Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Guten Morgen, liebe
Kolleginnen und Kollegen! Die Sitzung ist eröffnet.
Die heutige Sitzung habe ich auf Grund eines Antrages der Fraktion der SPD und im Einvernehmen mit den
übrigen Fraktionen gemäß Art. 39 Abs. 3 Satz 3 des
Grundgesetzes in Verbindung mit § 21 Abs. 2 der
Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages einberufen.
Bevor wir in die Tagesordnung eintreten, gebe ich
bekannt, daß nach der Mandatsniederlegung des früheren Kollegen Oskar Lafontaine, die am 16. März erfolgte, die Abgeordnete Gudrun Roos als Nachfolgerin
am 29. März die Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag erworben hat. Ich begrüße die neue Kollegin sehr
herzlich.
({0})
Sodann möchte ich einigen Kollegen, die in den zurückliegenden Tagen einen runden Geburtstag feiern
konnten, gratulieren. Ihren 60. Geburtstag feierten der
Kollege Carl-Dieter Spranger am 28. März und der
Kollege Dr. Martin Pfaff am 31. März. Seinen 70. Geburtstag konnte der Kollege Hans-Eberhard Urbaniak
am 9. April begehen. Ich spreche den Kollegen im Namen des Hauses nachträglich die besten Glückwünsche
aus.
({1})
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 1 auf:
Eidesleistung des Bundesministers der Finanzen
Der Herr Bundespräsident hat mir mit Schreiben vom
18. März 1999 folgendes mitgeteilt:
Gemäß Artikel 64 Absatz 1 des Grundgesetzes für
die Bundesrepublik Deutschland habe ich heute auf
Vorschlag des Herrn Bundeskanzlers den Bundesminister der Finanzen, Oskar Lafontaine, aus seinem Amt als Bundesminister entlassen.
Weiterhin hat mir der Herr Bundespräsident mit
Schreiben vom 12. April 1999 mitgeteilt:
Gemäß Artikel 64 Abs. 1 des Grundgesetzes für
die Bundesrepublik Deutschland habe ich heute
auf Vorschlag des Herrn Bundeskanzlers Herrn
Hans Eichel zum Bundesminister der Finanzen ernannt.
Nach Art. 64 Abs. 2 des Grundgesetzes leistet ein
Bundesminister bei der Amtsübernahme den in Art. 56
vorgesehenen Eid. Herr Bundesminister Hans Eichel,
ich darf Sie zur Eidesleistung zu mir bitten.
({2})
Herr Bundesminister, ich bitte Sie, den Eid zu sprechen.
Ich
schwöre, daß ich meine Kraft dem Wohle des deutschen
Volkes widmen, seinen Nutzen mehren, Schaden von
ihm wenden, das Grundgesetz und die Gesetze des Bundes wahren und verteidigen, meine Pflichten gewissenhaft erfüllen und Gerechtigkeit gegen jedermann üben
werde. So wahr mir Gott helfe.
({0})
Meine Damen und
Herren, Herr Bundesminister Hans Eichel hat den vom
Grundgesetz vorgeschriebenen Eid geleistet. Ich darf Ihnen im Namen des Hauses für Ihr Amt die besten Wünsche aussprechen.
({0})
Zugleich danke ich dem ausgeschiedenen Bundesminister Oskar Lafontaine für seine Tätigkeit als
Mitglied der Bundesregierung und als Mitglied des
Hauses. Für seine weitere Zukunft wünsche ich ihm alles Gute.
({1})
Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 2 auf:
Abgabe einer Regierungserklärung des Bundeskanzlers
Aktuelle Lage im Kosovo
Es liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion der
PDS vor.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache im Anschluß an die Regierungserklärung drei Stunden vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Das Wort zur Abgabe einer Regierungserklärung hat
der Herr Bundeskanzler, Gerhard Schröder.
Herr Präsident!
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Auf dem informellen Treffen des Europäischen Rates gestern in
Brüssel, an der auf meine Initiative auch der Generalsekretär der Vereinten Nationen, Kofi Annan, teilnahm,
haben die Staats- und Regierungschefs der EU ihre Entschlossenheit bekräftigt, das Morden und die Deportationen im Kosovo nicht hinzunehmen. Sie haben ebenfalls deutlich gemacht, daß hierzu der Einsatz militärischer Mittel nach wie vor notwendig und moralisch und
politisch auch gerechtfertigt ist. Das Besondere liegt nun
darin, daß im Europäischen Rat ja nicht nur die Staatsund Regierungschefs jener Mitgliedsländer der EU vertreten sind, die zugleich Mitglieder der NATO sind,
sondern auch jener, die als neutrale Länder diese Position unterstützt haben. Das macht einmal mehr deutlich,
wie sehr in dieser entscheidenden, wichtigen Frage die
westliche Staatengemeinschaft ohne Ausnahme zusammensteht, weil der Anlaß für dieses Zusammenstehen
die Werte und die Grundorientierungen der Europäer,
des europäischen Zivilisationsmodells berührt. Wir waren uns auf diesem informellen Rat einig darüber, wie
wir gemeinsam mit unseren Partnern zu einer politischen
Lösung kommen können, wenn - das ist dick zu unterstreichen - die Voraussetzungen dafür geschaffen werden. Ich werde auf das Ergebnis dieses Treffens im einzelnen später noch zurückkommen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, immer
noch und immer wieder hören wir die Frage, warum dieser militärische Einsatz sein mußte. Wir hören diese
Frage nicht zuletzt deshalb, weil noch keine Bundesregierung vor diese schwere Entscheidung gestellt worden
ist, deutsche Soldaten - mit allem, was damit an Gefährdungen für unsere Soldaten verbunden ist - zu einem
militärischen Kampfeinsatz gemeinsam mit unseren
Partnern innerhalb der NATO zu entsenden. Mir liegt
daran, auch hier vor dem Hohen Hause noch einmal zu
erläutern, warum wir letztlich um diesen schweren
Schritt, um diese grundlegende Entscheidung, die sich
wirklich niemand in der Bundesregierung und sicher
auch hier im Hohen Hause leichtgemacht hat, nicht herumgekommen sind und warum wir uns zu diesem
Schritt haben entschließen müssen. Der gelegentlich geäußerte Einwand, daß man zuwenig auf die Möglichkeiten der Diplomatie und zu schnell und zu stark auf
die Möglichkeiten des Militärs gesetzt habe, geht fehl.
In den Wochen und Monaten vor Beginn der Luftschläge hat die internationale Gemeinschaft nichts unversucht gelassen, um eine politische Lösung des Konfliktes zu erreichen. Demjenigen, der versucht, in direkten Gesprächen oder durch welche Instrumente auch
immer, eine Lösung zu erreichen, sei gesagt: Milosevic
ist es gewesen, der jegliche Lösung, die möglich gewesen wäre, verhindert hat - und zwar deshalb verhindert
hat, weil dieser verbrecherische Präsident sein eigenes
Volk, die albanische Bevölkerungsmehrheit im Kosovo
und die Staatengemeinschaft, die nun wirklich bereit
war, auch mit ihm zu verhandeln und eine politische Lösung des Konfliktes zu suchen, ein ums andere Mal
hintergangen, ja betrogen hat. Das ist die traurige Wahrheit, mit der man sich auseinanderzusetzen hat.
Monatelang haben der EU-Sonderbeauftragte Petritsch
und sein amerikanischer Kollege Hill, dann auch gemeinsam mit dem russischen Unterhändler Majorski, mit
den Konfliktparteien Gespräche geführt und dabei den
Boden für ein wirklich faires Abkommen bereitet.
In Rambouillet ist mehrere Wochen lang hartnäckig
verhandelt worden. Das dort vorgelegte Abkommen
sollte die Menschenrechte der albanischen Bevölkerungsmehrheit im Kosovo, aber auch - das gilt es zu
unterstreichen - die territoriale Integrität Jugoslawiens
gewährleisten. Diesem Abkommen hätten beide Parteien
- nicht zuletzt wegen der zuletzt genannten Passage zustimmen können und nach meiner festen Überzeugung
auch zustimmen müssen.
Wir haben eine weitere Frist von zwei Wochen eingeräumt, um die Bedenken der Konfliktparteien zu zerstreuen. Nach Ablauf dieser Frist haben wir uns erneut
in Paris zu Verhandlungen getroffen. Die KosovoAlbaner - das ist ein Stück Zeitgeschichte - haben dem
Abkommen schließlich zugestimmt.
Der Bundesaußenminister als EU-Ratspräsident, der
russische Außenminister Iwanow, der OSZE-Vorsitzende Vollebaek und schließlich Richard Holbrooke als
Sondergesandter der Vereinigten Staaten haben Milosevic bis zuletzt in Belgrad zur Annahme des Abkommens
gedrängt. Die Belgrader Führung aber hat alle, wirklich
alle politischen Vermittlungsversuche scheitern lassen.
Während sie vorgab, über den Frieden zu verhandeln,
hat sie jene Mord- und Vertreibungskampagne fortgesetzt, die sie in den vergangenen Wochen systematisch
verschärft hat.
Die jugoslawische Regierung hat von Anfang an an
den Feldzug der ethnischen Säuberung geglaubt und
ihn geplant, einen Feldzug, dessen Zeuge wir heute sind.
Das, meine Damen und Herren, kostete bis jetzt Tausende von Menschen im Kosovo das Leben.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wie alle
Deutschen sind wir hier im Deutschen Bundestag, bin
ich über die täglichen Bilder vom Flüchtlingselend erschüttert. Wir haben die Bilder von gesprengten Häusern
gesehen, und deportierte Augenzeugen haben uns
Schreckliches berichtet. Wer vor diesem Hintergrund
Ursache und Wirkung verwechselt und meint, er müßte
der NATO, der westlichen Staatengemeinschaft, vorwerPräsident Wolfgang Thierse
fen, sie habe zu dem Elend beigetragen, der begeht einen
schrecklichen Irrtum oder eine bewußte Verleumdung.
({0})
Dies alles ist das Werk jugoslawischer Militär- und
Polizeikräfte. Gleichgültig, wen man trifft oder in welchen Interviews man versucht, es zu bestreiten, es ändert
nichts an den Tatsachen: Vertreibung und Mord waren
längst im Gange, als die NATO ihre Militäraktion begann, und sie hat sie nur begonnen, um der Deportation,
der Vertreibung ein Ende setzen zu können.
({1})
- Sie müssen aufpassen, daß Sie sich nicht langsam den
Vorwurf einhandeln, von der fünften Kolonne Moskaus
zur fünften Kolonne Belgrads zu werden.
({2})
Ich sage hier ohne Wenn und Aber: Diesem Verbrechen zuzusehen wäre zynisch und verantwortungslos
gewesen. Die NATO mußte auf die Eskalation der Gewalt reagieren. Wir wissen seit Kroatien, Bosnien und
Herzegowina mit über 200 000 Kriegsopfern, daß sich
Europa mit Zuwarten erneut schuldig gemacht hätte.
Die NATO ist eine Wertegemeinschaft. Gemeinsam
mit unseren Partnern kämpfen wir im Kosovo für unsere
Werte: für Menschenrechte, für Freiheit und für Demokratie. Bei unserem Engagement geht es auch darum,
wie das Europa des nächsten Jahrhunderts aussehen soll.
Wollen wir Europäer es nach den Erfahrungen mit zwei
schrecklichen Weltkriegen in diesem Jahrhundert wirklich zulassen, daß Diktatoren unbehelligt mitten in Europa wüten können?
Die Bundesregierung hat klare Vorstellungen, die sie
gemeinsam mit ihren Partnern verfolgt. Wir wollen die
humanitäre Katastrophe und die schweren und systematischen Menschenrechtsverletzungen möglichst schnell
beenden. Wir wollen eine friedliche politische Lösung
für den Kosovo erreichen.
Klar bleibt dabei: Die Bundesregierung wird auch
weiterhin mit ihren Partnern in der NATO und in der EU
fest zusammenstehen und Gewalt gegen unschuldige
Menschen nicht hinnehmen. Es ist uns klar, daß wir dabei nicht allein auf militärische Lösungen setzen dürfen;
das wollen wir auch nicht. Es ist uns klar, daß wir mit
unseren Bemühungen um eine politische Lösung des
Konfliktes nicht nachlassen dürfen.
Genauso klar ist jedem von uns - Gott sei Dank besteht darüber in diesem Hohen Hause auch kein Streit -:
Bei einer solchen Lösung sollte Rußland eine wichtige
Rolle spielen.
({3})
Die Bundesregierung steht in engem Kontakt mit der
russischen Führung. Wir sind auch gern bereit, mit dem
neuernannten russischen Jugoslawien-Beauftragten
Tschernomyrdin sehr bald zusammenzutreffen und mit
ihm zusammen auszuloten, was unter Beteiligung Rußlands geht und was nicht. Ich setze darauf, daß sich
Moskau noch stärker in die internationalen Bemühungen
um eine friedliche Lösung einschaltet. Dies gilt gerade
auch für den Beitrag Moskaus im Rahmen der Vereinten
Nationen, also für die Initiative, die der Generalsekretär
der UN ergriffen hat. Wir sind uns gewiß alle einig: Die
Krise auf dem Balkan darf die guten Beziehungen zwischen Europa und Rußland und zwischen Deutschland
und Rußland nicht, aber auch wirklich nicht beeinträchtigen.
({4})
Rußland ist ein wichtiger Faktor der Stabilität und der
Sicherheit auf unserem Kontinent. Wir wollen deshalb
auch den von der russischen Führung eingeschlagenen
Reformweg nach Kräften weiter unterstützen.
In diesem Zusammenhang ist in diesem Hohen Hause
auch klarzustellen: Eine Politik, wie ich sie gekennzeichnet habe, funktioniert nur auf der Basis der festen
Einbindung in die westliche Staatengemeinschaft, in die
NATO.
Es bleibt unser Ziel, so schnell wie möglich die Voraussetzungen dafür zu schaffen, daß die Flüchtlinge und
Vertriebenen sicher in ihre Heimat zurückkehren können. Solange dies noch nicht der Fall ist, sollten die
Menschen vorrangig in der Region versorgt werden. Das
ist aus humanen Erwägungen gerechtfertigt und aus
politischen Gründen notwendig; denn Milosevic darf
nicht der Triumph gegönnt werden, seine Politik der
ethnischen Säuberungen auf indirektem Wege zu realisieren.
({5})
Das ist aber auch deshalb wichtig, weil die Menschen
dort kulturell eingebunden sind, dort im wahrsten Sinne
des Wortes ihre Heimat haben und ihre Heimat behalten
wollen. Jede andere Politik würde uns zum faktischen
Erfüllungsgehilfen der Belgrader Vertreibungspolitik
machen.
Albanien und Mazedonien, zwei kleine und wahrlich arme Länder, tragen derzeit die überwiegenden Folgen der skrupellosen Politik Milosevics. Auch das
scheint Teil seines Planes zu sein: die Destabilisierung
dieser beiden Länder, ja die Destabilisierung der gesamten Region. Wir können die Anrainerstaaten mit
dem Problem nicht allein lassen. Eine solidarische Anstrengung der internationalen Gemeinschaft gegenüber
diesen Ländern ist unabdingbar. Auch dies war Gegenstand der gestrigen Beratungen in Brüssel und wird erneut Gegenstand der Beratungen im Rat der Innenminister und im Allgemeinen Rat, also im Rat der Außenminister, sein.
Gestatten Sie mir in diesem Zusammenhang ein Wort
der Anerkennung und des Dankes an die vielen Mitbürgerinnen und Mitbürger, die in dieser Notlage durch
Spenden und anderweitige Hilfe ein Zeichen der Solidarität mit den Unterdrückten gesetzt haben.
({6})
Das zeigt deutlich, daß es vielleicht doch nicht richtig
ist, wenn bezogen auf die Befindlichkeit der Deutschen
allzuviel von Materialismus und zuwenig von Solidarität, von der Fähigkeit zum Mitleiden und zum Helfen
die Rede ist.
Die Bundesregierung hat ihrerseits erhebliche Mittel
für die Versorgung der Flüchtlinge und der Vertriebenen
bereitgestellt. Auch die Europäische Union hat Sondermittel zur Verfügung gestellt, um das Flüchtlingselend
zu mildern und eine Destabilisierung der Nachbarländer
zu verhindern. Über eine Luftbrücke fliegt die Bundeswehr nach wie vor Nahrungsmittel, Zelte, Decken und
Ärzte in die Region.
Wir haben erklärt, daß wir bereit sind - darüber gibt
es zwischen den entscheidenden politischen Kräften in
diesem Haus und im Bundesrat keine Differenzen -,
eine angemessene Anzahl von Flüchtlingen vorübergehend, bis zu einer Lösung der Krise dort, in Deutschland
aufzunehmen. Das ist bereits sichtbar geschehen. Auch
das ist ein Zeichen der Solidarität der Deutschen mit denen, die unter Vertreibung und Krieg zu leiden haben.
Vor dem Hintergrund dessen, was wir leisten, erwarten
wir allerdings von unseren Partnern in Europa und in der
Allianz, daß auch sie einen angemessenen Teil der Lasten zu tragen bereit sind.
Wir sind sehr besorgt über die Lage in Montenegro.
Wir unterstützen die demokratisch gewählte Führung
dieser jugoslawischen Teilrepublik unter Präsident Djukanovic. Ich möchte an dieser Stelle die Belgrader Führung ausdrücklich davor warnen, die Lage in Montenegro zu destabilisieren. Eine solche Politik müßte weitere
ernsthafte Folgen für die jugoslawische Regierung haben.
Ich bin fest davon überzeugt, daß nur die Geschlossenheit der gesamten internationalen Gemeinschaft Milosevic zum Einlenken bewegen wird. Vor dem Hintergrund unserer deutschen Geschichte darf es an unserer
Verläßlichkeit, an unserer Entschlossenheit und an unserer Festigkeit keine Zweifel geben. Die Einbindung
Deutschlands in die westliche Staatengemeinschaft ist
Teil der deutschen Staatsräson. Einen Sonderweg kann
und wird es mit uns nicht geben.
({7})
So schwer es dem einen oder anderen auch fällt: Wir
müssen erkennen, daß sich Deutschlands Rolle nach
dem Zusammenbruch des Staatssozialismus, vor allen
Dingen nach der Erlangung der staatlichen Einheit verändert hat. Wir können uns unserer Verantwortung nicht
entziehen. Das ist der Grund, warum deutsche Soldaten
zum erstenmal seit dem zweiten Weltkrieg in einem
Kampfeinsatz stehen. Sie erfüllen eine schwierige und
gefährliche Mission mit Gefahren für Leib und Leben,
die wir nicht ausschließen können. Ich möchte daher
auch vor diesem Hohen Hause noch einmal den Soldaten, aber auch ihren Familien, die um sie bangen, für ihre Arbeit, für ihren Einsatz und für das, was sie aushalten müssen, herzlich danken.
({8})
Sie sollen wissen - sie spüren es an Ihrem Beifall -, daß
dieses Hohe Haus ihren Einsatz für die Menschlichkeit
und einen dauerhaften Frieden wohl zu würdigen weiß.
Der Bundesregierung und allen NATO-Partnern ist
natürlich bewußt, daß die jetzige Krisenbewältigung im
Kosovo eine längerfristige Stabilisierungspolitik für
Südosteuropa nicht ersetzen kann. Unsere Politik richtet
sich nicht gegen die Menschen in Jugoslawien. Wir
wollen ihnen vielmehr eine Perspektive und die Zuversicht geben, daß sie zu Europa gehören.
Der Balkan - das ist klar - braucht europäische Hilfe.
Jugoslawien braucht, wie Deutschland 1945, Demokratisierung, wirtschaftliche Entwicklung und den Aufbau
einer wahrlich zivilen Gesellschaft. Umfassende Maßnahmen zur langfristigen Stabilisierung, zu Sicherheit,
zu Demokratisierung und zu wirtschaftlicher Gesundung
der Region sind notwendig. Eine Art Marshallplan für
den Balkan muß her. Mir ist bewußt, daß ein solcher
Plan nicht zum Nulltarif zu haben sein wird. Europa
kann und darf sich dieser Aufgabe aber nicht entziehen.
Wenn von Kosten die Rede ist, dann gilt allemal
mehr und allemal wieder, daß diejenigen Ressourcen,
die wir für die ökonomische und die soziale Entwicklung, für die Entwicklung der Infrastruktur in dieser Region zur Verfügung stellen, besser eingesetzt sind als
diejenigen Kosten, die wir für leider notwendige militärische Interventionen zur Verfügung stellen müssen.
({9})
Es muß jedem klar sein: Einen dauerhaften Frieden
wird es in dieser Region nur geben, wenn wir den Staaten der Region klarmachen, daß sie ein Recht auf Annäherung an Europa haben und daß wir ihre ökonomische
und soziale Entwicklung nach vorne bringen wollen.
Wir wollen sie für das europäische Modell gewinnen
und der Demokratie auf dem Balkan und damit dem
Frieden endgültig zum Durchbruch verhelfen. Das ist
der Grund, warum die deutsche EU-Präsidentschaft in
der vergangenen Woche einen Stabilitätspakt für den
Balkan vorgeschlagen hat, einen Pakt, an dem die Partnerländer mitarbeiten wollen. Es geht der Bundesregierung um eine echte Alternative zum fanatischen Nationalismus, der die Region nach all den bitteren Erfahrungen dieses Jahrhunderts erneut ins Unglück gestürzt hat.
Lassen Sie mich, meine Damen und Herren, zum
Schluß auf das gestrige Treffen der Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union im einzelnen zurückkommen. Wir haben eine intensive und von großem
Ernst getragene Diskussion mit dem Generalsekretär der
Vereinten Nationen geführt und in vielen Punkten Übereinstimmung festgestellt. Ich halte es für außerordentlich
wichtig, daß nicht nur die NATO und die neutralen
Staaten der Europäischen Union, sondern die Staatengemeinschaft insgesamt in dieser so grundlegenden und
wichtigen Frage mit einer Stimme spricht. Wir waren
uns einig in unserer Entschlossenheit, das Morden und
die Deportationen im Kosovo nicht hinzunehmen. Wir
sind uns einig, daß der Einsatz schärfster Maßnahmen
einschließlich militärischer Aktionen nach wie vor notwendig und gerechtfertigt ist.
Wir wollen miteinander einen multiethnischen und
demokratischen Kosovo, in dem alle Menschen in Frieden und Sicherheit leben können. Die jugoslawischen
Behörden müssen wissen, daß wir sie für die Sicherheit
und das Wohlbefinden der Vertriebenen im Kosovo verantwortlich machen. Die Staats- und Regierungschefs
unterstützen deshalb die Initiative des Generalsekretärs
der UN vom 9. April 1999, die die Forderungen der internationalen Gemeinschaft zusammenfaßt, und haben
klargestellt, daß von diesen Forderungen, die Ihnen bekannt sind und die ich hier nicht weiter erläutern muß,
nicht abgegangen werden kann und nicht abgegangen
werden wird. Die Forderungen lauten in der Substanz:
sofortige Beendigung aller Gewaltakte, Rückzug aller
militärischen Kräfte - auch der Sonderpolizei - und
Stationierung internationaler militärischer Kräfte sowie
die Rückkehr aller Flüchtlinge und Vertriebenen.
Die Staats- und Regierungschefs stimmen in der Auffassung überein, daß es jetzt an den jugoslawischen Behörden liegt, die internationalen Forderungen ohne Abstriche anzunehmen und umgehend mit ihrer Umsetzung
zu beginnen. Dies - nur dies und nur in dieser Reihenfolge - würde eine Suspendierung der militärischen
Maßnahmen der NATO erlauben und den Weg für eine
politische Lösung öffnen. Dies und nur dies ist auch Gegenstand der Vorschläge, die der deutsche Außenminister entworfen, gemacht und eingebracht hat. Für diese
Initiative schulden wir ihm alle Dank.
({10})
Wir werden uns für die Verabschiedung dieser Prinzipien in einer Resolution des Sicherheitsrats der Vereinten
Nationen unter Kapitel VII einsetzen.
Die Staats- und Regierungschefs haben ihre Unterstützung für ein politisches Abkommen über den Kosovo erneuert, das auf dem aufbaut, was in Rambouillet
bereits erreicht war. Sie verständigten sich auf Eckpunkte einer Übergangsordnung im Kosovo, die unmittelbar nach dem Ende des Konflikts hergestellt werden
soll. Insbesondere soll die Einrichtung einer internationalen Übergangsverwaltung vorgesehen werden; dabei
haben die Staats- und Regierungschefs deutlich gemacht, daß das Europa der 15 bereit ist, diese Übergangsverwaltung unter die Obhut der Europäischen
Union zu nehmen. Auch das macht deutlich, daß Europa
in außen- und sicherheitspolitischen Fragen mehr und
mehr mit einer Stimme spricht. Das ist eine Voraussetzung, um im Konzert der internationalen Staatengemeinschaft noch ernster genommen zu werden, als es bislang
der Fall war.
Es geht um den Aufbau einer Polizei im Kosovo, die
die dortige Bevölkerung repräsentiert und nicht kujoniert. Es geht um die Durchführung von freien und fairen Wahlen und um die Stationierung internationaler
Sicherheitskräfte, die für den Schutz aller Bevölkerungsgruppen im Kosovo sorgen sollen.
Bei dem Treffen bestand Einigkeit über die große
Bedeutung einer engen Zusammenarbeit mit der Russischen Föderation und über deren Beitrag für eine Lösung des Kosovo-Problems. Diesen Beitrag halten wir
für eminent wichtig.
Bekräftigt wurden die Beschlüsse des Allgemeinen
Rats vom 8. April 1999 über die humanitäre Hilfe für
Flüchtlinge und Vertriebene und über die Unterstützung
für die Nachbarstaaten der Bundesrepublik Jugoslawien.
Diese können sich - ich sage das noch einmal - der Solidarität der europäischen Mitgliedstaaten sicher sein.
Schließlich waren wir uns darüber einig, daß die Europäische Union zu einer Konferenz über Südeuropa
und Südosteuropa einladen wird, um weitere umfassende Maßnahmen zur langfristigen Stabilisierung, Sicherheit, Demokratisierung und vor allen Dingen zur
wirtschaftlichen Gesundung dieser Region zu beschließen. Alle Staaten der Region sollen nach unseren Beschlüssen das Recht haben, eine Perspektive auf Annäherung an die Europäische Union zu entwickeln. Die
Europäische Union ist dazu bereit.
Das heißt, die Vertreter der Europäischen Union, der
NATO und der Generalsekretär der Vereinten Nationen
sind sich in der Bewertung der Sachlage und der Vorgehensweise einig. An diesem Kurs, an dem die Bundesregierung, an dem der Bundesaußenminister mitgewirkt
hat, wird die Bundesregierung ohne Abstriche und entschlossen festhalten.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
({11})
Das Wort hat nun
der Vorsitzende der CDU/CSU-Fraktion, Kollege Wolfgang Schäuble.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die
CDU/CSU-Bundestagsfraktion unterstützt die deutsche
Beteiligung an den NATO-Aktionen im Kosovo. Vertreibung, ethnische Säuberung und Völkermord dürfen
nicht geduldet werden, schon gar nicht in Europa. Es
wäre fatal, wenn die zynische Rechnung von Milosevic
aufginge.
Wir danken den Soldaten der Bundeswehr genauso
wie den Soldaten der Streitkräfte unserer Verbündeten
für ihren entschlossenen und zugleich beherrschten Einsatz.
({0})
Die Soldaten und ihre Familien können sich auf unsere
Solidarität verlassen. Wir wissen um unsere Verantwortung.
Wir begrüßen und unterstützen die Hilfe für Flüchtlinge und Vertriebene vor Ort. Die heimatnahe Versorgung muß Vorrang haben, damit eine rasche Rückkehr
der Flüchtlinge möglich ist und damit wir nicht am Ende
Milosevics Vertreibungspolitik noch unterstützen. Natürlich ist es selbstverständlich, daß auch bei uns in begrenzter Zahl Flüchtlinge und Vertriebene vorübergehend Aufnahme finden müssen. Auch dies unterstützen
wir.
Ich finde übrigens, wir sollten darauf achten, daß die
Auswahl derjenigen, Herr Bundeskanzler, die für eine
vorübergehende Unterbringung nach Deutschland oder
überhaupt nach West- und Mitteleuropa kommen, nicht
so zufällig und willkürlich erscheint, sondern daß diejenigen hierhergebracht werden, denen vor allen Dingen
medizinische Hilfe geleistet werden muß. Das macht
viel mehr Sinn, als wenn durch das Zufallsprinzip der
Auswahl noch mehr Familien auseinandergerissen werden.
Im übrigen muß in diesem Zusammenhang klar sein,
daß sich europäische Solidarität auch darin verwirklichen muß, daß die Europäische Union bei der vorübergehenden Aufnahme von Flüchtlingen und Vertriebenen
als Ganzes in der Solidaritätspflicht steht und daß wir
deshalb auf eine faire und gerechte Lastenverteilung
unter allen Mitgliedsländern der Europäischen Union
Wert legen.
Die Spenden- und Hilfsbereitschaft unserer Bevölkerung ist groß. Dem Dank, den der Bundeskanzler dafür
ausgesprochen hat, schließen wir uns ausdrücklich an.
Wir danken auch für die Bereitschaft, den geschundenen
Menschen durch vorübergehende Aufnahme Schutz und
Zuflucht zu geben.
Ich finde übrigens, Herr Bundeskanzler: Weil die
Spenden- und Hilfsbereitschaft und auch die Bereitschaft, in so schwieriger Zeit durch Aufnahme Hilfe und
Zuflucht zu gewähren, in unserer Bevölkerung so groß
sind, sollten wir vielleicht doch darüber nachdenken ich habe es Ihnen diese Woche schon einmal vorgeschlagen -, ob wir angesichts dieser neuen Situation den
Streit, der mit der Neuregelung unseres Staatsangehörigkeitsrechts bisher notwendig verbunden war, wirklich fortsetzen sollen.
({1})
Wäre es in dieser Lage nicht wirklich besser, sich für
Beratung und Verabschiedung dieses Gesetzes mehr
Zeit zu nehmen, als bisher vorgesehen?
