Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Guten Morgen, meine Damen und Herren! Die Sitzung ist eröffnet.
Zunächst gratuliere ich dem Kollegen Dr. Rolf Bauer, der am 5. März seinen 60. Geburtstag feierte, und
dem Kollegen Dieter Maaß ({0}), der am 7. März
ebenfalls seinen 60. Geburtstag beging, nachträglich im
Namen des ganzen Hauses sehr herzlich.
({1})
Bevor wir in die Tagesordnung eintreten, müssen
einige Nachwahlen zu Gremien vorgenommen werden.
Aus dem Kontrollausschuß beim Bundesausgleichsamt scheidet der Kollege Jochen Welt als ordentliches
Mitglied aus. Die Fraktion der SPD schlägt als Nachfolger den Kollegen Günter Graf ({2}), der bisher
stellvertretendes Mitglied war, und als neues stellvertretendes Mitglied den Kollegen Hans-Peter Kemper
vor. Sind Sie mit diesen Vorschlägen einverstanden? Ich höre keinen Widerspruch. Dann sind der Kollege
Graf als ordentliches und der Kollege Kemper als stellvertretendes Mitglied in den Kontrollausschuß beim
Bundesausgleichsamt gewählt.
Für den noch offenstehenden stellvertretenden Sitz im
Wahlprüfungsausschuß schlägt die Fraktion Bündnis 90/
Die Grünen die Kollegin Steffi Lemke vor. Sind Sie
auch damit einverstanden? - Ich höre keinen Widerspruch. Damit ist die Kollegin Steffi Lemke als stellvertretendes Mitglied in den Wahlprüfungsausschuß
gewählt.
Interfraktionell ist vereinbart worden, die verbundene
Tagesordnung um die Ihnen in einer Zusatzpunktliste
vorliegenden Punkte zu erweitern:
ZP2 Abgabe einer Erklärung der Bundesregierung zum Stand der
Agenda 2000 nach dem Rücktritt der europäischen Kommission
ZP3 Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Helmut Haussmann, Ulrich Heinrich, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der F.D.P.: Agenda
2000 - Die Europäische Union erweiterungs- und zukunftsfähig machen - Drucksache 14/547 ZP4 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion der F.D.P.:
Rücktritt des Bundesfinanzministers Oskar Lafontaine
und Festhalten der Bundesregierung an ihren Steuergesetzen
ZP5 Beratung des Antrags der Abgeordneten Hans Martin Bury,
Ernst Schwanhold, Gerd Andres, weiterer Abgeordneter und
der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Werner Schulz
({3}), Margareta Wolf ({4}) und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Initiative gegen die Auswir-
kungen der asiatischen Finanzkrise und des internationa-
len Subventionswettlaufs auf die deutsche und europäi-
sche Werftindustrie - Drucksache 14/540 -
ZP6 a) Erste Beratung des von den Abgeordneten Dr. Jürgen Rüttgers, Erwin Marschewski, Günter Baumann, weiterer Abgeordneten und der Fraktion der CDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neuregelung des Staatsangehörigkeitsrechts ({5}) - Drucksache 14/535 -
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Jürgen Rüttgers,
Erwin Marschewski, Günter Baumann, weiterer Abgeordneter
und der Fraktion der CDU/CSU: Modernes Ausländerrecht
- Drucksache 14/532 -
c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Jürgen Rüttgers,
Erwin Marschewski, Günter Baumann, weiterer Abgeordneter
und der Fraktion der CDU/CSU: Integration und Toleranz
- Drucksache 14/534 -
ZP7 a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Ralf Brauksiepe,
Klaus-Jürgen Hedrich, Dr. Christian Ruck, weiterer Abgeord-
neter und der Fraktion der CDU/CSU: Europäische Ent-
wicklungszusammenarbeit reformieren - Drucksache
14/537 -
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Joachim Günther,
Gerhard Schüßler, Dr. Helmut Haussmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der F.D.P.: Eigenverantwortlichkeit der AKP-Staaten fördern - Drucksache 14/531 ZP8 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion der PDS: Haltung der Bundesregierung zu den u.a. durch die ökologische Steuerreform bedingten Tariferhöhungen der Deutschen Bahn AG unter besonderer Berücksichtigung der
zusätzlichen Belastungen in den neuen Bundesländern
Weiterhin ist vereinbart worden, den Tagesordnungspunkt 5c - es handelt sich um die Sammelübersicht 12
zu Petitionen - sowie das Integrationsförderungsgesetz,
das ursprünglich mit der Beratung zur Reform des
Staatsangehörigkeitsrechts unter Tagesordnung 9b vorgesehen war, abzusetzen.
Außerdem weise ich auf eine nachträgliche Ausschußüberweisung im Anhang zur Zusatzpunktliste hin:
Der in der 19. Sitzung des Deutschen Bundestages überwiesene nachfolgende Antrag soll nachträglich dem Ausschuß
für Angelegenheiten der neuen Länder zur Mitberatung
überwiesen werden.
Antrag der Abgeordneten Dr.-Ing. Dietmar Kansy, Dirk Fischer ({6}), Eduard Oswald, weiterer Abgeordneter und
der Fraktion der CDU/CSU
Das Wohngeld jetzt und familiengerecht reformieren
- Drucksache 14/292 überwiesen:
Ausschuß für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen ({7})
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung
Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuß für Angelegenheiten der neuen Länder
Haushaltsausschuß
Sind Sie mit diesen Vereinbarungen einverstanden? Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Fraktion der
CDU/CSU hat fristgerecht beantragt, die heutige Tagesordnung um die Beratung ihres Antrags zur Rücknahme
des Steuerentlastungsgesetzes, des Gesetzes zum Einstieg in die ökologische Steuerreform sowie des Gesetzes zur Neuregelung der geringfügigen Beschäftigungsverhältnisse zu erweitern. Der Antrag soll nach
dem Wunsch der Antragsteller nach Tagesordnungspunkt 4 mit einer Debattenzeit von einer Stunde aufgerufen werden.
Die Fraktion der F.D.P. hat fristgerecht beantragt, die
Tagesordnung um die Beratung ihres Antrags zur Mißbilligung des Verhaltens des Bundesfinanzministers
Oskar Lafontaine und zum Stopp der Steuergesetze
und des 630-Mark-Gesetzes im Bundesrat zu erweitern. Der Antrag soll nach dem Wunsch der Antragsteller ebenfalls nach Tagesordnungspunkt 4 mit einer Debattenzeit von eineinhalb Stunden aufgerufen werden.
Wird zu diesen Geschäftsordnungsanträgen das
Wort gewünscht? - Das ist der Fall.
Bevor ich das Wort erteile, erlaube ich mir folgenden
Hinweis: Die Anträge der Fraktionen der CDU/CSU und
F.D.P. zur Tagesordnung betreffen - das ist nicht überraschend - politisch umstrittene Themen. Wir führen
jetzt aber nur eine Geschäftsordnungsdebatte. Eine
Sachdebatte können wir führen, falls die beantragten
Erweiterungen der Tagesordnung beschlossen werden.
Ich bitte Sie, dies zu beachten und meine Amtsführung
nicht zu erschweren, wenn wir jetzt in die Geschäftsordnungsdebatte eintreten.
({8})
Das gilt allerdings für alle künftigen Redner.
({9})
Ich erteile das Wort dem Kollegen Hans-Peter Repnik, CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident,
ich werde Ihren Rat beherzigen, mir allerdings auch erlauben, unseren Antrag inhaltlich zu begründen. Dies ist
ja wohl notwendig.
Hätte das Ganze nicht so schlimme Folgen - die
Gesetzgebung für die 630-Mark-Jobs könnte nur
noch für das Guinness-Buch der Rekorde empfohlen werden.
({0})
Vier Nachbesserungen waren bereits nötig, nun
kündigt sich die fünfte an.
Das konnte man gestern in der „Neuen Osnabrücker
Zeitung“ einem Kommentar entnehmen. Der Kommentator Franz Schmedt fährt fort:
Erst äußern Niedersachsen und NordrheinWestfalen lobenswerte Kritik an dem völlig verunglückten Gesetzentwurf, dann wollen sie am Freitag im Bundesrat trotzdem zustimmen, um sich anschließend wieder für Korrekturen einzusetzen.
Solche Verwirrspiele sprechen jeder transparenten,
logischen Politik Hohn. Sie sind nur möglich, weil
parteipolitische Überlegungen - nur bis zum
19. März verfügt die Koalition noch über die
Mehrheit in der Länderkammer - über die Sache
gestellt werden.
({1})
Der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ konnte man
in diesen Tagen entnehmen, daß der Wirtschaftsminister
und designierte Übergangs- und Aushilfsfinanzminister
Müller gesagt hat:
Wenn ich die Schätzungen der Industrie gekannt
hätte, hätte ich der Steuerreform
- um sie geht es morgen im Bundesrat im Kabinett nicht zugestimmt.
({2})
Der Kollege Mosdorf, Parlamentarischer Staatssekretär dieser Regierung, sagt - heute morgen in der
„Welt“ nachzulesen -, daß selbstverständlich Korrekturen an diesem Vorhaben vonnöten seien.
({3})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, der Chef
dieses Unternehmens hüllt sich erst in Schweigen, dann
in Kaschmir
({4})
und teilt dann vor wenigen Tagen über die „Bild“Zeitung mit:
Ich lasse mit mir keine Politik gegen die Wirtschaft
machen! . . . Es wird einen Punkt geben, wo ich die
Verantwortung für eine solche Politik nicht mehr
übernehmen werde!
Liebe Kolleginnen und Kollegen, hier spricht der Bundeskanzler über die Politik der ersten fünf Monate seiner
Regierung. Der Fahrer des Wagens dieser Chaos-Combo
zieht in der Einsicht des Scheiterns seiner Politik die
Konsequenz und begeht Unfallflucht. Er hinterläßt einen
Scherbenhaufen sowohl im nationalen wie im europäiPräsident Wolfgang Thierse
schen Bereich. Darüber werden wir nachher noch diskutieren.
({5})
- Nein. Keine Sorge, Herr Fischer. Und ich habe es
selbst finanziert.
({6})
Das Thema ist so ernst - deshalb müssen wir heute
darüber diskutieren -, weil wir seit dem Amtsantritt der
Schröder-Regierung in der Bundesrepublik Deutschland
eine halbe Million Arbeitslose mehr haben, weil der
Rückgang der Investitionsquote beängstigend ist und
weil die Frühindikatoren bezüglich der zukünftigen
wirtschaftlichen Entwicklung geradezu besorgniserregend sind.
Wir haben eine einmalige Situation. Die Mehrheit in
diesem Hohen Hause hat gegen unseren Widerstand drei
Gesetze durchgepeitscht.
({7})
Nun erkennt man die Schwächen. Man will korrigieren.
Man nutzt aber nicht die letztmögliche Chance für diese
Korrektur.
Genau hier setzt unser Antrag an. Morgen stehen im
Bundesrat diese drei Gesetze auf der Tagesordnung.
Wenn der Bundesrat gegen jegliche ökonomische Vernunft aus parteipolitischen Interessen heraus morgen
diese drei Gesetze durchwinkt, dann wird dies verhängnisvolle Auswirkungen für den Mittelstand, für die Gastronomie, für die Versicherungswirtschaft, für die
Energiewirtschaft, für die Braunkohle, für die neuen
Länder haben, und dies in einer Zeit, wo wir bereits
wieder eine Trendwende zum Negativen auf dem Arbeitsmarkt haben.
Deshalb, Herr Präsident, erwarten wir, daß dieser
Antrag heute auf die Tagesordnung kommt, damit wir
uns austauschen können, damit wir an den Bundesrat
appellieren können, Abstand von diesem verhängnisvollen Vorhaben zu nehmen und Korrekturen möglich
zu machen, damit sich die Ministerpräsidenten der SPD,
seien es Glogowski oder Clement, seien es Stolpe oder
Höppner, dem Beispiel der Ministerpräsidenten von Baden-Württemberg, Sachsen und Bayern anschließen und
den Vermittlungsausschuß anrufen.
({8})
Bundeskanzler Schröder ist mit dem Versprechen angetreten, mehr Arbeitsplätze zu schaffen. Wenn es ihm
mit seiner Aussage Ernst ist, daß er nicht gegen die
Wirtschaft regieren möchte, dann bedeutet dies, daß er
dieses unheilvolle Vorhaben stoppt. Er hat morgen über
die SPD-Mehrheit im Bundesrat die Möglichkeit dazu.
Wir fordern ihn nachhaltig auf, diese Möglichkeit zu
nutzen. Dieser Bundeskanzler hat einen Amtseid auf die
Verfassung und nicht auf eine Parteifibel geleistet. Er
soll dem Amtseid gerecht werden. Deshalb bitten wir
darum, daß wir dieses Thema heute - unserem Antrag
entsprechend - auf die Tagesordnung setzen und diskutieren.
({9})
Das Wort für die
SPD-Fraktion hat Kollege Wilhelm Schmidt.
Guten Morgen, Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Jeder hier im Saal weiß: Das
ist jetzt die sechste Geschäftsordnungsdebatte, die die
Opposition vom Zaun bricht.
({0})
Es ist übrigens schon die zweite, die sich gegen das
Steuerentlastungsgesetz wendet. Da muß ich zunächst
einmal fragen: Wo sind denn Ihre konkreten Anträge
zum Steuerentlastungsgesetz?
({1})
Sie haben hier bisher nur Obstruktion betrieben. Nicht
ein einziger Vorschlag von Ihnen liegt auf dem Tisch,
der sich damit beschäftigt, wie Sie denn die Steuerreform angehen würden. Insofern müssen wir zunächst
einmal registrieren, daß Sie hier ins Leere laufen werden.
({2})
Sie werden nicht nur wegen der Mehrheitsverhältnisse hier im Hause ins Leere laufen, an die Sie sich offensichtlich noch immer nicht gewöhnen wollen oder können, sondern auch wegen der rechtlichen Schwäche Ihrer Anträge. Wir sind überrascht, meine Damen und
Herren von der CDU/CSU und von der F.D.P., daß Sie
uns nicht schon wieder damit kommen, daß wir möglicherweise Verfassungsbruch begangen hätten, wie Sie in
den vergangenen Geschäftsordnungsdebatten behauptet
haben. Insofern erreicht Ihre heutige Antragstellung eine
neue Dimension: Sie werfen uns nicht Verfassungsbruch
vor, sondern Sie rufen andere Verfassungsorgane zum
Verfassungsbruch auf. Das hat nun wirklich eine ganz
neue Qualität.
({3})
Eigentlich bin ich es leid, Ihnen hier jedesmal Nachhilfeunterricht in Parlamentsrecht und in Verfassungsrecht zu geben. Aber wenn es denn sein muß, dann will
ich Ihnen das gerne in aller Genauigkeit erklären. Soweit
Sie die Bundesregierung auffordern, wegen eines Einspruchsgesetzes, nämlich wegen des Ökosteuergesetzes,
den Vermittlungsausschuß anzurufen, ist das verfassungsrechtlich schlicht unzulässig. Anrufungsberechtigt
in diesen Fällen ist allein der Bundesrat. Damit Sie das
auch nachlesen können, nenne ich Ihnen die Fundstelle:
Das steht in Art. 77 Abs. 2 des Grundgesetzes - nur damit Sie Bescheid wissen.
({4})
Soweit die Bundesregierung aufgefordert werden soll,
den Vermittlungsausschuß wegen Zustimmungsgesetzen, nämlich wegen des Steuerentlastungsgesetzes und
des Gesetzes zur Regelung der geringfügigen Beschäftigungsverhältnisse, anzurufen, ist das schlicht kurios.
Hier sind zwar neben dem Bundesrat auch Bundestag
und Bundesregierung zur Anrufung berechtigt - das
steht in Art. 77 Abs. 2 Satz 4 -, aber erst dann, wenn
feststeht, daß der Bundesrat das Gesetz scheitern lassen
wird. Das ist übrigens - damit Sie auch das nachlesen
können - die einhellige Meinung der Kommentatoren;
ich verweise auf Maunz/Dürig/Herzog zu Art. 77, Randziffer 15. Aber ich schenke es mir jetzt, Ihnen die weiteren Fundstellen zu nennen.
Zweck der Anrufungsmöglichkeit der Bundesregierung bei Zustimmungsgesetzen ist es, den Bundesrat
möglichst zur Annahme des Gesetzentwurfs zu bewegen
und nicht zur Ablehnung. Also ist das, was Sie da machen, widersprüchlich.
Soweit der Bundesrat aufgefordert werden soll, den
Vermittlungsausschuß anzurufen, offenbart dies ein gestörtes Verfassungsverständnis gegenüber unserer föderativen Rechtsordnung. Mit dem Gesetzesbeschluß in
der zweiten und dritten Lesung endet nämlich die Dispositionsbefugnis des Deutschen Bundestages. Sie aber
glauben, wir könnten von hier aus den Bundesrat im
Rahmen einer erneuten Debatte auffordern, etwas anderes zu machen als das, was wir ihm vor einigen Wochen
mit dem Abschlußbericht zu diesem Gesetz auf den
Tisch gebracht haben.
({5})
Das ist schlicht gesetzeswidrig. Es ist ein Verfassungsbruch, zu dem Sie aufrufen wollen. Das machen wir
nicht mit.
({6})
Daß für Ihre Anträge kein Aufsetzungsrecht besteht,
wissen Sie ohnehin. Von daher brauchen wir nicht auch
noch die Geschäftsordnung zu zitieren.
Daß Sie aber mit der Zielsetzung Ihrer Anträge auch
im politischen Sinne verantwortungslos handeln, will ich
doch noch erwähnen. Wir alle wissen, daß Sie ausschließlich zerstörerisch tätig sein wollen. Von daher
weisen wir Sie noch einmal auf folgendes hin: Wir wollen eine Steuersenkung, und zwar für Familien sowie
Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Wir wollen die
Entlastung des Mittelstandes. Das wird mit der von uns
eingebrachten Gesetzgebung erzielt.
({7})
Meine Damen und Herren von der Opposition, Sie
würden im übrigen, wenn Sie mit Ihrem Antrag Erfolg
hätten, ein absolutes Chaos auf den Finanzmärkten und
in den Staatskassen herbeiführen.
({8})
- Sie haben das ja an anderer Stelle schon vergeblich
versucht. Das sollten Sie einfach einmal zur Kenntnis
nehmen. Von daher lassen wir Ihr Vorgehen nicht zu.
Ich will, da Sie sich gegen den bisher amtierenden
Bundesfinanzminister wenden, noch ein abschließendes
Wort zu seinem Rücktritt sagen: Wir lassen Oskar Lafontaine weder von Ihnen noch von Teilen der Öffentlichkeit in der Weise niedermachen und mit Schmutz
bewerfen, wie das zum Teil geschehen ist.
({9})
Wir bedauern seinen Rücktritt, und wir danken ihm für
seine großen Leistungen, die er in den vergangenen Monaten und Jahren hier und an anderer Stelle erbracht hat.
({10})
Ich stelle fest - denn ich empfinde Ihre Verfahrensweise
als nicht menschenwürdig -:
({11})
Wir danken ihm nicht nur, sondern wir wünschen ihm
auch persönlich für die Zukunft alles Gute.
({12})
Für die F.D.P.Fraktion erteile ich dem Kollegen Jörg van Essen das
Wort.
Herr Präsident! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! All das gekünstelte Begründen des Kollegen Schmidt hilft über eines nicht hinweg:
Es geht nicht an, daß im ganzen Land und in vielen
Hauptstädten der Welt immer noch über den Rücktritt
des SPD-Vorsitzenden und Bundesfinanzministers Oskar Lafontaine heftig diskutiert wird und daß wir im
Parlament, dem er als Finanzminister rechenschaftspflichtig ist, gehindert werden, darüber zu debattieren.
({0})
Es ist auch nicht hinnehmbar, daß sich die Menschen
in Deutschland zu Recht darüber wundern, daß sie ihr
eigenes Beschäftigungsverhältnis nicht einfach aufgeben
können, ohne Kündigungsfristen einzuhalten, und daß
sie nicht einfach den Bettel hinschmeißen können, ohne
die Folgen zu tragen, daß aber der Bundesfinanzminister
das offensichtlich tun kann. Wir wollen darüber sprechen, ob das so richtig ist.
({1})
Wilhelm Schmidt ({2})
Es muß uns im Parlament doch herausfordern, daß
Oskar Lafontaine ein schlechtes Mannschaftsspiel innerhalb der Regierung kritisiert und daß Minister Trittin
von den Grünen das rotgrüne Experiment für gescheitert
erklärt. Wir wollen von der Regierung erfahren, was sie
dazu zu sagen hat.
({3})
Es ist schlicht unerträglich, daß wir uns tagtäglich von
SPD-Ministerpräsidenten anhören müssen, wie schlecht
die von Rotgrün durchgeboxten Steuergesetze sind. Wir
wollen hören, was die Regierung dazu zu sagen hat.
({4})
Wir nehmen es nicht hin, daß mitten in den Haushaltsberatungen und während der deutschen EUPräsidentschaft das wichtige Amt des Finanzministers
vom Bundeswirtschaftsminister als Nebenjob wahrgenommen wird. Wir möchten hier im Parlament darüber
sprechen, ob das so geht.
({5})
Wir nehmen es auch nicht hin, daß der SPDFraktionsvorsitzende für die Osterpause eine teure Sondersitzung des Bundestages ankündigt - nur damit der
abgewählte hessische Ministerpräsident sein Versprechen brechen und morgen im Bundesrat Gesetzen zustimmen kann, von denen alle wissen, daß sie geändert
werden müssen. Wir wollen das hier im Parlament zum
Ausdruck bringen.
({6})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, all das macht deutlich: Ein Parlament, das wichtige Fragen beiseite schiebt
bzw. übergeht, gibt sich auf. Wie schlecht muß eigentlich die Lage der Koalition, wie schwach müssen eigentlich die Argumente sein, wenn man sich hier der
Debatte nicht stellt? Wir verlangen eine Aussprache
über diese Fragen.
({7})
Das Wort für die
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat nun Kollegin Kristin Heyne.
Herr
Präsident! Meine Damen und Herren! Eine Geschäftsordnungsdebatte am Donnerstagmorgen zu führen, das
wird allmählich zu einer regelmäßigen, schlechten Angewohnheit.
({0})
Diesmal liegen sogar zwei Anträge vor. Kollege van Essen, nachdem die CDU/CSU hier einen verfassungsmäßig unhaltbaren Antrag eingebracht hat - der Kollege
Schmidt hat das dargestellt -, habe ich gedacht, Sie
wollten das korrigieren. Aber als ich in Ihren Antrag
hineingeschaut habe, mußte ich feststellen, daß Sie den
Unfug wortwörtlich von der CDU/CSU abgeschrieben
haben. Wollen Sie den Bundestag tatsächlich dazu auffordern, daß er dem Bundesrat vorschreibt, wie er abzustimmen hat? Das kann doch nicht Ihr Ernst sein; das ist
verfassungsmäßig völlig unhaltbar.
({1})
Aber, meine Damen und Herren, die F.D.P. will ja
noch ein bißchen mehr. Die F.D.P. hat die Stirn, die
neue Bundesregierung aufzufordern, bis zum 21. Juni das Datum wird exakt benannt - das Verfassungsgerichtsurteil zum Familienlastenausgleich umzusetzen.
Das fordert die F.D.P., nachdem sie 29 Jahre lang in der
Regierung war, nachdem sie 29 Jahre die Möglichkeit
dazu hatte.
({2})
Sie sind vom Bundesverfassungsgericht mehrfach, in
verschiedenen Urteilen, aufgefordert worden, endlich
die Familien zu entlasten.
({3})
All diese Jahre über haben Sie - das war verfassungswidrig - den Familien zu hohe Steuern aufgebürdet,
({4})
und jetzt haben Sie die Unverfrorenheit, für die Beratung eines solchen Antrags auch noch eine extra Debatte
zu beantragen. Meine Damen und Herren von der
F.D.P., das machen wir ganz sicher nicht mit.
({5})
Sie nutzen das Mittel der Geschäftsordnungsdebatte,
um ein weiteres Mal Ihre Horrormeldungen in die Welt
zu blasen.
({6})
Man kann da lesen, daß insbesondere für die mittelständische Wirtschaft die Auswirkungen der Steuerreformen
katastrophal seien. So tönt der bewährte Chor von Verbandssprechern und schwarzgelben Politikern. Henkel,
Hundt, Stihl
({7})
und Vertreter von CDU und F.D.P. tragen gern die Fahne des Mittelstands vor sich her; aber der Karren, vor
den sie gespannt sind, ist der Karren der großen Konzerne und der Großindustrie.
({8})
Mit Ihren hier im Eilverfahren eingebrachten Anträgen
spielen Sie ein weiteres Mal den Retter des Mittelstandes. Sie hatten viele, viele Jahre Zeit, den Mittelstand zu
unterstützen; Sie haben das versäumt. Wir setzen jetzt
mit beiden Steuerprojekten, mit der Einkommensteuerreform und mit der Ökosteuer, Bedingungen, die eine
Entlastung des Mittelstandes ermöglichen.
({9})
Das ist notwendig für die Schaffung von Arbeitsplätzen,
und das tun wir.
({10})
Meine Damen und Herren von der Opposition, die
bisher vorgelegten Steuergesetze sind der erste Schritt;
das wissen auch Sie. Es wird eine Reform der Unternehmensbesteuerung folgen. Wir haben in der Koalition
gemeinsam das Ziel dieser Reform festgelegt - Sie können das in unserem Koalitionsvertrag nachlesen -: Wir
haben vor, die Unternehmensteuern auf 35 Prozent zu
senken. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Opposition, eine Aufforderung dazu von Ihrer Seite ist überhaupt nicht notwendig.
Aber notwendig ist, daß das inzwischen schon hysterische Herunterreden und Schlechtreden der Investitionsbedingungen in der Bundesrepublik Deutschland
endlich aufhört.
({11})
Auch Sie, meine Damen und Herren von den Oppositionsparteien, und die Ihnen nahestehenden Institute und
Verbände müssen endlich Verantwortung für die fahrlässig überzogene Kritik, die Sie äußern, übernehmen.
Eine starke Wirtschaft und einen guten Wirtschaftsstandort kann man auch kaputtreden. Ich fordere Sie auf:
Kehren Sie zu einem Mindestmaß an politischer Redlichkeit in dieser Debatte zurück, insbesondere auch in
der Debatte in diesem Haus!
({12})
Es ist natürlich Ihre Pflicht als Opposition, unsere
Arbeit als Regierungsfraktionen kritisch zu beäugen und
kritisch zu begleiten. Dazu gehört auch das Mittel der
Geschäftsordnungsdebatte; das ist völlig klar. Aber die
Inflation an Geschäftsordnungsauseinandersetzungen,
die wir in den vergangenen Wochen erlebt haben, wird
dem Ernst der Aufgabe, endlich die skandalös hohe Arbeitslosigkeit in diesem Land zu bekämpfen, nicht gerecht.
({13})
Meine Damen und Herren von der Opposition, mit
der grundlegenden Reform der Unternehmensbesteuerung haben wir eine wichtige, schwierige und viel zu
lange vernachlässigte politische Aufgabe übernommen.
Ich fordere Sie auf: Lassen Sie uns in einen konstruktiven Wettstreit um vernünftige Lösungen für diese Aufgabe eintreten! Dann erfüllen wir unseren Auftrag.
({14})
Für die Fraktion der
PDS spricht nun der Kollege Roland Claus.
Herr Präsident! Meine Damen
und Herren! Das Grundanliegen der beiden Geschäftsordnungsanträge, die uns vorliegen, ist, drei Gesetze zu
kippen, die wir erst kürzlich beschlossen haben, weil ein
maßgeblicher Erfinder dieser Gesetze zurücktrat.
Die PDS hat zweien dieser Gesetze nicht zugestimmt
und sich bei einem enthalten. Demnach stehen wir diesem Vorgang aufgeschlossen gegenüber.
({0})
Wir können dies im einzelnen mit einiger Unbefangenheit beleuchten. Die Unbefangenheit begründet sich aus
der Tatsache, daß wir zwischen den alten und den neuen
Regierungsfraktionen stehen.
({1})
- Sie müssen doch zugeben: Den Zustand, daß wir beteiligt gewesen sind, hatten wir noch nicht.
In der Frage der rechtlichen Beurteilung der beiden
Geschäftsordnungsanträge können wir uns diese Unbefangenheit durchaus leisten. Aber beide Anträge haben
diametrale Vorzüge und Schwächen. Der F.D.P.-Antrag
ist rechtlich wesentlich korrekter als der der CDU/CSU;
aber er ist aus unserer Sicht - dazu komme ich noch politisch-moralisch unvertretbar.
({2})
Der CDU/CSU-Antrag geht unseres Erachtens politisch
in Ordnung, hat aber gravierende verfassungsrechtliche
Fehler.
({3})
Was nun tun? Wir halten den CDU/CSU-Antrag für
heilbar. Hätten Sie den Antrag doch in zwei Teilen gestellt: Erstens hätten Sie einen Gesetzentwurf zur Aufhebung der drei Gesetze einbringen können und zweitens einen Antrag, die Verhandlungen im Bundesrat
möglichst aufzuhalten. Dann wäre es möglich gewesen,
dem zuzustimmen.
({4})
Wir denken, daß dieser Fehler bei der Behandlung behoben werden kann, und werden deshalb dem
CDU/CSU-Antrag zustimmen.
({5})
Der F.D.P.-Antrag geht formalrechtlich in Ordnung.
Zudem wird die SPD bei Tricksereien erwischt. Aber Ihr
Antrag ist so voller Häme gegenüber Oskar Lafontaine
und menschlich daneben, daß wir ihn ablehnen. Ein solches Nachtreten machen wir einfach nicht mit.
({6})
Sie haben übrigens eine Glaubwürdigkeitslücke, weil
Sie einerseits den Rücktritt begrüßt haben und ihn andererseits hier bejammern.
In diesem Sinne unser Fazit: Der CDU/CSU-Antrag
hat rechtliche Schwächen, die heilbar sind; er geht politisch in Ordnung. Der F.D.P.-Antrag ist moralisch daneben. Unser Votum habe ich Ihnen mitgeteilt.
({7})
Wir kommen zur
Abstimmung. Wer stimmt für den Aufsetzungsantrag
der CDU/CSU? - Wer stimmt dagegen? - Gibt es Ent-
haltungen? - Der Aufsetzungsantrag ist mit den Stim-
men von SPD und Bündnis 90/Die Grünen abgelehnt.
Wer stimmt für den Aufsetzungsantrag der F.D.P.? -
Wer stimmt dagegen? - Stimmenthaltungen? - Der Auf-
setzungsantrag ist mit den Stimmen der SPD, der Frakti-
on Bündnis 90/Die Grünen und der PDS abgelehnt.
Ich rufe den Zusatzpunkt 2, die Tagesordnungspunkte
4 a und 4 b sowie den Zusatzpunkt 3 auf:
ZP2 Abgabe einer Erklärung der Bundesregierung
zum Stand der Agenda 2000 nach dem Rück-
tritt der Europäischen Kommission
4 a) Beratung des Antrags der Fraktion der CDU/CSU
Agenda 2000 - Europa voranbringen, einen
fairen Interessenausgleich sichern
- Drucksache 14/396 -
b) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für die Angelegenheiten
der Europäischen Union ({0})
- zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Agenda 2000
1. Eine stärkere und erweiterte Union
({1})
2. Die Erweiterung der Union - Eine Herausforderung ({2})
3. Zusammenfassungen und Schlußfolgerungen der Stellungnahmen der Kommission zu
den Beitrittsanträgen zur Europäischen Union
folgender Länder:
- Bulgarien
- Estland
- Ungarn
- Lettland
- Litauen
- Polen
- Tschechische Republik
- Rumänien
- Slowenien
- Slowakei
- zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Mitteilung der Kommission
Agenda 2000:
Die Legislativvorschläge
Allgemeiner Überblick
- zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Vorschläge für Beschlüsse des Rates über die
Grundsätze, Prioritäten, unmittelbaren Ziele
und Bedingungen der Beitrittspartnerschaften
- zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Vorschlag für eine Verordnung ({3}) des Rates über ein strukturpolitisches Instrument
zur Vorbereitung auf den Beitritt
- zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Vorschlag für eine Verordnung ({4}) des Rates über eine gemeinschaftliche Förderung für
Maßnahmen in den Bereichen Landwirtschaft
und Entwicklung des ländlichen Raumes zur
Vorbereitung des Beitritts der Bewerberländer in Mittel- und Osteuropa während des
Heranführungszeitraums
- zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Vorschlag für eine Verordnung ({5}) des Rates zur Koordinierung der Hilfe für die beitrittswilligen Länder im Rahmen der Heranführungsstrategie
- zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Vorschlag für eine Verordnung ({6}) des Rates mit allgemeinen Bestimmungen zu den
Strukturfonds
Vorschlag für eine Verordnung ({7}) des Rates über den Europäischen Fonds für regionale Entwicklung
Vorschlag für eine Verordnung ({8}) des Rates betreffend den Europäischen Sozialfonds
Vorschlag für eine Verordnung ({9}) des Rates über Strukturmaßnahmen im Fischereisektor
- zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Vorschlag für eine Verordnung ({10}) des
Rates zur Änderung der Verordnung ({11})
Nr. 1164/94 zur Errichtung des Kohäsionsfonds
Vorschlag für eine Verordnung ({12}) des Rates zur Änderung von Anhang II der Verordnung ({13}) Nr. 1164/94 zur Errichtung des
Kohäsionsfonds
- zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Vorschlag für eine Verordnung ({14}) des Rates betreffend die Reform der gemeinsamen
Agrarpolitik
- zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Mitteilung der Kommission an den Rat und
das Europäische Parlament über die Erstellung einer neuen finanziellen Vorausschau für
den Zeitraum 2000-2006
- zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Die Finanzierung der Europäischen Union
Bericht der Kommission über das Funktionieren des Eigenmittelsystems
- zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Bericht über die Umsetzung der interinstitutionellen Vereinbarung vom 29. Oktober 1993
über die Haushaltsdisziplin und die Verbesserung des Haushaltsverfahrens
Vorschläge für eine neue Vereinbarung
- zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Vorschlag für eine Verordnung ({15}) des Rates zur Änderung der Verordnung ({16})
Nr. 2236/95 über die Grundregeln für die Gewährung von Gemeinschaftszuschüssen für
transeuropäische Netze
- zu der Unterrichtung durch das Europäische
Parlament
Entschließung des Europäischen Parlaments
zur Mitteilung der Kommission zur Agenda
Erster Teil Kapitel II „Wirtschaftlicher und
sozialer Zusammenhang“
- zu der Unterrichtung durch das Europäische
Parlament
Entschließung des Europäischen Parlaments
zur Agenda 2000 - Reform der Gemeinsamen
Agrarpolitik
- zu der Unterrichtung durch das Europäische
Parlament
Entschließung des Europäischen Parlaments
zur Mitteilung der Kommission „Agenda
2000“: Finanzrahmen der Union für den Zeitraum 2000-2006 und künftiges Finanzierungssystem
- Drucksachen 13/8391, 14/272 Nrn. 192, 196,
194, 202, 195, 199, 201, 200, 14/309 Nrn. 2.2,
2.1, 2.5, 14/272 Nrn. 197, 203, 205, 14/342
Nr. 1.4, 14/272 Nr. 193, 14/514 Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Norbert Wieczorek
Christian Sterzing
Manfred Müller ({17})
ZP3 Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr.
Helmut Haussmann, Ulrich Heinrich, Sabine
Leutheusser-Schnarrenberger, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der F.D.P.
Agenda 2000 - Die Europäische Union erweiterungs- und zukunftsfähig machen
- Drucksache 14/547 Zur Regierungserklärung liegt ein Entschließungsantrag der Fraktionen der SPD und Bündnis 90/Die Grünen vor.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache im Anschluß an die Regierungserklärung drei Stunden vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Das Wort zur Abgabe einer Regierungserklärung hat
der Bundesminister des Auswärtigen, Joseph Fischer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In einer Woche werden die Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union über die Agenda 2000, das heißt über
zentrale Reformen der finanziell wichtigsten Aufgabenbereiche der Europäischen Union, zu entscheiden haben:
über Reformen der gemeinsamen Agrarpolitik, der
Strukturpolitik und des Beitragssystems sowie über den
künftigen Finanzrahmen der Union für den Zeitraum
2000 bis 2006. Insgesamt reden wir über eine Größenordnung von um die 600 Milliarden Euro.
Für alle Beteiligten geht es dabei um massive nationale Interessen und um sehr viel Geld. Entscheidend ist
jedoch die politische Bedeutung der Agenda 2000 für
die Zukunft Europas. Mit einem erfolgreichen Abschluß
in Berlin würde eine der beiden entscheidenden Hürden
für die Osterweiterung der Europäischen Union aus dem
Weg geräumt. Dies wäre ein Signal an die Beitrittsländer, daß sich die Europäische Union ernsthaft auf ihre
Aufnahme vorbereitet, und zugleich ein Ansporn, auf
Reformkurs zu bleiben. Ein Scheitern in Berlin würde
dagegen den Zeitplan der Erweiterung gefährden. Dies
wollen und dürfen wir keinesfalls zulassen.
({0})
Die Erweiterung ist nach der erfolgreichen Einführung des Euro das wichtigste Zukunftsprojekt der Europäischen Union. Die Bundesregierung wird alle Anstrengungen unternehmen, um dieses Ziel schnellstmöglich zu erreichen.
({1})
Präsident Wolfgang Thierse
Zudem liegt die Erweiterung der Europäischen Union
nicht nur im europäischen, sondern vor allem auch im
deutschen Interesse.
Aber, meine Damen und Herren, noch mehr steht auf
dem Spiel. Eine Einigung über die Agenda 2000 wäre
ein notwendiges Signal an unsere Bürgerinnen und Bürger, daß die Europäische Union handlungsfähig bleibt.
Damit wir die Zustimmung der Menschen zu Europa erhalten, müssen wir ihnen beweisen, daß die EU zu Reformen und zu einer vernünftigen Haushaltspolitik in der
Lage ist. Wenn die Europäische Union gerade in der jetzigen Lage - nach dem Rücktritt der Kommission - ihre
Hausaufgaben nicht macht, würde sie sich als handlungsunfähig und politisch zerrissen darstellen. Dies
würde zu einem Rückfall in nationale Eigensucht führen.
Der Rücktritt der Kommission stellt eine schwere
Belastungsprobe für die laufenden Europageschäfte dar.
Die Kommission hat mit ihrem Rücktritt die politische
Verantwortung für die in dem Bericht der „Unabhängigen Sachverständigen“ erhobenen Vorwürfe übernommen. Dieser Schritt verlangt Respekt.
So bedauerlich dieser präzedenzlose Vorgang ist, er
zeigt doch auch, daß sich in Europa langsam, aber stetig
eine europäische Öffentlichkeit und eine Stärkung der
parlamentarischen Demokratie innerhalb der EUInstitutionen herauszubilden beginnt. Das muß man begrüßen.
({2})
Von überragender Bedeutung ist es jetzt, sicherzustellen, daß der Abschluß der Agenda 2000 auf dem
Berliner Gipfel nicht gefährdet wird. In der gegenwärtigen Situation wäre es ein verheerendes Signal für die
Handlungsfähigkeit Europas, die Agenda auszusetzen.
Das ist auch die Meinung meiner EU-Kollegen, mit denen ich hierüber in engstem Kontakt stehe. Gerade jetzt
braucht Europa dringender denn je den Erfolg bei der
Reform seiner Finanzverfassung.
({3})
Lassen Sie mich an diesem Punkt ganz kurz auf die
abwegige Kritik zu sprechen kommen, die am Bundeskanzler geübt wurde, die Kritik, daß er auf dem Rücktritt
der Kommission nicht bereits im Januar bestanden habe.
({4})
- „So war es doch!“ Ihre Zwischenrufe, Herr Kollege
Haussmann, stehen wirklich im berechtigten Ruf, sich
durch besondere Intelligenz auszuzeichnen.
({5})
Sie zeichnen sich durch besondere Intelligenz deswegen
aus, weil ich von Herrn Haussmann im Zusammenhang
mit Europa immer nur die Forderung nach einem
neuen Datum höre. Das ist das Ceterum censeo
seiner europapolitischen Vorstellungen. Jetzt sehe ich
ihn - man könnte fast sagen: im Stile eines Horrorschockers - auf der B 9 mit einer „Gelben Karte für RotGrün“ dräuend auf die Autofahrer herabblicken. Das ist
sein Beitrag zum europapolitischen Wahlkampf.
({6})
Ich hoffe, Herr Haussmann zeigt uns noch lange die gelbe Karte. Ich kann Ihnen nur sagen: Man wird eher farbenblind, als daß sich politisch etwas ändert, wenn einem Herr Haussmann die gelbe Karte zeigt.
({7})
Ich möchte Ihnen an diesem Punkt aber klar entgegenhalten: Die Kritik am Bundeskanzler ist deswegen
abwegig, weil der Bundeskanzler auf dieser unabhängigen Untersuchung bestanden hat, und dies war richtig.
({8})
Die Vorgehensweise, die Sie vorgeschlagen haben, hätte
bedeutet, daß wir unmittelbar in einen schweren Konflikt unter anderem mit der französischen Regierung geraten wären. Das Insistieren auf einer unabhängigen
Untersuchungskommission, auf dem „Rat der Weisen“
- wie es mit dem Kommissionspräsidenten vereinbart
wurde -, war eine richtige Vorgehensweise. Daß die
Kommission daraus jetzt die politischen Konsequenzen
gezogen hat, war ebenfalls richtig und verdient unseren
Respekt. Ich muß diese Kritik in aller Form zurückweisen.
({9})
Aber es kam in diesen Tagen noch toller. Der Vorschlag aus der bayerischen Staatskanzlei und der CSU,
von den Herren Huber, Stoiber und Glos, den Europäischen Rat in Berlin abzusagen, ist nicht nur europafeindlich und verantwortungslos, er ist auch der Versuch, der deutschen EU-Präsidentschaft in einer wirklich
entscheidenden Phase für unser Land und für Europa in
den Rücken zu fallen, und zwar aus nur allzu durchsichtigen innenpolitischen Gründen.
({10})
Eine Verschiebung, die schon vorher von dem bayerischen Ministerpräsidenten gefordert wurde - Stoiber
fordert sie schon seit längerem -, ist keine reale Option;
sie hätte nur Nachteile, und die Kompromißstruktur
würde auch zu einem späteren Zeitpunkt ganz exakt dieselbe bleiben. Die Bundesregierung wird sich deshalb
weiterhin gemeinsam mit ihren EU-Partnern mit großem
Nachdruck für eine Einigung in Berlin einsetzen.
({11})
Mich würde schon interessieren, welches die Haltung
der CDU/CSU-Fraktion ist. Herr Kollege Schäuble, Sie
sprechen noch. Mich interessiert, ob Sie in der Tat für
eine Verschiebung sind. Hier sind heute klare Worte angesagt. Sie müssen sich einmal vorstellen - daran sehen
Sie die ganze Verantwortungslosigkeit dieser Position -,
die Bundesregierung, die Ratspräsidentschaft würde erklären: Wir sagen den Berliner Gipfel auf Grund der
Krise, die durch den Rücktritt der Kommission eingetreten ist, ab. Man muß sich das einmal in den Konsequenzen vorstellen. Eine solche Belastung für Europa
hätte es in der Geschichte der Europäischen Union noch
nicht gegeben. CDU und CSU schlagen dies allen Ernstes vor!
({12})
Sie wissen es doch besser. Es ist doch nicht so, daß
man hier wirklich einem Ochsen ins Ohr petzen muß.
Sie wissen doch ganz genau, wie verantwortungslos die
Haltung der Herren Glos, Stoiber und Huber an diesem
Punkt ist. Deswegen, Herr Schäuble: Kommen Sie hierher, und stellen Sie zweifelsfrei richtig, daß dies nicht
die Haltung der CDU/CSU-Bundestagsfraktion ist.
({13})
Meine Damen und Herren, die Kommission bleibt
zunächst noch im Amt. Das ist notwendig, um einen stabilen Übergang zu sichern. Angesichts des gravierenden
Glaubwürdigkeitsproblems, das die Kommission jetzt
hat, wird die Bundesregierung aber darauf drängen,
möglichst schnell einen neuen Kommissionspräsidenten zu nominieren, der dann eine neue Kommission zusammenstellen soll. Allerdings - das muß allen klar sein
- bedarf die Lösung dieser Frage einer Zustimmung aller Partner.
({14})
- Zudem bedarf es der Zustimmung des Parlaments, das
sich in einer schwierigen Situation befindet. Es gibt bei
der Kommissionsbesetzung nämlich zwei konstitutionelle Probleme, die zu berücksichtigen sind:
Das erste konstitutionelle Problem ist, daß nicht nur
die Zustimmung des Parlaments notwendig ist, sondern
daß wir uns, was den EU-Vertrag betrifft, sozusagen im
Zustand eines Vertragsübergangs befinden. Es gibt zur
Zeit den Maastricht-Vertrag und dann den Amsterdam-Vertrag, der hoffentlich zum 1. Juni dieses Jahres
in Kraft tritt. Letzterer führt zu erweiterten Rechten des
Parlamentes beim Vorschlag und bei der späteren Benennung des Präsidenten. Das ist eine Schwierigkeit, die
zu berücksichtigen ist.
Die zweite konstitutionelle Hürde, die in diesem Zusammenhang eine Rolle spielt, ist die Tatsache, daß es
selbst dann, wenn jetzt eine neue Kommission eingesetzt
wird, zu Beginn des nächsten Jahres des erneuten Prozederes bedürfte, um diese Kommission für die Dauer von
fünf Jahren einzusetzen. Ich sehe wenig Sinn darin, jetzt
eine neue Kommission zu berufen, die ausschließlich bis
zum Jahresende im Amt wäre. Das sind die beiden zusätzlichen konstitutionellen Hürden.
Es kommt eine dritte Hürde, eine politische Hürde,
hinzu. Das ist die Tatsache, daß die Neuzusammensetzung des Europaparlaments zu berücksichtigen ist.
Denn dieses Parlament muß ja - nicht nur, was die notwendigen Erweiterungsschritte betrifft, sondern vor allen Dingen, was die jetzt notwendigen unabweisbaren
inneren Reformen betrifft - mit der neuen Kommission
zusammenarbeiten. Daran können Sie bereits die Probleme sehen, die sich jenseits der nationalen Interessen,
die bei der Besetzung so wichtiger Positionen völlig legitim sind, auftun. Deswegen wollen wir, so schnell es
geht, eine einvernehmliche Lösung herbeiführen. Allerdings sind eine Reihe von Problemen zu berücksichtigen.
Unsere Präsidentschaftsrolle verlangt uns einen
schwierigen Balanceakt ab. Wir tragen in einer entscheidenden Phase Verantwortung für die Zukunft Europas. Deutschland vertritt - wie die anderen Partner
auch - mit Festigkeit seine legitimen Interessen.
({15})
Wir werden das auch weiterhin tun. Unser Ziel ist eine
faire, gleichgewichtige Gesamtlösung, bei der es keine
Gewinner und keine Verlierer gibt. Denn sonst würde es
diesen Kompromiß nicht geben. In Berlin geht es konkret um drei Elemente, die in einem ausgewogenen Gesamtpaket enthalten sein müssen.
Erstens. Es geht um eine Reform der Agrarpolitik und
eine Senkung der Agrarausgaben, die durch die Erweiterung und die bevorstehende WTO-Runde - wir hoffen,
ab 2002 - unausweichlich geworden sind. Die gemeinsame Agrarpolitik muß durch die Reform auf mehr
Wettbewerbsfähigkeit und Umweltverträglichkeit ausgerichtet werden. Für uns ist insbesondere wichtig, daß die
Interessen der deutschen Bauern in Ost und West gewahrt bleiben. Das ist beim Kompromiß des Agrarrats
vom 11. März der Fall.
({16})
- Wenn Sie das als Katastrophe bezeichnen, dann kann
ich Ihnen nur sagen: Ich bin einmal gespannt, wie Sie
sich verhalten. Wenn das eine Katastrophe ist, dann
müssen Sie für ein Wiederaufknüpfen des Agrarkompromisses eintreten, und dann werden Sie die Interessen
der deutschen Landwirte in Ostdeutschland wie in
Westdeutschland schädigen, meine Damen und Herren.
Das sage ich Ihnen.
({17})
Die Bauern - ich verstehe, daß, wenn es darum geht,
Interessen durchzusetzen, demonstriert wird - sind aber
auch kühle Rechner. Wenn Sie meinen, das sei eine Katastrophe, dann müssen Sie für das Wiederaufknüpfen
des Kompromisses sein. Ich sage Ihnen: Dann werden
die deutschen Bauern zu den Verlierern gehören und
nicht zu den Gewinnern. Das wird die Konsequenz Ihrer
Position sein.
({18})
Zweitens. In der Strukturpolitik geht es um eine Effizienzsteigerung und um eine Konzentration auf die
strukturschwächsten und förderungsbedürftigsten Regionen, und zwar mit höheren Mitteln auch für die deutschen Ziel-1-Regionen - das sind die neuen Bundesländer -, und es geht um eine ausreichenden Flexibilität der
Mitgliedstaaten bei der Auswahl der Ziel-2-Gebiete das sind bei uns die alten Bundesländer. Außerdem
brauchen wir angemessene nationale Spielräume für eine eigenständige Regionalpolitik in den Mitgliedstaaten.
Drittens. Es geht um eine fairere Lastenteilung in der
Europäischen Union. Es ist für die Bundesregierung ein
wesentliches Ziel, die Ungerechtigkeiten bezüglich des
deutschen Nettosaldos zu korrigieren. Es kann nicht so
bleiben, daß ein einziger Staat 60 Prozent des Nettotransfers in der EU bestreitet. Das erkennen auch unsere Partner an, und das wird ebenso im Eigenmittelbericht
der EU-Kommission anerkannt. Aber wir müssen hier
mit Realismus und Augenmaß vorgehen. Deutschland
wird nach einer erfolgreichen Reform auch weiterhin
größter Nettozahler bleiben. Entscheidend ist, daß wir
eine gerechtere Lastenteilung erreichen, was angesichts
der notwendigen Zustimmung unserer Partner alles andere als einfach sein wird.
Die CDU/CSU hat für die Bundesregierung eine sogenannte „Meßlatte“ aufgestellt. Danach soll der deutsche Nettosaldo um 7 Milliarden DM bzw. nach Herrn
Stoiber, dem bayerischen Ministerpräsidenten, sogar um
14 Milliarden DM verringert werden. Das soll unter
anderem - jetzt hören Sie genau zu - über eine
50prozentige Kofinanzierung in der Agrarpolitik erreicht
werden, obwohl Sie, Herr Schäuble, und auch Herr Stoiber genau wissen - das hat sich inzwischen auch gezeigt -, daß dies mit Frankreich, unserem wichtigsten
Partner, nie und nimmer zu machen ist.
({19})
- Ich könnte es mir jetzt ganz einfach machen. Es wurde
gesagt: „Wir hätten das durchgesetzt.“ - Liebe Kollegen,
warum habt ihr das dann nicht in den 16 Jahren eurer
Regierung durchgesetzt, wenn ihr so tapfer seid? Ihr
habt doch 16 Jahre Zeit gehabt. Die Frage der Kofinanzierung stellt sich doch nicht erst seit heute.
({20})
Wir müssen doch nicht über die Sache streiten. Ich
finde es schon erstaunlich, wie sich die europapolitischen Debatten seit dem Wahlausgang im September
letzten Jahres verändert haben.
({21})
- Wir eiern überhaupt nicht. - In der Sache vertrete ich
heute die gleiche Position wie damals in der Opposition,
als ich die Position der früheren Bundesregierung
unterstützt habe. Ich bin ebenso wie die Bundesregierung nach wie vor der Überzeugung, daß die Kofinanzierung für einen sich erweiternden EU-Agrarmarkt
nicht nur aus Gründen der Verteilungsgerechtigkeit in
der Nettozahlerfrage, sondern auch für das Management
und die Handhabbarkeit eines sich so entwickelnden
Agrarmarktes der richtige Weg ist. Nur, es hat sich gezeigt - da nützt alle bayerische Großmäuligkeit überhaupt nichts -,
({22})
daß die französische Regierung es zum „vitalen Interesse“ erklärt hat, sich nicht in dem Maß an der Kofinanzierung zu beteiligen.
({23})
Lassen Sie sich einmal von Ihrem Bundeskanzler a. D.
Dr. Helmut Kohl erklären, was es heißt, wenn eine Regierung innerhalb der EU etwas zu ihrem „vitalen Interesse“ erklärt. Dies ist ein Hinweis auf die mögliche Inanspruchnahme des Vetos. Ich werfe Ihnen vor, daß Sie
jetzt hier auf Grund innenpolitischer Oppositionsgründe
ein europapolitisches Erbe in Stücke schlagen, und zwar
in einer Geschwindigkeit, die ich nicht für möglich gehalten hätte.
({24})
Sie verlangen, daß sich Frankreich mit 50 Prozent an
der Kofinanzierung beteiligt. Sie wissen ganz genau, daß
es irreal ist, den deutschen Nettobeitrag über eine
50prozentige Kofinanzierung um 7 Milliarden DM zu
senken. Wenn man das durchsetzen wollte, würde man
das in Jahrzehnten im Rahmen der deutschfranzösischen Partnerschaft Erreichte in Frage stellen.
An diesem Punkt mußten wir uns entscheiden, ob wir
ein Veto bzw. einen Konflikt in Kauf nehmen wollen
oder ob uns der nächste Schritt im europäischen Einigungsprozeß und die Fortentwicklung der deutschfranzösischen Partnerschaft als Motor dieses Einigungsprozesses wichtiger sind. Wir haben uns für Europa und
gegen kleinkarierte oppositionelle innenpolitische Interessen entschieden.
({25})
Was Sie machen, ist purer Populismus. Das weiß jeder.
({26})
- Zu Ihrer „Substanzlosigkeit“, die Sie offenbar zum
Schlüsselbegriff der Opposition auserkoren haben, will
ich Ihnen sagen: Wenn Sie alles als substanzlos bezeichnen, selbst wenn man Ihnen Substanz liefert, mit
der Sie aber nicht einverstanden sind, dann macht das
Ihre Position nicht glaubwürdiger. Wenn das, was Herr
Stoiber verkündet, substanzvoll ist, dann bin ich gerne
substanzlos in der Europapolitik; denn seine Auffassung
teile ich überhaupt nicht.
({27})
Da weiß ich mich in der Kontinuität eines anderen,
den ich schon in meiner Position als Oppositionspolitiker unterstützt habe. Diese Politik führen wir fort; denn
wir wollen die Einigung Europas. Bleiben Sie mit Ihrem
Stoiber und Ihrer Substanz, wo der Pfeffer wächst,
({28})
meinetwegen auch dort, wo die Alpen glühen; das ist
mir egal.
({29})
Meine Damen und Herren, jeder weiß, daß die heutige Nettozahlersituation auf dem Europäischen Rat 1992
in Edinburgh unter tätiger Mitwirkung von Bundeskanzler Kohl und des seinerzeitigen CSU-Vorsitzenden
und Finanzministers festgelegt wurde. Damit wir uns
nicht mißverstehen: Ich habe diese Position unterstützt.
({30})
Wir haben Sie, Herr Dr. Kohl, damals aus der Opposition heraus unterstützt, weil es gute Gründe für diese
Entscheidung gab. Um so bitterer ist jetzt dieser wirklich
bodenlose Populismus, den Teile Ihrer Fraktion und Ihrer Partei gegen Ihre damalige Position vorbringen.
({31})
Sie wissen nur zu gut, in welch schwierigen Fahrwassern Europa heute ist. Sie wissen auch, was von der
deutschen Position abhängt. Ich appelliere hier noch
einmal nachdrücklich an alle, zu begreifen, daß wir uns
in einer Situation befinden, in der Zuwächse nur noch
bedingt oder gar nicht vorhanden sind und in der es um
eine Neuverteilung geht, eine Situation, in der von
Deutschland erwartet wird, während der Präsidentschaft
eine Gesamtlösung anzubieten, die der historischen Herausforderung gerecht wird, anstatt in kleinkarierten innenpolitischen Populismus zu verfallen. Keiner weiß
dies besser als Dr. Helmut Kohl.
