Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 5/5/1999

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Sitzung ist eröffnet. Heute vor 50 Jahren, am 5. Mai 1949, wurde in London der Europarat gegründet. Seine Gründungsmitglieder waren Belgien, Dänemark, Frankreich, Irland, Italien, Luxemburg, die Niederlande, Norwegen, Schweden und das Vereinigte Königreich. Nur wenige Monate später, im August 1949, traten ihm auch Griechenland und die Türkei bei. Sämtliche an der Gründung beteiligte Staaten erfüllte der Gedanke, Europa müsse sich nach den Schrecken des zweiten Weltkrieges und angesichts einer neuen, in seinem östlichen Teil erstarkenden totalitären Bedrohung enger zusammenschließen, um den geistigen, politischen und wirtschaftlichen Herausforderungen gewachsen zu sein. Dabei wußten sich die Gründungsstaaten einig, daß ein solcher Zusammenschluß nur auf der Grundlage von Menschenrechten, Demokratie, Freiheit und Rechtsstaatlichkeit sowie des Strebens nach wirtschaftlichem und sozialem Fortschritt möglich sei. Die Bundesrepublik Deutschland trat dem Europarat 1950 zunächst als assoziiertes, 1951 als Vollmitglied bei - eine Entscheidung, die in der Öffentlichkeit nicht unumstritten war. Einige fürchteten - wie Kurt Schumacher -, die Mitgliedschaft im Europarat könne die Einheit Deutschlands erschweren. Der Eintritt in den Europarat war der erste Beitritt der Bundesrepublik Deutschland zu einer internationalen politischen Organisation nach dem zweiten Weltkrieg, und er hat den Weg frei gemacht für die verantwortliche Mitwirkung und Einbindung der Bundesrepublik bei der politischen Gestaltung eines freiheitlichen und demokratischen Europa, dem heute ganz Deutschland angehört. Ich bin sicher, daß es nicht zuletzt diese Erfahrung der Integration und der verantwortlichen Beteiligung der Bundesrepublik war, die unser Land nach dem Ende des Kommunismus bestärkt hat, die ebenfalls nicht unumstrittene rasche politische Erweiterung des Europarats nach Kräften mit voranzutreiben. Den neuen Demokratien Mittelost- und Südosteuropas wurde die Chance eröffnet, sich über den Europarat aktiv in die europäische Wertegemeinschaft zu integrieren und zugleich entscheidende politische Unterstützung beim Aufbau ihrer demokratischen und rechtsstaatlichen Strukturen zu erfahren. Für den schwierigen Prozeß der Transformation war dies unerläßlich. Trotz mancher Kritik an der unzureichenden Umsetzung eingegangener Verpflichtungen durch einzelne Staaten hat sich die Erweiterung als der, wie ich meine, einzig richtige und auch erfolgreiche Weg erwiesen. Wer heute Bilanz zieht, wird erkennen müssen, daß sich der Europarat nicht nur bei der Bewältigung der neuen Aufgaben bewährt, sondern auch seine Fähigkeit zur rechtlich-institutionellen Weiterentwicklung bewiesen hat. Ich erinnere in diesem Zusammenhang an die wohl wichtigste Neuerung der vergangenen Jahre, die Schaffung eines einheitlichen und ständigen Gerichtshofs für Menschenrechte, der im November des vergangenen Jahres seine Arbeit aufgenommen hat und an den sich nunmehr jeder der 770 Millionen Bürger der Mitgliedstaaten des Europarates direkt wenden kann. Vergessen wir auch nicht, daß bereits die Europäische Menschenrechtskonvention von 1953, jenes grundlegende Dokument des Europarates, das Recht der Individualbeschwerde vorsah, das an sich schon einen Durchbruch in der Geschichte des Völkerrechts darstellt. Mehr als 170 Konventionen hat der Europarat in den vergangenen fünf Jahren verabschiedet, darunter die Europäische Sozialcharta, die als eine Art Pendant zur Menschenrechtskonvention den Schutz wirtschaftlicher und sozialer Grundrechte sichert, dann die Europäische Konvention zum Schutz vor Folter und unmenschlichen oder erniedrigenden Strafen; ebenso die Rahmenkonvention zur Bioethik. Besondere Aufmerksamkeit verdient das unermüdliche Eintreten des Europarates für die Rechte nationaler Minderheiten und Volksgruppen, das seinen Niederschlag in der 1994 verabschiedeten Rahmenkonvention zum Schutz nationaler Minderheiten und der Charta zum Schutz der Regional- und Minderheitensprachen gefunden hat. Kaum etwas vermag die Aktualität und bleibende Bedeutung des Europarates besser vor Augen zu führen als gerade dieses Engagement zugunsten ethnischer Gruppen und bedrohter Minderheiten. Vergessen wir nicht, daß es die gemeinsam entwickelten und von allen Mitgliedstaaten anerkannten völkerrechtlichen Normen und menschenrechtlichen Standards des Europarates sind, die wir heute gegenüber der Bundesrepublik Jugoslawien einfordern und verteidigen. Der Minderheitenschutz und die Situation in Kosovo haben gerade auch in den Debatten der Parlamentarischen Versammlung des Europarates eine wichtige Rolle gespielt. Man kann daher auch nicht vom Europarat sprechen, ohne die Bedeutung seiner Parlamentarischen Versammlung hervorzuheben. Mit Delegationen aus 40 Ländern - mit der vor wenigen Tagen vollzogenen Aufnahme Georgiens in den Europarat wird eine weitere hinzukommen - bildet die Parlamentarische Versammlung nicht nur das größte parlamentarische Forum Europas, sondern auch eine der wichtigsten Stätten der Auseinandersetzung über Aufgaben und Herausforderungen der Zukunft. Ich denke, wir haben daher allen Grund, den Kolleginnen und Kollegen des Deutschen Bundestages, die Mitglieder der Parlamentarischen Versammlung des Europarates waren und sind, für ihre Arbeit zu danken und ihnen auch weiterhin unsere ausdrückliche Unterstützung zuzusichern. ({0}) Ein halbes Jahrhundert nach seiner Gründung ist der Europarat nach wie vor Hüter des gemeinsamen europäischen Erbes von Demokratie, Freiheit und Menschenrechten. Seine in 50 Jahren erworbene große Autorität, seine weitreichende Erfahrung und die immer wieder unter Beweis gestellte Fähigkeit zur Anpassung an neue Herausforderungen bleiben unverzichtbar, wenn es darum geht, am Ende dieses Jahrhunderts gemeinsam mit anderen europäischen Institutionen, wie der OSZE, den europäischen Regionalorganisationen und nicht zuletzt der Europäischen Union, die Beziehungen zwischen den Staaten der europäischen Völkerfamilie zu festigen und auf der Grundlage gemeinsamer Überzeugungen und Wertvorstellungen weiterzuentwickeln. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. ({1}) Wir setzen nun die Haushaltsberatungen fort: I. Zweite Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 1999 ({2}) - Drucksachen 14/300, 14/760 Beratung der Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses ({3}) - zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Bericht über den Stand und die voraussichtliche Entwicklung der Finanzwirtschaft - zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Finanzplan des Bundes 1998 bis 2002 - Drucksachen 14/350, 13/11101, 14/272 Nr. 79, 14/625 Berichterstattung: Abgeordnete Dietrich Austermann Hans Georg Wagner Oswald Metzger Dr. Günter Rexrodt Dr. Christa Luft Ich rufe den Einzelplan 04 auf: 12. Einzelplan 04 Bundeskanzler und Bundeskanzleramt - Drucksachen 14/604, 14/622 Berichterstattung: Abgeordnete Adolf Roth ({4}) Manfred Hampel Antje Hermenau Oswald Metzger Dankward Buwitt Steffen Kampeter Dr. Günter Rexrodt Dr. Uwe-Jens Rössel Es liegen je zwei Änderungsanträge der Fraktion der CDU/CSU und der Fraktion der F.D.P. vor. Die PDS hat einen Änderungsantrag eingebracht. Die Fraktion der CDU/CSU hat außerdem einen Entschließungsantrag eingebracht, über den am Donnerstag nach der Schlußabstimmung abgestimmt wird. Ich weise darauf hin, daß wir im Anschluß an die Aussprache über diesen Einzelplan namentlich abstimmen werden. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache vier Stunden vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem Kollegen Michael Glos, CDU/CSU-Fraktion.

Michael Glos (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000691, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Kaum ist diese Bundesregierung ein halbes Jahr im Amt, schon pflegt sie einen unerträglichen Umgang mit dem Parlament. ({0}) Ich finde es unmöglich, daß wir in dieser Woche, in der der Haushalt im Mittelpunkt stehen muß, dazu gezwungen werden - weil Sie Ihre Mehrheiten brutal mißbrauchen -, ({1}) Präsident Wolfgang Thierse gleichzeitig auch über das Staatsbürgerschaftsrecht zu diskutieren und es zu verabschieden, und daß wir gleichzeitig über eine sehr ernste Angelegenheit, nämlich den Einsatz weiterer deutscher Soldaten in Albanien und Mazedonien, entscheiden müssen. Den Druck auf das Parlament, dies alles in der Haushaltswoche tun zu müssen, empfinde ich als schlimm. Er hätte nicht sein müssen. ({2}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, wenn sich das die Herren Struck und Schlauch oder die Frau Müller gefallen lassen, dann ist das ihre Sache. Das spricht eigentlich nicht dafür, daß sie überzeugte Parlamentarier sind. ({3}) Die SPD - und die grüne Fraktion machen sich zum Abnickverein dieser Bundesregierung. ({4}) Herr Gysi und seine Fraktion sind demokratische Gepflogenheiten ohnedies nicht gewohnt. Hier braucht einen überhaupt nichts zu wundern. ({5}) Herr Bundeskanzler, wenn Sie die Dinge mit Ihrer unerträglichen Arroganz, die oft durchbricht, so weiter betreiben, müssen Sie sich nicht wundern, wenn wir in eine Stimmung geraten, die letztendlich auch Ihnen nicht zugute kommt. Ich kann verstehen, daß Herr Lafontaine auch vor dieser Art und Weise des Umgangs miteinander geflohen ist. ({6}) Er hat bei seiner Flucht ins saarländische Exil seinen Oberbremser leider nicht mitgenommen. Im Gegenteil, er hat den Oberbremser der Steuerreform, Herrn Eichel, in den Führerstand hineingesetzt. Das war wohl auch ein Stück seines letzten Streiches, den er hier gespielt hat. ({7}) Wenn wir die Leistungen und das Erscheinungsbild dieser Regierung betrachten, dann ist eine Chaoskombo dagegen eine geordnete Veranstaltung. ({8}) Was Sie dem Parlament in dieser Woche zumuten, ist ohne Beispiel. ({9}) Ich sage noch einmal: Das Haushaltsrecht ist das Königsrecht des Parlaments, und Sie wollen verhindern, daß über den Haushalt und Ihre wirtschafts-, finanz- und sozialpolitischen Fehlleistungen diskutiert wird, die sich inzwischen verheerend auf den deutschen Arbeitsmarkt auswirken. ({10}) Die Regierung Schröder/Fischer ist in der Tat mit großen Verheißungen angetreten. Nicht nur im Wahlkampf hat man den Bürgerinnen und Bürgern viel zugesagt. Ich zitiere die Regierungserklärung vom 10. November. Darin haben Sie, Herr Bundeskanzler, versprochen: Wir machen dieses Land wieder zu einem Bewegungs-Ort. ({11}) Bei diesen Versprechungen haben sich die Leute nicht nur Fischers abgelegte Turnschuhe vorgestellt, sondern sie haben sich auch vorgestellt, daß Bewegung letztendlich zugunsten von mehr Arbeitsplätzen entsteht. ({12}) Sie haben das Land in der Tat zu einem Bewegungsort gemacht. Jeden Tag bewegt sich die Regierung in eine andere Richtung: Wirrwarr, Chaos und Verunsicherung auf allen Feldern der Wirtschafts-, Finanz- und Sozialpolitik. Die Wirtschaft bewegt sich in den Abschwung. Betriebe und Arbeitsplätze bewegen sich leider ins Ausland. Selbständige und Kleinverdiener bewegen sich aus dem Arbeitsmarkt heraus und werden in Schwarzarbeit und Arbeitslosigkeit gedrängt. Die Preise für Benzin, Heizöl, Gas und Strom bewegen sich nach oben, und die Ökosteuer bewegt für die Umwelt überhaupt nichts. ({13}) Die Rentner bewegt die Angst vor ständig neuen Vorschlägen der Koalition über Rentenkürzungen, und alles bewegt sich - Herr Eichel, wir möchten von Ihnen und vom Bundeskanzler etwas dazu hören - in Richtung einer Mehrwertsteuererhöhung zum 1. Januar 2000. Wie steht es mit dem Arbeitsmarkt? Herr Bundeskanzler, Sie haben versprochen - ich zitiere -: Wir wollen uns jederzeit - nicht erst in vier Jahren - daran messen lassen, in welchem Maße wir zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit beitragen. In der „Wirtschaftswoche“ tickt wöchentlich die Schröder-Uhr. Sie zeigt die Bewegungen des Arbeitsmarktes seit dem Amtsantritt. Es gibt 323 112 Arbeitslose mehr und 337 000 Erwerbstätige weniger. Die Bundesregierung bewegt auch ihre Wachstumsprognose, sie bewegt sie nach unten. 2,8 Prozent Wachstum waren es 1998. Im Jahreswirtschaftsbericht sind noch 2,0 Prozent Wachstum angekündigt worden. Jetzt werden es allenfalls noch 1,5 Prozent Wachstum bleiben. Unbeweglich ist allein die Bundesregierung - wenn man sieht, was inzwischen unsere wichtigen Wettbewerberländer, mit denen wir konkurrieren müssen, bewegt haben. Die Auswirkungen der internationalen Wirtschafts- und Finanzkrisen werden als Ausrede mißbraucht. Auch hier ist die Tatsache richtig, daß zum Beispiel die USA wesentlich mehr als wir in Südostasien und in Südamerika engagiert sind. Trotzdem ist dort die Wachstumsdynamik ungebrochen. Das zeigt, daß die deutsche Konjunkturschwäche nicht nur auf die internationalen Wirtschafts- und Finanzkrisen zurückzuführen ist. Sie ist zu einem gut Teil leider hausgemacht. ({14}) Die Politik Ihrer Regierung, Herr Bundeskanzler, hat Menschen und Betriebe in Deutschland verunsichert. Sie bewirkt derzeit ein Abwarten bei Investitionen. Es ist ganz klar, daß die lahmende Investitionstätigkeit in Deutschland sehr viel mit der Signalwirkung Ihrer sogenannten Steuerreform zu tun hat, die Sie auf den Weg gebracht haben. Hier wird in einem sogenannten Steuerentlastungsgesetz etwas vorgelegt, was die Betriebe in Wirklichkeit um 10 Milliarden DM mehr belastet. Das ist Etikettenschwindel. ({15}) Herr Eichel, Sie waren zwar damals noch nicht im Amt, aber Sie haben dieses Gesetz erst möglich gemacht. Sie waren von der hessischen Bevölkerung nicht mehr legitimiert, im Bundesrat zuzustimmen, und haben es dennoch getan. ({16}) Herr Bundeskanzler, eines haben Sie in dem Herrn Eichel: Er war ein williger Erfüllungsgehilfe von Oskar Lafontaine. Ich wünsche Ihnen, daß er auch ein Erfüllungsgehilfe Ihrer Politik ist. Nur wünsche ich dabei ein bißchen mehr Erfolg und Sachverstand als unter Oskar Lafontaine und bei ihm selbst in Hessen. Obwohl die Bürger in Hessen Sie, Herr Eichel, wie gesagt, abgewählt haben, haben Sie dies alles möglich gemacht. Das alles bewegt natürlich die Menschen in Deutschland. Ich brauche mir nur die neuen Meinungsumfragen anzusehen: Danach hat Ihre Regierung längst die Mehrheit in der Bevölkerung verloren, und zwar ausschließlich aus diesen innenpolitischen Gründen. ({17}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, Sie bewegen auch Arbeitsplätze; das ist schon richtig. Mehr Arbeitsplätze bekommen wir nur bei Kontrolleuren und Steuerprüfern und möglicherweise in der Folge auch bei Richtern und Staatsanwälten. ({18}) Das kann nicht der Sinn einer vernünftigen Regierungspolitik sein. ({19}) Als Sie noch Regierungschef in Niedersachsen waren, haben Sie die Verantwortung für die Konjunktur und für Arbeitsplätze stets nach Bonn geschoben. Nun sind Sie in Bonn, und nun tragen Sie hier die Verantwortung. Jetzt versuchen Sie diese Verantwortung wieder abzuschieben, zum Beispiel auf das „Bündnis für Arbeit“ - eine nebulöse Veranstaltung - oder vielleicht nach Brüssel auf einen sogenannten europäischen Beschäftigungspakt. Herr Bundeskanzler, Sie sind gewählt, um zu regieren, und nicht, um zu moderieren. Sie tragen die Verantwortung. Bündnisse und Beschäftigungspakte dürfen nicht zu einer Alibiveranstaltung werden. ({20}) Herr Bundeskanzler, es sind auch Ihre Arbeitslosen, mit denen wir es mittlerweile zu tun haben. Es ist ein Trauerspiel, wenn ich als Beispiel nur einmal diese ganzen Orgien - hätte ich beinahe gesagt - um die geringfügigen Beschäftigungsverhältnisse nehme: Erst wollten Sie die 630-DM-Jobs auf höchstens 10 Prozent in einem Unternehmen begrenzen. Dann wollten sie die Grenze für geringfügige Beschäftigung auf 300 DM senken. Im nächsten Akt sollte die Pauschalsteuer entfallen und durch eine Sozialversicherungspflicht ersetzt werden. Jetzt sollen die meisten Menschen sowohl Steuern als auch Sozialabgaben bezahlen. Wir haben einen einmaligen Vorgang: Der Präsident des Bundes der Steuerzahler ruft zum erstenmal zum Steuerwiderstand in diesem Land auf, weil die Steuergesetze nicht praktikabel sind. ({21}) Selbst die Finanzämter blicken nicht mehr durch, Herr Struck. Für viele Menschen geht diese Entscheidung an die eigene Substanz. Sie haben vielen Menschen den 630-DM-Job kaputtgemacht, und damit nehmen Sie diesen Menschen dringend benötigtes Geld weg. Dieses unsinnige Gesetz hat zum Beispiel folgendes bewirkt: Bäckerhandwerk: 25 000 Kündigungen; Einzelhandel: 150 000 Kündigungen; Gebäudereiniger: 140 000 Kündigungen; Zeitungsverlage finden keine Zusteller mehr; die Volkshochschulen müssen teilweise schließen, weil sie keine Dozenten mehr finden; ({22}) sogar das Erzbistum Köln hat angegeben, die Gehälter im April nicht zahlen zu können, weil die neue Regelung so kompliziert ist. ({23}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, wenn man selbst mit Gottes Hilfe nicht mehr durchblickt, dann muß es doch ein elendes Gesetz sein, mit dem wir es zu tun haben! ({24}) Es besteht eine weitere Gefahr: Sie machen unser Land immer mehr zu einer Dienstleistungswüste. Ich habe einmal die Leute in meinem eigenen Wahlkreis gebeten, mir ihre Erfahrungen zu schildern, und habe eine Hotline geschaltet. ({25}) - Sie lachen darüber. Wissen Sie, warum Sie lachen, meine Damen und Herren von der SPD? Weil Sie weit weg von den Problemen der Menschen im Land sind ({26}) und weil Sie weit von den sogenannten kleinen Leuten weg sind, für die Sie vorgegeben haben, angetreten zu sein. ({27}) - Sie mögen darüber lachen, Frau Kollegin. Mich rührt es schon eigenartig an, wenn Frauen mit Tränen in den Augen kommen ({28}) und sagen: Ich habe dieses Geld, das ich mit dem 630DM-Job verdient habe und das ich jetzt nicht mehr bekomme, dringend benötigt. - Hören Sie sich doch einmal in der Wirklichkeit um! Die Menschen wären dankbar, wenn sie die Sorgen bei denen abladen könnten, denen sie bei der Wahl offensichtlich ein Stück mehr vertraut haben als uns. ({29}) Sie tauchen vor diesen ganzen Problemen weg. ({30}) Sie können doch nur noch inkognito in eine Gastwirtschaft gehen. ({31}) Gehen Sie doch einmal dort hin und fragen Sie, wie das mit den Bedienungen und dem Service jetzt noch läuft jetzt, wo die Ausflugslokale öffnen, nachdem das Wetter wieder schön wird. ({32}) Der Gipfel des Zynismus und der Volksverdummung - so hätte ich beinahe gesagt - der SPD ist das Verhalten einzelner Ministerpräsidenten. ({33}) Ich nehme als Beispiel einmal den hochgelobten Herrn Clement. Der bringt es fertig, am vergangenen Freitag diesen Gesetzen zuzustimmen und damit eine Mehrheit im Bundesrat dafür zu schaffen und sich währenddessen in einem Gespräch mit dem „Focus“, der montags erscheint, aber samstags schon auf die Agenturen geht, schon von den Gesetzen zu distanzieren und Nachbesserungen zu fordern. ({34}) Meine sehr verehrten Damen von der SPD, die Mehrheit der deutschen Bevölkerung wird Ihnen das auf die Dauer nicht durchgehen lassen. ({35}) Herr Bundeskanzler, Sie haben versprochen - ich zitiere Ihre Regierungserklärung, diesmal nicht die „Bild“Zeitung -: Wir werden die Verwaltung schlanker und effizienter machen, und wir werden hemmende Bürokratie rasch beseitigen. ({36}) - Jetzt kommt die Praxis; ich höre den Zwischenruf, Herr Kollege. Bei den 630-DM-Jobs sind beispielsweise An- und Abmeldungen, Unterbrechungsabmeldungen, Jahresmeldungen, Änderungsmeldungen usw. notwendig. Die Krankenkassen und Rentenversicherer werden zu Hilfspolizisten der Schröder-Gesetze. Die Arbeitsämter müssen für jeden, der für wenige Stunden eine Putzhilfe beschäftigt, eine eigene Betriebsnummer vergeben. Die Kommunen müssen 2 Millionen neue Lohnsteuerkarten ausstellen. Wo sind denn da die Verschlankung der Verwaltung und die Beseitigung der Bürokratie, verdammt noch mal? ({37}) Deswegen hat Herr Dr. Martin recht, der heute in der „Bild“-Zeitung schreibt: Die deutsche Steuerpolitik - hoffnungslos verheddert und verstrickt. Jetzt hat der Kanzler Korrekturen angekündigt. Wir sind sehr gespannt, ob Sie dürfen, Herr Bundeskanzler. Der Herr Riester hat Ihnen heute in der „Augsburger Allgemeinen Zeitung“ wieder die rote Karte gezeigt. Ich bin mal gespannt, wer stärker ist: Sie oder dieser Gewerkschaftsfunktionär, der jetzt Sozialminister ist. Die Richtlinienkompetenz in unserem Land liegt nicht beim Deutschen Gewerkschaftsbund, sondern sie liegt laut Verfassung nach wie vor beim Bundeskanzler. ({38}) Ich darf aber noch einen Satz vorlesen. Es heißt in dem Kommentar weiter: Löblich. Doch worin besteht der Unterschied zwischen dem Mann, der morgens Zeitungen austrägt, dem, der mittags eine Schülermannschaft trainiert, und dem, der abends Pizzas ausfährt? Ich kann, wenn Sie wieder korrigieren, nur raten: Machen Sie es so, daß es praktikabel und letztendlich verfassungsfest ist! Bis Ihnen etwas Richtiges einfällt, nehmen Sie dieses unsinnige Gesetz ebenso wie das Gesetz gegen die sogenannte Scheinselbständigkeit rasch wieder zurück! ({39}) Ich sage es noch einmal: Lassen Sie sich dabei weder von Herrn Riester noch von Herrn Struck beeindrucken! Angeblich hat ja die SPD-Fraktion einen kleinen Aufstand gegen Sie gemacht. Ihre Meinung über Herrn Struck ist weidlich bekannt; Sie haben sie vorher öffentlich immer wieder geäußert, ({40}) ich will das deswegen an dieser Stelle nicht tun. Nur, Herr Bundeskanzler, kriechen Sie dann nicht zu Kreuz, sondern erklären Sie klipp und klar: Ich stehe hinter diesen Dingen, will, daß sie so praktiziert werden - oder setzen Sie die Änderungen durch! ({41}) Ein weiteres Beispiel dafür, daß es nicht weitergeht, ist die sogenannte Unternehmensteuerreform. Herr Eichel, da wartet ein schwieriges Geschäft auf Sie. Die Kommission, die eingesetzt worden ist, hat jetzt einen Vorschlag vorgelegt, der so nicht zu verwirklichen ist. Er ist untauglich, er ist nicht verfassungsfest, und es zeigt sich immer mehr, daß die Petersberger Vorschläge, die wir intensiv erarbeitet, beraten, eingebracht und im Deutschen Bundestag verabschiedet haben und die von Ihnen aus parteitaktischen Gründen torpediert und kaputtgemacht worden sind, ({42}) der richtige Weg gewesen wären. ({43}) Sie haben gestern in bezug auf die Bundesschulden mit Unflätigkeiten und Taschenspielertricks, mit windigen Berechnungen für Klein-Moritz draußen - dabei haben Sie die deutsche Wiedervereinigung weggelassen -, ({44}) Theo Waigel in Zweifel zu ziehen versucht. Herr Eichel, Sie werden sich an Theo Waigel letztendlich messen lassen müssen, und dann wird es heißen: Gewogen und zu leicht befunden! ({45}) Theo Waigel hat als erster Finanzminister Deutschlands das Gesetz von den ständig steigenden Staatsausgaben durchbrochen. 1998 waren die Ausgaben im Bundeshaushalt um 3 Prozent niedriger als vier Jahre zuvor. Wie es beim hessischen Haushalt gewesen ist, können Sie dann anschließend sagen. Meine sehr verehrten Damen und Herren, der Herr Bundeskanzler hat wörtlich gesagt: „Wir wollen nicht, daß der Euro deutsch spricht.“ - Damit haben Sie für Deutschland und für Europa einen verheerenden Kurswechsel eingeleitet, denn das wird als Abschied von der Stabilitätspolitik verstanden. ({46}) Die Politik von Kohl und Waigel war eine Politik für Stabilität der Währung. Die internationalen Devisenmärkte haben auf Ihre neuen Signale leider reagiert. Glauben Sie nicht, daß Ihnen ein billiger Euro auf die Dauer die Aufgabe abnimmt, die strukturellen Probleme dieses Landes zu lösen! ({47}) Es ist der falsche Weg, meine sehr verehrten Damen und Herren. Ich könnte jetzt Professor Jochimsen zitieren, ich tue es aus Zeitgründen nicht. Ich will nur sagen: Bei Ihrem Amtsantritt als Bundeskanzler haben Sie versprochen, in der EU einen gerechteren Beitrag für Deutschland durchzusetzen, nachdem das, was Theo Waigel erreicht habe, Ihrer Ansicht nach immer weniger ein Weg in die richtige Richtung gewesen sei. Seit dem Berliner EU-Gipfel ist klar: Alle anderen Nationen haben ihre nationalen Interessen rigoros durchgesetzt. Der britische Beitragsrabatt bleibt erhalten. Sie hätten einmal mit Ihrem Freund Tony sprechen sollen, damit er Ihnen ein Stückchen entgegenkommt. Die französische Landwirtschaft bleibt ungeschoren. Die finanziellen Hilfen für Spanien und Portugal steigen sogar noch an. Die Kohäsionsfonds bleiben offen, obwohl sie reduziert und geschlossen werden sollten, nachdem die Empfängerländer Mitglied in der Europäischen Währungsunion sind. Die Folge ist: Nur die Nettobelastung Deutschlands wird im Jahre 2006 nach Angaben der EUKommission um 300 Millionen DM höher sei als 1999. Auch hier gibt es also nur leere Versprechungen. Der elende Krieg im ehemaligen Jugoslawien, der uns besorgt macht - ich möchte diesen Krieg auch einmal von der finanziellen Seite her betrachten -, wird den deutschen Steuerzahlern, die nach wie vor die Hauptzahler in der EU sind, neben anderen Sorgen auch noch viele finanzielle Sorgen bereiten. Ich möchte jetzt Herrn Hänsch zitieren. ({48}) - Herr Kollege, Sie sollten mehr auf Ihre Genossen hören, die im Gegensatz zu anderen noch einen guten Ruf haben. Herr Hänsch hat noch einen seriösen Ruf. Er spricht bereits von 30 Milliarden Euro - das sind fast 60 Milliarden DM -, die Deutschland für die Folgen des Kosovo-Krieges aufbringen soll. Sicherlich müssen wir alle an einer Stabilisierung des Balkan interessiert sein. Aber wir dürfen nicht nur an den Verbrecher Milosevic und an die unerträglichen Vorgänge denken, die gegenwärtig im Kosovo passieren; wir müssen vielmehr die Auswirkungen sehen, die dieser Krieg auf die dortigen Nachbarländer hat, zum Beispiel auf Rumänien, Bulgarien und Ungarn. Wir wissen auch, daß wir die Menschen in diesem Teil Europas nicht alleine lassen dürfen, nur weil Milosevic und seine Clique schreckliche Verbrechen zu verantworten haben. Im Gegenteil: Wir können in Westeuropa nur in Frieden und Sicherheit leben, wenn auch in diesem Teil Europas wieder die Verhältnisse in Ordnung gebracht werden, wenn also Frieden, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit dort herrschen. ({49}) Weil wir die Voraussetzungen dafür durchsetzen wollen, sind wir letztendlich bereit - wenn alle Fakten auf dem Tisch liegen -, auch die nötigen Maßnahmen mitzutragen. Das haben wir als Opposition getan. Dies war durchaus nicht selbstverständlich, insbesondere nicht selbstverständlich für eine Opposition, die so behandelt wird, als ob man sie überhaupt nicht bräuchte. Aber jetzt haben Sie unsere Zustimmung wohl wieder ganz gerne, weil Sie nicht wissen, wie es in Ihren eigenen Reihen aussieht. ({50}) Herr Bundeskanzler, Sie haben heute hier Gelegenheit, an das Mikrophon zu treten und uns mitzuteilen, wie die Mehrheiten in Ihren Reihen aussehen. ({51}) - Okay, das ist prima. - Sie haben auch Gelegenheit, wieder einmal das deutsche Parlament zu unterrichten. Sie können nicht nur Ausschüsse unterrichten, eventuell noch mit dem Schild „Vertraulich“ an der Saaltür. Sie müssen auch hier eine ganze Reihe von Fragen beantworten. Sie haben bisher die Opposition außen vor gelassen. Die Opposition ist nicht mehr unterrichtet worden. Am Anfang hatte es noch Gespräche gegeben, dann nicht mehr. Ich möchte Ihnen ein paar Fragen stellen, auf die ich von Ihnen gerne Antworten gehört hätte: Wie weit soll die Nothilfe der deutschen Soldaten im Ernstfall gehen? Wie wird die Sicherheitslage unserer Soldaten, die wir nach Albanien schicken, eingeschätzt? Wo werden sie stationiert? Wie werden sie bewaffnet sein? ({52}) - Herr Fischer, ich weiß schon, was Sie sagen wollen. Es geht nicht, daß alles nur in den Ausschüssen diskutiert wird. Nicht alle Parlamentarier können Mitglieder des Verteidigungsausschusses oder des Auswärtigen Ausschusses sein. ({53}) Es müssen hier Beschlüsse gefaßt werden, die letztendlich für unser Land von großer Tragweite sind. Viele Menschen machen sich zu Recht Sorgen über diese Entwicklung im Kosovo und über die Auswirkungen auf die internationalen Beziehungen. Sagen Sie, Herr Fischer, doch einmal, was sich in den letzten fünf oder sechs Wochen verändert hat. Warum muß noch in dieser Woche - quasi im Eilverfahren - der Beschluß über den Einsatz von weiteren deutschen Soldaten gefaßt werden? Wir sind grundsätzlich bereit mitzustimmen. Aber sagen Sie, warum es vor zwei Wochen, als wir Sie aufgefordert haben, dies zu tun, nicht notwendig war und warum es jetzt notwendig ist. ({54}) Wollte man über die Feierlichkeiten zum 1. Mai hinwegkommen? Es gibt Menschen, die haben an diesem Tag Schlüsselerlebnisse gehabt. Herr Trittin hat auf einer Veranstaltung erfahren, wie es ist, wenn man gestört wird. Er kommt aus einem Lager, das früher selbst immer nur gestört hat. ({55}) So hat er nur die halbe Zeit reden können. Das sind alles neue Erlebnisse für ihn. Die Herren, die sich früher über die Staatsmacht mokiert haben, repräsentieren sie heute selber. Wir wollen wissen, warum dieser Beschluß erst jetzt gefaßt wird und warum dies letztendlich so schnell passiert. ({56}) - Ich kann nur sagen, daß ich darauf eigenlich nicht eingehen wollte. Aber da ich permanent Zwischenrufe von der linken Seite dieses Hauses bekomme, muß ich darauf hinweisen: Nach dem Leitantrag für den Parteitag der Grünen ist das Vorgehen der NATO durch schwerwiegende völkerrechtliche Einwände in Frage gestellt. Bundestagsabgeordnete der Grünen haben die NATOAktionen im Kosovo mittlerweile als Angriffskrieg gebrandmarkt. Mitglieder des SPD-Parteivorstandes haben in Unterschriftenlisten ein Ende der NATO-Aktionen gefordert. Höhepunkt war der Auftritt von Herrn Klimmt bei „Sabine Christiansen“. Sein Auftreten war unsäglich und unerträglich. Oskar Lafontaine - nicht irgendwer - und Ministerpräsident Stolpe haben sich für eine sofortige Feuerpause ausgesprochen, ebenso der bayerische Landesverband der SPD unter der grandiosen Führung von Renate Schmidt. Noch eines in dieser Stunde: Unsere Soldaten brauchen jetzt keine Grundsatzdiskussionen oder überflüssige Strukturkommissionen, auch wenn diese von einem ehemaligen Bundespräsidenten geleitet werden. ({57}) Unsere Soldaten haben Anspruch auf nachhaltige und nachdrückliche Rückendeckung für ihren schwierigen Auftrag, den sie ausführen. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken. ({58}) Notwendiger als eine Strukturkommission ist ein Ehrschutz für unsere Soldaten; denn man beginnt wieder, sie als Mörder zu beschimpfen. Das kann man ungestraft tun. Deswegen werden wir den Gesetzentwurf, mit dem diese Beschimpfungen unter Strafe gestellt werden - er war im Ausschuß abschließend beraten worden -, in der nächsten Sitzungswoche erneut einbringen. ({59}) Unsere Soldaten sind keine Mörder; sie leisten Dienst für Frieden und für Menschlichkeit. Ohne den Dienst unserer Soldaten wäre die schlimme humanitäre Katastrophe noch größer. Herr Bundeskanzler, Sie sind derzeit EU-Ratspräsident. Sorgen Sie dafür, daß auch unsere europäischen Partner ihre Verpflichtungen bei der Aufnahme von Flüchtlingen erfüllen! ({60}) Wir brauchen auch in diesem Bereich eine gerechte Lastenverteilung in Europa. Sorgen Sie dafür, daß nicht wieder solche Dinge wie gestern geschehen! Ich glaube, es war der Kollege Schmidt, der die 5 Millionen Menschen verunglimpft hat, die an Unterschriftenständen ihre Sorge über das Staatsangehörigkeitsrecht und ihr Eintreten für bessere Integration zum Ausdruck gebracht haben. In einer solch schwierigen Zeit muß man versöhnen, nicht spalten, so hat es einmal Willy Brandt gesagt. ({61}) Dieses neue Staatsbürgerschaftsrecht, das so viele Fragen offenläßt - das wurde auch in den Expertenanhörungen deutlich -, soll jetzt im Eilverfahren durchgepaukt werden, weil Sie Ihre linken Partner bei Laune halten wollen - das ist der einzige Grund. Sie sollten in dieser schweren Zeit lieber einen Konsens suchen. Es hat niemals den Versuch gegeben, einen Konsens mit uns zu suchen. ({62}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, all das zeigt: Die Sorgen der Bürger werden von Rotgrün nicht ernst genommen. Diese Bundesregierung hat auf die großen Herausforderungen unseres Landes keine Antwort. Deswegen brauchen wir einen Politikwechsel in allen Bereichen. Ich danke Ihnen. ({63})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile das Wort dem Fraktionsvorsitzenden der SPD, dem Kollegen Peter Struck. ({0})

Dr. Peter Struck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002278, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Glos, Ihr Niveau kennen wir. Ich denke aber, es wäre der Situation in unserem Lande angemessener gewesen, wenn Sie hier heute etwas weniger kleinkariert und primitiv gesprochen hätten. ({0}) Es geht in dieser Debatte um die Grundlinien der Politik: Schaffung von Arbeit, Steuerreform, Gesundheitsreform, Rentenreform. Das waren und sind die dringendsten Projekte, die wir uns vorgenommen haben. Sie werden aber im Augenblick von den besorgten Fragen der Menschen, wie es im Kosovo und in Jugoslawien weitergeht, überlagert. Wenn Sie, Herr Kollege Glos, im Zusammenhang mit diesem Thema nur die Frage stellen, wieviel Geld das denn wohl kosten wird, dann zeigt das Ihre Geisteshaltung in diesen Fragen. ({1}) Wir haben in den letzten Wochen erfahren müssen, daß die Schwerpunkte der von dieser Koalition vertretenen politischen Grundlinien nicht mehr allein von uns bestimmt werden. Der mörderische Vertreibungskrieg des Diktators Milosevic hat uns allen drastisch vor Augen geführt, daß sich die Politik nicht in jedem Fall vorausplanen läßt. Das Morden im Kosovo und die dort stattfindenden Vertreibungen haben uns allen Entscheidungen abverlangt, die treffen zu müssen wir in einem zivilisierten Europa nicht mehr für möglich gehalten hätten. Mehr als 1,1 Millionen Menschen sind inzwischen von der Soldateska aus ihrer Heimat gehetzt worden. Sie werden gejagt, ermordet, vergewaltigt, verstümmelt. Wir sehen die Bilder der Flüchtlingslager und wollen nicht wahrhaben, daß dies wirklich in Europa, wirklich vor unserer Haustür geschieht. Wir wiegen uns beim Betrachten dieser Bilder häufig in der Hoffnung, als sähen wir im wahrsten Sinne des Wortes fern. Lange genug haben wir uns darüber hinaus in der Hoffnung gewiegt, die Probleme des Balkans irgendwie fern von uns halten zu können. Wir können es nicht. Wir dürfen die Blutspur, die Milosevic auf dem Balkan zieht, nicht noch größer werden lassen. ({2}) Wir dürfen eine weitere Destabilisierung dieser europäischen Region nicht zulassen. Es kann nicht sein, daß es dort brennt und der Rest Europas darüber hinwegschaut. Die Idee von einem vereinten westlichen Europa bekam nach dem zweiten Weltkrieg doch deshalb einen solchen Aufwind, weil man Lehren aus der Barbarei Hitlers ziehen wollte. Ein vereintes, freies Europa als Antwort auf Völkermord, Vertreibung und Krieg - das war der Ursprung, das war die Vision. Hinter einem vereinten Europa steckt mehr als ein gemeinsamer Markt und Euro-Land. Nicht immer sind wir uns dessen bewußt, welch großer Wurf uns mit der Umsetzung dieser europäischen Idee gelungen ist. Bei manchem geht das in der Brüsseler Routine unter. Deshalb ist es hilfreich, daß UN-Generalsekretär Kofi Annan uns Europäer in der letzten Woche in Berlin noch einmal an die Einzigartigkeit dieser europäischen Integration erinnert hat, als er sagte: In der Geschichte gibt es wenig Beispiele für eine Aussöhnung, die so vollkommen war wie die Versöhnung zwischen den Nationen Westeuropas, nach dem langen und brutalen Konflikt, der 1945 sein Ende fand. Wir können uns aber auf diesen Lorbeeren nicht ausruhen. Die Einigung Westeuropas ist gelungen. Es geht jetzt um die Einigung ganz Europas. Polen, Tschechien, Ungarn, Estland und Slowenien sind schon auf dem Weg; andere werden folgen. Aber wenn wir „ganz Europa“ sagen, dann geht es auch darum, die jetzt noch nicht befriedete Balkanregion heranzuholen, und dafür brauchen wir den gleichen Mut, die gleiche Weitsicht und den gleichen Willen zur Versöhnung. ({3}) Die Angriffe der NATO sind nach einer vielleicht zu ausgiebigen Phase der Langmut die Antwort auf Vertreibung und Völkermord, auf schlimmste Verstöße gegen Menschenrechte. Europa kann diese Fußtritte von Milosevic gegen die Menschlichkeit nicht hinnehmen, wenn es andererseits stolz darauf ist, die höchsten Standards für Menschenrechte in der Gemeinschaft zu verwirklichen. Meine Damen und Herren, Kofi Annan hat in Berlin beschrieben, wie eine Lösung des Kosovo-Konflikts aussehen muß. Sie muß sich daran messen lassen, ob die Flüchtlinge und Binnenvertriebenen rasch und sicher in ihre Heimat zurückkehren können. Wenn das der Fall ist, wenn die Bewohner des Kosovo in Frieden und Sicherheit unter voller Wahrung der politischen und bürgerlichen Rechte aller leben können, wird das ein Sieg für Europa. - So hat es Kofi Annan gesagt. Ich tue mich schwer, die Vokabel „Sieg“ zu gebrauchen; denn es darf nicht der Eindruck entstehen, als ginge es der NATO um einen Sieg, gar um einen militärischen. Nein, es geht darum, dem Diktator Milosevic die Einhaltung der elementarsten Menschenrechte, des Rechts der Kosovaren auf Leben, Freiheit und Sicherheit in ihrer Heimat abzutrotzen. Das ist unser einziges Ziel. ({4}) Und es scheint, daß die Aussicht, dies auf dem Verhandlungsweg zu erreichen, wieder gewachsen ist. Auf Initiative der deutschen Regierung werden die Außenminister der G 7 gemeinsam mit Rußland morgen noch einmal ihre Vorstellungen konkretisieren. Natürlich hoffen wir, daß dann auch Milosevic endlich wieder konstruktiv darauf eingeht. Ich danke Ihnen, Herr Außenminister Fischer und Herr Bundeskanzler Schröder, für die Initiative, die Sie gerade in diesem Bereich ergriffen haben, und wünsche Ihnen und uns allen großen politischen Erfolg. ({5}) Die Akzeptanz für das Vorgehen der NATO ist in der Bevölkerung konstant. Dennoch werden mit jedem weiteren Tag der Luftangriffe, mit jedem weiteren zivilen Opfer auf serbischer Seite die Fragen nach dem Ende der Aktion lauter. Die Antwort lautet: Milosevic muß mit dem Morden aufhören. ({6}) Milosevic muß der Rückkehr der Flüchtlinge ins Kosovo zustimmen. Er muß mit dem Rückzug seiner Truppen beginnen und eine Absicherung des Kosovo durch internationale Truppen bejahen. Nach dem Beitrag des Kollegen Glos und nach Informationen, die ich gerade eben erhalten habe, scheint es so zu sein, daß wir möglicherweise nicht mehr in dieser Woche über den Einsatz weiterer Soldaten entscheiden wollen, weil die CDU/CSU-Fraktion Fristeinrede geltend macht; dann möge es so sein. Wir werden ausführlich beraten. Ich sage Ihnen aber klipp und klar, um das klarzustellen: Wir werden dem, was die Bundesregierung vorgeschlagen hat, als SPD-Fraktion hier im Deutschen Bundestag zustimmen. ({7}) Insofern sind Ihre Bemerkungen, Herr Kollege Glos, auch völlig neben der Sache. Bundespräsident Herzog hat die Entscheidung der EU-Regierungschefs als den Beleg dafür gewertet, daß der europäische Zug wieder ins Rollen gekommen ist; denn sie bedeutet nach Meinung des Präsidenten nicht mehr und nicht weniger, als daß die Europäer Seite an Seite Gefahren für Leib und Leben ihrer Soldaten auf sich nehmen, um Menschenrechte und damit Demokratie als gemeinsame Werte durchzusetzen und zu verteidigen.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Kollege Struck, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Glos?

Dr. Peter Struck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002278, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja, bitte sehr.

Michael Glos (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000691, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Struck, ich wollte Sie nur fragen, welche Passage in meiner Rede Sie veranlaßt hat zu sagen, wir würden Fristeinrede geltend machen? ({0}) Das ist völlig falsch, das hat niemand vor. Wir wollen lediglich, daß alle Fragen, die im Raum stehen, geklärt werden, damit wir in Kenntnis der Tatsachen entscheiden. Wenn Fragen offenbleiben, dann muß man die Ausschußberatungen bis zu deren Beantwortung fortführen. ({1}) Wir sind selbstverständlich bereit, auf die Fristeinrede zu verzichten, wenn Sie begründen können, warum Sie jetzt, in dieser Woche, diesen Beschluß brauchen. ({2})

Dr. Peter Struck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002278, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ihre Erklärung ist schon recht hilfreich. Herr Kollege Glos, ich will aber noch auf einen Punkt hinweisen - vielleicht kann ihn Herr Schäuble in seinem Redebeitrag klarstellen -: Mir ist mitgeteilt worden, die CDU/CSU-Fraktion wolle am morgigen Donnerstag noch einmal beraten. ({0}) - Ja, natürlich; das bestreite ich überhaupt nicht. Herr Kollege Rühe, ich darf Sie einmal ansprechen: Der Bundesverteidigungsminister und die Mitglieder der Bundesregierung haben einen Beschluß im Hinblick darauf gefaßt, den Flüchtlingen in Mazedonien und in Albanien möglichst schnell zu helfen. Wir wollen humanitäre Hilfe leisten. ({1}) Das heißt selbstverständlich auch: Nachdem die Fragen, die berechtigterweise gestellt werden müssen - ich habe keine Schwierigkeiten mit diesen Fragen; auch in meiner Fraktion werden sie gestellt -, von der Bundesregierung in den Ausschüssen beantwortet worden sind, müssen wir in der Tat so schnell wie möglich noch in dieser Woche entscheiden. Sollten wir uns in diesem Punkt einig sein, nehme ich diese Tatsache zufrieden zur Kenntnis. ({2}) Wir Europäer müssen selbstkritisch festhalten, daß unsere Balkan-Politik in den vergangenen zehn Jahren kurzatmig war. Wir müssen einräumen, daß das DaytonAbkommen Bosnien-Herzegowina zwar geholfen, aber das Kosovo-Problem bewußt ausgeklammert hat. Europa muß sich mit aller Macht einschalten - auch mit militärischer Macht. Wenn das Ziel erreicht ist, den Völkermord an den Kosovaren zu stoppen, muß sich Europa erst recht engagieren, um diese Region stärker an die Gemeinschaft heranzuführen. Albanien und Mazedonien brauchen unsere Hilfe in stärkerem Umfang. Aber auch das serbische Volk muß die Gewißheit haben, daß der Westen es nicht auf den Trümmern des MilosevicRegimes sitzen läßt. ({3}) Das Engagement des Außenministers, Joschka Fischer, für einen Stabilitätspakt in dieser Region ist richtig und verdient alle Unterstützung. ({4}) Die Europäische Union muß diesen Ländern das Gefühl geben, nicht an der Tür des Westens abgewiesen zu werden. Das muß unser Ziel sein. Kurzfristig bedarf es noch größerer Unterstützung für Mazedonien und Albanien, damit diese Länder weiter zur Aufnahme der Flüchtlinge bereit und fähig sind. Wir begrüßen es, daß sich die NATO, aber auch andere Länder wie Norwegen und Österreich entschlossen haben, die humanitäre Hilfe in diesen Ländern zu intensivieren, und daß wir uns an dieser Hilfe beteiligen, wie der Bundestag wohl in dieser Woche beschließen wird. Neue Flüchtlingslager müssen gebaut, die Grundbedürfnisse der Menschen befriedigt und Epidemien verhindert werden. Die Bundeswehr soll sich deshalb mit weiteren 600 Soldaten an diesem rein auf Hilfe für die Flüchtlinge ausgerichteten Einsatz beteiligen. Die Hilfsbereitschaft der Bevölkerung ist groß. Die Hilfsorganisationen spüren die große Unterstützung der Bürgerinnen und Bürger nicht nur in Mark und Pfennig. Viele Menschen bieten sich als freiwillige Helfer an. In vielen Orten entstehen spontane Initiativen: Schülergruppen engagieren sich; Kirchengemeinden organisieren Hilfstransporte; Studenten sammeln, um ihren Kollegen aus dem Kosovo Überbrückungssemester in Deutschland zu ermöglichen. Ich habe von dieser Stelle aus schon oft den Soldaten für ihren Einsatz gedankt. Ich möchte auch allen anderen Menschen, die hier helfen, dafür danken, daß sie uns mit ihrem Engagement die Bestätigung für unsere Entscheidung geben, entschieden gegen Völkermord und Vertreibung auf unserem Kontinent einzutreten. ({5}) Die Bundesregierung und die Länderregierungen haben bereitwillig Flüchtlinge aus dem Kosovo in Deutschland aufgenommen. Das ist ein Gebot der Menschlichkeit. Es ist aber auch die Aufforderung an unsere europäischen Partner, endlich auch ihren Aufnahmezusagen in vollem Umfang nachzukommen. ({6}) Das ist eine Frage der Solidarität mit den Betroffenen, aber auch eine Frage der gerade jetzt notwendigen europäischen Solidarität. Ich begrüße das Angebot des Bundesinnenministers, über die Familienzusammenführung mehr Menschen zum Beispiel aus dem Kosovo in Deutschland eine Bleibe zu geben. Ich weise aber darauf hin, daß der Beitrag, den der Kollege Repnik gestern in der Geschäftsordnungsdebatte gebracht hat, mich allerdings zu der Befürchtung veranlaßt, daß die CDU- und CSU-regierten Länder diese Bereitschaft offenbar nicht haben. Ich sage deutlich: Die Situation der Menschen im Kosovo verlangt auch, daß wir bereit sind, mehr Menschen als bisher aufzunehmen. ({7}) Angesichts der Leiden der Menschen, aber auch angesichts der Besorgnis vieler unserer Mitbürger, wie es denn nun weitergeht, habe ich es - im Gegensatz zu meinem Vorredner - für richtig gehalten, diesem beherrschenden und bedrückenden Thema breiteren Raum zu geben. Aber natürlich geht es in dieser Debatte auch um den Haushalt dieser Koalition. ({8}) Der Kurs unseres Haushalts 1999 - das hat die beeindruckende Rede des Bundesfinanzministers, für die ich Ihnen noch einmal herzlich danken möchte, Herr Minister Eichel, ({9}) gezeigt - ist: mehr Investitionen und weniger Schulden. Dieser Kurs bleibt. Ich weiß, daß wir hinsichtlich des Haushalts 2000 darüber intensive Debatten führen werden, auch in meiner Fraktion. Es ist überhaupt kein Geheimnis, daß wir, wenn wir über Sparen reden müssen, nicht nur in der Bevölkerung, sondern auch in der Fraktion darüber diskutieren müssen, ob diese oder jene Sparmaßnahme richtig ist. Aber im Gegensatz zu der Vorgängerregierung und dem Schuldenmacher Waigel nehmen wir diese Verantwortung ernst. Das werden Sie im Haushalt 2000 auch sehen. ({10}) Der Haushalt 1999 ist übrigens der erste Haushalt seit 1994, in dem die Ausgaben für die Zukunftsaufgaben dieses Landes aufgestockt und nicht gesenkt worden sind. ({11}) 1 Milliarde DM mehr investieren wir in Forschung und Innovation. Dies ist der erste Haushalt dieser Republik, der einer Energiewende Rechnung trägt und auf erneuerbare Energieträger statt auf das Risiko Atomstrom setzt. ({12}) Dafür haben wir fast 300 Millionen DM zusätzlich zur Verfügung gestellt. Dies ist ein Haushalt, der sich trotz knapper Kassen Luft geschaffen hat, um soziale Fehlentwicklungen bei den Renten und bei der Familienförderung zu korrigieren. Dies ist ein Haushalt, der es ernst meint mit der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit. Wir haben ein 2-Milliarden-Programm für 100 000 Jugendliche aufgelegt, von dem schon 60 000 Jugendliche Gebrauch gemacht und einen Ausbildungs- oder Arbeitsplatz gefunden haben. Das kann sich sehen lassen; darauf sind wir stolz. ({13}) Was Sie, Herr Kollege Glos, über das „Bündnis für Arbeit“ gesagt haben, spottet nun wirklich jeder Beschreibung. ({14}) Ich darf Sie daran erinnern, daß auch Herr Kohl schon einmal ein „Bündnis für Arbeit“ versucht hat, und damals haben Sie das nicht so abqualifiziert wie eben. Er ist allerdings gescheitert, weil er sich einseitig auf die Seite der Arbeitgeber geschlagen hat. Das werden wir nicht tun. ({15}) Wir begrüßen auch, daß dieser Tage, allen Querschüssen der Verbandsfunktionäre zum Trotz, mit Mark Wössner, dem Aufsichtsratsvorsitzenden von Bertelsmann, einer der führenden Vertreter der deutschen Wirtschaft unmißverständlich klargestellt hat, daß er ausdrücklich hinter dem Primat der Regierungsarbeit steht, die Arbeitslosigkeit zu bekämpfen. In „Capital“ erklärte Wössner: Für den Kampf gegen dieses Karzinom der deutschen Gesellschaft verdient und bekommt der Bundeskanzler die Unterstützung der Wirtschaft. Das ist ein erfreuliches, ein ermutigendes Wort. ({16}) Ich zitiere aus einer heutigen Meldung, was ein weiterer nicht unbekannter Vertreter der deutschen Wirtschaft, Herr Kopper, gesagt hat. ({17}) - Da müssen Sie nicht lachen, Herr Kollege Kohl. Ich verstehe das gar nicht. ({18}) - Das ist Ihre Sache. ({19}) Hilmar Kopper, der Beauftragte der Bundesregierung für Auslandsinvestitionen in Deutschland, hat die Wirtschaft zur Mäßigung im Umgang mit der rot-grünen Koalition aufgerufen. Drohungen aus Strom- und Versicherungskonzernen, Unternehmensteile ins Ausland zu verlegen, seien nicht glücklich, sagte Kopper dem Hamburger Magazin stern … Auch die wohlfeile Kritik des BDIPräsidenten Hans-Olaf Henkel im Wall Street Journal am Standort Deutschland habe ausgewogener sein können. Er hat recht, der Herr Kopper. ({20}) In den letzten Wochen hatte man bei den Themen Scheinselbständigkeit und 630-Mark-Jobs - Herr Kollege Glos hat sich dem auch in aller Breite und auf niedrigem Niveau gewidmet ({21}) mitunter den Eindruck, hier gehe es gar nicht mehr um die Sache, sondern es solle von einigen mit einer Kampagne ausgelotet werden, wer die Macht im Staate hat. Für meine Fraktion sage ich hier klipp und klar: Wir wollen die Zusammenarbeit mit der Wirtschaft. Wir machen keine Politik gegen die Wirtschaft, sondern wir wollen eine Politik mit der Wirtschaft zum Wohle des Landes. Aber Dialog darf nicht Diktat bedeuten. Politik wird nicht in den Verbandsspitzen gemacht, sondern immer noch im Parlament und in der Regierung. ({22}) Wenn der sogenannte Bund der Steuerzahler jetzt zu einem Steuerboykott aufruft, dann ist das eine Ungeheuerlichkeit. Die seriöse Wirtschaft sollte sich von solchen Rattenfängermethoden distanzieren. ({23}) Es kann für das Wohl dieses Landes nicht gut sein, wenn inzwischen 20 Prozent der Erwerbstätigen keine Beiträge mehr zur Sozialversicherung zahlen. ({24}) Auch Sie von der Union, allen voran Norbert Blüm, haben diese Entwicklung beklagt. Aber Sie haben nichts getan und damit die Aushöhlung der Sozialsysteme in Kauf genommen. Wir dagegen wollen nicht einer Entwicklung zusehen, in der immer mehr Menschen auf einer Basis arbeiten, die ihnen keinerlei soziale Sicherheit gewährleistet. ({25}) Nehmen Sie das berühmte Beispiel von der Kellnerin - auch Kollege Glos hat von den Biergärten gesprochen -, die für einen Restaurantbesitzer als freie Unternehmerin arbeitet. ({26}) - Quatsch! - Sie kauft bei ihm an der Theke Speisen und Getränke, die sie dann an den Gast weiterverkauft. Wenn das dann so weit geht, daß sie regreßpflichtig wird, weil sie an der Theke zuwenig gekauft hat, da sie an den Tischen zuwenig verkaufen konnte, dann ist das tiefster Frühkapitalismus. Das wollen wir nicht; so einfach ist das. ({27}) Wir wollen auch nicht, daß Speditionen ihre Fahrer entlassen und als Scheinselbständige wieder beschäftigen. Dagegen gehen wir vor. ({28}) Ich räume aber ein, daß es in der Computerbranche, im Beratungsbereich und in der Versicherungswirtschaft Fälle gibt, bei denen Unterscheidungen schwierig sind. Wir müssen die Handhabung auf jeden Fall einfacher machen. Wir müssen prüfen, ob wir Einkünfte aus einer nebenamtlichen Lehr- bzw. Übungsleitertätigkeit im Sport steuerlich besser behandeln können. Ich habe das angekündigt. Meine Fraktion steht dazu. ({29}) Wir sprechen über die sogenannte Übungsleiterpauschale. Daran arbeiten wir. Das ist Konsens zwischen den Koalitionsfraktionen, dem Kanzleramt, dem Arbeitsministerium und dem Wirtschaftsministerium. Eine Expertenkommission wird zügig prüfen, wie man mit Grenzfällen umgehen kann. ({30}) Es geht hier nicht um Nachbessern. Es geht auch nicht darum, daß irgend jemand einknickt. Es geht darum, ein Gesetz für eine komplizierter gewordene Arbeitswelt kompatibel zu machen. Um nicht mehr und um nicht weniger geht es. ({31}) Zur Diskussion über die 630-Mark-Beschäftigungsverhältnisse sage ich nur: Diese Diskussion ist seltsam. Da wird im Augenblick ausgerechnet von Großunternehmen mit Krokodilstränen darauf abgehoben, daß man doch für die Kleinverdiener Verständnis haben müsse. Dieses Argument gebrauchen diejenigen, die in großem Stil normale Arbeitsverhältnisse aufgelöst und die Menschen zu Kleinverdienern gemacht haben! ({32}) So geht es nun wirklich nicht. Es kann nicht sein, daß ein VW-Arbeiter, der Überstunden macht, für den Lohn aus diesen Überstunden Steuern und Sozialabgaben zahlt, daß sein Kollege aber, der nach Feierabend nebenher kellnert, dafür vom Fiskus nicht belangt werden kann. Das kann man keinem Menschen erklären. Das ist auch verfassungsrechtlich nicht verantwortbar. ({33}) Das wollten wir mit unserem 630-Mark-Gesetz ändern. Wir haben dies getan. Wir sind von der Richtigkeit dieses Ansatzes weiterhin überzeugt. ({34}) Arbeitsminister Riester darf sich auf diesem Wege der besonderen Solidarität der SPD-Bundestagsfraktion gewiß sein. ({35}) Im übrigen sollten Sie als Christdemokraten sich mit selbstgefälligen Erklärungen zurückhalten. ({36}) Was sich Ihr Vorsitzender auf diesem Feld leistet, ist ({37}) schon Dialektik vom Feinsten. Auf dem Parteitag in Erfurt hat Herr Schäuble für sich in Anspruch genommen, schon seit Jahren vor einer ungebremsten Umwandlung regulärer Beschäftigungsverhältnisse in versicherungsfreie gewarnt zu haben. - Es ist ja wunderbar, wenn Sie nicken, Herr Schäuble. Aber unseriös ist das trotzdem, da Sie uns nie konkret sagen, wie Sie es denn machen wollen. Mein Vorredner, Herr Glos, hat gesagt: Wir müssen das alles wieder abschaffen. Sie müssen mir schon erklären, wie diese beiden Positionen miteinander zu vereinbaren sind. ({38}) Sie überlassen uns die Arbeit bei der Regelung der 630-Mark-Beschäftigungsverhältnisse. ({39}) - Ja, klar: Wir regieren, wir machen die Arbeit auch. Ich möchte auf folgendes hinweisen: Gestern ist in einer sehr interessanten Episode von Herrn Eichel und Herrn Solms ein Vorgang in die Öffentlichkeit gebracht worden, an dem auch ich beteiligt war, so daß ich bestätigen kann, daß sowohl die Aussagen von Herrn Solms als auch die von Herrn Eichel richtig waren. ({40}) Wir haben im Rahmen eines Gesetzgebungsverfahrens, das an den Vermittlungsausschuß überwiesen wurde, über die Frage diskutiert, ob es denn wirklich angeht oder ob man es ändern muß, daß 630-Mark-Nebenbeschäftigungsverhältnisse nicht voll in die Steuer- und Versicherungspflicht einbezogen werden - so, wie wir es dann gemacht haben. Es gab in diesem Kreis Zustimmung von dem damals zuständigen Minister Norbert Blüm; ({41}) es gab Zustimmung von dem damaligen und heutigen Vorsitzenden der CDU/CSU-Bundestagsfraktion. ({42}) - Moment. - Es gab auf die Frage von uns Sozialdemokraten: „Können wir das dann nicht machen?“ - Herr Solms hat das gestern dankenswerterweise wörtlich zitiert - die klare Antwort von Herrn Schäuble: Da müssen Sie Herrn Solms fragen. ({43}) Mit anderen Worten: Sie wollten; wir wollten. Was wir jetzt machen, ist eigentlich nur das, was wir damals besprochen haben. Erinnern Sie sich einmal an Ihre eigenen Reden und Taten, bevor Sie hier derartig herumpolemisieren. ({44}) Meine Damen und Herren von Union und F.D.P., dieser Haushalt ist ein Haushalt gegen Ihr altes „Weiter so“. Wir haben den Ansatz für zukunftsträchtige und sozial befriedend wirkende Investitionen anheben können, obwohl wir gezwungen sind zu sparen, wie Hans Eichel das gestern dargestellt hat. Sie haben uns ein strukturelles Haushaltsdefizit von 30 Milliarden DM als Erblast hinterlassen. Ihnen müßte doch die Schamröte ins Gesicht steigen angesichts der Watschen, die die obersten Bundesgerichte für die von Ihnen verantwortete Politik in den letzten Jahren permanent austeilen. ({45}) Ich halte mich auch wegen eines Gespräches, das die Fraktionsvorsitzenden gestern mit den Richtern des Bundesverfassungsgerichts gehabt haben, mit Richterschelte zurück. Aber ich will doch sagen: Es ist schon auffällig, wie Sie auch nach Ihrer Abwahl die Verfassungsgerichte immer noch mit Ihrer verfehlten Politik beschäftigen. ({46}) Theo Waigel war es erlaubt, mit den Familien Schlitten zu fahren, obwohl die Klage gegen die Ungerechtigkeit des bisherigen Familienlastenausgleichs Anfang der 90er Jahre in Karlsruhe eingereicht worden ist und dort also anhängig war. Es waren dann wir, die aufgefordert wurden, das zu korrigieren. Wir werden das natürlich tun, auch deshalb, weil wir schon immer der Meinung waren, daß Familien steuerlich bessergestellt werden müßten. Das haben wir übrigens auch im Deutschen Bundestag immer gesagt. Wir haben dafür aber nie bei Ihnen die Mehrheit gefunden. Es ist schon abenteuerlich, daß ich mir manche Kritik aus Ihren Reihen zu unseren Vorstellungen über Familienentlastung anhören muß. Sie haben in 16 Jahren die Familien systematisch steuerlich benachteiligt, und jetzt vergießen Sie Krokodilstränen. ({47}) Das Verfassungsgericht rennt bei uns offene Türen ein. Theo Waigel konnte übrigens auch bei den DDRSonderrenten sparen, obwohl auch in diesem Fall seit Anfang der 90er Jahre eine Klage anhängig war. Wir werden das - das will ich hier für die Koalitionsfraktionen sagen - nach dem Karlsruher Spruch korrigieren. Wir müssen es korrigieren. ({48}) - Herr Kollege Glos, ich will der Bevölkerung Ihren Zwischenruf mitteilen. ({49}) Sie haben gesagt, das sei ein unsinniges Urteil. ({50}) Mein Respekt vor dem Bundesverfassungsgericht hindert mich daran, solch unsinnige Äußerungen zu tun, Herr Kollege Glos. ({51}) Theo Waigel und die Regierungen Kohl haben jahrelang mit einer Spreizung zwischen den Steuersätzen auf private Einkünfte und auf unternehmerische Einkünfte gearbeitet. Jetzt äußert der Bundesfinanzhof Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit dieser Regelung. Wir müssen das in Ordnung bringen. Fast schon im Monatstakt werden uns im Namen des Volkes die Erblasturteile Ihrer Politik serviert. ({52}) Das alles bei der künftigen Finanzplanung zu berücksichtigen macht die Arbeit des Finanzministers und der Bundesregierung natürlich nicht einfacher. Er hat gestern klargemacht, daß mit ihm der von Ihnen beschrittene Weg weiter hinein in den Verschuldungsstaat nicht zu machen ist. Sie, Herr Minister Eichel, haben dabei unsere volle Unterstützung. ({53}) Wir wollen eine Unternehmensteuerreform aus einem Guß - eine Reform, die den Namen wirklich verdient. Daran arbeiten unsere Experten, daran arbeitet das Ministerium. Es ist wichtig, daß die Wirtschaft vernünftige Rahmenbedingungen bekommt, mit denen sie mittelfristig planen kann. Das ist wichtiger als die Frage, ob wir die Reform noch in diesem Jahr verabschieden. Wichtiger ist - wenn wir sie Anfang 2000 verabschieden -, ({54}) Klarheit für die deutsche Wirtschaft zu haben. Das ist das, was sie braucht, und dies wird sie von uns auch bekommen. ({55}) Die Eckwerte der Steuerreform wie etwa die Spitzensteuersätze können nur im Rahmen einer finanzpolitischen Gesamtschau festgelegt werden. Steuerreform, Haushalt 2000, Familienentlastungsgesetz und die weiteren Stufen der Ökosteuer müssen im Zusammenhang gesehen werden wie kommunizierende Röhren. Wir werden dazu im Frühsommer ein Konzept vorlegen. Diejenigen, die sich heute unterbieten in den Forderungen nach immer geringeren Steuersätzen für Unternehmen, müssen gewillt sein, bei der Verbreiterung der Bemessungsgrundlage, bei dem Schließen von Steuerschlupflöchern und bei dem Abbau von Subventionen ebenso aktiv wie kreativ mitzuarbeiten. ({56}) Wir haben mit diesem Haushalt die ersten Steine aus dem Weg geräumt. Es war ein Anfang. In der Debatte zur ersten Regierungserklärung Gerhard Schröders damals konnten wir noch nicht ahnen, daß wir uns vor allen Dingen mit außenpolitischen Fragen beschäftigen müssen - habe ich ein chinesisches Sprichwort zitiert, das lautet: „Jede noch so lange Reise beginnt mit dem ersten Schritt.“ Wir haben diese ersten Schritte jetzt getan und werden unseren Weg fortsetzen, beharrlich und mit dem Ziel vor Augen: mehr Beschäftigung, mehr Innovation, mehr Gerechtigkeit. ({57})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Ich erteile nun das Wort Herrn Dr. Wolfgang Gerhardt, F.D.P.-Fraktion.

Dr. Wolfgang Gerhardt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002659, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Kollege Struck hat zu Beginn seiner Rede gesagt, es gehe in dieser Debatte um die Grundlinien der Politik. Darauf will ich mich einlassen; aber dann geht es um die Grundlinien der Politik nach innen wie nach außen. Die erste Grundlinie der Politik muß die Kenntnisnahme der Wirklichkeit sein: Die Arbeitswelt hat sich geändert. Die Industriegesellschaft hat sich gewandelt. Die alten, festen wöchentlichen Arbeitszeiten bestehen in großen Unternehmen so nicht mehr. Die Einheitsbeschäftigungsverhältnisse wandeln sich. Nur die Koalition steckt fest. Die Koalitionsvereinbarung gilt; sie nimmt die Wirklichkeit nicht zur Kenntnis. ({0}) Die sozialen Sicherungssysteme sind unbeweglich geworden - das weiß der Bundeskanzler wie auch wir -: Die Wahl- und Entscheidungsmöglichkeiten sind geschwunden; die Möglichkeit, persönliche Verantwortung ungebremst ins Kollektiv, in staatliche Regelungen zu überführen, ist vorbei. Beginnen wir mit einem Thema, das bei Ihnen in der Koalition derzeit diskutiert wird. Seit zwei Jahrzehnten versucht man, die Probleme der gesetzlichen Krankenversicherung durch Kostendämpfungsgesetze zu kurieren. Wir alle kennen den begrenzten Erfolg. Die Gestaltungsmöglichkeiten der Kassen werden jetzt wieder verengt. Die Transparenz für die Inanspruchnahme von Leistungen wird beseitigt. Alles wird budgetiert, alles wird verriegelt, alles wird verbürokratisiert. Der freie Arzt wird nach Ihrem Vorhaben in Zukunft eine Art Scheinselbständiger. ({1}) Früher galt der Spruch: Wem Gott ein Amt gibt, dem gibt er auch den dazugehörigen Verstand. - Diese Hoffnung hat Rotgrün gründlich enttäuscht. ({2}) Die „Süddeutsche Zeitung“ schreibt: Es ist der große Irrtum der politischen Linken, daß sich Solidarität und Wettbewerb nicht vereinbaren lassen und daß deshalb auf Wettbewerb in einem solidarischen Gesundheitswesen verzichtet werden müsse. Sie fügt hinzu: Es mag manchem Politiker unbequem sein, aber es gibt keine Alternative zu mehr Wettbewerb, wenn das solidarische Gesundheitswesen erhalten bleiben soll. ({3}) Das ist die politische Grundrichtung, die eingeschlagen werden muß. Darüber streiten wir. Diese Haltung setzt sich nahtlos fort. Lafontaine ist zwar ab durch die Neue Mitte, aber sein Nachlaßverwalter, der Bundesarbeitsminister, ist noch da. Er läßt jetzt das Prinzip „Ordnung vor Arbeit“ auf den deutschen Arbeitsmarkt niederregnen. ({4}) Dabei geht Ordnung so vor Arbeit, daß Arbeit verschwindet. Der deutsche Arbeitsmarkt leidet doch nicht, wie der frühere Bundesfinanzminister uns weismachen wollte, unter der Zinspolitik von Wim Duisenberg. Der deutsche Arbeitsmarkt leidet unter strukturellen Problemen, die Sie bis heute nicht zur Kenntnis nehmen und die Sie mit dem Vorschlag „Mit 60 in Rente“ zu kurieren versuchen, als stünden nahtlos Arbeitslose zur Verfügung, um auf vorhandene Arbeitsplätze nachzurücken. ({5}) Diese mechanische Vorstellung vom Arbeitsmarkt wird von den noch vorhandenen Bodentruppen Oskar Lafontaines wider bessere Erkenntnis verteidigt, auch in Ihrer eigenen Partei. ({6}) Meine Damen und Herren, es geht nicht nur um die Frage 630-Mark-Jobs oder Scheinselbständige; es geht vielmehr um die Geisteshaltung, die hinter Ihren Vorhaben steckt. Hinter dem Vorhaben, 630-Mark-Jobs zu regulieren, steckt das Denken von SPD und Grünen, daß es die nicht geben darf, die sich anders verhalten, als es in sozialdemokratischen und grünen Parteiprogrammen beschlossen wurde. Das ist der Anschlag auf die Lebenswirklichkeit. ({7}) Jetzt sagen Sie: Da muß eine Kommission eingerichtet werden, die das noch einmal überprüft. - Sie und die Kommission haben ja Zeit. Aber bis die Kommission mit der Überprüfung fertig ist, haben Tausende von Menschen in Deutschland ihren Job verloren! ({8}) Herr Bundeskanzler - dafür mache ich Sie persönlich verantwortlich -, Sie betreiben unter Ihrer Verantwortung einen einzigartigen Anschlag auf bestehende Arbeitsverhältnisse in Deutschland. Sie vernichten Beschäftigung! Das kulminiert in diesem Punkt. ({9}) Im übrigen - das sage ich jetzt auch der deutschen Öffentlichkeit, und zwar im Nachgang zu vielen Erlebnissen, die ich im Bundestagswahlkampf hatte - hätte man das erkennen können. Die Anzeigen, die die Zeitungsverleger heute schalten, verwundern mich doch etwas. Ich begegnete Zeitungsverlegern an einem Tag ihres jüngsten Treffens in Goslar, an dessen Vorabend der jetzige Bundeskanzler in seiner früheren Eigenschaft als niedersächsischer Ministerpräsident anwesend war. Da wurde mir mit strahlenden Augen erklärt, gestern sei Herr Schröder da gewesen, habe zu den berufsständischen Versorgungswerken positive Aussagen gemacht und erklärt, daß man die Verlage bei einer möglichen Regelung gegen den Mißbrauch der 630-Mark-Beschäftigungsverhältnisse selbstverständlich ausnehmen werde. ({10}) Ich kann den Zeitungsverlegern und vielen anderen in unserer Gesellschaft, die hohe Verantwortung haben, nur sagen: Es stehen genügend Informationen zur Verfügung, den Wahrheitsgehalt solcher Aussagen abzuklären - nicht zuletzt das Parteiprogramm der Sozialdemokratischen Partei. Das hätte man vorher abklären können. ({11}) Jetzt bleiben viele kleine, freie Journalisten auf der Strecke, die für verschiedene Lokalredaktionen arbeiten. Jetzt bleiben viele Frauen - im übrigen auch Männer auf der Strecke, die morgens Zeitungen austragen. Sie von den Regierungsfraktionen vernichten die Leistungsbereitschaft in unserer Gesellschaft; denn viele sind bereit, früh aufzustehen, etwas neben dem Hauptjob zu machen, sich etwas dazuzuverdienen. ({12}) Damit zeigen sie eigene Leistungsbereitschaft, ehe sie Ansprüche an Dritte stellen. ({13}) Dann geht es mir noch um eine dritte Abteilung, die der Kollege Glos schon angesprochen hat. Es ist allmählich unerträglich, ({14}) daß der Ministerpräsident von Niedersachsen, Herr Glogowski, der Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen, Herr Clement, der Chef des Kanzleramtes und viele andere aus der Fraktion der SPD - Herr Struck eben noch - dauernd Nachbesserungen, Veränderungen und Entgegenkommen ankündigen, das in Interviews streuen, aber nicht zu ihrem Wort stehen. Das sind Schwätzer. Das ist die Glaubwürdigkeitsfrage, die gestellt werden muß. ({15}) Deshalb darf man das auch emotionalisieren. Ich wundere mich ohnehin schon darüber, wie lange die deutsche Öffentlichkeit bereit ist, hinzunehmen, daß namhafte Sozialdemokraten an jedem Wochenende in führenden deutschen Magazinen und Tageszeitungen anderes sagen, als sie in Abstimmungen bekunden. Das wollen wir diese Woche im Deutschen Bundestag auf die Probe stellen. ({16}) Es geht nicht um eine etwaige Verbesserung. Wenn Sie, Herr Bundeskanzler, Beschäftigung in Deutschland sichern wollen, müssen Sie in dieser Woche mit uns abstimmen. Die Gesetze müssen weg! Das ist die einzige Alternative. ({17}) Sie haben in Ihrer Rede - das konnte ich nachlesen vor Ihrer Wahl zum Parteivorsitzenden einige Passagen zu den sozialen Sicherungssystemen nicht vorgetragen, die in Ihrem Redetext vorhanden gewesen sein müssen. Möglicherweise wollten Sie Ihren eigenen Genossinnen und Genossen die Wahrheit, die Sie und ich kennen, nicht zumuten. Wenn Sie aber Ihren eigenen Genossinnen und Genossen die Wahrheit über die Unfinanzierbarkeit der sozialen Sicherungssysteme verschweigen, dann betrügen Sie nicht nur Ihre Genossinnen und Genossen, sondern auch die junge Generation in der Bundesrepublik Deutschland. Deshalb ist das kein Vorgang, der nur einen SPD-Parteitag beschäftigen könnte. ({18}) Ich werfe Ihnen nicht vor, daß Sie eine falsche Politik machen, wenn ich anderer Meinung als Sie bin. Mein Vorwurf trifft Sie in einem Punkt: Sie wissen genauso gut wie ich, daß das, was Sie machen, falsch ist. Sie haben nur nicht die Courage, das zu ändern, und das muß angesprochen werden. ({19}) Sie wissen, daß die sozialen Sicherungssysteme so nicht mehr bestehen können. Damit wir uns nicht mißverstehen und damit kein falscher Zungenschlag in die Diskussion kommt: ({20}) Wer wünschte sich nicht, daß die Rente auf gleichem Niveau bleiben könnte, während die Rentenversicherungsbeiträge gesenkt werden? Die Wahrheit ist aber, daß bei späterem Eintreten ins Berufsleben, bei früherem Ausscheiden aus dem Berufsleben und bei höherer Lebenserwartung der älteren Generation Adam Riese nicht widerlegt werden kann. Ihr Versuch, Adam Riese zu widerlegen, wird die Steuerzahler erheblich Geld kosten und am Ende sowohl die ältere als auch die jüngere Generation betrügen, weil Sie die jüngere so lange in unvermeidlich höhere Rentenversicherungsbeiträge treiben, bis das System explodiert und damit auch die ältere Generation verliert. ({21}) Der Vorwurf gegenüber Ihrer Amtsführung, Herr Bundeskanzler, richtet sich nicht nur auf das, was Sie an chaotischen Gesetzgebungsverläufen angerichtet haben. Nein, der Vorwurf gegen Ihre Amtsführung besteht darin, daß Sie ein Bundeskanzler sind, der die Wähler bei der Bundestagswahl mit einem Modernisierungsanspruch gröblich getäuscht und die Neue Mitte, gebunden an Ihre Person, in die Verantwortung gebracht hat und jetzt das Programm der Regelungswut der alten Linken auflegt. Selbst jetzt, nachdem Oskar Lafontaine weg ist, haben Sie nicht die Courage, Ihre Partei auf einen modernen Kurs zu bringen. Dafür bezahlt Deutschland! Das ist der Punkt, der hier angesprochen werden muß. ({22}) Sie wissen, Herr Bundeskanzler, daß die Arbeitsmärkte flexibilisiert werden müssen. Sie wissen wie ich, daß die sozialen Sicherungssysteme reformiert werden müssen. Sie wissen wie ich, daß die alten Finanzierungsgrundlagen im Gesundheitswesen nicht mehr tragen. Sie wissen auch, daß es ein Bockmist ist, was Sie im Hinblick auf die 630-Mark-Verträge und die Scheinselbständigkeit angerichtet haben. Sie sind aber nicht als irgend jemand gewählt worden. Wenn Sie Ihr Amt nicht mit Courage ausführen können, müssen Sie es verlassen! ({23}) Sie müssen Ihre Fraktion in Kenntnis setzen über die Wirklichkeit in der Bundesrepublik Deutschland. ({24}) Meine Damen und Herren, es geht auch um den innenpolitischen Teil. Herr Kollege Struck, es ist bemerkenswert, wie Sie immer wieder den Versuch unternehmen, mit dem Thema Kosovo einen Mantel über nahezu alle Streitigkeiten nach dem Motto „Es wäre besser, wir diskutierten über das Problem; denn da sind wir uns einiger“ zu legen. Nein, meine Damen und Herren, die deutsche Opposition findet auch zu Zeiten statt, da sich Deutschland zum erstenmal in einer so schwierigen Situation wie der im Kosovo befindet. ({25}) Eine solche Aufgabe muß die Opposition wahrnehmen. ({26}) Man kann doch nicht immer über den Kosovo diskutieren und dabei innenpolitisch einen bleibenden Flurschaden hervorrufen. Sie werden in die Wirklichkeit zurückkommen, wenn hoffentlich das Problem im Kosovo gelöst ist, die Menschen dort in ihre Heimat zurückkehren können und Sie dann auf das Elend zurückgeworfen werden, das Sie in Deutschland im Bereich der Innen-, der Rechts- und der Wirtschaftspolitik angerichtet haben. ({27}) Nein, das ist kein Weg. Sie haben vor wenigen Tagen eine Anzeige geschaltet und darauf aufmerksam gemacht, daß es wohl ganz gut sei, in der jetzigen Situation das Thema Kosovo nicht zum Gegenstand parteipolitischer Erörterungen zu machen. ({28}) Als ich die Anzeige las, habe ich mir vorgestellt, wie Sie und der Bundesaußenminister reagiert hätten, ({29}) wenn die Bundesregierung Kohl/Kinkel oder wir als F.D.P. in alter Regierungsverantwortung oder die CDU eine solche Anzeige geschaltet hätten. So wahr wie das Amen in der Kirche ist: Sie hätten sich nicht nur nicht danach gerichtet, sondern Sie wären schon die ganze Zeit mit Ihren Bodentruppen im Bonner Hofgarten gewesen und hätten gegen die NATO-Politik protestiert. ({30}) Bemerkenswerterweise ist die Erkenntnis mit der Übernahme von Ämtern gekommen. Ich bezweifle nur, ob die Erkenntnis ohne die Übernahme von Ämtern gekommen wäre. Die Frage der Glaubwürdigkeit ist aber nicht an ein Amt gebunden, sondern an Erkenntnisfortschritt - egal, in welchem Amt man ist. ({31}) Deshalb sage ich Ihnen zum Thema Kosovo ganz offen, was neben Übereinstimmungen jetzt notwendig ist: Uns reichen die täglichen Briefings über die Fernsehschirme nicht mehr aus. ({32}) Das reicht auch einem großen Teil der Bevölkerung nicht mehr aus. Sie gewinnt genauso wie ich allmählich den Eindruck, daß die notwendige Kombination von Militärstrategie und Diplomatie so glücklich nicht mehr ist, daß sie ein Stück Zusammenhalt verloren hat, daß nach dem Einstieg hier jetzt Erklärungsprobleme auftreten. Die mögen Sie mir in Briefings oder Ausschußberatungen erklären können. Entscheidend ist aber, ob die Gesellschaft die Erklärungen, die sie bekommt, akzeptiert und ob diese Erklärungen akkurat, gut verständlich sind und klar wahrgenommen werden. Deshalb sage ich Ihnen: Angesichts Ihrer Ratspräsidentschaft möchte ich für die Fraktion der F.D.P. mehr wissen, als ich gegenwärtig in Erklärungen im Deutschen Bundestag erhalten habe und als ich den Zeitungen entnehmen kann. Ich möchte von Ihnen wissen, wie Sie, je länger militärische Aktionen andauern, in den nächsten Schritten politisch agieren wollen. Denn Problemlösungskompetenz nach außen und die Frage der militärischen Behandlung im Innern gehören zusammen. Die NATO hat als Charakterbild nicht nur das Militärbündnis, sondern sie will immer auch die politische Grundfestigkeit nach außen ausstrahlen. Sie wissen ebenso wie der Bundesaußenminister - darin stimmen wir überein -, daß Probleme nicht allein militärisch zu lösen sind, daß aber militärische Entschlossenheit dazugehört. Wir möchten allerdings beschrieben haben, und zwar nicht nur im Nachklapp zu Pressekonferenzen, wie aus Ihrer Sicht konstitutiv Problemlösungen aussehen können, welche Qualität die deutsche Bundesregierung in sie hineinlegt, mit wem sie über Lösungen verhandelt und zu welchen Ergebnissen sie in welchen Zeitabschnitten kommen will. Wir haben übereinstimmend festgestellt, daß Rußland eine große Verantwortung hat. Wir haben gemeinsam ausgedrückt: Wir wollen sogar, daß Rußland diese Verantwortung wahrnimmt. Rückblickend betrachtet muß ich sagen: Äußere Zeichen sind manchmal auch Symbole für innere Eindrücke. Unter diesem Gesichtspunkt waren der Empfang, der Umgang und die Kühle im Bundeskanzleramt, als der russische Ministerpräsident Primakow hier zu Besuch war, nicht in Ordnung. ({33}) Wir spüren doch, daß eine linke Koalition in einem Krieg ein Paradoxon ist. Wir merken das an Ihren Haltungen und auch an Ihrem Vokabular. Daß Sie in dieser Frage stark mit sich ringen müssen, das ist jedem klar. ({34}) Aber deshalb können Sie nicht sozusagen den Wunsch haben, es möge keine Opposition stattfinden, nur weil Sie damit Probleme haben. Vielleicht hätte die frühere Bundesregierung nicht den dauernden Nachweis für ihre Bündnisfähigkeit in der Weise erbringen müssen, wie Sie es müssen. ({35}) Vielleicht hätte eine andere Bundesregierung sogar eher eigene Initiativen voranbringen können. Man merkt, daß Sie eine deutsche Schlüsselrolle spüren; man merkt aber auch, daß Sie sie nicht klar genug wahrnehmen. ({36}) Mir reicht eben nicht aus, was bis heute erklärt worden ist. ({37}) Jetzt möchte ich eine Frage stellen, die den Einsatz von Bodentruppen betrifft. ({38}) - Ich will im Plenum des Deutschen Bundestages von der deutschen Bundesregierung die notwendigen Auskünfte über ihr zukünftiges Verhalten in der Mixtur von militärstrategischen Schritten und politischen Initiativen. ({39}) Wenn das von der Mehrheitsfraktion als Zumutung empfunden wird, wie die Zurufe zeigen, dann muß das der deutschen Öffentlichkeit mitgeteilt werden. ({40}) Ich finde, daß gerade sehr kritische Situationen im Parlament besprochen werden müssen. Was den Einsatz von Bodentruppen anbetrifft - eine Diskussion, die wir in der ganzen deutschen Medienlandschaft haben und die viele von uns als Fragesteller im Plenum oder untereinander führen -, möchte ich für die Fraktion der F.D.P. erklären, daß er in den bisher mandatierten NATO-Strategien für uns nicht in Frage kommt. ({41}) Für die Fraktion der F.D.P. erkläre ich - auch weil Gespräche mit dem amerikanischen Präsidenten bevorstehen -, daß eine Mandatierung für deutsche Soldaten im Kosovo selbst nur im Rahmen eines Mandats der Vereinten Nationen oder, wie im Abkommen von Rambouillet vorgesehen, im Rahmen eines von allen KonDr. Wolfgang Gerhardt fliktparteien unterzeichneten Abkommens nach Zustimmung im Bundestag in Frage kommt. ({42}) - Ja, das steht in Ihrer Vorlage. Deshalb möchte ich wissen, ob Sie das auch so sehen, ({43}) ob Sie das vorgreiflich unseren Bündnispartnern mitteilen und ob der Bundeskanzler das zum Gegenstand des Gesprächs mit dem amerikanischen Präsidenten zu machen gedenkt. Das ist doch keine Nebenfrage, die an dieser Stelle erörtert werden muß. ({44}) Kurzum: Ich will einfach wissen, welche Aktivitäten in der Sache gelten und welche Sie inhaltlich wahrnehmen. Es ist die Pflicht einer Opposition, das abzufragen; anders würden wir unserer Aufgabe nicht gerecht. Natürlich gilt der Appell: Keine Parteipolitik! Das kann aber nicht bedeuten, sich mit spärlichen Auskünften zu begnügen. Wir wollen schon wissen, um was es geht. ({45})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Herr Kollege, denken Sie an Ihre Redezeit?

Dr. Wolfgang Gerhardt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002659, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ich komme zu einem bemerkenswerten Schluß, ({0}) weil bei der Wahrnehmung der Oppositionsrolle aus den Reihen der SPD der Zwischenruf „Spalter“ kommt. ({1}) Wissen Sie, meine Damen und Herren Kollegen, die Opposition im Deutschen Bundestag läßt sich von den Sozialdemokraten nicht den Mund verbieten. ({2}) Schon gar nicht von einer Partei, die sich, als wir in der Verantwortung waren, noch nicht einmal so solidarisch mit unseren Entscheidungen verhalten hat, wie das die Opposition heute tut. Nein, meine Damen und Herren, wir werden nicht zulassen, worauf Sie hinauswollen. Sie wollen eine Kosovo-Debatte führen und damit verdecken, was Sie im Innern des Landes mit Ihren nicht erledigten Hausaufgaben anrichten. ({3}) Es ist Ihr gutes Recht, das zu versuchen. Die Opposition wird das aber nicht zulassen. Sie suchen nach einem Mäntelchen, das über alles gedeckt werden soll, erledigen aber in Deutschland Ihre Hausaufgaben nicht. ({4}) Sie schweifen ab. Das lassen wir nicht zu und werden es auch nicht zulassen. Die Opposition hat einen breiten, klaren demokratischen Auftrag der Kontrolle von Macht. Den nehmen wir sowohl bei den strategischen Überlegungen im Kosovo wie in der innen-, wirtschafts-, sozial- und finanzpolitischen Debatte wahr. ({5})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Ich erteile das Wort der Kollegin Kerstin Müller, Bündnis 90/Die Grünen.