({2})
Ich appelliere an die Koalitionsfraktionen, auf den
nicht zu begründenden Zeitdruck zu verzichten und gemeinsam einen Weg zu suchen, wie wir Integration
ausländischer Mitbürger und Integrationsbereitschaft der
deutschstämmigen Bevölkerung in einem breiten Konsens verbessern können. Wenn Ihnen das nicht genug
ist, dann verweise ich auf die Erklärung, die der Bremer
Bürgermeister Scherf und sein Stellvertreter Perschau in
diesen Tagen abgegeben haben. Darin haben sie genau
dafür plädiert und im übrigen auch darauf hingewiesen:
Bei einigermaßen gutem Willen zum Konsens ist der
Unterschied zwischen den beiden Gesetzentwürfen, die
im Hause beraten werden, nicht mehr so groß, daß man,
wenn man einen Konsens will, ihn nicht auch finden
kann. Wir sind dazu bereit. Ich appelliere an Sie.
({3})
Ich habe, Herr Präsident, verehrte Kolleginnen und
Kollegen, in der vergangenen Woche diese Regierungserklärung, die wir begrüßen, und diese Debatte angeregt,
weil die Regierung bei aller grundsätzlichen Einigkeit in
einer die Menschen zu Recht so aufwühlenden Frage vor
dem Parlament als dem Forum der Nation immer wieder
Rechenschaft ablegen muß, damit im Pro und Kontra der
Argumente Transparenz hergestellt werden kann und
damit die Legitimation und die Akzeptanz dieses Einsatzes unter deutscher Beteiligung möglich bleiben.
Die militärischen Aktionen der NATO dauern inzwischen schon über drei Wochen. Wir haben vor drei Wochen, als wir hier das letzte Mal darüber geredet haben,
vermutlich die Hoffnung und die Erwartung gehabt, daß
diese Aktionen nicht drei Wochen dauern würden. Milosevic hat die Entschlossenheit und die Geschlossenheit
der freien Völkergemeinschaft offensichtlich unterschätzt, aber, meine Damen und Herren, wir wohl auch
seine Hartnäckigkeit, seinem eigenen Volk Schaden zuzufügen. Auch das muß gesagt werden.
Die atlantische Gemeinschaft ist stark und entschlossen genug, sich von Milosevic nicht das Gesetz des
Handelns aufzwingen zu lassen. Aber wohl kann angesichts der Entwicklung auf dem Balkan niemandem sein.
Die Fernsehbilder von Flucht und Vertreibung und von
täglichen Bombardements wecken bei den Menschen
nicht nur Betroffenheit, Hilfs- und Spendenbereitschaft;
es wird auch die bange Frage laut, ob die NATO Krieg
führt oder ob wir dabei sind, in einen Krieg hineinzuschlittern.
Vor allem die älteren unserer Mitbürger erinnern sich
an die Grauen zweier Weltkriege und sind tief beunruhigt. Ich sage ausdrücklich: Solche Parallelen sind unzutreffend. Nicht die NATO führt Krieg. Wenn Krieg
geführt wird, dann führt ihn Milosevic gegen seine eigene Bevölkerung. Die Staatengemeinschaft hat sich
schwer genug getan und eher zu spät als zu früh entschließen müssen, militärische Mittel einzusetzen, um
dem Grauen und den Verbrechen Einhalt zu gebieten.
({4})
Es geht auch nicht - das unterscheidet diese Lage von
früheren Zeiten, auch vom Beginn dieses Jahrhunderts um eine Veränderung von Einflußzonen auf dem Balkan
wie am Beginn des ersten Weltkriegs, sondern einzig
und allein darum, daß die internationale Gemeinschaft
Mord und Vertreibung nicht wieder tatenlos hinnimmt.
({5})
Das Ziel aller Operationen ist und muß bleiben, den
Frieden in der Region wiederherzustellen und die Rückkehr aller Vertriebenen in ihre Heimat und in gesicherte
Verhältnisse zu gewährleisten.
Auch das bewahrt uns vor der Gefahr von Parallelen
zu früheren Zeiten: Wir handeln nicht allein, sondern
leisten unseren Beitrag zu internationaler Integration
und Verantwortung, nicht mehr und nicht weniger. Solange eine weltweit verbindliche Rechtsordnung mit einer ihre Durchsetzung ermöglichenden Gerichtsbarkeit
und mit einem entsprechend legitimierten Gewaltmonopol, solange ein solcher Zustand noch ein Traum bleibt,
sind wir zur Wahrung von Frieden und grundlegenden
Menschenrechten darauf angewiesen, militärische Gewalt notfalls, aber nur als Ultima ratio, einzusetzen. Gegen zur Anwendung aller Mittel entschlossene Diktatoren und Verbrecher kann auch am Ende dieses Jahrhunderts darauf nicht verzichtet werden.
Aber die Ultima ratio der Gewaltanwendung nimmt
heute keiner mehr für sich allein in Anspruch. Vielmehr
handelt die europäische, die atlantische, die internationale Völkergemeinschaft gemeinsam und integriert. Sie
handelt nur dann, wenn sie und soweit sie gemeinsam
und integriert handelt. Das ist der eigentliche Friedens-,
Sicherheits-, ja Zivilisationsgewinn am Ende dieses
Jahrhunderts. Verehrte Kolleginnen und Kollegen, genau dies würden wir verspielen, wenn wir unseren Beitrag dazu verweigern würden. Auch dessen muß sich jeder bewußt sein.
({6})
Wenn selbst der Generalsekretär der Vereinten Nationen von Völkermord im Kosovo spricht, dann, finde
ich, kann die Rechtsgrundlage der NATO-Aktionen einschließlich der Beteiligung der Bundeswehr nicht wirklich in Zweifel gezogen werden. Wer die Beschlüsse des
Sicherheitsrats der Vereinten Nationen dennoch nicht
für ausreichend und deshalb die Aktionen der NATO
nicht für mandatiert halten will, der kann seine rechtlichen Bedenken letztlich nur aus dem klassischen Interventionsverbot ableiten. Aber darf denn angesichts der
Universalität unseres Menschenrechtsverständnisses eine solche Interpretation des klassischen Interventionsverbots am Ende zum Freibrief für Diktatoren werden,
ihre eigene Bevölkerung hinzumorden und zu vertreiben, zum Elend der „ethnischen Säuberungen“ am Ende
dieses Jahrhunderts zurückzukehren?
Wie dünn die Argumentation aus dem Interventionsverbot letztlich ist, kann man doch auch daran erkennen:
Mit der Anerkennung einer Unabhängigkeit des Kosovo
würden alle diesbezüglichen rechtlichen Argumentationsketten aufgelöst. Im übrigen: Was heißt eigentlich
Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten am
Ende dieses Jahrhunderts? Sind das wirklich nur innere
Angelegenheiten der Jugoslawischen Föderation oder
des Kosovo? Ich finde, nicht nur die Flüchtlingsströme
beweisen doch, daß Völkermord und Vertreibung längst
über jedes betroffene Land hinauswirken. Auch die
Fernsehbilder lassen uns doch Tag für Tag spüren, daß
auf dieser einen Welt Völkermord und Vertreibung nicht
mehr innere Angelegenheit eines Landes sind, sondern
wirklich uns alle angehen und betreffen.
({7})
Daraus folgt: Weil wir die Lehren dieses Jahrhunderts
nicht vergessen und niemals mehr wegsehen wollen
- wie oft haben wir dies versprochen und uns geschworen -, weil wir um die Unteilbarkeit von Frieden, Freiheit und Menschenrechten wissen, darf die Völkergemeinschaft nicht jedes Verbrechen im Zweifel aus nur
formalen Gründen hinnehmen. Hier erwächst geradezu
eine Pflicht zum Eingreifen. Dieses Handeln hat eigentlich mit Krieg nichts zu tun, sondern mit der Durchsetzung fundamentaler Menschenrechtsprinzipien.
Ich sage es noch einmal: Wir werden nicht in einen
Krieg hineinschlittern, weil es auf dem Balkan nicht um
die Verschiebung von Einflußsphären geht und weil sich
die atlantische Gemeinschaft von Milosevic das Gesetz
des Handelns nicht aufzwingen läßt, nicht aufzwingen
lassen darf und auch nicht aufzwingen lassen wird. Aber
genau deshalb - auch diesen Punkt füge ich mit allem
Nachdruck hinzu - müssen wir eine militärische Eskalation vermeiden. Wir jedenfalls wollen sie nicht.
Aus diesem Grunde dürfen wir beim Einsatz, vor allem beim Einsatz unserer deutschen Soldaten, unter gar
keinen Umständen das Entstehen von Grauzonen zulassen. Es muß immer und in jedem Stadium der Entwicklung glasklar sein, wofür sie eingesetzt werden. Eine
schleichende Ausweitung ihres Auftrags darf es nicht
geben und würde auf unseren entschiedenen Widerstand
stoßen.
Deshalb erwarte ich von der Bundesregierung gerade
im Zusammenhang mit der Entsendung weiterer Soldaten nach Albanien, daß sie weiterhin jederzeit sorgfältig
prüft, ob eine Erweiterung des Einsatzmandates durch
den Deutschen Bundestag erforderlich wird. Selbst ein
rein humanitärer Einsatz kann ja auf Grund der Unübersichtlichkeit der Verhältnisse im Kosovo schneller, als
uns lieb ist, zur Grauzone hinsichtlich des Einsatzes
werden, der dann durch das von uns erteilte Mandat
nicht mehr gedeckt wird. Wir, die CDU/CSUBundestagsfraktion, werden sehr genau darauf achten,
daß keine Automatismen entstehen. Das sind wir alle
gemeinsam den Soldaten, ihren Familienangehörigen
und der Öffentlichkeit, aber auch unseren Rechten und
Pflichten als Abgeordnete des Deutschen Bundestages
schuldig.
({8})
Demokratisch verfaßte Staaten - auch das erleben wir
in diesen Wochen - tun sich mit der Anwendung militärischer Gewalt schwer. Das ist gut so und muß so bleiben. Deshalb ist Öffentlichkeitsarbeit durch die NATO
und durch die Bundesregierung notwendig. Wenn aber
die Bundesregierung selbst schon einen Grund sieht, die
Öffentlichkeitsarbeit der NATO zu kritisieren, dann muß
alles daran gesetzt werden, daß diese Arbeit verbessert
wird. Ich füge noch die Bemerkung hinzu: Auch in der
Öffentlichkeitsarbeit besteht natürlich ein grundlegender
Unterschied zwischen einer Demokratie und einer Diktatur.
Aber auch in diesem Bereich sollten wir selbstbewußt
sein und das nicht als Nachteil empfinden, sondern uns
dazu bekennen. Die NATO kann eben Auskünfte nur
geben, wenn sie sicher ist, daß sie zutreffen. Wir würden
die Bundesregierung kritisieren, wenn sie um des propagandistischen Erfolgs willen vorschnell Erklärungen abgeben würde, die sich hinterher als falsch herausstellten.
Der Diktator kann mit seiner Propaganda anders handeln. Wir sollten jeden Tag an Medien und Öffentlichkeit appellieren, die Unterschiede zwischen verfälschender Propaganda und den Versuch, möglichst klar und
schonungslos zu informieren, im Bewußtsein einer offenen Informationspolitik niemals zu verwischen - auch
nicht in den Medien.
({9})
Bei aller Notwendigkeit von Öffentlichkeitsarbeit füge ich folgende Bemerkung hinzu: Wir sollten alle darauf achten, daß wir uns nicht in ein Übermaß an zuspitzender Rhetorik hineinsteigern.
({10})
Politische Lösungen könnten dadurch noch schwerer
werden, als sie es ohnedies sind.
Die Empörung über die entsetzlichen Verbrechen, die
Milosevic zu verantworten hat, ist gerechtfertigt. Nichts
darf verschwiegen oder bemäntelt werden. Aber jeder
durch politische oder militärische Verantwortungsträger
angedeutete Vergleich mit Hitler ist nicht nur historisch
schief, sondern auch gefährlich.
({11})
Auch das Entsetzen über Mord und Vertreibung auf dem
Kosovo darf Unvergleichbares nicht angleichen, weil
sonst aus einem moralischen Argument die sich selbst
rechtfertigende Konsequenz einer nicht mehr beherrschbaren Eskalation militärischer Gewalt begründet
werden könnte. Totaler Krieg und die Forderung nach
bedingungsloser Kapitulation hängen enger zusammen,
als mir angesichts solcher Reden gelegentlich bedacht zu
sein scheint.
Ich wiederhole: Die Ziele der NATO und der Völkergemeinschaft sind klar, und das ist die Grundlage für die
Teilnahme der Bundeswehr an diesen Aktionen. Wir
wollen, daß der Friede in der Region wiederhergestellt
und die Rückkehr aller Vertriebenen in ihre Heimat im
Rahmen gesicherter Verhältnisse gewährleistet wird.
Aber es reicht für die öffentliche Akzeptanz dieses militärischen Einsatzes - je länger er dauert, um so weniger - nicht aus, diese Ziele nur zu proklamieren. Eine
solche Akzeptanz setzt vielmehr voraus, daß auch die
Erreichbarkeit unserer Ziele plausibel vermittelt wird.
Sonst wächst die Sorge der Menschen, man habe etwas
angefangen, ohne das Ende zu kennen. Auch darüber
müssen wir sprechen.
Es muß auch drei Wochen nach Beginn der NATOAktionen klar sein, daß die militärische Entschlossenheit
und Geschlossenheit in der Unterstützung dieser Maßnahmen das eine ist. Die Bereitschaft aber, zu jedem
Zeitpunkt eine politische Lösung im Sinne unserer Ziele
zu suchen, ist das andere. Beide Ziele müssen uneingeschränkt vorhanden bleiben, und beide gehören im übrigen untrennbar zusammen.
({12})
Deshalb sind neue politische Initiativen unverzichtbar.
Politische Lösungen werden ohne Beteiligung der Vereinten Nationen und damit auch Rußlands kaum zu erreichen sein.
Das Treffen der amerikanischen Außenministerin Albright mit ihrem russischen Kollegen Iwanow in Oslo in
dieser Woche hat gezeigt, daß die Diplomatie noch nicht
abgedankt hat, auch wenn viele Fragen offenbleiben
mußten. Die Teilnahme des UN-Generalsekretärs am
Sondergipfel der EU gibt ebenfalls zu der Hoffnung
Anlaß, daß es einen Weg gibt, Milosevic nicht nur mit
militärischer Gewalt zum Einlenken zu bringen. Je mehr
militärische Gewalt mit der Einsicht verbunden ist, daß
die serbische Führung wirklich überall in der Welt isoliert ist, um so größer wird die Chance sein, daß er eher
früher als später zum Einlenken gebracht wird.
Ich begrüße auch ausdrücklich, daß sich die Bundesregierung in ihrer Funktion als amtierende Ratspräsidentschaft verstärkt über eine politische Lösung dieses
Konflikts Gedanken macht. Aber ich warne vor der naiven Annahme, Milosevic könnte mit einer Art Vertrauensvorschuß dazu bewegt werden, seine verbrecherische
Politik ethnischer Säuberungen aufzugeben. Er hat
schon zu viele Ultimaten höhnisch verstreichen lassen.
Wer eine politische Lösung erreichen will, die auch
nur einigermaßen nachhaltig ist, darf keine Situation
entstehen lassen, die Zweifel an der Ent- und Geschlossenheit des Westens erlauben könnte. Diese Ent- und
Geschlossenheit ist vielmehr Voraussetzung dafür, zusammen mit den Vereinten Nationen und Rußland zu einer Lösung zu kommen. Je früher das Ziel einer gesicherten Rückkehr der Kosovaren in ihre Heimat durch
militärische Entschlossenheit und politische Bemühungen erreicht werden kann, um so besser ist es.
Ich halte im übrigen wenig davon, jetzt öffentlich
über den künftigen Status des Kosovo zu spekulieren,
auch wenn ich hinzufüge, daß ich mir nur schwer vorstellen kann, daß eine Realisierung des RambouilletAbkommens noch möglich ist. Aber eines scheint mir
unabhängig davon unverzichtbar: Für den Fall, daß die
vertriebenen Menschen zurückkehren sollen und können, ist es - neben der militärischen Absicherung einer
Perspektive des Lebens im Kosovo in Sicherheit - vorrangige Pflicht der Europäischen Union, diese Rückkehr
auch durch ein umfassendes und wirksames Hilfsprogramm zum Wiederaufbau des Kosovo zu begleiten, zu
unterstützen, ja überhaupt erst möglich zu machen. Wir
fordern die Bundesregierung auf, auch in dieser Richtung ihre Bemühungen zu verstärken.
({13})
Ich will noch einmal zusammenfassen: Die
CDU/CSU unterstützt die deutsche Beteiligung an den
NATO-Aktionen auf der Grundlage der Beschlüsse des
Sicherheitsrates der Vereinten Nationen und der Beschlüsse des Deutschen Bundestages. Wir danken den
Soldaten der Bundeswehr und der Streitkräfte unserer
Verbündeten für ihren Einsatz und sichern ihnen sowie
ihren Familien unsere Solidarität zu. Wir unterstützen
und begrüßen die Hilfe für Flüchtlinge und Vertriebene
vor Ort und sind bereit, bei gerechter europäischer Lastenverteilung vorübergehend auch bei uns vor allem
kranken Flüchtlingen und Kindern in begrenzter Zahl
Aufnahme und Zuflucht zu gewähren. Wir wollen keine
militärische Eskalation. Deshalb werden wir sorgfältig
darauf achten, daß der Einsatz der deutschen Soldaten
stets klar definiert und durch das Mandat des Deutschen
Bundestags abgedeckt ist. Es dürfen keine Grauzonen
entstehen.
Ziel aller Operationen muß sein, den Frieden in der
Region wiederherzustellen und die Rückkehr aller Vertriebenen in ihre Heimat und in gesicherte Verhältnisse
zu gewährleisten. Dabei geht es nicht um eine Veränderung von Einflußsphären auf dem Balkan. Um baldmöglichst das Leiden und Sterben im Kosovo zu beenden, sind neue politische Initiativen unter Beteiligung
der Vereinten Nationen und damit unter Einschluß
Rußlands unverzichtbar. Gleichzeitig muß die Europäische Union ein umfassendes und wirksames Hilfsprogramm zum Wiederaufbau des Kosovo entwickeln.
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, 50 Jahre nach
ihrer Gründung, die zugleich 50 Jahre gesicherten Friedens in Freiheit waren, steht die NATO heute vor einer
neuen, einer schicksalhaften Herausforderung. Vertreibung, ethnische Säuberung und Völkermord mitten in
Europa haben die NATO erstmals in ihrer Geschichte
zum militärischen Handeln gezwungen. Wir führen keinen Krieg, und unsere Aktionen richten sich nicht gegen
das serbische Volk. Aber das Morden und die Vertreibungen dürfen wir nicht hinnehmen, als gingen sie uns
nichts an.
Für uns Deutsche ist die Beteiligung an den NATOAktionen einer der schwersten Schritte, die wir seit dem
Zweiten Weltkrieg gegangen sind. Aber wir schulden
ihn nicht zuletzt unserer Verantwortung vor der Geschichte. Wir schulden ihn unserer Solidarität mit unseren Verbündeten. Aber vor allen Dingen schulden wir
ihn unserer Zukunft, damit Mord und Vertreibung keine
Chance mehr, Menschenrechte, Frieden und Freiheit
hingegen alle Chancen haben.
({14})
Ich erteile das Wort
dem Fraktionsvorsitzenden der SPD, Peter Struck.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist gut, Herr Kollege Schäuble und
liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSUFraktion und von der F.D.P.-Fraktion, daß wir uns in
dieser für unser Land sehr wichtigen Frage einig sind.
({0})
Ich möchte hier allerdings - der Kollege ist zwar gerade nicht anwesend - für meine Fraktion deutlich ausdrücken, wie peinlich ich den Vorgang des Besuches
von Herrn Gysi in Belgrad und seine Begegnung mit
Herrn Milosevic finde,
({1})
und darauf hinweisen, daß mir hier eine Zeitung vorliegt, herausgegeben von der PDS im Deutschen Bundestag, in der der Bundesminister der Verteidigung, Herr
Kollege Rudolf Scharping, als „Kriegsminister“ diskreditiert wird.
({2})
Ich weise diese Unerhörtheit deutlich zurück.
({3})
Ich nehme das zum Anlaß, an dieser Stelle gerade auch
Herrn Verteidigungsminister Scharping für sein sehr besonnenes Auftreten in der Kosovo-Krise zu danken.
({4})
Seit unserer letzten Debatte haben sich die Ereignisse
im Kosovo dramatisch zugespitzt. Wir alle mußten mit
ansehen, wie das Morden, Zerstören und Vertreiben der
albanischen Bevölkerung im Kosovo durch die serbische
Soldateska eine kaum für möglich gehaltene Dimension
angenommen hat. Fast die Hälfte der albanischen Bevölkerung wurde in die Nachbarstaaten vertrieben und
deportiert. Schätzungsweise 300 000 Kosovaren befinden sich im Kosovo auf der Flucht vor der serbischen
Gewaltmaschine. Tag für Tag ein nicht enden wollender
Strom zutiefst traumatisierter Menschen, die die Landesgrenzen überqueren: verletzt, gedemütigt, beraubt, in
Trauer um ermordete Verwandte, Freunde und Nachbarn, in Sorge um verschleppte Söhne und Ehemänner.
Am Ende dieses an Schrecken reichen Jahrhunderts
versucht noch einmal ein wahnwitziger, machtbesessener Diktator, eine ganze Volksgruppe zu vertreiben oder
auszulöschen und seinem rassistischen Ziel eines „ethnisch reinen“ Serbiens näherzukommen.
Diese Beschreibung der Lage wird von allen Mitgliedern meiner Fraktion geteilt. In der Beurteilung der
Konsequenzen und der zu ergreifenden Schritte gibt es
in meiner Fraktion und auch in meiner Partei jedoch einzelne Mitglieder, die das, was ich dazu ausführe, nicht
teilen und eine andere Auffassung vertreten. Ich halte
dies nicht nur für legitim, sondern bekunde ihnen gegenüber meinen Respekt.
({5})
Der NATO ist es bisher nicht gelungen, Milosevic
von diesen Greueltaten im Kosovo abzuhalten. Dies allerdings zur Begründung für eine Feuerpause oder einen
Waffenstillstand anzuführen bedeutet, Ursache und
Wirkung für die entstandene Lage zu verwechseln. Seit
1989 verfolgt Milosevic seine chauvinistische Idee eines
„ethnisch reinen“ Großserbiens. Er hat dafür bisher
Kriege gegen Slowenien, Kroatien und BosnienHerzegowina geführt.
Ich will an dieser Stelle sagen: Ich empfinde es als
einen großen Mangel unserer Politik, daß wir ihm nicht
früher, Herr Kollege Schäuble, in Sachen BosnienHerzegowina in den Arm gefallen sind. Wir müssen jetzt
die Konsequenzen aus diesem Verhalten ziehen.
({6})
Seit Frühjahr 1998 führt Milosevic in großem Stil
Vertreibungsaktionen und Dorfzerstörungen im Kosovo
durch. Nach und während des Holbrooke-MilosevicAbkommens ist der Vertreibungsplan „Hufeisen“ entworfen und in die Tat umgesetzt worden, während
Milosevic seine Leute am Verhandlungstisch sitzen ließ.
Dieser Plan sieht die Entvölkerung des Kosovo von
Albanern vor. Dies darf nicht zugelassen werden.
({7})
Die NATO-Luftangriffe setzten ein, als alle Versuche der friedlichen Konfliktbeilegung an der fortdauernden Gewaltpolitik der serbischen Führung gescheitert
waren. Sie jetzt auszusetzen bedeutet, Milosevic freie
Hand zu geben, ihn ungestört sein Werk zu Ende bringen zu lassen. Wenn wir Europa als Kontinent des Friedens, der Freiheit und der Demokratie bewahren wollen,
dann dürfen wir völkische Gewaltpolitik auf seinem Boden nicht zulassen.
({8})
Milosevic muß sich darüber im klaren sein: Er wird
seine politischen Ziele nicht erreichen. Wir lassen seine
barbarischen Verbrechen nicht ungestraft geschehen. Je
länger er daran festhält, um so höher wird der Preis, den
er bezahlen muß. Ein Ende der Gewalt- und Vertreibungspolitik liegt auch im Interesse des serbischen Volkes. Es bezahlt seit vielen Jahren für die Machtbesessenheit seines Präsidenten mit wirtschaftlicher Armut,
geringem Lebensstandard sowie politischer Unterdrükkung und Bevormundung.
Wir - ebenso wie die NATO - führen keinen Krieg
gegen das serbische Volk. Unser Ziel ist einzig und allein die Beseitigung des Schreckensregimes der serbischen Regierung im Kosovo.
Daher ist es richtig, daß die NATO die Luftangriffe
verstärkt und der Druck auf Milosevic erhöht wird. Es
geht uns nicht um die Kapitulation Serbiens, sondern um
die Schaffung von Voraussetzungen für eine politische
Lösung.
Daher unterstützt die sozialdemokratische Bundestagsfraktion die Bemühungen der Bundesregierung, in
Übereinstimmung mit der Europäischen Union, der
NATO und dem Generalsekretär Kofi Annan, Belgrad
zu Abmachungen zu bewegen, die beinhalten, daß alle
Kampfhandlungen sofort und überprüfbar eingestellt
werden, alle militärischen und paramilitärischen Kräfte
sowie die Sonderpolizei nachprüfbar aus dem Kosovo
abgezogen werden, der Stationierung internationaler Sicherheitskräfte im Kosovo zugestimmt wird, die Rückkehr aller Deportierten bedingungslos ermöglicht sowie
den Hilfsorganisationen ein ungehinderter Zugang zu
den Opfern gewährt wird und daß der Versuch eines
politischen Rahmenabkommens für das Kosovo auf der
Basis der Abmachungen von Rambouillet unternommen
wird. Ein überprüfbares Angehen dieser Punkte würde
unmittelbar zu einer Aussetzung bzw. Beendigung der
NATO-Luftschläge führen.
Wie wir mit großer Genugtuung verfolgen, Herr
Bundeskanzler, hat die Bundesregierung eine Reihe von
diplomatischen Aktivitäten in Gang gesetzt, um die Umsetzung dieser politischen Ziele zu erreichen. Ihre Initiative, den Generalsekretär zum Sondergipfel einzuladen, und Ihre Bemühungen, Herr Außenminister Fischer, Rußland über eine G-8-Initiative wieder zur Mitwirkung am politischen Gestaltungsprozeß für das Kosovo zu bewegen, begrüßen wir ausdrücklich. Sie haben
unsere volle Unterstützung.
({9})
Ich glaube, daß wir alle in diesem Haus uns einig
sind, daß eine tragende Rolle Rußlands und eine entsprechende Beschlußlage des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen die Aussichten für eine dauerhafte Friedensregelung für das Kosovo verbessern, wenn nicht gar
erst ermöglichen werden. Dies vor allem deshalb, weil
wir eine Lösung anstreben müssen, die die Interessen
und Rechte der albanischen Bevölkerungsmehrheit im
Kosovo mit den Stabilitätsanforderungen der Region
und ganz Südosteuropas verbindet. Das schließt bis auf
weiteres eine Eigenstaatlichkeit und Teilung des Kosovo
ebenso aus wie seine Unterordnung unter die serbische
Staatsautorität.
Daher teile ich die Überlegungen der Bundesregierung hinsichtlich ihres Friedensplanes, für einen längeren Zeitraum eine von den Vereinten Nationen autorisierte Übergangsverwaltung einzurichten, deren Autorität durch entsprechend mandatierte Friedenstruppen sichergestellt werden muß. Ich stimme Ihnen zu, Herr
Kollege Schäuble, daß man nicht zu sehr auf die Details
eingehen sollte, was die künftige Regelung angeht. Die
Zielrichtung aber ist klar, und in der Zielrichtung sind
wir uns einig.
Ich will an dieser Stelle betonen, meine Damen und
Herren, daß wir nicht nur die Leistungen der mazedonischen Regierung, sondern vor allen Dingen der mazedonischen Bevölkerung mit großem Respekt zur
Kenntnis nehmen sollten, die die Flüchtlinge bei sich zu
Hause aufgenommen hat.
({10})
Wir wissen, wie schwer es gerade für dieses Land ist,
diese zusätzlichen Lasten zu tragen. Daß sich daraus für
uns eine politische und auch finanzielle Verantwortung
ergibt, muß uns allen klar sein.
({11})
Meine Damen und Herren, es ist richtig, daß im Augenblick alle Kräfte auf eine Rückkehr zu einer friedliDr. Peter Struck
chen Konfliktbeilegung im Kosovo konzentriert werden.
Es ist richtig, daß wir versuchen wollen, die friedenstiftenden Wirkungen der europäischen Integration mit den
vertrauensbildenden Erfahrungen aus der Entspannungspolitik zu verbinden. Wir müssen den Völkern und
Staaten in Südosteuropa eine europäische Perspektive
bieten, sie nachhaltig in den euro-atlantischen Strukturen
verankern. Davon darf kein Staat ausgeschlossen werden.
Kofi Annan hat in seiner Rede vom 7. April in Genf
unter Bezugnahme auf die ethnischen Säuberungen im
Kosovo darauf hingewiesen, daß eine internationale
Rechtsnorm in der Entwicklung begriffen sei, die das
Verbot von gewaltsamer Unterdrückung von Minderheiten höher einstuft als Belange der Staatssouveränität.
Herr Bundeskanzler und Herr Bundesaußenminister, ich
wünsche mir, daß die Bundesregierung und die Europäische Union diese Einlassungen des Generalsekretärs der
Vereinten Nationen aufgreifen und durch eine eigene
Initiative verstärken. Wir müssen eine Völkerrechtssituation erreichen, die zukünftig verhindert, daß sich
Völkermörder und völkische Gewaltverbrecher hinter
dem Schutzschild nationaler Souveränität verstecken
können, wie Kofi Annan es treffend ausgeführt hat.
({12})
Dies entspricht nicht nur unseren Auffassungen, die wir
den Entscheidungen für den NATO-Einsatz im Kosovo
zugrunde gelegt haben, sondern würde auch dem Kampf
um den Schutz der Freiheit und der Würde des Menschen ein neues historisches Kapitel hinzufügen.
Meine Damen und Herren, zusammenfassend kann
ich - sicherlich für die überwältigende Mehrheit im
Haus - festhalten, daß der Deutsche Bundestag fest hinter der Bundesregierung und der NATO steht, daß wir
die von der Bundesregierung angeregten diplomatischen
Bemühungen um eine politische Lösung außerordentlich
begrüßen und hoffen, daß sie möglichst bald zu einem
Ende der Gewalt im Kosovo führen.