Wir haben Sie damals unterstützt. Heute aber hören
wir das glatte Gegenteil. Das ist auch eine klare Kampfansage gegen die Politik von Dr. Helmut Kohl in seiner
damaligen Eigenschaft als Bundeskanzler, der für diese
europapolitische Entwicklung stand, die hier im Haus
eine breite Unterstützung gefunden hat.
({32})
Das eigentlich Widersprüchliche und Doppelzüngige
ist aber, daß die Opposition einerseits öffentlich eine
schnelle Osterweiterung befürwortet, wie kürzlich Herr
Stoiber in Budapest - wir sehen dies ganz genauso: so
schnell es geht -, gleichzeitig aber einer Verschiebung
der Agenda 2000 das Wort redet. Einerseits soll weniger
an Brüssel bezahlt werden, andererseits aber wird mehr
für die bayrischen Bauern gefordert, was wir von den
Partnern regelmäßig aufs Butterbrot geschmiert bekommen.
({33})
Das ist keine Milchmädchenrechnung - höchstens eine
Milchbubirechnung, wenn ich mir Sie so ansehe -,
({34})
sondern eine bewußte Irreführung. Dies ist zutiefst unhistorisch und gegenüber unseren Partnern in Mittelund Osteuropa in hohem Maße undankbar und verantwortungslos.
({35})
Meine Damen und Herren, am vergangenen Wochenende haben wir auf dem informellen Treffen der EUAußenminister in Reinhartshausen substantielle Fortschritte erzielt. Die Aussichten für eine Lösung in Berlin
haben sich damit verbessert. Es liegt noch ein erhebliches Stück Arbeit vor uns. Allerdings - das ist meine
persönliche Meinung -: Ein Kompromiß ist in Sicht;
dies ist bei einigem guten Willen machbar und erreichbar. In Reinhartshausen und am Montag im Ecofin-Rat
ist es gelungen, das im Agrarministerrat am 11. März
vereinbarte Kompromißpaket über die Eckwerte einer
substantiellen Reform der gemeinsamen Agrarpolitik
- das ist ein sehr wichtiges Faktum - zusammenzuhalten. Damit ist in einem wichtigen, bislang kontroversen
Teilbereich der Agenda 2000 eine Lösung in Sicht.
Für die Aushandlung dieses nicht einfachen Kompromisses gebührt dem Kollegen Funke aller Dank und
alle Anerkennung.
({36})
Das ist keine diplomatische Floskel - ich meine dies
allen Ernstes. Wer die Probleme, die dort zu bündeln
waren, und die Schwierigkeiten der Überwindung der
nationalen Positionen auch und gerade in diesem europapolitischen Wahljahr - in Europa sind immer irgendwo auch nationale Wahlen, die zu berücksichtigen sind kennt, wer auch die Schwierigkeiten der Kompromißbildung mitbekommen hat, der weiß, welch wirklich großer
Erfolg dem Kollegen Funke gelungen ist. Dafür möchte
ich ihm allen Dank und alle Anerkennung aussprechen.
({37})
Der Kompromiß ist ein wichtiger Schritt in Richtung
Markt- und Umweltorientierung sowie Stärkung der
Wettbewerbsfähigkeit unserer Landwirtschaft. Wir
hätten uns - daran besteht überhaupt kein Zweifel - eine
weiterführende Lösung gewünscht; aber hierfür war bei
einigen Partnern kein Konsens zu erzielen. Die erzielte
Einigung ist ein für alle akzeptabler Kompromiß, der
nahe an unserem Ziel der realen Konstanz von
40,5 Milliarden Euro im Jahresmittel für die sieben
Jahre von 2000 und 2006 liegt. Mehrere Partner sind der
Auffassung, daß weitere Anstrengungen unternommen
werden müssen, um das Ziel zu erreichen, allerdings ohne das Kompromißpaket wieder in Frage zu stellen.
Licht am Ende des Tunnels - auch dies ist ein wichtiges Faktum - gibt es auch bei den Strukturfonds. Alle
Komponenten für einen Kompromiß liegen jetzt auf dem
Tisch; allerdings sind noch schwierige Probleme zu lösen.
In der EU zeichnet sich die Bereitschaft ab, auch die
Strukturausgaben einschließlich der Kohäsionsfonds für
die Zeit bis 2006 auf einen Wert zwischen 190 Milliarden Euro und 216 Milliarden Euro zu stabilisieren. Der
exakte Wert muß noch festgelegt werden. Das gegenwärtige Niveau der Pro-Kopf-Förderung soll beibehalten
werden. Grundsätzlich soll auch für Euro-Teilnehmer,
sofern ihr Bruttosozialprodukt pro Kopf unter 90 Prozent des EU-Durchschnitts liegt, das Weiterlaufen des
Kohäsionsfonds akzeptiert werden. Über deren Mittelausstattung muß allerdings noch entschieden werden,
wobei nach Meinung einer Reihe von Partnern die ökonomischen Fortschritte der Kohäsionsländer, die sogenannte reale Konvergenz, berücksichtigt werden müssen. Es zeichnet sich zudem eine Konzentration bei den
Förderzielen und eine Reduzierung der Zahl der Gemeinschaftsinitiativen ab. Dies sind wichtige Beiträge
zur Steigerung der Effizienz, die in Deutschland insbesondere der ostdeutschen Wirtschaft zugute kommen
werden.
Wir sind uns in der Europäischen Union einig, daß
eine Stabilisierung der Ausgaben und eine disziplinierte
Haushaltsführung vor dem Hintergrund der angespannten Haushaltslage der nationalen Haushalte dringend geboten sind. Das Prinzip der realen Konstanz ist inzwischen weitgehend anerkannt, und auch über die Beibehaltung der gegenwärtigen Eigenmittelobergrenze von
1,27 Prozent des EU-Bruttosozialprodukts sowie über
eine klare Trennung der Ausgaben für die 15 von den
für die Erweiterung bestimmten Mitteln besteht weitgehendes Einvernehmen.
Die künftigen Ausgaben werden damit unter den ursprünglichen Kommissionsansätzen liegen. Das ist vor
dem Hintergrund enormer Haushaltssteigerungen in der
Vergangenheit keineswegs selbstverständlich. Die Einsicht, daß den Bürgerinnen und Bürgern ein „Weiter so“
nicht mehr zu vermitteln wäre, hat sich Gott sei Dank
durchgesetzt.
Die meisten offenen Fragen gibt es noch bei der Reform des Eigenmittelsystems, also den eigenen Einnahmen der Europäischen Union. Hier zeichnet sich eine
generelle Bereitschaft zur Änderung des Eigenmittelbeschlusses ab 2002 im Rahmen eines ausgewogenen Gesamtkompromisses ab. Es wird unter anderem weiter
über den Ersatz der Mehrwertsteuer - durch Bruttosozialprodukt-Eigenmittel verhandelt, durch die die Zahlungen stärker an die Wirtschaftsleistungen geknüpft würden - das deutsche Nettosaldo würde sich dadurch verringern -, sowie über höhere Pauschalen bei der Erhebung der traditionellen Eigenmittel-Zölle und Agrarabschöpfungen -, über eine Anpassung des Großbritannien-Rabatts und schließlich auch über einen allgemeinen
Korrekturmechanismus als Sicherheitsnetz für die Nettozahler. Für uns kommt es darauf an, in Berlin unserem
Ziel eines fairen Lastenausgleichs näher zu kommen und
eine fallende Kurve beim Nettosaldo einzuleiten.
Bundeskanzler Gerhard Schröder bereist in dieser
Woche die Hauptstädte unserer Partner, um Möglichkeiten einer weiteren Positionsannäherung auszuloten.
Am 21. März werden die Außenminister auf ihrer Konklave in Brüssel den Stand noch einmal beraten, und am
24./25. März werden die Staats- und Regierungschefs
zum Sondergipfel des Europäischen Rates in Berlin
mit dem Ziel einer politischen Einigung über ein Gesamtpaket zur Agenda 2000 zusammenkommen.
Die Chancen dafür - ich habe es schon vorher gesagt - stehen mittlerweile dank der geleisteten Arbeit
der Präsidentschaft alles andere als schlecht. Aber zu
einem guten Ergebnis werden wir nur kommen, wenn
jeder Mitgliedstaat seinen Beitrag zu dem notwendigen
Kompromiß leistet. Ich bin zuversichtlich, daß es in
Berlin gelingen wird, trotz der noch offenen Einzelfragen eine faire und ausgewogene Lösung zu finden.
Allerdings ist vor überzogenen Erwartungen zu warnen.
Es ist immer ein Zeichen für einen guten Kompromiß,
daß mit ihm keiner so richtig glücklich ist, aber auch
niemand in ihm eine nationale Katastrophe sieht. So
wird es auch in Berlin sein.
In Berlin geht es für Europa um sehr viel. Eine umfassende Lösung der Agenda 2000 wäre die bedeutendste Finanzreform der Europäischen Union seit ihrer
Gründung. Mit ihr würde ein wesentliches noch bestehendes Hindernis für die baldige Aufnahme der Beitrittskandidaten beseitigt.
Herr Präsident, meine Damen und Herren, ich fordere
deshalb den Deutschen Bundestag auf, die Bundesregierung bei ihrem Bemühen um einen erfolgreichen Abschluß der Agenda 2000 in Berlin zu unterstützen. Ich
appelliere insbesondere auch an die Opposition, die
Ziele der Bundesregierung für den Europäischen Rat zu
unterstützen, anstatt sie durch unerfüllbare Forderungen
zu konterkarieren und Zweifel an der integrationspolitischen Haltung Deutschlands zu wecken.
Die CDU/CSU sollte nicht vergessen - Sie wissen es
ja -: Deutschland verdankt Europa unendlich viel. Unser
Land ist der große Gewinner, nicht nur ökonomisch,
sondern auch sicherheitspolitisch, historisch und kulturell. Unser Land ist der große Gewinner des europäischen Integrationsprozesses. Die Bürden unserer Mittellage wurden im Integrationsprozeß aufgelöst. Die
Wiedervereinigung wäre ohne die Zustimmung unserer
europäischen Partner nicht möglich gewesen. Das „Ja“
zu Europa war über Jahrzehnte demokratischer Grundkonsens in Deutschland. Jetzt unsere europäischen Bindungen zu lockern, wäre ein Irrweg und ein gefährlicher
Schritt nach hinten, der nicht nur Europa, sondern vor
allem uns selber beschädigen würde.
({38})
Wir sollten deshalb alles tun, um den jahrzehntelangen europapolitischen Grundkonsens in Deutschland
zu bewahren. Die Vollendung der europäischen IntegraBundesminister Joseph Fischer
tion ist die große Aufgabe, die jetzt nach dem Ende des
kalten Krieges und zu Beginn des nächsten Jahrtausends
vor uns liegt und die wir praktisch zu bewältigen haben.
Deutschland wird dabei eine entscheidende Rolle zukommen. Unser Land kann sich einen Rückzug aus seiner europapolitischen Verantwortung nicht erlauben,
denn wir würden uns dadurch nur selber schädigen.
Nach der Einführung des Euro müssen wir jetzt die
nächste historische Herausforderung auf dem Weg zur
europäischen Einheit bewältigen, nämlich die Osterweiterung der EU. Die Agenda 2000 ist dafür eine unumgängliche Voraussetzung. Deswegen kommt dem Erfolg
des Europäischen Rates in Berlin eine so große Bedeutung zu. Neben den danach anzupackenden institutionellen Reformen während der nächsten Ratspräsidentschaften gehört eine erfolgreiche Reform der Finanzverfassung und -verteilung der EU zu den jetzt zu lösenden
Aufgaben, um das gemeinsame Europa und die politische Union wirklich zu schaffen.
Herr Präsident, meine Damen und Herren, die Bundesregierung weiß sich, wie alle ihre Vorgängerregierungen in der Bundesrepublik Deutschland, dieser historischen Herausforderung verpflichtet und wird deshalb
alles in ihrer Kraft Stehende tun, um den Europäischen
Rat in Berlin zum Erfolg zu führen.
({39})
Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Fraktionsvorsitzenden der
CDU/CSU-Fraktion, Wolfgang Schäuble, das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen!
Die europäische Einigung ist das wichtigste Projekt im
Interesse der Deutschen am Ende dieses Jahrhunderts.
({0})
Wir haben die Chance, ganz Europa zu einem Kontinent
von sicherem Frieden, von wirtschaftlichem Wohlstand,
von sozialer Stabilität, von ökologischer Nachhaltigkeit
zu entwickeln. Das ist das wichtigste Ziel, das wir am
Ende eines Jahrhunderts mit zwei so grausamen Weltkriegen erreichen wollen. Darin sind wir uns in diesem
Hause ganz überwiegend einig. Da brauchen wir, Herr
Bundesaußenminister, auch keine großen Ermahnungen.
Die CDU und die CSU bleiben die große politische
Kraft der europäischen Einigung. Das war in den letzten
50 Jahren so - Sie waren oft auf der anderen Seite -, und
das wird auch in den nächsten 50 Jahren so bleiben.
({1})
Nun ist der Außenminister ja früher ein ziemlich lebhafter Parlamentarier gewesen.
({2})
Deswegen hat er sich so verhalten, wie man sich als Regierung verhält, wenn man in ausgesprochenen Schwierigkeiten steckt: Er hat einen Popanz aufgebaut und
kräftige Angriffe auf einen Pappkameraden gestartet, der
in Wahrheit gar nicht existiert.
({3})
Das war allerdings der Regierungserklärung eines Außenministers eine Woche vor dem Europäischen Rat unangemessen. Es zeigt nur die Verlegenheit, in der die
Regierung sich befindet.
({4})
Ich will Ihnen auch sogleich die Frage beantworten,
Herr Vizekanzler - es ist um Sie herum auf der Regierungsbank ein bißchen einsam -, wenn Sie mir, da Sie
mich so gefragt haben, einen Moment Ihre geschätzte
Aufmerksamkeit schenken wollen.
Wir haben am Dienstag für die CDU/CSU-Fraktion
eine Erklärung abgegeben. Sie liegt schriftlich vor; ich
gebe Ihnen nachher den Wortlaut noch einmal. Sie ist das kann ich Ihnen versichern - mit den Vorsitzenden
der beiden Unionsparteien wörtlich abgestimmt. In dieser Erklärung steht nicht ein einziges Wort von einer
Verschiebung des Europäischen Rates in Berlin, nicht
ein einziges Wort. Ich sage das nur, damit der Popanz
klar wird und das ausgeräumt wird; dann können wir zur
Sache reden.
Ich habe mir vorsichtshalber - darum habe ich Michael Glos gebeten - von Herrn Bocklet den Wortlaut
der Erklärung des bayerischen Kabinetts nach der Sitzung am 16. März - das war Dienstag dieser Woche geben lassen. Auch in dieser Erklärung, in diesem Kabinettsbericht steht nicht ein Wort von der Verschiebung
des Berliner Gipfels.
({5})
- Dann war die Agenturmeldung falsch. Ich gebe Ihnen
nachher beide Erklärungen. Herr Bundesaußenminister,
nehmen Sie es einfach zurück. Sie haben die Unwahrheit
gesagt, und das gehört sich nicht in einer Regierungserklärung.
({6})
Ich habe die Dokumente hier. Sie können machen, was
Sie wollen.
({7})
Sie haben im Schlußteil Ihrer Regierungserklärung
auch Dinge gesagt, die wir unterstützen, denen wir zustimmen, was die Bedeutung der europäischen Politik,
der europäischen Einigung und was die Bedeutung eines
Erfolges der Agenda 2000 auch für die Osterweiterung
anbetrifft. Darüber besteht doch gar kein Streit. Es geht
aber nicht, hier einen Popanz aufzubauen und zu sagen,
die anderen seien anderer Meinung. Deswegen muß das
am Anfang ausgeräumt werden.
({8})
Nun steht dieses Europa - das ist auch wahr; darüber
läßt sich doch auch in Ruhe und der Bedeutung der Sache angemessen diskutieren - nicht nur vor einer großen
Herausforderung. Ich habe übrigens von diesem Platz
aus bei der europapolitischen Debatte im Dezember zum
Bundeskanzler gesagt: Jede deutsche Regierung, jeder
deutsche Bundeskanzler wird angesichts des gewaltigen
Reformbedarfs im Zusammenhang mit der Agenda 2000
eine Riesenaufgabe haben. Man wird in Europa nicht
alles erreichen, was wir aus nationaler Sicht für wünschenswert halten, weil man sich unter 15 einigen muß.
Wir werden Sie nicht an Maximalforderungen messen, sondern wir werden Sie dabei unterstützen, daß
man das Bestmögliche erreicht. Darüber besteht kein
Streit.
Jetzt stehen wir in Europa aber nicht nur vor Herausforderungen mit der Agenda 2000, sondern zugleich vor
einer Krise. Es war natürlich falsch, daß der Bundeskanzler am Dienstag als erste Reaktion auf den Rücktritt der Kommission der Europäischen Union gesagt
hat, das sei gar keine Krise; die Kommission solle einfach geschäftsführend weitermachen und so tun, als wäre business as usual. Das war genau die falsche, unangemessene Reaktion.
({9})
Man kann jetzt nicht so tun, als ginge es einfach so
weiter. Man kann bei der Kommission der Europäischen
Union, die vom Europäischen Parlament zum Rücktritt
gezwungen worden ist, obwohl der deutsche Ratspräsident, Bundeskanzler Schröder, noch im Januar versucht
hat, das Parlament daran zu hindern, angesichts der
Mittelverschwendung Aufklärung im Verantwortungsbereich der Europäischen Kommission zu schaffen,
nicht einfach sagen, sie bleibt geschäftsführend im Amt,
und kein Mensch kümmert sich darum. Das wäre genau
der falsche Weg, um die Zustimmung der Menschen für
europäische Politik zu gewinnen. Deswegen ist es gut,
daß Schröder diese Position wenigstens korrigiert hat.
({10})
Die Aufgabe der Agenda 2000 ist nicht so oberflächlich, wie Sie es hier dargestellt haben. Es geht darum,
die Entscheidungsfähigkeit der Europäischen Union und
der Institutionen der Europäischen Union so zu verbessern, daß dieses Europa der 15 in der Lage ist, die gewaltigen Herausforderungen, auch was den Beitritt neuer Länder betrifft, der in unserem Interesse ist, zu meistern. Das ist die Aufgabe der Agenda 2000.
({11})
Das kann man doch auch nicht bestreiten. Herr Außenminister, Sie sind viel beschäftigt. Aber man legt Ihnen doch die Pressestimmen aus ganz Europa vor. Aus
allen europäischen Hauptstädten haben wir doch in den
letzten Wochen die Klagen gehört - ich will die Stimmen gar nicht vorlesen, aber ich schenke Ihnen eine Dokumentation -, daß die deutsche Präsidentschaft ausgesprochen schlecht gearbeitet hat und ausgesprochen
schlecht vorbereitet war. Unsere Kritik ist: Durch Ihre
schlechte Arbeit schaden Sie Europa.
({12})
Nach dem Rücktritt der Kommission darf die deutsche Präsidentschaft nicht so weitermachen wie bisher,
nur damit nicht der Eindruck einer Krise entsteht. In der
Krise kann auch eine Chance liegen; in ihr kann man die
Tiefe des Reformbedarfs erkennen. Nach dem Rücktritt
der Kommission ist die Aufgabe der deutschen Präsidentschaft, Europa aus der Krise zu führen. Je schneller
dies gelingt, um so besser. Wir brauchen eine neue
Kommission. Natürlich ist es schwierig, darüber einen
Konsens zu erzielen.
Ich will mich mit Ratschlägen zurückhalten. Trotzdem will ich eine Bemerkung machen: Wenn es gelingen sollte, den früheren italienischen Ministerpräsidenten Romano Prodi als Präsident der EU-Kommission
zu gewinnen, dann sollte seine Präsidentschaft auf fünf
Jahre angelegt sein. Herr Bundesaußenminister, Sie
wollen doch unsere Unterstützung. Ich gebe Ihnen diese
Unterstützung: Es wäre sehr gut, sich darauf zu verständigen, die Neubesetzung nach den Regelungen des Amsterdamer Vertrages durchzuführen. Am allerbesten wäre es, man würde dem zukünftigen Präsidenten die
Chance geben, ein Programm für die weitere Politik der
Europäischen Union vorzulegen. Wenn Sie darauf die
Anstrengungen der deutschen Präsidentschaft konzentrieren, dann nutzen Sie die Krise, um die europäische
Politik hinsichtlich der vor ihr liegenden Herausforderungen voranzubringen.
({13})
Mit Blick auf die Agenda 2000 haben Sie ebenfalls
einen Popanz aufgebaut. Ich verstehe, daß Sie ein bißchen von Ihrer schwierigen Lage ablenken müssen. Ihr
eigentlicher Fehler ist: Sie haben im Rahmen der Agenda 2000 zu sehr an der Oberfläche gearbeitet. Wenn Sie
die Reform erfolgreich durchführen wollen, dann müssen Sie sozusagen tiefer pflügen. Ich will Ihnen ein paar
Beispiele nennen.
({14})
- Herr Staatsminister Verheugen, lachen Sie nicht! Sie
sind ja ständig damit beschäftigt, die Erklärungen des
Bundeskanzlers so zu interpretieren, daß sie nicht noch
mehr Schaden anrichten. Wir haben dies erst gestern in
der Aktuellen Stunde des Bundestages wieder erlebt.
({15})
Wenn die deutsche Präsidentschaft damit beginnt,
daß der Bundeskanzler öffentlich erklärt, die Hälfte des
Geldes, das in Brüssel verbraten werde, stamme
schließlich aus Deutschland und es müsse mit der europäischen Scheckbuchpolitik des ehemaligen Bundeskanzlers Kohl Schluß sein, dann beraubt sich der Bundeskanzler der Chancen für eine erfolgreiche Arbeit der
deutschen Ratspräsidentschaft. Darüber kann Ihr
dümmliches Lachen nicht hinwegtäuschen.
({16})
Wenn Sie die Debatte in Europa um die Agenda 2000
mit der Aussage beginnen - das ist die Scheckbuchpolitik von Schröder - „Wir zahlen ein paar Milliarden DM
weniger und andere ein paar Milliarden DM mehr“,
dann haben Sie natürlich keine Chancen, Frankreich,
Spanien und die anderen Mitgliedsländer dafür zu gewinnen, zuzustimmen, ein paar Milliarden DM mehr zu
zahlen, damit Deutschland weniger zahlen muß. So geht
es nicht.
Herr Bundesaußenminister Fischer, Sie haben in einem weiteren Punkt die Unwahrheit gesagt.
({17})
- Bleiben Sie ganz ruhig; ich habe die Dokumente da.
({18})
Wenn es Ihnen mit europäischer Politik Ernst ist, dann
lassen Sie uns ehrlich und an der Sache orientiert diskutieren. Arbeiten Sie nicht mit Verfälschungen!
({19})
Sie haben die Behauptung aufgestellt, die CDU/CSUFraktion und die Parteien CDU und CSU hätten eine
Reduzierung der deutschen Nettozahlungen um 14 Milliarden DM zur Meßlatte erhoben. Das ist falsch.
({20})
- Auch Herr Stoiber nicht! Der Kollege Stoiber und ich
sind als Vorsitzende unserer Parteien vor die Bundespressekonferenz gegangen. Wir haben dort gemeinsam eine Erklärung vorgetragen. Sie können sie nachlesen. In dieser Erklärung wird daran erinnert - das ist
wahr -, daß die deutschen Länderfinanzminister und die
Ministerpräsidenten aller Bundesländer einstimmig beschlossen haben, also auch mit den Stimmen von Herrn
Schröder und Herrn Lafontaine
({21})
- auch Eichel; ich will nicht alle 16 Ministerpräsidenten
aufzählen, zumal sich die Namen schneller ändern, als
man sich vorstellen kann; die drei von mir Genannten
sind ja nicht mehr Ministerpräsidenten -,
({22})
die Entlastung müsse 14 Milliarden DM betragen. Wir
haben nur daran erinnert, daß auch die SPDMinisterpräsidenten diese Forderungen aufgestellt haben. Nichts anderes hat Stoiber in der Bundestagsdebatte
gesagt. Aber CDU und CSU haben diese Zahl ausdrücklich nicht zur Meßlatte erklärt.
Ich nenne Ihnen unsere Meßlatte - wir haben das
immer gesagt, und das gilt auch eine Woche vor dem
Europäischen Rat -: Es muß im Rahmen der Agenda
2000 gelingen - ich sprach vorhin davon, tiefer zu pflügen -, die Subsidiarität in Europa stärker zu verwirklichen.
Wir kommen in Europa nicht weiter voran - auch die
Ereignisse, die zum Rücktritt der Europäischen Kommission geführt haben, unterstreichen die Richtigkeit
dieser These -, wenn wir nicht zu einer klareren Abschichtung der Aufgaben kommen und neu festlegen,
wofür die europäische Ebene, die Mitgliedstaaten und
die Regionen zuständig sind. Das nennt man Subsidiarität, und das ist die entscheidende Aufgabe. Genau an
diesem Punkt haben Sie während der deutschen Präsidentschaft nicht gearbeitet und keinerlei Ergebnisse erzielt. Deswegen haben Sie zu oberflächlich gearbeitet.
({23})
Nur wenn wir hier Ergebnisse erzielen, haben wir
auch die Chance, daß wir mehr Transparenz und mehr
Kontrolle erreichen und daß in Europa die Gefahr geringer wird, daß es zu Mittelverschwendung und zu Korruption kommt. Deswegen ist die Verwirklichung des
Subsidiaritätsprinzips so entscheidend, und deswegen
fordern wir, daß wir einen neuen Verfassungsvertrag in
Europa bekommen, weil wir nur auf diese Weise die
Frage beantworten können, wer was in Europa entscheidet. Nur mit mehr Subsidiarität, mit klarerer Abschichtung zwischen Europa und den Mitgliedstaaten, ist das
zu erreichen.
Das war immer die Politik von CDU und CSU. Sie ist
richtig und bleibt unsere Meßlatte für den europäischen
Gipfel in Berlin. Wir erwarten von Ihnen, daß Sie wenigstens kleine Schritte in diese Richtung erzielen.
Wenn Sie bei der Kofinanzierung nicht 50 Prozent erreichten, würden wir Sie nicht kritisieren. Aber daß Sie
sie als Prinzip ganz aufgeben, ist grundfalsch, weil die
Kofinanzierung eben ein Schritt in Richtung auf mehr
Subsidiarität gewesen wäre.
({24})
Sie haben also die Präsidentschaft falsch eingeleitet
und nichts zustande gebracht. Deswegen ist der jetzige
Stand der Vorbereitung des Berliner Gipfels nach unserer Bewertung - das sage ich jetzt auch nach Ihrer Regierungserklärung - unzureichend.
({25})
Sie hätten mit den anderen Mitgliedstaaten erfolgreicher
verhandeln können, wenn Sie nicht über Milliarden hin
oder her diskutiert hätten. Über die Frage, wofür Europa
und wofür die Mitgliedstaaten zuständig sind, kann man
mit jeder französischen Regierung sehr intensiv, zukunftsbezogen und konstruktiv diskutieren. Nur, wenn
man so albern redet, wie es Schröder gemacht hat, dann
erreicht man mit Frankreich natürlich nichts.
({26})
Es geht bei der Agenda 2000 immerhin um die Kleinigkeit von 1 400 Milliarden DM bis zum Jahre 2006.
Gemessen daran, Herr Bundesaußenminister, bewerten
wir das, was jetzt an Vorbereitung erreicht ist, als ungenügend.
({27})
- Ja, natürlich. Es zeichnet sich doch nach dem jetzigen
Stand ab, daß wir in Europa höhere Ausgaben bekommen,
({28})
gekoppelt mit mehr Bürokratie, weniger Effizienz und
weniger Leistungen für Deutschland.
({29})
Das verstehen die Deutschen ganz gewiß nicht unter
mehr Fairneß, was Beitragsgerechtigkeit in Europa anbetrifft.
({30})
Ich möchte das mit wenigen Beispielen illustrieren.
Natürlich ist es schwierig, in der Agrarpolitik einen
Kompromiß zu erreichen. Aber die Milchpreise um
15 Prozent zu senken und gleichzeitig die Milchquoten
zu erhöhen, das ist ordnungspolitisch wie markttechnisch vollkommener Unfug. Dafür kann ich Herrn
Funke nicht loben.
({31})
Bei Rindfleisch und Getreide die Preise zu senken und
nur noch die Hälfte der Preissenkungen im Gegensatz zu
bisherigen Verabredungen auszugleichen, das ist auch
der falsche Weg. Deswegen wäre ein Einstieg in die Kofinanzierung besser gewesen.
Nach dem jetzigen Stand müssen die deutschen Bauern bei einem Gesamteinkommen von etwa 10 Milliarden DM Einkommenseinbußen in der Größenordnung
von 2 Milliarden DM hinnehmen. Das sind 20 Prozent,
und darüber kann man nicht leichtfertig hinwegreden.
Dann wollen Sie morgen im Bundesrat noch eine
Steuererhöhung durchziehen, die die Landwirtschaft
noch einmal mit 1,5 Milliarden DM belastet. Schließlich
kommen bei der Ökosteuer noch 350 Millionen DM dazu. So zerstört man die Lebensfähigkeit der deutschen
Landwirtschaft.
({32})
Ich will noch einmal sagen, warum wir in der Agrarpolitik eine bessere Aufgabenabschichtung brauchen.
Wenn Preissenkungen in Europa unvermeidlich sind,
dann muß man durch direkte Einkommensbeihilfen
Ausgleich schaffen. Man muß der Bevölkerung im übrigen immer wieder sagen: Wir verlangen in Europa einen
besseren Verbraucherschutz, als er weltweit Standard
ist, ein höheres Niveau im Tierschutz, ein höheres Niveau im Umweltschutz. Das halten wir alle für richtig.
Wenn wir der Landwirtschaft das alles auferlegen, dann
müssen wir durch direkte Einkommensbeihilfen helfen,
dieses höhere Niveau zu ertragen. Man kann es nicht nur
zu Lasten der Landwirtschaft fordern. Deswegen ist eine
Politik der Einkommensbeihilfen notwendig und richtig,
um dieses höhere Niveau für uns alle in unserem Lande
und in Europa zu erhalten.
Diese direkten Einkommensbeihilfen kann man in
Europa zwischen Lissabon und Helsinki nicht einheitlich regeln. Das wird nie gelingen. Deswegen ist die
Subsidiarität, die klarere Aufgabenabschichtung, der
richtige Weg. Die Kofinanzierung wäre ein Einstieg.
Das haben Sie ohne Not trotz der Unterstützung durch
die Mehrheit aller Mitgliedstaaten aufgegeben. Das
werfen wir Ihnen vor.
({33})
Was machen Sie nach dem jetzigen Stand in der
Strukturförderung?
({34})
- Herr Bundesaußenminister, Sie haben appelliert, und
Ihr Gesichtsausdruck ließ darauf schließen, daß Sie es
ernst meinten, als Sie sagten, wir sollten uns sachlich
mit den Fragen auseinandersetzen.
({35})
Tun Sie mir den Gefallen und hören Sie zu! Unterhalten
Sie sich jedenfalls nicht währenddessen!
({36})
- Aber im Parlament müssen Sie sich ein bißchen anständiger benehmen, als Sie sich als Schüler benommen
haben. Das muß ich Ihnen sagen, weil Sie hier gerufen
haben, Sie hätten sich schon in der Schule so verhalten.
({37})
Sie sind doch inzwischen auch feiner gewandet.
({38})
- Herr Präsident, ich übernehme eben Ihre Arbeit: Es
geht nicht an, wenn der Oppositionsführer - ({39})
- Machen Sie nur! Jetzt will ich Ihnen einmal den Unterschied sagen, verehrter Herr Kollege Zwischenrufer:
Wenn der Bundesaußenminster eine Regierungserklärung zur Europapolitik abgibt und dafür wirbt, daß man
der Bedeutung der europäischen Verantwortung gerecht
wird, und der Oppositionsführer darauf antwortet
({40})
und einige seiner Bitten erfüllt - er hat gesagt, ich solle
klarstellen, daß wir nicht eine Verschiebung des europäischen Gipfels gefordert haben; das habe ich getan -,
dann können Sie sich benehmen, wie Sie wollen. Das ist
Ihre Sache. Aber von dem Vertreter der Bundesregierung auf dieser zwei Meter entfernten Regierungsbank
erwarte ich, daß er sich gegenüber dem Parlament respektvoll verhält - nicht mehr und nicht weniger.
({41})
- Wir können ein bißchen warten. - Es ist übrigens nach
den Regeln dieses Parlaments immer noch nicht erlaubt,
von der Regierungsbank oder von der Bundesratsbank
aus Zwischenrufe zu machen.
({42})
- Sie können es machen, wie Sie wollen; ich warte. Offenbar ist es die Aufgabe der Opposition, die Minimalrechte des Parlaments auch gegen die Mehrheit zu verteidigen.
({43})
- Ja, so ist das. Sie werden es ertragen.
({44})
Ich möchte gerne etwas zum Thema Subsidiarität im
Zusammenhang mit Strukturpolitik und damit etwas zu
einem anderen wichtigen Bereich der Agenda 2000 sagen. Wir sind - das haben wir, CDU und CSU, immer
gesagt, als Helmut Kohl und Theo Waigel Regierungsverantwortung getragen haben, auch in der Opposition,
völlig unverändert - immer bereit gewesen, zu akzeptieren, daß die Mittel der Europäischen Union für Regionalförderung in Deutschland zurückgefahren werden.
Deswegen handeln wir nicht widersprüchlich, wenn
wir klar eine Begrenzung des deutschen Beitrags fordern. Sie haben eine Beitragsrückführung und ein Ende
der Scheckbuchdiplomatie und gleichzeitig europäische
Beschäftigungsprogramme gefordert. Das war doch Herr
Schröder und nicht die Opposition. Wir haben gesagt:
Jawohl, wir sind bereit, eine Rückführung der Mittel der
Regionalförderung auch für Deutschland zu akzeptieren.
Aber das muß dann im Sinne der Aufgabenabschichtung
mit einer größeren Zuständigkeit der Mitgliedstaaten
und der Regionen für Regionalförderung verbunden
werden: Regionalpolitik in eigener Verantwortung. Das
ist der Punkt. Jetzt haben wir die Situation, daß die Mittel für Regionalförderung in Europa weiter erhöht werden sollen, daß sie für Deutschland überproportional zurückgeführt werden sollen.
({45})
Noch immer ist nicht geklärt, daß der Unfug aufgegeben
werden soll, daß die Förderung ländlicher Räume in der
Regionalpolitik in Europa kein Förderkriterium mehr
sein soll. Offenbar wird noch immer daran festgehalten,
daß nur noch städtische Ballungszentren gefördert werden sollen. Damit schwächen Sie den ländlichen Raum
nicht nur über die Agrarpolitik, sondern auch über die
Strukturpolitik.
({46})
Ich sage Ihnen: Ein Teil der Stabilität Deutschlands
hat gerade damit zu tun, daß wir ein ausgewogenes Verhältnis zwischen ländlichen Räumen und städtischen
Ballungszentren haben. Wer die Lebensfähigkeit der
ländlichen Räume erhält, nützt auch den städtischen
Ballungszentren.
({47})
Was die Finanzreform anbetrifft: Wir halten - wir
haben das oft gesagt; noch immer ist nicht geklärt, daß
das vermieden wird - die Neuregelung der Beiträge für
richtig. Wir sind einig, daß das entsprechend dem Bruttoinlandsprodukt in Kaufkraft ausgedrückt werden soll.
Wenn das erreicht wird, macht das 7,5 Milliarden DM
aus. Dafür sind Sie doch auch; das können Sie uns nicht
vorwerfen. Sie haben gesagt, wir sollen Sie unterstützen.
Wir treten für die Finanzreform ein, aber wir sagen zugleich: Solange nicht eine Neuregelung der Beitragsfinanzierung erreicht ist, können die Ausgaben der Europäischen Union für die jetzigen Mitgliedstaaten in den
kommenden Jahren nicht weiter gesteigert werden. Die
Erhöhung der Mittel um 170 Milliarden DM bis 2006
für die jetzigen 15 Mitgliedstaaten ist angesichts der
Riesenaufgabe der Osterweiterung der falsche Weg in
die falsche Richtung. Deswegen lehnen wir das ab.
({48})
Noch falscher ist - durch den Rücktritt der Kommission der Europäischen Union wird das noch unterstrichen -, daß man für die Kommission eine Effizienzreserve, quasi zur freihändigen Vergabe, einführt. Man
fördert doch, wenn man in Europa nicht klarere Zuständigkeiten und Regelungen erreicht, geradezu die Mittelverschwendung, wenn man für die Kommission zur
freihändigen Vergabe noch eine Effizienzreserve einführt. Deswegen halten wir das für falsch und sagen:
Versuchen Sie, das auf dem Berliner Gipfel zu verhindern.
({49})
Wenn ich davon gesprochen habe, daß wir eine Erhöhung der Mittel der Europäischen Union für die jetzigen
15 Mitgliedstaaten um 170 Milliarden DM vor allem
deswegen für falsch halten, weil wir uns so nicht richtig
auf die Osterweiterung vorbereiten, dann will ich den
Satz hinzufügen: Die Osterweiterung ist entsprechend
dem deutschen Interesse das Wichtigste. Auch darin
stimmen wir überein, Herr Bundesaußenminister. Wir
sind nicht in allem unterschiedlicher Meinung. Das muß
auch gar nicht sein. Die Osterweiterung muß allerdings
richtig und gut durchgeführt werden. Sie muß dazu beitragen - auch das will ich angesichts einer Debatte, die
gestern geführt worden ist, sagen -, daß sich in diesem
Prozeß alle auf diesem Kontinent wieder zusammenfinden. Das gilt auch für die deutschen Heimatvertriebenen.
Der Beitritt von Polen, Tschechien und anderen osteuropäischen Staaten muß dazu führen, daß die Wunden von
Krieg und Vertreibung geheilt werden.
({50})
Deswegen ist es schlimm und falsch, daß der Bundeskanzler schon wieder in Gutsherrenart in dem Gespräch mit dem tschechischen Ministerpräsidenten Zeman den Eindruck erweckt hat - Sie haben ja in den
letzten Tagen verzweifelt versucht, das so zu interpretieren, daß es nicht mehr ganz so falsch erschien, wie es
gewirkt hat -, man gehe jetzt großzügig über die Rechte
der Vertriebenen und der Sudetendeutschen hinweg. Ich
sage Ihnen: Keine deutsche Regierung hat das Recht, auf
privatrechtliche Ansprüche von Vertriebenen zu verzichten.
({51})
- Das ist das Problem bei den Äußerungen des Bundeskanzlers. Er behandelt die Probleme ungefähr so wie der
nordrhein-westfälische Ministerpräsident Clement das
Problem des Justizministers in Nordrhein-Westfalen.
Das geht schief, und es schadet unserem Land. Deswegen sage ich Ihnen: Auf diesem Wege kommen wir in
Berlin nicht zu den Ergebnissen, die wir brauchen.
Ich sagte: Europa steht vor einer großen Herausforderung und steckt zugleich in der Krise. Krise und Herausforderung sind fast dasselbe; im Chinesischen haben
Krise und Chance das gleiche Schriftzeichen. Deswegen
bleibt die Aufgabe, Europa jetzt aus dieser Krise herauszuführen.
Daher komme ich noch einmal auf folgenden Punkt
zu sprechen: Wir haben in den 90er Jahren unter der
Verantwortung von Helmut Kohl und Theo Waigel das
vielleicht schwierigste Projekt europäischer Politik in
diesem Jahrzehnt, den Beginn der Europäischen Währungsunion, zu einem Erfolg geführt, den viele nicht für
möglich gehalten haben. Wir haben in jenen schwierigen
Debatten, in denen Lafontaine, Schröder und andere
jahraus, jahrein Wahlkampf und Demagogie quer durch
deutsche Lande betrieben haben, immer Kurs gehalten.
({52})
Wir haben immer gesagt: Wenn es zu einem Konflikt
zwischen der Einhaltung des Zeitplanes und der Einhaltung der Kriterien kommen sollte, dann wären wir eher
dafür, den Zeitplan zu verschieben, als die Stabilität der
europäischen Währung aufzugeben.
({53})
- Ja, wir haben gefordert, beides zu erreichen. Aber im
Konfliktfall, Herr Kollege Haussmann - das war immer
unsere gemeinsame Politik -, hat die Substanzerhaltung
Vorrang gegenüber der Einhaltung des Zeitplans.
Das gilt auch für die Agenda 2000 - nicht mehr und
nicht weniger. Die Substanz geht vor. An der Substanz
müssen sich der Erfolg des Berliner Gipfels und die
Bundesregierung messen lassen.
Ich möchte noch auf die Tatsache hinweisen, daß der
deutsche Bundeskanzler und Ratspräsident vor dem
Berliner Gipfel in seinem - zugegebenermaßen reichlich
gefüllten - Terminkalender keine Zeit findet, mit dem
deutschen Parlament über den Berliner Gipfel und den
Stand der europäischen Politik zu diskutieren und hier
Rede und Antwort zu stehen.
({54})
- Bundeskanzler Kohl war vor jedem Gipfel hier im
Deutschen Bundestag. Das war schon wieder gelogen!
({55})
Wir haben Respekt davor, daß der deutsche Ratspräsident in dieser Woche die europäischen Hauptstädte besucht.
({56})
- Ja, natürlich. - Deswegen haben wir angeboten, die
jetzige Debatte am Montag oder Dienstag der kommenden Woche zu führen. Das haben Sie abgelehnt.
Wir haben kein Verständnis dafür, daß ein Bundeskanzler in den Wochen vor dem europäischen Gipfel
zwar Zeit findet, stundenlang in Kaschmir und sonstigen
Stoffen für Modezeitschriften zu posieren,
({57})
aber keine Zeit dafür hat, europäische Politik vor dem
Forum der Nation zu vertreten und zu erläutern. Das
zeigt die Substanzlosigkeit dieses Bundeskanzlers!
({58})
Europa - ich sagte das zu Beginn meiner Rede und
will das zum Schluß wiederholen - ist das wichtigste
und das beste Projekt deutscher Politik am Ende dieses
Jahrhunderts bzw. an der Schwelle zum kommenden
Jahrhundert. Dieses Europa voranzubringen ist aber angesichts der Probleme eine sehr große Aufgabe.
Deswegen muß man die Substanz der europäischen
Politik bewahren. Deshalb sollte man mit den Problemen so umgehen, daß sich die Menschen auch angesichts der Entwicklungen in Europa zu Hause fühlen.
Dies gilt für die Heimatvertriebenen, die Landwirte und
die Bevölkerung insgesamt, die nicht das Gefühl haben
sollen, nur zu zahlen und immer weniger zu verstehen,
was in Europa passiert. Behutsamkeit, Substanz in der
Sache, Klarheit im Hinblick auf die Regelungen und
vielleicht auch Zurückhaltung in der Sprache - man
sollte nicht von Scheckbuchdiplomatie sprechen - sind
besser.
Diese Dinge kann man nicht dadurch ersetzen, daß
man eine Show inszenieren läßt. Geschäftigkeit und
Show reichen nicht aus. Wir werden den Erfolg des
Berliner Gipfels und der deutschen EU-Präsidentschaft
an der Substanz messen. Wir hoffen, daß gute Ergebnisse erzielt werden. Darin unterstützen wir Sie. Aber wenn
Sie durch Show und Geschäftigkeit von der Substanz
ablenken, dann werden Sie auf entschiedene Kritik der
Opposition stoßen.
Kollege Schäuble,
gestatten Sie noch eine Zwischenfrage des Kollegen
Wieczorek?
Ich habe soeben meine Rede beendet.
({0})
Das Wort hat nun
Staatsminister Günter Verheugen.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Das Verfallsdatum der giftigen Rede, die wir
gerade gehört haben, ist eine Woche und wenige Stunden,
({0})
und das Verfallsdatum der inhaltlichen Aussagen, die
Sie, Herr Schäuble, gemacht haben, ist nicht einmal eine
halbe Stunde.
({1})
Ich habe noch nie in diesem Haus eine Rede gehört, bei
der nicht ein einziges Wort richtig war. Bei Ihrer Rede
war das aber so.
({2})
Richtig in Ihrer Rede war nur eines, nämlich daß Europa
wichtig ist. Alles, was Sie zum Stand, zur Vorbereitung,
zum Ergebnis, zu den Zielen der derzeitigen Europapolitik gesagt haben, ist falsch.
({3})
Sie haben behauptet, Ihre Bundestagsfraktion und die
beiden Parteien stünden geschlossen hinter dem Ziel, das
Reformprojekt jetzt abzuschließen. Herr Dr. Schäuble,
hier sind Agenturmeldungen von heute mit der Überschrift: Stoiber verlangt Verschiebung der Entscheidung
über Agenda 2000. - Hier habe ich das; es ist von heute.
({4})
Ich erwarte von Ihnen, Herr Dr. Schäuble, daß Sie sich
beim Bundesaußenminister für den Vorwurf der Lüge
entschuldigen, und zwar so schnell wie möglich.
({5})
Sie haben Ihren Laden nicht im Griff. Sie wissen
nicht, was Ihre eigenen Abgeordneten im Europaausschuß hören und was sie dort sagen. Sie wissen nicht,
was gestern im Europaausschuß des Bundesrates gesagt
worden ist. Sie wissen nicht, was zwischen der Bundesregierung und den Ministerpräsidenten der Länder besprochen worden ist. Wüßten Sie es nämlich, dann
könnten Sie nicht einen einzigen von den Vorwürfen,
die Sie erhoben haben, aufrechterhalten.
Ich stelle fest, Herr Abgeordneter Dr. Schäuble: Erstens - das ist heute schon erkennbar - wird die Agenda
2000 auf dem Gipfel in Berlin fristgerecht verabschiedet
werden, und zwar handelt es sich dabei um einen Termin, den Sie mit Ihrer Regierung im vergangenen Jahr,
im Juni, festgelegt haben. Sie haben das erzeugt, was Sie
selber jetzt als unziemlichen Termindruck bezeichnen
lassen oder bezeichnen. Aber wir halten diesen Termin
ein.
Zweitens. Das Ergebnis der Beratungen in Berlin
wird nicht die Bestätigung des Vorschlags der Kommission zur Agenda 2000 sein, auf den Sie die ganze Zeit
Bezug genommen haben, auch mit den Horrorzahlen,
die Sie verbreitet haben, um die Kolleginnen und Kollegen erschaudern zu lassen und das deutsche Volk zu erschrecken. Vielmehr wird über den derzeitigen Vorschlag der Präsidentschaft verhandelt, der in seinen finanziellen Auswirkungen um zig Milliarden unter dem
liegt, was die Kommission vorgeschlagen hat. Das
Sparziel in der europäischen Politik für die nächsten
sieben Jahre wird erreicht werden. Der Anteil der Bundesrepublik Deutschland an den Nettoleistungen, den
wir, gemessen an unserem eigenen Bruttosozialprodukt,
für Brüssel erbringen müssen, wird zurückgehen, Herr
Schäuble. Das können wir bereits heute sagen.
({6})
Wir werden auch erreichen, daß das Gesamtpaket so
ausgewogen gestaltet wird, daß das Reformziel der
Agenda 2000 erreicht wird: mehr Effizienz, mehr Flexibilität, übrigens auch mehr Transparenz, mehr Gerechtigkeit, mehr Zielgenauigkeit. Das ermöglicht eine Vorbereitung auf die großen Aufgaben, die in Europa vor
uns stehen.
Ich weise die Vorwürfe mit aller Entschiedenheit zurück - Sie, Herr Schäuble, haben sich diesen Vorwürfen
angeschlossen -, die interessengeleitet aus einer bestimmten europäischen Hauptstadt im Hinblick auf die
Art und Weise der Handhabung der deutschen Präsidentschaft gekommen sind. Sie, Herr Schäuble, können
sich nicht vorstellen, daß in einer Phase der Verhandlungen, in der ein bestimmtes Mitgliedsland seinen Beitrag zum Gelingen des Gesamtkompromisses leisten
muß, sich dieses Land vielleicht wehrt, indem es sagt:
Deutschland verfolgt zu sehr seine eigenen Interessen. Ich erwarte in einer solchen Situation, daß der Deutsche
Bundestag, daß alle demokratischen Parteien und Fraktionen geschlossen hinter ihrer Regierung stehen.
({7})
In ganz Europa, von Finnland bis nach Lissabon, ist die
Lage völlig anders als hier. Dort stehen alle Parteien und
die gesamte Öffentlichkeit hinter den Zielen, die ihre
jeweilige Regierung im Zusammenhang mit der Agenda
2000 verfolgt. Nur hier, in der Bundesrepublik Deutschland, ist das anders. Ich möchte Sie an Ihre nationale
Verantwortung erinnern, meine Damen und Herren von
der CSU und von der CDU.
({8})
Verhalten Sie sich so, wie wir uns verhalten haben,
({9})
als der damalige Bundeskanzler Kohl unter ganz anderen finanzpolitischen Bedingungen Europapolitik gemacht hat. Das hat es nie gegeben: daß die SPD der
Bundesregierung in einer schwierigen Phase der Europapolitik in den Rücken gefallen ist, so wie Sie das bei
der jetzigen Bundesregierung tun.
({10})
Sie schaden mit der Art und Weise, wie Herr
Dr. Schäuble diese Debatte heute begonnen hat, den
deutschen Interessen zutiefst.
({11})
Sie erschweren die Verhandlungsposition.
Ich sage Ihnen: Die Beamten aus den Ministerien, die
diese Verhandlungen vorbereiten, leisten eine großartige
Arbeit, Tag und Nacht. Ich stelle mich ausdrücklich
hinter die Beamten, die Sie mit angegriffen haben.
({12})
Der Bundeslandwirtschaftsminister hat im Agrarrat
einen Kompromiß zustande gebracht, wie Sie das während Ihrer ganzen Regierungszeit nie geschafft haben.
An Hand eines Beispieles will ich Ihnen einmal aufzeigen, was Sie geschafft haben. Sie haben während Ihrer
Regierungszeit für den Bereich Rindfleisch folgendes
verabredet: Frankreich bestreitet zwar 22 Prozent der
Rindfleischproduktion in Europa, bekommt aber 27 Prozent der Prämien, während Deutschland bei 19 Prozent
der Produktion 11 Prozent der Prämien bekommt.
({13})
Das haben Sie während Ihrer Regierungszeit verabredet.
Ich kann die Beispiele noch fortsetzen: Bundeskanzler Kohl hat - übrigens aus Gründen, die ich nicht für
falsch halte und gar nicht kritisieren möchte - im Zusammenhang mit dem Delors-II-Paket Kohäsionsfonds
für die ärmeren Länder des Südens eingeführt.
({14})
- Aber wissen Sie, was Sie nicht getan haben, Herr Altbundeskanzler Kohl? Sie haben nicht dafür gesorgt, daß
es bei diesen Kohäsionsfonds einen Korrekturmechanismus gibt. Wir müssen jetzt mühsam versuchen, das
einzuführen, damit wenigstens die durch die Milliardenzahlungen aus dem Kohäsionsfonds erreichten Fortschritte in die zukünftigen Zahlungen einbezogen werden. Das ist nämlich nicht der Fall; das haben Sie nicht
verhandelt.
Um Ihnen noch ein Beispiel zu geben: Sie haben seinerzeit einem Rabatt für Großbritannien zugestimmt.
Ich will auch das nicht kritisieren. Die Lage in der Europäischen Union war damals entsprechend. Dieser Rabatt
für Großbritannien beläuft sich heute auf immerhin
8 Milliarden DM pro Jahr - obwohl sich die Verhältnisse vollkommen geändert haben. Daß mit diesem Rabatt
etwas geschehen muß, weiß jeder. Aber Sie haben es
damals versäumt, eine zeitliche Begrenzung der Ermäßigung oder wenigstens eine Revisionsklausel zu verhandeln.
All das, was wir heute an Belastungen vorfinden, ist
während Ihrer Regierungszeit so verhandelt worden, daß
es in Brüssel nur einstimmig, nur mit Zustimmung der
Betroffenen, geändert werden kann. Und jetzt kommen
Sie daher und behaupten, hier werde schlecht verhandelt. Wissen Sie, Herr Schäuble, eigentlich, was der
Bundeskanzler in dieser Woche mit den anderen Regierungschefs in Vier-Augen-Gesprächen verhandelt? - Sie
können es überhaupt nicht wissen. Wir sind jetzt in einer
Phase, in der die Elemente eines Kompromisses in vertraulichsten Verhandlungen zwischen den Regierungschefs vorbereitet werden. Fragen Sie doch einmal Ihren
früheren Bundeskanzler, wie er solche Gipfel vorbereitet
hat, ob er mit seinen Kollegen Regierungschefs in Europa das, was verabredet wurde, auf dem Markt ausgebreitet hat. Wenn Sie das tun, können Sie keine Europapolitik mehr beteiben.
Die Präsidentschaft beinhaltet die Pflicht, Sachwalter
der europäischen Interessen zu sein. Dabei müssen wir,
so gut es geht, die deutschen Interessen wahren. Das ist
nur dann möglich, wenn die Gespräche mit den anderen
Regierungen auf einer Ebene des Vertrauens und des
Verständnisses stattfinden. Wenn die Gesprächspartner
des Bundeskanzlers in dieser Woche befürchten müßten,
daß Andeutungen von Konzessionen und mögliche Bewegungen, die sie vollziehen, sofort auf dem öffentlichen Markt diskutiert werden, dann erreichen Sie
nichts. Tun Sie doch nicht so, als kennten Sie die einfachsten Grundregeln der internationalen Diplomatie
und Verhandlungsführung nicht! Warten Sie ab, was in
Berlin herauskommt, bevor Sie hier ein Urteil darüber
abgeben!
({15})
Was in Berlin herauskommen wird, ist notwendig,
um die Voraussetzungen für die Lösung der großen Probleme, die wir in Europa haben, zu schaffen. Denn die
Agenda 2000 ist im Grunde ein mehr technisches Paket.
Die eigentlichen politischen Aufgaben, mit denen die
großen politischen Ziele verfolgt werden, kommen erst
danach, nämlich dann, wenn wir den Finanzrahmen sichergestellt haben, wenn wir sichergestellt haben, daß
wir uns auf die wirklich wichtigen Aufgaben konzentrieren, wenn ein Stück mehr Beitragsgerechtigkeit - mehr
als das ist nicht zu erwarten - hergestellt wurde.
Auch hier bitte ich sehr darum, nicht zu vergessen,
daß dies keine rein deutsche Position ist. Ich sage das
vor allen Dingen an die Adresse anderer Mitgliedstaaten. Schweden, Österreich, die Niederlande vertreten in
dieser Frage eine viel, viel härtere Position als Deutschland; sie können es auch, weil sie nicht unter dem
Zwang stehen, einen Kompromiß vorlegen zu müssen.
Glaubt denn irgend jemand, wir hätten es uns ausgesucht
und wären glücklich darüber, daß wir ein wirklich wichtiges, unverzichtbares deutsches Ziel auf europäischer
Ebene gerade dann durchsetzen müssen, wenn wir selber
die EU-Ratspräsidentschaft haben? Diesen Zeitplan haben nicht wir gemacht. Dieses Vorgehen ist unvermeidbar. Wann, wenn nicht jetzt, sollen wir diese Diskussion
führen? Die nächste Finanzdiskussion findet im Jahre
2006 statt. Wenn jetzt nichts passiert, wenn alles so
weitergeht wie bisher, dann wird die Nettozahlung
Deutschlands an die EU im Jahre 2006 weit über
30 Milliarden DM betragen. Diese Entwicklung muß
jetzt gestoppt werden. Wir können nicht zulassen, daß
unsere Haushaltskonsolidierung auf der europäischen
Ebene konterkariert wird.
Wenn wir ein Stück mehr Beitragsgerechtigkeit erreicht haben - ich glaube, wir werden das schaffen -,
dann kommen die nächsten großen Schritte. Für den
Gipfel in Köln ist der Einstieg in die notwendigen institutionellen Reformen vorgesehen. Da geht es zunächst
um die Reformen, die wir brauchen, um die Erweiterung
vollziehen zu können, also die Zusammensetzung der
Kommission, Mehrheitsverfahren im Rat - eine ganz
wichtige, schwierige Frage - und die Stimmengewichtung. Wir müssen die institutionelle Diskussion in Europa ein gutes Stück weiterführen. Es reicht nicht aus, sich
auf diese Fragen zu konzentrieren. Die Menschen in Europa erwarten jetzt, daß wir ihnen eine Antwort auf die
Fragen geben: Wo wollen wir eigentlich hin? Welche
Art von Verfassung soll Europa eigentlich haben? Wie
schaffen wir ein System von „checks and balances“ zwischen den Institutionen? Dieses Verhältnis ist gestört;
das ist gar keine Frage. Wodurch ist es gestört?