Kerstin Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002741, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es ist in der Tat eine außerordentlich schwierige Situation, in der wir hier den Haushalt beraten. Mir ist das in der vergangenen Woche - es wird einigen von Ihnen ähnlich gegangen sein -, bei den Kundgebungen am 1. Mai zum Tag der Arbeit, noch einmal sehr bewußt geworden. Dort gab es nämlich fast kein anderes Thema als den Krieg im Kosovo. Ich kann das gut verstehen. Uns alle beschäftigt dieser Krieg mehr als jedes andere Thema. Herr Gerhardt, daß Sie ausgerechnet dieser Bundesregierung und ausgerechnet dem Außenminister Fischer vorwerfen, sie hätten nicht wirklich alles versucht, um zu einer politischen Lösung zu kommen und die Spielräume auszuschöpfen, das ist wirklich völlig absurd. ({0}) Reden Sie doch einmal mit den Verbündeten; sie alle werden Ihnen das bestätigen. ({1}) Ich werde später auf das Thema Kosovo zurückkommen. Zunächst will ich den Vorwurf aufgreifen, wir würden nur deshalb so ausführlich darüber diskutieren, um bestimmten innenpolitischen Debatten auszuweichen. Ich muß ganz klar sagen: Das ist natürlich nicht der Fall. Kommentare und angebliche - anonyme - Zitate haben mich sehr geärgert, die besagen, daß der Krieg dieser Koalition nutze oder ihr eine zweite Chance biete. Herr Gerhardt, Sie haben das ja soeben auch unterstellt. Ich sage hier ganz klar: Solche Beurteilungen sind nicht nur absurd, sie sind schäbig und auch zynisch. Diese Koalition braucht keinen Krieg. Er bietet auch keine Chance, meine Damen und Herren. ({2}) Wir sind angetreten, um den ungeheuren Reformstau in diesem Land zu überwinden. Es geht darum, die Zukunftsfähigkeit zurückzugewinnen. Wir haben damit begonnen, und wir werden diesen Weg fortsetzen, konsequent und aller Polemik zum Trotz; denn zu diesem Weg gibt es keine Alternative. ({3}) Wir brauchen eine umfassende Modernisierung von Staat, Wirtschaft und Gesellschaft. Wir brauchen eine Modernisierung, die ökologische Nachhaltigkeit und soziale Gerechtigkeit miteinander verbindet. Die von Ihnen, von der alten Regierung geschaffenen Ungerechtigkeiten sind doch mehr als zahlreich. Damit haben wir es heute bei den sozialen und wirtschaftlichen Reformen zu tun, mit den Ungerechtigkeiten zwischen den sozial Schwachen und den Besserverdienenden, zwischen den Familien mit und ohne Kinder, zwischen Männern und Frauen, aber auch zwischen Einheimischen und Fremden. Es gibt keine Gerechtigkeit mehr zwischen den Generationen. Wir haben doch von Ihnen nicht zuletzt ein zutiefst ungerechtes Steuersystem übernommen, das wir jetzt modernisieren und reformieren. ({4}) Um die Gerechtigkeitslücke zu beseitigen, um die Zukunftsfähigkeit zurückzugewinnen, brauchen wir eine entschlossene Reformpolitik. Wir müssen und werden dabei verkrustete Strukturen überwinden, eingefahrene Denkbahnen verlassen und neue Lösungen finden. Wir werden gemeinsam mit Arbeitgebern und Gewerkschaften im „Bündnis für Arbeit“ neue Wege für Beschäftigung und Ausbildung gehen. Wir entlasten mit unserer Steuerreform untere Einkommen, Familien mit Kindern und eben auch kleine und mittlere Unternehmen. ({5}) Wir werden mit einem neuen Generationenvertrag mehr Generationengerechtigkeit schaffen. Wir werden mit unserer Gesundheitsreform endlich den Patienten in den Mittelpunkt stellen und werden mit einer neuen Energiepolitik auf ökologische Nachhaltigkeit setzen alles Dinge, die Sie in der Vergangenheit versäumt haben und die wir jetzt anpacken werden. ({6}) Zentrales Anliegen der Koalition ist die Bekämpfung der Massenerwerbslosigkeit. Deshalb hat für uns der Erfolg des „Bündnisses für Arbeit“ auch höchste Priorität. Daß das für Sie, Herr Glos, eine - wie haben Sie gesagt? - „nebulöse Veranstaltung“ ist, wundert mich überhaupt nicht. Denn Sie haben den Erfolg des „Bündnisses für Arbeit“ ja nie gewollt. Sie haben 1995 durch eine völlig nutzlose Konfrontation die damaligen Gespräche zum Scheitern gebracht. Wir greifen sie wieder auf; denn wir wollen gemeinsam - und nur gemeinsam wird das gehen - alle Möglichkeiten zum Abbau der Arbeitslosigkeit nutzen. ({7}) Natürlich sind die Gespräche nicht immer einfach. Sie werden auch sicherlich nicht in allen wichtigen Fragen zu schnellen Ergebnissen führen. Wir müssen uns alle darüber klar sein: Wir werden hier einen sehr langen Atem brauchen. Aber die Gespräche haben begonnen. Schon das allein ist ein wichtiger Erfolg. Alle Beteiligten, die Gewerkschaften, die Arbeitgeberverbände und die Regierung, müssen und werden in dem „Bündnis für Arbeit“ ihren konkreten Beitrag leisten. Man kann aber schon jetzt festhalten, daß das Programm für 100 000 Ausbildungsplätze ein voller Erfolg ist. Ich rate Ihnen: Gehen Sie in Ihre Wahlkreise, und reden Sie mit den zuständigen Sachbearbeitern der dortigen Arbeitsämter. Dort wird man Ihnen genau das bestätigen. Das Programm ist ein echter Renner. Die Nachfrage ist wesentlich größer als das Angebot. Es gelingt erstmals - das ist der entscheidende Punkt -, Jugendliche zu erreichen, zu qualifizieren und zu vermitteln, zu denen jahrelang keine staatliche Stelle einen Zugang hatte. Das liegt daran, daß wir den Jugendlichen mit unserem Programm signalisieren: Ihr gehört zu unserer Gesellschaft, ihr habt hier euren Platz, wir werden euch eine Lebensperspektive schaffen. Deshalb wird dieses Programm - dessen bin ich mir sicher - nicht nur Signalwirkung für 100 000 Jugendliche, sondern darüber hinaus auch für weitere Jugendliche und Unternehmen haben. Das ist ein weiterer wichtiger Punkt, der über die ursprüngliche Zielsetzung hinausgeht. ({8}) Einen weiteren großen Schritt in Richtung Zukunftsfähigkeit gehen wir mit dem Einstieg in eine nachhaltige Energiepolitik. Wir setzen auf Energieeinsparung. Hier setzen wir auf einen neuen zukunftsfähigen Energiemix, und zwar ohne Atomenergie. Wir werden auch auf die verstärkte Nutzung von regenerativen Energien setzen. Anreize hierfür wird - ich weiß, das ist sehr umstritten; aber ich bin mir sicher, daß wir am Ende der Legislaturperiode klare Ergebnisse haben werden - der Einstieg in die ökologische Steuerreform schaffen. Sie ist und bleibt der entscheidende Schlüssel, um die Wirtschaft ökologisch zu modernisieren. Energie wird schrittweise teurer und Arbeit billiger. Der Kollege Struck hat eben schon darauf hingewiesen: Die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer haben am Ende des letzten Monats - erstmals seit Jahren - eine konkrete Verbesserung auf ihrem Gehaltszettel feststellen können, weil wir die Lohnnebenkosten um 0,8 Prozent gesenkt haben. Hier muß ich Sie, verehrte Damen und Herren von der Opposition, fragen: Wo ist denn Ihr Vorschlag zu einer sozialverträglichen Senkung der Lohnnebenkosten? Bei Ihnen herrscht doch nur Sendepause. ({9}) Kerstin Müller ({10}) Wir wollen und werden umsteuern. Deshalb werden das kann ich Ihnen versprechen - die zweite und dritte Stufe der ökologischen Steuerreform in Kraft gesetzt werden. Wir haben ein 100 000-Dächer-Programm auf den Weg gebracht, um eine verstärkte Nutzung der Solarenergie zu fördern. Es ist weltweit das größte Programm dieser Art. Wir haben ein Förderprogramm für erneuerbare Energien beschlossen, mit dem vor allem die Nutzung von Biogas, Solarenergie und geothermischen Energien gefördert werden soll. Wir stellen zusätzliche Forschungsmittel für diese Bereiche bereit. Wir bereiten jetzt auch eine entsprechende Energiesparverordnung vor. Wirtschaftsminister Müller hat die Industrie, die Umweltverbände und die Gewerkschaften zu einem breitangelegten Energiedialog über die Konsensgespräche hinaus eingeladen, um gemeinsam nach neuen Wegen für eine nachhaltige und wettbewerbsfähige Energiepolitik zu suchen. Ich sage ganz klar: Meine Fraktion begrüßt das nachdrücklich. Wir brauchen einen solchen Energiedialog, damit sich umweltschonende Formen der Energieerzeugung langfristig im globalen Wettbewerb behaupten können. Deshalb muß man schon heute den deutschen Markt für diese Technologien erschließen, damit am Energiestandort Deutschland zukunftsfähige Arbeitsplätze in diesen Bereichen geschaffen werden. ({11}) Zu unseren Zielen gehört auch untrennbar der vereinbarte Ausstieg aus der Atomenergie. Wir werden ihn das sage ich hier auch ganz deutlich - in dieser Legislaturperiode nicht vollziehen können, aber wir werden ihn umfassend und unumkehrbar regeln. Wir wollen ihn, wenn es irgendwie geht - das betone ich besonders für meine Fraktion -, im Konsens vereinbaren. Wir sind dazu bereit. Nur, für einen Konsens braucht man natürlich auch Partner. Einen Kompromiß zu schließen bedeutet Geben und Nehmen. Wenn ich mir dagegen die Spielchen, die die Atomindustrie in den letzten Monaten getrieben hat, anschaue, habe ich den Eindruck, daß manche in der Industrie zwar gerne nehmen, aber den Sinn des Gebens nicht ganz verstanden haben. ({12}) Im Moment spielt die Atomindustrie nur noch auf Zeit. Bis heute verweigert sie die Einsicht in die Verträge über die Wiederaufarbeitung mit Frankreich und Großbritannien. Bis heute versucht sie mit allen Tricks, ihre tatsächlichen Lagerkapazitäten in den Reaktoren im dunkeln zu halten. Jetzt sollen auch noch überflüssige Atomtransporte quer durch die Republik erzwungen werden. Monatelang wurden völlig überzogene Zahlen über steuerliche Rückstellungen verbreitet. Für meine Fraktion möchte ich ganz klar sagen: Mit Taschenspielertricks und mit Verschleppung bis zum SanktNimmerleins-Tag wird man nicht zum Konsens kommen. ({13}) Wenn es im Konsens nicht geht, dann haben wir die Verantwortung, den Willen der Bevölkerung zum Atomausstieg, der auch im Wahlergebnis zum Ausdruck gekommen ist, per Gesetz zu regeln. Ich möchte daher auch von dieser Stelle aus an die Vernünftigen in den Reihen der Industrie appellieren: Stellen Sie Ihre Blokkadepolitik ein! Verhandeln Sie mit uns im Konsens! Ein Konflikt würde beide Seiten, den Gesetzgeber, aber auch die Industrie, teuer zu stehen kommen. Das wollen wir nicht. ({14}) Das Leitbild der Nachhaltigkeit gilt für uns nicht nur in der Wirtschaftspolitik. Es muß auch in der Finanzpolitik gelten. Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, haben seinerzeit den finanziellen Spielraum zerstört, den man heute zur Lösung der Probleme dringend braucht. Schauen wir uns die Zahlen an - der Finanzminister hat sie gestern vorgetragen -: Der vorliegende Entwurf umfaßt Ausgaben von knapp 486 Milliarden DM. Fast jede vierte Mark der Steuereinnahmen wird heute allein für Zinsen ausgegeben. Dieses Geld fehlt eben. Es fehlt für dringend notwendige Investitionen und für die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit. Zukunftsfähigkeit bedeutet für uns deshalb auch, zunächst einmal diesen finanzpolitischen Spielraum zurückzugewinnen, um die Gesellschaft modernisieren zu können. Der vorliegende Haushaltsentwurf ist zwar ein Übergangsentwurf, und dennoch - darauf sind wir stolz leiten wir die Wende zu einer nachhaltigen Haushaltspolitik ein. Der Regierungsentwurf wurde quer durch alle Ressorts noch einmal um insgesamt 2,3 Milliarden DM gekürzt. Das ist - das sage ich ganz klar - ein wichtiger Erfolg der Haushaltspolitiker der Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen. ({15}) Die Nettokreditaufnahme wurde um fast 3 Milliarden DM vermindert, während die investiven Ausgaben sogar um mehr als 1 Milliarde DM erhöht wurden. Bildung und Wissenschaft fördern wir mit zusätzlich fast 1 Milliarde DM. Auch das ist ein wichtiger Beitrag zur Zukunftssicherung. Zukunftsfähigkeit und Gerechtigkeit, das bedeutet insbesondere auch: Wir ergreifen Partei für die nächste Generation. Bei unserer Einkommensteuerreform steht deshalb die Entlastung der Menschen mit Kindern und damit die Zukunft der Kinder im Mittelpunkt. Sie haben zwar 16 Jahre lang von Familie geredet; der Beschluß des Bundesverfassungsgerichts hat aber gezeigt: Das waren alles Sonntagsreden. Das hat Ihnen das Bundesverfassungsgericht doch ins Abschlußzeugnis geschrieben. Ihre Politik hat den Familien geschadet. Das werden wir jetzt ändern. Wir werden eine familien- und kinderfreundliche Politik machen. ({16}) Mit der Verabschiedung des Steuerentlastungsgesetzes haben wir damit bereits begonnen. Wir entlasten Kerstin Müller ({17}) Familien mit zwei Kindern bereits in diesem Jahr um bis zu 1 200 DM. Wir werden sie mit der Umsetzung des Familienurteils weiter entlasten. Die Fachabgeordneten meiner Fraktion haben dazu einen guten Vorschlag gemacht. Die Richter des Verfassungsgerichts haben gestern in einem Gespräch gesagt, der Gesetzgeber solle Phantasie bei der Umsetzung zeigen. Wir haben das getan. Wir schlagen einen Kindergrundfreibetrag vor. Ein Kindergrundfreibetrag, also ein steuerfreies Existenzminimum für Kinder, das würde jedes Kind endlich gleich behandeln. ({18}) - Ich sehe, daß Sie, was die Umsetzung solcher Urteile betrifft, mit Phantasie nicht viel am Hut haben. Ich finde es wichtig, daß wir neue finanzpolitische Instrumente entwickeln. Mir ist sehr wohl bekannt, daß es verfassungsrechtliche Bedenken gegen eine solche gerechte Lösung gibt. Ich hoffe, daß wir sie ausräumen können. Aber wenn dies nicht möglich ist, dann muß im ersten Schritt - das ist klar - der Erhöhung des Kindergeldes eine ganz besondere Bedeutung zukommen. ({19}) Entlastungen der Familien heißt für uns Nettoentlastungen der Familien. Für uns kommt bei der Finanzierung der Reform weder eine ausschließliche Umverteilung von Leistungen für Kinder noch die Anhebung der Mehrwertsteuer in Frage. Meine Fraktion hält es für sehr viel vernünftiger, das Ehegattensplitting in ein Realsplitting umzuwandeln, wie es bereits heute für Geschiedene gilt. Wir wollen das Leben mit Kindern und nicht den Trauschein finanziell fördern. Dieser Gedanke soll sich durch unsere Familien- und Finanzpolitik ziehen. Das ist gerecht und auch zukunftsfähig. ({20}) Das gilt auch für die anstehende Unternehmensteuerreform. Wir wollen und werden mit ihr fairen Wettbewerb ermöglichen. Wie ist es denn heute um die kleinen und mittleren Betriebe bestellt? Sie tragen nicht nur den Löwenanteil der Ausbildungskosten, sie finanzieren mit ihren Steuern auch noch die Subventionen für die Großindustrie und die Konzerne. Das wollen wir ändern. Damit haben wir bei unserer Steuerreform angefangen: Um jährlich mehr als 5 Milliarden DM haben wir die kleinen und mittleren Betriebe bereits im ersten Schritt entlastet. Wir streichen auch - damit beginnen wir - ungerechte Vergünstigungen für Großunternehmen und Konzerne. Das wird auch im Gesamtkonzept der Steuerreform fortgesetzt werden. Unser Ziel ist ein Steuersatz von 35 Prozent. Das ist richtig. ({21}) - Es geht nicht um das Wann, sondern wir werden ihn schrittweise umsetzen. Die zentrale Frage ist, ob und wie wir ihn finanzieren können. Für uns ist völlig klar: Wir müssen ihn unter anderem durch den Abbau von Subventionen finanzieren. Wir unterstützen ganz klar und mit allem Nachdruck die Initiative des Wirtschaftsministers Müller; das Kirchturmsdenken mancher Lobbyisten muß endlich überwunden werden. ({22}) Ich weiß nicht, wie oft ich in den letzten Wochen gehört habe: Subventionen streichen, sicher; nur bitte nicht bei mir. Ich sage ganz klar, daß es in Deutschland nicht so laufen wird, wie sich das Herr Henkel vom BDI oder andere Verbandsvertreter vorstellen, nämlich amerikanische Steuersätze zu deutschen Konditionen, das heißt mit deutschen Subventionen, einzuführen. ({23}) Eine echte Nettoentlastung für alle wird es nicht geben. Man müßte dann nämlich sagen, wer dafür die Zeche bezahlt. So etwas würde eine unfaire und einseitige Belastung der Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen mit sich bringen, die Lage der kleinen und mittleren Unternehmen verschärfen und neue Löcher in die öffentlichen Haushalte reißen. ({24}) Wir sind der Meinung: Jede Subvention muß auf den Prüfstand. Sehr verehrte Damen und Herren von der Opposition, die Ergebnisse Ihrer Wirtschafts- und Steuerpolitik sind einfach niederschmetternd. Ein Gesetz nach dem anderen wird von den Gerichten für verfassungswidrig erklärt. Der Grund ist immer der gleiche - wir haben das auch gestern abend noch einmal klar erläutert -: Ihre Gesetze sind grob ungerecht und verletzen ein ums andere Mal das Gleichbehandlungsgebot des Grundgesetzes. Hiervon zeugt auch das Urteil des Bundesfinanzhofes aus der letzten Woche. Wir müssen jetzt eine große Altlast bewältigen; aber wir werden auch dieses umsetzen. An Hand der am vergangenen Freitag vorgelegten Thesen der Kommission zur Reform der Unternehmensteuerreform werden wir noch vor der Sommerpause ein solides und vernünftiges Stufenkonzept erarbeiten. Die Ziele dafür sind klar: Kleine und mittlere Unternehmen müssen entlastet werden. Wir müssen niedrige Steuersätze bei privaten und gewerblichen Einkommen erreichen. Dafür müssen Subventionen und steuerliche Vergünstigungen und Sonderregelungen abgebaut werden. Vor allem müssen alle Einkünfte künftig gleich behandelt werden. Das schafft Transparenz, Gerechtigkeit, ein für Investitionen günstiges Klima, eine Stärkung des Mittelstandes und Arbeitsplätze. Wir werden das umsetzen. Ich bin mir sicher, daß eine an diesen Zielen ausgerichtete Steuerreform auch die Zustimmung der Menschen in diesem Lande finden wird. ({25}) Kerstin Müller ({26}) Die alte Regierung ist in den vergangenen Jahren dem Irrglauben gefolgt, man könne Arbeitsplätze nur schaffen, wenn man das soziale Netz unseres Landes systematisch zerstört. Begründet wurde das mit dem Anpassungsdruck, der wesentlich höhere Flexibilität auf dem Arbeitsmarkt erfordert. Natürlich brauchen wir in sehr vielen Bereichen der Wirtschaft höhere Flexibilität. Entscheidend aber ist doch, daß Menschen, die sich auf einen flexiblen Arbeitsmarkt einstellen sollen, Risiken eingehen sollen und häufig ihre Arbeitsstelle wechseln müssen, im Gegenzug mehr Vertrauen in das soziale Netz setzen können. Deshalb ist für uns die Modernisierung der Wirtschaft untrennbar mit der notwendigen Modernisierung unserer Sozialsysteme, etwa des Gesundheitswesens, verknüpft. Die in den kommenden Wochen zu beratende Reform soll endlich gravierende strukturelle Defizite im vorhandenen System beseitigen. Ich kann hier der Gesundheitsministerin nur zustimmen, wenn sie sagt: Wir Deutsche geben zwar das meiste Geld für unser Gesundheitssystem aus, ({27}) aber das gesündeste Volk sind wir deshalb noch lange nicht. Deshalb sehe ich das ganz klar so wie sie: Wir brauchen auf diesem Gebiet grundlegende Reformen, und diese werden wir auch anpacken. Im Zentrum stehen für uns die Patientinnen und Patienten. Wir wollen ihre Rechte stärken und die Qualität des Gesundheitssystems durch die Stärkung der Rolle der Hausärzte sichern und verbessern. Wir wollen mit einem Globalbudget die Handlungsfähigkeit der Ärzte sichern und gleichzeitig die Kostenexplosion stoppen. Nur so, nur durch beide Maßnahmen im Zusammenhang, werden wir erreichen, daß die Beiträge stabil bleiben und die Kosten nur im Rahmen der Lohnentwicklung steigen. Die Reform ist sorgfältig vorbereitet worden. Jetzt muß sie auch wie geplant umgesetzt werden. Dieser Weg - das sage ich hier auch - ist nicht einfach. Wir haben es bei dieser Reform mit ganz mächtigen Lobbyisten zu tun, die eben nicht ohne Zeter-und-MordioGeschrei bereit sind, auf ihre liebgewordenen Pfründen zu verzichten. An dieser Stelle sage ich aber auch: Wer die dringend notwendige Modernisierung durchsetzen will, der kann nicht den Weg des geringsten Widerstands gehen, der muß eben manchmal auch solchen Lobbyisten auf die Füße treten. Deshalb braucht die Gesundheitsministerin bei dieser Auseinandersetzung die volle Unterstützung der Grünen und der sozialdemokratischen Fraktion. ({28}) Ich betone, daß sie ebenso wie Arbeitsminister Walter Riester bei der Auseinandersetzung um die 630-DMJobs mit unserer Unterstützung rechnen kann. ({29}) Ich finde, insbesondere Sie, Herr Gerhardt, und Ihre Kollegen sollten bei diesem Thema besser schamhaft schweigen, ({30}) denn das Problem, das wir mit diesem Gesetz lösen wollen, haben Sie verursacht. ({31}) Sie haben über Jahrzehnte zugelassen, daß Unternehmen systematisch sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze vernichten. Das konnte nicht so weitergehen. Die Sozialkassen werden geleert, sie werden ausgetrocknet. ({32}) Über dieses Problem haben wir in der letzten Legislaturperiode hier immer wieder diskutiert. Die Lasten werden von immer weniger Arbeitnehmern getragen. Für die Betroffenen heißt das eben allzuoft Altersarmut, weil sie später in der Sozialhilfe landen. Es gibt mit der Neuregelung, insbesondere bei der Scheinselbständigkeit, Übergangsschwierigkeiten. Wir werden diese Probleme bei der Anwendung des Gesetzes lösen. Aber für uns ist klar: An der Zielrichtung, an der Grundlage des Gesetzes halten wir fest. Die Mißstände, die Sie produziert haben, werden und müssen in jedem Fall beseitigt werden. ({33}) Es geht nicht nur um die ökologische Nachhaltigkeit und um die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit - nicht nur damit wird die Zukunftsfähigkeit wiederhergestellt -, sondern wenn wir modernisieren wollen, dann brauchen wir auch mehr Demokratie, dann brauchen wir mehr Weltoffenheit. Deshalb müssen wir endlich auch das überkommene Staatsbürgerschaftsrecht modernisieren. Hierzu wird Ihnen am Freitag ein Gesetzentwurf, der auch von der F.D.P. getragen wird, vorliegen. Künftig soll danach eben nicht mehr die Abstammung allein darüber entscheiden, ob jemand Inländer ist und damit zu dieser Gesellschaft gehört. Künftig werden alle Kinder, auch die ausländischer Eltern, mit der Geburt Deutsche sein, wenn diese in Deutschland erfolgt. Meine Damen und Herren, das ist ein historischer Schritt. Mit dieser Reform des Staatsbürgerschaftsrechtes verabschiedet sich die Bundesrepublik vom völkischen Abstammungsrecht und findet endlich den Anschluß an Europa. ({34}) Ich will nicht verschweigen, daß wir gern mehr erreicht hätten, etwa daß wir den Mut zum Brückenschlag für die erste Generation der Einwanderer durch die Hinnahme der doppelten Staatsbürgerschaft gehabt hätten. Aber die Reform, die wir am Freitag verabschieden, ist ein erster, ein entscheidender Schritt; denn sie signaliKerstin Müller ({35}) siert zumindest den hier geborenen Kindern: Ihr gehört zu dieser Gesellschaft. Das wird - dessen bin ich ganz sicher - das entscheidende Angebot zur Integration dieser Kinder, aber auch ihrer Familien sein. ({36}) Wir stellen uns damit der Tatsache, daß die Bundesrepublik längst ein Einwanderungsland geworden ist und daß wir dieses Einwanderungsland gestalten wollen. Um so beschämender finde ich es, meine Damen und Herren von der CDU/CSU, daß Sie noch nicht einmal in der Lage sind, diesen ersten Reformschritt mitzugehen. Schlimmer noch - Herr Glos hat das heute noch einmal angekündigt -: Sie halten an Ihrer unsäglichen Kampagne fest. Das heißt, Sie wollen die Gesellschaft weiter spalten, obwohl der geänderte Gesetzentwurf die doppelte Staatsbürgerschaft - zum Bedauern meiner Fraktion - gar nicht mehr enthält. Die Kinder müssen sich nämlich mit 18 Jahren für eine Staatsbürgerschaft entscheiden. Wenn es noch eines Beweises bedurft hätte, dann ist spätestens jetzt klargeworden, daß es Ihnen nie um die doppelte Staatsbürgerschaft gegangen ist. Sinn und Zweck der Kampagne war ganz einfach parteipolitische Stimmungsmache auf dem Rücken der hier lebenden Ausländerinnen und Ausländer. ({37}) Ich fordere Sie auf, daß Sie vor dem Hintergrund dieses Gesetzes Ihre Kampagne einstellen. Ich frage mich vor allem - ich bin auf die Debatte am Freitag gespannt -, was eigentlich diejenigen Abgeordneten aus Ihren Reihen, 150 an der Zahl, zu diesem Gesetzentwurf sagen werden, die in der letzten Legislaturperiode eine Initiative zur Reform des Staatsbürgerschaftsrechts eingebracht haben. Dieser Vorschlag war fast identisch mit dem vorliegenden Gesetzentwurf. Ich frage mich also, ob sich Ihre Kampagne auch gegen Ihre eigenen Abgeordneten richtet. Das wäre eine interessante und ganz neue Variante von Oppositionsarbeit: Die CDU/CSU-Fraktion macht eine Diffamierungskampagne gegen ihre eigenen Abgeordneten. Sie sind offensichtlich nicht bereit, diese Kampagne einzustellen oder wenigstens - das wäre ja das Minimum - die Abstimmung in Ihrer Fraktion freizugeben. Wahrscheinlich liegt es daran, daß der heimliche Vorsitzende aus Bayern, Herr Stoiber, das Ende der Kampagne nicht abgenickt hat. Ich kann nur an die Abgeordneten appellieren, die seinerzeit den Reformaufruf unterzeichnet haben: Sie haben die einmalige Chance, am Freitag das Anliegen Ihres Aufrufes in die Realität umzusetzen, indem Sie unserem Gesetzentwurf zustimmen. Ich sage auch: Sie tragen damit eine große Verantwortung; denn mit Ihrer Zustimmung fände diese historische Reform nicht nur eine breitere Unterstützung im Parlament, sondern damit könnte der unsäglichen Unterschriftenkampagne der Boden entzogen werden. Dann könnten wir in Deutschland, wie sonst überall in Europa, endlich gemeinsam über das reden, was notwendig ist, nämlich wie wir Integration gestalten wollen, anstatt die Augen zu verschließen. Deshalb fordere ich Sie im Namen von SPD und Grünen noch einmal auf: Stimmen Sie dieser Reform des Staatsbürgerschaftsrechts am Freitag zu! ({38}) Ich möchte zum Schluß noch auf das Thema eingehen, das uns alle in den letzten Wochen am meisten bewegt hat, nämlich auf den Krieg im Kosovo. Im Kosovo wird nicht nur über die Zukunft der Menschen in der Region entschieden, sondern auch ein Stück weit über die Zukunft Europas. Unser Ziel kann nur ein gemeinsames, friedliches und demokratisches Europa sein. Das Eingreifen in Jugoslawien ist deshalb auch eine Verpflichtung. Wir müssen zukünftig rechtzeitig mit allen nichtmilitärischen Mitteln einschreiten, wenn Menschenrechte systematisch mit Füßen getreten werden. Die Möglichkeiten ziviler Konfliktlösung müssen weiterentwickelt werden. Vor allem muß man sie einsetzen, solange sie noch Erfolg versprechen. Wie damals, als wir vor der Entscheidung standen, fragen wir uns in diesen Wochen dennoch: Wenn die nichtmilitärischen Mittel zur Konfliktlösung versagen und wenn wir nur wählen können, einem zweiten Bosnien hilflos zuzusehen oder mit militärischem Einsatz den Versuch zu unternehmen, Völkermord und Vertreibung zu verhindern, dürfen wir dann die Ultima ratio, das heißt den Einsatz militärischer Gewalt, verweigern? Ich meine, wie die Mehrheit dieses Hauses: Nein, das dürfen wir nicht. In diesem Hause und in meiner Fraktion und Partei wird über diese Frage eine meist sehr nachdenkliche und ernsthafte - Herr Glos, ich finde diese Haltung sehr angemessen - Debatte geführt. ({39}) Deshalb möchte ich an dieser Stelle hinzufügen: Es ist richtig und notwendig, daß es gerade in Deutschland eine starke pazifistische Stimme gibt, die uns immer wieder mahnt, dem Militär nicht das Handeln zu überlassen. Denn es ist ja richtig, daß Krieg immer mit der großen Gefahr verbunden ist, daß das Primat der Politik verlorengeht. Zu Frieden und Demokratie kommen wir letztlich immer nur über einen politischen Weg, für den ja gerade die deutsche Bundesregierung, insbesondere der Außenminister, alles in ihrer Macht Stehende getan hat, um im Rahmen des Rambouillet-Prozesses und auch jetzt zu einer politischen Lösung zu kommen. ({40}) Wir müssen nach sechs Wochen Bombardierung aber auch nüchtern bilanzieren, daß die Ziele der Luftangriffe bisher nicht erreicht worden sind, ({41}) daß der fortgesetzte Massenmord und die Vertreibung der albanischen Bevölkerung im Kosovo leider nicht verhindert oder beendet werden konnten. Milosevic konnte bisher nicht zum Einlenken gezwungen werden. Das Bitterste ist: Die Rückführung der Flüchtlinge in ihre Heimatorte ist völlig ungewiß. Kerstin Müller ({42}) Gleichzeitig werden nach jeder neuen Bombennacht viele Fragen immer drängender. Ich möchte sie hier nennen: Warum werden offensichtlich mehr und mehr zivile Einrichtungen angegriffen? Ich glaube, daß sich viele fragen: Richtet sich der Krieg mehr und mehr auch gegen die Zivilbevölkerung? Entspricht - diese Frage müssen wir uns stellen, gerade wenn wir sagen: wir führen einen Krieg, um eine humanitäre Katastrophe abzuwenden - die NATO-Strategie noch der Verhältnismäßigkeit der Mittel? ({43}) Ich glaube, an vielen von uns nagen diese Zweifel jeden Tag. Auch ich stelle mir diese Fragen immer und immer wieder. Dennoch, das Dilemma ist: Ein einseitiger, unbefristeter Stopp der Luftangriffe würde nur - das ist meine feste Überzeugung - zu einer weiteren blutigen Runde im Kosovo und möglicherweise sogar zu einer Ausweitung des Krieges führen. Denn was sollte Milosevic dann noch stoppen? Er hätte sich letztlich durchgesetzt; er würde sich sogar im nachhinein in seiner menschenverachtenden Vertreibungspolitik bestärkt fühlen. Das dürfen wir nicht zulassen. ({44}) Dennoch: Wir, das heißt das Parlament und die Regierung, müssen immer wieder sehr genau prüfen, ob nicht eine befristete Feuerpause neue diplomatische Spielräume schaffen könnte, ob das zum Beispiel die Möglichkeit eröffnen würde, zumindest die verbliebenen Teile der albanischen Bevölkerung im Kosovo zum Beispiel durch „air drops“ zu versorgen. Wir müssen auch prüfen, ob nicht zumindest eine befristete Einstellung der Bombardierung von Montenegro sinnvoll wäre, denn dort droht eine völlige Destabilisierung mit schlimmen Konsequenzen. Ich glaube, wir dürfen auch eines nicht vergessen: Militärischer Zwang alleine reicht nicht. Die Lösung wird es nur auf politischer Ebene geben. Daher unterstützen wir - das sage ich noch einmal ganz deutlich nachdrücklich den Friedensplan des Außenministers und die aktuellen Bemühungen der Bundesregierung, unter Einbeziehung Rußlands und im Rahmen der UNO auf dieser Grundlage endlich zu einer politischen Lösung zu kommen. Ich glaube, das ist der einzige Weg, um den Krieg letztlich beenden zu können. ({45})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Denken Sie an die Redezeit!

Kerstin Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002741, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich komme gleich zum Schluß. Die Lage der Flüchtlinge in Albanien und Makedonien - das ist mein letzter Punkt - ist verheerend. Die Hilfsorganisationen und die Helfer der Bundeswehr verrichten dort eine bewundernswerte Arbeit. Deshalb wird auch ein sehr großer Teil meiner Fraktion dem Antrag der Bundesregierung zustimmen. Aber ich möchte zum Schluß noch etwas sagen: Ich finde es beschämend, daß wir in Europa angesichts der humanitären Katastrophe vor Ort eine Debatte über Quoten in Europa führen. Wir müssen unbürokratisch weitere Flüchtlinge aufnehmen, um die Länder vor Ort zu entlasten. ({0}) Ich denke, daß diese Debatte sehr deutlich zeigt: Wir stehen an einem Wendepunkt deutscher Innen- wie Außenpolitik. Deutschland und Europa müssen sich auf umfassende Veränderungsprozesse einstellen. Das Ziel der Koalition ist ein Weg, der niemanden ausgrenzt, nicht bei uns und nicht im Verhältnis zu anderen Nationen, ein gemeinsamer Weg für Demokratie, Frieden und Zukunftsfähigkeit. Ich hoffe, daß es uns gelingt, ihn zu gehen. Danke schön. ({1})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Ich erteile das Wort nun dem Kollegen Dr. Gysi, PDS-Fraktion.

Dr. Gregor Gysi (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000756, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Zunächst, Herr Glos: Ihre Bemerkung zu Beginn haben wir mit großem Wohlwollen aufgenommen. Sie haben gesagt, daß die PDS-Fraktion und ich demokratische Gepflogenheiten nicht gewohnt seien. Wir verstehen das als eine selbstkritische Bemerkung und zugleich als das Versprechen, uns künftig demokratisch zu behandeln, und sehen der Zukunft deshalb mit Freude entgegen. ({0}) Die Fraktion der PDS wird gegen den Etat des Bundeskanzlers und des Bundeskanzleramtes stimmen. ({1}) Das hängt mit unserer äußerst kritischen Bewertung der Außen- und Innenpolitik der Bundesregierung zusammen. Seit Wochen beschäftigen der völkerrechtswidrige Angriffskrieg der NATO gegen Jugoslawien sowie das Schicksal, die Vertreibung und die Leiden der KosovoAlbaner die gesamte Bevölkerung. Jeden Abend in den Nachrichten hören wir zwei stereotype Sätze. Der eine lautet: Das Leiden der Kosovo-Albaner nimmt nicht ab; es nimmt sogar zu. Der andere lautet: Die NATO hat erklärt, sie werde ihr Bombardement forcieren. Wenn es aber offensichtlich so ist, daß das zumindest vorgegebene Ziel, die Leiden der Kosovo-Albaner zu lindern, mit einem Bombardement nicht erreicht wird, dann wird es doch höchste Zeit, dieses Mittel aufzugeben. Denn es führt und kann letztlich auch nicht zu einem Erfolg führen. ({2}) Kerstin Müller ({3}) Kritik an der Bundesregierung hinsichtlich dieses Krieges ist in diesem Hause selten. Sie ist unerwünscht. Man setzt sich der Gefahr von Ausgrenzung und Diffamierung aus, wenn man sie dennoch übt. Ich halte sie allerdings für dringend erforderlich und weise erneut darauf hin, daß im Bundestag eine Kritik an diesem Krieg, wie sie in der Bevölkerung besteht, völlig unterrepräsentiert ist. Herr Bundesaußenminister Fischer, Sie brauchen nicht zu lächeln. Ihr Problem ist in Wirklichkeit folgendes: Die Reden, die ich heute halte, hätten Sie vor drei Jahren wortwörtlich so gehalten. ({4}) Ihre Schwierigkeit ist doch, das zu erklären. Das ist Ihr Problem. Ich möchte zunächst der These - sie ist soeben auch von Frau Müller noch einmal aufgestellt worden -, daß vor Beginn des Krieges, insbesondere in Rambouillet, alle Möglichkeiten ausgeschöpft worden sind, deutlich widersprechen. Es gibt mindestens fünf Umstände, die danach eingetreten sind, die das widerlegen: Erstens. Es wird allgemein anerkannt, daß der militärische Teil des Vertragsentwurfes nicht unterzeichnungsfähig war, auch nicht für einen demokratischeren Präsidenten in Jugoslawien. Darüber wurde nicht verhandelt, lautet Ihr Argument. Aber weshalb ist etwas vorgelegt worden, was sowieso nicht unterzeichnungsfähig war? Zu erklären ist auch nicht, weshalb während der Verhandlungspause gesagt wurde, daß nach Rückkehr der Verhandlungsseiten der Entwurf so, wie er vorliege, unterschrieben werden müsse, da etwas anderes nicht mehr in Frage komme. Diesbezüglich sind also vorhandene Möglichkeiten niemals ausgeschöpft worden. Zweitens. Ein weiterer Umstand ist der Friedensvorschlag von Bundesaußenminister Fischer. Hier schlagen Sie plötzlich eine UN-Hoheit vor. Diesen Vorschlag hat es während des Rambouillet-Prozesses zu keinem Zeitpunkt gegeben. Es gab damals viele Erklärungen, weshalb die Hoheit unbedingt bei der NATO liegen müsse. Es wurde begründet, daß dies anders nicht gehe. Wenn Sie drei Wochen nach Beginn des Krieges einen solchen Vorschlag machen, warum haben Sie das dann nicht vor Beginn des Krieges getan? ({5}) Denn es ist doch offenkundig, daß es für Milosevic viel schwieriger gewesen wäre, nein zur UNO zu sagen. So haben Sie es ihm doch extrem leichtgemacht, indem er nur nein zur NATO zu sagen brauchte. Drittens. Ein weiterer Umstand besteht darin, daß Außenministerin Albright - das ist unstrittig - zur albanischen Seite gesagt hat - die wollte den Vertrag ja auch nicht unterschreiben -: Ihr könnt unterschreiben; denn die jugoslawische Seite unterschreibt ohnehin nicht. Es gibt also kein Abkommen. Aber wenn ihr nicht unterschreibt, dann können wir nicht bombardieren. Viertens. Der nächste Umstand - das ist am stärksten - ist die Tatsache, daß die Europäische Union vor ungefähr einer Woche Wirtschaftssanktionen gegen Jugoslawien beschlossen hat. Es hat mich fast vom Hocker gehauen, als ich dadurch erst einmal mitbekam, daß bis dahin noch Handel getrieben worden ist. Jetzt frage ich Sie: Wenn man fünf Wochen nach Kriegsbeginn Wirtschaftssanktionen beschließt, was hätte denn die EU daran gehindert, diese im Oktober 1998 zu beschließen, um Jugoslawien zum Einlenken zu bewegen? Angesichts dessen können Sie doch nicht im Ernst behaupten, alle Möglichkeiten seien ausgeschöpft worden. ({6}) Jetzt will die NATO ein Embargo beschließen. Das ist aus mehreren Gründen interessant: Ein Embargo darf nur der Sicherheitsrat beschließen. Rußland und China haben sich nie gegen Sanktionen gegenüber Jugoslawien gewandt. Sie haben sie mit unterstützt. Sie waren nur gegen eine militärische Intervention. Das heißt, man hätte versuchen können, ein solches Embargo im Sicherheitsrat zu beschließen. Dies ist gar nicht versucht worden. Jetzt versucht es die NATO allein und begeht schon wieder einen Völkerrechtsbruch. Die NATO darf zwar entscheiden, ob sie selber mit Jugoslawien Handel treibt; sie darf aber ein Embargo weder Mexiko, Indien noch Rußland vorschreiben. Wenn sie dieses Embargo dann noch mit militärischer Gewalt in jugoslawischen Häfen durchsetzen will, dann bedeutet das, eine deutliche Eskalation in größerem internationalen Rahmen hinzunehmen. Ich kann nur feststellen: Die Grenzen der Verhältnismäßigkeit werden hier permanent verletzt. Dies ist überhaupt nicht nachvollziehbar. Es ist nicht wahr, daß alle Möglichkeiten genutzt wurden. Fünftens. Sie sind mit Ihrer Politik hinter die von Bismarck zurückgefallen. Bismarck kannte wenigstens noch Zuckerbrot und Peitsche. Warum gab es nicht vor und während Rambouillet, über oppositionelle Medien in Jugoslawien verbreitet, das Angebot für eine wirkliche Integration Jugoslawiens, für eine Aufhebung der Sicherheitsratssanktionen bis hin zu einer Mitgliedschaft in der Europäischen Union für den Fall, daß die Menschenrechtsprobleme im Hinblick auf die KosovoAlbaner und alle anderen Menschen in Jugoslawien befriedigend gelöst werden? Es hat nie ein solches Angebot gegeben. Es hieß nur: Unterschreiben oder Bomben! - So kommt man eben nicht zu politischen Lösungen; das ist meine feste Überzeugung. ({7}) Von Beginn an waren auch die Kriegsziele eher verschwommen. Zu Beginn wurde - das können Sie doch nicht alle vergessen haben - hier von Bundesverteidigungsminister Scharping erklärt, es gehe darum, durch Bombardierung innerhalb weniger Tage die Unterschrift von Milosevic unter das Rambouillet-Abkommen zu erzwingen. Ich habe damals gesagt: Wenn der Mann so ist, wie Sie ihn beschreiben, glaube ich keine Sekunde lang daran, daß er das unterschreibt. - Dazu kommt noch, daß wir jetzt wissen, daß der Vertrag gar nicht unterschriftsfähig gewesen ist. Das wußte ich damals nicht. Ein weiterer Umstand ist hinzugekommen - Sie wissen ja, daß es in der Politik leider immer auch um GesichtsDr. Gregor Gysi verlust geht -, nämlich der: Wie soll er denn seiner Bevölkerung erklären, daß er nach Tagen des Bombardements etwas unterschreibt, was er auch ohne Bomben hätte haben können? Das heißt, was Sie vertreten haben, war nie besonders logisch. Davon ist heute ja auch gar keine Rede mehr. Aber man hätte es damals schon wissen können, daß das nicht zu erreichen ist, und man hätte es auch wissen müssen. Weiterhin wurde gesagt, es gehe um die Verhinderung einer humanitären Katastrophe. Ich habe hier gesagt, daß ich daran nicht glaube, daß ich vielmehr glaube, daß sich die Lage in jeder Hinsicht zuspitzt und verschlimmert. Das ist leider eine traurige Wahrheit geworden. Also ist auch dieses Kriegsziel, das hier genannt wurde, nicht im entferntesten erreicht worden, ganz im Gegenteil. Es kommt auch noch die Widersprüchlichkeit der Aussagen der Bundesregierung hinzu. Welche Auskünfte Ihres Ministeriums stimmen denn nun, Herr Außenminister? Ich habe den Lagebericht; ich kenne die amtlichen Auskünfte. Bis in den März 1999 hinein hat Ihr Ministerium gegenüber den deutschen Verwaltungsund Oberverwaltungsgerichten erklärt, daß es keine ethnischen Säuberungen und keine systematischen Vertreibungen von Kosovo-Albanern gebe, daß vielmehr die Zivilbevölkerung das Opfer von Übergriffen - das wurde auch betont - einzelner und das Opfer der militärischen Auseinandersetzungen zwischen UCK und jugoslawischer Armee und Polizei sei. Weiter hieß es, daß man nicht davon sprechen könne, daß jemand, weil er Albaner sei, verfolgt werde. Das haben Sie erklärt, damit die Oberverwaltungsgerichte noch im März 1999 Abschiebungen von Kosovo-Albanern sogar in das Kosovo gutheißen konnten. Jetzt sagen Sie, die Verfolgung sei schon die ganze Zeit über gelaufen, und deshalb hätten die Bombenangriffe die Situation nicht verschlimmert. Die Wahrheit aber ist folgende: Es gab schlimme Menschenrechtsverletzungen; es gab auch Massaker; es gab auch einzelne Vertreibungen. Aber die systematische Vertreibung begann mit der Bombardierung. Milosevic hat die Bombardierungen genutzt, um eine systematische Vertreibung der Kosovo-Albaner aus nationalistisch-rassistischen Gründen und aus militärischen Gründen zu betreiben. Das aber hätte man wissen können und sogar wissen müssen. Wer den „HufeisenPlan“ gekannt hat, der hat das sogar schriftlich gehabt. Wenn man das gewußt hat, hätte es sich verboten, mit den Bombardierungen zu beginnen. So hätte man die Katastrophe verhindern können, die dann eingetreten ist. ({8}) Inzwischen müssen wir zur Kenntnis nehmen - auch das will ich deutlich sagen -, daß immer das Gegenteil von dem eintritt, was man beabsichtigt. Ich will Ihnen ein Beispiel nennen. Ich habe mir damals jenes Werk angesehen. Es sind ja 30 000 Leute, insbesondere Männer, über Nacht arbeitslos geworden. Sie hatten einen gutbezahlten Job; sie hatten kein Interesse daran, zur Armee oder zur Polizei zu gehen. Man hätte sie dazu zwingen müssen; freiwillig wären sie dort nicht hingegangen. Jetzt haben sie nichts mehr; jetzt sitzen sie herum. Sie sind außerdem wütend und haßerfüllt. Ihre Bereitschaft, freiwillig zur Armee zu gehen, steigt. Sie gehen auch nicht irgendwie dorthin, sondern sie gehen haßerfüllt dorthin. Sie gehen mit Wut im Bauch dorthin. Man kann sich doch sehr gut ausrechnen, an wem dieser Haß dann ausgelassen wird. Die NATO-Soldaten, ihre vermeintlichen Gegner, bekommen sie nicht zu fassen. Also lassen sie ihren Haß an den Kosovo-Albanern aus, an der Zivilbevölkerung. Diese sind dann die wirklich Leidtragenden. Das alles muß man wissen. ({9}) - Was ist denn das Ziel der Bombardierung von zivilen Objekten, Herr Bundesaußenminister? Warum bombardiert man Heizkraftwerke, Elektrizitätswerke, Wasserkraftwerke? Wem schaden Sie damit? Nutzt es einem Kosovo-Albaner, wenn die Leute in Serbien frieren und kein Trinkwasser mehr haben und wenn ihnen die Lebensmittel ausgehen? Wenn Sie die Elektrizitätswerke bombardieren, dann ist doch ein Ergebnis davon, daß die Kühlanlagen ausfallen, so daß Lebensmittel verderben. Das ist doch ein großes Problem für die Bevölkerung. Das trifft doch nicht Milosevic; er hat doch genug Trinkwasser. Er hat es warm; er hat genug zu essen. Das trifft immer nur die Bevölkerung. Das ist das eigentliche Problem. ({10}) Deshalb können Sie auch die These nicht aufrechterhalten, es richte sich nur gegen Milosevic und nicht gegen die Zivilbevölkerung. ({11}) Nach der Haager Landkriegsordnung und nach dem Genfer Abkommen muß auch im Krieg - wenn wir jetzt schon die Bedingungen im Krieg diskutieren - die Verhältnismäßigkeit gewahrt werden. Ich sage Ihnen: Dieses Prinzip der Verhältnismäßigkeit wird von Nacht zu Nacht mehr verletzt. Nun kann es sein, daß Sie darauf gar keinen Einfluß haben. Aber dann müßten Sie das ehrlich sagen. Dann müßten Sie sagen: Wir hatten zwar zu Beginn das Recht, ja oder nein zu sagen, aber jetzt entscheiden wir nichts mehr. Aber Sie verteidigen auch noch täglich das Vorgehen, und das macht mir große Sorgen. Insofern ist es leider wahr: Da Sie meinen, jeden Tag Ihre Bündnistreue unter Beweis stellen zu müssen, was Altbundeskanzler Kohl nicht mehr nötig gehabt hätte, wäre von ihm eher einmal ein Nein zu erwarten gewesen als von Ihnen. Das ist leider eine Tatsache. Ich hoffe, daß wir das überwinden. ({12}) Der Haß, der dort erzeugt wird, wird uns begleiten. Was werden die Folgen sein? Man wird viele Folgen registrieren. Ich habe von dem Haß gesprochen, den eine ganze Generation abtragen müssen wird: antiamerikanische, antideutsche, antiwestliche Stimmung. Aber es kommt noch etwas ganz anderes hinzu: Der europäiDr. Gregor Gysi sche Integrationsprozeß, durch die EU gefördert, ist um Jahre und Jahrzehnte zurückgeworfen. ({13}) - Ja, er ist zurückgeworfen, und auch das Verhältnis zu Rußland ist dauerhaft beschädigt. ({14}) Ich frage Sie: Wer wird den Nutzen daraus ziehen? ({15}) Europa war gerade dabei, sich ökonomisch und politisch so zu entwickeln, daß es ein gleichwertiger Konkurrent der USA hätte werden können. Wir sind um Jahre zurückgeworfen. Die Rolle der USA als alleinige Weltmacht ist auf Jahre festgeschrieben. Sie brauchen einen europäischen Konkurrenten nicht mehr ernsthaft zu fürchten. Schauen Sie sich nur die Abwertung des Euro im Vergleich zum Dollar an! Schauen Sie sich doch nur an, wie die Anleger in den Dollar und nicht mehr in den Euro investieren! Da haben Sie die klaren ökonomischen und politischen Konsequenzen einer Auseinandersetzung, die hier stattgefunden hat. ({16}) Ich glaube, daß das eher die Motive der US-Führung waren als der Schutz der Menschenrechte der KosovoAlbaner. Denn die Politik der USA sowohl bei der Vertreibung der Serben aus Kroatien als auch bei der Unterstützung von Pol Pot, als auch bei den Napalmbomben in Vietnam macht mich und viele andere mißtrauisch gegenüber den erklärten Zielen der USA hinsichtlich dieses Krieges. Aber es gibt noch eine andere Folge, die ich noch für viel schlimmer halte, nämlich die Änderung der NATO-Strategie. Sie wissen sehr gut, daß die europäischen Regierungen bestimmte Änderungen der NATOStrategie nicht wollten. Sie sind jetzt in Washington alle beschlossen worden, unter dem Druck der USA und mit der Begründung, daß das alles in diesem Krieg schon praktiziert worden sei. Nicht mehr von Verteidigung des Territoriums ist die Rede, sondern von Verteidigung der Interessen, was man natürlich ganz anders definieren kann. Es ist eine Ausweitung auf den gesamten euroatlantischen Raum enthalten. Es ist festgeschrieben, daß man notfalls auch ohne UN-Mandat vorgehen könne. Es wird ja gerade praktiziert - wie hätte man es jetzt plötzlich nicht mehr unterschreiben können? Es ist wieder, auch schriftlich, die Aufnahme von Lettland, Litauen und Estland diskutiert worden. Sie wissen, was das für Rußland bedeutet. Es gibt eine weitere Folge, auf die ich eigentlich erst gekommen bin, als mir mein Stellvertreter Wolfgang Gehrcke von dem Gespräch mit dem indischen Parlamentspräsidenten erzählt hat. Er hat dort erläutert, weshalb wir sehr bedauern, daß Indien Atomwaffen produziert und aufstellt, und welche Spirale das auslösen kann; man sieht es an der Entwicklung in Pakistan. Darauf hat er mit einem Satz geantwortet, und zwar mit einer Gegenfrage: Glauben Sie im Ernst, daß die NATO Jugoslawien angegriffen hätte, wenn Jugoslawien Atomwaffen besäße? - Das hat mich nachdenklich gemacht. Was werden die Diktatoren dieser Welt sich während des Krieges und danach sagen? Sie sagen sich doch nicht: Wir werden jetzt demokratisch, wir halten jetzt die Menschenrechte ein. Sie machen sich einen Gedanken: Wie können wir so aufrüsten, daß ein Angriff möglichst unwahrscheinlich wird? Sie kriegen ja auch mit, daß die NATO Verluste möglichst vermeiden will. Nicht nur Diktatoren, sondern auch demokratischere Staaten wie Indien, die aber ein gewisses Mißtrauen gegenüber USA, NATO und Westen hegen, werden sich sagen: Auch wir müssen gerüstet sein, damit uns so etwas - von wem auch immer ausgehend - nicht passieren kann. In der Duma hat das START-II-Rüstungsbegrenzungsabkommen überhaupt keine Chance mehr, ganz egal wer dort künftig regiert oder Präsident wird. Die militärische Frage wird eine völlig andere Rolle als in der Vergangenheit spielen. Wir werden als Folge des Krieges ein einzigartiges Aufrüstungsprogramm in ganz vielen Staaten dieser Erde, einschließlich der NATO übrigens, erleben. Der Hauptgewinner dieses Krieges ist die Rüstungsindustrie, schon während dieses Krieges, aber auch nach dem Krieg, ({17}) weil die Abrüstung, die wir uns nach der Überwindung der bipolaren Welt erhofft hatten, nicht kommen wird. Ganz im Gegenteil: Wir werden eine schlimme Aufrüstungsphase erleben. Das macht zumindest mir große Sorgen, weil Aufrüstung immer auch soziales Elend und immer neue Gefahren von Kriegen und eben nicht Chancen für politische und friedliche Lösungen bedeutet. Deshalb glaube ich, daß die Bundesregierung hier einen falschen Weg gegangen ist. Wenn man einen falschen Weg gegangen ist, sollte man wenigstens die Kraft haben, ihn zu korrigieren. Nehmen Sie wenigstens auch einmal zur Frage der Verhältnismäßigkeit Stellung! Ich kann nur sagen: Wir brauchen die Beendigung dieser NATO-Angriffe. Wir brauchen den Rückzug von Polizei und Militär Jugoslawiens aus dem Kosovo. Wir brauchen eine UN-Friedenstruppe, die ein direkt verhandeltes Abkommen zwischen Kosovo-Albanern und Jugoslawien sichert und umsetzt. Dazu gehört die Entwaffnung der UCK, dazu gehört aber auch, den Vertriebenen Sicherheit zu geben, daß sie wirklich zurückkehren können. Das wird ohne UNO-Truppe nicht gehen. Das akzeptiere ich; das steht auch in unserem Antrag drin. Bloß, die NATO hat sich desavouiert. Sie wird dafür nicht mehr akzeptiert werden. Dann müssen es eben andere Staaten machen, und die können es nicht schlechter. Ich füge hinzu: Es gibt immer politische Wege. Da durch die Bomben alles schlimmer geworden ist, kann man die Bombardierung jetzt nicht mit der Begründung fortsetzen, es könnte sonst noch schlimmer werden. Nein, dieses Argument, das Frau Müller hier gebracht hat, ist, so glaube ich, absurd. Deshalb muß die Bombardierung unverzüglich eingestellt werden. ({18}) Es gibt natürlich auch viele innenpolitische Gründe dafür, daß wir uns mit der Bundesregierung kritisch auseinandersetzen müssen. Sie haben im Dezember viele Gesetze in den Bundestag eingebracht, denen wir zugestimmt haben: als es um die Verbesserung des Kündigungsschutzes ging, um die Reduzierung der Zuzahlung zu Medikamenten, um das Programm für 100 000 Jugendliche, die eine Ausbildung bekommen sollen. Dem haben wir zugestimmt. Aber seit Beginn dieses Jahres ist eine Menge Murks produziert worden. Das hängt, so glaube ich, in erster Linie damit zusammen, daß Sie, Herr Bundeskanzler, sich nicht entscheiden können, wessen Interessen Sie durchsetzen wollen. ({19}) Sie wollen es gerne allen recht machen. Das Ergebnis ist, daß Gesetze herauskommen, mit denen alle unzufrieden sind. Das kann aber nicht die Lösung sein. Die Inkonsequenz sieht man am Gesetz gegen Scheinselbständigkeit genauso wie beim 630-MarkGesetz. Aber am schlimmsten - auch das will ich deutlich sagen - ist die ökologische Steuerreform. Sie ist nicht ökologisch, sie ist für die Wirtschaft ungerecht, und sie ist extrem unsozial. Wenn Frau Müller sagt, jetzt hätten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer das erste Mal wieder eine Abrechnung bekommen, nach der sie netto mehr in der Tasche hätten als im Vormonat, muß sie hinzufügen, was sie jetzt für Elektrizitätsrechnungen, was sie für Heizkostenrechnungen bekommen. ({20}) - Das können Sie doch nicht leugnen. Sie können doch nicht an der einen Stelle etwas günstiger machen, aber dann die Gegenrechnung nicht zulassen - zumal Sie Siemens die Gegenrechnung zubilligen: Wenn es für Siemens denn teurer als 1 000 DM im Jahr wird, wird der Rest über das Zollamt erstattet. Diese Möglichkeit der Erstattung hätten Sozialhilfeempfängerinnen und -empfänger, Arbeitslose, Rentnerinnen und Rentner auch gerne. Aber denen ist solch ein Weg nicht eröffnet worden. ({21}) Auch innerhalb der Wirtschaft ist die Ökosteuer extrem ungerecht. Wieso muß der Dienstleistungsbereich voll bezahlen und das industrielle Gewerbe - gerade der Sektor, der die meiste Energie verbraucht - nicht? Damit verzichten Sie ja geradezu auf die ökologische Wirkung. Genauso könnte ich anführen, daß die Regelung auch innerhalb der Industrie ungerecht ist: Ich habe vor kurzem ein Kleinunternehmen besucht, das Heizkörper herstellt. Für diesen Unternehmer kann der Betrag von 1 000 DM, den er auf jeden Fall zu entrichten hat, schon fast den Ruin bedeuten. Siemens und dieses winzige Unternehmen gleich zu behandeln hat mit Wettbewerbsgerechtigkeit überhaupt nichts zu tun. Auch in der Landwirtschaft können die 1 000 DM für manche Betriebe, insbesondere für Schweinezuchtbetriebe, schon den Ruin bedeuten. Nein, das ist wirklich höchst ungerecht gestaltet. Wenn man das erkennt, muß man es dringend reformieren und darf nicht stur darauf beharren. ({22}) Herr Bundeskanzler, Sie haben gesagt, der Osten werde Chefsache. Irgendwie habe ich den Eindruck, daß dieser Vorgang unbearbeitet auf Ihrem Schreibtisch verstaubt. Es wird höchste Zeit, sich seiner anzunehmen. Natürlich, das Programm für 100 000 Jugendliche wirkt sich auch im Osten positiv aus. Wahr ist ebenfalls, daß die Verstetigung der Mittel für Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen auch in den neuen Bundesländern positive Wirkungen entfaltet. Aber wo sind die wirklich durchgreifenden Ansätze? Wann machen Sie wirkliche Regional- und Strukturpolitik? Wo bleibt die Investitionspauschale für Kommunen? Wann endlich werden die Abschlüsse aus der DDR wirklich anerkannt? Und wann gehen wir - auch Sie haben auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichts gewartet - daran, Rentengerechtigkeit für die neuen Bundesländer herzustellen? Nein, da passiert viel zuwenig. Nach wie vor werden die Leute mit Wasser-, Abwasser- und Straßenbaubeteiligungsgebühren so abgezockt, daß sie ihre Grundstücke verlieren. In all diesen Bereichen müßte etwas unternommen werden. Beim Bündnis für Arbeit wird es darum gehen, ob letztlich ein Mehr an Arbeitsplätzen herauskommt. Bisher gibt es einen Abbau von Arbeitsplätzen. Sie werden um grundlegende Reformen wie den Abbau von Überstunden, Arbeitszeitverkürzungen, Schaffung eines öffentlich geförderten Beschäftigungssektors nicht herumkommen. Die Lohnnebenkosten müssen endlich nach der Wertschöpfung und nicht nach der Zahl der Beschäftigten und der Höhe der Bruttolöhne berechnet werden, ({23}) damit die Einstellung von Arbeitskräften nicht, wie heute, auch noch bestraft und die Entlassung von Arbeitskräften nicht, wie heute, auch noch belohnt wird. Weil das zur Zeit so ist, steigen die Aktienkurse immer dann, wenn ein Unternehmen Entlassungen ankündigt. Genau das muß geändert werden, wenn man Wirtschaftspolitik und Arbeitsmarktpolitik zu einer Einheit verhelfen will.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Herr Kollege, denken Sie an die Redezeit, bitte.

Dr. Gregor Gysi (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000756, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Danke schön, Frau Präsidentin. - Dann sage ich zum Schluß noch, daß wir auch alle Maßnahmen zur Entschädigung von Verfolgten der DDR unterstützen werden. Das haben wir schon in der Volkskammer gemacht. Wir haben immer gesagt: Man erreicht Gerechtigkeit nicht, indem man manchen die Rente kürzt; man erreicht Gerechtigkeit nur, indem man den einen die Rente beläßt und die anderen dafür entschädigt, daß sie solche Renten nicht beziehen können. Das ist der Weg, um diesbezüglich Ausgleich zu schaffen. Das war auch immer unser Anspruch. Wir erwarten, Herr Bundeskanzler, daß Sie irgendwann einmal einen Terminplan vorlegen, der besagt, wie es mit der Angleichung der Lebensverhältnisse in Ost und West weitergeht. Es gibt nämlich ein Problem: 80 Prozent Lohn kann man zwar machen, aber nicht, wenn man Preise von 100 bis 120 Prozent hat. Das aber ist die Situation in den neuen Bundesländern. Deshalb brauchen wir hier einen klaren Fahrplan. ({0}) Ein letzter Satz: Das alles umspannende Problem ist und bleibt der Krieg. Ein völkerrechtswidriger Krieg, der die vorgegebenen Ziele vollständig verfehlt, der immer unverhältnismäßiger wird, ({1}) der die europäische Integration um Jahre zurückwirft, der Haß, Feindschaft und Brutalität gerade auch gegen die Kosovaren erzeugt, muß sofort gestoppt werden. Träumen Sie nicht vom Sieg oder von bedingungsloser Kapitulation, sondern von einer politischen Lösung. ({2})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Liebe Kolleginnen und Kollegen, das mit dem einen Satz ist immer problematisch. Es war auf jeden Fall ein langer Satz. Zu einer Kurzintervention hat die Kollegin Antje Hermenau das Wort.

Antje Hermenau (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002673, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich beziehe mich auf die Ausführungen des Kollegen Gysi, vor allen Dingen auf die zur Rolle der NATO und auf seine, sagen wir, merkwürdige Auswahl pazifistischer Grundpositionen. Herr Gysi, es ist nicht das erste Mal, aber in dieser Rede ist es mir besonders stark aufgefallen: Sie bedienen sich in einer gewissen Art und Weise eines Eklektizismus des Pazifismus, stellen das hier vor. Sie sagen uns: Natürlich können wir als ehemalige DDR-Bürger wir sind beide aus der ehemaligen DDR - nicht einem Krieg der NATO zustimmen. Sie bauen hier ein Haßbild im Hinblick auf Amerika und die NATO auf, das Sie am Montagabend, 21 Uhr, von Karl-Eduard von Schnitzler übernommen haben. Wir zwei wissen, wovon ich rede. ({0}) Ich verlange und erwarte nicht, daß wir jetzt alle die NATO lieben. Aber ein bißchen kritische Annäherung, ein bißchen kritischen Verstand hätte ich schon erwartet. Sie ergehen sich in demselben geballten Kleinbürgertum, das die Russen 1968 dazu bewogen hat, zur NVA - die Sie inzwischen zu einer Friedensarmee umtaufen wollen, was ich für eine Perfidie halte - zu sagen: ({1}) Wir können die NVA gar nicht zum Einmarsch in die Tschechoslowakei hinzuziehen, weil die NVA unzuverlässig ist. - Das, was Sie hier vortragen, ist geballtes Kleinbürgertum, aber keine differenzierte Position dazu, wie Sie sich verhalten wollen. Sie haben damals zum Beispiel militärische Aktionen in Nicaragua unterstützt. Die waren für Sie völlig Rechtens. Sie haben militärische Aktionen in anderen Ländern der dritten Welt unterstützt, wo Befreiungskriege herrschten. Die waren für Sie völlig Rechtens. Daß jetzt ein Volk unterdrückt wird - ich rede nicht von den Serben; Sie wissen das -, ist Ihnen völlig egal. Das stellen Sie hier - es entspricht Ihrem Feindbild, das Sie übernommen und nicht differenziert aufgearbeitet haben - so eklektizistisch zur Debatte, weil wir in fünf neuen Ländern Landtagswahlen haben. Das, Herr Gysi, ist heute deutlich geworden. Danke schön. ({2})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Herr Kollege Gysi, möchten Sie antworten? - Bitte sehr. ({0})

Dr. Gregor Gysi (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000756, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Frau Kollegin, ich will unser unterschiedliches Verhältnis zum Kleinbürgertum nicht weiter definieren. Dazu könnte ich eine Menge sagen. ({0}) Ich glaube, daß meine Entfernung davon etwas größer ist als Ihre. Aber davon abgesehen: Ich habe nie behauptet, Pazifist zu sein. Ich habe auch gar keine pazifistischen Argumente benutzt. Ich sage gar nicht, daß jede Gewaltanwendung zu jeder Zeit völlig unrechtmäßig ist. Ich hätte immer akzeptiert, wenn die chilenische Bevölkerung Pinochet mit Gewalt davongejagt hätte. Ich würde übrigens auch der serbischen Bevölkerung durchaus zubilligen, Milosevic mit Gewalt davonzujagen. Aber wir beide sind dafür nicht zuständig. Das ist Sache der jugoslawischen Bevölkerung. Das zu akzeptieren fällt Ihnen offensichtlich schwer. ({1}) Zweiter Punkt. Hier geht es um einen Angriffskrieg. ({2}) Ich habe das übrigens schon in meiner letzten Rede gesagt: Der Angriff der Sowjetunion gegen Afghanistan war genauso völkerrechtswidrig. Der Angriff der fünf Staaten auf die CSSR war ebenso völkerrechtswidrig. Daraus aber zu schlußfolgern, daß gerade Sie einem völkerrechtswidrigen Angriff der NATO auf Jugoslawien zustimmen müssen, halte ich für abenteuerlich und perfide. Das gleiche gilt für den Wandel der Positionen, auf deren Grundlage Sie entscheiden. ({3})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Jetzt erteile ich das Wort dem Bundeskanzler Gerhard Schröder. Gerhard Schröder, Bundeskanzler ({0}): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte zunächst ein paar Bemerkungen zu dem machen, was Herr Gysi zum Kosovo-Konflikt und zu den denkbaren Lösungen, wie er sie sich vorstellt, gesagt hat. Insbesondere aber will ich etwas zu der Art und Weise sagen, in der er argumentiert hat. Ich hatte während des Zuhörens den Eindruck, Herr Gysi, daß Sie aus Tätern Opfer und aus Opfern Täter machen wollen. Opfer ist nicht Milosevic. Opfer sind Hunderttausende Vertriebene, Tausende Ermordete. Das sind die Opfer. ({1}) Milosevic und die Belgrader Führung sind die Täter. Sie haben hier deutlich gemacht, daß diejenigen, die die Opfer mit militärischen und politischen Mitteln schützen wollen, die eigentlichen Täter sind. Das geht nicht, ({2}) das ist Winkeladvokatentum schlimmster Sorte, Herr Gysi. ({3}) Ich denke, es ist an der Zeit, gerade hier darzustellen, um was es bei dieser Auseinandersetzung geht und wie und warum sie geführt wird. Denn ich kann schon verstehen, daß sich viele Mitbürgerinnen und Mitbürger Sorgen über die Fragen machen, wie es weitergeht und wie dieser Konflikt beendet werden kann. Deshalb ist es immer wieder sinnvoll, deutlich zu machen, was die Motive der westlichen Staatengemeinschaft für diese Intervention waren und sind. ({4}) Das Motiv ist, das Morden im Kosovo zu beenden. Das ist das einzige, das entscheidende Motiv, das wir haben. Die militärischen Mittel, die wir dazu einsetzen, die die gesamte westliche Staatengemeinschaft dazu einsetzt, sind nicht Selbstzweck. Das muß jeder, der uns zuschaut und zuhört, verstehen. Sie sind ausschließlich Mittel zu einem einzigen Zweck: das Morden im Kosovo zu beenden. Jeder von uns, gleichgültig auf welcher politischen Seite er hier im Hohen Hause steht, wäre doch froh darüber, wenn die militärischen Mittel nicht hätten eingesetzt werden müssen. ({5}) Niemand - das gilt es zu erkennen - hier im Deutschen Bundestag hatte ein irgendwie geartetes Interesse daran, aus einem anderen Motiv als dem, das ich genannt habe, zu diesen militärischen Mitteln zu greifen. Als Folge dessen gilt: Sobald die militärischen Mittel nicht mehr eingesetzt werden müssen, weil der Zweck, zu dem sie eingesetzt werden, erreicht ist oder auf andere Weise erreicht werden kann, wird das geschehen. Die NATO, die deutsche Bundesregierung und das deutsche Parlament bis auf die eine Ausnahme hatten doch nur eine einzige Strategie, nämlich das Morden zu beenden. Sie wären froh gewesen, das ohne militärische Mittel zu können. So aber war die Situation nicht. Deswegen hatten wir zu einer Doppelstrategie zu greifen: Auf der einen Seite der Not gehorchend und in Nothilfe im wahrsten Sinne des Wortes handelnd, um Not von Menschen im Kosovo zu wenden - ({6}) - Ich komme gleich dazu. Nun halten Sie sich doch noch einen Moment zurück. Das müßte doch selbst Ihnen möglich sein. Ich sage also: Um Not zu wenden, haben wir in Nothilfe und zugleich auf der Basis von Sicherheitsratsbeschlüssen gehandelt. Deswegen ist es wirklich falsch, die völkerrechtliche Legitimation dieses Handelns dauernd in Frage zu stellen. ({7}) Das ist nicht richtig, meine Damen und Herren, und es wird durch die Wiederholung auch nicht richtiger. Wir hatten also eine Doppelstrategie anzuwenden. Der eine Teil dieser Strategie - aber eben nur der eine Teil - ist der militärische. Der andere und während der militärischen Aktionen zu keinem einzigen Zeitpunkt ungenutzt gelassene Teil ist der politische. Doppelstrategie heißt hier, militärisch handeln zu müssen, um politisch weiterzukommen. Das ist der Zusammenhang, um den es geht. Noch einmal: Das Militärische ist kein Selbstzweck und wird es nie werden, solange wir hier etwas zu sagen haben. Aber wir mußten dieses Mittel einsetzen, um einer politischen Lösung näherzukommen. Jetzt wird gesagt: Ihr seid ihr nicht nähergekommen. - Das ist ganz schrecklich falsch, meine Damen und Herren. ({8}) - Wenn Sie einmal anfingen nachzudenken, bevor Sie dazwischenrufen, würden Sie darauf kommen, warum das falsch ist: Wenn Sie sich einmal anschauen, wie die politische Situation zu Beginn dieses Konfliktes, zu Beginn der militärischen Maßnahmen war - da wende ich mich insbesondere an Sie, Herr Gerhardt -, dann können Sie feststellen, daß zu Beginn dieser militärischen Maßnahmen die westliche Staatengemeinschaft eine Position vertreten hat, die durch die berühmten fünf Punkte, die Sie kennen, beschrieben wird. Die westliche Staatengemeinschaft, die NATO, hat diese fünf Punkte immer wieder besonders betont: erstens Rückzug der militärischen und der paramilitärischen Einheiten und der Sonderpolizei. Der zweite Punkt betraf die Rückkehr der Flüchtlinge - zum einen, um keiner weiteren Destabilisierung Mazedoniens und Albaniens Vorschub zu leisten, aber auch, weil sonst wirklich die Gefahr besteht, daß Westeuropa in großem Umfang die Flüchtlinge aufnehmen muß. Wir haben ein eigenes Interesse daran, daß die Menschen dort, in ihrer Heimat, leben können und nicht bei uns Zuflucht suchen müssen - was sie jetzt tun und wobei wir alle zusammen ihnen auch helfen. Der dritte Punkt war: Damit die Flüchtlinge zurückkehren können, muß es eine internationale militärische Schutztruppe geben, und zwar deshalb eine militärische, weil sie in der Lage sein muß, diese Menschen zu schützen; denn diese haben schrecklichste Erfahrungen gemacht, was es heißt, ohne Schutz zu sein. Deshalb ist, bezogen auf die Schutztruppe, eines wirklich abenteuerlich: Zu glauben, mit ein paar Blauhelmen - wie vielen auch immer -, die nach internationalem Recht bestenfalls in der Lage sind, sich selber und vielleicht in Nothilfe jemanden, der neben ihnen steht, zu verteidigen, den Schutz für die Flüchtlinge, die ihre Heimat wiederhaben wollen, garantieren zu können, das ist abenteuerlich. ({9}) Das widerspricht im übrigen auch allen Erfahrungen, die in Bosnien gemacht worden sind. Niemand weiß das so gut wie der Kollege Rühe, der damals zuständig war. Wir haben dort die Erfahrung machen müssen, daß von den gleichen Leuten die Blauhelmsoldaten der UNO an Pfähle gekettet worden sind, als Geiseln benutzt wurden und zynisch und höhnisch zur Schau gestellt worden sind. Wollen Sie das im Kosovo wieder haben? Oder wie stellen Sie sich das vor, meine Damen und Herren? ({10}) Es geht kein Weg daran vorbei, daß man dort eine gut ausgerüstete Truppe, die logistisch auch handeln kann, braucht, um die Flüchtlinge zu schützen. Diese Truppe ist aber kein Selbstzweck; das muß man den Menschen, die sich Sorgen machen und auf diese Debatten schauen, immer wieder klarmachen. Wir wollen sie dort nicht haben, weil uns nichts anderes einfiele oder weil wir irgendein Land besetzen wollten. Nein, diese Schutztruppe dient ausschließlich dazu, zurückkehrenden Flüchtlingen Schutz zu gewähren und damit Frieden in der Region zu garantieren. Das ist ein Motiv für diese Truppe, ({11}) und das muß sie können, aber ohne einen Kern der NATO kann sie es eben nicht. Warum, glauben Sie denn, sagt die Belgrader Führung vor dem Hintergrund der Bosnien-Erfahrung: unbewaffnete - ja, bewaffnete - nein? ({12}) - Ich sage es doch nur, weil Sie - mir ist das jedenfalls so aufgefallen - als eine Art Strafverteidiger aufgetreten sind und weil Sie den Versuch gemacht haben, aus Opfern Täter zu machen. Deswegen muß ich das betonen. Ich sage noch einmal: Das sind die Motive. Jetzt wird gesagt, wir hätten mit unseren Maßnahmen politisch nichts erreicht. Ich habe deutlich gemacht, wie die Situation am Anfang war: Wo stand die Staatengemeinschaft? Auf den Standpunkten, die ich genannt habe. Wo stand Milosevic? Da, wo er bedauerlicherweise immer noch steht. Wo stand Rußland? Rußland - ich sage das mit allem Respekt vor der russischen Führung - hatte sich am Beginn dieses Konfliktes nicht in der Lage gesehen, im Sicherheitsrat einer Resolution nach Kapitel VII der Charta der Vereinten Nationen zuzustimmen, und hat diese Position über ganz lange Zeit beibehalten. Rußland hat sich zum Beispiel nicht in der Lage gesehen, zunächst als eigene Position und dann in der Vermittlerrolle, das deutlich zu machen und zu übernehmen, worum es geht, nämlich daß die Flüchtlinge Schutz durch eine Truppe brauchen, über deren Ausrüstung ich mich geäußert habe. In der NATO hatten wir zudem Diskussionen über die Notwendigkeit, Bodentruppen einzusetzen. Das sind die Debatten, die Sie alle kennen - insbesondere in der Öffentlichkeit Großbritanniens, aber auch in anderen Ländern; ich will keine weiteren besonders nennen. Was ist in der Zwischenzeit als Ausfluß der verfolgten Doppelstrategie geschehen? Die NATO debattiert nicht über Bodentruppen. Ich betrachte das - nicht nur, aber auch - als Erfolg unserer Diskussionen und Bemühungen. ({13}) Ich habe deutlich gemacht - gleichgültig, wo: in Amerika ebenso wie in anderen westlichen Hauptstädten; in Amerika übrigens in Übereinstimmung mit dem Kollegen Dr. Kohl -, daß und warum Deutschland keine Bodentruppen einsetzen wird. Insofern gibt es gar nichts kritisch zu hinterfragen - es sei denn, man fragt nur, weil man in der Frage den Eindruck nahelegen will, es gäbe eine andere Position der deutschen Bundesregierung. Die gibt es aber nicht. Wir haben uns deutlich dazu geäußert, daß und aus welchen Gründen wir keine Bodentruppen wollen. Das hat außenpolitische Gründe, das hat innenpolitische Gründe, das hat aber auch den Grund, daß wir wirklich davon überzeugt sind, daß die NATO - wie es gestern der französische Präsident gesagt hat - keinen Anlaß hat, ihre Strategie zu ändern, weil diese Strategie zu greifen beginnt. Sie können das an den Bewegungen, die es in der letzten Zeit gegeben hat, erkennen. Dabei sind die Veränderungen der russischen Position natürlich das Wichtigste. Ich habe der Presse entnommen und bin dankbar dafür, daß Sie, Herr Dr. Kohl, ebenso wie viele andere mit Jelzin geredet haben. Ich sage ausdrücklich: Jeder Gesprächskontakt, der insbesondere mit Mitgliedern der russischen Führung aufgenommen wird und der dem Ziel dient, auf einer rationalen Basis zu einer politischen Bundeskanzler Gerhard Schröder Lösung zu kommen, ist der deutschen Bundesregierung und ist, glaube ich, uns allen hochwillkommen. ({14}) Es hat also nicht zuletzt durch die Erfolge der Tschernomyrdin-Mission, hinter der der Wille des russischen Präsidenten steht, Annäherung in der Sache und in zentralen politischen Positionen gegeben. Was wir noch hinbekommen müssen und woran gearbeitet wird, ist, die Frage zu beantworten, wie das eigentlich mit dem Zeitpunkt ist. Die nachvollziehbare und klare Position der westlichen Staatengemeinschaft ist immer gewesen und ist noch: Wir müssen verifizierbar sehen können, daß mit dem Rückzug begonnen wird. Das ist ein ganz wichtiger Punkt, der früher übrigens auch nicht so hieß. Der Rückzug muß also begonnen werden, nicht beendet sein, ehe die Bombardements ausgesetzt werden können. Aber begonnen! Dann kann man über eine Aussetzung reden. Ich denke, man kann spüren, kann sehen, daß sich die Positionen auch in dieser Frage anzunähern beginnen. Vielleicht kann man dazu kommen, die Frage zu beantworten: Wie definiert man „beginnen“? Gibt es einen fixierbaren Zeitpunkt, zu dem das eine und das andere passiert? Ist das eine Möglichkeit weiterzukommen? Ich finde, daß es lohnt, solche Diskussionen in das Bündnis hineinzutragen. Ich sage auch mit Freude, daß ich dem Außenminister, der sich wirklich krummgelegt hat, um zu diesen Erfolgen zu kommen, dafür sehr dankbar bin. ({15}) Die politischen Direktoren der G 7 haben zusammen mit Rußland eine Position fixiert, die vor vier Wochen so noch nicht denkbar gewesen wäre. Daß sich die G-7Staaten auf Außenministerebene morgen in Bonn mit Rußland treffen werden, war vor vier Wochen nicht möglich, ist aber jetzt geleistet. Ich denke, meine Damen und Herren, dies alles zeigt zweierlei: einmal, daß es ganz schrecklich falsch wäre, der Bundesregierung zu unterstellen, sie hätte nur auf die militärischen Maßnahmen gesetzt, was leider gelegentlich geschieht, und zum anderen, daß es falsch wäre, zu glauben, es hätte sich als Folge der militärischen Maßnahmen nichts bewegt. Von einem bin ich nach wie vor fest überzeugt: Ohne die militärischen Maßnahmen wären wir noch dort, wo wir am Anfang waren. Das gilt es zu erkennen. Auf diesem Hintergrund muß man dann die Frage bewerten: War das richtig? War es angemessen? ({16}) - Da ist es wieder! Sie erliegen immer wieder der Versuchung, aus Opfern Täter zu machen. ({17}) Sie verwechseln immer wieder Ursache und Wirkung. Ich befürchte, Sie verwechseln es nicht, weil Sie zu dumm wären, das anders zu begreifen, sondern Sie wollen es nicht begreifen. Das ist der eigentliche Punkt. ({18}) Ich glaube also, daß die Bemühungen, die wir unternommen haben, wirklich Bewegung gebracht haben Herr Glos, übrigens Bewegung in die richtige Richtung, nicht in die falsche. ({19}) Sie sollten gelegentlich - ich sage das bei aller meiner Freude, bayerischer Polemik, in diesem Fall fränkischer Polemik, zuzuhören - bei Ihrer Argumentation auch Wahrhaftigkeit nicht völlig außen vor lassen. ({20}) Meine Damen und Herren, wir haben aber durch die politischen Aktivitäten noch ein bißchen mehr erreicht. Es ist am Anfang nicht so gewesen, daß die Rolle der Vereinten Nationen in diesem Prozeß unumstritten gewesen wäre. Es ist nicht so gewesen, daß der Generalsekretär der Vereinten Nationen, ausgestattet mit der Unterstützung der gesamten Europäischen Union, eingeschlossen natürlich die Unterstützung der Bundesregierung, zu seinem Teil für die politische Bewegung hat sorgen können. Nein, das ist am Anfang nicht so gewesen. Es war schon so, daß die deutsche Bundesregierung, daß der Außenminister, daß auch ich dazu beigetragen haben, und zwar dadurch, daß wir in Brüssel die Staatsund Regierungschefs mit dem Generalsekretär zusammengebracht haben. Damit haben wir dazu beigetragen, daß die UN mehr und mehr die ihr auch nach unserer festen Überzeugung zukommende Rolle spielen kann. Auch das war am Anfang keine Selbstverständlichkeit. Ich denke also, wenn man einen Strich darunter zieht und fair ist, muß man sehen, daß diese Doppelstrategie politisch ohne Alternative war und zu greifen beginnt. In dem Zusammenhang noch ein Punkt: Es war vor diesem Hintergrund nicht in Ordnung, von blinder Gefolgschaftstreue zur NATO zu reden. ({21}) Diejenigen, die diesen Vorwurf erhoben haben und meinen, ihn weiter aufrechterhalten zu müssen, sollten sich doch einmal mit der Entwicklung auseinandersetzen und danach ihren Vorwurf überdenken; denn das ist eine Art und Weise der Auseinandersetzung, die fehlgeleitet ist und die auch Narben hinterläßt. Vielmehr verhält es sich genau umgekehrt: Ohne die politische Festigkeit, mit der wir den militärischen Teil begleitet haben, und ohne die völlige Unbezweifelbarkeit der Solidarität der Deutschen im Bündnis hätte Bundeskanzler Gerhard Schröder uns die objektive Möglichkeit gefehlt, die politischen Erfolge, die wir errungen haben, zu erzielen. ({22}) Ohne diese nahtlose Bündnissolidarität hätte man bestenfalls über die Versuche einer deutschen Bundesregierung gelächelt, sich außerhalb dieser Solidarität um eine politische Lösung zu bemühen. Das wäre völlig unmöglich gewesen. ({23}) Eine Bemerkung zu den Flüchtlingen. Deutschland hat in der EU beispielhaft - ich füge hinzu: wieder einmal - seine humanen Verpflichtungen erfüllt, insbesondere auch die Menschen in unserem Land. Wir haben jeden Grund, ihnen dafür dankbar zu sein. ({24}) Aber auch die Forderung - ich weiß nicht, von wem sie erhoben worden ist - an die deutsche Bundesregierung, auf öffentlichen und auf nichtöffentlichen Wegen Druck auf die Partner in der EU auszuüben, genauso wie wir Flüchtlinge aufzunehmen, ist richtig. Nur, der EURatspräsident - das wissen diejenigen, die auch einmal mit europäischen Angelegenheiten befaßt waren - kann nichts anordnen. Die Entscheidungen über die Aufnahme von Flüchtlingen werden noch immer auf nationaler Ebene getroffen, zum Beispiel in Frankreich, in Großbritannien oder in anderen Staaten. Trotzdem möchte ich darauf hinweisen: Es kann nicht sein, daß wir hier über die Aufnahme des nächsten Flüchtlingskontingents diskutieren, ohne deutlich zu machen, daß auch die anderen Staaten erst einmal ihre Pflicht tun müssen. Das sollten wir hier auch deutlich sagen. ({25}) Ich bin ziemlich sicher, daß dann, wenn es einer politischen Lösung hilft, wenn es sein muß und wenn auch die anderen Staaten ihre Aufgaben erfüllt haben, die Deutschen nach wie vor großzügig sein werden. Aber die politische Debatte muß auch über die Partner in der EU und deren Verpflichtungen geführt werden. Darüber hinaus werden der Außenminister und der Verteidigungsminister bis ins kleinste, auch in den Ausschüssen, begründen, daß und warum wir vor allem Albanien helfen müssen. ({26}) Ich finde, daß das auf der Hand liegt. Die dortigen Flüchtlingsströme kann keine der zivilen Organisationen - sei sie auch noch so gut ausgerüstet - wirklich bewältigen. Das ist der Grund, warum wir der Meinung sind, daß die Bundeswehr in einer solchen Situation helfen soll und muß. Daß die Voraussetzungen für einen weiteren Einsatz von Bundeswehrsoldaten erfüllt sind, weil die Zahl der Flüchtlinge dramatisch zugenommen hat, konnten Sie in den letzten Tagen auf den Bildschirmen sehen. Deshalb ergibt sich die Notwendigkeit, über einen weiteren Einsatz von Bundeswehrsoldaten zu entscheiden, aus der Dramatik der dortigen Situation. Eine parlamentarische Entscheidung über einen solchen Einsatz der Bundeswehr ist notwendig, weil uns das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil vorgeschrieben hat, daß der Bundestag jedem, aber auch wirklich jedem Einsatz zustimmen muß, bei dem die Gefahr besteht, daß sich deutsche Soldaten - was auch bei humanitären Einsätzen möglich ist - im Falle eines Angriffs verteidigen müssen. Es besteht also eine verfassungsgerichtliche Notwendigkeit, vor einem solchen Einsatz die Zustimmung des Deutschen Bundestages einzuholen. Es mag den einen oder anderen nachdenklich machen, ob uns das, was uns das Bundesverfassungsgericht auferlegt hat, wirklich noch Handlungsmöglichkeiten in solchen Konfliktfällen eröffnet. ({27}) Das ist eine theoretische Debatte; denn wir haben uns an die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu halten. Wir werden das auch tun und davon keinen Millimeter abweichen. ({28}) Es wird deutlich, daß unsere Strategie ohne Alternative war und ist. Sie beginnt zu greifen. Ich möchte ein paar Bemerkungen zur innenpolitischen Situation machen. Ich möchte gerne das Zerrbild über die deutsche Gesellschaft, auch über die deutsche Wirtschaftsgesellschaft, das die Vorredner vermittelt haben, richtigstellen. Es ist gesagt worden, die Arbeitslosigkeit sei gestiegen. Das ist falsch. Wenn Sie sich einmal die Zahlen für März 1998 anschauen ({29}) - ich werde nur zwei Zahlen anführen; die werden auch Sie sich merken können -, dann stellen Sie fest, daß im März 1998 4,7 Millionen Menschen arbeitslos waren, während im März 1999 4,3 Millionen Menschen arbeitslos waren. Auch die Zahlen für April 1999, die ich noch nicht habe, werden vergleichsweise niedriger sein. Nun können Sie sagen: 400 000 Arbeitslose weniger, das interessiert uns überhaupt nicht. - Aber uns interessiert das! Es ist wichtig, daß dieser Unterschied aufgezeigt wird. ({30}) Sprechen wir einmal über Jugendarbeitslosigkeit: Bei den unter 25jährigen ist die Arbeitslosigkeit um 11 Prozent zurückgegangen, insgesamt ist sie leider nur um 7 Prozent zurückgegangen. Die Jugendarbeitslosigkeit ist signifikant abgesunken, und zwar seit November letzten Jahres. Das ist ein großer Erfolg, den Sie nicht kleinreden sollten. ({31}) Bundeskanzler Gerhard Schröder Er kommt insbesondere den jungen Menschen im Osten Deutschlands zugute. Wir haben das 100 000-Ausbildungsplätze-Programm aufgelegt. ({32}) - „So wenig erfolgreich“. Es ist interessant, daß ausgerechnet Sie das sagen. Wann haben Sie denn jemals in den 16 Jahren, in denen Sie regiert haben, ein solch erfolgreiches Programm aufgelegt? Sie haben die jungen Leute doch alleine gelassen. Die haben Sie doch gar nicht interessiert. ({33}) Wir haben dieses Programm auf den Weg gebracht. Nach den Zahlen für Mai 1999 sind 100 000 junge Menschen mehr in Ausbildung und/oder Beschäftigung. ({34}) - Wir werden einmal sehen, wie lange. Sie werden sich wundern, was uns noch einfällt, um diesen jungen Leuten Möglichkeiten zu geben. Seien Sie sich da ganz sicher. Eine Pennerei, wie Sie sie in dieser Frage an den Tag gelegt haben, hört jedenfalls auf. ({35}) Was Sie zu den Wachstumszahlen gesagt haben, wundert mich sehr. Es ist richtig: Die Institute rechnen für das erste Halbjahr mit weniger Wachstum. Sie sagen ganz deutlich, womit das zu tun hat: mit den internationalen Einflüssen, die insbesondere auf den Export Wirkungen gezeitigt haben, die zu den verminderten Wachstumszahlen führen. ({36}) Aber die gleichen Institute sagen - noch sehr vorsichtig, man kann nur hoffen, daß sie recht behalten -, daß es in der zweiten Hälfte dieses Jahres mit dem Wachstum nach oben geht. Sie prognostizieren für das nächste Jahr ein Wachstum von 2,6 Prozent. Statt sich darüber zu freuen und mitzuhelfen, daß sich hier die psychologischen Wirkungen entfalten können, stellen Sie sich ins mosernde Abseits und kritikastern nur. Wir brauchen und wir wollen dieses Wachstum! ({37}) Es ist übrigens wahr, daß die Zahlen nur zum Teil aus den wirtschaftlichen Antriebskräften erklärbar sind. Keine Frage, insbesondere im Osten des Landes sind sie auch aus dem erklärbar, was die Bundesregierung über die Bundesanstalt für Arbeit auf dem zweiten Arbeitsmarkt tut. Es macht Sinn, einmal zu erklären, warum es diesen zweiten Arbeitsmarkt geben muß. Es ist doch nicht so, daß es hier einen einzigen unter uns gibt, der einen zweiten Arbeitsmarkt als Selbstzweck betrachtet, der sich ihn wünscht. Jeder, der im ersten Arbeitsmarkt sein Einkommen und Auskommen findet, ist uns lieb. ({38}) Aber wir wissen, daß der ständige Strukturwandel, nirgendwo so dramatisch sichtbar wie im Osten unseres Landes, Ungleichzeitigkeiten produziert. Es sind Ungleichzeitigkeiten, die damit zu tun haben, daß die Vernichtung alter Arbeitsplätze ein ständiges Merkmal dieses Strukturwandels ist, den im übrigen niemand aufhalten kann und aufhalten darf. Wir wissen, daß durch den Strukturwandel auch neue Arbeitsplätze entstehen, aber bedauerlicherweise nicht zur gleichen Zeit, nicht am gleichen Ort und nicht für alle Qualifikationen. Hier setzen unsere Bemühungen an, in Zusammenarbeit mit den Ländern im Rahmen von Strukturpolitik, auch regionaler Strukturpolitik, und durch Qualifizierungsmaßnahmen, die die Leute fit machen, Beschäftigung auch auf dem ersten Arbeitsmarkt zu ermöglichen. Natürlich sind für die Zeit zwischen der Vernichtung alter und dem Aufwuchs neuer Arbeitsplätze Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen auf dem zweiten Arbeitsmarkt nötig. Der Grund für deren Existenz ist, diese Ungleichzeitigkeit zu überwinden. Früher, als Sie noch regierten, gab es pünktlich vor Wahlen immer einen enormen Aufwuchs der Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen. Infolgedessen veränderten sich dann auch die Arbeitsmarktzahlen positiv. Leider war es nur so, daß man unmittelbar nach den Wahlen vergaß, wie dieser Aufwuchs zustande gekommen war, und ihn auch nicht weiterführte. ({39}) Das ist die Erfahrung, die die Menschen im Osten unseres Landes mit Ihnen gemacht haben: vor Wahlen immer mehr Arbeitsplätze, nach Wahlen pünktlich ein Ende der Maßnahmen. ({40}) Das Interessante ist nun, daß die Menschen im Osten jetzt eine andere Erfahrung machen, nämlich die, daß wir die Arbeitsmarktmaßnahmen, die Sie vor Wahlen initiiert haben, unabhängig von Wahlterminen verstetigen. ({41}) Wir werden, meine Damen und Herren, 6,3 Milliarden DM mehr für Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen speziell im Osten ausgeben. Das hilft den Menschen, Arbeit zu finden, sich zu qualifizieren und sich Chancen im ersten Arbeitsmarkt zu suchen und zu eröffnen. Wir wollen das und werden es deshalb weiterführen. Diese Politik ist eine fundamental andere Arbeitsmarktpolitik, als Sie sie gemacht haben. Diesen Unterschied - seien Sie sich dessen sicher - werden wir den Menschen deutlich machen. ({42}) Sie werden dann auch verstehen, daß das Geld kostet, aber daß es besser ist, Arbeit zu bezahlen, als Arbeitslosigkeit bezahlen zu müssen. ({43}) Bundeskanzler Gerhard Schröder Ich will ein paar Bemerkungen zu den hier heiß diskutierten Fragen der Scheinselbständigkeit, der arbeitnehmerähnlichen Selbständigkeit und den 630-MarkArbeitsverhältnissen machen. Worum geht es dabei überhaupt? Es ist von einigen Rednern - ich habe genau zugehört - zu Recht darauf hingewiesen worden, daß sich diese ganzen Probleme auf den Bereich konzentrieren, den man Dienstleistungssektor nennt. Das ist wahr. So hatten wir im Dienstleistungssektor das interessante Phänomen, daß sich dieser wachsende Sektor des ersten Arbeitsmarktes anders ausfächerte als der Sektor der Produktion. Dies hatte Folgen für die arbeitenden Menschen, für die Rentenversicherung, die Sozialversicherung und die Krankenversicherung. Ich habe den Satz, die Sozialsysteme hätten kein Ausgaben-, sondern nur ein Einnahmenproblem, immer für einen törichten Satz gehalten. Ich sage ohne Abstriche: Das ist ein törichter Satz. ({44}) Wir haben da natürlich auch Ausgabenprobleme. Aber umgekehrt ist es genauso töricht, angesichts der Entwicklungen auf dem Dienstleistungssektor zu verschweigen, daß wir ein Einnahmenproblem bekommen, wenn wir es so weiterlaufen lassen. Alle unsere sozialen Sicherungssysteme werden nämlich auf absehbare Zeit so bleiben. Man kann zwar Ergänzungen vornehmen; man wird das sogar tun müssen. Aber sie sind an Vollerwerbsarbeitsverhältnisse gekoppelt. Für diese werden Beiträge in die Sozialkassen gezahlt, von denen wiederum Renten, Leistungen der Krankenkassen und andere Sozialleistungen finanziert werden. Wenn wir, meine Damen und Herren, jetzt nicht politisch darauf reagieren und gestatten, daß sich der dynamischere Teil des Arbeitsmarktes völlig anders als unser bisheriges System entwickelt, dann ist doch völlig klar, daß die Sozialkassen riesige Schwierigkeiten bekommen und es dort zu Erosionen kommt. Das kann doch niemand wollen. Ich vermute, das war auch der Hintergrund jener Botschaft, die gestern der Bundesfinanzminister und heute der Fraktionsvorsitzende der SPD an die Adresse der Union, mit der das diskutiert worden ist, gerichtet haben, daß nämlich bei einer Volkspartei, die nicht nur einen Teil der Bevölkerung vertritt und auch nicht nur auf einen Teil von Wählerschaft sieht, die Sensibilität für dieses Problem, das es objektiv gibt, natürlich größer ist als bei einer Klientelpartei. Das ist ja klar. ({45}) Deshalb haben mich die Differenzen zwischen CDU und F.D.P. insoweit auch gar nicht verwundert, denn sie haben etwas mit unterschiedlichen Funktionen zu tun. Wenn das aber so ist, meine Damen und Herren, daß wir aufpassen müssen, daß sich der dynamischere Teil des Arbeitsmarktes, der Wirtschaft nicht in Richtung auf die Zerstörung der sozialen Sicherungssysteme entwikkelt - damit würde Solidarität in der Gesellschaft zu existieren aufhören -, dann müssen wir handeln. ({46}) Es stellt sich allenfalls die Frage nach dem Wie des Handelns. ({47}) - Ich komme ja dazu; machen Sie sich mal keine Gedanken. Mir ist schon klar, daß Sie über ernsthafte Fragen ungern diskutieren, ({48}) aber glauben Sie nicht, daß Ihre Dölmerei draußen verfängt. Das werden Sie schon noch erleben. Es geht also um die Frage nach dem Wie. Erstens geht es um die Frage, wie diejenigen zu behandeln sind, die als Selbständige erscheinen, obwohl sie nach allem, was man tatsächlich weiß, in Wirklichkeit Arbeitnehmer sind. Es geht also um die sogenannten Scheinselbständigen. Hier muß man Regelungen finden. Ich denke, daß das, was im Streit ist und überprüft werden muß, insbesondere der Zeitpunkt ist, in dem festgestellt wird, ob sie selbständig oder scheinselbständig sind und zu welchem Zeitpunkt die Folgen sowohl für den betroffenen Arbeitnehmer als auch für den Arbeitgeber einsetzen. Wird Scheinselbständigkeit festgestellt - das war früher übrigens schon genauso -, besteht die Pflicht des Arbeitnehmers zur Versicherung und die Pflicht des Arbeitgebers zur Beitragszahlung. Ich halte es nicht für gerechtfertigt, diese Pflicht auf einen früheren Zeitpunkt als den der Feststellung zu beziehen. ({49}) Ich denke, das wird einer der Punkte sein, über den ernsthaft geredet werden muß. ({50}) - Das ist überhaupt kein neuer Vorschlag. Es ist einfach ein Gebot der Fairneß, meine Damen und Herren, ({51}) daß man jemanden mit den Konsequenzen eines Gesetzes erst dann belastet, wenn die entsprechenden Feststellungen verbindlich getroffen worden sind. Der zweite Punkt betrifft ein schwieriges Problem, das Problem der Abgrenzung zwischen Sozialversicherungsrecht und Arbeitsrecht. Also hat die Feststellung, daß Scheinselbständigkeit statt Selbständigkeit vorliegt, auch eine Konsequenz in arbeitsrechtlicher Hinsicht. Hier muß man zu besseren Abgrenzungen kommen. Das betrifft sehr viele Menschen, die im Medienbereich arbeiten. Ich finde, angesichts der Tatsache, daß weit mehr als zehn Jahre in diesem Sektor nichts, aber auch gar nichts getan worden ist - es ist doch Ihr Versagen, mit dem wir es hier zu tun haben, meine Damen und Herren -, ({52}) Bundeskanzler Gerhard Schröder kann und muß man über solche Abgrenzungsprobleme reden. ({53}) Es gibt weiter die arbeitnehmerähnlichen Selbständigen in diesem Sektor. Das sind Menschen, die als Selbständige akzeptiert sind, aber nur für einen bestimmten Unternehmer arbeiten. Dabei geht es schlicht um die Frage: Soll man hinnehmen, daß sich die Betroffenen überhaupt nicht sozialversichern müssen, sich auch nicht zwischen Alternativen entscheiden müssen, aber dann, wenn etwas schiefgeht, in die Sozialhilfe fallen und damit den Beitragszahlern, die ihr Leben lang treu und brav ihre Beiträge gezahlt haben, zur Last fallen, oder soll man das nicht zulassen? In dem Gesetz steht, daß das nicht zugelassen wird. In dem Gesetz steht aber auch - diesen Punkt muß man erwähnen -, daß niemand, der eine Versicherung, welcher Art auch immer, hat, gezwungen werden soll, in die Sozialversicherungskassen einzuzahlen. Dies ist ein vernünftiger Weg, den man sich aber auch unter dem folgenden Aspekt anschauen sollte: Es wird eingewandt, daß man auf diese Weise den Existenzgründern den Schritt in die volle Selbständigkeit erschweren würde. Es wird dann folgendermaßen argumentiert: Der Existenzgründer hat zunächst nur einen Auftraggeber, von dem er abhängig ist; er ist also in einer arbeitnehmerähnlichen Situation. Aber dieser Existenzgründer hat die Chance, den Schritt aus der abhängigen Beschäftigung in die volle Selbständigkeit zu gehen, indem er sich mehrere Auftraggeber sucht. Ich bin absolut dafür, daß diese Regelung aufrechterhalten bleibt. ({54}) - Nein, es ist ja gar nicht so. Schon im Gesetz ist die Regelung enthalten, daß der Betroffene 50 Prozent und mehr seiner Beitragsleistung - wozu er verpflichtet ist - an die Sozialkassen erlassen bekommen kann. Ich bin uneingeschränkt der Auffassung, daß sich die Kommission, gegen die Sie so polemisiert haben, genau anschauen muß, ob es nicht Sinn macht, jemanden für drei oder auch fünf Jahre ganz von dieser Verpflichtung freizustellen. Nach dieser Zeit kann man nämlich genau feststellen, ob er den Schritt in die Selbständigkeit geschafft hat oder ob er ein arbeitnehmerähnlicher Selbständiger geblieben ist. So pragmatisch ist die Regelung. ({55}) - Angesichts Ihres Geschreis muß ich sagen, daß es nur die folgende Alternative gibt: Entweder findet man eine Regelung, die diesen Sektor auf möglichst angemessene Weise anderen Sektoren gleichstellt, oder man findet diese Regelung nicht. Sie aber verwechseln Flexibilität mit dem Recht auf Ausbeutung. Das ist Ihr Problem, meine Damen und Herren. ({56}) In beiden Bereichen geht es um die Frage, ob man eine Entwicklung auf dem ersten Arbeitsmarkt stoppen kann, die die sozialen Versicherungssysteme - unabhängig von der Frage, wie man sie reformieren kann - zerstören würde, wenn man sie weiter zulassen würde, so wie Sie es offenkundig vorhatten. Unsere Antwort lautet: nein. ({57}) Ich räume ein, daß dieses Thema Gegenstand einer Auseinandersetzung ist, was angesichts der Diskussion über einen Sektor, in dem so lange Mißbrauch betrieben wurde - das haben Sie zugelassen -, nicht verwundern kann. Natürlich gibt es im Rahmen dieser Diskussion Auseinandersetzungen um schwierige, aber wichtige Abgrenzungsfragen. Diese Probleme werden so gelöst werden, daß die notwendige Solidarität gewährleistet wird, ohne daß das Recht des einzelnen auf ein selbstbestimmtes Arbeitsleben eingeschränkt wird. Das ist die Aufgabe, die wir lösen werden. ({58}) In der Debatte sind viele Einwände gegen die Steuerpolitik dieser Regierung gemacht worden. ({59}) Ich kann diese Kritik schon aus intellektuellen Gründen nur schlecht nachvollziehen. ({60}) Was haben wir mit unserer Politik, zu der wir ohne Wenn und Aber stehen, bisher erreicht? Wir haben schon vor den Wahlen gesagt, daß wir Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, also diejenigen, die nicht soviel in der Tasche haben, entlasten werden. ({61}) Das haben wir gemacht. Schauen Sie sich die Veränderung beim Eingangssteuersatz und die Veränderungen für Familien mit Kindern an. Da beißt die Maus keinen Faden ab: Wenn die Entlastungsmaßnahmen voll greifen, wird die Entlastung für Familien mit Kindern 2 500 DM pro Jahr betragen. Das ist versprochen und wird gehalten. Die Veränderungen sind auf den Weg gebracht. ({62}) Nun können Sie das kritisieren; damit habe ich überhaupt kein Problem. Aber dann müssen Sie sich auch vorwerfen lassen, daß Sie keine Entlastung von Familien mit Kindern wollen, sondern etwas anderes. ({63}) Damit würde eine Entwicklung fortgesetzt, die das Bundesverfassungsgericht wiederholt auf den Plan gerufen hat. Auch da gilt es einmal in aller Klarheit zu sagen: Es waren doch nicht unsere Steuergesetze, die beim BunBundeskanzler Gerhard Schröder desverfassungsgericht durchgefallen sind, sondern Ihre Steuergesetze! ({64}) Es gehört schon eine gehörige Portion Dreistigkeit dazu, angesichts dessen, was Sie selber an verfassungswidrigen Steuergesetzen zu verantworten haben, uns auf verfassungsrechtliche Bedenken hinzuweisen. Das ist schon dreist! ({65}) Seien Sie sicher: Der Weg, der eingeschlagen worden ist, nämlich auch und gerade im Steuerrecht soziale Gerechtigkeit mit Stärkung der Wirtschaftskraft zu verbinden, wird weitergegangen. ({66}) Der Herr Finanzminister hat gestern dargestellt, wie die einzelnen Schritte aussehen und in welcher Abfolge sie umgesetzt werden. ({67}) Sie können sicher sein, daß Sie früh genug damit beschäftigt werden. Aber Sie müssen sich schon entscheiden, was Sie uns vorwerfen wollen: Auf der einen Seite sagen Sie, alles gehe zu schnell und zu hektisch. Auf der anderen Seite klagen Sie, Sie wüßten nicht früh genug, was kommen soll und was nicht. Nein, seien Sie ganz sicher: Der Bundesfinanzminister wird diese Reform, die nur in Stufen zu realisieren sein wird, sehr sorgfältig vorbereiten und Ihnen Schritt für Schritt im Parlament vorlegen, so daß wir eine breite Diskussion über die Fragen führen können: Erstens. Wer ist verantwortlich für das, was in der Vergangenheit gemacht worden ist, was die Familien ins Abseits gestellt hat und was ganz offenkundig verfassungswidrig war? Zweitens. Wer ist verantwortlich für die Besserung des Zustandes, die das Gericht uns aufgegeben hat? Wir haben uns doch nicht danach gedrängt, Ihre Versäumnisse auszugleichen, sondern das Bundesverfassungsgericht hat uns das aufgegeben. Wir werden es tun, Schritt für Schritt. Dann werden wir das, was sich die Koalition vorgenommen hat, insbesondere auf dem Gebiete des Steuerrechts, umsetzen, nämlich die zweite und dritte Stufe der Ökosteuerreform, den Familienlastenausgleich und die Unternehmensteuerreform. Vermutlich müssen wir uns, wenn das nicht europaweit zu schaffen ist - daran arbeiten wir -, auch mit einer vernünftigeren Variante der Besteuerung von Kapitalerträgen auseinandersetzen. Dann werden wir Ihnen ein Gesamtkonzept vorlegen. Über dieses Gesamtkonzept wird dann politisch diskutiert, ebenso wie über diesen Haushalt und die sozialpolitischen sowie die außenpolitischen Maßnahmen, die diese Regierung verantwortet. Dann werden wir sehen, wie weit wir damit kommen. Wir sind da nicht ängstlich. Wir sind davon überzeugt, daß der Weg, den wir im Äußeren wie im Inneren eingeschlagen haben, ein richtiger Weg ist. Wir werden ihn unbeirrt fortsetzen. ({68})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Zu einer Kurzintervention erteile ich das Wort dem Kollegen Dr. Gregor Gysi. ({0})

