Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Die Sitzung ist eröffnet. Vor dem Hintergrund, daß wir in kleiner Runde sind, darf ich unsere
Gäste besonders herzlich begrüßen.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 3 auf:
Befragung der Bundesregierung
Die Bundesregierung hat als Themen der heutigen
Kabinettssitzung mitgeteilt: Fortschrittsbericht der Bundesregierung, „Das Jahr-2000-Problem in der Informationstechnik“, und Bericht des Arbeitsstabes Europäische
Wirtschafts- und Währungsunion, „Die Einführung des
Euro in Gesetzgebung und öffentlicher Verwaltung“.
Das Wort für den einleitenden fünfminütigen Bericht
hat der Bundesminister für Wirtschaft und Technologie,
Dr. Werner Müller.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Bundesregierung beschäftigt sich seit Mitte 1997
intensiv mit dem Jahr-2000-Problem in der Informationstechnik. Ein erster Bericht der Bundesregierung
vom Juli 1998 faßte die Ausgangssituation bezüglich des
Problems in Deutschland zusammen und diente vor allem
dazu, die breite Öffentlichkeit für das Thema zu sensibilisieren und alle betroffenen gesellschaftlichen Gruppen zu
raschem Handeln aufzufordern. Die jetzige Bundesregierung hat die seitdem eingeleiteten Maßnahmen und Aktivitäten zur Sensibilisierung, Information und Koordination im privaten und öffentlichen Sektor unverzüglich
nach Amtsantritt verstärkt und weiter ausgebaut.
Der jetzt vorgelegte Fortschrittsbericht beruht auf den
Arbeiten der zentralen Koordinierungsgremien, die die
Bundesregierung für das Jahr-2000-Problem eingesetzt
hat. Dabei handelt es sich erstens um die interministerielle Arbeitsgruppe unter Vorsitz des Wirtschaftsministeriums - ich darf bei dieser Gelegenheit den Kolleginnen
und Kollegen der beteiligten Häuser herzlich danken für
die effektive und konstruktive Zusammenarbeit auch auf
der Beamtenebene -, zweitens um den BMWi-Sachverständigenkreis, dem rund 70 hochrangige Experten
aus allen Bereichen der Wirtschaft sowie aus den Gebietskörperschaften angehören, und drittens um die vom
Hause des Kollegen Schily eingesetzten Arbeitsgruppen
für die Bundesverwaltung und die Koordination mit den
Ländern und Gemeinden.
Der Fortschrittsbericht stellt das Grunddilemma des
Jahr-2000-Problemes deutlich heraus, nämlich den
schmalen Grat zwischen der Suche nach sachlich notwendigen Lösungen für ein komplexes technisches und
organisatorisches Problem einerseits und dem Verfallen
in die letztlich wenig hilfreiche Beschreibung von theoretischen Katastrophenszenarien andererseits. Hier
kommt den Medien eine wichtige Mitverantwortung zu.
Sie müssen durch objektive Berichterstattung mit dazu
beitragen, daß es in der Bevölkerung nicht zu panikhaften Reaktionen kommt. Denn dafür besteht nach unseren
Kenntnissen überhaupt kein Anlaß.
Bezüglich der Verantwortung für das Problem wird
klargestellt, daß die eigentliche Problemlösung nur bei
den Anwendern in Wirtschaft und Verwaltung liegen
kann. Die Rolle der Bundesregierung besteht demgemäß
darin, die Betroffenen zu sensibilisieren und ihnen Informationen und Beratung als Hilfe zur Selbsthilfe anzubieten. Zusätzlich ist Koordinierung in den Sektoren
erforderlich, wo private Aktivitäten hierzu alleine nicht
ausreichen. Außerdem müssen wir in den kommenden
Monaten unsere Aktivitäten zur Sammlung und Verbreitung vertrauenswürdiger Informationen weiter ausbauen, damit die Unternehmen und Verbände im In- und
Ausland möglichst verläßliche Grundlagen für ihre Dispositionen zum Jahrtausendwechsel haben.
Die Ergebnisse des Fortschrittsberichts zum Vorbereitungsstand und den Aktivitäten einschließlich der Infrastrukturen, für die das Wirtschaftsministerium verantwortlich ist, lassen sich in drei wesentlichen Punkten
zusammenfassen:
Erstens. Insgesamt sind im privaten Sektor keine größeren Störungen zu erwarten. Die meisten Betriebe werden es schaffen; sie sind vorbereitet.
Zweitens. Die wirtschaftsnahen Infrastrukturen,
Energie, Telekommunikation, Verkehr, sowie Banken
und Versicherungen sind sehr ordentlich vorbereitet.
Drittens. Handlungsbedarf besteht vor allem bei kleinen und mittleren Unternehmen, insbesondere bei den
Kleinstunternehmen, für die es - das sei ausdrücklich
gesagt - heute noch nicht zu spät ist.
Insgesamt können wir für den privaten Bereich zuversichtlich sein, daß die Wirtschaft den Übergang auf
das Jahr 2000 ohne wesentliche Beeinträchtigungen bewältigen wird. Auf Grund der noch verbleibenden
Schwachstellen gibt es allerdings keinen Grund, deswegen die Bemühungen jetzt schon einzustellen.
Von unserer Seite aus werden wir die Maßnahmen
zur Information und Koordinierung fortführen. So wird
es unter anderem weitere Spitzengespräche mit der
Wirtschaft, eine Anzeigenkampagne und zwei weitere
Fachkonferenzen geben. Außerdem werden wir eine Infoline der Bundesregierung einrichten und weitere
Möglichkeiten des Fax-Abrufs schaffen.
Ein wichtiges Thema für die zweite Jahreshälfte ist
die Vorsorgeplanung, nicht nur national, in den Betrieben, sondern auch übergreifend, vor allem im Hinblick
auf die grenzüberschreitenden Basisinfrastrukturen im
europäischen und internationalen Kontext. Die Bundesregierung nutzt sowohl die EU-Präsidentschaft als auch
den G-8-Vorsitz sehr intensiv für diese Fragen. Das
Jahrtausendproblem wird Thema des Europäischen Rates und des Weltwirtschaftsgipfels in Köln sein. Die EUTelekommunikationsminister werden sich mit diesem
Thema beschäftigen. Darüber hinaus gibt es intensive
Beratungen der G-8-Jahr-2000-Koordinatoren, in die die
mittel- und osteuropäischen Staaten bewußt einbezogen
werden. Das nächste Treffen dieser wichtigen Gruppe
wird Anfang Mai in Berlin stattfinden. Außerdem planen wir im G-8-Rahmen für den Sommer dieses Jahres
eine internationale Tagung zum Thema Vorsorge. - Soweit meine Ausführungen.
Vielen Dank.
Vielen Dank, Herr
Bundesminister. Ich frage, ob es zu diesem Themenbereich, über den berichtet wurde, Fragen gibt. - Herr
Kollege Mayer.
Inwieweit gibt es eine Zusammenarbeit mit den USA, die
ja bekanntermaßen in dieser Frage eine führende Rolle
in der Welt einnehmen?
Einerseits gibt es eine Koordination
im Rahmen der G-8-Gespräche; andererseits profitieren
wir mittelbar durch Gespräche mit amerikanischen Firmen, die deutsche Unternehmen mit ihnen führen.
Frau Kollegin
Homburger.
Herr Minister, es gibt ja
auf diesem Feld eine Reihe von Spezialproblemen, die
beispielsweise die Kernenergie, die Wasserversorgung,
aber auch den Bereich der Verteidigung oder das Gesundheitswesen betreffen. Gibt es einen ausführlicheren
schriftlichen Bericht, in dem man auch auf diese Spezialfälle eingeht? Ich frage das, weil mir im Moment noch
nicht klar ist, ob es da und dort in diesen speziellen Bereichen noch zusätzlichen Koordinierungsbedarf gibt.
Der zweite Teil meiner Frage. Sie haben drei Bereiche genannt. Privater Sektor: keine großen Probleme;
wirtschaftsnahe Infrastruktur: gut vorbereitet; kleine und
mittlere Unternehmen: noch Bedarf vorhanden. Sie haben den öffentlichen Bereich ausgespart. Wie sieht es
nach Ihren Erkenntnissen bei den Kommunen, bei den
regionalen Rechenzentren aus? Sind sie genügend vorbereitet? Gibt es da Hinweise von seiten der Bundesregierung und auch die Möglichkeit der Zusammenarbeit?
Wir sind ja hier ein Duo, die Frau
Parlamentarische Staatssekretärin Sonntag-Wolgast und
ich. Was den öffentlichen Bereich angeht, könnte ich
das Wort an die Kollegin weitergeben. Ich will sie fragen, ob sie auch zum Thema Kernenergie etwas sagen
will. Ansonsten könnte ich dazu etwas sagen. - Ich
überlasse es Ihnen.
Frau Staatssekretärin Sonntag-Wolgast.
Ich will zunächst,
Frau Kollegin Homburger, auf Ihre Frage nach der Sicherheit von Kernkraftwerken oder der medizinischen
Versorgung eingehen. Diese Fragenkomplexe werden
bei unseren Hotlines und den anderen Möglichkeiten,
sich zu informieren, immer wieder zur Sprache gebracht.
Sie können daraus entnehmen, daß sich das Bundesinnenministerium schon erheblicher Mühen unterzogen
hat, um Informationen an die Bürger weiterzugeben.
Zum Thema medizinische Versorgung: Dieser Komplex wird durch die Jahr-2000-Problematik nach Angaben der Deutschen Krankenhausgesellschaft nicht gefährdet. Einzelne Fehlfunktionen der „embedded systems“ - diese sind ja der wunde Punkt; das wissen die
Fachleute sicherlich auch - sind nicht auszuschließen,
jedoch ist für Ausweichlösungen gesorgt. Im übrigen
sind für den gesamten Krankenhausbereich die Länder
zuständig. Ich komme gleich noch einmal auf die Koordination im öffentlichen Bereich, die Sie ja auch nachgefragt haben, zurück.
Zunächst einmal zum Thema Kernkraftwerke: Die
Kernkraftwerke sind nach unseren Erkundungen sicher.
Es hat Ende 1998 seitens der Betreiber der Kernkraftwerke einen Anforderungskatalog gegeben, der zum Ziel
hat, den gesamten Anpassungsprozeß aller rechnergestützten Systeme und Anlagen, die Einfluß auf den sicheren Betrieb haben könnten, nach einheitlichen Kriterien und Prüfvorgaben nachvollziehbar und bewertbar
zu gestalten. Das Bundesumweltministerium kommt auf
Grund der bisher durchgeführten und berichteten Maßnahmen zu einer positiven Einschätzung.
Nun aber noch einige Anmerkungen zur Frage der öffentlichen Verwaltungen und deren Vorbereitungen auf
diese Vorgänge. Die öffentliche Verwaltung ist von seiten des Bundes unserer Auffassung nach ausreichend auf
diesen Datumswechsel und seine Folgen vorbereitet. Bei
den Kommunen gibt es noch ein bißchen zu tun. In wesentlichen Bereichen, die der Bund zu verantworten hat,
sind die Vorbereitungen recht gut fortgeschritten. Da,
wo es noch Nachholbedarf gibt - der übrigens seitens
der jetzigen Bundesregierung mit Nachdruck angegangen worden ist, nachdem er von der vorherigen eher mit
langem Atem angegangen worden war -, ist man sehr
gut vorbereitet.
Dann gibt es noch den Bereich der kritischen Infrastrukturen - auch diesen will ich nicht verschweigen -:
Das sind die Strom-, Gas- und Wasserversorgung, die
Telekommunikation und das Verkehrswesen. Auch
wenn der Bund vielleicht nicht immer unmittelbar für
eventuell auftretende Pannen zuständig ist, so hat er
doch eine Aufsichtspflicht und eine Verantwortung dafür, daß der Bereich der inneren Sicherheit gewahrt
bleibt. Deswegen prüfen die staatlichen Stellen die Einhaltung der Sicherheitsvorschriften, die zur Gewährleistung der Sicherheit nötig sind. Der Bundesinnenminister hat in den letzten Tagen die Innenminister und Innensenatoren der Bundesländer und die Spitzenverbände
der Kommunen noch einmal angeschrieben, um sie auf
die Probleme hinzuweisen und sie zu bitten, in den Bereichen, in denen noch Lücken vorhanden sind, möglichst zügig zu einer Lösung zu kommen.
Es gibt verstärkte Informationsaktivitäten. Diese laufen schon seit November, werden aber noch verstärkt.
Wir haben Broschüren, Faltblätter und Leitfäden ausgegeben und werden auch über das Internet noch entsprechende Ausführungen machen. Sollte sich nun tatsächlich etwas Krisenhaftes ereignen, sind natürlich die gängigen Hilfsorganisationen wie das Technische Hilfswerk, die Polizeien der Länder usw. auf die besonders
kritischen Daten, einschließlich des Jahreswechsels
1999 zu 2000, vorbereitet.
Vielen Dank. Eine
weitere Zusatzfrage des Abgeordneten Mayer.
Hat
sich die Bundesregierung darauf eingestellt, daß erste
Erscheinungen bereits vor dem Jahrtausendwechsel,
nämlich zum 9. September 1999 auftreten können, und
ist sich die Bundesregierung auch bewußt, daß das, was
in privatwirtschaftlichen Unternehmen möglicherweise
insgesamt an Gefahren auftritt, ungeheure Rückwirkungen auf den Staat haben kann? Ich denke dabei nur einmal an das Bankenwesen und die gesamte Finanzwirtschaft.
Herr Bundesminister.
Die Bundesregierung hat das Datum
des 9. Septembers 1999 ebenso im Auge wie übrigens
auch - wenn Sie noch ein weiteres Datum beachten den 29. Februar im Jahre 2000, der ebenfalls in etlichen
Programmen tatsachenwidrig nicht vorgesehen ist. Beides, also auch der Überlauf der 2-hoch-10-Potenz zum
9. September, der im Zählwesen auftreten kann, ist berücksichtigt.
Gerade der Banken- und Versicherungssektor ist besonders gut vorbereitet - nicht nur im deutschen Rahmen, sondern auch im europäischen Rahmen. Das ist
auch Gegenstand von Beratungen des Ecofin-Rates gewesen, den zu leiten ich einmal die Ehre hatte. Auch
dort - das ist in Dresden weiter besprochen worden sind alle Maßnahmen vorbereitender Art getroffen, um
dieses Thema in jeder Form zu bewältigen.
Zu dem Themenbereich, über den der Bundesminister berichtet hat, gibt es
keine weiteren Fragen. Es besteht aber die Möglichkeit,
anderweitige Fragen an die Bundesregierung zu stellen.
- Herr Kollege Koppelin.
Ich hätte gern von der
Bundesregierung gewußt, ob sie sich in ihrer Sitzung mit
der Anzeige in der „Frankfurter Rundschau“ vom
19. April auseinandergesetzt hat? Dort heißt es:
Am 24.3.1999 hat die Nato Luftangriffe gegen ...
Jugoslawien und damit einen Angriffskrieg gegen
einen souveränen Staat begonnen.
Diese Anzeige ist unter anderem von einem Mitglied
der Bundesregierung unterschrieben worden, nämlich
von der Parlamentarischen Staatssekretärin Gila
Altmann.
Hat sich die Bundesregierung insofern mit der Aussage von Frau Altmann beschäftigt, als sie behauptet, es
handele sich um einen Angriffskrieg? In § 80 StGB aber
steht:
Wer einen Angriffskrieg …, an dem die Bundesrepublik Deutschland beteiligt sein soll, vorbereitet
und dadurch die Gefahr eines Krieges für die Bundesrepublik Deutschland herbeiführt, wird mit lebenslanger Freiheitsstrafe oder mit Freiheitsstrafe
nicht unter zehn Jahren bestraft.
In § 80a StGB heißt es weiter:
Wer im räumlichen Geltungsbereich dieses Gesetzes öffentlich, in einer Versammlung oder durch
Verbreiten von Schriften … zum Angriffskrieg …
aufstachelt, wird mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.
Hat sich die Bundesregierung damit auseinandergesetzt?
Aus alter Erfahrung
als Chef des Kanzleramtes weiß ich, daß zur Zufriedenheit der anderen Regierungsmitglieder solche Fragen
immer an das Kanzleramt gerichtet werden. Ich denke
also, Herr Staatssekretär Steinmeier, es bleibt Ihnen
nicht erspart, dazu Stellung zu nehmen.
Ich darf Ihnen sagen, daß dies in der
Tat in der heutigen Kabinettssitzung eine Rolle gespielt
hat. Es hat unterschiedliche Bewertungen gegeben; es
sind aber keine Sanktionen, wie sie als Erwartung in Ihrer Frage zugrunde gelegt werden, ausgesprochen worden.
Zu einer weiteren
Frage der Abgeordnete Koppelin.
Kann ich nach Ihrer
Antwort davon ausgehen, daß der Bundeskanzler diese
Anzeige, die von einem Mitglied der Regierung unterschrieben worden ist, verhältnismäßig kritiklos zur
Kenntnis genommen hat?
In der Anzeige ist ein massiver Vorwurf enthalten.
Ich habe Ihnen auch die entsprechenden Passagen des
Strafgesetzbuches vorgelesen. Wird es der Bundeskanzler dabei bewenden lassen, obwohl der Regierungssprecher gesagt hat, daß er Frau Altmann den Rücktritt
nahelege, und Frau Altmann erklärt hat, sie trete nicht
zurück? Oder - darf ich direkt fragen? - hat der Bundeskanzler angekündigt, daß er Frau Altmann entlassen
wird?
Dies hat der Bundeskanzler nicht
angekündigt.
Ansonsten dürfen Sie meiner Antwort nicht entnehmen, daß er das kritiklos hingenommen hat. Ich habe in
meiner Antwort zum Ausdruck gebracht, daß es dazu
unterschiedliche Auffassungen gegeben hat. Der Bundeskanzler hat seine Auffassung dazu dargelegt. Ich bin
aber nicht bereit, Zuordnungen einzelner Meinungen zu
Kabinettsmitgliedern vorzunehmen.
Eine weitere Zusatzfrage? - Bitte schön.
Wie werten Sie nach Ihrer bisherigen Antwort die Aussage des Regierungssprechers,
der Frau Altmann zum Rücktritt aufgefordert hat, und
die Nichtentlassung? Andersherum gefragt: Wenn der
Regierungssprecher ein Regierungsmitglied zum Rücktritt auffordert und selbiges dieser Aufforderung nicht
nachkommt, wie sollte Ihrer Meinung nach ein Bundeskanzler damit umgehen?
Das entscheidet der Bundeskanzler
selbst.
Ich habe eben in meiner Antwort zum Ausdruck gebracht, wie die Entscheidung gefallen ist. Ein Rücktrittsschreiben ist bei uns nicht eingegangen; weitere Aufforderungen zum Rücktritt wird es nicht geben.
Herr Kollege Michelbach.
Herr Bundesfinanzminister Eichel, ist nun ein Gesamtkonzept von
Steuergesetzen im Bereich Familien- und Unternehmensbesteuerung mit einer echten Nettoentlastung geplant, ohne neue Steuererhöhungen und ohne Auflösung
des Ehegattensplittings, was ja wiederum eine Steuererhöhung bedeuten würde? Sind weitere Verbrauchsteuererhöhungen vorgesehen?
Herr Bundesfinanzminister.
Herr
Abgeordneter, ein Gesamtkonzept der steuerpolitischen
Maßnahmen, die die Bundesregierung in diesem Jahr
auf den Weg bringen wird, wird im Zusammenhang mit
dem Entwurf des Haushalts 2000 und der mittelfristigen
Finanzplanung bis zum Jahr 2003 vorgelegt werden. In
dem Zusammenhang werden alle Ihre Fragen beantwortet.
Ich weise Sie darauf hin, daß schon mein Vorgänger
im Amt, Herr Kollege Lafontaine, deutlich gemacht hat,
daß wir mit einem strukturellen Haushaltsdefizit in Höhe
von 20 Milliarden DM, das aus Ihrer Regierungszeit
stammt, rechnen müssen. Wenn das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Entlastung der Familien in der
Form wirksam würde, wie es das Bundesverfassungsgericht für den Fall des Nichthandelns des Gesetzgebers
vorgesehen hat, dann läge das strukturelle Defizit im
Bundeshaushalt sogar bei 30 Milliarden DM. Ich bitte
Sie, sich mit dieser Frage wie auch mit den anderen
Rahmenbedingungen, zum Beispiel mit Art. 115 des
Grundgesetzes und mit dem europäischen Stabilitätspakt, auseinanderzusetzen und sich vor diesem Hintergrund vorläufige Antworten auf Ihre Frage selber zu
geben.
Die Bundesregierung wird im Sommer dieses Jahres
mit ihrem Gesamtkonzept Antworten auf diese Fragen
geben, keinen Tag früher, weil es keinen Sinn macht,
einzelne Elemente vorzuziehen und aus dem Zusammenhang herauszubrechen. Nur im Rahmen eines Gesamtkonzepts macht es Sinn.
Eine weitere Frage,
Herr Abgeordneter Michelbach.
Herr Bundesfinanzminister, geben Sie mir recht, daß die konjunkturelle Lage für die Unternehmen im Moment sehr
schwierig ist und dies auf die große Verunsicherung
durch die umfassenden Diskussionen über Realsplitting,
Abschaffung des Ehegattensplitting, MehrwertsteuerVizepräsident Rudolf Seiters
erhöhungen und die Tatsache, daß es keine Nettoentlastungen gibt, zurückzuführen ist? Sind Sie, Herr Bundesfinanzminister, nicht der Auffassung, daß man möglichst schnell eine Reform aller Tarife der einzelnen
Steuerarten durchführen müßte, um Entlastungen zugunsten von Investitionen und Arbeitsplätzen zu schaffen?
Hier erscheinen Nettoentlastungen sinnvoll.
Herr
Abgeordneter, in der Steuerpolitik geht Gründlichkeit
vor Schnelligkeit.
({0})
Im übrigen gehört zur Gründlichkeit die Solidität. Die
Solidität macht es erforderlich, sich vor einzelnen Versprechungen die gesamte Situation des Haushaltes anzusehen. Ich habe den Eindruck, daß Sie das nicht hinreichend berücksichtigen.
Noch eine Zusatzfrage.
Herr Bundesfinanzminister, können Sie sich vorstellen - auch wenn
Sie sich bezüglich der Nettoentlastung nicht festlegen
wollen -, daß die einzelnen Korrekturen an den Steuergesetzen, die am 1. April 1999 vorgenommen wurden,
zu einer Scheinbesteuerung insbesondere der mittelständischen Betriebe führen? Ich denke dabei an die Besteuerung der Gewinne bei Betriebsaufgaben oder an die
sogenannte Teilwertabschreibung, wo es weit über die
Berechnungen Ihres Vorgängers hinaus zu einer steuerlichen Mehrbelastung des Mittelstandes kommen wird.
Hier gibt es eine Scheingewinnbesteuerung. Können Sie
sich vorstellen, daß hier ähnlich wie bei den 630-MarkJobs auch noch nachträglich steuerliche Veränderungen
vorgenommen werden?
Herr
Abgeordneter, ich rate dazu, ehe man über Veränderungen von Gesetzen redet, zunächst einmal ihre Wirkung
abzuwarten. Ich halte es für relativ unwahrscheinlich,
daß man sie nach drei Wochen schon beurteilen kann.
Ich sage das jedenfalls für meinen Zuständigkeitsbereich.
Eine Frage der
Kollegin Ostrowski.
Am Montag hat der
Deutsche Bundestag sein neues Domizil in Berlin in Besitz genommen. Ich möchte Sie gern fragen: Wieviel hat
die Vorbereitung und die Durchführung dieser Sitzung
insgesamt gekostet?
Die Frage kann ich Ihnen nicht beantworten. Ich bin - da bitte
ich um Verständnis - noch zu neu im Amt, um entscheiden zu können, ob Ihre Frage nicht die Bundestagsverwaltung beantworten muß. Sollte ich sie beantworten
müssen, dann werde ich sie schriftlich beantworten.
({0})
Da hier keine Fragen an den Bundestagspräsidenten gerichtet werden
können, werden wir dies nicht jetzt beantworten. Aber
ich denke, wir finden einen Weg, um das Informationsbedürfnis der Kollegin Ostrowski gemeinsam zu befriedigen.
Es gibt noch eine Frage des Kollegen Michelbach.
Ich habe eine Frage
an den Bundesminister für Wirtschaft, Herrn Müller.
Herr Bundesminister Müller, Sie haben von der Notwendigkeit der Subventionsbegrenzung gesprochen. Wie
sehen Sie die Entwicklung beim Subventionsabbau?
Können Sie sich vorstellen, daß, bevor Wirtschaftssubventionen zurückgenommen werden, zunächst einmal
die umfassenden staatlichen Subventionen im Bereich
der Kohle und anderer Einrichtungen abgebaut werden?
Können Sie einen detaillierten Regierungsvorschlag für
den Subventionsabbau vorlegen?
Ich habe die Notwendigkeit des Subventionsabbaus in der letzten Zeit aus zwei Gründen
betont: Erstens hat die Wirtschaft immer wieder sehr
pauschale Forderungen erhoben, man möge die Hilfen
für die Wirtschaft abbauen. Zweitens habe ich jedenfalls
in den vier Wochen, in denen ich dafür zuständig war,
die ererbte Kassenlage gesehen.
Man kann das, was Herr Kollege Eichel Ihnen eben
sagte, auch etwas drastischer sagen: Wir haben ein
strukturelles Defizit von 80 bis 90 Milliarden DM übernommen; denn es hat sich bei Ihnen eingebürgert, sich
stets 60 Milliarden DM von der Zukunft zu leihen. Das
ist schon kein normaler Zustand. Das heißt, der Staat
muß insgesamt sparsamer werden. Das ist die Erkenntnis, die ich gewonnen habe.
Wenn die Wirtschaft selber Subventionsabbau fordert, dann ergibt sich insgesamt ein Konzept, das man
durchaus weiterverfolgen sollte. Sie wissen, ich versuche, so gut es geht, das im Einvernehmen mit der Wirtschaft zu tun. Die Wirtschaft hat mir erklärt, das Thema
sei für sie nicht überaus wichtig; sie meine eigentlich
sowieso, daß Subventionen an die Wirtschaft nicht sein
sollten. Das erleichtert die Aufgabe, vor der ich stehe,
enorm.
Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Bundesminister, Sie haben die Sachlage in der Wirtschaft angeHans Michelbach
sprochen. Wissen Sie, daß die Wirtschaft bei der Steuerreform durch die Gegenfinanzierung erhebliche Zusatzbelastungen hinnehmen mußte? Können Sie sich bei den
Subventionen einen generellen Beschluß vorstellen, wonach die Subventionen fünf Jahre lang um 5 Prozent
jährlich abgebaut werden? Wäre das ein Vorschlag, den
die Regierung in dem hier von Ihnen bekundeten Sparwillen einbringen könnte?
Ich darf Ihnen versichern, daß mein
Vorstellungsvermögen ziemlich groß ist. Was schlußendlich in welchen Bereichen realisiert wird, bedarf der
internen Beratung. Ich sagte Ihnen: Ich versuche, im Gespräch mit der Wirtschaft eine Lösung zu finden. Das
Ergebnis wird zur gegebenen Zeit vorgelegt werden.
Herr Kollege Mayer.
Nachdem sich in der Bundesregierung, wie aus den
Äußerungen der letzten Tage zu vernehmen war, die Erkenntnis durchgesetzt hat, daß die gesetzliche Regelung
zur sogenannten Scheinselbständigkeit vom vergangenen Jahr insbesondere in den Wachstumsbranchen der
modernen Informations- und Kommunikationsdienste
arbeitsplatzvernichtend wirkt und neue Unternehmen in
besonderer Weise behindert, frage ich die Bundesregierung, ob sie sich mittlerweile intensiv mit dem Thema
beschäftigt hat und ob sie bereit ist, die unseligen Beschlüsse vom letzten Jahr im Wege eines Gesetzentwurfes zurückzunehmen.
Wer von der Bundesregierung fühlt sich imstande, darauf zu antworten?
Ich darf Ihnen versichern, daß wir die
Kritik an diesem Gesetz ernst nehmen. Das Gesetz, das
Sie insbesondere ansprechen, ist übrigens schon vier
Monate in Kraft. Wenn sich herausstellen sollte, daß die
Wirkungen über eine längere Zeit so sind, wie jetzt im
allgemeinen befürchtet, wird man sich das genauer ansehen. Ich bitte aber zu bedenken, was Herr Kollege
Eichel gerade schon sagte. Die Gesetze sind just in Kraft
getreten und sollen generell einen Mißstand beseitigen,
der sich eingeschlichen hat. Für das Einschleichen des
Mißstandes ist die Bundesregierung nicht verantwortlich, sondern das hat sich in der Wirtschaft abgespielt.
Für die Beseitigung dieses Mißstandes mußte gesorgt
werden. Wenn es tatsächlich anhaltend negative Konsequenzen gibt, wird das natürlich gewürdigt.
Eine letzte Zusatzfrage.
Darf
ich Ihrer Antwort entnehmen, daß die Bundesregierung
die verheerenden Folgen dieses Gesetzes vom vorigen
Jahr insbesondere für die neuen Medien bisher nicht
erkannt hat und daß sie offensichtlich auch im Bereich
anderer Gesetze, wie bei den geringfügig Beschäftigten,
den 630-DM-Jobs, mit der gleichen Blindheit vorgeht?
So herum betrachtet kann ich diese
Frage nur zurückweisen. Das Gesetz gegen die Scheinselbständigkeit hat bisher keine verheerenden Folgen.
Sie dürfen sicher sein, daß die Bundesregierung verheerende Folgen auch nicht eintreten lassen wird.
Was das Thema 630-DM-Jobs anbelangt, so ist das
Gesetz just in Kraft. Dieses Gesetz können wir aus meiner Sicht in einer überschaubaren Zeit ohnehin etwas
gelassener betrachten, weil es genug Arbeitskräfte gibt.
Auch hier ist deutlicher Mißbrauch zu bekämpfen gewesen. Daß das für manchen unbequem ist und zu mancher
Kritik führt, ist nachvollziehbar, gleichwohl aber nicht
immer verständlich.
Ich will eine allerletzte Frage zulassen. Dann müssen wir aber zur Fragestunde kommen. Herr Kollege Koppelin.
Herr Bundesminister,
habe ich Ihre Antwort eben so richtig verstanden, daß
die Bundesregierung Gesetze an den Betroffenen erst
einmal austestet, statt vorher schon vernünftige Gesetze
zu machen?
({0})
Wenn Sie das so herum formulieren
wollen, ist das Ihre Sache. Wir betrachten die Wirtschaft
und die Bürgerinnen und Bürger nicht als Testobjekte.
Damit ist die heutige Regierungsbefragung beendet.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 4 auf:
Fragestunde
- Drucksache 14/774 Die beiden Fragen 1 und 2 der Kollegin Störr-Ritter
aus dem Geschäftsbereich des Bundesministeriums für
Verkehr, Bau und Wohnungswesen werden schriftlich
beantwortet.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit auf.
Zur Beantwortung war die Parlamentarische Staatssekretärin Gila Altmann angemeldet. - Sie ist gerade gekommen.
Ich rufe die Frage 3 des Abgeordneten Dr. Paul
Laufs, CDU/CSU-Fraktion, auf:
Welche Gutachter hat das Bundesministerium für Umwelt,
Naturschutz und Reaktorsicherheit ({0}) mit der erneuten Prüfung der Sach- und Rechtslage für den Betrieb des Kernkraftwerkes Biblis A beauftragt, bevor zehn frühere bundesaufsichtliche Weisungen zurückgezogen wurden?
Ich gebe das Wort der Parlamentarischen Staatssekretärin Altmann.
Herr Kollege, die Antwort auf Frage 3 lautet: Das
Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit hat das Erfordernis der Aufrechterhaltung der angesprochenen Weisungen geprüft. In einem
bundesaufsichtlichen Fachgespräch vom 25. Februar
1999 hat das BMU unter Einbeziehung seines Beraters
Lothar Hahn vom Öko-Institut und der Gesellschaft für
Reaktorsicherheit, der GRS, wesentliche Themenbereiche seiner Weisungen zum Atomkraftwerk Biblis mit
der atomrechtlichen Aufsichtsbehörde des Landes Hessen im einzelnen erörtert.
Eine Zusatzfrage,
Herr Kollege Laufs.
Frau Staatssekretärin,
ist bei dieser Erörterung sichtbar geworden, daß die Erkenntnisse aus der Sicherheitsanalyse von 1991 überholt
sind?