({16})
Es ist gestört durch das Europäische Parlament, das
noch immer zu wenige Rechte hat, und durch eine
Kommission, die in den letzten zehn Jahren einen gigantischen Machtzuwachs erfahren hat. Schauen Sie
sich einmal an, was die Kommission vor zehn Jahren tun
durfte, welche Mittel ihr damals zur Verfügung standen
und was sie heute tun kann. Die Kommission hat heute
dadurch Macht und Einfluß in Europa, daß sie die Herrin über gewaltige Mittel ist. Dem stehen keine entsprechenden demokratischen Kontrollen und vor allen Dingen kein entsprechendes Transparenzerfordernis gegenüber. Das alles müssen wir schaffen. Wir müssen die
Frage beantworten: Wie schaffen wir ein demokratisches Europa, ein transparentes Europa und ein effizientes Europa?
Ein weiteres Thema auf dem Gipfel in Köln ist die
europäische Außen- und Sicherheitspolitik. Auch hier
wird die deutsche EU-Ratspräsidentschaft erfolgreich
sein können. Bereits heute zeichnet sich ab, daß wir einen großen Schritt nach vorn tun können in dem Ziel,
Europa handlungsfähig zu machen: im Krisenmanagement und in der Krisenprävention.
Es ist wichtig, über Geld zu reden. Wir reden hier
wahrlich nicht über Peanuts. Aber es ist vielleicht fast
noch ein bißchen wichtiger, darüber zu reden, wie wir in
Europa die Voraussetzungen dafür schaffen, daß wir unser eigenes Haus Europa in Ordnung halten können. Wir
werden auf dem Gipfel in Köln auch hier ein gutes
Stück vorankommen.
Wir treiben die Erweiterung voran. Wir haben das
Tempo des Erweiterungsprozesses deutlich beschleunigt. Die Ergebnisse sind sehr zufriedenstellend. Wir
können erkennen, daß die Erweiterung gelingen wird.
Wir können heute auch schon erkennen, daß die gewählte Strategie in einer Reihe von europäischen Staaten
dazu geführt hat, daß die Transformationsprozesse
ernsthaft und auch erfolgreich vorangehen.
Ich war gerade in Lettland und in Litauen. Ich bin
sehr beeindruckt von den Bemühungen, die die Regierungen und die Parlamente dort unternommen haben.
Ich bin sicher: Diese Bemühungen wären nicht möglich
gewesen und sie könnten von den dort lebenden Menschen nicht getragen werden, wenn es nicht die Perspektive der Mitgliedschaft in der Europäischen Union
gäbe. Das ist ein sehr wichtiger Punkt. Diejenigen, die
die Zusammenhänge kennen, werden wissen, was ich
damit meine. Mehr kann ich dazu nicht sagen, außer:
Wir müssen jetzt darauf achten, daß die Spielregeln
nicht geändert werden; denn das Spiel hat bereits begonnen. Das heißt, wir müssen darauf bestehen, daß jedes einzelne Land individuell nach seinen Fortschritten,
nach seinen Bemühungen, nach seinen Erfolgen behandelt wird. Das gilt sowohl für den Vollzug des Beitritts
als auch für den Beginn neuer Beitrittsverhandlungen.
Das sind die Spielregeln gewesen, die in Luxemburg
vereinbart wurden. Ob man sie für gut hält oder nicht,
spielt überhaupt keine Rolle mehr. Sie sind vereinbart,
sie gelten. Die europäischen Partner - diejenigen, die
Mitglied werden wollen - orientieren sich daran. Wir
dürfen die Regeln jetzt nicht ändern. Am Ende dieses
Jahres sind Entscheidungen bezüglich der Aufnahme
von weiteren Verhandlungen fällig.
Ein letztes Wort zu der personellen Situation. Hier
muß ich in der langen Liste der Fehler in der Rede von
Herrn Schäuble noch etwas richtigstellen. Der Bundeskanzler hat das, was Sie, Herr Schäuble, dargestellt haben, nicht gesagt. Zufälligerweise stand ich neben ihm,
als er sich zu der Frage geäußert hat, wie wir mit dieser
Krise, die durch den Rücktritt der Kommission ausgelöst worden ist, umgehen. Er hat schlicht und einfach
erst einmal das festgestellt, was in Art. 159 des EGVertrags steht. Dort steht: Die Kommission bleibt „im
Amt“. Dort steht nicht „führt die Geschäfte weiter“, wie
immer falsch dargestellt wird. Die Kommission, die wir
jetzt haben, ist nicht eine eingeschränkte Kommission.
({17})
Sie ist im Amt geblieben. Es wäre anders, Herr
Schäuble, wenn das Parlament die Kommission gestürzt
hätte. Dann wäre sie geschäftsführend im Amt. Jetzt
kommt es darauf an, daß wir uns mit den anderen europäischen Regierungen zunächst auf ein Verfahren hinsichtlich der Frage verständigen, ob eine Interimskommission eingesetzt wird oder jetzt die Kommission vorgeschlagen wird, die dann auch die folgenden fünf Jahre
im Amt sein soll. Man muß erst diese Frage beantworten, bevor man sich der Personalfrage zuwenden kann.
Auf dem Gipfel in Berlin wird zu entscheiden sein, wie
man das macht. So ist es auch vorgesehen. Ich weiß aus
den Gesprächen, die der Bundeskanzler in dieser Woche
geführt hat, daß eine Einigungsmöglichkeit besteht. Relativ schnell danach wird man dann als Konferenz der
Regierungschefs der Mitgliedsländer der Europäischen
Union - das ist wieder ein anderes Gremium - zusammenkommen und einen Vorschlag machen können.
Wir sollten als Deutsche sehr darauf achten - damit
möchte ich schließen -, daß wir an die Spitze der Kommission einen Mann oder eine Frau berufen, der bzw.
die Reformwillen, Reformfähigkeit, tiefe europäische
Überzeugung und auch europäische Überzeugungsfähigkeit gegenüber den Menschen mitbringt. Kommissionspräsidenten waren immer wichtig. Aber ich glaube,
daß in der Situation, in der wir jetzt sind, die wichtigste
Personalentscheidung zumindest der letzten Jahre in der
Europäischen Union vor uns steht. Auch eine solche
Entscheidung muß gründlich vorbereitet sein. Sie muß
im Konsens mit den anderen Mitgliedstaaten erfolgen.
Es hat überhaupt keinen Zweck, Namen auf dem öffentlichen Markt auszubreiten. Namen, die jetzt genannt
werden, sind verbraucht und verbrannt. Deshalb rate ich
hier zu großer Zurückhaltung.
Lassen Sie mich zusammenfassend feststellen: Die
deutsche Präsidentschaft hat nach wenigen Wochen die
Voraussetzungen dafür geschaffen, daß alle die Reformaufgaben, die Europa in diesem halben Jahr lösen
muß, bewältigt werden können. Ich bin zuversichtlich,
daß wir mit der Unterstützung des Hauses - ich werbe
um Unterstützung auch der Opposition - auch die Zustimmung der Menschen in Deutschland und Europa für
diesen Weg finden werden.
({18})
Das Wort für die
F.D.P.-Fraktion hat Kollege Helmut Haussmann.
Herr Präsident!
Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Deutschland hat
die EU-Ratspräsidentschaft. Die Bürger erwarten von
dieser Präsidentschaft, daß die europäische Integration
voranschreitet, daß die neue europäische Währung stabil
bleibt und daß die Reformer in Osteuropa sicher sein
können, heim nach Europa zu kommen. Wir haben soeben eine Bundesregierung erlebt - sie ist auf der Regierungsbank noch in Abstimmungsgesprächen -, die wenig souverän und sehr aggressiv ist. Die Bundesregierung macht einen sehr angeschlagenen Eindruck. Insofern, Herr Verheugen, erwarten wir jetzt auch nicht viel.
Ich sage Ihnen gleich, was wir vom Verhandlungsstand
der Agenda 2000 wissen. Die Agenda 2000 ist in der uns
jetzt bekannten Form nicht zustimmungsfähig, Herr Fischer. Nicht, daß wir uns mißverstehen!
({0})
Es darf nicht einen Kompromiß um jeden Preis geben,
nur weil wir eine extrem schwache Präsidentschaft haben. Sie müssen mehr liefern, Sie müssen mehr zeigen!
Denn den Osteuropäern, dem Euro und den Bürgern in
Deutschland ist nicht damit gedient, daß eine angeschlagene deutsche Bundesregierung verhandelt - im übrigen
ohne den wichtigsten Fachminister; das hat bisher ja
noch keine Rolle gespielt.
({1})
Das Aparte war, daß der Finanzminister bei der entscheidenden Sitzung des Ecofin-Rats am Montag gar
nicht mehr da war. Der Wirtschaftsminister, dem vorher
die Europakompetenz weggenommen wurde, mußte als
Ersatzmann in die Bresche springen. Natürlich kann
man nicht erwarten, daß die anderen europäischen Finanzminister von einer solchen Verhandlungsführung
der deutschen Präsidentschaft sehr beeindruckt sind.
({2})
Wir sind also nicht nur in einer Krise der europäischen
Einrichtungen, sondern auch in einer Krise der deutschen Präsidentschaft. Es heißt - so hört man, wenn
man mit Fachleuten redet -: So billig waren mit einer
deutschen Regierung Kompromisse noch nie zu bekommen.
({3})
Das ist die Wahrheit; das ist nicht gut für Europa, und
das ist auch nicht gut für Deutschland.
Herr Fischer, Sie wollen ja den Vergleich: Im Jahr
1998 haben wir den Euro unter der Regierung Kohl,
Kinkel und Waigel vollendet. Ihre Fraktion - das sollte
man am heutigen Tag nicht vergessen - hat gegen den
Vertrag von Maastricht gestimmt. Jetzt aber sagen Sie
immer: Wir waren von Anfang an dabei. Ihre Restfraktion im Deutschen Bundestag hat dem Vertrag von Maastricht nicht zugestimmt. Wenn Sie sich heute so freuen,
daß das Europäische Parlament endlich von seinen
Rechten Gebrauch gemacht hat, dann erinnern Sie sich
doch bitte auch daran, daß die Fraktion der Grünen dem
Vertrag von Amsterdam nicht zugestimmt hat.
({4})
- Sie haben dem nicht zugestimmt, Herr Schlauch. Das
kann jeder im Protokoll nachlesen. Ohne den Vertrag
von Amsterdam gäbe es diese Rechte des Europäischen
Parlaments überhaupt nicht, und deswegen hätte die
Kommission auch nicht abgelöst werden können. So ist
die Wahrheit.
({5})
An dieser Stelle möchte ich auf das zurückblenden,
was im Januar passiert ist. Im Januar waren die gravierenden Vorwürfe gegen die sozialistische Kommissarin
Frau Cresson bereits wohlbekannt. Es gab einen Antrag
der liberalen Fraktion in Straßburg, für den eine Zweidrittelmehrheit notwendig gewesen wäre. Durch die Intervention des Bundeskanzlers Schröder hat das Parlament - vor allem die große Fraktion der Sozialisten dem nicht zugestimmt. Frau Green, die sich jetzt an die
Spitze der Kritiker stellt, war diejenige, die die Ablösung von Frau Cresson verhindert hat.
({6})
Wäre man damals den Liberalen im Europaparlament
gefolgt, dann wäre Frau Cresson zurückgetreten, und wir
hätten heute zumindest noch eine handlungsfähige
Kommission, was bei der Agenda 2000 entscheidend ist.
In Deutschland haben wir keinen Finanzminister mehr,
und in Brüssel haben wir keine Kommission mehr. Das
ist der Tatbestand.
Als Europäer kann man in dieser Situation eigentlich
nur traurig sein. Das alles bringt parteipolitisch nicht
viel, weil die Wähler nicht unterscheiden. Sie sagen, die
Kommission müsse zurücktreten, in Brüssel gebe es ohnehin nur Vetternwirtschaft und Korruption, und deshalb
seien sie im Grunde gegen Europa. Sie sind leider nicht
so weit, daraus den Schluß zu ziehen: Aus dieser Lage
kommen wir nur durch eine höhere Wahlbeteiligung und
durch ein stärkeres Europäisches Parlament heraus. Das
wäre aber der richtige Ansatz.
Zur Agenda 2000. Angefangen hat das ganze Unternehmen mit Herrn Schröder, der gesagt hat: Jetzt komme ich, und jetzt werden die deutschen Beiträge richtig
gesenkt! Was vorher gemacht wurde, lief immer über
das Geld, das war reine Scheckbuchdiplomatie! Wir ändern das sofort! - Das erklärt den Erwartungshorizont
der Bürger in Deutschland. Ich kann Ihnen nur sagen:
Wer als Tiger so abgesprungen ist, landet noch nicht
einmal auf dem, sondern unter dem Bettvorleger.
({7})
Der entscheidende Punkt ist heute, daß die Regierung
von Woche zu Woche ihr Verhandlungsziel minimiert.
Im Jahr 2002, so hören wir jetzt, soll die Umstellung erfolgen.
({8})
Herr Fischer und Herr Verheugen, die einzig reale Verbesserung wäre nur durch eine Kofinanzierung erreicht
worden. Diese haben Sie ohne Gegenleistung aus der
Hand gegeben, weil Sie vorher unfähig waren, mit
Frankreich einen Kompromiß zu erzielen.
({9})
Das lag vor allem daran, daß Herr Trittin das Verhandlungsklima zwischen Bonn und Paris so zerstört hat, daß
man in Paris klar gesagt hat: In dieser Lage sehen wir
überhaupt keinen Anlaß, die deutsche Präsidentschaft zu
unterstützen.
({10})
Das hat jetzt zu dem Ergebnis geführt, daß die Bauern
große Veränderungen hinnehmen müssen. Dabei möchte
ich ausdrücklich darauf hinweisen: Sie müssen jetzt ihre
Produkte 20 Prozent unter den Weltmarktpreisen verkaufen. Ich kann beurteilen, was das zum Beispiel für
die Bauern auf der Schwäbischen Alb bedeutet und wie
hoch ihre Einkommensverluste sind. Die deutschen
Landwirte zeigen eine große Bereitschaft, im Interesse
Europas zu handeln. Aber wenn Sie sich bezüglich der
Kofinanzierung durchgesetzt hätten, dann hätten wir
heute Instrumente, mit denen bäuerlichen Betrieben in
den strukturschwachen Gebieten direkt geholfen werden
könnte.
({11})
Insofern gibt es zwei Nachteile: Der deutsche Beitrag
ist nicht effektiv gesunken. Man redet heute elegant von
realer Konstanz. Was heißt denn reale Konstanz? Wir
sparen nichts ein, wie Herr Schröder angekündigt hat,
sondern bewegen uns auf dem bisherigen hohen Niveau.
({12})
- Entschuldigen Sie, Herr Verheugen, im Jahr 2002
wenn Sie zum Glück nicht mehr im Amt sein werden - ({13})
- Ich bin nicht umfragegläubig, Herr Schlauch. Man
braucht keine Umfragen, sondern muß sich nur im Land
umhören und vor Augen führen, welches Chaos Sie in
so kurzer Zeit angerichtet haben und wie uneinsichtig
Sie sich gegenüber Mittelständlern und Selbständigen
sowie in der Steuerpolitik gezeigt haben, um zu wissen,
daß es keine vier Jahre mehr dauern wird, bis diese Regierung abgelöst ist. Das wäre nicht nur für Deutschland, sondern auch für Europa ein großer Fortschritt.
({14})
Zum Schluß möchte ich drei Forderungen aufstellen:
Wir brauchen möglichst rasch eine neue EUKommission.
({15})
Wenn es der Bundesregierung gelingen sollte, Herrn
Prodi zu gewinnen und die Verabschiedung eines
Strukturprogramms bis zum Jahre 2005 zu erreichen,
dann wäre dies ein großer Fortschritt. Ich glaube, daß
dies in der kurzen Zeit so nicht möglich sein wird. Wir
sind aber in jedem Fall der Meinung, daß sich auch die
sogenannte Übergangskommission von jetzt an bis zum
Jahre 2000 nach den Bestimmungen des neuen Vertrages von Amsterdam wählen lassen sollte. Das heißt, Sie
sollten nicht versuchen, die Schwächen des alten Vertrages von Maastricht auszunutzen. Auch die Übergangskommission sollte die Zustimmung des Europäischen Parlaments einholen. Hier kann ich Ihnen nur die
Empfehlung geben, Ihre koalitionspolitischen Spiele bei
der Besetzung der Kommission zu überdenken; denn
nach dem neuen Vertrag von Amsterdam brauchen Sie
eine Zustimmung aller Beteiligten. Es läuft nicht mehr
nach dem Motto: Wir schicken Herrn Trittin nach Brüssel, weil er vorher in der Bundesregierung angeeckt ist.
Es läuft auch nicht mehr nach dem Motto: Wir lösen die
Probleme der Grünen mit der Frauenquote, indem die
Männer in Bonn die Politik machen und die Frauen nach
Brüssel geschickt werden, weil das gut genug für sie ist.
Nach der jetzigen Krise lassen sich die Probleme der Europäischen Kommission so nicht mehr lösen.
({16})
- Das ist ein wichtiger Punkt. Herr Bangemann ist durch
die Untersuchungsergebnisse bezüglich der Vorgänge
um die EU-Kommission in keiner Weise belastet worden.
({17})
- Regen Sie sich ab. Ich kann Ihnen nur sagen: Herr
Bangemann hat gegen Ihren Widerstand dafür gesorgt,
daß es durch die Liberalisierung der Märkte heute in
Deutschland und in Gesamteuropa Wettbewerb im Telekommunikationsbereich gibt.
({18})
Er hat eine Menge bewegt.
Leider ist Frau Wulf-Mathies nicht frei von Vorwürfen. Es wird interessant sein, zu erfahren, ob Sie an ihr
festhalten. Ich bin der Meinung, daß auch die Übergangskommission nur aus Kommissaren bestehen sollte,
die völlig unbelastet sind.
({19})
Sie würden der Europawahl einen Tort antun, wenn Sie
Karrierewünschen einiger folgten.
Ein letzter Punkt, meine Damen und Herren: Wenn
Sie das finanzielle Ergebnis der Agenda 2000 nicht
nachbessern, wird sie nicht zustimmungsfähig sein.
Das einzig Positive an dieser Krise ist, daß das Europäische Parlament zum erstenmal in seiner Geschichte
zeigen konnte, daß es über eine Machtkontrolle verfügt,
was hoffentlich bewirkt, daß die Wahlbeteiligung in
Deutschland bei der Wahl des Europaparlamentes steigt.
Vielen Dank.
({20})
Als
nächster Redner hat der Kollege Rezzo Schlauch vom
Bündnis 90/Die Grünen das Wort.
({0})
Herr Kollege Haussmann, nach Ihrer Rede kann man nur
feststellen: Es verwundert nicht, daß Ihre Partei gar nicht
im Europaparlament vertreten ist.
({0})
Ich glaube auch nicht, daß Sie dadurch im Juni den Einzug in das Europaparlament schaffen werden.
({1})
Der 24. und 25. März werden für Deutschland äußerst
wichtige Daten sein. Auf dem Sondergipfel der europäischen Staats- und Regierungschefs nächste Woche in
Berlin werden die Weichen für Europas Zukunft gestellt.
Es gilt, dort die Verhandlungen über die Agenda 2000
zum Erfolg zu führen. Die Agenda 2000 ist nämlich
nicht nur ein Haushaltsplan für die Europäische Union,
sondern der Schlüssel zur Osterweiterung der EU. Eine
reformierte Finanzverfassung, wie sie in der Agenda
formuliert ist, eröffnet den mittel- und osteuropäischen
Beitrittskandidaten eine konkrete Perspektive.
({2})
Wir wollen den Beitritt dieser Länder. Wir wollen
eine Erweiterung der Europäischen Union. Die Regierung Schröder/Fischer setzt mit ihrem Einsatz für den
Erfolg des Berliner Gipfels das fort, was unter Konrad
Adenauer mit der Gründung der Europäischen Gemeinschaft im Jahre 1957 begonnen wurde und bis heute von
allen Regierungen und den breiten Mehrheiten dieses
Hauses getragen wurde.
Sie aber, meine Damen und Herren von der
CDU/CSU, stellen heute diesen breiten Konsens zur
Disposition. Sie stellen die außenpolitische Verläßlichkeit unseres Landes in Frage. Ihnen sind die tagespolitischen und parteipolitischen Profilierungen wichtiger als
die vorrangigen wirtschaftlichen, kulturellen und sozialen Interessen der Bundesrepublik an einem vereinigten
Europa.
({3})
Herr Kollege Schäuble, in diesem Zusammenhang
zitiere ich den Geschäftsführer des BDI, auf den Sie sich
normalerweise gerne berufen, aus einer Presseerklärung
vom 14. März, in der erklärt wird:
In diesem Zusammenhang kritisierte der BDIGeschäftsführer auch die Forderung der Bonner
Opposition,
- hören Sie jetzt genau zu! den deutschen Nettobetrag um 14 Milliarden DM
zu reduzieren. Es sei kurzsichtig, wenn die CDU in
dieser Frage jetzt auf den populistischen Kurs von
CSU-Chef Edmund Stoiber einschwenke.
So weit der BDI. Dies spricht eigentlich für sich.
({4})
Herr Schäuble, Europa schaut auch auf Sie. Unsere
Partner wollen wissen, ob die Union zum europäischen
Erbe von Helmut Kohl steht oder nicht. Die Stärke der
deutschen Europapolitik war nämlich, daß sie sich bislang immer auf breite Mehrheiten im Inland stützen
konnte. Was Sie heute betreiben, schwächt unsere Position und schadet somit denjenigen, für die Sie vorgeben,
sich einzusetzen.
Herr Schäuble, das, was Sie heute hier geboten haben, ist an Ignoranz nicht zu überbieten,
({5})
und zwar deshalb, weil Sie den Außenminister und diese
Regierung der Lüge bezichtigen. Ich zitiere die „ADN“
vom 17. März:
Bayerns Ministerpräsident Edmund Stoiber ({6})
hält es für falsch, ohne eine legitimierte Kommission eine Entscheidung über die Agenda 2000 zu
treffen.
Des weiteren:
Die Agenda 2000 könne deshalb von deutscher
Seite zur Zeit nicht verhandelt werden. Unter diesen Umständen halte er es für fahrlässig, jetzt die
Architektur Europas für die nächsten sieben Jahre
mit einem Volumen von 1 400 Milliarden DM abzuschließen.
Und weiter - Union bzw. CSU für „Gipfel verschieben“ - :
Führende CSU-Politiker
- das haben Sie vorhin wider besseres Wissen bestritten sprachen sich indessen für einen Stopp des Reformpakets Agenda 2000 aus. Der bayerische Ministerpräsident Edmund Stoiber ({7}) forderte den
vorläufigen Stopp. Auch der Münchner Staatskanzleichef Erwin Huber ({8}) verlangte, den
Berliner Gipfel zu verschieben.
Was haben Sie vorhin hier vorgetragen? Sie haben
gesagt, das sei eine Lüge. Daß das nicht so ist, ist hiermit nachgewiesen. Ich habe Sie aufzufordern, diese Beschuldigung gegen die Regierung zurückzunehmen.
({9})
Nehmen Sie die Situation der Bauern. Wer so wie
der ehemalige Landwirtschaftsminister Ihrer Regierung
in einem geradezu fundamentalistischen Nein zur Agenda 2000 verharrt ist und keinerlei konstruktive Verhandlungen geführt hat, wer so wie Sie den deutschen
Bauern sagt, daß alles so bleiben könne, wie es ist, der
tut den Bauern wirklich überhaupt keinen Gefallen.
({10})
Auch in diesem Zusammenhang haben Sie das Parlament belogen. Lesen Sie nach! Sie haben offensichtlich nicht den Antrag der Regierungsfraktionen nachgelesen. Ich zitiere:
Der Deutsche Bundestag hält folgende Ziele für besonders wichtig. ... Dies gilt insbesondere für die
Umweltprogramme und die Politik zur Stärkung
der ländlichen Räume, die auf der Basis integrierter
Programme zur Regionalentwicklung sowohl die
Förderung einer nachhaltigen Landwirtschaft als
auch alle für die Regionalentwicklung relevanten
Strukturpolitiken umfassen sollte.
Wie soll denn da Ihre Aussage stimmen, daß für die
Förderung des ländlichen Raumes nichts mehr getan
wird? Diese Aussage ist eine bewußte Irreführung des
Parlaments gewesen.
({11})
Das ist die Art, wie Sie, Herr Kollege Schäuble, Politik betreiben. Hier treten Sie als europolitisches Lamm
auf, und draußen bedienen Sie - jedenfalls Ihr Partner,
die CSU - gleich anschließend die Presse mit antieuropäischen Ressentiments.
({12})
Wie wenig ernst es Ihnen um dieses vereinigte Europa ist, das sieht man doch an dem von Ihnen vorgelegten
Antrag. Sie wollen alles auf einmal. Das wollen Sie sofort und umsonst. Die von mir zitierte Pressemitteilung
zeigt genau auf, daß die Beitragszahlungen Deutschlands Ihrer Meinung nach um mindestens 7,5 Milliarden
DM, nach der bayerischen Version sogar gleich um
14 Milliarden DM sinken sollten, während die Zuwendungen an Deutschland gleich hoch sein sollten. Sie
wollen verbal die Osterweiterung, aber nur, wenn die
Zuwendungen für Deutschland erhalten bleiben. Sie
wollen europäisch sein und stellen doch den kurzfristigen nationalen oder gar bajuwarischen Nutzen vor den
langfristigen Gewinn für alle Europäer.
Wir wollen Europa erweitern und erneuern. Sie wollen, daß es so bleibt, wie es ist. Ja, Sie nehmen mit ihrer
Verweigerungshaltung einen nicht kalkulierbaren Rückschlag zum Nachteil des gemeinsamen Europas und zum
Schaden für unser Land gegen eine billige politische
Tagesmünze in Kauf. So, Herr Schäuble, geht es nicht.
({13})
So wünschenswert jede einzelne Ihrer Forderungen ist,
so fundamentalistisch und ohne jede Chance ist es,
gleich alles ohne Abstriche durchsetzen zu wollen.
Es ist doch kein Geheimnis, daß auch wir für Subsidiarität sind. Aber wenn Frankreich als wichtigster
Partner an diesem Punkt nicht mitmacht, haben wir das
zur Kenntnis zu nehmen. Ich kann Sie da nur fragen:
Warum haben Sie es in 16 Jahren nicht geschafft, diesem Gedanken zum Durchbruch zu verhelfen?
({14})
Sie wissen ganz genau, daß es bei diesem Punkt so nicht
geht, sonst hätten Sie ja während Ihrer Regierungszeit
dahin gehende Anstrengungen unternommen.
({15})
Außerdem ist das Finanzsystem ja nicht während unserer Regierungszeit, sondern während Ihrer Regierungszeit entstanden; es ist das Ergebnis Ihrer Verhandlungen und aus Ihrer Einsicht in die Bedeutung des europäischen Integrationsprozesses entwickelt worden. Ich
frage mich nur, ob die Einsicht einer Regierungsfraktion
eine andere ist als die Einsicht einer Oppositionsfraktion. Sie hätten deutlich sagen müssen, daß Sie Ihre Einsichten geändert haben.
({16})
Ich verstehe auch nicht, Herr Schäuble, wie Sie eigentlich diesen nationalen Zungenschlag, der aus all diesen Äußerungen, die ich zitiert habe und die nachzulesen
sind, hervorgeht, in einer Zeit vertreten können, in der
die Globalisierung so schnell voranschreitet. Da kommen Sie mit Ihren nationalen Gedanken und nationalen
Ideen nun wirklich nicht mehr hinterher.
({17})
Es ist klar, daß Ihnen der Rücktritt der Kommission
gerade recht kam. Die CSU witterte ihre Chance und
behauptete, die EU sei nicht handlungsfähig, der Gipfel
müsse abgesagt und die Verhandlungen zur Agenda
2000 müßten verschoben werden. Das besagen die von
mir zitierten Aussagen von CSU-Politikern. Auch die
Motive sind klar: Die CSU wollte noch nie die Agenda
und will sie nicht. Der CSU ist eben jede Subvention für
Bayern wichtiger als die europäische Einigung und die
Osterweiterung.
({18})
Der Rücktritt zeigt auch, wie notwendig eine umfassende Reform der Strukturen der Europäischen Union
ist. Herr Schäuble, die Grünen haben sowohl hier wie
auch im Europäischen Parlament immer wieder die
Stärkung des Parlaments gefordert und auf die Tagesordnung gesetzt. Da hat man von Ihnen nichts gehört;
dabei haben Sie uns nicht unterstützt.
({19})
Sie haben vielmehr immer das Übergewicht der Kommission und gleichzeitig ein schwaches Parlament hingenommen.
({20})
Sie wollen den Rücktritt instrumentalisieren, um die
Verschiebung der Agenda 2000 zu befördern. Wir hingegen wollen die notwendigen Reformen auf europäischer Ebene angehen. Für uns ist der Rücktritt eine
Chance. Wir werden die Konsequenzen daraus ziehen
und die Rechte des Parlaments, für die wir immer gestritten haben, gegenüber denen der Kommission stärken. Auch hierzu werden wir noch während der deutschen Ratspräsidentschaft auf dem Gipfel in Köln die
Initiative ergreifen. Wir werden mehr Transparenz
schaffen, mehr Kontrolle der Kommission durch das
Parlament durchsetzen und mehr Bürgernähe herstellen.
Meine Damen und Herren, wenn wir heute über Europa reden, reden wir - das ist vorhin auch schon einmal
gesagt worden, muß aber noch einmal angeführt werden
- zu oft, zu viel und fast ausschließlich über Geld. Wir
müssen wieder mehr über das Herz Europas reden. Das
Herz Europas sind seine Bürger.
({21})
Die Bürger Europas stellen Ansprüche. Sie erwarten zu
Recht mehr Dienstleistung, weniger Bürokratie, mehr
demokratische Teilhabe und ein stärkeres Europäisches
Parlament.
({22})
Es sollte uns Auftrag sein, diese Ansprüche und Wünsche auch zu realisieren.
Der Gipfel in Köln wird der zweite Schritt sein, damit die EU fähig zur Erweiterung wird. Den ersten
Schritt werden wir nächste Woche in Berlin machen.
Wir wollen mit der Agenda 2000 das Tor für die Beitrittsländer in Osteuropa eröffnen. Wir schaffen die Voraussetzungen für eine neue Stufe der europäischen Integration. Das wird nur gelingen, wenn sich die Vertreter
aller Länder aufeinander zubewegen. Mit Positionen,
wie Sie sie hier heute vertreten haben, Herr Schäuble,
wäre das Scheitern des Gipfels vorprogrammiert. Das
bedeutete auf absehbare Zeit das Aus für die Osterweiterung und eine schwere Störung der Beziehungen der europäischen Partner untereinander. Aber auch für die Stabilität des Euros ist der Erfolg der Verhandlungen von
entscheidender Bedeutung.
({23})
Die Agenda 2000 ist der Haushaltsplan für die Europäische Union für die nächsten Jahre. An ihr wird sich
auch die Frage der Handlungs- und Reformfähigkeit der
Europäischen Union zeigen. Scheitern die Verhandlungen, so würde das Vertrauen in eine gemeinsame europäische Politik, aber auch in die gemeinsame europäische Währung nachhaltig geschwächt. Daher werden wir
auch gegen Ihre Opposition alles dafür tun, daß der Berliner Gipfel zum Erfolg wird.
({24})
Trotz Ihrer Rede, in der Sie offensichtlich die Realität
der CDU- und CSU-Position nicht zur Kenntnis nehmen
wollten, mit der Sie die Realität im Parlament anders geschildert haben, als Sie es gegenüber der Presse getan
haben, trotz dieser Politik der gespaltenen Zunge appelliere ich an die Opposition - zumindest an die vernünftigen Kräfte der Opposition -: Kommen Sie aus Ihrer oppositionellen Schmollecke heraus! Besinnen Sie sich auf
die Europapolitik Helmut Kohls! Dann müßten Sie unserem Entschließungsantrag zustimmen und Ihren einpakken.
Danke schön.
({25})
Das
Wort hat jetzt der Kollege Manfred Müller von der PDSFraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Was wir in den letzten
Tagen nach dem Rücktritt der Europäischen Kommission erlebt haben, war schlicht ein Trauerspiel. Das Medienecho macht es deutlich: Die Bürgerinnen und Bürger Europas verbinden dieses Europa mit Filz, Korruption, Vetternwirtschaft und Unfähigkeit. Europa ist da, wo
die Millionen versickern und wo Versager sechsstellige
Übergangsgelder kassieren.
Das ist das Bild, das die Bürgerinnen und Bürger in
diesem Land von Europa vermittelt bekommen. Die
heutige Debatte hat auch keine besonderen neuen Akzente gesetzt. Außer Appellen ist da wenig gewesen,
was den Bürgerinnen und Bürgern in diesem Europa
Hoffnung machen konnte.
({0})
Europa erscheint nicht mehr als großartige Idee, die
auch Herr Schäuble wieder beschworen hat. Es ist keine
Rede mehr davon, was für ein gewaltiges Projekt es ist,
unseren Kontinent nach zwei Weltkriegen und fast
50 Jahren erzwungener Teilung einen zu wollen. Europa
ist den Menschen bestenfalls egal. Sie wenden sich ab,
wenn sie das Gefeilsche um Quoten und Beiträge erleben.
Die Europäische Kommission ist nicht zurückgetreten, sondern sie ist zurückgetreten worden. Diesen späten Akt der politischen Hygiene verdanken wir auch
dem Druck des Europäischen Parlaments. Ein Sieg der
Demokratie ist das allerdings noch lange nicht. Europa
braucht endlich eine europäische Verfassungsdiskussion.
Diese darf nicht vom Europäischen Rat, sondern sie muß
vom Europäischen Parlament ausgehen.
Der Europäische Rat hat in der Brüsseler Krise jämmerlich versagt.
({1})
Wir alle wissen doch, daß das Europäische Parlament
und der Europäische Rechnungshof jahrelang Verschwendung, Inkompetenz und Vetternwirtschaft in der
Kommission und der Bürokratie aufgedeckt haben, angeprangert haben, ohne daß der Europäische Rat jemals
eingegriffen hätte. Deshalb muß die Initiative vom Europäischen Parlament ausgehen. Ein bloßer Austausch
von Personen bringt überhaupt nichts. Europa braucht
eine radikale Demokratisierung; Europa braucht ein
Parlament mit demokratischem Biß; Europa braucht
mehr unmittelbare und mehr direkte Demokratie.
({2})
Die Bürgerinnen und Bürger Europas werden sich nur
dann wieder für das europäische Projekt begeistern,
wenn sie mit ihren Wünschen und Hoffnungen ernst genommen werden. Warum ist zum Beispiel vor der Geldunion nichts unternommen worden, um ein europäisches Bürgerschaftsrecht zu schaffen? Es ist doch anachronistisch, daß wir alle demnächst mit den gleichen
Geldscheinen ausgestattet werden, aber noch mit unterschiedlichen Pässen herumlaufen. Ganz zu schweigen
davon, daß ein solcher Ansatz auch dazu beigetragen
hätte, der aktuellen Diskussion um das deutsche Staatsbürgerschaftsrecht jegliche nationale Borniertheit zu
nehmen.
({3})
Agenda 2000 ist ein Begriff, den die Bürgerinnen und
Bürger Europas überhaupt nicht verstehen können. Was
heißt Agenda 2000? Warum hat die Europäische Kommission nicht einen Begriff gewählt - zum Beispiel: Zukunft Europa 2000 -, der nach vorne orientiert ist? Mit
diesem Wortungetüm Agenda 2000 versucht die Europäische Kommission, wesentliche Politikfelder der Union - wie die Landwirtschaft, die Strukturpolitik und die
Finanzierung - nachhaltig zu reformieren.
Die Notwendigkeit einer solchen Reform ergibt sich
nicht nur aus dem anhaltenden Wunsch der Staaten
Mittelosteuropas, möglichst schnell der EU beizutreten,
sondern auch und vor allem aus den neuen Aufgaben
und Kompetenzen, wie sie der Union mit den Verträgen
von Maastricht und Amsterdam übertragen wurden.
Zweifelsohne spielen dabei die finanziellen Fragen eine
ganz entscheidende Rolle. Allerdings war angesichts der
Größe und der Vielfalt der im Rahmen der Agenda zu
lösenden Aufgaben die von Bundeskanzler Schröder angezettelte Nettozahler-Diskussion alles andere als hilfreich. Sie hat, wie wir heute wissen, die AgendaVerhandlungen eher erschwert als gefördert. Nur einem
kam die ganze Nettozahler-Debatte wie gerufen, nämlich Bayerns Ministerpräsident Stoiber, der mit krachledernem Charme gleich 14 Milliarden DM herausschinden wollte.
({4})
- Ich sprach vom krachledernem Charme. - Mit dieser
Form der Europa-Debatte befördert man nur eines: antieuropäische und nationalistische Stimmungen.
Europa ist kein Armenhaus. Die Europäische Union
ist kein Almosenempfänger. Europa kann und muß es
sich leisten, zuerst die politischen Ziele zu bestimmen,
dann nach den Kosten zu fragen, und erst in einem dritten Schritt zu sehen, wie die erforderlichen Mittel dafür
aufgebracht werden können. Das Primat der Politik muß
sich in Europa gegen das derzeitige Primat des Geldes
endlich durchsetzen.
({5})
Dies ist kein Plädoyer für europäische Luftschlösser.
Aber es ist der dringende Appell, die europäische Idee
nicht auf das Niveau eines Preiskrieges zwischen zwei
Supermarktketten zu reduzieren, bei dem nicht der bessere Service, sondern die niedrigeren Sozial- und Umweltstandards entscheiden.
({6})
Die PDS ist für eine gerechtere Lastenverteilung in
Europa. Doch das heißt für uns, daß der mehr zahlen
soll, der am meisten von der Integration profitiert. Dazu
gehört nun einmal auch die Bundesrepublik. Wir sind
nach wie vor Exportweltmeister. Mehr als zwei Drittel
aller deutschen Exporte bleiben in der EU. Jeder dritte
deutsche Arbeitsplatz hängt am Export. Was würde also
geschehen, wenn nach gekürzten deutschen EU-Beiträgen und reduzierter Strukturförderung die Auftragslage auf den europäischen Markt zurückgeht?
Eine Reform der EU-Finanzverfassung ist unumgänglich. Wir sind auch der Auffassung, daß bei den
Einnahmen der EU mehr Gerechtigkeit hergestellt werden muß. Für uns klafft die Gerechtigkeitslücke allerdings nicht zwischen reicheren und ärmeren Ländern der
EU; sie klafft zwischen den Bürgerinnen und Bürgern,
die mit ihren Steuern die nationalen EU-Beiträge finanzieren, und jenen Unternehmen, die in erster Linie vom
Binnenmarkt profitieren. Warum reden wir nicht endlich
über eine europäische Steuergesetzgebung, die in diesem
Punkt ansetzt und so die Einnahme- und Finanzautonomie der Europäischen Union stärkt?
Die Bundesregierung will die Finanzierung der EU
nach dem Prinzip der realen Ausgabenkonstanz gestalten. Das ist eine Mittelkürzung durch die „kalte Küche“,
die wir für völlig unangemessen halten.
Wer die Massenarbeitslosigkeit in Europa wirksam
bekämpfen will, wer neue Mitglieder aufnehmen will
und wer immer mehr Aufgaben auf die EU-Ebene verlagert, der braucht nicht weniger, sondern mehr, vor allem
jedoch wirksam eingesetzte Fördermittel. Die PDS wendet sich deshalb entschieden dagegen, im Rahmen der
sogenannten realen Ausgabenkonstanz die Mittelzuweisung für die Strukturfonds de facto zu kürzen. Wir unterstützen vielmehr den Vorschlag der Kommission, die
Strukturfonds in den Jahren 2000 bis 2006 mit insgesamt 240 Milliarden Euro, und zwar in Preisen von
1999, auszustatten.
Wir wollen, daß diese Fonds auf die bedürftigen
Staaten und Regionen Europas konzentriert werden, und
wir fordern, daß die Mittelvergabe einer stärkeren demokratischen Kontrolle unterliegt.
({7})
Das schafft mehr Gerechtigkeit, und es beugt solchen
unseriösen Kungeleien vor, wie sie zum Rücktritt der
Kommission geführt haben.
Es reicht jedoch nicht aus, Mittel aus den Strukturfonds auf bedürftige Regionen zu konzentrieren. Diese
Fonds müssen so gebündelt werden, daß die inneren
Entwicklungspotentiale in den betroffenen Regionen
freigesetzt werden. Vor allem aber ist die Strukturpolitik
wesentlich stärker auf die Frage der Beschäftigungswirksamkeit zu konzentrieren.
({8})
Wir wollen, daß Strukturförderung an regionale Wohlstandskriterien gebunden wird, zu denen eben nicht nur
das regionale Bruttosozialprodukt, sondern auch Kennzahlen zur Arbeitslosigkeit gehören.
Meine Damen und Herren, die PDS ist eine proeuropäische Partei.
({9})
Wir nehmen den Gedanken der europäischen Integration
sehr ernst. Wir wollen, daß die Menschen in Europa eine
Chance sehen, ihr Leben in Frieden sicherer und gerechter zu gestalten. Deshalb haben wir vor den negativen Konsequenzen einer voreiligen Währungsunion
gewarnt. Der Euro wird Europa in einem beispiellosen
sozialen Härtetest zusammenschweißen. Das kommt uns
alle teuer genug. Wer jetzt auch noch die Reform der
europäischen Finanz-, Struktur- und Agrarpolitik monetaristischen Kriterien unterwirft, der erhöht die soziale
Schieflage in Europa; der einigt Europa nicht, der spaltet.
Danke schön.
({10})
Als
nächste Rednerin hat die Kollegin Ingrid MatthäusMaier für die SPD-Fraktion das Wort.
Sehr geehrter Herr
Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren!
Herr Kollege Schäuble, - - Herr Kollege Schäuble!
({0})
Herr Kollege Schäuble - ({1})
- Ich habe Sie nicht gestört und möchte Sie bitten, mir
zuzuhören. Wenn Sie es nicht tun, dann sage ich es eben
anders.
({2})
Ich wollte zum Kollegen Schäuble ein persönliches
Wort am Anfang sagen. Ich kenne ihn seit 20 Jahren.
Wir haben schon zusammen im Finanzausschuß gesessen, und wir beide sind durchaus dafür bekannt, daß wir
auch austeilen. Aber ich muß Ihnen sagen: Die Schärfe,
die Sie seit einigen Jahren in die Debatten hineinbringen, ist mir nicht verständlich. Insbesondere sind die
Gehässigkeit und das Gift, das Sie in den letzten Debatten, seitdem Sie die Wahl verloren haben, hier gegen die
Koalition verbreiten, unerträglich.
({3})
Dies hat es bisher noch nicht gegeben.
({4})
Wenn Sie sich dann aber immer wieder beschweren,
sobald von uns Zwischenrufe auf wirklich schärfste Attacken auf die Minister kommen, und Sie sie dann mit
dem larmoyanten Hinweis zurückweisen, man würde Sie
dauernd unterbrechen, dann ist das widersprüchlich. Wir
werden das nicht hinnehmen. Ich bitte Sie, sich in Zukunft in den Debatten zu mäßigen, Herr Kollege.
({5})
Manfred Müller ({6})
Meine Damen und Herren, die Regierungschefs der
Europäischen Union wollen und sollen in der nächsten
Woche in Berlin die Agenda 2000 beschließen. Auch ich
bin der Meinung, daß es sich - das wurde schon gesagt -,
um ein schreckliches Wort handelt; denn die Menschen
wissen nicht, was sie unter „Agenda 2000“ verstehen
sollen. Sie hören nur Geld und Finanzrahmen. Die
Agenda behandelt Dinge, die in den nächsten Jahren für
Europa zu erledigen sind, erstens die Festlegung eines
Finanzrahmens für die Jahre 2000 bis 2006, zweitens
die Reform der gemeinsamen Agrarpolitik, damit sie
nicht zu teuer wird, drittens die Reform der Strukturund Kohäsionsfonds, also der europäischen Fördermittel, und viertens eine faire Lastenverteilung innerhalb der Europäischen Union zwischen denen, die
mehr einzahlen, als sie von der EU zurückerhalten, und
den anderen, die aus dem europäischen Topf mehr Geld
bekommen, als sie einzahlen. Darum geht es nächste
Woche auf dem Gipfel.
Zu der Festlegung des Finanzrahmens muß eines klar
sein - die Regierung hat das heute wiederholt -: Das rasche Ausgabenwachstum, das es bisher in der Europäischen Union gab, können wir uns alle miteinander nicht
mehr leisten. Das Stichwort heißt zu Recht „reale Konstanz“. Das heißt, auch in Europa dürfen die Haushalte nur auf dem jetzigen Niveau wachsen, ergänzt um
die Inflationsrate, die Gott sei Dank sehr niedrig ist. Es
kann nicht sein, daß wir in den nationalen Parlamenten
kräftig sparen, und in Europa sind die Ausgabenzuwächse höher. Ich halte den Vorschlag der realen Konstanz,
den die Bundesregierung gemacht hat, für gut. Es
scheint Chancen zu geben, daß das nächste Woche
klappt.
({7})
Zweitens: die Reform der Strukturfonds. 52 Prozent
der Fläche der Europäischen Union werden heute gefördert. Das ist schlicht und einfach zuviel. Diese Gelder
müssen auf die Gebiete konzentriert werden, die wirklich strukturschwach und förderungsbedürftig sind, genauso wie wir es auf nationaler Ebene mit dem Länderfinanzausgleich versuchen.
Drittens. Wir brauchen eine faire Lastenverteilung
innerhalb der EU. Das Stichwort „Nettozahler“ ruft bei
den meisten Menschen schon Verärgerung hervor. Ich
danke den beiden Rednern der Regierung, daß sie klargemacht haben, daß nach allem, was wir wissen, nächste
Woche auf dem Gipfel beschlossen wird, daß die Nettobelastung der Bundesrepublik Deutschland relativ zurückgehen wird. Das ist gut so.
({8})
Meine Damen und Herren, die Agenda 2000 ist ein
wichtiger Baustein für das weitere Zusammenwachsen
der Bürger in Europa. Deswegen, Herr Schäuble, ist es
unverantwortlich, daß gefordert wird - in diesem Fall
von der CSU -, daß der Gipfel nächste Woche verschoben wird. Ihnen selbst ist das ja unangenehm. Sie sagen
hier, das sei gar nicht so gesagt worden. Aber wenn man
heute morgen die Erklärungen und Tickermeldungen
liest, findet man immer wieder von Bayern die Forderung „Verschieben!“ oder jedenfalls „Wäre es nicht besser zu verschieben?“ Es ist völlig klar: Sie versuchen eine Arbeitsteilung. Herr Stoiber ist zuständig für den
Stammtisch, fürs Verschieben, und Sie versuchen, noch
einigermaßen zu retten, was Herr Kohl in den letzten
16 Jahren aufgebaut hat. Das ist unglaubwürdig. Stellen
Sie sich hinter die Bundesregierung, damit in der nächsten Woche ein vernünftiges Konzept verabschiedet
wird!
({9})
Es hat in den letzten Jahren viele wichtige Projekte
gegeben: den gemeinsamen Binnenmarkt, den Euro und
jetzt die Agenda 2000, die nächste Woche verabschiedet werden soll. Das sind ganz wichtige Meilensteine auf dem Weg der weiteren Integration: für Frieden, für Freiheit und Wohlstand für die Menschen in
Europa.
Rezzo Schlauch hat eben gesagt - das finde ich gut,
obwohl ich für die Finanzen zuständig bin -: Wir dürfen
nicht nur über Geld reden, sondern müssen auch über
das Herz Europas sprechen. Die Vision für Europa geht
über der Gelddebatte ein bißchen verloren. Denn was hat
uns Europa gebracht? - Über ein halbes Jahrhundert
Frieden. Das hat es noch nie in der europäischen Geschichte gegeben.
({10})
Wer sich daran erinnert, daß eine oder anderthalb Flugstunden von uns entfernt erbitterte kriegerische Auseinandersetzungen stattfinden - im Kosovo, in Bosnien
flammen sie wieder auf -, der weiß: Das ist nicht selbstverständlich.
Dazu gehört auch die Osterweiterung. Europa endet
eben nicht an Oder und Neiße. Das war eine willkürliche
Trennung. Wir können froh und dankbar sein, daß wir
sie in Sachen NATO schon überwunden haben; auch in
Sachen EU werden wir sie überwinden.
({11})
Zu den Fortschritten, die wir alle als selbstverständlich hinnehmen, die aber nicht selbstverständlich sind,
gehören die Freizügigkeit - hier aus der rheinischen
Region fährt man am Wochenende nach Belgien oder
Holland an die See; da wird keiner mehr geprüft; da
weiß man gar nicht, ob man noch in Belgien oder schon
in Holland ist - und der Wohlstand, den die europäische
Integration den Menschen gebracht hat, ein Wohlstand,
um den uns die meisten Menschen in der ganzen Welt
beneiden.
Es wird oft von „Krieg oder Frieden“ gesprochen,
wenn wir uns nicht einigen können. Wenn Sie das Wort
„Krieg“ durch „Handelskrieg“ ersetzen, sehen Sie, wie
schnell etwas passieren kann. Wenn Sie sich vorstellen,
die Länder der EU würden bei den internationalen Unsicherheiten, bei den Turbulenzen in Südostasien oder in
Südamerika nicht gemeinsam handeln, sondern auf ProIngrid Matthäus-Maier
tektionismus, auf Handelskrieg zurückgreifen, dann bekommen Sie eine Vorstellung davon, zu welchen enormen Fortschritten wir es in Europa gebracht haben.
({12})
Mein Eindruck nach den Zeitungsanalysen ist, daß
vermittelt werden soll, die Kriegsgeneration, diejenigen,
die den Krieg noch miterlebt haben, verstünden das und
wüßten, was das wert ist; aber die, die nach dem Krieg
geboren sind - dazu gehöre auch ich -, wüßten das nicht
mehr zu schätzen. Wenn das so wäre, wäre es falsch.
Denn gerade die, die nach dem Krieg geboren sind, in
einer Zeit, in der wir über ein halbes Jahrhundert Frieden mit klassischen Erbfeinden, ständig steigenden
Wohlstand und Freizügigkeit haben, wissen, daß es ein
Glück ist, in eine solche Zeit hineingeboren worden zu
sein. Ich bin mit meiner Generation dankbar dafür.
({13})
Dafür stehen viele Kanzler: Konrad Adenauer mit der
Westintegration, Willy Brandt mit seiner Ostpolitik als
Wegbereiter für die Osterweiterung, Helmut Schmidt als
Vater des Europäischen Währungssystems und als Vorreiter für den Euro und natürlich auch Helmut Kohl mit
dem Euro und dem Amsterdamer Vertrag.
({14})
Ich habe es hier schon öfter gesagt, und jedermann
weiß, daß ich es Herrn Waigel hoch anrechne, daß er
trotz Stoiber und Gauweiler im Nacken intensiv für den
Euro gefochten hat.
({15})
Aber, Herr Waigel, Sie konnten sich in den 16 Jahren
Ihrer Regierung darauf verlassen, daß die damalige Opposition bei diesem schwierigen Thema hinter Ihnen
stand, trotz Unterschieden im Detail. Was meinen Sie,
was in diesem Lande los gewesen wäre, wenn wir uns
offiziell gegen den Euro gestemmt und wiederholt hätten, was an den Stammtischen gesagt wurde: „Er hat die
Deutsche Mark zum Fenster hinausgeworfen“?
({16})
Frau
Kollegin Matthäus-Maier, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Hirche?
Gerne.
Bitte
schön, Herr Hirche.
Frau Kollegin, können Sie
bestätigen, daß das Papier der Ministerpräsidenten vom
letzten Jahr, in dem eine Entlastung um 14 Milliarden
DM gefordert wurde, die Unterschrift aller SPDMinisterpräsidenten, auch die des heutigen Bundeskanzlers Schröder, trägt?
Gerade nicht! Ich
sage Ihnen ausdrücklich - der Kollege Norbert Wieczorek hat mir die Unterlagen gerade auf den Tisch gelegt -, daß die Entlastung um 14 Milliarden DM weder
vom Bundesrat noch von den Ministerpräsidenten beschlossen worden ist. Ich weiß, daß diese Zahl in der
Diskussion der Finanzminister eine Rolle spielte. Aber
die Ministerpräsidenten haben das ausdrücklich nicht
beschlossen, um die Position der Deutschen in den internationalen Verhandlungen nicht zusätzlich zu schwächen.
({0})
Es bleibt dabei: Wir haben in schwierigster Zeit, als
die Menschen in Deutschland mehrheitlich gegen den
Euro waren und es für uns ein leichtes gewesen wäre,
schon den Bundestagswahlkampf 1994 mit dem Vorwurf zu bestreiten, Kohl schmeißt die gute Deutsche
Mark aus dem Fenster, gesagt: Der Euro ist gut für die
Wirtschaft, gut für die Menschen und gut für die Integration.
({1})
Das steht im Gegensatz zu dem, was Sie heute als
Opposition machen. Nachdem Sie jetzt in der Opposition sind, verabschieden Sie sich von dem, was wir früher
gemeinsam gemacht haben. Das ist nicht in Ordnung.
({2})
Denn nur wenn wir gemeinsam die nationalen Interessen
Deutschlands vertreten und versuchen, gemeinsam zu
einem fairen Kompromiß zu kommen, den auch die anderen Staaten unterstützen können, werden wir in Europa weiter vorankommen.
({3})
Deswegen ist es auch ein Fortschritt, daß die Kommission geschlossen zurückgetreten ist. Daß das eine
Woche vor dem Gipfel nicht so angenehm ist, ist selbstverständlich. Aber daß die Kommission die Konsequenz
daraus zieht, daß ihr Vetternwirtschaft und Unverantwortlichkeiten nachgewiesen worden sind, ist richtig.
Ich begrüße ausdrücklich, daß diejenigen Sozialdemokraten, die im Januar dieses Jahres im Europäischen
Parlament für eine Absetzung der Kommission gestimmt
haben, jetzt recht bekommen haben. Aber ich erinnere
auch daran: Es war erst Bundeskanzler Schröder, der
den Vorschlag gemacht hat, eine überparteiliche Kommission einzusetzen, die jetzt durch Vorlage ihres Berichtes den Rücktritt der Kommission bewirkt hat.
({4})
- Umwege hin, Umwege her, tun Sie doch nicht so, Herr
Haussmann, als hätten Sie die Weisheit mit Löffeln gefressen.
({5})
Wir haben die Angelegenheit bewältigt. Deswegen
müssen wir jetzt den Erfolg, den das Europäische Parlament erreicht hat, fortsetzen. Da gibt es ein Problem:
Wir haben in den letzten Jahren - auch mit unserer
Stimme; denn wir sind dafür - Rechte der nationalen
Parlamente abgegeben. Gleichzeitig hat das Europäische Parlament zwar zusätzliche Rechte bekommen,
aber nicht in gleichem Maße.
({6})
Durch die Operation, daß von den nationalen Parlamenten Rechte abgegeben werden und das Europäische
Parlament sie nicht in gleichem Maße erhält, hat es einen Schwund an Demokratie gegeben. Das darf nicht
sein.
({7})
Wir müssen gemeinsam daran arbeiten, daß sich das
ändert, daß zum Beispiel in Zukunft das Recht besteht,
daß das Europäische Parlament auch einzelnen Kommissaren das Mißtrauen aussprechen kann. Denn machen wir uns doch nichts vor: Wenn eine bestimmte
Kommissarin aus Frankreich rechtzeitig zurückgetreten
wäre, hätte es dieses Desaster nicht gegeben.
