gerhard Schüßler
Dr. Irmgard Schwaetzer
Marita Sehn
Dr. Max Stadler
Dr. Dieter Thomae
Nein
SPD
Uwe Hiksch
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Sylvia Voß
PDS
Monika Balt
Maritta Böttcher
Eva Bulling-Schröter
Roland Claus
Heidemarie Ehlert
Dr. Heinrich Fink
Dr. Ruth Fuchs
Dr. Barbara Höll
Ulla Jelpke
Sabine Jünger
Gerhard Jüttemann
Dr. Evelyn Kenzler
Dr. Heidi Knake-Werner
Ursula Lötzer
Dr. Christa Luft
Heidemarie Lüth
Angela Marquardt
Manfred Müller ({94})
Kersten Naumann
Rosel Neuhäuser
Dr. Uwe-Jens Rössel
Christina Schenk
Gustav-Adolf Schur
Dr. Ilja Seifert
Enthalten
SPD
Christa Lörcher
Dr. Ernst Ulrich von
Weizsäcker
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Winfried Hermann
Monika Knoche
Irmingard Schewe-Gerigk
Entschuldigt wegen Übernahme einer Verpflichtung im Rahmen ihrer Mitgliedschaft in den Parlamentarischen Versammlungen
des Europarates und der WEU, der NAV, der OSZE oder der IPU
Abgeordnete({95})
Behrendt, Wolfgang, SPD Siebert, Bernd, CDU/CSU
Nun gebe ich das Wort für die SPD-Fraktion dem
Kollegen Dr. Emil Schnell.
Herr Präsident! Meine sehr
verehrten Kolleginnen und Kollegen! An diese neue Qualität von Polemik muß man sich erst einmal gewöhnen.
({0})
Sie ist unerhört; das kennen wir von früher nicht. Diese
Polemik ist weit überzogen und paßt - das muß ich ganz
klar sagen - überhaupt nicht zu dem Konsens, den wir in
den ganzen Stufen der Beratungen vom Berichterstattergespräch bis zu den Haushaltsberatungen hatten. Nicht
umsonst hat der Kollege Koppelin angekündigt, daß die
F.D.P. unserem Haushaltseinzelplan 23 zustimmen will.
Das hebt sich davon schon deutlich ab. Ich denke, das
muß korrigiert werden. Hier muß man einiges richtigstellen.
Gleich vorweg: Das Ist von 7,9 Milliarden DM für
1998 hat doch Gründe und Ursachen. Diese liegen in erster Linie darin, daß überplanmäßige Ausgaben entstanden sind, weil Sie nicht in der Lage waren, Ihren Haushalt so aufzustellen und zu fahren, daß die Gelder für die
Zwecke, für die sie eigentlich hätten reichen müssen,
auch tatsächlich ausreichen. Es gibt also ganz klare
Mängel im Haushalt 1998, die hier zutage treten.
({1})
Eine weitere Bemerkung vorweg. Die Qualität unserer Ministerinnen und Minister in der Bundesregierung
bemißt sich nicht nach der Höhe des Plafonds oder des
Haushaltes; sie ist unabhängig davon. Das sind alles
gute Leute.
({2})
Man hat heute den ganzen Tag über den Eindruck gehabt, als ob es irgendeinen Zusammenhang zwischen
dem Kampf um möglichst hohe Plafonds und der Qualität der Ministerinnen und Minister gäbe. Das möchte
ich von mir weisen. Die Qualität der Oppositionsfraktionen kann sich ja auch nicht danach bemessen, in welchem Volumen Erhöhungsanträge gestellt werden.
({3})
Es ist unerhört, daß Sie - wie das eben der Kollege von
Schmude getan hat - mangelnden Sparwillen unterstellen und gleichzeitig den ganzen Tag über versuchen,
einen Erhöhungsantrag nach dem anderen durchzubringen. Das ist so unglaubwürdig, daß es hier ganz klar gesagt werden muß.
({4})
Zu den Beratungen des Einzelplanes 23 kann man sagen, daß es gute Beratungen waren. Die Ministerin, das
Haus, die Kolleginnen und Kollegen aus dem AWZ und
besonders die Koalitionspolitiker aus dem Bereich der
Entwicklungspolitik können zufrieden sein. Wir - die
Kollegin Hermenau und ich - haben versucht, alle Anregungen, die Anträge, die Grundüberlegungen und die
Impulse aus dem Vorfeld der Beratungen in die Entscheidungen mit einzubeziehen. Natürlich müssen wir
Vizepräsident Rudolf Seiters
uns am Kontext des Gesamthaushaltes orientieren und
am Realistischen und Möglichen entlanggehen. Das haben wir versucht.
Der Haushalt ist nach den Beratungen trotz unabdingbarer Sparbemühungen nicht wirklich kleiner als
vor den Beratungen. Warum das so ist, werde ich gleich
ausführen. Damit ist ein Schwerpunkt der Regierungsbildung auch Schwerpunkt geblieben. Ich will noch
einmal sagen: Die Regierung, hier der Finanzminister,
hatte 0,5 Prozent eingesammelt, um Schwerpunkte zu
setzen und um Spielräume zu bekommen. Sie wollte
Schwerpunkte bei der Entwicklungspolitik, bei Forschung, Bildung, Ausbildung und Technologie und natürlich auch bei der Arbeit setzen. Diese drei Schwerpunkte wurden dadurch finanziert. Wir haben bei allen
Haushalten nochmals 0,5 Prozent eingespart, ohne die
Anstrengungen der Schwerpunktsetzungen zu konterkarieren.
Zu den Zahlen. Vor den Haushaltsberatungen hatten
wir für 1999 Barmittel von 7,8 Milliarden DM und 7,44
Milliarden DM Verpflichtungsermächtigungen. Zum
Soll 1998 der alten Regierung Kohl stellt das eine erhebliche Steigerung dar. Die Fehlaussagen des Kollegen
von Schmude muß ich hier einmal klarstellen.
({5})
Gerade bei den VEs, die für die zukünftige Gestaltung des Entwicklungsetats so wichtig sind, wurde um
zirka 500 Millionen DM aufgestockt. Nach den Beratungen im Haushaltsausschuß ergibt sich bei einer geringfügigen Kürzung der Barmittel, aber einer deutlichen Verstärkungsmöglichkeit ein neuer Verfügungsrahmen, der bei 7,854 Milliarden DM liegt. Er liegt also
um 54 Millionen DM höher als im Regierungsentwurf.
Bei den VES haben wir noch einmal um 145 Millionen
DM aufgestockt und landen bei zirka 7,587 Milliarden
DM. Ich behaupte hier also ganz kühn, daß der Haushalt
jetzt noch zukunftsfähiger ist, als es der Entwurf der Regierung war.
Unsere grundsätzlichen Forderungen der Vergangenheit schlagen sich als neue Impulse im Regierungsentwurf nieder. Wenn ich mir die Reden der vergangenen
Jahre und die Forderungen, die wir damals an die alte
Regierung gestellt haben, anschaue und mit dem vergleiche, was wir in wenigen Wochen umgesetzt haben,
erfüllt mich das mit einer gewissen Befriedigung, was ja
in der Politik nicht alltäglich ist. Ich muß schon sagen:
Wir haben viele Schwerpunkte umgesetzt.
Wir wollten die Bündelung der Zuständigkeiten im
Entwicklungsressort: Bundessicherheitsrat, Transformländer, Lomé, Weltsozialgipfel, Habitat. Das alles hat
die Bundesregierung umgesetzt. Allerdings gibt es noch
Konzentrationspotentiale im Regierungsapparat. Aus
einigen Ministerien müßte man streng entwicklungspolitische Aufgabenbereiche eigentlich ins BMZ überführen. Das muß ich hier schon anmerken.
({6})
- Das ist einfach so. Das spart Planstellen, das spart finanzielle Mittel, die wir letztendlich wieder für Entwicklungspolitik freimachen können. Das kann nur gut
sein. Dafür brauchen wir aber erfahrungsgemäß natürlich die Unterstützung des Kanzlers und des Finanzministers; das ist völlig klar. Deshalb der Appell in Richtung Regierungsbank.
Wir wollten eine Entschuldungsinitiative für die
ärmsten Länder. Das wollten nicht nur wir, sondern
auch Tausende Bürgerinnen und Bürger und sehr viele
NGO. Zum Ergebnis kann man sagen: Die Bundesregierung hat auf Initiative der Bundesministerin für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung für den
Kölner Gipfel der acht Staats- und Regierungschefs im
Juni 1999 einen Schuldenerlaßvorschlag ausgearbeitet.
Ziel ist die deutliche Entlastung hochverschuldeter armer Länder. Ich denke, nach der notwendigen Prüfung
der verschiedenen Modelle, die jetzt ansteht, wird wahrscheinlich im Herbst der erste Schritt gemacht werden.
Ich denke, dieser Erfolg kann sich sehen lassen.
({7})
Die Zusammenarbeit mit unseren NGO ist gestärkt. Wir haben den Titel um immerhin 200 Millionen DM, also um 6 Prozent, aufgestockt, weil wir der
Meinung sind, daß die Nichtregierungsorganisationen
eine unschätzbare und aufopferungsvolle Arbeit in vielen Ländern der Welt leisten. Dafür spreche ich unseren
NGO unseren besonderen Dank aus. Diese Leistungen
stellen eine wichtige Ergänzung und Verstärkung der
staatlichen deutschen und internationalen Entwicklungszusammenarbeit dar.
Nun kurz zu den wichtigsten Ergebnissen der Beratungen im Haushaltsausschuß.
Die humanitäre Hilfe wurde schon angesprochen: Es
gibt einen Titel von 300 Millionen DM im Einzelplan
60, der auch zur Entlastung des Einzelplans 23 dienen
soll. Ich betone hier noch einmal: Es kann nicht sein,
daß dieser Titel, wie sich hier und dort andeutet, im
Prinzip vom Einzelplan 14 aufgesaugt wird. Es muß
vom Finanzminister sichergestellt werden, daß nicht
nach dem Windhundprinzip gearbeitet wird, sondern
nach dem Prinzip der gleichmäßigen Berücksichtigung
der Aktivitäten in verschiedenen Bereichen: Inneres,
Auswärtiges Amt, Verteidigung, aber eben auch Entwicklungshilfe.
Nach zehn Jahren Kampf haben wir den Haushaltsvermerk für den Schuldendienstverzicht. Das war eine
Forderung, die wir immer wieder vorgebracht hatten und
die von Ihnen damals, als Sie regierten, abgelehnt wurde. Jetzt haben wir im Einzelplan 32 die Möglichkeit,
über den ursprünglich vorgesehenen Rahmen hinaus
nach Zustimmung durch den Haushaltsausschuß Entschuldung zu ermöglichen, nach der Devise: Versprochen - gehalten.
Wir haben - das hatte der Kollege von Schmude
schon angedeutet - endlich die Verbundfinanzierung
so eingestellt, wie wir es schon seit Jahren gefordert haben. Auch hier haben wir also das gehalten, was wir versprochen haben. Dafür stehen 95 Millionen DM Verpflichtungsermächtigungen zur Verfügung. Wir werden
in jedem Jahr einen Bericht bekommen, der darüber
Auskunft gibt, in welchen Ländern in welchem Umfang
- auch über den Kreis der Länder mit gutem Risiko hinaus - dieses Instrument angewendet wurde. Verbundfinanzierungsprojekte sollen dazu dienen, privates Kapital
in Entwicklungsprojekte einzubeziehen. Ich denke, gerade angesichts des zu erkennenden Trends, daß die Privaten sich international zunehmend aus der Entwicklungshilfe zurückziehen, ist das ein richtiges Signal. Wir
brauchen privates Kapital, privates Engagement in den
Ländern der Welt, in denen besondere Probleme existieren. Natürlich muß man dazu auch die gesetzlichen
Rahmenbedingungen und damit die Verläßlichkeit herstellen. Hier ist dann wieder eine Aufgabe im Bereich
der Beratung für uns, um zu solchen Systemen zu kommen.
Wir haben 200 Millionen DM Mehreinnahmen aus
dem Forderungsverkauf ermöglicht. Davon fließen
124 Millionen DM in den allgemeinen Haushalt und 76
Millionen DM zur Verstärkung der FZ in den Haushalt
des Entwicklungsministeriums.
Für den zivilen Friedensdienst gibt es nun einen Extratitel. Wir haben dort 5 Millionen DM eingestellt, die
dann, wenn ein überzeugendes Konzept vorliegt, freigegeben werden. Wir wollten damit nicht den DED ärgern,
sondern sicherstellen, daß die Teilhabe privater Träger
weitgehend neutral möglich wird. Ich denke, das Haus
wird diese Aufgabe lösen, obwohl wir aus vielen kritischen Publikationen wissen, daß die Ministerin hier keine leichte Aufgabe haben wird.
Zur entwicklungspolitischen Bildung möchte ich
folgendes sagen: Der Titel wurde schon im Regierungsentwurf deutlich aufgestockt. Wir haben im
Haushaltsausschuß noch einmal etwas draufgelegt, so
daß wir bei 6 Millionen DM angekommen sind. Ich
betone das hier noch einmal, weil uns einige schlecht
informierte NGO unterstellt haben, daß wir diesen
Titel gekürzt hätten. Das ist nicht wahr. Wir haben genau das Gegenteil getan: Wir haben noch etwas - immerhin 25 000 DM - draufgelegt und damit ein ganz
klares Signal gesetzt.
Nach den Kürzungen des UNDP-Titels haben wir
noch etwas draufgelegt, 10 Millionen DM. Aber ich
bitte darum, diesen Bereich in Zukunft verläßlich zu
verhandeln und über mehrere Jahre klarzumachen, um
welche Größenordnungen es hier geht.
Bei der TZ mußten wir anerkennen, daß dort Engpässe herrschen. Deswegen haben wir noch einmal 20 Millionen DM bar draufgelegt und 50 Millionen DM bei
den Verpflichtungsermächtigungen. Als Gegenfinanzierung haben wir im EEF 66 Millionen DM gekürzt. Ich
möchte aber dazusagen, daß man hier nicht beliebig eingreifen kann, da uns sonst überplanmäßige Ausgaben ins
Haus stehen könnten.
Ich möchte zum Schluß sagen, daß es noch einige
weitere kleinere Veränderungen gibt. Sie werden im
Laufe der Diskussion sicher dargestellt werden.
Abschließend möchte ich mich recht herzlich bei den
Kolleginnen und Kollegen, bei der Ministerin und dem
Haus für die gute Zusammenarbeit und die zügige Zuarbeit bedanken. Ich möchte Sie alle darum bitten, dem
Einzelplan 23 zuzustimmen. Ich bedanke mich recht
herzlich für Ihre Aufmerksamkeit.
({8})
Für die F.D.P.Fraktion hat der Kollege Joachim Günther das Wort.
Herr Präsident!
Meine sehr verehrten Damen und Herrn! Der Haushalt
1999 liegt nun auf dem Tisch. Herr Kollege von Schmude hat einige Eckzahlen genannt. Diese braucht man
nicht zu wiederholen. Ich würde es so sagen: Die
Euphorie der ersten rotgrünen Regierungstage ist dem
Alltag gewichen. Wenn man die einzelnen Etatposten
des Einzelplanes 23 betrachtet, dann kann man sagen:
Das Machbare wurde im Ausschuß geregelt, und
Schwerpunkte konnten zum Teil auch fraktionsübergreifend auf einen Nenner gebracht werden.
Was wir allerdings nicht erreichen konnten, Frau Ministerin - oder muß man sagen: was Sie nicht erreichen
konnten? -, war die Umsetzung Ihrer Ankündigungen
aus der ersten Zeit. Sie hatten sich das Ziel gesetzt, die
wirtschaftliche Zusammenarbeit, das BMZ wieder in
den Kernbereich der Politik zurückzuführen. Sie haben
die Bündelung der entwicklungspolitischen Aufgaben
vorantreiben wollen. Wenn man Sie an diesen Aufgaben
mißt, dann ist der Haushalt eindeutig zu kurz gesprungen. Diese Ziele sind nicht erreicht worden.
({0})
Damit sind wir wieder bei der Realität angelangt.
Unserer Meinung nach gilt es, zu einzelnen Punkten
ganz kurz etwas aufzuzeigen.
Wir sind der Meinung, daß der Einzelplan 23
zukünftig besser strukturiert werden sollte. Wir brauchen klare sektorale und regionale Schwerpunkte
sowie eine stärkere Konzentration auf Förderungsmöglichkeiten mit geringem Zuschußanteil,
({1})
zum Beispiel die Förderung privater Existenzgründungen und privatwirtschaftlich koordinierte Infrastrukturprojekte.
({2})
Das Prinzip Marktwirtschaft muß auch auf den verschiedenen Ebenen der Entwicklungszusammenarbeit
gelten. Wir brauchen mehr Transparenz und Wirksamkeit im Bereich der staatlichen und privaten Entwicklungszusammenarbeit. Wir brauchen eine Verbesserung
der Kooperation und Koordinierung zwischen den Projektträgern. Wir brauchen vor allem verläßliche Wirksamkeitsanalysen und Erfolgskontrollen. Auch die Vergabe von Fördermitteln sollte zukünftig im Wettbewerb
der Durchführungsorganisationen bei Geber- und Partnerländern erfolgen. Wer effizientere Hilfe zu günstigeren Konditionen leistet, muß den Zuschlag erhalten.
