Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Guten Morgen, meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Die Sitzung ist eröffnet.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir tagen heute in
einer ernsten Situation. Seit gestern Abend finden Luftschläge der NATO gegen jugoslawische militärische
Ziele statt. Diese Aktion ist ein ernster Einschnitt auch
in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland.
Aber wir Europäer können und dürfen nicht weiter zusehen, wie im Kosovo eine Mehrheit der Bürger vertrieben, wie dort gemordet wird. Diese Aktion richtet sich
nicht gegen das serbische Volk. Wir hoffen und wünschen, daß der jugoslawische Staatspräsident Milosevic
zu der Vernunft kommt, zu der ihm die langen diplomatischen Verhandlungen und das Abkommen von Rambouillet Gelegenheit gegeben hatten.
Der Deutsche Bundestag steht zu den Soldaten, die
im Einsatz sind - in einem Einsatz, der durch unser
Grundgesetz und durch Beschlüsse unseres Parlaments
gedeckt ist. Wir hoffen sehr, daß die militärische Aktion
von kürzestmöglicher Dauer ist und daß es endlich gelingt, die humanitäre Katastrophe im Kosovo zu beenden.
Meine Damen und Herren, wir kommen zu den Bemerkungen vor Eintritt in die Tagesordnung.
({0})
Zunächst möchte ich dem Kollegen Benno Zierer, der
gestern seinen 65. Geburtstag feierte, nachträglich im
Namen des Hauses gratulieren.
({1})
Interfraktionell ist vereinbart worden, die verbundene
Tagesordnung um die Ihnen in einer Zusatzpunktliste
vorliegenden Punkte zu erweitern:
ZP1 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion der F.D.P.: Haltung der Bundesregierung auf die jüngste Kritik aus der
BfA zur Praktikabilität der Neuregelungen der Scheinselbständigkeit
ZP2 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion der CDU/CSU
zu den Antworten der Bundesregierung auf die Fragen 23
bis 29 in Drucksache 14/576 ({2})
ZP3 Weitere Überweisung im vereinfachten Verfahren
({3})
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten
Entwurfs eines Gesetzes zu dem Notenwechsel vom
29. April 1998 über die Rechtsstellung der dänischen,
griechischen, italienischen, luxemburgischen, norwegischen, portugiesischen, spanischen und türkischen Streitkräfte in der Bundesrepublik Deutschland - Drucksache
14/584 ZP4 Weitere abschließende Beratungen ohne Aussprache
({4})
a) Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses ({5}) Sammelübersicht 34 zu Petitionen
- Drucksache 14/647 -
b) Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses ({6}) Sammelübersicht 35 zu Petitionen
- Drucksache 14/648 -
c) Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses ({7}) Sammelübersicht 36 zu Petitionen
- Drucksache 14/649 -
d) Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses ({8}) Sammelübersicht 37 zu Petitionen
- Drucksache 14/650 -
ZP5 a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Ulrich Adam, Paul
Breuer, Georg Janovsky, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der CDU/CSU Öffentliche feierliche Gelöbnisse
der Bundeswehr - Drucksache 14/641 -
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Heidi Lippmann,
Dr. Winfried Wolf, Fred Gebhardt, weiterer Abgeordneter
und der Fraktion der PDS Keine feierlichen Gelöbnisse
der Bundeswehr in der Öffentlichkeit - Drucksache
14/642 ZP6 Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen SPD,
CDU/CSU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten
Entwurfs eines Gesetzes über die allgemeine und die repräsentative Wahlstatistik bei der Wahl zum Deutschen Bundestag und bei der Wahl der Abgeordneten des Europäischen Parlaments aus der Bundesrepublik Deutschland
- Drucksachen 14/401, 14/635 Von der Frist für den Beginn der Beratung soll, soweit erforderlich, abgewichen werden.
Weiterhin ist vereinbart worden, den Tagesordnungspunkt 11 - es handelt sich um die Beschlußempfehlung
zu den Akten der HVA - bereits nach der Aktuellen
Stunde aufzurufen. Sind Sie damit einverstanden? - Ich
höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Des weiteren möchte ich Sie schon jetzt darauf hinweisen, daß sich der Ablauf der Plenarsitzung morgen,
Freitag, ändern und erheblich verlängern kann, falls die
Beratungen des EU-Gipfels heute weit über Mitternacht
hinaus andauern werden. Die Einzelheiten hierzu werden Ihnen zu gegebener Zeit mitgeteilt.
({9})
Die Fraktion der PDS hat einen Antrag auf Änderung
der Tagesordnung gemäß § 20 der Geschäftsordnung des
Bundestages gestellt. Sie beantragt eine Debatte über die
erste Beteiligung der Bundeswehr an einem bewaffneten Angriff in ihrer Geschichte.
Ich erteile hierzu dem Kollegen Gregor Gysi das
Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bitte Sie, dem Antrag der PDSFraktion zu einer sofortigen Debatte zur ersten Beteiligung der Bundeswehr in ihrer Geschichte an einem
Krieg zuzustimmen.
Ursprünglich war für diese Woche eine solche Debatte überhaupt nicht vorgesehen. Bei der Beratung des
Bundeskanzlers mit den Fraktionsvorsitzenden am vergangenen Dienstag wurde auf Frage und Anregung des
Vorsitzenden der CDU/CSU-Fraktion und auf meine
Frage hin die Notwendigkeit einer solchen Debatte akzeptiert. Wegen der Termine des Bundeskanzlers und
des Bundesaußenministers beim EU-Gipfel in Berlin
wurde vorgeschlagen, diese Debatte am Freitag, das
heißt morgen, zu führen. Damit waren alle Anwesenden
auch einverstanden, mich eingeschlossen. Das Problem
ist aber, daß zu diesem Zeitpunkt niemand wußte, wann
der Krieg beginnt, der gestern abend bereits begonnen
hat. Ich meine, daß auf dieser Grundlage die Zeitschiene
einfach nicht mehr stimmt und daß es deshalb dringend
erforderlich ist, auch heute wenigstens kurz darüber zu
debattieren. Wir können morgen noch eine ausführliche
Debatte abhalten.
Natürlich verstehe ich, daß sowohl der Bundeskanzler
als auch der Bundesaußenminister an einer solchen Debatte teilnehmen wollen. Ich weiß nicht, ob es nicht
möglich gewesen wäre, dies noch zu organisieren; das
will ich auch gar nicht beurteilen.
({0})
- Moment, lassen Sie mich fortfahren. - Aber hier geht
es nicht um den Bundeskanzler und auch nicht um den
Bundesaußenminister, sondern es geht um das Selbstverständnis des Deutschen Bundestages.
({1})
Es ist undenkbar, meine Damen und Herren, daß die
NATO gestern das erste Mal in der Geschichte nach
1945 einen Angriff auf einen souveränen Staat gestartet
hat - über die Gründe müssen wir selbstverständlich
auch diskutieren -, daß Deutschland erstmalig in seiner
Geschichte daran beteiligt ist, was eine Vielzahl völkerrechtlicher, verfassungsrechtlicher, politischer und moralischer Probleme aufwirft, und daß der Deutsche Bundestag am nächsten Tag mit einer BAföG-Debatte beginnt und nicht bereit ist, hier wenigstens kurz über diese Situation zu debattieren.
({2})
Das muß einfach sein, auch wenn der Bundeskanzler
und der Bundesaußenminister nicht anwesend sind. Die
können morgen dazu sprechen. Wir können morgen
weiter darüber debattieren.
Aber wortlos - außer drei Sätzen des Bundestagspräsidenten - darüber hinwegzugehen - das heißt, der Bundestag selbst äußert sich dazu nicht -, das ist meines Erachtens der Situation in keiner Hinsicht angemessen,
und zwar weder gegenüber der Bevölkerung der Bundesrepublik Jugoslawien noch gegenüber der Bevölkerung der Bundesrepublik Deutschland, noch gegenüber
den Soldaten, die in diesen Krieg verwickelt sind.
({3})
Ich erteile das Wort
dem Kollegen Wilhelm Schmidt, SPD-Fraktion.
Herr Präsident!
Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Im Namen aller übrigen Fraktionen des Hauses
({0})
widerspreche ich dem Aufsetzungsantrag der PDS. Wir
könnten es uns leichtmachen, meine Damen und Herren,
und auf die formalen Hintergründe verweisen; das will
ich ausdrücklich nicht.
({1})
Ich will an dieser Stelle allerdings sehr nachdrücklich
auf die Verabredungen des Bundeskanzlers mit den
Fraktionsvorsitzenden aufmerksam machen, in die auch
Sie, Herr Gysi, persönlich eingebunden gewesen sind.
({2})
Ich will auch sagen, daß es überhaupt kein Argument für
eine Debatte ist, so zu tun, als würde uns der Beginn der
kriegerischen Auseinandersetzungen in Jugoslawien
zeitlich überraschen.
({3})
Präsident Wolfgang Thierse
Es war schon am Anfang dieser Woche klar, daß es jederzeit losgehen könnte und wir in der Situation stehen
würden, daß die Auseinandersetzungen dort beginnen.
Von daher sehe ich sehr deutlich, daß Sie sich aus der
Verabredung, die der Kanzler mit den Fraktionsvorsitzenden getroffen hat, herausziehen wollen. Dies lassen
wir nicht zu.
Wir sagen Ihnen gleichzeitig: Gerade dieses Thema
und der Anlaß dafür sind nicht geeignet, sich in parteipolitische Auseinandersetzungen zu begeben, die vordergründig sind.
({4})
Ich will darauf hinweisen, meine Damen und Herren,
daß wir uns mitten in einem operativen Einsatz, in einer
laufenden Operation befinden,
({5})
deren Ausgang noch nicht klar ist. Ich will auch darauf
hinweisen, daß in Berlin derzeit der EU-Gipfel stattfindet - das erklärt, Herr Gysi, die Ihnen bekannte Abwesenheit von Kanzler, Außenminister und anderen Vertretern der Bundesregierung -, auf dem der KosovoEinsatz ein ganz wichtiger Teil der Beratungen sein wird
und auch schon gewesen ist. Wir wollen und müssen die
Ergebnisse dieses Gipfels von Berlin in dieser Hinsicht
abwarten und sie, wie wir es verabredet haben, zur
Grundlage weiterer Beratungen in diesem Hause machen. Von daher ist es richtig, daß wir heute morgen
durch den Präsidenten einen kurzen Hinweis auf die Situation erhalten haben.
Wir gehen nicht einfach zur Tagesordnung über. Das
ist Ihnen bekannt, weil wir das gestern abend und heute
morgen so besprochen haben. Wir wollen aber jetzt keine ausführliche Debatte, weil sie nichts bringt, weil wir
zum jetzigen Zeitpunkt nicht alle Informationen haben.
Allerdings wollen und sollen der Bundeskanzler, der
Außenminister, der Verteidigungsminister und wir alle
gemeinsam morgen hier über dieses Thema debattieren.
Ich kann Ihnen im übrigen im Namen aller Fraktionen
sagen - das ist nichts Neues; aber ich will das bekräftigen -, daß wir uns an der Seite der deutschen Soldaten
fühlen. Wir hoffen, daß derjenige, der dafür verantwortlich ist, daß es zu diesem Einsatz gekommen ist, nämlich
der jugoslawische Staatspräsident, in diesen Minuten, in
den nächsten Stunden oder auch in den nächsten Tagen
einlenkt, damit die Gefahr für die Menschen im Kosovo,
für die Menschen in Jugoslawien und für unsere Soldaten und ihre Partner aus den NATO-Staaten ein Ende
hat. Er allein, Milosevic, trägt die Verantwortung für
den jetzigen Einsatz.
({6})
Ich glaube, es ist angemessen, an dieser Stelle und zu
dieser Stunde nicht mehr zu sagen. Ich sage Ihnen jedenfalls zu, daß wir morgen eine ausführliche Debatte zu
diesem Thema führen werden, mit allen Informationen,
die dann zur Verfügung stehen.
({7})
Liegen noch weitere
Wortmeldungen zur Geschäftsordnungsdebatte vor? Kollege Ströbele, ich weise Sie darauf hin, daß wir uns
in einer Geschäftsordnungsdebatte befinden und nicht in
einer Sachdebatte.
({0})
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und
Kollegen! Auch der Kollege, der vor mir gesprochen
hat, hat sich durchaus zur Sache geäußert.
Es ist unwürdig für dieses Haus, daß Deutschland
nach 54 Jahren seit gestern abend wieder Krieg führt
und daß sich dieser Bundestag weigert, darüber zu reden
und auch nur seine Meinung zu äußern. Das ist ungeheuerlich.
({0})
Ich verstehe meine Fraktion nicht, die für mehr Frieden in der Welt angetreten ist, die eine Friedenspolitik
machen will. Sie setzt sich hierhin und ist damit einverstanden, daß, wenn von deutschem Boden nach 54 Jahren wieder Krieg ausgeht, darüber hier nicht einmal geredet wird.
({1})
Von deutschem Boden sind die Tornados gestartet, die
jetzt gerade Belgrad bombardieren. Ich halte das für
völlig unwürdig für dieses Haus.
Fragen Sie sich einmal, was es für einen Eindruck
macht, wenn wir uns jetzt mit der Veränderung des Sachenrechts oder des DNA-Identitätsfeststellungsgesetzes
beschäftigen, während deutsche Soldaten im Kosovo, in
Belgrad, in Montenegro Bomben abwerfen.
Ich appelliere an Sie: Ändern Sie die Tagesordnung!
Lassen Sie uns darüber sprechen! Ich bin bereit, darüber
sachlich zu reden. Ich bin auch bereit, die Argumente
sachlich abzuwägen, die die eine oder andere Seite hier
vorbringt. Aber das ist doch völlig unmöglich: Unser
Land beschäftigt sich heute mit diesem Krieg, und der
Deutsche Bundestag schweigt dazu und beschäftigt sich
mit der Änderung des Sachenrechts. Das kann und darf
nicht wahr sein. Ich schäme mich für mein Land, das
jetzt wieder im Kosovo Krieg führt und das wieder
Bomben auf Belgrad wirft.
({2})
Wilhelm Schmidt ({3})
Ich erteile das Wort
dem Bundesminister der Verteidigung, Rudolf Scharping.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich
verstehe, daß man im Rahmen einer Geschäftsordnungsdebatte versucht einzuhalten, was zwischen dem Bundeskanzler und allen Fraktionsvorsitzenden vereinbart
worden ist. Allerdings gibt es auch Geschäftsordnungsdebatten, die es dann erforderlich machen, auf einige
Dinge hinzuweisen, von denen ich denke, daß sie klarbleiben sollten.
Die militärischen Aktionen der NATO
({0})
sind Ergebnis und Endpunkt langer Bemühungen vieler
Monate, auf friedlichem Wege zu einem Abkommen zu
kommen, das den Menschen im Kosovo ein friedliches
Leben ermöglichen sollte.
({1})
Ich muß Ihnen in aller Deutlichkeit sagen, daß das
Ergebnis des brutalen Vorgehens der jugoslawischen
Armee gegen die Bevölkerung im Kosovo darin besteht,
daß über 400 000 Menschen auf der Flucht sind, daß allein im Kosovo 250 000 Menschen auf der Flucht sind,
daß viele Dörfer brennen und daß immer mehr Menschen die Grenze überschreiten. Diese Brutalität muß
beendet werden.
({2})
Es ist eine Verpflichtung auf Grund der Erfahrungen aus
der ersten Hälfte dieses Jahrhunderts,
({3})
und es ist eine Verpflichtung auf Grund unserer eigenen
Ideale, nicht zuzulassen, daß in Europa die Fratze der
Kriege der ersten Hälfte dieses Jahrhunderts und der
Vergangenheit die Zukunft bestimmt.
({4})
Es ist also unser Ziel, eine humanitäre Katastrophe zu
beenden, die Einhaltung schon vereinbarter Abkommen
zu gewährleisten und die Resolution des Weltsicherheitsrates Nr. 11/99 mit ihren Forderungen durchzusetzen - auf der Grundlage der Beschlüsse des Deutschen
Bundestages vom 16. Oktober 1998. Es ist auch unser
Ziel, ein Abkommen zu ermöglichen, das den Menschen
im Kosovo die Verwaltung ihrer eigenen Angelegenheiten erlaubt. Es bleibt unser Ziel, die Tragödie zu beenden, die sich dort abspielt - nicht gegen das serbische
Volk, wohl aber gegen eine Diktatur, die schändlich und
verächtlich mit der Würde, der Freiheit und dem Leben
von Menschen umgeht.
({5})
In diesem Handeln stecken weitere Verpflichtungen:
Wir sind verpflichtet, den Flüchtlingen zu helfen, die die
Grenze des Kosovo und der Bundesrepublik Jugoslawien überschreiten. Wir sind verpflichtet, für die Stabilität
der umliegenden Staaten zu sorgen und ihnen zu helfen.
Wir sind verpflichtet, dem ganzen Balkan eine europäische Perspektive zu geben - einer Region in Europa, die
in ihrer ganzen Geschichte sehr viele Erfahrungen mit
Terror, Unterdrückung und Gewalt sammeln mußte,
aber keine Erfahrung mit dem zivilen Austragen von
Konflikten, mit Rechtsstaatlichkeit und mit Demokratie
sammeln konnte.
Wir haben uns die Entscheidungen, die wir gemeinsam innerhalb der NATO und der Europäischen Union
getroffen haben, nicht leichtgemacht. Ich möchte an dieser Stelle sagen, daß besonderer Respekt jenen Menschen zu schulden ist, die sich als Soldaten - nicht allein
im Auftrag Deutschlands, sondern der NATO insgesamt
- einer erheblichen Gefahr aussetzen, um anderen Menschen helfen zu können.
({6})
Deshalb hoffe ich, daß nicht nur die Mehrheit des Deutschen Bundestages, sondern daß auch die Bürgerinnen
und Bürger in Deutschland und wir alle gemeinsam verstehen, daß unsere Soldaten in dieser schwierigen Situation den Rückhalt und die Fürsorge derjenigen brauchen,
die die Entscheidung für ihren Einsatz verantworten
müssen.
Vor diesem Hintergrund appelliere ich nicht nur an
unsere Vernunft und unsere Klugheit; ich appelliere vor
allen Dingen an die Regierung in Belgrad. Niemand gibt
dieser Regierung das Recht, das Morden im Kosovo
fortzusetzen.
({7})
Niemand gibt dieser Regierung das Recht, die Lebensinteressen einer ganzen Bevölkerung zu mißachten, nur
weil sie anderen Ursprungs ist.
({8})
Niemand gibt dieser Regierung das Recht, nicht nur
die Selbstbestimmung einer ganzen Bevölkerung mit
Waffen zu behindern, sondern sogar systematisch zu
morden.
Ich appelliere an die Regierung in Belgrad, im Kosovo die Waffen sofort schweigen zu lassen, damit auch
wir die Möglichkeit haben, die Waffen schweigen zu
lassen, damit auch wir die Möglichkeit haben, die Waffen schweigen zu lassen und auf andere, nämlich friedliche Weise den Menschen im Kosovo zu helfen. Der
Schlüssel zur Beendigung aller militärischen Maßnahmen liegt in Belgrad, nirgendwo sonst. Es ist die Verpflichtung der dortigen Regierung, den Menschen im
Kosovo weiteres Leid zu ersparen.
({9})
Wenn die Bundesrepublik Jugoslawien und ihre Regierung klar erklärt, daß sie zu einem Waffenstillstand
im Kosovo und zur Unterzeichnung eines Abkommens,
das einen friedlichen Weg eröffnet, bereit ist, dann haben auch wir die Möglichkeit, die militärischen Maßnahmen zu beenden und auf den Weg zurückzukehren,
den wir über Monate hinweg versucht haben zu gehen.
Unser friedliches Bemühen - auch das muß man sehr
deutlich sagen - ist mißbraucht worden, weil während
laufender Verhandlungen immer mehr Menschen systematisch um ihr Recht auf Leben, auf Unversehrtheit und
Gesundheit gebracht wurden. Es ist unsere Verpflichtung, diesen Weg zu beenden und dafür zu sorgen, daß
die Menschen im Kosovo eine Perspektive für ein friedliches Leben erhalten.
({10})
Werte Kolleginnen
und Kollegen, da die Debatte einen anderen Verlauf als
geplant genommen hat, schlage ich vor, daß jede Fraktion Gelegenheit zu einer kurzen Erklärung erhält, damit
wir dieses Thema in angemessener Weise behandeln.
Danach kehren wir zur ursprünglich geplanten Tagesordnung zurück.
({0})
Ich erteile dem Kollegen Wolfgang Schäuble,
CDU/CSU-Fraktion, das Wort.
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Die
CDU/CSU-Fraktion stimmt dem, was der Bundesverteidigungsminister soeben für die Bundesregierung ausgeführt hat, zu.
({0})
Wir haben im Oktober letzten Jahres dem Antrag der
Bundesregierung zugestimmt. Es gibt in Deutschland
richtigerweise eine ungewöhnliche Verfassungslage, die
eine vorherige Zustimmung des Parlaments zu Entscheidungen, wie sie bezüglich des Kosovo-Einsatzes getroffen wurden, erfordert. Den meisten von uns war schon
bei der Debatte im Bundestag im Oktober letzten Jahres
klar - ich hoffe, daß es uns allen klar war -, daß wir damals eine Entscheidung von ungewöhnlich großer Verantwortung und Tragweite getroffen haben. Wir haben
im Januar und im Februar dieses Jahres erneut über den
Einsatz im Kosovo diskutiert und haben keinen Zweifel
daran gelassen, daß wir zu der Entscheidung stehen, die
wir im Oktober letzten Jahres getroffen haben, und daß
sie richtig und notwendig war. Ich füge hinzu: Wir sind
durch die Bundesregierung in den zurückliegenden Wochen zu jedem Zeitpunkt korrekt unterrichtet worden.
Deswegen gibt es in dieser Frage zwischen der großen
Oppositionsfraktion und der Bundesregierung keinen
Dissens. Sie können sich auf die Unterstützung der
CDU/CSU-Fraktion verlassen.
({1})
Auf die Unterstützung des - ich hoffe - ganzen Parlaments können sich vor allen Dingen die Soldaten der
Bundeswehr und die Soldaten der Streitkräfte unserer
Verbündeten im atlantischen Bündnis verlassen. Das
sind wir ihnen in einer solchen Situation schuldig.
({2})
Wir gehen davon aus, daß eine menschenmögliche
Vorsorge getroffen worden ist, um die Risiken für alle
so klein wie möglich zu halten. Wir gehen auch davon aus, daß alles Menschenmögliche im Rahmen der
atlantischen Allianz getan wird, um die Risiken für die
unschuldigen Menschen in Jugoslawien so gering wie
möglich zu halten.
Der Bundesverteidigungsminister hat soeben zu
Recht gesagt: Vielleicht hat man eher zu lang als zu kurz
versucht, das zu verhindern, was jetzt durch die Uneinsichtigkeit der Regierung in Belgrad unvermeidlich
notwendig geworden ist - so bitter das auch ist. Ich habe
gestern darauf hingewiesen: Niemand hat dem, was unvermeidlich geworden ist, mit Freude zugestimmt. Das
ist nach meiner Erinnerung eine der bittersten Stunden
in meiner auch nicht mehr ganz jungen Laufbahn als
Mitglied dieses Hauses.
Aber, verehrte Kolleginnen und Kollegen, wenn wir
unsere Verantwortung für Frieden, für Freiheit und für
Menschenrechte ernst nehmen, haben wir keine Alternative. Deswegen muß unser geschlossener Appell an
den Aggressor lauten: Das Morden in Europa muß aufhören!
({3})
Die Gemeinschaft der Demokraten dieser Erde und der
Europäer muß die Kraft haben, das Ende des Mordens
durchzusetzen.
({4})
Für die Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen erteile ich das Wort der Kollegin Angelika Beer.
Herr
Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich
glaube, für alle Mitglieder meiner Fraktion sagen zu
Bundesminister Rodolf Scharping
können, daß die Entscheidungen der letzten Stunden für
uns schwierig waren, daß aber die Mehrheit meiner
Fraktion nach vielen Diskussionen dem Bundeskanzler,
seiner gestrigen Erklärung und der Erklärung des Bundesverteidigungsministers heute die volle Unterstützung
gewährt. Damit positionieren wir uns in voller Verantwortung in dieser Regierungskoalition.
({0})
Ich will eine gewisse Hilflosigkeit gerade bei den
Grünen, die aus der Friedens- und Menschenrechtsbewegung kommen, nicht verhehlen. Ich glaube aber, daß
wir uns in Wahrnehmung der Verantwortung - damals
in der Diskussion über das Vorgehen in Bosnien und in
den letzten Wochen und Monaten über das Vorgehen im
Kosovo - bewußt vor die Alternative haben stellen lassen und darüber entschieden haben. Die Alternative war,
ob eine grüne Partei sagen kann: „Zehn Jahre lang wurde alles versäumt, und daraus leiten wir das Recht ab,
der sich zuspitzenden humanitären Katastrophe im Kosovo einfach zuzusehen“, oder aber, ob man versucht wie es insbesondere unser Außenminister getan hat -,
die diplomatischen Möglichkeiten bis zur letzten Sekunde auszunutzen, um Milosevic klarzumachen, daß er
derjenige ist, der als einziger den Knoten der Gewalt lösen kann, indem er ein Friedensabkommen unterschreibt
und die Angriffe auf die Zivilbevölkerung unterläßt;
oder daß, wenn er dies nicht tut - so wie gestern -, die
Konsequenz lautet, dem Vorgehen der NATO zuzustimmen, mit dem Ziel, eine sich anbahnende humanitäre Tragödie im Kosovo zu verhindern. Vor dieser Alternative haben wir uns klar positioniert. Ich hoffe, daß
diejenigen, die uns oder mich persönlich, wie in den
letzten Tagen geschehen, als Kriegstreiber bezeichnen,
endlich die Antwort auf die Frage geben, was denn die
Alternative zu dieser schwierigen Entscheidung gewesen
wäre.
({1})
Ich möchte für meine Fraktion unterstreichen, daß wir
natürlich die Hoffnung haben, daß Milosevic spätestens
jetzt einlenkt. Es gibt keine Alternative zu der Unterschrift unter den Friedensvertrag.
({2})
Es gibt keine neuen Verhandlungen, sondern nur die
Abkehr von Krieg und Mord im Kosovo. Wir hoffen in
der gleichen Verantwortung, daß die deutschen Soldaten
mit ihren Tornados, die im Rahmen des NATOEinsatzes eingesetzt werden, und jene Soldaten, die im
Moment in einer sehr schwierigen Situation in Tetovo
stationiert sind, um die Umsetzung eines Friedensvertrags und ein politisches Konzept auf dem Balkan zu
gewährleisten, die Solidarität für ihre schwere Aufgabe
finden; denn auch dann wird es schwieriger sein, als es
vor wenigen Jahren in Bosnien war. Ich wünsche insofern den Soldaten, die heute diese schwere Aufgabe zu
tragen haben, daß sie gesund zurückkommen.
Ich hoffe, daß sich unsere Partei in dem Dialog, dem
wir uns auch nachträglich noch stellen werden, in Fragen des Völkerrechts wie auch der Glaubwürdigkeit des
zukünftigen Handelns, wenn es darum geht, frühzeitig
nichtmilitärisch zu intervenieren, wenn Menschenrechte
verletzt werden, der Verantwortung stellt. Ich hoffe, daß
wir auch danach noch sagen können, daß es das Richtige
war, dem wir gestern und heute zugestimmt haben.
Vielen Dank.
({3})
Das Wort für die
F.D.P.-Fraktion hat Kollege Wolfgang Gerhardt.
Herr Präsident!
Meine Damen und Herren! Auch ich möchte zuerst für
meine gesamte Fraktion betonen, daß wir den Entscheidungen des Verteidigungsministers, die wir alle mit getroffen haben, sowie seinen heutigen Ausführungen zustimmen.
({0})
- Ich spreche für meine Fraktion.
Die Debatte zeigt auch heute morgen wieder die
Skrupel, die freiheitliche Demokratien immer haben,
wenn es auf ein letztes Mittel zugeht. Diese Debatte führen wir schon seit einigen Jahren, nicht erst seit heute.
Wir haben mehrere Bundestagsdebatten geführt, die
deutlich widergespiegelt haben, welche Schwierigkeiten
freiheitlich verfaßte Gesellschaften haben, zur Ultima
ratio zu greifen. Aber es gibt auch für freiheitlich verfaßte Gesellschaften eine Grenze: Niemals dürfen sie
Despoten erlauben, sie lächerlich zu machen, weil sie
diese Skrupel haben.
({1})
Diese Grenze ist zweifellos erreicht: nicht nur nach
den Verhandlungen in Rambouillet und den vielen Gesprächen im Kosovo, sondern auch nach den vielen einzelnen Zusagen der serbischen Führung, von denen sie
sich im nachhinein wieder distanziert hat. Freiheitliche
Gesellschaften müssen wissen, daß das Völkerrecht
nicht selbst trägt, sondern daß sie es tragen müssen. Sie
müssen es auch tragen wollen. Im Kosovo geht es nicht
um ein Kriegsziel der NATO, sondern um die Frage an
freiheitlich verfaßte Gesellschaften, ob sie wegschauen
wollen, wenn Menschen vertrieben werden, wenn das
Leben von Menschen in Gefahr gebracht wird und wenn
Vernichtung über sie gebracht wird.
({2})
Dann tritt die Kernfrage nach dem politischen Ziel
auf, die wir beantworten müssen. Ich weigere mich einfach, nur in einen Dialog über Luftoperationen einzuAngelika Beer
treten, wenn nicht auch gesagt wird, welches politische
Ziel wir haben. Unser Ziel ist doch kein aggressives,
kein feindseliges. Wir wollen dort internationale Garantien, wir wollen Minderheitenrechte, wir wollen schlicht,
daß das, was die europäische Kulturgeschichte für die
Menschen gebracht hat, alle Menschen genießen können. Alle Menschen im Kosovo haben einen Anspruch
darauf, menschlich behandelt zu werden. Darum geht es
im Kern.
({3})
Wir setzen nicht Soldaten ein, um einen Staat zu beschädigen und Menschen in Not zu bringen, sondern wir
setzen sie für zutiefst humanitäre Zwecke ein. Nichts
anderes legitimiert überhaupt diesen Einsatz als unsere
Absicht, Menschen zu helfen und zu schützen.
Die serbische Führung zeigt nahezu jeden Tag, daß
sie ein menschenverachtendes Regime repräsentiert.
Nach allen Erfahrungen in der Geschichte dieses Jahrhunderts kann es für freiheitliche Demokratien am Ende
keine Alternative dazu geben, einem Aggressor auch mit
Soldaten entgegenzutreten.
Die deutschen Soldaten und ihre Familien haben
einen Anspruch auf unsere Solidarität, unsere Unterstützung und unseren Respekt. Sie stehen im Dienst einer
guten Sache. Sie sind zu dem Einsatz legitimiert. Sie
kämpfen für Menschenrechte, die vor unserer Tür mit Füßen getreten werden. Sie sollen wissen, daß die Fraktion
der F.D.P. - das sage ich auch für die Kolleginnen und
Kollegen aus der CDU/CSU sowie die Mehrheit der Grünen und der SPD - zu ihnen steht. Wir wünschen ihnen
Erfolg und hoffen, daß sie alle gesund zurückkommen.
({4})
Ich erteile dem Kollegen Gregor Gysi für die PDS-Fraktion das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte zunächst meinen ganz ehrlichen Respekt dafür zum Ausdruck bringen, daß sich
der Bundestag in eigener Souveränität doch noch ganz
kurzfristig zu dieser Debatte entschieden hat.
({0})
Ich finde, es ist dieses Hauses würdig, das nicht im
Rahmen einer GO-Debatte verhindert zu haben. Deshalb
nehmen wir unseren Antrag selbstverständlich zurück.
Ich kann die hier genannten Argumente zu einem
Großteil nicht teilen. Vor allen Dingen sind viele Fragen
gar nicht angesprochen worden, zum Beispiel die nach
der rechtlichen Grundlage für den Krieg, der gestern begonnen hat.
({1})
- Ich komme darauf zurück. - Sie alle wissen, daß die
UN-Charta nur zwei Fälle des berechtigten militärischen
Eingreifens kennt: den Fall der individuellen Selbstverteidigung oder kollektiven Selbstverteidigung im Rahmen eines Bündnisses und den Fall, daß der UNSicherheitsrat - kein anderer; nur er besitzt das Gewaltmonopol, was aus guten Gründen nach 1945 so festgelegt worden ist - anordnet, zur Herstellung des Friedens
militärische Maßnahmen einzusetzen.
({2})
Beide Voraussetzungen liegen nicht vor. Die Bundesrepublik Jugoslawien - wie auch immer die inneren Zustände
zu beurteilen sind - hat kein anderes Land angegriffen;
deshalb liegt der Fall einer individuellen Selbstverteidigung
oder kollektiven Selbstverteidigung nach Art. 51 der UNCharta nicht vor. Sie wissen genauso gut wie ich, daß der
UN-Sicherheitsrat keine militärischen Maßnahmen nach
Kap. VII der UN-Charta - der anderen Möglichkeit, die
militärisches Eingreifen erlaubt - beschlossen hat und daß
er sich sogar ausdrücklich vorbehalten hat, über die weitere
Situation zu beraten und zu entscheiden. Die NATO hat
ihm diese Entscheidung aus der Hand genommen; sie hat
sich damit von der UNO abgekoppelt.
({3})
Ich sage Ihnen: Das zerstört eine Weltordnung; aber
es schafft keine neue. Auch ich kann mir eine bessere
Weltordnung als die gegenwärtige vorstellen.
({4})
Die jetzige aber zu beseitigen, ohne eine neue zu haben,
wird Europa und die Welt sehr grundsätzlich verändern.
Was glauben Sie denn, wie wenig Rücksicht andere
Staaten in Zukunft auf die UN-Charta nehmen werden,
wenn die NATO und auch die Bundesrepublik
Deutschland erst einmal bewiesen haben, daß sie bereit
sind, die UN-Charta zu ignorieren und dennoch militärisch aktiv zu werden, und zwar in Form eines Krieges!
({5})
Juristisch gilt - auch wenn es Sie sehr ärgert -: Wenn
man einen Krieg führt, ohne selbst angegriffen worden
zu sein, dann ist das ein Angriffskrieg und kein Verteidigungskrieg. Genau diesen verbietet das Grundgesetz
der Bundesrepublik Deutschland. Auch dagegen haben
Sie verstoßen.
({6})
Sie sprechen von der Sicherheit unserer Soldaten. Ich
finde, die größte Unsicherheit besteht darin, sie in einen
Krieg zu schicken, der weder völkerrechtlich noch durch
das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland legitimiert ist.
({7})
- Dazu kann ich gerne etwas sagen.
Ich spreche jetzt über die selektive Wahrnehmung
humanitärer Katastrophen. Die Situation ist doch in
Wirklichkeit nicht neu. Es gab schon ganz häufig bewaffnete Bewegungen von Bevölkerungsgruppen, die
aus einem Staatenverband ausscheiden wollten. Die
Bundesrepublik Deutschland hat sich in solchen Fällen,
wie andere Staaten auch, sehr unterschiedlich verhalten.
Ich erinnere Sie an ein noch viel verbrecherischeres
Regime, an das Pol-Pot-Regime. Damals griff Vietnam
ein. Das wurde international mit dem Hinweis darauf
verurteilt, daß sich das kambodschanische Volk selbst
befreien müsse, solange Kambodscha keinen anderen
Staat angegriffen habe. Ein Angriff durch Vietnam auf
Kambodscha sei nicht gerechtfertigt. So lautete damals
die Argumentation.
Als der US-Präsident vor kurzem im Senat seines
eigenen Landes gefragt worden ist, warum die NATO
nicht in Kaschmir oder in Burundi militärisch eingreife,
sondern gerade im Kosovo in Jugoslawien, hat er geantwortet: Dort haben wir andere Interessen. - Das ist
eine Begründung, die mit Moral nichts zu tun hat.
({8})
Wenn Menschenrechte gelten sollen, dann müssen sie
universal gelten.
Südafrika hat über Jahrzehnte die große Mehrheit der
Bevölkerung nicht nur unterdrückt, nicht nur der einfachsten Menschenrechte beraubt, sondern hat Menschen auch massakriert. Nicht einmal zu einem Wirtschaftsboykott konnte sich die Bundesrepublik Deutschland entschließen. Die Deutsche Bank und andere haben
dort weiter große Geschäfte gemacht.
({9})
Was passiert denn seit Jahrzehnten und Jahren in der
Türkei? Sie wissen, daß die Rechte der Kurdinnen und
Kurden erheblich beeinträchtigt werden. Sie wissen, daß
sie nicht einmal das Recht auf eigene Sprache und
eigene Kultur haben. Sie wissen, daß auch dort Militär
und Polizei massakrieren, daß es auch militärische Gegenbewegungen gibt. Auch ich kritisiere die PKK; das
ist nicht die Frage. Aber entstanden ist sie aus der Unterdrückung des kurdischen Volkes. Auch das ist eine
Tatsache.
Die Türkei ist Partner im Bündnis, Partner der
NATO, die jetzt sagt, aus humanitären Gründen müsse
sie gegen Jugoslawien einen Angriffskrieg starten.
({10})
Wie selektiv wollen wir denn diese Probleme in der
Welt wahrnehmen? Damit ich hier nicht mißverstanden
werde: Wenn Sie eines Tages auf die Idee kommen
sollten, deshalb in die Türkei einzumarschieren, wäre
ich auch dagegen - um das ganz klar zu sagen. Aber ich
will Sie darauf aufmerksam machen, wie selektiv die
Wahrnehmung ist.
Sie sagen immer, der Krieg richtet sich gegen Milosevic und nicht gegen das serbische Volk. Das sagt sich
so leicht. Aber die Tatsachen sind doch andere. Was
glauben Sie denn, wer kein Wasser hat, weil die Bomber
gestern das Wasserwerk in Belgrad zerstört haben, die
serbische Bevölkerung oder Milosevic? Ich kann Ihnen
garantieren: Milosevic wird noch lange Wasser haben.
({11})
Wer werden die Toten sein? Das werden Frauen und
Kinder sowie Soldaten sein, darunter sehr viele Wehrpflichtige in Jugoslawien, die gar keine Chance haben,
nicht zur Armee zu gehen, und es wird nicht Milosevic
sein. Nein, ob Sie es wahrhaben wollen oder nicht: Ein
solcher Krieg richtet sich immer gegen die Bevölkerung
und nicht gegen einen einzelnen Diktator. Einen Krieg
gegen einen einzelnen Diktator hat es noch nicht gegeben, auch im Irak nicht, und es wird ihn auch nicht in
Jugoslawien geben. - Das macht mir alles größte Sorgen, muß ich Ihnen sagen.
Lassen Sie mich, weil die Redezeit um ist, nur noch
eines sagen. Ich verstehe auch folgendes nicht: Hier
wird immer gesagt: Milosevic ist völlig irrational, er
kalkuliert den Krieg mit ein. Er trägt die alleinige Verantwortung. - Was aber ist das politische Ziel? Da wird
mir gesagt: Nach zwei, drei Bombenangriffen wird der
Mann rational. Dann denkt er plötzlich an sein Volk und
unterschreibt, und damit ist der Krieg beendet.
Eine von beiden Thesen kann doch nur stimmen.
Wenn er ein so irrationaler Diktator ist, wenn er sein
eigenes Volk opfert, wie es mir die Regierung und die
Vertreter der Fraktionen sagen, wie kommen Sie denn
dann darauf, daß der nach zwei, drei Tagen unterschreiben würde? Und was ist, wenn er es nicht macht? Was
ist denn dann die politische Lösung?
({12})
Das haben Sie noch nie gesagt. Sie haben nur gesagt,
daß Sie auf eine Unterschrift von Milosevic hoffen. Ich
erwarte sie nicht; das muß ich Ihnen ganz ernsthaft
sagen.
Lassen Sie mich einen letzten Satz sagen: Mit Bomben verhindert man keine humanitären Katastrophen,
man verschärft sie nur.
({13})
Deutschland hat in diesem Jahrhundert überhaupt kein
Recht mehr, Bomben auf Belgrad zu werfen.
({14})
Für die SPD-Fraktion hat der Kollege Peter Zumkley das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die letzten Worte des Herrn Gysi
haben mich insofern nachdenklich gemacht, als ich die
Gegenfrage stelle: Wenn man heute nicht eingreift, werden denn dann die Menschenrechtsverletzungen im Kosovo beendet? Das ist doch die Frage.
({0})
Diese Frage beantworte ich für mich mit Nein, leider
Nein.
Zu den Luftoperationen gibt es nur eine Alternative,
nämlich das Einlenken der serbischen Führung.
({1})
Monatelang ist vergeblich versucht worden, mit großer Geduld eine Friedensregelung im Sinne der geschundenen Bevölkerung des Kosovo zu implementieren. Jetzt mußte die NATO entschlossen handeln, um
die Ziele zu erreichen, nämlich die Gewalt im Kosovo
zu beenden, eine humanitäre Katastrophe zu verhindern
und vor allem die Voraussetzungen dafür zu schaffen,
daß endlich den vielen tausend Flüchtlingen geholfen
wird, die unter schlimmsten Witterungsbedingungen in
den Wäldern hausen müssen, weil Unfriede herrscht,
weil sie aus ihren Dörfern vertrieben worden sind, weil
die Dörfer verbrannt worden sind. Diese Voraussetzungen müssen doch endlich geschaffen werden. Dazu muß
die serbische Regierung leider gezwungen werden.
({2})
Es ging darüber hinaus um die Beilegung eines Konflikts, der sich auch ausweiten kann: Wenn dort nicht
etwas geschieht, was geschieht denn dann möglicherweise mit den Nachbarstaaten?
({3})
Das ist doch ein Risiko, das man in Europa nicht eingehen kann. Insofern haben wir auch eine Verantwortung
für die Nachbarstaaten in diesem Gebiet. Die diplomatischen Kanäle sind doch weiterhin offen. Die Serben
müssen doch nur endlich dazu übergehen, diese zu nutzen und auch entsprechend zu handeln.
({4})
Belgrad kann jederzeit dazu beitragen, daß diese Luftoperationen beendet werden.
Einen Gedanken zu unseren deutschen Soldaten und
den Soldaten der Alliierten, die dort eine schwierige
Aufgabe erfüllen müssen, möchte ich noch mitteilen:
Wir müssen an sie denken, unsere Fürsorge muß ihnen
und auch ihren Familien gelten. Dazu gehört auch, daß
wir ihnen ganz deutlich sagen, daß sie einen rechtmäßigen Einsatz in unserem Sinne wahrnehmen. Das gehört
dazu, Herr Gysi.
({5})
Ich möchte mit zwei Sätzen aus der Erklärung des
EU-Gipfels schließen: Die Aggression darf sich nicht
lohnen; das ist die Lehre des 20. Jahrhunderts.
Ich danke Ihnen.
({6})
Da die PDS-Fraktion
ihren Geschäftsordnungsantrag zurückgezogen hat,
brauchen wir darüber nicht abzustimmen. Ich beende
damit diesen Punkt unserer Debatte.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 3 a und b auf:
a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zwanzigsten Gesetzes zur Änderung des Bundesausbildungsförderungsgesetzes ({0})
- Drucksachen 14/371, 14/460 ({1})
aa) Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung ({2})
- Drucksache 14/581 Berichterstattung:
Abgeordnete Brigitte Wimmer ({3})
Matthias Berninger
Maritta Böttcher
bb) Bericht des Haushaltsausschusses ({4}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung
- Drucksache 14/582 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Steffen Kampeter
Siegrun Klemmer
Dr. Günter Rexrodt
b) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Bildung, Forschung
und Technikfolgenabschätzung ({5})
- zu dem Antrag der Abgeordneten Jürgen W.
Möllemann, Cornelia Pieper, Horst Friedrich
({6}), weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der F.D.P.
Reform des Bundesausbildungsförderungsgesetzes
- zu dem Antrag der Abgeordneten Maritta
Böttcher und der Fraktion der PDS
Umsetzung der Reform der Ausbildungsförderung
- Drucksachen 14/358, 14/398 ({7}), 14/581 Berichterstattung:
Abgeordnete Brigitte Wimmer ({8})
Matthias Berninger
Maritta Böttcher
Zum Gesetzentwurf liegt ein Änderungsantrag der
Fraktion der F.D.P. vor.
Ich weise darauf hin, daß wir im Anschluß an die
Aussprache zwei namentliche Abstimmungen durchführen werden.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache eineinhalb Stunden vorgesehen. - Ich
höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort der
Kollegin Brigitte Wimmer, SPD.
Herr Präsident!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Dies ist sicher kein
Tag wie jeder andere. Es fällt mir als neuem Mitglied
dieses Hohen Hauses sicherlich nicht leicht, jetzt zur
Tagesordnung zu reden.
Liebe Kollegin, darf
ich Sie einen Moment unterbrechen? Da es Ihre erste
Rede ist, möchte ich doch für ein wenig Aufmerksamkeit sorgen.
({0})
Die Kolleginnen und Kollegen, die den Saal verlassen
möchten, bitte ich, das schnell zu tun. Wir warten noch
ein paar Sekunden, damit die anderen, die hierbleiben,
Ihnen ungestört folgen können.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, nehmen Sie doch
Platz, oder gehen Sie schnell ins Foyer.
Vielen Dank,
Herr Präsident. - Mir ist bei dem Redebeitrag von Herrn
Gysi schlecht geworden. Ich ziehe für uns daraus die
Konsequenz, daß wir noch mehr zur Unterstützung von
Friedens- und Konfliktforschung tun müssen, um solche Vorgänge, wie wir sie derzeit erleben, nicht mehr
erleben zu müssen.
({0})
Ich freue mich, daß unsere beiden die Regierung tragenden Fraktionen zum erstenmal überhaupt im Haushalt
Mittel für die Friedens- und Konfliktforschung eingestellt haben.
({1})
Es passiert nicht oft, daß wir für Entscheidungen
gelobt werden. Wie schön, daß wir für die 20. BAföGNovelle Zustimmung erhalten. Selbst der RCDS begrüßt
unseren Gesetzentwurf.
({2})
Unser Gesetzentwurf wird aus zwei Gründen begrüßt:
Wir halten, was wir versprochen haben, auch beim
BAföG. Die Erhöhung der Bedarfssätze um 2 Prozent
und der Beiträge um 6 Prozent führt dazu, daß die Zahl
der Geförderten nicht weiter absinkt, sondern nach
langer Zeit, wenn auch nur leicht, wieder steigt.
({3})
Es werden 23 000 zusätzliche Studierende gefördert
werden.
Aber nicht nur das: Wir nehmen auch die schlimmsten und unsinnigsten Teile der 18. Novelle zurück. Die
Wiedereinführung des § 5a beseitigt den krassen Fehler,
ein Auslandsstudium zu bestrafen.
({4})
In Zukunft bleibt ein Auslandsaufenthalt bis zu einem
Jahr bei der Förderungshöchstdauer unberücksichtigt. Es
geht nicht - wie Sie es getan haben, liebe Kolleginnen
und Kollegen von der Union und von der F.D.P. -, die
angebliche Immobilität der jungen Menschen zu beklagen und die finanzielle Grundlage für ein Auslandsstudium zu zerstören.
({5})
Wir billigen jungen Auszubildenden künftig eine
angemessene Orientierungszeit zu. Ein Ausbildungsabbruch oder Fachrichtungswechsel aus wichtigem
Grund wird bis zum Beginn des vierten Fachsemesters
zugelassen. Es gibt eben Fälle - dies hat der Beirat für
Ausbildungsförderung nachdrücklich bestätigt -, in
denen der Studienaufbau die Anerkennung eines Fachrichtungswechsels aus wichtigen Gründen noch am
Ende des dritten Fachsemesters rechtfertigt.
Wer die Förderungshöchstdauer aus gesellschaftspolitisch erwünschten Gründen, zum Beispiel Engagement in Gremien der studentischen Selbstverwaltung,
überschreitet oder sonstige schwerwiegende Verlängerungsgründe angeben kann, wird nicht länger mit der
Förderungsart Bankdarlehen bestraft.
Die befristet eingeführte Studienabschlußförderung
wird um weitere zwei Jahre verlängert in der Hoffnung,
daß zu diesem Zeitpunkt weitere Erfolge der Hochschulstrukturreform sichtbar werden.
({6})
Dieses Worthalten war außerdem außerordentlich
wichtig, weil die frühere Regierung das BAföG in seiner
Wirkung für Chancengleichheit beinahe zerstört hat.
1982, als CDU/CSU und F.D.P. an die Regierung
kamen, gab es noch 37 Prozent geförderte Studierende.
1997 und 1998, am Ende Ihrer Regierungszeit, waren es
noch 17 Prozent der Studierenden. In den neuen Bundesländern erhielten 1994 54 Prozent der Studierenden
BAföG, 1997 waren es nur noch 30 Prozent. Meine
Damen und Herren der früheren Regierung, Sie haben
beim BAföG einen Kahlschlag betrieben.
Präsident Wolfgang Thierse
Das sieht man auch bei den Ausgaben. 1992 waren es
noch 2,5 Milliarden DM, 1996 nur noch ganze 1,5 Milliarden DM. Sie haben die Familien im Stich gelassen,
Sie haben die Studierenden im Stich gelassen, und Sie
haben eine riesige Staatsverschuldung hinterlassen, mit
der wir jetzt umgehen müssen. Das ist eine Bankrotterklärung in diesem Bereich.
({7})
Für uns ist die 20. BAföG-Novelle gleichzeitig eine
notwendige Vorbereitung auf eine umfassende Reform
der Ausbildungsförderung, wie sie im Koalitionsvertrag zwischen SPD und Grünen vorgesehen ist. Danach
werden zukünftig alle ausbildungsbezogenen staatlichen
Leistungen in einem einheitlichen Modell der Ausbildungsförderung zusammengefaßt.
Diese Fragen können durch die vorgeschaltete Novelle ohne übermäßigen Zeitdruck, der zu Lasten der
Qualität gehen würde, gelöst werden. In die Debatte um
die Strukturreform gehören auch die Anträge der PDS
und der F.D.P., Stichworte: Angleichung Ost und West,
Bankdarlehen. Es würde der Sache nicht dienen, wenn
wir hier Schauanträge à la F.D.P. vorlegen würden, bei
allem Verständnis für eine kleine Oppositionsfraktion.
Gründlichkeit und Seriosität gehen vor Schnelligkeit.
({8})
Schauanträge helfen den Studierenden nicht.
Wir, Parlament, Regierung und die Bundesländer,
sollten die Strukturreform zum Ende dieses Jahres
gemeinsam auf den Weg bringen. Die grundlegende
Strukturreform ist ein wichtiger Beitrag zur Ausbildungsförderung. Sie stellt die Ausbildung auf die Anforderungen des 21. Jahrhunderts ein. Die Verbesserung
der materiellen Rahmenbedingungen für Studentinnen
und Studenten trägt dazu bei, einen effizienten und einen
qualitativ verbesserten Studienablauf zu ermöglichen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir Sozialdemokraten lassen uns dabei vom Prinzip der Chancengleichheit leiten. Chancengleichheit zu gewährleisten
heißt, alle Begabungen zu fördern - unabhängig von der
wirtschaftlichen und sozialen Lage der Auszubildenden
und ihrer Familien. Die SPD hält an dieser zentralen bildungspolitischen Forderung fest. Wir handeln dementsprechend. Dies gilt vor allem für die Ministerin, die für
diese Forderung einsteht, und auch für diese Regierung,
die erkannt hat, daß der Ausbau von Bildung und Forschung ein wichtiger Standortfaktor für unser Land ist.
Auf uns können sich die jungen Menschen verlassen.
Wir halten unser Versprechen.
({9})
Liebe Kolleginnen
und Kollegen, das war - wie vorhin schon gesagt - die
erste Rede der Kollegin Wimmer. Unsere herzliche
Gratulation!
({0})
Nun erteile ich das Wort der Kollegin Angelika Volquartz, CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident!
Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir diskutieren heute über die 20. BAföGNovelle. Wenn man sich die lange Serie dieser Novellen
ansieht, dann kann man erkennen, daß es hier um einen
bildungspolitischen Baustein mit einer langen Geschichte geht. Dieser Baustein war allen Regierungen
außerordentlich wichtig; denn Ausbildungsförderung ist
ein Beitrag dazu, für den einzelnen das Recht auf Bildung - unabhängig von der finanziellen Lage des
Elternhauses - zu gewährleisten und damit zugleich unsere Chancen im weltweiten Wettbewerb zu behaupten.
({0})
Im Zeitalter der Globalisierung und des Wandels von
der Industrie- zur Wissensgesellschaft ist Bildung der
Schlüssel zur Chancengerechtigkeit. Eine entscheidende Voraussetzung dafür ist die Vermittlung von Allgemeinwissen und Grundwissen. Auch die Medienkompetenz ist ein unverzichtbares Element.
Wir brauchen in unserem Land dringender als je zuvor eine Kultur des lebenslangen Lernens. Der Bundespräsident hat recht, wenn er sagt, ein Ruck müsse durch
unser Land gehen. Wir brauchen eine neue bildungspolitische Offensive.
({1})
Für uns gilt deshalb wie bisher, liebe Kolleginnen und
Kollegen von der SPD, daß jeder, der das Zeug und den
Willen - unabhängig von seiner sozialen Herkunft dazu hat, studieren soll.
Es gilt aber auch, daß ein Studium nicht der alleinige
Königsweg ist. Berufliche und akademische Bildung
haben für uns den gleichen Stellenwert.
({2})
Insoweit ist es nicht nachvollziehbar, daß beim MeisterBAföG jetzt gespart werden soll. Meine Kollegen werden auf diesen Punkt in der anschließenden Debatte
noch eingehen.
({3})
Es gilt der Grundsatz, daß alle Begabungen gleichermaßen gefördert und gefordert werden sollen.
({4})
Wir müssen die Chance zur Leistung eröffnen, soziales Lernen ermöglichen, Schlüsselqualifikationen
vermitteln und damit die so dringend notwendige
Entwicklung der Persönlichkeit ebenso fördern wie die
Befähigung, sich auf dem Arbeitsmarkt zurechtzufinden,
der hohe Flexibilität verlangt.
Wir treten für Leistung ein. Sie ist die einzige Chance, unser Land zukunftsorientiert weiterzuentwickeln.
Dazu gehört auch eine Eliteförderung. Ich finde es interessant, daß die Ministerin diesen Zusammenhang
Brigitte Wimmer ({5})
endlich begriffen hat und sich nun für die Eliteförderung
einsetzt.
({6})
Bisher haben die Sozialdemokraten Leistung als eine
Sekundärtugend bezeichnet und in den Ländern in der
Vergangenheit verhindert, daß eine Förderung der
Hochbegabten durchgeführt werden konnte.
({7})
Endlich haben wir in diesem Punkt eine gemeinsame
Linie.
({8})
Endlich haben wir da eine gemeinsame Linie: Gleichmacherei und Nivellierung sind der falsche Weg. Wir
eröffnen die Chance zum Wettbewerb, zur Bewährung,
zur Selbstfindung und zur Selbstbestätigung.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, es gilt, unser Bildungssystem für die Zukunft fit zu machen. Dabei spielt
auch die Ausbildungsförderung eine wesentliche Rolle.
Deshalb ist es zu bedauern, daß die Gefördertenquote
beim BAföG in den letzten Jahren gesunken ist. Allerdings ist die Zahl, die Sie genannt haben, Frau Wimmer,
falsch. Es geht nämlich nicht um alle Studierenden, sondern nur um diejenigen, die tatsächlich förderungswürdig sind. Und das sind 22,6 Prozent. Das bedeutet also,
verglichen mit dem vergangenen Jahr, einen Anstieg in
diesem Jahr. Das dürfen Sie natürlich nicht vergessen.
({9})
Die Auswirkung der Entwicklung, daß die Gefördertenquote zu gering ist - darin sind wir uns einig -, ist
aber nicht allein auf den Schultern der ehemaligen Regierung abzuladen, sondern auf Bund und Länder; denn
die Länder haben verhindert, daß wir hier eine verbesserte Situation erhalten.
({10})
Dies ist abgelehnt worden; das muß man einmal nüchtern feststellen. Nutzen wir jetzt also die Chance! Zeigen
wir Einigkeit, daß die Bildung in Deutschland einen
hohen Stellenwert hat!
Was wir heute als 20. BAföG-Novelle verabschieden
werden, verdient allerdings nicht, mit dem Prädikat
„Zukunft“ in Verbindung gebracht zu werden. Die Erhöhung der Bedarfssätze um 2 Prozent und die Erhöhung der Freibeträge um 6 Prozent bedeuten für die Studierenden lediglich die schon viel zitierte eine Pizza
mehr im Monat. Wenn wir der Novelle trotzdem
zustimmen - und die Zustimmung der CDU/CSU findet
auch der F.D.P.-Antrag zur Angleichung der Finanzierung von Unterkünften in den neuen Ländern; es interessiert mich übrigens, warum Sie diesem Antrag nicht
zustimmen -, erfolgt dies allein, um die Studierenden
wenigstens in den Genuß dieser kleinen Vergünstigung
kommen zu lassen. Vielleicht entschließen Sie sich aber
noch am Ende der Debatte, dem Antrag der F.D.P. doch
zuzustimmen. Dann wären Sie ein Stück glaubwürdiger
als jetzt.
({11})
Aber erinnern wir uns: Als die CDU/CSU-F.D.P.Regierung 1994 eine solche Erhöhung unter dem Eindruck der finanziellen Belastungen durch die deutsche
Einheit durchführte, hat die damalige Sprecherin der
SPD, Doris Odendahl, dies in einer Pressemitteilung so
kommentiert:
Bundesregierung erteilt bedürftigen Studierenden
eine erneute krasse Abfuhr.
({12})
So Doris Odendahl zur gleichen Erhöhung, die Sie heute
vornehmen. Sagen Sie doch einmal ein Wort dazu: Hat
Frau Odendahl damals recht gehabt? Dann aber müssen
Sie sagen, daß das, was Sie mit Ihrer Gesetzesvorlage
machen, eine krasse Abfuhr gegenüber den Studierenden
bedeutet.
({13})
Frau Wimmer, Sie haben davon gesprochen, daß Sie
die Wahlversprechen halten. Das meinen Sie sicher
nicht ernst.
({14})
Das kann nicht ernstgemeint sein, weil Sie in Ihrem
Wahlversprechen - das haben wir schon in der letzten
Debatte hier diskutiert - in Aussicht gestellt haben, die
Ausgaben im Bildungsbereich in den nächsten fünf Jahren zu verdoppeln. Das ist bis jetzt nicht erkennbar. Im
Gegenteil: Im Haushaltsausschuß wurde durch die rotgrüne Mehrheit der Etat um 75 Millionen DM für Technologieförderung gekürzt.
({15})
Weitere 80 Millionen DM Technologieförderungsmittel
mußte der Wirtschaftsminister opfern. Statt Steigerung
ist schlicht Kürzung angesagt. Das sind die Realitäten.
({16})
Von Ihren BAföG-Erhöhungen können die Studierenden nicht einmal mehr eine Kinokarte bezahlen, weil
die Mehrwertsteuererhöhung so gut wie beschlossen
ist.
({17})
So wird aus der 20. BAföG-Novelle eine Mehrwertsteuererhöhungskompensationsnovelle. Das ist nun wirklich
das letzte, was wir gebrauchen können - ganz zu
schweigen von der verabschiedeten Steuerreform, die
natürlich auch die Studierenden betrifft; denn der
öffentliche Personennahverkehr wird gravierend teurer.
Und das betrifft die Studierenden ebenfalls.
({18})
Das, Frau Ministerin Bulmahn, nenne ich neue Ungerechtigkeit.
Sie sprachen in der Debatte am 26. Februar dieses
Jahres in Richtung der ehemaligen Regierungsfraktionen
von „Scheinheiligkeit in Potenz“.
({19})
Schauen Sie sich einmal an, was Sie heute in bezug auf
die Mehrwertsteuer planen, was Ihr Parteifreund
Oppermann in Niedersachsen bezüglich der Studiengebühren beabsichtigt und wie Sie selbst dazu stehen.
Dazu würden wir gerne einmal ein Wort von Ihnen
hören. Sie, Frau Ministerin Bulmahn, sind doch die
Landesvorsitzende der SPD in Niedersachsen.
({20})
Meine Damen und Herren, es kommt jetzt darauf an,
das Bildungssystem zukunftsfähig zu machen. Daran
arbeiten wir.
({21})
Es gilt, Strukturen zu schaffen, die qualifizierte Bildungsabschlüsse garantieren und die internationale Vergleichbarkeit von Ausbildungsgängen und -abschlüssen
voranbringen. Das ist bisher in vielen sozialdemokratisch regierten Ländern schlicht verhindert worden.
({22})
Über landeseinheitliche Leistungen bei Abschlußprüfungen soll die Qualität in allen Bundesländern gesichert
und eine höhere Transparenz ermöglicht werden. Durch
Evaluation sowohl auf der Angebots- als auch auf der
Nachfrageseite müssen wir eine Effizienzsteigerung in
Schule und Hochschule erreichen. In diesem Kontext
brauchen wir ein zukunftsorientiertes und bestandsfähiges System der Ausbildungsförderung.
({23})
Dazu hört man bislang von Rotgrün außer vagen Ankündigungen nichts. Sie behandeln vielmehr die dringend notwendige BAföG-Strukturreform nach unserer
Einschätzung wie ein Staatsgeheimnis. Wir erwarten
von Ihnen die schnelle Vorlage diskussionsfähiger Eckpunkte. Dabei wollen wir von Ihnen wissen, wie Sie sich
zukünftig die Stellung der Studierenden in Gesellschaft
und Familie vorstellen. Wir wollen außerdem wissen,
welche Schlußfolgerungen Sie aus den beiden Urteilen
des Bundesverfassungsgerichtes zum Familienlastenausgleich und zur Vermögensanrechnung der Auszubildenden ziehen.
({24})
Wie halten Sie es mit der familiären Anbindung der Studierenden beim sogenannten Ausbildungsgeld bzw. mit
dem Prinzip der Subsidiarität? Wie stehen Sie zu einkommensunabhängigen Kindergeldzahlungen?
Wir fordern Sie auf, eine breite gesellschaftliche und
parlamentarische Diskussion zu ermöglichen.
({25})
Eine solche Diskussion haben die Studierenden verdient.
Sie ist notwendig, wenn wir am Ende zu einer konsensfähigen Lösung kommen wollen, auf die Sie, Frau
Ministerin, vernünftigerweise Wert legen.
Bildung und Erziehung, Ausbildung und Weiterbildung bestimmen ganz wesentlich die Modernität unserer
Gesellschaft im 21. Jahrhundert. Für uns ist die Bildung
der Schlüssel zu individuellen Lebenschancen, internationaler Konkurrenzfähigkeit und Wohlstand.
({26})
Deshalb müssen auch unsere Hochschulen wieder international Spitze werden.
Ich danke.
({27})
Liebe Kolleginnen
und Kollegen, damit Sie sich darauf einstellen können,
möchte ich Ihnen mitteilen, daß die Fraktion der
CDU/CSU zum Zwecke einer Fraktionssitzung eine
Unterbrechung der Sitzung im Anschluß an die namentlichen Abstimmungen zu diesem Tagesordnungspunkt
beantragt hat. Diese Unterbrechung dürfte in etwa zwischen 12 und 13 Uhr sein.
Nun erteile ich dem Kollegen Matthias Berninger,
Bündnis 90/Die Grünen, das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich
war hier sowohl als Redner als auch als Zuhörer schon
an einigen Debatten zum Thema BAföG beteiligt. Ich
bin zwar jemand, der sehr entschieden für die Reform
des BAföG eintritt und der dafür kämpft, daß wir eine
Strukturreform des BAföG hinbekommen. Ich muß
Ihnen aber sagen, daß ich heute meinen Vortrag in der
Sache etwas weniger kämpferisch gestalten werde, da
mir in Anbetracht der gegenwärtigen internationalen
Situation die Lust vergeht, hier eine fachpolitische Diskussion klassischer Prägung zu führen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, niemand in der Koalition bestreitet, daß die jetzige Reform des BAföG
bzw. das 20. BAföG-Änderungsgesetz noch nicht ausreichend ist. Wir selbst sprechen von einer Reparaturnovelle, die das Notdürftigste macht; wir sagen: Wir
wollen den Trend stoppen, daß immer weniger Personen
BAföG-Leistungen in Anspruch nehmen können, daß
das BAföG einen schleichenden Tod stirbt. Das haben
wir erreicht, wenn auch nicht - auch das sage ich Ihnen
- in dem Maße, wie wir uns alle das gewünscht hätten.
Immerhin werden etwa 23 000 Studierende im Vergleich
zum letzten Jahr zusätzlich Förderung erhalten. Das ist
ein kleiner, überhaupt nicht ausreichender Schritt. Die
grundsätzliche Reform, die wir vorhaben, wird dadurch,
daß wir diese 20. Novelle heute wahrscheinlich verabschieden werden - auch die CDU/CSU wird ihr ja zuAngelika Volquartz
stimmen -, überhaupt nicht erreicht. Ein großer Berg
Arbeit steht uns bevor. Das sehen wir alle so. Ich denke,
daß wir im Bildungsausschuß sehr viel diskutieren müssen. Ich glaube aber auch, daß die Grundlagen, die diese
Koalition für eine solche BAföG-Reform gelegt hat,
durchaus tragfähig sind.
Wir wollen diese Strukturreform, aber sie soll sorgfältig vorbereitet sein, und wir wollen sie nicht übers
Knie brechen. Viele Vorwürfe, die dieser Regierung in
den letzten Monaten gemacht wurden, beziehen sich
darauf, daß sie zu hastig vorgegangen sei, daß sie
unausgegorene Reformen dem Parlament vorgelegt habe
und entsprechend in Schwierigkeiten gekommen sei. Ich
brauche Ihnen die verschiedenen Reformwerke nicht
aufzuzählen. Wir haben das bei der BAföG-Reform
nicht vor. Vielmehr wollen wir eine Reform machen, die
breite Zustimmung erhalten kann. Sie wissen, der Bundesrat muß dieser Reform zustimmen. Wir wollen schon
vorher mit den Ländern reden. Wir wollen einen Konsens hinbekommen, weil diese Reform den Grundstein
für die zweite Bildungsreform bilden muß. So wie die
erste Bildungsreform mit Veränderungen beim BAföG
ausgestaltet wurde, wird auch die zweite Bildungsreform
dann gelingen, wenn wir den Menschen am Start wieder
gleiche Chancen geben und wenn wir unterschiedliche
Biographien berücksichtigen, etwa die von Menschen,
die ein Teilzeitstudium machen wollen. Wir wollen auch
stärker das Studieren mit Kind oder etwa das Auslandsstudium ermöglichen, das ja derzeit vor allem von jenen
aufgenommen wird, deren Eltern sehr viel Geld haben,
während diejenigen, die aus weniger wohlhabenden Familien kommen, in aller Regel im Inland studieren müssen. Auch das ist ein großes Anliegen, nämlich daß wir
in dieser Beziehung eine Korrektur hinbekommen.
Diese grundsätzliche Strukturreform, so fordern
einige, müsse schneller, als wir das in der Koalitionsvereinbarung festgelegt haben, möglichst noch vor der
Sommerpause, auf den Weg gebracht werden. Ich habe
in der letzten Legislaturperiode - da war ich in der
Opposition - über ein Jahr in den Fraktionsgremien darüber diskutiert, wie eine solche Strukturreform aussehen
könnte. Wir haben einen eigenen Gesetzentwurf dazu
gemacht. Ich kann Ihnen sagen: Das ist ein sehr, sehr
aufwendiges Reformwerk, und das aus drei Gründen.
Der erste Grund. Wir wollen uns im Bereich des
Familienleistungsausgleichs daranmachen, daß alle Studierenden die gleiche Grundförderung erhalten. Diese
Förderung wollen wir Ausbildungsgeld nennen. Das
bringt sehr weitreichende Veränderungen mit sich, die
etwa mit Familienpolitikerinnen und -politikern zu besprechen sind. Sie alle wissen, daß es im Unterhaltsrecht
erhebliche Schwierigkeiten gibt, die wir ausräumen
müssen, Schwierigkeiten, die durch die Rechtsprechung
des Bundesverfassungsgerichts verschärft wurden. Ich
freue mich darüber, daß sie verschärft worden sind. Die
Konsequenz der Rechtsprechung ist nämlich, daß Familien noch stärker entlastet werden und daß diese noch
stärkere Entlastung der Familien sich positiv auf das Gesamtvolumen der BAföG-Reform auswirken wird.
Damit bin ich bei dem zweiten Problem. Es besteht
darin, daß wir diese Reform finanzierbar gestalten müssen. Es ist von den Kolleginnen ja schon angesprochen
worden, daß wir im Bildungsbereich mehr Geld ausgeben. Wir alle sind uns darin einig, daß man noch mehr
Geld ausgeben könnte. Aber ich finde, es muß anerkannt
werden, daß diese Bundesregierung im Vergleich zu
ihren Vorgängerinnen in der Bildung tatsächlich ein
Feld sieht, für das mehr Geld ausgegeben werden soll.
({0})
Wir werden ein großes Problem mit den Finanzpolitikern bei der Frage bekommen: Wie finanziert man eine
solche Reform? Auch das macht es nötig, daß wir an
diese Reform behutsam herangehen. Ich glaube aber,
daß es Möglichkeiten gibt, das zu lösen.
Der dritte Punkt. Diese Bundesregierung wird Veränderungen beim Wohngeld auf den Weg bringen. Wir
wollen, daß zumindest geprüft wird, inwieweit Studierende auch von diesen Veränderungen profitieren können.
Wir werden einige politische Bereiche, die von der
Bildungspolitik weit weg sind, tangieren müssen, um
eine gute Reform auf den Weg zu bringen. Frau Kollegin Pieper, Sie haben ja den Antrag gestellt, in dem es
heißt, daß man das schneller machen muß. Ich bitte Sie
um Verständnis dafür, daß wir, so wie wir es in der Koalitionsvereinbarung festgelegt haben, diese Reform bis
Ende 1999 vorlegen wollen. Sollten wir mit diesem, wie
ich finde, ehrgeizigen Terminplan scheitern, haben Sie
jedes Recht, uns vorzuwerfen, daß uns das nicht wichtig
genug sei oder aber daß wir es nicht auf die Reihe
bekämen. Ich bitte Sie aber, dieser Regierung - so wie
wir Ihnen auch drei Jahre geduldig die Chance gegeben
haben, eine Strukturreform vorzulegen - die nötige Zeit
einzuräumen, die sie braucht, um eine vernünftige
BAföG-Reform zu machen.
Ich freue mich - dies zum Abschluß -, daß es einebreite Mehrheit dafür gibt, sehr viele Fehler, die in der
letzten Legislaturperiode gemacht wurden, zu bereinigen. Allerdings kam es zu dieser Mehrheit durch einen
Kompromiß, an dessen Ende stand, daß noch in der
letzten Legislaturperiode vereinbart wurde, eine Strukturreform auf den Weg zu bringen.
Es wurden viele Fehler gemacht: Die Gremientätigkeit der Studierenden wurde bei der BAföG-Reform der
letzten Wahlperiode nicht genügend beachtet. Man hat
es nicht geschafft, das Auslandsstudium positiv zu berücksichtigen. Die Ost-West-Angleichung ist nicht vorangekommen. Diese, so räume ich ein, hätte ich mir
auch schon bei dieser Reform gewünscht. Das haben wir
aber nicht durchbekommen. Die Frage, wieviel Geld
man für eine solche Reform mobilisieren kann, wird in
der Diskussion um eine Strukturreform ein wichtiges
Thema sein. Nicht zuletzt geht es um die Frage, wie man
es schafft, durch die BAföG-Strukturreform die Zahl der
Geförderten so zu erhöhen, daß der Trend des Bergab
gebremst wird.
In all diesen Fragen haben wir in diesem Parlament in
der letzten Legislaturperiode Fehler gemacht. Manche
haben das lauter, manche haben das leiser kritisiert. Ich
denke, es ist ein guter Weg, daß das Parlament jetzt geschlossen sagt: Wir wollen Gremientätigkeit anerkennen. Wir wollen das Studieren im Ausland stärker als
vorher fördern. Zweierlei muß zusätzlich hineingenommen werden: Das Studieren mit Kind muß stärker als
bisher beachtet werden - ich habe zugestanden, daß
auch diese Regelung unzureichend ist -, und eine OstWest-Angleichung wollen wir Ende des Jahres in unser
Reformpaket aufnehmen.
Ich hoffe, daß uns das gelingt. Es wird uns um so
besser gelingen, je konstruktiver die Opposition daran
mitarbeitet. Dazu muß ich Sie nicht einladen, weil Sie
Ihre Bereitschaft dazu bereits erklärt haben. Wir werden
sehr spannende Diskussionen führen. Ich hoffe, daß die
Bundesregierung insgesamt hinter einem Reformwerk
steht, das jungen Menschen unabhängig vom elterlichen
Einkommen gleiche Chancen beim Start gewährt. Das
ist mein Wunsch. Ich glaube, daß wir das schaffen können. Aber wir müssen es mit der nötigen Ruhe machen.
Dafür bitte ich um Verständnis.
({1})
Für die F.D.P.Fraktion hat nun Kollegin Cornelia Pieper das Wort.
Herr Präsident! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Auch ich möchte deutlich
machen, daß es mir heute nicht leicht fällt, zur Tagesordnung überzugehen. Wo andere junge Menschen um
ihr Leben fürchten, diskutieren wir jetzt über die Bundesausbildungsförderung, die für die jungen Leute hier
im Land wichtig ist. - Ich wollte diese Bemerkung vorwegschicken. Wir sollten die Debatte deswegen nicht
kämpferisch führen. Ich glaube, das ist der Sache heute
nicht angemessen. Trotzdem stehen wir in der Sache zu
unserem Antrag, zu unserer Position.
Die F.D.P.-Fraktion ist vehement der Auffassung,
daß die Bundesregierung mit dem vorliegenden Gesetzentwurf eine einmalige Chance für eine rechtzeitige
BAföG-Reform verpaßt hat. Die Chance, die Reform
der Bundesausbildungsförderung mit einer großen
Mehrheit im Bundestag zu beschließen, war noch nie
so groß, und damit der Forderung der Länder und Verbände nachzukommen, die Bundesausbildungsförderung von einem verzinsten auf ein zinsloses Darlehen
umzustellen.
Die 20. BAföG-Novelle bleibt im alten Trott. Eine
lediglich 2prozentige Anhebung der Bedarfssätze sprich: für den Höchstbetrag sind das 20 DM mehr und eine 6prozentige Steigerung der Freibeträge bringen
keine Chancengerechtigkeit für die Studierenden.
BAföG beziehen weiterhin nur 17 Prozent von 1,8 Millionen Studierenden in Deutschland, liebe Kollegin
Wimmer.
({0})
Der Antrag der F.D.P. ist auch kein Schauantrag. Ich
möchte Sie daran erinnern, daß auch Sie in der letzten
Legislaturperiode Anträge gestellt haben,
({1})
mit denen Sie das Drei-Körbe-Modell vorgeschlagen
und von der damaligen Bundesregierung eine entsprechende BAföG-Reform verlangt haben.
({2})
Die F.D.P.-Fraktion hat - dies wollte ich hier noch
einmal deutlich sagen - diese Debatte in der alten Regierung vorangetrieben.
({3})
- Das liegt an den Mehrheiten, lieber Herr Kollege. Sie
wissen, daß wir innerhalb der Fraktion ständig zulegen.
Uns geht es um die Sache, meine Damen und Herren.
({4})
Die F.D.P. will für die Studierenden endlich eine
BAföG-Reform. Wir wollen diese nicht auf die lange
Bank schieben. Das Ziel muß es also sein, daß die Studierenden recht bald - das heißt, wenn wir diesen Antrag stellen, sollte die Bundesregierung einen Gesetzentwurf zur Reform der Bundesausbildungsförderung
vorlegen -, spätestens mit dem Frühjahrssemester, in
größerer Anzahl BAföG beziehen können; jetzt sind das
nur 19 Prozent.
({5})
Ich erinnere noch einmal an das, was wir vorgeschlagen haben - auch für die vielen jungen Leute, die hier
heute Gast sind.
Der erste Korb beinhaltet einen Sockelbetrag in
Höhe von 400 DM zur Deckung des Grundbedarfes, der
jedem Studierenden unabhängig vom Einkommen der
Eltern zur Verfügung gestellt werden soll. Dieses
Grundstipendium soll aus der Zusammenführung von
Kindergeld und Kinderfreibeträgen finanziert werden.
Der zweite Korb besteht aus einem rückzahlungspflichtigen, aber unverzinslichen Darlehen bis zu
400 DM und ist vom Elterneinkommen abhängig.
Der dritte Korb sieht einen Zuschuß von 350 DM
vor, der den Studierenden abhängig von der Leistungsfähigkeit der Eltern gezahlt wird.
Die Ablehnung unseres Antrages mit der Umsetzung
des Bundesverfassungsgerichtsurteils zum Familienlastenausgleich zu begründen ist eine Ausrede der Regierungskoalition.
({6})
Wenn die Bundesregierung ihren Aussagen zufolge sowieso bis zum Sommer die Umsetzung dieses Bundesverfassungsgerichtsurteils vorhat, spricht absolut nichts
gegen unsere Forderung, ebenso einen Gesetzentwurf
zur BAföG-Reform bis zur Sommerpause vorzulegen.
({7})
Ziel muß es sein, die Anzahl der Studierenden, die
BAföG beziehen, möglichst mit Beginn des neuen Jahres zu erhöhen. Da geht es um Chancengerechtigkeit für
junge Menschen, liebe Kolleginnen und Kollegen.
({8})
Das muß die Antwort auf die drängenden Probleme in
der Bildungspolitik sein.
Dabei erklärten Ihre Kollegen selbst - ich kenne es
aus Ihren Pressemitteilungen vom 26. Februar 1999,
Dr. Rossmann und Herr Hilsberg -:
Die Reform der Ausbildungsförderung muß nunmehr in die notwendige Reform des gesamten Familienleistungsausgleichs eingebettet werden.
({9})
Das wollen wir auch. Aber warum bringen Sie Ihren Gesetzentwurf dann nicht auf den Weg? Wir erwarten ihn.
({10})
Wenn Sie dies nicht tun, liebe Kolleginnen und Kollegen: Wir werden handeln. Wir werden heute die Ablehnung unseres F.D.P.-Antrages zur BAföG-Reform
nicht einfach so hinnehmen. Ich glaube, daß es dringend
notwendig ist, einen Gesetzentwurf hierzu vorzulegen,
damit wir ihn im Ausschuß beraten - auch vor dem
Hintergrund des entsprechenden Urteils von Karlsruhe und noch im Herbst dieses Jahres beschließen können.
Das muß das Ziel sein.
Ich darf an dieser Stelle auch noch einmal an die
Forderung des Bundesrates nach der ersten Lesung der
20. BAföG-Novelle erinnern. Zitat aus einer Presseerklärung:
Bedauert wurde allerdings
- vom Bundesrat -,
daß eine wesentliche Verschlechterung, nämlich die
Förderung der Studienabschlußförderung durch die
Förderungsart „verzinsliches Bankdarlehen“, beibehalten wird. Die Bundesregierung wurde gebeten, im Verlauf des Gesetzgebungsverfahrens
Möglichkeiten zu prüfen, auf die Förderungsart zu
verzichten.
Außerdem soll die Bundesregierung im weiteren
Verlauf des Gesetzgebungsverfahrens prüfen, ob
die Höhe der Beträge, welche für die Unterkunft an
Studierende gezahlt werden, die bei den Eltern
wohnen, in den neuen Ländern an die in den alten
Ländern angeglichen werden kann.
Meine Damen und Herren, genau in diesem Punkt enttäuschen Sie die Studierenden in den neuen Ländern am
meisten.
Die F.D.P. fordert mit der Verabschiedung der
20. BAföG-Novelle eine Angleichung der Beträge, die
für Unterkunft gemäß § 13 Abs. 2 BAföG an die Studierenden in den neuen Ländern gezahlt werden.
({11})
Die gestiegenen Lebenshaltungskosten, die sich durch
die ökologische Steuerreform noch erhöhen, insbesondere für die Mieten, machen diese Veränderung mit der
Verabschiedung der 20. BAföG-Novelle notwendig. Der
Vergleich der Ergebnisse der 14. und 15. Sozialerhebung des Deutschen Studentenwerkes haben das bewiesen.
({12})
An diesem Punkt wird sich heute in der Abstimmung
erweisen, ob die Bundesregierung tatsächlich die neuen
Länder zur Chefsache macht. Deswegen fordere ich namens der F.D.P.-Bundestagsfraktion eine namentliche
Abstimmung zu unserem Änderungsantrag in dieser Sache.
Vielen Dank.
({13})
Das Wort hat nun die
Kollegin Maritta Böttcher, PDS-Fraktion.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nun führen wir wieder
eine Debatte, die wir schon häufig im Plenum und im
Ausschuß geführt haben, und sagen uns immer wieder
fast dasselbe. Lassen Sie mich deshalb beim Grundsätzlichen bleiben.
Das BAföG wurde mit dem Argument eingeführt, der
soziale Rechtsstaat sei verpflichtet, durch Gewährung
individueller Ausbildungsförderung auf eine Gleichheit
der beruflichen Chancen hinzuwirken und dem einzelnen eine Ausbildung zu ermöglichen, die seiner Neigung, Eignung und Leistung entspricht.
Diesem Ansinnen kam die Ausbildungsförderung in
den ersten Jahren auch nach. Seit Anfang der 80er Jahre
verzeichnen wir aber einen Rückgang. Dieses Ergebnis
neoliberaler Bildungspolitik der alten Bundesregierung,
Frau Volquartz,
({0})
soll jetzt korrigiert werden. Immerhin! Leider ist die
Korrektur dürftig. Eine Verdoppelung der Zahl der GeCornelia Pieper
förderten wird nicht erreicht. Auch erreichen Sie nicht,
daß der Bedarf von Studierenden wirklich gedeckt wird.
Vieles, was Sie jetzt nicht tun, soll mit der grundlegenden BAföG-Reform im Herbst kommen. Ich sage nur:
hoffentlich. Denn ich glaube, daß dabei nur ein mehr
oder weniger guter Kompromiß aus drei Körben und
BAFF herauskommen wird. Mit dem Argument, die
Modernisierungsgewinner sollen bezahlen, werden die
so Genannten weiter gewinnen und die anderen abgeschreckt werden.
({1})
Die von Ihnen so genannten Gewinner der Modernisierung sollen sich durchaus an den Kosten für die
Hochschulen und die Studienfinanzierung beteiligen:
über die Steuern, die sie zu bezahlen haben, über Einkommensteuer und vor allem über die Vermögensteuer.
Hier liegt Ihre politische Verantwortung, umzuverteilen,
damit der Staat seiner Aufgabe, Chancengleichheit herzustellen, nachkommen kann.
Machen Sie sich doch bitte einmal klar, in welcher
Situation sich junge Menschen für oder gegen ein Studium entscheiden. Bereits vor dem Abitur, ein halbes Jahr,
bevor sie die Lehre oder das Studium aufnehmen, entscheiden sich die meisten für eines von beidem. In dieser Situation erfährt niemand, ob er oder sie wirklich berechtigt ist, BAföG zu erhalten. Erst recht erfährt man
nicht, ob das BAföG zum Leben reicht und ob es bis
zum Studienabschluß reicht. Das sind viele Unsicherheiten, wenn man aus einem Elternhaus kommt, das
nicht zusichern kann, in einer finanziellen Patsche auf
jeden Fall helfen zu können.
Die derzeitige BAföG-Regelung - daran ändert auch
die Novelle nichts - verstärkt soziale Ungleichheiten
bei der Entscheidung, wie der Lebensweg fortgesetzt
wird. Das kann nur geändert werden, indem neue, eindeutige Regelungen geschaffen werden, die das Studium
in jedem Fall ermöglichen.
({2})
Sie müssen so eindeutig sein, daß jedes Schulkind das
immer im Bewußtsein hat. Es darf nicht an der finanziellen Situation der Eltern oder an deren Bereitschaft
liegen, ein Studium zu finanzieren - jedenfalls dann
nicht, wenn man den Auftrag, Chancengleichheit herzustellen, ernst nimmt.
Eine eindeutige Regelung ist entweder eine soziale
Grundsicherung oder eine klare BAföG-Regelung, wie
wir sie schon in der 13. Wahlperiode vorgeschlagen haben. Beide Lösungen haben den Vorteil, daß sie den Lebensunterhalt sicher abdecken.
Den Vorschlag der PDS zur BAföG-Regelung kann
man wirklich in einem Satz darstellen: Kinder von Geringverdienern bekommen das Studium als Zuschuß finanziert, Kinder von Besserverdienern nutzen entweder
das Vermögen ihrer Eltern oder erhalten ein zinsloses
Darlehen, damit sie sich nicht mit den Eltern streiten
müssen.
({3})
Die Grenze zwischen den hier einfach Gering- und
Besserverdienern Genannten ergibt sich aus dem durchschnittlichen Einkommen und ist abhängig von der Familiengröße. Diese Regel ist eindeutig und sichert ohne
Klippen allen den freien Zugang zum Studium. Diese
Eindeutigkeit erreicht keiner der anderen Entwürfe, keiner der Körbe - egal, wie viele -, kein BAFF und keine
20. Novelle. Unser Vorschlag ermöglicht es jedem
Schüler und jeder Schülerin vor dem Abitur, sich frei zu
entscheiden, was aus ihrem Leben werden soll - jedenfalls bezüglich des Studiums. Chancengleichheit hat viel
damit zu tun, daß finanzielle Voraussetzungen keine lebensentscheidende Rolle spielen. Die Sicherheit, immer
genug zum einfachen Leben zu haben, würde die Lebensqualität vieler Menschen in diesem Land, die ihre
Existenz an oder unter der Armutsgrenze wahren, deutlich erhöhen. Zur Lebensqualität gehören zuerst Essen,
Kleidung und Wohnung, darüber hinaus aber auch die
Möglichkeit, am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen.