({8})
Deswegen bin ich zutiefst überzeugt: So schwierig
die Lage im Augenblick auch ist, sie zwingt uns um so
mehr zu einem Erfolg. Denn wenn der Berliner Gipfel
in der nächsten Woche scheitert, dann entsteht der Eindruck, Europa sei nicht handlungsfähig. Das darf nicht
sein. Deswegen stehen wir Sozialdemokraten hinter der
Regierung und der deutschen Ratspräsidentschaft
({9})
mit ihren Kompromißvorschlägen für die nächste Woche.
Danke.
({10})
Als
nächster Redner hat der Kollege Horst Seehofer von der
CDU/CSU-Fraktion das Wort.
({0})
Herr Präsident! Meine
sehr verehrten Damen und Herren! Verehrte Kollegin
Matthäus-Maier, daß Sie eine ganz normale parlamentarische Auseinandersetzung und eine sehr verantwortliche Rede unseres Fraktionsvorsitzenden Dr. Wolfgang
Schäuble als „Gehässigkeit“ und „Gift“ bezeichnen,
({0})
disqualifiziert Sie als ernstzunehmende Gesprächspartnerin in diesem Parlament.
({1})
Herr Außenminister, Sie kleiden sich mittlerweile
unbestritten gut,
({2})
aber mit der Wahrheit gehen Sie sehr oberflächlich und
schlecht um. Sie haben hier den Eindruck erweckt, als
würde die Opposition eine neue Europapolitik betreiben.
Ich wiederhole das, was ich vor kurzem an dieser Stelle
gesagt habe - daraufhin trat der damalige Finanzminister
an das Pult und sagte, daß die Positionen der Opposition
die Positionen der Regierung seien -: Herr Fischer, wir
vertreten auch heute als Opposition von der Beitragsfinanzierung bis hin zur Agrarpolitik exakt das, was wir in
den 90er Jahren entwickelt haben, was auf einer Sonderministerpräsidentenkonferenz mit dem Bundeskanzler Helmut Kohl noch im Juli des Jahres 1998 abgestimmt worden ist und was im Bundesrat behandelt
worden ist. Die neue Bundesregierung unter Gerhard
Schröder ist es, die sich von den bisherigen Positionen
verabschiedet hat. Sie haben den europapolitischen Konsens verlassen!
({3})
Frau Matthäus-Maier, auch hinsichtlich der von Ihnen
genannten 14 Milliarden DM sagen Sie die Unwahrheit.
({4})
Die Länderfinanzminister - ich habe das Protokoll vorliegen - haben am 13. Juni 1997 festgestellt, daß
Deutschland im Zeitraum von 1991 bis 1996 insgesamt
rund 140 Milliarden DM mehr an die EU gezahlt hat, als
es von dort zurückerhalten hat. Also zahlt es über
14 Milliarden DM pro Jahr mehr an die EU. Diese Position haben die Länderfinanzminister 1998 nach der
Bundestagswahl bekräftigt.
Meine Damen und Herren, die Grundlinien der Europapolitik - ich verweise hier insbesondere auf unsere
Einlassungen in bezug auf die Agenda 2000 - sind - ich
sage es noch einmal - vom Bundesrat im Juni vor der
letzten Bundestagswahl und von einer Sonderministerpräsidentenkonferenz beschlossen worden. Deshalb
stelle ich hier noch einmal fest: Den europapolitischen
Konsens in der Bundesrepublik Deutschland hat nur die
neue Regierung des Gerhard Schröder aufgegeben, nicht
die Opposition.
({5})
Wir vertreten exakt die gleichen Positionen wie vorher.
Herr Fischer, Sie und die Grünen sind auch ein bißchen oberflächlich mit dem Problem des EU-Beitrages
der Deutschen umgegangen. Sie haben hier gesagt: Ich
habe das immer unterstützt. - Sie waren damals, 1995 am 31. März ist das hier entschieden worden -, Sprecher
Ihrer Fraktion. Im Protokoll findet sich nicht Zustimmung der Grünen, sondern Enthaltung.
({6})
Auch hier haben Sie Ihre Position geändert.
({7})
Ähnlich verhält es sich mit Ihrer Position zur EUErweiterung. Ich habe Ihre diesbezügliche Rede noch
einmal nachgelesen. Ihre Position zur EU-Erweiterung
vor Weihnachten war eine andere als die, die Sie dann
später in Ihrer Rede vor dem Europäischen Parlament
vertreten haben. Wer so schludrig und oberflächlich mit
der Wahrheit umgeht, kann uns nicht des Populismus
zeihen. Das ist ganz eindeutig.
({8})
Jetzt komme ich zum EU-Beitrag. Wir bleiben bei
der Position: Die Deutschen werden immer Nettozahler
sein. Wir verstehen Solidarität so, daß ein starker Staat
für die schwachen eintritt. Wir sind ein starker Staat,
und deshalb üben wir Solidarität mit den schwachen.
Wir haben immer für Beitragsgerechtigkeit plädiert,
und zwar nicht erst jetzt, wo wir in der Opposition sind.
Vielmehr war es 1997 Theo Waigel, der die Kommission mit der offenen Frage der Beitragsgerechtigkeit konfrontiert hat. Übrigens möchte ich erwähnen, daß die
SPD damals, 1995, der Höhe dieser Beiträge zugestimmt
hat. Es war noch die alte Regierung, die erreicht hat, daß
die Kommission die Berechtigung des deutschen Anliegens anerkannt hat.
({9})
So ist die historische Entwicklung gewesen.
({10})
Eine Entlastung um 14 Milliarden - ich wiederhole es
noch einmal - haben wir von der Union nie als politische Forderung erhoben. Wir bleiben bei dem Betrag,
den Theo Waigel in seinem Kappungsmodell genannt
hat, nämlich bei 7 bis 8 Milliarden DM. Wir sagen nur:
Wenn die Ministerpräsidenten und die von der SPD gestellten Landesfinanzminister einen Betrag von 14 Milliarden einmal beschlossen und bestätigt haben, dann
kann es nicht populistisch sein, wenn die Opposition als
Meßlatte für Sie bei den Verhandlungen über die Agenda 2000 die Hälfte dieses Betrages nennt.
({11})
Dabei bleiben wir.
Herr
Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Norbert Wieczorek?
Nein. - Gegen folgende Überlegungen spricht doch überhaupt nichts: Die
deutsche Regierung erhebt als Forderung, die Höhe des
deutschen Beitrages solle unserem Anteil am wirtschaftlichen Wohlstand in Europa entsprechen. Im Moment zahlen wir 29 Prozent; unser Anteil am Sozialprodukt, gemessen an der Kaufkraft, beträgt 24 Prozent.
Deshalb sind unsere Beiträge um 7 bis 8 Milliarden zu
hoch.
Herr Fischer, auch wir wissen, daß man Kompromisse schließen muß. Aber was wir Ihnen vorhalten, ist, daß
Sie die ganze Richtung der Europapolitik, nämlich weg
vom Zentralismus und immer mehr Bürokratie, hin zu
mehr Föderalismus und mehr Subsidiarität, aufgegeben
haben. Es kann dann nicht einen Kompromiß geben,
wenn die Richtung falsch ist. Wenn wir eine Kofinanzierung von 50 Prozent fordern, dann können wir auch
einen entsprechenden Kompromiß mittragen. Aber wenn
Sie völlig ohne Not 14 Tage vor dem entscheidenden
Gipfel das Prinzip der Kofinanzierung aufgeben, das am
ehesten geeignet ist, den Haushalt der EU massiv zu
entlasten und mehr Subsidiarität und damit mehr Eigenverantwortung in Deutschland zu gewährleisten, dann ist
das eine politische Zumutung und hat mit Regierungskunst nichts mehr zu tun.
({0})
Der ehemalige Finanzminister Lafontaine
({1})
war im Europaausschuß und hat erklärt: Die Kofinanzierung ist ein zentrales Verhandlungsziel der Bundesregierung. - Das war vor 14 Tagen. Am gleichen Tag erklärt
der Agrarminister Funke selbstbewußt, das Thema sei
vom Tisch. Am gleichen Tage findet der Kanzleramtsminister Hombach, daß die Kofinanzierung für Bonn
ohnehin nur Mittel zum Zweck der Deckelung der
Agrarausgaben gewesen sei. Die stellvertretende Regierungssprecherin Reinhardt korrigiert daraufhin den
Landwirtschaftsminister mit der Aussage, die Kofinanzierung bleibe deutsches Verhandlungsziel, was den
Landwirtschaftsminister veranlaßt, erneut zu beteuern,
daß man über die Kofinanzierung nicht mehr reden
wolle.
({2})
Der Bundeskanzler hat in der letzten Woche im Europaausschuß erklärt: Die deutsche Präsidentschaft kann
die Kofinanzierung gar nicht aufgeben. - Sie wiederum
haben heute in der Regierungserklärung ausgeführt, daß
sie aufgegeben ist. Dafür ist das Wort „Chaos“ noch eine Beschönigung. Es handelt sich nicht um eine chaotische Politik; die Regierung in unserem Lande ist das
Chaos.
({3})
Kommen Sie nicht in der nächsten Woche, am Freitag nach dem Gipfel, und sagen: Wir haben eine reale
Konstanz der Ausgaben, und wir haben den Trend umgekehrt! - Das haben Sie ja heute wieder versucht. Diese Trendumkehr, die Sie als Ziel der Verhandlungen in
acht Tagen darstellen, hat die vergangene Bundesregierung längst erreicht. Wir haben 1994 noch einen Nettobeitrag von 27,6 Milliarden gehabt. Dieser Betrag ist
auf 22,5 Milliarden DM im Jahre 1997 gesunken. Das
entspricht einer Reduzierung des Nettobeitrages von
30 Prozent auf 26,4 Prozent. Nach allen Informationen,
die wir haben, hat sich dieser Trend 1998 fortgesetzt und
wird auch 1999 nicht gebrochen. Deshalb: Kommen Sie
nicht mit dem, was schon die alte Regierung erreicht hat,
und versuchen sie nicht, uns das nächste Woche als Erfolg zu verkaufen!
({4})
Das Einfrieren der um die Inflationsrate bereinigten
Ausgaben könnte in der Tat unsere Unterstützung
finden. Aber die entscheidende Frage, wie diese Ausgaben dann von den Mitgliedsländern finanziert werden, lösen Sie nicht, wenn Sie die Beitragsgrundlagen
nicht verändern, und zwar in der Richtung, wie das die
Bundesregierung unter Helmut Kohl bereits eingeleitet
hat.
Zur Agrarpolitik, wo die größte Veränderung in Ihrer Haltung festzustellen ist. Die Agenda wird in der
Form, wie Sie sie jetzt zur Verhandlungsgrundlage gemacht haben, mit Sicherheit von den Ministerpräsidenten abgelehnt. Ich stehe da als Vertreter der Opposition
gar nicht alleine mit meiner Einschätzung. Die SPDAgrarminister haben sich am 12. März in Ludwigsburg
zu diesem Verhandlungsergebnis geäußert - „zur
Kenntnis genommen“, „nicht schlecht“ -, dann aber in
der Frage, warum die Verhandlungen im Landwirtschaftsbereich nicht zustimmungsfähig sind, genau unsere Position übernommen. Wir sagen: Es macht doch
keinen Sinn, eine Agrarreform durchzuführen, die für
die Mitgliedsländer der Europäischen Union zu höheren
Ausgaben als heute, für die Landwirte zu deutlich geringeren Einkommen als heute und für alle miteinander zu
einer gigantischen Bürokratie führt.
({5})
Herr Landwirtschaftsminister, das ist doch nicht Regierungskunst! Lesen Sie nach, was die Landwirtschaftsminister Ihrer eigenen Partei gesagt haben: Auf
die Landwirtschaft werden erhebliche Einkommensverluste zukommen. Und obwohl Herr Fischer heute erklärt
hat, all diese Positionen seien aufgegeben, haben die
Landwirtschaftsminister noch vor acht Tagen gesagt,
daß sie an der Option der Kofinanzierung festhalten.
Was die Bürokratie betrifft, so steht in diesem Beschluß
der SPD-Agrarminister der bemerkenswerte Satz, daß
der Agrarrat das Ziel einer durchgreifenden Vereinfachung der agrarpolitischen Maßnahmen nicht erreicht
habe.
({6})
Das haben die SPD-Agrarminister festgestellt.
({7})
Und auch wir bleiben dabei: Dieser Agrarkompromiß ist
nicht hinzunehmen.
Bundeskanzler Schröder hat von diesem Pult aus
einmal definiert, was „Reform“ ist: „Reform ist die
Verbesserung der Lebensumstände von Menschen.“ Mit
dieser Agrarreform verbessern Sie nicht die Lebensumstände von Menschen, sondern Sie verordnen staatlicherseits ein massenhaftes Höfesterben, die Existenzvernichtung bäuerlicher Familienbetriebe. Das ist
die Realität, und deswegen werden wir das nicht mittragen.
({8})
Herr Außenminister, Sie sind in die ganze Schwierigkeit auch aus folgenden Gründen gekommen: Erstens
hat es in der Geschichte des Bundestages noch nie einen
Bundeskanzler gegeben, der im Vorfeld eines Gipfels
mit dem Parlament so arrogant umgegangen ist wie der
amtierende Bundeskanzler. Er hat nicht einmal die
Chance ergriffen, sich der Unterstützung des Parlamentes zu versichern.
({9})
Zweitens hat es noch nie die Situation gegeben, daß in
einer historischen Stunde wie dieser - diesbezüglich gebe ich Ihnen recht: Nach dem Beschluß des Euro ist das
die wichtigste Weichenstellung für die europäische Zukunft - die deutsche Bundesregierung, zumal als Ratspräsidentin, über kein funktionsfähiges Finanzministerium verfügt. Das ist ein schwerer politischer Fehler.
({10})
Drittens gehen Sie bei diesen ganzen Verhandlungen
rein fiskalistisch vor.
({11})
Sie haben kein geistiges Fundament und machen nicht
saubere ordnungspolitische Vorstellungen zur Grundlage. Sie haben weder eine Verhandlungsstrategie noch
ein Verhandlungskonzept.
Sie sollten sich auf das rückbesinnen, was wir bis
zum Bundestagswahlkampf 1998 gemeinsam getragen
haben, nämlich daß wir ja sagen zu Europa, daß wir ja
sagen zur Fortentwicklung Europas - es ist schön, wenn
aus der westeuropäischen Union eines Tages eine gesamteuropäische Union wird - und daß wir nein sagen
zu einem zentralistischen und bürokratischen Europa.
Wir wollen ein föderales, ein subsidiäres Europa. Föderal und subsidiär sind das Gegenteil von Zentralismus.
Genau dieser Zentralismus - mit neuen Kompetenzen in
Straßburg und Brüssel, mit neuen Aufgaben für die
Kommission - ist die Grundlage Ihrer Verhandlungsergebnisse. Weil Sie ordnungspolitisch die falsche
Grundlage gewählt haben, werden Sie auch zu falschen
Verhandlungsergebnissen kommen. Das werden wir
nicht mittragen können.
({12})
Lassen Sie mich noch etwas zu der angeblich unterschiedlichen Haltung von CDU und CSU sagen. Wir
bleiben bei der Aussage, die sich beim Euro bewährt
hat: Substanz und Qualität gehen vor Zeitplan.
({13})
Deshalb werden wir Sie daran messen - das sage ich
auch im Namen der CSU -, welche Substanz Sie bis
nächste Woche zustande bringen. Das, was jetzt auf
dem Tisch liegt und bekannt ist, ist unzureichend. Deshalb fordern wir Sie auf, diese Substanz so zu verändern,
daß sie europäischen und deutschen Interessen gerecht
wird.
Wir von der Union wollen ein in gutem Sinne mächtiges Europa, das eine starke Wirtschaft, eine solidarische Gesellschaft und eine demokratische Ordnung miteinander verbindet. Niemand hat das in der Geschichte
unserer Republik so realisiert wie die Union von Konrad
Adenauer und Helmut Kohl: ein Europa, das die Interessen seiner Völker gegenüber der übrigen Welt kraftvoll
vertritt, das seinen Beitrag zu einer friedlicheren und
besseren Welt leistet und - darauf kommt es jetzt entscheidend an - das sich den Bürgern nähert.
Deshalb, Herr Außenminister, lassen Sie ab von dieser Beschimpfung der Opposition und kehren Sie wieder
zurück zum europapolitischen Konsens! Nur dann werden Sie unsere Unterstützung der Ergebnisse der nächsten Woche erwarten können.
({14})
Als
nächster Redner hat der Kollege Christian Sterzing vom
Bündnis 90/Die Grünen das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir sind in
den letzten Minuten mit den zentralen Sätzen des CDULeitantrages für den Erfurter Parteitag beglückt worden.
Darin gibt es erneut Widersprüche zwischen den vollmundigen europapolitischen Bekenntnissen auf der einen Seite und den verschiedenen politischen Forderungen auf der anderen Seite.
Wir haben - da sind wir uns, glaube ich, hier weitgehend einig - in Brüssel auf Grund des Rücktritts der
Kommission eine sehr schwierige Situation. Die EU ist
in einer institutionellen Krise. Wir stehen wenige Tage
vor wichtigen Entscheidungen in Berlin. Die Opposition in diesem Hause - so habe ich den Eindruck - reagiert mit einer gewissen Schadenfreude über diesen Zustand.
({0})
- Doch! Das war in den letzten zwei Stunden dieser Debatte sehr deutlich zu spüren.
({1})
Wenn ich die europapolitischen Debatten der letzten
Jahre in diesem Hause Revue passieren lasse, kann ich
nur feststellen, daß eine so schwierige europapolitische
Situation noch nie so rücksichtslos, so hemmungslos für
parteipolitische Zwecke mißbraucht worden ist, wie dies
hier heute geschehen ist.
({2})
Dabei haben wir in der EU im Augenblick ganz sicher
einen Zustand, der genaue Analyse und auch Phantasie
für Problemlösungen erfordert und der es notwendig
macht, daß alle Beteiligten konstruktiv über weitere
Schritte nachdenken.
Der kollektive Rücktritt der Kommission wirft eine
ganze Reihe von Fragen auf. Ein Teil dieser Fragen ist
hier heute angeschnitten worden: Da haben wir eine
vertraglich nicht ganz klare Situation; da müssen wir
eine Übergangsregelung mit einer dauerhaften Regelung
für den Kommissionspräsidenten und die Kommission
verbinden; da haben wir einen Übergang vom Maastrichter Vertrag zum Amsterdamer Vertrag; da stehen
die Europawahlen vor der Tür; da geht es darum, im Zusammenhang mit der Agenda 2000 möglichst rasch eine
handlungsfähige Kommission zusammenzustellen.
Es ist - darin hat sich hier schon Übereinstimmung
gezeigt - deutlich geworden, daß die neue Kommission
auf jeden Fall in enger Abstimmung mit dem Europäischen Parlament zusammengestellt werden muß. Im
Amsterdamer Vertrag erhält das Europäische Parlament
erweiterte Rechte bei der Benennung des Kommissionspräsidenten. Wir müssen ganz deutlich sagen: Eine
Benennung, die diese - wahrscheinlich erst am 1. Juni in
Kraft tretenden - neuen Regelungen nicht berücksichtigt, also eine Umgehung der neuen Rechtsstellung des
Europäischen Parlaments mit sich bringen würde, kann
unsere Zustimmung nicht finden. Ich bin sehr froh darüber, daß die Bundesregierung, namentlich auch der
Kanzler, in den letzten Tagen schon damit begonnen hat,
in Konsultationen auch mit dem Präsidenten des Europäischen Parlaments zu einer einvernehmlichen Regelung zu kommen. Gerade so kurz vor den Europawahlen
wäre es ein verheerendes Signal, wenn das Europaparlament nicht in ausreichender Weise an der Bildung der
neuen Kommission beteiligt würde.
({3})
Damit bin ich auch schon bei den mittelfristigen Konsequenzen, die sich aus der augenblicklichen Situation
in Brüssel ergeben. Das Stichwort heißt hier sicherlich:
innere oder institutionelle Reformen. In diesen Tagen
wird deutlich, daß wir nicht nur über Stimmengewichtung im Rat, über Mehrheitsentscheidungen und über die
Anzahl der Kommissare reden müssen, sondern daß es
um eine durchgreifende Demokratisierung der Institutionen, der Verfahren und Entscheidungsprozesse in der
EU geht. Wir müssen über die Stellung der Kommission
und auch der einzelnen Kommissare im Institutionengefüge nachdenken. Wir müssen die demokratische Legitimation dieses so wichtigen Organs verbreitern. Das
heißt, wir müssen endlich konsequent auf eine Stärkung
des Europäischen Parlaments hinarbeiten und die Mitentscheidungsrechte, die Kontrollrechte des Parlaments
auch und gerade gegenüber der Kommission stärken.
Das sind reformpolitische Herausforderungen, denen wir
uns stellen müssen.
Auch wenn dieser Rücktritt bzw. die lange, mühsame
und auch sehr zähflüssige Auseinandersetzung, die diesem Rücktritt vorausgegangen ist, eine ganze Reihe von
Problemen aufwirft, so dürfen wir diese nicht auf die
Frage nach dem menschlichen oder politischen Versagen einiger Kommissare oder Kommissarinnen reduzieren. Wir müssen deutlich erkennen, daß schlaglichtartig
Mängel in der demokratischen Verfaßtheit dieser Union
sichtbar geworden sind.
({4})
Damit weisen diese Ereignisse auch ein Stück weit
über die Agenda 2000 hinaus. Wir brauchen dringend
einen Abschluß der Agenda 2000, weil sie zum einen
überfällige Reformen in den verschiedenen Politikbereichen der EU einleitet und weil sie zum anderen notwendig ist, um die EU erweiterungsfähig zu machen.
({5})
Wenn wir die Agenda nicht schleunigst abschließen,
dann drohen wir die historische Chance auf die Erweiterung der EU zu verpassen. Dies sollten sich gerade all
die Damen und Herren der Opposition überlegen, die in
diesen Tagen mit dem Gedanken einer Verschiebung der
Agenda spielen. Wir brauchen ein solches Zeichen der
Handlungsfähigkeit innerhalb der EU, und die Beitrittsländer brauchen das Zeichen, daß wir bereit und fähig
sind, alles zu tun, was für die Erweiterung der EU erforderlich ist. Dieses Zeichen sind wir gerade den Beitrittsländern schuldig.
({6})
Herr Kollege Seehofer, Sie haben gesagt, die Position
der Grünen im Hinblick auf die Erweiterung habe sich in
den letzten Wochen geändert.
({7})
Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie dies genauer belegen
würden. Gerade die Grünen haben sich in den letzten
Jahren immer eindeutig für eine gesamteuropäische Perspektive ausgesprochen.
({8})
- Das hatte mit unserer Kritik an den Mängeln der demokratischen Verfaßtheit der EU zu tun. Das haben
wir damals sehr deutlich gemacht. Wir haben gesagt,
wir enthalten uns, stellen aber das Ziel der Erweiterung
in keiner Weise in Frage. Das ist damals sehr deutlich
geworden; alles andere wäre wirklich ein Mißverständnis.
Die Herstellung der Erweiterungsfähigkeit der EU
ist das Ziel. Wenn wir das vor dem Hintergrund der Ereignisse der letzten Tage in Brüssel überdenken, dann
erkennen wir, daß für die Überlebensfähigkeit der Europäischen Union ein Weiteres notwendig ist, nämlich die
Herstellung demokratischerer Strukturen. Das sind zwei
zentrale Reformprojekte für die Europäische Union, die
wir angehen müssen. Das sind zwei Herausforderungen,
die wir zu bewältigen haben. Mit der Agenda 2000 geben wir ein Zeichen in Richtung Beitrittsländer; mit den
inneren Reformen geben wir ein Zeichen in Richtung
Bürgerinnen und Bürger in der Europäischen Union, daß
die Union in der Lage ist, sich demokratisch zu reformieren.
Es ist traurig - dieser Eindruck verfestigt sich -, daß
sich die Opposition diesen Aufgaben in weiten Teilen
entzieht und nicht bereit ist, daran mitzuarbeiten. Wenn
man sich die Äußerungen und Vorschläge der letzten
Tage und Wochen - insbesondere der CSU, aber auch
der CDU - anschaut, dann stellt man fest, daß darin wenig von einer europapolitischen Gesamtverantwortung
zu spüren ist. Es gibt die Forderung nach der Verschiebung der Agenda-Entscheidungen, und zwar nicht nur
in Interviews. Wir haben diese Töne noch gestern auch
im Europaausschuß gehört. Das ist jenes Doppelspiel,
das heute wieder sichtbar wurde: auf der einen Seite in
Erklärungen - zum Beispiel in denen des bayerischen
Kabinetts - rhetorische Bekenntnisse zum Integrationsprozeß abzugeben, auf der anderen Seite in Interviews
antieuropäische Vorurteile zu bedienen. Das ist die
augeblickliche Situation in der CDU und CSU.
Es ist die christdemokratische Seite in diesem Haus,
die, glaube ich, einen dramatischen Wandel in ihrer Europapolitik vollzieht. Das wird besonders deutlich, wenn
man sich den Leitantrag der CDU für ihren Parteitag in
Erfurt anschaut, der wie von zwei Autoren geschrieben
erscheint. Darin finden sich eine ganze Reihe von widersprüchlichen Vorstellungen und Vorschlägen. Schon
während der Regierungszeit der alten Bundesregierung
haben wir erlebt, daß es ihr nicht gelungen ist, zu einer
übereinstimmenden Position in Sachen Agenda 2000 zu
gelangen. An den unterschiedlichen Äußerungen ist abzulesen, daß die schleichende „Stoiberisierung“ der Europapolitik der CDU/CSU schon ein fortgeschrittenes
Stadium erreicht hat.
Wir sagen ganz klar: Wer die Verschiebung der
Agenda 2000 fordert, der sabotiert die Erweiterung der
EU und will sie handlungsunfähig machen. Da werden
wir natürlich nicht mitmachen.
({9})
Nach meiner Einschätzung ist es eine Art „europapolitische Sonthofen-Strategie“, die aus dem bayerischen
Raum heraus betrieben wird und welche die Krise der
EU für innenpolitische Zwecke mißbrauchen will.
Schauen wir uns die Forderungen der CDU/CSU im
einzelnen an, so wird deutlich, daß es kein Konzept für
die Lösung der anstehenden Probleme gibt und daß viele
Äußerungen - gerade vom Kollegen Schäuble - von
wenig Sachkenntnis geprägt sind. Vieles, was er heute
an Kritik angeführt hat, trifft auf die Entscheidungen
und die Vorlagen der Bundesregierung längst nicht mehr
zu. Er hat die stärkere Förderung der ländlichen Räume
angemahnt. Das ist eine alte Forderung sowohl der SPD
als auch der Grünen und in den Vorschlägen längst berücksichtigt. Wenn er die Effizienzreserve in den Händen der Kommission kritisiert, dann ist daran zu erinnern, daß diese Effizienzreserve längst von 10 Prozent
auf 4 Prozent reduziert worden ist. Auch ist längst geregelt worden, daß ihre Verwendung in der Verantwortung
der einzelnen nationalen Regierungen und nicht in der
der Kommission liegt.
Hier werden die Augen vor dem verschlossen, was in
den Verhandlungen der letzten Wochen erreicht worden
ist. Es werden Maximalforderungen aufgestellt, die nicht
verhandelbar sind, die die deutsche Verhandlungsposition diskreditieren und insbesondere auch die Chancen
und Möglichkeiten der deutschen Präsidentschaft erheblich erschweren würden, im augenblicklich schwierigen
Kompromißprozeß zu vermitteln. Das muß man sehr
deutlich herausstellen, auch mit Blick auf die Krokodilstränen, die von Ihrer Seite im Hinblick auf die angebliche Verschlechterung des deutsch-französischen
Verhältnisses vergossen werden. Mit Ihren Forderungen
- 14 Milliarden DM an Einsparungen und 50 Prozent
Kofinanzierung - haben Sie doch keinerlei Chance, die
Unterstützung der Franzosen zu finden. Insofern bauen
Sie hier eine Position auf, die eine konstruktive Auseinandersetzung über die Agenda 2000 unmöglich macht.
Das sollten Sie ganz deutlich sehen.
({10})
Die europäische Integration ist in den letzten Tagen
und Wochen in ein schwieriges Fahrwasser geraten. Es
geht jetzt darum, einen klaren Kurs einzuschlagen. Die
Verabschiedung der Agenda 2000 in Berlin im Vorfeld
der Europawahlen könnte zum einen den Beitrittsländern signalisieren, daß wir zur EU-Erweiterung bereit
sind, und zum anderen innerhalb der EU signalisieren,
daß wir auch weiterhin reform- und handlungsfähig
sind. Dafür verdient die Bundesregierung unsere ganze
Unterstützung.
Vielen Dank.
({11})
Das
Wort hat jetzt die Kollegin Sabine LeutheusserSchnarrenberger von der F.D.P.-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Angesichts
der bekannten - nicht nur europapolitischen - Nöte und
Bedrängnisse der Bundesregierung kann sich selbst eine
Vertreterin der Opposition eines gewissen Mitgefühls
nicht ganz erwehren. Deshalb werde ich sorgsam und
sparsam mit dem Salz umgehen, das ich in die vielen offenen Wunden der Bundesregierung und der sie tragenden Parteien streuen möchte.
Aber eines, Herr Sterzing, möchte ich gleich zu Anfang sagen: Sie haben eben zu Recht betont, wie notwendig eine stärkere Demokratisierung der Europäischen Union, die Stärkung des Parlaments und ein
ausgeglicheneres Verhältnis zwischen Kommission und
Parlament sind. Genau das ist im Vertrag von Amsterdam angelegt, mit dem zwar nicht alle Wünsche erfüllt,
aber doch die richtigen Weichen gestellt werden konnten. Deshalb ist es ein Zeichen für europapolitische
Weitsicht, solchen grundlegenden Weichenstellungen
zuzustimmen, wenn man sieht, daß sie in die richtige
Richtung erfolgen, nämlich in Richtung einer stärkeren
Vertiefung der Europäischen Politischen Union. Dafür
hat die Fraktion der Grünen, als entsprechende Beschlüsse zur Verabschiedung anstanden, nicht gesorgt.
Vielleicht hat sie auch die Notwendigkeit dazu nicht gesehen.
({0})
In der nächsten Woche steht europapolitisch sehr viel
auf dem Spiel, mehr, als es ein kurzatmiger Parteienstreit um den einen oder anderen Punkt rechtfertigen
würde: Es geht nämlich um die Zukunft Europas. Die
Reform „Agenda 2000“, deren Gelingen nicht nur für
die Finanzierbarkeit der Osterweiterung, sondern auch
für die den Bürgerinnen und Bürgern zunehmend abverlangte übernationale Solidarität und für die öffentliche Akzeptanz der weiteren europäischen Integration
wichtig ist, ist wenige Tage vor dem entscheidenden
Gipfel in Berlin noch nicht unter Dach und Fach gebracht. Zumindest läßt das, was uns bis heute mitgeteilt
worden ist, unserer Meinung nach nicht erkennen, ob es
zu einem tragfähigen Kompromiß kommen kann, der
dann die notwendige Grundlage für den Erweiterungsprozeß ist. Ich glaube für die Liberalen in Anspruch
nehmen zu können: Wir waren es, die sich ohne Wenn
und Aber für die Osterweiterung, für die Vertiefung der
Europäischen Politischen Union
({1})
und für die Europäische Wirtschafts- und Währungsunion eingesetzt und sich für ein Europa der Bürgerinnen und Bürger stark gemacht haben.
({2})
Um den Agrarkompromiß, auch um die Vorstellungen im Bereich der nationalen Kofinanzierung - wohl
auf Grund allzu forscher Verhandlungsstrategie der
deutschen EU-Präsidentschaft - ist es wenige Tage vor
dem Berliner Gipfel schlecht bestellt. Deshalb sieht es
auch für die angekündigte substantielle Entlastung durch
eine Verringerung des deutschen EU-Beitrages schlecht
aus.
({3})
Ich lege für die Liberalen Wert auf die Feststellung: Nie
waren wir diejenigen, die in dieser Form - ich beziehe
mich hier auf den Populismus, den Herr Schröder, der
Bundeskanzler, verfolgt, aber auch auf den Populismus,
der aus Bayern zu hören ist ({4})
das Zahlmeisterargument in die Welt gesetzt haben.
({5})
Leider hat sich Bundeskanzler Schröder in eine unselige Allianz mit denen begeben, die nicht so sehr den
Fortschritt und die Vertiefung der Europäischen Politischen Union auf ihre Agenda geschrieben haben. Wir
Liberale können belegen, daß wir nie die Verweigerer
oder Blockierer im europäischen Integrationsprozeß gewesen sind. Das werden Sie an jeder einzelnen Abstimmung in den letzten 27 Jahren erkennen können.
({6})
In dieser derzeit wirklich tristen Situation aber müssen die Chancen erkannt werden, die aus der Not heraus
erwachsen - so widersprüchlich sich das anhören mag -,
auf Grund des Rücktritts der Kommission und der Vorgeschichte, eine weitergehende grundlegende Reform
der europäischen Strukturen und Institutionen beherzt in Angriff zu nehmen. Unabhängig von der
schwierigen Frage, wie mit einer wohlüberlegten Interimslösung nach dem Beteiligungsverfahren des Vertrages von Amsterdam die Zeit bis zur endgültigen Neubildung der Europäischen Kommission überbrückt wird, ist
die Zeit reif, die Entscheidungs- und Abhängigkeitsstrukturen in der Kommission und das Verhältnis von
Kommission zu Parlament zu überdenken.
Es ist unstrittig, daß die Position des Kommissionspräsidenten gegenüber den Kommissaren gestärkt und
damit auch seine politische Verantwortung ausgeweitet
werden muß. Es darf nicht länger sein, daß mit Hilfe des
Kollegialitätsprinzips die begründete Forderung nach
Entlassung eines Kommissionsmitglieds grundsätzlich
abgeblockt werden kann.
({7})
Aber auch die Position der Kommissare muß gestärkt
werden, und zwar gegenüber den ihnen unterstellten
Generaldirektionen. Wenn - zu Recht - den einzelnen
Kommissaren die Übernahme der vollen Ressortverantwortung abverlangt wird - nach dem Untersuchungsbericht ist sie anscheinend nicht wahrgenommen worden -,
dann müssen sie auch die Möglichkeit haben, die Richtlinien ihrer Ressortpolitik notfalls durch Personalentscheidungen durchzusetzen. Das können sie zum jetzigen Zeitpunkt nicht.
({8})
Also muß es auch dort Änderungen geben.
({9})
Die Arbeits- und Entscheidungsabläufe in der Kommission müssen von übersteigertem Formalismus befreit
und damit effizienter werden. Die von der Kommission
zu Recht verlangte Transparenz darf nicht durch immer
mehr unüberschaubare Formalisierung und Bürokratisierung in ihr Gegenteil verkehrt werden.
Es ist natürlich nicht hinnehmbar, daß die zur Kontrolle der Kommissionsarbeit und zur Verhinderung von
Fehlverhalten eingerichteten Institutionen wie die bestehende UCLAF als Einheiten der Kommission deren
Einflußnahme direkt unterworfen sind. Wenn es jetzt zur
Umgestaltung dieser Antibetrugseinheit kommt, dann
muß dem Aspekt der institutionellen Unabhängigkeit
sehr viel stärker Rechnung getragen werden, als wir es
den bisherigen Vorschlägen entnehmen können. Ansonsten wird es nicht zu einer unabhängigen Kontrolle
kommen.
Neben diesen Chancen für eine grundlegende Reform
der Kommission eröffnet der Rücktritt der Kommission
in dem Sinne Chancen, daß sich der Europäische Rat,
an den jetzt immense Erwartungen gerichtet werden,
seiner Verantwortung wirklich voll bewußt ist.
({10})
Die Verhandlungsführung der deutschen Ratspräsidentschaft sollte daher viel stärker darauf drängen, zu
vernünftigen Kompromissen durch Beiträge anderer
Mitgliedstaaten zu kommen.
({11})
Das heißt, aus der Krise erwächst eine Chance, wenn
sie genutzt wird, wenn die Verhandlungsführung dies
möglich macht.
Wir als Opposition wollen, daß Sie in Berlin Erfolg bei der Fortsetzung der europäischen Integration
haben.
({12})
Nur, Sie dürfen uns nicht verwehren, deutlich zu machen, daß das, was uns bisher bekannt ist, noch nicht
ausreicht, um zu sagen: Ja, der Berliner Gipfel bringt
Europa wirklich entscheidend voran. Wir sollten vom
Bundeskanzler eines erwarten: Er sollte in Berlin endlich unter Beweis stellen, daß er mit Europa eine Vision
verbindet.
({13})
Er sollte mit Europa die Vision verbinden, daß er
Europäer ist, vom Verstand und vom Herzen her.
({14})
Das haben wir als Liberale in den letzten Jahren
wirklich ausreichend unter Beweis stellen können. Wenn
deutlich wird, daß man keine europäische Vision hat,
wenn deutlich wird, daß man ohne eine solche Einstellung verhandelt, dann kommen eben nur kleine Kompromisse zustande, die für ein tragfähiges Europa nicht
weiterführend sind. Auch darum geht es uns in dieser
heutigen Debatte.
Vielen Dank.
({15})
Als
nächste Rednerin hat die Kollegin Kersten Naumann
von der PDS-Fraktion das Wort.
Herr Präsident! Meine
Damen und Herren Abgeordnete! Mit den heute zu beratenden Anträgen versuchen die CDU/CSU und - wenn
auch etwas weniger, wie meine Vorrednerin beteuerte die F.D.P., Salz in offene Wunden zu streuen und daraus
auf Kosten der Bauern politisches Kapital zu schlagen.
({0})
Der von den unionsgeführten Ländern in der Konferenz der Länderagrarminister in der vergangenen Woche
provozierte Konflikt wird sich als Versuch entpuppen,
die eigentlichen politischen Absichten zu verschleiern
und dem Bundestag ein Kuckucksei unterzuschieben und das kurz vor dem christlichen Osterfest.
Die CDU/CSU und die F.D.P. erwarten vom Bundestag, daß er sich entsprechend ihren Anträgen für das
Modell der Kofinanzierung ausspricht. Dabei sollte Ihnen doch völlig klar sein, daß erstens das Solidaritätsprinzip unterlaufen wird, daß zweitens dieses Modell
in der EU unter 15 sehr differenziert entwickelten EUStaaten nicht konsensfähig ist und daß drittens die Einsparung bei Nettozahlern zu geringeren Auszahlungen
an Nettoempfänger führt. Vereinfacht gesagt, heißt das:
Das Geld fehlt dann bei anderen Bauern in der EU.
Wer die Landwirtschaft der EU gestalten will, der
muß die Agrarpolitik demokratisieren und vor allem fair
mit anderen umgehen.
({1})
Die CDU/CSU und auch die F.D.P. sprechen in ihren
Anträgen sogar von „solidarischer und fairer Lastenteilung“. Solidarität besteht für Sie - entgegen der vorhin
gemachten Äußerung von Herrn Seehofer - aber nicht
darin, daß der Stärkere dem Schwächeren hilft; vielmehr
soll ökonomische Stärke dazu benutzt werden, um mit
formalen Gleichheitskriterien den eigenen Vorteil auf
Kosten anderer zu maximieren.
Die Chance, langjährig Voraussetzungen dafür zu
schaffen, daß sich regionale Strukturen unter Einbeziehung einer marktfähigen Landwirtschaft entwickeln,
wurde verpaßt. Auch mit dem Euro und den mit ihm
verbundenen Versprechungen wurden keine Voraussetzungen für eine gleichberechtigte Entwicklung geschaffen. Erst wollte man den Euro, und jetzt steht man vor
dem Dilemma, daß die Mitgliedstaaten mit geringerer
Produktivität nicht mehr die Möglichkeit haben, bestehende Wettbewerbsnachteile auf den Märkten durch
Währungsveränderungen aufzufangen.
Dieser Nachteil der ökonomisch schwächeren EUMitglieder wird zudem noch durch Ihre Forderungen
vertieft, meine Damen und Herren von der CDU/CSU
und der F.D.P., die Mittel für die Struktur- und Regionalförderung zu kürzen mit dem Effekt, daß die disproportionale Entwicklung zwischen den einzelnen
EU-Ländern und -Regionen nicht abgebaut, sondern
weiter verschärft wird.
Der Gipfel des nationalen Egoismus ist es aber, wenn
gefordert wird, die Möglichkeiten zur regionalen Wirtschaftsförderung als Ausgleich für die Kürzungen der
EU-Hilfen zu erweitern. Glauben die christlichen und liberalen Parteien wirklich, daß die ärmeren EU-Partner,
die kein Geld für zusätzliche nationale Förderprogramme haben, diesem Vorschlag zustimmen werden?
Der von der CDU/CSU geforderte faire Interessenausgleich erweist sich bei genauerem Hinsehen als ein
Versuch, hinter moralisch klingenden Parolen die Interessen des Stärkeren durchzusetzen. Geld ist immer nur
genug da, wenn es um die Nachrüstung der neuen osteuropäischen NATO-Staaten geht. Viel zuwenig Geld wird
allerdings dafür aufgewendet, daß die beitrittswilligen
Länder die politischen, wirtschaftlichen und sozialen
Voraussetzungen für den Beitritt zur EU erfüllen können. Statt dafür Hilfen zu geben, mahnen CDU und CSU
ausreichend lange Übergangsfristen an. Man kann es
drehen und wenden wie man will, die Anträge der
CDU/CSU und der F.D.P. sind nicht zustimmungsfähig.
Meine Damen und Herren, in der Politik der PDS
sind Subsidiarität und Solidarität zwei wesentliche, untrennbar miteinander verbundene Prinzipien. Sie müssen
aber inhaltlich durch das Ziel bestimmt sein, mit ihnen
ein menschenwürdiges Europa zu gestalten. Unter den
Bedingungen der Agenda 2000 ist der Zeitpunkt für eine
neue nationale Agrarpolitik gekommen, wie sie auch der
Bauernverband fordert. Ihr Inhalt muß nach Meinung
der PDS vor allem in folgendem bestehen:
Erstens. Der bevorstehende Agrarstrukturwandel
darf nicht den Marktkräften überlassen, er muß gesellschaftlich gestaltet werden.
({2})
Zweitens. Die Kooperation als der Hauptweg für den
Strukturwandel ist staatlich zu fördern, da sie die Chance bietet, für die Agrarproduktion Produktionsmittel
auszutauschen und Arbeitsplätze zu erhalten.
Drittens. Der Strukturwandel muß die Veränderung
der Produktionsweise einschließen und zu einem nachhaltigen Wirtschaften führen.
Viertens. Die Anpassung der Produktion an die Nachfrage ist durch die Förderung einer Vertragslandwirtschaft zu realisieren.
Eine solche nationale Agrarpolitik stünde nicht im
Widerspruch zur Agenda 2000. Sie würde aber die
Chance eröffnen, deren schlimmste Auswirkungen abzufedern und den Weg für eine tatsächlich zukunftsfähige
Agrarentwicklung frei zu machen. Die Europawahlen
werden den Bürgerinnen und Bürgern Gelegenheit geben, die Agrarkonzepte der Parteien auf den Prüfstand
zu stellen.
Danke schön.
({3})
Als
nächster Redner hat der Bundesminister Karl-Heinz
Funke das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr
verehrten Damen und Herren! Die Agrarpolitik hat in
der Politik der Europäischen Gemeinschaft immer eine
herausragende Rolle gespielt. Zu Beginn war sie der
Motor der europäischen Einigung; für Frankreich war
sie unbestrittenermaßen auch eine ganz besondere Geschäftsgrundlage. Ich denke, alle, die die Entwicklung
Europas seit den 50er Jahren verfolgt haben, wissen, um
die politische Bedeutung ebendieser Agrarpolitik insbesondere auch für die Integration Europas. Ansonsten
kann man das sicherlich auch nachlesen.
Ich glaube - da stehe ich nicht allein -, daß wir im
Agrarministerrat - das ist hier heute wiederholt angesprochen und diskutiert worden - insgesamt eine gute
Arbeit gemacht haben. Ich sage bewußt nicht, daß wir
alles zur Zufriedenheit gelöst und alle Wünsche erfüllt
hätten. Wir haben aber insgesamt eine gute Arbeit geleistet und auch für die Landwirtschaft einen vertretbaren
Kompromiß erzielt.
({0})
Ich möchte auch angesichts der teilweise weit auseinanderliegenden Positionen, die zunächst überhaupt
nicht miteinander vereinbar und wirklich konträr waren,
den Kolleginnen und Kollegen der anderen Mitgliedstaaten dafür danken, daß sie es durch ihr Verhalten ermöglicht haben, daß wir uns aufeinander zubewegen
konnten. Ich danke diesen Kolleginnen und Kollegen
sehr dafür.
({1})
Ich danke auch dafür, daß sie letztlich nationale Einzelinteressen, so berechtigt sie auch immer sind, zurückgestellt haben und damit, wenn man so will, den Abschluß
dieser Verhandlungen ermöglichten. Ich schließe trotz
aller Kontroversen, die wir hatten, hier den Dank an den
zuständigen Kommissar und seine Mitarbeiterinnen und
Mitarbeiter ein. Daß wir manchmal 20 Stunden lang
ohne Pause tagten, hat auch bei denen Tribut verlangt;
auch ihnen ein herzliches Dankeschön. Ich sage das ausdrücklich, und zwar unabhängig davon, daß wir, zumindest zunächst, bevor wir uns einigten, sehr kontroverse
Positionen hatten.
Im übrigen habe ich - das will ich der heutigen Opposition einmal sagen ({2})
von Beginn an, also auch in Wahlveranstaltungen, immer die Auffassung vertreten, daß auf der Grundlage des
Kommissionsvorschlags zu verhandeln ist. So ist es vorgesehen. So war auch der Auftrag der Regierungschefs
vom Dezember 1995.
({3})
- Ich komme gleich dazu. Es ist - um in bayerischer
Sprache zu bleiben - ein Schmarren, was Sie hier zur
Agrarpolitik erzählen.
({4})
Herr Seehofer, Sie haben sich in der letzten Zeit ab
und zu zur Agrarpolitik geäußert. Das erste, was ich von
Ihnen hier im Deutschen Bundestag gehört habe, war
Ihre Äußerung, Sie hätten im Gesundheitsministerium
überwintert. Das war schon höchst eindrucksvoll.
({5})
- Doch, das haben Sie wörtlich gesagt. Es ging um dieses Hamsterverhalten: Im Sommer ein bißchen Kraft
sammeln, um dann nahtlos in den Winterschlaf übergehen zu können.
({6})
Sie hätten sich ab und zu mit einem agrarpolitischen
Kompendium beschäftigen können. Ihre ganzen agrarpolitischen Reden laufen so nach dem Motto: Wer jeden
Tag ein Eisbein ißt, ist ein Polarforscher. - Meine Damen und Herren, das langt nicht!
({7})
Herr Kollege Seehofer, zugestandenermaßen habe ich
mich bisher wenig mit Gesundheitspolitik beschäftigt.
Daher bin ich bis zu Ihrem eigenen Bekenntnis, Sie hätten im Gesundheitsministerium überwintert, davon ausgegangen, davon hätten Sie Ahnung. Von Agrarpolitik
haben Sie aber nun wirklich keine Ahnung.
({8})
Das Problem der letzten Bundesregierung ist gewesen,
daß man den Eindruck erweckt hat, als könne man das,
was die Kommission vorschlägt, gänzlich vom Tisch wischen, als könne man etwas gänzlich anderes beschließen.
Deswegen war man auch immer gegen die Mehrheit im
Ministerrat, und man war gegen den zuständigen Kommissar. Ich will Ihnen sagen, da das von Ihnen zum Teil
unterstützt wird: Daß der Agrarkommissar Fischler nun
zum Buhmann der Nation oder europäischer Bauern abgestempelt wird, das mache ich nicht mit. Ich stimme
weiß Gott nicht in allem mit ihm überein. Aber das ist eine Verhaltensweise, die meinem Verhaltens- und Denkmuster nicht entspricht.
({9})
So, wie Sie es angelegt haben, wäre eines passiert das brauchen Sie mir nicht zu glauben; aber das können
Sie nachlesen; Sie brauchen es sich nur von Fachleuten
in Brüssel sagen zu lassen -: Sie hätten für die Landwirte Europas und für die deutschen Landwirte aus
Brüssel ein wesentlich schlechteres Ergebnis mitgebracht. Sie haben nur die Schwierigkeit, das eingestehen zu müssen. Ein von mir durchaus sehr geschätzter
Kollege der Opposition hat mir im Europaausschuß gesagt: Wir sind im Grunde froh, daß Ihr Amtsvorgänger nicht zu verhandeln brauchte. - Er wußte schon,
worüber er redete.
({10})
Wir waren mit unserer Strategie letztlich durchaus erfolgreich.
({11})
- Sie reden dauernd von Bayern. Nun ist Bayern wichtig, aber es gibt auch noch andere Länder in der Bundesrepublik Deutschland.
({12})
Herr Glos, ich will Ihnen einmal eines sagen: Zugegebenermaßen ist der Anpassungsdruck bei Ihren Strukturen
in Bayern größer als der bei den Strukturen in meinem
Heimatland Niedersachsen. Da Sie nicken, bitte ich Sie,
zumindest einmal darüber nachzudenken, ob Sie über
die Jahre eigentlich die richtige Landesagrarpolitik betrieben haben.
({13})
Damit wollen wir uns gerne einmal auseinandersetzen.
({14})
Ich habe noch die Kritik im Ohr, die Bayern geäußert
hat, als ich Agrarminister in Niedersachsen war: Da
streicht der böse Funke in Niedersachsen die Ausgleichszulage für benachteiligte Gebiete, zunächst teilweise, dann ganz, und bringt es ins einzelbetriebliche
Förderprogramm, in die Investitionsprogramme hinein.
- Ich habe das für notwendig gehalten, weil ich wußte,
daß der Wettbewerbsdruck in der Landwirtschaft zunehmen wird. Das hat mir Kritik eingebracht, vor allem
von Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Bayern.
Es zeigt sich heute, daß mein Handeln richtig war, den
Betrieben, die einem stärkeren Wettbewerbsdruck ausgesetzt sind, durch zukunftsträchtige Investitionen zu
helfen, diesem Wettbewerb standzuhalten, und die Ausgleichszahlungen nicht sozusagen mit der Gießkanne
über die gesamte Fläche zu verteilen.
({15})
Im übrigen will ich erwähnen, daß ich damals in dieser
Frage von der F.D.P. ausdrücklich unterstützt wurde.
Dies ist ein vernünftiger Ansatz der Landesagrarpolitik. Sie müssen sich aber einmal fragen lassen, warum
Sie in Bayern einen anderen Weg gewählt haben, nämlich höhere Ausgleichszahlungen über die Fläche verteilt
und geringere Investitionstätigkeit. Sie dürfen nicht immer alles auf Bonn und Brüssel schieben. Sie haben einen Weg gewählt, der nicht zukunftsträchtig ist.
({16})
- Herr Kollege Hirche, ich nehme Ihr Stichwort gerne
auf. Wir sind uns einig darin, daß es um die Leistungsfähigkeit des bäuerlichen Familienbetriebs geht.
Herr
Bundesminister, erlauben Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Glos?
Gern.
Herr
Glos.
Herr Bundesminister,
nachdem Sie mich angesprochen haben, möchte ich Sie
fragen, was das Ziel Ihrer Landwirtschaftspolitik ist.
Bisher haben wir auch in Bayern das Ziel verfolgt,
möglichst viele selbständige bäuerliche Existenzen zu
erhalten. Wenn Sie allerdings dieses Ziel aufgeben und
eine Strategie des Wachsens und Weichens mit Gewalt
betreiben, sind wir ein ganzes Stück auseinander.
({0})
Wer will denn Ihrer Aussage widersprechen, daß wir möglichst viele selbständige
Existenzen erhalten wollen? Ihre Aussage ist ein Allgemeinplatz sondergleichen. Wenn das Ihr agrarpolitisches
Kredo ist, dann muß ich sagen, daß Ihre Politik keinen
Inhalt hat. Selbständige Existenzen erhalten will doch
jeder von uns. Auf Ihren Vorwurf - so habe ich Sie verstanden -, wir würden eine Politik des Wachsens oderWeichens betreiben, sage ich Ihnen: Auch Ihre Agrarpolitik war nicht eine Politik des Wachsens oder Weichens, sondern eine Politik des Wachsens und Weichens. Die Konjunktion, die Sie gewählt haben, war
völlig falsch.
({0})
Ihre Auffassung beruht doch nur auf platter Ökonomie. Wie wollen Sie angesichts von Sättigungsgraden nicht nur in Deutschland, sondern in ganz Europa -, angesichts von Überschüssen bei einigen zentralen Produkten der Landwirtschaft und angesichts eines Produktivitätsfortschritts von 3 Prozent im Durchschnitt der
letzten 30 Jahre - er hält weiter an - die Existenz der
Landwirte sichern? Dies geht ökonomisch gesehen
nicht. Daß Sie diesen Zusammenhang unter Umständen
zwar erkannt haben - das traue ich Ihnen zu -, daß Sie
ihn den Landwirten aber nicht erläutert haben, ist Ihrerseits ein Stück Versäumnis in Sachen Glaubwürdigkeit
der Agrarpolitik. Das muß ich Ihnen sehr deutlich sagen.
({1})
- Ich soll es also nicht können, aber Sie!
Ich bin froh darüber, daß die Stützpreise im Rindersektor nicht um 30 Prozent, sondern um 20 Prozent gesenkt wurden, daß wir bei der Milchreform und bei den
Getreidepreisen Korrekturen erreicht haben und - ich
wiederhole es - daß wir das katastrophale Verhandlungsergebnis hinsichtlich des Rindersektors von 1992
- 19 Prozent Produktionsanteil, aber nur 9 Prozent Prämienanteil - auf 14 Prozent Prämienanteil korrigiert haben.
({2})
Man weiß es ja im Moment gar nicht mehr so genau.
Aber ich vermute mal, 1992 haben nicht SPD und Grüne
regiert. Angesichts Ihrer Äußerungen könnte man fast
meinen, daß wir auch schon 1992 regiert haben.
Die spezifisch deutschen Anliegen, die wir im Interesse der fünf neuen Länder und auch der alten Länder vertreten haben, sind insgesamt berücksichtigt
worden. Auch diesen Punkt sollte man einmal hervorheben. Wenn Sie mir nicht glauben, will ich einmal
zitieren, was die Arbeitsgemeinschaft Deutscher Rinderzüchter sagt. Kein Sozialdemokrat und auch kein
Grüner - ich weiß es genau - ist Mitglied des Vorstandes.
({3})
- In der Tat sind es Unternehmer. Deswegen ist es interessant, ihre Meinung dazu zu hören:
Der präsidierende Bundeslandwirtschaftsminister
Karl-Heinz Funke hat angesichts der divergierenden Interessenlage einen beachtlichen Verhandlungserfolg erzielt.
({4})
In aller Bescheidenheit und Demut habe ich nur von einem Erfolg und nicht davon gesprochen, daß es ein beachtlicher Erfolg sei. Ich bedanke mich für das Kompliment.
Wem das nicht genügt, dem zitiere ich eine Erklärung
des Deutschen Raiffeisenverbandes.
({5})
Es ist völlig richtig, daß dies ebenfalls keine sozialdemokratische Kampforganisation ist. Ich könnte Ihnen die
entsprechenden Mitglieder nennen; einige kenne ich
noch aus der evangelischen Landjugendbewegung.
Da heißt es:
Einer Forderung des Deutschen Raiffeisenverbandes e.V. ({6}), Bonn, entsprechend sind die
Agrarminister vom ursprünglichen Kommissionsvorschlag des „Sturzfluges auf Weltmarktpreisniveau“ abgerückt. Vorgesehen sind nun schrittweise
Preissenkungen. Das werde den unternehmerischen
Erfordernissen bei der Anpassung an die neuen
Rahmenbedingungen eher gerecht ...
Wohl wahr, der Raiffeisenverband erkennt es richtig; die
haben den Boden der Realität unter den Füßen.
({7})
Damit wir das vollmachen - dreimal ist ja wohl Oldenburger Recht, meine Damen und Herren ({8})
will ich noch darauf hinweisen, was mein Thüringer
Kollege Volker Sklenar dazu sagt.