Das Ergebnis dieses Fachgesprächs ist gewesen,
daß die Bewertungsgrundlagen, die bisher zugrunde gelegt wurden, so nicht mehr haltbar sind und daß daher
das Aufrechterhalten der Weisungen nicht mehr gerechtfertigt ist. Somit ist die Sachkompetenz und die inhaltliche Verantwortung jetzt wieder auf das Land Hessen
und auf das hessische Umweltministerium übergegangen.
Eine weitere Zusatzfrage, bitte schön.
Wenn die Sicherheitsdefizite heute neu und sehr viel gravierender eingeschätzt werden, als das bisher der Fall war, warum haben dann die rotgrüne Landesregierung und die rotgrüne
Bundesregierung die sofortige Stillegung des Kernkraftwerkes Biblis A nicht schon im Zeitraum von Oktober 1998 bis April 1999 verfügt?
Die verschiedenen Stillegungsentwürfe, die in der
Vergangenheit vom hessischen Umweltministerium an
das BMU gesandt worden sind, sind per Weisung abgelehnt worden. Nachdem das hessische Umweltministerium im Dezember 1998 noch einmal um ein Fachgespräch zu diesem Thema gebeten hat, hat dieses dann
am 25. Februar 1999 auch stattgefunden. Daß dazwischen dieser längere Zeitraum lag, hing unter anderem
damit zusammen, daß die GRS noch Unterlagen beibringen wollte. Nach diesem Fachgespräch hat es am 31.
März die Rücknahme der Weisungen seitens des Bundesumweltministeriums gegeben. Das hessische Umweltministerium hat dann an der Fertigstellung einer
neuen Stillegungsverfügung gearbeitet, wobei es darum
ging - so möchte ich das aus Bundessicht interpretieren;
weitere Informationen müssen Sie sich vom hessischen
Umweltministerium holen -, sorgfältig zu arbeiten. Dadurch kommt dieser Zeitrahmen zustande.
Herr Kollege Koppelin, eine Zusatzfrage.
Frau Staatssekretärin, hat
es, nachdem Sie die Bundesregierung am Montag in einer Anzeige scharf angegriffen haben, in Ihrem Hause
eine Diskussion darüber gegeben, ob Sie diese Fragen in
der heutigen Fragestunde beantworten?
Auch wenn diese Frage nicht zu diesem Themenbereich gehört, kann ich sagen: nein.
Ich rufe die Frage 4
des Abgeordneten Laufs auf:
Welche neuen sicherheitstechnischen Erkenntnisse dieser
Überprüfung veranlaßten das BMU, von seiner bisherigen Auffassung abzuweichen, die von umfangreichen Gutachten u.a. der
Gesellschaft für Reaktorsicherheit sowie den Entscheidungen
des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs vom 25. März 1997
gestützt wurde?
Die Gründe, die zur Aufhebung von Weisungen
führten, sind in der Begründung der Weisung vom 31.
März 1999 dargelegt. Danach bieten die von der Bundesaufsicht im wesentlichen durch die Stellungnahmen
ihrer Sachverständigenorganisation, der Gesellschaft für
Anlagen- und Reaktorsicherheit, GRS, hierzu ermittelten
Sachverhalte sowie deren gutachterliche Bewertung keine ausreichende Grundlage für den Fortbestand der erteilten Weisungen.
Eine Zusatzfrage.
Frau Staatssekretärin,
da die Kritik der Bundesregierung am GRS-Gutachten
hinsichtlich der Methodik im Grundsätzlichen verbleibt
und sich auf die Wahrscheinlichkeitsbetrachtungen bezieht, möchte ich Sie nochmals fragen: Hat die Bundesregierung neue, tatsächliche Erkenntnisse, die über diejenigen der Sicherheitsanalyse von 1991 hinausgehen?
Ich muß Ihnen noch einmal sagen, daß sich die
Bewertungsgrundlage und die Gewichtung der Aussagen
der Gesellschaft für Reaktorsicherheit verändert haben.
Die Gründe kann ich Ihnen in einigen Details kurz vortragen: Es geht darum, daß nicht alle für die Beurteilung
erforderlichen Tatsachen, wie anlagenspezifische Be2704
sonderheiten des Zustandes von Komponenten und Anlagenteilen, ermittelt wurden. Die GRS hat im wesentlichen ihr verfügbare nicht anlagenbezogene statistische
Daten zugrunde gelegt. Die Übertragbarkeit von Ergebnissen anlagenfremder Experimente auf Anlagenteile
und Komponenten des Reaktors Biblis wurde nicht dargelegt. Die Daten waren zum Teil veraltet - sie beziehen
sich auf eine Untersuchung des TÜV Bayern von 1991 -,
und die Sachverhaltsermittlungen wurden nicht ausreichend dokumentiert.
Das alles hat dazu geführt, daß das Bundesumweltministerium der rechtlichen Auffassung des hessischen
Umweltministeriums folgen kann.
Eine Zusatzfrage.
Frau Staatssekretärin,
lassen Sie es mich noch einmal auf den Punkt bringen.
Ist die Bundesregierung der Auffassung, daß beim
Kernkraftwerk Biblis A die erforderliche Schadensvorsorge nicht getroffen worden und damit ein konkreter
Gefahrensverdacht begründet ist?
Bereits der frühere hessische CDU-Umweltminister
Weimar hat 1991 55 Mängel festgestellt, die bis heute
nicht in Gänze behoben worden sind. Die Stillegungen,
die vom hessischen Umweltministerium verfügt werden
sollten, sind durch Weisungen verhindert worden. Die
Bewertungsgrundlage hat sich dahingehend verändert ich kann das nur wiederholen -, daß die Analysen, die
durch die GRS erarbeitet worden sind und zu den Weisungen geführt haben, so nicht mehr haltbar sind bzw.
das Aufrechterhalten der Weisungen nicht mehr rechtfertigen.
Keine weiteren Zusatzfragen. Dann danke ich Ihnen, Frau Staatssekretärin.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Verteidigung auf. Zur Beantwortung der Fragen
steht die Parlamentarische Staatssekretärin Brigitte
Schulte zur Verfügung.
Wir kommen zur Frage 5 des Abgeordneten Werner
Siemann:
Reichen die im Verteidigungsausschuß interfraktionell beschlossenen zusätzlichen Dienstposten für den Haushalt 1999 für
Offiziere des Truppendienstes, des militärfachlichen Dienstes
und für die Laufbahn der Unteroffiziere aus, damit diese Soldaten nicht nur den für ihre Laufbahn vorgesehenen Enddienstgrad, sondern auch die Zwischendienstgrade in angemessenen
Zeitabständen erreichen?
Herzlichen Dank, Herr
Präsident. - Sehr geehrter Herr Kollege Siemann, durch
die strukturellen Veränderungen in den vergangenen
Jahren und durch den Abbau der Bundeswehr seit 1991
auf zunächst 370 000 Mann und dann auf 340 000 Mann
Umfang ist es zu einem Verwendungs- und Beförderungsstau vorrangig bei Berufssoldaten in allen Laufbahngruppen gekommen.
Auch die alte Bundesregierung - das muß man hier
zugeben - hat versucht, durch unterstützende Maßnahmen beim Personalabbau und mit personalwirtschaftlichen Mitteln das überhöhte durchschnittliche Beförderungsalter zu senken bzw. auf ein für die Soldaten
akzeptables Niveau zu bringen. Allerdings muß man sagen, daß auch die im Haushaltsentwurf der jetzigen
Bundesregierung ausgebrachten und im Rahmen der
Vorarbeit der CDU/CSU-F.D.P.-Bundesregierung vorbereiteten Planstellen nur mithelfen können, Berufssoldaten, die eignungs- und leistungsgerecht auf entsprechenden Dienstposten verwendet werden sollen, eine
entsprechende Laufbahnperspektive zu geben.
Wir haben bei den Berufssoldaten eine unausgewogene Altersstruktur vorgefunden und würden den Verwendungs- und Beförderungsstau in den nächsten Jahren
sogar noch verstärken und die Wartezeit bei Beförderungen verlängern, wenn keine einschneidenden Maßnahmen ergriffen würden.
Um es den anderen Kolleginnen und Kollegen zu sagen: Bei den Offizieren des Truppendienstes haben wir
im Dienstverhältnis eines Berufssoldaten eine Altersschichtung mit einem Überhang von 2 900 Offizieren in
den Dienstgraden Leutnant bis Oberstleutnant. Ende
1998 waren mehr als 30 Prozent aller Berufssoldaten im
Dienstgrad Hauptmann im Beförderungs- oder Verwendungsstau. Das durchschnittliche Alter bei der Beförderung zum Major liegt inzwischen zweieinhalb Jahre über
dem im Personalstärkemodell vorgesehenen Soll. Die
Tendenz ist steigend.
Dieser Effekt wirkt sich in gleicher Weise auf Oberleutnants aus, die dann entsprechend lange auf die Beförderung zum Hauptmann warten müssen. Damit sind
wiederum besondere Probleme bei der Beförderung von
Offizieren mit einer Verpflichtungszeit von 12 Jahren zu
erwarten, wenn sie, weil es zu wenig Hauptmannstellen
gibt, keine Chance haben, rechtzeitig zum Oberleutnant
befördert zu werden. Durch das Ansteigen der durchschnittlichen Zeiten der Beförderung zum Hauptmann
von über zwölf Jahren, wie wir es jetzt vorgefunden haben, wird es zumindest zeitweise nicht möglich sein, daß
Offiziere, die bei einer Verpflichtungszeit von zwölf
Jahren eigentlich einen Anspruch darauf haben, tatsächlich den Dienstgrad Hauptmann erreichen.
Das gleiche gilt leider bei den Offizieren des militärfachlichen Dienstes. Hier gibt es 1 400 Offiziere, die
analog zu den Offizieren des Truppendienstes aus verschiedenen Gründen nicht zeitgemäß befördert werden
können. Die Wartezeiten bei der Beförderung zum
Hauptmann werden im Durchschnitt um jetzt bis zu fünf
Jahre militärfachlicher Dienst über die Zielgröße des
Personalstärkemodells hinausgehen. Das heißt, daß die
Beförderung durchschnittlich erst nach 17 Offiziersdienstjahren erfolgen könnte.
Bei den Berufsunteroffizieren beläuft sich der strukturelle Überhang auf rund 2 700 Unteroffiziere. Folgen
sind, wie bei den Offizieren, Auswirkungen auf die Beförderungszeiten, wenn auch in etwas geringerem Maße.
Die durchschnittliche Wartezeit bei der Beförderung
zum Stabsfeldwebel wird geringfügig ansteigen. Allerdings wird sich auf Grund der unausgewogenen Altersstruktur die Zahl der Hauptfeldwebel erhöhen, die erst
zum spätestmöglichen Zeitpunkt ruhegehaltswirksam
zum Stabsfeldwebel befördert werden können.
Die jetzige Bundesregierung hat daraus ihre Konsequenzen gezogen. Sie wird - natürlich abhängig von den
Haushalten der Folgejahre, aber vor allen Dingen auch
von dem Ergebnis der Kommission „Zukunft der Bundeswehr“ - zu entscheiden haben, welche einschneidenden Maßnahmen ergriffen werden müssen. Ich bin zuversichtlich, daß uns ein Teil der Opposition dabei unterstützen wird, diese negativen Trends zu verändern.
Eine Zusatzfrage.
Frau Staatssekretärin, Sie haben eben detailliert die Stellensituation geschildert. Warum müssen Sie erst noch die Arbeit der
Kommission „Zukunft der Bundeswehr“ abwarten? Jetzt
ist Not am Mann, im wahrsten Sinne des Wortes.
Herr Kollege Siemann,
ich kann dies gut nachempfinden. Wir haben auch heute
morgen im Verteidigungsausschuß darüber diskutiert.
Wir müssen zunächst einmal wissen, welchen Umfang
die Bundeswehr der Zukunft haben wird. Auch die Kollegen, die nicht im Verteidigungsausschuß tätig sind,
werden Anfang Mai die Bestandsaufnahme der Bundeswehr erhalten. Wenn das geschehen ist, haben wir
die Gelegenheit, miteinander kontrovers und offensiv zu
diskutieren.
Wir wollen uns wirklich die Zeit nehmen, mit Fachleuten und anderen interessierten Leuten eine moderne
Struktur aufzubauen. Ich glaube, ich habe Ihnen schon
einmal gesagt: Wir werden uns ausdrücklich auch des
Rates von Fachleuten der Oppositionsparteien bedienen.
Die Zeit müssen wir uns einfach nehmen.
Wir kommen zu Ihrer zweiten Zusatzfrage.
Anläßlich einer Tagung des Deutschen Bundeswehr-Verbandes „Offiziere
im Stau“ in Bad Neuenahr haben Sie am 3. März dieses
Jahres gesagt, die Bundeswehr brauche ein neues Personalstärkegesetz. Wann gedenkt die Bundesregierung,
diesen Gesetzentwurf vorzulegen?
Ich betone noch einmal
ausdrücklich - zumal wir auch vorher in der Opposition
darüber diskutiert haben -, was ich den Kolleginnen und
Kollegen, die nicht dem Verteidigungsausschuß angehören, und den Zuhörern eindringlich gesagt habe: Wir haben im Moment eine unausgewogene und unzeitgemäße
Struktur im Offiziers- und Unteroffiziersbereich. Wenn
wir für die Zukunft qualifizierte Leute haben wollen,
dann müssen wir das verändern. Dies alles gehört zum
Umfang der Streitkräfte und zu den Aufgaben der
Streitkräfte. Ich glaube, heute morgen hat der Verteidigungsminister angedeutet, daß auch bei den Krisenreaktionskräften noch einmal eine Veränderung stattfinden
muß.
All das zusammen wird dazu führen, daß wir Ihnen
hoffentlich Modelle vorstellen können, die auch Ihre
Zustimmung finden.
Eine Zusatzfrage
des Kollegen Niebel.
Frau Staatssekretärin, anläßlich
der eben vom Kollegen Siemann angesprochenen Veranstaltung des Deutschen Bundeswehr-Verbandes zum
Thema „Offiziere im Stau“ hat Ihr SPD-Kollege Pfannenstein zugestimmt, daß der von der F.D.P. eingebrachte Änderungsantrag zum Haushalt zur Wiedereinführung eines Personalstärkegesetzes bis zum Abschluß
der Kommission „Zukunft der Bundeswehr“, also als
Überbrückung, eine sehr gute Idee sei. Er hat ebenfalls
gesagt, die SPD werde dies unterstützen.
Nachdem Sie nun die Zahlen über die tatsächlich im
Stau befindlichen Soldaten sehr detailliert festgeschrieben haben, können Sie mir erklären, weshalb die Bundesregierung von der Einsicht Ihres Fraktionskollegen
abgegangen ist, im Endeffekt diesen Antrag doch abgelehnt hat und zwischenzeitlich kein Personalstärkegesetz
beschlossen hat?
Also, Herr Kollege, wir
wollen fein differenzieren. Ich habe hier das vorgetragen, was wir vorgefunden haben, als wir Ende Oktober
die Regierung übernommen hatten. Natürlich wußten
das einige von uns, insbesondere die, die im Verteidigungsausschuß gearbeitet haben.
Das zweite ist: Wir haben gemeinsam, auch mit den
Stimmen Ihrer Partei und denen der Union, eine leichte
Verbesserung vorgenommen. Das war ein gemeinsames
Anliegen von uns. Jetzt aber ein neues Personalstrukturmodell zu entwickeln, obwohl wir uns vorgenommen
haben, uns ganz nüchtern zu überlegen, wie die Bundeswehr der Zukunft konkret aussehen soll, wäre falsch.
Wir würden möglicherweise eine falsche Richtung einschlagen und müßten das dann wieder korrigieren.
Ich bitte Sie herzlich mitzuhelfen, auch der Öffentlichkeit klarzumachen, daß Soldaten auf Grund der heutigen Besoldungsstruktur im Vergleich mit anderen Bereichen des öffentlichen Dienstes nicht mehr zeitgemäß
bezahlt werden. Ich bitte Sie auch, bei einer Verbesserung mitzuhelfen. Aber das wäre im Moment nur ein
Trostpflaster, dessen Wirkung erfahrungsgemäß nicht
ausreicht, um eine Wunde zu heilen.
Vielen Dank. - Ich
rufe die Frage 6 der Abgeordneten Ostrowski auf:
In welchem Zusammenhang steht nach Auffassung der Bundesregierung die Zerstörung von Donaubrücken und Heizkraftwerken mit dem erklärten Ziel der NATO, eine humanitäre Katastrophe über die Zerstörung der militärischen Infrastruktur der
Bundesrepublik Jugoslawien abzuwenden?
Frau Kollegin Ostrowski,
die NATO hat sich im Rahmen der Luftoperationen bewußt Restriktionen aufgelegt, um Schäden und unnötige
Leiden von der jugoslawischen Bevölkerung abzuwenden. Die Luftoperationen dienen dem Zweck, die Fähigkeit der Bundesrepublik Jugoslawien zu zerstören, weiter gewaltsam gegen die Bevölkerung des Kosovo vorzugehen. Die Auswahl der Ziele erfolgt unter Anlegung
strenger Maßstäbe. Es gilt vor allen Dingen, das militärische Potential, die Sicherheitskräfte und die paramilitärischen Kräfte, die für die humanitäre Katastrophe im
Kosovo verantwortlich sind, zu reduzieren. Zu den Zielen zählt in dem einen oder anderen Fall auch die Infrastruktur, wenn sie der Unterstützung des militärischen
Apparates dient. Von Bedeutung sind hier Verkehrsverbindungen, Schienenwege, Straßen, Brücken oder auch
Flugplätze, auf denen Reserven und Nachschub transportiert bzw. organisiert werden können.
Objekte, die auch für die Zivilbevölkerung von Bedeutung sind, werden nur dann angegriffen, wenn sie
von erheblicher militärischer Bedeutung sind oder wenn
sich dort militärische Dinge verbergen. Das gilt zum
Beispiel für Postämter, die natürlich gleichzeitig auch
einen Teil der militärischen Kommunikationsinfrastruktur darstellen.
Eine Zusatzfrage?
Frau Staatssekretärin,
ich habe Ihre Antwort gehört und hätte in diesem Zusammenhang folgende Zusatzfrage: Sie haben ja nicht
bestritten, daß die Zivilbevölkerung in Mitleidenschaft
gezogen wird, weil manches sowohl zivil wie auch militärisch genutzt wird. Nun hat die Bundesregierung öffentlich erklärt, daß der Krieg nicht gegen das serbische
Volk, sondern gegen Milosevic gerichtet ist. Wir merken
aber nunmehr, daß die Zivilbevölkerung durch die Zerstörung von Donaubrücken, Heizkraftwerken, Eisenbahnlinien und auch Fabriken Schaden nimmt. Objektiv
betrachtet ist das so und nicht anders. Ist die Bundesregierung unter diesem Gesichtspunkt bereit, ihre Aussage, daß sich der Krieg nicht gegen das serbische Volk,
sondern nur gegen Milosevic richtet, zumindest zu relativieren?
({0})
Sie haben sicherlich gehört, daß ich den Begriff „serbisches Volk“ sorgfältig
vermieden habe; denn in der Bundesrepublik Jugoslawien leben auch heute noch verschiedene Gruppen, übrigens auch in Belgrad. Ich rede deswegen ausdrücklich
davon, daß die jugoslawische Bevölkerung betroffen ist.
Nun besteht leider das Problem, daß Ursache und
Wirkung nicht auseinandergehalten werden. An erster
Stelle steht die Tatsache, daß Gewaltübergriffe gegen
die albanische Minderheit im Kosovo durch paramilitärische und militärische Einheiten geschehen und daß sie
auch Vertreibungen durchführen. Um diese Vorgänge
endlich zu beenden - das ist ja dringend notwendig -, ist
es bedauerlicherweise erforderlich, Maßnahmen zu ergreifen, durch die auch die Zivilbevölkerung - ich unterscheide da nicht, wer davon in Belgrad oder an anderer
Stelle betroffen ist - in Mitleidenschaft gezogen wird.
Wir versuchen allerdings, Frau Kollegin, das soweit wie
möglich zu verhindern. Es ist auch den Zeitungen zu
entnehmen, daß fast die Hälfte der Einsätze, um Schäden - ich mag das Wort „Kollateralschäden“ nicht - an
zivilen Objekten und Verluste in der Zivilbevölkerung
so gering wie möglich zu halten, abgebrochen worden
ist, weil die Sichtverhältnisse es nicht erlaubten, genau
zu zielen. Es kann aber von uns nicht geleugnet werden,
daß auch schon unschuldige Menschen zu Schaden gekommen sind.
Eine weitere Zusatzfrage?
Nein.
Ich rufe dann die
Frage 7 der Kollegin Ostrowski auf:
Nach welchen Kriterien lassen sich nach Auffassung der
Bundesregierung militärische und zivile Angriffsziele bei den
NATO-Luftoperationen unterscheiden?
Frau Kollegin, ich möchte
auf die Beantwortung Ihrer ersten Frage verweisen und
Ihnen noch einmal sagen: Zivile Ziele werden nur dann
angegriffen, wenn sie auch von erheblicher militärischer
Bedeutung sind oder wenn sich dort militärische Einrichtungen verbergen oder solche dort hineinverlegt
worden sind.
Eine Zusatzfrage.
Es ging in meiner
zweiten Frage um die Unterscheidung zwischen militärischen und zivilen Angriffszielen. Ich habe folgende
Nachfrage: Warum ist eine Tabakfabrik ein militärisches
Angriffsziel? Geben Sie mir recht - da nachgewiesenermaßen ein Flüchtlingstreck bombardiert wurde -, daß
es schwierig ist, zivile und militärische Ziele zu unterscheiden?
Das ist eine wichtige
Frage. Bei einigen der zivilen Ziele muß man sehen das ist natürlich geheim -, daß wir auch militärische
Aufklärung haben. In der Geschichte des Deutschen
bzw. Dritten Reiches, in den Kriegen von 1914 bis 1918
und von 1939 bis 1945, gibt es Beispiele dafür, daß Fabrikanlagen in militärische Einrichtungen umgewidmet
werden können. Aber es stellt sich natürlich die Frage,
welche militärische Einrichtung es in einer Tabakfabrik
gibt. Ich kann Ihnen diese Frage deshalb nicht mit gutem
Gewissen beantworten, weil hinsichtlich der Fabrik offensichtlich militärische Aufklärung stattgefunden hat
und das deshalb geheim ist. Aber ich stelle mir, genau
wie Sie, die Frage, warum Heizkraftwerke getroffen
werden müssen, wenn nicht der Hinweis erfolgt, daß
dort militärische Einrichtungen untergebracht sind. Dafür gibt es leider Beispiele. Es gibt auch Beispiele aus
dem Dritten Reich dafür, daß aus einer bis dahin zivilen
Fabrik eine militärische Beschaffungsmaßnahme entwickelt worden ist.
Ich kann Ihnen die Frage nicht beantworten. Ich will
mich aber bezüglich der Tabakfabrik ausdrücklich erkundigen und werde Ihnen, wenn ich kann, die Antwort
gerne zukommen lassen.
Eine weitere Zusatzfrage der Kollegin Ostrowski.
Habe ich Sie jetzt
richtig verstanden - auch Herr Verteidigungsminister
Scharping hat die Informationspolitik der NATO öffentlich beklagt -: Sie haben als Bundesregierung nicht in
jedem Falle den Nachweis, daß es, wenn strittige Ziele
angegriffen worden sind, dort tatsächlich eine militärische Einrichtung gab?
Doch, wir haben natürlich
die Möglichkeit des Nachweises, weil unsere Soldaten
in der NATO tätig sind und weil wir ein politisches Primat haben. Wir haben selbstverständlich auch zivile
Mitarbeiter. Wir haben einen eigenen Botschafter bei
der NATO, und wir haben jederzeit die Möglichkeit,
Auskünfte zu erhalten, wenn sich hinter einer zivilen
Einrichtung eine militärische verbergen sollte. Aber es
gibt zum jetzigen Zeitpunkt keinen Hinweis darauf, daß
es ein Unglück war, dieses Ziel zu treffen. Das heißt, Sie
können davon ausgehen, daß es einen militärischen
Hintergrund gab. Ich kann Ihnen hier leider nicht mehr
dazu sagen.
Eine Zusatzfrage
des Kollegen Manfred Opel.
Frau Staatssekretärin, stimmen Sie mir zu, daß Herr Milosevic ausschließlich Zivilbevölkerung, die unbewaffnet war, vertrieben hat, daß
er seit vielen Monaten ausschließlich gegen sie Krieg
geführt hat und noch heute die Flüchtlingstrecks tagelang, bis zu 20 Tage, ohne Nahrung und Getränke durch
die Straßen des Kosovo treibt? Können Sie mir zustimmen, Frau Staatssekretärin, daß Herr Milosevic einen
unerklärten Krieg gegen seine eigene Zivilbevölkerung
führt und daß das der Auslöser für die humanitäre Hilfsaktion der NATO-Streitkräfte war?
Herr Kollege Opel, ich
muß Ihnen nach allem, was wir wissen, leider zustimmen. Es ist bedauerlich und schlimm, daß so etwas am
Ende dieses Jahrhunderts passiert. Ich bin Ihnen dankbar, daß Sie erwähnt haben, daß er auch jetzt Zivilpersonen nutzt, um militärische Einrichtungen von ihnen besetzen zu lassen. Wir haben die schlechte Erfahrung gemacht, daß er Zivilpersonen auf Brücken und auf Straßen oder auch vor Fabriken, die militärische Infrastruktur schaffen, bewegt. Das ist schlimm und sehr bedauerlich, und ich glaube, das wird auch vom ganzen Haus
bedauert.
Eine Zusatzfrage
der Kollegin Lippmann.
Frau Staatssekretärin, Sie
werden mir recht geben, daß niemand in diesem Haus
bestreitet - das haben auch Sie soeben gesagt -, daß es
in der Bundesrepublik Jugoslawien zu Menschenrechtsverletzungen kommt und daß dort eine Vertreibungspolitik betrieben wird. Dies alles haben wir hier schon
mehrfach gemeinsam festgestellt. Aber angesichts der
Wortwahl des Kollegen Opel soeben, nämlich daß es
sich bei dem Einsatz der NATO um eine humanitäre
Hilfsaktion handele, möchte ich darauf hinweisen, daß
Bombardierungen von militärischer und auch ziviler Infrastruktur nicht gerade als eine humanitäre Hilfsaktion
bezeichnet werden können.
Zu meiner Frage: Sie sagten soeben, daß Aufklärung
betrieben werde und daß der Regierung bezüglich der
angesprochenen Tabakfabrik sogar Erkenntnisse darüber
vorliegen, daß sich hinter dieser Fabrik Militärisches
verstecken könnte. Können Sie Meldungen aus der Presse bzw. den Medien bestätigen, daß sich kleine Spezialeinheiten, und zwar deutsche, französische und britische Militärangehörige, in der Bundesrepublik Jugoslawien befinden, um diese Aufklärung voranzutreiben?
Nein, das kann ich wirklich nicht bestätigen. Es gibt natürlich ganz bestimmte
Arten der Aufklärung, über die ich hier nicht genauer
sprechen kann. Aber selbstverständlich gibt es keine
deutschen militärischen Einheiten, die sich in Form von
Kleingruppen in der Bundesrepublik Jugoslawien aufhalten. Ich bin wie Sie der Meinung, daß der Einsatz von
Flugzeugen und Marschflugkörpern natürlich keine humanitäre Aktion ist. Aber er geschieht, um weitere Vertreibungen von Menschen zu unterbinden. Das hat Kollege Opel gemeint. Ich weiß sehr wohl, daß auch Sie das
nicht billigen und ausdrücklich kritisieren.
Eine Zusatzfrage
der Kollegin Ulrike Merten.
Frau Staatssekretärin, die
Kollegin Ostrowski hat soeben nach der Fähigkeit, zwischen militärischen und zivilen Zielen zu unterscheiden,
gefragt. Haben Sie nähere Auskünfte darüber, inwieweit
Milosevic mögliche militärische Ziele oder auch militärisches Gerät durch menschliche Schutzschilde tarnen
läßt?
Darüber haben wir mehr
als genug Kenntnisse. Frau Kollegin Merten, wir haben
leider die Erfahrung gemacht, daß er militärisches Gerät,
wie zum Beispiel Panzer, ganz bevorzugt in Wohngebieten untergebracht hat. Wir hören fast Tag für Tag,
daß sich auf Brücken Menschen versammeln, die bestimmt nicht freiwillig dort hingegangen sind, um auf
diese Weise ein Schutzschild zu bilden. Das ist eine der
schlimmen Situationen, die derzeit auf dem Balkan herrschen.
Eine Zusatzfrage
des Kollegen Bartsch.
Frau Staatssekretärin,
stimmen Sie zu, daß eine Trennung zwischen zivilen
und militärischen Angriffszielen letztlich nicht möglich
ist? Natürlich gibt es das in Einzelfällen.
({0})
- Ich habe jetzt nicht die Ursache gemeint. - Ich habe
die Frage gestellt, ob diese Ziele letztlich trennbar sind
oder nicht.
Ich will Ihnen Ihre Frage
gerne beantworten. Diese Ziele sind sehr gut trennbar.
Deswegen haben wir uns ja der Mühe unterzogen, eine
sehr umfangreiche Aufklärung zu betreiben. Deswegen
haben wir beim Einsatz von militärischen Mitteln ausdrücklich auf Präzisionswaffen zurückgegriffen - es fällt
mir schwer, dies sagen zu müssen; wahrscheinlich würde dies jedem Kollegen, der an dieser Stelle stehen
müßte, schwerfallen -, damit wir bei der Zivilbevölkerung keine Schäden verursachen. Daß dies doch passieren kann, haben Sie ja erlebt.
Aber man kann sehr gut aufklären, ob ein vermeintlich ziviles Ziel militärischen Zwecken dient. Das kann
zum Beispiel eine Brücke oder eine Straße sein, von der
man weiß, daß sie von größeren militärischen Einheiten
benutzt werden wird, so daß durch deren Zerstörung der
Weg in das Kosovo, nach Bosnien-Herzegowina oder
nach Montenegro unterbrochen wird. Die von Ihnen angesprochene Unterscheidung kann man also treffen.
Diese nimmt man auch ausdrücklich vor.
Herr Kollege, Sie erleben ja selbst, welche Kritik mit
Recht von den Regierungen des westlichen Bündnisses
erhoben wird, wenn aus Versehen menschliche bzw. zivile Ziele, die nicht in einem militärischen Zusammenhang gestanden haben, getroffen werden. Man kann
zwar nicht ganz vermeiden, daß es zu Schäden kommt.
Aber eine Vermeidung sollte so sorgfältig wie möglich
erfolgen.
Ich rufe Frage 8 des
Abgeordneten Dr. Rössel auf:
Wie hoch sind bisher die Belastungen des Bundeshaushalts
aus der deutschen Beteiligung an der militärischen Umsetzung
eines Rambouillet-Abkommens für den Kosovo sowie an
NATO-Operationen im Rahmen der Notfalltruppe „Extraction
Force“?
Herr Kollege Dr. Rössel,
über die Belastungen des Bundeshaushalts durch die
deutsche Beteiligung an der militärischen Unterstützung der Umsetzung eines möglichen RambouilletAbkommens für den Kosovo wurde, wie Sie sich als
Mitglied des Haushaltsausschusses sicherlich erinnern,
nach dem Beschluß des Deutschen Bundestages vom
25. Februar 1999 entschieden. Diese Belastungen sollten für einen bestimmten Zeitraum - die entsprechende
Zahl an Soldaten sowie der entsprechende Umfang an
Gerät, Logistik und Infrastruktur vorausgesetzt - etwa
620 Millionen DM betragen.
Wir haben eine Stärke von zirka 5 000 Soldaten für
die Absicherung eines Friedensabkommens für das Kosovo geplant und eine vorübergehende Stationierung in
Mazedonien vorgesehen. Durch die aktuellen Ereignisse
und den Beginn der Luftoperationen der NATO sind zur
Zeit zirka 3 000 Soldaten in Mazedonien. Die Zahl kann
allerdings wegen der großen humanitären Einsätze, die
wir dort leisten, steigen. Das heißt, die Kostenschätzung,
die wir damals ab April für den Kosovo-Einsatz vorgesehen haben, lag mit der Logistik bei etwa 441 Millionen DM für das Jahr 1999. Diese Mittel werden voraussichtlich auch gebraucht, und zwar nicht in erster Linie
für militärisches Personal, sondern für die Beschaffung
von Gerät, für die Versorgung der Bevölkerung und für
die Errichtung von zivilen Lagern.
