Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Guten Morgen, liebe
Kolleginnen und Kollegen! Die Sitzung ist eröffnet.
Interfraktionell ist vereinbart worden, heute in verbundener Beratung mit dem Einzelplan 15 - Gesundheit
- die erste Lesung von drei Gesetzentwürfen durchzuführen. Es handelt sich um den von den Fraktionen SPD
und Bündnis 90/Die Grünen eingebrachten Entwurf
eines Gesetzes zur Änderung des Arzneimittelgesetzes,
den Gesetzentwurf der CDU/CSU-Fraktion zur Änderung des Fünften Buches Sozialgesetzbuch sowie den
Gesetzentwurf der F.D.P.-Fraktion zur Änderung des
Gesetzes zur Stärkung der Solidarität in der gesetzlichen
Krankenversicherung. Das sind die Drucksachen 14/898,
14/886 sowie 14/884. Sind Sie damit einverstanden? Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist es so beschlossen.
Die Fraktion der SPD hat im Einvernehmen mit der
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und der Fraktion der
F.D.P. fristgerecht beantragt, die dritte Beratung des
Haushaltsgesetzes 1999 am Donnerstag unmittelbar im
Anschluß an die zweite Beratung durchzuführen.
Außerdem soll die Tagesordnung um die zweite und
dritte Beratung des von den Abgeordneten Dr. Peter
Struck, Otto Schily, Gila Altmann, Volker Beck, Hildebrecht Braun, Ernst Burgbacher und weiteren Abgeordneten eingebrachten Gesetzentwurfs zur Reform des
Staatsangehörigkeitsrechts erweitert werden. Dieser
Punkt soll am Freitag als erster Tagesordnungspunkt
mit einer Debattenzeit von drei Stunden aufgerufen werden. Wird zu diesem Geschäftsordnungsantrag das
Wort gewünscht? - Das Wort hat Kollege Schmidt,
SPD.
Guten Morgen, Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Es ist kein ungewöhnlicher
Vorgang, daß wir uns im Deutschen Bundestag mit Geschäftsordnungsfragen befassen. Nun ist allerdings eine
neue Variante von der CDU/CSU erzwungen worden.
Wir beraten zum erstenmal seit vielen Jahren über die
Feststellung der Tagesordnung des Deutschen Bundestages hier im Hohen Hause und werden auch eine Beschlußfassung darüber herbeiführen, weil wir uns weder
im Ältestenrat noch in der Geschäftsführerrunde auf die
Aufsetzung des Tagesordnungspunkts „Staatsangehörigkeitsrecht“ und auf die Behandlung der zweiten und
dritten Lesung des Haushalts 1999 verständigen konnten. Das ist ein sehr ungewöhnlicher Vorgang, aber von
der CDU/CSU ist man ja mittlerweile einiges gewöhnt.
({0})
Wir müssen feststellen, daß die CDU/CSU immer
wieder in neue Dimensionen der Geschäftsordnung vorstößt. Was das allerdings mit praktischer, mit sachlicher
und mit inhaltlicher Politik zu tun hat, bleibt dem Betrachter und auch uns verborgen. Wir wollen diesen
Vorgang so nicht hinnehmen, weil Sie damit von Ihrer
politischen Schwäche ablenken wollen.
({1})
Es geht - der Präsident hat unseren Antrag bereits zitiert - der SPD-Fraktion, dem Bündnis 90/Die Grünen
und der F.D.P.-Fraktion darum, die Schlußberatung des
Haushaltsgesetzes am Donnerstag abend und die zweite
und dritte Lesung des Staatsangehörigkeitsrechts am
Freitag auf die Tagesordnung zu setzen. Das hat gute
Gründe.
({2})
Durch die Abschlußberatungen des Haushalts am Donnerstag abend werden wir die Haushaltsberatungen in
dritter Lesung in homogener Form abschließen. Wir werden im Vergleich zu den vergangenen Jahren dadurch
keine einzige Stunde der Haushaltsberatungszeit kappen
und sie um keine einzige Stunde verkürzen. Deshalb muß
man feststellen, daß Wind vor der Hoftür der größten
Oppositionsfraktion weht. Es ist schon sehr unverständlich, warum Sie hier in dieser Weise vorgehen.
Ein weiterer Punkt. Über den Tagesordnungspunkt
Staatsangehörigkeit am Freitag abschließend zu beraten
liegt auf der Hand, und zwar nicht erst seit dieser Woche, sondern seit vielen Wochen und Monaten. Die Materie ist Ihnen seit Anfang des Jahres bekannt. Sie haben
sie zu einem zum Teil widerwärtigen Schauspiel in der
Öffentlichkeit ausgenutzt, meine Damen und Herren von
der CDU/CSU.
({3})
Sie haben auch im Zuge der Beratung des Gruppenantrags von Abgeordneten der SPD, der Grünen und der
F.D.P. immer wieder erkennen lassen, daß Sie sich bei
dieser Kampagne zur Sammlung von Unterschriften
überhaupt nicht zurücknehmen werden. Ich kann Ihnen
nur sagen: Wer das erkennen läßt, der ist in diesem Hause nicht konsensfähig und lehnt es offensichtlich ab, an
Beratungen zu diesem Thema konstruktiv teilzunehmen.
Dies haben Sie in den vergangenen Wochen und Monaten, auch in den Ausschußberatungen, immer wieder gezeigt.
Wir wollen am Freitag die mit dem Staatsangehörigkeitsrecht verbundenen Vorlagen verabschieden, weil
wir der Auffassung sind, daß damit im wohlverstandenen Interesse aller Beteiligten das Gezerre im politischen Raum seinen vorläufigen Abschluß finden sollte.
({4})
Dies ist wichtig, weil wir auch während der Beratungen
seit dem 16. März, seitdem der Gruppenantrag in diesem
Hause eingebracht worden ist, immer wieder auf Sie zugegangen sind, sowohl in den Ausschußberatungen als
auch in direkten Gesprächen, zum Beispiel unter den
Fraktionsvorsitzenden von SPD und CDU/CSU, um zu
klären, ob es noch Möglichkeiten gibt, an dieser Stelle
zu einer gemeinsamen Lösung zu kommen. Diese Erkenntnis hat sich an keiner Stelle ergeben. Im Gegenteil,
Sie haben Ausschußberatungen immer wieder mit Obstruktion begleitet, sind aus ihnen ausgezogen, oder haben an ihnen überhaupt nicht teilgenommen. Daher
wollen und müssen wir am Freitag das ganze Projekt
Staatsangehörigkeitsrecht verabschieden.
Es ist auch Sinn der Sache, in diesen Tagen darauf
einzugehen, weil wir immer wieder hören, daß von Ihnen eine neue Welle von Desinformation in der Öffentlichkeit verbreitet worden ist und verbreitet wird. Wie
ich finde, bringen Sie nicht nur zu Unrecht, sondern
wiederum in einer widerwärtigen Form das Staatsangehörigkeitsrecht in Zusammenhang mit dem Schicksal
der Kosovo-Flüchtlinge. Dies geht nicht. Wir werden es
noch weniger als alles andere vorher hinnehmen.
({5})
Wenn Abgeordnete und Funktionsträger der CDU/
CSU so tun, als wenn der Zuzug von KosovoFlüchtlingen und die Verabschiedung des Staatsangehörigkeitsrechts in einigen Fällen in Zusammenhang mit
der Hinnahme von Doppelstaatsangehörigkeit steht und
wenn Sie damit so tun, als wenn viele von den KosovoFlüchtlingen demnächst auch die deutsche Staatsangehörigkeit bekommen sollen - was nicht im entferntesten in
diesem Gesetzentwurf angelegt ist -, dann kann ich nur
sagen: Wir werden Ihr Vorgehen auch in der Öffentlichkeit immer wieder kritisieren.
({6})
Es gibt gute Gründe, die Abschlußberatung am Freitag durchzuführen. Namens der Fraktionen von F.D.P.,
Bündnis 90/Die Grünen und SPD fordere ich Sie auf,
unserem Antrag zuzustimmen.
({7})
Das Wort hat der
Kollege Hans-Peter Repnik, CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident!
Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Ihre
Rede, Herr Kollege Schmidt, hat einmal mehr die Arroganz der Macht deutlich werden lassen, in der Sie sich
ganz offensichtlich befinden.
({0})
Anders herum wird ein Schuh daraus. Weshalb haben
wir uns zum erstenmal weder in der Runde der parlamentarischen Geschäftsführer noch in der Runde des Ältestenrates über eine Tagesordnung einigen können?
Doch nicht, weil wir von Bord gewesen wären, sondern
weil es den guten alten Brauch gibt, daß das Königsrecht
des Parlaments, die Beratung des Haushalts, ernst genommen wird, daß über die Zahlen des Haushalts gestritten wird und daß dafür eine Woche zur Verfügung steht.
Zum erstenmal geht die Koalition ohne Not, wie in anderen Fällen übrigens auch, von dieser guten Tradition ab.
Sie haben zweierlei gemacht. Auf der einen Seite
wollen Sie den Haushalt bereits am Donnerstag abend in
dritter Lesung verabschieden, zu einer nicht öffentlichen
Zeit. Dafür habe ich angesichts der Zahlen dieses Haushalts ein gewisses Verständnis. Aber Sie brechen damit
eine jahrzehntelange demokratische Tradition.
({1})
Zum anderen gehört es auch zum Königsrecht des
Parlaments gerade bei den Haushaltsberatungen, daß
man in der Haushaltswoche kein anderes großes
Schwerpunktthema auf die Tagesordnung setzt. Auch
hier brechen Sie eine Tradition, wenn Sie die Beratung
des Staatsangehörigkeitsrechts am Freitag auf die Tagesordnung setzen wollen. Deshalb haben wir zu diesem
Mittel gegriffen.
Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, einmal mehr
wollen Sie ein wichtiges politisches Vorhaben, nämlich
die Änderung des Staatsangehörigkeitsrechts, in einem
Hauruck-Verfahren durch das Parlament jagen.
({2})
Wilhelm Schmidt ({3})
Als ob Sie nicht genügend Lehren aus Ihren Murksgesetzen zur Scheinselbständigkeit und zu den 630-MarkJobs gezogen hätten, machen Sie weiter wie in den letzten Monaten,
({4})
und dies, meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen von der Koalition, bei einem Thema, von dem der
innere Frieden, die Befindlichkeit und auch die Stabilität
unserer Gesellschaft wie von kaum einem anderen Thema abhängt. Konsensfähigkeit und nicht Konfliktbereitschaft wäre in dieser Frage angezeigt.
({5})
Gut, Sie haben auf die regelmäßige Hinnahme der
doppelten Staatsangehörigkeit, wie sie im ursprünglichen Entwurf vorgesehen war, verzichtet. Vielleicht
brachten Sie unsere Argumente, vielleicht unsere Aktionen, die 5 Millionen Unterschriften einbrachten, vielleicht nicht zuletzt die Reaktion der Bevölkerung von
Ihrem Vorhaben ab. Wenn man dann die Meinungsäußerungen des Volkes als widerwärtig bezeichnet, wie Sie
es soeben getan haben, zeugt das von einem miesen demokratischen Verständnis.
({6})
Jetzt wollen Sie wieder mal mit dem Kopf durch die
Wand: Ideologie führt einmal mehr statt Sachlichkeit
Regie,
({7})
obwohl wir und Sie wissen, daß das Optionsmodell nicht
praktikabel ist und daß es verfassungsrechtliche Bedenken gibt,
({8})
und Ihr Modell keinen Integrationsansatz beinhaltet,
über den Sie sonst immer so sehr reden.
({9})
Meine Damen und Herren, in diesen Tagen hat Bundesinnenminister Schily den Vorschlag unterbreitet und
dafür plädiert, Deutschland angesichts des unbeschreibbaren Elends im Kosovo für weitere Flüchtlinge zu öffnen.
({10})
Hier ist es nicht mit einer politischen Willensäußerung
getan; dies ist kein Verwaltungsakt, der einfach so vollzogen wird. Wenn Sie dies wollen, müssen Sie die Bevölkerung und die Gesellschaft aufschließen und Bereitschaft zur Aufnahme herstellen.
({11})
Jetzt, wo wir wissen, wie die Mehrheit der Bevölkerung
gerade über dieses schwierige Thema des Staatsangehörigkeitsrechts denkt, kümmern Sie sich keinen Deut darum. Sie ziehen etwas durch, obgleich die Mehrheit völlig anderer Auffassung ist. So fördern Sie keine Integrationsbereitschaft, sondern im Zweifel Ablehnung. Auch
deshalb sind Sie hier auf dem Holzweg.
({12})
Unser Partei- und Fraktionsvorsitzender Wolfgang
Schäuble hat in Abstimmung mit dem bayerischen Ministerpräsidenten und CSU-Vorsitzenden Edmund Stoiber - ({13})
- Das tut weh, das verstehe ich.
({14})
- Herr Kollege Schlauch, Wolfgang Schäuble hat der
Koalition frühzeitig das Angebot unterbreitet, miteinander darüber zu reden und einen Konsens in dieser
schwierigen gesellschaftlichen Frage zu finden.
({15})
Wie waren die Reaktionen darauf? Beide großen Kirchen haben dieses Angebot begrüßt und sind darauf eingegangen. Der Bundestagspräsident hat dieses Angebot
aufgegriffen und hat an die Koalitionsfraktionen appelliert, es ernst zu nehmen. Der Innenminister des Landes
Schleswig-Holstein, SPD, hat in der letzten Woche während der Debatte über dieses Thema im Bundesrat Herr Präsident, ich möchte noch ein paar Argumente anfügen;
({16})
dies ist wichtig - unter anderem darauf hingewiesen, daß
es erforderlich ist,
({17})
die Einsicht und die politischen Mehrheiten dafür zu
finden und künftig klüger zu sein, als wir es heute sein
können. Heute sind wir klug genug und hätten die
Mehrheit, wenn Sie mitmachen würden.
({18}): Wir mit euch?)
Ein letzter Hinweis. Der Bürgermeister von Bremen,
Henning Scherf, SPD,
({19})
hat in der letzten Woche zu diesem Thema im Bundesrat
folgendes erklärt - ich darf ihn zitieren -:
Wir glauben aber, daß das Verfahren noch nicht zu
Ende gebracht worden ist, um es zu einer breiten
Zustimmung zu bringen, die wünschenswert wäre,
weil dies, wie mein Kollege Beck soeben gesagt
hat, eine große Hilfe wäre. Um das gemeinsam gewollte Integrationsvorhaben zu bewerkstelligen,
brauchen wir Beratungen.
Ja, meine Damen und Herren, wir brauchen Beratungen.
Wir stehen dafür zur Verfügung. Deshalb ist es notwendig,
daß am Freitag dieses wichtige Gesetz nicht gelesen wird.
({20})
Wenn Sie sich einen Gefallen tun und zum sozialen
Frieden einen Beitrag leisten wollen, dann setzen Sie
diesen Tagesordnungspunkt nicht auf. Wir lehnen Ihren
Antrag ab.
({21})
Das Wort hat Kollegin Kristin Heyne, Bündnis 90/Die Grünen.
Herr
Präsident! Meine Damen und Herren! Lieber Kollege
Repnik, Sie werden mir als ehemaliger Haushälterin
sicher zugestehen, daß ich sehr dafür bin, den Haushalt
gründlich und in Ruhe zu diskutieren. Genau das werden
wir hier drei volle Tage lang tun. Der Haushalt, den wir
vorlegen, ist ein ausgesprochen guter Haushalt, mit dem
wir uns weiß Gott nicht verstecken müssen.
({0})
Angesichts der Tatsache, daß Sie, Herr Kollege Repnik, die Mißachtung von Oppositionsrechten hier beklagen, ist es ausgesprochen auffällig, daß sich die andere
Oppositionspartei, die dem neuen Staatsbürgerschaftsrecht inhaltlich zustimmt, in ihren Rechten nicht eingeschränkt fühlt. Diese Tatsache läßt Ihr Argument ein
bißchen schwach erscheinen.
Sie wissen selbst: Auch wenn der Abschluß der
Haushaltsdebatte am Freitag morgen erfolgt wäre, wären
Sie mit der Aufsetzung der abschließenden Debatte zum
Staatsbürgerschaftsrecht nicht einverstanden gewesen.
Deswegen halte ich diese Geschäftsordnungsdebatte für
fadenscheinig.
({1})
Es ist das neue Staatsbürgerschaftsrecht, was Sie
nicht wollen. Sie möchten zumindest die Einführung
noch ein bißchen hinauszögern, weil Sie die Hoffnung
haben, daß es als Mittel für Stimmungsmache in weiteren Wahlkämpfen dienen kann.
({2})
Jetzt komme ich zu Ihrer Forderung nach Kompromissen, Herr Repnik. Sie haben eben von einem breiten
Konsens gesprochen. Wo waren aber die von Herrn
Schäuble angebotenen Kompromisse? Es gab kein einziges konkretes Angebot. Statt dessen gab es den Auszug aus dem Rechtsausschuß, also sogar eine Verweigerung der gemeinsamen Debatte.
Es stimmt, daß der Bundestagspräsident darum gebeten hat, daß man sich noch einmal unter den Vorsitzenden abspricht. Das ist geschehen. Aber auch hier
kam außer dem Herauszögern nichts heraus.
Wie haben denn Ihre Angebote zum Kompromiß bisher ausgesehen? Schauen wir sie uns einmal an. Die
neue Bundesregierung wollte ein reformiertes Staatsbürgerschaftsrecht beschließen. Damit sollte eine Position,
die schon seit Jahren in diesem Haus mehrheitsfähig ist
und die schon seit Jahren im wesentlichen an der Blokkade der CSU gescheitert ist,
({3})
endlich in neues Recht umgesetzt werden. Darauf hat die
Union mit einer infamen Unterschriftenkampagne reagiert. Ich nenne sie infam, weil das Ziel dieser Kampagne zweideutig war.
({4})
Sie haben pro forma gesagt: Wir lassen die Menschen für
Integration unterschreiben. - Aber immer wieder konnte
man den häßlichen Satz hören: Wo kann man hier gegen
Ausländer unterschreiben? Das nenne ich infam.
({5})
Sie haben eine Neiddebatte entfacht, indem Sie so
getan haben, als ob die Hinnahme der doppelten Staatsbürgerschaft eine Benachteiligung der Menschen mit
einfacher Staatsbürgerschaft mit sich brächte. Das haben
Sie getan, obwohl Sie als CDU jahrelang ohne Einschränkung und eigentlich ohne Not die doppelte Staatsbürgerschaft bei Aussiedlern hingenommen haben. Jetzt
machen Sie Doppelstaatler zum Sicherheitsrisiko Nr. 1.
Das finde ich völlig unakzeptabel.
({6})
Sie haben ganz gezielt Unfrieden zwischen den verschiedenen Gruppen unserer Bevölkerung gesät. Sie opponieren gegen ein Gesetz, das gerade das Ziel hat, den
Frieden in diesem Land zu fördern. Vor diesem Hintergrund fordern Sie die Bereitschaft zum Kompromiß, ohne sich selbst auch nur einen Zentimeter zu bewegen. Es
tut mir leid: Ich finde, das ist ein starkes Stück. Der Geruch von Parteitaktik dabei ist mit noch so vielen schönen Worten nicht zu verbergen.
({7})
Sie wissen sicher alle, daß wir als Koalition den hier
geborenen Kindern gerne - und lieber - ein uneingeschränktes Geburtsrecht eingeräumt hätten, ohne Wenn
und Aber. Wenn wir jetzt allerdings die Möglichkeit haben, einen ersten Schritt zu tun, damit hier geborene
Kinder nicht künstlich zu Ausländern gemacht werden,
dann sollten wir diesen Schritt tun. Dieser Gesetzentwurf ist ausführlich und gründlich beraten worden. Wir
werden ihn verabschieden - noch in dieser Woche.
({8})
Das Wort für die
F.D.P.-Fraktion hat Kollege Jörg van Essen.
Herr Präsident! Meine
Damen und Herren! Ich möchte für die F.D.P.-Fraktion
ohne Schärfe begründen, warum wir ebenfalls der Auffassung sind, daß das Staatsangehörigkeitsrecht am
Freitag gelesen werden sollte.
({0})
Sie alle wissen, daß wir als F.D.P. dieses vernünftige
Modell der Mitte, das Modell einer begrenzten doppelten Staatsangehörigkeit, das den Kindern ermöglicht, in
die deutsche Staatsangehörigkeit hineinzuwachsen, und
das eine generelle doppelte Staatsangehörigkeit verhindert, immer gefordert und in die politische Debatte eingebracht haben. Deshalb sind wir natürlich politisch sehr
daran interessiert, daß es schnellstmöglich umgesetzt
wird.
({1})
Der Vorwurf, der hier erhoben wird, daß es keine
ausreichende Debatte im Bundestag gegeben habe, trifft
nicht zu. Wir hatten eine sorgfältige Anhörung, die im
übrigen ergeben hat, daß der Vorwurf, den wir zum Teil
aus den Reihen der Grünen, aber auch aus den Reihen
der CDU gehört haben, nämlich daß der Vorschlag nicht
verfassungsgemäß sei, keine Grundlage hat. Das Modell
ist verfassungsgemäß, und es gibt keine Bedenken dagegen. Wir wollen, daß die Kinder, die in diesem Lande
geboren werden, schnellstmöglich eine Chance für eine
Integration erhalten. Deshalb duldet dieses Vorhaben
keinen Aufschub.
({2})
Wir wissen aus den Meinungsumfragen, daß eine
deutliche Mehrheit der Bürger für dieses Modell der
Vernunft, das Modell einer begrenzten doppelten Staatsbürgerschaft, ist. Alle Meinungsumfragen zeigen dies.
Die Bürger erwarten, daß strittige Fragen in der Politik
einer Lösung zugeführt werden. Wir machen das an diesem Freitag und bitten dafür um Ihre Unterstützung.
({3})
Für die PDSFraktion erteile ich das Wort dem Kollegen Roland
Claus.
Herr Präsident! Meine Damen
und Herren! Die PDS-Fraktion stimmt für den Geschäftsordnungsantrag der Koalitionsfraktionen und der
F.D.P. Wir sind für die Behandlung des Staatsangehörigkeitsrechtes in dieser Woche. Darum - das muß noch
einmal in aller Deutlichkeit gesagt werden - geht es hier
in Wirklichkeit und nicht, Kollege Repnik, um die Beschränkung des parlamentarischen Königsrechtes.
Das Reformgesetz soll in dieser Woche zum Abschluß gebracht werden. Mit dem Inhalt des Gesetzes
sind wir nur sehr begrenzt zufrieden; doch darüber wird
an anderer Stelle, nicht in der GO-Debatte zu reden sein.
Von der Reform ist soviel nicht übriggeblieben. Klar ist
jedoch: Sie verträgt keine Nachschwärzung. Auch fanden wir das Verfahren der Behandlung im Bundestag
sowie in der Mainzer Staatskanzlei nicht eben werbend.
Dennoch haben wir gute Gründe, gegen den CDU/
CSU-Vorschlag zur Vertagung der Sache zu stimmen.
Die überfällige Reform des Staatsbürgerschaftsrechtes
darf nicht erneut durch die unselige Unionskampagne
zur Ausländerfrage beeinträchtigt werden. Wer noch
Zweifel hatte, dem wurde durch die Rede des Kollegen
Repnik leider klar, worum es Ihnen in Wirklichkeit geht.
({0})
Die CDU/CSU setzt doch nur auf eine Formel: Was für
Hessen gut war, kann auch für Bremen gut werden.
Sie wollen auf Kosten der hier lebenden Ausländerinnen und Ausländer Ihr wahltaktisches Süppchen
kochen. Sie wollen die Unsicherheiten und Sorgen der
Bürgerinnen und Bürger in der Ausländerfrage nutzen,
um das überlebte Staatsbürgerschaftsrecht zu erhalten.
Sie bauen auf veränderte Verhältnisse im Bundesrat, um
hier jegliche Reformen für lange Zeit unmöglich zu machen. Dabei sind Ihre Winkelzüge nicht nur schwach,
sondern auch durchsichtig.
({1})
Die Menschenrechtsverletzungen im Kosovo nehmen
Sie als Argument, sich mit der Koalition in der Kriegsfrage zu verbünden. Die Bürgerrechte von Ausländerinnen und Ausländern hier in der Bundesrepublik aber
wollen Sie weiter auf Sparflamme halten. Man muß Ihnen entgegenhalten: Das geht nicht zusammen.
({2})
Wo liegen Ihre Interessen wirklich? Die Koalition
will dieses Thema rechtzeitig vor den Europawahlen geklärt haben. Die CDU/CSU will es vor den Wahlen ausdrücklich nicht geklärt haben. So einfach ist das.
Eines aber will ich beiden großen Fraktionen sagen:
Die einen Wahlkämpfer sollten nicht die anderen Wahlkämpfer als Wahlkämpfer beschimpfen, wenn doch alle
im Wahlkampf sind.
({3})
Bei aller Kritik meiner Fraktion am Inhalt des Gesetzentwurfes: Da er durch eine Vertagung der Verabschiedung nicht besser würde, sondern nur schlechter
werden könnte, soll darüber, wie vorgesehen, am Freitag
abgestimmt werden. Das ist noch lange kein Anlaß zu
Maifeiern. Den 21. Mai im Bundesrat wird dieses Gesetz aber wohl überstehen.
Vielen Dank.
({4})
Wir kommen zur
Abstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Geschäftsordnungsantrag der SPD-Fraktion zuzustimmen wünschen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? Enthaltungen? - Der Geschäftsordnungsantrag ist mit
den Stimmen der SPD-Fraktion, der Fraktion Bündnis 90/
Die Grünen, der F.D.P.-Fraktion und der PDS-Fraktion
angenommen.
({0})
Ich rufe den Tagesordnungspunkt I auf:
Zweite Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die
Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das
Haushaltsjahr 1999
({1})
- Drucksachen 14/300, 14/760 Beratung der Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses ({2})
- zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Bericht über den Stand und die voraussichtliche Entwicklung der Finanzwirtschaft
- zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Finanzplan des Bundes 1998 bis 2002
- Drucksachen 14/350, 13/11101, 14/272 Nr. 79,
14/625 Berichterstattung:
Abgeordnete Dietrich Austermann
Hans Georg Wagner
Dr. Günter Rexrodt
Dr. Christa Luft
Wir kommen zu den Einzelplänen, und zwar zunächst
zu denen, zu denen keine Aussprache vorgesehen ist.
Ich rufe auf:
1. Einzelplan 01
Bundespräsident und Bundespräsidialamt
- Drucksachen 14/601, 14/622 Berichterstattung:
Abgeordnete Adolf Roth ({3})
Ewald Schurer
Antje Hermenau
Dr. Werner Hoyer
Dr. Christa Luft
Wer stimmt für den Einzelplan 01 in der Ausschußfassung? - Wer stimmt dagegen? ({4})
Stimmenthaltungen? - Damit ist der Einzelplan 01
mit den Stimmen der SPD-Fraktion, der CDU/CSU-
Fraktion, der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen*) und der
PDS-Fraktion bei unklarem Abstimmungsverhalten der
F.D.P. angenommen**).
Ich rufe auf:
2. Einzelplan 02
Deutscher Bundestag
- Drucksachen 14/602, 14/622 Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Rolf Niese
Jochen Borchert
Antje Hermenau
Dr. Barbara Höll
Gibt es dazu eine Wortmeldung? - Der Kollege Rolf
Niese, der Berichterstatter, bittet um das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen
und Herren! Als Hauptberichterstatter zum Einzelplan 02 darf ich im Einvernehmen mit den Mitberichterstattern aller Fraktionen eine redaktionelle Berichtigung
in der Drucksache 14/602 auf Seite 3 vornehmen. Beim
Titel 411 03 ist versehentlich eine Beschlußempfehlung
des Haushaltsausschusses nicht wiedergegeben worden.
Sie lautet: Hinter Punkt 2.15 ist die aus den verbindlichen Erläuterungsziffern errechnete Gesamtsumme in
Höhe von 203 377 TDM auszuweisen sowie darunter
die erhöhte Minderausgabe von minus 12 377 TDM.
Ich bitte auch im Namen meiner Mitberichterstatter,
die Drucksache 14/602 in der redaktionell so korrigierten Fassung zur Abstimmung zu stellen.
Zugleich möchte ich die Gelegenheit nutzen, mich bei
meinen Mitberichterstattern, bei Ihnen, Herr Präsident,
und bei der Bundestagsverwaltung für die konstruktive
Zusammenarbeit zu bedanken.
Zum Schluß möchte ich erwähnen: Der Kollege Jochen Borchert kann an unseren Beratungen wegen einer
Erkrankung nicht teilnehmen. Ich wünsche ihm von dieser Stelle aus eine gute und baldige Genesung.
({0})
------------
*) Anlage 3
**) Anlage 2
Wir kommen zur
Abstimmung. Wer für den Einzelplan 02 in der Aus-
schußfassung einschließlich der jetzt bekanntgegebenen
redaktionellen Berichtigung stimmt, den bitte ich um das
Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? -
Damit ist der Einzelplan 02 mit den Stimmen der SPD-
Fraktion, der CDU/CSU-Fraktion, der Fraktion Bünd-
nis 90/Die Grünen*) und der F.D.P.-Fraktion bei
Stimmenthaltung der PDS-Fraktion angenommen.
Ich rufe auf:
3. Einzelplan 03
Bundesrat
- Drucksachen 14/603, 14/622 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Rolf Niese
Hans Jochen Henke
Jürgen Koppelin
Heidemarie Ehlert
Wer stimmt für den Einzelplan 03 in der Ausschuß-
fassung? - Wer stimmt dagegen? - Stimmenthaltungen?
- Damit ist der Einzelplan 03 bei einer Stimmenthaltung
aus der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen*) mit den
Stimmen des ganzen Hauses angenommen.
Ich rufe auf:
4. Einzelplan 08
Bundesministerium der Finanzen
- Drucksachen 14/608, 14/622 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Susanne Jaffke
Hans Urbaniak
Dr. Günter Rexrodt
Manfred Hampel
Antje Hermenau
Dr. Christa Luft
5. a) Einzelplan 32
Bundesschuld
- Drucksache 14/620 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Michael von Schmude
Hans Georg Wagner
Dr. Günter Rexrodt
b) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Eingliederung der Schulden von Sondervermögen in die Bundesschuld
- Drucksachen 14/513, 14/683 ({0})
------------
*) Anlage 3
Beschlußempfehlung und Bericht des Haushaltsausschusses ({1})
- Drucksache 14/848 Berichterstattung:
Abgeordnete Michael von Schmude
Hans Georg Wagner
Dr. Günter Rexrodt
6. Einzelplan 60
Allgemeine Finanzverwaltung
- Drucksache 14/621 Berichterstattung:
Abgeordnete Peter Jacoby
Hans Georg Wagner
Dr. Günter Rexrodt
7. Einzelplan 20
Bundesrechnungshof
- Drucksachen 14/617, 14/622 Berichterstattung:
Ewald Schurer
Dr. Werner Hoyer
Heidemarie Ehlert
Zum Einzelplan 60 liegen ein Änderungsantrag der
Fraktion der CDU/CSU und zwei Änderungsanträge der
Fraktion der PDS vor.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache drei Stunden vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat Kollege
Dietrich Austermann, CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident!
Meine Damen und Herren! Sieben Monate später als
sonst üblich beraten wir den Haushalt des laufenden Jahres. Das ist zu spät, weil es verfassungsverletzend ist
und weil dadurch in Deutschland Investitionen und die
Schaffung von Arbeitsplätzen beeinträchtigt werden.
({0})
Der Haushalt ist das Schicksalsbuch der Nation. Was
immer eine Regierung tut, die Folgen ihres Handelns
oder Unterlassens schlagen sich im Bundeshaushalt nieder. Das beweist auch dieser Haushalt, über den wir
heute und in den nächsten zwei Tagen diskutieren. Wir
kommen zu dem Urteil: Dieser erste rotgrüne Bundeshaushalt hat die schlimmsten Befürchtungen und Erwartungen bestätigt.
({1})
Sieben Monate nach dem Regierungswechsel wird er
verspätet in Kraft treten. Das sind sieben vertane Monate
und sieben Monate ungenutzter Chancen und eingeleiteter Fehlentwicklungen. Sieben Monate Rotgrün bedeutet mehr Konsumausgaben, weniger Investitionen,
weniger Wachstum, weniger Beschäftigung, mehr Staat,
Schröpfen von Bürgern und mehr Bürokratie.
({2})
Dies können Sie jeden Tag greifen. Da braucht man
nicht weiter mit Meinungsumfragen nachzuspüren. Dies
ist eine Politik von sieben Monaten Unvernunft. Diese
muß beendet werden.
({3})
Wenn man davon ausgeht, daß die Haushaltssituation
es normalerweise erfordert, daß wir uns damit befassen,
die Sozialausgaben in den Griff zu bekommen, Zuschüsse an Versicherungssysteme zu reduzieren, die Neuverschuldung gegen Null zu fahren, den Konsum und den
Staatsverbrauch zu senken, die Investitionen zu steigern,
sparsam mit dem Geld der Bürger umzugehen, dann
stellen wir fest: Genau das Gegenteil von dem, was diese Postulate ausmachen, wird seit sieben Monaten gemacht. Es hat sich nichts geändert, seitdem der dritte
rotgrüne Finanzminister auf diesem Platz sitzt.
({4})
- Ich komme gleich noch dazu, Herr Eichel. Sie brauchen nicht unruhig zu werden.
Dieser rotgrüne Bundeshaushalt läßt offensichtliche
Sparpotentiale ungenutzt, ist gegenüber den vorhandenen strukturellen Problemen ohne Konzept und in den
Auswirkungen wachstums- und beschäftigungsfeindlich.
Die ersten neuen Investitionen auf der Basis dieses
Haushalts können erst im Juli veranlaßt werden.
Eine große deutsche Zeitung kommentierte das so:
Am Ende der langen Haushaltsberatungen für 1999
steht ein mehr als mageres Ergebnis. Die Ausgabenentwicklung bleibt schöngerechnet. Soll wirklich gespart werden, müssen Reserven von vornherein vermieden werden. Nach wie vor bleibt die
Koalition den Beweis schuldig, daß sie an echter
Haushaltskonsolidierung interessiert ist.
({5})
Man wird den Eindruck nicht los, daß die Neuverschuldung künstlich hochgehalten wird, damit die Mär
von strukturellen Defiziten, die Sie nicht konkret belegen können, gepflegt werden kann und der Sprung bei
der Neuverschuldung im Jahre 2000 nicht so hoch ausfällt. Genau das ist der Sachverhalt.
Die Haushaltsberatungen haben gezeigt, daß Rotgrün
nicht nur eine chaotische Steuerpolitik betreibt, deren
negative Wirkungen sich natürlich auch im Haushalt
niederschlagen, sondern auch in der Haushaltspolitik
versagt. Ein Volumen von 485,7 Milliarden DM bei den
Ausgaben, das sind inflationäre 6,3 Prozent mehr.
({6})
Wen wundert es, daß bei den Personalausgaben
manch einer auf den Gedanken kommt, er müßte einen
Schluck aus der Pulle nehmen und eine 6,5prozentige
Lohnerhöhung fordern? Dabei fließen die Mehrausgaben
in Höhe von 29 Milliarden DM - bei Mehrausgaben von
29 Milliarden DM heißt es, es werde gespart - fast ausschließlich in den kosumtiven Bereich.
Mit globalen Minderausgaben in Höhe von 1,1
Milliarden DM wird gezeigt, daß nicht konkret gespart
wird, was immer wieder gefordert wird. Man macht genau das, was man unter Finanzminister Waigel verteufelt hat. Es ergibt sich eine äußerst magere Bilanz bei
den Ausgabenkürzungen in Höhe von 2,3 Milliarden
DM. Im Laufe dieses Jahres wird sich zeigen, daß diese
globalen Minderausgaben zu zusätzlichen Kürzungen im
investiven Bereich führen, also die Investitionen weiter
schmälern werden. Wer von den rotgrünen Haushältern
dies als Wende in der Finanzpolitik bezeichnet, dem
mangelt es offensichtlich an Realitätsbewußtsein.
Erschwerend kommt hinzu, daß ein wesentlicher Teil
dieser Kürzungen bei sogenannten Schätztiteln vorgenommen wird, also mit dem großen Daumen gepeilt ist.
Dazu zählen die Rentenversicherung, die Krankenversicherung, die Kriegsopferfürsorge, das Erziehungsgeld
und anderes mehr. Sie wissen genau, daß man sich das
Geld für den Fall, daß die Schätzung nachher nicht zutrifft, überplanmäßig wieder hereinholen kann. Im Verteidigungsetat übrigens wurde keine einzige Ausgabenposition verändert, es wurden lediglich pauschal 235
Millionen DM weggestrichen. Für sieben Monate Wartezeit ist das, wie wir meinen, ein äußerst mageres Ergebnis. Mit verantwortungsbewußtem Haushalten hat
das nichts zu tun, auch nicht mit Sparbemühungen. Die
Europäische Zentralbank hat zu Recht festgestellt, daß
die europäischen Regierungen - sie hatte wohl insbesondere diese hier im Auge - keinen Sparwillen zeigen.
Kein Wunder, daß der Euro seit Jahresbeginn etwa ein
Zehntel seines Außenwertes verloren hat.
Die schädlichen Wirkungen dieser Haushaltspolitik
können Sie überall sehen. Die Wachstumsaussichten
für 1999 haben sich innerhalb eines halben Jahres rotgrüner Politik nahezu halbiert. Während wir noch im
letzten Jahr ein wirtschaftliches Wachstum von 2,8 Prozent hatten, redet selbst die Bundesregierung heute davon, daß 1,5 Prozent wohl kaum überschritten werden.
Der Präsident des Bundesverbandes deutscher Banken
formulierte kürzlich: Das unterdurchschnittliche Wachstum in Deutschland ist vor allem auf wirtschaftspolitische Verunsicherung seitens der Finanz-, Steuer- und
Lohnpolitik, also auch der Haushaltspolitik, zurückzuführen. Offiziell wird Ihnen überall vom Sachverstand
der Wirtschaft bescheinigt: Sie machen eine falsche
Politik, deren schädliche Wirkung auch beim wirtschaftlichen Wachstum festzustellen ist.
({7})
Der Bundeskanzler ist im Moment nicht da. Sie, Herr
Kollege Eichel, haben gesagt, wir könnten nicht richtig
rechnen. Sie haben jetzt den dritten Finanzminister: Lafontaine, Müller, Eichel. Sie haben mit Lafontaine den
Linksaußen verloren. Er hat ja zur Begründung, warum
er geht, angeführt, daß er das Teamspiel vermißt hat,
und hat die angeschlagene Truppe nach fünf Monaten
im Abseits - oder, wie man besser sagen sollte, in der
wirtschaftspolitischen Isolation - verlassen, von der
Bundesliga in Richtung Oberliga. Die Buchmacher verzeichneten daraufhin Rekordgewinne. Zum Erschrecken
der zahlenden Zuschauer läuft er sich wieder am Spielfeldrand warm. Da wünscht man sich einen Manager,
der den Transfer ins Ausland besorgt.
({8})
Man fragt sich in dieser Situation: „Wie viele Haken
darf einer eigentlich im Laufe seines Lebens schlagen?“,
bevor man die grundsätzliche Frage der Glaubwürdigkeit nun endlich einmal stellt. Das gilt übrigens nicht nur
für Oskar Lafontaine; das gilt auch für andere, auch für
grüne Politiker, in verantwortlicher Position. Wie viele
Haken darf jemand in der Politik eigentlich schlagen,
damit man ihn bei dem, was er tut, überhaupt noch ernst
nehmen kann?
({9})
Der zweite Finanzminister, der parteilose Libero
Müller, hat einmal kurz in der Halbzeit hereingeschaut.
Jetzt holen Sie einen anderswo herausgeflogenen Reservespieler von der Bank. Als Verstärkung ist das bishernicht anzusehen.
({10})
- Gut gesagt: „ein Reservespieler von der Ersatzbank“.
({11})
Denn die Frage ist doch - wenn man sagt, daß man dort
einen neuen Mann mit neuer Kraft einsetzt -: Mit welcher Empfehlung kommt er hierher, in den Deutschen
Bundestag? Welche Empfehlung hat er in bezug auf die
Finanzpolitik?
Herr Eichel, Sie sind hier mit zwei Hypotheken angetreten.
Die erste Hypothek ist: Sie haben im Jahre 1997 im
Bundesrat als Finanzkoordinator im Auftrage von Oskar
Lafontaine eine Steuerreform verhindert, die wesentlich
zum wirtschaftlichen Wachstum in Deutschland beigetragen hätte.
({12})
Sie sind mitverantwortlich dafür, daß es keine Steuerreform gab. Sie haben dazu beigetragen, daß wir keine
Steuersätze von 15 bis 39 Prozent haben, daß wir keine
Entlastung der Unternehmen haben.
Die zweite Hypothek: Sie haben am 19. März, Ihr
Wort brechend, das Sie am 7. Februar gegeben haben,
im Bundesrat praktisch noch einen oben drauf gesetzt,
indem Sie eine Fülle von unsinnigen Gesetzen - es sind
praktisch Gesetze auf Probe, wenn man hört, wie das
läuft; es wird alles einmal gemacht; dann guckt man,
wie das läuft, wieviel Schaden das anrichtet; dann setzt
man Kommissionen ein und fängt wieder von neuem
an -, in bezug auf die 630-Mark-Arbeitsverhältnisse, die
Scheinselbständigkeit und vieles mehr, mit beschlossen
haben, und haben der wirtschaftlichen Entwicklung in
unserem Land geschadet.
({13})
Jetzt versuchen Sie uns einzureden, es gebe strukturelle Defizite. Ich bin der Meinung, wir sind es den Bürgern schuldig, einmal deutlich vorzurechnen, was es
denn tatsächlich mit den strukturellen Defiziten auf sich
hat. Heute können wir sehen, daß wir nach der von Finanzminister Waigel im letzten Jahr durch seine Steuerund Haushaltspolitik wesentlich mit beeinflußten wirtschaftlichen Entwicklung in diesem Jahr 30 Milliarden
DM mehr Steuern einnehmen. Man hört, daß es überall
Haushaltslöcher gebe. Ich wiederhole: in diesem Jahr
30 Milliarden DM mehr Steuern; ein Teil davon ergibt
sich auf Grund der unsinnigen Ökosteuer, aber 20 bis
21 Milliarden DM ergeben sich auf anderer Basis. Im
nächsten Jahr, im Jahr 2000, dem Jahr, in dem es dann
um die Nagelprobe geht, werden Sie etwa 50 Milliarden
DM mehr Steuern einnehmen als im letzten Jahr. Und da
reden Sie von strukturellen Defiziten, die Sie übernommen hätten. Dabei habe ich die ganzen Privatisierungserlöse in Höhe von 10 Milliarden DM noch nicht einmal
mit eingerechnet. 50 Milliarden DM mehr Steuereinnahmen im Jahre 2000! Und trotzdem soll es nicht möglich sein, die Familien im nächsten Jahr zu entlasten,
was den Bund - ich rede nur von Steuereinnahmen des
Bundes - 5 Milliarden DM kosten würde, und eine
Nettoentlastung bei der Unternehmenssteuer durchzusetzen? Ich glaube, das macht deutlich, daß nicht nur die
Hypothek, die Sie mitgebracht haben, belastet, sondern
offensichtlich ein falscher Denkansatz vorliegt. An
Stelle dessen sollten Sie Bürger und Betriebe entlasten.
Da müssen Sie eine wesentliche Kurskorrektur vollziehen.
Statt dessen reden Sie von höheren Mehrwertsteuern und davon, daß ein rigider Sparkurs not tut.
Wenn man den Agenturen heute glaubt, dann soll die
Unternehmenssteuerreform, die im Wege einer Umverteilung finanziert werden soll, nach Ihrem Willen wahrscheinlich erst im Jahre 2001 in Kraft treten. Ich glaube,
das macht deutlich, daß gar kein Wille da ist, die richtigen Entscheidungen zu treffen.
({14})
Lassen Sie mich einen anderen Punkt ansprechen, der
in den Haushaltsberatungen eine große Rolle gespielt hat
und der deutlich macht, wie sehr Anspruch und Wirklichkeit Ihrer Politik auseinanderklaffen. Sie sind einmal
mit der Aussage angetreten, Sie würden sich um die
Neue Mitte - um Handwerk und Mittelstand - besonders kümmern. Schaut man sich den Haushalt an, so
stellt man fest, daß genau das Gegenteil der Fall ist:
Rotgrüne Steuerpolitik ist eine Geisterfahrt, eine BelaDietrich Austermann
stung für den Standort Deutschland, eine Arbeitsplatzvernichtungsstrategie.
({15})
Eine Politik für mehr Investitionen und mehr Arbeitsplätze findet bei Ihnen nicht statt.
Gerade der Mittelstand wird von Ihren Steuerbeschlüssen hart getroffen: Verschlechterung bei den
Rückstellungen, Mindestbesteuerung, Teilwertabschreibung, Abgrenzung von privaten betrieblichen Schuldzinsen. Und dann hat der Mittelstand auch noch die Belastung aus dem sogenannten Steuerentlastungsgesetz
bis zum Jahre 2002 mit zusätzlich 20 Milliarden DM zu
tragen. Im Haushalt haben Sie das durch Kürzungen verstärkt. Wirtschaftsminister Müller hat in diesem Jahr
voraussichtlich weniger Mittel für Technologieförderung, für Handwerksförderung, für Existenzgründungen,
für die Einsetzung und Anwendung neuer Technologien
bei kleinen und mittleren Betrieben zur Verfügung als
sein Vorgänger Rexrodt im letzten Jahr. Und da reden
Sie von einem „Durchbruch“, von mehr Mitteln, mehr
Möglichkeiten und mehr Chancen für den Mittelstand!
Nein, genau das Gegenteil ist der Fall.
Die Steuerreform wird ja zu Recht von Wirtschaft
und Wissenschaft kritisiert. Auch bei der ökologischen
Steuerreform, so heißt es, geht es offensichtlich nur darum, zusätzliches Geld einzunehmen und damit die Sozialkassen zu entlasten. Professor Hax sagt: ein falscher
Ansatz, der Investitionen behindert.
Das gleiche gilt für die Landwirtschaft. Die Landwirte werden dafür bestraft, daß sie mehrheitlich die
Union gewählt haben:
({16})
Agenda 2000, Ökosteuer, Kürzung bei der Unfallversicherung. Allein letzteres kostet 65 Millionen DM. Erst
sollten es 150 Millionen DM sein, dann 115 Millionen
DM, jetzt 65 Millionen DM. In diesem Jahr können das
die Reserven der Berufsgenossenschaften möglicherweise noch auffangen. Aber im nächsten Jahr trifft das voll
jeden einzelnen kleinen und mittleren landwirtschaftlichen Betrieb.
Sie belasten die Investitionen im Tiefbau und im
Hochbau. Sie kürzen die Mittel für Straßenbau. Sie kürzen die Mittel für Wohnungsbau. Das alles sind doch
Handwerkerarbeiten, die geleistet werden müssen. Sie
bestrafen diejenigen, die Sie als Neue Mitte bezeichnet
und für besonders unterstützungswürdig gehalten haben.
Schauen wir uns den Bereich der Steuerentlastungen
bei den Minijobs an. Dies trifft den Bundeshaushalt mit
2 Milliarden DM, aber hilft der Wirtschaft nicht, weil
Sie in gleicher Höhe Betriebe über Sozialabgaben belasten. Man hat den Eindruck, Sie haben sich eine besondere Form von Gerechtigkeit auf dem Arbeitsmarkt vorgestellt: Endlich werden die Dummen, die nach Feierabend oder vor Arbeitsbeginn oder am Wochenende mit
zusätzlichem Aufwand ein paar Mark netto mehr - im
Sportverein als Jugendleiter, als Zeitungsausträger oder
als Taxifahrer ({17})
verdienen wollen, zur Ader gelassen. Das ist rotgrüne
Solidarität.
Rotgrün fördert Schwarzarbeit, fördert Bürokratie
und bestraft Fleißige. Das gilt ja selbst für den privaten
Bereich. Ich sehe Herrn Funke zwar gerade nicht, aber
„Schwarzarbeit“ ist in dem Zusammenhang ein gutes
Stichwort. Ich sehe den Herrn Bundeskanzler nicht, aber
es ist vielleicht dennoch treffend, auf die scheinselbständige Dolmetscherin im Kanzleramt hinzuweisen.
Gleiches gilt für die private Bauförderung des Herrn
Hombach. Als Beispiele dafür, wie man es richtig machen sollte, taugen Sie nach der Erfahrung aus den letzten Monaten allesamt nicht.
({18})
Im Hinblick auf die Taktik und die Strategie muß
man sich einmal fragen: Was soll das eigentlich? Sie
wissen, daß die Minijobs Unfug sind. Ihre Ministerpräsidenten erklären jeden Tag, daß die Unfug sind. Jeden
Tag wird gesagt: Das muß aufhören. Das müssen wir
überprüfen. Das müssen wir ändern. - Dann war am
letzten Freitag Sitzung im Bundesrat, und was ist passiert? Nichts. „Es kann nicht entschieden werden“, sagt
man aus Solidarität mit der derzeitigen Regierung - die
ist ohnehin angeschlagen -, man müsse das erst einmal
zur Beratung in die Ausschüsse geben. Warum hat man
nicht gesagt: Unfug erkannt, Unfug gestoppt? Statt dessen geht alles weiter wie bisher - mit höheren Kosten
für den Mittelstand.
({19})
- Hören Sie sich einmal unter der Bevölkerung um! Es
gibt da einen Dreisatz: In Deutschland gibt es keinen
Menschen, der die „Bild“-Zeitung liest, es gibt auch
keinen, der bei McDonald's ißt, und es gibt inzwischen
auch keinen mehr, der die SPD gewählt hat.
({20})
Ich kann jedenfalls keinen finden - das wird nicht nur an
den Veranstaltungen und an den Leuten liegen, die zu
mir kommen -, der sagt: Ich habe die gewählt. Er hätte
dabei nämlich ein schlechtes Gewissen; deswegen traut
er sich das wahrscheinlich nicht.
({21})
Ich habe die Kürzungen im Bereich des Mittelstandes
erwähnt. Der Wirtschaftsminister hat eine globale Minderausgabe in Höhe von weit über 300 Millionen DM
auferlegt bekommen. Das wird im Vollzug auch wieder
Handwerk und Mittelstand treffen.
Wir alle erinnern uns an einen historischen Tag in
diesem Jahr, an den 11. März. Da war in der Zeitung zu
lesen:
Wir brauchen kräftige Signale zur Verbesserung
der Stimmung in der Wirtschaft. Dies ist um so
wichtiger, weil die Konjunktur gerade einbricht.
Gesagt hat das der Kanzler im Kabinett einen Tag zuvor.
Er hat das gesagt, bevor sich einer aus dem Team weggedrückt hatte. Weiter heißt es:
Ich lasse mit mir keine Politik gegen die Wirtschaft
machen.
Wenn wir uns die Situation ansehen - der Haushalt ist
ein Spiegelbild dieser Situation -, dann stellen wir fest,
daß genau eine Politik gegen die Wirtschaft gemacht
wird, und dies seit sieben Monaten. Das muß aufhören.
({22})
Die schädlichen Wirkungen Ihres Tuns setzen sich
fort bei Kürzungen des Meister-BAföG. Sie setzen sich
fort bei Kürzungen im Forschungshaushalt, im Bereich
Forschung und Entwicklung für den Mittelstand - eine
niederschmetternde Bilanz; das muß man sagen, wenn
man sich ansieht, was hier getan wird. Statt dessen blähen Sie den Sozialhaushalt mehr als nötig auf. Sie blähen den zweiten Arbeitsmarkt auf. Sie reden von Subventionsabbau und weiten Subventionen um mehr als
1 Milliarde DM aus. Die Aufblähung der arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen zugunsten des zweiten Arbeitsmarktes in Höhe von 6 Milliarden DM dient offensichtlich zur Verschleierung der von Rotgrün verursachten Arbeitsplatzverluste. Die Arbeitsämter werfen
das Geld zur Zeit mit vollen Händen zum Fenster heraus.
({23})
Herr Schmidt, Mitnahmeeffekte werden ausgelöst,
wenn ältere Arbeitswillige durch junge ersetzt werden,
die Zuschüsse mitbringen. 2 000 DM bekommt ein Arbeitsloser für ein neues Auto, 3 000 DM - ohne Beleg für einen neuen Führerschein. Das ist ein einjähriges
Strohfeuer. Dadurch werden vielleicht für ein dreiviertel
Jahr 100 000 junge Leute beschäftigt. Aber Lehrstellen
bleiben Mangelware, dauerhafte Beschäftigung bleibt
Mangelware. Statt dessen werfen Sie das Geld zum Fenster heraus.
Sehen Sie sich doch einmal an, was mit dem Jugendarbeitslosenprogramm in Deutschland konkret,
effektiv und auf Dauer erreicht wird. Sehen Sie sich die
Wirkung auch in den Betrieben an. Sehen Sie sich die
Wirkung für ältere Arbeitnehmer an. Wir sagen: Hier
gibt die Bundesanstalt zuviel Geld aus. Hier kann man
sparen. Hier wollen wir die Beiträge reduzieren. Das
hilft den Arbeitnehmern und der Wirtschaft.
({24})
Wenn wir uns die Arbeitsmarktbilanz, wie sie sich
Ende dieses Jahres wahrscheinlich ergeben wird, ansehen, dann stellen wir fest, daß wir - demographisch bedingt - wahrscheinlich 250 000 Arbeitslose weniger haben werden, aber wahrscheinlich auch - ebenfalls demographisch bedingt - 250 000 Beschäftigte weniger.
Wenn Sie die Meßlatte vom 27. September 1998 tatsächlich anlegen und zählen, wieviel Menschen mehr
oder weniger am Ende Ihrer Regierungszeit - in drei
Jahren - Arbeit haben, werden Sie schon heute in einer
ersten Zwischenbilanz und meinetwegen am 27. September 1999 in einer weiteren Zwischenbilanz feststellen: Es werden weniger Menschen sein, die Beschäftigung haben. Möglicherweise ist die Arbeitslosenquote
niedriger. Aber da sich die Zahl der Menschen insgesamt nicht verringert, bedeutet das: Die Zahl derer, die
arbeiten, ist geschrumpft; die Zahl derer, die keine Arbeit haben, die - aus welchen Gründen auch immer nicht arbeiten, nimmt zu. Damit wird die Belastung für
die, die Arbeit haben, größer. Das ist also eine negative
Bilanz: weniger Menschen mit Arbeit am Ende dieses
Jahres, die Folge einer falschen Politik, auch einer falschen Politik über die Bundesanstalt für Arbeit.
Ich habe darauf hingewiesen, daß von Ihnen Kürzungen im Bereich der Landwirtschaft, des Verkehrs und
des Baus sowie im Verteidigungsetat ganz entgegen der
üblichen Linie, die wegen eines ganz bestimmten Themas in ist, vorgenommen wurden. Gespart für und investiert in die Zukunft, wie wir es wollten, haben Sie
gleichwohl nicht.
Die Einnahmeseite hätte sich verbessern lassen. Wir
haben Anträge dazu im Haushaltsverfahren gestellt. Sie
hätten zu Mehrinvestitionen in Höhe von 10 Milliarden
DM geführt. Sie haben das nach der Methode abgelehnt,
die sich seit sieben Monaten durchgesetzt hat. Ein Kollege hat im Haushaltsausschuß zu uns gesagt: Ihr habt
zwar die besseren Argumente, aber rotgrün hat die
Mehrheit. Das stellen wir an verschiedenen Beispielen
fest. Dem Land, den Investitionen und den Arbeitsplätzen dient das nicht.
Wenn Sie genau hinschauen, werden Sie feststellen,
daß Sie an vielen Stellen Luft im Haushalt haben. Eine
globale Mindereinnahme in Höhe von 2 Milliarden DM,
ein Spartopf, ist verankert worden. Wir haben versucht,
diese auszuräumen und die Nettoneuverschuldung auf
unter 50 Milliarden DM herunterzufahren, mit dem Ziel,
innerhalb der nächsten vier Jahre zu einer Nettoneuverschuldung von null zu kommen. Sie sind uns dabei nicht
gefolgt; wir halten das für falsch.
Wir haben vorgeschlagen, in vielen Bereichen zu sparen. Nun versteht man natürlich, daß eine Regierung, die
schlechte Arbeit leistet, besonders viel Geld für die Öffentlichkeitsarbeit braucht.
({25})
- Ja, natürlich. - Wir haben vorgeschlagen, in diesem
Bereich drastisch zu reduzieren. Sie geben für Öffentlichkeitsarbeit mehr aus als die Vorgängerregierung. Sie
geben mehr aus, weil Sie es nötig haben, schlechte Arbeit als gute Arbeit darzustellen.
({26})
Ich wende mich dem Kollegen Metzger, der sich in
Zeitungsinterviews und Aufsätzen als Haushaltskonsolidierer und Marktwirtschaftler darstellt, in der Realität
aber das Gegenteil beweist, zu. Er sagt immer: Sparen,
sparen, sparen! Ich sage ihm: Fangt endlich einmal an!
Der Bürger möchte diese unnötige Belastung nicht, die
von 1990 bis 1998 in unserem Land aus bestimmten
Gründen, die jetzt beseitigt sind, nötig war. Er möchte
sie nicht, und wir sind der Meinung, hier muß etwas geändert werden.
Lassen Sie mich ein paar Sätze zum Thema Personalpolitik sagen, weil das auch den Bereich des Sparens
betrifft. Im Bundeshaushalt 1999, den wir jetzt diskutieren und der in einem Monat in Kraft tritt, sind die Planstellen in den Ministerien um 490 neue aufgestockt. Davon sind 61 Stellen oder 12,5 Prozent ab Ministerialrat
A 16 und B aufwärts eingestuft. Das sind also nicht die
Leute, die mit der Mütze auf der Straße sitzen. Offensichtlich mußten einige Helfer von der Kampa befriedigt
werden. Dieser kräftige Schluck aus der Pulle überrascht
um so mehr, als zu Beginn 61 Spitzenbeamte der alten
Regierung ausgetauscht wurden, was auf fünf Jahre gerechnet etwa 50 Millionen DM mehr kostet.
Der Sachverstand wurde davongejagt, das hat mit
dem Parteibuch nichts zu tun. Sie haben den Sachverstand davongejagt und wundern sich jetzt über die Auswirkungen.
({27})
130 Genossen wurden in Spitzenpositionen untergebracht. Gerhard XIV. hat sich allein im Kanzleramt mit
zahlreichen neuen Höflingen umgeben. Ich sage Gerhard
XIV., weil er gesagt hat: Loyalität gegen Loyalität. Er
hat vorher gesagt, wer sich im Kanzleramt loyal verhält,
der bleibt an seinem Platz. Genau das Gegenteil hat er
gemacht.
Im Finanzministerium hat der dritte Finanzminister
dieser Regierung zwei beamtete Staatssekretäre, die erst
wenige Monate im Amt waren, herausgeworfen und sie
zu Zwangsspaziergängern gemacht. Dies, wie auch der
Drückeberger von der Saar, kostet die Steuerzahler
einen Haufen Geld. Bei den beiden errechnet sich das in
fünf Jahren auf 7 Millionen DM.
Im nachgeordneten Bundesbereich wurden 1 577 neue
Stellen geschaffen, davon 524 nur, um die Ökosteuer errechnen und eintreiben zu können. Abenteuerlich!
({28})
Jetzt kommt ein Haushaltszickzackkurs mit den
Äußerungen über das Haushaltssicherungsgesetz,
Mehrwertsteuererhöhung ja oder nein. Offensichtlich
soll über das Haushaltssicherungsgesetz - dabei würde
mich interessieren, in welchen Sozialbereichen, etwa bei
den Beamten, bei der Arbeitslosenhilfe, beim Erziehungsgeld oder wo sonst, gespart werden soll - ein
Drohpotential aufgebaut werden, um die geplante
Mehrwertsteuererhöhung zu begründen. Man sagt, es
hat nicht geklappt, es gab zuviel Widerstand im Sozialbereich, deswegen müssen wir die Mehrwertsteuer um 2
bis 4 Prozent erhöhen.
Nichts anderes ist offensichtlich mit Ihrem Gerede,
Herr Eichel, von der Notwendigkeit des rigiden Sparens
und dem Haushaltssicherungsgesetz oder Haushaltsbegleitgesetz gemeint.
({29})
Einer Ihrer Vorgänger, Hans Apel, hat die Arbeit der
Bundesregierung bewertet: Die politische Marschgeschwindigkeit verringern, den Sachverstand mobilisieren, die ideologischen Scheuklappen ablegen, hart arbeiten. Diese Regierung, meine Damen und Herren, hat
unser Land nicht verdient.
({30})
Wir müssen ganz klar erkennen, daß eine Fülle von
Entscheidungen der letzten Jahre - Entschuldigung, der
letzten Monate
({31})
- eine Fülle von Entscheidungen der letzten Jahre die
Weichen in die richtige Richtung gestellt haben: für
mehr Beschäftigung, für mehr Wachstum, daß aber eine
Reihe von Entscheidungen, die in den letzten sieben
Monaten getroffen worden sind, dies wieder konterkarieren. Sie haben sieben Monate lang Chancen vertan.
Kehren Sie endlich um - nach sieben Monaten Stolpern
in die Irre! Folgen Sie unseren Anträgen zur Senkung
von Ausgaben und Beiträgen sowie zur Stärkung von
Investitionen!
Herzlichen Dank.
({32})
Ich erteile das Wort
dem Kollegen Hans-Eberhard Urbaniak, SPD-Fraktion.
Herr Präsident!
Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Herr Austermann,
wenn Sie uns Jahre geben, dann haben Sie das richtig eingeschätzt; denn es wird Jahre dauern, den Haushalt zu
konsolidieren und die Finanzen in Ordnung zu bringen.
Wir haben diesen Haushalt zügig beraten. Wir haben
dem Parlament heute einen guten Haushalt vorgelegt,
und wir werden einen guten, soliden Haushalt am Donnerstag verabschieden. Das ist eine ganz große Leistung
der Bundesregierung und der Koalitionsfraktionen.
({0})
Im Laufe der Beratungen haben wir 2,3 Milliarden
DM eingespart. Das haben die einzelnen Berichterstatter
durch Gespräche in den Ministerien erreicht. Oskar Lafontaine hat dazu im Rahmen der Verwaltungsvorlage
und -überprüfung 1 Milliarde DM eingespart. Es sind also 2,3 Milliarden DM eingespart worden. Sie sollten
sich einmal hinter die Ohren schreiben, was es bedeutet,
so etwas durchzusetzen - auch in einer Koalition. Wir
haben gespart.
({1})
- Kollege Rexrodt, Sie sind doch mitverantwortlich dafür, daß uns ein Berg von Arbeitslosigkeit und Schulden hinterlassen wurde.
({2})
Sie waren doch Minister, Kollege Rexrodt, und Sie müssen sich zu dieser Verantwortung bekennen; daran
kommen Sie nicht vorbei. Wir haben ein schlimmes Erbe übernommen.
({3})
- Wollen Sie denn die Arbeitslosenzahlen leugnen?
Wollen Sie tatsächlich den Schuldenberg, den Sie aufgebaut haben, leugnen? Sie können ihn gar nicht mehr
übersehen; so groß ist er durch Sie geworden.
({4})
Ich werde mich konkret auf den Einzelplan 08 beziehen. Dieser Verwaltungshaushalt spiegelt die Tätigkeit
des Bundesministeriums der Finanzen und seiner nachgeordneten Dienststellen wider. Wir haben zur Erfüllung
der Aufgaben in diesem Haushalt zirka 7,6 Milliarden
DM zur Verfügung. Wir haben während der Ausschußberatungen das Volumen um rund 38 Millionen DM zurückgeführt - ein wichtiger Betrag. Von den Ausgaben
entfallen allein 44 Prozent auf die Personalkosten; denn
54 000 Bedienstete sind in diesem Bereich beschäftigt.
Vor allen Dingen die Zollverwaltung mit 37 000
Planstellen spielt eine entscheidende Rolle; denn sie
müssen Einnahmen herbeibringen, verwalten und auch
an die EU abführen. Von der EU bekommen wir rund
760 Millionen DM von den an sie abgeführten 7,6 Milliarden DM zurückerstattet.
Der Einzelplan 08 umfaßt 4,4 Milliarden DM Einnahmen. Er veranschlagt diese Einnahmen überwiegend
aus Mieten, Verkaufserlösen, Privatisierungen, Verkäufen von Bundesliegenschaften und was es da nicht alles
gibt. Wir können feststellen, daß die Einnahmenerwartungen in den kommenden Jahren gewaltig zurückgehen
werden. Denn seit 1990 sind allein 20 Milliarden DM
durch die Veräußerung von Werten eingenommen worden - in einer wegen der Marktlage schwierigen Situation; das gebe ich zu. Die Verkäufe haben nicht immer
das gebracht, was das Finanzministerium damals vorgesehen hatte. Denn Angebote über Liegenschaften und
Immobilien sind in vielen Bereichen gemacht worden:
von der Bahn, den Ländern, den Gemeinden, der Post;
auch die freie Wirtschaft hat erheblich angeboten. Dadurch sind die Erlöse relativ niedrig ausgefallen.
Im Zusammenhang mit der Ökosteuer gibt es für die
Zollverwaltung viele Aufgaben, die erledigt werden
müssen: Erteilung von Erlaubnissen für die Stromversorger, das produzierende Gewerbe und die landwirtschaftlichen Unternehmen; Erhebung der Stromsteuer;
Vergütung der Mineralölsteuer auf Heizöl und Erdgas;
Prüfung der Versorger, der Erlaubnisinhaber des produzierenden Gewerbes und der Kraftwerke. Es gibt also
eine ganze Reihe von wichtigen Aufgaben, denn die
Ökosteuer muß gemanagt werden. Dafür sind - das ist
schon dargelegt worden - 524 Planstellen vorgesehen,
so daß wir davon ausgehen, daß wir den Bereich Ökosteuer sachlich und klar bearbeiten können.
Der Haushaltsausschuß hat sich den Vorstellungen
der Bundesregierung ganz schnell angeschlossen, nachdem wir die tragischen Todesfälle beim Eingreifen der
Zollbeamten in Ludwigsburg und in Konstanz gehabt
haben. Wir haben eine Reihe von Schutzmaßnahmen
- ein ganzes Schutzkonzept - verabschiedet, das es ermöglicht, unsere Frauen und Männer besser zu schützen,
vor allen Dingen aber die Bekämpfung der illegalen Beschäftigung durch die Zollfahndung zu verbessern. Die
Schutzausrüstungsgegenstände können sozusagen sofort
beschafft bzw. ausgeschrieben werden: Kopfschützer,
Kampfwesten, Faust- und Unterarmschutz, Pistolenholster, Schnellzielholster mit Sekundensicherung, Videokameras, Notrufsysteme für den kleinen Grenzverkehr
an den dortigen Übergängen und vieles mehr. Darauf
wollte ich aufmerksam machen und insbesondere den
Kolleginnen und Kollegen danken, die den Vorstellungen der Bundesregierung im Haushaltsausschuß sofort
beigetreten sind.
Nun gibt es in dieser Republik ein Problem, das viele
geradezu aufregt. Es ist das Branntweinmonopol. Man
hört Zustimmung aus allen Fraktionen; Sie scheinen dazu eine Beziehung zu haben.
({5})
Dieses Branntweinmonopol ist 1918 geschaffen worden.
Wir verwalten dieses Branntweinmonopol durch eine
Oberbehörde. Dazu wären 285 Millionen DM erforderlich, wenn wir den Haushaltsansatz der Bundesregierung
beibehalten hätten. Wir haben diesen Posten um
5 Millionen DM reduziert und die Bundesregierung
durch einen Antrag aufgefordert, dafür zu sorgen, daß
die zukünftigen Kosten degressiv ausgestaltet werden
und die verbleibende Unterstützung stärker auf mittlere
und kleinere Brennereien, also insbesondere auf die
bäuerlichen Familienbetriebe, konzentriert wird. Diese
sollen geschützt werden, damit die Kreislaufwirtschaft
erhalten bleibt. Sie, meine Damen und Herren, werden
also weiterhin von der hohen Qualität unserer Brennereien zehren können. Da viele das nicht lassen können:
Nehmen Sie deutschen Schnaps!
In diesem Zusammenhang möchte ich Sie darauf
aufmerksam machen, daß die Bundesvermögensverwaltung beim Verkauf von Wohnungen und Häusern
eine ganze Reihe von Problemen hatte. Bei dem Bau
dieser Gebäude sind nämlich Materialien verarbeitet
worden, die den Erwerbern große Schwierigkeiten gemacht haben. Man hat stark belastete Stoffe verwendet,
da man damals nicht um die Wirkung der Kohlenwasserstoffe, die die Raumluft und den Hausstaub erheblich
belasten, wußte. Hier haben wir nun eine Regelung getroffen.
Ich danke in diesem Zusammenhang dem Parlamentarischen Staatssekretär Karl Diller, der sich besondere
Mühe gemacht hat, dafür zu sorgen, daß diesen Menschen geholfen wird. Wir haben maximal 200 DM pro
Quadratmeter für die sanierten Böden und eine Höchstbeteiligung zur Beseitigung dieser Schäden von 50 Prozent im Haushalt vorgesehen.
({6})
Wir hatten eine Zusammenkunft der Vertreter aller
Fraktionen. Sie haben dem zugestimmt, so daß diese Sache nun verwirklicht werden kann.
Ich will zum Schluß
({7})
auf den Schwerpunktbereich der Behörden und des
Bundesfinanzministeriums hinweisen. - Herr Koppelin,
Sie haben gerade Grund, sich in dieser Weise darzustellen. Bei Ihrem Gerede im Haushaltsausschuß halten Sie
die zügigen Beratungen nur auf.
({8})
Die Arbeit der Bundesaufsichtsämter für das Kreditwesen, für das Versicherungswesen und für den
Wertpapierhandel muß gemanagt werden. Die 6. Novelle zum Kreditwesengesetz ist deshalb verschärft worden. Damit ist eine Ausweitung der Arbeit verbunden.
Ich gehe davon aus, daß diese Behörden ihre Arbeit
gründlich machen, damit alles getan wird, um den Wirtschafts- und Finanzstandort Deutschland den internationalen Anforderungen gerecht werden zu lassen und unsere Position zu stärken.
Ich bin nach einer sehr langen parlamentarischen Arbeit das erste Mal im Haushaltsausschuß gelandet. Das
hat mir Freude gemacht. Ich kann nur sagen: Bei solch
einem Sparhaushalt, den wir durchgesetzt haben, können
Sie sich eine Scheibe abschneiden. Denn die Schuldenmacher sitzen auf der rechten Seite des Parlaments.
({9})
Ich erteile das Wort
dem Kollegen Günter Rexrodt, F.D.P.-Fraktion.
Herr Präsident! Meine
Damen und Herren! Lassen Sie mich vorab sagen, daß
die Beratungen im Haushaltsausschuß - ganz unabhängig von den Auseinandersetzungen in der Sache - in den
letzten Wochen oft sehr unerfreulich waren. Unerfreulich waren die Beratungen, weil Sie Auszeiten an Stellen
nahmen, wo sie nicht hingehört haben, weil Sie Diskussionen mit Ihrer Mehrheit abgewürgt haben und weil wir
auf diese Weise Zeit verloren haben und in der Sache
nicht vorangekommen sind. Technisch war das eine
Zumutung von Ihnen.
({0})
Aber es hat alles nichts genutzt. Gemessen an dem, was
die Koalition an Reformen, an Veränderungen und an
Visionen angekündigt hatte, ist der Haushalt 1999 eine
Mischung aus Einfallslosigkeit und Langeweile.
({1})
Dabei hatte alles so groß angefangen: Kassensturz sofort! Die Steuereinnahmen seien künstlich hochgerechnet worden. Es wurde auf die Erblasten und auf ein
Strukturdefizit in der Größenordnung von 30 Milliarden
DM hingewiesen. Aber Tatsache war, daß die neue Regierung einen fristgerecht eingebrachten, vollständigen
und seriös finanzierten Haushaltsentwurf von Union und
F.D.P. übernommen hat. Die Staatsquote war von
51 Prozent nach der Wiedervereinigung auf 48 Prozent
gesenkt worden. Das Bruttoinlandsprodukt war um
2,8 Prozent gestiegen. Die Arbeitslosenzahlen waren im
Jahresdurchschnitt um 400 000 zurückgegangen. Die Inflationsrate lag bei 1 Prozent. Das war die „Erblast“, die
Sie übernommen haben.
({2})
Nach Ihrem sogenannten Kassensturz ist das Gerede
um die neuen Löcher sehr viel ruhiger geworden und
schließlich ganz verschwunden. Wie sollte das auch angesichts der Tatsache anders sein, daß wir Ihnen quasi
als Morgengabe potentielle Privatisierungserlöse in der
Größenordnung von 10 Milliarden DM in den Haushalt
1999 eingestellt haben und daß die veranlagte Einkommen- und Körperschaftsteuer geradezu eine Renaissance
erleben. Das sind die Fakten.
Niemand will verleugnen - auch der Kollege
Austermann hat darauf hingewiesen -, daß die Haushalte der letzten Jahre zu gewissen Teilen - die Anteile
lagen zwischen 10 und 20 Milliarden DM - aus Privatisierungserlösen gedeckt worden sind. Jeder weiß, daß
das auf Dauer nicht durchgehalten werden kann. Sie haben das dann als Erblast und Strukturdefizit bezeichnet.
Nun gut, aber Sie springen mit dieser Bewertung zu
kurz. Wir hatten nämlich ein klares Konzept, um dieses
Strukturdefizit zurückzuführen, nämlich durch eine
Steuerreform, mit der eine Steuerentlastung sowohl in
den unteren als auch in den mittleren und oberen Tarifen
vorgesehen war. Die Umsetzung dieses Konzepts hätte
für eine Nettoentlastung von 30 Milliarden DM gesorgt.
Alle Welt hat uns vorgemacht - vor allem die Amerikaner und die Engländer -, daß eine solche Steuerreform
nach einem kurzfristigen Rückgang der Steuereinnahmen, bedingt durch die Nettoentlastung, mittel- und
langfristig zu absolut höheren Steuereinnahmen führt
und daß man auf diese Weise ein Strukturdefizit beseitigen kann. Das war unser Konzept.
({3})
Damit sind wir beim eigentlichen Kern des Haushalts
1999 und - wenn Sie, Herr Kollege Eichel, in Ihrer
Politik nicht umschwenken - auch der Haushalte der
nächsten Jahre. Man kann eine Menge auf der Ausgabenseite kritisieren, zum Beispiel kleinkarierte Kürzungen da, üppige Ausstattung dort. Aber ich möchte fair
sein: Das ist das übliche Gezerre. Das ist das Spiel um
die finanzielle Ausstattung der Ressorts. Da kann man
der einen oder anderen Auffassung über diesen oder jenen Titel sein. Ich möchte Ihnen gar nicht absprechen,
daß Sie einen ernsthaften Willen zum Sparen haben und
daß an einigen Stellen auch wirklich gespart worden ist,
Kollege Metzger. Aber Ihr Problem besteht an einer
ganz anderen Stelle: Ihr Problem ist die Einnahmeseite
des Haushalts oder - anders ausgedrückt - Ihre völlig
verfehlte Steuerpolitik.
({4})
Ihre Steuerpolitik folgt einer falschen Ideologie, ist unstetig, handwerklich falsch und juristisch angreifbar. Sie
haben damit für sich selbst und für unser Land eine
Menge verspielt. Es kann kaum noch etwas korrigiert
werden.
Eine richtige Steuerpolitik hätte im übrigen auch die
Probleme gelöst, die durch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Neuordnung der Familienentlastung
entstanden sind. Dabei sollten Sie im übrigen nicht so tun,
als ob wir Ihnen dieses Ei ins Netz gelegt hätten. Wir
wußten um die Probleme, Sie wußten um die Probleme wir alle miteinander haben die Dimensionen nicht richtig
gesehen. Wenn Sie ehrlich sind, dann müssen Sie eingestehen, daß auch Sie das nicht getan haben; sonst hätten
Sie im Wahlkampf ganz anders argumentiert.
({5})
- Herr Poß, darüber mag der eine oder andere auch auf
unserer Seite gesprochen haben: Diese Dinge sind auf
uns zugekommen, und wir hätten sie, wie ich gesagt habe, mit einer anständigen Steuerreform,
({6})
die Sie verspielt haben, meistern können. Das sind die
Fakten.
({7})
Ich komme zu Ihrem eigentlichen Problem, der Einnahmenseite, zurück. Sie machen eine Steuerreform, die
im unteren Bereich ein Stück entlastet - sie entlastet im
übrigen weniger, als es in unserer Steuerreform vorgesehen war -, und für den mittleren und den oberen Bereich, also dort, wo Arbeitsplätze gehalten und geschaffen werden sollen, wird eine geringfügige Entlastung
angekündigt, die erst im Jahre 2002 in Kraft treten soll.
Zunächst einmal wird abkassiert.
Wenn ich dies sage, dann lasse ich die völlig ideologisierten und steuertechnisch danebenliegenden Vorschriften zur Mindestbesteuerung und zu den Verlustregelungen außen vor. §§ 2 Abs. 2 und 2b Einkommensteuergesetz sind Ungetüme, über die man eigentlich lachen müßte, wenn der Inhalt nicht so schwerwiegend
wäre und zur Konsequenz hätte, daß in diesem Land an
der falschen Stelle Arbeitsplätze vernichtet werden.
({8})
Hören Sie in diesem Bereich einmal auf die Betroffenen! Selbst die Steuerberater kommen in Erklärungszwänge. Ich habe nicht bestellte Gutachten, von verschiedenster Seite in Auftrag gegeben, in denen Experten mitteilen, daß sie mit den Regelungen, die Sie im
Einkommensteuergesetz vorgesehen haben, nicht mehr
klarkommen. Was die Abschreibungsgesellschaften angeht, ist Ihr Vorhaben gut gemeint. Aber gut gemeint ist
noch längst nicht gut gemacht. Ein solcher Fall liegt hier
vor.
({9})
Nun merken Sie, daß Sie mit Ihrer dürftigen Steuerreform Verbitterung und Wut bei denjenigen im Mittelstand und auch in den großen Betrieben erzeugt haben,
die Arbeitsplätze erhalten und schaffen sollen. Sie kündigen eine Unternehmensteuerreform an. Es handelt
sich um eine Reform mit einem Steuersatz von 35 Prozent, den ich durchaus für attraktiv und diskutabel halte.
Aber ich nehme für mich und einige meiner Freunde
in Anspruch, seit Monaten darauf hingewiesen zu haben,
daß die damit einhergehende Spreizung der Steuersätze so nicht machbar ist. Man kann allenfalls in bestehenden Systemen mit der Gewerbesteuer bei den Einkommensteuersätzen und den Körperschaftsteuersätzen
ein Stück spreizen, 2 oder 3 Prozentpunkte. Das geht
noch durch.
Unmöglich ist es aber, die Spitzensteuersätze der Unselbständigen, der Selbständigen, der Bauern, der Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung bei 48,5 Prozent anzusetzen und die Unternehmensteuer bei 35 Prozent. Das ist eine Spreizung von 13,5 Prozentpunkten.
Das ist verfassungsrechtlich nicht in Ordnung.
({10})
Wer in diesem Haus oder wo auch immer befindet eigentlich darüber, was gute Einkünfte sind, was böse
Einkünfte sind und wo diese Spreizung Platz greift? Sie
machen Pfusch mit dieser Reform. Sie wird so nicht
funktionieren.
({11})
Ich habe noch gar nichts zur sogenannten ökologischen Steuerreform gesagt. In Wirklichkeit handelt es
sich um eine Mogelpackung.
({12})
Dahinter steht schlicht die Erhöhung der Mineralölsteuer, der Gassteuer und die Einführung einer Stromsteuer.
Das Ganze dient zur Finanzierung eines Teils der Rentenbeiträge.
({13})
Dies geschieht allerdings mit zwei merkwürdigen
Begleiterscheinungen. Abkassiert werden nämlich auch
diejenigen, die gar keine Rentenbeiträge bezahlen, und
bei der Industrie, wo ökologisches Potential vorhanden
ist, gibt es Freistellungsregelungen. Jetzt müssen
280 000 Anträge auf Freistellungen bearbeitet werden.
Davon sind mindestens 30 000 strittig. Auf Dauer, Herr
Urbaniak, haben 524 Beamte in den Hauptzollämtern
mit nichts anderem als mit dieser vermaledeiten Steuer
zu tun. So schafft Rotgrün Arbeitsplätze. Das ist aber
der falsche Weg.
({14})
Bleiben wir bei der Einnahmenseite des Haushalts. Im
Wahlkampf und auch noch danach wurde angekündigt,
den deutschen Beitrag zur Finanzierung der EU - technisch gesehen handelt es sich wegen der Umsatzsteueranteile um eine Einnahmeerhöhung - drastisch zu senken.
Mit solchen Sprüchen hat der Bundeskanzler die Partner
in der Europäischen Union verärgert und erst einmal eine
kräftige Abwehrfront in Europa entstehen lassen.
({15})
In Berlin kreißte der Berg und gebar ein Mäuslein. Nun
kann man ja sagen, meine Damen und Herren, wir haben
uns angesichts der Alternative, uns zwischen dem
schnöden Mammon und Europa entscheiden zu müssen,
für Europa entschieden. Ich persönlich bin ja von dieser
Position gar nicht so weit entfernt. Aber die Bauernfängerei, die Großspurigkeit und die Provokationen, die Sie
im Vorfeld dieses kläglichen Ergebnisses an den Tag
gelegt haben, kann man nur als unseriöses Verhalten und
unseriöses Vorgehen in der Politik bezeichnen.
({16})
Nun kommt der Herr Kollege Eichel mit einem
Haushaltssicherungs- bzw. Haushaltsstrukturgesetz.
Alles soll und muß auf den Prüfstand gestellt werden,
sagt er, schon als Folge der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Entlastung der Familien. Alles
auf den Prüfstand - das hören wir gern. Nur, Herr Eichel, Sie wissen wie wir, ein Haushaltsstrukturgesetz,
das erst im Jahre 2000 greifen kann, macht man nicht so
nebenbei. Ein Haushaltsstrukturgesetz stellt eine Notbremse dar, ist das letzte Steuerventil, das man einsetzt.
Sie werden nicht umhinkommen, im Rahmen eines solchen Gesetzes auch Leistungsgesetze auf den Prüfstand
zu stellen. Das Heulen und Klappern wird laut werden.
Sie werden daran gemessen. Sparen ist weiter möglich
und auch notwendig, aber die klassischen Sparpotentiale
der Ressorts sind ja weitgehend ausgeschöpft.