({9})
Wenn ich Zeit dazu hätte, würde ich jetzt auf eine Presseerklärung nach der anderen eingehen. Volker Sklenar
- gegenwärtig sicherlich noch in Ihrer Partei, nehme ich
an - wird von der „Ostthüringer Zeitung“ zitiert:
Das Gesamtpaket der Agenda 2000 biete zwar keinen Grund zum Jubeln, sei aber eine echte Chance
zur Konsolidierung der Agrarbetriebe in Thüringen.
({10})
Er soll auch nicht jubeln, das erwarte ich von ihm nicht.
Aber wenn er so etwas sagt, dann freue ich mich darüber. Wäre er ein Sozialdemokrat, wäre das ein einziges
Hosianna.
({11})
Da soll Herr Kollege Schäuble ruhig von Milliardenverlusten für die Landwirtschaft reden. Das hat er hier
eben getan; ich verzeihe ihm das, er kann das alles auch
nicht wissen.
({12})
- Herr Müller, seien Sie einmal ruhig! Ich habe Sie gestern im Europaausschuß erlebt. Ich kann Ihnen sagen:
Das war eine Freude!
({13})
Das war eine agrarpolitische, agrarökonomische und
betriebswirtschaftliche Lehrstunde. Mein Volkswirtschaftsprofessor, der Hamburger Harald Jürgensen, hätte
unter Ihren Beitrag eine 13 geschrieben - keine sechs,
eine 13. So abenteuerlich war Ihr Beitrag.
({14})
Ich weiß nicht, ob ich das Protokoll der Sitzung bekomme. Ich hoffe es aber. Daraus werde ich landauf,
landab zitieren. Dann werde ich bei den Beiträgen, die
Sie da geliefert haben, in Bayern heiliggesprochen.
({15})
Wenn hier also behauptet wird, es gebe Milliardenverluste für die deutschen Bauern, dann stimmt das in
dieser Form überhaupt nicht.
({16})
- Es stimmt nicht. Ich habe Ihnen schon im Ausschuß
gesagt: Kein Mensch hat dazu im Moment korrekte
Rechnungen.
Was gilt, ist eines - das sage ich ernsthaft; das habe
ich vorher schon gesagt, und ich sage es auch heute -:
Der Wettbewerbsdruck auf die deutsche Landwirtschaft
wird zunehmen. Das ist schon seit 1992 und erst recht
seit dem 1994er GATT-Beschluß so. Die Liberalisierung der Weltmärkte - auch des Agrarhandels - wird
zunehmen. Ich sage den Landwirten nichts anderes. Wer
glaubt, durch die WTO kämen wir hinter die Beschlußlage von Marrakesch des GATT im Jahre 1994 zurück,
sagt den Leuten bewußt Falsches. Ich kann Sie nur bitten, auch was die Agenda betrifft, nicht durchs Land zu
ziehen und angenehme Unwahrheiten zu verbreiten.
Vielmehr sollten Sie über die unangenehmen Wahrheiten reden.
({17})
Das dient den jungen Leuten in den Betrieben am
ehesten. Sie wollen klare Rahmenbedingungen, aber
auch klare Aussagen. Wir werden unseren Beitrag dazu
leisten, auch wenn ich dafür Kritik einstecken muß;
denn eines möchte ich mir am Ende meiner Amtszeit wie lange sie auch dauern mag - nicht sagen lassen
({18})
- ich bin da sehr bescheiden, Herr Kollege Seehofer -:
daß ich wohlwissend Dinge verschwiegen hätte und
damit junge Unternehmerinnen und Unternehmer in der
Landwirtschaft in die Irre geführt hätte. Diesem Vorwurf möchte ich mich moralisch-ethisch nicht aussetzen.
Das sollten auch Sie nicht tun.
Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.
({19})
Als
nächster Redner hat der Kollege Peter Hintze von der
CDU/CSU-Fraktion das Wort.
Herr Präsident! Meine
sehr geehrten Damen und Herren! Tausende von Bauern
in Deutschland schauen auf die Verhandlungen zur
Agenda 2000. Tausende von Bauern bangen um ihre
Existenz, weil sie nicht wissen, ob sie mit den stark abgesenkten Preisen und den unzureichenden Teilausgleichen in Zukunft zurechtkommen. Und in einer solchen
Situation stellt sich Landwirtschaftsminister Funke hier
hin und preist seine eigene Arbeit. Ich finde das unangemessen.
({0})
Es nützt auch nichts, wenn Sie, Herr Funke, hier lustige Witze über Eisbeinessen oder über andere Sachen
machen, aber in der Sache genau das Gegenteil von dem
tun, was Sie hier proklamieren. Ich will ein Beispiel herausgreifen. Sie sagen: Wir haben einen Überschuß in
der landwirtschaftlichen Produktion; dagegen muß man
etwas tun. Das ist ein Gedanke, dem man sich anschließen könnte. Aber es waren doch Sie, der im Bereich der
Milch eine Quotenerhöhung mitvereinbart hat und für
eine weitere Überschußproduktion gesorgt hat,
({1})
die Preise drückt, die landwirtschaftlichen Existenzen
angreift und so die Situation verschlechtert.
Ich will in diesem Zusammenhang noch etwas sagen.
Diese Bundesregierung ist mit dem Versprechen angetreten, die Arbeitslosigkeit zu senken, was auch die
Menschen in Deutschland für eine wichtige Sache halten. Wir können feststellen: in der Steuerpolitik bisher
krasse Fehlanzeige,
({2})
jetzt leider auch in der Landwirtschaftspolitik.
Ich will noch einen Punkt nennen - Kollege Ronsöhr
wird hinterher die Sache im einzelnen ausführen -: Herr
Minister Funke, Sie haben noch im letzten Jahr einer
Vereinbarung der Agrarministerkonferenz zugestimmt Sie haben sie mit herbeigeführt -, die zur Agenda 2000
zu folgendem Ergebnis kommt:
Die zu erwartenden Einkommensrückgänge entziehen der deutschen Landwirtschaft das Einkommenspotential von über 100 000 Vollarbeitskräften.
Darüber hinaus dürfte im vor- und nachgelagerten
Bereich nochmals mindestens dieselbe Zahl von
Arbeitsplätzen wegbrechen.
Meine Damen und Herren, wir muten unseren Landwirten zu, daß sie Einkommenseinbußen hinnehmen.
Wir muten dem deutschen Steuerzahler zu, daß er mehr
für die Landwirtschaft in Europa zahlt, wobei weniger
dabei herauskommt. Aber das Schlimmste ist, daß Sie
hier einen sogenannten Kompromiß geschmiedet haben,
der über 100 000 Arbeitsplätze in der Landwirtschaft gefährdet. Das halten wir für verwerflich.
({3})
Es war wirklich der Gipfel, daß Sie, Herr Minister
Funke, in der Frage der Lastengerechtigkeit vorgeprescht sind, möglicherweise das Auswärtige Amt in
Schwierigkeiten gebracht haben und lakonisch erklärt
haben: Die Kofinanzierung ist vom Tisch. Damit haben
Sie nicht nur ein wichtiges Element der Lastengerechtigkeit zerstört und einen schweren Verhandlungsfehler
begangen, sondern auch der Erweiterungsfähigkeit der
Europäischen Union einen Bärendienst erwiesen. Denn
eine Neustrukturierung, eine andere Verteilung der Lasten wäre eine wichtige Aufgabe in Vorbereitung auf die
Osterweiterung.
({4})
Nun, wie ist die allgemeine Lage? Erstens. Die
Kommission ist zurückgetreten. Zweitens. Der Bundesregierung ist der Bundesfinanzminister abhanden gekommen. Drittens. Gestern, eine Woche vor dem Gipfel
in Berlin, ist das Ratssekretariat in den Streik getreten.
Ich habe heute von der Bundesregierung kein Wort dazu
gehört. Ich habe bewußt die ganze Debatte abgewartet.
Es sitzt auch nur noch Herr Staatsminister Verheugen
hier.
({5})
- Ich meine das zahlenmäßig.
({6})
- Schon recht. Wir hätten bei einer Europadebatte erwartet, daß der Bundeskanzler hier sitzt; er ist nicht da.
Wir hätten erwartet, daß der Herr Außenminister die
kurze Zeit hier ausharrt; auch er ist nicht da. Daß Sie da
sind, verdient weiß Gott kein Sonderlob.
Sie haben dazu keinen Ton gesagt. Dann greifen Sie
die CDU/CSU an, weil sie gesagt hat: Die Kommission
ist weg, die Bundesregierung ist ins Schlingern geraten,
das Ratssekretariat streikt; da stellt sich die Frage, ob
dann ein Gipfel gutgehen kann. Da sagen Sie - das ist
eine tolle Argumentation -, es wäre für sich gesehen
schon gut, wenn überhaupt irgend etwas beschlossen
würde. Meine Damen und Herren, das ist eine Verwechslung von Form und Inhalt, die ich noch nie erlebt
habe. Zu sagen: „Egal, was für ein Quatsch beschlossen
wird - wenn wir etwas beschließen, ist es gut“, entspricht nicht dem Grundsatz unserer Europapolitik. Das
ist keine verantwortliche Politik.
({7})
Dann haben Sie gesagt, jetzt mache die Opposition
Ihnen Schwierigkeiten in der Außenpolitik oder in der
Europapolitik. Was war denn in den letzten Wochen und
Monaten? Erst verprellt Herr Trittin Frankreich und
Großbritannien, und dann wundert man sich, daß wir
Schwierigkeiten bei den Verhandlungen mit diesen Ländern haben. Anschließend verprellt Herr Lafontaine alle
in Europa mit seinen Vorschlägen, die Unabhängigkeit
der Europäischen Zentralbank in Frage zu stellen und
die gesamte Besteuerung zu harmonisieren.
({8})
Dann verprellt Herr Fischer die gesamte NATO, und
Herr Schröder stellt sich zu Beginn der Präsidentschaft
hin und spricht von den Dingen, die in Europa verbraten
werden. Wer die Europapolitik so angeht, der geht sie
falsch an. Wenn hier einer den Konsens aufgelöst hat,
dann ist das Rotgrün.
({9})
Das setzt sich fort. Jetzt wird die Kommission neu
berufen. Nun gibt es den Gedanken, das sei eine gute
Möglichkeit, die Quotenprobleme bei den Grünen zu beseitigen. Das kann aber doch weiß Gott kein Kriterium
für die Besetzung der Kommission sein. Alle großen
Staaten in Europa sagen: Europa muß man gemeinsam
gestalten, nicht Regierung gegen Opposition und Opposition gegen Regierung, sondern da muß man die ganze
Bevölkerung mitnehmen. Frankreich, England, Italien
und bisher auch Deutschland sagen: Wir werden durch
die Regierungsparteien und durch die Oppositionsparteien vertreten. Aber Sie sagen: Nein, wir müssen den
Grünen helfen, ihre Probleme zu lösen. Damit brechen
Sie schon wieder den Konsens. Sie brechen den Konsens, nicht wir.
({10})
Es ist schon traurig - das muß ich doch sagen -, wie
der Herr Bundeskanzler, der heute leider nicht da ist,
diese Fragen handhabt.
({11})
- Frau Matthäus-Maier, das muß ich Ihnen jetzt einmal
sagen: Sie haben Ihr Kontingent wirklich erschöpft.
({12})
Ihren Beitrag heute morgen und einige Ihrer Anmerkungen in parlamentarischen Debatten in der Vergangenheit
finde ich voll daneben. Ich will das nicht weiter kommentieren; aber ich bitte Sie, jetzt nicht weiter dazwischenzubrüllen.
({13})
Wenn der Herr Bundeskanzler hier wäre, dann würde
ich ihn fragen: Welche Vision haben Sie eigentlich in
der Europapolitik? Welche Vorstellung haben Sie? Welchen Plan haben Sie? Wir müssen feststellen: Er hat keine Vision, er hat keine Vorstellung, und er hat keinen
Plan.
({14})
Herr
Nein, lasse ich nicht zu.
({0})
Ich will das fürs Protokoll gerne erklären. Nach den
wirklich bösartigen Ausführungen gegen unseren Fraktionsvorsitzenden sehe ich es nicht ein, ihr hier Zeit für
eine Zwischenfrage einzuräumen. Das muß ich einmal
sagen.
({1})
Die Tatsache, daß der leere Stuhl des Kanzlers das
Symbol für die Europapolitik der Bundesregierung ist,
für einen Kanzler, der keine Vision und keine Idee hat,
ist die Quelle für die vielen Verhandlungspannen: Kofinanzierung von Funke kassiert; das Auswärtige Amt
rauft sich die Haare; Frankreich und England vor den
Verhandlungen verprellt; dann will man das Geld usw.
Das klappt alles nicht. Das liegt daran, daß er, der nicht
da ist, der so gerne seine Zeit bei Fotosessions verbringt - Peter Hintze
Herr
Kollege Hintze, erlauben Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Verheugen?
Bitte schön.
Herr Kollege Hintze,
nachdem Sie nun mehrfach auf die Abwesenheit des
Bundeskanzlers angespielt haben: Ist Ihnen bewußt, daß
jeder Ratspräsident, bevor ein ordentlicher Gipfel stattfindet, sämtliche europäischen Hauptstädte zu besuchen
hat, daß das auch jeder frühere Bundeskanzler getan hat,
daß der Termin für diese Reise seit langer Zeit feststand,
daß in fünf Tagen 14 Hauptstädte besucht werden müssen und daß der Bundeskanzler heute Gespräche mit
dem spanischen Ministerpräsidenten, dem portugiesischen Ministerpräsidenten und dem luxemburgischen
Ministerpräsidenten zu führen hat, um den Kompromiß
in der nächsten Woche möglich zu machen? Ist Ihnen
klar, daß das dem Parlament bekannt war und daß deshalb besprochen war, daß heute der Außenminister und
nach dem Rat der Bundeskanzler die Regierungserklärung abgibt? Sind Sie nicht der Meinung, Herr Kollege
Hintze, daß Sie vor diesem Hintergrund dem, was der
Bundeskanzler in dieser Woche für Deutschland und für
Europa leistet, Respekt und Anerkennung zollen sollten?
({0})
Ich werde diese Frage
gerne beantworten. Mir ist bekannt, daß der Herr Bundeskanzler diese politische Reise macht. Mir ist bekannt,
daß das üblich ist. Ich halte sie auch für richtig.
({0})
- Es geht weiter. - Was wir allerdings in der Europapolitik noch nie gehabt haben, Herr Kollege Verheugen,
ist, daß uns ein Bundeskanzler über Wochen im Deutschen Bundestag die Aussprache über einen solch wichtigen Gipfel verweigert.
({1})
- Dazu komme ich noch.
({2})
Ich erinnere daran, daß die CDU/CSU und die F.D.P.
im Deutschen Bundestag den Antrag gestellt haben, wenigstens am Freitag der Haushaltswoche im Februar dieses Jahres eine europapolitische Debatte über diese Dinge zuzulassen, damit es vor dem Gipfel nicht zu zeitlichen Engpässen kommt. Das haben Sie mit Ihrer Mehrheit abgelehnt.
({3})
Herr Verheugen, mich als Parlamentarier bedrückt es,
daß ein deutscher Kanzler zwei Stunden Zeit für eine
Fotosession mit Pferdelederschuhen und Kaschmirmantel, aber nicht eine Stunde Zeit für eine Plenardebatte im
Deutschen Bundestag hat. Das bedrückt mich sehr.
({4})
Herr Kollege, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Kollegen
Bertl?
Ja, das gestatte ich.
Herr Kollege Hintze,
können Sie mir und dem Hause bestätigen - ich habe in
meinem Terminkalender nachgeschaut -, daß der Bundeskanzler am Mittwoch letzter Woche, am 10. März,
weit über eine Stunde im Europaausschuß anwesend war
und daß wir über alle Bereiche der von Ihnen hier reklamierten Positionen informiert wurden? Hat dieser
Termin stattgefunden oder nicht?
({0})
Das will ich Ihnen, lieber
Herr Kollege, gerne bestätigen. Auch das war ein interessanter Vorgang. Denn es war ja so: Wir haben eine
Möglichkeit gesucht, mit dem Bundeskanzler vor der
deutschen Öffentlichkeit über diese Dinge zu diskutieren. Wir sind dann damit beschieden worden, er sei bereit, in nichtöffentlicher Sitzung in den Europaausschuß
zu kommen. Das haben wir als ein kleines Zugeständnis
seinerseits angenommen.
Aber daß man sich jetzt quasi dafür bedanken muß,
daß der Bundeskanzler, wenn er dem Plenum über Wochen die Aussprache verweigert, für eine Stunde in den
Europaauschuß kommt und gleich zu Beginn der Sitzung sagt, man müsse auf die Zeit achten, das kann doch
wohl nicht wahr sein.
({0})
Herr Kollege, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Kollegen
Bertl?
Gerne. - Bitte schön.
Ich möchte nur noch auf
eine Bemerkung von Ihnen eingehen: Können Sie mir
bestätigen, daß der Europaausschuß öffentlich getagt hat
und daß insofern Ihre Forderung, eine öffentliche Aussprache zu führen, letzte Woche im Europaausschuß erfüllt wurde?
Ich erkläre das gerne: Der
Bundeskanzler hat Wert darauf gelegt - das ist auch sein
gutes Recht -, daß sein Erscheinen im Ausschuß, also
die Tatsache seiner Anwesenheit, von Fernsehkameras
vor Beginn der Sitzung aufgenommen wurde. Daß das
bei Ihnen als Ausschußmitglied den Irrtum hervorgerufen hat, die Sitzung sei öffentlich, ist um so verständlicher, als die Einlassungen des Bundeskanzlers in dieser
Sitzung materiell so gegen Null gingen, daß man wirklich dem Irrtum erliegen kann, es sei eine öffentliche
Sitzung gewesen, Herr Kollege.
({0})
Die Londoner „Times“ hat geschrieben, es brauche
wahrscheinlich noch lange, bis Bundeskanzler Schröder
die Statur von Helmut Kohl erreicht habe. Ich halte diese Einschätzung für zu optimistisch. Er wird das nie
schaffen.
({1})
Ich komme zum Schluß. Wir selber in der CDU/CSU
bleiben der europäischen Idee in Wort und Tat verbunden. Aber wir lassen nicht zu, daß mit dem Ruf nach der
europäischen Idee politisch alles und jedes, wie wir das
soeben hier traurigerweise vom Landwirtschaftsminister
gehört haben, verkleistert und gerechtfertigt wird.
({2})
Wir wollen, weil wir es mit der Erweiterung und mit Europa ernst meinen, nicht zulassen, daß mit heißer Nadel
ein Kleid gestrickt wird, das schon nach der ersten Benutzung auseinanderfällt.
Deswegen lautet unser Appell: Nutzen Sie die letzten
Tage und Stunden, um aus der Agenda 2000 noch etwas
Vernünftiges zu machen. Das, was bis jetzt vorliegt,
wird diesem Anspruch nicht gerecht.
({3})
Das Wort hat jetzt
der Kollege Günter Gloser, SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich muß den Kollegen Hintze,
den ich im Ausschuß anders erlebe, fragen: Glauben Sie
das wirklich, was Sie gerade hier geäußert haben?
({0})
Ich erlebe Sie ja auch in den Ausschußsitzungen.
({1})
- Lassen Sie mich einmal ausreden.
Ich komme auf die Erfahrungen zurück, die wir mit
Bundeskanzler Helmut Kohl gemacht haben. In bezug
darauf waren wir uns einig. Ich nehme das einmal als
Maßstab.
({2})
Kohl hat immer wieder gesagt: Sie glauben doch nicht,
daß ich in einer öffentlichen oder teilweise öffentlichen
Ausschußsitzung darüber spreche, was ich in Konferenzen verhandeln will. Wenn ich das nämlich sage, wird es
nach draußen gegeben. Auch Schröder hat nichts anderes gemacht.
({3})
Bundeskanzler Schröder stand für Ihre Fragen zur
Verfügung, und das Gegenteil von dem ist richtig, was
Sie gerade behauptet und unterstellt haben, nämlich daß
er nichts gesagt habe. Er hat ganz konkrete Fragen sehr
detailliert beantwortet. Ich weiß aus Ihrem eigenen Lager, daß Sie baß erstaunt waren, wie der Bundeskanzler
diese Fragen alle beantwortet hat. Insofern wollen wir
doch hier keine Legenden bilden.
({4})
Nun zu Herrn Seehofer. Wenn Sie nicht aus dem Amt
geschieden wären, müßte ich sagen: Schuster, bleib bei
deinem Leisten.
({5})
Aber auf das Gebiet der Agrarpolitik hätten Sie sich
nicht begeben sollen; denn es wurde ja gerade deutlich,
was hier passiert ist.
({6})
Ich möchte noch einmal der Bundesregierung unsere
Unterstützung dokumentieren und versichern, daß es
richtig war, an dem Zeitplan festzuhalten, nämlich letzte
Woche diese Sitzung und in der nächsten diese Konferenz durchzuführen. Auch wenn vielleicht mancher bei
uns skeptisch war: Gerade weil die jetzige Situation mit
ihren turbulenten Tagen eingetreten ist, ist es wichtig,
daß die Europäische Union Handlungsfähigkeit nach
außen demonstriert und zeigt, daß sie für die nächsten
Jahre reformfähig ist.
({7})
Auch ich komme aus Bayern. Ich kann das Feldgeschrei der CSU überhaupt nicht mehr kapieren. Ich
möchte die Herren Glos und Seehofer einmal fragen:
Wie viele Kerzen müssen Sie eigentlich am Sonntag in
der Kirche wegen Ihrer Scheinheiligkeit aufstellen?
({8})
Es ist wirklich wahr: Sie müssen doch jedesmal hintreten und sagen: Herr, verzeih mir; ich habe es nicht so
gemeint, aber ich mußte es so sagen.
({9})
Es ist doch wirklich fatal. Ich habe das in den letzten
Monaten verfolgt. Der Ajatollah des Alpenvorlands Edmund Stoiber pflegt auf der einen Seite einen ordinären
Populismus - auch ich bin der Meinung, wie das verschiedene Kollegen, beispielsweise Herr Sterzing, gesagt haben, daß man in verschiedenen Punkten unterschiedlicher Auffassung sein kann -, und auf der anderen Seite stellt er sich ständig hin und sagt: Wir müssen
den Nettobeitrag reduzieren; ich möchte aber nicht, daß
meine Bauern Opfer bringen müssen.
Das Schönste war ja: An einem Tag wettert Edmund
Stoiber, daß er keine rasche Osterweiterung will, und
am nächsten Tag macht er vor den Ungarn einen Kotau
und sagt: Doch, ich bin für eine rasche Erweiterung. Dies ist eine Scheinheiligkeit, und das ist überhaupt
nicht mehr zu vertreten.
({10})
Damit komme ich zu folgendem Punkt. In den ersten
Wochen haben Sie, meine Damen und Herren von der
Opposition, die Legende verbreitet, die Sozialdemokraten und natürlich auch Bündnis 90/Die Grünen wollten
die Osterweiterung nicht. Bei Besuchen im Ausland haben Sie anscheinend gesagt, wir seien diejenigen, die die
Osterweiterung nicht wollten.
Wir bestätigen ausdrücklich, daß wir für diese Osterweiterung sind. In der nächsten Woche gibt es diese
Konferenz, und wir werden ein Ergebnis zustande bringen. Damit setzen wir ein deutliches Zeichen für diese
Osterweiterung.
({11})
Ein weiterer Punkt. Vielleicht sollten Sie einmal die
Seminare Ihrer Hanns-Seidel-Stiftung besuchen; denn
dort wird vermutlich weit transparenter und ehrlicher
dargestellt, wie auf europäischer Ebene bestimmte Prozesse ablaufen. Auch Herr Kohl hat sicher gelegentlich
Ziele formuliert, mit denen er in eine Konferenz gegangen ist; aber ich habe noch nie erlebt, daß er mit einem
Ergebnis herausgekommen ist, das dem vorher genannten Ziel vollständig entsprach.
({12})
- Weil man Kompromisse schließen muß, Herr Seehofer.
({13})
In Seminaren der Hanns-Seidel-Stiftung werden diese
Prozesse dargestellt, und es wird nicht dieses Wischiwaschi gemacht, das Sie dem Deutschen Bundestag, der
deutschen Öffentlichkeit und darüber hinaus präsentiert
haben.
({14})
- Hören Sie doch mit diesen Stichworten auf, wer wen
wann verraten hat.
Ich stelle eindeutig fest: Herzlichen Dank an den
Agrarministerrat, daß es zu diesem Ergebnis gekommen
ist. Es ist ein Funke übergesprungen!
({15})
Aber ich möchte schon noch ein paar kritische Dinge
anmerken. Ist es wirklich das Europa, das wir wollen,
wenn wir tagelang, wochenlang über Garantiepreise,
-mengen, Milchquoten, Rindfleisch usw. diskutieren?
Die Generationen, die nach 1950 geboren sind, haben
doch andere Ziele in Europa. Damit kein Mißverständnis
entsteht: Mir ist die Existenz und die Wettbewerbsfähigkeit der Landwirtschaft wichtig, ohne Zweifel. Aber Sie
können nicht dauernd auf Bauernversammlungen in diesem Lande etwas verkünden, was Sie selbst nicht einhalten können, Herr Müller. Das sollten Sie endlich
einmal gelernt haben - auch wenn Sie aus dem Allgäu
kommen.
({16})
Europa hat eine andere Zukunft: Wie gehen wir miteinander um in der Frage der Bildungspolitik, in der
Frage der Technik? Wir können uns doch nicht stundenlang über Agrarquoten unterhalten. Ich bin, wie viele
Kolleginnen und Kollegen der SPD-Bundestagsfraktion,
der Auffassung, daß wir endlich zu einer europäischen
Verfassung, zu europäischen Bürgerrechten kommen
müssen. Damit erfüllen wir den Auftrag, darin liegt
Sinnstiftendes.
Insofern bin ich auch etwas enttäuscht über die französischen Partner, die partout keine Kofinanzierung
wollten, weil sie, so wie ich hörte, noch in dem Glauben
sind, diese gemeinsame Agrarpolitik sei etwas Sinnstiftendes aus der Gründungszeit der Europäischen Union.
Diesbezüglich habe ich eine andere Auffassung. Aber
Sie wissen ganz genau - auch das wird auf den Seminaren der Hanns-Seidel-Stiftung verkündet -, daß man
Einstimmigkeit, daß man einen Konsens, eine Zustimmung aller braucht, um zu bestimmten Ergebnissen zu
kommen. Insofern ist der Weg, der geebnet wurde, sehr
gut.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, sicherlich
werden wir auf diesem Gipfel nicht alles von dem, was
wir uns vorgenommen haben, erreichen. Aber es war die
in diesen Tagen gescholtene Kommission, die diese
Agenda 2000, dieses Europa der Zukunft, entwickelt hat
und dazu konkrete Vorschläge vorgelegt hat. Sie war es,
die deutlich gemacht hat: Es nützt nichts, wenn man nur
in den Nischen, in den Schrebergärten Politik macht.
Wir wollen eben keine Renationalisierung der Landwirtschaftspolitik, wir wollen eine gemeinschaftliche Politik.
Die gemeinsamen Probleme kann man in der Europäischen Union auch nur gemeinsam lösen. Wenn Bayern
bei diesem fundamentalistischen Ansatz bleibt, dann
sind Sie auf dem berühmten Holzweg, Herr Kollege
Müller.
Ich möchte dazu ein Zitat einbringen:
Wir müssen die europäische Flagge hissen, weil die
schrebergärtnerischen Größenordnungen der euroGünter Gloser
päischen Nationalstaaten nicht mehr ausreichen, um
mit den Notwendigkeiten und Problemen der nächsten Generation fertig zu werden. Jeder, der es ernst
meint mit Europa, weiß und muß nach diesem Wissen handeln, daß die europäische Kleinstaaterei der
Vergangenheit nicht ihre Fortsetzung im kleineuropäischen Denken der Gemeinschaft finden darf.
Ich kann dem nur zustimmen.
({17})
- Das sage ich Ihnen - Sie hätten eigentlich klatschen
können; es irritiert mich, daß die Praxis bei Ihnen heute
anders aussieht -: Es war Franz Josef Strauß, der das vor
vielen Jahren gesagt hat.
({18})
Das eben trifft den Punkt: Der liebe Edmund Stoiber
will sich aus allem zurückziehen, will nur in seinem
Schrebergarten Bayern gestalten. Gestaltung muß darüber hinaus stattfinden. Er tritt auf europäischer Ebene
immer wieder als vehementer Kämpfer für den Föderalismus auf. Er sollte lieber einmal in Bayern als Föderalist auftreten; dort redet er gegenüber Kreisen und
Kommunen nämlich dem Zentralismus das Wort. Er
sollte nicht den anderen Wasser predigen und selber
Wein trinken.
({19})
Ich danke der Bundesregierung für ihren massiven
Einsatz für das Zustandekommen dieses Gipfels. Wir
wünschen ihr Glück und Erfolg, weil ihr Erfolg auch der
unsrige ist. Ich bedanke mich bei den vielen Kolleginnen
und Kollegen in der CDU, die bis zuletzt versucht haben, eine gemeinsame Entschließung des Bundestages
zustande zu bringen. Im Interesse dieser Kollegen - damit sie keinen Schaden nehmen - nenne ich keinen Namen.
Vielen Dank.
({20})
Es spricht jetzt der
Kollege Heinrich-Wilhelm Ronsöhr für die CDU/CSUFraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wissen Sie, was ich an dieser Debatte schlimm finde? Ich
finde es schlimm, daß die Existenzfähigkeit der Landwirtschaft gegen die Weiterentwicklung der Europäischen Union ausgespielt wird. Das will ich, das wollen
wir von der CDU/CSU nicht. Die Bauern in unserem
Lande haben schon auf Europa gesetzt, als der jetzige
Landwirtschaftsminister, der damals niedersächsischer
Landwirtschaftsminister gewesen ist, noch aus der Europäischen Union austreten wollte.
({0})
Das ist damals lächerlich gewesen; aber er hat es als
Ernst verkauft. Dann hat er hier erklärt, daß er mit der
bayerischen Strukturpolitik nicht einverstanden sei. Er
hat die Bayern massiv belehrt und damit natürlich seine
Einsparpolitik verteidigt. Das macht er heute noch.
Ich kann mich an eine Veranstaltung erinnern, auf der
Karl-Heinz Funke - er war damals Diskussionsredner;
ich kann dafür Zeugen nennen - dafür eingetreten ist,
daß ein Bauer mit 8 Kühen einen höheren Milchpreis
bekommt als einer mit 80 Kühen, weil er den Strukturwandel behindern wollte. Das sind Widersprüche, an die
man auch einmal erinnern muß. Ich glaube, daß er heute
von dieser Politik weg ist.
({1})
Aber ich will wenigstens einmal darauf aufmerksam
machen dürfen.
Mein Vorredner, Herr Gloser, hat davon gesprochen,
daß ein Funke überspringen müsse. Der ist auch übergesprungen. Wissen Sie: Wenn ein Funke überspringt das sage ich Ihnen jetzt als Bauer -, kann es auch brennen.
({2})
Meine Damen und Herren, Herr Seehofer hat die Frage gestellt: Wer hat eigentlich den Konsens in der
Agrarpolitik aufgekündigt?
({3})
Dieser Landwirtschaftsminister war an einer Beschlußfassung der Länder beteiligt. Er hat als Landwirtschaftsminister dieser Beschlußfassung zugestimmt.
Aber nachdem wir die damalige Beschlußfassung zum
Antrag erhoben hatten, waren Kollegen von SPD und
Bündnis 90/Die Grünen dagegen. Da liegt die Konsensaufkündigung.
({4})
Jetzt sagt man: Wir brauchen das alles, damit das
WTO-konform ist. Meine Damen und Herren, war der
damalige Beschluß nicht WTO-konform? Wir verlangen
dazu zumindest eine ganz eindeutige Erklärung. Die
Aufkündigung dieses Konsenses kommt der Landwirtschaft und den deutschen Steuerzahler - das ist ja das
Eigenartige; das ist ja das Widersprüchliche - teuer zu
stehen. Wir wollten mit dem damaligen Beschluß und
auch mit unserem heutigen Antrag die Existenzfähigkeit
der Landwirtschaft sichern.
Jetzt wird die Agenda 2000 noch sehr positiv dargestellt. Ich hätte von diesem Landwirtschaftsminister das sage ich in aller Ehrlichkeit und Offenheit - wenigstens einen Satz des Bedauerns erwartet, daß die Landwirte durch die Agenda 2000 so starke Einkommenseinbußen erfahren.
({5})
Ich habe mich da geirrt. Ich entschuldige mich bei denen, die ich immer wieder von etwas anderem überzeugen wollte.
Herr Kollege Ronsöhr, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen
Seehofer?
Bitte.
({0})
Herr Kollege Ronsöhr, können Sie meine Einschätzung teilen, daß es
heute ein unerträglicher Zynismus war, daß der deutsche
Landwirtschaftsminister von einem großen Erfolg
spricht, daß er das Ganze hier im deutschen Parlament
zum Teil noch in ein Gaudium umwandelt, während
draußen 50 000 bis 60 000 kleine und mittlere Betriebe
um ihre Existenz bangen und die realen Einkommen der
Landwirte durch diese Reform, die Herr Funke als Erfolg feiert, unbestritten zwischen 10 und 20 Prozent zurückgehen werden? Ist dies nicht blanker Zynismus?
Auch ich
sehe das als Zynismus an. Der Landwirtschaftsminister
hält hier Karnevalsreden, und die Landwirte haben Sorgen um ihre Existenz.
({0})
Meine Damen und Herren, die Agenda 2000 wird
immer nur vordergründig diskutiert. Jetzt wird davon
gesprochen, daß die Milchpreissenkung verschoben
wird. Nur - Herr Schäuble, Herr Seehofer und Herr
Hintze sind bereits darauf eingegangen -: Wir haben bereits im nächsten Jahr eine Ausweitung der Milchproduktion um fast 1 Prozent. Das führt zu einem Preisdruck. Davon geht ein enormer Preisdruck auch für die
deutsche Landwirtschaft aus, obwohl sie die Ausweitung
der Produktion gar nicht mitmachen kann.
Es wird davon gesprochen, der Getreidepreis sinke
zweimal um 10 Prozent. Aber es wird auch in dem Papier, das wir gestern in der Ausschußsitzung vom Ernährungsministerium bekommen haben, verschwiegen,
daß man auch die sogenannten Reports-Preisaufschläge
abbaut. Das bedeutet noch einmal 3 Prozent Preissenkung.
Es wird immer vom Sicherheitsnetz beim Rindfleisch
gesprochen. Wissen Sie eigentlich, daß das Sicherheitsnetz erst greift, wenn der Rindfleischpreis um 44 Prozent, um fast die Hälfte gesunken ist? Wer kann denn da
noch von einem Sicherheitsnetz sprechen? So kann es
doch nicht gehen.
({1})
Die Agenda 2000 wird in der Form, in der sie jetzt zur
Beschlußfassung vorliegt, noch nicht einmal richtig dargestellt. Das wäre doch das mindeste, was man erwarten
kann.
({2})
Die deutschen Winzer produzieren einen ehrlichen
Wein. Der Wein dieses Landwirtschaftsministers ist trübe.
({3})
Meine Damen und Herren, ich finde gut, daß unser
Fraktionsvorsitzender einmal über die nationalen Belastungen der Landwirtschaft gesprochen hat.
({4})
- Ich habe Sie auch ausreden lassen. Hören Sie sich das
Unangenehme ruhig einmal an! - Vor einiger Zeit hat
dieser Bundeslandwirtschaftsminister dem früheren und
vielleicht auch noch heutigen Finanzminister Lafontaine
einen Schinken überreicht, damit er eine Milliardenbelastung durch die Steuergesetzgebung von den deutschen Bauern fernhält. Nun haben die fleißigen Bauern
in Deutschland eine Milliardenbelastung, und Lafontaine hat seinen Schinken, hat sein Einkommen und verweigert auch noch die Arbeit.
({5})
Wenn die Sozialdemokratie angesichts dieser Lage
noch von Gerechtigkeit spricht, dann verläßt sie ihre
Tradition, denn Tradition ist bei ihr auch der Anspruch
auf Gerechtigkeit. Vor einiger Zeit wurden hierzu noch
Reden gehalten. Ich habe das, weil man als Hannoveraner zum britischen Königshaus immer eine positive Einstellung hatte, nie mitgemacht. Aber die Sozialdemokraten haben immer davon gesprochen, die britische
Königin würde die meisten Subventionen bekommen.
Die Wahrscheinlichkeit, daß sie jetzt noch mehr Subventionen bekommt, ist sehr hoch, aber die deutschen
Bauern erhalten weniger Einkommen. Das sind die Tatsachen, über die es hier zu diskutieren gilt.
({6})
Die deutschen Bauern wollten keine Subventionserhöhung. Die deutschen Bauern wollten - dies wird vom
Landwirtschaftsminister und vielen aus der SPD wieder
einmal falsch dargestellt - Gerechtigkeit, Gerechtigkeit
angesichts der Leistungen, die sie in unserer Gesellschaft erbringen.
({7})
Sie wollten, daß ihre Leistungen auch gerecht bewertet
werden. Aber die Antwort durch die Agenda 2000 ist,
daß sie jetzt existenzgefährdende Rahmenbedingungen
bekommen.
Wenn Sie es, Herr Funke, gegenüber den deutschen
Bauern und dem Bundestag ehrlich meinen, dann nehmen Sie die hausgemachten Belastungen, die die Bauern
durch die Steuergesetzgebung erfahren, wieder zurück,
damit die Landwirtschaft nicht noch mehr ausblutet.
Wenn Sie ein wenig Herzblut für die deutsche Landwirtschaft haben, dann setzen Sie zumindest diese Forderung um!
({8})
Ich glaube, die Bauern haben es verdient. Sie haben immer zu Europa gestanden. Jetzt wollen sie, daß Europa
zu ihnen steht. Sie haben früher als der Bundeskanzler,
der heute nicht anwesend ist,
({9})
zum Euro gestanden, und jetzt werden sie Leidtragende
einer europäischen Entwicklung, die dieser Landwirtschaftsminister und diese Bundesregierung zu verantworten hat.
Vielen Dank.
({10})
Für die Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen spricht jetzt die Kollegin Ulrike
Höfken.
Sehr
geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und
Herren! Immerhin hatte die Quotierungsdiskussion bei
den Grünen keine Hintzes und Ronsöhrs als Ergebnis. Das ist allein schon mal gut. Die ganze heutige
Debatte entwickelt sich ja zur Wadenbeißerei auf Dakkelhöhe.
({0})
Herr Schäuble, Sie haben heute morgen die mangelhafte Vorbereitung der deutschen Ratspräsidentschaft
beklagt. An diesem Punkt haben Sie ganz gewiß Recht.
Aber genau das war das Versäumnis der alten Bundesregierung.
({1})
Borchert hat immer unter dem Tisch gesessen, und nun
wird das von dem eigenen Fraktionsvorsitzenden beklagt. Minister Funke hat auf der Basis dessen, was in
Anbetracht der mangelhaften Vorbereitung und in Anbetracht der zu Beginn der Verhandlungen völlig auseinanderklaffenden Interessen der Mitgliedstaaten möglich war, ein gutes Ergebnis erzielt.
({2})
Niemand bestreitet übrigens die schwierige Lage der
Landwirtschaft in Deutschland und in weiten Teilen Europas. Darüber gibt übrigens, Herr Hintze, der Situationsbericht des Deutschen Bauernverbandes Aufschluß, der den Verlust von 82 000 Arbeitsplätzen beklagt. Dieser Bericht bezieht sich aber gerade auf die
Arbeit der alten Bundesregierung und damit auf genau
die alte Agrarpolitik, die überhaupt keine Lösungen geschaffen hat. Diese Politik hat zu enormen finanziellen
Fehlbelastungen geführt - zu Lasten der Steuerzahler, zu
Lasten der Mehrzahl der Bauern und zu Lasten der Umwelt und Verbraucher. Die Endzeitstimmung, die Herr
Seehofer, Herr Deß oder Herr Hintze heute verbreiten,
hat durchaus ihre Berechtigung. Man muß aber ganz klar
sagen, daß die Kohl-Regierung in 16 Jahren die Landwirtschaft marginalisiert hat.
({3})
Dabei halten wir die Fragen der Agrarrohstoffe, der
gesunden Ernährung der wachsenden Weltbevölkerung
und der Zurverfügungstellung von sauberem Wasser für
Zukunftsfragen, die bislang keine Beantwortung gefunden haben.
Die Überschüsse, die die alte Politik bewirkt hat, haben zu der Entwertung von landwirtschaftlichen Produkten und Lebensmitteln geführt. Ich bin sehr gespannt, wie Sie sich beispielsweise bei der Debatte um
den Tierschutz im Grundgesetz verhalten werden, bei
der es darum geht, Werte und Bewertungen wieder
ethisch zu verankern. Wie ich das sehe, werden Sie dann
wieder kneifen.
({4})
Ordnungspolitische Maßnahmen und Mengenregulierung fordert die CDU/CSU jetzt. Aber die Maßnahmen,
die der Umwelt und der Qualität gedient hätten - Qualitätsinstrumente wie beispielsweise die Stickstoffdünger -, haben Sie immer abgelehnt. Direkte Einkommensübertragungen werden jetzt gefordert - zuletzt
heute morgen von Herrn Schäuble -, als ob sich ein
Wirtschaftsbereich mit Transferzahlungen und Sozialhilfeleistungen überhaupt über Wasser halten könnte.
Das ist genau das Aufs-falsche-Gleis-Setzen, das Minister Funke vorhin erwähnt hat.
Frau Kollegin, lassen
Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Ronsöhr zu?
Ja.
Bitte.
Frau
Kollegin Höfken, sind Sie bereit, einmal den Kollegen
Weisheit zu fragen, was er gegenüber dem Bund der
Deutschen Landjugend, bei dem wir uns am Dienstag
befunden haben, für eine Erklärung abgegeben hat? Herr
Weisheit hat dort gegenüber dem Bund der Deutschen
Landjugend erklärt, daß die Aufnahme des Tierschutzes
ins Grundgesetz überhaupt keine Veränderung mit sich
bringt. Das mag man woanders wieder anders darstellen.
Nur, dieses Spiel machen wir nicht mit, nämlich das
Spiel, das zum einen um die Aufnahme des Tierschutzes
ins Grundgesetz und zum andern mit den Bauern betrieben wird. Sie müssen schon ehrlich erklären, was Sie eigentlich wollen.
Ich
danke Ihnen sehr für Ihre Zwischenfrage und kann Ihnen
darauf antworten: Wenn Herr Weisheit gesagt hat, daß
sich durch eine entsprechende Grundgesetzänderung für
die Landwirtschaft und die landwirtschaftliche Produktion nichts ändern wird, dann muß man feststellen, daß
er recht hat. Aber die Wertigkeit der artgerechten Tierhaltung und der Produktion und das Verhalten sowie das
Bewußtsein der Verbraucher ändern sich. Genau hier
liegt Ihr Problem: Sie sind unglaubwürdig bei der Berücksichtigung der Interessen der Bevölkerung. Diese
nutzen Sie nur, wenn es um ausländerfeindliche Parolen
geht.
({0})
Mit der Agenda 2000 wird der schwierige Einstieg in
eine Marktorientierung und eine stärkere Umweltgerechtigkeit geschaffen. Auch wenn es hier mehr Konsequenz und sanftere Übergänge hätte geben können, muß
man feststellen: Ein modernes Leitbild für die Landwirtschaft wäre schon längst gestaltet worden, wenn Sie hier
rechtzeitig einen Konsens erzielt hätten.
Frau Kollegin, es
gibt eine weitere Zwischenfrage. Lassen Sie sie zu?
Ja.
Frau Kollegin
Höfken, stimmen Sie mir darin zu, daß durch die Beschlüsse, die im Rahmen der Agenda 2000 getroffen
werden, die Situation sowohl bezüglich Milchüberschüsse als auch der Stillegung von Getreideflächen verschärft wird? Oder sind Sie anderer Auffassung?
Man muß in der heutigen Debatte auf folgendes deutlich hinweisen: In diesen Tagen beschließen wir im
Rahmen der Agenda 2000 Umsatzrückgänge für die
Wertschöpfung der deutschen Landwirtschaft in Höhe
von 2,5 Milliarden DM. Dieser Umsatzrückgang erhöht
sich noch um weitere 1,5 Milliarden DM durch das beschlossene Steuerentlastungsgesetz. Die Wertschöpfung
der deutschen Landwirtschaft liegt bei etwa 40 Milliarden DM. Durch unsere Beschlüsse verlieren die deutschen Landwirte 10 Prozent ihres Umsatzes, der voll auf
die Gewinne durchschlägt. Das kann man um Gottes
willen doch nicht als Erfolg einer zukunftsorientierten
Wirtschafts- und Agrarpolitik verkaufen. Dazu hätte ich
gerne eine Antwort von Ihnen.
({0})
Sehr
geehrter Herr Kollege Schindler, ich habe vorhin auf die
Ergebnisse des Situationsberichtes des Deutschen Bauernverbandes hingewiesen. Ich kann dazu nur sagen: Die
Instrumente, die Sie einfordern, haben zu gar nichts geführt. Es kann also nur besser werden. Für diese Chance
und die neuen Wege soll die Agenda 2000 genutzt werden. Wenn es zu Ergebnissen kommen soll, dann muß
man sagen, daß sie nur auf der Basis dessen, was jetzt
hier erarbeitet wird, erzielt werden; denn die Verantwortung für die jetzige Situation tragen Sie. Vielen
Dank.
({0})
Marktorientierung heißt, die faktisch vorhandenen
Aufteilungen der Märkte politisch zu gestalten. Alles
andere würde nämlich bedeuten, die Realität völlig zu
ignorieren. Diese Gestaltung bedeutet auf der einen
Seite eine Weltmarktorientierung und auf der anderen
Seite - das ist für Europa die wichtigste - die Orientierung an einer differenzierten Qualitätsanforderung nach
hochwertigen Nahrungsmitteln durch die europäischen
Verbraucher des europäischen Binnenmarkts, an der
Nachfrage nach den gesellschaftlichen Leistungen der
Landwirtschaft für den Naturschutz und die Landschaftspflege sowie nach sauberem Wasser und sauberen Formen der Energieerzeugung. Solche Entwicklungen bieten auch kleinen und mittleren Betrieben Perspektiven, die diesen bisher eher verschlossen als eröffnet worden sind.
Durch die Agenda 2000 kann der agrarpolitische
Markt noch nicht richtig rundlaufen. Aber sie bietet
Möglichkeiten der Entwicklung. Auch wenn die Weltmarktorientierung sicherlich nur für einen kleinen Teil
der Betriebe interessant ist, sehen wir dennoch in der
Steigerung der Nachfrage nach Qualitätsprodukten
durch die 340 Millionen Verbraucher des EUBinnenmarktes eine Chance für die Entwicklung eines
Wirtschaftsbereiches, der in der letzten Zeit nur an die
Wand gedrückt wurde.
Minister Funke konnte mit seiner Politik die Übergangs- und Anpassungsprobleme deutlich erleichtern.
Niemand hat gesagt, das Ganze sei ein wunderbarer Erfolg. Wenn man einen solchen erzielen wollte, müßte
man die letzten 40 Jahre Agrarpolitik ungeschehen
machen. Das kann man nicht in fünf Monaten Regierungszeit schaffen, und schon gar nicht in einigen
Tagen Ratspräsidentschaft. Aber die Kosten halten sich
immerhin in dem engen Rahmen, den wir uns zum Ziel
gesetzt hatten. Zum Beispiel im Rindfleischbereich fließen statt 9 Prozent nun 14 Prozent Prämien nach
Deutschland. Das haben Sie doch immer verlangt, aber
nie eingeleitet.
Es gibt Lösungen explizit für Deutschland, insbesondere für die neuen Länder - diese wären bei den vorherigen Kommissionsbeschlüssen sehr arm dran gewesen -: Die Grundflächen werden verankert. Eine Grünlandprämie wird eingeführt. Die Variabilität bei den
90 Tiergrenzen wird eingeführt. Es gibt keine Degression, die einseitig zu Lasten der ostdeutschen Betriebe
geht. Es gibt - das ist das Wichtigste - eine neue
Rechtsgrundlage für den Bereich Milch.
Um noch einmal auf das einzugehen, was der Kollege
Schindler angesprochen hat: Es konnte den enormen
Ansprüchen des London Club entgegengewirkt werden.
Eine Absenkung der Milchquote wäre sinnvoller gewesen; das gebe ich zu. Doch die jetzigen Aufstockungen das ist gestern auch im Agrarausschuß so gesagt worden
- bringen real nicht mehr Milch auf den Markt. Sie legalisieren nur die entstandenen Übermengen in Italien,
Griechenland, Spanien und Irland und verursachen somit
keinen weiteren Preisdruck. Insofern ist falsch, was
Kollege Schindler gesagt hat. Es werden nicht mehr
Mengen auf dem Markt sein als heute; und für diese
wurden nur bisher die Superabgaben gezahlt.
Entscheidend ist das Auslaufen der jetzigen Milchmengengarantieordnung im Jahr 2006 und die Überprüfung im Jahr 2003. Damit wird endlich eine Rechtsgrundlage für ein Lieferrecht geschaffen, das den zukunftsfähigen und entwicklungsfähigen Betrieben und
den jungen Landwirten eine Wirtschaftsperspektive eröffnet.
Es gibt auch beim Wein durchaus gute Ergebnisse;
sie sind nicht getrübt. Insgesamt konnten Mengenregulierungsinstrumente aufrechterhalten werden.
Der Bauernverband hat gesagt, 4,2 Milliarden DM
wäre das Volumen, um das die Landwirtschaft durch die
alten Kommissionsvorschläge belastet worden wäre.
Minister Funke hat nun erzielt, daß diese Belastung um
fast die Hälfte reduziert wird. Was also sind die Klagen?
Ein Verschieben der Agenda 2000 - das will ich zum
Schluß sagen - ist das Absurdeste, was man jetzt fordern könnte. Dies hieße wirklich: Die EU-Wahl vor
Augen benutzen CDU/CSU und F.D.P. die Bauern wieder in unverantwortlicher Weise als parteipolitische
Spielmasse - entgegen den nationalen Interessen, den
Interessen der Landwirtschaft und ihrer eigenen Europapolitik.
({1})
Mit den Vorschlägen zur horizontalen Verordnung
und den Strukturfonds eröffnen sich neue Spielräume. In
der nationalen Ausgestaltung gibt es Spielräume für
mehr Beschäftigung, mehr Umweltschutz und mehr
Tierschutz. Diese gilt es zu nutzen. Dazu laden wir auch
die Opposition ein.
Danke schön.
({2})
Zu einer Kurzintervention erteile ich dem Kollegen Schindler, CDU/CSU,
das Wort.
Frau Höfken, Sie
haben hier gesagt, daß die schlimmsten Befürchtungen ob es nun 2,5 Milliarden DM, 4 Milliarden DM oder
5 Milliarden DM sein werden - abgeschwächt werden.
Die Philosophie aber „Weniger ist mehr, gesteuerte
Märkte und keine Überschüsse“ - so Frau Höfken - ist
mit der Entscheidung, die Milchquote zu erweitern, beschlossene Sache. Das bedeutet einen Preisdruck auf
den Märkten und ein vermindertes Einkommen für die
Bauern.
Es ist unumstritten - das muß man doch einmal
sagen -, daß die Agrarpreise zurückgenommen und im
Schnitt nur hälftig ausgeglichen werden. Dies schlägt
sich letztendlich auf die Gewinne nieder. Dies muß in
einer solchen Debatte doch deutlich gesagt werden. Es
gibt in Deutschland keine Gewinner. Die deutschen und
auch die europäischen Bauern sind weitestgehend Verlierer dieses Beschlusses. Was wir heute morgen seitens
der Regierungskoalition gehört haben, war doch das
Belobigen eines falschen Ergebnisses.
({0})
Zur Erwiderung,
Frau Kollegin Höfken, bitte.
Ich
muß nicht wiederholen, wie problematisch ich immer
die erste Säule der Agenda 2000 gefunden habe.
Nichtsdestotrotz: Man muß betonen, daß all dies doch
auf dem Mist der alten Bundesregierung gewachsen ist.
({0})
Gerade im Milchbereich war das, worüber jetzt geklagt
wird, ein Schildbürgerstreich des alten Landwirtschaftsministers Borchert. Das einzige Engagement von
Minister Borchert richtete sich doch damals auf die Sicherung der Maisgrundflächen. Silomaisprämien waren
das bundesdeutsche Ziel in den europäischen Verhandlungen. Die Durchsetzung genau dieser Zielanforderungen hat zu dem verhängnisvollen Rattenschwanz geführt, nämlich zu den Forderungen nach Quotenaufstokkungen und zu der jetzigen Entwicklung. Insofern ist
das, womit wir es heute zu tun haben, das Ergebnis eines
strategischen Fehlers der alten Bundesregierung. Zum
Glück konnte dieses Ergebnis noch abgemildert werden.
({1})
Letzter Redner der
Debatte ist der Kollege Markus Meckel, SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Sehr verehrte Damen und Herren! Sehr verehrte Kolleginnen und
Kollegen! Nach den letzten Reden möchte man meinen,
die Landwirtschaft stehe im Zentrum europäischen Interesses.
({0})
Viele Menschen in ganz Europa werden das kaum verstehen. Ich sage gleichzeitig: Es gehört nun einmal zur
Geburtsgeschichte und zur Geschichte der Europäischen
Union insgesamt: Wenn man die Landwirtschaft allein
als Wirtschaftszweig betrachtete - so war sie am Anfang
geplant; dafür kämpfen Sie offensichtlich noch immer und wenn es nur noch um die Frage der Preissubventionen ginge, müßten wir sagen, daß Europa falsch strukturiert bleibt.
Was jetzt passiert ist und wobei unser Bundeslandwirtschaftsminister geholfen hat, ist zum einen, ein
Stück weit dabei voranzukommen, die wirtschaftliche
Dimension der Landwirtschaft durch die Veränderung
von Preissubventionen hin zu mehr Marktorientierung
umzugestalten. Zum anderen hat der BundeslandwirtUlrike Höfken
schaftsminister geholfen, anzuerkennen, daß das Wohl
der Landwirtschaft und das Wohl aller, die mit der Gestaltung des ländlichen Raumes zu tun haben, im öffentlichen Interesse liegt. Deshalb ist es richtig, denjenigen
Landwirten, die gleichzeitig Landschaftspflege betreiben, angemessene Direkthilfen zu gewähren. Diesen
schwierigen Schritt zu gestalten ist die Aufgabe, vor der
wir in Europa stehen.
({1})
Wir wissen alle, daß es eine ausgesprochen schwierige
Aufgabe ist. Ich möchte zu diesem Punkt keine weiteren
Ausführungen machen.
({2})
- Herr Kollege, deshalb will ich mich nicht weiter mit
der Landwirtschaft beschäftigen.
Ich weiß, wie schwer es ist, diesen Schritt zu gehen;
aber ich möchte gleichzeitig sagen: Es gibt anderes, das
ebenfalls in das Zentrum der Aufmerksamkeit gerückt
werden muß. Ich meine die Gestaltung ganz Europas.
Wir haben vor zehn Jahren mit dem Zusammenbruch
der kommunistischen Systeme die Chance erhalten, das
zusammenwachsende Europa zu gestalten. Die Länder
Ost- und Ostmitteleuropas drängen in die Institutionen
des Westens. Wir erinnern uns daran - ich denke, wir
sehen das im ganzen Haus mit Freude -, daß die Polen,
die Tschechen und die Ungarn vor kurzem in die NATO
eingetreten sind. Andere Staaten wollen folgen.
Wir sind jetzt bei einem sehr viel schwierigeren
Thema, das alle Bereiche der Gesellschaft und der Wirtschaft angeht; es geht um die Gestaltung Europas im
Rahmen der Europäischen Union.
({3})
Herr Kollege Mekkel, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen
Schindler?
Nein, da sie sich offensichtlich auf Landwirtschaft bezieht und ich dieses Thema
hinter mir lassen will, möchte ich das nicht tun.