Das kostet bekanntlich Geld, und zwar nicht wenig.
Die PDS fordert die Einführung der sozialen Grundsicherung für alle, also auch für Studierende. Damit
hätten viele, die - egal in welcher Lebenslage und in
welchem Alter - gerne studieren wollen und für die
sonst immer Ausnahmeregelungen geschaffen werden
müssen, die Möglichkeit, ihre Fähigkeiten an einer
Hochschule zu bilden und weiterzubilden. Die soziale
Grundsicherung ist so angelegt, daß sie neben dem bloßen Leben auch den Kauf von Büchern und den Besuch
von Kulturveranstaltungen ermöglicht. Das ist in einer
modernen Gesellschaft, in der Wissen immer wichtiger
wird und in der lebenslang gelernt werden muß, unerläßlich.
Falls Sie es schon vergessen haben: Die soziale
Grundsicherung soll allen Menschen ein Einkommen in
Höhe von derzeit 1 450 DM sichern. Reichen die eigenen Einkommen - sei es geringer Lohn, sei es Rente, sei
es Sozialhilfe oder sei es wegen Studiums auch gar kein
Einkommen - nicht, gewährleistet die soziale Grundsicherung die Mittel, die zu einem Leben befähigen, das
mehr ist, als genug zu essen und ein Dach über dem
Kopf zu haben. Laut EU-Definition beträgt die derzeitige Armutsgrenze 1 450 DM. Mit diesem Betrag soll
nicht jedem ein Champagnerbad ermöglicht werden;
dieser Betrag ist nötig, um am gesellschaftlichen Leben
teilzunehmen und um in der Wissensgesellschaft nicht
von den aktuellen Entwicklungen abgehängt zu werden.
Die PDS-Fraktion wird dem Änderungsantrag der F.D.P.
zur Ost-West-Angleichung - ich verkürze den Titel
einmal - auch aus diesem Grund die Zustimmung geben.
({4})
Eine weitere Anmerkung. Warum, glauben Sie, entscheiden sich inzwischen so viele junge Leute, erst eine
Lehre zu machen und dann zu studieren und damit in
den Genuß zu kommen, elternunabhängiges BAföG zu
erhalten? - Sie machen das, weil ihnen die Unsicherheit
zu groß ist, bei den BAföG-Regelungen wirklich studieren zu können. Ich sagte bereits, zur Lebensqualität gehören zuerst Essen, Kleidung und Wohnung. Um aber
am gesellschaftlichen Leben wirklich gestaltend teilMaritta Böttcher
nehmen zu können, müssen darüber hinausgehende Regelungen herbeigeführt werden.
Damit ich nicht mißverstanden werde, möchte ich abschließend sagen, daß die Fraktion der PDS selbstverständlich weiter an einer umfassenden BAföG-Reform
mitarbeiten und weiterhin Vorschläge machen wird.
Was heute vorliegt, ist nur eine Reparaturnovelle.
({5})
Meine Damen und Herren, ich möchte noch - die anderen Rednerinnen und Redner haben das jeweils am
Anfang ihrer Rede getan - eine Anmerkung machen, die
mit dem jetzigen Thema nichts zu tun hat. Frau Wimmer, so unterschiedlich reagieren Menschen: Mir ist
schlecht geworden, als heute nacht Bomben auf Jugoslawien fielen.
({6})
Ich erteile nun Bundesministerin Edelgard Bulmahn das Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine
sehr geehrten Damen und Herren! Ich freue mich, daß
der Bundestag heute für die 20. BAföG-Novelle grünes
Licht gibt,
({0})
weil wir mit dieser 20. BAföG-Novelle für die Studierenden deutliche Verbesserungen erreichen. Mit dieser
20. BAföG-Novelle stoppen wir endlich die jahrelange
Talfahrt des BAföG.
({1})
Diese Regierung will mehr Chancengleichheit für
junge Menschen. Wir wollen nicht, daß Bildung, Ausbildung und damit Lebenschancen von dem Geldbeutel
der Eltern abhängig sind. Deshalb erreichen wir mit dieser „Reparaturnovelle“ - das ist ein Begriff, den ich selber geprägt habe -, daß zusätzlich 23 000 Studierende
BAföG erhalten. Ich sage Ihnen ganz klar: Es ist mir
nicht egal, ob 23 000 Jugendliche das Recht auf eine individuelle Ausbildungsförderung erhalten oder nicht.
Deshalb war die Novelle notwendig.
({2})
Ich sage genauso klar: Das ist noch lange nicht genug.
Deshalb werden wir insgesamt eine Trendwende einläuten, nicht nur bei der Ausbildungsförderung, sondern
im gesamten Bildungsbereich.
Frau Volquartz, von einer Parlamentarierin erwarte
ich zumindest einen Hauch von Vernunft.
({3})
Wenn Sie darauf hinweisen, daß das, was wir tun, bei
weitem nicht ausreicht, dann antworte ich darauf:
Stimmt, das reicht nicht aus. Aber wenn Sie gleichzeitig
in dieser Debatte den Eindruck erwecken, daß eine Erhöhung des Haushaltes um rund 900 Millionen DM, die
Ihnen in den vergangenen 16 Jahren nie, auch nicht ansatzweise, gelungen ist, kein Erfolg ist - auch wenn man
dabei eine 0,5prozentige Kürzung hinnehmen muß -,
dann muß ich Ihnen sagen, daß Ihre Aussage bar jeder
Vernunft ist. Bei solchen Äußerungen fragen sich die
Menschen zu Recht, worüber im Deutschen Bundestag
eigentlich diskutiert wird.
({4})
Ich habe bereits in der ersten Lesung zur 20. BAföGNovelle deutlich gemacht, daß wir nicht auf eine überhastet zustandegekommene Symbolik setzen, sondern
daß wir ein Änderungsgesetz brauchen, das sehr sorgfältig vorbereitet wird. Es wird eine Strukturnovelle
sein, die wir Ende des Jahres vorlegen werden. Der
Kollege Berninger hat auf die Einzelpunkte hingewiesen, die geklärt werden müssen. Weil wir eine Strukturreform wollen, die für die nächsten Jahre wirklich trägt,
und nicht jedes Jahr erneut reparieren wollen, müssen
wir uns Zeit dafür nehmen. Diese Zeit nehmen wir uns
im Interesse der Jugendlichen. Deshalb fordere ich Sie
auf: Seien Sie sachlich, so wie es ein Teil der Kollegen,
auch von den Oppositionsfraktionen, in der letzten Debatte glücklicherweise war.
({5})
Ich habe in den Ausschußberatungen zu meiner Freude feststellen können, daß es für ein solches Verfahren
der Vernunft einen fraktionsübergreifenden Konsens
gibt. Der federführende Ausschuß hat ohne Gegenstimmen die Annahme des vorliegenden Gesetzentwurfs
empfohlen, also auch mit den Stimmen der CDU/CSU
wie auch der F.D.P. Herr Mayer und Herr Friedrich, das
begrüße ich ausdrücklich.
Mit der Anhebung der Bedarfssätze um 2 Prozent
und der Freibeträge um 6 Prozent zum Herbst 1999
verhindern wir, wie gesagt, zunächst einmal ein weiteres
Sinken der Gefördertenquote. Aber wir tun noch mehr:
Wir korrigieren die ärgsten Fehlentwicklungen der 18.
BAföG-Novelle.
({6})
Ich will die Korrekturen kurz in Erinnerung rufen:
Erstens. Studierende, die zum Studieren ins Ausland
gehen, werden für ihr Engagement nicht länger bestraft.
({7})
Künftig bleibt ein Auslandsaufenthalt bis zu einem
Jahr bei der Förderungshöchstdauer wieder unberücksichtigt. Das halten wir für dringend notwendig, weil wir
es für richtig und wünschenswert halten, wenn auch
Studierende, die BAföG beziehen, ins Ausland gehen.
({8})
Zweitens. Wenn ein wichtiger Grund vorliegt, kann
bis zu Beginn des vierten Fachsemesters die FachrichMaritta Böttcher
tung ohne finanzielle Nachteile gewechselt werden. Das
ist nach allen vorliegenden empirischen Untersuchungen
eine richtige Entscheidung, weil es besser ist, daß Studierende nach dem vierten Fachsemester wechseln können, als wenn sie ein Studium zu Ende führen, das ihnen
erkennbar keine Beschäftigungschance ermöglicht oder
für das sie erkennbar nicht geeignet sind.
Drittens. Die Arbeit in Gremien und in der studentischen Selbstverwaltung wird nicht länger mit der Förderungsart „Bankdarlehen“ bestraft. Ich sage ganz klar:
Ich möchte, daß sich Studierende politisch engagieren.
({9})
Ich möchte, daß Studierende in Fachschaftsbeiräten tätig
sind und sich dort engagieren. Ich möchte, daß sie im
AStA mitwirken.
({10})
Deshalb habe ich mich sehr darüber geärgert, daß Sie
damals einen Beschluß gefaßt haben, mit dem genau
dieses ehrenamtliche Engagement, von dem unsere Gesellschaft lebt, bestraft wurde. Deshalb korrigieren und
verändern wir dies.
({11})
Viertens. Die befristet eingeführte Studienabschlußförderung wird um zwei Jahre verlängert.
Kollegin Bulmahn,
gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Möllemann?
Gerne.
Frau Bundesministerin, können Sie sich so wie ich auf Grund eigener
Erfahrungen nicht vorstellen, daß es sehr wohl möglich
ist, sich während seiner Studienzeit in einem AStA oder
in einer Fachschaft zu engagieren, ohne die Dauer des
Studiums und damit auch die der Förderung zwangsläufig zu verlängern?
Können Sie sich vorstellen, daß die von Ihnen vorgenommene Gleichsetzung einer Veränderung des Förderpassus mit einer Ablehnung des politischen Engagements nicht auf die Zustimmung derer stoßen kann
({0})
- ich weiß, hier sind eine ganze Menge in allen Fraktionen -, die sich im Studium politisch engagiert haben,
ohne deswegen eine längere Förderung bekommen zu
haben? Ich halte es für überzogen zu sagen, man braucht
eine längere BAföG-Förderung, wenn man sich in einem
Studentenparlament oder im AStA engagieren will. Ich
halte diese Gleichsetzung für nicht gerechtfertigt.
({1})
Herr Möllemann, wenn man sich sehr
stark engagiert - es gibt immer Phasen, in denen man
sehr viel Zeit aufwenden muß; das wissen Sie doch
auch, denn Sie haben im AStA an vorderster Front mitgearbeitet -, dann bringt das einen sehr hohen Zeitaufwand mit sich. Dann muß man die Rahmenbedingungen
so gestalten, daß sich das Engagement nicht zum Nachteil von Studenten auswirkt, die BAföG beziehen.
({0})
Ich möchte nicht, daß wir in eine Situation geraten, in
der sich diejenigen, die BAföG erhalten, entscheiden
müssen, solche Tätigkeiten und Aufgaben nicht mehr zu
übernehmen, weil sie Angst haben müssen, keine Förderung mehr zu erhalten. Ich sage Ihnen ganz klar: Das
möchte ich nicht.
({1})
Ich möchte, daß sich Studierende, die BAföG erhalten,
nicht aus finanziellen Gründen gegen ein Engagement in
Fachschaftsbeiräten oder im AStA entscheiden, sondern
daß sie, wenn sie wollen, die gleichen Chancen haben.
Von daher halte ich die Entscheidung, die wir getroffen
haben, für genau richtig.
({2})
Der Kollege Möllemann möchte nachfragen.
Aber bitte, eine weitere Frage.
({0})
Der Unterschied
zwischen damals und heute ist an uns beiden sichtbar,
Herr Kollege. Das weiß ich.
({0})
Ich wollte die Ministerin, da sie eine Bemerkung
gemacht hat, die ich nicht anders als durch eine Frage
aufklären kann, fragen: Sind Sie der Meinung, daß die
Tatsache, im Studienjahr 1967/68 AStA-Vorsitzender
gewesen zu sein, vielleicht doch belegt, daß es machbar
war, ohne zusätzliche Förderung zu bekommen? Das
war doch nun wirklich ein Jahr, in dem sehr viel Engagement angesagt war.
({1})
Ich bleibe dabei: Studentinnen und Studenten können
sich politisch engagieren, ohne dafür staatliche Mittel
bekommen zu müssen.
({2})
Herr Möllemann, da ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht studierte, müssen Sie diese Diskussion
mit dem Kollegen Wolf-Michael Catenhusen führen.
({0})
Er war, soweit ich weiß, mit Ihnen gemeinsam im AStA.
({1})
- Nein? Ich nehme alles zurück.
Herr Kollege Möllemann, ich weiß, wovon ich rede,
weil ich zu denjenigen gehöre, die BAföG erhalten
haben. Deshalb weiß ich, daß man mit BAföG wahrlich
keine großen Sprünge machen kann und eigentlich
immer noch nebenbei arbeiten muß, zumindest in den
Semesterferien. Ich erinnere, daß ich ein hohes Arbeitspensum während des Semesters aufwenden mußte
und daß es manchmal nicht ganz einfach war, beides
miteinander zu kombinieren.
Mein Ziel ist es daher, Studierende, die BaföG
beziehen, nicht davon auszuschließen, sich politisch zu
engagieren. Ich will, daß sie sich in den studentischen
Verwaltungsgremien und -organisationen engagieren;
denn ich halte es für eine tragende Säule unserer
Gesellschaft, daß es Menschen gibt, die sich ehrenamtlich betätigen. Deshalb - ich kann das nur wiederholen ist das die richtige Entscheidung.
({2})
Mein nächster Punkt ist die Bitte des Bundesrats, zu
prüfen, ob die Bankdarlehen insgesamt abgeschafft und
Wohnzuschläge für Studierende, die zu Hause wohnen,
in den neuen und alten Ländern angeglichen werden
sollen. Dazu möchte ich - auch Frau Pieper hat darauf
hingewiesen - folgendes sagen: Für diejenigen Studierenden, die in den neuen Bundesländern auswärtig
wohnen und für die das ein Problem darstellen kann, ist
bereits für einen Ausgleich gesorgt. Diese Studierenden
erhalten die Differenz über die sogenannte Härtefallregelung. Für sie gibt es keine Schlechterstellung
gegenüber den Studierenden in den alten Bundesländern. Ich finde, das muß man einfach zur Kenntnis
nehmen. Es ist nämlich falsch, was hier teilweise behauptet wird.
Auch für die Jugendlichen, die zu Hause wohnen,
gibt es einen Ausgleich, der über die Wohngelderstattung für die Eltern, also für die gesamte Familie, erfolgt.
Es ist für beide Gruppen bereits ein Ausgleich geschaffen worden, und deshalb verstehe ich nicht - das sage
ich ganz offen -, was Sie machen. Das entbehrt wirklich
jeder sachlichen Grundlage.
Ich habe gesagt, daß wir mit der BAföG-Erhebung
nach § 35 genau nachprüfen werden, ob die von mir
eben geschilderten Regelungen tatsächlich ausreichen
oder ob es Einzelfälle gibt, in denen eine ungerechte
Situation entsteht.
({3})
- Auf die Erhebung, mit der wir das überprüfen wollen,
habe ich mich gerade bezogen. Wir werden mit der
BAföG-Erhebung nach § 35 überprüfen, ob es noch
Einzelfälle gibt, die durch die beiden Regelungen nicht
berührt sind. Sollte das der Fall sein, werden wir das
aufgreifen und eine Änderung vornehmen. Ich habe
bereits in der letzten Debatte angekündigt, daß wir im
Rahmen der Strukturnovelle für ein einheitliches System
in Ost- und Westdeutschland Sorge tragen werden.
({4})
Kollegin Bulmahn,
gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Pieper?
Jawohl. Ich bitte Sie aber, die Uhr nicht
wieder weiterlaufen zu lassen.
Frau Ministerin, abgesehen davon, daß es Wohngeld auch für Studierende in
den alten Bundesländern gibt, frage ich Sie, ob Sie es
nicht als befremdlich empfinden, daß im Bundesrat
selbst Kultusminister der SPD-geführten Länder das,
was wir heute im Hinblick auf die Angleichung der
Zuschüsse für Unterkünfte für die Studierenden in den
neuen Ländern fordern, ebenfalls gefordert haben.
({0})
Sie wollen mit ihrer Forderung das Verfahren erreichen, das ich mit der Strukturnovelle erreichen möchte.
({0})
Im Augenblick müssen die Studierenden in den neuen
Bundesländern auf die sogenannte Härtefallregelung zurückgreifen, wenn sie auswärts wohnen. Darüber werden
sie auch von den BAföG-Ämtern informiert, so daß eine
Förderung nicht daran scheitern kann, daß sie diese
Regelung nicht kennen. Aber dies bedeutet einen
zusätzlichen Aufwand, den ich im Rahmen der Strukturnovelle bereinigen möchte.
Auch die Kollegin
Pieper hat das Bedürfnis nach einer Nachfrage.
Tatsache ist, daß in Ost
und West unterschiedliche Regelungen gelten. Mit anderen Worten, Sie beurteilen die Studierenden in den neuen Ländern als Studierende zweiter Klasse.
({0})
Frau Pieper, es macht überhaupt keinen
Sinn, wenn man sich hier gegenseitig diffamiert. Auch
wenn Sie einen solchen Versuch unternommen haben,
werde ich mich zurückhalten;
({0})
denn dies dient weder der Sache noch dem politischen
Stil in diesem Haus. Deshalb gehe jetzt ich auf Ihre
Bemerkung nicht weiter ein.
Strukturelle Veränderungen, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, sind notwendig. Das wird über
Parteigrenzen hinweg inzwischen von keinem Bildungspolitiker mehr ernsthaft bestritten. Ich habe auch genau
hingehört, als der Kollege Mayer anläßlich der ersten
Lesung Aufgeschlossenheit für neue Modelle und
Strukturen der Ausbildungsförderung bekundet hat, zum
Beispiel für unseren Vorschlag, den erwachsenen Studierenden die finanziellen Leistungen des Kindergeldes
künftig direkt auszuzahlen.
Solche Äußerungen - ich meine nicht die der Kollegin Pieper, die wirklich abseits jeder Wirklichkeit und
Wahrheit stehen -, wie Sie sie, Herr Mayer, gemacht
haben - ({1})
- Frau Pieper, ich habe zu den Studierenden in den neuen Bundesländern eine deutliche Aussage gemacht. Aber
ich bin nicht bereit, mir hier Lügen oder besser Vorwürfe anzuhören, die jeder realistischen Grundlage und
jedes Wahrheitsgehaltes entbehren.
({2})
Sorry, das muß sich eine Ministerin auch von einer Parlamentarierin nicht bieten lassen.
({3})
Die Studierenden in Ost- und Westdeutschland
erhalten dieselben BAföG-Sätze. Das ist notwendig, und
wir wollen das auch. Die Studierenden erhalten über
die Härtefallregelung einen Ausgleich, wenn sie mehr
Miete bezahlen müssen. Wenn eine Parlamentarierin
dies nicht begreift, dann bitte ich sie, es nachzulesen.
Wenn Sie es dann noch einmal und vielleicht auch ein
drittes Mal nachlesen, dann werden Sie es wohl verstanden haben.
({4})
Wir sollten hier wirklich darüber diskutieren, wie wir
die Ausbildungsförderung insgesamt verbessern, weil
das der eigentliche Anspruch ist.
Ich will noch eine andere Bemerkung machen. Es ist
sehr schwer zu ertragen, daß die Opposition in dieser
Debatte jetzt so tut, als wenn sie an der Spitze der Reformen stünde; schließlich war es die Vorgängerregierung, die 16 Jahre lang die Strukturreform nicht angepackt und es in den vier Jahren der letzten Legislaturperiode nicht geschafft hat, eine Strukturreform zu beschließen, obwohl es dafür im gesamten Parlament eine
breite Unterstützung gab.
({5})
Jeder vernünftige Mensch fragt sich: Warum jetzt auf
einmal und warum nicht in den letzten vier Jahren?
({6})
Das von uns geplante neue System der Ausbildungsförderung muß für die Auszubildenden, für ihre Eltern
und für die Gesellschaft insgesamt transparent, nachvollziehbar und vor allen Dingen auch sozial gerecht
sein. Es muß Verteilungsgerechtigkeit zugunsten unterer
und mittlerer Einkommensschichten schaffen. Wir wollen gleichzeitig mit dieser Reform eine Vereinfachung
der gesetzlichen Vorschriften, des Verwaltungsvollzuges
und eine Stärkung der elternunabhängigen Förderung erreichen.
Mit der von uns angestrebten großen BAföG-Reform
wollen wir folgende Ziele erreichen:
Kindbezogene staatliche Leistungen sollen in Form
eines Ausbildungsgeldes direkt an die Studierenden gezahlt werden.
Vor allen Dingen diejenigen, die aus den einkommensschwächsten Familien kommen und eine einkommensabhängige Förderung erhalten, sollen in Zukunft
einen höheren Zuschuß und ein geringeres Darlehen
erhalten. Das heißt, wir werden das Verhältnis von Zuschuß zu Darlehen, das im Augenblick für alle 50 : 50
beträgt, verändern. Nach unseren Vorstellungen wird in
Zukunft für die einkommensschwächsten Familien der
Zuschuß höher und das Darlehen geringer sein. Das ist
ein Stück Herstellung von sozialer Gerechtigkeit.
({7})
Wir wollen die Einkommensgrenzen der Eltern für den
Anspruch auf volle BAföG-Leistung heben.
In diesem Zusammenhang möchte ich eine kurze
Anmerkung zum Thema Studiengebühren machen. Studiengebühren für ein Erststudium, das in angemessener
Zeit abgeschlossen wird, sind mit unseren Grundvorstellungen zur Öffnung der Hochschulen für alle Gesellschaftsschichten nicht vereinbar.
({8})
Ich freue mich, daß mir die Kultusministerkonferenz in
diesem Punkt zugestimmt hat und daß es eine breite
Übereinstimmung gab, einen Staatsvertrag zu schließen,
mit dem das Verbot der Erhebung von Studiengebühren
für das Grundstudium festgeschrieben wird. Im übrigen:
Alle Länder haben diese Auffassung geteilt.
Frau Kollegin Bulmahn, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin
Aigner?
Ja.
Frau Ministerin, können
Sie mir den Unterschied zwischen Verwaltungsgebühren
an den niedersächsischen Universitäten und Studiengebühren, insbesondere was die Auswirkungen auf die
Studierenden angeht, erklären?
({0})
Den Unterschied kann ich Ihnen erklären: Verwaltungsgebühren kann man nicht beliebig erhöhen; vielmehr müssen sie den tatsächlichen Verwaltungsaufwand ganz genau widerspiegeln.
({0})
Das heißt, man kann sie nicht einfach festlegen; vielmehr müssen sie im Unterschied zu Studiengebühren
dem Kostenaufwand entsprechen. Sie wissen, daß die
Kosten für einen Studienplatz zwischen 5 000 DM und
50 000 DM pro Jahr variieren. Die Spannbreite ist also
sehr groß. Die Grundlagen für Studiengebühren müssen
nicht im Detail belegt werden, sie sind viel höher, haben
eine studienabschreckende Wirkung und führen zu sozialer Ungerechtigkeit. Das alles trifft auf Verwaltungsgebühren nicht zu, weil ihre Höhe ganz klar begrenzt ist.
({1})
Ich habe selber gesagt, daß ich Verwaltungsgebühren
zur Zeit für ein falsches Signal halte, weil sie die Diskussion um Studiengebühren in eine Richtung lenken,
die wir alle in diesem Parlament nicht wollen. Wir waren uns darin einig.
({2})
Das Land Niedersachsen wird einen Staatsvertrag unterschreiben, nach dem das Erheben von Studiengebühren für das Grundstudium ausgeschlossen werden wird.
({3})
- Auch das Land Niedersachsen wird sich dem Verbot
der Erhebung von Studiengebühren in einem Staatsvertrag anschließen. Das habe ich sehr deutlich gesagt.
({4})
Unsere Gesellschaft befindet sich an einem Scheideweg. Sie braucht Innovationen für Arbeit, Umwelt und
einen modernen Sozialstaat. Wer einen Reformaufbruch
in der Gesellschaft will, der muß die Hochschulen dafür
begeistern und mobilisieren. Wer eine Erneuerung der
Hochschulen will, muß die Wissenschaftlerinnen und
Wissenschaftler sowie die nachwachsende Akademikergeneration am gesellschaftlichen Diskurs, an Problemlösungen und der Gestaltung unserer Zukunft beteiligen.
Reform unserer Gesellschaft und Erneuerung der Hochschulen sind gleichermaßen angewiesen auf die Qualifikation, Kreativität und Motivation dieser wichtigen
Meinungs- und Leistungsträger.
Die Hochschulen spielen eine Schlüsselrolle für die
Ausbildung hochqualifizierter Arbeitskräfte, die in einer
Gesellschaft, in der Wissen eine immer größere Bedeutung hat, dringend benötigt werden. Die Forschung an
den Hochschulen bildet das Fundament für unser Forschungssystem. Wenn wir die Leistungsfähigkeit der
Hochschulen verbessern wollen, dann muß den Hochschulen ein größtmögliches Maß an Autonomie eingeräumt werden, damit sie diese Aufgaben auch wirklich
bewältigen können.
({5})
Das geht nicht ohne eine Reform der Personalstruktur
und des Dienstrechts an den Hochschulen.
({6})
Wissenschaftler müssen mobil sein. Unser derzeitiges
Dienst- und Besoldungsrecht bestraft aber Mobilität.
({7})
Wir brauchen jedoch einen Wechsel zwischen Hochschulen in verschiedenen Ländern.
({8})
Wir brauchen einen Wechsel zwischen Wissenschaft
und Wirtschaft.
({9})
Deshalb brauchen wir eine Reform des Dienstrechts und
des Besoldungsrechts sowie der Personalstruktur.
({10})
Exzellente Lehre und Forschung an der Hochschule muß
unserer Meinung nach honoriert werden. Deshalb plädiere ich dafür, daß ein Teil des Hochschullehrergehalts künftig leistungsbezogen gezahlt wird.
Die lange und mühsame Habilitationsphase, die wir
in der Bundesrepublik haben, mindert zur Zeit ganz
deutlich die Attraktivität des Hochschullehrerberufs.
Habilitierte sind in der Regel über 40 Jahre alt. Hochqualifizierter Nachwuchs kehrt deshalb der Hochschule
inzwischen häufig den Rücken, sobald sich eine interessante Stelle in der Wirtschaft oder an ausländischen
Hochschulen findet. Deshalb bin ich für die Einführung
von Assistenzprofessuren.
Deutschland muß wieder zu einem attraktiven Standort für internationale Forschungsinvestitionen werden. Mit einer stärkeren Internationalisierung der deutschen Hochschulen wollen wir die besten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler bei uns halten oder
für uns gewinnen. Neben der notwendigen Einführung
internationaler Studiengänge und Abschlüsse werden
daher die Mittel zur Finanzierung von Stipendien für
Ausländer in den nächsten Jahren aufgestockt.
({11})
Im Wettbewerb der Hochschulen müssen Qualität
in Lehre und Forschung, gute Betreuung der Studierenden und eine moderne Ausstattung die wichtigsten Kriterien sein. Lassen Sie uns die Chance, die wir auf
Grund des bevorstehenden Generationenwechsels an den
Hochschulen haben, nutzen.
Robert May, Wissenschaftsberater von Tony Blair,
hat mit dem kritischen Blick von außen die Situation des
deutschen Wissenschaftssystems sehr treffend, wie ich
meine, analysiert. Er sagt:
Das von strengen Hierarchien geprägte System
nutzt die Energie junger Leute nicht. Es ist hocheffektiv für etablierte Forscher in Spitzenpositionen,
die auf die Sklavendienste Jüngerer zurückgreifen
können. Aber die deutsche Forschung insgesamt
wäre vermutlich effektiver, wenn man den älteren
Wissenschaftlern das Leben weniger angenehm
machen und den jüngeren Leuten mehr Freiheit geben würde.
Ich halte diese Aussage von ihrer Tendenz her für
richtig.
({12})
Deshalb werden wir bei der Nachwuchsförderung neue
Wege beschreiten. Eigenständigkeit und Selbständigkeit
stehen dabei im Vordergrund. Nachwuchswissenschaftler und Nachwuchswissenschaftlerinnen müssen mehr
Möglichkeiten haben, in eigenen Forschergruppen unabhängig von althergebrachten Strukturen zu arbeiten.
Mit dem in diesem Jahr beginnenden EmmyNoether-Programm werden wir die Voraussetzungen
dafür schaffen, daß sich künftige Hochschullehrerinnen
und Hochschullehrer wissenschaftlich qualifizieren können, ohne den Zwängen einer Habilitation unterworfen
zu sein. 500 Nachwuchswissenschaftlerinnen und
Nachwuchswissenschaftler werden mit diesem Programm in den nächsten Jahren gefördert werden. Darüber hinaus werden wir die Förderung der Graduiertenkollegs aufbauen bzw. fortsetzen.
Dabei muß völlig klar sein, daß in allen Formen der
Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses die
Durchsetzung von Chancengleichheit für Frauen und
Männer ein leitender Grundsatz ist. Um dieses Ziel zu
erreichen, halte ich eine gemeinsame Förderung von
speziellen frauenspezifischen Maßnahmen durch Bund
und Länder auch nach dem Auslaufen des Hochschulsonderprogramms III für erforderlich.
({13})
Die Bundesregierung setzt die Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses - ein Kernbereich des Hochschulsonderprogramms III - unter Ausweitung der Mittel fort. Wir werden uns nicht aus unserer Verantwortung für die Weiterentwicklung des Hochschulsystems
verabschieden. Wir werden Hochschulförderung als
Daueraufgabe und nicht länger als Sonderaufgabe
durchführen.
({14})
Ich will noch einen Baustein hinzufügen: Ich bin der
Auffassung, daß man, wenn man Kreativität und Eigenverantwortung der Hochschule stärken will, den Wettbewerb zwischen den Hochschulen fördern muß. Bei all
diesen Überlegungen ist bisher der Hochschulbau außen
vor geblieben. Die Finanzierung des Hochschulbaus
wird bei uns aber in einem extrem finanzaufwendigen
und zeitaufwendigen Verfahren durchgeführt. Deshalb
habe ich die Einführung von Investitionsgutscheinen
vorgeschlagen. Mit Investitionsgutscheinen werden den
Ländern Mittel des Hochschulbaus zugewiesen, die von
bestimmten Studenten- und Studierendenzahlen abhängen sollen. Die Mittel werden dann von den Ländern an
die jeweiligen Hochschulen für Investitionsmaßnahmen
weitergeleitet.
Bei der Gestaltung dieser Investitionsgutscheine gibt
es noch eine Reihe von offenen Fragen, die wir in den
nächsten Wochen und Monaten sehr sorgfältig behandeln werden. Ich halte es aber für richtig, Überlegungen
in diese Richtung anzustellen. Zukunftsorientierte Lösungen sind notwendig. Auch die Frage, wie wir bundesweit relevante Gesichtspunkte berücksichtigen können, werden wir bei unseren Überlegungen aufgreifen
und entsprechend berücksichtigen. Das gilt genauso für
die Frage, wie wir die spezielle Situation in den neuen
Bundesländern, die in den nächsten Jahren noch deutlich
mehr Mittel für den Hochschulbau benötigen, entsprechend berücksichtigen können.
({15})
Meine Damen und Herren, zukunftsorientierte Lösungen im Bildungs- und Wissenschaftsbereich können
nur in gemeinsamer Anstrengung von allen im Bildungsund Wissenschaftsbereich Verantwortlichen erreicht
werden. Eine Modernisierung unseres Bildungswesens
kann nicht allein von oben verordnet werden, sondern es
müssen sich alle Betroffenen in Politik, Wirtschaft und
Wissenschaft dafür einsetzen. Ich hoffe, daß diese Reformen am Ende dieser Legislaturperiode auch wirksam
werden und tatsächlich zu einer Verbesserung der Qualität von Lehre und Forschung in den Hochschulen beitragen.
Vielen Dank.
({16})
Das Wort hat nun
Kollege Norbert Hauser, CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Frau Ministerin Bulmahn,
Sie haben in einer für mich etwas neuen Art und Weise
an Kolleginnen und Kollegen dieses Hauses Noten verteilt.
({0})
Ich weiß nicht, ob das hier üblich ist.
({1})
Eines weiß ich aber: Wenn Sie von Trendwende sprechen, haben Sie hier keine Trendwende des guten Stils
eingeleitet.
({2})
Was Sie mit der 20. BAföG-Novelle vorlegen,
({3})
ist unzureichend; es handelt sich um keine Strukturnovelle.
({4})
Damit Sie sehen, wie zutreffend diese Aussage ist,
möchte ich einmal den Kollegen Berninger aus der letzten Sitzung am 26. Februar zitieren, als wir über diese
Frage diskutiert haben.
Ich denke,
- so der Kollege Berninger das, was wir vorlegen, ist selbstverständlich unzureichend. Es ist noch keine Strukturnovelle. Was
wir vorlegen, reicht überhaupt noch nicht aus. Wir
haben in der letzten Legislaturperiode im Vergleich
zu dem, was wir heute vorlegen, viel mehr eingefordert.
So ist es. Deshalb können Sie sich, Frau Ministerin,
auch nicht hier hinstellen und so tun, als hätten Sie der
18. BAföG-Novelle nicht zugestimmt. Ein bißchen von
dieser grünen Bescheidenheit hätte der heutigen Debatte,
wie ich glaube, wesentlich besser getan,
({5})
als großspurig von Trendwende und vom Einhalten der
Versprechen, die Sie im Wahlkampf gemacht haben, zu
sprechen.
({6})
Meine Damen und Herren, im Wahlkampf haben Sie
davon gesprochen, die Investitionen in die Bildung zu
verdoppeln.
({7})
Davon sind Sie meilenweit entfernt. Sie hatten zwar
einen sehr guten Ansatz, Frau Ministerin; das wollen wir
Ihnen nicht absprechen.
({8})
- Ich hoffe, daß Sie diese Ausgewogenheit auch in ein
paar Jahren, wenn Sie wieder in der Opposition sind, zustande bringen können.
({9})
Nur, Frau Ministerin, Sie haben doch schon 75 Millionen DM wieder abgeben müssen. Herr Müller mußte
von diesen Mitteln 80 Millionen DM abgeben. Es ist Ihnen bis heute nicht gelungen, eine Finanzplanung vorzulegen. Deshalb können Sie sich heute auch noch nicht
hier hinstellen und behaupten, daß Sie eine dauerhafte
Förderung im Hochschulbereich, im Studienbereich garantieren können, denn Sie wissen noch nicht, was auf
Sie zukommt. Nicht umsonst diskutieren Sie über eine
Mehrwertsteuererhöhung, weil Sie nicht wissen, wo Sie
die Gelder für die Geschenke herbekommen sollen, die
Sie kurz vor Weihnachten in den Nikolausgesetzen verteilt haben.
({10})
Was haben Sie tatsächlich erreicht? Sie heben die
Bedarfssätze um 2 Prozent und die Freibeträge um
6 Prozent an. Dies ist eine Leistung, die Sie uns bei der
19. Novelle als völlig ungenügend um die Ohren gehauen haben. Deswegen haben Sie diese Novelle abgelehnt.
Diese Anhebung bedeutet 5 DM bis 20 DM mehr;
20 DM in der Höchstforderung - wahrlich eine großartige soziale Leistung. Ein Student, der aus einer Familie
mit zwei Kindern und einem Bruttolohn von 2 000 DM
kommt, hat auch unter Berücksichtigung der Steuergesetze, die Sie verabschiedet haben, unter dem Strich
monatlich 23 DM weniger in der Tasche.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Ich wage es in
der Jungfernrede einfach einmal.
Ich bitte um Entschuldigung und
gratuliere Ihnen zumindest zum ersten Teil Ihrer Jungfernrede. Aber meine Frage ist: Wie kommt es eigentlich, daß Sie hier so tränenreich die unzureichende Erhöhung für die Studenten beklagen, aber eine Erhöhung
des Kindergeldes in gleicher Form als „Nikolausgeschenk“ diffamieren? Ich glaube, das paßt nicht zusammen.
({0})
Herr Kollege
Tauss, die Frage verstehe ich wohl. Nur, ich habe bereits
darauf hingewiesen, daß Sie heute noch nicht wissen,
wie Sie diese Dinge finanzieren sollen, und daß in Ihren
Reihen bereits heute darüber nachgedacht wird, die
Mehrwertsteuer um 2 Prozentpunkte anzuheben. Dies
bedeutet, daß Sie 30 Milliarden DM von den Geschenken, die Sie verteilt haben, wieder einkassieren. In die
linke Tasche rein, aus der rechten Tasche raus - das,
Herr Kollege Tauss, ist keine dauerhafte Leistung, sondern das ist Betrug am Wähler.
({0})
Nicht einmal die zusätzliche Belastung der Studenten,
die durch die Ökosteuer nur draufzahlen, weil sie bei
Norbert Hauser ({1})
den Sozialabgaben nicht entlastet werden, ist in diese
23 DM, die sie mehr bezahlen müssen, einbezogen. So
kommt es nicht von ungefähr, daß diese Erhöhung auch
von den Studentenorganisationen nicht als ausreichend
betrachtet wird. Zu Recht weist der RCDS darauf hin,
daß diese Erhöhung von 2 Prozent nicht einmal einen Inflationsausgleich für die Studenten darstellt, weil die
Teuerungsraten für Lernmittel höher liegen als die allgemeinen Kostensteigerungen.
({2})
Frau Ministerin, Sie haben in Ihrer Rede am 26. Februar an dieser Stelle allen Ernstes erklärt, daß die Steigerung des BAföG-Höchstsatzes um 20 DM zu einer
Verkürzung der Studienzeit führen könne. Sie haben
eben einige Kolleginnen und Kollegen hier kritisiert und
ihnen vorgeworfen, ihrer Argumentation fehle der
Hauch von Vernunft. Ich gehe einmal davon aus, daß
Sie das nicht selber geglaubt oder es nicht ernst gemeint
haben. Ansonsten müßte ich Ihnen vorwerfen, daß dieser
Aussage der Hauch von Vernunft fehlt. Denn was verändern Sie mit 20 DM im Blick auf eine Studienzeitverkürzung? Sie ermöglichen einem hinzuverdienenden
Studenten, wenn wir einmal von einem Stundensatz von
15 DM ausgehen, eine Verkürzung seiner Arbeitszeit
um eine Stunde und 20 Minuten im Monat.
Eine Stunde und zwanzig Minuten - wohlgemerkt:
im Monat - sind aufs Jahr gerechnet 16 Stunden.
({3})
Ihr auf diese Weise beglückter Student, Herr Kollege
Tauss, hat nach acht Semestern gerade einmal 64 Stunden, also nicht einmal zwei Wochen, mehr Zeit zum
Studieren erhalten.
({4})
Das ist ein wahrlich grandioser Beitrag, den Sie zur Studienzeitverkürzung leisten.
({5})
- Herr Kollege Tauss, Ihre Frage ist berechtigt. Wir haben aber nicht, so wie Sie das getan haben, von einer
Trendwende und von einem neuen Zeitalter in der Studienfinanzierung gesprochen.
({6})
Sie müssen sich an Ihren Ansprüchen und an Ihren Aussagen messen lassen.
({7})
Frau Bulmahn, wenn Sie wirklich eine Verkürzung
der Studienzeit wollen, dann ist dies nur mit wirksamer
Unterstützung der Hochschulen möglich. Damit helfen
Sie nicht nur den BAföG-Empfängern, sondern allen
Studenten. Dies geht natürlich nur in Zusammenarbeit
mit den Ländern.
Einer der Hauptgründe für die langen Studienzeiten
ist die vielfach schlechte Ausstattung der Hochschulen.
Volle Hörsäle, schlecht ausgestattete Bibliotheken und
Wartezeiten bei der Vergabe von Praktikumsplätzen
kennzeichnen leider oft den Hochschulalltag. Hier liegen
die Potentiale einer Studienzeitverkürzung. Frau Ministerin, man könnte es ironisch folgendermaßen ausdrücken: Beseitigen Sie den Papierstau in den veralteten
Kopiergeräten unserer Hochschulen, und Sie leisten
einen größeren Beitrag zur Studienzeitverkürzung, als
dies mit der 20. BAföG-Novelle der Fall ist.
({8})
Wir dürfen aber nicht vergessen, daß es sich bei den
Geförderten nur um einen Teil der Studierenden handelt.
Durchgreifenden Erfolg werden Sie deshalb nur haben,
wenn auch für die übrigen Hochschulabsolventen die
Studienbedingungen deutlich verbessert werden. Ein
richtiger Vorschlag - wir räumen dies durchaus ein - ist
sicherlich die Neuregelung der Nichtberücksichtigung
von Ausbildungszeiten im Ausland. Aber in diesem
Zusammenhang möchte ich Sie daran erinnern, daß Sie
damals der 18. Novelle zugestimmt haben, mit der die
entsprechende Änderung eingeführt wurde.
({9})
Die Bundesrepublik Deutschland braucht junge Menschen mit Auslandserfahrung. Wissenschaft und Wirtschaft und letztlich auch die Politik leben von internationalen Kontakten.
Wenn Sie Studierende als selbständige erwachsene
Menschen ansehen wollen, dann behandeln Sie sie auch
so. Beliebige Studienabbrüche und Selbstfindungsphasen bis zum 4. Semester zu fördern, wie das durch die
geplante Regelung für Fachrichtungswechsel in § 7
Abs. 3 vorgesehen ist, spricht nicht für großes Zutrauen
in die Urteilsfähigkeit der Studierenden.
Von unseren Auszubildenden verlangen wir eine Berufsentscheidung gegebenenfalls schon mit 16 Jahren
nach dem 10. Schuljahr. Dieser 16jährige finanziert drei
Jahre später als 19jähriger das Hochschulstudium eines
Studenten mit seinen Steuern mit. Ihm müssen Sie erklären, warum Sie den Studierenden eine dreisemestrige
Orientierungsphase einräumen wollen.
In § 17 des BAföG wollen Sie die Berücksichtigung
der Gremienarbeit wieder einführen. Darüber haben
wir eben schon gesprochen. Frau Ministerin, Sie möchten, daß sich Studierende engagieren - dazu sage ich
ja -, daß sie sich auch in den Gremien der Hochschulen
engagieren - dazu sage ich ja -, aber ich frage Sie: Warum werden eigentlich nur die Studenten berücksichtigt,
die in Hochschulgremien arbeiten? Sind die in der
Kommunalpolitik tätigen Studenten weniger förderungswürdig, obwohl sie sich genauso für die Gesellschaft wie ihre Kommilitonen in den Hochschulgremien
einsetzen?
({10})
Wir halten nichts von selektiver Chancengerechtigkeit. Wenn es Ihnen um mehr als um eine vermeintliche
Klientelpolitik geht, dann öffnen Sie die Förderung auch
für Gremientätigkeit außerhalb der Hochschulen, zum
Beispiel in der Kommunalpolitik.
({11})
Norbert Hauser ({12})
Wenn man eine Strukturreform wirklich will, muß
man davon abkommen, eine reine Finanzdiskussion zu
führen. Wir sind auf dem Weg aus der Industriegesellschaft in die Wissensgesellschaft. Unser Rohstoff
Nummer eins ist das Wissen unserer Bürger und ihre
Fähigkeit, Innovationen einzuleiten. Wir leben nicht
vom Öl, wir leben vom Grips.
({13})
Die Fähigkeit, Wissen zu erwerben und damit umzugehen, bedeutet für unser rohstoffarmes Land die
wichtigste Ressource. Eine international wettbewerbsfähige Hochschullandschaft ist für uns überlebenswichtig.
({14})
Die nächsten Monate müssen deshalb dazu genutzt werden, durch eine wirkliche Reformdiskussion Ergebnisse
herbeizuführen. Wir brauchen ein deutliches Signal, daß
die Bundesrepublik im internationalen Wettbewerb des
Wissens mit an der Spitze liegen will.
Zu einigen wenigen Aspekten der Reformdiskussion
noch kurze Anmerkungen:
Sowohl das Drei-Körbe-Modell, in welcher Fassung
auch immer, als auch die Vorstellung von Bündnis 90/
Die Grünen zum Bundesausbildungsförderungsfonds
basieren auf einer elternunabhängigen Förderung.
Kann eine solche elternunabhängige Förderung tatsächlich in unserem Sinne sein? Wir beklagen allenthalben
den Verlust an gesellschaftlichen Strukturen und Bindungen. Gleichzeitig wissen wir, daß intakte Familien
die besten Garanten für ein erfolgreiches Erwachsenenleben im besten Sinne des Wortes sind, für eine Entwicklung frei von Kriminalität und Drogen, für eine
Entwicklung, die letztlich dazu befähigt, das eigene Leben soweit wie überhaupt möglich selbstbestimmt, mit
Erfolg in Ausbildung und Beruf zu gestalten. Hieran
sollten wir denken, wenn wir über eine elternunabhängige Förderung diskutieren. Wir sollten nicht leichtfertig
ein hohes Gut aufgeben.
({15})
Der Zugang zur Hochschule hängt nicht nur von der
finanziellen Förderung ab, sondern in sehr vielen Fällen
auch vom familiären Umfeld während der Schulzeit.
Hier erfolgen oft sehr frühzeitig Weichenstellungen, die
erst viel später korrigiert werden können. Die Förderung
junger Menschen in ihrer Schulzeit ist ein wesentliches
Element des späteren Erfolges. Wir sollten dies bei all
unseren Überlegungen zur Reform der Studienfinanzierung nicht vergessen.
Zu einem erwachsenen Menschen gehört auch, daß
er für sich und seine Familie Vorsorge trifft. Vorsorgeelemente für Alter und Pflege halten wir mittlerweile
für selbstverständlich. Auch in einigen Überlegungen
zur Studienfinanzierung spielen Vorsorgeelemente eine
Rolle. Wir sollten über diese vorurteils- und ideologiefrei diskutieren und prüfen, ob durch sie verbesserte
Studienbedingungen für Studenten und Studentinnen erreicht werden können.
Einige Vorschläge, zum Beispiel das Drei-KörbeModell, sehen eine Verteilung von Leistungen an jeden
vor, unabhängig von der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit, und tragen damit nicht zu einer größeren sozialen Gerechtigkeit bei. In einem neuen Strukturmodell
darf diese Sozialkomponente nicht verwischt werden.
Gleichzeitig sollten allen Studierenden, unabhängig von
ihrer wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit, Prämien für
überragende Studienergebnisse zukommen. Deutschland
kann sich im Wettbewerb des Wissens in der Welt nur
dann behaupten, wenn bereits im Studium Spitzenleistungen entsprechend gefördert werden.
Unabhängig davon, ob Studierende Leistungen nach
dem BAföG erhalten oder nicht: Die Leistung, die die
Steuerzahler während der Studienzeit für ihn oder sie
erbringen, ist enorm und keineswegs selbstverständlich.
Eine Reform der Studienfinanzierung hat dieser staatlichen Leistung, letztlich der Leistung aller Steuerzahler,
Rechnung zu tragen. Die Studenten und Studentinnen
sind, wie wir wissen, in ihrer ganz überwiegenden Zahl
auch bereit und in der Lage, durch zügige Abschlüsse
und gute Leistungen diesen Anforderungen gerecht zu
werden und dadurch nicht zuletzt ihre Berufsaussichten
zu verbessern.
Der vorgelegte Gesetzentwurf ist nur ein erster
Schritt. Es muß sich eine grundlegende Reformdiskussion über die reinen BAföG-Leistungen hinaus anschließen, die nicht durch ideologische Zwänge im voraus
eingeengt werden darf.
({16})
Wie gesagt, die BAföG-Novelle ist nur ein erster
kleiner Schritt, der für die BAföG-Empfänger kaum
Vorteile bringt. Damit aber wenigstens diese kleine
Verbesserung in die Tat umgesetzt wird, stimmt meine
Fraktion der Novelle zu. Die Zeit bis zur Vorlage Ihres
Entwurfes einer Strukturreform werden wir nutzen, um
mit allen Beteiligten Vorschläge zu erarbeiten, wie wir
unsere Studentinnen und Studenten und damit die Wissenschaftslandschaft in Deutschland ein wesentliches
Stück voranbringen können.
Ich danke Ihnen für Ihr engagiertes Zuhören.
({17})
Herr Kollege Hauser,
dies war Ihre erste Rede im Plenum des Deutschen Bundestages. Im Namen des gesamten Hauses gratuliere ich
Ihnen dazu recht herzlich.
({0})
Als letzter Redner in dieser Debatte spricht nunmehr
der Kollege Ernst Dieter Rossmann. Ich bitte alle Kolleginnen und Kollegen, auch dem letzten Redner vor der
namentlichen Abstimmung die entsprechende Aufmerksamkeit zu widmen.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wer - wie ich gerade aus den Reihen der Abgeordneten kommt und
Norbert Hauser ({0})
gemerkt hat, daß die Mitglieder dieses Hauses nicht
mehr sonderlich bereit sind, zu dem gegenwärtigen
Thema umfangreiche Debatten zu führen bzw. zu erleiden, der muß sich selbst auch konzentrieren. Deshalb
möchte ich nur wenige Punkte an Sie von der CDU/CSU
und der F.D.P. richten, da Sie mit Vorwürfen gegenüber
der Regierung aufgetreten sind.
Erstens. Sie mögen noch so häufig einfordern, es
hätte zu weitreichenderen Verbesserungen kommen
müssen. Wir antworten Ihnen darauf dann immer gerne,
daß 900 Millionen DM mehr für Bildung und Forschung
zur Verfügung gestellt werden.
({1})
Das ist eine Qualitätsverbesserung speziell für den wissenschaftlichen Nachwuchs, die es unter Ihrer Ägide nie
gegeben hat. Wenn Sie dieses Spiel so fortführen wollen, dann machen wir das gerne mit. Es bestärkt uns
immer wieder darin, daß das, was geleistet worden ist,
ein schöner Erfolg ist.
({2})
Zweitens. Sie haben angemahnt, daß die Steigerungssätze deutlich höher hätten ausfallen sollen. Angesichts dessen erinnern wir uns an unseren Bezugspunkt.
Bezugspunkt ist die letzte Legislaturperiode, in der es
durch Beschlüsse der CDU/CSU und der F.D.P. eine
Steigerung der Elternfreibeträge um insgesamt 12 Prozent gegeben hat. Wir sagen: Wenn wir im ersten Schritt
eine Steigerung um 6 Prozent erreichen, dann ist das ein
gutes Ergebnis. Was haben Sie dagegen geleistet, und
was leiten wir damit ein?
({3})
Wir sagen Ihnen immer wieder: Sosehr Sie auch die Erhöhung der Bedarfssätze um 2 Prozent - das sind die
2 Prozent von Rüttgers - kritisieren, entscheidend bleibt
die absolute Zahl der Studentinnen und Studenten, die
jetzt den Anspruch auf BAföG erhalten.
Drittens. Manchmal wundern wir uns, wie viele
Worte Sie hier machen, um Ihre Zustimmung zu unserem Änderungsgesetz kleinzureden. Wenn man dem
Kollegen Hauser, der Kollegin Volquartz und dem Kollegen Möllemann zugehört hat, dann wundert man sich,
wie Sie im Ausschuß abgestimmt haben. Auch Sie haben sich dort dafür ausgesprochen, daß die Tätigkeit von
Studenten in Gremien nicht zu Bestrafungen führt.
({4})
Sie haben zugestimmt, daß Auslandsstudien nicht mit
Bestrafungen versehen werden. Sie haben zugestimmt,
daß wir, was die Studienabschlußförderung angeht,
weitere Verbesserungen durchführen. Daher sollten Sie
hier nicht mit billiger Münze einen anderen Eindruck
erwecken.
({5})
Wir meinen, daß sich das, was jetzt beschlossen wird,
sehen lassen kann. Es ist besser, ehrlich miteinander
umzugehen, statt hier die Legende von 1997 zu pflegen,
daß die Länder erwartungslos dem zugestimmt hätten,
was wir jetzt reparieren. Die damalige Situation war eine
andere. Sie war schlimmerweise von Erpressung und
dem großen Versprechen, zu einer grundsätzlichen Verbesserung im Hinblick auf das BAföG zu kommen, geprägt. Nichts von dem ist eingetreten.
In bezug auf das Verhältnis zwischen den beiden
Kammern, zwischen Bundestag und Bundesrat, soll ein
neuer Stil eingeführt werden. Man sollte diesen Stil dann
so pflegen - das ist speziell an die Adresse der Kollegin
Pieper von der F.D.P. gerichtet -, daß man den Bundesrat nicht für etwas in Anspruch nimmt, was er nicht
wollte. Der Bundesrat hat ausdrücklich nicht gesagt, daß
er eine grundsätzliche Anhebung des Wohngeldes will,
sondern nur für einen kleinen Teil, nämlich für denjenigen Teil der Studierenden, die zu Hause wohnen.
Diese erste kleine BAföG-Novelle unserer Regierung
ist so gut, daß wir sie abhaken können, wenn wir sie
nicht überhöhen, was wir nicht tun.
Eine Bemerkung möchte ich noch machen; denn es
wird hier immer eingefordert, die Regierungskoalition
solle endlich das vorgesehene BAföG-Strukturkonzept
auf den Weg bringen. Dazu denke ich mir manchmal:
Auch Sie von der CDU/CSU sollten einmal etwas auf
den Weg bringen und Ihre Eckpunkte präsentieren.
({6})
Noch eine Bemerkung an die F.D.P.: Nehmen Sie Ihre Eckpunkte, die Sie hier dargestellt haben, bitte so
ernst, daß man, wenn Sie mit wenigen Fragen konfrontiert werden, nicht merkt: Neue Entwicklungen haben
Sie nicht aufgenommen. Gewiß, Sie sprechen davon,
daß es als Grundsockel ein Ausbildungsgeld geben
solle. Das setzen Sie jetzt ziemlich freihändig mit
400 DM an. Darf man Sie fragen, ob Sie den Beschluß
des Verfassungsgerichts zur Familienbesteuerung eigentlich gedanklich durchdrungen haben? Wenn man
alle Freibeträge, die bei Spitzeneinkommen anfallen
können - einschließlich des abgesenkten Steuersatzes,
den wir erwarten -, zusammennimmt, kommt man nämlich als Äquivalent auf einen Kindergeldbetrag in Höhe
von 514 DM. Wie wollen Sie daran eigentlich herankommen, wenn Sie einen Sockelbetrag von 400 DM, der
alles einschließen soll - das entnehme ich Ihrer Drucksache -, was jetzt in der Form von Kindergeld und Freibeträgen Eltern ausgezahlt wird, vorsehen? Ihr Sockelbetrag beläuft sich auf 400 DM, aber nach dem Verfassungsgerichtsbeschluß müßten es 514 DM sein. Dieses
Problem zeigt, daß es auch Ihnen gut anstehen würde,
länger darüber nachzudenken.
({7})
Mein letzter Abschnitt: Wir teilen Überlegungen dahin gehend, zu einem Ausbildungsgeld zu kommen, das
elternunabhängig ist. Wir haben ja noch die Bemerkungen der Kollegen Friedrich, Mayer und weiterer Mitglieder der CDU/CSU-Fraktion, die das eben gesagt haben, im Ohr, die meinen: Dann nehmen wir doch die
jungen Erwachsenen ernst. Sie ernst nehmen heißt eben
auch, ihnen eine Verfügung über diese Mittel zuzugestehen. Orientieren wir uns am nordischen Modell. Denn
in den nordischen Ländern Europas, Dänemark, SchweDr. Ernst Dieter Rossmann
den, Finnland, gibt es eine elternunabhängige Förderung. Wir sollten das nicht kleinreden.
Wir greifen aber auch den Gedanken auf - er ist ja
auch von konservativer Seite angesprochen worden -,
daß es dann keinen Unterschied mehr zwischen denjenigen, die bisher - elternabhängig - BAföG bekommen
haben, und denen, die Kindergeld und Freibeträge für
ihre Familien bekommen haben, dahin gehend geben
darf, daß sich für sie aus diesen staatlichen Transfers
Verpflichtungen ergeben. Dann haben beide, die
BAföG-Bezieher wie die Ausbildungsgeldbezieher,
Nachweise darüber zu erbringen, daß sie ihr Studium
ernsthaft betreiben. Diesen Gedanken von Ihnen übernehmen wir gern.
Der zweite Block bei Ihnen, die Ausbildungshilfe,
ist auch bei uns fest verankert. Es bleibt ja das eigentliche BAföG. Wir müssen ja einen Spielraum dafür haben, in diesem Bereich die Freibeträge so festzusetzen,
daß von der Ausbildungshilfe auch diejenigen erfaßt
werden, die ihrer in sozialer Hinsicht bedürfen, bis hin
zu den Beziehern kleinerer und mittlerer Einkommen
in den Mittelschichten. Wir wenden uns allerdings dagegen, es so vorzusehen, wie es die F.D.P. jetzt will,
die den Darlehensanteil erhöhen und den Zuschußanteil
senken will. Wir sind aber sehr wohl dafür - das hat
die Ministerin angesprochen -, die Lasten für diejenigen, die wegen der eventuellen Rückzahlung eines
großen Darlehensanteils gegebenenfalls vor einem
Studium zurückschrecken könnten, zu mindern, weil es
sich dabei um Personen handelt, die ohnehin aus finanziell schwächer gestellten Familien kommen. Die
Überlegung ist ja durchaus auch von den Grünen angestoßen worden - das ist bemerkenswert -, ob jemand
nicht dann, wenn er Aufsteiger geworden ist - das
wollen wir ihm gern gönnen -, später, bei der Abzahlung, einen entsprechend höheren Beitrag leisten
kann.
Die dritte Fördermöglichkeit ist bei uns weiterhin die
Studienabschlußförderung. Darf man die Kolleginnen
und Kollegen von der F.D.P. fragen, ob sie das wirklich
ernst meinen, eine Studiendauer von neun Semester Regelstudienzeit plus zwei Prüfungssemester automatisch
in die Förderung einzubeziehen? Das steht in Ihrem Antrag. Liebe Frau Kollegin Pieper, diesen Vorschlag von
Ihrer Seite, der eine Studienabschlußförderung als Regelförderung vorsieht - dazu kommen noch die zwei
Prüfungssemester -, können wir nicht ganz ernst nehmen. Denn dann kommen Sie faktisch auf eine Regelstudienzeit von elf Semestern, eingeschlossen zwei Prüfungssemester.
Ich wollte das nur als Beispiel dafür anführen, daß
man, wenn man sich mit Ihrem Antrag ernsthaft auseinandersetzt, merkt: Er ist mit heißer Nadel gestrickt; er ist
nicht ausgewogen; er berücksichtigt nicht die grundsätzlichen Urteile der Gerichte. Es werden auch nicht die
grundsätzlichen Fragen aufgegriffen, deren Beantwortung wir von einer BAföG-Reform erwarten. Ich nenne
einige: Wie können wir Teilzeitstudiengänge berücksichtigen? Wie können wir dem modernen Studium gerecht werden, das in seinem Ablauf die soziale Wirklichkeit vieler Studenten widerspiegelt? Wie kann man
dem wachsendem Interesse am Auslandsstudium gerecht
werden? Wie können wir es schaffen, daß junge Menschen, die nicht nur für kurze Zeit, sondern auch länger
im Ausland studieren, von der Förderung erfaßt werden?
Wie bekommen wir es hin, daß Kindererziehungszeiten
und andere soziale Verpflichtungen vom BAföG erfaßt
werden?
Mein Schlußsatz. Das Stöckchen, das die F.D.P. uns
hinhalten will in der Form einer namentlichen Abstimmung, ist ein schwaches Stöckchen; denn wir haben ihm schon die Spitze gebrochen. Der Antrag, den
die F.D.P. uns hinsichtlich einer grundsätzlichen
Strukturreform vorlegt, ist zum jetzigen Zeitpunkt verfrüht, weil uns allen zuvor grundsätzliches Nachdenken
gut ansteht.
Danke schön.
({8})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den von der
Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur
Änderung des Bundesausbildungsförderungsgesetzes,
Drucksachen 14/371 und 14/581 Buchstabe a. Ich weise
darauf hin, daß es dazu zwei namentliche Abstimmungen gibt.
Es liegt ein Änderungsantrag der Fraktion der F.D.P.
vor, über den wir zunächst abstimmen. Die Fraktion der
F.D.P. verlangt namentliche Abstimmung. Ich bitte die
Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorgesehenen
Plätze einzunehmen. - Sind alle Urnen besetzt? - Das ist
der Fall. Dann eröffne ich die Abstimmung.
Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine Stimme nicht abgegeben hat? - Das ist nicht der
Fall. Dann schließe ich die Abstimmung und bitte die
Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Bis zum Vorliegen des Ergebnisses
der namentlichen Abstimmung unterbreche ich die Sitzung.
({0})
Die unterbrochene
Sitzung ist wieder eröffnet.
Ich gebe das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung über den Änderungsantrag der Fraktion
der F.D.P. zu dem Gesetzentwurf zur Änderung des
Bundesausbildungsförderungsgesetzes auf Drucksache
14/651 bekannt. Abgegebene Stimmen 582. Mit Ja haben gestimmt 280, mit Nein haben gestimmt 302, Enthaltungen keine. Der Änderungsantrag ist damit abgelehnt.
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 582;
davon
ja: 280
nein: 302
Ja
CDU/CSU
Ulrich Adam
Peter Altmaier
Norbert Barthle
Dr. Wolf Bauer
Günter Baumann
Brigitte Baumeister
Meinrad Belle
Dr. Sabine Bergmann-Pohl
Hans-Dirk Bierling
Dr. Joseph-Theodor Blank
Renate Blank
Dr. Heribert Blens
Peter Bleser
Dr. Norbert Blüm
Dr. Maria Böhmer
Sylvia Bonitz
Wolfgang Börnsen
({0})
Wolfgang Bosbach
Dr. Wolfgang Bötsch
Klaus Brähmig
Dr. Ralf Brauksiepe
Paul Breuer
Monika Brudlewsky
Georg Brunnhuber
Klaus Bühler ({1})
Hartmut Büttner
({2})
Cajus Caesar
Peter H. Carstensen
({3})
Leo Dautzenberg
Wolfgang Dehnel
Hubert Deittert
Albert Deß
Wilhelm Dietzel
Thomas Dörflinger
Marie-Luise Dött
Maria Eichhorn
Rainer Eppelmann
Anke Eymer
Ilse Falk
Dr. Hans Georg Faust
Ulf Fink
Ingrid Fischbach
Dirk Fischer ({4})
Axel Fischer ({5})
Dr. Gerhard Friedrich
({6})
({7})
Jochen-Konrad Fromme
Dr. Jürgen Gehb
Dr. Heiner Geißler
Georg Girisch
Michael Glos
Dr. Reinhard Göhner
Peter Götz
Dr. Wolfgang Götzer
Hermann Gröhe
Manfred Grund
Gottfried Haschke
({8})
Gerda Hasselfeldt
Norbert Hauser ({9})
Hansgeorg Hauser
({10})
Klaus-Jürgen Hedrich
Ursula Heinen
Manfred Heise
Siegfried Helias
Peter Hintze
Klaus Hofbauer
Martin Hohmann
Klaus Holetschek
Dr. Karl-Heinz Hornhues
Siegfried Hornung
Joachim Hörster
Hubert Hüppe
Georg Janovsky
Dr.-Ing. Rainer Jork
Dr. Harald Kahl
Dr. Dietmar Kansy
Irmgard Karwatzki
Volker Kauder
Ulrich Klinkert
Dr. Helmut Kohl
Norbert Königshofen
Eva-Maria Kors
Hartmut Koschyk
Thomas Kossendey
Rudolf Kraus
Dr. Martina Krogmann
Dr. Paul Krüger
Dr. Hermann Kues
Dr. Karl A. Lamers
({11})
Dr. Norbert Lammert
Karl-Josef Laumann
Werner Lensing
Peter Letzgus
Ursula Lietz
Walter Link ({12})
Eduard Lintner
Dr. Klaus Lippold
({13})
Dr. Manfred Lischewski
Wolfgang Lohmann
({14})
Julius Louven
Dr. Michael Luther
Dr. Martin Mayer
({15})
Wolfgang Meckelburg
Dr. Michael Meister
Dr. Angela Merkel
Friedrich Merz
Hans Michelbach
Meinolf Michels
Dr. Gerd Müller
Bernward Müller ({16})
Elmar Müller ({17})
Bernd Neumann ({18})
Claudia Nolte
Günter Nooke
Franz Obermeier
Eduard Oswald
Norbert Otto ({19})
Dr. Peter Paziorek
Anton Pfeifer
Dr. Friedbert Pflüger
Beatrix Philipp
Ruprecht Polenz
Marlies Pretzlaff
Dr. Bernd Protzner
Thomas Rachel
Hans Raidel
Dr. Peter Ramsauer
Peter Rauen
Christa Reichard ({20})
Katherina Reiche
Hans-Peter Repnik
Klaus Riegert
Dr. Heinz Riesenhuber
Franz Romer
Hannelore Rönsch
({21})
Heinrich-Wilhelm Ronsöhr
Dr. Klaus Rose
Kurt Rossmanith
Dr. Christian Ruck
Volker Rühe
Dr. Jürgen Rüttgers
Anita Schäfer
Hartmut Schauerte
Heinz Schemken
Gerhard Scheu
Norbert Schindler
Dietmar Schlee
Bernd Schmidbauer
Christian Schmidt ({22})
Dr.-Ing. Joachim Schmidt
({23})
Andreas Schmidt ({24})
Hans Peter Schmitz
({25})
Dr. Andreas Schockenhoff
Dr. Rupert Scholz
Dr. Erika Schuchardt
Wolfgang Schulhoff
Clemens Schwalbe
Dr. Christian SchwarzSchilling
Wilhelm-Josef Sebastian
Horst Seehofer
Heinz Seiffert
Werner Siemann
Bärbel Sothmann
Margarete Späte
Carl-Dieter Spranger
Erika Steinbach
Dr. Wolfgang Freiherr von
Stetten
Andreas Storm
Dorothea Störr-Ritter
Max Straubinger
Matthäus Strebl
Michael Stübgen
Dr. Rita Süssmuth
Dr. Susanne Tiemann
Edeltraut Töpfer
Dr. Hans-Peter Uhl
Gunnar Uldall
Arnold Vaatz
Andrea Voßhoff
Dr. Theodor Waigel
Peter Weiß ({26})
Gerald Weiß ({27})
Annette Widmann-Mauz
Heinz Wiese ({28})
Hans-Otto Wilhelm ({29})
Klaus-Peter Willsch
Willy Wimmer ({30})
Matthias Wissmann
Werner Wittlich
Dagmar Wöhrl
Elke Wülfing
Peter Kurt Würzbach
Wolfgang Zeitlmann
Wolfgang Zöller
F.D.P.
Hildebrecht Braun
({31})
Rainer Brüderle
Ernst Burgbacher
Ulrike Flach
Gisela Frick
Paul K. Friedhoff
Horst Friedrich ({32})
Rainer Funke
Hans-Michael Goldmann
Joachim Günther ({33})
Dr. Karlheinz Guttmacher
Klaus Haupt
Dr. Helmut Haussmann
Ulrich Heinrich
Birgit Homburger
Ulrich Irmer
Dr. Klaus Kinkel
Gudrun Kopp
Ina Lenke
Sabine LeutheusserSchnarrenberger
Dirk Niebel
Günter Friedrich Nolting
Hans-Joachim Otto
({34})
Detlef Parr
Dr. Edzard Schmidt-Jortzig
Gerhard Schüßler
Dr. Irmgard Schwaetzer
Marita Sehn
Dr. Max Stadler
Carl-Ludwig Thiele
Dr. Dieter Thomae
Vizepräsidentin Petra Bläss
Jürgen Türk
Dr. Guido Westerwelle
PDS
Dr. Dietmar Bartsch
Maritta Böttcher
Roland Claus
Dr. Heinrich Fink
Dr. Ruth Fuchs
Fred Gebhardt
Wolfgang Gehrcke-Reymann
Dr. Klaus Grehn
Dr. Barbara Höll
Carsten Hübner
Sabine Jünger
Gerhard Jüttemann
Dr. Heidi Knake-Werner
Rolf Kutzmutz
Heidi Lippmann-Kasten
Ursula Lötzer
Heidemarie Lüth
Manfred Müller ({35})
Kersten Naumann
Christine Ostrowski
Petra Pau
Christina Schenk
Gustav-Adolf Schur
Dr. Ilja Seifert
Dr. Winfried Wolf
Nein
SPD
Brigitte Adler
Gerd Andres
Rainer Arnold
Hermann Bachmaier
Ernst Bahr
Dr. Hans-Peter Bartels
Eckhardt Barthel ({36})
Klaus Barthel ({37})
Ingrid Becker-Inglau
Wolfgang Behrendt
Dr. Axel Berg
Hans-Werner Bertl
Friedhelm Julius Beucher
Petra Bierwirth
Rudolf Bindig
Lothar Binding ({38})
Kurt Bodewig
Anni Brandt-Elsweier
Willi Brase
Dr. Eberhard Brecht
Rainer Brinkmann ({39})
Bernhard Brinkmann
({40})
Hans-Günter Bruckmann
Ursula Burchardt
Dr. Michael Bürsch
Hans Martin Bury
Hans Büttner ({41})
Wolf-Michael Catenhusen
Dr. Peter Wilhelm Danckert
Christel Deichmann
Peter Dreßen
Rudolf Dreßler
Detlef Dzembritzki
Dieter Dzewas
Dr. Peter Eckardt
Sebastian Edathy
Ludwig Eich
Marga Elser
Peter Enders
Petra Ernstberger
Annette Faße
Lothar Fischer ({42})
Gabriele Fograscher
Iris Follak
Norbert Formanski
Rainer Fornahl
Hans Forster
Dagmar Freitag
Lilo Friedrich ({43})
Harald Friese
Arne Fuhrmann
Monika Ganseforth
Konrad Gilges
Iris Gleicke
Günter Gloser
Uwe Göllner
Renate Gradistanac
Günter Graf ({44})
Angelika Graf ({45})
Dieter Grasedieck
Monika Griefahn
Achim Großmann
Wolfgang Grotthaus
Karl-Hermann Haack
({46})
Hans-Joachim Hacker
Christel Hanewinckel
Alfred Hartenbach
Nina Hauer
Hubertus Heil
Reinhold Hemker
Frank Hempel
Rolf Hempelmann
Dr. Barbara Hendricks
Gustav Herzog
Monika Heubaum
Uwe Hiksch
Reinhold Hiller ({47})
Stephan Hilsberg
Gerd Höfer
Jelena Hoffmann ({48})
Walter Hoffmann
({49})
Frank Hofmann ({50})
Ingrid Holzhüter
Eike Hovermann
Christel Humme
Lothar Ibrügger
Barbara Imhof
Brunhilde Irber
Gabriele Iwersen
Renate Jäger
Jann-Peter Janssen
Ilse Janz
Dr. Uwe Jens
Volker Jung ({51})
Johannes Kahrs
Ulrich Kasparick
Sabine Kaspereit
Susanne Kastner
Hans-Peter Kemper
Klaus Kirschner
Marianne Klappert
Hans-Ulrich Klose
Walter Kolbow
Fritz Rudolf Körper
Karin Kortmann
Anette Kramme
Nicolette Kressl
Horst Kubatschka
Ernst Küchler
Helga Kühn-Mengel
Ute Kumpf
Konrad Kunick
Dr. Uwe Küster
Werner Labsch
Christine Lambrecht
Brigitte Lange
Christian Lange ({52})
Detlev von Larcher
Christine Lehder
Robert Leidinger
Dr. Elke Leonhard
Eckhart Lewering
Götz-Peter Lohmann
({53})
Christa Lörcher
Erika Lotz
Dr. Christine Lucyga
Dieter Maaß ({54})
Winfried Mante
Tobias Marhold
Ulrike Mascher
Christoph Matschie
Ingrid Matthäus-Maier
Heide Mattischeck
Markus Meckel
Ulrike Mehl
Ulrike Merten
Angelika Mertens
Dr. Jürgen Meyer ({55})
Ursula Mogg
Christoph Moosbauer
Siegmar Mosdorf
Michael Müller ({56})
Jutta Müller ({57})
Christian Müller ({58})
Franz Müntefering
Andrea Maria Nahles
Volker Neumann ({59})
Gerhard Neumann ({60})
Dr. Edith Niehuis
Dietmar Nietan
Günter Oesinghaus
Eckhard Ohl
Leyla Onur
Manfred Opel
Holger Ortel
Adolf Ostertag
Kurt Palis
Albrecht Papenroth
Dr. Willfried Penner
Dr. Martin Pfaff
Georg Pfannenstein
Johannes Andreas Pflug
Joachim Poß
Karin Rehbock-Zureich
Margot von Renesse
Renate Rennebach
Bernd Reuter
Dr. Edelbert Richter
Reinhold Robbe
René Röspel
Michael Roth ({61})
Birgit Roth ({62})
Marlene Rupprecht
Thomas Sauer
Dr. Hansjörg Schäfer
Gudrun Schaich-Walch
Bernd Scheelen
Dr. Hermann Scheer
Siegfried Scheffler
Horst Schild
Otto Schily
Dieter Schloten
Horst Schmidbauer
({63})
Ulla Schmidt ({64})
Silvia Schmidt ({65})
Dagmar Schmidt ({66})
Wilhelm Schmidt ({67})
Regina Schmidt-Zadel
Heinz Schmitt ({68})
Karsten Schönfeld
Fritz Schösser
Ottmar Schreiner
Dr. Mathias Schubert
Brigitte Schulte ({69})
Reinhard Schultz
({70})
Volkmar Schultz ({71})
Ilse Schumann
Dr. R. Werner Schuster
Ernst Schwanhold
Bodo Seidenthal
Erika Simm
Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk
Dr. Cornelie SonntagWolgast
Wieland Sorge
Wolfgang Spanier
Dr. Margrit Spielmann
Jörg-Otto Spiller
Ludwig Stiegler
Rolf Stöckel
Joachim Stünker
Joachim Tappe
Jella Teuchner
Dr. Gerald Thalheim
Franz Thönnes
Adelheid Tröscher
Rüdiger Veit
Simone Violka
Ute Vogt ({72})
Vizepräsidentin Petra Bläss
Hedi Wegener
Wolfgang Weiermann
Reinhard Weis ({73})
Matthias Weisheit
Gert Weisskirchen
({74})
Dr. Ernst Ulrich von
Weizsäcker
Hans-Joachim Welt
Dr. Rainer Wend
Hildegard Wester
Lydia Westrich
Inge Wettig-Danielmeier
Dr. Norbert Wieczorek
Helmut Wieczorek
({75})
Jürgen Wieczorek ({76})
Heidemarie Wieczorek-Zeul
Heino Wiese ({77})
Klaus Wiesehügel
Brigitte Wimmer ({78})
Engelbert Clemens Wistuba
Barbara Wittig
Verena Wohlleben
Hanna Wolf ({79})
Waltraud Wolff ({80})
Heidemarie Wright
Uta Zapf
Dr. Christoph Zöpel
BÜNDNIS 90 /
DIE GRÜNEN
Gila Altmann ({81})
Marieluise Beck ({82})
Volker Beck ({83})
Matthias Berninger
Ekin Deligöz
Dr. Thea Dückert
Dr. Uschi Eid
Andrea Fischer ({84})
Katrin Göring-Eckardt
Rita Grießhaber
Kristin Heyne
Ulrike Höfken
Michaele Hustedt
Monika Knoche
Dr. Angelika Köster-Loßack
Steffi Lemke
Dr. Helmut Lippelt
Dr. Reinhard Loske
Klaus Wolfgang Müller
({85})
Kerstin Müller ({86})
Winfried Nachtwei
Christa Nickels
Cem Özdemir
Simone Probst
Claudia Roth ({87})
Christine Scheel
Irmingard Schewe-Gerigk
Rezzo Schlauch
Albert Schmidt ({88})
Werner Schulz ({89})
Christian Simmert
Christian Sterzing
Dr. Antje Vollmer
Ludger Volmer
Sylvia Ingeborg Voß
Helmut Wilhelm ({90})
({91})
Entschuldigt wegen Übernahme einer Verpflichtung im Rahmen ihrer Mitgliedschaft in den Parlamentarischen Versammlungen
des Europarates und der WEU, der NAV, der OSZE oder der IPU
Abgeordnete
Adam, Ulrich, CDU/CSU Hempelmann, Rolf, SPD Dr. Wodarg, Wolfgang, SPD
Ich bitte nun diejenigen, die dem Gesetzentwurf in
der Ausschußfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Damit ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung angenommen.
Dritte Beratung
und Schlußabstimmung. Die Fraktionen von SPD und
Bündnis 90/Die Grünen verlangen namentliche Abstimmung. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen. - Sind
alle Urnen besetzt? - Das ist der Fall. Ich eröffne die
Abstimmung.
Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine Stimme nicht abgegeben hat? - Das ist nicht der
Fall. Dann schließe ich die Abstimmung und bitte die
Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis der Abstimmung wird
Ihnen später bekanntgegeben. Wir setzen die Beratungen fort. Ich bitte Sie, dafür die Plätze wieder einzunehmen.
Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Ausschusses für Bildung, Wissenschaft, Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung zu dem Antrag der Fraktion der F.D.P. zur
Reform des Bundesausbildungsförderungsgesetzes auf
der Drucksache 14/581 Buchstabe b. Der Ausschuß
empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 14/358 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung
ist gegen die Stimmen der F.D.P.-Fraktion bei Enthaltung der Fraktion der PDS angenommen.
Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Ausschusses für Bildung, Wissenschaft, Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung zu dem Antrag der Fraktion der PDS zur
Umsetzung der Reform der Ausbildungsförderung auf
der Drucksache 14/581 Buchstabe c. Der Ausschuß
empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 14/398 ({92}) abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist gegen die Stimmen der PDS-Fraktion angenommen.
Ich unterbreche jetzt die Sitzung bis zur Bekanntgabe
des Ergebnisses der namentlichen Abstimmung für einige wenige Minuten.
({93})
Die unterbrochene
Sitzung wird fortgesetzt.
Ich gebe das von den Schriftführerinnen und
Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen
Abstimmung über den Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Änderung des Bundesausbildungsförderungsgesetzes auf den Drucksachen 14/371 und
14/581 Buchstabe a bekannt. Abgegebene Stimmen
584. Mit Ja haben gestimmt 553, mit Nein hat keiner
gestimmt, Enthaltungen 31. Der Gesetzentwurf ist angenommen.
({0})
Vizepräsidentin Petra Bläss
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 583;
davon
ja: 552
enthalten: 031
Ja
CDU/CSU
Ulrich Adam
Peter Altmaier
Norbert Barthle
Dr. Wolf Bauer
Günter Baumann
Brigitte Baumeister
Meinrad Belle
Dr. Sabine Bergmann-Pohl
Hans-Dirk Bierling
Dr. Joseph-Theodor Blank
Renate Blank
Dr. Heribert Blens
Peter Bleser
Dr. Norbert Blüm
Dr. Maria Böhmer
Sylvia Bonitz
Wolfgang Börnsen
({1})
Wolfgang Bosbach
Dr. Wolfgang Bötsch
Klaus Brähmig
Dr. Ralf Brauksiepe
Paul Breuer
Monika Brudlewsky
Georg Brunnhuber
Klaus Bühler ({2})
Hartmut Büttner ({3})
Cajus Caesar
Peter H. Carstensen
({4})
Leo Dautzenberg
Wolfgang Dehnel
Hubert Deittert
Albert Deß
Wilhelm Dietzel
Thomas Dörflinger
Marie-Luise Dött
Maria Eichhorn
Rainer Eppelmann
Anke Eymer
Ilse Falk
Dr. Hans Georg Faust
Ulf Fink
Ingrid Fischbach
Dirk Fischer ({5})
Axel Fischer ({6})
Dr. Gerhard Friedrich
({7})
({8})
Jochen-Konrad Fromme
Dr. Jürgen Gehb
Dr. Heiner Geißler
Georg Girisch
Michael Glos
Dr. Reinhard Göhner
Peter Götz
Dr. Wolfgang Götzer
Hermann Gröhe
Manfred Grund
Gottfried Haschke
({9})
Gerda Hasselfeldt
Norbert Hauser ({10})
Hansgeorg Hauser
({11})
Klaus-Jürgen Hedrich
Ursula Heinen
Manfred Heise
Siegfried Helias
Peter Hintze
Klaus Hofbauer
Martin Hohmann
Klaus Holetschek
Dr. Karl-Heinz Hornhues
Siegfried Hornung
Joachim Hörster
Hubert Hüppe
Georg Janovsky
Dr.-Ing. Rainer Jork
Dr. Harald Kahl
Dr. Dietmar Kansy
Irmgard Karwatzki
Volker Kauder
Ulrich Klinkert
Dr. Helmut Kohl
Norbert Königshofen
Eva-Maria Kors
Hartmut Koschyk
Thomas Kossendey
Rudolf Kraus
Dr. Martina Krogmann
Dr. Paul Krüger
Dr. Hermann Kues
Karl Lamers
Dr. Karl A. Lamers
({12})
Dr. Norbert Lammert
Karl-Josef Laumann
Werner Lensing
Peter Letzgus
Ursula Lietz
Walter Link ({13})
Eduard Lintner
Dr. Klaus Lippold
({14})
Dr. Manfred Lischewski
Wolfgang Lohmann
({15})
Julius Louven
Dr. Michael Luther
Dr. Martin Mayer
({16})
Wolfgang Meckelburg
Dr. Michael Meister
Dr. Angela Merkel
Friedrich Merz
Hans Michelbach
Meinolf Michels
Dr. Gerd Müller
Bernward Müller ({17})
Elmar Müller ({18})
Bernd Neumann ({19})
Claudia Nolte
Günter Nooke
Franz Obermeier
Eduard Oswald
Norbert Otto ({20})
Dr. Peter Paziorek
Anton Pfeifer
Dr. Friedbert Pflüger
Beatrix Philipp
Ruprecht Polenz
Marlies Pretzlaff
Dr. Bernd Protzner
Thomas Rachel
Hans Raidel
Dr. Peter Ramsauer
Peter Rauen
Christa Reichard ({21})
Katherina Reiche
Hans-Peter Repnik
Klaus Riegert
Dr. Heinz Riesenhuber
Franz Romer
Hannelore Rönsch
({22})
Heinrich-Wilhelm Ronsöhr
Dr. Klaus Rose
Kurt Rossmanith
Dr. Christian Ruck
Volker Rühe
Dr. Jürgen Rüttgers
Anita Schäfer
Hartmut Schauerte
Heinz Schemken
Gerhard Scheu
Norbert Schindler
Dietmar Schlee
Bernd Schmidbauer
Christian Schmidt ({23})
Dr.-Ing. Joachim Schmidt
({24})
Andreas Schmidt ({25})
Hans Peter Schmitz
({26})
Dr. Andreas Schockenhoff
Dr. Rupert Scholz
Dr. Erika Schuchardt
Wolfgang Schulhoff
Clemens Schwalbe
Dr. Christian SchwarzSchilling
Wilhelm - Josef Sebastian
Horst Seehofer
Heinz Seiffert
Werner Siemann
Bärbel Sothmann
Margarete Späte
Carl-Dieter Spranger
Erika Steinbach
Dr. Wolfgang Freiherr von
Stetten
Andreas Storm
Dorothea Störr-Ritter
Max Straubinger
Matthäus Strebl
Michael Stübgen
Dr. Rita Süssmuth
Dr. Susanne Tiemann
Edeltraut Töpfer
Dr. Hans-Peter Uhl
Gunnar Uldall
Arnold Vaatz
Andrea Voßhoff
Dr. Theodor Waigel
Peter Weiß ({27})
Gerald Weiß ({28})
Annette Widmann-Mauz
Heinz Wiese ({29})
Hans-Otto Wilhelm ({30})
Klaus-Peter Willsch
Willy Wimmer ({31})
Matthias Wissmann
Werner Wittlich
Dagmar Wöhrl
Elke Wülfing
Peter Kurt Würzbach
Wolfgang Zeitlmann
Wolfgang Zöller
SPD
Brigitte Adler
Gerd Andres
Rainer Arnold
Hermann Bachmaier
Ernst Bahr
Dr. Hans-Peter Bartels
Eckhardt Barthel ({32})
Klaus Barthel ({33})
Ingrid Becker-Inglau
Wolfgang Behrendt
Dr. Axel Berg
Hans-Werner Bertl
Friedhelm Julius Beucher
Petra Bierwirth
Rudolf Bindig
Lothar Binding ({34})
Kurt Bodewig
Anni Brandt-Elsweier
Willi Brase
Dr. Eberhard Brecht
Rainer Brinkmann ({35})
Bernhard Brinkmann
({36})
Hans-Günter Bruckmann
Ursula Burchardt
Dr. Michael Bürsch
Hans Martin Bury
Hans Büttner ({37})
Wolf-Michael Catenhusen
Dr. Peter Wilhelm Danckert
Christel Deichmann
Peter Dreßen
Rudolf Dreßler
Detlef Dzembritzki
Dieter Dzewas
Vizepräsidentin Petra Bläss
Dr. Peter Eckardt
Sebastian Edathy
Ludwig Eich
Marga Elser
Peter Enders
Petra Ernstberger
Annette Faße
Lothar Fischer ({38})
Gabriele Fograscher
Iris Follak
Norbert Formanski
Rainer Fornahl
Hans Forster
Dagmar Freitag
Lilo Friedrich ({39})
Harald Friese
Arne Fuhrmann
Monika Ganseforth
Konrad Gilges
Iris Gleicke
Günter Gloser
Uwe Göllner
Renate Gradistanac
Günter Graf ({40})
Angelika Graf ({41})
Dieter Grasedieck
Monika Griefahn
Achim Großmann
Wolfgang Grotthaus
Karl-Hermann Haack
({42})
Hans-Joachim Hacker
Christel Hanewinckel
Alfred Hartenbach
Nina Hauer
Hubertus Heil
Reinhold Hemker
Frank Hempel
Rolf Hempelmann
Dr. Barbara Hendricks
Gustav Herzog
Monika Heubaum
Uwe Hiksch
Reinhold Hiller ({43})
Stephan Hilsberg
Gerd Höfer
Jelena Hoffmann ({44})
Walter Hoffmann
({45})
Frank Hofmann ({46})
Ingrid Holzhüter
Eike Hovermann
Christel Humme
Lothar Ibrügger
Barbara Imhof
Brunhilde Irber
Gabriele Iwersen
Renate Jäger
Jann-Peter Janssen
Ilse Janz
Dr. Uwe Jens
Volker Jung ({47})
Johannes Kahrs
Ulrich Kasparick
Sabine Kaspereit
Susanne Kastner
Hans-Peter Kemper
Klaus Kirschner
Marianne Klappert
Hans-Ulrich Klose
Walter Kolbow
Fritz Rudolf Körper
Karin Kortmann
Anette Kramme
Nicolette Kressl
Horst Kubatschka
Ernst Küchler
Helga Kühn-Mengel
Ute Kumpf
Konrad Kunick
Dr. Uwe Küster
Werner Labsch
Christine Lambrecht
Brigitte Lange
Christian Lange ({48})
Detlev von Larcher
Christine Lehder
Robert Leidinger
Dr. Elke Leonhard
Eckhart Lewering
Götz-Peter Lohmann
({49})
Christa Lörcher
Erika Lotz
Dr. Christine Lucyga
Dieter Maaß ({50})
Winfried Mante
Tobias Marhold
Ulrike Mascher
Christoph Matschie
Ingrid Matthäus-Maier
Heide Mattischeck
Markus Meckel
Ulrike Mehl
Ulrike Merten
Angelika Mertens
Dr. Jürgen Meyer ({51})
Ursula Mogg
Christoph Moosbauer
Siegmar Mosdorf
Michael Müller ({52})
Jutta Müller ({53})
Christian Müller ({54})
Franz Müntefering
Andrea Nahles
Volker Neumann ({55})
Gerhard Neumann ({56})
Dr. Edith Niehuis
Dietmar Nietan
Günter Oesinghaus
Eckhard Ohl
Leyla Onur
Manfred Opel
Holger Ortel
Adolf Ostertag
Kurt Palis
Albrecht Papenroth
Dr. Willfried Penner
Dr. Martin Pfaff
Georg Pfannenstein
Johannes Andreas Pflug
Joachim Poß
Karin Rehbock-Zureich
Margot von Renesse
Renate Rennebach
Bernd Reuter
Dr. Edelbert Richter
Reinhold Robbe
René Röspel
Michael Roth ({57})
Birgit Roth ({58})
Marlene Rupprecht
Thomas Sauer
Dr. Hansjörg Schäfer
Gudrun Schaich-Walch
Bernd Scheelen
Dr. Hermann Scheer
Siegfried Scheffler
Horst Schild
Otto Schily
Dieter Schloten
Horst Schmidbauer
({59})
Ulla Schmidt ({60})
Silvia Schmidt ({61})
Dagmar Schmidt
({62})
({63})
Regina Schmidt-Zadel
Heinz Schmitt ({64})
Karsten Schönfeld
Fritz Schösser
Ottmar Schreiner
Dr. Mathias Schubert
Brigitte Schulte ({65})
Reinhard Schultz
({66})
Volkmar Schultz ({67})
Ilse Schumann
Dr. R. Werner Schuster
Ernst Schwanhold
Bodo Seidenthal
Erika Simm
Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk
Dr. Cornelie SonntagWolgast
Wieland Sorge
Wolfgang Spanier
Dr. Margrit Spielmann
Jörg-Otto Spiller
Ludwig Stiegler
Rolf Stöckel
Joachim Stünker
Joachim Tappe
Jella Teuchner
Dr. Gerald Thalheim
Franz Thönnes
Adelheid Tröscher
Rüdiger Veit
Simone Violka
Ute Vogt ({68})
Hedi Wegener
Wolfgang Weiermann
Reinhard Weis ({69})
Matthias Weisheit
Gert Weisskirchen
({70})
Dr. Ernst Ulrich von
Weizsäcker
Hans-Joachim Welt
Dr. Rainer Wend
Hildegard Wester
Lydia Westrich
Inge Wettig-Danielmeier
Dr. Norbert Wieczorek
Helmut Wieczorek
({71})
Jürgen Wieczorek ({72})
Heidemarie Wieczorek-Zeul
Heino Wiese ({73})
Klaus Wiesehügel
Brigitte Wimmer ({74})
Engelbert Clemens Wistuba
Barbara Wittig
Verena Wohlleben
Hanna Wolf ({75})
Waltraud Wolff ({76})
Heidemarie Wright
Uta Zapf
Dr. Christoph Zöpel
BÜNDNIS 90 /
DIE GRÜNEN
Gila Altmann ({77})
Marieluise Beck ({78})
Volker Beck ({79})
Matthias Berninger
Ekin Deligöz
Dr. Thea Dückert
Dr. Uschi Eid
Andrea Fischer ({80})
Katrin Göring-Eckardt
Rita Grießhaber
Kristin Heyne
Ulrike Höfken
Michaele Hustedt
Monika Knoche
Dr. Angelika Köster-Loßack
Steffi Lemke
Dr. Helmut Lippelt
Dr. Reinhard Loske
Klaus Wolfgang Müller
({81})
Kerstin Müller ({82})
Winfried Nachtwei
Christa Nickels
Cem Özdemir
Simone Probst
Claudia Roth ({83})
Christine Scheel
Irmingard Schewe-Gerigk
Rezzo Schlauch
Albert Schmidt ({84})
Werner Schulz ({85})
Christian Simmert
Christian Sterzing
Dr. Antje Vollmer
Ludger Volmer
Sylvia Ingeborg Voß
Helmut Wilhelm ({86})
({87})
Vizepräsidentin Petra Bläss
F.D.P.