Ein Förderungsschwerpunkt sollte aus unserer Sicht
auch der Aufbau eines funktionierenden Finanzsektors in den Entwicklungsländern sein. Dazu gehört die
Förderung von Mikrokreditprogrammen. Die Mikrofinanzierung zählt zu den besten und erfolgreichsten Mitteln zur Bekämpfung von Armut in den Entwicklungsländern. Durch Zugang zu Sparen und Kredit wird die
Selbsthilfefähigkeit der ärmsten Menschen nachhaltig
verbessert. Wir konnten uns davon erst vor kurzem in
Südafrika überzeugen. Die positiven Erfahrungen mit
diesem Programm haben gezeigt, daß insbesondere
Frauen diese Chance zur Verbesserung ihrer Lebensverhältnisse nutzen. Deshalb sollte die Bundesregierung
den Ansatz der deutschen Entwicklungspolitik für
Mikrofinanzierungsprojekte weiter verstärken.
Das gleiche gilt für die sogenannten öffentlichprivaten Partnerschaften. Die dreijährige Erfahrung
mit diesen Partnerschaften zeigt, daß beim Zusammenwirken von öffentlichen Entwicklungsträgern und privater Wirtschaft betriebswirtschaftliche Rentabilität und
entwicklungspolitischer Nutzen keine Gegensätze sein
müssen. In den gemeinsamen Projekten fließen die Beiträge der Wirtschaft und der Entwicklungspolitik so
zusammen, daß sie einer rein öffentlichen Lösung deutlich überlegen sind.
Daß direkte und indirekte positive Auswirkungen
der Entwicklungshilfe auf die heimische Wirtschaft
nicht nur legitim, sondern auch von großer Bedeutung
für den Standort Deutschland sind, hat eine soeben vom
BMZ veröffentlichte Studie bewiesen. Daß Entwicklungshilfe nicht nur den Empfängerländern, sondern
auch der heimischen Wirtschaft zugute kommt, ist im
Gegensatz zu mancher ideologischen Verbohrtheit kein
Makel, sondern durchaus im Sinne einer entwicklungspolitisch verantwortungsbewußten Arbeitsteilung, die im
übrigen auch bei uns zu Hause eine höhere Akzeptanz
der Entwicklungspolitik nach sich ziehen würde.
Nach der vorgelegten Studie hat die Entwicklungshilfe nicht nur ein erhebliches Handel schaffendes
Potential, von dem sowohl Geber als auch Nehmer in
komplementärer Weise profitieren, sondern darüber hinaus auch einen hohen Stellenwert für die Schaffung und
den Erhalt von Arbeitsplätzen in Deutschland.
Durch das entwicklungspolitische Engagement in den
Entwicklungsländern werden ferner Investitionsmöglichkeiten für deutsche Unternehmer und damit neue
Exportchancen geschaffen. Dies führt in den Entwicklungsländern, die sich marktwirtschaftlich orientieren,
im Endeffekt zu einer entwicklungspolitisch gewollten
Marktöffnungsfunktion.
Gerade vor diesem Hintergrund ist es ein unhaltbarer
Zustand, daß im 6. und 7. Europäischen Entwicklungsfonds lediglich 6 bis 10 Prozent der Aufträge an deutsche Unternehmen gingen, wohingegen unsere französischen, britischen und italienischen Partner jeweils um die
20 Prozent erhielten. Besonders kraß ist dieses Mißverhältnis bei Bauaufträgen, von denen jeweils 24 Prozent an
französische und italienische Unternehmen gingen, an
deutsche Unternehmen lediglich 4 Prozent. Die Bundesregierung sollte hier dringend ihre Gestaltungsmöglichkeiten im Rahmen der EU-Präsidentschaft nutzen, um
diesen Trend umzukehren und sicherzustellen, daß deutsche Unternehmen bei der Auftragsvergabe im Rahmen
der zukünftigen europäischen Entwicklungspolitik angemessen berücksichtigt werden.
({3})
Der Einzelplan 23 läßt - entgegen der Ankündigung
der Regierung - auch keine Trendwende hin zur Multilateralisierung der Entwicklungspolitik erkennen; das
muß man deutlich sagen.
Aus unserer Sicht besonders bedauerlich ist, daß der
deutsche Beitrag für das Entwicklungsprogramm der
Vereinten Nationen, UNDP, um 25 Prozent gekürzt
wurde. Das UNDP ist mit Abstand die effizienteste der
großen multilateralen Geberorganisationen. Eine Kürzung
der deutschen Beiträge ist aus unserer Sicht ein falsches
Signal und steht auch im Widerspruch zu Ihrem Koalitionsvertrag, in dem Sie das anders verankert haben.
({4})
Ich glaube, wenn wir zu den Ausgangswerten zurückkommen und das BMZ wieder im Kernbereich der
Politik auftritt, kann auch das wahr werden, was Sie
vorhin angekündigt hatten, daß wir dem Einzelplan 23
zustimmen. Im Moment können wir das noch nicht.
({5})
Ich gebe das Wort
der Kollegin Dr. Angelika Köster-Loßack, Bündnis 90/
Die Grünen.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine lieben
Kolleginnen und Kollegen! Wir wissen natürlich alle,
daß Geld allein keine ausreichende Grundlage für eine
nachhaltige Entwicklungspolitik ist. Ohne angemessene
Finanzausstattung aber bleiben auch die besten Absichten wirkungslos.
({0})
Wenn Weltbankpräsident Wolfensohn feststellt - das ist
eine Feststellung, die über unseren nationalen Rahmen
hinausgeht -, daß die weltweite Armut immer mehr zunimmt und gleichzeitig die öffentliche Entwicklungshilfe den tiefsten Stand seit 50 Jahren erreicht hat, dann
wird das Mißverhältnis von Bedarf zu realen Zuwendungen deutlich. Die Zahlen erspare ich mir jetzt. Sie
sind vorgetragen worden.
Ich möchte hier ganz klar sagen: Nachdem die alte
Koalition den Haushalt des Bundesministeriums für
wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung kontinuierlich heruntergefahren hat, ist jetzt erstmals eine
Trendumkehr geschafft.
({1})
Joachim Günther ({2})
Wir Grüne hatten in den letzten Jahren immer wieder
gefordert, daß die Talfahrt des BMZ-Haushalts gestoppt
werden muß. Das ist gelungen, und darauf können wir
auch ein bißchen stolz sein. Angesichts der vielfältigen
Aufgaben, denen sich die Entwicklungspolitik widmen
muß, insbesondere bei der Konfliktprävention, will ich
nicht verhehlen, daß wir uns einen größeren Aufwuchs
gewünscht hätten. Obwohl wir die finanziellen Belastungen, die die rotgrüne Koalition geerbt hat - diese
Altlasten haben wir von Ihnen übernommen -, berücksichtigen müssen, werden wir darauf achten, daß sich
der positive Trend für unseren Einzelplan in den nächsten Jahren fortsetzen wird.
({3})
Unserer Staatssekretärin und unserer Haushaltsberichterstatterin möchte ich an dieser Stelle besonders
danken. Sie haben sich im Verein mit der Spitze des
Hauses darum bemüht und erfolgreich dafür eingesetzt,
daß der Entwicklungsetat trotz finanzpolitischer
Schwierigkeiten einen Zuwachs verzeichnet.
({4})
Der Verfügungsrahmen, also die tatsächlich zur Verfügung stehenden Mittel, wurde nochmals um 91 Millionen DM erhöht. Der Vergleich, der von manchem, so
unter anderem von Herrn von Schmude, angestellt wird,
nämlich daß der Haushalt 1999 gegenüber dem IstHaushalt 1998 gesunken ist, geht ins Leere. Man kann
den Ist-Haushalt 1998 nur mit dem Ist-Haushalt 1999
vergleichen. In einem Jahr können wir das, und so lange
gilt, daß der Haushaltsentwurf 1998 bzw. der Entwurf
der alten Koalition unser Vergleichsmaßstab ist. Gegenüber beiden ist eine Steigerung festzustellen.
Ganz besonders wichtig ist aus meiner Sicht - das
wurde bereits angesprochen - die deutliche Steigerung
der Verpflichtungsermächtigungen. Gegenüber dem Regierungsentwurf der alten Koalition gibt es hier eine
Steigerung um fast 400 Millionen DM. Das ist für die
künftige Entwicklungszusammenarbeit von zentraler
Bedeutung, weil dadurch die Handlungsspielräume erweitert werden.
({5})
Deutlich wird der größere Stellenwert, den wir der
Entwicklungspolitik zuordnen, wenn man sich die Bereiche genauer ansieht, in denen erste neue Initiativen
gestartet wurden. Wir, die wir jahrelang in der Opposition für diese Konzepte gestritten haben, wissen sehr genau um die Bedeutung der eingeleiteten Maßnahmen.
Wir werden gemeinsam mit der Regierung, mit dem
BMZ und mit der Ministerin an ihrer zügigen Umsetzung arbeiten.
Gerade angesichts des Kosovo-Krieges ist es wichtig,
rechtzeitig zivile Konfliktlösungen anzustreben und umzusetzen.
({6})
Wir müssen in Zukunft mit allen friedlichen Mitteln zu
verhindern suchen, daß zur Durchsetzung von Menschenrechten militärische Mittel eingesetzt werden müssen.
Natürlich hat der Fall des Eisernen Vorhangs die bis
dahin latenten Konflikte, die in der Vorherrschaft ethnisch-religiöser Gruppen oder in der Unterdrückung von
ethnischen und religiösen Minderheiten wurzeln, zum
Ausbruch kommen lassen. Die Aufgabe von Entwicklungspolitik als Friedenspolitik - wie das auch von der
Ministerin zentral vertreten worden ist - besteht darin, in
unseren Partnerländern durch eine Verbesserung der
wirtschaftlichen, sozialen, ökologischen und politischen
Rahmenbedingungen zum Abbau solcher struktureller
Konfliktursachen beizutragen.
({7})
Das wird allerdings nur dann gehen, wenn wir in einen
gleichrangigen auf Informationen gegründeten Dialog
eintreten. Postkoloniale Arroganz ist hier fehl am Platz
und führt nur in die Sackgasse.
({8})
Die Entwicklungspolitik soll auch den Aufbau ziviler Konfliktlösungsmechanismen unterstützen - und
das bei bewußter Einbindung von zivilgesellschaftlichen
Ressourcen auch in den Ländern des Südens. So wird im
Haushalt 1999 - das ist schon angesprochen worden zum erstenmal Geld für einen zivilen Friedensdienst bereitgestellt, der von der vorherigen Koalition in dieser
Form immer abgelehnt worden ist. Deswegen sollte die
alte Koalition heute auch keine Krokodilstränen darüber
vergießen, wie enttäuscht die Länder des Südens oder
die hiesigen NRO sind.
({9})
Es geht bei diesem zivilen Friedensdienst darum, die
vielfältigen Erfahrungen, die es auf diesem Gebiet im
Norden und im Süden seitens staatlicher und nichtstaatlicher Organisationen gibt, einzubeziehen. Deswegen
war es auch ganz wichtig, daß hier ein Titel im Haushalt
verankert worden ist. Es geht in den nächsten Wochen
darum, gemeinsam über ein tragfähiges Konzept zu diskutieren, damit endlich ein mit entwicklungspolitischen
Mitteln und Zielsetzungen ausgestatteter ziviler Friedensdienst aufgebaut werden kann. Wenn wir einen solchen Friedensdienst zur Zeit der Eroberung Osttimors
durch die indonesische Regierung in Aktion gehabt hätten, dann wäre den Menschen Osttimors sehr viel erspart
geblieben. Es wäre nicht über die Jahre hinweg ein
Drittel der Bevölkerung ermordet worden.
({10})
Ganz besonders wichtig ist in diesem Zusammenhang
natürlich auch, daß die Mittel für die entwicklungspolitische Bildung einen deutlichen Zuwachs von
6 Millionen DM erfahren. Das bedeutet eine Steigerung
von über 40 Prozent. Dieses Geld ist notwendig, damit
auch bei uns das Wissen um die Zusammenhänge und
das Bewußtsein für die Notwendigkeit entwicklungspolitischer Zusammenarbeit auch im Bereich der Friedenssicherung gestärkt werden. Es ist notwendiger denn
je, den Menschen in unserem Land zu vermitteln, daß
die Gelder, die wir für die Entwicklungszusammenarbeit
ausgeben, weder überflüssig noch verloren sind. Es gilt
zu verdeutlichen, daß die Entwicklungszusammenarbeit
in unser aller Interesse ist, sei es aus ökologischen, sozialen, humanitären und friedenspolitischen Gründen,
sei es aus wirtschaftlichen Gründen.
Es muß auch deutlich gemacht werden, daß die meisten Gelder für sinnvolle Projekte und Programme ausgegeben werden, die tatsächlich den Menschen in den
Ländern des Südens zugute kommen. Ich begrüße es in
dem Zusammenhang außerordentlich, daß die rotgrüne
Regierung, die Spitze unseres Hauses die multilaterale
Zusammenarbeit stärken will. Gerade wir haben immer
davor gewarnt, die Entwicklungspolitik zu renationalisieren und dabei nur die Exportinteressen unserer Wirtschaft im Auge zu haben. Es ist nämlich so, daß man das
- im Gegensatz zu dem, was vorhin vor allen Dingen in
Angriffen auf den EEF bezüglich Verschwendungsskandalen usw. gesagt wurde - genausogut bei vielen Kreditvergaben und Kreditabsicherungen durch Hermes, die
wir in den letzten Jahrzehnten in den Sand gesetzt haben, anbringen kann. Ich verweise noch einmal auf Indonesien.
({11})
Es kommt natürlich darauf an - da sind wir durchaus
kritisch -, die multilaterale Hilfe besser aufeinander abzustimmen. Das ist vor allem für die Entwicklungszusammenarbeit der EU notwendig. Die institutionelle
Zersplitterung wird ein Ende haben. Ein neuer Kommissionspräsident und eine neu zusammengesetzte Kommission mit neu definierten Aufgaben werden neue Bedingungen schaffen. Ich glaube, daß das nicht nur auf
dem Gebiet der EU von Bedeutung ist, sondern natürlich
genauso auf dem Gebiet der Vereinten Nationen. Deswegen ist es ganz wichtig, daß die Kürzungen, die beim
Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen zunächst vorgenommen werden sollten, zumindest teilweise zurückgenommen wurden. In Zukunft wird es jedoch
darauf ankommen, die Entwicklungsinstitutionen der
VN noch viel stärker zu unterstützen und gleichzeitig
interne Reformprozesse voranzutreiben, die eine wirksame Zusammenarbeit ermöglichen.
Zur Entschuldungsinitiative ist schon einiges gesagt
worden. Ich möchte nur noch dazusagen, daß bei den
Veranstaltungen, die ich in dem Bereich mache - auch
bei den Kirchen -, durchaus verstanden worden ist, daß
wir uns von seiten der rotgrünen Regierung bemühen,
eine Halbierung der Vorlaufzeit, die für die ärmsten
Länder angesetzt wurde, und eine Anhebung der Höhe
der Schuldenerlasse zu erreichen. Ich glaube, daß wir
jetzt, nachdem Deutschland in der Frage des Schuldenerlasses international jahrelang als Bremser aufgetreten
ist, gut damit leben können, daß wir eine Vorreiterrolle
übernehmen.
Die Initiativen der neuen Regierung, die ich heute nur
angerissen habe, machen deutlich, daß die Entwicklungszusammenarbeit endlich einen neuen Stellenwert in
der deutschen Politik gewonnen hat.
Vielen Dank.
({12})
Ich gebe dem Kollegen Carsten Hübner von der PDS-Fraktion das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sehr geehrte Frau Ministerin! Ich will
es gleich vorwegschicken: Der nun zu beschließende
Haushalt des Einzelplans 23 hat mit der von Ihnen in der
Koalitionsvereinbarung angekündigten „entwicklungspolitischen Kehrtwende“ leider nicht viel zu tun. Ich
bedauere das um so mehr, Frau Ministerin, als ich die
von Ihnen vertretenen struktur- und entwicklungspolitischen Eckwerte oftmals durchaus teile. Das ändert aber
nichts an der Tatsache, daß Sie sie in einem Kabinett, in
dem Entwicklungspolitik statt Pflichtprogramm wohl
doch nicht vielmehr als politische Kür ist, offenbar nicht
durchsetzen können.
In einer Zeit verschärfter Konflikte in weiten Teilen
der Welt, in einer Zeit zunehmender Armut und der Abkopplung ganzer Regionen von der globalen Entwicklung ist aber genau diese Haltung gegenüber der Entwicklungspolitik nicht nur kritikwürdig, sondern glattweg unverantwortlich. Ich frage Sie: Wo tragen Sie denn
in der notwendigen Konsequenz dem Umstand Rechnung, daß den rund 900 Millionen Menschen in den Industriestaaten etwa 4,9 Milliarden Menschen in den sogenannten Entwicklungsländern gegenüberstehen, daß
rund 1,5 Milliarden Menschen auf der Welt täglich mit
weniger als einem Dollar auskommen müssen und daß
sich zum Beispiel in den Nachfolgestaaten der Sowjetunion, also ganz in unserer Nähe, die Zahl der Armen
von 1989 bis heute mehr als verzehnfacht hat, also
147 Millionen Menschen dort weniger als 4 Dollar pro
Tag zur Verfügung haben? Das sind die entwicklungspolitischen Herausforderungen, denen wir - natürlich
nicht allein; das ist klar - gerecht werden müssen.