({0})
Im Auswärtigen Ausschuß war gestern die bulgarische Außenministerin Michailowa zu Gast, die uns den
Wunsch ihres Landes auf Mitgliedschaft in der Europäischen Union eindrücklich vorgetragen hat. Bulgarien ist
ein Land, das von der Geschichte wahrhaftig schwer geschlagen ist. Es hatte ferner in den Jahren nach 1990
nicht immer Glück mit seinen Regierungen. Sie hat uns
gebeten, bei der Aufnahme zu helfen. Sie sagte: Wir
wollen hinzukommen; wir wollen, daß diese Europäische Union erweitert wird; macht dies nicht von eurer
Fähigkeit zu inneren Reformen abhängig!
Wir alle wissen, daß dieser Wunsch nicht erfüllt werden kann. Die Europäische Union ist nur wirklich erweiterungsfähig, wenn wir im Rahmen der Agenda 2000
den Finanzrahmen und die Agrarpolitik verändern und
Strukturreformen vornehmen. Wir müssen neue Strukturen schaffen bzw. bestehende anpassen, um so ein erweitertes Europa gestalten zu können. Wir müssen Europa fit für die Erweiterungen machen. Deshalb ist es
der wichtigste Dienst, der den Beitrittskandidaten während der deutschen Präsidentschaft geleistet werden
kann, diese Agenda 2000 zu verabschieden. Von daher
kann ich es überhaupt nicht verstehen, meine verehrten
Damen und Herren von der Opposition, wenn Sie hier
die Frage aufwerfen, ob die Agenda verschoben werden
soll, oder sagen, daß die Dinge lieber gut als zeitnah
gemacht werden sollen, so wie es Herr Hintze gestern
vorgeschlagen hat. Ich glaube, daß deutlich gemacht
werden muß, daß jetzt gerade dieses Fitmachen der EU
durch die Agenda auf der Tagesordnung steht.
Ich habe die große Befürchtung - das ist heute schon
mehrfach gesagt worden -, daß der Konsens in der Europapolitik, der bisher dieses Haus beherrscht hat, von
der rechten Seite dieses Hauses zerstört wird. Jedenfalls
hat die Diskussion vieles dazu beigetragen. Gleichzeitig
habe ich die Befürchtung - das sage ich aus Mitgefühl -,
daß die Union sich der Lage nähert, in der sie Anfang
der 70er Jahre schon einmal war. Damals hat sie sich aus
dem breiten europäischen Konsens in bezug auf die
KSZE verabschiedet, heute geschieht es offensichtlich in
bezug auf die Gestaltung Europas durch die EU genauso. Ich möchte Sie warnen und bitten, zu diesem Konsens zurückzukehren.
({1})
Zehn plus zwei Staaten, das heißt zehn Staaten Ostmitteleuropas und zwei Staaten des Mittelmeers, stehen
vor der Tür der Europäischen Union und klopfen an. Sie
wollen differenziert nach ihren Möglichkeiten behandelt
werden. In der Vergangenheit hat es ja bei uns manchen
Streit darüber gegeben, ob man nicht alle Staaten gleich
behandeln sollte, zum Beispiel durch gleichzeitige Verhandlungen. Ich halte die damalige Entscheidung zu differenzieren für richtig, weil die Staaten Ostmitteleuropas
nicht mehr als Ostblock zu betrachten sind, sondern
nach ihren jeweils konkreten Möglichkeiten und Reformschritten individuell behandelt und beurteilt werden
müssen.
Gleichwohl ist es ein wichtiger Erfolg des damaligen
Außenministers Kinkel und der deutschen Bundesregierung gewesen, hier so zu differenzieren, daß es nicht
zwei festgeschriebene Gruppen gibt und es nicht von
vornherein klar ist, daß alle diejenigen, mit denen zur
gleichen Zeit verhandelt wird, auch gemeinsam beitreten
werden, sondern diejenigen, die in der zweiten Reihe
stehen, im Beitrittsprozeß andere überholen können. Ich
halte es für wichtig, daß hier genau hingesehen wird.
Deshalb sollte man zum Beispiel Lettland - das wurde
heute schon gesagt - und die Slowakei mit in den Blick
nehmen.
Wir haben damals gerade auf Grund der Demokratiedefizite einer Verhandlungsaufnahme mit den Slowaken
- sie haben inzwischen Herrn Meciar abgewählt - nicht
zustimmen können. Heute stehen sie außerhalb der
NATO. Bei den Eröffnungsreden zum NATO-Beitritt
der Tschechen hat das eine Rolle gespielt. Manche erinnerten an den Prager Frühling 1968 und an Herrn
Dubcek, der ein Slowake war. Das heißt, hier stehen wir
jetzt in der Verantwortung, den Slowaken eine Perspektive und ein klares Signal zu geben, damit sie ihre jetzt
begonnene demokratische und wirtschaftliche Entwicklung fortsetzen. Ich hoffe sehr, daß für die Slowakei,
Lettland und auch Litauen am Ende dieses Jahres ein
solches Signal möglich wird.
Jetzt kommt es darauf an, entsprechende Verhandlungen parallel zu den aktuellen Verhandlungen um die
Agenda 2000 zu führen. Bei diesen Verhandlungen wird
es darauf ankommen, den Fahrplan zügig zu gestalten.
Das ist, wie ich glaube, das wesentliche Verdienst unserer Präsidentschaft, während der wir uns klar und deutlich an diesen Fahrplan halten. Dadurch eröffnen wir die
Perspektive, am Ende dieses oder Anfang nächsten Jahres zu sagen, wann ein solcher Verhandlungsprozeß für
konkrete Länder abgeschlossen sein kann.
Hier wurde immer wieder die Debatte darüber geführt, ob man schon heute ein Datum nennen könnte.
Manche in diesem Hause - auch ich selbst - waren Anfang der 90er Jahre dafür, Daten zu nennen, weil es diesen Verhandlungsprozeß noch nicht gab. Damals war
das sinnvoll, weil es durchaus möglich ist, durch Daten
Prozesse zu beschleunigen. Aber wenn man konkret im
Verhandlungsprozeß steht, dann ist dies meiner Meinung nach keine sinnvolle Forderung.
Wir wissen alle, daß es Probleme gibt, und zwar eine
Fülle von Problemen, sowohl für die Beitrittsstaaten als
auch für uns selbst. Es wird darauf ankommen, diese mit
großem Realismus, mit großer Klarheit anzugehen und
Bedingungen dafür zu schaffen, daß auch die Staaten
Ostmitteleuropas, und zwar nicht nur die, die jetzt verhandeln, sondern auch die, die in der zweiten Reihe stehen, möglichst bald durch einen deutlichen Fahrplan
eine klare Perspektive dafür erhalten, zu diesem vereinten Europa zu gehören. Ich glaube, die Kommission und
auch der Ministerrat müssen dafür gelobt werden, daß
der Finanzrahmen, der jetzt beschlossen werden soll, die
Perspektive eröffnet, diesen Staaten noch mehr als bisher zu helfen, die Anforderungen zu erfüllen, die dafür
dringend notwendig sind.
Ich danke Ihnen.
({2})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen damit zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktionen der SPD und Bündnis 90/Die Grünen auf der Drucksache 14/550. Wer
stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Gegenprobe!
- Stimmenthaltungen? - Der Entschließungsantrag ist
mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die
Stimmen von CDU/CSU und F.D.P. bei Enthaltung der
PDS angenommen.
Abstimmung über den Antrag der Fraktion der
CDU/CSU mit dem Titel „Agenda 2000 - Europa
voranbringen, einen fairen Interessenausgleich sichern“
auf der Drucksache 14/396. Wer stimmt dafür? - Wer
stimmt dagegen? - Stimmenthaltungen? - Der Antrag ist
gegen die Stimmen der CDU/CSU-Fraktion abgelehnt.
Abstimmung über den Antrag der Fraktion der F.D.P.
„Agenda 2000 - Die Europäische Union erweiterungsund zukunftsfähig machen“ auf der Drucksache 14/547.
Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Stimmenthaltungen? - Der Antrag ist gegen die Stimmen der
F.D.P.-Fraktion abgelehnt.
Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Ausschusses für Angelegenheiten
der Europäischen Union zu mehreren Vorlagen der Europäischen Union auf der Drucksache 14/514. Wer
stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! Stimmenthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist mit
den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Fraktionen der CDU/CSU und der F.D.P. bei
Enthaltung der PDS angenommen.
Ich rufe nunmehr den Tagesordnungspunkt 3 auf:
Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Jahreswirtschaftsbericht 1999 der Bundesregierung „Neue Wege zu mehr Beschäftigung“
- Drucksache 14/334 Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuß ({0})
Ausschuß für Wirtschaft und Technologie
Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung
Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuß für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuß für Angelegenheiten der neuen Länder
Ausschuß für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung
Ausschuß für Tourismus
Ausschuß für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Haushaltsausschuß
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache zweieinhalb Stunden vorgesehen. - Ich
höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat zunächst
der Bundesminister für Wirtschaft und Technologie,
Herr Müller.
({1})
Frau Präsidentin! Meine Damen und
Herren! Die konjunkturellen Perspektiven für unsere
Volkswirtschaft haben sich seit Herbst letzten Jahres
eingetrübt. Daß das für alle europäischen Volkswirtschaften gleichermaßen gilt, wurde an diesem Montag in
der Sitzung der Euro-Finanzminister einvernehmlich
festgestellt. Das ist für unsere deutsche Volkswirtschaft
natürlich nur ein sehr begrenzter Trost. Es zeigt aber,
daß die Hauptgründe für den Wachstumsverlust - den
schon eingetretenen wie den im Jahreswirtschaftsbericht
erwarteten - hauptsächlich in den anhaltend ungünstigen
weltwirtschaftlichen Rahmendaten liegen.
Der deutsche Export hat kräftige Einbußen zu verzeichnen. Das ist ein objektiver Grund für eine mäßige
Stimmung in der Wirtschaft. Daneben - ich will es nicht
verkennen - gibt es auch subjektive Gründe für die aktuell ungute Stimmung in unserer Wirtschaft. Seit
Herbst letzten Jahres lassen etliche Verbände der Wirtschaft deutlich erkennen, daß ihnen das Votum des
Wählers vom 27. September nicht gefällt. Das ist für die
heutigen Regierungsparteien zwar nicht unbedingt
schön, aber auch nicht gänzlich unerwartet.
({0})
Eher schon unerwartet ist die Beobachtung, daß so
ziemlich jedes bisherige Reformvorhaben dieser Bundesregierung benutzt wird, Stimmung gegen die Regierung zu machen und die Stimmung in der Wirtschaft
bewußt schlechtzureden. Es ist nicht gut, wenn die Wirtschaft den Anschein erweckt, sie wolle diese Bundesregierung vor sich hertreiben.
({1})
Öffentliche Drohungen, Einladungen zu Bündnis- und
Konsensgesprächen abzulehnen, es sei denn, die Regierung mache dieses oder jenes, sind nicht nur schlechter
Stil, sondern sie deuten auf ein mangelndes Politikverständnis hin.
({2})
Öffentliche Drohungen, man werde mit seinem Unternehmen dieses Land verlassen, können sehr tiefgreifende Fragen zur Rolle der Wirtschaft in unserem Staat
aufwerfen.
({3})
Ich empfehle in diesem Zusammenhang der Wirtschaft sehr ernsthaft die Durchsicht der Rede des Herrn
Bundespräsidenten auf dem Weltwirtschaftsforum von
Davos vom 28. Januar dieses Jahres.
({4})
Im Sinne dieser Rede des Herrn Bundespräsidenten
möchte ich sagen dürfen: Diese Bundesregierung wird
nicht zulassen, daß unter dem Stichwort der Globalität
die Politik ihres Wesens beraubt wird.
({5})
Zu etlichen hämischen Kommentaren aus der Wirtschaft nach dem Rücktritt des Bundesfinanzministers
kann ich nur feststellen: substanzlos und oft sogar unverschämt.
({6})
Offen und im Klartext gesagt: Es ist und bleibt ein
Irrglauben, man könne diese Bundesregierung vor sich
hertreiben.
({7})
Dies vorausgeschickt will ich ebenso im Klartext sagen:
Diese Bundesregierung will eine Wirtschafts- und Finanzpolitik für die Wirtschaft und nicht etwa gegen die
Wirtschaft machen.
({8})
Dies gilt heute um so mehr, als diese Bundesregierung
weiß, daß nur mit der Wirtschaft die Arbeitslosigkeit
spürbar abgebaut werden kann. Eine wirtschaftsfreundliche Politik kann aber nur funktionieren, wenn die
Wirtschaft, ihre Verbände, ihre Unternehmen und ihre
Unternehmer einige zentrale Grundsätze der Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik dieser Bundesregierung akzeptieren:
Erstens. Im Mittelpunkt der Wirtschaft steht nicht der
Börsenkurs oder etwa gar der Shareholder Value; im
Mittelpunkt der Wirtschaft stehen der Mensch, seine lebenswerte Gegenwart und erlebenswerte Zukunft.
({9})
Zweitens. Die soziale Marktwirtschaft ist seit vielen
Jahren peu à peu unsozialer geworden. Hier besteht ein
objektiver Korrekturbedarf.
({10})
Drittens. Gewinn ist ebenso selbstverständlich zu versteuern wie Lohn. Auch die Wirtschaft muß einen Beitrag zur Finanzierung unseres Staates leisten.
({11})
Viertens. Zuviel Staat in Wirtschaft und Gesellschaft
lähmt private, also auch unternehmerische, Initiative und
Vorsorge. Deswegen müssen alle Teile der Gesellschaft,
also auch die Wirtschaft, die Ansprüche an den Staat zurückschrauben.
({12})
Fünftens. Der Versuch, Politik durch Bündnis- und
Konsensgespräche konsensual zu betreiben, setzt konsensfähige und konsenswillige Partner in Wirtschaft und
Gesellschaft voraus.
Ich denke, daß jeder dieser fünf einfachen, von mir
vorgetragenen Grundsätze allgemeine Zustimmung finden kann. Dann sollte man auch die wichtigsten wirtschafts- und finanzpolitischen Konsequenzen, die die
Bundesregierung aus diesen einfachen Grundsätzen
zieht, grundsätzlich akzeptieren. Wir müssen die negativen Trends auf dem Arbeitsmarkt korrigieren; denn es
kann gar kein wichtigeres wirtschaftspolitisches Ziel geben als den Abbau der Arbeitslosigkeit.
({13})
Wir müssen korrigieren, daß seit bald 20 Jahren die
Verteuerung des Faktors Arbeit, also die Lohnerhöhungen, permanent von Inflation und erhöhten Steuern und
Abgaben vollständig aufgefressen wird.
({14})
Wir müssen korrigieren, daß sich die Subventionen an
die Wirtschaft mit den Steuern aus der Wirtschaft ungefähr zu Null saldieren. Wir müssen korrigieren, daß die
nominalen Steuersätze weit über der effektiven Steuerlast liegen. Wir müssen den Trend zu wachsender
Staatsverschuldung, ferner die Höhe der Staatsquote
korrigieren, um so die Voraussetzung für eine Korrektur
der steuerlichen Belastungen aller Wirtschaftssubjekte
zu schaffen.
({15})
Wir müssen die relative Schlechterstellung der Familien korrigieren.
All diese Ziele kennzeichnen in jedem Einzelfall
dringend notwendigen Korrekturbedarf bei dem über die
letzten rund 20 Jahre herbeigeführten Zustand. All diese
Korrekturen bzw. Reformziele der neuen Bundesregierung in ihrer Gesamtheit schaffen die Voraussetzung dafür, unsere Volkswirtschaft mittel- und langfristig auf
einen ebenso gewinnträchtigen wie zugleich wieder sozial gerechten Wachstumspfad zurückzuführen.
({16})
Dazu brauchen wir die Einsicht, daß diese eingeleiteten und beabsichtigten Korrekturen unbequem sind.
Das erfordert ferner die Einsicht, daß wir nicht in fünf
Monaten Regierungszeit korrigiert haben können, was in
200 Monaten zuvor mißentwickelt wurde.
({17})
Dazu brauchen wir die Einsicht, daß das bequeme
„Weiter so“ keine Zukunft hätte. Dazu brauchen wir vor
allem die Einsicht, daß jeder sein ihm mögliches Maß
zur Zukunftsgestaltung selber beitragen kann und ein
zumutbares Maß selber beitragen muß.
Das waren die Ziele und Erwartungen dieser Bundesregierung bei Amtsantritt. Das sind sie unverändert
heute. Ich wüßte also nicht, weshalb überhaupt oder wegen des Rücktritts eines einzelnen Ministers ein grundsätzlicher Neuanfang erforderlich wäre.
({18})
Wer das heute fordert, der behauptet, daß es nach den
letzten 20 Jahren hierzulande nichts zu korrigieren gäbe.
({19})
Das ist ja wohl eine etwas arg blinde Vorstellung.
Deswegen - auch angesichts so manchen Zwischenrufes - an die Opposition: Ihre heutigen wirtschafts- und
finanzpolitischen Forderungen werden hinsichtlich des
Mangels an Substanz allenfalls noch von der Leere der
öffentlichen Kassen, die Sie hinterlassen haben, übertroffen.
({20})
- Herr Schäuble, Sie meinen wahrscheinlich - Sie wissen, ich schätze Sie -, daß das wieder einmal eine messerscharfe Bemerkung war. Ich sitze hier schon den ganzen Morgen; ich will Ihnen sagen, mit was für einem
Messer Sie immer nach uns werfen: Es ist ein Messer
ohne Stiel, dem die Klinge fehlt.
({21})
Zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit und zur Modernisierung der Wirtschaft setzen wir auf eine Kombination von Maßnahmen, die sowohl die Wirtschaft
entlasten als auch die private Nachfrage stärken und
so die Investitionsbedingungen und insbesondere auch
die Investitionsnachfrage verbessern. In Ihrem Jahreswirtschaftsbericht hat die Bundesregierung ihre Konzeption noch einmal dargelegt. Auf einige Aspekte des
Jahreswirtschaftsberichtes habe ich besonderen Wert
gelegt.
Erstens. Es ist nunmehr Teil der wirtschaftspolitischen Strategie, daß die Nettolöhne vor allem auch
durch Senkung von Steuern und Abgaben steigen sollen.
Zweitens. Die makroökonomische Politikkoordination muß durch eine Abstimmung der mikroökonomischen Politikbereiche auch auf europäischer Ebene
komplementär begleitet werden. Durch Strukturreformen auf den Güter- und Faktormärkten müssen Inflexibilitäten auf der Angebotsseite, insbesondere Marktzutrittsbarrieren, abgebaut werden. Das ist eine Aufgabe
für uns und eine Daueraufgabe des EU-Binnenmarktrates und anderer EU-Fachräte.
Drittens. Der Jahreswirtschaftsbericht stellt ausdrücklich fest, daß das spannungsfreie Zusammenspiel
der makroökonomischen Politikbereiche mit einer ausreichenden Flexibilisierung auf der Angebotsseite Hand
in Hand gehen muß. Er stellt weiter fest, daß Angebotspolitik zur Verbesserung der einzelwirtschaftlichen Anpassungsfähigkeit eine permanente Aufgabe der Wirtschaftspolitik ist.
Meine Damen und Herren, im Gegensatz zur Situation in früheren Legislaturperioden setzt diese Bundesregierung um, was sie in ihrem Jahreswirtschaftsbericht
angekündigt hat.
({22})
Das Steuerentlastungsgesetz ist, wie Sie wissen, nur
einen Monat nach Veröffentlichung des Jahreswirtschaftsberichtes vom Bundestag verabschiedet worden.
({23})
- Ich komme gleich auf diese Bemerkung zurück. Das
ist ein interessanter Punkt.
Schrittweise sinken die steuerlichen Höchstsätze auf
Lohn und Einkommen, auf gewerbliche Einkommen und
für einbehaltene Gewinne. Im Gegenzug wird die Bemessungsgrundlage verbreitert. Durch die Nachbesserungen beim Steuerentlastungsgesetz haben wir zusätzliche Erleichterungen für Mittelstand und Handwerk
schaffen können, die über die Pläne der vorhergehenden
Regierung weit hinausgehen: Die Teilwertabschreibung
wird beibehalten; die Ansparabschreibung für kleine und
mittlere Unternehmen bleibt dauerhaft bestehen; ein
einjähriger Verlustrücktrag mit einem mittelstandsorientierten Höchstbetrag von 1 Million DM wird dauerhaft
beibehalten;
({24})
die Freibeträge bei der Besteuerung von Betriebsveräußerungen bleiben erhalten. Zusammen mit der rechnerischen Verteilung der Veräußerungsgewinne - nicht der
Erlöse - auf fünf Jahre wird die Altersvorsorge durch
Betriebsveräußerung gesichert.
Dafür, daß diese Punkte ins Gesetz geschrieben werden konnten, habe ich mich mit Nachdruck verwendet.
Daß es geklappt hat, freut mich auch für Handwerk und
Mittelstand.
({25})
Der Bundesrat wird dieses Steuerreformpaket morgen
erörtern und verabschieden.
Die Bundesregierung beabsichtigt, noch vor der
Sommerpause die Eckpunkte einer Unternehmensteuerreform verbindlich vorzulegen. Die Wirtschaft soll
sich definitiv darauf einstellen können, daß die Steuer
auf unternehmerische Erträge im nächsten Jahr höchstens 35 Prozent betragen wird. Wir wollen dies nach
sorgfältiger und nicht hastiger Vorbereitung vor der
Sommerpause vor allem aus zwei Gründen vorlegen:
Erstens belastet die jetzt zu verabschiedende Steuerreform die Unternehmen in diesem Jahr. Hier muß ein
enger zeitlicher Zusammenhang zur geplanten Entlastung hergestellt werden.
({26})
Zweitens wollen wir ein deutliches Zeichen für wirtschaftlichen Aufbruch setzen, ehe sich etwa Attentismus
verbreitet.
({27})
Im übrigen sei angemerkt, daß wir bis zur Sommerpause auch geklärt haben werden, wie dem Verfassungsgerichtsbeschluß zur Familienentlastung Rechnung
getragen wird.
Um die politische Handlungsfähigkeit zu sichern und
öffentliche Investitionen, die von der alten Bundesregierung sträflich vernachlässigt worden sind, zu ermöglichen, brauchen wir solide Staatsfinanzen.
Herr Minister, gestatten Sie eine Frage des Kollegen Schäuble?
Sicher, gerne.
Herr Minister
Müller, Sie sprechen im Augenblick in Wahrnehmung
der Geschäftsführung für den Bundesfinanzminister. Ich
hatte gehofft, daß Sie auf meinen Zwischenruf antworten würden. Sie hatten das angekündigt. Jetzt habe ich
die Antwort vermißt.
Ich rede noch, wie Sie feststellen.
Sie sind aber
schon über die Passage zum Steuerentlastungsgesetz
hinweg. Beim Familienlastenausgleich werden Sie doch
nicht auf das Thema kommen, zu dem ich Sie gerne befragen möchte.
Ich habe von Ihnen als Wirtschaftsminister die Erklärung gelesen, daß Sie, wenn Sie gewußt hätten, daß die
in Zahlen ausgedrückten Auswirkungen der Veränderungen durch diesen Gesetzentwurf, der morgen im
Bundesrat verabschiedet werden soll, so sind, wie sie
jetzt bis Ostern in einer Arbeitsgruppe geprüft werden
sollen, diesem Gesetzentwurf im Kabinett nicht zugestimmt hätten. Darf ich Sie fragen, was Sie dazu sagen?
Das ist, ehrlich gesagt, nicht ganz
sauber zitiert. Ich kann doch nicht gesagt haben, daß ich
nicht zugestimmt hätte, wenn ich es noch gar nicht gewußt habe.
({0})
- Das ist richtig. Aber weil die Zahlen offensichtlich hin
und her schwanken - ({1})
- Ich mache daraus keinen Hehl. Ich will daran erinnern,
daß ich am Wochenende gesagt habe, ein Mannschaftsspieler kann nur so gut spielen, wie er durch sein Haus
vorbereitet wird.
({2})
Ich sage das in aller Deutlichkeit. In diesem konkreten
Falle will ich Ihnen sagen: Wenn ich an dem Tage, als
im Kabinett darüber beraten wurde, gewußt hätte, daß
zum Beispiel allein das Gebot der Abzinsung später
fälliger Sachleistungsverpflichtungen zwischen 17 und
20 Milliarden DM kosten würde, hätte ich dem nicht zugestimmt. Diese Aussage kann ich inzwischen wieder
revidieren, weil diese Zahlen, die die Stromwirtschaft
errechnet hat, bei weitem nicht stimmen.
({3})
- Wenn Sie so ungeduldig sind, darf ich aus meiner Rede etwas vorziehen, was eigentlich erst später gekommen wäre. Zu jeder Abzinsung gehört eine Aufzinsung.
({4})
Im ersten Jahr erhöhen sich durch die Abzinsung der
Rückstellungen die Gewinne und damit die Steuerlast.
Das bringt dem Staat eine Kasseneinnahme. Dabei ist es
egal, ob das, wie es das Finanzministerium ausgerechnet
hat, 17 Milliarden DM oder, wie die EVUs sagen,
19 Milliarden DM sind. Wichtig ist nur, daß die Rückstellungen in den Folgejahren wieder aufgezinst werden
und daß der Aufzinsungsbetrag genauso groß wie der
Abzinsungsbetrag ist, so daß sich die Sache nach Adam
Riese zu Null saldiert.
({5})
Die Unternehmen haben natürlich Belastungen; ich
weiß das. Sie haben Liquiditätsverluste etc. Ich will nicht
sagen, daß die Belastung gleich null ist, aber sie beträgt
nicht 19 Milliarden DM. Da sind wir uns doch einig.
Zweitens entsteht für die Unternehmen ein dauerhafter Verlust, wenn wir das wahr machen, was wir gesagt
haben, nämlich daß wir die Unternehmensteuersätze
deutlich senken.
({6})
Diese Fragen beschäftigen mich auch. Deswegen bilden
wir nun eine Arbeitsgruppe zusammen mit den Finanzvorständen der EVUs.
({7})
Was folgt daraus, wenn die Steuersätze, die in der morgigen Bundesratssitzung Gesetz werden, unverändert
angewandt werden? Wir sind uns einig, daß es bei dieser
Abzinsung mit weitem Abstand nicht die 17 bis 19 Milliarden DM sein können.
({8})
Jetzt darf ich Ihnen sagen: Wenn ich in der Kabinettssitzung am 10. Februar mein heutiges Wissen gehabt
hätte, hätte ich vielleicht wieder zugestimmt.
({9})
- Das glaube ich nicht.
({10})
- Die Leute, die das ausrechnen, haben schon vorher für
Finanzminister gerechnet.
({11})
Herr Minister, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Kollegen
Schäuble?
Mir macht es Spaß.
({0})
Herr Minister
Müller, mir macht dieser Teil hier nicht Spaß. Denn ich
finde, wir sollten politische Verantwortung nicht auf
Mitarbeiter abschieben.
({0})
Deswegen möchte ich Sie fragen: Habe ich es richtig
gelesen, daß sich das Bundesfinanzministerium bei der
Berechnung der finanziellen Auswirkungen dieser Gesetze - wie frühere Bundesfinanzministerien auch - auf
die Zuarbeit aus Länderfinanzministerien gestützt hat
und daß in dem vorliegenden Fall das Finanzministerium in Nordrhein-Westfalen die wesentlichen Berechnungsgrundlagen geliefert hat? Habe ich das richtig gelesen, oder ist das unzutreffend?
Ob Sie das richtig gelesen haben, weiß
ich nicht. Ich kann Ihnen nur sagen, was ich weiß.
({0})
Ich bin in diesen wenigen Tagen der kommissarischen
Amtsführung des Bundesfinanzministeriums noch nicht
so tief in die Einzelheiten dieses Ministeriums eingedrungen, um Ihnen auch diese Frage schon beantworten
zu können.
({1})
Mir geht es darum, daß wir stimmige Zahlen erhalten.
Ich akzeptiere Ihren Hinweis, man solle nicht alles auf
Mitarbeiter abschieben. Das ist richtig. Aber ich habe
vorhin deutlich gesagt: Es stimmt mich ein bißchen bedenklich, daß man in der Stromwirtschaft nur die Belastungen errechnet. Denn daß man hernach gleich wieder aufzinsen muß, das wußte man ja. Man weiß auch
ungefähr, in welcher Größenordnung das dann zu steuerlichen Mindereinnahmen bei der öffentlichen Hand
führt.
Das ist nun einmal so passiert. Schön war es nicht.
Ich möchte jedoch eines in aller Deutlichkeit sagen dürfen: Es soll nicht der Eindruck entstehen, wir würden
einzelne Punkte in bezug auf die Steuerbelastungen korrigieren, weil man sonst meinen könnte, man sei jemandem hinterhergelaufen. Die Gesetze werden unverändert
angewandt. Man muß berechnen, zu welchem Ergebnis
deren Umsetzung führt.
({2})
Ich war an folgendem Punkt stehengeblieben: Wenn
wir eine vernünftige Wirtschaftspolitik betreiben wollen,
dann benötigen wir solide Staatsfinanzen. Solide
Staatsfinanzen sind die Basis für ein stetiges Wirtschaftswachstum, für eine stabile Nachfrage und für
gute Angebotsbedingungen. Deshalb muß im Gegensatz
zur Finanzpolitik der letzten Jahre wieder ein solider
Kurs gefahren werden.
Ein solider Haushalt ist ein Kernelement der Beschäftigungspolitik. Wir wollen Schluß machen mit der
Anhäufung öffentlicher Schulden, wie sie in den letzten Jahren immer wieder stattgefunden hat. Im deutschen Stabilitätsprogramm, welches im EU-Finanzministerrat am Montag dieser Woche ohne einschränkende
Bemerkungen akzeptiert wurde, haben wir uns klar für
den Kurs der fiskalischen Stabilität ausgesprochen.
Meine Damen und Herren, bei all dem räume ich ein,
daß im Verlaufe der bisherigen Reformbemühungen dieser Bundesregierung nicht alles nach Wunsch gelaufen
ist.
({3})
Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang den Regierungsfraktionen für ihre gelegentlich sogar sehr verständnisvolle Unterstützung unserer Arbeit danken.
({4})
Über manche Belastungen, die durch die eine oder
andere gesetzliche Maßnahme möglicherweise entstehen, wird noch gesprochen werden müssen. Aber dazu
müssen wir zusammen mit den Betroffenen die genaue
Höhe der Belastungen feststellen.
Nun folgt der Passus, den ich bereits vorgetragen habe. Ich bleibe dabei: Die Belastungen der deutschen
Stromwirtschaft, übrigens auch die des Braunkohlebergbaus, scheinen nur besonders hoch zu sein. Es ist einfach
einmal gesagt worden, es werde nur abgezinst. Das muß
aber in Verbindung gebracht werden mit dem Stand und
mit dem Zeitpunkt der Rekultivierung. Dann sieht die
Situation schon wieder anders aus. Das sage ich in aller
Deutlichkeit, weil man sich im Bereich des ostdeutschen
Braunkohlebergbaus auf Grund der Belastungen Sorgen
gemacht hat. So groß müssen die Sorgen also nicht sein.
Wenn wir diese Zahlen mit der Stromwirtschaft abgeglichen haben, dann - davon bin ich fest überzeugt werden wir die Gespräche über das geordnete Auslaufen der Kernenergienutzung zügig voran- und mit
einem vernünftigen Ergebnis auch zügig zu Ende bringen.
Meine Damen und Herren, konstitutives Merkmal einer wohlverstandenen sozialen Marktwirtschaft ist es,
daß sie den Menschen ausreichende Entfaltungsmöglichkeiten bietet. Angesichts einer Staatsquote von fast
50 Prozent bedeutet zeitgemäße Wirtschaftspolitik deshalb für mich auch: Der Staat muß sich zurücknehmen,
damit die Wirtschaft, die Menschen im Lande endlich
wieder besser vorankommen. Wenn die Staatsquote
nun rund 50 Prozent beträgt, so sind Ursache dafür die
allgegenwärtigen, sehr konkreten Ansprüche aller Gruppen an den Staat. Dagegen hört man oft nur sehr allgemeine Forderungen nach staatlicher Zurückhaltung,
meist von den gleichen Gruppen; gelegentlich hört man
auch schon einmal Sparvorschläge der einen Gruppe, die
dann aber nur eine andere Gruppe betreffen. Dazu sage
ich: Wir alle müssen unsere Anforderungen an staatliche
Aufgaben und Hilfen zurücknehmen. Wir wollen aber
keineswegs etwa einen Nachtwächterstaat.
Wir wollen einen aktivierenden Staat, der die individuelle Entfaltung der Person, ob als Arbeitnehmer oder
Unternehmer, fördert und zugleich Gemeinwohl und
Solidarität im Blick behält. Hierzu müssen wir Reformen der Steuer- und Sozialsysteme einleiten, die Innovationstätigkeit und Risikobereitschaft in der Wirtschaft
stärken und insbesondere Mittelstand und Handwerk
als wichtigste Arbeitgeber unterstützen. Dabei darf der
Aufbruch zu mehr Eigenverantwortlichkeit nicht immer
nur für die Arbeitnehmer gelten; die Unternehmer sind
hier gleichermaßen gefragt. Subventionsabbau muß also
Teil der Reform des Steuersystems werden.
({5})
Vielleicht müssen wir ab sofort darauf achten, daß öffentliche Hilfen zeitlich befristet und degressiv ausgestaltet werden.
({6})
Das schafft Klarheit, verhindert das Entstehen von Abhängigkeiten und bewirkt wachsende Selbstverantwortung für wirtschaftliche Tätigkeit.
({7})
Es wird dann auch leichter, Abgabenentlastung und
Haushaltskonsolidierung gleichzeitig anzugehen.
Meine Damen und Herren, so schafft zeitgemäße
Wirtschaftspolitik auch mehr Beschäftigung in unserem
Land. Die mittelfristigen Aussichten werden schon heute
von den Konjunkturforschern der Institute wieder deutlich
positiver gesehen. Die Wirtschaftsaussichten werden noch
positiver werden, wenn wir vor der Sommerpause unsere verläßlichen steuerlichen Eckdaten vorlegen.
({8})
Der Fahrplan der Wirtschaftspolitik liegt Ihnen heute
mit dem Jahreswirtschaftsbericht 1999 vor. Anders als
viele seiner Vorgänger in den vergangenen Jahren ist er
ebenso lesens- wie bedenkenswert,
({9})
unter anderem auch deswegen, weil er von zwei Autoren
geschrieben wurde.
Vielen Dank.
({10})
Für die CDU/CSUFraktion hat jetzt der Kollege Matthias Wissmann das
Wort.
Frau Präsidentin!
Meine Damen und Herren! Der Jahreswirtschaftsbericht
beschreibt die Erwartungen der Schröder-Regierung für
die wirtschaftliche Entwicklung. Unter dem Begriff des
„aktivierenden Sozialstaats“ wird den Menschen der
Abbau der Arbeitslosigkeit und mehr Gerechtigkeit in
Aussicht gestellt. Bedauerlicherweise sprechen die wirtschaftlichen Daten und Fakten der letzten Monate eine
deutlich andere Sprache. In den letzten drei Monaten des
Jahres 1998 ist das Bruttoinlandsprodukt um 0,4 Prozent gesunken. Auch die Wachstumsperspektiven für
1999 haben sich deutlich verschlechtert. Einzelne Branchen wie der Maschinenbau sprechen von einer problematisch eingetrübten Entwicklung. Aber es verhält
sich nicht nur so, daß große Unternehmen Sorgen über
die Entwicklung haben und die Regierung kritisieren,
Herr Bundeswirtschaftsminister, und es sind auch nicht
nur Industrieverbände, die das äußern. Gestern, bei der
Eröffnung der größten Handwerksmesse der Welt, hat
der Präsident des Zentralverbandes des Deutschen
Handwerks wörtlich gesagt - ich zitiere -, nach Rückfrage bei vielen Betrieben habe er den Eindruck, die
Betriebe hätten „das Vertrauen in die wirtschaftliche
Zukunft verloren“. Er fügte hinzu, in seinem Wirtschaftszweig drohten jetzt Entlassungen. Der Deutsche
Industrie- und Handelstag geht von einer Steuermehrbelastung des Mittelstandes durch die neuen Steuergesetze von 10 Milliarden DM aus.
({0})
Herr Bundeswirtschaftsminister, ich verstehe gut, daß
man nicht in fünf Monaten all das, was man im Programm hat, umsetzen kann. Ich verstehe auch, daß man,
wenn man regiert, Fehler macht. Auch wir haben Fehler
gemacht.
({1})
Aber hören Sie dazu einmal die Meinung der Fachwelt,
lesen Sie einmal die nationale und internationale Presse.
Immerhin vergleichen Sie fünf Monate mit 200 Monaten. Das Maß an handwerklichen Fehlern, an Schnitzern
beim professionellen Vorgehen, an wirtschafts- und
steuerpolitischen Fehlentscheidungen, die Sie in fünf
Monaten hingelegt haben, ist einzigartig. Andere
brauchten Jahre, um nur einen Teil dessen hinzubekommen.
({2})
Es läßt aufhorchen, daß der Bundeswirtschaftsminister für sich und die Wirtschaftspolitik der Bundesregierung gar keinen Neuanfang in Anspruch nimmt. Denn
eines ist doch klar: Sie haben den rotgrünen Tanker, zu
dem sich gestern die grüne Seite noch einmal öffentlich
geäußert hat, in voller Fahrt auf einen Eisberg zugesteuert. Jetzt hat Lafontaine fluchtartig das sinkende Schiff
verlassen. Aber es ist doch völlig klar: Ein Austauschen
von Personen reicht nicht aus. Sie müssen das wirtschafts- und steuerpolitische Ruder grundsätzlich herumreißen. Es reicht auch nicht aus, einzugestehen, daß
dieses und jenes beim Ökosteuergesetz, beim 630-MarkGesetz, bei der Steuerreformkonzeption nicht in Ordnung ist. Wenn es nicht in Ordnung ist, dann korrigieren
Sie das - sofern Sie große wirtschaftspolitische Fehler
vermeiden wollen -, bevor die Maßnahmen Rechtskraft
erlangen!
({3})
Machen wir uns keine Illusionen: Wenn diese Regierung ihren wirtschafts-, finanz- und steuerpolitischen
Kurs nicht grundlegend ändert, dann werden wir nicht
das Wirtschaftswachstum und nicht die Arbeitsplatzentwicklung bekommen, die wir dringend brauchen. Ihre
bisherige Politik ist gekennzeichnet von Durcheinander,
Konfusion und Unsicherheit. Schnelligkeit geht vor
Sorgfältigkeit, Ideologie vor Sachverstand.
Der Begriff „nachbessern“ hat die besten Chancen,
zum politischen Unwort des Jahres zu werden.
({4})
Ich könnte Ihnen das an Hand vieler Bereiche belegen.
Als die Energiewirtschaft zum Bundeskanzler gegangen ist, sagte er: Wenn nicht unsere, sondern eure Zahlen stimmen, dann wird nachgebessert. - Als die Versicherungswirtschaft zum Bundeskanzler gegangen ist,
sagte er: Wenn unsere Zahlen nicht stimmen sollten,
dann wird nachgebessert. - In einem Fernsehgespräch
zur 630-Mark-Regelung sagte mir Herr Glogowski, er
finde das alles ganz verheerend, weil hoch bürokratisch.
Auf meine Frage, ob er zustimme, sagte er: Ja, aber man
kann ja nachbessern.
Bezüglich der Ökosteuer gibt es aus Ihren Reihen eine Vielzahl von kritischen Hinweisen auf die Belastung
der kleinen und mittleren Unternehmen durch die bürokratischen Regelungen, die aus diesem Steuerkonvolut
erwachsen. Wenn man vernünftige Leute aus Ihren Reihen darauf anspricht, hört man: Sie haben eigentlich
recht, Herr Wissmann, das ist handwerklich problematisch. - Aber auf die Frage, ob sie dennoch zustimmen
wollten, sagen sie: Ja, wir stimmen zu, aber wir können
ja nachbessern. - Der Begriff „handwerkliche Fehler“,
den Sie gebrauchen, ist eine Beleidigung des Handwerks
in Deutschland. Das Handwerk arbeitet fachlich besser,
als Sie es tun.
({5})
Herr Bundeswirtschaftsminister, den Begriff Steuervereinfachung können Sie angesichts Ihrer Gesetzentwürfe endgültig aus dem Vokabular streichen. Eine
solch chaotische Vorbereitung der Steuergesetze, wie
Sie sie sich geleistet haben, ist in der deutschen Steuergesetzgebung einzigartig.
({6})
Da Sie sich, Herr Bundeswirtschaftsminister, darum
auch persönlich kümmern, möchte ich es mit Sorge ansprechen: Ähnliche Gefahren wie in der Steuerpolitik
mit unmittelbaren Wirkungen für Arbeitsplätze im Mittelstand und in der Wirtschaft drohen auch in der Energiepolitik. Die Energiekonsensgespräche, wie Sie sie
nennen, drohen zu Gesprächen über die Restlaufzeiten
von Kernkraftwerken zu werden. Es sind keine Gespräche über die Entwicklung eines energiepolitischen Gesamtkonzepts für Deutschland, für Arbeitsplätze, für
Betriebe und für Wettbewerbsfähigkeit.
({7})
Wirkliche Energiekonsensgespräche beinhalten mehr
als nur einen ideologischen oder betriebswirtschaftlichen
Bekenntnisstreit über den Ausstieg aus der Kernenergie
und über Restlaufzeiten. Es geht darum, ein widerspruchsfreies energiepolitisches Gesamtkonzept zu entwickeln, das den Kriterien Versorgungssicherheit, Umweltverträglichkeit, Wirtschaftlichkeit und Ressourcenschonung genügt. Ein solches Zukunftskonzept müßte
folgende Punkte enthalten: ein langfristiges Konzept
zum Strombedarf und zu Kraftwerkskapazitäten für die
kommenden Jahrzehnte, ein langfristiges Konzept zur
Sicherung wettbewerbsfähiger Stromkosten - wir stehen
schließlich in einem härter werdenden europäischen und
internationalen Wettbewerb -, ein überzeugendes Programm zur Energieeinsparung, ein wirtschaftlich tragfähiges Konzept zur Entwicklung alternativer Energiequellen - ich betone: ein wirtschaftlich tragfähiges Konzept -, ein Gesamtkonzept für die End- und Zwischenlagerung der Kernenergieabfälle und nicht zuletzt eine
klare Formulierung der Klimaziele auf der Grundlage
einer veränderten Energiepolitik.
Wer aussteigen will, muß sagen, wie die notwendige Energieversorgung, die sich die Volkswirtschaft
und die Arbeitnehmer auch leisten können, sichergestellt
werden soll. Wie sollen die rund 150 000 Arbeitsplätze,
die durch den Atomausstieg verlorengehen können,
ersetzt werden? Wie soll - auch zum Schutz unserer
eigenen Bevölkerung - der Einfluß Deutschlands auf die
Verbesserung der Sicherheit mittel- und osteuropäischer
Kernkraftwerke gewahrt bleiben? Wie wollen wir die
Energieversorgung langfristig sichern? Mir wäre es
zuwenig, wenn sich am Ende die Stromunternehmen
und die Bundesregierung über Restlaufzeiten einig
werden würden, wir aber kein wirkliches Zukunftskonzept für die Energieversorgung hätten. Ein solches
brauchen wir aber für Arbeitsplätze und Volkswirtschaft.
({8})
Meine Damen und Herren, wir brauchen einen
grundlegenden Kurswechsel. Wir brauchen eine Wirtschafts-, Finanz- und Sozialpolitik, die Deutschland leistungsfähiger und moderner macht. Was wirtschaftliche
Vokabeln angeht, ist der Bundeskanzler meistens höchst
modern. Wenn es aber um die Substanz geht, die Gesetze, unter denen sein Name steht, dann wird er ganz und
gar altmodisch:
({9})
630-Mark-Gesetz,
({10})
Steuerentlastungsgesetz, das morgen im Bundesrat beraten wird. Das werden Ihnen nicht nur wir, sondern
auch die Bürger nicht mehr lange durchgehen lassen:
sozusagen einen modernen Lifestyle darzustellen, aber
ein unmodernes Programm zu realisieren.
({11})
Sie müssen ein modernes wirtschaftliches Programm
realisieren. Dazu gehören - das haben Sie, Herr Bundeswirtschaftsminister, zu Recht angesprochen - die
Selbstbeschränkung des Staates zugunsten der Bürger
und die Rückführung des Staatsanteils am Bruttosozialprodukt, der seit 1996 erfreulicherweise wieder sinkt.
Ziel muß es sein, die Staatsquote langfristig auf etwa
40 Prozent zu senken.
({12})
Mittelfristiges Ziel - ich weiß, daß das morgen nicht zu
erreichen ist - muß es sein, zu einem Haushalt ohne
Nettokreditaufnahme zurückzukehren.
({13})
Wir brauchen attraktive Rahmenbedingungen für Investitionen und für mehr Selbständigkeit. Glauben Sie
bloß nicht, daß die Wirtschaft allein dadurch ermutigt
wird, daß abwechselnd Unternehmensteuersätze von 35,
27, 25 oder 22 Prozent genannt werden, wobei die Verfasser teilweise gar nicht wissen, welche Steuersätze sie
einrechnen sollen und welche nicht.
Eines ist ganz klar. Ludwig Erhard, Herr Bundeswirtschaftsminister, hat recht gehabt, als er gesagt hat:
50 Prozent der Wirtschaftspolitik sind Psychologie.
Aber psychologische Veränderungen erarbeitet man
nicht mit modernen Vokabeln, nicht mit der einen oder
anderen auch richtigen Rede, sondern nur dadurch, daß
man die Substanz seiner Politik so modern, wirtschaftsfreundlich, mittelstandsfördernd und zur Selbständigkeit
ermutigend entwickelt, wie es dringend vonnöten ist.
Davon haben wir in den letzten fünf Monaten leider
überhaupt nichts gesehen.
({14})
Ideen aus der ideologischen Mottenkiste helfen dem
Standort Deutschland im Zeitalter der Globalisierung
nicht weiter. Es kommt jetzt darauf an, daß Sie wirklich
zu einem Neuanfang finden, daß Sie nicht bei einem
Austausch von ein oder zwei Personen stehenbleiben.
Wir und - davon bin ich überzeugt - auch ein immer
größerer Teil der deutschen Öffentlichkeit werden Sie
nicht danach beurteilen, ob Sie die eine oder andere
schöne Pressekonferenz machen, die eine oder andere
gelungene Selbstdarstellung vornehmen, sondern danach, ob es Ihnen wirklich gelingt, ein im wahrsten Sinne des Wortes modernes Wirtschafts-, Finanz- und Steuerkonzept zu entwickeln.
Es tut mir leid, Herr Bundeswirtschaftsminister, auch
wenn ich Sie persönlich symphatisch finde: Heute haben
Sie zu einem inhaltlichen Neuanfang Ihrer Politik nichts
Substantielles beigetragen.
({15})
Für die Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen spricht jetzt der Kollege Werner
Schulz.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Eines kann man der Politik im Moment wahrlich
nicht nachsagen: einen Mangel an Überraschungen.
Während wir den Jahreswirtschaftsbericht der Bundesregierung heute auf der Tagesordnung haben, ist der
Herausgeber zwischenzeitlich und auf eine völlig ungewöhnliche Weise verschwunden, allenfalls noch einmal
als Privatmann auf der Bildfläche erschienen. So schnell
sind natürlich die Probleme leider nicht weg. Zwar hatte
man beim Jubel an der Börse kurzzeitig den Eindruck,
als würde der Rücktritt des deutschen Finanzministers
schon die Lösung aller Dinge darstellen, als könnten die
Freudensprünge der Börsianer den Dax und den Euro,
also diese modernen Einschaltquoten der Wirtschaftspolitik, dauerhaft nach oben treiben. Aber, Herr Wissmann,
da ist eben nicht nur die Hälfte Psychologie, sondern offenbar auch ein gerüttelt Maß an Irrationalität mit im
Spiel.
Welches sind denn unsere Probleme? Wenn man Ihnen zuhört, hat man den Eindruck, als hätten die Anlaufschwierigkeiten, meinetwegen auch die handwerklichen
Fehler - sie hat bisher keiner bestritten, und sie werden
immer wieder zugestanden - den Ausschlag gegeben. So
kann man sich für meine Begriffe auch nachträglich aus
der Verantwortung stehlen. Die Probleme von heute
hängen doch mit den verschleppten, mit den vertanen
und versäumten Entscheidungen von gestern, den letzten
Jahren Ihrer Regierung und eigentlich schon mit der Zeit
weit vor der deutschen Einheit, wenn ich mich an die
Ausführungen des Exbundeskanzlers erinnere, zusammen. Wir haben doch kein zukunftsfähiges, kein blühendes Staatsunternehmen übernommen, sondern eher
eine wilde Altlastendeponie: über viereinhalb Millionen
Arbeitslose bei einer strukturell verfestigten Dauerarbeitslosigkeit, ein unüberschaubares Steuersystem, das
zu sozialer Ungerechtigkeit, zur Erosion der Steuerbasis,
zu Fehlkalkulationen ungeheuren Ausmaßes geführt hat,
eine exorbitante Staatsverschuldung, die auch mit der
Fehlfinanzierung der deutschen Einheit zu Lasten der
Sozialversicherungssysteme zusammenhängt.
Deswegen waren die ersten Bemühungen der neuen
Bundesregierung darauf gerichtet, eben nicht die „Neue
Mitte“ zu bedienen, sondern die alte soziale Schieflage
zu beheben. Es gab einen finanziellen Nachholbedarf bei
den unteren und mittleren Einkommen, bei Familien mit
Kindern. Daß wir hier sogar zu kurz gegriffen haben,
zeigt doch der Beschluß des Bundesverfassungsgerichts
über das, was in den letzten Regierungsjahren gelaufen
ist. Dieser Beschluß müßte Sie in gewisser Weise beschämen.
Die rotgrüne Regierung wurde gewählt, um diesen
Problemstau aufzulösen. Unsere Politik zielt darauf ab,
Voraussetzungen für neue Arbeitsplätze zu schaffen, den
Sozialstaat durch grundlegende Reformen zu sichern
und die Modernisierung von Wirtschaft und Gesellschaft
anzupacken. Im Zentrum unserer Bemühungen steht der
Abbau der Arbeitslosigkeit. Sicherlich - das ist mittlerweile eine Binsenweisheit - schafft eine Regierung keine neuen Arbeitsplätze, es sei denn im öffentlichen
Dienst. Dort sollten wir durch Arbeitszeitverkürzung
und durch eine mutige Teilzeitoffensive durchaus Beispiele setzen, wie die vorhandene Arbeit auf mehr Beschäftigte verteilt werden kann.
Wenn wir vom klassischen Ideal der Vollbeschäftigung Abschied nehmen, werden wir schnell sehen,
daß es genügend Arbeit gibt. Wenn es gelingt, im
„Bündnis für Arbeit“ endlich der Frage der Überstunden, der Schwarzarbeit und der Schattenwirtschaft
zu Leibe zu rücken, wird sich das auch in der Statistik
niederschlagen. Wichtig ist, daß das „Bündnis für
Arbeit“ jetzt möglichst schnell und bald zu konkreten
Ergebnissen kommt, daß es Befindlichkeitsanalysen
und reinen Meinungsaustausch überwindet und daß die
Probleme nicht vom runden Tisch auf die lange Bank
geschoben werden. In diesem Bereich ist das Tempo gefragt, das wir bei anderen Reformmaßnahmen jetzt
herausgenommen haben, um die Dinge gründlicher zu
beraten.
({0})
Richtig ist, daß im „Bündnis für Arbeit“ keine Tarifgespräche stattfinden. Dennoch ist es, wenn wir an den
Erfolg bestimmter Nachbarländer anknüpfen wollen,
sinnvoll, sich über die Ziele künftiger Tarifpolitik zu
verständigen, um den Arbeitslosen, die an diesen Gesprächen - sowohl an den Gesprächen im Rahmen
des „Bündnisses für Arbeit“ als auch an den Tarifgesprächen - nicht beteiligt sind, vor Augen zu führen,
daß es künftig lohn- und beschäftigungspolitische Komponenten gibt, die auch entsprechend ausgewiesen werden.
Nach der Neuregelung und Erprobung der 630-DMJobs werden wir uns dem Niedriglohnsektor zuwenden.
Hauptsächlich im Dienstleistungsgewerbe, das noch
etliches zu wünschen übrigläßt, können neue Arbeitsplätze erschlossen werden. Dazu bedarf es Anreize,
jenseits der 630-DM-Grenze eine Beschäftigung aufMatthias Wissmann
zunehmen, zum Beispiel durch degressive Zuschüsse
zu den Sozialbeiträgen.
({1})
Wir wollen die Motivation von Langzeitarbeitslosen
zur Annahme von Arbeitsplätzen fördern. Für diejenigen, die einen Arbeitsplatz annehmen, soll das zusätzliche Einkommen ein Jahr lang nur zur Hälfte auf die Arbeitslosen- und Sozialhilfe angerechnet werden. Das
spart unter dem Strich Kosten, hilft den Betroffenen und
verringert die Flucht in die Schwarzarbeit.
({2})
Solchen Angeboten für Arbeitslose werden aber auch
Pflichten gegenüberstehen, diese Angebote zu nutzen.
Einen allgemeinen öffentlich subventionierten Niedriglohnsektor, wie ihn zum Beispiel der BDA fordert,
halten wir allerdings aus ordnungspolitischen Gründen
für nicht vertretbar.
Das „Bündnis für Arbeit“ ist zweckmäßigerweise zu
einem Bündnis für Arbeit, Ausbildung und Wettbewerbsfähigkeit erweitert worden. Die Gespräche sollten
eigentlich ohne politische Vorbedingungen ablaufen.
Doch gerade die Verbände und Großunternehmen, die
das lauthals gefordert haben, sind jetzt emsig dabei, eine
einzigartige Drohkulisse aufzubauen. Sie drohen offen
mit Abwanderung und Investitionszurückhaltung. Teilweise trägt das Ganze groteskabsurde Züge, wenn sich
zum Beispiel der Daimler-Chrysler-Konzern in die Debatte über eine vernünftige Steuerregelung einschaltet.
Das ist ein Unternehmen, das in den letzten Jahren kaum
Steuern gezahlt hat und dem der Staat allenfalls bei der
Inanspruchnahme von Subventionen für Luft- und
Raumfahrt in Erinnerung kommt.
({3})
Gerade die Global Players haben doch den Bogen raus,
Steuern dort zu bezahlen, wo es am billigsten ist, und
dort zu leben, wo es am schönsten ist - blind dafür, daß
sie den Ast absägen, auf dem sie ihren eigenen Stammsitz haben.
Die Art und Weise, wie momentan bestimmte Kreise
der Wirtschaft versuchen, die Politik unter Druck zu setzen, grenzt an Erpressung. Wer so handelt, gefährdet
nicht nur den Standort Deutschland, sondern auch den
demokratischen Konsens in unserem Land. Ich kann
diese noble außerparlamentarische Opposition mit ihren
gewichtigen Unterschriften nur auffordern, wieder auf
den Boden der Tatsachen zurückzukommen. Das würde
uns allen bei der Modernisierung der Wirtschaft helfen.
Von den akademischen Debatten einmal abgesehen,
hat auch der zurückgetretene Finanzminister - wenn
man den Jahreswirtschaftsbericht genau liest, erkennt
man das - keine reine Nachfragepolitik betrieben.
Heute gehört es doch zum politischen Allgemeinwissen,
daß man einen ausgewogenen Mix aus Angebots- und
Nachfragepolitik braucht. Wenn die Daten aus den empirischen Untersuchungen der Zukunftskommission
stimmen, daß ein Viertel der Arbeitslosigkeit nachfrageund drei Viertel struktur- und angebotsbedingt sind,
dann ergeben sich daraus auch die Proportionen des
Handlungsbedarfs. Die Kosten des immobilen Faktors
Arbeit müssen wieder mit denen der mobilen Faktoren
Kapital und Technologie in Einklang gebracht werden,
die im Land bleiben oder wieder verstärkt ins Land zurückgeholt werden müssen. Deswegen haben wir auch
die Ökosteuer eingeführt, um von den hohen Lohnzusatzkosten herunterzukommen, um die Rentenversicherung zu entlasten und um wieder einen Gleichklang zwischen dem immobilen Faktor Arbeit und dem mobilen
Faktor Kapital herzustellen.