Hildebrecht Braun
({88})
Rainer Brüderle
Ernst Burgbacher
Ulrike Flach
Gisela Frick
Paul K. Friedhoff
Horst Friedrich ({89})
Rainer Funke
Hans-Michael Goldmann
Joachim Günther ({90})
Dr. Karlheinz Guttmacher
Klaus Haupt
Dr. Helmut Haussmann
Ulrich Heinrich
Birgit Homburger
Ulrich Irmer
Dr. Klaus Kinkel
Gudrun Kopp
Ina Lenke
Sabine LeutheusserSchnarrenberger
Dirk Niebel
Günter Friedrich Nolting
Hans-Joachim Otto
({91})
Detlef Parr
Dr. Edzard Schmidt-Jortzig
Gerhard Schüßler
Dr. Irmgard Schwaetzer
Marita Sehn
Dr. Max Stadler
Carl-Ludwig Thiele
Dr. Dieter Thomae
Jürgen Türk
Dr. Guido Westerwelle
Enthalten
PDS
Dr. Dietmar Bartsch
Maritta Böttcher
Roland Claus
Dr. Heinrich Fink
Dr. Ruth Fuchs
Fred Gebhardt
Wolfgang Gehrcke-Reymann
Dr. Klaus Grehn
Carsten Hübner
Ulla Ursula Jelpke
Sabine Jünger
Gerhard Jüttemann
Dr. Heidi Knake-Werner
Rolf Kutzmutz
Heidi Lippmann-Kasten
Ursula Lötzer
Heidemarie Lüth
Manfred Müller ({92})
Kersten Naumann
Christine Ostrowski
Petra Pau
Christina Schenk
Gustav-Adolf Schur
Dr. Ilja Seifert
Dr. Winfried Wolf
Entschuldigt wegen Übernahme einer Verpflichtung im Rahmen ihrer Mitgliedschaft in den Parlamentarischen Versammlungen
des Europarates und der WEU, der NAV, der OSZE oder der IPU
Abgeordnete
Adam, Ulrich, CDU/CSU Hempelmann, Rolf, SPD Dr. Wodarg, Wolfgang, SPD
Für die Fraktionssitzungen der CDU/CSU und der
SPD unterbreche ich die Sitzung für zirka eine Stunde.
Der voraussichtliche Wiederbeginn der Sitzung, der gegen 13 Uhr erfolgen soll, wird rechtzeitig durch das
Klingelsignal angekündigt. Die Sitzung ist unterbrochen.
({93})
Liebe Kolleginnen
und Kollegen, die unterbrochene Sitzung ist wieder
eröffnet.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 4 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Werner
Lensing, Ilse Aigner, Axel E. Fischer ({0}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion
der CDU/CSU
Ausbau der Förderung der beruflichen Aufstiegsfortbildung
- Drucksache 14/541 Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung ({1})
Rechtsausschuß
Ausschuß für Wirtschaft und Technologie
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung
Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Haushaltsausschuß
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache eineinhalb Stunden vorgesehen. - Ich
höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort für die
CDU/CSU-Fraktion hat der Kollege Werner Lensing.
Herr Präsident!
Meine sehr verehrten Kolleginnen! Liebe Kollegen! Zur
besseren Wirksamkeit der Verantwortung in der Politik,
insbesondere in der Bildungspolitik, gehört die Klarheit
der Argumentation. Diese wiederum erfahre ich am ehesten durch eine saubere Faktensammlung. Ich frage also:
Wie sieht im Zusammenhang mit unserer heutigen Thematik, der beruflichen Aufstiegsfortbildung in Deutschland, die Wirklichkeit aus?
Hier quält uns zunächst ein besonders beunruhigender
Faktor. In Deutschland gibt es nämlich einen signifikanten und besorgniserregenden Mangel an Unternehmern. Zum Erreichen der durchschnittlichen
OECD-Selbständigenquote fehlen hierzulande rund
500 000 zusätzliche Betriebsleiter. Ein solches Defizit
wirkt sich natürlich besonders verheerend auf den Arbeitsmarkt aus. Schließlich sorgt fast jeder Existenzgründer im Schnitt für drei weitere Arbeitsplätze.
({0})
Dieses Dilemma aber wird durch weitere ernstzunehmende Fakten - ich betone dies noch einmal - verstärkt. Ich benenne diese: Jeder fünfte der 3,5 Millionen
Betriebsinhaber in Deutschland hat bereits das
55. Lebensjahr überschritten. Rund 700 000 Unternehmer werden sich innerhalb der nächsten zehn Jahre zur
Ruhe setzen, davon voraussichtlich 300 000 noch in diesem Jahr. Nur in jedem dritten Fall dürfte sich noch eine
Nachfolgerin oder ein Nachfolger aus dem Familienkreis finden lassen.
Allein im Handwerk stehen in den nächsten fünf Jahren rund 200 000 Betriebe zur Übergabe bereit. Davon
sind mangels geeigneter Nachfolger bereits heute rund
Vizepräsidentin Petra Bläss
50 000 Betriebe und damit zugleich eine halbe Million
Arbeitsplätze akut gefährdet. Sofern die Problematik des
bevorstehenden Generationenwechsels im Mittelstand
von der jetzigen Bundesregierung weiter auf die lange
Bank geschoben oder sogar sträflich vernachlässigt werden sollte, stehen in Deutschland in beängstigender
Weise sehr viele Arbeitsplätze weiterhin und zusätzlich
auf dem Spiel. Damit ist evident: Ein reibungsloser Generationenwechsel und die Gründung neuer Betriebe
sind die überaus wichtigen Voraussetzungen zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit.
({1})
- Man soll nicht meinen, daß Sie in einem Bildungsausschuß sind. Sie haben nicht einen einzigen neuen, innovativen Gedanken. Sie geben immer nur den Hinweis
auf diesen einen Zeitraum. Das zeugt nicht einmal von
historischem Verständnis, meine sehr verehrte Kollegin.
({2})
Eine besonders beherzte Förderung der Gründertätigkeit müßte daher das besondere Anliegen einer jeden
Bundesregierung sein. Doch gerade hier hat die rotgrüne
Koalition bekanntlich - wie auch schon in viel zu vielen
anderen Bereichen -, bisher zumindest, auf der ganzen
Linie versagt.
({3})
Denn die zusätzlichen Belastungen von Mittelstand und
Wirtschaft, zum Beispiel durch das jetzt verabschiedete
sogenannte Steuerentlastungsgesetz, das diesen Namen
nicht einmal im Ansatz verdient, werden leider nicht zu
vermehrten Existenzgründungen und damit auch nicht
zur Schaffung neuer Beschäftigungsverhältnisse führen
können. Im Gegenteil, wir haben eine neue Rationalisierungswelle und einen weiteren Abbau von Arbeitsplätzen zu befürchten.
({4})
Daher benötigen wir neben wirtschaftsfreundlichen
Rahmenbedingungen - das sage ich speziell dem Herrn
Tauss, der ja immer etwas länger braucht, um meine
Worte zu verstehen - eine Vielzahl weiterer Anreize;
auch das ist leider zum Teil noch nicht bis zur neuen
Bundesregierung durchgedrungen.
Vor diesem Hintergrund hat die frühere Bundesregierung in der vergangenen 13. Legislaturperiode mit dem
sogenannten Aufstiegsfortbildungsförderungsgesetz
ein überaus effizientes Mittel geschaffen, um vor allen
Dingen jungen Menschen den Weg zu Betriebsgründungen zu erleichtern. Auch das ist ein Faktum.
Mit besonderer Genugtuung nenne ich Ihnen die
erfreulichen Fakten. Seit Inkrafttreten des sogenannten
AFBG am 1. Januar 1996 wurden über 130 000 Förderanträge gestellt.
({5})
In nahezu 100 000 Fällen wurden Leistungen nach diesem Gesetz bewilligt. In den Jahren 1996 und 1997
wurden bundesweit zirka 70 000 Personen gefördert. In
diesem Jahr dürfte der hunderttausendste angehende
Meister bzw. Techniker seinen Bewilligungsbescheid
erhalten. Ist das denn gar nichts?
({6})
Bisher wurden mehr als 780 Millionen DM Fördermittel
an angehende Meister, Techniker und an andere Aufstiegswillige ausgezahlt. Es eröffnet also einem jeden
die individuelle Chance, eine berufliche Weiterqualifikation mit begrenzten finanziellen Belastungen auch
während der Fortbildungszeit zu erreichen.
Die Opposition war seinerzeit alles andere als begeistert. Wir können Ihnen das im einzelnen nachweisen.
({7})
- Ich bin Ihnen für das Stichwort Bundesrat unglaublich dankbar. Denn gerade die SPD hat permanent versucht, diesen Gesetzentwurf im Bundesrat zu verhindern. Wir haben das Gesetz daraufhin so gestrickt denn wir haben mehr als Sie an die Jugendlichen gedacht -, daß wir nicht mehr der Zustimmung des Bundesrates bedurften. Deswegen können wir uns heute
über dieses Gesetz überhaupt verständigen.
Ich habe gesagt, es geht um Fakten. Ich habe gesagt,
es geht um die Wahrheit.
({8})
- Angesichts der Fakten, die ich genannt habe, kann
man da überhaupt keinen Zweifel haben. - Deswegen
sage ich auch, daß wir auf Grund der Erfahrungen in der
Vergangenheit mitbekommen haben, daß es hier und da
einen Veränderungs- bzw. Ergänzungsbedarf bei bisher
schon guten, gültigen Regelungen gibt. Daher haben wir
heute unseren Antrag eingebracht, für dessen Qualität
Sie uns beneiden, weil Sie nie auf die Idee gekommen
sind, dies in einer solchen Konzeption einzubringen.
({9})
Das Problem, das wir heute haben, ist beispielsweise,
daß die damalige Opposition - sie ist heute die Regierung - immer wieder gesagt hat: Wir müssen dieses ausbauen. Wenn man aber jetzt den ersten Haushalt sieht,
den diese Regierung eingebracht hat, muß man feststellen, daß die von unserer Regierung noch vorgesehenen
Mittel gerade für diesen Bereich um sage und schreibe
40 Prozent gekürzt worden sind.
({10})
Hier wird uns ein verbessertes Aufstiegsfortbildungsförderungsgesetz eher helfen, wenn es das berücksichtigt,
was wir auch auf Anregung der Industrie- und Handelskammern, der Handwerkskammern und der Vollzugsbehörden als Antrag eingebracht haben. Diesen Antrag
möchte ich in wenigen Punkten vorstellen.
Erstens. Wir möchten mit unserem Antrag erreichen,
daß es eine wirkliche förderungsrechtliche GleichstelWerner Lensing
lung von Studium und Aufstiegsfortbildung gibt, und
wir wollen, wie beim allgemeinen BAföG auch, den Zuschußanteil der Förderbeiträge beim AFBG von derzeit
rund 35 Prozent auf 50 Prozent angehoben wissen. Damit wird die schon von Beginn an gewünschte förderungsrechtliche Gleichstellung realisiert.
Zweitens. Die Förderungsdauer ist bis zum Zeitpunkt der letzten Prüfung auszudehnen. Nach der bisherigen Regelung wurde die Bewilligung der monatlichen
Unterhaltszahlungen bei Tagesschülern auf die reinen
Kurszeiten beschränkt, und somit fiel eine Reihe von
Schülerinnen und Schülern in manchen Gewerken, etwa
dem des Tischlers, während der praktischen Prüfungsphase automatisch aus der Förderung heraus. Dieser
Umstand wurde natürlich als negativ empfunden. Mit
unserem Antrag wollen wir solche finanziell nicht abgesicherten Zeiträume - und dies in einer kritischen Prüfungsphase - für die Zukunft verhindern.
({11})
Drittens. Die Leistungen für Familien und für die
Betreuung von Kindern sind den gestiegenen Lebenshaltungskosten anzupassen. Ich verweise auf die entsprechenden Angaben in unserem Antrag. Über die moderaten Vorschläge unseres Antrages hinaus sollte auch
einmal darüber nachgedacht werden, ob und inwieweit
der Erhaltung eines gewissen Lebensstandards für Familien in Zukunft besser Rechnung getragen werden
kann und folgerichtig die Bedarfssätze des MeisterBAföG von den entsprechenden Sätzen des allgemeinen
BAföG abgekoppelt werden könnten.
Um Alleinerziehenden die Vereinbarkeit von Fortbildung und Kinderbetreuung weiter zu erleichtern, möchten wir zudem die Leistungen zu den Kosten der Kinderbetreuung angemessen erhöhen. Wir regen hierzu
eine Aussprache in den zuständigen Ausschüssen an.
Viertens. Die Inanspruchnahme des sogenannten
Meister-BAföG wird verfahrenstechnisch vereinfacht.
Die bisherige Praxis der Bewilligungsbehörden, bei Anträgen für mehrjährige Fortbildungen schon nach einem
Jahr einen Folgeantrag zu verlangen, wird abgeschafft.
Künftig soll vielmehr die Bewilligung für die gesamte
Fortbildung in einem Schritt erfolgen.
Fünftens. Wir wünschen, die Anreize für anschließende Existenzgründungen deutlich zu verstärken. Bekanntlich müssen nach dem derzeitigen AFBG Betriebsgründer bereits im ersten Jahr ihrer Existenzgründung
zwei Beschäftigte für die Dauer von mindestens vier
Monaten einstellen, um einen Darlehenserlaß zu erhalten. Dies ist eine strenge Auflage, die nach Auskunft der
für die Abwicklung der Darlehen zuständigen Deutschen
Ausgleichsbank nur schwer zu verwirklichen ist. Um der
schwierigen Anfangsphase eines jungen Unternehmens
besser gerecht zu werden, sollte folglich diese Frist von
einem halben Jahr auf zwei Jahre verlängert werden.
Zudem sollte der Erlaßbetrag von derzeit 50 Prozent um
einen deutlichen Satz angehoben werden. Dies schafft
mit Sicherheit zusätzlichen Investitionsspielraum.
Sechstens. Die Regelungen zur Vermögensanrechnung müssen mit dem Ziel überprüft werden, daß Existenzgründer ihre Ersparnisse verstärkt da einsetzen
können, wo sie hingehören, nämlich bei der Betriebsgründung. Eine Ansparung des notwendigen Eigenkapitals innerhalb von zwei bis drei Jahren scheint nämlich
für den potentiellen Existenzgründer aus eigener Kraft
kaum möglich.
Nach den Vorstellungen der CDU/CSU-Fraktion
sollten auch die Rückzahlungsbedingungen erleichtert
und die Karenzzeit verlängert werden. Begründung: Bekanntlich liegt der Kapitalbedarf für eine Existenzgründung oder eine Betriebsübernahme bei einer Untergrenze von zirka 150 000 DM. Je nach Branche kann dieser
sogar schnell in die Millionen gehen. Rückzahlungsverpflichtungen und Investitionserfordernisse stehen deshalb gerade in der Anfangsphase der Existenzgründung
im Widerspruch zueinander.
Wenn wir hier eine Verlängerung der Karenzzeit erreichen, werden wir, so glaube ich, mit diesem Maßnahmenkatalog richtigliegen. Das derzeitig strukturelle
Ungleichgewicht zwischen der Förderung von Vollzeitund Teilzeitmaßnahmen führt zu der bedauerlichen Tatsache, daß die Aufstiegsfortbildungsförderung im
Handwerksbereich mehr als dreimal so viel in Anspruch
genommen wird wie bei den Industrie- und Handelskammern, obwohl die Teilnehmerzahlen in beiden Institutionen etwa in der gleichen Größenordnung liegen
dürften. Die Diskrepanz zeigt sich noch deutlicher in der
jeweils abgerufenen Fördersumme. Ich will das jetzt
nicht im Detail erläutern; aber auf eine gerechtere
Gleichbehandlung müssen wir unser Augenmerk richten.
Ich habe auf diesen unseren Antragsentwurf selbstverständlich viele positive Rückmeldungen von verschiedenen regionalen Handwerkskammern, vom BDA,
vom ZDH, vom DIHT und - das freut mich natürlich
besonders - aus Teilen des DGB erhalten. Zudem stimmen die meisten Äußerungen darin überein, daß die von
der CDU/CSU-Bundestagsfraktion vorgebrachten Änderungswünsche den Kern des Problems treffen und eine
durchgreifende Belebung der Nachfrage nach Förderung
einleiten werden.
Meine Kolleginnen und Kollegen der Regierungskoalition, in Ihrer Koalitionsvereinbarung finde ich einen
Satz - es gibt ja nicht viele, die man zitieren kann, aber
dieser hier stimmt mit meiner Überzeugung überein -,
der da lautet: „Wir wollen den Generationswechsel bei
mittelständischen Betrieben erleichtern.“
({12})
Wenn Ihnen diese Worte ernst sind - Sie haben sie ja offensichtlich begriffen, Herr Hilsberg - und Ihnen der
Mittelstand wirklich am Herzen liegt,
({13})
so lade ich Sie ein, den vorliegenden Antrag zum Ausbau der Förderung der beruflichen Aufstiegsfortbildung
mitzutragen,
({14})
ihn bei Bedarf in den kommenden Ausschußberatungen
gemeinsam mit uns zu erweitern, um ihn schließlich
zum Wohle vieler junger und tatkräftiger Menschen Gesetz werden zu lassen.
Ich danke Ihnen allen für Ihre wohltuende, lebendige
und feurige Aufmerksamkeit.
({15})
Ich gebe das Wort
dem Parlamentarischen Staatssekretär bei der Bundesministerin für Bildung und Forschung, Wolf-Michael
Catenhusen.
Wolf-Michael Catenhusen Parl. Staatsekretär bei
der Bundesministerin für Bildung und Forschung: Herr
Präsident! Meine Damen und Herren! Kein Zweifel: Wir
brauchen in Deutschland, auch unter jungen Menschen,
Bereitschaft zur Leistung, Bereitschaft zur Weiterqualifizierung und zur Vorbereitung auf Selbständigkeit und
Existenzgründungen. Das ist auch eines der Grundanliegen dieser Koalition.
({0})
Die Einführung einer Aufstiegsfortbildungsförderung
im Jahr 1996 war bildungspolitisch überfällig - von der
Wirtschaft, vom Bundesrat und der damaligen Opposition lange verlangt. Denn es ging ja im Kern darum, einen
alten Fehler von 1993 zu korrigieren,
({1})
mit dem die damalige Regierung das Meister-BAföG
aus dem Arbeitsförderungsgesetz herausbefördert hatte.
Es ist noch kein Jahr her, da verkündete Jürgen Rüttgers, damals verantwortlicher Ressortminister, großspurig - ich zitiere -: „Meister-BAföG auf dem Erfolgskurs“ und sprach von „Erfolgsstory“.
({2})
Wenn man den heute vorliegenden Antrag der
CDU/CSU liest, dann stellt man fest, daß der Opposition
dieser Anfall von Großspurigkeit und Schönfärberei offenkundig zumindest partiell vergangen ist. Sie gehen in
Ihrem Antrag mit gespaltenem Bewußtsein vor, indem
Sie das Problem im ersten Teil schönreden und im Anschluß daran überraschenderweise einen langen Katalog
von Mängeln, die Sie beheben wollen, vorlegen. Angesichts dessen bekommt man eine Ahnung davon, daß Ihre kräftige Aussage, Herr Lensing, dieses Instrument habe sich als - ich zitiere Sie - „überaus effizientes Mittel“
erwiesen, nicht ganz stimmen kann.
({3})
Ich knüpfe an die von Ihnen aufgestellten Anforderungen an: Wie sind die Fakten? Was ist die Meßlatte
für den Erfolg des Gesetzes? Ich denke, das Fairste und
Objektivste ist, Herr Lensing, in den Antrag der damaligen Regierung hineinzuschauen und sich in Erinnerung
zu rufen, was die damalige Koalition 1996 selbst als
Meßlatte gewählt hat. Da heißt es, man habe sich zum
Ziel gesetzt, 90 000 förderungsfähige Teilnehmer an
Aufstiegsfortbildungen mit dem AFBG zu erreichen. In
diesem Sinne hatten Sie zunächst auch Ihre finanziellen
Dispositionen getroffen. Man muß nur sagen, daß diese
Erwartung in keiner Weise erfüllt worden ist.
Im Jahre 1996 wurden etwa 29 000, 1997 knapp unter
50 000 und 1998 etwa 60 000 Fortbildungswillige gefördert. Wie Sie auf 70 000 für beide Jahre kommen,
weiß ich nicht. Vielleicht haben Sie die Zahlen in einer
etwas ungewöhnlichen Weise addiert. Die Zahl, die in
Ihrem Antrag steht, ist falsch.
Auch im dritten Jahr nach dem Inkrafttreten des
AFBG wurden also nur maximal zwei Drittel von dem
erreicht, was Sie sich in Regierungszeiten selbst als
Zielgröße vorgegeben hatten. Wenn ich Ihre damaligen
Erwartungen ernst nehme, dann kann ich nur sagen: unzureichend, Ziel verfehlt.
({4})
Ich möchte noch einen weiteren Gedanken vortragen.
Auch Ihre damaligen Schätzungen zum Finanzbedarf,
die Sie uns hier im Bundestag vorgelegt haben, waren
wohl grotesk überzogen; denn Sie erwarteten einen Bedarf an Bundesmitteln von 127 Millionen DM im Jahr
1996 und von 185 Millionen DM im Jahr 1997 und waren davon ausgegangen, daß im abgelaufenen Jahr 234
Millionen DM vom Bund zu verausgaben seien. Wir wären übrigens froh gewesen, wenn das eingetreten wäre.
Tatsächlich abgeflossen sind 1996 aber nur fast 14 Millionen DM, 1997 nur 50 Millionen DM und im vergangenen Jahr nur knapp 56 Millionen. Das ist ein groteskes
Auseinanderklaffen: Sie hatten erwartet, daß 234 Millionen DM abfließen; tatsächlich waren es aber nur
56 Millionen DM. Das hat auch dazu geführt, Herr Lensing, daß Sie selbst schon für die Jahre 1997 und 1998
die Mittel, die im Haushalt eingestellt waren, abgesenkt
haben.
Herr Kollege, gestatten Sie dem Kollegen Lensing eine Zwischenfrage?
Ich
führe den Gedanken noch zu Ende. - Daher müssen Sie
sich, glaube ich, anders mit der Tatsache auseinandersetzen, warum die Bundesregierung im Haushaltsansatz für 1999 die Mittel auf 100 Millionen DM abgesenkt hat. Angesichts von verausgabten 56,2 Millionen
DM war die Erwartung einer Verdoppelung der Mittel
immer noch sehr kühn. Daß der Haushaltsausschuß in
seiner Weisheit gesagt hat, es könne davon ausgegangen
werden, daß schon ein 60prozentiger Zuwachs der Mittel in diesem Jahr ungewöhnlich wäre, ist die reale
Grundlage für die von Ihnen beschworene Kürzungsaktion. Der wahre Hintergrund ist, daß Ihre Erwartungen
in keiner Weise eingetroffen sind. Wir sind natürlich
über jeden froh, der da mitgemacht hat. Aber die Meßlatte ist eine andere. - Kollege Lensing.
({0})
Herr Staatssekretär
Catenhusen, können wir uns zunächst einmal darauf verständigen, daß natürlich jeder seine eigenen Berechnungsdaten hat. Ich bin gern bereit, in der nächsten Ausschußsitzung die Daten, die ich genannt habe, im einzelnen zu verifizieren. Das hier ist, glaube ich, nicht der
richtige Raum dafür, zumal ich dann keine Frage stellen
kann.
Sind Sie mit mir der Auffassung - ich denke, Sie sind
es -,
({0})
daß Sie seinerzeit in keiner Weise das Meister-BAföG
gewünscht haben, weil Sie die Fortsetzung des von
Ihnen schon angesprochenen AFG favorisiert haben,
wobei der große Nachteil beim AFG darin liegt, daß es
sich hierbei nie um eine Maßnahme handelte, bei der der
Antragsteller einen gesetzlichen Anspruch hatte, berücksichtigt zu werden?
Können wir uns auch darauf verständigen, daß der
lange Anlauf für die Akzeptanz der Maßnahmen auch
darin begründet lag, daß es damals einige Regierungen
- nicht meiner Couleur - lange versäumt hatten, rechtzeitig die entsprechenden Landesbehörden einzurichten,
so daß bei uns der Eindruck entstand, man wünschte die
ganze Sache nicht, die im übrigen ohnehin nur noch
durch Vermittlung von Herrn Schröder über die Bühne
gegangen ist?
({1})
Kollege Lensing, ich glaube, der Sachverhalt, den ich gerade beschrieben habe, wird durch Ihre Zusatzfrage auch
nicht positiver, im Gegenteil.
Sie kennen die Geschichte des Gesetzes genau so gut
wie ich und wissen, daß es, als sich die damalige Regierung entschieden hatte, den Weg über dieses Gesetz zu
gehen, ungeachtet der grundsätzlichen Frage, welchen
Weg man geht, zu einer sehr konstruktiven Zusammenarbeit gekommen ist.
Ich muß Sie auf eins hinweisen: Es hat damals eine
Stellungnahme des Bundesrates gegeben, mit der Erwartung, daß man ins Vermittlungsverfahren gehe.
Wenn Sie die Mängelliste und die Erweiterungsliste, die
der Bundesrat damals formuliert hat, einmal nachlesen,
dann werden Sie merken, daß das, was Sie nach der
Wahl als Mängel entdeckt haben, der Bundesrat schon
damals in großer Weitsicht vorhergesagt hat.
Ich will deutlich sagen, daß es hier eine bedauerliche
Entwicklung bei den Antragszahlen gibt, hinter der sich
strukturelle Schieflagen des jetzigen Gesetzes verbergen. Wir führen heute die Diskussion über die Frage:
Brauchen wir ein besseres Aufstiegsfortbildungsförderungsgesetz? Es geht um nichts anderes.
({0})
Gestatten Sie noch
eine Zwischenfrage, Kollege Catenhusen?
Ich
weiß, daß Münsterländer hartnäckig sind. Auch ich
komme aus Münster. - Bitte, Kollege Lensing.
Dann werden Sie erst
recht Verständnis für meine Frage haben und mit einem
klaren Ja antworten. - Können Sie zugeben, daß wir die
Verbesserungsvorschläge, die wir heute eingebracht haben, schon zu der Zeit, als wir noch die Regierung stellten, folgerichtig in der Form eingebracht haben, daß wir
in unserem Haushaltsansatz für 1999 eine deutliche
Verbesserung vorgenommen haben?
Herr
Lensing, jetzt werden wieder Legenden gestrickt. Ich bin
jetzt nicht wild entschlossen, mit Ihnen über Ihre Wahlkampflegenden zu diskutieren, mit denen Sie bis zum
Wahltag versucht haben, die Blößen des Gesetzes zu
verschleiern.
({0})
Vielmehr möchte ich mich mit den realen Verhältnissen
auseinandersetzen. So hat im Jahre 1998, als Sie im
Wahlkampf durch das Land gezogen sind, das krasse
Mißverhältnis weiterbestanden. Vor allem ist es zwischen 1997 und 1998 zu keinem weiteren Anstieg der
Zahl der Geförderten gekommen. Das ist die Wahrheit,
mit der wir uns auseinandersetzen müssen, aber nicht
mit den Wahlkampfaussagen vergangener Regierungen.
Entschuldigen Sie bitte!
({1})
Zur Schieflage: Es geht zum einen darum, daß das
Gesetz auf alle Arten von Fortbildung abzielte, die ein
spezifisches Qualifikationsniveau als Voraussetzung für
einen beruflichen Aufstieg verbriefte. Die Konditionen
des Gesetzes haben sich aber offenkundig auf einen
ganz bestimmten spezifischen Sektor konzentriert; denn
mehr als zwei Drittel der Geförderten absolvierten 1997
eine Fortbildung im Handwerksbereich, etwas mehr als
ein Fünftel eine Fortbildung nach dem Berufsbildungsgesetz und der Rest eine vergleichbare nach Bundesoder Landesrecht.
Natürlich ist das Handwerk mit seiner mittelständischen Struktur und seiner Ausbildungsleistung im Rahmen der beruflichen Erstausbildung und seinem starken
Anteil am deutschen Bruttoinlandsprodukt ein wesentliches Standbein unserer Wirtschaftsstruktur. Aber die
Intention muß sein, daß sich dieses Gesetz in seiner
Zielrichtung auf alle Bereiche unserer Wirtschaft erstreckt. Überall werden hochqualifizierte Fach- und Führungskräfte benötigt. Diesen Zielsetzungen wird das Gesetz bisher nur unzureichend gerecht.
Ich denke, es ist auch richtig - Sie weisen in einem
Akt tätiger Reue darauf hin -, daß das Gesetz in seiner
gegenwärtigen Fassung offenkundig nicht familienfreundlich ist. Denn von denjenigen, die die Fortbildungskurse in Vollzeitform absolvierten, hatten 1997
fast 14 Prozent Kinder, und sie waren vermutlich sehr
häufig überwiegend auf die Unterstützung im Rahmen
des AFBG angewiesen.
Das Statistische Bundesamt hat für das Jahr 1997
einen durchschnittlichen Förderungsbeitrag bei diesen
anspruchsberechtigten Fortbildungsteilnehmern pro Monat von 286 DM Zuschuß zum Unterhalt, 741 DM Unterhaltsdarlehen und 194 DM Kinderbetreuungszuschuß
errechnet. Das könnte man vordergründig auf 1 221 DM
pro Monat pro Familie zusammenrechnen. Dann wird,
glaube ich, klar, wie bescheiden Familien während der
Fortbildungszeiten mit einer solchen Liquiditätshilfe
haushalten müssen. Hier gibt es ein strukturelles Defizit;
Sie haben das in dem Antrag offenkundig erkannt.
Zu den Ungereimtheiten dieses Gesetzes gehört es
auch, daß es ein schreiendes Mißverhältnis zwischen
folgenden Sachverhalten gibt: Zwei Drittel der Geförderten, die ihre Aufstiegsfortbildung in der Vollzeitform
absolvieren, haben einen Anspruch auf die Finanzierung
des Lebensunterhalts, zum Teil als Zuschuß, zum Teil
als Darlehen. Das Drittel der Geförderten, das seine
Aufstiegsfortbildung in der Teilzeitform neben dem Beruf organisiert, hat dagegen nur einen Anspruch auf
Darlehen zur Finanzierung der Fortbildungsmaßnahme.
Das benachteiligt vor allem Frauen, die in besonderer
Weise auf Teilzeitmöglichkeiten zur Fortbildung angewiesen sind.
({2})
Ich will nur kurz auf etwas eingehen, was der Kollege
Lange sicherlich noch vertiefen wird. Sie sagen heute
unverdrossen, daß das AFBG ein wirksames Mittel darstelle, um Menschen den Weg zur Betriebsgründung zu
erleichtern. Wir würden uns sehr freuen, wenn wir heute
de facto an Hand der Erfahrungen des Gesetzes zu diesem Ergebnis kommen würden.
({3})
Nur müssen wir uns doch damit auseinandersetzen, daß
die Zahl der Teilnehmerinnen und Teilnehmer an Meisterprüfungen seit 1993 ungeachtet dieses Gesetzes
insgesamt rückläufig ist. Ich denke, wir müssen an die
Fragen, wie wir die Bedingungen für die Ablegung von
Meisterprüfungen und wie wir die Motivation dafür verbessern, sehr viel umfassender herangehen.
Es gibt aber eine Förderrealität, die Sie - ich nenne
das einmal so - nur sehr zart angedeutet haben: Durch
die Deutsche Ausgleichsbank wurden bis zum 30. September 1998 insgesamt 58 600 Darlehensverträge im
Rahmen des AFBG abgeschlossen. Bis zum gleichen
Datum sind aber auf Grund von Existenzgründungen nur
98 Darlehenserlasse erfolgt. Sie können jetzt natürlich
sagen, das komme alles noch; aber das Zahlenverhältnis
fällt schon auf. Vor allem fällt auf, daß 60 Prozent der
eingereichten Anträge abgelehnt worden sind. Die Rahmenbedingungen für Existenzgründer in diesem Gesetz
stimmen offenkundig hinten und vorne nicht.
({4})
Demgegenüber kann man loben, daß der Gesetzesvollzug gut funktioniert. Da Sie sich nun wieder in der
altbekannten Masche der früheren Regierung am BundLänder-Verhältnis abarbeiten wollen, sage ich Ihnen,
daß wir anders vorgehen werden. Bei diesem Thema
muß man einmal deutlich sagen, daß sich das Zusammenwirken mit den Ländern und die Durchführung des
Gesetzes durch die Länder gut eingespielt haben und
daß auch die Zusammenarbeit zwischen den durchführenden Stellen der Länder, der Deutschen Ausgleichsbank, unserem Hause und dem Wirtschaftsministerium
weitgehend reibungslos und konstruktiv abläuft. Es ist
völlig klar, daß wir dabei die Rolle der Kammern würdigen müssen. Denn diese geben nach unseren Erfahrungen den Interessenten sehr gute Hinweise und eine
gute Beratung bezüglich der Möglichkeiten zur Förderung nach dem AFBG. In Nordrhein-Westfalen sind sie
sogar vielfach bei dem Ausfüllen der Förderanträge behilflich, was von den Fortbildungswilligen als außerordentlich hilfreich geschätzt wird.
({5})
Zur Frage der unbürokratischen Verfahren und der
bürokratischen Mängel. Es ist gut, daß Sie - wie Ihr
Antrag zeigt - zu begreifen beginnen, daß die Praxis in
den letzten Jahren offenkundige Mängel aufwies, die
man übrigens ohne Gesetzgebung beheben kann. Deshalb werden wir jetzt schon die Vereinfachung der
Formblätter, eine Bestimmung über die Ausreichung der
Darlehensdokumente in einem Zug mit der Bewilligungsbescheinigung und etwas flexiblere Bewilligungszeiten in Angriff nehmen. Wir werden nicht das Gesetzgebungsverfahren abwarten.
({6})
Die Tatsache, daß Sie das ganze Wahljahr damit verbracht haben, Ankündigungen zu machen, anstatt die
praktischen Dinge, die man aus dem Stand hätte regeln
können, anzupacken, spricht für sich.
Kollege Hinsken.
Bitte schön.
({0})
- Es ist ja gut, wenn Sie mir ein bißchen Arbeit abnehmen - also einverstanden. Es ist auch schwer, bei Ihnen
dazwischenzukommen. Das muß ich einmal sagen.
Das
kann ja manchmal auch Absicht sein.
Herr Kollege Hinsken.
Ich glaube, es führt uns
nicht weiter, wenn wir darüber diskutieren, ob jemand
beim Ausfüllen der Formulare behilflich sein soll oder
nicht. Wir müssen uns doch gerade in dieser Debatte die
grundsätzliche Frage stellen, warum nicht mehr von dem
Angebot des Meister-BAföG Gebrauch machen.
({0})
Deshalb frage ich Sie: Finden Sie es richtig, wenn der
ursprünglich ausgewiesene Betrag nicht erhöht - womit
die Konditionen verbessert würden -, sondern um 20
Millionen DM gesenkt wird? Das paßt doch nicht zusammen.
({1})
Machen wir uns doch im Sinne derjenigen, die das benötigen, gemeinsam daran, das Programm attraktiver zu
gestalten, so daß die Gelder auf dem freien Kreditmarkt
nicht billiger als momentan über dieses Programm zu
bekommen sind! An dieser Stelle können Sie ansetzen.
Sind Sie bereit, in diese Richtung zu marschieren? Was
tun Sie dafür?
Kollege Hinsken, es ist schön, daß Sie mir das Stichwort für
den letzten Teil meiner Rede geben. Zu den Zahlen
möchte ich aber schon noch einmal etwas sagen. Ich
schätze Sie als sehr sachkundigen Teilnehmer an der
Diskussion über die Zukunft der beruflichen Bildung,
aber verstehen Sie doch: Wenn im letzten Jahr 56 Millionen DM abgeflossen sind, dann ist es doch verständlich, daß eine Bundesregierung sagt - immerhin handelt
es sich um ein Leistungsgesetz -, mit einer Verdoppelung der Ausgaben zu rechnen sei unter den gegenwärtigen Bedingungen schon sehr kühn, und daß der Haushaltsausschuß sagt, 60 oder 55 Prozent Wachstum seien
auch sehr ordentlich. Als sehr erfahrener Parlamentarier
sage ich Ihnen: Sie beschließen erst die Veränderung der
Leistungsgesetze und passen dann den Haushalt an den
Reformbedarf an. Diesen Weg werden wir natürlich
auch gehen. Darüber werde ich in dem Restteil meiner
Rede sprechen.
Meine Damen und Herren, es ist Aufgabe und Zielsetzung der Bundesregierung und dieser Koalition, mit
einem erneuerten AFBG die Gleichwertigkeit von beruflicher und allgemeiner Bildung zu stärken. Wir wollen die Gleichwertigkeit von beruflicher Bildung und
allgemeiner Bildung durch die Förderung der beruflichen Aufstiegsförderung einen Schritt voranbringen.
Deshalb bereiten wir den vom Bundestag angeforderten
Bericht über die Erfahrungen mit dem AFBG vor.
Das wissen Sie alles. Der Entwurf dieses Berichtes wird
in den nächsten Wochen in den Ressorts der Bundesregierung abgestimmt werden. Nach gründlicher Erörterung des Erfahrungsberichtes im Kabinett werden wir
dem Parlament Veränderungen des Aufstiegsfortbildungsrechts im sachlichen und zeitlichen Zusammenhang mit der Reform des BAföG und in genauerer
Kenntnis des Finanzbedarfs vorschlagen. Wir haben dabei durchaus den Ehrgeiz, Fehler und Pannen, die der
heutigen Opposition bei ihrer Arbeit am AFBG passiert
sind, im Rahmen des parlamentarischen Verfahrens
nicht zu wiederholen.
Ihren Antrag, eine Notoperation an dem Gesetz aus
dem Stand politaktionistisch einzufordern, verstehe ich
als einen Versuch tätiger Reue. Sie wollen Ihrer Klientel
dokumentieren - wie das der amerikanische Präsident
Ford auch einmal getan hat -: Wir haben gelernt. - Das
ist in Ordnung. Wenn wir daraus Ihre Bereitschaft ableiten können, im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens
am Ausbügeln der von Ihnen zu verantwortenden Fehler
konstruktiv mitzuwirken, dann werden wir auf das Angebot zurückkommen.
Ich möchte einige Stichworte nennen, von denen wir
uns bei der Novellierung des Gesetzes leiten lassen werden: Wir werden uns natürlich auf eine Annäherung an
eine wirkliche Gleichwertigkeit von allgemeiner und beruflicher Bildung auch in förderungsrechtlicher Hinsicht
konzentrieren. Die Familienkomponente des AFBG bedarf einer Prüfung; denn die Lebenssituation der durch
dieses Gesetz Geförderten ist oft eine andere als die von
Studierenden. Wir wollen auch mehr Chancen auf eine
Aufstiegsfortbildung und auf die damit verbundene Förderung einräumen. Wir werden den Verfahrens- und
Verwaltungsaufwand weiterhin reduzieren. Schließlich
werden wir auch darüber entscheiden, inwieweit man
Existenzgründern, die Arbeitsplätze wirklich schnell
schaffen wollen und die als Voraussetzung für ihre Existenzgründung eine förderungsfähige Aufstiegsfortbildung absolvieren, verbesserte Konditionen einräumen
kann, insbesondere bei der Rückzahlung der gewährten
Mittel, nachdem sie den erhofften Schritt in die Selbständigkeit getan haben.
Sie merken, Ihrer Anstrengung, mit Hilfe dieses Gesetzentwurfes eine Diskussion loszutreten, bedarf es
nicht. Wir werden in absehbarer Zeit den Erfahrungsbericht über das AFBG im Bundestag vorliegen haben. Ich
erwarte dann von Ihnen, daß Sie die Chance nutzen,
Ihren Antrag in Kenntnis aller Fakten zu überarbeiten.
Schönen Dank.
({0})
Das Wort für die
F.D.P.-Fraktion hat die Kollegin Cornelia Pieper.
Herr Präsident! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter Herr Staatssekretär Catenhusen, Sie sprachen in Ihrer Rede von der
Motivation, die Sie jungen Menschen, die ein Handwerk
ausüben und eine Meisterprüfung ablegen wollen, vermitteln möchten. Aber ich habe, als ich Ihre Rede gehört
habe, den Eindruck gehabt, daß Ihre Begeisterung für
dieses Thema nicht sehr groß war. Deshalb kann ich mir
schlecht vorstellen, wie Sie junge Menschen motivieren
wollen, sich auf das Meister-BAföG einzulassen und
eine Meisterprüfung abzulegen.
({0})
Unser Land braucht eine Kultur der Selbständigkeit. Nicht nur das Studium, sondern auch das Erlernen
eines Berufes mit einem Meisterabschluß und mit dem
Ziel, den Weg in die Selbständigkeit zu wagen, muß
attraktiver gemacht werden.
({1})
Viel zu wenige junge Menschen erkennen heute die
Chance, die sich mit einer selbständigen Existenz bietet.
Frauen und Männer, die mit hohem persönlichen Engagement ein Unternehmen gründen, haben bei weitem
nicht die gesellschaftliche Akzeptanz, die sie verdienen.
({2})
Die meisten jungen Menschen, die im Rahmen der mir
bekannten Untersuchungen befragt wurden, halten eine
berufliche Karriere im öffentlichen Dienst noch immer
für erstrebenswerter, als sich selbständig zu machen und
ein eigenes Unternehmen zu gründen.
In der vergangenen Legislaturperiode hat die Bundesregierung per Gesetz im Januar 1996 das MeisterBAföG für berufliche Aufstiegsfortbildung sowie für
einen Teil des Lebensunterhalts erfolgreich auf den Weg
gebracht. Ich möchte mich hier nicht über die Zahlen
streiten. Ich glaube, darum kann es in der Tat nicht gehen. Allein die Tatsache, daß durch den Ausbau der
Förderung der beruflichen Aufstiegsfortbildung Existenzgründungen und damit Arbeits- und Ausbildungsplätze auf den Weg gebracht werden, zwingt uns zum
Handeln.
({3})
Deshalb unterstützt die F.D.P. das Vorhaben der
Union, die Aufstiegsfortbildung im Parlament und in
den entsprechenden Ausschüssen überhaupt zum Thema
zu machen. Das ist immerhin besser als die vollmundigen Ankündigungen der rotgrünen Bundesregierung zur
grundlegenden Strukturreform der Bildungsförderung in Deutschland. Aber dem vorliegenden Antrag,
dem wir durchaus unsere Zustimmung geben können,
fehlt der zeitliche Horizont. Was für das BAföG gilt, gilt
auch für das Aufstiegsfortbildungsförderungsgesetz. Wir
brauchen eine grundlegende Reform der Struktur der
Bildungsfinanzierung in Deutschland und damit ein
grundlegend neustrukturiertes Bundesausbildungsförderungsgesetz, in dem die Gleichwertigkeit von allgemeiner und beruflicher Bildung festgeschrieben wird.
({4})
Mit welchen Zielen sind wir damals angetreten? Welche Leitlinien zeigte die F.D.P. in einer Diskussion in
der letzten Legislaturperiode auf? Die F.D.P. wollte damals schon einen Beitrag zur Gleichwertigkeit von beruflicher und allgemeiner Bildung unter förderungsrechtlichen Aspekten leisten.
({5})
Sie können das leugnen, wie Sie wollen, die Erfolge, die
die alte Koalition erzielt hatte, können Sie nicht niederreden.
({6})
Die F.D.P. wollte damals schon eine Steigerung der
Attraktivität der beruflichen Fortbildung und der Fortbildungsmotivationen des Fachkräftenachwuchses. Wir
wollten eine Sicherung des Wirtschaftsstandortes
Deutschland durch Förderung von Existenzgründungen
und Betriebsübernahmen.
({7})
- Ich finde es langsam schon anmaßend, daß Sie sich
solche Zwischenrufe leisten, wenn es um Ausbildungsund Arbeitsplätze für junge Menschen geht. Ich kann
das in den Debatten nicht nachvollziehen.
({8})
Wir wollten zusätzliche Arbeits- und Ausbildungsplätze in neu gegründeten Unternehmen schaffen. Deshalb haben wir die Diskussion angestoßen. Ebenso
wollten wir die berufliche Aufstiegsfortbildung sozial
flankieren. Das Meister-BAföG war ein guter Anfang,
doch wenn wir es zu einer wirklichen Erfolgsstory werden lassen wollen, dann ist die Zeit reif, die Förderung
weiterzuentwickeln.
Im übrigen war es gerade Bundeskanzler Schröder,
der damalige Ministerpräsident des Landes Niedersachsen, der feststellte, daß die vorgesehenen Maßnahmen
des Meister-BAföG deutlich hinter dem sachlichen Gebot zurückblieben.
({9})
War er es nicht, der im Bundesrat die verzinslichen
Bankdarlehen zur Finanzierung der Lehrgangs- und Prüfungsgebühren für unangemessen hielt? War er es nicht,
der die Bemessung der Unterhaltsbeiträge am Arbeitsförderungsgesetz orientieren wollte und darüber hinaus
jeweils zur Hälfte Zuschußzahlungen und zinsfreie
Darlehen direkt aus öffentlichen Mitteln forderte?
Von den anderen Forderungen möchte ich jetzt nicht
sprechen, weil die Genossen sie sicherlich unter dem
Druck ihrer Regierungsverantwortung als nicht mehr
zeitgemäß einstufen würden. Ja, meine Damen und Herren von der Regierungskoalition, wir kennen das: Das
Machbare hängt immer von der Finanzierbarkeit ab.
Wichtig ist, über dieses Thema zu diskutieren, und
dieses Tor haben wir aufgestoßen. Bei der Förderung der
Ausbildung von qualifizierten Fach- und Führungskräften im mittleren Managementbereich zur Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft
sind wir uns einig. Sie ist sozusagen eine Zukunftsinvestition und vor dem Hintergrund des „Bündnisses für
Arbeit“ auch eine unabdingbare Voraussetzung dafür,
daß der anstehende Generationswechsel im Handwerk
und in vielen kleinen und mittleren Betrieben erfolgreich
bewältigt werden kann. Somit ist es auch eine Zukunftsinvestition zur Sicherung vorhandener und zur
Schaffung neuer Arbeitsplätze.
Ich kenne auch die Kritik der Kolleginnen und Kollegen von den Grünen bezüglich der Streichung des Meister-BAföG aus dem Arbeitsförderungsgesetz ebenso
wie ihre Kritik am bestehenden beruflichen Aufstiegsfortbildungsförderungsgesetz. Aber auch Sie wollen
- Sie haben das öffentlich kundgetan - angeblich im
Rahmen eines Bündnisses für Bildung eine umfassende
Reform der Ausbildungsförderung in Angriff nehmen.
Eine Diskussion zum Arbeitsförderungsgesetz
möchte ich hier nicht unbedingt neu beginnen, aber
eines möchte ich feststellen: Die AFG-Förderung war
eine Leistung der Arbeitslosenversicherung und war an
die Voraussetzung einer mindestens zweijährigen beitragspflichtigen Beschäftigungszeit geknüpft und hatte
sozusagen eine Art Lohnersatzfunktion.
Die Finanzierung der AFG-Förderung hing stark von
konjunkturellen Entwicklungen ab. In Zeiten hoher Arbeitslosigkeit wurde die Förderung der beruflichen Fortbildung, wenn es sich nicht gerade um Wiedereingliederungmaßnahmen von Arbeitslosen handelte, immer wieder zusammengestrichen.
Ein aus Steuermitteln finanziertes Aufstiegsfortbildungsgesetz, das einen Rechtsanspruch begründet, ist
meines Erachtens der richtige Weg. Auch die Berechnungsgrundlagen des Unterhaltsgeldes nach dem AFG
waren geeignet, die berufliche Aufstiegsfortbildung vor
dem Hintergrund der Gleichheit von beruflicher und allgemeiner Bildung zu sehen.
Das Herangehen der Kollegen von der Union bei der
Erarbeitung Ihres Antrags und der Formulierung Ihrer
Forderungen läßt mich allerdings wieder zu der Feststellung kommen, daß bis zum Sommer der Entwurf
eines einheitlichen Bundesausbildungsförderungsgesetzes auf den Tisch gelegt werden muß. Zu nahe stehen
Aufstiegsfortbildungsförderungsgesetz und Bundesausbildungsförderungsgesetz beieinander, als daß wir heute
die uns gegebene Chance wieder einmal verpassen
dürften.
({10})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Zentralverband
des Deutschen Handwerks hat sich wie folgt geäußert:
Im Hinblick auf rund 200 000 Handwerksbetriebe,
die in den nächsten Jahren zur Übernahme anstehen, muß insbesondere die Existenzgründungskomponente des Gesetzes praxisnäher ausgestaltet
werden.
Das wollen auch wir. Der Zentralverband forderte ebenfalls, daß bei Existenzgründungen und Übernahmen verstärkt Darlehen erlassen und bei späteren Existenzgründungsdarlehen Zinsvergünstigungen gewährt werden.
Das ist unterstützungswürdig.
Ferner sollte das Antrags- und Bewilligungsverfahren
auf das unbedingt notwendige Maß an Bürokratie beschränkt werden. Dieses Thema treibt die F.D.P. ziemlich stark um. Ich frage mich, warum man bei der Beantragung von Meister-BAföG 20 Seiten ausfüllen muß.
Das halte ich für durchaus korrigierbar. Über dieses
Thema sollten wir uns verständigen.
Herr Kollege Lensing von der Union, wir freuen uns
mit Ihnen auf die Beratung im Ausschuß
({11})
und hoffen auf weitere interessante Gespräche.
Vielen Dank.
({12})
Das Wort für Bündnis 90/Die Grünen hat die Kollegin Margareta Wolf.
Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen
und Kollegen! Sehr geehrte Frau Pieper, ich finde es gut,
daß Sie für eine grundlegende Reform des Bildungssystems einstehen. Ich finde es auch gut, daß Sie, nachdem
Sie jetzt fünf Monate in der Opposition sind, sich für
eine grundlegende Förderung von Existenzgründungen
aussprechen.
Ziel der Politik der Koalition ist es, Existenzgründungen zu erleichtern und die Innovationskraft des Handwerks zu stärken,
({0})
um so mehr Arbeitsplätze beim Handwerk zu schaffen.
Das ist eine wirtschaftspolitische, eine gesellschaftspolitische und eine arbeitsmarktpolitische Herausforderung.
({1})
- Ich habe den Eindruck, daß Sie es zum System machen, ständig dazwischenzuquatschen. Wenn Sie sich
langweilen, dann gehen Sie doch hinaus. Sie können
auch eine Zwischenfrage stellen.
({2})
Meine Damen und Herren, uns geht es darum, die
Voraussetzung dafür zu schaffen, daß Menschen selbständig und eigenverantwortlich zentrale wirtschaftliche
Aufgaben übernehmen. Es ist für uns eine Herausforderung, wenn die OECD festgestellt hat, daß es in
Deutschland ein Defizit von 500 000 Existenzgründern
und Selbständigen gibt. Geht man pro selbständigen
Unternehmer von einer durchschnittlichen BeschäftigCornelia Pieper
tenzahl von drei aus, so ist mehr Selbständigkeit auch
die Voraussetzung für mehr Beschäftigung in Deutschland.
Besonders in bezug auf das von Ihnen, Herr Lensing,
und auch vom ZDH angesprochene Problem des anstehenden Generationenwechsels - es ist die Rede von
200 000 Betrieben - ist es dringend erforderlich, zu Lösungen zu kommen, die mehr Wettbewerb und mehr
Selbständigkeit ermöglichen.
Wirtschaftspolitisch ist es daher geboten, die Fachkräfte aus den Handwerksbetrieben auf die Führung
eines selbständigen Handwerksunternehmens vorzubereiten.
({3})
Es ist notwendig, faire Zugangschancen zum Erwerb des
Meisterbriefes zu schaffen. Diese fairen Chancen müssen für unsere Begriffe zwei Kriterien berücksichtigen:
Es muß erstens um die Bereitstellung einer ausreichenden Zahl von Ausbildungsplätzen gehen, die auf die Prüfung zum sogenannten großen Befähigungsnachweis
vorbereiten; hier sind dringend zusätzliche Anstrengungen bei den Handwerkskammern notwendig.
({4})
Zweitens geht es uns um die staatliche Unterstützung bei
der Übernahme der Kosten.
Das in der letzten Legislaturperiode geschaffene Instrument der Aufstiegsfortbildungsförderung stellt einen
Schritt in die richtige Richtung dar. Wir finden es gut,
daß auch Sie, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen
von der CDU/CSU, erkannt haben, daß es hier Nachbesserungsbedarf gibt. Ich greife auf, was vorhin jemand
aus Ihren Reihen sagte: „Wir haben verstanden.“
Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Scherhag?
Ja.
({0})
Frau Kollegin
Wolf, ich kann mich noch erinnern, daß Sie in der letzten Legislaturperiode nicht bereit waren, die Novellierung der Handwerksordnung gemeinsam mit der SPD,
der F.D.P. und uns zu verabschieden. Sie waren damals
gegen die Meisterprüfung und sagten, daß man eigentlich keine Meisterprüfung brauche. Nachdem Sie nun in
die Regierung eingetreten sind, frage ich Sie: Hat sich
Ihre Meinung in diesem Punkt geändert, oder wie soll
ich das verstehen, was Sie gerade ausgeführt haben?
Herr Kollege Scherhag, das ist eigentlich
eine klassische Frage, wie ich sie immer von Herrn
Hinsken erwarte. Er ist im Moment nicht anwesend. Gedulden Sie sich bitte etwas. Ich komme selbstredend
noch zu diesem Punkt, und dann können wir uns darüber
weiterunterhalten.
Herr Catenhusen hat darauf hingewiesen, daß der
Bundestag in der letzten Legislaturperiode einen Erfahrungsbericht in Auftrag gegeben hat, der jetzt fertiggestellt wird, in die Ressortabstimmung geht und mit den
Ländern diskutiert werden wird. Ich fände es gut - das
hat aber auch schon Herr Catenhusen gesagt -, wenn wir
diesen Erfahrungsbericht und die Defizite und die notwendigen Reformen des jetzt noch in Kraft befindlichen
Gesetzes im Wirtschaftsausschuß
({0})
diskutierten und entsprechende Reformen am Gesetz
vornähmen.
Ich glaube - darüber herrscht in diesem Hause ganz
offensichtlich Konsens -, Reformbedarf besteht ganz
zweifelsohne. Die Förderung der Ausbildung zum Meister hat sich als nicht ausreichend praktikabel erwiesen.
Die Zahl der erfolgreich abgelegten Meisterprüfungen
ist in den letzten Jahren - auch das wurde schon angesprochen - immer weiter zurückgegangen. Die Eigenkapitaldecke muß gewährleistet bleiben und darf nicht angeknabbert werden. Das muß im Gesetzentwurf geregelt
werden. Ich glaube auch, daß Rückzahlungen flexibler
gestaltet werden sollten und daß die Berücksichtigung
des Familienstatus - das Leben mit Kindern - Einzug in
das Gesetz finden sollte.
({1})
Ich bin auch der Meinung, daß die derzeitige Verwaltungspraxis bei der Bewilligung des Meister-BAföG offensichtlich zu kompliziert ist. Heute ist es nötig, für
einen Antrag 25 DIN-A4-Seiten auszufüllen. Das ist
Bürokratie, die wir abbauen sollten. Wir sollten transparente und leicht nachvollziehbare Regelungen schaffen.
Eine Förderung von mehr Selbständigkeit im Handwerk
darf nicht an bürokratischen Hürden scheitern.
({2})
Unserer Vermutung nach - das sagen uns auch die
Handwerkskammern - hat die Überregulation im Gesetz
etwas damit zu tun, daß die Förderung zumindest nicht
in dem Umfang, in dem es geplant war, in Anspruch genommen wurde. Aber gerade weil sie nicht in diesem
Ausmaß in Anspruch genommen wurde, haben wir im
Haushalt 1999 eine Korrektur des Ansatzes gegenüber
dem Entwurf der alten Koalition vorgenommen. 1998
- das wurde schon gesagt - sind von den eingestellten
Mitteln lediglich 56,2 Millionen DM in Anspruch genommen worden. In Ihrem Entwurf gingen Sie für das
laufende Haushaltsjahr von 166,7 Millionen DM aus.
Wir haben diesen Ansatz auf 100 Millionen DM zurückgeführt. Damit liegen die zur Verfügung stehenden
Mittel noch immer über denen, die im letzten Jahr in
Anspruch genommen wurden.
Margareta Wolf ({3})
Meine Damen und Herren von der Opposition, in diesem Kontext muß ich Sie etwas fragen: Warum haben
Sie nicht im Wirtschaftsausschuß den heute vorliegenden Antrag vorgelegt? Diese Frage beschäftigt mich. Sie
haben im Wirtschaftsausschuß einen Antrag vorgelegt,
die Mittel im laufenden Haushalt auf 166,6 Millionen
DM zu erhöhen. Ich stelle diese Frage deshalb, weil ich
mich im Kontext der uns bevorstehenden zweiten und
dritten Lesung des Haushalts frage, was für eine Haushaltsstrategie Sie verfolgen. Verfolgen Sie eine Strategie
der Konsolidierung, wie sie die SPD verfolgt - Herr
Faltlhauser spricht sich übrigens sehr für diese Strategie
aus -, oder verfolgen Sie eine Politik des leichten Geldes, die erst einmal Mittel einstellt und sich dann mit
irgendwelchen Reformen beschäftigt?
({4})
- Wir haben einen entsprechenden Antrag im Wirtschaftsausschuß gehabt. Im Ausschuß wurde von einem
Antrag „Strukturelle Innovation des Meister-BAföG“
überhaupt nicht gesprochen.
Sehr geehrte Damen und Herren, mir scheint klar zu
sein, daß mehr Ausbildungsberechtigte und mehr neue
Unternehmen durch die Abschaffung oder die Reduktion
von Ausbildungshemmnissen dem Mangel an Ausbildungsplätzen nachhaltig entgegenwirken könnten. Die
bestehenden Beschränkungen der Ausbildungsberechtigung weisen auf ein großes Potential zur Erhöhung der
Zahl der Ausbildungsberechtigten und damit Selbständigen hin.
50 bis 60 Prozent aller Auszubildenden werden nach
den allgemeinen Regeln des Berufsbildungsgesetzes
ausgebildet. Hier reicht das Facharbeiterniveau als fachliche Voraussetzung für die Ausbildung zum Facharbeiter, aber auch für Selbständigkeit aus.
Für rund 30 bis 40 Prozent der Auszubildenden, die
in Berufen der Anlage A der Handwerksordnung ausgebildet werden, wird jedoch Meisterniveau als fachliche
Voraussetzung für die Berechtigung zur Ausbildung
von Facharbeitern und Selbständigkeit gefordert. Diese
historisch gewachsenen unterschiedlichen fachlichen
Voraussetzungen für Ausbildereignung und Selbständigkeit halte ich weder für zeitgemäß, noch sind sie
meiner Ansicht nach sachlich zu rechtfertigen.
Wenn es noch eines Nachweises bedurft hätte, so belegt der Erfolg des Berufsbildungsgesetzes seit 30 Jahren, daß es völlig ausreicht, wenn der Ausbilder eines
Facharbeiters über Facharbeiterniveau verfügt. In der
Industrie hat es sich bewährt, liebe Kolleginnen und
Kollegen, daß derjenige, der die Ausbildereignungsprüfung abgelegt hat, fachlich qualifiziert ist, diesen Beruf
selbständig auszuüben.
Ich meine, daß es zu einem schnellen Anstieg der
Zahl der Unternehmensgründungen führen würde, wenn
die Ausbildungsberechtigung und Selbständigkeit im
Handwerk nach Ablegen der Gesellenprüfung und der
Ausbildungseignungsprüfung eingeräumt würde. Damit
würde auch dem von Ihnen zu Recht angesprochenen
Problem des Generationenwechsels im Handwerk Rechnung getragen.
({5})
Diese Flexibilisierung halten wir im Interesse einer
Erleichterung der schon angesprochenen Übernahmen,
aber auch im Interesse von mehr Ausbildungsplätzen im
Handwerk für notwendig. Diese Flexibilisierung würde
nicht nur zu mehr Arbeitsplätzen führen. Sie wäre insgesamt belebend für die gesamte Wirtschaftsentwicklung
in diesem Land und würde wichtige Teile der Schwarzarbeit - wir wissen, wenn ein Markt heute wirklich gut
funktioniert und expansiv ist, dann ist es der Schwarzmarkt - in den Bereich der legalen Wirtschaft überführen.
Die Praxis in der Industrie und den nichthandwerklichen Gewerben belegt nicht erst seit der Schaffung des
Berufsbildungsgesetzes vor 30 Jahren, sondern bereits
seit dem 19. Jahrhundert, daß die Ausbildung hochqualifizierter Facharbeiter in ausreichender Zahl möglich ist,
ohne die Freiheit von Betriebsinhabern zu selbständiger
Gewerbeausübung an den Nachweis persönlicher Fachqualifikation zu binden.
Ich möchte Sie daran erinnern, daß wissenschaftliche
Gremien, wie die Monopolkommission, Herr Scherhag,
die Deregulierungskommission, Verbände wie der
DIHT, der BDI, der Bundesverband Junger Unternehmer und die ASU, in den letzten Monaten und Jahren
ständig auf das Problem der Einschränkung der Gewerbefreiheit - Wettbewerb auf dem Markt, Schaffung
von mehr Arbeitsplätzen, von mehr Selbständigkeit und deren Folgen hingewiesen hat. Ich glaube, daß der
von Ihnen, meine verehrten Kolleginnen und Kollegen
der CDU/CSU, beschriebene und auch von mir als besorgniserregend angesehene Mangel an Unternehmen in
Deutschland mehr Ursachen hat als ein nicht wirkungsvolles Meister-BAföG.
({6})
Ich bin sicher, daß vielmehr die Zugangsvoraussetzungen für die Gründung einer selbständigen Existenz in
Deutschland, die im europäischen Vergleich sehr hoch
sind, der Grund für die schwache Selbständigenquote
ist. Um in einem Vollhandwerk selbständig zu sein, ist
nach wie vor die Eintragung in die Handwerksrolle erforderlich, wofür wiederum das erfolgreiche Ablegen
der Meisterprüfung Voraussetzung ist. Fast alle anderen
europäischen Länder begnügen sich mit Zulassungsregeln für die sogenannten gefahrengeneigten Handwerke.
Ich glaube, daß der schwierige Zugang zum Handwerk
nicht nur unter wettbewerblichen Gründen, worauf die
Monopolkommission vor allem hingewiesen hat, bedenklich ist, sondern ich glaube, daß er Existenzgründungen behindert, für die niedrige Selbständigenquote
verantwortlich ist und daß diese hohen Hürden beim
Zugang zum Handwerk die eigentliche Ursache für das
dramatische Problem sind, daß für 200 000 Betriebe im
Handwerk keine Nachfolge vorhanden ist.
Margareta Wolf ({7})
Wir, die Koalition, haben uns vorgenommen, hier für
Erleichterungen zu sorgen. Ich würde mich freuen, wenn
wir auch die Bildungspolitiker an unserer Seite hätten,
die offenbar erkannt haben, daß wir mehr Selbständigkeit und mehr Unternehmen in Deutschland brauchen,
wodurch wir mehr Arbeits- und Ausbildungsplätze bekommen würden.
Danke.
({8})
Ich gebe das Wort
der Abgeordneten Maritta Böttcher von der PDS-Fraktion.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist schon seltsam,
wenn ausgerechnet von denjenigen, die die Förderung
der Aufstiegsfortbildung dorthin gebracht haben, wo sie
heute ist, der Ausbau ihres Meisterstücks beantragt wird.
Deshalb möchte ich einiges in Erinnerung rufen.
Bereits in den Debatten um die Einführung des Meister-BAföG wurde von den Sachverständigen darauf
hingewiesen, daß die von der damaligen Bundesregierung großmundig verkündete Reformtat zur Aufwertung
des beruflichen Bildungsweges sich bei näherem Hinsehen als Rückschritt und Begräbnis der Aufstiegsfortbildung entpuppt.
Mit dem Scheinargument der Angleichung der Weiterbildungsförderung Berufstätiger an die Studienförderung wurde verschleiert, daß es bis 1993 weitaus günstigere Förderungsmöglichkeiten über das AFG gab.
Damals bekam ein Facharbeiter, der sich zum Techniker
fortbilden ließ, etwa ein Drittel der Lehrgangsgebühren
bezahlt. Dazu kam ein Darlehen in Höhe von 58 Prozent
des letzten Nettoverdienstes. Der Betrag war nach einer
zweijährigen tilgungsfreien Zeit innerhalb von siebeneinhalb Jahren zurückzuzahlen. Auch wenn die Fortbildung Schulden mit sich brachte, konnte doch zumindest
der Lebensunterhalt bezahlt werden.
Seit der Abschaffung der Aufstiegsfortbildungsförderung im AFG ging die Zahl der Teilnehmer und Teilnehmerinnen erheblich zurück. Diese Lücke sollte dann
durch ein Reparaturgesetz - mehr war die Einführung
des Meister-BAföG nicht - geschlossen werden. Mit der
Neuregelung laufen die Teilnehmerinnen und Teilnehmer an Maßnahmen mit Vollzeitschule Gefahr, ihre laufenden Ausgaben nicht mehr bestreiten zu können und
unter den Sozialhilfesatz zu fallen. Für Lehrgangs- und
Prüfungsgebühren gibt es keine Zuschüsse, sondern nur
Bankdarlehen. Für die PDS war die Einführung der
privatrechtlichen Regelung des Darlehenteils der entscheidende Grund, das Gesetz in der vorgelegten Form
abzulehnen. Damit wurde ein weiterer Schritt zur Privatisierung der Bildungskosten gegangen, da verzinste
Bankdarlehen voll zu Lasten von Teilnehmerinnen und
Teilnehmern gehen, die nicht über ausreichende Finanzierungsmöglichkeiten verfügen.
Bildungskosten werden individualisiert, so daß
gleichberechtigte Teilhabe für immer weniger Gruppen
möglich wird. Das bedeutet: Das soziale Grundrecht auf
Bildung wird ausgehebelt. Mit genau diesen Effekten in
der Wirkung des Gesetzes haben wir es nun zu tun. Wer
über genügend finanzielle Mittel verfügt, ist nicht auf
den Staat angewiesen, wenn er sich weiterbilden will.
Eben jene, die staatliche Unterstützung brauchen, sollen
sich auf Grund völlig unzureichender Fördersätze auch
noch bei privaten Banken mit allen Risiken der Rückzahlung solcher Darlehen verschulden.
So ist es kaum verwunderlich, wenn zwischen den
Prognosen der alten Bundesregierung und der tatsächlichen Inanspruchnahme des Gesetzes eine erhebliche
Lücke klafft. Das ist eben nicht nur mit den vielzitierten
Anlaufschwierigkeiten, sondern vor allem mit Konstruktionsfehlern des Gesetzes insgesamt zu erklären.
Während des Gesetzgebungsverfahrens war die Bundesregierung davon ausgegangen, daß im Jahresdurchschnitt 90 000 förderungsfähige Teilnehmerinnen und
Teilnehmer in Aufstiegsfortbildungsmaßnahmen zu erwarten seien. Real kamen - die Zahl ist heute schon
einmal genannt worden - in den Jahren 1996 und 1997
nicht einmal 70 000 Personen zusammen. Auf die stolze
Feststellung im CDU/CSU-Antrag, daß in diesem Jahr
möglicherweise der 100 000. angehende Meister seinen
Bewilligungsbescheid erhält, möchte ich mit dem Hinweis antworten, daß wir uns bereits im Jahre 1999 befinden und diese Zahl nach den ursprünglichen Prognosen eigentlich schon 1997 erreicht sein sollte.
Ob sich das Meister-BAföG damit tatsächlich, wie im
Antrag formuliert, als wirksames Mittel erwiesen hat,
um Menschen den Weg zur Betriebsgründung zu erleichtern, ist wohl mehr als zweifelhaft. Leider liegt
auch dem Parlament der von der alten Bundesregierung
zum Herbst 1998 angekündigte Erfahrungsbericht nicht
vor. Der durchschnittliche Unterhaltsbeitrag von 1 009
DM, der 1996 gezahlt wurde und von dem 730 DM als
Darlehen gewährt wurden, wirkte offensichtlich weniger
motivierend als abschreckend auf potentielle Teilnehmerinnen und Teilnehmer.
Noch deutlicher wird das Problem hinsichtlich der
Akzeptanz der Darlehensbestimmungen, des Frauenanteils und der Inanspruchnahme des Kinderbetreuungszuschusses. 1996 lag der Frauenanteil bei 14,6 Prozent.
Lediglich 92 AFBG-Geförderte erhielten einen Zuschuß
zu den Kosten der Kinderbetreuung. Trotz dieser Zahlen sah die damalige Bundesregierung hier keinen
Handlungsbedarf, da ja die Förderbedingungen angeblich die Situation von Frauen durch die Einbeziehung
von Kinderbetreuungskosten ausreichend berücksichtigen. Im vorliegenden Antrag wird nun immerhin eine
Erhöhung auf 250 DM gefordert.
Abgesehen davon, daß die Antragstellerinnen und
Antragsteller alle nun geforderten Verbesserungen schon
lange hätten realisieren können, bleibt die gesetzliche
Regelung auf diesem Gebiet unterm Strich selbst mit
den im Antrag geforderten Verbesserungen ungenügend.
Berufliche Aufstiegsfortbildung ist der zentrale Drehund Angelpunkt für eine tatsächliche Erhöhung der
Margareta Wolf ({0})
Attraktivität beruflicher Bildung. Nur wenn sie in bezug auf Zugangs-, Berufs- und Karrierechancen gleichwertig neben dem Hochschulstudium steht, wird
Gleichwertigkeit vom leeren Versprechen zur Realität.
Die Verknüpfung mit dem BAföG hatte in diesem Zusammenhang auch weniger mit dem Anspruch der
Gleichwertigkeit zu tun, als daß hier Türen zum ZinsBAföG aufgestoßen werden sollten. Am Ende kam keine bessere Förderung der größeren Gruppen von Lernenden und Studierenden heraus, sondern eine schlechtere Förderung für immer weniger Bedürftige. Gleichheit herrscht vor allem hinsichtlich des Risikos, sich für
eine Aus- oder Weiterbildung ordentlich zu verschulden.
Für uns dagegen muß staatliche Förderung von Ausund Weiterbildung zuerst und vor allem zum Ausgleich
von Startunterschieden und zum Abbau von sozialen
Hürden beitragen.
({1})
Das tut dieses Gesetz auf keinen Fall. Wir brauchen eine
sozialstaatlich und auf Chancengleichheit ausgerichtete
Bildungsfinanzierung, und zwar in allen Bildungsbereichen. Darüber sollten wir uns in den einzelnen Ausschüssen und hier im Parlament Klarheit verschaffen.
Dann bekommen wir auch Ergebnisse, die all diesen
Bedingungen allumfassend gerecht werden.
({2})
Für die CDU/CSUFraktion spricht die Kollegin Ilse Aigner.
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Rund
70 Prozent aller Beschäftigten werden auch in Zukunft
eine praxisnahe, in beruflicher Erst- und Weiterbildung
erworbene berufliche Qualifikation benötigen. Gerade
die berufliche Aus- und Weiterbildung wird damit mehr
denn je zu einer wesentlichen Zukunftsaufgabe; ich
glaube, da sind wir uns alle einig. Die berufliche Qualifikation ist in hohem Maße ausschlaggebend für die
Qualität eines Wirtschaftsstandortes, für die Chancen im
Wettbewerb auf dem Weltmarkt und die Anziehungskraft für Investoren. Berufliche Qualifikation muß von
uns noch deutlicher als Standortvorteil erkannt werden.
Dieser Standortvorteil muß gesichert und ausgebaut
werden.
Angesichts des rascheren Technologiewandels und
des internationalen Wettbewerbs um Standorte und
Marktanteile können wir uns hier keine Versäumnisse
leisten. Der sich abzeichnende Mangel an qualifizierten
Betriebsführern bedroht den reibungslosen Generationenwechsel. Es ist schon ausführlich darauf hingewiesen
worden.
Mit dem Aufstiegsfortbildungsförderungsgesetz,
AFBG, besser unter Meister-BAföG bekannt, wurde in
der letzten Legislaturperiode von der damaligen Regierung ein wirksames Mittel geschaffen,
({0})
um jungen, begabten Menschen den Weg in die Selbständigkeit zu eröffnen und Betriebsgründungen zu erleichtern.
({1})
Bedauerlicherweise wurden die Mittel in diesem Haushaltsentwurf um 40 Prozent gekürzt; wir haben die Zahl
jetzt schon mehrfach gehört. Herr Staatssekretär Catenhusen, wenn Sie erkannt haben, daß die Mittel nicht
ausgeschöpft werden, vielleicht auch weil Mängel im
bisherigen Entwurf sind, dann hätten Sie eigentlich
schon Zeit gehabt, dies gemeinsam mit der generellen
BAföG-Novelle in Angriff zu nehmen.
({2})
Es gäbe ein paar Punkte, die Sie durchaus hätten aufgreifen können. Ich begrüße es, wenn Sie jetzt im Verfahren, auch ohne Gesetzentwurf, einiges erleichtern
wollen. Aber das kann keine Entschuldigung dafür sein,
daß man, weil Mängel bestehen, die Mittel zurückführt
und damit ein vollkommen falsches Signal Richtung
Mittelstand sendet.
({3})
Weil wir dies erkannt haben, haben wir von der
CDU/CSU diesen Antrag eingebracht, um durch die
Aufwertung des AFBG ein deutliches Zeichen in Richtung Mittelstand zu setzen. Mit einer Verbesserung des
Meister-BAföG würde sich die Zahl der Fortbildungsteilnehmer deutlich erhöhen, was wir alle hoffen. Damit
würde die so dringend benötigte unternehmerische
Gründungswelle in unserem Land deutlich beschleunigt
werden.
An dieser Stelle möchte ich darauf hinweisen, daß der
heute besprochene Antrag meiner Ansicht nach noch ein
Stück weitergehen könnte. Ich werde deshalb versuchen,
einen Ergänzungsantrag einzubringen, und zwar in zwei
Richtungen.
Zwei Beispiele. Hinsichtlich der angestrebten förderrechtlichen Gleichstellung von Studium und Aufstiegsfortbildung sollte meiner Meinung nach der Beitrag zur Deckung des Unterhaltsbedarfs den Teilnehmern dieser Maßnahme auch in Teilzeitform gewährt
werden, was bisher noch nicht der Fall ist.
({4})
Die bisherigen Erfahrungen haben gezeigt, daß ein
Großteil der Teilnehmer die Maßnahmen in Teilzeitform durchlaufen. Dies gilt insbesondere für Maßnahmen der IHK. Diese Teilnehmer erzielen aber nicht notwendigerweise ein eigenes Einkommen, aus dem sie ihren Lebensunterhalt bestreiten können. Gerade für familiär Gebundene, die auf Grund der finanziellen Situation
der Familie auf Nebeneinkünfte angewiesen sind, wird
eine Fortbildung in Teilzeitform attraktiv, wenn sie
Fortbildung und Familie verbinden können und dabei
der Lebensunterhalt gesichert ist.
Außerdem bin ich der Ansicht - in diesem Punkt muß
ich der PDS zustimmen, was mir, ehrlicherweise gesagt,
nicht ganz leicht fällt -,
({5})
daß die Lehrgangs-, Prüfungs- und Meisterstückkosten
bei der Vollzeitförderung, aber auch natürlich bei der
Teilzeitförderung vollkommen übernommen werden
sollten. Warum bin ich dieser Ansicht? Nachdem in der
universitären Ausbildung sowohl das Studium als auch
die Prüfungen kostenlos sind, würde diese Maßnahme zu
einer wirklichen Gleichstellung von akademischer und
beruflicher Bildung in diesem Bereich führen. Auch die
Chancengleichheit zwischen denen, die einen beruflichen
Weg beschreiten, und denen, die eine akademische Ausbildung durchlaufen, würde sichergestellt werden.
({6})
Das heißt nicht zuletzt: Wichtige Aufgabe einer zukunftsgerichteten Bildungspolitik muß auch sein, darauf
hinzuweisen, daß Abitur und Studium nicht unbedingt
der alleinseligmachende Königsweg sind. Das MeisterBAföG kann dazu beitragen, die Attraktivität der
nichtakademischen Laufbahn gegenüber der akademischen Laufbahn zu steigern.
Ich möchte dazu noch einen Punkt anschließen. Die
Förderung sollte nicht nur diejenigen betreffen, die sich
selbständig machen. Sie ist auch für diejenigen wichtig,
die sich innerhalb ihres Berufes weiterqualifizieren
wollen. Ich kann aus eigener Erfahrung sprechen: Technikerlaufbahn, Aufstieg innerhalb des abhängigen Beschäftigungsverhältnisses.
Solange viele meinen, nur mit dem Abitur wirklich
etwas werden zu können, darf es uns nicht wundern,
wenn in manchen Ländern die Gymnasien schon kurz
davor sind, die meisten Schülerzahlen zu tragen und
damit zur eigentlichen Hauptschule zu werden. Dies
führt übrigens nicht unbedingt zu einer Qualitätssteigerung an den Hochschulen, insbesondere nicht im internationalen Vergleich.
Die Förderung und der Ausbau des Meister-BAföG
muß auch zukünftig ein zentrales Anliegen dieser Regierung sein. Wir brauchen in unseren Unternehmen Menschen, die für Neues aufgeschlossen sind, zukunftsorientiert handeln und dadurch im Ergebnis Unternehmen
auf Erfolgskurs halten.
({7})
Die an unseren Meister- und Technikerschulen gebotene Qualität setzt Maßstäbe; das Leistungsniveau ist
anerkannt hoch. An dieser Stelle muß ich leider einen
kleinen Seitenhieb in Richtung des Herrn Bundeskanzlers loswerden. Mich hat sehr geärgert, daß er sich als
Model zur Verfügung gestellt hat und dann die deutsche
Textilwirtschaft verunglimpft hat, indem er sagte, nur
die italienischen Maßanzüge würden passen. Das ist
eine Beleidigung des deutschen Handwerks und insbesondere der deutschen Textilindustrie.
({8})
Zurück zur Förderung von Absolventen von beruflichen Aufstiegslehrgängen. Die Bayerische Staatsregierung hat einer ihrer Grundaussagen - „Leistung muß
sich lohnen“ - auch Taten folgen lassen. Ich möchte ein
Beispiel anführen: Der Freistaat Bayern hat für die
besten 30 Prozent der Absolventen von Meister-, Techniker- und sonstigen vergleichbaren Ausbildungslehrgängen einen Meisterpreis mit Prämien zwischen 1 000
DM und 3000 DM ausgelobt. Damit wurde in diesem
Bereich ein wichtiges Zeichen gesetzt. Seit 1995 wurden
knapp 30 Millionen DM als Prämie für den Meisterpreis
ausbezahlt. Dies könnte auch auf Bundesebene ein gutes
Beispiel sein, dem Sie gern folgen können.
Ich appelliere an Sie, den Antrag zum Ausbau der
Förderung der beruflichen Aufstiegsfortbildung zu unterstützen. Das Aufstiegsfortbildungsgesetz ist ein Beitrag, den Fachkräftenachwuchs vor allem der mittelständischen Wirtschaft zu sichern und die Anzahl der Fachkräfte zu erhöhen.
Die Wirtschaft muß auch durch Qualität der Ausbildung im Lande gehalten werden. Das vordergründig
Billigste ist nicht unbedingt immer das Kostengünstigste. Deutsche Qualitätsarbeit ist im In- und Ausland stets
honoriert worden. Hier müssen wir weiter am Ball bleiben.
Längst sind die Zeiten vorüber, wo man Bildung bzw.
Ausbildung im Gegensatz zu den sogenannten harten
Standortfaktoren eher gering einschätzte. Wir müssen
deshalb alle Anstrengungen unternehmen, um durch eine
zukunftsgerichtete Bildungspolitik den Fachkräftenachwuchs für unser Land zu sichern.