Bei der Bundeswehr zu sparen ist ganz unabhängig
vom Kosovo-Konflikt auf Grund der notwendigen Umstrukturierungen nicht möglich. Die Bundeswehr ist eher
unterfinanziert. Die großen Investitionsblöcke beim
Straßenbau, bei der Schiene und beim Wasserstraßenbau bedürfen auch mit Blick auf ihren Arbeitsmarkteffekt eher einer Aufstockung. Deshalb stellen wir
auch Anträge in diese Richtung.
({17})
Sie müssen uns auch einmal klarmachen, wie Sie Ihr
großspurig proklamiertes Ziel, die Investitionsausgaben
im Bildungsbereich in 4 Jahren zu verdoppeln, erreichen wollen, wenn Sie den Bildungs- und Forschungshaushalt in diesem Jahr um 71 Millionen DM kürzen.
Das müssen Sie mir einmal sagen.
({18})
In vier Jahren wollen Sie den Etat verdoppeln und gleich
im ersten Jahr kürzen Sie ihn! Was ist das für eine Politik?
({19})
Ich sage hier auch ganz klar: Wenn Sie an die Schlüsselbereiche der Forschung herangehen - dazu gehören
auch die im Rahmen des europäischen Weltraumprogramms eingegangenen deutschen Verpflichtungen und hier kürzen oder streichen wollen, verspielen Sie
einen gut Teil der technologischen Zukunft unseres
Landes.
({20})
Dann gibt es noch den Agrarbereich. Da mögen
Sparpotentiale vorhanden sein, aber die europäische
Einbindung verhindert, daß irgendeines der Sparschweine geschlachtet werden kann. Ich bin so fair, zu sagen,
daß auch wir das nicht gekonnt und nicht gebracht hätten. Wir sind sogar der Meinung, daß wir bei der Gemeinschaftsaufgabe Agrarstruktur und Küstenschutz
eher noch Geld drauflegen müssen, damit den Bauern
eine Perspektive gegeben werden kann.
({21})
Echte Einsparungen gäbe es beim Bergbau. Wir haben Sie aber an der Spitze derer gefunden, die einen
sinnvollen Kompromiß bei der Kohlefinanzierung verhindern wollten. Dieser Kompromiß hätte sozusagen ein
bißchen mehr Luft für Zukunftsinvestitionen gebracht.
Daß die Grünen, Herr Metzger, bei der Kohlesubvention
vorneweg gegangen sind, ist ein Stück aus dem Tollhaus. Was Sie vollzogen haben, ist obskur und kafkaesk.
({22})
Im Osten Deutschlands wird es noch lange großer
finanzieller und auch ideeller Anstrengungen bedürfen,
um den Strukturwandel zu beschleunigen und um die
Arbeitslosigkeit zurückzuführen. Wir hatten das Fördersystem - im übrigen: zusammen mit Ihnen - umgestellt.
Teuer und notwendig bleibt es noch lange Zeit.
Herr Kollege Rexrodt, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Urbaniak?
Nein, ich möchte in
dieser Debatte meine Ausführungen im Zusammenhang
vortragen.
Zur Wirtschaft. Herr Minister Müller sagt - ich weiß
nicht: listig oder naiv -: Jetzt muß die Wirtschaft einmal
einen Katalog von Subventionskürzungen vorlegen,
dann gibt es anständige Steuerentlastungen und weniger
Sozialbeiträge. - Es entspricht dem parlamentarischen
Brauch, daß man die Politik seines Nachfolgers nicht
kritisiert. Ich will mich daran halten.
({0})
Aber ich möchte in moderaten Worten meine Einschätzung vermitteln, daß es auf diese Weise nie Subventionskürzungen geben kann. Subventionen kann man
nur kürzen, wenn man eigene Vorstellungen hat, die
man nach einem eigenen Fahrplan durchsetzen kann.
Anders geht es nicht.
({1})
Im Einzelplan 09 finden wir die Förderung des
Handwerks, des Mittelstands und der Technologie. Es ist
völlig unmöglich, daß in diesem Bereich gekürzt wird,
weil dies zu Lasten der Arbeitsplätze ginge. Ich bin
mehr dafür, daß Herr Müller hinsichtlich des Einzelplans 09 dafür Sorge trägt, daß die Deutsche Ausgleichsbank, die eine hervorragende Mittelstandspolitik
macht, ihre Arbeit auch in Zukunft eigenständig und erfolgreich fortsetzen kann.
({2})
Einen großen Zauberposten, Herr Kollege Eichel, haben Sie allerdings, nämlich die überdimensionierte Ausstattung des Postens für den zweiten Arbeitsmarkt im
Haushalt von Herrn Riester. Wir wissen, daß am zweiten
Arbeitsmarkt Brücken gebaut, Weichen gestellt und individuelle Härten abgewendet werden können - insbesondere, wenn es um junge Leute geht. Das ist gar keine
Frage. Aber alle wissen auch, daß man mit diesen Maßnahmen die strukturellen Probleme des Arbeitsmarktes
nicht lösen kann. Dazu bedarf es einer konzeptionell anderen Politik.
Die im Riester-Titel veranschlagten Mittel in Höhe
von 11 Milliarden DM - aus meiner Sicht sind das 6
Milliarden DM zuviel - haben einen ganz anderen Hintergrund. Sie haben gesagt, daß Sie sich an Ihrem Erfolg
bei der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit messen lassen wollen. Das wird - ich füge hinzu: leider - Ihr Waterloo werden. Sie haben eine enorme Entlastung am
Arbeitsmarkt auf Grund der demographischen Entwicklung, die Ihnen zugute kommt. Aber die von Ihnen betriebene unstete und unkalkulierbare Politik hat dazu geführt, daß die Betriebe und Unternehmen verunsichert
sind und weniger Beschäftigte einstellen. Die Situation
des Arbeitsmarktes wird sich leider - das ist meine Prognose - in den nächsten Jahren eher verschlechtern als
verbessern.
({3})
Die Mittelständler stellen nicht ein, weil sie von der
Steuerpolitik nicht überzeugt sind. Die Großbetriebe investieren im Ausland, weil es dort bessere steuerliche
Rahmenbedingungen gibt. Die ausländischen Investoren,
die wir brauchen, machen einen Bogen um Deutschland,
weil die Steuer zu hoch ist und - vor allem - weil der
Arbeitsmarkt zu sehr reguliert ist. Sie kommen nicht,
weil sie Flexibilität wollen.
Sie schlagen die Existenzgründer und Selbständigen,
die wir brauchen, wie die Blume das Licht mit einem
völlig verfehlten Gesetz gegen die Scheinselbständigkeit aufs Haupt.
({4})
Hören Sie hin, was die Leute dazu sagen: die neuen
EDV-Dienstleister, die unabhängigen Finanzberater, die
Entwickler und Tüftler, der junge Architekt, die Mitarbeiter in den Volkshochschulen, den Bildungseinrichtungen und den Universitäten,
({5})
die Medienfachleute, die Journalisten, die Kleintransporteure, die Immobilienmanager und viele andere
mehr. Die Leute fassen sich an den Kopf, was ihnen da
zugemutet wird. Stoppen Sie dieses Gesetz! Tun Sie es
in die Schublade; schaffen Sie es ab!
({6})
Dasselbe gilt für das 630-Mark-Gesetz. Es kostet
einen schon fast Überwindung, darüber zu sprechen,
({7})
weil man nicht fassen kann, lieber Herr Wagner, was
Menschen da zugemutet wird,
({8})
fleißigen Menschen, die mehr arbeiten wollen, weil sie
ein bißchen mehr verdienen wollen, und zwar in volkswirtschaftlich durchaus wichtigen Tätigkeiten: als
Hauswart, als Platzwart im Sportverein, als Zeitungsträger, in der Gastronomie, als Gärtner oder auch im privaten Haushalt. Das sind Leute, die etwas tun wollen,
und Sie schlagen ihnen aufs Haupt!
Die Verantwortung dafür liegt nicht mehr bei der, sagen wir einmal: linken Politik von Herrn Lafontaine,
sondern die Verantwortung dafür tragen der Bundeskanzler und Herr Eichel. Niemand anders trägt die Verantwortung dafür.
({9})
Ich komme zu meiner Aussage zurück, daß der Titel
für den zweiten Arbeitsmarkt bei Herrn Riester um etwa
6 Milliarden DM überfinanziert ist.
Herr Kollege Rexrodt, Sie haben Ihre Redezeit schon deutlich überschritten.
Ich komme sofort zum
Ende, Herr Präsident.
Die von mir angesprochene Überdotierung hat den
eigentlichen Hintergrund, daß Sie all den Unsinn, den
Sie verzapfen, mit Mitteln des zweiten Arbeitsmarktes
ausgleichen wollen. Das aber können Sie nicht. Die
Welt ist anders geworden. Die Organisationskriterien,
die die Dinopolitik einiger Gewerkschaften verlangt,
gelten in einer Dienstleistungsgesellschaft, einer Gesellschaft, die mehr Selbständigkeit und mehr Flexibilität
will, nicht mehr.
Lassen Sie mich zum Abschluß sagen: Die Gesetze
zu den 630-Mark-Jobs und zur Scheinselbständigkeit
sind nicht irgendwelche Gesetze, die irgendwen irgendwann einmal berühren. Mit diesen Gesetzen greifen Sie
in die Lebensschicksale von Millionen von Menschen
ein. Das Leben und die Arbeit von Millionen Menschen
muß anders organisiert und entsprechend anders finanziell entgolten werden. Das machen Sie unprofessionell,
unlogisch und unkoordiniert. Diese Politik ist eine Zumutung für unser Land. Machen Sie Schluß damit. Hören Sie auf die Menschen, die fassungslos sind über das,
was ihnen in diesen Monaten zugemutet wird.
({0})
Ich erteile das Wort
dem Kollegen Oswald Metzger, Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Daß die Opposition durchaus Mühe hat, diesen Haushalt unter vollen Beschuß zu nehmen, läßt sich an einer einfachen
Zahl festmachen: 95 Prozent der Haushaltsansätze quer
durch alle Ressorts sind identisch mit dem, was Theo
Waigel als Finanzminister im letzten Jahr als Ihren Regierungsentwurf eingebracht hat.
({0})
Von daher sollten Sie sich nicht so aufblasen und hier
den Eindruck erwecken, daß dieser Haushalt praktisch
ein Tiefflug sei. Er ist ein Tiefflug insofern, als wir aus
den 56,4 Milliarden DM Nettoneuverschuldung im
Entwurf von Theo Waigel jetzt immerhin 53,5 Milliarden DM gemacht haben,
({1})
obwohl wir zum Beispiel Mehrausgaben etatisieren
mußten, die im Zusammenhang mit der Tragik im Kosovo stehen, nämlich militärische und zivile Mehrausgaben allein in dem Bereich von gut einer dreiviertel Milliarde DM. Das wissen Sie ganz genau. Deshalb ist der
Einspareffekt, den wir im Haushaltsausschuß nicht nur
bei Schätztiteln, sondern tatsächlich quer durch alle Ressorts erzielt haben, durchaus ein beachtlicher Schritt, der
dieses Parlament insgesamt darauf einstimmt, daß wir
vor härteren Zeiten stehen.
Kollege Austermann, wenn ich von Ihnen höre, das
strukturelle Defizit sei eine Mär, dann geht mir der
nicht vorhandene Hut hoch. Warum? Ihnen hat doch der
Sachverständigenrat der Bundesregierung in den vergangenen Jahren ständig ins Stammbuch geschrieben,
daß es strukturelle Defizite zwischen 1 und 1,2 Prozent
des Bruttoinlandsprodukts gibt; das waren damals immerhin zwischen 37 und 40 Milliarden DM. Und denken
Sie bitte an die Privatisierungsorgie in den letzten vier
Jahren Ihrer Regierungszeit! Sie haben in dieser Zeit
mehr Bundesvermögenswerte verkauft, als dies in den
20 oder 30 Jahren davor in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland der Fall war, weil ansonsten die
Verschuldungsgrenze nach Art. 115 des Grundgesetzes
nicht einzuhalten gewesen wäre.
({2})
Wer im Glashaus sitzt, sollte also nicht mit Steinen werfen.
Ich will aber der Versuchung widerstehen, in den üblichen Schlagabtausch bei Haushaltsdebatten einzutreten. Wir müssen auf die Grundkonzeption der Fehlfinanzierung der öffentlichen Haushalte dieser Republik
zu sprechen kommen. Da sitzen alle Parteien dieses
Landes im Boot, auch die F.D.P. Diese redet jetzt vom
Subventionsabbau, hat aber doch während ihrer Regierungszeit die Subventionen in einem kolossalen Ausmaß
erhöht - auch Herr Rexrodt als Wirtschaftsminister.
Wenn Sie sich, Herr Wirtschaftsminister a.D., weigern, unsere Weichenstellungen im Bereich Bildung,
Forschung und Technologie zu sehen, und behaupten,
wir hätten diesen Etat um 71 Millionen DM gekürzt,
dann sage ich Ihnen: Wir haben diesen Etat gegenüber
Waigels Entwurf um netto 920 Millionen DM erhöht.
Das ist in einer solchen Zeit ein Akzent.
({3})
- Da Sie die Kohle ansprechen: pacta sunt servanda. Ihre Regierung, Helmut Kohl und Theo Waigel, hat den
Kohle-Kompromiß ausgehandelt.
({4})
Sie haben die Verträge nach den Protesten der Bergarbeiter für 1996 bis 2004 abgeschlossen. Sie aber haben
sie in den früheren Etatansätzen nicht erfüllt. Wir müssen jetzt etatisieren, was die alte Koalition beschlossen
hat. Auch hier gilt das Motto: Wer selber im Glashaus
sitzt, der sollte nicht mit Steinen werfen. Wir müssen auf
dem Boden der Realität bleiben.
Jetzt zurück zu dem Ausgangspunkt. Wir werden
heute vom neuen Finanzminister hören, wie er konzeptionell die Konsolidierung der Haushalte einschätzt. Ich
habe jetzt das vielleicht zweifelhafte Vergnügen, als
Mitglied der kleinen Regierungsfraktion zu akzentuieren, in welche Richtung aus unserer Sicht eine nachhaltige Finanzpolitik gehen soll, die natürlich wirtschaftspolitische und sozialpolitische Zusammenhänge nicht
außen vor läßt.
Ich stelle zum wiederholten Male fest: Wenn wir ein
Viertel aller Steuereinnahmen des Bundes dafür aufwenden müssen, Zinsen für alte Schulden zu bezahlen
- diese konnten von der neuen Regierung in den sieben
Monaten nicht wesentlich erhöht werden; der Gesamtschuldenstand beläuft sich auf 1,5 Billionen DM -, dann
ist das tragisch. Wenn wir 18 Prozent der Ausgaben des
Staates im letzten Jahr für Zinsen ausgegeben haben,
dann ist dies eine dramatische Entwicklung. Dieser
Ausgabeblock wird in den nächsten Jahren ganz sicher,
so sicher wie das Amen in der Kirche, um mindestens
zwei bis drei Milliarden DM steigen. So werden es statt
heute 82 Milliarden DM im nächsten Jahr 85 Milliarden
DM sein. Das ist das erste Problem.
Das zweite Problem: Wir finanzieren unser umlagefinanziertes, beitragsorientiertes gesetzliches Rentenversicherungssystem immer stärker durch Steuermittel. Wir
liegen inzwischen bei einer Steuerfinanzierungsquote
von rund 33 Prozent. 26 Prozent aller Ausgaben des
Bundeshaushalts werden für die Altersvorsorge, für den
Zuschuß an die Rentenversicherung und die Beamtenpensionen, verwandt. Diese beiden Zahlen machen das
gesamte Problem deutlich: Überschuldung des Staates,
Leben zu Lasten der nächsten Generation, keine Generationengerechtigkeit bei der Rente, und trotzdem wird
der Eindruck vermittelt, als könnten wir so weitermachen wie bisher.
({5})
- Stichwort Ökosteuer, Kollege Thiele.
({6})
Die Ökosteuer führt im Saldo immerhin zu dem Effekt,
den auch Sie im letzten Jahr als alte Regierungskoalition
im Auge hatten. Auch hier sollten Sie sich an das Motto
„Wer selber im Glashaus sitzt, der sollte nicht mit Steinen werfen“ halten.
Am 1. April 1998 gab es eine einprozentige Mehrwertsteuererhöhung. Die Alternative, vorgeschlagen von
Herrn Schäuble - damals noch als Kronprinz in der alten
CDU/CSU-Fraktion - war eine Erhöhung der Mineralölsteuer um 15 Pfennig. Hätten Sie doch nur die Mineralölsteuererhöhung gewählt! Der Mehrwertsteuer kann
sich der Verbraucher nämlich nicht entziehen. Auch
derjenige, der nicht von sinkenden oder nicht steigenden
Rentenversicherungsbeiträgen profitiert, zahlt nämlich
die Mehrwertsteuer. Dieses Argument also, das von
Ihrer Seite geäußert worden ist, würde ich lieber im
Köcher lassen; denn es fällt auf Sie zurück.
({7})
Noch eines zur Ökosteuer: Immerhin - das ist doch
bemerkenswert - gibt es seit 1. April in diesem Land
niedrigere Lohnnebenkosten.
Wir haben den Aufschrei der Wirtschaft im Zusammenhang mit der Ökosteuer gehört. Sie sollten einmal in die
Betriebe gehen und über die konkreten Auswirkungen dieses Gesetzes diskutieren. Das habe ich in den letzten
Wochen ständig getan. Da geht es unter anderem um die
Regelung der 630-Mark-Jobs und der Scheinselbständigkeit. Ich konzediere, daß dies ein großes Problem ist.
({8})
Denn ich will hier nicht im Schützengraben sitzen. Angesichts dieses großen Problems müssen wir als Regierungsfraktion in der genauen Analyse darauf achten, ob
wir Lösungen gewählt haben, die den Mißbrauch, der ja
vorhanden war, wirklich bekämpfen.
({9})
Wenn in Verbrauchermärkten - bei Lidl, Schlecker oder
wie auch immer sie heißen - 90 bis 100 Prozent der Belegschaft geringfügig beschäftigt sind, dann ist das ein
Skandal. Das muß man auch als Grüner feststellen und
nicht nur dann, wenn man sozialdemokratisch denkt.
({10})
Wenn jetzt durch die neue Regelung der 630-MarkJobs zum Beispiel Saisonarbeitskräfte oder Zeitungsausträger - dies sind zu 80 Prozent Schüler, für die
Verlage jetzt plötzlich Abgaben in Höhe von 22 Prozent
zahlen müssen, während vorher keine Abgaben fällig
waren, weil Schüler steuerfrei waren und nicht einmal
eine pauschale Lohnsteuer gezahlt werden mußte - benachteiligt werden, dann ist das in der Tat ein Problem.
({11})
- Die Debatte darüber werden wir nachher führen. Das
weiß ich, Herr Kollege.
({12})
- Kollege Koppelin, ich verliere meinen Faden durch Ihre Zurufe nicht. Darauf können Sie sich verlassen.
Entscheidend ist auf jeden Fall: In den Betrieben wird
die Auswirkung der Ökosteuer - um darauf wieder zurückzukommen - von betriebswirtschaftlicher Seite
nicht sonderlich negativ beurteilt. Darüber können Sie
mit Handwerkern diskutieren. Der Mittelstand ist durch
die Ökosteuer netto nicht belastet, sondern entlastet.
({13})
Die Angst der Wirtschaft im Zusammenhang mit der
Ökosteuer weist in eine ganz andere Richtung. Diese
Angst muß man ernst nehmen, wenn man beispielsweise
im Rentenbereich Nachhaltigkeit erzielen will. Wir können in den nächsten Jahren im Rahmen der zweiten,
dritten und vierten Stufe der Ökosteuer nicht jedes Jahr
die Einnahmen des Bundeshaushaltes und gleichzeitig
als Durchlaufposten auch die Ausgaben erhöhen, indem
wir den Zuschuß an die Rentenversicherung aufstocken,
weil wir dann im Hinblick auf den Haushalt Wachstumsraten erhalten, die absolut nicht darstellbar sind.
({14})
Wir müssen vielmehr - denn es gibt ja eine Bringschuld der neuen Regierung - das Rentensystem strukturell reformieren.
({15})
Im Ergebnis müssen die Ausgabensteigerungen auf
Grund des Älterwerdens unserer Gesellschaft zumindest
aufgefangen werden.
({16})
Da waren wir noch nie anderer Auffassung. Das können
Sie sogar in unseren Wahlprogrammen des letzten Jahres nachlesen. Diese Debatte wird innerhalb der Koalition geführt. Sie wird übrigens auch in Ihren Reihen geführt. Darüber brauchen wir nicht zu diskutieren.
Die Antwort auf diese Frage wird extrem schwierig,
weil die bisherige Umverteilungsmechanik, bei den höheren Renten etwas wegzunehmen und die breite Masse
der Renten aufzustocken, mehr Geld kostet. Das ist eine
Binsenweisheit. Das ist versicherungsmathematisch und
rechnerisch festzustellen. Folglich kann man aus der
Sicht der Grünen an einem sogenannten Lebensaltersfaktor nicht vorbeikommen, weil wir nur damit die Generationengerechtigkeit und eine langfristige Finanzierung der Rente sichern.
({17})
Ein weiterer Gesichtspunkt: Die Steuerpolitik wird
heute noch - wenn ich die folgenden Redner, und zwar
vor allem Herrn Merz und Herrn Poß, betrachte - eine
große Rolle spielen. Ich kann es nicht mehr hören, wenn
Sie in der steuerpolitischen Debatte die Petersberger Beschlüsse vor dem Hintergrund der Kritik an den jetzigen
knappen Haushaltsreserven immer wieder ins Spiel
bringen und sagen: Wir hätten eine Nettoentlastung
durchgeführt, dann hätte die Wirtschaft geboomt, und
dadurch wären die Steuerausfälle nach kurzer Zeit durch
entsprechende konjunkturelle Selbstfinanzierungseffekte
kompensiert worden.
Wie bitte könnten Sie einen verfassungsgemäßen
Haushalt für das Jahr 2000 vorlegen, wenn im Haushalt
1999 eine Nettoneuverschuldung von 53,5 Milliarden
DM eingeplant ist und nach Art. 115 des Grundgesetzes
die Grenze für die Neuverschuldung durch Investitionsausgaben bei 58,2 Milliarden DM liegt? Wenn Sie
30 Milliarden DM mit der Gießkanne über das Volk und
die Wirtschaft verteilen wollen, ist Ihr Haushalt verfassungswidrig. Außerdem werden Ihnen die von Ihnen
regierten Länder höllisch widersprechen, und Stoiber
wird Schäuble noch viel stärker im Nacken sitzen, wenn
es um das bayerische Geld geht und wenn der bayerische Landeshaushalt plötzlich Probleme bekommt, weil
er die Steuerausfälle einer solchen alten Petersberger
Reform nicht verkraften kann.
Oder haben Sie im Hintergrund doch nicht die ganze
Zeit lautstark - oder eher leise - die Mehrwertsteuermelodie gepfiffen, nach dem Motto, die Tarife bei den
direkten Steuern senken und dafür die Mehrwertsteuer
erhöhen zu wollen? Aber dann sollten Sie hier nicht
wieder mit dem Finger zeigen und sagen: Ihr kalkuliert
eine Mehrwertsteuererhöhung ein und wollt ja eigentlich
nicht sparen.
({18})
Stichwort Steuerreform: Daß Reformen im Steuersystem angezeigt sind, ist keine Frage. Angesichts dessen, was die Reformkommission letzten Freitag vorgelegt hat, können Sie nicht sagen, das sei fachlich inkompetent. Die Kommission war ja nun wirklich hochkarätig
besetzt. Lesen Sie es nach. Es ist sehr vernünftig und
überlegenswert, was sie schreiben. Finanzminister
Eichel hat in allen Interviews eine Prüfung zugesagt. Er
hat die Grundtendenz einer solchen Steuerphilosophie
bereits seit Wochen bejaht. Die Grundmelodie heißt:
Senkung der nominal hohen Tarife in Deutschland und
Beseitigung der Schlupflöcher, der Ausnahmetatbestände. Das ist eine Philosophie, die in diesem Haus eigentlich eine ganz breite Mehrheit hat. Man muß sie nur
endlich umsetzen.
Glauben Sie etwa, daß die Selbstfinanzierung einer
Unternehmensteuerreform à la Reagan, USA, 1986, was
ich immer wieder höre - Selbstfinanzierung durch Laffer-Kurve -, in einem Land, in dem das größere Problem die Abgabenquote ist, also die Höhe der Lohnnebenkosten durch Sozialversicherungsbeiträge, möglich
ist? Bei einer unterdurchschnittlichen volkswirtschaftlichen Steuerquote solche wundersamen Selbstfinanzierungseffekte zu erwarten ist Humbug.
({19})
Bei uns wird eine Steuersatzsenkung nicht in dem
Ausmaß konjunkturpolitisch greifen können wie in
einem Land wie Amerika, wo die Abgabenquote signifikant niedriger ist als in Deutschland. Darüber habe ich
früher bereits mit Ihrem Kollegen Lambsdorff diskutiert.
({20})
Meiner Auffassung nach gibt es durch eine konzeptionell vernünftige Steuerreform natürlich Selbstfinanzierungseffekte. Diese sind aber viel bescheidener. Deshalb kann das Versprechen einer Nettoentlastung nicht
so aussehen, daß man der Wirtschaft zu Zeiten, in denen
die Haushaltsmittel knapp sind, ab 1. Januar 2000 plötzlich 10 oder 15 Milliarden DM zur Verfügung stellt. Ich
wäre schon froh, wenn wir eine Konzeption in zwei oder
drei Stufen mit 35 Prozent inklusive Gewerbeertragsteuer in der Spitze überhaupt umsetzen könnten. Wenn
wir zumindest die Körperschaftsteuersätze in der ersten Stufe auf 28 Prozent senken könnten, dann würden
die Wirtschaftsvertreter mit ihrer Kritik plötzlich leiser;
denn wenn die Wirtschaft etwas kann, dann ist es pragmatisch rechnen und planen, wenn sie Verläßlichkeit
hat. Für diese Verläßlichkeit müssen wir in der Tat sorgen. Das ist eine Bringschuld unserer Regierung.
({21})
Diese Verläßlichkeit werden Sie in diesem Jahr auch
bekommen.
({22})
- Wissen Sie, Jack Lang, der frühere französische Kulturminister, hat einmal gesagt: Regieren kann man lernen. - Rotgrün regiert unser Land - das sage ich jetzt
ohne Ironie - in einer Kriegssituation, was für eine
demokratische Gesellschaft politisch eine extreme BelaOswald Metzger
stung bedeutet. Dabei steht sie auch einem Rechtfertigungsdruck seitens der Bevölkerung in der Frage gegenüber, ob militärische Mittel Zweck der Politik sein können oder nicht. Ich komme - um nicht mißverstanden zu
werden - zu dem Schluß: Es ist in diesem Fall berechtigt.
Wenn Sie sehen, welche Konzentration und welche
Aufmerksamkeit dieser Bereich erfordert, dann sollten
Sie sich im Moment zurückhalten. Sie mit Ihrer Regierung haben 14 Jahre gebraucht, bis Sie überhaupt ein
Einkommensteuermodell vorgelegt haben, obwohl die
Bareis-Kommission bereits 1994 die richtigen Ansätze
veröffentlicht hatte. Theo Waigel persönlich war es, der
die Vorschläge von Bareis im Papierkorb versenkt hat.
Erst 1996, auf einen Anstoß Uldalls hin, haben Sie aus
der Unionsfraktion damit wieder begonnen. Was also
die Lernfähigkeit einer Regierung betrifft, so legen wir
da ein ganz anderes Tempo vor als Sie.
({23})
Wieder zurück zur Steuerpolitik. Die Auffassung, daß
eine Unternehmensteuerreform mit der Zielgröße 35
Prozent inklusive Gewerbeertragsteuer durchgeführt
werden sollte, teilen wir.
Nach der Entscheidung des Bundesfinanzhofs von
letzter Woche stellt sich jetzt die Frage: Wie geht man
mit der Spreizung um? - In diesem Zusammenhang rufe
ich noch einmal in Erinnerung: Wer selbst im Glashaus
sitzt, sollte nicht mit dem Finger auf die neue Regierung
zeigen. Die Spreizung bei den gewerblichen Einkünften, die der Bundesfinanzhof mit seinem Vorlagebeschluß für verfassungswidrig erklärt hat, hat nämlich
1993 die alte Regierung eingeführt. Also: höllisch aufpassen!
({24})
13,5 Prozent Spreizung werden sich in der Endphase
nicht verwirklichen lassen.
({25})
Darüber brauchen wir nicht zu reden. Wir werden, wenn
man ein Steuerreformkonzept insgesamt macht, natürlich eine Debatte über eine Neujustierung des Verhältnisses zwischen direkten und indirekten Steuern bekommen.
Bei der Senkung der Einkommensteuer geht es übrigens nicht nur um eine Reduzierung des Spitzensteuersatzes, sondern auch um eine Verringerung des Eingangssteuersatzes. Wer immer von Schwarzarbeit redet, muß sich darüber im klaren sein, daß ein Eingangssteuersatz von 19,9 Prozent, den wir im Jahre 2002 haben werden, immer noch zu hoch ist, um einen Anreiz
für die Arbeitsaufnahme darzustellen.
({26})
Das ist ein Problem unserer Gesellschaft. Auch das
müssen wir thematisieren. Ich meine, solche Themen
müssen beispielsweise auch im „Bündnis für Arbeit“ im
Rahmen einer Gesamtkonzeption besprochen werden.
({27})
- Natürlich wird das Parlament die Gesetze machen.
Aber, Kollege Thiele, wir müssen doch eines klar sehen: Wir hier im Parlament müssen aus den Schützengräben heraus, wenn es um die ökonomischen Grundlagen unserer Volkswirtschaft geht. Jede Seite sollte auf
die andere hören. Keine Fraktion in diesem Saal hat
wirtschaftspolitisch die alleinseligmachende, reine Lehre. Etwas anderes zu behaupten ist absolut falsch; das
erwartet auch niemand in der Bevölkerung.
Aber wir müssen dann die Tarifpartner aus ihren
Schützengräben herausholen. Das gilt für die Gewerkschaften, aber erst recht für die Unternehmer, die teilweise in den letzten sieben Monaten in einem merkwürdigen Amoklauf die Wirklichkeit wie in einem Zerrspiegel gesehen haben. Vieles von dem, was Henkel und
Hundt in den letzten sieben Monaten gesagt haben,
({28})
war meines Erachtens stark ideologisch geprägt, weil sie
es offensichtlich nicht verkraftet haben - als Sie, meine
Damen und Herren von der CDU/CSU und der F.D.P.,
regiert haben, haben sie immer den Reformstau beklagt -,
daß nach 16 Jahren die Wähler am 27. September
einen Wechsel wollten. Inzwischen werden sie wieder
behutsamer, Kollege Austermann. Sie werden ruhiger.
Warum? - Weil man als Verbandsfunktionär nie etwas
erreicht, wenn man sich in eine extreme Ecke manövriert. Vielmehr muß man moderat im Ton bleiben.
Sonst verliert man in der Sache Einfluß. So einfach ist
das.
({29})
Das gilt auch für die Gewerkschaften.
Was ich in unserem gemeinsamen Interesse anmahne,
ist: Wir müssen in der steuerpolitischen Debatte mit
einer realistischen Konzeption arbeiten, die langfristig
finanzierbar ist, ökonomisch tauglich ist und die Konkurrenzfähigkeit unserer Volkswirtschaft erhöht.
Jetzt komme ich zum eigentlich wichtigen Punkt,
dem Sparen. Viele erwarten ja vom Finanzminister, daß
er heute Sparziele quasi vorgibt oder Parlament und Öffentlichkeit auf notwendige strukturelle Maßnahmen
einstimmt. Ich komme zu meinem Ausgangspunkt zurück. Allein die Blöcke der Zinsausgaben und der Ausgaben für die Altersvorsorge weisen eine Wachstumsdynamik auf, die für sich allein schon Konsolidierungsbedarf entstehen läßt. Die Staatsquote hat eine
Höhe erreicht, die übrigens Sie, meine Damen und Herren von der F.D.P., immer kritisiert haben. Das ist in Ihrer Amtszeit passiert. Die Höhe der Staatsquote ist nicht
nur wiedervereinigungsbedingt. Das würde ich als Sonderfaktor sehen.
({30})
- Sie waren 29 Jahre in der Regierung. Die Staatsquote
war am Beginn Ihrer Bonner Regierungszeit extrem
niedrig.
({31})
- Herr Rexrodt, ich habe ja gerade gesagt: Die F.D.P.
war nicht nur 16 Jahre in der Bundesregierung, sondern
29 Jahre ununterbrochen.
Deshalb sage ich Ihnen: Es geht um eine Philosophie,
um die Frage, wie man staatliches Handeln in einer modernen Industriegesellschaft definiert. Der Streit zwischen den politischen Gruppen geht doch um folgendes:
Hole ich das Geld zunächst über Steuern und Abgaben
bei den Bürgerinnen und Bürgern und mache dann über
den Umweg des Staates - etatistisch gesprochen Wohlfahrtspolitik, Sozialpolitik, Infrastrukturpolitik,
oder begrenze ich die Ausgaben des Staates, reduziere
wenigstens teilweise den Staatsanteil, gebe den Bürgerinnen und Bürgern und der Wirtschaft durch niedrigere
Steuern und Sozialabgaben einen Teil des Spielraums
zurück und erhöhe dadurch die Effizienz in der gesamten Volkswirtschaft? Darum geht der grundsätzliche
Streit. Diese Frage wird von der politischen Linken anders gesehen als von der wertkonservativ-liberalen Mitte
- keine Frage. Ich glaube allerdings, daß es, wenn wir
eine philosophische Debatte über den ökonomisch richtigen Ansatz führen, angesichts der Grenzen der etatistischen Möglichkeiten keine Alternative dazu gibt, die
Staatsquote zu reduzieren.
({32})
Das sagt übrigens der Wirtschaftsminister Müller; das
sagt übrigens die gesamte Bundesregierung. Finanzminister Lafontaine hat im Januar in Brüssel ein Stabilitätsprogramm vorgelegt, das vorsieht, die Staatsquote
im Jahre 2002 auf 45 Prozent zu senken.
({33})
Interessant ist: Im Frühjahrsgutachten - das ist vor
wenigen Tagen veröffentlicht worden - sprechen die
Gutachter von den Rahmenbedingungen für die konjunkturelle Entwicklung. Sie schreiben, daß das monetäre Umfeld extrem günstig ist, daß Erholungstendenzen
im südostasiatischen Raum spürbar sind, daß die derzeitige Dollarstärke strukturell den deutschen Export begünstigt.
({34})
Uns wird bestätigt, daß wir eine konjunkturneutrale
Finanzpolitik betreiben - wie auch Ihrem Etat 1998.
Von daher, Herr Austermann, gilt auch hier wieder das
Motto: Wer im Glashaus sitzt, sollte nicht mit Steinen
werfen. Die Frühjahrsgutachter kommen dann zu der
gleichen Einschätzung wie wir, und es wird von ihnen
belegt, daß wir im Jahr 2002 das Ziel einer Staatsquote
von 45 Prozent erreichen können. Dieses Gutachten ist
schon in Kenntnis der ersten sieben Monate der Politik
der neuen Regierung verfaßt worden und ist insofern in
seiner Beurteilung vielleicht zutreffender als der Komplettverriß der Opposition.
({35})
Was will ich damit sagen?
({36})
Wir werden - das ist gar keine Frage - die Ausgaben
reduzieren müssen. Wir werden für den 2000er Haushalt
eine Begrenzung des Ausgabenwachstums hinbekommen müssen. Wenn wir dies schaffen wollen, dann heißt
dies: Begrenzung für viele Ressorts - bis auf die, wo wir
politisch Akzente setzen wollen. Die Aussage der neuen
Regierung steht, daß als Zukunftsinvestition die Ausgaben im Bereich Bildung, Forschung und Technologie
erhöht werden.
({37})
- Der bildungspolitische Sprecher klatscht. - Wenn aber
in manchen Bereichen neue Akzente gesetzt werden,
dann ist in Zeiten knapper Ressourcen dafür natürlich in
anderen Bereichen zu kürzen.
({38})
Obwohl wir als Bundesrepublik Deutschland derzeit
im Krieg stehen, sage ich: Der Verteidigungsetat ist
- darauf wurde heute schon hingewiesen -, gemessen an
der derzeitigen Personalstärke, unterfinanziert. Wir gehen davon aus, daß auch der Verteidigungsetat - auch
im Zuge der Zukunftskommission der Bundeswehr, die
gestern eingesetzt wurde - strukturell einen eigenen
Konsolidierungsbeitrag leisten muß, indem die Personalstärke längerfristig geändert wird. Nur so kann die
Finanzierung der notwendigen Maßnahmen im investiven Sektor aufgabenbezogen gewährleistet werden.
Aber wir können nicht so tun, als sei der Kosovo-Krieg
eine Rechtfertigung dafür, diesen Haushalt aus der Konsolidierung herauszunehmen. Das wäre inkonsequent,
und das könnte man auch der Bevölkerung, die auf diesem Gebiet sehr hellhörig ist, nicht vermitteln. Deshalb
hat der Haushaltsausschuß mit der Regierungsmehrheit
beschlossen, daß auch der Verteidigungsetat den Sparbeitrag in Höhe von einem halben Prozent erbringen
muß, wie alle anderen Bereiche auch.
Wenn man die Ausgaben zurückfahren will, dann hat
man verschiedene Möglichkeiten des Vorgehens. Die
Rasenmähermethode ist normalerweise die am wenigsten elegante, aber meistens die ergiebigste. Denken Sie
an den Subventionsabbau oder an die Verpflichtungsermächtigungen, die der Haushaltsgesetzgeber für
Ausgaben in den nächsten Jahren beschließen muß. Die
Koalitionsfraktionen haben in der Bereinigungssitzung
insofern eine gewisse Vorsorge getroffen, als ein Rechtfertigungsdruck auf die Ressorts ausgeübt wird, wenn
sie mehr ausgeben. Die Verpflichtungsermächtigungen
für das nächste Jahr haben wir um 10 Prozent gekürzt.
Das sind immerhin rund 7 Milliarden DM.
Man kann Ausgabenbegrenzung auch im Wege des
Subventionsabbaus erreichen. Subventionen gibt es
natürlich nicht nur als Finanzhilfen aus dem BundesOswald Metzger
haushalt, sondern auch über das Steuerrecht. Dann aber
müssen, sofern rechtlich möglich, alle Subventionen auf
den Prüfstand; dann muß der Degressionspfad beschritten werden. Das ist die einzige Möglichkeit, die Ausgaben des Staates nachhaltig strukturell zurückzufahren.
Schließlich geht es auch um die Überprüfung von
Leistungsgesetzen. Natürlich muß man in einer Zeit
knapper Ressourcen Sozialstaat so definieren, daß die
Zielgenauigkeit der Ausgaben erhöht wird. Ohne daß es
da abgestimmte Positionen gibt, frage ich: Ist es noch
sinnvoll, die Mittel, die im Haushalt für sozialen Wohnungsbau vorgesehen sind, dafür einzusetzen, wenn - je
nach Region unterschiedlich; ich weiß das - Zehntausende von Wohnungen leer stehen und die Mietpreise
tendenziell sinken? Kann man in einer solchen Situation
die Wohnungsbauförderung mit relativ hohen öffentlichen Mitteln weiterbetreiben? Auch ich weiß, daß das
ein Reizthema ist, aber ich will eine Debatte führen, die
uns aus den Schützengräben herauslockt.
Oder ein anderes Beispiel: Wir alle wissen, daß die
Umsetzung des Verfassungsgerichtsbeschlusses zur Familienentlastung eine riesige Belastung für den Bundeshaushalt darstellt. Ist es deshalb in dem Zusammenhang
von vornherein ungehörig, auch den Bereich kindbezogener Leistungen, beispielsweise das Erziehungsgeld,
teilweise zur Gegenfinanzierung heranzuziehen? Man
muß sich immer den gesamten Komplex anschauen.
Ich will hier nicht den Eindruck erwecken, daß die
Politik „business as usual“ betreibt - so tut, als sei nichts
gewesen -, obwohl die Mittel der öffentlichen Kassen
knapp sind. Vor diesem Hintergrund werden wir alle gezwungen sein, Ansprüche an den Staat zurückzufahren,
und zwar unter zwei inhaltlichen Bedingungen: sozial
gerecht und ökonomisch verträglich.
({39})
- Kollege Hoyer, die Antwort des 99er Haushaltes ist,
daß der Zuwachs der Ausgabenquote, bereinigt, von 1,7
auf 1,2 Prozent reduziert wurde. Schauen Sie sich die
kumulierten Ist-Ergebnisse bei den Ausgaben an. Die
Bruttowachstumsrate des Bundeshaushalts lag Ende
April bei 2,9 Prozent. Die 6,3 Prozent, die Kollege
Austermann als Stand von Ende April angibt, sind also
falsch. Wir fahren die Ausgaben des Staates durch vorläufige Haushaltsführung im Moment günstiger als im
Plan. Das ist gut so;
({40})
denn wir müssen alles tun, um Reserven für die kommenden schwierigen Jahre zu bilden.
Daß die Steuereinnahmen im Augenblick keinen
Rückgang der konjunkturellen Entwicklung signalisieren, ist auch klar. Der Grund dafür liegt in der Zeit, in
der der Vorgängerfinanzminister mit der Erosion der
Steuerbasis auf Grund von Steuerrechtsregelungen leben
mußte, die vor allem Immobilienförderungen in Ostdeutschland betrafen, und in der vor allem der Export,
der auf Grund der Steuerrückerstattung umsatzsteuerneutral ist, die Konjunktur gestützt hat. Deshalb waren
die Steuereingänge vier Jahre lang relativ bescheiden.
Sie haben sich jetzt auf einem Niveau eingependelt, wie
wir es von früher kennen. Die Steuereingänge des Staates wachsen mit einer höheren Rate als das Bruttoinlandsprodukt.
Insofern, Kollege Rexrodt, ist es angesichts der Tatsache, daß ein progressives Steuersystem Steuermehreinnahmen in die Staatskasse spült, natürlich eine
Überlegung wert, ob man, wenn man auf der Ausgabenbremse bleibt, die sogenannten heimlichen Steuererhöhungen zum Teil in eine Gegenfinanzierungsstrategie
für Tarifsenkungen bei der Unternehmen- und der Einkommensteuer einbezieht. Das ist nicht prinzipiell
falsch, sondern hat durchaus eine gewisse ökonomische
Logik.
Diese Debatte werden wir in den nächsten zwei Monaten führen. Am 30. Juni - dieses Datum ist für die
neue Regierung wichtig - werden der Etat 2000 und die
mittelfristige Finanzplanung im Kabinett vorliegen. Bis
dahin gibt es eine Herkulesarbeit, strukturelle Maßnahmen im Haushalt, in den sozialen Sicherungssystemen
und im Steuerrecht konzeptionell festzuzurren. Denn nur
im Dreiklang von Haushalts- und Finanzpolitik, Steuerpolitik und Sozialpolitik können wir die Probleme der
Überschuldung öffentlicher Haushalte lösen, können wir
mittelfristig auch in Deutschland ausgeglichene Haushalte haben, können wir aufhören, zu Lasten künftiger
Generationen zu leben.
Dafür braucht es einen Kraftakt in dieser Gesellschaft. Alle Fraktionen, die hier sitzen, haben sich an der
Ausgabenerhöhung der vergangenen Jahrzehnte beteiligt. Das Einsammeln von Geldern ist wesentlich mühsamer. Aber es lohnt sich; denn nachhaltige Finanzpolitik läßt auch künftigen Generationen noch Spielraum für
eigenes politisches Gestalten.
Vielen Dank.
({41})
Jetzt erteile ich dem
Kollegen Dr. Uwe-Jens Rössel das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Seit der ersten Lesung
des Bundeshaushaltes 1999 im Februar hat sich die
außenpolitische Situation dramatisch verändert. Es
herrscht Krieg in Europa. Die Haushaltsberatungen wurden und werden davon überschattet.
Den immensen Verletzungen der Menschenrechte
durch Milosevic und seine Gefolgschaft, die die PDS
mit aller Entschiedenheit verurteilt, kann nicht durch
NATO-Bombenhagel begegnet werden.
({0})
- Ich habe das eindeutig gesagt, Herr Merz. - Schon
mehr als sechs Wochen Bombenkrieg haben Hunderte
Menschenleben gekostet und Zehntausende Verletzte
gebracht, größtenteils aus der Zivilbevölkerung. Sogar
vollbesetzte Busse wurden zerbombt, Hunderttausende
Arbeitsplätze vernichtet, die Infrastruktur zerstört. Keine
einzige Bombe, die auf Serbien, Montenegro und den
Kosovo gefallen ist, hat das Leid auch nur eines einzigen Kosovo-Albaners gemindert.
({1})
Im Gegenteil: Der Flüchtlingsstrom schwillt an. Der
Krieg muß sofort gestoppt werden.
({2})
Notwendig sind unverzüglich politische Lösungen auf
dem Balkan unter Verantwortung der Vereinten Nationen.
Lieber Kollege Metzger, In diesem Zusammenhang
und unter diesen Rahmenbedingungen ständig von einer
Diskussion in Schützengräben zu sprechen, halte ich für
wenig taktvoll.
Was nun den Haushaltsentwurf 1999 betrifft, so würdigt die PDS einige neue Akzente. Dazu gehört ausdrücklich die Verstetigung der Arbeitsmarktpolitik. Das
ist eine Position, in der wir F.D.P. und CDU/CSU ausdrücklich widersprechen. Hervorgehoben wird auch das
im Haushalt verankerte Programm gegen die Jugendarbeitslosigkeit, das zu würdigen ist. Aber um der anhaltend hohen Arbeitslosigkeit noch wirksamer entgegenzutreten, reicht das nicht aus. Gefragt sind neue, innovative Wege wie beispielsweise die Installation eines öffentlich geförderten Beschäftigungssektors.
Die Einlösung rotgrüner Wahlversprechungen bleibt
im Haushalt 1999 Mangelware. Das muß wohl auch
sein, wenn 95 Prozent des Haushaltes durch Theo Waigel vorbestimmt worden sind. Die vor der Wahl groß
angekündigte Wohngeldreform bleibt aus. Sie ist aber
dringend notwendig; denn seit 1990 ist auf diesem Gebiet nichts mehr getan worden. Alle Anträge der PDS,
hier eine Veränderung durchzusetzen, wurden sowohl
von der alten als auch von der neuen Koalition abgeschmettert.
Statt dessen setzen die Neuen in Bonn auf prestigeträchtige Projekte. Wir fordern daher den sofortigen
Stopp der Finanzierung des Transrapids mit öffentlichen
Mitteln.
({3})
Damit bekäme der Bundesfinanzminister ein wahrhaftes
Geschenk, wenn er diesem Vorschlag folgte. Wird das
nicht passieren, entsteht ein Milliardengrab für die
Steuerzahlerinnen und Steuerzahler. Das muß unbedingt
verhindert werden.
In den Beratungen zum Haushalt haben SPD und
Bündnisgrüne im Ausschuß an bestimmten Punkten eine
wirklich knallharte Rotstiftpolitik durchgesetzt, und das
am Entwurf der eigenen Regierung.
({4})
So wird gerade die vom Kollegen Metzger hervorgehobene zehnprozentige Sperre bei den Verpflichtungsermächtigungen erhebliche negative Wirkungen auf Arbeitsplätze und Wirtschaftsförderung haben. Auch das
ist die Wahrheit, und das müssen Sie den Bürgerinnen
und Bürgern bei der Haushaltskonsolidierung auch
deutlich sagen.
Ebenfalls die vom Bundeskanzler vollmundig angekündigte deutliche Erhöhung der Mittel für die Kulturförderung in Berlin und den neuen Bundesländern ist
dem Rotstift der Koalition zum Opfer gefallen.
({5})
Ebenso wurde in großen Bereichen der landwirtschaftlichen Sozialpolitik erheblich gekürzt. Bundeslandwirtschaftsminister Funke, der die Kürzungen der eigenen
Leute am Bundeszuschuß für die landwirtschaftliche
Unfallversicherung - ich habe von ihm ein Schreiben
erhalten - für politisch unverantwortlich hält, wurde von
der eigenen Koalition schachmatt gesetzt.
({6})
Das ist eine Einschätzung, die wir angesichts der sich
verschlechternden Einkommenssituation in der Landwirtschaft - Stichworte: Ökosteuer, Agenda 2000 - ausdrücklich teilen. Die PDS hat daher beantragt, daß die
Mittel im bereinigten Regierungsentwurf für die landwirtschaftliche Sozialpolitik ebenso wie die Mittel für
die Kulturförderung in Ostdeutschland wieder deutlich
aufgestockt werden.
Und die in Berlin ansässigen Rundfunkchöre und
Rundfunkorchester von Weltgeltung brauchen über das
Jahr 1999 hinaus verbindliche - ich sage: verbindliche Haushaltsgarantien für eine im Volumen weitgehend
gleichmäßige Bundesförderung. Die PDS hat auch das
beantragt.
({7})
Der eigentliche Hammer und die finanzpolitische Nagelprobe der neuen Koalition wird der Haushalt 2000
sein. Hierin stimmen wir ausdrücklich mit vielen überein. Die Lösung dieses Problems kann nicht mehr wie
bisher durch rigorose Privatisierung von Tafelsilber des
Bundes und offensichtlich auch nicht mehr durch großzügige Vereinnahmung von bislang sprudelnden Bundesbankgewinnen erreicht werden. Hier versiegen die
Quellen allmählich.
Was sind für uns die wichtigsten Risiken der Durchführung des Haushaltes 1999 und der Vorbereitung des
Haushaltes 2000? Welche Forderungen vertreten wir?
Wir möchten erstens deutlich machen - das hat bisher
keine Rolle gespielt, und ich hoffe, der Finanzminister
wird noch davon sprechen -, daß sich aus dem Krieg gegen Jugoslawien und den damit verbundenen Folgen erhebliche Risiken für den Haushalt 1999 ergeben. In den
Einzelplan 60 - allgemeine Finanzverwaltung - wurden
441 Millionen DM für den Militäreinsatz der Bundeswehr
eingestellt. Ob sie reichen werden, ist mehr als fraglich.
Die Aufwendungen für den erforderlichen Wiederaufbau
auf dem Balkan sind überhaupt nicht etatisiert.
Die PDS beantragt zugleich, daß die im Haushaltsentwurf eingestellten Mittel für die Flüchtlingshilfe
- zur Zeit 300 Millionen DM - weiter deutlich angehoben werden. Das Elend der Flüchtlinge muß auch in
Deutschland noch stärker Berücksichtigung finden.
Ein zweites Haushaltsrisiko ergibt sich aus der künftigen Gestaltung der Steuer- und Finanzpolitik der Bundesregierung selbst. Derzeit ist schwerlich - möglicherweise hängt das auch mit Personenwechsel zusammen eine klare Linie erkennbar. Bei der von der Regierung
allerdings angekündigten drastischen Senkung der
Spitzensteuersätze bei der Einkommensteuer auf gewerbliche Einkünfte und der Körperschaftsteuer drohen,
so sie durchgesetzt wird, erhebliche Milliardenausfälle
für den Bundeshaushalt, über die ebenfalls zu sprechen
ist. Weiterhin drohen erhebliche Ausfälle und Einschnitte für die Länderhaushalte und die Haushalte der
Städte, Gemeinden und Landkreise. Deren Schicksal
darf uns als Deutschen Bundestag ebenso nicht unberührt lassen.
({8})
Eine weitere Verschuldung der öffentlichen Haushalte für die Finanzierung von Steuergeschenken an die
Großindustrie, Banken und Versicherungen hinzunehmen ist für uns nicht akzeptabel. Wir verlangen daher
als ersten Schritt die sofortige Abschaffung der Steuerbefreiung für Luftverkehrsbetriebsstoffe, Kerosin. Dadurch könnten sofort - Herr Finanzminister Eichel, Sie
können mir gern widersprechen - 500 Millionen DM in
die Bundeskasse fließen.
({9})
Auch die von Wirtschaftsminister Müller jüngst ins
Spiel gebrachte Mehrwertsteuererhöhung für die Finanzierung der Unternehmensteuerreform lehnen wir entschieden ab. Die Leidtragenden einer solchen Mehrwertsteuererhöhung wären besonders die kleinen Leute und
die kleinen mittelständischen Betriebe sowie Handwerksbetriebe.
Wir fordern statt dessen - und bitten um ein klares
Wort der Regierung -, daß die besondere Förderung für
Ostdeutschland im bundesdeutschen Finanzausgleich
über das Jahr 2004 hinaus verlängert wird.
({10})
Die gestrige Forderung vom BDI-Präsidenten Henkel
nach schneller Abschaffung ist unverantwortlich. Wir
weisen sie mit allem Nachdruck zurück.
Als drittes Risiko wird die nur schwer vorhersehbare
Entwicklung des Euro-Kurses zum US-Dollar gesehen.
Sie wird immer mehr zum Haushaltsrisiko selbst. Seit
Jahresbeginn hat der Euro zum US-Dollar immerhin
11 Prozent seines Wertes verloren. Wo bleibt die Verwirklichung der Versprechungen der alten und der neuen
Regierung hinsichtlich eines starken Euro? Selbst gegenüber abwertungsgefährdeten Währungen wie dem
chinesischen Renminbi oder dem südafrikanischen Rand
hat der Euro deutliche Kursverluste hinnehmen müssen.
Das hat nicht nur psychologische Wirkungen in der
Öffentlichkeit; das hat direkte Budgetbezüge, weil sich
alle in Dollar notierten Aufwendungen entsprechend
verteuern.
Hält die Euro-Schwäche länger an - es spricht einiges
dafür, Kollege Rexrodt -, werden überdies Zinserhöhungen zumindest „am langen Ende“ die Folge sein. Das
ist ein ganz schwerwiegendes Problem für die öffentlichen Haushalte. Zinserhöhungen bei einer Gesamtverschuldung von Bund, Ländern und Gemeinden in Höhe
von 2,3 Billionen DM führten zu erheblichen Verteuerungen und würden die öffentlichen Haushalte immens
belasten.
Ich danke für die Aufmerksamkeit.
({11})
Das Wort hat jetzt
der Kollege Joachim Poß, SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Zunächst, Herr Kollege Rössel: Ich
will in diese Debatte keine unnötigen Schärfen hineinbringen. Aber angesichts der Rolle der PDS bei den Serben-Demonstrationen gleichzeitig die Erhöhung der
Mittel für die Kosovo-Flüchtlinge zu fordern, das hat
mit Redlichkeit nicht viel zu tun. Das muß ich Ihnen hier
einmal deutlich sagen.
({0})
Auch bei sonstigen Forderungen sollten wir auf dem
Boden bleiben. Daß wir Ihre Anregung der Kerosinbesteuerung nicht einseitig aufgreifen können, dürfte jedem klar sein. So etwas ist nur europaweit zu machen.
Nun zu den Grundsätzen der Steuer- und Finanzpolitik. Wer Steuer- und Finanzpolitik solide und berechenbar gestalten will, der darf nicht bei eindimensionalen
Betrachtungen und Bewertungen stehenbleiben. Er muß
statt dessen gleichzeitig den ökonomischen, den verfassungsrechtlichen, den sozialen und den finanziellen
Rahmen seines Handelns berücksichtigen. Seine Aufgabe ist es, die Einnahmen und die Ausgaben der Gebietskörperschaften in Übereinstimmung zu bringen und die
von den jeweils Verantwortlichen formulierten fachpolitischen Entscheidungen in diesen Rahmen zu integrieren.
Genau diesen Weg einer soliden, berechenbaren
Politik zur Lösung der vor uns liegenden Aufgaben hat
Bundesfinanzminister Eichel in den letzten Tagen mehrfach beschrieben. Ich möchte ihm an dieser Stelle ausdrücklich die Unterstützung der SPD-Fraktion im Deutschen Bundestag zusichern.
({1})
Über die dramatische Haushaltslage bei Bund, Ländern und Gemeinden und über die sich daraus ergebenden Restriktionen kann es in diesem Hause eigentlich
keine unterschiedlichen Auffassungen geben. Welche
ökonomischen Rahmenbedingungen jedoch von der Finanzpolitik gesetzt werden sollen, darüber gibt es seit
Monaten einen heftigen Streit, den vor allem die Spitzenvertreter der Wirtschaftsverbände immer wieder losgetreten haben. Ich stelle mit Befriedigung fest, daß die
seit Jahren von den Verbandsvertretern gemalten standortpolitischen Schreckensgemälde selbst den von ihnen
vertretenen Unternehmen zuviel werden. Sie sind die
professionelle Nörgelei ihrer Verbandsoberen mehr und
mehr leid, weil sie sehen, daß dies heute das eigentliche
Konjunktur- und Standortrisiko in Deutschland ist.
({2})
Die Kassandrafront von CDU/CSU, F.D.P. und ihren
Verbündeten in den Verbänden muß aufgebrochen werden, damit es bei uns in der Bundesrepublik Deutschland
vorwärtsgeht. Hat nicht Norbert Quinkert, Deutschlandchef des amerikanischen Motorola-Konzerns und
gleichzeitig stellvertretender Vorsitzender der American
Chamber of Commerce, recht, wenn er sich gegen die
Kassandrarufe aus den Verbänden wendet und auf der
Hannover-Messe fragt, „Können Sie sich vorstellen, daß
Washington Siemens in den USA Staatshilfen zahlen
würde?“, und dann hinzufügt - trotz Ökosteuer und
allem, was Sie so beklagen -: „Da sehen Sie, in welchem für Unternehmer attraktiven Land Sie leben.“
Es ist jetzt wirklich an der Zeit, die Lage nüchtern zu
betrachten, um anschließend die anstehenden Entscheidungen sachgerecht zu treffen. Nüchtern die Lage betrachten heißt festzustellen, daß sich die volkswirtschaftliche Steuerquote - das ist der Anteil der gezahlten
Steuern am Sozialprodukt - in Deutschland auf historisch niedrigem Niveau bewegt. Nüchtern die Lage betrachten heißt auch anzuerkennen, daß in Deutschland
die tatsächliche Steuerbelastung von Kapitalgesellschaften, die im internationalen Wettbewerb stehen,
europaweit am unteren Rand liegt.
({3})
Diese Tendenz belegen auch die neuesten, korrigierten
Zahlen der OECD.
({4})
- Wir haben während der Jahreswirtschaftsdebatte doch
darüber diskutiert; lesen Sie das einmal nach! - Diese
Zahlen und Fakten sollten wir nicht aus den Augen verlieren.
Die aufgeregte Diskussion um eine sofortige und
weitgehende Steuersatzsenkung für alle Einkunftsarten,
so wie Sie, Herr Rexrodt, sie wieder geführt haben, ist
einseitig und völlig überzogen.
({5})
Einige, die jetzt wilde Steuersenkungsphantasien in die
Welt setzen, haben anscheinend ihr Gedächtnis verloren.
Die Sprecher der CDU/CSU-Fraktion, Herr Merz und
Herr Uldall, wärmen genau wie ihre Kollegen von der
F.D.P. Konzepte wieder auf, die noch vor Jahresfrist in
den eigenen Reihen zu Recht nicht durchsetzbar waren,
weil sie nicht finanzierbar sind. Das ist eine verantwortungslose Politik. Herr Metzger hat Ihnen, was die finanzielle Vorsorge angeht, das zu Recht ins Stammbuch
geschrieben.
({6})
Es schadet uns allen, die im deutschen Parlament versammelt sind, wenn Sie den Bürgerinnen und Bürgern
Versprechungen in einem Ausmaß machen, von dem Sie
genausogut wie wir wissen, daß keine Bundesregierung
- egal, wie sie parteipolitisch zusammengesetzt ist -,
kein Parlament sie je einlösen kann.
Sie, meine Damen und Herren von der Opposition,
fordern von uns noch mehr Sparsamkeit bei den Ausgaben.
({7})
Die wird es geben.
({8})
Daran hat auch Bundesfinanzminister Eichel in seinen
Ausführungen und Interviews keinen Zweifel gelassen.
Aber zuerst einmal müssen wir die Ausgaben kürzen,
um das strukturelle Defizit im Bundeshaushalt von bis
zu 30 Milliarden DM in den Griff zu bekommen, das Sie
uns hinterlassen haben.
({9})
Zunächst geht es also um die Finanzierung des Haushalts und nicht um die Finanzierung weiterer Steuersenkungen.
Meine Damen und Herren, es ist unbestritten: Die
deutsche Unternehmensbesteuerung ist dringend reformbedürftig. Das zeigen auch die in der vergangenen
Woche vorgelegten Ergebnisse der vom Bundesfinanzministerium eingesetzten Expertenkommission. Das nur
in Deutschland und - so glaube ich - in Italien bestehende Verfahren der vollen Anrechnung der Körperschaftsteuer ist nicht europatauglich. Es behandelt Inländer und Ausländer unterschiedlich. Im europäischen
Binnenmarkt sind solche Ungleichbehandlungen schädlich. Von seiten der EU bestehen erhebliche rechtliche
Einwände dagegen. Eine Änderung ist überfällig. Sie ist
aber nur möglich bei einer gleichzeitig weitergehenden
Überarbeitung des Unternehmensteuerrechts.
Die Koalitionspartner haben daher in der Koalitionsvereinbarung festgelegt, die Unternehmensbesteuerung
grundlegend zu reformieren. „Ziel ist ein Unternehmensteuerrecht, das alle Unternehmenseinkünfte mit höchstens 35 Prozent besteuert und möglichst im Jahr 2000
in Kraft tritt.“ - so heißt es in der Koalitionsvereinbarung. Es geht darum, bei der Besteuerung der Unternehmenseinkünfte wieder mehr an die Leistungsfähigkeit des Unternehmens anzuknüpfen.
Wir müssen nach 16 Jahren der Regierung Kohl endlich ein Unternehmensteuerrecht schaffen, das in der EU
wettbewerbsfähig ist
({10})
und das sowohl mit den Steuersätzen als auch mit der
Bemessungsgrundlage den Vergleich in der EU aushält.
Da sehen Sie, meine Damen und Herren, wo die Bremser saßen und sitzen und wo die Reformer zu finden
sind. Sie sind in den letzten Jahren an diese Aufgabe nie
herangegangen.
({11})
Mit Ihrer Steuerreform wären Sie der Aufgabe, ein modernes Unternehmensteuerrecht zu schaffen, überhaupt
nicht gerecht geworden.
Sie haben behauptet, Herr Rexrodt, mit Ihren Steuerreformplänen - ich weiß gar nicht, von welchen Plänen
Sie gesprochen haben: von denen der F.D.P. oder von
denen der Union - wäre der Familienförderung im Sinne
des Verfassungsgerichts entsprochen worden. Das ist
Unsinn. Diese Aussage von Ihnen beruht entweder auf
Sachunkenntnis oder Täuschung.
Sie sitzen im Bremserhäuschen. Wir wollen ein modernes Unternehmensteuerrecht. Das ist eine anspruchsvolle Aufgabe. Nach realistischer Einschätzung, die
auch die Expertenkommission teilt, wird sie nicht in
einem Schritt zu bewältigen sein. Allein schon die
schwierige Lage der öffentlichen Haushalte macht eine
unmittelbare Realisierung in einem Schritt unmöglich.
Das heutige System hat zu der ständig wiederholten
Klage geführt, die Unternehmen in Deutschland seien
mit zu hohen Steuern belastet. Begründet wird das mit
den hohen nominalen Steuersätzen. Die Zahlen über die
wirkliche Steuerbelastung zeigen aber: Deutschland ist
kein Hochsteuerland. Das liegt daran, daß die steuerliche
Bemessungsgrundlage in Deutschland sehr schmal ist.
Dieser Sachverhalt wird auch durch die neuesten Berechnungen der OECD über die effektive Steuerbelastung der Unternehmen bestätigt.
Trotz der bekannten Schwierigkeiten internationaler
Datenvergleiche ist die Tendenz der Zahlen eindeutig:
Die effektive Steuerbelastung von Kapitalgesellschaften, die im internationalen Wettbewerb stehen, ist in
Deutschland wegen der schmalen Bemessungsgrundlage
niedriger als in vielen anderen westlichen Industriestaaten.
Allerdings besteht unbestritten eine Schieflage bei der
effektiven Steuerbelastung zwischen großen Unternehmen einerseits und dem Mittelstand andererseits. Große
Unternehmen, die im internationalen Wettbewerb stehen, haben die bestehenden Möglichkeiten im Steuerrecht nutzen können. Der Mittelstand hat diese Möglichkeiten dagegen nicht nutzen können. Auch dies ist
eine Erblast der Regierung Kohl, die wir im Interesse
des Mittelstandes schrittweise abtragen müssen.
({12})
Beim Steuerrecht sperren sich die Unternehmensverbände weiterhin gegen die notwendige Anpassung an
internationale Bilanzierungsstandards. In ihren Handelsbilanzen dagegen sind deutsche Unternehmen, die an die
ausländischen Börsen wollen, längst bereit, diese internationalen Standards zu akzeptieren. Die Verbände fordern - wie aus den Klagen ihrer Vertreter zu ersehen ist
- von der Politik ausschließlich niedrigere Steuersätze.
Diese kann es allerdings nur geben, wenn gleichzeitig
die Bemessungsgrundlage verbreitert wird. Beides zusammen - niedrige Steuersätze und eine schmale Bemessungsgrundlage - wäre im Vergleich zu den anderen
Steuerzahlern ungerecht und ist nicht zu finanzieren.
Es ist falsch, zu hohe Erwartungen an die Steuerpolitik zu stellen. Deshalb kann man nicht erwarten, daß die
Steuerpolitik alle Probleme des Arbeitsmarkts löst. Sie
ist kein Allheilmittel gegen die Arbeitslosigkeit. Um die
Arbeitslosigkeit nachhaltig zu bekämpfen, ist es wichtig
- wie in der Koalitionsvereinbarung vorgesehen und wie es
übereinstimmend von SPD und Grünen gesehen wird -,
für wirtschaftliches Handeln klare Rahmenbedingungen
zu schaffen.
({13})
Diese Rahmenbedingungen wird die Koalition bis zum
30. Juni geschaffen haben. Diese Kraft, Herr Thiele, haben Sie in den letzten Jahren nicht aufgebracht.
({14})
- Nein, Sie haben ein Schaulaufen veranstaltet, Steuersenkungsversprechungen gemacht und nie gehandelt.
({15})
Wir dagegen handeln nach der relativ kurzen Zeit, die
seit der Regierungsübernahme vergangen ist, mit einem
modernen Unternehmensteuerrecht, mit der Umsetzung
des Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts zur Familienentlastung. All dies, was wir jetzt schultern müssen, hatten Sie doch gar nicht vor der Brust.
({16})
Klare Eckpunkte werden wir also setzen.
Wir müssen davon ausgehen, daß die Unternehmensteuerreform nicht alle Hoffnungen und Erwartungen erfüllen wird. Aber ich sehe, daß relativ hohe nominale
Steuersätze eine psychologisch abschreckende Wirkung
haben. Solche Steuersätze werden wir senken. Diese
Senkung sollte Signalwirkung für mehr Investitionen in
Deutschland haben. Dennoch müssen die Auswirkungen
auf die kommenden Haushalte kalkuliert und deren
Finanzierung gesichert werden.
Die zweite Aufgabe, nämlich die fristgerechte Verabschiedung eines Familienentlastungsgesetzes, ist nach
dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vorrangig.
Das oberste deutsche Gericht hat festgestellt, daß die
Familien in verfassungswidriger Weise zu hoch besteuert worden sind, und zwar schon seit Jahren. Nach der
Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts besteht
die verfassungswidrige Lage seit 1984.
({17})
Die erforderliche Korrektur jetzt vorzunehmen bedeutet
also, auch hier einen Teil der übernommenen Erblast abzutragen.
({18})
Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ist
deshalb ein negatives Urteil über die Steuerpolitik der
abgewählten Regierung Kohl.
({19})
Immer wieder hatte die SPD im Bundestag weitere Entlastungen für die Familien angemahnt. Die Fraktionen
von CDU/CSU und F.D.P. haben durch ihre Sprecher
hehre familienpolitische Absichten verkünden lassen.
Aber danach gehandelt haben sie nicht. Wenn sie es
doch getan haben, dann haben sie es nur widerwillig und
unter dem Druck der Sozialdemokraten im Bundestag
und im Bundesrat getan.
({20})
Die rotgrüne Bundesregierung hat mit der Erhöhung
des Kindergeldes und mit den sonstigen familienfreundlichen Steuersenkungen, die im Steuerentlastungsgesetz
verankert worden sind, eine familienfreundlichere Steuerpolitik durchgesetzt, und zwar wieder gegen den erklärten Widerstand von CDU/CSU und F.D.P. Sie haben
noch im vergangenen Herbst hier versucht, einen Widerspruch zwischen höherem Kindergeld und der Schaffung
von Arbeitsplätzen zu konstruieren.
({21})
Natürlich haben Sie das gemacht. Das können Sie in den
Protokollen nachlesen. Ich möchte aus der Begründung
eines Antrages der CDU/CSU-geführten Bundesländer
im Bundesrat zitieren, der mit Ziel gestellt wurde, dem
Steuerentlastungsgesetz nicht zuzustimmen. Darin heißt
es wörtlich:
Entlastet werden insbesondere Arbeitnehmer, Bezieher niedriger Einkommen und Familien mit Kindern.
Das ist nicht die Steuerpolitik der CDU/CSU und auch
nicht die der F.D.P. Das kann ich nur bestätigen.
({22})
Auf Grund der vom Bundesverfassungsgericht gesetzten engen Fristen muß der Gesetzgeber schnell tätig
werden. Deshalb müssen wir den Gesetzentwurf nach
der Sommerpause im Parlament gründlich beraten. Die
Einzelheiten des Entwurfs stehen derzeit noch nicht
endgültig fest. Die grundlegenden Entscheidungen für
die beiden steuerpolitischen Vorhaben - Familienentlastung und Unternehmensteuerreform - können nur in einer finanziellen Gesamtschau zusammen mit dem Haushaltsentwurf 2000 und der dazugehörenden mittelfristigen Finanzplanung im Sommer dieses Jahres getroffen
werden. Aber in dieser Woche geht es zunächst einmal
um den Bundeshaushalt 1999. Ich möchte den Haushältern für ihre mühevolle und sehr erfolgreiche Arbeit
danken. - Sie sehen, Herr Metzger, ich bin heute koalitionsfreundlich.
({23})
Die Ausgabenkürzungen bei den einzelnen Ressorts,
die wir uns vorgenommen hatten, wurden erbracht.
Trotzdem konnten für regenerative Energien zusätzlich
200 Millionen DM zur Verfügung gestellt werden. Über
700 Millionen DM mußten auf Grund der dramatischen
Entwicklung im Kosovo in den Etat eingestellt werden.
({24})
Auch hierfür mußte finanzieller Spielraum geschaffen
werden. Dennoch ist es gelungen - es wurde hier schon
erwähnt -, die Nettokreditaufnahme in den parlamentarischen Beratungen um fast 3 Milliarden DM zu senken. Es soll auch nicht bestritten werden - das bestreitet
auch niemand -, daß die Verhandlungen schwierig und
sehr konfliktträchtig waren, Herr Rexrodt. Um so höher
ist das Ergebnis einzuschätzen. Daß die Opposition dies
alles ganz anders sieht, liegt in der Natur der Sache.
Man kennt das, wenn man schon etwas länger dabei ist.
Die Opposition hat sich bei den Haushaltsberatungen
allerdings wenig konstruktiv verhalten. Dies dokumentieren die Pressemitteilungen der CDU/CSU und der
F.D.P. zum Abschluß der Haushaltsberatungen. Sie beklagen auf vielen Seiten, daß viele Bereiche des Haushalts mit zu geringen Mitteln ausgestattet seien. Wo es
darum ging, einerseits die notwendigen Gelder für den
Kosovo einzustellen und andererseits die geplante Kreditaufnahme abzusenken, kamen von der Opposition nur
Erhöhungsanträge und Klientelpolitik. Echte Sparvorschläge sind dagegen ausgeblieben.
({25})
- Aber ich bin gut informiert.
Bemerkenswert ist aber, daß sowohl F.D.P. als auch
CDU/CSU beantragt haben, den Zuschuß an die Bundesanstalt für Arbeit um mehrere Milliarden DM zu
kürzen. Das geht an der Realität völlig vorbei.
({26})
Bereits jetzt zeichnet sich ab, daß der etatisierte Zuschuß
an die Bundesanstalt für Arbeit wirklich gebraucht wird.
Die geplanten Maßnahmen der aktiven Arbeitsmarktpolitik sind notwendig und in der derzeitigen Situation
ohne Alternative. Wir müssen den Menschen eine Brükke bauen, die ohne diese Hilfe nicht in den ersten Arbeitsmarkt kommen.
({27})
Der Bundesfinanzminister hat in den letzten Tagen
mehrfach deutlich gemacht, daß die größten haushaltspolitischen Probleme noch vor uns liegen und bei der
Aufstellung des Haushalts 2000 bewältigt werden müssen. Weil die Regierung Kohl/Waigel strukturelle Probleme des Bundeshaushalts nicht gelöst, sondern allenfalls verschleiert hat, stehen wir vor der Aufgabe, in jedem der folgenden Bundeshaushalte über die in der
mittelfristigen Finanzplanung bereits vorgesehene jährliche Nettokreditaufnahme von 45 bis 55 Milliarden DM
hinaus eine strukturelle Finanzierungslücke von bis zu
30 Milliarden DM zu decken; denn Art. 115 des Grundgesetzes, den Sie ja kennen, ist einzuhalten.
Abschließend möchte ich festhalten:
Erstens. Es ist dringend nötig, die Diskussion über die
Steuerreform zu versachlichen. Ideologische Überzeichnung und negative Stimmungsmache sind schlicht verantwortungslos.
Zweitens. Der Haushalt 1999, den wir in dieser Woche verabschieden, hat gezeigt, wie stark die einzelnen
Positionen noch mit dem Haushaltsentwurf der KohlRegierung für dieses Jahr übereinstimmen. Es trifft zu,
daß wir viele Positionen übernommen haben. Diese
Haushaltsaufstellung war also weitgehend vergangenheitsgeprägt. Uns war natürlich bewußt, daß im Haushaltsentwurf für das Haushaltsjahr 1999 keinerlei Vorsorge für die von der Kohl-Regierung versprochene
Steuerreform getroffen worden war.
Der frühere Bundesfinanzminister Waigel hat dies so
formuliert, daß seine Steuerreform erst noch in die mittelfristige Haushaltsplanung eingepaßt werden müsse.
Wir haben die finanziellen Wirkungen unserer Steuerreform 1999 in den diesjährigen Haushalt eingepaßt. Darin
liegt der Unterschied hinsichtlich der Qualität Ihrer und
unserer Arbeit.
({28})
Wir werden bei allen finanzpolitischen Maßnahmen,
die wir in diesem Jahr noch treffen müssen, trotz aller
dieser Vorbelastungen dafür Sorge tragen, daß die Bürger auch in der Finanzpolitik wieder erkennen, warum
sie uns gewählt haben.
({29})
Wir lassen uns nicht darin beirren, die von CDU/CSU
und F.D.P. hinterlassene gesellschaftliche Realität zu
verändern.
({30})
- Herr Merz, auch wenn Sie den Mund noch so voll
nehmen: Ihre Hinterlassenschaft ist ein finanzpolitischer
Scherbenhaufen, auch wenn Sie versuchen, eloquent
darüber hinwegzugehen.
({31})
Wir lassen uns nicht darin beirren, die von CDU/CSU
und F.D.P. hinterlassene gesellschaftliche Realität zu
verändern und die Fehlentwicklungen der vergangenen
16 Jahre schrittweise, aber stetig zu korrigieren.
({32})
Das Wort hat der
Kollege Peter Jacoby, CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine
Damen und Herren! Am heutigen Tag erschien ein Interview mit dem Kollegen Poß, dem neugewählten stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden, in der „Westdeutschen Allgemeinen Zeitung“ mit der Überschrift „Poß:
Koalition muß besser arbeiten“.
({0})
Wer am Vortag einer Haushaltsdebatte ein derartiges
Interview gibt und einen Tag später mit Tremolo in der
Stimme ausschließlich Vorwürfe an CDU/CSU und
F.D.P. formuliert, der spielt in der Debatte des heutigen
Tages keine glaubwürdige Rolle. Das möchte ich Ihnen,
Herr Kollege Poß, sagen.
({1})
Folgenden Sätzen des Interviews möchte ich, meine
Damen und Herren, namens der CDU/CSU-Fraktion
ausdrücklich zustimmen. Ich bringe nun die Originalzitate aus dem Munde des Kollegen Poß:
Gesetze müssen sorgfältiger vorbereitet und im
Kanzleramt koordiniert werden. Eine streitende
Koalition sei nicht attraktiv. Wer sich in die Regierungslokomotive setzt, muß mehr bieten als Überschriften, er muß durchbuchstabierte Konzepte präsentieren. Daran fehlt es manchem.
Dem ist nichts hinzuzufügen.
({2})
Die Benutzung einer so klaren Sprache am gestrigen
Tage - zugegebenermaßen gegenüber anderen Adressaten und in einem anderen Umfeld als heute - straft vieles von dem Lügen, was Herr Kollege Poß eben fälschlicherweise in seiner Argumentation verarbeitet hat.
({3})
Im „Spiegel“ war gestern folgendes zu lesen:
Was wird den Kanzler als nächstes davon abhalten,
das zu tun, wofür er gewählt wurde: das Land und
seine Wirtschaft, die überbordenden Sozialsysteme
und sein leistungsfeindliches Steuersystem grundlegend zu reformieren - kurz: Deutschland zukunftsfähig zu machen?
Genau das ist der Maßstab, mit dem wir den vorgelegten
Haushaltsplan der neugewählten rotgrünen Bundesregierung messen. Sieben Monate nach dem Regierungswechsel klafft jedenfalls zwischen dem im vergangenen
Jahr von Rotgrün vorgetragenen Reform- und Modernisierungsanspruch und der realen innenpolitischen Situation des Jahres 1999 in unserem Land eine riesengroße
Lücke. Das gilt insbesondere für zentrale Fragen der
Wirtschafts-, Finanz- und Haushaltspolitik.
Der Anteil des Bundeshaushalts am Bruttoinlandsprodukt steigt 1999, die Staatsquote steigt, die Verschuldungsquote steigt, aber die reale Investitionsquote
sinkt.
({4})
Das ist heute morgen schon von allen Oppositionsrednern gesagt worden. Deshalb ist es völlig falsch, meine
Damen und Herren, den Blick ausschließlich auf die
Jahre 2000 ff. zu richten, aber für dieses Jahr sieben
Monate nach der Regierungsübernahme von Rotgrün
exakt gegenteilige politische Entscheidungen zu treffen.
Dieser Widerspruch kann nicht hingenommen werden.
({5})
Es bleibt also bei unserer Analyse: Von Konsolidierung, von wirklichen Strukturreformen - alles Dinge, die
Sie im zurückliegenden Jahr in den Raum gestellt haben
-, insbesondere auch von einer Reduzierung der Steuer-,
Staats- und Abgabenquote kann beim Blick auf die
Haushaltsentscheidungen für dieses Jahr 1999 keine Rede sein.
Ich will mich auch noch einmal mit dem auseinandersetzen, was Ihnen hinterlassen wurde, und Sie einfach
nur auf folgendes hinweisen: Die Steuereinnahmen im
ersten Quartal 1999, also im ersten Quartal dieses Jahres, sind nach Aussagen des Bundesfinanzministeriums
um 5,4 Prozent auf rund 180 Milliarden DM angewachsen. In diesem Jahr 1999 haben wir einen Zuwachs bei
den Steuereinnahmen in Höhe von 38 Milliarden DM
zu verzeichnen. Das ist ein Ergebnis und eine Hinterlassenschaft der Entscheidungen, die in der Vergangenheit
getroffen worden sind und zum Beispiel im letzten Jahr
dazu geführt haben, daß wir 400 000 Arbeitslose weniger hatten. Wenn wir das jetzt noch mit der Tatsache in
Zusammenhang bringen, daß wir kaum Steigerungen bei
den Zinsausgaben zu befürchten haben und daß Geldwertstabilität besteht, dann kommen wir zu der Aussage,
daß es in dieser Situation eigentlich möglich gewesen
wäre, die Nettokreditaufnahme auf unter 50 Milliarden
DM zu senken. Diese Basis haben Sie vor sieben Monaten beim Regierungswechsel angetroffen.
({6})
Alle Sprecher der Regierungskoalition, Kollege Poß
und Kollege Metzger, reden zwar von Sparsamkeit und
Nachhaltigkeit und propagieren Konsolidierungskonzepte in der Öffentlichkeit, aber bei den ganz konkreten
Entscheidungen - auch bei den zurückliegenden Entscheidungen im Haushaltsausschuß - haben sie sich
nicht dementsprechend verhalten.
Ich will an folgenden Punkt erinnern: Sie etatisieren
sogar eine globale Mindereinnahme in der Größenordnung von 2 Milliarden DM, obwohl Sie, Kollege Metzger, vor zwei Monaten gesagt haben, daß Sie darauf verzichten könnten, wenn die Entwicklung der Steuereinnahmen so weitergeht. Sie haben aber nicht darauf verzichtet und reden jetzt von Puffern, die Sie brauchen. Sie
unterstreichen damit die mangelnde Ernsthaftigkeit Ihres
Sparwillens, die auch dadurch deutlich wird, daß am
gleichen Tage der Personalsektor aufgebläht wurde, was
diametral entgegengesetzt zu den von Ihnen in der Vergangenheit aufgestellten Forderungen ist.
({7})
Das Ausgabevolumen des Haushalts 1999 wächst
um 30 Milliarden DM an. Die Steigerungsrate liegt im
Grunde genommen bei über 6 Prozent, denn Ihre Argumentation mit den Durchlaufposten ist irreführend:
Wenn nämlich all die Positionen herausgerechnet würden, die Durchlaufpositionen sind, kämen Sie auf ein
Minuswachstum hinsichtlich dieses Haushalts. Allein
daran wird schon die Absurdität Ihrer Brutto/NettoBetrachtung deutlich.