({13})
Unser Dank gilt den selbstlosen Helfern des Technischen Hilfswerks und der Nicht-Regierungsorganisationen, die vor Ort den Menschen tatkräftig zur Seite
stehen.
({14})
Ich spreche sicherlich in unser aller Namen, wenn ich
abschließend besonders unseren Soldaten danke, die
durch ihren großen Einsatz zu einem unersetzlichen
Faktor der humanitären Hilfe für die vertriebenen und
geschundenen Kosovaren geworden sind.
({15})
Das Wort hat nun
Kollege Wolfgang Gerhardt, Vorsitzender der F.D.P.Fraktion.
Herr Präsident!
Meine Damen und Herren! Der Kollege Struck hat, persönlich verständlich und zu Recht, die Frage ausgedrückt, warum Demokratien eigentlich so lange gebraucht haben, um einem Tyrann in den Arm zu fallen.
Das führt mich zurück auf die Feststellung, daß, wie
wir alle wissen, Europa selbst lange Zeit hat verstreichen
lassen, bis es die tatsächliche Lage so bewertet hat, wie
sie bewertet werden mußte. Wir erinnern uns an viele
Debatten, die eher über die alten Bündnispartnerschaften
des zweiten Weltkrieges, die heutigen Verbündeten in
den westlichen Demokratien, ausgetragen wurden als
mit Blick auf die tatsächliche Lagebeurteilung.
({0})
Ich erinnere auch an viele Fehleinschätzungen der Vereinigten Staaten von Nordamerika, die uns immer gerne
Ratschläge erteilen, wie wir das in Europa handhaben
müssen, aber damals mit einem Fernglas auf Jugoslawien gesehen haben, ohne einmal die Lupe zur Hand zu
nehmen, um zu untersuchen, was sich dort wirklich
vollzieht.
Der Gang, den Kollege Struck erwähnt hat - über
Slowenien, Kroatien und Bosnien-Herzegowina -, war
ja erkennbar. Die Unverträglichkeit und der Haß breiteten sich ja geradezu mit täglicher Steigerung aus - im
übrigen nicht nur bei Milosevic, sondern auch bei anderen Erben des früheren Jugoslawien, aber bei Milosevic
in ihrer brutalsten Form. Dies hat Europa lange verdrängt, in der Kette von Slowenien über Kroatien bis
Bosnien-Herzegowina. Das gilt auch für führende Persönlichkeiten, die unsere Verbündeten sind.
Deshalb kann nicht darauf verzichtet werden, sich an
Debatten, die wir 1995 in diesem Hause über Bosnien
geführt haben, zu erinnern. Da war für diejenigen, die
nicht blind waren, schon klar, was sich dort vollzieht.
Trotzdem war die politische Bereitschaft, ein Mandat für
Friedenserhaltung zu schaffen, auch in diesem Hause
nur bei Teilen ausgeprägt. Ich erlebte damals, daß sich
der jetzige Außenminister nach meiner Rede komplett
gegenteilig aussprach. Das ist kein Vorwurf; denn solche Skrupel gehören zu den Wesensmerkmalen einer
Demokratie. Aber manche, die heute auf der Regierungsbank sitzen, haben in den damaligen Debatten keine Lorbeeren geerntet. Das muß eindeutig gesagt werden.
({1})
Es ist zum Teil auch von daher verständlich, weil sich
die Deutschen immer international klar geordnete Verhältnisse wünschen. Nur leider will sich die Wirklichkeit
- das lernen wir ja jetzt wohl kennen - diesen Wünschen
nach Ordnung, die von netten Leuten gehegt werden,
nicht immer so beugen, wie das ordentlichen Leuten
wünschenswert erscheint. Als dann urplötzlich die Zeiten, in denen sich andere - Deutschland war geteilt; es
gab die Vier-Mächte-Verantwortung - um die Probleme
der Welt kümmerten, vorbei waren, da wurden die Fragen für uns sehr drängend, und sie stellten sich sehr klar.
Jetzt erleben wir - das muß man doch ungeschminkt
sagen -, daß die Reaktion der westlichen Staatengemeinschaft am Ende einer Kette von vielen Verdrängungen, von zeitweiligem Wegschauen steht. Es sind in einer Demokratie wichtige Sperren, wenn man Skrupel
hat; sie gehören sogar zum Wesensmerkmal einer Demokratie. Aber die Frage ist schon richtig, warum wir
denn alles bis zur Neige durchleben müssen, bevor wir
Entscheidungen treffen können. So ist die gesamte
Nachkriegsgeschichte westlicher Demokratien abgelaufen; so stellt sich ihre Fähigkeit zur Reaktion auf Tyrannen und Despoten dar. Wie in einem Brennglas kann
man darin auch die Geschichte der Reaktion auf das
Auseinanderfallen des früheren Jugoslawien sehen.
Jetzt befinden wir uns in einer Situation, die man klar
beschreiben muß, wie immer auch diese Beschreibung
ausfällt. Wir befinden uns in der Situation, daß dort ein
Krieg stattfindet, in den wir zum erstenmal deutsche
Soldaten - legitimiert, mandatiert - entsandt haben. Wir
müssen eigentlich unserer deutschen Gesellschaft ein
großes Kompliment dafür machen, daß sie in einer derartigen Klugheit, Vielfalt und Eindringlichkeit diese
dramatische Situation diskutiert. Man sollte sich nicht
öfter solchen Proben unterwerfen. Ich bewundere schon
den Reifegrad vieler Diskussionen in einer stabilen
deutschen Demokratie.
({2})
Es gibt kontroverse Meinungen in der Sache, aber der
Vorgang ist doch bemerkenswert. Hierbei handelt es
sich ja nicht um eine der üblichen Debatten, die wir in
Situationen des Streits über innenpolitische Vorgänge
oder auch über andere große Themen führen. Hierbei
handelt es sich zum erstenmal um eine Debatte, die auch
zur Folge haben kann, daß sie Mitbürgerinnen und Mitbürgern, sprich: die deutschen Soldaten bei einem Einsatz, das Leben kosten könnte. Daß dies nicht geschehen
ist, darüber freuen wir uns. Aber daß das Risiko hoch ist,
das ist doch jedem bei diesem Thema bewußt. Deshalb
muß der Deutsche Bundestag - da stimme ich mit Kollegen Schäuble völlig überein; die deutsche Öffentlichkeit tut es ja auch - immer den Druck dahin gehend aufrechterhalten, daß neben strategischen Luftoperationen
auch politische Lösungen angestrebt werden. Es geht
nur in einer Mixtur, in einer Zwei-Wege-Strategie.
Ganz entscheidend wird sein, ob die Kräfte Rußlands
ausreichen - oder ob man Rußland die Kraft dazu verschaffen kann -, einen Weg zu finden, der bewirken
kann, daß man sich in diesem großen Land nicht nur
ausschließlich damit beschäftigt, den Zusammenbruch
der früheren Sowjetunion zu verarbeiten. Die Binnenorientierung und die Fragmentierung der russischen Politik
müssen überwunden werden. Man fragt heute ja so neudeutsch, ob dieses Land die Kraft hat, die eigene Demokratie zu stabilisieren und andernorts in der Welt mit uns
zusammen alles dafür zu tun, daß freiheitliche Gesellschaften sozusagen implementiert werden. Diese ernsthafte Frage stellt sich.
Die alte Rolle kann Rußland nicht mehr spielen. Es
kann nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion keine
falsche Selbstvergewisserung mehr betreiben. Das sozialistische System ist ja wie ein Gletscher gewesen, der
sich über alles gelegt hat. Nachdem nun das Eis des
Gletschers weg ist, suchen manche nach europäischer
Orientierung, manche noch nicht. Manche betreiben eine
falsche ethnische Selbstvergewisserung. Wir müssen
den Kräften helfen, die eine europäische Orientierung
suchen.
({3})
Wir müssen sogar ein massives Interesse daran haben,
daß sie sie finden, und wir müssen sogar alles dafür tun,
damit unser großer Nachbar Rußland im übertragenen
Sinne die Chance bekommt, auf dem Wege dorthin Erfolgserlebnisse zu haben. Das muß die Haltung deutscher Politik sein.
({4})
Diese müssen wir ausstrahlen; die müssen wir Rußland
auch mitteilen. Es genügt nicht, wenn wir darüber nur
im Bundestag debattieren. Jeder von uns muß bei allen
Begegnungen - keine Reise dorthin darf uns jetzt eine
Reise zuviel sein - den russischen Politikern das auch
sagen. Wir müssen ihnen sagen: Wir brauchen euch; wir
brauchen Rußland. Das müssen wir Rußland sagen. Ohne Rußland wird es zu keiner Lösung dieses Problems
kommen. Das ist ausgeschlossen.
({5})
Wer das weiß, muß dann entsprechend reagieren.
Meine Damen und Herren, militärisch wird entscheidend sein, ob Milosevic im Kosovo alsbald die Hände
gebunden werden können. Meine größte Ungeduld gilt
nahezu täglich der Frage, wann endlich die paramilitärischen Organisationen, das jugoslawische Militär auf
dem Boden des Kosovo gestoppt werden können. Ich
warte mit Ungeduld auf all das, was bisher angekündigt
worden ist. Denn der Kosovo ist ein besonderes Problem: Milosevic standen in allen Teilen Jugoslawiens
bisher Strohmänner für den Einsatz von Gewalt zur Verfügung, während er jetzt selbst ganz klar der Verantwortliche für das Vorgehen, und zwar nicht nur für die
Repressionen, für die Plünderungen und Vertreibungen,
für die Vergewaltigungen, sondern auch für den
schlichten Mord, ist. Er ist kein Staatschef, er ist ein
Kriegsverbrecher. Das ist ganz eindeutig und kein überhöhter Ausdruck.
({6})
Ich sage deshalb für die Freien Demokraten: Es gibt
keine Alternative zu der Strategie der NATO, zu dem
militärischen Einsatz. Wir dürfen auch nicht zögern. Der
Einsatz muß fortgesetzt werden, und er kann, solange
dieser Tyrann wütet und politisch nicht einlenkt, keinen
Tag ausgesetzt werden. Wir sind in einer Situation - so
paradox das auch klingt -, in der für die Öffentlichkeit,
für die Weltgemeinschaft, für die Menschen dort die
Menschenwürde nicht anders als mit militärischen Mitteln durchgesetzt werden kann. Alles andere ist in dieser
Diskussion keine brauchbare Alternative.
Meine Damen und Herren, für eine Lösung des Problems wird es natürlich nicht reichen, die Flüchtlinge
zurückzuführen. Für eine Lösung des Problems sehen
wir heute schon weit über Rambouillet hinaus, daß für
die gesamte Region ein Stück ökonomische Stabilität
und Lebensperspektiven für die Menschen geschaffen
werden müssen. Das ist seit Bestehen der Europäischen
Union ihre größte Bewährungsprobe.
Das ist eine schwierige Situation, aber es ist für die
Europäische Union und für uns als Politiker in
Deutschland gleichzeitig eine Chance, deutlich zu machen, daß sich die Europäische Union in unserem Verständnis nicht in den Themenbereichen Milchseen, Butterberge, Struktur- und Kohäsionsfonds, ja nicht einmal
im deutschen Nettozahlerbeitrag erschöpft, sondern auch
zu einer gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik fähig ist; denn sonst wird sie an Respekt und Ansehen
verlieren. Ich sage trotz aller Bemühungen der Bundesregierung: Die Stimme der Europäischen Union muß in
dieser Situation kräftiger werden. Sie muß deutlich machen, daß sie auf Krisen glaubwürdig reagieren kann.
({7})
Der frühere Außenminister Hans-Dietrich Genscher
hat einmal gesagt, die Europäische Gemeinschaft sei die
moralische Konsequenz aus der Geschichte europäischer
Bruderkriege. Er hat hinzugefügt, wenn sie nichts anderes bewirkt hätten, als daß Kriege unter ihren Mitgliedern niemals mehr möglich sein werden, dann hätte sich
schon deshalb ihre Existenz gelohnt.
Deshalb will ich die junge Generation in Deutschland
und uns alle daran erinnern, daß es nicht ausreicht,
kleinliche Kritik an der Brüsseler Bürokratie zu üben.
Die Europäische Union ist entstanden, weil es Menschen
gab, die nicht nur aus den Geschichtsbüchern Kenntnisse über Hitler und Stalin hatten und nie mehr wollten,
daß auf diesem Kontinent die alten Dämonen wieder
aufwachen und sich Zutritt verschaffen. In einer solchen
Situation leben wir. Wir haben es nicht für möglich gehalten, daß am Ende dieses Jahrhunderts wieder Phänomene zur Erscheinung kommen, die den Beginn dieses
Jahrhunderts so dramatisch gestaltet haben.
Niemand darf in Europa mit Haltungen, wie Milosevic sie prägt, am Ausgang dieses Jahrhunderts Menschen bedrohen, und wenn es geschieht, darf die Völkergemeinschaft nicht tatenlos zusehen. Wenn es vorbei
ist, muß den Gesellschaften geholfen werden, die sich so
verblenden ließen. Auch dazu gibt es keine Alternative,
wie wir Deutschen am eigenen Leib nach 1945 erfahren
haben.
({8})
Wir wissen, was dort getan werden muß, wenn auch das
serbische Volk wieder eine Chance erhalten soll.
Die deutschen Soldaten wie auch die Soldaten der
Verbündeten und ihre Familien haben unseren Rückhalt.
Wir danken ihnen und ihren Angehörigen. Wir bedanken uns bei den Hilfsorganisationen für ihre vielen
humanitären Bemühungen. Wir sind - so hat es der
Bundeskanzler gesagt - dankbar für die große Spendenbereitschaft in Deutschland.
Herr Bundeskanzler, die Bundesregierung hat die
Unterstützung der F.D.P. für den unumgänglichen Einsatz militärischer Mittel im Bündnis. Wir sind in einem
selbstbewußten Parlament, das alle Mittel der parlamentarischen Kontrolle hat, das Mandatierungen nach
Lageeinschätzung begrenzt, erneuert oder verändert. Es
bleibt aber ständiger Auftrag für das Primat des Politischen: Es gibt keinen Automatismus des Militärischen,
und es kann ihn nicht geben. Es kann streckenweise Einsätze von militärischen Mitteln geben, um politische
Ziele durchsetzungsfähig zu machen; am Ende müssen
es aber politische Ziele sein. Das heißt - an die Adresse
der Bundesregierung gesagt -: Dieser policy mix aus
strategischen Luftoperationen der NATO, zugleich aber
täglichen Versuchen politischer Initiativen ist die Regierungskunst, die jetzt erforderlich ist. Am Ende darf Milosevic nicht siegen. Ich füge sogar persönlich hinzu:
Am Ende kann er auch nicht wieder Verhandlungspartner werden, nach all dem, was er getan hat.
({9})
Herr Bundeskanzler, die politischen Ziele, die notwendige Haltung und die Bündnisfähigkeit, über die Sie
vorgetragen haben, werden von der Opposition - ich erkläre das jedenfalls für meine Kolleginnen und Kollegen
aus der Bundestagsfraktion der Freien Demokratischen
Partei - voll unterstützt. Ich habe manchmal sogar das
Gefühl, daß unsere Unterstützung viel stärker und klarer
ist als die Unterstützung aus den Reihen der Koalitionspartei, die Sie gewählt haben.
({10})
Darüber müssen Sie sich keine Sorgen machen; da können Sie sich in Ihrer Arbeit entlasten. Die Politik der
Bundesregierung im Bündnis ist so stabil, weil die Opposition in diesem Hause so stabil ist.
({11})
Eine solche Haltung hätte sich die frühere Bundesregierung von manchen Kolleginnen und Kollegen, die jetzt
in der Verantwortung sind, gewünscht, als es ebenfalls
um ernsthafte Fragen ging.
({12})
Skrupel haben auch wir. Krieg mögen auch wir nicht.
Deshalb sind die Einfachheit und Schlichtheit, die Herr
Kollege Gysi in seiner Argumentation immer verwendet,
so absurd. Hier sitzen sich doch nicht Lager in den Alternativen Krieg oder nicht Krieg gegenüber.
Wahr ist aber auch, was Brzezinski, der Sicherheitsberater des früheren amerikanischen Präsidenten Carter,
in einer großen deutschen Tageszeitung einfach, klar,
streitig, aber wahrheitsgemäß, ausgeführt hat - ich zitiere ihn -:
Unzweideutig steht mittlerweile mehr auf dem
Spiel als das Schicksal des Kosovo. Die Voraussetzungen haben sich an dem Tag dramatisch verändert, an dem das Bombardement begann. Ohne zu
übertreiben ist festzustellen, daß ein Scheitern der
NATO das Ende ihrer Glaubwürdigkeit wäre und
gleichzeitig die globale Führungsrolle der Vereinigten Staaten in Mitleidenschaft geriete. Die Folgen wären verheerend für die globale Stabilität.
Ich sage diese drastischen Worte ganz klar: Wir
müssen dort gewinnen - und zwar militärisch wie politisch -, um überhaupt Verantwortung in einer Welt, die
auf freiheitliche Gesellschaften zugeht, wahrnehmen zu
können. Der Tyrann darf nicht siegen - weder militärisch noch politisch.
({13})
Uns, allen Abgeordneten meiner Fraktion, ist das klar.
Deshalb bleibt - mit der Begründung unserer Haltung
zur Unterstützung der Bundesregierung - am Ende übrig, Ihnen, Herr Bundeskanzler, weiterhin viel Erfolg bei
der Überzeugungsarbeit in Ihren eigenen Reihen, bei Ihren Koalitionsparteien, zu wünschen. Die F.D.P. hat, wie
alle Demokraten, lange gezögert und sich nicht leichtgetan mit den Entscheidungen, wie wir sie dann treffen
mußten. Der frühere Bundesaußenminister Kinkel und
der frühere Bundeskanzler Kohl haben in ihrer Verantwortung Abwägungsprozesse unternommen, die in der
Qualität in nichts den Abwägungsprozessen nachstehen,
die Sie heute bewältigen müssen und die immer positives Kennzeichen von Demokratien sind. Aber sie und
auch wir haben in dieser Zeit genau gewußt, daß Demokratien nicht nur Sonnenscheinveranstaltungen sind,
sondern irgendwann - weil in manchen Völkergemeinschaften menschliche Charaktere das Licht der Welt erblicken, die politisch nicht so denken, wie es ordentlichen Menschen wünschenswert erscheint - notfalls auch
zu letzten Mitteln greifen müssen, um denjenigen Einhalt zu gebieten, die plündern, vergewaltigen und morden.
Ich kann mich nur begrenzt in einer Diskussion aufhalten, in der feinsinnig bedauert wird, daß die alte
Nachkriegsweltordnung nicht mehr möglich ist, weil
dieser Einsatz vom Sicherheitsrat nicht in der klassischen Form mandatiert worden sei. Das kann ich keinem
Menschen vermitteln, der mit einem Gewehr bedroht
wird, dem mit dem Messer die Kehle durchgeschnitten
wird, der auf einen Traktor gesetzt wird, fünf Minuten
Zeit hat, sein Haus zu verlassen - beim Verlassen des
Dorfes sieht er noch, daß es angezündet wird -, und der
die Demokratien fragt, ob sie denn bei aller Freiheitlichkeit am Ende wehrlos gegenüber solchen Staatsmännern
in Form von Terroristen sind. Diese Frage kann ich nur
so wie Wolfgang Schäuble beantworten.
({14})
Diese Frage ist natürlich schwierig. Man kann uns
vorhalten, daß wir uns nicht auf rechtlich sicherer Seite
befinden. Aber ich bin überzeugt, daß wir uns auf der
menschlich sicheren Seite befinden. Darum geht es bei
diesem Einsatz.
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({15})
Das Wort für die
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat Kollege Rezzo
Schlauch.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Als am
Dienstag vergangener Woche die Meldung „Milosevic
bietet einseitige Waffenruhe an“ über die Ticker lief,
habe ich - genauso wie wahrscheinlich viele andere Hoffnung geschöpft. Ich habe Hoffnung darauf geschöpft, daß die Vertreibung der Kosovo-Albaner und
das ihnen von Milosevic zugefügte Leid und Leiden
endlich ein Ende haben und die NATO ihre militärischen Einsätze beenden kann.
Es war auch die Hoffnung darauf, daß sich die tagtägliche Abwägung nicht mehr stellt, ob mit militärischer Gewalt den hunderttausendfachen Menschenrechtsverletzungen an den Kosovo-Albanern Einhalt geboten werden muß. Weil diese Abwägung Tag für Tag
neu getroffen werden muß, ist es wichtig, daß wir uns in
dieser Sitzung mit diesem Thema beschäftigen. Dies geschieht auch in Verantwortung gegenüber den Soldaten
und ihren Familien. Wir schulden den Soldaten für jeden
Tag ihrer gefährlichen Einsätze Dank, den ich von hier
aus zum Ausdruck bringen möchte.
({0})
Drei Wochen nach Beginn der Bombardierungen
durch den NATO-Einsatz gilt es allerdings auch, politisch darüber zu beraten, was bislang diplomatisch und
militärisch erreicht werden konnte, was nicht erreicht
werden konnte und was noch erreicht werden muß. In
der Gesellschaft, aber natürlich auch innerhalb der
Fraktionen gibt es Kritik, Sorgen und Ängste. Diese
müssen wir immer wieder von neuem ernst nehmen,
aufgreifen und auch immer wieder auf den Prüfstand
stellen. Wir müssen immer wieder begründen, warum
wir trotzdem so handeln, wie wir es tun.
Viele Menschen sehen das Risiko einer Ausweitung
des Konfliktes, fürchten eine Eskalation der militärischen Gewalt und fragen sich, wie die Waffen endlich
wieder schweigen können.
Wir alle fragen uns, ob es eine Alternative gibt. Wir
alle sehen jeden Abend die geschundenen, vertriebenen
Menschen im Kosovo und müssen feststellen, daß es
nicht gelungen ist, die von Milosevic systematisch organisierte Deportation einer ganzen Bevölkerungsgruppe
zu stoppen. Annähernd 1 Million Menschen sind auf der
Flucht; sie werden aus ihrer Heimat vertrieben und beraubt; ihre Häuser werden zerstört und die Dörfer dem
Erdboden gleichgemacht. Uns alle treibt die Frage um:
Wie können wir das verhindern? Wie kann diese Barbarei Milosevics gestoppt werden? Wie können wir die
Voraussetzungen dafür schaffen, daß die Menschen in
ihre Heimat zurückkehren können?
Jeder Vorschlag muß aufgenommen, geprüft und
dann verworfen oder auch umgesetzt werden. Ich respektiere die Motive derjenigen, die nach ernsthafter
Abwägung vorschlagen, die NATO-Angriffe teilweise
oder zeitweise auszusetzen, aber ich teile sie nicht. Für
mich verkehrt sich diese Forderung nach einem einseitigen Waffenstillstand durch die zynische Logik Milosevics in ihr Gegenteil. Ein einseitiger Waffenstillstand
durch die NATO würde nur dazu führen, daß Milosevic
das Brandschatzen, das Morden und den von langer
Hand vorbereiteten Plan der Vertreibung der KosovoAlbaner ungestört und vor allem unsanktioniert fortsetzen könnte. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben
gelernt: Dies ist nicht aus der Luft gegriffen. So hat er es
in Bosnien gemacht, indem er Feuerpausen und Entgegenkommen ohne Bedingungen immer ausgenutzt hat,
um militärische und strategische Vorteile aufzubauen.
Krieg ist immer schrecklich. Wir müssen aber genau
hinsehen, wer im Kosovo Krieg gegen wen führt und
wie die Zielsetzungen dieses Krieges aussehen. Milosevic führt Krieg gegen die eigene Bevölkerung. Sein Ziel
sind die Zivilisten. Das Objekt der NATO-Einsätze ist
das Militär, die militärische Unterdrückungsmaschinerie
von Milosevic. Meine Damen und Herren, gerade von
links, ich glaube, das ist der gravierende Unterschied,
den Sie in Ihre Analysen nicht einbeziehen und auch im
vorgelegten Entschließungsantrag nicht berücksichtigen
bzw. so verwischen, daß Täter zu Opfern werden und
Opfer zu Tätern.
({1})
Natürlich ist jede Rakete und jede Bombe, die ihr Ziel
verfehlt und unschuldige Zivilisten trifft, schrecklich,
aber dies ist auf tragisches technisches oder menschliches Versagen zurückzuführen. Bei Milosevic ist es aber
Prinzip, die Zivilbevölkerung treffen und vernichten zu
wollen. Dieses menschenverachtende und menschenrechtsverletzende Prinzip muß durchbrochen werden.
Deshalb sehen wir in der Mehrheit so lange keine überzeugende Alternative zu den militärischen NATOEinsätzen, bis es zu einer politischen Lösung kommt.
({2})
Es gibt auch Stimmen, die sagen, NATO-Einsätze
hätten das Leid der Kosovaren verschlimmert.
({3})
Einige wenige sprechen sogar davon, sie hätten es hervorgerufen.
({4})
Ich kann nur davor warnen, Ursache und Wirkung zu
verwechseln. Es ist nicht die NATO, vor der die Menschen fliehen. Es ist die Soldateska von Milosevic.
({5})
Nicht die NATO hat den Krieg begonnen, sondern die
NATO will diesen Krieg zu Ende bringen.
Ich bin, meine Damen und Herren, jedesmal beeindruckt, wenn ich abends Stimmen aus den Flüchtlingskreisen höre, die, in ihrem tiefsten Elend befragt, unisono sagen: Wir sind dankbar, daß die NATO bombardiert. Wir begrüßen die NATO.
({6})
Dies müssen Sie bei Ihrer Abwägung mindestens genauso mit einbeziehen
({7})
wie die Frage, welche Schäden in Serbien und in Belgrad entstehen.
({8})
Es kann kein Zweifel daran bestehen, daß die Verbrechen von Milosevic gegen die Menschlichkeit von langer Hand geplant waren. Wir wissen, daß im Oktober
letzten Jahres bereits 300 000 Menschen vertrieben worden waren - diese Situation hat dann zum Grundlagenbeschluß des Deutschen Bundestages geführt -, in den
Wäldern des Kosovo auf der Flucht waren und dort ausgeharrt haben. Noch während sich die Völkergemeinschaft im Februar dieses Jahres intensiv um eine diplomatische Lösung bemühte, hat Milosevic gezielt militärische Streitkräfte in großem Umfang in den Kosovo
verlegt.
Milosevic ist jemand, auf den man sich nicht verlassen kann. Das hat die Geschichte gezeigt. Das Abkommen zwischen Milosevic und Jelzin ist sofort gebrochen
worden. Das Friedensabkommen zwischen Holbrooke
und Milosevic ist auch sofort gebrochen worden.
({9})
Daran kann man erkennen, daß Milosevic auch die Zeiten, in denen man sich um eine friedliche und politische
Lösung bemüht hat, nur genutzt hat, um seine ethnische
Kriegsführung vorzubereiten und durchzuführen. Deshalb können für eine Beendigung der NATO-Einsätze
von Milosevic nicht mehr Worte, sondern nur noch Taten zählen. Diese Taten bestehen in der sofortigen Einstellung der kriegerischen Handlungen und im sofortigen Rückzug aller militärischen Kräfte aus dem Kosovo.
({10})
Der jetzt von der Bundesregierung vorgelegte Friedensplan bietet noch einmal die Chance zu einer friedlichen Lösung. Dabei ist es im Interesse der KosovoAlbaner unverzichtbar, daß Milosevic mit dem Abzug
der militärischen Kräfte verifizierbar beginnen muß, bevor eine befristete Unterbrechung der NATO-Angriffe
erfolgen kann.
Diese Initiative zeigt auch, daß von seiten der Bundesregierung nichts, aber auch gar nichts unversucht
gelassen wurde und wird, um im Vorfeld, aber auch
während der militärischen Auseinandersetzung eine
politische Lösung zu erreichen. Aber eine politische Lösung setzt den glaubhaften Willen zur Politik auf seiten
Milosevics voraus. Solange dieser Wille nicht zu erkennen ist, sieht die überwiegende Mehrheit meiner Fraktion keine andere Möglichkeit, als Milosevic mit militärischen Mitteln die Fähigkeit zur ethnischen Kriegsführung zu nehmen.
Ich glaube, daß es an dieser Stelle notwendig ist - das
haben auch alle meine Vorredner getan -, den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der deutschen Hilfsorganisationen, die in den Regionen, in die die Menschen fliehen, einen unermüdlichen Einsatz leisten, und auch den
Soldaten in Mazedonien, die ja humanitäre Hilfe leisten
und damit das Leid der gepeinigten Menschen lindern,
herzlich zu danken.
({11})
Wir müssen alles tun, um die Länder zu unterstützen,
in denen die Menschen Zuflucht suchen. Milosevics
teuflischer Plan, durch Vertreibung auch die Nachbarländer zu destabilisieren, darf nicht aufgehen. Um das zu
verhindern, werden auch finanzielle Hilfen nicht ausreichen. Die Europäische Union ist aus unserer Sicht noch
zu viel größeren Anstrengungen aufgefordert. Sie ist
aufgefordert, einen geringen Teil - er ist winzig im Vergleich zum gesamten Flüchtlingselend - der Flüchtlinge
vorübergehend aufzunehmen, bis sie wieder in ihre
Heimat zurückkehren können. Die Zusage unseres Landes, 10 000 Menschen aufzunehmen, ist ein erster
Schritt. Ich glaube, er wird nicht ausreichen.
Auch und gerade in unserem Land gibt es eine große
Welle der Hilfsbereitschaft. Menschen spenden Millionenbeträge. Viele sind bereit, Flüchtlinge bei sich aufzunehmen. Das zeigt, daß Deutschland mit seiner Zusage, 10 000 Flüchtlinge aufzunehmen, noch nicht am Ende seiner Hilfsbereitschaft angelangt ist. Wir dürfen und
wir sollten die Hilfsbereitschaft der Menschen nicht ins
Leere laufen lassen.
({12})
Meine Damen und Herren, insbesondere auch von der
PDS, im Kosovo kämpft eine Staatengemeinschaft nicht
aus egoistischen oder chauvinistischen Motiven, sondern
für die Menschenrechte und die Interessen einer unterdrückten Bevölkerungsgruppe. Die Staatengemeinschaft
entscheidet nicht aus deutschem, aus amerikanischem
oder aus NATO-Interesse; sie entscheidet einzig und allein im Interesse der Menschen im Kosovo, der KosovoAlbaner und des seit Jahren unterdrückten Volkes.