Ein Blick auf den Einzelplan 23 belegt: kein spürbares Anwachsen des Haushaltes und damit keine Annäherung an die internationale Zielstellung von 0,7 Prozent
des Bruttosozialprodukts für öffentliche Entwicklungshilfe. Statt dessen dümpelt der Haushalt bei etwa
0,3 Prozent, liegt jetzt sogar noch 37 Millionen DM unter Ihrem eigenen ersten Etatentwurf für 1999. Darin inbegriffen sind weitere Einschnitte bei den Zahlungen für
die verschiedenen entwicklungspolitisch relevanten UNOrganisationen. Letztlich haben Sie noch nicht einmal
die Kürzung bei UNDP rückgängig gemacht; das ist ja
schon angesprochen worden.
Eine solche Politik ist von ihrem Charakter her kurzsichtig und wird damit weder dem Schlagwort - allerdings in einem weiteren Sinn - „good governance“ noch
dem Anspruch der Nachhaltigkeit von politischen MaßDr. Angelika Köster-Loßack
nahmen, geschweige denn einer substantiellen entwicklungspolitischen Kehrtwende gerecht. Wenn ich gar an
die aus der Sicht meiner Fraktion unbedingt notwendige
bilaterale Flankierung der HIPC-Schuldeninitiative
zum G-7-Gipfel erinnere, dann verschwindet die verkündete Kehrtwende gleich ganz hinter einer Nebelwand, die noch dichter werden wird, je länger der widersinnige, aber deswegen nicht weniger teure NATOKriegseinsatz gegen Jugoslawien dauert. Wir alle - ich
denke dabei auch an meine Fachkolleginnen und
-kollegen der anderen Fraktionen - werden uns noch
wundern, wenn die Rechnung für diesen Krieg präsentiert wird, wenn auch aus dem Haushalt des BMZ die
horrenden Summen für eine falsche internationale Politik aufgebracht werden und diese damit nicht mehr für
zivile Konfliktprävention und eine nachhaltige globale
Entwicklung zur Verfügung stehen.
Zurück zu der Frage der bilateralen Schulden - unsere
entsprechenden Änderungsanträge liegen vor -: Mit dem
Haushalt 1999 wird keine neue Weichenstellung vorgenommen, wird eben nicht die Tür für einen konsequenten
Schuldenerlaß aufgestoßen, wie er etwa von der „Erlaßjahrkampagne“ und dem Gros der entwicklungspolitischen NGOs gefordert wird. Nicht einmal ein Verzicht
auf Tilgung und Zinsforderungen gegenüber den ärmsten
und am wenigsten entwickelten Ländern ist vorgesehen.
Das ist ein schwaches Bild - einmal ganz abgesehen davon, daß auch darüber hinaus die Struktur des vorherigen
Haushalts nicht aufgebrochen wurde, um aktueller, akzentuierter, zielgruppenorientierter und letztlich einfach
effektiver auf die drängenden Herausforderungen reagieren zu können und neue Impulse zu geben.
Das ist nicht allein eine Frage des Geldes - das wissen Sie so gut wie ich -, das ist eine Frage des politischen Gestaltungswillens und natürlich eine Frage der
Spielräume, die Sie, Frau Ministerin, liebe Kolleginnen
und Kollegen von der Koalition, in dieser Regierung
wohl erst noch durchsetzen müssen.
Meine Fraktion kann dem vorliegenden Einzelplan 23
aus den genannten Gründen jedenfalls nicht zustimmen.
({0})
Das Wort hat die
Bundesministerin für wirtschaftliche Zusammenarbeit
und Entwicklung, Heidemarie Wieczorek-Zeul.
Herr
Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Kollege Schnell hat die unsinnigen Behauptungen, die hier
zum Haushalt aufgestellt worden sind, bereits zurückgewiesen. Ich will an dieser Stelle nur noch einmal darauf hinweisen: Die Notwendigkeit des Umsteuerns stellt
sich über mehrere Jahre. Denn ein Haushalt, der in den
letzten sechs Jahren von den hier sitzenden Parteien um
9 Prozent reduziert worden ist, der als Steinbruch benutzt worden ist, kann nicht schnell wieder voll aufgebaut und erweitert werden.
({0})
Sie haben ja mit dazu beigetragen, daß die Voraussetzungen geschaffen wurden, die wir jetzt ändern müssen.
Ich möchte aber unabhängig davon ein paar grundsätzlichere Anmerkungen machen, von denen ich finde,
daß wir sie heute hier diskutieren sollten. Entwicklungspolitik ist Friedens- und Zukunftspolitik. Sie ist wie
jede Friedens- und Zukunftspolitik eine Frage des Arbeitens mit wirklich langem Atem. Die Tragödie im Kosovo lehrt uns, daß wir endlich ernst machen müssen mit
einer Politik der Krisenprävention.
({1})
Die Entwicklungspolitik steht vor der Aufgabe, gemeinsam mit der Außen- und Sicherheitspolitik, dazu
beizutragen, daß Krisen in der Welt erst überhaupt nicht
entstehen können. Das ist die allerwichtigste Aufgabe,
und zwar nicht nur aus humanitären Gründen, nicht nur
um der Menschen Willen, sondern auch aus ökonomischen Gründen. Denn die dafür zu veranschlagenden
Kosten sind um ein Vielfaches geringer als die Kosten
der Beseitigung der Folgen von Kriegen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, da sollten doch alle
einmal ehrlich sein. Denken Sie an die Debatte über den
Verteidigungshaushalt, die wir vorhin hatten. Es ist doch
so, daß in Ihren Reihen die Faszination des Militärischen
allemal höher ist als die Faszination der Krisenprävention.
({2})
- Jawohl, das ist so.
({3})
- Das sehen Sie doch auch. Das ist doch ersichtlich, das
kann man mit Händen greifen. - Solange das so ist, so
lange wird es kein Umdenken geben. Ich appelliere an
Sie alle umzudenken. Die Faszination der Krisenprävention muß alle Menschen bewegen.
({4})
Gerade die Kosovo-Katastrophe erfordert, daß wir
über den Tag hinaus sehen
({5})
und langfristige Strategien der Krisenprävention entwikkeln. Es kommt darauf an, den politischen Gestaltungswillen zu nutzen.
Und jetzt einmal an die Adresse von Herrn Hübner,
der das natürlich hier so locker-flockig sagen kann: Es
geht darum, daß in diesem Bereich zwei neue Eckpfeiler
gesetzt werden, auf die ich deutlich hinweisen will und
die wir auch in unserer Politik setzen. Der erste ist Abbau von Krisenursachen. Der Zugang zu Land, Wasser
und Bodenschätzen ist häufig die Ursache für gewaltsame Auseinandersetzungen. Unsere entwicklungspolitischen Maßnahmen - wir setzen allein in der Region des
Nahen Ostens dafür 200 Millionen DM ein - zeigen, daß
es erfolgversprechende Ansätze zu einem besseren Krisenmanagement in diesem Bereich gibt. Das ist ein aktiver Beitrag zur Friedenssicherung.
({6})
Regionale Integration kann helfen, zwischenstaatliche Krisenursachen zu verringern. Sie kann vor allen
Dingen wirtschaftliche und gesellschaftliche Verbindungen schaffen, die stabilisierend wirken und bei denen
auch ein politischer Dialog möglich ist. Wir sehen in unserem Haushalt für die Unterstützung dieser regionalen
Strukturen rund 100 Millionen DM vor und setzen damit
im Rahmen unseres Handlungsspielraums einen entsprechenden Schwerpunkt.
Der zweite große Pfeiler besteht in der Förderung
gesellschaftlicher Mechanismen zur gewaltfreien
Konfliktlösung. Eine Gesellschaft, die es allen Individuen und Gruppen, auch ethnischen Gruppen, ermöglicht, ihre Interessen zu artikulieren, und die über Mechanismen zum Ausgleich dieser Interessen verfügt, besitzt die besten Voraussetzungen für ein friedliches Zusammenleben. Deshalb ist die Unterstützung von Demokratisierung und von Partizipation sowie die Entwicklung der Zivilgesellschaft ein wichtiger Beitrag, den
Menschen den Umgang damit nahezubringen. Deshalb
ist dieser Ansatz ein ganz wichtiges Instrument zur Friedenssicherung. Ihn unterstützen wir mit 200 Millionen
DM.
({7})
Eine unabhängige und auch für arme Menschen zugängliche Justiz stellt ebenso wie die Transparenz und
die Berechenbarkeit des Staates als Gesetz- und Verordnungsgeber eine entscheidende Voraussetzung für
Rechtssicherheit und den Schutz der Menschenrechte
dar. Vertrauen die Menschen dem Rechtssystem ihres
Staates, so sind erhebliche Konfliktpotentiale ausgeschaltet. Hierzu kann Entwicklungspolitik einen wichtigen Beitrag leisten. Das tun wir mit unserem Haushalt,
den wir vorlegen.
({8})
Darüber hinaus werden wir das Instrument des zivilen
Friedensdienstes - dieser Punkt ist mehrfach angesprochen worden - entwickeln. Damit setzen wir einen
wichtigen Schwerpunkt bei der Krisenprävention und
der Friedenssicherung.
Lassen Sie mich einen weiteren Aspekt ansprechen,
der uns heute den ganzen Tag beschäftigt hat, nämlich
die Frage, was wir für die Unterstützung und vor allen
Dingen für die Stabilisierung des Kosovo und der betroffenen Nachbarländer tun können, zum Beispiel für
Mazedonien und Albanien, aber natürlich darüber hinaus
auch für Bulgarien, Rumänien und BosnienHerzegowina. Ich will an dieser Stelle ausdrücklich darauf hinweisen, daß wir als Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Mittel für
Maßnahmen eingestellt haben, die über Nothilfe und
Hilfe für Flüchtlinge hinausgehen. Für mittel- und langfristige Stabilisierungsmaßnahmen sind im Haushalt des
Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit
35 Millionen DM für Albanien, 45 Millionen DM für
Mazedonien und in der letzten Woche 25 Millionen DM
für Bulgarien eingeplant worden. Für Rumänien sind
27 Millionen DM vorgesehen, für Bosnien-Herzegowina
32 Millionen DM.
Darüber hinaus hat die Gebergemeinschaft zusammen
mit der Weltbank in der letzten Woche für die betroffenen Länder in der Region ein Unterstützungspaket in
Höhe von rund 130 Millionen US-Dollar geschnürt,
durch das die Staatengemeinschaft ihre Solidarität mit
den betroffenen Ländern eindrucksvoll bekräftigt und
ihre rasche Unterstützung deutlich gemacht hat.
Ein weiterer Punkt. Um des zukünftigen Friedens
willen dürfen wir nicht zulassen - das ist eine grundsätzliche Überlegung -, daß vor allen Dingen die armen
Entwicklungsländer immer weiter ins Abseits der Weltwirtschaft gedrängt werden. Es gibt zwei Trends: Der
eine Trend besteht darin, daß der private Finanztransfer in die Entwicklungsländer drastisch zurückgegangen ist - in den letzten drei Jahren um 50 Prozent - und
daß er sich auf nur wenige Länder und wenige Sektoren
konzentriert. Das ist unakzeptabel. Deshalb haben wir
unter anderem unsere Entschuldungsinitiative eingebracht. Wir haben die Unterstützung unserer Partnerländer, in der Weltbank und beim Währungsfonds für diesen Ansatz gefunden. Er trägt dazu bei, endlich Zukunftschancen vor allem für die ärmsten verschuldeten Entwicklungsländer zu schaffen. Erkennen Sie dies einfach
als Erfolg an,
({9})
und tragen Sie mit dazu bei, daß diese Initiative im öffentlichen Bewußtsein bekannter wird!
Der andere Trend betrifft die öffentlichen Finanzmittel. Hier will ich an eine Entwicklung erinnern: 1988 lag
der Anteil der öffentlichen Finanzmittel für die Entwicklungszusammenarbeit am Bruttosozialprodukt in
den Geberländern bei 0,34 Prozent. Er ist im Jahr 1997
auf 0,22 Prozent des Bruttosozialproduktes zurückgegangen. Nach vorläufigen Berechnungen betrug der
Anteil im letzten Jahr weniger als 0,2 Prozent des Bruttosozialprodukts der OECD-Mitgliedsländer. Das ist ein
absolut unakzeptabler Zustand. Er kann nicht hingenommen werden.
({10})
Wenn die privaten und die öffentlichen Entwicklungsmittel nicht mehr fließen würden, dann würde ein
Teil dieser Welt ins Abseits gedrängt. Das dürfen wir
nicht zulassen. Willy Brandt hat nach wie vor recht: Wir
können auf Dauer nicht in Frieden und Wohlstand leben,
wenn es Regionen auf der Welt gibt, die in tiefster Armut leben. Deshalb müssen wir dazu beitragen, daß sich
das ändert.
({11})
Wir wollen den gegenwärtigen Abwärtstrend unserer
Entwicklungsleistungen am Bruttosozialprodukt, der,
wie ich eben dargestellt habe, für die Industrieländer
insgesamt gilt, stoppen. So hat es der Bundeskanzler
gemäß der Koalitionsvereinbarung auch in seiner Regierungserklärung unterstrichen. Der vorliegende Haushaltsentwurf für den Einzelplan 23 leistet die dazu erforderliche Wende.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, mit der vom Haushaltsausschuß jetzt vorgeschlagenen Höhe der Verpflichtungsermächtigungen liegen wir um 630 Millionen
DM bzw. um 9 Prozent über dem Verfügungsrahmen,
den die alte Regierung für 1999 vorgesehen hatte. Damit
ist der Grundstein für künftig steigende Leistungen in
der Entwicklungszusammenarbeit gelegt. Erkennen Sie
das doch einfach einmal an, zumal Sie selber Verantwortung getragen haben.
({12})
Üben Sie vielleicht auch einmal ein Stück Selbstkritik,
in diesem Bereich bisher nicht so aktiv gewesen zu sein.
Ich möchte zum Schluß kommen. Jenseits jeder parteipolitischen Diskussion: Wichtig ist - ich sage das
noch einmal -, daß wir uns umorientieren und daß Krisenprävention und Friedenssicherung das politische
Denken beherrschen. Deshalb werden wir die Entwicklungszusammenarbeit ausbauen und dazu beitragen, daß
die Umorientierung, die wir jetzt geschaffen haben, in
Zukunft anhält. Ich fordere jeden dazu auf, uns in diesem Sinne zu unterstützen.
Ich bedanke mich sehr.
({13})
Das Wort hat der
Kollege Klaus-Jürgen Hedrich, CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Frau
Ministerin, ich weiß nicht, ob Sie sich wirklich bewußt
waren, was Sie zu Beginn Ihrer Ausführungen gesagt
haben. Kollegen dieses Hauses zu unterstellen, vom Militärischen möglicherweise stärker als von Konfliktund Krisenprävention fasziniert zu sein, ist eine Ungeheuerlichkeit.
({0})
Ich darf Sie in aller Form bitten, dies zurückzunehmen. Wenn Sie bei dieser Formulierung bleiben, dann
kündigen Sie damit den Konsens auf, den wir sowohl in
der Kosovo-Frage - wir werden das unserer Fraktionsführung dementsprechend darstellen - als auch seit fast
20 Jahren in der Entwicklungspolitik haben. Ich sage
noch einmal: Ihre Äußerung ist ein ganz starkes Stück.
({1})
Frau Ministerin, wir tadeln Sie übrigens nicht dafür,
daß Sie sich gegenüber dem Finanzminister nicht haben
durchsetzen können. Das kennen wir. Aber wir müssen
Sie kritisieren, wenn Sie sich an Ihren eigenen Ankündigungen messen lassen wollen. Ich möchte Ihnen dazu
einmal die von der Bundesregierung offiziell veröffentlichten Haushaltszahlen vortragen. Es geht um den Vergleich des Haushaltes 1998 mit dem Haushalt 1999.
({2})
- Die Zahl für 1998 liegt bei 7,924 Milliarden DM. Ihr
Haushaltsansatz dagegen, der jetzt noch niedriger ist als
im Entwurf, liegt bei 7,763 Milliarden DM. Ich kann das
doch nicht ändern; das ist der Sachverhalt.
Ich möchte mich allerdings ausdrücklich bei den
Kollegen von der Koalition im Fachausschuß bedanken.
Die meisten Dinge haben wir gemeinsam beschlossen,
lieber Kollege Werner Schuster. Aber euch ist es, wenn
ich das so persönlich sagen darf, genauso gegangen, wie
es uns so manches Mal gegangen ist: Die Haushälter haben von den Haushaltsansätzen nichts, aber auch gar
nichts übernommen.
Gegenüber dem Kollegen Schnell, der hier begrüßt
hat, daß weitere Zuständigkeiten im Ministerium konzentriert werden, darf ich meine Feststellung wiederholen, daß auch wir das bereits in der ersten Ausschußsitzung und auch hier im Parlament ausdrücklich begrüßt
haben. Aber gerade vor diesem Hintergrund klingt die
Eingangsbemerkung der Ministerin um so merkwürdiger, um keinen anderen Ausdruck zu benutzen. Jetzt
sitzt das BMZ nämlich im Bundessicherheitsrat. Während die Leitung des Hauses durch die Lande reist, gegen Waffenexporte zu Felde zieht und große Reden
schwingt, wird im Bundessicherheitsrat Waffenexporten
zugestimmt. Auch hier passen wieder Anspruch und
Wirklichkeit nicht zusammen.