({8})
Ihr Verhalten soll nur davon ablenken, daß Sie Ihre
Wahlversprechungen nicht finanzieren können. Man
darf ja nicht übersehen, daß Sie nur durch üppige Privatisierungserlöse, die in den Haushalt eingestellt worden
sind, über die Runden kommen. Einige Privatisierungserlöse sind ja noch übertragen worden. Darüber kann
man zwar geteilter Meinung sein. Dennoch will ich Ihnen, Herr Kollege Metzger, sagen: Wer in der Vergangenheit im Zusammenhang mit dem Einstellen von Privatisierungserlösen so lautstark wie Sie von „Notoperation“, „Einmal-Effekt“ und „Verschiebebahnhof“ gesprochen hat - das gilt auch für die SPD und für ihren
damaligen Sprecher Diller -, der muß sich heute in der
Öffentlichkeit schämen, daß er an dieser Stelle nicht etwa eine Kurskorrektur vorgenommen hat - ganz im Gegenteil -, sondern daß er die von ihm früher kritisierte
Politik jetzt fortsetzt. Das ist ein Widerspruch und hat
sicherlich mit Glaubwürdigkeit nichts, aber auch gar
nichts zu tun.
({9})
Wenn der neue Finanzminister Eichel in der Öffentlichkeit jetzt sagt, er wolle in der rotgrünen Finanzpolitik mit harter Hand einen Kurswechsel durchsetzen, alles müsse auf den Prüfstand, und das gelte insbesondere
für Leistungen - man muß da wirklich genau hinhören -,
die mittlerweile nicht mehr dort ankämen, wo sie hingehören, dann muß man sich einmal daran erinnern, wie
früher reagiert wurde, als wir auf fehlgeleitete Sozialausgaben hingewiesen haben. Wer jetzt auf diese Weise
argumentiert, Herr Minister Eichel, der bestätigt im
Grunde genommen nur den richtigen Politikansatz der
vergangenen Legislaturperiode und der macht deutlich,
daß damals Ihre Opposition nicht sachlich, sondern in
allererster Linie parteipolitisch motiviert gewesen ist.
Das muß man feststellen.
({10})
Ich möchte noch eine abschließende Bemerkung zu
dem machen, was der Kollege Poß im Zusammenhang
mit der Steuerpolitik gesagt hat. Er hat die Steuerpolitik
so dargestellt, als handele die Koalition in völliger
Übereinstimmung und als sei sie im Besitz eines Konzeptes. Ich will Sie einfach nur darauf hinweisen, daß
noch vor sechs Wochen der Kollege Metzger in der Öffentlichkeit gesagt hat, der verunglückte Start der Steuerpolitik der Koalition, der eine Asymmetrie der Entlastung der abhängig Beschäftigten und der Belastung der
Wirtschaft gebracht habe, müsse jetzt korrigiert werden.
Das ist das Eingeständnis, daß der erste Schritt im Zusammenhang mit Ihrer Steuerpolitik ein falscher Schritt
war, bei dem jetzt nachgebessert werden muß. Dann soll
man bitte nicht daherkommen und als Koalition den
Eindruck erwecken, als habe man in völliger Kenntnis
und Würdigung der Problemlage von vornherein unterschiedliche Schritte beschlossen. Im Gegenteil: Sie reden erst seit dem Zeitpunkt von der notwendigen Unternehmensbesteuerung, da Sie gemerkt haben, daß die Sache nach Ihrem ersten Schritt total aus dem Ruder gelaufen ist. Wenn es noch eines Beweises bedurft hätte, daß
sie aus dem Ruder gelaufen ist, wären das die Aussagen
des Wirtschaftsministers gewesen, der vor ein paar WoPeter Jacoby
chen am Rande der Handwerksmesse in München gesagt
hat:
In der Tat: Die am Freitag im Bundesrat verabschiedete rotgrüne Steuerreform belastet die Wirtschaft.
Wenige Tage zuvor hat er gesagt: Hätte er die Berechnungen und die Zahlen der Wirtschaft gekannt, hätte er
dieser Steuerreform im Kabinett nicht zugestimmt. Auch
das war nachzulesen.
({11})
Von daher kann es nicht sein, daß hier, wie es eben
der Kollege Poß getan hat, der Eindruck erweckt wird,
als wenn das, was jetzt angepackt worden ist, auf einer
sachgerechten, sachbezogenen Überlegung und einem in
sich stimmigen Gesamtkonzept beruhe. Dieses in sich
stimmige Gesamtkonzept gibt es bis zur Stunde nicht.
Deshalb sage ich: Insbesondere im Zusammenhang mit
der Steuerpolitik ist viel Zeit vertan worden, ausgehend
von Ihrer Blockade der Petersberger Beschlüsse. Wenn
Sie die steuerliche Entwicklung betrachten und sehen,
daß heute jeder sagt, wir seien am Ende der Steuererosion angekommen, dann wäre es auch im Rückblick, gerade unter dem Gesichtspunkt der Verträglichkeit mit
den Haushalten, Laffer-Kurve hin oder her, möglich gewesen, ein in Stufen gegossenes Petersberger Modell zu
verantworten und zu verabschieden. Genau das war unsere Konzeption.
({12})
Deshalb möchte ich zum Schluß sagen - das war der
Eindruck, den ich eben bei der Rede des Kollegen Poß
hatte -: Wer bei einer notwendigen Steuerreform, auch
einer Reform der Unternehmensbesteuerung, so halbherzig ist und wer nicht in der Lage ist, den Blick auf die
Unternehmen, die Betriebe, den Mittelstand und das
Handwerk zu richten und das als gesamte Herausforderung zu sehen, der kommt auch in seinen Ergebnissen zu
nur wenig überzeugenden Schlußfolgerungen. Wir haben den Eindruck, daß die Andeutung des neuen Finanzministers, am 1. Januar 2000 sei das natürlich noch
nicht unter Dach und Fach, allenfalls ein Jahr später,
weniger damit zu tun hat, daß der Bundesfinanzhof in
diesen Tagen gesprochen hat, sondern mehr damit, daß
Sie in der Koalition bis zur Stunde keine breit fundierte
Überzeugung hinsichtlich der Notwendigkeit entwickelt
haben, hier das zu tun, was die anderen Staaten um uns
herum längst getan haben. Insofern besteht zeitlicher
Druck und Druck von der Sache her.
Wir möchten Sie aus der Opposition heraus ermuntern, Ihr Herz über die Hürde zu werfen und diese Diskussion nicht in der kleinlichen Weise weiterzuführen,
wie es bisher der Fall gewesen ist.
Vielen Dank.
({13})
Nun hat das Wort
die Kollegin Dr. Barbara Höll.
Frau Präsidentin! Meine
Damen und Herren! Zur Einbringung des Haushalts
1999 am 23. Februar erklärte der damalige Finanzminister Oskar Lafontaine: Wichtigstes
Ziel der Bundesregierung ist es, die Arbeitslosigkeit zu bekämpfen und für mehr soziale Gerechtigkeit in Deutschland zu sorgen.
Im Ergebnis haben wir einen Haushalt, der, wie Oswald Metzger unterstrich, zu 95 Prozent den Ansätzen
des Waigelschen Entwurfs entspricht, also weitgehende
Kontinuität. Herr Wagner von der SPD erklärte, daß mit
diesem Haushalt aber bereits die Wende in der Finanzpolitik eingeleitet sei. Mit 5 Prozent eine Wende einzuleiten ist natürlich schon sehr viel.
Die PDS begrüßt das, was im Haushalt 1999 an neuen
Elementen enthalten ist, zum Beispiel die Verstetigung
der Arbeitsmarktpolitik, wobei ich hier dringend anmahnen möchte, daß die Instrumente der Arbeitsmarktpolitik, wie Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen, endlich
fortentwickelt werden zu einem öffentlich geförderten
Beschäftigungssektor, denn ansonsten werden Sie das
Ziel auch dieses Haushaltes nicht erreichen.
Die Grünen lassen sich in der Presse dafür feiern, daß
es ihnen gelungen ist, trotz allen Sparens in diesem
Haushalt 200 Millionen DM für ein Förderprogramm
für erneuerbare Energien lockerzumachen. Da kann
ich allerdings nur sagen: gemach, gemach! Vielleicht
sollte Herr Metzger einmal sein Kurzzeitgedächtnis etwas trainieren. Erst vor wenigen Wochen nämlich haben
wir hier das Ökosteuergesetz verabschiedet, dessen Bestandteil die Auflage eines Förderprogramms für erneuerbare Energien war. Auf Nachfrage aber stellte sich
heraus, daß die anvisierte Summe von 200 Millionen
DM genau dem Betrag entspricht, mit dem die erneuerbaren Energien durch die Ausgestaltung des Ökosteuergesetzes belastet werden. Es handelt sich also nicht um
ein tatsächliches Förderprogramm, sondern um ein Nullsummenspiel. Ob es Wirkung zeigt, wird sich herausstellen.
({0})
Da Sie betonen, daß es Sie Kämpfe gekostet hat, dies
durchzubringen, frage ich mich: Was ist eigentlich ein
Versprechen Ihres großen Koalitionspartners wert, welches er im Ökosteuergesetz mit der Auflage eines Förderprogrammes für erneuerbare Energien eingegangen
ist?
({1})
Die Zielstellung „für mehr soziale Gerechtigkeit“ haben Sie natürlich mit der Ausgestaltung des Ökosteuergesetzes über Bord geworfen; das muß man hier noch
einmal in aller Klarheit betonen. Rentner und Rentnerinnen, Sozialhilfeempfänger und Sozialhilfeempfängerinnen und Studenten warten nämlich noch immer auf
Ausgleiche für die Mehrbelastungen, die sie bereits in
diesem Jahr zu tragen haben.
Im Ergebnis 16jähriger CDU/CSU- und F.D.P.Regierung haben wir in der Bundesrepublik eine enorme
Staatsverschuldung, Massenarbeitslosigkeit, aber als
Kehrseite dieser Entwicklung auch eine enorme Vermögenspolarisierung, 5,6 Billionen DM Privatvermögen,
konzentriert in der Hand sehr weniger Menschen. Dies
wird der Prüfstein für Sie, Herr Finanzminister, sein, ob
Sie bereit sind, außer Ausgabenkürzungen - die Diskussion geht bis hin zu Leistungskürzungen im sozialen Bereich durch ein Haushaltssicherungsgesetz - auch auf
der Einnahmenseite außer dem alten Konzept der Privatisierungen neue Finanzquellen aufzutun.
Es stehen jetzt die Diskussionen zur Familienentlastung und zur Unternehmensbesteuerung an. Ich frage
Sie bereits heute: Werden Sie dem Vorschlag zur Einführung eines Kindergrundfreibetrages folgen, der
von SPD und Grünen diskutiert wird, aus dem eine maximale Entlastung - in Kindergeld umgerechnet - von
340 DM resultiert? Im Klartext bedeutet das für alle
Kinder und Jugendliche, die von der Sozialhilfe leben,
wieder keine Entlastung; denn der Regelsatz bei der Sozialhilfe liegt im bundesweiten Durchschnitt bei 342
DM, und staatliche Leistungen werden gegengerechnet.
Zudem führte dies zu einer teilweisen Schlechterstellung
von Alleinerziehenden.
Wagen Sie endlich den großen Schritt zu einer Individualbesteuerung, der, an europäischen Maßstäben
gemessen, längst überfällig ist, um damit die Finanzquellen für die Einführung eines tatsächlichen soziokulturellen Existenzminimums, eines einheitlichen Kindergeldes in einer Größenordnung von 660 bis 800 DM,
zu erschließen.
({2})
Nun zur Unternehmensbesteuerung. Herr Lafontaine hat am 4. März dieses Jahres in seiner letzten Rede
vor dem 14. Deutschen Bundestag Ihnen, Herr Eichel,
eine sehr klar umrissene Aufgabe hinterlassen. Ich zitiere Herrn Lafontaine:
Wir dürfen auch nicht vergessen, daß in den letzten
Jahren die Unternehmen … in der Summe um
50 Milliarden DM entlastet worden sind, mit dem
Versprechen, daß dadurch die Arbeitslosigkeit abgebaut werde.
Das gewünschte Ziel wurde nicht erreicht. Nun stellt
sich die Frage: Wie werden Sie mit dem Urteil des Bundesfinanzhofes umgehen?
Im Gegensatz zur PDS hat die SPD 1993 in der Diskussion um das Standortsicherungsgesetz gegen die Einführung einer Spreizung der Höchststeuersätze zwischen
gewerblichen und anderen Einkunftsarten nicht protestiert. So viel also einmal zum Thema Glashaus und zur
gegenseitigen Geschichtsklitterung.
Die geforderte Rückkehr zum Gleichheitsgrundsatz
in der Besteuerung aller Einkunftsarten ist natürlich
auf zweierlei Weise möglich. Es besteht die Möglichkeit, alle Einkunftsarten in der Besteuerung durch die
Senkung des Höchststeuersatzes zu entlasten. Das bedeutet aber im Klartext eine weitere Entlastung ertragsstarker Unternehmen und der wirklich Vermögenden in
diesem Land. Oder aber Sie sagen: Nein, man muß umkehren! Es gilt, eine Neugestaltung vorzunehmen und
vielleicht eine Angleichung der Höchststeuersätze nach
oben. Befreien Sie sich endlich aus der Logik des endlosen Steuersenkungswettbewerbes nach unten!
Denken Sie an Ihre
Redezeit, Frau Kollegin?
Ja. - Vielleicht wäre es
sinnvoll, auch da Sie den Vorschlägen der PDS bisher
nicht so sehr aufgeschlossen gegenüberstanden, das zu
diskutieren, was aus Ihren eigenen Reihen kommt. So
mahnt der ehemalige Arbeitsminister der SPD, Herr Ehrenberg, wie wir die Einführung einer befristet ausgestalteten Vermögensabgabe an. Das wäre in einer Situation wie heute eine gute neue Finanzierungsquelle. Es
wäre notwendig, sich dem mit Mut zu stellen. Unsere
Unterstützung hätten Sie dabei.
Ich danke Ihnen.
({0})
- Ich bin keine Kommunistin! Sie sollten sich einmal an
eine Differenzierung zwischen Sozialisten und Kommunisten gewöhnen.
Das Wort hat jetzt
der Kollege Rolf Schwanitz, Staatsminister beim Bundeskanzler.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte auf einen zentralen Punkt im Bundeshaushalt 1999 zu sprechen kommen, nämlich darauf,
welche Mittel im Bundeshaushalt für den Aufbau Ost
vorgesehen werden. Genauer gesagt möchte ich auf die
Ausgabenpositionen eingehen, die im Bundeshaushalt
1999 für Ostdeutschland zur Lösung von Gegenwartsfragen und vor allen Dingen zur Lösung von Zukunftsfragen veranschlagt worden sind. Um es gleich vorweg
auf den Punkt zu bringen: Der Bundeshaushalt 1999
setzt einen deutlichen Schwerpunkt zugunsten der ostdeutschen Länder,
({0})
und zwar sowohl was den Regierungsentwurf als auch
was den Gesetzentwurf betrifft, nachdem er die parlamentarische Beratung durchlaufen hat.
Ich will die Gelegenheit nutzen, den Haushältern dieses Hohen Hauses meinen ausdrücklichen Respekt und
Dank für die Beratungen unter der besonderen Berücksichtigung der Dinge, die Ostdeutschland betreffen, auszusprechen.
Verstetigung und Verstärkung, das sind im Bundeshaushalt 1999 die beiden Botschaften für die neuen
Länder: Verstetigung dort, wo es um sinnvolle und
wichtige Ausgabepositionen geht, wo auch die frühere
Bundesregierung - ich glaube, das kann man offen sagen - richtige Maßnahmen ergriffen hat, die wir selbstverständlich fortführen, und Verstärkung dort, wo es um
Zukunftsfragen des Ostens geht, zum Beispiel um die
Förderung von Forschung und Technologie sowie um
Innovationen.
Wie 1998 ist auch in diesem Haushalt ein Viertel der
Ausgaben, die nach Ostdeutschland fließen, für Investitionen vorgesehen. Fast jede zweite DM der Mittel, die
für Verkehrsinvestitionen veranschlagt worden sind,
wird in Projekte, die die neuen Länder betreffen, fließen.
Auch außerhalb des Bundeshaushaltes - lassen Sie mich
das ganz deutlich sagen -, zum Beispiel bei der Kreditanstalt für Wiederaufbau, werden deutliche und klare
Signale zugunsten des Ostens gesetzt, die übrigens über
das hinausgehen, was die frühere Bundesregierung in ihrem Haushaltsentwurf für 1999 zum Beispiel für das
KfW-Wohnraummodernisierungsprogramm vorgesehen
hat.
({1})
- Herr Rexrodt, ich bitte Sie: Es wird um 2 Milliarden
DM aufgestockt. Auch bei der Infrastruktur kommt es zu
ganz massiven Erhöhungen über das Niveau hinaus, das
Sie vorgesehen hatten. Das begrüße ich ausdrücklich.
({2})
Ein besonderer Schwerpunkt im Bundeshaushalt
1999 liegt, was Ostdeutschland betrifft, bei Zukunftsfragen, bei der Förderung von Forschung und Technologie
sowie bei der Förderung von Innovationen. Denn wir
wissen selbstverständlich, daß die Innovationskompetenz Ostdeutschlands die zentrale Voraussetzung für die
Lösung der wirtschaftspolitischen Fragen, für die Angleichung des Ostens im vereinigten Deutschland ist.
Herr Staatsminister,
gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Pieper?
Ja, bitte sehr.
Herr Staatsminister
Schwanitz, ich möchte wissen, ob die Einführung der
Ökosteuer zum Aufbauprogramm Ost gehört.
Frau Pieper, selbstverständlich profitieren auch die ostdeutschen Unternehmungen von der Senkung der Lohnnebenkosten.
({0})
Dies steht im Gegensatz zu dem, was gerade Ihre Partei
in den letzten acht Jahren nach der deutschen Vereinigung in diesem Bereich getan hat, nämlich die Lohnnebenkosten immer nur aufzustocken, Frau Pieper.
({1})
Ich will nicht verhehlen - auch darüber kann man offen sprechen -, daß im Zusammenhang mit der Diskussion über das Eingangsmodell der Ökosteuer gerade für
den Osten das eine oder andere Problem aufgetreten ist.
Ich bin sehr froh, daß durch das von uns eingeführte
Vergütungsmodell - ein Modell übrigens, das in ganz
Deutschland eingeführt und auch EU-fest verankert
worden ist - gerade bei den ostdeutschen Unternehmen
eine Entlastung herbeigeführt worden ist und daß es den
ostdeutschen Bedingungen entspricht.
({2})
Gestatten Sie eine
weitere Zwischenfrage der Kollegin Pieper?
Bitte schön.
Herr Staatsminister, wie
erklären Sie sich dann die Zunahme von Konkursen
mittelständischer Firmen zu Beginn dieses Jahres?
Diese Zunahme belegt Ihre These, daß die Ökosteuer
letztendlich den mittelständischen Betrieben zugute
kommt, überhaupt nicht. Das Gegenteil ist der Fall.
Frau Kollegin Pieper, ich empfehle Ihnen, sich einmal
die Entwicklung der Insolvenzraten in den ostdeutschen
Bundesländern anzugucken und nicht auf den billigen
polemischen Trick zu verfallen, die Ursache für die
Schwierigkeiten dieses Prozesses einer erst vor zwei
Monaten getroffenen Entscheidung zuzuordnen.
({0})
Ich habe mich mittlerweile zwar daran gewöhnt, daß Sie
auf dieser Seite des Hauses so tun, als hätten Sie 16 Jahre in der Opposition gesessen. So war es aber nicht, sondern Sie haben Regierungsverantwortung getragen.
Deshalb tragen Sie auch hierfür Verantwortung, übrigens auch Sie ganz persönlich.
({1})
Die Mittel für Forschung und Entwicklung - das
ist der Bereich, bei dem es um Zukunftsfragen geht werden im Vergleich zum Vorjahr um fast 20 Prozent
angehoben, nämlich von 2,2 Milliarden DM auf zirka
2,6 Milliarden DM. Das ist ein deutliches Zeichen zugunsten des Ostens und - dies will ich ausdrücklich hervorheben - zugunsten der Lösung von Zukunftsfragen.
Natürlich darf an dieser Stelle auch das große Engagement zur Bekämpfung von Jugendarbeitslosigkeit
nicht verschwiegen werden. Das „100 000er-Programm“, das in diesem Bundeshaushalt verankert ist und
dessen Mittel in maßgeblichem Umfang nach Ostdeutschland fließen, ist ein Segen für Ostdeutschland.
Das können wir nicht oft genug betonen; wir müssen es
auch in dieser Debatte noch einmal ausdrücklich erwähnen.
({2})
Es geht dabei wirklich um viel mehr als um eine soziale Frage. Wer sich mit den Menschen unterhalten hat,
wer sich mit den Jugendlichen unterhalten hat, der weiß,
daß wir davon wegkommen müssen, daß die erste Botschaft, die die Jugendlichen nach einer zehnjährigen
Schulbildung von der Gesellschaft empfangen, das Signal ist, sie werden in dieser Gesellschaft nicht gebraucht. Das ist das Grundproblem. Das rührt nach meiner Einschätzung übrigens an der Akzeptanz von Gesellschaft, von Politik und von Demokratie in der jungen
Generation insgesamt. Deswegen ist diese Kraftanstrengung richtig gewählt. Ich begrüße sie ausdrücklich.
({3})
Verstetigt haben wir auch die aktive Arbeitsmarktpolitik. Wir wollten ganz bewußt - das haben wir auch
vor der Wahl gesagt - keinen Abbruch der Arbeitsmarktpolitik nach dem Regierungswechsel. Wir wollten
vor allem auch keine Unterordnung der Arbeitsmarktpolitik unter ein einseitiges parteipolitisches Interesse,
wie wir es im Wahljahr 1998 unter Ihrer Regierungsführerschaft noch zur Genüge erlebt haben.
Was ist das für eine Moral, den Menschen, die nach
jahrelangen Kürzungen von Maßnahmen in Not geraten
sind, nur in einem Wahljahr zu helfen, wenn sie also
wieder an die Wahlurnen können, wenn es parteipolitisch oder parteitaktisch ins Kalkül paßt? Damit muß
eindeutig Schluß sein! Arbeitsmarktpolitik darf sich
nicht am parteipolitischen Interesse orientieren, sondern
muß der Notsituation der Menschen gerecht werden.
({4})
Schluß sein muß auch mit der Doppelzüngigkeit. Ich
höre mit großem Interesse, wie einige ostdeutsche Kolleginnen und Kollegen von der CDU jetzt wieder einige
Signale im Osten aussenden. Ich will daran erinnern,
daß die in den ersten Haushaltsentwurf für 1999, der
unter Ihrer Regierung eingebracht worden ist, für aktive
Arbeitsmarktpolitik eingestellten Mittel von den ostdeutschen Koleginnen und Kollegen der damaligen Regierungsfraktionen beklatscht worden sind; sie haben
von Verstetigung gesprochen. Wir haben da einen
draufgelegt, weil wir der Auffassung waren, daß das
nicht reicht, um Abbrüche zu verhindern und um zu verstetigen. Jetzt höre ich in Ostdeutschland Stimmen von
ostdeutschen CDU-Abgeordneten, die sagen, das sei alles zu wenig. Im Osten vor Ort einen Mangel zu beklagen und gleichzeitig hinter verschlossenen Türen im
Ausschuß für die Angelegenheiten der neuen Länder
einen Antrag zu stellen, die Mittel für die aktive Arbeitsmarktpolitik im Osten zusammenzustreichen, ist
wirklich der Gipfel der Unglaubwürdigkeit.
({5})
Ich sage Ihnen: Das werden wir in Ostdeutschland
selbstverständlich auch der Öffentlichkeit in aller Deutlichkeit sagen.
In Zeiten knapper Kassen wird neben der Verstetigung und Verstärkung der Mittel für den Aufbau Ost
auch eine dritte Frage stärker in das Bewußtsein von
Politik gerückt werden. Das ist die Frage einer höheren
Effizienz. Das ist die Frage eines größeren regionalen
und volkswirtschaftlichen Nutzeffektes der Mittel, die
wir für den Aufbau Ostdeutschlands einsetzen. In Zeiten
knapper Kassen müssen wir - dafür plädiere ich nachdrücklich - vor allem dort Verstärkungen organisieren,
wo für die Zukunft der größte Nutzeffekt für Ostdeutschland entsteht.
Das ist nach meinem Eindruck ganz besonders bei
den überregional bedeutsamen Verkehrsprojekten
der Fall, deren Verwirklichung wir in Ostdeutschland
noch vor uns haben. Meine Damen und Herren, wir haben hier ein schweres Erbe angetreten.
({6})
Die Maßnahmen im Bundesverkehrswegeplan sind mittelfristig nur zum Teil gegenfinanziert. Die alte Bundesregierung und die sie tragende Koalition waren Spitzenklasse im Ankündigen, im Spatenstechen, im BändchenDurchschneiden, besonders dann, wenn die Leute zu den
Wahlurnen gingen.
({7})
Aber sie waren sehr zurückhaltend und auch unsolide in
bezug auf das mittelfristige Gegenfinanzieren. Deswegen sage ich: Wir haben die Chance, in gewissen Bereichen zusätzliche Mittel einzusetzen. Das ist dank der
Ergebnisse der EU-Ratspräsidentschaft glücklicherweise
für Ostdeutschland bei den Mitteln der Fall, die wir im
Rahmen der Zielgebiet-1-Förderung bekommen. Wir
sollten die Kraft finden, diese zusätzlichen Gelder
schwerpunktmäßig dort einzusetzen, wo der größte Nutzen entsteht, nämlich bei den überregionalen und für Europa bedeutsamen Infrastrukturprojekten. Dafür werbe
ich. Ich glaube, wir finden dabei Unterstützung bei den
Unternehmen, den Handwerkern und bei großen Teilen
der ostdeutschen Bevölkerung.
({8})
Ich will ausdrücklich noch ansprechen, daß wir neue
Wege gehen müssen, Wege, die von der alten Bundesregierung bisher vernachlässigt worden sind, zum Beispiel bei der Förderung regionaler Innovationspotentiale, bei der Förderung sogenannter weicher Elemente, etwa bei der Förderung von ostdeutschen Sportstätten oder beim Erhalt und der Förderung von Kunst
und Kultur in Ostdeutschland. Deshalb setzen wir
deutliche Zeichen, auch solche der Ermutigung, zum
Beispiel mit unserem Förderprogramm „Inno-Regio“,
mit unserem Goldenen Plan Ost, dessen Mittel gerade
im parlamentarischen Beratungsverfahren stabilisiert
worden sind - dafür sage ich ausdrücklich meinen
Dank und meinen Respekt - ,
({9})
und mit der Förderung von Kunst und Kultur. Ich richte
eine Bitte an die neuen Länder: Gerade in bezug auf die
beiden letztgenannten Programme habe ich die Bitte,
daß die Länder nicht der Versuchung erliegen, die Förderung von Sportstätten und von Kunst und Kultur als
Leuchtturmprojekt zu begreifen und immer nur dort, wo
bereits Schwerpunkte sind, noch eins draufzusetzen.
({10})
Vielmehr haben wir die Chance, in diesen wichtigen
Dingen auch etwas für schwächere, bisher von der Entwicklung vernachlässigte Regionen zu tun. Ich hoffe,
daß man auch dort den Mut findet, gemeinsam mit dem
Bund etwas für diese schwächeren Regionen zu leisten.
({11})
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Dr. Rössel?
Bitte schön.
Herr Kollege Schwanitz, Sie haben über die Kulturförderung für Berlin
und Ostdeutschland gesprochen. Ich möchte Sie fragen: Wie bewerten Sie denn die Tatsache, daß von der
Koalition bei den Beratungen im Haushaltsausschuß am
ursprünglichen Regierungsentwurf, der 120 Millionen
DM vorsah, Kürzungen hinsichtlich der Kulturförderung
für Berlin und Ostdeutschland in Höhe von 30 Millionen
DM vorgenommen worden sind?
({0})
Sehr geehrter Herr Kollege Rössel, das Gesamtprogramm ist nicht angetastet worden. Aber es hat Veränderungen gegeben, und es sind Mittel in den investiven
Bereich gegeben worden. Das begrüße ich sehr. Ich gestehe offen: Es ist eine Erfahrung, die ich an der Stelle
machen mußte, daß sich die Abgeordneten des Parlaments jenseits der Vorlagen der Regierung ihrer Verantwortung stellen und im parlamentarischen Verfahren
auch Präzisierungen vornehmen.
({0})
Jetzt möchte Herr
Rexrodt eine Frage stellen, Herr Kollege. - Herr Rexrodt, bitte sehr.
Herr Kollege Schwanitz, Sie sprachen eben davon, daß insbesondere im Bereich der Kultur die Schwerpunkte auf Investitionen gelegt worden seien. Wie können Sie sich dann erklären,
daß bei einem ganz wichtigen Investitionsprojekt, nämlich dem Ausbau der Kulturlandschaft in Berlin, namentlich dem Ausbau der Museumsinsel, eines Glanzstücks in der deutschen Kulturlandschaft, ganz bewußt
Mittel in einer beachtlichen Größenordnung gekürzt
wurden, was zur Folge hat, daß die Fertigstellung dieses
Projektes, das ja mehr ist als ein Stück Kulturpolitik, das
vielmehr ein Projekt der Präsentation unseres ganzen
Landes ist, ob der Kürzungen in diesem Haushaltsansatz
um Jahre verzögert wird?
({0})
Herr Rexrodt, ich bin erstaunt, daß Sie das sagen. Ich
kenne Sie aus den letzten Jahren als einen Politiker, der
seine regionale Herkunft auch in Regierungsverantwortung - ich drücke das einmal positiv aus - nicht in Vergessenheit geraten ließ. Das Programm zur Förderung
von kulturellen Einrichtungen in Ostdeutschland, über
das wir heute reden, haben wir mit diesem Haushalt etatisiert. Der Bund wird nicht, quasi administrativ, über
den Kopf der Länder hinweg einzelne Projekte in dieses
Programm hineinschreiben. Es dürfte Ihnen bekannt
sein, daß auch über die Auswahl der Projekte selber
noch keine abschließende Entscheidung getroffen wurde.
Ich will nicht behaupten, daß wir wieder in eine umfassende Förderung einsteigen; denn auch ich weiß, daß
schwierige Jahre vor uns liegen. Aber immerhin setzen
wir - diesen leicht polemischen Nachsatz will ich mir
erlauben - mit der Bereitstellung eines dreistelligen
Millionenbetrages für ostdeutsche kulturelle Einrichtungen ein deutliches Signal. Ich bitte gerade Sie, Herr Rexrodt, das zu würdigen. Denn als Sie in Regierungsverantwortung waren, hatten Sie dem Ausstieg des Bundes
aus solchen Fördervorhaben nichts entgegenzusetzen.
({0})
Gestatten Sie eine
weitere Zwischenfrage, Herr Kollege? - Danach möchte
ich allerdings keine weitere Zwischenfrage zulassen,
weil die Zeit sonst ein bißchen zu sehr ins Rutschen
gerät. - Bitte sehr, Herr Kollege, eine letzte Zwischenfrage.
Herr Minister Schwanitz, können Sie bestätigen - das ist meine erste Frage -, daß die
Mittel für die Stiftung Preußischer Kulturbesitz, die von
Herrn Rexrodt angesprochen wurden, von uns in einem
Konzept gebündelt werden, das beinhaltet, daß die ursprünglich von der alten Regierung geplante Bauzeit des
Projektes von 20 Jahren auf zehn Jahre reduziert wird,
weil wir angesichts der Bedeutung der Stiftung Preußischer Kulturbesitz und der Museumsinsel eine solch
lange Bauzeit nicht hinnehmen können?
Können Sie zweitens zustimmen, daß die Mittel in
Höhe von 120 Millionen DM, die für die Kulturförderung Ostdeutschlands zusätzlich etatisiert waren, nach
wie vor zur Verfügung stehen, und zwar für 1999 in Höhe von 90 Millionen DM und für 2000 in Form von
Verpflichtungsermächtigungen in Höhe von 30 Millionen DM, so daß man annuell auf diese 120 Millionen
DM kommt und es von daher unangebracht ist, von
Kürzung zu reden?
({0})
Sehr geehrter Herr Kollege, letzteres ist in der Tat so. In
bezug auf ersteres freue ich mich über die Präzisierung
und darüber, daß so auch Herr Rexrodt in dieser Debatte
ein Stück ermutigt wird - jenseits dessen, was wir für
die Kulturförderung des Ostens tun. Ich glaube, das ist
auch für ihn ein gutes Ergebnis.
({0})
Herr Kollege, ich
muß einen Augenblick unterbrechen. - Wenn Herr Rexrodt jetzt den dringenden Wunsch nach einer weiteren
Zwischenfrage hat, muß ich diese fairerweise noch zulassen. Aber dann sollten Sie wirklich in Ihrer Rede fortfahren. - Herr Rexrodt, bitte sehr.
Ich bin Ihnen sehr
dankbar, Frau Präsidentin. - Herr Kollege Mark und Herr
Kollege Schwanitz, sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß die Stiftung Preußischer Kulturbesitz Klage
darüber führt, daß ihr Programm durch diese Mittelkürzung einer nicht zumutbaren Verzögerung unterworfen
wird? Sind insbesondere Sie, Herr Schwanitz, bereit, zur
Kenntnis zu nehmen, daß das Land Berlin erwägt - Sie
haben ja angesprochen, daß die Finanzierung im Wege
einer Kofinanzierung erfolgt -, bei einer Zusage Ihrerseits
in eine Vorfinanzierung einzutreten, damit dieses wichtige Projekt keine Verzögerung erfährt?
({0})
Herr Kollege Rexrodt, ich habe die subjektive Wahrnehmung der Stiftung hier nicht zu kommentieren. Sie
haben eine Frage zur Förderung von Kunst- und Kultureinrichtungen in Ostdeutschland gestellt, weil ich ausdrücklich angesprochen habe, daß diese Bundesregierung derartige Projekte in dieser Qualität zum erstenmal
wieder auflegt. Angesichts dessen erwarte ich von Ihnen
einfach ein positives Signal.
({0})
Wir alle wissen, daß trotz positiver Wachstumsraten
der ostdeutschen Industrie die industrielle Basis noch
längst nicht in einer Breite vorhanden ist, die den Aufschwung selbständig tragen kann. Wir alle müssen uns
immer wieder klarmachen, daß die Industriearbeitsplatzdichte im Osten nur den halben Wert im Vergleich
zu der des Westens hat und daß selbst das industriell
schwächste westdeutsche Flächenland beim Industrialisierungsgrad noch immer jedem ostdeutschen Land bei
weitem den Rang abläuft. Das ist die Situation. Deshalb
kann ich dem, was BDI-Präsident Henkel gestern in der
„Leipziger Volkszeitung“ gesagt hat, bezogen auf seine
Analyse, durchaus folgen, aber selbstverständlich nicht
bezogen auf das, was er über die besondere Förderung
der ostdeutschen Wirtschaft nach 2004 sagt. Wenn Teile
der westdeutschen Eliten - ich wähle einmal diesen
schwierigen Begriff - trotz besseren Wissens um die
wirtschaftlich schwierige Situation des Ostens und die
Langwierigkeit des Prozesses mit einer solch leichtfertigen Formulierung versuchen, sich aus der Verantwortung zu ziehen, besteht die Gefahr, daß der Wille zu Solidarität und Unterstützung in Gesamtdeutschland untergraben wird und daß neue trennende Mauern - diesmal
allerdings wirtschaftliche und soziale - von Dauer entstehen.
Jenseits des jeweiligen Parteibuches sollten wir solchen Debatten hier im Deutschen Bundestag ganz entschieden entgegentreten, die ein Stück weit von Populismus und Wegdrücken einer anderen schwierigen Debatte geprägt sind.
Schönen Dank.
({1})
Das Wort hat jetzt
der Kollege Friedrich Merz, CDU/CSU.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lassen Sie mich
zunächst namens der CDU/CSU-Bundestagsfraktion aus
gegebenem Anlaß, Herr Staatsminister Schwanitz, feststellen, daß wir zu keinem Zeitpunkt irgendeinen Zweifel daran zulassen, daß die Bundesrepublik Deutschland
insgesamt, und zwar mindestens bis zum Jahre 2004, die
gesetzlichen Verpflichtungen, die sie im Hinblick auf
den Aufbau Ost eingegangen ist, einzuhalten gedenkt.
({0})
Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion steht ohne Wenn
und Aber zu den noch unter der vorigen Regierung eingegangenen Verpflichtungen zum Aufbau Ost. Ich
wollte das sagen, Herr Staatsminister, damit das, was Sie
eben gesagt haben, nicht unbeantwortet bleibt.
Meine Damen und Herren, der neue Bundesfinanzminister macht es mit seinem ersten Auftritt in neuer
Funktion vor dem Deutschen Bundestag außerordentlich
spannend. Da ich noch vor Ihnen spreche, Herr Eichel,
habe ich die Gelegenheit, Ihnen drei Fragen zu stellen,
die Sie in Ihrer Rede vielleicht beantworten können. Das
sind nach meiner Auffassung für die weitere Finanzund Wirtschaftspolitik der Bundesrepublik Deutschland
Fragen von zentraler Bedeutung.
Erstens. Wir wüßten von Ihnen gerne, wie das mehrfach auch heute schon zitierte angebliche strukturelle
Defizit von 30 Milliarden DM zustande gekommen ist.
Ich hatte Sie schon im Finanzausschuß darauf angesprochen. Vielleicht können Sie diese Frage heute noch etwas klarer beantworten.
Zweitens. Herr Eichel, wir hätten von Ihnen gerne
eine klare und unmißverständliche Aussage dazu, was
Sie im Hinblick auf die Mehrwertsteuer zu tun gedenken. Es gibt Äußerungen von Ihnen, nach denen eine
Mehrwertsteuererhöhung im Zuge der europäischen
Entwicklung auf die Bundesrepublik Deutschland
zwangsläufig zukommt. Ich will hier zur Klarstellung
sagen: Es gibt keinen europäischen Automatismus, der
uns sozusagen überrollt, ohne daß wir Einfluß darauf
haben. Wenn es in der Europäischen Gemeinschaft eine
Anpassung der Mehrwertsteuersätze geben soll, dann
muß das einstimmig beschlossen werden, also auch mit
der Stimme der Bundesrepublik Deutschland. Weil Sie
jetzt gerade als Präsident des Ecofin-Rates eine gewichtige Stimme haben, wäre es vielleicht an der Zeit, daß
Sie dazu eine klare Aussage machen.
({1})
Schließlich drittens. Herr Finanzminister, wir hätten
von Ihnen gern eine verbindliche Aussage darüber, wie
Sie die Entwicklung der Staatsquote in der Bundesrepublik Deutschland in den nächsten Jahren beurteilen
und welche Zielgröße Sie in Ihrer Amtsperiode - ich
möchte Ihnen persönlich wünschen, daß sie länger dauert als die Ihres Vorgängers ({2})
zu erreichen beabsichtigen.
Dies alles ist für die wirtschaftliche Entwicklung der
Bundesrepublik Deutschland von unverzichtbarer Bedeutung.
Sie, Herr Eichel, treten Ihr Amt in einer Zeit an, in
der wir bedauerlicherweise feststellen müssen, daß wir
es mit einem geradezu dramatischen Abbruch der wirtschaftlichen Entwicklung in der Bundesrepublik
Deutschland zu tun haben.
({3})
Wir haben Wirtschaftswachstumserwartungen für das
Jahr 1999, die mittlerweile am Ende der Skala aller
Teilnehmerstaaten des Euro angekommen sind. Ich will
das noch einmal an Zahlen deutlich machen, damit die
Dramatik dessen, was in den letzten Wochen passiert ist,
offensichtlich wird: Wir hatten im Jahr 1998 ein wirtschaftliches Wachstum in der Bundesrepublik Deutschland von 2,8 Prozent. Das war exakt doppelt soviel, wie
das Land Italien hatte, das 1998 Schlußlicht war. In diesem Jahr sind wir nach den Vorhersagen der wirtschaftswissenschaftlichen Forschungsinstitute zusammen mit Italien mit 1,7 Prozent das Schlußlicht der
Eurostaaten. Das ist die traurige Bilanz der ersten sechs
Monate rotgrüne Bundesregierung.
({4})
Diese hat ihre Ursachen nicht in den jüngsten krisenhaften Entwicklungen in Lateinamerika und Asien, sondern ist im wesentlichen auf die hausgemachten Probleme in der Bundesrepublik Deutschland zurückzuführen.
({5})
Daß dies nun alles, Herr Poß, nichts mit der
Schwarzmalerei von Verbandspräsidenten oder Oppositionsvertretern zu tun hat, sondern daß das etwas mit den
objektiven Daten im Vergleich zu anderen Volkswirtschaften der Europäischen Union zu tun hat, will ich Ihnen an einem Beispiel deutlich machen. Sie zitieren in
Ihren Reihen genauso gern, wie wir es tun, als Beispiel
für eine gute wirtschaftliche Entwicklung die Niederlande, eines unserer Nachbarländer.
Ich lege einen der wichtigsten Parameter für erfolgreiche Wirtschaftspolitik zugrunde, nämlich die sogenannte Nettoumsatzrendite, die Unternehmen in den
unterschiedlichen Ländern erzielen können. Ein Unternehmen in den Niederlanden kann eine Nettoumsatzrendite von 7,4 Prozent erzielen - und das unter einer sozialdemokratisch geführten Regierung, mit einem Ministerpräsidenten, der lange Jahre Vorsitzender einer
holländischen Gewerkschaft war und der schon allein
deshalb außerhalb jeden Vedachts steht, ein Vertreter
des neoliberalen Turbokapitalismus zu sein. In der Bundesrepublik Deutschland liegt zum selben Zeitpunkt die
Nettoumsatzrendite für Industriebetriebe im Durchschnitt bei 3 Prozent und bei Einbeziehung der mittelständischen Wirtschaft bei 2,9 Prozent. Das ist die tatsächliche Lage beim Vergleich von zwei Industrienationen, der Niederlande und der Bundesrepublik Deutschland. Bezugsgröße ist das Jahr 1997. Hier können Sie
nicht sagen, das sei Schwarzmalerei gegenüber Rotgrün,
denn da waren wir noch in der Regierung.
Hieran anknüpfend haben wir gesagt: Es muß die Ertragslage der Unternehmen, es muß die Kapitalrentabilität in der Bundesrepublik Deutschland besser werden,
damit neue Investitionen getätigt werden und neue Arbeitsplätze entstehen können. Ich bin gern bereit, zuzugestehen, daß dies nicht allein über die Steuerpolitik
geht. Es geht sicherlich nur zusammen über steuerpolitische Entscheidungen und Entscheidungen im Hinblick
auf die sozialen Sicherungssysteme.
Eines aber werden Sie nicht schaffen: Sie werden
nicht über die Erhöhung der volkswirtschaftlichen Steuerquote - Stichwort: Ökosteuer - und eine reine Umfinanzierung zugunsten der sozialen Sicherungssysteme
eine Lösung für das Problem finden, das wir wegen
einer zu hohen Abgabenbelastung in der Bundesrepublik
Deutschland haben. Ich sage Ihnen voraus: Sie werden
am Ende dieses Jahres größte Probleme haben, die Beiträge zu den sozialen Sicherungssystemen auch nur
stabil zu halten. Wahrscheinlich stehen Sie am Ende des
Jahres 1999 vor der Notwendigkeit, die Beiträge für die
sozialen Sicherungssysteme erneut zu erhöhen. Damit
wird sich nicht nur die Steuerquote, sondern auch die
Abgabenquote in der Bundesrepublik Deutschland erhöhen. Die Kapitalrentabilität wird zurückgehen, und es
wird nicht mehr, sondern weniger Beschäftigung geben.
({6})
Das sind die Aussichten, Herr Eichel, ohne jede persönliche Polemik. Das sind die objektiven Aussichten,
vor denen Sie drei Wochen nach Ihrem Amtsantritt stehen.
In diesem Zusammenhang will ich eine Bemerkung
zu den unglaublichen Vorgängen im Zusammenhang mit
den 630-Mark-Beschäftigungsverhältnissen machen.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Poß?
Nein, ich möchte das
im Zusammenhang vortragen.
Ich empfinde es mittlerweile als eine Zumutung, daß
nicht nur Vertreter der Bundesregierung, sondern auch
maßgebliche Vertreter aus dem Bundesrat diesen Gesetzen erst zustimmen und nur wenige Stunden - nicht
einmal Tage - später in Interviews in der ganzen Bundesrepublik Deutschland ankündigen, es müsse nachgebessert und korrigiert werden.
({0})
Am stärksten empfinde ich diese Zumutung durch das
Verhalten des Ministerpräsidenten des Landes Nordrhein-Westfalen, der am Freitag der letzten Woche einen
Antrag zu diesem Thema im Bundesrat ablehnte. Er
sagte zu den Korrekturen, die außerhalb des Bundesrates
auch von maßgeblichen Vertretern der Bundesregierung
gefordert wurden, im Bundesrat nein, und am Wochenende gab er ein Interview im „Focus“, in dem er sagte,
es müsse sehr schnell sehr viel geändert werden. Diese
Strategie ist nur dann politisch verständlich, wenn es
sich um einen Teil der Mobbingkampagne handelt, die
in dieser Regierung gegen den amtierenden Arbeitsminister ausgelöst worden ist.
Die Tatsache, daß derjenige, der ein Drittel des Bundeshaushaltes verwaltet, heute bei der zweiten Lesung
des Bundeshaushaltes nicht eine Minute auf der Regierungsbank gesessen hat - ich meine den Arbeits- und
Sozialminister Riester - und nicht eine Minute an dieser
Diskussion und Debatte teilgenommen hat, zeigt, daß er
offensichtlich bereits dabei ist, sich in den politischen
Ruhestand zu verabschieden.
({1})
Anders ist das nicht zu verstehen.
({2})
Nun will ich zur Steuerpolitik zurückkommen. Es ist
wahr: Die Spielräume der öffentlichen Haushalte sind
außerordentlich gering bemessen, um zu einer Steuerreform mit Nettoentlastung zu kommen.
Ich will aber zunächst einmal die Einschätzung derer
wiedergeben, die - anders als wir - nicht im Verdacht
stehen, parteipolitisch zu argumentieren, sondern die
von der Bundesregierung den Auftrag bekommen haben,
die gesamtwirtschaftliche Entwicklung zu beurteilen und
der Bundesregierung Vorschläge zur politischen Handlung zu machen. Ich meine die wirtschaftswissenschaftlichen Forschungsinstitute, die in ihrem Frühjahrsgutachten, veröffentlicht am 27. April, also vor wenigen
Tagen, ausdrücklich und wörtlich gesagt haben:
Die Institute plädieren erneut für eine Steuerreform,
bei der es zu einer deutlichen Entlastung kommt
und nicht die vollständige Finanzierung durch höhere Steuern an anderer Stelle gesucht wird.
({3})
Das ist der Auftrag, den Sie, Herr Eichel, von den wirtschaftswissenschaftlichen Forschungsinstituten vorgeschlagen, für Ihre Steuer- und Finanzpolitik haben:
({4})
eine deutliche Entlastung, ohne die Gegenfinanzierung
durch höhere Steuern an anderer Stelle zu suchen. Ich
sage Ihnen, daß dazu auf Grund der Steuereinnahmen,
die Sie erzielen, wenn Sie wollen, ein politischer Spielraum besteht.
({5})
Im Jahr 1999 - ich habe an anderer Stelle schon einmal gegenüber Ihrem Amtsvorgänger darauf hingewiesen, und ich will das wiederholen - werden Sie für alle
Gebietskörperschaften insgesamt mindestens 40 Milliarden DM an Steuermehreinnahmen zur Verfügung haben.
({6})
Davon entfallen mindestens 30 Milliarden DM auf den
Bundeshaushalt. Wahrscheinlich wird die Steuerschätzung, die in wenigen Tagen veröffentlicht wird, noch
deutlich höhere Zuwächse bei den Steuereinnahmen gegenüber dem Jahr 1998 ausweisen. Sie haben in diesem
Jahr also mindestens 30 Milliarden DM mehr Steuereinnahmen als im letzten Jahr. Wenn Sie wollen, wenn der
politische Wille vorhanden ist, dann können Sie mit diesem Ihnen zur Verfügung stehenden Spielraum tatsächlich eine Steuerreform mit Nettoentlastung machen.
({7})
Deshalb bleiben wir dabei, daß es richtig und notwendig ist, daß vor dem Hintergrund der Entwicklung,
die ich aufgezeigt habe, in der Bundesrepublik
Deutschland eine Steuerreform mit Nettoentlastung erforderlich ist.
({8})
Ich bitte Sie, noch einmal zu prüfen, ob es bei gehöriger, gemeinsamer Anstrengung nicht möglich ist, das
Zieldatum 1. Januar 2000 zu realisieren. Herr Eichel,
wegen der hohen Zahl der Arbeitslosen und wegen der
schlechten Lage insbesondere der mittelständischen Betriebe in der Bundesrepublik Deutschland darf eine
Steuerreform nicht aus koalitionsinternen Gründen von
Monat zu Monat weiter verzögert werden. Wie ich
Rundfunkinterviews von Ihnen heute morgen entnommen habe, wird in Aussicht genommen, die Reform erst
zum 1. Januar 2001 in Kraft treten zu lassen. Dieses
Land, diese Volkswirtschaft braucht eine grundlegende
Reform seines Steuersystems zum 1. Januar 2000 und
nicht erst ein Jahr später. Noch einmal: Wir können
nicht darauf warten, daß Sie in den eigenen Reihen endlich Ihren Streit darüber beenden.
({9})
Nun höre ich mit großem Interesse, daß nicht nur
der Bundeswirtschaftsminister, sondern auch Sie eine
grundlegende Korrektur bei den Subventionen vornehmen wollen. Ich will nur der Vollständigkeit halber
darauf hinweisen, daß die einzige wirklich durchgreifende Korrektur bei den Subventionen im Frühjahr des
Jahres 1997 gelungen ist, als die alte Koalition die
Steinkohlesubventionen auf einen längeren Zeitraum
hin um die Hälfte reduziert hat. Dies haben wir damals
gegen den erbitterten Widerstand der Mehrheit im
Bundesrat und gegen den erbitterten Widerstand der
damaligen Opposition im Deutschen Bundestag durchsetzen müssen,
({10})
die sich nicht einmal zu schade dafür waren, auf die Barrikaden zu gehen, das Bannmeilengesetz zu brechen und
Bergarbeiterdemonstrationen im Regierungsviertel auszulösen.
({11})
Das war - meine Damen und Herren von der SPDBundestagsfraktion, da können Sie so laut schreien, wie
Sie wollen - der einzige Beitrag zu einem wirklich
durchgreifenden Subventionsabbau der letzten Jahre dem Sie sich entgegengestellt haben.
({12})
Jetzt bin ich sehr gespannt, welche Vorschläge von
Ihnen kommen. Ich hätte dem Bundeswirtschaftsminister, wenn er da wäre, gerne gesagt, daß man dies natürlich nicht in einem Prozeß der Kaffeerunden und der
Diskussionskränzchen mit Beteiligten und Betroffenen
ins Werk setzen kann. Dazu bedarf es einer klaren politischen Vorgabe. Die Bundesregierung ist gefordert,
ihrerseits Vorschläge zu machen.
({13})
Damit die ganze Schwierigkeit dieses Themas für uns
alle deutlich wird und um die teilweise völlig falschen
Vorstellungen über den Umfang und den Inhalt von
Subventionen und Steuervergünstigungen in der Öffentlichkeit zurechtzurücken, will ich Ihnen einmal aus dem
letzten Beteiligungs- und Subventionsbericht der
Bundesregierung vorlesen, was die maßgeblichen Positionen bei den Steuervergünstigungen und bei den Subventionen sind. Der größte Teil der Steuervergünstigungen in der Bundesrepublik Deutschland wird mit einem
Volumen von 11,7 Milliarden DM für den privaten
Wohnungsbau zur Verfügung gestellt. Das umfaßt das
eigengenutzte Wohneigentum, das Eigenheimzulagengesetz und die Kinderkomponente im Rahmen der
Wohneigentumsförderung. Das ist der mit Abstand
größte Teil der Steuervergünstigungen. Es folgen Sonderabschreibungen für betriebliche Investitionen und Investitionszulagen für Ausrüstungsinvestitionen im Beitrittsgebiet und in Westberlin und die Steuerbefreiung
der Zuschläge für Sonntags-, Nacht- und Feiertagsarbeit.
({14})
- Ja, sie steht - immerhin mit einem Volumen von 2,4
Milliarden DM - an der vierten Position innerhalb des
Berichtes über Steuervergünstigungen. Dann kommt die
Umsatzsteuerermäßigung für kulturelle und ähnliche
Leistungen nach dem Umsatzsteuergesetz.
Diese Positionen - das sind die ersten sieben, die
immerhin ein Volumen von über 25 Milliarden DM und
damit über 70 Prozent der ganzen Steuervergünstigungen ausmachen - will ich nur nennen, um die Schwierigkeit dessen aufzuzeigen, was Sie sich vorgenommen
haben. Ich sage Ihnen: Anders als Sie das damals in der
Opposition getan haben, wird die CDU/CSU-Bundestagsfraktion, wenn Sie vernünftige, in sich schlüssige
Vorschläge zum Subventionsabbau machen, nicht auf
die Straße gehen und dagegen demonstrieren. Vielmehr
werden wir uns konstruktiv daran beteiligen, Subventionen in Deutschland wirklich abzubauen.
({15})
Bei den Finanzhilfen, wie es so schön umschrieben
ist, also bei den Subventionen des Bundes, rangiert die
Position „Zuschüsse für den Absatz deutscher Steinkohle zur Verstromung und an die Stahlindustrie sowie
zum Ausgleich von Belastungen infolge von Kapazitätsanpassungen“ mit 7,75 Milliarden DM nach wie vor an
erster Stelle. Wenn Sie da rangehen wollen, dann sagen
Sie das! Aber damit stellen Sie den gesamten Kohlekompromiß in Frage, der für die Zeit bis zum Jahr 2005
ausgehandelt worden ist. Das ist die größte Position bei
den Subventionen.
Die zweitgrößte Position bei den Subventionen - darauf will ich besonders hinweisen; Herr Metzger nickt
und weiß, worum es geht - ist der soziale Wohnungsbau
mit 2,9 Milliarden DM. An dritter Stelle folgen die Zuweisungen an neue Länder für betriebliche Investitionen
in der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“ mit 1,6 Milliarden DM. Dann
kommen die Gemeinschaftsaufgabe „Agrarstruktur“ mit
1,3 Milliarden DM, Zinszuschüsse im Rahmen des
Wohnraummodernisierungsprogramms mit 1,1 Milliarden DM und schließlich Zinszuschüsse und Erstattungen
von Darlehensausfällen im Rahmen des Eigenkapitalhilfeprogramms mit rund einer Milliarde DM. Das sind auf
den ersten sechs Positionen der Finanzhilfen des Bundes
immerhin insgesamt rund 16 Milliarden DM; das macht
80 Prozent der 20 größten Finanzhilfen aus. Herr Eichel,
das heißt: Wenn Sie wirklich an Subventionen und an
Steuervergünstigungen herangehen wollen, dann steht
Ihnen eine schwierige Aufgabe bevor. Es hat keinen
Sinn, darauf zu warten, daß die Betroffenen selbst Vorschläge machen. Die müssen Sie von der Regierung
schon machen.
({16})
Ich will zum Schluß und im letzten Teil meiner Rede
noch etwas zur Familienpolitik und zu den notwendigen Entlastungen der Familien sagen. Das Bundesverfassungsgericht hat dem Gesetzgeber mit drei Entscheidungen in der Tat schwierige Aufgaben erteilt.
({17})
Man kann über die Detailregelungen, die das Bundesverfassungsgericht zum Teil getroffen hat, streiten oder
nicht. Der Gesetzgeber hat aber den Auftrag des Bundesverfassungsgerichts zu erfüllen, und zwar in einem
Zeitraum, der relativ eng bemessen ist: Die ersten MaßFriedrich Merz
nahmen müssen zum 1. Januar 2000 in Kraft treten, die
weiteren zum 1. Januar 2002. Deswegen stehen Sie unter einem sehr, sehr harten Zeitdruck, Herr Eichel. Weil
dieser Zeitdruck besteht, darf aber nicht gleichzeitig der
Versuch unternommen werden, aus Haushaltsgründen
jetzt nur eine Minimallösung herbeizuführen, mit der Sie
an anderer Stelle wiederum in verfassungsrechtliche
Konflikte kommen werden.
Ich möchte Sie an Hand von zwei Beispielen auf Probleme hinweisen, die Sie sehen sollten, wenn Sie eine
verfassungskonforme Lösung im Zuge der notwendigen
Familienentlastungen erzielen wollen. Das erste: Innerhalb der rotgrünen Koalition gibt es offensichtlich eine
Mehrheit, die dafür plädiert, an die Stelle des bisherigen
Ehegattensplittings ein sogenanntes Realsplitting treten
zu lassen. Das bedeutet im Klartext, daß das bisherige
Ehegattensplitting zugunsten einer Regelung abgeschafft
wird, die sich daran orientiert, wie hoch der Unterhaltsaufwand für geschiedene Ehepartner sein muß. Diese
Grenze liegt momentan bei 27 000 DM im Jahr. Die
maximale Abzugsfähigkeit soll sich an dieser Größe
orientieren.
Ich könnte in diesem Zusammenhang eine Polemik
beginnen, will es aber bewußt nicht tun, weil die Betroffenen nicht anwesend sind.
({18})
Sie sollten aber wissen, daß das sogenannte Realsplitting
bei jeder gescheiterten Ehe angewendet werden kann;
das heißt, es kann bis zu zwei-, drei- oder viermal stattfinden. Wie gesagt, ich mache es nicht polemisch, weil
die Betroffenen nicht anwesend sind.
({19})
- Ich entnehme Ihren Reaktionen, daß Sie es doch gerne
gehört hätten.
Zurück zum Ernst der Lage. Sie können den Maßstab
für die steuerliche Behandlung einer Ehe nicht an der
steuerlichen Behandlung der Unterhaltsverpflichtungen
von Geschiedenen orientieren. Das ist nicht der zutreffende Maßstab.
Es ist außerdem mit unserer Verfassungsordnung
nicht vereinbar, daß jemand, der zweimal oder dreimal
geschieden ist, steuerlich bessergestellt wird als jemand,
der einmal verheiratet ist und bleibt.
({20})
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Höll?
Gerne.
Herr Merz, Sie wissen
sicher, daß wir als PDS für die völlige Streichung des
Ehegattensplittings und für den Übergang zur Individualbesteuerung mit sozialversicherungsrechtlichem
Ausgleich eintreten. Sie haben betont, daß die Grenze
der steuerlichen Abzugsfähigkeit bei 27 000 DM liegt.
Wie stehen Sie dazu, daß das das Doppelte dessen ist,
was man ansonsten als steuerfreies Existenzminimum
geltend machen kann? Inwieweit halten Sie selbst die
Größenordnung 27 000 DM für gedeckt? Oder wurde
nur eine Zahl gegriffen, mit dem Ergebnis, das wir alle
kennen?
Frau Kollegin Höll,
darauf kann ich Ihnen eine ganz einfache Antwort geben. Der Gesetzgeber war bei der Einführung des sogenannten Realsplittings verfassungsrechtlich frei, eine
andere Lösung zu finden oder die bis dahin bestehende
Lösung, den sogenannten Sonderausgabenabzug, beizubehalten. Es war eine politische Entscheidung, dies in
dieser Größenordnung festzulegen. Das bedeutet allerdings für das Ehegattensplitting, daß dies nicht der alleinige Maßstab sein kann, an dem es sich in Zukunft zu
orientieren hat. Das ist sozusagen das verfassungsrechtliche Minimum, das nicht unterschritten werden darf. Einer der Betroffenen ist mittlerweile eingetroffen.
({0})
Ich habe auf die Probleme hingewiesen, die durch die
mehrfache Anwendung des Realsplittings entstehen.
Deswegen sage ich Ihnen ganz klar und deutlich: Das
Realsplitting ist überhaupt keine Bezugsgröße, ist überhaupt kein Maßstab für die verfassungskonforme Behandlung der Einkommen, die in einer Ehe erzielt werden. Deswegen bin ich dankbar für Ihre Frage. Wir
sollten diese Diskussion am besten nicht an dieser Stelle
führen. Wir sollten vielmehr die Frage stellen: Wie sieht
die einzige verfassungskonforme Behandlung in einer
Ehe der gemeinsam erzielten Einkommen aus?
Ich sage ganz ausdrücklich: Es gibt keinen verfassungsrechtlich möglichen Weg einer Einschränkung des
Ehegattensplittings, wie es heute im Einkommensteuergesetz vorgesehen ist.
({1})
Diesen Weg gibt es nicht. Die Wahlfreiheit der in ehelicher Gemeinschaft lebenden Ehepartner über die Erzielung des Einkommens würde mit jeder anderen Konstruktion eingeschränkt. Das verstößt nicht etwa gegen
den Sozialstaatsgrundsatz der Bundesrepublik Deutschland, sondern klar und eindeutig gegen Artikel 6 des
Grundgesetzes, nach dem Ehe und Familie unter dem
besonderen Schutz des Staates stehen. Lassen Sie die
Finger von der Bezugsgröße Realsplitting! Dies wird Sie
auf Abwege führen.
({2})
Ich will zweitens etwas zu den Vorschlägen sagen,
die zur steuerlichen Behandlung der Kinder in einer Familie gemacht und diskutiert werden. Ich gebe offen zu:
Ich habe zu Beginn der Diskussion gewisse Sympathien
für den Vorschlag gehabt, das Problem der steuerlich
angemessenen Berücksichtigung von Kindern über den
sogenannten Kindergrundfreibetrag zu lösen. Bei näherer Betrachtung stößt der Kindergrundfreibetrag - so
wie er jetzt in den Reihen der rotgrünen Koalition disFriedrich Merz
kutiert wird - sehr schnell an die verfassungsrechtlichen
Grenzen; denn anders als den Grundfreibetrag für Erwachsene wollen Sie den Kindergrundfreibetrag nicht in
den Steuertarif einbauen. Das heißt im Klartext: Die
Eingangsbesteuerung für Eltern wird um so höher, je
größer die Zahl der Kinder ist. Damit tritt der Effekt ein,
daß insbesondere im mittleren und oberen Bereich verdienende Eltern - mit steigender Kinderzahl - immer
mehr - die steuerliche Entlastung ihrer eigenen Kinder
selbst zahlen. Sie haben sozusagen die doppelte Progression, nämlich den ohnehin progressiv verlaufenden Einkommensteuertarif und gleichzeitig eine zusätzliche
Progression durch den immer weiter steigenden Eingangssteuersatz. Dies ist nun wirklich nicht mit dem
vereinbar, was das Bundesverfassungsgericht zum
Stichwort „horizontale Belastungsgerechtigkeit“ entschieden hat.
({3})
Unabhängig vom Einkommen müssen Sie Paare mit Kindern steuerlich besser behandeln als Paare ohne Kinder.
({4})
Wenn Sie diesen Grundsatz verletzen, dann bewegen Sie
sich auf die nächste Verfassungsklage zu.
Herr Eichel, Sie werden sich wahrscheinlich - das
möchte ich Ihnen ohne jede parteipolitische Häme sagen
- nach Diskussionen über dieses Thema in Ihrem Haus
auf das System zurückbewegen müssen, das bis 1996 in
der Bundesrepublik Deutschland gegolten hat, nämlich
daß der große Teil der Entlastung der Paare mit Kindern
über einen Steuerfreibetrag geregelt wird und daß
denjenigen, deren Existenzminimum über einen Steuerfreibetrag auf Grund zu geringer Einkommen nicht freigestellt wird, eine zusätzliche Leistung über das Kindergeld gezahlt werden muß. Eine andere Lösung werden
Sie verfassungskonform nicht ermöglichen können.
Wir hören jetzt voller Spannung die erste Rede des
neuen Bundesfinanzministers. Herr Eichel, Sie haben
eine Reihe von Problemen vorgefunden, die Ihnen Ihr
Amtsvorgänger überlassen hat.
({5})
Sie sind in einer schwierigen gesamtwirtschaftlichen
und auch in einer schwierigen gesamtpolitischen Lage
als neuer Bundesfinanzminister angetreten. Wenn Sie
aus dem Schatten Ihres Vorgängers heraustreten wollen,
dann werden Sie - beginnend mit dem heutigen Tag eine grundlegende Kurskorrektur in der Finanz- und
Wirtschaftspolitik gegen die Bewahrer und Traditionalisten in Ihren eigenen Reihen - ein maßgeblicher Repräsentant dieser Traditionalisten hat eben hier gesprochen - einleiten müssen. Wenn Sie das nicht tun, stolpern Sie mit Ihrer rotgrünen Koalition weiterhin in die
Arbeitslosigkeit und sorgen für weniger Beschäftigung
und höhere Staatsausgaben. Dann werden Sie keine
Chance haben, die Probleme unseres Landes zu lösen.
Vielen Dank.
({6})
Nun erteile ich dem
Finanzminister Hans Eichel das Wort.
Frau
Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren!
Ich bedanke mich herzlich für das freundliche und im
wesentlichen unpolemische Willkommen. Diesen Dank
richte ich auch an den Sprecher der CDU/CSU-Fraktion,
Herrn Kollegen Merz. Aber ich werde heute nicht in alle
Fallen, die Sie eben ganz freundlich aufgestellt haben,
hineintappen. Das dürfen Sie bitte nicht erwarten.
({0})
Wenn ich mich in einem Punkt von anderen unterscheide - jeder Charakter ist anders -, dann in dem, daß ich
in solchen Fällen vorsichtig bin: Vorsicht ist die Mutter
der Porzellankiste. Gerade der Finanzminister ist gut beraten, in solchen Fällen vorsichtig zu sein.
Ich habe vor drei Wochen das Amt des Finanzministers übernommen. Ich habe nicht nur sofort internationale Verpflichtungen, die für mich ganz neu waren,
wahrgenommen, sondern auch die Zeit genutzt, um mir
einen Überblick über die finanzielle Situation des Bundes zu verschaffen. Ich möchte - auch ohne jede Polemik, aber in aller Klarheit - deutlich machen: Die Situation ist dramatisch. Sie hat sich langfristig aufgebaut und
zugespitzt. Der von der Vorgängerregierung angehäufte
Schuldenberg beraubt uns fast jedes finanzpolitischen
Handlungsraums.
({1})
- Sie werden sich die Zahlen anhören müssen. Ich sage
das in aller Ruhe; denn die Zahlen werden Sie nicht bestreiten können.
1982, bei Amtsantritt der Regierung Helmut Kohl,
betrugen die Schulden des Bundes 314 Milliarden DM.
1990, im Jahr der Wiedervereinigung, hatten sich die
Schulden auf 600 Milliarden DM verdoppelt. Im vergangenen Jahr, also wiederum acht Jahre später, waren
es fast 1,5 Billionen DM - eine Steigerung auf das
Zweieinhalbfache.
({2})
- Verehrter Herr Rexrodt, ich referiere die Zahlen und ohne alle Polemik - die Konsequenzen, die diese Zahlen
heute für unsere Haushalts- und Finanzpolitik haben
müssen. - 1982 300 Milliarden DM Schulden, 1990
600 Milliarden DM Schulden und 1998 1,5 Billionen
DM Schulden - das ist der Marsch in den Verschuldungsstaat.
({3})
Wenn wir weiterhin auf Kosten der Zukunft leben,
dann droht uns bald Handlungsunfähigkeit im BundesFriedrich Merz
haushalt. Deshalb müssen wir diesen verhängnisvollen
Weg stoppen. Gestoppt haben wir diesen verhängnisvollen Weg erst, wenn der Bundeshaushalt für den Ausgleich keine Nettokreditaufnahme mehr braucht. Das
ist ein weiter Weg.
Man muß sich einmal klarmachen, was es heißt, wenn
im Bundeshaushalt 1999 - das wurde übrigens schon
von Herrn Kollegen Metzger angesprochen - ein Viertel
der Steuereinnahmen, 82 Milliarden DM, allein für
Zinszahlungen gebunden ist. Der Bund muß für
Zinszahlungen pro Minute 150 000 DM, in einer Stunde
über 9 Millionen DM und am Tag 225 Millionen DM
ausgeben. Mit dem Geld von drei Minuten Zinszahlungen des Bundes hätte man ein Einfamilienhaus zusammen.
Die Brisanz hinter diesen Zahlen wird zusätzlich
deutlich, wenn man sich das Zinsänderungsrisiko vor
Augen hält. Stiegen die Zinsen um nur einen Prozentpunkt, dann müßte der Bund bei einer jährlichen Bruttokreditaufnahme von 300 Milliarden DM im Folgejahr
3 Milliarden DM mehr an Zinsen zahlen. Das entspräche
schon fast der Hälfte des Entwicklungshilfeetats. Dabei
gilt es zu bedenken, daß wir zur Zeit ein historisch niedriges Zinsniveau haben. Wenn der Schuldenstand weiterhin schneller als die Steuereinnahmen steigt - was
möglicherweise nicht so bleibt; aber wir wollen es auch
nicht hochreden -, dann wird auch die Zinssteuerquote,
die 1982 12,4 Prozent betrug und in diesem Jahr bereits
22 Prozent erreichen wird, weiter steigen. Diese Zinslast
stranguliert den Haushalt.
Schon jetzt sind die Zinsausgaben nach den Sozialausgaben der zweitgrößte Posten im Bundeshaushalt.
Diesen hohen Schuldenstand haben wir aus zwei Gründen
({4})
- ich referiere nur, meine Damen und Herren -: Erstens.
Selbst in den 80er Jahren, als die Konjunktur und die
Bundesfinanzen von einer guten weltwirtschaftlichen
Entwicklung profitierten, ist es der früheren Regierung
nicht ein einziges Mal gelungen, einen wirklich ausgeglichenen Haushalt ohne Nettokreditaufnahme vorzulegen. Jahr für Jahr hat der Bund zusätzliche Schulden
gemacht.
({5})
- Herr Waigel, wenn wir nicht so viel für die schwachen
Länder über den Länderfinanzausgleich zu zahlen hätten, dann stünde auch Hessen besser da. Wir haben das
weitgehend finanziert.
({6})
Herr Kollege Waigel, ich sage das ganz ohne Vorwurf. Ich verstehe Ihre Erregung nicht. Ich referiere
ganz schlicht die Zahlen Ihrer Tätigkeit. Sie können keine der Zahlen, die ich eben genannt habe, bestreiten. Sie
sind alle im Bundesfinanzministerium erarbeitet worden.
Dafür waren bis Oktober vergangenen Jahres andere zuständig.
({7})
- Ich sage das ohne Vorwurf. Sie haben gemerkt, daß
ich nur referiere. Deswegen bedarf es dieser Unruhe
nicht.
Ich sage ausdrücklich: In den 80er Jahren hat es vor
dem Hintergrund einer wesentlich günstigeren weltwirtschaftlichen Entwicklung nicht einen einzigen Bundeshaushalt ohne Nettokreditaufnahme gegeben. Der Bund
hat Jahr für Jahr seine Schuldenlast weiter erhöht.
Zweitens. Auf diesem schwachen Fundament mußte
die Einheit finanziert werden. Keine Frage, dafür war
und dafür ist in der Tat viel Geld notwendig. Es gibt
aber auch hier nichts zu beschönigen. Die Finanzierung
der Einheit war nicht solide. Es wurden Schulden gemacht, Lasten übernommen und die Sozialkassen als
Verschiebebahnhof benutzt.
Nach dem zweiten Weltkrieg haben wir die Eingliederung der vertriebenen ostdeutschen Landsleute durch
einen zeitlich befristeten Zugriff auf große Vermögen
finanziert. 1990 war die Regierung - Sie wissen das
alle - der Meinung, daß der Wiederaufbau der neuen
Länder ohne Steuererhöhungen aus den laufenden Einnahmen bezahlt werden könne.
Die ehemalige Bundesregierung hat in den Folgejahren den verfassungsrechtlich zulässigen Kreditrahmen
weitgehend ausgeschöpft und den Haushalt Jahr für Jahr
am oberen Limit gefahren. Herr Kollege Waigel, wir in
Hessen haben das auch nicht anders gemacht. Deswegen
rede ich darüber auch ganz sachlich. Bei mehreren
Haushalten stellte es sich beim Vollzug, auch in Hessen
und in den meisten anderen Ländern, heraus, daß die
Kredite über den Investitionen lagen.
Wir alle haben die Wiedervereinigung gewollt.
({8})
Ihre Finanzierung aber war falsch und schränkt die
Handlungsfähigkeit unserer Generation und der unserer
Kinder dramatisch ein.
({9})
- Durch solche Ablenkungsmanöver - ich merke, es ist
Ihnen unangenehm - kommen wir doch von den Zahlen
nicht weg. Das ist die Grundlage, auf der übrigens jeder,
wer auch immer im Augenblick gerade regiert, künftig
arbeiten muß, auch Sie, meine Damen und Herren.
({10})
Um den Haushalt auf dem Papier besser erscheinen
zu lassen - wir haben Ihnen das ja auch schon mitgeteilt -,
ist die Wirtschaftsentwicklung von der Vorgängerregierung oftmals so gezeichnet worden, wie es opportun
war.
({11})
Höhere Wachstumsraten, als sie tatsächlich eingetreten
sind, sind nicht nur einmal, sondern systematisch unterstellt worden. Damit muß Schluß sein.
({12})
Wir wollen von realistischen Annahmen zur Wirtschaftslage und ehrlichen Steuerschätzungen ausgehen.
Wenn Sie sagen - das ist ja wahr -, in diesem Jahr gebe
es höhere Steuereinnahmen als im vergangenen Jahr,
dann bitte ich Sie, sich doch einmal anzuschauen, wie
weit diese hinter Ihren eigenen Schätzungen zurückbleiben. Darauf ist ja vieles aufgebaut worden. Auch das
muß man berücksichtigen.
({13})
Auch die Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt wurde regelmäßig zu positiv bewertet. Resultat davon war, daß
notwendige Ausgaben nach unten gerechnet wurden.
Lassen Sie mich einen Punkt noch einmal herausheben: Es war wirklich nicht in Ordnung, nur für die
Bundestagswahl die Mittel für Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen im Osten heraufzusetzen, sie anschließend
abbrechen zu lassen und noch zu sagen, so eine Politik
könne man verantworten. Das konnte nicht funktionieren.
({14})
Sehenden Auges wurde für erkennbare Haushaltsrisiken keine Vorsorge getroffen. Ich habe das übrigens
noch als Sprecher der sozialdemokratisch geführten
Länder im Bundesrat am 25. September 1998 deutlich
gemacht: Es wurde zum Beispiel keinerlei Vorsorge für
das Rußland-Risiko getroffen. Damals lautete die offizielle Erklärung der Bundesregierung, das sei gar nicht
zu befürchten. Nun müssen wir hierfür mindestens
3 Milliarden DM veranschlagen.
Es war im Haushalt überhaupt nichts für die Länder
mit Haushaltsnotlagen - Bremen und das Saarland vorgesehen. Auch hierfür hätten 3 Milliarden DM veranschlagt werden müssen. So läppert sich das zusammen, und so kommen wir, Herr Kollege Merz, zu dem
strukturellen Defizit, über das Sie Aufklärung erbeten
haben. Nun haben Sie sie erhalten.
({15})
Das nächste Problem: Durch die Gesetze der früheren
Bundesregierung wurden die Familien seit 1984, wie
wir alle wissen, verfassungswidrig hoch belastet. Auch
das müssen wir jetzt korrigieren.
Die Quittung für diese Politik schlägt sich nun in diesem Haushalt nieder. In Zahlen ausgedrückt - das ist die
traurige Wahrheit des Kassensturzes -: In jedem einzelnen der Jahre von 2000 bis 2003 - gehen Sie bitte von
der Tatsache aus, daß wir die erreichte Staatsverschuldung bedienen müssen - hätte der Bund ohne die jetzt
notwendig werdenden Maßnahmen einen Kreditbedarf
von 80 bis 90 Milliarden DM. Das wären mehr als
2 Prozent des Bruttoinlandsproduktes allein für den
Bund. Es ist klar, daß es dabei nicht bleiben kann. Das
Resultat dieser langjährigen Fehlentwicklungen läßt sich
nicht in einem Jahr, auch nicht in einer Legislaturperiode korrigieren. Wir brauchen dringend eine Trendwende. Wir müssen die Finanzlage endlich ungeschminkt zur Kenntnis nehmen, die notwendigen
Schlußfolgerungen ziehen, ein Gesamtkonzept entwikkeln und dieses Konzept entschlossen umsetzen. Deswegen, Herr Kollege Merz, werde ich nicht einzelne
Bausteine sozusagen herausbrechen und dazu Stellung
nehmen; das macht keinen Sinn. Sie können nur eine
Gesamtbetrachtung des Haushalts 2000, der mittelfristigen Finanzplanung und der noch zu beschließenden
Steuergesetze anstellen.
Was mich an der jetzigen Debatte stört - ich komme
gleich noch darauf zurück -: Von allen Seiten werden in
alle Richtungen Versprechungen gemacht.
({16})
- Doch, auch Sie haben sie vorhin gemacht; die sich ergebenden Kosten kann man zusammenrechnen. - In diesem Zusammenhang muß ich fragen: Wie vereinbart
sich dies mit Art. 115 des Grundgesetzes und mit dem
europäischen Stabilitäts- und Wachstumspakt, den wir
gemeinsam beschlossen haben?
({17})
Ohne hartes, konsequentes Sparen wird das alles
nicht gehen. Sparen ist aber kein Selbstzweck, sondern
Mittel zum Zweck. Unsere Kinder haben Anspruch darauf, daß wir uns vernünftig verhalten. Dazu gehört, daß
wir ihnen eine lebenswerte Umwelt erhalten und daß wir
unserer Jugend die bestmögliche Ausbildung geben. Dazu gehört auch, daß wir die Aufgaben der Gegenwart
nicht so zu Lasten der Zukunft finanzieren, daß wir damit die Gestaltungsmöglichkeiten der nächsten Generation unzumutbar einschränken. Alle drei Punkte sind
gleichberechtigt.
({18})
Dafür brauchen wir dauerhaft tragfähige Staatsfinanzen. Es wird sonst in Zukunft immer schwerer,
ökonomische, ökologische oder soziale Prioritäten bei
den Staatsausgaben zu setzen, wenn ein zunehmender
Teil der Steuereinnahmen für Zinsausgaben gebunden
ist.
({19})
Die Fortsetzung der Politik der stetigen Neuverschuldung ist deshalb falsch. Sie zerstört die Zukunft nachfolgender Generationen. Wenn Neuverschuldung erst
zur Regel wird, ist mit ihr eine ständig steigende Belastung späterer Generationen verbunden. Der Stopp der
Nettoneuverschuldung ist deshalb auch ein elementares
Erfordernis der Generationengerechtigkeit.
({20})
Art. 115 des Grundgesetzes - ich habe diesen Punkt
eben schon kurz angesprochen -, in dem die Neuverschuldung durch die Höhe der Investitionsausgaben begrenzt wird, reicht nicht aus - er gibt nur eine Obergrenze an -, um solide Staatsfinanzen für die Zukunft zu garantieren. Wir müssen das Übel der Staatsverschuldung
an der Wurzel packen.
Wir haben den europäischen Stabilitäts- und Wachstumspakt mitbeschlossen. Er sieht für die wirtschaftliche
Normallage ein nahezu ausgeglichenes Budget oder sogar Überschüsse vor. Im aktuellen Stabilitätsprogramm
haben wir für das Jahr 2002 - dies hat noch mein Amtsvorgänger dem Kabinett vorgelegt, und so hat es die
Bundesregierung beschlossen ({21})
- diese Zwischenrufe machen doch keinen Sinn; etwas
mehr Ernsthaftigkeit wäre gut ({22})
eine Begrenzung des Defizits des öffentlichen Gesamthaushaltes auf 1 Prozent des Bruttoinlandsproduktes und
darüber hinaus eine Staatsquote von 45 Prozent als Ziel
vorgegeben. Dieses Ziel wollen wir erreichen. Mittelfristig setze ich aber auf ein qualitativ neues Ziel der
Finanzpolitik: Wir brauchen so bald wie möglich einen
wirklich ausgeglichenen Haushalt.
({23})
Einnahmen und Ausgaben, Steuer- und Abgabenlast
sowie die öffentlichen Ausgaben müssen einander wieder entsprechen, ohne daß ständig auf die Neuverschuldung zurückgegriffen werden muß. Schwankungen um
diese Nullinie würde es dann nur noch aus konjunkturellen Gründen geben. Ich bekenne mich ausdrücklich
dazu und auch zur Intervention des Staates hinsichtlich
der automatischen Stabilisatoren. Ich habe schon aus
allen Fraktionen dieses Hauses gehört, daß man in einer
Phase des wirtschaftlichen Abschwungs nicht noch
bremst,
({24})
sondern in diesem Fall konjunkturell bedingte größere
Defizite hinnimmt und je nach wirtschaftlicher Entwicklung gegensteuert. Aber diese Kraft haben wir nicht
mehr, weil ein Viertel aller Einnahmen bereits für die
Zinszahlungen draufgeht. Woher soll die Kraft zum Gegensteuern kommen?
Dieser Konsolidierungskurs ist ein klares Vertrauenssignal für die Wirtschaft. Das halte ich übrigens für
das Wichtigste.
({25})
Auch die Perspektive ist ein klares Vertrauenssignal für
die Wirtschaft, die Finanzmärkte, die Tarifpartner und
vor allem für unsere Kinder. Er ist unser konkreter Beitrag zu einem konfliktfreien Zusammenwirken von
Geld-, Lohn- und Finanzpolitik.
Unmittelbares Ziel der Bundesregierung ist es, im
Haushalt 2000 das Defizit weiter zurückzuführen und
die tatsächliche Nettokreditaufnahme deutlich unter den
Anforderungen des Art. 115 und im Rahmen der Vorgaben des europäischen Stabilitäts- und Wachstumspaktes
zu halten. Diesen Konsolidierungskurs müssen wir Jahr
für Jahr mit deutlich steigender Tendenz fortsetzen. Dazu müssen die Ausgaben zurückgeführt werden. Keine
Ausgabeposition darf tabuisiert werden; Denkverbote
gibt es nicht. Alles kommt auf den Prüfstand: alle Leistungen, alle Subventionen, jeder Einzelplan des Bundeshaushalts.
({26})
- Natürlich, Herr Kollege Rexrodt, löst das keine Begeisterung aus; auch bei Ihnen habe ich übrigens keinen
Beifall gesehen, wenn ich das mal eben festhalten darf. Vieles Wünschenswerte werden wir uns nicht mehr leisten können.
Das gilt auch - nun wird Ihre Begeisterung vielleicht
noch mehr gedämpft - für die Einnahmeseite.
({27})
- Heben Sie sich doch die Zwischenrufe für die Zeit auf,
wenn es ernst wird. - Auch dort gibt es Subventionen,
ungerechtfertigte Steuervergünstigungen, ja regelrechte
und große Steueroasen.
({28})
Das ist auch der heutige Befund. Der Bund hat den Bürgern Jahr für Jahr mehr Leistungen zur Verfügung gestellt, als diese über Steuern und Abgaben bezahlt haben. Das ist keine zukunftsfähige Politik.