Im Kosovo erleben wir auf unserem Kontinent nach
Bosnien zum zweitenmal, was wir eigentlich längst für
Geschichte gehalten haben, nämlich das Aufbrechen von
Konflikten auf Grund eines hemmungslosen Nationalismus. Europa, ein integriertes Europa, das ist zugleich
die - wenn auch langfristige - Antwort auf die Frage,
wie der Balkan dauerhaft zur Ruhe kommen kann. Um
Frieden dauerhaft zu schaffen, wird es darauf ankommen, den Ländern in enger Abstimmung mit Rußland
eine Perspektive zu geben. Wir wissen, daß nur eine
politische Lösung eine dauerhafte Lösung sein kann,
und müssen doch feststellen, daß Milosevic alle politischen Initiativen bisher nur dazu genutzt hat, seine
Kriegsführung zu perfektionieren.
Wir haben die Forderung „Nie wieder Krieg“ immer
vertreten und damit natürlich auch gemeint: Nie wieder
Völkermord. Milosevic zerreißt mit seinem verbrecherischen Handeln die Identität dieser beiden Forderungen.
Wir müssen erkennen, daß sich die Durchsetzung der
Forderung „Nie wieder Völkermord“ in diesem Fall leider nur mit militärischen Mitteln erreichen läßt.
({13})
Meine Damen und Herren Kollegen von der PDS,
wenn ich lese, daß Ihr Vorsitzender eine Pressekonferenz unter dem Titel „Zur aktuellen Lage im Kosovo
und die Mitgliederentwicklung der PDS“ abhält, dann
muß ich sagen: Durch diesen Titel werden Ihre Meinung
und Ihre Haltung zu diesem Konflikt klarer als durch
viele Reden.
({14})
Der von Außenminister Fischer vorgelegte Plan weist
einen Weg zum Frieden. Solange Milosevic keinen
ernsthaften Willen zum Frieden zeigt, bleibt keine andere Wahl, als diesem brutalen Diktator militärisch die
Möglichkeit zur Fortsetzung seiner ethnischen Kriegsführung zu nehmen.
Ich bin gerne bereit, meine Meinung zu revidieren,
wenn mir jemand eine überzeugende Alternative nennen
kann. Die Mehrheit unserer Fraktion sieht sie zum jetzigen Zeitpunkt nicht.
Danke schön.
({15})
Das Wort hat nun
der Fraktionsvorsitzende der PDS, Gregor Gysi.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Bundeskanzler, Sie haben angemerkt, wir als PDS müßten aufpassen, nicht von der
fünften Kolonne Moskaus zur fünften Kolonne Belgrads
zu werden.
({0})
Ich erinnere mich noch gut an eine Zeit, als die
CDU/CSU der SPD vorwarf, die fünfte Kolonne Moskaus zu sein. Das war im Rahmen der damaligen Entspannungspolitik.
({1})
Ich frage mich, was ein solcher Vorwurf eigentlich soll.
Wenn ich mich heute auf eine Reise begeben, nach
Tirana fahren, dort mit politischen Vertretern sprechen,
Flüchtlingslager besuchen und mit Flüchtlingen sprechen würde: Wäre die PDS dann die fünfte Kolonne Albaniens? Was soll das?
Sie wissen, daß es in Italien eine Regierungspartei wir sind eine Oppositionspartei - gibt, deren Regierung
den Krieg der NATO gegen Jugoslawien mit beschlossen hat. Italien nimmt also teil. Der Vorsitzende dieser
zur Regierung gehörenden kommunistischen Partei heißt
Cossuta. Er hat das kritisiert, ist dennoch in der Regierung und ist unmittelbar nach Beginn des Bombardements nach Jugoslawien gefahren und hat dort mit vielen gesprochen, auch mit Milosevic. Trotz dieser großen
Differenzen innerhalb der Regierung käme dort niemand
auf die Idee, ihn deshalb zur fünften Kolonne zu erklären oder sein Verhalten auch nur schädlich zu finden. Im
Gegenteil, es wurde begrüßt, und man hat über die Ergebnisse diskutiert. Warum können wir nicht wenigstens
soviel Kraft aufbringen?
({2})
- Sie haben im Laufe Ihrer Geschichte doch mit so vielen Diktatoren und übrigens auch mit so vielen Menschenschlächtern gesprochen!
({3})
Wer hat denn zum Beispiel ständig Botha empfangen,
als er noch in Südafrika metzelte? Ich verurteile das
nicht einmal, weil ich sage: Nur über Gespräche, nur
über Politik und Diplomatie kommt man letztlich zu
Veränderungen, kann man Haltung und Verhalten in
einer Gesellschaft ändern.
({4})
Ich finde diesen Vorwurf auch deshalb völlig falsch,
weil das Bemühen um Frieden, auch wenn es mit anderen Ansätzen erfolgt, doch nicht diskreditiert und diskriminiert werden kann, wie es hier der Fall ist.
({5})
- Das mache ich gerne.
({6})
In einer solchen Zeit kann es nicht nach dem Motto
gehen, man kenne keine Parteien mehr, nur noch Deutsche. Jedem, der sich gegen diesen Krieg stellt, wird
dann vorgeworfen, sich gegen nationale Interessen zu
wenden. Sie, Herr Schlauch, haben gerade gesagt, es gehe gar nicht um nationale Interessen, sondern um die
Menschenrechte, um die Rechte der Kosovo-Albaner.
Dann frage ich Sie: Wie kann der Seeheimer Kreis erklären, daß ich allein mit einem Besuch nationale Interessen verrate? Das ist doch absurd, wenn wir dort gar
keine nationalen Interessen verfolgen.
({7})
Es geht doch nur darum, den Weg für einen Friedensprozeß zu öffnen. Der Krieg hat eben bisher nicht
zum Frieden geführt. Es ist ein Paradoxon, davon auszugehen, daß Krieg zum Frieden oder zur Verwirklichung von Menschenrechten führt. Das hat es in der
Geschichte noch nie gegeben,
({8})
und das wird es auch in diesem Krieg nicht geben.
Zum Beispiel hat der Bundeskanzler Milosevic davor
gewarnt, die Situation in Montenegro zu destabilisieren.
Aber ich darf darauf hinweisen: Im Augenblick ist für
Montenegro weniger Milosevic das Problem als die
Bomben, die ja auch auf Montenegro geworfen werden
und natürlich zu einer Stimmungsveränderung in Montenegro führen. Wie kann man gleichzeitig Montenegro
bombardieren und hier seine Solidarität mit Montenegro
zum Ausdruck bringen?
({9})
Zum Beispiel gab es insofern ein interessantes Ergebnis, als Milosevic gesagt hat, er sei bereit, im Beisein
des UN-Generalsekretärs mit Rugova über die Situation
im Kosovo zu verhandeln. Wenn das passieren würde,
wüßten wir wenigstens, was an den Erklärungen von
Rugova wahr ist und was nicht wahr ist. Denn in Anwesenheit des UN-Generalsekretärs sieht die Situation natürlich ganz anders aus.
({10})
- Ja, natürlich, an einem anderen Ort. Das können Sie
doch gerne machen.
({11})
Herr Bundesaußenminister, Sie haben uns in der
Zeitung Zweckpazifismus vorgeworfen. Pazifismus verfolgt selbstverständlich einen Zweck. Aber ich bin gar
kein Pazifist.
({12})
Das habe ich nie behauptet. Aber nur weil eine Partei
gegen diesen Krieg ist, darf man sie nicht diskreditieren.
Ich glaube, Ihnen und auch Herrn Schlauch und Herrn
Struck geht es weniger um die PDS. Vielmehr versuchen
Sie, auf dem Rücken der PDS die Probleme, die Sie damit in Ihren eigenen Parteien haben, auszutragen. Das
können wir nicht hinnehmen.
({13})
Sie haben übrigens auch gesagt, daß wir gemeinsam
mit serbischen Nationalisten zu Kundgebungen und
Demonstrationen aufrufen. Das hat es in keinem einzigen Fall gegeben. Aber wenn wir zu einer Kundgebung
aufrufen, Herr Bundesaußenminister, dann kommen natürlich alle, die kommen wollen. Wir werden nicht Ordnungskräfte aufstellen und nach Gesinnung, Staatsbürgerschaft und Nationalität prüfen, wer an der Kundgebung teilnimmt. Das wollen Sie nicht, und das wollen
wir nicht, und das werden wir auch nicht tun.
Ich muß etwas zum Völkerrecht sagen. Der Fraktionsvorsitzende der CDU/CSU hat es letztlich als formal
bezeichnet. Ich glaube, das ist gefährlich. Wenn man das
Recht immer, wenn man es nicht auf seiner Seite hat, als
formal abtut, aber es als schwergewichtig behandelt,
wenn man in Übereinstimmung mit Recht handelt, dann
verliert Recht seinen Zweck. Das gilt auch für das Völkerrecht. Es ist doch nicht so, daß die Charta der Vereinten Nationen keine Ausnahmen von Gewaltverbot
kennen würde. Nur: Die beiden Ausnahmen, wonach
militärische Gewalt erlaubt ist, liegen nicht vor. Die eine
Ausnahme ist durch Art. 51 in Kapitel VII der Charta
der Vereinten Nationen gegeben, der besagt, daß man
sich im Falle eines Angriffs, auch im Falle eines Angriffs auf einen Bündnispartner, verteidigen kann. Nur:
Die Bundesrepublik Jugoslawien hat keinen NATOStaat angegriffen.
({14})
Die NATO hat vielmehr die Bundesrepublik Jugoslawien angegriffen. Deshalb ist es kein Verteidigungs-, sondern ein Angriffskrieg, der nach Art. 26 des Grundgesetzes verboten ist.
Es gibt eine zweite Ausnahme, die durch Art. 39
ebenfalls in Kapitel VII der Charta der Vereinten Nationen gegeben ist. Dort wird gesagt: Wenn der Frieden gefährdet ist oder wenn er sogar gebrochen ist, dann kann
der Weltsicherheitsrat notfalls militärische Maßnahmen zur Beseitigung der Gefahr oder zur Wiederherstellung des Friedens anordnen. Dieses Gewaltmonopol
des Weltsicherheitsrates ist ganz bewußt geschaffen
worden. Dieses Monopol hat die NATO aber eindeutig
verletzt, indem sie gesagt hat: Wir pfeifen auf den Weltsicherheitsrat; wir sind der Ordnungshüter in Europa und
entscheiden, wann militärische Gewalt angewendet wird
und wann nicht. - Diese Haltung soll ja sogar in die
Strategie der NATO Ende April formal aufgenommen
werden.
Ich habe auch darauf hingewiesen, daß der NATOVertrag selbst verletzt worden ist, weil er nämlich an
die UN-Charta gebunden ist. In diesem Zusammenhang
wird immer gesagt, es gebe so etwas wie einen außergesetzlichen Notstand, es gebe eine Nothilfesituation. Die
Nothilfefälle sind in der Charta geregelt. Wenn sie nicht
vorliegen, dann stützt das Völkerrecht das militärische
Eingreifen und damit den Krieg eben nicht.
Ich will noch auf einen anderen Punkt hinweisen.
Selbst wenn es außerhalb der Charta der Vereinten Nationen eine solche Möglichkeit gäbe, dann, Herr Kinkel
- das wissen Sie als ehemaliger Außenminister -, muß
man sagen, daß Deutschland bewußt auf eine solche
Möglichkeit verzichtet hat. Denn in Art. 2 des Zweiplus-Vier-Vertrages, der die äußeren Bedingungen der
Einheit regelt, heißt es am Ende:
Die Regierungen der Bundesrepublik Deutschland
und der Deutschen Demokratischen Republik erklären, daß das vereinte Deutschland keine seiner
Waffen jemals einsetzen wird, es sei denn in Übereinstimmung mit seiner Verfassung und der Charta
der Vereinten Nationen.
Andere Nothilfefälle und andere Situationen, die einen
Einsatz gerechtfertigt erscheinen lassen könnten, sind
dort nicht erwähnt.
Es ist also eine klare Beschränkung, die durch das
Grundgesetz und durch die Charta der Vereinten Nationen gegeben ist. Diese Bestimmungen haben Sie verletzt. Es ist nämlich ganz eindeutig, daß der Art. 2 des
Zwei-plus-Vier-Vertrages verletzt ist. Wer aber die äußeren Vertragsbedingungen, also die völkerrechtlich
eingegangenen Verpflichtungen im Zusammenhang mit
der Einheit Deutschlands, verletzt, der stellt natürlich
alle äußeren Bedingungen dieser Einheit und damit den
ganzen Vertrag in Frage. Das halte ich für einen höchst
gefährlichen Prozeß.
({15})
Ich habe schon über Glaubwürdigkeit gesprochen, die
sich aus der Geschichte und auch aus der Gegenwart ergibt. Im Zusammenhang mit dem Nachdenken über Bodentruppen höre ich, daß jetzt auf Grund ihrer Erfahrungen im Umgang mit serbischen Soldaten in der Geschichte insbesondere an die Türkei gedacht wird.
Wenn es nicht so tragisch wäre, müßte man sagen: Es
wäre doch ein Aberwitz der Geschichte, daß am Ende
dieses Jahrhunderts türkische Truppen in Jugoslawien
für die Wiederherstellung von Menschenrechten einer
nationalen Minderheit eintreten, die selbst eine Minderheit im eigenen Land, nämlich die Kurden in der Türkei,
seit Jahren jagen und töten und die Dörfer brandschatzen, ohne daß jemals die NATO ernsthaft aktiv geworden wäre.
({16})
In dieser Zeit des Krieges ist es ganz besonders
schwer, zwischen Wahrheit, Gerücht und Unwahrheit zu
unterscheiden. Das gilt eben nicht nur für eine Seite. Ich
nenne Ihnen Beispiele: Es wurde gesagt, im Stadion von
Pristina sei ein Konzentrationslager eingerichtet. Dann
wird ein Bild veröffentlicht, das zeigt, daß das Stadion
leer ist. Gestern hören wir, daß ein Flüchtlingstreck versehentlich durch die NATO beschossen worden sei.
Dann wird gesagt, es seien die Serben gewesen. Jetzt
heißt es wieder, es sei doch die NATO gewesen. Man ist
völlig verunsichert in dem, was man eigentlich glauben
soll. Man hat keine Beweise. Es wird gesagt, daß es Bilder gibt, die aber nicht gezeigt werden. Warum werden
diese Bilder nicht gezeigt, wenn sie doch die Notwendigkeit des eigenen Handelns unterstreichen könnten?
Diese Tatsache spricht dafür, daß es sie nicht gibt. Die
Situation ist ungeheuer kompliziert geworden.
Es wird ein Hufeisen-Plan vorgelegt. Darf ich Ihnen
sagen, was an diesem Plan merkwürdig ist? Der Generalinspekteur der Bundeswehr hat die Originalüberschrift dieses Planes vorgelesen. Diese Überschrift war
in Kroatisch und nicht in Serbisch verfaßt. Kann man
sich ernsthaft vorstellen, daß das serbische Militär in
kroatischer Sprache einen solchen Plan verfaßt? Da sind
doch Zweifel geboten. Man weiß einfach nicht mehr,
was man glauben und was man nicht glauben soll.
Auch ich gehe davon aus, daß Schreckliches im Kosovo passiert, auch wenn es eindeutige Belege und BeDr. Gregor Gysi
weise nicht gibt. Eine Frage konnte mir in diesem Zusammenhang noch keiner beantworten: Warum berichten wir nicht auch über die Toten und Verletzten in
Serbien? Warum kommen diese in Ihren Reden nicht
vor? Von Rezzo Schlauch sind sie wenigstens einmal
angesprochen worden, aber weder vom Bundeskanzler
noch von Herrn Schäuble, auch nicht von Ihnen, Herr
Fischer.
Wir haben in Serbien bisher 3 000 Verletzte und 300
Tote. Das sind überwiegend Zivilisten und bei Militärangehörigen meistens Wehrpflichtige. Die haben gar
keine andere Wahl. Ihnen droht nämlich schärfste Strafe,
wenn sie nicht zum Militär gehen.
({17})
Warum kann man nicht auch darüber sprechen? Warum
kann man sie nicht genauso erwähnen wie andere Verletzte und Tote? Das müßte doch in einer Demokratie
eine Selbstverständlichkeit sein!
({18})
Auch andere Widersprüche sind mir aufgefallen: Auf
militärischem Gebiet ist genügend Geld vorhanden. Da
klappt alles; da klappt die Organisation. Aber wenn es
um humanitäre Hilfe geht, dann herrscht erst einmal
ein großes Durcheinander. Dann berät man lange über
Quoten. Dann bleiben Hilfsgüter erst einmal aus. Dann
wird die Bevölkerung zu Spenden aufgerufen. - Ich begrüße die große Bereitschaft, zu spenden, genauso sehr
wie Sie. Ich finde es toll, wieviel gespendet wird, um
leidenden Menschen zu helfen. - Hier wird deutlich: Für
humanitäre Hilfe reichen die Mittel der Regierung nicht;
da muß die Bevölkerung zahlen. Für das Militär reicht
das Geld immer. Auf dem Gebiet der humanitären Hilfe
hätte die Regierung wesentlich mehr leisten können.
({19})
Hinsichtlich des Hufeisen-Planes stelle ich weiterhin
fest: Herr Bundesaußenminister, wenn er echt ist und
wenn er tatsächlich seit langer Zeit vorliegt, warum haben Sie dies dann nicht vorher gesagt? Wenn es so ist,
daß Milosevic wirklich geplant hat, die Bombenangriffe
für Vertreibungen zu nutzen, dann hieße das ja - das wäre ja noch absurder -, daß der NATO-Angriff in den
Plan von Milosevic paßt. In diesem Falle hätten wir es
mit einer fast absurden Konstruktion zu tun. Daher frage
ich: Warum war man dann nicht auf diese Vertreibungen
vorbereitet, und warum hat es so lange gedauert, bis man
Mazedonien und Albanien diesbezüglich Hilfe zuteil
werden lassen konnte?
Sie sagen immer, alles sei ausgeschöpft worden, Sie
hätten alles mit Ihrem Gewissen in Einklang bringen
können. Sie sagen, es habe keine weiteren Möglichkeiten gegeben, es habe bombardiert werden müssen. Darf
ich Sie fragen: Wieso können Sie jetzt plötzlich eine
UN-Hoheit auch für Truppen fordern, wieso war das
in Rambouillet nicht möglich? Wie konnten Sie also
sagen, Sie hätten alles ausgeschöpft?
({20})
Für Milosevic wäre es doch viel schwerer gewesen, nein
zur UNO als nein zur NATO zu sagen. Das heißt, Sie
haben nicht alles ausgeschöpft. Angesichts des militärischen Teils des Rambouillet-Abkommens, in dem steht,
daß die NATO die gesamte Hoheit über Jugoslawien erhält, und zwar zu Lande, zu Luft und im Wasser, kann
man doch nicht von Ausschöpfen sprechen. Auch eine
demokratisch gesinntere Führung in Jugoslawien hätte
so etwas niemals unterschreiben können. Deshalb sage
ich Ihnen: Die Möglichkeiten in Rambouillet sind eben
nicht ausgeschöpft worden.
({21})
Eine wirklich schwierige Situation entstand mit der
Pause in Rambouillet, weil Milosevic schon wußte, daß
er dieses Abkommen nicht unterschreiben wird, weil er
auch wußte, daß er bombardiert wird. Daher galt für ihn
das Abkommen mit Holbrooke nicht mehr, und dann ist
er - auch aus militärischen Gründen - wieder in das Kosovo vorgestoßen.
({22})
- Ich habe ja gerade gesagt: Das war in der Pause von
Rambouillet. Aber er hat ja das Abkommen mit Holbrooke zunächst eingehalten. Auch Sie haben bestätigt,
daß er sich zunächst zurückgezogen hat. Deshalb müssen wir zu Verhandlungen zurück und hin zu Ergebnissen.
Wenn solche Vorschläge jetzt möglich sind - mehr
habe ich nicht festgestellt -, heißt das, daß sie auch damals schon möglich gewesen wären, daß die Möglichkeiten damals eben nicht ausgeschöpft worden sind.
({23})
Ich warne auch vor der Verwendung falscher Begriffe. Die Verwendung der Begriffe „Auschwitz“ und
„Hitler“ ist falsch. Das alles sollte man nicht tun. Man
bagatellisiert damit deutsche Geschichte, nur um einen
eigenen Rechtfertigungsgrund zu haben. Vertreibungen
sind doch schlimm genug. Auch Morden und Töten sind
schlimm genug. Warum muß man denn noch andere
Vokabeln benutzen, nur um zu beweisen: Deutsche Verbrechen sind nicht einmalig? Sie kommen auch bei anderen vor. - Das ist falsch. Das ist unangemessen.
({24})
Juden, Sinti, Roma und andere sind eben nicht vertrieben worden, sondern nach Auschwitz gebracht worden.
So schlimm Vertreibung ist: Ich glaube, wenn sie in ein
anderes Land vertrieben worden wären, wäre das heute
nicht mehr so ein Thema, wie es ein Thema ist, weil sie
in die Gaskammer geführt worden sind. Deshalb sage
ich: Vergleiche mit den von mir genannten Begriffen
sind unzulässig und führen uns überhaupt nicht weiter.
Sie wissen, daß man mit Übertreibungen politische Lösungen nur erschwert und nicht herbeiführt.
({25})
Vertreibungen - das wissen Sie ganz genau - haben
auch die Siegermächte in bezug auf Hitler beschlossen,
und zwar die USA, Frankreich, Großbritannien und die
Sowjetunion in bezug auf die Deutschen in den Ostgebieten. Das war schlimm genug. Deshalb waren Vertreibungen bei den Faschisten keine einmalige Sache. Auch
die Siegermächte haben damals leider - Sie wissen,
wieviel Leid das bedeutet hat - Vertreibungen beschlossen.
Herr
Kollege Gysi, ich bitte Sie, zum Schluß zu kommen.
Vertreibungen sind
schlimm, und sie müssen im Kosovo beendet werden.
Aber ich sage Ihnen auch: Wir müssen aus der
Kriegslogik heraus und hinein in die Friedenslogik.
({0})
Sie können eine Tatsache nicht leugnen: Noch keine
Bombe, die in Jugoslawien abgeworfen worden ist - ich
habe mir Verletzte, zerstörte Fabriken und Gebäude sowie ein Heizwerk angesehen, das beschädigt worden ist,
so daß 200 000 Menschen einer Stadt frieren, weil keine
Heizung mehr funktioniert -, hat etwas genutzt.
({1})
- Nein, Sie haben den Einsatz von Bomben beschlossen.
Das nutzt keinem Kosovo-Albaner. ({2})
Noch keine einzige Bombe, die auf Serbien oder auf das
Kosovo gefallen ist, hat das Leid nur eines einzigen Albaners gelindert. Darum geht es doch. Deshalb werden
wir in unseren Friedensbemühungen fortfahren.
({3})
Herr
Kollege Gysi, ich bitte, nun wirklich zum Schluß zu
kommen.
Ich sage Ihnen: Wir müssen
endlich den Wahnsinn stoppen und an die Stelle des
Wahnsinns des Krieges wieder die Vernunft setzen.
({0})
Als nächster Redner hat das Wort der Bundesaußenminister, Joseph Fischer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege
Gysi, Ihre Rede hat nicht nur eine große Verwirrung der
Politik in Ihrem Kopf gezeigt, sondern auch eine Verwirrung der Werte,
({0})
auf denen dieses Europa seit 1945 Gott sei Dank steht.
Wenn Sie sich hier als Friedenslogiker hinstellen - gestern war mit Lukaschenko noch ein weiterer Friedenslogiker in Belgrad -,
({1})
dann kann ich Ihnen nur sagen: Krieg, Herr Kollege Gysi, ist eine furchtbare Sache.
Das Furchtbare am Krieg ist, daß er auch und vor allen Dingen die Unschuldigen trifft. Aber vor dem Hintergrund der historischen Erfahrung, die unser Land gemacht hat, daß es den furchtbarsten Krieg auf dem Kontinent, den furchtbarsten Krieg in der Geschichte zu verantworten hat, haben die Europäer nach 1945 durch eine
werteorientierte, an Demokratie, Frieden und der Herrschaft des Rechts orientierte Antwort für alle beteiligten
europäischen Nationen in Westeuropa - und seit dem
Ende des Kalten Krieges mittlerweile auch in Gesamteuropa - Erfolge erzielt. Diese Antwort ist die Grundlage eines dauerhaften Friedens, der nicht auf Unterwerfung und nicht auf einer menschenverachtenden Ideologie beruht.
Was Sie gemacht haben, ist keine Friedenslogik. Bert
Brecht nennt dies das Geschäft des Weißwäschers. Das
möchte ich Ihnen klipp und klar sagen.
({2})
Wir sind am Ende einer Entwicklung angelangt, die
1989 im Kosovo begonnen hat.
({3})
Dort hat Milosevic das Autonomiestatut aufgehoben.
Dort nahm die großserbische Ideologie ihren Anfang,
die wesentlich zur Zerstörung Jugoslawiens beigetragen
hat. Die Blutspur führt bis heute über mehr als 200 000
unschuldige Menschen. Diese kommen in Ihrer Rede
nicht vor. Sie sprechen vom Völkerrecht. Ich frage Sie:
Wo ist das Recht der Ermordeten in den Massengräbern? Wo ist bei Ihnen das Recht der vergewaltigten
Frauen? Wo ist das Recht der Vertriebenen?
({4})
Ich sage das als jemand, der sich weiß Gott - Kollege
Gerhardt hat ein Recht darauf, dies anzusprechen schwer damit getan hat, diese Pest der europäischen
Vergangenheit, einen großserbischen Nationalismus wie
den, den wir mit dem großdeutschen Nationalismus auch
hatten, diese Form, die darauf setzt, daß das eigene Volk
das wichtigste ist und deswegen andere Völker vertrieben, unterdrückt und massakriert werden dürfen, zu akzeptieren. Das hatten wir auch. Ich hatte wirklich
Schwierigkeiten damit, zu akzeptieren, daß dies wieder
da ist, daß dies eine rohe Form von Faschismus ist. Das
Europa der Demokratie kann diese rohe Form des Faschismus nicht akzeptieren.
({5})
Ich frage Sie: Wo sind die mehreren tausend Männer aus
Srebrenica? In welchem Massengrab liegen sie? Wer
trägt dafür die Verantwortung?
Sie mögen den Plan nennen, wie Sie wollen. Entscheidend ist doch die Frage, daß es bereits im letzten
Jahr angefangen hat. Lesen Sie doch die Biographien der
heute nach Deutschland gekommenen Familien, ihre
Vertreibungsgeschichten. Lesen Sie sie doch! Dann
werden Sie feststellen: Es ging im letzten Jahr los, bei
manchen sogar im Frühjahr letzten Jahres.
Wir hatten 300 000 Binnenvertriebene, das heißt,
die Sache war bereits in vollem Gange. Seselj, der stellvertretende Ministerpräsident in der Regierung, will und
wollte das albanerfreie Kosovo. Das wurde dann umgesetzt. Es kam dann zur Bombendrohung der NATO, der
wir alle nur schweren Herzens zugestimmt haben. Es
kam zu einem Stillstand. Es gelang, die humanitäre Katastrophe zu unterbrechen - leider nur zu unterbrechen.
In der Endphase von Rambouillet hatten wir bereits
65 000 neue Vertriebene. Die Aufstellung des serbischen Militärs ist heute nachzuvollziehen. Es läuft nach
der Devise, die sattsam bekannt ist: Das Militär macht
die militärische Arbeit. Anschließend kommen die Sondereinheiten - fast hätte ich gesagt: die „Einsatzgruppen“ - des MUP und der Paramilitärs, die dann das
schmutzige Geschäft der Vertreibung erledigen.
Hätten Sie es für möglich gehalten, daß eine Kriegsführung wie die der Belgrader Regierung wieder möglich wird, mit Deportation - ich wiederhole: Deportation -, also mit zwangsweiser Zusammenführung nach
dem Motto: rein in die Züge, raus aus dem Land? Hätten
Sie es für möglich gehalten, daß eine Großstadt wie
Pristina im Jahre 1999 Gegenstand von Krieg,
Kriegspolitik und von Vertreibungspolitik einer Regierung in Europa ist? Ich hätte das nicht für möglich gehalten, aber es ist bitteres, blutiges Faktum, Herr Kollege Gysi.
({6})
Es geht hier um die Frage: In welchem Europa wollen wir in Zukunft leben? Da sind wir an einem Punkt
angekommen, wo wir nicht weiter zurückkönnen. Ihnen
müssen doch die ganzen Spanienlieder, die Sie so seligen Auges mit Ernst Busch gesungen haben, im Halse
stecken bleiben. „No passarán“, hieß es.
({7})
Sie beziehen sich doch auf eine Tradition, in der am
Manzanares mit der Waffe in der Hand - leider nicht erfolgreich, aber mit großem kämpferischem Einsatz 1936 bis 1938 versucht wurde, die spanische Republik
zu verteidigen. Und heute? Heute machen Sie sich hier
zum Weißwäscher der Politik eines neuen Faschismus,
der auf Vertreibung und ethnische Reinheit für eine
großserbische Politik setzt. Mit linker Politik und Friedenslogik hat das nichts zu tun.
({8})
Ich habe es vorhin gesagt: Es steht hier das Europa
des Nationalismus - wenn wir diesem nachgeben, dann
werden wir das Erreichte der vergangenen fünf Jahrzehnte in Frage stellen - gegen das Europa der Integration. Festigkeit auf der einen Seite und die Bereitschaft,
den Weg zum Frieden in jedem Augenblick zu betreten
auf der anderen Seite, müssen unsere Haltung kennzeichnen.
Die Festigkeit stellt sich im westlichen Bündnis in
den fünf Punkten unseres Friedensplanes dar. Für uns
ist unannehmbar - darüber kann und darf nicht verhandelt werden, weil dies hieße, es zu akzeptieren -, daß
sich eine Politik der ethnischen Kriegsführung gegen die
Zivilbevölkerung durchsetzt. Für uns ist unabdingbar,
daß alle Flüchtlinge, alle Vertriebenen, alle Deportierten
in einen friedlichen und demokratischen Kosovo - ohne
Bedingungen und ohne Einschränkungen - zurückkehren können müssen. Dies ist nur möglich, wenn alle serbischen Einheiten, alle bewaffneten Einheiten der Bundesrepublik Jugoslawien, alle Sonder- und Polizeieinheiten und Paramilitärs abziehen. Die Menschen werden
nicht zurückkehren, wenn die Mörder im Lande bleiben.