({3})
Über die Frage des zivilen Friedensdienstes werden
wir übrigens in einen Diskussionsprozeß mit den interessierten Gruppen im Lande eintreten; wir haben uns bewußt darauf verständigt, das nicht im Rahmen einer Anhörung zu machen. Ein Fachgespräch im Rahmen dieses
Diskussionsprozesses wird Anfang Juni stattfinden.
({4})
Hier kann ich übrigens die Bundesregierung nur noch
einmal ausdrücklich auffordern, endlich ein schlüssiges
Konzept vorzulegen. Der uns zugeleitete Entwurf des
BMZ ist durchaus diskussionswürdig. Ich mache aber
darauf aufmerksam, daß wir so lange nicht endgültig
darüber diskutieren können, wie die Bundesregierung
kein Konzept vorlegt. Ich hoffe, daß Sie es durchsetzen
können - hier ist übrigens insbesondere das Auswärtige
Amt gefordert, insofern kann der Kollege das gleich zur
Kenntnis nehmen -, daß bis zum 2. Juni eine einheitliche Position der Bundesregierung vorliegt, auf deren
Basis wir dann mit den interessierten Personengruppen
und Institutionen aus der Republik diskutieren können.
Eine vorletzte Bemerkung: Die Schuldeninitiative
wurde ebenfalls mit großem Aufwand angekündigt. Inzwischen erklären die internationalen Finanzinstitutionen, die sogenannten IFIs, daß sie nicht über die entsprechenden Finanzmittel verfügen, um eine solche
Schuldeninitiative umzusetzen. Die Franzosen und Japaner haben ausdrücklich erklärt, daß sie mit den jetzigen Vorschlägen nicht einverstanden sind. Wir hoffen,
Frau Ministerin - in unserem gemeinsamen Interesse
darf ich das hier zum Ausdruck bringen -, daß es Ihnen
bis zum G-8-Gipfel gelingt, diese Dinge auszuräumen,
damit wir wirklich ein Zeichen zugunsten der ärmeren
Länder dieser Erde setzen können.
Ich möchte aber an dieser Stelle noch einmal ganz
ausdrücklich die Position der CDU/CSU wiederholen:
Es ist für niemanden in Deutschland - und auch weder
für den europäischen Steuerzahler noch für den japanischen und amerikanischen Steuerzahler - verständlich,
wenn diese Entschuldungsinitiative nicht mit einer klaren Konditionierung versehen wird. Das heißt, es muß
sichergestellt werden - ich wiederhole das, was ich
schon letztes Mal gesagt habe -, daß das Geld wirklich
dort ankommt, wo es hingehört: Es muß für die Bekämpfung der Armut auf der Erde eingesetzt werden; so
könnte wirklich ein Beitrag zu mehr Frieden auf der Erde geleistet werden. Sie hatten ja recht mit Ihrem Einwand, daß die Armut in den letzten Jahren zugenommen
hat.
Heute nachmittag fand - die Friedrich-Ebert-Stiftung
war Mitveranstalter - eine Lateinamerika-Konferenz
statt, auf der deutlich gemacht wurde, daß trotz aller
wirtschaftlichen Fortschritte die soziale Kluft in den
meisten unserer Partnerländer zunimmt. Solange dies
der Fall ist, werden wir mit unserer Entwicklungspolitik
immer nur notdürftige Reparaturmaßnahmen durchführen können. Das kann natürlich nicht der Sinn einer Entschuldungsinitiative sein. Vielmehr muß sie so angelegt
sein, daß unsere Partnerländer verpflichtet werden, das
Geld wirklich für die Armen und für die Sicherstellung
von Grundbedürfnissen zu verwenden.
({5})
Zum Schluß will ich durchaus meine Genugtuung
nicht verhehlen, daß Sie jetzt erneut erklärt haben, daß
Sie sich die Sprangerschen Kriterien - Menschenrechte,
Rechtsstaatlichkeit, soziale Marktwirtschaft - zu eigen
machen. Daraus entnehme ich: So schlecht kann die
Politik Ihrer Vorgänger nicht gewesen sein; wenn Sie
sich daran ein Beispiel nehmen, wird aus Ihrer Politik
vielleicht noch etwas Gutes.
({6})
Ich gebe das Wort
Frau Bundesministerin Wieczorek-Zeul.
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn ein Mißverständnis
entstanden sein sollte, dann will ich das an dieser Stelle
ausräumen.
Meine Darlegungen zur Faszination der Krisenprävention und des Militärischen war nicht als Vorwurf
an Abgeordnete oder irgendeine Fraktion gerichtet. Lassen Sie uns bitte doch einmal gemeinsam überlegen:
Wenn Entwicklungshelfer vor Ort tätig sind, um Konflikte verhindern zu helfen, und es daraufhin gar nicht zu
Konflikten kommt, dann findet dies im öffentlichen Bewußtsein keinen Niederschlag. Das ist ja ein Teil des
Problems in diesem Bereich. Militärische Aktionen und
Auseinandersetzungen dagegen finden im öffentlichen
Bewußtsein immer ihren Niederschlag.
Mein Punkt war - ich glaube, Sie alle stimmen darin
mit mir überein -, daß wir dazu beitragen müssen, daß
die sehr gute Arbeit, die vor Ort geleistet wird, damit
Konflikte gar nicht erst entstehen, auch im öffentlichen
Bewußtsein stärker deutlich wird. Denn nur wenn das
der Fall ist, werden wir die entsprechenden finanziellen
Veränderungen schaffen, die notwendig sind.
({0})
Ich glaube, das hat auch Ihnen gegenüber klargestellt,
was gemeint war, und ich denke, dem können auch Sie
zustimmen. - Vielen Dank.
({1})
Zu einer Kurzintervention hat Kollege Dr. Werner Schuster das Wort.
Vorweg: Herr
Hedrich, Sie werden mir sicher zustimmen, daß es
leichter ist, europaweit eine militärische Maßnahme zu
koordinieren, als mit dem gleichen Umfang, der gleichen Präzision und der gleichen Professionalität eine
abgestimmte Förderung von zivilgesellschaftlichen Strukturen zu initiieren.
({0})
Aber der eigentliche Grund für meine Kurzintervention ist Ihr Hinweis auf den Haushalt. Niemanden hätte
es mehr gefreut als mich persönlich, wenn dieser Haushalt noch ein paar Millionen DM mehr ausgewiesen
hätte.
Wenn Sie gestern gehört haben, was der neue Finanzminister uns für das Jahr 2000 angekündigt hat, Frau
Ministerin, dann bin ich sehr vorsichtig. Wenn wir also
im Jahr 2000 nicht mehr Geld bekommen, dann müssen
wir über die Fraktionsgrenzen hinweg dreierlei angeben:
Erstens. Wir müssen Prioritäten setzen. Ich sage mit
Ihnen: Das können die Fachausschüsse besser als die
Haushälter. Es muß aufhören, daß die Haushälter gemeinsame Fachausschußbeschlüsse mit Vorschlägen zum Umverteilen, zum Umschichten nachträglich korrigieren. Das
kann nicht gehen. Damit nehmen Sie uns jedes Interesse,
ernsthaft über Sparmaßnahmen nachzudenken.
({1})
Zweitens. Es muß aufhören, daß Geld für Dinge ausgegeben wird, die man schlicht als Verschwendung bezeichnen kann.
({2})
- Sein Vertreter sitzt ja da, er hört mir zu, er kennt mich
lange genug.
Herr von Schmude, ich teile Ihre Meinung, daß auf
der EU-Ebene häufig das Geld nicht so ausgegeben
wird, wie wir uns das vorstellen. Aber die Konsequenz
heißt nicht, multilaterale Hilfe zu stoppen, sondern endlich die überfälligen Reformen auf der EU-Ebene, über
die wir vor 14 Tagen hier diskutiert haben, durchzusetzen.
({3})
Dann macht EU-weite Entwicklungszusammenarbeit
nämlich Sinn.
Ich möchte jetzt noch einmal ein Beispiel für Verschwendung aus einem ganz anderen Bereich anführen,
das mich sehr nachdenklich macht - wir kümmern uns
zu wenig um Verschwendungsprojekte -: Bei mir wird
in absehbarer Zeit der ICE von Köln nach Frankfurt
vorbeifahren. Weil man auf Tempo 300 beharrt, kostet
das Ganze 9 Milliarden DM. Bei Tempo 200 könnten
wir 5 Milliarden DM sparen, von den Vorteilen für die
Ökologie ganz abgesehen. Mit dem zusätzlichen Betrag
von 5 Milliarden DM erreichen wir einen Zeitgewinn
von drei Minuten, indem die Fahrzeit von 51 auf 48 Minuten verringert wird. Das muß man sich einmal vorstellen!
({4})
Die gleiche „Gaudi“ geht auch in Zukunft bei weiteren
ICE-Planungen los. Das kann nicht angehen. Wir sollten
wirklich zusehen, wo wir systematisch sparen können.
Damit bin ich beim eigentlichen Punkt, Herr Hedrich.
Wir brauchen eine systematische Evaluation. In diesem
Punkt sind wir Entwicklungspolitiker den anderen Ressorts weit voraus, unbeschadet der Tatsache, Frau Ministerin, daß wir aus gutem Grund, wie Sie wissen, weitergehende Vorschläge haben. Wie manche von Ihnen
wissen, habe ich vor drei Jahren nachgefragt, in welchen
Ministerien es überhaupt Evaluationsreferate gibt. Nirgendwo, außer beim BMZ, sonst nur Fehlanzeigen! Die
„Frankfurter Rundschau“ hat damals getitelt: Systematische Erfolgskontrolle - das unbekannte Wesen in Bonn.
Dieser Zustand muß beendet werden. Wir brauchen in
allen Bereichen Evaluationen, denn wir haben nur zwei
Alternativen: Entweder wenden wir die Rasenmähermethode an, oder wir sind bereit, aus Fehlern zu lernen
und das Geld gezielt auszugeben. Dazu fordere ich alle,
uns, die Vertreter der Fachausschüsse, die Haushälter
und natürlich zuallererst das Ministerium, auf.
Ich bedanke mich.
({5})
Das war eine etwas
originelle Auslegung der Geschäftsordnung in bezug auf
die Kurzintervention.
({0})
Ich denke, Sie haben noch weitere Beispiele aus Ihrem
Wahlkreis auf Lager, die sicherlich ebenso interessant
sind.
Damit sind wir am Ende der Aussprache und kommen nunmehr zu den Abstimmungen, und zwar zunächst
zu den Abstimmungen über die Änderungsanträge der
Fraktion der PDS.
Änderungsantrag auf Drucksache 14/951. Wer stimmt
dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der
Änderungsantrag ist mit den Stimmen des Hauses gegen
die Stimmen der PDS abgelehnt.
Änderungsantrag auf Drucksache 14/952. Wer stimmt
dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der
Änderungsantrag ist mit dem gleichen Stimmenergebnis
abgelehnt.
Wer stimmt für den Einzelplan 23 in der Ausschußfassung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der
Einzelplan ist mit den Stimmen von SPD und Bündnis
90/Die Grünen gegen die Stimmen der anderen Fraktionen angenommen.
Ich rufe auf:
16. Einzelplan 07
Bundesministerium der Justiz
- Drucksachen 14/607, 14/622 Berichterstattung:
Abgeordnete Carsten Schneider
Matthias Berninger
Heidemarie Ehlert
17. Einzelplan 19
Bundesverfassungsgericht
- Drucksachen 14/300, 14/622 Berichterstattung:
Abgeordnete Carsten Schneider
Matthias Berninger
Dr. Christa Luft
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Stunde vorgesehen. - Ich höre keinen
Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege
Hans Jochen Henke, CDU/CSU.
Herr Präsident!
Frau Ministerin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Typisch für den Gesamthaushalt 1999 sind diese Einzelpläne des Bundesministeriums der Justiz und des Bundesverfassungsgerichtes nicht, zumindest nicht typisch
in zweierlei Hinsicht: Zum einen gehören sie bekanntermaßen nicht zu den großen, sondern zu den ganz
kleinen Ministerien, mit einem Budgetanteil von gerade
einmal 0,3 Prozent. Zum anderen sind diese Einzelpläne
- Gott sei's gelobt - im Windschatten der Turbulenzen
geblieben, die wir sowohl finanz- wie haushaltspolitisch
vor, mit und auch nach Oskar Lafontaine erleben dürfen.
Im Justizhaushalt werden Zuwächse vermieden, Stellen
eingespart und Erwartungen gedämpft.
In den Beschlußempfehlungen zum Haushalt 1999
sieht das anders aus. Dieser Haushalt ist größer als all
seine Vorgänger. Alle Fachleute machen ungeteilt das
Sparen zur ersten Staatspflicht. Diese Regierung macht
nun ihrerseits mit erhöhten Steuern und Abgaben das
Sparen zur ersten Bürgerpflicht.
Wo man konsolidieren müßte, wird spendiert. Wo die
Chance bestünde, bereits jetzt die Staatsquote spürbar
zurückzuführen, wird die Eigenverantwortung von Bürgerinnen und Bürgern beschnitten. Wo der Staat sich
stärker auf seine Kernaufgaben zurückziehen könnte,
huldigt diese Regierung einem universellen Anspruch
und der alleinigen Zuständigkeit der Politik.
({0})
Ich frage mich, was diese Regierung tun wird, wenn sich
die Konjunktur wegen dieser Regierung so entwickelt,
wie es viele Sachverständige prognostizieren. Sie haben
die Privatisierungspolitik der Regierung Kohl beklagt.
Jetzt versuchen Sie, mit den durch die Verschiebung
dieser Privatisierung geschönten Zahlen und deren Fortsetzung, unter anderem bei Post und Telekom, den Eindruck finanzpolitischer Solidität zu erwecken. Dieser
Versuch wird scheitern.
Sparsam hingegen ist Ihr Einzelplan, Frau Ministerin,
der Einzelplan der Justiz. Selten gab und gibt es hier
Konflikte zwischen Regierung und Opposition. Gleichwohl ist die Arbeit des Justizministeriums, der Bundesgerichte und Bundesbehörden in diesem Ressort von
ganz entscheidender Bedeutung für das Regierungshandeln, für den Interessenausgleich in unserer Gesellschaft
und für die Fortentwicklung des Rechts.
Lassen Sie mich an dieser Stelle aus gutem Grunde
den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Bundesjustizministeriums für ihren Einsatz danken.
({1})
Es war in den letzten Monaten und ist auch jetzt sicherlich nicht immer einfach, eine juristisch einigermaßen
hinnehmbare Umsetzung der chaotischen politischen
Maßnahmen zu erreichen, die mit dem System „trial and
error“ zum Markenzeichen der Regierung Schröder geworden sind.
Ich jedenfalls will die Hoffnung nicht aufgeben, daß
mit engagierter Unterstützung der Männer und Frauen
im Bundesministerium der Justiz auch das Chaos beseitigt wird, das Minister Riester bei den geringfügigen
Beschäftigungsverhältnissen und im Kampf gegen die
sogenannte Scheinselbständigkeit angerichtet hat. Da
spricht vieles für seine gewerkschaftlichen Erfahrungen
im Umgang mit kleinen Selbständigen und nicht organisierten Kleinverdienern.
Es ist schon grotesk: Alle Welt spricht der Entbürokratisierung das Wort und fordert den schlanken Staat,
und dieser Minister schafft Arbeitsplätze in der Bürokratie und zerstört sie am Markt.
({2})
Wo Entrümpelung angesagt wäre, wird gewerkschaftlicher Sperrmüll dazugestellt, obwohl von Neuer Mitte als
Markenzeichen der Regierung Schröder die Rede ist.
Ihr Haus, Frau Ministerin, steht in einem arbeitsreichen Jahr. Zahlreiche europäische Regelungen sind in
nationales Recht umzusetzen, zentrale Gesetze stehen
zur Reform und zur Überarbeitung an. Ich möchte auch
hier die Hoffnung nicht aufgeben, daß trotz des Regierungswechsels die für eine effiziente Verwaltung dringend nötigen Schritte wie Kosten-Leistungs-Rechnung,
Budgetierung, Berichtswesen und Zielvereinbarungen
konsequent weiterverfolgt und umgesetzt werden. Wo
nötig, ist hier konzentrierter und konzertierter Druck der
Ministerien auf das BMF in seinen Widerständen auszuüben. Ich denke, es lohnt sich, auch hier von den Besten
innerhalb und außerhalb der Republik zu lernen.
Allerdings, Frau Ministerin, stellt sich da die Frage,
ob die lineare Reduzierung von Personal wirklich das
Maß aller Dinge sein kann, zumal diese lineare Kürzung
ganz offensichtlich nicht gleichermaßen für alle in dieser
Regierung gilt: Für die Bundesministerien sieht der
Haushalt 1999 490 zusätzliche Stellen vor. Für die Ökosteuer werden allein 524 zusätzliche Zöllner gebraucht.
- Wo es ihr paßt, kann diese Koalition großzügig sein.
Ob das die richtigen Stellen sind, ist füglich zu hinterfragen.
Ein Beispiel dazu aus Ihrem Einzelplan: 560 Patentprüfer - über dieses Problem haben wir verschiedentlich
gesprochen - waren vor zehn Jahren beim Bundespatentamt beschäftigt. Tatsächlich sind es jetzt noch 546.
Die politisch gewollte Reduzierung der Zahl der Mitarbeiter auf den Stand von vor der Wiedervereinigung ist
also Realität. In der gleichen Zeit hat aber die Zahl der
Prüfungen um mehr als 50 Prozent zugenommen. Der
Haushaltsausschuß hat jetzt einem Zuwachs der Stellen
um 22 Prüfer zugestimmt, von denen acht durch lineare
Kürzung gleich wieder kassiert werden und sechs auf
bisherigen kw-Stellen sitzen.