Sie hatten außerdem nach den Kosten der Notfalltruppe oder der, wie es so schön heißt, Extraction
Force gefragt. Diese Extraction Force umfaßt 250 Soldaten. Der Deutsche Bundestag hat ihre Entsendung in
seinem zweiten Beschluß am 19. November 1998 verabschiedet. Die Kosten werden den Bundeshaushalt
mit zusätzlich zirka 20 Millionen DM im Laufe des
Jahres belasten.
Sie hatten dann danach gefragt, wie die finanziellen
Mittel ausfallen. Der Quartalsbericht des ersten Quartals
1999 liegt noch nicht vor. Sie werden ihn aber als Haushälter in den nächsten Wochen bekommen. Daran kann
aufgeschlüsselt werden, was wir bis zum 31. März 1999
an Ausgaben für die verschiedenen Einsätze - es gibt
noch den SFOR-Einsatz und andere Einsätze - ausgegeben haben. Ich gehe davon aus, daß Sie als Berichterstatter den Bericht vorrangig bekommen werden.
Eine Zusatzfrage.
Ich habe eine Zusatzfrage an die Parlamentarische Staatssekretärin Kollegin
Schulte. Welche Vorstellungen hat die Bundesregierung
bei dem von ihr angeregten „Marshallplan“ für den
Wiederaufbau auf dem Balkan? Wie soll dieser Plan
aussehen, und wie soll er finanziert werden, vor allem
mit welchen Wirkungen auf den Bundeshaushalt?
Dafür ist zunächst das Finanzministerium verantwortlich. Herr Dr. Rössel, Sie
wissen noch sehr genau, wie wir darum gekämpft haben,
damit wir den Kosovo-Einsatz nicht aus dem Verteidigungshaushalt, sondern zunächst als neue Aufgabe aus
dem Einzelplan 60 des Bundesfinanzministers, der diesen verwaltet, finanzieren. Das gleiche gilt natürlich für
den „Marshallplan“, in dem verschiedene Funktionen
wie die Wirtschaftspolitik, die Entwicklungspolitik und
natürlich die Bildung der Bevölkerung, die Wiederherrichtung von Gebäuden, der Wohnungsbau und die Straßeninfrastruktur enthalten sein werden. Ich kann Ihnen
die Zahl nicht sagen. Ich hoffe, wir werden gemeinsam
relativ viel Geld zur Verfügung stellen können.
Da der Kollege
Rössel diese Frage als Frage 62 an den Finanzminister
gerichtet hat, wird er noch von dort aus eine Antwort
bekommen. Sie haben aber noch das Recht zu einer
zweiten Zusatzfrage.
Ich habe noch eine Zusatzfrage an die Parlamentarische Staatssekretärin Kollegin Schulte. Treffen Hinweise zu, wonach die jetzt für
den besagten Einsatz vorgesehenen und auch eingesetzten
Mittel aus dem Bundesetat, die ursprünglich zur Absicherung der Tariferhöhung im öffentlichen Dienst auf Bundesebene vorgesehen waren, genommen werden?
Ich war lange genug Mitglied des Haushaltsausschusses des Deutschen Bundestages. Und auch in dieser Runde sind ein paar erfahrene
Leute, die wissen, daß der Wunsch für tarifliche Verbesserungen immer im Einzelplan 60 vorgesehen war, und
was in der Realität geschehen ist. Ich mußte nur registrieren, daß für den Haushalt des Jahres 1998 die alte
Bundesregierung immerhin Tariferhöhungen in Höhe
von 280 Millionen DM abzudecken gehabt hätte, für die
sie keine Vorsorge getroffen hatte. Sie hat leider auch
nichts aus dem Einzelplan 60 bekommen.
Wieviel wir am Ende aus dem Einzelplan 60 bekommen werden, wird ein bißchen davon abhängen, Herr
Kollege Dr. Rössel, was an Steuereinnahmen da ist und
was in anderen Bereichen gebraucht wird. Ich gehe davon aus, daß wir mehr als die Mittel, die jetzt für die Tariferhöhung vorgesehen waren - es waren ursprünglich
über 770 Millionen DM im Einzelplan 60 angesetzt -,
brauchen, um den Wiederaufbau im ehemaligen Jugoslawien und ganz besonders im Kosovo voranzubringen.
Eine Zusatzfrage,
Frau Lippmann.
Frau Staatssekretärin, Sie
werden mir zustimmen, daß der Bedarf im Fall von
weiteren Stationierungen von Bundeswehrsoldaten im
Rahmen eines NATO-Einsatzes zum Beispiel in Albanien oder im Fall von weiteren Kontingenten in Mazedonien oder später vielleicht sogar im Fall von Bodentruppen im Kosova selbst natürlich weit höher ausfallen
wird. Er ist nicht in diesen 441 Millionen DM enthalten.
Können Sie darüber hinaus bestätigen, daß sich bereits jetzt Beamte, Bedienstete des Bundesgrenzschutzes
in Mazedonien in der Flüchtlingsversorgung im Einsatz
befinden? Falls dies zutrifft: Wie viele sind es? Mit welchem Auftrag sind sie dort? Wie hoch sind die durch
diesen Einsatz entstandenen Kosten? Von welchem
Haushalt sind sie abgedeckt?
Gott sei Dank gibt es eine
strikte Trennung in diesem Land: Der Bundesgrenzschutz gehört zum Innenminister. Ich werde mich hüten,
zu Ihrer Frage Position zu beziehen. Ich könnte Ihnen
die Frage auch nicht beantworten.
Ich rufe jetzt die
Frage 9 der Abgeordneten Dr. Barbara Höll auf:
Auf welcher Grundlage ({0}) erfolgte die bisherige
Ansetzung der Kosten für den Kosovo-Einsatz der Bundeswehr?
Frau Staatssekretärin.
Frau Dr. Höll, Grundlage
des Kostenansatzes für den Einsatz der Bundeswehr im
Kosovo sind die entsprechenden Beschlüsse des Deutschen Bundestages: der Beschluß über die begrenzten
und in Phasen durchzuführenden Luftoperationen zur
Abwendung einer humanitären Katastrophe im KosovoKonflikt, mit großer Mehrheit noch vom alten Deutschen Bundestag am 16. Oktober 1998 gefaßt; der am
13. November gefaßte Beschluß über Luftüberwachungsoperationen über dem Kosovo im Rahmen der
„NATO Kosovo Air Verification Mission“ und damit
auch über den drohenden Einsatz in Mazedonien; der am
19. November 1998 gefaßte Beschluß über die Operation zum Schutz und zur Herausziehung von OSZEBeobachtern aus dem Kosovo in einer Notfallsituation;
der am 25. Februar 1999 gefaßte Beschluß über die militärische Umsetzung des Rambouillet-Abkommens für
den Kosovo sowie über den Einsatz bei NATOOperationen im Rahmen der Notfalltruppe.
In diesen Beschlüssen des Deutschen Bundestages
sind die jeweilige Personalstärke der Einsätze sowie
Eckpunkte der Ausrüstung festgelegt worden. Diese An2710
gaben dienen als Basis, um die Kosten der Einsätze für
einen Zeitraum von zwölf Monaten zu bestimmen. Berechnet werden hierbei nur die Zusatzkosten, das heißt
Kosten, die ohne den Einsatz nicht entstehen würden.
Entsprechend werden bei Personalausgaben zum Beispiel nur die Auslandsverwendungszuschläge und die
Auslandsentschädigungen berechnet, nicht jedoch die
Inlandsgehälter der Soldaten.
Hinsichtlich des eingesetzten Materials werden die
Kosten der Materialerhaltung durch Erfahrungswerte
über einen zusätzlichen Materialverschleiß sowie die
Kosten des Betriebsstoffs ermittelt.
In die Kostenschätzung fließen weiter die zusätzlichen Kosten für einsatzbedingte Beschaffung, einsatzbedingte Infrastrukturmaßnahmen sowie die Transportkosten für die Hin- und Rückverlegung ein, wobei ebenfalls die Aufwendungen für die Transporte zur Versorgung und anläßlich der Kontingentwechsel zu berücksichtigen sind.
Eine Zusatzfrage.
Nachdem Sie diese
Grundlage ausführlich erläutert haben, möchte ich gerne
wissen, wie hoch die Belastungen für den Bundeshaushalt bisher sind.
Frau Dr. Höll, wir haben
bislang Kosten für den Einsatz der SFOR, zum Beispiel
die Kosten für die Verlegung der Verbände in Tetovo
und in anderen Bereichen von Mazedonien, für den
Aufbau entsprechender Unterkünfte, für den Transport
von Gerät. Die Summe, die dabei zustande kommt, ist
schon ganz beachtlich. Selbstverständlich bekommen
die Soldaten für diese schwierige Aufgabe auch eine
Auslandsentschädigung. Die genauen Kosten werden
wir Ihnen, wie ich es dem Kollegen Dr. Rössel gesagt
habe - auch Sie sind Haushälterin, Frau Dr. Höll -,
schon mit der Quartalsabrechnung sagen können.
Eine weitere Zusatzfrage.
Frau Staatssekretärin, da
gleichzeitig in der Bundesrepublik Jugoslawien unwahrscheinlich viel zerstört wird und laufend Spendenaufrufe
auch an die Bevölkerung der Bundesrepublik Deutschland ergehen, die zum Teil sehr großen Widerhall haben,
stellt sich für viele Bürgerinnen und Bürger natürlich die
Frage, wieviel Geld jeden Tag ausgegeben wird, um zu
zerstören, und wieviel Geld für den Wiederaufbau benötigt wird, wobei es schwierig ist, Geld für den Wiederaufbau beizubringen. Ich denke, daß man, da Sie davon ausgehen, daß die Summe bisher schon beträchtlich
ist, versuchen sollte, nicht erst zum Quartalsende, sondern ziemlich zeitnah Auskünfte an die Bevölkerung
und an das Parlament zu geben.
Liebe Frau Kollegin Dr.
Höll, überlegen Sie sich bitte einmal, warum wir das alles tun müssen! Sie können sich doch wohl vorstellen,
daß der Deutsche Bundestag nicht mit mehr als 90 Prozent einem solchen Einsatz zugestimmt hätte, wenn es
dafür nicht Ursachen gäbe.
({0})
Eine solche Frage hier zu stellen ist angesichts des Leids
und der viel größeren Kosten, die die Flüchtlinge im
Kosovo jetzt zu tragen haben - um es neutral auszudrücken und mein Amt zu beachten -, erstaunlich.
Im übrigen wünschte ich mir, daß es viel mehr Länder in der Welt - auch parlamentarische Demokratien gäbe, die eine solch sorgfältige Haushaltskontrolle und
Haushaltsklarheit haben wie der Deutsche Bundestag.
({1})
Das ist eines der Rechte, die in der Tradition des
Reichstages von 1914 stehen. Ich kann mich nur erinnern, daß es in der ehemaligen DDR so etwas nicht gab.
Damals wußten Sie nicht, was die Dinge kosteten und
was für Militär ausgegeben wurde. Die Behauptung, die
mit Ihrer Frage verbunden war, finde ich schon kühn.
({2})
Eine Zusatzfrage
des Abgeordneten Dr. Winfried Wolf.
Frau Staatssekretärin, es
geht immer noch um die Grundlagen für die Berechnung
der Kosten. Von CDU-Fachwissen gestützte Berechnungen gehen davon aus, daß die Kosten doppelt so
hoch liegen. Ich frage Sie: War inzwischen bekannt, was
Verteidigungsminister Scharping heute im Verteidigungsausschuß gesagt hat, nämlich daß eine HarmRakete nicht, wie bisher veröffentlicht, 400 000 DM,
sondern 1,2 Millionen DM kostet, weil die damaligen
Anschaffungskosten mit den Wiederbeschaffungskosten
verwechselt wurden?
Wenn Sie genau zugehört
hätten, wüßten Sie, daß eine jetzt verschossene Harm
zwischen 600 000 und 700 000 DM gekostet hat - denn
man muß ja immer die Anpassung an das Gerät einbeziehen - und daß das Folgemodell der Harm-Rakete, die
wir beschaffen wollen, eine andere Fähigkeit hat, nämlich auch abgestellte Luftverteidigungssysteme aufzuklären. Im Moment ist es so, Herr Kollege, daß wir unsere Harm-Raketen nicht verschießen, wenn vorher das
Luftabwehrsystem abgestellt wurde, weil ansonsten die
Gefahr besteht, daß sie abgelenkt werden. Die neue Rakete hat in der Tat eine solche Genauigkeit, daß dann
auch die Radaranlagen getroffen werden können, die
nicht in Betrieb sind; denn auch diese können natürlich
Schaden anrichten. Deswegen stimmt es, daß eine
Harm-Rakete nach dem jetzigen Stand 1,2 Millionen
DM - ich hoffe, es bleibt dabei - kostet.
Eine Zusatzfrage
der Abgeordneten Lippmann.
Frau Staatssekretärin, vor
einer Woche wurde uns mitgeteilt, daß zu dem damaligen Zeitpunkt von deutschen Tornados 90 bis 100
Harm-Raketen verschossen worden seien. Können Sie
uns sagen, wie der aktuelle Stand ist, also wie viele darüber hinaus abgeschossen wurden, und inwieweit die
Kosten für die Neuanschaffung auf Grund des „Verbrauchs“ der Harm-Raketen über den bisherigen Haushaltsansatz hinausgehen?
Das wird eine Entscheidung des Parlamentes sein. Das Parlament wird nach
Beendigung der schlimmen kriegerischen Auseinandersetzung auf dem Balkan auswerten müssen, was wir
verbraucht haben. Bis jetzt sind es etwa 100. Die makabre Logik moderner Waffentechnologie hat es nun einmal so an sich, daß man sich die Frage stellen muß, ob
wir, wie bisher, mehr als 1 000 solcher Raketen benötigen oder ob wir für die Zukunft nicht möglicherweise
weniger beschaffen - unter dem Gesichtspunkt, daß ihr
Einsatz noch präziser ist, auch wenn wir natürlich hoffen, daß wir sie nie einsetzen müssen.
Ausrechnen können Sie das alles. Zur Zeit haben wir
noch 900.
Ich rufe die
Frage 10 der Abgeordneten Dr. Höll auf:
Wie hoch liegen die Gesamtausgaben für diesen Militäreinsatz gegenwärtig pro Tag?
Frau Dr. Höll, wegen der
unterschiedlichen Aktivitäten und der unterschiedlichen
deutschen Beteiligung an den NATO-Operationen verlaufen die Ausgaben nicht kontinuierlich; schon gar
nicht sind sie pro Tag zu berechnen. Man erhielte eine
solche Angabe natürlich, wenn man die Gesamtausgaben des Quartals durch die Anzahl der Tage teilte; aber
auch das ist schief, weil Sie bedenken müssen, daß Beschaffung von Material oder Gerät nicht auf den Tag
umzurechnen ist. Die Angabe der Gesamtausgaben habe
ich Ihnen ja zugesagt, und das werden Sie dann auch bekommen.
Zusatzfrage.
Frau Staatssekretärin, da,
wie Sie wissen, ab heute die Bereinigungssitzung im
Haushaltsausschuß läuft, würde mich interessieren - gerade unter den von Ihnen noch einmal unterstrichenen
Voraussetzungen von Haushaltsklarheit und -wahrheit -,
ob es nicht möglich und notwendig wäre, diese Zahlen
vor der abschließenden zweiten und dritten Lesung des
Haushaltes 1999 einzuarbeiten.
Wir haben sie eingearbeitet. Noch gibt es keinen Grund, anzunehmen, daß die
Summen, die wir zum Beispiel für den Kosovo-Einsatz,
für das Warten in Mazedonien oder die Flüchtlinge vorgesehen haben, höher sein werden, als sie von uns geschätzt wurden. Es gibt allerdings zwei Unwägbarkeiten,
Frau Dr. Höll: Wir wissen nicht, ob wir nicht bald in die
Situation kommen, daß es zu einer Beendigung der Luftschläge und der kämpferischen Auseinandersetzung
kommt und dann der Wiederaufbau erfolgen muß, und
wir müssen eine zweite Frage beantworten, nämlich die,
wie viele Soldaten wir im Kosovo benötigen, um dort
die Rückkehr der Flüchtlinge zu organisieren. Ich kann
mir ja auch vorstellen, daß die Bevölkerung Jugoslawiens - wenn sie die Möglichkeit erhält, vielleicht eine
andere politische Führung zu bekommen - bei diesem
Aufbau sehr viel aktiver mithelfen wird und die Notwendigkeit, dort mit mehreren zehntausend Soldaten
hineinzugehen - so wird das jetzt geschätzt -, dann nicht
gegeben ist. Das hängt sehr stark davon ab, was in den
nächsten Wochen passiert. Hoffentlich dauert es nicht
noch Monate.
Eine weitere Zusatzfrage.
Frau Staatssekretärin, diese
Unwägbarkeiten sind auf alle Fälle vorhanden. Inwieweit haben Sie aber Vorsorge dahin gehend getroffen,
wenn der Einsatz, der jetzt stattfindet, nicht so schnell
beendet werden kann, wie Sie sich das wahrscheinlich
wünschen und wie auch wir uns das wünschen, nämlich
am besten sofort, heute? Wir haben dafür allerdings eine
andere politische Begründung; wir denken, man kann
den Frieden nicht herbeibomben. Wenn sich dieser Einsatz zeitlich in die Länge zieht: Von welchen Bedingungen der Finanzierung eines längeren Einsatzes sind Sie
ausgegangen?
Frau Kollegin, wir haben
ja, wie ich in meiner Antwort vorhin gesagt habe, erst
einmal die Überlegung gehabt, das RambouilletAbkommen umzusetzen. Dafür hätte die Bundesrepublik
Deutschland einen entsprechenden Beitrag leisten müssen. Es gibt im deutschen Haushaltsrecht ein gutes Instrument; das ist die überplanmäßige Ausgabe. Das
macht man dann, wenn man es von vornherein nicht
weiß. Es wäre auch nicht zu leisten, die Ausgaben für
das ganze Jahr, in dem sich ja die politische und damit
auch militärische Lage ändern kann, von vornherein zu
berechnen.
Ich habe heute morgen mit Freuden gehört, daß der
Obmann der SPD-Fraktion im entsprechenden Ausschuß
im Frühstücksfernsehen erklärt hat, daß überplanmäßige
Ausgaben befürwortet werden, wenn sie sich als wichtig
und richtig herausstellen sollten. Dann werden auch Sie
entsprechende Informationen bekommen.
Zusatzfrage des
Abgeordneten Dr. Küster.
Frau Staatssekretärin
Schulte, können Sie mir erklären, warum die PDS weder
nach den Kosten, die durch die Vertreibung und den faschistischen Terror im Kosovo entstanden sind, noch
nach den Kosten, die bei der Wiederherstellung einer
Zivilgesellschaft im Kosovo entstehen, gefragt hat?
({0})
Herr Kollege Küster, ich
vermute, daß sich die Kollegen das im stillen schon fragen werden. Sie haben möglicherweise eine Rolle übernommen, die es ihnen jetzt nicht erlaubt, solche Fragen
zu stellen. Ich muß in dieser Beziehung hoffen. Ich kenne eine Reihe von Leuten bei ihnen, die wissen: Natürlich ist es eine Katastrophe, daß dieser Mann nicht nur
die Vertreibung von über 1 Million Menschen, sondern
auch die Zerstörung der Infrastruktur fertiggebracht hat.
Wer von uns das ehemalige Jugoslawien kennt - darin
sind wir Westdeutsche Ihnen gegenüber im Vorteil;
denn wir sind ja als Urlaubsgäste gern in dieses Land
gefahren -, der kann sich nur mit Fassungslosigkeit vorstellen, wie viele Milliarden am Ende gebraucht werden,
um das alles wieder aufzubauen. Die Ursache ist Milosevic; er ist es seit 1988.
Ich möchte diese Gelegenheit nutzen, die nachdenklichen Kollegen unter den PDS-Mitgliedern zu bitten,
auch dies in die Diskussion hineinzutragen.
({0})
Ich danke Ihnen für die Frage.
Eine Zusatzfrage
des Kollegen Johannes Kahrs.
Frau Staatssekretärin,
stimmen Sie mir zu, daß die Fragen der PDS zu dem
Elend und dem Leid im Kosovo, die wir nun täglich
erleben, in keinem Verhältnis stehen, daß der billige
Versuch, hier innenpolitische Punkte zu machen, jenseits all dessen ist, was eigentlich diesem Hohen Hause
zumutbar ist, und daß man vielleicht auch danach fragen
sollte, warum alle diese Fragen von den zuständigen
Abgeordneten eigentlich nicht im Verteidigungsausschuß gestellt werden?
Herr Kollege Kahrs, da
ich mich daran erinnere, daß man in der Opposition
manchmal eine andere Rolle einnimmt und dies mitunter bereut, wenn man sich hinterher, ein paar Monate
später, noch einmal mit der gleichen Frage auseinandersetzt, habe ich die große Hoffnung - ich sage das
jetzt nicht ironisch -, daß viele Mitglieder der PDS, die
einen solchen Mann vermeintlich in Schutz nehmen ich glaube, das wollen die meisten gar nicht -, darüber
nachdenken und erkennen, welchen Schaden dieser
Mann anrichtet.
({0})
- Daß es dazu keine Äußerung gibt, stimmt nicht. Ich
lese ab und zu auch einmal das „Neue Deutschland“, ich
lese die „Junge Welt“. Frau Dr. Höll, Sie haben wahrscheinlich nur die westdeutschen Zeitungen gelesen. Ich
muß Ihnen aber wirklich sagen: Was man von Ihren
Vertretern in den neuen Bundesländern teilweise an Fragen gestellt bekommt, ist schon toll.
Herr Kahrs, ich kann nur empfehlen, den Dialog mit
den Kollegen - und zwar von jeder Seite - zu führen,
damit diese sehen, daß sie sich in eine Position verrannt
haben, die falsch ist.
Eine Zusatzfrage
der Abgeordneten Ostrowski.
Zurück zum Fachlichen und zum Sachlichen; denn wir sind ja im Bundestag. Wir stellen die Fragen, für deren Beantwortung
die deutsche Bundesregierung zuständig ist.
Frau Staatssekretärin, wir hätten die Frage vielleicht
so formulieren sollen - da gebe ich Ihnen recht -, daß
von den durchschnittlichen Kosten pro Tag die Rede ist.
Das wäre exakter gewesen. Trotzdem wundere ich mich:
Sie müssen doch wissen, wieviel bisher ausgegeben
worden ist. Ich verstehe nicht, warum Sie uns immer
darauf verweisen, daß am 31. März. das Quartal beendet
ist. Sie können mir doch nicht erzählen, daß Sie im
Verteidigungsministerium nicht wissen, was bisher ausgegeben worden ist.
Frau Kollegin Ostrowski,
ich kann Ihnen schon sagen - das ist bereits für die Bereinigungssitzung vorbereitet -, daß wir in diesem Jahr
bereits gut 25 Prozent der Mittel vom Haushaltsansatz wir befinden uns ja in einer vorläufigen Haushaltsausführung - ausgegeben haben. Ich kann Ihnen sogar sagen, warum das so ist. Wir dürften eigentlich gar nicht
so viel ausgeben. Die Beamtengehälter werden aber bekanntlich schon am Ende des Monats für den darauffolgenden Monat gezahlt; deswegen sind die Beamtengehälter für den April in der Quartalsrechnung enthalten.
Die Einzelheiten - es geht um differenzierte Titel, die
sich zwischen einigen tausend D-Mark und einigen hunderttausend D-Mark befinden - kann auch die beste
Verwaltung - das Bundesministerium der Verteidigung
ist ja kein kleines Ministerium, es hat immerhin die
stattliche Anzahl von über 3 000 Mitarbeitern - zu diesem Zeitpunkt noch nicht exakt vorlegen. Sie können
sich aber gewiß sein, daß nicht in erster Linie die PDS,
sondern natürlich die Kollegen von der Union und von
der F.D.P., die solche tollen Berechnungen in die Welt
gesetzt haben, alles tun werden, um Einzelheiten zu erfahren. Als ich vom Kollegen Austermann - ich glaube
jedenfalls, daß er es war - gelesen habe, daß er von
1 Milliarde DM sprach, habe ich mich gefragt: Na, wer
hat da im Ministerium wieder irgend etwas aufgeschrieben? Es könnte ja sein, daß das schneller an die Opposition als an die Regierung geraten ist. Das war aber nicht
der Fall. Vielmehr hatte sorgfältige Berechnung, was
alles sein könnte - Einsatz von SFOR-Truppen im
Kosovo und andere Dinge -, dazu geführt.
Ich würde Ihnen hier eine falsche Zahl nennen. Das
möchte ich einfach nicht. Deswegen sollten Sie Verständnis für die Aussagen haben, die Sie bekommen.
Wir führen schon ordentlich Buch. Es ist allerdings erst
der 21. April.
Eine letzte Zusatzfrage zu diesem Kapitel, Frau Lippmann.
Frau Staatssekretärin, hier
ist schon mehrfach der Irrtum aufgekommen, daß die
Kritik der PDS am NATO-Einsatz mit einer einseitigen
Unterstützung Milosevics, mit einer Duldung der humanitären Katastrophe, die dort stattfindet, gleichzusetzen
sei.
({0})
Dies weise ich erneut zurück. Aber in einem pluralistischen, demokratischen System wie der Bundesrepublik
Deutschland muß es gerechtfertigt sein, daß die Opposition auch unliebsame Fragen stellt.
({1})
Deswegen frage ich jetzt noch einmal ganz konkret zu
Ihren wiederholten Äußerungen - ({2})
- Lassen Sie mich bitte ausreden, dann frage ich auch. Ich frage ganz konkret zu Ihren wiederholten Äußerungen, inwieweit der Auftrag oder die politische Zielsetzung des NATO-Einsatzes, nämlich die Verhinderung
einer humanitären Katastrophe, die Flucht und Vertreibung von Menschen aus dem Kosovo tatsächlich verhindert hat. Vielleicht können Sie es auch zahlenmäßig
benennen: Wie viele Flüchtlinge wurden durch den
NATO-Einsatz nicht vertrieben?
Frau Kollegin Lippmann,
das finde ich fast zynisch. Das hätte ich von Ihnen nicht
erwartet.
Das ist aber genauso zynisch wie Ihre Argumentation!
Einen Moment bitte! Das Wort hat die Staatssekretärin.
Sie sind mit mir und anderen zusammen in Mazedonien gewesen. Wir haben
uns das angeschaut. Ich denke immer an Leute wie Sie
oder auch an andere, deswegen unterstelle ich Ihnen
nichts. Ich weiß, daß man Fragen stellen kann, die unterschiedlicher Art sind. Aber diese Frage ist nun ganz besonders makaber.
Was hätten wir denn tun sollen? Wir wußten, daß
Milosevic schon mit der Vertreibung begonnen hatte,
daß sich die Menschen bereits in den Wäldern befanden,
daß sie zum Teil auch interniert waren. Wäre die richtige Antwort gewesen, nichts zu tun? Ich gestehe Ihnen zu
- das treibt doch jeden von uns um -: Nicht zu handeln
hätte uns schuldig gemacht; zu handeln bedeutet, auch
Risiken einzugehen. Natürlich sind wir Risiken eingegangen, sogar in großem Maße. - Aber ich begreife
nicht, wie Sie uns so etwas unterstellen können. Ich
kann das nicht nachvollziehen.
Ich rufe die
Frage 11 des Abgeordneten Gehrcke auf:
Trifft es zu, daß die UCK seit dem März 1999 logistisch
durch die NATO unterstützt wird?
Herr Kollege, ich sage Ihnen ganz deutlich: Nein, es trifft nicht zu, daß die UCK
logistisch durch die NATO unterstützt wird.
Zusatzfrage.
Frau Staatssekretärin,
ich weiß nicht, ob es gestattet ist, aber ich möchte mich
zunächst einmal für Ihre Aufforderung an die Kollegen
des Hauses bedanken, politische Differenzen im Dialog
auszutragen.
({0})
Ich halte es für ausgesprochen wichtig, daß dies gewahrt
bleibt.
Meine Zusatzfrage: Heute informierte uns im Auswärtigen Ausschuß ein Kollege der Unionsfraktion - um
ihn wörtlich zu zitieren -: Amerika ist dabei, UCKLeute auszubilden, an verschiedenen Orten: in den USA,
in Kanada und Albanien. Gehen Sie mit mir davon aus,
daß die Kollegen der Unionsfraktion ihre Aussagen sehr
gründlich überprüfen? Liegen solche Erkenntnisse möglicherweise auch der Bundesregierung vor?
Ich lese und höre viele
Dinge, Herr Kollege Gehrcke. Ich muß Ihnen sagen: Als
Ihre Frage in unserem Haus einging, habe ich den Sachverhalt sorgfältig prüfen lassen. Sie wissen es nicht, aber
ich war immerhin 12 Jahre NATO-Parlamentarierin.
Ich kann Ihnen sagen: Die NATO - danach haben Sie
gefragt - unterstützt die UCK logistisch und militärisch
nicht. Was einzelne Staaten machen, weiß ich nicht. Ich
höre vieles darüber, habe aber aus dem Munde des amerikanischen Verteidigungsministers oder des Oberbefehlshabers der NATO noch keine Bestätigung für eine
solche Behauptung bekommen.
Ich weiß natürlich - das sage ich hier sehr deutlich -,
daß selbst in Deutschland lebende UCK-Kämpfer von
ihresgleichen aufgefordert werden, in ihr Land zurückzukehren. - Wir hatten übrigens die gleiche Situation,
als die Auseinandersetzungen in Bosnien-Herzegowina
begannen, als die Krajina besetzt wurde. Auch damals
sind die jungen Männer - noch als jugoslawische Staatsangehörige - aufgefordert worden, in ihr Heimatland zurückzukehren.
Ich kann Ihnen aber mit gutem Gewissen sagen: Die
NATO unterstützt die UCK nicht.
Dann rufe ich die
Frage 12 des Abgeordneten Gehrcke auf:
Wie bewertet die Bundesregierung die Rekrutierung neuer
UCK-Kämpfer in den von der NATO organisierten Flüchtlingslagern?
Ich habe Ihnen gesagt,
daß die Bundesregierung keinerlei Aktivitäten der UCKKämpfer unterstützt. Sie ist auch in den internationalen
Flüchtlingslagern nicht an solchen Aktivitäten beteiligt.
Daran merken Sie schon, daß ich die Frage offenhalte, ob nicht doch ohne Wissen von uns, unseren Soldaten
und auch den Non-governmental organizations so etwas
geschieht. Es wäre vermessen, wenn ich dies nicht täte.
Wir aber unterstützen die UCK-Kämpfer nicht, weder
die Bundesregierung noch das Parlament.
Zusatzfrage.
Frau Staatssekretärin,
ich lerne, daß ich meine Fragen präziser stellen muß. Ich
danke für diese Belehrung.
Wäre die Bundesregierung in der Lage, sich sachkundig zu machen, ob sich einzelne NATO-Staaten an der
logistischen Ausbildung der UCK beteiligen?
In dem Bemühen, sich
sachkundig zu machen, wird die Bundesregierung noch
immer vom Parlament übertroffen. Das hoffe ich zumindest; denn das ist es, was dem Bürger bei einer Wiederwahl wichtig ist.
Wir versprechen Ihnen, daß wir, wenn wir etwas darüber erfahren, dies Ihnen mitteilen. Das ist auch in unserem gemeinsamen Interesse.
Natürlich haben Sie recht. Ich habe mir Ihre Frage
sehr sorgfältig angeguckt und dann eine Antwort darauf
formuliert. Nach gutem Wissen und Gewissen kann ich
Ihnen sagen: Das ist so.
Eine Zusatzfrage
des Abgeordneten Opel.
Frau Staatssekretärin, ich begrüße es, daß der Kollege Gehrcke sagt, man solle sich
politisch auseinandersetzen.
Nun verstehe ich seine Frage so, daß der NATO quasi
als Soupçon unterstellt wird, sie würde Flüchtlingslager
organisieren, unter anderem um dort UCK-Kämpfer
auszubilden, zu deutsch: sich an einer subversiven militärischen Aktion im Kosovo unter NATO-Mandat zu
beteiligen.
Frau Staatssekretärin, sind Sie mit mir der Meinung,
daß angesichts der begrenzten Mittel der Hohen Kommissarin der UN für das Flüchtlingswesen und angesichts der begrenzten Möglichkeiten der Nichtregierungsorganisationen und der Hilfsorganisationen, die in
den Randgebieten zum Kosovo wirklich Unmenschliches leisten - sieben Tage die Woche, 24 Stunden am
Tag -, die zusätzliche Hilfe, die unsere Soldaten leisten
können, weil sie noch dort sind und hoch motiviert sind,
nicht so mißinterpretiert werden darf, daß die NATO die
Flüchtlingslager mißbraucht, um dort den militärischen
Widerstand gegen Milosevic zu organisieren und zu unterstützen? Durch eine solche Interpretation würden die
Flüchtlingslager diskreditiert.