Dr. Gregor Gysi (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000756, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich verstehe überhaupt nicht, weshalb Sie sich so aufregen. Die Kurzintervention ist ein selbstverständliches parlamentarisches Recht, das wir Ihnen noch nie abgesprochen haben. Nehmen Sie es doch einfach so hin. Herr Bundeskanzler, ich möchte zu zwei Dingen, die am Beginn Ihrer Ausführungen standen, etwas sagen: Weder in meiner Rede noch insgesamt durch die PDS hat es je eine Verwechslung von Tätern und Opfern gegeben. Opfer ist zweifellos in erster Linie die Zivilbevölkerung des Kosovo, und das seit langer Zeit. Ich habe ein Vertriebenenlager besucht. Ich habe mit vielen dort gesprochen. Es sind zum großen Teil PDS-Gruppen, die in den neuen Bundesländern ankommende Vertriebene unterstützen und direkte Hilfe leisten. Da hat es also noch nie eine Verwechslung gegeben. Es gibt ein zweites Opfer, das allerdings häufig vernachlässigt wird: Das ist zunehmend die serbische Zivilbevölkerung, der Trinkwasser fehlt, der die Lebensmittel ausgehen usw. Nur, falls Sie mit dem Begriff „Opfer“ die NATO meinten: Die ist allerdings für mich nicht Opfer; das ist wahr. Wenn man einen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg beginnt und immer mehr zivile Objekte bombardiert, dann kommt man eben in eine völlig andere Rolle und Bewertung. Täter ist selbstverständlich die jugoslawische Regierung um Milosevic hinsichtlich all der Menschenrechtsverletzungen, die sie zu verantworten hat. Das ist klar. Da gab und gibt es keine Verwechslung. ({0}) Nur, auch die NATO ist auf Grund der immer stärkeren Bombardierung ziviler Objekte weiß Gott nicht unschuldig, weder in einem völkerrechtlichen noch in einem humanen und zivilisatorischen Sinne. Eine zweite Bemerkung - Herr Bundeskanzler, da habe ich mich sehr gewundert -: Das Ziel dieses Krieges soll doch sein, das Morden im Kosovo, wie Sie gesagt haben, zu beenden und die Leiden der Kosovo-Albaner zu lindern. Jetzt stellen aber wir und auch andere fest, daß dieses Morden nicht aufgehört hat, sondern viel schlimmer geworden ist. Die Leiden haben noch zugenommen. Deshalb muß man auch unter diesem Gesichtspunkt den Krieg an sich in Frage stellen. Sie sagen, das sei falsch, weil der Krieg Erfolge habe, und bewerten die Bewegung der russischen Regierung und die neuen Aktivitäten von Kofi Annan als Erfolg. Bundeskanzler Gerhard Schröder Nur, das ist ein bißchen winkeladvokatisch. Denn das Ziel des Krieges bestand doch nicht darin, Kofi Annan oder die russische Regierung in Bewegung zu setzen, sondern darin, das Leiden der kosovo-albanischen Bevölkerung zu beenden. ({1}) Davon aber kann keine Rede sein. Es ist ständig schlimmer geworden. Da das so ist, kann ich nur sagen: Wenn das Leiden der Kosovo-Albaner so wäre wie vor Beginn des Krieges, wäre es immerhin geringer. Deshalb ist der Krieg falsch. Er führt nicht zu dem ursprünglichen Ziel - vielleicht zu einem anderen -, und das ist das Hauptproblem. ({2})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Das Wort hat jetzt der Vorsitzende der Fraktion der CDU/CSU, Dr. Wolfgang Schäuble.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001938, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen! Wenn man dem Bundeskanzler zugehört hat, hat man ein wenig den Eindruck gehabt, daß die deutsche Politik - der Einzelplan 04 ist immerhin Anlaß zur Generalaussprache über die Politik der Bundesrepublik Deutschland; der Bundeskanzler hat dazu eine Stunde gesprochen - im wesentlichen aus der Krise im Kosovo und aus 630-MarkVerträgen besteht. Das ist schon ein bißchen wenig, Herr Bundeskanzler, im Hinblick auf die Perspektiven Ihrer Politik. ({0}) Nun ist es wahr, notwendig und unvermeidlich, daß die Krise im Kosovo die Debatte hier und auch die Tonart überlagert. Ich will der Versuchung widerstehen, Herr SPD-Vorsitzender Schröder, auf Ihre koalitionsinternen Streitigkeiten, was das Verhältnis zwischen SPD und PDS in Schwerin oder Magdeburg anbetrifft, einzugehen. Es ist angesichts dessen, daß Ihre Mehrheit im Bundesrat auf der Zusammenarbeit mit der PDS beruht, schon bemerkenswert, wie Sie hier miteinander umgehen. ({1}) Wir als CDU/CSU-Fraktion haben die Ziele und Aktionen der NATO sowie die Beteiligung der Bundeswehr daran unterstützt. Wir haben das geschlossener getan als große Teile Ihres eigenen Regierungslagers. Wir haben es innerhalb der klaren Grenzen getan, die sich durch die Beschlußlage ergeben und von denen wir immer gesagt haben, sie dürften nicht in unkontrollierbarer und unkalkulierbarer Weise überschritten werden; es dürfe keine unkontrollierbare Eskalation geben. Ich bin sehr froh, daß Sie meinen Warnungen in der letzten Debatte - das betrifft insbesondere den Vizekanzler - vor einer Übersteigerung der Rhetorik, die politische Lösungen erschwert, inzwischen gefolgt sind. Auch das ist gut. Über all dies braucht nicht gestritten zu werden; es bleibt bei unserer geschlossenen Haltung. Wir sind in dieser Frage geschlossener und verläßlicher als Teile Ihres eigenen Regierungslagers. ({2}) Sie, Herr Bundeskanzler, haben eine halbe Stunde zu diesem Thema gesprochen, und Sie haben nicht eine einzige der Fragen, die die Kollegen Glos und Gerhardt gestellt haben, beantwortet. ({3}) Es hilft nichts. So sehr wir uns in bezug auf die Unausweichlichkeit des Handelns der NATO und der Beteiligung der Bundesrepublik Deutschland und der Bundeswehr daran einig sind - daß es uns allen schwerfällt, ist ebenfalls keine Frage -, so sehr müssen Antworten gegeben werden, damit die Menschen es auch verstehen. Natürlich wird zunehmend die Frage gestellt, ob denn die Ziele, die die NATO hinsichtlich einer künftigen Regelung im Kosovo genannt hat, so noch erreichbar sind. Wir erleben jetzt seit sechs Wochen Tag für Tag die NATO-Aktionen. Wer plausibel sein will, wer die Zustimmung der Bevölkerung, der Öffentlichkeit und der großen politischen Gruppierungen erhalten will, der muß realistisch mit den Fragen der Menschen umgehen und muß auf sie Antworten geben. Deswegen entspricht das Ausweichen und das Verweigern von Antworten nicht Ihrer Verantwortung. Ich füge eine Bemerkung hinzu. Der Kollege Gerhardt und der Kollege Glos haben es gesagt: Seit Wochen werden weder der Deutsche Bundestag noch die große Oppositionsfraktion, die die Politik der Regierung unterstützt, über die Beratungen innerhalb der Atlantischen Allianz vor und nach dem Washingtoner Gipfel außer in Form von Pressemitteilungen und Fernsehstatements in irgendeiner Weise unterrichtet. Auch Ihr Debattenbeitrag hat dazu keinerlei Antwort gegeben. ({4}) Wenn man sich an Ihre öffentlichen Erklärungen, Herr Bundeskanzler, hält, dann ist es furchtbar schwierig. Sie haben in Ihrer Erklärung zum 1. Mai gesagt: Die Bundesregierung hat jede denkbare diplomatische und politische Initiative ergriffen usw. Dann heißt es: Die Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union haben sich die Vorschläge der Bundesregierung auf dem informellen Gipfel in Brüssel zu eigen gemacht, und sie fanden Eingang in die Beschlüsse auf dem Gipfel der NATO in Washington. Weiter haben Sie gesagt: Der deutsche Vorschlag zur Entwicklung eines Stabilitätspakts für die Balkanstaaten hat dabei breite Unterstützung gefunden. - Wir hätten das gern ein wenig genauer gewußt. Denn laut einer Agenturmeldung vom 4. Mai haben Sie gesagt, allerdings sei der Einfluß der Deutschen in der NATO gering. 90 Prozent des Materials und der Kosten des Kosovo-Kriegs würden von den US-Amerikanern getragen. Dies erkläre, wer das Sagen habe. - Ich frage: Was gilt denn jetzt? Machen Sie es doch ein bißchen weniger großsprecherisch. Sagen Sie das vielmehr lieber etwas genauer und realistischer. Wenn es öffentlich nicht geht, dann sagen Sie vertraulich und informell - auf unsere Vertraulichkeit können Sie sich verlassen -, was wirklich Stand der Absprachen, der Überlegungen und der Beratungen innerhalb der NATO ist. ({5}) Ich möchte eine weitere Bemerkung hinzufügen. Ich meine die Anzeige der SPD zum Europawahlkampf. Sie ist ganzseitig; Sie haben genügend Geld. Das ist in Ordnung. Wir haben sie ja gesehen. Ich will auch weiter nicht dafür werben. Aber eines geht nicht - da muß ich widersprechen -, nämlich eine Seite lang mit dem Kosovo-Thema Europa-Wahlkampf zu machen - im Mittelpunkt der ganzen Anzeige steht die große Verantwortung, die Sie angeblich für das Kosovo tragen - und im letzten Satz der Anzeige zu schreiben: Zugleich appelliert die SPD an das Verantwortungsgefühl aller Parteien, den Konflikt im Kosovo nicht zum Gegenstand des Wahlkampfes zu machen. Verehrte Kolleginnen und Kollegen, ein solches Maß an Scheinheiligkeit geht dann doch zu weit. ({6}) Das will ich Ihnen in aller Ruhe und aller Freundschaft sagen: Sie nähren mit solchem Verhalten - manche sagen, das sei ziemlich typisch für Sie, auch für Sie persönlich - doch den Verdacht, daß es Ihnen auch in den ernsten Zeiten der Krise im Kosovo in erster Linie um innerparteiliche Rücksichtnahme, in zweiter Linie um innenpolitische Positionsgewinne und überhaupt nicht um die Sache geht. ({7}) Der Verdacht, daß Sie diese Haushaltswoche mit allen möglichen anderen Debatten überlagern, weil Sie von der Problematik der Haushaltspolitik und der Politik dieser Bundesregierung insgesamt ablenken wollen, ist nicht von uns erhoben worden. ({8}) Die Frage ist nicht beantwortet, warum über den Antrag hinaus, in dieser Haushaltswoche das Staatsangehörigkeitsrecht in zweiter und dritter Lesung zu behandeln darüber haben wir gestern diskutiert; in der Geschäftsordnungsdebatte hat übrigens der Geschäftsführer der SPD aus angeblich vertraulichen Telefongesprächen seines Fraktionsvorsitzenden mit einem Kollegen wahrheitswidrig berichtet, ({9}) was auch eine eigene Art des Umgangs zwischen Fraktionsvorsitzenden ist; Herr Kollege Struck, reden Sie einmal mit Ihrem Geschäftsführer, damit er wieder ein Minimum von Anstand einhält ({10}) und nicht noch aus vertraulichen Gesprächen verleumderische Behauptungen macht -, vorgesehen war, das Mandat für die Bundeswehr im Kosovo-Konflikt in dieser Woche zu erweitern - eine Debatte, die Ihnen nicht leichtfällt, die der SPD nicht leichtfällt, die den Grünen nicht leichtfällt und die auch der CDU/CSU-Fraktion nicht leichtfällt. Die Begründung, warum dieser Antrag erst in dieser Woche, quasi überfallartig, im Deutschen Bundestag eingebracht wird, obwohl der Verteidigungsminister und der SPD-Fraktionsvorsitzende ihn doch seit Wochen angekündigt haben, ({11}) auch in Presseerklärungen, haben Sie nicht gegeben. Der Grund ist entweder, daß Sie sich nicht getraut haben, früher den Antrag auf eine ordnungsgemäße Erweiterung des Mandats einzubringen, oder daß Sie von der Haushaltsdebatte ablenken wollen. ({12}) Deswegen sage ich Ihnen in aller Entschiedenheit: Wir stehen zu der Unterstützung, die wir beschlossen haben. Es bleibt dabei; wir werden auch weiterhin verläßlich sein: für die NATO, für die Bundeswehr, für die Beteiligung der Bundesrepublik. Wir werden genauso klar dabei bleiben, daß es keine unkontrollierbare Eskalation geben darf und daß auch der erste Schritt dazu falsch ist. Aber wir werden Sie bei aller Unterstützung der Ziele nicht aus der Verantwortung entlassen. ({13}) Sie müssen zunehmend erklären, ob diese Ziele, wie sie vor Wochen Grundlage unserer Beschlußfassung waren, nach den internen Überlegungen der NATO überhaupt noch erreichbar sind oder was sich verändert. ({14}) Sie werden eines Tages auch erklären müssen, wenn die Ziele nicht zu erreichen sind, was der Grund dafür gewesen ist und was Sie falsch gemacht haben, so daß die Ziele nicht erreicht werden konnten. Aus dieser Verantwortung werden wir Sie nicht entlassen können. Da wird Ihnen kein Schauspielertrick helfen. ({15}) Ich will in diesem Zusammenhang auch sagen: Herr Bundeskanzler, wenn Worte einen Sinn machen, dann haben Sie in Ihrem Debattenbeitrag eben Ihren Bundesinnenminister kräftig gerügt. Das mag berechtigt sein; nur muß es dann klar sein. Der Bundesinnenminister hat uns angegriffen, weil wir gesagt haben: Wir haben doch schon ein paar hunderttausend Menschen aus dem Kosovo in Deutschland. Es ist doch eine Irreführung der Öffentlichkeit, wenn gesagt wird: Die Deutschen haben 10 000 Menschen aufgenommen, und wir werden doch in dieser schlimmen Situation der Vertriebenen und Flüchtlinge in Mazedonien und Albanien nicht kleinlich sein und weitere aufnehmen. - Natürlich nicht! Aber wenn die deutsche Öffentlichkeit das Gefühl haben soll, sie würde von den politisch Verantwortlichen verstanden, gehört auch dazu, darauf hinzuweisen, daß die 10 000 im Grunde nur ein ganz kleiner Teil sind. Wir haben doch in den letzten Jahren eine starke Zuwanderung von Menschen aus dem Kosovo und aus Albanien gehabt. Es sind eher Hunderttausende, die sich in Deutschland aufhalten, als nur 10 000. ({16}) Wenn Sie nun sagen, ehe man über eine Erweiterung des deutschen Kontingents redet, sollen zunächst einmal auch die anderen in der Europäischen Union ein paar aufnehmen, dann haben Sie Ihren Innenminister kritisiert. Der hat nämlich über eine Erweiterung des deutschen Kontingents geredet, ohne daß die anderen in der Europäischen Union bisher durch die deutsche Präsidentschaft zur Solidarität veranlaßt wurden. ({17}) Im übrigen sage ich noch einmal gegen alle Verleumdungen, die Sie versuchen - das werden Sie am Freitag noch einmal machen -: Wir brauchen die Hilfs- und Aufnahmebereitschaft unserer Bevölkerung. Wir können stolz sein auf das große Maß an Hilfsbereitschaft in allen Teilen unserer Bevölkerung. Wir sollten damit pfleglich umgehen. ({18}) Das heißt auch, daß wir nicht ohne Not in der Frage der Integration ausländischer Mitbürger Streit fortsetzen, wo wir ihn nicht fortsetzen müssen. Das Angebot von CDU und CSU steht: Wir können auf der Basis beider Gesetzentwürfe den Weg einer gemeinsamen Lösung gehen. Dazu sind wir bereit. Sie dagegen sind dazu nicht bereit; Sie haben dieses Angebot brüsk zurückgewiesen. ({19}) Damit spalten Sie unser Volk: Sie können die Tatsache, daß 5 Millionen Menschen Ihr Vorhaben der regelmäßigen doppelten Staatsangehörigkeit, das Sie Gott sei Dank aufgegeben haben - das ist unser Erfolg, und den lassen wir uns nicht kleinreden -, ablehnen, nicht ignorieren. Wenn Sie das im Deutschen Bundestag als „widerwärtig“ bezeichnen, stellen Sie sich gegen die Bevölkerung in Deutschland, ({20}) und das sollten demokratisch Verantwortliche niemals tun. ({21}) Deswegen appelliere ich noch einmal an Sie: Geben Sie den unsinnigen Versuch des „Augen zu und durch“ und „Weg mit Schaden, koste es, was es wolle“ auf, und lassen Sie uns versuchen, eine gemeinsame Lösung zu finden! Ihr Gesetz enthält keinen Ansatz, der die Integration ausländischer Mitbürger in unserem Lande fördert. ({22}) Wir haben dazu ein umfassendes Konzept. Deswegen bieten wir Ihnen an: Suchen wir eine gemeinsame Lösung! Wenn Sie Ihren eigenen Weg gehen wollen, spalten Sie die Bevölkerung und schaden der Aufnahmebereitschaft. ({23}) Entweder wollen Sie dieses Vorhaben im Schatten der Haushaltsdebatte durchziehen, oder Sie wollen von der Haushaltsdebatte ablenken. Deswegen sage ich auch das gehört in diese Debatte hinein -: Diese Debatte entlarvt das Scheitern Ihrer Regierung. Manche haben mit dem Rücktritt Lafontaines vor ein paar Wochen die Hoffnung verbunden, es werde nun besser. Denn der Start Ihrer Regierung war ja nach der Auffassung aller selbst nach Ihrer eigenen Auffassung - ein einziges Desaster. Manche haben gehofft, das sei eine zweite Chance, die Chance auf einen neuen Anfang. Aber es ist nichts besser geworden, seitdem sich Lafontaine aus der Politik zurückgezogen hat. Ob es ein dauerhafter Rückzug ist, bleibt ja abzuwarten. In den ersten Wochen Ihrer Regierungszeit haben Sie in der Gesetzgebung eine große Hektik verbreitet - da ging alles in die falsche Richtung -, seit Weihnachten sind wir nur noch damit beschäftigt nachzubessern. Herr Bundeskanzler, es geht doch nicht um die Korrektur von Entscheidungen, die in 16 Jahren der Regierung von Helmut Kohl getroffen wurden. Sie sind doch zur Zeit ausschließlich mit der Korrektur Ihrer eigenen Entscheidungen beschäftigt. ({24}) Nach Hektik und Korrektur ist jetzt in Wahrheit totaler Stillstand eingetreten. Die Bevollmächtigte des Landes Nordrhein-Westfalen beim Bund hat in diesen Tagen zu einer Ausstellungseröffnung eingeladen, die gestern abend in der Landesvertretung Nordrhein-Westfalen stattfand. Ich dachte, diese Ausstellung am Tag vor der Debatte über Ihren Einzelplan sei das Motto dieser Haushaltsdebatte. Der Titel der Ausstellung lautet nämlich „Der Leere gewahr“. Das ist das Kennzeichen dieser Haushaltsdebatte. ({25}) Sie sind ja gelegentlich sehr mit Bekleidungsfragen beschäftigt gewesen. Inzwischen stellen wir fest, des Kanzlers neue Kleider sind wie des Kaisers neue Kleider: Wer genau hinschaut, findet nichts. Die Politik dieser Regierung ist durch vollständigen Stillstand gekennzeichnet. Sie haben angekündigt, den vielgelobten Aufbau Ost zur Chefsache machen zu wollen. Die Ankündigung, der Kanzler mache etwas zur Chefsache, ist längst zu einer Drohung geworden. Hier haben Sie noch einmal davon geredet, was die Menschen in den neuen Bundesländern empfinden. Ihr Staatsminister im Kanzleramt hat es fertiggebracht - auch das paßt zum Titel „Der Leere gewahr“ -, ein Interview zu geben, das die „Thüringer Allgemeine Zeitung“ nicht drucken konnte. Veröffentlicht wurde nur ein Bild des Staatsministers - und im übrigen hinreichend weißer Raum. Dies ist inzwischen kennzeichnend für die Ergebnisse rotgrüner RegierungsDr. Wolfgang Schäuble politik: Genau hingeschaut, bleibt nichts - „Der Leere gewahr“. ({26}) Anhand einiger Fragen, die wir hier diskutieren, will ich Ihnen das aufzeigen. Was ist das für ein Finanzminister, der in seiner Haushaltsrede ständig ankündigt, im nächsten Haushalt solle gespart werden? Meine Damen und Herren, wir beraten gerade den Haushalt 1999. In diesem Haushalt gibt es die seit Jahrzehnten höchste Steigerungsrate der Ausgaben: 6,3 Prozent mehr Ausgaben. ({27}) Das ist genau dieselbe Politik: Zuerst gehen Sie in die falsche Richtung, und dann kündigen Sie an, daß Sie den Mist nächstes Jahr wieder halbwegs in Ordnung bringen werden. Sparen Sie doch jetzt und nicht erst 2000! Sie steigern die Ausgaben. ({28}) Sie haben 30 Milliarden DM Steuermehreinnahmen für den Bundeshaushalt 1999 und kommen nicht hin. Wir hatten Ihnen einen Haushaltsentwurf vorgelegt. Der heutige Parlamentarische Staatssekretär im Bundesfinanzministerium hat Ihnen damals geraten: Laßt uns den Waigelschen Haushalt nehmen; wir werden keinen besseren hinbekommen. - Da hatten wir eine Steigerungsrate der Ausgaben von 1,9 Prozent. Jetzt haben wir eine Ausgabensteigerung von 6,3 Prozent. So zerrüttet man die Grundlagen von Wachstum, Investition und Beschäftigung. ({29}) Herr Bundeskanzler, jetzt haben Sie wieder einen Taschenspielertrick gemacht und gesagt, die Arbeitslosenzahl sei im März 1999 um 400 000 niedriger gewesen als im März vergangenen Jahres. Das ist richtig, unbestritten. Aber, Herr Bundeskanzler, die Arbeitslosigkeit war 1998 von - ({30})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn Sie so nett wären, jetzt wieder dem Redner zu folgen. ({0})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001938, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Verehrte Kolleginnen und Kollegen, liebe Freunde der CDU/ CSU-Fraktion, lassen Sie uns doch über die Arbeitslosigkeit reden. Es ist wichtig, hier einiges klarzustellen. Die Arbeitslosenzahl ist von Januar bis Oktober 1998 saisonbereinigt um über 400 000 gesunken. Wenn Sie die Zahlen von März 1999 mit den Zahlen von März 1998 vergleichen, stellen Sie fest: Das sind genau die 400 000, um die die Arbeitslosenzahl unter der Regierungsverantwortung Ihres Vorgängers Helmut Kohl gesunken ist. Das ist die Wahrheit. ({0}) Herr Bundeskanzler, seit Sie regieren, haben wir nur noch Stagnation. Die Zahl der Arbeitsplätze ist gesunken; die Arbeitslosigkeit stagniert saisonbereinigt. Aber Sie müssen die Wahrheit sagen: Da die Zahl der Erwerbspersonen durch die demographische Entwicklung laufend zurückgeht, bedeutet eine Stagnation der Arbeitslosigkeit in Wahrheit eine Verschlechterung auf dem Arbeitsmarkt. Das ist die Folge Ihrer Politik: von Verunsicherung der Wirtschaft, Steuerchaos, ständigen Ankündigungen und Korrekturen, Höherbelastungen. Sie haben gesagt, Sie kümmern sich um den Mittelstand. Das ist die schlimmste Drohung, die man gegenüber dem Mittelstand aussprechen kann. ({1}) Sie haben selber gesagt: Die wirtschaftliche Entwicklung hängt nicht nur von Zahlen, sondern auch von Psychologie ab. Verehrter Herr Bundeskanzler, verehrte Kolleginnen und Kollegen von Rotgrün, das Durcheinander, das Chaos, die ständigen Steuererhöhungen, einschließlich der teilweisen Korrekturen, führen zu der tiefgreifendsten Verunsicherung, die für die Wirtschaft in allen Bereichen, im produzierenden Gewerbe wie im Dienstleistungsgewerbe, überhaupt möglich ist. Deswegen ist Ihnen die konjunkturelle Entwicklung weggebrochen. Sie verschlechtert sich von Monat zu Monat. Ihre Ausrede, das sei außenwirtschaftlich bedingt, entlarvt sich bei einer ruhigen, genauen Betrachtung durch einen europäischen Vergleich: Die Entwicklung in Deutschland ist im Vergleich zu der anderer europäischer Länder seit Oktober 1998 signifikant schlechter. ({2}) Der Deutsche Aktienindex entwickelt sich schlechter als europäische Aktienindizes. Wenn es in Deutschland auf einmal schlechter läuft als in anderen europäischen Ländern, kann die Ursache, Herr Bundeskanzler, nicht in Südamerika liegen. Sie liegt vielmehr im Kanzleramt und in Ihrer Regierung. ({3}) Ich will Ihnen das einmal an den wenigen Beispielen, um die sich die ganze Debatte dreht, darlegen: 630Mark-Verträge, Scheinselbständigkeit, Ökosteuer. Was ist das Problem Ihrer Politik? Natürlich haben wir langfristige Probleme; darüber besteht doch gar kein Streit. Daß ein arbeitskosten-, ein lohnkostenorientiertes Sozialversicherungssystem auf Dauer ein Problem hat, wenn ein größerer Teil der Beschäftigung sozialversicherungsfrei ist, ist völlig unstreitig. Die Frage ist, wie man es löst. Sie sind nach dem Prinzip vorgegangen, zuerst zu handeln und dann nachzudenken, wie man vorgehen könnte, um anschließend gegebenenfalls zu korrigieren. Ich würde vorschlagen: Wir denken zuerst darüber nach, wie wir das Problem lösen können, und dann handeln wir. Das wäre der bessere Weg mit weniger Verunsicherung. ({4}) Das eigentliche Problem Ihrer Politik besteht darin, daß es Ihnen in Wahrheit überhaupt nicht darum gegangen ist, irgendwelche sachlichen Probleme zu lösen. Ihnen ist es statt dessen darum gegangen, das Geld wieder einzukassieren, das Sie von Oktober bis Dezember fälschlicherweise und leichtfertigerweise ausgegeben und verschwendet haben. Das ist das Problem. ({5}) Ich komme jetzt zum Stichwort Ökosteuer. Darunter verstehen die Menschen, daß das Steuersystem Anreize zum Energiesparen gibt. Das nennt man Ökosteuer. Wie wollen Sie unter diesem Gesichtspunkt vertreten, daß der Steuersatz um so niedriger ist, je höher der Energieverbrauch ist? Das ist doch grober Unfug. Das zeigt auch, daß es Ihnen nur darum geht, Einnahmequellen zu erschließen. Es geht Ihnen nicht um die Lösung eines sachlichen Problems. Wenn Sie das Problem Energieverbrauch und Umweltschutz in Angriff nehmen wollen, dann müssen Sie in Gottes Namen darüber nachdenken, wie Sie es vermeiden können, daß der Umweltschutz gegen die Arbeitsplätze ausgespielt wird. Darüber haben Sie nicht nachgedacht. Sie haben im Wege des Nachbesserns den größten Unfug beseitigt. Aber dabei ist ein solcher Krampf herausgekommen, daß es nur noch um das Abkassieren und nicht mehr um eine sachliche Lösung geht. ({6}) Ich komme nun zu den Scheinselbständigen und den 630-Mark-Verträgen. - Lassen Sie uns ganz ruhig bleiben. - Ich habe schon auf dem Leipziger Parteitag meiner Partei - ich weiß gar nicht mehr, wann der war; das liegt schon ein paar Jahre zurück - gesagt: Wir haben ein Problem und jede Lösung ist schwierig. Die Tatsache aber, daß jede Lösung schwierig ist, ändert nichts daran, daß wir ein Problem haben. Deswegen haben wir daran gearbeitet; wir hatten noch keine richtige Lösung gefunden. Das haben wir immer zugegeben. ({7}) - Ach was, wir waren schon auf dem Weg. ({8}) - Ich sage es Ihnen doch gerade. Sie können das Problem nur lösen, wenn Sie den Abstand zwischen Transfereinkommen und Arbeitseinkommen so verändern, daß sich auch geringer bezahlte Arbeit, auch Teilzeitarbeit lohnen. Wenn die Menschen ohne Arbeit genausoviel Geld haben wie die mit Arbeit, dann geht es nicht. ({9}) - Ja, natürlich. Deswegen waren wir beim Kombilohn, den Sie blockiert haben. Sie können das Problem nur in einem Gesamtkonzept lösen. Dieses Gesamtkonzept muß das Ziel „Arbeit für alle“ verfolgen. Es muß mehr Flexibilisierung und Anreize enthalten, auch geringer bezahlte und geringer qualifizierte Arbeit aufzunehmen, weil das besser ist, als gar keine Arbeit zu haben. Nur wenn Sie die Elemente der Eigenverantwortung stärken und mehr Flexibilität und Differenzierung durchsetzen, werden Sie es schaffen. Sie wollten aber nur ein Abkassiermodell verwirklichen. Was war es sonst? Bei Ihnen stand doch die Überlegung im Vordergrund, den Zuschuß zur Rentenversicherung - Sie brauchten 4,5 Milliarden DM für die Rentenversicherung - nicht zu 100 Prozent vom Bund bezahlen zu lassen, sondern zu 57 Prozent von den Ländern und Gemeinden. Das war Ihr Ansatz. Das ist genau der Weg, auf dem Politik scheitert und der ins Chaos führen muß. Deswegen ist das, was Sie gemacht haben, nicht nur ungenügend, sondern es schadet unserem Land, weil es unser Land nicht voranbringt, sondern zurückwirft. ({10}) Manchmal wird einem fast schwindelig, wenn man die Agenturmeldungen liest. Ich habe gestern eine Agenturmeldung von „dpa“ von 17.18 Uhr gelesen. Darin hat Herr Riester - er ist immer noch Arbeitsminister, auch wenn er nicht so häufig da ist; er wird auch nicht mehr oft da sein, wenn man die Debatte richtig verfolgt - erklärt, er habe mit Bundeskanzler Schröder in einem Gespräch vereinbart, das 630-Mark-Gesetz nicht zu verändern. Auch beim Gesetz für die arbeitnehmerähnlichen Selbständigen gebe es aktuell keinen Änderungsbedarf. „Das“ - so Riester wörtlich - „ist die gemeinsame Position von Gerhard Schröder und mir.“ In der Agenturmeldung von „Reuters“ von 17.53 Uhr war zu lesen, Schröder habe bei dem Treffen mit den jungen Abgeordneten den klaren Willen gezeigt, in beiden Bereichen - 630-Mark-Jobs und Scheinselbständigkeit - Probleme nicht nur durch Korrekturen an der Umsetzung der Regelungen, sondern auch durch Gesetzesänderungen zu lösen. - Ja, was gilt denn nun? Nicht einmal 35 Minuten beträgt die Halbwertszeit Ihrer Erklärungen, Herr Bundeskanzler. ({11}) Weil Ihnen nicht einmal mehr die Korrektur Ihres eigenen Unfugs gelingt und Sie sich immer mehr darin verstricken, machen Sie jetzt den Ansatz zur Methode, überhaupt nicht mehr zu entscheiden. Ich habe schon in früheren Debatten gesagt: Nichts gegen ein „Bündnis für Arbeit“, wenn es nicht dazu dient, Verantwortung zu verwischen. Für die politischen, für die gesetzgeberischen Entscheidungen bleiben Regierung und Parlament verantwortlich und für die Tarifentscheidungen die Tarifpartner. Das „Bündnis für Arbeit“ wird mehr und mehr zur Alibiveranstaltung; es wird nichts entschieden. Wenn das „Bündnis für Arbeit“ den Sinn haben sollte, daß sich die Verantwortlichen von Politik, Regierung, Wirtschaft und Gewerkschaften darauf verständigen, daß man in den jeweiligen Entscheidungen der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit und der Schaffung von Beschäftigung den Vorrang gibt, dann wäre das wunderbar. Nur, davon können wir nichts erkennen. In der Regierungspolitik und in Ihren Entscheidungen wird jedenfalls der Beschäftigung kein Vorrang gegeben. Vielmehr fällt sie absolut unter den Tisch. Auch die Tarifverträge geben dem Gesichtspunkt der Beschäftigung bisher keinen Vorrang in unserem Lande. Aber die Methode, nicht mehr zu entscheiden und auszuweichen, erscheint erfolgversprechend für Sie. Im Zusammenhang mit der Energiepolitik haben Sie ein paar Monate lang im rotgrünen Lager so hin und her gequatscht, daß einem fast schon das Mitleid kommen konnte. Sitzt der Herr Trittin noch auf der Regierungsbank? Ist er noch anwesend? ({12}) Steht er überhaupt noch für die Regierungspolitik? ({13}) Die energiepolitischen Fragen sind schwierig. Unser Land braucht Klarheit. Wir brauchen eine langfristig sichere Energieversorgung, die auch globaler Verantwortung gerecht wird und die die Risiken minimiert. Das sind schwierige Fragen. Aber die müssen Sie doch entscheiden! Was macht jetzt der Wirtschaftsminister? - Er hat in der kurzen Zeit, in der er Herrn Lafontaine vertreten hat, sowieso viele Ideen gehabt. - Er setzt jetzt eine Kommission ein, in der alle Parteien, alle gesellschaftlichen Gruppen zusammen palavern sollen, damit man als Regierung ja nicht mehr entscheiden muß. Sagen Sie doch, was Ihre Position ist, und lassen Sie uns dann darüber streiten, ob das der richtige Weg ist! Weichen Sie Ihrer politischen Verantwortung und der parlamentarischen Entscheidung nicht aus! ({14}) Der Herr Müller hat als Wirtschaftsminister den Vorschlag gemacht, man könne die Steuern für die Unternehmen um so viel senken, wie die Unternehmerverbände ihrerseits in der Lage seien, Vorschläge für den Abbau von Subventionen zu machen. ({15}) - Das ist eine gute Idee. Nur, dann brauchen wir keinen Wirtschaftsminister. Dann sollten wir wirklich - ich weiß nicht, welchen Einzelplan das betrifft, Dietrich Austermann - das Ministergehalt streichen. Der Mann ist völlig überflüssig, wenn er nicht selber Vorschläge machen kann. Sie wollen die Verantwortung für Ihre Entscheidungen immer wegschieben. Auch der Herr Eichel redet schon davon - ich habe das am Sonntag im Fernsehen gesehen -: In der Steuergesetzgebung sei er gerne bereit, die Vorschläge zu machen, für die es einen Konsens zwischen den gesellschaftlichen Gruppen gebe. Der Herr Scharping will inzwischen die Fragen, wie die künftige Struktur der Bundeswehr aussehen soll, durch eine große Kommission untersuchen lassen. Ich habe nichts dagegen. ({16}) Ich habe Respekt vor Richard von Weizsäcker und vor allen Mitgliedern der Kommission sowieso. ({17}) Aber ich sage Ihnen: Wenn Sie nicht die Kraft haben, als Regierung selber zu entscheiden, dann sind Sie fehl am Platze. Sie müssen die Verantwortung tragen. ({18}) Das Ergebnis Ihrer Politik ist: Erst Hektik in die falsche Richtung, dann Bemühungen um Korrektur dessen, was falsch war, dann Verlagerung der Verantwortung auf irgendwelche Konsensrunden, bei denen nichts herauskommt. Das Ergebnis Ihrer Politik ist Stillstand in diesem Lande - so wie auf dem Arbeitsmarkt. Ich habe Ihnen schon einmal gesagt: Ich weiß vielleicht besser als andere, ({19}) daß es schwierig ist, Reformen in diesem Lande durchzusetzen. Das ist keine Frage. Warum soll man darüber streiten? Wir haben in diesen Tagen 50 Jahre das Grundgesetz. Wir sind eine hochentwickelte, komplexe und komplizierte Gesellschaft. Wir haben gestern abend auch mit den Mitgliedern des Verfassungsgerichts in einem Punkt darüber diskutiert. Das ist alles wahr. Aber gerade weil dies kompliziert ist, ist es eine Katastrophe, daß diese Regierung, die mit dem Versprechen angetreten ist, Reformen für unser Land durchzusetzen, ({20}) durch ihre Unfähigkeit den Begriff der Reformen in einem solchen Maße diskreditiert. ({21}) Auch das schadet unserem Land. Unser Land braucht Innovationen. ({22}) Sie haben es immer noch nicht verstanden: Wenn wir mehr Innovationen wollen, wenn wir mehr ReaktionsDr. Wolfgang Schäuble fähigkeit auf die Entwicklungen wollen, die auf dem Arbeitsmarkt, in der Arbeitswelt und in der Gesellschaft stattfinden - die gesellschaftlichen Veränderungen sind: der Altersaufbau, die Tatsache, daß die Hälfte aller Haushalte Einpersonenhaushalte sind, und die Globalisierung -, und wenn wir die notwendigen Anpassungen an die sich verändernde Wohlstandsgesellschaft erreichen wollen, müssen wir die Kräfte der Veränderung stärken. ({23}) Das geht nicht mit bürokratischem Zentralismus. Deswegen sind Sie auf dem Berliner Gipfel in der Europäischen Union gescheitert. Wer anfängt, nur ein paar Milliarden hin- und herschieben zu wollen, hat schon verloren. Sie hätten stärker auf die Verwirklichung des Subsidiaritätsprinzips in Europa setzen müssen. Nicht europäische Beschäftigungsprogramme lösen unsere Probleme am Arbeitsmarkt, sondern die Stärkung der Betriebe - durch Arbeitgeber, Gewerkschaften und Betriebsräte -, die Stärkung der Eigenverantwortung sowie mehr Flexibilität im Arbeitsrecht und im Kündigungsschutzrecht. Das ist der richtige Weg. Alle Entscheidungen, die Sie getroffen haben, waren falsch. ({24}) Zur Rückgängigmachung aller Reformen für mehr Eigenverantwortung. Jetzt ist die Gesundheitsministerin völlig und hoffnungslos in die Frage verstrickt, wie sie das Gesundheitssystem und die gesetzlichen Krankenkassen bezahlbar halten will. Unsere behutsamen, maßvollen, natürlich umstrittenen, aber in der Richtung richtigen Schritte, Elemente der Eigenverantwortung zur Förderung von Sparsamkeit in die sozialen Sicherungssysteme einzuführen, waren vernünftig und notwendig. Sie haben das rückgängig gemacht. Den demographischen Faktor aus der Rentenversicherung zurückzunehmen und jetzt nach Kassenlage über die Rente zu diskutieren ist Unfug und im übrigen das schlimmste Unrecht im Hinblick auf die langfristige Sicherheit unserer Renten. ({25}) Sie machen eine Steuerpolitik, die überhaupt nicht mehr von Entlastung der Wirtschaft und von Arbeitsplätzen, sondern nur noch von Umverteilungsmodellen redet. ({26}) Sie hatten im Oktober des letzten Jahres einen Spielraum von 20 Milliarden DM für eine Nettoentlastung im Jahre 1999. Diesen Spielraum haben Sie verwirtschaftet. Inzwischen ist eines unstreitig - das ist in der Debatte schon gesagt worden; Michael Glos und der Kollege Gerhardt haben es dargelegt -: Natürlich war auch unser Petersberger Modell Einwänden und kritischen Fragen ausgesetzt - es gibt nichts, bei dem es nicht auch kritische Einwände gibt. Wenn man aber in diesen Wochen die Hilflosigkeit Ihrer Bemühungen zur Unternehmensteuerreform sieht, dann zeigt sich immer mehr, daß wir auf dem richtigen Weg waren. Es wird immer klarer, welch schwere Verantwortung Sie, Herr Bundeskanzler, als damaliger Ministerpräsident von Niedersachsen, Herr Eichel, Herr Lafontaine und all die anderen Blokkierer, auf sich geladen haben, als Sie in der vergangenen Legislaturperiode Schritte für eine Entlastung der Wirtschaft und für Arbeitsplätze blockiert haben. Daß Sie jetzt nicht zu einer Politik fähig sind, die die Steuerund Abgabenbelastung schrittweise reduziert, das ist das eigentliche Elend, wo es doch darum geht, in unserem Lande für mehr Beschäftigung und für Arbeit für alle zu sorgen. ({27}) Der Start ist Ihnen gründlich mißlungen; das ist unstreitig. Die Richtung Ihrer Politik ist falsch. Es fehlt die Substanz in Ihrer Politik. ({28}) - Ja, es sind traurige Geschichten. Aber leider sind sie alle wahr. ({29}) Wir erleben nach etwas mehr als 100 Tagen eine dramatische Verschlechterung des Wirtschaftsklimas, der Investitionsbereitschaft, der Konjunktur und der Wirtschaftswachstumserwartungen ({30}) sowie eine Stagnation am Arbeitsmarkt, wo wir im letzten Jahr saisonbereinigt noch einen Rückgang der Zahl der Arbeitslosen um 400 000 zu verzeichnen hatten. ({31}) Viele - auch in Ihren eigenen Reihen - haben gehofft, daß Sie nach dem Abgang von Lafontaine - wenn es denn geholfen hätte, sollte es mir sehr recht sein; ich habe keine Schadenfreude wegen des Elends, das Ihre falsche Politik produziert, weil mir das Land und die Menschen, die Opfer dieser Politik sind, leid tun - die Chance zu einem zweiten Anfang, zu einem neuen Start nutzen würden. Jetzt aber sind Sie dabei, diese zu vertun. Der „Spiegel“ hat in diesen Tagen gefragt: Was wird den Kanzler als nächstes davon abhalten - zuerst war es Lafontaine, dann war es der Krieg im Kosovo -, das zu tun, wofür er gewählt wurde? Meine Antwort ist einfach, und sie ist bitter: Sie sind nicht in der Lage, das zu tun, wofür Sie gewählt wurden und was Ihre Verantwortung ist, weil Sie vor der Wahl keine Vorstellung hatten, wofür Sie überhaupt Kanzler werden wollten. An Kanzleramtszäunen rütteln, letztlich aber keine Vorstellung von der Politik des Landes haben! ({32}) Das rotgrüne Lager ist zerrissen. ({33}) - Entschuldigung, es ist doch herzzerreißend, wie es in der SPD zugeht. Daß Sie in der eigenen Fraktion, obwohl Sie und die Fraktionsvorsitzenden Struck und Schlauch dafür waren, das 630-Mark-Gesetz und das Scheinselbständigengesetz zu korrigieren, aufgelaufen sind, ist doch ein Menetekel; Sie haben auch in Ihrer SPD-Fraktion keine Unterstützung. Die Grünen - ach du lieber Himmel - sind ja wirklich nur noch ein Bild des Jammers. Sie sind einmal für Ideen angetreten, hatten mal ein paar Punkte. Das einzige, was sie noch hier und zusammenhält, sind die Posten und die Angst, sie zu verlieren - nichts anderes. ({34}) Diese Zerrissenheit und Ihr Mangel an Substanz sind der Grund, der Sie auch beim nächstenmal hindert, unser Land voranzubringen. Es liegt an der Inhaltsleere Ihrer Politik, an der Tatsache, daß es nur noch um Medieninszenierung, Ereignismanagement, Talk-Shows und sonst etwas geht, um nacktes Überleben. Im Augenblick sind Sie nur noch mit der Frage beschäftigt, wie Sie über den Grünen-Parteitag hinwegkommen, ohne daß Ihnen die Koalition auseinanderfliegt. Und dann kommt wieder das Postengeschacher um die EU-Kommission. Die Substanz des Landes und der politischen Probleme beschäftigt Sie überhaupt nicht. ({35}) Ich sage Ihnen: Die Menschen werden dieser Tatsache zunehmend gewahr, so wie es die Ausstellung in der Landesvertretung Nordrhein-Westfalen gestern abend zeigte. Die Bevölkerung merkt es, sie wird der Leere gewahr. Herr Bundeskanzler, Sie werden Ihrer Verantwortung nicht gerecht! ({36})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Das Wort hat jetzt der Kollege Klaus Hagemann, SPD-Fraktion.

Klaus Hagemann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002668, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Dr. Schäuble, Sie haben soeben in einer sehr polemischen Weise festgestellt, daß die Richtung dieser Regierung nicht stimme. Ich bin ganz anderer Meinung: Die Weichen sind seit dem 27. September in die richtige Richtung gestellt worden, nämlich für mehr Innovation, für mehr soziale Gerechtigkeit. Dies ist in den letzten 16 Jahren unter Ihrer Verantwortung leider vergessen worden. ({0}) Sie haben, sehr geehrter Herr Dr. Schäuble, in Ihrer 35-minütigen Rede wichtige Probleme nicht angesprochen, haben keine Antworten darauf gegeben. Ich möchte diese Probleme in Frageform ansprechen: Wie wollen Sie denn das Problem der Verschuldung lösen? Wie soll man einen Haushalt, der mit 1,5 Billionen DM, 1 500 Milliarden DM, belastet ist, für den in diesem Jahr 82 Milliarden DM allein an Zinsen aufgebracht werden sollen, in den nächsten Jahren in den Griff bekommen? Ich stelle auch Fragen zu den 630-Mark-Jobs. Dazu haben Herr Kollege Schäuble und Herr Gerhardt nur gesagt: Die Gesetze müssen weg. Aber Alternativen haben sie nicht aufgezeigt. Soll es wieder massenhaften Mißbrauch geben? Soll es wieder Illegalität geben?

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Herr Kollege Hagemann, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Westerwelle? ({0})

Klaus Hagemann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002668, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja, bitte.

Dr. Guido Westerwelle (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002944, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege, da Sie gleich am Anfang Ihrer Rede die Regelungen der 630-Mark-Jobs verteidigen, möchte ich Sie auf eine Meldung hinweisen, die seit etwa zwei Stunden über die Ticker läuft. Darin äußert der haushaltspolitische Sprecher Ihres Koalitionspartners, Herr Metzger, genau die Kritik, die beispielsweise auch unser Vorsitzender vorgetragen hat. Nach ADN heißt es: Der grüne Haushaltsexperte Oswald Metzger kritisierte am Mittwoch in scharfer Form das Konzept von Bundesarbeitsminister Walter Riester. - Jetzt kommt der entscheidende Satz: Dabei handele es sich um eine Einladung zur Schwarzarbeit. ({0}) Wie stehen Sie dazu? Stimmen Sie dieser Einschätzung zu? Wenn Sie das tun, werden Sie dann etwas verändern? ({1})

Klaus Hagemann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002668, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich kenne die Äußerungen von Herrn Metzger nicht. Ich weiß auch nicht, ob er sich tatsächlich in dieser Art und Weise geäußert hat. Ich habe die Frage gestellt: Wo sind Ihre Alternativen? ({0}) Wollen Sie wieder zu der alten Regelung zurückkehren, ({1}) durch die es möglich war, massenhaft Mißbrauch zu betreiben, daß Leute sich von der Zahlung ihrer Sozialbeiträge befreien konnten und daß diejenigen, die ordentliche Arbeitsverträge abgeschlossen haben, diese Kosten übernehmen müssen? Sind das die Lösungen, die Sie anbieten? Sie haben keine Antwort auf diese Frage gegeben. ({2}) Ich muß noch eine Frage an Herrn Dr. Schäuble richten: Wo ist Ihre Stellungnahme zu den ErblastDr. Wolfgang Schäuble urteilen, die das Bundesverfassungsgericht fast vierwöchentlich fällt und in denen die Leistungen und Fehlleistungen Ihrer Politik beurteilt werden? Diese Frage haben Sie auch nicht beantwortet. Sie haben darauf hingewiesen, daß die Ausgaben im Haushalt weiterhin steigen würden. Natürlich steigen sie, aber nicht in der Größenordnung, die Sie genannt haben. Die Haushaltsausgaben steigen nur um 1,2 Prozent. Das will ich hier richtigstellen. Das haben die Beratungen im Haushaltsausschuß ergeben. Sie haben auch davon gesprochen, daß die rotgrüne Mehrheit durch ihre Gesetze Geld verschwende. Ich frage Sie: Ist die Kindergelderhöhung Geldverschwendung? ({3}) Sind die Regelungen der Steuergesetzgebung, durch die die Familien, die Arbeitnehmer und auch die mittelständischen Betriebe entlastet werden, Geldverschwendung? Wenn Sie dieser Meinung sind, dann haben Sie aber eine seltsame Auffassung. Wenn ich mir die Haushaltsberatungen - um zu dem Thema zurückzukehren, das ich eigentlich behandeln soll - anschaue, dann frage ich mich, wo die Sparvorschläge der Union waren, von denen die Rede gewesen ist. Sie waren nicht vorhanden. Die „FAZ“ hat heute in einem Kommentar in ihrem Wirtschaftsteil kritisiert, daß die Union und die F.D.P. durch ihre Anträge nur draufgesattelt haben. Ihr Vorschlag bestand darin, bei der aktiven Arbeitsmarktpolitik zu streichen, obwohl wir - das muß man bedenken - hier wirklich nur das fortsetzen, was Sie als sogenannte Wahlkampf-ABM vor der Bundestagswahl begonnen haben. Dies wollen wir verstetigen und weiterführen. Sie kritisieren genau das, was in Ihrer Regierungszeit schon falsch war. Sie haben immer wieder unsere Öffentlichkeitsarbeit kritisiert und haben dabei nicht bedacht, daß gerade im Hinblick auf die wichtigen Gipfel, die in den nächsten Tagen in Bonn oder in anderen deutschen Städten stattfinden bzw. stattgefunden haben, auch eine entsprechende Öffentlichkeitsarbeit vonnöten ist, damit die Journalisten entsprechend unterstützt werden und damit sich unser Land so darstellen kann, wie es notwendig ist. Wir müssen diese Chance nutzen. Deswegen kommt Ihre Kritik nicht an. Ich möchte noch einen anderen Titel, über den ich Bericht erstattet habe, ansprechen, nämlich die Entwicklung der Baukosten für das neue Bundeskanzleramt in Berlin.

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage?

Klaus Hagemann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002668, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Koppelin, selbstverständlich. Wenn wir nicht zu den Druckern gehen müssen, können wir diskutieren.

Dr. h. c. Jürgen Koppelin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001180, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herzlichen Dank, Herr Kollege. Ich hatte schon die ganze Zeit gewartet. Sie haben nach Sparvorschlägen gefragt. Wir diskutieren unter anderem über den Etat des Bundeskanzlers. Können Sie der vielleicht staunenden Öffentlichkeit mitteilen, was die Dolmetscherin kostet, die der Herr Bundeskanzler jetzt dringend benötigt? Teilen Sie unsere Auffassung, daß diese Frau eine Scheinselbständige ist, da sie sich vom Bundeskanzleramt nicht fest einstellen lassen will und nur den Auftraggeber Bundeskanzler hat?

Klaus Hagemann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002668, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Nur nach Ihrer Definition ist die Dame scheinselbständig. Diese Auffassung haben Sie in den Beratungen des Haushaltsausschusses immer wieder deutlich gemacht. Auch in dem vorliegenden Gutachten des Bundesrechnungshofes ist deutlich nachgewiesen, daß Ihre Auffassung nicht zutrifft: Die Dame ist für das Bundeskanzleramt nur beschränkt tätig, und sie bekommt weitere Aufträge. Da Sie die Kosten angesprochen haben: Im Gutachten des Bundesrechnungshofs ist auch deutlich herausgestellt worden, daß gleichzeitig erhebliche Kosten im Auswärtigen Amt eingespart werden. Lieber Herr Koppelin, wir erinnern uns - das möchte ich deutlich unterstreichen - an Ihre „Draufsattelungsanträge“, die Sie immer wieder gestellt haben. Lenken Sie davon durch Ihre Bemerkungen nicht ab! ({0}) Ich möchte auf die Kostenentwicklung beim Bundeskanzleramt zu sprechen kommen. Bis zum 27. September war die Marschrichtung, daß die Baukosten knapp 400 Millionen DM betragen sollten. Nach dem Regierungswechsel kamen die Baufachleute - ich möchte fast sagen: zur Beichte - ins Bundeskanzleramt, um darauf hinzuweisen, daß sie diesen Betrag nicht halten könnten und daß sie mit Mehrkosten von mindestens 40 bis 45 Millionen DM rechneten. Das ist eine Entwicklung, die so nicht hingenommen werden darf. Zusätzliche Vorstellungen haben zusätzliche Aufträge und damit zusätzliche Gelder notwendig gemacht. Es ist zu kritisieren, daß die Baukosten nicht unter Kontrolle gehalten werden konnten. Durch „Marschbefehl“ wurde dies verhindert. Ich war Bürgermeister und habe in der Kommunalpolitik viele Bauprojekte politisch mit zu verantworten gehabt. Wenn Baukostensteigerungen von 10 bis 15 Prozent, wie wir sie jetzt beobachten, in der Kommunalpolitik angefallen wären, dann hätte das zu einem mittleren Erdbeben geführt. Ich hoffe, daß die Kostenentwicklung der Baumaßnahmen des Bundeskanzleramtes, genauso die Kostenentwicklung anderer Baumaßnahmen in Berlin eingehalten wird. Hohe Anforderungen kommen auf uns zu. Wenn jetzt plötzlich Gelder für ein Prozeßkostenrisiko eingestellt werden sollen, dann frage ich mich, was mit diesem Geld beabsichtigt ist. Wir müssen genau hinschauen, damit keine weiteren Kosten vernebelt werden. In den weiteren Beratungen müssen wir dieses Problem im Blick haben. Die Personalkosten wurden schon angesprochen. Auch auf diesem Gebiet sind im Bundeskanzleramt erKlaus Hagemann hebliche Veränderungen vorgenommen worden. Im Europabereich, im Kulturbereich und in der Verantwortung für Aufbau Ost sind Aufgaben hinzugekommen. All das hat mehr Stellen gebracht. Von uns wurden mehr Stellen bewilligt, um das Büro des Bundeskanzlers außer Dienst, Helmut Kohl, hinsichtlich des Personals ordentlich auszustatten. Ich möchte zum Schluß meiner Rede kommen; ich habe nur wenige Minuten Zeit gehabt. Wir haben in den Haushaltsberatungen intensiv gearbeitet, um Einsparungen vorzunehmen. Wir haben 2,5 Milliarden DM eingespart. Dafür haben wir im Ausschuß heftig gekämpft. Was wir in den Beratungen erlebt haben, war aber nur ein laues Lüftchen, wenn wir auf das blicken, was im nächsten Haushaltsjahr und in den darauffolgenden Jahren auf Grund der hohen Verschuldung und der vielen zu zahlenden Zinsen auf uns zukommt. Wir sind guten Mutes, die Probleme erfolgreich anzupacken und weiterhin die Regierungspolitik in die richtige Richtung lenken zu können. Wir werden unsere Entscheidungen im Interesse des Volkes treffen. Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. ({1})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Nächster Redner in dieser Debatte ist der Kollege Dr. Michael Luther, CDU/CSU-Fraktion.

Dr. Michael Luther (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001398, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Während der Rede des Bundeskanzlers habe ich mir eine Frage gestellt: Ist der Aufbau Ost überhaupt noch Chefsache? Auf jeden Fall hat der zuständige Staatsminister im Kanzleramt heute nicht geredet; vielmehr hat er gestern zum allgemeinen Finanzhaushalt gesprochen. Für mich stellt sich die Frage, ob dieser Bereich jetzt in das Finanzministerium abgeschoben wird. Ich achte Herrn Schwanitz. Ich meine, er ist gutwillig. Allein, wir haben in den letzten Wochen festgestellt, daß er ohne Einfluß ist, leider nichts bewirkt und zu einem Ankündigungspolitiker wird. ({0}) Wir haben ihn als einen Ankündigungsminister von Luftblasen erlebt. Das Interview in der „Thüringer Allgemeinen“ ist für mich nichts Besonderes, sondern symptomatisch für unsere Erlebnisse. Lassen Sie mich das an einem Beispiel erläutern: Herr Schwanitz hat angekündigt, 100 Milliarden DM für den Aufbau Ost bereitzustellen, 10 Milliarden DM mehr als im vergangenen Jahr. Was ist dazu zu sagen? Zunächst einmal muß kritisch festgestellt werden, daß gemäß einer Rechenvorschrift die Ausgaben, die im Osten ausgegeben werden, addiert werden müssen. Das bedeutet, auch die Ausgaben, die für die Bundesbauten in Berlin ausgegeben werden, werden zu den Aufbau-OstMitteln gezählt. Aber nicht nur das, es geht noch weiter: Um 6,4 Milliarden DM steigt der Zuschuß zur Sozialversicherung. Gemäß dieser Rechenmethode und der Meinung von Herrn Schwanitz sind auch das Mittel für den Aufbau Ost. Wenn man das hinterfragt, stellt man fest, daß die Ökosteuer, die in den neuen Bundesländern bezahlt wird, in den Ausgaben wieder als Mittel für den Aufbau Ost auftaucht. Ich halte es für einigermaßen infam, das als besondere Leistung für den Aufbau Ost hinzustellen. ({1}) Ich stelle fest: Die Mittel für den Aufbau Ost gehen zurück. 100 Millionen DM weniger werden für den sozialen Wohnungsbau ausgegeben, 200 Millionen DM weniger für die Förderung der regionalen Wirtschaftsstruktur. Im Ausschuß für die Angelegenheiten der neuen Länder hat Herr Professor Pohl vom Wirtschaftsinstitut in Halle dargestellt, was in den neuen Bundesländern geschehen muß. Er hat gesagt, wir hätten in den neuen Bundesländern ungefähr 6 Millionen Arbeitsplätze, bräuchten aber, um ein dem Westen vergleichbares Niveau zu erreichen, zirka 6,3 bis 6,5 Millionen Arbeitsplätze. ({2}) - Ich sage gleich etwas dazu. Nach wie vor findet ein Strukturwandel in den neuen Bundesländern statt. An vielen Stellen werden wir auch noch einen Personalrückgang erleben, ich nenne als Beispiele den öffentlichen Dienst und die Bauwirtschaft, deren Situation wir alle kennen. Wenn Sie das betrachten, kommen Sie nicht an der Feststellung vorbei, daß man in den neuen Bundesländern in Zukunft 1 Million neue Arbeitsplätze schaffen muß. Wachstumsbranchen sind die Industrie und das Dienstleistungsgewerbe. Beide sind gewachsen, stehen auf stabiler Grundlage und haben zweistellige Wachstumsraten. Das ist ein Erfolg der alten Bundesregierung, die dafür die Grundlagen gelegt hat. ({3}) Die Antwort auf die Frage, was heute zu tun ist, ist klar: Es muß die Politik fortgesetzt werden, die für mehr Investitionen in den neuen Bundesländern sorgt. Dafür brauchen wir dieselben investiven Mittel, zum Beispiel die GA-Mittel, wie im vergangenen Jahr und nicht weniger. Deshalb bitte ich Sie, wenn Sie es mit dem Aufbau Ost wirklich ernst meinen: Stimmen Sie unserem entsprechenden Antrag zum Haushalt zu! Wir brauchen allerdings nicht solche Vorschläge, wie Sie sie zum Thema Infrastruktur gemacht haben. Sie bieten zum Beispiel dem Freistaat Sachsen den Bau der A 14 nur unter der Bedingung an, daß die Mittel dafür durch Kürzungen bei anderen Straßenbaumaßnahmen gewonnen werden. Ich meine, so kann man keine Politik für die neuen Bundesländer und für den Aufbau Ost betreiben. ({4}) Sagen Sie nicht, Sie hätten nicht genügend Geld. Wir haben heute schon öfter gehört, wie hoch dieses Jahr der Aufwuchs im Haushalt ist: 30 Milliarden DM. Aber wir können natürlich auch keine sozialistischen Experimente gebrauchen. ({5}) Meine letzte Bemerkung bezieht sich auf den zweiten Arbeitsmarkt. Es ist festzustellen, daß AB-Maßnahmen keine Brückenfunktion hin zum ersten Arbeitsmarkt haben. Sie sind als sozialpolitische Maßnahmen notwendig, aber man muß um ihre Funktion wissen. Ein wirksames Mittel, um Brücken in den ersten Arbeitsmarkt zu bauen, ist das Instrument des Lohnkostenzuschusses für Ostdeutschland. Die Arbeitsämter bestätigen uns das: 50 bis 60 Prozent der so Geförderten behalten später ihren Arbeitsplatz. Auf Grund dieses Erfolges ist das ein sehr wichtiges Instrument. ({6}) Die diesbezüglichen Meldungen, die wir von den Arbeitsämtern erhielten, standen in den sächsischen Zeitungen; sie stammen von Herrn Germann vom Landesarbeitsamt in Sachsen. Ab diesem Monat gibt es dafür kaum mehr Geld. Wer so Politik betreibt, muß sich nicht wundern, daß er am Leben und an den Bedürfnissen der neuen Bundesländer vorbei regiert. ({7}) Meine Damen und Herren, die Union ist die Partei der deutschen Einheit, und für die Union bleibt der Aufbau Ost ein wichtiger Baustein der Politik. Schönen Dank. ({8})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Zu einer Kurzintervention erteile ich jetzt dem Kollegen Rolf Schwanitz das Wort.

Rolf Schwanitz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002123, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Dr. Luther, Sie haben mich freundlicherweise angesprochen. Das gibt mir die Gelegenheit, dazu etwas zu sagen. Erstens. Wir sollten uns nicht vorwerfen, wer wann geredet hat. Ich habe gestern gesprochen; da war von Ihrer Seite niemand da. Der Begriff Aufbau Ost fiel überhaupt nicht. - Ich denke, das sollten wir lassen. Kommen wir zu den Dingen, die Sie hier angesprochen haben, zu der sogenannten GA-Förderung und der aktiven Arbeitsmarktpolitik Ost. Zunächst zum Thema GA-Förderung. Selbstverständlich kann man sich bei vielem mehr wünschen, aber das, was wir für diesen Haushaltstitel einstellen, entspricht exakt dem, was Sie noch im letzten Herbst in dem sogenannten Entwurf von Herrn Waigel für das Haushaltsjahr 1999 vorgesehen hatten. Sie haben sich hier vorne hingestellt und gejubelt, welche Aufbauleistung für Ostdeutschland mit diesem Haushaltsansatz erbracht wird. ({0}) Herr Luther, ein Stückchen weniger Scheinheiligkeit an dieser Stelle würde Ihnen guttun. Ich würde Ihnen übrigens auch empfehlen, einmal den Blick auf die Landeshaushalte Ost zu richten. In diesen sind nämlich die Komplementärmittel in gleicher Höhe eingestellt, wie wir sie im Bundeshaushalt veranschlagt haben. Sie sollten gelegentlich auch mit dem einen oder anderen Finanzminister Ost reden. Dann hören Sie nämlich interessante Zwischentöne über die Schwierigkeiten, komplementär zu finanzieren. All das gehört zur Wahrheit. ({1}) Nun zur aktiven Arbeitsmarktpolitik. Bevor Sie hier in kollektive Gedächtnislosigkeit verfallen, ({2}) möchte ich Sie an eines erinnern: Als Sie im letzten Jahr im Haushaltsentwurf für das Jahr 1999 die Mittel eingestellt haben - übrigens in exakt gleicher Höhe -, haben Sie gejubelt, Sie würden die aktive Arbeitsmarktpolitik auch im Folgejahr, also 1999, verstetigen. Damals haben wir gesagt: Das glauben wir nicht. Wir haben zugelegt, haben gegenüber dem Wahlkampfetat Ihrer Regierung 16 Prozent mehr eingestellt. 20 Milliarden DM insgesamt für aktive Arbeitsmarktpolitik! Bei den Strukturanpassungsmaßnahmen wurden für das Jahr 1999 allein im Bereich des Landesarbeitsamtes Sachsen gegenüber dem Vorjahr 200 Millionen DM mehr als das eingestellt, was Sie bereits im Herbst für 1999 bejubelt haben. Jetzt aber stellen Sie sich hier hin und sagen: Das reicht alles nicht. Im übrigen werden Sie in dieser Woche - ich glaube, das muß man der Öffentlichkeit einmal sagen - einen Antrag stellen, in dem Sie als CDU fordern werden, daß die Zuschüsse zur Bundesanstalt für Arbeit um 7,8 Milliarden DM gekürzt werden. ({3}) Und die F.D.P. wird sich hinstellen und eine Kürzung in Höhe von 6 Milliarden DM verlangen. Ich kann nur sagen: Wenn man das umsetzen wollte, was Sie - selbstverständlich morgen, nicht heute; heute paßt es etwas schlecht - mit Ihren Änderungsanträgen bewirken wollen, dann hätten wir die aktive Arbeitsmarktpolitik in Ostdeutschland bereits im April einstellen müssen. Das ist der Gipfel der Scheinheiligkeit, Herr Luther. ({4})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Zur Erwiderung hat zunächst der Kollege Dr. Michael Luther das Wort.

Dr. Michael Luther (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001398, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Schwanitz, ich freue mich, daß ich Ihnen Gelegenheit geben konnte, heute in der Debatte zum Einzelplan 04 - Bundeskanzler und Bundeskanzleramt -, zu der dieses Thema eigentlich gehört, ein paar Bemerkungen zum Aufbau Ost machen zu können. ({0}) - Ich war gestern im Plenum. Zweitens. Ich glaube, wenn wir uns heute darüber unterhalten, was für den Aufbau Ost und die neuen Bundesländer wichtig ist, dann müssen wir sagen, welche politischen Schwerpunkte wir setzen wollen. Ich habe heute sehr aufmerksam der Rede des Bundeskanzlers gelauscht. ({1}) In einer Stunde Redezeit ging es 35 bis 40 Minuten lang um das Thema Kosovo - ich denke, das ist ein wichtiges Thema -, 10 Minuten um die Erklärung der Verfahrensweise in bezug auf die Scheinselbständigkeit und in zwei oder drei Sätzen um den Aufbau Ost. Das ist einfach zuwenig. Außerdem ist es viel zuwenig, wenn es darum geht, Signale zu setzen, in welche Richtung der Aufbau Ost geführt werden sollte. ({2}) Ich habe hier ganz klar formuliert, was für uns wichtig ist: Die Mittel müssen in die Investitionen fließen. Herr Schwanitz, ich kann nichts dafür, wenn in Sachsen-Anhalt - wahrscheinlich haben Sie sich dort mit den Finanzministern unterhalten - im letzten Jahr über 200 Millionen DM an GA-Mitteln nicht abgerufen worden sind, weil das Land Sachsen-Anhalt nicht in der Lage war, diese Mittel kozufinanzieren. Ich denke, diese Politik sollte kein Vorbild für die Politik des Deutschen Bundestages sein. Wir sollten vielmehr die Länder unterstützen, die versuchen, Investitionen insgesamt zu befördern. ({3})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Herr Kollege Mark, Sie haben jetzt das Wort für die SPD-Fraktion.

Lothar Mark (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003190, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es war höchste Zeit, daß Sozialdemokraten und Bündnisgrüne die politische Verantwortung in Deutschland übernommen haben, ({0}) um auch im Bereich der Kultur tragfähige Konzepte für die Kulturpolitik des Bundes umzusetzen. Der Erfolg unserer Bemühungen zeigt sich in drei Punkten: in der Bündelung der kulturellen Mitverantwortung unter Wahrung der Kulturhoheit der Länder, im Wachstum des Kulturetats und schließlich in der Rückkehr zu Werten wie Ehrlichkeit und innovativem Verantwortungsbewußtsein in bezug auf die politische Gestaltung. Die Zusammenfassung der früher auf verschiedene Ministerien verstreuten kulturellen Aufgaben in einer Behörde und ihre Aufwertung durch einen eigenen, im Kanzleramt angesiedelten Staatsminister verdeutlichen den großen Stellenwert, den die Kulturpolitik für diese Regierung einnimmt. ({1}) Die Bündelung der kulturellen Aufgaben und ihre Aufwertung tragen bereits erste Früchte. Seit langem wurde nicht mehr so viel und so konsequent auf allen Politikebenen der Bundesrepublik über Kulturpolitik nachgedacht wie in den letzten Monaten. Noch nie war die Wertschätzung und der Stellenwert der Kulturpolitik im Vergleich mit anderen Politikfeldern so hoch wie jetzt. Die bundespolitische Aufwertung wirkt sich auch auf Länder und Kommunen aus. Wir sind stolz darauf, daß wir eine neue Kulturdiskussion angestoßen haben und daß wir trotz aller finanzieller Probleme, die wir vorfanden, konsequent daran arbeiten, diese Diskussion materiell und mental zu fundieren und Kultur als Grundbedürfnis bzw. Grunddaseinsfunktion anzuerkennen und durchzusetzen. ({2}) Der Kulturetat ist deutlich gewachsen, und zwar auf fast 1,8 Milliarden DM. ({3}) Wer will, daß Deutschland im Ausland wieder als Kulturnation wahrgenommen wird, der muß auch perspektivisch und konzeptionell in die Kultur investieren, der muß die Kulturschaffenden und ihre Institutionen unterstützen und ein künstlerisch kreatives Klima schaffen. Wir tun dies auch, weil wir wissen, daß Kultur nicht erst seit heute wieder zu einem wichtigen Wirtschaftsfaktor geworden ist, der Arbeitsplätze schafft und Lebensqualität fördert, insbesondere die urbane. Es wird sich noch zeigen: Die Attraktivität des Standortes Deutschland wird durch das weltweit einmalige, dezentrale und hochwertige Kulturangebot im Sinne weicher Standortfaktoren mit gesichert und begünstigt. Vor diesem Hintergrund ist auch die Verdoppelung der Fördermittel für die Hauptstadt Berlin von 60 Millionen DM auf 120 Millionen DM zu sehen. Das gilt ebenso für Weimar, die Kulturhauptstadt Europas 1999, für die wir die ursprünglich vorgesehenen Mittel von 5 Millionen DM auf 18,2 Millionen DM erhöht haben. ({4}) Diese Förderungen für Berlin und Weimar, aber auch für Bonn lassen die bereits separat festgelegten Etatpositionen der einzelnen Zuschußempfänger unberührt. Die Investitionen in die Kultur der neuen Bundesländer haben wir für 1999 separat um 90 Millionen DM erhöht ({5}) und eine Verpflichtungsermächtigung von 30 Millionen DM für das Jahr 2000 ausgesprochen. Die für Kultur zuständigen Ministerien der neuen Bundesländer haben inzwischen Projekte angemeldet, die sie zu 50 Prozent mitfinanzieren, so daß es zu einem großen Investitionsschub von fast einer viertel Milliarde DM kommen wird. ({6}) Das ist gut für die Kultur, für die Bauwirtschaft und für die Beschäftigung. Das alles ist kein Strohfeuer, sondern ein konkreter Beitrag zur Vollendung der inneren Einheit in Deutschland und zur Angleichung der Lebensverhältnisse in Ost und West. Der Kulturetat macht deutlich, daß durch die Sozialdemokraten wieder Ehrlichkeit und Verantwortungsbewußtsein in die Politik zurückkehren, denn die Aufstokkung der Haushaltsmittel wird von Konzepten und Handlungskriterien begleitet. Man kann verantwortungsbewußte Kulturpolitik des Bundes nicht nach dem Gießkannenprinzip oder nach Gutsherrenart machen. Auch lautes Protestieren kann kein Beurteilungskriterium sein. Förderkriterien müssen klar formuliert und nachvollziehbar sein. Was wir brauchen, sind langfristige Konzepte zu Fördergrundlagen, die den Zuwendungsempfängern Planungssicherheit, aber auch Flexibilität und Eigenverantwortung verschaffen. Wir brauchen eine sinnvolle und abgestimmte Aufgabenverteilung zwischen Bund und Ländern, und wir brauchen die ehrliche und beständige Überprüfung, ob die Fördergründe noch vorliegen und ob die Mittel sachgerecht verwendet werden. Qualitätskontrolle darf bei der Kulturförderung des Bundes kein Fremdwort sein. Der Kulturhaushalt 1999 trägt erste Entwicklungsansätze in dieser Richtung. Mit dem Fall des Eisernen Vorhangs sind die beiden Emigrantenorchester aus Prag und Ungarn, die Bamberger Symphoniker und die Philharmonia Hungarica, nicht bedeutungslos geworden, aber der ursprüngliche, in einer bestimmten historischen Situation entstandene Fördergrund ist weggefallen. Die Fairneß gegenüber allen anderen Orchestern in Deutschland gebietet es, die Förderung zurückzufahren oder zu beenden. In welchen Schritten dies geschehen wird, ist differenziert zu betrachten. Das objektive Ausloten von neuen Fördermöglichkeiten, Kooperationen, Fusionen und ähnlichem soll und muß im Einzelfall in solche Änderungskonzepte einfließen. Kein Orchester der Welt kann überleben, wenn die Förderbedingungen von heute auf morgen gravierend negativ verändert werden. Wir haben deshalb die Kürzungen bei beiden Orchestern vollständig zurückgenommen. Föderalismus heißt, daß sich der Bund auf die Förderung von Kultur mit gesamtstaatlicher Bedeutung und internationaler Reputation zu beschränken hat. Zu diesen kulturellen Werten von nationalem Rang gehören zum Beispiel die Bayreuther Festspiele und das Deutsche Museum in München. Auch hier wurden die Kürzungen zurückgenommen. In den nächsten zehn Jahren werden für den Ausbau der Museumsinsel in Berlin 900 Millionen DM in die Stiftung Preußischer Kulturbesitz investiert. Der Bund trägt so dafür Sorge, daß die ursprünglich auf 20 Jahre angelegten Baumaßnahmen beschleunigt werden und der Baustellencharakter Berlins auf zehn Jahre reduziert wird. Aufgabe des Bundes ist es aber auch, übergreifende Konzepte zu entwickeln, um seiner gesamtstaatlichen Verantwortung gerecht zu werden. Dazu gehören zum Beispiel ein Konzept zur Erhaltung, Pflege und Finanzierung der Weltkulturgüter in Deutschland und ein Konzept für die Gedenkstätten in Deutschland, bei denen wir die interdisziplinäre Vernetzung der Forschungsbereiche anstreben und fordern. Die Deutsche Welle erhält, genau wie letztes Jahr, knapp über 600 Millionen DM aus dem Kulturhaushalt. Die Deutsche Welle hat damit Probleme, weil sich einige Prämissen ihrer Arbeit verändert haben. Trotzdem muß eine kurze Durststrecke intelligent überstanden werden. Dabei setze ich auf die Flexibilität im Management der Deutschen Welle. Die Bundesregierung unterstützt den Auslandrundfunk mit mehr als einem Drittel der im Kulturetat zur Verfügung stehenden Mittel. Wir tun dies aus gutem Grund, denn die Deutsche Welle leistet insbesondere im Bereich des Hörfunks hervorragende Arbeit. Dies wird gerade durch die seit Beginn des Kosovo-Krieges spontan ausgeweitete Berichterstattung wieder deutlich. ({7}) Die derzeitige schwierige Situation des Senders hat zumindest bewirkt, daß über neue Konzepte, Ziele und Vereinbarungen, aber auch über Programmgestaltung und -rechte nachgedacht wird. Ich ermuntere alle Beteiligten, diese Herausforderung kreativ und innovativ anzugehen und eine planungssichernde mittelfristige Finanzplanung zu entwickeln, in der auch die Digitalisierung erfaßt sein muß. Es liegen noch große Aufgaben vor uns, aber der Etat für 1999 verdeutlicht, daß durch Sozialdemokraten und Bündnisgrüne ein wichtiger Schritt nach vorne getan wurde. Mir standen leider nur wenige Minuten zur Verfügung; deswegen mußte ich im Schnellverfahren hier vortragen und viele Punkte weglassen. Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. ({8})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Herr Kollege Mark, dies war Ihre erste Rede im Plenum des Deutschen Bundestages. Im Namen aller Kolleginnen und Kollegen beglückwünsche ich Sie dazu. ({0}) Nächster Redner in dieser Debatte ist jetzt der Kollege Hans-Joachim Otto, F.D.P.-Fraktion.

Hans Joachim Otto (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001666, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Kulturpolitik der rotgrünen Koalition kommt auf einer ungeheuer hohen Bugwelle daher: Da ist ein strahlender Kulturstaatsminister angekündigt und eine geradezu neue Epoche von Kultur heraufbeschworen worden. Ein halbes Jahr ist herum, und wir haben Gelegenheit, eine erste Bilanz zu ziehen. Herr Staatsminister Naumann, Sie sind wirklich ein Riese in Ankündigungen, ein Riese in Schlagzeilen. Sie sind allerdings ein Zwerg in der Umsetzung Ihrer zahlreichen Ankündigungen. ({0}) Es gibt in dieser Bundesregierung kaum einen anderen Bereich, wo Anspruch und Wirklichkeit so weit auseinanderklaffen wie gerade auf dem Gebiet der Kulturpolitik. Das will bei dieser Bundesregierung etwas heißen. Ich will in den wenigen Minuten meiner Redezeit, die mir zur Verfügung stehen, an drei Beispielen die hehren Ankündigungen der neuen Bundesregierung mit dem kontrastieren, was bisher geschehen bzw. unterblieben ist. Erstes Beispiel. Die neue Bundesregierung hat unter anderem erklärt, sie wolle nunmehr eine kraftvolle, starke Stiftungsrechtsreform auf den Weg bringen. Die F.D.P.-Fraktion hat einen entsprechenden Antrag eingebracht. Die Bundesregierung hat dazu festgestellt, er sei zwar ganz interessant, aber man werde einen neuen Entwurf vorlegen. Was ist seitdem geschehen, meine Damen und Herren? - Nichts, totale Fehlanzeige. Herr Naumann, ich frage Sie: Wann kommen Sie über mit Ihrem großen Wurf der Stiftungsrechtsreform? Zur letzten Rede des Staatssekretärs Pick in diesem Zusammenhang - er ist leider nicht mehr anwesend - muß ich sagen: Das einzige, was ihm eingefallen ist, ist eine Aneinanderreihung von Bedenken gegen eine Stiftungsrechtsreform. Es ist überhaupt nichts übriggeblieben von einem kraftvollen Wurf. ({1}) Zweites Beispiel. Die neue Bundesregierung ist unter anderem damit angetreten - dies ist auch im Koalitionsvertrag niedergelegt worden -, ein neues umfassendes Gedenkstättenkonzept entwickeln zu wollen. Auch da frage ich mich - gestern gab es von Ihnen, Herr Naumann, die Pressemitteilung, daß Sie in diesem Bereich etwas tun wollen -: Wo bitte schön bleibt das neue Gedenkstättenkonzept? Dafür bestünde allzumal Anlaß angesichts der Tatsache, daß in diesem Hause am 25. Juni dieses Jahres die Debatte und Entscheidung über das Holocaust-Mahnmal ansteht. Herr Staatsminister Dr. Naumann, ich möchte hier keine Holocaust-MahnmalDebatte führen. Aber wenn Sie schon ein so vehementer Verfechter eines Konzeptes sind, das den Bund Investitionsmittel in Höhe von 80 Millionen DM kostet, und gleichzeitig im Lande draußen die Gedenkstätten an authentischen Orten, wie beispielsweise das KZ Sachsenhausen, verfallen, ({2}) dann müssen wir uns doch gemeinsam Gedanken darüber machen, wie wir die wenigen uns zur Verfügung stehenden Gelder sinnvoll einsetzen, um nicht einfach nur ein bombastisches Projekt auf den Weg zu bringen. ({3}) Darüber wird noch zu sprechen sein. Es geht hier beileibe nicht nur um Geld, sondern darum, dies alles ins Lot zu bringen.

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Herr Kollege Otto, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Hans Joachim Otto (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001666, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Von Frau Griefahn immer. Bitte schön.

Dr. Monika Griefahn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003136, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Otto, Sie waren immer im Kulturausschuß, wenn auch ich anwesend war. Deswegen müßte Ihnen nicht entgangen sein, daß der Herr Staatsminister angekündigt hat - das ist in den Zahlen wiederzufinden -, daß die für die Erhaltung der Gedenkstätten vorgesehenen Gelder verdoppelt werden. Sie können also nicht sagen: Die verfallen, und die SPD macht statt dessen etwas anderes. ({0})

Hans Joachim Otto (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001666, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Liebe Frau Kollegin Griefahn, die Gedenkstättenkonzeption betrifft nicht nur - das wissen wir beide - den Bund. Das ist eine Angelegenheit, die zwischen den Ländern und dem Bund geregelt werden muß. Wenn Herr Staatsminister Naumann jetzt in einer seiner zahlreichen hehren Ankündigungen sagt, die Bundesförderung von Gedenkstätten in den Ländern, vorzugsweise in den neuen Bundesländern, müsse verstetigt werden, das heißt, die Zuschüsse, die wir, die frühere Regierung bzw. die alte Mehrheit, auf den Weg gebracht haben, müßten über mehr als 10 Jahre laufen, dann frage ich mich wirklich: Wo nimmt er denn die Gelder her, wenn er an anderen Stellen sparen muß? Das große Problem ist: Hier werden Erwartungen geweckt, die wir als Bund, die wir alle - das prophezeie ich Ihnen - nicht erfüllen können. ({0}) Kosten in Höhe von 80 Millionen DM im Rahmen eines neuen Gedenkstättenkonzeptes, das ist eine Tatsache, die wir uns sehr genau überlegen müssen.