Wenn das so weitergeht, habe ich Sorge. Wir müssen
gerade in solchen Bereichen vom Rasenmäher zum
Feinschnitt, vom Buschmesser zum Skalpell übergehen.
Sage niemand, hier gehe es nur um Prüfbeamte. Es geht
um massive strukturelle wirtschaftliche Interessen. Die
entsprechenden Argumente sind im einzelnen hinreichend ausgetauscht worden.
Ich möchte nochmals, wie im Ausschuß, unterstreichen: Wir bitten die Regierung herzlich und erwarten,
uns bis zur Vorlage des Haushalts 2000 in wenigen Wochen ein schlüssiges Gesamtkonzept für das Patentund Markenamt vorzulegen, das zeitnahe Entscheidungen über eingereichte Anträge sicherstellt.
Klarheit hätten wir auch gerne in einer zweiten Frage,
und zwar was die Kosten für die notwendigen Sanierungs- und Umbaumaßnahmen des künftigen Sitzes des
Bundesverwaltungsgerichts in Leipzig anbetrifft. Das
ist schon ein bemerkenswertes Projekt. Auf den Zahlensalat möchte ich hier aus Zeitgründen im einzelnen nicht
eingehen.
Ich freue mich, wenn die Kosten bei den primären
Hochbauleistungen durch einen scharfen Wettbewerb
um 38 Prozent gesenkt werden können. Ich finde es
auch gut, wenn der Bundesrechnungshof genau hinsieht.
Aber keinerlei Verständnis, Frau Ministerin, habe ich
dafür, daß Sie mit dem beschriebenen Zahlenwust den
Haushaltsausschuß - ich will diesen Begriff bewußt so
gebrauchen - belästigen. Sagen Sie abgestimmt und
nachvollziehbar, was benötigt wird und was Sie wollen.
Dann können wir darüber sehr konkret und verantwortlich entscheiden. Aber werfen Sie bitte nicht wie in der
Art manch anderer Politiker erst einmal kräftig Staub in
die Luft, um dann die anderen darin stehen und ersticken
zu lassen.
Es gäbe noch einige weitere Punkte anzumerken und
zu kritisieren, zum Beispiel das leidige Thema der
Wehrgerichtsbarkeit. Hier bestanden gerade zum jetzigen Zeitpunkt überhaupt kein Anlaß und keine Not,
den diesbezüglichen Merktitel zu streichen.
({3})
Ich denke außerdem an manche Ansätze und Kosten für
die Öffentlichkeitsarbeit, die angesichts der Kassenlage auch in Ihrem Ressort verzichtbar gewesen wären.
Frau Ministerin Däubler-Gmelin, Sie haben eine große Reform des Gerichtswesens angekündigt. Sie wollen im Sommer Vorschläge für eine Zivilrechtsreform
und bis zum Jahreswechsel für eine Reform der strafrechtlichen Rechtsmittel vorlegen. Es ist bedauerlich dies ist eine Fußnote -, daß zu diesem Thema gerade gestern und heute in Ihrem Haus mit dem Max-PlanckInstitut ein Workshop stattfindet. Es wäre schön gewesen, wenn den interessierten, zuständigen Mitgliedern
dieses Hohen Hauses durch eine besser abgestimmte
Terminierung wenigstens teilweise eine Teilnahme
möglich gewesen wäre.
Eine solche Reform ist kein Selbstzweck. Es gilt,
sorgfältig die Vorteile einer solchen Reform gegen
möglicherweise damit verbundene Risiken und Konsequenzen abzuwägen. In die gewachsene, überkommene,
überwiegend bewährte Struktur sollte nur insoweit eingegriffen werden, als überzeugend Besseres an ihre
Stelle tritt.
Wir begehen in diesen Tagen das 50jährige Jubiläum
unseres Grundgesetzes. Länger hat keine Verfassung in
der Geschichte unseres Landes Bestand gehabt. Wenn
wir über Gesetze, über eine Justizreform und über das
Recht sprechen, dann geht es nicht zuletzt um das
Grundgesetz, seine Bewahrung und seine aktuelle Fortschreibung. Der Beitrag gerade des Bundesverfassungsgerichts kann in diesem Zusammenhang nicht
hoch genug veranschlagt und gewürdigt werden.
Wir Politiker haben zwar immer wieder Artikel in das
Grundgesetz eingefügt, mit denen dann und wann auch
über das grundsätzlich grundgesetzlich zu Regelnde hinaus Festlegungen getroffen worden sind. Gerade dennoch ist es dem höchsten Gericht entscheidend und
richtungsweisend gelungen, immer zwischen Wichtigem
und Unwichtigem zu entscheiden, nicht zuletzt anläßlich
des jüngsten Familienurteils und sicherlich auch in
nächster Zukunft anläßlich der anstehenden Entscheidung über die Besteuerung von Einkommen aus unternehmerischer und privater Tätigkeit.
Es kommt sicherlich nicht von ungefähr, daß das
Bundesverfassungsgericht - der Herr Verteidigungsminister hat das hier vor eineinhalb Stunden ebenfalls ausgeführt -, zusammen mit der Polizei und der Bundeswehr, mit einer Zustimmung von fast Dreiviertel der
Bevölkerung das höchste Ansehen aller öffentlichen
Institutionen unseres Landes genießt.
Frau Präsidentin, Frau Ministerin, werte Kolleginnen
und Kollegen, ich warte mit großer Spannung auf den
Juli. Ich hoffe, daß es dieser Regierung im Gegensatz zu
vielen ihrer sozialdemokratischen Vorläufer in den 70er
und 80er Jahren gelingen wird, den Haushaltsentwurf
für das Jahr 2000 so rechtzeitig vorzulegen, daß die
Bürgerinnen und Bürger in diesem Jahr bei ihrem Silvesterfeuerwerk wissen, was ihnen von der Regierung in
Zukunft zugemutet werden wird.
({4})
Denn Feuerwerk dient zumeist auch dem Zweck, böse
Geister fernzuhalten oder diese zu vertreiben.
({5})
Angesichts Ihrer bisherigen Politik gehe ich davon
aus: Die Deutschen werden nicht nur wegen des Jahrtausendwechsels in diesem Jahr kräftiger Feuerwerk abschießen als je zuvor.
Herzlichen Dank.
({6})
Nächster Redner ist
der Kollege Carsten Schneider, SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Herr Henke hat bereits darauf hingewiesen: Der Haushalt des Bundesministeriums
der Justiz, der Einzelplan 07, ist einer der kleineren
Haushalte des Bundes. Seine Ausgaben in Höhe von
731,3 Millionen DM machen gerade einmal 0,15 Prozent des gesamten Bundeshaushalts aus. Damit ist er im
Vergleich zu den Finanzvolumina anderer Ministerien,
etwa des Bundesverteidigungsministeriums, ein Zwerg.
Aber es wäre meines Erachtens grundverkehrt, wollte
man seine Bedeutung ausschließlich am Investitionspotential messen.
Mit dem Haushalt des Bundesjustizministeriums wird
zugleich auch über die Richtlinien der Rechtspolitik entschieden - man könnte sagen: über die Entwicklung der
Rechtsordnung in unserem Land -, so daß Schwerpunktsetzungen im Einzelplan 07 gravierende Auswirkungen
auf wesentliche Aspekte unseres gesellschaftlichen Lebens haben.
Nun ist der Spielraum der Haushaltsgestaltung, in
unserem Fall der Justizpolitik, angesichts der Haushaltslage, die der Bundesfinanzminister gestern deutlich
gemacht hat - sie wurde in ganz erheblichem Maße von
unserer Vorgängerregierung verursacht -, sehr gering.
Die Verschuldung gestattet es uns nicht, all das zu tun,
was wir auf dem Wunschzettel haben. Ich werde im einzelnen noch darauf eingehen. Vielmehr müssen wir Abstriche machen. Bei einer Gesamtverschuldung von
1,4 Billionen DM, die zu der enormen Belastung für
Zins- und Schuldendienste allein in diesem Jahr in Höhe
von 82,1 Milliarden DM führt, werden die Spielräume
für eine aktive Gestaltung einer modernen, zukunftsweisenden Rechtspolitik sehr eng.
Die Unzufriedenheit der Bevölkerung mit einer unbeweglichen, verkrusteten Politik hat zwar zur Abwahl
derjenigen, die das verursacht haben, der CDU/CSUF.D.P.-Koalition, geführt - ich denke, das war das Feuerwerk -,
({0})
aber ihre Erblast hängt uns wie ein Klotz am Bein.
Dennoch haben wir - ich denke da vor allen Dingen
an die Frau Ministerin - versucht, einen Neuanfang zu
machen. Bei der Gestaltung des Haushaltsplans des BMJ
haben wir klare Schwerpunkte gesetzt, die das Profil unserer Justizpolitik prägen werden. Ich nenne in diesem
Zusammenhang nur kurz den Ausbau des Deutschen
Patent- und Markenamtes, die Streichung des Titels für
die Wehrstrafgerichtsbarkeit, die Förderung des TäterOpfer-Ausgleichs.
Aber zunächst einmal zurück zu den Zahlen. Die
Ausgaben des BMJ werden gegenüber dem Vorjahr um
40 Millionen DM auf 731,3 Millionen DM steigen eine äußerst maß- und verantwortungsvolle Steigerung,
die der allgemeinen Haushaltslage Rechnung trägt.
Gleichzeitig bedeutet dies jedoch eine Kürzung des
Haushaltsansatzes gegenüber dem zweiten Regierungsentwurf für 1999 um knapp 6,1 Millionen DM oder
0,82 Prozent, was fast ausschließlich zu Lasten der
Verwaltungsaufwendungen geht.
Es ist den Haushältern der Koalitionsfraktionen zu
danken, die den ersten Schritt zur Sanierung dieses maroden Staatshaushaltes, den wir übernommen haben,
gemacht haben. Der Haushalt 2000 - Herr Henke, Sie
haben das bereits angesprochen - wird noch viel schwieriger sein; ich denke aber, daß wir es schaffen werden.
({1})
434,1 Millionen DM sind Personalausgaben, 151 Millionen DM entfallen auf sächliche Verwaltungsausgaben
und 54,8 Millionen DM auf Zuweisungen und Zuschüsse. Außerdem stehen noch 103 Millionen DM für Investitionen zur Verfügung. Den Löwenanteil der Ausgaben
stellen somit mit 62 Prozent die Personalkosten. Der
überproportionale Zuwachs im Bereich der Investitionen
ist vor allem auf Baumaßnahmen zurückzuführen - das
sind insgesamt 12 Prozent der Gesamtausgaben. Hier
sind vor allem der Umbau des ehemaligen Reichsgerichtsgebäudes in Leipzig für das Bundesverwaltungsgericht, der Bau des Patentamtes, der Neubau des Bundesgerichtshofes und des Internationalen Seegerichtshofes
in Hamburg zu nennen.
Bei dieser Gelegenheit möchte ich der Ministerin
meinen Dank aussprechen, daß der Regierungswechsel
nicht zu einem radikalen personellen Kahlschlag im Ministerium geführt hat. Im Gegenteil: Da es um Qualität
geht, wurde ausgesprochen pfleglich mit den Mitarbeitern umgegangen; es ging nicht um deren Parteibuch.
Über die Bereiche Investitionen und Personal wird
die Leistungsfähigkeit der Justiz in diesem Haushalt
sichergestellt und, wo es angesichts der finanziellen
Situation möglich ist, auch verbessert. Allein für das
Patent- und Markenamt in München wurde der Personalansatz um 16 Stellen erhöht - 16 dringend benötigte
Stellen, um die in den letzten Jahren immer wieder vergeblich gekämpft wurde und die nun endlich durch diese
Bundesregierung ermöglicht wurden.
({2})
Natürlich würden wir angesichts des Arbeitsanfalls beim
DPMA gerne wesentlich mehr Prüfer einstellen. Aber
mit Rücksicht auf die Haushaltslage ist das derzeit leider
das Maximum.
Allerdings haben wir im Ausschuß nach entsprechenden Erläuterungen einem 25prozentigen Aufwuchs bei
den Kosten für die Informationstechnik und bei der Verbesserung der Patentdokumentation und -information
mittels elektronischer Datenverarbeitung zugestimmt.
Ich erhoffe mir dadurch eine Steigerung der Leistungsfähigkeit und damit eine Verbesserung der kritischen
Situation bei der Bearbeitung der Prüfanträge im Patentamt. Damit betonen wir die Bedeutung, die wir der internationalen Wettbewerbsfähigkeit unserer Wirtschaft
und vor allem unserer mittelständischen Unternehmen
zumessen. Es muß in Zukunft schneller als in 16 Jahren
möglich sein, die Patentanmeldung und -prüfung unserer
Erfinder für unsere Wirtschaft nutzbar zu machen.
({3})
Auch dies ist ein Neuanfang, ein Versuch, die Blockade
aufzuheben.
Gänzlich gestrichen haben wir das Kapitel 08, die
Wehrstrafgerichtsbarkeit; Kollege Henke, Sie haben
das angesprochen. Es fällt mit dem Haushalt 1999 ersatzlos weg. Damit ziehen wir die Konsequenzen aus
unserer langjährigen Forderung nach Streichung dieses
in unseren Augen völlig überflüssigen Kapitels. Art. 96
Abs. 2 GG sieht zwar die Möglichkeit einer Einrichtung
von Wehrstrafgerichten vor, doch ist nach meinem Erachten und nach dem meiner Fraktion längerfristig nicht
davon auszugehen, daß solche Wehrstrafgerichte jemals
eingerichtet werden.
Ein Knackpunkt innerhalb der Haushaltsberatungen
bildete der Investitionstitel des BundesverwaltungsgeCarsten Schneider
richtes. Dabei geht es um die Investitionen für den Umbau des ehemaligen Reichsgerichtsgebäudes in Leipzig.
Unstreitig war und ist unter den Beteiligten die Bedeutung des Umzuges in dieses Gebäude. Einen erheblichen
Dissens gab es jedoch zwischen dem BMJ und dem zuständigen Ministerium für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen einerseits und dem Finanzministerium und
dem Rechnungshof andererseits über die voraussichtliche Höhe der Gesamtkosten.
({4})
Der ursprüngliche Ansatz lag bei 169 Millionen DM.
Der Ausschuß hat nach ausführlichen Beratungen - da
gebe ich Ihnen recht, Herr Hoyer - beschlossen, diesen
Ansatz auf 135 Millionen DM zu kürzen.
Wir haben es uns in diesem Fall nicht leichtgemacht, haben viele Gespräche geführt und Besichtigungen vor Ort unternommen, um uns ein Bild machen
zu können. Letztlich konnte aber in Zeiten knapper
Kassen die Argumentation des Bauministeriums als
ausführenden Organs nicht überzeugen. Der Ausschuß
war der Meinung, daß das Bauvorhaben auch mit wesentlich niedrigeren Kosten ohne gravierende Beeinträchtigung der Funktion des Bundesverwaltungsgerichts durchgeführt werden kann. Er hat sich daher
mehrheitlich für einen erheblich geringeren Investitionsansatz entschieden. Wir glauben, daß wir damit
dem Prinzip der Sparsamkeit ebenso gerecht werden
wie der Notwendigkeit, diesen historischen Ort dem
föderalen System wieder nutzbar zu machen.
({5})
Diskussionsbedarf gab es auch zu Kapitel 02 bei den
überregionalen Einrichtungen im Interesse von Gesetzgebung, Rechtsprechung und Verwaltung. Der Ansatz
für das Servicebüro der Deutschen Bewährungshilfe
e. V. in Köln für Täter-Opfer-Ausgleich und Konfliktschlichtung wurde auf Antrag der Koalitionsfraktionen um 150 000 DM erhöht; die entsprechenden Mittel
wurden entsperrt. Dies entspricht dem politischen Willen der Koalition. Rechtspolitik muß nach unserer Ansicht freiheitliche, rechtsstaatliche und soziale Politik
sein, die der Menschenwürde und dem Schutz der
Schwachen verpflichtet ist.
({6})
Dazu gehört auch das Verfahren des Täter-OpferAusgleichs.
Strafrecht und Strafprozeßrecht sollen durch dieses
relativ neue Instrument gestärkt und mit neuen Akzenten
versehen werden. Wir sehen darin einen wesentlichen
neuen Ansatz für die Rehabilitation von Straftätern, die
damit in ganz anderem und viel stärkerem Maße gezwungen werden, sich mit ihrer individuellen Schuld
auseinanderzusetzen. Zugleich hilft dieses Instrument
den Opfern, ihre Opferrolle zu verarbeiten und zu überwinden, im Idealfall zu einer Aussöhnung zu gelangen Täter-Opfer-Ausgleich als eine Form gesellschaftlicher
Befriedung. Diese Bedeutung des Täter-Opfer-Ausgleichs haben die Regierungsparteien seinerzeit ausdrücklich im Koalitionsvertrag vereinbart. Aus diesem
Grunde kam es zu dieser Erhöhung durch den Haushaltsausschuß.
({7})
Bauchschmerzen bereitete uns als Ausschußmitgliedern in diesem Zusammenhang allerdings die Tatsache,
daß die Länder den auf sie entfallenden Kostenanteil nur
ungern oder gar nicht aufbringen wollen.