Das kann ich eigentlich
nur mit einem schlichten Ja beantworten. Ich bin Ihnen
für Ihre Frage dankbar - auch wenn sie von der Beantwortung der Frage von Herrn Gehrcke etwas wegführt -,
weil sie mir die Gelegenheit gibt, die Leistungen der
Bundeswehr zu würdigen. Frau Kollegin Lippmann und
andere Abgeordnete wissen, was wir im Kosovo erlebt
haben, als der Konflikt vor Ostern begann, und was die
Soldaten und die Vertreter der Non-governmental organizations, die natürlich Leute brauchten, die ihnen helfen
sollten, geleistet haben. Die Soldaten der Transportgeschwader und der anderen Bereiche haben, abgesehen
von denjenigen, die sowieso als Bereitschaft da waren,
sofort ihren Urlaub storniert und auch alle sonstigen privaten Pläne zurückgestellt, um Hilfe zu leisten. Auf die
Leistung der Bundeswehr, die sie dort unter humanitären
Gesichtspunkten erbringt, können wir alle gemeinsam
stolz sein.
Ich möchte in diesem Zusammenhang auch meinen
Kollegen Walter Kolbow erwähnen. Was er im Moment
in Mazedonien unter humanitären Gesichtspunkten leistet und wie er das Ganze organisiert, ist schon bewunderungswürdig. Es ist vor diesem Hintergrund schlimm,
Herr Kollege Opel, daß wir es bisher nicht geschafft haben, den Konsens in diesem Haus darüber zu vergrößern, daß die Vertreibungen eine Katastrophe sind und
daß sie ein Verbrechen an der Menschheit darstellen.
Umgekehrt zeigen die Beispiele, daß es auch Menschlichkeit gibt.
Ich rufe Frage 13
der Abgeordneten Lippmann auf:
Kann die Bundesregierung bestätigen, daß die alliierten
Streitkräfte bei ihren Kampfeinsätzen im Kosovo auch Geschosse bzw. Marschflugkörper mit angereichertem Uran verwenden?
Frau Kollegin Lippmann
hat gefragt, ob die alliierten Streitkräfte bei ihren
Kampfeinsätzen im Kosovo auch Geschosse bzw.
Marschflugkörper mit angereichertem Uran verwenden.
Das Wort „angereichert“ in Ihrer Frage haben wir durch
„abgereichert“ ersetzt, weil wir uns den Einsatz von
Munition mit angereichertem Uran nicht vorstellen können.
Ich kann Ihnen, Frau Kollegin, sagen, die Bundesregierung kann nicht bestätigen, daß Geschosse bzw.
Marschflugkörper mit angereichertem Uran bei Kampfeinsätzen im Kosovo verwendet werden. Da Sie wahrscheinlich auch nach Munition mit abgereichertem Uran
fragen werden - Sie beschäftigen sich ja mit dieser
Thematik -, kann ich Ihnen nur sagen: Es gibt nur amerikanische Maschinen, die bei diesem Einsatz Munition
mit abgereichertem Uran verwenden können. Es handelt
sich hier um eine panzerbrechende Munition. Den mit
dieser Thematik nicht so vertrauten Kollegen sollte man
sagen, daß diese Munition nur durch ihre Durchschlagskraft wirkungsvoll ist und nichts mit strahlender Munition zu tun hat.
Zusatzfrage.
Frau Staatssekretärin
Schulte, vor ungefähr zwei Stunden ist eine Meldung
über den Ticker gekommen, die besagt, daß das ARDMagazin „Monitor“ am kommenden Donnerstag einen
entsprechenden Bericht senden wird, in dem bestätigt
und wissenschaftlich nachgewiesen wird, daß die amerikanischen Flugzeuge vom Typ A 10 und auch die gerade
jetzt in Albanien eintreffenden Apache-Hubschrauber
mit uranabgereicherter Munition bestückt sind. Stimmen
Sie der in dieser Tickermeldung enthaltenen Aussage zu,
daß nach dem Aufschlag der Munition eine durch Reibung ausgelöste strahlende Wolke entsteht, die im
Golfkrieg sehr große Schäden verursacht hat? Diese
strahlende Wolke -
Das war jetzt Ihre
Frage, Frau Kollegin. Ich glaube, sie ist verstanden worden. - Frau Staatssekretärin.
Frau Lippmann, ich kann
das nicht bestätigen. Ich weiß nur, daß die Munition mit
abgereichertem Uran eine große Durchschlagskraft hat.
Ich kann mich erinnern, daß wir darüber eine Diskussion
im Parlament - da waren Sie nicht anwesend - geführt
haben.
Bei „Monitor“ würde ich von vornherein nicht glauben, daß alles stimmt. Wichtig war mir hier, daß der
Unterschied zwischen abgereicherter Munition und angereicherter Munition klargestellt wird. Im übrigen kann
ich bis zum jetzigen Zeitpunkt nicht bestätigen, daß diese Munition eingesetzt worden ist; denn wir haben natürlich auch andere panzerbrechende Munition. Aber der
Hinweis ist richtig: Die beiden Waffenträger - das Flugzeug und auch der Hubschrauber - besitzen solche Munition.
Dann rufe ich die
Frage 14 der Abgeordneten Lippmann auf:
Welche Erkenntnisse liegen der Bundesregierung über die
Schäden vor, die durch diese radioaktive Munition unmittelbar
und mittelbar angerichtet werden?
Frau Kollegin, da diese
Munition nach unserem Wissen nicht verwendet wird,
können keine Schäden angerichtet werden. Aber das bezieht sich natürlich auf die Munition mit angereichertem
Uran. Ich will der Korrektheit halber sagen: Sie hatten
nach angereichertem Uran gefragt.
Die Strahlungsfähigkeit von abgereichertem Uran
liegt übrigens nicht höher als bei vielen anderen Materialien. Das habe auch ich erst lernen müssen.
({0})
- Da ist ja ein Fachmann.
Zusatzfrage.
Frau Staatssekretärin, wie
erklären Sie die Äußerung der UN-Menschenrechtsorganisation aus dem Jahre 1996, die derartige Munition
mit abgereichertem Uran als menschenverachtend geächtet hat, und die nachgewiesenen Schäden, die es insbesondere im Golfkrieg gegeben hat?
Ich kann mich sehr gut
daran erinnern, daß im Golfkrieg über vieles spekuliert
worden ist, was aber nicht bestätigt worden ist. Wir wissen auch, daß chemische Kampfstoffe freigesetzt worden sind, wahrscheinlich durch Angriffe des Bündnisses,
weil Herr Saddam Hussein offensichtlich hinter den
Reihen chemische Munition hatte. Aber ich kann Ihnen
nicht bestätigen, daß solche Schäden durch abgereicherte Munition entstanden sind.
Frau Kollegin, wir können das Thema gern im Verteidigungsausschuß aufnehmen. Wir können noch einParl. Staatssekretärin Brigitte Schulte
mal darüber reden und uns noch sachkundiger machen.
Wir haben ja Wissenschaftler in unseren Reihen, die Ihnen dazu mehr sagen können. Der Kollege Opel neben
Ihnen versteht viel davon, der Kollege Küster auch.
Die letzte Zusatzfrage hat der Kollege Reinhold Robbe.
Frau Staatssekretärin, teilt
die Bundesregierung meine grundsätzliche Auffassung,
daß sämtliche Fragen, die hier von der PDS gestellt
wurden, dazu geeignet sind, die PDS nicht zuletzt zum
Sprachrohr von Herrn Milosevic zu machen?
Herr Kollege Robbe, ich
hoffe das nicht, weil ich immer noch an die Lernfähigkeit einzelner gewählter Parlamentarier glaube - nicht
insgesamt an die Lernfähigkeit der PDS; da bin ich genauso skeptisch wie Sie. Da ich einen Teil dieser Parlamentarier gut kenne - nicht nur Frau Lippmann aus Niedersachsen, sondern auch Herrn Rössel aus seiner anderen Tätigkeit -, will ich das immer noch nicht annehmen. Ich will nur annehmen, daß sie sich auf die falsche
Seite geschlagen haben.
Ich rufe die Frage
15 der Kollegin Annette Widmann-Mauz auf:
Welche Konsequenzen wird die Bundesregierung aus der
von der Wehrbeauftragten des Deutschen Bundestages, Claire
Marienfeld, in ihrem jüngsten Jahresbericht festgestellten mangelnden politischen Bildung der Soldaten ziehen?
Frau Kollegin, die Frau
Wehrbeauftragte hat festgestellt, daß bei jungen Soldaten die Unkenntnis über politische und geschichtliche
Zusammenhänge ausgeprägt ist.
({0})
- Manchmal trifft das auch auf Abgeordnete zu; ich habe gerade an andere gedacht, die den Zwischenruf gemacht haben. Den jungen Soldaten sind politische und
geschichtliche Zusammenhänge zum Teil nur mangelhaft bewußt.
Die Feststellungen im Jahresbericht 1998 der Frau
Wehrbeauftragten werden im Bundesministerium der
Verteidigung natürlich sehr ernst genommen. Sie sind
übrigens auch in der Vergangenheit ernst genommen
worden. Wir versuchen wirklich, daß der politischen
Bildung in den Streitkräften große Aufmerksamkeit gewidmet wird. Der vorangegangene Generalinspekteur
und noch mehr der jetzige Generalinspekteur von Kirchbach haben sich dieser Frage besonders angenommen.
Ich hoffe, wir werden sehen, daß das Erfolg hat.
Lassen Sie mich als ehemalige Lehrerin sagen, daß
mangelhaftes politisches und geschichtliches Wissen
nicht nur in der Bundeswehr zu erkennen ist. Vielmehr
mangelt es auch in großen Teilen unserer Gesamtbevölkerung an politischem Wissen und Geschichtsbewußtsein.
Zusatzfrage.
Frau Staatssekretärin, können Sie dann meine Einschätzung teilen,
daß es dringend notwendig ist, in Maßnahmen der politischen Bildung speziell für Soldaten verstärkt zu investieren?
Wir tun das, Frau Kollegin. Sie haben nicht miterlebt, wie sehr wir uns bemüht
haben, als die rechtsextremen Vorfälle und die Gewaltvorfälle in der letzten Wahlperiode aufgetreten sind.
Unabhängig von parteipolitischer Bewertung hat sich
der Verteidigungsausschuß als lange dauernder Untersuchungsausschuß mit großer Sorgfalt darum bemüht, Ursachen zu untersuchen, keine Schuldzuweisungen vorzunehmen. Es wird viel getan. Wenn Sie die Gelegenheit haben, die Bundeswehr aufzusuchen, wird sie Ihnen
darstellen, was sie macht. Ich lade Sie gerne ein. Bei
Gelegenheit zeigen wir Ihnen gern, was alles geschieht.
Daran liegt es nicht. Man bekommt ab und zu den Hinweis von Soldaten: Ach, schon wieder, nur weil wieder
ein rechtsextremer Vorfall passiert ist! - Wir machen es
mit großer Sorgfalt. Dabei geht es nicht nur um Linksoder Rechtsextreme - wir haben beides -, sondern es
geht natürlich auch um die Gewaltpotentiale und die
Gewaltschwelle.
Ich kann Ihnen das bei Gelegenheit gern einmal zeigen. Ich lade Sie ein, einmal die Bundeswehr zu besuchen.
Keine weitere Zusatzfrage. Dann rufe ich Frage 16 der Kollegin Widmann-Mauz auf:
Wie beurteilt die Bundesregierung in diesem Zusammenhang
die politische Bildungsarbeit der „Arbeitsgemeinschaft Staat und
Gesellschaft“ ({0})?
Ich war ganz überrascht,
weil ich zu denjenigen gehörte, Frau Kollegin, die gar
nicht wußten, was die „Arbeitsgemeinschaft Staat und
Gesellschaft“ eigentlich ist. Das ist wahrscheinlich von
Landsmannschaft zu Landsmannschaft verschieden. Ich
habe mich inzwischen erkundigt und habe gehört, daß
sie sich besonders um den Bereich der Bildung bemüht
hat und daß die Bundeswehr z. B. im Jahre 1996 240
mehrtägige Seminare und 254 Tagesseminare mit der
„Arbeitsgemeinschaft Staat und Gesellschaft“ durchgeführt hat.
Aber wie das so ist, die finanzielle Knappheit steht
schon länger an. Es war die Kollegin Ina Albowitz, die
im Haushaltsausschuß des Deutschen Bundestages im
November 1993, natürlich mit Zustimmung der übrigen
Kollegen im Haushaltsausschuß, gefordert hat, eine Umstellung der institutionellen Förderung auf projektbezogene Bereiche vorzunehmen. Einzelplan 06 - das ist der
Einzelplan des Innenministers - ist dort eigentlich angesprochen. Das heißt, Sie müßten weitere Dinge mit den
Kollegen beraten. Wir haben gute Erfahrungen gemacht.
Das Verteidigungsministerium bezahlt nur die entsprechenden Bildungsveranstaltungen, die es auch wahrnimmt.
Zusatzfrage.
Frau Staatssekretärin, Sie haben richtig festgestellt, daß die ASG
seit Jahren aus dem Bundeshaushalt gefördert wird, und
haben jetzt auch deren Arbeit gewürdigt. Vor dem Hintergrund meiner vorangegangenen Frage nach der Bedeutung der politischen Bildung innerhalb der Bundeswehr frage ich Sie: Denkt die Bundesregierung darüber
nach, die Förderung der politischen Bildungsarbeit der
ASG im Rahmen der Bundeszentrale für politische Bildung weiterzuführen bzw. wieder aufzunehmen oder zukünftig als eigenständigen Titel im Bundeshaushaltsplan
zu führen?
Ich denke, daß diese Arbeitsgemeinschaft genauso wie andere die Chance hat,
für die Bundeswehr, aber auch in anderen Bereichen des
öffentlichen Dienstes in der Weiterbildung tätig zu werden. Sie wird nur keine institutionelle Zuwendung bekommen. Dafür haben wir, Frau Kollegin, natürlich die
politischen Stiftungen, die aus dem Haushalt des Innenministeriums und darüber hinaus, je nachdem, welche
Arbeit sie machen, aus dem Entwicklungshilfeministerium und dem Auswärtigen Amt bezuschußt werden.
Eine Bezuschussung aus dem Verteidigungsministerium erfolgt nicht. Beim Verteidigungsministerium ist
nur möglich, daß Veranstaltungen angeboten werden
und daran teilgenommen wird. Es ist der Wille des Parlaments gewesen, daß nur die jeweiligen Lehrgänge bezuschußt werden. Je nach Landsmannschaft sind verschiedene Einrichtungen tätig. Bei uns in Niedersachsen
zum Beispiel ist es eher die ländliche Erwachsenenbildung oder die von den Gewerkschaften getragene Einrichtung „Arbeit und Leben“. Wenn diese Einrichtungen
oder die Arbeitsgemeinschaft gute Arbeit geleistet haben, bekommen sie die jeweiligen Lehrgänge bezahlt.
Da ich Gutes gehört habe, müßte die ASG eigentlich
weiter gefördert werden. Ich weiß aber, nachdem ich geforscht habe, daß diese Einrichtung natürlich Sorgen bezüglich ihrer Existenz in der Zukunft hat.
Frau Staatssekretärin, habe ich Sie also richtig verstanden, daß Sie
dem Bundesinnenminister empfehlen würden, die Arbeit
der Arbeitsgemeinschaft weiter zu fördern und ihr als
einer Einrichtung, die ganz gezielt und ganz spezifisch
die Interessen der Soldaten in bezug auf politische Bildung befriedigt und diese nach Ihrer eigenen Aussage
auch erfolgreich befriedigt hat, die Möglichkeit zu geben, ihre Arbeit fortzusetzen?
Von CDU/CSU und
F.D.P. - ich denke, die anderen haben mitgemacht - ist
beschlossen, daß die Förderung aus dem Bundeshaushalt
in Form einer institutionellen Förderung bis zum
31. Dezember 2002 beendet ist. Das ist fast ein Gesetz.
Ich glaube nicht, daß der Innenminister - aber da müßten Sie die Fragen an das Innenministerium richten neue Vorschläge entwickeln wird. Das ändert aber
nichts daran, daß auch diese Einrichtung und andere entsprechende Einrichtungen wie „Arbeit und Leben“ Bildungsangebote an die Bundeswehr richten können, aber
sie bekommen dann nur das jeweilige Seminar finanziert.
Damit sind wir am
Ende dieses Geschäftsbereichs. Ich danke Ihnen, Frau
Staatssekretärin.
Die Fragen 17, 18 und 19 der Abgeordneten Ulrike
Flach und Ulrich Heinrich aus dem Geschäftsbereich des
Bundesministeriums für Gesundheit werden schriftlich
beantwortet.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Bildung und Forschung auf. Zur Beantwortung
steht der Parlamentarische Staatssekretär Wolf-Michael
Catenhusen zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 20 der Kollegin Bärbel Sothmann
auf:
Mit welchen Maßnahmen will die Bundesregierung - angesichts der gravierenden Unterrepräsentanz von Frauen in Führungspositionen von Hochschulen und Forschungseinrichtungen
- die Frauenförderung nach dem Auslaufen des Hochschulsonderprogramms III weiterführen?
Frau
Kollegin Sothmann, wenn Sie einverstanden sind, beantworte ich Ihre Fragen 20 und 21 im Zusammenhang.
({0})
Wie ich sehe, sind
die Kolleginnen und Kollegen einverstanden. Dann rufe
ich jetzt zugleich die Frage 21 auf:
Welche Konsequenzen wird die Bundesregierung aus der
Feststellung der Bund-Länder-Konferenz ziehen, daß die Förderung von Frauen integraler Bestandteil aller hochschul- und forschungspolitischen Maßnahmen sein muß und nicht in begrenzte
Sonderprogramme abgedrängt werden darf?
Die
Bundesregierung setzt in ihrer Arbeit einen besonderen
Schwerpunkt bei der Stärkung der Gleichberechtigung
von Frauen. Die Verbesserung der Chancen von Frauen
an Hochschulen und Forschungseinrichtungen und insbesondere die Steigerung der Frauenanteile an FühParl. Staatssekretärin Brigitte Schulte
rungspositionen an Hochschulen und Forschungseinrichtungen haben dabei einen zentralen Stellenwert. Sie
wissen, daß die bisherige Ausgangslage mit einem Frauenanteil von 9 Prozent an den Professuren - Stichjahr
1997 - und 3,7 Prozent an Führungspositionen der außeruniversitären Forschungseinrichtungen - Stichjahr 1998
- absolut unbefriedigend ist.
Das unterstreicht den dringenden Handlungsbedarf,
um das Defizit an Frauen in verantwortungsvollen Positionen in Wissenschaft und Forschung schnellstmöglich
abzubauen. Es gilt deshalb vor allem, den an den Hochschulen und Forschungseinrichtungen absehbaren Generationswechsel zu nutzen, um eine schnelle und deutliche Verbesserung der Frauenanteile an den Führungspositionen zu erzielen und Frauen gleichberechtigt an
Forschung und Lehre zu beteiligen.
Die Bundesregierung ist der Auffassung, daß es sich
bei der Herstellung von Chancengleichheit für Frauen an
Hochschulen und Forschungseinrichtungen nicht um
eine kurzfristige Sonderaufgabe handelt, die etwa durch
ein befristetes Sonderprogramm bewältigt werden könnte.
Vielmehr sehen wir darin - leider noch für längere Zeit eine Daueraufgabe. Die Verbesserung der Chancen für
Frauen ist aus unserer Sicht ein Beitrag zur Qualitätssicherung, Leistungssteigerung und Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit. Mit einer solchen Politik schöpfen wir
zusätzliche Ressourcen für Forschung und Lehre aus.
Deshalb ist es erforderlich, Chancengleichheit als durchgängiges Leitprinzip in alle bildungs- und forschungspolitischen Maßnahmen unseres Hauses zu integrieren.
Im Bundesministerium für Bildung und Forschung
haben wir bereits wesentliche Schritte eingeleitet, die
ich nennen möchte: Zur Wahrnehmung dieser zentralen
Aufgabe ist das Referat „Frauen in Bildung und Forschung“ Teil der Unterabteilung „Strategie“ der Zentralabteilung für Grundsatzfragen und wirkt auf die strategische Ausrichtung aller Maßnahmen und Programme des
BMBF ein. Zudem wird im Haushalt 1999 ein neuer
Haushaltstitel „Strategien zur Durchsetzung der Chancengleichheit für Frauen in Bildung und Forschung“ geschaffen, der dazu dient, die notwendigen Veränderungsprozesse zu forcieren. Weiter ist in dem nächste
Woche zu verabschiedenden Haushalt 1999 in der generellen Vorbemerkung zum Einzelplan 30 und zu den
einzelnen Kapiteln vorgesehen, daß bei allen Maßnahmen verstärkt auf die Gleichstellung von Frauen in Bildung und Forschung hinzuwirken ist. Künftig soll ein
Fortschrittsbericht Auskunft über Umsetzung und Auswirkungen geben.
Durch die Veränderung der rahmen- und förderrechtlichen Bestimmungen sollen die Eigenverantwortung
und das Engagement der Einrichtungen für die Durchsetzung der Chancengleichheit gestärkt werden. Besonderer Handlungsbedarf besteht für die Forschungseinrichtungen, für die hinsichtlich der Steigerung der Frauenanteile an Führungspositionen das HSP III nur - so
kann man im Rückblick sagen - begrenzte Wirkungen
hatte. Mit dem Haushalt 1999 wird die Bundesregierung
für die Forschungszentren der Hermann-von-HelmholtzGemeinschaft die Voraussetzungen dafür schaffen, daß
hochqualifizierte Forscherinnen verstärkt Führungsverantwortung übernehmen können. Vorgesehen sind Ermächtigungen, die 100 Beschäftigungsmöglichkeiten
mit unbefristeten Verträgen erlauben. Diese Stellen sollen vorrangig genutzt werden, um den Frauenanteil an
Führungspositionen in den nächsten Jahren wirkungsvoll
zu steigern.
Zur Verbesserung der Rahmenbedingungen insbesondere für Forscherinnen mit Kindern ist für die aus
dem Einzelplan 30 institutionell geförderten Forschungseinrichtungen ab 1999 die Ermächtigung vorgesehen, ihnen zufließende Zuwendungen haushaltsneutral
zur Erschließung und Sicherung von Kinderbetreuungsangeboten für ihre Beschäftigten zu verausgaben. Damit
kommen wir einem schon sehr lange geäußerten
Wunsch gerade aus den Reihen derjenigen, die sich für
Gleichstellung einsetzen, nach.
Auch an den Hochschulen sind strukturelle Veränderungen erforderlich, um eine wirkungsvolle Erhöhung
des Anteils von Frauen vor allem an den Professuren zu
erreichen. Die mit der Novellierung des HRG im August
1998 wirksam gewordenen Änderungen bedürfen nunmehr der Umsetzung von seiten der Länder und Hochschulen.
Dies gilt vor allem für die Umsetzung der §§ 5 und 6,
Finanzierung und Bewertung. Mit Sorge sieht die Bundesregierung, daß sich beim aktuellen Berufungsgeschehen
1998 die Berücksichtigung von Frauen gegenüber 1997
leicht verschlechtert hat. Die Bund-Länder-Kommission
wird sich deshalb im Juni wieder mit der aktuellen Lage der
Frauen in Führungspositionen befassen.
Notwendig ist es vor allem auch, für Frauen neue
Qualifizierungsmöglichkeiten auf dem Weg zu einer
Professur zu eröffnen, die die Belange der Wissenschaftlerinnen besser berücksichtigen. Mit dem EmmyNoether-Programm der Deutschen Forschungsgemeinschaft ist ein wichtiger Schritt zur Neugestaltung der
Postdoktorandenphase eingeleitet worden. Wir haben
dafür gesorgt, daß dieses Programm unmittelbar wirksam werden kann.
Notwendig ist des weiteren die Einführung von Assistenzprofessuren, die die Möglichkeit eröffnen, sich unabhängig im Bereich der Lehre und Forschung zu qualifizieren und damit Berufungsvoraussetzungen zu erlangen.
Für die nächsten Jahre sind unserer Ansicht nach
weitere Maßnahmen erforderlich, um den hochqualifizierten weiblichen wissenschaftlichen Nachwuchs effizienter zu fördern und damit die Voraussetzungen für
eine stärkere Beteiligung von Frauen an Berufungen zu
schaffen. Wir beabsichtigen, gemeinsam mit den Ländern ein gezieltes Programm für Wissenschaftlerinnen
aufzulegen, das erfolgreiche Elemente des Hochschulsonderprogramms III auch über das Jahr 2000 hinaus
fortsetzt. Eine Arbeitsgruppe auf Staatssekretärsebene
wird in Kürze die Beratungen zwischen Bund und Ländern aufnehmen.
Sie können jetzt bis
zu vier Zusatzfragen stellen, Frau Kollegin Sothmann.
Falls Sie dies wünschen, bitte sehr.
Herr Staatssekretär,
schönen Dank für diese Ausführungen. Das klingt alles
sehr gut. Ich hoffe, daß das in der Zukunft tatsächlich
seinen Niederschlag finden wird.
Ich möchte, bevor ich meine kurze Zusatzfrage stelle,
einen kleinen Hinweis geben. Sie haben mich - ich weiß
nicht, wer es war; wahrscheinlich jemand aus der Verwaltung - der Fraktion der SPD zugeordnet. Ich möchte hier
klarstellen, daß ich nach wie vor Mitglied der CDU/CSUFraktion bin und dieses auch zu bleiben gedenke.
({0})
Meine kurze Frage lautet wie folgt: Wie steht Ihr Haus,
Herr Staatssekretär, in diesem Zusammenhang zu dem
Antrag der Bundeskonferenz der Frauen- und Gleichstellungsbeauftragten an Hochschulen, die Einrichtung einer
ständigen Geschäftsstelle für die Bundeskonferenz in
Bonn zu finanzieren? Denn das wäre meiner Ansicht nach
eine wichtige Maßnahme, damit die Erfahrungen der
Frauen- und Hochschulbeauftragten für frauenpolitische
Maßnahmen an Hochschulen künftig kontinuierlich und
unabhängig von befristeten Projektförderungen ausgewertet und koordiniert werden können.
Uns
ist dieses Anliegen bekannt. Wir stehen mit der von Ihnen erwähnten Bundeskonferenz im Gespräch. Sie wissen - vielleicht auch aus leidvoller Erfahrung in der
letzten Legislaturperiode -, daß es immer schwierige
Diskussionen mit dem Bundesfinanzministerium über
die Frage der Installierung neuer institutioneller Förderungen gibt. Wir suchen gemeinsam mit der Bundeskonferenz nach einem Weg, um de facto eine stabilere
finanzielle Basis für die Fortsetzung ihrer Arbeit zu finden. Aber die Gespräche haben noch nicht zu einem Ergebnis geführt.
Keine weiteren Zusatzfragen. - Der Fragesteller zu Frage 22, der Kollege
Hinsken, ist nicht anwesend. Die Fragen 23 und 24 des
Kollegen Dr. Martin Mayer werden aufgrund von Nr. 2
Abs. 2 der Richtlinien schriftlich beantwortet. Damit
sind wir am Ende dieses Geschäftsbereichs.
Ich rufe auf den Geschäftsbereich des Bundeskanzlers
und des Bundeskanzleramtes. Zur Beantwortung steht
Staatssekretär Dr. Frank-Walter Steinmeier zur Verfügung.
Die Fragen 25 und 26 des Abgeordneten Börnsen
({0}) werden schriftlich beantwortet.
Der Abgeordnete Geis ist nicht im Saal.
({1})
- Wenn der Vertreter des Bundeskanzleramtes damit
einverstanden ist, dann stellen wir diese Fragen einen
Augenblick zurück.
({2})
Dann sind wir jetzt bei den Fragen 29 und 30 des
Kollegen Volker Kauder. Sie werden schriftlich beantwortet.
Ich rufe die Frage 31 des Abgeordneten Dr. Ralf
Brauksiepe auf.
Ist Bundeskanzler Gerhard Schröder über das Gutachten der
Wirtschaftsprüfungsgesellschaft C & L Deutsche Revision AG
vom März 1999 betreffend den Hausbau von Bundesminister
Bodo Hombach informiert worden, und wenn ja, wann?
Herr Abgeordneter Brauksiepe, Sie
haben gefragt, ob Bundeskanzler Gerhard Schröder über
das Ergebnis des zweiten Gutachtens von C & L Deutsche Revision informiert worden ist. Ich antworte Ihnen
darauf wie folgt: Der Bundeskanzler ist nach Fertigstellung des zweiten Gutachtens ebenso über die Inhalte informiert worden wie die Fraktionsvorsitzenden und die
anfragenden Pressevertreter.
({0})
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, ist dem Bundeskanzler auch bekannt, wer die
Kosten für dieses Gutachten getragen hat?
Das kann ich Ihnen aus eigenem
Wissen nicht beantworten.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Kollege, bitte.
Ist denn der Bundesregierung bekannt, aus welchem Anlaß und warum
dieses Gutachten im März 1999 auf Ersuchen der nordrhein-westfälischen Landesregierung überhaupt erstellt
worden ist?
Wenn ich Sie richtig verstehe, dann
zielt Ihre Frage im Kern darauf, wer das zweite Gutachten
bezahlt. Dieses zweite Gutachten wird von Herrn Hombach bezahlt. An ihn ist auch die Rechnung gegangen.
Ich rufe die Frage 32
des Kollegen Brauksiepe auf:
Trifft die im „Stern“ vom 11. März 1999 bezüglich des Bundeskanzlers aufgestellte Behauptung zu, „bevor Schröder Hombach holte, fragte er ihn, ob mit dem Hausbau alles in Ordnung
sei“, und falls ja, wie hat Bundesminister Bodo Hombach darauf
reagiert?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Ihre zweite Frage zielt darauf ab, ob
der Bundeskanzler Bundesminister Hombach gefragt
habe, ob mit dem Hausbau alles in Ordnung sei. Ich will
Ihnen darauf antworten: Diese Frage wurde so nicht gestellt, weil sie so nicht gestellt werden mußte. Vor der
Ernennung von Herrn Hombach zum Bundesminister für
besondere Aufgaben und zum Chef des Bundeskanzleramtes war dem Bundeskanzler das Ergebnis der Überprüfung durch die C & L Deutsche Revision - erstes
Gutachten - bekannt.
Eine Zusatzfrage,
Herr Kollege Brauksiepe.
Sind dem Bundeskanzler auch die in dem „Stern“-Artikel vom
11. März 1999 erhobenen Vorwürfe bekannt?
Ich gehe davon aus, daß der Bundeskanzler mindestens beiläufig auch den „Stern“Artikel zur Kenntnis genommen hat.
({0})
Eine weitere Zusatzfrage des Kollegen Brauksiepe, bitte sehr.
Sofern der Bundeskanzler das zur Kenntnis genommen hat, würde das
alleine nicht sehr viel weiterhelfen. Gehen Sie davon
aus, daß er aus der Kenntnisnahme die Konsequenz gezogen hat, diese Vorwürfe einer weiteren Untersuchung
zu unterziehen? Werden diese Vorwürfe auf seine Veranlassung hin untersucht?
Durch die Frage wird unterstellt, daß
sich über die beiden bisher vorliegenden Gutachten hinaus, die die Kosten vor und nach dem Einzug in das Privathaus von Herrn Hombach behandeln, weitere Fragen
ergeben haben. Das ist offensichtlich nicht der Fall;
sonst wäre Herr Hombach selbst daran interessiert gewesen, weitere Fragen zu untersuchen.
Wir kommen zur
Frage 27 des Kollegen Norbert Geis:
In welchem Umfang hat Bundesminister Bodo Hombach
während seiner Zeit als Bundesminister Bezüge ({0}) auf Grund seines
Landtagsmandats und seines Amtes als Landesminister erhalten?
Herr Staatssekretär, bitte.
Herr Abgeordneter Geis, Sie haben
nach den Einkünften von Herrn Minister Hombach als
Landtagsabgeordneter in Nordrhein-Westfalen gefragt.
Herr Bundesminister Hombach hat wegen seiner Zeit
als Landesminister Ansprüche auf Übergangsgelder erworben. Diese wurden jedoch vollständig mit den neuen
Bezügen verrechnet, so daß es zu keiner Auszahlung
kam.