({29})
Sie haben eben versucht, mich mit Ihrem Zwischenruf zu locken, Herr Kollege Merz; ich weiß, ich betrete
jetzt dünnes Eis. Ich erinnere Sie nur daran, daß unsere
letzten Gespräche über die Steuerreform im Dezember
1997 auch daran gescheitert sind, daß Sie darauf bestanden haben, zur Gegenfinanzierung die Mehrwertsteuer
zu erhöhen.
({30})
Ich sage nur: Jeder hat seine Geschichte. Ich weiß, wovon ich rede. Deswegen rate ich jedem dazu, seine Reden an diesem Pult immer auch eingedenk der eigenen
Geschichte zu halten. Das wäre manchmal sehr nützlich.
({31})
Will man Steuern und Abgaben nicht erhöhen, sondern - wie es eben hier gefordert wurde - zielgerichtet
weiter senken, ist das nur möglich, wenn die Ansprüche
an den Staat, an die öffentlichen Haushalte und das Sozialsystem zurückgenommen werden.
({32})
Dabei dürfen wir aber nicht unsere Zukunftsfähigkeit
aufs Spiel setzen - da wird es wahrscheinlich entscheidende Kontroversen geben - und dürfen nicht die Verfassungsgebote der Menschenwürde und der sozialen
Gerechtigkeit verletzen. Wir würden sonst die Zustimmung der Mehrheit unseres Volkes zu unserem
Staat verlieren. Es darf keine Umverteilung von unten
nach oben unter dem Deckmantel der Sparpolitik geben.
({33})
Das wäre nicht nur moralisch und politisch unvertretbar,
das wäre auch ökonomisch falsch.
Die Auswirkungen von Budgetentscheidungen des
Bundes auf die wirtschaftliche Entwicklung müssen beachtet werden.
({34})
Die Haushalte müssen stabilitäts- und konjunkturgerecht
sein, das heißt auch in die jeweilige wirtschaftliche Entwicklung eingepaßt werden; das habe ich vorhin schon
deutlich gemacht. Entscheidend ist: Wir können uns
nicht nur aus den Defiziten heraussparen. Zusätzlich
müssen Wachstumspotentiale besser als bisher erschlossen werden.
({35})
- Passen Sie auf: Scheinselbständigkeit und 630-MarkJobs. Bei der Scheinselbständigkeit gab es zwischen der
bayerischen und der hessischen Staatsregierung schon
einmal eine Übereinstimmung darüber, daß man diese in
die Sozialversicherungssysteme einbeziehen müsse, weil
eine weitere Erosion der Steuersysteme nicht möglich
sei. Das war 1996/97. Und wenn ich mich an das Thema
630-Mark-Jobs erinnere: Wir waren uns im Dezember
1997 in der kleinen Runde, mit Zustimmung von Herrn
Solms, einig,
({36})
daß wir jedenfalls die 630-Mark-Jobs, die als Nebentätigkeit ausgeübt werden, in die Rentenversicherung einbeziehen sollten. Gescheitert ist dies, wie Sie wissen, an
der F.D.P.-Bundestagsfraktion, weil nur zwei dafür gestimmt haben, nämlich Herr Solms und Herr Genscher.
Das muß man sich klarmachen.
({37})
Herr Minister!
Eigentlich wollte ich keine Zwischenfragen zulassen. Ihre aber
lasse ich zu, weil ich Sie persönlich angesprochen habe.
Sie müssen
mich dazwischen zu Wort kommen lassen, bitte.
({0})
Ich bitte
um Entschuldigung, Frau Präsidentin; das wird mir nicht
wieder passieren.
Herr Bundesfinanzminister, vielen Dank, daß Sie so freundlich sind,
meine Frage zuzulassen.
({0})
Da Sie mich erwähnt haben, darf ich Ihrer Erinnerung
vielleicht ein wenig auf die Sprünge helfen.
In dem Gespräch zwischen der damaligen Koalition
und der SPD hat, wenn ich mich recht entsinne, Frau
Matthäus-Maier, die daran teilgenommen hat, gefragt:
Und wie ist es mit den 630-Mark-Verträgen? Darauf hat
Herr Schäuble gesagt: Da müssen Sie Herrn Solms fragen.
({1})
- Ich bin ein wahrheitsliebender Mann; dabei kommen
die verschiedenen Nuancen zum Ausdruck.
({2})
Daraufhin habe ich gesagt: Mit der F.D.P. wird es eine
Änderung der 630-Mark-Verträge nicht geben.
({3})
Wären Sie so freundlich, mir zu bestätigen, daß es
genau so abgelaufen ist?
Herr
Solms, ich bestätige das gerne. Es gab eine kleine Zwischennuance, weil dies getestet wurde. Das war das Ergebnis; Sie haben recht.
({0})
Ich erinnere mich übrigens auch sehr lebhaft an das,
was Herr Schäuble und Bundeskanzler Kohl damals zum
Thema 630-Mark-Verträge gesagt haben. Sie alle haben
nämlich gewußt, daß es so, wie es sich entwickelt hat,
nicht mehr weitergehen konnte.
({1})
Meine Damen und Herren, neben dem Sparen, neben
der Haushaltskonsolidierung, brauchen wir die Umsetzung struktureller Reformen, arbeitsmarktpolitische
Maßnahmen und die anstehende Steuerreform. Wir
wollen mehr Wachstumspotentiale ausschöpfen; denn
wir wollen uns aus dem Defizit nicht nur heraussparen,
wir wollen herauswachsen. Das ist der richtige Weg.
({2})
Der Bundeshaushalt 1999 ist schon ein erster Schritt.
Nun haben Sie dies, wie es üblich ist, unterschiedlich
kommentiert. Man mag über einzelne Maßnahmen, über
die Verschiebung in eine Verpflichtungsermächtigung
anderer Meinung sein. Die Tendenz aber stimmt: Der
Haushalt ist ein erster Schritt zur Sanierung der Staatsfinanzen. Er trägt in Teilen, in den Teilen, die in dieser
kurzen Zeit veränderbar waren, unverwechselbar unsere
Handschrift.
Die Nettoneuverschuldung wird gegenüber dem
Haushalt 1998, aber auch gegenüber dem Haushaltsentwurf der vorigen Bundesregierung für 1999 zurückgeführt. Dabei setzt der Haushalt wichtige Impulse - im
übrigen werden auch Veranschlagungen aufgenommen,
Stichworte: Saarland, Rußland, die nicht enthalten waren - für die Zukunftsfähigkeit unseres Landes. Ich nenne das Sofortprogramm für Ausbildung und Arbeit für
100 000 Jugendliche, das einen Erfolg aufweist: Die Jugendarbeitslosigkeit geht deutlich zurück. Das haben wir
gewollt.
({3})
Ich nenne auch die Aufstockung der Mittel für die Forschung und den Hochschulbau,
({4})
das 100 000-Dächer-Programm für die Nutzung der Solarenergie und den Aufbau Ost, der auf hohem Niveau
fortgesetzt wird.
({5})
Meine Damen und Herren, schon diese Schwerpunktsetzungen im Haushalt 1999 verdeutlichen, daß trotz
engster Spielräume und der Begrenzung des Ausgabenzuwachses unterhalb des Wachstums des Bruttosozialprodukts - andere Rechnungen stimmen nicht - eine andere Politik möglich ist.
Dazu kommt, daß die für die volkswirtschaftliche
Nachfrage wichtigen Investitionen trotz der Absenkung
der Nettokreditaufnahme um 1,1 Milliarden auf 58,2
Milliarden DM angehoben werden. Mit einem bereinigten Ausgabenzuwachs von 1,2 Prozent und einer Rückführung der Nettoneuverschuldung um 2,9 Milliarden
DM im Vergleich zu 1998 ist der Haushalt 1999 ein erster Schritt in eine konjunkturgerechte und strukturpolitisch sinnvolle Politik der nachhaltigen Haushaltskonsolidierung.
({6})
Ich danke dem Haushaltsausschuß - auch wenn es
das eine oder andere Problem gegeben haben mag - für
die erfolgreiche Arbeit und würde mich freuen, wenn
dieser Geist verstärkt die Beratungen in den Jahren 2000
und folgende bestimmen würde. Denn wir werden große
und schwierige Aufgaben zu lösen haben.
Herr Merz, es ist ein bißchen einfach, der Bundesregierung die jetzige Situation in die Schuhe schieben zu
wollen. Denn dann müßten Sie das auch im Hinblick auf
die neuen Wachstumserwartungen tun. Die Forschungsinstitute hegen in ihrem Frühjahrsgutachten die
begründete Hoffnung - das ist weltweit, zum Beispiel
auch beim IWF, der Fall - auf baldige Rückkehr zu
einem nachhaltigen Wachstumspfad. Ich sage übrigens
ganz deutlich - und das gilt nicht nur für Deutschland -:
Diese Prognose ist noch nicht ganz gesichert.
Das Wirtschaftswachstum ist aber gegenwärtig zu
gering, um die Arbeitslosigkeit deutlich zurückzuführen
und die dramatische Lage der Staatsfinanzen zu verbessern. Das Wachstum wird 1999 unter den Erwartungen
vom Jahresanfang liegen. Das ist richtig. Die Institute
rechnen mit real 1,7 Prozent, wir - etwas vorsichtiger mit gut 1 1/2 Prozent. Allerdings rechnen sie alle mit
einer Beschleunigung der wirtschaftlichen Entwicklung
in der zweiten Jahreshälfte. Sie prognostizieren, wie Sie
wissen, bereits für das nächste Jahr ein Wachstum von
2,6 Prozent. Vor diesem Hintergrund, Herr Merz, sind
der Ausdruck „dramatischer Abbruch“ und die Schuldzuweisung an die jetzige Bundesregierung unangemessen. Denn dann ist - wenn man so argumentieren will auch die Beschleunigung des Wachstums ein Ergebnis
der Arbeit der Bundesregierung.
({7})
Mit der Sanierung der Staatsfinanzen und einer stabilitäts- und konjunkturgerechten Finanzpolitik in den
nächsten Jahren wollen wir die positive Konjunkturentwicklung verstärken, das Wachstum steigern, die Arbeitslosigkeit senken und so auch die Staatsfinanzen
wieder auf eine solide und dauerhaft tragfähige Grundlage stellen.
Haushalt und Steuern sind nicht unabhängig voneinander. Nun greife ich noch einmal auf, was ich vorhin
schon kurz angesprochen habe: Es war das große Versäumnis der früheren Regierung - so sehe ich es; das ist
keine Polemik, sondern eine Wertung, die Sie nicht teilen müssen -, diesen Zusammenhang auch im Rahmen
der Steuerreform nicht gesehen zu haben. Insellösungen
für die Haushalts- oder die Steuerseite greifen immer zu
kurz.
({8})
Wir wollen im Sommer ein aufeinander abgestimmtes
Gesamtpaket schnüren. In zwei Wochen haben wir eine
neue Steuerschätzung vorliegen. Die zusätzliche Fortschreibung der konjunkturellen Entwicklung erlaubt uns
im Sommer eine genauere Haushaltsplanung. Zu diesem
Gesamtpaket gehören der Haushalt 2000 und die mittelfristige Finanzplanung sowie die Neuregelung der Unternehmensbesteuerung, der Familienbesteuerung und
die Fortführung der ökologischen Steuerreform.
Ohne auf Einzelheiten eingehen zu wollen - denn
dies wäre wirklich zu früh -, will ich feststellen: Es gibt
überhaupt kein Problem in der Koalition, zu einer sinnvollen Unternehmensbesteuerung zu kommen. Es wird
auch keinen Zeitverzug geben. Es gibt das ganz andere
Problem, daß die Kommission selber sagen könnte - ich
lege größten Wert darauf, daß wir das dann ernst nehmen -, daß die Vorschläge, die sie hinsichtlich der Besteuerung der Personengesellschaften macht, so kompliziert in der Umsetzung sind, daß es - wenn wir nicht sehenden Auges große Fehlerquellen in Kauf nehmen
wollen - ausgeschlossen ist, dies zum 1. Januar 2000
einzuführen. Ich sage nachdrücklich: Ich möchte, daß
die Solidität der Gesetzgebung vor der Schnelligkeit
steht. Es soll keinen Korrekturbedarf geben.
({9})
- Meine Damen und Herren, seien Sie vorsichtig: Wer
sich beim Thema 630-Mark-Verträge, nachdem die SPD
auf diesen Mißstand immer wieder hingewiesen hatte,
zehn Jahre lang nicht bewegt hat und das zu einem so
großen Problem hat werden lassen,
({10})
der hat das geringste Recht, zu sagen, daß, wenn man
sich eines so großen Problems annimmt, nicht auch einzelne Schwierigkeiten auftauchen können.
({11})
- Wenn Sie mich noch einmal reizen, sage ich Ihnen
noch etwas aus unseren gemeinsamen Verhandlungen.
({12})
Wir hätten - damit Sie auch wissen, wie das funktioniert - die Mehrwertsteuererhöhung um den einen Punkt
im vergangenen Jahr nicht gebraucht, wenn die Scheinselbständigen und die Beschäftigten mit 630-DMVerträgen in der Rentenversicherung gewesen wären.
Das muß man sich einmal vor Augen führen.
({13})
Sie können sich anders entscheiden. Aber was Sie auf
der Abgabenseite nicht tun - da haben Sie im vergangenen Jahr auch nicht eingespart -, das müssen Sie dann
auf der Steuerseite tun. Genau das ist es, wobei wir Ihnen aus der Patsche geholfen haben. Das ist doch die
Wirklichkeit.
({14})
Die Kommission hat zu den Personengesellschaften
drei Vorschläge gemacht, übrigens eine hochqualifizierte Kommission, die von meinem Vorgänger im Amt
eingesetzt worden ist. Ich finde es beispielhaft, Steuergesetzgebung so zu machen, daß wir die Wissenschaft,
die anwendende Wirtschaft, die Sozialpartner und die
Finanzverwaltung zur Vorbereitung der Steuergesetzgebung in einem Boot haben,
({15})
damit wir präzise wissen, was dann im einzelnen passiert. So stelle ich mir Steuergesetzgebung und ihre
Vorbereitung vor.
({16})
Die Kommission sagt, daß die drei Modelle, die sie
für die Personengesellschaften vorgeschlagen hat, so
kompliziert sind, daß ihre Mitglieder beim Gesetzgebungsverfahren als Sachverständige dabeibleiben wollen
- das ist das ausdrückliche Angebot, das ich unterstütze -,
damit wir dann auch eine solide Gesetzgebung haben. Es
gibt keine Chance, jedenfalls diesen Teil der Vorschläge
- ich betone: diesen Teil - zum 1. Januar 2000 in Kraft
zu setzen. Das ist der ganz einfache Hintergrund. Wir
werden das ohne jeden Zeitverzug, aber mit der gebotenen Sorgfalt machen.
({17})
Bei der Familienbesteuerung gilt: Wir müssen es
zum 1. Januar 2000 machen. Anderenfalls greift automatisch das, was das Bundesverfassungsgericht in sein
Urteil für diesen Fall hineingeschrieben hat. Was immer
wir im einzelnen dazu vorschlagen, es gibt da - wie Sie
wissen - gesellschaftliche Grundpositionen. Es wäre
meiner Ansicht nach für diese Koalition schon ein Thema, daß man die Kinder möglichst unabhängig vom
Einkommen der Eltern für den Staat gleichgewichtig
sein läßt.
({18})
Das ist steuerrechtlich allerdings ein Riesenproblem.
Ich sage ausdrücklich: Die Bundesregierung wird nichts
vorlegen, was nicht verfassungsfest ist. Man kann immer
ein Stück darüber streiten. Aber wir werden nichts vorlegen, was nicht verfassungsfest ist. Wir werden nicht
sehenden Auges in ein verfassungsrechtliches Problem
hineinlaufen.
({19})
Wir haben eine sehr schwierige Finanzlage und angesichts der großen Probleme einen steinigen Weg vor uns.
Dabei sind wir auf die Mitarbeit aller gesellschaftlichen
Gruppen angewiesen. Ich sage dies übrigens auch mit
der ausdrücklichen Bitte an dieses Haus. Ich sage dies
nicht in der Absicht, polemisch zu werden. Aber zu der
Lage, die wir vorfinden, haben viele beigetragen. Es haben viele dazu beigetragen, daß sie so ist, wie sie ist.
Deswegen meine ich, daß alle Verantwortung tragen und
mithelfen müssen, da herauszukommen.
({20})
Es geht jetzt darum, die drängendsten Probleme unseres Landes zu lösen. Dafür werden alle Zugeständnisse
machen müssen. Nur so werden wir unser vorrangiges
wirtschafts- und sozialpolitisches Ziel, den Abbau der
Arbeitslosigkeit, erreichen.
Wir schaffen durch die Sanierung der Staatsfinanzen
Handlungsraum für einen gestaltungsfähigen Staat. Wir
eröffnen der nächsten Generation die Möglichkeit, ihre
Lebensvorstellungen zu verwirklichen. Dazu müssen wir
die wirkliche Lage zur Kenntnis nehmen und jetzt das
Notwendige für die Haushaltssanierung tun, um in Zukunft wieder handlungsfähig zu sein. Dafür bitte ich um
Ihrer aller Unterstützung.
Ich bedanke mich herzlich für die Aufmerksamkeit.
({21})
Zu einer Kurzintervention erteile ich dem Abgeordneten Friedrich
Merz das Wort.
({0})
Frau Vizepräsidentin!
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Bundesfinanzminister, Sie bekommen von uns natürlich keinen
Blumenstrauß. Aber ich möchte sagen, daß wir es ausdrücklich begrüßen, welchen Stil und welche Form Sie
für Ihren ersten Beitrag zu den wichtigen finanzpolitischen Themen gewählt haben.
({0})
Ich habe mich zu Wort gemeldet, weil ich noch einmal aufgreifen will, was Sie zum Thema der Mehrwertsteuererhöhung gesagt haben. Ich fand es aufschlußreich, daß Sie den Zusammenhang hergestellt und gesagt
haben, daß die Regelungen in bezug auf die 630-MarkBeschäftigungsverhältnisse und die Scheinselbständigkeit eine Mehrwertsteuererhöhung obsolet gemacht hätten, wenn sie früher gekommen wären. Das heißt im
Klartext: Sie haben diese Regelungen vorgenommen,
um die Staatseinnahmen in einer Größenordnung von
etwa 15 bis 16 Milliarden DM zu erhöhen. Das ist ja
aufschlußreich, was Sie in diesem Zusammenhang gesagt haben.
({1})
Damit die Tatsachen hinsichtlich der letzten Mehrwertsteuererhöhung, die stattgefunden hat, nicht völlig
aus dem Blickfeld geraten, will ich auf den Zusammenhang hinweisen, den es tatsächlich gab, als die Mehrwertsteuer am 1. April 1998 um 1 Prozentpunkt erhöht
worden ist. Wenn ich es richtig in Erinnerung habe, ist
das im Bundesrat auch mit der Stimme Hessens so beschlossen worden. Herr Eichel, diese Mehrwertsteuererhöhung stand ausdrücklich im Zusammenhang mit der
Rentenreform,
({2})
die am 1. Januar 1999 hätte in Kraft treten sollen.
({3})
Wenn Sie konsequent geblieben wären - ich sage Ihnen voraus, daß das für Sie eines der schwierigsten
Themen werden wird; Sie werden wieder zu dem Punkt
zurückkehren müssen, an dem wir längst waren; der
Bundeskanzler nickt,
(
Nein! Heiterkeit)
in völlig anderem Zusammenhang -, dann hätten Sie mit
der Mehrheit, die Sie seit dem 27. September haben,
nicht nur die Rentenreform zum 1. Januar 1999 aussetzen müssen, sondern hätten auch die Mehrwertsteuererhöhung rückgängig machen müssen.
({0})
Das war der Zusammenhang, den es mit der Mehrwertsteuererhöhung zum 1.April 1998 gegeben hat. Sie ist
wesentlich früher in Kraft getreten, als das für die Rentenreform vorgesehen war. Weil zwischen diesen beiden
Terminen die Wahlen lagen, haben Sie die Chance bekommen, die Rentenreform nicht umzusetzen, so daß es
bei der Mehrwertsteuererhöhung geblieben ist. Deswegen sage ich voraus: Die Probleme, die Sie an dieser
Stelle bekommen werden - Sie haben vielleicht eben
selbst gemerkt, wie begrenzt die Zustimmung in der
SPD-Bundestagsfraktion war,
({1})
als Sie zum Thema Subventionsabbau und anderem gesprochen haben -, können Sie nicht noch einmal mit einer Mehrwertsteuererhöhung lösen. Auf diesem Weg
werden wir Ihnen nicht folgen.
({2})
Zur Antwort
der Herr Minister.
Herr
Kollege Merz, es hat von Ihrer Seite zu keiner Zeit den
Hinweis dahin gehend gegeben, daß Sie zum 1. Januar
1999 - das hätte es ja sein müssen - die Mehrwertsteuererhöhung um einen Punkt zurücknehmen wollten.
({0})
Darauf weise ich nur hin. Sie hatten ein Loch in der
Rentenkasse. Sie wollten einer Erhöhung der Rentenversicherungsbeiträge - das haben wir verstanden, weil
auch wir eine weitere Erhöhung der Lohnnebenkosten
nicht wollten - entgehen.
({1})
Sie hätten das in der Koalition durch einseitige Erhöhung einer Bundessteuer regeln können. Das haben Sie
in der Koalition nicht hinbekommen. Deswegen wollten
Sie die Mehrwertsteuer erhöhen, und dazu brauchten Sie
- das war Ihre Bitte - die Zustimmung des Bundesrates.
Die haben wir gegeben.
({2})
Ich schließe
damit die Aussprache. Wir kommen jetzt zu den Ab-
stimmungen.
Wir kommen zunächst zur Abstimmung über den
Einzelplan 08, Bundesministerium der Finanzen. Wer
stimmt für den Einzelplan 08 in der Ausschußfassung?
- Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Einzel-
plan 08 ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen*)
gegen die Stimmen aller Oppositionsfraktionen ange-
nommen worden.
Abstimmung über den Einzelplan 32, Bundesschuld.
Wer stimmt für den Einzelplan 32 in der Ausschußfas-
sung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Auch der
Einzelplan 32 ist angenommen worden mit den Stimmen
der Koalitionsfraktionen*) gegen die Stimmen der Op-
position.
Abstimmung über den von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Eingliederung
der Schulden von Sondervermögen in die Bundesschuld,
Drucksachen 14/513, 14/683 und 14/848. Ich bitte dieje-
nigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschußfassung
zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Gegenstim-
men? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in
zweiter Beratung angenommen worden mit den Stim-
men der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen von
CDU/CSU und F.D.P.; die PDS hat sich enthalten.
Dritte Beratung
und Schlußabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. -
Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetz-
entwurf ist damit in dritter Lesung angenommen worden
mit dem eben festgehaltenen Stimmenverhältnis.
Abstimmung über den Einzelplan 60, Allgemeine
Finanzverwaltung, in der Ausschußfassung. Es liegen
fünf Änderungsanträge vor, über die wir zunächst ab-
stimmen müssen. Wer stimmt für den Änderungsantrag
der CDU/CSU auf Drucksache 14/887? - Wer stimmt
dagegen? - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist
abgelehnt worden mit den Stimmen von SPD, Bünd-
nis 90/Die Grünen und PDS gegen die Stimmen von
CDU/CSU und F.D.P.
Wer stimmt für den Änderungsantrag der PDS auf
Drucksache 14/892? - Wer stimmt dagegen? - Enthal-
tungen? - Der Änderungsantrag ist abgelehnt worden
mit den Stimmen des ganzen Hauses mit Ausnahme der
PDS, die zugestimmt hat.
Wer stimmt für den Änderungsantrag der PDS auf
Drucksache 14/893? - Wer stimmt dagegen? - Enthal-
tungen? - Auch dieser Änderungsantrag ist abgelehnt
worden mit den Stimmen des Hauses mit Ausnahme der
PDS, die zugestimmt hat.
------------
*) Anlage 3
Wer stimmt für den Änderungsantrag der F.D.P. auf
Drucksache 14/908? - Wer stimmt dagegen? - Ent-
haltungen? - Der Änderungsantrag ist abgelehnt wor-
den mit den Stimmen von SPD, Bündnis 90/Die Grü-
nen und PDS gegen die Stimmen von CDU/CSU und
F.D.P.
Wer stimmt für den Änderungsantrag der F.D.P. auf
Drucksache 14/910? - Wer stimmt dagegen? - Enthal-
tungen? - Der Änderungsantrag ist abgelehnt worden
mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die
Stimmen von CDU/CSU, F.D.P. und PDS.
Wer stimmt für den Einzelplan 60 in der Ausschuß-
fassung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Ein-
zelplan 60 ist angenommen worden mit den Stimmen
der Koalitionsfraktionen*) gegen die Stimmen der ge-
samten Opposition.
Abstimmung über den Einzelplan 20, Bundesrech-
nungshof, in der Ausschußfassung. Wer stimmt dafür?
- Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Einzelplan 20
ist mit den Stimmen des ganzen Hauses angenommen
worden.*)
Wir sind mit den Abstimmungen durch. Interfraktionell ist vereinbart, die Sitzung jetzt für etwa eine Stunde
zu unterbrechen. Der Wiederbeginn der Sitzung wird
rechtzeitig durch Klingelsignal angekündigt.
Die Sitzung ist damit unterbrochen.
({0})
Meine Damen und
Herren! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Die unter-
brochene Sitzung ist wieder eröffnet.
Nach der Abstimmung über den Einzelplan 20 darf
ich noch mitteilen, daß Frau Sylvia Voß vom Bünd-
nis 90/Die Grünen eine Erklärung zu Protokoll gegeben
hat.*)
Interfraktionell ist nunmehr vereinbart, die heutige
Tagesordnung um den Zusatzpunkt 2
Beratung des Antrages der Bundesregierung
zur deutschen Beteiligung an der humanitären
Hilfe im Zusammenhang mit dem Kosovo-
Konflikt
zu erweitern. Der Antrag auf Drucksache 14/912 soll
ohne Aussprache zur federführenden Beratung an den
Auswärtigen Ausschuß und zur Mitberatung an den
Verteidigungsausschuß, den Rechtsausschuß sowie an
den Haushaltsausschuß überwiesen werden. Sind Sie mit
der Erweiterung der Tagesordnung einverstanden? - Das
ist der Fall. Sind Sie auch mit der Überweisung einver-
standen? - Auch das ist der Fall. Dann ist das so be-
schlossen.
------------
*) Anlage 3
Ich rufe nun auf:
8. Einzelplan 30
Bundesministerium für Bildung und Forschung
- Drucksachen 14/619, 14/622 Berichterstattung:
Abgeordnete Steffen Kampeter
Matthias Berninger
Dr. Christa Luft
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Stunde vorgesehen. - Ich höre keinen
Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem
Kollegen Steffen Kampeter von der Fraktion der
CDU/CSU.
Herr Präsident!
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die zweite
und dritte Lesung des Etats der Bundesministerin für
Bildung und Forschung, rund ein halbes Jahr nach
Inamtsetzung dieser Bundesregierung, wird Anlaß geben, eine erste Zwischenbilanz zu ziehen, was sich im
Bereich Bildung und Forschung - manifest geworden in
dem Etat 1999 - getan hat.
Wenn ich einmal Revue passieren lasse, was in den
letzten Monaten, insbesondere in den Auseinandersetzungen des Wahlkampfes, gesagt, versprochen, angekündigt und vorbereitet worden ist, dann müßte jetzt
das neue Millennium für Bildung und Forschung in
Deutschland erkennbar sein. Es müßten Jubelchöre der
Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, der Bildungspolitikerinnen und Bildungspolitiker durch Deutschland
hallen. Denn gemessen an den Ankündigungen der Bundesbildungs- und -forschungsministerin und der sie tragenden Koalition müßte allein schon dieser Haushalt
1999 ein großartiger Erfolg sein.
({0})
Ich glaube allerdings, wir müssen ernüchtert feststellen, daß auch Edelgard Bulmahn in den ersten Monaten
ihrer Amtszeit Bildung und Forschung nicht neu entdeckt hat, daß die groß angekündigten neuen Akzente
oftmals Fortsetzung von Bewährtem sind - das kritisieren wir keineswegs -, beispielsweise von den Akzenten,
die der ehemalige Bundesforschungsminister Jürgen
Rüttgers hier gesetzt hat.
({1})
Deswegen ist es auch schwierig, so richtig auf Sie einzuprügeln, Frau Bundesministerin. Denn warum sollen
wir Sie nicht dafür loben, daß Sie unsere gute Politik in
Teilen fortführen?
({2})
Sie haben ein Haus übernommen, daß Sie sogar in die
Lage versetzte, wesentliche Teile der Abteilungsleiterebene zu übernehmen. Sie haben aber von Ihrem Recht
Gebrauch gemacht, parteipolitische Spezialisten heranzuziehen. Es scheint jedoch, daß auch die innere Struktur des Bundesministeriums für Bildung und Forschung
nicht Anlaß für irgendwelche Kritik war. Wir haben das
Haus anständig übergeben. Sie konnten auf gute Vorarbeit zurückgreifen und haben das in Teilen auch getan.
Jetzt werden die freundlichen Worte aber schon weniger; denn ich muß Sie an Ihrer eigenen Meßlatte messen, Frau Bulmahn. Was ist eigentlich mit dem Haushalt
1999, dem erkennbaren Aufbruch für Bildung und Forschung? Ist das nur Zukunftsmusik, oder haben Sie
schon Fakten setzen können?
Ein ganz wesentliches Wahlkampfversprechen von
Ihnen war, die Ausgaben für Bildung und Forschung in
den nächsten vier Jahren zu verdoppeln. Wenn man genauer hingehört hat, konnte man aber verstehen, daß Sie
gesagt haben: Es geht nicht um die Ausgaben, die von
15 Milliarden DM auf 30 Milliarden DM verdoppelt
werden sollen, sondern um die Investitionen in Bildung
und Forschung. Das war die erste Abschwächung dieses
Wahlkampfversprechens.
({3})
Wenn man sich diesen Etat bzw. die Beratungen des
Haushaltsausschusses anschaut, dann stellt man fest, daß
von einem Aufwuchs, Zuwachs oder Anstieg der Investitionen zumindest im ersten Jahr überhaupt nichts zu
merken ist. Sie haben Federn lassen müssen. Ihr Etat ist
genauso gekürzt worden wie alle anderen Etats. Mit dem
Mythos, daß die neue rotgrüne Koalition eine höhere
Sympathie für Bildung und Forschung als für Verteidigung oder Soziales hat, ist aufgeräumt worden. Der Etat
ist unter die magische Grenze von 15 Milliarden DM
abgesackt. Die Verdoppelung der Investitionen in Bildung und Forschung ist keineswegs erkennbar.
({4})
Selbst wenn wir diese pathetische Verdoppelungsdiskussion etwas beiseite schieben - die war wohl nur als
Wahlkampfgetöse gedacht - ({5})
- Wir haben noch vier Jahre Zeit, Herr Kollege Möllemann, sie jedes Jahr daran zu erinnern, mit dem Taschenrechner nachzurechnen und zu schauen: Hat Frau
Bulmahn das Parlament anständig informiert, oder hat
sie versucht, es in die Irre zu führen? Das werden wir
auch jedes Jahr machen.
Jetzt will ich mich mit Ihrer Einbringungsrede auseinandersetzen, Frau Bulmahn. Darin haben Sie verschiedene Schwerpunkte angesprochen. In der ersten
Lesung haben Sie gesagt: Der Anteil der Projektförderungen wird gesteigert. Ich stelle fest: In den Beratungen des Haushaltausschusses, der durch Ihre Koalition
getragen wird, sind die Projektfördermittel ausschließVizepräsident Rudolf Seiters
lich abgesenkt worden. Sie haben in den Haushaltsberatungen also genau das Gegenteil von dem gemacht,
was Sie angekündigt haben.
({6})
Sie haben angekündigt, daß Sie einen Schwerpunkt
auf das Bildungswesen legen wollen. Die größte Einzelreduzierung, die in den Haushaltsberatungen vorgenommen wurde, ist aber just in diesem Titel, nämlich bei
der Fortentwicklung des Bildungswesens, in Höhe von
15 Millionen DM vorgenommen worden.
({7})
In Ihrer Einbringungsrede haben Sie - ich darf zitieren - einen überproportionalen Mittelaufwuchs bei der
Biotechnologie angekündigt. Die Realität ist: 5 Millionen DM weniger bei der Biotechnologie durch die Beschlüsse von Rotgrün im Haushaltsausschuß.
({8})
In den vergangenen Jahren gab es eine heilige Kuh die haben Sie, das gebe ich zu, in Ihrer Haushaltseinbringungsrede, glaube ich, nicht angespuckt -: Das war
„Arbeit und Technik“. Das heißt heute etwas anders,
nämlich Innovations- und Beschäftigungswelt oder so
ähnlich. Dafür haben Sie jedes Jahr vor dem Forum des
Deutschen Bundestags mindestens 20 bis 30 Prozent zusätzlich angekündigt. Jetzt, da Sie in der Verantwortung
stehen und diesen Titel kräftig erhöhen könnten, hat die
Koalition diesen Bereich um 15 Prozent - sprich: um
9 Millionen DM - abgesenkt.
({9})
Edelgard Bulmahn hat in ihrer Einbringungsrede angekündigt: Wir steigern die Förderung von Projekten der
Informationstechnologie. Im Haushaltsausschuß wurden
dort 8 Millionen DM gekürzt.
Wenn ich die Haushaltsberatungen mit der Meßlatte
Ihrer Einbringungsrede, Frau Minister, Revue passieren
lasse, dann stelle ich fest, daß die von Ihnen genannten
Schwerpunkte offensichtlich die Gebrauchsanleitung für
die Haushälterinnen und Haushälter der Koalition waren, entsprechende Kürzungen in Ihrem Etat vorzunehmen. Das spricht nicht sehr für Ihre politische Durchsetzungskraft, wenn ich das - zugegeben: wenig charmant - einmal sagen darf.
Ein weiterer Punkt, auf den ich hinweisen möchte,
ist die Grundkonzeption, die Sie in der Öffentlichkeit
vertreten: daß sich die Neuausrichtung der Bildungsund Forschungspolitik an Beschäftigungsfragen orientieren muß. An dieser Beschäftigungsausrichtung ist im
Einzelfall nichts zu kritisieren. Mit Blick auf die Ankündigung, zukünftig die Fokussierung auf die Projektförderung vorzunehmen, weise ich darauf hin, daß
wir uns hier im Hause - das meine ich durchaus ernsthaft und nicht vor parteipolitischem Hintergrund - im
klaren darüber sein müssen, daß das von vielen, die im
Bereich der Grundlagenforschung tätig sind, als Angriff auf Ihre Forschungsbereiche mißverstanden werden könnte.
Ich fände es gut und richtig, wenn Sie zur Klarstellung in den nächsten Jahren und bei der Aufstellung des
Haushalts 2000 deutlich machen könnten, daß Ihr Angebot nicht dahin geht, die angewandte Forschung gegen
die Grundlagenforschung auszuspielen, sondern daß Sie
ein Miteinander der soliden Grundlagenforschung und
der Fokussierung auf angewandte Forschungsbereiche
schaffen wollen, wobei sicherlich auch das Beschäftigungsziel Berücksichtigung finden kann.
({10})
- Herr Kollege Tauss, Sie sollten gelegentlich einmal
die Stille entdecken und schweigsam einer Rede zuhören. Das wird für Sie ein Glücksgefühl sein.
({11})
Das wäre sicherlich auch für viele Kolleginnen und
Kollegen Ihrer Fraktion eine neue existenz- und dimensionserweiternde Erfahrung.
({12})
Lassen Sie mich auf einen Punkt, der mir besonders
am Herzen liegt, nämlich die Förderung der Raumfahrt,
noch einige Bemerkungen verwenden. Das Kabinett hat
in der vergangenen Woche einen Bericht zur Vorbereitung auf die Ministerratskonferenz verabschiedet. Zwei
Begriffe sind in der Medienberichterstattung besonders
hervorgehoben worden: Man wolle Exzellenz fördern
und wirtschaftlichen Nutzen in den Mittelpunkt stellen.
({13})
- Die grünen Männchen auf den Mond zu schießen,
Herr Kollege Möllemann, dürfen Sie nicht immer nur
den Männern überlassen. Die Frau Ministerin legt wert
auf die angemessene Beteiligung von weiblichem wissenschaftlichen Personal. Darin unterstützt sie sicherlich
eine breite Masse dieses Hauses.
Den Begriff Exzellenz will ich aufgreifen. Ich denke,
daß wir auch in der Vergangenheit in diesem Bereich ein
hohes Maß an Exzellenz hatten. Die Aufforderung des
Kabinettsberichts darf nicht so verstanden werden, als
hätten wir im Bereich der Raumfahrtforschung weniger
exzellente Dinge gefördert. Darüber muß Konsens bestehen.
({14})
Ich möchte aber darauf hinweisen, daß die stärkere
Betonung des wirtschaftlichen Nutzens, insbesondere im
Bereich der Grundlagenforschung, die wir im Raumfahrtbereich in weiten Teilen haben, konzeptionell nicht ganz
stimmig ist. Sie können die Weltraumforschung nicht auf
den angewandten Bereich fokussieren. Wenn Sie darunter
verstehen, daß es eine wirtschaftlichere Nutzung, also
mehr Raumfahrt für das gleiche Geld geben soll, haben
Sie unsere volle Unterstützung. Schließlich hat die Idee
„design to cost“ Jürgen Rüttgers eingeführt. Wie jetzt am
Beispiel Abrixas, dem Satelliten zur Erkundung der
schwarzen Löcher, erkennbar ist, haben wir Kosteneinsparpotentiale von 1 : 10 realisieren müssen.
Ich will vor dem Hintergrund der Debatte der vergangenen Sitzungswoche meine tiefe Sorge zum Ausdruck
bringen - wir haben einen entsprechenden Antrag zum
Einzelplan 30 gestellt -, daß hier die internationalen
Aktivitäten der Raumfahrtstation unterfinanziert sind.
Ihre Ankündigung, hier zusätzlich 10 Millionen DM pro
Jahr zu investieren, hielt ich erst für einen Witz und
dachte, Sie hätten eine Null vergessen. Das wäre nämlich der erforderliche Betrag gewesen, um die Unterfinanzierung nach der von Ihnen vorgelegten Planung
auszugleichen.
Ich war hoffnungsfroh, nachdem Bundeskanzler
Schröder bei der Rückkehr des Spacelab nach Bremen
gesagt hat, nun sei der falscheste Zeitpunkt, um in diesem Bereich zu kürzen. Vielleicht habe ich Ihre politische Durchsetzungskraft überschätzt respektive habe ich
noch an das Wort „Auf den Kanzler kommt es an“ geglaubt. Denn Tatsache ist, daß in den Haushaltsberatungen ein Antrag zur Erhöhung auf ein notwendiges Maß
von seiten der Koalition abgelehnt worden ist. Es ist hier
kein erkennbares finanzielles und konzeptionelles Programm für die zukünftigen Aufgaben im internationalen
Raumfahrtbereich erkennbar. Das wollen wir durch einen entsprechenden Antrag deutlich machen.
Insgesamt, glaube ich, ist dieser Einzelplan ein enttäuschender Einstieg in Ihre Amtszeit. Sie werden noch
viel Mühe haben, Ihre eigenen Versprechungen einzulösen. Deswegen können wir nach intensiver Beratung und
dem Gang der Dinge diesem Etat nicht zustimmen.
({15})
Ich erteile das Wort
der Kollegin Siegrun Klemmer, SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Die Bereiche Bildung und
Forschung, lieber Kollege Kampeter, sind eigentlich zu
wichtig, um sie zum Teil wie in einer Kabarettnummer
zu behandeln,
({0})
wobei Sie hier auch noch falsche Zahlen vorgetragen
haben.
({1})
Darum möchte ich gerne etliches berichtigen; das halte
ich für notwendig.
Noch im Wahlkampf wurde unsere Schwerpunktsetzung auf Innovation und Gerechtigkeit von Ihnen, der
damaligen Regierungskoalition, mächtig diffamiert. Die
Ankündigung in der Regierungserklärung, die Investitionen in diesem Bereich in den folgenden fünf Jahren
zu verdoppeln, sollte nach Ihren Plänen dazu dienen, die
neue Regierung sozusagen am eigenen Zahlenwerk zu
widerlegen. Wir merken mit diesem vorgelegten Einzelplan 30: Das ist nicht gelungen.
({2})
Dieser Einzelplan ist nach den Beschlüssen des
Haushaltsausschusses mit 14,93 Milliarden DM im Plafond um 833 Millionen DM höher als der des Vorjahres,
({3})
wenn man ihn seriös um die neue Zuständigkeitsabgrenzung zum Bundesministerium für Wirtschaft bereinigt
({4})
und damit die Grundlage für die Vergleichbarkeit der
Ansätze schafft. Das bedeutet einen realen Aufwuchs
um 5,9 Prozent. Damit spiegelt sich ganz deutlich die
Prioritätensetzung der rotgrünen Bundesregierung im
Vergleich mit dem Gesamtetat und den anderen wichtigen Einzelplänen in einer deutlich überproportionalen
Ausgabensteigerung wider.
({5})
Dem Kollegen Rexrodt, der leider jetzt nicht hier ist,
und auch Ihnen, Kollege Kampeter, möchte ich gerne
sagen, daß daran auch die Tatsache nichts zu ändern
vermag, daß während des Beratungsverfahrens alle Einzelpläne zur Deckung des ererbten strukturellen Haushaltsdefizits pauschal 0,5 Prozent ihrer Plafonds einsparen mußten.
({6})
Das erklärt, warum der heutige Ansatz um zirka 70 Millionen DM unter dem des Regierungsentwurfs liegt.
Man mag und man muß diese Minderausgabe natürlich
bedauern. Wer jedoch versucht, aus dem Nebeneinander
von Aufwuchs und Einsparung Unlauterkeit zu konstruieren, muß sich daran erinnern lassen, über welche
Zahlen wir hier reden.
Wir wissen auch: Ausgabenzuwächse allein begründen keine gute und auch keine erfolgreiche Politik. Ein
Mehr kann sich sogar als kontraproduktiv erweisen,
wenn es sich in Tateinheit mit einem blinden und gegen
die Anfechtungen der Realität immunen „Weiter so“
vollzieht.
({7})
Daher ist eine politische Prioritätensetzung unabdingbar,
die auf einer Analyse der Gegenwart beruht.
({8})
- Ich bin gerade dabei, Herr Kollege. Hören Sie einmal
aufmerksam zu!
Die Signaturen der Gegenwart ändern sich rasant. Sie
als noch jüngerer Mensch werden in Ihrem Leben davon
wahrscheinlich stärker betroffen sein als ich. Die
Menschheit verfügt über eine exponentiell wachsende
Menge an Wissen, das nicht mehr unmittelbar an
menschliche Träger gebunden ist. Dies ist die Grundlage
heutiger Wertschöpfungsprozesse, aus denen die
menschliche Arbeit tendenziell verbannt wird. Es ergibt
sich eine zunehmende Entkoppelung von Wertschöpfung und Beschäftigung. Diese Situation wird begleitet
und noch verstärkt von den Schockwellen der vielzitierten Globalisierung in Gestalt eines steigenden Qualifikations- und Innovationsdrucks innerhalb konkurrierender Volkswirtschaften.
Intelligente Politik muß sich daran messen lassen, ob
und wie es ihr gelingt, gestalterisch im Interesse des
menschlichen Faktors in diese Regelkreise einzugreifen.
({9})
Ihre Antwort in der Vergangenheit war eindimensional:
({10})
Anpassung an den Abwertungswettlauf bei gleichzeitigem Engagement in einem ressourcenverschleißenden
Hochtechnologiewettbewerb. Unsere Politik unternimmt
den Versuch, mehrdimensional zu handeln, und wird
von einem Bündel von Leitmotiven bestimmt.
({11})
Wir wollen Forschung fördern, aber sie verstärkt an ihrem Nutzen für den Menschen messen und ihre Ergebnisse natürlich auch auf Risiken prüfen.
({12})
Wachstum ist unter der Annahme steigender Produktivität für den Ausbau der Beschäftigung unabdingbar.
Wachstum muß jedoch nachhaltig sein.
({13})
Es darf sich keinesfalls auf quantitative Zuwächse bei
positionellen Gütern konzentrieren. Blockaden des
Strukturwandels müssen beseitigt werden. Schließlich
und nicht zuletzt wollen wir Chancengleichheit zwischen den Geschlechtern schaffen und damit brachliegende Begabungsreserven aktivieren.
({14})
Ich bin sicher: Ein neuer, mit 7,5 Millionen DM ausgestatteter Titel wird dazu beitragen.
({15})
Als Haushälter stehen wir in der besonderen Verantwortung, Kreativität und Eigenverantwortung durch den
Abschied von starrer Kameralistik zu stärken. Dabei ist
ein Anfang gemacht: Neue Flexibilisierungsinstrumente
eröffnen den Zuwendungsempfängern bislang nicht vorhandene Spielräume bei der Mittelbewirtschaftung, etwa
durch Einführung der Budgetierung bei der Max-PlanckGesellschaft. Die Projektförderung wird zu Lasten der
institutionellen Förderung ausgebaut.
Zu Recht erwartet unser Land von den deutschen
Universitäten Spitzenleistungen in Lehre und Forschung. Die Gemeinschaftsaufgabe des Hochschulbaus
wurde jedoch jahrelang unterfinanziert, und die Universitäten wurden damit in einen massiven Modernisierungsrückstand getrieben.
({16})
In einem ersten Schritt wird die Aufstockung des Bundesanteils um 200 Millionen DM auf 2 Milliarden DM
dazu führen, daß überfällige Investitionen vor allem bei
Bau- und Sanierungsmaßnahmen noch in diesem Jahr
begonnen werden können.
Zur Konsolidierung der Ausbildungsförderung haben wir eine Anhebung der BAföG-Bedarfsätze um zwei
vom Hundert und der Freibeträge um sechs vom Hundert zum Herbst beschlossen.
({17})
Dadurch wird das Absinken der Gefördertenzahlen gestoppt, zu einer angemessenen Versorgung der Auszubildenden beigetragen und insgesamt sichergestellt, daß
das Bundesausbildungsförderungsgesetz seinem Ziel
einer Offenhaltung des Bildungswesens für finanziell
schwächere junge Menschen gerecht werden kann.
({18})
- Das sagen Sie einmal den BAföG-Beziehern, Herr
Kampeter.
({19})
Gegenüber 1998 werden die Mittel um 9,6 Prozent auf
rund 1,62 Milliarden DM steigen.
({20})
Mit 205 Millionen DM wird ein neuer Titel ausgestattet, der strukturelle Innovationen in Forschung und
Bildung voranbringen soll. Durch die Förderung von innovativen Projekten sollen neue Impulse gegeben werden, um vor dem Hintergrund der internationalen Konkurrenz Infrastruktur und Organisation der Forschungsund Bildungssysteme weiterzuentwickeln. Dabei wird
etwa die Hälfte des Mittelansatzes dazu verwandt, um
bei den Forschungszentren der Helmholtz-Gemeinschaft
und anderen Forschungseinrichtungen im Wettbewerb
strategisch wichtige Forschungsvorhaben zu ermitteln
und gezielt zu fördern.
({21})
Ein Sofortprogramm zur Förderung innovativer regionaler Netzwerke in den neuen Bundesländern greift
die dort leider noch immer bestehenden Defizite bei der
Vernetzung von öffentlichen und privaten Bildungs- und
Forschungseinrichtungen auf und zielt auf deren Überwindung durch ein Innovationsnetzwerk ab. Durch die
üblichen Maßnahmen der Regionalförderung ist dieses
Bestreben bislang nicht abgedeckt. Das Programm ist in
der Anlaufphase, in der zunächst die Regionen höchster
innovativer Potentiale in einem Qualifizierungswettbewerb ermittelt werden, mit 5 Millionen DM dotiert.
Der Etat des BMBF für das Jahr 1999 berücksichtigt
und verstetigt die eingegangenen Verpflichtungen auf
dem Gebiet der internationalen Zusammenarbeit. Das
gilt entgegen der von Ihnen und etlichen Lobbyisten
losgetretenen Kampagne auch für die Weltraumforschung und für die Weltraumtechnik.
({22})
Auch wenn wir die in den letzten Jahren erkennbare
Schwerpunktsetzung auf die bemannte Raumfahrt für
falsch halten, werden wir eingegangene Verpflichtungen
im Zusammenhang mit dem Bau der internationalen
Raumstation ohne Wenn und Aber erfüllen. Dafür stehen Beiträge bzw. Leistungen an die Europäische Weltraumorganisation in Höhe von fast 1 Milliarde DM zur
Verfügung. Auch die Mittel für das nationale Weltraumprogramm sowie das Deutsche Zentrum für Luftund Raumfahrt werden entgegen anderslautenden Behauptungen fortgeschrieben.
Richtig ist, daß die Bindung eines hohen Anteils dieser Gelder für laufende Projekte den Einstieg in neue
Vorhaben natürlich vorerst nicht ermöglichen wird. Wir
halten jedoch an unserer Auffassung fest, daß die Wirtschaft eine größere Verantwortung bei der Finanzierung
der Programme übernehmen und sich in Zukunft auch
an den Risiken stärker beteiligen muß.
({23})
Die hochgradige Subvention von Prestigeobjekten mit
nur beschränkter Relevanz für irdische Probleme kann
nicht das Modell der Zukunft sein.
Meine Damen und Herren, unser Land verfolgt mit
großer Sorge die Entwicklungen im Kosovo. Das bisherige Scheitern der diplomatischen Friedensbemühungen
und der Griff zu militärischer Gewalt als Ultima ratio
macht deutlich, wie dringlich die Entwicklung einer Alternative, nämlich ziviler Konfliktlösungsstrategien und
-mechanismen, ist. Wir haben daher in der Bereinigungssitzung des Haushaltsausschusses vorgeschlagen
und beschlossen, für Friedens- und Konfliktforschung
zusätzliche 1,2 Millionen DM in den Einzelplan einzustellen. Damit haben wir den bisherigen Ansatz mehr als
verdoppelt.
({24})
Dieser Haushalt berücksichtigt die zentralen Themen
und Forschungsfelder der näheren Zukunft. Er ist gegründet auf eine zutreffende Analyse der Aufgaben, vor
denen Wirtschaft und Gesellschaft stehen, und zeigt: Die
rotgrüne Bundesregierung überwindet mit ihrem ersten
Etatentwurf die inhaltliche Stagnation und den finanziellen Niedergang dieses Geschäftsbereichs in der Vergangenheit.
({25})
- Das ist die Realität, die Sie mitzuverantworten und die
Sie miterlebt haben, Herr Kollege Kampeter. - Damals
wurde das Label „Zukunft“ auf einen lahmen Gaul geklebt. Wir hingegen werden die Zukunft auch mit diesem Einzelplan gestalten. Dieser Einzelplan setzt ausgewogene und richtige Prioritäten. Daher bitte ich Sie,
ihm zuzustimmen.
Danke schön.
({26})
Das Wort für die
F.D.P.-Fraktion hat die Kollegin Cornelia Pieper.
Herr Präsident! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Die F.D.P. ist der Auffassung: Der große Wurf ist der Bundesregierung mit dem
vorliegenden Haushalt 1999 nicht gelungen.
({0})
Die Erhöhung des Bildungs- und Forschungshaushalts ist der so oft zitierte Tropfen auf den heißen Stein.
Die erwähnte Steigerung von 5,9 Prozent im Vergleich
zum Haushalt 1998 erweist sich beim näheren Hinsehen
nur als Mogelpackung.
({1})
Schon der von der alten Bundesregierung vorgelegte
Haushalt hat einen tatsächlichen Zuwachs von 3,3 Prozent ausgewiesen.
({2})
Ich verkenne natürlich nicht, daß es bestehende Haushaltszwänge gibt, denen auch Sie in der Regierung unterliegen. Ich weiß: Der Beschluß des Bundesverfassungsgerichts zum Familienlastenausgleich und erhöhte
Ausgaben im Verteidigungshaushalt im Rahmen unserer
Bündnisverpflichtungen zeigen Wirkung.
Trotzdem möchte ich Sie daran erinnern, was der
Bundeskanzler in seiner Regierungserklärung nach seinem Amtsantritt gesagt hat.
({3})
Außerdem möchte ich auch Sie, Frau Bulmahn, daran
erinnern, mit welchen vollmundigen Ankündigungen Sie
angetreten sind. Von Verdoppelung der Ausgaben für
Bildung und Forschung war - wie hier schon gesagt
wurde - die Rede.
({4})
Bildung und Forschung sollten in Deutschland wieder
Priorität haben. Heute, wo Sie die Chance des Gestaltens
haben, versuchen Sie sich mit der Neudefinition Ihres
selbst gesteckten Zieles.
({5})
Jetzt sind es nur noch Zukunftsinvestitionen, die verdoppelt werden sollen. Welche das sind, diese Antwort
bleiben Sie dem Parlament schuldig.
Solange ich mir Ihre Zahlen auch anschaue: Ich stelle
fest, daß kein einziger Titel verdoppelt worden, daß kein
einziges sichtbares Signal in diese Richtung gesetzt
worden ist. Ich spreche hier von einem Trend, von
einem Prinzip, das Sie angesichts Ihrer Versprechungen
in der Wahlkampfzeit hätten verfolgen müssen, und
nicht nur von reinen Zahlen.
({6})
Sie wollten nicht alles anders machen, aber vieles
besser. Doch wenn wir uns die Steigerungen bei der
Max-Planck-Gesellschaft, der Deutschen Forschungsgesellschaft, der Fraunhofer Gesellschaft und der BlaueListe-Institute anschauen: Steigerungen über die bereits
beschlossenen hinaus bleiben aus. Das aber wären echte
Zukunftsinvestitionen; hier hätte etwas in die Zukunft
investiert werden können. Diese Investition ist aber
nicht erfolgt.
Über die Zukunft von Bildung und Forschung läßt
sich weder im Bund noch in den Ländern mit dem Rotstift entscheiden. Investitionen in die Bildung sind Zukunftsinvestitionen, insbesondere für die jungen Menschen in diesem Land.
({7})
Ein modernes Bildungssystem verschafft den jungen
Menschen nämlich die Eintrittskarte in den Arbeitsmarkt. Aber ein modernes Bildungssystem ist vor allen
Dingen auch eine soziale Herausforderung des 21. Jahrhunderts,
({8})
weil nicht die klassischen Industrien, sondern die modernen Technologien, Kreativität und vor allem Gründergeist im Informationszeitalter über Wohlstand und
soziale Gerechtigkeit in der Gesellschaft entscheiden
werden.
Vor allem Gründergeist schafft Arbeitsplätze. Aber
Sie, meine Damen und Herren von der Regierungskoalition, fassen Beschlüsse, die diesen Gründergeist vernichten und den Gründern den Atem nehmen.
({9})
Seien es Ihre arbeitsmarktpolitischen Entscheidungen,
seien es Ihre bildungspolitischen Entscheidungen: Nirgendwo wird der Gründergeist in diesem Land motiviert. Das ist das Fatale an Ihrer Politik.
Wir brauchen eine echte Bildungsoffensive und Prioritätensetzung bei der Forschungsförderung. Sie, Frau
Ministerin, sprachen auf dem Bildungskongreß in Bonn
selbst davon, daß diese Ziele nicht zum Nulltarif erreicht
werden können. Nur, zwischen Ihren Reden und Ihrem
tatsächlichen Handeln beim vorliegenden Haushalt liegen Welten.
({10})
Bio- und Gentechnologie sind Stiefkinder von Rotgrün. Würden Sie in diese Zukunftstechnologien tatsächlich investieren und bürokratische Hürden abbauen,
könnten wir mit einem enormen Zuwachspotential an
Arbeitsplätzen in Deutschland rechnen.
Nehmen wir das Beispiel Raumfahrtforschung.
Trotz dringend benötigter Mittel für die europäische
Raumfahrtforschung, die sich an der Schwelle zur
Kommerzialisierung befindet und die nachhaltige Wirkungen auf die deutsche Wirtschaft und den Arbeitsmarkt erkennen läßt, versucht sich diese Bundesregierung aus der Verantwortung zu stehlen.
({11})
Kostensenkung statt Verdoppelung von Zukunftsinvestitionen - das ist das Motto. Aber die Auftragsvergabe
der ESA orientiert sich an der finanziellen Beteiligung
der Mitgliedsländer. Die angemessene Beteiligung der
deutschen Wirtschaft ist nur durch eine deutliche Mittelerhöhung erreichbar. Der Antrag der F.D.P.-Bundestagsfraktion, die Mittel für die Europäische Weltraumorganisation auf rund 1 Milliarden DM zu erhöhen,
wurde mit der Mehrheit der Stimmen der Koalition im
Ausschuß vom Tisch gefegt.
({12})
Diese Investitionen hätten nicht nur große Wirkungen
auf die gesamte Raumfahrt- und Verteidigungsforschung
Europas. Die Innovationsfähigkeit Deutschlands hängt
von der Förderung von Zukunftstechnologien ab.
({13})
Ob in die Forschung moderner Telekommunikationsoder Navigationssysteme investiert wird - beides sind
Investitionen in moderne Arbeitsplätze. Wer von uns
hätte sich denn vor zwei oder drei Jahren vorstellen
können, daß wir uns beim Autofahren mehr oder weniger von Navigationssystemen leiten lassen?
({14})
Ich glaube, solche praktischen Beispiele können Ihre
Vernunft wecken, wenn es um dieses Thema geht.
Frau Ministerin, Sie sind angetreten, um mehr Chancengleichheit im Bildungswesen durchzusetzen. Auch
das ist ein liberales Kredo. Ihrem WahlkampfverspreCornelia Pieper
chen, eine BAföG-Reform für die Studierenden umzusetzen, sind Sie mit diesem Haushalt nicht gerecht geworden.
({15})
Sie haben lediglich eine Novellierung vorgelegt. Sie
bringt den Auszubildenden und Studierenden mit der
zweiprozentigen Anhebung der Bedarfssätze und der
sechsprozentigen Anhebung der Elternfreibeträge
({16})
lediglich einen notwendigen Inflationsausgleich für Ihre
weder ökologische noch logische Steuerreform.
({17})
Auch hier sehe ich einen Betrug an den Auszubildenden
und an ihren Eltern.
({18})
So vergrößern Sie die Zahl der Geförderten von heute
rund 18,6 Prozent der rund 1,8 Millionen Studenten
nicht. Das Geld, das Sie den Studenten auf der einen
Seite in die Tasche stecken, nehmen Sie ihnen aus der
anderen Tasche wieder heraus.
({19})
Sie waren ja noch nicht einmal bereit, unserem Antrag auf Angleichung der Wohngeldbeträge zwischen
Ost und West zu folgen.
({20})
Der ostdeutsche Kommilitone muß sich nach Ihrer
Sprachregelung auf eine Härtefallklausel für den Fall
beziehen, der für seinen westdeutschen Kommilitonen
selbstverständlich ist. Das nenne ich nicht Chancengleichheit, sondern Diskriminierung ostdeutscher Studenten.
({21})
Zukunftsinvestitionen sind auch Hochschulbauförderungen. Das hat die F.D.P. im Ausschuß verlangt. In
diesem Bereich hätten Sie eine Verdopplung vornehmen
können. Wir haben einen entsprechenden Antrag vorgelegt und vorgeschlagen, ein Bund-Länder-Hochschulsonderprogramm in Höhe von 10 Milliarden DM für die
gesamte Legislaturperiode zu starten. Das wären Ausgaben in Höhe von 1,25 Milliarden DM pro Jahr gewesen.
Das wäre eine Zukunftsinvestition gewesen. Aber auch
dieser Antrag wurde von Ihnen abgelehnt.
Frau Kollegin, ich
muß Sie bitten, zum Schluß zu kommen. Sie haben
schon überzogen.
Sehr verehrter Herr Präsident, ich komme zum Ende meiner Rede. - Und weil
das so ist, lehnt die F.D.P. den Haushalt für Bildung und
Forschung ab.
({0})
Ich gebe das Wort
dem Kollegen Matthias Berninger, Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Man
hätte sich nach dem bisherigen Verlauf dieser Debatte
sämtliche Prognosen schenken können. Die meisten in
dieser Runde hätten eine Tasse Kaffee trinken können;
({0})
denn es ist nichts furchtbar Überraschendes passiert.
Uns von seiten der Koalitionsfraktionen war ziemlich
klar, mit welcher Strategie Sie in diese Debatte hineingehen. Herr Rexrodt fing heute morgen damit an, diesem Parlament zu erzählen, im Bildungsbereich seien im Vergleich zum letzten Haushalt der vorherigen Bundesregierung - insgesamt 71 Millionen DM gekürzt
worden. Tatsächlich haben wir annähernd 1 Milliarde
DM mehr für Bildung bereitgestellt.
({1})
Man kann sich hinstellen und sagen: Das ist nicht genug. Offen gestanden - Herr Eichel ist gerade nicht
da; um so besser, dann können wir das unter uns besprechen -, es tut uns gar nicht weh, daß Sie von uns fordern, noch mehr für Bildung zu tun. Die allgemeine finanzpolitische Situation ist allen in diesem Hause bekannt: Wir stehen in den nächsten Jahren vor einem erheblichen Konsolidierungsdruck. Es steht außer Frage,
daß in vielen Bereichen schmerzhafte Einschnitte nötig
sind. In manchen Bereichen - immer dann, wenn Sie
sich besonders laut gegen irgend etwas wehren; das ist
Ihr Recht als Opposition - sind solche Einschnitte bereits gemacht worden.
Unterm Strich haben wir als Koalition eines erreicht etwas, was Ihnen nie gelungen ist -: Es ist uns gelungen,
den Haushalt zu konsolidieren und neue Akzente zu setzen.
({2})
Diese neuen Akzente wollen wir in den Bereichen Bildung, Forschung und Förderung neuer Technologien
auch weiterhin setzen. Wir glauben, daß nur das Sinn
macht. Man kann nicht pauschal alles zurechtkürzen. Es
ist falsch, zu glauben, man könne, indem man pauschal
spart, tatsächlich Zukunftsperspektiven schaffen. Wir
sind nicht diejenigen, die das Sparen für die kommenden
Generationen mit einem Sparen bei den kommenden
Generationen verwechseln. Deshalb sind wir sehr froh
darüber, daß es uns gelungen ist, im Bildungsbereich
diese neuen Akzente zu setzen.
Trotzdem ist der Bildungsbereich im Haushaltsausschuß von den Konsolidierungsanstrengungen nicht ausgenommen worden.
({3})
Das halte ich für fair. Sie als Haushälter wissen sehr genau - der Kollege Zwischenrufer weiß es erst recht -,
daß man alle gleichermaßen treffen muß, wenn man im
Haushaltsausschuß versucht, Akzente zu setzen, zu kürzen, Gelder zu sparen und die Neuverschuldung zu senken. Die Ministerin traf es ausgerechnet an ihrem Geburtstag.
({4})
Zu all den Ansätzen, die Sie angesprochen haben bei denen wir den Regierungsansatz zurückgenommen
haben -, muß allerdings auch festgestellt werden, daß
sie über den Ansätzen der alten Regierung liegen.
({5})
Ich bin der Meinung, daß es vor diesem Hintergrund Ihr
gutes Recht ist, sich darüber zu beklagen und eher darauf zu setzen, weiterhin Schulden zu machen. Ich halte
es aber für ausgewogen und vernünftig, im Bildungsbereich zehn Schritte voranzugehen und dann im Haushaltsausschuß, so wie wir es bei allen Ressorts getan haben, einen Schritt zurückzugehen.
Wir haben im Haushaltsausschuß ja eine Reihe von
Ministerinnen und Ministern erlebt, und ich muß Ihnen
sagen: Die Gespräche mit der amtierenden Ministerin
verliefen sehr kooperativ, weil sie weiß, daß sie nicht
nur unter den Haushältern, sondern auch in den Fraktionen Rückhalt dafür hat, auch in Zukunft in ihrem Verantwortungsbereich Akzente zu setzen.
({6})
Es gibt eine Reihe von haushaltspolitischen Problemen,
mit denen wir uns im Bildungsbereich in den nächsten
Jahren beschäftigen müssen.
Ein wichtiger Punkt ist die Situation am Ausbildungsmarkt. Wir haben ein Programm aufgelegt, das
der Kollege Austermann als Mißbrauchsprogramm hingestellt hat, so nach dem Motto: 2 Milliarden DM werden zum Fenster hinausgeschmissen.
({7})
Ich bin der Meinung, daß das für die Arbeit der Opposition sehr typisch ist. Man muß genau hinsehen: Nicht
alles, was im Rahmen dieses Programmes geschieht,
geschieht zu unserer Freude, nicht alles finden wir in
Ordnung, aber im großen und ganzen konnten mit diesen 2 Milliarden DM einer ganzen Reihe von Menschen, die in den letzten Jahren überhaupt keine Chance mehr hatten, auf dem Arbeitsmarkt eine Ausbildung
zu erhalten, Angebote gemacht werden. Es handelt sich
dabei um Größenordnungen, die es nicht rechtfertigen,
so über das Programm zu reden, wie es heute morgen
passiert ist.
({8})
Dennoch - auch das muß hier gesagt werden - handelt es sich hier um ein Dilemma, das auch Sie noch
sehr gut aus der Zeit kennen, in der Sie Regierungsverantwortung trugen: Ich halte es für keinen gangbaren
Weg, daß der Staat in Vorleistung und letzten Endes in
Ersatzleistung für Ausbildungskosten tritt, die eigentlich
die Unternehmen tragen müßten. So hat es ja auch früher bestens funktioniert. Daher werden wir in dieser Legislaturperiode noch eine sehr ernste Diskussion darüber
führen, wie das Ausbildungssystem in Zukunft finanziert
wird. Ich hoffe, daß hier mehr Bewegung zu verzeichnen sein wird, und appelliere in diesem Sinne an das
Bündnis für Arbeit.
({9})
Ich glaube nicht, das uns nur deswegen, weil jetzt
Rotgrün regiert, die Lage am Ausbildungsmarkt weniger
Sorgen machen sollte. Vor dem Hintergrund ist es angebracht, auch in dieser Debatte zu sagen, daß eine wirkliche Besserung im Ausbildungsbereich nur dann möglich
ist, wenn sich die Vertreter der Wirtschaft einerseits und
die Vertreter der Gewerkschaften andererseits bewegen
und gemeinsam mit uns als Gesetzgeber Reformen in
Gang setzen, an deren Ende es mehr Ausbildungsplätze
für junge Leute in Betrieben gibt.
({10})
Ein zweiter Bereich wird ebenfalls in jeder Bildungsdebatte angesprochen, das ist die BAföG-Reform.
({11})
Das wiederholt sich immer; ich komme mir vor wie
beim Anschauen von Programmen eines Privatsenders,
bei dem immer wieder die gleichen Filme ablaufen. Es
ist doch völlig klar, daß wir alle vor der Aufgabe stehen,
eine vernünftige BAföG-Reform machen zu müssen.
Wir hatten mehrere Debatten dieser Art. Im Haushalt
2000 und vor allem im Haushalt 2001 ff. wird sich zeigen, ob uns diese BAföG-Reform gelingt oder nicht. Mit
„uns“ meine ich den Bund mit einem Anteil von 65 Prozent und die Länder mit einem von 35 Prozent. Mit
„uns“ meine ich Länder wie Bayern, wo die CSU regiert, und Länder, in denen die F.D.P. mitregiert; mit
„uns“ meine ich natürlich auch die rotgrüne Bundesregierung. Wir können uns jetzt so lange, bis wir eine Entscheidung gefällt haben, gegenseitig erzählen, daß die
einen es besser oder schlechter können. Das Ziel meiner
Fraktion ist, eine BAföG-Reform hinzubekommen, die
mehr als lediglich eine Erhöhung in der Größenordnung
der - so bewerteten - „Reparaturnovelle“ bringt, die sich
in diesem Haushalt niederschlägt. Daß jetzt 21 000 junge Leute mehr die Chance haben, BAföG zu bekommen,
sollte man nicht völlig kleinreden. Da auch Sie dieser
Reform zugestimmt haben, wäre es angemessen, zu saMatthias Berninger
gen, daß es durchaus ein Erfolg ist, diese „Reparaturnovelle“ in den ersten hundert Tagen auf den Weg gebracht zu haben.
({12})
Im Forschungsbereich haben wir neue Akzente setzen
können, auch deshalb, weil wir die Konkurrenz zwischen Wirtschafts- und Bildungsministerium beseitigt
haben.
({13})
Es muß einmal gesagt werden, daß sich zwei Ressorts
vier Jahre lang beharkt haben. Inzwischen haben die Bereiche Wirtschaft, Technologie und Bildung die Aufgaben gemeinsam untereinander aufgeteilt. Das funktioniert sehr gut. Sie können es an diesem Haushalt ablesen.
Wir fördern zum Beispiel die Forschung im Bereich
regenerativer Energien und geben für ihre Markteinführung weit mehr aus, als Sie je zu träumen gewagt
hätten. Das ist ein großer Erfolg der Umwelt- und Bildungspolitiker sowie der Koalitionsfraktionen insgesamt.
Mit dem Programm „Inno-Regio“ haben wir ein
Programm auf den Weg gebracht - es wird erstmals
durch diesen Haushalt finanziert -, das in Ostdeutschland gemeinsame Forschung in den Hochschulen, in außeruniversitären Forschungseinrichtungen und in Unternehmen, die zu diesem Zwecke gegründet werden, fördert. All das sind Akzente, die Sie in Ihren Darstellungen vergessen haben. Ich halte das nicht für richtig, weil
es sich um sehr gute und sehr positive Akzente handelt,
auf die zumindest wir von seiten der Koalition sehr stolz
sind.
Bei den großen Forschungseinrichtungen haben wir
noch einen anderen Akzent gesetzt: Wenn Sie sich anschauen, wie sich heute die Personalhaushalte in diesen Einrichtungen darstellen, dann kommen Sie zu dem
Schluß, daß wir weit flexibler geworden sind, als das
früher der Fall war.
({14})
Ich glaube, daß die gesamte Personalstruktur in den Forschungseinrichtungen, aber auch an den Hochschulen
noch weiter flexibilisiert werden muß und daß man dort
mutige Reformen einleiten muß, damit in diesen Einrichtungen eine andere Arbeitsatmosphäre herrscht und mit
den entsprechenden Mitteln anders umgegangen wird.
Diese Erfolge sind sozusagen in den Haushalt eingestellt. So kann etwa die Max-Planck-Gesellschaft durchaus mit anderen Anbietern im Forschungsbereich in der
Schweiz um exzellente Wissenschaftler konkurrieren. In
diesem Bereich sind eine Menge Fesseln weggefallen.
Diese Maßnahmen machen also viel Sinn. Mich würde
freuen, wenn es uns gelingt, solche Akzente in der Zukunft gemeinsam wieder stärker in den Vordergrund zu
stellen, wie das im Bildungsbereich sonst der Fall ist.
Zum Schluß zu den Altlasten, die wir im Bereich der
Raumfahrt übernommen haben.
({15})
- Herr Kollege Kampeter, darüber haben wir im Ausschuß und auch schon im Plenum diskutiert. Sie können
so lange darüber diskutieren, wie Sie wollen, Sie können
von der Bundesregierung so viele Taten verlangen, wie
Sie wollen:
({16})
Sie können nicht wegreden, daß durch die von Ihnen im
Bereich der bemannten Raumfahrt geschlossenen Verträge Festlegungen für die nächsten Jahre getroffen wurden, die in anderen sehr innovativen Bereichen die
Spielräume eingeschränkt haben. Dennoch wollen wir,
wie angekündigt, im Bereich der Raumfahrtforschung zu
unserem Wort stehen und Akzente setzen. Wir werden
diese Akzente auch setzen.
Nur: Die Altlast in diesem Bereich müssen wir - wie
die Altlast im Bereich des Hochschulbaus - übernehmen. In diesem Bereich haben Sie den Ländern über
Jahre hinweg eine Vorfinanzierung zugemutet, wodurch
riesige Lasten angehäuft wurden. Bayern ist das Land,
das am stärksten von dieser Maßnahme profitiert hat, die
uns in Zukunft sozusagen stranguliert. Ich bin sehr froh
darüber, daß eine Trendwende eingeleitet wurde, nämlich daß wir hier und jetzt die Mittel für den Hochschulbau erhöht haben. Jeder, der an einer Hochschule arbeitet, weiß, daß das dringend nötig ist. Wir verschieben
also die Lasten zukünftig nicht, sondern wir wollen neue
Akzente für die Zukunft setzen, was mit diesem Haushalt gelungen ist.
Eigentlich müßten Sie zumindest diesem Einzelplan
zustimmen, weil in diesem Haus niemand etwas gegen
die Akzente, die darin gesetzt wurden, einwenden kann.
Vielen Dank.
({17})
Für die PDSFraktion spricht nun die Kollegin Maritta Böttcher.
Herr Präsident! Meine
Damen und Herren! Ich beteilige mich nicht an Zahlenspielereien, denn 16 Jahre lassen sich nicht an einem
Tag korrigieren. Es gibt aber keinen Zweifel: Auch
manche Erhöhungen der Ausgaben für Bildung und Forschung im Einzelplan 30 sind an einigen Punkten der
Haushaltskonsolidierung zum Opfer gefallen, aber leider
nicht dort, wo wir eher sparen würden, etwa beim Beitrag zur Europäischen Weltraumorganisation oder bei
den unsinnigen Ausgaben für den Transrapid.
Dafür gibt es eine nicht unbedeutende Kürzung beim
Titel „Strukturelle Innovationen in Bildung und Forschung“. In diesen Bereich fallen beispielsweise EntMatthias Berninger
wicklung und Einsatz neuer Medien im gesamten Bildungswesen. Dort würden wir lieber mehr als weniger
Geld einsetzen, insbesondere hinsichtlich der Förderung
von Medienkompetenz in der beruflichen Bildung und in
der Weiterbildung.
Auch die vom Bildungsministerium vorgesehene
Steigerung der Bundesförderung für angewandte Forschung an Fachhochschulen wurde von den Haushältern rückgängig gemacht. Abgesehen davon, daß seit
Jahren nur wenige der Anträge für dieses Programm angenommen werden, werden diese Mittel besonders von
Fachhochschulen aus den neuen Bundesländern in Anspruch genommen und eben dort dringend gebraucht. Im
übrigen besteht die Bedeutung dieses Programms nicht
zuletzt darin, daß hier Kooperationen zwischen Fachhochschulen und kleinen und mittleren Unternehmen
entstehen, also zwischen den Schaltstellen für Technologietransfer und Innovation. Warum ausgerechnet dort
gespart werden muß, während andererseits die Entwicklung von „Kompetenzkernen“ in den neuen Bundesländern zum politischen Schwerpunkt erklärt wird,
ist schlicht nicht nachvollziehbar.
({0})
Welche Art von Forschungsinvestitionen bleiben
eigentlich übrig, wenn über größere Zeiträume angebahnte Kooperationsbeziehungen abrupt abgebrochen
werden müssen, weil alte Programme nicht weitergeführt werden und neue noch nicht greifen, wie es das
Schicksal des Programms „Förderung der Forschungskooperation in der mittelständischen Wirtschaft“ zeigt?
Das ist weder innovations- noch mittelstands- noch forschungsfördernd.
Hier bieten sich auch Parallelen zum planmäßigen
Auslaufen des HSP III - angeblich „ohne personelle
Konsequenzen“ - an. Das hieße: Die Integration der
Ost-Wissenschaftler und Ost-Wissenschaftlerinnen wäre
erfolgreich abgeschlossen. Ich erinnere an die Diskussion um die Schließung der Akademie-Institute und daran, daß hier eine beispiellose Zerstörung von Wissenschaftspotential stattgefunden hat und immer noch Menschen auf die Einlösung der damals gegebenen Integrationszusage warten. Auch wenn das HSP III noch so
planmäßig ausläuft, werden wieder ostdeutsche Beschäftigte, die schon mit dem WIP nicht integriert worden sind, zum wiederholten Male nicht integriert worden
sein, weil es an den Hochschulen eben nicht genügend
Stellen gibt. In den meisten Fällen hat das nicht mit zuwenig, sondern mit zuviel Qualifikation zu tun. Diese
Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler können sich
nicht mehr auf Qualifizierungsstellen bewerben, da sie
entsprechende Qualifikationen bereits vor zehn Jahren
erworben haben, was durch mehrfache positive Evaluation bestätigt wurde. Die Bundesregierung wäre sicher
gut beraten, wenn sie über irgendeine Art der Fortführung des HSP III nachdenken würde, und zwar nicht nur
aus sozialen Erwägungen, sondern vor allem wegen der
Erhaltung von Forschungs- und Wissenschaftspotential
in den neuen Bundesländern.
({1})
Wenn ich allerdings in den letzten Ergänzungen
zum Haushalt lese, wie die Investitionszuschüsse für
das Umweltforschungszentrum Leipzig/Halle nach
unten korrigiert werden, verliere ich den Glauben an
die „Chefsache Ost“ ebenso wie an rote und grüne Akzentsetzung in der Haushaltsplanung insgesamt. In den
neuen Bundesländern geht es noch immer um die
grundsätzliche Konsolidierung von Forschungseinrichtungen, um eine institutionelle Grundförderung der
Forschungs-GmbHs, die aus ehemaligen wissenschaftlich-technischen Zentren und Teilen des ausgegliederten Forschungspersonals von Hochschulen entstanden
sind.
Ein Punkt, bei dem ich Haushaltskürzungen vermisse,
ist einer der größten Titel im Einzelplan 30: die ESAFörderung. Selbst wenn die Mittel durch Verträge gebunden sind, an denen die neue Bundesregierung keine
Schuld trägt, so muß es doch möglich sein, auch in diesem Bereich jene zur Kasse zu bitten, die den größten
Nutzen aus der Raumfahrtforschung ziehen. Warum
sollen nicht die Telekommunikationsindustrie, die Rüstungsindustrie, die Automobilindustrie und alle anderen, die beispielsweise ein gesteigertes Interesse an
Satellitennutzung haben, den Bundeshaushalt durch entsprechende Beiträge zur Forschung entlasten?
({2})
Zum Schluß noch ein Vorschlag zum Sparen. Auch
das sehr verdienstvolle Sofortprogramm zum Abbau der
Jugendarbeitslosigkeit - das ist zweifellos anzuerkennen -, mit dem inzwischen zumindest die Zahl der Altnachfrager im neuen Ausbildungsjahr reduziert wurde,
muß nicht unbedingt aus dem Bundeshaushalt bezahlt
werden. Mit Hilfe der Umlagefinanzierung könnte das
die Wirtschaft allein.
Haben Sie also Mut zu Veränderungen und ändern
Sie an dieser Stelle den Bundeshaushalt. Sonst können
wir dem Einzelplan 30 nicht zustimmen.
({3})
Ich gebe das Wort
dem Kollegen Dr. Gerhard Friedrich, CDU/CSUFraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau
Kollegin Klemmer hat an die Punkte erinnert, für die
sich die SPD nach ihrem Wahlprogramm in diesen vier
Jahren einsetzen will: erstens für Gerechtigkeit, zweitens
für Innovation.
({0})
- Seien Sie mal nicht so stolz darauf! Was Sie unter Gerechtigkeit verstehen, wissen wir inzwischen. Bis
Weihnachten haben Sie einige alte Besitzstände wiederhergestellt. Sogar der „Spiegel“ schüttelt in dieser Woche darüber den Kopf, weil Ihr Finanzminister sagt, Sie
müssen 30 Milliarden DM einsparen. Trotzdem haben
Sie vor Weihnachten wie ein Weihnachtsmann erst einMaritta Böttcher
mal Geld ausgegeben. Es ist nicht klug, eine Wahlperiode mit solchen Ausgabenaktionen zu beginnen,
({1})
dann den ersten Finanzminister zu opfern - und der
zweite sagt dann: Wir müssen 30 Milliarden DM einsparen.
Dann haben Sie in Sachen Gerechtigkeit noch ein
paar weitere Gesetze beschlossen. Das Blamable daran
ist, daß Sie selber - oft, bevor die Gesetze verabschiedet
sind - nur noch darüber streiten, ob Sie sie nachbessern
müssen. So etwas ist uns wirklich nicht passiert.
({2})
Auch wir und unsere Gesetze sind kritisiert worden.
Aber wir haben uns doch nicht, wie Sie es beim Steuerentlastungsgesetz getan haben, schon bei der Verabschiedung eines Gesetzes entschuldigt und gesagt:
Freunde, einen wichtigen Teil reichen wir nach. - So erbärmlich waren wir nicht.
({3})
Ich sage Ihnen noch einmal: Alte Besitzstände wiederherzustellen ist nicht innovativ, sondern phantasielos.
({4})
Jetzt komme ich zum Thema Innovation: Ich habe Ihre Ankündigung der Innovation immer anders verstanden, als daß nur 1 Milliarde DM mehr für den jeweiligen
Forschungs- und Bildungsminister bzw. -ministerin zur
Verfügung gestellt wird. 1 Milliarde DM mehr bedeutet
doch nicht die Modernisierung Deutschlands! Können
Sie mir einmal sagen, wo Sie einen Ansatz zeigen,
Deutschland zu modernisieren? Es gibt nur einen Bereich, in dem Sie wenigstens konzeptionell etwas Neues
machen - ob es richtig ist, ist etwas anderes -, und zwar
im Umweltbereich mit der Ökosteuer. Diese aber haben
Sie zu Recht, aus Gründen der Wettbewerbsfähigkeit,
durch viele Ermäßigungstatbestände und Erstattungsregelungen so durchlöchert, daß ich Ihnen als Umweltpolitiker sagen muß - der Kollege Müller wird dies insgeheim bestätigen; wir haben lange genug darüber diskutiert und haben manchmal auch gemeinsame Überzeugungen -: Zugunsten der Umwelt ist bei dieser ersten
Stufe der Ökosteuer überhaupt nichts herausgekommen.
({5})
Sie wissen auch nicht, wie es weitergehen soll. Es ist
schon erstaunlich, daß Sie jetzt erkannt haben, daß Sie
auf europäischer Ebene irgendwie zu einem abgestimmten Verhalten kommen müssen. Wir haben Ihnen
dies schon vor der Wahl gesagt.
({6})
Jetzt komme ich zur Innovation im engeren Sinn, zur
Forschungs- und Bildungspolitik: Frau Ministerin, ich
will Ihnen nicht wieder den Schrumpfprozeß hinsichtlich Ihrer Ankündigungen vorwerfen. Dreimal pro Debatte reicht! Und dreimal ist dies schon geschehen; ich
habe mitgezählt. Ich möchte nur sagen: 1 Milliarde DM
- das war die letzte Ankündigung - ist nicht herausgekommen. Die Haushälter haben gekürzt, wie es unsere
früher auch immer getan haben. Die Probleme aber waren schon bekannt, Herr Kollege Berninger.