Das ist so sicher wie das Amen in der Kirche.
Aber es geht nicht nur um einen völligen Abzug, sondern gleichzeitig gilt auch: Wir brauchen eine robuste
internationale Friedenstruppe mit einem klaren Auftrag,
um diese Menschen in einem friedlichen, multiethnischen Kosovo tatsächlich zu schützen. Das sind die
Punkte, auf die sich die internationale Staatengemeinschaft verständigt hat.
Die Europäische Union - ich möchte hinzufügen:
auch und gerade die neutralen Länder in der Union trägt diesen Entschluß mit. Für mich ist besonders wichtig, daß im Beschluß der Außenminister auch steht, daß
die Europäische Union nicht bereit ist, den Erfolg einer
Politik der Deportation und der Zerstörung eines Volkes
aus brutalen nationalistischen Gründen zu akzeptieren.
Die Europäische Union, die NATO und auch der VNGeneralsekretär - das halte ich für sehr wichtig - stehen
zu diesen fünf Punkten. Das sind auch die Ziele, für die
unsere Soldaten gegenwärtig kämpfen, für die sie bereit
sind, ein sehr, sehr großes Risiko einzugehen. Ich
möchte unseren Soldaten dafür danken.
Ihnen, Kollege Gysi, möchte ich eines sagen: Sie haben als Oppositionsabgeordneter natürlich ein Recht auf
Urlaub. Ich finde es aber ziemlich übel, wenn Sie mit
Umweg über Belgrad direkt von Gran Canaria kommen
und den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern humanitärer
Hilfsorganisationen, des Auswärtigen Amtes und des
Innenministeriums vorwerfen, sie hätten versagt, sie
hätten sich nicht auf Milosevics Kriegsführung vorbeBundesminister Joseph Fischer
reitet, die Bundesregierung habe nicht mobilisiert, wir
seien auf die Spenden der Menschen angewiesen. Ich
bin froh, daß die Menschen spenden.
({9})
Und ich kann Ihnen sagen: Die Bundesregierung, die
Europäische Union und der UNHCR haben seit Beginn
der Vertreibung rund um die Uhr gearbeitet. Wir haben
es nicht nötig, uns nachher von einem Abgeordneten,
der sich im Urlaub befunden hat, beschimpfen zu lassen.
Das will ich Ihnen im Namen der Mitarbeiterinnen und
Mitarbeiter sagen.
({10})
- Entschuldigen Sie, daß ich hier persönlich und emotional reagiere. Ich möchte Ihnen aber einmal klipp und
klar sagen: Ich habe erlebt, daß die Mitarbeiterinnen und
Mitarbeiter aller Ministerien, auch der nachgeordneten
Behörden, der Bundeswehr wie auch der zivilen Teile
unserer Staatsverwaltung, der Europäischen Union, aber
auch des UNHCR von Beginn an rund um die Uhr gearbeitet und Großartiges in bezug auf die Abwehr dieser
humanitären Katastrophe geleistet haben. Sie müssen
schon entschuldigen, daß ich Ihre Kritik dann als zutiefst
ungerecht zurückweise.
({11})
Meine Damen und Herren, eines muß völlig klar sein:
Wir werden im westlichen Bündnis nicht mehr den
Worten von Herrn Milosevic trauen, sondern nur noch
seinen Taten. Eine einseitige Verkündung einer Waffenruhe würde nur zu unendlichen Verhandlungen mit dem
Ergebnis führen, daß Herr Milosevic seine Politik der
ethnischen Kriegsführung gegen die kosovo-albanische
Bevölkerung durchsetzen würde. Eine einseitige Vorleistung kann es nicht geben.
Wir sind uns im Bündnis einig, daß es wichtig ist, eine Resolution des UN-Sicherheitsrats zu bekommen.
Da sich aber der Abgeordnete Gysi hier hingestellt und
gefragt hat: Warum habt ihr das nicht von Anfang an
gewollt?, muß ich sagen: Wir haben es von Anfang an
gewollt, Kollege Gysi. Rußland ins Boot zu holen ist
wichtig. Rußland ins Boot zu holen heißt aber, daß
Rußland seine Blockadehaltung im Sicherheitsrat der
Vereinten Nationen aufgibt. Und genau daran arbeiten
wir. Wir sind nach wie vor der Überzeugung, daß es unerläßlich ist, auf der Grundlage einer VN-Resolution einen politischen Lösungsansatz zu suchen; nur dies bedeutet den Einschluß Rußlands. Es liegt aber an Rußland, seine Blockadehaltung aufzugeben. Genau darüber
läuft gegenwärtig eine, wie ich finde, sehr konstruktive
Diskussion.
Die Friedensinitiative muß davon ausgehen, daß es
keine einseitigen Vorleistungen geben kann und darf.
Nach einer VN-Sicherheitsratsresolution nach Kapitel VII muß Belgrad das Angebot gemacht werden, innerhalb einer bestimmten Frist alle seine Truppen aus
dem Kosovo zurückzuziehen. Erst wenn mit diesem
Rückzug verifizierbar begonnen wird, nicht vorher dies zu begreifen ist wichtig -, halte ich eine einseitige
Waffenruhe für notwendig. Wird der Rückzug innerhalb
dieser Frist abgeschlossen, halte ich eine dauerhafte
Waffenruhe für notwendig.
Als nächster Schritt wird die Implementierung einer
internationalen Friedenstruppe, gründend auf einer
entsprechenden VN-Sicherheitsresolution nach Kapitel VII, erfolgen. Sie wird eine sehr starke NATOKomponente beinhalten müssen - das wird sowohl von
der militärischen als auch von der politischen Seite her
nicht anders gehen können -, unter Einschluß Rußlands,
unter Einschluß der neutralen Staaten innerhalb der EU
und unter Einschluß der Ukraine, die ebenfalls eine sehr
wichtige Funktion hat. Mit Implementierung der internationalen Friedenstruppe wird es auch zu einer Rückkehr der humanitären Organisationen kommen können
und damit zu einer Rückkehr der Flüchtlinge in ein multiethnisches, friedliches Umfeld im Kosovo.
Das sind die Ziele, das ist der Plan. Das ist keine Kapitulation Belgrads, sondern ein faires Angebot.
Darüber hinaus wollen wir einen „Stabilitätspakt
südlicher Balkan“ erreichen, der die ganze Region stabilisiert und eine Perspektive hin zum Europa der Integration eröffnet. Es wird um drei Körbe gehen: erstens
um die Sicherheit aller - um die Sicherheit der Grenzen,
um die Sicherheit der Minderheiten und um die Herrschaft des Rechts statt der Gewalt -; zweitens um die
wirtschaftliche Entwicklung hin zum Europa der Integration - ein langfristiger Prozeß, bei dem wir in der
Verantwortung stehen -; drittens um Demokratie, um die
demokratische Implementierung von Institutionen und
eine demokratische Zivilgesellschaft in dieser Region.
Alle Nachbarstaaten in dieser Region haben auf die
Vorschläge der deutschen Präsidentschaft sehr, sehr
positiv reagiert. Die Voraussetzung dafür ist allerdings,
daß die Politik des Europas der Integration in dieser Region Einzug hält. Dazu gehört für uns, so betone ich,
auch und gerade das serbische Volk. Serbien wird von
Milosevic zerstört. Das ist eine große Tragödie. Das serbische Volk hat selbst am meisten unter Milosevic zu
leiden. Die großserbischen Versprechen werden in einem Rumpfserbien enden; das ist eine große Tragödie.
Wir dürfen nicht müde werden, zu erklären: Dieser
Krieg richtet sich nicht gegen das serbische Volk. Das
serbische Volk gehört zu Europa. Wir müssen ihm den
Weg zurück nach Europa in Frieden wieder eröffnen.
({12})
Wir haben mit dieser Friedensinitiative klargemacht,
daß wir nicht bereit sind, einer Eskalationsautomatik,
wie sie vor allem Milosevic betreibt, zu folgen. Die
Politik muß in diesem Konflikt, den wir alle nicht wollten, die Verteidigung der Menschenrechte, die Freiheit,
das Europa der Integration bestimmen. Das muß auch in
Zukunft gelten. Keine Eskalationsautomatik, aber auch
kein Beugen der Knie vor einer Politik der ethnischen
Säuberung! Dies muß und wird der Vergangenheit angehören.
Eines sage ich Ihnen klipp und klar: Wenn Sie nicht
wollen, daß die nächste blutige Runde in Montenegro, in
Mazedonien stattfindet, dann muß im südlichen Balkan
die Logik des Krieges gebrochen werden.
({13})
Es wird dort nur dann Frieden geben, wenn die Logik
der ethnischen Säuberung gebrochen wird, wenn das
Vertreiben, wenn der Nationalismus dort endgültig eine
Niederlage erleidet.
Diese Niederlage werden wir Milosevic nicht ersparen können und nicht ersparen dürfen. Wenn er Frieden
will, kann er jetzt unser Friedensangebot annehmen.
Wenn er Frieden will, dann ist die Rückkehr für Serbien
in ein Europa der Integration und des Friedens offen.
Wir haben ein Friedensangebot gemacht. Die Antwort
liegt jetzt bei Milosevic. Wenn diese Antwort weiter
Krieg bedeutet, dann, so kann ich Ihnen nur sagen, wird
er auf die Festigkeit, die Entschlossenheit und Geschlossenheit des Westens, der europäischen und der transatlantischen Staatengemeinschaft treffen. Die Bundesrepublik Deutschland wird an diesem Punkt nicht wanken
und nicht wackeln. Wir sind davon überzeugt: Wenn wir
hier nachgeben würden, würden wir nicht Frieden bekommen, sondern eine weitere blutige Runde des Krieges.
({14})
Zu einer
Kurzintervention von höchstens drei Minuten hat der
Kollege Gysi das Wort.
Herr Bundesaußenminister,
ich habe festgestellt, daß Sie den Weg der Sachlichkeit
verlassen und persönlich werden. Es ist richtig: Ich habe
über Ostern ein paar Tage Urlaub gemacht, wenn auch
nicht in Gran Canaria. Ich glaube, daß mir das nach weit
mehr als einem Jahr ohne Urlaub auch zustand. Das muß
ich mir von Ihnen nicht vorwerfen lassen - schon gar
nicht von Leuten, die ständig in der Toskana Urlaub machen.
({0})
Was also soll das?
Nun zu unserer sachlichen Differenz: Sie haben sich
hier gegen Vertreibung, gegen Morden, gegen Nationalismus ausgesprochen. Etwas anderes hat auch in der
PDS nie jemand getan, und wir werden das weiterhin
tun. Es gibt nicht die Alternative: das eine, was Sie
wollen, oder Krieg. Das ist einfach ein falscher Ansatz.
Herr Fischer, sagen Sie mir: Haben Ihre Bomben Vertreibung verhindert? Welche Bombe hat das Leid eines
einzigen Kosovo-Albaners auch nur gelindert?
Seit neun Jahren reise ich durch Europa. Es ist das erste Mal, daß ich wieder eine richtig antiamerikanische,
eine richtig antideutsche, eine richtig antiwestliche
Stimmung in der Bevölkerung gespürt habe. Das wird
wiederum die Generation nach uns austragen müssen.
Wir wissen, daß es dieselben Stimmungen auch in der
russischen Bevölkerung gibt. Es geht doch nicht immer
nur um die Regierungen - die sind doch gar nicht wichtig -, es geht um die Bevölkerung. Bisher ist kein einziger Verantwortlicher in Jugoslawien durch eine Bombe
gestorben.
({1})
Darf ich Sie fragen, was ein Albaner davon hat, wenn
Arbeiter einer Nachtschicht wie die in jenem Pkw-Werk
verletzt werden? Der Krieg ist einfach das falsche
Mittel; damit lösen wir kein einziges humanitäres Problem.
Sie haben am Anfang gesagt, Sie wollen bombardieren, damit Milosevic unterschreibt. Ich habe gesagt, ich
glaube nicht, daß er unterschreibt. Ich habe leider recht
behalten. Sie haben gesagt, Sie wollen bombardieren,
um eine humanitäre Katastrophe im Kosovo zu verhindern. Ich habe gesagt, ich glaube nicht, daß man sie
zum Beispiel dadurch verhindern kann, daß man das
Zentrum von Pristina völlig zerbombt. Ich glaube vielmehr, daß das die Katastrophe zuspitzt. - So ist es gekommen. Alles ist danach schlimmer geworden; nichts
ist danach besser geworden.
Jetzt sagen Sie: Die Bomben sollen das Morden im
Kosovo verhindern. Aber Sie können doch nicht Pistolen, Messer, Gewehre aus den Händen bomben. Auch
das wird nicht funktionieren. Deshalb sage ich: Die
Bomben haben noch keinem einzigen Albaner geholfen,
und deshalb stimmt Ihre ganze Logik nicht. Wir brauchen andere Ansätze, wenn wir Menschenrechte wirklich durchsetzen wollen.
({2})
Die Demokratiebewegung in Serbien ist inzwischen
völlig kaputtgemacht worden. Dort steht man jetzt geschlossen gegen die NATO und gegen den Westen. Das
ist eine Tatsache. Ich sage jetzt: Das ist noch verstärkt
worden. Wir hatten große Ansätze für eine Demokratiebewegung in Jugoslawien. Heute gibt es sie überhaupt
nicht mehr. Das ist das Problem.
In bezug auf alle die Ziele, von denen Sie vorgeben,
daß sie durch Ihre Mittel erreicht würden, muß man sagen: Damit wird kein einziges Ziel erreicht; sie werden
alle nur beschädigt. Das ist die Wahrheit.
({3})
Herr
Bundesminister, wollen Sie erwidern? - Bitte schön.
Mir liegt der Entschließungsantrag der PDS vor. Darin
heißt es:
Seit Aufnahme der Bombenangriffe der NATO auf
die Bundesrepublik Jugoslawien hat sich die Lage
der gesamten Zivilbevölkerung im Kosovo in extremer Weise verschlimmert. Die mit der Kriegsführung verbundene Brutalisierung hat zu massiven
Flüchtlings- und Vertriebenenströmen aus dem Kosovo
({0})
in die übrigen Teile Jugoslawiens, nach Albanien
und Makedonien sowie innerhalb des Kosovo selbst
geführt.
({1})
Berichte über von serbischen Sicherheitskräften
und paramilitärischen Verbänden an Zivilisten begangene Grausamkeiten häufen sich. Zivile Gebäude und Einrichtungen sowie die gesamte Infrastruktur sind erheblichen Zerstörungen ausgesetzt.
Ich habe in diesem Antrag verzweifelt eine Verurteilung der Politik der ethnischen Kriegführung gesucht.
({2})
- Kollege Gysi sagt gerade, daß diese Beschreibung der durch das Bombardement hervorgerufenen Brutalisierungen - zugleich eine Verurteilung sei.
({3})
Ich habe in diesem Antrag verzweifelt nach einer
auch nur ansatzweise erkennbaren Verurteilung der Politik Milosevics gegenüber der albanischen Bevölkerung
gesucht.
({4})
Insofern ist meines Erachtens jede weitere Gegenrede
überflüssig; ich empfehle die Lektüre dieses Antrags.
({5})
Es ist ein Dokument, Herr Kollege Gysi, von dem ich
nur sagen kann: Es ist das Dokument einer politischen
Weißwäscherei. Das wird nicht gelingen.
({6})
Als
nächster Redner hat das Wort der Ministerpräsident des
Freistaates Bayern, Edmund Stoiber.
Dr. Edmund Stoiber, Ministerpräsident ({0}):
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine
Herren! Die heutige Debatte in diesem Hohen Hause
findet vor dem Hintergrund einer sehr schwierigen und
menschlich zutiefst bedrückenden und außerordentlich
gefährlichen Lage in Südosteuropa statt, der vielleicht
schwierigsten außenpolitischen und sicherheitspolitischen Situation des wiedervereinigten Deutschland. Ich
begrüße diese Debatte, die auf Anregung der
CDU/CSU-Fraktion hier heute geführt wird, auch deswegen sehr, weil unsere Bürgerinnen und Bürger intensiv mit diesen außerordentlichen Belastungen leben. Sie
erwarten natürlich nicht nur die offizielle Information
durch die Regierung und die Parteien, sondern sie erwarten natürlich auch die Debatte in diesem Hause, um
daraus Informationen zu ziehen.
Seien Sie mir nicht böse, Herr Gysi, aber eines muß
ich Ihnen schon vorhalten: Sie betreiben in der Tat eine
zynische Friedensrhetorik. Deswegen kritisiere ich das.
({1})
Angesichts der dramatischen Herausforderung, die
systematischen und organisierten Menschenrechtsverletzungen im Kosovo zu beenden, stehen CDU und
CSU geschlossen zu ihrer nationalen und europäischen
Verantwortung. Wir stehen deshalb hinter der Entscheidung der Bundesregierung, daß sich Deutschland am
Einsatz der NATO zur Durchsetzung der Menschenrechte im Kosovo mit militärischen Mitteln beteiligt.
Dieses Bündnis setzt sich gerade als Wertegemeinschaft im Kosovo nachhaltig für die Wiederherstellung
und Einhaltung der grundlegenden humanitären Prinzipien ein. Aus der Verantwortung vor der Geschichte
wissen wir als Deutsche ganz besonders: Denjenigen,
die diese Werte mißachten und denen Humanität, Toleranz und das Leben von Menschen nichts gelten, darf
kein Freiraum gegeben werden.
Die Solidarität des Bündnisses war gerade für
Deutschland über Jahrzehnte hinweg in der Zeit des
kalten Krieges von existenzieller Bedeutung, vor allem
während der Berlin-Blockade und des Mauerbaus, als
Deutschland in vorderster Linie stand. Zu dieser Solidarität stehen wir voll und ganz. Diese Gemeinschaft ist
nicht nur eine europäische, sondern auch eine atlantische
Wertegemeinschaft. Die USA sind und bleiben deshalb
ein entscheidender Eckpfeiler für Frieden und Sicherheit
in Europa.
Zugleich hat der Kosovo-Konflikt erneut deutlich
gemacht, daß eine westeuropäische Friedensordnung
allein nicht ausreicht, sondern eine gesamteuropäische
Friedensordnung geschaffen werden muß. Diese Anliegen genießen heute erfreulicherweise einen noch höheren Stellenwert in der Bevölkerung. Zu einer solchen
Friedensordnung gehören die gewachsenen und bewährten Beziehungen zu unserem nordamerikanischen
Bündnispartner.
Bis auf die PDS gibt es eine nahtlose Solidarität in
unserem Land mit unseren Bündnispartnern, auch wenn
sich die Zustimmung zum Einsatz militärischer Mittel
niemand leichtgemacht hat.
Mit unseren Gedanken sind wir bei den Soldaten der
Bundeswehr und der NATO, die ihren schwierigen
Auftrag im Krisengebiet erfüllen, sowie bei deren Angehörigen. Ich habe, weil nichts besser ist als persönliche Information, mit den Soldaten im Lager Lechfeld
gesprochen. Es ist in der Tat eine Belastung, wie sie im
zivilen Leben überhaupt nicht vorkommen kann. Man
kann sich nicht vorstellen, wie sich diese Menschen für
uns, für die Menschenrechte einsetzen. Man kann das
nicht oft genug wiederholen und den hohen Stellenwert
hervorheben.
({2})
Sie sind bereit, dafür größte persönliche Risiken auf
sich zu nehmen. Deswegen mein herzlicher Dank in diese Richtung.
Es blieb der PDS und ihren Sympathisanten vorbehalten, von einer „NATO-Aggression“ gegen Jugoslawien zu sprechen und der Bundesregierung im „Neuen
Deutschland“ imperialistische Absichten zu unterstellen.
Ich will hier in dieser Stunde wirklich keine Polemik
einführen, aber die SPD muß sich gerade heute angesichts der harten Wortwahl des Bundeskanzlers, der von
der „fünften Kolonne Belgrads“ sprach, schon die Frage
stellen lassen, wie sie mit einem solchen Partner politische Bündnisse eingehen kann, der eine derartige Sprache spricht und Einstellung vertritt,
({3})
wenn es um den Einsatz gegen systematische Vertreibung und massenhaften Mord geht.
Das menschenverachtende Regime Milosevics hat der
Staatengemeinschaft letztlich keine andere Wahl gelassen, als nun als Ultima ratio den Verbrechen im Kosovo
mit militärischen Mitteln entgegenzutreten. Den Kritikern, die demgegenüber die Verletzung der Souveränitätsrechte Jugoslawiens in den Vordergrund stellen
- mein Vorvorredner hat das getan -, muß man entgegenhalten: Das Völkerrecht rückt zunehmend - das ist
eine gute Entwicklung - den Schutz der Menschenrechte
und des Lebens in den Mittelpunkt. Die Fixierung auf
die Souveränität eines Staates verliert in Konfliktfällen
an zentraler Bedeutung, wenn es um grundlegende
menschliche Werte der Individuen und des Zusammenlebens geht. Das gilt besonders, wenn man es mit menschenverachtenden politischen Systemen zu tun hat.
Seit zehn Jahren bringt Milosevic Unglück über die
Völker Jugoslawiens. Mit seiner Rede auf dem Amselfeld vor zehn Jahren, am 28. Juni 1989 - hier ist darauf
hingewiesen worden -, entfesselte er vor 3 Millionen
Menschen den Ungeist des aggressiven serbischen Nationalismus. Jahrelang ist mit ihm auf allen Ebenen ohne
Ergebnisse über den Kosovo verhandelt worden. Das
muß ich gerade an die Adresse derjenigen richten, die
jetzt den militärischen Einsatz kritisieren. Europa würde
seine Glaubwürdigkeit und seine Identität als ein Kontinent verlieren, der sich gerade aus den Lehren der Geschichte unseres Jahrhunderts Frieden und Menschenrechten verpflichtet weiß.
Die militärische Komponente des NATO-Einsatzes
ist kein Selbstzweck. Sie war und ist immer nur ein
Mittel, ein Ende der systematischen Verletzung der
Menschenrechte im Kosovo zu erzwingen. Der Einsatz
militärischer Mittel ist ausschließlich zur Erreichung
klarer politischer Ziele verantwortbar. Unser Ziel ist eine dauerhafte Friedensordnung in Südosteuropa. Dieses
Ziel ist nicht ohne Einbindung und Einbeziehung Rußlands zu erreichen. Deshalb muß - der Kollege Gerhardt
hat völlig recht - jedes Gespräch genutzt werden, die europäische Mitverantwortung Rußlands deutlich zu machen.
Der Freistaat Bayern hat auf Grund der Situation nach
Ende der Sowjetunion eine besondere Beziehung zu der
Region Moskau. Ich hatte letzte Woche, vom 7. bis zum
10. April, zusammen mit dem Kollegen Lamers auf
Einladung des Moskauer Oberbürgermeisters Luschkow
Gelegenheit zu einer lange geplanten Reise in die russische Hauptstadt. Dieser Besuch fand nun im zeitlichen
und im politischen Kontext der dramatischen Zuspitzung
der Ereignisse in Jugoslawien statt.
In dieser schwierigen Situation habe ich mich - ich
sage das ganz deutlich - auch mit dem Bundeskanzleramt und mit dem Außenminister abgestimmt. Es war in
dieser besonderen Situation unser gemeinsames Ziel, das
gute deutsch-russische Verhältnis, das besonders Helmut
Kohl in den vergangenen zehn Jahren aufgebaut hat, gerade in dieser angespannten Situation zu bewahren.
({4})
Dieses gute Verhältnis ist für uns kein Gegensatz zu
unserer atlantischen Solidarität. Dieses Verhältnis zwischen uns und den Russen ist für uns von größter Bedeutung und darf trotz der unterschiedlichen Bewertung
des NATO-Einsatzes nicht beschädigt werden.
Ich glaube, daß die These, die mein Vorvorgänger
Franz Josef Strauß aus historisch bemerkenswerter Sicht
schon zu Zeiten des kalten Krieges 1978 gegenüber Breschnew zum Ausdruck gebracht hat, auch heute noch
richtig ist: Wenn das Verhältnis zwischen Rußland und
Deutschland gut ist, dann ist das immer gut für die Menschen in Rußland, in Deutschland und in Europa, und
wenn die Beziehungen zwischen diesen beiden Ländern
schlecht sind - leider waren sie im letzten Jahrhundert
immer sehr schlecht, phasenweise sogar außerordentlich
kritisch -, dann ist das schlecht für Europa und vor allen
Dingen für die Menschen in Europa, in Deutschland, in
Rußland und in allen anderen Ländern.
Ich habe in Moskau deutlich gemacht, daß sich die
politisch verantwortlichen Kräfte in Deutschland in dieser Frage einig sind. Diese Gemeinsamkeit ist ein großes
Gut. Es wäre geradezu fatal, wenn in unserer Bevölkerung und im Ausland ein anderer Eindruck entstehen
würde.
In meinen Gesprächen mit dem Ministerpräsidenten
Primakow, mit dem Außenminister Iwanow, vor allen
Dingen mit dem Moskauer Oberbürgermeister
Luschkow, dem Vorsitzenden der Staatsduma Selesnjow
und dem Vorsitzenden der Jabloko-Fraktion Jawlinskij
ist für mich deutlich geworden: Erstens. Rußland ist
ernsthaft darum bemüht, an der politischen Lösung dieses Konfliktes mitzuwirken. Moskau verweigert sich
nicht, auch wenn man sich dort, insbesondere zum damaligen Zeitpunkt - zu Recht oder zu Unrecht - ausgegrenzt fühlte.
Zweitens. Die russische Führung will sich nicht in eine militärische Auseinandersetzung hineinziehen lassen,
obwohl starke Kräfte im Land dies fordern.
Ministerpräsident Dr. Edmund Stoiber
Drittens. Die Kritik an Milosevic nimmt deutlich zu.
Die Menschenrechtsverletzungen werden zunehmend
verurteilt, jedenfalls von der russischen Regierung und
den demokratischen Kräften im Parlament.
Viertens. Rußland zeigt Bereitschaft, sich aktiv an
den Maßnahmen zu beteiligen, die zum Schutz der Menschen im Kosovo und zur Wiederherstellung der
Rechtsordnung notwendig sind. Das könnte die Beteiligung russischer Soldaten an einer gemeinsamen internationalen Schutztruppe bedeuten. Darüber wird ja erfreulicherweise seit dieser Woche intensiv verhandelt.
Fünftens. Aber mir wurde auch gesagt - und zwar
von allen, einschließlich der Demokraten, einschließlich
Jawlinskij - Rußland würde den Einsatz von Bodenkampftruppen der NATO als eine sehr ernste Entscheidung mit weitreichenden Konsequenzen und Eskalationsgefahren ansehen.
Die russische Regierung hat in der Krise bisher besonnen reagiert, trotz anderer Mehrheiten im Parlament,
in der Duma. Dort verfügen die Kommunisten und die
Nationalisten, die etwas ganz anderes als die Verantwortlichen in der russischen Regierung wollen, über eine große Mehrheit. Die Bereitschaft Rußlands, an einer
politischen Lösung mitzuwirken, müssen wir ernst
nehmen. Natürlich bin ich über deutliche Signale des
Westens an Rußland froh, daß seine Mitverantwortung
gerade in diesem Raum, zu dem es besondere historische
und kulturelle Beziehungen hat, gebraucht wird.
Ich bin überzeugt, daß die russische Regierung angesichts der innenpolitischen Lage in einer sehr schweren
Situation wäre, wenn es zu einem Einsatz von NATOBodenkampftruppen im Kosovo käme. Aber auch darüber hinaus wären mit einer solchen Entscheidung der
NATO unkalkulierbare militärische Risiken verbunden.
Es wird immer wieder gefragt: Warum sagen Sie das in
der Situation? Sie signalisieren doch, daß wir es nicht
ganz ernst meinen, Milosevic konsequent zum Rückzug
zu bringen. - Nein, meine Damen und Herren, wir müssen die Dinge aussprechen, über die in der Bevölkerung
außerordentlich intensiv diskutiert wird.
Wir haben in der Bevölkerung Gott sei Dank - die
neuen Zahlen werden heute abend wieder veröffentlicht
- eine große Mehrheit, die hinter unseren Entscheidungen steht, Milosevic - das richtet sich nicht gegen die
Serben insgesamt - zur Einhaltung der Menschenrechte
mit militärischen Mitteln zu zwingen. Gleichzeitig hat
eine große, eine überwältigende Mehrheit der deutschen
Bevölkerung Sorge und Angst vor möglichen Einsätzen
von - so nenne ich sie immer - Bodenkampftruppen.
Dies spreche ich in diesem Hohen Haus, in dem Haus
der Nation, sehr deutlich aus, damit die Menschen die
Positionen kennen.
({5})
Ein solcher Einsatz würde zwangsläufig gerade die
politischen Optionen verbauen, die wir zur Lösung der
Probleme benötigen. CDU und CSU haben sich deshalb
ebenso wie die Bundesregierung klar gegen den Einsatz
von Bodenkampftruppen der NATO in diesem Konflikt
ausgesprochen. Wir dürfen keine Mittel einsetzen, die
politische Lösungen erschweren oder sogar unmöglich
machen und die wir in den Konsequenzen nicht beherrschen können. Diesen Standpunkt müssen wir nicht nur
hier, sondern auch innerhalb des Bündnisses immer
wieder deutlich machen.
Wir stehen in einer schicksalhaften Auseinandersetzung und vor schwerwiegenden Entscheidungen, bei denen das Parlament als Vertretung unseres Volkes gefordert ist. Für den Fall - ich unterstreiche das, was der
Kollege Schäuble gesagt hat -, daß eine Beteiligung
deutscher Soldaten an einem NATO-Kontingent in Albanien, über humanitäre Maßnahmen im engeren Sinne
hinaus erwogen wird, gehe ich davon aus, daß dieses
Hohe Haus darüber neu entscheidet. Ein solcher Beschluß des Bundestages müßte Aufgaben und Grenzen
des deutschen Beitrages zu diesem NATO-Kontingent in
Albanien klar definieren.