Vielen Dank.
({9})
Für die SPDFraktion hat der Kollege Heinz Schmitt das Wort.
Sehr geehrter Herr
Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir beraten heute
einen Antrag der CDU/CSU-Fraktion zur Verbesserung
der Aufstiegsfortbildung, der zeigt, daß unsere Argumente in dem einen oder anderen Fall auch bei der Opposition auf fruchtbaren Boden fallen können.
({0})
- Herr Lensing, Sie kommen gleich dran.
Wir können Ihrem Antrag zum bestehenden Aufstiegsfortbildungsförderungsgesetz - schon der Name ist
eigentlich eine Zumutung ({1})
- ich komme gleich zu Ihnen - in vielen Punkten durchaus zustimmen. Natürlich will die Bundesregierung,
natürlich wollen wir, die SPD-Fraktion, daß unternehIlse Aigner
merisch denkenden und handelnden Menschen der Weg
in die Selbständigkeit geebnet wird. Natürlich wollen
wir, daß genügend gute Fachkräfte ausgebildet werden,
zum Beispiel um die über 700 000 anstehenden Betriebsübergaben bewerkstelligen zu können. Natürlich
wollen wir, daß junge Frauen und Männer lernen, einen
Betrieb zu führen und Lehrlinge auszubilden, und sich
umfassende fachliche, betriebswirtschaftliche und rechtliche Kenntnisse aneignen können. Und: Natürlich wollen wir, daß die duale Ausbildung in der Meisterprüfung
ihre Weiterqualifizierung erfahren kann. Wir brauchen
also auch in Zukunft den sogenannten großen Befähigungsnachweis.
({2})
Es ist aber auch richtig, daß das Gesetz zur Förderung
der Aufstiegsfortbildung noch ein Werk der alten Bundesregierung ist.
({3})
Die Kollegin Aigner hat gerade gesagt, daß wir, wenn
wir Mängel erkannt haben, auch diese - in der kurzen
Zeit - hätten angehen können. Ich kann Ihnen sagen,
Frau Aigner: Wir haben in diesen ersten 120 Tagen
schon einiges von dem gerichtet, was Sie uns hinterlassen haben.
({4})
Lassen Sie uns noch etwas Arbeit für die nächsten über
1 000 Tage übrig!
Mit Ihrem Antrag bestätigen Sie: Das AFBG ist eben
nicht die Erfolgsstory, wie Sie und der ehemalige Bundesbildungsminister vor zwei Jahren verkündet haben.
Das wird durch die Zahlen, die mittlerweile vorliegen,
belegt. Der Mittelabfluß für Fördermaßnahmen nach
dem AFBG lag in den letzten drei Jahren, nach Inkrafttreten des Gesetzes, grundsätzlich, und zwar beträchtlich, unter den jeweiligen Haushaltsansätzen. Darauf haben wir reagiert. Deshalb haben wir für 1999 einen realitätsnahen Haushaltsansatz vorgesehen.
Erlauben Sie mir an dieser Stelle eine kurze Bemerkung zum Kollegen Werner Lensing. Herr Lensing, Sie
haben im „Deutschen Handwerksblatt“ vom 18. März
gesagt, die Kürzung des Meister-BAföG sei eine Tat der
Bundesregierung. Diese Aussage ist - ich sage es einmal
kollegial - zumindest irreführend. Sie haben vorhin von
Wahrheit und Moral gesprochen; Sie standen hier wie
ein regelrechter Wahrheitsapostel.
({5})
Sie wissen es aber besser. Sie wissen, daß den Leistungen des AFBG ein Rechtsanspruch zugrunde liegt. Sie
wissen, daß jeder/jede nach dem Gesetz förderungsfähige Antragsteller/Antragstellerin auch in Zukunft uneingeschränkt die Leistungen erhalten wird. Wenn Sie und
Ihre Parteifreunde in der Öffentlichkeit solche Fehlinformationen verbreiten, dann verunsichern Sie angehende Jungmeister und Fachkräfte erst recht. Dies ist das
genaue Gegenteil von Motivation.
({6})
Eigentlich können Sie sich Ihren Antrag sparen, wenn
Sie in der Öffentlichkeit mit einer solchen Polemik operieren.
({7})
Das AFBG hat Mängel; diese haben wir schon vor
drei Jahren immer wieder moniert. Es ist ein Reparaturgesetz. Es wurde verabschiedet, nachdem Sie gesehen
haben, was Sie mit der Abschaffung der alten Aufstiegsförderung angerichtet haben. Hinzu kam das Tempo, der
Zeitdruck, unter dem das Gesetz damals zustande kam.
Wir brauchen daher keine Schauanträge und keine
Schnellschüsse, sondern eine Reform der Aufstiegsförderung.
({8})
Wir brauchen eine Reform der Aufstiegsförderung,
die gründlich durchdacht und attraktiv sein muß. Wir
müssen auf die geänderte Lebenssituation der jungen
Meisterinnen und Meister eingehen. Wir müssen die geänderten Berufsfelder berücksichtigen. Wir müssen auch
die gesamte Veränderung der wirtschaftlichen Lage
beachten. All dies gilt es zu berücksichtigen. Es nützt
deshalb nichts, wenn wir jetzt nur punktuell nachbessern.
Das ist auch der Grund dafür, daß wir Ihren Antrag
heute leichten Herzens ablehnen werden.
({9})
Die Bundesregierung wird im Laufe der Legislaturperiode eine Neuregelung vorlegen. Ich lade Sie, liebe
Kolleginnen, liebe Kollegen, herzlich ein, in Zukunft
konstruktiv und kooperativ an diesem wichtigen Vorhaben mitzuarbeiten.
Vielen Dank.
({10})
Das Wort für die
F.D.P.-Fraktion hat der Kollege Walter Hirche.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Immerhin hat diese Debatte ergeben,
daß es verbal Gemeinsamkeiten gibt, mehr Aufstiegsfortbildung und mehr Selbständigkeit zu ermöglichen.
Ich halte aber daran fest, daß es in der Sache in etlichen
Punkten erhebliche Unterschiede gibt.
Für die F.D.P. stelle ich fest:
Erstens. Wir sind der Meinung, daß sich das MeisterBAföG trotz der Zahlen, über die man nicht diskutieren
kann, bewährt hat und eine Grundlage bildet, auf der
man weiter aufbauen kann. Deswegen haben wir den
von der CDU/CSU eingebrachten Antrag begrüßt und
halten ihn für richtig.
({0})
Heinz Schmitt ({1})
Man muß das Meister-BAföG in Richtung Gleichwertigkeit allgemeiner und beruflicher Bildung und Förderung weiterentwickeln. Vielleicht könnten wir darüber
Einigkeit erzielen.
({2})
Zweitens. Ich sage - gerade im Anschluß an das, was
Frau Wolf und soeben auch der Kollege Schmitt gesagt
haben - dazu: Wir sind der Auffassung, daß sich die
Qualifikationsmuster im Handwerk bewährt haben
und daß man an eine Änderung nicht in Form einer
plumpen Nivellierung herangehen und sagen kann: Weil
das in der Industrie anders geregelt ist, tun wir das jetzt
im Handwerk genauso. Es sollte vielmehr am großen
Befähigungsnachweis festgehalten werden.
({3})
Gewisse Flexibilitäten sind möglich. Herr Schwanhold,
dazu hat es in der letzten Legislaturperiode einen Kompromiß gegeben.
Auch für uns ist das nicht einfach. Die Gewerbefreiheit ist ein sehr hohes Gut. Aber wenn ich sehe, daß im
Handwerk die Zahl der Insolvenzen nur halb so hoch ist
wie in der übrigen Wirtschaft, dann bedeutet das, daß
ich, wenn der Erhalt und die Schaffung von Arbeitsplätzen an erster Stelle stehen sollen, eine Güterabwägung
vornehmen muß. Daher ist an der Meisterprüfung festzuhalten. Es ist ein ganz wichtiger Punkt, daß sie als
Qualitätsmerkmal erhalten bleibt.
({4})
Drittens. Frau Wolf, einen von Ihnen aufgeführten
Punkt nehme ich durchaus positiv auf. Sie haben gesagt:
Die vorhandenen Mängel betreffen nicht nur das Thema
Meister-BAföG. Da sind wir uns einig. Aber Sie haben
einen der wichtigsten Punkte vergessen. Wenn Sie die
steuerlichen Rahmenbedingungen für Selbständige in
der Weise, wie Sie das getan haben, von einem Tag auf
den anderen dramatisch verschlechtern, dann können Sie
nicht erwarten, daß das ein Signal für mehr Selbständigkeit ist.
({5})
Wenn mit der Änderung des Einkommensteuergesetzes von heute auf morgen die außerordentlichen
Einkünfte bei der Betriebsübergabe oder -abgabe vom
halben auf den vollen Steuersatz erhöht werden, dann
bedeutet das, wie es das „Handelsblatt“ richtig geschrieben hat, daß die selbständigen Handwerker ein Viertel
ihres Betriebsvermögens von einem auf den anderen Tag
verlieren. Das ist staatliche Willkür. Das ist ein solcher
Faustschlag gegen die Selbständigkeit, wie man sich das
nicht vorstellen kann.
Ein weiterer Punkt in diesem Zusammenhang - wir
werden noch an anderen Tagen Gelegenheit haben, darüber zu sprechen -: Das, was Sie in puncto Scheinselbständigkeit getan haben, haben Sie - das will ich Ihnen
unterstellen - auf Grund Ihres Hintergrundes durchaus
gut gemeint. Ich weise Sie aber darauf hin: Mit den Regelungen, die Sie getroffen haben, verhindern Sie in
vielen Fällen Existenzgründungen und mehr Selbständigkeit in unserer Gesellschaft. Deswegen sind all die
Maßnahmen, die ich unter Punkt 3 angesprochen habe,
geeignet, die Selbständigkeit in Deutschland zu behindern und zu weniger Aufstiegsfortbildung zu führen.
Das sollten Sie sich einmal durch den Kopf gehen
lassen. Dann könnten wir, wenn Sie Ihre Maßnahmen
korrigieren würden, von der verbalen Übereinstimmung
zu einer tatsächlichen kommen.
Vielen Dank.
({6})
Das Wort für die
SPD hat der Kollege Christian Lange.
Herr Präsident!
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Hirche,
zurück zum AFBG. Liebe Kolleginnen und Kollegen
von der CDU/CSU-Fraktion, warum stellen Sie eigentlich diesen Antrag?
({0})
Er hat einen Vorläufer. Bei den Haushaltsberatungen im
Wirtschaftsausschuß stellten Sie einen Antrag auf Mittelerhöhungen, obwohl im vergangenen Jahr kein vollständiger Abfluß stattgefunden hat.
({1})
Ich bin der Meinung: Bevor wir über eine Erhöhung des
Haushaltsansatzes nachdenken - das war ja das Ziel
Ihres Antrages -, sollte man hinterfragen, weshalb die
bereitgestellten Mittel von insgesamt 166,66 Millionen
DM für 1998 nur zu zirka einem Drittel ausgeschöpft
worden sind. Anderenfalls würde weiterhin ein wichtiges Potential zur Förderung von Existenzgründungen
verschenkt - und das will niemand.
Sie wollten aber wohl mit diesem Haushaltsantrag bei
den Handwerkskammern Eindruck schinden.
({2})
Doch diese wissen - jetzt hören Sie mir einmal genau
zu -, wo die wirklichen Probleme liegen. Sie brauchen
sich da keine Hoffnungen zu machen. Hanns-Eberhard
Schleyer, Generalsekretär des ZDH, klagte gegenüber
dem „Kölner Stadt-Anzeiger“ vom 23. März denn auch
nicht über den Etatansatz; er bekennt vielmehr: Es stört
mich, daß unsere Leute es so wenig in Anspruch nehmen.
({3})
Irgendwann, liebe Kolleginnen und Kollegen von der
CDU/CSU, haben Ihnen dann wohl die Handwerkskammern gesagt, daß das der falsche Ansatz ist, und
jetzt sind Sie umgeschwenkt.
({4})
Jetzt machen Sie plötzlich Vorschläge, wie die Mittel
besser genutzt werden können. Gut, ein bißchen spät,
aber immerhin.
Wir alle wissen doch: Über 3 Millionen kleine und
mittlere Unternehmen sind die Basis der deutschen
Wirtschaft; sie stellen rund 70 Prozent der Arbeitsplätze
und 80 Prozent der Ausbildungsplätze zur Verfügung.
Dafür gilt ihnen zunächst einmal unser herzlicher Dank.
({5})
Einen besonderen Stellenwert in der neuen Mittelstandspolitik in der 14. Legislaturperiode nimmt deshalb
die Förderung der Existenzgründungen ein. Das
Handwerk hat einen hohen Bedarf an Unternehmerpersönlichkeiten, die entweder eine eigene Existenz gründen oder die einen bereits bestehenden Handwerksbetrieb übernehmen wollen. Die Übernahmeproblematik
ist angesichts der hohen Zahl von Betriebsinhabern, die
in den nächsten fünf bis zehn Jahren aus Altersgründen
einen Nachfolger suchen, besonders drängend. Wenn
kein geeigneter Nachfolger gefunden wird, besteht besonders bei kleinen Betrieben die Gefahr, daß sie aufgegeben werden. Damit verbunden wäre der Verlust von
Arbeitsplätzen.
Es ist ebenfalls eine Tatsache, daß jeder Existenzgründer in der Regel zwei bis drei neue Arbeitsplätze
schafft. Daher ist die Förderung von Existenzgründungen gleichzeitig eine sehr wirksame Maßnahme zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit.
({6})
Wir haben diesen wichtigen Aspekt deshalb in unsere
Koalitionsvereinbarung aufgenommen und die Bedeutung des Mittelstandes, insbesondere des Handwerks, im
Hinblick auf die Chancen für mehr Beschäftigung hervorgehoben. Dabei sind wir uns alle darin einig, daß die
geringe Gründungsdynamik in Deutschland Anlaß zur
Besorgnis ist. Der internationale Vergleich zeigt in der
Tat, daß mit Ausnahme von Dänemark die Selbständigenquote in den übrigen Staaten der Europäischen
Union teilweise wesentlich höher als in Deutschland ist.
({7})
- Herr Hinsken, hören Sie doch einmal zu.
Im Rahmen der Offensive der Bundesregierung für
mehr Selbständigkeit soll das BAföG in Zukunft verstärkt zur Förderung von Privatinitiativen beitragen und
wirtschaftliche Entwicklungspotentiale zur Entfaltung
bringen. Dafür danken wir der Bundesregierung
({8})
- jetzt hören Sie sich das einmal an -,
({9})
die damit nämlich der Motor für die Meisterausbildung
in Deutschland ist.
({10})
Welches sind nun die Erfahrungen, die wir in der
Vergangenheit gesammelt haben? Das AFBG trat am
1. Januar 1996 - das ist erwähnt worden - in Kraft,
nachdem Sie, die Fraktionen von CDU/CSU und F.D.P.,
Anfang der 90er Jahre das Meister-BAföG aus dem
AFG komplett gestrichen hatten. Sie wollten nämlich
auf Kosten der Meister in Deutschland sparen. Das verschweigen Sie sehr gern an dieser Stelle.
({11})
Ich sage Ihnen auch, woher ich das weiß; denn auch
ich hatte ein Leben vor dem Parlament, Herr Hinsken,
und war für die Rechtsaufsicht der Maßnahmen zum
Meister-BAföG in Baden-Württemberg zuständig.
Weil es sich um die Anlaufphase handelte, wurden
die Mittel im ersten Jahr, 1996, in geringerem Umfang
als erwartet in Anspruch genommen. 1997 stiegen die
Antragszahlen deutlich; 1998 beliefen sich die Bundesleistungen auf 56,2 Millionen DM. Das Fördervolumen
blieb damit erheblich hinter den Erwartungen zurück.
Denn das Bundeswirtschaftsministerium stellte Mittel in
Höhe von 66,6 Millionen DM bereit; zusätzliche Mittel
für das Meister-BAföG in Höhe von 100 Millionen kamen vom BMBF. Damit wurde nur rund ein Drittel der
insgesamt bereitgestellten Mittel ausgeschöpft. Aus diesem Grunde wurde der Haushaltsansatz für das MeisterBAföG erstmals nur noch im Einzelplan 09 aufgenommen und auf 100 Millionen DM reduziert.
Ihre Unterstellung allerdings, mit dieser Maßnahme
werde das Meister-BAföG eingeschränkt, ist ganz besonders bösartig.
({12})
Der Rechtsanspruch auf Förderung - ich wiederhole
es - bleibt bestehen und ist durch den Mittelansatz ausreichend gedeckt.
({13})
Ich sage Ihnen: Wegen der Haushaltsausstattung
wurde und wird kein Meisteranwärter abgewiesen; denn
das wäre rechtswidrig. Das wissen Sie auch. Also behaupten Sie bitte nichts Gegenteiliges.
({14})
Das Problem liegt ganz woanders. Als einer der Konstruktionsfehler ist die starke Orientierung am Studenten-BAföG zu nennen. Das müssen wir jetzt ausbügeln.
Eine bessere Akzeptanz des Meister-BAföGs könnte
beispielsweise erreicht werden, indem die Freibeträge
bei der Anrechnung des Einkommens erhöht werden.
Die Betroffenen sind meist älter, haben häufig schon
Familie und bereits Vermögen aufgebaut, so daß die
Übertragung der Regelungen aus dem Studenten-BAföG
nicht sinnvoll ist. Die niedrigen Freibeträge verhalten
sich zu dem eigentlichen Ziel der Förderung von Existenzgründungen konträr, wenn gleichermaßen - beispielsweise für die Gründung eines Unternehmens - von
den Banken relativ hohe Eigenmittel verlangt werden.
Deshalb gibt es Überlegungen, das Vermögen, das für
die Existenzgründung angespart wird - natürlich bei entChristian Lange ({15})
sprechendem Nachweis -, nicht in die Anrechnung für
die Förderung nach dem AFBG einzubeziehen.
({16})
Vor allem aber ist notwendig, das Antrags- und Bewilligungsverfahren zu vereinfachen. Daß ausgerechnet
Sie, Frau Pieper von der F.D.P., die Sie mit ursächlich
für den Antragswust der vergangenen Jahre waren,
({17})
hier eine entsprechende Vereinfachung verlangen, finde
ich schon ganz besonders bemerkenswert.
({18})
Die Bundesregierung - so auch Herr Staatssekretär
Catenhusen - hat wiederholt angekündigt, die Akzeptanz des Programms zu erhöhen. Was soll dann also
noch Ihr Antrag? Haben Sie keine Geduld, oder geht es
Ihnen nur darum, auf billige Art und Weise bei den
Handwerkskammern hausieren zu gehen? Die Bundesregierung und die sie tragenden Fraktionen jedenfalls
werden eine ordentliche Akzeptanzverbesserung auf den
Weg bringen, gemeinsam mit dem betroffenen Handwerk, und damit die Mängel des AFBG, die Mängel
Ihrer Regierungszeit, bereinigen.
Herzlichen Dank.
({19})
Das Wort für die
CDU/CSU-Fraktion hat der Kollege Karl-Heinz Scherhag.
Herr Präsident!
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Lange,
hier spricht der Präsident der Handwerkskammer
Koblenz. Ich werde nachher im Laufe meiner Ausführungen noch darauf zu sprechen kommen. Das, was Sie
über die Aussage von Herrn Schleyer gesagt haben, ist
ja nur die halbe Wahrheit. Herr Schleyer hat zwar bedauert, daß die Mittel nicht in dem Maße, wie er sich das
vorgestellt hat, abgeflossen sind, aber er hat gleichzeitig
die Erweiterungen gefordert, die die CDU/CSU jetzt in
ihrem Antrag vorstellt, wobei Sie um Zustimmung gebeten werden.
({0})
Denn im Grunde weiß das Handwerk genau, was fehlt.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, das von
der alten Bundesregierung verabschiedete Aufstiegsfortbildungsförderungsgesetz war der richtige Weg, um
zur Unterstützung der beruflichen Qualifikation zukünftiger Meister eine finanzielle Hilfe zu geben, Existenzgründungen zu erleichtern und damit Voraussetzungen für Betriebsübernahmen zu schaffen. Auch
hat das Gesetz erstmals seit Bestehen der Bundesrepublik einen Rechtsanspruch auf staatliche Unterstützung beruflicher Aufstiegsförderung festgeschrieben.
Das ist richtig, Herr Lange. Nach nunmehr drei Jahren
ist der richtige Zeitpunkt gekommen, die Erfahrungen
mit Förderprogrammen zu analysieren und entsprechend zu erweitern.
Es ist zwar richtig, daß die im Haushalt jährlich vorgesehenen Mittel bisher nicht voll ausgeschöpft wurden.
Doch falsch ist, wenn die neue Bundesregierung den
Schluß zieht, die Mittel um 40 Prozent zu kürzen,
({1})
ohne die Gründe für die Nichtausschöpfung zu ermitteln. Verwunderlich für mich ist dies insbesondere vor
dem Hintergrund der Tatsache, daß diese Regierung angetreten ist, besondere Priorität darauf zu legen, den
Abbau der Arbeitslosigkeit zu bewirken. Mit der Kürzung wird doch genau das Gegenteil erreicht,
({2})
weil wir mehr selbständige Meister brauchen und deshalb mehr Hilfe gegeben werden muß. Ich hätte von dieser Regierung erwartet, daß sie dem Parlament den
längst fälligen Erfahrungsbericht vorlegt und daraus
die entsprechenden Konsequenzen zieht.
({3})
Statt dessen wurde der Erfahrungsbericht nach meiner
Information - ich habe eine sehr gute aus dem Ministerium - zwischen dem Bildungs- und dem Wirtschaftsministerium hin- und hergeschoben, ohne daß er bisher
dem Kabinett oder dem Parlament zur weiteren Beratung vorgelegt wurde.
({4})
Ich hoffe nicht, daß hinter dieser Handhabung eine
wohlüberlegte Taktik der Regierung steht, den großen
Befähigungsnachweis zu unterlaufen, um damit die
Meisterprüfung auf Dauer einzufrieren, wie es im
Koalitionsvertrag beschrieben wird. Dort heißt es nämlich, der Meisterbrief solle auch nach der Selbständigmachung parallel erworben werden können. Meine Damen und Herren, wir alle wissen, daß dies für einen jungen Unternehmer nicht möglich ist; er hat weder die
Mittel noch die Zeit dafür. Das heißt, das muß vorher
geschehen.
({5})
Wenn dies so wäre, hätte die Kürzung der Mittel aus
Sicht der Regierung einen Sinn; denn dann würden in
der Tat noch weniger Anträge gestellt.
Die CDU/CSU hat mit ihrem Antrag wesentliche
Verbesserungen der Förderbedingungen vorgelegt, um
den Betroffenen mehr Anreiz für die Inanspruchnahme
zu bieten, weil sie aus der Praxis weiß, daß Veränderungen des Gesetzes vorgenommen werden müssen. Hier
sind wir dem Handwerk, dem ZDH, und den Verbänden entgegengekommen. Ich möchte darauf verzichten,
die Punkte unseres Antrags im einzelnen darzustellen,
da dies meine Kolleginnen und Kollegen bereits getan
haben.
Christian Lange ({6})
Als selbständiger Handwerksunternehmer und auch
als Träger eines Ehrenamts im Handwerk möchte ich die
Gelegenheit wahrnehmen, Ihnen aus der Praxis ein paar
Beispiele zu nennen, die die Erweiterung des Anspruchs
rechtfertigen.
Eine repräsentative Umfrage der Handwerkskammer
Koblenz unter 1 500 Handwerksmeistern des Jahrganges
1996/97 hat ergeben, daß für 60 Prozent der Befragten
das Hauptmotiv für die Meisterprüfung die Gründung
oder Übernahme eines Betriebes, also die Selbständigkeit im Handwerk, ist. Dabei ist zu bedenken, daß jede
Existenzgründung im Schnitt - hier wurde gesagt: drei zwischen drei und fünf neue Arbeitsplätze bringt, aber
auch Ausbildungsplätze, die immer wieder vergessen
werden.
({7})
Angesichts des bevorstehenden Generationswechsels im
Handwerk in den nächsten fünf Jahren, in denen mindestens 200 000 Betriebe vor einer Übergabe aus Altersgründen stehen, scheint mir dies ein gutes Ergebnis zu
sein.
Die restlichen 40 Prozent der Befragten geben zur
Nichtselbständigkeit folgende Gründe an: unternehmerisches Risiko, fehlendes Eigenkapital. Trotzdem bin ich
der Meinung, daß bei einer Veränderung der Fördermaßnahmen und mehr Hilfestellungen durch den Bund
und die Länder die Bereitschaft zur Selbständigkeit noch
erhöht werden kann; denn die Befragung hat auch gezeigt, daß viele junge Meister die bisherige Förderpraxis
als nicht ausreichend ansehen.
Nachdem die neue Bundesregierung mit ihrer Wirtschafts- und Steuerpolitik das Risiko der unternehmerischen Selbständigkeit noch erhöht hat, sind wir meiner
Meinung nach alle aufgerufen, die Bedenken der zukünftigen Jungunternehmer durch gute Rahmenbedingungen zu zerstreuen.
({8})
Die Hemmnisse bei der Gründung und Übernahme von
Betrieben müssen abgebaut werden. Unternehmergeist
und Gründermut dürfen nicht schon im Keim erstickt
werden. Wenn ein junger Mensch vor einem kaum zu
überblickenden Berg von Anträgen, Vorschriften und
Schulden steht, wird er kaum den Weg in die Selbständigkeit suchen.
({9})
- Lieber Herr Schwanhold, das glauben Sie doch selbst
nicht.
({10})
Man muß jungen Leuten die Chance geben, auch mit geringen Mitteln Betriebe zu gründen. Sie sollten nicht
schon vor der Betriebsgründung das angesparte Eigenkapital belasten müssen.
({11})
Ich selbst habe meine Unternehmertätigkeit in einer
Garage begonnen, was nach den heutigen Vorschriften
wahrscheinlich gar nicht mehr möglich wäre.
({12})
Wir müssen jungen Unternehmern realistische Chancen bieten und sie mit der notwendigen Liquidität ausstatten, damit die ersten schweren Jahre überstanden
werden.
Meine Damen und Herren, es zeigt sich jetzt vor
allem in den neuen Bundesländern, daß man Betriebe
nicht am Leben hält, wenn sie trotz guter Auftragslage
von Schulden und Abgaben aufgefressen und in den
Ruin getrieben werden. Das neue Steuerbelastungsgesetz wird dies noch verstärken. Es ist falsch, daß die
neue Regierung von Entlastungen für kleine und mittelständische Unternehmen von 5,5 Milliarden DM spricht,
obwohl sie weiß, daß dies eine Nullnummer ist.
Die Wirtschaftspolitik der neuen Regierung hinterläßt
für Unternehmer den Eindruck, als habe man ein altes
Folterinstrument der Wirtschaft aus dem Museum genommen. Jetzt beginnt man, die Daumenschrauben der
Belastung bis zur letzten Drehung fest anzuziehen. Dann
erfolgt der Aufschrei aus dem Unternehmen. Und was
macht man? - Man dreht zwei Umdrehungen zurück
und spricht von Entlastung. So kann man junge Unternehmer und angehende Meister jedenfalls nicht davon
überzeugen, Risiken einzugehen.
({13})
Wenn Sie mich jetzt fragen, was dies alles mit dem
Meister-BAföG zu tun hat, so entgegne ich Ihnen: Dies
alles sind Ursachen dafür, daß das Förderangebot auch
künftig nicht im erhofften Maße beansprucht wird. Nur
wenn der Staat attraktive Rahmenbedingungen setzt, ist
der Schritt in die Selbständigkeit erstrebenswert. Dann
wird er auch gegangen.
({14})
Dazu gehört aber zunächst, daß die bestehenden Förderbedingungen attraktiver gestaltet werden. Der von
CDU und CSU vorgelegte Antrag bezweckt, daß junge
Menschen die wichtige Voraussetzung zur Unternehmensgründung, den Meisterbrief, leichter erlangen
können. Der Meisterbrief ist ein Qualitätssiegel für die
ausgezeichnete Ausbildung in Deutschland sowie das
erstrebenswerte Sprungbrett in die Selbständigkeit.
Liebe Frau Wolf, Sie werden nicht bestreiten können:
Wenn Sie Ihre Vorschläge in Zukunft durchsetzen wollen, dann werden Sie niemanden haben, der diese Ausbildung durchführt. Sie werden ein neues System in
Deutschland brauchen.
({15})
Kleine und mittlere Betriebe sind die besten Sozialpartner. Deshalb enthält der Antrag der CDU/CSUFraktion Verbesserungen bei den Förderbedingungen in
dieser Phase der Ausbildung.
({16})
Es ist doch zum Beispiel nicht einzusehen, warum
angehende Meister im Rahmen des Meister-BAföG
schlechtergestellt sind als Studenten. Deshalb muß der
Zuschußanteil der Förderbeträge auf 50 Prozent angehoben werden, und die Dauer der Förderung muß
wie in der universitären Ausbildung bis zum Ablegen
der letzten Prüfung ausgeweitet werden.
({17})
Ebenso muß der Aspekt des verstärkten Anreizes für
eine Existenzgründung konsequenter in den Vordergrund gestellt werden, indem die Regelungen für den
Darlehenserlaß im Rahmen des Meister-BAföGs
freundlicher gestaltet werden. Demjenigen, der die Voraussetzungen für den Erlaß erfüllt und erfolgreich ein
Unternehmen gegründet hat, sollten zwei Drittel des
Darlehens erlassen werden.
Meine Damen und Herren, wer Existenzgründungen
will, wer Arbeitsplätze schaffen will, wer Betriebsübernahmen erleichtern will, der muß eine solide, überschaubare Wirtschafts- und Steuerpolitik machen. Die
CDU/CSU wird nicht hinnehmen, daß der Mittelstand
und das Handwerk der Lastesel dieser Nation werden.
Wir werden die Versprechungen der Koalition und ihre
Umsetzung verfolgen, im Interesse unserer Betriebe und
unseres Landes.
({18})
Das Wort hat nun als
letzter in dieser Debatte der Kollege Klaus Barthel,
SPD-Fraktion.
Sehr geehrte Frau
Präsidentin! Meine Damen und Herren! Für den Antrag,
den die Union heute hier gestellt hat, können wir eigentlich nur dankbar sein; denn er liefert zunächst nur eins,
nämlich die niederschmetternde Bilanz in puncto Unternehmensgründungs- und Mittelstandspolitik der vorausgegangenen Regierung: 500 000 fehlende Betriebsleiter,
möglicherweise 300 000 fehlende Betriebsnachfolger in
diesem und im nächsten Jahr - und das, obwohl die Probleme seit Jahren bekannt sind, die Sie heute plötzlich
als etwas Neues entdecken.
Aber auch Ihr angeblich „wirksames Mittel“ - wie
Sie schreiben - des AFBG ist nur ein sehr bescheidenes
Pflänzchen in dieser alles andere als blühenden Landschaft. Selbst wenn man Ihre Zahlen, die für uns nicht
nachvollziehbar sind, zugrunde legt, fällt erst einmal
folgendes auf: Sie schreiben, 780 Millionen DM sind
ausgegeben worden, und es hat 100 000 Meisterinnen
und Meister gegeben. Wenn ich das einmal umrechne,
sind das sage und schreibe 7 800 DM pro Empfängerin
und Empfänger. Davon wird ein großer Teil, nämlich
fast 90 Prozent, als Darlehen gewährt. Da muß man
doch sagen: Das sind wirklich beeindruckende Beträge
für eine Fortbildung, die mindestens viele Monate, manche sogar bis zu drei Jahren dauern.
({0})
Das soll dann auch noch ein Beitrag zur Förderung
von Unternehmensgründungen sein! Dazu muß ich sagen: In der Relation dazu sind doch „Peanuts“ Kokosnüsse. Es ist also kein Wunder, daß das gutgemeinte Gesetz, das wir damals mangels anderer Mehrheiten und
Durchsetzungsmöglichkeiten mitgetragen haben, bei
weitem nicht den Zuspruch gefunden hat, den Sie erwartet haben. Sie haben Jahr für Jahr Beträge in den
Haushalt geschrieben, für die es keine Nachfrage gab.
So wurden trotz einer Berechnungsgrundlage von
90 000 Teilnehmern im Jahr 1997 nur 50 000 gefördert.
Zuletzt dürfte gerade einmal ein Drittel der ohnehin
schon reduzierten Mittel abgerufen worden sein. Der
einzige Nutznießer dieses berufsbildungspolitischen
Papiertigermodells war Herr Waigel, der aus dieser
Sparschweinaktion am Jahresende jeweils dreistellige
Millionenbeträge zurückbekommen hat.
({1})
In der Amtszeit der Regierung von Union und F.D.P.
waren diese Defizite von Anfang an bekannt - zum Beispiel durch die Anhörung im Ausschuß, zum Beispiel
durch unsere Kleine Anfrage. Es gab keine Korrekturen,
dafür aber neue Füllmengen für die Sparschweine und
für die Selbstdarstellung.
({2})
Einer der von Ihnen genannten Hauptzwecke des
AFBG, nämlich die Förderung beruflicher Selbständigkeit, wurde erst recht bei weitem verfehlt. Ein Hinweis
darauf sind die wenigen Anträge auf Darlehenserlaß
nach erfolgter Unternehmensgründung. Man muß sich
das einmal vorstellen: Die Zahl dieser Anträge bewegt
sich im Vergleich zur Zahl der Teilnehmerinnen und
Teilnehmer an den Maßnahmen im Promillebereich.
Nach diesen äußerst bescheidenen Ergebnissen Ihrer
Aufstiegsfortbildungsförderung liest sich der heutige
Antrag der CDU/CSU wie ein hilfloser Versuch der
Bewältigung der eigenen Vergangenheit. Meister können Sie damit nicht mehr werden, denn bekanntlich gilt:
Früh übt sich, wer ein Meister werden will!
({3})
Immerhin üben Sie jetzt wenigstens. Sie schlagen eine
ganze Reihe von Verbesserungen vor, über die zu reden
sich tatsächlich lohnt.
({4})
Ich denke an Erleichterungen bei Existenzgründungen,
Entbürokratisierung, Ausdehnung der Förderungsdauer auf die Prüfungsphase und Verbesserungen für
Frauen. Das alles bleibt aber insgesamt bruchstückhaft
und kann nicht heute im Schnellschuß behandelt werden.
({5})
Ich will Ihnen die vier Hauptgründe dafür nennen,
warum wir heute keine Entscheidung treffen wollen:
Erster Grund: Wir brauchen eine gründliche Analyse
und Auswertung der bisherigen Erfahrungen.
({6})
Genau das haben Sie seinerzeit, als wir es gefordert haben - auch daran kann ich mich noch sehr gut erinnern -,
abgelehnt; in Ihrer Regierungszeit wurde so etwas nicht
geleistet. Wir haben gerade von Herrn Catenhusen gehört, daß derzeit ein Bericht in Arbeit ist. Wir sollten
wenigstens diesen Bericht abwarten und können dann
über seine Ergebnisse diskutieren.
Zweiter Grund: Einige Elemente des AFBG beziehen
sich bekanntlich auf BAföG-Regelungen. Zum einen
hat sich das BAföG als zu bürokratisch herausgestellt,
und zum anderen hat es sich nicht immer als der Lebenssituation der Menschen, um die es geht, angemessen
erwiesen. Elterliche Wohnung, Unterhaltsbedarf, Maßnahmebeiträge und Überschneidungsbereich Fachschulen sind ein paar Stichworte für diese Tatsache.
Wie wir heute vormittag gehört haben, steht eine
BAföG-Reform an. Deshalb macht es doch überhaupt
keinen Sinn, gesetzliche Regelungen jetzt losgelöst von
den Zielen und Ergebnissen dieser BAföG-Reform zu
ändern, die sich dann auf überholte Vorschriften und
Strukturen beziehen würden, so daß gleich wieder ein
Nachbesserungsbedarf entstünde.
({7})
Dritter Grund: Wir halten es für erforderlich, das
Thema Aufstiegsfortbildung auch im Zusammenhang
mit der gesamten Weiterbildungsdiskussion zu sehen,
die bekanntlich den Schwerpunkt unserer Regierungsarbeit darstellt. Das Thema gehört auch in das „Bündnis
für Arbeit“. Dabei geht es aus meiner Sicht beispielsweise um Fragen wie Weiterbeschäftigung und Freistellung. Da entsprechende Regelungen fehlen, können
viele den Schritt zu einer Weiterbildung oder zu einer
Aufstiegsfortbildung gar nicht riskieren. In diesem Zusammenhang geht es auch um Lohnersatzleistungen;
demzufolge ergeben sich aus meiner Sicht Berührungspunkte zur Arbeitsmarktpolitik.
Vierter Grund - damit sind wir beim Geld -: Beim
Geld, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Union,
hört der Spaß bekanntlich auf - auch mit Ihnen. Sie
stellen heute wieder einmal einen wohlfeilen Antrag, der
etwas kostet, sagen aber nichts darüber, wo das Geld
herkommen soll. Aber das ist ja nicht alles. Sie verstehen sich doch zusammen mit der F.D.P. hier als Sprachrohr derjenigen, die auf Grund der Steuerschlupflöcher
auf den Milliarden sitzen, die Herr Waigel in den vergangenen Jahren unter ganz wenigen reichlich verteilt
hat.
({8})
Sie überschlagen sich jeden Tag mit maßlosen Steuersenkungsforderungen und schwätzen Betriebe und
Unternehmen ins Ausland, bloß weil wir ein bißchen gerechtere Steuergesetze gemacht haben. Jeden Tag erheben Sie Forderungen nach neuen Geschenken an die
Wirtschaft.
Sie reden hier immer vom Mittelstand und vom
Handwerk - wenn Sie das dürfen, dann darf auch mein
Vorredner hier sprechen -, obwohl Sie im Grunde genommen ganz andere Interessen vertreten, nämlich die
Interessen der großen Steuersparer. Gleichzeitig stellen
Sie neue Programme auf, in deren Rahmen Sie von uns
neue Ausgaben fordern.
Ich schlage Ihnen vor: Wenn wir ernsthaft darüber reden wollen, dann sollten wir über den Gesamtzusammenhang reden. Alle fordern Aus- und Weiterbildung. Das
haben wir gerade erst heute wieder gehört. Auch die Unternehmer- und Arbeitgeberverbände fordern dies. Die
Betriebe brauchen qualifiziertes Personal, also auch Meisterinnen und Meister sowie Technikerinnen und Techniker. Die Wirtschaft braucht Unternehmensgründer.
Deswegen erlaube ich mir heute zu fragen: Was tragen die Arbeitgeber und Unternehmer sowie ihre Verbände zur der von ihnen ständig geforderten Weiterbildung bei, wenn denen gleichzeitig jede Mark Steuern
zuviel ist? Sie haben diesen Zusammenhang selbst thematisiert. Die Vertreter des DIHT haben in den Anhörungen darauf hingewiesen, daß es auch um Freistellungsregelungen und um die Entgeltfortzahlung bei der
Weiterbildung geht. Ich meine, man kann und muß mit
den Arbeitgebern über dieses Thema im „Bündnis für
Arbeit, Ausbildung und Wettbewerbsfähigkeit“ und im
Gesamtzusammenhang reden. Auch dorthin muß sich
Ihr heutiger Antrag richten.
Sie sehen also, wir verschließen uns den Anliegen
und den meisten Forderungen in der Tendenz nicht.
Aber wir sind der Meinung, daß diese Anliegen nicht
isoliert, sondern im richtigen Zusammenhang betrachtet
und auf eine solide Grundlage gestellt werden müssen,
also auf gut deutsch: gründliche Lösung statt LensingGericht.
({9})
Zum Schluß möchte ich sagen: Wenn Sie von der
Union sich heute einbilden, uns anzutreiben, dann kann
ich nur als Beispiel den jetzt beginnenden Frühling anführen: Es wächst und blüht, und ab und zu kann man
sehen, wie welkes Laub durch das, was wächst, nach
oben getragen wird. Sie unterscheiden sich von diesem
welken Laub nur durch Ihren Glauben, daß Sie es sind,
die die Dinge zum Wachsen bringen.
({10})
Sie glauben, weil Sie von den Kräften der Zukunft getragen werden, daß Sie es sind, die nach oben wachsen.
Aber es wird nicht lange dauern, bis das welke Laub
seinen Platz, wo es hingehört, findet. Außer Ihnen dürfte
es in der Republik kaum jemanden geben, der Ihrer
Verwechslung von Schein und Wirklichkeit aufsitzt.
({11})
Ich schließe die
Aussprache und weise darauf hin, daß wir gleich zu
einigen Abstimmungen kommen.
Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage
auf Drucksache 14/541 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit
einverstanden? - Ich sehe keinen Widerspruch. Dann ist
die Überweisung so beschlossen.
Klaus Barthel ({0})
Wir kommen jetzt zu Überweisungen im vereinfach-
ten Verfahren. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 16a
bis 16c sowie Zusatzpunkt 3 auf:
16a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Vierten Gesetzes zur
Änderung des Elften Buches Sozialgesetzbuch
- 4. SGB XI-Änderungsgesetz - ({1})
- Drucksache 14/580 Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Gesundheit ({2})
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung
Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Haushaltsausschuß gemäß § 96 GO
b) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Ab-
kommen vom 17. Januar 1995 zwischen der
Bundesrepublik Deutschland und dem Unab-
hängigen Staat Papua-Neuguinea zur Vermei-
dung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiet
der Steuern vom Einkommen und vom Ver-
mögen
- Drucksache 14/486 -
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuß
c) Beratung des Antrags der Präsidentin des Bundesrechnungshofes
Rechnung des Bundesrechnungshofes für das
Haushaltsjahr 1998
- Einzelplan 20 - Drucksache 14/498 Überweisungsvorschlag:
Haushaltsausschuß
ZP3 Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Notenwechsel vom 29. April 1998 über die
Rechtsstellung der dänischen, griechischen,
italienischen, luxemburgischen, norwegischen,
portugiesischen, spanischen und türkischen
Streitkräfte in der Bundesrepublik Deutschland
- Drucksache 14/584 Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuß ({3})
Rechtsausschuß
Verteidigungsausschuß
Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an
die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu
überweisen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der
Fall. Damit sind die Überweisungen so beschlossen.
Wir kommen jetzt zu Vorlagen, zu denen keine Aussprache vorgesehen ist.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 17a auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zum Internationalen Privatrecht für außervertragliche Schuldverhältnisse und für Sachen
- Drucksache 14/343 ({4})
Beschlußempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses ({5})
- Drucksache 14/654 Berichterstattung:
Abgeordnete Christine Lambrecht
Dr. Susanne Tiemann
Rainer Funke
Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der
Ausschußfassung zuzustimmen wünschen, um das
Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält
sich? - Dann ist das einstimmig so beschlossen. Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung angenommen.
Dritte Beratung
und Schlußabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben.
- Jetzt bitte ich diejenigen, die dagegen sind, sich zu erheben. - Enthaltungen? - Keine. Damit ist der Gesetzentwurf angenommen.
Wir kommen zu Tagesordnungspunkt 17b:
Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie ({6}) zu der Verordnung der
Bundesregierung
Aufhebbare Fünfundneunzigste Verordnung
zur Änderung der Ausfuhrliste
- Anlage AL zur Außenwirtschaftsverordnung -
- Drucksachen 14/188, 14/305 Nr. 2.1, 14/579 -
Berichterstattung:
Abgeordneter Erich G. Fritz
Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Ge-
genprobe! - Stimmenthaltungen? - Die Beschlußemp-
fehlung ist damit angenommen.
Wir kommen jetzt zu den Tagesordnungspunkten 17c
bis 17f:
c) Beratung der Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses ({7}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Haushaltsführung 1998
Einwilligung in eine überplanmäßige Ausgabe
bei Kapitel 17 10 Titel 642 07 ({8})
- Drucksachen 14/231, 14/305 Nr. 1.5, 14/475 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Antje-Marie Steen
Manfred Kolbe
Dr. Christa Luft
Antje Hermenau
Vizepräsidentin Anke Fuchs
d) Beratung der Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses ({9}) zu der Unter-
richtung durch die Bundesregierung
Haushaltsführung 1998
Überplanmäßige Ausgabe im Einzelplan 23
Kapitel 23 02 Titel 896 03 -
Bilaterale Technische Zusammenarbeit mit
Entwicklungsländern -
- Drucksachen 14/236, 14/305 Nr. 1.6, 14/476 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Antje Hermenau
Dr. Emil Schnell
Michael von Schmude
Dr. Christa Luft
e) Beratung der Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses ({10}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Haushaltsführung 1998
Weitere überplanmäßige Ausgabe bei Kapitel
25 02 Titel 642 01 - Wohngeld nach dem
Wohngeldgesetz
- Drucksachen 14/263, 14/305 Nr. 1.7, 14/477 Berichterstattung:
Abgeordente Dietrich Austermann
Dietmar Schütz ({11})
Dr. Günter Rexrodt
f) Beratung der Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses ({12}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Haushaltsführung 1998
Einwilligung in eine überplanmäßige Ausgabe
bei Kapitel 17 10 Titel 681 01 ({13})
- Drucksachen 14/210, 14/305 Nr. 1.4, 14/478 Berichterstattung:
Abgeordnete Antje-Marie Steen
Antje Hermenau
Dr. Christa Luft
Manfred Kolbe
Wer stimmt für diese Beschlußempfehlungen? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlungen sind angenommen.
Wir kommen jetzt zu Tagesordnungspunkt 17g:
Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung ({14}) zu
der Unterrichtung durch das Europäische Parlament
Entschließung des Europäischen Parlaments
zu dem Entwurf eines Statuts für die Abgeordneten des Europäischen Parlaments
- Drucksachen 14/342 Nr. 1.8, 14/575 Berichterstattung:
Abgeordnete Anni Brandt-Elsweier
Joachim Hörster
Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Wer
stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die Beschlußempfehlung ist damit angenommen.
Wir kommen jetzt zu den Beschlußempfehlungen
des Petitionsausschusses, zunächst zu Tagesordnungspunkt 17h:
Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses ({15})
Sammelübersicht 25 zu Petitionen
- Drucksache 14/558 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht 25 ist bei wenigen
Enthaltungen angenommen worden.
Wir kommen jetzt zu Tagesordnungspunkt 17i:
Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses ({16})
Sammelübersicht 26 zu Petitionen
- Drucksache 14/559 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer
enthält sich? - Die Sammelübersicht 26 ist einstimmig
angenommen worden.
Wir kommen zu Tagesordnungspunkt 17j:
Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses ({17})
Sammelübersicht 27 zu Petitionen
- Drucksache 14/560 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer
enthält sich? - Die Sammelübersicht 27 ist bei einigen
Enthaltungen angenommen worden.
Wir kommen zu Tagesordnungspunkt 17k:
Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses ({18})
Sammelübersicht 28 zu Petitionen
- Drucksache 14/561 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer
enthält sich? - Die Sammelübersicht 28 ist bei einigen
Enthaltungen angenommen worden.
({19})
- Diese Sammelübersicht ist bei geschlossener Enthaltung der PDS-Fraktion angenommen worden.
Vizepräsidentin Anke Fuchs
Wir kommen zu Tagesordnungspunkt 17l:
Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses ({20})
Sammelübersicht 29 zu Petitionen
- Drucksache 14/562 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die Sammelübersicht 29 ist bei geschlossener
Ablehnung der PDS-Fraktion angenommen worden.
Wir kommen zu Tagesordnungspunkt 17m:
Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses ({21})
Sammelübersicht 30 zu Petitionen
- Drucksache 14/563 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer
enthält sich? - Die Sammelübersicht 30 ist bei Ablehnung der PDS-Fraktion angenommen worden.
Wir kommen zu Tagesordnungspunkt 17n:
Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses ({22})
Sammelübersicht 32 zu Petitionen
- Drucksache 14/565 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer
enthält sich? - Die Sammelübersicht 32 ist bei geschlossener Ablehnung der CDU/CSU-Fraktion angenommen
worden.
Wir kommen jetzt zu Tagesordnungspunkt 17o:
Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses ({23})
Sammelübersicht 33 zu Petitionen
- Drucksache 14/566 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die Sammelübersicht 33 ist bei Gegenstimmen aus der CDU/CSU-Fraktion angenommen worden.
Wir kommen zum Zusatzpunkt 4a:
Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses ({24})
Sammelübersicht 34 zu Petitionen
- Drucksache 14/647 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer
enthält sich? - Die Sammelübersicht 34 ist bei Enthaltung der PDS-Fraktion angenommen worden.
Wir kommen zu Zusatzpunkt 4b:
Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses ({25})
Sammelübersicht 35 zu Petitionen
- Drucksache 14/648 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer
enthält sich? - Die Sammelübersicht 35 ist angenommen
worden.
Wir kommen zu Zusatzpunkt 4c:
Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses ({26})
Sammelübersicht 36 zu Petitionen
- Drucksache 14/649 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer
enthält sich? - Die Sammelübersicht 36 ist angenommen
worden.
Wir kommen zu Zusatzpunkt 4 d:
Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses ({27})
Sammelübersicht 37 zu Petitionen
- Drucksache 14/650 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer
enthält sich? - Die Sammelübersicht 37 ist angenommen
worden.
Ich rufe den Zusatzpunkt 1 auf:
Aktuelle Stunde
Haltung der Bundesregierung zur jüngsten
Kritik aus der BfA zur Praktikabilität der
Neuregelungen der Scheinselbständigkeit
Die Fraktion der F.D.P. hat diese Aktuelle Stunde beantragt.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege
Dr. Leonhard Kolb, F.D.P.-Fraktion.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, denken Sie bitte
daran, in der Aktuellen Stunde Ihre Redezeit von fünf
Minuten nicht zu überschreiten.
Frau Präsidentin!
Meine Damen und Herren! Erst allmählich wird der Öffentlichkeit klar, welche verheerenden Folgen das von
der Koalition unlängst beschlossene Gesetz mit dem
scheinbar harmlosen Titel Gesetz zu Korrekturen in der
Sozialversicherung und zur Sicherung der Arbeitnehmerrechte hat. Tausende selbständiger Existenzen werden vernichtet, Abertausende von möglichen Existenzgründungen werden vereitelt.
({0})
Die Telefone stehen - hoffentlich nicht nur bei mir, sondern auch bei Ihnen, Herr Gilges - nicht mehr still, weil
besorgte Auftraggeber wie Auftragnehmer fassungslos
vor einem im Eilverfahren schludrig zusammengezimmerten Regelwerk stehen, das sich beim schnellen Griff
nach dem Geld nicht lange mit den Realitäten und gewachsenen Strukturen in unserer Wirtschaft aufgehalten
hat und über moderne Entwicklungen wie eine Dampfwalze hinweggeht.
({1})
Vizepräsidentin Anke Fuchs
Jetzt hat auch die BfA, die zunächst in Erwartung
höherer Beitragseinnahmen glaubte, dem Gesetzeswerk
etwas abgewinnen zu können, Alarm geschlagen. Ihr
Vorstandsvorsitzender Hans-Dieter Richardt hat jetzt
offen zugegeben, die Durchsetzung des neuen Gesetzes
werde „nicht ohne Probleme abgehen“,
({2})
und es werde „lange dauern, bis wieder Rechtssicherheit
für die Unternehmen“ hergestellt sei.
Um genau diesen Punkt geht es, meine Damen und
Herren. Die Praktikabilität dieses Gesetzes ist nicht
gegeben. Ich halte jede Wette, Herr Gilges, daß in der
Regierungskoalition nur wenige Experten, wenn überhaupt welche, wirklich übersehen, was sie da angerichtet
haben, was den Unterschied zwischen einem Scheinselbständigen, einem arbeitnehmerähnlichen Selbständigen und einem in Ihren Augen „richtigen“ Selbständigen
ausmacht und welche Rechtsfolgen sich vor allem daran
knüpfen.
({3})
- Ja, sie wissen nicht, was sie tun.
Es ist deswegen nur folgerichtig, daß sich namhafte
Zeitungen und Magazine in einzelnen Artikeln, ja in
ganzen Serien mit dem von Ihnen angerichteten Chaos
befassen und Branche für Branche, Wirtschaftszweig für
Wirtschaftszweig aufzeigen, welche desaströsen Wirkungen Ihre Gesetzgebung zeigen wird.
({4})
All diese Veröffentlichungen, Herr Gilges, kommen zu
dem gleichen Ergebnis: Die von uns befürchteten und
von Ihnen verdrängten Verluste von Selbständigkeit und
Arbeitsplätzen sind nur allzu realistisch.
({5})
Spediteure, Rechtsanwälte, Versicherungsvertreter,
Architekten, Journalisten, Messebauer, Franchiseunternehmen, um nur einige zu nennen, sind in Gefahr, unter
die Räder rotgrüner Sozial- und Wirtschaftsideologie zu
kommen.
({6})
Das darf nicht sein. Deswegen fordern wir heute die
Bundesregierung auf, Stellung zu beziehen.
({7})
Die Wirkungen Ihres verfehlten Ansatzes und dessen
mangelnder Praktikabilität sind dreierlei:
Erstens. Auf viele bisher Selbständige kommen Probleme zu, weil Sie diese - in den allermeisten Fällen gegen deren erklärten Willen - in die Sozialversicherung
zwingen wollen. Aber nicht einmal das bekommen Sie
geregelt.
({8})
Das Schlimme ist, Herr Riester, daß Sie diese Menschen bis zum letzten Augenblick im ungewissen über
ihre Zukunft lassen, weil Sie nicht fähig sind, ein klares
und einheitliches Verfahren zur Feststellung des Sachverhaltes der von Ihnen so genannten Scheinselbständigkeit zu installieren. Die Praxis sieht dann so aus, daß
jede Krankenkasse ihren eigenen Fragebogen hat, der
von Kasse zu Kasse, von Region zu Region unterschiedlich ist. Die eine Kasse handhabt das Ganze etwas
lockerer, die andere etwas rigider. Wer das Pech hat, an
die falsche Kasse zu geraten, wird gegen seinen Willen
zum Arbeitnehmer gemacht.
({9})
Manche Fragebögen sind suggestiv so aufgebaut, daß
bei unbedarftem Herangehen in vielen Fällen am Ende
die Scheinselbständigkeit oder die arbeitnehmerähnliche
Selbständigkeit steht. Ich habe es mir selbst angeschaut,
und ich finde unerträglich, was hier läuft.
({10})
Zweitens. Noch mehr Unwägbarkeiten entstehen für
den bisherigen Auftraggeber, der Gefahr läuft, sich unversehens als Arbeitgeber wiederzufinden. Er muß
möglicherweise für seinen bisherigen Auftragnehmer,
der, weil Sie das so wollen, zukünftig sein Arbeitnehmer
ist, für bis zu vier Jahre Sozialversicherungsbeiträge
nachentrichten und kann diese allenfalls für drei Monate
von seinem unfreiwilligen Mitarbeiter zurückfordern.
Viele kleine, mittlere und große Unternehmen werden
als Folge dessen in den Konkurs getrieben.
({11})
Das gilt zum Beispiel für das Transportgewerbe. Auch
dort sind die Gewinnmargen nicht so groß, daß solche
zusätzlichen Kosten verkraftbar wären. Ich weiß von
einem größeren deutschen Logistikkonzern, daß er
schlicht nicht in der Lage ist, für den im Sinne Ihrer
Regelung einschlägigen Kreis seiner Frachtführer die
Sozialversicherungsbeiträge nachzuzahlen. Hier werden
wirtschaftlich gesunde Unternehmen ganz bewußt in
wirtschaftliche Schwierigkeiten gebracht. Das ist unakzeptabel.
({12})
Drittens. Die Neuregelung betrifft die Existenzgründer besonders hart. Ihnen wird in vielen Fällen die
Möglichkeit zur Gründung und Entwicklung eines eigenen Unternehmens genommen, und zwar deshalb, weil
kein Auftraggeber, der verantwortlich handelt, einem
Anfänger in Zukunft einen größeren Auftrag erteilen
kann; denn dieser Auftragnehmer landet dann, wenn er
nicht mindestens ein Sechstel seiner Umsätze mit einem
anderen Auftraggeber tätigt, ganz unweigerlich auf seiner Lohnliste. Die Folge ist - um ein Beispiel zu geben -, daß Zeitungsverleger, Radiostationen und Fernsehsender Aufträge nicht an in der Gefahr der Scheinselbständigkeit stehende freie Journalisten vergeben,
sondern an große Agenturen, bei denen der Verdacht der
Scheinselbständigkeit gar nicht erst aufkommen kann.
Denken Sie bitte an
die Zeit.
Ich komme zum
Ende.
In anderen Bereichen ist es ähnlich: Bei den freien
Architekten, bei den freien Bauingenieuren, bei den freien Informatikern und bei den Rechtsanwälten bleiben
Ihre vollmundigen Ankündigungen, den Mittelstand und
die Existenzgründer zu unterstützen, ohne Grund und
Boden. Die ersten Reaktionen zeigen sich bereits. Ich
jedenfalls beobachte mit Interesse und Freude die Ergebnisse der Meinungsumfragen bei den Entscheidungsträgern der Wirtschaft.
Ich kann Sie, Herr Riester, nur auffordern: Kehren
Sie um! Sie sind auf dem falschen Weg. Wenn Sie in der
rotgrünen Koalition keine Unterstützung finden, dann
seien Sie wenigstens so konsequent, zurückzutreten.
Danke schön.
({0})
Nun erteile ich das
Wort dem Bundesarbeitsminister Walter Riester.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten
Damen und Herren! Vor einer Woche hatte ich ein sehr
konstruktives Gespräch mit den Spitzenverbänden der
Krankenkassen und der Rentenversicherungen. Die Sozialversicherungsträger haben mir zugesagt, die Neuregelung zur Bekämpfung der Scheinselbständigkeit zügig
durchzuführen. Herr Kolb, ich darf Ihnen sagen, daß es
hinsichtlich der Listen ein koordiniertes Vorgehen geben
wird. Außerdem werden die Betroffenen über die Inhalte
der Neuregelung verstärkt informiert werden.
Auch ich habe das Presseseminar über die Medien
verfolgt. Deswegen möchte ich kurz eine Klarstellung
abgeben: Dieses Gesetz ist von der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte stark beeinflußt worden. Ich
erinnere daran, daß meine Partei, die SPD, 1997 einen
Gesetzentwurf zur Scheinselbständigkeit vorgelegt hat.
Die damals vorgesehenen Regelungen entsprechen fast
exakt dem heute beschlossenen Gesetz.
({0})
Die BfA vertrat damals die Auffassung, daß die Vermutungsregelung allein zuwenig bewirke, weil es auf
eine Gesamtschau der jeweiligen Erwerbstätigkeit ankomme. Deshalb hat sie damals vorgeschlagen, den Katalog der versicherungspflichtigen Selbständigen um eine weitere Gruppe zu ergänzen, nämlich um die der arbeitnehmerähnlichen Selbständigen.
({1})
Ich verweise auf Seite 35 und auf Seite 38 des Wortprotokolls der 103. Sitzung des Ausschusses für Arbeit
und Sozialordnung vom 11. Juni 1997. Uns waren die
Erfahrungen und die Kompetenz der BfA wichtig. Wir
haben den Vorschlag aufgegriffen.
({2})
Diese Neuregelungen sind im Presseseminar der BfA
am 22./23. März nicht in Frage gestellt worden. Ich habe
das Protokoll nachgelesen: Es war lediglich zur neugeschaffenen Vermutungsregelung und zur Neuregelung
der arbeitnehmerähnlichen Selbständigen auf folgendes
hingewiesen worden - ich zitiere -: „Abschließende
Bewertung ist erst in einiger Zeit möglich.“ Das ist für
mich fast eine Banalität, eine Erkenntnis, die bei gesetzlichen Neuregelungen nicht gerade umwerfend ist und
die Schlagzeile von vor zwei Tagen meiner Meinung
nach nicht rechtfertigt.
({3})
Die BfA hat nach wie vor allen Grund, das Gesetz in
seiner Umsetzung zu unterstützen. Vor allem sie hat sich
in der Vergangenheit dafür stark gemacht, die Flucht aus
der Sozialversicherung durch geeignete Maßnahmen gegen Scheinselbständigkeit zu stoppen. Scheinselbständigkeit ist ein Synonym für unfairen Wettbewerb, für
Sozialdumping und für unzureichende soziale Absicherung. Wir alle kennen doch die Beispiele von den selbständigen Kellnern und den selbständigen Auslieferungsfahrern. Sie sind in der Regel Arbeitnehmer, häufig
allerdings unter Tarif bezahlt und sozial unzureichend
abgesichert. Diese Beschäftigungsverhältnisse haben inzwischen ein gravierendes Ausmaß angenommen.
({4})
Solche Auswüchse haben wir sofort nach dem Regierungswechsel gestoppt.
({5})
Dafür haben wir geltendes Recht, das früher Einzelfall
für Einzelfall in Gerichtsverfahren hergestellt werden
mußte, kodifiziert.
({6})
Wenn man beachtet, wie Sie, meine Damen und Herren von der F.D.P., gebetsmühlenhaft Ihre Kritik an unserem Gesetz wiederholen, dann drängt sich für mich
der Eindruck auf: Es ist ein Plädoyer für Scheinselbständigkeit.
({7})
Lassen Sie mich noch einmal verdeutlichen, um was
es geht. Die Neuregelung erleichtert es, Scheinselbständigkeit zu erfassen,
({8})
sichert den Betroffenen dauerhaft sozial ab, schützt die
Sozialversicherungen davor, daß ihre Beitragsbasis
weiter abbröckelt, und schafft wieder faire Wettbewerbsbedingungen.
({9})
Damit haben wir die Grenzen zwischen Selbständigen
und Nichtselbständigen nicht verschoben, sondern klar
definiert. Scheinselbständige sind tatsächlich Arbeitnehmer und seit jeher sozialversicherungspflichtig. Da
ist überhaupt nichts Neues geschehen.
Das Problem ist jedoch, daß man mit diesen ungeschützten Arbeitsverhältnissen im allgemeinen erst bei
Betriebsprüfungen konfrontiert wird. Deshalb haben wir
die Beweislast umgekehrt:
({10})
Wird eine Arbeitnehmertätigkeit vermutet, dann ist es
Sache des Betreffenden oder des Auftraggebers, das
Vorliegen einer echten Selbständigkeit nachzuweisen.
({11})
Sie sollen die Fakten auf den Tisch legen, nicht die Sozialversicherungsträger, die im Regelfall überfordert wären.
({12})
Es geht also nicht darum, Selbständige zu abhängig
Beschäftigten zu machen, sondern es geht darum, solche
Beschäftigten besser zu erfassen, die bisher unter Umgehung der sozialversicherungsrechtlichen Vorschriften
als Selbständige aufgetreten sind.
({13})
Bei den Scheinselbständigen geht es eben nicht um
Selbständige, sondern um Arbeitnehmer. Wenn die Neuregelung jemanden belastet, dann doch nur die Auftraggeber, die von der unzureichenden sozialen Sicherung
Scheinselbständiger profitieren. Die wollen wir belasten.
({14})
Wir haben mit den Sozialversicherungsträgern gemeinsam klargestellt, daß jemand, der nur durch die
neue Vermutungsregelung als scheinselbständiger Arbeitnehmer eingestuft wird, nicht rückwirkend sozialversicherungspflichtig wird, sondern erst ab dem 1. Januar 1999; das ist ganz wichtig.
({15})
- Für die Auftraggeber gilt das auch. - Das gilt natürlich
nicht - das sage ich auch klar; da muß man ein gemeinsames Interesse haben -, wenn die Versicherungspflicht
auch nach dem bisher geltenden Recht schon bestand,
aber umgangen wurde.
({16})
- Was heißt hier „Aha!“? Das wäre ja noch schöner.
Wir weisen die Kritik von Interessenverbänden zurück, daß unser Gesetz Existenzgründern den Weg in die
berufliche Selbständigkeit erschwert.
({17})
Wer Existenzgründer ist und Fördermittel bekommt, ist
Selbständiger.
({18})
Echte Existenzgründer werden durch die neue Rentenversicherungspflicht für arbeitnehmerähnliche Selbständige nicht unangemessen belastet. Für sie sind Beitragserleichterungen vorgesehen: In den ersten drei Jahren
zahlen sie nur den halben Regelbeitrag, bei niedrigerem
Einkommen unter Umständen noch weniger; bei ernsthaften Zahlungsproblemen können die Beiträge sogar
gestundet werden. Daß von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht wird, würde ich mir für manchen Beschäftigten sogar wünschen.
Im übrigen war fast jeder Existenzgründer vorher Arbeitnehmer und hatte damit in der Regel einen Berufsund Erwerbsunfähigkeitsschutz in der Rentenversicherung erworben. Er hat daher selbst ein Interesse daran,
diesen Schutz in der Anlaufphase aufrechtzuerhalten.
Als arbeitnehmerähnlicher Selbständiger behält er seine
Ansprüche, indem er Pflichtbeiträge zur Rentenversicherung weiterzahlt.
Die getroffenen Maßnahmen müssen sich natürlich in
der Praxis bewähren. Wenn es Anfangsschwierigkeiten
geben sollte, dann wäre das - wie bei jedem Gesetz zuerst einmal normal.
({19})
Wenn sich der eine oder andere umstellen muß, dann ist
auch das normal. Aber wer sich scheut, sich umzustellen
und Anfangsschwierigkeiten zu überwinden, dem wird
es wohl auch kaum gelingen, Gesetze, die die Realität
gestalten, auf den Weg zu bringen.
({20})
Meine Damen und Herren von der F.D.P., Sie haben
diese Scheu gerade in der Frage der Scheinselbständigkeit jahrelang unter Beweis gestellt. Nehmen Sie es hin,
daß wir den Mut haben, die Sache anzugehen.
({21})
Das Wort hat nun
die Kollegin Birgit Schnieber-Jastram, CDU/CSUFraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Was Sie, Herr Riester, hier als Wunderwerk verkaufen, ist schon, wie es
organisiert und angelegt wurde, ein Unwerk, um es
Ihnen deutlich zu sagen. Dieses dicke Papier - die
Richtlinien der Sozialversicherungsträger - enthält die
Auslegung von nur zwei Paragraphen.
({0})
Wer soll das eigentlich alles durcharbeiten? Die Richtlinien der Sozialversicherungsträger zu diesem einzigen
Gesetz sind ein Wust von Papier. Ich wünsche Ihnen
wirklich viel Vergnügen bei der Umsetzung dieses Gesetzes. Es wird ein Flop werden, Herr Riester.
({1})
Wir haben hier oft über dieses Problem diskutiert.
Trotz der Notwendigkeit, Flexibilisierung zu ermöglichen, muß sichergestellt sein - das ist immer unsere
Position gewesen -, daß für schutzwürdige Personen
auch in Zukunft ein ausreichender Versicherungsschutz
besteht. Weiterhin muß sichergestellt sein - das ist eben
nicht sichergestellt -, daß die fortschreitende Flexibilisierung der Beschäftigungsformen und damit das Entstehen neuer Formen der Selbständigkeit nicht behindert
werden. An dieser Stelle sehe ich nur deutliche Fehlleistungen.
({2})
Durch so einen Schnellschuß, wie Sie ihn hier wieder
einmal gemacht haben, dieses Problem in den Griff bekommen zu wollen kann gar nicht funktionieren.
Ich wundere mich schon sehr, daß aus den Reihen der
Grünen und der SPD immer wieder Äußerungen zu hören waren wie: Wir wollen eine zweite Chance für die
Wirtschaft; das Gesetz zur Begrenzung der Scheinselbständigkeit muß überprüft werden. Der Kollege Bury hat
gesagt, Existenzgründer dürften während ihrer Startphase nicht behindert werden.
({3})
Und was passiert? Nichts passiert. Sie lassen sich, lieber
Herr Riester - das tut mir ja leid -, mal ein Stückchen
vom Bundeskanzler, mal von der Fraktion wie an einem
Gängelband durch die Gegend führen, ohne daß Sie
wirkliche Lösungen im schwierigen Bereich der Sozialpolitik vorlegen.
({4})
Ich fordere Sie an dieser Stelle auf: Machen Sie dieses Spielchen nicht mehr mit, auch nicht in anderen Bereichen, wie bei der Rente. Heute hü, morgen hott, rin
und rut, je nachdem, was Bundeskanzler Schröder in
seinem vornehmen Brioni-Anzug, in dem innen vielleicht noch eine Plakette „Für Solidarität und Gerechtigkeit“ angebracht ist, Ihnen in das eine oder andere Ohr
flüstert, laufen Sie an seinem Gängelband durch die Gegend. Dadurch laufen Sie Gefahr, daß Sie auf Dauer die
Sozialsysteme in eine Situation bringen, die noch viel
schwieriger sein wird, als sie ohnehin schon ist. Machen
Sie dies nicht mehr mit!
({5})
Nun erteile ich das
Wort der Kollegin Annelie Buntenbach, Bündnis 90/Die
Grünen.
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich kann Sie beruhigen, Frau Schnieber-Jastram:
Wir werden den Kurs halten. Wir wollen nämlich jede
dauerhafte Beschäftigung in die Sozialversicherung einbeziehen.
({0})
- Aber ja, das ist unser Ziel und bleibt auch unser Ziel.
Sie wissen genausogut wie wir, daß das dringend nötig
ist.
In den letzten Jahren hat die Zahl der Arbeitsverhältnisse ohne vernünftige Absicherung unglaublich zugenommen: Ich meine Minjobs unterhalb der Sozialversicherungsgrenze, Werkverträge, Befristungen, Kettenverträge und eben auch die Scheinselbständigkeit.
({1})
Ich will klarmachen, worum es dabei eigentlich geht;
denn: ich habe den Eindruck, daß Sie in dieser Debatte
schlichtweg das Problem verdrängen, das Sie selbst mitverursacht haben. Es geht zum Beispiel um den Transportfahrer, der von seinem Arbeitgeber aus der Sozialversicherung herausgedrängt wird, weil der Arbeitgeber
die Kosten für die Sozialversicherung nicht bezahlen
will. An der Tätigkeit des Transportfahrers ändert sich
nichts. Er hat auch keinen größeren Handlungsspielraum, was für Selbständigkeit spräche. Er gewinnt nichts
dazu, aber er verliert.
({2})
- Sie haben vielleicht gleich noch Gelegenheit, zu reden.
Hören Sie doch mit Ihren unqualifizierten Zwischenrufen auf!
({3})
Der Transportfahrer ist dann nicht etwa selbständig,
er gewinnt nichts dazu, aber er verliert seine soziale Absicherung. Das ist kein Einzelfall, sondern erstreckt sich
über die unterschiedlichsten Branchen: von der selbständigen Regalauffüllerin im Kaufhaus bis zur Kellnerin, die an der Theke die Tasse Kaffee einkauft und sie
dann am Tisch als Selbständige an den Kunden verkauft.
Arbeitgeber haben in den letzten Jahren immer mehr
Wege gefunden, sich um die Kosten für die Sozialversicherung zu drücken, sich aus ihrer sozialen Verantwortung zu stehlen und ihre Beschäftigten schlicht aus der
Sozialversicherung herauszudrängen. All diese Menschen, sehr geehrte Kollegen von der F.D.P., die hier
unter die Räder gekommen sind, haben Sie in den letzten Jahren nicht interessiert, und zwar nicht für fünf
Pfennig, und sie interessieren Sie offensichtlich auch
heute nicht.
({4})
Es ist völlig unverantwortlich, wie Sie das Problem über
lange Jahre haben wuchern lassen.
Frau Schnieber-Jastram, Sie haben gesagt, wir hätten
einen Schnellschuß gemacht.
({5})
Da muß ich Ihnen sagen: Sie haben jahrelang Zeit
gehabt, und Sie wissen genausogut wie wir, daß es hier
ein Problem gibt, das dringend der Regelung bedarf. Die
alte Regierung war nicht imstande und schlicht nicht
willens, wenigstens irgend etwas zur Eindämmung des
Problems zu unternehmen.
({6})
Das liegt gerade an den Deregulierern aus der F.D.P.,
die sich heute als Rächer der Enterbten in die Bresche
werfen.
({7})
Ein großer Teil der Schwierigkeiten, die bei der Umsetzung dieses Gesetzes unzweifelhaft auftauchen, sind
genau das Ergebnis davon, daß erst wir als neue Regierung uns diesem Problem gestellt haben. Wenn Menschen über Jahre hinweg in dem von Ihnen angerichteten
Chaos ihre Existenz aufbauen müssen, dann planen sie
natürlich die Nischen, die sie darin gefunden haben,
auch für ihre Zukunft ein. Wenn wir versuchen, das
Chaos zu beseitigen, dann beseitigen wir selbstverständlich auch diese Nischen.
({8})
Dabei müssen wir - das darf ich selbstkritisch auch
an unsere Adresse richten - die Betroffenen besser
unterstützen, besser informieren und ihnen mit diesen
Informationen eine andere Sicherheit bieten. Hier hat es
- das räume ich ein - Versäumnisse gegeben. Aber wir
geloben nicht nur Besserung, sondern - das hat Minister
Riester eben schon gesagt - wir haben schon damit angefangen.
({9})
- Das kann ich Ihnen gerne sagen: Zum Beispiel gibt es
inzwischen schriftliches Informationsmaterial, und es
gibt eine Hotline des BMA, die Ihnen aber offensichtlich
auch nicht paßt.
Wir werden die Leute darüber informieren, weil wir
genau wissen, daß wir Raum für völlig verzerrte Darstellungen gegeben haben, mit denen - das muß ich
Ihnen und auch den Verbänden vorwerfen, die regelrecht den Rausschmiß von Mitarbeitern empfohlen haben - Unsicherheit und Angst der Menschen geschürt
worden sind. Das finde ich unverantwortlich.
({10})
Ihre Tiraden über die Existenzgründungen stimmen
definitiv nicht.
({11})
Sie wissen, es gibt einen Mindestbeitrag - auch davon
ist eine Befreiung möglich -, der bei monatlich 122 DM
im Westen und 103 DM im Osten liegt. Wer das nicht
bezahlen kann - das tut mir leid -, hätte besser keine
Existenz gegründet.
({12})
Vier Jahre Rückwirkung - das ist eben angesprochen
worden - wird es nicht geben. Es gibt eine Reihe von
anderen Informationen, die Sie der Hotline und auch den
anderen Informationsquellen entnehmen können.
({13})
Ich glaube - das möchte ich hier noch einmal zusammenfassend darstellen -, daß wir einen Schritt in die
richtige Richtung gemacht haben. Ich glaube aber auch,
daß dieser Schritt nicht ausreichen wird. Es hat sich
nämlich auch gezeigt, daß die Machtverhältnisse am
Markt offensichtlich so sind, daß die Umgehungstatbestände von seiten der Arbeitgeber nicht auszuschließen
sind und daß wir uns damit auseinandersetzen müssen,
wenn zum Beispiel Arbeitnehmer zu einer GmbHGründung erpreßt werden.
({14})
Das sage ich zum Beispiel für den Bereich der Transportfahrer, wo dann der Beweis erbracht werden muß,
daß der Arbeitgeber auf gar keinen Fall riskiert, Sozialversicherungsbeiträge zahlen zu müssen. Das, finde ich,
kann die Lösung nicht sein.
Lassen Sie mich als letzten Satz sagen: Wir müssen
gerade die Basis der Sozialversicherung verbreitern und
mehr Menschen in die Sozialversicherung einbeziehen;
das ist absolut dringend.
({15})
Wir brauchen eine soziale Absicherung auch für atypische Beschäftigungsverhältnisse - darüber werden wir
diskutieren müssen -, aus denen kein typisches Beschäftigungsverhältnis werden kann.
({16})
Da müssen wir auch über Modelle wie die Künstlersozialversicherung nachdenken, die für alle mehr soziale Sicherheit bieten können.
({17})
Nun hat das Wort
die Kollegin Monika Balt, PDS-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr
verehrten Damen und Herren! Vorige Woche beantragte
die F.D.P. eine Aktuelle Stunde zu ersten Erfahrungen
mit den Regelungen zur Bekämpfung der Scheinselbständigkeit. Dann zog sie diese zurück, was gut war,
weil ja noch gar keine Erfahrungen vorliegen können.
Danach beantragte sie eine Aktuelle Stunde zum Rücktritt des Bundesfinanzministers Oskar Lafontaine
({0})
und zum Festhalten der Bundesregierung an ihren Steuergesetzen, um diese wieder zurückzuziehen und nun
erneut die Aktuelle Stunde zur Scheinselbständigkeit auf
die Tagesordnung setzen zu lassen. Man sieht: Es gibt
nicht nur rotgrünes, sondern auch blaugelbes Chaos.
({1})
Die PDS - dies haben wir in letzter Zeit mehrfach
betont - unterstützt das Bestreben der Bundesregierung,
dem Mißbrauch verschiedener Formen von Scheinselbständigkeit entgegenzuwirken.
({2})
Uns geht es darum, zu verhindern, daß mit der schlichten Umbenennung von abhängig Beschäftigten in Selbständige der Ausstieg aus dem Sozialversicherungssystem für Arbeitgeber immer einfacher wird. Wir wollen
die Aushöhlung des Solidarsystems endlich stoppen und
nicht länger zulassen, daß Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer gegen ihren Willen in prekäre und nicht selten in existenzbedrohende Arbeitssituationen gepreßt
werden.
({3})
Wer zum Beispiel - dies sind typische Problemfälle als Kellnerin in der Küche das Essen kaufen muß, um es
den Gästen dann zu verkaufen, oder wer als Kraftfahrer
aus dem Arbeitsverhältnis ausscheidet, seinen Lkw kaufen oder leasen muß und die Verpflichtung auferlegt bekommt, nur für dieses Unternehmen zu fahren, der ist
ein Arbeitnehmer. Es geht darum, eine solche Situation
zu verhindern. Herr Riester wies heute ebenfalls darauf
hin.
Das Gesetz zielt in die richtige Richtung. Es soll verhindern, daß Arbeitnehmer in die Scheinselbständigkeit
getrieben werden. Ausdrücklich ist nicht ausgeschlossen
worden, Korrekturen vorzunehmen, wenn erste Erfahrungen mit der Neuregelung vorliegen.
({4})
Aber es sind ja noch keine drei Monate vergangen.
({5})
Der Zeitraum ist viel zu kurz, um zu sagen: Wir haben
echte fundierte Erfahrungen. Ich kann Ihre Panikmache,
meine Damen und Herren von der F.D.P., nicht verstehen.
({6})
Aber auch Sie, verehrte Kolleginnen und Kollegen
von der Koalition, haben selbst für beträchtliche Unsicherheit gesorgt. Die Medien vermeldeten, daß bei einer
spät festgestellten Scheinselbständigkeit der Arbeitgeber
die Sozialversicherungsbeiträge der vergangenen vier
Jahre nachzuzahlen hat,
({7})
was für viele Firmen den Konkurs bedeuten würde. Dem
entgegen steht die Information aus dem Arbeitsministerium, wonach die Rückforderung lediglich zum 1. Januar 1999 möglich sein wird. Die Verwirrung zeigt, daß
die Bundesregierung hier an Information und Aufklärung noch einiges zu leisten hat.
({8})
Nun zur Kritik der BfA. Der Vorstand der BfA kritisiert unter anderem, daß zum einen die Neuregelungen
zum Teil undurchschaubar seien und daß sich zum anderen ein erheblicher Verwaltungsaufwand ergeben werde.
Es würde mich schon sehr interessieren, wie hoch der
Aufwand beziffert wird und in welcher Relation er zu
den zu erwartenden zusätzlichen Einnahmen in der Höhe
von 200 Millionen DM steht. Ich weiß, daß bereits jetzt
bei der BfA in Berlin ein großer Stapel von Anträgen
auf Befreiung von der Versicherungspflicht nach § 231
Abs. 5 SGB VI vorliegt, dessen Bearbeitung mindestens
ein halbes Jahr beanspruchen wird.
Hier geht es doch vor allem um den sozialen Schutz
der Betroffenen. Hilft ihnen das Gesetz oder nicht?
({9})
Das ist die zentrale Frage. Wir werden mit großer Aufmerksamkeit verfolgen, wie das Gesetz in der Praxis
greift. Werden die Unternehmer zu Ausweichstrategien
übergehen und ihre Subunternehmer als sogenannte arbeitnehmerähnliche Selbständige einordnen? Werden
Entlassungen und Angst vor Kündigungen zunehmen?
Wird es einen Anstieg von illegaler Beschäftigung geben? Oder führt das Gesetz - das ist unser Ziel - zu
festen, zu ordentlichen und damit zu sozial gesicherten
Arbeitsverhältnissen?
({10})
Frau Kollegin Balt,
das war Ihre erste Rede im Deutschen Bundestag. Ich
gratuliere Ihnen im Namen des ganzen Hauses.
({0})
Nun erteile ich das Wort der Kollegin Birgit Roth,
SPD-Fraktion.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr
verehrten Damen und Herren! Angesichts der doch sehr
heftigen Debatte und vor allem auch der Polemik, die in
dieser Aktuellen Stunde bereits geäußert wurde,
({0})
möchte ich kurz die Gelegenheit ergreifen, wirklich
sachlich - Herr Niebel, ich betone: sachlich - einige
wichtige Zusammenhänge in bezug auf arbeitnehmerähnliche Selbständige zu erläutern.
({1})
- Vielleicht sollten wir einmal über den Ausdruck
„Sachlichkeit“ reden.
({2})
Das seit dem 1. Januar 1999 gültige Gesetz berücksichtigt natürlich auch Freiberufler, Existenzgründer und
Selbständige, die in einer arbeitnehmerähnlichen Position arbeiten. Das heißt: Selbstverständlich hat die Bundesregierung den speziellen Charakteristika der Berufsgruppen Rechnung getragen. Lesen Sie es doch einfach
mal nach! Es gibt besondere Konditionen für Existenzgründer, Ausnahmeregelungen für die Jahrgänge vor
1949, Übergangs- und Kompensationsregelungen. Wenn
bereits eine Altersversorgung besteht, wird diese natürlich anerkannt.
Wir wollen natürlich nicht einerseits Existenzgründerinnen und Existenzgründer durch Chancenkapital,
durch Förderprogramme und durch innovative Preise
unterstützen, ihnen aber andererseits das wenige Geld,
über das sie verfügen, gleich wieder abnehmen. Das
kann es ja wohl nicht sein.
Um nur einige Eckpunkte zu nennen: In den ersten
drei Jahren wird nur die Hälfte der Beiträge für die
Rentenversicherung fällig. Wenn man von einem Durchschnittseinkommen von 4 500 DM ausgeht, beläuft sich
der monatliche Beitrag für einen Existenzgründer in den
alten Bundesländern auf 220 DM. Wenn die Einkünfte
von Existenzgründern unter dieser Marge liegen, ist ein
Mindestbeitrag von 120 DM zu zahlen. Ich muß Ihnen
ehrlich sagen: Das muß jeder Existenzgründer, jede Existenzgründerin schlicht und einfach zahlen können.
Wenn dieser Betrag nicht drin ist, dann kann man sich es tut mir leid - auch nicht selbständig machen.
({3})
Dies müssen Sie ebenfalls berücksichtigen: Während
dieser Zeit ist die Person vollständig abgesichert, was
eine private Rentenversicherung zu diesen Konditionen
überhaupt nicht leisten könnte. Denken Sie doch einmal
an die Berufs- und Erwerbsunfähigkeit!
({4})
Abgesehen davon: Wenn jemand in den ersten zwei,
drei Jahren arbeitnehmerähnlich selbständig ist, weil er
erst später jemanden einstellen kann, und dann in eine
reguläre Selbständigkeit übergeht, bekommt er die eingezahlten Beiträge sogar bis zu fünf Jahren rückwirkend
zurück. Was wollen Sie mehr?
({5})
- Wunderbar. Dann sind wir ja einer Meinung.
({6})
Ich muß Ihnen aber noch etwas sagen, Frau Schnieber-Jastram: Wie kann man fünf Minuten lang reden ohne irgendein sachliches Argument?
({7})
Sie haben eigentlich nur das „Gängelband“ angesprochen, sonst gar nichts.
({8})
Auch der Vorwurf, im boomenden Multimediabereich würden viele arbeitnehmerähnliche Selbständige
wie zum Beispiel Programmierer, Texter oder Screendesigner - um nur einige zu nennen - ihre Aufträge verlieren, weil der Auftraggeber fürchtet, er müsse auf einmal
Sozialversicherungsbeiträge leisten, trifft überhaupt
nicht zu.
({9})
- Ich habe es gelesen. Vielleicht sollten Sie es noch
einmal lesen.
({10})
Die Auftraggeber müssen überhaupt keine Beiträge abführen; für einen arbeitnehmerähnlichen Selbständigen
geht es nur um die Rentenversicherung.
({11})
- Danke schön, ich bin im Wirtschaftsausschuß. Ich
kenne ihre Meinung.
Natürlich kann man an gegebener Stelle einmal darüber nachdenken, ob die Unterteilung in arbeitnehMonika Balt
merähnliche Selbständige wirklich vonnöten ist. Das
aber wird in den nächsten Jahren die Praxis zeigen.
Die Sorgen vieler arbeitnehmerähnlicher Selbständiger, eben Existenzgründer, nehmen wir ernst. Das ist
überhaupt keine Frage. Sie befürchten, durch die neue
Regelung in ihrer Existenz bedroht zu sein. Zum Großteil aber beruhen diese Befürchtungen auf Informationsdefiziten.
({12})
Sie können mittlerweile bei der Krankenkasse und bei
der BfA anrufen. Es gibt auch entsprechende Broschüren.
({13})
Um zum Schluß zu kommen: Es ist das erklärte Ziel
der rotgrünen Bundesregierung, Existenzgründungen zu
fördern und zu unterstützen und auf die Belange der
Existenzgründer einzugehen. Was wir meines Erachtens
brauchen, ist eine neue Gründungsoffensive.