Herr Bundesminister Hombach hat am 17. Dezember 1998 die Aufgabe seines Mandates im nordrhein-westfälischen Landtag erklärt und bis Dezember
1998 die übliche Abgeordnetenentschädigung - nach
dem geltenden nordrhein-westfälischen Landesrecht die
halbierte Diät - erhalten. Den Nettobeitrag seiner von
November bis Dezember erhaltenen Landtagsdiäten hat
er im Dezember 1998 einem gemeinnützigen Verein in
Duisburg-Rheinhausen gespendet. Eine ihm irrtümlich
für Januar 1999 überwiesene Abgeordnetenentschädigung hat Bundesminister Hombach unaufgefordert an
die Landeskasse zurücküberwiesen.
Eine Zusatzfrage,
Herr Kollege, bitte.
Herr Minister Hombach
hat erklärt, er wolle die ihm für November zugeleiteten
Diäten spenden, um irgendwelche Mißdeutungen zu
vermeiden. Was hat er damit gemeint? Können Sie mir
darüber Auskunft geben?
Vermutlich hat er solche Fragen, wie
sie heute im Parlament gestellt werden, erwartet
({0})
und hat deshalb versucht, in der Öffentlichkeit erzeugten
Mißverständnissen, daß hier unzulässige Doppelzahlungen stattfinden, von vornherein entgegenzuwirken.
({1})
Eine weitere Zusatzfrage, bitte sehr.
({0})
Können Sie mir sagen,
inwieweit ich mit meiner Frage Anlaß dazu gegeben habe, Mißdeutungen des Verhaltens von Herrn Hombach
zu initiieren, und ihn im nachhinein veranlaßt habe - Sie
haben das ja verglichen -, die Gelder zu spenden, damit
solche Dinge erst gar nicht aufkommen? Inwieweit führen Sie das auf meine Frage zurück? Von Mißdeutungen
hat er doch selber gesprochen.
({0})
Ich glaube, diese Frage habe ich
eben ausreichend beantwortet. Diese Frage wird ja auch
hier im Parlament nicht zum erstenmal gestellt, sondern
sie ist vorher bereits in Veröffentlichungen diskutiert
worden. Dabei ist dieser Eindruck entstanden. Was dazu
zu sagen ist, habe ich eben ausgeführt.
Nun kommen wir
zur Frage 28 des Kollegen Geis:
In welchem Umfang finden insoweit Verrechnungen oder
Anrechnungen im Hinblick auf seine Bezüge als Bundesminister
statt?
Bitte sehr.
Sie haben nach Verrechnungen und
Anrechnungen gefragt. Auch diese Frage hat der Bundesminister Hombach damals rechtlich klären lassen.
Danach findet eine Verrechnung der Bezüge eines Bundesministers mit einer Abgeordnetenentschädigung auf
Grund eines Landtagsmandates nach den entsprechenden rechtlichen Regelungen nicht statt. Ich gehe davon
aus, daß er wegen der rechtlich nicht bestehenden Anrechnungspflicht selbst die Initiative ergriffen und den
Teilbetrag, der ihm aus der Abgeordnetenentschädigung
zustand - wie ich eben ausgeführt habe -, gespendet hat,
um allen Mißdeutungen von vornherein entgegenzutreten.
Eine Zusatzfrage zu
dem spannenden Thema, bitte sehr.
({0})
Können Sie uns den
Empfänger dieser Spenden nennen? Sie haben ihn vorhin nur allgemein genannt.
Ich will es nicht weiter konkretisieren, als ich es eben ausgeführt habe. Es handelt sich um
einen gemeinnützigen Verein in Duisburg-Rheinhausen.
Nun kommen wir
zur Frage 33 der Abgeordneten Andrea Voßhoff:
Wie erklärt Bundesminister Bodo Hombach, daß im März
1999 ein erneutes Gutachten der PwC Deutsche Revision AG
bezüglich seines Hausbaus erstellt werden mußte, obwohl er das
zu seinem Hausbau von der C & L Deutsche Revision AG im
Juni 1998 erstattete Gutachten als „Freispruch erster Klasse“
({0}) bewertet hat?
Bitte sehr, Herr Staatssekretär.
Im Kern geht es in Ihrer Frage darum, warum zwei Gutachten eingeholt wurden. Dazu unsere Antwort: Auf Grund von Presseanfragen Anfang
des Jahres 1999 wurden die Fragestellungen auf Sachverhalte und Zeiträume ausgeweitet, die vom ersten
Gutachten nicht erfaßt worden waren. Im zweiten Gutachten sind auch solche Ausbauleistungen und technischen Anlagen enthalten, die erst nach dem Einzug
durchgeführt bzw. geliefert wurden. Im übrigen wird das
erste Gutachten durch das zweite Gutachten voll bestätigt. Bezogen auf den gleichen Untersuchungszeitraum,
also bis zur Fertigstellung des Gebäudes, ergeben sich
nur geringfügige Unterschiede in einer Größenordnung
von 99 DM.
Eine Zusatzfrage,
Frau Kollegin, bitte sehr.
Herr Staatssekretär,
inwieweit war der Bundesminister Hombach an der
Vergabe des Auftrags für diese Gutachten an PwC und
C & L beteiligt? Ist Ihnen davon etwas bekannt?
Inwieweit er bei der Auftragsvergabe selbst beteiligt war?
Inwieweit er an der
Vergabe der Gutachten beteiligt war, Kenntnis davon
hatte oder Einfluß genommen hat.
Das kann ich Ihnen nicht sagen.
Eine Antwort auf die Frage, ob er selbst die entsprechende Gutachterfirma ausgesucht hat, kann ich Ihnen
nicht geben.
Nun kommt die
Frage 34 der Kollegin Andrea Voßhoff:
Inwieweit schließen die Gutachten vom Juni 1998 und vom
März 1999 aus, daß Kosten für Leistungen für den Hausbau von
Bundesminister Bodo Hombach, als er noch nicht Bundesminister war, auf zum Veba-Konzern gehörende Unternehmen
bzw. deren Projekte verlagert worden sind?
Die vereidigten sachverständigen
Baugutachter haben für alle wesentlichen Kostenpositionen durch Vergleich mit einschlägigen anerkannten
Baupreiskatalogen die Angemessenheit festgestellt. Eine
ergänzende Abfrage der seinerzeitigen Baupreise bei renommierten Unternehmen hat die Feststellungen abgesichert und ergeben, daß die berechneten Preise in jedem
Falle über den abgefragten Preisen lagen. Insgesamt
halten die Gutachter die für die Errichtung des Gebäudes
abgerechneten Kosten für angemessen und plausibel.
Die Kostensätze liegen deutlich über den Vergleichswerten für den stark gehobenen Standard.
Die Gutachter haben sich bei allen wesentlichen
Kostenpositionen zudem davon überzeugt, daß die betreffenden Rechnungen von Herrn Hombach bezahlt
wurden. Schon beim ersten Gutachten waren die Fremdund Eigenmittel in die Prüfung einbezogen worden. Ich
darf dazu einige Sätze aus dem Ergebnis des Gutachtens
zitieren:
Insgesamt halten wir die für die Errichtung des Gebäudes abgerechneten Kosten für angemessen; die
ermittelten Kostensätze von rd. DM 6.300 je qm
Wohnfläche bzw. rd. DM 1.000 je cbm BRI liegen
deutlich über den Vergleichswerten von DM 5.000
je qm Wohnfläche und DM 650 bis DM 750 je cbm
BRI für stark gehobenen Standard. Weder die Akteneinsicht noch die Ortsbesichtigung des Wohngrundstücks haben Anhaltspunkte dafür ergeben,
daß andere als die durch die vorgenannten Unterlagen belegten Arbeiten zur Errichtung des Gebäudes
geleistet wurden. Soweit darüber hinaus weitere
Leistungen denkbar sind, können ihre Kosten allenfalls von vernachlässigbarer Größenordnung sein
und würden damit ohne Einfluß auf unsere Gesamtbeurteilung bleiben.
Sie schließen mit dem Satz:
Wir haben uns für alle wesentlichen Kostenpositionen anhand der vorgelegten Unterlagen außerdem
davon überzeugt, daß die betreffenden Rechnungen
von Herrn Hombach bezahlt worden sind. Soweit in
Einzelfällen Preisnachlässe gewährt wurden, sind
sie jeweils offen ausgewiesen und liegen unter dem
in der Baubranche Üblichen.
Eine weitere Frage,
Frau Kollegin, bitte sehr.
Herr Staatssekretär,
wenn Sie das Gutachten schon vorliegen haben, habe ich
noch eine Nachfrage: Ist den Gutachtern bei der Erstellung des Gutachtens Einsicht in die internen Unterlagen
der an dem Hombachschen Hausbau beteiligten Bauund Handwerkerfirmen gewährt worden? Wenn nein: Ist
diese Einsicht verlangt worden?
Diese Frage kann ich Ihnen vermutlich nicht zu Ihrer Zufriedenheit beantworten. Ich kann
Ihnen positiv sagen, daß alle bei Herrn Hombach verfügbaren Unterlagen und die Unterlagen bei der Veba
den Gutachtern zur Verfügung gestellt worden sind.
Ihre zweite Zusatzfrage, bitte.
Wäre es möglich, das
zu recherchieren und mir die Antwort zukommen zu lassen?
Aber gerne.
Danke schön.
Jetzt kommen wir
zur Frage 35 des Kollegen Ronald Pofalla:
Womit belegt die Bundesregierung die vom Pressesprecher
des Bundesministers Bodo Hombach unter dem 9. März 1999
aufgestellten Behauptungen, hinsichtlich der Hausbauangelegenheit versuche die CDU jetzt auch offen, die Verdachtsberichterstattung zu instrumentalisieren, und CDU-Abgeordnete
hätten immer wieder versucht, falsche Beschuldigungen zu lancieren, die nur dem Ziel dienten, Bundesminister Bodo Hombach persönlich zu verunglimpfen?
Bitte sehr, Herr Staatssekretär.
Die Aussage bezieht sich auf verschiedene Presseberichte aus der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ vom 2. Februar 1999 und aus der „Westdeutschen Allgemeinen Zeitung“ vom 2. Februar 1999,
in denen nach Vorlage der Gutachten, die, wie gesagt,
auch den Fraktionsvorsitzenden der hier im Parlament
vertretenen Parteien zugegangen sind, unter Berufung
auf die bekannten Vorwürfe weitere Rücktrittsforderungen erhoben worden sind.
Ich schließe persönlich an, Herr Pofalla, daß auch
Presseberichte wie der in einer Personalienspalte in der
„Neuen Ruhr Zeitung“ vom 10. April über Sie persönlich, über den „Mann für besondere Fälle“, wenig Freude machen. Ich darf zitieren:
Ronald Pofalla, CDU-Abgeordneter aus dem Kreis
Kleve, ist ab sofort ein Mann für besondere Fälle.
Seine Aufgabe, mit der er von der CDUFraktionsführung betraut wurde, heißt Bodo Hombach. Der Auftrag: Fragen, fragen, noch einmal
fragen. Denn vielleicht kann ja der SPDKanzleramtschef doch die eine oder andere Frage
nicht ganz genau beantworten. Mit einer Art permanenten Störfeuer, im Landtag und im Bundestag,
will die CDU den Kanzleramtschef nerven.
({0})
Ich begreife das nicht als den Kern parlamentarischer
Arbeit. Aber dazu steht mir eine Bewertung nicht zu.
({1})
Herr Kollege, Ihre
erste Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär,
wie ist die Behauptung des Pressesprechers von Bundesminister Hombach unter dem 9. März 1999 zu erklären, auf die ich in der Ausgangsfrage Bezug genommen
habe:
Nach dem Ergebnis der Prüfung der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft PwC Deutsche Revision vom
5. März 1999 liege in allen Gewerken der von Bundesminister Hombach „bezahlte Preis im oberen
Preissegment, oft sogar darüber“, obwohl in dem
Gutachten vom 5. März 1999 ein entsprechender
Hinweis fehlt, vielmehr zum Beispiel darauf hingewiesen wird, die Kosten für die Fassadenarbeiten
hätten üblichen Marktpreisen entsprochen.
({0})
Ich bin kein Bausachverständiger und sage Ihnen deshalb dazu, daß ich in meiner
Antwort nichts über die Ergebnisse der Gutachter hinaus, die sich sachverständig mit allen in diesem Zusammenhang entstandenen Fragen beschäftigt haben, feststellen kann.
Eine weitere Zusatzfrage, bitte sehr.
Herr Staatssekretär,
wie ist die angesprochene Behauptung des Pressesprechers mit der Aussage von Bundesminister Hombach zu
vereinbaren, teure Sonderwünsche habe er nie geäußert,
weil er im Gegenteil daran interessiert gewesen sei, die
Baukosten möglichst gering zu halten?
({0})
Herr Staatssekretär,
bitte.
War das schon die Frage?
Ja, das war schon die
Frage.
Sie haben eine öffentliche Äußerung
von Herrn Hombach zu seinem Bestellverhalten im
Rahmen seines Hausbaus zitiert. Die habe ich nicht zu
kommentieren.
Damit kommen wir
zur Frage 36 des Kollegen Ronald Pofalla:
Wer sind die vom Pressesprecher erwähnten Zeugen, welche
Vorwürfe in der Hausbauangelegenheit von Bundesminister
Bodo Hombach zweifelsfrei widerlegen können?
Bitte sehr, Herr Staatssekretär.
Zeugen für die korrekte Abwicklung
des Bauvorhabens sind neben dem Architekten, der am
gesamten Bauprozeß beteiligt war, der Steuerberater, der
die Finanzierung und Zahlungsabwicklung während des
Baus begleitet hat. Auch Handwerker und Geschäftsführer jener Firmen, die den Bau tatsächlich durchgeführt
haben und für ihre Leistungen in voller Höhe von Herrn
Hombach bezahlt worden sind, stehen als Zeugen zur
Verfügung.
Sowohl schriftlich als auch mündlich haben sich Firmenvertreter gemeldet, die über die Vorwürfe gegen
Herrn Hombach empört sind. Auch für die Beantwortung von Detailfragen gibt es wichtige Zeugen. So wird
für die Korrektheit des Grundstückserwerbs der frühere
CDU-Landtagsabgeordnete Franz Püll öffentlich zitiert.
Eine Zusatzfrage des
Kollegen Pofalla, bitte sehr.
Herr Staatssekretär,
warum wurde in der Antwort auf die in diesem Zusammenhang im „Stern“ gestellten 60 Fragen nicht auf die
Ergebnisse der Prüfung im Juni 1998 verwiesen, wenn
in dem Bericht - so die Darstellung des Pressesprechers
von Herrn Hombach - lediglich alte Vorwürfe wiederholt wurden?
Herr Staatssekretär.
Ich muß jetzt schlicht annehmen,
daß die in Ihrer Frage mitgeteilte Behauptung richtig ist,
daß nicht auf das erste Gutachten Bezug genommen
worden ist. Dies hat keine inhaltlichen Gründe. Denn ich
habe vorhin erläutert, daß in dem zweiten Gutachten
nicht vom ersten Gutachten abgewichen worden ist,
sondern daß ein anderer Untersuchungszeitraum erfaßt
worden ist.
Eine zweite Zusatzfrage des Kollegen Pofalla.
Warum wurde die
Wirtschaftsprüfungsgesellschaft PwC Deutsche Revision gebeten, das gesamte Bauvorhaben neu zu untersuchen, obwohl es sich bei dem „Stern“-Bericht nach Äußerung des Pressesprechers von Bundesminister Hombach um die Wiederholung alter Vorwürfe handele und
die Prüfung der C & L Deutsche Revision im Juni 1998
bestätigt habe, daß nichts an den gegen Hombach erhobenen Vorwürfen richtig sei?
Das Besondere dieses „Stern“Berichts war ja, Herr Pofalla, daß Vorwürfe erhoben
wurden, die sich auf die Zeit nach dem Einzug bezogen.
Hierzu zitiere ich jetzt einen letzten Satz aus dem betreffenden Gutachten, in dem die Gutachter selbst den Gutachtenauftrag beschreiben:
Rechnungen für weitere Arbeiten über 180 000
DM,
- das war in etwa die Größenordnung, die im „Stern“
mitgeteilt worden war die in der Kostenschätzung nicht enthalten waren,
wie zum Beispiel Ausbauleistungen sowie technische Anlagen und Geräte, die teilweise erst nach
dem Einzug durchgeführt bzw. geliefert worden
sind, haben wir nunmehr in unsere ergänzende Prüfung einbezogen.
Ich glaube, das legt klar, wie die Aufgabenbeschreibung für das zweite Gutachten war.
Nun kommen wir
zur Frage 37 des Abgeordneten Eckart von Klaeden:
Trifft es zu, daß in der Verantwortung von Bundesminister
Bodo Hombach Bundeskanzler Gerhard Schröder ein Papier
vorgelegt wurde, in dem von einer Steuerung des Bundesrates
und von einer laufenden Information über die Aktivitäten der
Opposition durch Beobachtung der Fraktionen die Rede ist?
Bitte sehr, Herr Staatssekretär.
Herr von Klaeden, Sie haben nach
dem Inhalt des sogenannten Koordinierungspapiers gefragt. Da Sie ausweislich Ihrer Frage das Papier offensichtlich kennen, wissen Sie, daß es in dem diesbezüglichen Abschnitt des Papiers auch darum geht, Verfahren
zu finden, Konflikte zwischen dem Bund und den Ländern zu minimieren. Mit Blick auf die durch die HessenWahl veränderte Bundesratsmehrheit wird an dieser
Stelle - das betrifft jetzt die Passage, die Sie im Auge
haben - darauf hingewiesen, daß es nunmehr darauf ankomme, über die A-Länder hinaus Kompromißmöglichkeiten auch mit anderen Bundesländern auszuloten und
zu suchen. Es geht also in der Tat um eine inhaltliche
Koordinierung und terminliche Steuerung.
Was den zweiten Teil Ihrer Frage nach den Aktivitäten der Opposition betrifft, so betrachten wir es in der
Tat als unsere Pflicht, uns regelmäßig über die Aktivitäten, Wünsche und Absichten der Opposition zu informieren.
Eine Zusatzfrage,
Herr Kollege.
Interpretiere ich
Ihre Antwort, Herr Staatssekretär, richtig, daß es in diesem Abschnitt lediglich um die terminliche Steuerung
der Arbeit im Zusammenhang mit dem Bundesrat gegangen ist, oder sind auch andere Bereiche unter dem
Begriff der Steuerung zu fassen?
Ich möchte Ihnen das Papier nicht in
Gänze vorstellen, aber wenn Sie die Seite vor Augen
haben, sehen Sie die Zwischenüberschrift „Koordinierung/Steuerung“. Damit sind beide Fragen angesprochen.
Wir kommen jetzt
zur Frage 38 des Kollegen Eckart von Klaeden:
In welcher Weise geschahen ggf. die Steuerung des Bundesrates und die Beobachtung der Opposition?
Bitte sehr, Herr Staatssekretär.
Was das Verhältnis zu den Ländern
und dem Bundesrat angeht, darf ich Ihnen antworten:
Für die Koordinierung mit den Ländern steht eine Vielzahl von Gremien zur Verfügung: die Ministerpräsidentenkonferenz, die Konferenz der Chefs der Staats- und
Senatskanzleien, der Ständige Beirat und viele andere
mehr. Diese Möglichkeiten nutzen wir soweit wie möglich ebenso wie die öffentlich zugänglichen Erkenntnisquellen über die politischen Diskussionen in den Parteien und Fraktionen.
Eine Zusatzfrage,
bitte sehr, Herr Kollege.
Herr Staatssekretär, können Sie mir sagen, wie viele Mitarbeiter im
Bundeskanzleramt mit dieser Aufgabe betraut sind?
Was heißt „mit dieser Aufgabe“?
Mit der Aufgabe,
die in der Fragestellung beschrieben ist: mit der Steuerung
des Bundesrats und der Beobachtung der Opposition.
Was die Koordinierung der Bundespolitik mit den Ländern angeht, so haben wir dazu im
Bundeskanzleramt ein Referat mit einem Referatsleiter,
einem Referenten und einer mir im Augenblick nicht
genau bekannten Zahl von Sachbearbeitern.
Damit ist der Bereich des Bundeskanzlers erledigt. Ich bedanke mich bei
Herrn Staatssekretär Steinmeier für die Beantwortung
der Fragen.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Auswärtigen
Amtes. Zur Beantwortung der Fragen steht Herr Staatsminister Günter Verheugen zur Verfügung.
Die Frage 39 wird schriftlich beantwortet.
Ich rufe die Frage 40 des Kollegen Rolf Kutzmutz
auf:
Welche Folgen haben die Luftangriffe der NATO nach den
Erkenntnissen der Bundesregierung auf die Lage der Menschen
in der Bundesrepublik Jugoslawien kurzfristig, mittelfristig und
langfristig?
Herr Staatssekretär, bitte sehr.
Herr Kollege, die Wirtschaft in der Bundesrepublik Jugoslawien, vor allem in Serbien, erlebt einen seit
Jahren kontinuierlichen Niedergang. Hierfür sind aus
Sicht der Bundesregierung die politischen Rahmenbedingungen, insbesondere das Festhalten an dirigistischer
Wirtschaftspolitik, völlig unzureichende Transformationsanstrengungen und der Verzicht auf Reformpolitik
verantwortlich.
Die Bundesregierung ist außerstande, im Detail abzuleiten, in welchem Maße der Verfallsprozeß der sozialen und wirtschaftlichen Situation in der Republik
Serbien durch die direkten und indirekten Auswirkungen
der NATO-Luftschläge auf militärische Ziele und strategisch wichtige Infrastrukturobjekte beschleunigt wird,
zumal gesicherte Erkenntnisse über das tatsächliche
Ausmaß der Zerstörungen, auch angesichts der Ausweisung internationaler Medienvertreter aus der Republik
Serbien, bislang fehlen.
Die Bundesregierung ist der Überzeugung, daß der im
Zuge der wirtschaftlichen Reformen eingeleitete Strukturwandel in der Republik Montenegro mittel- und langfristig einen weiteren Aufschwung der montenegrinischen Wirtschaft begründen wird.
Eine Zusatzfrage,
Herr Kollege?
({0})
Wir kommen zur Frage 41 des Kollegen Rolf Kutzmutz:
Wie viele Arbeitsplätze sind nach Schätzung der Bundesregierung durch die Zerstörung von Fabriken in der Bundesrepublik Jugoslawien durch Raketen und Bomben der NATO bisher
verlorengegangen?
Herr Staatssekretär, bitte.
Herr Kollege, die Bundesregierung verfügt, wie
ich bereits gesagt habe, über keinerlei gesicherte Erkenntnisse darüber, welche Auswirkungen im einzelnen
die Luftschläge der NATO auf militärische Ziele und
strategisch wichtige Infrastrukturobjekte auf den Arbeitsmarkt in der Bundesrepublik Jugoslawien haben.
Unabhängig von der Frage der grundsätzlichen
Glaubwürdigkeit der von jugoslawischen und serbischen
Medien in dieser Frage verbreiteten Zahlen ist bei einer
Bewertung der Daten zu berücksichtigen, daß ein großer
Teil der bisherigen Beschäftigungsverhältnisse in staatlichen Großbetrieben wie zum Beispiel „Zastava“ in
Kragujevac der verdeckten Arbeitslosigkeit zuzurechnen
war. Das heißt, die Arbeitsverhältnisse wurden nur formal aufrechterhalten, wobei die „Beschäftigten“ aus
staatlichen Mitteln den gesetzlichen Mindestlohn von
230 jugoslawischen Dinaren - das sind zirka 38 DM
nach dem staatlich festgesetzten Umrechnungskurs monatlich erhielten.
Eine Zusatzfrage,
Herr Kollege, bitte sehr.
Herr Staatsminister, es wird
davon gesprochen, daß in Jugoslawien eine Arbeitslosigkeit zwischen 30 und 50 Prozent geherrscht hat. Ich
will eine Zusatzfrage stellen und schicke voraus, daß ich
dies mit aller Ernsthaftigkeit und Zurückhaltung tun
werde. Sie haben davon gesprochen, daß auch Infrastruktur, also Betriebe und Einrichtungen, die durchaus
zivilen Charakter haben, getroffen worden ist. Sehen Sie
nicht auch die Gefahr, daß es nationalistischen Kräften,
paramilitärischen oder militärischen Kräften durch die
kurzfristig kriegsbedingte Arbeitslosigkeit in Jugoslawien leichter gemacht wird, Menschen für Armeedienst
oder Polizeidienst zu rekrutieren?
Ich habe nicht von zivilen, sondern von militärischen Zielen und strategisch wichtigen Infrastrukturobjekten gesprochen. Ich lege Wert auf diese Unterscheidung, weil es für unsere Strategie in diesem Krieg entscheidend ist, daß zivile Objekte und Zivilpersonen
nicht angegriffen werden. Wenn es doch geschieht, sind
das schreckliche Versehen, die jeden, der damit zu tun
hat, sehr belasten; das sollten Sie schon glauben.
Auswirkungen der Bombardierungen in zivilen Bereichen der Bundesrepublik Jugoslawien können wir
heute noch nicht sehen. Aber wir müssen selbstverständlich davon ausgehen, daß es solche Auswirkungen
gibt. Sie sind tief zu bedauern. Niemand wünscht sie, so
wie auch niemand diese Bombardierungen und diesen
Krieg wünscht.
Aber ich muß auch hier sagen: Die Verantwortung für
alle Folgen der militärischen Auseinandersetzung, die
jetzt geführt wird, liegt einzig und allein beim jugoslawischen Präsidenten Milosevic und der Clique um ihn
herum, die die wirklich weitreichenden und vernünftigen
Angebote der internationalen Staatengemeinschaft, diese
Auseinandersetzung zu vermeiden, nicht akzeptiert haben. Statt dessen führen sie im Kosovo eine Vertreibungspolitik durch, wie wir sie in Europa seit 1945 nicht
mehr erlebt haben. Es ist schlimm, das sagen zu müssen.
Aber wir müssen hier immer fragen: Was ist Ursache,
und was ist Wirkung? Die Ursache ist das schändliche
Verhalten von Milosevic und seiner Regierung.
Ich rufe nun die
Frage 42 des Kollegen Dr. Winfried Wolf auf:
Welche Begründung gibt es für die im RambouilletAbkommen, Appendix B, vorgesehene weitreichende Einschränkung von Souveränitätsrechten der Bundesrepublik Jugoslawien über die Kosovo-Region hinaus, und war dieser Appendix B dem Deutschen Bundestag bekannt?
Bitte sehr, Herr Staatsminister.
Herr Kollege, der Rambouillet-Vertragsentwurf
beschränkt die Stationierung von NATO-Truppen geographisch auf das Gebiet des Kosovo. Darüber hinaus
waren spezielle Sicherungsregelungen für den Grenzraum zwischen dem Kosovo und dem Rest der Bundesrepublik Jugoslawien vorgesehen. Diese Sicherungsregelungen hätten allein der wirksamen Absicherung der
Implementierung der im Vertragsentwurf vorgesehenen
Regelungen für den Kosovo gedient.
Kapitel 7 Ziffer 10 des Rambouillet-Vertragsentwurfes sieht eine „mutual safety zone“ vor. Danach
dürfen 25 Kilometer außerhalb des Kosovo Waffensysteme der Luftverteidigung nur auf Antrag und mit
Genehmigung stationiert werden. Kapitel 7 Ziffer 2
Abs. 4 sieht vor, daß sich bewaffnete Kräfte in einer
5 Kilometer breiten Zone außerhalb des Kosovo nur
nach Notifizierung aufhalten dürfen. Stellen diese Kräfte
eine Gefährdung der Implementierung dar, darf der
Kommandant der Friedenstruppe die Genehmigung
verweigern bzw. deren Abzug verlangen. Im übrigen
Gebiet der Bundesrepublik Jugoslawien wären der
NATO und dem NATO-Personal nur insoweit Vorrechte
eingeräumt worden, als dieses Gebiet als Transitgebiet
Richtung Kosovo gedient hätte.
Die Bundesregierung hat den Bundestag wie auch die
deutsche Öffentlichkeit im Verlaufe des Verhandlungsprozesses von Rambouillet intensiv und umfassend unterrichtet. Bundesminister Fischer hat den Text des Vertragsentwurfes mit allen Anlagen und Appendizes am
24. Februar 1999 dem Vorsitzenden des Auswärtigen
Ausschusses ausdrücklich zur Einsichtnahme durch alle
Mitglieder des Ausschusses persönlich übergeben.
Eine Zusatzfrage,
Herr Kollege, bitte sehr.
Herr Staatsminister,
stimmen Sie mir zu, daß die in Appendix B vorgesehenen Sonderrechte für die NATO-Truppen, die als Implementierungskräfte geplant waren, sehr weitreichend
sind und dem Charakter eines Protektorats für ganz Jugoslawien gleichkämen? Können Sie sagen, warum Appendix B dem Ausschußvorsitzenden zur Einsichtnahme
zwar übergeben - wie Sie sagten -, den Medien und
damit der Öffentlichkeit bis Anfang April aber nicht bekanntgemacht wurde?
Zum ersten: Ich stimme Ihnen in dieser Bewertung
nicht zu. Die hier vorgesehenen Regelungen entsprechen
dem, was international üblich ist, wenn es um Durchmarschrechte für militärische Einheiten geht.
Zum zweiten: Der Appendix B ist, wie Sie wissen, in
Rambouillet nicht verhandelt worden. Er ist zu keinem
Zeitpunkt Gegenstand der Verhandlungen gewesen.
Deshalb ist die Diskussion darüber auch eigentlich überflüssig; denn er entfaltet in jedem Fall keinerlei rechtliche Wirkung. Er hätte verhandelt werden sollen und
müssen, wenn die Regierung Milosevic dem Vertragsentwurf zugestimmt hätte. Das ist aber nicht geschehen.
Es handelt sich hier um einen Entwurf, den die NATO
vorgesehen hatte für Verhandlungen, die nicht stattgefunden haben. Mehr ist das nicht. Sowohl der Vertrag
als auch der Appendix sind den Abgeordneten des Deutschen Bundestages zur Verfügung gestellt worden.
Eine Zusatzfrage? Bitte sehr, Herr Kollege.
Herr Staatsminister, sind
Sie nicht der Auffassung, daß Ihre Formulierung, Appendix B sei nicht verhandelt worden, insofern eine seltsame Auffassung von Diplomatie ist, als Appendix B
diskutiert und von der kosovo-albanischen Seite unterschrieben wurde und vorgesehen war, daß auch Milosevic' Seite ihn unterschreiben sollte, also eine Vertragsseite ihn als Bestandteil dieses gesamten RambouilletAbkommens mitsamt Appendix A und B verstanden
hat?
Nein, ich bin nicht dieser Auffassung, daß das eine
seltsame Auffassung von Diplomatie sei. Das war in der
Verhandlungssituation, in der wir uns befanden, ganz
normal: Während sich die jugoslawische Seite geweigert
hat zu unterschreiben, hat die albanische Seite unterschrieben, und zwar auch das, was noch mit der serbischen Seite hätte verhandelt werden müssen.
Wir kommen zur
Frage 43 des Kollegen Dr. Winfried Wolf:
Bedeutet der von der Bundesregierung bemühte Vergleich
zum Dayton-Abkommen, daß die Kosovo Implementation Force
eine den SFOR-Truppen in Bosnien-Herzegowina vergleichbare
Rolle in ganz Jugoslawien hätte spielen sollen?
Bitte sehr, Herr Staatsminister.
Herr Kollege, der Vergleich zum DaytonAbkommen stellt allein darauf ab, aufzuzeigen, daß die
Bundesrepublik Jugoslawien schon 1995 einmal Privilegien für NATO und NATO-Personal zugestimmt hat,
die sich zu Transitzwecken - ich wiederhole: nur zu
Transitzwecken - auf dem Gebiet der Bundesrepublik
Jugoslawien befinden. Sie sind weitestgehend auch in
Appendix B des Vertragsentwurfs von Rambouillet vorgesehen. Insofern wäre im Appendix B des RambouilletVertragsentwurfs im wesentlichen nichts von der Bundesrepublik Jugoslawien verlangt worden, was sie nicht
bereits 1995 im Hinblick auf das Gebiet der Bundesrepublik Jugoslawien zwecks Umsetzung des DaytonVertrages für Bosnien-Herzegowina akzeptiert hatte. In
beiden Fällen - Dayton und Rambouillet - geht es lediglich darum bzw. wäre es lediglich darum gegangen,
daß die Bundesrepublik Jugoslawien ihr Gebiet den Implementierungstruppen zu Transitzwecken zur Verfügung stellt.