Jetzt schlägt die Stunde der Politik; das ist heute
schon mehrfach angeklungen. Eine Lösung dieses Problems kann nur auf der Basis - Herr Außenminister, Sie
haben es angesprochen - von Kapitel VII der UN-Charta
gefunden werden. Für diesen Vorschlag habe ich jedenfalls bei meinen Gesprächen in Rußland Aufgeschlossenheit gespürt. Der jetzt vorgelegte Plan der Bundesregierung knüpft meines Erachtens in realistischer Weise
an diese Signale aus Rußland an und enthält die unverzichtbaren Bestandteile einer vor allem für die Menschen im Kosovo notwendigen Friedenslösung.
Unser Ziel muß es aber weiterhin sein, Präsident Milosevic zu zwingen, seine Truppen zurückzuziehen, den
Völkermord und die Vertreibung der Bevölkerung zu
beenden. Er muß den ersten Schritt zu einer Lösung des
Konflikts machen und seine bewaffneten Einheiten abziehen. Nur dann ist es möglich, daß die Opfer von Gewalt und Vertreibung in ihre Heimat zurückkehren können. Eine Rückkehr dieser Flüchtlinge ohne Absicherung durch eine internationale Schutztruppe ist allerdings nicht vorstellbar. Das ist immer wieder das Problem. Natürlich sagen die Menschen ja zu einer Feuerpause. Vielleicht kann man 24 Stunden, vielleicht zwei
Tage verhandeln. Nur, wir haben doch Erfahrungen damit gemacht: Das wäre eine Niederlage der NATO und
hätte unabsehbare Konsequenzen. Deswegen sage ich es
noch einmal: Den Schlüssel für den Frieden hat Milosevic und niemand anderes in der Hand.
Bis zu einer gesicherten Rückkehr der Flüchtlinge
muß die internationale Staatengemeinschaft die unsägliche Not und das Leid dieser Flüchtlinge lindern, soweit
dies irgendwie möglich ist. Vorrangig muß dabei dafür
gesorgt werden, daß diese Menschen möglichst in der
Nähe ihrer Heimat untergebracht werden. Albanien und
Mazedonien, die selbst unter großer Not leiden, leisten
hier Außerordentliches und Beispielhaftes. Es muß eine
Selbstverständlichkeit sein, daß die westlichen Industriestaaten diesen Ländern bei der Lösung dieser großen
humanitären Aufgabe helfen und sie massiv unterstützen. Jeder ist an seiner Stelle gefordert. Als Beitrag zur
Linderung der Not hat beispielsweise der Freistaat Bayern vor zwei Tagen beschlossen, 10 Millionen DM für
humanitäre Hilfsmaßnahmen in diesen Ländern zur Verfügung zu stellen.
Ministerpräsident Dr. Edmund Stoiber
Militärische Solidarität im Bündnis, Herr Bundeskanzler und Herr Außenminister, verlangt auch humanitäre Solidarität. Es darf nicht geschehen, daß Deutschland wie im Konflikt in Bosnien-Herzegowina die überwiegende Zahl der Flüchtlinge aufnimmt und die damit
verbundenen Belastungen alleine trägt. Es darf sich
nicht wiederholen, daß wir mehr aufnehmen als alle anderen großen und kleinen Länder in der Europäischen
Union zusammen. Soweit eine Unterbringung in den
Nachbarstaaten nicht möglich ist, müssen andere Staaten
Flüchtlingskontingente aufnehmen. Deutschland hat bisher die Aufnahme von 10 000 Kosovo-Flüchtlingen zugesagt. Wir vermissen aber gleichwertige Beiträge anderer großer europäischer Partner.
({6})
Ich will, meine Damen, meine Herren, auch darauf
hinweisen - ich weiß daß das schwierig ist -, welchen
Eindruck ich bei der Landung der Menschen aus Albanien in Nürnberg hatte. Natürlich stand nach ihrer Landung eine große Zahl von Ärzten und Pflegern bereit,
um die Flüchtlinge medizinisch und psychologisch zu
betreuen. Das war - ich sage: Gott sei Dank - erstaunlicherweise überhaupt nicht nötig. Diejenigen, die dort
gelandet sind, sind meines Erachtens mit Sicherheit
nicht diejenigen, die Hilfe am nötigsten brauchen. Da
haben sich vielleicht einige vorgedrängelt; vielleicht
wird auch das eine oder andere über den Tisch geschoben. Wir müssen die Ressourcen unseres Landes für die
wirklich Bedürftigen verwenden, also für die Kranken,
die Alten und die Pflegebedürftigen.
({7})
Deswegen geht meine herzliche Bitte und Aufforderung dahin, in diese Richtung zu wirken.
So dringlich die Lösung des aktuellen Konflikts ist,
so wichtig ist auch eine langfristig angelegte Konzeption
zur Herstellung einer stabilen und dauerhaften Friedensordnung in Südosteuropa. Dazu müssen sich alle Mächte
Europas an den Verhandlungstisch setzen, nicht nur die
unmittelbar betroffenen Staaten der Region.
Am Ende des 20. Jahrhunderts ist es für Deutschland
und für die europäische Staatengemeinschaft eine herausragende Aufgabe, Rahmenbedingungen zu schaffen,
unter denen die Völker Südosteuropas eine Perspektive
für eine gemeinsame friedliche Zukunft haben.
Die Tür zum Frieden hat sich in den letzten Tagen ein
ganz klein wenig geöffnet. Ein kleiner Spalt ist sichtbar.
Jetzt müssen die NATO und Europa, jetzt müssen wir
alle zeigen, daß wir in der Lage sind, europäische Probleme zu lösen.
Herzlichen Dank.
({8})
Als
nächster Redner hat das Wort der Bundesminister der
Verteidigung, Rudolf Scharping.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist
gut zu wissen, daß wir in vielen Punkten übereinstimmen. Das betrifft die klaren Voraussetzungen dafür, unter denen die militärischen Maßnahmen der NATO suspendiert werden können, nämlich nach dem Stopp des
Mordens, dem Rückzug der Truppen und der Rückkehr
der Flüchtlinge, zu deren Garantie eine internationale
militärische Präsenz und die Vereinbarung eines Abkommens auf der Grundlage der Prinzipien von Rambouillet notwendig sind.
Wir stimmen offenbar auch darin überein, daß es um
eine dauerhafte Stabilität in dieser europäischen Region
geht und daß zum Erreichen dieses Ziels nicht nur Fragen der direkten äußeren Sicherheit gehören, sondern
insbesondere auch Fragen der kulturellen, der sozialen
und der ökonomischen Zusammenarbeit. Wir stimmen
offenbar auch darin überein, daß es dafür einer dauerhaften und langfristigen Perspektive und Politik bedarf.
Nicht zuletzt stimmen wir darin überein, daß wir insbesondere den Menschen für ihre Hilfsbereitschaft, die
sich in der Unterstützung der deutschen Hilfsorganisationen oder in der Unterstützung der größten humanitären Hilfsaktion in der Geschichte der Bundeswehr ausdrückt, Dank, Anerkennung und Respekt schulden.
Wenn wir in all diesen Punkten übereinstimmen,
dann muß man sich die Frage stellen, worüber hier im
einzelnen gestritten wird. Ich will das zunächst an Hand
der humanitären Situation deutlich machen, und zwar
nicht im Sinne des Streits, sondern im Sinne der Vertiefung der Debatte. Bis heute sind mindestens 900 000
Menschen aus dem Kosovo herausgejagt worden. Das
sind mehr als 50 Prozent der Bevölkerung, die dort lebte. Das ist nicht das Ergebnis eines plötzlichen Vorgehens, sondern einer langfristigen Planung. Ich will darauf aufmerksam machen, daß Milosevic in der Kraina,
in Bosnien-Herzegowina und in vielen anderen Regionen Kriege vom Zaun gebrochen hat, immer mit dem
Ziel der ethnischen Säuberung und der Vertreibung.
Auf die Fragen, die auch in den Medien immer wieder gestellt werden, will ich antworten: Es mag sein aus meiner sehr persönlichen Sicht ist es auch so -, daß
am Anfang der 90er Jahre der eine oder andere Fehler
gemacht worden ist. Es mag sein, daß man bei den Verhandlungen über das Dayton-Abkommen Milosevic gewissermaßen noch als Stabilitätsfaktor betrachtet hat.
Das mag alles sein. Aber selbst wenn man das als Fehler
begreift: Wer gibt uns eigentlich das Recht und wer
verlangt von uns, diese Fehler dauernd zu wiederholen,
anstatt aus ihnen Konsequenzen zu ziehen?
({0})
Ich denke, niemand gibt uns das Recht, beispielsweise darüber hinwegzusehen, daß eine Schutzzone der
Vereinten Nationen - ob in Zepa, in Srebrenica oder in
anderen Orten - mit schrecklichen Folgen für die betroffenen Menschen überrannt worden ist, daß man Soldaten
der Vereinten Nationen angekettet und zu ohnmächtigen
Zuschauern der massenhaften Ermordung von Menschen
Ministerpräsident Dr. Edmund Stoiber
gemacht hat. Niemand gibt uns das Recht, darüber hinwegzusehen.
Vor diesem Hintergrund - der Kollege Gysi ist jetzt
nicht mehr da; das ist bedauerlich; vielleicht kommt er
noch zurück - möchte ich anmerken: Wer sagt, diese
Menschen flöhen vor der NATO, der muß die Frage beantworten, warum sie ausgerechnet in die Arme der
NATO fliehen. Warum?
({1})
Der muß auch die Frage beantworten, ob er die Situation
eigentlich noch ernst nimmt.
Ich nehme niemandem das Recht zu reisen. Wie käme ich dazu? Ich frage mich nur, wieviel Zynismus man
aufbringen muß, um sich nicht selbst die Frage zu stellen: Warum versucht der Mensch, der nach Belgrad
kommt, um mit Milosevic zu reden, nicht auch, für eine
oder zwei Stunden durch den Kosovo zu reisen? Warum
verlangt er das nicht von seinem Gastgeber? Warum
nicht?
({2})
Soll plötzlich alles übersehen werden, was uns Tausende
und Abertausende von traumatisierten Frauen und Kindern und alten Menschen erzählen? Sollen all die
Schlächtereien, die es dort gibt, übersehen werden?
({3})
Ist das alles nur Erfindung und Propaganda, was Menschen uns erzählen: daß man die Leichen mit Baseballschlägern zertrümmert, daß man ihnen die Gliedmaßen
abtrennt und die Köpfe abschlägt? Ist das alles nur Propaganda, wenn Frauen mit einem toten Kind in den Armen über die Grenze kommen? Wieviel Zynismus muß
man haben, um so kalt über rechtliche Fragen zu reden
anstatt über die Menschen, die Opfer einer mörderischen
Maschine geworden sind?
({4})
Ich weiß auch, daß Empörung kein Mittel der Politik ist;
aber e i n Antrieb kann sie schon sein.
Wenn der Kollege Gysi sagt, er habe keine Bilder gesehen, zeige ich Ihnen hier eines. Schauen Sie sich die
Bilder aus den Tälern und den Wäldern des Kosovo an!
Meinen Sie, die Menschen gehen dort hin, weil sie
wollten? Meinen Sie, sie fressen Gras, weil sie wollten?
Meinen Sie, wir würden uns überlegen, wie man sie versorgen kann, mit hohem Risiko? Schauen Sie sich das
an! Es gibt Dutzende solcher Bilder. Ich führe sie Ihnen
gerne alle vor, so wie ich sie auch den Journalisten vorführe.
Wenn Sie sagen, es gebe Zerstörungen durch
NATO-Bomben, sage ich Ihnen: Es ist schon zynisch
genug, daß die Gegenseite Wohnblocks sprengt, um den
Eindruck zu erwecken, eine Bombe habe ihr Ziel verfehlt und leider ein ziviles Objekt getroffen. Aber glauben Sie denn, das militärisch völlig unbedeutende Örtchen Studencane sei von auswärtigen Truppen zerstört
worden? Sie können auf solchen Bildern genau sehen,
daß jedes einzelne Haus von innen verbrannt worden ist.
Vergleichen Sie das einmal mit den Bildern und Erzählungen der Flüchtlinge! Was, meinen Sie, wird bei den
Menschen angerichtet, die irgendwo sicher gelebt haben,
wenn ihre Türen eingetreten werden, wenn schwarz
maskierte Männer in die Häuser eindringen, wenn die
Mitteilung heißt: „In fünf Minuten wirst du das Haus
verlassen, oder du wirst erschossen! Pack deine Klamotten, aber bitte keine Ausweispapiere!“? Weder ein
Ausweis noch eine Geburtsurkunde, noch eine Heiratsurkunde, nichts darf mitgenommen werden. Sogar die
Kirchenbücher werden nach Belgrad gebracht, um sie zu
vernichten, damit nur ja jeder Nachweis der Identität der
betroffenen Menschen zerstört ist.
Dann kommen Sie hierhin und halten solche Reden.
Schauen Sie sich die Bilder an! Ich führe sie Ihnen alle
vor. Es soll niemand den Eindruck haben, man habe das
nicht gewußt. Diese faule Ausrede, nicht zu wissen, daß
es Massenmord in Europa gibt, daß es ethnische Kriegsführung in Europa gibt, die Augen zuzumachen, um sich
hinterher als überraschter, durch sensationelle Enthüllungen plötzlich aufgeklärter Mensch reuig zu zeigen,
darf nicht sein, auch nicht in der innenpolitischen Auseinandersetzung.
({5})
Das alles hat mit den Erfahrungen in Bosnien und mit
dem zu tun, was wir in der Vergangenheit schon erlebt
haben. Auch ich weiß: Empörung ist kein Mittel der Politik, aber ein Antrieb. Dazu gehört ein klares Ziel - es
ist hier mehrfach genannt worden und in der großen
Mehrheit des Hauses unstreitig -, und dazu gehört verantwortungsbewußtes Handeln, damit man dieses Ziel
erreichen kann.
Niemand trifft solche Entscheidungen mit leichtem
Herzen, im Gegenteil. Aber wenn wir es nicht schaffen,
der Moral die politischen Instrumente zu geben und der
Politik die Moral, dann haben wir genau jene Teilung,
vor der ich persönlich Angst habe. Dann wird nämlich
die Reklamation der Moral folgenlos, oder sie läuft Gefahr, folgenlos zu bleiben. Dann gerät die Politik zur
kalten Technokratie.
Was die Hilfsorganisationen und die hilfsbereiten
Menschen leisten und was in ganz wenigen Stunden von
Karfreitag nacht bis Ostersamstag morgen aus dem Boden gestampft wurde, die Betreuung von mittlerweile
Tausenden Patienten, von Menschen, die mit Hungerödemen, mit schweren Erkrankungen anderer Art in die
Lager gekommen sind, das aufgebaute, jetzt in der Erweiterung befindliche Lager in Mazedonien, das, was
wir in Albanien in einem strikt humanitären Einsatz tun:
Wenn man wissen und hoffen könnte, daß dieser humanitäre Einsatz reichen würde, um die Probleme zu lösen,
dann wäre es ja gut. Aber er wird nicht reichen.
Albanien hat mehr als 10 Prozent seiner früheren Bevölkerung aufgenommen. Die Situation in Montenegro
ist außergewöhnlich risikoreich. Das zweite jugoslawische Armeekorps ist mobilisiert. Die montenegrinische
Regierung hat entschieden, sich an Maßnahmen der Rekrutierung nicht zu beteiligen. Sie hat ihre Polizeikräfte
verstärkt. Es ist kein Zufall, wenn in Montenegro jugoslawische Armeeverbände die Kasernen verlassen und
an bestimmten Punkten postiert werden. Auch das kennt
man aus der Vergangenheit. Es gibt vielfältige solche
Risiken.
Ich will auch hier im Deutschen Bundestag sagen: Sie
können ganz sicher sein, die Bundesregierung wird sich
um eine umfassende, gründliche Information so wie in
der Vergangenheit bemühen. Gerade wegen der enormen Belastungen für die betroffenen Menschen wird es
keine rechtlichen und auch keine politischen Grauzonen
geben. Daß zum Beispiel die NATO in einem entsprechenden Hauptquartier humanitäre Maßnahmen in Albanien koordiniert, hat exakt damit zu tun, daß der
UNHCR leider nicht in der Lage ist, das zu tun, weil er
nicht über die Kapazitäten verfügt. Daß diese Tätigkeiten von jedem militärischen Einsatz strikt getrennt bleiben müssen, versteht sich von selbst.
Vor diesem Hintergrund wird vielleicht deutlich,
warum diese von der Bundesregierung betriebenen Dinge zusammengehören: die Voraussetzungen schaffen,
um die militärischen Maßnahmen einstellen zu können,
Stabilität in der Region auch durch humanitäre Hilfe
voranbringen und gleichzeitig dem Balkan, dem südöstlichen Europa eine Perspektive geben. Ich bin davon
überzeugt: Gelingt uns das nicht, schaffen wir nicht in
Bulgarien, in Rumänien, in Mazedonien, in Albanien
oder andernorts gute Beispiele einer positiven wirtschaftlichen Entwicklung und eines kulturell vielfältigen, toleranten Zusammenlebens, dann können wir auch
nicht die demokratische Opposition, das europäische
Potential innerhalb Serbiens ermuntern. Mit Flugblättern
alleine, so wichtig sie sein mögen, wird das nicht
gehen.
Auch darin wird deutlich, daß Politik sich nicht im
Militärischen erschöpfen darf. Das tut sie Gott sei Dank
auch nicht. Ich fand es richtig, daß viele, am beeindrukkendsten wohl Erhard Eppler auf dem SPD-Parteitag,
von der Tragik der Situation gesprochen haben. Diese
Situation haben wir zwar nicht herbeigeführt, aber wir
müssen auf sie reagieren. Wenn nach den jahrelangen
Erfahrungen und den monatelangen Verhandlungen kein
anderes Mittel mehr zur Verfügung steht, dann muß man
auf diese Weise reagieren.
Ich weiß doch, wie der Außenminister und andere
verzweifelt versucht haben, in Kenntnis des Charakters
der Politik von Milosevic zu einem Ergebnis zu kommen. Ich weiß doch um das monatelange Hin- und
Herreisen von Hill, Petritsch und anderen. Ich weiß
auch, wie in den Tagen um Ostern herum das Außenministerium, die Mitarbeiter des Verteidigungsministeriums und die des Ministeriums für wirtschaftliche
Zusammenarbeit auch im Interesse der Stabilität der
betroffenen Staaten versucht haben, gegen dieses gewissermaßen alptraumhafte Ansteigen der Flut von
Vertriebenen einen Damm zu bauen und Hilfe zu organisieren.
Damit komme ich zu Fragen - es sind hier schon
rechtliche Fragen erörtert worden -, die über den Tag
und über den Konflikt hinausweisen: Hat denn nicht
auch die DDR die Schlußakte von Helsinki unterschrieben und ratifiziert? Steht nicht in der Schlußakte
von Helsinki, daß die Menschenrechtssituation eines
einzelnen Staates nicht mehr allein innere Angelegenheit
dieses Staates ist? War dies nicht ein großer Fortschritt
auf dem Weg hin zu einer europäischen Integration im
Sinne von gewaltfreiem Austausch und dem Respekt vor
den Menschenrechten und vor den Rechten der Minderheiten?
Ist es nicht so - es ist so -, daß die Regierungschefs
der im Weltsicherheitsrat vertretenen Nationen 1992
ausdrücklich und einstimmig beschlossen haben, daß zur
Durchsetzung der Menschenrechte auch Einschränkungen der staatlichen Souveränität erforderlich sein können? Ist es nicht so, daß schon am 9. September 1948
die Vereinten Nationen eine Konvention über die Verhütung und Bestrafung des Völkermordes verabschiedet
haben? Diese Konvention ging auf die schrecklichen Erfahrungen des zweiten Weltkriegs zurück. Kofi Annan
ist schon zitiert worden, der mit Blick auf diese Konvention am 9. April davon sprach, daß wir unter der
dunklen Wolke des Verbrechens des Völkermordes stehen. Er hat hinzugefügt: Der Weltsicherheitsrat darf
nicht zu einem Refugium derjenigen werden, die unter
dem Deckmantel der Souveränität schlimmste Verstöße
gegen die Menschenrechte vornehmen.
Wir sollten nicht vergessen, daß das Europäische
Parlament am 20. April 1994 die Partner der Europäischen Union ausdrücklich aufgefordert hat, an einem
rechtsbildenden Prozeß mitzuwirken, um das Völkerrecht so zu entwickeln, daß man aus humanitären Erwägungen und aus Erwägungen bezüglich der Menschenrechte unter folgenden Bedingungen eingreifen kann:
eine außerordentliche und äußerst ernste humanitäre
Notsituation - diese liegt vor -, eine Lähmung der Vereinten Nationen - auch sie liegt zur Zeit leider vor -, die
Vergeblichkeit aller anderen Lösungsversuche - es ist
über Monate versucht worden, Lösungen zu erreichen -,
eine begrenzte militärische Operation unter Wahrung
der Verhältnismäßigkeit der Mittel. Ich will Ihnen sagen,
daß die NATO in den letzten 10 Tagen 50 Prozent ihrer
geplanten Angriffe nicht durchgeführt hat, weil das Risiko ziviler Schäden nicht abgeschätzt werden konnte
oder zu groß war. Selbst wenn in Einzelfällen Fehler
passieren, was schrecklich und bedauerlich ist, so wundere ich mich doch über eine Art der Diskussion, die den
Tausenden von Ermordeten eine geringere Aufmerksamkeit nur deshalb schenkt, weil die NATO propagandistische Fähigkeiten und Mittel Gott sei Dank nicht so
entwickeln kann und entwickeln will, wie es das Regime
Milosevic mit seiner skrupellosen Propaganda getan hat.
Zu den Kriterien des Europäischen Parlaments zählte
im übrigen auch, daß die Operation so angelegt sein
muß, daß sie nicht Anlaß gibt, von den Vereinten Nationen verurteilt zu werden. Die weiterführende Frage wird
sein: Erlaubt die Souveränität des Staates im Konflikt
mit dem anderen Prinzip der Charta der Vereinten Nationen, nämlich der Ächtung von Verbrechen gegen die
Menschlichkeit, daß in diesem Staat Menschenrechte
mißachtet werden können? Haben wir es hier nicht
vielmehr mit einem objektiven Zielkonflikt zu tun, mit
dem man sich auseinandersetzen muß? Erlaubt die Souveränität des einzelnen Staates, daß er durch Vertreibung einer ganzen Bevölkerungsgruppe die Souveränität
und die Integrität seiner Nachbarstaaten in Gefahr
bringt, was im Fall von Mazedonien und Albanien ohne
Zweifel der Fall ist?
Brauchen wir nicht auch stärkere Mechanismen der
Krisenprävention? Denn der Kosovo - ich meine nicht
die letzten drei oder vier Wochen; ich meine auch nicht
die letzten drei oder vier Monate - ist ja auch ein Beispiel dafür, daß man über Monate und Jahre hat sehen
können, was sich dort anhäufte und anbahnte. Wer heute
beispielsweise den Artikel von Felipe González in der
„Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ liest, der wird entsprechende Hinweise aus der Sicht eines Beauftragten
der OSZE finden.
Brauchen wir nicht auch - ich stelle dies bewußt als
Frage - Mechanismen, um das Veto eines Atomwaffenstaates im Weltsicherheitsrat der Vereinten Nationen
überwinden zu können? Oder wollen wir in Zukunft wie immer die Mechanismen im einzelnen aussehen wirklich hinnehmen, daß eines der wenigen stabilisierenden Elemente in dieser Region, nämlich die Grenzsicherungsmission der Vereinten Nationen in Mazedonien mit dem Namen Unpredep, nur deshalb von China
blockiert worden ist, weil Mazedonien in chinesischen
Augen die Leichtfertigkeit begangen hat, Taiwan völkerrechtlich anzuerkennen?
Der Bundespräsident hat gesagt:
Indifferenz gegenüber Genozid zerstört die Grundlagen dessen, was die eigene Gesellschaft zusammenhält: das gemeinsame Verständnis von Recht
und Moral. Europa würde an seiner Seele Schaden
nehmen, wenn es Völkermord und ethnische Säuberungen auf seinem Boden hinnähme.
({6})
Es haben schon entsetzlich viele Menschen Schaden
genommen. Vielleicht gelingt es uns, in einem jahrelangen, dauerhaften Prozeß - angesichts dessen bitte ich
schon heute um die notwendige Aufmerksamkeit und
Konsequenz, die über Jahre hinweg aufrechterhalten
bleiben muß - diese Folgen bei denen zu lindern, die
überleben. Vielleicht sind diejenigen, die ermordet worden sind, in diesen Jahren der dauerhaften Anstrengungen eine stete Mahnung dafür, daß der Balkan und Südosteuropa nur dann Frieden gewinnen, wenn die Prinzipien der Schlußakte von Helsinki und die Erfahrungen
aus der europäischen Integration in geeigneter Weise auf
diesen Teil des europäischen Kontinentes übertragen
werden. Denn Frieden ist nicht allein die Abwesenheit
von Gewalt. Frieden ist die Anwesenheit von Versöhnung. Das wird verdammt schwer, ist unausweislich und
muß angepackt werden.
({7})
Zu einer
Kurzintervention erteile ich der Kollegin Lippmann von
der PDS-Fraktion das Wort.
Herr Minister Scharping,
Sie haben unterstellt, die PDS-Fraktion habe nichts wissen wollen. Wir würden die Augen verschließen und
einseitig Partei für Milosevic ergreifen.
({0})
Dies ist falsch, und dies weise ich im Namen der gesamten PDS-Bundestagsfraktion, aber auch im Namen
der Partei der PDS ausdrücklich zurück. Denn wir verurteilen die Menschenrechtsverletzungen im Kosova
ebenso wie die in der gesamten Bundesrepublik Jugoslawien, und dies nicht erst heute, sondern schon seit
vielen Jahren.
Der Herr Bundeskanzler wird sich vielleicht daran
erinnern, daß ich 1996 - damals noch im Niedersächsischen Landtag - für die Grünen einen Antrag eingebracht habe, der sich dagegen gerichtet hat, daß Bundesaußenminister Kinkel im Mai 1996 das Rücknahmeabkommen mit Herrn Milosevic abgeschlossen hat, das die
Rücknahme aller Flüchtlinge mit jugoslawischem Paß,
darunter serbische Deserteure sowie zu 80 Prozent
Flüchtlinge aus dem Kosova, Muslime aus dem Sandschak sowie Roma und Sinti, die alle geflüchtet waren,
vorsah. Daran erinnern Sie sich vielleicht, Herr Bundeskanzler. Ihre Partei hat diesen Antrag, der darauf abzielte, das Rücknahmeabkommen nicht zu unterzeichnen, sondern über eine Bundesratsinitiative und auf internationaler Ebene diplomatisch zu verhandeln, mit
dem Ziel, im Kosova eine gewisse Teilautonomie zurückzugewinnen, abgelehnt.
Wir sind nach wie vor der Meinung - und erhalten
dafür viel mehr Unterstützung aus der Bevölkerung als
aus diesem Haus; aber es gibt ja mittlerweile auch eine
breite Unterstützung aus der SPD und den Reihen der
Grünen -, daß die Bombardierungen militärischer und
ziviler Ziele in Jugoslawien und im Kosova nicht das
geeignete Mittel sind, den Frieden, der dringend erforderlich ist, herzustellen. Dadurch wird nicht ein Flüchtling nicht vertrieben, nicht ein Mord geschieht weniger.
Wir bedauern dies sehr. Doch Bomben sind nicht das
Mittel, diesen Frieden wiederherzustellen. Deswegen
appellieren wir, dringend politische Verhandlungen zu
führen und auf die UN und die OSZE zu setzen und
nicht weiter einseitig zu bombardieren.
({1})
Herr
Bundesminister Scharping, möchten Sie erwidern?
Nein.
Dann
erteile ich als nächstem Redner dem Kollegen Karl
Lamers von der CDU/CSU-Fraktion das Wort.
Herr Präsident! Verehrte
Kolleginnen und Kollegen! Ich scheue mich nicht, es zu
sagen: Der eindrucksvolle Auftritt des Bundesverteidigungsministers belegt noch einmal sehr nachdrücklich,
daß es nur äußerst selten - wenn überhaupt jemals eine kriegerische Auseinandersetzung gegeben hat, die
so ausschließlich von moralischen Motiven getragen
war, wie das im Kosovo-Konflikt für die NATO-Länder
zutrifft. Selbst in den USA - sonst gut für jeden Verdacht - wird von keinem Ernstzunehmendem ein
geostrategisches Interesse oder ähnliches unterstellt welches wohl auch?
Von den Kosten, die uns im Prinzip vorher bekannt
waren, will ich ganz schweigen. Damit meine ich nicht
in erster Linie die finanziellen Kosten, obwohl sie beträchtlich sind; vielmehr meine ich die politischen und
vor allem die psychischen Kosten. Nein, dieser Konflikt
ist für den Westen, ist für seine Völker und ihren Zusammenhalt eine außerordentliche Herausforderung. Er
ist eine große Anstrengung, deren Ergebnis ungewiß ist
und die im besten Fall in ziemlicher Zukunft erst nach
weiteren großen Anstrengungen Früchte tragen wird.
Also könnte doch trotz aller Mühen oder gerade um
ihretwillen unser Gewissen ruhig sein. Das sagt uns unser Verstand. Aber unser Herz will nicht recht darauf
hören. Wir alle sind unsicher und unruhig. Ich meine
nicht nur jene Unruhe, welche die Ungewißheit jeden
Krieges erzeugt. Es gibt noch eine andere Form von Unsicherheit in uns. Ich glaube, wir nähern uns ihr, wenn
wir uns die Frage stellen und zu beantworten suchen,
weshalb wir nicht von Krieg sprechen wollen, wenn wir
die Gewaltanwendung der NATO gegen Milosevic meinen.
Wir verstehen unter Krieg die Auseinandersetzungen,
die von Motiven und Zielen im Sinne handfester Interessen getragen sind und die hier eben fehlen. Auch die
Terminologie vom „gerechten“ Krieg ist uns verleidet,
hat sie doch allzuoft nur zur Bemäntelung solcher handfesten Interessen gedient. Aber natürlich müssen wir uns
darüber im klaren sein -, auch wenn dies kein Krieg im
herkömmlichen Sinne ist - daß doch die Regeln, die den
Krieg bestimmen, gelten. Etwa, daß erstens das Unvorhergesehene das Wahrscheinliche ist, daß zweitens der
Krieg zum Äußersten neigt und daß schließlich drittens
Klarheit und Wirklichkeitsnähe seiner Ziele über seinen
Erfolg oder Mißerfolg entscheiden. Das erste haben wir
bereits erlebt; vor dem zweiten erschrecken wir, und an
dem dritten mangelt es uns.