({14})
Wir danken all den Personen, die den Schritt in die
Selbständigkeit gewagt, damit Arbeitsplätze aufgebaut
und gesichert haben; denn der Abbau der Arbeitslosigkeit hat bei dieser Regierung ganz klar oberste Priorität.
Danke schön.
({15})
Kollegin Roth, das
war Ihre erste Rede im Deutschen Bundestag. Ich gratuliere Ihnen dazu sehr herzlich.
({0})
Ich erlaube mir einen Hinweis: Sie kennen mich als
fleißige Zwischenruferin, aber manchmal denke ich, daß
die Männer besonders viele Zurufe machen, wenn Frauen sprechen. Ich hoffe, daß Sie es mir nicht übelnehmen,
wenn ich das so sage.
({1})
Jetzt hat der Kollege Johannes Singhammer von der
CDU/CSU-Fraktion das Wort.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr
Bundesarbeitsminister, wer statt der Scheinselbständigkeit Existenzgründungen bekämpft, der macht nicht
vieles besser, sondern alles schlechter.
({0})
Ihr Problem in bezug auf die 630-DM-Beschäftigungsverhältnisse und auf die Scheinselbständigkeit, ist
doch, daß Sie etwas durchgepeitscht haben, dessen
Mängel bereits jetzt offenkundig geworden sind. Sie haben die Warnungen der Verbände in den Wind geschlagen. Sie haben zum Beispiel die präzisen Warnungen
der Zeitungsverleger nicht beachtet.
({1})
Letztendlich machen Sie mit der Kette von Schwierigkeiten, die dieses Gesetz mit sich bringt, und mit Ihren
Nachbesserungen das Chaos zum System. Das wird dieses Gesetz auch weiterhin begleiten.
Daß dieses Gesetz so nicht gültig bleiben wird,
schätzen nicht nur wir so ein, sondern auch eine Reihe
von Kollegen aus den Regierungsfraktionen. Frau
Kollegin Wolf, da ich Sie gerade sehe: Am 11. März
dieses Jahres haben Sie gesagt - ich habe das vor wenigen Tagen in einer Zeitung gelesen; bitte korrigieren
Sie mich, wenn das Zitat nicht stimmen sollte -: Das
Gesetz muß überarbeitet werden; schließlich muß es
sich an der Wirklichkeit orientieren. - Frau Kollegin,
Sie haben recht.
({2})
Auch der Bundeswirtschaftsminister hat in München
bestätigt, daß Nachbesserungsbedarf besteht.
Unbestritten ist, daß ein Regelungsbedarf im Hinblick
auf eine sinnvolle und gerechte Unterscheidung von
Selbständigen und Scheinselbständigen in diesem dynamischen Prozeß besteht, in dem ständig neue Beschäftigungsmöglichkeiten geschaffen werden. Wer ist
Arbeitnehmer? Wer ist wirklich Selbständiger?
Der Gesetzentwurf der rotgrünen Bundesregierung
aber hat den Balanceakt einer sauberen und treffsicheren
Unterscheidung weit verfehlt. Die schlimmsten Fehler
sind: Zehntausende von tatsächlich Selbständigen werden - mit erheblichem Risiko - zwangsweise in abhängig Beschäftigte umgewandelt.
({3})
- Herr Kollege Dreßen, ich sage Ihnen: Wenn Gottlieb
Daimler, Max Grundig, Herr Nixdorf oder gar Bill Gates
mit diesem Gesetz konfrontiert worden wären, dann wären deren große Unternehmen niemals zustande gekommen.
({4})
Wege in die Selbständigkeit und in die Existenzgründung werden erschwert. Das steht doch fest. Die von
Ihnen vorgesehenen Abgrenzungskriterien sind unklar
und führen zu absurden Ergebnissen. Das Beispiel, das
ich jetzt zitiere, ist schon mehrfach angeführt worden
- es ist aber so wunderschön, daß ich es wiederhole -:
Sagt jemand zu seiner Putzfrau: „Machen Sie einmal“,
dann ist sie selbständig; sagt er zu ihr: „Putzen Sie mit
Birgit Roth ({5})
Ata“, wird sie zu seiner Angestellten. Das sind doch Differenzierungen, die niemand nachvollziehen kann.
({6})
Der Verwaltungsaufwand ist immens. Neue Arbeitsplätze werden mit diesem Gesetz verhindert.
Ich zitiere den Deutschen Franchise-Verband, der
feststellt, daß mit dem neuen Gesetz der Arbeitsplatzzuwachs, der in dieser Branche im Jahre 1998 noch
40 000 betrug, gestoppt wurde und im Franchisesystem
kaum mehr neue Selbständige hinzukommen. Geplante
Vertragsverhandlungen werden abgebrochen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren von der Opposition, wenn Sie schon uns nicht glauben, dann sollten
Sie zumindest den Verbänden glauben, beispielsweise
der Arbeitsgemeinschaft „Privater Rundfunk“, die anmahnt: Setzen Sie dieses Gesetz aus! Überlegen Sie
noch einmal! Denken Sie noch einmal nach, und bringen
Sie dann ohne unheilige Hast ein Gesetz ein, das Hand
und Fuß hat.
Herr Bundesarbeitsminister Riester, Kunst kommt
von Können. Wenn es allein vom Wollen käme, dann
würde es „Wunst“ heißen. Das gilt auch für Regierungskunst. Das, was Sie hier abgeliefert haben, ist nicht Regierungskunst, sondern „Regierungswunst“.
({7})
Nun hat das Wort
die Kollegin Margareta Wolf, Bündnis 90/Die Grünen.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten
Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen
von der F.D.P. und der CDU/CSU, wir alle wissen, daß
wir in einer Zeit des Umbruchs von Erwerbsbiographien
und in einer Zeit des Übergangs von der Industriegesellschaft zur Dienstleistungsgesellschaft leben. Wir wissen,
daß es viele Patchwork-Biographien gibt. Ich glaube,
vor diesem Hintergrund wird deutlich, daß es eine widerspruchsfreie Lösung überhaupt nicht geben kann.
({0})
Ich meine aber, die Notwendigkeit der Zielsetzung, die
in den letzten Jahren explodierende Scheinselbständigkeit zu bekämpfen, wird in einem hohen Maße von fast
allen Verbänden, allen gesellschaftlichen Gruppen und
Experten in dieser Gesellschaft gesehen. Das sollten
auch die Herren von der F.D.P. zur Kenntnis nehmen.
({1})
Es ist ebenso unbestritten, daß die Solidargemeinschaft
davor bewahrt werden muß, verehrter Herr Solms, daß
ein immer größer werdender Teil der Bevölkerung keine
hinreichende Vorsorge für das Alter hat. Darüber besteht
ebenfalls Konsens in dieser Gesellschaft, vielleicht nicht
bei Ihnen.
({2})
Wir haben mit diesem Gesetz auf diese Entwicklung
reagiert. Sie haben die Entwicklung einfach laufen lassen; deshalb stellt sie sich uns heute so dar, wie sie ist.
Worum geht es uns in diesem Gesetz? - Es geht uns
um den sozialen Schutz von Menschen; es geht uns darum, die Erosion der Sozialversicherung nicht weiter
voranschreiten zu lassen, und, verehrter Herr Solms, es
geht uns auch darum, Wettbewerbsverzerrungen zwischen Unternehmen entgegenzutreten.
({3})
Daß wir das Gesetz nunmehr vor dem Hintergrund
des von mir angesprochenen Wandels in der Industriegesellschaft ganz kritisch auf seine Tauglichkeit in der
Praxis überprüfen müssen, halte ich für selbstverständlich. Daher freue ich mich, daß im Gespräch mit Vertretern der Spitzenverbände der Sozialversicherungsträger und des BMA Einigkeit darüber erzielt werden
konnte, daß derjenige, der allein auf Grund der neu eingeführten Vermutungsregelung als Scheinselbständiger
eingestuft wird, nicht rückwirkend versicherungspflichtig wird. Das war ein ganz entscheidender Kritikpunkt;
wir haben ihn aufgegriffen und das Gesetz entsprechend
verändert. Das spricht für unsere dialogorientierte Politik, die Sie nie gepflegt haben.
({4})
Wenn wir ferner der Praxistauglichkeit dieses neuen
Gesetzes Rechnung tragen wollen, bin ich der Meinung
- das muß ich ganz kritisch sagen -, daß man dringend
mit dem Bundesverband der Freien Berufe reden sollte,
daß man sich mit den Zeitungsverlegern und der
IG Medien zusammensetzt. Ich halte deren Einwände
für bemerkenswert.
({5})
- Wir reden mit denen. Diese Damen und Herren der
Verbände teilen das Ziel dieses Gesetzes; das ist ein erheblicher Unterschied zu Ihnen. Sie stehen relativ isoliert da.
({6})
Sie machen Vorschläge, wie man unterhalb der
Schwelle einer Gesetzesänderung, etwa in Ausführungsbestimmungen, Änderungen vornehmen kann.
Ich halte es überhaupt nicht für ehrenrührig, wenn
man sehr genau beobachtet, ob die getroffenen Regelungen dem konsensual gefundenen Ziel, das wir alle verfolgen, gerecht werden. Wir benötigen Ihre Aktuelle
Stunde überhaupt nicht, wenn wir da Präzisierungen einfügen wollen.
Lassen Sie mich einen weiteren Punkt ansprechen.
Ich bin der Meinung, daß wir vor dem Hintergrund der
von mir beschriebenen Veränderungen in unserer Gesellschaft eines einarbeiten müßten - ich habe das Herrn
Riester auch schon schriftlich mitgeteilt -: Das Gesetz
muß Vorsorgewahlmöglichkeiten vorsehen. Beispielsweise müssen die Einlagen in Aktienfonds oder der Immobilienbesitz als Äquivalent zu den Beiträgen zur
Rentenversicherung eingestuft werden. Das halte ich für
absolut notwendig. Wir sagen: Wir wollen die Umlagefinanzierung bei der Rentenversicherung dadurch absichern, daß wir private Vorsorge fördern und ermöglichen.
({7})
- Ich weiß; aber bis zum 30. Juni kann man hier noch
Freistellungsregelungen hineinnehmen, wofür ich plädieren möchte.
({8})
- Es ist überhaupt nicht scheinheilig.
({9})
Das kann man tatsächlich noch machen.
Ich plädiere auch dafür, daß die Mitarbeiter der Sozialversicherungsträger, die derzeit die Betriebe hinsichtlich des Vorhandenseins von Scheinselbständigkeit
überprüfen, dort mit Augenmaß vorgehen. Denn es kann
nicht im Interesse von Politik und Rentenkassen sein,
daß durch einen zu peniblen Vollzug Existenzen vernichtet werden.
({10})
Ihnen, meine Damen und Herren von der F.D.P., sage
ich: Sie haben bis heute kein Konzept vorgelegt,
({11})
wie Sie die Erosion bei den Sozialversicherungskassen
aufhalten wollen.
({12})
Ich höre, Sie wollen eine 1.-Mai-Demo mit den Scheinselbständigen machen, um auf das Problem aufmerksam
zu machen. Ich kann Sie nur davor warnen. Sie müssen,
wenn Sie in diesem Land für das Gemeinwohl Politik
machen wollen, konzeptionell arbeiten und können
nicht, zusammen mit den Industrieverbänden, jedes
Thema hochspielen. Machen Sie endlich einmal Vorschläge! In Ihrer Regierungszeit ist es zu einer weiteren
Erosion der Sozialversicherungssysteme gekommen. Es
ist soweit gekommen, daß Unternehmen uns fragen:
Warum sollen wir die Leute überhaupt noch sozialversicherungspflichtig beschäftigen? Da haben wir ohnehin
nur Wettbewerbsnachteile gegenüber anderen.
So kann es nicht gehen. Handeln Sie im Interesse des
Gemeinwohls, im Interesse der sozialen Marktwirtschaft, und hören Sie endlich auf, jeden Punkt eines Verfahrens zu Ihrem Ziel nutzen zu wollen, über die 5 Prozent zu kommen! Damit kommen Sie nicht weiter.
Danke schön.
({13})
Jetzt hat der Kollege
Dirk Niebel, F.D.P.-Fraktion, das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr
verehrten Damen und Herren! Daß Sie, noch bevor ich
irgend etwas gesagt habe, aufheulen, kann ich gut verstehen. Bei diesem Gesetz kann einem ja wirklich nur
schlecht werden. Frau Kollegin Wolf, beim besten Willen: Das, was Sie gerade gesagt haben, ist geradezu infam. Sie reden offenkundig über ein ganz anderes Gesetz als wir.
Die Auswirkungen sollten Sie einmal an Hand Ihrer
Post festzustellen versuchen. Ich kann mir nicht vorstellen, daß nur die F.D.P. und die Christlichen Demokraten diese Briefe bekommen. Ich bin fest davon überzeugt: Sie bekommen die gleichen Briefe, Sie kriegen
die gleichen Anrufe. Sie spielen hier mit Existenzängsten.
({0})
Herr Minister Riester, Sie haben in der ersten Lesung
zum Korrekturgesetz zur Sicherung der Arbeitnehmerrechte gesagt - ich zitiere -:
Wir stehen vor großen Umwälzungsprogrammen in
Wirtschaft und Gesellschaft. Die Veränderungen
auf dem Arbeitsmarkt sind zum Teil Ausdruck dieser Umwälzungen. Für viele Menschen bringt der
Wandel Unsicherheit und Vertrauensverluste mit
sich.
Herr Riester, zumindest der letzte Satz trifft die Sache ja
wirklich im Kern: Durch rotgrüne Politik werden die
Menschen verunsichert; sie haben Angst. Sie akzeptieren als Investition für die Alterssicherung nicht die Investition in den eigenen Betrieb. Ihre Politik führt zu Arbeitsplatzabbau und treibt die Menschen, die initiativ
sind und Arbeitsplätze schaffen wollen, in die Schattenwirtschaft.
({1})
Ihre Politik der Zwangsbeglückung trifft die gesamte
Gesellschaft. Das ist nicht nur der von Ihnen immer
Margareta Wolf ({2})
wieder angesprochene Transportfahrer - dessen Fall war
in der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts ganz
gut geregelt -; betroffen durch Ihre Politik ist unter anderem auch der bekannte Schriftsteller, der nur für einen
Verlag arbeitet.
({3})
Betroffen durch Ihre Politik ist der Surflehrer am Bodensee ebenso wie der Lehrer an der Musikschule, der
nur für eine Musikschule arbeitet. Betroffen ist der Musiker, der im Augenblick nur ein Engagement hat; betroffen sind die Sportvereine, die sich ihre Übungsleiter
nicht mehr werden leisten können.
({4})
Ihre Politik wirkt sich in der Praxis aus. Ich habe hier
ein Schreiben der IHK Rhein-Neckar mitgebracht. Das
ist das einzige, was ich mitgenommen habe; denn die
gesamte Masse an Papier hätte ich nicht tragen können.
({5})
Ich erlaube mir, daraus einmal zu zitieren, um deutlich
zu machen, welche Auswirkungen Ihre Politik auf bestehende Arbeitsverhältnisse hat:
Wo Risiken erkannt werden, insbesondere bei kleinen Familienbetrieben, werden die Vertragsverhältnisse gekündigt, oder dem Kleinunternehmer
wird ein Ultimatum zum Nachweis der Selbständigkeit gestellt. Tausende kleiner Unternehmer sind
auf diese Weise vom Verlust ihrer Hauptauftraggeber bedroht und stehen vor dem Ende ihrer wirtschaftlichen Existenz.
({6})
Was machen Sie bei der Förderung von Existenzgründern? Sie wollen offenkundig keine Arbeitsplätze
schaffen. Auch hiervon weiß die IHK Rhein-Neckar zu
berichten. Sie schreibt:
Welcher potentielle Auftraggeber möchte aber bei
der gegenwärtigen Rechtslage noch das Risiko einer Auftragsvergabe an einen solchen Marktneuling
eingehen?
Denn jeder Existenzgründer erfüllt in aller Regel mindestens zwei Ihrer vier Kriterien: im wesentlichen nur von
einem Auftraggeber abhängig zu sein und keine sozialversicherungspflichtig Beschäftigten zu haben. Schon
greift die Beweislastumkehr, und er muß sich in erster
Linie damit beschäftigen, zu erklären, ob er selbständig
tätig ist oder nicht.
({7})
Man sieht bei diesem Gesetzentwurf wieder einmal,
daß Sie Ihrem selbstgesteckten Ziel, dem Abbau der Arbeitslosigkeit, kein Stück näher kommen. Im Gegenteil:
Sie bauen Arbeitsplätze ab. Sie treiben Existenzen in die
Illegalität und schaffen zusätzliche Regulierung auf dem
Arbeitsmarkt,
({8})
wodurch im Endeffekt neue Arbeitslosigkeit geschaffen
werden wird.
({9})
Die IHK Rhein-Neckar, auf die ich noch einmal zurückkommen möchte, stellt allerdings fest - das trifft
sich mit den anderen Gesetzen, wo es Ihnen um das Abkassieren geht; ich zitiere auch hier -:
Die Landesversicherungsanstalten haben nach unseren Informationen die Zahl ihrer Betriebsprüfer
kurzfristig von 1 000 auf 4 000 erhöht. Diese haben
ihr neues Betätigungsfeld offenbar mit der Weisung
angetreten, ohne Rücksicht auf die Zerstörung der
wirtschaftlichen Existenz der Betroffenen Kasse zu
machen.
({10})
Herr Riester, Sie setzen Ihre Politik des Abkassierens
fort. Sie haben, seitdem Sie in der Regierung sind, ein
Gesetz nach dem anderen nachgebessert. Ich fordere Sie
auf - Sie werden dieses Gesetz ja nicht zurücknehmen -:
Seien Sie so großmütig und bessern Sie dieses Gesetz
wenigstens nach! Machen Sie Politik für Arbeitsplätze
und keine Politik für die Verlagerung von Arbeitsplätzen
in die Schattenwirtschaft!
({11})
Nun erteile ich das
Wort dem Kollegen Klaus Brandner, SPD-Fraktion.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wie
wir hier heute erfahren haben, reden wir in der Tat nicht
über Peanuts. Die Größenordnung, um die es bei
Scheinselbständigen geht, muß man einigen Damen und
Herren dieses Hauses erst noch einmal in Erinnerung rufen. Bereits in der letzten Wahlperiode hat der ehemalige Parlamentarische Staatssekretär Horst Günther beim
ehemaligen Bundesminister für Arbeit, dem Kollegen
Norbert Blüm, folgendes zugegeben:
({0})
- Dann hören Sie es noch einmal. Daran erkennen Sie
die Wichtigkeit des Falles.
Je nach Abgrenzung dürften 330 000 bis zu
1 Million Personen eine scheinselbständige - das
heißt: tatsächlich abhängige - Nebentätigkeit ausüben.
So sagte es der ehemalige Staatssekretär, zitiert aus dem
Plenarprotokoll 13/233 vom 30. April 1998.
({1})
Das Problem war also auch schon der jetzigen Opposition bekannt. Doch hat man dort nicht sozialpolitisch
zugunsten der Menschen und der Firmen eingegriffen,
die sich sozial verantwortlich verhalten; denn die damalige Gesetzeslage wurde als ausreichend und angenehm
empfunden. Als Ergebnis haben Sie ungeschützte Arbeitsverhältnisse en masse bekommen. Die damit verbundenen Fehlentwicklungen wurden nicht angegangen.
Begründet wurde die Untätigkeit nur damit, daß jeder
Scheinselbständige seinen Status selber klären könne.
Schon Ihnen mußte bewußt sein, daß dies nur unter dem
Risiko des Arbeitsplatzverlustes möglich ist.
({2})
Das Schicksal von über 100 000 Menschen hat uns
zum schnellen Handeln gedrängt. Die vielen Beispiele,
die meine Vorredner, auch Bundesarbeitsminister Riester, hier genannt haben, stehen hierfür Pate. Der einzige
Grund für deren scheinbare - ich wiederhole: scheinbare
- Selbständigkeit war die Sozialversicherungsmüdigkeit
einiger Arbeitgeber.
({3})
Doch die überwiegende Anzahl der Arbeitgeber erfüllt
ihre Verpflichtungen gegenüber den Beschäftigten und
den Sozialkassen. Wir müssen die Beschäftigten und die
verantwortungsbewußten Arbeitgeber vor den Wildwestmethoden der Konkurrenz schützen. Das tun wir
mit diesem Gesetz.
({4})
Ich bin davon überzeugt, daß unser Gesetz viele Probleme löst, aber nicht alle. Wir sind bereit, den Dialog
aufzunehmen. Doch mit der Polemik von heute ist sicherlich kein Dialoganfang gemacht worden. Das war in
der gestrigen Sitzung des Ausschusses für Arbeit und
Soziales anders, als Herr Laumann von der CDU/CSUFraktion sehr erfreuliche Ansätze zu genau dieser Thematik mitteilte.
({5})
Ich vermisse ihn als Redner in der heutigen Debatte,
weil ich denke: Das sind Dinge, die letztlich mithelfen,
einen Dialog aufzunehmen. Ich muß heute aber leider
feststellen: Eine Schwalbe macht noch keinen Sommer.
Also werben Sie in Ihren Reihen, Herr Laumann!
({6})
Richtig ist, daß der Vorsitzende der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte, Hans-Dieter Richardt - im
übrigen, wie Sie alle wissen, ein Arbeitgebervertreter -,
das von uns getragene Gesetz heftig kritisiert hat.
({7})
- Deshalb ist er kein schlechter Mensch. Aber ich will
Ihnen damit deutlich sagen, daß die politisch motivierten
Ansätze hier ganz klar durchscheinen. Ich weiß natürlich
auch, wie sehr Sie und wir nach dem politischen Wechsel
von Unternehmer- und Arbeitgeberverbänden mit Briefen
und Agitationen vollgepackt werden. Herr Kolb, Sie
haben eben gesagt: Von der BfA wird Alarm geschlagen.
- Ich kann von diesem Alarm überhaupt nichts spüren.
({8})
Ein Arbeitgebervertreter in der BfA, der Kritik übt, ist
noch nicht die BfA.
({9})
Ich sage Ihnen ganz salopp: Ein Pups ist noch keine Explosion im Gaswerk. So schnell werden wir nicht müde,
eine sinnvolle Regelung auch umzusetzen.
Im übrigen will ich Ihnen ganz offen sagen: Die Aussagen von Herrn Richardt stehen im Widerspruch zum
Verwaltungshandeln; denn die BfA gab am 19. Januar
1999 mit anderen Spitzenverbänden der Sozialversicherungen eine Stellungnahme zu dem Gesetz, mit dem wir
uns hier befassen, heraus. Darin steht wörtlich - ich
zitiere -:
Durch das Gesetz zu Korrekturen in der Sozialversicherung und zur Sicherung der Arbeitnehmerrechte ... wird zum 01.01.1999 die Einbeziehung
scheinselbständiger Arbeitnehmer in die Sozialversicherung erleichtert.
Nicht verkompliziert, wie Sie hier behaupten, sondern
erleichtert!
Weiter heißt es in diesem Brief:
Um scheinselbständige Arbeitnehmer schneller und
besser zu erfassen, wird ein Kriterienkatalog ...
vorgesehen, ...
Sie sehen also, daß die Verwaltung der BfA diese Regelung durchaus als handhabbar und als eine sachgerechte Lösung dieses Problemkreises ansieht. Sie werden dies im übrigen auch in vielen Faltblättern der BfA,
in aktuellen Sonderinformationen in diesem Kontext so
nachlesen können.
({10})
Herr Kollege, denken Sie bitte an die Zeit.
Es hilft nicht weiter - lassen Sie mich das deutlich sagen - wenn hier im Hause
eine sinnvolle rechtliche Regelung mehr und mehr durch
Polemik attackiert wird. Der mittelstandspolitische
Sprecher der CDU/CSU hat in einer Pressemitteilung
von gestern deutlich gesagt:
Wie antiquiert das Unternehmerbild der Regierung
ist, zeigt die Vorstellung, daß sie Betriebsräume,
Firmenwagen und die Schaltungen von Werbeanzeigen als Voraussetzung für Selbständigkeit ansieht. Daß ein Unternehmer mit einem Laptop von
der Parkbank aus erfolgreich sein kann, ist für
Ideologen unvorstellbar.
So der Kollege Doss in seiner Medienarbeit.
Herr Kollege, Ihre
Redezeit ist abgelaufen.
Zu solchen Ergüssen kann
ich Sie nur beglückwünschen. Würden Sie Ihre Oppositionsarbeit konstruktiv angehen, dann hätten Sie uns
schon längst von Ihrem Laptop-Parkbank-Unternehmerbild überzeugt und uns aufgefordert, an allen Parkbänken Steckdosen zu installieren, da mit die Arbeit dort
wirkungsvoller wird und zusätzliche Arbeitsplätze geschaffen werden können.
Herzlichen Dank.
({0})
Das Wort hat nun
der Kollege Dr. Hans-Peter Friedrich, CDU/CSUFraktion.
Frau
Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren!
Wenn man in diesen Tagen beobachtet, wie die Medien
Ihre Regierungskunst kommentieren, könnte man als
Oppositionspolitiker eigentlich sehr gelassen und entspannt sein. Aber es regt einen auf, und man ist überhaupt nicht mehr gelassen, wenn man täglich Anrufe
von Menschen, von Existenzgründern, von Selbständigen, bekommt, die einem schildern, daß sie unmittelbar
vor dem Aus stehen, weil diese rotgrüne Regierung ein
neues Gesetz gemacht hat.
({0})
Man leidet mit diesen Menschen mit, und man versteht
ihre Probleme.
Sie haben mit der Ausweitung der Sozialversicherungspflicht auf kleine selbständige Unternehmer unter
dem politischen Kampfbegriff „Scheinselbständigkeit“
Tausende von Existenzen auf dem Gewissen, wenn dieses Gesetz tatsächlich umgesetzt und nicht schleunigst
korrigiert wird.
({1})
Das größte Problem dabei ist die Verunsicherung der
betroffenen Unternehmer, und zwar sowohl der Auftraggeber als auch der Auftragnehmer. Grund dafür ist die
Tatsache, daß dieses Gesetz nicht durchdacht ist, daß es
viel zu kurzfristig umgesetzt werden soll und daß es vor
allem an der Realität in der Wirtschaft völlig vorbeigeht.
({2})
Liebe Frau Kollegin Buntenbach, Sie haben vorhin
von den Fuhrunternehmern gesprochen. Letzte Woche
hat mich so ein Fuhrunternehmer angerufen, der ein gesundes Unternehmen hat und seit Jahren für einen Auftraggeber Fahrten durchführt. Er hat jetzt eine Frist bis
zum 31. März gesetzt bekommen, um zu beweisen, daß
er nicht scheinselbständig ist. Sie erwarten jetzt wahrscheinlich, daß der Auftraggeber ansonsten Sozialbeiträge zahlen müßte. Nein, der Fuhrunternehmer bekommt keine Aufträge mehr! Das ist die Realität in diesem Land. Das müssen Sie endlich einmal verstehen.
({3})
Mit völlig untauglichen Kriterien bringen Sie diesen
kleinen selbständigen Fuhrunternehmer in Beweiszwänge, aus denen er sich nicht mehr befreien kann. Natürlich erfüllt er die Kriterien für die Beweislastumkehr.
Aber er hält es nicht durch, jahrelang zu prozessieren,
um zu beweisen, daß er doch selbständig ist. Eine jahrelange gute geschäftliche Zusammenarbeit, eine gesunde Existenz eines Fuhrunternehmers wird auf diese Weise durch Ihren Gesetzesdilettantismus zerstört.
({4})
Betroffen sind aber nicht nur die Auftragnehmer,
sondern auch die Auftraggeber. Herr Minister, es ist
schon interessant, daß Sie jetzt sagen, es gebe keine
Rückwirkungen. Momentan ist das Bedrohungsszenario
für die mittelständischen Auftraggeber ein anderes. Sie
wissen, daß es - insbesondere in Baden-Württemberg Fälle gibt, bei denen Sozialversicherungsbeiträge für
Honorare an selbständige Unternehmer für vier Jahre
nachgefordert werden. Ich bitte Sie, das ganz schnell zu
ändern und die Heere von LVA-Prüfern zu stoppen, die
die mittelständischen Betriebe verunsichern.
({5})
Einige Kommentatoren in den Medien unterstellen
der Koalition, sie habe es gut gemeint und habe die Abhängigen schützen wollen. Das behaupten ja auch einige
von Ihnen. Es ist schlimm genug, wenn eine Regierung
es nur gut meint, aber in Wirklichkeit überhaupt nicht
merkt, was sie anrichtet. Für die Abgrenzung von Selbständigen und Abhängigen wäre diese gesetzliche Regelung nämlich nicht notwendig gewesen. Die Rechtsprechung hat seit Jahren Kriterien entwickelt, die völlig
ausreichend waren.
({6})
In Wahrheit geht es Rotgrün nicht um den Schutz der
Menschen, sondern um die Ausweitung der Versicherungspflicht auf Selbständige, weil Sie in der Rentenpolitik einen verheerenden Fehler gemacht haben. Sie
haben die Rentenreform der Regierung Kohl zurückgenommen und brauchen jetzt Geld, das Sie sich von den
kleinen Selbständigen holen wollen.
({7})
Ihnen muß aber eines klar sein: Die Existenzen, die Sie
jetzt vernichten, retten Sie nicht mehr. Das ist wahrscheinlich ganz im Sinne der grünen Ewigkeitspolitiker,
die alles unumkehrbar machen wollen: Kernenergieausstieg: unumkehrbar; Staatsangehörigkeit: unumkehrbar.
Jetzt machen Sie wirklich etwas Unumkehrbares: Sie
vernichten die Existenzen von Tausenden von selbständigen Unternehmern.
({8})
Täglich rufen junge Existenzgründer verzweifelt bei
ihren Steuerberatern und bei den Handelskammern, seltener aber bei der LVA an; denn inzwischen ist Mißtrauen gesät worden. Ja, das muß man einmal sagen: Ihre
Politik sät Mißtrauen unter den am Wirtschaftsprozeß
Beteiligten.
({9})
Das Problem ist, daß nicht mehr viel Zeit bleibt. Ich habe vorhin die Frist für viele Unternehmer genannt:
31. März.
({10})
Seit einigen Wochen werden täglich Verträge gekündigt,
schlagen Vertragsverhandlungen fehl und werden Geschäftsverbindungen beendet. Ich appelliere an die
Koalition: Nehmen Sie dieses Gesetz möglichst schnell
zurück, oder korrigieren Sie es wenigstens so, wie der
DIHT es vorschlägt: Wer ins Handelsregister eingetragen ist, ist selbständig.
Ich erwarte, daß sich der Bundeskanzler selber um
diese Angelegenheiten kümmert.
({11})
Er kann sich nicht damit entschuldigen, daß er einen
Wirtschaftsminister hat, der aus der Großindustrie
kommt und nichts vom Mittelstand versteht.
({12})
Herr Kollege, achten
Sie auf die Zeit?
Er
kann sich auch nicht damit entschuldigen, daß er einen
Arbeits- und Sozialminister hat, der nichts von moderner
Wirtschaftspolitik versteht.
({0})
Hören Sie endlich auf, die Menschen, die Wirtschaft, die
Arbeitgeber und die Arbeitnehmer in diesem Lande zu
bevormunden und zu gängeln! Ihre Vorstellungen von
staatlicher Zwangsbeglückung passen nicht mehr in das
Jahr 1999.
Vielen Dank.
({1})
Jetzt hat der Kollege
Olaf Scholz, SPD-Fraktion, das Wort.
Meine Damen und Herren! Ich
glaube, die Diskussion, die wir gerade führen, leidet
unter anderem darunter, daß sich ganz viele mit der
Rechtssituation in unserem Lande nicht auskennen.
({0})
- Die ist ganz einfach.
({1})
Hintergrund für die Debatten, die wir jetzt führen, und
Hintergrund für die Gesetzesänderung ist die gemeinsame Feststellung aller Parteien im Bundestag und weit
darüber hinaus gewesen, daß die Gesetze zur Abgrenzung von selbständiger und abhängiger Beschäftigung,
die wir in unserem Lande schon lange haben, immer
weniger beachtet werden. Der größte Teil derjenigen,
die sich jetzt öffentlich und laut beschweren, beklagt
sich darüber, daß jetzt herauskommt, daß er in der Vergangenheit Gesetze nicht beachtet hat. Das ist die Wirklichkeit.
({2})
Alle Untersuchungen - auch die, die Ihnen zur Verfügung stehen - gehen davon aus, daß in den letzten Jahren zwischen einer und zwei Millionen Menschen nicht
sozialversicherungspflichtig beschäftigt worden sind,
obwohl sie das von Gesetzes wegen gemußt hätten. Die
eigentliche von uns vorgenommene Veränderung liegt
darin, daß wir dem schon geltenden Gesetz zu mehr
Wirksamkeit verholfen haben.
Woran liegt das alles? Es liegt daran, daß die Sozialversicherungspflicht und der Schutz abhängiger Menschen in der Bundesrepublik Deutschland an dem Arbeitnehmerstatus hängt. Das ist nicht überall so. Zum
Beispiel besteht in der Schweiz eine Sozialversicherungspflicht für jedes Einkommen. Aber in der Bundesrepublik Deutschland ist diese Pflicht an den Arbeitnehmerstatus, an die abhängige Beschäftigung geknüpft.
Eine Abgrenzung zwischen Arbeitnehmerstatus und
Selbständigkeit war nie leicht. Damit mußte man sich
immer ein bißchen auskennen. Die Beurteilung dieser
rechtlichen Abgrenzung fiel denjenigen, die sich auskannten, noch nie schwer; vielmehr ist in diesem Zusammenhang ein ganz anderes Problem aufgetaucht: Es
dauerte ein paar Jahre, bis die Sozialversicherung in
einem Prozeß nachweisen konnte, daß jemand ein Gesetz nicht so beachtet hat, wie er es hätte tun sollen.
In den entsprechenden Gesetzen ist eine Abgrenzung
zwischen Arbeitnehmerstatus und Selbständigkeit vorgesehen. Aber wenn Sie ins Bürgerliche Gesetzbuch
schauen, dann werden Sie feststellen, daß es dort keine
Definition von abhängiger Beschäftigung und von selbständiger Tätigkeit gibt, obwohl sie große und bedeutsame Folgewirkungen auf unsere Gesetzeslage hat. Dies
ist der Hintergrund, mit dem wir uns beschäftigen.
Ich sage Ihnen: Wir ändern kein einziges Gesetz. Wir
wollen lediglich erreichen, daß es den Sozialversicherungen etwas leichter fällt, die Beachtung der Gesetze
durchzusetzen. Diese Veränderung haben wir beschlossen.
({3})
Dr. Hans-Peter Friedrich ({4})
Darum wäre es auch ausgesprochen hilfreich, wenn sich
die Zeitungen, in denen jetzt alle möglichen Fälle beurteilt werden, eine korrekte Rechtsberatung zulegen würden. Wenn sie das täten, würden sie bei der Beurteilung
vieler Fälle feststellen, daß man eigentlich schon immer
Sozialversicherungsbeiträge hätte zahlen müssen.
Wir haben hier auch Beispiele für eine arbeitnehmerähnliche Selbständigkeit kennengelernt. Die Firma
Eismann hat uns während des Anhörungsverfahrens mit
Briefen bombardiert. Parallel dazu hat der Bundesgerichtshof in einem mehrjährigen Verfahren entschieden,
daß die Rechtstreitigkeiten der bei der Firma Eismann
beschäftigten sogenannten Selbständigen vor den Arbeitsgerichten auszutragen sind.
({5})
Sie sehen also, daß wir hier nur helfen wollen, den Gesetzen Geltung zu verschaffen.
Ich möchte noch eine Ergänzung dazu machen: Wenn
es sich so verhält, wie ich es schildere, dann kann die
Gesetzeslösung nicht nach dem Motto funktionieren:
Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht naß.
({6})
Wenn es tatsächlich so viele Gesetzesbrüche gegeben
hat, dann werden jetzt viele gezwungen, die Gesetze zu
befolgen. Das ist das Ziel unseres Gesetzes
Lassen Sie mich zum Abschluß noch auf folgendes
hinweisen: Es gibt einen Unterschied zwischen der Selbständigkeit in sozialversicherungsrechtlicher Hinsicht
und der Selbständigkeit in arbeitsrechtlicher Hinsicht.
Aber dieser Unterschied ist nur klein. Die Fälle, die genannt worden sind, können nicht auf die hier beschriebene Weise gelöst werden. Wenn jemand seine Beschäftigten zu Unrecht als Selbständige angestellt hat
und sie auf Grund der neuen Regelung nicht weiterbeschäftigen will, dann steht jedem der Betroffenen der
Weg zu den Arbeitsgerichten offen.
({7})
Dort wird festgestellt werden, daß die Beschäftigten
viele Jahre lang Arbeitnehmer waren. Damit genießen
sie dann Kündigungsschutz, der in diesem Lande für
Betriebe ab fünf Beschäftigte wieder gilt.
Schönen Dank.
({8})
Nun hat der Kollege
Hartmut Schauerte, CDU/CSU-Fraktion, das Wort.
Frau Präsidentin!
Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen! Natürlich
gibt es ein objektives Problem. Die Frage ist einfach,
wie man es löst. Die Frage besteht darin, wie wir mit
diesem Problem in einer sich stark verändernden Welt
und angesichts veränderter Biographien sowie der neuen
Flexibilität, zu der wir positiv eingestellt sein müssen
- es gibt keine Alternative -, gesetzgeberisch umgehen.
Der Konflikt in diesem Haus läßt sich an einer ganz einfachen Grenzlinie festmachen: Im Zweifel entscheiden
Sie sich für den Zwang, für die Pflicht und für das Zurückgliedern in ein - ich sage einmal - „Muß-Arbeitnehmerverhältnis“, und wir entscheiden uns im Zweifel
lieber für mehr Chancen, für Freiheit, für Risiko und für
Eigenverantwortung.
({0})
Sie haben sich mit diesem Gesetz die Abgrenzungsproblematik entschieden zu einfach gemacht. Das, was
die Menschen uns draußen im Land sagen, bestätigt das
doch.
({1})
Es ist nicht so, daß wir die guten Briefe und Sie die
schlechten verstecken; vielmehr werden an alle Mitglieder dieses Hauses aus sehr großer Betroffenheit heraus
nur schlechte und sorgenvolle Briefe gerichtet, in denen
gefordert wird: Ändert es! Laßt es so nicht zu!
Sie formen sich die Wirklichkeit nach Ihrem ideologischen Bild. Aber das ist nicht die Wirklichkeit. Sie gehen nach dem Prinzip vor: Wer Arbeitnehmer ist, bestimmen wir. - Nein, so geht das nicht mehr. Ihr Gesetz
ist rückschrittlich in bezug auf die Probleme, die es anerkanntermaßen gibt.
({2})
Deswegen können wir Sie nur eindringlich auffordern,
noch einmal darüber nachzudenken und nicht einfach zu
sagen: Hier wird inhaltlich nichts geändert, sondern nur
ein wenig bei der Durchführung.
Ich will Ihnen ein ganz einfaches Beispiel nennen:
Sie bestimmen, Arbeitnehmer ist nach dieser Gesetzeslage derjenige, der seine Frau beschäftigt und nur einen
Auftraggeber hat. Wer sich von seiner Frau scheiden
läßt, ist ein Unternehmer. Stellen Sie sich diese Idiotie
vor!
({3})
Das kann doch nicht wahr und nicht rechtsfest sein. Als
Jurist weiß ich, wovon ich rede. Es wird ein Vergnügen
sein, die Frage zu prüfen, ob das eine Diskriminierung
von Familienmitgliedern in einer modernen Arbeitswelt
mit Heimarbeitsplätzen ist. Mit allem, was Sie tun, werden Sie Schiffbruch erleiden. Das kann doch nicht wahr
sein.
({4})
Dann haben Sie umgekehrt eine Positivbeschreibung
vorgenommen. Ich habe sie heute gehört, und sie steht
auch in irgendwelchen Unterlagen. Ich habe mich gewundert. Darin steht: Wer von uns gefördert wird, ist
selbständig.
({5})
Wer also mit eigenen Mitteln das gleiche tut wie derjenige, der eine öffentliche Förderung erhält, wird anders
eingestuft. Derjenige, der die öffentliche Förderung bekommen hat, ist selbständig - das muß man genüßlich
bedenken -,
({6})
und der andere, der es aus eigenen Mitteln bestritten
oder seine Schwiegermutter belastet hat, ist nicht selbständig. Sie sehen, Sie können das so nicht durchhalten.
Machen Sie schnell eine ordentliche Korrektur; denn die
Verunsicherung ist sehr schädlich.
({7})
Wir sind doch gemeinsam daran interessiert, daß der
Schritt zur Selbständigkeit leichter wird, daß die Hürde,
aus der Arbeitnehmerschaft in die Selbständigkeit zu
wechseln, niedriger wird. Wir fördern mit Arbeitslosenunterstützungsgeldern den Weg in die Selbständigkeit.
Wir versuchen es in allen Bereichen, und Sie schaffen
hier ein zu enges Korsett. Es wäre doch schade, wenn
10 000, 20 000 junge Existenzen deswegen nicht gegründet würden, weil die Hürde ein Stück höher geworden ist. Das ist doch das Thema, das uns gemeinsam
bewegen muß.
Ich kann Sie nur herzlich auffordern, in dieser Frage
offenzubleiben und sich nicht zu verbeißen. Man kann
einen Fehler machen; bei Ihnen sind es zugegebenermaßen viele geworden. Deswegen dürfen wir aber nicht an
einer Entwicklung festhalten, die die Selbständigkeit
eher erschwert.
Das ist kein Gesetz zur Bekämpfung von Scheinselbständigkeit - das ist es nur in wenigen Bereichen -, es
ist in der Hauptsache ein Gesetz zur Muß-Arbeitnehmerschaft, ich könnte auch sagen: zur Zwangsarbeitnehmerschaft. Sie kennen den Begriff von Zwangsbeiträgen. Das ist doch ein ganz normaler Begriff. Man
spricht entweder von Pflicht- oder von Zwangsbeiträgen.
Genau das machen Sie. Im Zweifel entscheiden Sie sich
für den Rückschritt in den Zwang und nicht für den mutigen Weg nach vorn in die Freiheit.
({8})
Deswegen bitte ich Sie noch einmal, das Gesetz ein
Stück weit zurückzunehmen. Es kann nicht sein, daß Sie
bestimmen wollen, wer ein Arbeitnehmer ist.
Herr Dr. Friedrich, ich muß Ihnen bei einer Bemerkung widersprechen. Sie haben gesagt, der Bundeskanzler soll das Ding übernehmen. Diese Hoffnung lassen Sie fahren.
({9})
Er hat zu den 630-Mark-Jobs von diesem Pult aus Erklärungen und Versprechungen abgegeben,
({10})
von denen die wenigsten heute noch im Gesetz stehen.
Eine weitere Glaubwürdigkeitslücke möchte ich ihm in
diesen schwierigen Zeiten nicht zumuten.
({11})
Ich bedanke mich bei Ihnen für Ihre Geduld.
({12})
Als letzter erteile ich
das Wort der Kollegin Doris Barnett, SPD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Schauerte! Wem wir welche Gesetzgebungsinitiativen überlassen sollten, lassen
Sie einmal unsere Sorge sein.
({0})
Ich habe noch einen Hinweis an Sie in Sachen arbeitnehmerähnliche Selbständige: Unterhalten Sie sich einmal mit Ihrem Kollegen Laumann. Von dem können Sie
etwas lernen.
({1})
- Ja, der hat Ahnung. Gestern hat er im Ausschuß wirklich ein Lehrstück abgeliefert. Schade, daß er das heute
hier nicht wiederholt.
Herr Niebel, nun zu Ihnen.
({2})
Sie haben vorgetragen, rotgrüne Politik führt zu Arbeitsplatzabbau. Dazu kann ich nur fragen: Hatten wir
nicht 16 Jahre CDU/CSU-F.D.P.-Regierung mit über
4 Millionen Arbeitslosen?
({3})
Das war wohl der Einzug in die Freizeitgesellschaft.
({4})
An dieser Stelle wünsche ich mir, daß wir eine andere
Debattenkultur beginnen und uns nicht dauernd darüber
unterhalten, was wer in welcher Zeitung gesagt hat oder
wie er zitiert wird. Dieser Stil ist dieses Hauses nicht
würdig. Wir sollten uns hier im Originalton und nicht
über Zeitungszitate unterhalten.
Aber jetzt zum eigentlichen Thema: Die Arbeitswelt
- darüber haben wir gestern im Ausschuß gesprochen ist in Bewegung; das Normalarbeitsverhältnis ist nicht
mehr die Norm. Atypische Arbeitsverhältnisse wie Teilzeitarbeit, geringfügige Beschäftigung, befristete Arbeitsverhältnisse, Arbeitnehmerüberlassung, neue Arten
von Selbständigkeit, aber auch Scheinselbständigkeit
nehmen zu. Wir haben mittlerweile - so hat es das IAB
festgestellt - 938 000 Scheinselbständige.
({5})
Deswegen hat sich die SPD vorgenommen, Ordnung auf
dem Arbeitsmarkt zu schaffen.
({6})
Es muß Schluß sein mit Mißständen und mit der
Verwilderung der Sitten auf dem Arbeitsmarkt. Wenn
aufgeräumt wird - das ist nun einmal so; vielleicht
staubt es bei Ihnen zu Hause auch -, kommt so manches
ans Tageslicht, was an sich das Licht scheut. So ist es
auch hier. Ans Tageslicht kommen ausbeuterische Arbeitsverhältnisse und Lohndumping. Dafür fehlt Ihnen
vielleicht die Phantasie; uns fehlte sie übrigens auch,
wenn ich daran denke, was wir alles über Arbeitsverhältnisse erfahren haben. Wir waren zum Teil von den
Socken.
({7})
Besonders überrascht hat uns aber, was Sie weiterhin
gutheißen wollen.
So, wie wir mit der Steuerhinterziehung Schluß machen, machen wir auch Schluß mit der Hinterziehung
von Sozialversicherungsbeiträgen.
({8})
Es muß Schluß sein mit der Schattenwirtschaft,
({9})
die auch in Richtung Schwarzarbeit geht.
({10})
Hier kann ich Gott sei Dank auch einmal auf einen
CSU-Minister verweisen, der dieses Problem in Bayern
angehen will. Halten Sie sich einmal an ihn; vielleicht
können Sie von ihm sogar noch etwas lernen. Dieser
Minister hat nämlich festgestellt, daß durch die Schattenwirtschaft dem Staat immerhin 600 Milliarden DM
verlorengehen.
Wir haben so viel Kritik gehört, aber noch keinen
einzigen vernünftigen Vorschlag. Ich frage mich wirklich, wo solche Vorschläge bleiben.
({11})
Sonntags fordern Sie in Ihren Reden, die Lohnnebenkosten zu senken, und montags überlegen Sie sich tausenderlei Befreiungstatbestände, damit die Arbeitgeber ja
nichts zu zahlen brauchen. Wo sind wir denn eigentlich?
Die Umgehungstatbestände sind Ihnen lange bekannt.
Wir müssen diese jetzt endlich abschaffen; das werden
wir auch tun. Es wurde viel dazu gesagt. Der VDR hat
unsere Regelungen ausdrücklich begrüßt.
Aber noch etwas zu Ihnen, weil Sie dauernd mit einem Papier wedeln: Dieses Papier ist für die Verwaltung; für den einfachen Bürger, der lesen kann, hat die
Bundesversicherungsanstalt eine Broschüre herausgegeben, die ich Ihnen wärmstens zur Lektüre empfehle. Die
Broschüre ist so einfach gefaßt, daß sie sogar ein ganz
normaler Bundestagsabgeordneter verstehen müßte,
selbst wenn er nicht dem Sozialausschuß angehört.
({12})
Scheinselbständige sind Arbeitnehmer. Die Folgen
dieser Art von Beschäftigung sind für die Betroffenen
fatal: instabile Auslastung des eigenen Arbeitsvermögens, unterdurchschnittliche Einkommensentwicklung,
geringe Finanzkraft zur Vorsorge gegen Krankheit, Unterbeschäftigung und Altersrisiken, geringe Planbarkeit
der Geschäftsverläufe und der Einkommensperspektiven
sowie ein erhöhtes Armutsrisiko. Das alles haben wir
vor über eineinhalb Jahren in der Enquetekommission
„Informationsgesellschaft“ als richtig angesehen. Angesichts dessen wollen Sie mir etwas darüber erzählen, daß
sich die neue Gesellschaft vom Zwang zur Versicherung
befreien müßte?
({13})
Die Kollegin Roth hat Ihnen vorhin aufs Brot geschmiert, wie teuer das eigentlich kommt. Warum lesen
Sie nicht einmal die Unterlagen, statt einfach aufs Geratewohl, wider besseres Wissen und ohne eigene Vorschläge ganz vernünftige gesetzliche Regelungen zu
verdammen, die praktikabel sind und die gut für die
Wirtschaft und für Existenzgründer sind? Wir werden
uns in vier Jahren wieder sprechen, wenn wir erste harte
Daten haben.
({14})
Vielleicht werden wir dann statt der Protestschreiben
sogar Dankesschreiben haben.
Vielen Dank.
({15})
Nun gebe ich dem
Kollegen Laumann das Wort zu einer Erklärung nach
§ 30. In einer Erklärung zur Aussprache darf er sich nur
auf Äußerungen beziehen, die ihm gegenüber auf seine
Person bezogen gemacht werden. Er darf sie zurückweisen und richtigstellen. - Bitte sehr, Herr Kollege Laumann.
Frau Präsidentin! Schönen Dank dafür, daß ich hierzu etwas sagen
darf. - Einige Rednerinnen und Redner der SPDFraktion haben im Plenum den Eindruck erweckt, als
hätte ich gestern im Ausschuß ihr Gesetz zur Scheinselbständigkeit für richtig befunden. Ich finde, daß ich
Ihr Gesetz gestern sehr kritisiert habe. Das Problem
Ihres Gesetzes besteht darin, daß es unpraktikabel ist.
Ihre Behauptung, Ihre Gesetzgebungsarbeit sei handwerklich gut, ist eine Beleidigung für jeden Handwerker.
({0})
Ich habe gestern im Ausschuß gesagt - das ist auch
meine feste politische Überzeugung -: Wir haben in den
50er Jahren eine Entscheidung zugunsten der selbständigen Handwerker getroffen. Nach dieser Entscheidung
kann ein selbständiger Handwerksmeister nur dann aus
der Rentenversicherung austreten, wenn er 18 Jahre lang
Mitglied der Rentenversicherung war. Das ist damals so
beschlossen worden, damit die Rentenansprüche oberhalb des Sozialhilfeniveaus liegen. Diese Regelung ist
bis heute im Handwerk akzeptiert und wird von niemandem in Frage gestellt.
({1})
- Auch nicht von den Existenzgründern. - Ich kenne
keine Handwerkskammer und keine Innung, die diese
Regelung in Frage stellt.
Ich habe im Ausschuß den Denkansatz ins Spiel gebracht, es für diejenigen, die sich außerhalb der Handwerksordnung selbständig machen, genauso zu regeln,
wie wir es seit Jahr und Tag für die Handwerker geregelt
haben.
({2})
Wenn das geschähe, dann hätte man ein durchschaubares und anerkanntes Gesetz. Ein Kanzler aber - auch das
habe ich Ihnen gestern gesagt -, der lieber für italienische Maßschneider als für die deutsche Textilindustrie
wirbt, hat mit der Sozialversicherung nichts am Hut.
({3})
Die Aktuelle Stunde
ist beendet.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 11 auf:
Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Innenausschusses ({0}) zu
dem Antrag der Abgeordneten Vera Lengsfeld,
Norbert Otto ({1}), Hartmut Büttner ({2}) und der Fraktion der CDU/CSU
Überlassung der Akten der Hauptverwaltung
Aufklärung des Ministeriums für Staatssicherheit der ehemaligen DDR durch die Regierung der Vereinigten Staaten von Amerika
- Drucksachen 14/89, 14/515 Berichterstattung:
Abgeordnete Gisela Schröter
Hartmut Büttner ({3})
Dr. Edzard Schmidt-Jortzig
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist es so beschlossen. Ich erteile das Wort der Kollegin Vera Lengsfeld, CDU/CSUFraktion.
({4})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, diejenigen, die
hierbleiben wollen, sind herzlich eingeladen, sich hinzusetzen. Diejenigen, die weggehen wollen - ich bedaure,
daß sie das tun -, mögen es bitte schweigend tun, damit
wir anfangen können.
Frau Präsidentin!
Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Machiavelli
hat uns gelehrt, daß der Verräter die wichtigste Figur im
Spiel der Macht ist. Aber seine Zeit ist begrenzt; sie
dauert nur so lange, bis der Fürst die Fäden in der Hand
hält. Heute haben die westlichen Demokratien über den
Kommunismus gesiegt; jedoch stellt uns dieser Sieg vor
viele Fragen: politische, juristische und moralische. Wie
gehen wir mit den Hinterlassenschaften der zweiten
deutschen Diktatur um?
In einer großen deutschen Tageszeitung erschien vor
einiger Zeit ein Artikel mit der Überschrift „Die Gnade
der westdeutschen Geburt“. Darin wurde nicht zu Unrecht behauptet, daß diejenigen Westdeutschen, die für
das DDR-Ministerium für Staatssicherheit gearbeitet
haben, unentdeckt geblieben seien, weil die Akten der
HVA in der Wendezeit vollständig vernichtet worden
seien. Haben wir es also der Stasi zu verdanken, daß
heute fast ausschließlich ehemalige Bürger der DDR am
Pranger stehen, weil sie für die Geheimpolizei der SED
gespitzelt haben? Noch gibt es die reale Möglichkeit,
dieses falsche Bild zu korrigieren. Eine „Gnade der einseitigen Aktenlage“ darf es nicht geben.
({0})
Auch in Westdeutschland muß die Stasi-Vergangenheit endlich aufgearbeitet werden. Parteien und Verbände, Kirchen und Gewerkschaften, Medien und Universitäten müssen sich ihrer Geschichte stellen. Wir
wollen wissen, wer die Geschicke der Bundesrepublik
im Hintergrund wie und warum mitgesteuert hat. Aus
welchen Motiven wurde gemeinsame Sache mit der
SED gemacht? Wie nachhaltig wirkt diese Motivation?
Wir müssen fragen, ob Landesverräter in verantwortlichen gesellschaftlichen Stellungen weiter tätig sein
dürfen.
Die Entschlüsselung der Datenbank der HVA in der
Berliner Stasi-Akten-Behörde kann die Aufarbeitung im
Westen einen großen Schritt voranbringen. Historiker
und Journalisten müssen umgehend die Möglichkeit erhalten, diese Daten zu nutzen. Dann kann nicht nur
Klarheit darüber erlangt werden, wer im Westen für die
Stasi gearbeitet hat, sondern es können auch ungerechtfertigte Vorwürfe aus der Welt geschafft werden. Erst
wenn diese Akten so zugänglich sind wie die Akten über
die Ost-IMs, wird das Geraune über „Tulpe“, „Wotan“
oder „Junior“ aufhören.
Die Entschlüsselung der Bänder erst jetzt, neun Jahre
nach der Besetzung der Stasi-Zentrale, wirft die Frage
auf, ob die Aufarbeitung West weiterhin als weniger
vorrangig gelten darf als die Aufklärung über die StasiMachenschaften in den neuen Bundesländern. Spionage
ist verjährt. Nur schwerer Landesverrat kann noch bestraft werden. Die Westdeutschen, die sich - im GegenKarl-Josef Laumann
satz zu vielen Spitzeln in der DDR - meist ohne äußeren
Druck auf die Stasi eingelassen haben und genau wußten, daß dies strafbar ist, sind meist gut weggekommen.
Die Zuträger der roten Diktatur nutzen die Liberalität
dieses Landes und den Anschein, der Kommunismus sei
nur ein Problem des Ostens.
Die Maßstäbe für Gut und Böse haben sich in den
letzten Jahren bedenklich verschoben. Ein bißchen StasiSpitzelei, Landesverrat gar wird mittlerweile beinahe
wie ein Kavaliersdelikt behandelt. Spionage für einen
demokratischen Rechtsstaat wird bösartig oder leichtfertig mit der Spionage für eine Diktatur gleichgesetzt.
Die Forderung nach einer Amnestie - wie sie von der
PDS erhoben wird und die schon deshalb üble Demagogie ist, weil es nicht einen einzigen Häftling gibt, den
man amnestieren könnte - soll dazu dienen, das gesamte
System der SED-Herrschaft zu amnestieren und politisch zu rehabilitieren.
({1})
Daß solche Forderungen auf naives Wohlwollen auch im
Westen hoffen dürfen, ist bestürzend. Oder sind die
Motive gar nicht so naiv?
Die Herrschaft der SED sowie der anderen kommunistischen Parteien und die Schwäche der Oppositionsgruppen konnten sich nur perpetuieren, weil die kommunistischen Systeme in den Ostblockstaaten auf willige Helfer in den westlichen Demokratien zurückgreifen konnten. Deren Verantwortung für den Erhalt der
totalitären Herrschaftsmechanismen muß endlich ins öffentliche Bewußtsein gerückt und diskutiert werden.
Verraten wurden von diesen Handlangern aus dem Westen ja nicht nur wirtschaftliche und militärische Daten,
die ein todkrankes System retten sollten. Nein, sie verrieten auch Informationen über oppositionelles Verhalten und Fluchtpläne. So wurde die ganze Bevölkerung
der DDR und der anderen Ostblockstaaten ein Opfer
dieser Agenten.
Die politische - und nicht nur die juristische - Aufarbeitung der Stasi-Vergangenheit ist im Westen
dringlich. Die Kollaboration mit dem Geheimdienst der
SED sagt viel über Verfassungstreue aus, gibt viel von
einem politischen Charakter preis. Wer an maßgeblicher
Stelle in der Bundesrepublik freiwillig mit dem MfS zusammengearbeitet hat, wer bei Prosecco und Carpaccio
mit dem netten Genossen von drüben Informationen getauscht und dabei vielleicht noch ideologische Nestwärme gespürt hat, ist politisch belasteter und moralisch
unmöglicher als ein kleiner IM, der unter dem Druck der
geschlossenen DDR bieder berichtet hat.
({2})
Die Westspione haben ohne Not die Freiheit und die
westlichen Demokratien gefährdet, und dies aus Gründen, die keineswegs immer nur politisch waren. Auf einige, die dummerweise glaubten, für den Weltfrieden
kämpfen zu müssen, kamen Tausende, die rein materielle Motive hatten. Sicher gab es auch welche, die erpreßt wurden. Schon die Unterschiede in den Verratsmotiven begründen die Notwendigkeit einer systematischen Klärung. Die Spionage aus Profitgier bleibt eine
Gefahr für die heutige Demokratie in Deutschland, weil
die Leute nach wie vor erpreßbar sind.
Aber das Stasi-Problem im Westen hat noch andere
Facetten. Es geht um politische und ideologische Affinitäten, die heute allzugern vertuscht werden. Es geht
auch um das historische Reinwaschen der kommunistischen Herrschaft - vielleicht auch, um sie wieder koalitionsfähig zu machen? Sind die Verharmloser von heute
vielleicht die Landesverräter von gestern?
Eine Aufdeckung wird mit Sicherheit schmerzhaft
werden, weil wahrscheinlich zahlreiche Institutionen
und alle demokratischen Parteien betroffen sein werden.
Wir brauchen diese Aufklärung dennoch; denn diese
Demokratie braucht Transparenz als unverzichtbaren
Teil des demokratischen Zusammenwachsens von Ost
und West. Die Enttarnung der Schuldigen ist nicht nur
für den Schutz unserer Demokratie wichtig, sondern
auch deshalb, weil nur sie es uns ermöglicht, diesen
Leuten wieder einen ehrlichen Platz in unserer Gesellschaft anzubieten. Wenn es nicht zu einer umfassenden
Aufdeckung kommt, bestehen für die Bundesrepublik
nachhaltige Sicherheitsprobleme. Es bleibt die Gefahr,
daß eine große Anzahl von unbekannten Agenten der
HVA in West und Ost die demokratischen Institutionen
unterläuft.
Für uns ergeben sich deshalb folgende Forderungen:
Erstens. Es ist erforderlich, daß die während der
Wendezeit geretteten und nur teilweise vernichteten
Unterlagen zugänglich gemacht werden. Wir können
nicht 400 Jahre warten, bis eine Handvoll Mitarbeiter
des Bundesbeauftragten in Zirndorf die Aktenschnipsel
per Hand zusammengesetzt hat. Deshalb müssen jetzt
die finanziellen Mittel bereitgestellt werden, damit die
zerrissenen Akten per Computer rekonstruiert werden
können. Schon die bisher wieder zusammengesetzten
Unterlagen haben gezeigt: Die Stasi wollte die brisantesten Dokumente vernichten. Wir dürfen uns nicht damit
zufriedengeben, was das MfS uns wie Brosamen übriggelassen hat, denn sonst machen wir uns mitschuldig an
der Verharmlosung dieser größten politischen Geheimpolizei der deutschen Geschichte und - das ist entscheidend - der Politik und der Ideologie ihrer Auftraggeber.
Zweitens. Alle vorhandenen Datenträger und Magnetbänder müssen jetzt so schnell wie möglich lesbar
gemacht werden. Die in Amerika abgeschriebenen Karteikarten über 1 553 Westagenten, die schon jetzt in der
Gauck-Behörde lagern, müssen ebenfalls zugänglich
gemacht werden. Sie sind ein Schlüssel für die neu aufgefundene Datenbank der HVA.
Drittens. Die Agentenkartei der HVA, die vollständig
im Besitz des CIA ist, muß zurück nach Deutschland
kommen. Diese Dateien enthalten sämtliche Klar- und
Decknamen. Ich begrüße deshalb ausdrücklich, daß die
Bundesregierung in dieser Angelegenheit mit Erfolg in
den USA vorstellig geworden ist und die CIA uns Details aus dem Nachlaß der DDR-Spionage mitteilen will.
Zu fragen ist, wann und in welcher Form das Material zu
erwarten ist. Werden Kopien der nach Amerika verVera Lengsfeld
brachten Akten der Gauck-Behörde zur Verfügung gestellt?
Die Konzentration aller Akten in der GauckBehörde ist die unerläßliche Voraussetzung für die
Gleichbehandlung aller Fälle und für die notwendige
Auseinandersetzung. Die Recherchen der Gauck-Behörde haben ergeben, daß die von den USA gelieferten
Daten zu den 1 553 Westagenten nur einen Teil der
Agenten umfassen. Vermutlich etwa 3 000 Namen von
Spitzeln, die gegen die Bundesrepublik spioniert haben,
hält der Geheimdienst CIA noch unter Verschluß. Außerdem sind schätzungsweise 10 000 ehemalige StasiSpitzel in der DDR durch alle Überprüfungen gerutscht,
weil die HVA ihre Akten vernichtet hat. Auch dazu liegen in den USA Daten vor.
Die Amerikaner haben den Westdeutschen nach dem
zweiten Weltkrieg beim Aufbau der Demokratie entscheidend geholfen. Sie haben damals auch beschlagnahmte NS-Akten zurückgegeben oder zugänglich gemacht.
({3})
Damit wir Deutschen nicht nur die nationalsozialistische, sondern auch die kommunistische Vergangenheit
bald aufarbeiten können, müssen die in den USA befindlichen Akten der politischen Analyse und der gesellschaftlichen Diskussion in Deutschland zur Verfügung gestellt werden.
({4})
Wie die Geschichte gezeigt hat, reicht es nicht, ein paar
Fachleuten Einblick in streng geheime Dossiers zu gewähren. Wir brauchen vielmehr eine offene und öffentliche Auseinandersetzung, keineswegs nur in den neuen
Bundesländern, sondern in ganz Deutschland.
({5})
Ich erteile das Wort
der Kollegin Gisela Schröter, SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine
sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Ich freue
mich, daß die vorliegende Beschlußempfehlung im Innenausschuß mit breiter Zustimmung zustande gekommen ist. Auch die mitberatenden Ausschüsse haben sich
mit der gleichen Einstimmigkeit für den Antrag ausgesprochen. Damit setzt der Deutsche Bundestag eine gute
Tradition fort. Mit breitem parlamentarischen Konsens
werden wir einer der wichtigsten Aufgaben gerecht, die
sich dem vereinten Deutschland stellen: der Bewältigung der DDR-Vergangenheit, vor allem durch die historische Aufarbeitung der Arbeitsweise des Ministeriums für Staatssicherheit und durch die Aufdeckung seines Spionagesystems. Hierin liegt ein Grundstein für
den Aufbau der Demokratie in den neuen Ländern.
({0})
Wir alle wissen: Die Aufarbeitung ist ein langer, zäher und schwieriger Prozeß. Bei der rechtlichen und historischen Aufarbeitung ist bereits sehr viel erreicht
worden. Hier hat die Behörde des Beauftragten für die
Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes bisher sehr gute
Arbeit geleistet. Aufarbeitung können wir aber nur in
dem Maße leisten, in dem wir Einblick in die existierenden Unterlagen des SED-Machtapparates haben. Hier
sind wir bei dem bekannten Thema unserer heutigen Beschlußempfehlung. Wie wir wissen, sind - auf welchem
Wege auch immer - HVA-relevante Materialien in die
USA und nach Rußland gelangt. Auch diese Unterlagen
sind für unsere gesamtdeutsche Aufarbeitung unverzichtbar. Seit 1991 gibt es Bemühungen, Zugang zu den
Dokumenten zu bekommen. Ich weiß als Mitglied des
Innenausschusses, daß wir uns hier immer wieder gemeinsam bemüht haben. Auch die alte Bundesregierung
hat sich, allerdings erfolglos, bemüht, Zugang zu diesen
Unterlagen zu bekommen. Seit Ende des vergangenen
Jahres ist es nun der neuen Bundesregierung gelungen,
Bewegung in die Verhandlungen mit der amerikanischen Regierung zu bringen.
({1})
In der entscheidenden Phase der Gespräche wurde die
vorliegende Beschlußempfehlung in den Ausschüssen
des Deutschen Bundestages auf den Weg gebracht. - Es
sei mir gestattet, meinen Kollegen Büttner, SchmidtJortzig und Ströbele dafür ganz herzlich zu danken.({2})
In unserer Beschlußempfehlung wird die amerikanische
Regierung gebeten, die Akten der Hauptverwaltung
Aufklärung der DDR der Gauck-Behörde zur Verfügung
zu stellen. Mit der Beschlußempfehlung unterstützen wir
nachdrücklich die Bemühungen der Bundesregierung.
Ich weiß aus den Vereinigten Staaten, daß man dort
die Initiative des deutschen Parlamentes mit großer
Aufmerksamkeit verfolgt. Jetzt haben die Gespräche
einen Durchbruch gebracht. An dieser Stelle möchte ich
den Vertretern der Bundesregierung, die die Verhandlungen geführt haben, meinen ausdrücklichen Respekt
für die bisherigen Ergebnisse aussprechen.
({3})
Sie waren mit großem Geschick und vor allem mit dem
notwendigen Fingerspitzengefühl am Werk.
Mit dem vorliegenden Verhandlungsergebnis hat
sich die Beschlußempfehlung natürlich keinesfalls erledigt. Die amerikanische Regierung hat erkennen lassen,
daß sie das deutsche Anliegen sehr ernst nimmt. Wir haben die Zusicherung, daß wir alle für die deutschen
Sicherheitsinteressen relevanten Informationen bekommen. Darüber, wie das geschehen soll, müssen selbstverständlich noch Gespräche geführt werden, in denen
die Modalitäten des Zugangs zu den für uns so wichtigen Materialien noch geklärt werden müssen. Da ist es
sehr hilfreich, wenn sich jetzt im Deutschen Bundestag
eine möglichst breite Mehrheit für den vorliegenden
Antrag findet.
Mir liegt daran, hier noch einmal nachdrücklich zu
betonen: Der ganze Komplex der Unterlagen erfordert
nach meiner Erkenntnis größte Sensibilität. Aber allergrößtes Fingerspitzengefühl ist gefragt, wenn es darum
geht, Zugang zu dem HVA-relevanten Material zu bekommen, das sich im Ausland befindet, sei es in den
USA oder in Rußland. Das ist nach meinem Dafürhalten
kein Thema für Schlapphüte, für Agenten à la 007 oder
Hollywood-Verfilmungen. Dazu ist es zu wichtig. Mit
der vorliegenden Beschlußempfehlung wird der Deutsche Bundestag diesem Anspruch gerecht. Ich bitte also
um Ihre Zustimmung.
Herzlichen Dank.
({4})
Das Wort hat nun
Professor Dr. Schmidt-Jortzig, F.D.P.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren Kollegen! Unumwunden sage ich für die F.D.P.: Der Antrag
der Union, aus dem unsere Beschlußempfehlung hervorgegangen ist, ist voll unterstützenswert. Aber er mußte
eben doch noch mit den Bedürfnissen operativen Regierungshandelns in Einklang gebracht werden, denn wir
wollten nicht nur eine stramme Forderung aufstellen,
sondern wirklich zum Erfolg kommen. Dazu bedurfte es
etlicher Gespräche mit den amerikanischen Stellen.
Der Innenausschuß hat einstimmig die vorliegende
Beschlußempfehlung formuliert, in der die Sachverhalte
vorsichtig und diplomatisch bewertet werden. Jetzt kann
mit der Aufklärungsarbeit begonnen werden.
Wir hatten zunächst ein bißchen die Sorge, daß die
Regierungsverhandlungen dadurch ins Stocken geraten
könnten, daß über manche Aspekte dieses Vorhabens
Ende des letzten Jahres sehr oft in der Presse berichtet
wurde. Tatsache ist, daß die Dienste diese Art der Informationspolitik nicht lieben. Deshalb schien die Neigung der CIA, sich auf einen Handel mit der deutschen
Seite einzulassen, gen Null zu tendieren. Diese Entwicklung hat sich erfreulicherweise nicht bestätigt, denn
seit gestern - darüber haben die Zeitungen ausführlich
informiert - wissen wir, daß es eine Grundsatzentscheidung auf Fachebene gegeben hat, die entsprechenden
Materialien in einem noch in den Einzelheiten zu verabredenden Verfahren auszutauschen.
Es stellt sich natürlich die Frage, wie wir angesichts
dieser Entwicklung mit dem vorliegenden Antrag jetzt
umgehen. Ich will dazu drei Feststellungen machen:
Erstens. Wir sollten diesen Antrag heute annehmen wir befinden uns damit voll in Übereinstimmung mit
Ihnen, liebe Frau Schröter -, denn damit kann die Behandlung der noch ausstehenden Fragen in den Fachgesprächen nur unterstützt werden. Auch die Ernsthaftigkeit des Wunsches der deutschen Seite wird damit
dokumentiert.
Zweitens. Wenn die Meldungen in den Zeitungen zutreffen - davon gehe ich aus -, daß sich die GauckBehörde zu Wort gemeldet und gesagt habe, so gehe das
alles bei der Hingabe deutschen Materials an die Amerikaner nicht, man müsse streng nach den Vorschriften
des Stasi-Unterlagen-Gesetzes vorgehen, dann sage
ich: Die Gauck-Behörde hat im Prinzip recht, aber man
muß sehen, daß die Vorschriften des Stasi-UnterlagenGesetzes wohl nicht auf die Überlassung von Materialien an ausländische Stellen angewendet werden können.
Die entsprechenden Regelungen des Stasi-UnterlagenGesetzes beziehen sich nur auf nationale Stellen. Das
Gesetz hat aber ein spezifisches Verfahren für den Fall
vorgesehen, daß Unterlagen ausländischen Stellen
überlassen werden. - Ich erwähne diesen Punkt, weil wir
die Reform der Kontrolle der Nachrichtendienste noch
auf der heutigen Tagesordnung haben. - § 25 Abs. 4 des
Stasi-Unterlagen-Gesetzes sagt deutlich, daß an dieser
Stelle das PKG - die frühere PKK - mitwirken muß.
Drittens. Sicherlich müssen - Herr Staatsminister, ich
gehe davon aus, daß dies auch ein Erfordernis der praktischen Regierungsarbeit ist - bei diesem Austausch
auch die Rechte der Betroffenen in der Weise sichergestellt werden, daß die Gauck-Behörde zu Rate gezogen
wird. Aber sie wird kein förmliches Vetorecht bekommen können. Im übrigen wird sie hilfreiche Dienste bei
der Feststellung der Authentizität des Materials, das
Deutschland von den Amerikanern zurückerhält, leisten
müssen.
({0})
Lassen Sie uns den vorliegenden Antrag deshalb also
auch angesichts der jetzt schon erfreulichen Entwicklung
verabschieden! Ich freue mich, daß dieser Antrag aller
Voraussicht nach eine breite Zustimmung finden wird.
Besten Dank.
({1})
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Hans-Christian Ströbele.
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und
Kollegen! Die Kollegin Lengsfeld hat versucht, uns katholischer zu machen, als wir schon sind. Wir alle sind
uns einig, daß die Akten nach Deutschland gehören, daß
sie unrechtmäßig in die Hände der CIA geraten sind,
daß die Akten ausgewertet werden müssen, wie es sich
nach dem Stasi-Unterlagen-Gesetz gehört. Dabei könnte
man es eigentlich belassen.
Worum geht es? In den „hellen Tagen“ 1989/90 gab
es einige Dunkelmänner - wahrscheinlich waren es
Männer, wir wissen es nicht genau -, die einen ganzen
Teil wesentlicher Akten aus der Stasibehörde an die CIA
wahrscheinlich verkauft haben. Es handelt sich um UnGisela Schröter
terlagen, in denen die Agenten der Hauptverwaltung
Aufklärung im Westen mit Deck- und Klarnamen aufgelistet sind. Daran hatte die CIA erhebliches Interesse,
darum hat sie diese Akten mitgenommen.
Soweit mir bekannt ist - es gibt Gerüchte, man muß
sehr vorsichtig sein, weil man nicht weiß, was wirklich
wahr ist -, soll es unter anderem einen Oberst Wiegand
aus der Hauptverwaltung Aufklärung gegeben haben er ist heute nicht mehr am Leben -, der Geld dafür genommen hat. Er soll auch die Zusicherung bekommen
haben, daß er selbst nicht verfolgt wird. Es kann sein;
wir wissen es nicht genau. Das alles ist in diesen „hellen
Tagen“ im Dunkeln passiert.
Die Akten, die durch die Aktion „Rosewood“ - „Rosenholz“ sagen wir; bei Geheimdiensten ist dies hinter
schönen Bezeichnungen verborgen - in die Hände der
CIA gelangt sind, werden uns vorenthalten. In der 12.
und 13. Wahlperiode - ich war damals noch nicht im
Bundestag - ist versucht worden, sie zurückzubekommen. Das ist nicht gelungen.
Deshalb haben sich im November letzten Jahres einige Bürgerrechtler an uns und an den amerikanischen
Botschafter gewandt und gesagt: Jetzt reicht's! Wir
wollen diese Akten wiederhaben! - Dieser Brief hat
auch die Fraktion der Bündnisgrünen erreicht. Da ich
dafür zuständig bin, habe ich daraufhin an unseren verehrten neuen Bundesaußenminister einen Brief geschrieben und ihn gebeten, bei einem der nächsten Gespräche in den USA darauf hinzuwirken, daß wir diese
Akten endlich bekommen.
So einfach war das aber offenbar nicht. Die neue
Bundesregierung - da erwarte ich von allen Seiten Beifall - hat mehrere sehr hochrangige Emissäre zu Verhandlungen in die USA geschickt - darunter den Herrn
Staatsminister Hombach und Herrn Uhrlau aus dem
Kanzleramt; auch der Kanzler selber hat dieses Thema
angesprochen -, um endlich einen Schlußstrich ziehen
zu können und die Akten zurückzubekommen. Offenbar
waren diese Bemühungen zumindest zum Teil erfolgreich; darüber sollten wir alle glücklich sein.
Ohne auf die Einzelheiten einzugehen, was nun tatsächlich realisiert ist, sollten wir dem Staatsminister dafür dankbar sein, daß ein Teil der Akten zurückkommt.
Auch der Gauck-Behörde sollten wir dankbar sein, daß
sie es geschafft hat, die Datenbänder zu entschlüsseln,
auf denen 180 000 Informationen über Berichte von
Kundschaftern der HVA abgelegt sind, allerdings unter
Decknamen. - Wenn wir die Akten hätten, könnten wir
all diese Berichte zuordnen. Der Gedanke ist also lobenswert. Daran sollten wir weiter arbeiten.
Eine letzte Bemerkung: Woran ist dies vermutlich
bisher gescheitert? Ihre Bemerkungen von der Opposition dazu waren hier an die falsche Stelle gerichtet. Ganz
offenbar hat, wie es Geheimdienste zu tun pflegen, die
CIA versucht, diese Agenten, diese Kundschafter aus
Zeiten der DDR für sich zu nutzen, zumindest zum Teil.
Weil sie diese nicht enttarnen will, weil sie die Namen
weder dem Bundestag noch der Gauck-Behörde mitteilen will - sie will sie möglicherweise noch für ihr
dunkles Handwerk gebrauchen -, ist es bisher nicht gelungen, die Akten zu bekommen. Ich fürchte, wir werden sie auch jetzt nicht vollständig bekommen.
Wir haben uns von Anfang an dafür eingesetzt, daß die
Akten der Gauck-Behörde vollständig sind. Wir sollten
die Gauck-Behörde an dem Zurückholen der Akten beteiligen, damit alles seinen ordnungsgemäßen Gang geht.
Die Gauck-Behörde hat unser aller Vertrauen.
Deshalb werbe auch ich im Hinblick auf die folgende
Abstimmung für eine große Mehrheit, für Einstimmigkeit im Deutschen Bundestag, um dem Staatsminister
den Rücken so zu stärken, daß er auf Grundlage dieses
Papieres in Washington sagen kann: Liebe CIA, der gesamte Deutsche Bundestag bittet euch, uns die Akten zurückzugeben. Wir brauchen sie, um unsere Akten zu
entschlüsseln, um das Archiv der Gauck-Behörde und
endlich auch diesen Teil der Erinnerung der neuen Bundesrepublik Deutschland zu vervollständigen.
Danke sehr.
({0})
Das Wort hat
jetzt die Abgeordnete Ulla Jelpke.
Frau Präsidentin! Meine Damen
und Herren! Die Mehrheit unserer Fraktion wird dem
vorliegenden Antrag zustimmen,
({0})
weil wir einer Aufarbeitung der Vergangenheit der DDR
natürlich nicht entgegenstehen wollen. Gleichzeitig will
ich darauf hinweisen, daß ich die hier geäußerten
- übertriebenen - Erwartungen, zu welchen Erleuchtungen es im Rahmen der Aufarbeitung kommen soll, nicht
teile. Aber wir werden sehen. Ich meine, man sollte
nicht übertreiben.
Die Akten sind gestohlen worden. Es ist also unser
legitimes Recht, diese Akten zurückzubekommen. Es ist
schon ein bißchen peinlich, wenn man sich jetzt anhören
muß, daß die Amerikaner entscheiden, was für die Deutschen im Rahmen der Aufarbeitung ihrer Vergangenheit
wissenswert bzw. notwendig ist.
Mir ist in diesem Zusammenhang noch ein anderer
Aspekt wichtig: Zum Glück wird es, wenn wir die diesbezüglichen Materialien und mikroverfilmten Akten der
HVA erhalten, keine erneute Welle der Strafverfolgung
geben. Das ist sehr wichtig. Dennoch möchte ich an die
Bundesregierung appellieren: Sie sind im Zusammenhang mit der Rückgabe der Akten als Rechtsnachfolgerin der DDR aufgetreten. Wenn man dies tut - dies können Sie natürlich tun -, sollte man auch für die noch einsitzenden DDR-Spione, die in den USA verurteilt worden sind, eintreten und ihnen gegenüber eine gewisse
Fürsorgepflicht walten lassen. Ich möchte an dieser
Stelle daran erinnern, daß manche dort bis zu 17 Jahre
Haft absitzen müssen. Auch um diese Fälle sollte sich
die Bundesregierung kümmern.
Die unterschiedliche Behandlung der östlichen und
der westlichen Spionage bleibt meines Erachtens ein
Unrecht. Das sollte man in dieser Debatte nicht vergessen.
Danke.
({1})
Jetzt hat der
Herr Bundesminister Bodo Hombach das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich kann mich angesichts des breiten Konsenses und der sachlichen Übereinstimmung kurz fassen. Ich möchte jedoch einige Bemerkungen machen, damit keine Mißverständnisse entstehen. Die Bundesregierung empfindet den vorliegenden Antrag als sehr nützlich und hilfreich, als so hilfreich, daß der Kanzler in seinem Schreiben an den Präsidenten der USA, in dem er noch einmal mit Nachdruck
die Herausgabe der Unterlagen anmahnt, auf die gemeinsame Willensbildung des Bundestages - soweit
uns das zumindest aus dem Innenausschuß bekannt
war - Bezug genommen hat. Ich hatte im Innenausschuß
die Gelegenheit, die entsprechenden Abläufe darzustellen. Die Fachebene hat, wie es sich gehört, in der PKK
über die Angelegenheit berichtet.
Lassen Sie mich darauf hinweisen, daß wir das, was
wir tun, in der Kontinuität dessen sehen, was schon unsere Vorgänger zu unternehmen versucht haben. Eine Bemerkung, die Herr Schmidt-Jortzig gemacht hat, veranlaßt
mich, auf folgenden Aspekt einzugehen: Die Geheimdienste, also die Fachebene, hatten in dieser Angelegenheit längst Kontakt untereinander, haben das eine oder
andere schon miteinander zu unternehmen versucht und
haben sich das eine oder andere schon offenbart. Das ist
nicht das Thema. In der öffentlichen Debatte aber rankten
sich um diese Unterlagen zum Teil giftige Legenden und
Ideen, die aus meiner Sicht von der politischen Ebene
öffentlich ausgeräumt werden müssen, damit das, was
sich darum herumrankt, nicht mißbraucht werden kann,
das heißt, an einer Stelle entzweit und spaltet, wo es nicht
hingehört. Deshalb muß diese Angelegenheit bewußt
öffentlich und politisch gelöst werden.
Es waren die Geheimdienste, die die Bundesregierung,
nachdem sie in ihrem Tun nicht mehr weiterkamen bzw.
festgefahren waren, gebeten haben, den Vorgang politisch
aufzugreifen. So ist es auch geschehen. Ich lege Wert darauf, daß wir nach den Fortschritten, die sich jetzt im fachlichen Bereich abzeichnen, die Gelegenheit haben - dies
ist vermutlich Konsens im gesamten Haus -, das Ganze
politisch - sprich: öffentlich - aufzubereiten und zu verwenden, damit sich im öffentlichen Bewußtsein durch die
Störungen und das, was in dieser Angelegenheit gestreut
wird und Mißverständnisse provozieren könnte, keine
Schimmelpilze ansetzen. Insofern, Herr Schmidt-Jortzig,
war das, was Sie andeuteten, notwendig, nämlich die
öffentliche Auseinandersetzung auch mit den Vereinigten
Staaten darüber, daß wir einen Anspruch darauf haben, zu
wissen: Was habt ihr da? Wir wollten wissen, was das für
die Aufarbeitung unserer Geschichte und die Verstrikkungen bedeutet, die hier schon eine Rolle spielten: Hat
sich da jemand schuldig gemacht? Das meine ich nicht im
strafrechtlichen Sinne, sondern im moralisch-politischen.
Insofern haben wir die Öffentlichkeit absichtlich hergestellt, und sie gehört auch dazu, wenn man das leisten
will, was Sie jetzt zum Teil im Konsens gefordert haben,
nämlich ein Stück Geschichtsbewältigung.
Schönen Dank.
({0})
Ich schließe
damit die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlußemp-
fehlung des Innenausschusses zu dem Antrag der Fraktion
der CDU/CSU zur Überlassung der Akten der Hauptver-
waltung Aufklärung des Ministeriums für Staatssicherheit
der ehemaligen DDR durch die Regierung der Vereinig-
ten Staaten von Amerika; Drucksache 14/515. Der Aus-
schuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 14/89 in der
Ausschußfassung anzunehmen. Wer stimmt für diese Be-
schlußempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen?
Die Beschlußempfehlung ist damit mit den Stimmen des
ganzen Hauses angenommen worden.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 5a und 5b auf:
a) Beratung des Abschlußberichts der EnqueteKommission „Schutz des Menschen und der
Umwelt - Ziele und Rahmenbedingungen einer
nachhaltig zukunftsverträglichen Entwicklung“
Konzept Nachhaltigkeit
Vom Leitbild zur Umsetzung
- Drucksache 13/11200 Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
({0})
Rechtsausschuß
Finanzausschuß
Ausschuß für Wirtschaft und Technologie
Ausschuß für Gesundheit
Ausschuß für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
Ausschuß für Bildung, Forschung
und Technikfolgenabschätzung
Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit
und Entwicklung
Ausschuß für Tourismus
b) Beratung des Berichts des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung
({1}) gemäß § 56a der Geschäftsordnung
Technikfolgenabschätzung
hier: „Forschungs- und Technologiepolitik für
eine nachhaltige Entwicklung“
- Drucksache 14/571 Berichterstattung:
Abgeordnete Jürgen W. Möllemann
Axel E. Fischer ({2})
Angela Marquardt
Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Bildung, Forschung
und Technikfolgenabschätzung ({3})
Ausschuß für Wirtschaft und Technologie
Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache eineinhalb Stunden vorgesehen. - Kein
Widerspruch. Dann ist auch so beschlossen. Ich eröffne
die Aussprache. Das Wort hat zunächst die Kollegin
Caspers-Merk.
Frau Präsidentin!
Sehr geehrte Damen und Herren! Ich bekenne ehrlich,
daß es angesichts der heutigen Situation im Kosovo
schwerfällt, zur Tagesordnung zurückzukehren, und es
auch schwerfällt, über einen Bericht der EnqueteKommission zu reden, der friedliche Verhältnisse voraussetzt.