Die in der Frage aufgeworfene Schlußfolgerung, daß
die Kosovo Implementation Force eine den SFORTruppen in Bosnien-Herzegowina vergleichbare Rolle in
ganz Jugoslawien hätte spielen sollen, entbehrt demnach
jeder Grundlage. Ich weise eine diesbezügliche Unterstellung auch auf das entschiedenste zurück. Das war
nicht geplant, und das plant auch heute niemand.
Im übrigen orientieren sich die im Dayton-Abkommen wie auch die im Rambouillet-Vertragsentwurf
vorgesehenen Truppenstatutsregelungen eng am „Model
status-of-forces agreement for peace-keeping operations“ der Vereinten Nationen, das der Generalsekretär
der Vereinten Nationen der Generalversammlung am
9. Oktober 1990 vorgelegt hat und das seitens der Generalversammlung mit Resolution 45/75 vom 11. Dezember 1990 im Konsens angenommen wurde.
Dieses Modell-SOFA, das als Grundgerüst für „Statusof-forces“-Abkommen zwischen den Vereinten Nationen
und dem jeweiligen Gastland dient, versteht sich ferner
als Grundlage für Abkommen, bei denen die Vereinten
Nationen selbst kein Vertragspartner sind. Indem die
Bundesrepublik Jugoslawien der Annahme des Berichtes
in der Generalversammlung am 11. Dezember 1990 zugestimmt hat, hat sie signalisiert, das Modell-SOFA, also
„Status-of-forces agreement“, als Grundlage für Abkommen wie Dayton und Rambouillet zu akzeptieren.
Zusatzfrage, Herr
Kollege.
Herr Staatsminister, trotz
der überwältigenden Informationsfülle Ihrer Antwort Staatsminister Günter Verheugen
mit vielen Detailangaben, die ich in der mündlichen Debatte nicht genau kontrollieren und nachvollziehen kann
- eine Nachfrage: Stimmen Sie mir zu, daß der Appendix B, vereinfacht gesagt, unter anderem beinhaltet, daß
Transitaktionen der NATO, zum Beispiel der Transit
durch Jugoslawien von Ungarn in den Kosovo, möglich
gewesen wären,
({0})
daß das aber nicht mit dem Dayton-Abkommen verglichen werden kann, weil es sich im Falle Bosniens um
ein geschlossenes Gebiet mit verschiedenen Aufteilungen gehandelt hat - innerhalb eines solchen Gebietes
waren Transite natürlich möglich -, während das Gebiet
im Falle Kosovo von den Sicherheitskräften getrennt zu
verwalten gewesen wäre und damit nicht auch ein Transit durch den Rest Jugoslawiens möglich gewesen wäre?
Herr Staatsminister.
Nein, ich kann Ihre Argumentation in überhaupt
keiner Weise nachvollziehen; ich verstehe sie überhaupt
nicht. Der Transit von SFOR-Kräften nach BosnienHerzegowina, das im Gegensatz zum Kosovo ein unabhängiger Staat ist, muß teilweise durch die Bundesrepublik Jugoslawien erfolgen; ein entsprechendes Abkommen ist im Zusammenhang mit Dayton abgeschlossen
worden. Der Transit einer internationalen Friedenstruppe für das Kosovo, der ja nur auf der Grundlage der Zustimmung der Bundesrepublik Jugoslawien erfolgen
kann, müßte ebenfalls auf der Basis eines solchen Abkommens erfolgen. Um nichts anderes geht es; das ist
absolut vergleichbar. Der einzige Unterschied ist, daß
die Gebiete, in die die Truppen einrücken sollen, Bosnien-Herzegowina oder Kosovo, einen rechtlich unterschiedlichen Status haben: Bosnien-Herzegowina ist ein
unabhängiger Staat, und das Kosovo ist es nicht. Aber es
geht in beiden Fällen um den Transit durch das Gebiet
der Bundesrepublik Jugoslawien. Ich sage noch einmal:
Es ist ein völlig normaler Fall. Ich glaube auch nicht,
daß dieser Appendix B im Falle einer politischen Zustimmung zu dem Abkommen von Rambouillet noch ein
Problem gewesen wäre.
Zweite Zusatzfrage,
Herr Kollege, bitte.
Meine letzte offensichtlich. - Herr Staatsminister, ich möchte es noch einfacher
formulieren. Wenn das alles so einfach ist, können Sie
mir eine überzeugende Erklärung dafür geben, warum
dieser Appendix B nicht in die Öffentlichkeit gebracht
wurde, warum er nicht, wie Sie fälschlich behauptet haben, allen Abgeordneten zugänglich war, sondern nur
zur Einsichtnahme beim Vorsitzenden des Auswärtigen
Ausschusses vorlag?
Ich habe gesagt: den Abgeordneten des Deutschen
Bundestages. Selbstverständlich wären Sie in der Lage
gewesen, das auch für Ihre Fraktionskollegen zu tun. Ich
kann Ihnen nicht beantworten, warum die Gastgeber der
Konferenz von Rambouillet diesen Text nicht veröffentlicht haben. Die Bundesrepublik Deutschland war bekanntlich nicht der Veranstalter und der Gastgeber.
Ich rufe als letzte
Frage die Frage 44 des Abgeordneten Dr. Heinrich Fink
auf.
Wurden vor dem Hintergrund der Behauptung der Bundesregierung, alle Möglichkeiten der Verhandlungen mit der Bundesrepublik Jugoslawien ausgeschöpft zu haben, in diese Verhandlungen auch die jugoslawische Friedensbewegung, die verschiedenen Kirchen Jugoslawiens, der Obermufti Jugoslawiens, der
Papst, der ökumenische Rat der Kirchen und das europäische
Bürgerforum in Jugoslawien einbezogen?
Herr Staatsminister, bitte.
Herr Kollege, bei den Bemühungen um eine friedliche Lösung des Kosovo-Konflikts hat die Bundesregierung mit ihren Partnern zahlreiche Anstrengungen unternommen. Die Pläne für eine weitgehende Selbstverwaltung des Kosovo, die die Verhandler der Kontaktgruppe und der Europäischen Union, die Botschafter
Hill und Petritsch, nach monatelanger Vorarbeit in mehreren Versionen den Parteien seit August 1998 vorgelegt
haben, wurden von den Verhandlern, aber auch durch
unsere Botschaften in Jugoslawien mit allen Mitgliedern
des öffentlichen Lebens in der Bundesrepublik Jugoslawien diskutiert. Hierbei wurde intensiv das Gespräch
mit den verschiedenen Kirchen Jugoslawiens gesucht,
aber auch sonstige Vertreter nicht-regimenaher Institutionen wurden beteiligt.
Zusatzfrage, Herr
Kollege, bitte.
Die nationale Befangenheit der Kirchen in Jugoslawien ist uns ja in der letzten
Zeit bekanntgeworden. Wäre es angesichts dessen nicht
gerade wichtig gewesen, über den ökumenischen Rat der
Kirchen und den Papst Einfluß auf die Kirchen zum Beispiel in Jugoslawien oder in Serbien oder im Kosovo zu
gewinnen?
Ich habe Ihnen ja gesagt, daß selbstverständlich
dieser Versuch unternommen worden ist. Ich weiß aus
der Berichterstattung unserer Botschaft zum Beispiel,
daß sie diese Kontakte regelmäßig gepflegt hat und entsprechende Diskussionen geführt hat; ich weiß das aber
auch von den beiden Sonderbeauftragten Hill und Petritsch. Was ich im Augenblick nicht weiß, ist, ob auch
die Diplomatie des Vatikans in besonderer Weise eingeschaltet worden ist. Es liegt eigentlich nahe. Ich möchte
Ihnen hier aber nichts Falsches sagen. Zum Thema der
Einschaltung der Diplomatie des Vatikans gebe ich Ihnen, wenn Sie damit einverstanden sind, noch eine ergänzende schriftliche Information.
Noch eine Zusatzfrage, Herr Kollege?
Ja.
Bitte sehr.
Ich teile Ihre gegen Milosevic gerichtete Überzeugung. Das ist gar keine Frage.
Aber wäre es nicht doch wichtig gewesen, das Angebot
eines Stopps des Bombardements über Ostern für die
Gläubigen in Jugoslawien zu machen?
Das ist selbstverständlich erörtert worden. Das Ergebnis war, daß wir es nicht für richtig halten konnten,
die militärischen Maßnahmen für die Gläubigen zu unterbrechen, während die - in Anführungszeichen - Ungläubigen, nämlich die Muslime, im Kosovo weiter geschlachtet werden.
Damit sind wir am
Ende der Fragestunde. Ich danke Herrn Staatsminister
Günter Verheugen für die Beantwortung der Fragen.
Ich rufe jetzt den Zusatzpunkt 1 auf:
Aktuelle Stunde
auf Verlangen der Fraktion der F.D.P.
Haltung der Bundesregierung zur sogenannten Scheinselbständigkeit und zum 630-MarkGesetz nach dem jüngsten Briefwechsel mit
Bundesminister Riester
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat Frau Dr.
Irmgard Schwaetzer, F.D.P.-Fraktion. Bitte sehr.
Frau Präsidentin!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Knapp sechs Monate
nach ihrem Amtsantritt steht die rotgrüne Bundesregierung in der Sozialpolitik vor einem Desaster.
({0})
Fast möchte man sich ja wünschen, Sie hätten sich darauf
beschränkt, nur zurückzunehmen, was die alte Koalition
gemacht hat; denn dort, wo Sie angefangen haben, selber
zu gestalten, haben Sie wirklich nur noch Chaos produziert und eine zerstörerische Kraft bewiesen.
({1})
Das zeigen am besten die Regelungen zu den 630Mark-Jobs und zur Scheinselbständigkeit. Die Finanzämter werden mit Anträgen auf Freistellung von der
Steuerpflicht überschwemmt, statt sich darum zu bemühen, Anträge auf Rückzahlungen zu bearbeiten. Sozialversicherungsträger bereiten engmaschige Kontrollen
der Betriebe vor,
({2})
um auch noch die letzte Sozialversicherungsmark einzutreiben. Arbeitnehmer kündigen zu Tausenden ihre
geringfügige Nebenbeschäftigung und werden in die
Schwarzarbeit abgedrängt. Wenigstens das müßte Sie
doch veranlassen, einmal ernsthaft mit uns darüber zu
diskutieren, was Sie mit Ihren überstürzten Regelungen
angerichtet haben. Statt dessen hören und lesen wir nur
- ich fürchte, wir hören es heute auch wieder -, daß Sie
zum Nachdenken nicht bereit und auch nicht in der Lage
sind.
({3})
Ich prophezeie Ihnen: Die Wirklichkeit wird Sie einholen. Wenn Sie jetzt wieder sagen: „Wir machen gar
nichts, wir warten nur zu“, dann zerstören Sie noch mehr
Selbständigkeit und Kreativität in Deutschland, als das
in den letzten Wochen eh schon der Fall gewesen ist.
({4})
Bundeswirtschaftsminister Müller hat genau das ganz
klar gesagt. Ich bin einmal gespannt, wer sich heute
abend im Gespräch beim Bundeskanzler durchsetzt. Herr Schlauch schaut mich schon ein bißchen nachdenklicher an.
({5})
Das waren ja auch die Signale, die aus der Fraktion der
Grünen gekommen sind, in der es nämlich ebenfalls
Kolleginnen und Kollegen gibt, die sagen, daß die
Realität eben nicht ist, daß wir eine Angestelltengesellschaft bilden, sondern daß wir Selbständigkeit fördern
müssen. Ihre Regelungen aber machen Selbständigkeit
kaputt.
({6})
Die Zahlen sprechen eine deutliche Sprache. Der Präsident des Hauptverbandes des Deutschen Einzelhandels
schätzt, daß mindestens 30 Prozent der 500 000 geringfügigen Beschäftigungsverhältnisse im Einzelhandel
durch die Neuregelung wegfallen. Wegfallen! Da fällt
Arbeit weg, da fällt Verdienst für Familien weg. Sie sind
daran schuld.
({7})
Nach einer Umfrage des Gebäudereinigerhandwerks
haben bereits 45 Prozent der geringfügig Beschäftigten
im Nebenjob gekündigt. Auch da fällt Arbeit weg, auch
da fällt Verdienst weg.
({8})
90 Prozent der Betriebe geben an, sie hätten enorme
Schwierigkeiten, überhaupt wieder Mitarbeiter zu finden.
Der niedersächsische Wirtschaftsminister Fischer, der
ja zu Ihrer Partei gehört, beklagt, bei Zeitungsverlagen
und Gastronomie rolle eine Kündigungswelle wegen der
Neuregelung der 630-Mark-Jobs heran. Wenn Sie nicht
einmal das zum Nachdenken bringt, dann kann ich
wirklich nur sagen: Ihre ideologische Verbohrtheit sollten Sie bald ablegen.
({9})
Manche Verlage verzeichnen in der Zwischenzeit einen
Ausfall von 30 Prozent der Zusteller. Unabhängige
Schätzungen gehen davon aus, daß rund 50 000 EinPersonen-Unternehmen wegen Ihrer Neuregelungen zur
Scheinselbständigkeit in diesem Jahr aufgeben müssen.
({10})
Das ist der rotgrüne Beitrag zur Förderung der Selbständigkeit.
({11})
Nun streitet die Koalition in sich. Da streiten Sozialdemokraten und Grüne. Man kann wirklich nur erstaunt
gucken, daß der finanzpolitische Sprecher der Grünen
erst jetzt gemerkt hat, was Sie da angerichtet haben.
Wenn er in der Anhörung, die wir durchgeführt haben,
zugehört hätte, hätte er es besser wissen müssen.
({12})
Es streiten Sozialpolitiker mit Wirtschaftspolitikern. Wir
sind gespannt auf das Machtwort des Kanzlers.
({13})
Das, meine Damen und Herren, ist Dilettantismus
pur. Wir fordern Sie auf: Nehmen Sie diese Regelungen
zurück! Wenn Sie versuchen, nachzubessern, wird alles
nur noch schlimmer.
({14})
Lassen Sie mich aber auch ein Wort in Richtung der
CDU/CSU-Fraktion sagen. Es ist schon etwas merkwürdig, mit welcher Vehemenz Sie plötzlich für den Erhalt
der 630-Mark-Jobs kämpfen.
({15})
Es war immerhin Ihr Bundesarbeitsminister Blüm - er
hat nicht ohne Ihre Rückendeckung gehandelt -, der allein in der letzten Wahlperiode mindestens drei Anläufe
genommen hat, um die geringfügige Nebenbeschäftigung abzuschaffen.
({16})
Das erste Mal hat sich die von ihm geleitete Kommission „Fortentwicklung der Rentenversicherung“ am
27. Januar 1997 hierfür ausgesprochen
Frau Kollegin, denken Sie an die Redezeit?
- ich höre sofort
auf -, gegen das Minderheitenvotum von Julius Cronenberg. Das zweite Mal wären fast die Koalitionsverhandlungen zur Rentenreform 1999 am 13. April 1997
an dieser Frage gescheitert. Das dritte Mal, Herr Singhammer, war Ihre Sozialministerin Stamm von der CSU
daran beteiligt, die die Verhandlungen zur Rentenreform
1999 nicht ohne eine Abschaffung der geringfügigen
Nebenbeschäftigung beenden wollte. - Nur weil die
F.D.P. standhaft geblieben ist,
({0})
ist es nicht dazu gekommen. Deswegen, meine Damen
und Herren, seien Sie ehrlich und haben Sie in der Opposition kein so kurzes Gedächtnis.
({1})
Ich erteile der Parlamentarischen Staatssekretärin Ulrike Mascher das
Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Was wir
heute unter spektakulärer Begleitmusik erleben, ist eine
weitere Etappe in der Irreführungsoffensive der neuen
Opposition.
({0})
Erst ist die Parlamentsmehrheit verloren, und dann gewinnt die Opposition der außerparlamentarischen Aktion
ganz neue Reize ab.
Ihr Rezept ist erschreckend einfach: Zuerst werden
die Menschen falsch informiert und verunsichert,
({1})
dann wird der Protest öffentlichkeitswirksam organisiert. Das war bei Ihrer Unterschriftenaktion gegen die
Reform des Staatsbürgerschaftsrechtes so,
({2})
und das setzen Sie fort mit Ihrer Postkartenaktion gegen
unsere Initiativen, die Erosion der Sozialversicherung zu
stoppen.
({3})
Sie schüren Ängste und veranlassen Menschen, auf
Grund Ihrer Verbreitung von falschen Informationen
falsche Entscheidungen zu treffen.
({4})
So zum Beispiel kündigen Rentner ihre geringfügigen
Beschäftigungsverhältnisse, weil sie fälschlicherweise
glauben, dies würde zu hohen Steuerbelastungen führen.
({5})
Unsere Neuregelung hat eine lange Geschichte. Frau
Dr. Schwaetzer hat schon darauf hingewiesen. Sie haben
allerdings eine Etappe vergessen. 1981 hat die sozialliberale Koalition schon einmal eine Regelung versucht;
damals ist sie an der CDU/CSU gescheitert. 1996/97 gab
es die Initiativen von Norbert Blüm und der CDU, gemeinsam mit der SPD im Vermittlungsausschuß. Das ist
an der F.D.P. gescheitert.
Heute aber regen Sie sich auf. Sie waren es doch, die
durch 16 Jahre Wegschauen eine solche Entwicklung
der Zahl der geringfügigen Beschäftigungsverhältnisse es gibt über 5 Millionen solcher Beschäftigungsverhältnisse - haben geschehen lassen. Das haben Sie angerichtet!
({6})
Ich verweise nur auf den Präsidenten der Bundesanstalt für Arbeit, Herrn Jagoda, der einer regierungsamtlichen Parteilichkeit nicht verdächtig ist. Er hat davor gewarnt, eine vorschnelle und falsche Kritik an der Neuregelung der 630-Mark-Jobs zu üben.
Gegen Ihre Desinformationskampagne können wir
nur Aufklärung setzen. Deshalb wiederhole ich hier: Erstens. Nicht alle geringfügig Beschäftigten sind von dem
Gesetz gleichermaßen betroffen. Wer nur zwei Monate
oder bis zu 50 Tage im Jahr geringfügig arbeitet, muß
nach wie vor keine Sozialversicherungsbeiträge leisten.
Dies betrifft die Saisonbeschäftigten, zum Beispiel im
Gaststättengewerbe. Herr Dr. Ramsauer, das sollten Sie
sich merken.
({7})
Zweitens. Für Personen, die dauerhaft geringfügig
beschäftigt sind, also insgesamt nur 630 DM im Monat
verdienen, bringt die Neuregelung echte Verbesserungen. Das ist die große Mehrheit der geringfügig Beschäftigten; von den 5,6 Millionen geringfügig Beschäftigten fallen 75 Prozent, also 4,2 Millionen Personen, in
diese Gruppe. Für sie entfällt die Lohnsteuerpflicht,
({8})
falls sie keine weiteren steuerpflichtigen Einkünfte erzielen.
({9})
Der Arbeitgeber zahlt einen Pauschalbeitrag in Höhe
von 10 Prozent zur Krankenversicherung und von 12
Prozent zur Rentenversicherung.
Das ist eine Maßnahme gegen Schwarzarbeit, Frau
Dr. Schwaetzer, weil der Anreiz für Schwarzarbeit dadurch sinkt.
({10})
Die erweiterte Meldepflicht bei den Sozialversicherungsträgern verhindert ebenfalls Schwarzarbeit. Es
wird unmöglich - Frau Dr. Schwaetzer, ich würde Ihnen
empfehlen zuzuhören -, mehrere geringfügige Beschäftigungen zu haben und trotzdem keine Sozialabgaben zu
zahlen.
({11})
Änderungen gibt es in der Tat für eine Minderheit der
Arbeitnehmer, die neben ihrer Haupttätigkeit einen geringfügigen Nebenjob haben. Wenn Sie unsere Regelung
ablehnen, dann müssen Sie den Arbeitnehmern, die
durch Überstunden mehr verdienen, auch erklären, warum ihre Überstunden sozialversicherungs- und steuerpflichtig sind, aber das nicht für Nebenbeschäftigungen
gilt.
Die CDU/CSU wäre in der letzten Legislaturperiode
gut beraten gewesen, diese Gerechtigkeitslücke zu
schließen. Es ist ihr dank der F.D.P. nicht gelungen. Uns
ist es jetzt gelungen. Ich denke, es ist richtig, was wir
gemacht haben.
({12})
- Nein, das stimmt einfach nicht.
Bezüglich der Beseitigung des Mißbrauchs bei der
Selbständigkeit, also bei der Bekämpfung der Scheinselbständigkeit, kann ich mir nicht vorstellen, daß es in
Ihrem Interesse ist, wenn die Betriebe, die ordnungsgemäß Sozialversicherungsbeiträge zahlen, Nachteile im
Wettbewerb gegenüber denjenigen erleiden, die sich
dieser Pflicht entziehen.
({13})
Die sogenannten scheinselbständigen Arbeitnehmer waren bereits nach altem Recht sozialversicherungspflichtig.
({14})
Aber es sind zum großen Teil widerrechtlich keine Beiträge gezahlt worden. Ich weiß nicht, warum Sie sich so
aufregen, wenn wir auf der materiellrechtlichen Seite
nichts geändert haben, sondern nur eine Regelung beschlossen haben, mit der die entsprechenden Betriebe
dazu gebracht werden können, ihre Sozialversicherungsbeiträge zu zahlen, und die den Arbeitnehmern und
den Betriebsräten sowie den Sozialversicherungsträgern
bessere Möglichkeiten bietet, das - ich wiederhole geltende Recht durchzusetzen und den Mißbrauch endlich zu bekämpfen.
({15})
Die Unruhe, die hier in der Öffentlichkeit erzeugt wird
und die auch von einigen Interessenverbänden geschürt
wird, zeigt nur, wie gut sich einige Branchen inzwischen
mit diesem Mißbrauch eingerichtet haben.
({16})
Der Behauptung, wir würden damit Existenzen vernichten und Existenzgründungen behindern, muß ich mit
der Frage entgegnen: Haben Sie wirklich das Gesetz
gelesen? Den Existenzgründern ermöglichen wir in den
ersten drei Jahren, wenn sie wenig verdienen, was
durchaus wahrscheinlich ist, ihren Rentenversicherungsbeitrag bis auf einen Mindestbeitrag von derzeit 122,85
DM zu senken. Sie können mir nicht weismachen, daß
ein Existenzgründer nicht in der Lage sein soll, 122,85
DM als Sozialversicherungsbeitrag zu zahlen. Wenn er
das nicht zahlen kann, dann muß ich befürchten, daß
seine Existenzgründung auf sehr wackligen Füßen steht.
({17})
Außerdem ist Ihnen vielleicht auch bekannt, daß durch
diesen Rentenversicherungsbeitrag ein Anspruch auf
Erwerbs- und Berufsunfähigkeitsrente aufrechterhalten
wird. Das ist ein ganz elementarer Schutz, der auch für
Selbständige wichtig ist.
({18})
Ein weiteres Argument: Vielleicht ist Ihnen entgangen, daß Regelungen für arbeitnehmerähnliche Selbständige in anderen Ländern der Europäischen Union
schon lange existieren. Deutschland hatte hier einen
Nachholbedarf. Es ist also überhaupt nicht richtig, zu
behaupten, Deutschland würde hier einen Sonderweg
einschlagen; vielmehr holen wir hier endlich etwas nach.
Wir schaffen
({19})
eine soziale Absicherung für Existenzgründer, die europäischem Standard entspricht. Im übrigen kommen wir
damit - das ist vielleicht für die CDU/CSU interessant einer Forderung nach, die die CDU in ihrer Präsidiumskommission „Zukunft der sozialen Sicherungssysteme“
exakt so erhoben hat. Ich kann also die Scheinheiligkeit
und die Aufregung auf seiten der CDU nicht verstehen,
wenn sie selber diese Regelung noch 1997 für richtig
gehalten hat.
({20})
Natürlich wird in der Regierungskoalition offen darüber diskutiert. Manchmal findet diese Diskussion in
Form von Briefen statt. Es gab zum Beispiel einen
Briefwechsel zwischen Walter Riester und Rezzo
Schlauch. Ich finde es völlig korrekt und normal, daß
heute im Kanzleramt darüber diskutiert wird, wie man
den Ängsten und Sorgen, die in der Öffentlichkeit laut
geworden sind, begegnen kann.
({21})
Angesichts der Sorgen der Bundesländer und anläßlich der Beschlüsse über die geringfügigen Beschäftigungsverhältnisse hat der Bundesarbeitsminister im
Bundesrat angekündigt - es ist im Gesetz schon festgeschrieben, aber er hat es dort noch einmal deutlich artikuliert -, daß er sehr sorgfältig die Entwicklung nach
den Anlaufschwierigkeiten bei den Finanzämtern und
bei den Sozialversicherungsträgern beobachten werde.
Sollte sich dann tatsächlich herausstellen, daß Existenzgründungen behindert werden,
({22})
was ich nach den realen Grundlagen nicht nachvollziehen kann,
({23})
dann werden wir selbstverständlich auch Korrekturen
vornehmen. Aber wir korrigieren kein Gesetz, das noch
nicht einmal drei Monate in Kraft ist. Wir haben dafür
überhaupt keine Grundlagen.
({24})
- Herr Niebel, es wird auch durch Lautstärke nicht besser, wenn Sie hier immer behaupten, das Gesetz sei
Murks.
({25})
Heute abend findet im Kanzleramt ein Gedankenaustausch statt.
({26})
Der ist in der Koalition ganz normal. Ich denke, Herr
Schlauch, Walter Riester und der Kanzler werden da
ihre Erfahrungen, ihre Einschätzungen austauschen. Ich
bin ganz sicher, daß wir da zu einem guten Ergebnis
kommen.
Danke.
({27})
Nun hat der Kollege
Julius Louven, CDU/CSU-Fraktion, das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Bei der ersten Lesung dieses unsäglichen Gesetzes,
({0})
Frau Mascher, habe ich hier Ihrem Minister, Herrn
Riester, zugerufen: „Ziehen Sie diesen Murks zurück!“
({1})
Als dann viele Zeitungen dieses Zitat brachten, hatte ich
die Sorge, ich hätte vielleicht überzogen.
({2})
Heute weiß ich, daß Sie wirklich Murks verabschiedet
haben.
({3})
Sie, Frau Mascher, beneide ich nicht dafür, daß Sie diesen Murks hier verteidigen müssen,
({4})
nicht wissend, ob nicht heute abend oder morgen früh in
dieser Frage eine völlig neue Situation besteht.
({5})
Wie sieht nun dieser Murks aus? Bei den Gebäudereinigern - Frau Schwaetzer hat dies gesagt - gibt es
über 46 Prozent Kündigungen. Hier bestrafen Sie einen
Wirtschaftszweig, der immer gefordert hat, die 630-DMArbeitsverhältnisse in normale Arbeitsverhältnisse umzuwandeln. Dieser Handwerkszweig ist jetzt nicht mehr
in der Lage, Verträge zu erfüllen, weil Arbeitskräfte
nicht zur Verfügung stehen. Dies haben Sie zu verantworten.
In der Gastronomie hat es bislang über 200 000 Kündigungen gegeben. Nach Auskunft des Präsidenten des
Dehoga ist dies erst die Spitze des Eisberges. Man weiß
nicht, wie man dies kompensieren soll.
Die Privathaushalte sind verunsichert. Gemeinnützige
und Sportvereine wissen nicht, wie sie ihre Lücken
schließen sollen.
Meine Damen und Herren, wir von der CDU/CSU
stimmten auch in der letzten Legislaturperiode darin
überein, daß in dieser Frage Handlungsbedarf besteht.
Wir stimmten mit der F.D.P. darin überein, Frau
Schwaetzer, daß für schutzwürdige Personen ein ausreichender Versicherungsschutz gewährleistet sein muß.
({6})
Dies haben wir in einer gemeinsamen Erklärung hier im
Bundestag Ende 1997 beschlossen.
({7})
Ich habe hier am 19. November in Erwiderung auf
den Bundeskanzler fünf Punkte genannt, die für uns bei
einer Lösung dieses Problems wichtig sind. Der wichtigste war, daß wir den Einstieg in sozialversicherte Arbeitsverhältnisse erleichtern und die 630-DM-Mauer
überwinden. Dieses Ziel haben Sie verpaßt ({8})
statt dessen zusätzliche Schwarzarbeit en masse.
Sie wollten Geld für die Sozialversicherungen und
haben nicht an den wirklichen sozialen Schutz der Betroffenen gedacht. Dank Ihrer mangelnden Einsicht stehen Sie jetzt vor einem Trümmerhaufen. Am 17. April
berichtet die „Westdeutsche Zeitung“, daß die Länder
Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen mit diesem Gesetz unzufrieden sind. Ich darf den Artikel einmal
zeigen: „Arbeitgeber hoffen bei 630-Mark-Jobs auf Eichel“. Es heißt in diesem Bericht, der neue Finanzminister kenne die Probleme insbesondere der Zeitungsverlage. Man vertraut darauf, daß er eine bessere Lösung
finden wird.
Wenn Sie einmal die persönliche Erklärung von Frau
Buntenbach bei der Verabschiedung des Gesetzes
durchlesen, dann stellen Sie fest, daß sie schon damals
ihre Bedenken genannt hat.
Auch der Kanzler, der hier am 19. November mit getragenen Worten eine Regelung vorschlug, die dann aber
nicht Wirklichkeit wurde,
({9})
zeigt sich beim Gespräch mit Zeitungsverlegern „erstaunt“ - so die „Westdeutsche Zeitung“ - über negative
Auswirkungen. Das wäre, meine Damen und Herren, der
nächste Flop.
Herr Schlauch - er wird uns nachher etwas dazu sagen - sieht Änderungsbedarf. Die SPD-Fraktion hat gestern abend beschlossen, zunächst einmal abzuwarten.
Von Herrn Struck, dem Vorsitzenden der Fraktion, liest
man heute im „Handelsblatt“: Neuregelungen nicht ausgeschlossen. Er kritisiert insbesondere die Finanzämter
und die Sozialversicherungsträger, die mit Übereifer an
diese Sache herangegangen sind.
({10})
Meine Damen und Herren, diese Behörden setzen die
48 Seiten Ihrer Erläuterungen um. Da kann man doch
nicht von „Übereifer“ sprechen.
Dann heißt es: Scheinselbständigkeit und vielleicht
auch 630-Mark-Arbeitsverhältnisse sind zur Chefsache
gemacht worden.
({11})
Nachdem die Chefs Schröder und Riester mit ihren Bemühungen gescheitert sind, habe ich diesmal die Hoffnung, daß die Herren Wirtschaftsminister Müller mit der
Chefsache beauftragen. Er hat, so habe ich den Eindruck, wenigstens mehr Ahnung von den wirtschaftlichen Verhältnissen als die beiden zuerst Genannten.
Noch besser, meine Damen und Herren von den Koalitionsfraktionen, wäre, Sie setzten diesen Murks aus.
Wenn Sie selbst nicht den Mut dazu haben, geben wir
Ihnen in der nächsten Sitzungswoche die Möglichkeit
dazu. Wir werden nämlich einen Antrag einbringen, dieses Gesetz auszusetzen.
({12})
Nun erteile ich dem
Abgeordneten Rezzo Schlauch, Bündnis 90/Die Grünen,
das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich finde
es schon toll, wie die Opposition hier in die Bütt steigt.
Sie hat offensichtlich gemerkt, daß sie 16 Jahre lang an
diesem Punkt einen Wandel verschlafen hat,
({0})
und zwar einen Wandel des Arbeitsmarktes und der Bedürfnisse der Menschen, die in diesem Arbeitsmarkt arbeiten. Trotz Regelungsbedarfs - die CDU hat manchmal Anlauf genommen, ist aber immer zu kurz gesprungen - haben Sie nichts getan. Die Menschen sind flexibler geworden und wollen individuellere Lösungen. Flexibilität, meine Kolleginnen und Kollegen von der
F.D.P., ist aber nicht der einzige Maßstab. Bei einer modernen Wirtschafts- und Sozialpolitik müssen auch die
Freiheitsinteressen und die Sicherheitsinteressen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in einem angemessenen Verhältnis zueinander stehen. Sie haben den
Wandel und die Entwicklung beliebig laufen lassen,
ohne einzugreifen.
({1})
Das war der Grund dafür, daß wir gehandelt haben.
({2})
Sie haben es nämlich zugelassen, daß unsere Sozialkassen geplündert und ausgetrocknet werden,
({3})
und Sie haben zugelassen, daß millionenfach nicht
Steuerhinterziehung, sondern - das ist mindestens genauso schwerwiegend - Sozialabgabenhinterziehung
begangen wurde.