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Herr Kollege Otto, es gibt den Wunsch nach einer zweiten Zwischenfrage, und zwar von seiten des Kollegen Tauss.

Hans Joachim Otto (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001666, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Auch Herrn Tauss kann ich nicht ablehnen. Den habe ich noch nie abgelehnt. Bitte schön, Herr Tauss.

Jörg Tauss (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002813, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Lieber Herr Otto, ich bin Ihnen geradezu dankbar. Sie haben soeben beklagt, daß das KZ Sachsenhausen verfällt. Der Zustand ist in der Tat da sind wir uns einig - nicht sehr schön. Mich würde interessieren, unter welcher Verantwortung das KZ Sachsenhausen in den letzten Jahren verfallen konnte. Ich stelle außerdem die Frage, wo die Reform des Stiftungsrechtes, die die F.D.P. immer angekündigt hat, in den letzten 16 Jahren geblieben ist, ({0}) an wem Sie gescheitert sind. In Verbindung damit möchte ich weiter fragen, ob Sie zur Kenntnis genomHans-Joachim Otto ({1}) men haben, daß die Koalition im Herbst diesen Jahres, wie angekündigt, eine Reform des Stiftungsrechts nicht nur in den Eckpunkten, sondern in wesentlichen Punkten klar konturiert - vorlegen wird. Haben Sie auch das nicht zur Kenntnis genommen? Würden Sie es freundlicherweise jetzt zur Kenntnis nehmen? Nachdem Sie sich mir gegenüber so freundlich geäußert haben, wäre es ein weiterer Beweis Ihrer Freundlichkeit, wenn Sie auch inhaltlich zur Kenntnis nähmen, was hier diskutiert wird. ({2})

Hans Joachim Otto (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001666, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ihre Fragen sind immer wieder charmant, aber sie gleichen sich. Schon als es um die Stiftungsrechtsreform ging, haben Sie mir die gleiche Frage gestellt. Sie haben es immer darauf abgesehen, die Vergangenheit zu bewerten, und vergessen dabei, daß Sie nunmehr seit über einem halben Jahr in der Verantwortung sind. ({0}) - Ja, ja. Aber ich will gern Ihre Frage beantworten. Das Gedenkstättenkonzept der alten Bundesregierung, das ja noch nach wie vor in Kraft ist, sieht vor, zahlreiche wichtige Gedenkstätten vor allen Dingen in den neuen Bundesländern zu fördern. Normalerweise ist das ja das wissen wir beide - eine Aufgabe der Länder, im Falle Sachsenhausen also eine Aufgabe des Landes Brandenburg. Da das Land Brandenburg sich nicht in der Lage sah, für diese extrem wichtige, zentrale Einrichtung allein zu sorgen, hat sich der Bund bereit erklärt, Sachsenhausen und andere Gedenkstätten finanziell zu fördern. Das war ein Verdienst der alten Bundesregierung, und ich bin der Auffassung, daß Sie dankbar sein sollten und das nicht kritisieren sollten. Was ich hier heftig kritisiere - das werde ich auch in Zukunft tun -, ist folgendes: Seien Sie doch in Zeiten, in denen jeder, auch Herr Eichel, sagt, es müsse gespart werden, vorsichtig, und machen Sie nicht schon jetzt große Ankündigungen dahin gehend, daß sich der Bund an der finanziellen Unterstützung für die Länder bei den Gedenkstätten für einen Zeitraum von über zehn Jahren beteiligen werde. Das werden Sie nicht durchhalten können; Sie wecken Erwartungen, die Sie später nicht einlösen können. Meine Damen und Herren - meine Redezeit ist knapp -, lassen Sie mich noch ein drittes Beispiel ansprechen, das ich wirklich für schwerwiegend halte: Liebe Kolleginnen und Kollegen von Rotgrün, Sie haben in Ihrem Koalitionsvertrag vollmundig eine „Reform der medialen Außenrepräsentanz“ angekündigt. Worum geht es? Es geht um die Deutsche Welle. Einige Vorredner, insbesondere Herr Mark, haben zu Recht darauf hingewiesen, daß wir gerade jetzt im Kosovo-Konflikt alles dafür tun müssen - die Deutsche Welle tut es -, um die Informationsfreiheit in Serbien und im Kosovo zu gewährleisten. Die Deutsche Welle leistet dort Vorbildliches; sie hat den Etat für diesen Bereich verdoppelt. ({1}) Sie ist ein echtes Krisenradio; sie ist die meistgehörte Rundfunkstation in dieser Region. Und was macht die Regierung in dieser Zeit als Dank für die Leistungen der Deutschen Welle? - Sie kürzt entgegen allen Zusagen und allen Planungen den Etat radikal herunter. Wo ist denn da die große „Reform der medialen Außenrepräsentanz“? Es handelt sich hier um eine Abstrafaktion von Herrn Naumann persönlich gegen einen politisch mißliebigen Sender. Das ist empörend. ({2}) Lieber Herr Naumann, es geht darum, daß Verfassungsgrundsätze zu beachten sind. Sie können nicht nach Gutsherrenart einfach eingreifen und sagen: Da nehme ich einmal 30 Millionen heraus. - Hier gibt es Vorgaben. Die Rundfunkfreiheit gilt - das wissen wir beide, darin stimmen wir überein - auch für die Deutsche Welle. Der Gesetzgeber kann nicht einfach hingehen und sagen: Ich ändere nichts an den Aufgaben, aber ich streiche 30 Millionen DM im Etat weg. Lieber Herr Kollege Mark, Sie haben ja in der Theorie so recht, wenn Sie sagen: Wir müssen den Kulturinstitutionen langfristige Konzepte und langfristig tragbare Finanzierungsmöglichkeiten anbieten; wir müssen ihnen Planungssicherheit geben. Lieber Herr Kollege Mark, wo ist denn die Planungssicherheit für die Deutsche Welle? Sie ist völlig unter den Tisch gefallen. ({3}) Mir ist ja berichtet worden, daß Sie persönlich im Haushaltsausschuß die Meinung vertreten haben, man solle die Kürzungen bei der Deutschen Welle in dieser Form nicht durchführen. Das ehrt Sie. Aber wo ist Ihr Erfolg? Wo ist die Planungssicherheit, von der Sie gesprochen haben? Was können Sie den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Deutschen Welle, die insbesondere in dieser Krisenzeit Vorbildliches leisten, anbieten? Lassen Sie mich zum Schluß kommen. Die Kulturpolitik ist in den Ländern und auch im Bund normalerweise ein Politikbereich, in dem man sich um einen parteiübergreifenden oder fraktionsübergreifenden Konsens bemühen sollte. Ich versichere Ihnen, daß die F.D.P.-Fraktion sich auch in der Zukunft dort um Konsens bemüht, wo er möglich ist, wo er angesagt ist. Aber, lieber Herr Dr. Naumann, Ihre Politik mit den großen Ankündigungen, mit dem großen Gestus des erhobenen Zeigefingers, mit dem Sie sogar bis nach England gelaufen sind, macht es uns in vielen Fragen verdammt schwer, diesen Konsens, den wir eigentlich befürworten und den wir für notwendig halten, einzuhalten.

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Herr Kollege Otto, Sie müssen wirklich zum Schluß kommen.

Hans Joachim Otto (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001666, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Wenn Sie, Herr Dr. Naumann, einmal aus Ihrer Wolke auf den harten Boden der politischen Realität herunterkommen, dann wird es uns gelingen, vielleicht nicht nur wieder den Konsens hier im Deutschen Bundestag zu fördern, sondern auch eine in der Tat erfolgreiche Kulturpolitik zu machen, die dazu führt, daß die Kulturinstitutionen in Deutschland -

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Herr Kollege Otto, kommen Sie bitte zum Schluß.

Hans Joachim Otto (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001666, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Liebe Frau Vizepräsidentin, Sie haben zwei -

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Hier werden keine Dialoge mit der Präsidentin geführt. Ihre Redezeit ist abgelaufen.

Hans Joachim Otto (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001666, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Jawohl. Ich komme zum Ende. Herr Dr. Naumann, kommen Sie zurück auf den Boden der Realität! Lassen Sie die Ankündigungen sein! Dann können wir zusammenarbeiten. Vielen Dank. ({0})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich möchte Sie darauf verweisen, daß wir noch zwei Redner vor der namentlichen Abstimmung haben. Ich möchte Sie ausdrücklich darum bitten, auch diesen beiden Reden noch die volle Aufmerksamkeit zu widmen und die notwendigen Gespräche außerhalb des Plenarsaals zu führen. ({0}) Jetzt spricht für die Bundesregierung der Staatsminister Dr. Michael Naumann.

Not found (Gast)

Verehrte Vizepräsidentin! Herr Abgeordneter Naumann, ich verstehe ja, daß Sie nach drei Jahrzehnten ununterbrochener Regierungsbeteiligung - ({0}) - Das habe ich gesagt: Otto. ({1}) - Herr Otto. ({2}) - Pardon. ({3}) - Gott sei Dank, vor allem die Verwandlung. Lieber Herr Otto, eines steht fest: Nach drei Jahrzehnten ununterbrochener Regierungsbeteiligung stehen Sie mit Ihrer Partei unter einer Art postelektoralem Schock. Sie können sich gar nicht vorstellen, was es heißt, in der Opposition zu sein. ({4}) Wir haben jetzt vier Jahre Zeit. Das heißt, die „leeren Ankündigungen“, die Sie hier monieren, sind nichts anderes als Darstellungen unserer Regierungspläne. Wir werden sie mit Ihrer vielversprochenen Hilfe auch durchsetzen. Das dauert sicherlich nicht eine Woche, nicht zwei Wochen und auch nicht sechs Monate, sondern ebenjene Zeit, die wir sinnvoll zu nutzen wissen werden. ({5}) Lassen Sie mich gleich zu Beginn meinen Dank an die Berichterstatter aussprechen. Sie haben mit ihrer konstruktiven Arbeit die Haushaltsberatungen begleitet und damit ermöglicht, daß diese Regierung ihre sehr realen kulturpolitischen Initiativen umsetzen kann. Seit einigen Monaten bereichert eine in der Tat engagierte Debatte, die manchen etwas schrill in den Ohren klingen mag, ganz einfach weil sie ungewöhnlich ist und in der Vergangenheit nicht stattgefunden hat, Deutschlands und Europas Kulturpolitik, den politischen Diskurs im Lande. Diese neue, bisweilen konfliktreiche Form des gesellschaftlichen Selbstverständnisses mit vielen Stimmen - dazu zähle ich natürlich auch diejenigen der Opposition - erweitert die politische Kultur unseres Landes. Das ist keine Diskussion im Wolkenkuckucksheim. Da geht es in der Tat um einen hohen und wertvollen Etat. Das war und bleibt die Absicht der Bundesregierung: der Innovationskraft und der Phantasie, die der künstlerischen Tätigkeit mehr als allen anderen menschlichen Tätigkeiten zu eigen ist, genau jenen freiheitlichen Raum zu eröffnen, in der Idee des Kulturstaates beschlossen ist. ({6}) Noch etwas, Herr Otto: Ich habe zwei Jahrzehnte meines Lebens als Journalist zugebracht. Ich weiß Art. 5 des Grundgesetzes zu schätzen. Niemand in der Deutschen Welle - und übrigens auch nicht Sie - darf mir vorwerfen, daß ich mit parteipolitischen Maximen in den Etat dieser Institution einzugreifen gedenke. ({7}) - Sie dürfen es vorwerfen, aber Sie werden es nicht belegen können. Die neue Bundesregierung hat einen kulturpolitischen Etat vorgefunden, der an entscheidenden Stellen erhöht worden ist. Das Ergebnis kann sich sehen lassen: 60 Millionen DM mehr für die Hauptstadtkultur, 120 Millionen DM mehr für die Kulturförderung in Ostdeutschland. ({8}) Hans-Joachim Otto ({9}) Auf Grund einer haushaltstechnischen Verfügung können von diesen 120 Millionen DM ungefähr 30 Millionen DM - obwohl schon eingeplant - erst im kommenden Jahr ausgegeben werden. Dies allein hat die Opposition dazu verführt, uns eine sogenannte Kulturlüge Ost zu unterstellen. Angesichts dieses Sachverhaltes - der Kulturetat für die neuen Länder liegt um 100 Prozent höher als der vorangegangene - den Begriff „Lüge“ zu gebrauchen ist selbst lügenhaft. ({10}) Im übrigen dürfen wir bei der Beurteilung der Erhöhung der Kulturfördermittel nicht übersehen, daß unsere Politik traditionelle Subventionsstrukturen übernommen hat, die es zu korrigieren gilt. Das werden wir in den nächsten Jahren tun - behutsam und unter Rücksicht auf gewachsene Strukturen. Unter dieser Begleitmusik parteipolitische Präferenzen zu artikulieren, davon wird nicht die Rede sein. Vielmehr wird untersucht werden, wie sinnhaft klassische Subventionspolitik im kulturpolitischen Bereich noch ist. ({11}) Zu den schönsten Kulturinstitutionen der Republik zählt die Stiftung Preußischer Kulturbesitz. Sie bildet das Kernstück der kulturellen Identität der Hauptstadt. Ich habe mich für eine zügige Nachfolge an der Spitze der Stiftung eingesetzt. Der neue Präsident, Professor Lehmann, hat nach langen, langen Diskussionen, die während der vorangegangenen Legislaturperiode diese Stiftung lähmten, bereits zum 1. Februar die Nachfolge angetreten. Der neue Generaldirektor, Professor Schuster, wird mit ihm zusammenarbeiten. Ich konnte ihn, Herr Glos, den Bayern entreißen - mit Vergnügen! ({12}) Sie fragen, was die Regierung in den vergangenen Monaten kulturpolitisch angestoßen hat: Auf europäischer Ebene kämpfen wir, unterstützt von den Kulturministern Frankreichs, Italiens, Englands und anderer Länder um die Beibehaltung des gebundenen Ladenpreises für Bücher. Da wenigstens hoffe ich auch auf die Unterstützung der Opposition. ({13}) Die medienpolitische Interessenvertretung des Bundes wird in Zusammenarbeit mit den Ländern allfälligen Angriffen aus rüssel auf die Strukturen des dualen Rundfunksystems und hier des öffentlich-rechtlichen Fernsehens gestärkt widerstehen. ({14}) Mit unseren osteuropäischen Nachbarn, zumal mit Polen, intensivieren wir die Gespräche um die Rückführung sogenannter Beutekunst. Ich hoffe und glaube, daß sich diese Gespräche in der richtigen Richtung entwickeln. Sie werden behutsam geführt und sollten - darum bitte ich Sie - nicht Gegenstand parteipolitischer Diskussionen sein. ({15}) Mit Frankreich werden wir den Austausch junger musisch interessierter Schüler zwischen den Hauptstädten in dem Projekt des „Voltaire-Stipendiums“ fördern. Ja, Herr Otto, wir wollen das Stiftungsrecht in Angriff nehmen - nicht um den Staat aus seiner kulturpolitischen Verantwortung zu entlassen, sondern um die Idee einer Zivilgesellschaft, die ihrem eigenen kulturellen Anspruch gerecht wird, zu befördern. ({16}) Dies ist keine leere Ankündigung, sondern wir tun dies mit der Behutsamkeit, die dieses schwierige Thema verdient. ({17}) Ihre Partei war 16 Jahre lang darum bemüht, dieses Recht zu verändern; es ist ihr nicht gelungen. Uns wird es gelingen. ({18}) Wir haben ein äußerst erfolgreiches Bündnis für den Film gegründet, was die Rechte der unabhängigen Produzenten in Deutschland gegenüber den öffentlichrechtlichen Anstalten stärken wird. Ich betone ausdrücklich, daß dieses Bündnis nicht nur in Zusammenarbeit mit der Regierungskoalition, sondern auch mit Kooperation und unter Einbeziehung des außerordentlichen Sachverstandes meines Beinahe-Namenskollegen Neumann von der Union aus dem kulturpolitischen Ausschuß zustande gekommen ist. Ich glaube, daß wir in Zusammenarbeit mit Frankreich und Italien hier einen nicht unbeträchtlichen Erfolg erzielen und dafür sorgen können, den europäischen Film und vor allem den deutschen Film wieder der Bedeutung zuzuführen, die ihm von seinem ästhetischen Anspruch, aber auch seinem Können her zukommt. ({19}) Bitte gestatten Sie mir noch einige Anmerkungen zu dem zentralen kulturpolitischen Thema der letzten Wochen und Monate, dem Holocaust-Mahnmal. Ich stehe nicht an zu sagen, daß wir es waren, die vorgeschlagen haben, diese für die nationale Identität wichtige Debatte in den Bundestag zu verlagern. Der Bundestag wird über dieses Mahnmal entscheiden. Der Kulturausschuß des Bundestages wird - davon gehe ich aus -, nachdem die entsprechenden Anträge vom Bundestag an den Ausschuß überwiesen worden sind, in Kürze eine entscheidungsfähige Grundlage vorlegen können. ({20}) Daß ich nach wie vor für eine erweiterte Konzeption eines Holocaust-Mahnmals eintrete, mag nicht als billige Einflußnahme mißverstanden werden. Ich finde es bedauerlich, Herr Otto, daß Ihnen die Summe von 80 Millionen DM fast schon als eine Art Vorwurf über die Lippen geht. Hier möchte ich gerne Peter Struck zitieren, der ganz richtig gesagt hat: Dies ist in diesem ZuStaatsminister Dr. Michael Naumann sammenhang die allerletzte Frage, die diskutiert werden sollte. ({21}) Unser Land hat seine moralische und kulturelle Verpflichtung, sich im Prozeß des Erinnerns seiner eigenen Geschichte zu stellen und ihrer ungezählten Opfer zu gedenken, mit großem Ernst wahrgenommen. Ich glaube, daß die entsprechenden Debatten im Bundestag das auch widerspiegeln werden. Kluge Kulturpolitik wird der Politik im allgemeinen zu einer glücklicheren Zukunft verhelfen. Eine Erlösung von allem gesellschaftlichen Übel - auch dem alltäglichen - wird aber auch die beste Kulturpolitik nicht möglich machen. Sie gedeiht nur in einer sozial gerechten, freien Gesellschaft, und sie ist zugleich deren Bedingung. Ich danke Ihnen. ({22})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Dr. Norbert Lammert.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001274, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn das Urteilsvermögen und die Durchsetzungskraft des Staatsministers für Kultur auch nur annähernd so eindrucksvoll wären wie seine Medienpräsenz und seine Liebe zur rhetorischen Selbstdarstellung, dann brauchten wir diese Debatte wahrscheinlich gar nicht zu führen. ({0}) Denn wir streiten nicht über den Rang der Kultur. Aber über das Mißverhältnis von Ansprüchen und Leistungen wird man reden dürfen. Wenige Monate nach Konzentration der Aufgaben der nationalen Kulturpolitik im Kanzleramt, die ich ausdrücklich begrüßt habe, und der Installierung eines leibhaftigen Staatsministers für Kultur und Medien ist die anfängliche Begeisterung zunehmend einer immer größeren Ernüchterung gewichen. Der erste von Michael Naumann zu vertretende Kulturhaushalt ist ein solches Dokument der Entzauberung. Nach der pompösen Ouvertüre folgt ein eher tristes Melodram; denn jetzt wird die Diskrepanz zwischen den öffentlichen Ankündigungen und den tatsächlichen Absichten und Beschlüssen dieser Regierung offenkundig. ({1}) Herr Naumann läuft mit einer fröhlichen Attitüde durch die Haushaltsberatungen, erklärt, daß er ganz andere Vorstellungen über die Dotierung wichtiger Kultureinrichtungen habe, als sie die von ihm vertretene Regierung in ihrem Haushaltsentwurf beschlossen hat, und unterstellt mit einer bemerkenswerten Selbstverständlichkeit, daß im parlamentarischen Haushaltsverfahren das Parlament die Pannen beseitigt, die seine Bundesregierung im Haushaltsentwurf selbst verursacht hat. Nun stehe ich nicht an, Herr Kollege Mark, ausdrücklich zu bestätigen, daß uns das gelungen ist. Wir haben durch eine beachtliche Kooperation der Kultur- und der Haushaltspolitiker eine Reihe dieser Macken beseitigen können. ({2}) Wir geben heute mit unseren Anträgen die Gelegenheit, wichtige, noch unerledigte Probleme zu lösen. Ich will, weil wir auch dazu einen Antrag vorgelegt haben, ein Stichwort aufgreifen, das vorhin schon angesprochen worden ist. Die Mittel für die Deutsche Welle - unabhängig von der Frage, daß sie einen gesetzlichen Programmauftrag hat, unabhängig davon, daß es einstimmige Beschlüsse der Aufsichtsgremien unter Beteiligung der Bundesregierung gibt - ausgerechnet in einem Augenblick zu kürzen, in dem die besondere nicht nur medienpolitische - Aufgabe dieser Sendeanstalt für jeden offenkundig ist, ist ein Schildbürgerstreich, auf den man erst einmal kommen muß und der besonders peinlich ist, wenn er jetzt in der Zuständigkeit des Kanzleramtes veranstaltet wird. ({3}) Wir werden im Deutschen Bundestag gewiß noch Gelegenheit haben, über die Medienpolitik der Bundesregierung oder das, was sie dafür hält, im einzelnen zu reden. Das kann heute nicht abschließend behandelt werden. Der Kollege Otto hat zu Recht darauf hingewiesen, daß zu den besonderen Vorlieben von Herrn Staatsminister Naumann die Ankündigung von Programmen gehört. Nun will ich keinen Augenblick bestreiten, Herr Naumann, daß den allermeisten der von Ihnen angekündigten Programme ein gewisser Reiz durchaus nicht abzusprechen ist. Noch schöner wäre es, wenn sie nicht folgenlos blieben und wenn zwischen den Ankündigungen sowie den meistens innerhalb weniger Tage in Aussicht gestellten Vollzugsterminen und dem Zeitpunkt, an dem dann tatsächlich etwas Verhandlungsfähiges vorgelegt wird, nicht immer größere Abstände entstehen würden. Das wäre ganz gewiß auch im Interesse der Beratungskultur dieses Parlaments und insbesondere des zuständigen Ausschusses erwünscht. Ich möchte gern auf einen anderen Punkt zu sprechen kommen, bei dem meines Erachtens ein Mißverständnis der Amtsaufgaben eines Staatsministers für Kultur gegeben ist. Das ist die bei Ihnen, Herr Naumann, ausgeprägte Neigung, mit der Gebärde eines Zensors durch das Land zu reisen und allen öffentlichen Kultureinrichtungen zuallererst Zensuren für das zu erteilen, was jedenfalls Ihren Ansprüchen nicht genügt. Da werden die Berliner Filmfestspiele öffentlich vorgeführt. Das Ergebnis eines zehnjährigen gründlichen Diskussionsprozesses über die Errichtung eines Mahnmals in Berlin wurde in Bausch und Bogen mit dem nun wirklich peinlichen Vergleich, das sei Speersche Architektur, zurückgewiesen. Sie empfehlen nun, den Entwurf in modifizierter Form zu realisieren. Die Aufmerksamkeit der britischen Öffentlichkeit wird durch den Hinweis erzeugt, daß die Berichterstattung der britischen Medien Ihren Ansprüchen nicht genüge. Sie äußern sich auch zur Rolle der Wehrmacht mit einem der unsäglichen Pauschalurteile, die sich für einen für Kultur verantwortlichen Vertreter der Bundesregierung von selbst verbieten sollten. In den letzten Tagen habe ich wieder unnötigerweise diskriminierende Bemerkungen über Privateigentümer von Kunst- und Kulturgütern im Zusammenhang mit Rechtsansprüchen wegen stattgefundener Enteignungen gelesen.

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Herr Kollege Lammert, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Griefahn?

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001274, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sofort. Es ist ein Thema nicht erst dann angemessen öffentlich behandelt, wenn der leibhaftige Staatsminister für Kultur ihm die Ehre einer öffentlichen Kommentierung hat angedeihen lassen. Manchmal wäre es schlicht und ergreifend hilfreich, wenn Sie einmal zu einem Sachverhalt nichts sagen würden, ({0}) statt diejenigen, die mit großem Engagement bei der Sache sind, wahrscheinlich nicht beabsichtigt, aber regelmäßig gegen sich aufzubringen. Bitte schön.

Dr. Monika Griefahn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003136, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege, stimmen Sie mir zu, daß es, obwohl es einen zehnjährigen Diskussionsprozeß um das Holocaust-Mahnmal gegeben hat, zu keiner Entscheidung im letzten Jahr gekommen ist und daß diese Entscheidung hätte getroffen werden können, wenn sich alle einig gewesen wären? Stimmen Sie mir zu, daß es sehr verdienstvoll ist, daß Herr Naumann diesen Knoten durchgeschlagen hat, um die Diskussion einer Lösung zuzuführen? ({0})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001274, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Das erste ist mir auch aufgefallen. Beim zweiten kann ich Ihnen beim besten Willen nicht zustimmen. Ich habe auch nicht den Eindruck, daß es der Diskussion gut bekommen ist, daß der in der Bundesregierung nun für dieses Thema Verantwortliche das Bemühen von vielen Sachverständigen und Experten, von Künstlern, Architekten und Journalisten, die sich über zehn Jahre hinweg um dieses Thema gekümmert ({0}) und am Ende einen Vorschlag zu realisieren empfohlen haben, in Bausch und Bogen zurückgewiesen hat, wie das passiert ist. Ich kritisiere nicht das Interesse an der Umsetzung eines Ergebnisses, sondern ich kritisiere die Attitüde, ({1}) die ich vorhin angesprochen habe, nämlich erst allen zu erklären, daß sie offenkundig nicht hinreichend Sachverstand mitbringen, um dann selber einen Vorschlag zu präsentieren, der sich kleinlaut an genau dem Ergebnis orientiert, das man zunächst kategorisch abgelehnt hat. ({2}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, ein Konzept künftiger Kulturpolitik können wir bisher nicht erkennen. Das einzige, was sich erkennen läßt, ist die Neigung zur Konzentration kulturpolitischer Anstrengungen in der Hauptstadt Berlin. Nun kann kein Zweifel daran bestehen, daß sich der Kulturstaat Bundesrepublik Deutschland insbesondere in seiner Hauptstadt darstellen muß. Aber klar sein muß auch, daß die erwünschte und notwendige Aufstockung der Bundesmittel für national bedeutende kulturelle Einrichtungen in Berlin nicht zu Lasten bedeutender kultureller Einrichtungen in anderen Teilen unseres Landes erfolgen darf. Die Bundesrepublik Deutschland ist ein Kulturstaat, der vom kulturellen Reichtum in der regionalen Vielfalt lebt. Eine Berliner Republik, die ihr Selbstverständnis als Kulturstaat auf die Hauptstadt reduziert, wird es mit der Union ganz gewiß nicht geben. ({3}) Wir werden hoffentlich in ruhigerer Stunde Gelegenheit haben, über wichtige Aufgabenstellungen der Kulturpolitik miteinander zu reden. Ich will eine abschließende Bemerkung machen. Die Kulturpolitik eignet sich noch weniger als andere Bereiche zur Selbstinszenierung. Zugleich ist die Versuchung in diesem Bereich ganz offenkundig noch größer als anderswo. Ein Medium, das selbst die Botschaft ist, ist als Medium eher zuviel und als Botschaft entschieden zuwenig. ({4}) In der Kulturpolitik geht es um Wirkung, nicht um Wirbel. Die CDU/CSU-Fraktion wird in ihrer Kulturpolitik mit Nachdruck darauf hinwirken, daß genau diese Gewichtung eingehalten wird. ({5})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung, und zwar zunächst über die Änderungsanträge der Fraktion der CDU/CSU, F.D.P. und PDS. Änderungsantrag der CDU/CSU, Drucksache 14/904: Wer stimmt dafür? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen der Koaliti- onsfraktionen gegen die Stimmen der gesamten Opposi- tion abgelehnt worden. Änderungsantrag der CDU/CSU, Drucksache 14/905: Wer stimmt dafür? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Auch dieser Änderungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Opposition abgelehnt worden. Änderungsantrag der F.D.P., Drucksache 14/914: Wer stimmt dafür? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen der Koaliti- onsfraktionen gegen die Stimmen der gesamten Opposi- tion abgelehnt worden. Änderungsantrag der F.D.P., Drucksache 14/915: Wer stimmt dafür? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Auch dieser Änderungsantrag ist bei dem eben festge- stellten Stimmenverhältnis abgelehnt worden. Änderungsantrag der PDS, Drucksache 14/946: Wer stimmt dafür? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen des gesamten Hauses mit Ausnahme der PDS, die zugestimmt hat, ab- gelehnt worden. Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Einzel- plan 04 in der Ausschußfassung. Die Fraktion der SPD verlangt namentliche Abstimmung. Ich bitte die Schrift- führerinnen und Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen. Sind alle Urnen besetzt? - Das ist der Fall. Ich eröffne die Abstimmung. - Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine Stimme nicht abgegeben hat? - Das ist nicht der Fall. Ich schließe die Abstimmung und bitte die Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis der Ab- stimmung wird Ihnen später bekanntgegeben.*) Ich rufe auf: 13. Einzelplan 05 Auswärtiges Amt - Drucksachen 14/605, 14/622 Berichterstattung: Abgeordnete Uta Titze-Stecher Herbert Frankenhauser Dr. Barbara Höll Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache anderthalb Stunden vorgesehen. - Dazu höre ich keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile zunächst dem Abgeordneten Herbert Frankenhauser das Wort.

Herbert Frankenhauser (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000572, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsi- dentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Auch wenn in der vorangegangenen Zeit bereits sehr viel über ------ *) Seite 3128 C die Problematik des sogenannten Kosovo-Konfliktes gesprochen worden ist, kann dieses ebenso drängende wie ungelöste Problem in der Berichterstattung über den Einzelplan des Auswärtigen Amtes nicht unberücksichtigt gelassen werden. Ich darf daran erinnern, daß es auch bei der Einzelplanberatung im Haushaltsausschuß zur „Humanitären Hilfe“ zu intensiven Beratungen und - sagen wir es einmal - auch zu Schwierigkeiten innerhalb der Koalitionsfraktionen bei der notwendigen Etatisierung gekommen ist, die aber durch unseren Vorstoß für eine angemessene, realistische Budgetierung dann doch noch zufriedenstellend geregelt werden konnte, indem nunmehr eine - zumindest vorübergehend ausreichende - Einstellung der Mittel im Einzelplan 60 beschlossen worden ist. Bei aller gebotenen Zurückhaltung muß nachgefragt werden, ob denn dieses katastrophale Ausmaß der Vertreibung aus dem Kosovo und deren teils unbeschreibliche Folgen wirklich nicht zumindest annähernd absehbar waren. Müssen wir nicht alle mit Bestürzung feststellen, daß offensichtlich weder die Europäische Union noch die NATO ausreichend fähig und in der Lage ist, unverzüglich und effektiv auf solche Notsituationen zu reagieren, um tatsächlich umfassende Hilfe bringen zu können? Kann es denn sein, daß die Bundesregierung einerseits als Erfolg verkündet, daß „fast 50 000 Plätze zur Unterbringung von Vertriebenen in Mazedonien“ bereitgestellt worden sind, andererseits aber darauf hinweist, daß es am Dienstag dieser Woche allein 9 000 neue und insgesamt bereits mehr als 193 000 Flüchtlinge aus dem Kosovo allein in Mazedonien gibt, die zum großen Teil nicht untergebracht und versorgt werden können? ({0}) Es konnte mir bislang niemand schlüssig erklären, weshalb es für die Europäische Union und die NATO nicht einmal möglich sein soll, ausreichend Zelte und Trinkwasser zur Verfügung zu stellen. Allen Berichten vor Ort ist zu entnehmen, daß das UNHCR organisatorisch völlig überfordert sein soll. ({1}) Dies ist schlimm genug. Aber was macht die Europäische Gemeinschaft? Ich fordere deshalb die Bundesregierung auf, im Rahmen ihrer EU-Präsidentschaft alles zu tun, um eine effiziente, sofort einsetzbare Organisationseinheit „Humanitäre Hilfe“ im europäischen Verbund zu schaffen. Es ist auch dringend geboten, daß sich die Bundesregierung engagiert dafür einsetzt, das UNHCR zu einer wirklich effektvollen und leistungsfähigen Organisation umzugestalten. Völlig unverständlich ist die Haltung der Bundesregierung, insbesondere als Präsidentschaft der EU, in der Frage der Flüchtlingsaufnahme. Zunächst erklärte vor etwa acht Tagen Herr Bundesinnenminister Schily mit ausdrücklicher Zustimmung des SPD-FraktionsvorsitVizepräsidentin Dr. Antje Vollmer zenden Struck, daß keine weiteren Flüchtlinge in der Bundesrepublik aufgenommen werden sollten. ({2}) Eine Woche später dann wieder eine Kehrtwendung, nach der jetzt doch zusätzlich 10 000 Flüchtlinge in der Bundesrepublik aufgenommen werden sollen. ({3}) Die Europäische Union ist eine Wertegemeinschaft, und wir alle haben ein Interesse daran, die Verbindlichkeit dieser Werte auch weiterhin zu stärken und uns gegen alle Rezepte ethnischer und kultureller Konfrontation zur Wehr zu setzen. Es gilt, das europäische Einigungswerk fortzuführen und das Bekenntnis zur Würde des Menschen, das dem Wertekatalog unserer Verfassung und gemeinsamer europäischer und internationaler Grundüberzeugung entspricht, gerade auch in Krisen mit glaubwürdigem Leben zu erfüllen. Zu den großen Aufgaben der Europäischen Union gehört demzufolge auch eine gemeinsame Flüchtlingspolitik. Jedes Land in der Europäischen Union muß einen angemessenen Teil der Flüchtlinge übernehmen. Deutschland darf nicht mehr als alle anderen zusammen übernehmen. Wenn 10 000 von 13 000 ausgewiesenen Kosovaren allein nach Deutschland kommen, ist es mit der humanitären europäischen Solidarität offensichtlich nicht so weit her. ({4}) Mit enttäuschtem Blick auf die bisher sehr geringe Aufnahme von Flüchtlingen in anderen Staaten der Europäischen Union kann man nur feststellen, daß mit leeren Versprechungen Menschen in Not nicht geholfen werden kann. Die Bundesregierung muß bedauerlicherweise zur Kenntnis nehmen, daß die Quoten für die Aufnahme von Flüchtlingen, deren Erfüllung zugesagt worden ist, zum Beispiel in Norwegen nur bei 36 Prozent, in Österreich bei 23 Prozent, in Schweden bei 15 Prozent und in Dänemark bei 10 Prozent liegen. Auch sonst kann man nur Enttäuschendes von der deutschen EU-Präsidentschaft berichten. Der EUHaushalt von 1999 bis 2006 wird entgegen den Ankündigungen um über 20 Prozent - ohne Berücksichtigung der Inflationsrate - steigen. Die für die Osterweiterung bislang vorgesehenen Mittel sind völlig unrealistisch. Von der vollmundig angekündigten Nettoentlastung der Bundesrepublik Deutschland ist faktisch nichts geblieben. ({5}) Eine Neuorganisation und eine neue Struktur der EU sind nicht erkennbar. Im Rahmen der deutschen EUPräsidentschaft ist noch nicht einmal ein Vorstoß unternommen worden - zumindest ist mir ein solcher nicht bekannt -, den unvorstellbaren Mißstand, daß in mehr als zwölf Staaten der EU Subventionsbetrug keinen Straftatbestand darstellt, abzustellen. Offensichtlich ist der neue Leiter des Planungsstabes im Auswärtigen Amt, Herr Schmierer, noch überfordert - er ist als Exvorsitzender des Kommunistischen Bundes Westdeutschlands nunmehr in der Vergütungsgruppe A 16 gelandet -, seinen Sponti-Spezi auf solche Problemstellungen hinzuweisen. ({6}) Übrigens bin ich gespannt, Herr Minister Fischer, ob Ihr Kollege Riester bei Herrn Schmierer, der zunächst ja einen Werkvertrag erhalten mußte, nicht noch Scheinselbständigkeit feststellen muß. ({7}) Das ist eine der Merkwürdigkeiten, die es seit dem Regierungswechsel zu Rotgrün gibt. Für die wundersamen Wandlungen möchte ich nur zwei Beispiele anführen. ({8}) - Wenn ich mehr Redezeit zur Verfügung hätte, könnte ich diese Beispielliste auch ausweiten, Herr Fischer. SPD und Grüne haben sich im Rahmen der Haushaltsberatungen 1997 vehement gegen die Genehmigung der Lieferung von Fregatten an die Türkei ausgesprochen. Heute muß man als Tatsache feststellen: Der Waffenexport hat noch nie so gut wie unter Fischer und Schröder floriert. ({9}) Von dem Antrag der Grünen vom November 1997, für „Humanitäre Minenräumung“ in den Haushalt 1998 99,1 Millionen DM einzustellen, sind jetzt noch immerhin „beachtliche“ 17 Millionen DM übriggeblieben. ({10}) Besonders interessant wird auch die Entwicklung des Verhältnisses zwischen Bundesregierung und Koalitionsfraktionen bezüglich der Ausstattungshilfe. Während es die Grünen im Haushaltsausschuß zunächst abgelehnt haben, den Bericht der Bundesregierung über eine Neukonzeption der Ausstattungshilfe überhaupt zur Kenntnis zu nehmen, hat der Bundesinnenminister bereits Zusagen, die aus dem Programm finanziert werden, bis zum Jahr 2002 gegeben. Im übrigen bleibt - da sind wir gespannt - abzuwarten, welche Auswirkungen die Ankündigungen des derzeitigen Bundesfinanzministers auf den Einzelplan 05 des Haushaltes haben werden. Es ist an dieser Stelle angebracht, auch allen Mitbürgerinnen und Mitbürgern, die derzeit in humanitären Organisationen oder in der Bundeswehr in Albanien und Mazedonien mit hohem Engagement einen vorbildlichen Dienst leisten, herzlich zu danken und ihnen hohe Anerkennung zu zollen. Vielen Dank. ({11})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Uta Titze-Stecher.

Uta Titze-Stecher (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002331, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Tatsache, daß zum Einzelplan 05 bisher keine Anträge vorliegen, kennzeichnet das große Einvernehmen, das im Haushaltsausschuß zumindest bei diesem Etat geherrscht hat. Im Einzelplan 05 für den Geschäftsbereich des Auswärtigen Amtes sind für das laufende Haushaltsjahr 1999 insgesamt 3,641 Milliarden DM etatisiert. Dies bedeutet gegenüber dem zweiten Regierungsentwurf der neuen Regierung eine Absenkung um rund 18 Millionen DM oder 0,5 Prozent. Dies war das Ergebnis der parlamentarischen Beratungen im Haushaltsausschuß. Das Volumen des Einzelplans 05 verteilt sich, grob gesagt, auf drei große Bereiche. Der erste Bereich umfaßt die Betriebskosten, die sich auf das Ministerium selbst und die 223 Auslandsvertretungen des Bundes beziehen. ({0}) - Also, Herr Irmer. Am besten sind immer diejenigen Gags, die einem spontan einfallen. - Auf den Bereich Betriebskosten entfallen 42,6 Prozent des Gesamtetats des Auswärtigen Amtes. In Ziffern sind dies 1,549 Milliarden DM. Dem in bundeseigener Verwaltung geführten Auswärtigen Dienst sind insbesondere folgende Aufgaben zugewiesen: Vertretung der Interessen der Bundesrepublik Deutschland im Ausland, Pflege und Förderung der auswärtigen Beziehungen, Information der Bundesregierung über die Verhältnisse und Entwicklungen im Ausland. Herr Außenminister - ich drehe mich vom Mikro nicht weg; wenn ich das täte, dann würden mich die Abgeordneten, die Adressaten meiner Rede, nicht hören -: Ich bedanke mich bei Ihnen ausdrücklich dafür, daß das Auswärtige Amt die Lageberichte zum Kosovo, auf deren Grundlage bis zuletzt Abschiebeurteile von Gerichten gefällt worden sind, zurückgezogen hat. Es war höchste Zeit. ({1}) Der Auswärtige Dienst leistet Hilfe und Beistand für Deutsche im Ausland. Er arbeitet mit bei der Gestaltung der internationalen Rechtsbeziehungen, beispielsweise bei der Arbeit an der Reform der UNO. Er koordiniert im Rahmen der Politik der Bundesregierung alle die außenpolitischen Beziehungen betreffenden Vorhaben staatlicher und anderer öffentlicher Einrichtungen. Angesichts der Fülle der genannten Aufgaben denken wir, daß das dafür vorgesehene Finanzvolumen ausreichend ist. Überproportionale Zuwächse bei den Betriebskosten sind auf den Berlin-Umzug zurückzuführen. Für die Neuausstattung des Dienstgebäudes in Berlin - Herr Minister, für diese Entscheidung können Sie nichts; wir Haushälter hätten es gern anders gehabt - stehen 48,7 Millionen DM zur Verfügung. Für dieses Jahr sind davon 35 Millionen DM etatisiert. Der Rest wird über Verpflichtungsermächtigungen bereitgestellt. Die Betriebskosten des Dienstes sind fast vollständig flexibilisiert. Die Personalkosten sind zwar ausreichend veranschlagt. Ich mache aber darauf aufmerksam, daß es bei einer außergewöhnlichen Steigerung des Dollarkurses zu Risiken kommen kann, die aber nicht nur dieses Haus, sondern alle Häuser betreffen können, die im Ausland Personal haben. Weil ich gerade beim Thema Personal bin: Ich bitte das Haus dringend, dafür Sorge zu tragen, daß für die verbleibenden 85 Mitarbeiter des einfachen Dienstes, für die eine Zusage besteht, am derzeitigen Dienstort zu verbleiben, Arbeitsplätze durch eine großzügige Ausstattung der in Bonn verbleibenden und unter Personalnot leidenden Arbeitseinheiten gefunden werden. Wir müssen uns im Haushaltsausschuß fraktionsübergreifend darüber verständigen, ob wir Stellen aus dem Personalüberhang mit dem kw-Vermerk „Wegfall mit Ausscheiden des Stelleninhabers“ versehen und auf die sicherlich auch für das Haushaltsjahr 2000 zu erbringende Einsparquote anrechnen. Die betroffenen Menschen können nichts für unsere parlamentarische Entscheidung wegzuziehen. Der zweite große Bereich im auswärtigen Etat ist der Kulturhaushalt. Darüber hat Herr Naumann aus kompetenter Sicht gesprochen. Auch im auswärtigen Etat wird Kulturarbeit geleistet, die sich auswärtige Kulturpolitik, AKP, nennt. Die Substanzgarantie für die AKP konnte dadurch umgesetzt werden, daß der stetige Abwärtstrend, den die ehemalige Regierung zwischen 1995 und 1998 zu verantworten hatte, in einen klaren Aufwärtstrend umgekehrt wurde. Dies geschah übrigens auf ausdrücklichen Wunsch des Ministers selbst. Die Zunahme der Mittel um 3,6 Millionen DM in 1999 setzt sich auch in der mittelfristigen Finanzplanung fort. Dieses Signal halte ich für sehr wichtig, weil der - ich zitiere - „Kulturdialog als neue Dimension einer Außenpolitik der Zukunft“ entwickelt werden muß, so Bundespräsident Roman Herzog anläßlich der ersten Konferenz „Deutsch-Russisches Kulturforum Potsdamer Begegnungen“ am 27. April dieses Jahres. Aber nicht nur für den Bundespräsidenten, für uns alle ist der Kulturdialog ein unerläßlicher Beitrag zur Bildung eines europäischen Selbstverständnisses sowie eine Brücke zwischen Deutschland und den Völkern der Welt, eine Brücke, die es angesichts der ethnischen Auseinandersetzungen im Kosovo, aber nicht nur dort, zu stabilisieren gilt, weil dies für das Überleben der Völker wesentlich ist. Nach dem Ende des kalten Krieges und zu Beginn des neuen Jahrtausends wird das Muster der Bündnisund Feindschaftsbildung unter den Nationen nicht oder immer weniger von Ideologien geprägt, sondern immer mehr durch Kulturen. Die bipolare Machtstruktur des kalten Krieges ist durch eine Mischung uni- und multipolarer Systeme abgelöst worden. Die Folge davon ist, daß Nationen ihre Identität zunehmend mehr auf der Grundlage der eigenen Herkunft, Religion, Sprache, Sitten und Wertvorstellungen definieren bzw. sich reorientieren. Wenn man den Thesen von Samuel Huntington folgt - Stichwort „Kampf der Kulturen“ -, dann werden sich die Konfliktherde der Zukunft vor allem entlang der Bruchlinien der Kulturen und weniger auf Grund von Macht- und Wirtschaftsinteressen entwickeln. Unabhängig davon, ob man die dort beschriebenen Szenarien für das nächste Jahrhundert teilt, besteht für uns die Pflicht, Politik nach Maßgabe kultureller und zivilisatorischer Wertvorstellungen zu gestalten. Ich denke, dieser Pflicht sind wir bei der Aufstellung des Haushaltes des Auswärtigen Amtes vorbildlich nachgekommen. - Ich habe eigentlich erwartet, daß Sie jetzt zustimmen, auch Sie, meine Damen und Herren von der Opposition. ({2}) Konkret haben wir im Kulturbereich den Stipendientitel erhöht. Dies war wegen sinkender Stipendienvergabezahlen und entsprechender öffentlicher Reaktionen auf den Rückgang ausländischer Stipendiaten an deutschen Hochschulen, die Sie ja kennen, dringend erforderlich. Mein Dank gilt hier einvernehmlich allen Berichterstattern. Gemeinsam haben wir dafür gesorgt, daß Stipendienvergabe, Austauschmaßnahmen, Beihilfen für Nachwuchswissenschaftler, Studenten und Hochschulpraktikanten aus dem Ausland, Betreuung und Nachbetreuung durch die dafür vorgesehenen Organisationen, DAAD, Alexander-von-Humboldt-Stiftung, FulbrightKommission - ich kann sie jetzt nicht alle aufzählen -, auf angemessenem Niveau durchgeführt werden können. Mit Blick auf die Osterweiterung und die damit erforderlich werdenden Integrationsangebote von unserer Seite her haben wir ebenfalls einvernehmlich Mittel für die Bewilligung von Stipendien für polnische Studenten an der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt an der Oder und ebenso einen Zuschuß an den Bundesverband der deutsch-polnischen Gesellschaft bereitgestellt. ({3}) - Ich bedanke mich, Herr Kollege Urbaniak. - Ich muß das immer wieder betonen, daß gerade im Kulturbereich zwischen den Berichterstattern größtes Einvernehmen herrschte. Konkret möchte ich noch zwei Titel nennen, die zwar in den Bereich der politischen Aufgaben des Amtes fallen, aber doch im Zusammenhang mit den europäischen Integrationsmaßnahmen zu sehen sind: Da ist einmal die Förderung des europäischen Gedankens, der sich in einem erhöhten Zuschuß an die Europäische Akademie in Berlin ausdrückt, dann die Errichtung eines Haushaltsansatzes für das „Haus der Deutsch-Polnischen Zusammenarbeit in Gleiwitz“. Ich denke, auch das ist eine Anerkennung durch das Haus wert. ({4}) Ich gebe zu, diese Aufstockungen nehmen sich bescheiden aus, aber angesichts der Haushaltszwänge und Sparvorgaben zeigt sich gerade bei solchen Vorhaben, daß der durch die neue Regierung vorgelegte Haushaltsentwurf mehr als ein paar korrigierende Duftmarken setzt. Er konkretisiert eigentlich bereits vollzogene politische Weichenstellungen, so die europäische Integrationsidee. Sie ist ein gesamteuropäisches Anliegen; das spiegelt sich auch im Haushalt wider. Insofern geht es heute nicht mehr um das Ob, sondern nur noch um die Gestaltung des Wie und Wann der Osterweiterung, wie Sie, Herr Bundesaußenminister, in Ihrer historischen und wegweisenden Rede vor dem Parlament in Straßburg am 12. Januar dieses Jahres im Zusammenhang mit der Osterweiterung und der Forderung nach mehr Demokratie formuliert haben. So hieß es in einem „Zeit“Artikel; dieses Lob kann ich vollständig mittragen und gebe es weiter. Es ist mir der Kürze der Zeit wegen nicht möglich, ausführlich auf die Programmarbeit sowie die Bereiche Förderung des Schulwesens im Ausland und internationalen Zusammenarbeit im Schulbereich, kurz Schulfonds genannt, einzugehen. Ich kann mir aber nicht verkneifen, folgendes zu sagen. Ich bitte Sie, Herr Fischer, spitzen Sie die Ohren, denn hier geht es um viel Geld. Im Rahmen der „Bemerkungen zur Haushalts- und Wirtschaftsführung des Bundes 1998“ hat der Bundesrechnungshof detailliert Stellung zu dem Schwerpunktthema Verwaltung und Nutzung von Liegenschaften durch den Bund genommen. ({5}) - Auch wenn es vor Ihrer Zeit war, ist das Auswärtige Amt besonders davon betroffen, weil Sie auch jetzt noch sehr viele Liegenschaften im Ausland haben. Speziell zu den deutschen Schulen im Ausland hat der Rechnungsprüfungsausschuß - und das ist das Parlament - nachdrücklich die Empfehlungen des BRH zum Aufbau eines Liegenschaftsmanagements zur Verwertung und Nutzung der Liegenschaften unterstützt, und zwar sollen zur Kostenentlastung des Bundes und zur Gleichbehandlung der deutschen Schulen im Ausland Schulträgern in geeigneten Fällen bundeseigene Grundstücke zum Erwerb angeboten werden. Es hat sich herausgestellt, daß die Schulen, die auf eigenen Grundstücken erbaut werden, wesentlich besser gepflegt und erhalten werden und den Bund weniger kosten. Das ist normale Erfahrung, und diese sollten wir uns zunutze machen. Bitte verwerten Sie unverzüglich die nicht benötigten Liegenschaften; der Haushaltsausschuß wird es Ihnen danken. Abschließend möchte ich im Zusammenhang mit der Auslandskulturarbeit dafür plädieren, daß die Flexibilisierungsmaßnahmen im Bereich der Personalwirtschaft auf Zuwendungsempfänger ausgedehnt werden, beispielsweise auf das weltweit agierende Goethe-Institut. Dies würde zum langen Atem, den die Kulturarbeit braucht, beitragen. Der dritte große Ausgabenbereich mit knapp 25 Prozent oder rund 891 Millionen DM Anteil am Gesamtetat ist der allgemeine Bewilligungsteil, also derjenige Teil, in dem die politischen Ausgaben veranschlagt sind. Hier haben wir die stärksten Schwankungen zu verzeichnen, im Haushalt 1999 einen Zuwachs von 6 Prozent. Der Zuwachs entsteht vor allem durch die Kosten für Konferenzen im Zuge der EU-Ratspräsidentschaft. Wir haben da knapp 6 Millionen DM mehr etatisiert. Wir haben den deutsch-tschechischen Zukunftsfonds von 20 Millionen DM auf 40 Millionen DM einvernehmlich verdoppelt - der Dank geht an alle. ({6}) Wir haben auf Grund der Zusage des Altbundeskanzlers Kohl gegenüber der Witwe von Yzak Rabin einen neuen Titel mit einem Ansatz von 2,5 Millionen DM für den Aufbau des Yzak-Rabin-Centers for Israel Studies in Jerusalem etatisiert. ({7}) Auch das halten wir für extrem wichtig, weil die FundRaising-Bemühungen sowohl in England als auch in Frankreich nach Aussagen von Frau Rabin von der deutschen Haltung in diesem Punkt abhängig gemacht werden. Hier sind wir gegenüber dem Altbundeskanzler, dem Staat Israel und der Witwe Rabin im Wort. Wir stehen auch inhaltlich hinter diesem Projekt, das sich mit Fragen des Nahost-Friedensprozesses beschäftigen wird. Ich gehe bewußt jetzt nicht auf das ein, was ich mir dazu noch notiert habe. Auch im Einzelplan 23, auf den die Kollegen später eingehen werden, wird sicher ausdrücklich auf die durch die neue Bundesregierung erhöhten Mittelansätze für die deutsch-palästinensische Entwicklungszusammenarbeit hingewiesen werden. Im Bereich der allgemeinen Bewilligungen für politische Ausgaben haben wir - ebenfalls einvernehmlich durch Umschichtungen die Mittel für humanitäre Hilfsmaßnahmen im Ausland außerhalb der Entwicklungshilfe erhöht, wenn auch nur um 1 Million DM - ein Zeichen. Die aktuelle Entwicklung des Kosovo-Konflikts hat alle Ansätze in den dafür zuständigen Einzelplänen 05, 06, 14 und 23 über den Haufen geworfen, so daß wir uns gezwungen sahen - Herr Kollege Frankenhauser hat es bereits erklärt -, angesichts der offensichtlichen Kosten für die Folgen des humanitären Einsatzes einen eigenen Haushaltstitel mit 300 Millionen DM Sonderleistungen des Bundes für humanitäre Hilfe zu schaffen. Wir haben auch das einvernehmlich geschafft, und wir denken, daß diese Entscheidung wieder einmal deutlich macht, daß im Vordergrund eines militärischen Einsatzes mit dem Ziel der Verhinderung der humanitären Katastrophe die konkrete Hilfe für die betroffenen Flüchtlinge stehen muß. ({8}) Das gewährleisten wir natürlich mit diesem Haushaltsansatz. Der Antrag der Bundesregierung „Deutsche Beteiligung an der humanitären Hilfe im Zusammenhang mit dem Kosovo-Konflikt“, über den hoffentlich am kommenden Freitag, also übermorgen, vom Parlament entschieden werden wird, ist eine aktuelle Reaktion auf die Hilferufe der humanitären Hilfsorganisationen, die sich den Anforderungen der täglich um Tausende von Menschen anwachsenden Flüchtlingsströme nicht mehr gewachsen sehen und daher die unmittelbare Beteiligung und Unterstützung aller notwendigen Hilfsmaßnahmen durch die NATO anfordern. Neben den NATO-Verbündeten haben bisher auch acht Partnernationen Beteiligung zugesagt. Dieser umfassende Beitrag der NATO soll sowohl den Flüchtlingen mit den gebotenen Maßnahmen helfen als auch - ich denke, auch das wissen Sie, zumindest die Kollegen der Facharbeitsgruppen, richtig einzuschätzen - zur Stabilisierung der überforderten Nachbarstaaten Mazedonien und Albanien beitragen. ({9}) Wir haben einen neuen Ausschuß für Menschenrechte, der sich all dieser Fragen annimmt, die unter der Überschrift der humanitären Hilfsmaßnahmen gestreift werden. Was die Höhe der notwendigen Kosten für die Betreuung der Flüchtlinge betrifft, war dieser Ausschuß der erste, der sich bei uns gemeldet hat. Diese Tatsache möchte ich ausdrücklich zu Protokoll geben. Die zusätzlichen Kosten des Einsatzes von bis zu 1 000 weiteren Soldaten des Heeres, der Luftwaffe, der Marine und der zentralen Sanitätsdienststellen für humanitäre Hilfsleistungen werden für 12 Monate auf 330 Millionen DM beziffert. Ich denke, daß sowohl der Außenminister als auch der Verteidigungsminister auf diesen Antrag dezidiert eingehen werden. Ich erspare mir deswegen weitere Details. Ich denke, daß mit den vorgesehenen 330 Millionen DM im Einzelplan 60 die erforderlichen Mittel zumindest für dieses Jahr vorhanden sind. Wir halten dies für haushaltsrechtlich korrekt. Wir haben einvernehmlich - Dank an alle Kollegen die Leistungen an Organisationen und Einrichtungen im internationalen Bereich - wie zum Beispiel an das IRK, UNICEF, UNHCR und UNRWA - aufgestockt. Dabei wissen wir alle, daß die deutschen Beiträge im internationalen Vergleich beschämend gering sind. Besonders hervorheben möchte ich, daß auf Antrag der Arbeitsgruppe „Menschenrechte“ der Regierungsfraktionen die Mittel für das „Büro der Menschenrechtshochkommissarin“ und für den „VN-Fonds für Folteropfer“ aufgestockt worden sind. Wir haben die Förderung der Menschenrechte durch das Auswärtige Amt ebenfalls erhöht. Damit werden die Feldmissionen der Hochkommissarin für Menschenrechte und die Maßnahmen zur Stärkung der Handlungsfähigkeit auf dem Feld der Konfliktprävention und Konfliktregelung unterstützt. Außerdem haben wir einen Posten für Vorbereitungsmaßnahmen des zivilen Friedensdienstes eingestellt. Mit 200 000 DM unterstützen wir die Gründung eines Forschungszentrums für OSZE-Studien beim Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg. Ute Titze-Stecher Weil meine Redezeit abgelaufen ist, will ich noch abschließend eine Bemerkung zur Ausstattungshilfe machen. Die Ausstattungshilfe insgesamt befindet sich in der Diskussion. Das heißt, die Frage der Fortführung und Ausgestaltung der Ausstattungshilfe für ausländische Streitkräfte ist auf Leitungsebene noch nicht entschieden. Ich halte dies für ein außerordentlich wirksames und sinnvolles Instrument der außenpolitischen Arbeit. ({10}) - Ja, ich kann dies wirklich einschätzen. - Ich denke, daß man angesichts globaler Veränderungen nicht die Frage der Fortführung, sondern nur die Frage der Ausgestaltung zu entscheiden hat. Schwerpunktmäßig kann man nennen: andere Justierungen und Orientierungen bei der Gesundheitsversorgung der Bevölkerung in entlegenen Gebieten durch Sanitätsstationen der Streitkräfte, bei der Ausbildung in technischen Berufen für den Einsatz im Falle von Naturkatastrophen und bei der Flüchtlingsversorgung. Das heißt, man muß die Ausstattungshilfe anpassen, damit die Absicht der neuen Bundesregierung, sich an neuen Anforderungen zu orientieren, die die Fähigkeiten der Empfängerländer zur Teilnahme an Friedensmissionen und Konfliktverhütung stärken, insgesamt unterstützt wird. Da wir die meisten Punkte einvernehmlich geregelt haben, ist meine Bitte an die Opposition gerechtfertigt: Wir stimmen in jedem Fall dem Haushalt des Einzelplans 05 zu. Ich bitte Sie, dasselbe zu tun! ({11})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Bevor wir in der Debatte fortfahren, möchte ich Ihnen das von den Schriftführern und Schriftführerinnen ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung über den Einzelplan 04, den Geschäftsbereich des Bundeskanzlers und des Bundeskanzleramtes, bekanntgeben: Abgegebene Stimmen 612. Mit Ja haben gestimmt 334, mit Nein haben gestimmt 278, Enthaltungen gab es keine. Der Einzelplan 04 ist damit angenommen worden. Endgültiges Ergebnis Abgegebene Stimmen: 612 davon: ja: 334 nein: 278 Ja SPD Brigitte Adler Gerd Andres Rainer Arnold Hermann Bachmaier Ernst Bahr Doris Barnett Dr. Hans-Peter Bartels Eckhardt Barthel ({0}) Klaus Barthel ({1}) Ingrid Becker-Inglau Dr. Axel Berg Hans-Werner Bertl Friedhelm Julius Beucher Petra Bierwirth Rudolf Bindig Lothar Binding ({2}) Kurt Bodewig Klaus Brandner Anni Brandt-Elsweier Willi Brase Dr. Eberhard Brecht Rainer Brinkmann ({3}) Bernhard Brinkmann ({4}) Hans-Günter Bruckmann Edelgard Bulmahn Ursula Burchardt Dr. Michael Bürsch Hans Martin Bury Hans Büttner ({5}) Marion Caspers-Merk Wolf-Michael Catenhusen Dr. Peter Wilhelm Danckert Christel Deichmann Karl Diller Peter Dreßen Rudolf Dreßler Detlef Dzembritzki Dieter Dzewas Dr. Peter Eckardt Sebastian Edathy Ludwig Eich Marga Elser Peter Enders Gernot Erler Petra Ernstberger Annette Faße Lothar Fischer ({6}) Gabriele Fograscher Iris Follak Norbert Formanski Rainer Fornahl Hans Forster Dagmar Freitag Lilo Friedrich ({7}) Harald Friese Anke Fuchs ({8}) Arne Fuhrmann Monika Ganseforth Konrad Gilges Iris Gleicke Günter Gloser Uwe Göllner Renate Gradistanac Günter Graf ({9}) Angelika Graf ({10}) Dieter Grasedieck Achim Großmann Wolfgang Grotthaus Karl Hermann Haack ({11}) Hans-Joachim Hacker Christel Hanewinckel Alfred Hartenbach Anke Hartnagel Klaus Hasenfratz Nina Hauer Hubertus Heil Reinhold Hemker Frank Hempel Rolf Hempelmann Dr. Barbara Hendricks Gustav Herzog Monika Heubaum Uwe Hiksch Reinhold Hiller ({12}) Stephan Hilsberg Gerd Höfer Jelena Hoffmann ({13}) Walter Hoffmann ({14}) Iris Hoffmann ({15}) Frank Hofmann ({16}) Ingrid Holzhüter Eike Hovermann Christel Humme Lothar Ibrügger Barbara Imhof Brunhilde Irber Gabriele Iwersen Renate Jäger Jann-Peter Janssen Ilse Janz Dr. Uwe Jens Johannes Kahrs Ulrich Kasparick Sabine Kaspereit Susanne Kastner Hans-Peter Kemper Klaus Kirschner Marianne Klappert Siegrun Klemmer Hans-Ulrich Klose Walter Kolbow Fritz Rudolf Körper Karin Kortmann Anette Kramme Nicolette Kressl Angelika Krüger-Leißner Horst Kubatschka Ernst Küchler Helga Kühn-Mengel Ute Kumpf Konrad Kunick Dr. Uwe Küster Werner Labsch Christine Lambrecht Brigitte Lange Christian Lange ({17}) Detlev von Larcher Christine Lehder Waltraud Lehn Robert Leidinger Klaus Lennartz Eckhart Lewering Götz-Peter Lohmann ({18}) Christa Lörcher Erika Lotz Dr. Christine Lucyga Dieter Maaß ({19}) Winfried Mante Dirk Manzewski Tobias Marhold Ulrike Mascher Christoph Matschie Heide Mattischeck Markus Meckel Ulrike Mehl Ulrike Merten Angelika Mertens Dr. Jürgen Meyer ({20}) Ursula Mogg Christoph Moosbauer Siegmar Mosdorf Michael Müller ({21}) Jutta Müller ({22}) Christian Müller ({23}) Franz Müntefering Andrea Nahles Volker Neumann ({24}) Gerhard Neumann ({25}) Dr. Edith Niehuis Dr. Rolf Niese Dietmar Nietan Günter Oesinghaus Eckhard Ohl Leyla Onur Manfred Opel Holger Ortel Adolf Ostertag Kurt Palis Albrecht Papenroth Dr. Willfried Penner Dr. Martin Pfaff Georg Pfannenstein Johannes Pflug Dr. Eckhart Pick Joachim Poß Karin Rehbock-Zureich Margot von Renesse Renate Rennebach Bernd Reuter Dr. Edelbert Richter Reinhold Robbe Gudrun Roos René Röspel Dr. Ernst Dieter Rossmann Michael Roth ({26}) Birgit Roth ({27}) Gerhard Rübenkönig Marlene Rupprecht Thomas Sauer Dr. Hansjörg Schäfer Gudrun Schaich-Walch Bernd Scheelen Dr. Hermann Scheer Siegfried Scheffler Horst Schild Otto Schily Dieter Schloten Horst Schmidbauer ({28}) Ulla Schmidt ({29}) Silvia Schmidt ({30}) Dagmar Schmidt ({31}) Wilhelm Schmidt ({32}) Regina Schmidt-Zadel Heinz Schmitt ({33}) Dr. Emil Schnell Walter Schöler Olaf Scholz Karsten Schönfeld Fritz Schösser Ottmar Schreiner Gerhard Schröder Gisela Schröter Dr. Mathias Schubert Richard Schuhmann ({34}) Brigitte Schulte ({35}) Reinhard Schultz ({36}) Volkmar Schultz ({37}) Ewald Schurer Dietmar Schütz ({38}) Dr. Angelica Schwall-Düren Ernst Schwanhold Bodo Seidenthal Erika Simm Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk Dr. Cornelie SonntagWolgast Wieland Sorge Wolfgang Spanier Dr. Margrit Spielmann Jörg-Otto Spiller Dr. Ditmar Staffelt Antje-Marie Steen Ludwig Stiegler Rolf Stöckel Rita Streb-Hesse Joachim Stünker Joachim Tappe Jella Teuchner Dr. Gerald Thalheim Franz Thönnes Adelheid Tröscher Hans-Eberhard Urbaniak Rüdiger Veit Simone Violka Ute Vogt ({39}) Hans Georg Wagner Hedi Wegener Dr. Konstanze Wegner Wolfgang Weiermann Reinhard Weis ({40}) Matthias Weisheit Gunter Weißgerber Gert Weisskirchen ({41}) Dr. Ernst Ulrich von Weizsäcker Hans-Joachim Welt Dr. Rainer Wend Hildegard Wester Lydia Westrich Inge Wettig-Danielmeier Dr. Margrit Wetzel Dr. Norbert Wieczorek Helmut Wieczorek ({42}) Jürgen Wieczorek ({43}) Dieter Wiefelspütz Heino Wiese ({44}) Klaus Wiesehügel Brigitte Wimmer ({45}) Engelbert Wistuba Dr. Wolfgang Wodarg Verena Wohlleben Hanna Wolf ({46}) Waltraud Wolff ({47}) Heidemarie Wright Dr. Christoph Zöpel Peter Zumkley BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Marieluise Beck ({48}) Volker Beck ({49}) Matthias Berninger Annelie Buntenbach Ekin Deligöz Dr. Thea Dückert Franziska Eichstädt-Bohlig Dr. Uschi Eid Hans-Josef Fell Andrea Fischer ({50}) Joseph Fischer ({51}) Katrin Göring-Eckardt Winfried Hermann Kristin Heyne Ulrike Höfken Michaele Hustedt Monika Knoche Steffi Lemke Dr. Helmut Lippelt Dr. Reinhard Loske Klaus Wolfgang Müller ({52}) Kerstin Müller ({53}) Winfried Nachtwei Christa Nickels Cem Özdemir Simone Probst Claudia Roth ({54}) Christine Scheel Irmingard Schewe-Gerigk Rezzo Schlauch Albert Schmidt ({55}) Werner Schulz ({56}) Christian Simmert Christian Sterzing Jürgen Trittin Ludger Volmer Sylvia Voß Helmut Wilhelm ({57}) Margareta Wolf ({58}) Nein CDU/CSU Ulrich Adam Ilse Aigner Peter Altmaier Norbert Barthle Dr. Wolf Bauer Günter Baumann Brigitte Baumeister Meinrad Belle Dr. Sabine Bergmann-Pohl Otto Bernhardt Hans-Dirk Bierling Dr. Joseph-Theodor Blank Dr. Heribert Blens Peter Bleser Dr. Norbert Blüm Dr. Maria Böhmer Sylvia Bonitz Wolfgang Börnsen ({59}) Dr. Wolfgang Bötsch Klaus Brähmig Dr. Ralf Brauksiepe Monika Brudlewsky Georg Brunnhuber Klaus Bühler ({60}) Hartmut Büttner ({61}) Dankward Buwitt Manfred Carstens ({62}) Leo Dautzenberg Hubert Deittert Albert Deß Renate Diemers Thomas Dörflinger Marie-Luise Dött Maria Eichhorn Rainer Eppelmann Anke Eymer Ilse Falk Dr. Hans Georg Faust Ingrid Fischbach Axel Fischer ({63}) Dr. Gerhard Friedrich ({64}) Dr. Hans-Peter Friedrich ({65}) Erich G. Fritz Jochen-Konrad Fromme Hans-Joachim Fuchtel Dr. Jürgen Gehb Dr. Heiner Geißler Georg Girisch Dr. Reinhard Göhner Dr. Wolfgang Götzer Kurt-Dieter Grill Hermann Gröhe Manfred Grund Carl-Detlev Freiherr von Hammerstein Gottfried Haschke ({66}) Gerda Hasselfeldt Norbert Hauser ({67}) Hansgeorg Hauser ({68}) Ursula Heinen Manfred Heise Siegfried Helias Ernst Hinsken Peter Hintze Klaus Hofbauer Martin Hohmann Klaus Holetschek Josef Hollerith Siegfried Hornung Joachim Hörster Hubert Hüppe Peter Jacoby Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer 3130 Deutscher Bundestag - 14. Wahlperiode - 38. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 5. Mai 199 Susanne Jaffke Georg Janovsky Dr.-Ing. Rainer Jork Dr. Harald Kahl Bartholomäus Kalb Steffen Kampeter Irmgard Karwatzki Volker Kauder Eckart von Klaeden Ulrich Klinkert Dr. Helmut Kohl Manfred Kolbe Norbert Königshofen Eva-Maria Kors Hartmut Koschyk Thomas Kossendey Rudolf Kraus Dr. Martina Krogmann Dr. Paul Krüger Dr. Hermann Kues Karl Lamers Dr. Karl A. Lamers ({69}) Dr. Paul Laufs Karl-Josef Laumann Werner Lensing Peter Letzgus Ursula Lietz Walter Link ({70}) Eduard Lintner Dr. Klaus Lippold ({71}) Dr. Manfred Lischewski Wolfgang Lohmann ({72}) Julius Louven Erich Maaß ({73}) Erwin Marschewski Dr. Martin Mayer ({74}) Wolfgang Meckelburg Dr. Michael Meister Dr. Angela Merkel Friedrich Merz Hans Michelbach Meinolf Michels Dr. Gerd Müller Bernward Müller ({75}) Elmar Müller ({76}) Bernd Neumann ({77}) Günter Nooke Franz Obermeier Eduard Oswald Norbert Otto ({78}) Dr. Peter Paziorek Anton Pfeifer Dr. Friedbert Pflüger Beatrix Philipp Ronald Pofalla Ruprecht Polenz Marlies Pretzlaff Dr. Bernd Protzner Dieter Pützhofen Thomas Rachel Dr. Peter Ramsauer Helmut Rauber Christa Reichard ({79}) Katherina Reiche Erika Reinhardt Hans-Peter Repnik Klaus Riegert Dr. Heinz Riesenhuber Franz Romer Hannelore Rönsch ({80}) Heinrich-Wilhelm Ronsöhr Dr. Klaus Rose Kurt Rossmanith Adolf Roth ({81}) Norbert Röttgen Dr. Christian Ruck Volker Rühe Dr. Jürgen Rüttgers Anita Schäfer Hartmut Schauerte Heinz Schemken Gerhard Scheu Norbert Schindler Dietmar Schlee Bernd Schmidbauer Christian Schmidt ({82}) Dr.-Ing. Joachim Schmidt ({83}) Andreas Schmidt ({84}) Hans Peter Schmitz ({85}) Birgit Schnieber-Jastram Dr. Rupert Scholz Reinhard Freiherr von Schorlemer Dr. Erika Schuchardt Wolfgang Schulhoff Clemens Schwalbe Dr. Christian SchwarzSchilling Wilhelm-Josef Sebastian Horst Seehofer Heinz Seiffert Werner Siemann Johannes Singhammer Bärbel Sothmann Margarete Späte Carl-Dieter Spranger Wolfgang Steiger Andreas Storm Dorothea Störr-Ritter Max Straubinger Matthäus Strebl Thomas Strobl Michael Stübgen Edeltraut Töpfer Dr. Hans-Peter Uhl Arnold Vaatz Angelika Volquartz Andrea Voßhoff Peter Weiß ({86}) Gerald Weiß ({87}) Annette Widmann-Mauz Heinz Wiese ({88}) Hans-Otto Wilhelm ({89}) Klaus-Peter Willsch Willy Wimmer ({90}) Werner Wittlich Dagmar Wöhrl Elke Wülfing Peter Kurt Würzbach Wolfgang Zeitlmann Benno Zierer Wolfgang Zöller F.D.P. ({91}) Ernst Burgbacher Jörg van Essen Ulrike Flach Horst Friedrich ({92}) Dr. Wolfgang Gerhardt Hans-Michael Goldmann Joachim Günther ({93}) Dr. Karlheinz Guttmacher Klaus Haupt Ulrich Heinrich Walter Hirche Birgit Homburger Ulrich Irmer Dr. Heinrich Leonhard Kolb Gudrun Kopp Ina Lenke Sabine LeutheusserSchnarrenberger Dirk Niebel Hans-Joachim Otto ({94}) Detlef Parr Cornelia Pieper Dr. Günter Rexrodt Dr. Edzard Schmidt-Jortzig Gerhard Schüßler Dr. Irmgard Schwaetzer Marita Sehn Dr. Max Stadler Carl-Ludwig Thiele Dr. Dieter Thomae Jürgen Türk PDS Monika Balt Maritta Böttcher Eva Bulling-Schröter Roland Claus Heidemarie Ehlert Dr. Heinrich Fink Dr. Ruth Fuchs Dr. Gregor Gysi Dr. Barbara Höll Ulla Jelpke Sabine Jünger Dr. Evelyn Kenzler Dr. Heidi Knake-Werner Ursula Lötzer Dr. Christa Luft Heidemarie Lüth Angela Marquardt Manfred Müller ({95}) Kersten Naumann Rosel Neuhäuser Dr. Uwe-Jens Rössel Christina Schenk Gustav-Adolf Schur Dr. Ilja Seifert Entschuldigt wegen Übernahme einer Verpflichtung im Rahmen ihrer Mitgliedschaft in den Parlamentarischen Versammlungen des Europarates und der WEU, der NAV, der OSZE oder der IPU Abgeordnete({96}) Behrendt, Wolfgang, SPD Siebert, Bernd, CDU/CSU Wir fahren in der Debatte fort. Ich gebe dem Abgeordneten Dr. Werner Hoyer das Wort.

Dr. Werner Hoyer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000967, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Vorrednerin hat so viele Details zutreffend berichtet, daß ich selbst in den Fällen nicht auf die Details eingehen möchte, in denen ich anderer Meinung bin, wie zum Beispiel bei den Mitteln für die Minenräumung und für die Ausstattungshilfe. Ich möchte mich in meiner Rede auf ein paar wenige Schwerpunkte konzentrieren. Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer Unsere Beratungen waren fair und sachbezogen. Dafür insbesondere der Hauptberichterstatterin und den anderen Kolleginnen und Kollegen herzlichen Dank. Mein Dank gilt dem Hause, das mit großem Engagement mitgearbeitet hat. An dieser Stelle gilt mein Dank auch den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Auswärtigen Amtes einschließlich aller Auslandsvertretungen insgesamt für ihre geleistete großartige Arbeit. ({0}) Neun Jahre nach Inkrafttreten des Gesetzes über den Auswärtigen Dienst sieht sich dieser Dienst außergewöhnlichen Herausforderungen und Belastungen gegenüber. Er muß diese Belastungen unter immer größeren Sparzwängen bewältigen, während ihm auf der anderen Seite immer mehr Serviceleistungen für die Bürgerinnen und Bürger abverlangt werden. Deswegen ist im Auswärtigen Dienst, der mittlerweile vom Personalumfang her wieder den Umfang von vor der Wende hat und gleichzeitig insbesondere in den Reformstaaten Mittel-, Ost- und Südosteuropas und in Zentralasien zahlreiche neue Auslandsvertretungen betreibt, bei den Einsparungen das Ende der Fahnenstange erreicht. In den letzten Jahren ist die deutliche Leistungssteigerung der Wirtschaftsabteilungen unserer Auslandsvertretungen zu Recht gewürdigt worden. Auch bei der auswärtigen Kulturpolitik hat es viel frischen Wind gegeben, trotz mancher schmerzlicher Entscheidungen. Aber bei alldem bleibt ein Bereich der deutschen Auslandsvertretungen immer weiter zurück, obwohl hier der größte Arbeitsdruck herrscht: die Rechts- und Konsularabteilungen der Botschaften und Generalkonsulate. Dieser Bereich mag nicht so spektakulär sein, und er mag auch ein nicht so schönes politisches Profil bieten; aber er ist enorm wichtig und total überlastet. Ein Blick in die Auslandsvertretungen, insbesondere in dem Gebiet der früheren Sowjetunion und praktisch im gesamten Mittel- und Osteuropa, zeigt, wie kritisch die Verhältnisse geworden sind. Es ist deshalb höchste Zeit, den Bereich der Rechts- und Konsularabteilungen der Auslandsvertretungen von den Rasenmäher-Stellenkürzungen auszunehmen. Ich weiß, wie schwer dies ist. Wir haben es in den letzten Jahren oft genug versucht und sind am Finanzminister gescheitert. Aber noch weitere Kürzungen verträgt dieser Bereich nicht. ({1}) Die F.D.P.-Fraktion stellt deshalb auch in der Plenardebatte erneut den Antrag, bei den Stellenkürzungen im Haushaltsgesetz die ausdrückliche Herausnahme der Rechts- und Konsularabteilungen der Auslandsvertretungen vorzusehen. ({2}) Diese Abteilungen sind auch vorgeschobene Posten der inneren Sicherheit und sollten deshalb den anderen öffentlichen Diensten, wie Polizei, Justiz und Zoll, die sich um innere Sicherheit bemühen, nicht nachstehen. Ich merke an dieser Stelle ausdrücklich an, daß der Antrag, den wir hier erneut vorlegen, neben dem Auswärtigen Dienst auch für den gesamten Bereich des BKA und BGS - und dort nicht nur für die Polizeivollzugsbeamten -, für das deutsche Patent- und Markenamt sowie für den Zoll und die Justiz gilt. Ich sage das deshalb, weil ich als Berichterstatter für diese Ressorts nicht noch einmal ausdrücklich das Wort ergreifen kann. Ich bedaure, daß die Koalition unserem Antrag im Haushaltsausschuß aus taktischen Gründen nicht zustimmen konnte. Aber ich habe sehr wohl die Signale aufgenommen, daß man für den Haushalt des Jahres 2000 in dieser Frage eine Öffnung ins Auge faßt. Wir werden darauf zurückkommen. Die F.D.P. bekennt sich zu dem Gesetz über den Auswärtigen Dienst. Das Gesetz war ein großes Anliegen Ihres Vorvorgängers Hans-Dietrich Genscher, und es war ein Quantensprung in der Entwicklung der deutschen Diplomatie und der materiellen Grundlagen des Dienstes. Natürlich wissen wir alle, daß noch viele ambitiöse Vorhaben aus diesem Gesetzeswerk der Realisierung bedürfen, und wir wissen auch, wie schwer dies angesichts knapper Kassen ist. Wir sind von der Opposition früher oft genug dafür kritisiert worden. Nun kann die frühere Opposition selber gestalten. Sie wird dabei in der F.D.P. einen gesprächsbereiten Partner finden, auch wenn es zum Beispiel darum geht, dem Thema Personalreserve zu Leibe zu rücken. ({3}) Der Begriff ist sicherlich unglücklich, aber was sich dahinter verbirgt, ist die dringende Notwendigkeit, diplomatische Vertreter Deutschlands im Ausland endlich angemessen auf ihre Aufgaben vorzubereiten. Herr Minister, ich appelliere an Sie, gemeinsam mit dem Parlament hier den Einstieg beim Haushalt 2000 zu finden. Einen Weg müssen wir auch finden, um die Strukturprobleme des Dienstes insbesondere bei der Übernahme von Anwärtern und bei der langen Wartezeit auf die Übernahme als Beamte auf Lebenszeit zu bewältigen. Was diese Fragen angeht, hängt der Auswärtige Dienst hinter allen anderen Ressorts der Bundesregierung zurück. ({4}) - Das ist bekannt, und das ist auch keine Frage von Schuldzuweisung. Aber wenn wir uns hier entschließen könnten, auch unter uns Haushältern, diesem Problem beim nächstenmal tatsächlich zu Leibe zu rücken, dann wäre schon sehr viel gewonnen. Es ist gut, wenn so etwas einmal protokollfest wird. ({5}) Die deutsche Außenpolitik wird gegenwärtig natürlich völlig von dem Thema Kosovo überlagert. Aber sosehr uns die Bewältigung der akuten Situation beschäftigt und aufrüttelt und sosehr sie Kräfte bündelt, so wichtig ist es doch auf der anderen Seite, über den Tag hinaus zu denken und die Frage zu stellen, wie deutsche Außenpolitik jenseits vom Kosovo aussehen wird. Denn es gilt auch, Lehren zu ziehen, insbesondere in einer Zeit, in der die internationalen Organisationen weiterentwickelt werden und diese Weiterentwicklung an uns teilweise vorbeigeht, wir uns zumindest angesichts unseres Zeitdrucks diesem Thema nicht hinreichend zuwenden können. Bei aller Emotionalisierung auf Grund der Kosovo-Krise muß die Entscheidung über Krieg und Frieden, über den Einsatz unserer Soldaten, ebenso wie die Entscheidung über die deutsche Einbettung in internationale Sicherheitssysteme mit kühlem Kopf und analytischem Verstand getroffen werden. Noch so berechtigte Empörung, noch so verständliche Wut sind niemals ein guter Ratgeber und erst recht keine Legitimation, die Achtung vor dem Völkerrecht zu relativieren bzw. Dilemmata zum Beispiel zwischen Völkerrecht einerseits und ethisch begründeter Handlungsnotwendigkeit andererseits, in denen man sich hin und wieder befinden kann, einer vermeintlich einfachen Auflösung zuzuführen. Der Vertrag von Amsterdam gibt einige Hinweise, indem er die institutionellen Voraussetzungen für die Weiterentwicklung der gemeinsamen europäischen Außen- und Sicherheitspolitik schafft. Es gilt, diese mit Leben zu erfüllen, damit Europa nicht noch einmal ein so jammervolles Bild abgibt, wie dies im Kosovo-Krieg der Fall ist. Wo waren denn Gesicht und Stimme Europas, als hier die wichtigsten Entscheidungen getroffen wurden? Nach dem Vertrag von Amsterdam wird sich keiner mehr herausreden können, daß es die institutionellen Voraussetzungen nicht gebe. Es gibt sie. Es stellt sich nur die Frage nach dem politischen Willen und der Entschlossenheit der europäischen Akteure, sie zu nutzen. ({6}) Die wichtigste Weichenstellung, die wir in der nächsten Zeit werden vornehmen müssen, betrifft das Verhältnis der internationalen Organisationen zueinander. Wenn wir eines aus der Katastrophe auf dem Balkan gelernt haben sollten, dann ist dies die Erkenntnis, daß wir auf der einen Seite hinsichtlich der Systeme kooperativer Sicherheit und auf der anderen Seite hinsichtlich der Systeme kollektiver Verteidigung Ordnung in unser Denken bringen müssen. Die NATO ist eben keine Ersatz-UNO und würde sich völlig überheben, wollte sie sich in diese Richtung entwickeln. UNO und OSZE sind Systeme kooperativer Sicherheit, die konfliktverhindernd, konfliktentschärfend und konfliktbeendend nach innen wirken sollen. NATO und WEU sind zunächst einmal Systeme kollektiver Verteidigung, die ihre allererste Aufgabe darin zu sehen haben, der Bedrohung eines oder mehrerer Bündnispartner von außen entgegenzuwirken. Die NATO hat, um dieses Ziel erreichen zu können, eine Integrationstiefe erreicht wie kein anderes Verteidigungsbündnis in der Geschichte zuvor. Das schafft auch Abhängigkeiten. Das Recht der nationalen Parlamente, über die Beteiligung der eigenen Soldaten an militärischen Auseinandersetzungen in jedem einzelnen Fall selbst zu entscheiden, darf hierdurch nicht ausgehöhlt werden. Denn die NATO hat ihre einmalige Integrationstiefe nur dadurch erreichen können, daß sie zuallererst als ein System kollektiver Verteidigung verstanden worden ist. Dies muß auch bei der Realisierung des neuen strategischen Konzeptes der NATO so bleiben. Wir sollten vorsichtig sein, einmal so eben von der „neuen NATO“ zu sprechen. ({7}) - Sie sprechen vielleicht nicht davon. Aber manch anderer spricht und schreibt ganz fröhlich darüber. ({8}) - Das wäre in der Tat ein Kollateralschaden; denn dann müßten wir über den Vertrag sprechen, und zwar hier, und wir müßten über seine in der Substanz veränderte Gestalt abstimmen. ({9}) Die dann zu erwartende Debatte beinhaltet Risiken deswegen will ich sie nicht -, die zum Gegenteil dessen führen könnten, was wir brauchen. Wir brauchen eine leistungsfähige, tief integrierte und auf Grund ihres politischen Zusammenhalts starke Nordatlantische Allianz. Alles, was sie schwächen könnte, sollte vermieden werden. ({10}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist gut, daß wir hier in Deutschland einen breiten Konsens darüber haben, daß die Mitgliedstaaten der Allianz ihre Entscheidungen in den Rahmen des Völkerrechts und unter das Mandat der Völkergemeinschaft stellen. Vielleicht resultiert aus dem Kosovo-Krieg eine gewisse katalytische Wirkung, an deren Ende der Multilateralismus wieder eine Chance bekommt. Das setzt dann allerdings voraus, daß wir uns der Reform von OSZE und UNO beherzt zuwenden. ({11}) Viele wollten das in den letzten Jahren nicht, weil sie die UNO unter- und die NATO überschätzt haben. Beiden Organisationen, die wir auch in Zukunft vor allem in ihrer originären Funktion brauchen werden, wird man damit nicht gerecht. Natürlich wird es möglicherweise wieder Dilemmasituationen geben. Was tun, wenn die moralische Verantwortung zum Handeln zwingt, aber der Legitimator nicht handlungsfähig ist? ({12}) Denn dann ist leicht die Büchse der Pandora geöffnet. Deshalb muß deutlich bleiben, daß die Berufung auf die ethische Notsituation das Völkerrecht nicht zur DispoDr. Werner Hoyer sitionen stellen darf. Wir müssen deutlich machen, daß das Völkerrecht nicht in einen künstlichen Gegensatz zu Ethik und Moral gebracht werden darf, sondern für sich genommen eine höchst moralische Qualität besitzt. Also muß der absolute Ausnahmecharakter einer solchen Notsituation klar sein. Wir müssen über die Kriterien diskutieren, die als Sicherung gegen eine mißbräuchliche Nutzung des Arguments der humanitären Notsituation herangezogen werden könnten. Denn bedenken wir: Es könnten auch andere auf die Idee kommen, diesen Argumentationszusammenhang für ihre Zwecke und Ziele zu bemühen. Meine Damen und Herren, Cora Stephan schreibt in der „Welt“ vom 1. Mai: Es ist ... ein schrecklicher Irrtum, wenn Politiker auf Moralmission behaupten, in Fragen von Leben und Tod komme es nicht so auf die Regeln und die Formen an. Nichts könnte falscher sein. Mit Regeln und Regularien schützen sich Soldaten und Armeen und die Gesellschaften, die sie entsenden, seit Tausenden von Jahren vor der völligen Entfesselung des Krieges und vor dem eigenen Irrtum. Das heißt für uns, daß wir eine Verpflichtung haben, den Menschen in Serbien eine Perspektive zu geben, und dies muß eine europäische Perspektive sein. Deswegen stimme ich den Überlegungen, soweit sie bisher schon deutlich geworden sind, bezüglich eines Stabilitätspakts für den Balkan zu. Nur, wir müssen diese Chance mit Verstand und Engagement ergreifen, nicht mit dem alten Rigorismus der Friedensbewegung, die - da bemühe ich noch einmal Cora Stephan - die Politik wieder zu bestimmen scheint: diesmal nicht mit einem pazifistischen, sondern mit einem moralischen Imperativ, der ebenfalls dazu angetan ist, alle Argumente unterhalb der großen moralischen Geste für belanglos zu erklären. Am Ende kommt in der Tat wieder Politik, meine Damen und Herren, und die hat sehr viel weniger, als wir uns das wünschen, mit Prinzipien zu tun als mit Abwägen, mit Vermitteln und mit Kompromissen. Deswegen ist es an der Zeit, daß wir über diesen furchtbaren Krieg hinausdenken und nicht nur fragen, wie wir den Krieg bewältigen können, sondern auch, wie wir den Frieden gewinnen und bewahren können. Herzlichen Dank. ({13})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Rita Grießhaber.

Rita Grießhaber (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002664, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! In Zeiten großer außenpolitischer Herausforderungen verhandeln wir heute einen Haushalt, der schon in sogenannten normalen Zeiten einen großen prozentualen Nachholbedarf im Vergleich zum Gesamthaushalt aufweist. Seit der deutschen Einheit und dem Zerfall der Sowjetunion haben sich nicht nur in Mittel- und Osteuropa gewaltige Veränderungen vollzogen, auch die Entwicklung in Asien und Afrika stellt die deutsche Außenpolitik vor neue und große Herausforderungen. Im Haushalt des Auswärtigen Amtes hat sich das nur in den Jahren unmittelbar nach 1990 widergespiegelt. Danach herrschte wieder Bescheidenheit. Bescheidenheit in der finanziellen Ausstattung bedeutet jedoch nicht Bescheidenheit in den politischen Zielen. Das gilt nicht nur für die Bundesregierung; das gilt ganz besonders auch für den Außenminister. Nun ist es sicher richtig: Es gibt keine grüne Außenpolitik. Aber wir Grüne wissen sehr zu schätzen, welche Akzente Joschka Fischer in den letzten Monaten gesetzt hat: ({0}) Das geht vom Empfang des chinesischen Menschenrechtlers Wei Jinsheng bis hin zu seinem unermüdlichen Einsatz für eine politische Lösung im Kosovo. Es ist der Fischer-Friedensplan, der den UN-Generalsekretär wieder ins Rampenlicht rückt. Dieser Plan legt nicht umsonst Wert auf die Einbindung Rußlands und das Bemühen um ein UN-Mandat für eine Sicherheitstruppe, die ihren Namen verdient. Für diesen engagierten Einsatz in den letzten Wochen und Monaten möchte ich dem Minister herzlich danken, aber nicht nur dem Minister, sondern auch den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Auswärtigen Amtes. ({1}) Sie mußten sich ja nicht nur auf den neuen Minister einstellen. Die EU-Ratspräsidentschaft gleich nach dem Regierungswechsel war und ist eine große Herausforderung. Der Krieg im Kosovo fordert alle über ihre Grenzen hinaus. ({2}) Auch wenn der Krieg, den Milosevic gegen die Bevölkerung des Kosovo begonnen hat, zur Zeit alles überschattet, gilt unsere Sorge auch unvermindert der Entwicklung in Rußland. Es ist gut, daß Rußland auf die politische Bühne zurückgekehrt ist, zuerst über die Kontaktgruppe in Rambouillet, jetzt mit dem russischen Kosovo-Beauftragten Tschernomyrdin. Unser Bemühen muß es jetzt sein, alles zu tun, damit Rußland von der serbischen Schutzmacht zum Vermittler im Kosovo wird. Wohin sich Rußland entwickeln wird, ist noch lange nicht entschieden. Es ist die Aufgabe des Westens und der deutschen Außenpolitik, die Kräfte für Demokratie und Marktwirtschaft zu stützen. Auch in Rußland beginnt, wenn auch zaghaft, die Diskussion, wie neue aggressive, totalitäre Systeme an ihrer Ausbreitung gehindert werden können. Ob es solchen Ansätzen gelingt, mehrheitsfähig zu werden, wird über die Zukunft Rußlands entscheiden. Unsere Rußlandpolitik braucht mehr als Männerfreundschaften und Wirtschaftskredite. Sie muß substantiell den schwierigen Demokratisierungsprozeß unterstützen. ({3}) Das Ende der Blockkonfrontation zeigt, daß es bei immer mehr Konflikten nicht um zwischenstaatliche, sondern um innerstaatliche Auseinandersetzungen geht. Gerade deshalb brauchen wir eine Reform der Vereinten Nationen. Wir brauchen einen Sicherheitsrat, der seiner weltpolitischen Verantwortung gerecht wird, und wir brauchen ein Völkerrecht, in dem die Durchsetzung der Menschenrechte und die Wahrung staatlicher Souveränität zu einem neuen Gleichgewicht finden, Herr Hoyer. Mit Kofi Annans Worten: Regierungen dürfen sich nicht mehr hinter Staatsgrenzen verstecken können, wenn sie Menschenrechte verletzen. Wie schwer es der Europäischen Union immer noch fällt, zu einer gemeinsamen Außenpolitik zu finden, hat einmal mehr die Diskussion in der Menschenrechtskommission der Vereinten Nationen in Genf gezeigt. So ist es im Rahmen der EU-Präsidentschaft nicht gelungen, eine Resolution zu China einzubringen. Um so wichtiger waren die klaren Worte von Außenminister Fischer in Genf. Zehn Jahre nach der blutigen Niederschlagung der Demokratiebewegung muß die chinesische Führung wissen, daß die Massaker von damals nicht vergessen sind und daß die Menschenrechtsverletzungen von heute nicht gebilligt werden. ({4}) Die Notwendigkeit eines starken europäischen Engagements wurde in diesem Hause schon viel beschworen. Ich begrüße sehr, daß die Kollegen Schäuble und Lamers in ihrem gestern in der „FAZ“ veröffentlichten Papier betonen, daß auch sie die vom Außenminister in Straßburg angestoßene Verfassungsdebatte wollen. ({5}) Wenn es hier Gemeinsamkeiten geben soll, setzt dies allerdings voraus, daß Sie Ihre innerparteilichen Diskussionen über den europapolitischen Kurs entscheiden. Für uns bedeutet Europa: demokratische Strukturen, eine rechtsstaatliche Verfassung und transparente Institutionen. Diese Verdeutlichung, daß Europa gelebte und lebendige Demokratie sein soll, daß der Wille, sich gemeinsam demokratische Strukturen und Institutionen zu schaffen, Europa ausmacht, kommt mir in Ihrem Papier zu kurz. Denn ein Verfassungsvertrag Europas darf nicht nur eine einfache technokratische Gebrauchsanweisung sein. Die Debatte um die Verfassung selbst ist eine Chance, die Legitimität der EU zu festigen. ({6}) Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zum Schluß zu dem Thema zurückkommen, das uns zur Zeit am meisten beschäftigt. Ein Ende des Krieges im Kosovo wird es nur geben, wenn wir allen involvierten Ländern Perspektiven in einer gesamteuropäischen Friedensordnung bieten. Dafür brauchen wir ein langfristig angelegtes Konzept, mit dem wir den Weg Südosteuropas nach Europa unterstützen, das heißt einen Stabilitätspakt für die Region. ({7}) Er muß auf den verschiedenen Ebenen Signale für die Heranführung der Region an die EU aussenden. Der 50. Geburtstag des Europarates, den wir heute begehen, und andere Jubiläen in diesem Jahr führen uns vor Augen, wie wichtig multilaterale Einrichtungen von der UNO und der NATO bis zur OSZE waren und sind. Auch Südosteuropa braucht mehr multinationale Netze. Sehr beeindruckt hat mich in diesem Zusammenhang die Rede der bulgarischen Außenministerin Michailowa im Auswärtigen Ausschuß. Es ermutigt, zu hören, in welchem Umfang die Prinzipien der EU in Bulgarien angekommen sind. Die Bemühungen um einen fairen Ausgleich mit den nationalen Minderheiten und die Anstrengungen über die Landesgrenzen hinweg zu einer guten Kooperation mit allen Nachbarn - beispielhaft dafür steht der bulgarisch-mazedonische Vertrag - sind wichtige Silberstreifen am südosteuropäischen Horizont. Das Gegenteil - das ethnisch-nationalistische Machtprinzip in Belgrad, das die ganze Region destabilisiert und noch in Angst und Unruhe versetzt - darf in Europa keine Zukunft haben. Vielen Dank. ({8})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Fred Gebhardt.