Uns geht es mit dem Konzept der Nachhaltigkeit und
dem Enquete-Bericht darum, die Chancen künftiger Generationen hier und heute zu verbessern und dafür zu
sorgen, daß wir in Zukunft nicht mehr vom Naturkapital
leben, sondern nur noch von den Zinsen der Natur. Wir
wollen, daß unsere Kinder dieselben Lebenschancen haben wie wir. Das wünschen wir natürlich, gerade am
heutigen Tag, nicht nur unseren Kindern. Vielmehr
wollen wir diese Chance allen Kindern auf der ganzen
Welt geben. Dafür sollten wir uns gemeinsam einsetzen.
({0})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, Enquete-Berichte
sind in aller Regel ein Stück parlamentarische Fleißarbeit.
Sie sind nach gründlicher Beratung entstanden; sie beziehen das vorhandene Expertenwissen vollständig ein; sie
organisieren einen politischen Konsens. Sie sind also ein
Stück weit ein runder Tisch im Parlament. Es wird dort
über langfristig bedeutsame, schwierige Fragen geredet,
die uns alle auch nach dieser Legislaturperiode noch beschäftigen werden. Sie sind also, in einem Wort, langatmig, kompliziert. Es handelt sich um gewichtige Werke
- dieses, das ich jetzt in der Hand halte, wiegt immerhin
fast 400 Gramm -, und sie setzen sehr leicht Staub an.
Immer wenn mir jemand voll Stolz mitteilt, er habe den
Enquete-Bericht „Konzept Nachhaltigkeit - Vom Leitbild
zur Umsetzung“ gelesen, haben wir gemeinsam in der
Kommission den Witz gemacht: Ach, Sie waren das.
Nun verhält es sich gerade mit diesem EnqueteBericht so, daß er eigentlich eine ungewöhnliche Wirkungsgeschichte hat. Wir wissen ja von alten EnqueteBerichten, daß man zu ihrer Abfassung einen großen
zeitlichen Vorlauf brauchte und sie erst nach und nach
verwirklicht wurden. Ich darf in diesem Zusammenhang
den Kolleginnen und Kollegen auch einmal danken, die
das Thema „Schutz der Erdatmosphäre“ über Jahre im
Deutschen Bundestag behandelt haben, die das Klimaschutzziel erarbeitet haben und ohne deren Vorarbeiten
wir heute nicht mit der Bevölkerung über das Thema der
CO2-Reduktion einvernehmlich reden könnten. Da ist
wirklich über Jahre eine grundlegende Arbeit geleistet
worden. Ohne diese Vorarbeiten wäre auch eine Energiewende heute nicht möglich. Insofern gibt es eine
langfristige Wirkung dieser Enquete-Kommission.
({1})
Dafür den Kolleginnen und Kollegen in allen Fraktionen herzlichen Dank!
Die Wirkungsgeschichte ist insofern einmalig, als
Forderungen einer Enquete-Kommission noch nie so
zeitnah in politisches Handeln umgesetzt wurden. Es
gibt eine ganze Reihe von Forderungen aus dem Kommissionsbericht, die unmittelbar in die Koalitionsvereinbarung eingeflossen sind. Wir haben also ein Stück weit
durchgesetzt, daß diese Erkenntnisse ernsthaft umgesetzt
werden. So findet sich in der Koalitionsvereinbarung das
Ziel wieder, für die Bundesrepublik Deutschland gemeinsam eine Nachhaltigkeitsstrategie zu erarbeiten
- das ist die zentrale Botschaft dieses Berichts - und in
Zukunft mit der Fläche sparsamer umzugehen, also den
Flächenverbrauch vom Wirtschaftswachstum abzukoppeln. Darüber hinaus hat die Enquete-Kommission deutlich gemacht, daß wir langfristig 10 Prozent der Fläche
für Naturschutz in Deutschland brauchen, wenn wir dem
Artensterben Einhalt gebieten wollen. All diese Forderungen des Enquete-Berichts sind sehr zeitnah umgesetzt worden. Die neue Bundesregierung hat die Berichte also ernst genommen und einiges sogar in die
Koalitionsvereinbarung aufgenommen.
({2})
Wenn wir heute den Enquete-Bericht diskutieren,
dann müssen wir uns auch um den Umsetzungsprozeß
kümmern. Wir wollen diese Debatte über einen abgeschlossenen Bericht zum Anlaß nehmen, einen neuen
Anlauf zu machen. Es ist nicht damit getan, zu sagen,
daß wir eine Nachhaltigkeitsstrategie für Deutschland
erarbeiten wollen. Vielmehr sollten wir uns gemeinsam
Gedanken machen, wie wir diesen Prozeß organisieren
wollen, wie wir ihn parlamentarisch, von allen Seiten
des Hauses, begleiten können und wie es uns gelingen
kann, die Ergebnisse dieses Berichts in politisches Handeln umzusetzen.
Deshalb müssen zuallererst drei Fragen beantwortet
werden: Was soll mit einer nationalen Nachhaltigkeitsstrategie erreicht werden; was muß ihr Inhalt sein? Wie,
mit welchen Instrumenten und Maßnahmen, kann man
dies erreichen? Wer muß auf welcher politischen Ebene
diese Maßnahmen umsetzen? - Diese drei Fragen sind
zu beantworten.
Zunächst: Was soll mit einer nationalen Nachhaltigkeitsstrategie erreicht werden? Ich habe es schon gesagt: Wir tun dies nicht, um die Menschen zu quälen,
sondern wir tun dies, damit die künftigen Generationen
dieselben Lebenschancen haben. Das heißt, unsere Wirtschaftsweise, unsere Konsummuster müssen sich ein
Stück weit ändern, und zwar in einem gesellschaftlichen
Grundkonsens. Es hat wenig Sinn, das von oben zu verordnen. Es muß umgedacht werden, und diesen Prozeß
gilt es gemeinsam einzuläuten.
Als zweites müssen wir die Frage beantworten, wie
das erreicht werden soll. Es soll erreicht werden, indem
wir uns Ziele vornehmen. Nun sind schon eine Vielzahl
von Zielen aufgeschrieben worden: Das Umweltbundesamt hat einige Ziele erarbeitet; wir haben in unserem
Enquete-Bericht einige Ziele erarbeitet. Aber auch andeVizepräsidentin Dr. Antje Vollmer
re Vorarbeiten sind geleistet worden: beispielsweise
durch das Wuppertal-Institut oder durch die alte Bundesregierung, den „Schritte-Prozeß“, den Frau Merkel formuliert hat. Dies alles müssen wir zur Grundlage machen, um gemeinsam umweltpolitische Ziele festzulegen. Dann aber müssen auch Maßnahmen und Instrumente diskutiert werden, damit man nicht ein hehres
Ziel wie eine Monstranz vor sich herträgt und aus den
Augen verliert, wie man dort hinkommt.
({3})
Wer muß das Ganze organisieren? Zunächst einmal
ist die Bundesregierung am Zug. Wir haben im Umweltausschuß darüber geredet, daß es jetzt notwendig ist,
daß die Bundesregierung die Vorarbeiten und Ziele
sammelt und Vorschläge erarbeitet, mit welchem Ziel
die gesellschaftlichen Gruppen beteiligt werden. Denn
Agendaprozesse haben Inhalte - betreffen also die Frage: wo wollen wir hin? -, aber sind gleichzeitig auch ein
neues Verfahren. Sie stehen für ein Verfahren, in dem
gesellschaftliche Partizipation praktiziert wird, also
Bürger- und Mitwirkungsrechte ernst genommen werden. Auf Bundesebene ist das sehr schwierig zu gestalten. Jeder, der Lokale-Agenda-Prozesse in Städten
kennt, weiß, daß es dort viel einfacher ist. Da sind wir
mittlerweile auf einem sehr guten Weg. Deshalb ist es
wichtig, daß wir diesen partizipativen Prozeß auf Bundesebene gestalten. Das heißt, wir brauchen einen „Rat
für nachhaltige Entwicklung“, und zwar nicht als zusätzliches, sondern als eigenständiges Gremium, das die
bisherige Beratungslandschaft praktisch ersetzt.
Wir haben dafür in Deutschland eine einmalige
Chance, nämlich die, aus den Prozessen in unseren
Nachbarländern zu lernen. Wir wissen, daß zum Beispiel
die Niederlande einen Umweltplan erarbeitet haben.
Die Ziele sind schön und hehr. Aber die Frage ist: Werden sie überhaupt erreicht? Wir wissen, daß zum Beispiel die Österreicher mit gesellschaftlichen Gruppen
ein wunderbares Modell für einen Prozeß erarbeitet haben. Aber es ist später nie mehr aus der Schublade herausgeholt worden. Wir wissen, daß auch die Schweiz
einen sogenannten „IDA-Rio-Prozeß“, einen gemeinsamen Umweltplan, erarbeitet haben, daß aber auch dort
die Schritte der Umsetzung noch nicht konkret genug
sind. Das heißt, wir können von den Nachbarn lernen;
das ist die eine Chance.
Die andere Chance ist: Wir haben nun eine Bundesregierung, die entschlossen ist, das, was wir aufgeschrieben haben, auch umzusetzen. Dafür bin ich sehr
dankbar.
({4})
Wie kann die bundespolitische Situation fruchtbar
gemacht werden? Wir brauchen neben dem Ansatz, auf
Bundesebene aktiv zu werden, ein Unterfutter. Wir
brauchen - wie man es neuhochdeutsch sagt - „Bottomup-Prozesse“. Das heißt, wir brauchen Lokale-AgendaProzesse nicht nur in einzelnen Gemeinden, sondern
bundesweit. Auch da brauchen wir ein Umweltziel.
Tony Blair hat zugesagt, daß 100 Prozent der englischen Gemeinden bis zum Jahr 2000 eine lokale Agenda
haben. Davon sind wir noch weit entfernt. Aber wir
sollten uns das Ziel setzen: Bis zum Jahr 2000 sollte die
Hälfte der Gemeinden den Prozeß begonnen haben, damit wir in diesem Bereich nicht Schwellenland oder
Mittelfeld sind, sondern auch dort eine umweltpolitische
Vorreiterschaft übernehmen.
Ich danke den vielen Städten, die das schon getan haben, ganz besonders; denn sie haben es ohne finanzielle
Unterstützung durch den Bund getan, sie haben es alleine getan. Sie sind da ein Stück weit von der alten Bundesregierung alleine gelassen worden. Ich denke an Vorreiterstädte wie Aachen, Heidelberg, München. Mittlerweile ziehen auch kleine Städte nach.
Man muß ganz klar sehen, daß insgesamt drei Viertel
aller Städte, die diesen Prozeß machen, aus nur drei
Bundesländern kommen: Hessen, Nordrhein-Westfalen
und Bayern. In diesen drei Bundesländern wurden den
Kommunen Zuschüsse gegeben. Der Prozeß wurde von
den Landesregierungen aktiv begleitet. Mittlerweile holt
Baden-Württemberg - nach schwierigen Anfangsprozessen - Gott sei Dank etwas auf. Ich denke, wir müssen
es uns zum Ziel machen, daß dieser Prozeß in allen
Bundesländern gefördert wird und daß wir die Kommunen bei diesem schwierigen Verfahren nicht alleine lassen.
({5})
Insofern haben wir uns mit diesem Bericht viel vorgenommen. Er wird uns Leitlinie und Richtschnur sein.
Wir werden die nationale Nachhaltigkeitsstrategie auf
allen drei Ebenen angehen. Wir werden Ziele erarbeiten;
das ist Aufgabe der Bundesregierung. Wir werden die
gesellschaftlichen Gruppen beteiligen. Da hat auch das
Parlament ein gewichtiges Wort mitzureden. Wir brauchen die Unterstützung der kommunalen Seite und wollen ihnen von dieser Stelle aus sagen: Wir sind stolz auf
euch. Macht weiter so! Wir werden es euch nachtun.
Unsere Kinder werden es uns danken.
Vielen Dank.
({6})
Das Wort hat
jetzt die Abgeordnete Christa Reichard.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Ich finde es gut und richtig und auch angemessen,
daß sich der Deutsche Bundestag mit den Zielen und
Rahmenbedingungen einer nachhaltigen Entwicklung
beschäftigt. Ich bin davon überzeugt, daß er es dabei
nicht bewenden lassen wird und daß wir uns auch in Zukunft mit den Ergebnissen der Enquete-Kommission zu
beschäftigen haben werden.
Weltweiter Start für diese Bemühungen war die Konferenz für Umwelt und Entwicklung der Vereinten Nationen 1992 in Rio de Janeiro. 170 Staaten waren daran
beteiligt. Auf dieser Konferenz wurde ein Aktionsprogramm verabschiedet, das unter dem Namen Agenda 21
bekanntgeworden ist. Dieser Name trägt allerdings aktuell durch die Debatten um die Agenda 2000 eher zur
Verwirrung bei.
Dieser globale Aktionsplan ist durch Aktionspläne
oder auch Nachhaltigkeitsstrategien durch in der Agenda
aufgeführte Akteure zu untersetzen. Dies wurde auch
durch das Motto „Global denken, lokal handeln“ deutlich gemacht.
Dieser Aufgabe haben sich sowohl die Bundesregierung als auch der Deutsche Bundestag in den vergangenen Jahren auf vielfältige Weise gestellt, wie meine Vorrednerin schon deutlich gemacht hat, auch im Wissen
darum, daß staatliche Reglementierung nicht im Mittelpunkt dieses Prozesses steht, sondern daß er im wesentlichen von den Akteuren, die vor Ort Projekte umsetzen,
getragen wird.
Es gibt in vielen anderen Ländern auf unterschiedlichsten Ebenen von unterschiedlichen Akteuren eine
Reihe von Bemühungen. Ich denke, es ist auch ein Verdienst der Enquete-Kommission, daß sie sich damit beschäftigt hat, daß sie den gegenwärtigen Stand von Diskussion und Umsetzung in Europa und in den USA zusammengetragen hat und daß sie auch die Kommunen,
die sich in Deutschland mit einer lokalen Agenda 21 befassen, im Rahmen einer Anhörung hat zu Wort kommen lassen.
Ich möchte auf zwei grundsätzliche Schwierigkeiten
bei der Debatte und Umsetzung des Leitbildes einer
nachhaltigen Entwicklung in meinem Beitrag eingehen.
Das erste und schwer zu lösende Problem scheint mir
nach wie vor das Kommunikationsproblem zu sein.
Darauf hatte ich schon in meiner letzten Rede in diesem
Thema hingewiesen. Aber leider hat sich an dieser Tatsache bisher wenig geändert.
Voraussetzung für die Umsetzung all unserer Vorschläge ist es aber, den Gedanken der Nachhaltigkeit
zum Allgemeingut und für jedermann verständlich zu
machen. Eigentlich sagt dieser Begriff verkürzt, daß wir
nicht den Ast absägen dürfen, auf dem wir sitzen bzw.
auf dem unsere Kinder und Enkel noch sitzen wollen.
Ganz so einfach ist das natürlich nicht. Aber unsere wissenschaftlichen Definitionen müssen durch einprägsame,
für jeden verständliche Bilder ergänzt werden. Dort sehe
ich auch über unser Parlament hinaus weiteren Handlungsbedarf.
Unsere Vorgängerkommission hat uns bereits Nachhaltigkeitsregeln für die ökologische Dimension mit auf
den Weg gegeben. Im Leitbild der Nachhaltigkeit geht
es uns allerdings um die Integration der drei Dimensionen Umwelt, Wirtschaft und Soziales, die untereinander in einem Spannungsverhältnis stehen, was wir aus
vielen einzelnen Beispielen kennen.
Damit komme ich zum zweiten Problem bei der
Umsetzung des Leitbildes einer nachhaltigen Entwicklung. In der Arbeit der Enquete-Kommission ist es uns
trotz mancher Bemühungen und auch im Wissen darum
nicht ausreichend gelungen, die Gleichwertigkeit der
drei Dimensionen hinreichend deutlich zu machen. Ich
sage Ihnen, meine Damen und Herren: Wenn es uns jetzt
nicht gelingt, das Thema von einem einseitig ökologisch
orientierten Zugang zu befreien, wird uns das auch in
Zukunft nicht gelingen.
Es ist durchaus folgerichtig, daß der Anstoß zu dieser
dreidimensionalen Nachhaltigkeitsdebatte von der Umweltpolitik ausgegangen ist. Historisch betrachtet hat die
Beschäftigung mit Interessen von Wirtschaft und Sozialem eine wesentlich längere Tradition als die Beachtung von Umweltinteressen.
Im Erfolgsmodell der sozialen Marktwirtschaft sind
Mechanismen, Ziele und Rahmenbedingungen für den
Interessenausgleich von Wirtschaft und Sozialem bereits
entwickelt worden. Aber auch hier stellen wir fest, daß
der Gedanke der Nachhaltigkeit nicht immer ausreichend berücksichtigt wurde. Unter anderem deshalb sind
Reformen bei den sozialen Sicherungssystemen notwendig.
Wenn aber dieses Modell der sozialen Marktwirtschaft erfolgreich bleiben soll, muß die ökologische
Dimension als dritte und gleichrangige Säule dazukommen. Aber dabei dürfen wir nicht von einem Extrem ins
andere fallen. Stellen Sie sich einen dreibeinigen Tisch
vor, dessen Beine nicht die gleiche Länge aufweisen.
Die Platte gerät in eine bedrohliche Schieflage.
Genau diese Schieflage hat sich auch bei der Behandlung des Nachhaltigkeitsthemas nicht nur in der Enquete-Kommission herausgestellt. Unsere Debatten im
Teilnehmerkreis hier und anderswo und die Anbindung
an das Umweltressort auf allen Ebenen zeigen, daß es
noch nicht gelungen ist, die nachhaltige Entwicklung zu
einem wirklich zentralen Anliegen zu machen, eben weil
wir diese umweltorientierte Schieflage haben.
Meine Damen und Herren, für den Erfolg der Umsetzung von Nachhaltigkeitsstrategien ist eines von entscheidender Bedeutung: Nachhaltigkeit muß Chefsache
sein und muß im Zentrum der politischen Bemühungen
stehen. Das gilt nicht nur für staatliche Stellen, die den
Prozeß begleiten, sondern vor allem auch für Akteure in
ihrer jeweiligen Verantwortung. Gerade weil in diesem
Prozeß der vielen Schritte die Einbeziehung vieler
gesellschaftlicher Gruppen unbedingt dazugehört, muß
das Hauptanliegen Chefsache sein. Auch Arbeitgeber
und Gewerkschaften sind aufgerufen, sich aus ihrer
Sicht noch intensiver als bisher mit einer nachhaltigen
Entwicklung zu beschäftigen, wie es beispielsweise der
VCI gemeinsam mit der Gewerkschaft für Chemie,
Bergbau und Energie in beeindruckender Weise begonnen hat. Nur durch die Integration der Nachhaltigkeitsüberlegungen in alle anderen Politikbereiche können wir die Diskussion in die richtige Richtung bringen.
Trotz mancher Unvollkommenheiten und Mängel des
vorgelegten Abschlußberichtes bin ich davon überzeugt,
daß er wichtige Anregungen für viele Akteure geben
kann und daß er eine Einladung an alle darstellt, die sich
Christa Reichard ({0})
am Zukunftsprojekt einer nachhaltigen Entwicklung beteiligen wollen.
Ich danke Ihnen.
({1})
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Winne Hermann.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es ist nun
bald sieben Jahre her, daß sich in Rio über 170 Nationen
auf ein umfangreiches Vertragspaket über die Zukunft
der Menschheit, über die Agenda 21, verständigt haben.
In diesem Vertragspaket hat auch die Bundesrepublik
Deutschland sehr weitreichende Verpflichtungen übernommen. Wir haben uns - übrigens hat das der Bundestag einstimmig nachvollzogen - dem anspruchsvollen Konzept der nachhaltigen Entwicklung verschrieben.
Das ist ein hoher Anspruch. In all diesen Jahren ist viel
diskutiert, viel geforscht, viel debattiert und es sind viele
Berichte geschrieben worden. Aber in all diesen Jahren
ist auf der Ebene des politischen Handelns wenig - ich
meine: deutlich zu wenig - geschehen.
({0})
In Deutschland mangelt es noch immer an dem Konzept einer nationalen Nachhaltigkeitsstrategie oder
auch nur eines Umweltplans. Es gibt keinen Innovationsvorschlag, der das neue Entwicklungsmodell aufgreift und die Institutionsreform umsetzt. Es ist schon
von Frau Kollegin Caspers-Merk angesprochen worden,
daß lokale Agendaprozesse - so wichtig sie sind - in der
Bundesrepublik Deutschland immer noch eine bescheidene, randständige Rolle spielen. Das ist in vielen anderen europäischen Ländern weit besser als bei uns in der
Bundesrepublik gemacht.
({1})
Es ist erstaunlich, daß diese Kommission in all den
Jahren des „nachhaltigen Nichtstuns“ so gut gearbeitet
hat; das sage ich bewußt und absichtlich. Man konnte
nicht von Anfang an erwarten, daß diese Kommission so
viele Beiträge zur Debatte in der Bundesrepublik bringt.
Ein Kompliment an alle Mitglieder - auch an die, die
heute in der Opposition sind, und an diejenigen, die das
heute anders sehen! Sie haben gute Arbeit geleistet; das
meine ich wirklich ernst und ehrlich.
({2})
Wenn es ein bleibendes Verdienst dieser Kommission
gibt, dann ist es sicherlich die Tatsache, daß die Dreidimensionalität des Entwicklungsbegriffs Nachhaltigkeit - Ökologie und Soziales verbunden mit der Ökonomie - nun auch in der deutschen Politik eine Rolle
spielt. Damit hat man, glaube ich, den Horizont der
Politik ein Stück weit erweitert und zu einem neuen integrativen Politikverständnis beigetragen.
({3})
Dieser Bericht enthält eine ganze Reihe von Vorschlägen - viele ganz konkrete, viele eher allgemeine
Vorschläge. Zunächst will ich einige positive Beispiele
herausgreifen, zunächst das Problem des Flächenverbrauchs und des Naturverbrauchs. Mit dem Vorschlag,
den Flächenverbrauch in der Bundesrepublik auf
10 Prozent des heutigen Niveaus bis zum Jahre 2010 zu
reduzieren, hat sich die Kommission auf ein sehr hohes
Ziel geeinigt. Das Ziel bedeutet zwar nicht einen Stopp
des Flächenverbrauchs. Aber es ist sehr hoch und anspruchsvoll. Ich muß Ihnen sagen: Wenn es uns gelingt,
dieses Ziel zu erreichen, dann haben wir in dieser Republik viel für den Landschafts- und Artenschutz getan.
({4})
Ein zweites schönes Beispiel stammt aus dem Bereich des Wohnens. Wir wissen, daß Wohnen und Bauen gemessen an den Gesamtstoffströmen und an dem
Energieverbrauch der Wirtschaft ungeheuer wichtige
Bereiche sind. Hier hat die Kommission die Idee des
Gebäudepasses aufgegriffen. Mit Hilfe dieses Passes
sollen Gebäude und Wohnungen daraufhin untersucht
werden, wo Energie verbraucht wird und wo sie abgeht,
welche Baumaterialen verwendet werden und welche
ungesund sind und wie die ökologische Qualität eines
Gebäudes oder einer Wohnung beschaffen ist. Mit Hilfe
eines solchen Passes läßt sich der Bereich des Wohnens
und Bauens, wie ich meine, nachhaltig ökologisieren.
Das wäre ein Fortschritt. Ich hoffe, wir können diese
Idee in den nächsten Jahren implementieren.
({5})
Der dritte Bereich betrifft die Informations- und
Kommunikationstechnologie. Hier hat man über die
Jahre hinweg, wie ich meine, ziemlich geschlampt. In
dieser Republik wurden über Jahre hinweg Fernsehgeräte und Computer ohne jegliches Recyclingsystem
irgendwie entsorgt. Zum Teil stehen diese Geräte noch
auf Hausspeichern herum. Viele Leute haben also Sondermüll. Sie wissen es nur noch nicht. Viele Wertstoffe
und gefährliche Stoffe werden verbrannt. Hier ist viel
schiefgelaufen. Die Kommission hat das aufgearbeitet,
Vorschläge gemacht und Alternativen entwickelt, zum
Beispiel ein Öko-Label und ein ökologisches Design.
Diese Ansätze sollten nicht nur im Kommunikationsbereich, sondern auch in allen anderen Bereichen verwirklicht werden. Sie sind Beispiele für einen produkt- und
produktionsintegrierten Umweltschutz. Es muß möglich
sein, daß der Umweltschutz schon beim Produkt und im
Produktionsprozeß beginnt und damit die Umwelt geschützt wird. Das wäre eine Neuorientierung des Umweltschutzes. Das ist die Zukunft.
Christa Reichard ({6})
Nach so viel Lob muß ich auch ein paar kritische
Anmerkungen machen. Eine grundsätzlich kritische
Anmerkung muß ich zu dem Anspruch der Kommission
machen: Der Untertitel des Kommissions-Berichtes
lautet: „Vom Leitbild zur Umsetzung“. Diesen Anspruch
haben Sie leider nicht sehr gut eingelöst.
({7})
- Zwar klingt es gut, und es gibt auch ein paar schöne
Beispiele, die ich genannt habe, aber im großen und
ganzen gibt der Bericht keine Anleitung für Politik, zu
handeln.
Dazu ist er viel zu kursorisch und in vielen Punkten
auch viel zu allgemein gehalten und zu wenig handlungsanleitend konkret. Er ist an vielen Stellen nicht nur
detailliert, sondern, wie ich finde, sogar detaillistisch.
Man kann schon fast sagen, er ist überkomplex. In dem
Bericht wird eine Sprache verwendet, die eigentlich nur
ein Fachpublikum verstehen kann. Das ist das eigentliche Bedauerliche. Wenn man will, daß Nachhaltigkeit
ein gesellschaftliches Anliegen wird, daß die Medien
dies aufgreifen und die Bürgerinnen und Bürger davon
so berührt werden, daß sie sich Gedanken machen, dann
muß ein solcher Bericht in einer anderen Sprache geschrieben werden. Ich hoffe sehr, daß es demnächst eine
Übersetzung dieses Berichtes gibt, damit dieser Bericht
auch die Resonanz findet, die er verdient hat.
Nun zum Inhalt. Kollegin Reichhard, Sie haben darauf hingewiesen, daß die Dreidimensionalität wichtig
sei. Ich schätze das auch so ein. Sie haben aus Ihrer
Sicht gesagt, es sei wichtig, daß man von der Einseitigkeit der Ökologie herunterkomme. Ich möchte Ihnen dazu sagen: Nach vielen Jahrzehnten der ökologischen
Blindheit kann ich nicht sehen, daß wir jetzt irgendwie
ökologisch einseitig geworden sind;
({8})
vielmehr halte ich es für einen wirklichen Fortschritt,
daß wir die angesprochenen drei Dimensionen als Einheit begreifen und daß es klar ist, daß Ökologie nicht
ohne soziale und ökonomische Dimension gedacht werden kann. Aber das gilt dann auch umgekehrt. Es gibt
noch immer viele ökonomische Prozesse, die nicht darauf geprüft werden, welche ökologischen und sozialen
Auswirkungen sie haben. Genau das fehlt noch. Wir
müssen dafür sorgen, daß es anders wird. Das wird eine
Aufgabe der Zukunft sein.
({9})
Ein weiterer gravierender Mangel besteht darin - das
liegt im übrigen nicht an der Kommission selber, sondern schon an ihrem Auftrag -, daß die Kommission die
Nord-Süd-Dimension der Entwicklung, die Kerngegenstand aller Verträge in Rio war, einfach ausgeklammert
hat. Man kann das eigentlich kaum verstehen;
({10})
denn es ist doch klar, daß wir im Norden nicht in Frieden, Gerechtigkeit und geschützter Umwelt leben können, wenn wir kein Entwicklungskonzept auch für die
anderen haben, das auf Dauer auf der ganzen Welt trägt.
Das ist übrigens eine Zukunftsaufgabe für unsere neue
Regierung, Frau Staatssekretärin.
({11})
Ich glaube, daß wir uns schon einiges vorgenommen haben.
Der vorliegende Bericht ist aus unserer Sicht zwar
keine konkrete Grundlage für die neue Regierung, aber
wir nehmen ihn zum Anlaß. Wir haben uns vorgenommen - das ist im Koalitionsvertrag festgehalten -, endlich eine nationale Nachhaltigkeitsstrategie zu entwikkeln. Aus unserer grünen Sicht wäre es günstig, mit einem nationalen Umweltplan einzusteigen, wohlgemerkt:
einzusteigen. Ich sage klar dazu: Es muß ein Umweltplan sein, der sozial und ökonomisch durchdacht ist, es
darf also kein einseitiger Umweltplan sein.
Ich sage dazu klar, daß ein solcher Umweltplan einen
zeitlichen Rahmen haben und Ziele und Maßnahmen
beinhalten muß und daß es gut ist, daß andere Länder
nun Erfahrungen gemacht haben, von denen wir lernen
können. Wir müssen nicht die gleichen Fehler machen,
aber wir können sehen, daß andere Länder weiter sind
als wir. In diesem Bereich können wir zuschauen, was
andere gemacht haben, weil wir selber so lange untätig
waren.
Manche Debattierende - ich nehme an, das kommt
auch heute noch zur Sprache - sagen: Ein Umweltplan
ist nichts, das ist irgendwie DDR in Richtung Ökologie.
Ich sage Ihnen aber ganz klar: Wenn wir in diesem Zusammenhang von Planungen reden, dann wollen wir
nicht die DDR-Planwirtschaft ökologisch recyclen, nein,
es geht schlicht und einfach um die Planung von Zukunft. Das gibt es übrigens in allen Bereichen der Politik, und in der Wirtschaft ist es eine Selbstverständlichkeit.
Es kommt darauf an, daß wir offen planen, daß die
Planung nicht von oben herab entwickelt wird, daß die
Zielvorgaben und Maßnahmen im gesellschaftlichen
Diskurs, im Parlament, mit den gesellschaftlichen Gruppen, auch mit den Interessensgruppen ausgearbeitet
werden. Nur ein solcher Nachhaltigkeitsdiskurs kann
zielgerichtet sein im Sinne eines nationalen Umweltplans und darüber hinaus zu einer nationalen Nachhaltigkeitsstrategie führen. Das muß unser Ziel sein.
Meine Damen und Herren, ich komme zum Schluß.
Wir wollen nicht wie die alte Regierung am Ende unserer Regierungszeit ein Schwerpunktprogramm vorlegen,
das die Regierung selber nicht trägt, das eher abgelehnt
wird. Nemesis ist die Rachegöttin, Zeitknappheit ist die
Nemesis der Moderne. Wir haben nicht mehr viel Zeit,
wir sollten endlich zum Handeln kommen. Wir wollen
das mit unserer neuen Regierung tun. Wir wollen im
Jahre 2002 - zehn Jahre nach Rio - nicht mit leeren
Händen dastehen, sondern mit einer umfassenden natioWinfried Hermann
nalen Nachhaltigkeitsstrategie, über die wir auch im internationalen Vergleich sagen können: Wir haben einen
großen Schritt nach vorne getan.
Vielen Dank.
({12})
Das Wort hat
jetzt die Abgeordnete Birgit Homburger.
Frau Präsidentin! Meine
lieben Kolleginnen und Kollegen! Der Deutsche Bundestag befaßt sich schon seit längerem mit der Gestaltung einer nachhaltig zukunftsverträglichen Entwicklung. Die Enquete-Kommission ist eine Institution, in
der sich Abgeordnete und Sachverständige der unterschiedlichen politischen, aber auch wissenschaftlichen
Richtungen mit wichtigen und interessanten Themen befassen.
Neben der Einsetzung der Enquete-Kommission beauftragte der Deutsche Bundestag auch das Büro für
Technikfolgenabschätzung beim Deutschen Bundestag
mit einem Monitoring und einem Projekt zur Forschungs- und Technologiepolitik für eine nachhaltige
Entwicklung. Aus den beiden vorliegenden Berichten
lassen sich aus der Sicht der F.D.P. wichtige Ergebnisse
ableiten.
Herr Kollege Hermann, Sie haben gesagt, der Dank
richtet sich auch an die, die das heute alles anders sehen.
Ich sage Ihnen: Wir sehen das heute gar nicht alles anders. Bei der Arbeit am Bericht der EnqueteKommission gab es nämlich nicht nur Friede, Freude,
Eierkuchen, sondern auch richtig schöne Auseinandersetzungen, die inhaltlich orientiert waren und bei denen
wir nicht auf einen Nenner kamen.
Ich werde nachher noch etwas zum Thema nationale
Nachhaltigkeitsstrategie sagen. Wir verabschieden uns
nicht von dem, dem wir zugestimmt haben. Aber natürlich bleibt auch nach diesem Schlußbericht der EnqueteKommission ein weiter Interpretationsspielraum hinsichtlich einer nachhaltig zukunftsverträglichen Entwicklung. Da baut sich immer wieder der Dissens auf,
und das wird sich auch nicht ändern, solange wir nicht
den gesellschaftlichen Diskurs darüber geführt haben.
Wichtigstes Ergebnis der Arbeit der EnqueteKommission ist auch aus unserer Sicht - das wurde schon
angesprochen -, daß Umwelt, Soziales und Wirtschaft
drei gleichrangige Säulen einer nachhaltigen Entwicklung
sind. Das hat zu Beginn der Kommissionsarbeit in der
letzten Legislaturperiode noch nicht unbedingt die ungeteilte Zustimmung aller Mitglieder gefunden. Deswegen
ist diese Feststellung eines der wichtigsten Ergebnisse. In
diesem Sinne besteht eine vorrangige Zukunftsaufgabe
darin, daß Nachhaltigkeitsaspekte eben nicht nur in die
Umweltpolitik, sondern auch in die Sozialpolitik und in
die Wirtschaftspolitik integriert werden.
({0})
Der vorliegende Bericht zur Forschungs- und Technologiepolitik für eine nachhaltige Entwicklung, den wir
heute auch debattieren, zeigt, daß das Leitbild einer
nachhaltigen Entwicklung erst ansatzweise in den entsprechenden Politikbereichen umgesetzt wurde. Hier ist
noch viel Arbeit zu leisten, da auch eine Neuorientierung der Forschungspolitik im Sinne der Nachhaltigkeit noch nicht erreicht ist.
Der Ausschuß für Bildung, der in dieser Wahlperiode
für die Technikfolgenabschätzung zuständig ist, hat allerdings auf die Fortsetzung dieses Projekts verzichtet.
Grund dafür sei, so wurde gesagt, daß die rotgrüne Bundesregierung die Nachhaltigkeit zu einem Regierungsschwerpunkt erklärt habe. Dazu stelle ich fest, daß SPD
und Grüne sich in der Enquete-Kommission in der Tat
massiv dafür eingesetzt haben, daß das Thema Nachhaltigkeit zur Chefsache wird. Jetzt darf man einmal gespannt sein, wie die Umsetzung dieser Forderung vorangebracht wird, da der „Chef“ nun aus dem rotgrünen
Lager kommt. Ich beobachte jedenfalls die rotgrüne
Umwelt- wie auch Wirtschafts-, Sozial- und Technologiepolitik unter diesem Gesichtspunkt sehr genau und
kann nur sagen, daß mir Nachhaltiges bisher noch nicht
aufgefallen ist.
({1})
Eher sind mir jede Menge unüberlegter Schnellschüsse
aufgefallen, die zwar nicht nachhaltig, dafür aber verbesserungswürdig sind.
({2})
Frau Caspers-Merk, Sie hatten darauf hingewiesen,
daß die Koalitionsvereinbarung weitgehend auf die Enquete-Kommission Bezug nehme. Im Vorspann der Vereinbarung gibt es in der Tat einen Punkt, in dem es
heißt, die Bundesregierung werde eine nationale Nachhaltigkeitsstrategie entwickeln. Bis jetzt habe ich davon
noch nichts gehört. Sie haben dafür noch ein bißchen
Zeit; das ist ja in Ordnung. Aber wenn man das so in den
Vordergrund stellt und zur Chefsache erklärt, dann hätte
ich zumindest erwartet, daß man sich auch darauf einigt,
wer dafür zuständig ist. Bisher merke ich noch nicht
einmal, daß überhaupt jemand von den Herren und Damen Ministern in der Regierung daran denkt, sich für
zuständig zu erklären - schon gar nicht der, der vielleicht in der Nachfolge von Frau Merkel das machen
sollte, nämlich Herr Trittin. Von ihm habe ich zu diesem
Thema überhaupt noch nichts gehört.
({3})
Als zweites steht in der Koalitionsvereinbarung, daß
die chemiepolitischen Empfehlungen der EnqueteKommission umgesetzt werden sollen. Wenn man allerdings den Bericht liest, findet man solche Empfehlungen
nicht. Vielleicht kann man mir das einmal erklären.
Darum habe ich schon einmal gebeten, und es ist nicht
gemacht worden. Der Grund dafür ist wahrscheinlich,
daß auch Sie es in dem Enquetebericht nicht finden können. Sie sagen zwar, in diesem Bereich sei alles wunWinfried Hermann
derbar vorbereitet und Nachhaltigkeit werde jetzt eine
zentrale Rolle spielen. Wenn man dann aber näher hinschaut, stellt man fest, daß der Schein trügt.
Herr Kollege Hermann, Sie haben uns gerade gesagt,
der Bericht biete keine oder jedenfalls zu wenige
Handlungsanleitungen für konkrete Maßnahmen, sieht
man einmal von den Beispielen ab, die Sie genannt haben. Das ist zwar richtig, liegt aber an dem Problem, daß
Sie unter Nachhaltigkeitsaspekten alle Bereiche durchdeklinieren müssen. Das konnte die Enquete-Kommission nicht vollständig leisten. Hinzu kommt, daß natürlich genau an den Stellen, an denen es in der Politik
Dissens gibt, dieser in der Enquete-Kommission ebenfalls aufgebrochen ist. Wenn man bei der Formulierung
der Ziele einer nachhaltig zukunftsverträglichen Entwicklung lediglich an Vorschriften denkt, dann geht das
an den Bedürfnissen der Menschen vorbei. Dagegen hat
sich die F.D.P. immer gewehrt, und dagegen wird sie
sich auch weiter wehren.
({4})
Es kann nicht sein, daß der Begriff der Nachhaltigkeit,
der von seiner Definition und von dem her, was jetzt erarbeitet worden ist, zentral wichtig für die Zukunft ist,
dafür mißbraucht wird, daß alte, gescheiterte Politikkonzepte wieder zum Vortrag gebracht werden.
({5})
Das ist zu den Themen Tempolimit, Quotenregelung
bei Verkehrs-, Siedlungs- und Naturschutzflächen, Lenkung aller Stoffströme und anderen mehr passiert. Dazu
gab es Auseinandersetzungen, und deswegen werden Sie
dazu keine konkreten Empfehlungen finden. Die Angelegenheit hat einen politischen Hintergrund. Daß es dazu
keine konkreten Empfehlungen gab, liegt nicht daran,
daß man keine hatte geben wollen.
({6})
Ein Regelungsdickicht und auch eine gewisse Bevormundungspolitik - also das, was damit einhergehen
würde - können wir, die F.D.P., nicht mittragen. Es ist
einfach, aber falsch, den Bürgerinnen und Bürgern seine
eigenen Vorstellungen von einem nachhaltigen Konsumund Produktionsstil zu verordnen.
Wir erreichen eine nachhaltige Entwicklung nur
durch einen gesellschaftlichen Prozeß der gemeinsamen Zielsetzung und auch durch den Konsens über Wege dorthin.
({7})
Ich finde, dafür sollten alle gesellschaftlichen Gruppen
in die Verantwortung einbezogen werden, um so Bewußtsein und Strategien zu entwickeln.
Wir haben uns gestern im Umweltausschuß über eine
nationale Nachhaltigkeitsstrategie noch einmal unterhalten und vereinbart, daß wir an Hand der weiteren
Diskussion über den Bericht der Enquete-Kommission
darüber beraten wollen, ob wir diesen Prozeß gemeinsam in Gang bringen wollen. Im übrigen zeigt sich, daß
die Regierung es offensichtlich noch nicht ganz von
allein macht, daran, daß die SPD und die Grünen gestern
einen Antrag im Umweltausschuß eingebracht haben,
daß die Regierung aufzufordern sei, das zu tun.
({8})
Wir werden gerne dazu beitragen, daß das Parlament ein
bißchen nachhilft. Sie haben unsere volle Unterstützung
dabei, der Regierung Beine zu machen.
({9})
- „Nachhaltige Nachhilfe“, das ist ein schöner Begriff,
den Sie da prägen. Wir werden uns bemühen, nachhaltige Nachhilfe zu geben.
Unter dem Aspekt, daß die gesellschaftlichen Gruppen nach Möglichkeit einbezogen werden, werden wir
einen Weg finden müssen, wie dieser Prozeß aussehen
kann.
Frau Kollegin
Homburger, gestatten Sie eine Zwischenfrage Ihres
Kollegen Fritz?
Ja, bitte.
Verehrte Frau Homburger, Sie haben jetzt zweimal darauf hingewiesen, daß es
offensichtlich Umsetzungsprobleme gibt, die einerseits
verständlich sind, weil so etwas Zeit braucht, die aber
auf der anderen Seite bei der Verve, mit der die Kolleginnen und Kollegen von den Grünen und der SPD in
der Kommission ihre Vorstellungen vorgetragen haben,
nicht zu erwarten waren. Sind nicht auch Sie der Meinung, daß man nach der Verve, mit der damals die
Querschnittsneuorientierungen als Chefsache durch die
Ministerien vorgetragen worden sind, eigentlich hätte
erwarten können, daß der Chef des Kanzleramts bereits
heute in diese Debatte eingreift und sein Konzept für
eine nachhaltige Regierungsarbeit vorträgt?
Herr Kollege, ich weiß
nicht, ob man das wirklich hat erwarten können. Wenigstens hätte man erwarten können, daß er mit seiner Anwesenheit das Interesse an diesem Thema dokumentiert
({0})
und bei Gelegenheit vielleicht auch deutlich macht, daß
man dieses Thema aufgreifen will. Daß man diese Sache
jetzt aufgreifen will, daß man diese Sache in die Regierungsarbeit hineinnehmen will, daß man im Kabinett eine Strategie entwickeln will, wie das gemacht werden
soll, habe ich noch nicht gehört, auch nicht aus dem
Kanzleramt. Vor allen Dingen hat man noch niemanden
bestimmt, der für die Angelegenheit die Federführung
übernimmt; denn wenn man das nicht macht, dann kann
man auch nicht erwarten, daß es irgendwann geschieht.
Wenn sich von den Ministern offensichtlich keiner zuBirgit Homburger
ständig fühlt, dann muß man einmal ein Machtwort
sprechen. Ich habe nicht erwartet, daß das heute hier
passiert, sondern vielleicht hinter verschlossenen Türen.
Die heutige Debatte könnte dazu beitragen.
({1})
Ich wollte gerade darauf hinweisen, daß wir, wenn
wir diese Strategie erarbeiten und wenn wir uns auf
einen gesellschaftlichen Prozeß einigen, darauf achten
müssen, daß das nicht zur Errichtung neuer Gremien,
Ausschüsse oder zur Einsetzung neuer Umweltbeauftragter genutzt wird. Vielmehr müssen wir darauf achten, daß auch unter dem Gesichtspunkt der Nachhaltigkeit Institutionen und Gremien beleuchtet werden, daß
neue Aufgaben aus dem Bereich der Nachhaltigkeit unter Umständen bestimmten Institutionen zugewiesen
werden, daß verschiedene bestehende Institutionen im
Sinne der Nachhaltigkeit neu kombiniert werden. Außerdem müssen wir darauf achten, ob bestimmte Kommissionen und Gremien zu Selbstläufern geworden sind
und ob sie nicht vielleicht abgeschafft werden können.
Das sind alles Punkte, die geprüft werden müssen.
Von der Abschaffung überflüssiger Gremien habe
ich im übrigen noch nicht viel gemerkt. Es ist absolut
wichtig, daß wir diese Ziele nicht mit neuen Formen der
Bürokratie erreichen.
({2})
Dazu gehört auch, daß, wenn man einen Rat für
Nachhaltigkeit einsetzen wollte, dieser nicht einfach
nur durch die Entsendung von Mitgliedern aus anderen
Räten bestückt wird. Diesen neuen Rat sollte man mit
einer Reform der bestehenden Räte begleiten, das heißt,
andere Räte sollte man abschaffen und reduzieren. Es
genügt eben nicht, aus den bestehenden Räten heraus
immer und immer wieder etwas Neues zu entwickeln.
Das hilft uns nämlich auch nicht weiter.
Bei einer Reform der existierenden Institutionen ist es
natürlich auch notwendig, Entscheidungsstrukturen so
zu gestalten, daß Innovationen in Richtung Nachhaltigkeit aus Eigeninteresse angestoßen werden. Das war
auch ein wichtiges Arbeitsgebiet dieser EnqueteKommission. Nicht zuletzt gehören zu diesen institutionellen Reformen auch solche im Bereich Bildung und
Ausbildung, mit denen die Beachtung des Nachhaltigkeitsgedankens für künftige Generationen zur Selbstverständlichkeit werden kann.
In der derzeitigen Diskussion um Nachhaltigkeit wird
gern die These vertreten, daß die Marktwirtschaft zur
Nicht-Nachhaltigkeit neige und daß deswegen durch
staatliche Lenkung zu mehr Nachhaltigkeit gezwungen
werden müsse. Insbesondere die Aufstellung von Plänen
und die Kooperation von Akteuren werden immer wieder
empfohlen. Die Übertragung von Aufgaben an den Staat
bedeutet aber auch mehr Bürokratie und Kontrolle, und
das geht zu Lasten der Freiheit. Ich meine, Nachhaltigkeit
muß vielmehr durch Anreize, durch Einsicht, durch Überzeugung und darf nicht durch Vorschriften verwirklicht
werden. Das ist kostengünstiger, und es geht schneller. Es
ist auch nachhaltiger als staatliche Lenkung.
({3})
Auch über die Notwendigkeit von Innovationen hat die
Enquete-Kommission diskutiert; ich habe es gerade angesprochen.
Ich möchte einen letzten Gedanken aufgreifen, Herr
Kollege Hermann. Mich hat das, was Sie sagten, überrascht. Aber die Ansicht der Grünen hierzu war geradezu makaber. Ich möchte den Kollegen Rochlitz, der seinerzeit für die Grünen in dieser Enquete-Kommission
saß, zitieren. Er sagte am 15. Dezember 1997:
Innovationen vernichten Arbeitsplätze. Am besten
wäre es, es gäbe gar keine Innovationen.
({4})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind der Auffassung, daß Innovationen im Nachhaltigkeitsprozeß
dringend erforderlich sind.
({5})
Man darf dabei nicht nur die Risiken sehen, sondern
man muß auch die Chancen sehen. Ich will daher an dieser Stelle noch einmal sagen: Wir sollten dazu kommen,
nicht alle Risiken ausschließen zu wollen; denn wer alle
Risiken ausschließen will, der zerstört letztendlich auch
alle Chancen. Wir sind eher dafür, die Chancen, die in
diesem Prozeß liegen, zu nutzen.
Vielen Dank.
({6})
Das Wort hat
jetzt die Abgeordnete Eva Bulling-Schröter.
Frau Präsidentin!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! In Vorbereitung dieser Rede habe ich mir noch einmal die Debatten zum
Zwischenbericht und zur Großen Anfrage der SPD zur
Umsetzung der Ziele der Enquete-Kommission durchgelesen. Ich möchte nur noch einmal an Folgendes erinnern: Die Enquete-Kommission wurde seinerzeit in
trauter Gemeinsamkeit von CDU/CSU, SPD, F.D.P. und
Bündnis 90/Die Grünen eingerichtet, allerdings ohne die
PDS, damals noch Gruppe im Bundestag, mit Stimmrecht zu beteiligen. Das muß erwähnt werden, wenn das
Politikberatungsinstrument und der runde Tisch des
Parlaments - so hat Frau Caspers-Merk die EnqueteKommission in den beiden genannten Debatten bezeichnet - als parteiübergreifendes Instrument in einer breiten
gesellschaftlichen Debatte verstanden werden sollen.
Nun diskutieren wir heute den Schlußbericht, dies
allerdings nicht im luftleeren Raum. Immerhin haben
sich seit der Bundestagswahl die Mehrheitsverhältnisse
und somit auch die politischen Rahmenbedingungen
verändert. Die damalige Opposition, soweit es SPD und
Grüne betrifft, hat die Verantwortung erhalten, politisch
zu gestalten. Sie wollen - so ihre eigene Aussage - nicht
alles anders, aber vieles besser machen.
Im Bereich Umweltpolitik - so kann ich Ihnen sagen
- muß fast alles anders gemacht werden, damit einiges
besser wird. Wir diskutieren im Umweltausschuß gerade
den Umweltbericht der Bundesregierung sowie verschiedene Berichte und Gutachten der Umweltsachverständigen. Das gibt Gelegenheit, die umweltpolitische
Bilanz der alten Bundesregierung zu ziehen. Diese
Bilanz fällt nicht gut aus. So stellt der Sachverständigenrat für Umweltfragen in seinem 98er Gutachten fest:
Umweltpolitik ist zunehmend nur dann genehm,
wenn sie nur geringe Kosten verursacht.
Weiter heißt es:
Der Wechsel von einer überwiegend emissionsund technikbezogenen Umweltpolitik hin zu einer
stärker qualitätsorientierten Umweltpolitik ist in
Deutschland nicht vollzogen. Dem kann ich mich
nur anschließen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, gestatten Sie mir
eine weitere Vorbemerkung. Unser heutiges Thema
wurde mit dem Brundtland-Bericht unter dem Begriff
„sustainable development“ in die Politik eingeführt, und
wir führen diese Diskussion unter der Überschrift der
Nachhaltigkeit. Mit dieser verkürzten Übersetzung laufen wir Gefahr, zwei entscheidende Aspekte auszublenden: erstens den Aspekt der Entwicklung, das heißt, mit
Nachhaltigkeit ist nichts Statisches oder ein erreichter
Zielzustand gemeint; zweitens den Aspekt der Zukunftsfähigkeit, das heißt, bei jeder unserer Handlungen müssen ihre Auswirkungen auf die zukünftigen Generationen berücksichtigt werden.
Nun zum Thema selbst: Von der ersten zur zweiten
Bundestagsdebatte fand eine interessante Akzentverschiebung statt. Beim Zwischenbericht war noch weitgehend Einigkeit bei den Akteurinnen und Akteuren zu
vermelden; es ging ja auch noch relativ abstrakt um die
Formulierung von Nachhaltigkeitskriterien und Zieldefinitionen, kurzum um Absichtserklärungen. Demgegenüber wurde in der Debatte um die Große Anfrage
eigentlich schon die Diskussion über den gerade fertig
gewordenen Endbericht geführt. Es war also eine Debatte um Konsequenzen. Dabei mußten die materiellen
Forderungen an eine nachhaltige Politik auf den Tisch.
Es war Wahlkampf, und es war mit der Einigkeit vorbei.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die unterschiedlichen Herangehensweisen an Politik lassen sich vielleicht am besten in den folgenden Gegensatzpaaren beschreiben: dynamisierte Verwertung - heute verstärkt
durch die Globalisierung - gegen Ressourcenschonung;
Standortvorteile gegen soziale und ökologische Standards; Wettbewerb und Deregulierung gegen demokratische Kontrolle und gesellschaftliche Teilhabe. Vereinfacht: Anarchie des Marktes gegen öffentliche Daseinsvorsorge.
So werden aus gemeinsam formulierten Zielen unterschiedliche Politiken. Wenn es darum geht, die ökologischen, die ökonomischen und die sozialen Implikationen
in einer nationalen, ich füge hinzu, auch internationalen
Nachhaltigkeitsstrategie angemessen ins Verhältnis zu
setzen, gewinnt Nachhaltigkeit je nach Standpunkt völlig unterschiedliche Bedeutung: Entweder verkümmert
sie zu einer regulativen Idee als Basis eines Such- und
Lernprozesses, der im Wettbewerb der Marktwirtschaft
seine ökonomische Ausprägung erfährt, oder Nachhaltigkeit wird zum Gradmesser einer grundlegenden
Transformation von Wirtschaft und Gesellschaft.
Ich jedenfalls kann mich der Einschätzung des Umweltbundesamtes anschließen:
Wenn Politik Nachhaltigkeit gezielt gestalten will,
dann muß sie die Tragekapazität der Umwelt als
letzte unüberwindliche Schranke für alle menschlichen Aktivitäten zur Kenntnis nehmen.
Verbindet man dies mit der grundlegenden sozialen Forderung nach gleichen Nutzungschancen und gleichen
Möglichkeiten des Zugangs zu den natürlichen Ressourcen, wird klar, daß nicht weniger auf der Tagesordnung
steht als die Abkehr von einer Ökonomie der Geldvermehrung hin zu der Etablierung einer Ökonomie der
Bedürfnisbefriedigung, also einer Ökonomie zur Dekkung des tatsächlichen Bedarfs für die gegenwärtige und
die zukünftigen Generationen.
({0})
Hier kommt der dem Leitbild der nachhaltig zukunftsfähigen Entwicklung innewohnende Vorsorgegedanke zum Tragen; denn alles, was zukünftige Generationen gefährdet, und sei es nur potentiell, ist eben nicht
nachhaltig. Somit verböte sich eigentlich die Entwicklung und der Gebrauch von Risikotechniken wie der
Atomtechnik oder der Gentechnik.
({1})
Wer bisher noch geglaubt hat, die oben genannten Gegensätze seien abstrakt, dem konnte die Auseinandersetzung um den politisch gewollten, aber nun von der Regierung als nicht durchführbar eingeschätzten und de
facto aufgegebenen Atomausstieg deutlich machen, wer
in diesem Land tatsächlich über die Definitionsmacht in
der Politik verfügt. Niemals war die Richtigkeit des
Wortes von Kurt Tucholsky offensichtlicher:
Sie glaubten, sie seien an der Macht, dabei waren
sie nur an der Regierung.
Oskar Lafontaine hat dies erkannt.
({2})
Welche Politik für die Umwelt muß also nun gemacht
werden? Die Enquete-Kommission hat für ausgewählte
Bereiche Umweltziele, Umweltqualitätsziele und Umwelthandlungsziele, formuliert. Nehmen wir den Komplex Natur und Bodenschutz und damit verbunden das
Problem des Flächenverbrauchs. Die Probleme wurden
richtig erkannt: Versauerung der Böden, Naturverbrauch
und Zersiedelung; entsprechende Probleme gibt es beim
Gewässer- und Grundwasserschutz. Hier fordert die Enquete-Kommission bis zum Jahre 2010 eine 80prozentige Reduktion der bodenversauernden Einträge bezogen
auf die Einträge der Jahre 1991 bis 1995.
Wir vermissen das entsprechende Aktionsprogramm
der Bundesregierung zum Schutz der Böden. Sie haben die Mehrheit, das Bundesnaturschutzgesetz und das
Bodenschutzgesetz zu ändern. Wären Sie den Empfehlungen der Enquete-Kommission gefolgt, wie hätte dann
die ökologische Steuerreform ausfallen müssen? Hätten
Sie nicht zum Beispiel eine Schwefeldioxidabgabe wie
in Schweden, Dänemark und Norwegen erheben müssen? Und wo sind die Vorschläge der Bundesregierung
für umfassende Luftreinhaltepläne? Einzig das CO2Reduktionsziel ist in den Koalitionsvereinbarungen als
verbindlich anerkannt, doch das war es auch bei der
alten Bundesregierung. Wo Sie dann tatsächlich Zielvorgaben festschreiben, wie beim Ziel, 10 Prozent der
Fläche im Biotopverbund als Schutzgebiete auszuweisen, bleiben Sie hinter den Empfehlungen des Berichts
zurück.
Ich muß jetzt zum Ende kommen. Die Umsetzung des
Leitbildes einer nachhaltig zukunftsfähigen Entwicklung
ist letztlich nur als gesellschaftlicher Prozeß zu bewerkstelligen. Hier muß die ganze Gesellschaft beteiligt werden. Die Stärkung der Agenda 21 wurde schon diskutiert. Ein gemeinsamer Konsens muß gefunden werden.
Einen guten Anfang hat die Bundesregierung gemacht,
indem sie die Aarhus-Konvention gezeichnet hat. Lassen
Sie uns auf diesem Weg fortschreiten.
Danke.
({3})
Jetzt hat das
Wort die Kollegin Ulla Burchardt.
Frau Präsidentin! Meine
sehr verehrten Damen und Herren! Das Thema Nachhaltigkeit steht wieder auf der Tagesordnung und damit
die Frage nach der notwendigen Richtung und Strategie
gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Innovation.
Zur Erinnerung: Die Proklamation des Leitbildes der
Nachhaltigkeit in Rio, die Agenda 21, war und ist die
Antwort auf die Krisensymptome in der globalisierten
Welt: Armut, Hunger, Unterentwicklung und Raubbau
an den natürlichen Lebensgrundlagen in den Entwicklungsländern auf der einen Seite und Arbeitslosigkeit
sowie Ressourcenverschwendung in den hochentwikkelten Ländern auf der anderen Seite. Insofern ist das
Leitbild Auftrag und Selbstverpflichtung, gerade für ein
reiches Land wie die Bundesrepublik, den wirtschaftlichen und sozialen Fortschritt so zu gestalten, daß die
Leistungsfähigkeit des Naturhaushaltes als Basis für
gleiche Entwicklungschancen und Wohlstand kommender Generationen erhalten bleibt.
Das heißt für die praktische Politik: umsteuern, neue
Wege gehen und, wenn es um neue Chancen geht, Verteilungsentscheidungen anders treffen als in der Vergangenheit. Insofern ist es mehr als ein symbolischer
oder pflichtgemäßer Akt, daß wir heute im Deutschen
Bundestag zu Beginn der neuen Legislaturperiode zwei
Berichte aus der vergangenen Legislaturperiode debattieren, die auf unterschiedlichen Ebenen und sich ergänzend Wegmarken für die zukunftsfähige Politik zeigen.
Ob und welche Konsequenzen daraus gezogen werden,
wird auch ein Prüfstein für die Lernfähigkeit des politischen Systems sein.
({0})
Ich will als Sprecherin meiner Fraktion in der Enquete-Kommission zunächst drei aus unserer Sicht
wichtige Essentials für eine zukunftsfähige Politik nennen.
Das erste ist die Zielorientierung. Wir haben, Kollegin Reichard, sehr einvernehmlich definiert, daß der Erhalt der natürlichen Lebensgrundlagen, die Sicherung
der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit und die gerechte
Verteilung von Arbeit, Einkommen und Lebenschancen
als gemeinsames Ziel zu verfolgen sind, auch mit Blick
auf unsere Kinder und Enkelkinder. Das eine - da waren
wir uns alle einig - wird ohne die anderen nicht zu erreichen sein. Diese Dreidimensionalität erfordert eine neue
Herangehensweise an Probleme. Ich will nicht verhehlen, daß für mich vor diesem Hintergrund manche Beiträge in der öffentlichen Debatte über aktuelle Lösungen
von Problemen recht alt aussehen.
Was bedeutet Dreidimensionalität zum Beispiel,
wenn wir uns die ökologische Seite ansehen? Es bedeutet, daß Ressourcenschonung und Umweltschutz nicht
länger als Hemmnis und als Kostenfaktor angesehen
werden dürfen, sondern als Motor für gesellschaftliche
Modernisierung, für neue Beschäftigung und für den Erhalt der Wettbewerbsfähigkeit betrachtet werden müssen.
({1})
Kluge Unternehmer haben das im übrigen - im Gegensatz zu Verbandsfunktionären - schon lange erkannt. Sie
haben erkannt, daß die Frage Kosten- oder Qualitätskonkurrenz in puncto globaler Wettbewerbsfähigkeit
schon längst zugunsten letzterer entschieden ist. Da
spielt der Faktor Ökologie eine ganz große Rolle.
In bemerkenswertem Konsens hat die EnqueteKommission formuliert, daß, was die ökonomische Dimension angeht, sozialer Ausgleich und Naturerhalt gesamtwirtschaftliche Ziele werden müssen und die
Marktwirtschaft die Bedürfnisse der Menschen und
nicht die kurzfristiger Aktiengewinne in den Mittelpunkt
zu stellen hat.
({2})
Dies ist eine klare Herausforderung für neue Rahmenbedingungen in der Wirtschafts- und Steuerpolitik.
Zweites Essential. Wir wissen, daß Nachhaltigkeit
nicht durch ein endgültiges Stadium, sondern durch
einen Suchprozeß definiert wird. Deswegen bedarf es
einer Strategie. Andere Redner haben schon darauf hingewiesen: Kernelement einer nationalen Nachhaltigkeitsstrategie muß ein nationaler Umweltplan mit konkreten und langfristig gesetzten Umweltzielen, mit prioritären Handlungsfeldern und einem Instrumentenmix
aus modernisiertem Ordnungsrecht, sanktionierbaren
Selbstverpflichtungen und Preiselementen sein.
Drittes Essential. Frau Kollegin Homburger, ich darf
daran erinnern, daß wir in großer Übereinstimmung
festgestellt haben, daß nachhaltige Entwicklung Innovationen, neues Wissen und die Anwendung neuen Wissens braucht. Deswegen haben wir der Wissenschaft und
Technik eine Schlüsselrolle zugewiesen, um Nachhaltigkeit zu erreichen. Weil wir um die Komplexität der
technischen und ökonomischen Entwicklung wissen,
haben wir als fünfte Managementregel neu formuliert,
daß „Gefahren und unvertretbare Risiken für die
menschliche Gesundheit durch anthropogene Einwirkungen zu vermeiden sind“. Das ist keine Beschränkung
von Forschungsfreiheit oder Erfindergeist. Es ist vielmehr die notwendige Impulsgebung und Richtungssicherheit für zukunftsfähige Investitionen.
Vom Leitbild zur Umsetzung, so hatten wir den Bericht überschrieben. Deshalb liegt es auf der Hand, zu
bilanzieren, was und wer sich bewegt hat. Den Sachverhalt hinsichtlich der lokalen Agenda, Herr Hermann,
schätze ich etwas anders ein. Ich stelle fest, daß in immer mehr Städten und Gemeinden Politik, Verwaltung,
Umweltgruppen und Unternehmen gemeinsam daran arbeiten, daß der Prozeß im Zusammenhang mit der lokalen Agenda gut läuft. Wissenschaftler in Forschungseinrichtungen und Universitäten fühlen sich verpflichtet, ihren Beitrag zur Nachhaltigkeit zu leisten. Von den klugen Unternehmern habe ich eben schon berichtet. All
die, die engagiert sind, konkret in bezug auf die Nachhaltigkeit zu handeln, erwarten zu Recht mehr und neue
Unterstützung aus Bonn durch eine entsprechende Weichenstellung in der Politik.
Davor warnen - das hat das Feldgeschrei der letzten
Wochen sehr deutlich gemacht; es war nicht zu überhören - die Ewiggestrigen und die Besitzstandswahrer, die
nicht willens oder auch nicht fähig sind, sich selbst zu
bewegen und an dem großen gesellschaftlichen Reformprojekt beim Übergang ins 21. Jahrhundert konstruktiv
mitzuarbeiten. Vor diesem Hintergrund will ich eine erste Bilanz der rotgrünen Koalition ziehen. In diesem Zusammenhang lassen sich einige Punkte aufzählen:
Auf die Verpflichtung auf eine nationale Nachhaltigkeitsstrategie, die in der Koalitionsvereinbarung festgelegt ist, sind einige meiner Vorrednerinnen und Vorredner schon eingegangen. In den wenigen Monaten unserer Regierungsarbeit haben wir noch andere Maßnahmen auf den Weg gebracht. In der Steuerpolitik haben
wir die Weichen für soziale Gerechtigkeit, ökologische
Modernisierung und Wettbewerbsfähigkeit kleiner und
mittlerer Unternehmen gestellt. Der Einstieg in den Ausstieg aus der Atomenergie in Verbindung mit dem
100 000-Dächer-Programm ist ein überfälliger Schritt in
Richtung einer zukunftsfähigen Energieversorgung.
({3})
Damit tragen wir den Interessen der kommenden Generation genauso Rechnung wie mit der Begrenzung bei
der Neuverschuldung und den deutlichen Zuwächsen bei
Bildung und Forschung. Frau Kollegin, in diesem Punkt
habe ich eigentlich Ihre Zustimmung erwartet.
Ich will nicht verhehlen, daß ich mir manche Schritte
etwas größer und mutiger gewünscht hätte.
({4})
Aber angesichts der wenigen Wochen, in denen wir bisher die Chance hatten, die Politik neu zu gestalten, ist
dies eine sehr zufriedenstellende Bilanz. Weitere Maßnahmen, um zu Fortschritten zu gelangen, sind geplant.
({5})
So hat die Bundesregierung die Umsetzung des Leitbildes für die Forschungs- und Technologiepolitik zu einem ihrer Arbeitsschwerpunkte erklärt. Ich finde es ausgesprochen begrüßenswert, daß Frau Ministerin Bulmahn dies zu ihrem eigenen Anliegen gemacht hat. Dieses Anliegen deckt sich mit der Auffassung, die der
Ausschuß für Bildung und Forschung in der vergangenen Legislaturperiode einvernehmlich vertreten hat. Ich
hoffe sehr, daß dies so bleiben wird.
Weil dieses Anliegen für uns wichtig ist, haben wir
damals das Büro für Technikfolgenabschätzung, unsere eigene wissenschaftliche Beratungseinrichtung, beauftragt, Gestaltungsvorschläge zu machen, wie man die
Forschungs- und Technologiepolitik auf Nachhaltigkeit
einstellen kann. Der vorgelegte Bericht des TAB ist ein
deutliches Plädoyer für einen Paradigmenwechsel. Er
zeigt hinreichend konkret bis unkonkret, wie man das
bewerkstelligen kann.
Zunächst nennt er Kriterien dafür, was eine nachhaltige Forschungs- und Technologiepolitik ausmacht. Diese sind nicht frei erfunden, sondern basieren auf Vorarbeiten der Enquete-Kommission, des Sachverständigenrates für Umweltfragen, des Umweltbundesamtes und
vieler anderer seriöser wissenschaftlicher Beratungseinrichtungen. Danach muß die nachhaltige Forschungspolitik transdisziplinär und technologiefeldübergreifend
angelegt sein. Grundlagenforschung und angewandte
Forschung bedürfen einer stärkeren Verzahnung und
Problemorientierung. Die Formulierung von Nachhaltigkeitszielen und Indikatoren muß im Verständigungsprozeß mit gesellschaftlichen Gruppen angegangen werden.
Ich denke, mit diesem Kriterienkatalog hat das Büro
für Technikfolgenabschätzung einen Orientierungsrahmen vorgelegt, der Maßstäbe für die gesamte Breite der
laufenden und zukünftigen Forschungs- und Technologieförderung setzt.
({6})
Wie kann man nun noch einen Schritt weitergehen?
Dazu haben wir das TAB beauftragt, einen Blick über
die Grenzen zu werfen, einen internationalen Vergleich
aufzustellen, zu prüfen, wo es interessante Modelle gibt,
von denen man lernen kann. Das TAB ist in Holland
fündig geworden, mit dem „Programm zur nachhaltigen
Technologieförderung“. Ich denke, dies ist tatsächlich
ein Programm, von dem wir lernen können, weil es explizit der Entwicklung nachhaltiger Innovationen gewidmet ist.
({7})
- Irgendwelche Klagen gibt es immer; das müssen wir
uns hier nicht gegenseitig vorhalten. Sobald etwas verändert wird, sobald etwas in Bewegung gerät, gibt es
Menschen, die etwas daran zu kritisieren haben. Ich
fände es aber schön, wenn Sie uns darin unterstützen
würden, einmal deutlich zu sagen: Die Methode „Wasch
mir den Pelz, aber mach mich nicht naß“ kann nicht
funktionieren. Das gilt insbesondere bei der Nachhaltigkeit.
({8})
Zu dem holländischen Programm: In neuen Kooperationen haben sich Politik, Wirtschaft und Wissenschaft
zusammengetan, um in den kommenden Jahrzehnten für
bestimmte Bedürfnisfelder wie Mobilität, Wohnen oder
Ernährung Visionen für eine nachhaltige Gestaltung zu
entwickeln. Mit Hilfe des Backcasting-Verfahrens hat
man Schritte und Ideen gefunden, wie man diese Visionen verwirklichen kann. Es hat sich gezeigt, daß man so
zu praktischen Problemlösungen kommt, wie Stoff- und
Energieverbräuche auf langfristige Sicht drastisch zu
reduzieren sind, Schritte, die zugleich ökologisch und
ökonomisch effizient sind und tatsächlich Chancen für
neue Arbeit bieten. Dies war möglich, nicht nur weil
man eine neue Form der Zukunftsplanung eingeführt
hat, sondern weil man die Akteure beteiligt hat.
Darüber hinaus hat das Programm den Charakter
eines Meta-Forschungsprogramms und gibt Hinweise,
wie Förderpolitik innovativer gestaltet werden kann.
Ich kann Ihnen schon jetzt sagen, daß wir aus den
Empfehlungen des TAB eine Beschlußempfehlung erarbeiten werden. Ich würde mich freuen, wenn wir dies
gemeinsam tun könnten.
Zum Schluß, meine sehr verehrten Damen und Herren, möchte ich zwei Erwartungen formulieren, die
sicherlich viele, die sich seit Jahren für die Umsetzung
des Konzepts der Nachhaltigkeit engagieren, mit mir
teilen. Die eine Erwartung richtet sich an die Bundesregierung. Wir erwarten, daß die Arbeiten an der nationalen Nachhaltigkeitsstrategie zügig in Angriff genommen werden. Frau Kollegin Homburger, ich werte die
Anwesenheit des Kanzleramtsministers als eine deutliche Unterstützung unseres Anliegens.
({9})
- Wir leben in schwierigen Zeiten. Vielleicht sind Ihnen
die Debatte, die wir heute morgen geführt haben, und
die Ereignisse der letzten Nacht entgangen. Insofern
finde ich diese Bemerkung absolut unangemessen.
({10})
Es könnte sein, daß der Kanzleramtsminister mit Fragen
beschäftigt ist, die mit augenblicklicher Krisenlösung zu
tun haben.
({11})
An das Parlament und damit an uns, geschätzte Kolleginnen und Kollegen, richte ich die Erwartung, daß
unsere Debatten hier zukünftig von dem neuen Denken
und der Veränderungsbereitschaft geprägt sind, die wir
von den vielzitierten „Menschen draußen“ immer einfordern. Lassen Sie uns deswegen in einen konstruktiven
Wettstreit um die richtigen und die richtig großen
Schritte eintreten, wie die Gesellschaft zukunftsfähig
gemacht werden kann! Das ist nicht nur ein wichtiger
Beitrag, um den gesellschaftlichen Diskurs voranzubringen. Lassen Sie mich an einem Tag wie heute sagen:
Angesichts der Tatsache, daß in vielen Teilen der Welt
bereits seit längerem kriegerische Auseinandersetzungen
um knappe Ressourcen wie Wasser stattfinden, wäre
ein engagierteres Vorgehen in Fragen der Nachhaltigkeit
auch ein ganz entscheidender Beitrag zur Konfliktvermeidung und Friedenssicherung.
({12})
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Dr. Paul Laufs.
Frau Präsidentin!
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Arbeit der
Enquete-Kommission „Schutz des Menschen und der
Umwelt“ fügt sich neben vielen anderen Bemühungen in
den Rio-Prozeß ein, der die nachhaltig umweltverträgliche Entwicklung zu einem zentralen Leitbild der Politik gemacht hat. Wir alle in diesem Hause teilen die
Feststellungen, die dem Rio-Prozeß zugrunde liegen und
heute weltweit von der großen Mehrheit der Wissenschaftler und Politiker als richtig anerkannt werden.
Erstens. Die Menschheit nimmt am Ende des
20. Jahrhunderts Rohstoff- und Umweltressourcen in
einem solchen Umfang in Anspruch, wie es nicht
zukunftsfähig ist, wie es auf Dauer nicht umweltverträglich, nicht nachhaltig ist. Besonders die irreversible
Anreicherung der Erdatmosphäre mit klimaschädlichen
Spurengasen ist Anlaß zu großer Sorge.
Zweitens. 20 Prozent der Erdbevölkerung in den
Industriestaaten verursachen bis zu 80 Prozent der globalen Umweltbelastung. Die Menschen in den Entwicklungsländern verlangen einen fairen Anteil an den
Umweltressourcen.
Es gibt auch den Grundkonsens zwischen allen Fraktionen, daß nicht die Umweltpolitik allein die Herausforderungen meistern kann. Das Streben der Menschen
nach wirtschaftlichem Wohlstand und sozialer Gerechtigkeit muß gleichwertig berücksichtigt werden. Wir
sind uns auch einig, daß den Industriestaaten eine
besondere Verantwortung zukommt.
Globale Probleme müssen global gelöst werden;
nationale Anstrengungen allein reichen nicht aus. Aber
wir in den reichen Industriestaaten sind in der Verantwortung, nachzuweisen und vorzuleben, daß die technische Zivilisation mit ihrem hohen Lebensstandard
zukunftsbeständig und nachhaltig gestaltet werden kann.
Wir haben eine globale Bringschuld an der Wende zum
21. Jahrhundert einzulösen.
({0})
Meine Damen und Herren, es gibt Managementregeln. Es gibt in Fülle Vorschläge für Umweltziele und
Handlungsschwerpunkte zur Lösung der Probleme. Ich
erinnere nur an die Zwischenbilanz der früheren Bundesumweltministerin Merkel mit dem Titel „Schritte zu
einer nachhaltigen, umweltgerechten Entwicklung“.
Die Enquete-Kommission, über deren Abschlußbericht wir heute diskutieren, hat sich die Aufgabe gestellt,
praktisch umsetzbare Konzepte der Nachhaltigkeit für
die Beispielfelder Bodenversauerung, Bauen und Wohnen sowie zum Thema Informations- und Kommunikationstechniken zu erarbeiten. Allein die Lösung des Problems der umweltverträglichen Entwicklung in diesen
Bereichen und der einsetzbaren Steuerungsinstrumente
hat sich als äußerst komplex herausgestellt. Die Abschätzung der ökonomischen und sozialen Wirkungen
ist noch ungleich schwieriger. Kollege Hermann hat dazu einige kritische Anmerkungen gemacht.
Die zahlreichen Sondervoten in diesem Abschlußbericht zeigen, daß die Vorstellungen der damaligen
Mehrheit über gangbare, realistische Konzepte von den
Vertretern der SPD und dem Bündnis 90/Die Grünen als
keineswegs ausreichend eingestuft wurden. Die rotgrünen Ansprüche und Forderungen gingen erheblich weiter. Das muß man einfach feststellen.
Nun bilden Sie die Regierungsfraktionen. Sie werden
schneller von der Wirklichkeit eingeholt, als Ihnen lieb
sein kann. Ich denke dabei nicht an die schönen, plakativen Zielsetzungen in Ihrer Koalitionsvereinbarung wie
diejenige über Flächenverbrauch und Vorrangflächen.
Wir wissen doch alle, daß dafür zunächst die Bundesländer und die Kommunen zuständig und in diesem Zusammenhang gefordert sind. Wir sind wirklich sehr gespannt, wie Sie diese Zielsetzungen realisieren werden.
Ich vergleiche vielmehr Ihre grundsätzlichen Positionen zu einer nachhaltigen Entwicklung mit Ihrem Verhalten bei dem - vorsichtig ausgedrückt - atemberaubenden Gesetzgebungsverfahren zur sogenannten Ökosteuerreform. Da gibt es nur einen Schluß: Sie haben
Ihre guten Vorsätze aus der Enquete-Kommission nachhaltig über Bord geworfen.
({1})
Jedes Ökosteuergesetz wirft in kompliziert verflochtenen Volkswirtschaften schwierigste Fragen zur Struktur, zu Substitutionseffekten, zu Allokationsveränderungen bei Arbeit, Kapital und Energie, zu sozialen Folgen
für den ländlichen Raum und für Randregionen sowie
für einkommensschwache Gruppen wie Rentner, kleine
Landwirte und Familien auf. Sie haben in der Verabschiedungshektik nicht einmal den geringsten Versuch
unternommen, weder die ökologischen noch die ökonomischen oder gar die sozialen Dimensionen dieses Ihres
umwelt- und arbeitsmarktpolitischen Patentrezepts zu
untersuchen. Wir denken nicht, daß diese Ökosteuer ein
Beitrag zur nachhaltigen Entwicklung ist.
({2})
Meine Damen und Herren, ich denke, in einem sind
wir uns einig, nämlich daß dem Staat, also den Parlamenten und Regierungen, eine Schlüsselrolle zukommt,
den Nachhaltigkeitsprozeß anzuregen, ihn zu organisieren und die Ergebnisse umzusetzen oder doch zumindest
darüber zu wachen, daß sie von den betroffenen Akteuren umgesetzt werden. Ein erfreuliches Beispiel sehe ich
- wie die Damen und Herren Vorredner - im Prozeß
lokale Agenda 21. Die Initiative dazu geht ja bekanntlich
vom Gemeinderat oder von der Kommunalverwaltung
aus; sie sind die wichtigsten unter vielen Akteuren. In fast
allen großen Städten, in Baden-Württemberg ja auch,
Frau Caspers-Merk, ist die lokale Agenda 21 kraftvoll angelaufen, zum Teil mit großem Aufwand an Personal und
Sachmitteln. Aber auch in kleineren Gemeinden ist sie
angelaufen. Hier sollten wir uns engagieren.
({3})
Viele dieser kleinen Gemeinden engagieren sich mit
Einfallsreichtum und dem Idealismus vieler Akteure
sehr erfolgreich und haben dabei nur bescheidene
Finanzmittel zur Verfügung. So werden vielfältige, langfristig angelegte Aktionsprogramme erarbeitet, also
Maßnahmen und Projekte der Akteure, die in einem
offenen Dialog im Konsens erarbeitet, dokumentiert und
schließlich umgesetzt werden. Hier gibt es die vielfältigsten Vorgehensweisen, und das ist gut so. Es gibt hier
keinen weiteren Regulierungsbedarf.
Ich bin überzeugt, daß wir die Erfahrungen aus dem
Prozeß lokale Agenda 21 bei der Entwicklung einer nationalen Nachhaltigkeitsstrategie nutzen können. Die
Union ist bereit, an vernünftigen Konzepten mitzuwirken. Wir sind dabei der Auffassung, daß es keine Patentrezepte gibt. Die erforderlichen Anstrengungen und
Umdenkungsprozesse können nur schrittweise vorangebracht werden. Wir bevorzugen neben einem vorsichtig
weiterentwickelten Ordnungsrecht vor allem marktwirtschaftliche Instrumente und Anreize. Alle Bemühungen
werden erfolglos bleiben, wenn es nicht gelingt, die
Menschen in Wirtschaft und Gesellschaft für das Konzept Nachhaltigkeit zu gewinnen.
Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
({4})
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Hans-Josef Fell.
Eine kleine Bitte: Die Kollegen gerade in dieser Debatte nutzen ihre Redezeit immer so nachhaltig.
({0})
Achten Sie bitte ein wenig auf das Licht am Rednerpult.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Nachhaltigkeit in Forschungs- und Technologiepolitik ist das
wichtigste Leitprojekt für die kommende Forschungslandschaft. Forschung muß sich in Zukunft mehr als in
der Vergangenheit an den menschlichen Problemen und
Bedürfnissen orientieren, und sie muß dabei im Einklang mit der Natur stehen. Forschung insgesamt muß
Probleme lösen, statt neue zu schaffen.
An zwei Beispielen will ich aufzeigen, daß Forschungsergebnisse gesellschaftliche Probleme vergrößern können.
Menschen wollen Bequemlichkeit und Komfort. Ich
finde daran nichts Schlechtes. Nun hat sich die Medienindustrie in der Vergangenheit dieser Bequemlichkeitswünsche angenommen und danach geforscht, wie man
Fernseher bedienen kann, ohne vom Sofa aufstehen zu
müssen. Dies war ein isoliertes Forschungsthema; man
hat dabei keine Technikfolgenabschätzung vorgenommen und auch nicht die Nachhaltigkeit beachtet. Heraus
kam die allen bekannte Fernbedienung, die allerdings
eine andauernde Betriebsbereitstellung benötigt. Der
Energiebedarf dieser Stand-by-Schaltungen wurde nie
einer Nachhaltigkeitsprüfung unterzogen. Das Ergebnis
war, daß heute zwei umweltschädliche Kernkraftwerke
benötigt werden, nur um diesen Bequemlichkeitswunsch
der Bundesbürger zu erfüllen. Hätte man dieses Problem
in Nachhaltigkeitsüberlegungen gleich in den Forschungsaufträgen beachtet, wäre man heute sicherlich
bei technologischen Lösungen, die sowohl den Wunsch
nach Bequemlichkeit als auch den Energieverbrauch berücksichtigt hätten.
({0})
Ein zweites Beispiel will ich nur andeuten. Manche
Raumsonden, zum Beispiel Cassini, werden mit hochgiftigem Plutonium betrieben, welches beim Start und
vor allem bei sogenannten Swing-by-Manövern eine
erhebliche Gefahr für die Erde bedeuten kann. Auch hier
wird die Nachhaltigkeit im Sinne von Risikoabwendung
und Vorsorge nicht beachtet.
In den letzten Jahrzehnten standen sinnlich wahrnehmbare Umweltbelastungen im Vordergrund. Der Staat griff
- wenn auch häufig recht spät und zu zaghaft - punktuell beim Schadstoff des Jahres ein. Die Politik reagierte, agierte aber nicht. Und wenn eine Reaktion stattfand, dann orientierte sie sich am Stand der Technik,
und zwar am Stand der Technik der Unternehmen mit
dem besten Zugang zur Politik und nicht der Unternehmen mit den besten Technologien. Grenzwerte wurden
erst dann verschärft, wenn auch die großen Unternehmen dazu fähig waren, diese einzuhalten. Eingehalten
wurden die Grenzwerte dann zumeist durch teure Endof-pipe-Technologien.
Heute hingegen befinden wir uns in einer Zeit des
Umbruchs, des Aufräumens und des Umdenkens. Integrierter Umweltschutz gilt unter stimmigen Rahmenbedingungen als Wettbewerbsvorteil: Neue Technologien mit geringerem Material-, Energie- und Flächenverbrauch haben geringere Kosten als Konkurrenzprodukte. Durch die Besteuerung des Energieverbrauchs,
auch mit Hilfe unserer Ökosteuerreform, wird sich diese
Tendenz verstärken.
Gemäß der Definition der Brundtland-Kommission
ist nachhaltige Entwicklung eine „Entwicklung, die die
gegenwärtigen Bedürfnisse deckt, ohne gleichzeitig
späteren Generationen die Möglichkeit zur Deckung
ihrer Bedürfnisse zu verbauen“. Für die Forschungs- und
Technologiepolitik bedeutet dies einen grundlegenden
Perspektivenwechsel. Denn Forschung und Entwicklung
orientieren sich dabei nicht mehr primär an Technologien, Stoffen, Produkten oder Produktlinien. Statt dessen
orientieren sie sich an der zukunftsfähigen, umweltschonenden, wirtschaftlich und sozial gerechten Organisation
und Weiterentwicklung übergreifender gesellschaftlicher
Bedürfnisfelder. Die entscheidenden Innovationen bestehen dann nicht mehr in isolierten Verbesserungen der
Umweltverträglichkeit oder der Wirtschaftlichkeit einzelner Produkt- und Techniklinien. Sie liegen vielmehr
in Handlungsansätzen, die auf größere Nachhaltigkeit
der Befriedigung der gesellschaftlichen Bedürfnisse in
den jeweiligen Bereichen zielen.
Die Nachhaltigkeit zwingt dazu, umfassend zu denken, konkurrierende Interessen zu moderieren und zu
integrieren. Einzelne Institutionen, wie zum Beispiel das
Büro für Technikfolgenabschätzung mit seiner sehr
guten Vorarbeit im vorliegenden Bericht, sind hier überfordert. Den Unternehmen das Feld der Nachhaltigkeit
alleine zu überlassen reicht nicht aus, da diese zunächst
andere Interessen wahrnehmen. Statt das Geld in eine
nachhaltige Energiewirtschaft zu investieren, fließt das
Geld oft in Bereiche, die zwar Gewinne versprechen,
aber nur einem kleinen Teil der Gesellschaft nützen.
Ob ein Handy ein, zwei Zusatzfunktionen mehr hat oder
10 Gramm weniger wiegt, scheint heute bedeutsamer als
der globale Ressourcen- und Umweltschutz. Damit
Investitionen auch in saubere Luft, sauberes Wasser,
gesunde Nahrung und Komfort, in intakte Sozialstrukturen und in Bildung und Wissen gelenkt werden, muß
der Staat Rahmenbedingungen vorgeben.
({1})
Damit die zukünftigen Forschungsergebnisse in
nachhaltige Produkte münden, muß die Forschung insgesamt dem Leitbild der Nachhaltigkeit unterworfen
werden. Dazu hat der vorliegende Bericht der Forschungs- und Technologiepolitik für eine nachhaltige
Entwicklung erste Ansätze aufgezeigt. Die weitere Beratung in den Ausschüssen, aber auch begleitend in
den Forschungsgemeinschaften und gesellschaftlichen
Gruppen wird diese Ansätze verbessern, ergänzen und
uns dem Ziel näherbringen, insgesamt eine nachhaltige
Lebensweise der Gesellschaft zu ermöglichen.
Alle Ministerien, die sich mit Forschungsaufgaben
beschäftigen, müssen sich dieser Querschnittsaufgabe
widmen. Um dem umfassenden Anspruch der Nachhaltigkeit gerecht werden zu können, muß die Forschung
auch mit entsprechenden Mitteln ausgestattet werden.