({4})
Sie werden mir nicht erzählen wollen, daß ein
Scheinselbständiger sozusagen ein freier Unternehmer
ist. Er ist es nicht - weder in der Gestaltungsmöglichkeit
seiner Arbeit noch bei seiner Sicherheit für das Alter.
Von Freiheit und Sicherheit kann beim Scheinselbständigen überhaupt nicht die Rede sein.
({5})
- Jetzt hören Sie doch einmal auf zu blöken!
({6})
Wir wollen die unternehmerische Freiheit dort fördern, wo es sich tatsächlich um Selbständige handelt,
und die soziale Sicherheit dort bewahren, wo es um
Scheinselbständige geht, die in Wirklicheit abhängig
Beschäftigte sind. Wir wissen, daß es Praxisprobleme
gibt. Wir bedauern auch, daß es hier zu Verunsicherung
gekommen ist. Wir wissen, daß die Neuregelung Bürokratieprobleme aufwirft.
({7})
Wir wissen aber auch, daß viele Betroffene fürchten,
daß ihre wirtschaftliche Leistungsfähigkeit überfordert
wird. Meine Fraktion hat sich in den letzten Monaten
vor allen Dingen für Änderungen beim Status der arbeitnehmerähnlichen Selbständigen - die bereits erfolgt
sind - eingesetzt. Damit konnten wir erreichen, daß die
vorgesehene vierjährige Rückwirkung bei der Sozialversicherungspflicht aufgehoben worden ist,
({8})
und damit haben wir schon viele Befürchtungen von
Unternehmen und Betroffenen ausgeräumt.
Wir sehen allerdings - selbstverständlich gibt es dazu
unterschiedliche Meinungen - weiteren Änderungsbedarf.
({9})
Wir streben zum Beispiel Wahlfreiheit bei den Formen
der Altersvorsorge an und wollen gerade jungen Existenzgründern den Weg in die Selbständigkeit erleichtern.
({10})
- Ja, das muß man einfach wissen: Ich kann dabei aus
eigener Erfahrung sprechen.
({11})
Meine berufliche Biographie wäre mit diesem Gesetz so
nicht möglich gewesen.
({12})
So geht es vielen selbständigen Anwälten; so geht es
vielen Architekten und Menschen in anderen selbständigen Berufen.
({13})
Deshalb sehen wir an diesem Punkt Änderungsbedarf.
({14})
- Das ist so. Darüber werden wir uns heute abend offen
unterhalten. Auch bei Ihnen gibt es dazu ja, wenn ich es
recht sehe, unterschiedliche Auffassungen. Herr Bury
wird nachher seine Position darstellen.
({15})
- Meine Damen und Herren von der F.D.P., wissen Sie,
wer 16 Jahre lang den Karren laufen läßt, ohne einzugreifen,
({16})
der hat jegliche Legitimation verloren, aufs Blech zu
hauen.
({17})
Herr Kollege, denken Sie bitte an Ihre Zeit!
Ich komme zum Schluß.
Soziale Sicherheit - dabei können wir auf eine Erkenntnis von Max Weber zurückgreifen, dem Sie ja auch
nahestehen - ist gleichzeitig die Voraussetzung für erfolgreiches Unternehmertum. Eine Gesellschaft, die keine soziale Sicherheit bietet - nach ihrem Muster: Recht
des Stärkeren -,
({0})
verspielt ihre Innovationschancen, weil die unternehmerischen Risiken untragbar scheinen.
Danke schön.
({1})
Meine Damen und
Herren, ich habe bei dem Wort „blöken“ Zweifel, ob es
in einer Parlamentsdebatte am Platze ist, will es aber
einmal so stehen lassen, denn es klang wirklich ein bißchen so.
({0})
Gleichwohl glaube ich, daß wir uns einig sind, daß das
eigentlich kein parlamentarischer Ausdruck ist.
({1})
In diesem Sinne hat jetzt die Kollegin Dr. Heidi
Knake-Werner das Wort.
Frau Präsidentin!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich glaube, es war für
Sie alle damit zu rechnen, daß soziale Reformen der
SPD-geführten Regierung auf scharfen Gegenwind von
rechts stoßen würden. Aber was heute abgeht, ist wirklich beeindruckend. Es steht sicherlich auch dafür, daß
die Bundesregierung mit den Gesetzen zur Eindämmung
der Scheinselbständigkeit und zu den 630-Mark-Jobs offensichtlich diejenigen, die in den letzten Jahren vor allen Dingen auf Sozialabbau und Deregulierung gesetzt
haben, an einem ihrer empfindlichsten Nerven getroffen
hat.
({0})
Das ist, liebe Kolleginnen und Kollegen, jedenfalls nach
meiner Einschätzung ein wichtiger Grund für Ihren massiven Protest,
({1})
für die Empörung, die Sie an den Tag legen, und für die
- mehr oder weniger massiven - Kampagnen, die Sie in
Gang gesetzt haben. Daraus entsteht natürlich ein enormer Druck auf diese Regierung; das ist wohl so. Aber
darauf, liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD
und von den Bündnisgrünen, hätten Sie sich einstellen
können. Deshalb finde ich das Gewackel in Ihren Reihen
besonders ärgerlich.
({2})
Insbesondere der Kollege Schlauch, der gerade so engagiert geredet hat, rudert in dieser Frage kräftig zurück.
({3})
- Mit der Feststellung „Wir sind über das Ziel hinausgeschossen“ sehr wohl. Wieso eigentlich, lieber Kollege?
War es nicht das erklärte Ziel dieser Koalition, sozialen
Schutz für diejenigen zu schaffen, die am meisten darauf
angewiesen sind, zum Beispiel die vielen Frauen und
Männer, die in versicherungsfreie und scheinselbständige Tätigkeiten abgedrängt werden? War es nicht auch
das Ziel Ihrer Regierung, die Flucht der Arbeitgeber aus
dem Solidarsystem zu stoppen und die Solidargemeinschaften zu entlasten? Ging es schließlich nicht auch
darum, der Erosion der sozialversicherungspflichtigen
Arbeitsverhältnisse entgegenzuwirken? Das scheint auch
ein bißchen zu klappen, wenn ich die Aussage, die Frau
Mönig-Raane von der HBV in einem Interview gemacht
hat, richtig verstanden habe. Es ist wohl auch ein wichtiges Ziel gewesen, den Umfang der prekären Beschäftigungsverhältnisse einzudämmen.
Daß das alles auf organisierten Widerstand, insbesondere aus dem Arbeitgeberlager, stoßen würde, war
doch völlig klar.
({4})
Aber das müssen Sie aushalten. Wenigstens an der Stelle
dürfen Sie guten Gewissens von der Vorgängerregierung
lernen. Sie mobilisiert zwar jetzt alles, damit Druck von
den Straßen und Plätzen kommt. Aber früher hat sie ihm
erfolgreich widerstanden.
({5})
Wenn Sie heute schon vor ein paar Konzernetagen kapitulieren, so erschüttert das nicht nur Ihre politische
Handlungsfähigkeit, sondern auch - dies ist schlimmer Ihre Glaubwürdigkeit.
({6})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, es kann natürlich
sein, daß vieles in dem Gesetz, insbesondere was die
Eindämmung der Scheinselbständigkeit angeht, mit heißer Nadel gestrickt worden ist und noch nicht für alle
Betroffenen ausreichend durchdacht war. Richtig ärgerlich bei der gegenwärtigen Debatte ist aber, daß eben
nicht mehr über diejenigen gesprochen wird, die in den
vergangenen Jahren im Handel, in der Gastronomie und
im Transport in die Scheinselbständigkeit gezwungen
wurden. Viele von ihnen haben das doch nicht freiwillig
gemacht, sondern sie haben diese Tätigkeit unter dem
Druck der drohenden Arbeitslosigkeit gewählt. Das wissen Sie ganz genau.
Besonders wütend macht mich, daß die größten Krokodilstränen gerade die Unternehmen vergießen, die in
den letzten Jahren am meisten von dieser Entwicklung
profitiert und keine Gelegenheit versäumt haben, sich
den finanziellen Lasten für die SozialversicherungsbeiRezzo Schlauch
träge zu entziehen, die kein Problem damit hatten, die
Beschäftigten einer Scheinselbständigkeit und damit
dem Risiko fehlender sozialer Absicherung auszusetzen,
und sich damit noch Wettbewerbsvorteile verschafft haben.
Natürlich bedeutet das alles nicht, daß man nicht
trotzdem über diese Gesetze nachdenken muß, daß man
nicht praktische Erfahrungen sammeln muß, die man
gründlich auswerten muß, um vor allem im Grauzonenbereich eine eindeutige Trennung zwischen echter und
falscher Selbständigkeit bzw. abhängiger Beschäftigung
vornehmen zu können.
Es wird auch immer damit argumentiert, daß so engagierte Leute wie Bill Gates mit dem jetzigen Gesetz in
ihrem Tatendrang aufgehalten worden wären.
({7})
Man kann Ihnen relativ gut vorrechnen, daß das der
blanke Unsinn ist. Auch Bill Gates wäre bei den Beiträgen für die sozialen Sicherungssysteme nicht stärker
belastet worden, als die meisten abhängig Beschäftigten
und Selbständigen es heute sind. Das wird man wohl
noch verlangen dürfen.
({8})
Denken Sie bitte an
Ihre Redezeit.
Ja. - Ich will zum
Schluß noch eine Bemerkung zu den 630-Mark-Jobs
machen. Ich habe stapelweise Protestbriefe bekommen,
wie viele andere von Ihnen vermutlich auch. Das ist
deshalb passiert, weil ich schlankweg dieser Bundesregierung zugeordnet worden bin, obwohl ich ja nun
wirklich eine der ausgewiesenen Gegnerinnen dieses
Gesetzes war.
Ihre Redezeit ist
wirklich zu Ende. Es tut mir leid.
Gut. Dann kann
ich leider nicht mehr sagen, was man daraus lernen
kann. - Ich meine - das sage ich auch noch einmal in
Richtung der Bündnisgrünen -, es ist Vorsicht geboten
beim Zurückrudern, Kollege Schlauch. Man sollte, wenn
man der Auffassung ist, man sei über das Ziel hinausgeschossen, gut überlegen, in wessen Interesse man eine
solche Feststellung trifft. Ich kann nur hoffen, daß die
Herrenrunde heute abend standfest bleibt. Ich glaube,
das hilft Ihnen mehr als dieses Geeiere.
({0})
Nun erteile ich das
Wort dem Kollegen Hans Martin Bury, SPD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Diese Debatte ist eigentlich
keine Aktuelle Stunde,
({0})
sondern eher ein „jour fixe“ mit dem Titel: Einfallslosigkeit der Opposition.
({1})
- Schreien Sie nicht so! - Man könnte auch sagen: Verantwortungslosigkeit. Denn Sie haben jahrelang zugelassen, daß immer mehr Menschen in ungeschützte Beschäftigungsverhältnisse gedrängt worden sind.
({2})
Ich erinnere mich gut daran, wie uns das Unternehmen UPS vor vier Jahren gedrängt hat, endlich gegen
die Ausbreitung von Scheinselbständigkeit vorzugehen.
UPS hatte und wollte nämlich keine scheinselbständigen
Subunternehmer; aber die Wettbewerber von UPS im
hartumkämpften KEP-Markt haben den Kostenvorteil
genutzt und so einen Wettbewerb um schlechtere Arbeitsbedingungen in Gang gesetzt. Ich darf auch daran
erinnern, daß es die Gebäudereiniger waren, die sich für
eine Neuregelung geringfügiger Beschäftigungsverhältnisse ausgesprochen haben.
({3})
Die Erosion der sozialen Sicherungssysteme und die
Auswirkungen auf die Lohnnebenkosten waren ebenso
Anlaß der Reform wie der Schutz der betroffenen Arbeitnehmer. Die gesetzlichen Regelungen sind also hinsichtlich des Zieles richtig, und sie waren, auch aus wirtschaftspolitischer Sicht, dringend notwendig, um Wettbewerbsverzerrungen zu vermeiden.
({4})
Genauso richtig ist es aber leider, daß es bei der Umsetzung der Neuregelungen Probleme gibt. Vor allem gibt
es ein erhebliches Informationsdefizit, gefüllt mit Desinformation von interessierter Seite. Es gibt aber auch die
Schwierigkeit fehlender Übergangsfristen und damit erschwerter Anpassungsmöglichkeiten.
Die Neuregelungen sind seit wenigen Wochen in
Kraft. Wir werden die Auswirkungen im Auge behalten
und uns um Verbesserungen bei der Umsetzung bemühen; denn auch ein richtiges Gesetz ist nicht gut, wenn
es so schwer nachvollziehbar ist.
({5})
Aber vieles wird sich einpendeln.
Wichtig erscheint mir vor allem, deutlich zu machen,
daß wir nicht stehenbleiben. So kann die 630-MarkRegelung nur ein Zwischenschritt sein.
({6})
- Hören Sie doch auf, herumzuschreien! Die Liberalen
sind nun wirklich die Scheinselbständigen der deutschen
Politik.
({7})
Ich wiederhole: Die 630-Mark-Regelung kann nur ein
Zwischenschritt sein. Ihr muß die Ermöglichung eines
gleitenden Übergangs in Vollerwerbsarbeit folgen.
Wenn Sie sich die strukturellen Probleme des Arbeitsmarktes anschauen, dann erkennen Sie, daß zu ihrer Lösung, neben anderem, auch die Verbesserung der Chancen Geringqualifizierter gehört. Dafür zu sorgen, daß
diese Menschen von ihrem Arbeitseinkommen leben
können und daß Arbeit mehr einbringt als das Leben von
Transfereinkommen, ist unsere Aufgabe.
Unsere Politik zielt auf die Schaffung ordentlicher
Arbeitsplätze. Um dieses Ziel zu erreichen, muß auch
unternehmerische Initiative erleichtert werden. Deshalb
werden wir selbstverständlich auch beim Thema Scheinselbständigkeit darauf achten, tatsächliche oder vermeintliche Hürden für Existenzgründer und Selbständige
zu überwinden.
Wir nehmen die Kritik sehr ernst. Sie wissen, daß
sich der Bundeskanzler des Themas annimmt. Wir müssen vor allem die unsägliche Bürokratie abbauen. Ich
bitte den Bundesarbeitsminister, in diesem Sinne weiter
tätig zu sein. Sollte sich weiterer Handlungsbedarf ergeben, werden wir selbstverständlich handeln.
({8})
In diesem Zusammenhang erscheint mir die Feststellung wichtig, daß nicht jeder aus der gesetzlichen Rentenversicherung hinausgedrängt wurde, der sich aus ihr
verabschiedet hat. Manch einer hat sich verabschiedet,
weil er kein Vertrauen mehr in die sozialen Sicherungssysteme hat. Das ist ein dramatischer Vertrauensverlust,
den Sie zu verantworten haben.
({9})
Hier müssen und werden wir im Rahmen der umfassenden Reform der Altersvorsorge ansetzen. Letztlich
gewinnen wir die Menschen nicht mit Zwang, sondern
mit einem attraktiven Angebot. Dazu gehört neben
der Reform der gesetzlichen Rentenversicherung die
Stärkung der betrieblichen und der privaten Altersvorsorge.
In Deutschland wird wieder Politik gemacht. Das
bietet den Oppositionsparteien die Möglichkeit, entweder in einen Wettbewerb um die beste Lösung einzutreten oder regelmäßig in Aktuellen Stunden zu beklagen,
daß wir das tun, wovon Sie jahrelang nur geredet haben.
Ein konstruktiver Wettbewerb wäre besser für unser
Land.
({10})
Jetzt hat der Kollege
Johannes Singhammer, CDU/CSU, das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die
Vertreter von SPD und Grünen sind heute in einer besonders pikanten Situation. Sie müssen ein Gesetz verteidigen, von dem jedermann weiß, daß in vier Stunden
Änderungen dieses Gesetzes in der Koalition beschlossen werden.
({0})
Das ist auch gerechtfertigt; denn in 50 Jahren Geschichte Bundesrepublik Deutschland hat es kaum derartig schlampige und schlechte Gesetze wie diese beiden
gegeben.
({1})
Mit einer Kette von übereilten Schnellschüssen wurden
neue soziale Ungerechtigkeiten aufgetürmt, während
alte nicht beseitigt wurden.
({2})
Dem Chaos im Gesetz folgt das Chaos im Verfahren.
Denken Sie nur einmal an die letzten Tage!
({3})
- Hören Sie doch einmal zu, Herr Dreßen.
Auch vor drei Wochen haben wir hier über Scheinselbständigkeit diskutiert. Damals hatten Sie heftig bestritten, Korrekturen zu planen oder vornehmen zu wollen. Jetzt sieht selbst der Bundeskanzler Korrekturbedarf, auch der Fraktionschef der Grünen, Herr Schlauch
- Sie haben das ja heute noch einmal bestätigt -, und nur
noch der arme, allein gelassene Bundesarbeitsminister
verteidigt seinen mißratenen Gesetzentwurf.
({4})
Im „Handelsblatt“ von heute schließt der Fraktionsvorsitzende der SPD, Herr Struck, Neuregelungen bei den
630-DM-Arbeitsverhältnissen nicht aus. Er sagt, Änderungen könne es für ehrenamtliche Tätigkeiten in Kirchen und Vereinen geben. Einzig und allein der Arbeitsminister hält weiterhin an seinem mißratenen Gesetzentwurf fest.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, die schlampige Regelung des 630-DM-Gesetzes hat sich als gigantisches Arbeitsplatzvernichtungsprogramm erwiesen.
({5})
Ich nenne Ihnen jetzt einmal zwei Zahlen: Sie haben innerhalb von ganz kurzer Zeit diejenigen getroffen, auf
die Sie nicht gezielt haben; Sie haben die Arbeitnehmer
getroffen.
({6})
Der Präsident des Hauptverbandes des Deutschen Einzelhandels rechnet mit einem ersatzlosen Verlust von
150 000 630-DM-Jobs.
({7})
Im Gastronomiebereich herrscht blankes Entsetzen über
die Regelungen. Eine ganz neue Umfrage der IHK für
München und Oberbayern, die vor wenigen Tagen abgeschlossen wurde, besagt, daß 66 Prozent - also zwei
Drittel - der 630-DM-Jobs ersatzlos wegfallen werden.
Die Auswirkungen der gesetzlichen Neuregelungen
schätzen 48 Prozent dieser Unternehmen als erheblich
und 6 Prozent als existenzbedrohend ein. Das ist das
Faktum; das haben Sie erreicht. Zeitungsverleger, Gebäudereinigerhandwerk - ich könnte eine Legion von
Branchen aufzählen, die darunter zu leiden haben.
Jetzt unternimmt es der Bundeskanzler erneut, diese
Sache zur Chefangelegenheit zu machen.
({8})
Man möchte schon fast sagen, das ist eine Drohung.
Wenn es heißt: „Hier kocht der Chef“, ist das mittlerweile als Drohung zu verstehen. Fünfmal hat er schon
den Kochlöffel in die Hand genommen, und jedesmal ist
die Suppe salziger geworden.
({9})
Da hilft nur eines: Schütten Sie die Suppe aus und fangen Sie neu zu kochen an.
({10})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir raten
Ihnen wirklich dringend: Nehmen Sie beide Gesetze zurück! Eine Korrektur der Ausführungsbestimmungen
und Verwaltungsanordnungen allein wird nicht genügen.
Wenn Sie nur das tun, werden Sie in wenigen Monaten
wieder hier vorne stehen, und wir werden die gleiche
Diskussion führen.
({11})
Nehmen Sie beide Gesetze komplett zurück, beraten Sie
in Ruhe mit den Verbänden und Betroffenen. Machen
Sie nicht noch einmal einen Schnellschuß, lassen Sie
sich Zeit. Das ist vor allem für die Bevölkerung, die
Bürger draußen wichtig, die wir alle gemeinsam vertreten und die unter der Unsicherheit zu leiden haben, weil
mittlerweile keiner mehr weiß, was gilt und was morgen
noch gelten wird.
({12})
Lassen Sie diese Unsicherheit hier nicht weiter gedeihen.
({13})
Nun erteile ich das
Wort der Kollegin Margareta Wolf, Bündnis 90/Die
Grünen.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten
Kolleginnen und Kollegen! Ich finde die Situation mitnichten pikant, in der sich die Koalition befindet.
({0})
Ich finde es aber pikant, daß Sie als Vertreter der Opposition sich hier hinstellen und keinen einzigen substantiellen Vorschlag machen.
({1})
Wir wissen - offensichtlich im Gegensatz zu Ihnen -,
daß sich dieses Land in einer strukturellen Umbruchsituation befindet. Wir befinden uns auf dem Weg von
einer Industrie- in eine Dienstleistungsgesellschaft. Es
würde sehr für Sie sprechen, wenn Sie auch einmal zur
Kenntnis nehmen würden, daß es in einer solchen Situation keine einfachen Lösungen gibt. Einfach zu sagen:
„Weg damit!“, das ist keine Lösung. Das weiß ich aus
meiner eigenen Vergangenheit.
Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen von
der F.D.P. und auch Sie, Herr Singhammer, Sie haben
den Strukturwandel in diesem Land verschlafen. Sie
haben in Ihrer Regierungszeit die höchsten Lohnnebenkosten und die größte Zahl von 630-Mark-Jobs produziert. Außerdem haben Sie die Outsourcing-Welle und
die in der Folge dramatische Zunahme der Zahl der
Scheinselbständigen in diesem Land völlig unbeachtet
gelassen.
({2})
Ich finde schon, daß sehr viel Outsourcing betrieben
wurde, vor allem bei den Scheinselbständigen, und daß
es viel über Ihr Politikverständnis aussagt, meine Damen
und Herren von der F.D.P., wenn Sie zweimal hintereinander eine Aktuelle Stunde mit gleichem Thema beantragen, ohne diesem Haus irgendeine substantielle Antwort zu präsentieren. Das einzige, was Sie sagen, ist:
Weg damit!
({3})
Noch eine Bemerkung: Die Selbständigenquote war
unter Ihrer Regierung im europäischen Vergleich sehr
hoch, Frau Schwaetzer. Ich möchte Sie bitten, sich das
in Erinnerung zu rufen.
Wir haben mit unserem Gesetz versucht, im Interesse
der Wiederherstellung der sozialen Marktwirtschaft die
Kluft zwischen wirtschaftspolitischen und sozialpolitischen Interessen zu schließen. Sie wissen, daß wir in
beiden Fraktionen seit Wochen intensiv über die Überwindung der sogenannten Teilzeitmauer diskutieren, die
Sie mit Ihren Regelungen zu den 630-Mark-Jobs aufgebaut haben. Wir haben ein Konzept vorgelegt, mit dem
wir Anreize für geringfügig Beschäftigte schaffen, eine
sozialversicherungspflichtige Teilzeitbeschäftigung anzunehmen. Wir wollen - zeitlich befristet - Sozialversicherungsbeiträge subventionieren und somit der Tatsache Rechnung tragen, daß es erhebliche Beschäftigungspotentiale gerade im Dienstleistungssektor gibt,
die Sie leider völlig außer acht gelassen haben.
({4})
Wir haben mit den Interessenvertretern diskutiert. Sie
wissen, daß es heute ein Gespräch zwischen dem Bundeswirtschaftsminister, dem Arbeitsminister und dem
Bundeskanzler gibt, in dem Fragen der Praxisanpassung
für Existenzgründer diskutiert werden sollen.
({5})
- Wir diskutieren seit Monaten; das wissen Sie. Wenn
Sie einen konzeptionellen Beitrag geleistet hätten, wäre
er vielleicht in die Debatte mit eingeflossen.
Auch die Frage der Wahlfreiheit bei der Form der
Altersvorsorge wird im Zentrum dieses Gesprächs stehen, ebenso wie die Situation der Informatiker, die Situation im EDV-Bereich. Sie wissen genau, daß dieser
Termin seit einer Woche feststeht. So gesehen hat diese
Aktuelle Stunde wirklich Happening-Charakter, wie es
der Kollege Bury schon gesagt hat.
Daß dieses Gesetz unter dem Stichwort „Strukturwandel“ tatsächlich ständig auf seine Tauglichkeit in der
Praxis überprüft werden muß, ist klar; das hat auch die
Frau Staatssekretärin vorhin gesagt. Daß Sie eine Überprüfung auf Praxistauglichkeit als „nachbessern“ bezeichnen, sagt viel über Ihr Politikverständnis aus; aber
das ist Ihr Problem. Die Menschen, die uns schreiben,
erwarten, daß die neue, dialogorientierte Bundesregierung
({6})
ihre Argumente hört, sie prüft und politisch entsprechend handelt.
({7})
- Wenn Ihre Zwischenrufe wenigstens Qualität hätten,
dann könnten Sie ein bißchen weniger laut brüllen.
Ich halte es für erforderlich, insbesondere im Bereich
der arbeitnehmerähnlichen Selbständigen und im Existenzgründungsbereich nachzubessern oder zu präzisieren. Ich denke, es ist wichtig, daß die Sozialversicherungsträger, die derzeit verstärkt Betriebe überprüfen,
dort tatsächlich mit Augenmaß vorgehen.
Lassen Sie mich noch eine letzte Bemerkung machen:
Ich halte es überhaupt nicht für ehrenrührig, wenn man
drei Monate nach Inkrafttreten des Gesetzes sehr genau
beobachtet, ob die getroffenen Regelungen den Zielen
gerecht werden.
({8})
Ich will Ihnen eines sagen: Es gab noch nie ein Gesetz
von Ihnen, das auf die Umbruchsituation reagiert hätte.
Sich hier ausschließlich mit Häme hinzustellen, jedes
Gespräch mit Argusaugen zu beobachten und Aktuelle
Stunden zu beantragen finde ich kindisch. Wir sind hier
im deutschen Parlament und nicht im Kindergarten.
({9})
Jetzt erteile ich das
Wort dem Kollegen Rainer Brüderle, F.D.P.
Frau Präsidentin! Meine
Damen und Herren! Ich möchte mit einem Zitat aus
einer dpa-Meldung, die es vor kurzem gegeben hat, beginnen:
Der saarländische Landtag verlangt einmütig Korrekturen an Gesetzen zu den 630-Mark-Jobs und
zur Scheinselbständigkeit.
Bekanntlich hat die SPD dort die absolute Mehrheit, und
die Grünen sind vertreten. Entweder haben Ihre Genossen in Saarbrücken oder Sie das nicht verstanden, denn
das, was Sie hier vollführen, und das, was der saarländische Landtag einmütig beschließt, kann nicht gleichzeitig richtig sein.
({0})
Es sind auch Sozialdemokraten, zum Beispiel SPDMinisterpräsident Clement von Nordrhein-Westfalen
({1})
- der ist SPD-Mitglied; er ist noch nicht ausgetreten, das
kann ich Ihnen versichern -, die fordern, durch ein Unternehmensberatungsbüro zu überprüfen, ob das, was
Sie verabschiedet haben, überhaupt praktikabel ist. Das
Geld kann er sich sparen. Das ist nicht praxistauglich.
({2})
Herr Glogowski, SPD-Ministerpräsident von Niedersachsen, fordert eine Novellierung des Gesetzes. Er hat
sich in seiner Begründung auf die Verleger konzentriert,
damit er eine bessere regionale Presse hat. Aber wir
wollen nicht nur im Hinblick auf Verleger, daß diese
einseitigen Belastungen zurückgenommen werden, sondern auch im Hinblick auf den Mittelstand und die kleinen Leute, die auf den Nebenverdienst im Rahmen einer
geringfügigen Beschäftigung angewiesen sind. Wir
wollen nicht nur in Richtung Verleger buhlen. All die
von mir Genannten werden schlecht behandelt. Aber das
ist Ihre Art.
Herr Schlauch schreibt in einem Brief, daß über das
Ziel hinausgeschossen worden ist. Hiermit macht er natürlich einen Eiertanz. Nach den Äußerungen von Trittin
und Altmann kann er die Koalition nicht noch weiter
Margareta Wolf ({3})
belasten. In Wahrheit weiß er natürlich, daß dieses Gesetz Quatsch mit Soße ist und verändert werden muß.
({4})
Frau Wolf stellt sich hier hin, hält eine große Rede
und fordert, wir sollten sagen, was wir wollen. Was wir
wollen, sage ich Ihnen: Stampfen Sie diese Murksgesetze ein! Entschuldigen Sie sich bei den Betroffenen für
das, was Sie angerichtet haben, und hören Sie mit dem
bisherigen Vorhaben auf! Das ist unser Vorschlag.
({5})
Übrigens, Sie, Frau Wolf, haben in Ihren Ausführungen keinen einzigen konkreten Vorschlag gemacht,
sondern nur polemisch herumoperiert. Ich bin auch von
der zuständigen Staatssekretärin sehr enttäuscht. Statt
hier Verbesserungen vorzuschlagen, hat sie die bestehende Konzeption - ich gehe mit Ihnen eine Wette um
hervorragenden rheinland-pfälzischen Winzersekt ein,
daß das Gesetz in seiner jetzigen Form nicht Bestand
haben wird - stur verteidigt. Selbst Sie halten solchen
Unsinn nicht durch.
Dabei spielt Bundeswirtschaftsminister Müller eine
ganz besondere Rolle. Er ist der wirtschaftspolitische
„gute Onkel“, der zu dem von Ihnen hervorgebrachten
Unsinn immer etwas Freundliches sagt. Er soll die grünrote Frankenstein-Politik in der Wirtschaft überdecken
und die Folterwerkzeuge ein bißchen relativieren. Aber
er hat es immer schwer, sich in der Sache überhaupt Gehör zu verschaffen. Das gab es auch früher. Es gab dann
immer einen Bauchredner, um das eigene Tun etwas zu
relativieren.
({6})
Sie werden das Gesetz wieder nachbessern müssen.
Daß sie permanent ihre Politik nachbessert, ist das
Hauptinstrument dieser Regierung. Durch die schrecklichen Ereignisse im Kosovo ist dieses Thema derzeit ein
Stück überdeckt. Sonst würde noch viel greller deutlich
werden, welchen Unfug Sie betreiben.
All die Begründungen, die Sie im Zusammenhang mit
der Notwendigkeit dieses Gesetzes vorgebracht haben,
sind ja nicht umgesetzt worden.
({7})
Sie helfen den Frauen nicht bei ihrer Alterssicherung.
Da muß eine Frau 42 Jahre arbeiten, um eine Rente von
4,17 DM pro Beitragsjahr im Monat zu erhalten.
({8})
Das ist doch alles Quatsch. Sie haben Ihr Ziel überhaupt
nicht erreicht.
Eines haben Sie fertiggebracht - ich zitiere den
„Spiegel“ von dieser Woche, wahrlich keine Hauspostille der F.D.P. -: „In Deutschland rollt eine noch nie
dagewesene Kündigungswelle.“ Die haben Sie ausgelöst. Sie schaffen keine Arbeitsplätze; Sie verhindern
sie.
({9})
Sie schaffen weiter Unruhe in der Wirtschaft. Sie strafen
den Mittelstand ab und wollen dann noch so dastehen,
als ob Sie etwas für ihn tun würden.
Es kommt zu absurden Regelungen:
({10})
- Ihre Regelungen sind Blödsinn. - Da muß zum Beispiel ein geringfügig beschäftigter Rentner Beiträge zur
Rentenversicherung zahlen.
({11})
Davon sieht er niemals eine Mark wieder. Er ist schon
Rentner. Wieso muß er noch Beiträge zahlen?
Zur Krankenversicherung müssen Beiträge gezahlt
werden. Wenn der Betreffende gesetzlich versichert ist,
hat er nichts davon.
({12})
- Wenn Sie weniger schreien, mehr zuhören und sich
bessern würden, würden Sie etwas für dieses Land tun.
({13})
Wer schreit, hat meistens unrecht. Das ist auch bei Ihnen
so.
({14})
Deswegen sollten Sie ein bißchen weniger schreien. Privat Versicherte werden nach Ihrem Gesetz von der
Zahlung zur Krankenversicherung freigestellt. Gesetzlich Versicherte müssen zahlen. Sie diskriminieren damit die Ehefrau eines Normalverdieners.
So wird das bei Ihnen fortgesetzt. Was machen Sie im
kirchlichen Bereich, bei Sozialeinrichtungen und im
Sportbereich? Der Deutsche Sportbund - wahrlich keine
Vorfeldorganisation der F.D.P. - hat einen Notruf gesandt.
({15})
- Wenn es so wäre, hätten wir schon fast die absolute
Mehrheit.
({16})
- Auch bei Ihnen war schon manches besser. Sie haben
sich verschlechtert.