Ja, wir haben uns getäuscht, vielleicht weil wir es
wollten. Milosevic hat nicht schnell eingelenkt. Es mag
ebensogut sein, daß er es schnell tut oder daß es noch
sehr lange dauert. Es funktioniert nicht wie in Bosnien.
Das Unvorhergesehene war eben nicht das Unwahrscheinliche.
Böse überrascht sind wir durch das Anschwellen der
Flüchtlingszahlen seit den NATO-Luftschlägen. Zornig
sind wir wegen der Zahlen und des dahinterstehenden
Elends, des Leids und der Not, und zutiefst konsterniert
sind wir, weil Milosevic die NATO-Luftschläge nutzt,
um die schon lange geplante Vertreibung der Albaner
mit brutaler Konsequenz umzusetzen und so auch noch
den Schein eines ursächlichen Zusammenhangs zwischen beiden herzustellen, der NATO das Gefühl zu
vermitteln, als habe sie das Gegenteil von dem erreicht,
was sie bewirken wollte. Meine verehrten Kolleginnen
und Kollegen von der PDS, genau diesen Eindruck befördern Sie mit Ihrem Antrag. Deswegen bin ich übrigens dafür, daß wir ihn ablehnen und ihn nicht noch in
die Ausschüsse überweisen.
({0})
Unvorhergesehen - ich sage auch hier nicht: unvorhersehbar - ist schließlich die - soweit erkennbar - fast
totale Solidarisierung der Serben mit Milosevic. Wir alle
betonen - und dies vollkommen zu Recht -: Wir führen
keinen Krieg gegen die Serben. Aber die Serben sehen
das anders. Sie glauben zweifelsfrei, einen gerechten
Krieg zu führen. Sicher ist das eine der gefährlichsten
Folgen.
Wie sind diese Reaktionen möglich? Ich werde darauf zurückkommen. Doch zuvor will ich auf die zweite
Regel des Krieges zu sprechen kommen, seine Neigung
zum Äußersten, wie Clausewitz sagt, was in unserem
Fall den Einsatz von Bodentruppen meint. Im Sinne der
grausamen Logik des Krieges läge es, zu behaupten:
Wer „A“ sagt, muß auch „B“ sagen. Brecht dagegen
meint: Wer „A“ sagt, muß nicht „B“ sagen. Er muß es in
der Tat jedenfalls dann nicht, wenn er es nicht kann. Die
demokratisch verfaßten Völker, die wohlhabenden Völker des Westens können es nicht, weil ihnen die psychische Disposition abgeht, die zum Kriegführen mit Toten
notwendig ist, wenn es nicht unmittelbar um ihre eigene
Existenz geht. Es ist müßig, darüber zu streiten, ob das
ein Zeichen von Schwäche oder gar Dekadenz oder im
Gegenteil von Reife ist. Es kommt darauf an, wie wir
damit umgehen. Jedenfalls will ich nachdrücklich feststellen: Niemandes Verantwortung reicht weiter als seine Möglichkeiten reichen. Niemand muß mehr, als er
kann. Diejenigen, die uns jetzt sagen: „Dann hättet ihr
gar nicht erst anfangen sollen, überhaupt etwas zu tun“,
sind doch zumeist dieselben, die uns aufgefordert haben:
„Jetzt müßt ihr endlich etwas tun.“ Ich bin sicher, es wären auch dieselben, die uns auffordern würden, ganz
schnell Schluß zu machen, wenn es Tote gäbe. Daß es
diese in einer bestimmten Größenordnung gäbe, die ich
nicht näher bezeichnen will, dessen bin ich mir sicher.
Das gehört zur Ambivalenz der Stimmungen in demokratisch verfaßten Gesellschaften. Weil das so ist, verehrte Kolleginnen und Kollegen, bin ich, wie Wolfgang
Schäuble, gegenüber einer allzu emotionalen Rhetorik
und einem gewissen moralischen Überschuß skeptisch.
Beide sind Elemente in dem Prozeß, der den Krieg zum
Äußersten treibt. Sie drohen damit, das außer acht zu
lassen, was möglich und damit das Eigentliche ist, das
heißt, das politisches Ziel sein soll und sein kann. Über
dieses kann man in den Verlautbarungen der NATOLänder nicht allzuviel lesen. Ich meine damit natürlich
nicht die klare und vollkommen selbstverständliche Forderung nach dem Ende der Kämpfe, dem Abzug der
Streitkräfte der Serben, der Rückkehr der Flüchtlinge
und der Stationierung einer internationalen Schutztruppe. Ich meine nicht alle Anstrengungen zur Beendigung von Vertreibungen und der Kämpfe und auch nicht
das, was jetzt etwas großspurig, wie ich finde, „Friedensplan“ genannt wird. Das alles ist richtig. Wir unterstützen dies einschließlich der Bemühungen, die Russen
wieder stärker einzubeziehen. Nein, ich meine das, was
danach kommt, den politischen Zustand nach dem Ende
der Kämpfe. Ich meine eine tragfähige Grundlage für
den Frieden. Dazu reichen auch nicht - so richtig es ist
und sosehr wir es unterstützen - all die Pläne zur Unterstützung dieses Zustandes des Friedens, also das, was
jetzt unter den Stichwörtern Stabilitätsvereinbarungen
und Stabilitätspakt läuft. Solche Vorkehrungen können
nur ein Fundament sichern helfen, welches das Einverständnis der Betroffenen findet, auch der Serben. Wie
wäre es um dieses Einverständnis aller Betroffenen bestellt, würden wir unsere Ziele nur gegen diese durchkämpfen, etwa mit Bodentruppen?
Wie steht es also mit diesem politischen Ziel, dessen
Klarheit und Wirklichkeitsnähe nicht nur über den Erfolg und Mißerfolg des Krieges entscheidet - das zeigen
alle historischen Erfahrungen -, sondern natürlich auch
die Aussichten auf ein Ende der Kämpfe verbessert oder
verschlechtert? Wir lesen von einem demokratischen,
multiethnischen Kosovo auf der Basis des RambouilletAbkommens.
Das multiethnische Kosovo wie auch das multiethnische Ex-Jugoslawien gab es nur unter Druck, also undemokratisch. Wie soll ein solches erst nach alldem, was
vorgefallen ist, wieder möglich sein? Niemand kann
daran noch glauben. Das hat übrigens für die albanische
Seite der Außenminister Albaniens soeben in Bonn ausdrücklich bestätigt. Welche Folgen hat das für den politischen Rahmen von Rambouillet, also für die Autonomie und die völkerrechtliche bzw. staatsrechtliche Zugehörigkeit des Kosovo zu Jugoslawien? Beides haben
die Albaner, was ich absolut verstehen kann, nie wirklich akzeptiert. Sie haben das Abkommen von Rambouillet unterschrieben, weil sie wußten, daß die Serben
dies nicht tun würden. Aus ein und demselben Grund
haben die einen unterschrieben und die anderen nicht.
Von der vorgesehenen Stationierung einer NATOTruppe befürchteten die Serben, was die Kosovaren erhofften: daß dies ein erster Schritt zur Loslösung des
Kosovo von Jugoslawien sein könnte. In einem solchen
unabhängigen Kosovo als Zwischenschritt zu einem Anschluß an Albanien würde mit Sicherheit kein Serbe
mehr leben wollen, selbst wenn wir jedem von ihnen
versprächen, ihm einen westlichen Polizisten an die
Seite zu stellen.
Übrigens gibt es auch kaum mehr Serben in der kroatischen Krajina - etwas, was wir stillschweigend hingenommen haben.
({1})
Und wie es mit der dauerhaften Rückkehr der bosnischen Flüchtlinge in ihre jeweiligen Heimatorte mit
einer inzwischen anderen ethnischen Zusammensetzung
bestellt ist, will ich, verehrte Kolleginnen und Kollegen,
nur als Frage aufwerfen.
Die Erinnerung an diese Tatsachen weist übrigens auf
den Zusammenhang der einzelnen Konfliktfelder im
früheren Jugoslawien hin. Deswegen brauchen wir endlich ein Konzept für den Balkan insgesamt, so verständlich der Versuch war und ist, die einzelnen Brandherde
zu isolieren. Dies haben wir zuletzt im DaytonAbkommen mit der Ausklammerung des Kosovo versucht. Den Erfolg sehen wir jetzt.
Was also bleibt als Lösung für den Kosovo: etwa seine Teilung? Ich will dieser hier nicht das Wort reden,
sondern nur darauf aufmerksam machen, daß sowohl
unser moralisches Unbehagen, von dem ich eingangs
sprach, als auch die Unklarheit über unser politisches
Ziel ein und demselben Dilemma entspringen, nämlich
der Unvereinbarkeit unserer wechselseitigen Grundvorstellungen vom Zusammenleben der Menschen unterschiedlicher Herkunft in politischen Gemeinschaften.
Alle Völker dort, die Kroaten, die Serben, die Bosniaken
und die Albaner, wollen nicht gemeinsam in einem Staat
zusammenleben. Sie halten diese Einstellung, einschließlich der Bereitschaft zu Repression und Gewalt,
für moralisch ebenso legitim wie wir das Umgekehrte.
Nicht, daß ich hier einem moralischen Neutralismus
das Wort rede. Die Frage ist nur: Lassen sich andere zu
ihrem Glück zwingen? Gibt es ein objektives Glück?
Oder bescheidener: Gibt es zumindest eine objektive
Vernünftigkeit?
Wir, der Westen, stoßen auf dem Balkan auf eine andere Welt. Es ist die Ungleichzeitigkeit zweier Welten,
die die Lösung des Problems, vor dem wir im Kosovo
und in ganz Ex-Jugoslawien stehen, für uns so unglaublich schwermacht. Wir werden es nur lösen, wenn wir
die Welt auch mit den Augen derjenigen zu sehen versuchen, die uns so fremd sind und doch so nah - nicht nur
räumlich, sondern auch in bezug auf unsere eigene Vergangenheit. Müssen wir nicht auch Lösungen suchen,
die der jeweiligen Zeit entsprechen?
Ich hoffe wirklich sehr, verehrte Kolleginnen und
Kollegen, die emotionale, die moralische Erregung, in
der wir uns alle befinden, läßt Sie meine Worte nicht
mißverstehen, sondern läßt sie begreifen als die Aufforderung, auch das Schwerste zu wagen, um den Krieg,
die Vertreibung, das Elend und Leid zu beenden und
Frieden dauerhaft zu begründen, nämlich die eigenen
Vorstellungen in ihrer Absolutheit in Frage zu stellen:
({2})
nicht unsere Werte, sondern unsere Vorstellung von ihrer Umsetzung in einer ihnen feindlichen Welt.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
({3})
Als
nächster Redner hat der Kollege Gernot Erler von der
SPD-Fraktion das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Von dieser Debatte muß ein dopKarl Lamers
peltes Signal der Entschlossenheit ausgehen: einerseits,
weiter dem Feldzug der serbischen Führung gegen die
eigene Bevölkerung entgegenzutreten, auch mit militärischen Mitteln, bis Milosevic seine Entvölkerungspolitik
im Kosovo aufgibt; andererseits, alles zu tun, daß die
Notwendigkeit der Luftangriffe so schnell wie möglich
durch internationale politische Anstrengungen abgelöst
wird.
Der Friedensplan der Bundesregierung - es ist wirklich ein Friedensplan, Kollege Lamers - kommt im richtigen Moment. Es gibt Ernüchterung darüber, was die
Luftangriffe nach drei Wochen haben bewirken können.
Die Feststellung, daß die Ziele, die damit verbunden waren, nicht erreicht worden sind, ist richtig. Aber die Unnachgiebigkeit, die Entschlossenheit von Milosevic, das
verbrecherische Vorgehen fortzusetzen, dauert an. Auch
diese Erfahrung mußte der Kollege Gysi in Belgrad
noch einmal machen. Das bedeutet: Der Druck muß
fortgesetzt werden, weil es sonst überhaupt keine politische Lösung gibt.
({0})
Das Nadelöhr ist nach wie vor die Beendigung der militärischen Aktionen von Milosevic gegen die eigene Bevölkerung und die Zulassung, daß ein sicheres Umfeld
für die Rückkehr der Flüchtlinge geschaffen wird. Solange dazu keine Bereitschaft besteht - die gibt es leider
bis heute nicht -, muß der militärische Druck fortgesetzt
werden.
Wenn es in dieser Düsternis einen Lichtblick gibt,
dann ist es der, daß in den letzten Tagen die Dynamik in
den politischen Prozeß hineingekommen ist, die wir uns
schon lange wünschen. Fast im Stundentakt finden Begegnungen statt: zwischen Albright und Iwanow, zwischen Fischer und Tarasjuk, zwischen den europäischen
Regierungschefs und Kofi Annan. Im Zentrum steht nun
ein deutscher Vorschlag, der ein UN-Mandat will, der
Rußland in die politische Arbeit zurückbringen will und
der eine Feuerpause bei Beginn des Abzugs der jugoslawischen Truppen vorsieht.
Was sind die besonderen Kennzeichen dieses Friedensplans? Zunächst: Es soll eine weltweite Verantwortung für den Konflikt etabliert werden. Der traditionelle Freund und Vertrauenspartner Serbiens, nämlich
Rußland, soll eine entscheidende Rolle spielen. Und ganz wichtig - eine kontrollierte Unterbrechung der
Luftangriffe soll zum frühestmöglichen Zeitpunkt möglich werden. Außerdem sieht dieser Vorschlag der Bundesregierung vor, Garantien gegen die Einseitigkeit zu
geben. Die UCK soll zum frühestmöglichen Zeitpunkt,
nämlich wenn die internationalen Friedenskräfte im Kosovo einrücken, entwaffnet werden.
An dieser Stelle möchte ich einen Appell an die russische Regierung richten. Ich möchte zum Ausdruck bringen, daß wir Grund für einen großen Respekt für die
Haltung von Primakow und der russischen Regierung
haben. Es gehört Mut dazu, dem proserbischen Populismus im eigenen Land Widerstand entgegenzubringen.
Man muß anerkennen, welche Vermittlungsversuche
schon gemacht worden sind - mit der Reise von Primakow selbst, aber auch jetzt mit der Einsetzung seines
Vorgängers Viktor Tschernomyrdin als Sonderbeauftragten.
({1})
Ich appelliere jetzt an die russische Führung, anzuerkennen, daß der Westen bei der Frage der Zusammensetzung der Sicherheitskräfte sich bewegt hat, daß jetzt
die Forderung nach einer Art von Teilnahmeverbot von
NATO-Ländern insgesamt keinen Sinn macht, weil ohne
die technischen Voraussetzungen und Fähigkeiten der
NATO eine solche große Operation im Kosovo zum
Schutz der Wehrlosen nicht möglich ist und - darauf
wurde schon hingewiesen - die Frage des Vertrauens
der Rückkehrwilligen tangiert ist. Man kann ihnen ja gar
nicht zumuten, in ein Umfeld zurückzukehren, wo sie
nicht eine internationale Garantie für ihre Sicherheit haben. Ich appelliere an die russische Führung, über ihre
Zustimmung zu dem Friedensplan nun nicht in Belgrad
entscheiden zu lassen. Das ist nicht möglich; wir wissen,
was das bedeutet.
Ich appelliere auch an die Vereinigten Staaten und an
unsere westlichen Partner: Es kann jetzt nicht um die
Frage des Vaterrechts für bestimmte Vorschläge gehen,
die uns aus dem Dilemma herausführen. Wir sind ja bereit, auch über Änderungen zu reden. Aber ich appelliere
an sie, daß sie jetzt den Abstimmungsprozeß über diesen
Friedensplan beschleunigen mögen.
Das Grundkonzept ist doch vernünftig und muß doch
konsensfähig sein, nämlich UN-Mandat, Einbeziehung
der Russischen Föderation und frühestmögliche Feuerpause. Das ist ein Konzept, das jetzt viele Hoffnungen
weckt, und sie dürfen nicht enttäuscht werden.
({2})
Trotz vieler Hoffnungen, liebe Kolleginnen und Kollegen - Herr Lamers hat dies eben auch so ausgedrückt
-, gibt es ein tiefsitzendes Unbehagen bei vielen von uns
darüber, wie wir überhaupt in diese Situation geraten
sind. Wie kam es denn, daß nach und nach die politischen Optionen immer weniger wurden, daß dann nur
noch eine militärische Drohung übrigzubleiben schien
und daß am Ende, weil diese Drohung nicht funktionierte, das Angedrohte wahrgemacht wurde? Ein Modell
internationaler Politik, das nach diesen Abläufen funktioniert, ist defizitär. Das haben wir nach Beendigung
dieses Konflikts aufzuarbeiten.
Aber einige wenige Punkte lassen sich heute schon
feststellen. Es gibt ein Mißverhältnis zwischen unseren
Fähigkeiten zu einer militärischen Intervention auf der
einen Seite und den Fähigkeiten zu vorausschauender
Friedenspolitik und Krisenprävention auf der anderen
Seite. Das ist eine gefährliche Entwicklung des internationalen Systems.
In der Tat war der Konflikt im Kosovo lange vorauszusehen. Er hat - das ist eben noch einmal gesagt worden - 1989 durch die Abschaffung des Autonomiestatuts
angefangen. Danach aber hat schon Milosevic eine
strukturelle Vertreibungspolitik gegen die KosovoAlbaner durchgeführt. Sie hatten keine eigenen Schulen
mehr, keine eigenen Universitäten mehr; sie wurden aus
ihren eigenen Krankenhäusern und von ihren Arbeitsplätzen vertrieben. Lange Zeit hat die Vertretung der
Kosovo-Albaner im Westen dafür geworben, einen
Blick darauf zu werfen, etwas zu tun. Es handelte sich
um eine gemäßigte Führung.
An dieser Stelle möchte ich eine Forderung zum
Ausdruck bringen: Wir fordern von diesem Platz im
Deutschen Bundestag die serbische Führung auf, Herrn
Ibrahim Rugova, der der Führer dieser gemäßigten Vertretung war, sofort die Freiheit zu geben und seine Demütigung zu beenden.
({3})
Wir wissen, daß der Westen nicht die Kraft gefunden
hat, im Kosovo präventiv einzugreifen. Das hat nachher
zu der Radikalisierung auch der Kosovo-Vertretung und
zur Bildung der Ushtria Climentare e Kosoves, das heißt
der Befreiungsarmee des Kosovo, die wir unter der Abkürzung UCK kennen, geführt. Das bedeutet: Die Vorgeschichte ist auch die Vorgeschichte des Wegsehens,
des Scheiterns von Prävention gewesen. Anders ausgedrückt: Wir sprechen beim Einsatz von militärischen
Mitteln von der Ultima ratio. Die Frage lautet: Wie ist es
um die Stärke der Ratio bestellt, die davorzustehen hat?
Wir stellen fest, sie ist zu nackt.
Ein Beispiel dafür gibt die OSZE, die Einrichtung,
die am ehesten in der Lage ist, präventiv tätig zu werden. In diesem Konflikt war die OSZE nicht in der Lage,
2 000 unbewaffnete Beobachter innerhalb von fünf Monaten in den Kosovo zu bringen. Als die Mission beendet wurde, waren dort 1 380, das sind nur zwei Drittel.
Ich klage die OSZE nicht an. Ich sage eher: Für uns ist
es eine Mahnung, die OSZE endlich zu stärken, damit
die präventiven Aufgaben wahrgenommen werden können.
({4})
Ich begrüße ausdrücklich die wirklich notwendige
Initiative, einen Stabilitätspakt für den ganzen Balkan
zu begründen, aber in Zukunft dürfen die Stabilitätspakte nicht auf die Tagesordnung kommen, wenn es
darum geht, Zerstörungen aufzuarbeiten. Statt dessen
hätten wir ihn vorher gebraucht, aber auch das zeigt die
Schwäche der präventiven Fähigkeiten.
In diesem Zusammenhang möchte ich noch einen
Punkt ansprechen: In der Vorgeschichte des Konflikts
hat es die Isolierung der serbischen Regierung gegeben.
Die Hauptverantwortung - das möchte ich ausdrücklich
betonen - trägt dafür die serbische Führung selbst, es
war ein Akt der Selbstisolierung. Der Westen aber hat es
nicht vermocht zu verhindern, daß sich Isolierung und
Selbstisolierung zu einer Situation aufgeschaukelt haben, in der man Milosevic mit politischen Argumenten,
auch mit politischen Drohungen, nicht mehr erreichen
konnte. Man nennt so etwas eine No-win-Situation. Das
ist eine Situation, in der bei den besten Argumenten das
Motiv fehlt, um positiv zu reagieren, weil nichts mehr
vorhanden ist, mit dem politisches Wohlverhalten prämiert werden kann.
Diese Isolierungspolitik hat sich als verhängnisvoll
erwiesen. Man kann auch sagen: Aus dieser Aufschaukelung ist Serbien zu einem ersten europäischen „Schurkenstaat“ geworden. Ich habe den Bedarf, auch mit unseren amerikanischen Freunden die Rogue-Doktrin, die
Schurkenstaatstheorie zu diskutieren. Diese Politik hat
sich als nicht gerade hilfreich erwiesen.
Nach dem Systembruch von 1989, nach dem Ende
des kalten Kriegs, das mit soviel positiven Erwartungen
verknüpft war, müssen wir heute - zehn Jahre danach feststellen: Die Hemmschwelle, militärische Drohungen
oder sogar die Anwendung militärischer Gewalt zur
Verfolgung von politischen Zielen zu nutzen, ist gesunken. Das ist eine sehr nüchterne Bilanz. Das heißt, es ist
zu einer Alltagserscheinung geworden, aber die Bilanz
ist fragwürdig und der Weg gefährlich.
({5})
Für mich heißt das: Es gibt keine Alternative zur
Weiterverfolgung eines Gewaltmonopols für die Vereinten Nationen. Es müssen aber andere Vereinte Nationen sein als die, die wir jetzt haben. Das Vetorecht der
fünf Atomstaaten - ein Relikt aus dem zweiten Weltkrieg - hat sich als verhängnisvoll erwiesen.
({6})
Das Verhalten der Chinesen ist schon angesprochen
worden. Wir müssen durch eine Reform der Vereinten
Nationen, die wirklich auf der Tagesordnung steht, endlich erreichen, daß diese wichtige Weltorganisation, die
unverzichtbar ist, tatsächlich die Verantwortung, die sie
über das Gewaltmonopol innehat, wahrnehmen kann.
Das ist eine wichtige Zwischenbilanz der Erfahrungen
der letzten Wochen.
Ich komme zu den Aufgaben des Tages zurück. Der
Friedensplan der Bundesregierung, die großen Leistungen zur Flüchtlingshilfe und der perspektivisch angelegte Stabilitätsplan für den Balkan besetzen im Augenblick den Hoffnungsplatz in der aktuellen Situation.
Diese drei Ansätze sind eine Handschrift dieser Regierung. Ich finde, sie verdienen das Vertrauen und die
Unterstützung des Deutschen Bundestages. Die SPDFraktion jedenfalls unterstützt diesen Weg nachhaltig.
({7})
Ich möchte abschließen, indem ich mich mit einem
Wort an die etwa 500 000 Serben in der Bundesrepublik
Deutschland wende: Ich finde, sie sind in einer sehr
schwierigen Lage. Sie haben zwischen verschiedenen
Solidaritäten zu entscheiden. Sie erleben übrigens auch
- das wird leider zu selten erwähnt -, daß Milosevic im
Windschatten der Kriegsereignisse einen radikalen Prozeß mit der oppositionellen Intelligenz in Serbien macht
- ein Verlust, unter dem Serbien noch lange wird leiden
müssen und den wir ebenso anprangern müssen wie das
Vorgehen im Kosovo gegen die dortige albanische Bevölkerung.
Ich möchte hier zum Ausdruck bringen: Wir wollen,
daß Serbien in Zukunft - so schwer das heute im Kontext der jetzigen Entwicklung und der Erfahrungen mit
Milosevic zum Ausdruck zu bringen ist - Teil der europäischen Gesellschaft ist. Wir haben einen hohen Respekt vor der Kultur der Serben aus vielen Jahrhunderten, vor ihrem kulturellen Beitrag zur europäischen Geschichte. Wir wollen den Integrationsprozeß sofort
nach der Beendigung des Konfliktes - dieser Punkt betrifft auch den Stabilitätspakt - fortsetzen. Das ist eine
Botschaft an die vielen serbischen Mitbürger unter uns,
die auch lauten soll: Es wird kein Krieg gegen Serbien
geführt, sondern ein Krieg gegen ein unverantwortliches
Regime.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({8})
Als
nächste Rednerin hat die Kollegin Annelie Buntenbach,
Bündnis 90/Die Grünen, das Wort.
Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren!
Wir - hier spreche ich für eine Minderheit in meiner
Fraktion - fordern die sofortige Einstellung der Luftangriffe der NATO auf Jugoslawien und die Rückkehr an
den Verhandlungstisch.
({0})
Wir wollen die Einstellung aller Kampfhandlungen erreichen. Jede diplomatische Initiative, jede internationale Vermittlung, die zu einer politischen Lösung des
Konflikts führen kann, hat unsere Unterstützung. Nur
Politik kann die Logik der in ihren Konsequenzen unüberschaubaren Eskalationsschritte, die jetzt vor unseren
Augen ablaufen, durchbrechen. Militärische Mittel werden uns nicht aus der Sackgasse herausführen, sondern
nur immer tiefer herein.
({1})
Seit inzwischen 22 Tagen steht die Bundesrepublik
Deutschland zum erstenmal seit Ende des zweiten
Weltkrieges in einem Krieg, bombardiert die NATO Jugoslawien. Das formulierte Ziel, die humanitäre Katastrophe zu verhindern, hat sie damit nicht erreichen
können. Der unsäglichen ethnischen Vertreibungspolitik
von Milosevic hat sie nicht Einhalt geboten. Vielmehr
muß sie sich nach drei langen Wochen der Bilanz stellen, daß sich während der Luftangriffe die Situation gerade für die Zivilbevölkerung und für die inzwischen
zahllosen Flüchtlinge noch verschlimmert hat. Auch
Krieg ist Menschenrechtsverletzung. Die chirurgische
Bombardierung, den sauberen Computerkrieg, der zivile
Opfer, Tod und Zerstörung ausschließen würde, gibt es
in der Realität nicht.
Auch das zweite formulierte Ziel hat die NATO nicht
erreicht, nämlich die jugoslawische Unterschrift unter
das Rambouillet-Abkommen herbeizubomben. Dieses
Ziel scheint inzwischen überholt; trotzdem wird weiter
bombardiert.
Daß die NATO auf das Scheitern ihrer politischen
Ziele mit der Verstärkung der Luftangriffe reagiert, erschreckt mich. Wo ist der Ausstieg aus dieser hochriskanten Eskalationslogik? Ist das Ziel der NATO erst erreicht, wenn die jugoslawische Regierung fällt? Das
hieße nicht nur Bombardierung bis zum Ende, das hieße
auch Einsatz von Bodentruppen mit den damit verbundenen Risiken, die kein Mensch wirklich verantworten
kann. Schon aus unserer historischen Verantwortung
heraus müssen wir alles tun, damit es nie mehr zum Einsatz von Bodentruppen in Jugoslawien kommt.
({2})
Das ist die rote Linie, die Rußland markiert hat. Schon
jetzt kann der Funke jederzeit in der Region überspringen: nach Albanien, nach Bosnien, nach Montenegro,
nach Mazedonien - ein Funke, der zum Brand werden
kann.
Wir müssen aus dieser militärischen Eskalationslogik,
die die Chancen zu einer tragfähigen politischen Lösung
verschlechtert, aussteigen. Die Position von Milosevic
ist durch die NATO-Angriffe gestärkt worden. Der
Handlungsspielraum der serbischen Opposition, die wir
doch genau wie die friedlichen kosovo-albanischen
Kräfte dringend stärken müßten, ist zunichte gemacht.
Der Kollege Hirsch hat von dieser Stelle aus bei der
Entscheidung zu „act ord“ der NATO am 16. Oktober
1998 seine Befürchtung formuliert, daß durch die völkerrechtswidrige Selbstmandatierung der NATO das
Völkerrecht auf den Stand vor der Gründung der UN zurückzufallen drohe. Wir beschädigen diejenigen Instrumente, die wir dringend brauchen, wenn wir international handlungsfähig sein wollen, auch und gerade zivil
international handlungsfähig. Wären sich die Westmächte in den letzten Jahren in ihrer zivilen Jugoslawienpolitik so einig gewesen, wie es jetzt bei diesem
Krieg der Fall ist, dann sähe die politische Situation in
der Region mit Sicherheit ganz anders aus.
({3})
Um die schon seit langem schwelenden Konflikte
wirklich ernsthaft lösen zu können, brauchen wir eine
Balkankonferenz unter Federführung der UN und Unterstützung beim wirtschaftlichen Wiederaufbau. Aber
davor müssen wir alles für die humanitäre Hilfe der
Flüchtlinge und dann für ihre gesicherte Rückkehr tun.
Ein ausgehandeltes und unterzeichnetes Friedensabkommen, das wir uns alle wünschen, wird internationale
Absicherung brauchen. Allerdings kommt dafür nicht
die NATO in Frage; denn sie ist spätestens mit den
Luftangriffen zur Kriegspartei geworden.
({4})
Auch wenn die OSZE oder die UNO diese Absicherung übernehmen würde, sollten die NATO-Staaten
nicht die tragende Rolle bei einem solchen Einsatz übernehmen. Der erste Schritt hin zu einem solchen Szenario
ist die sofortige Einstellung der Luftangriffe, die Einstellung aller Kampfhandlungen und die Rückkehr an
den Verhandlungstisch.
({5})
Als
nächster Redner hat der Kollege Christian Schmidt von
der CDU/CSU-Fraktion das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich habe
mich noch einmal versichert, daß meine Vorrednerin für
eine Partei der Regierungskoalition gesprochen hat. Die
Töne, die sie angeschlagen hat, passen nicht gerade zu
dem, was ihr Außenminister zu Beginn dieser Debatte in
eindrucksvollen Worten gesagt hat.
({0})
Wir jedenfalls unterstützen in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht das, was Bundesverteidigungsminister
Scharping auch zu rechtlichen Fragen dargelegt hat.