Ich bin zuversichtlich, daß bei ernsthaftem Bemühen
aller Beteiligten ein weitgehender Konsens über die
Fraktionen hinweg möglich sein wird. Das langfristige
Ziel einer nachhaltigen Entwicklung unserer Gesellschaft ist viel zu wichtig, als daß es dem kurzsichtigen
tagespolitischen Streit der Fraktionen geopfert werden
darf.
({2})
In diesem Sinne wünsche ich mir eine parteiübergreifende, gemeinsame Arbeit an der Entwicklung der
Nachhaltigkeit. Der vorliegende Bericht des TAB bietet
dazu eine gute Gelegenheit.
Ich danke.
({3})
Jetzt hat das
Wort der Kollege Kurt-Dieter Grill.
Frau Präsidentin!
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es ist sicherlich notwendig, daß wir den Versuch der Bildung eines
Konsenses über zentrale Fragen, die mit der Nachhaltigkeitsstrategie, mit der Nachhaltigkeitspolitik verbunden
sind, der in der Enquete-Kommission gemacht wurde,
unterstützen. Das darf aber nicht dazu führen, daß der
Konsens das Ziel ist, dem sich alles unterzuordnen hat.
({0})
Ich will ein paar Widersprüche in der Debatte aufzeigen, die mir aufgefallen sind. Die Kollegin Burchardt
hat hier vorgetragen, daß die Ressourcenverschwendung
gerade in reichen Ländern, also auch bei uns, festzustellen sei. Das steht in krassem Widerspruch zu der
Feststellung von Indira Gandhi, der heute nichts hinzuzufügen ist, daß die Armut der größte Feind der Umwelt ist, daß wir dort am gnadenlosesten mit Ressourcen
umgehen, wo die Menschen arm sind. Danach ist Ressourcenverschwendung nicht allein in der Industriegesellschaft anzutreffen.
Die Nachhaltigkeit - die wir bisher anders genannt
haben - hat im Energiebereich die größte Chance, sich
zu behaupten. Das schließt die Nutzung der Technik ein,
die mit Strom arbeitet.
Frau Kollegin Burchardt, Sie haben über das Feldgeschrei der Ewiggestrigen und der Besitzstandswahrer
gesprochen. Es wäre hochinteressant, einmal zu untersuchen, was Sie darunter verstehen. Die Besitzstandswahrer sitzen nämlich nicht nur - wie Sie es wohl
gemeint haben - auf einer Seite dieses Hauses oder in
einer der vielen Gruppen dieser Gesellschaft, sondern in
allen Gruppen dieser Gesellschaft.
Um die Herausforderung zu beschreiben, über die wir
hier diskutieren, will ich eine Information weitergeben,
die ich vor wenigen Tagen erhalten habe. Am Geographischen Institut der Universität Bonn gibt es offensichtlich jemanden, der die „Tragfähigkeit“ der Bundesrepublik Deutschland unter dem Gesichtspunkt der
Nachhaltigkeit und der Nutzung der Ressourcen nur
unseres Landes ausgerechnet hat. Dabei ist er auf eine
Zahl von 400 000 Menschen gekommen. Die Bundesrepublik Deutschland hat aber 80 Millionen Einwohner.
Deswegen beschäftigt mich im Augenblick vor allem die
Frage, was Nachhaltigkeit angesichts der großen Zahl
der Menschen auf dieser Welt bedeutet, die schlicht und
einfach ihre Existenz sichern müssen, die sich sicher
manches nicht leisten können, worüber wir uns hier
unterhalten.
Sie haben die Nachhaltigkeit in der Koalitionsvereinbarung fest verankert. In den letzten Wochen habe ich
aber von denjenigen, die heute aus verständlichen Gründen nicht hier sein können, gehört, daß die Koalitionsvereinbarung nicht die Bibel ist. Ich hätte gerne Auskunft darüber, was aus der Koalitionsvereinbarung
eigentlich gilt. Manches gilt offensichtlich nicht mehr.
Herr Trittin hat bei der 100-Jahr-Feier des BUND in
München freundlicherweise selber zugegeben, daß der
Kernenergieausstieg ein Plus von 150 Millionen Tonnen
CO2 bedeutet.
In Ergänzung dessen, was der Kollege Paul Laufs
hier zur Ökosteuer gesagt hat - das ist mein ständiger
Vorwurf; ich weiß, daß hier auch in meiner eigenen
Fraktion schwierig zu argumentieren ist -, möchte ich
anmerken: Der zentrale Vorwurf, den ich Ihnen in der
Frage der Öko- und Energiesteuer mache, ist, daß Sie
die CO2-Frage ausklammern. Ihre Ökosteuer ist nicht
schadstofforientiert. Die Frage der Nachhaltigkeit hängt
mit der Absenkung des Schadstoffeintrages zusammen.
Deswegen ist die Nachhaltigkeitsdebatte längst nicht nur
am Ausstieg aus der Kernenergie festzumachen, ganz im
Gegenteil.
({1})
- Das habe ich nicht gesagt. Sie ziehen doch die falschen Schlüsse, Frau Burchardt. Mit mir brauchen Sie
nicht darüber zu diskutieren, daß wir etwas tun müssen.
Wir sind uns zum Beispiel hinsichtlich des Stand-byProblems - Sie wissen, dazu haben wir gemeinsam
etwas verabschiedet - ja durchaus einig. Außer dem
Stand-by gibt es in unserer Gesellschaft aber noch eine
Fülle von Beispielen dafür, daß wir Technik und Energie
zu unserer eigenen Bequemlichkeit gedankenlos nutzen.
Es geht nicht nur um das Stand-by, nur weil es im
Zusammenhang mit der Kernenergie wieder genannt
wurde.
Die größte Herausforderung ist, das langfristige Denken mit der Tagespolitik in Einklang zu bringen. In der
Koalitionsvereinbarung haben Sie die Nachhaltigkeit
zum zentralen Punkt gemacht. Im „Bündnis für Arbeit“
steht die Nachhaltigkeit nicht im Mittelpunkt der Überlegungen. Das ist das eine. Das zweite, was mir im
Zusammenhang mit Ihrer Koalitionsvereinbarung einfällt, ist: Ich habe vor kurzem - es mag schon zwei oder
drei Wochen her sein - im „Handelsblatt“ gelesen, daß
Herr Müntefering gesagt hat, das mit dem Umsteigen
auf die Bahn sei Quatsch, wir bräuchten wieder mehr
Straßen, weil das Auto unser Thema sei. Das ist Ihre
Nachhaltigkeit.
({2})
- Ich zeige Ihnen gern den Artikel aus dem „Handelsblatt“. Er ist überschrieben mit „Die Wende in der Verkehrspolitik“, darin werden Herr Müntefering und Herr
Steinbrück zitiert.
Ich warne Sie davor, sich hier hinzustellen und zu
sagen, Sie würden etwas vollkommen Neues und Nachhaltiges machen, und nun würde alles viel besser. Sie
müssen sich entscheiden; denn in den internationalen
Konferenzen knüpfen Sie exakt an dem an, was die
Union Ihnen als Leistung hinterlassen hat. Niemand
anderes als Herr Loske hat gesagt, wir müßten beim
Kernenergieausstieg aufpassen, daß Deutschland nicht
die Vorbildrolle beim Klimaschutz verliere. International sagen Sie also: Wir können auf dem aufbauen, was
die alte Bundesregierung - Frau Merkel, Herr Kohl,
Herr Töpfer - hinterlassen hat. National sagen Sie: Wir
müssen bei Null anfangen, weil eigentlich nichts vorhanden ist.
({3})
Das ist eine Debatte, in der Sie der Herausforderung,
langfristiges Denken und Tagespolitik in Einklang zu
bringen, noch längst nicht gerecht geworden sind. Der
Dialog muß fortgesetzt werden; denn ich habe den Verdacht, daß sich bei Ihnen sowohl mit dem Ansatz Strategie, vor allem aber auch mit dem Ansatz Plan eine Menge von Dingen verbinden, die eher etwas mit Dirigieren
von oben, mit Umverteilung und Planung zu tun haben
- als ob sich alles planen ließe ({4})
als mit einem offenen Diskurs, in dem die Schwierigkeiten der Umsetzung von Nachhaltigkeit in die
Tagespolitik zum täglichen Geschäft werden. Dem werden Sie sich zu stellen haben. Am Ende könnten Sie
vielleicht einen Plan haben; es hat sich in diesem Lande
durch Sie aber nichts getan.
({5})
Es spricht jetzt
die Abgeordnete Angelica Schwall-Düren.
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! In Zeiten,
in denen wir mit einer umfassenden Steuerreform Familien und Mittelstand entlasten, in einem „Bündnis für
Arbeit“ gegen die Arbeitslosigkeit kämpfen und auf
europäischer Ebene die Agenda 2000 verhandeln, stellen
sich Mitglieder des Bundestages hier hin und diskutieren
die Empfehlungen der Enquete-Kommission zum Schutz
des Menschen und der Umwelt. Sind das alles weltfremde Ökoträumer? Das Gegenteil ist der Fall. Wer Nachhaltigkeit immer noch nur als Synonym für Umweltschutz sieht, ist von gestern. Eben hatte ich bei Herrn
Grill manchmal den Verdacht, daß er das so interpretiert.
({0})
Nachhaltigkeit in den drei Dimensionen Ökonomie,
Soziales und Ökologie steht bereits jetzt hinter dem
politischen Handeln unserer rotgrünen Regierung. Die
Stärkung des Mittelstandes, das Jobprogramm für
arbeitslose Jugendliche, das Bekenntnis zum Ausstieg
aus der Kernenergie, das 100 000-Dächer-Programm,
die ökologische Steuerreform: Dabei handelt es sich de
facto durchgehend um Instrumente, mit denen die nachhaltig zukunftsverträgliche Entwicklung sichergestellt
werden soll, auch wenn dies nicht auf den ersten Blick
sichtbar ist.
({1})
Zum Beispiel die Ökosteuer: Die ökologische Dimension findet ihre Umsetzung in dem Anreiz zum Energiesparen und, Herr Grill, in dem dadurch erreichten Beitrag zur Verwirklichung des CO2-Reduktionszieles wenn sie vorerst auch noch bescheiden ist, aber weitere
Schritte werden folgen. Die Senkung der Lohnnebenkosten erfüllt die soziale Komponente. Die Nachhaltigkeit auf ökonomischer Ebene wird durch die neuen
Chancen von Wirtschaft und Forschung umgesetzt,
innovative und energieeffiziente Techniken zu entwikkeln und zu vertreiben.
Auch unser Einsatz für den Ausstieg aus der Atomenergie ist eine logische, gar die einzig richtige Konsequenz aus einem nachhaltigen Bewußtsein. Denn die
Enquete-Kommission des 13. Bundestages nahm - wie
Frau Kollegin Burchardt eben schon erläutert hat - auf
Anregung des Sachverständigenrates für Umweltfragen
neben den vier Managementregeln, die bereits die
Enquete-Kommission der 12. Legislaturperiode formuliert hatte, eine fünfte grundlegende Regel auf: Gefahren
und unvertretbare Risiken für die menschliche Gesundheit durch anthropogene Wirkungen sind zu vermeiden.
Niemand wird diese Regel in Frage stellen; aber sicherlich ergeben sich Konflikte innerhalb des Regelwerks.
Die Regel Nr. 3 lautet nämlich: Stoffeinträge in die
Umwelt sollen sich an der Belastbarkeit der Umweltmedien orientieren.
Wie gehen wir also mit dem auch von Herrn Grill angesprochenen Konflikt Ausstieg aus der Kernenergie bei
gleichzeitiger Vermeidung einer Klimaerwärmung durch
steigende Kohlendioxidgehalte in der Atmosphäre um?
Die Antwort liegt nahe: Wir nutzen das Energiesparpotential, das unserer derzeitigen Lebens- und Wirtschaftsweise zugrunde liegt, fördern Kraft-WärmeKopplung und den Ausbau der regenerativen Energien
und schaffen gleichzeitig Arbeitsplätze.
({2})
Der Abschlußbericht der Enquete-Kommission versteht sich sowohl als weiterer Baustein für eine fruchtKurt-Dieter Grill
bare Nachhaltigkeitsdiskussion als auch schon als Umsetzungsfahrplan mit konkreten Etappen. So haben wir
mit den Beispielen Bodenversauerung sowie Bauen und
Wohnen vom ökologischen Zugang her Ziele vorgegeben, die einer dringenden Umsetzung bedürfen. Bei der
Versauerung der Böden ist die Lage eindeutig: Luftschadstoffe wie Schwefeloxide, Stickoxide und Ammoniak geraten mit dem Niederschlag als Säurebildner in
die Böden. Können die Böden diesen anthropogenen
Säureeintrag nicht mehr abpuffern, kommt es zur
Bodenversauerung. Das führt zu Nährstoffauswaschung,
Verdrängung von säureempfindlichen Tier- und Pflanzenarten, Waldschäden und Verschlechterung der Grundwasserqualität. Besonders problematisch ist dabei die
Tatsache, daß es sich bei dem Schadstoffeintrag um
schlecht eingrenzbare Flächenbelastungen handelt.
Aufbauend auf diesem Ursache-Wirkung-Komplex
hat sich die Enquete-Kommission dem Handlungsziel
der EU-Kommission für eine Gemeinschaftsstrategie
angeschlossen. Die Fläche der überkritisch belasteten
Böden soll bis zum Jahr 2010 halbiert werden. Um dieses Ziel erreichen zu können, müssen wir bei der Reduktion der eingangs genannten Schadstoffe ansetzen.
Maßnahmen und Instrumente, die dafür in Frage kommen, erstrecken sich auf eine Verbesserung der Abgasreinigung in Kraftwerken und Industriefeuerungen sowie
der Entstickung in der Zementindustrie. Die verbesserte
Ausstattung der Kraftfahrzeuge mit Katalysatoren, die
bereits eingegangene Einführung der Ökosteuer, die bessere Einarbeitung der Gülle in der Landwirtschaft sowie
die verstärkte Förderung des ökologischen Landbaus
kommen hinzu.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, das derzeit noch unzulängliche Bodenschutzgesetz, das unter der vorherigen
Regierung nach langem Ringen verabschiedet wurde, sowie die dazugehörigen Verordnungen, die noch nicht ausreichend für einen vorsorgenden Bodenschutz sind, werden wir überarbeiten. Dabei müssen wir dem Vorsorgeprinzip den eindeutigen Vorzug geben; denn Nachsorge,
also die Konzentration auf die Altlastenentsorgung, ist auf
Dauer unsinnig und unbezahlbar.
({3})
Dies wäre weder sozial noch ökonomisch eine nachhaltige Politik.
({4})
Vor dem Hintergrund des wichtigen Bodenschutzes
befaßt sich die Enquete-Kommission im dritten Handlungsfeld ihres Abschlußberichts konsequenterweise
auch mit der Problematik des Flächenverbrauchs und
seiner dringend nötigen Reduzierung im Rahmen des
großen Komplexes Bauen und Wohnen. Gerade im
Wohnungsbaubereich lassen sich vielfältigste Möglichkeiten finden, um die Interaktion der drei Dimensionen
der Nachhaltigkeit deutlich zu machen und vernetzt umzusetzen.
Die Enquete-Kommission formulierte denn auch drei
Strategien, um die zukünftige Bau- und Wohnungspolitik ökonomisch, ökologisch und sozial verträglich zu gestalten: erstens die Stadt der kurzen Wege, also die Stärkung städtischer Strukturen gegen zunehmendes Wachstum in die Fläche; zweitens ressourcensparendes Wohnen und Bauen und drittens die Konzentration auf den
Wohnungsbestand. Gerade der dritte Punkt, mit dem
implizit die Förderung der Altbausanierung gemeint ist,
trägt ein immenses Potential in sich. Der Druck auf die
Fläche wird sich verringern, wenn man dieses Potential
nutzt. Die grüne Wiese bleibt grün, wenn entsprechende
ökonomische und fiskalische Instrumente verändert
werden.
Der Anteil der Lohnkosten im Neubau wird auf zirka
50 Prozent, bei der Altbausanierung auf zirka 70 Prozent
geschätzt. Das heißt, Investitionen in den Bestand binden mehr Arbeitsplätze als Investitionen in den Neubau.
Neue Dienstleistungssparten wie etwa das Umzugsmanagement werden gefördert.
Die große Bedeutung der Altbaumodernisierung für
eine wirkliche Senkung der Kohlendioxidemissionen
wird deutlich, wenn man sich vor Augen führt, daß fast
ein Drittel der gegenwärtig in Deutschland durch die
Verwendung fossiler Brennstoffe entstehenden CO2Emissionen durch Heizungs- und Klimaanlagen sowie
durch die Warmwasserbereitung verursacht wird. In der
Bundesrepublik gibt es etwa 24 Millionen Altbauwohnungen, die noch nicht einmal dem Standard der Wärmeschutzverordnung von 1982/84 entsprechen.
({5})
Die Einführung eines Gebäudepasses unter Einbeziehung von Energiekennzahlen könnte hier einen Anstoß
zur Veränderung bieten.
Der Abschlußbericht der Enquete-Kommission
„Schutz des Menschen und der Umwelt“ enthält eine
deutliche Aufforderung, die Diskussion um die nachhaltige Gestaltung unserer Lebensweise und der Rahmenbedingungen, die unser soziales und wirtschaftliches
Handeln bestimmen, weiterzuführen.
Ich ziehe das Fazit: Wir brauchen eine ressortübergreifende Bereitschaft zum nachhaltigen Handeln. Wir
brauchen eine Nachhaltigkeitsstrategie. Finanz-, Wirtschafts-, Verkehrs- und Landwirtschaftspolitik sowie
Umweltpolitik müssen als Teil einer klugen, weitsichtigen Politik den Erhalt der natürlichen Lebensgrundlagen, die Sicherung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit und die gerechte Verteilung von Arbeit, Einkommen und Lebenschancen sicherstellen und gleichzeitig die Partizipation der Bürgerinnen und Bürger stärken. Liebe Kolleginnen und Kollegen, eine solche Politik wird die Arbeit der Koalitionsfraktionen und der
Regierung in der 14. Legislaturperiode bestimmen. Mit
einer solchen Politik sind wir fit für das 21. Jahrhundert.
Herzlichen Dank.
({6})
Ich gebe jetzt
dem Abgeordneten Axel Fischer das Wort, und zwar zu
seiner ersten Rede.
Frau
Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine
Vorredner sind bereits ausführlich auf das Leitbild der
Nachhaltigkeit eingegangen und haben sich auch zur
Rio-Konferenz geäußert. Frau Burchardt zum Beispiel
hat gesagt, daß die neue Bundesregierung in diesem Bereich viel getan hat. Das ist für mich natürlich Anlaß,
etwas genauer hinzusehen und nicht mehr das Leitbild
genau zu erörtern, sondern auszuführen, was das für uns
bedeutet.
Die Enquete-Kommission „Schutz des Menschen und
der Umwelt“ hat in der letzten Legislaturperiode den
gelungenen Versuch unternommen, das Leitbild Nachhaltigkeit mit Leben zu füllen und Ziele einer nachhaltigen Politik positiv zu formulieren. Dabei stellt sie Fragen der langfristigen Entwicklungsfähigkeit unserer gesellschaftlichen Teilsysteme in den Vordergrund. Sie
gibt damit der Bundesregierung und der Politik das
Signal, notwendige Reformen im Umgang mit der
Umwelt, in unserem Wirtschafts- und Sozialsystem anzugehen.
({0})
Dabei besinnt sie sich - im Sinne Ludwig Erhards verstärkt auf die grundlegenden Ordnungsprinzipien der
ökologischen und sozialen Marktwirtschaft.
({1})
Innovation durch Wettbewerb, Eigenverantwortung,
Freiheit und Subsidiarität sind die fundamentalen Gestaltungsprinzipien, die maßgeblich zur Zukunftsfähigkeit Deutschlands beitragen werden.
({2})
Zielrichtung und Gestaltungsoptionen für den Übergang
in eine nachhaltig zukunftsverträgliche Entwicklung
sind damit vorgegeben.
Folgt man nur den Worten der Bundesregierung, dann
hat sie diese Empfehlungen aufgegriffen. Betrachtet man
allerdings die Taten, dann zeigt sich ein völlig anderes
Bild.
({3})
Dann klaffen Abgründe zwischen dem, was die Bundesregierung verspricht, und dem, was sie dann tatsächlich
beschließt.
({4})
Das fängt mit dem Versprechen von Ministerin Bulmahn an, Mittel im Bildungs- und Forschungshaushalt
verdoppeln zu wollen.
({5})
War der Haushaltsentwurf schon eine Enttäuschung,
sind die Mittel im Forschungshaushalt nach dem Wirken
der rotgrünen Haushälter bereits jetzt geringer als im
letzten Haushaltsentwurf von Herrn Dr. Rüttgers.
({6})
Diese Diskrepanz zwischen Anspruch und Wirklichkeit setzt sich leider auch in anderen Bereichen fort. Sie
zeigt die Konzeptionslosigkeit dieser Bundesregierung,
die mit dem Motto „Aufbruch und Erneuerung“ angetreten ist und die das Leitbild der Nachhaltigkeit zum
Programm machen wollte.
({7})
Da erklärt die Bundesregierung, die Förderung von
Unternehmensgründungen aus den Hochschulen sei
besonders wichtig. Voll akzeptiert! Es verwundert daher
auch nicht, daß die Ministerin die Verstärkung eines entsprechenden Förderprogramms angekündigt hat. Mit
Hilfe dieses staatlichen Förderprogramms sollen Jungunternehmern die Hürden beim Unternehmensstart
leichter nehmen. Aber ist ein solches Handeln nachhaltig? Nein, genau hier versagt die Regierung Schröder.
Sie bekämpft nämlich nicht die Ursachen der Probleme,
statt dessen ist ihre Politik auf die Verwaltung der unerwünschten Wirkungen gerichtet.
({8})
Anstatt die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen nachhaltig zu gestalten, doktern Sie an den Symptomen herum und stopfen mehr Steuergelder in dieses Förderprogramm.
Aber es kommt noch schlimmer: Mit Ihrer Neudefinition von Scheinselbständigkeit - wir haben darüber in
der Aktuellen Stunde gesprochen - legen Sie den jungen Menschen weitere Steine in den Weg. Sie ersticken
die in der jungen Generation verbreitete Bereitschaft zu
Eigeninitiative und persönlichem Risiko. Statt ihre
Unternehmensgründung tatkräftig zu unterstützen und
die bürokratischen Hürden einzureißen, hängen Sie noch
zusätzlich das Damoklesschwert mit dem Namen
Scheinselbständigkeit über sie. Hier fehlen mir von
Ihnen die klaren Worte und der aktive Einsatz für eine
nachhaltige Entwicklung.
({9})
Mit Ihrem Existenzgründerprogramm werden Sie
nicht einmal ansatzweise das ausgleichen können, was
Sie am Kabinettstisch versäumt haben.
({10})
Jetzt geben Sie noch mehr Steuermittel aus und blähen
die Bürokratie weiter auf, um die fatalen Auswirkungen
dieser unsinnigen Gesetzesneuregelungen auszugleichen. Aber so viel Geld, wie Sie bräuchten, um die
gesamten negativen Auswirkungen Ihrer mißratenen
Gesetzgebung der letzten Monate auszugleichen, können
Sie den Menschen in Deutschland gar nicht abnehmen.
({11})
Genausowenig nachhaltig ist Ihr Ansatz, mit dem Sie
die Autonomie der Hochschulen stärken und Bürokratien abbauen wollen. „Autonomie stärken“ heißt die
Überschrift, und unter der Überschrift kommt die Forderung, die Hochschulen müßten sich - als Voraussetzung
für Selbstverwaltung - einer regelmäßigen Evaluierung
in Forschung und Lehre unterziehen. Ihr Motto heißt
also - ganz einfach auf den Punkt gebracht -: Eigenverantwortung ja, aber nur, wenn wir den Daumen darauf
haben. Staatliche Bewertungsprozeduren, die oftmals
schon nach kurzer Zeit zu ebenso kostspieligen wie
nutzlosen Ritualen verkommen, sind kein Schritt nach
vorn.
Wie wollen Sie denn wissenschaftliche Leistungen
vergleichbar machen? Wer soll sie denn beurteilen? Ich
will Ihnen einmal sagen, was dabei herauskommt: Das
wird etwa so wie die Tabellen in einer großen deutschen
Illustrierten zum Ende der letzten Legislaturperiode.
Dort sollten Leistung und Einfluß der Abgeordneten
transparent gemacht werden. Es gab Punkte für Kleine
Anfragen, für Initiativen, für die Funktionen des Abgeordneten und vieles mehr. Am Schluß kam dann heraus,
daß der Gruppenvorsitzende Gysi einflußreicher als der
Vorsitzende der großen Regierungsfraktion, Dr. Wolfgang Schäuble, sei. Das kann ja wohl nicht wahr sein.
Außer neuer Bürokratie kommt also bei Ihrer Evaluierung nichts heraus.
Dabei gibt es doch zuverlässige Bewertungsverfahren. Lassen Sie doch den Markt, also die Studenten, entscheiden, welche Hochschule ihnen angesichts ihrer
späteren Berufsaussichten den größeren Nutzen verspricht. Überlassen Sie doch die Bewertung über die
Qualität von Forschung und Ausbildung der freien gesellschaftlichen Meinungsbildung. Den Erfolg der Forschungspolitik messen Sie doch auch nicht an irgendwelchen Gutachten. Sie nehmen doch die Höhe dieser
Investitionen als einfachen Gradmesser für die Attraktivität des Forschungsstandortes Deutschland und damit
für die Nachhaltigkeit der Forschungspolitik.
Wie ist es aber derzeit um die Nachhaltigkeit der
Rahmenbedingungen für die Forschungspolitik in
Deutschland bestellt?
({12})
Die Regierung Schröder erklärt ständig, Deutschland
müsse wieder zu einem attraktiven Standort für internationale Forschungsinvestitionen werden. Voll einverstanden! Aber dazu paßt die derzeitige Diskussion um
den Tierschutz im Grundgesetz überhaupt nicht. Diese
heuchlerische Scheinübung, den Tierschutz im Grundgesetz verankern zu wollen, wird den Tierschutz um
keinen Deut verbessern. Die zu erwartende Klageflut
wird jedoch ein Heer von Rechtsanwälten beschäftigen.
In diesem Bereich lenken Sie damit auch noch die letzten Forschungsinvestitionen an Deutschland vorbei.
Hier hätte ich von der zuständigen Bundesministerin
ein deutliches Wort für den Forschungsstandort
Deutschland erwartet. Sie müßte den Forschern den
Rücken stärken. Doch statt Aufklärung über die Notwendigkeit von Tierversuchen kommt von ihrer Seite
nur das große Schweigen. So gehen Sie mit der Zukunft
des Forschungsstandortes Deutschland um: weder Worte
noch Taten.
Im Zeichen des globalen Wissenswettbewerbs muß
die gesellschaftliche Wissensbasis in Deutschland verbreitert werden. Als ressourcenarmes Land ist Deutschland auf die Ausbildung und Pflege seines Humankapitals angewiesen. Hier müssen Bundesregierung und
Länder die entsprechenden Ansätze aufgreifen und umsetzen.
Eine besondere Aufgabe liegt dabei im Bereich der
Förderung besonders Begabter. Aber gerade diesen
Bereich vernachlässigt die Bundesregierung sträflich.
Bei der Erhöhung der Haushaltsmittel haben Sie die
Begabtenförderung in Deutschland ausgespart. Dabei
brauchen wir doch Eliten. Das erwiesenermaßen erfolgreiche Meister-BAföG haben Sie im Haushaltsansatz um
40 Prozent gekürzt. Glauben Sie ernsthaft, daß solche
Strukturen dauerhaft tragfähig sind?
Die Einrichtung eines „Forums Bildung“ zeigt, wie
begrenzt der Horizont Ihrer Reformüberlegungen im
Bildungsbereich ist. Schon heute haben - das wissen Sie
ganz genau - Kultusministerkonferenz, Bund-LänderKommission und der zuständige Ausschuß des Bundesrates weitgehend verwandte, zu einem großen Teil dekkungsgleiche Aufgaben. Wollen Sie uns wirklich weismachen, daß mit einem neuen Gremium der Durchbruch
im Bereich der Forschungs- und Bildungspolitik zu
erzielen wäre?
Innovation im Sinne der Nachhaltigkeit bedeutet
gerade nicht, neue Arbeitskreise zu gründen. Verantwortlichkeiten sollen nicht in einem Dschungel aus Ausschüssen, Beiräten, Arbeitskreisen, Foren, Gruppen und
Zirkeln - und was es da sonst noch alles gibt - weiter
verschleiert und verschoben werden. Das Gegenteil ist
notwendig. Wir brauchen mehr Transparenz, klare Verantwortlichkeiten und Wettbewerb. So sichern wir eine
bestmögliche Versorgung des Bürgers mit der Bildung,
die er für die Zukunft so dringend braucht.
Die Enquete-Kommission hat mit ihrem Plädoyer für
Subsidiarität und Föderalismus den Weg gewiesen. Wir
brauchen den Wettbewerb zwischen den Bundesländern,
zwischen den verschiedenen Bildungssystemen, wir
brauchen den Wettbewerb um besseren Unterricht, um
bessere Lehre und um bessere Forschung. Eine nachhaltige Entwicklung in Deutschland bekommen wir nicht
dadurch, daß hier ein neues Gremium eingesetzt oder
da ein wenig mehr Geld ausgegeben wird. Es wird vor
allem darum gehen, mit Hilfe institutioneller Reformen
Handlungsspielräume zu eröffnen, die noch vorher blokkiert waren.
Die Welt um uns herum verändert sich. Sie wartet
nicht auf Deutschland und schon gar nicht auf die Kultusministerkonferenz. Lange werden Sie es nicht mehr
als Tugend verkaufen können, wenn engagierte, fleißige
und begabte Studenten, die sich schnell qualifizieren
wollen, in Scharen ins Ausland abwandern. Diese Abstimmung mit den Füßen muß für alle Beteiligten, für
die Bundesländer und besonders für die neue Bundesregierung, Ansporn sein, den ideologischen Ballast über
Bord zu werfen und endlich die notwendigen Veränderungen in Angriff zu nehmen.
({13})
Axel E. Fischer ({14})
Mehr Wettbewerb und Eigenverantwortung ist nicht
nur für ökologische und soziale Marktwirtschaft das
Mittel für mehr Wohlstand. Für die deutsche Hochschulund Forschungslandschaft ist es ein notwendiger Kraftstoff, international den Anschluß zu halten. Wagen Sie
endlich mehr Freiheit und weniger Bürokratie für die
Bildung, die Forschung und die Bürger! Doktern Sie
nicht länger an den Wirkungen herum, sondern beseitigen Sie endlich die Ursachen der Probleme! Formulieren
Sie keine blumigen Absichtserklärungen, sondern pakken Sie endlich die Lösung der Probleme an!
({15})
Mit Zigarrenrauchen allein hat auch Ludwig Erhard
nicht die Fundamente für die ökologische und soziale
Marktwirtschaft gelegt.
Danke schön.
({16})
Herr
Kollege Fischer, ich gratuliere Ihnen zu Ihrer ersten
Rede vor dem Deutschen Bundestag. Herzlichen
Glückwunsch!
({0})
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf
den Drucksachen 13/11200 und 14/571 an die in der
Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen.
Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann
sind die Überweisungen so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 6 auf:
- Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines
Gesetzes zur Änderung des DNA-Identitätsfeststellungsgesetzes
- Drucksache 14/445 ({1})
- Zweite und dritte Beratung des von der Fraktion
der CDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines
Gesetzes zur Ergänzung des DNA-Identitätsfeststellungsgesetzes
- Drucksache 14/43 ({2})
Beschlußempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses ({3})
- Drucksache 14/658 Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Jürgen Meyer ({4})
Volker Beck ({5})
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. - Ich
höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Als erster Redner hat der
Kollege Professor Dr. Jürgen Meyer von der SPDFraktion das Wort.
Herr Präsident!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der genetische Fingerabdruck sowie seine Verwendung zur kriminalistischen Verbrechensaufklärung hat den Deutschen Bundestag in den vergangenen Jahren mehrfach beschäftigt.
Im Juni 1998 haben wir uns darauf verständigt, das Verfahren auch auf sogenannte Altfälle anzuwenden. Danach darf die DNA-Analyse für die Identitätsfeststellung
in künftigen Strafverfahren auch bei Personen durchgeführt werden, die wegen einer Straftat von erheblicher
Bedeutung rechtskräftig verurteilt sind. Voraussetzung
ist, daß die entsprechenden Eintragungen im Bundeszentralregister noch nicht getilgt sind.
Daraus resultiert das berechtigte Interesse der Strafverfolgungsbehörden, den Datenbestand des Bundeszentralregisters auszuwerten und so die Altfälle systematisch herauszufinden. Die dafür nötige Ermächtigungsgrundlage und eine gesetzliche Mitwirkungspflicht
des Bundeszentralregisters sind wesentliche Inhalte des
heute zu verabschiedenden Gesetzentwurfs, der einen
überzeugenden Ausgleich zwischen den Erfordernissen
einer effektiven Verbrechensverfolgung einerseits und
des verfassungsrechtlich gebotenen Datenschutzes andererseits enthält.
Dabei verdient besondere Erwähnung, daß der Gesetzentwurf der Fraktionen von SPD und Bündnis 90/
Die Grünen am 2. März 1999 in das Gesetzgebungsverfahren eingebracht wurde und schon heute, nach
23 Tagen, in zweiter und dritter Lesung verabschiedet
werden kann.
({0})
Das ist das Ergebnis zügiger Beratungen im Rechtsausschuß und der vorbereitenden intensiven Berichterstattergespräche, für die ich mich bei meinen Mitberichterstattern ausdrücklich bedanken möchte.
({1})
Mein Dank gilt ebenso den zuständigen Mitarbeitern
der beteiligten Fraktionen sowie des Bundesjustiz- und
des Bundesinnenministeriums, die mit großem Engagement zum erfolgreichen Abschluß der Beratungen beigetragen haben. Last, but not least danke ich der - ich
sehe sie gerade nicht - für die Bundesregierung federführenden Justizministerin.
({2})
Ich hätte diesen Dank sehr gern auch an die
CDU/CSU-Fraktion gerichtet, die immerhin bereits am
17. November 1998 einen eigenen Entwurf eingebracht
hatte. Leider hat sie sich trotz der - heute nicht zu wiederholenden - detaillierten Kritik an diesem Entwurf in
Axel E. Fischer ({3})
der Bundestagssitzung am 21. Januar 1999 nicht von
ihrem Entwurf lösen können.
({4})
Wir freuen uns um so mehr, daß im Gegensatz dazu die
F.D.P. unseren Entwurf mitträgt.
Der Bundesbeauftragte für den Datenschutz hat in
seiner Stellungnahme zum Entwurf der CDU/CSUFraktion lapidar und zutreffend festgestellt - ich zitiere -:
Dieser Gesetzentwurf bleibt unter datenschutzrechtlichen Gesichtspunkten hinter dem Entwurf
der Koalitionsfraktionen zurück und sollte nicht
weiterverfolgt werden.
({5})
In der Debatte vom Januar habe ich den engen Zusammenhang mit dem überfälligen und im vergangenen August leider am Widerspruch aus Bayern gescheiterten Strafverfahrensänderungsgesetz, dem sogenannten StVÄG, betont. Der Datenschutz im Strafverfahren bedarf endlich einer grundlegenden Regelung. Der Übergangsbonus des Volkszählungsurteils
von 1983 ist längst verbraucht. Deshalb teile ich gerne
mit, daß der vorliegende Gesetzentwurf aus einem eigenen Artikel des als Arbeitsentwurf im Bundesjustizministerium erstellten StVÄG hervorgegangen ist. Wir
erwarten, daß dieses nach der Zuleitung an den Bundesrat, der in der letzten Woche seine Stellungnahme
beschlossen hat, demnächst dem Bundestag zugeleitet
werden wird.
Lassen Sie mich aus den Beratungen des heute zu
verabschiedenden DNA-Identitätsfeststellungsgesetzes
kurz auf vier Probleme eingehen, die uns besonders
beschäftigt haben und die nach unserer Auffassung
nunmehr überzeugend geregelt sind.
Erstens. Bekanntlich enthält das geltende Identitätsfeststellungsgesetz einen strengen Richtervorbehalt.
Bei der Behandlung der sogenannten Altfälle taten sich
einzelne Gerichte schwer damit, festzustellen, welcher
Richter in diesen Fällen für die Anordnung der DNAAnalyse zuständig sei. Wir stellen deshalb durch unser
Gesetz klar, daß auch in diesen Fällen der Ermittlungsrichter zuständig ist. Wir wollen dadurch Rechtssicherheit schaffen und Verzögerungen beim Aufbau der
DNA-Analysedatei vermeiden helfen.
Zweitens. In meiner Kritik am Gesetzentwurf der
CDU/CSU-Fraktion im Januar hatte ich auf den datenschutzrechtlichen Grundsatz der Begrenzung der Datenübermittlung auf das erforderliche Maß hingewiesen. Ich hatte kritisiert, daß der Entwurf eine Vielzahl
auskunftsberechtigter Stellen - bis hin zu sämtlichen
obersten Bundes- und Landesbehörden - vorsah.
In Übereinstimmung mit einer Empfehlung des Bundesbeauftragten für den Datenschutz regeln wir nunmehr, daß die Daten neben dem Bundeskriminalamt lediglich der Staatsanwaltschaft zur Verfügung gestellt
werden, die für die Durchführung des Verfahrens zur
Erhebung der DNA-Identifikationsmuster verantwortlich
ist. Auskünfte etwa, verehrte Kollegen von der CDU/
CSU-Fraktion, an die Kultusminister oder die Landwirtschaftsminister der Länder, wie sie nach dem heute von
Ihnen wieder vorgelegten Entwurf möglich sein würden,
wird es also nicht geben.
Drittens. Seitens einzelner Bundesländer ist die Bitte
an uns herangetragen worden, daß sich das Gesetz hinsichtlich der Zulässigkeit der Speicherung von DNAIdentifizierungsmustern eindeutig auf die Bundesebene beschränken sollte. Dem entspricht das Gesetz mit
seiner Beschränkung auf die Praxis des Bundeskriminalamts. In der Begründung stellen wir ausdrücklich klar,
daß die auf landesrechtlicher Rechtsgrundlage erfolgte
Speicherung hinsichtlich ihrer Zulässigkeit nicht betroffen ist. Insoweit gibt es bekanntlich keine Kompetenz
des Bundes. Deshalb sind Dateien, wie sie zum Beispiel
in Rheinland-Pfalz oder Bayern bereits eingerichtet sind,
von unserem Gesetz nicht betroffen. Wir hoffen aber,
daß die Rechtsstaatlichkeit der Regelungen unseres Gesetzes durchaus stilbildend wirkt.
Viertens. Schließlich haben wir uns eingehend mit
dem Deliktskatalog für die Gruppenabfrage beim
Bundeszentralregister befaßt. Ich hatte schon in der
Januar-Debatte darauf hingewiesen, daß allein schon aus
Datenschutzgründen präzise Vorgaben dazu notwendig
sind, welche Daten bereitzustellen und den anfragenden
Stellen zu übermitteln sind. Auch programmiertechnisch
kann die Frage, wann es sich um eine Straftat von
erheblicher Bedeutung handelt, nicht dem jeweiligen
Sachbearbeiter beim Bundeskriminalamt überlassen
werden.
Der nun vorgelegte Deliktskatalog ist zwischen Bund
und Ländern unter Einbeziehung des Justiz- und des
Innenbereichs abgestimmt worden. Ansatzpunkt waren
die in § 395 der Strafprozeßordnung aufgeführten
Nebenklagedelikte. Diese wurden ergänzt um Delikte
wie Raub, Erpressung und Bandendiebstahl, bei denen
deliktstypisch DNA-Identifizierungsmaterial etwa am
Tatort oder im Fluchtfahrzeug aufgefunden wird. Diese
Berücksichtigung kriminalistischer Erfahrungen soll die
zügige Erfassung und Aufbereitung der Altfälle ermöglichen. Bekanntlich spielt etwa bei schwerer Steuerhinterziehung oder Verbrechen nach dem Kriegswaffenkontrollgesetz, um nur zwei Beispiele aus dem Nebenstrafrecht zu nennen, der genetische Fingerabdruck
praktisch keine Rolle.
({6})
Warum sollten derartige Delikte also in die aufwendige
Gruppenanfrage übernommen werden? Selbstverständlich können aber durch Einzelabfrage beim Bundeszentralregister auch solche für die DNA-Identitätsfeststellung geeignete Straftaten von erheblicher Bedeutung
abgefragt werden, die nicht im Katalog enthalten sind.
§ 2c des Gesetzes regelt nur die Gruppenabfrage. Der
von der Opposition behauptete Wertungswiderspruch im
Deliktskatalog, der natürlich auf Grund neuer Erfahrungen ergänzt werden kann, besteht also nicht.
({7})
Dr. Jürgen Meyer ({8})
Der Errichtung und Nutzung der DNA-Analysedatei
beim Bundeskriminalamt steht nun nichts mehr im Wege. Dasselbe gilt für den Abgleich der Daten durch das
Bundeskriminalamt mit der Haftdatei und die Übermittlung der Ergebnisse an die Landeskriminalämter.
Unser Entwurf zeigt, daß Rechtsstaatlichkeit des
Strafverfahrens und Effektivität der Strafrechtspflege keine Gegensätze sind. Sie sind vielmehr
gemeinsam unerläßliche Voraussetzung für die innere
Sicherheit im demokratischen Rechtsstaat. Unser
Gesetzentwurf macht deutlich: Verbrechensbekämpfung
und Rechtsstaatlichkeit sind zwei Seiten derselben
Medaille.
({9})
Wir hoffen deshalb auf eine breite Zustimmung.
({10})
Als
nächster Redner hat der Kollege Ronald Pofalla von der
CDU/CSU-Fraktion das Wort.
Herr Präsident! Meine
sehr verehrten Damen und Herren! Mit der zweiten und
dritten Beratung der Gesetzentwürfe der Koalitionsfraktionen und der Fraktion der CDU/CSU zur Änderung
bzw. Ergänzung des DNA-Identitätsfeststellungsgesetzes wird eine endgültige Regelung darüber verabschiedet, unter welchen Voraussetzungen eine Anfrage, also
ein Ermittlungsdatenabgleich, durch die Staatsanwaltschaften, das Bundeskriminalamt und den Generalbundesanwalt erfolgen soll. Die endgültige Regelung unter
anderem dieser Frage - das mache ich hier sehr deutlich,
Herr Kollege Meyer - wird von uns ausdrücklich begrüßt.
Bereits im Rahmen der ersten Beratung am 21. Januar
1999 hat vor allen Dingen die CDU/CSU-Bundestagsfraktion darauf gedrängt, hier zu einer möglichst zügigen Beratung und Verabschiedung zu kommen. Unserem ständigen Drängen, auch im Rechtsausschuß des
Deutschen Bundestages, ist es daher zu verdanken, daß
es schon heute, am 25. März 1999, zu einer Abschlußberatung kommen kann.
({0})
Sowohl die Bundesregierung wie auch die Regierungskoalitionsfraktionen hatten die Absicht, Herr Kollege Meyer, die Ergänzung bzw. Änderung des DNAIdentitätsfeststellungsgesetzes auf die lange Bank zu
schieben.
({1})
Noch in der ersten Beratung am 21. Januar 1999 war
von seiten der Bundesregierung und der Regierungskoalitionsfraktionen ein anderes Verfahren beabsichtigt.
Ich verweise Sie auf das amtliche Protokoll der Bundestagssitzung vom 21. Januar 1999. Damals haben Sie
vorgetragen - sehr lautstark übrigens, Herr Kollege
Meyer -,
({2})
daß entsprechend dem Willen der Bundesregierung der
Bereich DNA-Identitätsfeststellungsgesetz in ein umfangreiches Strafverfahrensänderungsgesetz eingestellt
werden solle. Sie haben im Verlauf der Beratungen gemerkt, daß wir, wenn Sie bei diesem Verfahren, nämlich
der Einstellung in das Strafverfahrensänderungsgesetz,
geblieben wären, im Plenum des Deutschen Bundestages
nicht einmal einen Regierungsentwurf hätten beraten
können, weil der Bundesrat seinerseits mit seinen Mitwirkungsrechten erst am vergangenen Freitag seine
Erstbefassung mit diesem Thema abschließen konnte.
Jetzt wird im Verfahren die Frage sein, ob die Bundesregierung ihrerseits im Rahmen einer eigenen Stellungnahme, was sie tun kann, Bezug darauf nimmt.
Um es gleich deutlich zu sagen: Wäre hier so verfahren worden, wie von der Bundesregierung und von
Ihnen beabsichtigt, würde der Gesetzentwurf der Bundesregierung oder ein Gesetzentwurf, der auch nur im
entferntesten daranginge, dieses Problem zu lösen, heute
noch nicht einmal in erster Lesung beraten.
({3})
Herr Kollege Meyer und auch Herr Kollege Hartenbach, ich könnte Ihnen, wenn Sie das wünschen, aus
dem Protokoll vom 21. Januar 1999 vorlesen
({4})
- ich erspare es uns aber -, was Herr Meyer in seiner
Rede zum Verfahren gesagt hat. Unserem Drängen ist es
zu verdanken, daß Sie zwei Verfahrenswege gegenüber
der ursprünglichen Absicht verändert haben: Erstens.
Die Bundesregierung ist davon abgegangen, darauf
zu bestehen, daß das DNA-Identitätsfeststellungsgesetz
in den Gesetzgebungsvorgang eingebettet wird, der
ursprünglich im Zusammenhang mit dem Strafverfahrensänderungsgesetz beabsichtigt war.
({5})
Die Bundesregierung war damit einverstanden, daß Sie
von seiten der Regierungskoalitionsfraktionen einen
eigenen Gesetzentwurf, der in diesem Teil in etwa identisch ist, einbringen.
Das haben Sie dann, nach wochenlangen Debatten,
erst am 2. März 1999 mit einem Gesetzentwurf geschafft; das ist die zweite Verfahrensänderung. Sie wissen: Wenn wir als Opposition nicht zugelassen hätten,
daß die Beratungen heute hier stattfinden, weil wir zu
einem zügigen Abschluß nicht nur bereit sind, sondern
Dr. Jürgen Meyer ({6})
ihn auch für sinnvoll halten, dann könnten wir heute die
zweite und dritte Lesung im Plenum nicht vornehmen.
({7})
Deshalb sage ich zusammenfassend: Ohne die
CDU/CSU-Bundestagsfraktion hätte es diese Änderungen im Verfahren nicht gegeben, und ohne die
CDU/CSU-Bundestagsfraktion hätten Sie sich nicht dazu entschieden, das Verfahren zu beschleunigen. Dies
- das will ich hier ausdrücklich sagen - begrüßen wir.
Aber das ist auch das einzige, was wir in diesem
Zusammenhang positiv festhalten können. Ansonsten
lehnen wir Ihren Gesetzentwurf ab. Ich will versuchen,
Ihnen die entscheidenden Gründe vorzutragen.
({8})
Erstens. Die von den Regierungskoalitionsfraktionen
vorgesehene Auskunftsbeschränkung auf die Staatsanwaltschaft ist aus unserer Sicht auf keinen Fall
akzeptabel.
({9})
Zunächst ist aus unserer Sicht in Übereinstimmung mit
dem Strafverfahrensrecht der Auffassung zu folgen, daß
das Einverständnis des Betroffenen mit Speichelentnahmen und der anschließenden Untersuchung beachtlich ist, mithin es in diesen Fällen keiner zusätzlichen
staatsanwaltschaftlichen oder gerichtlichen Befassung
bedarf. Wenn dies so ist, würde allein der Suchlauf dazu
zwingen, daß die Staatsanwaltschaft mit dieser Angelegenheit befaßt ist. Hinzu kommt, daß die Auskunft des
Bundeszentralregisters der Bearbeitung bedarf. Es muß
etwa geklärt werden, wo sich ein Eingetragener befindet.
Mancher Eingetragene wird sich gar nicht mehr in
Deutschland aufhalten.
Diese Arbeit kann nach unserer Auffassung am besten die Polizei leisten. Zweckmäßig dürfte zunächst ein
Abgleich der Bundeszentralregisterdaten mit den BKAund LKA-Daten sein. Wenn dies so ist, macht es keinen
Sinn, zunächst die Staatsanwaltschaft mit der Angelegenheit zu befassen. Dies wäre eine unnötige Belastung,
die mit zahlreichen Fehlerquellen verbunden ist. In
jedem Fall muß nach unserer Auffassung auch der Polizei die Möglichkeit der Auskunftseinholung eröffnet
werden. Das Gesetz sollte so gestaltet sein, daß es alle
rechtsstaatlichen Möglichkeiten rechtlich absichert.
Zweitens. Daß das Gesetz einen Katalog zugrunde
legt, ist nicht unbedenklich im Blick darauf, daß damit
die Möglichkeiten des DNA-Identitätsfeststellungsgesetzes nicht ausgeschöpft werden. Aus gutem Grund
ist schon im Gesetzgebungsverfahren zum DNAIdentitätsfeststellungsgesetz ein Katalog verworfen worden. Zum Schutz der Bürgerinnen und Bürger vor
Straftaten kann es sinnvoll sein, zunächst einen engen
Suchlauf zu starten und nach einiger Zeit und bei vorhandener Kapazität einen weiteren. Dies muß nicht
präjudiziert werden. Insofern ist auch in diesem Zusammenhang das Konzept im Gesetzentwurf der
CDU/CSU-Fraktion eindeutig vorzugswürdig.
Drittens. Darüber hinaus ist der Straftatenkatalog,
der nunmehr im Gesetzentwurf der Koalitionsfraktionen
enthalten ist, nach unserer Überzeugung auch noch lükkenhaft, Herr Kollege Meyer. Im Straftatenkatalog fehlen nämlich etwa Verstöße gegen das Betäubungsmittelrecht, gegen das Waffen- und des Kriegswaffenkontrollgesetz sowie Verstöße gegen das Ausländergesetz, insbesondere hier das gewerbs- und bandenmäßige Einschleusen. Dies alles sind Straftatbestände, die eine Untersuchung gemäß dem DNA-Identitätsfeststellungsgesetz erfordern. In der Beschlußfassung des Rechtsausschusses sind diese Straftatbestände aber nicht enthalten,
weil die Regierungskoalition viel zu unbeweglich war,
auf ergänzende und sinnvolle Vorschläge im Rahmen
der Berichterstattergespräche einzugehen. Wenn man
Listen ins Gesetz schreibt, sollten sie einigermaßen vollständig sein.
({10})
Die Frage, warum man Drogendealer ausnimmt, Herr
Kollege, kann ich nun wirklich nicht beantworten.
Sie müssen versuchen, diese Tatsache der deutschen
Öffentlichkeit zu erklären.
({11})
Viertens. Nicht hinnehmbar ist die Beschränkung der
Auskunft auf zwei Jahre. Es ist überhaupt nicht einsichtig, warum bei der Wissenschaft, die nach dem Bundeszentralregistergesetz jederzeit Suchläufe beantragen
kann, ein anderer Maßstab angelegt wird als bei den
Strafverfolgungsbehörden. Klar ist, daß die Zweckbindung eingehalten werden muß. Wird die Zweckbindung
eingehalten, ist nicht ersichtlich, warum das Gesetz
einen sofortigen umfassenden Suchlauf mit riesiger Vorratsspeicherung erzwingt und nicht die Möglichkeit gibt,
je nach Vorgang Daten einzuholen - selbstverständlich
in dem Rahmen, den das Gesetz zu Recht vorgibt.
Insgesamt halten wir die Ergänzung bzw. Änderung
des DNA-Identitätsfeststellungsgesetzes auf der Basis
der Vorstellungen der Regierungskoalition für praxisuntauglich. Auf die Detailgenauigkeit der vorgesehenen Regelungen kann in den meisten Fällen verzichtet
werden, da sich die getroffenen Spezialregelungen in der
Regel aus allgemeinen Regeln des Bundeszentralregistergesetzes und des Bundesdatenschutzgesetzes ergeben. Die Bundesregierung und die sie tragenden Koalitionsfraktionen beweisen damit erneut, daß sie nicht in
der Lage sind, praxistaugliche Gesetze zu entwerfen.
({12})
Ich will jetzt aber ausnahmsweise auf Ihre Gedankenwelt eingehen. Angesichts der Tatsache, daß Sie bei
der Ausgestaltung solcher Gesetze detailverliebt sind
- das haben Sie bewiesen -, stellen wir fest, daß die Ergänzung bzw. Änderung des DNA-Identitätsfeststellungsgesetzes Wertungswidersprüche enthält. Ich will in
diesem Zusammenhang auf zwei Beispiele eingehen.
Erstens. Wenn man Ihren Gedanken bezüglich der
Detailregelungen folgt, muß man folgendes sagen: Die
von Ihnen vorgeschlagenen Ergänzungen bzw. Änderungen des DNA-Identitätsfeststellungsgesetzes enthalRonald Pofalla
ten einen bedeutsamen Mangel, Herr Kollege Meyer, da
eine ausdrückliche Verweisung auf den Richtervorbehalt fehlt. Demnach entscheidet im Rahmen einer
Anordnung nach § 81e und nach § 81f der Strafprozeßordnung der Richter nur über eine rein verfahrensbezogene Erforderlichkeit einer DNA-Analyse zum Zweck
der Zuordnung des Spermienmaterials bzw. der Feststellung der Abstammung. Damit entscheidet der Richter
aber nicht über das Vorliegen einer Straftat von erheblicher Bedeutung und einer besonderen Wiederholungsgefahr.
Da Sie den Bundesdatenschutzbeauftragten, Herrn
Dr. Jakob, zitiert haben, tue ich dies ebenfalls. Er hat in
seiner Stellungnahme vom 10. März auf den Wertungswiderspruch zu der Intention des DNA-Identitätsfeststellungsgesetzes hingewiesen. Der Verzicht auf die durch
einen Richter zu treffende Gefahrenprognose ist vom
Bundesdatenschutzbeauftragten deutlich kritisiert worden.
Zweitens. Der Straftatenkatalog - wir halten ihn für
falsch -, der nach der Vorstellung der Koalitionsfraktionen über 40 Straftatbestände enthält und nach dem ein
entsprechender Suchlauf beim Bundeszentralregister
veranlaßt werden kann, ist unvollständig und damit lükkenhaft. Ich hatte bereits darauf hingewiesen, daß nach
diesem Straftatenkatalog zum Beispiel Drogendealer
und bestimmte bandenmäßig Kriminelle durch einen
allgemeinen Suchlauf nicht überprüft werden können.
Warum also Drogendealer in den Genuß kommen sollen, nicht in einem Suchlaufverfahren enthalten zu sein,
müssen Sie schon selbst der Öffentlichkeit erklären.
({13})
Schließlich ist dieses Gesetz im Rahmen der Beratungen des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestages durch die Anträge der Koalitionsfraktionen noch
praxisuntauglicher geworden. Der Entwurf war bereits
praxisuntauglich; Sie haben ihm unserer Auffassung
nach in dieser Hinsicht aber noch verschlimmert.
Nach der nunmehr im Rechtsausschuß vorgeschlagenen Regelung darf die Registerbehörde die genannten
Eintragungen an die Staatsanwaltschaft übermitteln
- und jetzt kommt der von Ihnen neu vorgesehene
Zusatz -, in deren Zuständigkeitsbereich die letzte Eintragung wegen einer Katalogtat erfolgte. Ausweislich
der Begründung soll immer auf die letzte Katalogtat,
egal an welcher Stelle sie im Bundeszentralregister
steht, abgestellt werden.
Damit stellt sich das Problem, ob bei einer beschränkten Übermittlungsbefugnis der letzten eingetragenen Katalogtat an die Staatsanwaltschaft, in deren
Zuständigkeitsbereich die Tat eingetragen wurde, die bei
ihr eingehenden Daten über eine Person, die zwar von
ihr eingetragen wurde, die aber schon lange nicht mehr
in ihrem Bezirk wohnt, an die „nähere“ Staatsanwaltschaft weiter gegeben werden dürfen. Wie soll das Verfahren laufen, wenn zum Beispiel der wegen mehrfacher
Vergewaltigung verurteilte Straftäter aus München
nunmehr nach Hannover oder Erfurt verzogen ist? Dies
ist ein Beispiel für etwas, was, glaube ich, in der Praxis
häufiger vorkommt.
Darüber hinaus ergibt sich die Problematik, daß jede
Staatsanwaltschaft selbst für ihren eigenen Bezirk alle
einzelnen Katalogtaten, sei es durch eine Gesamtabfrage
über alle bisher vorgesehenen 41 Katalogtaten, sei es
durch 41 Abfragen über die einzelnen Katalogtaten,
wird erfragen müssen, um hinterher dem Vorwurf,
gefährliche Täter nicht erfaßt zu haben, begegnen zu
können.
({14})
Eine für alle Staatsanwaltschaften zentral vorgenommene Abfrage durch eine Staatsanwaltschaft eines Landes ist nach Ihrem Entwurf schon deshalb ausgeschlossen, weil sich die Übermittlungsbefugnis des Bundeszentralregisters allein darauf beschränkt, den einzelnen
Staatsanwaltschaften der letzten eingetragenen Katalogtat die einzelnen Personen mitzuteilen.
Aus all diesen Gründen - ich habe mich nur auf
einige wenige beschränkt - können wir als CDU/CSUBundestagsfraktion diesem Gesetz in zweiter und dritter
Lesung nicht zustimmen. Weil Sie der Überzeugung
sind, jedes Detail regeln zu müssen, und so ein Gesetz
geschaffen haben, das in der Praxis dazu führen wird,
daß wir mit Blick auf die Alttäter keine vernünftige
Gendatei werden aufbauen können,
({15})
lehnen wir diesen Gesetzentwurf ab.
({16})
Das
Wort hat nun der Kollege Volker Beck vom Bündnis 90/
Die Grünen.
Lieber Kollege Pofalla, zunächst zu loben, daß wir es
Ihnen zu verdanken haben, daß wir dieses Gesetz am
Donnerstag und nicht erst am Freitag verabschieden
können,
({0})
dann aber so an der Sache vorbei den Gesetzentwurf zu
kritisieren, das verwundert mich schon.
Was mich weniger verwundert, ist, daß Sie gegen
dieses Gesetz sind, weil wir bei der DNA-Identitätsfeststellungsgesetzgebung anders gearbeitet haben als in der
vergangenen Wahlperiode. Das ist richtig. Wir haben
sehr präzise Regelungen vorgeschlagen. Wir haben
Schluß gemacht damit, daß man den Aspekt der Rechtsstaatlichkeit und die Effizienz der Verbrechensbekämpfung gegeneinander ausspielt. Wir als Koalition
sind der Überzeugung, daß sich diese Aspekte nicht
widersprechen, sondern vorzüglich ergänzen. Das
beweist der vorliegende Gesetzentwurf.
({1})
Die Koalition wird sich von Ihrer Kritik nicht abhalten lassen, eine rationale Kriminalpolitik zu betreiben.
Allein die Tatsache, daß wir uns heute zusammenfinden,
um diese Materie zu regeln, zeigt, wie schlampig Sie in
der letzten Wahlperiode vorgegangen sind. Denn wir
schließen hiermit Regelungslücken, die aus der Gesetzgebung der letzten Wahlperiode übriggeblieben sind.
({2})
Wir beheben Mängel und Versäumnisse, die der alten
Regierungskoalition im vergangenen Jahr bei der hastigen Verabschiedung des DNA-Identitätsfeststellungsgesetzes unterlaufen sind.
Es geht bei diesem Entwurf nicht um eine Erweiterung der Gen-Datei. Das muß man der PDS sagen, die
den Gesetzentwurf aus ganz anderen Motiven ablehnt.
Ziel im Hinblick auf die Datei ist vielmehr eine Erleichterung der Vorbereitung, der Erfassung und der
Aufbereitung sogenannter Altfälle, also in der Vergangenheit wegen schwerer Straftaten bereits verurteilter
Täter.
Darüber hinaus wird endlich für die Datenspeicherung in der zentralen Gen-Datei eine umfassende
gesetzliche Grundlage geschaffen, wie es Datenschützer
und Bündnisgrüne seit langem anmahnen.
({3})
Ich bin froh, daß uns dies gelungen ist. Noch bei der
ersten Lesung Ihres Gesetzentwurfes meinten Sie, Herr
Pofalla, wir würden einer Novellierung nicht zustimmen
können. Jetzt haben wir erreicht, was wir vier Jahre lang
angemahnt haben. Dies betrifft auch die F.D.P.; denn
auch der ehemalige Bundesjustizminister wollte dieses
Ergebnis erzielen. Das war aber angesichts der Politik
der CDU/CSU, Rechtsstaatlichkeit und Verbrechensbekämpfung gegeneinander auszuspielen, nicht möglich
und nicht durchsetzbar. Wir haben es jetzt durchgesetzt.
Der Entwurf sieht eine Regelung vor, die es dem
Generalbundesanwalt erlaubt, Gruppenauskünfte aus
dem Bundeszentralregister an Staatsanwaltschaften und
an das Bundeskriminalamt zu erteilen, um die Daten von
in der Vergangenheit bereits verurteilten Straftätern zu
erlangen, bei denen typischerweise eine Genomanalyse
in Betracht kommt. Für eine solche systematische Anfrage an das Bundeszentralregister fehlt bislang die
Rechtsgrundlage. Eine solche Regelung zu schaffen
hatten Sie versäumt. Die Staatsanwaltschaften sind bislang auf die zeitaufwendige Durchsicht ihrer eigenen
Akten und Dateien angewiesen. Dies halten wir für zu
umständlich und für nicht sachgerecht. Durch dieses
Gesetz schaffen wir hier Abhilfe. Die Antwort auf die
Frage, ob im Anschluß an eine solche Abfrage eine
Aufnahme der Altfälle in die Gen-Datei erfolgt, ist
damit noch nicht vorweggenommen. Eine solche Abfrage bedarf in jedem Einzelfall einer weitergehenden
staatsanwaltschaftlichen Überprüfung und richterlichen
Anordnung.
Durch einen Straftatenkatalog wird abgesichert, daß
das Bundeszentralregister nicht seinen gesammelten
Datenbestand, sondern nur schwere Straftaten an die
anfordernden Staatsanwaltschaften übermittelt. Der Fall,
den Sie, Herr Pofalla, vorhin geschildert haben, ist
natürlich - es tut mir wirklich leid - durch die weiterbestehende Möglichkeit der Einzelabfrage völlig gedeckt.
({4})
Hier besteht keine Regelungslücke und kein Problem.
Also bauen Sie hier keine künstlichen Probleme auf!
Der Katalog wurde zwischen Bund und Ländern
unter Einbeziehung sowohl der Justiz- als auch der
Innenministerien abgestimmt. Anknüpfungspunkte sind
die Nebenklagedelikte, ergänzt um solche Delikte, bei
denen deliktstypisch DNA-Identifizierungsmuster am
Tatort gefunden werden - etwa bei Raub, Erpressung
oder Sexualdelikten.
Zur effektiveren Verfolgung von Gewalt- und
Sexualverbrechen hat der Gesetzgeber das Instrumentarium der DNA-Identitätsfeststellung gesetzlich geregelt.
Daran sollten wir uns erinnern und uns jetzt nicht uferlos
von dem früheren Gesetzgebungsvorhaben und dessen
Motiven entfernen. Der Katalog beansprucht jedoch
bewußt nicht, die gesamte Bandbreite von Straftaten von
erheblicher Bedeutung auszuschöpfen. Die hier anfallenden Datenmengen könnten in absehbarer Zeit überhaupt nicht abgearbeitet werden. Dies wäre also gar keine Hilfe für die Strafverfolgungsbehörden. Es bleibt den
Staatsanwaltschaften im übrigen unbenommen, per Einzelanfrage auch andere schwere Straftaten - etwa aus
dem Nebenstrafrecht - abzufragen.
Wir haben die Regelung auf zwei Jahre befristet; das
ist auch sachgerecht. Hiermit stellen wir sicher, daß die
Vorschriften tatsächlich nur für die Ermittlung der Altfälle herangezogen
({5})
und nicht von den Staatsanwaltschaften zum dauernden, regelmäßigen Abgleich des Registerbestandes
herangezogen werden, wie das in Ihrer Regelung möglich wäre.
Wir grenzen den Kreis der auskunftsberechtigten
Stellen auf diejenigen ein, die ein objektives Interesse an
einer Auskunft haben. Neben dem Bundeskriminalamt
sind auskunftsberechtigt nur die Staatsanwaltschaften, in
deren Zuständigkeit die letzte Eintragung erfolgte, da
diese zugleich für die Durchführung des Verfahrens zur
eventuellen Erhebung der DNA-Muster verantwortlich
sind. Es ist nicht notwendig, noch weitere Stellen einzuschalten, wie dies der Unionsentwurf vorsieht. Der Kollege Meyer hat es angesprochen. Sämtliche obersten
Bundes- und Landesbehörden wären nach Ihren Vorstellungen hier abfrageberechtigt, bis hin zum Landwirtschaftsministerium und zur Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung.
({6})
- Ich möchte wissen, was ein Gesetz soll, das Möglichkeiten schafft, von denen vernünftigerweise niemand
Gebrauch machen kann und Gebrauch machen will. SolVolker Beck ({7})
che Gesetze machen wir nicht. Vielmehr arbeiten wir
präzise, und das ist gut so.
({8})
Darüber hinaus beheben wir einen grundlegenden
Mangel des geltenden Gesetzes: Wir schaffen endlich
eine sämtliche Fälle der Datenerhebung umfassende
Regelung für die Erstellung und Nutzung der DNAAnalysedatei durch das Bundeskriminalamt. Denn angesichts der besonderen Sensibilität der Daten halten wir
es unter rechtsstaatlichen Gesichtspunkten für nicht länger hinnehmbar, daß in einem laufenden Ermittlungsverfahren erhobene Gen-Daten weiter ohne gesetzliche
Grundlage in der zentralen DNA-Analysedatei beim
Bundeskriminalamt gespeichert werden. Die Voraussetzungen für Einspeisung der Daten, ihre Verarbeitung
und Nutzung und die Auskunftserteilung werden deshalb nun unabhängig von der jeweiligen Rechtsgrundlage der Datengewinnung einer einheitlichen gesetzlichen Regelung zugeführt.
Ich möchte Ihnen auch ins Stammbuch schreiben:
Das ist für die Strafverfolgung wichtig. Sie haben das
Risiko in Kauf genommen, daß zu Unrecht gespeicherte
Daten als zentrales Beweismittel bei der Verurteilung
eines Sexualstraftäters zugrunde gelegt werden und dieser freigesprochen werden muß, weil die Speicherung
nicht gesetzlich geregelt war. Dieses Risiko schaffen wir
ab. Insofern ist das Gesetz, wie schon zu Anfang gesagt,
ein gutes Gesetz für die Verbrechensbekämpfung und
für den Rechtsstaat.
({9})
Das
Wort hat jetzt der Kollege van Essen von der F.D.P.Fraktion.
Herr Präsident! Meine
Damen und Herren! Ich bin ohne Manuskript hierhergekommen, weil nicht auch ich noch eine Rede vorlesen
will. Ich glaube, daß die Problematik von den Vorrednern deutlich dargestellt worden ist. Es gibt einen Gesichtspunkt, auf den noch einmal eingegangen werden
muß. Damit möchte ich beginnen.
Wir haben im letzten Jahr die Weichenstellungen
vorgenommen, um die DNA-Analyse im Strafprozeß
besser verwenden zu können. Es hat damals eine breite
Zustimmung gegeben - sowohl bei der CDU/CSU, als
auch bei der SPD und bei der F.D.P. -, das so zu regeln,
wie es damals vorgelegt worden ist. Wir als F.D.P.
haben uns damals damit schwergetan, weil wir eine
andere, eine breitere gesetzliche Grundlage haben wollten. Der damalige Bundesinnenminister hat dies leider
verhindert, weil er immer wieder behauptet hat, daß
alles geregelt sei.
({0})
- Er wollte gar kein Gesetz; Herr Kollege Meyer, Sie
haben vollkommen recht.
({1})
Ich kann mich an mehrere Koalitionsrunden erinnern, in
denen sogar der Fraktionsvorsitzende der CDU/CSU die
Auffassung vertreten hat, daß es einer breiten gesetzlichen Grundlage bedürfe. Aber auch er hat sich nicht
durchgesetzt.
Ich bedauere es deshalb sehr, daß sich der Bundestag
mit bestimmten Materien mehrfach befassen muß,
anstatt von vornherein ein wirkliches Meisterstück vorzulegen.
({2})
- Wir haben selber mitgestimmt - ich habe das überhaupt nicht bestritten -, und zwar deshalb, weil uns sehr
daran gelegen war, zunächst einmal zu einer Regelung
zu kommen. Ich weiß, daß das auch das Motiv für die
SPD war.
Herr
Kollege van Essen, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Abgeordneten Geis?
Nein, möchte ich nicht.
Denn das Ganze ist überhaupt nicht, auch nicht durch
Zwischenfragen, vom Tisch zu wischen. Deshalb
möchte ich das auch so im Raume stehenlassen, wie es
nun einmal gewesen ist.
({0})
- Es war exakt so; ich erinnere mich noch sehr genau an
die Gespräche insbesondere in der Koalitionsrunde.
({1})
Von daher sind wir gut beraten, diesmal mit Augenmaß
an die Dinge heranzugehen.
Es ist durchaus ungewöhnlich, daß eine Oppositionsfraktion einem Koalitionsentwurf zustimmt. Wir tun das,
weil wir der Auffassung sind, daß das, was von den
Koalitionsfraktionen nach den Berichterstattergesprächen vorgelegt worden ist, ein vernünftiger Mittelweg
ist, der die verschiedenen Interessen in angemessener
Weise berücksichtigt.
({2})
Ich darf an eines erinnern, weil das Thema Datenschutz angesprochen worden ist. Es wird sehr schnell
gesagt: Datenschutz ist Täterschutz. - Ich halte das für
falsch. Datenschutz darf natürlich nie Täterschutz sein.
Aber Datenschutz dient auch dem Schutz der Justiz.
Wenn wir klare Regelungen der Datenverwendung
schaffen, schließt das Mißbrauch aus und führt dazu,
Volker Beck ({3})
daß auch die Justiz verantwortungsvoll mit den Daten
umgeht.
({4})
Ich denke, daß hier ein Weg gefunden worden ist, genau
das sicherzustellen.
Auch ein zweiter Aspekt ist mir wichtig - Herr
Pofalla hat das kritisiert -, nämlich die Position der
Staatsanwaltschaft. Ich persönlich finde es richtig, daß
wir eine herausgehobene Verantwortung der Staatsanwaltschaft, und zwar der Staatsanwaltschaft, die sich als
letzte mit den Katalogtaten zu befassen hatte, in das
Gesetz aufnehmen.
({5})
- Das ist nicht kompliziert, sondern schlicht und einfach
vernünftig. Sie wissen, ich selbst komme aus der Staatsanwaltschaft.
({6})
Von daher weiß ich, daß es eine vernünftige Regelung
ist, daß das genau dort angesiedelt wird.
Die verschiedenen Beispiele machen deutlich, daß
wir hier einen vernünftigen Mittelweg gefunden haben.
Ich weiß, daß auch Länder, in denen die F.D.P. mitregiert, nicht mit allen Regelungen einverstanden sind.
Aber das Fazit war für uns klar und eindeutig: Wir können diesem Gesetzentwurf zustimmen. Damit wird ein
Ziel erreicht - das ist für uns das wichtigste -, daß nämlich Straftaten, insbesondere Sexualstraftaten an Kindern, schnellstmöglich aufgeklärt und - was noch besser
wäre - nach Möglichkeit verhindert werden. Wenn wir
dazu einen Beitrag leisten können, dann ist das das
Beste, was wir als Parlament machen können.
Herzlichen Dank.
({7})
Das
Wort hat nun die Kollegin Dr. Evelyn Kenzler von der
PDS-Fraktion.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die
PDS hat bereits in der 13. Wahlperiode sowohl aus
grundsätzlichen und insbesondere grundrechtlichen
Erwägungen heraus, aber auch wegen rechtstaatlicher
Bedenken gegen das DNA-Identitätsfeststellungsgesetz
gestimmt. Auch wenn der von SPD und Bündnis 90/Die
Grünen vorgelegte Gesetzentwurf auf zum Teil mehr
Rechtssicherheit bei der Umsetzung des DNA-Gesetzes
abzielt, zum Beispiel durch Einführung eines konkreten
Straftatenkataloges, wiegen die Gründe für die Ablehnung beider Entwürfe aus unserer Sicht nach wie vor
schwerer als mögliche Zustimmungserwägungen. Ich
möchte das im einzelnen kurz begründen.
Zum einen ändern auch die Erstellung eines Straftatenkatalogs und die gesetzliche Einführung von Anfrage-, Übermittlungs- und Datenabgleichungsbefugnissen nichts an den weiterhin bestehenden Grundrechtsproblemen. Bei der Genanalyse geht es nicht nur um ein
neues, modernes Identifizierungsmuster als bloße technische Weiterentwicklung des traditionellen Fingerabdrucks. Es ist nach wie vor nicht auszuschließen, daß der
sogenannte genetische Fingerabdruck die Möglichkeit
der Erstellung eines umfassenden Persönlichkeitsprofils
bietet
({0})
und damit weit über unverwechselbare äußere Merkmale
hinausgeht. Nicht von ungefähr warnen eine Reihe von
Bürger- und Menschenrechtsorganisationen davor, daß
gentechnischer Fortschritt zugleich menschenrechtlichen
Rückschritt bedeuten kann.
Neben der potentiellen Gefahr einer genetischen Erfassung vieler Bürgerinnen und Bürger wird zu Recht
immer wieder davor gewarnt, daß diese Identifizierungsmöglichkeit als Einstieg in eine systematische
Verletzung der Integrität von straffällig gewordenen
Menschen benutzt werden kann. Art. 1 und 2 des
Grundgesetzes schützen die Würde des Menschen und
die Freiheit der Person. Nicht der Entwurf von SPD und
Bündnis 90/Die Grünen und schon gar nicht der
CDU/CSU-Entwurf sind dazu geeignet, diese potentiellen vom DNA-Gesetz ausgehenden Grundrechtsgefahren zu beseitigen. Dies ist aber gerade die Verantwortung des Gesetzgebers. Wir erkennen dabei aber auch,
daß diese Gefährdungsmomente nicht allein durch
gesetzgeberische Maßnahmen auszuschließen sind. Im
übrigen bedarf es in diesem Zusammenhang expliziter
Strafvorschriften gegen den Mißbrauch von genetischem
Material.
Zum anderen haben wir erhebliche rechtsstaatliche
Bedenken zu Einzelfragen. Auch der Gesetzentwurf
meiner Kolleginnen und Kollegen von den Regierungsfraktionen korrigiert nicht die Erfassung der sogenannten Altfälle, das heißt von Tätern, die ihre Strafe bereits
verbüßt haben. Vielmehr ermöglicht er eine Entnahme
von Körperzellen, solange die entsprechende Eintragung
im Bundeszentralregister noch nicht getilgt ist. Die
Schaffung einer solchen Genverbrecherdatei setzt die
Betroffenen im nachhinein einem pauschalen Generalverdacht aus, steht dem Resozialisierungsgedanken entgegen und ist potentiell dazu geeignet, dauerhaft Verbrecherpersönlichkeiten zu konstruieren. Sie läuft damit
der Achtung der Menschenwürde zuwider, zumal die
inhaltlichen Kriterien der Erfassung in Anbetracht der
Schwere des Eingriffs zu unbestimmt sind.
({1})
Der jetzt erstellte Straftatenkatalog zeigt zwar das
Bemühen um mehr Rechtssicherheit; er ist im Vergleich
zur bisherigen Generalklausel ein deutlicher Fortschritt.
Kritik wird jedoch zu Recht an der Aufnahme von
Delikten wie Vollrausch oder Körperverletzung im Amt
geübt. Auch § 129 Strafgesetzbuch hat wegen unserer
grundsätzlichen Kritik an dieser Strafbestimmung nichts
in dem Katalog zu suchen, da er den Geruch von Gesinnungsstrafrecht hat. Aus diesen Gründen werden wir
diesen beiden Entwürfen nicht zustimmen.
Danke.
({2})
Abschließend hat das Wort die Bundesministerin Dr. Herta
Däubler-Gmelin.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lieber Kollege Pofalla, als ich Ihre Rede gehört habe, habe
ich befürchtet, es würde wieder ein Diskussion werden,
wegen der uns die Menschen, die Juristen so lieben;
denn eine solche Mischung aus Selbstlob, Verriß und
Verwirrspiel führt dazu, daß kein Mensch mehr weiß,
worum es geht.
({0})
Ich war froh, daß einige der anderen Redner dann noch
klargemacht haben, was wir heute hier eigentlich tun.
Lassen Sie es mich mit einem Satz sagen: Wir reparieren
ein Versäumnis, einen Fehler, der im letzten Jahr - ({1})
- Natürlich. Ich komme gleich noch darauf zu sprechen.
Ich will aber erst einmal einen Satz zu Ende sprechen
dürfen: Wir reparieren einen Fehler, den Sie in Ihrer
Allwissenheit im letzten Jahr hinterlassen haben. Das
tun wir innerhalb der ersten zehn Sitzungswochen der
Legislaturperiode.
({2})
Ich finde, das sollte sehr deutlich gemacht werden.
({3})
Ich komme jetzt zu dem, was Sie gesagt haben. Lieber Herr Pofalla, ich habe im Gegensatz zu Ihnen überhaupt kein Problem damit, auch einmal anderen, in diesem Fall Ihnen, Lob oder Zustimmung vor die Tür zu
legen, wenn es verdient ist.
({4})
Am 24. Juni des letzten Jahres hat der Deutsche Bundestag beschlossen, daß die Nutzung des genetischen
Fingerabdrucks in der Strafprozeßordnung verankert
werden soll. Auch wenn Sie sich jetzt aufregen: Daß das
möglich wurde, lag weniger an Ihnen, als vielmehr auch
an Professor Jürgen Meyer, der bereits vorher über viele
Jahre die Vorarbeit geleistet hatte.
({5})
Wenn Sie jetzt schon loben, dann seien Sie doch großzügig, und sagen Sie: Ehre, wem Ehre gebührt.
Was wollten wir im letzten Jahr? Was haben wir - da
haben Sie völlig Recht, Herr Pofalla - auch mit meiner
Stimme, mit unseren SPD-Stimmen gemacht? Wir
wollten erreichen, daß alles getan wird, was getan werden kann, um sicherzustellen, daß die schrecklichen
Verbrechen, wie sie in den letzten Jahren insbesondere
an Kindern verübt worden sind, möglichst schnell aufgeklärt werden können. Dazu dienen diese neuen Möglichkeiten mit dem genetischen Fingerabdruck.
Wir haben damals gewarnt - ich brauche darauf nicht
mehr besonders einzugehen -, daß im damaligen HuschHusch-Verfahren und mit den ideologischen Verkrampfungen damals - Herr van Essen hat darauf hingewiesen - eine vernünftige Rechtsgrundlage nicht geschaffen
werden konnte. Darüber ist die Regierung damals hinweggegangen. Der Vorwurf der Arroganz wäre da richtig und angemessen gewesen.
({6})
Warum, meine Damen und Herren? Nicht - Herr
Pofalla, ich glaube, das ist ein Punkt, der hier klarwerden muß -, weil es nach Ihrem Gesetzentwurf überhaupt
nicht möglich gewesen wäre, bei Tätern Genproben zu
entnehmen, die wegen einer erheblichen Straftat bereits
rechtskräftig verurteilt worden sind, falls die entsprechende Eintragung dieser Straftat im Bundeszentralregister noch nicht getilgt ist, sondern einfach deswegen, weil die dafür nötige Auswertung von erheblichen
Aktenbeständen bei den zuständigen Länderbehörden in
der Praxis zu aufwendig wäre.
Nachdem man das in den Ländern festgestellt hat,
sind sie gekommen und haben gesagt: Wir brauchen
eine Reparatur. Diese Reparatur, meine Damen und
Herren, habe ich ihnen im letzten November bei der
Justizministerkonferenz zugesagt. Wir haben diese
Reparatur in einen Gesetzentwurf der Bundesregierung
eingebracht, da haben Sie völlig recht.
({7})
- Natürlich liegt er vor.
({8})
Wenn Sie nicht ganz so schnell wären, dafür gelegentlich aber noch ein bißchen rechnen würden, dann würden Sie feststellen, daß es grundgesetzliche und geschäftsordnungsmäßige Fristen gibt. Wenn die Bundesregierung einen Gesetzentwurf vorschlägt und einbringt,
hat der Bundesrat ein Recht, darüber zu beraten. Erst
dann kommt der Entwurf in den Bundestag. Aber das
wissen Sie ja aus den letzten 16 Jahren. Das hat sich
auch nicht verändert.
Damit ich Sie wieder versöhne: Sie haben in einem
Punkt recht. Es war völlig richtig, auch von Ihnen als
Opposition - lassen Sie mich sagen, diese Rolle spielen
Sie vorzüglich -,
({9})
auf ein schnelleres Verfahren zu drängen. Deswegen bin
ich den Koalitionsfraktionen sehr dankbar, daß sie den
DNA-Teil des StVÄG herausgelöst und in einem Koalitionsentwurf übernommen haben und daß wir jetzt in der
Lage sind, ihn heute nicht nur abschließend zu beraten
und zu beschließen, sondern ihn auch möglichst schnell
in Kraft treten zu lassen.
Die Länder haben jetzt den Nutzen davon. Es besteht
nun die Möglichkeit, den Datenbestand des Bundeszentralregisters auf einfachere Weise zur Verfügung zu
stellen und damit die Strafverfolgung zu verbessern.
Genau das tun wir. Genau das wollen wir.
Wenn Sie dafür stimmen, finde ich das prima. Dann
können wir - diesen Vorschlag darf ich an die Kolleginnen und Kollegen der Koalitionsfraktionen richten - diesen Teil der Unterstützung von seiten der Opposition
durchaus honorieren. Ich finde aber, Herr Pofalla, Sie
sollten dann sozusagen im Gegenzug auch zugeben, daß
Sie in den Punkten, in denen sich Ihr Gesetzentwurf von
dem der Koalitionsfraktionen unterscheidet, sachlich
nicht recht haben,
({10})
und zwar aus folgenden Gründen.
Der erste Punkt - darauf ist schon hingewiesen worden -: Die Erhöhung der Sicherheitsstandards muß
keineswegs mit der Aufgabe oder Verwässerung des
rechtsstaatlich Gebotenen erkauft werden. Datenschutz
und Sicherheit sind keine sich ausschließenden Gegensätze. Wenn Sie das aber nicht verstehen - ich habe die
ganze Zeit gehört, daß Sie an dieser Grundfrage immer
noch herumdiskutieren -, dann lassen Sie sich sagen:
Die Sozialdemokraten, die Freien Demokraten - ich bin
dankbar, daß sie das auch so sehen - und die Grünen
sowieso, wir alle werden darauf drängen, daß eine Erhöhung der Sicherheitsstandards mit Rechtsstaatlichkeit
und auch Persönlichkeitsschutz - in diesem Rahmen
auch Datenschutz - vereinbar gemacht werden. Das ist
genauso notwendig wie die Vereinbarung von Gerechtigkeit und Modernisierung in unserem Land.
({11})
Der zweite Punkt: Ein Blick auf die Bedeutung dieser
Reparatur hätte Sie schnell zu der Antwort auf die Frage
geführt, welche Stellen die betreffenden Daten überhaupt benötigen. Dann wären Sie sehr schnell darauf
gekommen, daß der Einwurf des Kollegen van Essen
richtig und nicht mit dem Satz zu beantworten war, er
sei ja bei der Staatsanwaltschaft gewesen; das erschwere
die Angelegenheit nur.
Die Staatsanwaltschaften sind zur Strafverfolgung
berufen. Sie sind ebenfalls zur Anordnung von DNAProben berufen. Also war es sinnvoll, praktisch und
richtig, die Staatsanwaltschaften jetzt nicht nur zu ermächtigen, sondern sie schließlich dafür zu bestimmen.
Daß das Bundeskriminalamt ebenfalls zu den abfrageberechtigten Stellen gehört, ist nicht ideologisch
begründet, sondern richtig, weil dort die Haftdatei
angesiedelt ist. Das macht also wirklich Sinn.
Der dritte Punkt ist der Straftatenkatalog. Ich
glaube, daß man auch darüber nicht so ideologisch
eifern muß. Jeder weiß, daß mit diesem Straftatenkatalog keine abschließende Definition etwa der „Straftaten
von erheblicher Bedeutung“ geliefert worden ist. Das
steht übrigens auch ausdrücklich in der Begründung des
Gesetzentwurfes. Sollte der Straftatenkatalog in einem
der Punkte - es müßte dann im einzelnen nachgewiesen
werden, daß das eine Rolle spielt - erweitert werden
müssen, dann besteht dazu die Möglichkeit. Außerdem
gibt es die Einzelsuche auf dem traditionellen Weg. Das
heißt, es gibt hier kein Problem. Wir gehen nicht unter
dem Aspekt vor: Was sagt meine Ideologie, was muß
ich deshalb hineinschreiben? Vielmehr fragen wir: Was
ist erforderlich, was brauchen wir zur Erhöhung der
Sicherheitsstandards und gleichzeitig zur Beachtung des
rechtsstaatlich und grundgesetzlich gebotenen Datenschutzes? Deswegen ist die Form, die wir gewählt
haben, sachgemäß.
Der vierte Punkt: Ich habe nicht verstanden, warum
Sie die Befristung kritisiert haben. Es handelt sich um
einen Suchlauf im Bundeszentralregister. Selbst wenn
ich verstanden hätte, was Sie daran zu kritisieren haben,
Herr Pofalla, müßte ich Ihnen sagen: Man muß doch
schon deswegen für eine Befristung sein, weil sie vor
allem der Beschleunigung der Abfragen durch die
Staatsanwaltschaften und das Bundeskriminalamt dient.