({4})
Die Attraktivität und Leistungsfähigkeit des Standortes Deutschland wird durch ein zugegebenermaßen
international nicht mehr wettbewerbsfähiges Steuersystem verdeckt, das keine Anziehungskraft besitzt. Es
gibt bei uns sehr hohe Spitzensteuersätze, die in Europa
einmalig sind. Aber wie wir wissen - der Finanzausschuß hat es in dieser Woche bei der OECD noch einmal
in Erfahrung gebracht -, ist die steuerliche Belastung
der Unternehmen in Deutschland eher zurückgegangen, nämlich von 5 Prozent auf heute etwa 3,8 Prozent. In der EU liegt die Belastung im Durchschnitt bei
7,5 Prozent, in den OECD-Staaten sogar bei 8,2 Prozent.
Schaut man sich die effektive Steuerbelastung genau
an, dann muß man feststellen, daß Unternehmen in
Deutschland, verglichen mit anderen Ländern, überhaupt
nicht stark belastet werden, nämlich im Durchschnitt nur
mit 8 Prozent. In Großbritannien liegt die Belastung bei
48 Prozent und in den USA bei 24 Prozent.
Unser Problem ist die ungerechte Verteilung.
({5})
Während sich die einen darauf verstehen, überhaupt keine Steuern zu zahlen, müssen andere einen relativ hohen
Anteil tragen. Das gilt für allem für die kleinen und
mittelständischen Betriebe, die die Hauptlast tragen.
({6})
Seit langem wird eine größere Klarheit und Vereinfachung im Steuersystem gefordert. Wir wissen natürlich,
daß die Entlastung von Unternehmen einen Beitrag für
Investitionen und damit zur Schaffung von Arbeitsplätzen darstellen kann. Wir haben bereits mit der ersten
Stufe der Steuerreform etwas dazu beigetragen. Trotz
aller bisherigen gegenteiligen Behauptungen wird man
erkennen können - wenn der Pulverdampf erst einmal
verzogen ist -, daß dies den kleinen und mittelständischen Betrieben genutzt hat. Die jüngsten Berechnungen
des Bundesfinanzministeriums weisen für die erste Stufe
der Steuerreform eine Entlastung von 5,5 Milliarden
DM aus. Darüber werden wir uns in den nächsten Jahren
noch reichlich auseinandersetzen können.
Ein modernes Unternehmensteuerrecht wird sich
aber nicht nur an der Höhe der Steuersätze zeigen, sondern auch daran, daß die Ungerechtigkeit, die ich hier
Werner Schulz ({7})
skizziert habe, beseitigt wird und daß zwischen den
hochbelasteten kleinen und mittleren Unternehmen und
den Unternehmen, die bisher das Gros der Besteuerung
getragen haben, unterschieden wird. Hier geht es vor
allem um Besitzstandswahrung und Rückversicherungsmentalität, die wir abbauen müssen, wenn wir im
internationalen Vergleich bestehen wollen.
Das steuerliche Rückstellungswesen in der deutschen
Wirtschaft ist in anderen Ländern, die ein vergleichsweise hohes Wachstum haben, so nicht bekannt. Die
Bundesbank beziffert in ihrem jüngsten Bericht die
Höhe der aufgelaufenen Rückstellungen auf etwa
690 Milliarden DM. Der Nettowert aller Sachanlagen in
Deutschland beträgt demgegenüber 758 Milliarden DM
und liegt damit nur wenig über der eben erwähnten
Summe. Das muß man sich vor Augen führen und miteinander vergleichen. Insofern ist die Abzinsung der
Rücklagen der Energie- und Versicherungsbranchen
völlig gerechtfertigt. Gerade die Atomkonzerne haben
ihre steuersparenden Rückstellungen doch bisher dazu
genutzt, in andere Branchen wie die Telekommunikation
oder die Abfallentsorgung zu investieren. Damit sind
aus Rücklagen eigentlich verdeckte Subventionen geworden. Wir wollen nichts anderes als eine schrittweise
Auflösung dieser Rücklagen, die selbstverständlich, solange sie nicht gebraucht werden, versteuert werden
müssen.
Ich hoffe, daß wir beim Abbau der Subventionen
auf genauso viel Gegenliebe stoßen wie bei der Senkung
der Steuersätze. An der Notwendigkeit eines Subventionsabbaus wird so lange nicht gezweifelt, wie es einen
nicht selbst trifft. Ich glaube, wir müssen uns hier vor
allen Dingen von dem Sankt-Florians-Prinzip verabschieden.
In diesem Zusammenhang stimme ich Wolfgang
Schäuble zu, der in der „Wirtschaftswoche“ vom
11. März betont hat:
Wir müssen uns von unseren sozialen Besitzständen trennen, wenn sie nicht mehr finanzierbar sind.
Genau darum geht es, wenn wir nicht mehr bereit sind,
Altindustrien durch Subventionen vor der Grablegung
zu bewahren und Industriezweigen wie Atomwirtschaft,
Steinkohle und Werften im bisherigen Maße Subventionen zukommen zu lassen.
({8})
Ein sozialverträglicher Ausstieg aus der Steinkohlesubvention ist eben nicht abrupt möglich.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Schäuble?
Ja.
Herr Kollege
Schulz, trügt mich meine Erinnerung, daß die Spitzen
von SPD und Bündnis 90/Die Grünen bei den Demonstrationen der Bergarbeiter, als es darum ging, ob die
Subventionen für den Steinkohlebergbau abgebaut werden sollen oder nicht, vorneweg gegangen sind? Wenn
Sie jetzt erklären, Sie seien für einen Subventionsabbau,
dann machen Sie doch das Gegenteil von dem, was Sie
noch vor ein, zwei Jahren hier in Bonn gesagt haben.
({0})
Ich kenne das Beispiel. Sie haben sich dessen zur Genüge bedient; Sie haben es immer wieder angeführt. Ich habe deutlich gesagt, daß wir keinen abrupten Ausstieg aus der Subventionierung wollen.
({0})
- Ähnliches haben Sie selbst vorgehabt. Ich bestätige
Sie doch in Ihrer Auffassung. Auch die alte Bundesregierung hat gesagt, daß man nicht von heute auf morgen
aus der Steinkohlesubvention aussteigen kann.
({1})
- Ich denke, die Richtung ist klar. Deswegen habe ich
das hier noch einmal betont. Wir können uns gern darüber verständigen, wie der Ausstieg schneller erfolgen
kann. Wir sind dabei; das war bisher nicht unser Problem.
Wir brauchen die finanziellen Spielräume für die
ökologische Modernisierung der sozialen Marktwirtschaft. Denn wenn etwas in der Wirtschaft stattfinden
muß, dann ist das die Ökologie, die mehr als Natur- und
Umweltschutz ist, auch wenn sich das in der Bevölkerung noch nicht in dem Maße herumgesprochen hat.
Herr Kollege, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Kollegen
Friedhoff?
Ja.
Herr Schulz, habe ich
Sie gerade richtig verstanden, daß es Ziel der Politik
dieser Bundesregierung ist, zu einem Auslaufbergbau zu
kommen?
Wir werden die Steinkohlesubventionen auf
den Prüfstand stellen und die Subventionen generell
weiter abbauen.
Sie haben vielleicht in den letzten Tagen ein Diskussionspapier von uns gelesen, in dem wir vorschlagen,
die Subventionen generell um 10 Prozent pro Jahr abzuschmelzen. Das gilt natürlich für die Subventionen für
Altindustrien noch viel stärker, aber auch für SubventioWerner Schulz ({0})
nen, deren Notwendigkeit schon seit Jahren überhaupt
nicht mehr geprüft worden ist.
Herr Kollege, es gibt
eine weitere Frage.
Herr Schulz, gilt das
auch für die neuen Länder? Und habe ich es richtig verstanden, daß Sie meine Frage, ob Sie zu einem Auslaufbergbau kommen wollen, mit Ja beantwortet haben?
Der Steinkohlebergbau in den neuen Ländern ist
bereits in den 70er Jahren ausgelaufen.
({0})
Die Braunkohle ist natürlich ein Rohstoff, den wir bei
einer Neukonzipierung der Energiewirtschaft gerne als
Verstromungsgrundlage ablösen würden. Aber auch das
braucht Zeit. Selbstverständlich brauchen wir Übergangsfristen. In zehn oder zwanzig Jahren ist es im
Osten mit der Braunkohle vorbei. Ich setze nicht darauf,
daß wir die SED-Wirtschaftspolitik fortsetzen, indem
wir zur Verstromung die halbe Lausitz abbaggern. Das
ist auf Dauer weder wettbewerbsfähig noch ökologisch
verträglich.
Wir brauchen diese finanziellen Spielräume, um in
der Energiewirtschaft umzusteigen. Natürlich brauchen
wir längere Zeiträume. Das geht nicht von heute auf
morgen und auch nicht in dieser einen Legislaturperiode. Ich glaube aber, daß wir gut beraten sind, wenn wir
auf die Art des ökologischen Aufbruchs eines klassischen Industrielandes setzen: auf der Grundlage von
ökologischer Modernisierung, von Produkt- und Verfahrensinnovationen.
Um es am Schluß in aller Klarheit zu sagen: Die
Bundesregierung betreibt keine wirtschaftsfeindliche
Politik, schon gar keine mittelstandsfeindliche Politik.
Auch wenn einige die Anlaufschwierigkeiten der Regierung genutzt haben, um dieses Zerrbild aufzubauen: Die
Bundesregierung setzt in Verbindung mit den Zielen soziale Gerechtigkeit und ökologische Modernisierung auf
eine wirtschaftsfreundliche Politik. Allerdings sollte nun
auch die Wirtschaft beweisen, daß sie letztlich den Menschen dient und daß sie bereit, willens und fähig ist,
neue Arbeitsplätze in unserem Land zu schaffen.
Ich danke Ihnen.
({1})
Für die F.D.P.Fraktion spricht jetzt der Kollege Rainer Brüderle.
Frau Präsidentin! Meine
Damen und Herren! Der Jahreswirtschaftsbericht soll
die Leitlinien der Bundesregierung für die Wirtschaftsund Finanzpolitik vorstellen. Diese Leitlinien sind
falsch. Sie müssen geändert werden. Es hat ja seinen
Grund, weshalb Oskar Lafontaine aus dem Amt geflüchtet ist. Er ist doch nicht deshalb gegangen, weil alles in Ordnung war und so toll gelaufen ist. Es hat ja einen tieferen Grund, weshalb er inzwischen als zweiter
nach Stollmann von diesem Dampfer geflüchtet ist. Die
spannende Frage wird sein: Wer ist der nächste, der
geht?
({0})
Es ist sicherlich nicht redlich, in der öffentlichen Diskussion Lafontaine zum Sündenbock für alles zu machen. Die Verantwortung für die Politik der Bundesregierung hat in erster Linie der Bundeskanzler.
({1})
Er bestimmt die Richtlinien der Politik. Er erklärt alles
zur Chefsache: Gespräche, Fototermine, seine persönliche Begleitung oder Treffen mit Gewerkschafts- und Industriebossen.
({2})
- Frau Kollegin, es handelt sich um eine Geschmacksfrage, wenn sich ein Kanzler hinstellt und behauptet, in
diesem Land Politik mit dem Anspruch, soziale Gerechtigkeit herzustellen, zu machen, und sich dann damit
brüstet, was ein Kaschmirmantel kostet. Das ist ein Unding.
({3})
Das muß er mit seiner Partei und seinen Wählern austragen. Wenn Sie aber mit einem Zwischenruf die Sache
ansprechen, dann muß das gesagt werden.
Mit Ihrer Politik haben Sie eine umfassende Verunsicherung der Wirtschaft ausgelöst. Herr Müller, ich
finde es schon dreist, wenn Sie als Bundeswirtschaftsminister die Hilferufe aus der Wirtschaft zurückweisen.
Die Handwerker haben sich zu Recht beschwert, daß
sich ihre Lage nicht verbessert, sondern verschlechtert
hat. Das jüngste Warnsignal kommt aus der Bauwirtschaft, wo weitere 50 000 Arbeitsplätze verlorenzugehen
drohen. Wenn Sie es diffamieren, daß die Wirtschaft gegen sie mobil macht, dann frage ich Sie: Wie dumm
schätzen Sie die Menschen denn ein? Erst werden ihre
Rahmenbedingungen verschlechtert, man kassiert bei
ihnen mehr ab, vieles wird bürokratischer und inflexibler, die Stimmung im Lande wird schlechter, und dann
sollen sie noch Beifall für eine falsche Politik klatschen?
Was erwarten Sie denn von der Wirtschaft und vom
Mittelstand? Sie haben es doch nicht mit Doofmännern
zu tun! Auch diese Menschen können bis drei zählen.
({4})
Sie haben eine Ökosteuer eingeführt, die keine ist. Sie
sind für das unerträgliche Theater um die 630-MarkVerträge verantwortlich. Es ist interessant, zu sehen: Da
die Verleger betroffen sind, merken auch die SPDMinisterpräsidenten, daß etwas falsch läuft. Herr Glogowski traut sich nicht, das auszusprechen. Vor den
Verlegern spricht man anders, in der Hoffnung, so eine
gute Presse zu bekommen.
Werner Schulz ({5})
Die Reform der Sozialsysteme wird nicht angegangen. Gleichzeitig wird durcheinanderdiskutiert. Herr
Riester sagt: Die Höhe der Rente wird nach Kassenlage
festgelegt; ab 60 Jahren gehören alle in die Rente. Äußerungen dieser Art fördern eine Stimmung, die den Attentismus, die die Zurückhaltung bei Investitionen geradezu beschwört. Es handelt sich um einen normalen Reflex der Wirtschaft, abzuwarten, wenn man nicht weiß,
wohin die Reise geht. Keiner ist so dumm, sein gutes
Geld in etwas zu investieren, was sich am Schluß als
Fehlinvestition herausstellen könnte. Deshalb muß man
Klarheit schaffen, richtige Rahmenbedingungen setzen
und Ordnungspolitik betreiben.
({6})
Die von Ihnen vorgenommene Verschärfung der Einstellbedingungen für den Mittelstand, für die kleinen
und mittleren Unternehmen, ist natürlich kontraproduktiv. Zu dieser falschen Denkweise, zu dieser falschen
Grundhaltung, die auch in Ihrem Jahreswirtschaftsbericht deutlich wird, paßt die Vorgehensweise der Vergangenheit bis hin zur Beschimpfung der Notenbank.
Es ist ein Münchhausen-Theorem, zu meinen, durch
die Steigerung der Nachfrage die Strukturprobleme dieses Landes lösen zu können. Das geht so nicht. Das ist
überall, wo man es ausprobiert hat, schiefgegangen.
({7})
Sie sind da völlig isoliert gegenüber der erdrückenden
Mehrheit der Wirtschaftswissenschaftler und der Fachleute. Deshalb hätten Sie die Chance nutzen sollen,
nachdem Lafontaine davongelaufen ist, Ihre Politik zu
ändern, und hätten das zum Anlaß nehmen sollen, von
dem falschen Weg herunterzukommen und den richtigen
Weg einzuschlagen, aber nicht „business as usual“ zu
betreiben und starr auf den falschen Vorstellungen zu
beharren.
({8})
Es bleibt alles, wie es ist. Sie müssen doch nachbessern.
Machen Sie es doch gleich, dann kommen wir schneller
voran. Belästigen Sie nicht die Wirtschaft mit diesen falschen Vorstellungen!
({9})
- Weil Sie mich ja nicht rangelassen haben. Ich würde
es Ihnen schon zeigen!
({10})
Die Verschleißerscheinungen nach dieser kurzen
Zeit - ({11})
- Ich möchte keine Zwischenfragen zulassen, Herr
Mosdorf, sondern meine Ausführungen inhaltlich zusammenhängend darlegen. Ich habe nur ein paar Minuten, die brauche ich. Anschließend können Sie fragen.
Dann bekommen Sie auch eine Antwort. Jetzt hören Sie
einmal zu. Vielleicht lernen Sie etwas.
Sie haben im Jahreswirtschaftsbericht eine sehr „mutige“ Prognose aufgestellt: 60 000 Arbeitsplätze sollen
in diesem Jahr neu geschaffen werden. Das ist eine
wirklich mutige Zielsetzung und eine hohe Zielmarke,
an der Sie sich orientieren. Aber Sie werden auch sie
nicht schaffen. Sie werden nicht einmal dieses bescheidene Ziel der 60 000 Arbeitsplätze schaffen. Das ist
schon Makulatur, weil Sie Verunsicherung und Attentismus ausgelöst haben. Bringen Sie ja nicht die Begründung, das liege alles an Übersee. Sie können die
50 000 Arbeitsplätze, die in der Bauwirtschaft verlorenzugehen drohen, nicht mit der Entwicklung in Brasilien
oder China begründen. Verantwortlich sind dafür Ursachen hier vor Ort in unserem Land.
({12})
Sie bekommen das nur hin, wenn Sie Klarheit schaffen und von einer falschen Denke herunterkommen.
Symptomatisch für diese falsche Denke ist auch Ihr Kapitel über die internationale Koordination der Wirtschaftspolitiken. Die anderen werden nicht so blöd sein,
unsere Fehler zu kopieren, sondern werden ihren eigenen Weg suchen. Das heißt nichts anderes, als daß man
Strukturprobleme nur vor Ort lösen kann. Man kann sie
nur in einer Region lösen. Sie bauen sich ein Alibi auf,
weil Sie es nicht schaffen: Einmal sind die Europäer
schuld, dann die Weltwirtschaft. Alle sind schuld, nur
Müller nicht. Das kann es nicht sein.
({13})
Es ist auch ein Alarmsignal, wenn die KPMG, eine
der renommiertesten Wirtschaftsprüfungsgesellschaften,
auf Grund des Vergleichs ihrer weltweit tätigen Kunden
sagt: Nur Japan ist teurer und schlechter in den Standortbedingungen als Deutschland. Daran müssen Sie ansetzen. Das kann man auch nicht mit dem „Bündnis für
Arbeit“ wegreden. Man kann Probleme sowieso nicht
wegreden. Wirtschaftspolitik muß durch den ordnungspolitischen Rahmen Wettbewerb in der Breite auslösen.
Die Illusion, daß dann, wenn sich vier zusammensetzen,
die selbst gar keine Arbeitsplätze schaffen, etwas bewirkt werden könnte, ist ein völlig falscher Weg. Reden
schadet zwar nicht; Sie bräuchten aber ein Bündnis für
den Mittelstand, um den kleinen und mittleren Betrieben
zu helfen. Indem Sie Steuervereinfachungen nicht realisieren, sondern alles noch komplizierter machen, schaffen Sie nur bei den Steuerberatern einige wenige Arbeitsplätze. Dafür nehmen Sie sie woanders weg. Sie
entlasten nicht, wie es nötig wäre.
({14})
- Herr Schwanhold, hören Sie doch zu! Sie kriegen es
sonst nicht mit. - Sie versuchen, die Verantwortung für
Ihre falsche Politik auf Europa zu verlagern.
({15})
Nutzen Sie, Herr Müller, wenigstens jetzt, wo
Lafontaine weg ist, die Gelegenheit, und holen Sie die
Zuständigkeit für die Ordnungspolitik wieder in Ihr
Haus zurück.
({16})
Vielleicht wäre der Bericht etwas anständiger ausgefallen, wenn er in Ihrem Hause gemacht worden wäre. Das
Wirtschaftsministerium muß das ordnungspolitische
Gewissen einer Regierung sein. Jetzt besteht die Chance,
dies zu korrigieren und wenigstens eine Mannschaft zusammenzusetzen, die arbeitet und dies richtig macht. Es
hilft nicht, wenn Sie mit gelegentlich etwas lockeren
Äußerungen, die wirtschaftspolitisch gar nicht so falsch
sind, das Feigenblatt für Grünrot abgeben. Sie müssen
etwas durchsetzen. Wenn Sie das nicht können, weil
man Sie nicht läßt, überlegen Sie sich, ob Sie an der
richtigen Stelle sind.
({17})
Das Wort für die
PDS-Fraktion hat der Abgeordnete Dr. Gregor Gysi.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Brüderle, auch Ihre Vorschläge
sind natürlich problematisch. Wenn ich Sie richtig verstanden habe, haben Sie der Bundesregierung empfohlen, dieselbe Politik zu verfolgen, die die vorhergehende
Bundesregierung gemacht hat. Das würde dann allerdings zwingend bedeuten, daß auch sie abgewählt würde. Warum sollte sie diesen Weg beschreiten? Ich
denke, ein paar Änderungen und Korrekturen in der
Politik brauchen wir schon.
({0})
Auf der anderen Seite sage ich aber auch, daß die
letzten Tage und Wochen eines klar gezeigt haben: Wir
müssen über die Wirtschaft, den Zweck von Wirtschaft,
das Verhältnis von Politik und Wirtschaft hier sehr viel
eingehender diskutieren und nachdenken; denn da haben
sich Verschiebungen ergeben, die viele Fragen in unserer Gesellschaft aufwerfen.
Der letzte Zweck von Wirtschaft ist der Austausch
zwischen Mensch und Natur im Interesse der allgemeinen Wohlfahrt der Menschen. Das muß man sich immer
vor Augen führen. Wirtschaft hat keinen Selbstzweck,
sondern einen Zweck im Zusammenhang mit den Interessen von Millionen Menschen.
({1})
Was das Verhältnis von Politik und Wirtschaft betrifft, so gibt es eigentlich den Primat der Politik. Das
führt ja auch dazu, daß Politikerinnen und Politiker gewählt werden. Herr Henkel, Herr Hundt und Herr Stihl
stellen sich zwar hin und wissen alles besser. Sie üben
den größten Druck aus. Sie nötigen zum Teil; sie drohen
sogar. Aber den Mut, sich einmal einer Wahl der Bevölkerung zu stellen, den haben sie nicht.
({2})
Deshalb sage ich: Wenn es soweit gekommen ist,
daß die Wirtschaftsverbände entscheiden, wer Bundesfinanzminister ist oder nicht, besteht darin eine Gefährdung der Demokratie, gegen die sich eigentlich alle
Politikerinnen und Politiker wenden müßten.
({3})
Aber mit Demokratie hat natürlich auch zu tun, wenn
ich ein Bündnis für Arbeit zunächst so aufbaue, daß
der Eindruck entsteht, es gehe darum, einen breiten
Konsens zur Schaffung von Arbeitsplätzen, für mehr
Bildung, Innovation und Forschung zu erreichen. Es ist
im Prinzip nichts dagegen zu sagen, daß so viel Konsens
wie möglich erreicht werden soll. Aber wenn er nicht zu
erreichen ist, muß natürlich auch einmal entschieden
werden. Das scheint mir nun eine ausgesprochen schwache Strecke des Bundeskanzlers zu sein.
Ich füge an dieser Stelle hinzu: Wenn der Bundeskanzler erklärt, er wolle die Steuergesetze und alles andere in diesem Bündnis für Arbeit verabreden, dann ist
das verfassungsrechtlich höchst problematisch; denn für
die Entwürfe solcher Gesetze ist immer noch die Regierung zuständig und für die Verabschiedung der Bundestag und der Bundesrat, nicht das Bündnis für Arbeit.
Wenn ich so herangehe, dann animiere ich Wirtschaftsverbände natürlich geradezu dazu, sich als zuständig zu
empfinden und eine solche Politik zu betreiben. Deshalb
hoffe ich sehr, daß das korrigiert wird.
({4})
Das Bündnis für Arbeit darf keine Zentrale zum Befehlsempfang an den Kanzler durch die Wirtschaftsverbände
werden. Diese Gefahr besteht augenblicklich. Das muß
man deutlich formulieren.
({5})
Ich habe allerdings auch mit großem Erstaunen Herrn
Schulz hier zugehört. Ich bin Ihnen auch für Ihre Zwischenfragen wirklich dankbar, weil dadurch Klarheit geschaffen worden ist. Ich habe den Koalitionsvertrag
durchgelesen. Da stand von alledem nichts drin. Es muß
ein Geheimpapier geben, in dem steht, daß SPD und
Grüne ernsthaft entschlossen sind, Braun- und Steinkohle auslaufen zu lassen, die Subventionen zu streichen und damit Tausende von Arbeitsplätzen in den entsprechenden Regionen zu vernichten und die Energiepolitik zu gefährden.
Was den Ausstieg aus der Atomenergie betrifft, so
sind wir sehr dafür. Aber ansonsten braucht man einen
Mix verschiedener Energieformen. Worauf wollen Sie
das denn reduzieren? Wie wollen Sie denn die Stromversorgung dann überhaupt noch sichern?
Die Leute in den Kohlengruben jetzt so zu verunsichern, wie Sie es getan haben, Herr Schulz, und gleichzeitig zuzulassen, daß neue Lehrlinge ausgebildet
werden, denen man aber heute schon sagt, daß sie gar
keine Perspektive hätten, ist meiner Ansicht nach eine
höchst verfehlte Politik. Ich kann nur hoffen, daß die
SPD diese Rede korrigiert. Sonst bleibt das so im Raume stehen, als wäre es zwischen den Koalitionären vereinbart.
Ich denke, daß in den letzten Tagen - auch im Zusammenhang mit dem Rücktritt, der übrigens im Grundgesetz nicht vorgesehen ist, von Oskar Lafontaine ({6})
auch andere Fragen aufgeworfen worden sind, zum Beispiel die Frage: Wer repräsentiert eigentlich Wirtschaft,
und was sollen eigentlich die Begriffe „wirtschaftsfeindlich“ und „wirtschaftsfreundlich“? Ich meine, das
ist völlig absurd und geht völlig daneben. Das macht die
Wirtschaft zu einem Einheitsblock, der sie niemals ist.
Wir haben zehntausende Unternehmen, die am Existenzminimum nagen. Dazu gehört gerade - wir haben
heute vormittag darüber gesprochen - eine Vielzahl
landwirtschaftlicher Betriebe. Die kann ich doch nicht
genauso behandeln wie riesige Versicherungen, Banken
und große Konzerne, die seit Jahren und Jahrzehnten
immer mehr Gewinne machen und immer weniger zum
Gemeinwohl in dieser Gesellschaft beitragen.
({7})
Wirtschaft muß im Interesse von Menschen funktionieren; darüber muß man sich Gedanken machen.
Was mich übrigens schon seit Jahren stört, ist folgendes: Alle Fraktionen - unsere eingeschlossen - reden
immer von kleinen und mittelständischen Unternehmen. Bei Ihnen hatte ich allerdings immer den Eindruck, daß Sie zwar von kleinen und mittelständischen
Unternehmen reden, aber immer die großen Konzerne
und Banken meinen, für die Sie dann auch die Politik
gemacht haben - und eben nicht für die kleinen und
mittelständischen Unternehmen.
({8})
Schauen wir uns doch einmal die realen Zahlen an.
Die Gewinne haben sich von 1980 bis 1998 verdoppelt.
Das Problem ist natürlich, daß dies nur für einen Teil der
Unternehmen gilt.
Aber wenn man schon mit Zahlen operiert, muß man
auch diese Zahl nennen: Im gleichen Zeitraum haben
sich die Steuerzahlungen der Wirtschaft auf weniger
als die Hälfte reduziert. Der Anteil der Unternehmensteuern am Gesamtsteueraufkommen betrug 1970
24 Prozent. Heute liegt der Anteil bei 7 Prozent. Man
kann fast schon sagen, daß man diese Steuern auf Grund
ihres geringen Anteils ganz abschaffen könnte. Die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und zum Teil auch
die kleinen und mittelständischen Unternehmen mußten
diese Steuerausfälle ausgleichen. Das wurde auch durch
Sozialabbau erreicht. Genau dies ist nicht Politik der
PDS; es ist nicht linke Politik und nicht Politik der sozialen Gerechtigkeit. Mit dieser Politik werden wir uns
immer auseinandersetzen.
({9})
Auch der Vergleich mit anderen EU-Mitgliedstaaten
kann für Ihre Politik nicht herhalten. Sie ziehen zum
Vergleich immer den nominalen Steuersatz heran und
fügen niemals hinzu - das hat schon in der letzten Legislaturperiode die rechte Seite dieses Hauses nicht gemacht -, daß es nicht um den theoretisch veranschlagten
Steuersatz geht, sondern um die tatsächlich von der
Wirtschaft gezahlten Steuern. Diesbezüglich stehen wir
unter allen EU-Mitgliedsländern an vorletzter Stelle. Es
gibt nur ein EU-Mitgliedsland, in dem die Wirtschaft
weniger Steuern zahlt als in Deutschland. Das ist die
Realität.
Was passiert nach dem Rücktritt des Bundesfinanzministers? Herr Bundeswirtschaftsminister Müller - er
ist bei der Debatte über seine Politik nicht mehr anwesend ({10})
sagt heute als Vertreter der Bundesregierung, er wolle
die Unternehmensteuer von 45 Prozent auf 35 Prozent
senken. Dann sagt Herr Clement, ein Steuersatz von
35 Prozent sei ihm eigentlich noch zu hoch; er trete für
einen Steuersatz von 28 Prozent ein. Im Rahmen des
ewigen Wettbewerbs, die F.D.P. neoliberal zu überholen, sagt dann Frau Scheel vom Bündnis 90/Die Grünen, ein Steuersatz von 22 Prozent entspreche ihren
Vorstellungen. Ich warte jetzt auf den ersten Vorschlag,
der auf 0 Prozent hinausläuft.
Ich frage Sie: Wohin soll das führen? Es handelt sich
doch um eine Art Rasenmäherpolitik. Tausende Unternehmen können keine Steuern zahlen, weil sie am Existenzminimum sind. Andere Unternehmen haben ständig
steigende Gewinne, ohne daß sie ihren angemessenen
Beitrag zum Gemeinwohl dieser Gesellschaft leisten.
Hören Sie doch auf mit dem Hoch- und Runtersetzen
von pauschalen Steuersätzen! Lassen Sie uns eine Steuer einführen, die sich differenziert nach der Leistungsfähigkeit der Unternehmen richtet! Dieses Ziel wird
weder mit einem Steuersatz von 35 Prozent noch mit
einem Steuersatz von 22 oder 28 oder 45 Prozent erreicht, sondern nur mit einer Steuer, die sich in gerechter
Weise nach der Leistungsfähigkeit der Unternehmen
richtet.
({11})
Zum vorauseilenden Gehorsam nach dem Motto
„Wer macht sich jetzt bei Wirtschaftsverbänden am beliebtesten? Wer bekommt die meisten Pluspunkte?“
kann ich Ihnen nur sagen: Dieses Handeln hilft nicht
weiter und wird Ihrer Regierung nicht bekommen. Wenn
jetzt schon Herr Rühe im Fernsehen sagt, daß die Regierung seiner Meinung nach erst der Wirtschaft geschadet
habe und nun anscheinend zum Lakaien der Wirtschaft
werde, was ebenso falsch sei, dann sollte dies für Sie ein
Warnsignal sein. Sie haben meines Erachtens einen falschen Ansatz für Ihre Politik gewählt.
Wenn man Arbeitslosigkeit bekämpfen will, so
kommt man um verschiedene Änderungen nicht herum.
Wir müssen einfach über eine gerechtere Verteilung der
Arbeit in unserer Gesellschaft nachdenken. Wir kommen
doch um die Fragen des Abbaus von Überstunden und
der Arbeitszeitverkürzung nicht herum. Aber auch diese
Koalition verweigert im Grunde genommen das
Gespräch über diese Fragen, obwohl wir es brauchen.
Wir kommen um die Schaffung eines öffentlich geförderten Beschäftigungssektors nicht herum, mit dem Arbeitsplätze dauerhaft in Bereichen entstehen, in denen es
keine Konkurrenz gibt, aber auf die die Gesellschaft
dringend angewiesen ist, nämlich Arbeitsplätze im Bildungsbereich, im Sozialbereich, im Ökologiebereich und
in vielen anderen Bereichen.
({12})
Natürlich hatte Oskar Lafontaine recht, als er die
Nachfrageseite in die Diskussion gebracht hatte. In diesem Zusammenhang muß man sagen, daß es überhaupt
keinen ernstzunehmenden Wirtschaftspolitiker gibt - das
will ich einmal den Damen und Herren von der F.D.P.
sagen -, der sich zwischen Angebots- und Nachfragepolitik entscheiden würde. Man braucht immer ein ausgewogenes Verhältnis von beiden. Das Problem ist nur,
daß Sie über Jahre die Kaufkraft - mit ruinösen Folgen
gerade für die kleinen und mittelständischen Unternehmen - reduziert haben. Das ist die Tatsache.
({13})
Deswegen ist die Frage der sozialen Gerechtigkeit zugleich eine Frage vernünftiger Wirtschaftspolitik.
Ich habe den Kanzler immer verteidigt, wenn er hier
im Hause persönlich angegriffen wurde. Allerdings muß
ich sagen, daß er jetzt eine Grenze überschritten hat.
Sein Verhältnis zur Kaufkraft sollte man nicht darstellen, indem man sich als Model in einer Zeitschrift ablichten läßt, mit 6 000-Mark-Mänteln und 4 000-MarkSchuhen.
({14})
Damit entfernt man sich nämlich von der Bevölkerung
in einem Maße, wie es nicht akzeptabel ist. Ganz egal,
wer den Kanzler stellt: Ein Kanzler darf sich eine solche
Entfernung von der Bevölkerung meines Erachtens nicht
erlauben. Er beschädigt damit die Politik insgesamt.
({15})
Natürlich gehören auch Bildung, Wissenschaft und
Forschung sowie ökologischer Umbau zur Arbeitsmarktpolitik. Die Ökosteuer führt aber zu keinem ökologischen Umbau. Wir kommen damit bei der Schaffung
von Arbeitsplätzen keinen Schritt weiter. Zur Arbeitsmarktpolitik gehört auch die direkte Förderung kleiner
und mittelständischer Unternehmen. Ich sage Ihnen
auch, weshalb: Es gibt viele, die gar keine Steuern zahlen können. Denen helfen Sie auch mit einer Steuersenkung nicht mehr. Denen können Sie nur noch mit einer
direkten Förderung helfen, für die wir seit langer Zeit
eintreten. Das setzt aber voraus, daß die Unternehmen
mit hohem Gewinn endlich angemessene Steuern zahlen, damit die Förderung der anderen finanziert werden
kann.
({16})
Natürlich brauchen wir einen neuen Ansatz bei den
Lohnnebenkosten. Ihr Projekt, über eine Ökosteuer die
Lohnnebenkosten zu senken, ist aber in vielfacher Hinsicht abenteuerlich. Erstens hat das miteinander nichts
zu tun. Zweitens ist eine solche Maßnahme nicht dauerhaft. Was machen Sie denn, wenn Ihre Ökosteuer je
wirkt? Was machen Sie denn, wenn die Leute ernsthaft
weniger Energie verbrauchen und Ihre Mehreinnahmen
aus der Ökosteuer verloren gehen? Wollen Sie dann die
Lohnnebenkosten wieder erhöhen, oder soll das zu einer
dauerhaften Spirale der Energiesteuererhöhung werden,
mit all ihren schädlichen Folgen für Rentnerinnen und
Rentner, für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, für
Sozialhilfeempfängerinnen und Sozialhilfeempfänger
und für die Wirtschaft?
({17})
Sie behandeln die Wirtschaft im übrigen extrem ungleich. Weshalb die Industrie fast vollen Ausgleich bekommt, der Dienstleistungsbereich aber nicht, und die
Landwirtschaft geradezu ruinös beteiligt wird, konnte
mir von der Bundesregierung noch niemand erklären.
({18})
Ich sage Ihnen noch etwas: Wer Wirtschaftspolitik
machen und Arbeitsplätze schaffen will, der muß auch
bereit sein, den Kommunen und den Ländern Möglichkeiten zur Investition zu geben. Alle drei Gesetze,
die morgen im Bundesrat verabschiedet werden sollen,
kürzen die Einnahmen von Ländern und Kommunen,
was erhebliche Folgen für deren Investitionstätigkeiten
und Investitionsmöglichkeiten und damit auch für die
Arbeitsplätze hat.
Vielleicht noch ein Wort zum Osten: Wir brauchen in
den Kommunen wieder eine Investitionspauschale, damit die Kommunen - gerade in den neuen Bundesländern -, was Arbeitsplätze, was soziale, ökologische und
kulturelle Fragen betrifft, endlich wieder investieren und
aktiv werden können.
Herr Kollege Gysi,
ich muß Sie bitten, zum Schluß zu kommen.
Noch einen Satz: Natürlich
brauchen wir auch eine internationale Regulierung der
Finanzen. Ich sage Ihnen: Sie haben aus unserer Gesellschaft, die einmal eine hochproduktive Produktionsgesellschaft war, eine Lottogesellschaft gemacht, in der
aus Geld Geld gemacht wird. Wenn wir das nicht ändern, wenn nicht wieder die Produktion attraktiver wird,
sondern Spekulation das Attraktive in dieser Gesellschaft bleibt, werden wir die Arbeitsplatzsituation nicht
ändern.
({0})
Deshalb meine Bitte an die Bundesregierung: Gewinnen Sie den Primat der Politik zurück. Werden Sie nicht
Exekutive der Wirtschaftsverbände und auch nicht Diener der Medien. Das ist zuwenig für eine Bundesregierung.
({1})
Liebe Kolleginnen
und Kollegen, bevor ich das Wort weitergebe, möchte
ich eine Bemerkung machen. Es gehört wohl zu den
Aufgaben des amtierenden Präsidenten, die Rechte und
die Würde des Parlaments zu wahren. Ich stelle fest,
daß bei der Beratung des Jahreswirtschaftsberichtes
1999 der Bundesregierung mit dem Titel „Neue Wege
zu mehr Beschäftigung“ das federführende Ressort nicht
vertreten ist, das Bundeskanzleramt nicht vertreten ist
({0})
und auch der Bundeswirtschaftsminister nicht anwesend
ist - auch kein anderer Minister.
({1})
Es tut mir leid, daß ich das jetzt sagen muß, aber ich
denke, es gehört zu meinen Aufgaben, darauf hinzuweisen. Ich muß mir vorbehalten, diesen Punkt gegenüber
der Bundesregierung zur Sprache zu bringen.
({2})
Das Wort hat Ministerpräsident Teufel aus BadenWürttemberg.
({3})
- Das Wort hat der baden-württembergische Ministerpräsident Erwin Teufel.
({4})
Erwin Teufel, Ministerpräsident ({5}): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Ein Jahreswirtschaftsbericht für 1999 muß mit
einem Blick auf das gute Jahr 1998 beginnen. Wir hatten
ein Wirtschaftswachstum von 2,8 Prozent, in BadenWürttemberg von 4,1 Prozent, eine Exportsteigerung
von 7 Prozent bundesweit,
({6})
in Baden-Württemberg von 10 Prozent, rund 130 000
zusätzliche Arbeitsplätze in Westdeutschland, allein
40 000 davon in Baden-Württemberg.
Nun ist dieser positive Trend seit mehreren Monaten
abgebrochen.
({7})
Der Jahreswirtschaftsbericht 1999 der Bundesregierung
trägt den Titel „Neue Wege zu mehr Beschäftigung“. Er
ist in diesem zentralen Punkt schon heute Makulatur.
({8})
Nach dem Urteil der überwiegenden Mehrzahl der Institute und Sachverständigen, der Wirtschaftsverbände
und Finanzmärkte wird das Wirtschaftswachstum 1999
nicht, wie im Jahreswirtschaftsbericht angenommen,
2 Prozent betragen, sondern allenfalls 1,5 Prozent. Damit bildet Deutschland das Schlußlicht innerhalb der
Europäischen Union.
Seit dem Amtsantritt des Bundeskanzlers ist die Zahl
der Arbeitslosen in Deutschland um genau 500 000 gestiegen.
({9})
Das ist nicht nur der im Winter übliche saisonale Anstieg.
({10})
Die Beschäftigungsschwelle, ab der wirtschaftliches
Wachstum zu mehr Arbeitsplätzen führt, liegt bei ca.
2,5 Prozent. Das heißt, mit einem Wachstum 1999 von
maximal 1,5 Prozent steuern wir nicht auf mehr, sondern
auf weniger Arbeitsplätze zu. Das bedeutet weniger
Chancen für Arbeitslose, weniger Chancen für Berufsanfänger, weniger Steuereinnahmen, eine zusätzliche
Belastung der sozialen Sicherungssysteme, und das bedeutet, daß all die Vorausschätzungen des Jahreswirtschaftsberichts auch zur Konsumnachfrage vorne und
hinten nicht mehr aufgehen.
({11})
Es ist ein Scherbenhaufen, den Sie nach nur 140 Tagen angerichtet haben. Noch nie hat eine Regierung in
so kurzer Zeit so viel Erwartung, so viel Vertrauen, so
viel Kredit verspielt.
({12})
Der designierte Wirtschaftsminister ist gar nicht erst angetreten, und nun der Abgang des Finanzministers. Noch
vor wenigen Wochen wollte er das gesamte Weltfinanzsystem umgestalten. Jetzt zieht er sich sang- und klanglos, verantwortungslos und stillos auf einen Bauernhof
im Saarland zurück.
({13})
Daß die Konjunktur durch die Krisen in Fernost, in
Rußland, in Lateinamerika schon Ende 1998 ihren vorläufigen Zenit überschritten hat, kann man dieser Regierung sicher nicht anlasten. Aber wofür einzig und allein
sie die Verantwortung trägt, ist die Tatsache, daß nun
auch die Stimmungslage und das unternehmerische
Binnenklima von Monat zu Monat weiter in den Keller
geht.
({14})
Es ist bestürzend, mit ansehen zu müssen, wie die anfängliche Erwartung und Skepsis der Wirtschaft in vielen Branchen, angefangen von den Chefetagen der
Großunternehmen bis tief hinein in den Mittelstand, in
den Bereich des Handwerks, der Selbständigen, der
freien Berufe, nun in blankes Entsetzen umgeschlagen
ist.
({15})
Die Stimmung ist so verheerend, weil diese Regierung das reine Chaos angerichtet hat.
({16})
Nichts, was diese Regierung bisher angepackt hat,
nichts, was sie entworfen, zurückgenommen, wieder
korrigiert, dann, mehr oder weniger umgekrempelt, in
immer kürzeren Intervallen wieder vorgelegt hat, läßt
auch nur ansatzweise „neue Wege zu mehr Beschäftigung“ erkennen.
({17})
- Baden-Württemberg ist ein positives Beispiel. Unter
allen 16 deutschen Ländern das höchste Wachstum machen Sie das einmal bundesweit nach!
({18})
Was am Ende dieser beispiellos hektischen, Verwirrung stiftenden und inhaltlich geradezu dilettantischen
Phase nun summa summarum auf dem Tisch liegt, ist
ein Programm, das die Wirtschaft belastet und nicht
entlastet,
({19})
das Investitionen blockiert und nicht fördert, das Arbeitsplätze gefährdet und nicht schafft, das die sozialen
Sicherungssysteme neuen Belastungen aussetzt und den
Standort Deutschland geradezu systematisch abwertet.
Herr Minister Hombach empfiehlt der SPD, Ludwig
Erhard und die Freiburger Schule zu entdecken und ihre
Erkenntnisse zu nutzen. Wie wahr! Lesen Sie einmal
nach, was in den „Grundsätzen der Wirtschaftspolitik“
von Walter Eucken steht:
Die nervöse Unrast der Wirtschaftspolitik, die oft
heute verwirft, was gestern galt, schafft ein großes
Maß von Unsicherheit und verhindert viele Investitionen. Es fehlt die Atmosphäre des Vertrauens. ...
Wenn aber die Wirtschaftspolitik nicht eine zureichende Konstanz besitzt, kann auch die Wettbewerbsordnung nicht voll funktionsfähig sein.
Meine Herren von der Bundesregierung, gehen Sie in
die Freiburger Schule!
({20})
Lassen Sie mich auf Einzelbeispiele kommen, zunächst zur Steuerreform. Es liegt klar auf der Hand,
was gefordert ist, um Innovationen, Investitionen und
damit Arbeitsplätze zu schaffen. Unsere Unternehmen,
die auf dem heimischen Binnenmarkt und auf allen
Märkten der Welt einem harten Wettbewerb ausgesetzt
sind, brauchen die gleichen Rahmenbedingungen, die
gleichen Steuertarife und die gleichen Wettbewerbsbedingungen wie ihre Wettbewerber. Wir brauchen verbesserte Investitionsbedingungen für private Unternehmen. Das sehen alle ein - außer dem Spitzentrio im
Bundesfinanzministerium, das sowohl für den Entwurf
der Steuerreform wie auch für den Jahreswirtschaftsbericht verantwortlich ist. Der Bundeskanzler und die ganze Bundesregierung stimmen zu oder lassen gewähren.
Der Kardinalfehler Ihrer Steuerpolitik besteht darin,
daß Sie die zentrale Bedeutung des Steuersystems für
die Sicherung und Schaffung von Arbeitsplätzen im
Rahmen einer globalisierten Wirtschaft bis heute nicht
einsehen oder schlicht und einfach nicht wahrhaben
wollen.
({21})
Statt dessen steht Ihre Steuerreform unter dem Primat
der Umverteilung. Sie haben damit genau dort angesetzt,
wo sozialdemokratische Politik schon in den 70er Jahren
gescheitert ist. Karl Schiller hat Ihnen damals den Rükken gekehrt. Viele Ihrer Wähler vom 27. September
kehren Ihnen schon heute den Rücken.
({22})
Die Unternehmen in Deutschland seien nicht höher
belastet als die Unternehmen in vergleichbaren Ländern,
hört man vom Bundesfinanzministerium und dieser
Bundesregierung immer wieder. Das Gegenteil ist richtig. Das Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung
in Mannheim hat jüngsten Datums eine große Studie
veröffentlicht, in der die Steuerlast der Unternehmen
in fünf westlichen Industriestaaten über mehrere Jahre
hinweg untersucht wurde. Das niederschmetternde Ergebnis: Eine Kapitalgesellschaft zahlt in Deutschland
zwischen 10 Prozent und 38 Prozent mehr Steuern als in
den USA, den Niederlanden und Großbritannien.
({23})
Es wurde die Steuerbelastung für eine typische mittelständische GmbH in fünf Ländern ermittelt. Bei identischer Ausgangslage beträgt die Steuerbelastung der Betriebe in Großbritannien 14 Millionen DM, in den Niederlanden 16 Millionen DM, in den USA 20 Millionen
DM, in Deutschland 23 Millionen DM und in Frankreich
24 Millionen DM.
Großbritannien und die Niederlande haben nicht nur
die niedrigste Gesamtbelastung, sondern auch die einfachsten Steuersysteme. Dagegen sind 60 Prozent der
Steuerrechtsliteratur der Welt in deutscher Sprache verfaßt. Da brauchen wir sicher nicht Weltmeister zu sein.
({24})
- Sie machen nachweisbar alles noch komplizierter! Das
ist doch das Problem.
({25})
Das heißt doch, wir brauchen auch für die Unternehmen und insbesondere für die mittelständische Wirtschaft eine deutliche Nettoentlastung. Denn wo sollen
denn sonst neue Arbeitsplätze entstehen?
Sie sind also mit Ihrer Steuerreform nicht ein bißchen
vom Weg abgekommen, nein, Ihr Weg führt in die verkehrte Richtung. Sie entlasten nicht Investitionen, sondern Sie belasten sie. Sie begünstigen nicht das Entstehen neuer Arbeitsplätze, sondern Sie verhindern dies.
Nur bei den Finanzämtern werden Sie ein neues Beschäftigungswunder auslösen, weil Sie das komplizierte
deutsche Steuerrecht noch komplizierter machen.
Sie handeln nicht nur gegen die Interessen der Wirtschaft und gegen die Hoffnung der Bürger auf neue ArMinisterpräsident Erwin Teufel ({26})
beitsplätze, sondern auch gegen den gesamten ökonomischen Sachverstand der Wissenschaft. Die Wissenschaftler fordern schon für 1999, und zwar ohne Gegenfinanzierung, eine Steuerentlastung von 15 bis 20 Milliarden DM.
Nun zu den 630-Mark-Arbeitsverhältnisssen: Was
Sie mit der Neuregelung der 630-Mark-Arbeitsverhältnisse vorgelegt haben, ist wahrlich kein Meisterstück. Ihrem ersten Entwurf hat man die Verfassungswidrigkeit schon aus 100 Meter Entfernung angesehen.
Die Landesregierung von Baden-Württemberg hat Ihnen
durch ein Gutachten von Professor Kirchhof aus Tübingen in mehreren Punkten Verfassungswidrigkeit nachgewiesen. Wir haben eine Klage vor dem Bundesverfassungsgericht angekündigt, falls Ihr Entwurf Gesetz wird.
Daraufhin haben Sie Ihren Gesetzentwurf geflickt bzw.
zumindest korrigiert.
Aber es bleibt doch die Tatsache: Mit diesem Gesetz
entfachen Sie einen neuen bürokratischen Aufwand bei
den Arbeitnehmern, den Arbeitgebern, den Sozialversicherungsanstalten und den Finanzämtern. Sie werden
damit nur eines erreichen, nämlich weitere Beschäftigte
massiv in die Schwarzarbeit zu treiben.
({27})
Sie verringern die Zahl der Arbeitsplätze. Sie schaden
den an dieser Beschäftigung interessierten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern. Sie gefährden ganze Branchen - etwa den Handel, das Zeitungsgewerbe, das
Handwerk und den Hotel- und Gaststättenbereich.
Schauen Sie sich einmal den Aufschrei und den geschlossenen Widerstand des gesamten Mittelstandes an.
({28})
Die vielen Kleinbetriebe sind leider nicht so stark, daß
sie eine Audienz beim Bundeskanzler und ein Korrekturversprechen erlangen, wie es einigen großen Branchen erfreulicherweise gelungen ist. Auch Ministerpräsident Glogowski sagte: Dieses Gesetz treibt die Leute
eher in die Schwarzarbeit. Deshalb mein Appell an
Herrn Glogowski und die SPD-Ministerpräsidenten:
Lassen Sie morgen die Hände unten, wenn dieses Gesetz
im Bundesrat zur Abstimmung steht.
({29})
Nun komme ich zur Ökosteuer. Mit der Ökosteuer
wollen Sie durch eine Belastung von Bürgern und Unternehmen eine zusätzliche Steuerquelle erschließen.
Der Begriff „ökologische Steuerreform“ ist eine Irreführung der Öffentlichkeit; denn mit Ökologie und Reform
hat dieses Gesetzesvorhaben nichts zu tun. Es bringt
schlicht eine Steuererhöhung mit sich, obwohl schon
heute Deutschlands Energiesteuern mit 67 Milliarden
DM deutlich höher sind als die Beschaffungskosten für
Energie. Es gilt wieder einmal: Bürokratie und nochmals
Bürokratie!
Ich zitiere das „Handelsblatt“, das sich auf Aussagen
des Bundesfinanzministeriums beruft: Im produzierenden Gewerbe müßten rund 200 000 Erlaubnisse zum
steuerbegünstigten Bezug von Strom erteilt werden.
Rund 130 000 Unternehmen und rund 5 500 Kraftwerken müsse die Mineralölsteuer auf Heizöl und Erdgas
vergütet werden, und rund 30 000 Unternehmen müsse
die Ökosteuer erstattet werden. - Es müssen also hunderttausendfach Anträge gestellt und bearbeitet werden,
und das trotz der ständigen Forderungen nach einer
Verwaltungsvereinfachung.
Meine Damen und Herren, Sie treiben auch die Preise
in den Bereichen der Bahn und des Nahverkehrs in die
Höhe. Ist das ökologisch?
({30})
Schüler und Studenten, Arbeitslose, Sozialhilfeempfänger und Rentner werden voll belastet, ohne daß sie von
der Absenkung der Sozialbeiträge profitieren. Ist dies
die neue soziale Gerechtigkeit?
Meine Damen und Herren der Regierung und der Koalition, kehren Sie um!
({31})
Sie sind in einer Sackgasse, und wenn man in einer
Sackgasse ist, ist es das Beste, so früh wie möglich umzukehren.
({32})
Ihr ideologischer Politikansatz ist gescheitert.
({33})
Gehen Sie bei Kurt Schumacher in die Lehre!
({34})
Ich zitiere ihn immer wieder mit dem Satz: Politik beginnt mit dem Betrachten der Wirklichkeit.
({35})
Das ganze Chaos, das Sie schon in den ersten fünf
Monaten bei nahezu jedem Vorhaben gestiftet haben,
läßt sich auf einen Nenner bringen: Ihr Politikansatz ist
weder ökonomisch noch ökologisch; vielmehr ist er
ideologisch. Eine solche Politik kann nur scheitern.
({36})
Eine Politik, die die Wirklichkeit der globalen Märkte
und den internationalen Wettbewerb ignoriert, eine Politik, die nicht zur Kenntnis nehmen will, welch enorme
Herausforderungen sich daraus für Wirtschaft, Politik
und Gesellschaft der drittgrößten Industrienation ergeben, eine solche ideologisch angelegte Politik muß sich
zwangsläufig gegen die Interessen der Bürgerinnen und
Bürger richten. Dafür haben Sie in Hessen bereits die
Quittung bekommen.
Es ist doch nicht nur Herr Lafontaine gescheitert; seine Politik ist gescheitert
({37})
und muß korrigiert werden.
({38})
Ministerpräsident Erwin Teufel ({39})
Der Vorhang fiel, und alle Fragen blieben offen. Noch
hat der Bundeskanzler eine große Chance für einen
Neuanfang. Legen Sie eine Denkpause ein und legen
Sie ein neues Gesamtkonzept vor. Es muß doch die
Grundsatzfrage entschieden werden, ob die Nachfragepolitik, die zur Isolierung der Bundesrepublik in ganz
Europa geführt hat, fortgeschrieben werden soll oder ob
die Angebotsbedingungen so verbessert werden, daß die
Wirtschaft wieder Vertrauen fassen kann.
({40})
Es kann doch nicht so weitergehen, daß Sie einzelne
Branchen mit 15 Milliarden oder 20 Milliarden DM
mehr belasten und der Bundeskanzler dann mit einzelnen Branchen Rabattverhandlungen führt und als Ausputzer tätig wird. Wider den Wortlaut des Gesetzentwurfs verspricht er Höchstbelastungsgrenzen, die nicht
überschritten werden dürfen, und er beruhigt, er tröstet,
er verbreitet Hoffnung auf eine zukünftige Steuerreform
- so wie auch der Bundeswirtschaftsminister vorhin und fügt hinzu, daß er den Gesetzentwurf mit seinen
schlimmen Belastungen leider nicht mehr ändern könne.
Das ist doch eine Politik nach dem Motto: Jetzt mach'
ich meinem Hund a Freud. Zuerst schlag ich ihn rum und dann hör’ ich auf. Das ist die Politik der Bundesregierung.
({41})
Der Bundeskanzler räumt handwerkliche Fehler ein.
Das ist nicht nur eine Verniedlichung, sondern ganz und
gar unzutreffend. Denn Handwerksmeister können erstens rechnen, und Handwerksmeister legen zweitens
eine Meisterleistung vor und keinen Murks. Ihr Flickwerk erinnert mich an die beiden Schustergesellen, die
zu ihrem Meister sagen: „Meister, die Schuhe sind
fertig. Sollen wir gleich mit dem Flicken anfangen?“
({42})
Flickschustern Sie nicht weiter, sondern bringen Sie
endlich neue Schuhe! Machen Sie einen neuen Anfang!
Nehmen Sie die Gesetze zur Steuerreform, zur Ökosteuer und zu 630-Mark-Arbeitsverhältnissen vom Tisch
des Bundesrats. Wenn Sie es nicht tun, ist diese in jeder
Hinsicht mißratene Reform nicht mehr das Werk Lafontaines, sondern Ausweis des Versagens des Bundeskanzlers und das Werk Eichels, der ohne Mandat des
Wählers diesem schädlichen Gesetzentwurf durch sein
Umfallen zu einer Mehrheit verhelfen will.
({43})
Herr Bundeswirtschaftsminister Müller, der Sie heute
auch als Finanzminister diese Politik Lafontaines vertreten müssen, kennen Sie die Äußerungen Ihres österreichischen Kollegen? Ich zitiere aus der „Presse“ in
Wien nach einer dpa-Meldung - Überschrift: „Firmen
fliehen vor rot-grünen Reformen“ -:
Täglich gebe es bis zu 30 Anfragen aus Deutschland, ob man sich in Österreich ansiedeln könne.
Das teilte Österreichs Wirtschaftsminister Johannes
Farnleitner der Zeitung mit. Der Minister habe von
einem regelrechten Ansturm auf Firmenniederlassungen in Österreich berichtet, der vom Kurs der
neuen deutschen Koalition ausgelöst worden sei.