Fred Gebhardt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003127, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! „Deutsche Außenpolitik ist Friedenspolitik“, so heißt es in der bündnisgrünen-sozialdemokratischen Koalitionsvereinbarung. Wie weit dieser Satz von der Realität entfernt ist, erfahren wir seit nunmehr sechs Wochen. Heute ist der Tag 43 des Krieges gegen Jugoslawien, und ein Ende ist nicht in Sicht. Ist das eine neue deutsche Friedenspolitik? Dabei hätte die neue Regierung durchaus die Möglichkeit gehabt, die Ernsthaftigkeit der Koalitionsvereinbarung unter Beweis zu stellen. Sie hätte deutliche Zeichen setzen können, wie sie ihre Friedenspolitik entwickeln möchte. Das ist nicht geschehen. Statt einen Beitrag zur Zivilisierung der internationalen Beziehungen zu leisten und die Zusage der alten Bundesregierung zur Beteiligung der Bundeswehr an einem NATOEinsatz in Jugoslawien zumindest einer Überprüfung zu unterziehen, hat sie den Marschbefehl unterzeichnet. Statt ein deutliches Signal in Richtung Abrüstung zu setzen, zumindest jedoch weiterer Aufrüstung eine AbRita Grießhaber sage zu erteilen, überschlagen sich die Beschaffungsvorhaben geradezu. Dies ist beschämend genug für eine Regierung, die angetreten ist, Friedenspolitik mehr Raum zu geben. ({0}) Vollends zur Farce wird die neue Friedenspolitik durch die deutsche Beteiligung am Krieg der NATO gegen Jugoslawien. Meine Damen und Herren, ich gehöre einer Generation an, die den letzten großen Krieg noch selbst erlebt hat. Das ist sicher ein Grund dafür, daß ich heute nicht zu denen gehöre, die im Vertrauen auf eine überlegene Militärtechnik einem Krieg zustimmen - schon gar nicht, wenn er rechtswidrig ist. In jedem Krieg sind Menschen die Leidtragenden. Dies ist bei diesem Krieg, der angeblich aus humanitären Gründen geführt wird, nicht anders. Keine einzige der bisher abgeworfenen Bomben hat dazu geführt, das Leid der kosovo-albanischen Bevölkerung zu vermindern. Im Gegenteil: Die Vertreibungen und Greueltaten, die von der jugoslawischen Armee, von den Paramilitärs und Polizeieinheiten ausgehen, sind weiter eskaliert. Es sind die Kosovaren, gegen die sich der Haß entlädt, an denen Vergeltung für die NATO-Bombardierungen geübt wird. ({1}) Es sind nicht nur die Kosovaren, die unter diesen Angriffen leiden. Angeblich richtet sich der Krieg nicht gegen das jugoslawische Volk, sondern nur gegen seine Führung. ({2}) Aber das gesamte Volk leidet. Die Bomben der NATO fallen längst nicht nur auf militärische Ziele, ({3}) sondern zerstören die Infrastruktur, verseuchen die Umwelt und vernichten damit auf lange Zeit die Lebensgrundlagen der Bevölkerung. ({4}) Angesichts dieser umfassenden Zerstörung zu behaupten, daß der Krieg aus humanitären Gründen geführt werden muß, ist zynisch. ({5}) Wenn Friedenspolitik ihrem Namen gerecht werden soll, kann es nur eine Konsequenz geben: Der Krieg, der nichts gelöst hat, aber alles verschlimmert, muß beendet werden. ({6}) Die deutsche Außenpolitik wird immer mehr von militärischen Überlegungen dominiert. ({7}) Und es ist zu allem Überfluß eine Regierung aus Sozialdemokraten und Bündnisgrünen, die sich anschickt, diese von den Konservativen begonnene Entwicklung zu vollenden. Die Haushaltsplanung der neuen Bundesregierung sieht allein für Auslandseinsätze der Bundeswehr einen Betrag von 1,25 Milliarden DM vor. Ich rede hier von der momentanen Planung. Denn welche Einsätze im NATO-Rahmen noch kommen - jetzt, da die neue NATO-Strategie offiziell beschlossen ist -, kann bei der Freude der neuen Regierung an militärischen Interventionen nicht abgesehen werden. Demgegenüber stehen folgende Zahlen für friedenspolitische Aktivitäten: Gerade einmal 69 Millionen DM sind für humanitäre Hilfeleistungen vorgesehen, 10,7 Millionen DM für friedenserhaltende Maßnahmen der Vereinten Nationen und 17 Millionen DM für Minenräumung im Rahmen der Ausstattungshilfe. Selbst wenn man noch die an anderer Stelle im Haushalt eingefügten Posten von 5 Millionen DM für den zivilen Friedensdienst und 2 Millionen DM für Konfliktforschung hinzurechnet, übersteigt die Summe der friedenspolitischen Maßnahmen der neuen Bundesregierung nur knapp den Betrag von 100 Millionen DM. Die Gegenüberstellung der Zahlen zeigt deutlich, wo die Bundesregierung ihren Schwerpunkt setzt. Die Politik der Bundesregierung spiegelt wider, was die Richtungsdebatte um die neue NATO-Strategie ausmachte: Bei allen Details ging es im Kern um die Frage, ob der militärische Faktor gestärkt, ob sein Einfluß ausgebaut bzw. auf altem Niveau gehalten wird. Die Ergebnisse der Debatte zeigen, wohin der Weg geht: zu einer Stärkung des militärischen Faktors. Dies ist nicht der Weg zu einem zukunftsträchtigen Frieden in Europa oder gar weltweit. Das neue Strategiekonzept der NATO macht den Frieden nicht sicherer, sondern gefährdet ihn beträchtlich. ({8}) Darüber täuscht auch nicht der Außenminister hinweg, der seiner Klientel in der „taz“ noch vor dem Jubelgipfel, nämlich am 15. April, weiszumachen suchte: Das Kosovo ist und bleibt ein Ausnahmefall. Niemand sollte denken, das sei die neue Regel der neuen NATO. ({9}) - Nein, Herr Fischer, so ist es nicht. ({10}) Jugoslawien wird nicht die Ausnahme bleiben. Es markiert den Beginn einer neuen Strategie. Im übrigen, meine Damen und Herren: Wie glaubwürdig ist es, wenn die selbsternannten Wächter der gemeinsamen Werte diese in Jugoslawien mit Bomben und Raketen angeblich verteidigen, sie ihnen aber in ihrem eigenen NATO-Haus nicht einmal deutliche Worte wert sind, wie das Beispiel Türkei zeigt? Schließlich sind die dortigen Verhältnisse denen im Kosovo gar nicht so unähnlich. Um Mißverständnissen vorzubeugen: Ich bin nicht der Ansicht, daß die NATO gegen die Türkei Waffengewalt androhen oder anwenden sollte. Dies lehne ich ab, so wie ich auch Bombenangriffe auf Jugoslawien ablehne. Jedoch finde ich es unerträglich, daß die NATO keinen ernsthaften Versuch unternommen hat, die Türkei von ihrem Krieg gegen die kurdische Bevölkerung abzubringen. ({11}) Daß sie in ihrem eigenen Bündnis die Einhaltung der Menschen- und Minderheitenrechte nicht einmal mit offenen Worten anmahnt, wirft ein bezeichnendes Licht auf die Doppelmoral der NATO-Partner, stellt die Glaubwürdigkeit ihrer Werteverteidigung in Frage und gibt einen erschreckenden Ausblick auf das, was zu erwarten sein mag, wenn die neue NATO-Strategie erst vollends entfaltet wird. Wie glaubwürdig ist eine Politik, die Kriegführung aus angeblich humanitären Gründen legitimiert, jedoch die eigenen Grenzen vor den Menschen verschließt, die die Hauptleidtragenden des Konflikts sind, der durch Bomben noch verschärft wird? Es ist beschämend, mit welcher Vehemenz am mehr als fragwürdigen Konzept der fast ausschließlichen Hilfe vor Ort festgehalten wird, obwohl die Hauptaufnahmeländer mit ihrer unzureichenden Infrastruktur vom Andrang der Flüchtlinge überfordert sind und eine weitere Destabilisierung der gesamten Region droht. Auch die vom Innenminister gerade erfolgte Zusage zur Aufstockung des Vertriebenenkontingents auf 20 000 ist angesichts der bislang mehr als 600 000 Menschen, die in Anrainerstaaten Jugoslawiens Zuflucht gesucht haben, weiterhin unzureichend. Ich glaube, die Devise kann nicht sein, weitere Militärpakte dieser Art aufrechtzuerhalten. Die Devise muß vielmehr lauten: Abrüsten, Reduzieren des Militärs, Abbau seines Einflusses. Die Stärkung der NATO ist der falsche Weg. Zu leicht und zu schnell führt er - das erleben wir in diesen Tagen - in den Krieg. Wir werden diesen Weg nicht mitgehen. ({12})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt der Herr Bundesminister Joschka Fischer.

Joseph Fischer (Minister:in)

Politiker ID: 11000552

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich möchte mich bei den Vorrednerinnen und Vorrednern recht herzlich für das bedanken, was sie über den Auswärtigen Dienst gesagt haben. Ich freue mich ganz besonders über die angekündigte Unterstützung bei den kommenden Haushaltsberatungen. ({0}) - Des ganzen Hauses! Wenn es das ganze Haus wäre, wäre ich hochzufrieden. Wenn noch der Finanzminister dabei wäre, wäre ich noch zufriedener; ({1}) denn eine der Übungen ist: Die Fachpolitikerinnen und Fachpolitiker sind sich beim Einzelplan des Außenministers - und nicht nur dort - in der Regel über die notwendige Verstärkung schnell einig, aber das sagt nichts über das Gesamtergebnis aus. Angesichts der Situation, die der Finanzminister offenbart hat, und angesichts dessen, was an Sparzwängen auf uns zukommt - ich möchte keine parteipolitische Wertung vornehmen, sondern das einfach nur in den Raum stellen -, fürchte ich, daß wir sehr beten müssen, damit vieles von dem, was versprochen wurde, auch eingehalten wird. Sie haben einige richtige Punkte angesprochen, Herr Kollege Hoyer. Das betraf die Personalausstattung, vor allen Dingen den Nachwuchs. Ich denke, die Qualität des Nachwuchses ist der Ast, auf dem der Auswärtige Dienst der Bundesrepublik Deutschland zu Recht sitzt und auf den er stolz sein kann. Ihn würden wir mit Kürzungen absägen. ({2}) Wenn es sieben Jahre und mehr dauert, bis das Probeverhältnis beendet ist und es zu einer Festeinstellung kommt, dann wird sich das auf den ausgewählten Nachwuchs auswirken. Die Konkurrenz um hochqualifizierten Nachwuchs ist heute groß. Die Bezahlung ist auch bei denen sehr gut, die eine Karriere beginnen, wenn sie die entsprechenden Voraussetzungen mitbringen. Der Auswärtige Dienst lebt noch viel mehr als andere Bereiche der Bundesverwaltung von der Qualität der Beschäftigten. Insofern sehe ich das mit großer Sorge. Gestatten Sie mir aber, daß ich all die vielen Probleme, die Sie angesprochen haben, angesichts der drängenden politischen Fragen, auf die ich hier zu sprechen kommen möchte, in den Hintergrund stelle. Ich teile das meiste von dem, was in den Detailfragen angesprochen wurde. Lieber Fred Gebhardt, wir müssen nicht einer Meinung sein. Aber ich frage mich, warum es angesichts der dramatischen Situation im Kosovo zu einem solchen Ausblenden von wesentlichen Teilen der Realität kommt. ({3}) Ich würde diese Diskussion ja ernsthaft führen, wenn es nicht einen zehnjährigen Vorlauf mit Milosevic und seiner Politik gäbe. Das wird regelmäßig ausgeblendet. ({4}) Es wird regelmäßig ausgeblendet, daß es nicht eine blutrünstige, kriegslüsterne NATO gibt. Statt dessen haFred Gebhardt ben wir zehn Jahre Appeasement-Politik gemacht - es gab ein Nichteingreifen, das die UN in eine substantielle Krise führte. Ich erinnere an die Bilder von an Laternenpfähle angebundenen, vergeiselten Blauhelmen, die alle, die ein Interesse an starken Vereinten Nationen haben, im Mark erschüttert haben müssen, weil sie diese Institution im Kern geschwächt haben. Ich darf doch daran erinnern, daß die „sicheren Häfen“, die auf Beschluß des Sicherheitsrates eingerichtet wurden, dazu geführt haben, daß wir bis heute nicht genau wissen, was aus den 6 000 bis 7 000 Männern geworden ist. Wir gehen davon aus, daß sie in Massengräbern liegen, obwohl sie sich eigentlich in die Obhut der Vereinten Nationen in Srebrenica begeben haben. Wir haben doch die Erfahrung gemacht, daß alles versucht wurde, damit es nicht zur militärischen Intervention kommt, daß Peace keeping Vorrang hatte. Das hatte zur Konsequenz, daß dies 200 000 Menschen in Bosnien mit dem Leben bezahlen mußten, daß es Massenvergewaltigungen von Frauen und Konzentrationslager gegeben hat. Es gab doch eine barbarische Vertreibungspolitik und in Bosnien sogar eine Vernichtungspolitik gegenüber den Muslimen. Das kann man doch nicht ignorieren. Dies alles ging von einer bestimmten Politik aus. Das möchte ich Ihnen, lieber Fred Gebhardt, und auch allen anderen sagen. Die „Frankfurter Rundschau“ ist über jeden Verdacht, daß sie eine Postille von Kriegstreibern sei, erhaben. Ich kann nur empfehlen, ihre Dokumentationsseite vom 28. April 1999 zu lesen. Dort wurde die Denkschrift des jugoslawischen Historikers Vaso Cubrilovic von 1937 in einer nur wenig gekürzten Form Wiederholungen wurden herausgenommen - über die Vertreibung der Albaner veröffentlicht. Man könnte meinen, das wäre das Programm des Jahres 1999. Es ist aber 1937 geschrieben worden. Dies war auch die Grundlage der Erklärung der serbischen Akademie der Wissenschaften von 1986. Auf dieser Grundlage fußt die Politik, die wir heute sehen. Daher verstehe ich nicht, daß man nicht begreift, daß es sich hierbei um eine völkische Politik handelt, die sich auf die Überhöhung der eigenen Nation gründet, die einen Kampf um Lebensraum gegenüber einem anderen Volk programmatisch thematisiert und dann mit den brutalsten Mitteln - zu denen man sich schon damals bekannt hat - umzusetzen versucht. Dies ist seit 1991/92 im ehemaligen Jugoslawien der Fall. Nur das hat die Völkergemeinschaft zum Eingreifen gezwungen und zwingt sie weiterhin zum Eingreifen; ansonsten würden wir dieses Europa nicht wiedererkennen. ({5}) Ich kann Ihnen diesen Artikel nur zur Lektüre empfehlen. Es wird Ihnen dann wie Schuppen von den Augen fallen. Man wird dies allerdings nicht verstehen, wenn man - das ist natürlich eine völlig andere Diskussion - an alten Feindbildern aus dem Kalten Krieg festhält - man hat zu der Zeit ja auch auf unterschiedlicher Seite gestanden - und meint, die Fortsetzung des Kalten Krieges gegen die NATO unter heutigen Bedingungen führen zu können. Ich kann Ihnen nur sagen: Sie werden merken, daß Sie sich da täuschen. Es geht im Kosovo nicht nur um Menschenrechte. Es geht nicht nur um das Schicksal von mittlerweile über 1 Million Menschen. Es geht nicht nur um das furchtbare Schicksal der Ermordeten und der Vertriebenen. Es geht auch darum, ob in dieser Region das Europa der Integration die Zukunft bestimmen wird oder ob man zum Europa der Vergangenheit zurückkehrt. ({6}) Wenn man mit den Anrainerstaaten spricht, stellt man fest, daß alle drei Dinge wollen: Sie wollen Demokratie, sie wollen einen ähnlichen Wohlstand wie wir ihn haben - den wollen sie durch den Beitritt zur EU gewährleisten -, und sie wollen Sicherheit; die wollen sie durch den Beitritt zur NATO gewährleisten. Das ist der Kern dessen, worum es geht. Unter NATO verstehen diese Länder nicht, daß sie - ich komme nachher noch einmal darauf zu sprechen - an einem neuen imperialistischen Großunternehmen zur Beherrschung der Welt teilhaben sollen. Nein, sie wollen Sicherheit in ihren Grenzen, sie wollen Sicherheit voreinander und für sich. Das ist es, was sie mit der NATO verbinden. Sie wollen wirtschaftliche Entwicklung und einen ähnlichen Wohlstand, eine Teilhabe an Lebenschancen, wie wir sie haben, durch den Beitritt zur Europäischen Union gewährleisten. Ich sage ganz bewußt: Auf der Grundlage von Demokratie gehört für uns das serbische Volk mit seinen legitimen Interessen selbstverständlich mit dazu. ({7}) Die große Tragödie - das kann man doch auch und gerade aus der deutschen Geschichte lernen - ist es doch, daß immer dann, wenn sich der Name eines Volkes zum nationalistischen Programm überhöht und dann noch mit dem Zusatz „groß“ versehen wird, solche Dinge passieren wie jetzt in Jugoslawien. „Großdeutschland“ hieß es bei uns: Was hat das in unserem Land an Furchtbarem angerichtet! Wenn ich „Großserbien“ oder irgendein anderes nationalistisches Adjektiv in Verbindung mit dem Namen eines Staates höre, dann weiß ich immer schon: Es läuft auf die Selbstzerstörung eines Volkes hinaus. Jeder dieser Nationalismen auf dem Balkan hat ja ein solches Programm, das Veränderungen auf den Landkarten mit sich bringt, die auf Vertreibungen, auf Mord und auf Totschlag hinauslaufen. Ich kann davor nur warnen. Insofern müssen gerade die Länder dieser Region an das Europa der Integration herangeführt werden. Das ist die Aufgabe unseres Stabilitätspaktes. ({8}) Wünschen Sie, daß ich die Fragen, die heute morgen vom Kollegen Glos gestellt worden sind, heute beantworte, oder soll ich sie in der Freitagsdebatte beantworten? In den Ausschüssen haben wir sie schon beantworBundesminister Joseph Fischer tet. Wenn Sie sie auch im Plenum beantwortet wünschen, kann ich sie jetzt beantworten. ({9}) - Gut, dann kann ich Ihnen vielleicht vor der Fraktionssitzung eine klare Antwort geben. Die Frage nach der Bewaffnung würde ich gerne dem Kollegen Scharping für seine Haushaltsdebatte überlassen, weil sie in der Tat eine originäre Frage des Verteidigungsministeriums ist. Ich habe mir diese Frage aus der Rede von Herrn Glos extra aufgeschrieben: Wie weit soll die Nothilfe durch deutsche Soldaten im Ernstfall gehen? - Die Nothilfe bezieht sich innerhalb des Stationierungsgebietes - und zwar nur innerhalb des Stationierungsgebietes - auf in Gefahr geratene Angehörige internationaler humanitärer Organisationen und auch auf Mitglieder nationaler humanitärer Organisationen der Bundesrepublik Deutschland. Sie bezieht sich auch auf Angehörige von verbündeten Streitkräften im Stationierungsgebiet. Ich möchte auch die Frage „Warum jetzt?“ gleich beantworten. Ich habe das schon heute morgen im Ausschuß erläutert. Wir wußten, daß die Stationierung von Bodentruppen angesichts der Situation humanitär notwendig ist. Der Kollege Pflüger war in Albanien; er hat die Situation vor Ort erleben können. Die aktuellen Tagesnachrichten bringen immer neue Vertreibungszahlen. Albanien ist willens, das Problem innerhalb seiner Grenzen zu lösen, aber ohne internationale Hilfe dazu nicht in der Lage. Wir haben erlebt, daß die humanitären Organisationen überfordert sind, wenn das Militär das nicht macht. Die NATO hat jetzt einen entsprechenden Stab in Albanien disloziert. Es sollen dort etwa 8 000 Soldaten zum humanitären Einsatz kommen. Die Bundesrepublik Deutschland will sich daran mit bis zu 1 000 Soldaten beteiligen, um die humanitäre Katastrophe dort abwenden zu können. Mit Blick auf die Finanzen füge ich gleich hinzu: Wir werden die Herausforderung haben, winterfeste Quartiere zumindest für einen Teil der Vertriebenen einrichten zu müssen, selbst wenn wir - was ich hoffe unverzüglich zu einem Schweigen der Waffen und - unter internationalem Schutz - zu einer Rückkehr der Vertriebenen in den Kosovo - aber dort haben wir es ebenfalls mit massiven Zerstörungen zu tun - kommen können. Ich kann Ihnen nur nochmals klar versichern: Wir wollten - und das haben wir erreicht - eine solche Entscheidung nicht vor dem Gipfel in Washington treffen, weil die Debatte um das Ja oder Nein von Bodentruppen vorher sehr viele Unklarheiten geschaffen hat und weil wir sonst eine ganz andere Debatte bekommen hätten. Darüber hinaus wollten wir die Dinge so durcharbeiten, daß auch nicht der Hauch eines Zweifels daran bestehen kann, daß es sich nicht um die Dislozierung von Bodentruppen durch die Hintertür handelt. Eines will ich Ihnen klipp und klar sagen - der Bundeskanzler hat das heute schon betont -: Die Bundesregierung lehnt eine Veränderung ihrer bisherigen Position zum Thema Bodentruppen ab; und ich kenne auch keine Stimmen im Bündnis, die diese Veränderung fordern. Wir sehen dazu keine Notwendigkeit. Meines Erachtens wäre jede Bundesregierung auch völlig auf dem Irrweg, wenn eine solche Entscheidung - so sie denn notwendig werden würde - nicht offen als eine strategische Änderung im Parlament diskutiert würde. Das würde die Mehrheit dieses Hauses erfordern. Diese Mehrheit ist nicht gegeben; das sagen wir allen Bündnispartnern, und zwar auf allen Ebenen: ob in Washington, ob in Brüssel, ob bilateral, ob in Telefonkonferenzen, die fast täglich stattfinden. Das waren ganz offensichtlich - auch das muß eine in der Verantwortung stehende Bundesregierung zur Grundlage ihrer Entscheidung machen - die Gründe dafür, daß wir die Entscheidung zum jetzigen Zeitpunkt eingefordert haben. Das hat nichts - das wurde uns ja immer unterstellt - mit einem Parteitag zu tun; der findet später statt. Es hat nichts mit dem 1. Mai zu tun; ein solches Argument ist albern. Ausschlaggebend war allein dieses sachliche und, wie ich finde, sehr zwingende Argument. All dies haben wir Ihnen jetzt dargelegt. Bei der Nothilfe geht es nicht um Selbstverteidigung. Aber können wir denn zum Beispiel französischen Partnern, mit denen wir im Süden Albaniens gemeinsam humanitär tätig sind, falls sie in eine bedrohliche Situation kommen, die Nothilfe verweigern? ({10}) Können wir diese Nothilfe humanitären Organisationen im Stationierungsgebiet, wenn sie in eine prekäre Situation kommen, verweigern? Allen Ernstes: Nein. Es geht nur um diese Nothilfe und um nichts anderes. Ich bitte, das festzuhalten. Es wurde die Frage der Apache-Hubschrauber und damit die Frage einer Nothilfe im Gebiet der Bundesrepublik Jugoslawien angesprochen. Das wird durch eine Formulierung, die wir bewußt in den Antrag hineingeschrieben haben, ausdrücklich ausgeschlossen. Zur Sicherheitslage unserer Soldaten wird der Verteidigungsminister sicher noch ausgiebig Stellung nehmen. Nur soviel: Es geht um die Sicherheitslage in einem Spannungsgebiet, in einem kriegsnahen Gebiet: in Albanien und in Mazedonien. Das wollen wir nicht verhehlen. Ich möchte jedoch hinzufügen: In der Frage des Engagements von Bodentruppen auf dem Boden der Bundesrepublik Jugoslawien waren wir mit der ExtractionForce-Entscheidung wesentlich weiter als mit der jetzt vor uns liegenden Entscheidung. Ich bitte Sie, auch das zu berücksichtigen. Der Bundesverteidigungsminister wird auch noch ausführlich zu der Frage Stellung nehmen, wo die deutschen Truppen stationiert werden. Sie werden im Süden Albaniens stationiert. Im Norden sollen es die Niederländer und die Italiener sein, im Süden die Deutschen und die Franzosen. Aber auch die Niederländer und die Italiener stehen nicht in dem Ruf, einen Bodenkrieg indirekt, sozusagen durch die Hintertür, beginnen zu wollen. Neben der Frage der Bewaffnung sind das die Fragen, die gestellt wurden. Wir wurden gebeten, sie hier im Parlament zu beantworten. Ich hoffe, ich konnte sie so ausreichend beantworten, daß Sie damit zufriedengestellt sind. Wir hoffen, daß es auf dem G-8-Gipfeltreffen morgen gelingt, gemeinsam mit Rußland und gemeinsam mit unseren westlichen Partnern auf der Ebene der G 8 einen entscheidenden Schritt voranzukommen, so daß wir den Fünf-Punkte-Plan in eine Kapitel-VII-Resolution umsetzen können. Wir glauben nicht, daß wir das schon morgen werden erreichen können. Aber daß wir uns einen entscheidenden Schritt dorthin bewegen können, dieser Versuch wird den Schweiß aller Edlen wert sein. Ich kann Ihnen nur sagen: Wir haben von Anfang an eine initiative Politik im Rahmen des Bündnisses zu betreiben versucht, und ich denke, das ist auch einigermaßen gelungen. Der Fünf-Punkte-Friedensplan, der Stabilitätspakt, die Einbeziehung von Kofi Annan, die verstärkte Einbeziehung Rußlands und der Vereinten Nationen, all dieses zusammengenommen zeigt, daß wir eine dynamische politische Rolle gespielt haben, allerdings immer im Bündnis. Der Bundeskanzler hat heute zu Recht darauf hingewiesen: Dies alles wäre nicht möglich gewesen, wenn in der Frage unserer militärischen Solidarität nicht zweifelsfrei Klarheit darüber bestanden hätte, daß wir im Bündnis, in der Solidarität mit unseren Bündnispartnern handeln und in dieser Solidarität dann auch stehen, wenn sie gefragt ist. ({11}) Meine Damen und Herren, lassen Sie mich noch in aller Kürze den NATO-Gipfel ansprechen. Eine völlige Verkennung der Situation! Ich kann Ihnen nur sagen: Sie müssen die Ausgangspapiere kennen und mit dem abgleichen, was wir jetzt erreicht haben. Das ist ein Kompromiß, selbstverständlich. In der US-Innenpolitik bekommen Sie nichts durch, was eine Unterstellung der NATO unter die UN mit sich brächte. Man mag das teilen oder nicht teilen, es ist ein politisches Faktum, mit dem man rechnen muß. Und wenn man ein Bündnis mit den USA für unverzichtbar hält, und ich halte es - das scheint uns zu unterscheiden - in der Tat für unverzichtbar, dann muß man sich darauf einstellen. Selbst für ein vereinigtes Europa wäre ein Verzicht auf die Präsenz der USA in Europa meines Erachtens eine völlig falsche Entwicklung, die große Risiken mit sich brächte. Aber wenn ich dies in Rechnung stelle, dann muß ich eine Kompromißformulierung finden. Nur, gerade auf dem Hintergrund der Kosovo-Erfahrung sage ich Ihnen: Der Kosovo wird die Ausnahme bleiben. Das sage ich nicht, weil ich Ihnen hier ein X für ein U vormachen will, sondern es zeigt sich: Die NATO ist ein Sicherheitsbündnis in Europa und für Europa. Alles andere wäre eine Überforderung der NATO und würde sie letztendlich gefährden oder gar auf ihre Zerstörung hinauslaufen. ({12}) Alle in Washington haben - das hören Sie hinter verschlossenen Türen und hinter vorgehaltener Hand - diese Erfahrung mittlerweile auch als die ihre begriffen und entsprechend umgesetzt. Dort hat niemand mehr von der „neuen NATO“, wie wir das ja noch vor einem halben Jahr, auch hier im Hause, gehört haben, von der Vision einer neuen NATO, sozusagen von einer raumausgreifenden Juniorpartnerin für die Supermacht USA gesprochen, sondern es ist völlig klar: Es handelt sich hier um ein Sicherheitsbündnis, um ein Bündnis für Europa und in Europa. Ich denke, wir sind gut beraten, dies auch im Zusammenhang mit anderen Organisationen zu sehen. Die OSZE in ihrer Funktion gewinnt nichts als Alternative, sondern als Ergänzung, auch und gerade als eine zweite Sicherheitssäule für die europäische Sicherheit. Dasselbe gilt für die Vereinten Nationen. Ich denke, gerade durch den Kosovo-Krieg sind zwei Dinge klar geworden: Wir können für die Sicherheit in Europa nicht auf die Partnerschaft mit Rußland verzichten, wobei Rußland sich durch seine Blockadehaltung im UN-Sicherheitsrat ein Stück weit selbst aus einer produktiven Rolle herausgebracht hat, und wir können auf eine substantielle Reform der Vereinten Nationen nicht verzichten. ({13}) Wenn das richtig ist und nicht nur leere Sprüche sind, was ich hier von allen Fraktionen über die Rolle der Vereinten Nationen höre, dann müssen wir allen Ernstes eine Reform voranbringen, die eine Selbstblockade des Sicherheitsrates als Inhaber des Gewaltmonopols in der Tat verhindert. ({14}) Der Kollege Gysi hat heute morgen hier erklärt, in Wirklichkeit würden die Amerikaner den Kosovo-Krieg führen, um Europa in neue Abhängigkeiten zu bringen; man könne das auch an der Entwicklung des DAX im Verhältnis zum Dow-Jones und ähnlichem ablesen. ({15}) Also, das ist nun wirklich Unfug. Das wird nur noch übertroffen von manchen Analysen in vollautonomen Blättern, die ich jüngst gelesen habe - das ist dann noch etwas kurioser. Ich kann euch sagen, liebe Leute: Das ist einfach abwegig. Das Problem des Unilateralismus ist doch nicht, daß hier eine böse Absicht einer USimperialistischen Weltbeherrschungsstrategie besteht. Er ist vielmehr das Ergebnis des Zusammenbruchs der Sowjetunion - woran dies wohl gelegen hat, das ist eine Frage, die ihr euch selbst mal stellen müßt -, und vor allen Dingen ist er ein Ergebnis der Schwäche zum Beispiel Europas, zum Beispiel der Vereinten Nationen, die letztendlich immer noch den Strukturen des Kalten Krieges und der unmittelbaren Nachkriegszeit verhaftet sind. ({16}) Wenn man eine Reform der Strukturen der Vereinten Nationen will, dann muß man sich in der Tat die Frage stellen, inwieweit man neue Konflikte, die nach dem Zusammenbruch von Staaten entstehen, regeln kann. Hier gibt es in der Tat einen Zusammenhang zwischen dem Kurdistan-Problem und dem Kosovo-Problem, zwischen Ostwestafrika/Zentralafrika und dem Kosovo-Problem. Es wäre interessant, diese Zusammenhänge jenseits der Ideologien und der Polemik vertiefend zu erörtern. Ich möchte nur hinzufügen: Wenn man eine solche Reform will, dann muß man in der Tat eine Möglichkeit schaffen, daß das Veto im UN-Sicherheitsrat durch eine äußerst qualifizierte Mehrheit überwunden werden kann, oder man muß dieses Veto so an bestimmte Grundlagen der Vereinten Nationen, etwa an bestimmte Konventionen, binden, daß es nicht mehr im nationalen Interesse genutzt werden kann. Wenn man das nicht macht, wird es immer wieder dazu kommen, daß die Staaten das Veto-Recht in ihrem Sinne mißbrauchen. Wenn zum Beispiel die Volksrepublik China aus ihrer Sicht zu Recht beleidigt und empört darüber ist, daß Mazedonien Taiwan anerkannt hat, und deswegen die Vetokarte zieht, wenn es um die Verlängerung eines sinnvollen Blauhelm-Mandats in Mazedonien geht, dann macht dies das Problem klar, auf das ich hinweisen möchte. ({17}) Ich muß mich jetzt aus Zeitgründen auf diese Punkte beschränken. Ich hätte gern noch etwas zur Agenda 2000, zu Europa, zu den Menschenrechten und zur veränderten Rolle Deutschlands in Europa und in der Welt in diesem Zusammenhang gesagt. Aber meine Redezeit ist bereits abgelaufen. Lassen Sie mich zum Abschluß nur noch eines hinzufügen: Wenn wir das alles tatsächlich zu einem politischen Ganzen zusammenfügen, dann werden wir feststellen, daß das letztendlich auf die Vollendung des europäischen Einigungswerkes hinausläuft. Ich sage dies ganz bewußt, und zwar so, wie ich es auch gestern im Europaparlament gesagt habe. In seiner Abschiedsrede hat François Mitterrand gesagt: Nationalismus - das ist der Krieg. - Das Europa der Integration ist der Frieden. Das erleben wir seit Jahrzehnten. Dieses Europa der Integration zu vollenden war die Aufgabe des Berliner Gipfels. Vor uns liegt die Aufgabe, Frieden auf dem südlichen Balkan zu stiften. Zu unserer Aufgabe gehört auch die Integration von Ländern mit sehr schwachen Ökonomien wie Mazedonien, Albanien und anderen Staaten. Das wird für unser Land mit der größten Volkswirtschaft in der Europäischen Union nicht weniger, sondern mehr Lasten, aber auch mehr Chancen mit sich bringen. Insofern ist die Vollendung der europäischen Integration, also die Herausbildung des politischen Subjekts „Europäische Union“, die große Aufgabe, vor der wir ganz unmittelbar stehen und die wir bewältigen müssen. Ich bedanke mich. ({18})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Professor Dr. Karl-Heinz Hornhues.

Prof. Dr. Karl Heinz Hornhues (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000960, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Minister! Heute morgen haben Michael Glos und Wolfgang Schäuble schon deutlich gemacht - das ist auch in der vergangenen Sitzungswoche diskutiert worden -, daß wir bezüglich der Grundfragen des Kosovo-Konflikts hinter der Bundesregierung stehen und sie unterstützen. Wir sind Ihnen, Herr Minister, für Ihre hier gegebenen Antworten dankbar. Wir bitten allerdings dringend darum, die Opposition auch über die weiteren Schritte - wie angemahnt und erbeten - intensiv zu informieren; denn auch uns fällt es nicht immer ganz leicht, jeden Schritt der Bundesregierung in diesem Zusammenhang ohne weiteres zu verstehen. Es bedarf ab und zu einer Erläuterung. ({0}) Ich wünsche, daß sich die Hoffnungen, die hier angeklungen sind und die mit dem bevorstehenden G-8Treffen verbunden werden, auch in dem angekündigten Maße erfüllen werden. Wir hoffen, daß mit der NATOStrategie letztendlich das erreicht werden kann, was vorher nicht erreicht werden konnte, nämlich daß Rußland ins gemeinsame Boot zurückkehrt. Dies wäre wohl kaum denkbar gewesen, wenn die NATO nicht gehandelt hätte. Zu glauben, dies hätte man vorher erreichen können war blanke Illusion. Es ist lange versucht worden, mit Rußland im Rahmen der Beratungen in den Vereinten Nationen zu einem Handlungskonzept zu gelangen. Es gelingt erst jetzt. Dafür will ich denjenigen danken, die sich darum bemüht haben. Vor allen Dingen möchte ich demjenigen Dank sagen, der Rußland die entscheidende Weichenstellung zurück zu uns gegeben hat. Ich meine den russischen Präsidenten. Vor allen Dingen er war es, der in den letzten Tagen klar und deutlich entschieden hat, wohin der Weg Rußlands in letzter Konsequenz führen soll. Ich hatte die Gelegenheit, mit seinem Beauftragten in dieser Frage, Herrn Tschernomyrdin, unmittelbar nach seiner ersten Rückkehr aus Belgrad zu sprechen. In bin sicher, daß Rußland - auch um seiner eigenen Position in Europa willen - mit größter Ernsthaftigkeit alle Anstrengungen unternehmen wird, um zu einem Ergebnis zu kommen, das unseren Grundvorstellungen entspricht und mit dem wir einverstanden sein können. Mein besonderer Dank gilt der russischen Seite. ({1}) Ich habe mich gefreut, daß der Bundeskanzler heute morgen dem russischen Präsidenten gedankt hat. Dieser Dank war überfällig. Ich habe mir eben aus dem Computer die Überschriften der Presseberichte zu seinem Antrittsbesuch in Moskau herausgesucht. Die Überschrift in der „taz“ lautete: „Für Jelzin reichen heute 30 Minuten“. Gleichzeitig berichtete die „taz“, Schröder habe die halbe russische Opposition getroffen. Es gibt noch ein paar andere Überschriften dieser Art. Ich freue mich, daß sich der Bundeskanzler eines Besseren besonnen hat. Er hat begriffen, daß Jelzin, über den so viel geredet, gelächelt und geschimpft worden ist, in dieser entscheidenden Phase vielleicht derjenige ist, der endlich zu einer Lösung verhelfen kann: Frieden für die Menschen im Kosovo, Rückkehr der Flüchtlinge in ihre Heimat und eine langfristig sichere Zukunft. ({2}) Die Debatten in Rußland machen deutlich, daß dies alles nicht einfach ist. Wer sich die Resolutionen unserer verehrten Kolleginnen und Kollegen in der Duma, dem russischen Parlament, ansieht, der begreift, daß es für eine Regierung nicht besonders leicht ist, wenn sie das Parlament total gegen sich hat. Wir sollten begreifen, was wir vor uns haben, wenn wir davon reden, Rußland müsse ins europäische Boot, und wenn wir sagen, wir wollen mit Rußland gemeinsame Sache machen. Dieses russische Parlament ist zweifelsfrei frei gewählt und vertritt eine völlig andere Auffassung als wir. Dies gilt leider nicht nur für die Kommunisten und die Anhänger von Schirinowskij, sondern auf breiter Front. Dies muß uns für die Zukunft zu denken geben. Wir müssen überprüfen, in welchem Umfang es uns möglich sein kann, im Dialog mit unseren russischen Kollegen unsere Auffassungen einander so anzunähern, daß der Gedanke „Rußland in Europa“ nicht nur eine Hoffnung bleibt, sondern gelebte Wirklichkeit wird. ({3}) In Rußland stehen im Dezember Wahlen an. Dies sollten wir im Auge haben. Wir können und wollen in diesem Bereich unseren Beitrag leisten. Noch ist das Ziel nicht erreicht; Sie, Herr Minister, haben darauf hingewiesen. Wir müssen uns davor hüten, die Welt von morgen gestalten zu wollen, bevor wir den Punkt, von dem aus wir gestalten können, tatsächlich erreicht haben. Ich gebe Ihnen recht, daß es notwendig ist, über die Welt von morgen nachzudenken. Die Grundidee eines Stabilitätspakts für den Balkan ist richtig und findet unsere Unterstützung. Ein solcher Plan bedarf der Konkretisierung. Dies gilt vor allen Dingen dann, wenn das Problem Kosovo - so Gott will - bald gelöst sein sollte. Ich erinnere daran, daß in diesem Hause, als in Dayton verhandelt wurde, ähnliche Gedanken erörtert und ähnliche Pläne geschmiedet worden sind. Als Dayton die Probleme anscheinend löste, haben wir alle miteinander - ich sage das bewußt - unsere Begeisterung für eine derartige Initiative schnell vergessen; es gab schließlich andere Probleme, die vor uns lagen. Ich mahne an, bei der Grundidee auch dann zu bleiben, wenn die Probleme, die uns jetzt zu diesen Überlegungen führen, gelöst sind. Wir könnten schon einigen der Länder, die wir im Blick haben, Beweise dafür geben, daß unsere Reden sie nicht einfach nur für den Moment beruhigen sollen; vielmehr können wir einige kleine Schritte tun, die ihnen die Gewißheit geben, daß unserem Bemühen Ernsthaftigkeit zugrunde liegt. Frau Kollegin Grießhaber hat eben die bulgarische Außenministerin zitiert. Es war schon überzeugend, wie diese die Haltung ihres Landes dargelegt hat. Es wäre sicherlich auch für sie leichter, ihr Parlament in der Debatte über die Öffnung des eigenen Luftraums für NATO-Flugzeuge zu überzeugen, wenn sie ein Wort von uns darüber hören würde wie wir Bulgarien bei seinen Problemen intensiver als bisher zu helfen gedenken. ({4}) Rumänien steht vor ähnlichen Problemen. All diese Länder haben riesige Probleme und brauchen mehr als Versprechungen für die fernere Zukunft. Es gibt noch ein Land, das wir beinahe ganz vergessen haben: die Slowakei. Die Slowakei haben wir bei den Verhandlungen um die EU-Erweiterung nicht aus ökonomischen Gründen außen vor gelassen, sondern wegen demokratischer Defizite. Diese sind inzwischen behoben. ({5}) Herr Außenminister, ich wäre Ihnen außerordentlich dankbar, wenn im Rahmen unserer Ratspräsidentschaft noch eine Initiative ergriffen und der Slowakei deutlich gemacht werden könnte, daß sie uns jetzt willkommen ist und in den Kreis der Beitrittsländer aufgenommen werden könnte. ({6}) Meine sehr geehrten Damen und Herren, viele Zukunftsperspektiven sind schon andiskutiert worden, auf allen Seiten machen sich viele Gedanken. Im Raum steht immer auch die Frage, ob man nach dem, was geschehen ist, verlangen kann, daß die Menschen wieder zusammenleben. Wenn sie nicht wollen und man sie nicht dafür gewinnen kann, wird dieses vermutlich unmöglich sein. Ich habe am vergangenen Donnerstag in Berlin einer Tagung beigewohnt, bei der auf die gleiche Frage der Bischof von Berlin gesagt hat: Ich bin Vertriebener, ich stamme aus Westpreußen; ich hätte mir 1945/46 nie vorstellen können, daß wir Deutsche und Polen so zusammenleben, wie wir heute zusammenleben. Meine sehr geehrten Damen und Herren, das hat rund 50 Jahre gedauert, und ich glaube, wir brauchen auch hier einen langen Atem; denn die Perspektive auf eine Zukunft in Europa für diese Region zu eröffnen heißt auch, unser Leitbild von Europa als Maßstab zu nehmen. Es kann kein anderes geben, weil es sonst nicht mehr unser Europa ist. Ich will unser Europa behalten. Dementsprechend muß unsere Politik auf diesen Punkt ausgerichtet werden. Alle Überlegungen anderer Art, so berechtigt sie im Moment sein mögen, sollten wir beiseite lassen. Heute haben wir den 5. Mai. Ich bin Mitglied der deutschen Delegation des Europarates und insoweit ein wenig bekümmert, daß außer dem Präsidenten heute morgen niemand gemerkt hat, daß dieses für uns einmal unglaublich wichtige Gremium, durch das wir Mitglied in der europäischen Staatengemeinschaft wurden, heute 50 Jahre alt wird. Auch Sie, Herr Außenminister, haben keine Zeit gefunden, etwas dazu zu sagen. Wenn wir jetzt Strukturveränderungen angehen, müssen wir uns über eines klar sein: Versprechungen zu machen, die nur begrenzt zu halten sind, macht wenig Sinn. Wir müssen uns die Frage stellen, welche Rolle die Institutionen, die wir haben, also zum Beispiel der Europarat, in dem 40 europäische Nationen, also fast alle, Mitglied sind ({7}) - Entschuldigung, 41; Georgien ist dazugekommen -, spielen können. Der ehemalige ungarische Premier- und Außenminister, Horn, hat recht, wenn er morgen im „Stern“ - so habe ich es gerade in einer Agenturmeldung gelesen - sagt: Von Deutschland hängt es stark ab, wie sich Europa weiterentwickelt. - Deswegen meine dringende herzliche Bitte, diese Fragen aufzunehmen. Ich glaube, daß wir da eine ganz wichtige führende Rolle spielen können. Ein letztes Wort noch an Sie, Herr Minister. Ich möchte Ihnen noch zwei Dinge mitgeben, die mir wichtig sind. Eines ist das Schicksal von Rugova. Er war für viele von uns Gesprächspartner; wir haben ihn immer wieder gedrängt, Gewalt zu meiden und zur Lösung seiner Probleme nicht zur Gewalt zu greifen. Er bedarf unserer Unterstützung und Hilfe sowie der Freiheit des Reisens. ({8}) Ein Weiteres: Am gestrigen Tage zu dieser Stunde hat die jugoslawische Marine den Hafen von Montenegro blockiert und alles dichtgemacht. Auch dort kämpft jemand, der sich unseren Ideen verpflichtet fühlt und im vergangenen Jahr noch mit uns diskutiert hat, der montenegrinische Präsident Djukanovic. Wir sollten auch Montenegro trotz all dem anderen, was uns sonst noch beschäftigt, nicht völlig vergessen. Es könnte sonst sein, daß uns neues Unheil droht. ({9}) Zum Schluß ein Wort des Dankes an die Haushälter dafür, daß sie immer wieder unsere Ideen aufgreifen. Ich darf auch für den Fachausschuß und seinen Vorsitzenden sagen, daß wir dafür immer sehr dankbar sind. Der zweite Dank gilt all denjenigen, die sich mit Blick auf das Kosovo engagieren - den Spendern, den Hilfsorganisationen, den Menschen, die im einzelnen tätig sind. Aber ich möchte in dieser Stunde vor allen Dingen auch den Soldaten danken, unseren eigenen, aber auch den Alliierten. Fast die ganze britische Garnison aus meinem Wahlkreis - ich habe keine deutschen Truppen in meinem Wahlkreis - ist im Einsatz. In meinem Wahlkreis leben Hunderte und Aberhunderte von britischen Frauen und Kindern, die an ihre Männer und Väter denken. Sie sollten genauso in unsere Gedanken einbezogen sein wie unsere eigenen Soldaten, vor allen Dingen deren Familienangehörige, die es unter der Last, unter der sie Tag für Tag leiden müssen, manchmal schwer genug haben, wenn sie sich die Frage stellen, wie es morgen aussieht, was sie noch zu erwarten haben. Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({10})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt Kollegin Uta Zapf.

Uta Zapf (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002582, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Erlauben Sie, daß ich meine Ausführungen hauptsächlich unter die Überschrift Stabilität und Sicherheit stelle. Ich glaube, das ist angesichts der Diskussion, die wir in den letzten Wochen zu führen hatten, ein angemessener Blickwinkel, um hier Stellung zu nehmen. Ein chinesischer Fluch lautet: „Mögest du in interessanten Zeiten leben!“ In der Tat leben wir in interessanten und, wie ich hinzufügen möchte, auch in schweren Zeiten, aber ob uns dies zum Fluch oder zum Segen gereicht, wird davon abhängen, wie wir die Herausforderungen der vor uns stehenden Probleme meistern. Diese Bundesregierung wurde gleich am Anfang ihrer Amtszeit mit drei großen Herausforderungen konfrontiert, deren Lösung eine Weichenstellung für die zukünftige Sicherheitsarchitektur Europas bedeutet. Dies waren: erstens die Erweiterung der Europäischen Union, zweitens die NATO-Osterweiterung zusammen mit der Neurorientierung der NATO-Strategie und drittens natürlich der Konflikt im Kosovo. Die neue Bundesregierung hat Kontinuität in der Außenpolitik versprochen, und Kontinuität bedeutet das Vorantreiben des Erweiterungsprozesses der Europäischen Union in dem Bewußtsein, daß dies ein Kernelement europäischer Sicherheit ist, denn Europa ist nicht nur eine Veranstaltung zur Stärkung der Wirtschaftskraft, sondern es ist zunehmend auch ein Begriff für gemeinsame Sorge um Ökologie, um soziale Systeme und natürlich um Stabilität und Sicherheit. Kontinuität bedeutet auch Einbindung in die transatlantische Partnerschaft, weil wir wissen, daß das Bündnis ein wichtiger Garant für den Frieden ist. Kontinuität bedeutet aber gleichzeitig Fortentwicklung, indem man den neuen Herausforderungen durch neue Konflikte nach dem Ende der Ost-West-Konfrontation Rechnung trägt und den Wandel in den internationalen Beziehungen aktiv mitgestaltet. Diese Bundesregierung wird hierbei - wie bisher schon - auch in Zukunft ihren politischen Handlungsspielraum nutzen. Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, die erste Herausforderung der neuen Bundesregierung liegt in der Ratspräsidentschaft der Europäischen Union. Die Vertiefung und Erweiterung der EU - es wurde hier schon angeführt - erfordert politische und institutionelle Reformen. Daß dies in der Tat bei so vielen Teilnehmerstaaten nicht so einfach ist, zeigen die Verhandlungen zur Agenda 2000. Ich denke, die Bundesregierung hat die Ratspräsidentschaft genutzt, um einen tragfähigen Kompromiß zu erreichen. ({0}) - Da kann man ruhig einmal klatschen; das finde ich auch. ({1}) Die Reformen müssen aber weitergetrieben werden, damit die Erweiterung der EU auch tatsächlich gelingt. Es ist auch ein Erfolg der deutschen Ratspräsidentschaft, daß die Krise um die EU-Kommission erfolgreich beigelegt und die Vertrauensverluste in Europa minimiert werden konnten. Die ökonomischen und politischen Verflechtungen und Interdependenzen sowie die gemeinsamen Kriterien im Bereich Menschenrechte, Rechtsstaatlichkeit und demokratische Strukturen sind Voraussetzungen einer tragfähigen Sicherheit im europäischen Raum. Die Erweiterung der EU um die bisherigen Beitrittskandidaten wird die europäische Sicherheit deshalb stärken. Die Kosovo-Krise hat das Bewußtsein dafür geschärft, daß die Einbindung der südosteuropäischen Staaten in die euro-atlantischen Strukturen in unserem außen-, stabilitäts- und sicherheitspolitischen Interesse liegt und einen wichtigen Ansatz zur Prävention und nachhaltigen Konfliktregelung in diesem Raum darstellt. ({2}) Wir begrüßen und unterstützen deshalb ausdrücklich den von der Bundesregierung vorgelegten Plan zu einem Stabilitätspakt auf dem Balkan, der den südosteuropäischen Ländern langfristig eine EU-Beitrittsperspektive gibt. ({3}) Dieser Ansatz ist notwendig, um den betreffenden Ländern einen Anreiz zu geben, die Demokratisierung voranzutreiben und einer Politik entgegenzutreten, deren traurige Folgen wir im Kosovo-Konflikt sehen. Es gibt in Europa ein bislang ungelöstes, schwieriges Problem, über das wir im Moment nicht reden, das aber auch außen- und sicherheitspolitische Aspekte und ebenso hohe Relevanz hat, nämlich die Frage des EUBeitritts der Türkei. Das unglückliche Ergebnis des Luxemburger Gipfels hat das Verhältnis zur Türkei beschädigt, mehr noch in der Folge die Vorgänge um die Verhaftung Öcalans. Wir können kein Interesse daran haben, daß sich die Türkei von Europa abwendet. Der NATO-Partner Türkei muß eine Beitrittsperspektive haben. Die Türkei muß aber ebenso wie andere Beitrittskandidaten die Kopenhagener Kriterien erfüllen. Hier liegt ein Schlüssel zur Lösung des Kurden-Problems. ({4}) Wir begrüßen, daß die Bundesregierung neue Akzente im Verhältnis zur Türkei gesetzt hat bzw. setzen will. Ich zitiere Gerhard Schröder, der am Anfang seiner Regierungszeit gesagt hat, daß er sich „mit großem Nachdruck für die weitere Heranführung der Türkei an die Europäische Union“ einsetzen werde. Ich halte dies für einen wichtigen Aspekt, so schwierig auch die Diskussion bei uns ist. Unter sicherheitspolitischen, aber auch unter innenpolitischen Gesichtspunkten müssen wir diese Diskussion führen, und zwar möglichst bald. ({5}) Kolleginnen und Kollegen, EU und NATO waren für Westeuropa immer der Garant für Stabilität und Frieden. Die Erweiterung von EU und NATO um mittelosteuropäische und südosteuropäische Länder bleibt dem Ziel verpflichtet, Stabilität in Europa zu festigen. Ohne die feste Einbindung Rußlands in eine Partnerschaft wird dieses Ziel nicht erreicht werden können. Wir können dankbar sein, daß es die NATO-RußlandGrundakte gibt, auch wenn das Verhältnis zur Zeit etwas getrübt erscheint. Diese Grundakte ist eine Grundlage, auf der eine Sicherheitspartnerschaft mit Rußland weitergetrieben werden muß. Ich bin der Kollegin Grießhaber und dem Kollegen Hornhues dankbar, daß sie das Verhältnis zu Rußland ausdrücklich und im selben Sinne, wie ich es verstehe, angesprochen haben. In bezug auf diese partnerschaftliche Bindung, die wir brauchen, war auch die Diskussion um die neue NATO-Strategie so wichtig. Ich danke der Bundesregierung - Herr Fischer, Sie haben den Punkt vorhin erwähnt -, daß sie in der Tat einen erheblichen Beitrag zur Gestaltung dieser neuen NATO-Strategie in eine Richtung geleistet hat, die wir nur erfreulich finden können. ({6}) Die Bekenntnisse zur Verantwortung für Stabilität und Sicherheit im euro-atlantischen Raum, zur Partnerschaft mit Nichtmitgliedstaaten, zum Dialog und zur friedlichen Streitbeilegung sowie zur Abrüstung und Rüstungskontrolle sind wichtige, zukunftsweisende Kernelemente dieser neuen NATO-Strategie. Wir sollten sie als Grundlage für Stabilität in unserem Raum nutzen. In diesen Prinzipien liegt eine Chance für eine neue stabile Sicherheitsarchitektur. Diese Ansätze müssen mit Nachdruck weiterentwickelt werden. Ich darf, wenn auch nur am Rande, noch erwähnen, daß auch die Diskussion um den Einsatz atomarer Waffen in der NATO wohl keine Verstörung bewirkt hat, sondern eher einen heilsamen Nachdenkens- und Diskussionsprozeß auslösen wird; denn nun wird auch innerhalb der NATO über dieses Thema diskutiert werden. ({7}) Zukünftige Aufgabe europäischer Sicherheitspolitik ist es, das Zusammenspiel aller Organisationen, wie UN, OSZE, EU und NATO, zu verbessern und damit ein sicherheitspolitisches Netzwerk zu schaffen. „Interlocking“ und nicht „interblocking institutions“ sind Ziel dieser Politik. Nur dann wird Krisenprävention auf allen Ebenen möglich werden: ökonomisch, ökologisch, sozial, diplomatisch und durch militärische Strukturen abgesichert. Ich denke, dies ist ein wichtiger Aspekt. Wie fragil die Stabilität im gewünschten gemeinsamen Haus Europa ist, haben der Bosnien- und der Kosovo-Konflikt gezeigt. Wir müssen aus diesen Erfahrungen die Lehren ziehen. Prävention darf angesichts von Massenvertreibung und Völkermord vor unserer Haustür nicht länger ein Lippenbekenntnis sein. Die neue Bundesregierung hat Krisenprävention in ihren Koalitionsvereinbarungen ausdrücklich als vordringliche Aufgabe festgehalten. Wer Prävention will, muß die Vereinten Nationen und die OSZE stärken und reformieren. Herr Minister Fischer, ich bin Ihnen dankbar für Ihre deutlichen Worte zur Reform der UNO. Ich glaube, ich hätte das hier nicht so deutlich auszudrücken gewagt, weil dies doch immerhin ein schwieriger und langwieriger Prozeß ist. ({8}) Konkret bedeutet dies vorrangig die Stärkung der OSZE, die ihre politische Stärke auch in Krisenzeiten gerade durch die erfolgreichen Verhandlungen zur Anpassung des KSE-Vertrages bewiesen hat. Hier hat die Bundesregierung einen wesentlichen Beitrag geleistet. Der KSE-Vertrag bleibt nach dieser Anpassung ein wichtiger Eckpfeiler europäischer Stabilität und Sicherheit. Ich erinnere daran, mit welcher Besorgnis wir zu einem gewissen Zeitpunkt die Diskussion um die NATO-Strategie mit der Diskussion um die KSEAnpassungsverhandlungen verbunden haben. Ich denke, in beiden Fällen ist es gelungen, zu einem sehr guten Ergebnis zu kommen, mit dem wir leben können. Zur Stärkung der OSZE gehören die personellen und finanziellen Mittel, damit sie die ihr zugewiesenen Aufgaben erfüllen kann. Neben der Vertrauensbildung und der Abrüstung ist der Bereich der zivilen Konfliktregelung immer wichtiger geworden. Dort sind der OSZE enorme zusätzliche Aufgaben erwachsen. Die durchgeführten und laufenden OSZE-Missionen zeigen, wie wirksam diese Art der Intervention sein kann. Leider wird über diese Erfolge nicht viel gesprochen; berichtet wird nur, wenn Blut fließt. Wir unterstützen deshalb nachdrücklich die Pläne zur politischen und operativen Stärkung der OSZE, die der Chairman in Office, Knut Vollebaek, am 28. April in Wien vorgetragen hat. Die OSZE wird und muß nach der Beendigung des Kosovo-Krieges eine führende Rolle bei der Integration südosteuropäischer Krisenregionen in die europäischen und die euroatlantischen Strukturen spielen. ({9}) Dies setzt aber eine wesentliche Verbesserung ihrer operationellen Fähigkeiten voraus. Die Aufgaben werden weit über die Anforderungen hinausgehen, die zum Beispiel die Aufstellung der Kosovo-Verifikationsmission an die OSZE stellte, und dies war schon schwierig genug. Deshalb sind die Ausbildung und der Aufbau eines Pools von geeigneten Frauen und Männern zum Einsatz in solchen Missionen, wie die Bundesregierung es jetzt auf den Weg gebracht hat, ein wichtiger Ansatz. Die OSZE braucht solche Fachleute, die in Konfliktsituationen schnell einsetzbar sind, sozusagen diplomatische „stand-by forces“. Wie wichtig dies ist, zeigen, wie gesagt, die Schwierigkeiten bei der KVM. Ich freue mich auch darüber, daß jetzt der zivile Friedensdienst auf den Weg gebracht wurde. Diese „peace corps“ können in Konfliktgebieten in der zivilen Gesellschaft wichtige Arbeit leisten. Dafür brauchen sie die Ausbildung und die soziale Absicherung, die jetzt gewährleistet werden. ({10}) Eine weitere Lehre aus dem Kosovo-Konflikt ist, daß wir dazu beitragen müssen, die Selbstblockade des UNSicherheitsrates und damit seine Entscheidungsunfähigkeit in Konflikten aufzulösen. Dies wird - ich habe schon erwähnt, daß ich sehr froh bin, daß Minister Fischer dies deutlich hervorgehoben hat - nur langfristig durch eine Reform der UN gesichert werden können. Um so erfreulicher ist es, daß sich der Generalsekretär der UN in die Bemühungen um eine Friedenslösung im Kosovo eingeschaltet hat. Dank der Anstöße des Fischer-Planes ist Bewegung in die internationale Diskussion gekommen. Wir hoffen auf ein UN-Mandat. Es hat sich auch gezeigt - das wurde von den Kolleginnen und Kollegen schon erwähnt -, wie wichtig es ist, daß Rußland in die Suche nach einer politischen Regelung eingebunden wird. Wir begrüßen, daß Rußland bereit ist, durch seine Vermittlungstätigkeit einen Beitrag zur Friedenslösung zu leisten. Wir alle wünschen uns, daß dies möglichst schnell geschieht. Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie mich einen letzten Punkt ansprechen. Es liegt in unserem ureigenen Interesse, daß eine weitere Destabilisierung Südosteuropas verhindert wird. Milosevic betreibt Kriegsführung durch Vertreibung von Menschen aus dem Kosovo: Krieg gegen die albanischen Kosovaren und Krieg durch Destabilisierung der Nachbarländer. Er versucht, diese Region in ein Chaos zu stürzen. Deshalb ist Hilfe für Mazedonien und Albanien vorrangig, und zwar Hilfe zur Bewältigung der Probleme, die aus der Vertreibung von fast 1 Million Menschen entstehen. Diese Hilfe ist schnell nötig. Ich denke, am Freitag dieser Woche werden wir entsprechend entscheiden. Ich habe deshalb kein bißchen Verständnis für die kleinliche Diskussion über die Aufnahme von Vertriebenen in den europäischen Ländern. Ich möchte Herrn Minister Schily für seine diesbezügliche Initiative ausdrücklich danken. Ich fordere aber vor allen Dingen die anderen europäischen Länder auf, ihre Kleinlichkeit endlich aufzugeben. Wie oft haben wir in Europa Solidarität und Stabilität beschworen! Hier ist ein ganz konkreter und schnell umzusetzender Punkt, an dem wir dies einlösen können. Es wäre ein gutes Zeichen, wenn dies geschähe. Ich danke Ihnen. ({11})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Für die CDU/CSU spricht jetzt der Kollege Dr. Andreas Schokkenhoff.

Dr. Andreas Schockenhoff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002053, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Als der ehemalige Bundeskanzler Helmut Kohl vor zwei Jahren gesagt hat, die politische Einigung Europas sei eine Frage von Krieg und Frieden, hat er bei der damaligen Opposition Hohngelächter geerntet. ({0}) Sie, Herr Außenminister, haben von diesem Pult aus den damaligen Bundeskanzler verspottet, ihm Sentimentalität und falsches Pathos vorgeworfen. Heute würden Sie wohl nicht mehr feixen. ({1}) Die politische Einigung Europas ist eine Frage von Krieg und Frieden - damit hat Helmut Kohl unbeirrt von allen Anfeindungen ausgedrückt, was für uns, die CDU/CSU, seit fünf Jahrzehnten die außenpolitische Grundüberzeugung ist und auch künftig bleiben wird: Wir Deutsche haben ein existentielles Interesse an der Einigung Europas sowie ein existentielles Interesse an der Nordatlantischen Allianz. Mit der Wirtschafts- und Währungsunion haben wir einen entscheidenden Schritt zur Politischen Union Europas erreicht. Der wirtschaftliche Teil muß dringend durch den außen- und sicherheitspolitischen Teil der europäischen Einigung ergänzt werden. Der Kosovo-Konflikt zeigt einmal mehr, daß allein die Vereinigten Staaten von Amerika in der Lage sind, NATO-Operationen zu führen. Es ist aber keineswegs selbstverständlich, daß die Amerikaner immer die Hauptverantwortung für die Sicherheit in und für Europa übernehmen. Die Europäische Union muß auch in der Außen- und Sicherheitspolitik ein ebenbürtiger Partner der USA werden und endlich den europäischen Pfeiler der NATO schaffen. ({2}) Die politische und strategische Rolle der Vereinigten Staaten in Europa hat am Ende dieses Jahrhunderts nicht an Bedeutung verloren. Im Gegenteil: Wir Europäer und damit auch wir Deutsche sind es, die einen stärkeren Beitrag zu unserer eigenen Sicherheit leisten müssen, und zwar nicht nur militärisch, sondern auch politisch und diplomatisch. Nur ein starkes und handlungsfähiges Europa, das eigenständig entscheiden und operieren kann, ist ein relevanter Partner Amerikas. Herr Hoyer, Sie haben darauf hingewiesen, daß durch den Vertrag von Amsterdam neue Instrumentarien geschaffen werden. Auf dem Kölner Gipfel in wenigen Wochen wird erstmals ein Hoher Repräsentant der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik benannt. Es kommt jetzt darauf an, daß die Wahl auf eine Persönlichkeit fällt, die politischen Rang besitzt und Regierungserfahrung hat, so daß sie der Gemeinsamen Außenund Sicherheitspolitik Autorität nach außen und innen verleihen kann. Dieser Repräsentant muß die EU in Krisensituationen vertreten, und er muß dem Rat eigene Vorschläge unterbreiten können. Der Vorschlag, diese Funktion mit der des WEU-Generalsekretärs zu verbinden, findet unsere ausdrückliche Zustimmung. Die Katastrophe auf dem Balkan macht allerdings auch deutlich, daß der Vertrag von Amsterdam bei weitem nicht ausreicht, um aus der Europäischen Union eine diplomatische und militärische Macht zu machen. Eine effiziente Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik setzt weitere Integrationsschritte voraus. Wir brauchen im zweiten Pfeiler der Europäischen Union eine spezifische Klausel über die verstärkte Zusammenarbeit, die es einer Gruppe von Mitgliedstaaten ermöglicht, gemeinsame diplomatische und militärische Maßnahmen durchzuführen, die nicht von allen Mitgliedstaaten getragen werden. So haben wir es ja auch bei der Wirtschafts- und Währungsunion gemacht: Es haben eben nicht alle Mitgliedstaaten ihre eigene Währung zugunsten des Euro aufgegeben. Ebenso darf auch beim Aufbau eines diplomatischen und sicherheitspolitischen Instrumentariums der Europäischen Union nicht das zögerlichste Mitgliedsland das Tempo bestimmen. Wir müssen auch in der Außen- und Sicherheitspolitik endlich dazu kommen, daß es mehr Mehrheitsentscheidungen gibt. Um nur ein Beispiel zu nennen: Die Art und Weise, wie die EU bei der Umsetzung der Zollunion mit der Türkei vertragsbrüchig wird, weil ein Mitgliedsland die anderen daran hindert, ({3}) verbindlich zugesagte Verpflichtungen zu erfüllen, ist eines internationalen Akteurs unwürdig. ({4}) Die deutsche Präsidentschaft hat die Reform der Institutionen und Entscheidungsverfahren verschoben. Sie muß aber unverzüglich in Angriff genommen werden, um die politische Handlungsfähigkeit Europas zu ermöglichen. Die Europäische Union braucht einen gemeinsamen und zentralen diplomatischen Apparat zur Krisenbewältigung und zur Erarbeitung gemeinsamer europäischer Positionen. Nach den schlimmen Erfahrungen in Bosnien-Herzegowina haben wir alle eine präventive Diplomatie gefordert. Aber in Dayton haben wir, wie unsere amerikanischen Partner, das Thema Kosovo ausgeklammert. Wir waren auf den Krieg im Kosovo genauso unvorbereitet wie auf die anderen Kriege auf dem Balkan. Aber was uns noch viel mehr zu denken geben muß, ist: Wir haben nicht nur keine präventive Diplomatie, nein, wir haben auch keine Diplomatie für die Phase nach Beendigung der militärischen Aktionen. Karl Lamers hat in der letzten Sitzungswoche die Fragen gestellt, auf die wir eine Antwort brauchen, wenn wir das gemeinsame Handeln der Europäer vom Ende her bedenken wollen: Ist Rambouillet überhaupt noch umzusetzen? Können die Kosovo-Albaner überhaupt wieder in der Bundesrepublik Jugoslawien unter serbischer Führung leben? Karl-Heinz Hornhues hat diese Frage vorhin wiederholt. Wir müssen auch Tabus brechen: Entspricht die Vorstellung von einem multiethnischen, freien und demokratischen Jugoslawien vielleicht unseren politischen Idealen, nicht aber den politischen Realitäten auf dem Balkan? Das sind Fragen, die die Bundesregierung nicht öffentlich erörtert. Natürlich gibt es keine Alternative zu den Luftschlägen gegen den Apparat von Milosevic. Aber um die Akzeptanz dafür weiterhin zu erhalten, müssen wir, muß die Bundesregierung die Sprachlosigkeit in bezug auf die politischen Ziele überwinden, denen diese militärischen Aktionen dienen. Auf solche Fragen werden die Europäer auch in Zukunft keine Antwort finden, wenn die Europäische Union nicht über einen eigenen diplomatischen Apparat zur Analyse und Planung verfügt, der dem Rat eigenständig Handlungsvorschläge unterbreitet. Der Hohe Vertreter der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik muß die volle und direkte Verantwortung für diesen Apparat bekommen. Wir brauchen eine europäische Rüstungs- und Abrüstungspolitik, die die zwischenstaatliche Kooperation überwindet und langfristig eine integrierte Verteidigungsindustrie ermöglicht. Als ein Schritt in diese Richtung muß die im Vertrag von Maastricht vorgesehene europäische Rüstungsagentur endlich die Verantwortung für konkrete Beschaffungsprogramme übertragen bekommen und für die Programme mit einem Etat ausgestattet werden. Meine Damen und Herren, die CDU/CSU steht ohne Wenn und Aber zur Wertegemeinschaft der NATO. Im Interesse dieser gemeinsamen Werte und im Interesse unserer eigenen Sicherheit brauchen wir eine europäische Diplomatie und Verteidigung innerhalb des transatlantischen Bündnisses. Kürzungen im Verteidigungshaushalt - dazu kommen wir gleich - zeugen angesichts der außen- und sicherheitspolitischen Lage und der humanitären Katastrophe auf dem Balkan von einer falschen Prioritätensetzung. Wir fordern die Bundesregierung und die Koalitionsfraktionen auf, die Fähigkeit der EU zu eigenständigem Handeln auf dem Gebiet der Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik zu stärken. An unserer Bereitschaft dazu bestand nie ein Zweifel. Jetzt müssen Sie Ihren politischen Willen klarstellen. Wenn die Koalitionsfraktionen intern zwischen Pazifismus und internationaler Verantwortung lavieren, schaden sie den Interessen der Bundesrepublik Deutschland. Vielen Dank. ({5})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den Einzelplan 05 - Auswärtiges Amt - in der Ausschußfassung. Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? Dann ist der Einzelplan 05 mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der CDU/CSU, der F.D.P. und der PDS angenommen. Ich rufe auf: 14. Einzelplan 14 Bundesministerium der Verteidigung - Drucksachen 14/613, 14/622 Berichterstattung: Abgeordnete Dietrich Austermann Bartholomäus Kalb Oswald Metzger Dr. Uwe-Jens Rössel Es liegt je ein Änderungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU, der F.D.P. und der PDS vor. Die Fraktion der F.D.P. hat zum Einzelplan 14 außerdem einen Entschließungsantrag eingebracht, über den am Donnerstag nach der Schlußabstimmung abgestimmt werden wird. Ich weise darauf hin, daß wir im Anschluß an die Aussprache über diesen Einzelplan namentlich abstimmen werden. Das wird kurz nach 19.00 Uhr sein. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache anderthalb Stunden vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist es so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat als erster Redner der Kollege Dietrich Austermann von der CDU/CSU.

Dietrich Austermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000066, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bei den Haushaltsberatungen geht es vorrangig um Ausgaben und Einnahmen, um Titel, Kapitel und Steigerungsraten. Dies überdeckt gelegentlich, daß hinter allem eine große Zahl von Menschen, von Mitarbeitern im öffentlichen Dienst steht, deren Arbeit ermöglicht oder gestaltet wird. Immerhin ist der Verteidigungsminister Chef von 60 Prozent aller Mitarbeiter des öffentlichen Dienstes des Bundes. Wenn es nach den Finanzen, nach den Gehältern geht, umfaßt sein Bereich leider nur 40 Prozent, dennoch eine große Zahl. Gerade in der gegenwärtigen Situation von Kampfeinsätzen gegen die Politik eines aggressiven Diktators muß deshalb mit einem Dank an die Soldaten und Soldatinnen, zivilen Mitarbeiter und Wehrpflichtigen begonnen werden, die im Auftrag des deutschen Parlaments im Inland und jetzt zur Wiederherstellung von Freiheit und Menschenwürde auch im Ausland, zum Schutz von Schutzlosen und in Erfüllung von Verpflichtungen innerhalb der westlichen Verteidigungsgemeinschaft ihren Dienst leisten. ({0}) Ich finde die Art und Weise, wie die Debatte läuft, gut. Ich begrüße es, daß wir den Soldaten unseren gemeinsam Dank zum Ausdruck bringen. Es ist natürlich trotzdem die Frage zu stellen, ob und wie das, was sich in letzter Zeit geändert hat, von unterschiedlichen Seiten bewertet wird. Dies dürfte mein einziger kritischer Ansatz sein: Ich erwarte angesichts der Position von Union und F.D.P. in den Fragen dieses Einsatzes, in den Fragen der Arbeit unserer Soldaten, daß manche Arroganz und manche Überheblichkeit offizieller Sprecher - auch der Regierung - uns gegenüber zurückgedreht wird, um uns die Geschichte nicht so schwer zu machen. Dies sollte insbesondere dann gelten, wenn man sich vor Augen führt, wie groß die Zahl derjenigen ist, die hinter dem stehen, was die Regierung macht. Wir stellen bei der Beratung des Verteidigungsetats natürlich die Frage, ob die Soldaten für einen derartigen Dienst gut genug ausgerüstet, ausgebildet und mit einem klaren Auftrag eingesetzt werden. Bisher kann diese Frage mit einem eindeutigen Ja beantwortet werden. Vor wenigen Tagen hat der Bundesverteidigungsminister eine Bestandsaufnahme über die Bundeswehr an der Schwelle zum 21. Jahrhundert vorgelegt. Darin heißt es: Deutsche Sicherheitspolitik ist an klaren Werten ausgerichtet. Die Basis liegt im Grundgesetz und in der westlichen Wertegemeinschaft. Die Glaubwürdigkeit dieser Politik wird durch Streitkräfte unterstützt, die unseren Verpflichtungen gegenüber dem Bündnis und für die Sicherheit und Stabilität in und für Europa gerecht werden. Diese richtige Beschreibung stellt einen Extrakt aus 4 000 Seiten dar, die im Verteidigungsministerium als Basis dieser sogenannten Wehrstrukturkommission erarbeitet worden sind. Der Bundesverteidigungsminister hat in dieser umfangreichen Bestandsaufnahme darauf hingewiesen, daß die konzeptionellen und planerischen Vorgaben für die Bundeswehr in der ersten Hälfte dieses Jahrzehnts gelegt worden seien und daß Organisation und Struktur im wesentlichen immer noch auf die Landes- und Bündnisverteidigung ausgerichtet seien. Er vertritt die Auffassung, daß die grundlegende Veränderung der sicherheitspolitischen Lage in Europa eine Anpassung der Fähigkeiten unserer Streitkräfte an das erweiterte Aufgabenspektrum der Allianz und die zunehmende Teilnahme an Friedenseinsätzen erfordert. In seinem Bericht verweist er dazu auf den seiner Ansicht nach begrenzten Umfang und die Zusammensetzung der Krisenreaktionskräfte - was ja wohl nur heißen kann, daß er die Erwartung ausspricht, deren Zahl solle erhöht werden -, das zunehmende personelle Fehlen im Führercorps, vor allem bei den Unteroffizieren, sowie die unzureichende Materiallage und die fehlenden finanziellen Voraussetzungen im Verteidigungshaushalt. Wenn das so ist, dann wundert man sich über die Absicht des Finanzministers - dazu ist in letzter Zeit einiges zu unserer Kenntnis gelangt -, daß er den Umfang des Einzelplans 14 im Jahre 2000 von jetzt 47 Milliarden DM auf 45 Milliarden DM reduzieren will. Das wäre eine unerträglich niedrige Größenordnung, wenn die Aufgaben, die hier beschrieben worden sind, tatsächlich erfüllt werden sollen. Nimmt man dies als maßgebliche Kriterien für die Notwendigkeit, eine grundsätzliche Überprüfung der Bundeswehr vorzunehmen, muß man sich allerdings über die jetzt eingesetzte Wehrstrukturkommission wundern, insbesondere über die personelle Zusammensetzung. Nicht daß einem einzigen der ausgewählten Mitglieder der Kommission der Respekt versagt werden soll! Aber hier scheint es mehr um die Frage eines gesellschaftlichen Konsenses zu gehen - vielleicht einen neuen runden Tisch in Verteidigungsfragen - und weniger um knallharte Fakten. Ich frage mich schon, was Waltraud Schoppe, Richard Schröder oder Ignatz Bubis, aber auch der ehemalige Bundespräsident und verschiedene Politikwissenschaftler dazu beitragen können, die Frage zu beantworten, was es in Zukunft mit der strategischen Aufklärungsfähigkeit, mit der Fähigkeit zum weitreichenden Lufttransport und mit Rüstungskapazitäten auf sich haben soll. Diese Fragen haben Sie, Herr Scharping, nämlich in der Bestandsaufnahme Ihres Ministeriums erwähnt. Da wundert es nicht, daß der Bundeswehr-Verband ein eigenes Expertengremium gründet, das diese Kommission vor sich hertreiben will. Wie gesagt: Nichts gegen die Persönlichkeiten, die benannt und berufen worden sind. Wenn man sich aber die Frage stellt, ob sie der Aufgabe, die sie haben - aus der Bestandsaufnahme die richtigen Schlußfolgerungen zu ziehen -, gerecht werden, sind die Zweifel der Union, so glaube ich, angebracht. Meine Damen und Herren, in der Bestandsaufnahme hat der Bundesverteidigungsminister den Ausblick wie folgt beschrieben - dieser Ausblick ist gewissermaßen der Handlungsauftrag -: In Zukunft werden Krisenvorbeugung und Konfliktbewältigung sowie Partnerschaft und Kooperation an Bedeutung gewinnen. Die Bundeswehr muß Fähigkeiten entwickeln, um diese Aufgaben wirksamer wahrnehmen zu können. Die im Auftrag der Bundeswehr enthaltenen Aufgaben werden dazu im wesentlichen auch weiter Gültigkeit behalten. Dazu gehören Landes- und Bündnisverteidigung wie eine Überprüfung und Neubewertung der gesamten Rüstungsplanung. Soll es tatsächlich so sein, daß die Kommission Empfehlungen an das einzig zur Entscheidung berufene Gremium, den Bundestag, abgibt, welche Waffen beschafft werden, wieviel Soldaten zu den Krisenreaktionskräften gehören und mit welchen Ländern Rüstungskooperation betrieben wird? ({1}) Ich teile die Position des Kollegen Kröning, der mit Recht gesagt hat: Über die Größe der Bundeswehr, die Zahl der Soldaten und die Bewaffnung wird vom Bundestag entschieden und nicht von den ehrenwerten Mitgliedern dieser Kommission. Offensichtlich handelt es sich hier nur um weiße Salbe für die Grünen und eine größer werdende Zahl von Kollegen der SPD, die sich im Prinzip eine ganz andere Armee wünschen: kleiner und vielleicht auch ohne Wehrpflicht. Aber das ist nicht die Position der Union. Ich komme zu den Haushaltsberatungen und den Zahlen. Die Beratungen waren von einem angesichts der Situation unverständlichen Hickhack innerhalb der rotgrünen Koalition und zwischen den rotgrünen Haushältern und dem Verteidigungsminister selbst geprägt. Da verrät man kein Geheimnis; man plaudert nicht aus Sitzungen, sondern beschreibt nur das, worüber auch die Zeitungen berichtet haben. An zwei verschiedenen Tagen mußte die Sitzung unterbrochen werden, damit unter Einschaltung der Fraktionsvorsitzenden, des roten und der grünen, zwischen den Parteien vermittelt werden konnte. In der Zeitung war zu lesen, der Verteidigungsminister habe mit seinem Rücktritt gedroht. ({2}) Lassen wir einmal dahingestellt, ob er das tatsächlich gemacht hat. Die Zeitungen sind jeden Tag voll davon. Irgendein Minister droht immer gerade mit Rücktritt leider nicht Herr Trittin; das Rücktrittsangebot könnte man annehmen. Heute hat angeblich Herr Riester mit Rücktritt gedroht. Es gab Konflikte mit Kollegen in der eigenen Partei. Im Ergebnis bleibt festzuhalten, daß die Opposition, jedenfalls F.D.P. und CDU/CSU, den Minister in der Frage gestützt hat und stützen mußte, welche finanziellen Möglichkeiten die Bundesregierung tatsächlich hat. ({3}) Wenn man sich diese Situation vor Augen hält, dann stellt man fest, daß sie in den letzten 17 Jahren einmalig war. Übrigens ist auch die Größe dieses Haushaltes einmalig. Wir stellen fest: Sie haben mit Ihrer Mehrheit im Haushaltsausschuß den Verteidigungsetat gegenüber dem Waigel-Entwurf um eine halbe Milliarde DM gekürzt. Der Plafond beträgt 47 Milliarden DM, Zuwachsmöglichkeiten sind ausgeschlossen. Dieser Haushalt ist die Basis für den Haushalt des Jahres 2000. Ich habe von den Gefahren, die darin liegen, gesprochen. Wir müssen uns vor Augen halten, daß mit diesem um eine halbe Milliarde DM abgeschmolzenen Etat besondere Risiken und Belastungen finanziert werden müssen: die Devisenentwicklung, die Mehrausgaben von 500 Millionen DM im Rahmen der Gehaltserhöhung für die im Verteidigungsministerium tätigen Beschäftigten des öffentlichen Dienstes, der Bosnien-Einsatz, Kampfeinsätze, humanitäre Einsätze. Insgesamt muß man feststellen: All diese Kosten überschreiten in der Summe deutlich den Betrag von 1,5 Milliarden DM, und dies bei einem gegenüber unserem Entwurf reduzierten Ansatz. Wenn ich diese Fingerhakeleien im Haushaltsausschuß sehe - rotgrüne Politiker gegen den Verteidigungsminister -, kann ich nur empfehlen, Herr Scharping, sich gelegentlich umzusehen, um festzustellen, ob Ihnen die eigene Truppe noch folgt. Damit meine ich nicht Soldaten, Soldatinnen und Wehrpflichtige. Es geht schließlich darum, Mehrheiten zu haben für das, was Sie tun und dienstlich anordnen müssen. Die Bundeswehr soll für mehr Auslandseinsätze fit gemacht werden. Das liegt, wie eine Zeitung in den letzten Tagen schrieb, in der Logik der neuen NATOStrategie. Aber wer dieser Logik folgt, muß wissen, daß er eine Armee nicht für ein Kosovo 2 umrüsten und dann, wenn es soweit ist, zu Hause behalten kann, weil ihm die Sache politisch oder militärisch zu heiß ist. Deshalb geht es bei der Strukturkommission in Wahrheit wohl eher um die Frage, ob dieses Maß an Verantwortung auch tatsächlich gewollt ist. Die Frage, ob die Wehrpflicht beibehalten werden soll oder nicht, werden wir hier im Hause beantworten müssen. Das sollte nicht diese Kommission tun. Meine Damen und Herren, in der Bestandsaufnahme ist dargestellt, daß wir fähig sind, internationale Rüstungsvorhaben gemeinsam mit anderen Ländern zu bewältigen. Ich habe da so meine Zweifel, wenn ich sehe, daß in den letzten sieben Monaten kein einziger Vertrag, kein einziges Abkommen, weder über den Tiger noch über das GTK, endgültig abgeschlossen und unterzeichnet worden ist. Man muß hier eigentlich sagen: Im Geschäftsgang herrscht Stillstand der Rechtspflege. Offensichtlich besteht nicht mehr die Fähigkeit, internationale Projekte auch zeitgerecht abzuwickeln. Welchen Beitrag die Strukturkommission hier leisten kann, muß offenbleiben. Zur Kritik am Verteidigungsminister, die in diesen Tagen geäußert worden ist, gehört auch das, was der Kollege Kröning in einem in den letzten Tagen in die Zeitungen lancierten Aufsatz geschrieben hat. Er fordert, bis zum Jahr 2005 solle die Bundeswehr auf 270 000 Mann reduziert und das Zivilpersonal um 20 Prozent verringert werden. Man kann sagen, das spiele keine Rolle. Da wir aber gemeinsam die Auffassung vertreten, daß hier über die Größe der Bundeswehr entschieden wird, muß gelegentlich auch das ernst genommen werden, was ehrenwerte Kollegen aus dem Verteidigungsausschuß dazu gesagt haben. Was bedeutet die Reduktion der Zahl der Bundeswehrsoldaten auf 270 000 in der gegenwärtigen Situation, in der wir möglicherweise mehr Soldaten für Krisenreaktionskräfte brauchen? Die Zahl der zivilen Mitarbeiter um 20 Prozent zu reduzieren heißt, daß wir 90 000 Mitarbeiter weniger haben. 60 000 Soldaten und 30 000 zivile Mitarbeiter bis zum Jahre 2005 abzubauen heißt, daß es pro Jahr 15 000 öffentliche Mitarbeiter weniger im Zuständigkeitsbereich des Verteidigungsministers geben wird. Ich glaube, daß dies deutlich macht, daß die Unterstützung, die der Minister braucht und die er von uns bekommt, bei weitem nicht in der gesamten Truppe, wenn ich diese Bezeichnung für die Abgeordneten von SPD und Grünen wählen darf, vorhanden ist. Dies ist ernst zu nehmen, da es in den Haushaltsberatungen bereits den ersten Versuch gab - ich habe das vor ein paar Monaten gesagt -, die Zahl der Berufssoldaten und der Wehrpflichtigen deutlich zu reduzieren. Lassen Sie mich etwas zum Beschaffungs- und Materialhaushalt sagen. Die Finanzierung aller wesentlichen Großvorhaben der Bundeswehr - Panzerhaubitze, Hubschrauber Tiger und NH 90, Eurofighter, Fregatte 124, Einsatzgruppenversorger und U-Boote Klasse 212 - ist gesichert. Festzustellen bleibt, daß gleichwohl kein einziges internationales Vorhaben in den letzten sieben Monaten unterzeichnet worden ist. Es bleibt weiter festzustellen, daß wir große Probleme bei Vorhaben haben, für die ein aktueller Bedarf besteht. Ich nenne das Stichwort Superfuchs. Herr Kollege Wieczorek, wir haben vor einiger Zeit gemeinsam entschieden - das ist inzwischen Jahre her -, ein gepanzertes Fahrzeug für etwaige Krisenreaktionskräfte bereitzustellen. Das Fahrzeug ist bis heute nicht funktionsfähig. Das gleiche gilt für die Panzerabwehrrakete langer Reichweite; die Entwicklung läuft seit 15 Jahren. Das gleiche gilt für den NH 90, der zu schwer ist. Das gleiche gilt für den Tiger, der sich von Apache nur durch die Reichweite seiner Bewaffnung unterscheidet, wobei bedauerlich ist, daß ein zweites dieser Fluggeräte heute in Albanien abgestürzt sein soll. Der Tiger ist noch nicht funktionsfähig, obwohl wir bereits im Jahre 1995 die Serienvorbereitung beschlossen haben. Er ist nicht in der Lage, herkömmliche Waffensysteme zu nutzen. Entscheidungen sind auch zur raumgestützten Aufklärung zu treffen, um Bedrohungen, insbesondere aus dem Mittleren Osten, zu verifizieren. Überprüfungen sollte es auch bei den Kosten der Einsätze der Flugbereitschaft geben. Das ist eine Position, die wir, SPD, Grüne, CDU/CSU und F.D.P., gemeinsam vertreten. Die Flugbereitschaft erfüllt auch sachfremde Aufträge für andere Ressorts. Besonders engagiert scheint hier der Umweltminister zu sein. Die Beschränkung des Ansatzes könnte nach unserer Meinung auf reine Bundeswehreinsätze erfolgen. Nachdem wir im Berichterstattergespräch den Wunsch geäußert haben, auch die Liste der Inlandsflüge zu bekommen, hätte ich gern - ich tue es nun über das Protokoll - den Bundesumweltminister gefragt, ob er bereit ist, offenzulegen, welche Flüge er mit der Flugbereitschaft seit dem Regierungswechsel unternommen hat, und darüber Auskunft zu geben, ob diese Flüge auch tatsächlich dienstlichen Anlässen gedient haben. Meine Damen und Herren, ich komme zum Schluß. Wir fordern Sie auf, der Bundeswehr die Mittel zur Verfügung zu stellen, die sie in der schwierigen Situation tatsächlich braucht. Das heißt für uns nicht, daß wir zusätzliche Mittel benötigen. Eine Zeitung schrieb von einer Kriegssteuer. Es ist völlig abwegig, eine solche für notwendig zu halten. Bei einem Haushalt von 485 Milliarden DM sind Ausgaben in Höhe von 1,5 Milliarden DM in diesem Jahr für den Kosovo und alles, was dazugehört, durchaus zu bewältigen. Wir wollen, daß der Verteidigungsetat eine Größenordnung behält, die ihm darüber hinaus die sonstigen Aufgaben erledigen hilft. Deswegen fordern wir in diesen Haushaltsberatungen, dem Verteidigungsetat zusätzliche 770 Millionen DM bereitzustellen. Wir bitten Sie hierbei um Ihre Unterstützung. ({4}) Wir erwarten dabei insbesondere die Unterstützung der Regierungsparteien, im Interesse der Arbeit, die Ihr Minister hat. Wir werden dem Verteidigungsetat zustimmen, weil wir finden, daß es notwendig ist, unserer Bundeswehr vom ganzen Haus die Unterstützung zu geben, die sie für ihren schwierigen Auftrag braucht. Herzlichen Dank. ({5})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Als nächster Redner hat der Kollege Volker Kröning von der SPD-Fraktion das Wort.