({8})
Der hälftige Anteil der Länder an den ursprünglich vorgesehenen 300 000 DM ließ leider immer wieder auf
sich warten - eine bedauerliche, kurzsichtige Verhaltensweise seitens der Bundesländer.
({9})
Wenn wir uns dennoch zur Erhöhung und Entsperrung
des Ansatzes entschlossen haben, dann auch in der
Hoffnung, daß die Länder nicht aus den Vereinbarungen
und aus ihrer Verantwortung entlassen werden. Ich appelliere daher an die Bundesländer, ihren Verpflichtungen nachzukommen, und ich bitte Sie, Frau Ministerin,
nachdrücklich, sich dafür bei den Bundesländern einzusetzen.
({10})
Noch ein Wort zum Einzelplan 19, Bundesverfassungsgericht. In guter Tradition sind wir hier so verfahren, daß der Einzelplan von Kürzungen ausgenommen
wurde. Im Gegenteil: Auf Grund der Arbeitsbelastung
des Bundesverfassungsgerichts haben wir zwei zusätzliche Stellen in den Haushalt 1999 eingestellt. Auch dies
gehört zu den neuen Akzenten, von denen ich vorhin
sprach. Eine Stelle - das sei noch angemerkt - ist für die
Presse- und Öffentlichkeitsarbeit bestimmt; das Bundesverfassungsgericht hat uns in letzter Zeit mit mehreren
Urteilen davon überzeugen können, daß das sehr notwendig ist.
Ich möchte zum Schluß kommen und - auch weil
dies mein erster Haushalt war - den Kolleginnen und
Kollegen Berichterstattern herzlich für die offene, kooperative Atmosphäre danken, die unsere Beratungen
geprägt hat. Mein Dank gilt auch der Ministerin und ihrem Haus, die stets ansprechbar waren und durch kollegiale Offenheit glänzten.
Ich habe manchmal bedauert, daß die Beratungen im
Ausschuß nicht der Öffentlichkeit zugänglich sind. Ich
denke, so manches Vorurteil über Politik oder Politiker,
so mancher Anfall der gängigen Politikverdrossenheit
ließe sich durch Zuhören aus der Welt schaffen.
Ich danke Ihnen.
({11})
Herr Kollege
Schneider, dies war Ihre erste Rede hier im Plenum des
Deutschen Bundestages. Im Namen aller Kolleginnen
und Kollegen möchte ich Sie dazu recht herzlich beglückwünschen.
({0})
Es spricht jetzt für die F.D.P.-Fraktion der Kollege
Rainer Funke.
Frau Präsidentin! Meine
Damen und Herren! Frau Ministerin, Sie haben sich für
diese Legislaturperiode viel vorgenommen: die Justizreform, die Reform der Juristenausbildung, im materiellen
Recht wesentliche Teile des Urheberrechts und die
Übernahme zahlreicher europäischer Richtlinien und auch das will ich erwähnen - die Novellierung des Betreuungsrechts.
Ich begrüße es ausdrücklich, daß Sie der Versuchung
widerstanden haben, das Parlament mit Schnellschüssen
zu überfallen. Wir haben in der Vergangenheit gesehen,
was der Arbeitsminister für Pfuscharbeit abgeliefert hat.
({0})
- Das ist die reine Wahrheit. Das wissen Sie selber. Ich begrüße es, daß Sie der guten Tradition des Hauses
entsprechend solide durchdachte Vorschläge, mit der
nicht notwendigerweise das ganze Haus einverstanden
zu sein braucht, vorlegen wollen, also handwerklich ordentliche Arbeit liefern möchten.
Wir sind also gespannt auf Ihre groß angekündigte
Justizreform unter dem Stichwort der „Dreistufigkeit“.
Das sind keine neuen Gedanken. Einer Ihrer Vorgänger,
Herr Minister Jahn, hat dies bereits in den 70er Jahren
vorgeschlagen. Es ist dann zu Recht in die Mottenkiste
der Rechtsgeschichte eingegangen. Wir wollen sehen,
was jetzt bei Ihnen geschieht.
({1})
Es ist nicht so, daß wir es in die Mottenkiste tun
wollen, aber Sie dürfen sich nicht von dem Kollegen
Diller leiten lassen, mit dem Sie sich gerade unterhalten,
nämlich von den rein fiskalischen Gesichtspunkten. Im
Mittelpunkt muß stehen, daß der Rechtsuchende sein
Recht bekommt. Alles andere können wir vergessen.
Wenn wir das nicht schaffen, werden wir nämlich den
Rechtsfrieden in der Bundesrepublik Deutschland nicht
sicherstellen können.
({2})
Wenn es darum geht, allein aus Sparzwängen zum
Beispiel Verfahrensgesetze zu ändern und Rechtsbehelfe
zu kappen, werden Sie uns sicherlich nicht auf Ihrer
Seite finden. Aber für jede solide, ordentliche Arbeit, die
dem Rechtsuchenden hilft, werden wir dasein.
Zur Justizreform gehört sicherlich die Verbesserung
der Juristenausbildung. Auch dies sollte nicht ausschließlich unter dem Gesichtspunkt des Sparzwangs erfolgen, so wie es manche Länder jetzt noch sehen. Das
Ziel einer Reform der Juristenausbildung muß sein, die
jungen Juristen für die Anforderungen der Justiz, der
Verwaltung, der Anwaltschaft und der freien Wirtschaft
gut auszubilden, damit sie zum Beispiel auch in Europa
im Dienstleistungsgeschäft wettbewerbsfähig sind.
Der Bundestag wird sich im Rahmen seiner Kompetenzen, nämlich im Rahmen des deutschen Richtergesetzes, an dieser Diskussion intensiv beteiligen. Wir verfolgen mit großem Interesse die Anregungen der Länder,
zum Beispiel von Baden-Württemberg durch Herrn Professor Goll. Dies sind gute Ansätze, die wir gerne begleiten.
({3})
- Natürlich. Herr Kollege Geis, ich weiß, daß der Freistaat Bayern dort immer besonders kreativ ist.
({4})
Der Ansatz, die jungen Juristen gezielter für ihre
spätere berufliche Tätigkeit auszubilden, scheint uns genau der richtige Weg zu sein. Die praxisbezogene Ausbildung darf aber auch nicht dazu führen, daß wir in einzelnen Berufszweigen eine zu frühe Zugangssperre haben. Hier muß vor allem mit den Anwälten eine intensive Diskussion geführt werden. Die Neigung zum „closed shop“ gibt es nämlich nicht nur bei den Notaren; sie
könnte bei der Juristenschwemme gegebenenfalls auch
bei den Anwälten vorhanden sein.
Im materiellen Recht sehe ich mit großer Sorge, daß
das Justizministerium manche europäische Richtlinie
nicht mehr im Verhältnis 1:1 umsetzt, sondern aus
ideologischen Gründen jetzt noch kräftig draufsattelt Beispiele: Überweisungsrecht und das europäische
Publizitätsrecht. Dort wird aus ideologischen Gründen
gegen die Interessen der deutschen Wirtschaft gearbeitet.
({5})
- Mittelstand, natürlich. - Frau Ministerin, bei den Stiftungen, bei den Vereinen wollen Sie die Publizität einführen. Bei dem Überweisungsgesetz beziehen Sie, ohne daß Sie das nach den europäischen Richtlinien müßten, das gesamte Bankrecht mit ein. Dieses ist wenig
hilfreich.
Ich glaube, das Justizministerium muß sich wieder
stärker als bisher bewußt sein, daß es die Rechtsförmlichkeit zu prüfen hat und verhindern sollte, daß Pfuscharbeit durch andere Ministerien - ich nenne hier das Arbeitsministerium, aber auch das Finanzministerium abgeliefert wird.
Das Patent- und Markenamt liegt uns als Liberalen
ganz besonders am Herzen. Wir sind als Eigentumspartei natürlich auch daran interessiert, daß das geistige
Eigentumsrecht besonders geschützt wird. Damit es geschützt werden kann, bedarf es der besonderen Ausgestaltung des Patent- und Markenamtes. Es ist in der Tat
ein nicht hinnehmbarer Zustand, daß insbesondere im
Markenbereich Stellen fehlen und Markeneintragungen
viel zu spät erfolgen. Darauf sollten Sie Ihr Augenmerk
ganz besonders lenken. Die F.D.P. hat im Ausschuß ent3192
sprechende Anträge gestellt. Wir werden sie hier im
Hause noch beraten. Ich fordere Sie auf, diesen Anträgen zuzustimmen. Dann können Sie zeigen, daß Sie
Hüterin dieses geistigen Eigentums sind.
Meine Damen und Herren, Frau Ministerin, wir danken den Mitarbeitern des Bundesjustizministeriums für
die bislang geleistete Arbeit. Wir werden Ihr Haus und
Sie bei Ihrer Arbeit kritisch, aber auch konstruktiv begleiten.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({6})
Das Wort hat jetzt
der Kollege Christian Ströbele, Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und
Kollegen! Frau Ministerin! Diese Haushaltsdebatte steht
von Anfang an im Schatten des Krieges. Ich denke, auch
bei der Befassung mit dem Haushalt des Justizbereichs
kann man sich diesem Thema nicht ganz entziehen. Ich
will deshalb mit drei Grundsatzfragen, die durch diesen
Krieg auch in der Rechtspolitik aufgeworfen werden,
beginnen. Vielleicht kann man darüber auch eine Diskussion in diesem erlauchten Kreise führen.
Für mich ist es - ich bedauere, daß Herr Minister
Scharping inzwischen gegangen ist; er hat das nämlich
immer wieder angefordert - völlig unbezweifelbar, daß
Menschenrechtsverletzungen aufhören müssen, daß
der Schutz von Menschenrechten, gerade auch der Kosovaren, wirksam durchgesetzt werden muß. Zu den
Menschenrechten rechne ich nicht nur den Schutz vor
Mord, den Schutz vor Vertreibung, den Schutz vor der
Zerstörung der Lebensgrundlagen, sondern auch das
Recht auf Selbstbestimmung, auf Herstellung autonomer
Rechte, auf Freiheit von Unterdrückung. Darüber werden wir uns in diesem Hause wahrscheinlich weitgehend
einig sein; das hoffe ich jedenfalls.
Schwieriger wird es schon bei der Frage, ob Menschenrechte und die Pflicht zum Schutz von Menschenrechten teilbar sind, ob man also sagen kann: In einem
uns nah gelegenen Teil Europas müssen wir eingreifen vom Krieg rede ich gleich - und in einem anderen Teil
können wir zusehen, dahin können wir möglicherweise
sogar Waffen liefern - wie das auch in der Vergangenheit geschehen ist -, die dann zur Unterdrückung, zur
Verletzung der Menschenrechte gebraucht oder mißbraucht werden.
Ganz schwierig wird es bei der Frage: Ist der Krieg,
der jetzt geführt wird, völkerrechtlich berechtigt? Gibt
es eine völkerrechtliche Grundlage? Wir sind uns doch
wahrscheinlich darüber einig, daß ein UNO-Mandat,
das eine völkerrechtliche Grundlage liefern könnte, nicht
besteht. Es gab verschiedene Versuche, die völkerrechtliche Basis zu begründen: Nothilferecht, das Recht auf
Beistand und das höhere Recht des Schutzes der Menschenrechte.
Nach meiner Meinung - aus ihr habe ich nie einen
Hehl gemacht - reichen diese Rechtsgrundlagen nicht
aus, um einen Krieg völkerrechtlich zu rechtfertigen.
Deshalb - damit verlasse ich das Thema - ist es richtig
und wichtig, daß wir sagen, Rechtspolitik ist inzwischen
globale Rechtspolitik und nicht nur Rechtspolitik für die
Bundesrepublik Deutschland. Daher gehört zur Rechtspolitik - das haben wir in der Koalitionsvereinbarung
festgeschrieben -, daß die UNO so reformiert wird - das
ist heute vormittag bereits angesprochen worden -, daß
sie handlungsfähig ist und bleibt und nicht wegen Einzelinteressen einiger Großmächte in der UNO als Mittel
des Völkerrechts blockiert werden kann.
Die Bundesregierung will sich dafür einsetzen - so
steht es auch in der Koalitionsvereinbarung -, das Gewaltmonopol der Vereinten Nationen zu bewahren.
Ich sage nach diesem Krieg: Sie will sich dafür einsetzen, das Gewaltmonopol wiederherzustellen. Das ist eine wichtige, eine zentrale Aufgabe, und ich glaube, es
ist eine der wichtigsten Fragen für Krieg und Frieden in
den nächsten Jahren.
Bundesdeutsche Rechtspolitik ist immer mehr - wir
stellen das im Ausschuß an Hand der Themen fest europäische Rechtspolitik. Wir beschäftigen uns mit
EU-Richtlinien, mit europaweiter Verbrechensbekämpfung oder, wie zuletzt in der Anhörung, mit der Betrugsbekämpfung in der EU. Wenn man aber sagt, wir wollen
eine europäische Staatsbürgerschaft - die haben wir
jetzt, und die meisten von uns wollen sie auch -, dann
müssen wir auch sagen, wir wollen eine europäische
Staatsbürgerschaft, die mindestens soviel wert ist wie
die deutsche Staatsbürgerschaft, das heißt, sie soll auch
mit Grundrechten ausgestattet sein. Deshalb wollen wir
Europa demokratisieren. Wir wollen dem Europäischen
Parlament mehr Rechte geben, und wir wollen für Europa eine Grundrechtscharta. Wir wollen die Grundrechte
in die europäischen Verträge oder vor die europäischen
Verträge schreiben.
Die Frau Ministerin hat dazu vor wenigen Tagen eine
Rede gehalten. Ich finde sie hervorragend. Eigentlich
müßten alle Fraktionen dieses Hauses die Bundesregierung dabei unterstützen, die Diskussion über diese
Grundrechtscharta in Europa auf den Weg zu bringen
und möglichst bald, am besten in dieser Legislaturperiode, spätestens aber in der nächsten, zu einem Abschluß zu bringen, damit wir eine europäische Grundrechtscharta bekommen, die sich etwa an der Charta
der Vereinten Nationen, die auch sonst in vielen Bereichen vorbildlich sind, messen lassen kann. Ich denke,
das ist ein wichtiges Ziel. Wir wünschen der Ministerin
viel Glück dabei und werden sie bei diesen Bemühungen
heftigst unterstützen.
({0})
Rechtspolitik für die Bundesrepublik Deutschland
- davon war bisher im wesentlichen die Rede - besteht
für die neue Regierung, für die neue Koalition zunächst
einmal, wie auch in vielen anderen Bereichen, darin,
Versäumnisse der letzten zwölf Jahre nachzuholen und
Fehler zu korrigieren. Daran arbeiten wir; wir haben
darüber schon mehrfach gesprochen.
Wir müssen Fehler und Fehlentwicklungen nach dem
Einigungsvertrag korrigieren, die zu untragbaren Ungerechtigkeiten bei vielen Menschen in der ehemaligen
DDR führten. Davon sind nicht Hunderte, nicht Tausende
oder Zehntausende, sondern Hunderttausende betroffen,
die jetzt auf rechtliches Handeln warten. Wir haben die
Zusage des Justizministeriums, der Frau Ministerin, daß
das noch in diesem Sommer auf den Weg gebracht wird.
Diese Regelung ist dringend überfällig, weil es mit
jedem Jahr, das ins Land geht, schwieriger wird, noch zu
wirksamen und rechtlich vertretbaren Regelungen zu
kommen. Wir müssen vieles korrigieren, was vorher
lange Zeit gegolten hat.
Reparatur der Rechtspolitik heißt auch, daß wir
Rechtsvorhaben, die zum Teil viele Jahrzehnte alt sind,
nun endlich umsetzen wollen. Einige sind angesprochen
worden, zum Beispiel die Justizreform, die ansteht. Da
geht es nicht in erster Linie darum zu sparen, sondern da
geht es in erster Linie nach meiner Auffassung darum
mehr Gerechtigkeit dadurch herzustellen, daß Gerichtsverfahren so rasch durchgeführt und zu Ende gebracht
werden können, daß die Menschen nicht verstorben sind,
bis ein rechtskräftiges Endurteil steht, daß sie also zu
ihrem Recht kommen.
Bärbel Bohley, die bekannte Bürgerrechtlerin, hat
einmal einen Satz geprägt, der unendlich viel über die
Rechtsordnung der Bundesrepublik aussagt: „Wir haben
Gerechtigkeit gesucht und haben den Rechtsstaat bekommen.“ Der Begriff Rechtsstaat war in diesem Falle
nicht unbedingt nur positiv gemeint; Rechtsstaat hatte in
diesem Punkt vielmehr auch sehr viel mit Rechtsmittelstaat zu tun. Wir wollen die Rechtsordnung so verändern, daß die Gerichte entlastet und somit in die Lage
versetzt werden, in annehmbarer, in angemessener Zeit
zu Endurteilen zu kommen und den Bürgerinnen und
Bürgern - und zwar allen, nicht nur denen, die viele
Rechtsmittelinstanzen finanziell durchstehen können nicht nur das Recht geben, das ihnen zusteht, sondern
ihnen auch Gerechtigkeit zukommen zu lassen.
Das ist die Aufgabe, vor die wir gestellt sind. Es ist
eine große Aufgabe, da haben Sie recht. Es haben sich
schon viele Bundesregierungen daran versucht und sind
zu keinem positiven Ergebnis gekommen. Wir wollen
das anpacken. Ich denke, wir sind auf dem richtigen
Wege. Wir müssen sehen, daß wir die Reform noch in
diesem Jahr soweit voranbringen, daß wir spätestens im
nächsten Jahr erste Ergebnisse vorweisen können.