Ich bin wirklich gespannt, was im Juni passiert, wenn
Sie den Haushalt für das Jahr 2000 beschließen. Der
neue Bundesfinanzminister sagt doch, es gebe eine Lükke von 30 Milliarden DM.
({7})
Glauben Sie wirklich, daß er die Ausgaben erst um
30 Milliarden DM kürzt und dann noch einmal um
1 Milliarde DM, um diese in den Forschungsetat einzustellen? Da müßten Sie schon in die konsumtiven Ausgaben gehen und in die Sozialgesetze einschneiden. Wir
haben schon einmal versucht, die Prioritäten richtig zu
setzen. Damals aber sind Sie uns im Bundesrat in den
Rücken gefallen.
({8})
Sie haben die Kampagnen des Sozialabbaus losgetreten. Ich sage Ihnen: Wenn Sie den Mut haben, wirklich umzuschichten, und dadurch diese 1 Milliarde DM
freimachen, werden wir Ihnen nicht in den Rücken fallen. Wir werden Sie in diesem Fall unterstützen.
({9})
- Warten Sie einmal ab!
Meine Damen und Herren, die Zeit ist fortgeschritten.
Ich wollte aufzeigen, in welchen Bereichen es Gemeinsamkeiten gibt; das habe ich auch in der Vergangenheit
immer gemacht. Ich verkürze dies und erwähne etwas,
was mich sehr überrascht hat. Ich habe in der letzten
Woche eine Pressemitteilung gefunden, wonach sich die
Bundesregierung für die Gentechnikforschung einsetzen will. Ich erkenne an, daß Sie die Haushaltsansätze
deutlich erhöht haben. Dies hat mich überrascht; da muß
ich Sie loben.
({10})
Was jetzt noch fehlt, ist, daß Sie mit dem fortfahren, was
wir gemacht haben, nämlich mit der Deregulierung.
({11})
Es hat keinen Sinn, nur Geld reinzustecken, die Genehmigungsverfahren aber nicht zu beschleunigen. Es hat
auch keinen Sinn, Geld reinzustecken, gleichzeitig aber
Seminare über die Risiken der Gentechnologie zu veranstalten.
({12})
Dem Kollegen Berninger traue ich wirklich einiges
an Verstand zu. Wenn aber die Ministerin sagt, man
müsse einmal rational darüber nachdenken, welche
Chancen mit der grünen Gentechnologie verbunden
sind, dann habe ich zwar Respekt, bin aber schon gespannt, wie lange die Grünen dies mitmachen, Herr
Kollege Berninger. Habt Ihr denn seit der Vereidigung
grüner Minister schon dermaßen einen Kurswechsel
vollzogen? Lernt ihr so schnell, bloß weil ihr jetzt MiDr. Gerhard Friedrich ({13})
nister stellt? Das wäre schon beachtlich. Ich bin gespannt, ob Sie das durchstehen.
Frau Ministerin, ich muß Ihnen wirklich sagen: Das
hätten wir früher genauso formuliert. Das hat auch Ihr
Vorgänger so formuliert. Dies müssen wir ausdrücklich
anerkennen.
({14})
Es gibt natürlich einige Bereiche, in denen wir Meinungsverschiedenheiten haben. Ich wiederhole dies
nicht noch einmal. Wir haben heute früh schon den Bereich der Weltraumtechnik diskutiert. Ich bin wie die
Kollegin der PDS der Meinung,
({15})
daß die Kürzung der Mittel für Fachhochschulen völlig
falsch ist. Daß die Haushälter kürzen müssen, sehe ich ja
ein. Es gibt aber große Ansätze, von denen wir wissen,
daß die Ministerin das Geld in dem halben Jahr überhaupt nicht ausgeben kann. Die bescheidenen Mittel für
die Fachhochschulen hätten aber ausgegeben werden
können. Da gibt es Differenzen.
Weitere Differenzen gibt es - Frau Klemmer hat das
angedeutet; das will ich ausdrücklich bestätigen - im
Bereich der Großtechnologie. Für den Fall, daß Sie mit
dem Begriff „Großtechnologie“ auch die Kernenergie
gemeint haben, füge ich gleich hinzu: Ich als Zeitungsleser nehme erstaunt zur Kenntnis, daß der Bundeskanzler
meint, die Stromgewinnung aus der Kernenergie könne
noch 20 oder 30 Jahre so weitergehen wie bisher. So
groß scheint das Risiko nicht zu sein. Ich weiß nicht, ob
ich noch eine Lebenserwartung von 30 Jahren habe.
Wenn die Kernenergie wirklich so ein Drama ist, wie
ich es in Untersuchungsausschüssen mitbekommen habe, und jetzt die Konsequenz des Bundeskanzlers ist,
den Ausstieg aus der Kernenergie erst in 20 oder 30 Jahren zu realisieren, dann ist das ein erstaunlicher Wandel.
Ich bin gespannt, wie lange Kollege Müller, der umweltpolitische Sprecher der SPD-Fraktion, das mit seinem Bundeskanzler noch mitmacht.
({16})
Lassen Sie mich noch ein paar Sätze zur Bildungspolitik sagen:
({17})
Wenn wir über Geld sprechen, dann geht es meistens um
Forschungsmittel, dann machen wir den Fehler, daß wir
zuviel über Forschungspolitik sprechen. Die Bildungspolitik ist sehr wichtig. Die CDU hat dies auf ihrem
Parteitag ausdrücklich bestätigt und eine grundlegende
Bildungsreform gefordert. Wir in Bayern haben sogar
schon wieder mit dem nächsten Schritt begonnen. Wir
führen im Hauptschul- und im Realschulbereich eine
Reform durch. Die CDU regiert in den anderen Ländern
noch nicht so lange; sonst wäre sie schon weiter. Die
müssen das noch beschließen. Aber das wird sich ändern. Da bin ich absolut sicher.
({18})
Meine Damen und Herren, es gibt viele Gründe, die
Bildungsreform politisch in den Vordergrund zu stellen.
Ich erinnere an ein Interview des Präsidenten der Hochschulrektorenkonferenz in der letzten Woche, in dem er
gesagt hat, die Studenten würden immer schwächer und
seien im Rahmen ihres Studiums immer häufiger überfordert. Gemeint sind die Absolventen unserer Gymnasien.
In bezug auf die Auszubildenden diskutieren wir darüber, wie wir das Ausbildungsplatzangebot am besten
erhöhen können. Seitens der Industrie- und Handelskammer in Nürnberg wurde mir mitgeteilt, daß in Mittelfranken 17 Prozent aller angebotenen Lehrstellen
nicht besetzt werden konnten.
({19})
- Ja, selbst in Bayern. Das muß dann in anderen Ländern noch schlimmer sein. - 65 Prozent der von der Industrie- und Handelskammer befragten Unternehmen
sagten, sie hätten zwar Bewerber gehabt, aber sie hätten
diese nicht für ausbildungsfähig gehalten. Ich könnte
diese Beispiele noch erweitern.
Ich möchte also ausdrücklich unterstreichen, was die
CDU auf ihrem Parteitag beschlossen hat: Eine Bildungsreform muß in den Vordergrund gestellt werden. - Mir
wird jetzt signalisiert, daß ich meine Rede beenden muß.
Ich will die Debatte nicht verlängern. Denn wir wollen ja
nicht um 12 Uhr nachts namentlich abstimmen.
Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
({20})
Zum Abschluß der
Debatte zu diesem Einzelplan gebe ich das Wort der
Bundesministerin für Bildung und Forschung, Frau
Edelgard Bulmahn.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Wir beraten heute über
den letzten Bundeshaushalt,
({0})
der vor dem Übergang in das nächste Jahrtausend in Kraft
treten soll. Es ist ein Bundeshaushalt, der in der Bildungsund Forschungspolitik des Bundes einen Wendepunkt
markiert. Es ist ein Bundeshaushalt, der trotz bestehender
enger Finanzspielräume und einer reduzierten Neuverschuldung Ernst macht mit der längst fälligen Kurskorrektur, Ernst macht mit einem deutlichen Mittelanstieg für
Bildung und Forschung, Ernst macht mit strukturellen
Verbesserungen bei der Projektförderung und vor allem
Ernst macht mit innovativen Schwerpunkten, die eine
neue Schubkraft bringen werden.
({1})
Dr. Gerhard Friedrich ({2})
Nach Abschluß der Beratungen im Haushaltsausschuß stehen für das Jahr 1999 für Bildung und Forschung rund 14,93 Milliarden DM im Haushalt zur Verfügung. Das sind nach Adam Riese 833 Millionen DM
mehr, als ursprünglich veranschlagt.
({3})
- Herr Kampeter, der alte Haushaltsansatz für 1998 betrug - bereinigt - 14,097 Milliarden DM; der neue beträgt 14,930 Milliarden DM. Das macht nach Adam Riese - da wir hier über Bildungspolitik sprechen, sollte
man davon ausgehen, daß Parlamentarier rechnen können - 833 Millionen DM mehr aus.
({4})
Ich halte es wirklich nicht mehr für nachvollziehbar,
wenn Sie angesichts dessen immer das Wort „Kürzung“
in den Mund nehmen. 833 Millionen DM mehr sind ein
deutliches Plus. Diese Kurskorrektur war dringend
notwendig; denn - das muß ich leider sagen - die alte
Bundesregierung hatte die Ausgaben für Bildung und
Forschung über Jahre hinweg wirklich systematisch heruntergefahren.
({5})
Der alte Bundeshaushalt für Bildung und Forschung war
durch die Politik der alten Bundesregierung inzwischen
zur Bedeutungslosigkeit verkommen.
({6})
Diese Kurskorrektur war dringend notwendig, weil
wir mit den Ausgaben für Bildung, Wissenschaft und
Forschung entscheidende Beiträge für mehr Innovationen,
({7})
zur Bewältigung des Strukturwandels und damit auch
zur Schaffung neuer Arbeitsplätze leisten. Deshalb
war es richtig und notwendig, daß wir die Prioritäten
entsprechend gesetzt haben.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir stehen vor großen Herausforderungen. Wir stehen vor einer noch immer zu hohen Arbeitslosigkeit, auch wenn es uns gelungen ist - zum Beispiel durch unser Sofortprogramm -,
die Jugendarbeitslosigkeit zum erstenmal seit Jahren
deutlich zu senken.
({8})
Wir stehen vor einer zunehmenden internationalen
Verflechtung und einem sich verschärfenden internationalen Wettbewerb.
({9})
Wir stehen vor steigenden Mobilitätsanforderungen. Wir
stehen vor wachsenden Umweltproblemen.
({10})
Diese Herausforderungen haben Sie nicht aufgegriffen.
Sie haben sie nicht angepackt, sondern vor sich hergeschoben. Wir packen sie an, und zwar nicht nur durch
unseren Haushalt, sondern auch durch ganz konkrete
Vorschläge für Strukturveränderungen, auf die ich
gleich noch eingehen werde.
({11})
Bildung und Forschung müssen endlich wieder stärker als Dienstleistungen für Zukunftsgestaltung verstanden werden. Diese Aufgabe müssen sie erfüllen
können.
Zuviel ist in den letzten Jahren durch einen Abbau
der Haushaltsmittel und durch mangelnde Gestaltungskraft in diesen Zukunftsfeldern versäumt worden.
({12})
Wir werden das Versäumte jetzt korrigieren. Das tun wir
mit diesem Haushalt.
({13})
Fakten bleiben Fakten. Daher, liebe Kolleginnen und
Kollegen, bitte ich Sie, doch einfach einmal einen Blick
in den Haushalt zu werfen; er liegt Ihnen allen vor.
({14})
Daß Lesen bildet, wissen wir. Ich kann auch nur dringend raten, das zu tun.
Vorhin ist gesagt worden, wir würden in den Bereichen Bildungswesen, Leitprojekte, Weiterentwicklung
des Bildungswesens nichts tun. Der Haushaltsansatz
beim Titel „Weiterentwicklung des Bildungswesens“
wird um 55,8 Prozent gesteigert.
({15})
Eine solche Steigerung hätte ich mir in den letzten zwölf
Jahren gewünscht. Eine solche hat es leider - die Kollegen, die schon länger dabei sind, wissen das - nie gegeben. Es gab noch nicht einmal eine geringe Steigerung.
Wir hingegen steigern den Ansatz um 55,8 Prozent.
({16})
Das ist notwendig und richtig; denn ich teile die Auffassung derjenigen, die hier gesagt haben, daß eine gute
Bildung bzw. Ausbildung eine der wichtigsten Voraussetzungen dafür ist, die Aufgaben, vor denen wir gemeinsam stehen, auch erfüllen zu können.
Aber ich stelle nicht nur mehr Geld zur Verfügung,
sondern ich habe auch vorgeschlagen, ein Forum „BilBundesministerin Edelgard Bulmahn
dung“ einzurichten, in dem Querschnittsfragen, wie die
Qualitätssicherung in Bildung und Forschung, wie die
Fragen des Einsatzes der neuen Medien in der Bildung,
die eine sehr wichtige Rolle auch bei der Qualitätssicherung spielen, diskutiert werden sollten. Die Einrichtung
des Forums ist inzwischen beschlossen worden. Es wird
vor der Sommerpause die Arbeit aufnehmen. Auch die
Kolleginnen und Kollegen aus den CDU-regierten Bundesländern machen mit. Ich meine, das spricht für den
Vorschlag, den ich unterbreitet habe.
Der Titel „Strukturelle Innovationen in Bildung
und Forschung“ ist neu eingerichtet worden. Aus ihm
können zum Beispiel auch die Fachhochschulen Mittel
erhalten. Ich persönlich halte es für besser, wenn wir
Titel haben, um die sich alle bewerben können,
({17})
Hochschulen, Universitäten, Fachhochschulen und außeruniversitäre Einrichtungen. Ich vertrete die Auffassung,
daß Fachhochschulen mit ihren Anträgen durchaus mit
Anträgen zum Beispiel aus Universitäten konkurrieren
können. Ich halte es für falsch, segmentierte Felder zu
schaffen. Genau deshalb habe ich diese Umstrukturierung vorgenommen. Für die Fachhochschulen steht ein
Titel mit einem großen Mittelansatz zur Verfügung,
({18})
aus dem sie gefördert werden können. Das entscheidende Kriterium ist die Qualität der Projektanträge. Ich sage
ganz klar: Von diesem Kriterium werde und will ich
nicht abweichen.
({19})
Wir wollen die Rahmenbedingungen in der beruflichen Bildung verbessern und die Berufsausbildung
modernisieren, um eine bestmögliche Ausbildung für
alle zu ermöglichen. Auch hier haben wir die Haushaltsmittel aufgestockt, damit wir in diesem wirklich
wichtigen Bereich auch die Mittel haben, die wir benötigen, um zum Beispiel Modellversuche durchzuführen,
um gute Ansätze verbreitern zu können, um das BundLänder-Programm 1999 für die Schaffung von Ausbildungsplätzen zu finanzieren, um Ausbildungsplatzentwickler einsetzen zu können und um das Sofortprogramm und die guten Erkenntnisse, die wir daraus gewonnen haben, weiter verbreiten zu können. Auch hier
haben wir also einen ganz klaren Schwerpunkt gesetzt.
Ich glaube, daß niemand in diesem Haus ernsthaft bestreiten wird, daß dies ein ganz wichtiges Politikfeld, ein
ganz wichtiger Zukunftsbereich ist, den wir nicht vernachlässigen dürfen.
({20})
Die Hochschulen haben eine Schlüsselrolle für Forschung und Entwicklung in unserem Lande. Die chronisch überlasteten und teilweise sogar baufälligen Hochschulen, die Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, uns hinterlassen haben, konnten diese Aufgabe
kaum noch erfüllen. Wir haben die Mittel für den Hochschulbau um rund 200 Millionen DM auf 2 Milliarden
DM aufgestockt und ermöglichen damit endlich wieder
die dringend erforderlichen Investitionen in Gebäude und
Geräte. Bröckelnder Putz und antiquierte Ausstattung
passen nicht zum Bild einer modernen, leistungsfähigen
Hochschule, die zudem international attraktiv sein soll.
Deshalb war diese Haushaltsaufstockung wirklich überfällig. Ich finde es schon merkwürdig, wenn jetzt von der
Opposition gefordert wird, hier noch mehr zu tun, nachdem sie selbst als Regierung jahrelang nichts getan und
diesen Titel eingefroren hat, obwohl alle Sachverständigen gesagt haben: Hier müssen wir etwas tun.
({21})
Fehlentwicklungen gibt es auch bei der Ausbildungsförderung zu korrigieren. Dort wurde in den vergangenen Jahren immer wieder zu Lasten der nachwachsenden
Generation gespart. Das haben wir nicht fortgeführt. Wir
haben den ersten Schritt getan und werden auch den
zweiten Schritt tun, so wie wir es angekündigt haben:
solide erarbeitet und dann auch funktionsfähig.
HSP III: Frau Böttcher, es ist nicht richtig, daß das
HSP III einfach ausläuft. Es finden bereits jetzt Gespräche zwischen Bund und Ländern auf Staatssekretärsebene statt, in denen wir zum Beispiel vereinbaren, wie die
Frauenförderung an den Hochschulen fortgeführt werden soll, wie die Förderung von Nachwuchswissenschaftlern an den Hochschulen fortgeführt werden soll;
denn dies sind Aufgaben, die Bund und Länder zusammen erfüllen sollten und werden. Wir reden auch darüber, wie wir den Ausbau der Fachhochschulen fortsetzen können. Diese Gespräche finden bereits jetzt statt.
Einen ersten Schritt zu mehr Chancengleichheit haben wir mit dem 20. BAföG-Änderungsgesetz getan. Ich
habe bereits gesagt, daß wir den zweiten Schritt folgen
lassen. Meine Kollegen haben vorhin schon darauf hingewiesen, daß wir damit zirka 23 000 Studierende zusätzlich in die BAföG-Förderung hineinbekommen. Ich
finde, das ist keine kleine Zahl, die man praktisch vernachlässigen könnte. 23 000 Studierende mehr oder weniger sind schon entscheidend.
({22})
Wir brauchen nicht nur mehr Geld - das habe ich
schon immer vertreten -, sondern wir brauchen auch
strukturelle Reformen an unseren Hochschulen. Mein
Ziel ist es, Regelungen und Bürokratie abzubauen und
den Hochschulen ein mögliches großes Maß an Autonomie einzuräumen. Wir brauchen insgesamt mehr
Steuerung über Programme und über Budgetierung als
über starre Stellenvorgaben. Dafür werden wir auch sorgen. Wir reden nicht nur darüber, wir machen es.
Im Mittelpunkt stehen auch die Reform des Dienstrechtes sowie ein Wissenschaftstarifvertrag für die
wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter an
Hochschulen und universitären Forschungseinrichtungen. Die Arbeiten sind gut vorangekommen, so daß wir
Ende Mai die Expertengruppe einsetzen können. Ich bin
dabei, die Gespräche mit den Ländern zu führen. Ich bin
guten Mutes, daß es uns gelingt, noch in dieser Legislaturperiode zu einem guten Beschluß, zu einer guten Reform zu kommen und viele Menschen davon zu überzeugen, daß dies der richtige Weg ist. Wir brauchen flexiblere und mehr leistungsorientierte Beschäftigungsund Vergütungsstrukturen. Unsere Eckpunkte dazu sind,
wie gesagt, bekannt. Wir werden dann, hoffe ich, in
zwei Jahren hier sagen können: Das haben wir geschafft.
({23})
Die Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses
ist ein weiteres Thema, das mir ganz besonders am Herzen liegt. Frau Pieper, Sie haben vorhin darauf hingewiesen, daß gerade die Förderung des wissenschaftlichen
Nachwuchses wichtig ist, wenn man den Anspruch, Innovationen zu fördern, ernst nimmt. Da stimme ich Ihnen
zu. Sie haben aber leider nicht in den Haushaltsansatz geschaut. Denn wenn Sie das getan hätten, hätten Sie festgestellt, daß gerade der Titel für die Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses um 116 Prozent erhöht wird.
({24})
- Der Ansatz für die Postgraduiertenförderung - das
ist die Förderung der Nachwuchswissenschaftler - erhöht sich um 116 Prozent. Während Sie Sonntagsreden
halten, handeln wir.
({25})
Dies ist einer Regierung angemessen. Wir reden nicht
nur, wir haben die entsprechenden Entscheidungen getroffen.
Nun komme ich zur Projektförderung. Mit insgesamt 3,8 Milliarden DM für die Projektförderung steht
jetzt mehr als ein Viertel meines Haushaltes für die Förderung von innovativen Projekten zur Verfügung. Das
sind, Herr Kampeter, im übrigen - auch da bemühe ich
wieder Adam Riese - 385 Millionen DM mehr als bei
meinem Vorgänger.
({26})
- Herr Kampeter, Sie wissen, daß ich schon in der Vergangenheit die Haushaltsansätze sehr sorgfältig analysiert und die Zahlen geprüft habe.
({27})
Das habe ich nicht aufgegeben, diese Methode werde ich
auch weiterhin beibehalten.
({28})
Den dadurch gewonnenen Handlungsspielraum werden wir für strukturelle Verbesserungen nutzen. Mit dem
Programm „Strukturelle Innovationen in Bildung und
Forschung“ gibt es neue Schubkraft für notwendige
Innovationen.
({29})
- Der Forschungsansatz beträgt 205 Millionen DM. Sie
wären - um dies einmal ganz klar zu sagen - vor Freude
in die Luft gesprungen, wenn es Ihnen vor drei Jahren
gelungen wäre, einen solchen Haushaltstitel hinzubekommen.
({30})
Dieser Strategiefonds dient dazu, die internationale
Wettbewerbsfähigkeit der Forschungseinrichtungen zu
verbessern, die Zusammenarbeit zwischen den Forschungseinrichtungen zu vernetzen und die wirtschaftliche Verwertung von Forschungsergebnissen deutlich
zu erhöhen, zum Beispiel durch Ausgründungen. Die
Resonanz darauf ist hervorragend; sie übertrifft unsere
Erwartungen und zeigt gleichzeitig den Ideenreichtum
unserer Forschungseinrichtungen - er mußte sozusagen
nur angereizt werden, um in Erscheinung zu treten -,
ihre Bereitschaft und ihren Mut, sich dem Wettbewerb
zu stellen. Das halte ich für den genau richtigen Ansatz,
und das stimmt mich optimistisch.
({31})
Mit der Initiative „Inno-Regio“ - lassen Sie mich
das noch nennen - geben wir dem Aufbau Ost neue Impulse; das ist mir ein ganz wichtiges Anliegen.
({32})
Mit diesem Programm helfen wir den Regionen, sich mit
marktfähigen Produkten und Dienstleistungen ein zukunftsfähiges Profil zu geben. Damit schaffen wir zukunftsfähige Arbeitsplätze.
Wir werden in der Projektförderung Kompetenzen
auf neuen Technologiefeldern aufbauen. Die Informations- und Kommunikationstechnologie wird deutlich
gestärkt. Entsprechende Anwendungen im Bildungsund Forschungsbereich, zum Beispiel durch eine Softwareinitiative in der Biotechnologie - Sie haben vorhin
darauf hingewiesen -, belegen, daß wir hier einen klaren
Schwerpunkt gesetzt haben. Wir haben die Mittel dafür
um 10 Prozent erhöht und neue Initiativen wie „Biochance“ und „Bioprofile“ entwickelt.
Noch einige Worte zur Weltraumpolitik. Für Weltraumforschung und Weltraumtechnologie geben wir
- das habe ich schon in einer vorangegangenen Debatte
zu diesem Thema gesagt - 1,6 Milliarden DM aus.
({33})
- Der Steuerzahler gibt es aus. Das entspricht 30 Prozent
der Projektförderung. Diese Mittel werden zum Teil für
Grundlagenforschung eingesetzt, aber können in einem
wesentlich stärkeren Maße auch Zwecken der wirtschaftlichen Verwertung zugeführt werden. Ich sehe es
überhaupt nicht ein, warum man zum Beispiel die Nutzung der Navigationssatelliten auf Dauer über Steuermittel finanzieren soll. Ich halte das für einen falschen
Ansatz. Ich bin sehr dafür, hier den Weg der Kommerzialisierung zu gehen.
({34})
Ich halte das für richtig und werde daran festhalten.
Gleiches gilt für die Nutzung der Telekommunikationssatelliten.
({35})
Wir werden in der Weltraumforschung das Prinzip „cost
to design“ durchsetzen und an den Zielen der wirtschaftlichen Verwertung und wissenschaftlichen Exzellenz festhalten. Wir werden unseren Verpflichtungen
nachkommen. Aber wir brauchen angemessene Korrekturen in diese Richtung, weil Forschung kein Selbstzweck ist, sondern den Menschen nutzen und dienen
soll. Dafür schafft dieser Haushalt eine gute, solide
Grundlage.
Vielen Dank.
({36})
Ich schließe die
Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den Einzelplan 30, Bundesministerium für Bildung und Forschung,
in der Ausschußfassung. Wer stimmt dafür? - Wer
stimmt dagegen?
({0})
- Enthaltungen? - Der Einzelplan 30 ist mit den Stimmen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen gegen die
Stimmen von CDU/CSU, F.D.P. und PDS angenommen.
({1})
Ich rufe auf:
9. Einzelplan 17
Bundesministerium für Familie, Senioren,
Frauen und Jugend
- Drucksachen 14/616, 14/622 Berichterstattung:
Abgeordnete Antje-Marie Steen
Antje Hermenau
Jürgen Koppelin
Heidemarie Ehlert
Es liegen ein Änderungsantrag der Fraktion der CDU/
CSU und drei Änderungsanträge der Fraktion der PDS
vor. Der Änderungsantrag der PDS auf Drucksache
14/901 wurde zurückgezogen.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Stunde vorgesehen. - Ich höre keinen
Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und gebe dem Kollegen
Manfred Kolbe von der CDU/CSU-Fraktion das Wort.
Sehr geehrter Herr
Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen!
Großes hatte sich die rotgrüne Regierungskoalition in
ihrer Koalitionsvereinbarung vom 20. Oktober 1998 für
den Politikbereich Familie, Senioren, Frauen und Jugend
vorgenommen. Ich habe das heute nachmittag noch
einmal nachgelesen: Deutschland wollen wir wieder zu
einem kinder- und familienfreundlichen Land machen.
Alle Jugendlichen sollen einen Ausbildungsplatz erhalten. Die Förderung der Träger der Jugendhilfe soll kontinuierlich fortgesetzt werden. Das soziale, politische
und sportliche Engagement der älteren Generation soll
verstärkt gefördert werden. - Frau Ministerin, das Paradies auf Erden schien zu kommen.
Wenn ich diese Ansprüche mit dem vergleiche, was
in den letzten sechs Monaten passiert ist, so muß ich leider sagen: Die Ergebnisse sind bescheiden. Sie werden
auch zunehmend Schwierigkeiten bekommen, den Vergleich mit den 16 Jahren erfolgreicher Familienpolitik
der CDU-geführten Bundesregierung auszuhalten.
({0})
Haushalte sind in Zahlen gegossene Politik. Insoweit
dokumentiert dieser Einzelplan 17 in aller Deutlichkeit
den familienpolitischen Stillstand, teilweise sogar Rückschritt.
Es ist sicherlich kein Zufall, daß Bundesfinanzminister Eichel justament bei Beginn der Beratung Ihres
Einzelplanes den Saal verlassen hat. Das verdeutlicht
offenbar den Stellenwert, der der Familienpolitik in der
Koalition zukommt.
({1})
Bereits der Haushaltsentwurf der Regierung ist ein
Rückschritt. Es gibt zwar eine formale Ausgabensteigerung von 186 Millionen DM, also 1,6 Prozent; aber
dieser Mehraufwand beruht allein auf gesetzlich notwendigen Ausgabensteigerungen und tatsächlichem
Mehrbedarf: 140 Millionen DM beim Erziehungsgeld,
23 Millionen DM beim Unterhaltsvorschußgesetz,
69 Millionen DM wegen der gestiegenen Anzahl der
Zivildienstleistenden. Sämtliche Ausgabensteigerungen
sind also nicht Ergebnis von Politik, sondern Ergebnis
von zwangsläufigen Entwicklungen. Von irgendwelchen
neuen familienpolitischen Impulsen ist nichts zu spüren.
({2})
Im Gegenteil: Während Sie die Ausgaben für Ihr Ministerium im Haushaltsentwurf der Regierung von
58 Millionen DM auf 62 Millionen DM erhöht haben,
haben Sie die Ausgaben für die Förderprogramme um
18 Millionen DM reduziert, von 771 Millionen DM auf
753 Millionen DM, und zwar durchgängig bei allen
Titelgruppen: Titelgruppe 01 - Jugendpolitik - minus
5,7 Millionen DM; Titelgruppe 02 - Hilfen für behinderte Menschen - minus 2,3 Millionen DM; Titelgruppe
03 - Maßnahmen für die ältere Generation - minus
1,6 Millionen DM; Titelgruppe 05 - Familienpolitik minus 0,4 Millionen DM, und das, nachdem Sie in der
Opposition jahrelang Erhöhungsanträge gestellt haben.
Die haben Sie mittlerweile vergessen. Wir haben Sie
teilweise daran erinnert; Sie haben sie aber abgelehnt.
({3})
Mehr Bürokratie und weniger Programme: Das war
offenbar das Motto des Regierungsentwurfs. Wir hatten
eine gewisse Hoffnung, daß die Koalitionshaushälter das
im Haushaltsausschuß korrigieren und vielleicht den
einen oder anderen familien-, frauen- oder jugendpolitischen Impuls setzen würden.
Weit gefehlt. Die Mittel für die Programme wurden
nochmals um 2 Millionen DM reduziert. Die Zuschüsse
an die Wohlfahrts- und Vertriebenenverbände wurden
um 300 000 DM gekürzt. Die Mittel für die Selbsthilfe
wurden ebenso wie die für die Altenhilfe um 300 000
DM gekürzt. Die Mittel für das Forschungs- und Förderprogramm „Kinder- und familienfreundliche Gesellschaft“ wurden um 500 000 DM gekürzt. Bei keiner einzigen Haushaltsposition, Frau Ministerin, haben Sie eine
zusätzliche Mark durchsetzen können.
({4})
Wir bedauern das als Opposition; denn das ist für die
Familien, die Jugend und die Alten in unserem Land
nicht gut.
({5})
Um so üppiger - das kritisieren wir - sprießen die
Planstellen in Ihrem Ministerium.
({6})
Schon der Organisationsplan Ihres Hauses besitzt
Seltenheitswert. Sie haben dort pro Abteilung einen
Abteilungsleiter und, ohne daß es Unterabteilungen gibt,
zwei Unterabteilungsleiter. Daran schließen sich ganz
normale Abteilungen an, die eigentlich eher die Größe
von Unterabteilungen - fünf, sechs Referate - haben.
Dafür haben Sie einen Kopf von einem Abteilungsleiter
und zwei Unterabteilungsleitern.
Das kann auf Dauer nicht so bleiben. Sie sind neu in
Ihrem Amt, wir haben das deshalb diesmal nicht thematisiert. Wir werden das aber bei der nächsten Haushaltsberatung thematisieren. Auch der Organisationsplan Ihres Hauses muß den allgemein üblichen Strukturen angepaßt sein.
Keinen Sinn macht es, daß Sie sich sieben neue Planstellen im Leitungsbereich haben bewilligen lassen. Das
werden wir demächst aufgreifen. Es kann nicht dabei
bleiben, daß wir dazu kommen, daß es mehr Bürokratie
und weniger Programme gibt. Das Verhältnis muß wieder umgekehrt werden.
({7})
Sie haben nicht nur finanziell Federn lassen müssen,
wir vermissen auch Ihre politische Beteiligung an den
großen familienpolitischen Themen, zum Beispiel an der
zentralen Frage der derzeitigen Familienpolitik: Wie
reagieren wir auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 19. Januar 1999, und wie gestalten wir den
steuerlichen Familienleistungsausgleich? Wir meinen,
daß hier auch die Familienministerin ein Wort mitreden
sollte, und zwar zugunsten der Familien.
({8})
Das sollte man nicht allein dem Finanzminister, der natürlich teilweise andere Interessen hat - das haben wir
auch schon erlebt -, überlassen.
Die Beschlüsse des Bundesverfassungsgerichts, die
uns alle treffen - das räume ich freimütig ein; wir haben
16 Jahre lang regiert -, verpflichten uns jetzt gemeinsam, Ehepaaren mit einem Kind einen Freibetrag von
rund 10 000 DM, ab dem zweiten Kind 8 000 DM usw.
einzuräumen. Dieses Urteil müssen wir effektiv umsetzen.
Im Augenblick favorisiert der Bundesfinanzminister
einen Kindergrundfreibetrag, der nicht in den Tarif eingearbeitet werden soll. Er wird den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts meines Erachtens nicht gerecht.
Das heißt, Frau Ministerin, daß bei einer Familie mit vier
Kindern der Eingangssteuersatz bei knapp 40 Prozent
liegt, weil Sie den Kindergrundfreibetrag nicht in den
Tarif einarbeiten. Das kann nicht richtig sein.
Wir hätten dann folgende paradoxe Situation, daß
50 000 DM zu versteuerndes Einkommen eines ledigen
Junggesellen proportional besteuert werden, beginnend
mit dem wesentlich niedrigeren Eingangssteuersatz, daß
aber 50 000 DM zu versteuerndes Einkommen einer
vierköpfigen Familie mit 40 Prozent steigend bis zum
Spitzensteuersatz besteuert werden. Das kann nicht
richtig sein, das kann eigentlich nur verfassungswidrig
sein. Wir fordern Sie auf, eine verfassungskonforme Lösung vorzulegen, die dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts Rechnung trägt.
({9})
Neue Impulse in der Familienpolitik kommen im wesentlichen von der Union.
({10})
- Die Frau Ministerin wird noch reden. Ich bin auf ihre
Rede gespannt. - Ich erwähne nur noch einmal das sächsische Modell eines Erziehungs- und Familienentgelts,
über das es sich zu diskutieren lohnen würde.
({11})
Deshalb haben wir heute auch den Antrag gestellt, die
Mittel für die Bundesstiftung „Mutter und Kind - Schutz
des ungeborenen Lebens“ zu erhöhen. Diese Stiftung hat
sich bewährt, und man sollte sie nicht über den Bundeshaushalt in ihrer Wirkungsmöglichkeit einschränken.
Frau Ministerin, besonders anspruchsvoll waren Ihre
Ankündigungen in der Frauenpolitik. Kapitel VIII der
Koalitionsvereinbarung ist überschrieben mit: „Neuer
Aufbruch für die Frauenpolitik“. Die Bundesregierung
wollte - Frau Steen, Sie können es nachlesen - bis AnManfred Kolbe
fang 1999 ein Aktionsprogramm „Frau und Beruf“ vorlegen.
({12})
- Wir haben jetzt bereits Mai. Ich weiß nicht, wo für Sie
der Jahresanfang endet. - Insbesondere wollten Sie spätestens im Frühjahr 1999 ein Gesetz zur Gleichstellung
von Frauen und Männern in der Privatwirtschaft
vorlegen.
Nach Ihren Aussagen in der „Frankfurter Rundschau“
vom 26. November 1998 wollten Sie, Frau Ministerin,
ein Gesetz vorlegen, das Privatbetriebe ab 80 Arbeitnehmer verpflichtet, verbindliche Frauenförderpläne
vorzulegen, um Unterrepräsentanz zu beseitigen. Frauenfördernde Betriebe sollten bei der Vergabe öffentlicher Aufträge bevorzugt werden.
Jetzt sind wir in der Union sicherlich die letzten, die
etwas gegen Frauen und Beruf haben.
({13})
Wir haben auch nichts gegen Frauen in Spitzenpositionen; ich komme auf dieses Thema gleich noch zu sprechen.
Aber zu diesem Gesetzesvorhaben haben wir Fragen,
Frau Ministerin, um deren Beantwortung wir in Ihrem
Redebeitrag nachher bitten würden. Ich habe den ganzen
Tag versucht, in Ihrem Hause eine Auskunft darüber zu
bekommen, was in diesem Bereich geplant ist. Es gab
nur eisiges Schweigen. Ich muß das deshalb jetzt zur
„Chefsache“ machen und an Sie herantragen. Vielleicht
können Sie nachher dem Hohen Hause berichten, was
auf diesem Gebiet geplant ist. Durch die Agenturen geisterten nur Meldungen, daß der Bundeskanzler Sie zurückgepfiffen habe. Aber vielleicht können Sie uns dazu
Näheres erzählen.
Ich komme zum Abschluß zu den Frauen in Führungspositionen. Mehr als nur mit Ankündigungen, die
dann doch nicht realisiert werden, können wir alle noch
in diesem Monat etwas für Frauen in Führungspositionen tun; denn wir alle werden uns am 23. Mai in Berlin
zur Wahl der neuen Bundespräsidentin oder des neuen
Bundespräsidenten treffen.
({14})
Wir alle können am 23. Mai für Dagmar Schipanski
stimmen.
({15})
Frau Schipanski verkörpert geradezu ideal die Vereinbarkeit von Familie und Beruf: Sie ist Mutter von
drei Kindern, ist Professorin für Festkörperelektronik an
der TU Ilmenau, Dekanin der Fakultät für Elektrotechnik und Vorsitzende des Wissenschaftsrats der Bundesrepublik Deutschland. Das ist ein praktisches Beispiel
für die Vereinbarkeit von Familie, Beruf und Politik.
Sie hat auch politischen Mut bewiesen: Ihre Karriere
in der DDR war gebremst, weil sie nicht bereit war, der
SED beizutreten. Das ist die geeignete Bundespräsidentin, Frau Ministerin. Gerade Sie sollten sie wählen. Ich
habe die Hoffnung, daß Sie das getreu Ihren Grundsätzen auch tun werden.
({16})
- Frauen und Führungspositionen; hier haben wir eine
Möglichkeit. Das ist nicht nur Theorie, sondern auch
Praxis.
({17})
Ich komme zum Schluß: Diesem Haushalt können
wir nicht zustimmen; wir müssen ihn ablehnen. Wir bitten aber, unserem Antrag auf Erhöhung der Mittel für
die Stiftung „Mutter und Kind“ zuzustimmen.
Danke schön.
({18})
Ich gebe das Wort
der Kollegin Antje-Marie Steen von der SPD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Herr Kolbe, ich erspare es
mir, vor allen Dingen auf Ihre Werbekampagne einzugehen;
({0})
denn ich glaube, daß das nicht in diesen Rahmen gehört.
({1})
Weil wir hier eine Haushaltsdebatte haben, will ich
aber sagen: Nach der Übernahme der Regierungsverantwortung fanden wir das vor, was wir in der Opposition bereits befürchtet und auch immer wieder deutlich
benannt hatten: eine außerordentlich schwierige
Finanzlage, die uns eine schwere Erblast auferlegt hat.
Somit steht auch der heutige Haushalt unter dem Damoklesschwert einer strukturellen Deckungslücke von
rund 20 Milliarden DM.
({2})
Hinzu kommen noch die Auswirkungen des Bundesverfassungsgerichtsurteils.
Die verfehlte Politik der Vorgängerregierung ist auch
für den Einzelplan 17, der heute zur Beratung und Beschlußfassung ansteht, eine schwere Hypothek - wurden
doch gerade Familien mit Kindern, Herr Kolbe, jahrelang systematisch zu hoch belastet und wurde doch jahrelang eine verhängnisvolle Politik auf Kosten kommender Generationen gemacht.
({3})
Gleichzeitig besitzt aber gerade dieser Haushalt eine
nicht zu vernachlässigende gesellschaftspolitische Bedeutung. Denn wir verstehen die Aufgabe des Ministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend in seiner
politischen Zielrichtung als für alle Generationen und
nicht nur für bestimmte Interessengruppen und eine bestimmte Klientel zuständig.
Wir wollen die Lebenssituation von Familien, älteren
Menschen, Jugendlichen und Frauen solidarisch gestalten. Wir sind entschlossen, diesen Generationenvertrag
zu erneuern und eine kinder- und familienfreundliche
Gesellschaft in sozialer Gerechtigkeit gemeinsam mit
allen gesellschaftlichen Kräften zu schaffen. Dazu haben
wir mit dem vorliegenden Einzelplan eine solide
Grundlage bereitet.
({4})
Denn Familienpolitik definiert sich nicht durch Lippenbekenntnisse und Sonntagsreden, sondern durch eine in
Gesetze gegossene tatsächliche Anerkennung der Familienarbeit, der Leistung für und von jungen und alten
Menschen und durch eine zuverlässige Haushaltspolitik.
({5})
- Frau Rönsch, stellen Sie eine ordentliche Zwischenfrage, dann kann ich Ihnen das beantworten! - Insgesamt erfährt dieser Haushalt einen Aufwuchs von
1,1 Prozent. Das hört sich nach wenig an; wir haben
aber auch eine hohe Einsparrendite erbringen müssen.
So stehen im Gegensatz zu den vorherigen Haushalten
immerhin 127 Millionen DM zur Verfügung.
Darüber hinaus muß der Staat, auch wenn er unausweichlich Einsparungen vorzunehmen hat, um die
Haushalte zu konsolidieren, auf die gerechte Verteilung
der Lasten in unserer Gesellschaft achten. Mit seinem
Urteil zur ungerechten Besteuerung von Familien unterstreicht das Bundesverfassungsgericht diese These. In
Ihrer Regierungszeit, meine Damen und Herren der jetzigen Opposition auf der rechten Seite des Hauses, haben Sie diesen Hinweis des höchsten Gerichtes gröblich
vernachlässigt. Sie haben es zu verantworten, daß das
Kinderhaben und das Kindererziehen mehr und mehr zu
einem Armutsrisiko geworden sind und daß von den
rund 3 Millionen Sozialhilfeempfängern etwa 1 Million
Kinder und Jugendliche sind. Sie tragen aber auch dafür
Verantwortung, daß sich immer mehr einkommensstärkere Personengruppen durch ein löchriges Steuersystem
aus der Verpflichtung zur Finanzierung der Staatsaufgaben entziehen konnten.
({6})
Trotz der schwierigen Haushaltssituation haben wir
die Weichen gestellt, um den Bedürfnissen unserer Bür-
gerinnen und Bürger, der Familien und der Kinder ge-
recht zu werden. So verstärken wir im Rahmen des
Kinder- und Jugendplanes sehr intensiv die Bemü-
hungen, endlich etwas gegen die Armut und Perspektiv-
losigkeit vieler Jugendlicher in unserem Land zu unter-
nehmen.
[Hannelore Rönsch [Wiesbaden] [CDU/CSU]:
Gesetzesvorlagen?)
Das wohl wichtigste Instrument zur aktiven Jugendpolitik, der Kinder- und Jugendplan, erfährt durch uns eine
deutliche Erhöhung um 12 Millionen DM auf insgesamt
192 Millionen DM.
({7})
Erstmalig werden wir neben dem äußerst erfolgreich angelaufenen Sofortprogramm zum Abbau der Jugendarbeitslosigkeit in unserem Einzelplan 17 insgesamt 10
Millionen DM bereitstellen, um auch den Jugendlichen,
die nicht unmittelbar vom Sofortprogramm erfaßt werden, eine Chance auf Ausbildung und Arbeit zu geben.
Ein weiterer Schwerpunkt unserer Politik liegt in der
Beseitigung der Benachteiligung von Zivildienstleistenden gegenüber Wehrdienstleistenden. Auch in diesem Punkt haben wir Wort gehalten und die ungleiche
Besoldung von Zivildienstleistenden und Soldaten aufgehoben. Nach einer Verwaltungsvorschrift aus dem
Hause Nolte - also von der ehemaligen Bundesregierung
- konnten bis vor kurzem lediglich 40 Prozent der Zivildienstleistenden nach dem sechsten Dienstmonat die sogenannte Soldgruppe 3 in Anspruch nehmen, während
fast jeder Wehrdienstleistende automatisch in diese
Soldgruppe fiel. Für uns Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten ist der Dienst an Mensch und Umwelt
nicht weniger wichtig als der Dienst zur Verteidigung.
Deshalb haben wir im Haushaltsausschuß eine Angleichung der Besoldung beschlossen.
({8})
Das stellt eine sehr wichtige Anerkennung für rund
160 000 junge Menschen in unserer Gesellschaft dar. Ich
denke, wir sollten an dieser Stelle den Zivildienstleistenden einmal ein großes Lob aussprechen. Ohne deren
Arbeit würde es in vielen Bereichen des Sozial- und Gesundheitswesens sehr schlecht aussehen.
({9})
Auch im Bereich der Integration von jungen Aussiedlern und Flüchtlingen setzen wir Prioritäten. Erstmalig schlagen wir beim sogenannten Garantiefonds
neue Wege ein. Ein „Weiter so wie bisher“ wird es mit
uns nicht geben. Deshalb fahren wir bereits in diesem
Haushalt in Sachen Integration nicht nur inhaltlich, sondern auch strukturell einen vollkommen neuen Kurs, indem wir den bisherigen Garantiefonds und den Eingliederungstitel, der zur Verfügung stand, in einen neuen
einheitlichen Zwecktitel „Integration junger Spätaussiedler und junger ausländischer Flüchtlinge“ zusammenführen.
Wir sind der Meinung, daß die sprachliche Integration das A und O einer erfolgreichen Eingliederung in die
Gesellschaft ist. Das Beherrschen der Sprache ermöglicht Kommunikation und somit soziale Kontakte. Das
sind die besten Mittel gegen Ausgrenzung und gegen die
momentan katastrophale Desorientierung vieler junger
Spätaussiedler und Flüchtlinge in Deutschland. Brücken
bauen zwischen Einheimischen und neuen Bundesbürgern soll nicht nur gepredigt, sondern endlich zur Lebenswirklichkeit in unserer Gesellschaft werden.
({10})
Neue Wege gilt es auch in der Seniorenpolitik zu beschreiten; denn wir müssen uns endlich den Konsequenzen des demographischen Wandels stellen und die Altenpolitik aus ihrem bisherigen Schattendasein herausführen. 12 Millionen DM hatte die ehemalige Bundesregierung 1998 für den Bundesaltenplan eingeplant. Davon sind vom Ministerium lediglich 6,3 Millionen DM
ausgegeben worden. Das ist keine Kritik am Ministerium, sondern an der vorherigen politischen Führung.
({11})
Es ist die bittere Realität Ihrer Politik, großen Ankündigungen keine Taten folgen zu lassen.
Ältere Menschen müssen einen festen Platz im Mittelpunkt und nicht am Rande unserer Gesellschaft haben. Deshalb werden wir den Bundesaltenplan mit
10,2 Millionen DM stärken und eine zeitgemäße Altenpolitik einläuten. Diese wird sich auf die aktive Teilhabe
der Senioren ausrichten und die gesellschaftliche Bedeutung der Lebenserfahrung und Kompetenzen dieses
Personenkreises würdigen.
({12})
Außerdem werden wir die dringenden Reformmaßnahmen anpacken, zu denen zum Beispiel die Neuordnung der Altenpflegeausbildung durch das Altenpflegegesetz und die Novellierung des Heimgesetzes, das seit
1974 nicht mehr geändert worden ist, gehören.
({13})
Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Koppelin?
- Bitte sehr.
Verehrte Frau Kollegin
Steen, Sie sprachen gerade die Senioren an. Können Sie
uns sagen, wie hoch die Steigerung in diesem Bereich
im gesamten Haushalt ist? Oder ist mein Eindruck richtig, daß es in diesem Jahr eine Absenkung gibt?
Herr Kollege Koppelin,
ich muß Sie korrigieren. Ich habe Ihnen eben die Zahlen
genannt: Es waren in Ihrer Zeit 12 Millionen DM angesetzt - von uns sind nun 10,2 Millionen DM angesetzt -,
von denen aber nur ca. 6 Millionen DM abgeflossen
sind.
({0})
Das heißt - die Hälfte Ihres Ansatzes war gar nicht
haushaltswirksam und ist nicht in Maßnahmen und Projekte umgesetzt worden.
Eine Zusatzfrage? Herr Kollege, bitte sehr.
Frau Kollegin Steen, ist
Ihnen entgangen, daß wir bei den Berichterstattergesprächen darüber diskutiert haben - wir haben beide danach
gefragt -, ob auf Grund der Bundestagswahl im letzten
Jahr bestimmte Mittel nicht abgeflossen sind?
Herr Koppelin, wir können das Ergebnis gerne schönreden. Andere Haushalte
haben es geschafft, die Mittel auszugeben und Maßnahmen zu ergreifen, die den entsprechenden Personenkreis
erreicht haben. Es bleibt aber Tatsache, daß das bei den
Senioren nicht geschafft wurde; hier lag zu wenig vor.
Herr Koppelin, Sie müssen sich sagen lassen, daß nichts
vorlag, für das Geld ausgegeben werden konnte.
({0})
Auch in der Familienpolitik gilt es neue Akzente zu
setzen. Die neuerlichen Urteile des BVG bestätigen
nämlich das, wofür Sie am 27. September vergangenen
Jahres auch abgewählt wurden: Ich spreche von den familienpolitischen Ungerechtigkeiten der Exregierung
Helmut Kohl. Wie oft haben Sie die Familie als einen
der wichtigsten Leistungsträger der Gesellschaft beschrieben? Taten haben Sie diesen Reden allerdings nie
folgen lassen.
Nach der Waigelschen Steuerarithmetik erreichen
Eltern mit einem Kind lediglich 64 Prozent des ProKopf-Einkommens kinderloser Paare. Bei einer Familie
mit zwei Kindern sank der Wert gar auf 54 Prozent. Das,
meine Damen und Herren, ist die Realität, die Lebenswirklichkeit von Familien, die die christlich-liberale
Opposition zu verantworten hat und die wir ändern.
({1})
Die Ergebnisse und die Probleme, vor denen wir stehen, sind tragisch und erschreckend. Die wirtschaftliche
Situation von Familien ist in den letzten Jahren signifikant schlechter geworden. Armut gehört zum Alltag
vieler Haushalte. Ihre schweren familienpolitischen Versäumnisse haben rund ein Drittel aller Familien in die
Armut getrieben. Zudem haben Sie die wichtigen Informationen über die Lebenssituation von Kindern und
Familien gezielt blockiert. Ich möchte exemplarisch den
10. Kinder- und Jugendbericht nennen, den wir der Familienministerin a. D. Frau Nolte nur unter heftigstem
Einsatz entreißen konnten.
Wir Sozialdemokraten haben es uns zum Ziel gesetzt,
diese untragbare Situation endlich zu korrigieren und
trotz Waigelscher Erblast einen gerechten Familienlastenausgleich zu schaffen. Ich denke, der Finanzminister
hat heute morgen die Wege aufgezeigt, auf denen wir
uns bewegen wollen.
Neben diesen Zielen gilt es auch andere wichtige Bereiche nicht außer acht zu lassen. So steht für uns beispielsweise auch ein neuer Aufbruch in der Frauenpolitik - hier zitieren Sie, Herr Kolbe, uns schon richtig ganz oben auf der Agenda. Hier geht es nicht nur um die
Beseitigung eines Reformstaus. Nein, hier ist wie an
vielen anderen Stellen des Einzelplans 17 ein Paradigmenwechsel angesagt. Viel zu lange, über 16 Jahre,
mußten wir nämlich zur Kenntnis nehmen, daß Frauenpolitik unter der Kanzlerschaft von Helmut Kohl und
unter der Regentschaft von Frau Nolte zu einer Alibiveranstaltung abgerutscht ist.
Es ist aber noch immer so: Armut ist nach wie vor
weiblich. Frauen sind in allen Lebensbereichen, in Führungspositionen und im Erwerbsleben entsprechend
ihrem Anteil an der Bevölkerung unterrepräsentiert. Das
durchschnittliche Erwerbseinkommen von Frauen ist um
ein Drittel geringer als das der Männer. Noch immer
kann ein Großteil der Frauen ein existenzsicherndes
Einkommen nicht aus eigener Erwerbsarbeit bestreiten.
Hier müssen und hier werden wir die nötige Antwort
geben; denn der Auftrag zur Gleichstellung laut Art. 3
des Grundgesetzes ist erst dann verwirklicht, wenn frau
nicht tagtäglich um gerechte Verteilung von Erwerbsarbeit, Einkommen sowie politischer und gesellschaftlicher Macht streiten muß.
({2})
Wir setzen aus diesem Grund auch in diesem Haushalt Akzente anderer Qualität, zum Beispiel mit dem
Aktionsprogramm „Frau und Beruf“, mit dem nationalen
Aktionsplan „Schutz von Frauen vor Gewalt“ und mit
einer wirkungsvollen Gleichstellungspolitik. So bin ich
ganz besonders stolz darauf, daß trotz angespannter
Haushaltssituation endlich wieder die wichtige Vernetzungsstelle kommunaler Frauenbeauftragter im Rahmen
dieses Haushaltes finanziell unterstützt werden kann.
({3})
Außerdem ist es eine wichtige Entscheidung, Opfern
der Zwangsprostitution und des Frauenhandels Mittel
aus dem sogenannten REAG-Programm für die Rückführung in ihr Heimatland zur Verfügung zu stellen. Das
ist eine ganz wichtige Maßnahme.
Während Ihrer Zeit, meine Damen und Herren der
ehemaligen Koalition, mutierte das Familienministerium
mehr und mehr zu einem inhalts- und strukturleeren Ankündigungsministerium. Wir bauen dieses Haus trotz
milliardenschwerer Erblasten Stück für Stück auf solidem Fundament wieder auf. Das erfordert einerseits ein
effizienteres und moderneres Leistungsangebot, andererseits natürlich auch eine stringente Haushaltspolitik.
Sparen ist auch in unserem Haushalt auf Grund der Erblasten das Gebot der Stunde.
Vor diesem Hintergrund bitte ich von dieser Stelle
aus gerade auch diejenigen um Verständnis, die in tagtäglicher Arbeit vor Ort wichtige sozial- und gesellschaftspolitische Aufgaben mit knappen Mitteln des
Bundes zu erfüllen versuchen. Ich spreche Vereine,
Verbände und Einzelpersonen an, die sich ehrenamtlichen Arbeiten widmen und schwierige Aufgaben übernehmen, um mit ihrem Engagement ein Stück weit zur
sozialen Gerechtigkeit in Deutschland beizutragen.
Ihnen möchte ich dankend folgendes sagen: Tiefgreifende Strukturreformen sind auf Grund der langjährig verfehlten Finanz-, Sozial- und Familienpolitik im vorliegenden Haushalt nur begrenzt möglich. Aber ich sage
auch an dieser Stelle: Genauso wie die SPD ihre Wahlversprechen einlöst, werden wir mit gleicher Zuverlässigkeit nach der Konsolidierung der heruntergewirtschafteten Haushalte strukturelle Kurskorrekturen vornehmen.
Ich muß Ihnen, Herr Kolbe, an dieser Stelle leider sagen: Den Antrag Ihrer Fraktion zur Aufstockung der
Mittel für die Stiftung „Mutter und Kind“ kann ich als
Frau nicht unterstützen. Ich werde auch nicht meiner
Fraktion empfehlen, ihn zu unterstützen; denn dies ist
wirklich ein Titel, den wir Frauen nicht wollen,
({4})
weil wir diese Mittel, Frau Rönsch, in einer besseren
Form an Frauen in Not und an Frauen, die sich entscheiden, Kinder zu haben, und sich dies nicht leisten können, verteilen können als im Rahmen dieser von uns
immer wieder kritisierten Stiftung.
({5})
Ich werde meiner Fraktion die Ablehnung der Anträge
empfehlen. Wir haben ausreichend im Ausschuß darüber
diskutiert.
Ich möchte an dieser Stelle meinen Dank an die Kolleginnen und Kollegen im Haushaltsausschuß richten,
weil ich die Hauptberichterstatterin bin. Wir haben trotz
unterschiedlicher Meinungen ein konstruktives Miteinander gehabt. Ich darf mich auch bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Ministeriums bedanken. Sie
haben uns sehr geholfen.
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({6})
Nun erteile ich das
Wort der Kollegin Ina Lenke, F.D.P.-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine Damen
und Herren! Zu Beginn will ich feststellen, daß in diesem Haushaltsplan wenige Haushaltsansätze neu sind,
daß das Volumen eingehalten worden ist und daß sich
sehr wenig bewegt hat. Frau Steen, ich möchte Sie bitten, sich die Protokolle des Ausschusses durchzulesen.
Ihr Staatssekretär, Herr Haupt, hat ganz deutlich gesagt,
daß bei vielen Haushaltspositionen noch Luft vorhanden
ist. Wenn Sie hier sagen: „Wir machen Frauenpolitik,
aber wir haben kein Geld“, dann stimmt das für den Einzelplan 17 überhaupt nicht.
({0})
Die F.D.P. wird natürlich auch als Opposition konstruktiv mitarbeiten. Das ist mir ein ganz besonderes
Bedürfnis. Wir werden Ihren Aktionsplan „Gewalt gegen Frauen“ ganz aktiv unterstützen. Wir werden gerne
mittragen, daß die Mittel für das Jahr der Senioren im
Haushalt bereitgestellt sind. Dasselbe gilt für die Erhöhungen des Ansatzes für Zivildienst. Dem haben wir
auch schon im Ausschuß zugestimmt.
Frau Steen, der Prüfstein der Familien- und Frauenpolitik Ihrer Koalition wird das Bundesverfassungsgerichtsurteil sein. Ich möchte gerne einmal die Parlamentarische Staatssekretärin im Bundesfinanzministerium zitieren. Im „Handelsblatt“ ist von wenig Entlastung
für Familien die Rede:
„Viel Nettoentlastung“ für die Familien werde es
nicht geben, betonte die Staatssekretärin.
Ich bitte die Frauenministerin Bergmann wirklich, sich
in der Öffentlichkeit zu erklären, ob sie mit diesen Aussagen der Staatssekretärin Hendricks einverstanden ist.
Ich kann mir das bei Ihnen jedenfalls nicht vorstellen.
Ich hoffe, daß Sie dagegen etwas tun. Die Öffentlichkeit
sollte Bescheid wissen.
({1})
Wenn ich daran denke - Frau Hendricks hat das ganz
deutlich gesagt -, daß 20 Prozent der Familien aus diesem Konzept herausfallen, dann komme ich zu dem Ergebnis, daß dieses Konzept der rotgrünen Koalition, das
jetzt auf dem Tisch liegt, verfassungswidrig sein wird.
Wenn Herr Eichel sagt, er mache nichts, ohne daß es
verfassungsfest ist, dann wollen wir einmal sehen, was
für ein Konzept wir haben.
Eines muß ich Ihnen sagen: Daß von Ihnen nur
8,1 Milliarden DM für die Umsetzung des Bundesverfassungsgerichtsurteils ausgegeben werden, läßt tief
blicken. Ich hoffe, daß die entsprechenden Zahlen noch
steigen. Wir jedenfalls werden Vorschläge vorlegen, in
denen mehr Entlastung für alle Familien gefordert wird.
({2})
- Wir alle haben das Bundesverfassungsgerichtsurteil zu
tragen. Auch Sie als Opposition haben diese 20 Milliarden DM nicht gefordert.
Ich möchte ganz kurz zu dem Arbeitsplatzprogramm
für 100 000 Jugendliche kommen, weil ein Teil dieses
Programms aus diesem Haushalt bezahlt wird. Uns allen
und gerade dieser Regierung fehlt eigentlich das ganzheitliche Bildungskonzept. Das ganzheitliche Bildungskonzept bedeutet nämlich nicht, daß sich Frau
Bulmahn und andere zu Recht hier hinstellen und sagen,
was sie alles für Hochschulen tun; vielmehr fängt es
unten, in der Schule an.
Wenn die roten und die rotgrünen Landesregierungen
an Lehrern sparen, frustrierte Jugendliche entlassen und
Herr Riester dann einen Reparaturbetrieb in Gang
bringt, dann kann das nichts werden.
({3})
Wir müssen uns wirklich überlegen, ob wir nicht ein
ganzheitliches Konzept auf den Weg bringen. Das bedeutet nicht, daß Bundesrat, Bundesländer und Bundesregierung - egal, ob rotgrün oder andersfarbig - getrennt
fahren. Wir müssen wirklich ein ganzheitliches Konzept
verfolgen. Wenn das geschieht, dann haben wir motivierte Jugendliche mit guten Abschlüssen, und wir werden mehr Lehrstellen als jetzt besetzen können.
({4})
Ich möchte zur Chancengleichheit für Frauen auf dem
Arbeitsmarkt kommen. Es regt mich schon auf, daß Sie
in der familienpolitischen Debatte gar nicht die 630Mark-Jobs problematisieren. Sie haben auf diesem Gebiet Arbeitsplätze verschwinden lassen.
({5})
Sie haben kein Alternativkonzept vorgelegt. Sie haben
einfach gesagt: Diese Arbeitsplätze sollen sozialversicherungspflichtig sein. Jetzt haben Sie dafür die Quittung bekommen. All diejenigen Frauen, die jetzt aufhören zu arbeiten, haben doch wirklich keine Lobby.
Ich bekomme meine Zeitung nicht mehr um 7 Uhr,
sondern erst um 8 Uhr, und dann arbeite ich schon und
bin nicht mehr zu Hause.
({6})
- Ich sage es ja nur. - Diejenigen Damen und Herren,
die die Zeitung vorher ausgetragen haben, haben das
Geld nötig gehabt, und es lohnt sich für sie nicht mehr,
von 630 DM brutto, netto nur die Hälfte ausgezahlt zu
bekommen. Sie haben keine Alternative geschaffen.
Eine Alternative für Niedriglohnbereiche hätte wegen
der zerstörten Arbeitsplätze geschaffen werden müssen.
Ich möchte zu dem Teil der Regierungserklärung
kommen, in dem es um das Aktionsprogramm „Frau
und Beruf“ ging. Ich lehne ein zwingendes Gleichberechtigungsgesetz für die Wirtschaft ab. Das bringt
nichts. Es handelt sich um alte Konzepte, die nicht tragen werden. Sie wollen eine Quotierung von Ausbildungsplätzen. Wir wollen einmal sehen, wie das in den
einzelnen Branchen überhaupt läuft. Über Ihre Forderung schließlich, daß die Kommunen das auch noch bezahlen, weil Sie die Belohnung durch Bevorzugung bei
der Vergabe öffentlicher Aufträge über die Kommunen
laufen lassen wollen, werden wir noch viel miteinander
streiten. Das wird von uns auf gar keinen Fall mitgetragen werden.
Ich will noch ganz kurz auf das Konzept der F.D.P.
zu sprechen kommen. Wir meinen, daß über Gesetze
nicht alles geregelt werden kann. Es gibt in der Wirtschaft gute Ansätze. Wir sollten zum Beispiel das Netzwerk von Ingenieurinnen an der FH Oldenburg unterstützen. Solche unterstützenden Maßnahmen sollten
vom Staat ausgehen. Vermißt habe ich in der Rede von
Frau Bulmahn einen Hinweis auf die Kinderbetreuung
an den Hochschulen, die nicht ausreichend ist. Wenn wir
hier nichts anderes tun, als nur Investitionsmittel aus
dem Haushalt dafür zu nehmen, ist das einfach zuwenig.
Wir brauchen flexible Kinderbetreuungsmöglichkeiten.
Wenn Sie sich die Gutachten über Kinderbetreuungsmöglichkeiten an Hochschulen anschauen - ich kann
Ihnen gerne eine Broschüre dazu geben -, dann stellen
Sie fest, daß es hier immer noch Schwierigkeiten gibt.
Wir finden es gut und unterstützen auch die aus der
Wirtschaft kommende Initiative von „total equality“.
Soweit ich weiß, hat Frau Bergmann dieses auch auf der
Top 99 in Düsseldorf recht positiv bewertet. Frau Bergmann, meinen Sie nicht, daß dieser Weg besser ist als
der über Gesetze, Quotierungen und Zwang?
({7})
Wir sollten wirklich sehen, daß es mit alten Regelungsvorstellungen nicht geht.
Der Club of Rome - vielleicht wird Sie das etwas beruhigen und berühren - war auch auf der Top 99 vertreten. Herr Liedtke hat dargelegt, daß durch die niedrige
Geburtenrate und die demographische Entwicklung die
Integration von Frauen auf dem Arbeitsmarkt in qualifizierten Berufen und Positionen zunehmen wird. Das
Fazit des Zukunftsforschers lautet:
Demographische Verschiebungen, Arbeitskräftemangel in Dienstleistungsberufen und neue Arbeitsformen müßten zwangsläufig dazu führen, daß
sich die Wirtschaft von ihren patriarchalischen
Strukturen und dem Vorbild des männlichen Alleinverdieners löse. Daraus ergäben sich bessere
Berufsperspektiven für Frauen, die somit „Mitgestaltende einer neuen, feminisierten Arbeitswelt
würden“.
Ich würde mich freuen, wenn wir alle gemeinsam daran
arbeiteten.
Vielen Dank, daß Sie mir zugehört haben.
({8})
Das Wort hat die
Kollegin Irmingard Schewe-Gerigk.
Frau Präsidentin! Liebe Kollegen! Liebe
Kolleginnen! Ein neuer Aufbruch in der Frauenpolitik so lautete das Wahlversprechen der rotgrünen Bundesregierung. Die Frauen waren es nämlich, die die Regierung Kohl abgewählt haben, und sie sind es, die nun zu
Recht einen Politikwechsel erwarten. Nun liegt der erste
rotgrüne Haushalt vor. Es stellt sich die Frage, ob das
der Testlauf für die frauenpolitische Wende unter Rotgrün ist.
({0})
Der erste rotgrüne Haushalt ist nicht der große Wurf,
wie wir ihn erwartet haben. Ich verstehe, Herr Kolbe,
daß Sie das kritisieren. Aber die Erblast ({1})
- nein, lassen Sie mich diesen Satz zu Ende bringen der Kohl-Regierung wiegt zu schwer; ihr Ausmaß kann
überhaupt nicht überschätzt werden. Das Steuer innerhalb weniger Monate herumzureißen ist schier unmöglich. Die neue Regierung muß erst einmal milliardenschwere Haushaltslöcher stopfen, die Sie, meine Damen
und Herren von der Opposition, Rotgrün hinterlassen
haben.
({2})
Wir werden auch in den nächsten Jahren noch damit zu
kämpfen haben.
Nicht nur das: Sie waren es auch, die der neuen Regierung eine völlig desolate Frauen- und Familienpolitik
hinterlassen haben. Sie waren es, die 16 Jahre lang die
Umverteilung in der Gesellschaft von unten nach oben
betrieben haben - auf Kosten der Familien, die finanziell
immer weniger über die Runden kamen, und auf Kosten
der Frauen, für die Kinder zum Berufs- und Armutsrisiko Nummer eins geworden sind. Bezahlt haben Ihre
Politik die Eltern und insbesondere, Frau Rönsch, die
Mütter.
Sie haben es auch zu verantworten, daß Familien in
den letzten Jahren immer wieder den Gang zum Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe antreten mußten, um
ihre Rechte einzuklagen. Da ist es doch mehr als scheinheilig, wenn Sie jetzt in einem Antrag - Sie haben ihn
vorhin begründet - die Erhöhung des Haushaltstitels für
die Stiftung zum Schutz des ungeborenen Lebens um
20 Millionen DM fordern, den Sie selbst noch 1998 um
20 Millionen DM reduziert haben. Ist das vielleicht die
vielbeschworene Erneuerung der CDU, daß Sie nun in
der Opposition Initiativen ergreifen, bei denen Sie als
Regierung vor einem Jahr selbst die Verschlechterung in
Gang gesetzt haben? Unter politischer Erneuerung stelle
ich mir, ehrlich gesagt, etwas anderes vor.
({3})
Es war und ist offensichtlich: Gerechtigkeit für Menschen, die Kinder erziehen, muß das familienpolitische
Ziel Nummer eins sein. Dieses Ziel wird die rotgrüne
Bundesregierung umsetzen. So wurde das Kindergeld
zum 1. Januar 1999 für das erste Kind auf 250 DM angehoben. Wie gesagt: Dies ist ein erster Schritt zu einem
verbesserten Familienleistungsausgleich. In Verbindung
mit der Einkommensteuerreform bringt diese Maßnahme
für Ehepaare mit zwei Kindern schon jetzt annähernd
1 000 DM pro Jahr. Nach dem „Paukenschlag“ aus
Karlsruhe wird es eine weitere Familienentlastung im
Haushalt für das Jahr 2000 geben. Wir werden die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichtes umsetzen. Unser
Modell wird nicht nur steuerlich, sondern auch sozial
gerecht und verfassungsfest sein. Davon können Sie
ausgehen.
Auch beim Erziehungsgeld streben wir schon im
nächsten oder im übernächsten Jahr eine Reform an. Ein
erster Schritt - Sie haben ihn zehn Jahre lang angekündigt - wird die Erhöhung der Einkommensgrenzen sein,
so daß wieder eine deutliche Mehrheit der Familien das
Erziehungsgeld bekommt. Vorschläge aus dem Bundesfinanzministerium, das Erziehungsgeld abzuschaffen
und zur Finanzierung familienpolitischer Leistungen
einzusetzen, lehnen wir ab.
Ich komme zur Frauenpolitik. Gerade hier hat Rotgrün neue Akzente gesetzt: Mit dem Programm „Frau
und Beruf“ ist der Reformstau in der Gleichberechtigungspolitik für Frauen endlich passé. Ein Gleichberechtigungsgesetz für die öffentliche Verwaltung und für
die Privatwirtschaft, bessere Bedingungen für Existenzgründerinnen und die Bereitstellung der Hälfte aller
Ausbildungsplätze für junge Frauen werden den Frauen
den gleichen Zugang zur Erwerbsarbeit sichern. Wir haben im Frauenhaushalt ebenfalls erreicht, daß nun auch
Opfer von Frauenhandel und Zwangsprostitution finanzielle Hilfen erhalten, wenn sie in ihr Heimatland zurückkehren wollen. Es ist doch ein Hohn, wenn sich diese Frauen das Geld selbst zusammenkratzen müssen, um
freiwillig auszureisen.
Wir werden außerdem den Haushaltstitel zur Verwirklichung der Gleichberechtigung tatsächlich ausschöpfen. Vorhin ist von der F.D.P. gesagt worden, es
sei noch Luft in dem Haushalt. Ich finde es unglaublich,
daß die letzte Regierung im Einzelplan 17 für die
Gleichberechtigung zwar 20 Millionen DM eingestellt
hat, aber nur 16 Millionen DM davon ausgegeben hat.
Das heißt, Sie haben 4 Millionen DM nicht ausgegeben.
Der Grund dafür ist, daß zwar Anträge für Projekte eingereicht worden sind, aber mißliebige Projekte offensichtlich einfach mit der Begründung abgelehnt wurden,
es sei kein Geld mehr vorhanden. Dazu gehörte zum
Beispiel die Förderung der Bundesgeschäftsstelle für die
kommunalen Gleichstellungsbeauftragten oder auch die
Förderung von Projekten für gleichgeschlechtliche Lebensgemeinschaften. Wir werden diese Projekte umsetzen.
({4})
Was unter Rotgrün insbesondere in der Frauenpolitik
erreicht wurde, ist, daß Frauenpolitik endlich als Querschnittsaufgabe in den Ressorts finanziell stärker verankert wird. Ob im Wissenschaftsbereich, bei der Wirtschaftsförderung oder der wirtschaftlichen Zusammenarbeit: Überall finden einzelne Haushaltspositionen speziell für Frauen ihren Niederschlag.
Einen großen Beitrag zur Geschlechtergerechtigkeit
leistet die Bundesregierung in Wissenschaft und Hochschule. Zum erstenmal werden 1999 7,5 Millionen DM
zur Durchsetzung der Chancengleichheit für Frauen in
Bildung und Forschung bereitgestellt. Das ab Mai 1999
gestartete Existenzgründungsvorhaben für kleine Unternehmen wird insbesondere auf die besonderen Bedingungen von Frauen eingehen.
Auch in der Entwicklungspolitik setzt sich Frauenpolitik als Querschnittsaufgabe fort. Die Bundesregierung wird 1999 erstmals ein 2-Millionen-DM-Projekt
fördern, mit dem die Genitalverstümmelung durch Unterstützung von Initiativen in den Herkunftsländern bekämpft werden kann. Auch für die Verbesserung der
Ausbildung von Mädchen in asiatischen Ländern sind
Ausgaben von mehreren Millionen DM geplant. Sie sehen: Der Aufbruch in der Frauenpolitik beginnt.
({5})
Neben der Frauenpolitik betrachten wir aber auch die
Jugendpolitik als Querschnittsaufgabe. Deswegen ist
hier eine besonders starke Vernetzung der einzelnen
Ressorts notwendig. Natürlich ist das Sofortprogramm
für 100 000 Jugendliche positiv; es ist jedoch ein Notprogramm. Schon jetzt müssen wir hinsichtlich der Beratungen zum Haushalt 2000 überlegen, wie die Jugend
den Sprung in das nächste Jahrtausend schaffen kann.
Ein JUMP 2 wird hier nicht ausreichen. Vielmehr müssen wir uns stärker strukturell mit dem Problem der Jugenderwerbslosigkeit beschäftigen. Das wird auch den
Haushalt nicht unberührt lassen.
Was haben wir - Frau Rönsch mahnte es vorhin an in diesem Haushalt für die Jugend getan? Zusätzlich zu
dem Sofortprogramm sind 1999 10 Millionen DM für
das Programm „Jugend und Arbeit“ bereitgestellt
worden, für all die Jugendlichen, die nicht in die Maßnahmen des Sofortprogramms aufgenommen werden
konnten. Ein weiterer Erfolg: Wir treten der Ungleichbehandlung der Wehrdienst- und Zivildienstleistenden
entgegen, indem wir noch 1999 die Besoldung der Zivildienstleistenden an die der Wehrdienstleistenden anpassen.
({6})
Ich bin froh, daß nach all den Jahren hier endlich ein
erster Schritt in Richtung Gerechtigkeit für Zivildienstleistende erfolgt.
Auch im Rahmen der EU-Ratspräsidentschaft werden
die Freiwilligendienste über die deutschen Grenzen
hinweg unterstützt. Hiervon profitieren insbesondere die
jungen Frauen, die immer noch den größten Teil der
Freiwilligen stellen, vor allem im Rahmen des freiwilligen sozialen und ökologischen Jahres.
Die Jugend ist kein Problem, das verwaltet werden
muß, sondern die Jugend braucht Zukunftschancen, und
die werden wir ihr geben.
({7})
Doch auch die Politik für die ältere Generation ist uns
ein zentrales Anliegen. Wir sehen es als unsere politische Aufgabe an, eine Politik für ältere Menschen zu gestalten, die ihnen in allen Bereichen eine wirkliche Teilhabe sichert und ihre Rechte stärkt. Ältere Menschen
müssen in die Gesellschaft integriert werden und integriert bleiben sowie sich aktiv an der Formulierung und
Umsetzung politischer Konzepte beteiligen können, die
ihr Wohl betreffen. Die Bundesregierung fördert dazu
1999 das Internationale Jahr der Senioren mit fast
3 Millionen DM.
Die rotgrüne Regierung steht vor einer großen Aufgabe; das gebe ich wohl zu. Sie wird den Weg ins
21. Jahrhundert bereiten, und dieser Weg muß ein deIrmingard Schewe-Gerigk
mokratischer und sozial gerechter sein. Damit werden
wir jetzt beginnen.
Ich danke Ihnen.
({8})
Das Wort hat nun
die Kollegin Christina Schenk, PDS-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine
Damen und Herren! Zwei Dinge hat die Koalition für
Familien bislang auf den Weg gebracht: zum einen die
Erhöhung des Kindergeldes zum 1. Januar um 30 DM
und zum anderen die Senkung des Eingangssteuersatzes.
({0})
Beide Maßnahmen - das ist unstrittig - verbessern die
Situation von Familien, leider aber nicht derjenigen, die
es am allernötigsten haben. Sozialhilfebeziehende
Haushalte profitieren weder von der Kindergelderhöhung noch von der Steuerentlastung. Durch die volle
Anrechnung des Kindergeldes auf die Sozialhilfe haben
die wirklich Bedürftigen nicht einen Pfennig mehr in der
Tasche. Wir alle in diesem Haus wissen um die wachsende Kinder- und Familienarmut in diesem Land. Mehr
als eine Million Kinder müssen von Sozialhilfe leben.
Diesen Kindern und Familien muß dringend geholfen
werden.
({1})
Wir erwarten deshalb von der Bundesregierung, daß sie
kurzfristig eine Regelung schafft, die für sozialhilfebeziehende Familien eine Entlastung bringt, die der Kindergelderhöhung um 30 DM entspricht.
Es liegt jetzt ein ernstzunehmender Vorschlag der
Bundesregierung zur Umsetzung des sogenannten Familienurteils des Bundesverfassungsgerichts vor. Das
Finanzministerium schlägt 260 DM Kindergeld mit ergänzendem Kindergrundfreibetrag vor. Das Ganze soll
nicht mehr als 8 Milliarden DM kosten. Da frage ich
mich dann doch: Ist das wirklich ein ernstzunehmender
Beitrag zur Familienförderung? Ich finde, das kann es
nicht sein. Eine wirklich sozial gerechte Lösung ist nicht
zum Nulltarif zu haben.
Die PDS präferiert ganz eindeutig eine einfache und
klare Regelung in Form eines einheitlichen Kindergeldes für alle. Was die genaue Höhe anbelangt, rechnen
wir noch. Wir haben jedoch bereits in der vergangenen
Legislaturperiode ein existenzsicherndes Kindergeld von
660 DM gefordert und auch entsprechende Finanzierungsvorschläge unterbreitet.
Was nun die Finanzierung der Umsetzung des Urteils
betrifft, so hat das Bundesverfassungsgericht höchstselbst den Weg für die Abschaffung des Ehegattensplittings freigemacht. Dazu sage ich, auch wenn es der konservativen Seite dieses Hauses ganz bestimmt nicht gefällt: Das Ehegattensplitting ist keine Maßnahme der
Familienförderung. Das hat das Bundesverfassungsgericht festgestellt. Der Übergang zu einer konsequenten
Individualbesteuerung wird von der PDS seit langem gefordert. Ich finde, dieser Schritt ist überfällig.
({2})
Das Bundesverfassungsgericht fordert jedoch nicht
nur eine deutliche finanzielle Entlastung der Familien,
sondern zugleich, Eltern die Möglichkeit zu geben, Beruf und Kinderbetreuung miteinander zu vereinbaren.
Die Defizite in diesem Bereich sind bekannt: Wir brauchen endlich einen Rechtsanspruch aller Kinder auf öffentliche Ganztagsbetreuung. Die Bundesregierung
muß einen entsprechenden Gesetzentwurf vorlegen.
Damit würde sie endlich ein klares Signal gegen die leider anhaltenden Versuche setzen, die außerhäusliche
Kinderbetreuung zu diskreditieren.
({3})
Die Bundesministerin hat angekündigt, noch vor der
Sommerpause ihr Konzept zur Reform von Erziehungsgeld und Erziehungsurlaub vorzulegen. Ich
denke, hier ist der Ort, einmal klar zu sagen, daß die jetzige Regelung die Frauen vom Arbeitsmarkt verdrängt.
Dies ist wahrscheinlich auch der eigentliche Grund für
dieses Gesetz. Nur zirka die Hälfte der Frauen kehrt
nach dem Erziehungsurlaub in den Beruf zurück, viele
nur in Teilzeit bzw. auf eine geringer qualifizierte und
bezahlte Stelle. Die Zahl der Männer, die Erziehungsurlaub nimmt, ist nach wie vor verschwindend gering.
Meine Damen und Herren, kein Frauenförderplan,
kein Gleichberechtigungsgesetz und keine noch so gutgemeinte Wiedereingliederungsmaßnahme kann die berufliche Benachteiligung von Frauen ausgleichen, die
dadurch entsteht, daß ihnen noch immer in extrem einseitiger Art die Familienarbeit aufgebürdet wird.
Ich begrüße es, daß sich Frau Bergmann klar gegen
die Einführung eines Erziehungsgehalts ausgesprochen
hat. Läßt man nämlich die blumige Rhetorik seiner Verfechter weg, ist das Erziehungsgehalt im Kern ein ziemlich perfides Instrument zur Verfestigung der traditionellen Rollenzuweisungen an Frauen und Männer.
Leider sind jedoch die aus dem Hause Bergmann
vorgeschlagenen Änderungen des Erziehungsurlaubs
und des Erziehungsgelds völlig unzureichend. Es reicht
nicht aus, die Einkommensgrenzen für das Erziehungsgeld einfach etwas anzuheben und das dritte Jahr Erziehungsurlaub zu flexibilisieren. Frauen gelten aus Sicht
der Unternehmen heute bereits nach zwei Jahren als dequalifiziert, und Männer lassen sich für 600 DM nicht
fürs Windelnwechseln begeistern.
Eine letzte Bemerkung zur Diskussion um die Beseitigung der rechtlichen Diskriminierung von Lesben
und Schwulen, die schließlich auch familienpolitische
Aspekte aufweist. In der „Berliner Morgenpost“ hat die
Ministerin geäußert, daß es auch künftig eine Begünstigung der Ehe geben müsse. Das ist konservative Politik
pur. Sie begeben sich damit leider zugleich in Widerspruch zu Ihrer eigenen Definition von Familie, der die
PDS im übrigen ausdrücklich zustimmt: Familie ist da,
wo Kinder sind. Das Zusammenleben mit Kindern muß
gefördert werden, und zwar sehr viel stärker, als das
bislang der Fall ist, und nicht das Zusammenleben von
Erwachsenen.
({4})
Dabei muß es auch völlig egal sein, in welcher Lebensform die Kinder aufwachsen.
In diesem Zusammenhang erwarte ich von der Bundesministerin ein klares Wort zu der unsäglichen Debatte, ob es Lesben und Schwulen zustehen soll, Kinder
zu adoptieren. Ich finde, Sie können diesen Streit nicht
einfach den Rechtspolitikerinnen und Rechtspolitikern
überlassen. Es gibt absolut keinen Grund, das Recht auf
gemeinsame Adoption ausschließlich an die Ehe zu
binden.
Danke schön.
({5})
Das Wort hat nun
die Kollegin Hannelore Rönsch.
Frau
Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren!
Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Es gibt sie noch,
die Familienministerin. Wir sehen sie heute hier. Zuletzt
ist sie im März 1999 am Kabinettstisch aufgetaucht. Da
hat sie die Ausweitung von Erziehungsgeld und Erziehungsurlaub eingefordert und wurde vom Bundeskanzler, ihrem Bundeskanzler, recht rüde abgebürstet. Damit
das nicht noch einmal vorkommt, wird eine ansonsten
der Öffentlichkeit nicht zugängliche Kabinettssitzung
öffentlich gemacht. Wir alle konnten dies in der Zeitung
lesen.