Volker Kröning (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002707, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Bundeshaushalt 1999 ist für die Bundeswehr und das Bundesministerium der Verteidigung in dreifacher Hinsicht von Bedeutung. Erstens. Das Ressort ist wie alle Ressorts dem Zwang zur Konsolidierung - ich sage mit dem Bundesminister der Finanzen: zur Sanierung der Staatsfinanzen - unterworfen. Dies war und ist bei der Reduzierung der Ausgabenzuwachsrate und der Bewältigung der Lohn- und Gehaltsrunde 1999 schmerzhaft. Zweitens. Wir befinden uns mit der Haushaltswirtschaft des Ministeriums und der Planung der Bundeswehr in einer Umbruchsituation. Zum einen will Minister Scharping die modernen Methoden der Haushaltsführung, insbesondere Budgetierung und Controlling, verbunden mit Kosten- und Leistungsverantwortung, ausbauen. Darin hat er unsere volle Unterstützung. Auf diesem Wege sind wir im Laufe der Beratungen des Haushalts - im Parlament mehr als in der Regierung einen großen Schritt vorangekommen. Zum anderen ist inzwischen, wie im Koalitionsvertrag vorgesehen, die Kommission „Zukunft der Bundeswehr“ eingesetzt worden. Ungeachtet dessen, Herr Kollege Austermann, wird die Bestandsaufnahme, die der Minister gleichzeitig vorgelegt hat, nicht nur diese Kommission beschäftigen, sondern auch die Ausschüsse, und das sicherlich nicht erst in einem Jahr, sondern sofort. Damit erweist sich nicht nur der Verteidigungshaushalt 1999, sondern auch der Verteidigungshaushalt 2000 - das ist vorauszusehen - als Übergangshaushalt - ich möchte lieber sagen: als Brückenhaushalt - zwischen alter und neuer Bundeswehrplanung. Spätestens zum Haushalt 2001 brauchen wir - unabhängig davon, welche Kommissionsergebnisse zu welchem Zeitpunkt vorliegen werden - eine Planungsgrundlage von Dauer. Drittens - das hat heute schon den ganzen Tag beherrscht -: Wir befinden uns in einem internationalen bewaffneten Konflikt, einem Krieg, wie man ohne Umschweife sagen sollte. Darauf haushaltspolitisch zu reagieren, ohne die außenpolitische Handlungsfähigkeit der Regierung und den innenpolitisch besonders wichtigen Entscheidungsvorrang des Parlaments zu beeinträchtigen, ist uns gelungen. Das sollte Anerkennung finden. Die bisherigen Signale der Zustimmung zum Verteidigungshaushalt zeigen auch das richtige Echo. ({0}) Die geplanten, errechneten und belegten militärischen Aufwendungen der Bundeswehr, besonders der Luftwaffe und des Heeres, sind in den Haushalt integriert, zunächst wie bisher im Einzelplan 14, dann aber auch - zumindest für dieses Jahr - im Einzelplan 60. Die regulären Aufgaben der Bundeswehr in den Bereichen der Landes- und der Bündnisverteidigung werden nicht mehr, sondern weniger als bisher tangiert. Das sollte auch die bisherige Koalition und neue Opposition beachten. Die humanitären Aufwendungen, zu denen sich die Bundesregierung bisher in einem europaweit herausragenden Maße bereit gefunden hat - auch und nicht zuletzt die humanitären Maßnahmen, die die Bundeswehr leistet -, werden zusammenfassend finanziert. Lassen Sie mich nach diesen Vorbemerkungen ein paar einzelne Blicke auf die Haushaltsberatungen 1999 werfen und auch einen Ausblick auf 2000 geben. Der Haushaltsausschuß hatte bereits 1996 beschlossen, sich über die Ausgaben der Bundeswehreinsätze im ehemaligen Jugoslawien quartalsweise berichten zu lassen. Anläßlich der Haushaltsberatungen für dieses Jahr haben wir im Hinblick auf die aktuelle Lage, die noch voller Unwägbarkeiten steckt und über das Haushaltsjahr hinweg noch nicht überschaubar ist, sogar darum gebeten, einen monatlichen Bericht zu erhalten. Über den Bericht zum April werden wir noch in der nächsten Sitzungswoche sprechen müssen. Aus den Berichten zu den Monaten Januar bis März 1999 ergibt sich aber, daß der Ausgaben- und Kostenrahmen für SFOR, also für den Einsatz der Bundeswehr in Bosnien, eingehalten wird. Da die Finanzierung dieser Friedenseinsätze aus dem Einzelplan 14 erfolgt, sollte beizeiten geprüft werden, ob und inwieweit man diesen Einsatz reduzieren kann. Dabei ist klar, daß bei solch einer Entscheidung im Hinblick auf die Instabilität in der ganzen Region, die ja leider nicht ab-, sondern zugenommen hat, besondere Sensibilität nötig ist. Die Beschlüsse des Bundestages zu den weiteren Einsätzen, nämlich im Zusammenhang mit dem Kosovo also vom Oktober und November 1998 über den Februar 1999 bis zu der Entscheidung, die in dieser Woche zu treffen sein wird -, hat der Haushaltsausschuß ebenfalls im notwendigen Umfang umgesetzt. Gegen Zahlenspekulationen, die besonders in den letzten Wochen angestellt worden sind und mit denen teilweise Schindluder getrieben worden ist, ({1}) spreche ich vor der Öffentlichkeit aus, daß der Luftwaffeneinsatz bei weitem noch nicht den vorgesehenen, aus dem Einzelplan 14 zu finanzierenden Umfang erreicht hat. Dasselbe gilt für den Einsatz des Heeres, der aus dem Einzelplan 60 finanziert wird. Ich bleibe dabei: Die Verteilung der Finanzierung selbst der Finanzierung der Einsätze im Balkan - auf verschiedene Einzelpläne ist haushaltssystematisch unbefriedigend und politisch sicher eher nachteilig als vorteilhaft. Aber für dieses Jahr ist mehr Spielraum als in der Vergangenheit geschaffen worden. Nach gegenwärtigem Ermessen reicht der Ansatz aus. ({2}) Militärisch ist also hinreichend Vorsorge getroffen worden. Das ist die Verantwortung des Haushaltsausschusses, und das ist die Verantwortung, über die in dieser Stunde Rechenschaft abgelegt werden muß. Doch ebenso klar darf ich namens beider Koalitionsfraktionen sagen: Wenn neue Beschlüsse zu fassen sind, muß und wird sich auch der Haushaltsausschuß damit befassen. Was wir nicht mehr im Rahmen der Haushaltsaufstellung erreichen können, werden wir im Haushaltsvollzug leisten. Dasselbe gilt für die humanitären Maßnahmen. Die außerordentlichen Anstrengungen, die der Bundesminister der Verteidigung und die Bundeswehr auf humanitärem Gebiet unternommen haben und weiter unternehmen werden, gehen nach dem Beschluß des Haushaltsausschusses in der Bereinigungssitzung nicht zu Lasten der finanziellen Vorsorge für militärische Einsätze. Mit 300 Millionen DM, die sich schon 14 Tage später als dringend nötigt erwiesen haben, haben wir vielmehr Vorsorge für die Leistungen aller Ressorts getroffen. Leider Gottes oder auch Gott sei Dank muß man sagen, daß diese Vorsorge zur Zeit vor allen Dingen der hochengagierten und der hochleistungsfähigen Bundeswehr obliegt. Herr Minister, ich darf nicht nur der Truppe, sondern auch Ihnen und dem in dieser Woche in Bonn anwesenden Parlamentarischen Staatssekretär Walter Kolbow für Ihr Engagement danken. ({3}) Gerade weil der Einsatz der Bundeswehr im Rahmen der NATO humanitär begründet wird, haben wir uns bemüht, auseinanderzuhalten, was auf der einen Seite mit dem Waffengang und hoffentlich bald mit einer Absicherung des Waffenstillstandes und eines Friedensprozesses zusammenhängt - ich nehme an, diese Thematik wird, wenn wir erst über ein ziviles Aufbauprogramm reden werden, noch in eine ganz andere Dimension hineinwachsen - und was auf der anderen Seite im engen, strengen Sinne humanitär ist. Das ist die unmittelbare Hilfe für Menschen in der Not, die zur Zeit leider nur außerhalb und nicht innerhalb des Kosovo möglich ist. Wie ich schon angedeutet habe, rechne ich damit, daß allein diese Aufgabe - vom zivilen Aufbauprogramm ganz zu schweigen - noch mehr kosten wird, als uns zur Zeit klar ist. Mir sind aber die materiellen Kosten zur Verhinderung von immateriellen Opfern allemal lieber als eine Schädigung von Leib und Leben der Menschen. ({4}) Der Einzelplan 14, also das Verteidigungsbudget, aber auch die übrigen, in anderen Einzelplänen veranschlagten Verteidigungsausgaben nach den Kriterien der NATO haben durch die Zunahme der AuslandsVolker Kröning einsätze den Charakter eines Zwitters bekommen. Zum einen sind die klassischen Aufgaben der Landes- und Bündnisverteidigung zu finanzieren, doch zunehmend auch neue Aufgaben, die sich schon lange vor dem 50-Jahres-Gipfel der NATO abgezeichnet haben. Der frühere Verteidigungsminister Rühe hat sich damit bereits im Rahmen des Verteidigungshaushaltes herumschlagen müssen, und auch wenn Minister Scharping die für 1999 gefundene Lösung als Entlastung empfinden wird, ja muß - und wir alle teilen dieses Gefühl -, sollten die künftigen Verteidigungshaushalte alte und neue Aufgaben und Ausgaben integrieren. Nach dem Ergebnis des Berichterstattergespräches hätte die Summe von Plafond und militärischen Verstärkungsmitteln 47,381 Milliarden DM statt nunmehr 47,490 Milliarden DM betragen, aber der Plafond wäre mit 47,319 Milliarden DM höher als mit nunmehr 47,049 Milliarden DM ausgefallen. Doch wichtiger und für die Zukunft entscheidend ist, daß wir mit der erhöhten Beteiligung des Ressorts aus dem Verkauf von Material und Grundstücken mit insgesamt bis zu 232 Millionen DM im Jahr 1999 einen Schritt in Richtung einer effektiven Verstärkung der investiven Ausgaben getan haben. Dieses war ein ausdrücklicher Wunsch des Verteidigungsausschusses, ich glaube, sogar ein einmütiger Wunsch dieses Ausschusses, und ich freue mich, daß wir im Laufe der Verhandlungen diesem Interesse auch Rechnung tragen konnten. Dies und die Einführung der Budgetierung bei den Universitäten der Bundeswehr, den Bundeswehrkrankenhäusern und dem Flugmedizinischen Institut der Bundeswehr, auf die sich das Verteidigungsministerium und das Finanzministerium bisher nicht hatten verständigen können, und der Ausbau der gegenseitigen Dekkungsfähigkeit im Verteidigungshaushalt zugunsten der Verbesserung der Informationstechnologien zeigen, daß sich die parlamentarischen Beratungen trotz aller Schwierigkeiten und trotz aller Begleitmusik gelohnt haben. Dies ist der Nutzen für das Ressort, den wir festhalten sollten, dies ist der Nutzen für die Bundeswehr, über den ich froh bin. ({5}) Doch auch der Nutzen für den Gesamthaushalt darf nicht verschwiegen werden. Die Einsparungen im Rahmen der globalen Minderausgabe sollen nach dem Willen des Haushaltsausschusses im Bereich der nichtinvestiven Ausgaben erfolgen. Dabei will ich festhalten - und dies trägt auch der Besonderheit des Verteidigungshaushalts Rechnung -: So bedenklich globale Minderausgaben im allgemeinen sind - ich nehme an, davon wird noch die Rede sein -, globale Minderausgaben also, die nicht schon im Rahmen der Haushaltsaufstellung aufgelöst sind, so sehr sollte respektiert, ja geradezu appelliert werden, daß diese Verantwortung im Zeichen des Strukturwandels der Verteidigung von der Fachpolitik wahrgenommen wird, also vom Verteidigungsminister und vom Verteidigungsausschuß. Dagegen ist der Haushaltsausschuß den Wünschen des Verteidigungsausschusses zur Personalstruktur nicht gefolgt - bis auf eine Verbesserung bei der Entsendung deutschen Personals zu den Vereinten Nationen, für die sich auch Herr Minister Scharping besonders eingesetzt hat. Die weitgehenden Vorschläge des Ausschusses zur Personalstruktur dagegen hätten - ich bitte um Verständnis, daß wir das geltend machen müssen - die Ergebnisse der Kommission „Zukunft der Bundeswehr“ und/oder eigenständige Entscheidungen des Ressorts in der nächsten Zeit präjudiziert. Zwischen dem Ressort und dem Finanzministerium ist leider noch nicht einmal die bisher geltende Zielstruktur 340 000 abgestimmt. Ich nehme an, daß das im Hinblick auf neue Entwicklungen auch gar nicht mehr passieren wird. Um so mehr betone ich, daß es keinen Beförderungsstau geben wird. 1999 werden wie 1998 durch sogenannten Ermächtigungsvermerk Beförderungsstellen, die sogenannten Supplementärstellen, für Oberstabsfeldwebel und Stabsfeldwebel, an der Zahl 900, zur Verfügung stehen. Dazu kommen, wie im Regierungsentwurf vorgesehen war, 10 Unteroffiziers- und 64 Offiziersstellen, die 1999 im Ministerium für Beförderungen genutzt werden können. Weitere Anträge zur Personalstruktur, die möglicherweise gesondert zu finanzieren gewesen wären oder zu finanzieren sein werden, lagen und liegen dem Haushaltsausschuß nicht vor. Im übrigen hat der Verteidigungsausschuß auf Antrag der Koalitionsfraktionen die Bundesregierung um einen Bericht zur Beförderungssituation aller Besoldungsgruppen und auch zur Situation der Wehrdienstleistenden gebeten. Diesen Bericht, der demnächst vorliegen soll, müssen die Ausschüsse auswerten. Aus ihm werden Konsequenzen gezogen werden müssen. Deshalb, aber auch nur deshalb, meine Damen und Herren von der F.D.P., können wir heute Ihren Anträgen auf Erhöhung des Wehrsoldes und auf Vereinheitlichung der Bundeswehrbesoldung in Ost und West nicht nähertreten. Dies würde im übrigen nicht nur die Bundeswehr betreffen, sondern die gesamte Bundesverwaltung. Ich darf allerdings darauf hinweisen - das ist eine Mitteilung der letzten Tage -, daß das Problem der unterschiedlichen Bezahlung bei den Auslandseinsätzen unserer Soldaten im Bereich der Exekutive in Kürze gelöst sein wird. ({6}) - Ich hatte mich auch dafür eingesetzt. Aber für uns war das zum damaligen Zeitpunkt - leider Gottes - noch nicht entscheidungsreif. ({7}) Der Verteidigungshaushalt hat in den zurückliegenden Jahren tiefe Einschnitte erfahren. Das ist uns wohl bewußt. Das ist oft genug hier debattiert worden. Sie folgten oft einer unsoliden, ja hektischen Haushalts- und Finanzpolitik und griffen sogar während eines laufenden Haushaltsjahres öfter in den Verteidigungshaushalt ein. Dies verursachte die bekannten desolaten Zustände, besonders bei der Material- und Gebäudeerhaltung. Dies schuf sogar - das wissen wir - Mißtrauen und Frustration in der Truppe. Wir lehnen solche Spardiktate ab. Aber zugleich können und wollen wir keine Füllhörner ausschütten. Wir wollen nichts versprechen, was wir nicht halten können und was auch Sie, meine Damen und Herren von der CDU/CSU-Fraktion, nicht gehalten haben, als Sie noch an der Regierung waren. Ihren Antrag auf Ausweitung des Verteidigungshaushaltes noch über das Maß der Nominal- und Effektivstärke hinaus, die ich beschrieben habe, lehnen wir ab. Er ist genauso konzeptionslos, wie es die frühere Regierungspolitik auf diesem Feld war. Der haushaltspolitischen Realität wird sich - das muß man, wenn auch schweren Herzens, für die Zukunft feststellen - kein Ressort - ich betone: kein Ressort - verschließen können. Aber wir haben den Willen, die sich aus der Sanierung der Staatsfinanzen ergebenden Notwendigkeiten im Rahmen eines kooperativen Umgangs zwischen Fachpolitikern und Haushältern durchzusetzen. ({8}) Wir setzen dabei auf gescheite und vor allen Dingen auf faire Lösungen. Dafür gibt es Beispiele aus den letzten Wochen und Monaten. ({9}) - Über Intelligenzquotienten streite ich mit niemandem. Auch in den nächsten Jahren ist mit harten und zähen Verhandlungen angesichts der Spannung zwischen Teilinteressen und Gesamtinteressen zu rechnen. Nur ein sorgfältig konzipierter Haushalt kann mehr als ein Jahr überstehen, kann von Dauer sein. Uns alle in den Koalitionsfraktionen eint das Ziel - ich hoffe, auch in der Breite dieses Hauses -, einer Organisation wie der Bundeswehr und den Menschen, die ihr und uns dienen, die Planungssicherheit zu geben, die sie brauchen. Schönen Dank. ({10})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Als nächster Redner hat das Wort der Kollege Jürgen Koppelin von der F.D.P.-Fraktion.

Dr. h. c. Jürgen Koppelin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001180, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich habe während der Haushaltsberatungen schon manches Mal für meine Fraktion zum Einzelplan 14 Stellung nehmen dürfen. Ich habe wie die beiden Vorredner immer zu einzelnen Positionen des Haushaltes Stellung genommen. Ich gestehe allerdings, daß es mir bei dieser Haushaltsberatung - zu einem Zeitpunkt, zu dem deutsche Soldaten im Ausland im Auftrag der NATO einen schweren Dienst tun - nicht leichtfällt, meinen Blick nur auf den Haushalt und auf einzelne Haushaltspositionen zu richten. Natürlich beklagen auch wir Freien Demokraten, daß der Haushalt des Verteidigungsministers erneut reduziert wurde und daß die Vorbelastungen für diesen Haushalt weit über 1 Milliarde DM betragen. Dennoch erkenne ich an - das will ich ausdrücklich betonen -, daß der Verteidigungsminister um seinen Etat gekämpft hat. Herr Kollege Kröning, als Sie eben dem Minister gedankt haben, hat sich das gut angehört. Aber der Dank kostet auch nichts. Sie hätten den Minister bei den Haushaltsberatungen unterstützen sollen. Das wäre das Richtige gewesen. ({0}) Kollege Austermann hat schon darauf hingewiesen: Die Reduzierungen im Einzelplan 14 durch die rotgrünen Abgeordneten wären sicherlich noch höher ausgefallen, wenn nicht die Opposition den Verteidigungsminister massiv unterstützt hätte. ({1}) Doch heute, da die Bundeswehr mit zirka 6 000 Bundeswehrangehörigen auf dem Balkan ihren Beitrag zum Einsatz der NATO im Kosovo erbringt, in einer Zeit, wo Angehörige der Bundeswehr im Ernstfall ihr Leben zum Schutz der Menschen im Kosovo einsetzen, wo Soldaten der Bundeswehr einen schwierigen und gefährlichen Auftrag erfüllen, müssen Diskussionsbeiträge darüber, ob diese oder jene Kostenstelle im Haushalt ausreichend ist, in den Hintergrund treten. Wir Freien Demokraten sind davon überzeugt, daß bei dieser Debatte über den Haushalt des Bundesverteidigungsministers andere Antworten als nur eine Diskussion über den Haushalt selbst gegeben werden müssen. Die Soldaten der Bundeswehr, die durch die Entscheidung des Parlaments zusammen mit den Angehörigen der anderen NATO-Staaten im Ausland dem Auftrag nachgehen, den wir als Parlament gegeben haben, erwarten von uns klare Aussagen darüber, wie wir zur Bundeswehr und zu den Soldaten der Bundeswehr stehen. So geht in dieser Stunde der Debatte über den Verteidigungsetat zuallererst ein Dank und eine Anerkennung an die Soldaten der Bundeswehr, die jetzt einen schwierigen Auftrag erfüllen. ({2}) Wir verbinden damit den innigen Wunsch, daß sie alle von diesem Auslandseinsatz heil und gesund wieder zurückkommen. Wir sagen zu, daß wir alles unternehmen werden, damit der Schutz unserer Soldaten, die einen verantwortungsvollen und gefährlichen Dienst versehen, ein vorrangiges Ziel bleibt. Wir hoffen sehr, daß dieser Einsatz bald beendet ist, und dabei setzen wir sehr stark auf die russische Diplomatie. Wir fühlen auch mit den Angehörigen unserer Soldaten, die in dieser Zeit sicherlich in großer Sorge sind. Wir denken an die vielen Flüchtlinge, die die Auseinandersetzungen auf dem Balkan erleiden und ertragen müssen. Wir denken auch an die unschuldigen Opfer, die dieser Krieg schon gefordert hat. Liebe Kolleginnen und Kollegen, unsere Soldaten verdienen jedoch nicht nur unsere volle Solidarität und unsere Unterstützung. Sie haben auch Anspruch auf gleiche Besoldung. Ein Bundeswehrangehöriger aus den neuen Bundesländern erhält noch immer 13,5 Prozent weniger Sold als ein Soldat aus den alten Bundesländern. Wer für Deutschland Frieden und Menschenrechte schützt, der verdient auch den gleichen Sold. Das ist unsere Auffassung. ({3}) Wir Freien Demokraten haben deshalb einen Antrag gestellt, diese Ungerechtigkeit zu beseitigen. Wir bitten um die Unterstützung aus allen anderen Fraktionen. Für die F.D.P.-Fraktion will ich die heutige Debatte nutzen, um Ihnen, Herr Bundesverteidigungsminister, den Respekt meiner Fraktion für Ihre Amtsführung auszusprechen. ({4}) Natürlich bewerten wir das eine oder andere aus unserer Sicht auch anders. Aber es bleibt unser Respekt. Wir können es deswegen nicht gutheißen, wenn, wie am 1. Mai auf einer Kundgebung in Ludwigshafen geschehen, Demonstranten Sie bei Ihrer Rede stören und mit Sprechchören und Trillerpfeifen niederschreien wollen. Es muß in dieser Debatte jedoch auch gefragt werden dürfen, ob solche Demonstranten nicht ermuntert werden, wenn es Mitgliedern der Bundesregierung, wie der Parlamentarischen Staatssekretärin Altmann, erlaubt bleibt, in einer Anzeige zu behaupten, die Bundesregierung führe zur Zeit einen Angriffskrieg. ({5}) Herr Minister, ich frage Sie: Wie können Sie mit dieser Parlamentarischen Staatssekretärin noch an einem Kabinettstisch sitzen? ({6}) Darauf haben wir eine Antwort verdient. Es ist ebensowenig erträglich, daß sich Mitglieder der Fraktion der Grünen - Herr Verteidigungsminister, es ist immerhin Ihr Koalitionspartner - dieser Auffassung in Anzeigen angeschlossen haben. Herr Verteidigungsminister, was sagen Sie dazu, daß Teile Ihres grünen Koalitionspartners Sie persönlich eines Angriffskrieges bezichtigen? Wir Freien Demokraten werden zum Haushalt des Verteidigungsministers eine namentliche Abstimmung beantragen. Damit geben wir besonders der Fraktion der Grünen Gelegenheit, öffentlich zu zeigen, ob sie die Politik des Verteidigungsministers noch mittragen will. Wir werden dann sehen, wie die Parlamentarische Staatssekretärin Altmann und die anderen Mitglieder der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, die von einem Angriffskrieg gesprochen haben, abstimmen werden. Ich sage in Richtung von Bündnis 90/Die Grünen: Wenn man in Regierungsverantwortung ist, dann darf sich eine Fraktion bei dieser Abstimmung nicht davonschleichen. ({7}) Wir werden sehr genau darauf achten, wer an der Abstimmung teilnimmt. In dieser Situation sind klare Aussagen und ein klares Bekenntnis zur Bundeswehr angezeigt. Dafür gehört für uns Freie Demokraten auch die Fortsetzung der bisherigen Form für öffentliche Gelöbnisfeiern. Sie, Herr Verteidigungsminister, haben sich dazu bekannt. Aber wie steht es mit Ihrem Koalitionspartner? ({8}) Das Verhalten von Herrn Trittin bei einer öffentlichen Gelöbnisfeier in Berlin sowie die Aussagen und Forderungen der Kollegin Angelika Beer - sie ruft gerade dazwischen -, die sich für Störungen der öffentlichen Gelöbnisfeiern ausspricht, sind ja nicht vom Tisch und bei vielen noch in schlechter Erinnerung. Herr Verteidigungsminister, es wäre gut, wenn Sie dazu in dieser Debatte ein Wort sagen würden. Lassen Sie mich auf das beherrschende Thema Kosovo zurückkommen. Sie, Herr Minister, haben auf der Kundgebung in Ludwigshafen gesagt: „Europa kann nur ein friedlicher Kontinent bleiben, wenn die Menschenrechte überall respektiert werden.“ Dem stimmen wir zu. Deshalb ist es weiterhin notwendig, daß wir denjenigen entschieden entgegentreten, die die Menschenrechte verletzen. Es ist wahr, daß dann, wenn die NATO jetzt beim Einsatz im Kosovo scheitert, nicht nur die Glaubwürdigkeit der NATO verloren wäre, sondern auch die Folgen für die gesamte Stabilität in Europa unübersehbar wären. Was sagen Sie eigentlich, Herr Verteidigungsminister, denjenigen aus Ihrer Fraktion, die nun, wie zum Beispiel der Kollege von Larcher, eine Feuerpause fordern, oder die, wie der Kollege Hermann Scheer, einen Stopp der NATO-Angriffe fordern und die Angaben der NATO in Zweifel ziehen? Was sagen Sie zu den Äußerungen des Bundesumweltministers Trittin auf der Veranstaltung in Göttingen, und was sagen Sie zu den Äußerungen des fahnenflüchtigen Oskar Lafontaine in Saarbrücken am 1. Mai? ({9}) Ich wiederhole hier noch einmal, Herr Bundesverteidigungsminister: Die F.D.P.-Fraktion unterstützt Sie. Aber wir fragen auch: Haben Sie noch die Unterstützung von allen Teilen der eigenen Koalition? Die Angehörigen der Bundeswehr, die jetzt im Kosovo-Konflikt im Einsatz sind, haben darauf doch wohl eine Antwort verdient. ({10}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, jetzt wurde, wie der Verteidigungsminister bereits vor längerer Zeit angekündigt hat, eine Wehrstrukturkommission eingesetzt. Diese soll Vorschläge über Auftrag, Umfang, Ausrüstung und Ausbildung der Streitkräfte unterbreiten. Ich verhehle nicht, daß sich die F.D.P.-Bundestagsfraktion bei der Besetzung dieser Kommission auch andere perJürgen Koppelin sonelle Konstellationen hätte vorstellen können. Wir hätten es begrüßt, wenn zum Beispiel der Deutsche Bundeswehr-Verband dabeigewesen wäre oder Experten der Fraktionen an der Arbeit der Kommission beteiligt worden wären. ({11}) Bei der Gelegenheit, Herr Verteidigungsminister, möge man sich einmal vorstellen, Unternehmen wie Volkswagen oder Siemens hätten eine Kommission gegründet, um ein Zukunftsprogramm zur Strukturierung zu entwerfen, und in diese hohe kirchliche Würdenträger berufen. Ich glaube, das würde nicht ganz so gut funktionieren. Sie verfahren aber genau nach diesem System. Da das Parlament an der Kommissionsarbeit nicht beteiligt worden ist, verwundert es natürlich nicht, wenn nun begleitende Diskussionsbeiträge aus den Fraktionen kommen. Ich warne allerdings davor, eine Reduzierung der Bundeswehrstärke nur mit Blick auf den Haushalt zu fordern, wie das der Kollege Volker Kröning von der SPD schon früher und eben auch noch einmal getan hat. Kollege Kröning, Verteidigungspolitik macht man nicht je nach Haushaltslage, sondern nach den jeweils erforderlichen Notwendigkeiten. ({12}) Bei jeder Diskussion um die Zukunft der Bundeswehr, Herr Kollege, sollten wir nicht vergessen, daß auf deutschem Boden die Bürger noch nie so frei waren, so ohne Furcht und Gefahr von außen waren. Dazu haben die Soldaten der Bundeswehr einen großen Beitrag geleistet. Auch bei der Erfüllung ihrer internationalen Aufgaben werden sie immer das bleiben, was sie gewesen sind: Soldaten in einer Demokratie. Diesen Soldaten und allen Angehörigen der Bundeswehr fühlen wir Freien Demokraten uns verpflichtet. Aus dieser Verpflichtung heraus, Herr Kollege Kröning, und nicht, weil Ihr Haushalt uns überzeugt, wird die Freie Demokratische Partei auch als Oppositionspartei dem Einzelplan 14, dem Etat des Verteidigungsministers, zustimmen. Vielen Dank für Ihre Geduld. ({13})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Als nächste Rednerin hat die Kollegin Angelika Beer vom Bündnis 90/Die Grünen das Wort.

Angelika Beer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000134, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Verehrte Damen und Herren! Wir stehen vor wichtigen Veränderungen im sicherheits- und verteidigungspolitischen Bereich und gleichzeitig vor der schwierigen Herausforderung, daß wir unsere Vorstellungen nicht bruchlos umsetzen können, sondern zunächst, Herr Kollege Koppelin, die Versäumnisse der letzten Regierung, die auch Sie mitgetragen haben, in möglichst konstruktiver und zukunftsweisender Art abarbeiten müssen. Aus diesem Grunde ist in diesem Haushalt noch wenig von unserer grünen oder auch rotgrünen Handschrift zu lesen. Ich will durchaus die Punkte hervorheben, die wir für positiv und vorwärtsweisend halten. An der Stelle möchte ich insbesondere darauf hinweisen, daß es sich nach wie vor um einen Übergangshaushalt handelt. Ich habe das schon einmal erwähnt; wir sehen aber ganz klar, daß wir uns eine Politik des „Weiter so“, wie Sie sie betrieben haben - das hat ja auch zur verschärften finanziellen Situation beigetragen -, keineswegs erlauben können. Natürlich dürfen wir nicht vergessen, daß der tragische und grausame, von Milosevic zu verantwortende Krieg im Kosovo vor allen Dingen die Versäumnisse der Vergangenheit deutlich macht, nicht nur im konkreten politischen Alltag, sondern auch bei der Schaffung der Grundlagen für eine andere Politik. Es wird deutlich, daß die internationale Staatengemeinschaft eben noch nicht über Mittel verfügt, um auf einen solchen Konflikt rechtzeitig einzuwirken. Das liegt zum einen an der Schwäche der OSZE und anderen internationalen Organisationen. Die Folgerung daraus für uns ist aber, daß die OSZE und die Vereinten Nationen gestärkt werden müssen und nicht marginalisiert werden dürfen. ({0}) Auf der nationalstaatlichen Ebene, die ich auch ansprechen möchte, ist ebenfalls viel nachzuholen. Aus diesem Grunde haben wir in den Einzelplänen des Auswärtigen Amtes und des BMZ die Mittel für zivile Konfliktbewältigung zum erstenmal wieder erhöht, nachdem sie in den letzten Jahren stagnierten bzw. reduziert wurden. Welche Rolle wollen wir der Bundeswehr in diesem Zusammenhang zuweisen? - Sie kann eine unterstützende Rolle annehmen. Allerdings stehen wir dann in der Verantwortung, daß das Primat der Politik und die Kontrolle des Parlaments auch in Zukunft gewährleistet bleiben. Die Bundeswehr ist bisher noch nicht genügend auf die anspruchsvollen Aufgaben internationaler Friedenssicherung vorbereitet. Wenn ich im folgenden einige Überlegungen dazu anstelle, will ich in keiner Weise die Ergebnisse der Kommission „Zukunft der Bundeswehr“ vorwegnehmen. Im Gegenteil, ich begrüße ausdrücklich die Zusammensetzung der Kommission und deren Unabhängigkeit sowie deren Arbeitsteilung. Gerade die Unabhängigkeit von Politikern halte ich für begrüßenswert. Ansonsten hätte ich Zweifel, ob diese Kommission den gewaltigen Aufgaben gewachsen ist. Wir gehen davon aus, daß es der Kommission trotz des hohen Erwartungsdrucks gelingen wird, ein breites Spektrum von Optionen zu überprüfen und diese ausgewogen zu bewerten. Ihre Einberufung wird die Grundlage für die notwendigen politischen Entscheidungen schaffen. Es ist ja keineswegs so, Herr Kollege Austermann, daß die Kommission dann die Entscheidungen trifft, sondern sie soll die Optionen so vorbereiten, daß die Politik - Parlament und Verteidigungsminister - die Konsequenzen aus dieser Arbeit ziehen kann. Ich halte es auch für ganz besonders notwendig - es ist schon merkwürdig, daß das bei Ihnen noch nicht angekommen ist -, daß wir eben nicht im Eilverfahren Entscheidungen übers Knie brechen wollen, ({1}) sondern daß die Ergebnisse insbesondere für die Betroffenen, für die Soldaten, kalkulierbar sein müssen. Deswegen ist der Zeitraum der Arbeit dieser Kommission auch richtig gesetzt. ({2}) Ich möchte betonen, daß ich es begrüße, daß sich der Minister für eine öffentliche Diskussion während der Arbeit der Kommission ausgesprochen hat. Gerade vor dem Hintergrund der neuen Aufgaben, die doch auf der Hand liegen - wir sehen heute, daß die Bundeswehr den Aufgaben der Zukunft nicht gewachsen ist; das wird doch an jeder Entscheidung, die wir hier zu treffen haben, deutlich -, ist es notwendig, transparent und offen zu diskutieren. Ich sage Ihnen eines: Die Öffentlichkeit, die Gesellschaft, ist nicht mehr mit Beruhigungspillen, wie Sie sie in den letzten Jahren nur noch angeboten haben, zufriedenzustellen. Die Gesellschaft will ja die Zukunft der Bundeswehr und deren Aufgaben und Strukturen tragen. Dazu muß man aber Mut zur Transparenz haben und darf nicht mit Scheuklappen diese Diskussion zu verhindern suchen. Dafür sind Sie, Herr Breuer, prädestiniert. Sie haben die Arbeit der Kommission schon im vorhinein diskreditiert, Sie haben die personelle Zusammensetzung diskreditiert. Wir sprechen uns in eineinhalb Jahren wieder. Dann sind Sie nämlich aus dem Film heraus; dann wissen Sie überhaupt nicht mehr, was Sicherheitspolitik der Zukunft bedeutet. ({3}) Angesichts der Tatsache, daß Interessenpolitik, gar nationale Interessenpolitik, im traditionellen Sinn definierte Interessenpolitik in einem integrierten Europa gar nicht mehr zeitgemäß ist, stellen sich viele die Frage, wozu die Bundeswehr überhaupt noch gebraucht wird. Vor diesem Hintergrund sehe ich die Aufgabe dieser Kommission und des Parlaments darin, ein außen- und ein friedenspolitisches Konzept zu entwickeln, eine Konzeption, in der die Bundeswehr Bestandteil einer präventiven Außen- und Sicherheitspolitik sein wird. Ich gehe davon aus, daß die Veränderungen der Bundeswehr angesichts der zukünftigen Aufgaben zu einer Reduzierung der bisherigen Hauptaufgabe, nämlich der Landesverteidigung, führen werden. Ich denke, daß dies natürlich auch Folgen für die Strukturen und Aufgaben haben wird. Wir gehen davon aus, daß aufgrund der sicherheitspolitischen Rahmenbedingungen und der Entwicklung der Aufgaben die Streitkräfte der Bundeswehr deutlich reduziert werden können, um so den Spielraum zu gewinnen, sie personell und materiell besser auf ihre Aufgaben vorzubereiten. Aus Sicht der Grünen - daraus mache ich überhaupt keinen Hehl - sollte an die Stelle der Wehrpflicht und des Zivildienstes ein freiwilliger Dienst treten, da die Wehrpflicht auf Dauer aus unserer Sicht gesellschaftlich nicht mehr zu rechtfertigen ist. ({4}) Allerdings gehen wir offen mit dieser Position in die öffentliche Auseinandersetzung. Wir haben ja gesehen, daß fast quer durch alle Parteien ähnliche Diskussionen laufen. Welche anderen Aufgaben könnte es für die Bundeswehr geben? - Grüne Vorstellungen zielen auf eine Entnationalisierung der Sicherheitspolitik. Es ist klar, daß dies unter den gegenwärtigen Bedingungen des internationalen Systems nicht umsetzbar ist, auch nicht in Kürze. Trotzdem meinen wir, daß man in diese Richtung denken muß und auch erste Schritte tun sollte. Die Bundeswehr kann nicht die zentrale Institution präventiver Politik sein. Das ist die Aufgabe der Diplomatie, der zivilen Politik und - zunehmend in der Gesellschaftswelt - die Aufgabe der Zivilgesellschaft. Unser Konzept präventiver Sicherheitspolitik zielt auf die Integration dieser verschiedenen Handlungsebenen, die sich ergänzen und die sich nicht gegenseitig ausschließen sollten. Damit muß eindeutig der Primat der Politik und des Zivilen vor dem Militärischen gewährleistet sein. Das Ziel einer präventiven Sicherheitspolitik für die Bundesrepublik Deutschland ist eine langfristig angelegte Politik der Reduzierung und Vermeidung von Gewalt sowie die Herstellung einer politischen Ordnung, die Frieden in der internationalen Politik gewährleisten will. Wir wissen, daß Konflikte nicht aus der Welt verbannt werden können. Das ist auch die bittere Erfahrung der heutigen Tage. Uns geht es aber um die zivile und friedliche Bearbeitung von Konflikten bzw. um die Deeskalation von Gewalt, wenn es zu einem gewaltsamen Konfliktaustrag kommt, und um die Wiederherstellung einer friedensfähigen Situation. Zu entsprechenden Maßnahmen muß man den Mut haben, bevor man gezwungen wird, Militär einzusetzen. ({5}) Weil Sie es nicht verstehen, sage ich: Das bedeutet die Weiterentwicklung der internationalen Rechtsordnung, einer internationalen Strukturpolitik und die Schaffung regionaler und internationaler Instrumente für Konfliktfrüherkennung, rechtzeitiges Eingreifen und für die Zeit nach einem Konflikt; auch daran müssen wir denken - die Schaffung von Instrumenten für eine Friedenskonsolidierung. Wo nichts anderes möglich ist, müssen wir die Anwendung militärischer Mittel zur Verhinderung und Abwehr von Gewalt im Rahmen der internationalen Gemeinschaft sehr genau - Einzelfall für Einzelfall prüfen und gemeinsam auf einer eindeutigen völkerrechtlichen Grundlage, falls notwendig, vorgehen. Wir treten dafür ein, daß Soldaten, die in schwierige und gefährliche Situationen geraten können, optimal ausgerüstet sind. Gleichzeitig - das ist meiner Ansicht nach die wichtigere Rolle - werden Einsätze in Zukunft nicht klassische Kampfeinsätze sein, ({6}) sondern Einsätze, in denen Soldaten im Sinne der Agenda für den Frieden handeln können und handeln müssen. Auch deshalb wollen wir uns im Rahmen der Vereinten Nationen an Stand-by-Agreements beteiligen. Die ersten Schritte auf diesem Weg sind gemacht. Diese komplexen Anforderungen - ich weiß, daß Sie diese Überlegungen nicht gewohnt sind - gehören zur Sicherheitspolitik dazu. Sie werden Auswirkungen auf die Ausbildung der Soldaten und natürlich auch auf den Einzelplan 14 haben. ({7}) Wir dürfen die Möglichkeiten einer präventiven Politik aber auch nicht überschätzen. Wenn es uns gelingt, diese Politik zunächst in Europa konkret werden zu lassen, sie weiterzuentwickeln und so die Transformationsstaaten und neuen Demokratien in ein solches Konzept zu integrieren, sind wir einen wichtigen Schritt weitergekommen, der sehr viel mehr zur Stabilität beiträgt als die Polemik, die Sie sich heute zum Teil erlaubt haben. ({8}) Herr Koppelin, Sie versuchen, die Koalition mit Zitaten und Unterstellungen gerade in der Frage des Kosovo-Einsatzes zu spalten, in der wir Gott sei Dank einen breiten Konsens haben. In diesem Zusammenhang frage ich Sie nur, ohne daß ich die Beschlüsse Ihres F.D.P.Landesparteitages angreifen will: Was sagen Sie denn zu der heutigen Entscheidung des F.D.P.-Landesparteitages, auf dem eine sofortige und einseitige Beendigung der Luftwaffeneinsätze gefordert wird? Setzen Sie sich damit argumentativ auseinander, anstatt sich in Polemiken zu ergießen, die weder den betroffenen Menschen im Kosovo noch dem Bündnis, noch der Politik für die Zeit nach dem Krieg auch nur ansatzweise helfen! ({9})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Frau Kollegin Beer, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Nolting?

Angelika Beer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000134, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Aber gerne, da Sie, Herr Kollege Nolting, heute nicht reden durften. ({0})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Bitte schön, Herr Nolting.

Günther Friedrich Nolting (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001622, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Kollegin Beer, vielleicht können Sie sich daran erinnern, daß ich in der ersten Runde der Haushaltsdebatte geredet habe. Deshalb hat der Kollege Koppelin heute gesprochen. Wie stehen Sie denn zu Ihrer Aussage, die Sie am 29. April im „Morgenmagazin“ um 7.37 Uhr gemacht haben, ({0}) nämlich zu möglichen Kollateralschäden bei Luftschlägen gegen Jugoslawien? In diesem Zusammenhang haben Sie unter anderem gesagt: Ich möchte dieses Wort Kollateralschaden nicht benutzen, und ich denke, wenn Zivilisten ermordet werden, muß man das auch so sagen. ({1}) Stehen Sie noch heute zu dieser Aussage, daß das, was die NATO dort betreibt, Mord ist?

Angelika Beer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000134, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Natürlich stehe ich noch zu dieser Aussage, genauso wie ich zu einer anderen Aussage stehe, die Sie ebenfalls hätten zitieren können - leider haben Sie es nicht getan -, nämlich daß ich es für falsch halte, immer zu sagen, es gebe keine völkerrechtlichen Zweifel, wenn es sie gibt. ({0}) Sie sind eindeutig vorhanden, und deswegen bin ich für Klarheit in der Sprache. Das Wort Kollateralschäden bin ich, wenn Zivilisten umkommen, gleich auf welche Art, nicht bereit zu benutzen. ({1}) - Ich habe mich nicht zu entzaubern. - Herr Kollege Nolting, Sie können sich wieder setzen.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Frau Kollegin Beer, erlauben Sie auch eine Zwischenfrage des Kollegen Braun?

Angelika Beer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000134, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Kollege Braun.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Braun, bitte schön.

Hildebrecht Braun (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002634, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Beer, nachdem Sie Ihre damalige Äußerung in diesem Hause noch einmal bestätigt haben: Wären Sie bereit, zum Stichwort Mord den Wortlaut des § 211 des Strafgesetzbuches nachzulesen, wo der Gesetzgeber vorsätzliche Tötung aus niedrigen Beweggründen oder aus anderen besonders zu mißbilligenden Gründen als Mord qualifiziert?

Angelika Beer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000134, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Das brauche ich mir jetzt nicht durchzulesen. Sie wissen geAngelika Beer nau, daß wir wissen und anerkennen, daß die NATO insgesamt 50 Prozent ihrer Angriffe abgebrochen hat, weil sie nicht ausschließen konnte, daß Zivilopfer getroffen werden. Sie wissen auch, daß wir, wenn die Luftschläge zivile Ziele getroffen haben, jede Anschuldigung eindeutig zurückgewiesen haben, wenn der Verdacht geäußert worden ist, man habe bewußt und gezielt Zivilisten angegriffen. Da gibt es überhaupt keine Differenz, und dabei können Sie es belassen. ({0}) - Nein, ich möchte jetzt fortfahren und damit auch zum Ende kommen. ({1}) - Das ist nicht ungeheuerlich, sondern eine andere Debatte. Ich habe eben aufgezeigt, wie man Möglichkeiten entwickeln kann, gestaltend auf internationale Politik einzuwirken. Unstrittig ist das Ziel: die Zivilisierung der internationalen Beziehungen. Strittig ist der Weg, da viele ein pessimistisches Bild von den internationalen Beziehungen haben. Eine vorausschauende Politik wird zwar im Moment Mittel beanspruchen, und sie muß politisch durchgesetzt werden; dafür müssen auf mittlere und längere Frist Ressourcen auf nationalstaatlicher wie internationaler Ebene zur Verfügung gestellt werden. Sonst werden wir den politischen Anforderungen, die auch Auswirkungen auf die Streitkräfte haben, nicht genügen können. Unsere Überlegungen einer präventiven Sicherheitspolitik zielen darauf, wie eine solche Politik mittels der Bundeswehr unterstützt werden kann. Der Krieg im Kosovo - damit will ich dann auch schließen - macht die Dringlichkeit von Maßnahmen zur Entwicklung dieser präventiven Politik deutlich, damit wir in Zukunft nicht mehr erst dann handeln, wenn das Kind in den Brunnen gefallen ist, sondern schon früher. Ansonsten, Herr Kollege Koppelin, empfehle ich Ihnen, am Freitag eine Aktuelle Stunde oder eine Sondersitzung zu den Aussagen der Abgeordneten Beer zu beantragen. ({2})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Zu einer Kurzintervention erteile ich dem Kollegen Koppelin das Wort.

Dr. h. c. Jürgen Koppelin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001180, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Die Kollegin Beer hat das angesprochen, was meine Parteifreunde in Thüringen geäußert haben. Ich will dazu gerne Stellung nehmen, Kollegin Beer; ich hätte das auch in Frageform gemacht. Das sind genau die Fragen, die auch mein Parteivorsitzender heute bei der großen Aussprache gestellt hat und die meine Parteifreunde, vor allem in den neuen Bundesländern, stellen. ({0}) Ich bedaure ausdrücklich - das will ich hier einmal sagen, Kollegin Beer; darauf können Sie später eingehen, denn Sie können gleich auch reden, wenn Sie wollen -, daß der Bundeskanzler zu diesen Fragen heute nicht Stellung genommen hat. Das macht manche Entscheidung schwer. Ich hoffe, daß gleich der Verteidigungsminister Stellung dazu nehmen wird. Wenn Sie mir vorwerfen, Kollegin Beer, ich wollte mit meiner Rede eine Spaltung der Koalition herbeiführen: Das habe ich überhaupt nicht nötig, denn das haben Sie mit Ihrer Rede selber gemacht. ({1})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Zur Erwiderung erteile ich das Wort der Kollegin Beer.

Angelika Beer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000134, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Kollege Koppelin, wenn Sie die gesamte Debatte verfolgt und sich vielleicht etwas besser informiert hätten, dann hätten Sie der Bundesregierung heute nicht unterstellen können, daß sie nicht in der Lage gewesen sei, auf alle Fragen zum Kosovo-Einsatz zu antworten. Das ist dezidiert und ausführlich geschehen. Sie hätten hier im Plenum sitzen sollen, statt mit weiteren Unterstellungen zu versuchen, einen so wichtigen humanitären Einsatz, den wir unternehmen wollen und den wir nachher auch noch in den Ausschüssen diskutieren wollen, in eine solche Polemik der Oppositionsdebatte hineinzuziehen. Ich habe Sie nur gebeten, sich mit den Argumenten Ihrer Partei auseinanderzusetzen, anstatt anderen zu unterstellen, daß sie nicht wissen, was sie tun. Wir wissen, was wir tun. Wir wollen dieses Mandat, um den Flüchtlingen in Albanien durch einen humanitären Einsatz der Bundeswehr endlich Hilfe zu gewähren. Denn das müssen wir tun, wenn es um die Menschen geht. ({0})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Als nächster Redner hat das Wort der Kollege Dr. Winfried Wolf von der PDS-Fraktion.

Dr. Winfried Wolf (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002830, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Es gibt offensichtlich manchmal Gemeinsamkeiten zwischen der CDU/CSU, der F.D.P. und der PDS. Beim letzten Beitrag hatte ich bei Ihnen, Herr Breuer und Herr Koppelin, den Eindruck, daß Sie wie ich die Vorrednerin als Traumtänzerin einschätzen, wobei das für uns - hier beginnt dann der Unterschied - ein Alptraum ist. Es geht nämlich um den Alptraum Krieg. Ich glaube, daß dies gerade bei dem Einzeletat Rüstung das bestimmende Thema ist und sein sollte. Nachdem in den letzten Tagen etwas Bewegung in die Position der NATO und der Bundesregierung gekommen ist, könnten wir uns möglicherweise darüber einig sein, daß schwere Fehler in diesem Krieg begangen wurden. Ich möchte dazu ein Zitat anführen: Der erste Fehler ist der, … daß man die UNO beiseite geschoben hat ... Wer internationalen Frieden will, muß das internationale Recht stärken … Und das internationale Recht kann nur durch die Vereinten Nationen konstituiert werden, nicht durch andere, die sich selbst mandatieren … Der zweite große Fehler war, … die augenblickliche Schwäche Rußlands so schamlos auszunutzen … Wir werden auf der Welt keinen Frieden erreichen können ohne Rußland. - Herr Koppelin, ich glaube nicht, daß momentan auf die russische Diplomatie gesetzt wird. Es wird auf die Schwäche Rußlands gesetzt und mit IWF-Krediten gepokert. ({0}) Weiter das Zitat: Wir hören jetzt oft den Satz, die NATO müsse ihr Gesicht wahren. Sie könne jetzt nicht anders, sie müsse jetzt siegen … Wir sollten uns fragen: Wessen Sieg wäre dieser Sieg eigentlich? Was bedeutet eigentlich Gesichtswahrung gegenüber dem Elend der Menschen, die unter diesem Krieg leiden? ({1}) Es geht nicht um Sieg und nicht um Gesichtswahrung. Es geht darum, Menschenleben zu retten … in Jugoslawien. Liebe Kolleginnen und Kollegen, bei diesen Eingangspassagen handelt es sich um Zitate aus der Rede von Oskar Lafontaine am 1. Mai dieses Jahres in Saarbrücken. Von daher hätte man etwas Nachdenklichkeit auf den Bänken der Sozialdemokratie erwarten können. ({2}) In Saarbrücken gab es dazu ungeteilten Beifall. Es ist einfach eine Tatsache: Dieser Krieg wird von Tag zu Tag unmenschlicher. Gerade war über den Tikker zu lesen, daß Bill Clinton, in dessen Namen der Krieg vor allem geführt wird, angekündigt hat, die Bombardements zu verschärfen. Es werden inzwischen überwiegend zivile Ziele angegriffen. Dies wird von NATO-Sprecher Shea noch zynisch kommentiert, wenn er zum Beispiel die Bombardierung einer Tabakfabrik mit der weltweiten Kampagne gegen Nikotingenuß in Verbindung bringt. Das Schlimme ist: Wir können in der Presse schwarz auf weiß lesen, daß es primär zivile Ziele sind, die angegriffen werden. Das können wir nicht nur in den drei Ausgaben der Zeitung „Gegen den Krieg“, die die PDS herausbrachte, ({3}) sondern auch in der „Welt am Sonntag“ vom letzten Sonntag. Dort wird beschrieben, daß immer mehr zivile Ziele angegriffen werden. Weiter heißt es wörtlich: Was könnte die NATO auch anderes tun? Bodentruppen will sie nicht einsetzen. Die erkannten militärischen Ziele sind weitgehend abgearbeitet. Das ist die Sprache des Krieges: Bombenziele werden abgearbeitet. Es war übrigens erneut Oskar Lafontaine in seiner Rede am 1. Mai, der auf diese Sprache einging und dort sagte: Würden diese Leute, wenn die eigenen Frauen und Kinder ums Leben kamen, davon sprechen, daß Kollateralschäden eingetreten sind? Die Sprache lügt hier an dieser Stelle. Eine korrekte Übersetzung des Begriffs „Kollateralschaden“ müßte lauten: ein seitlich aufgetretener Schaden, eine Nebenerscheinung des Krieges. Wenn aber ein Flüchtlingstreck, wenn ein Zug, wenn Busse, wenn Wohnsiedlungen und Fernsehanstalten bombardiert werden, dann waren die zivilen Opfer nicht die Nebensache, sondern die Hauptsache. Sie waren das Wesen dieser Angriffe. ({4}) So sieht die bisherige Bilanz des Krieges aus: Getroffen wird primär die Zivilbevölkerung. Nach den vorliegenden glaubwürdigen Zahlen kamen bisher 1 200 Menschen, überwiegend Zivilistinnen und Zivilisten, ums Leben. ({5}) Selbst wenn es sofort einen Waffenstillstand geben würde, ist festzustellen: Das Land wurde nach Einschätzung von Spezialisten auf den Entwicklungsstand von 1945 zurückgebombt. Diese Schäden bezahlt nicht die Familie Milosevic; sie werden von den Menschen in Montenegro, in Serbien, im Kosovo und in der Wojwodina ({6}) und inzwischen auch von den Vertriebenen und Flüchtlingen in Makedonien und in Albanien bezahlt. Liebe Kolleginnen und Kollegen, der vielfache Hinweis auf die Verbrechen der Milosevic-Regierung hat in dieser Debatte eine Rechtfertigungsfunktion. Diese Taten, soweit sie belegt sind, werden nicht bestritten. Sie wurden von uns vor Beginn des Krieges dargelegt, sie wurden zu Beginn des Krieges dargelegt, und sie wurDr. Winfried Wolf den auch heute wieder in der Debatte von Gregor Gysi dargelegt. ({7}) Aber entscheidend ist: SPD und Bündnisgrüne und diese Bundesregierung handeln hier eindeutig als Rechtsbrecher. Die erwähnten Verbrechen rechtfertigen in keiner Weise ihr Tun. Gerade das war die Auffassung der gleichen Beteiligten. Es waren Angelika Beer und Ludger Volmer, die vor knapp einem Jahr in diesem Bundestag feststellten ich zitiere -: … die Menschenrechtsverletzungen durch serbische Militär- und Polizeikräfte entbinden die internationale Staatengemeinschaft nicht von der Rechtsförmlichkeit eigenen Handelns … Selbst bei der schwersten aller denkbaren Menschenrechtsverletzungen, einem Völkermord, wäre … keine Abweichung von der Notwendigkeit einer autorisierenden Resolution des Sicherheitsrates möglich. Und weiter formulieren Frau Beer und Herr Volmer und andere Abgeordnete der Grünen laut Bundestagsprotokoll vom 19. Juni 1998: Eine deutsche Beteiligung an einem NATO-Einsatz ohne UNO-Mandat … würde fundamental gegen die Verfassung der Bundesrepublik Deutschland verstoßen. Worte, die mit Leidenschaft vor zehn Monaten hier gesprochen wurden. Selbst bei Völkermord nur mit UNOMandat! ({8}) Doch genau diese völkerrechtlichen Positionen werden von der neuen Regierung weggefegt. ({9}) Kollege Willy Wimmer von der CDU, ehemals Staatssekretär im Verteidigungsministerium, hat es vor wenigen Tagen in einem Interview mit der „Süddeutschen Zeitung“ auf den Punkt gebracht. ({10}) Er sagte: Die Bombenangriffe zerstören mehr, als sie schützen. Sie schützen die Flüchtlinge nicht … Sie zerstören aber das Rechtsdach, unter dem wir in Europa leben. Ein Parlamentarier der Opposition, von den Christen! ({11}) Werte Kolleginnen und Kollegen, SPD und Grüne handeln mit ihrer Politik in Jugoslawien eindeutig nach dem Grundsatz: Was kümmert uns unser Geschwätz von gestern? Das gilt übrigens für den Etat Verteidigung insgesamt. In der Haushaltsdebatte in diesem Saal am 26. November 1997 führte die Kollegin Beer aus: Wir beantragen heute die Streichung von 4,846 Milliarden DM aus dem Einzelplan 14 - Verteidigung als Signal für die Möglichkeit des Einstieges … in einen neuen Gesellschaftsvertrag. ({12}) Dann wandte sich Frau Beer an die Regierung Kohl und an Verteidigungsminister Rühe.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Kollege Wolf, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Austermann?

Dr. Winfried Wolf (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002830, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Selbstverständlich.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Bitte schön, Herr Austermann. ({0})

Dietrich Austermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000066, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege, ich lese gerade in Ihrer lustigen Selbstdarstellung, daß Sie Aktionär bei Daimler-Chrysler sind. ({0}) Das irritiert mich deshalb, weil, wenn ich das richtig sehe, die Firma Daimler-Chrysler ja einer der größten Rüstungsproduzenten in Deutschland ist. Können Sie mir erklären, wie das mit Ihrem Engagement, das Sie hier eben so sichtbar zum Ausdruck gebracht haben, zu vereinbaren ist? ({1})

Dr. Winfried Wolf (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002830, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Kollege Austermann, erstens müßten Sie korrekt zitieren. Aber Sie wissen ja, daß im Bundestagshandbuch steht, daß ich kritischer Aktionär bei Daimler-Chrysler bin und vorher bei Daimler war. ({0}) Zweitens wissen Sie selber und die Öffentlichkeit natürlich auch, daß kritische Aktionäre eine Aktie haben, um die minimalen Möglichkeiten der Demokratie, die es bei diesen Molochen und Großkonzernen gibt, auf den Hauptversammlungen zu nutzen. Ich werde in der nächsten Woche in der Schleyer-Halle in Stuttgart anwesend sein, das Wort ergreifen und zu dem Thema reden, so wie ich vor knapp einem Jahr auf der Hauptversammlung am 17. September in der Schleyer-Halle geredet habe. Damals habe ich die Frage gestellt: Herr Schrempp, wird es möglich sein, daß eine rotgrüne Regierung in der Lage ist, den Eurofighter und andere Aufrüstungsprojekte zu stoppen? Darauf hat Herr Schrempp laut Protokoll geantwortet: Herr Dr. Wolf, das wird nicht möglich sein. Diese Projekte werden alle durchgeführt werden, egal wer in Bonn oder Berlin konkret die Regierung stellt. ({1}) Das zeigt die Macht dieser Konzerne, und das zeigt, wie wichtig es ist, als kritischer Aktionär diese Fragen zu stellen. ({2}) Ich habe vorhin die Kollegin Beer mit ihrer Rede vom 26. November 1997 zitiert. Sie hat gesagt, daß Rüstungsetats für einen Gesellschaftsvertrag gekürzt werden sollen. Die Kollegin geht weiter. Sie sagte damals: Da der neue Gesellschaftsvertrag mit Ihnen, Herr Rühe und Herr Kohl, nicht zu machen ist, hoffen wir, „daß wir schnellstmöglich selber in die Verantwortung kommen“. Diese Hoffnung ging auf. Das Versprechen eines solch neuen Gesellschaftsvertrags wird von der neuen Regierung jedoch Tag für Tag gebrochen. Die Friedensdividende, die 1990 versprochen wurde und die es unter der Regierung Kohl nicht gab, gibt es auch unter der Regierung Schröder nicht; der Rüstungsetat 1999 wird nicht reduziert, er steigt. Auch hier zeigt sich die pure Kontinuität der Politik von Rühe und Scharping. Alle Aufrüstungsprogramme, die von den Grünen in den letzten Legislaturperioden gekürzt werden sollten, werden fortgesetzt. Und es wird noch weit schlimmer kommen: Diesen Krieg werden auch die deutschen Steuerzahlenden begleichen müssen, zum Beispiel durch eine mühsam versteckte Kriegssteuer in Form einer erneut erhöhten Mehrwertsteuer. Werte Damen und Herren, die PDS bleibt bei ihrem Nein zum Rüstungsetat. Sie fordert - inzwischen weitgehend allein - das, was bis vor wenigen Monaten auch die Grünen gefordert haben: ({3}) massive Kürzungen im Wehretat für einen Gesellschaftsvertrag, für ein soziales, ökologisches, gerechtes und ziviles Land. Wir fordern - seit dem ersten Tag des Krieges und heute erst recht und verstärkt - mit zunehmend mehr Abgeordneten der SPD und einer Minderheit der Grünen das sofortige Ende dieses Krieges und den sofortigen Stopp der Bombardements. Danke schön. ({4})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Ich erteile dem Kollegen Dr. Ludger Volmer das Wort zu einer Kurzintervention.

Dr. Ludger Volmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002393, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Der Vorredner hat gerade einige Äußerungen angesprochen, die die Kollegin Beer und ich in der Vergangenheit zur völkerrechtlichen Grundlage eines eventuellen militärischen Einsatzes der NATO gemacht haben. Dazu möchte ich folgendes ausführen, Herr Kollege Wolf. Niemand bestreitet, daß es richtig war, danach zu fragen, ob es für eine eventuelle militärische Aktion eine ausreichende völkerrechtliche Grundlage gibt. Diese Diskussion ist bis heute strittig geführt; es gibt sehr unterschiedliche Meinungen dazu. Auch die Völkerrechtler und Verfassungsrechtler mögen dazu weiterhin unterschiedlicher Meinung sein. Ich möchte von Ihnen nur eine Antwort haben, die Sie und Ihre Fraktion bis heute nicht gegeben haben. Alle, aber auch wirklich alle Versuche sind von dieser Bundesregierung unternommen worden, auf dem Verhandlungswege zu einer friedlichen Lösung zu kommen und den beginnenden Völkermord zu stoppen. Wie gehen Sie damit um, daß in dieser bestimmten historischen Situation nicht nur diese Regierung, sondern das gesamte Parlament und jeder einzelne in das Entscheidungsdilemma geraten ist, zwischen völkerrechtlicher Legalität und moralischer Legitimität und Verpflichtung, dort einzugreifen, abwägen zu müssen? Ich nehme jedem, der anderer Meinung ist als ich selber, die Ernsthaftigkeit seiner Entscheidung ab, wenn ich erkennen kann, daß er sich diesem Dilemma zwischen Legalität und Legitimität wirklich ausgesetzt hat. Das kann ich bei Ihnen und bei Ihrer gesamten Fraktion nicht erkennen. Wie Bundesminister Fischer in der letzten Debatte zu Recht dargestellt hat, betätigen Sie sich als Weißwäscher von Milosevics Politik, weil Sie nicht bereit sind, ({0}) zu beschreiben, welche Greueltaten im Kosovo stattfinden. Den Krieg hat nicht die NATO begonnen; den Krieg hat ein Despot gegen einen Teil seines eigenen Staatsvolks angezettelt. Genauso, wie wir beschreiben können, daß ein Militäreinsatz ohne Zustimmung des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen einen völkerrechtlichen Mangel aufweist, genauso können wir sagen, daß das gesamte Völkerrecht eine große Lücke in dem Bereich aufweist, wo es keine Regelungen dafür vorsieht, wie die internationale Gemeinschaft vorgehen kann, wenn in einem innerstaatlichen Konflikt ein Despot einen großen Teil seines eigenen Volkes massakriert. ({1}) Daraus kann und muß man ableiten, daß es in bestimmten historischen Situationen eine Art übergesetzlichen Notstand und eine Art Nothilfeverpflichtung gibt. Aus dieser singulären Tatsache kann man nun gerade nicht ableiten, daß dies zum Völkergewohnheitsrecht wird. Von daher ist es richtig, kritisch darauf hinzuweisen, daß es diese völkerrechtlichen Mängel gibt. Ich lasse mir diese Kritik von jedem gefallen, der sich dem Dilemma wirklich aussetzt. Ich lasse sie mir aber nicht von jemandem gefallen, der die Realität verbiegt, nur um sein eigenes Weltbild zu retten. ({2})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Zur Erwiderung Herr Kollege Wolf.

Dr. Winfried Wolf (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002830, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Sehr geehrter Herr Kollege Ludger Volmer! Werte Kolleginnen und Kollegen! Wenn das Weltbild angesprochen wird, dann kann ich sagen, daß es bei mir immer das gleiche war, aber ein anderes, als Sie hier unterstellen. ({0}) Es war gegen den Putsch in Griechenland am 21. April 1967 gerichtet, gegen den Vietnamkrieg, gegen den Einmarsch in Afghanistan, gegen den Prager Einmarsch der Sowjets. Genauso ist es gegen diesen Krieg in Jugoslawien gerichtet. ({1}) Was das Gewohnheitsrecht betrifft, Herr Kollege Ludger Volmer, kann ich nur sagen: Ich gehe fest davon aus - die Kollegen, die einigermaßen rational denken können, auch -, daß damit ein Paradigmenwechsel eingetreten ist, daß damit wirklich Gewohnheitsrecht geschaffen werden wird. Das hat sich ganz konkret auf der NATO-Tagung zur 50-Jahr-Feier in Washington niedergeschlagen, wo gesagt wurde, daß die NATO-Charta so geändert wird, daß das nicht eine Ausnahme, sondern regelmäßig möglich ist. ({2}) Wenn Sie, Kollege Ludger Volmer, sagen, daß alle Versuche vor Beginn des Krieges am 24. März unternommen worden seien, um diesen Krieg nicht führen zu müssen, dann verweise ich auf drei Tatbestände. Erstens. Im Herbst letzten Jahres gab es ein Abkommen zwischen Holbrooke und Milosevic. In diesem Abkommen wurde festgelegt, daß 2 000 OSZEBeobachter ins Land kommen sollen. Diese wurden nicht gebracht. Es wurden maximal 1 300 zur Überwachung entsandt. Trotzdem wird in den Berichten des Auswärtigen Amtes - und zwar aktualisierten Berichten, nicht irgendwelchen alten Berichten von Beamten der CDU - geschrieben, daß sich die Lage in diesem Zeitraum verbessert habe. ({3}) Zweitens. In Rambouillet hat es sich unserer Ansicht nach um eine erpresserische Situation Jugoslawien gegenüber gehandelt. ({4}) Das ist spätestens dann deutlich geworden, liebe Kollegen von der SPD, als Sie selber den Vertrag sehen konnten. Ich kenne viele SPD-Kollegen, die jetzt, nachdem sie den Vertrag mit Annex B gelesen haben, sagen: Ja, das war Erpressung. So kann es nicht sein. Das ist ein reiner Kapitulationsvertrag. ({5}) Drittens. Denken Sie daran, daß in Rambouillet, nachdem Milosevic unter diesem Druck in vielen Punkten nachgegeben hat, ({6}) der entscheidende Punkt der war, ob UN-Truppen im Land sein würden oder NATO-Truppen im Kosovo sein würden. Da wurde gesagt: Niemals UN, es müssen NATO-Truppen sein. Jetzt sagen Sie: Wir holen die UNO wieder herein; sie müsse irgendwie in der internationalen Truppe drin sein. Das geht zurück zu dem, was in Rambouillet erreicht worden ist. ({7}) Zum Schluß, werter Kollege Ludger Volmer -

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Kollege Wolf, Ihre Zeit ist zu Ende.

Dr. Winfried Wolf (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002830, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Haben Sie mit dem Kollegen Ludger Volmer verglichen? - Aber okay. Ich darf nicht kommentieren. ({0})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Für die Bundesregierung spricht nun der Bundesminister der Verteidigung, Rudolf Scharping. ({0})

Rudolf Scharping (Minister:in)

Politiker ID: 11002769

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Vor wenigen Tagen ist eine Umfrage veröffentlicht worden, die nach der Vertrauenswürdigkeit und der Glaubwürdigkeit öffentlicher Institutionen fragte. Die Polizei lag mit 84 Prozent an der ersten Stelle, die Bundeswehr und das Bundesverfassungsgericht mit 73 bzw. 74 Prozent folgten in dieser Wertschätzung an zweiter Stelle. Diese Wertschätzung ist gut begründet. Sie macht das ausgeprägte Vertrauen in der Bevölkerung deutlich. Ich denke, man sollte am Anfang dieser Debatte sagen, daß man auf die Leistungen der Bundeswehr ebenso stolz sein kann, wie man keinen Grund hat, sie in irgendeiner Weise zu verstecken, weder hinter Kasernenmauern noch sonstwo. ({0}) Die Leistungen sind auch deshalb so erstaunlich, weil die Bundeswehr wie kein anderer Bereich, der von der Politik zu verantworten wäre, seit der deutschen Einheit Veränderungen durchmachen mußte. Die Zahl der Soldaten in Deutschland ist von 700 000 auf 340 000 gesunken, die Zahl der Zivilbeschäftigen von über 200 000 auf 140 000, die Zahl der Mitarbeiter allein in der territorialen Wehrverwaltung von 78 800 auf 56 500. Dadurch ist der Anteil, den wir für Verteidigungsausgaben in Relation zum Bruttoinlandsprodukt ausgeben, von 3,0 auf 1,5 Prozent ebenfalls halbiert worden. Gleichzeitig müssen die Angehörigen der Bundeswehr mit Belastungen fertig werden, von denen ich jetzt nur einige nenne. Das Defizit bei den Unteroffizieren ergibt sich zum Beispiel daraus, daß die Laufbahn der Unteroffiziere im Verhältnis zu den Laufbahnen in Polizei und Bundesgrenzschutz hinsichtlich der Besoldung und der Beförderungsmöglichkeiten zurückgeblieben ist. ({1}) Man muß das offen aussprechen; denn sonst gibt es keinen Grund, irgend etwas zu ändern. Dasselbe gilt übrigens für die Ost-West-Besoldung und für manches andere. Ich erwähne das nicht nur, um eine Leistung zu beschreiben, sondern um auch bei dieser Etatdebatte noch einmal zu bekräftigen: Angesichts solcher tiefgreifenden Veränderungen, die übrigens auch Herausforderungen für die betroffenen Menschen und ihre Familien bedeutet haben, gilt für die Zukunft unverändert das Prinzip planerischer und sozialer Sicherheit. Wenn man Änderungen herbeiführen will, muß man dafür eine sichere Grundlage haben. ({2}) Ich sage dies auch im Zusammenhang mit diesem Haushalt. Trotz dieser erheblichen Veränderungen - ich könnte sie mit vielen anderen Beispielen und Zahlen belegen nimmt die Bundeswehr im übrigen Verpflichtungen für die Gesellschaft wahr, von denen - jedenfalls nach meinem Empfinden - in der Öffentlichkeit zuwenig gesprochen wird, was bedeutet, daß darüber auch zuwenig Informationen und Bewußtsein vorhanden sind. Wir haben zur Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit im Rahmen des Programmes, das der Bundesarbeitsminister dankenswerterweise und mit großem Erfolg aufgelegt hat, 5 000 zusätzliche Plätze für Wehrdienstleistende bereitgestellt, die arbeitslos sind. Wir haben die Zahl der Ausbildungsplätze um 200 erhöht und damit den absoluten Löwenanteil bei der Erhöhung der Zahl der Ausbildungsplätze im Bereich der Bundesverwaltung erbracht. Wir geben im Jahre 1999 für zivilberufliche Ausbildung 2,2 Milliarden DM aus. Damit ist die Bundeswehr der größte Investor in Ausbildung in der gesamten Bundesrepublik Deutschland. ({3}) Im übrigen geben wir noch 3,7 Milliarden DM für absolut verteidigungsfremde Aufgaben aus. Ich könnte sie im einzelnen darstellen. Ich nenne nur ein Beispiel, was ich schon mit Blick auf künftige Haushaltsberatungen erwähne, um Neugierigen das Informationsbedürfnis zu befriedigen. In dieser Summe sind 770 Millionen DM für die Finanzierung der Bauverwaltung der Länder enthalten. ({4}) Wenn ein großes Bedürfnis bestehen sollte, sich mit dem Verteidigungshaushalt so auseinanderzusetzen, wie ich es manchmal vermute - um nicht zu sagen: befürchte -, dann werden genau diese Ausgaben auf den Prüfstand kommen; denn eines will ich absolut deutlich machen: In einer Zeit, in der dauerhaft immer stärker internationales Krisenengagement der Bundeswehr gefordert ist, wird in der militärischen Leistungsfähigkeit, in der Ausbildung und in der Ausrüstung der Bundeswehr nichts eingespart werden können. Es wird auch nichts eingespart werden. Wer der Auffassung ist, man müsse nach Sparmöglichkeiten suchen, der findet sie dort, wo ich sie gerade geschildert habe. Dabei wünsche ich dann jedem viel Vergnügen. ({5})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Bundesminister Scharping, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Koppelin?

Rudolf Scharping (Minister:in)

Politiker ID: 11002769

Aber gerne.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Bitte schön, Herr Koppelin.

Dr. h. c. Jürgen Koppelin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001180, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Minister, ich bin Ihnen für den Hinweis sehr dankbar, welchen Beitrag die Bundeswehr an die Bauverwaltung der Länder zahlt. Ich will ausdrücklich erwähnen, daß Rheinland-Pfalz in dieser Angelegenheit eine positive Ausnahme ist. Nehmen Sie zur Kenntnis, daß die F.D.P.-Fraktion im Haushaltsausschuß dazu einen Antrag gestellt hat, um Sie auch von diesen Kosten zu entlasten, daß aber die rotgrüne Koalition diesen Antrag leider abgelehnt hat?

Rudolf Scharping (Minister:in)

Politiker ID: 11002769

Herr Koppelin, ich hätte es, ehrlich gesagt, auch für falsch gehalten, wenn man dies übers Knie bricht; ({0}) denn Sie weisen zu Recht auf das gute Beispiel des Landes Rheinland-Pfalz hin. Sie wissen aber auch, daß es bei Ihrem Beispiel eine gewisse Zeit gebraucht hat, um die Bauverwaltung so zu modernisieren, daß man die Vereinbarungen mit ihr treffen konnte, die jetzt seitens des Bundesverteidigungsministeriums gerade mit diesem Teil der Bauverwaltung abgeschlossen werden. Die Länder sind da - mit Verlaub und völlig unabhängig von parteipolitischen Konstellationen - insgesamt auf dem richtigen Weg, manche etwas schneller als andere. Ich will das jetzt nicht weiter ausführen. Ich wollte auf diese zivilen und gesellschaftlichen Leistungen der Bundeswehr aufmerksam machen, nicht nur im Zusammenhang mit Ausbildung oder Leistungen für die Bauverwaltung oder anderem. Dasselbe gilt für den Sport, die Umwelt, den Aufbau Ost, die Krankenhäuser und das Rettungswesen, an dem sich die Bundeswehr im zivilen Interesse beteiligt. Die Rettungsflüge, die von Bundeswehrhubschraubern unternommen werden, dienen zu 99 Prozent zivilen Zwecken. Vor diesem Hintergrund - einschließlich der Hilfe in Katastrophenfällen - kann ich nur sagen: Wer über den Haushalt redet, muß sich auch noch mit einer anderen Tatsache auseinandersetzen. Wenn mir Ministerpräsidenten geschrieben haben, ihr habt uns freundlicherweise bei der Katastrophe Hochwasser geholfen, ihr habt uns freundlicherweise bei der Schneekatastrophe in Galtür geholfen - das haben uns die Österreicher geschrieben -, ist hinzuzufügen, daß wir die Einsätze dort bisher unter „Übungsbetrieb“ abgerechnet haben. Insofern ist die Hilfe für die, die sie bestellen, kostenfrei. Wenn jemand das Bedürfnis hat, betriebswirtschaftliche Erwägungen konsequent durchzudeklinieren, dann können wir das gerne tun. Aber ich bin ziemlich sicher, daß eine Vielzahl von Abgeordneten, die diese Erwägung abstrakt für richtig halten mögen, schon bei der kritischen Prüfung allein der Kleinststandorte der Bundeswehr die Frage stellen würden, ob wir hier nicht das Prinzip, Arbeitsplätze in den Regionen zu sichern, dem Prinzip der Wirtschaftlichkeit vorziehen sollten. Das ist einfach eine Tatsache. ({1}) Vor diesem Hintergrund sage ich - auch mit Blick auf die Zukunft -: Denjenigen, der glaubt, daß er einer Verkleinerung der Bundeswehr - aus welchen Gründen auch immer - das Wort reden müßte - daß man über diese Frage unbefangen nachdenken muß, ist völlig klar -, weil man zum Beispiel im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt und im Verhältnis zu den Steuereinnahmen des Bundes Einsparungen erzielten könnte, warne ich. ({2}) Denn die Bundesrepublik Deutschland ist in der Reihe der NATO-Staaten - das sind bekanntlich 18; ich lasse Island einmal für einen Moment außerhalb der Betrachtung - bei ihren Aufwendungen für Sicherheit und Verteidigung auf dem 14. Platz angekommen. Man kann nicht dauerhaft außenpolitisch in der ersten Reihe sein wollen, wenn man sicherheitspolitisch auf dem 14. Platz ist. Das ist eine banale Tatsache. ({3}) Das wird auch nicht dadurch geändert, daß man in vielen anderen Bereichen die Fähigkeit ausbauen muß - das habe ich hier im Parlament immer wieder unterstützt und will es auch heute sagen -, internationales Engagement und Friedenssicherung zunächst zu gründen auf die Stärkung internationaler Organisationen, auf Krisenprävention, auf Krisenbewältigung, auf die Hilfe bei der Beseitigung von Ursachen, aus denen gewalttätige Auseinandersetzungen entstehen können. Damit komme ich zu dem internationalen Engagement, das die Bundeswehr in Zukunft viel stärker prägen wird als in der Vergangenheit. Krisenprävention und Krisenbewältigung sind Stichworte, die nicht nur in der neuen NATO-Strategie eine Rolle spielen, sondern die die Bundeswehr schon jetzt sehr praktisch prägen, ihr Leben bestimmen, ihre Fähigkeiten manchmal deutlich stärker beanspruchen, als auf Dauer - jedenfalls bei gleichbleibenden Fähigkeiten - verantwortbar wäre. Das gilt für Bosnien-Herzegowina, das gilt für die humanitäre Hilfe in Mazedonien und Albanien, das gilt für die Stand-by-Arrangements. Das sage ich jetzt den Kollegen der CDU/CSU. ({4}) - Das können wir gerne tun. Daß die Bundesregierung es absolut ernst meint mit der Stärkung internationaler Organisationen, können Sie daran erkennen, daß wir im ersten halben Jahr unserer Amtszeit mit den Vereinten Nationen - ich habe mit dem Herrn Generalsekretär dreimal darüber gesprochen Gott sei Dank eine Vereinbarung getroffen haben, die die Geschwindigkeit und die Effizienz in der Reaktion der Vereinten Nationen verbessern hilft. Damit sind wir dann in einer Reihe mit sehr vielen zivilisierten Staaten, die das ebenfalls tun und den Vereinten Nationen entsprechende Fähigkeiten und entsprechende Kräfte annoncieren, damit sie ihre Arbeit schneller und besser erledigen können. Ich halte das für einen großen politischen Fortschritt. ({5}) Ich will jetzt eine Frage im Rahmen des Gesamtthemas Kosovo beantworten. In dem Antrag der BunJürgen Koppelin desregierung wird von einem Mandat der Vereinten Nationen oder einem Abkommen gesprochen und in beiden Fällen von der Voraussetzung, daß es einen konstitutiven Beschluß des Deutschen Bundestages gibt. Ich glaube, damit ist die Frage, die offengeblieben war, beantwortet. Da wir in diesen Fragen bisher einen sehr großen Konsens hatten - ich hoffe, das bleibt so -, will ich Ihnen ebenso deutlich sagen: Es steht ausdrücklich keine Absicht dahinter, sich in irgendeiner Form am Boden außerhalb Albaniens und Mazedoniens und außerhalb des humanitären Auftrages bzw. der anderen Mandate, die erteilt sind, zu engagieren. Ich will das sehr deutlich sagen. Ich kann nicht ausschließen - aber das ist schon eine fast spekulative Debatte über die Entwicklungen in den nächsten Tagen oder Wochen -, daß wir schneller zu einem VN-Mandat als zu einem Abkommen kommen werden. Es ist durchaus möglich, daß ein VN-Mandat dem Abkommen vorausgeht und die Chancen zu seinem Abschluß verbessert. Auf diese Dinge sollte man sich einrichten. Da der Deutsche Bundestag ohnehin für den Fall, daß das geschieht, nach seiner Meinung und Zustimmung gefragt werden muß, denke ich, ist der humanitäre Charakter insgesamt zweifelsfrei.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Kollege Scharping, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Irmer?

Rudolf Scharping (Minister:in)

Politiker ID: 11002769

Ja, bitte.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Irmer.

Ulrich Irmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000996, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Minister Scharping, ich weiß, daß auch Sie die Vorlage der Bundesregierung so verstehen wie ich und daß Sie deshalb meine Frage mit ja beantworten werden. ({0}) In den Diskussionen unter den Abgeordneten ist folgende Frage aufgetreten: Eine Passage in der Beschlußvorlage der Bundesregierung, die Sie gerade zitiert haben, ist auf Grund drucktechnischer Probleme nicht klar zu erkennen. Dort wird von einem UN-Mandat und Friedensabkommen und davon gesprochen, daß ein erneuter Beschluß des Deutschen Bundestages auf jeden Fall Voraussetzung ist. Das bezieht sich doch auf die Ziffern I, II und III in gleicher Weise, das heißt auf die Ausweitung der humanitären Hilfsleistungen, auf die Ausweitung des Drohnenauftrages und auf die Nothilfeaktionen. Es ist nämlich heute nachmittag gefragt worden, ob sich das - im Druck sieht das so aus - nur auf den dritten Teil bezieht. Ich verstehe es doch richtig, daß es sich auf alle drei vorgeschlagenen Maßnahmen bezieht?

Rudolf Scharping (Minister:in)

Politiker ID: 11002769

Die Antwort ist die von Ihnen erwartete. ({0}) Sie verstehen das richtig. ({1}) Ich will jetzt noch etwas zu diesem ernsten Thema sagen. Manchmal vergaloppiert man sich in Formulierungen; davon soll übrigens auch ein Verteidigungsminister nicht völlig frei sein. Sie werden gleich merken, was ich meine. Ich habe gerade eine „dpa“-Meldung in die Hand bekommen, aus der ich auszugsweise zitieren will: Flüchtlingsberichte über Greueltaten häuften sich Die Flüchtlinge hatten vor allem Verletzungen an Rücken, Beinen und Händen. Einer konnte keinen Finger mehr bewegen, weil seine Hände nach den Schlägen schwer geschwollen waren. Man muß wissen, diese Menschen waren bei der Spezialpolizei in Pristina inhaftiert. 60 Männer, die zur gleichen Zeit abgeführt worden waren, befänden sich noch in der Gewalt der Polizei, hieß es. Die Vertriebenen … sind nach Angaben des UNHCR traumatisierter denn je. Viele seien in Tränen aufgelöst und hysterisch. Wieder häuften sich Berichte, serbische Paramilitärs hinderten Männer an der Flucht oder holten sie unterwegs von den Traktoren … An der Grenze kommen praktisch nur Frauen, Kinder und Alte an. Viele Flüchtlinge berichten laut UNHCR von Erschießungen. Ich zitiere das einfach und knüpfe, ohne das überzubewerten, den schlichten Hinweis an, daß sich jeder, der sich wie der Kollege Gysi oder der Kollege Wolf - sie benutzten zum Beispiel die Formulierung, der Krieg habe am 24. März begonnen ({2}) äußert, nach der Methode betätigt: Ich muß die Augen nur fest schließen und meine Phantasie möglichst anstrengen, dann bekomme ich auch genau das ideologische Bild zusammen, das ich schon immer von der Welt hatte. Das ist die Methode, die dahinter steckt. ({3}) Ich muß all diesen Kollegen sagen: Wer allerlei Erörterungen, ob rechtlicher oder sonstiger Natur, anstellt, ohne auch nur einen einzigen Satz auf die seit Monaten von Vertreibung, Mord, Erschießung und anderen Greueltaten betroffenen Menschen zu verwenden, der hat in meinen Augen jede moralische, jede politische und jede demokratische Glaubwürdigkeit eindeutig beschädigt, die in einer auf Menschen orientierten Politik der Maßstab sein müßte. ({4}) Das humanitäre Mandat ist notwendig geworden. Ich kann das sehr genau nachvollziehen. Ich erinnere mich an die Telefonate mit dem Kollegen Fischer in der Nacht von Karfreitag auf Ostersamstag. Ich weiß, wie das Lager in Blace, diese Schlammwüste, freigeräumt worden ist. Nur deshalb, weil die Bundesregierung innerhalb von zehn Stunden zusagen konnte, sie werde Menschen nach Deutschland ausfliegen, sie werde eine europäische Initiative ergreifen, sie werde noch am Ostersamstag mit Hilfsflügen beginnen. Ich weiß, wie das entstanden ist. ({5}) ({6}) Ich will Sie auf einen einzigen Punkt aufmerksam machen, lieber Herr Kollege Wolf - das „lieber“ streichen Sie besser gleich wieder -: ({7}) Sie haben kritisiert, es seien nur 1 300 OSZEBeobachter ins Land gekommen. Soll ich Ihnen einmal an Hand unserer Unterlagen zeigen, wie oft wir uns mit der jugoslawischen Regierung herumschlagen mußten, damit für die Leute überhaupt ein Visum erteilt worden ist? Soll ich Ihnen einmal erzählen, daß sie sogar verweigert hat, einem Rettungshubschrauber die Einfluggenehmigung zu erteilen? Ich könnte noch weitere Beispiele nennen. Ich will Ihnen aber nicht zuviel Ehre antun. ({8}) Ich möchte auch die CDU/CSU auf einen Umstand aufmerksam machen, den ich einem Interview vom 20. Januar 1999, veröffentlicht in der „Saarbrücker Zeitung“, entnehme. Die Frage war: „Fordern Sie, daß die NATO militärisch im Kosovo eingreift?“ Die Antwort war: „Ich sehe eine große Gefahr für Europa. Deswegen muß entschlossen politisch gehandelt werden, ohne daß man militärische Optionen ausschließt, etwa durch das Gerede von deutschen Ministern.“ Dann war die Frage: „Macht Ihnen die Rolle eines Oppositionspolitikers zu schaffen, der nur appellieren, aber nicht handeln kann?“ Ich zitiere den Schluß der Antwort: „Die deutsche Regierung ist weggetaucht. Fischer schielt auf die eigene Basis, anstatt auf die Toten im Kosovo zu blicken.“ ({9}) Nun ist der Kollege Rühe - wie leider häufiger in solchen Debatten - nicht anwesend. Ich will bei dieser Gelegenheit aber noch einmal sehr deutlich sagen, daß diese Bocksprünge - im Januar heißt es: man darf keine militärische Option ausschließen, Fischer taucht weg, er schielt nur auf die eigene Basis; im März sagt man dann genau das Gegenteil - auch nicht gut für die Glaubwürdigkeit von Politik sind, da man dann den Eindruck bekommen muß, es ginge je nach Stimmung mal in die eine und mal in die andere Richtung. ({10}) Weil es in der Hoffnung auf einen großen Konsens um die Frage geht, wie sich die Angelegenheit mit dem humanitären Mandat gestalten wird, hoffe ich sehr, daß alle Mitglieder des Deutschen Bundestages - ich schließe die Bundesregierung ausdrücklich ein - weiterhin die Kraft haben, zwei Dinge im Auge zu behalten: die Menschen, die von einer grausamen Vertreibung und Verfolgung betroffen sind, und die Maßnahmen, die man dagegen treffen muß. Ich hoffe, daß diese Maßnahmen nicht mehr allzu lange militärischer Art sein müssen. Das müßte man aber sehr sorgfältig darstellen, wenn man diese Hoffnung im einzelnen begründen wollte. Dafür fehlt mir jedenfalls heute die Zeit. Ich will etwas zu den Entwicklungen im Zusammenhang mit den Folgerungen für die Bundeswehrstruktur sagen. Das strategische Konzept der NATO unterscheidet nicht mehr zwischen Krisenreaktionskräften und Hauptverteidigungskräften. Das wird auch für die Streitkräfteplanung innerhalb der Bundeswehr und übrigens auch für die Arbeit der Kommission Folgen haben. Ich verstehe die Schwierigkeiten insbesondere der Kollegen der CDU/CSU-Opposition. Es sind nun wirklich eine Reihe von Leuten in der Kommission versammelt, die den großen Vorteil haben, große Autorität und große persönliche Integrität mit großer Unabhängigkeit zu verbinden - das übrigens auch mit enormem Sachverstand. Daß zum Beispiel der ehemalige Bundespräsident Richard von Weizsäcker Vorsitzender einer Kommission zur Reform der Vereinten Nationen war, scheint Ihnen entgangen zu sein. Wenn es aber um internationale Politik und die Stärkung internationaler Organisationen geht, ist es klug, einen Mann mit dieser Integrationsfähigkeit, mit dieser Autorität, mit diesem Ansehen und mit diesen Kenntnissen internationaler Politik zu haben. Ich nehme an, Sie haben auch nichts dagegen, daß Agnes Hürland-Büning dabei ist. Ich könnte Ihnen noch viele andere als Beispiel nennen. Ich kenne Ihre Verlegenheit. Was die von Ihnen so apostrophierten kirchlichen Würdenträger angeht: Ich möchte Sie damit vertraut machen - dazu muß ich mich jetzt aber sehr kurz fassen -, daß zum Beispiel der Chef der Deutschen Bank sagt: Wenn ich mich mit neuen Fragen beschäftigen will auch mit neuen Geschäftsfeldern -, dann muß ich Leute von außerhalb der Bank, von außerhalb der Betriebsund der Volkswirtschaft hören. - Sie haben offenbar ein Verständnis der Entwicklung von Politik, das auf ein Puzzle von Fachkenntnissen im engsten Sinne des Wortes setzt. Daraus entsteht keine politische Perspektive. ({11}) Wenn Sie sich später einmal die Ergebnisse anschauen werden Sie sich - darüber schließe ich schon heute eine Wette mit Ihnen ab -, über die Kritik, die Sie jetzt leichtfertig äußern, ziemlich ärgern müssen. Ich bin mir aber auch sicher, daß Sie einen Weg finden werden, dann zu sagen, Sie hätten Ihre Kritik ja geäußert, damit die Ergebnisse gut werden, und das hätten Sie dann wenigstens auch geschafft. Ich bin mir ziemlich sicher, daß es so kommen wird. ({12}) Ich will noch im Zusammenhang mit dem, was der Kollege Austermann gesagt hat, einen zweiten Hinweis geben und dann zum Schluß kommen. Kollege Austermann, alles, was Sie im Zusammenhang mit internationalen Projekten - ob das jetzt der „Tiger“, der „NH 90“, das „GTK“ oder etwas anderes ist - gesagt haben, ist falsch. Zum Beispiel habe ich im Dezember 1998 in Brüssel die Regierungsabkommen unterschrieben. Ich gebe Ihnen noch einen zusätzlichen Hinweis. Wenn Sie einmal in die Bestandsaufnahme blicken, dann werden Sie feststellen, daß Sie dieser Bundesregierung, was die Ausrüstung der Bundeswehr angeht, einen Zustand hinterlassen haben, bei dem man sich an manchen Stellen wirklich die Haare raufen müßte. Denn das, was wir in diesem Haushalt aufwenden müssen, um Material einsatzfähig zu halten, ist auf einem unverantwortlich hohen Niveau, und zwar nur deshalb, weil das in der Vergangenheit nicht ordentlich geplant, nicht ordentlich gepflegt und auch nicht ordentlich finanziert worden ist. ({13}) - Sie verläßt der Mut auch nie. ({14})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Austermann?

Rudolf Scharping (Minister:in)

Politiker ID: 11002769

Gerne.

Dietrich Austermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000066, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich glaube, Herr Minister, Sie haben es viel schwerer, wenn Sie bei der wichtigen Frage, wie man zur Bundeswehr steht, die ungeordneten Truppen in Ihren eigenen Reihen sehen. ({0}) Ich möchte drei Fragen stellen. Erstens. Vorhin haben Sie Kritik an Abwesenden vorgebracht. Jetzt sind Sie dabei, den fünften Beschluß zum Thema internationale Einsätze im Kosovo zu fassen. Über vier ist bisher entschieden worden. Gibt es einen einzigen, bei dem Sie bestreiten können, daß die Union geschlossen zugestimmt hat? Zweitens. Ich möchte auf Ihre Feststellung von eben zurückkommen. ({1}) - Ich habe Ihnen vorhin die Frage erspart, was denn mit der Lüge von Herrn Fischer in bezug auf das Rambouillet-Abkommen war. - Ich möchte Ihnen, Herr Minister, die Frage stellen: Wann ist beispielsweise im Hinblick auf „GTK“, wann ist beispielsweise im Hinblick auf den „Tiger“ mit den Franzosen eine verbindliche Vereinbarung unterzeichnet worden, die etwas über Stückzahlen und über Vertragsinhalte vorsieht? Ich kenne die Vereinbarung vom Dezember 1998. Sie wissen genau wie ich, daß es bis heute keine verbindliche Festlegung gibt und daß noch nicht einmal das Fluggerät fertig ist. Drittens. Sie haben kritisiert, daß, was die Materialerhaltung betrifft, nur unzureichende Mittel vorhanden sind. Ist es nicht so, daß Ihre eigenen Freunde Sie im Haushaltsausschuß im Stich gelassen haben, als es um die Frage ging, Mittel in ausreichendem Maße zur Verfügung zu stellen? Dabei haben wir natürlich daran gedacht, daß das für Materialerhaltung und -instandsetzung aufgebracht werden soll. ({2})

Rudolf Scharping (Minister:in)

Politiker ID: 11002769

Zum ersten. Ich stimme Ihnen zu: Sie als CDU/CSU haben diese Beschlüsse geschlossen unterstützt - auch die F.D.P., auch die Grünen, ({0}) auch die SPD. Das ist auch gut so. Zum zweiten. Sie dürfen bitte nicht von mir verlangen, daß ich in einem halben Jahr alles das abschließe, was Sie - ich meine nicht Sie persönlich - mir auf den Schreibtisch gelegt haben. ({1}) Das schaffe ich nicht. Ich arbeite gerne 18 oder 20 Stunden am Tag - wenn es sein muß; leider muß es im Moment oft sein -, aber ich kann nicht Vorgänge, die Sie zum Teil seit Jahren versucht haben zu bearbeiten - ich unterstelle gar keine schlechten Absichten oder sonst etwas -, innerhalb kürzester Zeit abschließen. Sie wissen selbst, wie schwierig das manchmal ist. Ich weiß jedoch auch, daß wir den deutsch-französischen Gipfel und das Treffen der Verteidigungsminister am Rande der Herbsttagung gebraucht haben, um mit Frankreich und anderen wenigstens das Regierungsabkommen zu unterschreiben. Auf dieser Grundlage gibt es einen Industrievertrag. Ich hoffe - aber das ist eine Hoffnung -, daß der vor den Sommerferien endgültig fertig wird. Das dritte beantworte ich Ihnen privat, damit ich noch Zeit für eine kurze Bemerkung habe, wenn Sie, Herr Präsident, es mir gestatten. Im Zusammenhang mit dem strategischen Konzept haben wir immer gesagt, die NATO soll Krisenprävention und Konfliktbewältigung bloß nicht irgendwie betreiben, sondern dabei strikt an die Charta der Vereinten Nationen sowie an die Beachtung des internationalen Rechtes gebunden sein und weiterhin den festen Willen zur Kooperation mit Rußland, der Ukraine und anderen Staaten haben. Das hat Konsequenzen im Zusammenhang mit dem Haushalt und der künftigen Entwicklung des Haushaltes des Verteidigungsministeriums. Ich will ausdrücklich sagen: Die Haushaltsberatungen waren - warum sollte man das verschweigen? - zum Teil auch inBundesminister Rudolf Scharping nerhalb der Fraktion, innerhalb der Koalition - nicht Fraktion - streitig. ({2}) Das ist auch nicht anders zu erwarten. Denn wir müssen uns - das ist nun mal leider so - mit der Tatsache auseinandersetzen, daß wir alle zusammen von Ihnen einen Haushalt übernommen haben, in dem 25 Prozent der Steuereinnahmen nur zur Bedienung von Zinsen ausgegeben werden müssen. ({3}) Natürlich kann und wird sich die Bundeswehr auch dem notwendigen Konsolidieren der öffentlichen Finanzen nicht entziehen. Das ist völlig klar. Das hat sie ja bewiesen - der Verteidigungsminister, hoffe ich, durch sein Verhalten im Zusammenhang mit den Haushaltsberatungen auch. Wenn man den Haushalt fair beurteilen will, muß man allerdings zwei Gesichtspunkte anfügen: Das erste ist: Wir sind schon im Mai, und insofern ist eine solche Brücke akzeptabel. Das zweite ist: Die Koalition hat, und zwar in deutlicher Veränderung dessen, was früher gemacht worden ist, zum erstenmal Globalbudgets zur Verfügung gestellt. Sie hat zum erstenmal Möglichkeiten einer effizienten und flexiblen Bewirtschaftung von Haushaltsmitteln zur Verfügung gestellt. Sie hat zum ersten Mal eine Regelung über die militärischen Verkäufe getroffen, die es mir ermöglichen, jetzt von den dauernd reklamierten Blicken auf die Flugbereitschaft zu den Taten zu kommen, die notwendig sind. Die werden auch geschehen. Der Investitionsanteil steigt. Er ist insgesamt dennoch zu niedrig. Das ist eine eingeleitete und hoffentlich durchzuhaltende Entwicklung. Das heißt unter dem Strich: Ich rate jedem ab, Sicherheitspolitik eines Landes nach kurzfristigen Erwägungen zu beurteilen. Das geht einfach nicht. Der Haushalt für das Jahr 1999 ist in einer zu Teilen durchaus streitigen Debatte zu einem wirklich vernünftigen Ergebnis gekommen. Auf dieser Grundlage wird die Bundeswehr das bleiben, was sie in der Vergangenheit war: trotz mancher Belastungen zuverlässig, handlungsfähig und innovativ. Ich finde, das Parlament hat guten Grund - die Bundesregierung ohnehin -, den Angehörigen der Bundeswehr, aber auch den Familien der Angehörigen der Bundeswehr ausdrücklich Dank zu sagen und einen hohen Respekt auszusprechen; ({4}) denn das, was sie leisten, ist für das Ansehen und die Sicherheit unseres Landes von zentraler Bedeutung. ({5})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Ich erteile das Wort dem Kollegen Paul Breuer für die CDU/CSU-Fraktion.