Im Strafrecht wollen wir das Sanktionsrecht zeitgemäßer gestalten. Die Ministerin hat sich häufig auch Tadel eingehandelt, weil sie eine Reihe von Vorschlägen in
die öffentliche Debatte geworfen hat - die Stichworte
sind Fahrverbot, Strafgeld, elektronische Fußfessel, verstärkter Täter-Opfer-Ausgleich und gemeinnützige Arbeit -, die nicht nur auf Zustimmung gestoßen sind. Ich
finde es gut, daß sich schon seit einigen Monaten Strafverteidigertage, Richtertage und Juristentage intensiv
mit diesen Fragen beschäftigen und daß wir über die
Boulevardzeitungen auch eine Diskussion in der Gesamtbevölkerung darüber haben: Wie kann man im
Sanktionsrecht zu neuen Formen kommen, die die
Richter entlasten, die vor allen Dingen die Gefängnisse
entlasten und die damit auch mehr Gerechtigkeit herstellen können? Die Ministerin hat - das weiß sie auch in einigen dieser Punkte schon jetzt unsere Zustimmung.
Das ist bei der gemeinnützigen Arbeit und auch beim
verstärkten Täter-Opfer-Ausgleich der Fall. Hinsichtlich der anderen Punkte muß man nach der sachkundigen Diskussion entscheiden, was man umsetzen und
verwirklichen kann.
Wir werden alle diese Vorhaben begleiten. Wir sind
aber nicht nur für die Veränderung des Strafrechts, sondern wir wollen auch - das ist, wie ich denke, eine ganz
wesentliche Aufgabe der Rechtspolitik für die Bundesrepublik Deutschland - mehr Freiheit wagen.
Herr Kollege Ströbele, denken Sie bitte an Ihre Redezeit.
Ja, das ist der letzte Punkt. - Wir wollen
auch mehr Freiheit wagen. Wir wollen ein Zeugnisverweigerungsrecht für Journalisten ausbauen, das die
vierte Gewalt stärkt. Wir wollen ein Informationsfreiheitsgesetz und ein Antidiskriminierungsgesetz. Wir
wollen außerdem endlich der aufgeklärten und geläuterten Rechtsauffassung in der Bevölkerung Rechnung
tragen und eine gesetzliche Regelung für gleichgeschlechtliche Partnerschaften schaffen. Lassen Sie uns
aus diesem Rechtsstaat einen Staat machen, von dem
auch Bärbel Bohley und diejenigen, die zu uns in diesen
Staat Bundesrepublik Deutschland gekommen sind,
dann sagen können: Wir haben nicht nur den Rechtsstaat
bekommen, sondern wir haben auch Gerechtigkeit
bekommen.
({0})
Liebe Kolleginnen
und Kollegen, die Kollegin Sabine Jünger, PDS-
Fraktion, will ihre Rede zu Protokoll geben.*) Sind Sie
damit einverstanden? - Ich sehe keinen Widerspruch.
Deshalb erteile ich das Wort jetzt der Bundesministerin
der Justiz, Herta Däubler-Gmelin.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kolle-
gen! Man merkt es in der Tat: Die Haushaltsrunde 1999
neigt sich dem Ende zu. Ich möchte anfangen mit einem
Dank an den Haushaltsausschuß, insbesondere an die
Haushaltsberichterstatter - lassen Sie mich die der
Koalition zuerst nennen - an Carsten Schneider, der
heute seine erste - wie ich finde, sehr eindrucksvolle -
Rede gehalten hat, ganz besonders an Matthias Bernin-
ger, aber auch an die anderen Kolleginnen und Kolle-
gen. Denn wir können feststellen: So klein der Etat des
Bundesministers der Justiz auch ist, so deutlich ist doch,
daß es eine Änderung, eine Akzentverschiebung, eine
andere Weichenstellung gegeben hat. Ich finde das gut.
------------
*) Anlage 3
Natürlich bin ich der Auffassung, daß wir eine angemessene Ausstattung brauchen, um die Aufgaben des
Bundesministeriums der Justiz mit all dem, was Sie
heute zu Recht angemahnt haben, effizient und angemessen erfüllen zu können. Wir haben - das ist, glaube
ich, sehr deutlich herauszuheben - durch den Regierungswechsel erreicht, daß die ständige Streichorgie der
vergangenen Jahre aufgehört hat und daß wir gegenüber
dem Waigel-Entwurf eine Steigerung - wenn auch eine
sehr maßvolle - bekommen haben. Diese Steigerung
bewegt sich - mühsam ernährt sich das Eichhörnchen im Bereich von etwa 10 Millionen DM. Gemessen an
dem Ansatz von Herrn Waigel ist das, was der Haushaltsausschuß beschlossen hat, besser. Dafür bedanke
ich mich. Sie werden sehen: Der Dank ist immer der erste Schritt zu einer Bitte; die kommt später.
Ich bin der Meinung, daß die Finanzierungsentscheidungen deutlich machen, daß die Rechtspolitik andere
und, wie ich glaube, notwendige und richtige Akzente
bekommen hat. Ich meine damit nicht nur, daß man den
Titel der Wehrstrafgerichtsbarkeit - das alte Ärgernis
- endlich gestrichen hat. Das hätten Sie in den letzten 16
Jahren wirklich machen können; wie Sie wissen, war ich
immer dafür. Es geht auch darum - Herr Schneider hat
das schon erwähnt -, daß bei der Teilfinanzierung des
Büros des Täter-Opfer-Ausgleichs oder auch der Teilfinanzierung des Deutschen Forums für Kriminalprävention sehr deutlich gemacht wird, daß wir im Bereich
Strafen, Strafvollzug und Strafrechtspolitik in den letzten Jahren in der Sackgasse, an der Brandmauer angekommen waren.
Wir wissen ganz genau, daß die Landesjustizminister
neue Gefängnisse bauen müssen, und zwar in allen
Ländern. Bayern - um das nicht zu vergessen - spricht
beim Bau von Strafanstalten sogar von einem „Strafvollzug light“. Gleichzeitig klagen alle darüber, daß die
Überfüllung der Gefängnisse dramatisch zunehme und
daß der Resozialisierungsvollzug, auf den wir doch im
Interesse der Opfer dringend angewiesen sind, praktisch
nicht mehr möglich sei.
Daraus ziehen wir in mehrfacher Weise die Konsequenzen: auf der einen Seite mit den Finanzierungsentscheidungen, über die ich bereits gesprochen habe und
die heute schon dargelegt wurden, und auf der anderen
Seite - ich bin dem Kollegen Ströbele sehr dankbar, daß
er darauf hingewiesen hat - mit alternativen Strafsystemen. Das muß einer der Schwerpunkte sein. Ich erwähne das, weil ich Sie darum bitte, in den nächsten
Jahren diesen Weg mit uns zu gehen. Wir bitten Sie,
nicht - wie es jetzt schon wieder der Fall ist - jeden Tag
ein neues Gesetz einzubringen, nach dem dieses oder jenes schärfer bestraft werden soll. Wir müssen statt dessen Schwerpunkte bilden, zielgenau vorgehen und alternative Strafen vorsehen. Das wird noch eine Menge
Diskussion hervorbringen. Wir werden uns bemühen,
die Diskussionen sachlich so vorzubereiten, daß wir uns
einigen können.
Die Zielsetzung aber muß klar sein: Wir müssen weg
von dem alleinigen Strafmodell „Entweder Geldstrafe
oder Knast“. Die Annahme „Je mehr Knast, desto deutlicher der Kriminalitätsschutz“ ist nicht richtig. Wir
müssen ganz klar sagen: Unsere Gesetze sind dazu da,
befolgt zu werden. Wir müssen aber neben Geldstrafe
und Knast andere Sanktionen dort einsetzen, wo das
möglich ist, wo wir sie brauchen und wo sie wirksam
sind.
({0})
Ich darf das aufgreifen, was Sie, sehr verehrter Herr
Kollege Henke - ich bedanke mich bei Ihnen ebenso wie
bei Dr. Hoyer in ganz besonderer Weise für die Unterstützung -, gesagt haben: Man muß bei der Umsetzung
dessen, was der Finanzminister verkündet hat, überlegen, wo sinnvollerweise gespart werden kann. Lassen
Sie mich eines erwähnen: Wir hätten es auch im Bereich
des Justizhaushaltes viel leichter, wenn die Situation
nicht so wäre, wie sie jetzt nach 16 Jahren der Koalition
aus CDU, CSU und F.D.P. ist.
Natürlich werden wir ganz deutlich machen müssen,
daß zukünftige Personalkürzungen im Bereich des
Bundesjustizministeriums bedeuten, daß Aufgaben, die
- Sie alle haben darauf hingewiesen - dringend erforderlich sind, nicht mehr erfüllt werden können. Deswegen habe ich die Bitte, daß Sie mit uns dafür sorgen, daß
sie in Zukunft möglich werden.
Sie haben alle - auch dafür bedanke ich mich, und ich
werde es selbstverständlich weitersagen - die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Bundesministeriums der
Justiz deutlich gelobt. Ich halte dieses Lob für völlig berechtigt. Aber dieses reicht nicht, sondern dem Lob muß
dann auch ein Eintreten für angemessene Arbeitsbedingungen und da, wo es sinnvoll und für die Aufgabenerfüllung notwendig ist, auch für eine Vermehrung der
Stellen folgen.
Ganz besonders gilt das neben dem Bereich des Bundesministeriums der Justiz, wo wirklich - das wissen Sie sehr sparsam gewirtschaftet wird, für den Bereich des
Deutschen Patent- und Markenamtes. Auch da gilt
wieder: Wir hätten es leichter, wenn nicht in den letzten
Jahren Schritt für Schritt die Kapazität zurückgefahren
worden wäre. Ich bin dem Haushaltsausschuß dankbar,
daß wir auch hier eine Akzentverschiebung hinbekommen haben, daß wir wissen, es geht wieder aufwärts.
Aber es wird nicht reichen. Völlig richtig ist: Wir werden uns etwas Neues einfallen lassen müssen. Wir haben
schon darüber geredet, wir haben auch die entsprechende fachliche Unterstützung. Aber daß wir darauf achten
müssen, daß Erfindungen in unserem Lande gut betreut
werden, daß wir die Patentprüfung und die Anmeldungsfristen effizienter gestalten müssen, ist gar keine Frage.
Natürlich müssen wir auch darauf sehen, daß die internationale Wettbewerbsfähigkeit des deutschen Patentsystems deutlich gemacht wird. Ich glaube, da werden Sie
mir alle zustimmen.
Nur: Dazu braucht man Investitionen nicht nur in die
EDV, sondern dazu braucht man auch Investitionen in
die Menschen. Für eine vernünftige Organisationsreform
und das, was dazugehört, sorgen wir schon.
Ich habe den Eindruck, meine Damen und Herren,
daß wir für die nächsten Jahre viel zu tun haben. Lassen
Sie mich einen Punkt aufgreifen. Lieber Herr Henke, Sie
wissen ganz genau, daß beim Umbau des Reichsgerichtsgebäudes für das Bundesverwaltungsgericht das
Bundesministerium der Justiz eigentlich nur Durchlaufstelle ist. Der Streit, von dem Sie zu Recht gesprochen
haben, war auf der einen Seite der mit den für den Bau
Verantwortlichen, die gesagt haben, es koste mehr, und
auf der anderen Seite der mit dem Bundesministerium
der Finanzen, von dem gesagt wurde, es koste weniger.
Ich sage Ihnen, was mein Interesse ist: Wir müssen
das Reichsgerichtsgebäude funktional und würdig als
einen der Mittelpunkte der Stadt Leipzig umbauen. Darüber gibt es keinen Zweifel.
({1})
Wer dann hinterher in bezug auf das, was es gekostet
hat, recht hat, darüber können wir uns dann unterhalten.
Für mich ist am wichtigsten, daß die Planung jetzt nicht
umgestellt werden muß. Wenn die Planung angehalten
werden müßte, wenn neu ausgeschrieben werden müßte
- der Haushaltsausschuß hat ja Gott sei Dank gesagt,
daß das nicht der Fall sei -, dann, meine Damen und
Herren, würde das bedeuten, daß die Funktion des Bundesverwaltungsgerichts in der Tat sehr eingeschränkt
wäre. Damit wäre ich nicht einverstanden. - Bitte schön.
Ich brauche gar nicht
mehr zu fragen; die Frau Ministerin gestattet eine Frage.
Frau Ministerin,
wir stimmen ja in dem, was Sie sagen, und dem, was ich
gesagt habe, völlig überein. Aber stimmen Sie mit mir
auch darin überein, daß es doch notwendig wäre, regierungsseitig vielleicht eine Stelle, eine Instanz zu schaffen, die in irgendeiner Weise klärt, koordiniert, abstimmt, bevor dann ein solches Projekt mit einem geänderten Ansatz Eingang in den Haushaltsentwurf und in
den Antrag an den Haushaltsausschuß findet?
In dem Antrag war es schon noch richtig. Aber es
ist im Laufe der Diskussionen des Haushalts - Herr
Henke, das wissen Sie auch - leider Gottes etwas verunklart worden. Daß Sie diese Kritik hier bei mir abladen gut, ich habe ein relativ breites Kreuz -, das gehört sich
in einer solchen Debatte; daß es nicht zutrifft, wissen Sie
auch. Daß man hergehen und das Reichsgerichtsgebäude
jetzt so umbauen muß, daß das Bundesverwaltungsgericht fristgerecht und vernünftig einziehen und seine Arbeit tun kann und daß das Gebäude gut aussieht, das ist
klar.
Jetzt lassen Sie mich noch etwas sagen: Wir haben im
letzten halben Jahr ziemlich viel von dem repariert, was
Sie uns übriggelassen haben. Das DNA-Gesetz war
einer der Punkte.
({0})
- Lieber Herr Dr. Hoyer, auch wenn Sie es nicht gerne
hören, stimmt es doch.
Ein weiterer Bereich ist Europa, auf den der verehrte
Kollege Funke hingewiesen hat. Herr Henke, Sie waren
so freundlich, darauf hinzuweisen, daß hier eine Reihe
von Richtlinien umgesetzt werden müßten. Völlig richtig! Aber das sind alles Dinge, die schon längst hätten
umgesetzt werden müssen.
({1})
Sie haben zu Unrecht gesagt, daß wir auf Grund unserer ideologischen Vorgaben bei der Überweisungsrichtlinie - als ob man bei Banküberweisungen ideologisch sein könnte! - über die eigentliche Zielsetzung
hinausgehen. Wir haben lediglich festgestellt, daß zwischen einer Überweisung ins Ausland und einer Überweisung im Inland kein Unterschied gemacht werden
darf. Die Beseitigung dieses Unterschieds haben Sie,
Herr Funke, als Sie Staatssekretär waren, noch nicht
einmal erwogen.
Wissen Sie, was ich besonders drollig finde? - 1993
hätten Sie die GmbH & Co-Publizitätsrichtlinie umgesetzt haben müssen. Nicht ein fernes Europa hat Ihnen
oktroyiert, diese Richtlinie umzusetzen; vielmehr haben
auch die Minister der Bundesrepublik dies mitbeschlossen. Sie haben diese Richtlinie nicht umgesetzt. Am 22.
April dieses Jahres hat der EuGH die Bundesrepublik
Deutschland verurteilt, diese Richtlinie umzusetzen. Das
ist ein Ärgernis. So etwas tut man nicht, schon gar nicht,
wenn Sie so viel auf Europa setzen, wie Sie immer behaupten.
({2})
Aber der Höhepunkt ist, daß ich von meinem verehrten
Kollegen, den ich so schätze, eine Presseerklärung,
nachdem ich darauf hingewiesen habe, daß die Richtlinie umgesetzt werden muß, erhalte, in der ich ermahnt
werde. Ich muß diese Erklärung vorlesen - sie ist wirklich zu hübsch -:
Die Justizministerin sollte lieber deutsche Interessen vertreten, als mittelständische Unternehmen zu
beschimpfen.
Die Presseerklärung beinhaltet den Hinweis, daß ich lieber eine sachgerechte Änderung der Richtlinie durchsetzen sollte. Merke: Ich soll eine Richtlinie durchsetzen,
die sein Minister mit unterschrieben hat! Das ist wirklich drollig.
({3})
- Davon kann keine Rede sein. Ich setze lediglich das
um, was mir durch Urteile vorgegeben ist. Das wissen
Sie auch ganz genau.
So etwas macht einem natürlich mehr Arbeit als nötig. Aber ich möchte mich ausdrücklich für diese Presseerklärung bedanken. Ich fand sie wirklich drollig.
({4})
Ich danke, daß vorhin die Grundrechtscharta erwähnt wurde. Wir wollen erreichen, daß in Europa die
Entscheidungen für eine soziale und rechtsstaatliche
Demokratie, die wir schon seit langem auf nationaler
Ebene getroffen haben, ebenfalls durchgesetzt werden.
In diesem Zusammenhang ist eine Grundrechtscharta
genau das, was wir wollen. Wir wollen diese Initiative in
einem Monat beim Europäischen Rat in Köln einbringen. Wir erhoffen uns dafür eine sehr große Mehrheit.
Bei den Vorarbeiten zur Justizreform, die Sie angesprochen haben, sind wir glücklicherweise zusammen
mit den Ländern - übrigens mit Baden-Württemberg
und Bayern; um das gleich zu erwähnen - einen guten
Schritt vorangekommen. Ich hoffe, daß wir ähnlich wie
bei der Ausgestaltung des Sanktionensystems hier bald
in die Sachentscheidungen eintreten können.