({0})
- Das war erschütternd, offensichtlich für die Ministerin.
Erschütternd ist dies auch für die Familien.
({1})
- Das ist gar nicht so lustig.
({2})
Familienpolitik nämlich heißt, daß in diesem Ministerium eine Ministerin sitzt, die gestaltet, die Impulse gibt.
Dies findet in unserem Lande nicht mehr statt.
({3})
Wir haben heute von Frau Steen gehört, daß es doch
gesetzliche Initiativen geben soll. Wo sind sie denn? Wir
brauchen sie, damit sie im Plenum beraten werden können.
Frau Steen, Sie haben auch von Ausweitungen des
Haushalts gesprochen. Die marginalen Ausweitungen
von 1,6 Prozent beschränken sich lediglich auf die gesetzlichen Leistungen. Daran kommen Sie gar nicht
vorbei. Die müssen Sie zahlen. Also tun Sie bitte nicht
so, als seien dies neue kreative Gedanken aus dem Familienministerium.
({4})
Vom Kollegen Kolbe konnten wir erfahren, daß mehr
Personal eingestellt wurde. Was tut denn das neue Personal? Das sollte doch wenigstens denken und etwas
vorlegen dürfen. Aber dies passiert nicht.
Im Bereich der Projekte müssen wir sogar einen
Rückgang von 18 Millionen DM zur Kenntnis nehmen.
Dies ist keine Haushaltsredlichkeit, Frau Steen; das muß
ich einmal deutlich sagen. Ich würde von Ihnen als
Haushaltpolitikerin erwarten, daß Sie die Ministerin an
diesen Stellen unterstützen. Impulse sind im Haushalt
der Ministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
an keiner Stelle zu erkennen.
({5})
Wenn man die Reden der Ministerin hört, hat man
manchmal ein wenig den Verdacht, daß es in der Familienpolitik gar nicht so viele neue Impulse geben soll.
Will sie gesellschaftliche Veränderungen? Will sie
überhaupt noch, daß beide Eltern die Kinder großziehen? Oder sollen dies Randerscheinungen werden?
({6})
- Für uns - das war immer unbestritten - sind auch
Alleinerziehende eine Familie.
Sie sollten sich mit der gesellschaftlichen Wirklichkeit in der Bundesrepublik Deutschland auseinandersetzen und auch einmal die Studien lesen, die in jüngster
Zeit erstellt worden sind. Danach wollen über 80 Prozent der jungen Männer und Frauen zwischen 18 und
27 Jahren eine Familie gründen. Sie wollen heiraten,
und sie wollen auch Kinder. Das setzt allerdings voraus,
daß sie eine gesicherte finanzielle Grundlage haben. Die
Lebensbedingungen und die -entwürfe sind anders geworden. Junge Frauen und Männer wollen Familie und
Erziehung mit der Berufstätigkeit verbinden. Deshalb ist
es eine gute Initiative, wenn Sie auf unserem Weg fortschreiten und die Vereinbarkeit von Familie und Beruf weiter fördern.
({7})
- Ist die Vereinbarkeit von Familie und Beruf etwas
Neues für Sie, meine Damen? Dann haben Sie die Politik der 80er Jahre komplett verdrängt.
({8})
Erziehungsgeld und Erziehungsurlaub trugen nicht Ihre
Handschrift. Sie hatten das in der Schublade, aber wir
haben es verwirklicht.
({9})
- Danke schön für dieses Stichwort, Brigitte Baumeister.
({10})
Hat schon ein sozialdemokratisch geführtes Land ein
Landeserziehungsgeld eingeführt? An keiner Stelle.
Ich finde es immer sehr mutig, wie Sie gerade in diesen Tagen über die Familienpolitik sprechen. Die Ministerin ist abgetaucht. Familienpolitik wird jetzt offensichtlich im Finanzministerium gemacht. Da darf sich
die Staatssekretärin mit einem sehr abenteuerlichen Vorschlag nach vorne wagen: Ein Kindergrundfreibetrag
wird unter die Leute geworfen, und man will sehen, wie
darauf reagiert wird.
Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Ganseforth?
Selbstverständlich.
Frau Ganseforth,
bitte schön.
Frau Rönsch, erinnern
Sie sich, daß der Erziehungsurlaub von Sozialdemokraten eingeführt worden ist? Sie haben ihn hinterher nur
verändert und übernommen. Haben Sie das vergessen?
({0})
Frau
Kollegin, ich glaube, wir sind etwa die gleiche Zeit lang
gemeinsam hier in diesem Hohen Hause. Erziehungsgeld und Erziehungsurlaub sind unter Minister Heiner
Geißler eingeführt und dann kontinuierlich ausgebaut
worden.
({0})
Es gab einmal Erziehungsurlaub für berufstätige Frauen.
Aber Sie hatten dies immer in der Schublade, bis wir
1982 an die Regierung kamen. Wir haben es dann unmittelbar umgesetzt. Es lohnt sich schon, alte Bundestagsdebatten nachzulesen.
({1})
Ich empfehle Ihnen ganz besonders die Essener Leitsätze; denn von ihnen können gerade die sozialdemokratischen Frauen eine ganze Menge lernen.
Ich verstehe auch, daß Sie an dieser Stelle eine Zwischenfrage gestellt haben. Denn es wird für Sie ausgesprochen unangenehm: Die Familienministerin hat bisher bei den Leistungen für Familien an keiner Stelle
einen Vorschlag gemacht. Aus dem Finanzministerium
kam der Vorschlag des Kindergrundfreibetrages. Dies
hört sich eigentlich noch ganz bekannt und vielleicht
auch ganz gut an. Aber als erstes waren es die Familienverbände in Deutschland - dort sind meistens die Familien mit mehreren Kindern organisiert -, die aufgeschrien haben: Die haben einmal nachgerechnet und
festgestellt, daß bei Einführung eines Kindergrundfreibetrages gerade die Familien weniger bekommen, die
mehrere Kinder großziehen. Ist das Ihre Familienpolitik?
Das kann doch wohl nicht sein.
({2})
- Das war, denke ich, ein Schnellschuß aus dem
Finanzministerium. Aber ich erwarte von der Familienministerin, daß sie die Position der Familien verteidigt
und sich gegen dieses Finanzministerium und diese
Staatssekretärin stellt.
({3})
Es kann nicht wahr sein, daß die Interessen der Familien
derart vernachlässigt werden.
Wir, Frau Ministerin, haben in der Arbeitsgruppe
Familie, Senioren, Frauen und Jugend in unserer Fraktion ein Familiengeld in Überlegung. Ich will hier sagen,
daß es zwei unterschiedliche Modelle gibt. Kollege Kolbe kommt aus Sachsen. Dort gibt es eigene Ideen, ebenso in der Arbeitnehmergruppe und der CDA.
Wir haben in der Fraktion ein Familiengeld in Überlegung, das auf den bewährten Instrumenten Kindergeld,
Kinderfreibetrag und Erziehungsgeld aufbauen soll. Entsprechend dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts
sollen der Kinderbetreuungsbetrag und der Haushaltsfreibetrag hineingenommen werden: eine Zusammenfassung familienpolitischer Leistungen soll zusammengeführt werden.
({4})
Da wir immer solide arbeiten und Berechnungen
vorlegen,
({5})
so, als könnten wir übermorgen die Regierung übernehmen - das kann ja täglich passieren -, werden Sie ganz
konkret, auf Mark und Pfennig genau die Verbesserungen für Familien nachrechnen können. Wir werden Ihnen am Ende der Sommerpause unsere Berechnungen in
dieser Richtung vorlegen.
Eines, meine Damen und Herren von der Regierungsfraktion, werden Sie mit uns nicht erleben: Das Ehegattensplitting wird nicht angetastet. Wir wissen uns hierbei in bester Gesellschaft, obwohl wir in der Minderheit
sind und in allen parlamentarischen Gremien momentan
von Ihnen übelst überfahren werden.
({6})
Aber wir haben starke Partner an unserer Seite: zum
einen das Grundgesetz, zum anderen das Bundesverfassungsgericht. Wenn Sie meinen, den Familien schon
wieder etwas entziehen zu können und sie mit der ÖkoHannelore Rönsch ({7})
steuer weiter belasten, sind Sie in der verkehrten Richtung. Sie werden uns dann an gar keiner Stelle zur Seite
haben.
Ich konnte zur Familienpolitik einige Ausführungen
machen. Obwohl meine Redezeit nahezu beendet ist,
will ich noch einige Anmerkungen zur Seniorenpolitik
machen; denn wir sind im Jahr der Senioren.
({8})
Es ist schön, daß Frau Kollegin Steen den Senioren
wenigstens verbal einen Blumenkranz windet; denn im
Haushalt findet man davon überhaupt nichts.
({9})
Es gibt Kürzungen bei den „Zuschüssen Altenhilfe“.
„Gesellschaftspolitische Maßnahmen für Ältere“, „Forschungsförderung Senioren“, „Zuwendungen an zentrale
Einrichtungen Senioren“, „Zuschüsse an Träger der
Altenhilfe“, „Modelleinrichtungen Seniorenpolitik“ überall wurde gekürzt. Das machen Sie einmal den Seniorenorganisationen und -verbänden klar.
Ich habe Sie im übrigen, Frau Ministerin, in diesem
Jahr der Senioren bei zentralen Seniorenveranstaltungen
vermißt.
Ein Weiteres will ich noch zur Jugendpolitik sagen,
weil ihr 1-Milliarde-DM-Programm für die 100 000
Ausbildungsstellen momentan offensichtlich bei jedem
Einzelplan angesprochen wird; bei jedem Einzelplan
meint man, der jeweilige Bereich könne daran partizipieren.
({10})
Gehen Sie doch einmal in Ihre Wahlkreise und reden
Sie mit den Unternehmern und den Handwerkern darüber, wie dieses Programm angenommen wird. Mir wird
immer nur mitgeteilt, daß Programme umgewidmet
werden, die sowieso schon bestanden haben. Der Gipfel
ist natürlich, wenn man dann sagt, wir hätten im Einzelplan des Bundesministeriums für Familie, Senioren,
Frauen und Jugend weitere 10 Millionen DM, damit jugendliche Arbeitslose einen Arbeitsplatz finden. Nein,
das ist in dieser Milliarde doch mit drin. Bei jedem Einzelplan wird diese 1 Milliarde angesprochen.
({11})
Es kann doch nicht jeder sagen, daß er da noch etwas
Zusätzliches habe. Ich denke, das ist ausgesprochen
schwierig. Da müssen Sie in der Zukunft ein bißchen
redlicher sein.
({12})
Der Einzelplan der Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ist keine Offenbarung, sondern mehr ein Offenbarungseid.
Ich möchte den Familien, den älteren Menschen sowie den Frauen und den jungen Leuten in unserem Land
versichern, daß wir von der Opposition, wenn es um die
Unterstützung geht, die wir ihnen gewähren können,
immer an ihrer Seite sein werden.
({13})
Wir werden auch an der Seite der Ministerin sein, wenn
sie wieder einmal zu schwach sein sollte, ihre Positionen
in diesem Kabinett zu verteidigen.
({14})
Ich erteile nun das
Wort der Bundesministerin Christine Bergmann.
Frau Präsidentin!
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich komme
gleich noch auf Ihren furiosen Schluß zurück. Ich will
nur vornweg einige Sätze zum Haushalt insgesamt sagen. Wir haben eine leichte Erhöhung von 128 Millionen DM. Damit finanzieren wir überwiegend gesetzliche
Leistungen, das ist klar. Wir haben uns hier aber wirklich Handlungsspielräume erstritten. Ich sage einmal
zu Herrn Kolbe, zu Herrn Koppelin und zu Frau Rönsch:
Wir haben in diesem Haushalt die Situation vorgefunden, daß 1997 etwa 100 Millionen DM nicht abgeflossen
sind. Auch 1998 - das deklarieren Sie als vornehme
Wahlkampfzurückhaltung - sind 68 Millionen DM nicht
abgeflossen. Wie man Haushältern angesichts einer solchen Situation klarmachen will, daß man in diesem Bereich mehr braucht, müssen Sie mir einmal erklären.
({0})
Wir werden unser Geld ausgeben - davon können Sie
überzeugt sein -, für wirklich gute und vernünftige Projekte. Das wissen Sie auch. Ich halte es daher nicht für
sehr redlich, wenn hier wieder mit solchen Zahlen agiert
wird, wie Sie sie genannt haben. Wir haben Ihnen mehrfach erklärt, was der Unterschied zwischen Soll- und
Istzahlen ist. Es bestand eben tatsächlich die Situation,
daß das Geld nicht ausgegeben wurde, auch 1997 schon
nicht.
Nun komme ich zum Thema Familienpolitik. Dazu
hat Herr Kolbe erklärt, die vorherige Koalition habe
16 Jahre lang erfolgreiche Familienpolitik betrieben.
Frau Rönsch hat etwas von solider Arbeit und von Solidarität mit den Familien gesagt.
({1})
Nun muß ich wirklich einmal fragen: Was bedeutet denn
nun dieses Bundesverfassungsgerichtsurteil? Ist das
das Ergebnis von 16 Jahren erfolgreicher Familienpolitik? Diese Frage sollten Sie hier einmal beantworten.
({2})
Hannelore Rönsch ({3})
Dieses Urteil ist doch nun wirklich eine Bankrotterklärung Ihrer Regierung, nicht unserer Regierung. Wir
müssen jetzt versuchen, das wieder auszubessern, und
müssen sehen, wie wir das wieder ins Lot bringen.
({4})
Es gibt noch andere Punkte. Schauen wir uns einmal
die Situation bei der Kinderbetreuung an - sie spielte
in der Debatte schon eine Rolle -: Das, was wir da vorfinden, Herr Kolbe, kann ich nicht als moderne Familienpolitik bezeichnen. Auch im Vergleich mit anderen
Ländern haben wir bei der Kinderbetreuung einen großen Nachholbedarf.
Ich will noch einen Punkt nennen: Das ist die Frage,
welche Möglichkeiten Frauen haben, sich an der Erwerbsarbeit zu beteiligen. Der Anteil von Frauen an
Führungspositionen, zum Beispiel im Vergleich mit
Frankreich und Nordeuropa, spricht eigentlich Bände.
Das können Sie hier nicht als erfolgreiche Familienoder Frauenpolitik verkaufen. Da Sie mich nach dem
Erziehungsgehalt gefragt haben: Das ist Ihre Vorstellung von Familien- und Frauenpolitik, meine nicht und
unsere auch nicht.
({5})
Das ist lediglich eine Methode, um einige andere Probleme zu lösen: Man kann im Kita-Bereich sparen und
kann die Frauen wieder ein Stück vom Arbeitsmarkt entfernen, mit dem Hinweis darauf: Ihr bekommt jetzt ja
ein Erziehungsgehalt, also müßt ihr euer Geld nicht unbedingt über die Erwerbsarbeit beziehen.
Frau Ministerin, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Ich will nur noch
diesen Gedanken zu Ende führen.
Nicht umsonst kommen diese Vorschläge aus dem
von mir ansonsten, wie Sie wissen, sehr geliebten Lande
Sachsen. In diesem Bereich kann ich die Vorschläge
aber nicht unterstützen. Wir haben auch die Vorschläge
der sächsisch-bayerischen Zukunftskommission auf dem
Tisch. Dort wird ganz klar gesagt, daß die Erwerbswünsche der Frauen im Osten in keinem realistischen Verhältnis zur Zahl der Arbeitsplätze stehen. Die Arbeitsplätze im Westen sind für sie erst recht nicht zugänglich.
Wir alle haben die entsprechenden Debatten miteinander
geführt. Vielleicht sollten wir einmal ein bißchen realistischer diskutieren, was wir unter moderner Familienund Frauenpolitik verstehen.
({0})
Gestatten Sie jetzt
eine Zwischenfrage der Kollegin Eichhorn?
Ja.
Bitte sehr, Frau
Kollegin Eichhorn.
Frau Ministerin, Sie
haben vorhin das Bundesverfassungsgerichtsurteil angeführt. Würden Sie zugestehen, daß der Kinderfreibetrag während Ihrer vorherigen Regierungszeit völlig abgeschafft worden ist und erst nach 1982 von uns wieder
eingeführt wurde? Das heißt also: Sie haben Vorgaben
des Bundesverfassungsgerichts während Ihrer Regierungszeit in keiner Weise berücksichtigt.
({0})
Frau Eichhorn, ich
habe mich auf die Aussage von Herrn Kolbe bezogen,
der hier von 16 Jahren - wie hat er es genannt - erfolgreicher Familienpolitik gesprochen hat. Da ich darauf
angesprochen wurde, will ich auch sagen: Natürlich
werden wir die Beschlüsse des Bundesverfassungsgerichts dazu umsetzen. Ich sage auch, wo unsere Schwerpunkte liegen - auch der Finanzminister hat dies getan -:
Es wird darum gehen, sie sozial gerecht auszugestalten.
Das heißt, uns muß jedes Kind gleich viel wert sein.
({0})
Außerdem muß es darum gehen, die Situation der
Alleinerziehenden im Blick zu behalten. Und schließlich
muß es um die Erziehungsleistung gehen. Dies alles
muß vor dem Hintergrund der schwierigen Finanzsituation und vor dem Hintergrund der Tatsache, daß wir
dem Bundesverfassungsgericht Genüge tun müssen, beachtet werden. Aber Sie können sicher sein, daß wir das
hinbekommen werden.
({1})
Familienpolitik hat ja nicht nur etwas mit Finanzen zu
tun; Familienpolitik ist auch eine Frage - ({2})
- Ja, bitte, Herr Kolbe.
Bitte, Herr Kollege.
Frau Bergmann, unterstützen Sie den Vorschlag, der aus dem Finanzministerium kam, einen Kindergrundfreibetrag einzuführen,
({0})
der nicht in den Tarif eingearbeitet ist, so daß nach dem
Freibetrag der Fortsetzungssteuersatz gilt? Bei einer
Familie mit vier Kindern beispielsweise würde die erste
steuerbare Mark dann mit knapp 40 Prozent besteuert.
Unterstützen Sie diesen Vorschlag aus dem Finanzministerium?
Herr Kolbe, ich habe
unsere Prioritäten klar genannt. Es ist noch überhaupt
nichts entschieden. Wir sind mitten in den Beratungen.
Warten Sie doch einmal ab! Sie werfen uns ja sonst vor,
wir gingen mit Vorschlägen zu schnell an die Öffentlichkeit. Warten Sie ab, und anschließend können wir das,
was wir, der Finanzminister und die Familienministerin,
am Ende gemeinsam vereinbaren, alles diskutieren.
({0})
Das Thema Erziehungsurlaub ist schon angesprochen worden. Ich will Ihnen sagen, Frau Rönsch, was
wir unter einer modernen Gestaltung des Erziehungsurlaubes verstehen und was wir in diesem Bereich erreichen wollen. Wir wollen aus dem Erziehungsurlaub
einen wirklichen Elternurlaub machen, so daß beide
Elternteile, Väter und Mütter, gleichzeitig Erziehungsurlaub in Anspruch nehmen können, verbunden mit der
Möglichkeit von Teilzeitarbeit. Das ist im übrigen das,
was die Mehrzahl der jungen Familien will.
({1})
Wir haben gerade entsprechende Untersuchungen auf
dem Tisch: Vier Fünftel der jungen Familien präferieren
Teilzeitarbeit, verbunden mit Teilzeiterziehungsurlaub.
Das eben wollen wir erreichen. Sie können das gerne
unterstützen; wir nehmen hier alle mit auf den Weg. Wir
diskutieren zudem über die Flexibilisierung des dritten
Jahres des Erziehungsurlaubes. Denn wir wollen, daß
Eltern frei sind in dem Umgang mit dem Elternurlaub
und sich Väter mehr an der Erziehungsarbeit beteiligen.
Zum Thema „Frau und Beruf“. Sie haben gefragt,
wann wir ein entsprechendes Programm auf den Weg
bringen: Wir werden es noch vor der Sommerpause im
Kabinett beraten. Manches dauert eben ein bißchen länger. Wenn man einen solch dürren Acker vorfindet und
diesen bestellen soll, braucht man ein bißchen Zeit. Wir
haben in diesem Zusammenhang sehr viele Punkte klären müssen. Dieses Programm wird spezielle Maßnahmen wie die Unterstützung von Existenzgründungen, die
Unterstützung von Betriebsübernahmen durch Frauen
usw. enthalten. Aber es sind natürlich auch rechtliche
Dinge zu klären, unter anderem eine kräftige Reform des
Zweiten Gleichberechtigungsgesetzes, das sich als nicht
effizient genug erwiesen hat. Wir haben Erfahrungen
damit gemacht und wissen, was wir verändern müssen.
Natürlich muß es in diesem Zusammenhang auch
darum gehen, wie Gleichstellung in der Privatwirtschaft umgesetzt werden kann. Sie haben wahrscheinlich verfolgt, daß wir in einem breiten Dialog mit Tarifpartnern und Wirtschaft eingetreten sind. Im Wege von
„total e-quality“ wollen wir deutlich machen, welche
positiven Erfahrungen es gibt. Frau Lenke, ich wäre
froh, wenn wir über „total e-quality“ das Problem lösen
könnten. Mittlerweile haben sich 42 Betriebe um dieses
Prädikat beworben. Es gibt aber fast 3 Millionen Unternehmen. Also kann man sich ausrechnen, wie viele Unternehmen übrigbleiben: 2 999 958.
({2})
Das auf diesem Wege lösen zu wollen ist etwas mühsam, aber wir sind in Gesprächen miteinander. Es gibt
eine Arbeitsgruppe aus Politik, Wirtschaft, Wissenschaft
und Gewerkschaften, in der es darum geht, wie man das
am besten hinbekommt, und schaut, welche Instrumente
sich bewährt haben.
Frau Ministerin, es
besteht der Wunsch nach einer weiteren Zwischenfrage.
- Bitte sehr, Frau Kollegin Lenke.
Frau Bergmann, die Wirtschaft
kennt nicht nur das Zertifikat „total e-quality“. Wenn Sie
sich die 99 größten Firmen angesehen haben - die Lufthansa und andere -, wissen Sie, wie sehr sich diese um
Familien bemühen. Meinen Sie nicht, daß wir das unterstützen und ihnen nicht mit dem Gesetzeshammer kommen sollten? Meine Befürchtung ist nämlich: Das bringt
nichts. Das hat auch in der Vergangenheit nichts gebracht. Ich hoffe, daß Sie dieses Zwangsgesetz nicht
machen werden.
Wir unterstützen
die großen und die kleinen Unternehmen natürlich sehr,
die mit ganz unterschiedlichen Modellen Frauenförderung und eine Politik der Chancengleichheit betreiben;
das ist klar. Interessanterweise fragt mich ein Teil dieser
Unternehmen: Wann kommt Ihr Gesetz denn?
({0})
- Nein, weil sie es als Unterstützung betrachten. Aber
das ist im Moment gar nicht der Punkt. Wir diskutieren
schon miteinander und schauen uns an, was sich bewährt
hat. Es wird darum gehen, zu sagen, welchen Rahmen
man bieten muß, damit die Gleichstellung in der Privatwirtschaft tatsächlich vorangetrieben wird.
Wenn wir über das Thema „Frau und Beruf“ reden,
müssen wir natürlich auch über das Thema „Mann und
Familie“ reden.
({1})
Ein Thema in diesem Zusammenhang ist der Erziehungsurlaub; denn in bezug auf Familien- und Erziehungsarbeit klafft eine große Lücke zwischen Anspruch
und Realität. Wir wissen, bisher nehmen nur 2 Prozent
der Väter Erziehungsurlaub. Der Soziologe Ulrich Beck
hat diese Kluft, wie ich finde, sehr treffend als „verbale
Aufgeschlossenheit bei weitgehender Verhaltensstarre“
bezeichnet.
Auch wir haben Untersuchungen auf dem Tisch liegen, in denen Väter befragt werden. Danach sind die
werdenden Väter am motiviertesten. Sie möchten fast
alle Erziehungsurlaub nehmen. Die Begeisterung dafür
legt sich aber mit zunehmendem Alter.
Das heißt, wir brauchen hier entsprechende Regelungen, wie zum Beispiel die Möglichkeit der gemeinsamen
Inanspruchnahme des Erziehungsurlaubs mit Teilzeitarbeit, aber natürlich auch vernünftige Arbeitszeitregelungen. Das ist das - das hat unsere letzte Studie
ergeben -, was auch Väter fordern. Sie sagen: Wir brauchen vernünftige Arbeitszeitregelungen, damit auch wir
Erziehungsurlaub nehmen können.
Zum Thema Frauenpolitik gehört auch, daß wir Frauen besser vor Gewalt schützen müssen. Wir werden in
diesem Jahr - das ist wirklich neu in diesem Land einen nationalen Aktionsplan zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen auf den Weg bringen. Ich denke, es
geht vor allen Dingen darum, deutlich zu machen, daß
diese Gesellschaft nicht mehr gewillt ist, Gewalt gegen
Frauen, vor allem die häusliche Gewalt, als Privatsache
hinzunehmen, sondern daß diese öffentlich zu verfolgen
ist.
({2})
Da geht es auch um rechtliche Regelungen, zum Beispiel die vereinfachte Zuweisung der gemeinsamen
Wohnung an die geschlagene Frau. Aber es geht nicht
nur um häusliche Gewalt, wie wir sie kennen. Es geht
auch um die Bekämpfung von Frauenhandel, von
Zwangsprostitution; es geht um die Verbesserung der
Situation von Migrantinnen. Ich denke, das ist ein wichtiger Schritt. Auf diesem Weg müssen wir weitergehen.
Ich will noch etwas zur Seniorenpolitik sagen. Das,
was Sie uns hier erzählt haben, Frau Rönsch, ist abenteuerlich.
({3})
Wir machen im Internationalen Jahr der Senioren über
70 Veranstaltungen. Vielleicht sind wir nicht immer auf
derselben Veranstaltung. Einen Großteil dieser Veranstaltungen besuche ich selbst.
Auch Sie wissen, daß wir die demographische Entwicklung nicht nur im Auge behalten, sondern uns auch
darauf einstellen und versuchen müssen, in der Gesellschaft ein Bewußtsein dafür zu schaffen. Die Gesellschaft muß sich darauf einstellen.
({4})
Wir haben sehr viele fitte, aktive Ältere. Für die tun
wir eine ganze Menge. Es geht auch darum, den Zusammenhalt zwischen den Generationen zu stärken.
Auch dazu steht vieles in unserem Programm.
Es geht ebenso darum zu fragen: Was machen wir mit
älteren Menschen, die pflegebedürftig sind? Da muß ich
wirklich sagen: Hier haben wir ein sehr schlecht bestelltes Feld vorgefunden.
({5})
Wir haben wenigstens die Vorlage betreffend bundeseinheitliche Altenpflegeausbildung im Bundesrat. Es
geht weiter mit der Novelle zum Heimgesetz, mit dem
Gesetz über ambulante Pflegedienste. Daran arbeiten wir
- das wissen Sie auch - mit den Ländern schon gemeinsam. Wir bekommen das in dieser Legislaturperiode auf
die Reihe. Das haben Sie in den letzten Jahren nicht geschafft.
({6})
Sie können ja mithelfen. Wenn Ihnen dieses Thema so
am Herzen liegt, können Sie sich gerne daran beteiligen.
Zum Schluß möchte ich noch auf einen Punkt zum
Thema Jugend eingehen. Wir reden immer über den
Standort Deutschland. Ich glaube, wir müssen sehr viel
mehr über die Zukunft unserer Jugend reden.
Frau Ministerin,
denken Sie an Ihre Redezeit.
Ja, ich denke an
meine Redezeit. Ich bin gleich zu Ende. Ich muß nur
noch einen Punkt nennen.
Ich bin sehr froh, daß sich das Sofortprogramm so gut
umsetzt. Sie wissen wirklich nicht, worüber Sie reden,
wenn Sie dieses Programm einfach abtun.
({0})
Die Jugendlichen kamen in meinem Sprengel schon im
Alter von 15 Jahren resigniert zu mir und fragten: Welche Chance haben wir eigentlich? Wir haben mit diesem
Programm eine Bugwelle abgebaut. Wir haben Jugendliche erreicht, die kaum noch erreichbar und bei keinem
Arbeits- oder Sozialamt gemeldet waren. Sie kommen
jetzt mit Hoffnung und haben das Gefühl, daß sich unsere Generation um sie kümmert. Ich glaube, wir müssen
auf alle Fälle erreichen, daß Jugendliche nicht resignieren.
Frau Ministerin, darf
ich Sie an die Redezeit erinnern?
Wir wollen mit unserem Programm „Jugend und Arbeit“ eine Gruppe, die
uns immer noch durchrutscht, auffangen und einbinden.
Wir wollen sie aus den sozialen Brennpunkten herausholen. Wir wollen ihre Identifikation mit dem Umfeld
fördern. Wir wollen die Jugendhilfe mit einbeziehen.
Das ist eine sehr vernünftige Geschichte. Das haben die
Jugendlichen in den letzten Jahren nicht erlebt.
Frau Ministerin, Sie
müssen bitte zum Schluß kommen.
Ja. Damit habe ich
das Wichtigste, was noch zu sagen war, gesagt.
({0})
Ich möchte mich herzlich bei allen, die uns im Haushaltsausschuß unterstützt haben, bedanken. Wenn allen
die Themen so wichtig sind, dann können wir gemeinsam gut weiterarbeiten.
Danke.
({1})
Ich schließe die
Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den
Einzelplan 17, Bundesministerium für Familie, Senio-
ren, Frauen und Jugend, in der Ausschußfassung.
Es liegen vier Änderungsanträge vor, über die wir
zunächst abstimmen. Wer stimmt für den Änderungsan-
trag der CDU/CSU auf Drucksache 14/888? - Wer
stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Dieser Antrag ist
abgelehnt.
Wer stimmt für den Änderungsantrag der PDS auf
Drucksache 14/899? - Gegenprobe! - Enthaltungen? -
Dieser Antrag ist abgelehnt.
Wer stimmt für den Änderungsantrag der PDS auf
Drucksache 14/900? - Wer stimmt dagegen? - Stimm-
enthaltungen? - Auch dieser Antrag ist abgelehnt.
Wer stimmt für den Änderungsantrag der PDS auf
Drucksache 14/902? - Wer stimmt dagegen? - Stimm-
enthaltungen? - Der Antrag ist abgelehnt.
Wer stimmt für den Einzelplan 17 in der Ausschuß-
fassung? - Gegenprobe! - Wer enthält sich? - Der Ein-
zelplan 17 ist angenommen.
Interfraktionell ist vereinbart, den heute nachmittag
an die Ausschüsse überwiesenen Antrag der Bundesre-
gierung zur deutschen Beteiligung an der humanitären
Hilfe im Zusammenhang mit dem Kosovo-Konflikt auf
Drucksache 14/912 zur Mitberatung auch noch an den
Ausschuß für Menschenrechte und humanitäre Hilfe zu
überweisen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der
Fall. Dann ist das so beschlossen.
Ich rufe auf:
10. Einzelplan 15
Bundesministerium für Gesundheit
- Drucksachen 14/614, 14/622 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Walter Schöler
Manfred Kolbe
Dr. Barbara Höll
Außerdem rufe ich den Zusatzpunkt 1 auf:
a) Erste Beratung des von den Fraktionen SPD und
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten
Entwurfs eines Neunten Gesetzes zur Änderung des Arzneimittelgesetzes
- Drucksache 14/898 Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Gesundheit ({0})
Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
b) Erste Beratung des von den Abgeordneten Wolfgang Lohmann ({1}), Wolfgang Zöller,
Dr. Wolf Bauer, weiteren Abgeordneten und der
Fraktion der CDU/CSU eingebrachten Entwurfs
eines Zehnten Gesetzes zur Änderung des Fünften Buches Sozialgesetzbuch ({2})
- Drucksache 14/886 -
Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Gesundheit
c) Erste Beratung des von den Abgeordneten
Dr. Dieter Thomae, Detlef Parr, Dr. Irmgard
Schwaetzer, weiteren Abgeordneten und der
Fraktion der F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines
Ersten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Stärkung der Solidarität in der gesetzlichen Krankenversicherung ({3})
- Drucksache 14/884 Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Gesundheit
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache eineinhalb Stunden vorgesehen. - Ich
höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege
Dr. Hans Georg Faust, CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der jetzt vorgelegte Arbeitsentwurf des Gesundheitsreformgesetzes
2000 sorgt für Aufregung im Gesundheitswesen. Aus
diesem Grund will ich nur sehr kurz auf den Einzelplan 15 des Bundesministeriums für Gesundheit eingehen, dem wir im Gesundheitsausschuß noch zugestimmt
haben. Inzwischen sind aber so viele Kürzungen vorgenommen worden, daß darauf im Detail noch eingegangen werden muß.
Zuerst einmal zum Gesundheitswesen, so wie es sich
nach dem Entwurf des Ministeriums für die Zeit nach
dem 1. Januar 2000 darstellen wird. Meine Damen und
Herren, ältere und kränkere Patienten, neuere und immer
bessere Therapie- und Diagnostikmöglichkeiten, neue
und mit hohem Forschungsaufwand hergestellte Medikamente sowie neue Operationsverfahren machen unser
Gesundheitssystem immer leistungsfähiger und leider
auch immer teurer. So viele Rationalisierungsreserven,
wie viele meinen - da machen wir uns manchmal etwas
vor -, stecken in unserem System nicht mehr drin. Wir
haben ein sehr effektives Gesundheitssystem. Das wird
uns bewußt, wenn wir die Aufwendungen und die Kosten mit denen in Gesundheitssystemen anderer westlicher Länder vergleichen.
Die politische Kunst besteht darin, dieses System zu
reformieren, es zu optimieren und die Patienten davon
zu überzeugen, daß Mehrleistungen nicht unbegrenzt
unter dem Gebot der Beitragssatzstabilität ohne Beteiligung der Versicherten erbracht werden können.
Diesem Anspruch ist Ihr Solidaritätsstärkungsgesetz
nicht gerecht geworden.
({0})
Es wurde alles noch komplizierter, es wurde noch dirigistischer, und der Druck auf die Leistungserbringer wurde noch stärker, ohne die eben angesprochenen berühmten Rationalisierungsreserven zu mobilisieren.
Jüngstes Beispiel für die Fehlentwicklungen ist das
Arzneimittelbudget. Wenn da Ihr Notprogramm nicht
hilft, Frau Ministerin, ist das Jahresbudget bei
12prozentiger Steigerung schon im ersten Quartal dieses
Jahres bereits im Oktober, spätestens im November aufgebraucht.
Sie, Frau Ministerin, haben das Solidaritätsstärkungsgesetz unter anderem damit begründet, daß durch
eine vorübergehende einjährige Ausgabenbegrenzung
für das Jahr 1999 die Voraussetzungen dafür geschaffen
werden sollten, in Ruhe mit den Beteiligten möglichst
konfliktfrei eine Gesundheitsreform 2000 vorzubereiten.
Was die Umsetzung dieser Aussage betrifft, gibt es
unter den Beteiligten über die Beteiligung erheblich
unterschiedliche Auffassungen. Fest steht, daß sich die
Krankenkassen sehr früh in die Diskussion einschalten
konnten, während zum Beispiel die Kassenärzte erst im
März 1999 mit Ihnen Gespräche führen konnten. Überhaupt fühlen sich viele Leistungserbringer von Ihnen
schlecht verstanden, und alle haben das ungute Gefühl,
daß die Zeit, als die Politik der gleichlangen Spieße im
Gesundheitswesen für ein gewisses Austarieren der
Interessenlagen gesorgt hatte, jetzt vorbei ist.
({1})
- Ich meine die Zeit der letzten Jahre, wo das möglich
war.
({2})
Konfliktfrei sollten die Überlegungen sein. Dr. Frank
Montgomery, der Vorsitzende des Marburger Bundes,
bezeichnet den Reformentwurf als „Marsch in den
Krankenkassenstaat“. Die Zahnärzte äußern sich ähnlich
mit dem Begriff „Weg in eine Staats- und Kassenmedizin“. Die Deutsche Krankenkassengesellschaft beklagt
die schlechtere Patientenversorgung durch das Globalbudget. Selbst der Vorsitzende des Vorstandes der
Techniker-Krankenkasse formuliert als sein Urteil:
„Dieses Papier eignet sich nicht einmal als Diskussionsgrundlage. Es ist ordnungspolitisch völlig verfehlt und
zudem noch handwerklich unzureichend.“
({3})
Das sieht auch die nordrhein-westfälische SPDGesundheitsministerin Frau Birgit Fischer so, wenn sie
sagt, daß das Papier in zentralen Punkten absolut unzureichend ist.
„In Ruhe vorbereitet“: Sie selbst, Frau Fischer, haben,
glaube ich, am 25. Februar 1999 doch gesagt, Sie würden
bei der Verabschiedung der Gesundheitsreform 2000
ohne Hast vorgehen. Mit Mühe ist der Arbeitsentwurf am
letzten Freitag mittag vorgestellt worden. Der Termin zur
Fertigstellung des Referentenentwurfs wurde schon nach
hinten verschoben. Viele raten Ihnen, das für uns alle
wichtige Gesetz nicht zum 1. Januar 2000 in Kraft treten
zu lassen, sondern wirklich in Ruhe mit allen Beteiligten
nach einer Lösung für die Probleme im Gesundheitswesen
und zum Wohle der Patienten zu suchen.
Starre, fest gedeckelte Budgets sind leistungsfeindlich und verhindern Dynamik und innovative Bewegungen in der Medizin.
({4})
Mit diesen starren Budgets läßt sich ein Kostenstopp nur
sehr kurzfristig erreichen. Für eine langfristige Steuerung sind starre Budgets vollkommen ungeeignet.
Diese Erfahrung hat auch eine CDU/CSU-F.D.P.Koalition vor Jahren gemacht, aber sie hat in den letzten
Jahren Luft unter den früher hermetisch verschlossenen
Deckel gelassen und über Zuzahlungsregelungen und
Stärkung der Eigenverantwortung der Patienten,
({5})
über Regelleistungsvolumina mit Überschreitungsmöglichkeiten mit degressiver Abstaffelung und auch über
den Mechanismus, daß Mehrerlöse teilweise bei den
Krankenhäusern verbleiben konnten, das starre System
aufgebrochen und an die moderne Entwicklung adaptiert. Das können Sie nicht bestreiten.
({6})
Was macht die rotgrüne Koalition nach der Bundestagswahl? Mit dem Solidaritätsstärkungsgesetz führt sie
die alte starre Regelung wieder ein und preßt die Deckel
wieder auf die Töpfe - mag es darunter noch so kochen
und brodeln. Die Arzneimittelbudgets reichen nicht aus.
Ärzte werden zu der Überlegung verführt, welchem Patienten ein Medikament, das früher problemlos verschrieben wurde, jetzt möglicherweise unter Hintanstellung von Bedenken nicht mehr zu Lasten der Krankenkassen verschrieben werden soll.
Ich wundere mich, daß den Ärzten zugemutet wird,
eine medizinische Entscheidung für den Patienten im
Sinne eines Gesundheitssystems mit begrenzten finanziellen Ressourcen - also ökonomisch - zu treffen. Ich
denke, das ist unsere Aufgabe; wir als Gesundheitspolitiker müssen entscheiden, wo Rationierung einsetzen
soll. Einschränkungen gibt es im deutschen Gesundheitswesen, neben zugegebenermaßen noch vorhandenen Rationalisierungsreserven. Der Satz „Wir müssen
rationalisieren, damit es nicht zur Rationierung kommt“
ist eine schreckliche Vereinfachung der medizinischen
Wirklichkeit. Wir haben beides nebeneinander.
({7})
Die Budgets vieler Krankenhäuser sind ausgeschöpft. Die Mengenvereinbarungen werden überschritten, und am Jahresende überlegen sich Krankenhausdirektoren und Chefärzte, wohin Patienten verlegt werden
können, wer noch freie Kapazitäten hat oder wie man es
anders hinbekommt, daß Eingriffe nicht ins nächste Jahr
verschoben werden müssen. Das ist die bundesdeutsche
Wirklichkeit in einem Gesundheitssystem, das von seinem hohen Niveau aus der Vergangenheit zehrt.
Die Explosion der Einzelbudgets wird auch nicht dadurch verhindert, daß im Inneren des großen Topfes eine
Globalbudgetierung stattfindet. Abgesehen davon, daß
das Globalbudget ein Monstrum, ein sperriges und unhandliches Instrument ist,
({8})
werden die sektoralen Budgets für die einzelnen Bereiche nicht aufgehoben, sondern - im Gegenteil - wie im
Arznei- und Heilmittelbereich noch schärfer gefaßt und
ausgeweitet.
Die Gangart im Zusammenhang mit dem Globalbudget läßt sich exemplarisch an der Integrationsversorgung
darstellen: Während bisher im Rahmen von Modellvorhaben und Strukturverträgen für Verzahnungen des ambulanten und stationären Bereichs zusätzliche Mittel der
Krankenkassen bereitgestellt wurden, kommt es jetzt
unter dem Begriff der Integrationsversorgung zu einer
Finanzierung aus Vergütungsvolumina, die anderen Bereichen abgezwackt werden. Hieran offenbart sich die
logische Folge des Globalbudgets: Wer mit einzelnen
Krankenkassen - auch das sieht der Arbeitsentwurf vor
- als Gemeinschaft oder Gruppe von Leistungserbringern Verträge zur Integrationsversorgung abschließt,
kann auf Geld aus den Taschen anderer hoffen. Damit
wird durch die Hintertür ein Einkaufsmodell für einzelne Kassen eingeführt.
Es ließe sich noch viel sagen - unter anderem zu der
Planungskompetenz für Krankenhäuser, die den Krankenkassen neue Möglichkeiten gibt -, und es wäre noch
darüber zu diskutieren, wie wir den Sicherstellungsauftrag in der Bundesrepublik definieren. Ich will es aber,
was die Bezugnahme auf das Reformgesetz betrifft, damit bewenden lassen.
Meine Damen und Herren, die Beispiele Globalbudget und Integrationsversorgung haben gezeigt, welchen
Weg die rotgrüne Koalition - oder zumindest das Gesundheitsministerium - gehen will: Unter dem Diktat
einer unbedingten Beitragssatzstabilität werden Patientenrechte langsam, aber sicher ausgehöhlt, Leistungserbringer kämpfen um eine halbwegs angemessene Vergütung, und die bisherige strukturelle Planung
zur Sicherstellung der Versorgung der Bevölkerung
wird durch einen Verdrängungswettbewerb in einem
geschlossenen System bis zur Unkenntlichkeit verändert.
Wir hoffen, Frau Ministerin, daß der Referentenentwurf zu diesen wichtigen Eckpunkten andere Grundvorstellungen entwickeln wird. Dieser Arbeitsentwurf löst
die Probleme im Gesundheitswesen nicht.
({9})
Herr Kollege Dr.
Faust, das war Ihre erste Rede im Deutschen Bundestag.
Ich gratuliere Ihnen im Namen des ganzen Hauses.
({0})
Nun erteile ich dem Kollegen Walter Schöler, SPDFraktion, das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Ich finde es schon bemerkenswert, daß der Kollege Dr. Faust nach 16 Jahren
Verantwortung der alten Regierung einen Reformbedarf
einräumt. Wir werden dem Auftrag gerecht werden;
denn Sie sind mit Ihrer Gesundheitspolitik in diesen Jahren gescheitert, sonst hätten Sie diese Rede so nicht
halten können.
Bei der Betrachtung des Gesamthaushaltes des Bundesministeriums für Gesundheit stellt man fest: Er ist mit
einem Ausgabevolumen von rund 1,6 Milliarden DM im
Verhältnis zum Bundeshaushalt relativ klein. Gleichwohl,
liebe Kolleginnen und Kollegen: Das Volumen, das sich
hinter dieser Kompetenz in der Gesetzgebung des Ministeriums verbirgt, ist ungeheuer groß. Allein im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung werden im
Jahr über 250 Milliarden DM für die dort versicherten
51 Millionen Mitglieder aufgewendet. Es gibt also wenige
Ressorts, deren Arbeit für die Bürgerinnen und Bürger
unseres Landes so unmittelbar von Bedeutung ist wie die
des Bundesgesundheitsministeriums.
Die neue Bundesregierung, Herr Kollege Dr. Faust,
ist einer sozial gerechten Gesundheitspolitik nicht nur
verpflichtet, sie wird ihr gerecht. Diese Politik wird auf
dem Solidar- und Sachleistungsprinzip beruhen. Dazu
gehört für uns eine paritätisch finanzierte Krankenversicherung. Wir werden dafür sorgen, daß Gesundheit für
alle bezahlbar bleibt; denn der Anspruch auf eine qualitativ hochstehende medizinische Versorgung darf sich
eben nicht nach dem Geldbeutel richten.
({0})
- Sie kommen auch noch dran, Herr Thomae.
Gesundheitsförderung, Gesundheitsvorsorge und Rehabilitation erhalten bei uns einen hohen Rang. Es bedarf erheblicher Anstrengungen, dieses Krankenversicherungssystem finanziell dauerhaft zu stabilisieren.
Das ist Ihnen eben nicht gelungen; da können Sie sagen,
was Sie wollen.
({1})
Im GKV-Solidaritätsstärkungsgesetz ging es allerdings zunächst darum, grobe Ungerechtigkeiten des Systems zu beseitigen. Diese von der ehemaligen Regierung vererbten einseitigen Belastungen von Versicherten
und chronisch Kranken haben wir zum 1. Januar korrigiert. Ich nenne die Reduzierung der Zuzahlung zu
Medikamenten, den Wegfall des Krankenhausnotopfers, die Aufhebung des Ausschlusses Jugendlicher vom
Zahnersatz und die Wiedereinführung der direkten
Zahlungen der Krankenkassen an den Arzt. Im übrigen
gehört auch die volle Lohnfortzahlung im Krankheitsfall
zu einem Teil dieser Vorsorge - das darf man hier einmal sagen, auch wenn es nicht das Ressort der Ministerin betrifft.
({2})
Wir nehmen für uns in Anspruch, versprochen und Wort
gehalten zu haben. Das werden wir auch in Zukunft so
tun.
Das war nur der erste Schritt, den wir gegangen sind.
Im zweiten Schritt geht es nun darum, durch eine Strukturreform eine Kehrtwende in der Gesundheitspolitik
einzuleiten. Um was geht es schwerpunktmäßig bei den
zwischen den Koalitionsfraktionen und dem Ministerium vereinbarten Eckpunkten? Wir wollen die Einführung einer sinnvollen Begrenzung der Ausgaben der
Krankenkassen bei Einführung des Globalbudgets, die
Stärkung der hausärztlichen Versorgung unter Beibehaltung der freien Arztwahl und eine bessere Zusammenarbeit von Fachärzten und Krankenhäusern, zum
Beispiel durch gemeinsame Nutzung teurer Medizintechnik.
({3})
Wir werden im Rahmen der Neuordnung des Arzneimittelmarktes eine Positivliste erstellen.
({4})
- Wir werden zwei erstellen, das stimmt. Das aber sind
Listen, Herr Thomae, die nicht, wie bei Herrn Seehofer,
als Opfergang an die Pharmaindustrie im Reißwolf landen werden. Das ist der Unterschied bei unserer Politik.
Wir werden außerdem ein neues Vergütungssystem
für die ambulante und die stationäre Versorgung schaffen. Dabei werden wir nicht nur qualitative Anreize berücksichtigen. Die Rechte der Patienten und der Patientenschutz werden gestärkt. Dazu gehören nicht zuletzt
auch Maßnahmen der Qualitätssicherung. Wir sehen
bei unserer Politik die Menschen: sowohl diejenigen, die
diese Leistungen benötigen, als auch diejenigen, die diese
qualitativ hochwertigen Dienstleistungen erbringen.
Fazit: Gesundheitspolitik ist bei Rotgrün nicht allein
Kostendämpfungspolitik, sondern zunehmend Strukturpolitik.
({5})
Die Menschen müssen wieder das Gefühl haben, daß sie
für ihre Beiträge auch die bestmöglichen Leistungen erhalten. Ich weiß: Wir kämpfen zugleich an mehreren
Fronten des Megakonzerns Gesundheit mit seinen unterschiedlichen Lagern. Man liest es jeden Tag in der Presse. Jeder erwartet einen möglichst großen Anteil am
Gesamtkuchen. Da geht es uns sicherlich nicht anders
als der früheren Regierung; auch deren Politik wurde
dort nicht bejubelt.
Aber, meine Damen und Herren von der Opposition:
Sie haben vom Wähler für Ihre Politik die Quittung bekommen. Das galt auch Ihrer falschen, unsoliden und
unsozialen Gesundheitspolitik.
({6})
Wir hingegen machen deutlich: Unseren Reformankündigungen folgen auch die Taten. Unser Ziel ist die
Gesundheitsreform zum 1. Januar 2000. Dieses Ziel
werden wir mit einer nachhaltigen Sicherung erreichen.
Der Arbeitsentwurf des Reformgesetzes liegt seit
Ende vergangener Woche vor. Wir begrüßen, daß er
noch vor der Sommerpause im Kabinett verabschiedet
werden soll. Sicherlich bedarf es danach bei allen Beteiligten einer hohen Konzentration für eine sorgfältige Beratung. Es bedarf auch des Willens zum Konsens aller,
die an diesem Gesetzgebungsverfahren beteiligt sind,
ebenso auch der Bundesländer und
({7})
derer, die für die Sicherstellung der medizinischen Versorgung und für die Verwendung der Beiträge der Versicherten verantwortlich sind. Wissen Sie, Herr Thomae,
das ist bei Umbauten eben so: Wenn man Wände versetzt und neue einzieht, dann kracht und staubt es schon
einmal. Zum Schluß steht ein neues Gebäude, über das
sich alle freuen. Das werden Sie dann auch erleben.
({8})
Manch einer von Ihnen hat vielleicht auf den ersten
Blick verwundert festgestellt, daß sich die Ausgaben im
Einzelplan 15 von 1998 auf 1999 mehr als verdoppelt
haben. In der Tat liegen sie heute bei rund
1,6 Milliarden DM. Dieser Anstieg um 126 Prozent beruht in erster Linie darauf, daß mit der Zuständigkeit
für die Pflegeversicherung auch die Haushaltsmittel
von rund 870 Millionen DM vom Arbeitsministerium
auf das Gesundheitsministerium übergegangen sind.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Lohmann?
Aber gern, bitte.
Bitte sehr, Herr
Kollege.
Herr Kollege, Sie sprachen eben von mangelnder Solidität der Politik in der Vergangenheit. Können Sie mir
bestätigen, daß bei Übergabe der Regierungsgeschäfte
an Rotgrün die Krankenkassen 1997 einen Überschuß
von 1,1 Milliarden DM und 1998 von etwas über 1 Milliarde DM aufwiesen und daß von 1992 - in diesem Jahr
ist Bundesgesundheitsminister Seehofer angetreten - bis
1998 in Deutschland Beitragssatzstabilität herrschte,
nämlich 13,4 Prozent bzw. 13,5 Prozent?
({0})
Herr Kollege Lohmann, es
geht hier doch um die Entwicklung, die mittel- und langfristig geplant werden muß.
({0})
Ich kann Ihnen nur sagen: Die Zahlen, die Sie gerade
genannt haben, sind nach ihrem Anteil am Gesamtvolumen zu vernachlässigen. Dieser Anteil liegt unter 1 Prozent. Vielmehr geht es darum, eine nachhaltig solide
Gesundheitspolitik einzuläuten. Wir werden das tun. Sie
werden in den nächsten Monaten sicherlich genügend
Gelegenheit haben, Ihre Vorstellungen einzubringen.
({1})
Ich war bei der Pflegeversicherung stehengeblieben.
In dieser Versicherung sind inzwischen 79 Millionen
Menschen erfaßt. 1,8 Millionen Bürgerinnen und Bürger
erhalten derzeit Leistungen der Pflegekassen, davon
rund 70 Prozent für die häusliche Pflege. Angesichts der
demographischen Entwicklung ist damit zu rechnen, daß
die Zahl dieser Pflegebedürftigen in den nächsten zehn
Jahren um 20 Prozent bzw. um 350 000 Menschen ansteigen wird. Wir werden also weiterhin Vorsorge für
die Nachhaltigkeit dieses noch jungen Pfeilers in der
sozialen Sicherung zu treffen haben.
Wer vom Einzelplan Gesundheit spricht, der muß
auch wissen, daß mit diesem neben dem Finanzbedarf
des Ministeriums selbst auch der Bedarf politisch wichtiger Institute gedeckt wird. Ich möchte von diesen insgesamt sechs Behörden und Instituten aus Zeitgründen
nur eines nennen, nämlich das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte, das auch für die Zulassung und Nachzulassung von Medikamenten zuständig
ist. Probleme macht hier insbesondere die hohe Zahl der
unerledigten Nachzulassungsanträge. Ursprünglich gab
es rund 32 000 Anträge. Diese Zahl ist inzwischen auf
rund 14 700 noch zu bearbeitende Anträge reduziert
worden. Diese Reduzierung erfolgte unter anderem
durch die Rücknahme vieler Anträge oder durch das
Auslaufen des Produktes. Wir werden uns damit sicherlich noch zu befassen haben.
Dies gilt auch für das von der Europäischen Kommission im November 1997, also zur Zeit Ihrer Regierung, eingeleitete Vertragsverletzungsverfahren auf
Grund der deutschen Zulassungsvorschriften. Hier
drohen unter Umständen finanzielle Folgen durch die
Festsetzung von Zwangsgeldern. Ich möchte diesen
komplizierten Sachverhalt nicht weiter vertiefen. Aber
Rechtssicherheit ist vonnöten. Die Kranken sollten die
Gewißheit haben, wenn sie schon Medikamente nehmen
müssen, daß diese geprüft und zugelassen sind.
Wir haben inzwischen durch eine Änderung im Stellenplan die benötigten Stellen im Bereich der Zulassung
und Nachzulassung von Medikamenten planmäßig bereitgestellt. Als Haushälter erwarten wir sicherlich auch,
daß die Kosten dieser Verfahren durch Gebühren vollständig gedeckt werden.
Im übrigen möchte ich anmerken, daß dieses Institut
demnächst in die Region Bonn umziehen wird. Mit diesem Wechsel nach Bonn wird auch ein wichtiger arbeitsmarktpolitischer Beitrag für diese Region geleistet.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, was verbirgt sich
hinter den Ansätzen an gesundheitspolitisch relevanten
Programm-Maßnahmen? 180 Millionen DM werden
schwerpunktmäßig für Modellprogramme in der Pflegeversicherung, zur Krebsbekämpfung und für Maßnahmen gegen chronische Erkrankungen sowie gegen Drogen- und Suchtmittelmißbrauch eingesetzt. Ferner werden Vorhaben der medizinischen Qualitätssicherung gefördert, ebenso die Ressortforschung und Maßnahmen
zur Aufklärung der Bevölkerung.
Die Drogenpolitik ist jetzt erstmalig dem Gesundheitsministerium zugeordnet worden. Dies unterstreicht
unsere Bewertung von Sucht als Krankheit und stellt die
Drogenprävention in den Mittelpunkt der Politik.
Gleichzeitig bleibt auch die Strafverfolgung des kriminellen Drogenhandels weiterhin eine wichtige Aufgabe.
Aus dem Drogen- und Suchtbericht 1998 der Drogenbeauftragten geht hervor: Die Zahl der polizeilich
registrierten erstauffälligen Konsumenten harter Drogen
hat sich im Jahr 1998 um 1,7 Prozent auf rund 21 000
Personen erhöht. 1998 verstarben bundesweit 1 674
Menschen im Zusammenhang mit dem Mißbrauch von
Betäubungsmitteln. Dies ist ein dramatischer Anstieg
von 11,5 Prozent. Der Anteil von Jugendlichen mit Drogenerfahrung hat weiterhin stark zugenommen.
Diese Zahlen sind nicht nur erschreckend; vielmehr
wird durch sie verstärktes Handeln gefordert. Die
Koalition wird daher die von ihr definierten Grundlagen
und Zielsetzungen einer neuen Sucht- und Drogenpolitik
zielstrebig umsetzen. Darin einbezogen werden auch die
Folgen des Nikotin-, Alkohol- und Medikamentenmißbrauchs.
({2})
Im Rahmen der Haushaltsberatungen ist es der
Koalition gelungen, Bereiche mit gewachsener gesundheitspolitischer Bedeutung von Kürzungen auszunehmen. Kürzungen als solche waren vonnöten. Ich werde
darauf noch zu sprechen kommen. Wenn aber Ansätze
nach unserer Einschätzung von zentraler Bedeutung
sind, dann haben wir sie sogar angehoben. Dies gilt auch
für die Qualitätssicherung in der Medizin und für die
Verbesserung der Selbstversorgung mit Blut und Blutprodukten.
Bei der Gestaltung des diesjährigen Haushalts ist es
wesentlich gewesen - das haben schon einige Vorredner
gesagt -, daß man auch die Ist-Zahlen des abgelaufenen
Haushaltsjahres kannte, die wahrhaftig das widerspiegeln, was in der Politik tatsächlich umgesetzt worden ist.
Nicht die Ansätze selbst, sondern die Umsetzung dieser
Ansätze ist das Entscheidende.
Der Regierungsentwurf 1999 basiert in wesentlichen
Teilen sicherlich auf dem Entwurf der alten Regierung.
Wir haben jedoch eine Reihe von - aus unserer Sicht
notwendigen - Verbesserungen eingebracht. Auf einige
davon möchte ich hinweisen. Der Ansatz für die Gesundheitsberichterstattung konnte angehoben werden.
Die Verpflichtungsermächtigungen für Maßnahmen der
Qualitätssicherung wurden erhöht. Erstmals wurden
auch Mittel für die Einführung einer Kosten- und Leistungsrechnung im Paul-Ehrlich-Institut veranschlagt.
Diese Rechnungen haben Pilotcharakter für den Geschäftsbereich, vielleicht auch für andere Ressorts.
Im Gesundheitsetat wurde aber nicht nur zugelegt.
Einsparpotentiale haben wir ebenso genutzt. Bei den Erstattungen der Aufwendungen für Krankenkassenleistungen an Aussiedler erfolgte eine Anpassung des Titels an die sinkenden Aussiedlerzahlen. Gleiches gilt für
Leistungen des Bundes bei den Aufwendungen nach
dem Mutterschutzgesetz. Auch dort sind die Zahlen - ob
man es beklagen will oder nicht - zurückgegangen.
Zur Umsetzung neuer gesundheitspolitischer Ziele im
Drogenbereich bleibt es durch Aufstockung des Regierungsansatzes bei den Vorjahresansätzen. Dies gilt auch
für die Aids-Aufklärung. Die Gesamtzahl der HIVInfektionen in Deutschland wird auf 50 000 bis 60 000
geschätzt. Trotz intensiver Bemühungen durch diese
Aufklärungskampagnen kommen jährlich bedauerlicherweise 2 000 bis 2 500 Neuinfektionen hinzu. Wir
haben deshalb gemeinsam dafür gesorgt, daß der Haushaltstitel wieder 18 Millionen DM beträgt. Damit liegt er
im übrigen deutlich über dem Ist-Ergebnis des Jahres
1998. Die von der Bundeszentrale für gesundheitliche
Aufklärung durchgeführte Aids-Präventionskampagne
ist von unverändert großer Bedeutung. Sie gilt im internationalen Vergleich als beispielhaft.
Wer über die gestalterischen Möglichkeiten eines
Haushalts spricht, der muß auch verdeutlichen, wo wenig oder gar kein Bewegungsspielraum ist. Der mit Abstand größte Haushaltstitel kommt mit 795 Millionen
DM - das ist fast die Hälfte des Einzelplanes - dem
Aufbau Ost zugute. Es geht hier um die im Pflegeversicherungsgesetz verankerten Finanzhilfen zur Förderung
von Investitionen in Pflegeeinrichtungen in den neuen
Ländern.
Wir haben uns erlaubt, diesen Ansatz um 5 Millionen DM
zurückzunehmen und die gesetzlich festgelegte Summe
zu unterschreiten. Dieser Betrag ist natürlich in einem
späteren Haushalt bereitzustellen. Wir nehmen aber so
eine Anpassung an die realen Erfordernisse in den neuen
Ländern vor, denn bislang wurden nur 70 Prozent der
bereitgestellten Mittel ausgeschöpft. Die Abforderungsquote schwankte übrigens zwischen den einzelnen Bundesländern deutlich: Die Spannbreite der abgeforderten
und ausgegebenen Mittel liegt zwischen 44 Prozent der
bereitgestellten Mittel im Land Berlin, 65 Prozent in
Sachsen, 66 Prozent in Thüringen und weit über 80 Prozent in den Ländern Mecklenburg-Vorpommern und
Brandenburg. Es sollte also keiner kritisieren, daß wir
den Ansatz um 5 Millionen DM zurücknehmen.
Schließlich hat die alte Regierung ja vor zwei Jahren
die Förderung für ein ganzes Jahr in Höhe von 800 Millionen DM ausgesetzt. Das sollten wir im Hinterkopf
behalten, denn auch diese Mittel sind nachträglich ab
dem Jahr 2003 bereitzustellen. Das gilt nicht nur hierfür
und für die 5 Millionen DM, sondern auch für die Verrechnung einer Vorleistung aus Mitteln der Pflegekasse
in Höhe von 1,1 Milliarden DM, auf die wir zurückgegriffen haben. Es geht also um rund 2 Milliarden DM,
die beim Aufbau Ost in Pflegeeinrichtungen fließen
müssen und die Haushalte der kommenden Jahre zusätzlich belasten werden.
Keine Gestaltungsspielräume im Haushalt gibt es
auch beim WHO-Beitrag, der mit 64 Millionen DM
nach den Pflegefinanzhilfen der größte Einzelposten im
Gesundheitsetat ist. Nimmt man noch die Personalausgaben im Ministerium und in den sechs Behörden und
Instituten des Ministeriums in Höhe von 270 Millionen
DM hinzu, so wird deutlich, daß die disponible Masse
vergleichsweise klein ist. Aber immerhin fließen rund
zwei Drittel des Einzelplanes in den investiven Bereich.
Dies ist arbeitsmarktpolitisch ja ein durchaus nennenswerter Beitrag.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, mit dem Bundeshaushalt ist es, soweit er es zuläßt, nicht nur gelungen,
neue fachliche Akzente in der Gesundheitspolitik zu setzen. Der Einzelplan 15 hatte auch seinen Part im Rahmen der dringend notwendigen Haushaltskonsolidierung zu leisten. Dies ist durch Einsparungen und Strekkung von Investitionen in der Größenordnung von rund
1,3 Prozent, gemessen am Regierungsentwurf, gelungen.
Schließlich war bei der Veranschlagung von Investitionen wie auch bei allen neuen Zuschußmaßnahmen an
Verbände, Einrichtungen des Gesundheitswesens, zur
Förderung der gesundheitlichen Selbsthilfe und auch im
Rahmen der Förderung von Pflegeeinrichtungen das sogenannte Kassenwirksamkeitsprinzip zu beachten. Im
übrigen - das ist auch schon einmal festgestellt worden
- verbleibt uns nach der Wahl für die Umsetzung vieler
Haushaltstitel im Jahr 1999 nur ein gutes halbes Jahr.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Nagelprobe für
die Konsolidierung der Staatsfinanzen kommt erst noch
mit dem Haushaltsjahr 2000. Dieses Haushaltsjahr ist
durch strukturelle Defizite, Risiken und Konsequenzen
aus den genannten Urteilen in zweistelliger Milliardenhöhe vorbelastet. Ich gehe davon aus, daß auch der Einzelplan 15 hierfür in Zukunft seinen Teil zu erbringen
haben wird, und dies, obgleich Herr Seehofer in der
Vergangenheit durch ständige Kürzungen die präventive
und soziale Gesundheitssicherung gefährdet hat.
Mit 1 Prozent Einsparung wird es dann sicherlich in
Zukunft nicht getan sein. Die Haushaltsberatungen 1999
im Haushaltsausschuß haben ein Stück weit die Arbeit,
die uns im Herbst dieses Jahres erwartet und die sich
ungleich schwerer gestalten wird, vorbereitet. Ich erwähne das auch deshalb, weil bei Kürzungen immer sofort von den Zuwendungsempfängern ein Vertrauensschutz eingeklagt wird. Deshalb richte ich schon heute
an diese und ebenso an die Behörden und Institute des
Ministeriums den Hinweis: Weiteres Sparen ist angesagt, aber dazu auch Ideenreichtum, um die vorhandenen, wenn auch knapperen Mittel künftig optimal einzusetzen. Die Kunst ist es eben, mit gleichen oder geringeren Ansätzen eine bessere Politik zu machen. Das wollen wir tun.
({3})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich möchte mich
abschließend bei den Berichterstatterkolleginnen und
-kollegen für die Zusammenarbeit bedanken. Die meisten der Positionen, auch wenn Sie heute diesem HausWalter Schöler
halt nicht zustimmen werden, sind ja einvernehmlich
getragen worden. Ebenso möchte ich mich bei der Ministerin und ihrem Haus für die gute Zuarbeit und Vorarbeit bedanken. Wir werden alles dafür tun, die Gesundheitspolitik der rotgrünen Koalition im Interesse der
Menschen zu einer Erfolgsstory werden zu lassen.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
({4})
Die Redezeit wurde
auf die Sekunde genau eingehalten. Dafür herzlichen
Dank.
Das Wort hat nun der Kollege Dr. Dieter Thomae,
F.D.P.-Fraktion.
Frau Präsident! Meine
sehr geehrten Damen und Herren! Im Haushalt des Gesundheitsministeriums ist ein wichtiger Posten aufgestockt, nämlich der Posten im Bereich Aids. Das ist eine
wichtige Entscheidung. Wenn ich aber auf die Versprechungen der SPD in den letzten Jahren zurückschaue,
das Problem Hepatitis in den neuen Bundesländern unbedingt zu lösen, dann bin ich etwas enttäuscht. Für die
Lösung sehe ich überhaupt keinen Ansatz. Die von Ihnen gegebenen Versprechen sind nicht realisiert worden.
Ich sage sehr deutlich: Wir müssen die Thematik „Hepatitis und Hepatitisverhinderung“ insgesamt in die Diskussion aufnehmen, denn dies ist ein Krankheitsbild, das
nennenswert zunimmt. Wir dürfen nicht nur Schwerpunkte hinsichtlich der Aids-Thematik, sondern müssen
sie auch hinsichtlich der Hepatitis-Thematik setzen.
Diese Bundesregierung hat das sogenannte Vorschaltgesetz auf den Weg gebracht. Mit diesem Vorschaltgesetz haben Sie Veränderungsraten festgelegt, die
für West und Ost unterschiedlich sind. Jetzt zeigt es
sich, daß auf Grund der Tarifabschlüsse eine große Diskrepanz besteht. In den neuen Bundesländern stellen wir
fest, daß auf Grund der Minusrate sehr große Probleme
auftauchen. Es ist unverantwortlich, was Sie mit diesen
Veränderungsraten bewirken. Sie können diese Entwicklung in den neuen Bundesländern nicht mehr verantworten!
({0})
Wenn Sie nicht bereit sind, dem Antrag der F.D.P.
zuzustimmen, werden wir in den neuen Bundesländern
sehr deutlich vorführen, daß Sie sowohl für die Patienten
als auch für die Arbeitskräfte und für die Infrastruktur
insgesamt - gerade in den neuen Bundesländern - eine
falsche politische Entscheidung getroffen haben.
Es gibt auch Probleme in den alten Ländern. Es zeigt
sich immer wieder, daß eine pauschale Kürzung einfach
nicht machbar ist, weil die Situation der jeweiligen
Krankenhäuser sehr unterschiedlich ist. Daher gehen Sie
den falschen Weg. Wir wollen deshalb eine entsprechende Veränderung.
Sie reden ebenfalls von Patientenrechten. Gleichzeitig nehmen Sie durch das Vorschaltgesetz den Patienten das Grundrecht auf Wahlmöglichkeit zur Kostenerstattung. Dieses Grundrecht wird einfach gekippt.
({1})
Ich bin daher froh, daß dieser Gesetzentwurf vorliegt.
Sie müssen nämlich jetzt den protestierenden Bürgern
sagen, daß Sie keine Wahlmöglichkeit zur Kostenerstattung wollen. Sie müssen nun diesen Standpunkt vertreten und können angesichts der Tatsache, daß Sie ein
Grundrecht abschaffen, nicht mehr davon reden, daß die
Rechte der Patienten permanent gestärkt werden. In
meinen Augen ist dies ein Treppenwitz.
({2})
Ich komme zum Vertrieb der Arzneimittel. Über
viele Jahrzehnte, ja noch länger kennen wir den regulären Vertrieb der Arzneimittel über die öffentliche Apotheke. Ich sehe überhaupt nicht ein, daß wir im Arzneimittelbereich Veränderungen schaffen und einen Direktvertrieb zu den Ärzten realisieren. Wir werden beantragen, diese Thematik im Rahmen einer Anhörung ausführlich zu diskutieren. Dann werden wir politisch entscheiden. Ich sage Ihnen aber von vornherein: Es ist
falsch, diesen Weg zu gehen.
({3})
Ich komme nun zu der phantastischen Gesundheitsreform. Ich weiß eigentlich nicht, wer für diese Reform
verantwortlich ist.
({4})
Ich weiß nicht, ob die SPD und die Grünen hinter diesem Arbeitspapier stehen. In diesem Zusammenhang
hört man sehr unterschiedliche Aussagen. Ich weiß nur,
daß die Ministerin ein Arbeitspapier auf den Tisch gelegt hat; jetzt müssen wir darüber diskutieren. Welche
Position die SPD einnimmt, kann ich aus diesem Papier
nicht erkennen. Ich habe schon sehr häufig Kritik von
vielen Fachleuten aus der SPD-Fraktion, aber auch aus
den Ländern gehört, die die von der Ministerin im
Arbeitspapier festgelegten politischen Entscheidungen
vehement ablehnen.
Ich frage Sie wirklich ernsthaft: Was ist das für eine
Koalition, die sich vorgenommen hat, eine Gesundheitsreform zu realisieren, und die schon im ersten Schritt so
unterschiedliche Auffassungen zeigt, daß ich überhaupt
nicht erkennen kann, wie gemeinsame Wege beschritten
werden können? Meine Damen und Herren aus der Regierungskoalition, der Start war chaotisch und miserabel. Das sage ich Ihnen sehr deutlich.
({5})
Ich will nun auf einige Punkte eingehen, die in dem
Arbeitspapier formuliert worden sind. Ich gehe davon
aus, daß sie von der Ministerin formuliert worden sind,
weil ich gehört habe, daß dieses Arbeitspapier der SPDFraktion zugestellt worden ist. So höre ich es und kann
nicht erkennen, daß hier Zusammenarbeit besteht.
Zum Globalbudget. Viele Wochen und Monate diskutierte Deutschland: Was ist ein Globalbudget? Das
Globalbudget wird durch sektorale Budgets gestützt.
Wie das Globalbudget und die sektoralen Budgets zusammenpassen, werden wir im Gesetzentwurf hoffentlich genau erkennen können.
({6})
Aber wie schizophren die gesamte Thematik ist, will ich
Ihnen an einem Beispiel zeigen.
({7})
Wir kennen das alte Thema Arzneimittelbudget. Das
Arzneimittelbudget haben Sie formuliert und auch im
Vorschaltgesetz vehement eingeführt. Jetzt stellen Sie
fest, daß alles darauf hindeutet, daß dieses Arzneimittelbudget in den neuen Bundesländern ab Ende des Sommers überschritten ist, in den alten Ländern ab September. Da sagt die Ministerin am 1. Mai in Leipzig: Dann
machen wir halt ein Notprogramm. Aber wie dieses
Notprogramm aussehen soll, weiß ich nicht. Schon nach
einem halben Jahr geht auf Grund einer politischen Entscheidung alles in die Luft, weil die Arzneimittelbudgets
falsch formuliert worden sind. Wir wollen nicht über die
chaotische Auseinandersetzung in der Ausschußsitzung
zu dieser Thematik sprechen; ich halte mich da zurück.
Aber wenn Sie Arzneimittelbudgets formulieren, dann
müssen Sie das praxisorientiert tun. Sie wissen, daß wir
die Budgets ablehnen, weil wir davon überhaupt nichts
halten.
({8})
Das Ganze wird Ihnen große Probleme bereiten. Machen Sie nur weiter so! Auch Sie werden noch erkennen,
welchen Betrug Sie an den deutschen Patienten begangen haben. Sie haben gesagt, Sie reduzieren die Zuzahlung - große Begeisterung bei den Patienten, was
ich verstehen kann. Gleichzeitig reduzieren Sie aber das
Arzneimittelbudget, so daß der Arzt diese Arzneimittel
den Patienten, die sie dringend brauchen, nicht mehr
verschreiben kann. Das ist der Betrug, den Sie vorangetrieben haben.
({9})
Gestatten Sie eine
Zwischenfrage des Kollegen Klaus Kirschner?
Ja, bitte schön.
Bitte sehr.
Herr Kollege Dr. Thomae,
können Sie mir sagen, wie Sie medizinisch begründen
wollen, daß wir in den ersten zwei Monaten Arzneimittelausgabensteigerungen von 12,9 Prozent in den alten Ländern und 12,7 Prozent in den neuen Ländern hatten?
Antworten Sie mir jetzt nicht, das läge an der Grippe; die
haben wir alle Jahre. Sie müssen schon erklären, wieso
diese Ausgabensteigerung medizinisch notwendig ist.
Sehr geehrter Herr
Kirschner, Sie können für die Formulierung des Arzneimittelbudgets, wie Sie es jetzt im Gesetzentwurf
getan haben, nicht den Durchschnitt der KVen als
Grundlage nehmen, denn zwischen den einzelnen Regionen gibt es sehr große Unterschiede im Verhältnis
von stationärer und ambulanter Behandlung, was Sie,
wenn Sie sich die Mühe machen, feststellen können. In
den neuen Bundesländern sind seit der Wiedervereinigung massiv Betten abgebaut worden; die Patientenbetreuung ist vom stationären in den ambulanten Bereich
verlagert worden. Dies ist ein Punkt, den Sie bei der
Arzneimittelbudgetformulierung überhaupt nicht berücksichtigt haben.
({0})
- In den alten Ländern haben wir ähnliche Strukturen.
Sie wissen ganz genau, Herr Kirschner, daß in Niedersachsen die Strukturen, das Verhältnis von stationärer
und ambulanter Versorgung, ganz anders sind als beispielsweise in Hessen. Sie können das Arzneimittelbudget nicht pauschal formulieren. Wenn Sie es machen,
begehen Sie einen großen Fehler. Sie werden sehen:
Damit kommen Sie nicht weiter.
Gestatten Sie noch
eine Zwischenfrage? - Herr Kollege, bitte sehr.
Herr Kollege Thomae, könnten Sie mir bestätigen, daß die Ausgabensteigerung bei den Arzneimitteln in den alten Ländern
vielleicht darauf zurückzuführen ist, daß durch die Reduzierung der Zuzahlungen der Unterschied zwischen
den Zuzahlungen für die verschiedenen Packungsgrößen jetzt nur noch 1 DM beträgt und der Verkauf der
Großpackungen im ersten Quartal in Deutschland um
25 Prozent gestiegen ist? Das muß natürlich zu höheren
Ausgaben führen.
({0})
Von den Regierungsfraktionen wurde immer bestritten, daß Zuzahlungen
eine steuernde Wirkung haben. Jetzt ist es viel brutaler,
weil die Patienten die Arzneimittel nicht mehr bekommen, da das Arzneimittelbudget ausgeschöpft ist. Das
heißt, wenn sie dieses Arzneimittel haben wollen, müssen sie 100 Prozent zuzahlen. Das ist die Sozialpolitik
dieser Bundesregierung. Das ist beschämend.
({0})
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich ein weiteres Stichwort nennen, das Stichwort „monistische Finanzierung“. Ich sage es bewußt: Auch die F.D.P.
möchte die monistische Finanzierung. Wenn ich aber
lese, wie diese Gesundheitsministerin die monistische
Finanzierung auf den Weg bringen will, kann ich nur
sagen: Bei dieser Konzeption gehen die Bundesländer
hoch, da sie von den Phrasen, die dort formuliert sind,
überhaupt nichts halten. Und anders als als Phrasen kann
ich dies nicht bezeichnen; denn es gibt keine ArgumenDr. Dieter Thomae
te, keine sachliche Formulierung und keine Voraussetzung, um dies zu finanzieren.
({1})
Die Krankenkassen werden nie in der Lage sein, das
aus ihren Ersparnissen zu finanzieren, wenn die Länder
nicht andere Aufgaben übernehmen. Eine realistische
Politik kann dies nicht sein. Es ist beschämend, daß Sie
so etwas bisher geduldet haben und nicht verstärkt Protest angemeldet haben.
Nächster Punkt: Körperschaften. Warum wollen Sie
als Gesetzgeber die Körperschaften zwingen, anders zu
handeln, als die Körperschaften intern entscheiden? Eine
Körperschaft hat das Recht, selber über die Organisationsform zu entscheiden. Dafür ist der Gesetzgeber nicht
geeignet.
({2})
Ein weiterer Punkt: Positivliste. Sie haben viele Jahre
lang über eine Positivliste diskutiert und sich für diese
eingesetzt. Darüber kann man auch viel diskutieren.
({3})
Wir sind anderer Meinung.
Wenn Sie aber in dieses Arbeitspapier schreiben, daß
es zwei Positivlisten geben soll, dann kann ich nur noch
schmunzeln. Eine Positivliste zu formulieren wird schon
ausgesprochen schwer sein. Zwei zu formulieren wird
Ihnen aber nie gelingen, da Ihnen die Abgrenzung in
diesem System einfach nicht möglich ist. Von daher ist
dieser Gedankengang wie auch die zuvor genannten
chaotisch.
({4})
Jetzt zur Qualitätssicherung. Dies ist für Sie ein
großer Traum, für mich auch. Es stellt sich aber die Frage: Wie gehen wir an die Qualitätssicherung heran? Sie
wollen diese mit planwirtschaftlichen Maßnahmen angehen. Sie wollen den Medizinischen Dienst verstärken.
Ich sage Ihnen: Sie können das machen, wie Sie wollen.
Sie können Geld investieren. Aber Sie werden keinen
Erfolg haben. Sie werden nur dann eine vernünftige
Qualitätssicherung auf den Weg bekommen, wenn Sie
die Fort- und Weiterbildung in diesem Bereich intensivieren. Mit Überwachung werden Sie dies nie schaffen.
Letzter Punkt, das Schlagwort der Ministerin: Patientenschutz. Jetzt sollen die Verbraucherverbände
plötzlich ganz neue Aufgaben übernehmen. Haben Sie
einmal die Patienten gefragt, ob sie dies überhaupt wollen? Sie wollen Geld aus dem gesetzlichen System herausnehmen und es den Verbraucherverbänden geben,
um Beratung zu betreiben. Ich sage Ihnen: Der Patient
möchte ein Vertrauensverhältnis zum Arzt haben, und in
diesem Sinne wird er medizinisch betreut. Dazu braucht
er keine Verbraucherverbände.
({5})
Dies ist ein völlig falscher Weg. Er ist ideologisch
besetzt, und mit dieser Ideologie werden Sie scheitern,
meine Damen und Herren.
Dieses Arbeitspapier ist chaotisch, realitätsfern und
überhaupt nicht praktikabel. Von daher hoffe ich, daß
die SPD so vernünftig ist, diesen Plan nicht zu unterstützen.
({6})
Nun erteile ich der
Kollegin Katrin Göring-Eckardt, Bündnis 90/Die Grünen, das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren!
Herr Thomae, Sie haben gerade gesagt, wir seien unverantwortlich, wenn wir dem Antrag der F.D.P. nicht zustimmten.
({0})
Ich glaube, daß diese Regierung in der Vergangenheit
insofern verantwortlich war - das gilt auch für die Zukunft -, als sie diskussionsbereit war. Diese Diskussionsbereitschaft haben wir an verschiedenen Stellen unter
Beweis gestellt, das werden wir auch hier tun.
({1})
Die Schwierigkeiten, die es in Ostdeutschland zweifelsohne gibt, werden wir zu besprechen haben. Das werden
wir auch tun, und zwar mit den Betroffenen. Dazu gehört nicht die F.D.P.-Bundestagsfraktion.
({2})
Aus diesem Grund, Herr Thomae, werden wir gründlich
diskutieren und eine sinnvolle Lösungsmöglichkeit vorschlagen.
Wenn wir heute über den Haushalt sprechen, so tun
wir das natürlich vor dem Hintergrund der Ziele, die mit
neuen Wegen in der Gesundheitspolitik insgesamt verbunden sind, mit Wegen, die zu mehr Eigenverantwortung und Selbstbestimmung hinführen sollen und die die
Ökonomie bei der Versorgung und die Qualität in der
Versorgung sicherstellen. Natürlich hat die Koalition
intensive Debatten geführt. Auch Sie haben das verfolgt.
Wir werden das auf der Grundlage des vorgelegten Arbeitspapieres auch weiterhin tun. Das ist so verabredet
worden.
Die Tatsache, daß Sie bei der Qualitätssicherung und
der Positivliste jahrelang keinen Erfolg gehabt haben,
({3})
berechtigt Sie nicht, zu sagen, daß wir keinen Erfolg haben werden. Wir in der Koalition werden Sie eines Besseren belehren.
({4})
Sie werden sehr wohl lernen müssen, daß wir gemeinsam eine echte Reform zustande bringen und daß Wettbewerb um Qualität sowie das Einbeziehen der Patientinnen und Patienten in alles, was zur Gesunderhaltung
und zum Gesundwerden gehört, auf neuen Wegen auch
außerhalb der Krankenversicherung umgesetzt werden.
Auch das wird in dem vorliegenden Haushalt ersichtlich.
({5})
Welche Leistungen erbracht werden dürfen, ist bzw.
wird gesetzlich festgelegt. Warum aber entscheiden nach
wie vor in der Regel Ärzte und Ärztinnen, welche Leistungen der Patient tatsächlich erhält? Warum stoßen
Patientinnen und Patienten selbst dann mitunter auf Widerstand, wenn sie den Hintergrund von Entscheidungen
erfragen? Versicherte und Patienten fühlen sich immer
mehr dem von Ihnen hinterlassenen undurchsichtigen
System von Regelungen und Möglichkeiten ausgeliefert.
({6})
Ein System, das souveräne Entscheidungen zuläßt, ja
vorsieht und fördert, ein System, das Leistungserbringer
und Patienten zu echten, gleichberechtigten Partnern
macht, ein solches System braucht Transparenz, Flexibilität und das Zulassen von Wahlmöglichkeiten. Genau das schlagen wir vor. Der vorliegende Arbeitsentwurf im Rahmen der Gesundheitsstrukturreform ist ein
Anfang auf diesem Weg, der aus meiner Sicht das
Überleben des Systems insgesamt sichert. Wir müssen
darüber mittel- und langfristig weiterdiskutieren.