Hier ist ein gigantisches Arbeitsplatzvernichtungsprogramm entstanden. Die Hilfeschreie aus dem Mittelstand zeigen dies ganz eindeutig. Hören Sie doch damit
auf, etwas Falsches zu beschließen und die entstandene
Mißgeburt dann wieder zu relativieren!
({17})
Es wäre doch besser, wenn Sie gleich etwas Vernünftiges tun würden. Ihre Staatsgläubigkeit, die Philosophie,
die hinter diesem Gesetz steckt, ist fast noch erschrekkender als Ihre Murksgesetze. Sie haben damit diesem
Land nichts Gutes erwiesen.
Denken Sie an Ihre
Redezeit!
Die anderen Redner haben aber viel länger gesprochen.
Nein, ich habe auf
die vorgeschriebenen fünf Minuten geachtet. Herr Kollege, legen Sie sich nicht mit mir an; sonst ziehen Sie
den kürzeren.
({0})
Frau Präsidentin, Sie haben sicherlich recht. - Ich ende mit der Forderung: Bessern Sie nicht nach, ziehen Sie Ihr Gesetz zurück, und
machen Sie etwas Vernünftiges!
({0})
Für diejenigen, die
es noch nicht wissen, sage ich noch einmal: In der Aktuellen Stunde muß ich nach der Geschäftsordnung streng
sein, weil wir sonst ins Rutschen geraten.
Jetzt hat die Kollegin Leyla Onur das Wort.
Vielen Dank, Frau Präsidentin.
Ich werde mich bemühen, Ihre mahnenden Worte zur
Kenntnis zu nehmen.
({0})
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Herr Brüderle, Frau
Schwaetzer, eines muß ich Ihnen lassen: Konsequent
sind Sie. Sie haben in der letzten Legislaturperiode konsequent und erfolgreich jedwede Regelung zur Bekämpfung des Mißbrauchs bei den geringfügigen Beschäftigungsverhältnissen verhindert.
({1})
Daß ich Ihnen dazu nicht gratulieren werde, werden
Sie verstehen. Denn diese Konsequenz bedeutet, daß Sie
die Wettbewerbsverzerrungen, die es nachweislich gibt,
erhalten und erweitern wollen, daß Sie die Sozialkassen
weiter ausbluten lassen wollen, daß Sie den beschäftigten
Frauen eine eigenständige Alterssicherung verweigern
wollen und daß Sie letztendlich wollen, daß aus 6 Millionen geringfügig Beschäftigten 10, 15 oder 20 Millionen
werden. Das wollen Sie von der F.D.P., und darin waren
Sie bisher konsequent. Das muß man Ihnen lassen.
({2})
Herr Brüderle, eines sollten Sie nicht tun - vielleicht
wissen Sie es nicht besser -: Sie sollten nicht den Deutschen Bundestag belügen. Das haben wir nicht so gern.
({3})
Wir wissen nämlich ganz genau, daß heute morgen im
Saarländischen Landtag eine Aktuelle Stunde stattgefunden hat, aber keine Beschlüsse gefaßt worden sind.
Bleiben Sie also bitte bei der Wahrheit!
Wir wissen auch genau, daß Glogowski und Clement
den Neuregelungen zu den 630-Mark-Jobs zugestimmt
haben. Auch das müßten Sie wissen. Bleiben Sie bei der
Wahrheit!
({4})
Nun kommen wir zur CDU/CSU. Meine Damen und
Herren von der CDU/CSU, Sie haben sich in jüngster
Zeit nun wahrlich nicht mit Ruhm bekleckert, im Gegenteil: Ihre Beteiligung an dieser Veranstaltung ist an
Peinlichkeit nicht mehr zu übertreffen.
({5})
Ihre öffentliche Kampagne, die nur der Stimmungsmache dient, steht in krassem Gegensatz zu dem, was
Sie in der letzten Legislaturperiode zwar nicht durchgesetzt, aber wenigstens doch gewollt haben. Für diese
Willensbekundung haben wir Ihnen Lob gezollt. Sie
wollten doch mit uns gemeinsam - Sie haben es natürlich wieder einmal nicht im Kreuz gehabt - die geringfügigen Nebenbeschäftigungsverhältnisse sozialversicherungspflichtig machen. Wir hätten Sie gern dabei
unterstützt, aber Sie haben nichts zustande gebracht.
Sie wollten auch den Mißbrauch bekämpfen. Sie
wollten - Herr Blüm hat es immer wieder gesagt - die
Flucht aus der Sozialversicherung stoppen. All das hätten wir gern mit Ihnen gemeinsam gemacht, aber - ich
sage es noch einmal -: große Worte und nichts getan.
Die Quittung dafür haben Sie allerdings am 27. September bekommen, und das ist gut so.
({6})
Was Sie jetzt tun, ist Wirbeln um des Wirbelns willen. Ich kann Ihnen nur sagen: Unser Gesetz ist gut.
({7})
Unser Gesetz ist sogar sehr gut; denn wir werden mit
unserem Gesetz unsere wichtigsten Ziele erreichen.
Wenn Sie hier behaupten, es fallen geringfügige Beschäftigungsverhältnisse weg, dann sage ich Ihnen: Das
ist gut so, denn aus geringfügigen Beschäftigungsverhältnissen werden, genauso wie wir es wollen
({8})
- das ist nämlich das Ziel unseres Gesetzes -, sozialversicherungspflichtige Teilzeit- bzw. Vollzeitarbeitsverhältnisse.
({9})
Wenn Sie einmal aufmerksam die Stellenanzeigen in
Ihren Lokalblättern lesen, werden Sie feststellen, daß die
Wirtschaft schon sehr intensiv auf die neue Regelung
reagiert hat.
({10})
Eines will ich Ihnen mit auf den Weg geben: Wenn
Sie sagen, da fallen Arbeitsplätze ersatzlos weg, dann ist
das Quatsch hoch zehn.
({11})
Denn Sie wissen doch auch: Der Chef wird garantiert
nicht selbst hingehen und die Arbeit machen. In
Deutschland werden nur dann Arbeitsplätze zur Verfügung gestellt, wenn es dafür Arbeit bzw. Aufträge gibt.
Sie glauben doch wohl nicht oder wollen uns doch nicht
weismachen, Arbeitgeber und Unternehmer seien wohltätig veranlagt und würden Arbeitsplätze zur Verfügung
stellen, nur um des Zurverfügungstellens willen. Das tun
sie nicht. Das verstehe ich übrigens. Das verstehe ich
sehr wohl; denn die Unternehmer müssen Geld verdienen. Wenn sie Aufträge haben, dann beschäftigen sie
Menschen. Sie beschäftigen sie nach Regeln, die ihnen
Vorteile bringen.
Ich sage Ihnen: Wir bieten den Arbeitgebern mit unseren Neuregelungen Vorteile. Gleichzeitig - das ist uns
wichtig - schützen wir die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Wir werden mit diesem guten Gesetz trotz
gewisser anfänglicher Schwierigkeiten
({12})
in der Umsetzung unsere Ziele erreichen.
Ich danke Ihnen.
({13})
Nun erteile ich das
Wort dem Kollegen Karl-Josef Laumann, CDU/CSU.
Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Diese
Aktuelle Stunde
({0})
ist nicht zu überbieten. Ich mache dazu einige Bemerkungen.
Erster Punkt. Die PDS braucht sich zu dem Thema
gar nicht melden; denn hätte die in Deutschland zu sagen, gäbe es das Problem nicht, weil es keine Selbständigen gäbe.
({1})
Zweiter Punkt. Frau Onur, Sie sagen, das Gesetz sei
in Ordnung. Frau Wolf sagt: Wir sind eine dialogfähige
Bundesregierung und reden über das Gesetz. - Ich kann
Ihnen nur eines sagen: Was ich Ihnen, Regierung und
Koalitionsfraktionen, wirklich übelnehme, ist, daß Sie
diesen Dialog und das Bedenken eines Gesetzes nicht
vor der Verabschiedung gemacht haben.
({2})
Ihr Gesetz ist im Grunde unpraktikabel.
Wenn das Arbeitsministerium für einen relativ einfachen Vorgang, nämlich die Sozialversicherungspflicht
von 630-Mark-Verträgen einzuführen, eine Erklärung
mit 47 Seiten herausgeben muß, dann weiß man, wie
kompliziert man das Gesetz gemacht hat.
Im übrigen: Eine komplizierte Rentenreform hat bei
Norbert Blüm nicht mehr Erklärung gebraucht als bei
Ihnen dieses Gesetz zu den 630-Mark-Jobs.
({3})
Ihr Gesetz ist deswegen so schlecht, weil Sie einen
Arbeitsminister haben, der sich die Gesetzgebung in diesem Fall hat aus der Hand nehmen lassen. Am 19. November hat der Kanzler dieses Gesetz hier im Bundestag in
einer Aktuellen Stunde diktiert. Er hat den ersten Systembruch gemacht, indem er erklärt hat: Eine Hausfrau
kann grundsätzlich 630 DM steuerfrei verdienen.
Mit diesem Systembruch, die besondere steuerliche
Veranlagung von Eheleuten außer Kraft zu setzen, haben Sie einen großen Fehler gemacht. Wie wollen Sie es
erklären, daß die Ehefrau eines Mannes, der im Monat
10 000 DM verdient, 630 DM steuerfrei verdienen darf,
während der Postbote, der 3 000 DM im Monat verdient
und am Feierabend kellnern geht, alles voll versteuern
muß?
({4})
Da fragt der Postbote: Was ist eigentlich los?
({5})
Sie wollten eine Gerechtigkeitslücke schließen, haben
aber der Ungerechtigkeit in Deutschland in diesem Bereich Tür und Tor geöffnet. Das ist Ihr Problem.
({6})
Deswegen meine ich, daß Sie nicht umhinkommen,
dieses Gesetz zurückzuziehen und eine praktikable Lösung zu finden, um kleine Beschäftigungsverhältnisse in
Deutschland leichter handhaben zu können, um die soziale Absicherung zu gewährleisten und die Erosion der
Sozialversicherungspflicht im Griff zu behalten.
Zur Scheinselbständigkeit sage ich Ihnen das gleiche.
({7})
Auch da haben Sie einen Grundfehler gemacht. Sie haben in der Tradition der Gewerkschaftsschule von
Sprockhövel versucht, einen Arbeitnehmerbegriff zu definieren. Das geht heute nicht mehr.
({8})
Dafür ist die Welt zu bunt geworden.
Deswegen mache ich Ihnen hier noch einmal den
Vorschlag: Schauen Sie, wie es in der Handwerkerordnung geregelt ist. Regeln Sie es bei den Selbständigen
genauso. Dann haben Sie das Problem gelöst, ohne etwas definieren zu müssen.
Vielleicht kann man sogar so weit gehen, zu sagen:
Das muß nicht unbedingt in der gesetzlichen Rentenversicherung stattfinden; das geht auch über eine Lebensversicherung.
({9})
Denn die Rente wird damit auch nicht gestärkt. Wir
müssen für jede D-Mark Beitrag später Rente auszahlen.
Auch damit kann man leben. Der sozialpolitische Ansatz
muß aber eine Absicherung für die Selbständigen sein,
damit die später nicht in die Sozialhilfe fallen, nicht der
Arbeitnehmerbegriff.
({10})
Frau Onur, zum Schluß möchte ich etwas zu unserer
Unterschriftenaktion und zu den Postkarten sagen. Nennen Sie es, wie Sie es wollen. Eines ist aber wahr: Wir
bezahlen unsere Postkarten selber. Sie haben sich Ihre sozialpolitische Hetzkampagne vom DGB bezahlen lassen.
Schönen Dank.
({11})
Jetzt erteile ich das
Wort dem Kollegen Adi Ostertag, SPD-Fraktion.
Verehrte Frau Präsidentin!
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Noch eines zu
Herrn Laumann, der gesagt hat, es habe vor dem Gesetzgebungsverfahren keinen Dialog gegeben: Wir haben 16 Jahre lang die Praxis Ihrer Politik erlebt, die Katastrophe für Millionen von betroffenen Menschen, die
nicht abgesichert waren. Herr Laumann, Sie sind wie ich
seit acht Jahren im Parlament, im Ausschuß für Arbeit
und Sozialordnung.
({0})
Wir haben jetzt den dritten Anlauf zu einer gesetzlichen
Regelung unternommen; zweimal sind wir abgeschmiert
worden. Jetzt haben wir endlich eine Regelung, nach der
Millionen Menschen bessergestellt werden. Vorher haben wir eine Anhörung durchgeführt, zu der die Verbände eingeladen wurden. Das wurde breit diskutiert - ich
weiß, auch kritisch. Aber wir haben gehandelt. Sie dagegen haben nichts eingebracht, Sie haben die letzten
16 Jahre in diesem Politikbereich versagt.
({1})
Vielleicht sollten Sie auch das hören: Mich hat vor
ein paar Wochen im Zuge Ihrer Kampagne ein Betriebsratskollege aus einem der größten Einzelhandelsverbände angerufen. Er hat sich bitter darüber beklagt, daß inzwischen 60 Prozent in diesem riesigen Bereich 630Mark-Jobber sind, mit steigender Tendenz. Besonders
wütend war er auf die ständige Politikbeeinflussung der
Wirtschaftsverbände. Da hat er eigentlich auch recht. Es
ist nämlich höchste Zeit, daß eine andere Politik gemacht wird, die die Arbeitnehmerinteressen wieder stärker in den Mittelpunkt stellt. Das paßt Ihnen nicht.
Ich verstehe vor allem die Sozialpolitiker in der
CDU/CSU-Fraktion nicht. In der Opposition läßt sich
nicht einmal ein Fünkchen Solidarität formulieren, um
Arbeitnehmerpolitik wieder stärker in den Mittelpunkt zu
stellen. Es ist eben höchste Zeit, daß die Herren Henkel
und Co. einsehen: Politik in diesem Lande ist nicht mehr
länger die Durchsetzung wirtschaftlicher Zwänge mit Hilfe der Gesetzgebung, wie das Tucholsky einmal formuliert hat. Jetzt ist Schluß mit dem Gewohnheitsrecht der
Unternehmerverbände aus den letzten 16 Jahren.
Die rotgrüne Bundesregierung ist angetreten, wieder
mehr Ordnung und mehr Gerechtigkeit auf dem Arbeitsmarkt durchzusetzen. Es ist eben nicht gerecht,
wenn Firmen in großem Stil Billigjobber beschäftigen
und sich so Wettbewerbsvorteile verschaffen. Es ist ungerecht, wenn die Gesamtheit der Beitragszahler - auf
Arbeitnehmer- und Arbeitgeberseite - infolge des Mißbrauchs der geringfügigen Beschäftigung höhere Belastungen hat; das nämlich ist das Ergebnis. Es ist ungerecht, wenn jemand mit einem Nebenjob auf 630-MarkBasis bessergestellt ist als jemand, der Überstunden
macht. Das wissen Sie genauso gut wie ich.
({2})
Wir müssen jetzt die sozialen Schutzrechte für Arbeitnehmer verstärken. Vor allem die Tarifgestaltung muß
gerecht sein. Deswegen wollen wir die 630-MarkTrittbrettfahrer nicht haben.
Es fängt schon damit an, daß sich die Union scheinheilig
verhält. Sie haben ein hundsmiserables Kurzzeitgedächtnis.
Noch im Dezember 1997 haben Sie im Vermittlungsausschuß einer Regelung auf 200-Mark-Basis zugestimmt.
Von daher ist es unverständlich, daß Sie eine solche Kampagne starten, die die Leute draußen nur verunsichert.
Sie wissen genauso gut wie wir, daß immer weniger
Menschen die Beiträge zahlen. Deswegen müssen wir
die solidarischen Sicherungssysteme stärken. Wenn wir
die Rentenversicherung stärken wollen - das wissen insbesondere die Sozialpolitiker in der CDU -, dann müssen wir eine breite Finanzierungsbasis haben. Offensichtlich haben Sie diesen Weg aber verlassen. Sie sollten in Ihrer Fraktion für ein stärkeres solidarisches Denken eintreten, anstatt hier Nebelkerzen zu werfen.
({3})
Vor allem sollten Sie Ihre Politik umkehren, anstatt die
Millionen Menschen, die jetzt durch die Gesetze zur
630-Mark-Regelung und zur Bekämpfung der Scheinselbständigkeit bessergestellt werden, zu verunsichern.
({4})
Daß die F.D.P. von Solidarität nichts versteht, wissen
wir seit eh und je. Von daher wundert uns deren Aussage nicht.
({5})
Vielleicht haben Sie in den letzten Wochen gemerkt,
daß die Gesetze zu wirken beginnen.
({6})
Sie sollten wirklich mehr mit den betroffenen Menschen
reden und nicht nur auf die Lobbyverbände hören.
({7})
Jeder der Verbände, zum Beispiel die Zeitungsverleger,
haben in dieser Frage ureigene Interessen. Es gibt auch
eine ganze Reihe Journalisten, die in dieser Kampagne
eingespannt werden. Das sollten Sie als Politiker durchschauen; das erwarten wir eigentlich von Ihnen.
Von daher: Weniger Hektik! Wir haben keinen
Nachbesserungsbedarf.
({8})
- Wir haben im 630-Mark-Gesetz eine Rücknahmeklausel drin. Diese Überprüfungsklausel werden wir auch
ernst nehmen.
({9})
- Wir sind lernfähig, im Gegensatz zu Ihnen. Das sollten
Sie begreifen. - Wir werden also ohne Hektik prüfen,
was hier eintritt.
({10})
Es gibt erste Anzeichen, gerade aus dem Einzelhandelsverband, dafür, daß Umwandlungen erfolgen. Das
wird sorgfältig, auch wissenschaftlich, begleitet, wie Sie
wissen, und wir werden daraus Konsequenzen dann ziehen, wenn das nötig ist, und nicht vorher und auch nicht
drei oder vier Wochen oder drei Monate nach Inkrafttreten des Gesetzes. Ich glaube, es gibt gegenwärtig keine
sachlichen Argumente und überhaupt keine empirischen
Befunde. Es gibt nur Aufgeregtheiten bei Lobbyverbänden und bei denjenigen, die bisher in der Tat am Rande
der Legalität mit diesen Jobs gearbeitet haben.
Vielen Dank.
({11})
Nun erteile ich das
Wort dem Kollegen Hartmut Schauerte, CDU/CSUFraktion.
Frau Präsidentin!
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es hat die
SPD einmal ein Stück weit ausgezeichnet, daß sie im
Gespräch mit den Menschen war. Aber wenn ich mir die
Debatte hier anschaue und mir vergegenwärtige, daß
hier gesagt worden ist, daß das Gesetz gut ist und daß es
nur Lobbyisten und mißbrauchte Journalisten gibt, die
Schlechtes darüber reden, dann muß ich sagen: Dieser
Bezug zu den Menschen, diese Nähe ist Ihnen in der
kurzen Zeit Ihrer Regierung mit unglaublicher Geschwindigkeit abhanden gekommen.
({0})
Über was reden wir denn? Das haben doch nicht wir
erfunden, was hier passiert; vielmehr erleben wir das jeden Tag, jeder in seinem ganz persönlichen Umfeld.
Niemand von uns kann sich doch der Anfragen erwehren, die sich ganz konkret aus dieser Problematik heraus
ergeben.
({1})
- Natürlich ist das so.
({2})
Ich will Ihnen einmal folgende Geschichte erzählen,
weil das, wovon sie handelt, in dieser ganzen Debatte
zu kurz gekommen ist: Ein Sportverein, Rot-Weiß
Lüdenscheid, ein kleiner Provinzverein mit 1 700 Mitgliedern, der 450 Kinder schult, hatte bisher Kosten in
Höhe von 40 000 DM für seine Beschäftigten in diesem
Bereich des Ehrenamtes.
({3})
Auf Grund dieser Regelung hat er nun Kosten von
75 000 DM; es sind 35 000 DM, fast das Doppelte,
mehr. Das aufzubringen geht nur über Beitragserhöhungen oder über Kündigungen. Er kann natürlich nicht dadurch Jugendarbeit leisten, daß er Stellen für hauptberuflich Tätige einrichtet. Vielmehr wird das wegfallen.
Fehlanzeige! Ziel verfehlt! Eine schlimme Entwicklung.
({4})
Ich könnte Ihnen viele andere Bereiche nennen. Ich
will einen kleinen Handwerker herausgreifen. Es ist ein
Konditormeister, der neun Beschäftigte hat und über
drei kleine Filialen verfügt. In jeder Filiale sind zwei
hauptberuflich Tätige und einer, der im Rahmen eines
630-Mark-Jobs hilft, beschäftigt.
({5})
Nun haben die 630-Mark-Beschäftigten gekündigt. Er
konnte aber nur aus dieser Kombination der Beschäftigung überleben. Das bekommt er nun nicht mehr hin.
Das Ergebnis wird möglicherweise sein: Er schließt sein
Geschäft, weil er die Freude daran verloren hat.
({6})
Wie soll er das neu organisieren? Er hat keine Lust
mehr, das weiter zu betreiben.
Sie vernichten Arbeitsplätze; Sie vergrößern Schwarzarbeit in Deutschland. Sie lösen kein Problem, Sie schaffen viele neue Probleme mit dieser unverantwortlichen
Regelung.
({7})
Ich will auch noch auf einige andere Dinge, die in der
Debatte angeklungen sind, zu sprechen kommen. Es soll
jetzt zur Chefsache werden, liest man in der Zeitung. Es
war - Karl-Josef Laumann hat darauf hingewiesen - von
Anfang an nichts anderes als Chefsache. Hier hat Schröder erklärt, was er allein für richtig und notwendig hält.
Ich sehe noch Ihre betroffenen Gesichter. Sie waren ja
förmlich erschrocken, als er das vom Stapel ließ, was
ihm eingefallen war. Wie soll denn das, was der Chef
von Anfang an angerichtet hat, nun verbessert werden,
wenn der Chef am Ende wieder hinzukommt? Ich habe
die Hoffnung nicht, daß aus diesem Unsinn überhaupt
etwas Vernünftiges werden kann. Deswegen bleibt die
Forderung: Nehmen Sie es zurück!
({8})
Clement und Glogowski haben zugestimmt, ja natürlich. Aber das zeichnet die beiden aus: Sie haben zwar
den Fehler mit beschlossen, aber sie sind bereit, zu erkennen, daß das wohl ein Fehler war. Ihre Borniertheit
ist so groß, daß Sie heute nicht bereit sind, das zu akzeptieren.
Bei allem Respekt, Frau Staatssekretärin: Wir haben
es mit einem Gesetz zu tun, das 10 bis 12 Millionen
Menschen unmittelbar erfaßt und das keine Übergangsregelung hat. Ich kenne kein Gesetz, das eine solche
Wucht in seiner Auswirkung auf das Hier und Jetzt von
heute auf morgen hat.
({9})
Von der Regierung ist hier niemand da, nur eine einsame
Staatssekretärin. In den Gesichtern der wenigen Klugen,
die hier sind, sieht man Betroffenheit und Scham, und von
den Bornierten hat hier sogar einer gesagt: Dieses Gesetz
ist gut. - Ich kann es nicht verstehen.
Ich habe den Eindruck, die Regierung möchte mit
diesem unglaublichen Vorgang gar nicht mehr in Berührung kommen und hält sich diesem Hause deswegen
fern. Nur, einer muß ja nun leider hierbleiben. Sonst
wäre auch Frau Mascher nicht mehr hier; denn mit
diesem Gesetz wird sich niemand wirklich identifizieren können, der noch einigermaßen Vernunft im
Kopf hat.
({10})
Die Klugen schämen sich, und die Ideologen wollen
weiter mit dem Kopf durch die Wand.
Was haben Sie denn bei der sogenannten Scheinselbständigkeit angerichtet? Das ist so ein überkommenes,
altes Denken. Ich kann es nicht begreifen, daß man
wirklich glaubt, diese moderne Frage von veränderten
Arbeitswelten mit diesem alten Kolonnendenken und die
alten Lieder singend - „wann wir schreiten Seit‘ an
Seit‘“ - zu beantworten. Sie haben von den modernen
Lebenswirklichkeiten nichts, aber auch leider gar nichts
begriffen.
({11})
Was machen Sie denn? - Sie machen aus einem Auftraggeber zwangsweise einen Auftragnehmer. Das will
der nicht, er wird eine Konsequenz ziehen. Er wird sich
nämlich einen Auftragnehmer suchen, bei dem er nicht
gezwungen wird, Arbeitgeber zu sein.
Denken Sie an die
Zeit, Herr Kollege.
Sie machen aus
einem Auftragnehmer zwangsweise einen Arbeitnehmer,
was der vielleicht auch nicht will. Aber selbst wenn er es
will, wird er nicht wieder Auftragnehmer; denn der Auftraggeber wird sich weigern, erneut Arbeitgeberfunktionen zu übernehmen. Das heißt, Sie bieten den betroffenen
Menschen, die sich aus der Not heraus selbständig gemacht haben, Steine statt Brot, und denen, die nach vorne
wollen und sich selbständig machen wollen, werfen Sie
Knüppel zwischen die Beine. Das ist ein völlig untauglicher Vorgang, der schweren Schaden stiftet.
({0})
Herr Kollege, denken Sie bitte an die Zeit.
Ja, ich möchte
aber noch ganz schnell einen Gedanken ausführen.
Das dürfen Sie nicht.
Gut, dann lasse
ich es sein. Ich will nur noch einmal in aller Eindringlichkeit sagen: Es gibt Felder, wo gehandelt werden
muß. Es gibt auch Felder, wo man nicht gehandelt hat.
Es kann jemandem auch zum Vorwurf gemacht werden,
wenn er nicht gehandelt hat. Aber auf vielen Feldern ist
Nichthandeln deutlich besser, als so unvernünftig zu
handeln, wie Sie es getan haben.
({0})
Sie vergrößern den Schaden für unser Land und vernichten Arbeitsplätze. 3 Millionen neue Schwarzarbeiterinnen und Schwarzarbeiter werden das Ergebnis sein,
wenn Sie an diesem Gesetz festhalten. Kehren Sie um,
noch ist es Zeit!
({1})
Rufen Sie im Kanzleramt an und sagen Sie, sie mögen
dort vernünftig sein! Erteilen Sie als Mehrheitsfraktion
grünes Licht! Es ist dazu dringend an der Zeit.
Herzlichen Dank.
({2})
Als letzter Redner in
dieser Aktuellen Stunde hat Peter Dreßen, SPDFraktion, das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Schauerte, Sie haben gerade wieder die Geschichte mit dem Sportverein erwähnt. Ich
möchte einmal festhalten, daß es nach wie vor die
Übungsleiterpauschale von 2 400 DM gibt und daß sich
daran nichts geändert hat.
({0})
Wenn jemand beim Verein 630 DM und mehr verdient,
dann ist das wohl nicht mehr nur als Ehrenamt zu sehen.
({1})
Da muß man auch ein bißchen unterscheiden dürfen.
Herr Kollege Laumann, Sie haben die Geschichte mit
dem Postboten gebracht. Auch dazu will ich noch etwas
sagen. Es ist natürlich eine sehr unfaire Sache zu sagen,
wenn jemand 10 000 DM verdient, könne seine Frau
zusätzlich 630 DM steuer- und sozialversicherungsfrei
verdienen. Dasselbe Recht hat natürlich die Frau des
Postboten ebenfalls. Auch sie darf 630 DM steuer- und
sozialversicherungsfrei verdienen.
({2})
Man kann hier nicht Äpfel mit Birnen vergleichen. Das
war ein sehr unfairer Vorwurf.
Herr Kollege Laumann, wie wollen Sie jemandem,
der 3 630 DM ganz ordentlich als Gehalt bekommt, erklären, daß jemand, der 3 000 DM Gehalt bekommt,
nebenbei 630 DM steuer- und sozialversicherungsfrei
- wenn man Ihrem Vorschlag folgen würde - verdienen
kann? Wie wollen Sie diese Ungerechtigkeit draußen erklären?
Genau da haben wir mit dem Gesetz angesetzt, einfach weil es da verschiedene Ungerechtigkeiten gab. Da
haben zum Beispiel Leute 4 000 DM verdient und haben
Überstunden gemacht. Dann gab es Firmen, die gemerkt
haben: Aha, für die Überstunden müssen wir ja Steuern
und Sozialversicherungsabgaben zahlen. Diese Firmen
haben dann eine Zweitfirma gegründet, haben die Leute
dort beschäftigt und haben die Überstunden über 630Mark-Jobs laufen lassen. Finden Sie so etwas denn in
Ordnung? Finden Sie so etwas gerecht? Da muß man
doch mit der Zeit einschreiten. So kann es doch wohl
nicht weitergehen.
({3})
- So war es in der Praxis. Wir bringen Ihnen die Beispiele in Hülle und Fülle.
Ich will Ihnen ein Zweites sagen: Natürlich haben wir
das Problem, daß Verleger doppelt betroffen sind. Einerseits sind sie am Morgen mit dem Austragen der Zeitungen betroffen. Dazu muß ich Ihnen erklären: Es gibt
schon heute viele Zeitungsverleger, die dieses Problem
ganz legal gelöst haben. Die beschäftigen ihre Leute für
700 oder 800 DM, so wie wir es eigentlich wollen, in einem normalen Teilzeitarbeitsverhältnis. Es gibt natürlich
auch einige, die 630-Mark-Jobs vergeben haben. Die
müssen sich nun überlegen, wie sie dies auch im Interesse der Beschäftigten in Zukunft organisieren. Wenn sie
nicht darum herumkommen, haben sie die Möglichkeit,
weiterhin eine Pauschalsteuer zu zahlen, so daß es die
Arbeitnehmer nicht trifft.
Man sollte einmal bedenken, wer in diesem Land die
Gesetze macht. Ich finde es schon herrlich, wenn niedergeschrieben wird, was einem im eigenen Bereich
nicht paßt, wie es bei den Zeitungsverlegern der Fall ist.
Ich finde es nicht in Ordnung, daß hier nur Kritik geübt
wird, ohne auch nur mit einem Wort die Vorteile, die
dieses Gesetz bietet, zu erwähnen.
({4})
Das ist nicht richtig in einer Demokratie. Hier im Parlament werden Mehrheiten gestellt. Man kann draußen
schreiben, was man will; aber das muß man akzeptieren.
Einige von Ihnen haben hier die Gebäudereiniger erwähnt. Ich will Ihnen nur ganz kurz eine Presseerklärung zur Kenntnis geben. Der Bundesarbeitsminister hat
sich mit den Gebäudereinigern getroffen; denn diese haben schon vorher gesagt, daß eine Änderung notwendig
ist, und waren jetzt diejenigen, die am meisten geschrien
haben. Das Treffen fand am 16. April statt; anschließend
wurde eine gemeinsame Presseerklärung herausgegeben.
Dort heißt es:
Bei einem Treffen von Vertretern des Bundesinnungsverbandes des Gebäudereiniger-Handwerks
und des BMA, an dem unter anderem Bundesarbeitsminister Walter Riester, das Verbandsvorstandsmitglied Hans Berthold und der Hauptgeschäftsführer des Bundesinnungsverbandes, Johannes Bungart, teilnahmen, wurde in Bonn weitgehend Konsens über die Bewertung der Neuregelung
der geringfügigen Beschäftigungsverhältnisse erzielt.
So weit dazu.
Ich könnte Ihnen noch anderes vorlesen. Es wird nur
Positives dazu geäußert.
({5})
- Vom 16. April. Ich kann Ihnen selbstverständlich
eine Kopie geben. - Ich will nur sagen: Hier wird mit
doppelter Zunge gesprochen, und das ist nicht in Ordnung.
Wer wie die jetzige Opposition zugelassen hat, daß
die Zahl der Beitragszahler im Rahmen der Sozialversicherung von 1992 bis 1998 um über 2,5 Millionen
zurückgegangen ist, dafür aber die Beitragssätze, ohne
die Pflegeversicherung, um über 3,5 Prozent erhöht
hat, der hat nicht das Recht, dieses Gesetz zu kritisieren.
({6})
Hiermit wird zumindest der ernsthafte Versuch unternommen, die Ordnung auf dem Arbeitsmarkt wiederherzustellen.
({7})
Die Aktuelle Stunde
ist beendet.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich weiß, daß sozialpolitische Debatten sehr temperamentvoll geführt
werden. Vielleicht könnten Sie aber ein wenig darüber
nachdenken, ob „Quatsch“, „Quatsch hoch zehn“ und
„polemischer Eiertanz“ parlamentarische Ausdrücke
sind.
Wir sind am Schluß unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Donnerstag, den 22. April, 9.00
Uhr ein.
Die Sitzung ist geschlossen.