Lassen Sie mich den Dank, den ich am Anfang meiner Rede ausgesprochen habe, wiederholen. Aber bitte
denken Sie auch an meinen Satz: Jeder Dank ist immer
die erste Stufe für die nächste Bitte. Ich kann Ihnen garantieren: Diese Bitte wird in der Tat bei der Verabschiedung des nächsten Haushalts geäußert werden.
Wenn wir das durchsetzen wollen, was Sie alle gemeinsam gefordert haben, dann brauchen wir dringend Ihre
Hilfe. Ich fände es sehr schön, wenn wir sie bekommen
würden.
Herzlichen Dank.
({5})
Letzter Redner in
dieser Debatte ist der Kollege Norbert Geis, CDU/CSUFraktion.
Frau Präsidentin! Meine
sehr verehrten Damen und Herren! Wir feiern in den
kommenden Wochen das 50jährige Bestehen unserer
Verfassung. Sie ist die freiheitlichste Verfassung - das
ist heute schon betont worden -, die wir je in unserer
Geschichte hatten. Sie gehört zu den freiheitlichsten
Verfassungen in der ganzen Welt. Als der Ostblock zusammengebrochen ist, haben viele der dann wieder auferstandenen Länder unsere Verfassung als Vorlage verwendet, um die eigenen staatlichen Verhältnisse zu ordnen.
Unsere Verfassung beginnt mit dem klassischen Satz:
„Im Bewußtsein seiner Verantwortung vor Gott und den
Menschen ...“ Damit ist dem säkularisierten Staat, wie
ich meine, eine Grundrichtung vorgegeben worden, die
er beachten muß, wenn er sich nicht selbst untreu werden will. Zu dieser Grundrichtung gehört die besondere
Hervorhebung des Rechtes auf Leben und die besondere Hervorhebung des Schutzes von Ehe und Familie.
Frau Ministerin, Sie haben in den letzten Wochen
dankenswerterweise das Problem der Spätabtreibungen
aufgegriffen. Sie haben vorgeschlagen, die Spätabtreibungen von behinderten Kindern über das Standesrecht
zu regeln. Das heißt, über das Standesrecht soll Sorge
dafür getragen werden, die Spätabtreibungen behinderter
Kinder, die außerhalb des Mutterleibes schon lebensfähig wären, zu verhindern oder zumindest ihre Anzahl zu
reduzieren. Ich danke Ihnen dafür ausdrücklich.
Ich glaube aber nicht, daß man dieses Ziel durch das
ärztliche Standesrecht erreichen kann. Man sollte das
diskutieren. Ich glaube auch nicht, daß es richtig wäre,
die 22-Wochen-Frist, die wir 1995 aus ethischen Gründen abgeschafft haben, wieder einzuführen. Es wird
letztendlich nur gelingen, diesem Anliegen gerecht zu
werden, wenn wir versuchen, die derzeit weitgefaßte
medizinische Indikation präziser zu formulieren.
Das Verfassungsgericht hat uns in seinem Urteil vom
28. Mai 1993 - auf Grund dieses Urteils ist die jetzige
Beratungsregelung eingeführt worden - aufgegeben,
nach einer geraumen Zeit zu prüfen, ob diese Beratungsregelung tatsächlich zu einem besseren Schutz der ungeborenen Kinder führt. In diesem Jahr sind seit dieser
Entscheidung sechs Jahre vergangen. Ich halte den Lebensschutz für eine fundamentale Frage, in der es um
einen wichtigen Auftrag unserer Verfassung geht. Auch
das Justizministerium sollte sich daher im nächsten Jahr
um die Prüfung dieser Frage bemühen.
Im Zusammenhang mit der Verfassung stellt der
Schutz von Ehe und Familie einen weiteren wichtigen
Punkt dar. Wir sehen in dem Vorhaben der Grünen - die
Ministerin sieht es anders -, die gleichgeschlechtlichen
Lebensgemeinschaften den ehelichen Lebensgemeinschaften gleichzustellen, den Versuch, diese Grundrichtung unserer Verfassung zu verwässern. Dem werden
wir uns entgegenstellen. Wir werden versuchen, das
nicht zuzulassen. Insoweit warten wir den Gesetzentwurf ab. Dies möchte ich dazu bei dieser Gelegenheit
sagen.
Frau Ministerin, Sie haben in den letzten Wochen mit
Recht - Herr Ströbele hat das aufgegriffen - eine Grundrechtscharta für Europa gefordert. Wir unterstützen Sie
in diesem Anliegen. Wir meinen aber, daß es nicht um
eine Grundrechtscharta gehen kann, sondern daß es um
einen Verfassungsvertrag für Europa insgesamt gehen
muß. Wir meinen, daß der Vorschlag, den die CDU auf
dem Erfurter Parteitag gemacht hat, richtig ist, eine
Gruppe von Experten zu benennen, die sich Gedanken
darüber macht, wie ein solcher Verfassungsvertrag für
Europa gewichtet sein soll. Es geht um die Frage, was
die Europäer eigentlich zusammenhält, was die Werte
Europas sind und wie wir diese Werte in einer Verfassung umsetzen können. Ich halte diese Forderung des
Erfurter Parteitages für sehr richtig. Dies möchte ich hier
unterstreichen.
({0})
In diesem Zusammenhang möchte ich kurz auf das
eingehen, was Sie aus der Presseerklärung, die ich verfaßt habe, zitiert haben. Frau Ministerin, uns ist es bei
dieser Richtlinie um den Schutz unserer mittelständischen Unternehmen gegangen. Wir haben in Deutschland anders als in vielen anderen europäischen Ländern
viel mehr mittelständische Unternehmen, die Personengesellschaften sind und die deshalb - es geht bei dieser
Richtlinie um Offenlegung der Bilanzen - nach meiner
Auffassung nicht wie die Aktiengesellschaften dazu
verpflichtet sind, ihre Bilanzen offenzulegen. Gewöhnlich muß der Unternehmer selbst für seine Entscheidungen einstehen. Diese Entscheidungen gehen im Grunde
genommen keinen Dritten etwas an. Wenn wir uns auf
diesem Gebiet sehr reserviert verhalten haben, wenn wir
versucht haben, den mittelständischen Unternehmen tatsächlich einen Dienst zu erweisen, dann sollte man das
nicht abqualifizieren. Meine Bitte an Sie war, das zu tun,
was uns zugegebenermaßen nicht gelungen ist: Unternehmen Sie während der EU-Präsidentschaft noch einmal einen Versuch, um in dieser Richtlinie die deutschen Interessen, die insgesamt eine Besonderheit im
Vergleich zu den übrigen europäischen Ländern darstellen, besser zu berücksichtigen. Vielleicht gelingt es
Ihnen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, der Kosovo-Konflikt wirft natürlich seine Schatten auch auf die
Rechtspolitik. Wir erleben in diesen Tagen, wie in der
Bundesrepublik Deutschland wiederum Plakate mit der
Parole „Soldaten sind Mörder“ aufgehängt werden. Wir
halten dieses Vorgehen für eine schlechte Sache und
verurteilen es. Unsere Soldaten, die wirklich Leib und
Leben wagen, werden durch solche Plakate beschimpft
und fühlen sich auch getroffen; das wissen wir. Deswegen wollen wir den Gesetzentwurf, über den wir in der
letzten Legislaturperiode keinen Beschluß gefaßt haben,
den wir aber im Ausschuß bereits beraten und verabschiedet hatten, wieder vorlegen, um einen besseren Ehrenschutz für die Soldaten zu erreichen.
Lassen Sie mich noch ein Wort zur inneren Sicherheit
sagen; das ist, wie ich meine, nach wie vor ein wichtiges
Thema der Rechtspolitik. Ich habe kein Verständnis dafür, daß im Rahmen der Diskussionen zum 50jährigen
Bestehen unserer Verfassung immer wieder Stimmen
laut werden, die sagen, mit der Einführung der Wohnraumüberwachung sei ein Angriff auf unseren Rechtsstaat geschehen. Wir wollten mit diesem Gesetz und mit
der Änderung von Art. 13 des Grundgesetzes nichts anderes, als den Schutz der Freiheit unserer Bürger erreichen. Das müssen endlich einmal die anerkennen, die
meinen, wir hätten damit einen Anschlag auf unseren
Rechtsstaat verübt. Das hatten wir nie im Sinn, und das
war nie unsere Absicht.
({1})
Im Zusammenhang mit der inneren Sicherheit ist
auch davon zu sprechen, daß die Schwerkriminalität bekämpft werden muß. Wir sind der Meinung, daß für die
Zulassung der Telefonüberwachung endlich auch die
Gründe ausreichen sollten, die wir schon bei den Beratungen über die Wohnraumüberwachung verabredet
hatten. Wir haben jetzt einen Gesetzentwurf zur Einbeziehung der Korruption und des schweren sexuellen
Mißbrauchs in die Verdachtstatbestände bei der Telefonüberwachung vorgelegt. Ich hoffe sehr, daß wir zusammen mit Ihnen, meine Damen und Herren von der
SPD, hier zu einer Einigung kommen. Diese hatten wir
ja vor anderthalb Jahren schon einmal hergestellt.
Wenn wir uns Gedanken über die innere Sicherheit
machen, sollte auch ein Wort zur sogenannten Alltagsoder Kleinkriminalität gesagt werden. Wenn wir an
Straßenecken, auf Schulhöfen oder auch in der Nähe von
Fixerstuben, in deren Umfeld ja sehr oft eine offene
Szene entsteht, Kleindealereien zulassen, dann werden
wir uns ganz schnell einer Rauschgiftkriminalität gegenübersehen, der wir nicht mehr Herr werden. Deswegen muß dem schon von Anfang an entgegengewirkt
werden. Das gleiche gilt auch für die Verwahrlosung
von öffentlichen Anlagen, für Graffitischmierereien und
natürlich auch für den Ladendiebstahl.
Gegen diese „kleinen“ Delikte, über die Sie lächeln
mögen, müssen wir wirklich ernsthaft vorgehen, um zu
verhindern, daß unsere Bürgerinnen und Bürger enttäuscht werden, sich abwenden, in gewissem Maße von
der Öffentlichkeit absondern und sozusagen in eine innere Immigration begeben und sich vor allen Dingen
- darin sehe ich eine echte Gefahr - nicht mehr mit ihrer
Umwelt identifizieren. Wir laufen Gefahr, dadurch ein
Klima zu schaffen, das Kriminalität noch mehr ermöglicht. Ich bitte Sie wirklich einmal, dieses Anliegen so
zu sehen und Ihre Polemik wegzulassen. Versuchen Sie
doch einmal zu verstehen, um was es uns dabei geht.
({2})
- Gut, wenn Sie nicht polemisch waren,entschuldige ich
mich.
Ein letztes Wort noch: Zum Bereich der inneren Sicherheit gehört natürlich auch der Strafvollzug. Hier besteht ja auf Grund des Beschlusses vom 1. Juli 1998,
wonach wir die Arbeit von Gefängnisinsassen besser zu
bewerten haben, Diskussionsbedarf. § 200 des Strafvollzugsgesetzes wurde für verfassungswidrig erklärt;
also müssen wir eine Regelung finden. Hierzu gibt es ja
bereits auch Überlegungen im Justizministerium. Wir
werden Sie, Frau Ministerin, wie ich denke, bei Ihren
Vorhaben unterstützen können, zum einen eine bessere
Bezahlung durchzusetzen und zum anderen so etwas wie
eine Good-time-Regelung vorzusehen, gemäß der durch
Arbeitsleistung ein Teil der Gefängnisstrafe - allerdings
in einem vernünftigen Rahmen; darüber müssen wir
noch diskutieren - erlassen werden kann.
Ich meine, daß wir in diesem Zusammenhang auch
einen Blick auf den Strafvollzug insgesamt werfen sollten. Frau Präsidentin, dies ist mein letzter Punkt. Ich
halte sehr viel von dem Ziel der Resozialisierung, weil
ein resozialisierter Täter nicht so schnell rückfällig wird.
Insofern ist in der Tat die Resozialisierung die beste
Verbrechensbekämpfung.
({3})
Auf der anderen Seite darf man aber nicht blauäugig
sein. Wir haben in Gefängnissen oft den Zustand, daß
dort Häftlinge aus 100 Nationen vertreten sind aus unterschiedlichen Kulturkreisen, mit unterschiedlichen
Wertvorstellungen, mit unterschiedlichen Religionen,
vor allen Dingen mit unterschiedlichen Sprachen. Da
wird es sehr schwer sein, dem Resozialisierungsgedanken gerecht werden zu können. Deswegen ist es unser
Anliegen, daß in § 2 des Strafvollzugsgesetzes, in welNorbert Geis
chem bestimmt ist, daß die Resozialisierung an erster
Stelle zu stehen hat - so jedenfalls kann man § 2 auslegen -, auch die Sicherheit der Bevölkerung aufgenommen wird.
Frau Ministerin, ich denke, daß wir in vielen Fragen versuchen können, zu einer gemeinsamen Regelung zu finden. Wir unterscheiden uns allerdings auch
in sehr vielen elementaren Fragen der Rechtspolitik.
Das ist nun einmal so zwischen Opposition und Regierungspartei.
Danke schön.
({4})
Herr Kollege Geis,
Ihr letzter Punkt war noch ganz schön lang.
Jetzt erteile ich der Kollegin Herta Däubler-Gmelin
zu einer Kurzintervention das Wort.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich habe mich
nur deswegen gemeldet, weil der verehrte Kollege Geis
mich in zwei Punkten, die auch mir ganz besonders
wichtig sind, angesprochen hat.
Ich bedanke mich zunächst einmal dafür, daß Sie klargestellt haben, worum es Ihnen eigentlich in der Presseerklärung bei der Umsetzung der GmbH & Co-Richtlinie
geht.
Wenn es Ihnen um den Schutz des Mittelstands und nur
um Personengesellschaften geht, dann glaube ich in der
Tat, daß das auf einem Mißverständnis beruht. Dann
werden wir zusammenkommen, weil die Publizitätspflicht ja nur für solche Personengesellschaften besteht,
deren persönlich haftende Gesellschafter Kapitalgesellschaften sind. Das heißt, in diesem Punkt müssen wir
nachbessern. Hier hat der EuGH die Bundesrepublik
verurteilt. Das ist das, was wir tun. Möglicherweise
kommen wir da zusammen.
Der zweite Punkt betrifft die Spätabtreibungen. Ich bin
wirklich der Meinung, wir werden uns damit in der
kommenden Zeit sehr sorgfältig befassen müssen. Ich
bin deswegen dankbar für das, was Sie gesagt haben.
Warum? Es handelt sich hierbei nicht alleine um die
schrecklichen Erscheinungen, von denen wir lesen, sondern es sind auch besonders tragische Fälle. Wir dürfen
bitte nicht vergessen: Das hat alles mit der Diskussion
um die Frage, die uns möglicherweise trennt und die
sich auf Schwangerschaftsabbrüche bezieht, nichts zu
tun, sondern es handelt sich hierbei immer um Frauen,
um Mütter, um Eltern, die sich bewußt für das Kind entschieden hatten und die dann auf der Basis von pränataler Diagnostik erfahren haben, daß mit einer schweren
Behinderung oder Krankheit des Kindes zu rechnen ist.
Jetzt ist die Frage, wie wir hier vorgehen. Ich habe Ihren Worten entnommen - und ich bin dankbar für diese
Aussage -, daß wir eine eugenische Indikation nicht einführen. Ich muß Ihnen sagen: Ich mache da auch nicht
mit. Wir führen auch keine embryopathische Indikation
ein. Es ist aber fraglich, ob wir die medizinische Indikation einschränken können. Ich fürchte, daß das gar nicht
gehen wird, weder zeitlich noch begrifflich.
Weil diese Probleme so groß sind, habe ich mich dazu entschlossen - dazu möchte ich Sie auch herzlich
einladen -, eine Expertenkommission einzusetzen, die
uns sagt, was man wirklich tun kann, um das eine, nämlich diese schrecklichen Spätabtreibungen, nicht mehr
geschehen zu lassen, aber auf der anderen Seite auf die
Frauen, die sich auf ihr Kind gefreut haben, aber jetzt
eben ein ernsthaft an Leben und Gesundheit beeinträchtigtes Kind erwarten, nicht zu viel Druck auszuüben.
Das habe ich gesagt. Das ist eine ganz schwierige Situation, und ich danke Ihnen, wenn Sie da mitmachen.
Das, Frau Präsidentin, wollte ich noch sagen.
Danke schön.
({0})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zu den Abstimmungen. Wir stimmen
zunächst über den Einzelplan 07, Bundesministerium
der Justiz, ab. Wer stimmt für den Einzelplan 07 in der
Ausschußfassung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Damit ist der Einzelplan 07 gegen die Stimmen
von CDU/CSU und F.D.P. bei Enthaltung der PDS mit
den Stimmen der Koalitionsfraktionen angenommen.
Wir kommen zur Abstimmung über den Einzelplan 19, Bundesverfassungsgericht. Wer stimmt für diesen Einzelplan in der Ausschußfassung? - Wer stimmt
dagegen? - Enthaltungen? - Damit ist der Einzelplan 19
einstimmig angenommen.
Wir sind damit am Schluß unserer Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Donnerstag, den 6. Mai 1999,
9.30 Uhr ein.
Die Sitzung ist geschlossen.