Die Fragen, welche Leistungen im solidarischen System künftig und langfristig erbracht werden sollen, wie
sie erbracht werden, wie Quantität und Qualität abgesichert werden, sind nämlich keine Fragen, die allein die
Politik und die Verbandsvertreter miteinander ausmachen können. Hier steht eine gesellschaftliche Debatte
an, an der sich alle beteiligen müssen, weil alle davon
betroffen sind.
({7})
Nur wer wahrnimmt, daß er wahrgenommen wird und
daß er Einfluß nehmen kann, der wird sich beteiligen
können.
Die Vorschläge zur Strukturreform enthalten dafür
nötige Elemente:
Erstes Beispiel: Die stärkere Anbindung an den
Hausarzt hat natürlich unter anderem zum Ziel, für
mehr Kommunikation zu sorgen, und zwar nicht nur
für Kommunikation zwischen Hausarzt, Facharzt und
Krankenhaus, sondern in erster Linie für Kommunikation mit Patientinnen und Patienten.
Zweites Beispiel: die integrierte Versorgung.
({8})
Dort, wo die Verantwortung für Wirtschaftlichkeit und
Qualität in einem hohen Maße auch dezentral wahrgenommen wird, haben Patientinnen und Patienten vor Ort
mehr Möglichkeiten, darauf Einfluß zu nehmen. Gerade
Praxisnetze oder Verbundformen, die an die alten DDRPolikliniken anknüpfen, haben schon heute ein hohes
Interesse an der Beteiligung der Kompetenz von Patientinnen und Patienten.
Drittes Beispiel: Gesundheitsvorsorge, Patientenschutz und Selbsthilfe erhalten einen neuen Stellenwert. Unabhängige Beratungsstellen sichern den Versicherten vor allem vor einer Erkrankung Information und
Beratung. Das tut dem Vertrauensverhältnis zu Ärztinnen und Ärzten, das wir nicht in Abrede stellen, sondern
fördern und zusätzlich flankieren wollen, keinen Abbruch.
All das sind wichtige Schritte hin zu mündigen Bürgerinnen und Bürgern, die wissen: Sie stehen im Mittelpunkt des Gesundheitssystems, und sie sind Akteure.
({9})
Die im vorliegenden Haushalt vorgesehenen Schwerpunktsetzungen beziehen sich gerade darauf. Damit machen wir Schluß mit dem in den vergangenen Jahren anhaltenden Trend zu einem reinen Verwaltungsetat.
Lassen Sie mich also auf die durch den Haushalt
flankierten Maßnahmen der offensiven Einbeziehung
von Patientinnen und Patienten zu sprechen kommen.
Erstens. Der Etat für die Öffentlichkeitsarbeit wurde
erhöht. Angesichts der angestrebten umfassenden Reform halten wir es für dringend geboten, die Interpretation der neuen Regelungen nicht Dritten zu überlassen.
Patientinnen und Patienten sollen selbst und direkt erfahren, welche neuen Möglichkeiten sie erhalten.
Der langjährige Trend, die Ausgaben für die gesundheitliche Aufklärung zu reduzieren, ist seit dem Vorjahr gestoppt. Der unverändert hohe Aufklärungsbedarf,
insbesondere bei Kindern und Jugendlichen, zeigt die
Dringlichkeit dieses Etatansatzes. Gerade in Kindergärten und Schulen muß viel mehr Wert auf Gesundheitserziehung gelegt werden. Die üblichen Appelle für gesundes Pausenbrot reichen nicht aus.
({10})
Aber auch für Erwachsene muß die Bundeszentrale
neue und adäquate Angebote machen. Die künftige
Neuorientierung der Bundeszentrale für gesundheitliche
Aufklärung mit den Schwerpunkten Qualitätssicherung,
Marktübersicht, Konzeptentwicklung und Kooperation
steht in unmittelbarem Zusammenhang mit den Zielen
der Gesundheitsstrukturreform im Sinne von Selbstbestimmung und Eigenverantwortung.
Daß die neue Bundesregierung auch neue Wege in
der Drogenpolitik geht, ist bekannt und auch an diesem
Haushalt ersichtlich. Die neuen Modellversuche, beispielsweise zur heroingestützten Behandlung Opiatabhängiger, sind hierzu ein wichtiger Schritt. Ich bin froh,
daß wir dies im Sinne der betroffenen Menschen auf den
Weg bringen. Daß dies in der Vergangenheit fast ohne
ideologisierte Streitigkeiten stattfinden konnte, liegt
auch an der Arbeit der Drogenbeauftragten, für die ich
mich ausdrücklich bedanken möchte.
({11})
Lassen Sie mich abschließend noch etwas zu dem
hier auch zu beratenden Gesetz über den Vertriebsweg
des zur Zulassung beantragten Arzneimittels Mifegyne,
bekannt unter RU 486, sagen. Hier soll die Voraussetzung dafür geschaffen werden, daß der medikamentöse
Schwangerschaftsabbruch in Deutschland möglich ist,
sobald ein entsprechendes Arzneimittel zugelassen ist.
Sie wissen, daß davon die in § 218 StGB getroffenen
Bestimmungen nicht berührt sind. Sie wissen auch, daß
es sich hierbei um eine Ausnahmeregelung handelt, die
der Sorgfalt geschuldet ist, mit der wir hier vorgehen
wollen. Diese Sorgfalt hat nichts mit Mißtrauen gegenüber den Apothekerinnen und Apothekern zu tun,
({12})
sondern durch diese Sorgfalt soll sichergestellt werden,
daß die Frauen und deren Sicherheit im Vordergrund
stehen. Frau Schmidt-Zadel wird noch etwas dazu sagen.
Ich denke, das sollte unser gemeinsames Anliegen sein.
Auch hier ist jede Polemik völlig unangebracht.
Vielen Dank.
({13})
Ich erteile nun das
Wort der Kollegin Dr. Ruth Fuchs, PDS-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine
Damen und Herren! Für den heute zur Debatte stehenden Einzelplan des Gesundheitsministeriums für das
Jahr 1999 muß kritisch festgestellt werden, daß er die
gleichen Grundstrukturen aufweist wie die Einzelpläne
in den vergangenen Jahren.
({0})
Wie gewohnt, wird er von Fortschreibungen und Kürzungen geprägt. Vor diesem Hintergrund und angesichts
des nahezu völligen Fehlens neuer Ansätze werden wir
den vorgelegten Einzelplan 15 ablehnen.
({1})
Wichtiger als der Haushalt ist die vorgesehene Reform des Gesundheitswesens im ganzen.
({2})
Ich denke, vor allem daran wird diese Regierung zu
messen sein. Nachdem das Anfang März veröffentlichte
Eckpunktepapier keineswegs Klarheit über den diesbezüglichen Kurs brachte, hat die Ministerin jetzt einen
Arbeitsentwurf vorstellen lassen. Allerdings hat dieses
Papier die Sorgen um das Schicksal der dringend notwendigen und wichtigen Reform nicht verringern können.
Natürlich begrüßen wir die Absichten des Ministeriums, an den solidarischen Grundlagen des Gesundheitssystems oder an solchen Prinzipien wie der paritätischen
Finanzierung oder der Sachleistung festzuhalten. Auch
wir meinen, daß es richtig ist, zu mehr Zusammenarbeit
im Gesundheitswesen, zu integrierten Versorgungsformen, zu rationellerer Arzneimittelversorgung, zu einer
stärkeren Rolle der Hausärzte und nicht zuletzt auch zu
mehr Prävention, Selbsthilfeförderung und besserer Rehabilitation zu kommen.
Dennoch muß erneut festgestellt werden, daß das Reformvorhaben nach wie vor nicht zu Ende gedacht und
weit davon entfernt ist, ein überzeugendes Konzept darzustellen.
({3})
Als eines der wichtigen und übergreifenden Ziele wird
zum Beispiel die Stabilisierung der Krankenhausversicherungsbeiträge hervorgehoben. Dies soll mit Hilfe
eines Globalbudgets erreicht werden, welches sich an
der jährlichen Steigerung der Grundlohnsummen orientiert. Abgesehen davon, daß unklar bleibt, wie ein solches Budget praktisch funktionieren kann, wird damit
kaum berücksichtigt, daß die gesetzlichen Krankenversicherungen keineswegs nur ein Ausgabenproblem, sondern vor allem und bis auf weiteres ein riesiges Einnahmeproblem haben, und zwar infolge sinkender Lohnquoten und hoher Arbeitslosigkeit. Hinzu kommt, daß
der Staat in der Vergangenheit über die bekannten Verschiebebahnhöfe oder auch wie beim Mutterschaftsgeld
eigenen Finanzierungsverpflichtungen auf Kosten der
GKV - statt mit Steuermitteln - nachgekommen ist.
Mit dem bisherigen Ansatz können die grundlegenden Finanzierungsprobleme des Gesundheitswesens weder kurz- noch langfristig gelöst werden. Wer dann aber
mit solcher Härte budgetiert, wie es die neue Regierung
schon für 1999 getan hat und es auch künftig zu tun beabsichtigt, muß sich die Frage gefallen lassen, ob er die
Aufgabe der Gesundheitspolitik vorrangig in einer Senkung der Lohnnebenkosten oder vielmehr in der Verbesserung der gesundheitlichen Versorgung der Bevölkerung sieht. Es ist dieser grundlegende Zielkonflikt, in
den sich die Regierung ohne zwingende Notwendigkeit
begeben hat. Er hatte schon die Auseinandersetzung
über das kleinere Vorschaltgesetz geprägt. Die jetzt vorgesehene Reform läuft ebenso Gefahr, an diesem Zielkonflikt zu scheitern.
An dieser Stelle möchte ich deutlich darauf hinweisen, daß die bisher mangelnde Wahrnehmung der speziellen Finanzprobleme des Gesundheitswesens in Ostdeutschland und insbesondere auch ihrer politischen
Brisanz erschreckend ist. Die Schaffung gleicher Voraussetzungen für die medizinische Versorgung in den
neuen Bundesländern ist verständlicherweise eine Forderung, die die Menschen stark bewegt, deren Erfüllung
sie mit Vorrang erwarten
({4})
und die deshalb nicht weggeschoben werden darf, sondern aktiv vorangetrieben werden muß.
Exakt vor diesem Hintergrund, Herr Thomae, geht es
bei dem heute von der F.D.P.-Fraktion zur Beratung vorgelegten Gesetzentwurf darum, daß durch die mit dem
Vorschaltgesetz für das Jahr 1999 festgelegten Budgetierungen und durch die höheren Tarifabschlüsse dieses Jahres vor allem in den ostdeutschen Bundesländern ernste
Finanzierungsschwierigkeiten entstanden sind.
({5})
Für die Krankenhäuser wird die Differenz zwar zu Teilen, aber keinesfalls vollständig durch die Kassen ausgeglichen. Damit ergibt sich de facto ein Rückgang der
zur Verfügung stehenden Mittel. Dies bedroht nicht nur
die Qualität der medizinischen Arbeit, sondern gefährdet
durch Einsparungen bei den Personalkosten auch Arbeitsplätze.
({6})
Diese Situation verlangt in der Tat rasche Abhilfe. Die
F.D.P. schlägt im Kern vor, Budgetierungskürzungen
nicht zuzulassen und die prognostizierte Veränderungsrate der Grundlohnsumme durch die tatsächliche des Jahres 1999 zu ersetzen, die etwas günstiger ausfallen könnte. Da die negative Grundlohnsummenentwicklung in den
neuen Bundesländern aber nicht nur durch die niedrigen
Löhne, sondern vor allem auch durch höhere Arbeitslosigkeit bedingt ist, wird dies allein den notwendigen Ausgleich nicht gewährleisten können.
Wir meinen - sie können sich überlegen, ob Sie da
mitgehen, Herr Thomae -: Wer für eine entsprechende
Vergütung der ostdeutschen Krankenhäuser und Ärzte
sowie für die volle Finanzierung der tarifbedingten
Mehrbelastung eintritt und wer darüber hinaus will, daß
das Versorgungsniveau auch dort gehalten und fortentwickelt werden kann, der muß konsequenterweise den
raschen und vollständigen Abbau der in der GKV noch
immer bestehenden Sozialmauer fordern.
({7})
In diesem Sinne ist die Bundesregierung auch unserer
Auffassung nach tatsächlich in der Pflicht, für eine verläßliche Finanzierung der medizinischen Versorgung in
Ostdeutschland noch in diesem Jahr und auch darüber
hinaus Sorge zu tragen.
Mit dem Entwurf der CDU/CSU-Fraktion für ein
Zehntes Gesetz zur Änderung des SGB V soll die mit
dem Vorschaltgesetz gerade abgeschaffte Möglichkeit
wieder eingeführt werden, daß sich Pflichtversicherte
in der GKV auch künftig für die Kostenerstattung entscheiden können. Wir halten das nicht für richtig, da das
Sachleistungsprinzip für eine soziale Krankenversicherung geradezu konstitutiv ist. Gemeinsam mit der solidarischen und paritätischen Finanzierung bildet es Grundlage dafür, daß die Versicherten nach gesundheitlichem
Bedarf und nicht nach individueller Zahlungsfähigkeit
medizinische Hilfe erhalten. Dies ist eine zivilisatorische
Errungenschaft, an der in keiner Weise gerüttelt werden
sollte und gerüttelt werden darf.
({8})
Mit dem heute ebenfalls vorliegenden Entwurf eines
Neunten Gesetzes zur Änderung des Arzneimittelgesetzes soll für Arzneimittel, die für einen medikamentösen
Schwangerschaftsabbruch in einer dazu befugten Einrichtung bestimmt sind, ein besonderer Vertriebsweg
eingeführt werden. Es wird festgelegt, daß diese Arzneimittel nicht über Großhandel und Apotheken, sondern nur direkt vom pharmazeutischen Hersteller an die
entsprechenden Einrichtungen, das heißt, an bestimmte
Krankenhäuser und Arztpraxen abgegeben werden dürfen. Wir halten es für richtig, daß auch hierzulande den
Frauen endlich die Möglichkeit eines medikamentösen
Schwangerschaftsabbruchs eingeräumt wird, wenn dies
im Einzelfall aus ärztlicher Sicht und individueller Entscheidung als schonendste Option erscheint. Ziel des
Gesetzes ist es, dafür zweckmäßige Voraussetzungen
hinsichtlich des Vertriebsweges zu schaffen. Wir halten
genau das für notwendig und werden das unterstützen.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
({9})
Ich erteile das Wort
der Kollegin Annette Widmann-Mauz, CDU/CSUFraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Gestatten Sie
mir zunächst eine Bemerkung zu dem, was uns Kollegin
Göring-Eckardt erzählt hat: Wenn Sie der Meinung sind,
daß die CDU/CSU mit ihrer Gesundheitspolitik keine
Erfolge aufzuweisen hat, dann muß ich Sie schon fragen: Wo sind denn die Patientinnen und Patienten, wo
sind denn die Leistungserbringer, die hinter Ihrer Ministerin stehen, die für sie auf die Straße gehen, die für
sie kämpfen? Wenn ich mir anschaue, was am Wochenende in Leipzig vor sich gegangen ist, dann muß ich
sagen: Im Gegenteil, alle am Gesundheitswesen Beteiligten sehnen sich schon heute, wenige Monate nach
Ihrer Regierungsübernahme, nach Horst Seehofer zurück.
({0})
Lassen Sie mich nun zu einem anderen Thema kommen: Die Bundesregierung hat eine Änderung des Arzneimittelgesetzes vorgeschlagen. Es geht um die Festlegung des Vertriebsweges für das Abtreibungspräparat
RU 486. Warum brauchen wir diese Änderung, wo liegt
das Problem, und wie kann eine Lösung aussehen?
Zunächst möchte ich Ihnen ganz ehrlich sagen: Ich
bin froh, daß die Bundesregierung - zumindest dies
zeigt der Gesetzentwurf - nun endlich erkannt hat, daß
es hier ein Problem gibt. Noch vor kurzem mußten wir
befürchten, daß die neue Regierung die Abtreibungspille
möglichst schnell auf den Markt bringen will und wir
dann, einmal mehr, die handwerklichen Fehler dieser
Regierung ausbügeln müssen. Es war doch Gerhard
Schröder in seinem Profilierungsdrang, der in voreiligem Gehorsam den französischen Pharmahersteller beinahe flehentlich aufgefordert hat, nun endlich eine ZuDr. Ruth Fuchs
lassung für das Präparat zu beantragen - so als ob ganz
Deutschland seit Jahren auf diesen Tag gewartet hätte.
({1})
- Liebe Frau Schmidt-Zadel, eine derartige politische
Einflußnahme durch einen Regierungschef ist einzigartig.
({2})
Selbst bei Arzneimitteln, die die Gesundheit fördern und
lebensschützend oder gar lebensverlängernd wirken, hat
es dies in der Geschichte dieses Landes noch nicht gegeben. Wir sprechen hier nicht von irgendeinem Präparat, sondern von einem, das ausschließlich dazu bestimmt ist, Leben zu beenden. Dieses Verhalten ist
schlichtweg skandalös.
({3})
Jetzt müssen wir die Konsequenzen ziehen. Die Zulassung des Präparates ist beantragt und steht laut Auskunft des Ministeriums Mitte des Jahres bevor. In einigen Monaten dürfte das Präparat in Deutschland erhältlich sein. Wir sind damit dem Druck ausgesetzt, jetzt
schnell entscheiden zu müssen, wenn wir nicht wollen,
daß eine Gesetzeslücke entsteht. Dies wäre in der Tat
verantwortungslos.
Denn eines ist wohl auch den leichtfüßigen Befürwortern von RU 486 mittlerweile klargeworden: Hier
handelt es sich nicht um irgendein Arzneimittel, gewissermaßen um eine Do-it-yourself-Abtreibungspille, die
in der Apotheke geholt und mal so eben eingenommen
wird. Diese Pille wirkt so sanft und schonend - wir haben das ja eben gerade gehört -, wie eine Fehlgeburt nun
einmal ist. Im Vergleich zur operativen Methode mag
das Verfahren einfacher sein, vor allem, weil es viel früher erfolgt. Sicherlich verringert die Vermeidung des
instrumentellen Eingriffs auch die Operations-, die Narkose- und die Infektionsrisiken.
Die Nachteile des medikamentösen Verfahrens sind
jedoch in keinem Fall zu unterschätzen. In der Öffentlichkeit, zumal bei jungen Frauen, darf nicht der
Endruck entstehen, daß es sich um eine Kleinigkeit handelt.
({4})
Von einer „Abtreibung light“ kann und darf keine Rede
sein.
Wir diskutieren heute nicht über den § 218, nicht über
die Pflichtberatung und auch nicht über die medizinischen und gesellschaftlichen Begleiterscheinungen
durch diese Pille.
({5})
- Sie haben ja den Gesetzentwurf eingebracht. Sie sollten schon wissen, was Sie in das Hohe Haus einbringen.
({6})
Wir diskutieren heute über die Frage, wie wir vermeiden können, daß das Präparat RU 486 in die falschen
Hände gerät. Der Gesetzentwurf plant analog zu den
Regelungen, die in Frankreich und Großbritannien gelten, den Vertriebsweg für RU 486 zu ändern. Mißbrauch und unkontrollierte Verwendung sollen ausgeschlossen werden. Die Abtreibungspille soll nur durch
Ärzte in Einrichtungen im Sinne des § 13 des Schwangerschaftskonfliktgesetzes angewendet werden und nicht
über die Apotheke erhältlich sein.
Eine strenge Kontrolle des Vertriebswegs ist ein
richtiger Ansatz, um einen möglichen Mißbrauch oder
gar eine Privatisierung von Abtreibung zu vermeiden.
Aber brauchen wir deshalb gleich einen Bruch im System? Muß es gleich der Weg sein, der die Apotheken
sozusagen aus dem Verkehr zieht? Das Problem sind
doch wohl nicht die Apotheken und die dort beschäftigten Apothekerinnen und Apotheker.
({7})
Die Apothekerinnen und Apotheker haben Fachkenntnisse. Sie sind dafür ausgebildet, mit der hochsensiblen
Ware Arzneimittel verantwortungsbewußt umzugehen.
Gerade dies begründet die weitreichende Apothekenpflicht von Arzneimitteln, also den Vertriebsweg über
die Apotheke. Dieses System hat sich bewährt.
Um keine Mißverständnisse aufkommen zu lassen: In
dem speziellen Fall von RU 486 sind auch wir aus
Gründen der Sicherheit, der Vorbeugung von Mißbrauch
und letztendlich auch des Schutzes der Frau für eine
strenge Kontrolle des Vertriebswegs. Auch wir wollen
nicht, daß die Frauen die Abtreibungspille in der Apotheke frei erwerben können und sie damit unkontrolliert
in die Hand bekommen. Aber müssen wir die Apotheken
deshalb ganz außen vor lassen? Warum kann im Fall
von RU 486, vergleichbar etwa mit der erforderlichen
Neuregelung des Arzneimittelgesetzes zur Zytostatikaversorgung, die Apotheke dem Arzt das Präparat nicht
direkt liefern? Für die direkte Belieferung der Arztpraxis
durch den Apotheker bräuchten wir nur das Apothekenwesengesetz und die Apothekenbetriebsordnung anzupassen.
Weitergehende Einschnitte im System, so wie die
Bundesregierung sie jetzt andenkt, sind unseres Erachtens nicht zwingend erforderlich.
({8})
Im Gegenteil: In der Apotheke stehen Apothekerinnen
und Apotheker, die ihr Fach gelernt haben. Sie sind mit
allen Arzneimittelfragen, sei es der Lagerung oder der
Dokumentation, bestens vertraut. Sie sind also kein Risikofaktor.
Muß die Zulassung nicht auch durch Richtlinien der
Bundesärztekammer, zum Beispiel zum Einsatz des Präparates, begleitet werden? Brauchen wir nicht eine besondere psychosoziale Betreuung? Der Abbruch muß
von den Frauen selbst vorgenommen werden und zieht
sich über einen Zeitraum von bis zu zwei Wochen hin.
Mit der vielgepriesenen Methodenfreiheit wachsen aber
auch die Verantwortung für den behandelnden Arzt und
mehr noch die psychische Belastung für die Frau. Wir
können die Frauen in dieser schwierigen Phase zwischen
Einnahme des Präparats und Abort doch nicht mit sich
und ihren schweren seelischen Belastungen allein lassen.
Das dürfen wir nicht zulassen.
({9})
Das alles sind noch offene Fragen, auf die die Bundesregierung bisher keine Antworten gegeben hat. Hier
gibt es also noch sehr viel Diskussions- und Handlungsbedarf. Auch deshalb plädieren wir dafür, eine entsprechende Anhörung noch in dieser Woche zu beschließen.
({10})
Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Regierungsfraktionen, machen Sie gerade in diesem Bereich
nicht wieder - ich will nicht sagen: alles besser - alles
anders. Lassen Sie uns im Ausschuß gemeinsam Antworten auf die noch offenen Fragen finden! Lassen Sie
uns eine Lösung finden, die das bewährte Apothekensystem nicht umkrempelt und die Apotheker nicht in ein
schlechtes Licht rückt! Nochmals: Die Apothekerinnen
und Apotheker sind nicht das Problem. Wir brauchen
eine Lösung, die Sicherheit gewährleistet und Vertrauen
schafft, und zwar auf allen Seiten.
({11})
Frau Kollegin Widmann-Mauz, das war Ihre erste Rede. Ich gratuliere
Ihnen dazu im Namen des ganzen Hauses.
({0})
Nun hat das Wort die Kollegin Regina SchmidtZadel, SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin!
Meine Damen und Herren! Frau Widmann-Mauz, Sie
haben von „schlichtweg skandalös“ gesprochen. Ich
kann Ihnen sagen, was in der Vergangenheit schlichtweg
skandalös war. Daß Sie den Frauen in dieser Republik
jahrelang dieses Präparat vorenthalten haben, war
schlichtweg skandalös.
({0})
- Das stimmt, und ich werde nachher noch darauf eingehen. Wir haben mehrere Anträge in diesem Haus eingebracht, die von Ihnen abgelehnt worden sind.
({1})
- Herr Zöller, ich zeige es Ihnen. Wir können uns darüber unterhalten; wir haben ja noch die Anhörung.
Sie haben den Bundeskanzler angesprochen. Dazu
muß ich sagen: Ich bin dem Bundeskanzler dankbar, daß
er sich für die Situation der Frauen in dieser Republik
eingesetzt und dazu etwas gesagt hat.
({2})
- Ich weiß, wenn ich rede, regen Sie sich auf. Ich habe
das aber gerne und kann damit umgehen. Wir werden
sehen, wer nachher in dieser Frage die Entscheidung
trifft.
({3})
Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte wird den Antrag des französischen Unternehmers
Exelgyne auf Zulassung des Präparates Mifegyne, früher RU 486, für den deutschen Markt positiv entscheiden. Ich denke, das ist der wichtigste Punkt. Daß den
deutschen Frauen voraussichtlich ab Juli endlich nach
langen Jahren mit heftigen Debatten und Auseinandersetzungen der medikamentöse Schwangerschaftsabbruch
zur Verfügung steht, ist genau das, wofür die Frauen der
SPD - nicht nur die Frauen in der SPD, sondern viele
Frauen in dieser Republik - über Jahre hinweg gekämpft
haben. Damit haben dann auch deutsche Frauen ebenso
wie längst die Frauen in Frankreich, England, Schweden
und in den USA die Wahl, sich für die im Vergleich mit
weniger gesundheitlichem Risiko verbundene Methode
des Schwangerschaftsabbruches zu entscheiden.
Wir, die Frauen in der SPD, haben uns seit vielen
Jahren für die Zulassung dieses Präparates ausgesprochen und dazu - ich will noch einmal daran erinnern eine ganze Reihe von Initiativen im Deutschen Bundestag ergriffen. Diese Initiativen wurden - dafür bin ich
sehr dankbar - stets auch von vielen Kolleginnen und
Kollegen aus den anderen Fraktionen unterstützt. Ich
erinnere an die Debatte über den Antrag, der Bundestag
möge den Hersteller von RU 486, damals noch Hoechst,
auffordern, die Zulassung zu beantragen. Das war ein
Antrag, der fraktionsübergreifend in diesem Haus gestellt worden ist. Daran möchte ich Sie erinnern, wenn
Sie sich heute so aufregen. Die Zustimmung, auch wenn
sie am Ende nicht für eine Mehrheit reichte, ging seinerzeit - ich will das noch einmal betonen - über alle Fraktionsgrenzen hinweg.
Ich verweise hier ganz bewußt auf dieses fraktionsübergreifende Bündnis der Frauen für Frauen, weil die
Verständigung über die Parteigrenzen hinweg ein wichtiger Aspekt ist, wenn Entscheidungen im Zusammenhang mit der Problematik des Schwangerschaftsabbruchs anstehen.
Frau Widmann-Mauz, Ihr Beitrag heute hat gezeigt,
daß es Ihnen nicht um das Präparat geht. Ihnen geht es
darum, eine neue Debatte über den § 218 zu entfachen.
Das werden wir an dieser Stelle nicht mitmachen.
({4})
Das gilt auch für den medikamentösen Schwangerschaftsabbruch. Ich würde mir wünschen, wenn die
Mehrheit, die seinerzeit fraktionsübergreifend das
Schwangerschaftskonfliktgesetz verabschiedet hat, auch
in dieser Frage zum Ausdruck käme.
Die Zeit der Grundsatzdebatten über das Für und Wider des Schwangerschaftsabbruches ist vorbei. Es geht
auch längst nicht mehr um die Frage, ob die Präparate in
Deutschland zugelassen werden sollen oder nicht. Es
steht fest: In zwei Monaten ist Mifegyne in Deutschland
auf dem Markt. Der Deutsche Bundestag hat es vor Jahren abgelehnt, eine Aufforderung zur Zulassung zu verabschieden. Jetzt kann er die Zulassung nach geltendem
Recht nicht mehr verhindern.
Der vorliegende Gesetzentwurf für eine neunte
AMG-Novelle führt einen Sondervertriebsweg ein, der
für Präparate - das kritisieren Sie - zum medikamentösen Schwangerschaftsabbruch den direkten Weg vom
Hersteller zum Arzt oder zur Einrichtung zwingend vorschreibt. Die Präparate werden - anders als andere Arzeimittel - nicht über die Apotheken oder den PharmaGroßhandel zu beziehen sein. Das hat nichts damit zu
tun, daß wir den Apothekerinnen und Apothekern dies
nicht zutrauen. Aber die Apotheken legen immer Wert
darauf zu beraten. Die Beratung in diesen Fällen findet
woanders statt, nicht in den Apotheken.
({5})
- In diesem Bereich ja. Sie haben es ja durchgesetzt, daß
die Beratungen in Schwangerschaftskonfliktberatungsstellen durchgeführt werden und nicht in den Apotheken. Deswegen ist es besser, wenn der Weg direkt zu
den Einrichtungen und nicht über die Apotheken geht.
Meine Damen und Herren, um es noch einmal ganz
klar zu sagen: Die Zulassung von Mifegyne steht für Juli
bevor. Wir haben die Chance, die Anwendung des Präparates, auf das Frauen und mit ihnen verantwortungsbewußte Gesundheitspolitikerinnen und Gesundheitspolitiker seit Jahren warten, gesetzlich vernünftig und
für alle akzeptabel zu regeln. Verspielen wir diese
Chance nicht - darum bitte ich Sie wirklich herzlich -,
indem alte Diskussionen wieder aufgewärmt und alte
Fronten neu abgesteckt werden! Es geht hier lediglich
um eine Variante des gesetzlich längst klar geregelten
Schwangerschaftsabbruchs. Diese Variante ist nicht für
alle, aber für eine bestimmte Anzahl von Frauen diejenige mit den geringsten Risiken.
Über die Anwendung entscheiden verantwortungsbewußt die Frauen und der Arzt. Die Entscheidung ist ab
Juli möglich. Unsere Entscheidung in diesem Hause ich will Sie daran noch einmal erinnern - beschränkt
sich darauf, sachlich und in Ruhe den Vertriebsweg zu
regeln. Der vorliegende Entwurf ist ein sinnvoller Weg.
Ich hoffe, daß wir die offenen Punkte im Rahmen der
Anhörung, die Sie ja durchsetzen werden, noch regeln
können. Ich hoffe weiterhin, daß wir in diesem Haus zu
dieser seit Jahren überfälligen Frage eine vernünftige
Antwort finden.
Danke schön.
({6})
Nun erteile ich das
Wort dem Kollegen Klaus Holetschek, CDU-Fraktion.
Sehr geehrte Frau
Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Arbeitsentwurf zur Gesundheitsreform 2000 befindet sich
insgesamt in der Tradition, wie Sie die Gesetzentwürfe
zu den 630-DM-Jobs und zur Scheinselbständigkeit vorgelegt haben. Das zeigt, wie Sie handwerklich mit Gesetzentwürfen umgehen: mit schneller Nadel gestrickt,
Frau Ministerin, und zurück in die Abteilung Nachbesserung und Korrektur. Aber damit haben Sie in der Zwischenzeit ja viel Erfahrung.
({0})
Ich möchte jetzt nicht zitieren, was die einzelnen
Verbände und andere zu diesem Gesetzentwurf sagen.
Aber mir ist heute aus dem Ticker ein schöner Satz vom
Vizepräsidenten der Bundesärztekammer entgegengekommen. Er hat gesagt:
Diejenigen, die diesen Entwurf zu verantworten
haben, müssen ein abgrundtiefes Mißtrauen gegen
Eigenverantwortung und Selbstverwaltung haben,
wie man es nur von einem Obrigkeitsstaat kennt.
Diesen Satz kann auch ich nur unterschreiben.
({1})
- Herr Dr. Thomae, ich würde ihn gerne wiederholen,
aber er steht hoffentlich im Protokoll.
({2})
- Wer schreit, hat nicht immer recht.
Meine Damen und Herren, ich möchte Sie jetzt nicht
mit den Aussagen von Verbänden oder anderen langweilen. Aber ich sage Ihnen eins: Die Gespräche, die Sie
mit Verbänden führen, und die Anhörungen, die Sie machen, sind letztlich nur eine Farce. Ob das jetzt zur doppelten Staatsangehörigkeit oder zu anderem ist: Es interessiert Sie doch gar nicht, was die Verbände einbringen.
Sonst würden Sie doch einmal aufnehmen, was von dieser fachkundigen Seite kommt.
({3})
Letztendlich wird doch alles wieder Chefsache; das
ist doch klar. Der Kanzler macht es dann. Dann ist die
Kompetenz aber ganz vom Tisch, meine Damen und
Herren; das wissen wir auch.
({4})
Interessant ist auch, was die Bundesregierung innerhalb der Gesundheitsreform mit dem Bereich Kur vorhat. Zugegebenermaßen haben wir in vielen Kurorten
eine Strukturkrise. Viele - gerade bayerische - Kurorte,
sind deshalb neue, innovative Wege gegangen. Dieses
Verlagern auf gewisse Nischen kann aber nicht heißen,
daß die politischen Rahmenbedingungen im Kur- und
Reha-Bereich nicht modifiziert werden müssen.
Bayern hat im Herbst 1998 eine Bundesratsinitiative
eingebracht, die verschiedene Zielsetzungen hatte: zum
einen die Streichung der schematischen Begrenzung von
Kur- und Reha-Maßnahmen, also der Drei-Wochen-Frist
und die Vier-Jahres-Frist. Zum anderen will Bayern mit
dieser Initiative erreichen, daß die Deckelung der RehaAusgaben im Bereich der gesetzlichen Rentenversicherung in zwei Stufen um eine weitere Milliarde DM angehoben wird. Schließlich soll zur Stärkung der ambulanten Kur ein Mindestzuschuß von 25 DM festgelegt
und den Krankenkassen die Möglichkeit eingeräumt
werden, diesen Zuschuß auf bis zu 50 DM zu erhöhen.
Ferner soll die Härtefallregelung harmonisiert werden.
Meine Damen und Herren, Sie haben als damalige
Opposition oft gerufen, daß im Kur- und Reha-Bereich
Verbesserungen notwendig seien. Ich frage mich aber,
warum diesem Antrag im Finanzausschuß des Bundesrats am 12. November 1998 nicht zugestimmt wurde; er
wurde abgelehnt. Wenn es Ihnen mit den Kuren wirklich
ernst wäre und es Ihnen um die Sache ginge, dann hätten
Sie damals zustimmen müssen.
({5})
Statt dessen legen Sie einen Arbeitsentwurf vor, der
in diesen Punkten mißverständlich und kontraproduktiv
ist. Die Begrenzung der Dauer von Vorsorgekuren
und Rehabilitationsmaßnahmen wird gelockert. - So
weit, so gut. - Das soll dadurch geschehen, daß die
Spitzenverbände der Krankenkassen die Aufgabe erhalten, in Leitlinien einzelnen Indikationen Zeiträume
zuzuordnen, die an die Stelle der dreiwöchigen Regeldauer treten.
({6})
- Sie wissen hoffentlich, was da drinsteht. - Ich frage
mich, warum wir nicht alleine auf die medizinischen Erfordernisse abstellen, sondern wieder zusätzlichen bürokratischen Aufwand schaffen.
({7})
Meine Damen und Herren, setzen Sie auf die bayerische
Bundesratsinitiative und damit auf eine generelle Flexibilisierung dieser Fristen.
({8})
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Schmidbauer?
Meine Damen und
Herren, das ist meine erste Rede. Ich bitte, darauf zu
verzichten.
({0})
Dafür kann ich Ihnen jetzt den eigentlichen Hammer
ankündigen. Der Kollege Lewering hat in Bad Aibling
nämlich vor kurzem gesagt, daß der Begriff „Kur“ entbehrlich sei. Das haben viele bayerische Kurdirektoren
auf einer Anhörung der CSU-Landesgruppe, die wir vor
kurzem zu diesem Thema durchgeführt haben, bestätigt.
Wissen Sie, was daraus folgt? Daraus folgt das Ende der
offenen ambulanten Badekur. Wir sehen, daß diese Kur
bei Rotgrün keine Lobby hat.
({1})
Es besteht nicht im geringsten die Notwendigkeit,
diesen Begriff zu verändern. Die offene ambulante Badekur ist genauso wie die stationäre eine medizinische
Kur, deren medizinische Effizienz unbestritten ist. Es
gilt, am Image der Kur weiterzuarbeiten. Darin sind
wir uns einig. Aber wissen Sie, was man von der Bundesregierung für Antworten bekommt, wenn man
schriftlich anfragt, ob sie sich in der Lage sieht, eine
Kampagne für die Kur zu starten und etwas aktiv dafür
zu tun? Dann antwortet der Herr Staatssekretär Mosdorf:
Die Bundesregierung unterstützt Initiativen der Gesundheits- und Tourismusverbände, die mit umfangreichen Marketingmaßnahmen das Gesundheitsangebot der deutschen Kliniken auf ausländischen Märkten wie auch in der deutschen Öffentlichkeit besser bekanntmachen.
Meine Damen und Herren, diese Antwort hat nichts mit
einer Kampagne in der Öffentlichkeit zum Thema Kur
zu tun, sondern geht an der Frage vorbei. Er sollte mir
antworten: „Nein, ich habe kein Interesse daran.“ Dann
weiß ich, woran ich bin. Es kann aber nicht angehen, an
der Frage vorbei zu antworten.
({2})
Im Gegensatz hierzu ist die Initiative der bayerischen
Staatsministerin Stamm vorbildlich, die bereits 1996
einen runden Tisch zum Thema Kur in Bayern eingerichtet hat.
({3})
Dort sitzen die Verantwortlichen an einem Tisch; dort
werden Konzepte zum Erhalt der Kurorte erarbeitet.
Und was tun Sie? Nichts!
({4})
Lassen Sie mich noch einmal zur offenen ambulanten Badekur zurückkommen. Sie ist die kostengünstigste Kurform überhaupt. Die Kostenträger übernehmen
zirka 25 Prozent der Gesamtkosten, während 75 Prozent
der Kosten allein vom Patienten getragen werden. Ich
verstehe nicht, warum man gerade in diesem Bereich anfängt, zu streichen. Nochmals: Der Verzicht auf den Begriff „Kur“ bedeutet das Ende der offenen ambulanten
Badekur. Wenn in Bad Aibling gesagt wird, es dürfe
doch noch weiterhin „Kurorchester“ oder weiterhin
„Kurarzt“ heißen, dann ist das, was uns vorgelegt wird,
geradezu zynisch - und nichts anderes!
({5})
Wichtig wäre statt dessen, die kurörtliche Medizin für
die Zukunft zu stärken. Sie ist eine Therapieform mit
Zukunft. Die kurörtliche Medizin stützt sich im wesentlichen auf Prinzipien der klassischen Naturheilkunde, in
der der Patient aktiv im Mittelpunkt seiner Behandlung
steht. Das hätten Sie verstärken müssen, meine Damen
und Herren, nicht aber den Arbeitsentwurf in dieser
Form vorlegen dürfen.
Lassen Sie mich mit den Worten des Präsidenten des
Bayerischen Heilbäderverbandes, Franz Gnan, schließen:
Es ist dringend nötig, nochmals Gespräche zu führen… Es ist falsch, an den Kuren zu sparen. Richtig
ist, daß man durch Kuren erheblich im Gesundheitswesen sparen kann. Die Kuren gehören nicht
geschmälert, sondern gefördert!
({6})
- Das, was wir gemacht haben, ist keine Ausrede. Sie
haben im Wahlkampf gesagt, Sie würden alles besser
machen. Wo machen Sie denn etwas besser? An den
Arbeitslosenzahlen und auch an der Entwicklung im
Kurbereich müssen Sie sich messen lassen. Ich appelliere an Sie: Überdenken Sie Ihre Konzeption gerade in bezug auf die offene ambulante Badekur. Arbeitsplätze
und Existenzen stehen hier auf dem Spiel. Bei diesem
wichtigen Thema Arbeitsplätze sollten Sie schon zuhören; das wäre nicht verkehrt.
({7})
Kur- und Heilbäder brauchen endlich langfristige
Perspektiven, um Planungssicherheit zu haben. Wenn
Sie fachlichen Rat benötigen, meine Damen und Herren,
dann gebe ich Ihnen gern die Nummer der bayerischen
Staatsministerin Stamm, die Ihnen sicherlich noch einige
Tips geben kann.
({8})
Herr Kollege Holetschek, das war Ihre erste Rede. Ich beglückwünsche Sie
dazu im Namen des ganzen Hauses.
({0})
Nun hat der Kollege Klaus Kirschner, SPD-Fraktion,
das Wort.
Frau Präsidentin! Meine
Damen und Herren! Herr Kollege Holetschek, ich gratuliere Ihnen zu Ihrer ersten Rede. Sie können es deshalb
vielleicht auch nicht wissen: Die Kürzungen im Kurbereich hat 1997 die damalige Regierungskoalition mit
dem Gesetz für mehr Wachstum und Beschäftigung beschlossen. Ich weiß gar nicht, warum Sie hier so rumschreien. Sie haben dieses doch selber so gewollt.
({0})
Ich wundere mich in einem weiteren Punkt über diese
Debatte. Es gibt zu dieser Haushaltsdebatte nicht nur einen Gesetzentwurf - Frau Kollegin Schmidt-Zadel und
die Frau Kollegin Widmann-Mauz haben dazu gesprochen -, sondern noch zwei weitere Gesetzentwürfe. Bisher haben Sie keinen Ton zu Ihren eigenen Gesetzentwürfen gesagt, lieber Kollege Dr. Thomae. Es geht um
den von der CDU/CSU eingebrachten Gesetzentwurf zur
Wiedereinführung der Kostenerstattung. Dazu wurde
bisher nichts gesagt.
({1})
- Ich nehme an, daß Herr Kollege Lohmann dazu noch
etwas sagen wird. - Und es geht um den Gesetzentwurf,
den die F.D.P. eingebracht hat, dessen Ziel letztendlich
die Erhöhung der Ausgaben ist.
Lassen Sie mich eine Bemerkung zu der von Ihnen
beabsichtigten Wiedereinführung der totalen Kostenerstattung machen. Die Praxis hat gezeigt, daß die
Kostenerstattung mit erheblichen Nachteilen für die Patienten verbunden ist.
({2})
Sie brauchen sich nur einmal die Daten anzuschauen.
Beim Zahnersatz hat die durchgängige Kostenerstattung
dazu geführt, daß die Patienten erheblich mehr zuzahlen
mußten - und das zu überhöhten Preisen. Das wäre nur
verständlich, wenn die gesetzliche Krankenversicherung
den Versicherten medizinisch notwendige Leistungen,
wirtschaftliche Versorgungsformen und/oder eine gute
Qualität vorenthalten würde.
({3})
- Ich komme darauf gleich noch, Herr Kollege Thomae.
- Das ist jedoch nicht der Fall. Die Kostenerstattung hat
bei einem Teil der Zahnärzte zu Verhinderungsstrategien geführt, um möglichst viele Leistungen als Privatleistungen - und damit teurer - außerhalb der vertragszahnärztlichen Leistungen zu berechnen. Die Zahlen
sind eindeutig: Das Ergebnis ist ein Rückgang von rund
einem Drittel beim Zahnersatz. Das ist das Ergebnis Ihrer Politik und der Politik des Vorstandes der Kassenzahnärztlichen Bundesvereinigung.
Da mit dem Wegfall der Kostenerstattung vielfach in
private Versicherungsverhältnisse eingegriffen wurde,
wurden damit die seit Jahren gezahlten Altersrückstellungen wertlos. Diesen Argumenten wird sich die Koalition nicht verschließen. Deshalb findet auch hier eine
Korrektur statt.
Zum Gesetzentwurf der F.D.P.: So umgesetzt, wie
Sie es fordern, bedeutet dies letztendlich Beitragssatzerhöhungen auf breiter Front bei den Kassen in den
neuen Ländern und damit Erhöhung der Lohnnebenkosten in den dortigen Betrieben. Das ist die Konsequenz
Ihres Gesetzentwurfes. Auch wir verkennen nicht die
Lage der im Gesundheitswesen Beschäftigten. Wir werden dies deshalb im Rahmen der von der Bundesregierung und der Regierungskoalition geplanten Strukturreform sehr sorgfältig prüfen.
({4})
- Sie müssen schon zuhören. - Ich sage deutlich: Den
Krankenhäusern steht nach dem Solidaritätsgesetz ein
50prozentiger Ausgleich zwischen Grundlohnsumme
und BAT-Abschluß zu. Um nichts anderes geht es. Wir machen es uns nicht so einfach wie Sie von der
F.D.P. Im übrigen müssen Sie die Änderungen gegenüber den Beitragszahlern - also den Kassenmitgliedern
und den Arbeitgebern - begründen . - Sie gehen weit
darüber hinaus. Sie nehmen in Kauf, daß sich die Situation der Kassen in den neuen Ländern dramatisch verschlechtert. Der heute schon hohe Durchschnittsbeitragssatz von 13,92 Beitragssatzpunkten gerät noch
weiter unter Druck, wenn man das, was Sie in Ihrem
Gesetzentwurf vorschlagen, umsetzen würde.
Auch zu Ihnen, Herr Kollege Lohmann, möchte ich
eine Bemerkung machen.
({5})
- Nein, aber Sie haben doch vorher dazwischengerufen.
Ich habe genau zugehört.
Schauen Sie sich doch das Jahresergebnis 1998 an,
das Sie zu verantworten haben. In den neuen Ländern
weisen die Kassen ein Defizit von rund einer halben
Milliarde DM aus. Das ist die Realität. Das ist Ihre Erblast. Jetzt beantragen Sie von der F.D.P. noch zusätzliche Ausgabensteigerungen. Das müssen Sie mal den
Millionen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern sowie
Arbeitslosen deutlich machen, deren Einkommen zurückgehen und auf die Sie keine Rücksicht nehmen.
SPD und Bündnis 90/Die Grünen haben bei dem von
uns gemeinsam hier im Bundestag beschlossenen Finanzstärkungsgesetz die zeitliche Befristung aufgehoben
und damit langfristig Berechenbarkeit hergestellt.
({6})
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Dr. Thomae?
Selbstverständlich.
Herr Kollege
Kirschner, in der letzten Woche fand in Potsdam eine
Veranstaltung der Deutschen Krankenhausgesellschaft
statt. Dort hat Staatssekretär Jordan vom Gesundheitsministerium den versammelten Gästen mitgeteilt, daß er
sehr ernsthaft eine Veränderung der Steigerungsrate erwägt. Er hat damit den Eindruck erweckt, die Bundesregierung werde das Vorschaltgesetz ändern. Was stimmt
denn jetzt? Stimmt es, daß die Bundesregierung die
Steigerungsrate positiv verändern will? Oder plädiert
diese Bundesregierung dafür, daß alles, so wie es im
Vorschaltgesetz steht, beibehalten wird? Ich möchte hier
von der Koalitionsfraktion SPD eine klare Aussage zu
der Aussage des Staatssekretärs.
Herr Kollege Dr. Thomae,
lenken Sie nicht von Ihrem Gesetzentwurf ab.
({0})
- Sie müssen mir schon zuhören. Wenn Sie nicht zuhören, brauche ich Ihnen keine Antwort zu geben.
Herr Kollege Dr. Thomae, lenken Sie nicht ab. In Ihrem Gesetzentwurf ist vorgesehen, daß die Leistungserbringer erheblich höhere Zuwachsraten bekommen
sollen. Ich weiß nicht, was der Staatssekretär sagte. Aber
wenn der Staatssekretär das sagte, was ich eben schon
sagte,
({1})
nämlich daß den Krankenhäusern - nur darum kann es
gehen - der Ausgleichsbetrag zur Hälfte zusteht - ({2})
- Entschuldigen Sie, Herr Kollege Dr. Thomae, da müssen Sie den Staatssekretär fragen. Ich war bei der Veranstaltung nicht dabei. Ich weigere mich auch, die Aussagen des Staatssekretärs zu interpretieren, die er auf einer
Veranstaltung gemacht hat, an der ich nicht teilgenommen habe. Ich kann nur auf die Rechtslage hinweisen, zu
der die Regierungskoalition auch steht.
({3})
- Sie, Herr Kollege Heinrich, waren doch genausowenig
dabei wie ich. Das möchte ich klarstellen.
Ich möchte jetzt noch etwas über den 1,2-MilliardenDM-Finanztransfer sagen, durch den die ursprüngliche
Ost-West-Schieflage in der GKV im Rahmen des gesamtdeutschen Finanzkraftausgleichs 1999 beseitigt
wurde. Diesen Transfer bezahlen die Beitragszahler im
früheren Bundesgebiet mit einer Erhöhung von 0,1 Beitragssatzpunkten. Dies ermöglicht einen um 0,4 Beitragssatzpunkte niedrigeren Beitragssatz in den neuen
Ländern, um damit die Konkurrenzfähigkeit zu stärken.
Sie, meine Damen und Herren von der F.D.P., setzen
dies mit Ihrem Gesetzentwurf bewußt aufs Spiel.
Die Alternativen liegen doch dort, wo sinnvollerweise Einsparpotentiale zu mobilisieren sind, um den Druck
von der Ausgabenseite und damit von der Beitragssatzseite zu nehmen. Damit das klar ist: Das ist nicht nur ein
Problem der GKV in den neuen Ländern; vielmehr gilt
das für das gesamte Bundesgebiet. Allein die Steigerung
bei den Arzneimittelausgaben - darauf möchte ich
hinweisen - von 12,9 Prozent im Westen und von
12,7 Prozent im Osten sind mit rationeller Arzneimitteltherapie und wirtschaftlicher Verordnungsweise nicht
zu begründen. Ich möchte Sie beispielsweise auf die
Durchschnittsausgaben der KV Südbaden hinweisen.
Diese liegen bei 328 DM. In der KV Saarland liegen sie
dagegen bei 451 DM. Das sind Ausgabenunterschiede
von annähernd 40 Prozent.
({4})
- Ich wußte nicht, Herr Kollege Dr. Thomae, daß Oskar
Lafontaine Arzneimittel verordnet. Das ist für mich
wirklich neu. Sie müssen sich wirklich etwas anderes als
solch einen Quatsch einfallen lassen.
Wenn Sie Ost und West miteinander vergleichen,
dann kommen Sie zu dem Ergebnis, daß die Arzneimittelausgaben im Osten um 15 Prozent höher liegen. Es
geht darum, Einsparpotentiale dort zu mobilisieren, wo
es vertretbar ist, weil unnötige Ausgaben vorliegen. Sie
weigern sich, dabei mitzumachen.
Herr Kollege, denken Sie an die Redezeit, bitte.
Ich komme zum Schluß.
Wir werden die Fragen, die das Krankenhaus betreffen, sehr sorgfältig prüfen. Wir werden uns im Gegensatz zu Ihnen von Allgemeinwohlinteressen leiten lassen. Einkommenserwartungen einzelner Berufsgruppen,
egal, ob die von Ärzten oder Zahnärzten in den neuen
Ländern, können nicht der Maßstab für gesetzgeberisches Handeln sein, wenn in diesen Regionen gleichzeitig große Teile der Bevölkerung seit Jahren Einkommensverluste zu erleiden haben und hohe Lohnnebenkosten die Schaffung von neuen Arbeitsplätzen behindern.
Herzlichen Dank.
({0})
Das Wort hat nun
der Kollege Wolfgang Lohmann, CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn man lange
genug wartet, dann kann man - ich lasse mich in den
Möglichkeiten des Hinzulernens von niemandem übertreffen - viel hinzulernen. Frau Schmidt-Zadel, ich habe
heute dazugelernt, daß Sie seinerzeit - das war mir nicht
mehr bewußt - im Zusammenhang mit § 218 die Vorstellung hatten, die Beratungen sollten in Apotheken
stattfinden und wir hätten dafür gesorgt, daß sie in Beratungsstellen stattfinden.
Frau Göring-Eckardt, ich habe heute auch dazugelernt - das gilt ebenfalls für die Ministerin -: Sie sorgen
nun über die Erweiterung der Patientenrechte endlich
dafür, daß Patienten zu Akteuren werden. Ich stelle mir
also vor: Die Patientin oder der Patient kommt zum
Arzt. Daraufhin fragt der Doktor: Was haben Sie denn?
Der Patient antwortet: Herr Doktor, ich bin jetzt Akteur.
({0})
Ich bin gestern bei der Verbraucherstelle gewesen und
habe mich erkundigt, warum mir der Bauch so weh tat.
Dann sagt der Arzt: Dann gehen Sie doch zum Facharzt.
Dafür nimmt der Arzt dann eine entsprechende Gebühr.
Meine Damen und Herren, so geht es doch nicht!
Wir haben den Haushalt zu verabschieden. Wir haben
gemerkt, wie Ihre Gesichtszüge geradezu entgleisten, als
wir in der letzten Sitzung des Gesundheitsausschusses
den vorgelegten Haushaltsentwurf mit Ihnen verabschiedet haben, weil es sich nur um marginale Änderungen handelte. Im Grunde genommen handelt es sich
um einen Seehofer/Waigel-Haushalt. Wir sind eine seriöse Opposition, die nicht von heute auf morgen ihre
Meinung ändert; insofern haben wir zugestimmt.
Herr Schöler, zu dem, was Sie in den Ausschußberatungen daraus gemacht haben, muß ich Ihnen sagen, daß
Sie Ihre Ausführungen etwas hätten vertiefen sollen. Sie
haben zwar darüber gesprochen, daß Sie die Aufklärungsmaßnahmen für Drogen- und Suchtmittelmißbrauch und auch die Mittel im Bereich Aids erhöht haben. Aber Sie hätten einmal vorlesen sollen, daß Sie die
Erstattungen der Aufwendungen für Leistungen der
Krankenkassen an Aussiedler um 1,5 Millionen DM gekürzt haben, daß Sie die Leistungen des Bundes für den
Mutterschutz um 0,5 Millionen DM gekürzt haben und
daß Sie die Zuschüsse zu Forschungsvorhaben zur Erkennung und Bekämpfung neuer Infektionskrankheiten
um 0,4 Millionen DM gekürzt haben. Zwar haben Sie
die Selbstversorgung mit Blut und Blutprodukten erwähnt, aber Sie haben dazu keine Zahlen genannt, nicht
gesagt, daß Sie hier um 0,4 Millionen DM gekürzt haben.
Sie haben die Finanzhilfen des Bundes zur Förderung
von Investitionen in Pflegeeinrichtungen an die neuen
Länder, einschließlich Berlin, um 5 Millionen DM gekürzt. Das hätten Sie in Ihrem Beitrag laut sagen sollen.
Sie haben es aber nicht getan; vielmehr haben Sie nur
von Erhöhungen gesprochen.
Zum Thema Kostenerstattung. Es ist interessant,
daß vom Vorschaltgesetz klammheimlich eine ganze
Reihe von Bürgern betroffen ist, die schon immer Kostenerstattung gewählt hatten, entweder als freiwillig
Versicherte, als Pflichtmitglieder oder auch als Mitversicherte, die später erwerbstätig geworden sind. Es
bricht ein Sturm der Entrüstung los. Die Ministerin
- auch die Staatssekretärin - weigerte sich auf Anfragen
hin zunächst standhaft, überhaupt irgend etwas zu ändern. Als die Briefstapel immer höher wurden, als erstaunlicherweise auch der VdAK aufgebracht war und
an sie geschrieben hat, hieß es: Wir wollen doch eine
Bestandssicherungsmaßnahme vornehmen.
Da Sie inzwischen alle Spitzenkräfte des Nachbesserungssystems geworden sind, frage ich Sie, warum Sie
eigentlich nicht sagen, daß diese eine Entscheidung
falsch war. Wir haben uns größte Mühe gegeben, die
Menschen, die Patienten davon zu überzeugen, daß sie
- es wird immer vom mündigen Bürger gesprochen zumindest eine Wahlmöglichkeit haben. Warum soll
dies eigentlich nur für die reichen Leute, die oberhalb
der Pflichtversicherungsgrenze liegen, gelten?
({1})
Warum nicht für alle? Wir haben daher diesen Antrag
eingebracht, um Ihnen die Möglichkeit zu geben, in den
Ausschußsitzungen für ein besseres Ergebnis zu sorgen.
Im übrigen möchte ich als letztes Sie, Frau Ministerin, gegen die Angriffe von Frau Schmidt-Zadel in
Schutz nehmen. Sie haben sich nämlich im Zusammenhang mit RU 486 im Gegensatz zu demjenigen, der es
inzwischen wieder zur Chefsache gemacht hat, vollkommen korrekt verhalten.
({2})
Sie haben nämlich gesagt, Politik sei nicht dafür da, zu
bestimmen, wer zu welchem Zeitpunkt die Zulassung
eines bestimmten Präparates beantragt. Aber die Damen
und Herren, die vorhin gesprochen haben, wußten interessanterweise schon vor Jahren, als noch überhaupt kein
Zulassungsantrag vorlag, daß dieses Mittel das richtige
sei. Genau die gleichen, Frau Schmidt-Zadel, die jetzt
über eine Positivliste den Menschen sagen wollen, daß
bestimmte Arzneimittel unwirksam oder umstritten seien
und deshalb heraus müßten, wußten schon vor Jahren,
daß etwas herein mußte, dessen Zulassung noch gar
nicht beantragt war. Das versteht kein Mensch. Deswegen haben wir darauf hingewiesen.
({3})
Nun erteile ich das
Wort der Bundesministerin Andrea Fischer.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Lohmann, Sie wissen, ich schätze Ihr komödiantisches Talent beim Reden und diese eigentümliche Spätabendstimmung im Parlament. Ich möchte aber jetzt
noch einmal ganz ernsthaft auf das Thema Mifegyne
und die Zulassung eingehen.
Herr Lohmann, Sie brauchen gar nicht künstlich eine
Differenz, weder zwischen dem Kanzler und mir noch
zwischen den Kolleginnen Abgeordneten und mir, herzustellen. Ich als Gesundheitsministerin habe die Aufsicht
über das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte. In dieser Rolle habe ich, wie ich finde, richtig gehandelt, als ich sagte, ich äußere mich nicht dazu.
({0})
Deswegen bleibt es aber Politikern, die nicht die Aufsicht über dieses Amt haben, unbenommen, ihre politische Ansicht dazu zu äußern. Diesen Unterschied kann
man machen.
({1})
Ich erkläre hiermit in meiner Funktion als Ministerin,
die die Aufsicht über das Bundesinstitut führt, daß dort
zur Zeit die Zulassung nach Recht und Gesetz auf der
Grundlage des von Frankreich als Referenzmitgliedstaat
erstellten Beurteilungsberichts geprüft wird. Diese Zulassung erfolgt ausschließlich nach fachlichen Kriterien.
Ich nehme darauf keinen Einfluß.
({2})
Dieses mußte hier aus gegebenem Anlaß einfach noch
einmal klargestellt werden.
({3})
- Wie gesagt, ich finde, Politiker können ihre Meinung
dazu äußern. Das wollte ich klarmachen.
Ich will auch noch einmal klarstellen, daß eine Entscheidung über die Frage des Vertriebsweges keine
Voraussetzung für die Zulassung ist, sondern beides unabhängig voneinander ist.
({4})
Nach meiner Erinnerung fanden schon einmal Gespräche, nicht zwischen uns persönlich, sondern zwischen
Ihnen und dem Staatssekretär, über dieses Arzneimitteländerungsgesetz statt, in denen wir Ihnen vorschlugen ich sage das jetzt ganz bewußt mit einem großen Wort -,
sich aus gemeinsamer staatsbürgerlicher Verantwortung
heraus auf einen anderen als den normalerweise üblichen Vertriebsweg zu einigen. Ich habe auch mitbekommen, Frau Widmann-Mauz, daß Sie eben gesagt haben, Sie sähen den Punkt.
Jetzt fragen Sie aber: Warum kann denn die Apotheke
nicht direkt liefern? Sie stellen dadurch erst das Problem
her, das Sie uns vorwerfen. In den Gesprächen mit den
Apothekerverbänden und mit den Politikern aller Fraktionen sowie in der Begründung zum Gesetzentwurf haben wir ausdrücklich gesagt, daß dieser Gesetzentwurf
in keiner Weise Mißtrauen gegenüber den bewährten
Vertriebswegen über den Großhandel und die Apotheken wecken will.
({5})
Indem Sie sich jetzt in einer verqueren Art und Weise,
die ich überhaupt nicht nachvollziehen kann, zum Hüter
eines vermeintlich bedrohten Apothekensystems machen, stellen Sie diesen Zusammenhang überhaupt erst
her, den wir ganz bewußt vermeiden wollten. Weil wir
wissen, daß die Diskussion brisant ist, und meinten, daß
man die Diskussion über die Methode und das Verfahren von einer grundsätzlichen Auseinandersetzung um
den § 218 trennen sollte, wollten wir hier ganz bewußt
einen Weg gehen, der sich sehr stark an den Vorbildern
unserer ausländischen Nachbarn orientiert. Wir wollten
sicherstellen, daß das Medikament ausschließlich an berechtigte Einrichtungen geht.
Wir haben übrigens nicht nur im eigenen Haus, sondern auch in Zusammenarbeit mit den Apothekerverbänden geprüft, ob man einen anderen Weg gehen
kann. Die Angst davor, daß man damit die Tür zu
Weiterem öffnet - das steckt ja dahinter -, bestünde
doch genauso, wenn die Apotheke das Medikament direkt an den Arzt abgeben würde. Auch da würde ein
Einfallstor geöffnet werden. Das soll heißen: Wir hatten uns hier nicht zwischen lauter guten Wegen zu entscheiden, sondern zwischen verschiedenen schwierigen
Wegen. Ich meine, daß wir nach der nötigen Abwägung und Diskussion mit den Beteiligten den richtigen
Weg gefunden haben.
Ich bitte Sie wirklich, sich nicht zu Vertretern eines
vermeintlichen Partikularinteresses zu machen. Ich appelliere an Sie, gemeinsam zu handeln, so daß wir in
diese Debatte nicht zusätzlich Zündstoff hineinbringen.
Ich erkläre von seiten der Bundesregierung ausdrücklich: Wir planen keine Abkehr von dem bewährten Vertriebsweg über Großhandel und Apotheken. Wer verWolfgang Lohmann ({6})
sucht, uns in dieser Debatte etwas anderes zu unterstellen, hat unrecht.
({7})
Ich komme jetzt zur Geundheitsreform und insbesondere zu den Punkten, die von Ihnen schon viel kritisiert
wurden. Sie haben das beliebte Argument „Zeit“ genannt. Sie müssen dieses Argument fallenlassen; denn
ich glaube, ein Jahr ist eine nicht zu lange, aber auch
ausreichende, Zeit, um ein solches Gesetz vorzubereiten.
Man sollte auch aufhören, über die Form zu debattieren,
wenn man den Inhalt meint. Lassen wir also diesen formalen Aspekt beiseite und reden wir über das, was uns
in der Sache trennt!
Weil Sie etwas anderes behauptet haben, will ich an
drei Ausgangspunkten deutlich machen, warum wir nach
meiner Meinung Veränderungen im Gesundheitswesen
brauchen.
Der erste Ausgangspunkt: Der demographische Wandel führt zu veränderten Krankheitsbildern. Wir haben chronisch Kranke in einem stärkeren Ausmaß, als
dies früher der Fall war. Zur Behandlung dieser Krankheitsbilder ist der Begriff von der Zusammenarbeit zentral: die Zusammenarbeit zwischen Ärzten, die Zusammenarbeit zwischen Ärzten und Angehörigen der Heilberufe und die Zusammenarbeit zwischen Ärzten und
Krankenhäusern. Dieses zentrale Anliegen, wie wir angesichts der Veränderungen diese so dringend benötigte
Zusammenarbeit verbessern können, spiegelt sich an
vielen Stellen des Gesetzentwurfes wider.
Der zweite Ausgangspunkt: Wir haben medizinischen
Fortschritt, der Veränderungen bewirkt. Wir wissen, daß
einige Veränderungen ausgesprochen kostspielig sind.
Jetzt kommt die von Ihnen so geschmähte Debatte über
Qualität und Transparenz auf dem Arzneimittelmarkt zum Tragen. Ich glaube, daß der medizinische
Fortschritt nicht unbedingt dazu führen muß, daß wir
immer nur drauflegen. Unsere Aufgabe ist, erstens zu
prüfen, ob alles, was neu ist, auch wirklich besser ist,
und zweitens zu prüfen, ob nicht das Neue vielleicht das
Alte ersetzen kann. Dafür wollen wir die Voraussetzungen schaffen.
({8})
Herr Lohmann, bei aller Wertschätzung für Ihre Person und auch für Ihr komödiantisches Talent muß ich
sagen, daß ich Ihre Kritik für unangemessen halte. Der
moderne Sozialstaat - das gilt nicht nur für das Gesundheitswesen - zeichnet sich dadurch aus - damit bin ich
beim dritten Ausgangspunkt -, daß sich die Bürger nicht
mehr damit zufriedengeben, in diesem System nur gut
versorgt zu sein. Sie wollen mehr Information und
wollen gleichberechtigt gehört werden. Sie wollen mehr
Rechte und Möglichkeiten.
({9})
Ich halte es in diesem Zusammenhang für eine wirklich
aberwitzige Idee, zu behaupten, daß das Recht auf Kostenerstattung ein Grundrecht sei. In diesen Status ist es
eben von Herrn Thomae erhoben worden. Das ist eine
ausgesprochen merkwürdige Sicht der Dinge.
({10})
Ich möchte noch etwas zu dem Vorwurf sagen, wir
würden uns dem Diktat der Beitragssatzstabilität unterwerfen. In Ihrem Lob für meinen Vorgänger haben
Sie aber - völlig zu Recht - darauf verwiesen, daß das
Erreichen der Beitragssatzstabilität eines seiner Verdienste war. Sie müssen sich nun entscheiden, ob Sie Beitragssatzstabilität wollen oder nicht. Wir reden doch
nicht davon, daß die Beitragssätze ins Unermeßliche
steigen dürfen. Es ist noch nicht so lange her, daß ich
selbst in der Opposition war. Ich glaube aber nicht, daß
ich damals leichtfertig gesagt habe, Geld spiele keine
Rolle. Ich finde auch, daß die Debatte bezüglich des
Ostens heute leichtfertig geführt wird und daß Sie die
Interessen der Menschen in Ostdeutschland nicht ernst
nehmen, wenn Sie sagen: „Gebt den Menschen mehr
Geld, egal, woher ihr es nehmt!“, aber nicht erklären,
wie dieses Ziel zu erreichen ist.
({11})
- Herr Thomae, Leipzig scheint für Sie zu einer fixen
Idee zu werden. Sie haben nicht nur Frau GöringEckardt vermißt. Jetzt wissen Sie auch nicht mehr, was
ich dort gesagt habe.
({12})
Ich habe in Leipzig ganz bewußt gesagt, daß wir über
die Schwierigkeiten reden. Ich habe aber nicht versprochen, daß die geforderten Milliarden Mark gezahlt werden; denn ich weiß, wie schwierig dies zu erreichen ist.
In dieser Hinsicht besteht überhaupt keine Differenz
zum Kollegen Kirschner, wie Sie es gerade darstellen
wollten. Der Kollege Kirschner hat vielmehr darauf hingewiesen, daß wir mit der Entfristung des Risikostrukturausgleichs eine ganz wichtige Maßnahme dafür getroffen haben, daß in Ostdeutschland der Finanzausgleich weiterhin stattfindet.
({13})
Das ist eine Voraussetzung für all das, was man eventuell noch machen kann. Ich stimme mit Ihnen überein,
daß wir, wenn wir versuchen wollen, dort in dieser
schwierigen Lage etwas zu tun, immer die Frage stellen
müssen: Von wem und woher nehmen wir es? Dies ist
eine ganz schwierige Entscheidung; das wissen Sie genauso gut wie ich. Ich finde, Sie sollten, auch wenn Sie
jetzt in der Opposition sind, verantwortungsbewußter
damit umgehen.
An den Kollegen Holetschek gerichtet, muß ich sagen: Da habe ich eben gestaunt. Wir versuchen wirklich,
mit begrenzten Mitteln und Möglichkeiten einen Teil
dessen rückgängig zu machen, womit Sie in den letzten
Jahren die Kurorte zum Teil richtig in den Ruin getrieben haben.
({14})
Jetzt stellen Sie sich hier hin und sagen: Ihr habt kein
Interesse an der Kur, aber wir. - Soviel Chuzpe muß
man erst einmal haben!
({15})
Ich habe es gerade schon gesagt: Hören Sie auf, in
der inhaltlichen Debatte dadurch auszuweichen, daß Sie
über Formfragen sprechen.
Mit dem Arbeitsentwurf haben wir
({16})
- nein - diesem Prozeß eine Geschäftsgrundlage verschafft, auf der wir jetzt diskutieren. Ich weiß überhaupt
nicht, Herr Kollege Thomae, was das mit Chaos zu tun
haben soll, wenn Sie hier einen Gesetzentwurf haben,
bei dem Sie zu jedem Punkt sagen können, ob Sie das
richtig finden oder nicht.
({17})
- Bloß weil Sie sich hier, frech wie Bolle, schlecht benehmen, Herr Dr. Thomae, werden Ihre Argumente
nicht besser.
({18})
Wenn Sie finden, daß ein 250seitiger Gesetzentwurf mit
einer Menge Paragraphen und Begründungen keiner ist,
dann haben Sie offensichtlich ein Problem mit der Beratung von Gesetzen. Ich habe kein Problem damit, und
ich bin hinsichtlich der Beratung ausgesprochen zuversichtlich.
({19})
- Sie wissen, es ist ein Arbeitsentwurf für ein Gesetz.
({20})
- Aber weswegen können Sie einen Arbeitsentwurf
nicht diskutieren? Er ist doch, wenn er in Gesetzesform
ist, wesentlich konkreter als ein Eckpunktepapier. Hätten wir hier Eckpunkte, würden Sie sagen: Frau Fischer,
das ist doch immer noch so unkonkret! Was soll das
also?
({21})
Reden Sie nicht immer über die Form, und halten Sie
sich nicht an diesem Punkt auf.
({22})
- Ich weiß ganz genau, was ich vorgelegt habe. Ich
scheue keine Debatte. Ich bin der festen Überzeugung,
daß wir, auch im Gespräch mit all denen, von denen Sie
angeblich besser wissen, mit wem wir sprechen oder
nicht, zu einem wirklich guten Gesetzentwurf kommen
werden, den wir im Juni im Kabinett verabschieden
werden.Wir werden das mit den nötigen Kontroversen
ausdiskutieren und später werden wir Einigkeit erreichen.
Danke.
({23})
Ich schließe die
Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den Einzelplan 15, Bundesministerium für Gesundheit, in der Ausschußfassung. Wer stimmt dafür? ({0})
Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Einzelplan 15 ist damit angenommen.
Der Gesetzentwurf der Koalitionsfraktionen auf
Drucksache 14/898 soll zur federführenden Beratung
dem Ausschuß für Gesundheit und zur Mitberatung dem
Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
überwiesen werden. Der Gesetzentwurf der CDU/CSU
auf Drucksache 14/886 und der Gesetzentwurf der
F.D.P. auf Drucksache 14/884 sollen dem Ausschuß für
Gesundheit überwiesen werden. Sind Sie damit einverstanden? - Ich sehe keinen Widerspruch. Dann ist die
Überweisung so beschlossen.
Ich rufe damit den Einzelplan 10 auf:
Einzelplan 10
Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten
- Drucksachen 14/610, 14/622 Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Uwe-Jens Rössel
Iris Hoffmann ({1})
Josef Hollerith
Es liegen je drei Änderungsanträge der Fraktionen
der CDU/CSU und der PDS vor. Auch die Fraktion der
F.D.P. hat einen Änderungsantrag eingebracht. Ich weise
darauf hin, daß wir im Anschluß an die Aussprache über
einen Änderungsantrag namentlich abstimmen werden.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Stunde vorgesehen. - Ich höre keinen
Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege
Josef Hollerith, CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Einzelplan 10,
der Haushalt des Bundesministers für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten, ist überwiegend durch gesetzliche Aufgaben, vor allem in der Sozialpolitik, gekennzeichnet. Die Gestaltungsspielräume sind relativ gering.
Um so bedeutender ist es daher, daß diese auch genutzt
werden.
Sehr problematisch ist in diesem Zusammenhang die
Kürzung des Ansatzes für die Gemeinschaftsaufgabe
„Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes“ gegenüber dem Entwurf von Bundesfinanzminister Theo Waigel um 91 Millionen DM.
Der PLANAK hat in seinem Beschluß vom 11. Dezember 1998 den damaligen Regierungsentwurf mit
einem Ansatz von 1,8 Milliarden DM zugrunde gelegt.
Die Mittelverteilung für 1999 wurde mit 64 Prozent für
die alten Bundesländer und 36 Prozent für die neuen
Bundesländer festgelegt.
Unter Zugrundelegung des um 91 Millionen DM
gesenkten Ansatzes würde das eine Verringerung der
Mittel für die neuen Bundesländer um rund 51 Millionen
DM bedeuten. Dies würde zu der Gefahr führen, daß
eine Kofinanzierung von EU-Ziel-1-Strukturfördermitteln national nicht mehr in vollem Umfang gewährleistet sein könnte und in der Folge den neuen Bundesländern zustehende europäische Gelder nicht abgerufen
werden könnten. Dies wiederum würde die ohnehin
schon unverhältnismäßig große Nettozahlerposition
Deutschlands weiter verstärken.
Die CDU/CSU-Fraktion beantragt deshalb die Aufstockung der Ansätze für die Gemeinschaftsaufgabe um
91 Millionen DM auf den ursprünglichen Ansatz des
Theo-Waigel-Entwurfs.
({0})
Das Abkassiermodell, die sogenannte Ökosteuer,
trifft auch die Betriebe der Landwirtschaft nachteilig.
Auf Druck des Berufsstandes und der Unionsfraktion,
auch die Landwirtschaft zu dem produzierenden, steuerbegünstigten Sektor zu zählen, hat sich die Regierungskoalition bewegt. Auch die landwirtschaftlichen Betriebe kommen in den Genuß des ermäßigten Steuersatzes
von 20 Prozent.
({1})
Allerdings bleibt es bei der Tatsache, daß die Ökosteuer ein bürokratisches Monster ist und gerade die
kleinen bäuerlichen Betriebe mit einem Sockelbetrag
von je 1 000 DM für Strom, Heizöl/Gas jährlich zusätzlich belastet werden.
({2})
Insgesamt entsteht ein Riesenbrocken zusätzlicher Belastung für die Landwirtschaft von etwa 380 Millionen
DM jährlich.
({3})
Wie ungleich, wie unsozial die rotgrüne Ökosteuer
wirkt, zeigt ein Vergleich: Die Firma BASF zahlt bei
rund 21 Milliarden DM Umsatz netto 3 Millionen DM
Ökosteuer im Jahr, die deutsche Landwirtschaft bei rund
60 Milliarden DM Umsatz netto rund 330 Millionen
DM. Insbesondere die großen industriellen Agrarbetriebe werden dadurch entlastet. - Ich kritisiere nicht die
Chemische Industrie, sondern die Schieflage, die von
der rotgrünen Mehrheit zu verantworten ist und die bedeutet, daß die bäuerliche Landwirtschaft durch diese
Ökosteuer in schwieriger Lage in unverantwortlicher
Weise zusätzlich belastet wird.
({4})
Das paßt in das Bild, das wir von der Ökosteuer haben: Der Kleine wird belastet - siehe den Rentner, siehe
den Arbeitslosen, siehe den Sozialhilfeempfänger, siehe
den Studenten. Das ist die Realität, die unsoziale Realität dieser rotgrünen Mehrheit.
({5})
Die rotgrüne Mehrheit hat ihren ursprünglichen Beschluß im Haushaltsausschuß, den Zuschuß für die
landwirtschaftliche Unfallversicherung von 615 Millionen DM auf 500 Millionen DM zu senken, korrigiert.
({6})
Sie hat wieder einmal korrigiert - das paßt in das Bild
dieser Regierung. Sie bessert ständig nach und korrigiert, weil sie eben erst lernen muß, und das wird sie nie
schaffen.
Es soll nun eine Absenkung um 65 Millionen DM auf
einen Ansatz von 550 Millionen DM erfolgen. Hintergrund dieser Aktion ist, daß mit dieser verminderten Absenkung die vorläufigen Beitragsbescheide der Landwirte nicht korrigiert werden müssen, weil die gesenkten
Bundeszuschüsse aus der Liquidität der Träger der Unfallversicherung finanziert werden können. Auf diese
Weise meint die Koalition, zusätzlichen Ärger bei den
Landwirten vermeiden zu können.
({7})
Dies ist ein doppelter Irrtum: zum einen, weil die Liquidität bei den Trägern nur einmal ausgegeben werden
kann und im nächsten Jahr das Geld in der Kasse fehlt,
was zu entsprechenden Beitragsbelastungen führen wird,
und zum anderen, weil die Bauern intelligent genug
sind, den Trick, der hier versucht wird, zu durchschauen.
({8})
Welche Bedeutung der Bundeszuschuß von 615 Millionen DM - bei Gesamtausgaben von rund 1,95 Milliarden DM in der Unfallversicherung - für die Landwirte hat, zeigt ein Blick auf die Senkungsquote, also
auf die Absenkungswirkung des Bundeszuschusses für
die jeweilige Berufsgenossenschaft: Die Senkungsquote
beträgt zum Beispiel für die Berufsgenossenschaft
Hannover 41,87 Prozent, für Westfalen 46,3 Prozent,
für Hessen-Nassau 43,3 Prozent, für Rheinland-Pfalz
46,49 Prozent, für das Saarland 48 Prozent, für Oberund Mittelfranken 52,47 Prozent, für NiederbayernOberpfalz 41,42 Prozent, für Schwaben 36,89 Prozent, für Unterfranken 48,07 Prozent, für Oberbayern
40,79 Prozent, für Baden 53,58 Prozent und für Württemberg 53,46 Prozent. Sinkt also der Bundeszuschuß,
dann steigt im gleichen Verhältnis der Beitragssatz entsprechend der Senkungsquote an.
Zur Kompensation der Belastung aus der Ökosteuer
beantragt deshalb die CDU/CSU-Fraktion die Aufstokkung des Zuschusses zur landwirtschaftlichen Unfallversicherung um 320 Millionen DM auf 870 Millionen DM,
um eine direkte Einkommenswirkung zu erzielen. Wir
haben eine namentliche Abstimmung über diesen Änderungsantrag beantragt, weil es um existentielle Fragen
der Landwirtschaft, um die Kompensation der Ökosteuer
und die Stabilisierung der Beitragssätze in der Unfallversicherung geht.
({9})
Die Kernprobleme der landwirtschaftlichen Unfallversicherung sind die hohe alte Last und der sich nicht
zuletzt durch die Beschlüsse der Bundesregierung zur
Agenda 2000 verstärkende Strukturwandel. Für eine
Reform zeichnen sich zwei Lösungslinien ab: Nach dem
Sozialgesetzbuch besteht für die Träger der landwirtschaftlichen Unfallversicherung die Möglichkeit zum
bundesweiten Solidarausgleich, der bisher nicht stattfand. Ein Ausgleich würde von den starken Gebieten mit
großen landwirtschaftlichen Betrieben, die im Verhältnis
geringe Unfallzahlen aufweisen, hin zu den schwächeren
Gebieten mit kleinerer Betriebsstruktur und stärkerem
Strukturwandel erfolgen. Wie realistisch dieser Lösungsweg ist, zeigt die Tatsache, daß er bisher nicht begangen wurde.
Die zweite Lösungslinie besteht in einer völligen
Neuordnung der landwirtschaftlichen Unfallversicherung, die dergestalt aussehen könnte, daß für die alte
Last und für die Klein- und Nebenerwerbsbetriebe eine
eigene Unfallversicherung mit gesetzlich abgesichertem
Bundeszuschuß errichtet wird, während für die größeren
Betriebe mit Zukunftsfähigkeit eine Beitragskasse ohne
staatlichen Zuschuß entstünde, die aus sich heraus wegen der Struktur der Mitglieder einen verträglichen Beitrag ermöglichen könnte.
Zu dem akzeptablen Teil der Beschlüsse des Berliner
Gipfels zur Agenda 2000 zählt die Einigung auf eine
obligatorische Flächenstillegung von 10 Prozent. Hier
entstehen Chancen für nachwachsende Rohstoffe. Um
diese optimal nutzen und neue Technologien in Demonstrationsanlagen ausreichend entwickeln und erproben
zu können, beantragt die CDU/CSU-Fraktion für die investive Förderung nachwachsender Rohstoffe die Verdoppelung des Ansatzes auf 60 Millionen DM.
({10})
Die Berliner Beschlüsse zur künftigen Agrarpolitik der Europäischen Union sind völlig unbefriedigend.
Sie bedeuten im Ergebnis mehr Bürokratie, sinkende
Einkommen und eine weiter steigende Abhängigkeit der
Landwirte von Beihilfen und Subventionen. Um die von
den EU-Finanzministern festgelegte Obergrenze von
40,5 Milliarden Euro pro Jahr einhalten zu können, wurden die kostenträchtigen und im übrigen falschen Teile
der Agrarreform in der finanziellen Vorausschau einfach
gestreckt oder an das Ende verschoben.
Das in Berlin beschlossene Agrarpaket bedeutet einen
steigenden Preisdruck für die Landwirte und im Milchund Rindfleischsektor eine völlig widersinninge Ausweitung der Produktionsmengen mit entsprechendem
Preisverfall. Notwendig ist statt dessen eine Agrarpolitik
der strikten Mengenbegrenzung und ein Einstieg in die
Kofinanzierung.
({11})
Mit dem Verzicht auf den Einstieg in die Kofinanzierung der Agrarbeihilfen aus den nationalen Haushalten
wurde zudem - gegen die ausdrückliche Forderung der
Bundesländer und der Mehrheit des Deutschen Bundestages in der 13. Wahlperiode - die große Chance vergeben, die Agrarausgaben zu verringern, ohne Tausende
von Landwirten mit existenzbedrohenden Einkommensverlusten zu konfrontieren.
Die Kofinanzierung hätte darüber hinaus die gemeinsame Agrarpolitik auch in der Perspektive einer baldigen
EU-Erweiterung finanzierbar gehalten. Das Ergebnis
dieser dilettantischen Verhandlungsführung ist eine
Mehrbelastung der deutschen Landwirte um 2,5 Milliarden DM jährlich.
({12})
Bundesminister Funke spricht davon, die deutsche
Landwirtschaft müsse wettbewerbsfähiger werden. Dem
ist grundsätzlich zuzustimmen. Aber die Taten dieser
rotgrünen Regierung bewirken exakt das Gegenteil. Die
Ökosteuer belastet die deutsche Landwirtschaft einseitig
und behindert sie im europäischen Wettbewerb. Das ist
die Wirklichkeit rotgrüner Mehrheiten.