Paul Breuer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000265, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Jeder, der sich mit der Verteidigungs- und Sicherheitspolitik über längere Zeiträume beschäftigt hat - aber nicht nur solche Kollegen hier in diesem Hohen Hause -, spürt, daß der Verteidigungshaushalt 1999 etwas Besonderes an sich hat: nicht, weil er von einer neuen Regierung zu verantworten ist, sondern deshalb, weil er der erste Haushalt in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland ist, der zu einem Zeitpunkt endberaten wird, zu dem sich deutsche Soldaten innerhalb eines Einsatzes der NATO in einem bewaffneten Konflikt befinden. Das heißt, daß man hier nicht business as usual machen kann, sondern man muß mit einer besonderen Sensibilität und unter Anlegung besonderer Kriterien an diese Beratungen herangehen. Das fordert jeden hier in diesem Hause, Regierung und Opposition. Aber eines darf nicht vorkommen - und das ist das, was ich soeben in der Auseinandersetzung mit Frau Beer sehr deutlich empfunden habe -: daß man den Eindruck haben muß, daß man in der Regierung und in der Koalition nicht zu dem steht, was von der Führung der Regierung eigentlich gewollt wird. ({0}) Frau Beer, Sie sagen immer, Sie seien zerrissen. Ich sage Ihnen: Wer, wie Sie es getan haben, das, was leider in Kauf genommen werden muß, daß nämlich in Jugoslawien Opfer in der zivilen Bevölkerung leider nicht vermieden werden können, Mord nennt, unterstellt demjenigen, der in Deutschland die Hauptverantwortung für die Bundeswehr hat, der der Inhaber der Befehls- und Kommandogewalt ist, nämlich dem Verteidigungsminister, daß er ein Mörder sei. Und es geht noch weiter: Er unterstellt es diesem Hause, denn wir haben mit der konstitutiven Zustimmung zu diesem Auftrag ja den Weg dafür frei gemacht. Das ist, Frau Kollegin Beer - mit Verlaub gesagt -, ein Skandal. Das ist nicht tragbar. ({1})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Herr Kollege Breuer, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Angelika Beer?

Paul Breuer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000265, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich möchte ihre Frage erst zu einem späteren Zeitpunkt zulassen, um jetzt im Zusammenhang fortfahren zu können. ({0}) Ich habe mich eben gefragt, wen der Verteidigungsminister, als er die Mahnungen im Zusammenhang mit dem Haushalt ausgesprochen hat, hier in diesem Hause eigentlich gemeint hat. Ich habe beobachtet, Herr Kollege Scharping, daß Sie während Ihrer Rede vorzugsweise in die Richtung Ihrer eigenen Fraktion geschaut haben. Ihre Körpersprache war sehr verräterisch. Ich habe gesehen, daß Sie dabei Ihre Augen vor allen Dingen auf den sehr geschätzten Kollegen Volker Kröning gerichtet haben. Herr Kollege Scharping, Sie haben einen guten Grund, Ihren Kollegen anzuschauen; denn eben dieser Kollege hat in meinen Augen die Herausforderung, die ich eben beschrieben habe, nämlich einen Haushalt zu einem Zeitpunkt zu beraten, an dem sich die Bundeswehr in einem bewaffneten Konflikt befindet, überhaupt nicht erkannt. ({1}) Herr Kollege Kröning, Sie haben in diesen Haushaltsberatungen deutlich gemacht, daß es zunächst geplant war, bei der Bundeswehr, die eine schwierige Zeit durchmacht, mehr als 1 Milliarde DM einzusparen. Sie hätten es zu verantworten gehabt, daß den Soldaten, die sich im Konflikt befinden, Sicherheit in Form einer guten Ausrüstung verweigert worden wäre, nur weil Sie hier mit der Ärmelschonermentalität eines Buchhalters Politik zu machen versuchen. Dies ist nicht zulässig. ({2}) Herr Kollege Kröning, wenn Sie den Verteidigungshaushalt wie jeden anderen Haushalt - Sie haben es ja geschafft - um zwei mal 0,5 Prozent kürzen - Ihr Zwilling Metzger war dabei -, dann haben Sie die besonderen Herausforderungen, die an den Verteidigungshaushalt 1999 gestellt werden, auch nicht annähernd erkannt. Das muß deutlich festgestellt werden. ({3}) Das heißt, wenn wir allen Soldaten der Bundeswehr, aber insbesondere den Soldaten, die sich in dem jetzigen schwierigen Einsatz befinden, unseren besonderen Dank aussprechen - das möchte ich hiermit tun -, dann tun wir das insbesondere deshalb, weil sie ihren Dienst trotz der Attentate, die Sie auf den Haushalt zu verüben versuchen, verrichten. ({4}) Das ist unglaublich. ({5})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Herr Kollege Breuer, ich möchte einen Augenblick unterbrechen. Ich möchte alle Kolleginnen und Kollegen daran erinnern, daß wir uns hier in einer sehr ernsten Debatte befinden. Ich finde es deshalb nicht angemessen, auch nicht mit Blick auf die folgende namentliche Abstimmung, wenn sich Kollegen im Saal unterhalten, während über dieses Thema diskutiert wird. Ich möchte alle Kollegen bitten, an dieser Debatte teilzunehmen, oder ihre Gespräche draußen zu führen. Ich bitte um Ihr Verständnis. ({0})

Paul Breuer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000265, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Vielen Dank, Herr Präsident. Das hilft insbesondere dem Redner. Aber es erleichtert auch den Dialog. Wenn ich das Ergebnis der bisherigen Beratungen über den Verteidigungshaushalt am heutigen Tag zusammenfasse - Herr Kollege Kröning, hier spreche ich Sie ganz persönlich an -, dann muß ich feststellen, daß die rotgrünen Haushälter etwa 700 Millionen DM aus dem Verteidigungshaushalt, über den zu einem Zeitpunkt beschlossen wird, an dem sich die Bundeswehr einer besonderen Bewährungsprobe stellen muß, herausgestrichen haben. Wir stellen heute den Antrag, dies wieder rückgängig zu machen. Wir fordern Sie von der Koalition dazu auf: Unterstützen Sie unseren Antrag; denn die besondere Bewährungsprobe für die Bundeswehr muß in diesem Hause gewürdigt werden. ({0}) Wenn wir demnächst darüber diskutieren, meine sehr verehrten Kollegen Verteidigungspolitiker insbesondere bei der SPD, dann sagen Sie nicht: Wir konnten nichts dafür. Aber wir haben mit besonders grimmigen Gesichtern gegen den Antrag Ihrer Fraktion gestimmt. Damit kommen Sie nicht durch. Sie haben jetzt die Chance, unserem Antrag zuzustimmen und damit deutlich zu machen, daß Sie die besondere Herausforderung erkennen. Stimmen Sie nicht zu, versagen Sie in dieser Frage.

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Herr Kollege Breuer, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Kröning?

Paul Breuer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000265, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Gerne.

Volker Kröning (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002707, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Breuer, bevor ich Ihnen meine Frage stelle, möchte ich folgende Bemerkung machen: Ich muß Ihnen überlassen, zu beurteilen, ob Sie vorhin zugehört haben und ob Sie noch ernst genommen werden wollen, wenn Sie nach Ihren Ausführungen dem Verteidigungshaushalt zustimmen. Gestatten Sie mir folgende Frage: Können Sie mir bestätigen, daß der Regierungsentwurf für den Bundeshaushalt 1999 eine Ausgabenzuwachsrate von 1,7 Prozent vorsah und daß der Haushaltsentwurf nunmehr, nach den Beratungen des Haushaltsausschusses - ihr Abschluß fand unter dem wenn auch unterschiedlich starken Beifall aller Ausschußmitglieder statt -, nur noch eine Ausgabenzuwachsrate von 1,2 Prozent beinhaltet? ({0}) Können Sie mir bestätigen, daß der Verteidigungshaushalt zunächst um 1,3 Prozent steigen sollte und daß er nun zusammen mit den Verstärkungsmitteln für militärische und humanitäre Aufgaben um mehr als 1,8 Prozent steigt? Spricht das nicht für sich selbst?

Paul Breuer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000265, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Kröning, zum ersten Teil Ihrer Frage: Obwohl leider zu erwarten ist, daß Sie unseren Erhöhungsvorschlägen, deren Umsetzung den Etat auf die Höhe des Entwurfes der VorPaul Breuer gängerregierung führen würde, nicht zustimmen werden, werden wir dem Verteidigungsetat aus der besonderen Verantwortung für den Verteidigungsetat in dieser besonderen sicherheitspolitischen Situation gleichwohl zustimmen. Wir tun das nicht deshalb, weil wir Ihnen und Ihrer Tätigkeit zustimmen, sondern weil auch wir als Opposition in einer besonderen Verantwortung stehen und diese Verantwortung tragen wollen. ({0}) Zum zweiten Teil Ihrer Frage. Versuchen Sie doch nicht, dieses Verwirrspiel zu betreiben. Tatsache ist, daß Sie den Verteidigungsetat zweimal, genau wie die anderen Haushalte, trotz der besonderen Belastung um 0,5 Prozent geschoren haben. Sie haben darüber hinaus dem Verteidigungsetat die notwendigen Personalverstärkungsmittel - Stichwort „Tarifrunde 1999“ - nicht zugeführt. Deswegen beinhaltet der Verteidigungsetat weniger als vorgesehen. Diese Tatsache muß hier deutlich ausgesprochen werden. ({1}) Ich möchte nun ein paar Worte zur Wehrstrukturkommission sagen. Herr Bundesminister Scharping, ich bin davon überzeugt, daß Sie mittlerweile insgeheim - Sie werden es hier nicht eingestehen - zugeben müssen, daß sich das Erstaunen vor dieser Kommission und ihr Effekt in der Öffentlichkeit, den Sie erzielen wollten - sie ist zwar respektabel besetzt, aber hinsichtlich ihrer Zuzammensetzung erscheint sie recht willkürlich; der aktuelle sicherheits- und verteidigungspolitische Sachverstand einzelner Mitglieder muß sehr hinterfragt werden -, in Grenzen halten. Ihre Erwartung, daß die Öffentlichkeit oder auch der Deutsche Bundestag vor dieser Kommission in Ehrfurcht erstarren, ist jedenfalls nicht eingetreten. ({2}) Frau Kollegin Beer, wenn Sie sagen, wir sollten einmal darauf achten, wo wir in anderthalb Jahren am Ende dieser Diskussion stehen, dann will ich Ihnen entgegnen: Sie sollten einmal darauf achten, wo Sie in anderthalb Jahren mit Ihren politischen Positionen überhaupt sind. ({3}) Wenn man insbesondere für Verteidigungs- und Sicherheitspolitik den Anspruch erheben muß, berechenbar und zuverlässig zu sein, dann muß ich feststellen, daß Sie das Beispiel einer politischen Persönlichkeit sind, die gerade diesen Kriterien nicht entspricht. Das ist meine Erfahrung mit Ihnen aus der Vergangenheit - bei allem persönlichen Respekt, den ich vor Ihnen habe. ({4})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Herr Kollege Breuer, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Nolting?

Paul Breuer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000265, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Bitte schön.

Günther Friedrich Nolting (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001622, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege Breuer, sind Sie mit mir einer Meinung, daß man vor allen Dingen die Betroffenen in diese Zukunftskommission hätte mit einladen müssen, zum Beispiel den Bundeswehr-Verband und die Jugendorganisationen, um deren Zukunft es in einer Zukunftskommission gerade geht?

Paul Breuer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000265, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Günther Nolting, das ist eine Kritik, die wir gemeinsam und zu Recht geäußert haben. ({0}) Die Notwendigkeit, die Betroffenen in die Beratungen der Kommission einzubeziehen, ist vom Minister nicht erkannt worden. Er hat einen schwerwiegenden Fehler gemacht, weil er über die von mir eben erhobenen Bedenken hinaus einen Beitrag dazu geleistet hat, daß jetzt auch noch andere als diejenigen, von denen man das ohnehin schon erwartet hat, die Ergebnisse dieser Kommission von außen bezweifeln werden. Jetzt werden es auch die Betroffenen selbst sein. Herr Kollege Kröning, ich habe Ihre Kommentare eben schon vernommen. ({1}) Mit Ihrem Vorschlag, die Bundeswehr auf 270 000 Soldaten zu reduzieren, ({2}) während der von Ihnen getragene Minister davon spricht, die Kommission arbeite ergebnisoffen, versuchen Sie, das Ergebnis der Kommission zu präjudizieren. Sie sagen ja von vornherein, was Sie mindestens fordern. Ich will Sie darauf hinweisen, daß mit der Umsetzung dieser Zielvorgabe 150 bis 200 Bundeswehrstandorte gefährdet würden. Das sind 150 bis 200 Orte, an denen auch Kolleginnen und Kollegen Ihrer Fraktion - die SPD ist ja eine Volkspartei, die in der Fläche Kandidaten aufstellt - künftig kandidieren und gewählt werden wollen. Sie befürworten einen Abbau von 15 000 Soldaten pro Jahr in einer Zeit, in der Deutschland sicherheitspolitisch herausgefordert ist; da sollte man den Soldaten nicht ihre Existenzgrundlage nehmen, insbesondere nicht denjenigen, die heute im Ausland eingesetzt sind. Das ist nicht verantwortbar, was Sie hier machen. ({3}) Meine Damen und Herren, sie sollten darüber hinaus sehen - das sage ich allerdings auch an die Adresse der Kollegen von der F.D.P. -, daß man mit Forderungen nach einer Reduzierung der Wehrpflicht auf fünf Monate und der Aufstellung von Krisenreaktionskräften mit einer Stärke von 150 000 ungeheuer sorgfältig umgehen muß. Ich bin der Meinung - diese Meinung wird von vielen in meiner Fraktion geteilt -, ({4}) daß man die Krisenreaktionsfähigkeit weiterentwickeln muß. Wer aber die Prioritäten in der Bundeswehr auf die Krisenreaktionsfähigkeit legen will, setzt einen falschen Schwerpunkt. Er setzt sich nämlich selbst unter Druck, zukünftig auf allen möglichen Schauplätzen dieses Kontinents, vielleicht sogar in seiner Nähe, mit deutschen Soldaten vertreten sein zu müssen. Diese Gefahr muß man sehen. Ähnliche Überlegungen stimmen mich, Herr Kollege Scharping, bedenklich im Hinblick auf die Stand-byarrangements. Unsere Nachbarn, auch unsere Partner, schätzen die deutsche Leistungsfähigkeit, ob es die finanzielle oder eine andere ist, zumeist höher ein als wir selbst. Sie verstehen das Geschäft ganz gut, uns ständig, insbesondere dann, wenn es um Geldzahlungen geht, moralisch unter Druck zu setzen. Wer vorschnell Arrangements trifft, setzt sich mehr unter Druck, als er es vielleicht selbst glaubt. ({5}) Deshalb muß man bei diesen Stand-by-arrangements vorsichtig sein. Meine Damen und Herren, wenn ich den Bundeshaushalt für den Bereich der Verteidigung insgesamt betrachte, stelle ich eines fest: Wir dürfen insbesondere nicht dem Fehler unterliegen, zu glauben - ich appelliere damit noch einmal an Sie, Herr Kollege Kröning -, man könne die Probleme der Finanzierung der Bundeswehr bei noch so großen Rationalisierungsanstrengungen der Bundeswehr aus der Substanz der Bundeswehr lösen. Das geht nicht. Sie versuchen das durch Ihren Vorschlag, die Stärke auf 270 000 Mann zu begrenzen. Das ist der Versuch, die Gesundung eines Körpers auf der Basis einer Amputation herbeizuführen. Das geht nicht, er gesundet dabei nicht. Zunächst einmal müssen wir auf der Basis einer sicherheitspolitischen Analyse darüber reden, ob es auf Dauer vertretbar ist, daß der Verteidigungsetat keine realen Zuwächse bekommt. Ich bin der Meinung, der Verteidigungsetat müsse mittel- und langfristig real im Vergleich zum Bundeshaushalt wachsen. Nur auf dieser Basis ist die Aufrechterhaltung der Sicherheit und der Verteidigungsfähigkeit dieses Landes gewährleistet sowie die Möglichkeit, internationale Beiträge zur Stabilität zu leisten, gegeben. ({6}) Der Versuch der Lösung der Probleme durch Aderlaß und Amputation ist untauglich. Sie werden damit scheitern. Untauglich ist auch der Versuch, die Probleme der Bundeswehr zu verdrängen, indem man nicht den Mut hat zu sagen: Wir brauchen mittelfristig und langfristig für die Bundeswehr mehr Geld; die Zeiten, in denen dieser Etat nach der sicherheitspolitischen Veränderung der Welt, nach dem Ende des Ost-West-Konfliktes unter anderen Gesichtspunkten gesehen werden konnte und mußte, sind vorbei; die Friedensdividende kann nicht weiter ausgeschüttet werden. - Das ist die Feststellung, die zunächst einmal getroffen werden muß. Sie wissen genausogut wie ich, daß der Verteidigungsetat, wenn er auf der Basis der Werte von 1989 fortgeschrieben worden wäre, heute nicht in der Größenordnung von 48 Milliarden DM existierte, sondern fast den doppelten Umfang haben würde. Aber wir müssen feststellen - Verteidigungsminister Scharping hat das selbst neulich in Expertenrunden gesagt -, daß wir heute mit vergleichbaren Nationen hinsichtlich der Finanzausstattung zum Teil nicht mehr mithalten können, weil wir von der Friedensdividende zu üppig Gebrauch gemacht haben. Selbst wenn Sie darauf verweisen würden, wir hätten das ja auch gemacht, die Vorgängerregierung habe es auch gemacht, würde ich dasselbe sagen und würde einräumen, daß es vielleicht falsch war, dies zum Schluß immer noch so zu machen. Wir müssen aber heute erkennen, daß sich die Situation verändert hat; sonst können wir unseren Beitrag für Frieden und Stabilität, den wir leisten wollen, innerhalb der NATO und innerhalb Europas nicht so erbringen, wie es notwendig erscheint. ({7}) Meine Damen und Herren, am Ende noch eine Stellungnahme zu der Frage der Unterstützung der schwierigen und herausfordernden Anstrengungen, die die Bundeswehr heute im Zusammenhang mit dem KosovoKonflikt unternehmen muß: Sie können sich über die größte Oppositionspartei, über die CDU/CSU, in diesem Zusammenhang überhaupt nicht beschweren. Kollege Austermann hat eben richtigerweise darauf hingewiesen, daß wir Sie in allen Entscheidungen, die bisher getroffen worden sind, anteilmäßig stärker unterstützt haben, als das bei Teilen der Koalition der Fall gewesen ist. Das gilt auch für die öffentlichen Äußerungen. Ich will einmal versuchen, an einem Beispiel aus meinem eigenen Wahlkreis deutlich zu machen, was „Unterstützung“ beispielsweise aus der SPD heißen kann. In meiner Heimatstadt Siegen hat sich die Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Frauen - das ist eine ehrbare Organisation; Mitglieder dieser Organisation sind auch hier mit im Raume - öffentlich geäußert. Da heißt die Schlagzeile in der Siegener Zeitung: „AsF macht gegen Krieg mobil“. ({8}) - Nun ist das, Frau Kollegin Wohlleben, kein Artikel vom Sommer des letzten Jahres, sondern ein Artikel vom 27. April 1999. Da sammelt die AsF Unterschriften dafür, daß „ ... um Himmels willen ...“ die Luftangriffe eingestellt werden sollen. ({9}) Dann schaue ich mir einmal an, an wen diese Unterschriften geschickt werden sollen. - Ja, nicht etwa an die Bundes-SPD, sondern in diesem Artikel steht, man wolle diese Unterschriften der NATO übersenden. Wann versteht es die Sozialdemokratie in all ihren Teilen, wer die NATO eigentlich ist? - Die NATO ist nicht Herr Solana, die NATO sind wir alle gemeinsam; die NATO ist Herr Scharping, ({10}) die NATO ist Herr Bundeskanzler Schröder. Machen Sie doch nicht den Versuch, ({11}) von dieser Verantwortung, die wir haben, abzulenken. Wissen Sie, was ich beschämend finde? - Ich finde beschämend, daß zwei Bundestagskollegen von der SPD diesem Treiben der Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Frauen ohne öffentlichen Kommentar zusehen. Es kann doch nicht sein, daß Sie von uns verlangen, Ihnen Unterstützung zu geben, während Ihnen die eigenen Leute von Ihrer vielbeschworenen Basis diese Unterstützung versagen. Mit Verlaub: Einige Kollegen in der CDU/CSU fühlen sich bei aller Unterstützung und grundsätzlicher Zustimmung durch dieses Treiben mißbraucht. Das kann so nicht weitergehen. Ich bedanke mich. ({12})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Ich gebe das Wort zu einer Kurzintervention dem Kollegen Günther Nolting.

Günther Friedrich Nolting (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001622, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Breuer, Sie haben das Diskussionspapier der F.D.P. gerade kritisiert. Ich denke, Sie sollten es einmal lesen. Dann kämen Sie zu einer neuen Bewertung. ({0}) In diesem Diskussionspapier sprechen wir uns eindeutig für die Beibehaltung der Wehrpflicht aus. Wir wollen allerdings Grundwehrdienstleistende in Zukunft nicht mehr auf Funktionsstellen einsetzen und kommen deswegen zu einer Verkürzung der Grundwehrdienstzeit. Wir wollen mit diesem Diskussionspapier eine Stärkung der Bundeswehr insgesamt erreichen. Wir wollen die Einsatzfähigkeit der Bundeswehr erhöhen - über den Mangel auf diesem Gebiet haben wir heute ja einiges gehört -, und wir stellen diese Vorschläge zur Diskussion. Es muß in einer Demokratie möglich sein, auch abweichende Meinungen vorzutragen, in einem Papier zusammenzufassen und zur Diskussion zu stellen. Ich sage aber auch, daß wir unsere Überlegungen auf Grund außen- und sicherheitspolitischer Gesichtspunkte und nicht, wie Sie es gerade getan haben, auf Grund regionalpolitischer Überlegungen vorgestellt haben. Ich halte es für falsch, heute all diejenigen, die Änderungsvorschläge machen, in eine bestimmte Ecke zu stellen und zu argumentieren, wegen dieser Vorschläge müßten soundso viele Standorte geschlossen werden. Sie betreiben damit eine Politik auf dem Rücken der Soldaten und schüren Ängste. Dies darf einfach nicht sein. Sehen Sie sich unser Papier noch einmal an! Dann werden Sie zu einer anderen Schlußfolgerung kommen. Vielen Dank. ({1})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Das Wort zur Erwiderung hat der Kollege Breuer.

Paul Breuer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000265, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Nolting, ich will meine Antwort kurz halten, da ich gerade das Wort gehabt habe. ({0}) Der Hauptvorwurf, den ja nicht wir alleine Ihnen machen - auch aus Ihrer Fraktion gab es diesen Vorwurf; ich könnte Herrn Kinkel zitieren -, ist, daß Sie die falschen Vorschläge zur falschen Zeit machen. Den Grundwehrdienst auf fünf Monate zu reduzieren hieße, die Glaubwürdigkeit der allgemeinen Wehrpflicht in Frage zu stellen. ({1}) Angesichts der Tatsache, daß der Kollege Möllemann, der beileibe kein Befürworter der allgemeinen Wehrpflicht ist und der den Übergang zu einer Berufsarmee möchte, sagt, dies sei das richtige Signal auf dem Weg des Übergangs zu einer Berufsarmee, können Sie erkennen, welche Mißverständnisse Sie mit diesem Papier auslösen können. ({2})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Zu einer Erklärung zur Aussprache nach § 30 der Geschäftsordnung gebe ich nunmehr das Wort der Kollegin Angelika Beer.

Angelika Beer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000134, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte eine Richtigstellung zu einer Aussage treffen, die in dieser Debatte gefallen ist. Der Kollege Nolting hat mir während der Debatte ein Zitat vom 29. April vorgehalten, das ich bestätigt habe. Mit dem darin enthaltenen Begriff „ermordete Zivilisten“, der auch von dem Kollegen Nolting genannt wurde, wollte ich während des Gesprächs innerhalb der Sendung auf die Grausamkeit des Sterbens hinweisen. Ich habe diese Aussage aber nicht im Hinblick auf eine strafrechtliche Bewertung gemacht. Ich möchte hier richtigstellen, daß der Begriff „getötete Zivilisten“ der richtige und zutreffende Begriff ist. Ich möchte dies insbesondere aus zwei Gründen auch qua Protokoll richtigstellen, damit keine Unklarheit bleibt. Erstens war keiner der Fehlschläge während der Luftangriffe durch die NATO - ich habe das vorhin schon gesagt - gewollt oder ist fahrlässig riskiert worden. Es gibt keinen chirurgisch sauberen Krieg; leider kommt es dabei auch zu Fehlschlägen und Opfern unter Zivilisten. Der zweite Grund, warum ich das richtigstellen möchte, ist insbesondere die Rede des Herrn Dr. Wolf von der PDS, der nach mir gesprochen hat und der in dieser Debatte mit keinem einzigen Wort das mörderische Treiben von Milosevic erwähnt hat. ({0}) Ich sage Ihnen, Herr Wolf: Die Soldaten der NATO, die jetzt im Einsatz sind, sind keine Mörder, sondern Soldaten, die den Auftrag haben, die Kosovo-Albaner zu schützen, zu retten und irgendwann frei in ihre Heimat zurückzuführen. ({1})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Herr Kollege Wolf, ich kann Ihnen das Wort leider nicht mehr geben, da die Aussprache geschlossen ist. Ich erlaube mir nur den Hinweis, daß nach § 30 der Geschäftsordnung Äußerungen zurückgewiesen werden können, die auf die eigene Person gemünzt sind, oder Äußerungen richtiggestellt werden können. ({0}) Deswegen kann der Kollege Wolf - obwohl ich vestehe, daß er sich hat melden wollen - keine Erwiderung mehr geben; die Aussprache ist geschlossen. Wir kommen zur Abstimmung, und zwar zunächst über die Änderungsanträge. Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache 14/903. Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und PDS gegen die übrigen Stimmen des Hauses abgelehnt. Änderungsantrag der Fraktion der F.D.P. auf Drucksache 14/916. Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Antrag ist mit den Stimmen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen von CDU/CSU, F.D.P. und PDS abgelehnt. Änderungsantrag der Fraktion der PDS auf Drucksache 14/950. Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen des Hauses gegen die Stimmen der PDS abgelehnt. Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Einzelplan 14 in der Ausschußfassung. Die Fraktion der F.D.P. verlangt namentliche Abstimmung. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, soweit sie das noch nicht gemacht haben, die vorgesehenen Plätze einzunehmen. - Sind alle Urnen besetzt? - Dann eröffne ich die Abstimmung. Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine Stimme noch nicht abgegeben hat? - Das ist nicht der Fall. Ich schließe die Abstimmung. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis der Abstimmung wird Ihnen später bekanntgegeben. Wir setzen die Beratungen fort. Ich rufe auf: 15. Einzelplan 23 Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung - Drucksachen 14/618, 14/622 Berichterstattung: Abgeordnete Antje Hermenau Michael von Schmude Dr. Barbara Höll Es liegen zwei Änderungsanträge der Fraktion der PDS vor. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Stunde vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat für die CDU/CSU-Bundestagsfraktion der Kollege Michael von Schmude.

Michael Schmude (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002039, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die abschließenden Beratungen im Haushaltsausschuß zu diesem Einzelplan haben in erschreckender Weise verdeutlicht, daß die rotgrüne Entwicklungspolitik weit hinter den selbstgesteckten Zielen zurückbleibt und die Erwartungen der Länder der Dritten Welt enttäuscht. Das war eigentlich vorherzusehen; denn es deckt sich mit der generellen Politik dieser Bundesregierung: vollmündige Ankündigungen, die sich dann als leere Versprechungen entpuppen. Frau Ministerin, das ist eine Känguruhpolitik: große Sprünge und nichts im Beutel. ({0}) Ich halte fest: Der Einzelplan 23 schloß 1998 mit 7,9 Milliarden DM ab. Ihr Regierungsentwurf lag dann bei 7,8 Milliarden DM. Jetzt wurden Sie im Haushaltsausschuß um weitere 40 Millionen DM gerupft. Das ist das Ergebnis. Der neue Stellenwert der Entwicklungspolitik wird auch daran deutlich, daß die Entwicklungshilfe - sozusagen unter „ferner liefen“ - der vorletzte Punkt Ihrer Koalitionsvereinbarung ist. So spiegeln es die Zahlen wider, Frau Ministerin. Sie werden sich mit Ihrem Haushalt an dem Ist-Ergebnis von 1998 messen lassen müssen. Wie sieht das Zahlenwerk im einzelnen aus? Der alte Regierungsentwurf beinhaltete noch Verstärkungsmittel aus Forderungsverkäufen in Höhe von 200 Millionen DM. Die wurden Ihnen in Etappen auf ganze 76 Millionen DM zusammengestrichen. Dann hat man Ihnen noch den Verstärkungsvermerk weggenommen. Das haben Sie gar nicht bemerkt. Die Barmittel bei der FZ wurden Ihnen um 244 Millionen DM gekürzt. Sie haben sich dafür vom Bundesminister der Finanzen 20 Millionen DM für die Mittel- und Osteuropaförderung durch Umschichtungen aus dem Einzelplan 60 wiedergeholt. Aber diese Mittel hatten Sie bereits im vergangenen Jahr zur BeAngelika Beer wirtschaftung zur Verfügung. Sie haben sich vom Finanzminister nach Strich und Faden über den Tisch ziehen lassen. Frau Ministerin, Sie werden noch einmal kräftig zur Kasse gebeten. Denn Sie haben akzeptiert, daß Ihr Haushalt mit einem Dollar-Kurs von 1,6695 DM gerechnet wurde. Inzwischen liegt der Dollar bei 1,84 DM. Das kostet Sie möglicherweise weitere 50 Millionen DM. Dafür können Sie sich unter anderem bei Herrn Lafontaine bedanken, der den Euro in unverantwortlicher Weise weichgeredet und damit das Vertrauen in die neue Währung aufs Spiel gesetzt hat. ({1}) Wir von der CDU/CSU begrüßen nachdrücklich, lieber Kollege Dr. Schnell, die Ausweitung der Verbundfinanzierung. Wir warnen diese Regierung allerdings vor einer leichtfertigen, leichtsinnigen Kreditvergabe. Der deutsche Steuerzahler kann zu Recht erwarten, daß die Bonitätsprüfungen weiterhin sorgfältig vorgenommen werden und daß nicht durch Ihre politische Einflußnahme unnötige Kreditrisiken aufgebaut werden. Sie haben für Ihre Schuldenerlaßpolitik in Ihrem Haushalt keinen erkennbaren Spielraum; Sie haben dafür keine finanzielle Vorsorge getroffen. Aber vor allem fehlt Ihnen das Konzept. Es darf nicht nur darum gehen, Schulden zu erlassen und koordiniert mit anderen zu handeln, sondern es muß darum gehen, gemeinsam die Ursachen der Überschuldung zu beseitigen, und das darf nicht zu einer Verschlechterung der Zahlungsmoral bei den Ländern der Dritten Welt führen. ({2}) Dafür haben Sie die EU-Ratspräsidentschaft und den Gipfel von Berlin eben nicht genutzt. Die Absprachen, die Sie getroffen haben, sind nicht geeignet, dieses Ziel zu erreichen. Ja, man könnte über den Berliner Gipfel sagen: Außer Spesen nichts gewesen. Sie haben angekündigt, die multilaterale Zusammenarbeit gegenüber der bilateralen zu verstärken. Das hat man in Brüssel gern gehört; denn es paßt überhaupt nicht zu der deutschen Forderung, den EUBeitrag für unser Land zu senken. Wir waren uns im Haushaltsausschuß über die Fraktionsgrenzen hinweg immer darin einig, daß im Gegenteil die bilaterale Zusammenarbeit zu Lasten der multilateralen gestärkt werden muß. Das wäre auch den Nichtregierungsorganisationen zugute gekommen. Vor allem hätten wir die Kontrolle über die Verwendung der Mittel, die wir für die Entwicklungshilfe zur Verfügung stellen, in der Hand behalten. Der Europäische Rechnungshof deckt in seinen Berichten immer wieder Fälle von Mißbrauch, von Verschwendung auch beim Europäischen Entwicklungsfonds auf, was ja angesichts der Skandale in der EUKommission niemanden wundert. In diesem Zusammenhang kann ich überhaupt nicht verstehen, wie Sie, Frau Ministerin, für den Europäischen Entwicklungsfonds freiwillig Gelder nach Brüssel überweisen, die dort als Festgelder angelegt werden, weil man sie überhaupt noch nicht braucht. Mit dieser Art von deutscher Großzügigkeit entsteht ein völlig falscher Eindruck. Man fördert damit in Brüssel die Politik des leichten Geldes. Auf unser Drängen hin haben Sie wenigstens 66 Millionen DM aus diesem Titel gestrichen. Es hätten aber noch weitere 75 Millionen DM sein können. Die wären bei der Finanzierung der Kosovo-Hilfe besser angelegt gewesen als in Brüssel. Oder wollen Sie hier, beim EEF, eine Haushaltsreserve verstecken, wie Sie es auch bei den viel zu niedrig angesetzten Einnahmen aus Zins und Tilgung gemacht haben? Sie, Frau Ministerin, sitzen ja nun auch im Bundessicherheitsrat. Da bin ich schon sehr überrascht über Ihre Wandlung. Erst kürzlich hat diese Regierung - übrigens auf dem Höhepunkt der Öcalan-Auseinandersetzungen eine Gewährleistung zur Lieferung von U-Booten an die Türkei beschlossen. Erst kürzlich ist unter Ihrer Mitwirkung die Lieferung von Fährschiffen, die man auch als Truppentransporter einsetzen kann, an Indonesien freigegeben worden. Ich stelle das einmal fest. Neue politische Akzente haben Sie da offensichtlich nicht gesetzt, Frau Ministerin. Es ist Ihnen auch nicht gelungen, die Fäden der Entwicklungspolitik nun voll in die Hand zu bekommen. Der Bundesfinanzminister verfügt im Einzelplan 60 weiterhin über erhebliche Mittel für die Beratungshilfe für mittel- und osteuropäische Staaten. Außerdem verfügt er noch über einen Ansatz von 300 Millionen DM für humanitäre Hilfe im Kosovo. Um die Federführung bei der Vergabe dieses Geldes streiten sich - das haben wir ja im Haushaltsausschuß erlebt - das Außenministerium und das Verteidigungsministerium, obgleich eigentlich auch hier der Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung ein Wort mitzureden hätte. Ich vermisse Ihre Aktivitäten auf diesem Gebiet. ({3}) Wir stellen fest, Herr Kollege Schuster: Handwerkliche Fehlgriffe, rückläufige Haushaltsmittel und mangelnder Sparwille zeichnen diesen Einzelplan aus. Die Hoffnungen der Nichtregierungsorganisationen werden ebenso enttäuscht wie die Hoffnungen der Länder der Dritten Welt. Wir lehnen diesen Haushalt deshalb ganz entschieden ab. ({4})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Bevor ich das Wort weitergebe, darf ich das von den Schriftführern und Schriftführerinnen ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung zum Einzelplan 14, Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Verteidigung, bekanntgeben. Abgegebene Stimmen 584. Mit Ja haben gestimmt 549, mit Nein haben gestimmt 30, Enthaltungen 5. Der Einzelplan 14 ist damit angenommen. Endgültiges Ergebnis Abgegebene Stimmen: 583; davon: ja: 548 nein: 30 enthalten: 5 Ja SPD Brigitte Adler Gerd Andres Rainer Arnold Hermann Bachmaier Ernst Bahr Doris Barnett Dr. Hans-Peter Bartels Eckhardt Barthel ({0}) Klaus Barthel ({1}) Dr. Axel Berg Hans-Werner Bertl Friedhelm Julius Beucher Petra Bierwirth Rudolf Bindig Lothar Binding ({2}) Kurt Bodewig Klaus Brandner Anni Brandt-Elsweier Willi Brase Dr. Eberhard Brecht Rainer Brinkmann ({3}) Bernhard Brinkmann ({4}) Edelgard Bulmahn Dr. Michael Bürsch Hans Martin Bury Hans Büttner ({5}) Marion Caspers-Merk Dr. Peter Danckert Christel Deichmann Karl Diller Peter Dreßen Rudolf Dreßler Detlef Dzembritzki Dieter Dzewas Dr. Peter Eckardt Sebastian Edathy Ludwig Eich Marga Elser Peter Enders Gernot Erler Petra Ernstberger Annette Faße Lothar Fischer ({6}) Gabriele Fograscher Iris Follak Norbert Formanski Rainer Fornahl Hans Forster Dagmar Freitag Lilo Friedrich ({7}) Harald Friese Anke Fuchs ({8}) Arne Fuhrmann Monika Ganseforth Konrad Gilges Iris Gleicke Günter Gloser Renate Gradistanac Günter Graf ({9}) Angelika Graf ({10}) Dieter Grasedieck Achim Großmann Wolfgang Grotthaus Karl Hermann Haack ({11}) Hans-Joachim Hacker Christel Hanewinckel Alfred Hartenbach Klaus Hasenfratz Nina Hauer Hubertus Heil Reinhold Hemker Frank Hempel Dr. Barbara Hendricks Gustav Herzog Monika Heubaum Reinhold Hiller ({12}) Stephan Hilsberg Gerd Höfer Jelena Hoffmann ({13}) Walter Hoffmann ({14}) Iris Hoffmann ({15}) Frank Hofmann ({16}) Ingrid Holzhüter Eike Hovermann Christel Humme Lothar Ibrügger Barbara Imhof Brunhilde Irber Gabriele Iwersen Renate Jäger Jann-Peter Janssen Ilse Janz Dr. Uwe Jens Johannes Kahrs Ulrich Kasparick Sabine Kaspereit Susanne Kastner Hans-Peter Kemper Klaus Kirschner Marianne Klappert Siegrun Klemmer Hans-Ulrich Klose Walter Kolbow Fritz Rudolf Körper Karin Kortmann Anette Kramme Nicolette Kressl Angelika Krüger-Leißner Horst Kubatschka Ernst Küchler Helga Kühn-Mengel Ute Kumpf Dr. Uwe Küster Werner Labsch Christine Lambrecht Brigitte Lange Christian Lange ({17}) Detlev von Larcher Christine Lehder Waltraud Lehn Robert Leidinger Klaus Lennartz Dr. Elke Leonhard Eckhart Lewering Götz-Peter Lohmann ({18}) Erika Lotz Dr. Christine Lucyga Dieter Maaß ({19}) Winfried Mante Dirk Manzewski Tobias Marhold Ulrike Mascher Christoph Matschie Heide Mattischeck Markus Meckel Ulrike Mehl Ulrike Merten Angelika Mertens Dr. Jürgen Meyer ({20}) Ursula Mogg Christoph Moosbauer Siegmar Mosdorf Michael Müller ({21}) Jutta Müller ({22}) Christian Müller ({23}) Franz Müntefering Andrea Nahles Volker Neumann ({24}) Gerhard Neumann ({25}) Dr. Edith Niehuis Dr. Rolf Niese Dietmar Nietan Günter Oesinghaus Eckhard Ohl Leyla Onur Manfred Opel Holger Ortel Adolf Ostertag Kurt Palis Albrecht Papenroth Dr. Willfried Penner Dr. Martin Pfaff Georg Pfannenstein Johannes Pflug Dr. Eckhart Pick Joachim Poß Karin Rehbock-Zureich Margot von Renesse Renate Rennebach Bernd Reuter Dr. Edelbert Richter Reinhold Robbe Gudrun Roos René Röspel Dr. Ernst Dieter Rossmann Michael Roth ({26}) Birgit Roth ({27}) Marlene Rupprecht Thomas Sauer Dr. Hansjörg Schäfer Gudrun Schaich-Walch Bernd Scheelen Dr. Hermann Scheer Siegfried Scheffler Otto Schily Dieter Schloten Horst Schmidbauer ({28}) Ulla Schmidt ({29}) Silvia Schmidt ({30}) Dagmar Schmidt ({31}) Wilhelm Schmidt ({32}) Regina Schmidt-Zadel Heinz Schmitt ({33}) Dr. Emil Schnell Walter Schöler Olaf Scholz Karsten Schönfeld Fritz Schösser Ottmar Schreiner Gerhard Schröder Gisela Schröter Dr. Mathias Schubert Richard Schuhmann ({34}) Brigitte Schulte ({35}) Reinhard Schultz ({36}) Volkmar Schultz ({37}) Ewald Schurer Dietmar Schütz ({38}) Dr. Angelica Schwall-Düren Ernst Schwanhold Bodo Seidenthal Erika Simm Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk Dr. Cornelie SonntagWolgast Wieland Sorge Wolfgang Spanier Dr. Margrit Spielmann Jörg-Otto Spiller Dr. Ditmar Staffelt Antje-Marie Steen Ludwig Stiegler Rolf Stöckel Rita Streb-Hesse Joachim Stünker Joachim Tappe Jella Teuchner Dr. Gerald Thalheim Franz Thönnes Adelheid Tröscher Hans-Eberhard Urbaniak Rüdiger Veit Simone Violka Ute Vogt ({39}) Hans Georg Wagner Hedi Wegener Dr. Konstanze Wegner Wolfgang Weiermann Reinhard Weis ({40}) Matthias Weisheit Gunter Weißgerber Gert Weisskirchen ({41}) Hans-Joachim Welt Dr. Rainer Wend Hildegard Wester Lydia Westrich Inge Wettig-Danielmeier Dr. Margrit Wetzel Dr. Norbert Wieczorek Vizepräsident Rudolf Seiters Helmut Wieczorek ({42}) Jürgen Wieczorek ({43}) Dieter Wiefelspütz Heino Wiese ({44}) Klaus Wiesehügel Brigitte Wimmer ({45}) Engelbert Wistuba Dr. Wolfgang Wodarg Verena Wohlleben Hanna Wolf ({46}) Waltraud Wolff ({47}) Heidemarie Wright Dr. Christoph Zöpel Peter Zumkley CDU/CSU Ulrich Adam Ilse Aigner Peter Altmaier Norbert Barthle Günter Baumann Brigitte Baumeister Meinrad Belle Dr. Sabine Bergmann-Pohl Otto Bernhardt Hans-Dirk Bierling Dr. Joseph-Theodor Blank Renate Blank Dr. Heribert Blens Dr. Norbert Blüm Friedrich Bohl Dr. Maria Böhmer Sylvia Bonitz Wolfgang Börnsen ({48}) Wolfgang Bosbach Dr. Wolfgang Bötsch Klaus Brähmig Dr. Ralf Brauksiepe Monika Brudlewsky Georg Brunnhuber Klaus Bühler ({49}) Hartmut Büttner ({50}) Dankward Buwitt Manfred Carstens ({51}) Peter H. Carstensen ({52}) Leo Dautzenberg Hubert Deittert Albert Deß Renate Diemers Thomas Dörflinger Maria Eichhorn Rainer Eppelmann Anke Eymer Ilse Falk Dr. Hans Georg Faust Ingrid Fischbach Dirk Fischer ({53}) Axel E.Fischer ({54}) Dr. Gerhard Friedrich ({55}) Dr. Hans-Peter Friedrich ({56}) Erich G. Fritz Jochen-Konrad Fromme Hans-Joachim Fuchtel Dr. Jürgen Gehb Dr. Heiner Geißler Georg Girisch Dr. Reinhard Göhner Dr. Wolfgang Götzer Kurt-Dieter Grill Hermann Gröhe Manfred Grund Gottfried Haschke ({57}) Gerda Hasselfeldt Norbert Hauser ({58}) Hansgeorg Hauser ({59}) Ursula Heinen Manfred Heise Siegfried Helias Ernst Hinsken Peter Hintze Klaus Hofbauer Martin Hohmann Klaus Holetschek Josef Hollerith Siegfried Hornung Joachim Hörster Hubert Hüppe Peter Jacoby Susanne Jaffke Georg Janovsky Dr.-Ing. Rainer Jork Dr. Harald Kahl Bartholomäus Kalb Steffen Kampeter Irmgard Karwatzki Volker Kauder Eckart von Klaeden Ulrich Klinkert Manfred Kolbe Norbert Königshofen Eva-Maria Kors Hartmut Koschyk Thomas Kossendey Rudolf Kraus Dr. Martina Krogmann Dr. Paul Krüger Dr. Hermann Kues Karl Lamers Dr. Karl A. Lamers ({60}) Dr. Paul Laufs Karl-Josef Laumann Werner Lensing Peter Letzgus Ursula Lietz Walter Link ({61}) Eduard Lintner Dr. Manfred Lischewski Wolfgang Lohmann ({62}) Julius Louven Erich Maaß ({63}) Erwin Marschewski Dr. Martin Mayer ({64}) Wolfgang Meckelburg Dr. Michael Meister Dr. Angela Merkel Friedrich Merz Hans Michelbach Meinolf Michels Dr. Gerd Müller Bernward Müller ({65}) Elmar Müller ({66}) Bernd Neumann ({67}) Günter Nooke Franz Obermeier Friedhelm Ost Eduard Oswald Norbert Otto ({68}) Dr. Friedbert Pflüger Ruprecht Polenz Marlies Pretzlaff Dr. Peter Ramsauer Helmut Rauber Christa Reichard ({69}) Erika Reinhardt Hans-Peter Repnik Klaus Riegert Franz Romer Hannelore Rönsch ({70}) Heinrich-Wilhelm Ronsöhr Dr. Klaus Rose Kurt Rossmanith Adolf Roth ({71}) Norbert Röttgen Dr. Christian Ruck Volker Rühe Anita Schäfer Heinz Schemken Gerhard Scheu Norbert Schindler Dietmar Schlee Bernd Schmidbauer Christian Schmidt ({72}) Dr.-Ing. Joachim Schmidt ({73}) Birgit Schnieber-Jastram Reinhard Freiherr von Schorlemer Dr. Erika Schuchardt Diethard W. Schütze ({74}) Clemens Schwalbe Dr. Christian SchwarzSchilling Wilhelm-Josef Sebastian Horst Seehofer Heinz Seiffert Werner Siemann Johannes Singhammer Bärbel Sothmann Margarete Späte Carl-Dieter Spranger Wolfgang Steiger Andreas Storm Dorothea Störr-Ritter Max Straubinger Matthäus Strebl Thomas Strobl Michael Stübgen Dr. Rita Süssmuth Dr. Susanne Tiemann Edeltraut Töpfer Dr. Hans-Peter Uhl Arnold Vaatz Angelika Volquartz Andrea Voßhoff Peter Weiß ({75}) Gerald Weiß ({76}) Annette Widmann-Mauz Heinz Wiese ({77}) Hans-Otto Wilhelm ({78}) Klaus-Peter Willsch Werner Wittlich Dagmar Wöhrl Elke Wülfing Peter Kurt Würzbach Wolfgang Zeitlmann Benno Zierer Wolfgang Zöller BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Marieluise Beck ({79}) Volker Beck ({80}) Matthias Berninger Ekin Deligöz Dr. Thea Dückert Franziska Eichstädt-Bohlig Dr. Uschi Eid Hans-Josef Fell Andrea Fischer ({81}) Joseph Fischer ({82}) Katrin Göring-Eckardt Antje Hermenau Kristin Heyne Ulrike Höfken Michaele Hustedt Steffi Lemke Dr. Helmut Lippelt Dr. Reinhard Loske Oswald Metzger Klaus Wolfgang Müller ({83}) Kerstin Müller ({84}) Winfried Nachtwei Christa Nickels Cem Özdemir Simone Probst Claudia Roth ({85}) Christine Scheel Rezzo Schlauch Albert Schmidt ({86}) Werner Schulz ({87}) Christian Sterzing Jürgen Trittin Ludger Volmer Helmut Wilhelm ({88}) Margareta Wolf ({89}) Vizepräsident Rudolf Seiters F.D.P. ({90}) Ernst Burgbacher Jörg van Essen Ulrike Flach Paul K. Friedhoff Horst Friedrich ({91}) Dr. Wolfgang Gerhardt Hans-Michael Goldmann Joachim Günther ({92}) Dr. Karlheinz Guttmacher Klaus Haupt Walter Hirche Birgit Homburger Ulrich Irmer Dr. Heinrich L. Kolb Gudrun Kopp Ina Lenke Sabine LeutheusserSchnarrenberger Dirk Niebel Hans-Joachim Otto ({93}) Cornelia Pieper Dr. Günter Rexrodt Dr. Edzard Schmidt-Jortzig Gerhard Schüßler Dr. Irmgard Schwaetzer Marita Sehn Dr. Max Stadler Dr. Dieter Thomae Nein SPD Uwe Hiksch BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Sylvia Voß PDS Monika Balt Maritta Böttcher Eva Bulling-Schröter Roland Claus Heidemarie Ehlert Dr. Heinrich Fink Dr. Ruth Fuchs Dr. Barbara Höll Ulla Jelpke Sabine Jünger Gerhard Jüttemann Dr. Evelyn Kenzler Dr. Heidi Knake-Werner Ursula Lötzer Dr. Christa Luft Heidemarie Lüth Angela Marquardt Manfred Müller ({94}) Kersten Naumann Rosel Neuhäuser Dr. Uwe-Jens Rössel Christina Schenk Gustav-Adolf Schur Dr. Ilja Seifert Enthalten SPD Christa Lörcher Dr. Ernst Ulrich von Weizsäcker BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Winfried Hermann Monika Knoche Irmingard Schewe-Gerigk Entschuldigt wegen Übernahme einer Verpflichtung im Rahmen ihrer Mitgliedschaft in den Parlamentarischen Versammlungen des Europarates und der WEU, der NAV, der OSZE oder der IPU Abgeordnete({95}) Behrendt, Wolfgang, SPD Siebert, Bernd, CDU/CSU Nun gebe ich das Wort für die SPD-Fraktion dem Kollegen Dr. Emil Schnell.

Dr. Emil Schnell (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002050, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! An diese neue Qualität von Polemik muß man sich erst einmal gewöhnen. ({0}) Sie ist unerhört; das kennen wir von früher nicht. Diese Polemik ist weit überzogen und paßt - das muß ich ganz klar sagen - überhaupt nicht zu dem Konsens, den wir in den ganzen Stufen der Beratungen vom Berichterstattergespräch bis zu den Haushaltsberatungen hatten. Nicht umsonst hat der Kollege Koppelin angekündigt, daß die F.D.P. unserem Haushaltseinzelplan 23 zustimmen will. Das hebt sich davon schon deutlich ab. Ich denke, das muß korrigiert werden. Hier muß man einiges richtigstellen. Gleich vorweg: Das Ist von 7,9 Milliarden DM für 1998 hat doch Gründe und Ursachen. Diese liegen in erster Linie darin, daß überplanmäßige Ausgaben entstanden sind, weil Sie nicht in der Lage waren, Ihren Haushalt so aufzustellen und zu fahren, daß die Gelder für die Zwecke, für die sie eigentlich hätten reichen müssen, auch tatsächlich ausreichen. Es gibt also ganz klare Mängel im Haushalt 1998, die hier zutage treten. ({1}) Eine weitere Bemerkung vorweg. Die Qualität unserer Ministerinnen und Minister in der Bundesregierung bemißt sich nicht nach der Höhe des Plafonds oder des Haushaltes; sie ist unabhängig davon. Das sind alles gute Leute. ({2}) Man hat heute den ganzen Tag über den Eindruck gehabt, als ob es irgendeinen Zusammenhang zwischen dem Kampf um möglichst hohe Plafonds und der Qualität der Ministerinnen und Minister gäbe. Das möchte ich von mir weisen. Die Qualität der Oppositionsfraktionen kann sich ja auch nicht danach bemessen, in welchem Volumen Erhöhungsanträge gestellt werden. ({3}) Es ist unerhört, daß Sie - wie das eben der Kollege von Schmude getan hat - mangelnden Sparwillen unterstellen und gleichzeitig den ganzen Tag über versuchen, einen Erhöhungsantrag nach dem anderen durchzubringen. Das ist so unglaubwürdig, daß es hier ganz klar gesagt werden muß. ({4}) Zu den Beratungen des Einzelplanes 23 kann man sagen, daß es gute Beratungen waren. Die Ministerin, das Haus, die Kolleginnen und Kollegen aus dem AWZ und besonders die Koalitionspolitiker aus dem Bereich der Entwicklungspolitik können zufrieden sein. Wir - die Kollegin Hermenau und ich - haben versucht, alle Anregungen, die Anträge, die Grundüberlegungen und die Impulse aus dem Vorfeld der Beratungen in die Entscheidungen mit einzubeziehen. Natürlich müssen wir Vizepräsident Rudolf Seiters uns am Kontext des Gesamthaushaltes orientieren und am Realistischen und Möglichen entlanggehen. Das haben wir versucht. Der Haushalt ist nach den Beratungen trotz unabdingbarer Sparbemühungen nicht wirklich kleiner als vor den Beratungen. Warum das so ist, werde ich gleich ausführen. Damit ist ein Schwerpunkt der Regierungsbildung auch Schwerpunkt geblieben. Ich will noch einmal sagen: Die Regierung, hier der Finanzminister, hatte 0,5 Prozent eingesammelt, um Schwerpunkte zu setzen und um Spielräume zu bekommen. Sie wollte Schwerpunkte bei der Entwicklungspolitik, bei Forschung, Bildung, Ausbildung und Technologie und natürlich auch bei der Arbeit setzen. Diese drei Schwerpunkte wurden dadurch finanziert. Wir haben bei allen Haushalten nochmals 0,5 Prozent eingespart, ohne die Anstrengungen der Schwerpunktsetzungen zu konterkarieren. Zu den Zahlen. Vor den Haushaltsberatungen hatten wir für 1999 Barmittel von 7,8 Milliarden DM und 7,44 Milliarden DM Verpflichtungsermächtigungen. Zum Soll 1998 der alten Regierung Kohl stellt das eine erhebliche Steigerung dar. Die Fehlaussagen des Kollegen von Schmude muß ich hier einmal klarstellen. ({5}) Gerade bei den VEs, die für die zukünftige Gestaltung des Entwicklungsetats so wichtig sind, wurde um zirka 500 Millionen DM aufgestockt. Nach den Beratungen im Haushaltsausschuß ergibt sich bei einer geringfügigen Kürzung der Barmittel, aber einer deutlichen Verstärkungsmöglichkeit ein neuer Verfügungsrahmen, der bei 7,854 Milliarden DM liegt. Er liegt also um 54 Millionen DM höher als im Regierungsentwurf. Bei den VES haben wir noch einmal um 145 Millionen DM aufgestockt und landen bei zirka 7,587 Milliarden DM. Ich behaupte hier also ganz kühn, daß der Haushalt jetzt noch zukunftsfähiger ist, als es der Entwurf der Regierung war. Unsere grundsätzlichen Forderungen der Vergangenheit schlagen sich als neue Impulse im Regierungsentwurf nieder. Wenn ich mir die Reden der vergangenen Jahre und die Forderungen, die wir damals an die alte Regierung gestellt haben, anschaue und mit dem vergleiche, was wir in wenigen Wochen umgesetzt haben, erfüllt mich das mit einer gewissen Befriedigung, was ja in der Politik nicht alltäglich ist. Ich muß schon sagen: Wir haben viele Schwerpunkte umgesetzt. Wir wollten die Bündelung der Zuständigkeiten im Entwicklungsressort: Bundessicherheitsrat, Transformländer, Lomé, Weltsozialgipfel, Habitat. Das alles hat die Bundesregierung umgesetzt. Allerdings gibt es noch Konzentrationspotentiale im Regierungsapparat. Aus einigen Ministerien müßte man streng entwicklungspolitische Aufgabenbereiche eigentlich ins BMZ überführen. Das muß ich hier schon anmerken. ({6}) - Das ist einfach so. Das spart Planstellen, das spart finanzielle Mittel, die wir letztendlich wieder für Entwicklungspolitik freimachen können. Das kann nur gut sein. Dafür brauchen wir aber erfahrungsgemäß natürlich die Unterstützung des Kanzlers und des Finanzministers; das ist völlig klar. Deshalb der Appell in Richtung Regierungsbank. Wir wollten eine Entschuldungsinitiative für die ärmsten Länder. Das wollten nicht nur wir, sondern auch Tausende Bürgerinnen und Bürger und sehr viele NGO. Zum Ergebnis kann man sagen: Die Bundesregierung hat auf Initiative der Bundesministerin für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung für den Kölner Gipfel der acht Staats- und Regierungschefs im Juni 1999 einen Schuldenerlaßvorschlag ausgearbeitet. Ziel ist die deutliche Entlastung hochverschuldeter armer Länder. Ich denke, nach der notwendigen Prüfung der verschiedenen Modelle, die jetzt ansteht, wird wahrscheinlich im Herbst der erste Schritt gemacht werden. Ich denke, dieser Erfolg kann sich sehen lassen. ({7}) Die Zusammenarbeit mit unseren NGO ist gestärkt. Wir haben den Titel um immerhin 200 Millionen DM, also um 6 Prozent, aufgestockt, weil wir der Meinung sind, daß die Nichtregierungsorganisationen eine unschätzbare und aufopferungsvolle Arbeit in vielen Ländern der Welt leisten. Dafür spreche ich unseren NGO unseren besonderen Dank aus. Diese Leistungen stellen eine wichtige Ergänzung und Verstärkung der staatlichen deutschen und internationalen Entwicklungszusammenarbeit dar. Nun kurz zu den wichtigsten Ergebnissen der Beratungen im Haushaltsausschuß. Die humanitäre Hilfe wurde schon angesprochen: Es gibt einen Titel von 300 Millionen DM im Einzelplan 60, der auch zur Entlastung des Einzelplans 23 dienen soll. Ich betone hier noch einmal: Es kann nicht sein, daß dieser Titel, wie sich hier und dort andeutet, im Prinzip vom Einzelplan 14 aufgesaugt wird. Es muß vom Finanzminister sichergestellt werden, daß nicht nach dem Windhundprinzip gearbeitet wird, sondern nach dem Prinzip der gleichmäßigen Berücksichtigung der Aktivitäten in verschiedenen Bereichen: Inneres, Auswärtiges Amt, Verteidigung, aber eben auch Entwicklungshilfe. Nach zehn Jahren Kampf haben wir den Haushaltsvermerk für den Schuldendienstverzicht. Das war eine Forderung, die wir immer wieder vorgebracht hatten und die von Ihnen damals, als Sie regierten, abgelehnt wurde. Jetzt haben wir im Einzelplan 32 die Möglichkeit, über den ursprünglich vorgesehenen Rahmen hinaus nach Zustimmung durch den Haushaltsausschuß Entschuldung zu ermöglichen, nach der Devise: Versprochen - gehalten. Wir haben - das hatte der Kollege von Schmude schon angedeutet - endlich die Verbundfinanzierung so eingestellt, wie wir es schon seit Jahren gefordert haben. Auch hier haben wir also das gehalten, was wir versprochen haben. Dafür stehen 95 Millionen DM Verpflichtungsermächtigungen zur Verfügung. Wir werden in jedem Jahr einen Bericht bekommen, der darüber Auskunft gibt, in welchen Ländern in welchem Umfang - auch über den Kreis der Länder mit gutem Risiko hinaus - dieses Instrument angewendet wurde. Verbundfinanzierungsprojekte sollen dazu dienen, privates Kapital in Entwicklungsprojekte einzubeziehen. Ich denke, gerade angesichts des zu erkennenden Trends, daß die Privaten sich international zunehmend aus der Entwicklungshilfe zurückziehen, ist das ein richtiges Signal. Wir brauchen privates Kapital, privates Engagement in den Ländern der Welt, in denen besondere Probleme existieren. Natürlich muß man dazu auch die gesetzlichen Rahmenbedingungen und damit die Verläßlichkeit herstellen. Hier ist dann wieder eine Aufgabe im Bereich der Beratung für uns, um zu solchen Systemen zu kommen. Wir haben 200 Millionen DM Mehreinnahmen aus dem Forderungsverkauf ermöglicht. Davon fließen 124 Millionen DM in den allgemeinen Haushalt und 76 Millionen DM zur Verstärkung der FZ in den Haushalt des Entwicklungsministeriums. Für den zivilen Friedensdienst gibt es nun einen Extratitel. Wir haben dort 5 Millionen DM eingestellt, die dann, wenn ein überzeugendes Konzept vorliegt, freigegeben werden. Wir wollten damit nicht den DED ärgern, sondern sicherstellen, daß die Teilhabe privater Träger weitgehend neutral möglich wird. Ich denke, das Haus wird diese Aufgabe lösen, obwohl wir aus vielen kritischen Publikationen wissen, daß die Ministerin hier keine leichte Aufgabe haben wird. Zur entwicklungspolitischen Bildung möchte ich folgendes sagen: Der Titel wurde schon im Regierungsentwurf deutlich aufgestockt. Wir haben im Haushaltsausschuß noch einmal etwas draufgelegt, so daß wir bei 6 Millionen DM angekommen sind. Ich betone das hier noch einmal, weil uns einige schlecht informierte NGO unterstellt haben, daß wir diesen Titel gekürzt hätten. Das ist nicht wahr. Wir haben genau das Gegenteil getan: Wir haben noch etwas - immerhin 25 000 DM - draufgelegt und damit ein ganz klares Signal gesetzt. Nach den Kürzungen des UNDP-Titels haben wir noch etwas draufgelegt, 10 Millionen DM. Aber ich bitte darum, diesen Bereich in Zukunft verläßlich zu verhandeln und über mehrere Jahre klarzumachen, um welche Größenordnungen es hier geht. Bei der TZ mußten wir anerkennen, daß dort Engpässe herrschen. Deswegen haben wir noch einmal 20 Millionen DM bar draufgelegt und 50 Millionen DM bei den Verpflichtungsermächtigungen. Als Gegenfinanzierung haben wir im EEF 66 Millionen DM gekürzt. Ich möchte aber dazusagen, daß man hier nicht beliebig eingreifen kann, da uns sonst überplanmäßige Ausgaben ins Haus stehen könnten. Ich möchte zum Schluß sagen, daß es noch einige weitere kleinere Veränderungen gibt. Sie werden im Laufe der Diskussion sicher dargestellt werden. Abschließend möchte ich mich recht herzlich bei den Kolleginnen und Kollegen, bei der Ministerin und dem Haus für die gute Zusammenarbeit und die zügige Zuarbeit bedanken. Ich möchte Sie alle darum bitten, dem Einzelplan 23 zuzustimmen. Ich bedanke mich recht herzlich für Ihre Aufmerksamkeit. ({8})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Für die F.D.P.Fraktion hat der Kollege Joachim Günther das Wort.

Joachim Günther (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000750, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herrn! Der Haushalt 1999 liegt nun auf dem Tisch. Herr Kollege von Schmude hat einige Eckzahlen genannt. Diese braucht man nicht zu wiederholen. Ich würde es so sagen: Die Euphorie der ersten rotgrünen Regierungstage ist dem Alltag gewichen. Wenn man die einzelnen Etatposten des Einzelplanes 23 betrachtet, dann kann man sagen: Das Machbare wurde im Ausschuß geregelt, und Schwerpunkte konnten zum Teil auch fraktionsübergreifend auf einen Nenner gebracht werden. Was wir allerdings nicht erreichen konnten, Frau Ministerin - oder muß man sagen: was Sie nicht erreichen konnten? -, war die Umsetzung Ihrer Ankündigungen aus der ersten Zeit. Sie hatten sich das Ziel gesetzt, die wirtschaftliche Zusammenarbeit, das BMZ wieder in den Kernbereich der Politik zurückzuführen. Sie haben die Bündelung der entwicklungspolitischen Aufgaben vorantreiben wollen. Wenn man Sie an diesen Aufgaben mißt, dann ist der Haushalt eindeutig zu kurz gesprungen. Diese Ziele sind nicht erreicht worden. ({0}) Damit sind wir wieder bei der Realität angelangt. Unserer Meinung nach gilt es, zu einzelnen Punkten ganz kurz etwas aufzuzeigen. Wir sind der Meinung, daß der Einzelplan 23 zukünftig besser strukturiert werden sollte. Wir brauchen klare sektorale und regionale Schwerpunkte sowie eine stärkere Konzentration auf Förderungsmöglichkeiten mit geringem Zuschußanteil, ({1}) zum Beispiel die Förderung privater Existenzgründungen und privatwirtschaftlich koordinierte Infrastrukturprojekte. ({2}) Das Prinzip Marktwirtschaft muß auch auf den verschiedenen Ebenen der Entwicklungszusammenarbeit gelten. Wir brauchen mehr Transparenz und Wirksamkeit im Bereich der staatlichen und privaten Entwicklungszusammenarbeit. Wir brauchen eine Verbesserung der Kooperation und Koordinierung zwischen den Projektträgern. Wir brauchen vor allem verläßliche Wirksamkeitsanalysen und Erfolgskontrollen. Auch die Vergabe von Fördermitteln sollte zukünftig im Wettbewerb der Durchführungsorganisationen bei Geber- und Partnerländern erfolgen. Wer effizientere Hilfe zu günstigeren Konditionen leistet, muß den Zuschlag erhalten. Ein Förderungsschwerpunkt sollte aus unserer Sicht auch der Aufbau eines funktionierenden Finanzsektors in den Entwicklungsländern sein. Dazu gehört die Förderung von Mikrokreditprogrammen. Die Mikrofinanzierung zählt zu den besten und erfolgreichsten Mitteln zur Bekämpfung von Armut in den Entwicklungsländern. Durch Zugang zu Sparen und Kredit wird die Selbsthilfefähigkeit der ärmsten Menschen nachhaltig verbessert. Wir konnten uns davon erst vor kurzem in Südafrika überzeugen. Die positiven Erfahrungen mit diesem Programm haben gezeigt, daß insbesondere Frauen diese Chance zur Verbesserung ihrer Lebensverhältnisse nutzen. Deshalb sollte die Bundesregierung den Ansatz der deutschen Entwicklungspolitik für Mikrofinanzierungsprojekte weiter verstärken. Das gleiche gilt für die sogenannten öffentlichprivaten Partnerschaften. Die dreijährige Erfahrung mit diesen Partnerschaften zeigt, daß beim Zusammenwirken von öffentlichen Entwicklungsträgern und privater Wirtschaft betriebswirtschaftliche Rentabilität und entwicklungspolitischer Nutzen keine Gegensätze sein müssen. In den gemeinsamen Projekten fließen die Beiträge der Wirtschaft und der Entwicklungspolitik so zusammen, daß sie einer rein öffentlichen Lösung deutlich überlegen sind. Daß direkte und indirekte positive Auswirkungen der Entwicklungshilfe auf die heimische Wirtschaft nicht nur legitim, sondern auch von großer Bedeutung für den Standort Deutschland sind, hat eine soeben vom BMZ veröffentlichte Studie bewiesen. Daß Entwicklungshilfe nicht nur den Empfängerländern, sondern auch der heimischen Wirtschaft zugute kommt, ist im Gegensatz zu mancher ideologischen Verbohrtheit kein Makel, sondern durchaus im Sinne einer entwicklungspolitisch verantwortungsbewußten Arbeitsteilung, die im übrigen auch bei uns zu Hause eine höhere Akzeptanz der Entwicklungspolitik nach sich ziehen würde. Nach der vorgelegten Studie hat die Entwicklungshilfe nicht nur ein erhebliches Handel schaffendes Potential, von dem sowohl Geber als auch Nehmer in komplementärer Weise profitieren, sondern darüber hinaus auch einen hohen Stellenwert für die Schaffung und den Erhalt von Arbeitsplätzen in Deutschland. Durch das entwicklungspolitische Engagement in den Entwicklungsländern werden ferner Investitionsmöglichkeiten für deutsche Unternehmer und damit neue Exportchancen geschaffen. Dies führt in den Entwicklungsländern, die sich marktwirtschaftlich orientieren, im Endeffekt zu einer entwicklungspolitisch gewollten Marktöffnungsfunktion. Gerade vor diesem Hintergrund ist es ein unhaltbarer Zustand, daß im 6. und 7. Europäischen Entwicklungsfonds lediglich 6 bis 10 Prozent der Aufträge an deutsche Unternehmen gingen, wohingegen unsere französischen, britischen und italienischen Partner jeweils um die 20 Prozent erhielten. Besonders kraß ist dieses Mißverhältnis bei Bauaufträgen, von denen jeweils 24 Prozent an französische und italienische Unternehmen gingen, an deutsche Unternehmen lediglich 4 Prozent. Die Bundesregierung sollte hier dringend ihre Gestaltungsmöglichkeiten im Rahmen der EU-Präsidentschaft nutzen, um diesen Trend umzukehren und sicherzustellen, daß deutsche Unternehmen bei der Auftragsvergabe im Rahmen der zukünftigen europäischen Entwicklungspolitik angemessen berücksichtigt werden. ({3}) Der Einzelplan 23 läßt - entgegen der Ankündigung der Regierung - auch keine Trendwende hin zur Multilateralisierung der Entwicklungspolitik erkennen; das muß man deutlich sagen. Aus unserer Sicht besonders bedauerlich ist, daß der deutsche Beitrag für das Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen, UNDP, um 25 Prozent gekürzt wurde. Das UNDP ist mit Abstand die effizienteste der großen multilateralen Geberorganisationen. Eine Kürzung der deutschen Beiträge ist aus unserer Sicht ein falsches Signal und steht auch im Widerspruch zu Ihrem Koalitionsvertrag, in dem Sie das anders verankert haben. ({4}) Ich glaube, wenn wir zu den Ausgangswerten zurückkommen und das BMZ wieder im Kernbereich der Politik auftritt, kann auch das wahr werden, was Sie vorhin angekündigt hatten, daß wir dem Einzelplan 23 zustimmen. Im Moment können wir das noch nicht. ({5})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Ich gebe das Wort der Kollegin Dr. Angelika Köster-Loßack, Bündnis 90/ Die Grünen.

Dr. Angelika Köster-Loßack (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002704, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Wir wissen natürlich alle, daß Geld allein keine ausreichende Grundlage für eine nachhaltige Entwicklungspolitik ist. Ohne angemessene Finanzausstattung aber bleiben auch die besten Absichten wirkungslos. ({0}) Wenn Weltbankpräsident Wolfensohn feststellt - das ist eine Feststellung, die über unseren nationalen Rahmen hinausgeht -, daß die weltweite Armut immer mehr zunimmt und gleichzeitig die öffentliche Entwicklungshilfe den tiefsten Stand seit 50 Jahren erreicht hat, dann wird das Mißverhältnis von Bedarf zu realen Zuwendungen deutlich. Die Zahlen erspare ich mir jetzt. Sie sind vorgetragen worden. Ich möchte hier ganz klar sagen: Nachdem die alte Koalition den Haushalt des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung kontinuierlich heruntergefahren hat, ist jetzt erstmals eine Trendumkehr geschafft. ({1}) Joachim Günther ({2}) Wir Grüne hatten in den letzten Jahren immer wieder gefordert, daß die Talfahrt des BMZ-Haushalts gestoppt werden muß. Das ist gelungen, und darauf können wir auch ein bißchen stolz sein. Angesichts der vielfältigen Aufgaben, denen sich die Entwicklungspolitik widmen muß, insbesondere bei der Konfliktprävention, will ich nicht verhehlen, daß wir uns einen größeren Aufwuchs gewünscht hätten. Obwohl wir die finanziellen Belastungen, die die rotgrüne Koalition geerbt hat - diese Altlasten haben wir von Ihnen übernommen -, berücksichtigen müssen, werden wir darauf achten, daß sich der positive Trend für unseren Einzelplan in den nächsten Jahren fortsetzen wird. ({3}) Unserer Staatssekretärin und unserer Haushaltsberichterstatterin möchte ich an dieser Stelle besonders danken. Sie haben sich im Verein mit der Spitze des Hauses darum bemüht und erfolgreich dafür eingesetzt, daß der Entwicklungsetat trotz finanzpolitischer Schwierigkeiten einen Zuwachs verzeichnet. ({4}) Der Verfügungsrahmen, also die tatsächlich zur Verfügung stehenden Mittel, wurde nochmals um 91 Millionen DM erhöht. Der Vergleich, der von manchem, so unter anderem von Herrn von Schmude, angestellt wird, nämlich daß der Haushalt 1999 gegenüber dem IstHaushalt 1998 gesunken ist, geht ins Leere. Man kann den Ist-Haushalt 1998 nur mit dem Ist-Haushalt 1999 vergleichen. In einem Jahr können wir das, und so lange gilt, daß der Haushaltsentwurf 1998 bzw. der Entwurf der alten Koalition unser Vergleichsmaßstab ist. Gegenüber beiden ist eine Steigerung festzustellen. Ganz besonders wichtig ist aus meiner Sicht - das wurde bereits angesprochen - die deutliche Steigerung der Verpflichtungsermächtigungen. Gegenüber dem Regierungsentwurf der alten Koalition gibt es hier eine Steigerung um fast 400 Millionen DM. Das ist für die künftige Entwicklungszusammenarbeit von zentraler Bedeutung, weil dadurch die Handlungsspielräume erweitert werden. ({5}) Deutlich wird der größere Stellenwert, den wir der Entwicklungspolitik zuordnen, wenn man sich die Bereiche genauer ansieht, in denen erste neue Initiativen gestartet wurden. Wir, die wir jahrelang in der Opposition für diese Konzepte gestritten haben, wissen sehr genau um die Bedeutung der eingeleiteten Maßnahmen. Wir werden gemeinsam mit der Regierung, mit dem BMZ und mit der Ministerin an ihrer zügigen Umsetzung arbeiten. Gerade angesichts des Kosovo-Krieges ist es wichtig, rechtzeitig zivile Konfliktlösungen anzustreben und umzusetzen. ({6}) Wir müssen in Zukunft mit allen friedlichen Mitteln zu verhindern suchen, daß zur Durchsetzung von Menschenrechten militärische Mittel eingesetzt werden müssen. Natürlich hat der Fall des Eisernen Vorhangs die bis dahin latenten Konflikte, die in der Vorherrschaft ethnisch-religiöser Gruppen oder in der Unterdrückung von ethnischen und religiösen Minderheiten wurzeln, zum Ausbruch kommen lassen. Die Aufgabe von Entwicklungspolitik als Friedenspolitik - wie das auch von der Ministerin zentral vertreten worden ist - besteht darin, in unseren Partnerländern durch eine Verbesserung der wirtschaftlichen, sozialen, ökologischen und politischen Rahmenbedingungen zum Abbau solcher struktureller Konfliktursachen beizutragen. ({7}) Das wird allerdings nur dann gehen, wenn wir in einen gleichrangigen auf Informationen gegründeten Dialog eintreten. Postkoloniale Arroganz ist hier fehl am Platz und führt nur in die Sackgasse. ({8}) Die Entwicklungspolitik soll auch den Aufbau ziviler Konfliktlösungsmechanismen unterstützen - und das bei bewußter Einbindung von zivilgesellschaftlichen Ressourcen auch in den Ländern des Südens. So wird im Haushalt 1999 - das ist schon angesprochen worden zum erstenmal Geld für einen zivilen Friedensdienst bereitgestellt, der von der vorherigen Koalition in dieser Form immer abgelehnt worden ist. Deswegen sollte die alte Koalition heute auch keine Krokodilstränen darüber vergießen, wie enttäuscht die Länder des Südens oder die hiesigen NRO sind. ({9}) Es geht bei diesem zivilen Friedensdienst darum, die vielfältigen Erfahrungen, die es auf diesem Gebiet im Norden und im Süden seitens staatlicher und nichtstaatlicher Organisationen gibt, einzubeziehen. Deswegen war es auch ganz wichtig, daß hier ein Titel im Haushalt verankert worden ist. Es geht in den nächsten Wochen darum, gemeinsam über ein tragfähiges Konzept zu diskutieren, damit endlich ein mit entwicklungspolitischen Mitteln und Zielsetzungen ausgestatteter ziviler Friedensdienst aufgebaut werden kann. Wenn wir einen solchen Friedensdienst zur Zeit der Eroberung Osttimors durch die indonesische Regierung in Aktion gehabt hätten, dann wäre den Menschen Osttimors sehr viel erspart geblieben. Es wäre nicht über die Jahre hinweg ein Drittel der Bevölkerung ermordet worden. ({10}) Ganz besonders wichtig ist in diesem Zusammenhang natürlich auch, daß die Mittel für die entwicklungspolitische Bildung einen deutlichen Zuwachs von 6 Millionen DM erfahren. Das bedeutet eine Steigerung von über 40 Prozent. Dieses Geld ist notwendig, damit auch bei uns das Wissen um die Zusammenhänge und das Bewußtsein für die Notwendigkeit entwicklungspolitischer Zusammenarbeit auch im Bereich der Friedenssicherung gestärkt werden. Es ist notwendiger denn je, den Menschen in unserem Land zu vermitteln, daß die Gelder, die wir für die Entwicklungszusammenarbeit ausgeben, weder überflüssig noch verloren sind. Es gilt zu verdeutlichen, daß die Entwicklungszusammenarbeit in unser aller Interesse ist, sei es aus ökologischen, sozialen, humanitären und friedenspolitischen Gründen, sei es aus wirtschaftlichen Gründen. Es muß auch deutlich gemacht werden, daß die meisten Gelder für sinnvolle Projekte und Programme ausgegeben werden, die tatsächlich den Menschen in den Ländern des Südens zugute kommen. Ich begrüße es in dem Zusammenhang außerordentlich, daß die rotgrüne Regierung, die Spitze unseres Hauses die multilaterale Zusammenarbeit stärken will. Gerade wir haben immer davor gewarnt, die Entwicklungspolitik zu renationalisieren und dabei nur die Exportinteressen unserer Wirtschaft im Auge zu haben. Es ist nämlich so, daß man das - im Gegensatz zu dem, was vorhin vor allen Dingen in Angriffen auf den EEF bezüglich Verschwendungsskandalen usw. gesagt wurde - genausogut bei vielen Kreditvergaben und Kreditabsicherungen durch Hermes, die wir in den letzten Jahrzehnten in den Sand gesetzt haben, anbringen kann. Ich verweise noch einmal auf Indonesien. ({11}) Es kommt natürlich darauf an - da sind wir durchaus kritisch -, die multilaterale Hilfe besser aufeinander abzustimmen. Das ist vor allem für die Entwicklungszusammenarbeit der EU notwendig. Die institutionelle Zersplitterung wird ein Ende haben. Ein neuer Kommissionspräsident und eine neu zusammengesetzte Kommission mit neu definierten Aufgaben werden neue Bedingungen schaffen. Ich glaube, daß das nicht nur auf dem Gebiet der EU von Bedeutung ist, sondern natürlich genauso auf dem Gebiet der Vereinten Nationen. Deswegen ist es ganz wichtig, daß die Kürzungen, die beim Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen zunächst vorgenommen werden sollten, zumindest teilweise zurückgenommen wurden. In Zukunft wird es jedoch darauf ankommen, die Entwicklungsinstitutionen der VN noch viel stärker zu unterstützen und gleichzeitig interne Reformprozesse voranzutreiben, die eine wirksame Zusammenarbeit ermöglichen. Zur Entschuldungsinitiative ist schon einiges gesagt worden. Ich möchte nur noch dazusagen, daß bei den Veranstaltungen, die ich in dem Bereich mache - auch bei den Kirchen -, durchaus verstanden worden ist, daß wir uns von seiten der rotgrünen Regierung bemühen, eine Halbierung der Vorlaufzeit, die für die ärmsten Länder angesetzt wurde, und eine Anhebung der Höhe der Schuldenerlasse zu erreichen. Ich glaube, daß wir jetzt, nachdem Deutschland in der Frage des Schuldenerlasses international jahrelang als Bremser aufgetreten ist, gut damit leben können, daß wir eine Vorreiterrolle übernehmen. Die Initiativen der neuen Regierung, die ich heute nur angerissen habe, machen deutlich, daß die Entwicklungszusammenarbeit endlich einen neuen Stellenwert in der deutschen Politik gewonnen hat. Vielen Dank. ({12})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Ich gebe dem Kollegen Carsten Hübner von der PDS-Fraktion das Wort.

Carsten Hübner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003154, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sehr geehrte Frau Ministerin! Ich will es gleich vorwegschicken: Der nun zu beschließende Haushalt des Einzelplans 23 hat mit der von Ihnen in der Koalitionsvereinbarung angekündigten „entwicklungspolitischen Kehrtwende“ leider nicht viel zu tun. Ich bedauere das um so mehr, Frau Ministerin, als ich die von Ihnen vertretenen struktur- und entwicklungspolitischen Eckwerte oftmals durchaus teile. Das ändert aber nichts an der Tatsache, daß Sie sie in einem Kabinett, in dem Entwicklungspolitik statt Pflichtprogramm wohl doch nicht vielmehr als politische Kür ist, offenbar nicht durchsetzen können. In einer Zeit verschärfter Konflikte in weiten Teilen der Welt, in einer Zeit zunehmender Armut und der Abkopplung ganzer Regionen von der globalen Entwicklung ist aber genau diese Haltung gegenüber der Entwicklungspolitik nicht nur kritikwürdig, sondern glattweg unverantwortlich. Ich frage Sie: Wo tragen Sie denn in der notwendigen Konsequenz dem Umstand Rechnung, daß den rund 900 Millionen Menschen in den Industriestaaten etwa 4,9 Milliarden Menschen in den sogenannten Entwicklungsländern gegenüberstehen, daß rund 1,5 Milliarden Menschen auf der Welt täglich mit weniger als einem Dollar auskommen müssen und daß sich zum Beispiel in den Nachfolgestaaten der Sowjetunion, also ganz in unserer Nähe, die Zahl der Armen von 1989 bis heute mehr als verzehnfacht hat, also 147 Millionen Menschen dort weniger als 4 Dollar pro Tag zur Verfügung haben? Das sind die entwicklungspolitischen Herausforderungen, denen wir - natürlich nicht allein; das ist klar - gerecht werden müssen. Ein Blick auf den Einzelplan 23 belegt: kein spürbares Anwachsen des Haushaltes und damit keine Annäherung an die internationale Zielstellung von 0,7 Prozent des Bruttosozialprodukts für öffentliche Entwicklungshilfe. Statt dessen dümpelt der Haushalt bei etwa 0,3 Prozent, liegt jetzt sogar noch 37 Millionen DM unter Ihrem eigenen ersten Etatentwurf für 1999. Darin inbegriffen sind weitere Einschnitte bei den Zahlungen für die verschiedenen entwicklungspolitisch relevanten UNOrganisationen. Letztlich haben Sie noch nicht einmal die Kürzung bei UNDP rückgängig gemacht; das ist ja schon angesprochen worden. Eine solche Politik ist von ihrem Charakter her kurzsichtig und wird damit weder dem Schlagwort - allerdings in einem weiteren Sinn - „good governance“ noch dem Anspruch der Nachhaltigkeit von politischen MaßDr. Angelika Köster-Loßack nahmen, geschweige denn einer substantiellen entwicklungspolitischen Kehrtwende gerecht. Wenn ich gar an die aus der Sicht meiner Fraktion unbedingt notwendige bilaterale Flankierung der HIPC-Schuldeninitiative zum G-7-Gipfel erinnere, dann verschwindet die verkündete Kehrtwende gleich ganz hinter einer Nebelwand, die noch dichter werden wird, je länger der widersinnige, aber deswegen nicht weniger teure NATOKriegseinsatz gegen Jugoslawien dauert. Wir alle - ich denke dabei auch an meine Fachkolleginnen und -kollegen der anderen Fraktionen - werden uns noch wundern, wenn die Rechnung für diesen Krieg präsentiert wird, wenn auch aus dem Haushalt des BMZ die horrenden Summen für eine falsche internationale Politik aufgebracht werden und diese damit nicht mehr für zivile Konfliktprävention und eine nachhaltige globale Entwicklung zur Verfügung stehen. Zurück zu der Frage der bilateralen Schulden - unsere entsprechenden Änderungsanträge liegen vor -: Mit dem Haushalt 1999 wird keine neue Weichenstellung vorgenommen, wird eben nicht die Tür für einen konsequenten Schuldenerlaß aufgestoßen, wie er etwa von der „Erlaßjahrkampagne“ und dem Gros der entwicklungspolitischen NGOs gefordert wird. Nicht einmal ein Verzicht auf Tilgung und Zinsforderungen gegenüber den ärmsten und am wenigsten entwickelten Ländern ist vorgesehen. Das ist ein schwaches Bild - einmal ganz abgesehen davon, daß auch darüber hinaus die Struktur des vorherigen Haushalts nicht aufgebrochen wurde, um aktueller, akzentuierter, zielgruppenorientierter und letztlich einfach effektiver auf die drängenden Herausforderungen reagieren zu können und neue Impulse zu geben. Das ist nicht allein eine Frage des Geldes - das wissen Sie so gut wie ich -, das ist eine Frage des politischen Gestaltungswillens und natürlich eine Frage der Spielräume, die Sie, Frau Ministerin, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Koalition, in dieser Regierung wohl erst noch durchsetzen müssen. Meine Fraktion kann dem vorliegenden Einzelplan 23 aus den genannten Gründen jedenfalls nicht zustimmen. ({0})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Das Wort hat die Bundesministerin für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Heidemarie Wieczorek-Zeul.