Ich möchte eines unterstreichen: Frau Kollegin Buntenbach, Ihr Verdikt, die Weltordnung würde auf die
Zeit vor der Verabschiedung der Charta der Vereinten
Nationen zurückgeworfen, entbehrt jeder Realität, weil
die Lückenhaftigkeit dieser Ordnung - sie war schon in
ihrem Zustandekommen angelegt - bis heute nicht völlig
beseitigt ist. Ich bin dem Verteidigungsminister sehr
dankbar, daß er hier einige Fundstellen genannt hat, die
darauf durchaus bezogen werden können.
Gehen wir von der uns alle bewegenden Frage, wie
wir die Menschenrechte dort schützen können, über zur
Frage, welche Gefahren für den Frieden in Europa, für
Montenegro, möglicherweise für Albanien und für Mazedonien von einer uneingedämmten Entwicklung im
Kosovo à la Milosevic ausgehen. Wir kommen zur Frage des europäischen Interesses an der Eindämmung eines solchen Konfliktes.
Die Gefahr der Internationalisierung, die nicht nur
theoretisch-abstrakt besteht, sondern seit dieser Woche
mit den Übergriffen auf albanische Dörfer praktisch geworden ist, haben wir bereits vor einiger Zeit, bei unseren Diskussionen im letzten Jahr, behandelt. Damals haben wir gesagt: Hinsichtlich einer tragfähigen Rechtsgrundlage kommen wir in die Reichweite des Art. 51 der
Charta der Vereinten Nationen, den Sie alle gut kennen.
Es geht dort um das Recht auf kollektive Selbstverteidigung, also um den Schutz vor Aggressionen.
In diesem Punkt stimmt das europäische Interesse
durchaus mit dem Interesse der Weltgemeinschaft überein. Deswegen ist es nicht mehr als konsequent, daß der
Generalsekretär der Vereinten Nationen der NATOInitiative nicht widersprochen hat, sondern ganz im Gegenteil bereit ist, mit seinen Mitteln und Möglichkeiten
für eine Vermittlungsaktion zur Verfügung zu stehen.
Diese Aktion kann nur dann als vermittelnd bezeichnet
werden, wenn das Recht durchgesetzt wird. Nicht nur
die Tatsachen, sondern auch das Völkerrecht sprechen in
diesem Vorgehen der NATO für sich.
({1})
Man braucht hier kein schlechtes Gewissen zu haben.
Das schlechte Gewissen liegt bei Herrn Milosevic. Die
Schuld für die Toten liegt auch bei Herrn Milosevic.
Um aber der Gefahr einer stufenweisen Eskalation bis
hin zu einem Pulverfaß Balkan, das nicht nur in diesem
Jahrhundert, sondern auch schon in den vergangenen
Jahrhunderten viele Konflikte in Europa verursacht hat,
zu entgehen, müssen wir in unserem eigenen Friedensinteresse jetzt handeln. Daß es dabei keine Automatik des Handelns geben darf gemäß der Vorstellung,
ein erster Schritt ist getan und im Sinne eines unerbittlichen Ablaufes müßte die Eskalation ad infinitum vorangehen, ist ein anderer Punkt. Die Politik muß nach wie
vor die Aktivitäten beherrschen und auch die Weisheit
und Klugheit besitzen, sie zu kanalisieren, wenn sie
nicht mehr kontrollierbar sind. Diese Frage ist nach
dem, was wir hören, berücksichtigt. Wir unterstützen die
Bundesregierung und das Bündnis, die NATO insgesamt, in dieser Frage.
Wir wissen, daß bei allen weiteren Entscheidungen
der Bundestag noch einmal gehört werden und entscheiden muß. Wir werden dann, wenn der Bundestag noch
einmal gefragt werden muß, in aller Sorgsamkeit und
mit Bedachtsamkeit autonom entscheiden, welche angemessenen Möglichkeiten und welchen Rahmen wir
für unser Handeln im Kosovo sehen.
Herzlichen Dank.
({2})
Als
nächster Redner hat der Kollege Eberhard Brecht von
der SPD-Fraktion das Wort.
Sehr geehrter Herr
Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Ich glaube, die erneute Debatte am heutigen Tage
über das Thema Kosovo ist überfällig. Der Konflikt
selbst ist so brennend, daß sich das Parlament nicht heraushalten darf. Wir müssen die Exekutive bei diesem
Prozeß kritisch begleiten. Die Entwicklung der letzten
Tage und Stunden hat, wie ich denke, gezeigt, wie
wichtig diese Debatte ist.
Parallel dazu gibt es auch eine Debatte in der deutschen Bevölkerung, die sehr emotional geführt wird,
weil sie das eigene Selbstverständnis betrifft. Diese Debatte wird an Hand von drei Kriterien geführt: Es ist das
Kriterium der völkerrechtlichen Legitimation, es ist das
Kriterium der Effektivität dessen, was wir tun, und
schließlich ist es das Kriterium der Moral.
Zum ersten Kriterium: Ich warne davor, daß wir trotz
persönlicher Betroffenheit und Emotionalität das Dilemma hinsichtlich der völkerrechtlichen Legitimation
einfach nicht anerkennen wollen, wie es eben bei Herrn
Kollegen Schmidt der Fall war. Natürlich gibt es keinen
seriösen Völkerrechtler, der sagt, diese Legitimation sei
klar und eindeutig vorhanden. Es gibt sie in der gewünschten Eindeutigkeit nicht. Wir sind gut beraten,
wenn wir diese rechtliche Debatte nicht beiseite schieben und sagen, das sei politikferner Legalismus und die
Weltgeschichte sei kein Amtsgericht, sondern wir müssen uns dem Dilemma stellen. Die Debatte am 16. Oktober letzten Jahres hat ja auch gezeigt, daß die Mehrheit
der Befürworter eines Einsatzes und seiner Androhung
dieses Dilemma tatsächlich auch so gesehen hat.
Als Konsequenz aus diesem Dilemma müssen wir
uns die Frage stellen, wie wir in Zukunft mit ähnlichen
Situationen umgehen. Wir sind gut beraten, wenn wir
die vielen Vorschläge, die von seiten der Politikwissenschaft und von Völkerrechtlern unterbreitet wurden, eine
humanitäre Intervention völkerrechtlich zu legalisieren,
auch aufnehmen und endlich in einen internationalen
Diskussionsprozeß über diese ganz wichtige Frage eintreten.
Ein zweiter Diskussionsstrang betrifft die Effektivität dessen, was wir tun. Auf der einen Seite besteht ein
hohes Risiko für die Soldaten und das Risiko der Eskalation. Das ist hier heute mehrfach erwähnt worden. Außerdem haben die westlichen Staaten einen sehr hohen
materiellen Aufwand zu erbringen.
Auf der anderen Seite stehen die Ziele, die wir eigentlich erreichen wollen. Es ist zu Recht gesagt worden, diese Ziele sind bisher nicht erreicht worden. Das
Abkommen von Rambouillet ist nicht unterschrieben,
und das Töten und Vertreiben geht weiter.
Umgekehrt muß man aber einmal fragen: Was hätte
denn passieren sollen? Hätten wir mit Bodentruppen
einmarschieren sollen oder die Belgrader Luftabwehr
ignorieren und ein hohes Risiko für die deutschen Soldaten eingehen sollen? Das wäre eine unverantwortliche
Politik. Ich kann nur davor warnen, mit diesem Totschlagargument die NATO abstrafen zu wollen.
Viel wichtiger ist - ich glaube, das ist der wichtigste
Punkt in der innerdeutschen Diskussion - die Frage der
moralischen Legitimation. Hier treffen zwei Grunderfahrungen, die die Nachkriegsgenerationen gewonnen
haben, aufeinander: Die eine besagt, Deutsche sollten
nie wieder an einem Krieg beteiligt sein. Die andere besagt, nie wieder wegzuschauen, wenn man an Auschwitz, Majdanek oder an andere Konzentrationslager
denkt. Ich denke, beide Ansätze sind legitim. Man sollte
sie sehr ernst nehmen, weil sie aus einer persönlichen
Betroffenheit herrühren. Aber ich habe wenig Verständnis dafür, wenn die Gegner der NATO-Luftangriffe,
Teile der Friedensbewegung in der PDS, die NATO kritisieren, aber die Vertreibungen und das grauenhafte
Morden, die durch Milosevic und seine Soldateska geschehen, nicht einmal erwähnen. Diese Haltung hat der
Entschließungsantrag der PDS wieder einmal deutlich
gemacht.
({0})
Ich kann auch nicht akzeptieren, wenn Herr Kollege
Gysi hier sagt, die Datenlage sei so schwach. Natürlich
gibt es auch gefälschte Daten. Natürlich hat auch die
UCK ein Interesse an gefärbten Informationen.
({1})
Aber die Daten, die als gesichert angenommen werden
können, reichen aus, um hier klar Position zu beziehen.
Ich habe auch ein Problem mit der Reise von Herrn
Gysi nach Belgrad. Man mag darüber schwadronieren,
ob es sehr sinnvoll ist, als Vertreter einer sehr kleinen
Oppositionspartei in dieser Situation mit Herrn Milosevic zu reden. Aber ich habe kein Verständnis dafür,
wenn Herr Gysi nach Belgrad reist und sich dort demonstrativ in einer zerstörten Autofabrik filmen läßt. Das
bedeutet doch nichts anderes, als daß wir die These von
Milosevic - so ist es auch im serbischen Fernsehen dargestellt worden - stützen, die NATO führe einen Krieg
gegen das serbische Volk und gegen seine ökonomischen und zivilisatorischen Grundlagen. Genau das beabsichtigt die NATO nicht.
({2})
Deswegen denke ich, daß uns Herr Gysi hier einen
schlechten Dienst erwiesen hat.
({3})
Als jemand, der am 16. Oktober letzten Jahres aus
grundsätzlichen Erwägungen heraus dem damals noch
hypothetisch erscheinenden Einsatz der NATO nicht zugestimmt hat, möchte ich eines noch klarstellen: Ich
halte nichts von der von Frau Kollegin Buntenbach und
anderen Abgeordneten geforderten sofortigen Unterbrechung der NATO-Luftangriffe. Genau dies würde dazu
führen, daß die Vertreibungen weitergehen.
({4})
Genau dies würde wiederum den Druck zurücknehmen,
den wir auf Milosevic ausüben müssen, um tatsächlich
zu einer Annahme des Friedensplanes zu gelangen
({5})
Ich sehe in dem jetzt vorliegenden Fischer-Plan eine
reale Chance für eine noch in weiter Ferne befindliche
Befriedung des Kosovo. Es gibt zum einen die Gefahr
des Kombattantentums der NATO. Mit jedem Tag, an
dem dieser Krieg weitergeführt wird, mit jeder Bombe,
die auf eine militärische Einrichtung fällt, und mit jedem
zerstörten serbischen Panzer werden wir mehr zu Kombattanten der UCK. Unser Ziel ist es nicht, Partei zu ergreifen oder die Kriegsziele der einen oder anderen
Konfliktpartei zu unterstützen; vielmehr haben wir ein
Interesse an der Wiederherstellung der Menschenrechte,
am Stopp des Vertreibens und am Ende des Tötens.
Des weiteren sehe ich, daß Milosevic eine Chance
hat, ohne Gesichtsverlust diesem Plan zuzustimmen. Die
UNO ist einbezogen und damit auch Rußland. Schließlich ist die Frage des Status des Kosovo bewußt offengelassen worden, um ihn im Rahmen einer Friedenskonferenz zu klären. Die bisherigen Reaktionen auf den Fischer-Plan sind nicht so heterogen, als daß man mit ihm
nicht Hoffnungen verbinden könnte. Ich hoffe, wir
kommen zu einem guten Ende.
Die offene Frage des Status ist natürlich ein Risiko.
Kollege Lamers hat vorhin zu Recht auf einen Umstand
hingewiesen: Es ist für uns heute sehr schwer, sich vorzustellen, daß die Konfliktparteien, nachdem so viel Blut
geflossen ist, wieder miteinander leben können und daß
es wieder ein multiethnisches Miteinander gibt, das Opfern und Tätern ein Zusammenleben ermöglicht. Das ist
wirklich sehr, sehr schwer vorstellbar, auch nach den Erfahrungen, die wir in Bosnien-Herzegowina gemacht
haben.
Unsere Zielstellung darf aber nicht sein, daß wir im
Prinzip zu einer Atomisierung des Balkan kommen,
sondern unsere Zielstellung muß sein, Menschenrechte
und Minderheitenrechte durchzusetzen und nicht neue
staatliche Einheiten, die möglicherweise zur Ursache für
neue Instabilitäten werden.
Ich kann der Bundesregierung und der NATO nur
wünschen, daß sie mit der neuen Initiative des Bundesaußenministers erfolgreich ist. Wir als Parlament sollten
die Bundesregierung zwar kritisch begleiten, sie auf diesem Weg aber auch ganz ausdrücklich unterstützen.
Vielen Dank.
({6})
Letzter Redner in
dieser Debatte ist der Bundesminister des Innern, Otto
Schily.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren Kollegen! Herr Kollege Lamers, Sie haben sich mit Recht beeindruckt gezeigt von der großen Rede Rudolf Scharpings. Ich
möchte Ihnen meinerseits zu Ihrem sehr nachdenklichen
Beitrag gratulieren. Ich glaube, er hat diese Debatte bereichert.
({0})
Die Kosovo-Krise - meine Damen und Herren, das
wissen wir - hat der Bundesrepublik Deutschland und
der internationalen Staatengemeinschaft eine sehr
schwerwiegende Verantwortung auferlegt. Dieser Verantwortung werden wir nicht gerecht, wenn wir es nicht
zugleich als unsere selbstverständliche Pflicht betrachten, den aus dem Kosovo Vertriebenen beizustehen sowie die Not und das Elend nach Kräften zu lindern. Die
Leiden der Menschen - unter ihnen viele Kinder und Jugendliche - dürfen uns nicht gleichgültig lassen.
Meine Damen und Herren, die Kosovo-Krise hat
nicht - wie wir alle wissen oder jedenfalls wissen können - erst in diesem Jahr begonnen. Auch die Vertreibungen haben nicht erst in diesem Jahr begonnen.
Innerhalb der Europäischen Union besteht seit jeher
Einmütigkeit, daß Hilfe für die Vertriebenen in erster
Linie in der Region geleistet werden soll. Gleichwohl
hat in der Vergangenheit eine große Anzahl von Flüchtlingen, die auf hunderttausend Menschen geschätzt werden, in Westeuropa Zuflucht gefunden. Der Grundsatz,
daß die Hilfe vor Ort absoluten Vorrang haben muß,
gilt nach wie vor. Ich habe in den Gesprächen mit der
EU-Kommission, mit Frau Bonino und Frau Gradin, und
den EU-Innenministern in dieser Frage volle Übereinstimmung festgestellt. Auch der UNO-Flüchtlingskommissar stimmt diesem Grundsatz zu. Alle Hilfsmaßnahmen für die Vertriebenen, die rasch und unbürokratisch in Gang gekommen sind, haben sich daher auf die
Bereitstellung von Hilfsgütern und die Betreuung in der
Region konzentriert.
Die Gründe, die für den Vorrang der Hilfe vor Ort
sprechen, hat Bundeskanzler Schröder in der heutigen
Debatte bereits genannt. Ich muß sie nicht wiederholen.
Ich darf aber hinzufügen, daß die Vertriebenen selbst
und auch die albanische Regierung eine Evakuierung
ausdrücklich ablehnen. Auch das sollte man, wie ich
finde, zur Kenntnis nehmen.
Kurz vor Ostern ergab sich in Mazedonien allerdings
eine besondere Situation: Der Zustrom von Flüchtlingen
nach Mazedonien war so angewachsen, daß die Lage
unter den spezifischen politischen Bedingungen in Mazedonien außer Kontrolle zu geraten schien. In dieser
Situation war die Evakuierung von Flüchtlingen aus der
Grenzregion von Mazedonien in andere Länder unausweichlich.
Ich habe daraufhin parallel zwei Hilfsaktionen in die
Wege geleitet: Ich habe mich mit den Bundesländern der
Bundesrepublik Deutschland auf die Aufnahme von
10 000 Flüchtlingen geeinigt; zugleich habe ich die EUInnenminister zu einer Dringlichkeitssitzung eingeladen.
Im Vorgriff auf die Beratungen in dieser Dringlichkeitssitzung habe ich telefonisch bei meinen EU-Innenministerkolleginnen und -kollegen dafür geworben,
ebenfalls Flüchtlinge ohne vorherige Beschlußfassung
aufzunehmen. Ich bin sehr dankbar dafür, daß unter anderem Schweden und Österreich jeweils 5 000 KosovoVertriebene aufgenommen haben.
Dazu darf ich bemerken, daß wir sicherlich Anlaß
haben, vielen Menschen in Deutschland für ihre Hilfsbereitschaft zu danken.
({1})
Ich habe sicherlich auch Anlaß, dafür zu danken, daß
wir zwischen Bund und Ländern bei der Frage der AufDr. Eberhard Brecht
nahme von Flüchtlingen schnell zu einer Einigung gelangt sind. Aber zu Überheblichkeit besteht kein Anlaß.
Wir sollten nicht übersehen, daß andere Länder mit einer
sehr viel kleineren Bevölkerungszahl vergleichsweise
sehr viel mehr Flüchtlinge aufgenommen haben als wir
bisher. Auch das sollte, denke ich, an dieser Stelle nicht
übersehen werden.
Die Aufnahme der 10 000 Vertriebenen in Deutschland ist zügig umgesetzt worden. Ich habe eine Gruppe
von Beamten des Bundesgrenzschutzes nach Skopje entsandt, die ihre Aufgabe in sehr engagierter und umsichtiger Weise erfüllt hat, so daß bis Ende dieser Woche die
Verbringung der Flüchtlinge nach Deutschland abgeschlossen sein wird. Den BGS-Beamten möchte ich für
ihre hervorragende Arbeit sehr herzlich danken,
({2})
insbesondere dem Leiter der BGS-Gruppe, Herrn
Seeger, der sich auf meine Bitte am Samstag vor Ostern
spontan bereit erklärt hat, diese schwierige Aufgabe zu
übernehmen. In den Dank schließe ich auch die Mitarbeiter meines Hauses ein, die sich in Tag- und Nachtarbeit bei der Steuerung der Hilfsmaßnahmen wirklich
bewährt und Verdienste erworben haben.
({3})
Meine Damen und Herren, die Auswahl der Flüchtlinge, die in Deutschland aufgenommen wurden, ist
selbstverständlich nicht willkürlich erfolgt. Ich weiß
nicht, wie der Kollege Schäuble - er ist nicht mehr da zu dieser Behauptung gelangt ist. Die Auswahl wird von
Vertretern des UNO-Flüchtlingskommissars vorgenommen. Ich habe in meiner Verantwortung angeordnet,
darauf hinzuwirken, daß in erster Linie Kranke, Kinder,
Frauen und ältere Menschen berücksichtigt werden. Es
mußte aber auch beachtet werden, daß nach Möglichkeit
Familien nicht auseinandergerissen werden.
Die Mitarbeiter des Bundesgrenzschutzes haben sich
in Zusammenarbeit mit dem UNO-Flüchtlingskommissar nach Kräften dafür eingesetzt, daß diesen Kriterien
genügt wurde. Sie haben dafür das ausdrückliche Lob
einer in humanitären Fragen wirklich sachverständigen Persönlichkeit, nämlich Rupert Neudeck von Cap
Anamur, erhalten. Auf dieses Lob können die Kollegen
des Bundesgrenzschutzes besonders stolz sein. Sie können daher kleinliche Kritik von dem Vorsitzenden einer
Oppositionsfraktion ertragen.
({4})
- Herr Repnik, ich sage Ihnen das, und ich beziehe
Herrn Stoiber in den Vorwurf ein. Herr Stoiber hat sich
nicht gescheut, sogar von Bestechung zu reden. Was ist
das für eine Unterstellung gegenüber diesen Beamten,
die unter Einsatz ihres Lebens in Skopje ihre Pflicht verrichten?
({5})
Da muß ich mich vor die Beamten stellen. Herr Repnik,
das werden Sie sicherlich verstehen.
({6})
Meine Damen und Herren, in der Dringlichkeitssitzung der EU-Innenminister konnten sich einige EUMitgliedsländer aus grundsätzlichen Erwägungen leider
nicht zur Festlegung von Kontingenten für die Aufnahme von Vertriebenen entschließen. Ich bitte Sie aber, zu
verstehen, meine Damen und Herren, daß es mit Blick
auf das Flüchtlingselend der denkbar ungeeignetste
Zeitpunkt war, einen Grundsatzstreit auszutragen.
Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Repnik?
Nein, ich
lasse keine Zwischenfragen zu.
Deshalb haben wir uns wie andere Staaten dazu entschlossen, Flüchtlinge ohne Rücksicht darauf aufzunehmen, ob andere es uns gleichtun.
In Befolgung des Grundsatzes, daß die Hilfe vor Ort
absoluten Vorrang hat, habe ich mich parallel zu den
Bemühungen, Flüchtlinge in Westeuropa aufzunehmen,
dafür eingesetzt, daß zur Entlastung von Mazedonien
das Nachbarland Albanien weitere Flüchtlinge aufnimmt. Bei meinen Gesprächen mit der albanischen Regierung am Ostersonntag konnte ich erreichen, daß sich
Albanien bereit erklärt, weitere 100 000 Flüchtlinge aus
der Grenzregion von Mazedonien aufzunehmen.
Selbstverständlich war diese Zusage Albaniens an die
Bedingung geknüpft, daß die technischen, organisatorischen und finanziellen Voraussetzungen für die Unterbringung der Vertriebenen von der internationalen
Staatengemeinschaft übernommen werden. Dementsprechend habe ich dafür gesorgt, daß der personelle Einsatz
des Technischen Hilfswerks in Albanien erheblich verstärkt wird und daß andere humanitäre Organisationen,
wie unter anderem der Arbeiter-Samariter-Bund, massiv
unterstützt werden. Vom Technischen Hilfswerk und
von anderen deutschen humanitären Organisationen
werden in diesem Zusammenhang etwa 40 000 Plätze
unter schwierigsten Bedingungen zur Unterbringung von
Flüchtlingen bereitgestellt. Das ist eine großartige Leistung, für die ich und wir alle dankbar sein müssen.
({0})
Die EU-Innenminister, aber auch die Innenminister
der deutschen Bundesländer haben ausdrücklich begrüßt, daß auf Grund der von mir in Tirana geführten
Gespräche eine zusätzliche Unterbringung der Flüchtlinge in Albanien ermöglicht wird. Es war in diesem Zusammenhang ein Zeichen ungeteilter europäischer Solidarität, daß sich alle EU-Mitgliedstaaten verpflichtet
haben, durch finanzielle, personelle, logistische und orBundesminister Otto Schily
ganisatorische Hilfsmaßnahmen für die Umsetzung der
albanischen Zusage zu sorgen.
Ich warne davor, die Hilfe anderer EU-Mitgliedstaaten geringzuschätzen. Nicht zuletzt Italien hat große
Anerkennung für die umfassende Hilfe verdient, die es
in Albanien zur Verfügung stellt. Ich habe deshalb auch
die enge Zusammenarbeit mit der italienischen Regierung bei den Hilfsmaßnahmen gesucht und in diesem
Zusammenhang Gespräche mit meiner Kollegin Jervolino und dem italienischen Ministerpräsidenten D´Alema
geführt.
Aber ebenso haben sich alle anderen EU-Staaten
massiv bei der humanitären Hilfe engagiert. Auch die
EU-Kommission ist daran in vorbildlicher Weise beteiligt. Ich darf darauf hinweisen, daß die EU-Kommission
150 Millionen Euro für die humanitären Organisationen
und weitere 100 Millionen Euro für Hilfsmaßnahmen
zugunsten der in großen Schwierigkeiten befindlichen
Nachbarstaaten des Kosovo zur Verfügung stellen wird.
Wenn hier also von der PDS-Fraktion der Vorwurf
geäußert worden ist, es werde nur auf die private Hilfe
gesetzt, dann ist das die reine Unwahrheit.
({1})
Die von mir genannten Länder brauchen unsere Unterstützung übrigens auch hinsichtlich einer sehr wichtigen Frage, die manchmal übersehen wird, nämlich
hinsichtlich der Frage der Gewährleistung der inneren
Sicherheit. In einer so schwierigen und komplizierten
Situation, in der sich beispielsweise Albanien befindet,
ist es hilfreich - jenseits aller anderen Fragen, die in diesem Zusammenhang berechtigterweise diskutiert worden sind -, daß die NATO in Albanien Militärkräfte stationiert. Das Kontingent, das jetzt nach Albanien entsandt wird, ist gerade für die Unterstützung der humanitären Arbeit hinsichtlich der Gewährleistung der inneren Sicherheit von großem Wert.
Meine Damen und Herren, wir wissen, daß alles Geld
der Welt nicht ausreicht, wenn sich nicht Menschen bereit finden, tatkräftig persönlich vor Ort die notwendige
humanitäre Hilfe zu leisten. Deshalb gilt zum Abschluß mein Dank noch einmal den vielen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der humanitären Organisationen: des Deutschen Roten Kreuzes, der Organisation
Cap Anamur, des Technischen Hilfswerkes, der GTZ,
des UNHCR, des Arbeiter-Samariter-Bundes, der vielen kirchlichen Hilfsorganisationen, des Malteser-Hilfsdienstes und vieler anderer Organisationen.
Sie dienen in exemplarischer Weise dem Frieden und
der Menschlichkeit. Diese Friedensarbeiter sind für mich
eine Hoffnung für die Gegenwart und für die Zukunft.
({2})
Zu einer Kurzintervention erteile ich dem Kollegen Repnik das Wort.
Herr Bundesminister Schily, ich bedauere, daß Sie, wie ich finde, in einer
Überreaktion auf den Debattenverlauf an einem Punkt
eine gewisse Schärfe hineingebracht haben, die wirklich
nicht angezeigt ist.
Deshalb möchte ich zunächst auf folgendes hinweisen: Unser Fraktionsvorsitzender Wolfgang Schäuble
hat völlig zu Recht auf die bedrängte Situation der
Flüchtlinge in der Krisenregion hingewiesen und hat
angesichts des starken Andrangs dieser Flüchtlinge in
Richtung Westeuropa und die Bundesrepublik Deutschland seine Sorge dahin gehend zum Ausdruck gebracht,
daß man mit ganz besonderer Sorgfalt darauf achten
möge, vordringlich solche Menschen bei uns aufzunehmen, die krank sind und die einer besonderen medizinischen Betreuung bedürfen. Dies ist doch selbstverständlich. Ich billige es jedem Kosovaren in dieser Region zu,
daß er den Versuch unternimmt, hierher nach Deutschland bzw. Westeuropa zu kommen. Wir können nicht
alle aufnehmen. Dies hat Herr Schäuble zum Ausdruck
gebracht.
Ich möchte auf einen weiteren Sachverhalt hinweisen:
Er hat gerade den Beamten und Hilfsorganisationen, die
unter schwierigsten Bedingungen ihrer Verantwortung
vor Ort gerecht werden, gedankt. Es kann nicht die Rede
davon sein, daß hier ein Zweifel an der Integrität dieser
Menschen gesät worden ist. Daß das Gegenteil der Fall
ist, können Sie der Rede von Herrn Schäuble entnehmen.
Ferner möchte ich folgendes feststellen - nur deshalb
habe ich jetzt noch um das Wort für diese Kurzintervention gebeten -: Zumindest was das Verhalten zwischen
der Regierung und der größten Oppositionsfraktion anbelangt, haben Sie doch eigentlich allen Grund, die Unterstützung, die Sie von uns erfahren, dankbar zur
Kenntnis zu nehmen. Deshalb habe ich Ihre Schärfe so
sehr bedauert.
({0})
Zur Erwiderung,
Herr Bundesminister Schily, bitte.
Herr Kollege Repnik, ich bedanke mich für Ihren sachlichen Beitrag. Aber ich muß auf folgendes hinweisen: Ich habe
ein gutes Gedächtnis. Kollege Schäuble hat davon gesprochen, die Menschen, die bei uns aufgenommen würden, seien willkürlich ausgesucht worden. Ich habe auch
noch die Worte von Ministerpräsident Stoiber im Ohr,
der sich sogar zu der Behauptung verstiegen hat, es
könnten dabei Geldzuwendungen eine Rolle gespielt
haben.
Ich habe die Pflicht - für den Fall, daß meine diesbezügliche Anmerkung zu scharf ausgefallen ist, bemühe
ich mich jetzt um einen sachlichen Tonfall -, die Beamten, die in der Krisenregion wahrlich gute Arbeit verrichten, vor jedem Vorwurf - auch nur Anschein des
Vorwurfs -, daß eine solche Willkür herrsche oder daß
bei der Art und Weise, wie die Flüchtlinge zu uns kommen, womöglich strafbare Tatbestände eine Rolle gespielt hätten, zu schützen.
Deshalb bitte ich Sie, Herr Kollege Repnik, die Rede
Ihres Fraktionsvorsitzenden noch einmal nachzulesen
({0})
und Herrn Schäuble vielleicht zu veranlassen, diesen
Vorwurf zurückzunehmen, den er wahrscheinlich in Unkenntnis des Sachverhalts - das kann ich ihm möglicherweise zugute halten - gemacht hat. Vielleicht kann
er diesen Vorwurf korrigieren. Denn das bin ich meinen
Beamten, die in Skopje tätig sind, wahrlich schuldig.
Danke schön.
({1})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zum Entschließungsantrag der Fraktion
der PDS auf der Drucksache 14/755. Die Fraktionen der
SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN haben
beantragt, den Entschließungsantrag zur federführenden
Beratung an den Auswärtigen Ausschuß und zur Mitberatung an den Verteidigungsausschuß zu überweisen.
Die Fraktion der PDS verlangt hingegen sofortige Abstimmung. Nach ständiger Übung geht die Abstimmung
über den Überweisungsvorschlag vor. Ich bitte diejenigen, die dem Überweisungsvorschlag der Koalitionsfraktionen zustimmen, um das Handzeichen. - Wer
stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Damit ist der Überweisungsvorschlag gegen die Stimmen der PDS-Fraktion angenommen, und wir stimmen heute in der Sache
nicht ab.
Wir sind am Schluß unserer Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Montag, den 19. April 1999, 12 Uhr ein.
Diese Sitzung findet, wie Sie alle wissen, in Berlin statt.
Die Sitzung ist geschlossen.