({13})
Das Wort hat die
Kollegin Iris Hoffmann.
Frau Präsidentin!
Sehr geehrte Damen und Herren! Agrarpolitik an der
Schwelle zum neuen Jahrtausend zu thematisieren heißt
Aufbruch zu Veränderung und Weichenstellung für die
Zukunft.
Die Agenda 2000 ist unter der deutschen EUPräsidentschaft mit dem Berliner Kompromißpaket
rechtzeitig verabschiedet worden. Die deutsche Präsidentschaft hat es in einer schwierigen Phase - denken
wir an den Rücktritt der EU-Kommission und an den
Beginn des Kosovo-Krieges - vermocht, die großen InJosef Hollerith
teressenunterschiede der Partner zum Ausgleich zu bringen.
({0})
- Ja. - Damit ist ein wichtiger Schritt in Richtung EUAgrarpolitik für die Zukunft erreicht worden und eine
Basis für den Beitritt der stark agrarorientierten mittelund osteuropäischen Länder geschaffen worden.
Heute ist unser Thema die nationale Agrarpolitik.
Richten wir unser Augenmerk dabei vornehmlich auf
den Bundeshaushalt, muß man klar feststellen, daß die
alte Bundesregierung uns einen Agrarhaushalt hinterlassen hat, der strukturell ausgepreßt ist und finanziell keinerlei Gestaltungsspielraum zuläßt.
({1})
Von 1991 bis 1998 stieg das Volumen des Bundeshaushaltes um 13,2 Prozent; der Agrarhaushalt hingegen
nahm um 16,8 Prozent ab. Im gleichen Zeitraum stiegen
die Ausgaben im Agrarsozialbereich um 41 Prozent. Das
heißt, die außerhalb der Agrarsozialpolitik verfügbaren
Mittel wurden von der alten Koalition immer stärker zusammengestrichen, nämlich von 8,2 Milliarden DM in
1991 auf 3,7 Milliarden DM in 1998, also um sage und
schreibe 4,5 Milliarden DM.
({2})
Dies hat sich natürlich vornehmlich im Bereich einkommenswirksamer Maßnahmen und im Bereich investiver Maßnahmen niedergeschlagen. Da finde ich es
schon peinlich, wenn Sie, meine Damen und Herren von
der CDU/CSU-Opposition, nach der Bereinigungssitzung des Haushaltsausschusses erklären, Sie hätten von
der rotgrünen Regierung erwartet, daß mehr Mittel für
den investiven Bereich eingesetzt werden würden. Bezogen auf den Agrarhaushalt kann ich Ihnen da nur erwidern: Wer den Mund spitzt, muß auch Töne herausbekommen, und zwar möglichst noch melodische und
nicht nur ein Krächzen.
({3})
Sie haben es zu verantworten, daß sich der Bundeshaushalt insgesamt in allen Richtungen konsolidierungsbedürftig zeigt. Daß der Agrarhaushalt davon mit betroffen ist, steht außer Frage. Ihnen steht vor diesem Hintergrund Zurückhaltung gut zu Gesicht.
({4})
Der politischen Weichenstellung zur Konsolidierung
des Bundeshaushalts muß auch der Einzelplan 10 Rechnung tragen. Der Regierungsentwurf sah ein Volumen
des Agrarhaushalts von 11,6 Milliarden DM vor. Wir
debattieren heute über 11,55 Milliarden DM. Unter Berücksichtigung anderer Einsparungen und Kürzungen
konnte die ursprünglich veranschlagte globale Minderausgabe von 89,5 Millionen DM auf 33,1 Millionen DM
begrenzt werden. Sie ist im Rahmen der Bewirtschaftung aufzulösen.
Der Haushaltsansatz für die Alterssicherung wurde,
basierend auf den vorliegenden Hochrechnungen der Alterskassen, um 40 Millionen DM auf den tatsächlichen
Mittelbedarf von 4,4 Milliarden DM zurückgeführt. Vor
dem Hintergrund der eingetretenen Zinssenkungen war es
möglich, die Kassenkredite für EU-Marktordnungsausgaben um 14 Millionen DM abzusenken.
Die landwirtschaftliche Unfallversicherung hat in
den vergangenen Wochen und Monaten heftigste Diskussionen ausgelöst. Wir haben die Mittel hierfür - statt,
wie von uns ursprünglich vorgesehen, um 115 Millionen
DM - um 65 Millionen DM gekürzt.
({5})
Dadurch werden sich für 1999 keine unmittelbaren
finanziellen Belastungen für die Landwirte ergeben.
({6})
- Nun bewahren Sie doch Ruhe. Ich werde Ihr Gedächtnis noch erhellen.
({7})
Diese Situation darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, daß bei der Aufstellung des Haushalts 2000 auch
über eine strukturelle Reform der landwirtschaftlichen
Unfallversicherung nachgedacht werden muß.
({8})
Hierzu benötigen wir in den nächsten Wochen eine konstruktive und offene Diskussion. Änderungen im Leistungsangebot und beim versicherten Personenkreis der
gesetzlichen Unfallversicherung müssen im Zuge der
Haushaltsberatung für den Agrarhaushalt 2000 thematisiert werden.
({9})
Die Bezuschussung der landwirtschaftlichen Unfallversicherung stellt eine freiwillige Aufgabe des Bundes
dar und wurde bereits in den letzten Jahren mehrfach
dem Grunde und ihrer Höhe nach sehr kritisch beleuchtet. Der Bundesrechnungshof hat sich bereits mit diesem
Thema befaßt. So führt er in seinem Bericht vom 28.
März 1998 nicht nur aus, daß das System der landwirtschaftlichen Unfallversicherung stark reformierungsbedürftig ist. Er sprach schon damals die Empfehlung aus,
diesen Titel für das Jahr 1999 auf 415 Millionen DM zurückzuführen. Für das Jahr 2000 schlug er sogar eine
Reduzierung auf 315 Millionen DM vor.
({10})
Wie Sie sehen, meine Damen und Herren von der Opposition, die Sie seinerzeit in der Regierungsverantwortung
standen, ist dies ein Thema, das nicht erst seit dem Regierungswechsel, also seit dem 27. September, auf der
Tagesordnung steht. Nein, wir sind hier vielmehr gezwungen, Ihre Hausaufgaben zu erledigen, da Sie selbst
nicht in der Lage dazu waren.
({11})
Iris Hoffmann ({12})
In diesem Zusammenhang sagt ein altes Sprichwort:
Lege nicht der Zeit zu Last, was du selber verschuldet
hast. Deshalb verstehe ich die Flügelschläge der Kolleginnen und Kollegen der Opposition beim Thema landwirtschaftliche Unfallversicherung gar nicht. Fakt ist
doch und wahr bleibt doch, daß der Kollege von Hammerstein hier am 25. November 1997 ankündigte, sich
1998 mit den Berufsgenossenschaften zusammensetzen
zu wollen, um zu versuchen, erhebliche Kosteneinsparungen zu erzielen. Die Reduzierung der Anzahl der Berufsgenossenschaften war damals Ihr Ziel.
Ich wünschte mir, heute in dieser Debatte zumindest
sagen zu können, die alte Bundesregierung habe in dieser Hinsicht wenig erreicht.
({13})
Tatsache ist aber: Die alte Regierung hat gar nichts bewirkt.
({14})
Wenn Ihre Fraktion dann in der Bereinigungssitzung
von Taschenspielertricks spricht, wenn es um die Absenkung der Mittel für die landwirtschaftliche Unfallversicherung geht, und wenn sie zuvor in den Berichterstattergesprächen noch deren Anhebung um 320 Millionen DM fordert - und das mit ihrem heutigen Antrag
auch noch bekräftigt -, ist das nicht nur verkehrte Welt.
({15})
Nein, Sie zeigen damit, daß es Ihnen an Realitätssinn
fehlt.
({16})
Sie stehen noch nicht einmal zu dem, was Sie vor diesem Hohen Hause vor eineinhalb Jahren vollmundig
angekündigt haben. Wir werden in der landwirtschaftlichen Unfallversicherung mit einer längst überfälligen
Strukturreform die Weichen für die Zukunft stellen.
({17})
Meine Damen und Herren, im Rahmen des Einzelplans 10 spielt die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes“
eine erhebliche Rolle. Auch diese Mittel sind in den
letzten Jahren deutlich von der CDU-geführten Regierung beschnitten worden. Mit den jetzt veranschlagten
rund 1,7 Milliarden DM ist es uns trotz aller Konsolidierungszwänge gelungen, sie im Bestand zu erhalten.
({18})
Dieser Betrag ermöglicht es den Bundesländern auch,
das Vorjahresniveau der Förderung beizubehalten. Ich
sage dies insbesondere deshalb, weil mir aus naheliegenden Gründen die Finanzierung von Küstenschutzmaßnahmen besonders am Herzen liegt. Jede Erhöhung
der Sicherheit an den Küsten der Nord- und Ostsee sowie im Tidegebiet gegen Sturmflut dient der Erhaltung
des Lebensraumes hinter den Schutzanlagen. Sollten
Maßnahmen des Naturschutzes oder der Landschaftspflege notwendig sein, so können diese nur dann förderfähig sein, wenn sie auch einen klaren räumlichen Bezug
zur jeweiligen Küstenschutzmaßnahme haben.
Das Hauptaugenmerk muß nun darauf gerichtet sein,
daß sich Bund und Länder auf ein Konzept für die
künftige Strukturförderung unter Berücksichtigung
des vorhandenen finanziellen Spielraums verständigen.
Im Bereich der Fischereipolitik haben wir den Förderbetrag um 2 Millionen DM abgesenkt. Diese Reduzierung entspricht dem realistischen Bedarf bei den Kapazitätsanpassungsmaßnahmen, den Kutterdarlehen und
den Strukturmaßnahmen für die Seefischerei; denn die
Ist-Zahlen der vergangenen Jahre haben deutlich gemacht, daß auch der abgesenkte Betrag für 1999 noch
über dem Bedarf liegt.
Die Bundesregierung stellt in diesem Jahr im Rahmen
eines Markteinführungsprogrammes für erneuerbare
Energien 200 Millionen DM zur Verfügung.
({19})
Diese werden zwar im Einzelplan 09, beim Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie veranschlagt,
ein angemessener Anteil hieraus wird aber der Landwirtschaft zufließen.
Eingangs sprach ich vom Aufbruch zu Veränderung
und von der Weichenstellung für die Zukunft. Es ist
meine tiefe Überzeugung, daß uns mit diesem Haushalt
- trotz aller gegensätzlicher Diskussionen in den letzten
Wochen - der Einstieg hierzu gelungen ist. Wir müssen
der Landwirtschaft eine Zukunft geben. Dies gelingt nur,
wenn wir eine Agrarpolitik gestalten, die es der Landwirtschaft ermöglicht, sich auch in einer erweiterten EU
zu bewähren.
Vielen Dank.
({20})
Frau Kollegin Hoffmann, das war Ihre erste Rede im Deutschen Bundestag.
Ich beglückwünsche Sie dazu im Namen des ganzen
Hauses.
({0})
Jetzt erteile ich das Wort dem Kollegen Ulrich Heinrich, F.D.P.-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine
lieben Kolleginnen und Kollegen! Die schönen Worte
meiner Vorrednerin, Frau Hoffmann, haben wir wohl
gehört. Aber ich sage Ihnen: Dieser Haushalt reflektiert
nicht die Notwendigkeit, der Landwirtschaft die Aufmerksamkeit zu schenken, die sie zur jetztigen Zeit
Iris Hoffmann ({0})
eigentlich bräuchte. Der Haushalt ist, so möchte man
sagen, eher ein Sozial- als ein Agrarhaushalt.
Er nimmt natürlich soziale Flankierungen vor, aber ist
nicht dazu geeignet, die Landwirtschaft fit zu machen
für die Herausforderungen, für die auch Sie, Herr Minister, mit verantwortlich sind. Das sind in erster Linie
Fragen der Agenda 2000, aber das betrifft auch Herausforderungen durch die nationale Gesetzgebung: Im
Rahmen der Steuergesetzgebung nehmen Sie bei der
Umsatzsteuer willkürlich einen Prozentpunkt weg. Dies
belastet die Landwirtschaft zusätzlich, genauso wie die
Ökosteuer und die Neuregelung im Bereich der 630Mark-Jobs.
({1})
Das sind die entscheidenden Merkmale Ihrer Politik.
Sie reagiert damit auf die Agenda 2000, die - das gebe
ich gerne zu - ein Einigungswerk von 15 ist. Sie haben
sich geeinigt, aber auf einem sehr niedrigen Niveau.
({2})
Sie haben die Forderungen, die Sie vor sich hergetragen
haben, nicht in Erfolge ummünzen können - weder bei
der Finanzierung noch in der Umsetzung konkreter
Politik: nicht bei der Milchpolitik, erst recht nicht bei
der Rindfleischpolitik. In allen Bereichen haben Sie Ihre
Zielsetzungen verfehlt.
({3})
Der Stellenwert der Agrarpolitik ist bei dieser Regierung annähernd Null.
({4})
Denn mit dem, was Sie vorlegen, schneiden Sie unmittelbar in die Einkommen der landwirtschaftlichen Betriebe ein - sei es im Wege der Steuerpolitik oder in allen anderen Bereichen, in denen Sie Sondertatbestände
bereinigen wollen. Alle Maßnahmen in der Landwirtschaft sind einkommenswirksam; in kaum einem anderen Politikfeld ist das so ausgeprägt. Deshalb wirkt sich
die schwierige Lage des Agrarhaushaltes so negativ auf
die Einkommen der Landwirtschaft aus: Die Mittel für
die Gemeinschaftsaufgabe werden abgesenkt statt aufgestockt. Bei der Unfallversicherung nehmen Sie Einschnitte vor, anstatt wenigstens den Versuch zu unternehmen, einen gewissen Ausgleich zur ungerechten Belastung durch die Ökosteuer zu schaffen.
({5})
Die einzelbetrieblichen Belastungen liegen in der Regel
bei etwa 1 000 DM. Mit der Agenda 2000 sind Einkommenseinbußen zwischen 5 und 10 Prozent verbunden. Andere nationale Maßnahmen fordern zusätzliche
Belastungen in Höhe von etwa 1 Milliarde DM.
({6})
All das zusammen zeigt den geringen Stellenwert der
Landwirtschaft bei Ihrer Politik.
Herr Minister Funke, Sie sind mit großen Vorschußlorbeeren in dieses Haus gekommen.
({7})
Man hat gesagt: Das ist ein Mann, der etwas von der
Landwirtschaft versteht und der mit den Landwirten
umgehen kann. Ich sage Ihnen: Das, was Sie hier vorlegen, ist eine Blamage für die Landwirtschaft und erst
recht für diese Regierung.
({8})
Ich verstehe überhaupt nicht,
({9})
daß wir von dieser Regierung in dem harten Wettbewerbskampf, der durch die Agenda entstehen wird, absolut allein gelassen werden. Was sagen Sie den Milchbauern zur Agenda, zu der Aussetzung bis 2006? Was
sagen Sie den Milchbauern, die sich in der Vergangenheit mit Milchpreissenkungen auseinandersetzen mußten
und dies erst recht auch in der Zukunft müssen?
({10})
- Die melkt den Milchbauern; das ist richtig.
Aber was haben Sie davon, Perspektiven auszuweichen? Das, was Sie von der Brüsseler Politik zusammengefaßt haben, was in Ihrem hochgelobten Berliner
Beschluß auch noch positiv vertreten wird, ist schlichtweg schlecht organisierte Planwirtschaft.
({11})
Sie verfehlen die Ziele, die Sie sich selber gesetzt haben.
({12})
Die Politik wird für den Steuerzahler teurer. Die
Landwirte bekommen weniger. Die Bürokratie nimmt
zu. Die Regeln der WTO werden bei weitem nicht eingehalten.
Ich sage Ihnen voraus: Die Ende dieses Jahres beginnende WTO-Runde wird für die europäische Landwirtschaft zusätzliche Belastungen bringen, voraussichtlich
in einem noch stärkeren Maße, als das bei der Agenda
der Fall war: weil Sie nicht in der Lage waren, die Weichen so zu stellen, daß die unsinnigen Exportsubventionen zurückgehen, weil Sie nicht in der Lage waren, mit
einer Mengensteuerung hin zu einem ausgeglichenen
Markt innerhalb Europas zu kommen, weil Sie nicht in
der Lage waren, wenigstens im Bereich von Rindfleisch
und Milch einen europäischen Binnenmarkt anzustreben. Sie haben all die Ziele verfehlt, die erreicht werden
müssen, um auch in der Zukunft eine unternehmerische
Landwirtschaft haben zu können.
Im Gegenteil: Das Unternehmertum wird weniger gefragt werden, wenn es um die Höhe der Einkommen in
der Landwirtschaft geht. Die Politik wird noch stärkeres
Gewicht haben, wenn es um die Prämienverteilung geht.
Sie unterhalten sich schon heute darüber, wie die Rinderprämien mit der Perspektive der Osterweiterung in
Zukunft überhaupt gehalten werden können, wie Sie all
das Geld, das Sie der Landwirtschaft heute versprechen,
in Zukunft gegenfinanzieren können. Ich sage Ihnen:
Dieses Fundament ist so schwach, daß Sie nicht in der
Lage sein werden, das zu halten, was Sie versprochen
haben. Sie werden die direkten Einkommensübertragungen sehr schnell zurückfahren müssen, weil Sie das von
uns allen angestrebte große Ziel einer europäischen
Osterweiterung sonst nicht erreichen werden.
({13})
Auch dieses Ziel verfehlen Sie mit dieser Agrarpolitik.
Ich kann Ihnen nur empfehlen, daß Sie sich in Zukunft mehr mit den Landwirten unterhalten und nachfragen, was die von Ihrer Politik halten.
Herzlichen Dank.
({14})
Das Wort hat jetzt
die Kollegin Steffi Lemke, Bündnis 90/Die Grünen.
Frau
Präsidentin! Verehrte Damen und Herren! Kollege Heinrich, die Planwirtschaft in der alten DDR war gewiß
nicht gut. Aber wenn ich die westdeutsche bzw. die gesamtdeutsche Agrarpolitik der letzten 16 Jahre und länger zu verantworten hätte, wäre ich vielleicht doch ein
paar Töne leiser.
({0})
- Vielleicht lernt er es noch in der Opposition.
Mit ihrem ersten Agrarhaushalt hat die rotgrüne Bundesregierung einerseits der Notwendigkeit von Haushaltseinsparungen Rechnung getragen und andererseits
erste neue Akzente in der Landwirtschaftspolitik gesetzt.
Wir sind mit den im Koalitionsvertrag vereinbarten
Zielen für eine zukunftsfähige Landwirtschaft in den
vergangenen Wochen ein gutes Stück vorangekommen.
Im Vordergrund standen dabei die Verabschiedung
der Agenda 2000 auf dem Berliner EU-Gipfel am
26. März, die weitere Angleichung der Rahmenbedingungen für die Landwirte in den alten und neuen Bundesländern und die Eröffnung neuer Marktchancen für
die einheimischen Landwirte durch die Teilhabe der
Landwirtschaft am Programm zur Förderung erneuerbarer Energien.
Die Bundesregierung setzt damit Rahmenbedingungen für eine ökonomisch tragfähige und ökologisch verträgliche Landwirtschaft. Gleichwohl darf nicht verschwiegen werden, daß das Finanzvolumen, das im Einzelplan 10 zur Umsetzung dieser politischen Ziele für
die Landwirtschaft und den ländlichen Raum in
Deutschland zur Verfügung steht, ein enges Korsett darstellt.
Der Agrarhaushalt wurde von der alten Bundesregierung in den vergangenen Jahren über Gebühr zusammengestrichen und als Steinbruch für andere Aufgaben
verwendet. Wenn man sich vor Augen hält, daß der Einzelplan 10 seit 1991 Kürzungen in Höhe von 16,8 Prozent verkraften mußte, während der gesamte Bundeshaushalt im selben Zeitraum um 13,2 Prozent gewachsen ist, würde ich das nicht unbedingt als eine Erfolgsstory für die konservativen Agrarpolitiker bezeichnen.
({1})
Die Regierung Kohl hat den Agrarhaushalt nicht für
eine aktive Politik zugunsten unserer Landwirte genutzt.
Die Bundesmittel für die Gemeinschaftsaufgabe wurden allein in den vergangenen fünf Jahren um ein Drittel
gekürzt. Dies können Sie auch nicht mit Ihrem letzten
Wahlkampfhaushalt beheben. Warum haben Sie die GA
nicht in den vergangenen Jahren aufgestockt, anstatt sie
kontinuierlich zurückzufahren und während des Wahlkampfs lediglich eine kleine Show abzuziehen? Wir haben diese Entwicklung gestoppt. Die Gemeinschaftsaufgabe bleibt für uns das wichtigste Instrument für eine
gestaltende Agrarpolitik in Deutschland.
({2})
Wir hätten uns im Interesse neuer Arbeitsplätze im
ländlichen Raum einen größeren finanziellen Spielraum
gewünscht. Er ist derzeit nicht vorhanden. Wir werden
aber die im Koalitionsvertrag festgeschriebene Aufwertung der Gemeinschaftsaufgabe schrittweise umsetzen.
Eine wirtschaftlich tragfähige und ökologisch verträgliche Landwirtschaft bildet den Kristallisationskern aller
gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Aktivitäten im
ländlichen Raum. Jede Mark an Fördermitteln löst im
ländlichen Raum private Investitionen in Höhe von 5 bis
6 DM aus und ist damit unmittelbar beschäftigungswirksam.
Ich komme jetzt zur landwirtschaftlichen Sozialpolitik. Die landwirtschaftliche Sozialpolitik gehört
auch zukünftig zu den zentralen Elementen der nationalen Agrarpolitik. Mehr als zwei Drittel der Haushaltsmittel des Einzelplans 10 fließen in die Kassen der
landwirtschaftlichen Alters-, Krankheits- und Unfallversicherung. Wir stehen hier zu unserer Verantwortung für
die Menschen im ländlichen Raum. Wir werden auch in
den kommenden Jahren erhebliche Summen zur Defizitdeckung bei den landwirtschaftlichen Sozialversicherungen aufwenden müssen.
({3})
Die in der Bereinigungssitzung am 22. April erzielte
Einigung einer Kürzung des Bundeszuschusses zur
landwirtschaftlichen Unfallversicherung um 65 MilUlrich Heinrich
lionen DM stellt jedoch einen tragfähigen Kompromiß
dar. Dies war nicht der Antrag der Agrarpolitiker - Sie
wissen das -, wir hätten uns mehr zeitlichen Spielraum
gewünscht. Es sind aber im laufenden Jahr mit Ausnahme der Berufsgenossenschaft Rheinland-Pfalz keine neuen Beitragsbescheide für die Landwirte zu erwarten.
Über die Gründe, warum Rheinland-Pfalz hier eine
Ausnahme bildet, würde ich mich gern intensiver mit
dem Deutschen Bauernverband und den Agrarpolitikern
der Opposition unterhalten.
({4})
Sie wissen ganz genau, daß dem Bauernverband ein wesentlicher Anteil für eine verfehlte Politik im Bereich
der landwirtschaftlichen Unfallversicherung zukommt
und dies nicht weiter zu Lasten des Bundes gehen darf.
({5})
Die Rechnung, die der Bauernverband heute in seiner
Pressemitteilung eröffnet, stimmt hinten und vorne
nicht, weder für das Jahr 1999 noch für das nächste Jahr.
Erstens scheint es mit der Prozentrechnung zu hapern,
und zweitens setzt das dort beschriebene Szenario voraus, daß es keinerlei Veränderungsbedarf und möglichkeiten bei der landwirtschaftlichen Unfallversicherung gibt. Es geht hier nicht um eine Beitragskürzung. Vielmehr geht es um eine Strukturreform. Wir
werden dabei die landwirtschaftlichen Sozialversicherungsträger selbst in die Pflicht nehmen. Auch sie müssen durch Schaffung effizienterer Strukturen zur sparsamen Mittelverwendung beitragen.
({6})
Frau Kollegin, einen
Augenblick bitte. - Ich stelle fest, daß viele wohl wegen
Übermüdung nicht mehr ganz aufmerksam sind. Ich
finde das der Kollegin gegenüber etwas unfair und bitte
sehr herzlich, daß wir auch die letzten 20 Minuten noch
ordentlich miteinander umgehen. Danke schön.
({0})
Das gilt auch für die Fraktionsvorsitzenden, die hier
nicht herumstehen dürfen.
Bitte sehr, Frau Kollegin.
Der
Bericht des Bundesrechnungshofes, der ein mittelfristiges Sparpotential von 100 Millionen DM darlegt, wird
sorgfältig auszuwerten sein, und die Reformmöglichkeiten seitens der Versicherungsträger zur Reduzierung
der Kosten werden vollständig auszuschöpfen sein.
Der CDU-Vorschlag, den Bundeszuschuß zur landwirtschaftlichen Unfallversicherung um 320 Millionen
DM zu erhöhen, um damit die durch die Ökosteuer von
der CDU prognostizierten Mehrbelastungen der Landwirte zu kompensieren, ist ein reiner Schaufensterantrag.
({0})
Sie haben es jahrelang versäumt - Herr Hornung, Sie
tragen dafür Mitverantwortung -, endlich effiziente
Strukturreformen in diesem Bereich einzufordern und
sie als Bundesregierung umzusetzen, weil Sie dieses
verdammt heiße Eisen schlicht und einfach nicht anfassen wollten.
Zu weiteren Bereichen im Bundeshaushalt: Wir haben mit dem Konzept der ökologisch-sozialen Steuerreform ein Instrument geschaffen, das wieder nach vorne weist und der Politik neue Gestaltungsspielräume eröffnet,
({1})
statt ausschließlich überkommene Strukturen zu konservieren. Wir haben uns für eine Gleichstellung der Landwirtschaft mit dem übrigen produzierenden Gewerbe
eingesetzt, mit dem Erfolg - es war nicht der Antrag der
CDU, der dazu geführt hat -, daß dies dann von der Regierung auch umgesetzt wurde.
({2})
Auf der Gegenseite haben wir zwei große Bereiche
für die Verwendung der Ökosteuereinnahmen definiert:
zum einen die Absenkung der Arbeitgeberbeiträge zur
Rentenversicherung - davon profitieren teilweise auch
landwirtschaftliche Arbeitgeber -, zum anderen vor allem das breit angelegte Förderprogramm für erneuerbare
Energien mit einem jährlichen Volumen von 300 Millionen DM.
({3})
Hiervon wird rund ein Drittel für den Ausbau von Biomasse und Biogasanlagen in den landwirtschaftlichen
Bereich fließen. Damit wird erstmals in Deutschland ein
Marktanreizprogramm für die zukunftsweisende Rolle
des Landwirts als Erzeuger umweltfreundlicher Energie
aufgelegt.
Ich denke, daß selbst die Opposition diesem Bereich
zustimmen dürfte, daß er Ihre Unterstützung finden
müßte. Sie sollten deshalb in diesem Bereich aktiv werden und in der Landwirtschaft für ein Investitionsprogramm werben, damit Nachfolgeeffekte im landwirtschaftlichen Bereich ausgelöst werden können.
({4})
Für mich als Agrarpolitikerin aus den neuen Bundesländern ist es besonders erwähnenswert, daß die Agrarpolitik der Bundesregierung eine weitere Angleichung
der Rahmenbedingungen für alle Landwirte in Deutschland vollzogen hat. Die bisherigen Investitionen in den
Aufbau Ost haben sich im ländlichen Raum der neuen
Bundesländer besonders bemerkbar gemacht. Die
Landwirtschaft ist einer der wenigen Sektoren, der im
zehnten Jahr nach dem gesellschaftlichen Neuanfang als
ökonomisch tragfähiger und international konkurrenzfähiger Wirtschaftszweig dasteht.
Die Bundesregierung hat den Weg für eine weitere
positive Entwicklung der Landwirtschaft in den neuen
Bundesländern frei gemacht. Ich erachte es für einen Erfolg der neuen Bundesregierung, daß die Idee einer einfachen Degression bei den betrieblichen Direktzahlungen während der Agendaverhandlungen fallengelassen
wurde, die fast vollständig zu Lasten der Betriebe in den
neuen Bundesländern gegangen wäre.
Für den Milchbereich - das wurde seitens der F.D.P.
angesprochen - wird die Bundesregierung noch vor der
Sommerpause einen Umsetzungsvorschlag vorlegen, der
den Übergang vom Quotenmodell der alten Bundesländer hin zu einem Lieferrechtsmodell mit verschiedenen
Abstufungen beinhalten wird. Ich lade insbesondere Sie
von der F.D.P. ein, da Sie diesen Bereich so intensiv angesprochen haben, sich an der Debatte konstruktiv zu
beteiligen und sich nicht in Totalopposition zu üben.
({5})
Nun hat die Kollegin
Kersten Naumann, PDS-Fraktion, das Wort.
Frau Präsidentin! Meine
Damen und Herren! Mit dem Agrarhaushalt 1999 vollzieht die Regierungskoalition zwar eine Politikwende,
aber eine in die falsche Richtung. Der Stil ihrer Politik
ist der gleiche wie der der gescheiterten Vorgängerregierung. Denn auch heute werden wie eh und je die Vorschläge und Einwände der Opposition weitgehend ignoriert. Ich kann Ihnen jedoch versichern, daß wir als linke
Oppositionspartei unsere Änderungsanträge aus den
Haushaltsberatungen immer wieder auf die Tagesordnung setzen werden - darauf vertrauend, daß Demokratie noch kein leerer Wahn ist.
({0})
Dabei knüpfen wir an die Versprechungen der
Koalitionsparteien zur Bundestagswahl an. Damals
hieß es, die Koalitionsparteien setzen sich für eine
„deutliche Ausdehnung des ökologischen Landbaus ein“
und wollen „die Wettbewerbsfähigkeit der Landwirtschaft einschließlich der vor- und nachgelagerten Bereiche ... stärken“. Die PDS greift diese Versprechen auf.
Deshalb fordern wir - ähnlich den Anträgen der anderen
Oppositionsparteien - erneut:
Erstens. Die Kürzung der bereits im PLANAKAusschuß festgelegten Höhe der Gemeinschaftsaufgabe
ist zurückzunehmen, und die Mittel sind wieder auf 1,8
Milliarden DM anzuheben.
({1})
Zweitens. Die Einsparungen bei der landwirtschaftlichen Unfallversicherung sind zurückzunehmen.
({2})
Wir erwarten natürlich, daß die CDU/CSU unserem
Antrag zustimmt, um wenigstens den Planungsansatz
wieder zu erreichen. Geht ihr Antrag, dem wir unsere
Zustimmung nicht verweigern werden, doch weit darüber hinaus!
({3})
Drittens. Wir fordern, daß der Haushalt nicht mit
einer globalen Minderausgabe belastet wird.
Viertens. Die Mittel aus der Ökosteuer sind dem
Agrarhaushalt in vollem Umfang zuzuführen, um den
ökologischen Landbau tatsächlich zu fördern.
({4})
Es zeigt sich immer wieder, daß Versprechen und
Wirklichkeit in der Regierungspolitik auseinanderklaffen. Ganz offensichtlich ist der Agrarhaushalt ein Sparhaushalt. Mit dem Verzicht auf eine gestaltende Politik
entzieht sich die Bundesregierung mehr und mehr ihrer
sozialpolitischen und ihrer landeskulturpolitischen Verantwortung für eine ganze Bevölkerungsschicht, die uns
ernährt, obendrein unsere Kulturlandschaft fast kostenlos pflegt und den ländlichen Raum mit ihren Traditionen und Lebensstilen bereichert.
Mit der Orientierung auf Weltmarktfähigkeit wird
der Verlust von mindestens 200 000 Arbeitsplätzen im
Ernährungsbereich zu erwarten sein. Auf einer Bauernversammlung in Sachsen-Anhalt wurde es auf den Punkt
gebracht: Agenda und Bundesregierung haben Planungssicherheit geschaffen, nämlich Sicherheit darüber,
daß die Bäuerinnen und Bauern in einer existenzbedrohenden Situation von der Politik keine Hilfe mehr zu
erwarten haben.
Die Bauern werden sich also selber helfen müssen.
Zwei Beispiele dazu, wie das aussieht: Erstens. Es gibt
noch keine Vereinheitlichung der Milchquotenregelung,
da werden im Osten schon die Quoten gehandelt. Zweitens. Die vielgepriesene Wettbewerbsfähigkeit erfordert
vor allem Marktfähigkeit und Wachstum. Also wird zum
Beispiel in meinem Wahlkreis eine große Milchviehanlage in den Konkurs getrieben und die Quote aufgeteilt.
Der Markt wird entlastet, und das Wachstum ist wieder
möglich. Für den Erhalt der Anlage ist kein Geld da,
aber für ABM zum Abriß der Anlage und zur endgültigen Vernichtung von Arbeitsplätzen stehen jetzt über
5 Millionen DM zur Verfügung. Diese Beispiele ließen
sich fortsetzen.
Das Argument, es müsse gespart werden, ist nur für
jene einsichtig, die der Ideologie vom Sachzwang zum
Opfer fallen. Es besteht kein Sachzwang, Krieg zu führen. Das ist einfach falsche Politik, die sogar im Agrarhaushalt ihre Spuren hinterläßt. Obwohl die NATOBomber ihr Zerstörungswerk noch nicht begonnen hatten, war im Agrarhaushalt bereits eine Verdoppelung der
Notfallreserve für Krisenzeiten gegenüber dem Ist von
1997 vorgesehen. Als Begründung heißt es unter anderem:
Eine unmittelbare militärische Bedrohung besteht
zwar nicht mehr, Sicherheitsrisiken dagegen sind
zahlreicher geworden. Das Geschehen in SüdostSteffi Lemke
asien ... sowie im Kosovo zeigt, daß die Welt von
paradiesischen Zuständen noch weit entfernt ist.
Dann folgt der Hinweis auf die Erhöhung des Verteidigungsetats der USA.
Mit den NATO-Bombardements sollen nun offensichtlich „paradiesische“ Zustände - sprich: amerikanische Zustände - auf der Welt geschaffen werden. Rechtzeitig stellt die Bundesregierung als treuer Bündnispartner die finanziellen Mittel für die NATO-Strategie bereit.
({5})
Die Planung der Notfallreserve im Agrarhaushalt ist
Ausdruck für den Übergang einer militärisch bestimmten Außenpolitik, die gegen das Grundgesetz und internationale Verträge verstößt. Nicht nur deshalb wird unsere Fraktion diesem Agrarhaushalt und der damit verbundenen Politik nicht zustimmen.
({6})
Ich erteile das Wort
der Kollegin Jella Teuchner, SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine
Damen und Herren! Wir haben uns heute mit dem
Agrarhaushalt auseinanderzusetzen, der in den vergangenen Jahren von der früheren Bundesregierung in einem ganz erheblichen Maße zur Haushaltskonsolidierung herangezogen worden ist. Ein Wort an Sie, Herr
Kollege Heinrich und Herr Kollege Hollerith: Ich denke,
diese Tatsache haben Sie ganz bewußt verinnerlicht. Wir
befinden uns heute nämlich in einer Debatte zum Agrarhaushalt und nicht in einer Debatte über die Auswirkungen der ökologischen Steuerreform oder zu den Beschlüssen der Agenda 2000.
({0})
Der Haushalt, der uns von der alten Regierung hinterlassen wurde, zwingt uns, in allen Ressorts Mittel
einzusparen. Der Agrarhaushalt kann deshalb hiervon
nicht ausgenommen werden. Auch hier mußten Kürzungen vorgenommen werden; das ist uns nicht leichtgefallen. Während die außerhalb der Agrarsozialpolitik verfügbaren Mittel von der alten Koalition immer stärker
zusammengestrichen wurden - nämlich von 8,2 Milliarden DM in 1991 auf 3,7 Milliarden DM in 1998 -, stiegen die Ausgaben für die Agrarsozialpolitik von 5,6
Milliarden DM in 1991 auf 7,9 Milliarden DM in 1999,
also um 41 Prozent. Hierbei handelt es sich im wesentlichen um gesetzlich gebundene Ausgaben. Dadurch wurden die Spielräume der Agrarpolitik stark reduziert, wie
dies sowohl im Bereich einkommenswirksamer als auch
im Bereich investiver Maßnahmen festgestellt werden
kann.
In welchem Umfang Haushaltsmittel heruntergefahren worden sind, möchte ich am Beispiel der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur und des
Küstenschutzes“ demonstrieren. So betrug der Ansatz
der Bundesmittel im Jahre 1993 einschließlich des Sonderrahmenplanes noch 3,2 Milliarden DM, im Haushalt
1998 standen nur noch 1,7 Milliarden DM zur Verfügung. Dies ist ein Rückgang um sage und schreibe
47 Prozent. - Wir folgen dieser Tendenz der Mittelkürzung bei der Gemeinschaftsaufgabe nicht, sondern sehen für den Ansatz des Bundes für 1999 unverändert
1,7 Milliarden DM vor - und dies, obwohl im Agrarhaushalt, wie in anderen Haushalten auch, 0,5 Prozent
eingespart werden mußten
({1})
und obwohl der Finanzbedarf für die gesetzlich gebundenen Maßnahmen im Rahmen der Agrarsozialpolitik
weiter gewachsen und eine globale Minderausgabe von
33 Millionen DM zu erbringen ist.
Nun hat im Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft
und Forsten die CDU/CSU- und die F.D.P.-Bundestagsfraktion eine Aufstockung der Mittel für die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur
und des Küstenschutzes“ beantragt. Die CDU/CSU forderte eine Anhebung um 91 Millionen DM und die
F.D.P. sogar um 141 Millionen DM. Sie haben sogar
den zweifelhaften „Mut“, diese Forderungen als unsittliche Änderungsanträge heute hier zur Abstimmung zu
bringen.
Meine Damen und Herren von der Opposition, es ist
selbstverständlich Ihr gutes Recht, mehr Geld zu fordern. Besonders einfach ist es natürlich dann, wenn dafür keine Verantwortung zu übernehmen ist. Daß Sie es
aber gerade bei der Gemeinschaftsaufgabe für geboten
halten, überrascht mich sehr und ist an Scheinheiligkeit
überhaupt nicht mehr zu überbieten.
({2})
Gerade bei der Gemeinschaftsaufgabe haben Sie gegen
unseren Widerstand im Haushalt 1998 erheblich gekürzt.
Das habe ich bereits dargestellt. Deshalb werden wir
diesen Anträgen nicht zustimmen.
Ich kann Ihnen versichern, daß auch wir die Mittel
gerne erhöht hätten. Wir werden natürlich sehr bemüht
sein, daß dies zukünftig realisiert werden kann, zumal
gerade von der Gemeinschaftsaufgabe wichtige Impulse
für Investitionen, für Arbeit und Beschäftigung im ländlichen Raum ausgehen.
Die Agrarpolitik hat daher bei sehr knappen Mitteln
die schwierige Aufgabe, die landwirtschaftlichen Betriebe bei der Weiterentwicklung und Ausrichtung auf
die Märkte zu unterstützen. Die zur Verfügung stehenden Mittel müssen noch stärker als bisher auf die zentralen Förderbereiche konzentriert werden. Die Erfolgskontrollen von politischen Maßnahmen sind deshalb zu
verstärken.
({3})
Die Zielgenauigkeit von Sozialtransfers und Subventionen ist daher zu überprüfen. Wir wollen eine integrierte
Entwicklung des ländlichen Raumes, um einen Beitrag
zur nationalen Beschäftigungsinitiative zu leisten. Insgesamt gesehen soll die Förderung stärker an ökologischen
Kriterien ausgerichtet werden sowie auch beschäftigungswirksamer ausgestaltet werden.
({4})
Jetzt hat das Wort
der Kollege Peter Bleser, CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine
Damen und Herren! Ein Bundeshaushalt ist mit einem
Drehbuch zu vergleichen. Unter diesem Gesichtspunkt
ist das Zahlenwerk dieser Bundesregierung im Bereich
der Landwirtschaft ein Offenbarungseid. Das, was Sie
im laufenden Jahr und in der Zukunft den von der
Landwirtschaft lebenden Familien aufbürden, ist in der
Nachkriegsgeschichte Deutschlands ohne Beispiel. In
einem Jahr muten Sie den bäuerlichen Familien ohne
Vorwarnung folgendes zu: 350 Millionen DM Mehrkosten durch die Ökosteuer, 400 Millionen DM Mehrkosten durch die Senkung der Vorsteuerpauschale,
350 Millionen Mark Mehrkosten durch die Senkung der
landwirtschaftlichen Freibeträge und 500 Millionen DM
Mehrkosten auf Grund der Auswirkungen der Steuerreform auf andere Bereiche. Aus all diesen Maßnahmen
zusammen errechnet sich eine Gesamtbelastung von
1,6 Milliarden DM im Jahr.
({0})
Bei 500 000 landwirtschaftlichen Betrieben, die es in
Deutschland noch gibt, wird jeder Betrieb im Schnitt mit
3 200 DM zusätzlich belastet. Für einen Vollerwerbsbetrieb ist dieser Betrag sicherlich noch um ein Mehrfaches höher.
Hinzu kommen die Erhöhungen der Beiträge zu den
Berufsgenossenschaften. Mit der Rücknahme des Bundeszuschusses um 65 Millionen DM haben Sie, Herr
Minister Funke, sich selbst ein Armutszeugnis ausgestellt.
Infolge der Strukturentwicklung in der Landwirtschaft ist die Zahl der Unfallrenten für ehemalige Bauern stark gestiegen, während die Zahl der Beitragszahler
stark zurückgegangen ist. Diese - entschuldigen Sie den
Ausdruck - sogenannte Altlast drückt auf die weiterwirtschaftenden Betriebe. Es ist geradezu die Pflicht des
Staates, hier ausgleichend einzugreifen. Deshalb haben
wir, die CDU/CSU-Fraktion, einen Antrag eingebracht,
in dem vorgesehen ist, die Mittel für die landwirtschaftliche Berufsgenossenschaft um 320 Millionen DM aufzustocken.
({1})
Wir sehen in diesem Antrag auch einen Ausgleich dafür, daß in der Landwirtschaft - entgegen der übrigen
Wirtschaft - keine wesentliche Senkung der Lohnnebenkosten durch Verwendung der Einnahmen aus der
Ökosteuer möglich ist. Es hätte Ihnen also gut angestanden, Herr Minister, zumindest zu versuchen, für die
Bauern - ähnlich wie in der übrigen Wirtschaft - einen
Ausgleich zu schaffen. Ihr Verhalten gegenüber der
Landwirtschaft ist ungerecht. Deshalb wollen wir in namentlicher Abstimmung feststellen, wer hierfür die Verantwortung übernehmen will.
Die Landwirtschaft hat bei dieser Bundesregierung
keinen hohen Stellenwert. Jetzt mögen viele von Ihnen
sagen, die 2 Prozent unserer Bevölkerung, die noch von
der Landwirtschaft leben, seien kein großer Anteil. Diejenigen, die so denken, irren.
({2})
Noch heute sind mehr als 1 Million Menschen in der
Landwirtschaft beschäftigt. In den vor- und nachgelagerten Bereichen arbeiten weitere 3 Millionen Menschen. Auch diese Gruppe wird von der Verschlechterung der nationalen und internationalen Rahmenbedingungen arg getroffen werden. Jeder Bauer, der geht,
wird zwei Kollegen aus den vor- und nachgelagerten
Bereichen mitnehmen. Das bedeutet eine Schwächung
des gesamten ländlichen Raumes.
({3})
Als ob das nicht genug wäre, haben wir es jetzt nach
dem Abschluß der Agenda-2000-Verhandlungen noch
zusätzlich mit einer Zeitenwende in der europäischen
Landwirtschaft zu tun. Sie, Herr Minister Funke, haben
in Brüssel einen Subventionsdschungel gepflanzt, den
selbst die Buschmänner der Beratungszunft nicht mehr
durchschauen. Dabei gibt es in der Tat zwei Möglichkeiten, die europäische Agrarpolitik zu gestalten.
Sie haben dem Vorschlag von Dr. Fischler blind zugestimmt, der Vorleistung, im Vorfeld der WTOVerhandlungen - sie sind gar nicht gefordert worden für nötig erachtet hat. Als Teilausgleich soll den
Bauern ein direkter Einkommenstransfer zugebilligt
werden.
Der andere mögliche Weg besteht darin, die europäischen Standards in bezug auf Lebensmittelhygiene,
Tierschutz, Düngung und Pflanzenschutz, Umweltschutz
und Anspruch auf eine intakte Kulturlandschaft durch
einen entsprechenden Außenschutz abzusichern und so
Wettbewerbsgleichheit zu schaffen. Innerhalb der Europäischen Union sollte man den Kräften des Marktes
Raum lassen, damit die Kosten der Nahrungsmittelproduktion auch vom Markt gedeckt werden können.
Der letztere Weg ist der unsere; denn er ermöglicht
eine umweltverträgliche und den Wünschen der Verbraucher entsprechende Produktion. Weltmarktpreise
bedingen auf der anderen Seite aber auch Produktionsmethoden, die auf dem Weltmarkt üblich sind.
Ich sage es hier mit aller Deutlichkeit: Ich möchte
kein Doping von Tieren in der Milch- oder Fleischproduktion.
({4})
So etwas ist leider in Amerika üblich. Der Einsatz von
stimulierenden Hormonen wird in Europa Gott sei Dank
aus Gründen des vorbeugenden Verbraucherschutzes
bisher einhellig abgelehnt. An diesem Beispiel mögen
Sie erkennen, was auch in anderen Sektoren auf die europäische Landwirtschaft und auf unsere Verbraucher
zukommt, wenn wir eine völlige Liberalisierung der
Weltmärkte in diesem Bereich bekommen.
({5})
Herr Minister, der vorbeugende Verbraucherschutz,
der Umweltschutz und der Tierschutz gehören auf den
Tisch der im Herbst beginnenden WTO-Verhandlungen. Wir werden darauf bestehen, daß das dort vorgetragen wird.
({6})
Was Sie, Herr Minister, von Brüssel mitgebracht haben und was die Regierungschefs in Berlin teilweise
noch korrigiert haben, ist in der Praxis kaum umsetzbar.
Im Jahre 2002 wird ein Doppelzentner Weizen in
Deutschland gerade noch 16 DM kosten.
({7})
Jeder weiß, daß damit die Produktionskosten nirgendwo
auf dem Globus zu decken sind. Mit staatlichen Transferleistungen wird also nicht nur Einkommen ausgeglichen, sondern auch ein erheblicher Teil der Produktionskosten abgedeckt.
Schlimmer noch sieht es in der Rindermast aus, wo
in Zukunft pro Bulle eine maximale staatliche Prämie
von 567 DM gezahlt wird - fragen Sie mich bitte nicht,
wie sich diese zusammensetzt -, während das Rindfleisch auf ein Preisniveau von unter 3 DM pro Kilo absinken soll. Als Ausgleich soll jemand, der 500 Bullen
im Jahr verkauft, den Betrag von 283 500 DM auf das
Konto überwiesen bekommen. Das ist doch Irrsinn, das
kann doch keine Zukunft haben.
({8})
Noch fataler ist die Perspektive in der Milchwirtschaft. Dort haben Sie, Herr Minister Funke, als Agrarratspräsident eine Aufstockung der Milchquote um
2,4 Prozent hingenommen. Jeder weiß, daß mit dieser
Mengenausdehnung der Preis sofort auf das Interventionsniveau fallen muß. Damit werden auch die
Marktordnungsausgaben im Milchbereich wieder ansteigen.
Nicht genug: Des weiteren ist eine Senkung der
Milchpreise um 15 Prozent vorgesehen. Das soll dann
wieder ausgeglichen werden. Damit Sie wissen, wovon
wir hier reden: Es wird ein Preisrückgang um 10 Pfennig
zu erwarten sein, 5 Pfennig davon soll der Steuerzahler
ausgleichen. Wir schaffen also eine weitere Abhängigkeit eines Sektors der Landwirtschaft vom Staat.
Was mich wirklich auf die Palme bringt, ist, daß Sie,
Herr Minister, es nicht geschafft haben, eine himmelschreiende Ungerechtigkeit in der Milchwirtschaft zu
beseitigen. Ich rede von der Altpachtenregelung. Herr
Minister, wir haben die Möglichkeit versäumt, eine
Zahllast von der deutschen Landwirtschaft zu nehmen.
Beim Auslaufen der jetzigen Milchquotenregelung wäre
es möglich gewesen, dies durch die Beseitigung der Flächenbindung zu erreichen.
Ich komme zum Schluß. Herr Minister, Sie haben mit
den Verhandlungen in Brüssel in der Landwirtschaft ein
neues Berufsbild geschaffen, nämlich das des „Prämieologen“. Dafür kann allerdings ein anderes Berufsbild verschwinden: das des Agrarbetriebswirtes.
Der Haushaltsentwurf, den Sie, Herr Minister, hier
abgeliefert haben, und das, was Sie als Agrarratspräsident in der Europäischen Union angerichtet haben, ist
fatal für die deutschen Bauern. Das läßt mich schon jetzt
zu dem Schluß kommen, daß man Ihre Amtszeit später
einmal als agrarpolitisches Funkloch bezeichnen wird.
Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
({9})
Als letztem in dieser
Aussprache erteile ich dem Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten, Herrn Karl-Heinz
Funke, das Wort.
Frau Präsidentin! Meine
Damen und Herren! Hier sind ja bemerkenswerte Ausdrücke gefallen wie „Armutszeugnis“, gemünzt auf die
Agrarpolitik der Bundesregierung, immer auch mit den
Ergebnissen der Agenda vermischt, oder „Blamage für
die Landwirtschaft“; dieses sagte Herr Heinrich.
({0})
- Wissen Sie, angesichts dessen, was in den letzten
16 Jahren agrarpolitisch in der Bundesrepublik
Deutschland passiert ist - ({1})
- Ich habe bei den ganzen Diskussionsbeiträgen ja
manchmal wirklich den Eindruck, als hätten schlichtweg wir in den letzten 16 Jahren die Verantwortung
gehabt.
({2})
Dem liegt ja ein historisches Mißverständnis exzellentester Art zugrunde. Nein, die ganzen Diskussionsbeiträge
hören sich so an, als schwebten Sie agrarpolitisch über
den Gesängen Israels, während bei uns das agrarpolitische Sodom und Gomorrha anfinge.
({3})
Das machen Sie zum Teil - das weiß ich ja ganz genau auch draußen. Auf Ihre Behauptung, Herr Heinrich, ich
redete nicht mit den Landwirten, entgegne ich Ihnen: Ich
bin schon von Goelriehenfeld bis Passau unterwegs und
rede mit den Bauern. So zu reden wagen Sie und Ihresgleichen ja nicht, wenn wir dabei sind,
({4})
sondern nur dann, wenn Sie einigermaßen sicher sein
können, daß die Bauern draußen nicht Ihre Worte vernehmen, denn sonst stellen Sie sich auch ganz anders dar.
Wie widersprüchlich Ihr Verhalten ist, will ich nur
einmal an einigen Beispielen aufzeigen.
Nun kann man mit Fug und Recht aus der Sicht der
Landwirtschaft über die Ökosteuer diskutieren. Wir waren uns über viele Jahre - ich erinnere mich an viele Debatten darüber - im Grunde einig darin, daß herkömmliche Energien gerade aus der Sicht der Landwirtschaft
höher besteuert werden müssen, um nachwachsenden
Rohstoffen langfristig eine Chance im Wettbewerb zu
geben. Darüber waren wir uns völlig einig.
({5})
Wie wollen wir denn Bioenergie, Biogas und ähnliches,
wettbewerbsfähig machen, wenn nicht auf diesem Wege? Da mag man über den Weg hier und da streiten; aber
dieselben Leute, die sich hier hinstellen und die Ökosteuer verdammen, verweisen auf Dänemark und fragen,
warum dort nachwachsende Rohstoffe, Bioenergie und
ähnliches, wettbewerbsfähiger als in der Bundesrepublik
Deutschland seien. Sie müssen da einmal hinfahren und
zuschauen, warum das so ist.
({6})
Dann will ich gerne - es ist hier wiederholt angesprochen worden - mich zur Verantwortung in bezug auf die
Agenda 2000 bekennen. Ich habe dabei ein schönes Erlebnis gehabt: Man kommt in eine Versammlung und
sieht dort ein großes Schild hängen - man weiß ja, wer
dafür gesorgt hat, daß es dorthin kommt -, auf dem
steht: „Agenda 2000 - 90 000 Betriebe müssen aufgeben
bis 2006“. Sie wird dann als der Tod und das Grab für
die deutsche Landwirtschaft bezeichnet. Nun ist es aber
so, meine Damen und Herren - ich habe das, wie ich
glaube, hier schon einmal dargestellt -, daß es in der
Landwirtschaft in den letzten 30 Jahren einen Produktivitätszuwachs von 3 Prozent gab und im Durchschnitt
3 Prozent der Betriebe aufgaben. Bei 500 000 Landwirten - wenn man keine Mengenlehre gehabt hat, kann
man das noch im Kopf ausrechnen ({7})
sind das pro Jahr 15 000 mal 6, also 90 000 Betriebe.
({8})
Es sind also 90 000 Betriebe, die allein auf Grund des
Produktivitätsfortschrittes aufgeben müssen. Da hängt
dann so ein Schild, das von Ihren Leuten dort hingehangen wurde. Das ist eine wunderbare Sache. Entweder
können Sie nicht mehr rechnen, oder Sie haben überhaupt keine Ahnung von dem, was sich in der Landwirtschaft abspielt.
({9})
- Zu Ihnen, Herr Heinrich, komme ich noch. Es ist herrlich, Ihnen zuzuhören. Mir macht es Freude, weil es
kaum jemanden gibt, der in einer zehnminütigen Rede
so viele Widersprüche auf einen Nenner zu bringen versucht.
({10})
Ich kann nur jedem empfehlen, das auch nachzulesen.
Ich habe es einmal schnell mitgeschrieben: Herr Heinrich bringt es fertig zu sagen, daß die Exporterstattung,
- er nennt sie Exportsubvention - unsinnig sei. Das ist
das eine. Er beklagt aber gleichzeitig, daß es uns nicht
gelungen sei - er gibt sich in diesem Zusammenhang
sehr marktwirtschaftlich -, den Binnenmarkt für Milch
und Rindfleisch anzustreben. Ein Marktwirtschaftler
sagt also, daß es uns nicht gelungen sei, einen Binnenmarkt für Milch und Rindfleisch anzustreben. Man muß
einmal zu Ende denken, was dies marktwirtschaftlich
bedeuten soll.
Herr Heinrich spricht gleichzeitig von weniger Exportsubventionen. Ich weiß aber nicht, wie wir dieses
bei einem Selbstversorgungsgrad von über 100 Prozent
bei Milch, geschaffen von Marktmolkereien, die wir in
der Bundesrepublik Deutschland Gott sei Dank haben
und die zum Teil mit und zum Teil ohne Exporterstattung in die Märkte außerhalb Europas exportieren, auf
dem Binnenmarkt unterbringen sollen. Selbst wenn man
den Mut hat, so auszusehen wie ich, bekommen Sie
einen Binnenmarkt für Milch und Rindfleisch nicht organisiert - mit Ihrer Figur, Herr Heinrich, schon überhaupt nicht.
({11})
Es wird auch in der Zukunft so sein, daß weniger Landwirte in der Lage sind, auf Grund des Produktivitätsfortschrittes mehr zu erzeugen.
Herr Heinrich hat das Thema Rindfleisch angesprochen. Wenn Sie davon ausgehen, wir hätten 1992 bei der
damaligen Agrarreform die Verantwortung gehabt, dann
müssen Sie natürlich uns die Schuld zuweisen. Ich gehe
aber davon aus, daß 1992 eine andere Regierung in der
Verantwortung stand. Ich will die Zahlen noch einmal
nennen: Bei einem Anteil der Rindfleischproduktion von
19 Prozent lag der Prämienanteil bei 9 Prozent. Das ist
ein ganz schlechtes Ergebnis der Verhandlungen von
1992. Wir haben dieses Ergebnis korrigiert und einen
Prämienanteil von 14 Prozent zugunsten der rindfleischproduzierenden Landwirte erreicht. Damit haben wir den
schlechten Beschluß aus dem Jahre 1992 korrigiert.
({12})
- Ich weiß, daß Ihnen dies nicht gefällt.
Ein nächster Punkt. Herr Heinrich verlangt zu Recht,
daß wir den Milchbauern Planungsklarheit für die Zukunft verschaffen sollten. Das ist völlig richtig: Diese
Regierung ist seit September im Amt, und schon wird es
verlangt.
Die Milchquotenregelung haben wir seit 1983/84.
Sie sind seit 1983/84 nicht in der Lage gewesen, die
Quotenkosten für die aktiven Milcherzeuger zu drücken;
die Kosten sind ständig gestiegen. Von der Bundesregierung erwarten Sie schon jetzt - die Agendabeschlüsse
liegen erst wenige Monate zurück -, dies bereits umgesetzt zu haben. Eine solche Forderung ist schon mutig,
wenn man selber nicht einen einzigen entsprechenden
Beitrag geleistet hat, sondern alles dafür getan hat, um
die Sofamelker zu stärken und nicht die aktiven Milcherzeuger.
({13})
Ich will noch etwas zur WTO sagen. Es ist sehr erstaunlich, was man dazu aus dem Lager von CDU/CSU
und F.D.P. hört. Ich bin davon überzeugt, daß die Agendabeschlüsse von Brüssel bzw. von Berlin eine gute
Ausgangsgrundlage für die WTO-Verhandlungen sind.
Aber Herr Heinrich sagt, wir hätten noch viel weiter gehen müssen, um WTO-fähig zu sein. Man müßte einmal
fragen, was die WTO-Partner dazu sagen: weiterer Abbau der Preis- und Marktstützung. Das heißt: Wenn Ihre
Darstellung logisch bleiben soll, dann hätten Sie vorschlagen müssen, die Preisstützung noch weiter abzubauen und die Ausgleichszahlungen zu erhöhen. Aber
gleichzeitig beklagen Sie, daß die Landwirte immer
mehr zu Subventionsempfängern werden und Barleistungen erhalten. Wie das auf einen Nenner zu bringen
ist, muß ein liberales Geheimnis sein.
({14})
Liberal wäre es, Sie würden ganz konsequent sagen:
Herunter mit den Preisstützungen und Behauptung am
Markt!
Bei Herrn Bleser wiederum hört sich dies heute abend
anders an. Er sagte, wir hätten die Ergebnisse der WTOVerhandlungen schon förmlich vorweggenommen und
wir seien viel zu weit gegangen. Was ist eigentlich richtig und was verkehrt? Widerspruch auf Widerspruch.
Was mich besonders beeindruckt, ist folgendes: Herr
Bleser, ich bin überzeugt, Sie würden sich überall als
Marktwirtschaftler verkaufen können. Sie wissen nämlich heute schon, was ein Doppelzentner Weizen im Jahre 2002 kostet. Sie haben die exakte Zahl genannt:
16 DM.
({15})
Bei Ihrer Prophetiebegabung, Herr Kollege Bleser, kann
ich Ihnen nur raten, aus dem Bundestag auszuscheiden
und einen Beratervertrag bei einer Warenterminbörse
anzunehmen. Da sind Sie glänzend aufgehoben.
({16})
Da sind Sie glänzend aufgehoben.
Da kann man sagen, was man will, aber er hat es
wörtlich gesagt; es ist im Protokoll nachzulesen. Sie
verwechseln das Interventionssystem mit realen Preisen
am Markt. Das darf man verwechseln, wenn man kein
Agrarexperte ist.
({17})
Aber Sie weisen sich doch immer als solcher aus, und
dann dürfen Sie das wirklich nicht verwechseln.
({18})
- Ich habe es ja wörtlich mitgeschrieben; das ist das
Bemerkenswerte.
({19})
- Nein, wir lassen Ihnen das nicht durchgehen, daß Sie
hier so propagandistisch vor die Bauern treten.
({20})
Zum einen geht es hier um ganz einfache ökonomische Zusammenhänge, die man kennen muß. Zum anderen stellen Sie sich hier hin - mir macht es ja Freude und sagen, daß wir bei den nächsten WTOVerhandlungen Standards im Umweltschutz, im Tierschutz, bei der Lebensmittelhygiene usw. einfordern
müssen. Jawohl. Nur, das haben die SPD-Bundestagsfraktion und verschiedene Landesregierungen, zum
Beispiel die niedersächsische, schon bei den GATTVerhandlungen, die 1994 zum Abschluß gekommen
sind, gefordert. Ich halte es für eine große Nachlässigkeit, daß diese Standards bei den damaligen GATTVerhandlungen nicht zur Sprache gekommen sind,
({21})
die im übrigen einen Teil des Hormonstreits ausmachen,
Herr Kollege Bleser. - Sie nicken. Man hätte damals
schon etwas machen müssen. Das war ein klares Versäumnis. Ich hoffe sehr, daß wir und die entsprechenden
europäischen Institutionen das bei den zukünftigen
WTO-Verhandlungen korrigieren können.
({22})
- Peter Harry, hör auf! Ich habe mich nur auf die Stichworte bezogen, die mir hier geliefert worden sind. Bei
der Jagd und der Fischerei sind wir weitestgehend einig,
ebenso agrarpolitisch. Du mußt hier andere Zwischenrufe machen.
({23})
Summa summarum kann ich nur sagen, und da appelliere ich an uns gemeinsam, auch an Sie: Wir dürfen
der Landwirtschaft nicht verschweigen, daß der Wettbewerbsdruck auf die Landwirtschaft, auch durch die
Agenda und die WTO, zunehmen wird. Da reicht es
nicht mehr aus, über Marktordnungen und Preisstützung
zu reden - da gebe ich zum Beispiel Herrn Heinrich
recht -,
({24})
sondern wir müssen auch über Märkte und Vermarktung
reden, aber widerspruchsfrei und in klaren Worten. Die
Landwirte warten darauf. Sie wollen sich am Markt behaupten, brauchen aber dann auch die Hilfen, um sich
am Markt so organisieren zu können, daß sie schlagkräftig sind.
({25})
Dazu wollen wir unseren Beitrag leisten, weil das Zukunft hat. Ich sage Ihnen noch einmal: Da reicht es nicht
aus, sich in Bayern, Baden-Württemberg oder wo auch
immer hinzustellen und zu sagen, daß wir mit dem
KULAP- oder MEKA-Programm die Existenz der Vollerwerbsbetriebe werden sichern können. Das reicht
nicht; dazu gehört schon etwas mehr.
Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Carstensen?
Ja, natürlich.
Bitte sehr.
({0})
Herr Minister Funke, Sie haben eben davon gesprochen,
daß die Zeiten für die Bauern härter werden und daß
man sie darauf vorbereiten muß. Paßt es denn in diese
Politik, daß man den Bauern über die Steuerreform, über
die Ökosteuer, über 1 Prozent weniger Vorsteuer ohne
Vorbereitung Belastungen zumutet? Paßt das zusammen, Herr Minister Funke? Oder müßte man da nicht
ehrlicher sein, wie auch Sie von allen anderen ehrliche
Aussagen gefordert haben?
({0})
Herr Kollege Carstensen,
genau das ist der Punkt: daß Sie weiter nichts machen
als Rückzugsgefechte. Zur Ökosteuer habe ich schon
einiges gesagt. Ich will Ihnen sagen, worauf es ankommen wird - das müßte eigentlich unser gemeinsames
Anliegen sein -: daß deutsche und europäische Bauern
sich auch auf außereuropäischen Märkten behaupten
können. Denn ich glaube fest daran, daß, wenn ein
Landwirt heute 110 Leute ernährt, das in Zukunft noch
mehr sein werden. Wenn das so ist, müssen Sie den Absatz organisieren. Wir können über Stützungsmaßnahmen reden und diskutieren, aber diese haben letztlich
keine Zukunftsperspektive. Wenn Sie mir nicht glauben,
brauchen Sie doch nur nachzulesen, was in jeder argrarwissenschaftlichen Abhandlung heute Gemeinplatz ist.
Sie aber glauben wirklich noch, die Bauern mit diesen Themen in Sicherheit wiegen zu können; das merkt
man doch auf jeder Veranstaltung. Die Bauern aber sind
viel weiter.
({0})
Vor allen Dingen die jüngeren Landwirte wissen ganz
genau, daß sie die Produktion beherrschen, daß das allein aber nicht ausreicht, um auf den Märkten zukunftsfähig zu sein.
Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit, meine
Damen und Herren.
({1})
Ich schließe die
Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den Einzelplan 10,
Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und
Forsten, in der Ausschußfassung. Es liegen sieben Ände-
rungsanträge vor, über die wir zunächst abstimmen.
Wir kommen zur Abstimmung über den Änderungs-
antrag der Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache
14/890. Die Fraktion der CDU/CSU verlangt nament-
liche Abstimmung. Ich bitte die Schriftführerinnen und
Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen.
- Sind alle Urnen besetzt? - Das ist der Fall. Ich eröffne
die Abstimmung. -
Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine
Stimme nicht abgeben hat? - Das ist nicht der Fall. Ich
schließe die Abstimmung und bitte die Schriftführerin-
nen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen.
Das Ergebnis der Abstimmung werden wir Ihnen später
bekanntgeben.*)
Wir setzen die Beratungen fort.
Abstimmung über den Änderungsantrag der
CDU/CSU auf Drucksache 14/889. Wer stimmt dafür? -
Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Ände-
rungsantrag ist abgelehnt.
Abstimmung über den Änderungsantrag der
CDU/CSU auf Drucksache 14/891. Wer stimmt dafür? -
Wer stimmt dagegen? - Der Antrag ist abgelehnt.
Abstimmung über den Änderungsantrag der PDS auf
Drucksache 14/894. Wer stimmt dafür? - Wer stimmt
dagegen? - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist
abgelehnt.
Abstimmung über den Änderungsantrag der PDS auf
Drucksache 14/895. Wer stimmt dafür? - Wer stimmt
dagegen? - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist
abgelehnt.
Abstimmung über den Änderungsantrag der PDS auf
Drucksache 14/896. Wer stimmt dafür? - Wer stimmt
dagegen? - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist
abgelehnt.
------
*) Seite 3061 C
Abstimmung über den Änderungsantrag der F.D.P.
auf Drucksache 14/909. Wer stimmt dafür? - Wer
stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Änderungsantrag ist abgelehnt.
Bis zum Vorliegen des Ergebnisses der namentlichen
Abstimmung über den Änderungsantrag unterbreche ich
die Sitzung.
({0})
Die unterbrochene
Sitzung ist wieder eröffnet.
Ich gebe das von den Schriftführerinnen und Schriftführern rasch ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung über den Änderungsantrag der Fraktion der
CDU/CSU auf Drucksache 14/890 bekannt. Abgegebene
Stimmen 596. Mit Ja haben gestimmt 266, mit Nein haben gestimmt 329, Enthaltungen 1. Der Antrag ist damit
abgelehnt.
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 59
davon:
ja: 265
nein: 327
enthalten: 1
Ja
CDU/CSU
Ulrich Adam
Ilse Aigner
Peter Altmaier
Norbert Barthle
Dr. Wolf Bauer
Günter Baumann
Brigitte Baumeister
Meinrad Belle
Dr. Sabine Bergmann-Pohl
Otto Bernhardt
Hans-Dirk Bierling
Dr. Maria Böhmer
Sylvia Bonitz
Wolfgang Börnsen
({0})
Wolfgang Bosbach
Dr. Wolfgang Bötsch
Dr. Ralf Brauksiepe
Paul Breuer
Monika Brudlewsky
Georg Brunnhuber
Klaus Bühler ({1})
Hartmut Büttner
({2})
Dankward Buwitt
Manfred Carstens
({3})
({4})
Leo Dautzenberg
Hubert Deittert
Albert Deß
Renate Diemers
Thomas Dörflinger
Marie-Luise Dött
Rainer Eppelmann
Ilse Falk
Ingrid Fischbach
Dirk Fischer ({5})
Axel E. Fischer
({6})
Herbert Frankenhauser
Dr. Hans-Peter Friedrich
({7})
Erich G. Fritz
Jochen-Konrad Fromme
Hans-Joachim Fuchtel
Dr. Jürgen Gehb
Dr. Heiner Geißler
Georg Girisch
Dr. Reinhard Göhner
Dr. Wolfgang Götzer
Kurt-Dieter Grill
Hermann Gröhe
Manfred Grund
Carl-Detlev Freiherr von
Hammerstein
Gottfried Haschke
({8})
Gerda Hasselfeldt
Norbert Hauser ({9})
Hansgeorg Hauser
({10})
Klaus-Jürgen Hedrich
Ursula Heinen
Manfred Heise
Siegfried Helias
Hans Jochen Henke
Ernst Hinsken
Peter Hintze
Klaus Hofbauer
Martin Hohmann
Josef Hollerith
Dr. Karl-Heinz Hornhues
Siegfried Hornung
Joachim Hörster
Hubert Hüppe
Susanne Jaffke
Georg Janovsky
Dr.-Ing. Rainer Jork
Dr. Harald Kahl
Bartholomäus Kalb
Dr. Dietmar Kansy
Irmgard Karwatzki
Volker Kauder
Eckart von Klaeden
Ulrich Klinkert
Eva-Maria Kors
Hartmut Koschyk
Thomas Kossendey
Rudolf Kraus
Dr. Paul Krüger
Dr. Hermann Kues
Karl Lamers
Dr. Karl A. Lamers
({11})
Dr. Paul Laufs
Karl-Josef Laumann
Werner Lensing
Peter Letzgus
Ursula Lietz
Walter Link ({12})
Eduard Lintner
Dr. Klaus Lippold
({13})
Dr. Manfred Lischewski
({14})
Julius Louven
Dr. Michael Luther
Erich Maaß ({15})
Erwin Marschewski
Dr. Martin Mayer
({16})
Wolfgang Meckelburg
Dr. Michael Meister
Hans Michelbach
Meinolf Michels
Dr. Gerd Müller
Bernward Müller ({17})
Bernd Neumann ({18})
Claudia Nolte
Günter Nooke
Franz Obermeier
Eduard Oswald
Norbert Otto ({19})
Anton Pfeifer
Dr. Friedbert Pflüger
Beatrix Philipp
Ronald Pofalla
Ruprecht Polenz
Marlies Pretzlaff
Dr. Bernd Protzner
Thomas Rachel
Dr. Peter Ramsauer
Helmut Rauber
Peter Rauen
Christa Reichard ({20})
Erika Reinhardt
Klaus Riegert
Dr. Heinz Riesenhuber
Franz Romer
({21})
Heinrich-Wilhelm Ronsöhr
Dr. Klaus Rose
Kurt Rossmanith
Adolf Roth ({22})
Norbert Röttgen
Dr. Christian Ruck
Volker Rühe
Anita Schäfer
Dr. Wolfgang Schäuble
Hartmut Schauerte
Heinz Schemken
Karl-Heinz Scherhag
Gerhard Scheu
Dietmar Schlee
Bernd Schmidbauer
Christian Schmidt ({23})
Dr.-Ing. Joachim Schmidt
({24})
Michael von Schmude
Birgit Schnieber-Jastram
Dr. Andreas Schockenhoff
Dr. Rupert Scholz
Reinhard Freiherr von
Schorlemer
Dr. Erika Schuchardt
Clemens Schwalbe
Dr. Christian SchwarzSchilling
Wilhelm-Josef Sebastian
Horst Seehofer
Heinz Seiffert
Werner Siemann
Johannes Singhammer
Bärbel Sothmann
Margarete Späte
Wolfgang Steiger
Erika Steinbach
Dr. Wolfgang Freiherr von
Stetten
Andreas Storm
Dorothea Störr-Ritter
Max Straubinger
Matthäus Strebl
Thomas Strobl
Michael Stübgen
Dr. Rita Süssmuth
Dr. Susanne Tiemann
Edeltraut Töpfer
Dr. Hans-Peter Uhl
Gunnar Uldall
Arnold Vaatz
Angelika Volquartz
Andrea Voßhoff
Dr. Theodor Waigel
Peter Weiß ({25})
Gerald Weiß ({26})
Heinz Wiese ({27})
Hans-Otto Wilhelm ({28})
Klaus-Peter Willsch
Matthias Wissmann
Vizepräsidentin Anke Fuchs
Werner Wittlich
Dagmar Wöhrl
Elke Wülfing
Peter Kurt Würzbach
Wolfgang Zeitlmann
Benno Zierer
F.D.P.
Hildebrecht Braun
({29})
Rainer Brüderle
Ernst Burgbacher
Gisela Frick
Paul K. Friedhoff
Horst Friedrich ({30})
Rainer Funke
Dr. Wolfgang Gerhardt
Hans-Michael Goldmann
Joachim Günther ({31})
Klaus Haupt
Walter Hirche
Birgit Homburger
Dr. Werner Hoyer
Ulrich Irmer
Dr. Klaus Kinkel
Dr. Heinrich L. Kolb
Ina Lenke
Sabine LeutheusserSchnarrenberger
Dirk Niebel
Günter Friedrich Nolting
Hans-Joachim Otto
({32})
Dr. Günter Rexrodt
Dr. Edzard Schmidt-Jortzig
Gerhard Schüßler
Dr. Irmgard Schwaetzer
Marita Sehn
Dr. Max Stadler
Carl-Ludwig Thiele
Jürgen Türk
Dr. Guido Westerwelle
PDS
Monika Balt
Dr. Dietmar Bartsch
Petra Bläss
Heidemarie Ehlert
Dr. Heinrich Fink
Fred Gebhardt
Dr. Gregor Gysi
Carsten Hübner
Sabine Jünger
Dr. Heidi Knake-Werner
Rolf Kutzmutz
Dr. Christa Luft
Heidemarie Lüth
Angela Marquardt
Manfred Müller ({33})
Rosel Neuhäuser
Christina Schenk
Gustav-Adolf Schur
Nein
SPD
Brigitte Adler
Gerd Andres
Rainer Arnold
Hermann Bachmaier
Ernst Bahr
Doris Barnett
Dr. Hans-Peter Bartels
Eckhardt Barthel ({34})
Klaus Barthel ({35})
Dr. Axel Berg
Hans-Werner Bertl
Friedhelm Julius Beucher
Petra Bierwirth
Rudolf Bindig
Lothar Binding ({36})
Kurt Bodewig
Klaus Brandner
Anni Brandt-Elsweier
Willi Brase
Dr. Eberhard Brecht
Rainer Brinkmann ({37})
Bernhard Brinkmann
({38})
Hans-Günter Bruckmann
Ursula Burchardt
Dr. Michael Bürsch
Hans Martin Bury
Hans Büttner ({39})
Marion Caspers-Merk
Wolf-Michael Catenhusen
Dr. Peter Wilhelm Danckert
Dr. Herta Däubler-Gmelin
Christel Deichmann
Karl Diller
Peter Dreßen
Rudolf Dreßler
Detlef Dzembritzki
Dieter Dzewas
Dr. Peter Eckardt
Sebastian Edathy
Ludwig Eich
Marga Elser
Peter Enders
Gernot Erler
Petra Ernstberger
Annette Faße
Lothar Fischer ({40})
Gabriele Fograscher
Iris Follak
Norbert Formanski
Rainer Fornahl
Hans Forster
Dagmar Freitag
Lilo Friedrich ({41})
Harald Friese
Anke Fuchs ({42})
Arne Fuhrmann
Konrad Gilges
Iris Gleicke
Günter Gloser
Uwe Göllner
Renate Gradistanac
Günter Graf ({43})
Angelika Graf ({44})
Dieter Grasedieck
Monika Griefahn
Achim Großmann
Wolfgang Grotthaus
Karl-Hermann Haack
({45})
Hans-Joachim Hacker
Klaus Hagemann
Manfred Hampel
Christel Hanewinckel
Alfred Hartenbach
Anke Hartnagel
Klaus Hasenfratz
Nina Hauer
Hubertus Heil
Reinhold Hemker
Frank Hempel
Rolf Hempelmann
Dr. Barbara Hendricks
Gustav Herzog
Monika Heubaum
Uwe Hiksch
Reinhold Hiller ({46})
Stephan Hilsberg
Gerd Höfer
Jelena Hoffmann ({47})
Walter Hoffmann
({48})
Iris Hoffmann ({49})
Frank Hofmann ({50})
Ingrid Holzhüter
Eike Hovermann
Christel Humme
Lothar Ibrügger
Barbara Imhof
Brunhilde Irber
Gabriele Iwersen
Renate Jäger
Jann-Peter Janssen
Ilse Janz
Dr. Uwe Jens
Johannes Kahrs
Ulrich Kasparick
Sabine Kaspereit
Susanne Kastner
Hans-Peter Kemper
Marianne Klappert
Hans-Ulrich Klose
Walter Kolbow
Fritz Rudolf Körper
Karin Kortmann
Anette Kramme
Nicolette Kressl
Volker Kröning
Angelika Krüger-Leißner
Horst Kubatschka
Ernst Küchler
Helga Kühn-Mengel
Ute Kumpf
Konrad Kunick
Dr. Uwe Küster
Werner Labsch
Christine Lambrecht
Brigitte Lange
Christian Lange ({51})
Detlev von Larcher
Christine Lehder
Waltraud Lehn
Klaus Lennartz
Dr. Elke Leonhard
Eckhart Lewering
Götz-Peter Lohmann
({52})
Christa Lörcher
Erika Lotz
Dr. Christine Lucyga
Dieter Maaß ({53})
Winfried Mante
Dirk Manzewski
Tobias Marhold
Ulrike Mascher
Christoph Matschie
Heide Mattischeck
Markus Meckel
Ulrike Mehl
Ulrike Merten
Angelika Mertens
Dr. Jürgen Meyer ({54})
Ursula Mogg
Christoph Moosbauer
Siegmar Mosdorf
Michael Müller ({55})
Christian Müller ({56})
Andrea Nahles
Volker Neumann ({57})
Gerhard Neumann ({58})
Dr. Edith Niehuis
Dietmar Nietan
Günter Oesinghaus
Eckhard Ohl
Leyla Onur
Manfred Opel
Holger Ortel
Adolf Ostertag
Kurt Palis
Albrecht Papenroth
Dr. Willfried Penner
Dr. Martin Pfaff
Georg Pfannenstein
Johannes Andreas Pflug
Dr. Eckhart Pick
Karin Rehbock-Zureich
Margot von Renesse
Renate Rennebach
Bernd Reuter
Dr. Edelbert Richter
Reinhold Robbe
Gudrun Roos
Renè Röspel
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Michael Roth ({59})
Birgit Roth ({60})
Gerhard Rübenkönig
Marlene Rupprecht
Thomas Sauer
Dr. Hansjörg Schäfer
Gudrun Schaich-Walch
Rudolf Scharping
Vizepräsidentin Anke Fuchs
Bernd Scheelen
Dr. Hermann Scheer
Siegfried Scheffler
Horst Schild
Dieter Schloten
Horst Schmidbauer
({61})
Ulla Schmidt ({62})
Silvia Schmidt ({63})
Dagmar Schmidt ({64})
Wilhelm Schmidt ({65})
Heinz Schmitt ({66})
Carsten Schneider
Dr. Emil Schnell
Olaf Scholz
Karsten Schönfeld
Fritz Schösser
Gisela Schröter
Dr. Mathias Schubert
Richard Schuhmann
({67})
Brigitte Schulte ({68})
Reinhard Schultz
({69})
Volkmar Schultz ({70})
Ewald Schurer
Dr. R. Werner Schuster
Dietmar Schütz ({71})
Ernst Schwanhold
Bodo Seidenthal
Erika Simm
Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk
Dr. Cornelie SonntagWolgast
Wieland Sorge
Wolfgang Spanier
Dr. Margrit Spielmann
Jörg-Otto Spiller
Dr. Ditmar Lothar Staffelt
Ludwig Stiegler
Rolf Stöckel
Rita Streb-Hesse
Dr. Peter Struck
Joachim Stünker
Joachim Tappe
Jörg Tauss
Dr. Gerald Thalheim
Franz Thönnes
Uta Titze-Stecher
Adelheid Tröscher
Rüdiger Veit
Simone Violka
Ute Vogt ({72})
Hans Georg Wagner
Hedi Wegener
Dr. Konstanze Wegner
Wolfgang Weiermann
Reinhard Weis ({73})
Matthias Weisheit
Gunter Weißgerber
Gert Weisskirchen
({74})
Dr. Ernst Ulrich von
Weizsäcker
Hans-Joachim Welt
Dr. Rainer Wend
Hildegard Wester
Lydia Westrich
Inge Wettig-Danielmeier
Dr. Margrit Wetzel
Dr. Norbert Wieczorek
Helmut Wieczorek
({75})
Jürgen Wieczorek ({76})
Heidemarie Wieczorek-Zeul
Dieter Wiefelspütz
Heino Wiese ({77})
Klaus Wiesehügel
Brigitte Wimmer ({78})
Engelbert Wistuba
Barbara Wittig
Dr. Wolfgang Wodarg
Hanna Wolf ({79})
Waltraud Wolff ({80})
Heidemarie Wright
Uta Zapf
Dr. Christoph Zöpel
Peter Zumkley
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Marieluise Beck ({81})
Volker Beck ({82})
Angelika Beer
Annelie Buntenbach
Ekin Deligöz
Dr. Thea Dückert
Franziska Eichstädt-Bohlig
Dr. Uschi Eid
Hans-Josef Fell
Andrea Fischer ({83})
Joseph Fischer ({84})
Rita Grießhaber
Winfried Hermann
Antje Hermenau
Ulrike Höfken
Michaele Hustedt
Monika Knoche
Dr. Angelika Köster-Loßack
Dr. Helmut Lippelt
Dr. Reinhard Loske
Klaus Wolfgang Müller
({85})
Kerstin Müller ({86})
Christa Nickels
Cem Özdemir
Simone Probst
Claudia Roth ({87})
Christine Scheel
Rezzo Schlauch
Albert Schmidt ({88})
Werner Schulz ({89})
Christian Simmert
Christian Sterzing
Hans-Christian Ströbele
Jürgen Trittin
Ludger Volmer
Sylvia Voß
Helmut Wilhelm ({90})
Margareta Wolf ({91})
Enthalten
PDS
Ulla ({92}) Jelpke
Entschuldigt wegen Übernahme einer Verpflichtung im Rahmen ihrer Mitgliedschaft in den Parlamentarischen Versammlungen
des Europarates und der WEU, der NAV, der OSZE oder der IPU
Abgeordnete({93})
Behrendt, Wolfgang, SPD Siebert, Bernd, CDU/CSU
({94})
Wir kommen zur weiteren Beschlußfassung. Wer
stimmt für den Einzelplan 10 in der Ausschußfassung? Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? Der Einzelplan 10 ist damit angenommen.
Wir sind damit am Ende unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages ein auf morgen, Mittwoch, den 5. Mai 1999,
um 10.00 Uhr.
Die Sitzung ist geschlossen. Ich wünsche Ihnen einen
angenehmen Abend.