Heidemarie Wieczorek-Zeul (Minister:in)

Politiker ID: 11002503

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Kollege Schnell hat die unsinnigen Behauptungen, die hier zum Haushalt aufgestellt worden sind, bereits zurückgewiesen. Ich will an dieser Stelle nur noch einmal darauf hinweisen: Die Notwendigkeit des Umsteuerns stellt sich über mehrere Jahre. Denn ein Haushalt, der in den letzten sechs Jahren von den hier sitzenden Parteien um 9 Prozent reduziert worden ist, der als Steinbruch benutzt worden ist, kann nicht schnell wieder voll aufgebaut und erweitert werden. ({0}) Sie haben ja mit dazu beigetragen, daß die Voraussetzungen geschaffen wurden, die wir jetzt ändern müssen. Ich möchte aber unabhängig davon ein paar grundsätzlichere Anmerkungen machen, von denen ich finde, daß wir sie heute hier diskutieren sollten. Entwicklungspolitik ist Friedens- und Zukunftspolitik. Sie ist wie jede Friedens- und Zukunftspolitik eine Frage des Arbeitens mit wirklich langem Atem. Die Tragödie im Kosovo lehrt uns, daß wir endlich ernst machen müssen mit einer Politik der Krisenprävention. ({1}) Die Entwicklungspolitik steht vor der Aufgabe, gemeinsam mit der Außen- und Sicherheitspolitik, dazu beizutragen, daß Krisen in der Welt erst überhaupt nicht entstehen können. Das ist die allerwichtigste Aufgabe, und zwar nicht nur aus humanitären Gründen, nicht nur um der Menschen Willen, sondern auch aus ökonomischen Gründen. Denn die dafür zu veranschlagenden Kosten sind um ein Vielfaches geringer als die Kosten der Beseitigung der Folgen von Kriegen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, da sollten doch alle einmal ehrlich sein. Denken Sie an die Debatte über den Verteidigungshaushalt, die wir vorhin hatten. Es ist doch so, daß in Ihren Reihen die Faszination des Militärischen allemal höher ist als die Faszination der Krisenprävention. ({2}) - Jawohl, das ist so. ({3}) - Das sehen Sie doch auch. Das ist doch ersichtlich, das kann man mit Händen greifen. - Solange das so ist, so lange wird es kein Umdenken geben. Ich appelliere an Sie alle umzudenken. Die Faszination der Krisenprävention muß alle Menschen bewegen. ({4}) Gerade die Kosovo-Katastrophe erfordert, daß wir über den Tag hinaus sehen ({5}) und langfristige Strategien der Krisenprävention entwikkeln. Es kommt darauf an, den politischen Gestaltungswillen zu nutzen. Und jetzt einmal an die Adresse von Herrn Hübner, der das natürlich hier so locker-flockig sagen kann: Es geht darum, daß in diesem Bereich zwei neue Eckpfeiler gesetzt werden, auf die ich deutlich hinweisen will und die wir auch in unserer Politik setzen. Der erste ist Abbau von Krisenursachen. Der Zugang zu Land, Wasser und Bodenschätzen ist häufig die Ursache für gewaltsame Auseinandersetzungen. Unsere entwicklungspolitischen Maßnahmen - wir setzen allein in der Region des Nahen Ostens dafür 200 Millionen DM ein - zeigen, daß es erfolgversprechende Ansätze zu einem besseren Krisenmanagement in diesem Bereich gibt. Das ist ein aktiver Beitrag zur Friedenssicherung. ({6}) Regionale Integration kann helfen, zwischenstaatliche Krisenursachen zu verringern. Sie kann vor allen Dingen wirtschaftliche und gesellschaftliche Verbindungen schaffen, die stabilisierend wirken und bei denen auch ein politischer Dialog möglich ist. Wir sehen in unserem Haushalt für die Unterstützung dieser regionalen Strukturen rund 100 Millionen DM vor und setzen damit im Rahmen unseres Handlungsspielraums einen entsprechenden Schwerpunkt. Der zweite große Pfeiler besteht in der Förderung gesellschaftlicher Mechanismen zur gewaltfreien Konfliktlösung. Eine Gesellschaft, die es allen Individuen und Gruppen, auch ethnischen Gruppen, ermöglicht, ihre Interessen zu artikulieren, und die über Mechanismen zum Ausgleich dieser Interessen verfügt, besitzt die besten Voraussetzungen für ein friedliches Zusammenleben. Deshalb ist die Unterstützung von Demokratisierung und von Partizipation sowie die Entwicklung der Zivilgesellschaft ein wichtiger Beitrag, den Menschen den Umgang damit nahezubringen. Deshalb ist dieser Ansatz ein ganz wichtiges Instrument zur Friedenssicherung. Ihn unterstützen wir mit 200 Millionen DM. ({7}) Eine unabhängige und auch für arme Menschen zugängliche Justiz stellt ebenso wie die Transparenz und die Berechenbarkeit des Staates als Gesetz- und Verordnungsgeber eine entscheidende Voraussetzung für Rechtssicherheit und den Schutz der Menschenrechte dar. Vertrauen die Menschen dem Rechtssystem ihres Staates, so sind erhebliche Konfliktpotentiale ausgeschaltet. Hierzu kann Entwicklungspolitik einen wichtigen Beitrag leisten. Das tun wir mit unserem Haushalt, den wir vorlegen. ({8}) Darüber hinaus werden wir das Instrument des zivilen Friedensdienstes - dieser Punkt ist mehrfach angesprochen worden - entwickeln. Damit setzen wir einen wichtigen Schwerpunkt bei der Krisenprävention und der Friedenssicherung. Lassen Sie mich einen weiteren Aspekt ansprechen, der uns heute den ganzen Tag beschäftigt hat, nämlich die Frage, was wir für die Unterstützung und vor allen Dingen für die Stabilisierung des Kosovo und der betroffenen Nachbarländer tun können, zum Beispiel für Mazedonien und Albanien, aber natürlich darüber hinaus auch für Bulgarien, Rumänien und BosnienHerzegowina. Ich will an dieser Stelle ausdrücklich darauf hinweisen, daß wir als Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Mittel für Maßnahmen eingestellt haben, die über Nothilfe und Hilfe für Flüchtlinge hinausgehen. Für mittel- und langfristige Stabilisierungsmaßnahmen sind im Haushalt des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit 35 Millionen DM für Albanien, 45 Millionen DM für Mazedonien und in der letzten Woche 25 Millionen DM für Bulgarien eingeplant worden. Für Rumänien sind 27 Millionen DM vorgesehen, für Bosnien-Herzegowina 32 Millionen DM. Darüber hinaus hat die Gebergemeinschaft zusammen mit der Weltbank in der letzten Woche für die betroffenen Länder in der Region ein Unterstützungspaket in Höhe von rund 130 Millionen US-Dollar geschnürt, durch das die Staatengemeinschaft ihre Solidarität mit den betroffenen Ländern eindrucksvoll bekräftigt und ihre rasche Unterstützung deutlich gemacht hat. Ein weiterer Punkt. Um des zukünftigen Friedens willen dürfen wir nicht zulassen - das ist eine grundsätzliche Überlegung -, daß vor allen Dingen die armen Entwicklungsländer immer weiter ins Abseits der Weltwirtschaft gedrängt werden. Es gibt zwei Trends: Der eine Trend besteht darin, daß der private Finanztransfer in die Entwicklungsländer drastisch zurückgegangen ist - in den letzten drei Jahren um 50 Prozent - und daß er sich auf nur wenige Länder und wenige Sektoren konzentriert. Das ist unakzeptabel. Deshalb haben wir unter anderem unsere Entschuldungsinitiative eingebracht. Wir haben die Unterstützung unserer Partnerländer, in der Weltbank und beim Währungsfonds für diesen Ansatz gefunden. Er trägt dazu bei, endlich Zukunftschancen vor allem für die ärmsten verschuldeten Entwicklungsländer zu schaffen. Erkennen Sie dies einfach als Erfolg an, ({9}) und tragen Sie mit dazu bei, daß diese Initiative im öffentlichen Bewußtsein bekannter wird! Der andere Trend betrifft die öffentlichen Finanzmittel. Hier will ich an eine Entwicklung erinnern: 1988 lag der Anteil der öffentlichen Finanzmittel für die Entwicklungszusammenarbeit am Bruttosozialprodukt in den Geberländern bei 0,34 Prozent. Er ist im Jahr 1997 auf 0,22 Prozent des Bruttosozialproduktes zurückgegangen. Nach vorläufigen Berechnungen betrug der Anteil im letzten Jahr weniger als 0,2 Prozent des Bruttosozialprodukts der OECD-Mitgliedsländer. Das ist ein absolut unakzeptabler Zustand. Er kann nicht hingenommen werden. ({10}) Wenn die privaten und die öffentlichen Entwicklungsmittel nicht mehr fließen würden, dann würde ein Teil dieser Welt ins Abseits gedrängt. Das dürfen wir nicht zulassen. Willy Brandt hat nach wie vor recht: Wir können auf Dauer nicht in Frieden und Wohlstand leben, wenn es Regionen auf der Welt gibt, die in tiefster Armut leben. Deshalb müssen wir dazu beitragen, daß sich das ändert. ({11}) Wir wollen den gegenwärtigen Abwärtstrend unserer Entwicklungsleistungen am Bruttosozialprodukt, der, wie ich eben dargestellt habe, für die Industrieländer insgesamt gilt, stoppen. So hat es der Bundeskanzler gemäß der Koalitionsvereinbarung auch in seiner Regierungserklärung unterstrichen. Der vorliegende Haushaltsentwurf für den Einzelplan 23 leistet die dazu erforderliche Wende. Liebe Kolleginnen und Kollegen, mit der vom Haushaltsausschuß jetzt vorgeschlagenen Höhe der Verpflichtungsermächtigungen liegen wir um 630 Millionen DM bzw. um 9 Prozent über dem Verfügungsrahmen, den die alte Regierung für 1999 vorgesehen hatte. Damit ist der Grundstein für künftig steigende Leistungen in der Entwicklungszusammenarbeit gelegt. Erkennen Sie das doch einfach einmal an, zumal Sie selber Verantwortung getragen haben. ({12}) Üben Sie vielleicht auch einmal ein Stück Selbstkritik, in diesem Bereich bisher nicht so aktiv gewesen zu sein. Ich möchte zum Schluß kommen. Jenseits jeder parteipolitischen Diskussion: Wichtig ist - ich sage das noch einmal -, daß wir uns umorientieren und daß Krisenprävention und Friedenssicherung das politische Denken beherrschen. Deshalb werden wir die Entwicklungszusammenarbeit ausbauen und dazu beitragen, daß die Umorientierung, die wir jetzt geschaffen haben, in Zukunft anhält. Ich fordere jeden dazu auf, uns in diesem Sinne zu unterstützen. Ich bedanke mich sehr. ({13})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Das Wort hat der Kollege Klaus-Jürgen Hedrich, CDU/CSU-Fraktion.

Klaus Jürgen Hedrich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000840, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Frau Ministerin, ich weiß nicht, ob Sie sich wirklich bewußt waren, was Sie zu Beginn Ihrer Ausführungen gesagt haben. Kollegen dieses Hauses zu unterstellen, vom Militärischen möglicherweise stärker als von Konfliktund Krisenprävention fasziniert zu sein, ist eine Ungeheuerlichkeit. ({0}) Ich darf Sie in aller Form bitten, dies zurückzunehmen. Wenn Sie bei dieser Formulierung bleiben, dann kündigen Sie damit den Konsens auf, den wir sowohl in der Kosovo-Frage - wir werden das unserer Fraktionsführung dementsprechend darstellen - als auch seit fast 20 Jahren in der Entwicklungspolitik haben. Ich sage noch einmal: Ihre Äußerung ist ein ganz starkes Stück. ({1}) Frau Ministerin, wir tadeln Sie übrigens nicht dafür, daß Sie sich gegenüber dem Finanzminister nicht haben durchsetzen können. Das kennen wir. Aber wir müssen Sie kritisieren, wenn Sie sich an Ihren eigenen Ankündigungen messen lassen wollen. Ich möchte Ihnen dazu einmal die von der Bundesregierung offiziell veröffentlichten Haushaltszahlen vortragen. Es geht um den Vergleich des Haushaltes 1998 mit dem Haushalt 1999. ({2}) - Die Zahl für 1998 liegt bei 7,924 Milliarden DM. Ihr Haushaltsansatz dagegen, der jetzt noch niedriger ist als im Entwurf, liegt bei 7,763 Milliarden DM. Ich kann das doch nicht ändern; das ist der Sachverhalt. Ich möchte mich allerdings ausdrücklich bei den Kollegen von der Koalition im Fachausschuß bedanken. Die meisten Dinge haben wir gemeinsam beschlossen, lieber Kollege Werner Schuster. Aber euch ist es, wenn ich das so persönlich sagen darf, genauso gegangen, wie es uns so manches Mal gegangen ist: Die Haushälter haben von den Haushaltsansätzen nichts, aber auch gar nichts übernommen. Gegenüber dem Kollegen Schnell, der hier begrüßt hat, daß weitere Zuständigkeiten im Ministerium konzentriert werden, darf ich meine Feststellung wiederholen, daß auch wir das bereits in der ersten Ausschußsitzung und auch hier im Parlament ausdrücklich begrüßt haben. Aber gerade vor diesem Hintergrund klingt die Eingangsbemerkung der Ministerin um so merkwürdiger, um keinen anderen Ausdruck zu benutzen. Jetzt sitzt das BMZ nämlich im Bundessicherheitsrat. Während die Leitung des Hauses durch die Lande reist, gegen Waffenexporte zu Felde zieht und große Reden schwingt, wird im Bundessicherheitsrat Waffenexporten zugestimmt. Auch hier passen wieder Anspruch und Wirklichkeit nicht zusammen. ({3}) Über die Frage des zivilen Friedensdienstes werden wir übrigens in einen Diskussionsprozeß mit den interessierten Gruppen im Lande eintreten; wir haben uns bewußt darauf verständigt, das nicht im Rahmen einer Anhörung zu machen. Ein Fachgespräch im Rahmen dieses Diskussionsprozesses wird Anfang Juni stattfinden. ({4}) Hier kann ich übrigens die Bundesregierung nur noch einmal ausdrücklich auffordern, endlich ein schlüssiges Konzept vorzulegen. Der uns zugeleitete Entwurf des BMZ ist durchaus diskussionswürdig. Ich mache aber darauf aufmerksam, daß wir so lange nicht endgültig darüber diskutieren können, wie die Bundesregierung kein Konzept vorlegt. Ich hoffe, daß Sie es durchsetzen können - hier ist übrigens insbesondere das Auswärtige Amt gefordert, insofern kann der Kollege das gleich zur Kenntnis nehmen -, daß bis zum 2. Juni eine einheitliche Position der Bundesregierung vorliegt, auf deren Basis wir dann mit den interessierten Personengruppen und Institutionen aus der Republik diskutieren können. Eine vorletzte Bemerkung: Die Schuldeninitiative wurde ebenfalls mit großem Aufwand angekündigt. Inzwischen erklären die internationalen Finanzinstitutionen, die sogenannten IFIs, daß sie nicht über die entsprechenden Finanzmittel verfügen, um eine solche Schuldeninitiative umzusetzen. Die Franzosen und Japaner haben ausdrücklich erklärt, daß sie mit den jetzigen Vorschlägen nicht einverstanden sind. Wir hoffen, Frau Ministerin - in unserem gemeinsamen Interesse darf ich das hier zum Ausdruck bringen -, daß es Ihnen bis zum G-8-Gipfel gelingt, diese Dinge auszuräumen, damit wir wirklich ein Zeichen zugunsten der ärmeren Länder dieser Erde setzen können. Ich möchte aber an dieser Stelle noch einmal ganz ausdrücklich die Position der CDU/CSU wiederholen: Es ist für niemanden in Deutschland - und auch weder für den europäischen Steuerzahler noch für den japanischen und amerikanischen Steuerzahler - verständlich, wenn diese Entschuldungsinitiative nicht mit einer klaren Konditionierung versehen wird. Das heißt, es muß sichergestellt werden - ich wiederhole das, was ich schon letztes Mal gesagt habe -, daß das Geld wirklich dort ankommt, wo es hingehört: Es muß für die Bekämpfung der Armut auf der Erde eingesetzt werden; so könnte wirklich ein Beitrag zu mehr Frieden auf der Erde geleistet werden. Sie hatten ja recht mit Ihrem Einwand, daß die Armut in den letzten Jahren zugenommen hat. Heute nachmittag fand - die Friedrich-Ebert-Stiftung war Mitveranstalter - eine Lateinamerika-Konferenz statt, auf der deutlich gemacht wurde, daß trotz aller wirtschaftlichen Fortschritte die soziale Kluft in den meisten unserer Partnerländer zunimmt. Solange dies der Fall ist, werden wir mit unserer Entwicklungspolitik immer nur notdürftige Reparaturmaßnahmen durchführen können. Das kann natürlich nicht der Sinn einer Entschuldungsinitiative sein. Vielmehr muß sie so angelegt sein, daß unsere Partnerländer verpflichtet werden, das Geld wirklich für die Armen und für die Sicherstellung von Grundbedürfnissen zu verwenden. ({5}) Zum Schluß will ich durchaus meine Genugtuung nicht verhehlen, daß Sie jetzt erneut erklärt haben, daß Sie sich die Sprangerschen Kriterien - Menschenrechte, Rechtsstaatlichkeit, soziale Marktwirtschaft - zu eigen machen. Daraus entnehme ich: So schlecht kann die Politik Ihrer Vorgänger nicht gewesen sein; wenn Sie sich daran ein Beispiel nehmen, wird aus Ihrer Politik vielleicht noch etwas Gutes. ({6})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Ich gebe das Wort Frau Bundesministerin Wieczorek-Zeul.

Heidemarie Wieczorek-Zeul (Minister:in)

Politiker ID: 11002503

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn ein Mißverständnis entstanden sein sollte, dann will ich das an dieser Stelle ausräumen. Meine Darlegungen zur Faszination der Krisenprävention und des Militärischen war nicht als Vorwurf an Abgeordnete oder irgendeine Fraktion gerichtet. Lassen Sie uns bitte doch einmal gemeinsam überlegen: Wenn Entwicklungshelfer vor Ort tätig sind, um Konflikte verhindern zu helfen, und es daraufhin gar nicht zu Konflikten kommt, dann findet dies im öffentlichen Bewußtsein keinen Niederschlag. Das ist ja ein Teil des Problems in diesem Bereich. Militärische Aktionen und Auseinandersetzungen dagegen finden im öffentlichen Bewußtsein immer ihren Niederschlag. Mein Punkt war - ich glaube, Sie alle stimmen darin mit mir überein -, daß wir dazu beitragen müssen, daß die sehr gute Arbeit, die vor Ort geleistet wird, damit Konflikte gar nicht erst entstehen, auch im öffentlichen Bewußtsein stärker deutlich wird. Denn nur wenn das der Fall ist, werden wir die entsprechenden finanziellen Veränderungen schaffen, die notwendig sind. ({0}) Ich glaube, das hat auch Ihnen gegenüber klargestellt, was gemeint war, und ich denke, dem können auch Sie zustimmen. - Vielen Dank. ({1})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Zu einer Kurzintervention hat Kollege Dr. Werner Schuster das Wort.

Dr. R. Werner Schuster (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002118, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Vorweg: Herr Hedrich, Sie werden mir sicher zustimmen, daß es leichter ist, europaweit eine militärische Maßnahme zu koordinieren, als mit dem gleichen Umfang, der gleichen Präzision und der gleichen Professionalität eine abgestimmte Förderung von zivilgesellschaftlichen Strukturen zu initiieren. ({0}) Aber der eigentliche Grund für meine Kurzintervention ist Ihr Hinweis auf den Haushalt. Niemanden hätte es mehr gefreut als mich persönlich, wenn dieser Haushalt noch ein paar Millionen DM mehr ausgewiesen hätte. Wenn Sie gestern gehört haben, was der neue Finanzminister uns für das Jahr 2000 angekündigt hat, Frau Ministerin, dann bin ich sehr vorsichtig. Wenn wir also im Jahr 2000 nicht mehr Geld bekommen, dann müssen wir über die Fraktionsgrenzen hinweg dreierlei angeben: Erstens. Wir müssen Prioritäten setzen. Ich sage mit Ihnen: Das können die Fachausschüsse besser als die Haushälter. Es muß aufhören, daß die Haushälter gemeinsame Fachausschußbeschlüsse mit Vorschlägen zum Umverteilen, zum Umschichten nachträglich korrigieren. Das kann nicht gehen. Damit nehmen Sie uns jedes Interesse, ernsthaft über Sparmaßnahmen nachzudenken. ({1}) Zweitens. Es muß aufhören, daß Geld für Dinge ausgegeben wird, die man schlicht als Verschwendung bezeichnen kann. ({2}) - Sein Vertreter sitzt ja da, er hört mir zu, er kennt mich lange genug. Herr von Schmude, ich teile Ihre Meinung, daß auf der EU-Ebene häufig das Geld nicht so ausgegeben wird, wie wir uns das vorstellen. Aber die Konsequenz heißt nicht, multilaterale Hilfe zu stoppen, sondern endlich die überfälligen Reformen auf der EU-Ebene, über die wir vor 14 Tagen hier diskutiert haben, durchzusetzen. ({3}) Dann macht EU-weite Entwicklungszusammenarbeit nämlich Sinn. Ich möchte jetzt noch einmal ein Beispiel für Verschwendung aus einem ganz anderen Bereich anführen, das mich sehr nachdenklich macht - wir kümmern uns zu wenig um Verschwendungsprojekte -: Bei mir wird in absehbarer Zeit der ICE von Köln nach Frankfurt vorbeifahren. Weil man auf Tempo 300 beharrt, kostet das Ganze 9 Milliarden DM. Bei Tempo 200 könnten wir 5 Milliarden DM sparen, von den Vorteilen für die Ökologie ganz abgesehen. Mit dem zusätzlichen Betrag von 5 Milliarden DM erreichen wir einen Zeitgewinn von drei Minuten, indem die Fahrzeit von 51 auf 48 Minuten verringert wird. Das muß man sich einmal vorstellen! ({4}) Die gleiche „Gaudi“ geht auch in Zukunft bei weiteren ICE-Planungen los. Das kann nicht angehen. Wir sollten wirklich zusehen, wo wir systematisch sparen können. Damit bin ich beim eigentlichen Punkt, Herr Hedrich. Wir brauchen eine systematische Evaluation. In diesem Punkt sind wir Entwicklungspolitiker den anderen Ressorts weit voraus, unbeschadet der Tatsache, Frau Ministerin, daß wir aus gutem Grund, wie Sie wissen, weitergehende Vorschläge haben. Wie manche von Ihnen wissen, habe ich vor drei Jahren nachgefragt, in welchen Ministerien es überhaupt Evaluationsreferate gibt. Nirgendwo, außer beim BMZ, sonst nur Fehlanzeigen! Die „Frankfurter Rundschau“ hat damals getitelt: Systematische Erfolgskontrolle - das unbekannte Wesen in Bonn. Dieser Zustand muß beendet werden. Wir brauchen in allen Bereichen Evaluationen, denn wir haben nur zwei Alternativen: Entweder wenden wir die Rasenmähermethode an, oder wir sind bereit, aus Fehlern zu lernen und das Geld gezielt auszugeben. Dazu fordere ich alle, uns, die Vertreter der Fachausschüsse, die Haushälter und natürlich zuallererst das Ministerium, auf. Ich bedanke mich. ({5})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Das war eine etwas originelle Auslegung der Geschäftsordnung in bezug auf die Kurzintervention. ({0}) Ich denke, Sie haben noch weitere Beispiele aus Ihrem Wahlkreis auf Lager, die sicherlich ebenso interessant sind. Damit sind wir am Ende der Aussprache und kommen nunmehr zu den Abstimmungen, und zwar zunächst zu den Abstimmungen über die Änderungsanträge der Fraktion der PDS. Änderungsantrag auf Drucksache 14/951. Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen des Hauses gegen die Stimmen der PDS abgelehnt. Änderungsantrag auf Drucksache 14/952. Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist mit dem gleichen Stimmenergebnis abgelehnt. Wer stimmt für den Einzelplan 23 in der Ausschußfassung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Einzelplan ist mit den Stimmen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen der anderen Fraktionen angenommen. Ich rufe auf: 16. Einzelplan 07 Bundesministerium der Justiz - Drucksachen 14/607, 14/622 Berichterstattung: Abgeordnete Carsten Schneider Matthias Berninger Heidemarie Ehlert 17. Einzelplan 19 Bundesverfassungsgericht - Drucksachen 14/300, 14/622 Berichterstattung: Abgeordnete Carsten Schneider Matthias Berninger Dr. Christa Luft Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Stunde vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege Hans Jochen Henke, CDU/CSU.

Hans Jochen Henke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003146, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Frau Ministerin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Typisch für den Gesamthaushalt 1999 sind diese Einzelpläne des Bundesministeriums der Justiz und des Bundesverfassungsgerichtes nicht, zumindest nicht typisch in zweierlei Hinsicht: Zum einen gehören sie bekanntermaßen nicht zu den großen, sondern zu den ganz kleinen Ministerien, mit einem Budgetanteil von gerade einmal 0,3 Prozent. Zum anderen sind diese Einzelpläne - Gott sei's gelobt - im Windschatten der Turbulenzen geblieben, die wir sowohl finanz- wie haushaltspolitisch vor, mit und auch nach Oskar Lafontaine erleben dürfen. Im Justizhaushalt werden Zuwächse vermieden, Stellen eingespart und Erwartungen gedämpft. In den Beschlußempfehlungen zum Haushalt 1999 sieht das anders aus. Dieser Haushalt ist größer als all seine Vorgänger. Alle Fachleute machen ungeteilt das Sparen zur ersten Staatspflicht. Diese Regierung macht nun ihrerseits mit erhöhten Steuern und Abgaben das Sparen zur ersten Bürgerpflicht. Wo man konsolidieren müßte, wird spendiert. Wo die Chance bestünde, bereits jetzt die Staatsquote spürbar zurückzuführen, wird die Eigenverantwortung von Bürgerinnen und Bürgern beschnitten. Wo der Staat sich stärker auf seine Kernaufgaben zurückziehen könnte, huldigt diese Regierung einem universellen Anspruch und der alleinigen Zuständigkeit der Politik. ({0}) Ich frage mich, was diese Regierung tun wird, wenn sich die Konjunktur wegen dieser Regierung so entwickelt, wie es viele Sachverständige prognostizieren. Sie haben die Privatisierungspolitik der Regierung Kohl beklagt. Jetzt versuchen Sie, mit den durch die Verschiebung dieser Privatisierung geschönten Zahlen und deren Fortsetzung, unter anderem bei Post und Telekom, den Eindruck finanzpolitischer Solidität zu erwecken. Dieser Versuch wird scheitern. Sparsam hingegen ist Ihr Einzelplan, Frau Ministerin, der Einzelplan der Justiz. Selten gab und gibt es hier Konflikte zwischen Regierung und Opposition. Gleichwohl ist die Arbeit des Justizministeriums, der Bundesgerichte und Bundesbehörden in diesem Ressort von ganz entscheidender Bedeutung für das Regierungshandeln, für den Interessenausgleich in unserer Gesellschaft und für die Fortentwicklung des Rechts. Lassen Sie mich an dieser Stelle aus gutem Grunde den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Bundesjustizministeriums für ihren Einsatz danken. ({1}) Es war in den letzten Monaten und ist auch jetzt sicherlich nicht immer einfach, eine juristisch einigermaßen hinnehmbare Umsetzung der chaotischen politischen Maßnahmen zu erreichen, die mit dem System „trial and error“ zum Markenzeichen der Regierung Schröder geworden sind. Ich jedenfalls will die Hoffnung nicht aufgeben, daß mit engagierter Unterstützung der Männer und Frauen im Bundesministerium der Justiz auch das Chaos beseitigt wird, das Minister Riester bei den geringfügigen Beschäftigungsverhältnissen und im Kampf gegen die sogenannte Scheinselbständigkeit angerichtet hat. Da spricht vieles für seine gewerkschaftlichen Erfahrungen im Umgang mit kleinen Selbständigen und nicht organisierten Kleinverdienern. Es ist schon grotesk: Alle Welt spricht der Entbürokratisierung das Wort und fordert den schlanken Staat, und dieser Minister schafft Arbeitsplätze in der Bürokratie und zerstört sie am Markt. ({2}) Wo Entrümpelung angesagt wäre, wird gewerkschaftlicher Sperrmüll dazugestellt, obwohl von Neuer Mitte als Markenzeichen der Regierung Schröder die Rede ist. Ihr Haus, Frau Ministerin, steht in einem arbeitsreichen Jahr. Zahlreiche europäische Regelungen sind in nationales Recht umzusetzen, zentrale Gesetze stehen zur Reform und zur Überarbeitung an. Ich möchte auch hier die Hoffnung nicht aufgeben, daß trotz des Regierungswechsels die für eine effiziente Verwaltung dringend nötigen Schritte wie Kosten-Leistungs-Rechnung, Budgetierung, Berichtswesen und Zielvereinbarungen konsequent weiterverfolgt und umgesetzt werden. Wo nötig, ist hier konzentrierter und konzertierter Druck der Ministerien auf das BMF in seinen Widerständen auszuüben. Ich denke, es lohnt sich, auch hier von den Besten innerhalb und außerhalb der Republik zu lernen. Allerdings, Frau Ministerin, stellt sich da die Frage, ob die lineare Reduzierung von Personal wirklich das Maß aller Dinge sein kann, zumal diese lineare Kürzung ganz offensichtlich nicht gleichermaßen für alle in dieser Regierung gilt: Für die Bundesministerien sieht der Haushalt 1999 490 zusätzliche Stellen vor. Für die Ökosteuer werden allein 524 zusätzliche Zöllner gebraucht. - Wo es ihr paßt, kann diese Koalition großzügig sein. Ob das die richtigen Stellen sind, ist füglich zu hinterfragen. Ein Beispiel dazu aus Ihrem Einzelplan: 560 Patentprüfer - über dieses Problem haben wir verschiedentlich gesprochen - waren vor zehn Jahren beim Bundespatentamt beschäftigt. Tatsächlich sind es jetzt noch 546. Die politisch gewollte Reduzierung der Zahl der Mitarbeiter auf den Stand von vor der Wiedervereinigung ist also Realität. In der gleichen Zeit hat aber die Zahl der Prüfungen um mehr als 50 Prozent zugenommen. Der Haushaltsausschuß hat jetzt einem Zuwachs der Stellen um 22 Prüfer zugestimmt, von denen acht durch lineare Kürzung gleich wieder kassiert werden und sechs auf bisherigen kw-Stellen sitzen. Wenn das so weitergeht, habe ich Sorge. Wir müssen gerade in solchen Bereichen vom Rasenmäher zum Feinschnitt, vom Buschmesser zum Skalpell übergehen. Sage niemand, hier gehe es nur um Prüfbeamte. Es geht um massive strukturelle wirtschaftliche Interessen. Die entsprechenden Argumente sind im einzelnen hinreichend ausgetauscht worden. Ich möchte nochmals, wie im Ausschuß, unterstreichen: Wir bitten die Regierung herzlich und erwarten, uns bis zur Vorlage des Haushalts 2000 in wenigen Wochen ein schlüssiges Gesamtkonzept für das Patentund Markenamt vorzulegen, das zeitnahe Entscheidungen über eingereichte Anträge sicherstellt. Klarheit hätten wir auch gerne in einer zweiten Frage, und zwar was die Kosten für die notwendigen Sanierungs- und Umbaumaßnahmen des künftigen Sitzes des Bundesverwaltungsgerichts in Leipzig anbetrifft. Das ist schon ein bemerkenswertes Projekt. Auf den Zahlensalat möchte ich hier aus Zeitgründen im einzelnen nicht eingehen. Ich freue mich, wenn die Kosten bei den primären Hochbauleistungen durch einen scharfen Wettbewerb um 38 Prozent gesenkt werden können. Ich finde es auch gut, wenn der Bundesrechnungshof genau hinsieht. Aber keinerlei Verständnis, Frau Ministerin, habe ich dafür, daß Sie mit dem beschriebenen Zahlenwust den Haushaltsausschuß - ich will diesen Begriff bewußt so gebrauchen - belästigen. Sagen Sie abgestimmt und nachvollziehbar, was benötigt wird und was Sie wollen. Dann können wir darüber sehr konkret und verantwortlich entscheiden. Aber werfen Sie bitte nicht wie in der Art manch anderer Politiker erst einmal kräftig Staub in die Luft, um dann die anderen darin stehen und ersticken zu lassen. Es gäbe noch einige weitere Punkte anzumerken und zu kritisieren, zum Beispiel das leidige Thema der Wehrgerichtsbarkeit. Hier bestanden gerade zum jetzigen Zeitpunkt überhaupt kein Anlaß und keine Not, den diesbezüglichen Merktitel zu streichen. ({3}) Ich denke außerdem an manche Ansätze und Kosten für die Öffentlichkeitsarbeit, die angesichts der Kassenlage auch in Ihrem Ressort verzichtbar gewesen wären. Frau Ministerin Däubler-Gmelin, Sie haben eine große Reform des Gerichtswesens angekündigt. Sie wollen im Sommer Vorschläge für eine Zivilrechtsreform und bis zum Jahreswechsel für eine Reform der strafrechtlichen Rechtsmittel vorlegen. Es ist bedauerlich dies ist eine Fußnote -, daß zu diesem Thema gerade gestern und heute in Ihrem Haus mit dem Max-PlanckInstitut ein Workshop stattfindet. Es wäre schön gewesen, wenn den interessierten, zuständigen Mitgliedern dieses Hohen Hauses durch eine besser abgestimmte Terminierung wenigstens teilweise eine Teilnahme möglich gewesen wäre. Eine solche Reform ist kein Selbstzweck. Es gilt, sorgfältig die Vorteile einer solchen Reform gegen möglicherweise damit verbundene Risiken und Konsequenzen abzuwägen. In die gewachsene, überkommene, überwiegend bewährte Struktur sollte nur insoweit eingegriffen werden, als überzeugend Besseres an ihre Stelle tritt. Wir begehen in diesen Tagen das 50jährige Jubiläum unseres Grundgesetzes. Länger hat keine Verfassung in der Geschichte unseres Landes Bestand gehabt. Wenn wir über Gesetze, über eine Justizreform und über das Recht sprechen, dann geht es nicht zuletzt um das Grundgesetz, seine Bewahrung und seine aktuelle Fortschreibung. Der Beitrag gerade des Bundesverfassungsgerichts kann in diesem Zusammenhang nicht hoch genug veranschlagt und gewürdigt werden. Wir Politiker haben zwar immer wieder Artikel in das Grundgesetz eingefügt, mit denen dann und wann auch über das grundsätzlich grundgesetzlich zu Regelnde hinaus Festlegungen getroffen worden sind. Gerade dennoch ist es dem höchsten Gericht entscheidend und richtungsweisend gelungen, immer zwischen Wichtigem und Unwichtigem zu entscheiden, nicht zuletzt anläßlich des jüngsten Familienurteils und sicherlich auch in nächster Zukunft anläßlich der anstehenden Entscheidung über die Besteuerung von Einkommen aus unternehmerischer und privater Tätigkeit. Es kommt sicherlich nicht von ungefähr, daß das Bundesverfassungsgericht - der Herr Verteidigungsminister hat das hier vor eineinhalb Stunden ebenfalls ausgeführt -, zusammen mit der Polizei und der Bundeswehr, mit einer Zustimmung von fast Dreiviertel der Bevölkerung das höchste Ansehen aller öffentlichen Institutionen unseres Landes genießt. Frau Präsidentin, Frau Ministerin, werte Kolleginnen und Kollegen, ich warte mit großer Spannung auf den Juli. Ich hoffe, daß es dieser Regierung im Gegensatz zu vielen ihrer sozialdemokratischen Vorläufer in den 70er und 80er Jahren gelingen wird, den Haushaltsentwurf für das Jahr 2000 so rechtzeitig vorzulegen, daß die Bürgerinnen und Bürger in diesem Jahr bei ihrem Silvesterfeuerwerk wissen, was ihnen von der Regierung in Zukunft zugemutet werden wird. ({4}) Denn Feuerwerk dient zumeist auch dem Zweck, böse Geister fernzuhalten oder diese zu vertreiben. ({5}) Angesichts Ihrer bisherigen Politik gehe ich davon aus: Die Deutschen werden nicht nur wegen des Jahrtausendwechsels in diesem Jahr kräftiger Feuerwerk abschießen als je zuvor. Herzlichen Dank. ({6})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Nächster Redner ist der Kollege Carsten Schneider, SPD-Fraktion.

Carsten Schneider (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003218, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Henke hat bereits darauf hingewiesen: Der Haushalt des Bundesministeriums der Justiz, der Einzelplan 07, ist einer der kleineren Haushalte des Bundes. Seine Ausgaben in Höhe von 731,3 Millionen DM machen gerade einmal 0,15 Prozent des gesamten Bundeshaushalts aus. Damit ist er im Vergleich zu den Finanzvolumina anderer Ministerien, etwa des Bundesverteidigungsministeriums, ein Zwerg. Aber es wäre meines Erachtens grundverkehrt, wollte man seine Bedeutung ausschließlich am Investitionspotential messen. Mit dem Haushalt des Bundesjustizministeriums wird zugleich auch über die Richtlinien der Rechtspolitik entschieden - man könnte sagen: über die Entwicklung der Rechtsordnung in unserem Land -, so daß Schwerpunktsetzungen im Einzelplan 07 gravierende Auswirkungen auf wesentliche Aspekte unseres gesellschaftlichen Lebens haben. Nun ist der Spielraum der Haushaltsgestaltung, in unserem Fall der Justizpolitik, angesichts der Haushaltslage, die der Bundesfinanzminister gestern deutlich gemacht hat - sie wurde in ganz erheblichem Maße von unserer Vorgängerregierung verursacht -, sehr gering. Die Verschuldung gestattet es uns nicht, all das zu tun, was wir auf dem Wunschzettel haben. Ich werde im einzelnen noch darauf eingehen. Vielmehr müssen wir Abstriche machen. Bei einer Gesamtverschuldung von 1,4 Billionen DM, die zu der enormen Belastung für Zins- und Schuldendienste allein in diesem Jahr in Höhe von 82,1 Milliarden DM führt, werden die Spielräume für eine aktive Gestaltung einer modernen, zukunftsweisenden Rechtspolitik sehr eng. Die Unzufriedenheit der Bevölkerung mit einer unbeweglichen, verkrusteten Politik hat zwar zur Abwahl derjenigen, die das verursacht haben, der CDU/CSUF.D.P.-Koalition, geführt - ich denke, das war das Feuerwerk -, ({0}) aber ihre Erblast hängt uns wie ein Klotz am Bein. Dennoch haben wir - ich denke da vor allen Dingen an die Frau Ministerin - versucht, einen Neuanfang zu machen. Bei der Gestaltung des Haushaltsplans des BMJ haben wir klare Schwerpunkte gesetzt, die das Profil unserer Justizpolitik prägen werden. Ich nenne in diesem Zusammenhang nur kurz den Ausbau des Deutschen Patent- und Markenamtes, die Streichung des Titels für die Wehrstrafgerichtsbarkeit, die Förderung des TäterOpfer-Ausgleichs. Aber zunächst einmal zurück zu den Zahlen. Die Ausgaben des BMJ werden gegenüber dem Vorjahr um 40 Millionen DM auf 731,3 Millionen DM steigen eine äußerst maß- und verantwortungsvolle Steigerung, die der allgemeinen Haushaltslage Rechnung trägt. Gleichzeitig bedeutet dies jedoch eine Kürzung des Haushaltsansatzes gegenüber dem zweiten Regierungsentwurf für 1999 um knapp 6,1 Millionen DM oder 0,82 Prozent, was fast ausschließlich zu Lasten der Verwaltungsaufwendungen geht. Es ist den Haushältern der Koalitionsfraktionen zu danken, die den ersten Schritt zur Sanierung dieses maroden Staatshaushaltes, den wir übernommen haben, gemacht haben. Der Haushalt 2000 - Herr Henke, Sie haben das bereits angesprochen - wird noch viel schwieriger sein; ich denke aber, daß wir es schaffen werden. ({1}) 434,1 Millionen DM sind Personalausgaben, 151 Millionen DM entfallen auf sächliche Verwaltungsausgaben und 54,8 Millionen DM auf Zuweisungen und Zuschüsse. Außerdem stehen noch 103 Millionen DM für Investitionen zur Verfügung. Den Löwenanteil der Ausgaben stellen somit mit 62 Prozent die Personalkosten. Der überproportionale Zuwachs im Bereich der Investitionen ist vor allem auf Baumaßnahmen zurückzuführen - das sind insgesamt 12 Prozent der Gesamtausgaben. Hier sind vor allem der Umbau des ehemaligen Reichsgerichtsgebäudes in Leipzig für das Bundesverwaltungsgericht, der Bau des Patentamtes, der Neubau des Bundesgerichtshofes und des Internationalen Seegerichtshofes in Hamburg zu nennen. Bei dieser Gelegenheit möchte ich der Ministerin meinen Dank aussprechen, daß der Regierungswechsel nicht zu einem radikalen personellen Kahlschlag im Ministerium geführt hat. Im Gegenteil: Da es um Qualität geht, wurde ausgesprochen pfleglich mit den Mitarbeitern umgegangen; es ging nicht um deren Parteibuch. Über die Bereiche Investitionen und Personal wird die Leistungsfähigkeit der Justiz in diesem Haushalt sichergestellt und, wo es angesichts der finanziellen Situation möglich ist, auch verbessert. Allein für das Patent- und Markenamt in München wurde der Personalansatz um 16 Stellen erhöht - 16 dringend benötigte Stellen, um die in den letzten Jahren immer wieder vergeblich gekämpft wurde und die nun endlich durch diese Bundesregierung ermöglicht wurden. ({2}) Natürlich würden wir angesichts des Arbeitsanfalls beim DPMA gerne wesentlich mehr Prüfer einstellen. Aber mit Rücksicht auf die Haushaltslage ist das derzeit leider das Maximum. Allerdings haben wir im Ausschuß nach entsprechenden Erläuterungen einem 25prozentigen Aufwuchs bei den Kosten für die Informationstechnik und bei der Verbesserung der Patentdokumentation und -information mittels elektronischer Datenverarbeitung zugestimmt. Ich erhoffe mir dadurch eine Steigerung der Leistungsfähigkeit und damit eine Verbesserung der kritischen Situation bei der Bearbeitung der Prüfanträge im Patentamt. Damit betonen wir die Bedeutung, die wir der internationalen Wettbewerbsfähigkeit unserer Wirtschaft und vor allem unserer mittelständischen Unternehmen zumessen. Es muß in Zukunft schneller als in 16 Jahren möglich sein, die Patentanmeldung und -prüfung unserer Erfinder für unsere Wirtschaft nutzbar zu machen. ({3}) Auch dies ist ein Neuanfang, ein Versuch, die Blockade aufzuheben. Gänzlich gestrichen haben wir das Kapitel 08, die Wehrstrafgerichtsbarkeit; Kollege Henke, Sie haben das angesprochen. Es fällt mit dem Haushalt 1999 ersatzlos weg. Damit ziehen wir die Konsequenzen aus unserer langjährigen Forderung nach Streichung dieses in unseren Augen völlig überflüssigen Kapitels. Art. 96 Abs. 2 GG sieht zwar die Möglichkeit einer Einrichtung von Wehrstrafgerichten vor, doch ist nach meinem Erachten und nach dem meiner Fraktion längerfristig nicht davon auszugehen, daß solche Wehrstrafgerichte jemals eingerichtet werden. Ein Knackpunkt innerhalb der Haushaltsberatungen bildete der Investitionstitel des BundesverwaltungsgeCarsten Schneider richtes. Dabei geht es um die Investitionen für den Umbau des ehemaligen Reichsgerichtsgebäudes in Leipzig. Unstreitig war und ist unter den Beteiligten die Bedeutung des Umzuges in dieses Gebäude. Einen erheblichen Dissens gab es jedoch zwischen dem BMJ und dem zuständigen Ministerium für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen einerseits und dem Finanzministerium und dem Rechnungshof andererseits über die voraussichtliche Höhe der Gesamtkosten. ({4}) Der ursprüngliche Ansatz lag bei 169 Millionen DM. Der Ausschuß hat nach ausführlichen Beratungen - da gebe ich Ihnen recht, Herr Hoyer - beschlossen, diesen Ansatz auf 135 Millionen DM zu kürzen. Wir haben es uns in diesem Fall nicht leichtgemacht, haben viele Gespräche geführt und Besichtigungen vor Ort unternommen, um uns ein Bild machen zu können. Letztlich konnte aber in Zeiten knapper Kassen die Argumentation des Bauministeriums als ausführenden Organs nicht überzeugen. Der Ausschuß war der Meinung, daß das Bauvorhaben auch mit wesentlich niedrigeren Kosten ohne gravierende Beeinträchtigung der Funktion des Bundesverwaltungsgerichts durchgeführt werden kann. Er hat sich daher mehrheitlich für einen erheblich geringeren Investitionsansatz entschieden. Wir glauben, daß wir damit dem Prinzip der Sparsamkeit ebenso gerecht werden wie der Notwendigkeit, diesen historischen Ort dem föderalen System wieder nutzbar zu machen. ({5}) Diskussionsbedarf gab es auch zu Kapitel 02 bei den überregionalen Einrichtungen im Interesse von Gesetzgebung, Rechtsprechung und Verwaltung. Der Ansatz für das Servicebüro der Deutschen Bewährungshilfe e. V. in Köln für Täter-Opfer-Ausgleich und Konfliktschlichtung wurde auf Antrag der Koalitionsfraktionen um 150 000 DM erhöht; die entsprechenden Mittel wurden entsperrt. Dies entspricht dem politischen Willen der Koalition. Rechtspolitik muß nach unserer Ansicht freiheitliche, rechtsstaatliche und soziale Politik sein, die der Menschenwürde und dem Schutz der Schwachen verpflichtet ist. ({6}) Dazu gehört auch das Verfahren des Täter-OpferAusgleichs. Strafrecht und Strafprozeßrecht sollen durch dieses relativ neue Instrument gestärkt und mit neuen Akzenten versehen werden. Wir sehen darin einen wesentlichen neuen Ansatz für die Rehabilitation von Straftätern, die damit in ganz anderem und viel stärkerem Maße gezwungen werden, sich mit ihrer individuellen Schuld auseinanderzusetzen. Zugleich hilft dieses Instrument den Opfern, ihre Opferrolle zu verarbeiten und zu überwinden, im Idealfall zu einer Aussöhnung zu gelangen Täter-Opfer-Ausgleich als eine Form gesellschaftlicher Befriedung. Diese Bedeutung des Täter-Opfer-Ausgleichs haben die Regierungsparteien seinerzeit ausdrücklich im Koalitionsvertrag vereinbart. Aus diesem Grunde kam es zu dieser Erhöhung durch den Haushaltsausschuß. ({7}) Bauchschmerzen bereitete uns als Ausschußmitgliedern in diesem Zusammenhang allerdings die Tatsache, daß die Länder den auf sie entfallenden Kostenanteil nur ungern oder gar nicht aufbringen wollen. ({8}) Der hälftige Anteil der Länder an den ursprünglich vorgesehenen 300 000 DM ließ leider immer wieder auf sich warten - eine bedauerliche, kurzsichtige Verhaltensweise seitens der Bundesländer. ({9}) Wenn wir uns dennoch zur Erhöhung und Entsperrung des Ansatzes entschlossen haben, dann auch in der Hoffnung, daß die Länder nicht aus den Vereinbarungen und aus ihrer Verantwortung entlassen werden. Ich appelliere daher an die Bundesländer, ihren Verpflichtungen nachzukommen, und ich bitte Sie, Frau Ministerin, nachdrücklich, sich dafür bei den Bundesländern einzusetzen. ({10}) Noch ein Wort zum Einzelplan 19, Bundesverfassungsgericht. In guter Tradition sind wir hier so verfahren, daß der Einzelplan von Kürzungen ausgenommen wurde. Im Gegenteil: Auf Grund der Arbeitsbelastung des Bundesverfassungsgerichts haben wir zwei zusätzliche Stellen in den Haushalt 1999 eingestellt. Auch dies gehört zu den neuen Akzenten, von denen ich vorhin sprach. Eine Stelle - das sei noch angemerkt - ist für die Presse- und Öffentlichkeitsarbeit bestimmt; das Bundesverfassungsgericht hat uns in letzter Zeit mit mehreren Urteilen davon überzeugen können, daß das sehr notwendig ist. Ich möchte zum Schluß kommen und - auch weil dies mein erster Haushalt war - den Kolleginnen und Kollegen Berichterstattern herzlich für die offene, kooperative Atmosphäre danken, die unsere Beratungen geprägt hat. Mein Dank gilt auch der Ministerin und ihrem Haus, die stets ansprechbar waren und durch kollegiale Offenheit glänzten. Ich habe manchmal bedauert, daß die Beratungen im Ausschuß nicht der Öffentlichkeit zugänglich sind. Ich denke, so manches Vorurteil über Politik oder Politiker, so mancher Anfall der gängigen Politikverdrossenheit ließe sich durch Zuhören aus der Welt schaffen. Ich danke Ihnen. ({11})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Herr Kollege Schneider, dies war Ihre erste Rede hier im Plenum des Deutschen Bundestages. Im Namen aller Kolleginnen und Kollegen möchte ich Sie dazu recht herzlich beglückwünschen. ({0}) Es spricht jetzt für die F.D.P.-Fraktion der Kollege Rainer Funke.

Rainer Funke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000624, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Frau Ministerin, Sie haben sich für diese Legislaturperiode viel vorgenommen: die Justizreform, die Reform der Juristenausbildung, im materiellen Recht wesentliche Teile des Urheberrechts und die Übernahme zahlreicher europäischer Richtlinien und auch das will ich erwähnen - die Novellierung des Betreuungsrechts. Ich begrüße es ausdrücklich, daß Sie der Versuchung widerstanden haben, das Parlament mit Schnellschüssen zu überfallen. Wir haben in der Vergangenheit gesehen, was der Arbeitsminister für Pfuscharbeit abgeliefert hat. ({0}) - Das ist die reine Wahrheit. Das wissen Sie selber. Ich begrüße es, daß Sie der guten Tradition des Hauses entsprechend solide durchdachte Vorschläge, mit der nicht notwendigerweise das ganze Haus einverstanden zu sein braucht, vorlegen wollen, also handwerklich ordentliche Arbeit liefern möchten. Wir sind also gespannt auf Ihre groß angekündigte Justizreform unter dem Stichwort der „Dreistufigkeit“. Das sind keine neuen Gedanken. Einer Ihrer Vorgänger, Herr Minister Jahn, hat dies bereits in den 70er Jahren vorgeschlagen. Es ist dann zu Recht in die Mottenkiste der Rechtsgeschichte eingegangen. Wir wollen sehen, was jetzt bei Ihnen geschieht. ({1}) Es ist nicht so, daß wir es in die Mottenkiste tun wollen, aber Sie dürfen sich nicht von dem Kollegen Diller leiten lassen, mit dem Sie sich gerade unterhalten, nämlich von den rein fiskalischen Gesichtspunkten. Im Mittelpunkt muß stehen, daß der Rechtsuchende sein Recht bekommt. Alles andere können wir vergessen. Wenn wir das nicht schaffen, werden wir nämlich den Rechtsfrieden in der Bundesrepublik Deutschland nicht sicherstellen können. ({2}) Wenn es darum geht, allein aus Sparzwängen zum Beispiel Verfahrensgesetze zu ändern und Rechtsbehelfe zu kappen, werden Sie uns sicherlich nicht auf Ihrer Seite finden. Aber für jede solide, ordentliche Arbeit, die dem Rechtsuchenden hilft, werden wir dasein. Zur Justizreform gehört sicherlich die Verbesserung der Juristenausbildung. Auch dies sollte nicht ausschließlich unter dem Gesichtspunkt des Sparzwangs erfolgen, so wie es manche Länder jetzt noch sehen. Das Ziel einer Reform der Juristenausbildung muß sein, die jungen Juristen für die Anforderungen der Justiz, der Verwaltung, der Anwaltschaft und der freien Wirtschaft gut auszubilden, damit sie zum Beispiel auch in Europa im Dienstleistungsgeschäft wettbewerbsfähig sind. Der Bundestag wird sich im Rahmen seiner Kompetenzen, nämlich im Rahmen des deutschen Richtergesetzes, an dieser Diskussion intensiv beteiligen. Wir verfolgen mit großem Interesse die Anregungen der Länder, zum Beispiel von Baden-Württemberg durch Herrn Professor Goll. Dies sind gute Ansätze, die wir gerne begleiten. ({3}) - Natürlich. Herr Kollege Geis, ich weiß, daß der Freistaat Bayern dort immer besonders kreativ ist. ({4}) Der Ansatz, die jungen Juristen gezielter für ihre spätere berufliche Tätigkeit auszubilden, scheint uns genau der richtige Weg zu sein. Die praxisbezogene Ausbildung darf aber auch nicht dazu führen, daß wir in einzelnen Berufszweigen eine zu frühe Zugangssperre haben. Hier muß vor allem mit den Anwälten eine intensive Diskussion geführt werden. Die Neigung zum „closed shop“ gibt es nämlich nicht nur bei den Notaren; sie könnte bei der Juristenschwemme gegebenenfalls auch bei den Anwälten vorhanden sein. Im materiellen Recht sehe ich mit großer Sorge, daß das Justizministerium manche europäische Richtlinie nicht mehr im Verhältnis 1:1 umsetzt, sondern aus ideologischen Gründen jetzt noch kräftig draufsattelt Beispiele: Überweisungsrecht und das europäische Publizitätsrecht. Dort wird aus ideologischen Gründen gegen die Interessen der deutschen Wirtschaft gearbeitet. ({5}) - Mittelstand, natürlich. - Frau Ministerin, bei den Stiftungen, bei den Vereinen wollen Sie die Publizität einführen. Bei dem Überweisungsgesetz beziehen Sie, ohne daß Sie das nach den europäischen Richtlinien müßten, das gesamte Bankrecht mit ein. Dieses ist wenig hilfreich. Ich glaube, das Justizministerium muß sich wieder stärker als bisher bewußt sein, daß es die Rechtsförmlichkeit zu prüfen hat und verhindern sollte, daß Pfuscharbeit durch andere Ministerien - ich nenne hier das Arbeitsministerium, aber auch das Finanzministerium abgeliefert wird. Das Patent- und Markenamt liegt uns als Liberalen ganz besonders am Herzen. Wir sind als Eigentumspartei natürlich auch daran interessiert, daß das geistige Eigentumsrecht besonders geschützt wird. Damit es geschützt werden kann, bedarf es der besonderen Ausgestaltung des Patent- und Markenamtes. Es ist in der Tat ein nicht hinnehmbarer Zustand, daß insbesondere im Markenbereich Stellen fehlen und Markeneintragungen viel zu spät erfolgen. Darauf sollten Sie Ihr Augenmerk ganz besonders lenken. Die F.D.P. hat im Ausschuß ent3192 sprechende Anträge gestellt. Wir werden sie hier im Hause noch beraten. Ich fordere Sie auf, diesen Anträgen zuzustimmen. Dann können Sie zeigen, daß Sie Hüterin dieses geistigen Eigentums sind. Meine Damen und Herren, Frau Ministerin, wir danken den Mitarbeitern des Bundesjustizministeriums für die bislang geleistete Arbeit. Wir werden Ihr Haus und Sie bei Ihrer Arbeit kritisch, aber auch konstruktiv begleiten. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({6})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Das Wort hat jetzt der Kollege Christian Ströbele, Bündnis 90/Die Grünen.

Hans Christian Ströbele (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002273, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Frau Ministerin! Diese Haushaltsdebatte steht von Anfang an im Schatten des Krieges. Ich denke, auch bei der Befassung mit dem Haushalt des Justizbereichs kann man sich diesem Thema nicht ganz entziehen. Ich will deshalb mit drei Grundsatzfragen, die durch diesen Krieg auch in der Rechtspolitik aufgeworfen werden, beginnen. Vielleicht kann man darüber auch eine Diskussion in diesem erlauchten Kreise führen. Für mich ist es - ich bedauere, daß Herr Minister Scharping inzwischen gegangen ist; er hat das nämlich immer wieder angefordert - völlig unbezweifelbar, daß Menschenrechtsverletzungen aufhören müssen, daß der Schutz von Menschenrechten, gerade auch der Kosovaren, wirksam durchgesetzt werden muß. Zu den Menschenrechten rechne ich nicht nur den Schutz vor Mord, den Schutz vor Vertreibung, den Schutz vor der Zerstörung der Lebensgrundlagen, sondern auch das Recht auf Selbstbestimmung, auf Herstellung autonomer Rechte, auf Freiheit von Unterdrückung. Darüber werden wir uns in diesem Hause wahrscheinlich weitgehend einig sein; das hoffe ich jedenfalls. Schwieriger wird es schon bei der Frage, ob Menschenrechte und die Pflicht zum Schutz von Menschenrechten teilbar sind, ob man also sagen kann: In einem uns nah gelegenen Teil Europas müssen wir eingreifen vom Krieg rede ich gleich - und in einem anderen Teil können wir zusehen, dahin können wir möglicherweise sogar Waffen liefern - wie das auch in der Vergangenheit geschehen ist -, die dann zur Unterdrückung, zur Verletzung der Menschenrechte gebraucht oder mißbraucht werden. Ganz schwierig wird es bei der Frage: Ist der Krieg, der jetzt geführt wird, völkerrechtlich berechtigt? Gibt es eine völkerrechtliche Grundlage? Wir sind uns doch wahrscheinlich darüber einig, daß ein UNO-Mandat, das eine völkerrechtliche Grundlage liefern könnte, nicht besteht. Es gab verschiedene Versuche, die völkerrechtliche Basis zu begründen: Nothilferecht, das Recht auf Beistand und das höhere Recht des Schutzes der Menschenrechte. Nach meiner Meinung - aus ihr habe ich nie einen Hehl gemacht - reichen diese Rechtsgrundlagen nicht aus, um einen Krieg völkerrechtlich zu rechtfertigen. Deshalb - damit verlasse ich das Thema - ist es richtig und wichtig, daß wir sagen, Rechtspolitik ist inzwischen globale Rechtspolitik und nicht nur Rechtspolitik für die Bundesrepublik Deutschland. Daher gehört zur Rechtspolitik - das haben wir in der Koalitionsvereinbarung festgeschrieben -, daß die UNO so reformiert wird - das ist heute vormittag bereits angesprochen worden -, daß sie handlungsfähig ist und bleibt und nicht wegen Einzelinteressen einiger Großmächte in der UNO als Mittel des Völkerrechts blockiert werden kann. Die Bundesregierung will sich dafür einsetzen - so steht es auch in der Koalitionsvereinbarung -, das Gewaltmonopol der Vereinten Nationen zu bewahren. Ich sage nach diesem Krieg: Sie will sich dafür einsetzen, das Gewaltmonopol wiederherzustellen. Das ist eine wichtige, eine zentrale Aufgabe, und ich glaube, es ist eine der wichtigsten Fragen für Krieg und Frieden in den nächsten Jahren. Bundesdeutsche Rechtspolitik ist immer mehr - wir stellen das im Ausschuß an Hand der Themen fest europäische Rechtspolitik. Wir beschäftigen uns mit EU-Richtlinien, mit europaweiter Verbrechensbekämpfung oder, wie zuletzt in der Anhörung, mit der Betrugsbekämpfung in der EU. Wenn man aber sagt, wir wollen eine europäische Staatsbürgerschaft - die haben wir jetzt, und die meisten von uns wollen sie auch -, dann müssen wir auch sagen, wir wollen eine europäische Staatsbürgerschaft, die mindestens soviel wert ist wie die deutsche Staatsbürgerschaft, das heißt, sie soll auch mit Grundrechten ausgestattet sein. Deshalb wollen wir Europa demokratisieren. Wir wollen dem Europäischen Parlament mehr Rechte geben, und wir wollen für Europa eine Grundrechtscharta. Wir wollen die Grundrechte in die europäischen Verträge oder vor die europäischen Verträge schreiben. Die Frau Ministerin hat dazu vor wenigen Tagen eine Rede gehalten. Ich finde sie hervorragend. Eigentlich müßten alle Fraktionen dieses Hauses die Bundesregierung dabei unterstützen, die Diskussion über diese Grundrechtscharta in Europa auf den Weg zu bringen und möglichst bald, am besten in dieser Legislaturperiode, spätestens aber in der nächsten, zu einem Abschluß zu bringen, damit wir eine europäische Grundrechtscharta bekommen, die sich etwa an der Charta der Vereinten Nationen, die auch sonst in vielen Bereichen vorbildlich sind, messen lassen kann. Ich denke, das ist ein wichtiges Ziel. Wir wünschen der Ministerin viel Glück dabei und werden sie bei diesen Bemühungen heftigst unterstützen. ({0}) Rechtspolitik für die Bundesrepublik Deutschland - davon war bisher im wesentlichen die Rede - besteht für die neue Regierung, für die neue Koalition zunächst einmal, wie auch in vielen anderen Bereichen, darin, Versäumnisse der letzten zwölf Jahre nachzuholen und Fehler zu korrigieren. Daran arbeiten wir; wir haben darüber schon mehrfach gesprochen. Wir müssen Fehler und Fehlentwicklungen nach dem Einigungsvertrag korrigieren, die zu untragbaren Ungerechtigkeiten bei vielen Menschen in der ehemaligen DDR führten. Davon sind nicht Hunderte, nicht Tausende oder Zehntausende, sondern Hunderttausende betroffen, die jetzt auf rechtliches Handeln warten. Wir haben die Zusage des Justizministeriums, der Frau Ministerin, daß das noch in diesem Sommer auf den Weg gebracht wird. Diese Regelung ist dringend überfällig, weil es mit jedem Jahr, das ins Land geht, schwieriger wird, noch zu wirksamen und rechtlich vertretbaren Regelungen zu kommen. Wir müssen vieles korrigieren, was vorher lange Zeit gegolten hat. Reparatur der Rechtspolitik heißt auch, daß wir Rechtsvorhaben, die zum Teil viele Jahrzehnte alt sind, nun endlich umsetzen wollen. Einige sind angesprochen worden, zum Beispiel die Justizreform, die ansteht. Da geht es nicht in erster Linie darum zu sparen, sondern da geht es in erster Linie nach meiner Auffassung darum mehr Gerechtigkeit dadurch herzustellen, daß Gerichtsverfahren so rasch durchgeführt und zu Ende gebracht werden können, daß die Menschen nicht verstorben sind, bis ein rechtskräftiges Endurteil steht, daß sie also zu ihrem Recht kommen. Bärbel Bohley, die bekannte Bürgerrechtlerin, hat einmal einen Satz geprägt, der unendlich viel über die Rechtsordnung der Bundesrepublik aussagt: „Wir haben Gerechtigkeit gesucht und haben den Rechtsstaat bekommen.“ Der Begriff Rechtsstaat war in diesem Falle nicht unbedingt nur positiv gemeint; Rechtsstaat hatte in diesem Punkt vielmehr auch sehr viel mit Rechtsmittelstaat zu tun. Wir wollen die Rechtsordnung so verändern, daß die Gerichte entlastet und somit in die Lage versetzt werden, in annehmbarer, in angemessener Zeit zu Endurteilen zu kommen und den Bürgerinnen und Bürgern - und zwar allen, nicht nur denen, die viele Rechtsmittelinstanzen finanziell durchstehen können nicht nur das Recht geben, das ihnen zusteht, sondern ihnen auch Gerechtigkeit zukommen zu lassen. Das ist die Aufgabe, vor die wir gestellt sind. Es ist eine große Aufgabe, da haben Sie recht. Es haben sich schon viele Bundesregierungen daran versucht und sind zu keinem positiven Ergebnis gekommen. Wir wollen das anpacken. Ich denke, wir sind auf dem richtigen Wege. Wir müssen sehen, daß wir die Reform noch in diesem Jahr soweit voranbringen, daß wir spätestens im nächsten Jahr erste Ergebnisse vorweisen können. Im Strafrecht wollen wir das Sanktionsrecht zeitgemäßer gestalten. Die Ministerin hat sich häufig auch Tadel eingehandelt, weil sie eine Reihe von Vorschlägen in die öffentliche Debatte geworfen hat - die Stichworte sind Fahrverbot, Strafgeld, elektronische Fußfessel, verstärkter Täter-Opfer-Ausgleich und gemeinnützige Arbeit -, die nicht nur auf Zustimmung gestoßen sind. Ich finde es gut, daß sich schon seit einigen Monaten Strafverteidigertage, Richtertage und Juristentage intensiv mit diesen Fragen beschäftigen und daß wir über die Boulevardzeitungen auch eine Diskussion in der Gesamtbevölkerung darüber haben: Wie kann man im Sanktionsrecht zu neuen Formen kommen, die die Richter entlasten, die vor allen Dingen die Gefängnisse entlasten und die damit auch mehr Gerechtigkeit herstellen können? Die Ministerin hat - das weiß sie auch in einigen dieser Punkte schon jetzt unsere Zustimmung. Das ist bei der gemeinnützigen Arbeit und auch beim verstärkten Täter-Opfer-Ausgleich der Fall. Hinsichtlich der anderen Punkte muß man nach der sachkundigen Diskussion entscheiden, was man umsetzen und verwirklichen kann. Wir werden alle diese Vorhaben begleiten. Wir sind aber nicht nur für die Veränderung des Strafrechts, sondern wir wollen auch - das ist, wie ich denke, eine ganz wesentliche Aufgabe der Rechtspolitik für die Bundesrepublik Deutschland - mehr Freiheit wagen.

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Herr Kollege Ströbele, denken Sie bitte an Ihre Redezeit.

Hans Christian Ströbele (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002273, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ja, das ist der letzte Punkt. - Wir wollen auch mehr Freiheit wagen. Wir wollen ein Zeugnisverweigerungsrecht für Journalisten ausbauen, das die vierte Gewalt stärkt. Wir wollen ein Informationsfreiheitsgesetz und ein Antidiskriminierungsgesetz. Wir wollen außerdem endlich der aufgeklärten und geläuterten Rechtsauffassung in der Bevölkerung Rechnung tragen und eine gesetzliche Regelung für gleichgeschlechtliche Partnerschaften schaffen. Lassen Sie uns aus diesem Rechtsstaat einen Staat machen, von dem auch Bärbel Bohley und diejenigen, die zu uns in diesen Staat Bundesrepublik Deutschland gekommen sind, dann sagen können: Wir haben nicht nur den Rechtsstaat bekommen, sondern wir haben auch Gerechtigkeit bekommen. ({0})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Kollegin Sabine Jünger, PDS- Fraktion, will ihre Rede zu Protokoll geben.*) Sind Sie damit einverstanden? - Ich sehe keinen Widerspruch. Deshalb erteile ich das Wort jetzt der Bundesministerin der Justiz, Herta Däubler-Gmelin.

Dr. Herta Däubler-Gmelin (Minister:in)

Politiker ID: 11000347

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kolle- gen! Man merkt es in der Tat: Die Haushaltsrunde 1999 neigt sich dem Ende zu. Ich möchte anfangen mit einem Dank an den Haushaltsausschuß, insbesondere an die Haushaltsberichterstatter - lassen Sie mich die der Koalition zuerst nennen - an Carsten Schneider, der heute seine erste - wie ich finde, sehr eindrucksvolle - Rede gehalten hat, ganz besonders an Matthias Bernin- ger, aber auch an die anderen Kolleginnen und Kolle- gen. Denn wir können feststellen: So klein der Etat des Bundesministers der Justiz auch ist, so deutlich ist doch, daß es eine Änderung, eine Akzentverschiebung, eine andere Weichenstellung gegeben hat. Ich finde das gut. ------------ *) Anlage 3 Natürlich bin ich der Auffassung, daß wir eine angemessene Ausstattung brauchen, um die Aufgaben des Bundesministeriums der Justiz mit all dem, was Sie heute zu Recht angemahnt haben, effizient und angemessen erfüllen zu können. Wir haben - das ist, glaube ich, sehr deutlich herauszuheben - durch den Regierungswechsel erreicht, daß die ständige Streichorgie der vergangenen Jahre aufgehört hat und daß wir gegenüber dem Waigel-Entwurf eine Steigerung - wenn auch eine sehr maßvolle - bekommen haben. Diese Steigerung bewegt sich - mühsam ernährt sich das Eichhörnchen im Bereich von etwa 10 Millionen DM. Gemessen an dem Ansatz von Herrn Waigel ist das, was der Haushaltsausschuß beschlossen hat, besser. Dafür bedanke ich mich. Sie werden sehen: Der Dank ist immer der erste Schritt zu einer Bitte; die kommt später. Ich bin der Meinung, daß die Finanzierungsentscheidungen deutlich machen, daß die Rechtspolitik andere und, wie ich glaube, notwendige und richtige Akzente bekommen hat. Ich meine damit nicht nur, daß man den Titel der Wehrstrafgerichtsbarkeit - das alte Ärgernis - endlich gestrichen hat. Das hätten Sie in den letzten 16 Jahren wirklich machen können; wie Sie wissen, war ich immer dafür. Es geht auch darum - Herr Schneider hat das schon erwähnt -, daß bei der Teilfinanzierung des Büros des Täter-Opfer-Ausgleichs oder auch der Teilfinanzierung des Deutschen Forums für Kriminalprävention sehr deutlich gemacht wird, daß wir im Bereich Strafen, Strafvollzug und Strafrechtspolitik in den letzten Jahren in der Sackgasse, an der Brandmauer angekommen waren. Wir wissen ganz genau, daß die Landesjustizminister neue Gefängnisse bauen müssen, und zwar in allen Ländern. Bayern - um das nicht zu vergessen - spricht beim Bau von Strafanstalten sogar von einem „Strafvollzug light“. Gleichzeitig klagen alle darüber, daß die Überfüllung der Gefängnisse dramatisch zunehme und daß der Resozialisierungsvollzug, auf den wir doch im Interesse der Opfer dringend angewiesen sind, praktisch nicht mehr möglich sei. Daraus ziehen wir in mehrfacher Weise die Konsequenzen: auf der einen Seite mit den Finanzierungsentscheidungen, über die ich bereits gesprochen habe und die heute schon dargelegt wurden, und auf der anderen Seite - ich bin dem Kollegen Ströbele sehr dankbar, daß er darauf hingewiesen hat - mit alternativen Strafsystemen. Das muß einer der Schwerpunkte sein. Ich erwähne das, weil ich Sie darum bitte, in den nächsten Jahren diesen Weg mit uns zu gehen. Wir bitten Sie, nicht - wie es jetzt schon wieder der Fall ist - jeden Tag ein neues Gesetz einzubringen, nach dem dieses oder jenes schärfer bestraft werden soll. Wir müssen statt dessen Schwerpunkte bilden, zielgenau vorgehen und alternative Strafen vorsehen. Das wird noch eine Menge Diskussion hervorbringen. Wir werden uns bemühen, die Diskussionen sachlich so vorzubereiten, daß wir uns einigen können. Die Zielsetzung aber muß klar sein: Wir müssen weg von dem alleinigen Strafmodell „Entweder Geldstrafe oder Knast“. Die Annahme „Je mehr Knast, desto deutlicher der Kriminalitätsschutz“ ist nicht richtig. Wir müssen ganz klar sagen: Unsere Gesetze sind dazu da, befolgt zu werden. Wir müssen aber neben Geldstrafe und Knast andere Sanktionen dort einsetzen, wo das möglich ist, wo wir sie brauchen und wo sie wirksam sind. ({0}) Ich darf das aufgreifen, was Sie, sehr verehrter Herr Kollege Henke - ich bedanke mich bei Ihnen ebenso wie bei Dr. Hoyer in ganz besonderer Weise für die Unterstützung -, gesagt haben: Man muß bei der Umsetzung dessen, was der Finanzminister verkündet hat, überlegen, wo sinnvollerweise gespart werden kann. Lassen Sie mich eines erwähnen: Wir hätten es auch im Bereich des Justizhaushaltes viel leichter, wenn die Situation nicht so wäre, wie sie jetzt nach 16 Jahren der Koalition aus CDU, CSU und F.D.P. ist. Natürlich werden wir ganz deutlich machen müssen, daß zukünftige Personalkürzungen im Bereich des Bundesjustizministeriums bedeuten, daß Aufgaben, die - Sie alle haben darauf hingewiesen - dringend erforderlich sind, nicht mehr erfüllt werden können. Deswegen habe ich die Bitte, daß Sie mit uns dafür sorgen, daß sie in Zukunft möglich werden. Sie haben alle - auch dafür bedanke ich mich, und ich werde es selbstverständlich weitersagen - die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Bundesministeriums der Justiz deutlich gelobt. Ich halte dieses Lob für völlig berechtigt. Aber dieses reicht nicht, sondern dem Lob muß dann auch ein Eintreten für angemessene Arbeitsbedingungen und da, wo es sinnvoll und für die Aufgabenerfüllung notwendig ist, auch für eine Vermehrung der Stellen folgen. Ganz besonders gilt das neben dem Bereich des Bundesministeriums der Justiz, wo wirklich - das wissen Sie sehr sparsam gewirtschaftet wird, für den Bereich des Deutschen Patent- und Markenamtes. Auch da gilt wieder: Wir hätten es leichter, wenn nicht in den letzten Jahren Schritt für Schritt die Kapazität zurückgefahren worden wäre. Ich bin dem Haushaltsausschuß dankbar, daß wir auch hier eine Akzentverschiebung hinbekommen haben, daß wir wissen, es geht wieder aufwärts. Aber es wird nicht reichen. Völlig richtig ist: Wir werden uns etwas Neues einfallen lassen müssen. Wir haben schon darüber geredet, wir haben auch die entsprechende fachliche Unterstützung. Aber daß wir darauf achten müssen, daß Erfindungen in unserem Lande gut betreut werden, daß wir die Patentprüfung und die Anmeldungsfristen effizienter gestalten müssen, ist gar keine Frage. Natürlich müssen wir auch darauf sehen, daß die internationale Wettbewerbsfähigkeit des deutschen Patentsystems deutlich gemacht wird. Ich glaube, da werden Sie mir alle zustimmen. Nur: Dazu braucht man Investitionen nicht nur in die EDV, sondern dazu braucht man auch Investitionen in die Menschen. Für eine vernünftige Organisationsreform und das, was dazugehört, sorgen wir schon. Ich habe den Eindruck, meine Damen und Herren, daß wir für die nächsten Jahre viel zu tun haben. Lassen Sie mich einen Punkt aufgreifen. Lieber Herr Henke, Sie wissen ganz genau, daß beim Umbau des Reichsgerichtsgebäudes für das Bundesverwaltungsgericht das Bundesministerium der Justiz eigentlich nur Durchlaufstelle ist. Der Streit, von dem Sie zu Recht gesprochen haben, war auf der einen Seite der mit den für den Bau Verantwortlichen, die gesagt haben, es koste mehr, und auf der anderen Seite der mit dem Bundesministerium der Finanzen, von dem gesagt wurde, es koste weniger. Ich sage Ihnen, was mein Interesse ist: Wir müssen das Reichsgerichtsgebäude funktional und würdig als einen der Mittelpunkte der Stadt Leipzig umbauen. Darüber gibt es keinen Zweifel. ({1}) Wer dann hinterher in bezug auf das, was es gekostet hat, recht hat, darüber können wir uns dann unterhalten. Für mich ist am wichtigsten, daß die Planung jetzt nicht umgestellt werden muß. Wenn die Planung angehalten werden müßte, wenn neu ausgeschrieben werden müßte - der Haushaltsausschuß hat ja Gott sei Dank gesagt, daß das nicht der Fall sei -, dann, meine Damen und Herren, würde das bedeuten, daß die Funktion des Bundesverwaltungsgerichts in der Tat sehr eingeschränkt wäre. Damit wäre ich nicht einverstanden. - Bitte schön.

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Ich brauche gar nicht mehr zu fragen; die Frau Ministerin gestattet eine Frage.

Hans Jochen Henke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003146, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Ministerin, wir stimmen ja in dem, was Sie sagen, und dem, was ich gesagt habe, völlig überein. Aber stimmen Sie mit mir auch darin überein, daß es doch notwendig wäre, regierungsseitig vielleicht eine Stelle, eine Instanz zu schaffen, die in irgendeiner Weise klärt, koordiniert, abstimmt, bevor dann ein solches Projekt mit einem geänderten Ansatz Eingang in den Haushaltsentwurf und in den Antrag an den Haushaltsausschuß findet?

Dr. Herta Däubler-Gmelin (Minister:in)

Politiker ID: 11000347

In dem Antrag war es schon noch richtig. Aber es ist im Laufe der Diskussionen des Haushalts - Herr Henke, das wissen Sie auch - leider Gottes etwas verunklart worden. Daß Sie diese Kritik hier bei mir abladen gut, ich habe ein relativ breites Kreuz -, das gehört sich in einer solchen Debatte; daß es nicht zutrifft, wissen Sie auch. Daß man hergehen und das Reichsgerichtsgebäude jetzt so umbauen muß, daß das Bundesverwaltungsgericht fristgerecht und vernünftig einziehen und seine Arbeit tun kann und daß das Gebäude gut aussieht, das ist klar. Jetzt lassen Sie mich noch etwas sagen: Wir haben im letzten halben Jahr ziemlich viel von dem repariert, was Sie uns übriggelassen haben. Das DNA-Gesetz war einer der Punkte. ({0}) - Lieber Herr Dr. Hoyer, auch wenn Sie es nicht gerne hören, stimmt es doch. Ein weiterer Bereich ist Europa, auf den der verehrte Kollege Funke hingewiesen hat. Herr Henke, Sie waren so freundlich, darauf hinzuweisen, daß hier eine Reihe von Richtlinien umgesetzt werden müßten. Völlig richtig! Aber das sind alles Dinge, die schon längst hätten umgesetzt werden müssen. ({1}) Sie haben zu Unrecht gesagt, daß wir auf Grund unserer ideologischen Vorgaben bei der Überweisungsrichtlinie - als ob man bei Banküberweisungen ideologisch sein könnte! - über die eigentliche Zielsetzung hinausgehen. Wir haben lediglich festgestellt, daß zwischen einer Überweisung ins Ausland und einer Überweisung im Inland kein Unterschied gemacht werden darf. Die Beseitigung dieses Unterschieds haben Sie, Herr Funke, als Sie Staatssekretär waren, noch nicht einmal erwogen. Wissen Sie, was ich besonders drollig finde? - 1993 hätten Sie die GmbH & Co-Publizitätsrichtlinie umgesetzt haben müssen. Nicht ein fernes Europa hat Ihnen oktroyiert, diese Richtlinie umzusetzen; vielmehr haben auch die Minister der Bundesrepublik dies mitbeschlossen. Sie haben diese Richtlinie nicht umgesetzt. Am 22. April dieses Jahres hat der EuGH die Bundesrepublik Deutschland verurteilt, diese Richtlinie umzusetzen. Das ist ein Ärgernis. So etwas tut man nicht, schon gar nicht, wenn Sie so viel auf Europa setzen, wie Sie immer behaupten. ({2}) Aber der Höhepunkt ist, daß ich von meinem verehrten Kollegen, den ich so schätze, eine Presseerklärung, nachdem ich darauf hingewiesen habe, daß die Richtlinie umgesetzt werden muß, erhalte, in der ich ermahnt werde. Ich muß diese Erklärung vorlesen - sie ist wirklich zu hübsch -: Die Justizministerin sollte lieber deutsche Interessen vertreten, als mittelständische Unternehmen zu beschimpfen. Die Presseerklärung beinhaltet den Hinweis, daß ich lieber eine sachgerechte Änderung der Richtlinie durchsetzen sollte. Merke: Ich soll eine Richtlinie durchsetzen, die sein Minister mit unterschrieben hat! Das ist wirklich drollig. ({3}) - Davon kann keine Rede sein. Ich setze lediglich das um, was mir durch Urteile vorgegeben ist. Das wissen Sie auch ganz genau. So etwas macht einem natürlich mehr Arbeit als nötig. Aber ich möchte mich ausdrücklich für diese Presseerklärung bedanken. Ich fand sie wirklich drollig. ({4}) Ich danke, daß vorhin die Grundrechtscharta erwähnt wurde. Wir wollen erreichen, daß in Europa die Entscheidungen für eine soziale und rechtsstaatliche Demokratie, die wir schon seit langem auf nationaler Ebene getroffen haben, ebenfalls durchgesetzt werden. In diesem Zusammenhang ist eine Grundrechtscharta genau das, was wir wollen. Wir wollen diese Initiative in einem Monat beim Europäischen Rat in Köln einbringen. Wir erhoffen uns dafür eine sehr große Mehrheit. Bei den Vorarbeiten zur Justizreform, die Sie angesprochen haben, sind wir glücklicherweise zusammen mit den Ländern - übrigens mit Baden-Württemberg und Bayern; um das gleich zu erwähnen - einen guten Schritt vorangekommen. Ich hoffe, daß wir ähnlich wie bei der Ausgestaltung des Sanktionensystems hier bald in die Sachentscheidungen eintreten können. Lassen Sie mich den Dank, den ich am Anfang meiner Rede ausgesprochen habe, wiederholen. Aber bitte denken Sie auch an meinen Satz: Jeder Dank ist immer die erste Stufe für die nächste Bitte. Ich kann Ihnen garantieren: Diese Bitte wird in der Tat bei der Verabschiedung des nächsten Haushalts geäußert werden. Wenn wir das durchsetzen wollen, was Sie alle gemeinsam gefordert haben, dann brauchen wir dringend Ihre Hilfe. Ich fände es sehr schön, wenn wir sie bekommen würden. Herzlichen Dank. ({5})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Letzter Redner in dieser Debatte ist der Kollege Norbert Geis, CDU/CSUFraktion.

Norbert Geis (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000651, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir feiern in den kommenden Wochen das 50jährige Bestehen unserer Verfassung. Sie ist die freiheitlichste Verfassung - das ist heute schon betont worden -, die wir je in unserer Geschichte hatten. Sie gehört zu den freiheitlichsten Verfassungen in der ganzen Welt. Als der Ostblock zusammengebrochen ist, haben viele der dann wieder auferstandenen Länder unsere Verfassung als Vorlage verwendet, um die eigenen staatlichen Verhältnisse zu ordnen. Unsere Verfassung beginnt mit dem klassischen Satz: „Im Bewußtsein seiner Verantwortung vor Gott und den Menschen ...“ Damit ist dem säkularisierten Staat, wie ich meine, eine Grundrichtung vorgegeben worden, die er beachten muß, wenn er sich nicht selbst untreu werden will. Zu dieser Grundrichtung gehört die besondere Hervorhebung des Rechtes auf Leben und die besondere Hervorhebung des Schutzes von Ehe und Familie. Frau Ministerin, Sie haben in den letzten Wochen dankenswerterweise das Problem der Spätabtreibungen aufgegriffen. Sie haben vorgeschlagen, die Spätabtreibungen von behinderten Kindern über das Standesrecht zu regeln. Das heißt, über das Standesrecht soll Sorge dafür getragen werden, die Spätabtreibungen behinderter Kinder, die außerhalb des Mutterleibes schon lebensfähig wären, zu verhindern oder zumindest ihre Anzahl zu reduzieren. Ich danke Ihnen dafür ausdrücklich. Ich glaube aber nicht, daß man dieses Ziel durch das ärztliche Standesrecht erreichen kann. Man sollte das diskutieren. Ich glaube auch nicht, daß es richtig wäre, die 22-Wochen-Frist, die wir 1995 aus ethischen Gründen abgeschafft haben, wieder einzuführen. Es wird letztendlich nur gelingen, diesem Anliegen gerecht zu werden, wenn wir versuchen, die derzeit weitgefaßte medizinische Indikation präziser zu formulieren. Das Verfassungsgericht hat uns in seinem Urteil vom 28. Mai 1993 - auf Grund dieses Urteils ist die jetzige Beratungsregelung eingeführt worden - aufgegeben, nach einer geraumen Zeit zu prüfen, ob diese Beratungsregelung tatsächlich zu einem besseren Schutz der ungeborenen Kinder führt. In diesem Jahr sind seit dieser Entscheidung sechs Jahre vergangen. Ich halte den Lebensschutz für eine fundamentale Frage, in der es um einen wichtigen Auftrag unserer Verfassung geht. Auch das Justizministerium sollte sich daher im nächsten Jahr um die Prüfung dieser Frage bemühen. Im Zusammenhang mit der Verfassung stellt der Schutz von Ehe und Familie einen weiteren wichtigen Punkt dar. Wir sehen in dem Vorhaben der Grünen - die Ministerin sieht es anders -, die gleichgeschlechtlichen Lebensgemeinschaften den ehelichen Lebensgemeinschaften gleichzustellen, den Versuch, diese Grundrichtung unserer Verfassung zu verwässern. Dem werden wir uns entgegenstellen. Wir werden versuchen, das nicht zuzulassen. Insoweit warten wir den Gesetzentwurf ab. Dies möchte ich dazu bei dieser Gelegenheit sagen. Frau Ministerin, Sie haben in den letzten Wochen mit Recht - Herr Ströbele hat das aufgegriffen - eine Grundrechtscharta für Europa gefordert. Wir unterstützen Sie in diesem Anliegen. Wir meinen aber, daß es nicht um eine Grundrechtscharta gehen kann, sondern daß es um einen Verfassungsvertrag für Europa insgesamt gehen muß. Wir meinen, daß der Vorschlag, den die CDU auf dem Erfurter Parteitag gemacht hat, richtig ist, eine Gruppe von Experten zu benennen, die sich Gedanken darüber macht, wie ein solcher Verfassungsvertrag für Europa gewichtet sein soll. Es geht um die Frage, was die Europäer eigentlich zusammenhält, was die Werte Europas sind und wie wir diese Werte in einer Verfassung umsetzen können. Ich halte diese Forderung des Erfurter Parteitages für sehr richtig. Dies möchte ich hier unterstreichen. ({0}) In diesem Zusammenhang möchte ich kurz auf das eingehen, was Sie aus der Presseerklärung, die ich verfaßt habe, zitiert haben. Frau Ministerin, uns ist es bei dieser Richtlinie um den Schutz unserer mittelständischen Unternehmen gegangen. Wir haben in Deutschland anders als in vielen anderen europäischen Ländern viel mehr mittelständische Unternehmen, die Personengesellschaften sind und die deshalb - es geht bei dieser Richtlinie um Offenlegung der Bilanzen - nach meiner Auffassung nicht wie die Aktiengesellschaften dazu verpflichtet sind, ihre Bilanzen offenzulegen. Gewöhnlich muß der Unternehmer selbst für seine Entscheidungen einstehen. Diese Entscheidungen gehen im Grunde genommen keinen Dritten etwas an. Wenn wir uns auf diesem Gebiet sehr reserviert verhalten haben, wenn wir versucht haben, den mittelständischen Unternehmen tatsächlich einen Dienst zu erweisen, dann sollte man das nicht abqualifizieren. Meine Bitte an Sie war, das zu tun, was uns zugegebenermaßen nicht gelungen ist: Unternehmen Sie während der EU-Präsidentschaft noch einmal einen Versuch, um in dieser Richtlinie die deutschen Interessen, die insgesamt eine Besonderheit im Vergleich zu den übrigen europäischen Ländern darstellen, besser zu berücksichtigen. Vielleicht gelingt es Ihnen. Meine sehr verehrten Damen und Herren, der Kosovo-Konflikt wirft natürlich seine Schatten auch auf die Rechtspolitik. Wir erleben in diesen Tagen, wie in der Bundesrepublik Deutschland wiederum Plakate mit der Parole „Soldaten sind Mörder“ aufgehängt werden. Wir halten dieses Vorgehen für eine schlechte Sache und verurteilen es. Unsere Soldaten, die wirklich Leib und Leben wagen, werden durch solche Plakate beschimpft und fühlen sich auch getroffen; das wissen wir. Deswegen wollen wir den Gesetzentwurf, über den wir in der letzten Legislaturperiode keinen Beschluß gefaßt haben, den wir aber im Ausschuß bereits beraten und verabschiedet hatten, wieder vorlegen, um einen besseren Ehrenschutz für die Soldaten zu erreichen. Lassen Sie mich noch ein Wort zur inneren Sicherheit sagen; das ist, wie ich meine, nach wie vor ein wichtiges Thema der Rechtspolitik. Ich habe kein Verständnis dafür, daß im Rahmen der Diskussionen zum 50jährigen Bestehen unserer Verfassung immer wieder Stimmen laut werden, die sagen, mit der Einführung der Wohnraumüberwachung sei ein Angriff auf unseren Rechtsstaat geschehen. Wir wollten mit diesem Gesetz und mit der Änderung von Art. 13 des Grundgesetzes nichts anderes, als den Schutz der Freiheit unserer Bürger erreichen. Das müssen endlich einmal die anerkennen, die meinen, wir hätten damit einen Anschlag auf unseren Rechtsstaat verübt. Das hatten wir nie im Sinn, und das war nie unsere Absicht. ({1}) Im Zusammenhang mit der inneren Sicherheit ist auch davon zu sprechen, daß die Schwerkriminalität bekämpft werden muß. Wir sind der Meinung, daß für die Zulassung der Telefonüberwachung endlich auch die Gründe ausreichen sollten, die wir schon bei den Beratungen über die Wohnraumüberwachung verabredet hatten. Wir haben jetzt einen Gesetzentwurf zur Einbeziehung der Korruption und des schweren sexuellen Mißbrauchs in die Verdachtstatbestände bei der Telefonüberwachung vorgelegt. Ich hoffe sehr, daß wir zusammen mit Ihnen, meine Damen und Herren von der SPD, hier zu einer Einigung kommen. Diese hatten wir ja vor anderthalb Jahren schon einmal hergestellt. Wenn wir uns Gedanken über die innere Sicherheit machen, sollte auch ein Wort zur sogenannten Alltagsoder Kleinkriminalität gesagt werden. Wenn wir an Straßenecken, auf Schulhöfen oder auch in der Nähe von Fixerstuben, in deren Umfeld ja sehr oft eine offene Szene entsteht, Kleindealereien zulassen, dann werden wir uns ganz schnell einer Rauschgiftkriminalität gegenübersehen, der wir nicht mehr Herr werden. Deswegen muß dem schon von Anfang an entgegengewirkt werden. Das gleiche gilt auch für die Verwahrlosung von öffentlichen Anlagen, für Graffitischmierereien und natürlich auch für den Ladendiebstahl. Gegen diese „kleinen“ Delikte, über die Sie lächeln mögen, müssen wir wirklich ernsthaft vorgehen, um zu verhindern, daß unsere Bürgerinnen und Bürger enttäuscht werden, sich abwenden, in gewissem Maße von der Öffentlichkeit absondern und sozusagen in eine innere Immigration begeben und sich vor allen Dingen - darin sehe ich eine echte Gefahr - nicht mehr mit ihrer Umwelt identifizieren. Wir laufen Gefahr, dadurch ein Klima zu schaffen, das Kriminalität noch mehr ermöglicht. Ich bitte Sie wirklich einmal, dieses Anliegen so zu sehen und Ihre Polemik wegzulassen. Versuchen Sie doch einmal zu verstehen, um was es uns dabei geht. ({2}) - Gut, wenn Sie nicht polemisch waren,entschuldige ich mich. Ein letztes Wort noch: Zum Bereich der inneren Sicherheit gehört natürlich auch der Strafvollzug. Hier besteht ja auf Grund des Beschlusses vom 1. Juli 1998, wonach wir die Arbeit von Gefängnisinsassen besser zu bewerten haben, Diskussionsbedarf. § 200 des Strafvollzugsgesetzes wurde für verfassungswidrig erklärt; also müssen wir eine Regelung finden. Hierzu gibt es ja bereits auch Überlegungen im Justizministerium. Wir werden Sie, Frau Ministerin, wie ich denke, bei Ihren Vorhaben unterstützen können, zum einen eine bessere Bezahlung durchzusetzen und zum anderen so etwas wie eine Good-time-Regelung vorzusehen, gemäß der durch Arbeitsleistung ein Teil der Gefängnisstrafe - allerdings in einem vernünftigen Rahmen; darüber müssen wir noch diskutieren - erlassen werden kann. Ich meine, daß wir in diesem Zusammenhang auch einen Blick auf den Strafvollzug insgesamt werfen sollten. Frau Präsidentin, dies ist mein letzter Punkt. Ich halte sehr viel von dem Ziel der Resozialisierung, weil ein resozialisierter Täter nicht so schnell rückfällig wird. Insofern ist in der Tat die Resozialisierung die beste Verbrechensbekämpfung. ({3}) Auf der anderen Seite darf man aber nicht blauäugig sein. Wir haben in Gefängnissen oft den Zustand, daß dort Häftlinge aus 100 Nationen vertreten sind aus unterschiedlichen Kulturkreisen, mit unterschiedlichen Wertvorstellungen, mit unterschiedlichen Religionen, vor allen Dingen mit unterschiedlichen Sprachen. Da wird es sehr schwer sein, dem Resozialisierungsgedanken gerecht werden zu können. Deswegen ist es unser Anliegen, daß in § 2 des Strafvollzugsgesetzes, in welNorbert Geis chem bestimmt ist, daß die Resozialisierung an erster Stelle zu stehen hat - so jedenfalls kann man § 2 auslegen -, auch die Sicherheit der Bevölkerung aufgenommen wird. Frau Ministerin, ich denke, daß wir in vielen Fragen versuchen können, zu einer gemeinsamen Regelung zu finden. Wir unterscheiden uns allerdings auch in sehr vielen elementaren Fragen der Rechtspolitik. Das ist nun einmal so zwischen Opposition und Regierungspartei. Danke schön. ({4})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Herr Kollege Geis, Ihr letzter Punkt war noch ganz schön lang. Jetzt erteile ich der Kollegin Herta Däubler-Gmelin zu einer Kurzintervention das Wort.

Dr. Herta Däubler-Gmelin (Minister:in)

Politiker ID: 11000347

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich habe mich nur deswegen gemeldet, weil der verehrte Kollege Geis mich in zwei Punkten, die auch mir ganz besonders wichtig sind, angesprochen hat. Ich bedanke mich zunächst einmal dafür, daß Sie klargestellt haben, worum es Ihnen eigentlich in der Presseerklärung bei der Umsetzung der GmbH & Co-Richtlinie geht. Wenn es Ihnen um den Schutz des Mittelstands und nur um Personengesellschaften geht, dann glaube ich in der Tat, daß das auf einem Mißverständnis beruht. Dann werden wir zusammenkommen, weil die Publizitätspflicht ja nur für solche Personengesellschaften besteht, deren persönlich haftende Gesellschafter Kapitalgesellschaften sind. Das heißt, in diesem Punkt müssen wir nachbessern. Hier hat der EuGH die Bundesrepublik verurteilt. Das ist das, was wir tun. Möglicherweise kommen wir da zusammen. Der zweite Punkt betrifft die Spätabtreibungen. Ich bin wirklich der Meinung, wir werden uns damit in der kommenden Zeit sehr sorgfältig befassen müssen. Ich bin deswegen dankbar für das, was Sie gesagt haben. Warum? Es handelt sich hierbei nicht alleine um die schrecklichen Erscheinungen, von denen wir lesen, sondern es sind auch besonders tragische Fälle. Wir dürfen bitte nicht vergessen: Das hat alles mit der Diskussion um die Frage, die uns möglicherweise trennt und die sich auf Schwangerschaftsabbrüche bezieht, nichts zu tun, sondern es handelt sich hierbei immer um Frauen, um Mütter, um Eltern, die sich bewußt für das Kind entschieden hatten und die dann auf der Basis von pränataler Diagnostik erfahren haben, daß mit einer schweren Behinderung oder Krankheit des Kindes zu rechnen ist. Jetzt ist die Frage, wie wir hier vorgehen. Ich habe Ihren Worten entnommen - und ich bin dankbar für diese Aussage -, daß wir eine eugenische Indikation nicht einführen. Ich muß Ihnen sagen: Ich mache da auch nicht mit. Wir führen auch keine embryopathische Indikation ein. Es ist aber fraglich, ob wir die medizinische Indikation einschränken können. Ich fürchte, daß das gar nicht gehen wird, weder zeitlich noch begrifflich. Weil diese Probleme so groß sind, habe ich mich dazu entschlossen - dazu möchte ich Sie auch herzlich einladen -, eine Expertenkommission einzusetzen, die uns sagt, was man wirklich tun kann, um das eine, nämlich diese schrecklichen Spätabtreibungen, nicht mehr geschehen zu lassen, aber auf der anderen Seite auf die Frauen, die sich auf ihr Kind gefreut haben, aber jetzt eben ein ernsthaft an Leben und Gesundheit beeinträchtigtes Kind erwarten, nicht zu viel Druck auszuüben. Das habe ich gesagt. Das ist eine ganz schwierige Situation, und ich danke Ihnen, wenn Sie da mitmachen. Das, Frau Präsidentin, wollte ich noch sagen. Danke schön. ({0})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zu den Abstimmungen. Wir stimmen zunächst über den Einzelplan 07, Bundesministerium der Justiz, ab. Wer stimmt für den Einzelplan 07 in der Ausschußfassung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Damit ist der Einzelplan 07 gegen die Stimmen von CDU/CSU und F.D.P. bei Enthaltung der PDS mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen angenommen. Wir kommen zur Abstimmung über den Einzelplan 19, Bundesverfassungsgericht. Wer stimmt für diesen Einzelplan in der Ausschußfassung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Damit ist der Einzelplan 19 einstimmig angenommen. Wir sind damit am Schluß unserer Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Donnerstag, den 6. Mai 1999, 9.30 Uhr ein. Die Sitzung ist geschlossen.