Eben wegen dieser Befristung kann den Abfragen Nachdruck verliehen und können die Daten schnell zur Verfügung gestellt werden. Dadurch kann die Strafverfolgung auch entsprechend schneller funktionieren. Deswegen ist die Befristung sachgerecht. Ich denke, das
müßte doch auch Ihnen einleuchten.
Lassen Sie mich zusammenfassen: Es handelt sich
um ein Reparaturgesetz; und es wäre gut gewesen, wenn
man gar nicht erst hätte reparieren müssen. Ich wiederhole das in ganz mildem Ton und nicht etwa als Vorwurf, obwohl Sie lange genug Zeit gehabt hätten, alles
gleich vernünftig zu machen. Wir reparieren in ganz
kurzer Zeit, und zwar nach den Grundsätzen, die die
Praxis braucht, gleichzeitig aber so, daß die Sicherheitsstandards unter Achtung des Persönlichkeits- und des
Datenschutzes und damit eines tragenden Elements des
Rechtsstaatsprinzips erhöht werden.
Ihre Zustimmung ist also nicht nur geboten, sondern
auch sinnvoll. Ich fände es prima, wenn sich dem auch
die bisher kritischen Kolleginnen und Kollegen der
Union anschließen könnten.
Herzlichen Dank.
({12})
Ich
schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den von den
Fraktionen der SPD und Bündnis 90/Die Grünen eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung des DNAIdentitätsfeststellungsgesetzes, Drucksachen 14/445 und
14/658 Buchstabe a. Ich bitte diejenigen, die dem GeBundesministerin Dr. Herta Däubler-Gmelin
setzentwurf in der Ausschußfassung zustimmen wollen,
um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Bei Gegenstimmen der CDU/CSU-Fraktion und
der PDS-Fraktion und bei Zustimmung von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und der F.D.P. ist der Gesetzentwurf
in zweiter Beratung angenommen.
Dritte Beratung
und Schlußabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben.
- Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist bei den gleichen Mehrheitsverhältnissen in
dritter Lesung angenommen.
({0})
Wir kommen zur Beschlußempfehlung des Rechtsausschusses zu dem Gesetzentwurf der Fraktion der
CDU/CSU zur Ergänzung des DNA-Identitätsfeststellungsgesetzes, Drucksachen 14/43 und 14/658 Buchstabe b. Der Ausschuß empfiehlt, den Gesetzentwurf für
erledigt zu erklären. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Dann ist
diese Beschlußempfehlung mit den Stimmen von SPD,
Bündnis 90/Die Grünen und F.D.P. angenommen.
Interfraktionell ist vereinbart, den Tagesordnungspunkt 7 sowie die Zusatzpunkte 5a und 5b - Beratung
der Anträge zu feierlichen Gelöbnissen der Bundeswehr
in der Öffentlichkeit - von der Tagesordnung abzusetzen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall.
Dann ist das so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 8 auf:
Erste Beratung des von den Abgeordneten Norbert Geis, Ronald Pofalla, Dr. Jürgen Rüttgers,
weiteren Abgeordneten und der Fraktion der
CDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines … Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuches
- Rauschtaten-Strafschärfungsgesetz - Drucksache 14/545 Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuß ({1})
Innenausschuß
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. - Ich
höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Als erster Redner hat der
Kollege Norbert Geis von der CDU/CSU-Fraktion das
Wort.
Herr Präsident! Meine
sehr verehrten Damen und Herren! Immer wieder kann
man in den Zeitungen lesen, in den Medien hören und
sehen, daß ein Rauschtäter eine schwere Tat begeht,
aber nicht nach der Schwere seiner Tat, sondern nach
seinem Rauschzustand bestraft wird. Es gibt ein Mißverhältnis zwischen der Schwere der Tat und der darauf
folgenden Strafe.
Zum Beispiel begeht in Berlin bei einer Sportveranstaltung ein volltrunkener Zuschauer einen Mord an
zwei Mitzuschauern und wird dafür am Schluß zu fünf
Jahren Freiheitsstrafe verurteilt, weil im § 323a StGB
nur ein Höchststrafrahmen von fünf Jahren vorgesehen
ist.
Ein weiteres Beispiel: In Berlin schießt ein volltrunkener Autofahrer mit 3,4 Promille im Blut auf einen
Polizeibeamten, trifft ihn tödlich und verletzt zwei weitere Polizeibeamte schwer. Der 34jährige Polizeibeamte
hinterläßt Frau und drei Kinder. Am Ende kann - ich
sage ganz bewußt: kann - der Täter nur mit fünf Jahren
Freiheitsentzug bestraft werden, weil das der maximale
Strafrahmen ist.
Dieses krasse Mißverhältnis von Tat und Strafe erregt
Aufsehen und verunsichert auch die Bevölkerung. Es
treten auch Zweifel auf, ob die Strafgerichtsbarkeit in
diesen Fällen noch wirklich als Ordnungsmacht angesehen werden kann. Deshalb sind wir der Meinung, daß
wir uns Gedanken darüber machen müssen, wie dieses
Mißverhältnis beseitigt werden kann.
Über die zwei Beispiele, die ich gerade genannt habe,
mag man sagen, daß sie an den Haaren herbeigezogen,
daß sie von den Zeitungen besonders hochgepuscht
worden und nur Einzelfälle seien. Dem ist aber nicht so.
Jährlich werden in der Bundesrepublik Deutschland im
Zusammenhang mit einer Rauschtat ungefähr 5 000 bis
6 000 Urteile gefällt. Das ist nicht wenig.
Deswegen machen sich Richter, Staatsanwälte und
Politiker Gedanken darüber - auch in der Literatur lassen sich solche Überlegungen finden -, wie diese Verhältnisse geändert werden können. Die SPD selbst hat
1993 hier im Bundestag in einer Anfrage zur Strafrahmenharmonisierung vorgeschlagen, den Strafrahmen für
Rauschtaten zu verändern. Das Land Berlin hat bereits
einen entsprechenden Gesetzentwurf im Bundesrat eingebracht, der aber dort steckengeblieben ist.
Wir gehen bei unserem Entwurf, wie ich meine, von
einem neuen Ansatz aus. Bislang wird darüber diskutiert, den Strafrahmen des § 323a StGB, also den Rahmen für die Bestrafung einer im Vollrausch begangenen
Tat, von fünf auf zehn Jahre zu erweitern. Dabei soll
auch nach unseren Überlegungen nach wie vor daran
festgehalten werden, daß nicht die im Rausch begangene
Tat, sondern der Rausch selbst bestraft wird, wie das
auch jetzt schon im Gesetz vorgesehen ist. § 323a StGB
bezieht sich ja auf den Rausch und nicht auf die Tat. Die
Tat kann nicht der Grund für den Schuldvorwurf sein,
weil sie ja im besinnungslosen Zustand begangen wird.
Wohl aber ist die Tat der Anlaß für die Strafbarkeit. Sie
ist die Bedingung für die Strafbarkeit. Wir kennen ja
auch andere solche Fälle im Strafgesetzbuch.
Weil dies so ist, meinen wir, daß man auch an den
Strafrahmen für die im Rausch begangene Tat anknüpfen sollte und den Strafrahmen des § 323a StGB aufgeben sollte. Man sollte sich also an den Strafrahmen für
die jeweils im Rausch begangene Tat halten, natürlich
unter Einbeziehung einer zwingend vorgeschriebenen
Milderung gemäß § 49 des Strafgesetzbuches.
Vizepräsident Dr. Hermann-Otto Solms
Auf diese Weise würde man erreichen, daß ein Mord,
der im Rausch begangen wird, nach dem für diese Tat
vorgesehenen Strafrahmen bestraft wird und nicht mehr
nach dem Strafrahmen des § 323a StGB, der maximal
fünf Jahre beträgt. Eine schwere Körperverletzung würde dann nach dem Strafrahmen für schwere Körperverletzungen und Einbruchsdiebstahl nach dem jeweils
dafür vorgesehenen Strafrahmen beurteilt werden.
Damit folgen wir, so glauben wir jedenfalls, der
Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes, die schon
immer bei der Bestrafung des Rauschtäters von der Tat
ausgegangen ist, die im Rausch begangen worden ist,
und insofern schon immer zwischen Tat und Rausch differenziert hat. Wir meinen auch, daß es den Erwartungen und dem Rechtsgefühl der Bevölkerung entspricht,
wenn man nicht von dem Strafrahmen eines starren
Gefährdungsdeliktes, sondern vom Strafrahmen für die
jeweils begangene Tat ausgeht. Wir glauben, daß dies
nicht im Widerspruch zu der Vorstellung steht, man
müsse an der Rauschtat selbst an § 323a StGB festhalten. Daran wollen wir nach wie vor festhalten. Nur, wir
bilden die Strafe für eine solche Tat nicht mehr auf
Grund des Rausches selbst, sondern auf Grund der im
Rausch begangenen Tat. Das ist, wie ich meine, der
neue Ansatz.
({0})
- Die Schuld liegt nach wie vor im Rausch, sie kann
nicht in der jeweiligen Tat liegen. Herr Ströbele, sie
kann deshalb nicht in der Tat liegen, weil die Tat, wie
ich bereits gesagt habe, in besinnungslosem Zustand
begangen wird.
Der Schuldvorwurf ergibt sich aus dem Rausch, und
der Rausch ist ein abstraktes Gefährdungsdelikt, um
einmal in der Fachsprache zu reden. Bei der Strafzumessung aber gehen die Gerichte jetzt schon von der
Schwere der Tat aus. Wenn sie zum Beispiel Strafen bis
zu fünf Jahren Haft verhängen, gehen sie von der
Schwere der Tat aus. Wir wollen diese Fünfjahresgrenze
sprengen und, generell festgelegt, vom Strafrahmen der
jeweils im Rausch begangenen Tat ausgehen. Das ist
unser neuer Ansatz.
Wir meinen, daß wir dadurch das krasse Mißverhältnis, das in der Rechtsprechung immer wieder auftritt,
beseitigen können. Wir meinen, mit unserem Gesetzentwurf einen Diskussionsbeitrag geliefert zu haben.
Dies ist schließlich ein Thema, dem wir uns zu widmen
haben und dem sich der Bundesrat ebenfalls widmet. Es
gibt inzwischen einen Gesetzentwurf, der von Bayern
und Berlin erstellt worden ist. Berlin ist von seinem
ursprünglichen Gesetzentwurf abgegangen und wendet
sich den Gedanken zu, die ich gerade vorzutragen versucht habe.
Danke schön.
({1})
Das
Wort hat nun der Kollege Dirk Manzewski, SPD.
Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! § 323 a StGB bedroht
den schuldhaft herbeigeführten Rausch als abstraktes
Gefährdungsdelikt mit Strafe. Grund für die Strafbarkeit
ist die Gefährlichkeit des Rausches. Der hier diskutierte
Gesetzentwurf der CDU/CSU will die eigenständige
Strafandrohung des Vollrausches entfallen lassen und
den Täter mit der Strafe bestrafen, die für die im Rausch
begangene Tat angedroht ist.
Zur Begründung wird ausgeführt, daß mit dem Tatbestand des Vollrausches die Fälle nicht angemessen
geahndet werden könnten, in denen besonders schwere
Straftaten begangen würden. Es sei einfach nicht länger
hinnehmbar, daß etwa dem Amokläufer, der im Vollrausch andere Menschen lebensgefährlich verletze oder
gar töte, allenfalls eine Freiheitsstrafe von fünf Jahren
drohe.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Vollrauschtatbestand gehört zu den dogmatisch schwierigsten Vorschriften des Strafgesetzbuches. Die hieraus resultierenden Probleme sind altbekannt und haben gerade - Kollege Geis hat zu Recht darauf hingewiesen - in den
letzten Jahren durch spektakuläre Fälle zusätzlich Nahrung erhalten. Ich nehme den Fall aus Berlin auf - Kollege Geis hat ihn bereits genannt -, bei dem ein völlig
betrunkener Autofahrer mit fast 4 Promille Alkoholkonzentration im Blut von der Polizei angehalten wurde und
sofort das Feuer auf die Polizisten eröffnete. Einer von
ihnen starb, zwei andere wurden erheblich verletzt.
Die Bekämpfung der Gewaltkriminalität stellt
- darin sind wir uns sicherlich alle einig - ein zentrales
gesellschaftliches Anliegen dar. Alkohol- und Drogenmißbrauch stehen oft in engem Zusammenhang mit
Gewaltkriminalität und sind häufig ursächlich für diese.
Ich kann daher durchaus verstehen, daß in der Öffentlichkeit in diesem Zusammenhang die Forderung nach
einer höheren Bestrafung solcher Täter erhoben wird;
denn es handelt sich gerade hierbei um einen besonders
sensiblen Bereich, der die Sicherheitsbelange der Bevölkerung in besonderem Maße betrifft.
Ich habe jedoch erhebliche Bedenken, ob der Gesetzentwurf der CDU/CSU der richtige Ansatzpunkt zur
Lösung dieser Probleme ist.
({0})
Ich habe sie vor allem deshalb, weil die begehrte Regelung eine Ausnahme von den grundsätzlichen Folgen
einer Schuldunfähigkeit im Sinne von § 20 StGB darstellen würde. Bei Vorliegen der Voraussetzungen des
§ 20 StGB kann - so ist es nun einmal im Gesetz verankert - ein Täter mangels Schuld nicht bestraft werden.
§ 323a StGB erfaßt nun gerade die Fälle, in denen der
Täter für eine Straftat nicht zur Verantwortung gezogen
werden kann, weil er eben im Zustand der Schuldunfähigkeit gehandelt hat bzw. dies nicht ausgeschlossen
werden kann. § 323a StGB steht dabei selbst nicht im
Widerspruch zu § 20 StGB, weil § 323a StGB die
schuldhafte Herbeiführung des Rauschzustandes und
nicht die im Rausch sodann begangene Tat bestraft.
Herr Kollege Geis, da aber die schuldhafte Herbeiführung des Rauschzustandes und nicht die im Rausch
sodann begangene Tat für § 323 a StGB maßgeblich ist,
wäre es nach meiner Auffassung systemwidrig und
dogmatisch bedenklich, den Strafrahmen gleichwohl der
Vorschrift zu entnehmen, welche die im Rausch begangene Tat selbst regelt.
({1})
Gerade dies ist doch nicht gewollt gewesen. Der Grundgedanke des § 323a StGB wäre quasi ausgehöhlt, und
§ 20 StGB wäre ad absurdum geführt.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, dies würde nach
meiner Auffassung einen Bruch mit dem unserem Strafrechtssystem immanenten Schuldprinzip bedeuten.
({2})
Hieran ändert auch nichts, daß den Besonderheiten des
Vollrausches durch eine obligatorische Strafmilderung
nach § 49 StGB Rechnung getragen werden soll: zum
einen, weil der Gesetzgeber auch in den Fällen, in denen
eine Strafmilderungsmöglichkeit sanktioniert ist, grundsätzlich zumindest von verminderter Schuldfähigkeit,
nicht aber von Schuldunfähigkeit ausgeht, zum anderen,
weil die Unterschiede zwischen § 20 StGB und § 21
StGB, welcher bei verminderter Schuldfähigkeit demgegenüber ja gerade ausdrücklich eine Strafmilderung
gemäß § 49 StGB vorsieht, völlig aufgelöst werden
würden.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, dies zeigt, daß der
strittige Gesetzentwurf nach meiner Auffassung nicht
heilbare Schwächen aufweist. Dies muß um so mehr
verwundern, als dieser Entwurf - Kollege Geis, Sie haben selbst darauf hingewiesen, allerdings in einem anderen Zusammenhang - auf einen Vorschlag Bayerns hin
bereits im Jahre 1997 über den Unterausschuß des
Rechtsausschusses des Bundesrates nicht hinausgekommen ist. Es wäre wünschenswert gewesen, wenn die
CDU/CSU in ihrem Gesetzentwurf auf die damals geäußerten Gegenargumente eingegangen wäre. Leider hat
sie dies nicht getan.
({3})
Ich selbst würde es zur Lösung der Probleme für
sachgerechter halten, den Wesensgehalt der Vorschrift
nicht anzugreifen, sondern § 323a StGB in seiner Ausformung weiterzuentwickeln. Dies könnte durchaus
dadurch realisiert werden, daß der Schwere der
Rauschtat bereits im Gesetz stärkeres Gewicht verliehen
wird, allerdings nicht auf dem von Ihnen beschrittenen
Wege, sondern im Kontext. In diesem Zusammenhang
würde ich mir deshalb auch nicht allein § 323a StGB
herausgreifen, sondern nach einer umfassenden Lösung
suchen. Dies sollte dann im Zusammenhang mit der
Überprüfung des gesamten Besonderen Teils des Strafgesetzbuches auf Reformbedarf erfolgen.
({4})
- Herr Kollege Geis, wir werden diesen Weg beschreiten. Ich hoffe, daß Sie uns auf diesem Weg konstruktiv
begleiten werden.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
({5})
Herr
Kollege Manzewski, ich beglückwünsche Sie zu Ihrer
ersten Rede vor dem Deutschen Bundestag.
({0})
Als nächster Redner hat der Kollege van Essen von
der F.D.P.-Fraktion das Wort.
Herr Präsident! Meine
Damen und Herren! Ich kann es mir erneut relativ einfach machen, weil der Kollege Manzewski Bedenken
vorgetragen hat, die von uns geteilt werden.
({0})
Wir sehen den Lösungsansatz in gleicher Weise.
Erlauben Sie mir trotzdem, noch ein paar zusätzliche
Gedanken zu äußern. Nachdem Deutschland wiedervereinigt worden ist, ist mir aufgefallen, daß kaum ein
Thema von den Bürgern in den neuen Ländern so intensiv angesprochen worden ist wie der Umgang mit
Rauschtaten im Westen. Das Verständnis dafür hat dort
ganz außerordentlich gefehlt; denn die DDR hatte eine
völlig andere Tradition. Der Strafrahmen ist jeweils dem
Gesetz, das verletzt worden ist, entnommen worden.
({1})
- Ja, genau. - Ich habe gemerkt, daß das von Bürgern,
die rechtsstaatlich durchaus empfindsam waren, als
gerecht empfunden worden ist. Es hat immer ganz erheblicher Überzeugungsarbeit bedurft, klarzumachen,
warum wir die Dinge so regeln, wie wir sie geregelt
haben. Ich glaube, dieser Verpflichtung unterliegen wir
weiterhin; aber es gibt durchaus Einzelfälle - insofern
muß ich dem Kollegen Geis recht geben -, bei denen
man das Gefühl hat, daß das, was als Ergebnis herauskommt, nicht unbedingt der Gerechtigkeit entspricht.
Wir merken auch, daß verschiedene Urteile des Bundesgerichtshofes, sowohl was „actio libera in causa“ als
auch die Voraussetzungen einer verminderten Schuldfähigkeit anbelangt, deutlich machen, daß sich die Dinge
in diesem Bereich im Fluß befinden. Deshalb finde ich
es richtig, daß wir uns damit befassen. Ich kann mir
durchaus vorstellen, daß wir uns mit diesem Bereich
- herausgehoben - etwas früher als mit einer Bestandsaufnahme, wie der Kollege Manzewski vorgeschlagen
hat, im Bereich des Besonderen Teils befassen, weil wir
hierauf durchaus Antworten geben müssen.
({2})
Die F.D.P.-Bundestagsfraktion ist dazu jedenfalls
bereit.
Wir wollen aber die Grundprinzipien des Strafrechts
nicht aufgeben, die sich nach unserer Auffassung
bewährt haben. Wir müssen in diesem Rahmen eine vernünftige Lösung suchen. Dazu bieten wir unsere Mitarbeit an.
({3})
Als
nächster Redner hat der Kollege Hans-Christian Ströbele
von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren!
Ich kann mich den letzten Worten in dem Sinne
anschließen, daß wir wichtige, nach langen Kämpfen
erworbene und in das Strafgesetzbuch aufgenommene
Prinzipien nicht einfach so über Bord werfen dürfen.
Es ist richtig, daß das Problem „Strafe trotz
Rausch“ uralt ist; es hat schon Thomas von Aquin beschäftigt. In unserem Gesetz gibt es die Regelung, daß
bei einem Rausch, der zur Schuldunfähigkeit führt, nach
§ 20 StGB eigentlich gar keine Bestrafung möglich ist.
Mit § 323a StGB ist dann ein Auffangtatbestand geschaffen worden.
({0})
- Genau.
Wenn man Ihren Überlegungen folgt und den § 323a
StGB streicht - ({1})
- Mit § 323a StGB als Auffangtatbestand, als Gefährdungstatbestand wird nach dem Schuldstrafrecht bestraft, wer sich so betrinkt oder andere Rauschmittel
nimmt, daß er in diesem Zustand eine Straftat begeht.
Darin besteht die Schuld, die eine Person auf sich lädt.
Es handelt sich letztlich um die Vorverlagerung des
Strafgrundes.
Wenn man Ihren Gedanken zu Ende denkt - Sie verlangen, daß wir die Strafe aus den §§ 211, 212 und 250
StGB, also aus den schweren Straftaten, ableiten -, dann
könnte man dazu kommen, § 323a einfach zu streichen
und zu sagen: Auch die hiervon Betroffenen sollen
wegen Mordes nach § 211 StGB oder wegen Totschlags
nach § 210 StGB bestraft werden. Wenn das gelingt,
dann könnte man versuchen, in § 20 StGB hinsichtlich
der Frage der Schuldfähigkeit ein Korrektiv einzufügen.
({2})
Das, was Sie uns hier vorschlagen, ist in der Tat
systemwidrig, weil Sie nicht auf die Schuld abstellen.
Die Schuld besteht eben nicht darin - um es ganz drastisch zu sagen -, daß ein Mann mordet, totschlägt,
raubt, randaliert oder etwas ähnliches tut; vielmehr
besteht die Schuld darin, daß sich jemand betrinkt und
dann eine Straftat dieser Qualität begeht. Mit anderen
Worten: Wer sich in dem Maße betrinkt, daß er so etwas
macht, der muß bestraft werden. In diesem Fall ist eine
Strafe in Höhe von drei bis fünf Jahren Haft, gemessen
an der eigentlichen Schuld - jemand hat sich, verkürzt
gesagt, nur betrunken - , schon relativ hoch.
Auch in der heutigen Rechtsprechung richtet sich die
Strafe in der Tat nach dem „Erfolg“, das heißt nach dem
Tatbestand, den eine Person verwirklicht hat. Das ist
auch richtig und entspricht dem sonstigen Strafrecht,
wonach der „Erfolg“, also das, was das Ergebnis einer
Straftat ist, bei der Strafzumessung eine Rolle spielt.
Das ist auch in anderen Bereichen so.
({3})
Rechtssystematisch sollte es dabei bleiben, daß wir
sagen: Die Leute, die schuldunfähig einen Tatbestand
verwirklicht, ein Delikt begangen haben, werden für die
Begehung eben dieses Delikts nicht bestraft. Sie sehen
darin eine Ungerechtigkeit, von der auch immer wieder
in der Zeitung zu lesen ist. Es gibt viele Fälle - wenn Sie
einmal nicht den Rauschtäter nehmen; der Auffangtatbestand des § 323a StGB ist ja nur für die Rauschtäter -,
in denen jemand einen anderen totschlägt, ermordet oder
beraubt, dafür aber, weil er aus anderen Gründen schuldunfähig ist, nicht bestraft wird, mit einem Freispruch
nach Hause geht oder, wenn er weiterhin gefährlich ist,
eingewiesen wird, um - das ist solchen Fällen der Grund
dafür - die Gesellschaft vor ihm zu schützen.
Wenn man in die Begründung Ihres Gesetzentwurfs
hineinguckt, dann stellt man fest, daß es eigentlich noch
schlimmer wird. Da geben Sie nicht nur das Schuldstrafrecht auf, sondern Sie stellen sogar andere wichtige
Grundsätze unseres Strafrechts in Frage,
({4})
zum Beispiel den Grundsatz „in dubio pro reo“, weil Sie
letztlich den Vorwurf erheben, es werde gar nicht richtig
festgestellt, ob jemand wirklich schuldunfähig sei oder
nicht, sondern es werde einfach nur hochgerechnet und
gesagt: Bei dem Promillegehalt ist jemand in der Regel
schuldunfähig, und deshalb wird die Vorschrift angewendet.
({5})
Das ist, Herr Kollege Geis, ein weiterer Bruch mit unserem Rechtssystem. Ich möchte auch diesen Grundsatz
nicht aufgeben.
Deshalb schlage ich vor, sich an der Rechtsprechung
des Bundesgerichtshofs zu orientieren, der sich bei der
Frage „actio libera in causa“ in der Entscheidung vom
August 1996 durchaus Gedanken darüber gemacht hat,
daß das da nicht weitergeht. Für die Laien sage ich einJörg van Essen
mal: Wenn sich jemand in einen Rausch versetzt, um
eine Straftat zu begehen, weil er sich sagt: „Das geht
dann einfacher; dann mache ich das lockerer“, dann wird
er, wenn es sich um einen Mord oder Totschlag handelt,
nach den dafür geltenden Paragraphen bestraft. Der
Bundesgerichtshof aber sagt, daß das zum Beispiel bei
Rowdytum im Straßenverkehr nicht gilt; denn er sagt,
daß diese Vorverlegung der Schuld grundgesetzwidrig
ist. Er hat den Gesetzgeber aufgefordert, in § 20 StGB
eine entsprechende Regelung vorzusehen.
Deshalb schlage ich vor, daß wir uns im Rahmen von
Koalitionsgesprächen und dann auch im Ausschuß darüber verständigen, wie wir zu einer Regelung kommen,
mit der wir dem Petitum des Bundesgerichtshofs, zu
einer besseren Regelung hinsichtlich der „actio libera
in causa“ zu kommen, Rechnung tragen. In diesem
Zusammenhang regeln wir dann auch die Fälle grober
Ungerechtigkeit, die es natürlich gibt. Ich kenne noch
einen anderen bekannten Fall, den Fall Bubi Scholz.
Dieser hat in Berlin im trunkenen Zustand durch die Tür
in die Toilette geschossen, in der seine Frau war, die anschließend tot war. Auch da gab es einen öffentlichen
Aufschrei, daß es ungerecht sei, wenn er nicht nach Totschlags- oder ähnlichen Vorschriften bestraft werde.
Lassen Sie uns das also in diesem Zusammenhang regeln, aber bitte nicht so, wie Sie es vorschlagen, nämlich
daß wir einfach sagen: Wir wischen das alles weg,
({6})
was normalerweise für die Beurteilung der Schuld entscheidend ist und bestrafen - nur mit ein bißchen Milderung - nach § 49 StGB. Lassen Sie uns vielmehr eine
wirklich vernünftige, gut durchdachte, an der Rechtsprechung des BGH und des Bundesverfassungsgerichts
orientierte Neuregelung finden, die gerecht ist und durch
die von den wichtigen Grundsätzen des Strafrechts
nichts aufgegeben wird.
({7})
Als
nächste Rednerin hat das Wort die Kollegin Dr. Evelyn
Kenzler, PDS-Fraktion.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Bekanntlich geht unsere Fraktion nicht nach der Maxime vor,
sämtliche parlamentarischen Initiativen nur deshalb von
vornherein abzulehnen, weil sie von der - von uns aus gesehen - rechten Opposition kommen, und dann dafür auf
Teufel komm raus eine Begründung zu basteln.
Wir bewerten auch diesen Gesetzentwurf zur Änderung des § 323a StGB vielmehr ausschließlich nach
politischen und inhaltlichen Kriterien. Das führt dann in
aller Regel auf Grund der politisch zumeist weit auseinandergehenden Auffassungen zur Ablehnung, insbesondere auch im Strafrecht. Denn der von der PDS verfolgte
Grundansatz einer Demokratisierung beißt sich natürlich
mit dem immer wieder von der CDU/CSU zu hörenden
schnellen und einseitigen Ruf nach schärferen und höheren Strafen als politischem Allheilmittel und Wunderwaffe gegen die steigende Kriminalität.
Von dieser Regel gibt es jedoch, wie immer im Leben, auch Ausnahmen. Dazu könnte auch der vorliegende Entwurf zählen, wobei ich die meines Erachtens zu
populistische und zu einseitige Begründung ausdrücklich ausklammern möchte. Wir werden diesen Entwurf
einer genauen Prüfung unterziehen. Meines Erachtens
verdient er jedoch nicht unbedingt die von Ihnen gewählte Bezeichnung Rauschtaten-Strafschärfungsgesetz.
Das impliziert eine Heraufsetzung von Strafen, um die
es in diesem konkreten Fall jedoch gar nicht so sehr
geht. Das Problem ist vielmehr die Tatsache, daß nach
der jetzigen Rechtslage jemand, der sich schuldhaft in
einen Vollrausch versetzt und in diesem Zustand der
Schuldunfähigkeit eine schwere Straftat begeht, zum
Beispiel schweren Raub, schwere Delikte gegen Leib
und Leben, eine auf maximal fünf Jahre bemessene Strafe
bekommt, also eine wesentlich geringere Strafe als beispielsweise ein nüchterner Täter. Diese Regelung wird
deshalb von der Öffentlichkeit als Gerechtigkeitslücke
empfunden und sowohl von der Rechtspraxis als auch von
Teilen der Rechtswissenschaft erheblich kritisiert.
Die vorgeschlagene Lösung, schuldunfähige Täter im
Vollrausch nach demselben Strafrahmen wie andere
Täter zu bestrafen, ist daher keine Strafverschärfung im
eigentlichen Sinne, sondern schließt tatsächlich eine bis
dato bestehende Gerechtigkeitslücke. Sie geht zumindest
in diese Richtung und könnte unter Umständen eine
ungerechtfertigte Besserstellung der betroffenen Täter
beseitigen. Durch die Aufnahme einer obligatorischen
Strafrahmenverschiebung nach § 49 Abs. 1 StGB wird
zugleich den Besonderheiten der Tatbegehung in gewissem Umfang Rechnung getragen.
Hinzu kommt - das hat auch der Kollege van Essen
bereits erwähnt -, daß in der DDR ausgebildeten Juristen die vorgeschlagene Regelung nicht ganz neu ist.
Gemäß § 15 Abs. 3 Strafgesetzbuch der DDR wurde,
wer sich schuldhaft in einen Zustand der Zurechnungsunfähigkeit, also einen die Zurechnung ausschließenden
Rauschzustand, versetzte und in diesem Zustand eine
mit Strafe bedrohte Handlung beging, nach dem verletzten Gesetz bestraft.
({0})
Auch wenn ich nicht wenige Strafbestimmungen und
insbesondere die Strafpraxis der DDR heute kritisch bewerte, ist es für mich doch interessant, lieber Kollege
Geis, daß in Ihren strengen Augen zumindest eine Regelung des DDR-Strafgesetzbuches in ihrem Kerngehalt
den rechtsstaatlichen Elchtest bestanden hat und zehn
Jahre nach dem Fall der Mauer, wenn auch sicher ungewollt und mit einiger Verzögerung, zum gesamtdeutschen Leben erweckt werden soll.
({1})
Damit geht die Opposition in meinen Augen wirklich
konstruktiv und unvoreingenommen an die Arbeit heran.
({2})
Allerdings möchte ich meinen Beitrag nicht schließen, ohne ausdrücklich auf das zunehmende Drogenproblem insbesondere bei den sogenannten legalen
Rauschmitteln hinzuweisen. Für dieses gesellschaftliche
Massenphänomen, mit dem zunehmend schwere Gewaltkriminalität einhergeht, wird auch die vorliegende
Gesetzesänderung keine Lösung bringen. Hierzu sind
grundlegende sozialpolitische Kurskorrekturen und eine
andere Einstellung der Bevölkerung insbesondere beim
Umgang mit Alkohol dringend notwendig.
({3})
Als
nächster Redner hat der Kollege Eckart von Klaeden
von der CDU/CSU-Fraktion das Wort.
Herr Präsident!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Regelung in
§ 323a StGB, über die wir heute sprechen, ist ja in der
Literatur umstritten. Darauf haben der Kollege Manzewski und die anderen Redner auch schon hingewiesen.
Ich setze aber in meinem Beitrag einmal voraus, daß
diese Regelung - Herr Kollege Ströbele hatte sie ja
richtig als Auffangtatbestand bezeichnet - als systemkonform und auch notwendig anerkannt wird, also eine
Strafrechtsordnung, die auf § 323a StGB verzichten
würde, einen wesentlichen Fehler hätte. Darüber besteht
hier, wie ich glaube, Konsens.
Die nächste Frage lautet dann: Genügen die Urteile in
den Fällen, die zur Zeit nach § 323a Strafgesetzbuch
entschieden werden, der rechtsstaatlichen Anforderung
des gerechten Strafens? Da sind nicht nur die Einzelfälle, Herr Kollege van Essen, sondern auch die vielen
Fälle, die man in der Literatur finden kann, ein deutlicher Hinweis darauf, daß § 323a StGB einer Reform
bedarf.
Unser Vorschlag - da liegt das grundlegende Mißverständnis der Mehrheit des Hauses - bedeutet nicht eine
systemwidrige Fortentwicklung, sondern wir wollen
eine systemkonforme Fortentwicklung. Wir wollen
nämlich lediglich die Frage der Strafzumessung im
Rahmen des § 323a StGB besser regeln.
({0})
Wir knüpfen dabei - wie es heute schon bei der Strafzumessung gängige Praxis ist - an die objektive Voraussetzung der Strafbarkeit, nämlich an die Tat, an. Es ist
geradezu ein rechtsstaatliches Prinzip, daß ein im
Rausch begangener Diebstahl weniger scharf bestraft
wird als zum Beispiel eine im Rausch begangene
schwere Körperverletzung.
({1})
- Genau, Herr Kollege Hartenbach.
Wenn wir die Vorhersehbarkeit der Strafe ins Auge
fassen, bedeutet es doch eine Verbesserung, ein Mehr an
Rechtsstaatlichkeit, wenn wir sagen, das im Besonderen
Teil des Strafgesetzbuches sehr differenziert erarbeitete
Straffolgensystem wird, weil es vernünftig ist, da es sich
an den Rechtsgütern orientiert, auch für die Strafbarkeit
nach § 323a StGB als Anhalt genommen. Dann findet
aber, weil der Rausch bestraft wird und nicht die im
Rausch begangene Straftat, da - dem Prinzip des
Schuldstrafrechts entsprechend - der Rausch die Strafbarkeitsanknüpfung ist, die zwingende Milderung nach
§ 49 Abs. 1 des Strafgesetzbuches statt. Das heißt, die
Vorhersehbarkeit der Strafe für eine Rauschtat wird verbessert und nicht verschlechtert. Das bedeutet doch ein
Mehr an Rechtssicherheit und eine Verbesserung im
Vergleich zur derzeitigen Situation.
Es gibt im Rahmen dieser Diskussion eine Reihe von
anderen Beispielen. Es ist daran gedacht worden, daß
man im Rahmen des § 323a StGB einen besonders
schweren Fall regelt oder andere Regelungen findet. Das
alles führt aber, wie man feststellt, wenn man sich näher
damit beschäftigt, im Ergebnis nicht zu den erwünschten
Folgen.
Deswegen meine ich: Wenn wir uns darauf einigen,
daß § 323a StGB systemkonform und vernünftig ist, und
wir gleichzeitig zu der Auffassung gelangen, daß er in
der Frage der Strafhöhe nicht die notwendigen Voraussetzungen erfüllt, dann ist es sinnvoll, sich in dieser Hinsicht am System des Besonderen Teils des Strafgesetzbuches zu orientieren. Das heißt nicht, daß man hinsichtlich des Schuldvorwurfs an die Tat anknüpft, sondern es bleibt bei der Anknüpfung an den Rauschzustand.
In diesem Zusammenhang ist es aber auch wichtig,
darauf hinzuweisen, daß wir, aus meiner Sicht jedenfalls
- da mag das Rechtsempfinden der Bürgerinnen und
Bürger in der ehemaligen DDR für uns ein Beispiel sein;
wir haben zum Beispiel auch in der Frage der Promillegrenze, wenn auch mit unterschiedlichen Vorzeichen,
das gebe ich zu, ähnlich diskutiert -, feststellen, daß die
Gefahren, die in unserer Gesellschaft von Rauschzuständen ausgehen, in unserer Rechtsordnung zuwenig
berücksichtigt werden, zu gering geachtet werden.
({2})
In diesem Zusammenhang ist eine systemkonforme
Weiterentwicklung des § 323a StGB, wie wir sie hier
vorschlagen, aus unserer Sicht eine sinnvolle Angelegenheit, die aus den von mir beschriebenen Gründen
nicht weniger, sondern mehr Rechtssicherheit bietet.
Wenn eine Regelung aus der ehemaligen DDR den allgemeinen Denkgesetzen genügt, dann sollten wir ihr
auch nicht widersprechen.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({3})
Als
letzter Redner hat das Wort der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Eckhart Pick.
Herr Präsident! Meine Damen
und Herren! Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf reagiert die Fraktion der CDU/CSU auf ein Vorhaben, das
der Bundesrat bereits in der letzten Legislaturperiode
initiiert und jetzt, wie Sie wissen - allerdings teilweise
mit anderem Inhalt -, wieder aufgegriffen hat.
In der Zielsetzung dürfte hier im Hause weitgehend
Einigkeit bestehen. Es darf in der Tat nicht länger hingenommen werden, daß ein Straftäter, der in volltrunkenem
und schuldunfähigem Zustand einen Menschen, selbst auf
bestialische Art und Weise, schwer verletzt oder umbringt, mit einer Freiheitsstrafe von höchstens fünf Jahren
davonkommt. Es gibt deshalb nicht wenige Strafverfahren, in denen die geltende Höchststrafe des § 323a StGB
als zu niedrig und unzureichend kritisiert worden ist.
So klar das Ziel auch ist, so schwierig erscheint mir
aber der dorthin führende Weg. Auch die wenigen Seiten des uns vorliegenden Gesetzentwurfs können nicht
darüber hinwegtäuschen, daß wir uns hier mit einer der
schwierigsten und umstrittensten Materien des Strafrechts befassen.
({0})
So kann es kaum verwundern, daß selbst zu der noch
relativ einfachen Frage des Strafmaßes bei Vollrausch
mit dem Gesetzentwurf des Bundesrates und mit dem
jetzt eingebrachten Entwurf der Fraktion der CDU/CSU
zwei Vorlagen auf dem Tisch liegen, die konträrer nicht
sein könnten.
Der Ihnen sicher bekannte Entwurf des Bundesrates
knüpft an den bisherigen Strafrahmen des § 323a StGB
an und beschränkt sich darauf, für die Fälle schwerwiegender Rauschtaten einen Qualifikationstatbestand mit
höherer Strafdrohung einzuführen.
Der Entwurf der Fraktion der CDU/CSU - dieser
Punkt ist von den meisten Vorrednern schon genannt
worden - verläßt dagegen die gewohnten Bahnen und will
auf eine eigenständige Strafdrohung bei Vollrausch ganz
verzichten. Das heißt, die Strafe soll dem Strafrahmen für
das im Rausch begangene Delikt entnommen werden.
Den - ich zitiere - „Besonderheiten des Vollrausches“
soll nach dem Gesetzentwurf der Fraktion der CDU/CSU
mit einer obligatorischen Strafmilderung nach § 49 Abs. 1
StGB Rechnung getragen werden. Ich beurteile diese
Formulierung als etwas nebulös und bin der Meinung, daß
Sie, meine Damen und Herren von der CDU/CSUFraktion, sich im Grunde vor dem Kernproblem drücken,
nämlich vor der Frage, ob eine solche Lösung mit dem
Schuldgrundsatz letztlich vereinbar ist.
({1})
Wer sich mit der Materie eingehend befaßt hat, kennt
die Vorgeschichte des von Ihnen eingebrachten Entwurfs. Er ist nicht ganz neu und geht auf eine bayerische
Initiative zurück, die damals im Bundesrat abgelehnt
worden ist. Damals sind übrigens - auch das wissen Sie
- erhebliche dogmatische und rechtsstaatliche Bedenken
gegen diesen Entwurf geltend gemacht worden.
({2})
Sie hätten sich mit den damals aufgestellten Gegenargumenten auseinandersetzen müssen.
({3})
Wir müssen noch eine intensive Diskussion im
Rechtsausschuß führen. Es liegt nahe, daß wir in diesen
Diskussionsprozeß auch den schon angesprochenen
Entwurf des Bundesrates einbeziehen sollten, auch wenn
man aus Sicht der Bundesregierung die Frage stellen
kann, ob es wirklich notwendig ist, den Kreis der
Rauschtaten so weit zu fassen, wie es im Gesetzentwurf
des Bundesrates geschehen ist.
Ich möchte noch kurz andeuten, wie man sich aus
Sicht der Bundesregierung eine Lösung vorstellen
könnte: Man könnte die verschärfte Strafdrohung allein
an ganz besonders schwere Fälle knüpfen, zum Beispiel
an die Fälle, in denen ein Mensch getötet oder körperlich schwer verletzt worden ist. Damit könnten wir die
praktisch wichtigsten und nach dem Gesetzgeber geradezu schreienden Fälle erfassen. Ich glaube auch, daß
wir uns mit einer solchen Lösung auf das wirklich Notwendige beschränken würden. Auf diese Weise bekämen wir die Probleme am ehesten in den Griff.
({4})
Noch ein Punkt zum Schluß - auch dieser ist schon
angesprochen worden -: Es ist notwendig, daß wir auch
darüber nachdenken, diesen Straftatbestand in die
Überlegungen einzubeziehen, die wir im Rahmen einer
generellen Überprüfung der Straftatbestände vornehmen wollen.
Es besteht insbesondere Reformbedarf in der Hinsicht, ob die Einführung der Straftatbestände in der
letzten Legislaturperiode wirklich das geleistet hat, was
damals von der Mehrheit beabsichtigt worden ist. Wir
jedenfalls wollen auch den § 323a StGB in diese Reformüberlegungen einbeziehen.
Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.
({5})
Ich
schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 14/545 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es
dazu anderweitige Vorschläge? - Das ist nicht der Fall.
Dann ist die Überweisung beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 9 auf:
Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen SPD, CDU/CSU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines
Gesetzes zur Änderung von Vorschriften über
parlamentarische Gremien
- Drucksache 14/539 ({0})
Beschlußempfehlung und Bericht des Innenausschusses ({1})
- Drucksache 14/653 Berichterstattung:
Abgeordnete Dieter Wiefelspütz
Cem Özdemir
Ulla Jelpke
Dazu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion der PDS
vor.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Als erster Redner hat der
Kollege Dieter Wiefelspütz von der SPD-Fraktion das
Wort.
Herr Präsident! Meine
lieben Kolleginnen und Kollegen! Auch mit Rücksicht
auf die fortgeschrittene Zeit will ich meine Rede zu
Protokoll geben. Ich weise darauf hin, daß Herr Marschewski als amtierender Vorsitzender des PKK für die
Koalition, für die CDU/CSU und auch die F.D.P. die
Position vortragen wird, die wir gemeinsam erarbeitet
haben.
Ich will aber die Gelegenheit nutzen, auf etwas hinzuweisen, was im Bericht des Innenausschusses etwas
mißverständlich ist. Im letzten Absatz gibt es einen Satz,
der da lautet:
Dem Parlamentarischen Kontrollgremium werden in
der 14. Legislaturperiode 9 Mitglieder angehören ...
Darüber hat der Ausschuß nicht befunden. Es gab
dazu eine streitige Abstimmung, auch unterschiedliches
Abstimmungsverhalten innerhalb der Koalition. Wir
werden dies noch durch eine Korrektur klarstellen. Ich
will nur zu Protokoll geben, daß diese Passage nicht
exakt den Verlauf der Debatte im Innenausschuß wiedergibt.
Herr
Kollege Wiefelspütz, erlauben Sie eine Zwischenfrage
des Kollegen Claus von der PDS?
Selbstverständlich.
Herr Kollege, ich wollte Sie in
bezug auf die Ungenauigkeit im Bericht des Innenausschusses fragen, ob Sie von den Obleuten der anderen
Fraktionen ermächtigt sind, diese Passage gewissermaßen zurückzuziehen, und ob damit die vom Innenausschuß nicht getroffene Festlegung, das Parlamentarische
Kontrollgremium auf neun Mitglieder zu begrenzen,
vom Tisch ist?
Herr Claus, ich bin von
niemandem ermächtigt. Ich spreche für mich selber.
({0})
Der Ausschußbericht trägt meine Unterschrift. Ich
hätte ihn vorher genauer lesen müssen; das war nicht
ganz korrekt. Diese Ungenauigkeit ist erst sehr spät aufgefallen. Wir werden das einvernehmlich korrigieren.
Auch die Berichterstatterin der PDS wird das Ergebnis,
nach dieser Korrektur, unterschreiben.
Ich sage es noch einmal: Wir haben erörtert, ob das
PKG neun Mitglieder haben sollte oder mehr. Dazu hat
es auch eine Abstimmung gegeben. Dies werden wir im
Bericht präzisieren. - Im übrigen ist es Sache des Plenums, darüber zu entscheiden, wie viele Mitglieder das
Gremium haben sollte. Das wird demnächst geschehen.
Die SPD-Fraktion wird diesem Gesetzentwurf ihre
Zustimmung geben.
Herzlichen Dank.
({1})
Als
nächster Redner hat der Kollege Erwin Marschewski
von der CDU/CSU-Fraktion das Wort.
Herr Präsident!
Meine sehr verehrten Damen und Herren! So viel Gemeinsamkeit ist selten. Das zeigt aber, daß das Parlamentarische Kontrollgremium, bisher PKK genannt, zusammenarbeitet, um die wichtigen Probleme in diesem
Land zu lösen, insbesondere um die freiheitlichdemokratische Grundordnung zu gewährleisten.
Ich habe bereits in meiner Einbringungsrede als amtierender Vorsitzender der bisherigen PKK den Diensten, dem Militärischen Abschirmdienst, dem Bundesnachrichtendienst und dem Bundesamt für Verfassungsschutz, Dank gesagt. Ich will diesen Dank wiederholen.
Nun komme ich zum Inhalt selbst. Wir wollen heute
die von der bisherigen Bundesregierung freiwillig eingeräumten Kontrollrechte im Gesetz festschreiben. Wir
tun dies nicht, weil wir den Diensten nur mit Mißtrauen
gegenüberstünden. Unsere Kontrollarbeit ist von kritischem Verhalten, aber auch von einem gewissen Vertrauen geprägt, weil wir die Aufgaben und die Aufgabenerfüllung der Dienste kennen.
Aber diese Arbeit ist, so meine ich, das Gegenteil von
blinder Kritik, wie wir sie auf diesem Feld doch allzuoft
und oberflächlich in Presseorganen erleben müssen. Wir
wollen die Kontroll- und Überwachungsrechte verstärken. Es haben sich in der Vergangenheit Probleme ergeben. Unser gemeinsamer Gesetzentwurf trägt zur Lösung dieser Probleme bei.
Wir sorgen erstens dafür, daß die von der bisherigen
Bundesregierung freiwillig eingeräumten Kontrollrechte
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
gesetzlich festgeschrieben und ergänzt werden. Zweitens
sorgen wir dafür, daß der Zersplitterung der parlamentarischen Kontrollarbeit organisatorisch entgegengetreten
wird. Durch die große Einmütigkeit, mit der wir heute
beschließen, sorgen wir drittens dafür, daß die Bundesregierung vom Deutschen Bundestag das Signal bekommt, daß wir unsere Kontrollaufgabe ernst nehmen
und daß wir, soweit es an uns liegt, die vertrauensvolle
Arbeit fortsetzen wollen.
Ich will nicht auf alle Einzelheiten der gesetzlichen
Normierungen eingehen. Wir haben bereits in der letzten
Woche im Innenausschuß darüber diskutiert, Herr Kollege Wiefelspütz. Wir haben den Gesetzentwurf unter
den Fraktionen abgestimmt. Wenn wir aber das Gewicht
des Bundestages gegenüber der Bundesregierung und
die Kontrollarbeit nicht beschädigen wollen, dann dürfen keine parlamentsinternen Eifersüchteleien Platz greifen. Diese gab es bisher nicht, und ich denke, daß dies
auch in Zukunft so sein wird. Wir müssen aber die Zusammenarbeit so eng wie möglich gestalten. Ich halte es
deswegen für gut, daß wir die bisherige PKK mit dem
G-10-Gremium zusammenlegen. Ich halte es auch für
gut, daß wir die Zusammenarbeit mit dem Vertrauensgremium des Haushaltsausschusses verbessern. Hier
kam es über die Fraktionsgrenzen hinweg zu Irritationen. Ich denke, daß wir diese meistern werden.
Außerdem ist es gut, die Zahl der Mitglieder der
PKK nicht zu erweitern. Schon neun Mitglieder in einer
PKK, die ursprünglich nur aus den Fraktionsvorsitzenden
bestand, sind relativ viel. Irgendwo müssen wir eine
Grenze ziehen. Deswegen bin ich dem Kollegen Dieter
Wiefelspütz sehr dankbar dafür, daß er im Innenausschuß
gesagt hat, daß wir die Zahl von neun Mitgliedern während dieser Legislaturperiode selbstverständlich beibehalten werden. Es kann nicht sein, daß wir nur zu einem
Debattierklub werden. Es muß so sein, daß wir Kontrolle
ausüben. Sie, Herr Fraktionsvorsitzender Dr. Peter Struck,
haben dies während Ihrer langjährigen Mitgliedschaft in
der PKK miterlebt und mitgestaltet.
Dennoch wäre es gut gewesen, wir hätten bei der Besetzung der Ämter des Präsidenten und der Vizepräsidenten der Dienste ein Vorschlagsrecht erhalten. Ich
fordere dies hiermit. Einige Kollegen haben bei einem
Besuch des polnischen Parlaments von dieser Möglichkeit gehört.
Die Polen haben übrigens interessanterweise die
Struktur unserer PKK übernommen. Unsere PKK ist
sehr oft für den internationalen Bereich Vorbild. Viele
Länder wollen die Kontrolle der Dienste durch eine
parlamentarische Kontrollkommission bzw. ein parlamentarisches Kontrollgremium, wie wir neuerdings
bezeichnet werden, gewährleisten. Ich denke, was den
Polen recht ist, wäre uns billig gewesen. Aber Regierungen sind eben so, wie Regierungen sind.
Herr Staatssekretär, vielleicht besteht die Möglichkeit, vor der Wahl zu den oben genannten Ämtern den
Sachverstand der Kolleginnen und Kollegen - Sie vertreten ja die Bundesregierung; Sie sehen, daß dort Sachverstand vorhanden ist - zumindest zur Beratung einzubeziehen.
Herr
Kollege Marschewski, erlauben Sie eine Zwischenfrage
des Kollegen Koppelin?
Ja, selbstverständlich. Wir müssen uns heute abend ein bißchen
unterhalten. Tun Sie es ruhig.
Herr Kollege, ich glaube,
Sie sind die richtige Adresse. Deswegen frage ich Sie
- auch nachdem wir eine Diskussion im Haushaltsausschuß darüber hatten -: Ist unser Eindruck, der Eindruck
der Haushälter aller Fraktionen, richtig, daß diejenigen,
die dieses Gremium jetzt schaffen, auch die Haushaltskontrolle übernehmen wollen und sie uns damit ein
Stück unserer von der Haushaltsordnung zugewiesenen
Verantwortung wegnehmen wollen?
Nein; wir wollen
ja keine Gesetze brechen. Was wir wollen, ist natürlich,
die Dienste vehement und eindringlich kontrollieren und
beobachten. Ich meine einfach, daß dies erheblich besser
gelingt, wenn wir uns an den Beratungen Ihres vertrauensvollen Haushaltsgremiums beteiligen. Wir wollen
nicht nur Erfahrung sammeln; wir wollen natürlich
Kenntnis über das haben, was die Dienste angeht. Sie
können uns dabei helfen, dies entsprechend zu forcieren.
Ich will Schluß machen; wir können auch gleich darüber reden, unten bei „Ossi“ oder wo auch immer. Ich
bin gern dazu bereit. Ich will zum Schluß kommen.
({0})
Es wird Zeit, daß wir die PKK oder die PKG - wie
sie dann heißt - neu wählen. Wir sind das einzige Gremium, das seit der letzten Bundestagswahl in der gleichen Zusammensetzung im Amt ist, wie es ursprünglich,
vor viereinhalb Jahren, gewählt worden ist. Deswegen
hoffe ich, daß wir bald neu wählen können. Ich wünsche
der PKG - so heißt sie neuerdings - kritische Kontrolle,
aber ich sage ausdrücklich: nicht nur und nicht ausschließlich Mißtrauen. Ich wünsche ihr soviel Gemeinsamkeit wie möglich und das Selbstbewußtsein, das
Parlamentarier haben sollten, die mit absoluter Mehrheit, also mit einer größeren als der Kanzlermehrheit,
durch den Deutschen Bundestag gewählt worden sind
und denen diese vertrauensvolle Aufgabe übertragen
worden ist. Auch daran, so meine ich, Herr Kollege,
sollten wir ein wenig öfter denken. Wir sollten Selbstbewußtsein haben und die Bundesregierung entsprechend kontrollieren.
Ganz herzlichen Dank.
({1})
Zu einer Kurzintervention erteile ich das Wort dem Kollegen Koppelin.
Ich will diese Diskussion
ja nicht verlängern. Aber ich meine, es ist ein sehr ernErwin Marschewski
ster Punkt. Die Meinung aller Haushälter ist - sie will
ich hier einmal vortragen -: Es ist ein Bruch der Haushaltsordnung, wenn sich ein Gremium anmaßen
- „anmaßen“ meine ich nicht bösartig - oder sich aneignen möchte, zukünftig über einen bestimmten Bereich
des Haushalts selber die Entscheidung zu treffen. Wenn
gemeint sein soll, daß Sie uns im Haushaltsausschuß beraten und uns Vorschläge machen, dann ist die Sache in
Ordnung. Aber der Haushaltsausschuß muß das entscheidende Gremium bleiben, das darüber befindet. Wir
haben im Haushaltsausschuß nie eine große Diskussion
über die entsprechenden Dienste geführt. Aber es muß
möglich sein, daß der Haushaltsausschuß darüber entscheidet, und es darf nicht sein, daß ein Bereich des
Haushaltes ausgeklammert und einem anderen Gremium
übertragen wird.
Zu einer weiteren
Kurzintervention zur Rede des Kollegen Marschewski,
bitte, Herr Kollege Wiefelspütz.
Damit das hier klargestellt wird: Wir wollen Kooperation, und wir wollen
nicht Zuständigkeiten anderer übernehmen.
Im übrigen, Herr Koppelin: Die Haushaltsordnung
hat der Gesetzgeber geschaffen; das Gesetz über die
parlamentarischen Gremien hat ebenfalls der Gesetzgeber geschaffen. Wie können wir auf dieser Ebene ein
Gesetz brechen? Beide Gesetze sind von diesem Hause
geschaffen. Es geht darum, daß man sich wechselseitig
einander zuarbeitet. Sie vom Haushaltsgremium sind
herzlich aufgerufen, bei uns in der PKG mitzuwirken,
um auf diese Weise die Verschränkung herzustellen.
Also keine Konfrontation, sondern Zusammenarbeit, Vernetzung. Davon sollten andere lernen; das
dient der Sache, und deswegen haben wir es vorgeschlagen.
Zur Erwiderung Herr
Kollege Marschewski, bitte.
Ich darf dies auch
noch einmal bekräftigen. Wir wollen ja nur, Herr Kollege Koppelin, mitberatend tätig sein. Wir räumen Ihnen
natürlich auch die entsprechenden Rechte ein. Der Vorsitzende und der stellvertretende Vorsitzende Ihres
Gremiums haben ebenfalls das Recht - das ist bisher
völlig einmalig; soviel Vertrauen bringen wir Ihnen entgegen -, an den ganz geheimen Sitzungen des PKG teilzunehmen.
Unser Ziel ist, daß wir Haushälter und wir Innenpolitiker, Mitglieder des Parlamentarischen Kontrollgremiums, die Dienste nun wirklich kontrollieren. Unser
System ist Vorbild für viele Länder in dieser Welt. Ich
sage Ihnen: Das ist eine gute Sache. Wir wollen diese
gute Sache noch verbessern. Haben Sie kein Mißtrauen!
Herr Wiefelspütz und ich, wir sind anständige Menschen; davon können Sie ausgehen. Wir wollen, so sagt
es das Gesetz auch, mitberatend tätig sein. Da sollten Sie
kein Mißtrauen hegen. Ich weiß, daß die Haushälter unisono diesen Beschluß gefaßt haben, aber ich weiß auch,
daß wir versuchen sollten, gemeinsam die Kontrollfunktion zu verbessern.
Für die Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen spricht jetzt der Kollege Christian Ströbele.
Frau Präsidentin! Verehrte noch ausharrende Kolleginnen und Kollegen! Ich glaube, ich kann dem
Kollegen Marschewski versichern, daß Bündnis 90/Die
Grünen und insbesondere auch ich die Aufgabe, die
Regierung kritisch zu begleiten und zu kontrollieren,
wahrnehmen werden. Heute morgen habe ich gezeigt,
daß ich davor nicht zurückschrecke.
({0})
Ich habe zur Kenntnis genommen, daß die Reisen des
Gremiums - bisher der Kommission - offenbar dazu
beigetragen haben, daß das, was hier im Deutschen
Bundestag ausprobiert worden ist, ein durchaus vorzeigbares Exportartikelchen geworden ist, das inzwischen
bis zu den Malediven bekannt ist. Das weiß ich natürlich
alles nur vom Hörensagen.
Ich habe in der letzten Woche schon darauf hingewiesen, daß wir uns mehr Befugnisse gewünscht hätten.
Wir haben uns gerade kurz darüber verständigt, daß
offenbar alle Regierungen es an sich haben, daß sie es
nicht gerne möchten, daß noch mehr Kontrollkompetenz
gegeben ist. Ich darf aber daran erinnern - vielleicht
müssen wir da weitermachen; vielleicht können wir es
schon mit den Mitteln, die wir heute hier beschließen,
erreichen -, daß der Kollege Struck, der vorhin noch
hier war - jetzt ist er schon wieder weg -, selber einmal
erklärt hat, daß wirkliche Aufklärung nur mit den Befugnissen eines parlamentarischen Untersuchungsausschusses möglich sind.
So ein bißchen haben wir uns daran gehalten, leider
noch nicht vollständig. Aber wir haben einige zusätzliche Rechte vereinbart. Auch hätten wir uns gewünscht,
daß die einzelnen Abgeordneten mehr Rechte haben,
daß sie selber Kontrollbesuche machen können - ({1})
- Genau, dann hätten Sie mit mir noch mehr Ärger, weil
ich dann die Akten eingesehen hätte und wir sicher vieles, was Sie sonst dem „Spiegel“, „Focus“ oder irgendwelchen anderen Zeitschriften und Zeitungen entnehmen
müssen, vielleicht in der PKK oder jetzt in dem PKG
hätten erörtern können oder müssen. Aber wir wollen es
versuchen.
Wir haben gute Gründe für unsere langen Beratungen. Ich habe vorhin einmal gezählt. Ich glaube, wir haben zehn unterschiedliche Entwürfe für dieses Gesetz
erarbeitet und uns daran abgearbeitet. Wir müssen jetzt
zu einem Ende kommen, weil es tatsächlich nicht geht,
daß dieses wichtige Gremium noch mit Leuten besetzt
ist, die tatsächlich nicht mehr dem Deutschen Bundestag
angehören. Ich habe volles Vertrauen zu dem Kollegen
Such, aber auf Dauer ist das wahrscheinlich ein Problem, wenn Personen, die nicht mehr Abgeordnete sind,
noch Abgeordnete in einem parlamentarischen Gremium
sind. Deshalb müssen wir jetzt zu Potte kommen, damit
wir möglichst im nächsten Monat das PKG, wie dieses
Gremium dann heißt, mit den neuen Befugnissen ausstatten können.
Es ist richtig: Mit Zahlen macht man Politik. Das ist
hier ganz deutlich. Die PDS wollte uns darauf festlegen,
daß wir sagen: Alle Fraktionen müssen in diesem Gremium vertreten sein. Die Grünen stimmen dem zu und
wollen es auch. Aber wir unterscheiden uns in einem
Punkt: Wir wollen das nicht in einem Gesetz regeln,
sondern wir wollen es regeln, wenn es angesagt ist, das
heißt, wenn die Personen gewählt werden.
Natürlich hat dieses vehemente Fechten für 9 und
nicht 8 oder 16 Personen etwas mit politischen Interessen zu tun, daß man eine Fraktion nicht dabeihaben
möchte. Wir wollen es trotzdem so regeln können, daß
es wenige sind, also 9 oder höchstens 10 und daß trotzdem alle Fraktionen vertreten sind. Das ist unser Ziel.
Darüber werden wir uns auch innerhalb der Koalitionsfraktionen noch unterhalten müssen.
Ich darf noch etwas zu dem sagen, was der Kollege
Wiefelspütz schon erklärt hat. Der letzte Absatz in der
Beschlußempfehlung des Innenausschusses ist so nicht
korrekt. Es hat in diesem Ausschuß keine Meinungsbildung über die Anzahl stattgefunden. Sie soll auch hier
nicht stattfinden, sondern dies wollen wir einem Extragespräch, das nächsten oder übernächsten Monat geführt
wird, vorbehalten. Deshalb schlage ich der PDS vor, daß
sie ihren Antrag, in dem sie eine Festlegung treffen will,
zurücknimmt; sonst müßten wir dagegenstimmen, weil
wir das in diesem Gesetz nicht regeln wollen.
Ich schließe mich dem an, was meine Vorredner gesagt haben. Wir haben ein neues Gesetz. Wir haben neue
Befugnisse. Wir hoffen, damit wirksame Kontrolle ausüben zu können.
({2})
Für die F.D.P.Fraktion spricht jetzt der Kollege Schmidt-Jortzig.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Leider ist dem guten
Vorbild, von dem Sie gesprochen hatten, nicht ganz gefolgt worden; sonst hätte auch ich meine Rede zu Protokoll gegeben. Aber nun rede ich doch; das werden wir
auch mit Grandezza schaffen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren Kollegen,
das Ziel der Reform, nämlich die parlamentarische
Kontrolle über die Nachrichtendienste zu verbessern, ist
jeder Unterstützung wert. Der Gesetzentwurf fördert
dieses Ziel substantiell. Er ist konsistent und er ist konsequent. Ich kann es deshalb nach allem, was die Vorredner gesagt haben und was schon in der ersten Lesung
ausgeführt wurde, kurz machen: Die F.D.P. stimmt der
Vorlage zu.
Daß nicht auch die G-10-Kommission und die haushälterische Kontrolle miteinbezogen werden konnten,
läßt sich verschmerzen, mein lieber Landesvorsitzender,
weil die Zusammenarbeit mit dem Vertrauensgremium
des Haushaltsausschusses wesentlich ausgebaut wurde.
Das neue Parlamentarische Kontrollgremium wird die
Tätigkeit der Nachrichtendienste künftig also intensiver
überwachen und begleiten. Dadurch werden sich meines
Erachtens die Gewichte vermehrt von der rein nachträglichen Beurteilung auf eine laufende Kontrolle verlagern. Das Gesetz sieht nämlich insoweit Berichtspflichten der Dienste und konkrete Auskunftsverlangen des
Gremiums vor. Es kann Akten- und Dateneinsicht genommen werden. Sachverständige können eingeschaltet
werden.
Damit wird vielleicht auch auf eine Veränderung der
nachrichtendienstlichen Arbeit Einfluß genommen werden können. Ich will das zu später Stunde ganz unschuldig andeuten. Eine solche Veränderung zeichnet sich
nach dem Wandel der sicherheitspolitischen Situation in
diesem Jahrzehnt meiner Vorstellung nach nämlich
deutlicher als nötig ab. Deutschland hat heute quasi keine institutionellen Feinde mehr, am allerwenigsten in
der unmittelbaren Nachbarschaft, sprich: in Europa.
Statt dessen können sich überall in der Welt einzelne
konkrete Sachverhalte entwickeln, die deutsche Interessen bedrohen oder über das Bündnissystem sogar Überlegungen hinsichtlich kollektiver Reaktionen denkbar
werden lassen.
Die Nachrichtendienste müssen insofern, statt sicherheitspolitische Reaktionsvorschläge auszuarbeiten, vermehrt Risikoanalyse liefern, möglichst frühzeitig, möglichst urteils- und treffsicher. Es wird für die internationale Friedenspolitik künftig also mehr auf wirksame
Prävention als auf Reaktion und Verteidigung ankommen. Hier eröffnet sich meines Erachtens eine politische
Entwicklung, die das neue Parlamentarische Kontrollgremium fördern, auf die es Einfluß nehmen kann.
Wir stimmen der vorliegenden Reforminitiative gerne
zu.
Danke sehr.
({0})
Das Wort hat der
Kollege Roland Claus, PDS-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr
verehrten Damen und Herren! Zumindest was die Verweilzeit hier im Plenum anbetrifft, ist es ein Gesetz, das
wir im Eilverfahren beschließen. Wir haben dafür auch
ein gewisses Verständnis.
Das wirkliche Problem, das mit dem Gesetz verbunden ist und hier ausgesprochen oder nicht ausgesprochen
oder nur verschämt ausgesprochen wird, steht im Bericht des Innenausschusses just in den letzten Textzeilen,
für die der Kollege Wiefelspütz gerade erklärt hat: Sie
sind entweder falsch oder zurückgezogen oder nicht
ganz richtig. Wir dürfen sie zumindest in Frage stellen.
Wir haben es immer deutlich erklärt: Die PDS will in
dieses Parlamentarische Kontrollgremium. Das wird ihr
aber verwehrt. Deshalb liegt unser Änderungsantrag auf
dem Tisch. Ich kann ihn deshalb nicht zurückziehen,
Herr Kollege Ströbele, weil mir die mathematische Lösung in der Zeit zwischen Ihrer und meiner Rede noch
nicht eingefallen ist. Wie sollen wir mit unseren Stimmen - selbst bei Ihrer Zuneigung - bis zur Wahl zu der
satten Mehrheit kommen, die Sie uns hier versprechen?
({0})
Es wird von uns deshalb auch moniert, daß hierbei
verfassungsrechtliche Bedenken bestehen. Sie haben
in dem inzwischen gestrichenen Bericht auch auf Karlsruhe Bezug genommen. Sie sagen in dem Bericht, das
sei eigentlich unbedenklich, und man könne sich bereits
auf ein Bundesverfassungsgerichtsurteil berufen. Dieses
Urteil war damals aber auf Antrag der Grünen entstanden. Wenn ich mich recht erinnere, war der Hauptgrund,
das Ansinnen der Grünen abzuweisen, daß die Kolleginnen und Kollegen damals im Vorfeld gesagt haben: Wir
werden gezielte Indiskretion betreiben und uns nicht an
die Geheimhaltung halten. Nun werden Sie an der PDS
sicherlich Dutzende oder auch Hunderte von Untugenden finden. Ich könnte Ihnen 150 aufzählen; denn ich
kenne die PDS vielleicht noch genauer als Sie. Indiskretion wird bei uns aber nicht so leicht nachzuweisen sein.
Nun muß man sich noch einmal die Geschichte vor
Augen halten. Wie wurden CDU/CSU und F.D.P. zu
Einbringern des Gesetzes? Offenbar wurde ihnen versprochen, daß die PDS draußen bleibt - deshalb wurde
die Zahl neun bestimmt -, wenn sie die Beschlußfassung
auf den Tisch brachten. Die erste Schwierigkeit schien
überwunden. Schon kam für die SPD die zweite Schwierigkeit, nämlich die mit dem Koalitionspartner - das ist
nachzulesen -: Die Grünen wollten die PDS beteiligen.
Die Formel hieß also: keine Zahlen. Nun war die dritte
Schwierigkeit, indem CDU/CSU und F.D.P. die SPD
daran erinnerten, daß es seinerzeit eigentlich ein Junktim
war, zu sagen: Wir werden das Gesetz mit einbringen
und mit zustimmen, aber nur, wenn klargestellt ist, daß
es bei der Zahl neun bleibt. Ihre vierte Schwierigkeit,
meine Damen und Herren von der SPD-Fraktion, lag in
dem nun doch mißglückten Lösungsversuch des Konfliktes mit dem Bericht des Innenausschusses. Ich frage
Sie einfach nur: Und das alles wegen der PDS? Nehmen
Sie uns vielleicht nicht doch ein Stück zu wichtig?
({1})
Wir werden dem Gesetzentwurf nicht zustimmen, es
sei denn, Sie entschließen sich doch noch mehrheitlich
zur Zustimmung zu unserem Änderungsantrag.
Vielen Dank.
({2})
Ich schließe die Aus-
sprache und möchte noch einmal darauf verweisen, daß
der Kollege Wiefelspütz seine Rede zu Protokoll gege-
ben hat.*) Ich setze das Einverständnis des Hauses vor-
aus.
Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den von den
Fraktionen der SPD, CDU/CSU, Bündnis 90/Die Grü-
nen und F.D.P. eingebrachten Entwurf eines Gesetzes
zur Änderung von Vorschriften über parlamentarische
Gremien auf der Drucksache 14/539. Der Innenausschuß
empfiehlt auf Drucksache 14/653, den Gesetzentwurf
unverändert anzunehmen.
Es liegt ein Änderungsantrag der Fraktion der PDS
vor, über den wir zunächst abstimmen. Wer stimmt für
den Änderungsantrag der PDS auf Drucksache 14/663?
- Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Ände-
rungsantrag ist gegen die Stimmen der PDS abgelehnt.
Ich bitte nun diejenigen, die dem Gesetzentwurf zu-
stimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt
dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist da-
mit in zweiter Beratung gegen die Stimmen der PDS-
Fraktion angenommen.
Dritte Beratung
und Schlußabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben.
- Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Damit ist der
Gesetzentwurf gegen die Stimmen der PDS angenom-
men.
Ich rufe nun die Tagesordnungspunkte 10a und b auf:
a) Erste Beratung des von den Abgeordneten Norbert Geis, Ronald Pofalla, Dr. Jürgen Rüttgers,
weiteren Abgeordneten und der Fraktion der
CDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuches
- Graffiti-Bekämpfungsgesetz - Drucksache 14/546 Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuß ({0})
Innenausschuß
Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuß für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
Ausschuß für Kultur und Medien
b) Erste Beratung des von den Abgeordneten Jörg
van Essen, Rainer Funke, Dr. Edzard SchmidtJortzig, weiteren Abgeordneten und der Fraktion
der F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum verbesserten Schutz des Eigentums
- Drucksache 14/569 Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuß ({1})
Innenausschuß
Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuß für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
Ausschuß. für Kultur und Medien
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung war für
die Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. Die
Kolleginnen und Kollegen Bachmaier, Leonhard, Göt-
---------
*) Anlage 2
zer, Kansy, Beck, Funke und Jünger geben ihre Reden
zu Protokoll.1) Sind Sie damit einverstanden? - Das ist
der Fall. Dann ist das so beschlossen.
Interfraktionell wird die Überweisung der Gesetzentwürfe auf den Drucksachen 14/546 und 14/569 an die in
der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? - Das ist
nicht der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
Ich rufe nunmehr den Tagesordnungspunkt 12 auf:
Erste Beratung des von den Abgeordneten Dr.
Christa Luft, Heidemarie Ehlert, Dr. Barbara
Höll, weiteren Abgeordneten und der Fraktion
der PDS eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Änderung des Einkommensteuergesetzes
- Drucksache 14/472 Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuß ({2})
Rechtsausschuß
Haushaltsausschuß gemäß § 96 GO
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung war für
die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. Die Kol-
leginnen und Kollegen Scheel, Frick2) und Michelbach3)
haben angekündigt, ihre Reden zu Protokoll zu geben.
Ich eröffne jetzt die Aussprache. Das Wort hat die
Kollegin Dr. Christa Luft, PDS.
Frau Präsidentin! Verehrte
Kolleginnen und Kollegen! Mitte Februar dieses Jahres
verlautete, daß sich Bundeskanzler Schröder und Unternehmensvertreter auf eine Stiftung mit dem Namen
„Erinnerung, Verantwortung, Zukunft“ verständigt
haben. Aus dem danach zu gründenden Fonds sollen
ehemalige Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter
sowie andere Opfer der nationalsozialistischen Zeit eine
Entschädigung erhalten können. Eine solche Initiative
war überfällig; das ist keine Frage. Daß sie erst mehr als
ein halbes Jahrhundert nach Beendigung des mörderischen zweiten Weltkrieges zustande kommt und dann
auch nur auf Grund von internationalem Druck und auf
Grund von Sammelklagen, ist für Politik und Wirtschaft
dieses Landes beschämend.
({0})
Von 200 000 bis 300 000 Menschen, die entschädi-
gungsberechtigt sein sollen, ist die Rede. Das sind weni-
ger Menschen, als allein bei der IG Farben in der NS-
Zeit zwangsverpflichtet waren; das ist nur ein Bruchteil
der über 7 Millionen Menschen, die in deutschen Unter-
nehmen Zwangsarbeit verrichten mußten. Aus deren un-
säglichen Leiden, aus deren Schweiß, aus deren Blut ha-
ben deutsche Konzerne und Großbanken Milliardenge-
winne gepreßt, große Vermögen aufgehäuft und daraus
ökonomische und politische Macht geschöpft. Das wirkt
bis heute nach.
-----------------
1) Anlage 3
2) Anlage 4
3) Der Redetext lag bei Redaktionsschluß noch nicht vor.
Überhaupt in Erwägung zu ziehen, Entschädigungsleistungen dieser Profiteure von damals als gewinnmindernde Betriebsausgaben anzuerkennen, also für
steuerlich abzugsfähig halten zu wollen, ist wahrlich ungeheuerlich.
({1})
Schockierend ist auch, daß Frau Matthäus-Maier,
finanzpolitische Sprecherin der SPD, hier im Plenum
vor kurzem auf eine entsprechende Zwischenfrage von
mir meinte: Hätten die betreffenden Unternehmen damals den Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeitern regulären Lohn gezahlt, dann wären das auch Betriebsausgaben gewesen. Ich finde das wirklich empörend.
Meine Fraktion findet es unerträglich, wenn im Zusammenhang mit Entschädigungszahlungen für Verbrechen gegen die Menschlichkeit steuersystematisch argumentiert wird. Wir haben daher den Entwurf eines
Gesetzes zur Änderung von § 4 des Einkommensteuergesetzes vorgelegt.
({2})
§ 4 Abs. 5 dieses Gesetzes, der Betriebsausgaben umfaßt, die den Gewinn nicht mindern, soll um Nr. 11 ergänzt werden:
Entschädigungen an Zwangsarbeiter für ihre
Zwangsarbeit während der Zeit des Nationalsozialismus sowie an dafür bereitgestellte Institutionen
unabhängig von der Deklarierung.
({3})
Es ist für uns nicht hinnehmbar, wenn die Profiteure
der Zwangsarbeit von damals nun nach Jahrzehnten die
Allgemeinheit mit den zu leistenden Entschädigungen
belasten dürfen. Das wäre wahrlich Diebstahl am öffentlichen Vermögen; denn zum öffentlichen Vermögen
gehört das Steueraufkommen. Die Konzerne und Großbanken müssen die entsprechenden Zahlungen aus ihren
Gewinnen begleichen, die in den letzten Jahren explodiert sind. Ich nenne dazu nur zwei Zahlen: Die Deutsche Bank hat 1998 in ihrem Jahresabschluß nach
Steuern das Dreifache des Vorjahres ausweisen können,
nämlich einen Jahresüberschuß von 3,4 Milliarden DM.
Sie kann ihren Aktionären eine um 22 Prozent erhöhte
Dividende zahlen. Bei der Bayer AG wuchs der Gewinn
nach Steuern 1998 um 7 Prozent auf 3,2 Milliarden DM.
Das sind Größenordnungen, bei denen immer noch
nachwirkt, was sich vor über 50 Jahren getan hat.
Ergänzend zur genannten Änderung des Einkommensteuergesetzes haben wir einen Gesetzentwurf eingebracht, nach dem die Verjährungsfrist für Ansprüche
von Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeitern aus der
Zeit des NS-Regimes verlängert werden soll. Solche
Ansprüche verjähren nach geltendem Recht am 13. Mai
1999. Wir fordern, diese Frist um 5 Jahre bis zum 8. Mai
2005 zu verlängern, um den wenigen noch lebenden OpVizepräsidentin Petra Bläss
fern den Rechtsweg für ihre Entschädigungsansprüche
offenzuhalten.
({4})
Kolleginnen und Kollegen, wir sind in der politischen
Bewertung der Umstände möglicherweise nicht ganz auf
einer Linie. Trotzdem hoffe ich auf Einvernehmen in der
Sache, wenn wir das in den Ausschüssen debattieren.
Danke schön.
({5})
Ich schließe die Aus-
sprache und möchte nachtragen, daß auch die Kollegin
Simone Violka von der SPD-Fraktion ihre Rede zu
Protokoll gegeben hat.*)
Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzentwurfes auf Drucksache 14/472 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt
es dazu anderweitige Vorschläge? - Das ist nicht der
Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 13 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Barbara Höll, Dr. Christa Luft, Heidemarie Ehlert,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der PDS
Ermäßigter Mehrwertsteuersatz für arbeitsintensive Leistungen
- Drucksache 14/64 Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuß ({0})
Ausschuß für Wirtschaft und Technologie
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. Folgende
Kollegen und Kolleginnen haben ihre Reden zu Protokoll gegeben: Grasedieck, Seiffert, Müller ({1}) und
Frick.**)
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Kollegin Dr. Barbara Höll, PDS.
Frau Präsidentin! Meine
Damen und Herren! Vor nahezu einem Jahr, im April
1998, hat der Bundestag die Senkung der Mehrwertsteu-
ersätze für arbeitsintensive Dienstleistungen, damals
ebenfalls auf Antrag der PDS, hier in diesem Hause dis-
kutiert. Sowohl die damalige Bundesregierung und die
sie tragenden Fraktionen als auch die Fraktion der SPD
lehnten unseren Vorschlag zum damaligen Zeitpunkt ab.
Sie begründeten dies unter anderem damit, daß
... Steuerreduzierungen durch die Unternehmen nicht
ohne weiteres weitergegeben werden. Folge ist, daß
lediglich die Gewinne der Unternehmen steigen.
Dies rufe ich Ihnen mit Blick auf die zukünftige Diskus-
sion über die Unternehmensteuerreform in Erinnerung.
Interessanterweise hat der jetzige Bundeskanzler, Ger-
------------
**) Anlage 4
**) Anlage 5
hard Schröder, zum gleichen Zeitpunkt in seinem Mittelstandsprogramm für die Senkung der Mehrwertsteuersätze für arbeitsintensive Dienstleistungen geworben,
damals im Widerspruch zur Mehrheit der SPD-Fraktion.
Die Vorzeichen scheinen dafür günstig zu stehen - darauf berufe ich mich -, daß sich die neue Regierung mit
ihrem Kanzler Schröder jetzt im Ecofin-Rat für unser
Anliegen einsetzt. Wir hoffen, daß die Chancen auch auf
internationaler Ebene gestiegen sind, ein dreijähriges
Pilotprojekt in den europäischen Ländern zu starten;
denn auch die Europäische Kommission will im EcofinRat einen entsprechenden Richtlinienvorschlag einbringen.
({0})
Es kommt nun darauf an, daß sich der Bundeskanzler
und die Bundesregierung der Senkung der Mehrwertsteuersätze für arbeitsintensive Dienstleistungen, insbesondere für Reparaturleistungen, auf europäischer Ebene
nicht mehr verweigern und der Änderung der Anlage H
der 6. Umsatzsteuerrichtlinie zustimmen.
Ich möchte ausführlich begründen, warum sich eine
entsprechende Regelung in den verschiedenen Bereichen
positiv auswirken kann. Wir sind der Meinung, daß es
möglich sein muß, nicht alle Dienstleistungen mit einem
ermäßigten Mehrwertsteuersatz zu belegen, sondern ihn
auf Reparaturarbeiten an beweglichen Gegenständen,
Renovierungs- und Reparaturarbeiten im Wohnungsbau
und auf Pflegeleistungen in Wohnungen, zum Beispiel
bei der Pflege von Kindern, älteren Bürgern oder Behinderten, zu beschränken. Wir denken, daß damit zum ersten niedrigere Verbraucherpreise erreicht werden.
Dies würde die Nachfrage nach arbeitsintensiven
Dienstleistungen anregen. Dadurch kann das Arbeitsplatzpotential in den entsprechenden Branchen erschlossen und - das ist besonders wichtig, weil die entsprechenden Unternehmen meistens lokal tätig sind - die
Schaffung von Arbeitsplätzen regional gezielt gefördert
werden.
Selbst wenn die Aussage der damaligen Regierung
stimmt, nämlich daß eine Senkung der Mehrwertsteuer
nicht in jedem Fall an die Verbraucherinnen und Verbraucher weitergegeben wird, so kann man doch feststellen, daß ein ermäßigter Mehrwertsteuersatz auf alle
Fälle die Kapitaldecke der kleinen Unternehmen, die
lokal tätig sind, stärken würde. Diese Maßnahme hätte
eine wesentlich zielgerichtetere Stärkung der Liquidität
und der Kapitaldecke als die von Ihnen avisierte Unternehmensteuerreform zur Folge, weil die von mir angesprochenen Unternehmen oftmals keine Steuern zahlen,
so daß sie auch von einer Steuersenkung nichts haben
werden. Aber von einer Senkung der Mehrwertsteuer
hätten sie etwas.
({1})
Zweitens meinen wir, daß auch eine ökologische
Lenkungswirkung erzielt werden kann; denn durch
Reparaturen würde die Langlebigkeit von Produkten gestärkt, und es wäre ein kleiner Versuch des Gegensteuerns in der Wegwerfgesellschaft gegeben.
Drittens. Ich denke, daß eine solche Maßnahme sehr
positiv auf die Eindämmung von Schwarzarbeit in
der Handwerksbranche wirken und damit ebenfalls
zur Schaffung von Arbeitsplätzen beitragen könnte.
({2})
Es ist doch ein offenes Geheimnis, daß insbesondere
durch den Hinweis auf den hohen Mehrwertsteuersatz
Kunden oftmals keine Rechnung oder nur eine über
einen Teil der erbrachten Leistungen ausgestellt wird.
Wenn man wirklich alles in Rechnung stellen würde,
wären einerseits Garantieansprüche der Konsumentinnen und Konsumenten gewährleistet, und andererseits
würde diese Maßnahme dazu beitragen, daß die Einnahmen aus der Einkommensteuer steigen würden, weil
die Leistungen nicht mehr am Fiskus vorbei erbracht
werden.
Wir meinen, wenn man diese drei Aspekte betrachtet,
daß es tatsächlich überlegenswert und notwendig ist,
diese Möglichkeit aufzugreifen. Wir wissen sehr wohl,
daß wir damit nicht Millionen von Arbeitsplätzen schaffen werden, aber wir sollten in unserer derzeitigen Situation der Massenarbeitslosigkeit jede Chance ergreifen. Wie der Finanzausschuß vor zwei Wochen in Paris
erfahren hat, ist das Bemühen auf internationaler Ebene
da. Ihre Kolleginnen und Kollegen der sozialistischen
Fraktion haben sehr eindringlich darum gebeten, daß wir
diesen Gedanken aufgreifen und positiv unterstützen.
In diesem Sinne möchte ich noch einmal dafür werben, daß wir tatsächlich eine positive Diskussion in den
Ausschüssen führen und uns einem Modellprojekt nicht
weiter verschließen.
Danke schön.
({3})
Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage
auf Drucksache 14/64 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung
so beschlossen.
Ich rufe den Zusatzpunkt 6 auf:
Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen SPD, CDU/CSU und BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die allgemeine und die repräsentative
Wahlstatistik bei der Wahl zum Deutschen
Bundestag und bei der Wahl der Abgeordneten des Europäischen Parlaments aus der
Bundesrepublik Deutschland
- Drucksache 14/401 ({0})
Beschlußempfehlung und Bericht des Innenausschusses ({1})
- Drucksache 14/635 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Barbara Wittig
Wolfgang Bosbach
Cem Özdemir
Dr. Max Stadler
Petra Pau
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung war für
die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. Folgende
Kolleginnen und Kollegen haben ihre Reden zu Proto-
koll gegeben: Wittig, Bosbach, Stadler und Claus*) und
Özdemir**).
Deshalb kommen wir sogleich zur Abstimmung über
den von den Fraktionen der SPD, CDU/CSU und des
Bündnisses 90/Die Grünen eingebrachten Entwurf eines
Gesetzes zur allgemeinen und repräsentativen Wahlstatistik bei der Wahl zum Deutschen Bundestag und bei der
Wahl der Abgeordneten des Europäischen Parlaments
aus der Bundesrepublik Deutschland auf den Drucksachen 14/401 und 14/635 Nr. 1. Ich bitte diejenigen, die
dem Gesetzentwurf in der Ausschußfassung zustimmen
wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter
Beratung gegen die Stimmen der F.D.P. und bei Enthaltung der PDS angenommen.
Wir kommen zur
dritten Beratung
und Schlußabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist gegen die Stimmen der F.D.P. und einige
Stimmen aus der PDS bei Enthaltung der Mehrheit der
PDS-Fraktion angenommen.
Der Innenausschuß empfiehlt unter Nr. 2 seiner Beschlußempfehlung auf Drucksache 14/635 die Annahme
einer Entschließung. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? Die Beschlußempfehlung ist mit den Stimmen der
Koalitionsfraktionen bei Enthaltung der PDS und bei
Nichtbeteiligung von CDU/CSU-Fraktion und F.D.P.Fraktion angenommen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind damit am
Schluß unserer heutigen Tagesordnung. Ich berufe die
nächste Sitzung des Deutschen Bundestag auf morgen,
Freitag, den 26. März 1999, 9 Uhr ein.
Die Sitzung ist geschlossen.