({44})
Herr Kollege Müller, Sie äußern sich von allen Regierungsmitgliedern noch am vernünftigsten. Aber was tun
Sie denn ganz persönlich konkret als Wirtschaftsminister gegen eine Politik, die solche Folgen hat?
({45})
Sie müßten doch derjenige sein, der vor Risiken und
Nebenwirkungen dieser Arznei warnt.
({46})
Meine Damen und Herren, das Innovationsklima in
Wirtschaft und Gesellschaft hatte sich in den letzten
Jahren spürbar gebessert. Die Bundesregierung ist drauf
und dran, dies alles wieder zunichte zu machen. Nicht
das Land, nicht die Leute, nicht die Wirtschaft, sondern
die Regierung ist das Problem, das wir haben.
({47})
Ich fordere Sie auf: Tun Sie endlich etwas für die Zukunftschancen von Millionen Menschen!
Im SPD-Programm zur Bundestagswahl 1998 stand
ganz am Anfang: „Deutschland ist ein starkes Land.
Aber es hat eine schwache Bundesregierung.“
({48})
Nach 140 Tagen Regierung Schröder steht fest: Dieser
Satz war noch nie so richtig wie heute. Deutschland ist
ein starkes Land, aber es hat eine schwache Regierung.
({49})
Das Wort für die
SPD-Fraktion hat der Kollege Joachim Poß.
Herr Präsident! Meine Damen
und Herren! Herr Ministerpräsident Teufel, Sie haben
recht:
({0})
Sie haben mit dazu beigetragen, daß unser Land in den
letzten anderthalb Jahrzehnten in eine Sackgasse geführt
wurde.
({1})
Sie sind mit verantwortlich dafür, daß die Facharbeiter
in Ihrem schönen Ländle in den letzten Jahren mit hohen
Steuern und Abgaben belastet wurden, die leistungsfeindlich sind. Das liegt in Ihrer Verantwortung, Herr
Teufel.
({2})
Ministerpräsident Erwin Teufel ({3})
Sie tragen mit Verantwortung dafür, daß es eine Schieflage gibt bei der Besteuerung der mittelständischen
Wirtschaft einerseits und der Großindustrie andererseits,
das heißt, daß die Handwerksmeister in Ihrem Ländle im
Verhältnis zu Daimler - die sich jetzt sogar noch beschwert haben, obwohl sie für 1997 eine Körperschaftsteuererstattung von 3,2 Milliarden DM bekommen haben - so hoch besteuert werden. Das liegt in Ihrer
Verantwortung, und darüber müßten Sie eigentlich
reden, wenn Sie hier schon das Wort nehmen.
({4})
Also: Beklagen Sie nicht die Folgen Ihrer Politik,
Herr Ministerpräsident. Eigentlich haben Sie einen viel
zu guten Ruf
({5})
- doch, gelegentlich sagt er schon einmal etwas Vernünftiges; heute war das nicht der Fall -, um solche
kurzsichtigen und falschen Reden zu halten.
({6})
Wenn man von wahren Zahlen und Fakten ausgehen
will, Herr Ministerpräsident, Herr Wissmann, dann
reicht ein Besuch bei der OECD in Paris, wie ihn der
Finanzausschuß des Deutschen Bundestages gestern
gemacht hat, um die Standort- und Steuerdebatte der
Wirtschaft und der Opposition als das zu entlarven, was
sie ist: unsinnig und schädlich.
({7})
Dieses Ergebnis hat der gestrige Besuch des Finanzausschusses bei der OECD gebracht. Ich empfehle also Reisen zur OECD.
Ich begrüße es auch, daß die gemeinsamen Vorbereitungen und Aktivitäten zum „Bündnis für Arbeit“
Anlaß dazu bieten, die wahren Fakten und Zahlen über
die Bundesrepublik und ihre Stellung im internationalen
Wettbewerb aufzuzeigen. Das gilt nicht zuletzt für das
Steuerrecht im internationalen Vergleich. Ich werde
Herrn Wissmann, falls er von seiner Fraktion über den
gestrigen Besuch bei der OECD nicht informiert wurde,
die wesentlichen Ergebnisse einmal zufaxen.
Die Experten der OECD haben gestern im Gespräch
mit den Mitgliedern des Finanzausschusses unmißverständlich festgestellt: Erstens. Anlage und Konzeption
der Steuerreform von SPD und Bündnis 90/Die Grünen,
die zur Entlastung des Faktors Arbeit führen, sind
richtig.
Zweitens. Die von uns begonnenen Maßnahmen zur
Verbreiterung der Bemessungsgrundlage tragen dem
Prozeß der Globalisierung Rechnung. Die hochrangigen
Experten der OECD haben in diesem Zusammenhang
ausdrücklich genannt: die Einschränkung der Teilwertabschreibung und das Wertaufholungsgebot, die Abzinsung bei Rückstellungen und die Begrenzung der
Abziehbarkeit der Verluste, die im Ausland gemacht
werden.
Die OECD hat eine Statistik vorgelegt, die hier heute
schon zitiert wurde. Danach hat die Bundesrepublik
Deutschland mit 8 Prozent die weitaus niedrigste Effektivbelastung in der gesamten OECD. Darüber liegen die
Niederlande mit 22 Prozent, die Vereinigten Staaten mit
24 Prozent; United Kingdom liegt bei 49 Prozent Effektivbelastung. Das sind die Zahlen und Fakten, die
Grundlage unserer Steuerpolitik sind, und nicht ideologische Erkenntnisse.
({8})
Die Koalition von SPD und Grünen ist also nach dem
Urteil der OECD auf dem richtigen Weg;
({9})
denn sie bestätigt: Die Bemessungsgrundlage ist in
Deutschland sehr schmal, im EU-Vergleich extrem
schmal. Unternehmen haben in Deutschland in hohem
Maße die Möglichkeit, ihre Erträge in den Bilanzen zu
verstecken. Sie können hohe stille Reserven bilden und
damit die Steuern geringhalten. Deutsche Unternehmen
schreiben doppelt soviel ab wie amerikanische Unternehmen. Die Besonderheiten des deutschen Bilanz- und
Steuerrechts haben historische Gründe.
({10})
Herr Kollege Poß,
gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Höll?
Ja, bitte.
Herr Poß, ich war an der
gestrigen Sitzung ebenfalls beteiligt. Die grundlegende
Einschätzung, die Sie hier vorgetragen haben, stimmt sicherlich. Einige Punkte müßte man vielleicht etwas korrigieren. Meine Frage: Wenn diese Einschätzung der
OECD stimmt, warum diskutieren Sie dann jetzt hier
weiter über eine Unternehmensteuerreform, die eine
pauschale Senkung des Satzes auf 35 Prozent vorsieht? Das ist mir noch nicht ersichtlich. Vor allem wissen wir nicht, inwieweit da die Gewerbeertragsteuer und
der Solizuschlag enthalten sind. Sind sie nicht enthalten,
würde das im Klartext heißen, daß die Unternehmensteuer noch weiter sinkt. Sie ist bereits niedrig. Dazu
kommt: Was wird, wenn Sie es rechtsformunabhängig
machen wollen, mit den Spitzensteuersätzen, mit den
Einkommensteuersätzen insgesamt?
Frau Kollegin Höll, Sie konnten bei der gestrigen Diskussion doch folgendes zur
Kenntnis nehmen - ich kann ja nicht alles zitieren -:
Wir haben hohe Sätze; damit liegen wir an der Spitze.
Das kann Investoren abschrecken. Wir haben aber auch
die niedrigste faktische Belastung. Unsere Aufgabe ist,
die Sätze zu senken
({0})
und die Bemessungsgrundlage zu verbreitern. Das wollen wir konsequent tun, Frau Kollegin Höll.
({1})
Die deutschen Unternehmen wollen dieses neue Bilanz- und Steuerrecht nicht. Sie fordern niedrige Steuersätze. Diese können sie aber nur bekommen, wenn wir
die Bemessungsgrundlage verbreitern. Niedrige Steuersätze und schmale Bemessungsgrundlage schließen sich
aus.
({2})
Beides gleichzeitig ist ungerecht und nicht zu finanzieren.
({3})
Deswegen machen wir eine Steuerreform, auch eine
Unternehmensteuerreform, bei der die Bemessungsgrundlage verbreitert und die Gewinnermittlung objektiviert wird. Daher sind zum Beispiel die hohen Rückstellungen, die Unternehmen in anderen Ländern nicht
bilden können, zurückzuführen.
Herr Kollege Poß,
gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten
Fromme?
Bitte schön.
Herr Kollege Poß, wollten Sie mit Ihrer Antwort auf die Frage der
Kollegin Höll zum Ausdruck bringen, daß Sie keine
Steuersenkung für Unternehmen wollen?
({0})
Herr Kollege Fromme, die
Diskussion leidet in der Tat ein wenig an begrifflichen
Unschärfen. Manchmal wird man auch Opfer der eigenen begrifflichen Unschärfe. Ich habe vorhin gesagt:
Wir müssen die Steuersätze senken. Das ist über Jahre
die gemeinsame Auffassung dieses Parlaments gewesen.
Wir wollen Steuersatzsenkungen und die Verbreiterung
der Bemessungsgrundlage. Das heißt aber, daß wir - ich
jedenfalls vermag ihn nicht zu erkennen - finanzpolitischen Spielraum für eine Effektiventlastung wahrscheinlich nur in einem sehr geringen Umfang haben.
Aber das ist nicht so sehr das Problem. Das Problem
sind - siehe OECD-Zahlen - die hohen Steuersätze einerseits und die geringe Effektivbelastung andererseits.
Beides müssen wir zusammenführen. Eigentlich müßten
Sie bei dieser Operation mitmachen.
({0})
Es besteht der
Wunsch nach einer weiteren Zwischenfrage, Herr Kollege Poß.
Ja, bitte.
Bitte schön.
Herr Kollege Poß, können Sie mir dann erklären, warum der Bundeswirtschaftsminister und Vertreter Ihrer Koalition gegenüber der Wirtschaft ständig den Eindruck erwecken,
daß die Steuern in der Summe gesenkt werden sollen?
({0})
Der Bundeswirtschaftsminister
hat auch in der heutigen Sitzung nichts anderes gesagt
als das, was ich hier ausgeführt habe. Wir haben hohe
Steuersätze und müssen diese herunterfahren. Der Bundeswirtschaftsminister hat auch in den letzten Debatten
darauf hingewiesen, daß wir großzügige Rückstellungsmöglichkeiten und anderes mehr haben und daß es darum geht, beides zusammenzuführen. Ich jedenfalls vermag weder heute noch im Zusammenhang mit den letzten Sitzungen einen Unterschied zwischen den Äußerungen des Bundeswirtschaftsministers und meinen zu
erkennen. In der öffentlichen Diskussion wird oft nicht
zwischen der Senkung von Steuersätzen und der Senkung der Steuerlast insgesamt unterschieden. Das müssen wir begrifflich auseinanderhalten.
({0})
Im übrigen, der Bundeswirtschaftsminister und ich
stimmen in der Analyse überein, daß die Schieflage bei
der Belastung der Wirtschaft, die daran deutlich wird,
daß ein Handwerksmeister relativ hoch belastet wird,
während Daimler-Chrysler alle Möglichkeiten hat, sich
der Besteuerung zu entziehen, eine Erblast der Regierung Kohl und kein aktuelles Problem der Steuerbeschlüsse dieser Koalition ist.
({1})
Herr Kollege Poß,
es liegen noch zwei Wünsche nach Zwischenfragen vor.
Bitte, ich stehe zur Verfügung.
Bitte schön, Herr
Kollege Hauser.
({0})
Herr Kollege Poß, Sie sprechen wiederholt die Firma
Daimler-Chrysler an. Ich will nicht weiter auf das Thema Verlustvortrag zu sprechen kommen, sondern auf eine Äußerung Ihres Kollegen, des Parlamentarischen
Staatssekretärs Mosdorf. Er sagt zum Brief von DaimJoachim Poß
ler-Chrysler, man müsse die Kritik von DaimlerChrysler ernst nehmen. Er stellt fest, die Besteuerung
der Schachteldividenden ist ein eklatanter Fehler; sie
wird auch im internationalen Vergleich so nicht vorgenommen. Wir haben darüber im Ausschuß sehr ernsthaft
diskutiert. Ich frage Sie deshalb, ob Sie die Äußerung
Ihres Kollegen Mosdorf für richtig halten, der sagt, man
muß in diesem Punkt - im Rahmen der von Ihnen geplanten Unternehmensteuerreform - eine Korrektur anbringen, das heißt, die Besteuerung der Schachteldividenden wieder zurücknehmen. Sind Sie der gleichen
Meinung? Als ich Herrn Mosdorf diese Frage gestellt
habe, hat er mich an Sie verwiesen. Er hat mir gesagt, er
könne das nicht beantworten, nur Sie könnten das.
({0})
Herr Hauser, natürlich gibt es
in der Beurteilung einzelner Maßnahmen unterschiedliche Meinungen in dieser Regierung oder Koalition - genauso, wie das in Ihrer Partei der Fall ist. Wir werden
das im einzelnen sorgfältig diskutieren. Ich kenne die
Äußerung des Kollegen nicht; ich habe sie heute noch
nicht zur Kenntnis nehmen können. Wir werden im Zusammenhang mit der Unternehmensteuerreform noch
viele Probleme in aller Ruhe, wie auch der Bundeswirtschaftsminister ausgeführt hat, diskutieren. Dies wird
dann eines von vielen sein.
Herr Kollege Dautzenberg, bitte schön.
Herr Kollege Poß,
wenn Sie schon die Zusammenstellung der OECD von
gestern zitieren, würden Sie dann bitte zumindest der
Vollständigkeit halber, damit Sie nicht der selektiven
Wahrnehmung nur einzelner Aussagen erliegen, zur
Kenntnis geben, daß sich diese Statistik über die Gesamtbelastung der Unternehmen ausschließlich auf
Kapitalgesellschaften und eben nicht auf natürliche
Personen und Personengesellschaften bezieht, die 80 bis
85 Prozent unserer gesamten Unternehmen ausmachen
und die, weil sie Einkommensteuer bezahlen, in diese
Betrachtung gar nicht einbezogen sind?
({0})
Ich habe nichts anderes gesagt
({0})
und auch nicht versucht, einen anderen Eindruck zu erwecken.
({1})
- Herr Kollege Michelbach, Sie waren doch gar nicht
dabei. Sie sollten gelegentlich einmal an sich halten und
zuhören. Wir haben das gestern sehr sachlich und gemeinschaftlich bei der OECD diskutiert. Es ist richtig,
das bezieht sich auf Kapitalgesellschaften, also auf Aktiengesellschaften und GmbHs, aber eben auch - insoweit zu Ihrer Nachfrage, Herr Kollege - auf GmbH &
Co. KGs. Wenn wir in Italien eine Spitzenbelastung von
75 Prozent bzw. in England von 49 Prozent haben und
Deutschland in diesem Bereich mit einer Effektivbelastung von 8 Prozent ausgewiesen wird, dann ist doch
evident, daß Ihr Propagandagerede überhaupt nicht trägt.
({2})
Eine weitere Zwischenfrage.
Herr Kollege Poß,
wenn das so zutreffen sollte, wenn das also die beste
Grundlage für Investitionen in Deutschland wäre, dann
müßten Sie doch Überlegungen anstellen, den Zufluß
von Investitionskapital aus dem Ausland zu begrenzen.
({0})
Herr Kollege Dautzenberg,
nachdem wir gestern so sachlich diskutiert haben, sollten Sie jetzt nicht versuchen, den Problemen mit Polemik zu begegnen. Es bleibt bei der Grundlinie, die ich
dargestellt habe, die richtig ist und die für unsere Unternehmen auch notwendig ist. Wenn wir über den internationalen Wettbewerb sprechen, dann sprechen wir eben
in erster Linie über Aktiengesellschaften und GmbHs
und nicht über Personengesellschaften. Ich weiß also gar
nicht, was das soll, mir das vorzuwerfen. Wir haben
über internationale Wettbewerbsfähigkeit gesprochen.
Also machen wir Regeln für die internationale Wettbewerbsfähigkeit. Das gilt auch für das Steuerrecht.
({0})
Herr Kollege
Schindler, bitte schön.
Herr Kollege Poß,
ich war gestern bei der Diskussion dabei. Jetzt will ich
noch einmal bei dem nachkarten, was Kollege Dautzenberg sagte. Sie haben vorhin ausgeführt, es seien 8 Prozent Steuerbelastung in Deutschland - so die Aussage
der OECD - und 49 Prozent im United Kingdom. Glauben Sie diesen Zahlen der OECD? Mir sind mittlerweile
andere Zahlen bekannt. Lassen Sie im Bundesministerium der Finanzen einmal nachfragen, ob diese Zahlen im
internationalen Vergleich überhaupt fair dargestellt sind.
Herr Kollege, ich habe, um
mich zu vergewissern, diese Frage heute schriftlich an
das Bundesfinanzministerium gerichtet. Ich bin dafür,
daß wir in der Tat alle Quellen der Erkenntnis ausschöpfen. Aber selbst wenn die Zahl von 8 Prozent nicht
stimmen sollte und es in Wirklichkeit 16 Prozent wären,
ändert das nichts am Ergebnis. Übrigens sind das nicht
nur die Zahlen von der OECD. Wir haben die Weltbank
Hansgeorg Hauser ({0})
und andere Quellen, die sagen: In der effektiven Steuerbelastung liegen wir im weltweiten Vergleich unten.
Herr Kollege, Sie können reden, was Sie wollen: Das ist
das Ergebnis.
({1})
Eine weitere Zwischenfrage?
Ja, natürlich.
Ich bin Ihnen
dankbar, daß auch Sie in diesem Zweifel sind, den ich
hinsichtlich dieser Aussage seit gestern mittag selbst
habe. Danke schön.
({0})
Nein, Herr Kollege - jetzt
müssen Sie auch stehenbleiben -, ich bin überhaupt
nicht im Zweifel. Ich will nur ganz sichergehen, weil ich
immer wissen will, worüber ich rede. Das unterscheidet
mich womöglich von einigen in diesem Hause.
({0})
- Keine Zwischenfragen mehr? Das enttäuscht mich ein
wenig, meine Damen und Herren von der Opposition.
Wir haben in den letzten Wochen den medienwirksamen Widerstand zweier großer Branchen gegen die
Besteuerung ihrer sehr hohen Rückstellungen nach
dem Steuerreformpaket erlebt. Unternehmen, die in der
Vergangenheit in der Lage waren, riesige Rückstellungen steuerfrei anzusammeln, haben mit falschen Zahlen,
Horrormeldungen und Abwanderungsdrohungen versucht, die Öffentlichkeit zu verängstigen. Ich kann mich
des Eindrucks nicht erwehren, daß die Vorstände dieser
Unternehmen wenig Vorstellung davon hatten, wovon
sie redeten oder worüber sie lamentierten. Sie sind die
wahren Besitzstands- und Privilegienverteidiger. Insbesondere waren sie sich angesichts der geringen Steuerzahlungen in der Vergangenheit offensichtlich nicht klar
darüber, welche steuerlichen Vergünstigungen sie bei ihren Rückstellungen erhalten hatten. Auch die Regierung
Kohl hatte dies eingesehen und begonnen, dagegen anzugehen. Jetzt sind den Unternehmen von der jetzigen
Bundesregierung Fristen von bis zu zehn Jahren eingeräumt worden, damit sie sich auf eine Besteuerung einstellen können, die man vielleicht als normal bezeichnen
kann.
Wir haben gestern bei der OECD in Paris erfahren das finde ich richtig und wichtig -, daß es verantwortungslos ist, wenn kein gutes Haar am Standort
Deutschland gelassen wird. Dieser Produktionsstandort
ist attraktiv.
({1})
Zur Attraktivität zählt nicht nur die Besteuerung, sondern zählen alle wirtschaftlichen und sozialen Voraussetzungen für die Produktion. Dazu gehören eine gute
Infrastruktur, eine gute Ausbildung der Arbeitnehmer
und sozialer Friede. Die Zuspitzung der Diskussion auf
die Besteuerung der Industrie ist einäugig und eindimensional. Selbstverständlich beeinflußt das Steuersystem die Produktionsbedingungen in Deutschland, wie
wir alle wissen. Aber mit der Steuerpolitik allein läßt
sich hohe Arbeitslosigkeit eben nicht beseitigen. Daß
man das kann, ist ebenfalls eine Legende, die unsere
Vorgängerregierung gebildet hat. Die Steuerreform ist
keine Jobmaschine. Sie kann zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit nur einen Beitrag leisten.
Wer Finanzpolitik betreibt, darf die Haushaltspolitik
nicht vernachlässigen. Man kann die Steuersätze nur
verringern, wenn dadurch keine unvertretbaren Lücken
im Haushalt entstehen. Eine Senkung der Steuersätze
auf Pump verlagert die Lasten auf nachfolgende Generationen und ist unverantwortlich.
({2})
Eine Senkung der Steuersätze, die dazu führt, daß
notwendige Aufgaben des Staates nicht mehr wahrgenommen werden können, ist auch ungerecht. Der Staat
hat Aufgaben im Interesse der Wirtschaft, aber auch
zum Wohl der Bürgerinnen und Bürger zu erledigen,
Aufgaben, die notwendig sind und auch bei größten
Sparanstrengungen nicht einfach zurückgeführt und vernachlässigt werden können. Eine Vernachlässigung solcher staatlichen Aufgaben geht zum Beispiel zu Lasten
der Arbeitnehmer, Familien, Arbeitslosen und anderer
Gruppen der Bevölkerung. Eine Senkung der Steuersätze für Unternehmen mit solchen Auswirkungen kann
von uns nicht akzeptiert werden, übrigens, Herr Teufel,
auch nicht im Interesse der gewerblichen Wirtschaft
vor Ort. Wenn die Kommunen nicht mehr investitionsfähig sind, dann leiden darunter die kleinen und mittleren Betriebe sowie die Arbeitnehmer, die dort beschäftigt sind. Das ist die ökonomische Realität, mit der wir
uns auseinandersetzen müssen.
({3})
Ich habe mich gefreut, heute hier ein paar Zahlen, die
für einige von Ihnen vielleicht etwas überraschend waren, zu präsentieren. Es hat mir Spaß gemacht. Ich hoffe,
Ihnen auch.
Eine Bemerkung möchte ich noch an den grünen
Bündnispartner richten: Herr Kollege Schulz, der Bundeskanzler hat von dieser Stelle aus ein klares Wort zur
Energiepolitik und auch zur Braun- und Steinkohle gesagt. Daran ändert sich für die sozialdemokratische
Bundestagsfraktion nichts. Die Bergleute können sich
auf die Sozialdemokraten hier im deutschen Parlament
verlassen.
({4})
Ich gebe dem Abgeordneten Gunnar Uldall für die CDU/CSU-Fraktion
das Wort.
Herr Präsident! Meine
Damen und Herren! Unter dem vielen, was Herr Kollege
Poß gesagt hat, ist sicherlich ein richtiger Gedanke gewesen:
({0})
Die Verbreiterung der Bemessungsgrundlage muß immer im Zusammenhang mit der Senkung der Steuersätze
gesehen werden. Aber genau das tun Sie nicht, Herr
Poß. Sie verbreitern die Bemessungsgrundlage, ohne die
Steuersätze zu reduzieren.
({1})
Dies nennt man auf deutsch schlichtweg Steuererhöhung.
Nachdem die Sozialdemokraten die Bemessungsgrundlage verbreitert haben, versprechen sie jetzt vage,
die Steuern in der Zukunft zu senken. Sie sagen: Irgendwann wird es eine Senkung der Steuersätze geben.
Herr Poß, die Amerikaner haben einen Spruch, der lautet: „Buy now, pay later.“ Übersetzt: „Kauf jetzt, zahle
später.“ Sie drehen diesen Spruch um, indem Sie sagen:
Zahle heute, und wir sagen dir später, was wir dir dafür
liefern werden. - So darf man Finanzpolitik nicht betreiben, Herr Poß.
({2})
Wirtschaftsminister Müller hat dargestellt, daß er im
Laufe der Beratungen über das Steuergesetz mehrfach
unterschiedliche Berechnungen angestellt hat und mehrfach seine Haltung von Zustimmung in Ablehnung und
von Ablehnung in Zustimmung geändert hat. Das kritisiere ich überhaupt nicht. Es gehört zu einer Beratung,
daß man weitere Erkenntnisse gewinnt.
Was ich Ihnen aber vorwerfe, Herr Minister, ist, daß
Sie dieses Gesetz verabschiedet haben, ohne sich endgültig darüber im klaren zu sein, welche Folgen es haben wird. Das darf man nicht machen.
({3})
Durch eine Politik, die da heißt: „Wenn sich später irgendwelche negativen Effekte ergeben, werden wir eine
Nachbesserung vornehmen“, gefährden Sie Tausende
von Existenzen in Deutschland. Man muß deswegen
sehr vorsichtig mit dem sein, was man in ein Gesetz
schreibt.
({4})
Das, was Sie gemacht haben, Herr Müller, war falsch.
({5})
Herr Poß und Herr Müller haben davon gesprochen,
daß eine Entlastung notwendig ist. Ich glaube, dem
stimmen wir alle zu; darüber sind wir uns einig. Vage
für die Zukunft versprochen ist nach den jetzigen Papieren eine Senkung der Steuern im Jahre 2002 - zufällig
im Wahljahr - um 20 Milliarden DM. Gleichzeitig aber
steigt bis zum Jahr 2002 das jährliche Steueraufkommen
um 110 Milliarden DM. Das heißt: Sie senken die Steuern gar nicht, sondern nehmen eine Erhöhung nur nicht
in dem Maße vor, wie Sie es sonst getan hätten. Von
110 Milliarden DM Mehreinnahmen verbleiben 90 Milliarden DM beim Staat, und 20 Milliarden DM geben
Sie als Steuerermäßigung zurück. Das, meine Damen
und Herren, ist keine Steuersenkung, sondern lediglich
eine geringere Mehrbelastung. Es bleibt nach wie vor
bei einer satten Steuermehrbelastung für die Bürger.
Die negativen Folgen einer solchen Politik, mit einem
Hin und Her und mit vagen Versprechungen für die Zukunft, ohne zu sagen, was in der Zukunft tatsächlich
passieren wird, sind für jedermann erkennbar. Wir haben
im vergangenen Jahr in Deutschland ein Wachstum von
2,8 Prozent verzeichnet. Herr Ministerpräsident Teufel
hat dies vorhin dargelegt und hinzugefügt, daß das
Wachstum in Baden-Württemberg 4,1 Prozent betragen
hat. Herr Ministerpräsident, herzlichen Glückwunsch für
diesen großartigen Erfolg!
({6})
Wovon man hätte ausgehen müssen, ist, daß diese
Regierung nicht nur ein Wachstum von 2,8 Prozent erreicht, sondern eines noch darüber hinaus. Die deutsche
Wirtschaft befand sich schließlich auf dem Weg nach
oben. Insofern hätten aus diesen 2,8 Prozent auch
3,5 oder 4,0 Prozent, vielleicht sogar die 4,1 Prozent von
Baden-Württemberg werden müssen. Aber die Regierung selbst glaubt schon nicht mehr an solche Werte und
hat im Jahreswirtschaftsbericht gerade einmal ein
Wachstum von 2,0 Prozent angesetzt.
Wenn man der Meinung der Forschungsinstitute folgt
- sie sagen wahrscheinlich die bittere Wahrheit -, dann
werden die Ist-Ergebnisse noch darunter liegen.
({7})
Das DIW, wirklich kein der CDU oder der F.D.P. nahestehendes Institut, rechnet mit 1,4 Prozent, der Deutsche
Industrie- und Handelstag mit 1,5 Prozent und das Institut für Weltwirtschaft in Kiel mit 1,6 Prozent. Alle
diese Werte liegen deutlich unter dem Wert der Regierung in ihrer Prognose für dieses Jahr.
Das Schlimme daran ist aber, meine Damen und Herren, daß mit dieser Wachstumserwartung der Regierung
nie die Schwelle zur Einstellung neuer Mitarbeiter in
den Unternehmen überschritten werden wird. Deswegen
werden wir bedauerlicherweise erleben, daß statt eines
weiteren Aufbaus von Beschäftigung und einer weiteren
Abnahme der Arbeitslosigkeit in Deutschland bestenfalls eine Stagnation auf dem Arbeitsmarkt eintritt,
wahrscheinlich sogar eine weitere Erhöhung der Zahl
der Arbeitslosen.
({8})
Entsprechend schlecht ist auch die Stimmung in der
Wirtschaft insgesamt. Das ist von vielen Rednern ausführlich dargelegt worden. Deswegen möchte ich dies
nicht wiederholen.
Ich will aber darauf hinweisen, daß es auch Freude
über diese Entwicklung gibt, aber leider nicht in
Deutschland. Kürzlich hat die „FAZ“ berichtet, daß die
Verwaltungs- und Privatbank AG in Liechtenstein neben
ihrer ohnehin schon sehr satten Dividende eine Sonderdividende in Höhe von 4 Franken ausschütten möchte.
Diese Sonderdividende bezeichnet sie als „LafontaineEffekt“, weil auf Grund der falschen Wirtschafts- und
Finanzpolitik so viel Geld aus Deutschland abgeflossen
sei, daß eine Erhöhung der Dividende vorgenommen
werden könne. - Dies muß uns zum Nachdenken anregen und uns zeigen, daß wir diesen Weg so auf keinen
Fall weitergehen können.
Eines ist klar: Wenn alle am öffentlichen Meinungsbild in Deutschland Beteiligten - die Unternehmen, die
Gewerkschaften, die Medien und auch das Ausland - die
Wirtschaftspolitik dieser Regierung in höchstem Maße
gelobt hätten, dann wäre Oskar Lafontaine natürlich
nicht zurückgetreten. Insofern mögen die personellen
Querelen in der Bundesregierung wohl der Anlaß für
den Rücktritt gewesen sein. Die Ursache hierfür war
aber die fehlgeschlagene Politik. Dabei hat Lafontaine
nur das getan, was in den Parteiprogrammen und in der
Koalitionsvereinbarung steht. Er tat das alles unter der
Richtlinienkompetenz des Kanzlers.
Wir können festhalten: Gescheitert ist nicht ein einzelner Minister, sondern die Wirtschafts- und Finanzpolitik der gesamten Regierung. Der Verantwortliche für
dieses Chaos ist nach wie vor im Amt. Er heißt Bundeskanzler Schröder.
({9})
Meine Damen und Herren, wir müssen leider erkennen, daß die notwendigen zukunftsweisenden Konsequenzen von der Regierung im Jahreswirtschaftsbericht
nicht gezogen worden sind. Die rotgrüne Koalition
nimmt immer andere in die Pflicht. Für diejenigen Probleme, für die sie eigentlich selbst zuständig ist, wird
immer irgend jemand anderes in die Verantwortung genommen. So soll zum Beispiel das „Bündnis für Arbeit“
Arbeitsplätze schaffen. Die Europäische Zentralbank soll
über Zinssenkungen die Nachfrage beleben. Eine neue,
noch unbekannte Institution soll über eine Währungskoordination außenwirtschaftliche Gefahren abwenden,
und die EU soll die Beschäftigungspolitik vorantreiben.
Dahinter steht Methode: Man will immer einen anderen Schuldigen schon parat haben, wenn sich die Politik
der Bundesregierung als gescheitert herausgestellt hat.
Wenn man schon nach einem Schuldigen sucht, bevor
man mit dem Regieren überhaupt richtig begonnen hat,
dann ist das ein Zeichen dafür, daß man selber kein
Vertrauen in seine politischen Maßnahmen hat.
({10})
Ich kann nur sagen: Die letzte Gelegenheit, um die
Konsequenzen aus dieser gescheiterten Politik zu ziehen, ist die Abstimmung morgen im Bundesrat. Deswegen lautet mein Appell: Stimmen Sie, die Ministerpräsidenten, die der Sozialdemokratischen Partei angehören,
diesen verworrenen Gesetzen nicht zu! Tun Sie etwas
für die Konjunktur, tun Sie etwas für die Arbeitsplätze
in Deutschland!
({11})
Das Wort für die
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat die Kollegin Margareta Wolf.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen
und Herren! Herr Uldall, Sie unterliegen einem grundsätzlichen Mißverständnis. Sie haben gerade gesagt, wir
nähmen immer andere in die Haftung. Ein Beispiel dafür
ist für Sie das „Bündnis für Arbeit“. Das „Bündnis für
Arbeit“ ist Ausdruck einer von einer breiten gesellschaftlichen Schicht getragenen Verantwortungsdemokratie. In anderen Ländern, wie in den Niederlanden, ist
man damit sehr gut gefahren. Ihr „Bündnis für Arbeit“
ist gescheitert, weil Sie den Dialog mit der Wirtschaft
und mit den Gewerkschaften nicht mehr gesucht haben.
Wir wagen explizit einen Neuanfang.
({0})
Verehrter Herr Ministerpräsident, ich habe Sie in Indonesien als einen Mann des Stils und der Redlichkeit erlebt. Als ich heute Ihre Rede gehört habe, habe ich mir
gedacht: Vielleicht wäre es besser gewesen, Sie hätten
diese Rede im Juni oder im August letzten Jahres in diesem Hause gehalten. Um der Redlichkeit Genüge zu tun,
hätten Sie sagen müssen, daß wir vor vier Monaten die
Regierung mit einem Höchststand an Arbeitslosigkeit, mit
einem Höchststand an Abgaben auf Arbeit, mit einem
Höchststand an Staatsverschuldung und mit einer immensen Investitionszurückhaltung, die es damals auch im
Land Baden-Württemberg gab, übernommen haben.
({1})
Wenn es Ihnen um die Redlichkeit gegangen wäre, dann
hätten Sie als Vertreter der Christlich Demokratischen
Union auch etwas dazu sagen müssen, wie die Lage der
Familien war. Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts
ist für Ihre Regierung eine schallende Ohrfeige.
({2})
Das hier ständig inkriminierte Steuerentlastungsgesetz, das morgen den Bundesrat passieren wird, hat auf
jeden Fall eine Wirkung, die auch Sie positiv finden
müßten - es wäre schön gewesen, wenn Sie es erwähnt
hätten -: Es entlastet die Privathaushalte und die Familien um 2,5 Milliarden DM.
({3})
Sie reden immer nur über eine Entlastung bei der Wirtschaft. Man kann es nun wirklich nachlesen, wie die
Privathaushalte entlastet werden.
({4})
Noch eine Bemerkung zu Ihnen, Herr Brüderle: Sie
haben vorhin dem Wirtschaftsminister der Koalition
vorgeworfen - ({5})
- Wissen Sie, daß ich Sie schon einmal gefragt habe, ob
Sie keinen Friseur haben, der mit Ihnen redet? Sie quatschen den ganzen Tag dazwischen. Sagen Sie hier doch
einmal etwas wirklich Konstruktives!
({6})
Herr Brüderle, Sie haben vorhin gesagt, die Leitlinien
der Wirtschaftspolitik seien falsch. Wir debattieren
heute über den ersten Jahreswirtschaftsbericht der rotgrünen Bundesregierung. Jetzt nenne ich Ihnen einmal
ein paar Leitlinien dieses Jahreswirtschaftsberichtes und
möchte von Ihnen wissen, ob diese Leitlinien falsch
sind. Diese sind nämlich nicht falsch.
Frau Kollegin Wolf,
gestatten Sie vorher eine Zwischenfrage? - Bitte schön.
Frau Kollegin Wolf,
ich habe einen Friseur, mit dem ich sprechen kann.
Das ist schön für Sie!
Ich möchte Ihnen
aber eine Frage stellen, da Sie das Familienurteil aus
Karlsruhe angesprochen haben: Ist Ihnen bekannt, daß
der Steuerbescheid der Beschwerdeführer auf das Jahr
1983 zurückgeht? Das war gerade ein Jahr nach dem
damaligen Regierungswechsel. Von den Beschwerdeführern wurde in Karlsruhe ein Steuertatbestand beklagt,
der noch in die Regierungszeit der SPD zurückreichte.
Entschuldigen Sie, Herr Kollege, das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Urteil durchaus die
Belastung der Familien durch die Politik der letzten
16 Jahre beurteilt. Wenn wir uns hier immer wieder nur
vorhalten, daß der eine dies und der andere das gemacht
habe, aber nie eine Lösung suchen, dann kommen wir
nicht weiter.
({0})
Nein, es geht um die Politik, die Sie in den letzten 16
Jahren gemacht haben.
({1})
Herr Kollege Brüderle, man sollte in diesem Parlament tatsächlich kommunizieren. Auf Ihre Vorwürfe gegen den Jahreswirtschaftsbericht sage ich Ihnen, was
dort wirklich steht:
Erstens steht da:
Moderne Wirtschaftspolitik hat die Aufgabe, die
Rahmenbedingungen für wirtschaftliche Dynamik
und Beschäftigung zu verbessern.
Das ist richtig.
Zweitens steht da:
Dem Bedürfnis der Menschen nach sozialer Gerechtigkeit muß wieder Geltung verschafft werden.
Das ist ein ganz wichtiger Punkt vor dem Hintergrund
der Debatte um die Gerechtigkeitslücke.
Drittens steht da:
Deutschland muß offen für Innovationen und attraktiv für Investoren sein, um im internationalen
Wettbewerb leistungsfähig zu bleiben.
Die Sachverständigen schreiben seit Jahren, daß wir hier
erhebliche Defizite haben; ergo ist auch dieses richtig.
Viertens steht da:
Die ökologische Erneuerung muß vorangetrieben
werden.
Sie können nicht negieren, daß auch das richtig ist.
Weiter steht da:
Die Rolle des Staates muß neu definiert werden.
So geht es weiter. Sie haben es leider versäumt, den Bericht zu lesen.
({2})
- Entschuldigen Sie, es ist doch ein Gebot der intellektuellen Redlichkeit, wenn man einen diskursiven Politikstil pflegen will, nicht zu sagen, das sei alles Makulatur oder falsch. Es ist schlicht nicht falsch. Man kann
sich hinterher durchaus über die Instrumente streiten.
({3})
Aber, Herr Kollege Brüderle, das Ziel der rotgrünen
Bundesregierung ist eine Wirtschaftspolitik, die nicht
Besitzstandswahrung und Egoismus befördert, sondern
Solidarität und Eigenverantwortung. Ich bin der Meinung, daß der Jahreswirtschaftsbericht keine der tatsächlich sehr schwierigen Herausforderungen, vor denen
Politik steht, ausblendet. Wir haben es mit hoher Arbeitslosigkeit und dem Problem zu tun, daß die sozialen
Sicherungssysteme nicht mehr das Vertrauen bei der
Bevölkerung haben und ihre Finanzierung in Frage
steht. Wir haben es tatsächlich auch mit einem angenommenen maximalen Wirtschaftswachstum von 2 Prozent im Jahr 1999 zu tun.
({4})
- Seien Sie so freundlich - ich bin eine Frau, Sie sind
ein Mann -: Halten Sie einmal für fünf Minuten den
Mund.
({5})
Uns geht es darum, die Verbesserung der Angebotsbedingungen mit einem Zugewinn an Sicherheit und
Teilhabe für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer
zu verknüpfen. Unsere Wirtschaftspolitik sieht sich der
Bürgergesellschaft verpflichtet. Wir wollen die RahMargareta Wolf ({6})
menbedingungen für mehr Freiheit und Eigenverantwortung in diesem Lande verbessern. Wir wollen eine
Brücke zwischen Kapital und Arbeit bauen.
({7})
- Das ist überhaupt kein Blabla!
({8})
- Wie heißen Sie überhaupt, sehr verehrter Herr Kollege?
({9})
Sie sind wirklich unmöglich.
Die Wirtschaftspolitik der letzten 16 Jahre, meine
verehrten Kolleginnen und Kollegen, und auch die Politik der 80er Jahre in Frankreich sind für uns Appell genug, um uns auf eine intelligente Mischung von Angebots- und Nachfragepolitik zu verständigen. Die Erfahrungen mit Ihrer Regierung, aber auch die Erfahrungen
in Frankreich sind Anlaß genug, um endlich aus den
Gräben herauszukommen und im Interesse von wirtschaftlichen strukturellen Reformen tatsächlich ein
Policy-Mix in diesem Land zu machen.
({10})
Ich sprach schon davon: Wir verfolgen einen dialogorientierten und verantwortungsorientierten Politikansatz, Herr Kollege Uldall. Dafür steht das „Bündnis für
Arbeit“. Es ist für mich - so verstehe ich es - ein Ort, an
dem abgeklärt wird: Wer hat welche Pflichten? Wer
übernimmt welche Aufgaben? Es ist auch ein Ort des
Gebens und Nehmens. Es ist ein Ort, an dem der Strukturwandel in Deutschland besprochen werden kann.
Uns geht es um die Erneuerung der sozialen Marktwirtschaft. Aber wir wollen dies nicht durch Spaltung
der Gesellschaft und zu Lasten künftiger Generationen
erreichen. Uns geht es auch um die wirtschaftliche Konkurrenzfähigkeit. Dies steht alles auf einem Niveau und
hat gleichwertigen Charakter.
Ich möchte noch kurz auf den BDI zu sprechen
kommen.
({11})
Frau Kollegin Wolf,
gestatten Sie noch eine Zwischenfrage?
Nein, jetzt gestatte ich keine Zwischenfrage, weil ich jetzt erst einmal auf den BDI zu sprechen
kommen möchte.
Der BDI hat in den letzten Jahren - wie manche Verbandsvertreter - den Standort Deutschland - so habe ich
es empfunden - des öfteren schlechtgeredet. Ich kann
nur an den BDI appellieren, dieses nunmehr zu unterlassen; denn nicht umsonst hat schon die alte Bundesregierung einen Standortbeauftragten eingesetzt, der sich um
verstärkte Investitionen des Auslands in Deutschland
bemühen mußte.
Wenn der BDI - der BDI ist Teilnehmer am „Bündnis für Arbeit“ und übernimmt dort auch gesellschaftspolitische Verantwortung - letzte Woche im „Handelsblatt“ verlauten ließ - es handelte sich um ein Eckpunktepapier zur Unternehmensteuerreform -:
Neue, die Wirtschaft belastende Gegenfinanzierungsmaßnahmen durch den Abbau von Sondertatbeständen und Steuervergünstigungen darf es nach
Auffassung des BDI nicht geben…
dann kann ich nur sagen: Vor dem Hintergrund der angesprochenen Staatsverschuldung, vor dem Hintergrund
der OECD-Studie, die wir gerade hinlänglich diskutiert
haben, vor dem Hintergrund der Tatsache, daß die Kapitalgesellschaften nur 8 Prozent zum gesamten Steuereinkommen beitragen - das ist die niedrigste Quote in
Gesamteuropa; sie ist wesentlich niedriger als die in den
USA -, und angesichts der schmalen Bemessungsgrundlage, die wir heute haben und die verantwortlich
dafür ist, daß die Großunternehmen wenig Steuern gezahlt haben und wenig zum Steueraufkommen beitragen,
die kleinen Unternehmen aber sehr viel, muß der BDI
sich unter dem Stichwort „Verantwortung“ überlegen,
ob es verantwortbar ist, heute zu sagen, daß die Bemessungsgrundlage nicht verbreitert werden darf.
Ich kann im Hinblick auf die Gesamtverantwortung
nur schärfstens an den BDI appellieren, von dieser Position zurückzurudern, weil das „Bündnis für Arbeit“ nur
dann funktionieren wird, wenn sich alle in ihm auch
verantwortlich zeigen für eine wirtschaftliche Entwicklung in Deutschland, die gleichzeitig mit Gerechtigkeit
einhergeht.
Danke schön.
({0})
Das Wort für die
F.D.P. hat der Kollege Paul Friedhoff.
Herr Präsident! Meine
sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen
und Kollegen! In diesen Tagen ist ja sehr häufig von
einem Neuanfang der rotgrünen Bundesregierung die
Rede, vom Willen des Bundeskanzlers Schröder, mit
der wirtschaftsfeindlichen Politik seines ehemaligen
Finanzministers zu brechen. Darauf haben auch viele
Leute eine gewisse Hoffnung gesetzt. Ich muß sagen:
Die heutige Debatte hat mich in dieser Richtung sehr
enttäuscht. Herr Müller, Sie haben eben im Grunde genommen gesagt: Es bleibt alles, wie es ist. Da ändert
sich überhaupt nichts.
({0})
Wenn ich Herrn Poß richtig verstanden habe, dann
zahlen die Unternehmen in Deutschland sowieso schon
die niedrigsten Steuern, so daß man da also auch nichts
Besonderes machen muß. Ich glaube, das ist völlig verkehrt und geht an der Realität vorbei.
({1})
Margareta Wolf ({2})
Die Realität ist so, daß die Erwartungen der Märkte
hoch sind. Es wird ja nicht umsonst von einer „Lafontaine-Lücke“ gesprochen, davon, daß sich die Finanzmärkte anderswo anders entwickeln als bei uns. Dies
ist eine Realität, auf die man einmal hinweisen muß.
Das paßt alles nicht so ganz zusammen. Wenn der
Rest der Welt vielleicht noch nicht gemerkt hat, wie
toll es hier ist, bleibt nur eines: Wir müssen es ihnen
zeigen.
Ich bin fest davon überzeugt: Wenn jetzt das wirtschaftspolitische Ruder nicht herumgeworfen wird, dann
wird sich diese Lafontaine-Hausse auf Grund seines
Rücktritts - der DAX hat innerhalb von drei Tagen immerhin um 7 Prozent angezogen - in eine SchröderBaisse umwandeln.
Der Verband Deutscher Maschinen- und Anlagenbau hat vor wenigen Tagen seine Wachstumsprognose
revidiert. Vor sechs Monaten, im Oktober 1998, hatte
der VDMA im Bereich des Maschinenbaus noch mit
einem Wachstum von 2 Prozent gerechnet. Jetzt prognostiziert er Stagnation. Stagnation würde bedeuten, daß
die Zahl der Arbeitslosen weiter wächst, wie dies schon
seit dem Amtsantritt der rotgrünen Regierung der Fall
ist.
Das Baugewerbe hat zu Beginn dieser Woche bekanntgegeben - Rainer Brüderle hat dies eben schon
erwähnt -, daß es 1999 mit einem Verlust von etwa
50 000 Arbeitsplätzen allein im Bauhauptgewerbe rechnet. Der Präsident des Zentralverbandes nennt als Ursache - ich darf wörtlich zitieren -:
Die Bundesregierung betreibt eine Politik, die Investitionen geradezu verhindert.
Warum äußern die Verbände eine solche Meinung? Erkennen sie etwa die Realität nicht? Sie sollten darüber
wenigstens nachdenken.
Die Botschaft an die Adresse der Bundesregierung ist
eindeutig: Ihre Wirtschaftspolitik gegen den Markt muß
sofort beendet werden. Wenn Produkte mit einem hohen
Arbeitskostenanteil und Dienstleistungen am Wirtschaftsstandort Deutschland nicht konkurrenzfähig sind,
dann geraten Arbeitsplätze und Wohlstand in unserem
Land in Gefahr. Deshalb müssen die Angebotsbedingungen in Deutschland verbessert werden, vor allem
bei den Arbeitskosten. Deshalb muß man Ausgaben
begrenzen und darf nicht, wie Sie es tun, einfach die
Einnahmen durch Umfinanzierung auf andere Art
hereinholen.
({3})
Diese Tatsache haben die Altlinken von SPD und
GRÜNEN noch nie begriffen und werden sie wohl auch
nie begreifen.
({4})
Politiker wie Lafontaine interpretieren die Wirtschaft
immer noch als böse und raffgierige Erscheinungsform
des Kapitalismus, den es zu bekämpfen gilt. Diesen
Standpunkt hat Lafontaine in seiner Abschiedserklärung
noch einmal sehr anschaulich gemacht, als er den Vergleich von dem Herzen und der Börse anstellte. Wenn
man in einer solchen Gedankenwelt lebt, darf man sich
nicht wundern, wenn das Ergebnis eine falsche Politik
ist.
({5})
Herr Kollege Friedhoff, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin
Skarpelis-Sperk?
Immer.
Lieber Herr
Kollege Friedhoff, Sie haben vorhin die Konjunkturaussagen und Prognosen des VDMA und der deutschen
Bauwirtschaft zitiert. Sind Sie bereit, sich zu erinnern,
daß sich der VDMA in seiner Erklärung, warum seine
Erwartungen zur Konjunkturentwicklung gedämpft sind,
auf die Situation der Exportwirtschaft bezogen hat?
Können Sie erläutern, was die Bundesregierung, insbesondere der Bundesfinanzminister und der Bundeswirtschaftsminister, zur Rußland-Krise, zur Brasilien-Krise
und zur Ostasien-Krise in diesem Punkte beigetragen
haben? Oder sind Sie bereit, zuzugeben, daß überwiegend weltwirtschaftliche Entwicklungen zu der jetzigen
Situation beigetragen haben?
Sind Sie ferner bereit, zur Kenntnis zu nehmen - Sie
können dies in den Berichten der Bauwirtschaft der
letzten Jahre nachlesen -, daß die öffentlichen und privaten Investitionen, insbesondere die öffentlichen, in
den letzten acht Jahren kontinuierlich massiv abgenommen haben und daß sich deswegen die deutsche Bauwirtschaft beim Bundeswirtschaftsminister und beim
Bundesfinanzminister bitterlich beklagt hat? Sind Sie also bereit, Ihre wirtschaftliche Bewertung nicht nur auf
die letzten vier Monate, sondern auf die vergangenen
drei oder vier Jahre zu beziehen?
Ich bin immer dazu bereit, wenn Sie mir belehrende Worte sagen. Wenn man
auf diese Punkte hingewiesen wird, wird der Wissensstand erweitert.
Ich habe Ihnen nur vorgelesen, was der Präsident des
Zentralverbandes als Ursache genannt hat. Er hat wörtlich gesagt - ich zitiere ihn noch einmal -:
Die Bundesregierung betreibt eine Politik, die Investitionen geradezu verhindert.
Ich vermute, er hat nicht die alte Bundesregierung, sondern die neue Bundesregierung gemeint.
({0})
Was die von Ihnen angesprochenen Krisen angeht Herr Uldall ist vorhin schon darauf eingegangen -, so
kann ich mich daran erinnern, daß vor vier Monaten in
Asien, aber auch in Rußland nicht alles in Ordnung war.
Das ist nicht plötzlich über uns gekommen, sondern das
hat eine lange Entwicklung. Ich vermute, daß die MenPaul K. Friedhoff
schen klug genug gewesen sind und das vor vier Monaten ebenfalls berücksichtigt haben. Seitdem hat sich die
Situation aber noch einmal verschlechtert: nicht im
Ausland, sondern bei uns. Hinzugekommen sind also
hausgemachte Ursachen, für die Bundeskanzler Schröder die Verantwortung trägt.
({1})
Darüber müssen wir hier reden, und deswegen ist es
Ihnen auch peinlich, daß Sie heute morgen dagegengestimmt haben, daß hier über den Rücktritt des Finanzministers debattiert werden kann. Also tun wir es an dieser
Stelle.
({2})
Die Wirtschaftspolitik unter Lafontaine bestand aus
einem Gemisch aus sozialistischem Umverteilungsdrang
und keynesianischen Theorieresten; die reine Lehre hat
er ja auch nicht vertreten. Manches davon ist auch nach
Lafontaine geblieben. So dauert der Versuch der Bundesregierung an, Großunternehmen und Mittelstand gegeneinander auszuspielen; das haben wir heute morgen
auch wieder von Ihnen gehört. Die rotgrüne Koalition
sucht den billigen Applaus, indem sie verkündet, den
Großen nun einmal richtig die Daumenschrauben anzulegen.
Entgegen allen Beteuerungen: Ihre Politik entlastet
den Mittelstand nicht, sondern sie belastet ihn.
Wenn die rotgrüne Bundesregierung an der ökonomischen Wahrheit interessiert wäre, erklärte sie den Menschen, daß unser Land das Nebeneinander von Groß-,
Mittel- und Kleinbetrieben dringend braucht. Sie würde
deutlich machen, daß die Großunternehmen ein Drittel
der Arbeitnehmer beschäftigen, die Hälfte der Wertschöpfung erzeugen und zu unverzichtbaren Auftraggebern gerade für viele kleine und mittlere Betriebe gehören.
({3})
Sie helfen dem Mittelstand also nicht, wenn Sie die
Großunternehmen aus dem Land jagen, indem Sie ihnen
so schlechte Rahmenbedingungen geben, daß sie ihre
Möglichkeiten nutzen und aus dem Land gehen. Das ist
ein Bumerang; die Folgen muß anschließend der Mittelstand tragen.
Es wirft kein gutes Licht auf Ihren Willen zur Veränderung, Herr Minister Müller, daß Sie den Jahreswirtschaftsbericht nicht schleunigst haben überarbeiten lassen. Glauben Sie mir, in Ihrem Ministerium gibt es exzellente Leute, die das liebend gern gemacht hätten.
({4})
Aber statt dessen atmet der Bericht nach wie vor die
Ideen von Lafontaines Staatssekretär Flassbeck, dessen
Lieblingsidee fester Wechselkurszielzonen international irgendwo zwischen Lachnummer und Absurdität
eingeordnet wird.
Die deutsche Wirtschafts- und Finanzpolitik ist international in eine vollständige Isolation getrieben worden.
Dafür trägt auch der Bundeskanzler die Verantwortung,
denn er bestimmt die Richtlinien der Politik. Bundeskanzler Schröder trägt die politische Verantwortung für
den jetzigen Scherbenhaufen in der deutschen Wirtschafts- und Finanzpolitik.
Wenn es einen Neuanfang in der Wirtschaftspolitik
geben soll, dann müssen die eklatanten Fehler der ersten
Monate schleunigst revidiert werden. Herr Wirtschaftsminister, das könnte jetzt Ihre Stunde sein, wenn Sie dafür kämpften, daß das Steuererhöhungsgesetz der Koalition neu beraten wird. Jetzt haben Sie die Chance!
Die Wirtschaftspolitik der Bundesregierung, meine
Damen und Herren, braucht in der Tat einen Neuanfang.
Dazu gehört auch eine finanzierbare Energieversorgung, die Planungssicherheit bietet. Chaos und Verunsicherung in der deutschen Energiepolitik haben bereits
einen Namen: Trittin. Bundeskanzler Schröder hat dazu
gesagt, er wolle „mehr Fischer und weniger Trittin“. In
den Betrieben unseres Landes wird aufmerksam beobachtet werden, ob Kanzler Schröder weniger Trittin
wirklich durchsetzen kann. Nach meiner Meinung wäre
es das Beste, er würde ihn ganz einfach rauswerfen.
({5})
Wirtschaftsminister Müller hat in den nächsten Wochen die Chance, einiges von dem verlorenen Vertrauen
der Märkte in den Wirtschaftsstandort Deutschland zurückzugewinnen. Dafür muß er sich aber das nötige Instrumentarium wieder verschaffen. Das Wirtschaftsministerium muß sein früheres ordnungspolitisches Wächteramt zurückgewinnen und gegenüber Finanzministerium und Kanzleramt zur alten Stärke zurückfinden.
({6})
Als erster Schritt sollten die ins Finanzministerium
überführten Abteilungen umgehend in das Bundeswirtschaftsministerium zurückverlagert werden:
({7})
Grundsatzabteilung, Europaabteilung und bei der Gelegenheit am besten auch gleich die Abteilung Geld und
Kredit. Der neue Finanzminister und frisch abgewählte
Ministerpräsident von Hessen wird ohnehin genug damit
zu tun haben, um den Augiasstall bei Steuer und Haushalt auszumisten.
Auf die Funktion des Wirtschaftsministeriums als
marktwirtschaftliches Leuchtfeuer der Bundesregierung
kann in diesen Monaten weniger denn je verzichtet werden. Das gilt auch nach dem Abgang von Oskar Lafontaine. Denn Bundeskanzler Schröder selbst hat offenbar
nur sehr unklare Vorstellungen von moderner Wirtschaftspolitik; sonst würde er stärker auf die Wettbewerbsfähigkeit deutscher Unternehmen setzen und
nicht auf korporatistische Rezepte von gestern, die im
globalen Wettbewerb sicher überhaupt keine Chance
mehr haben.
Nicht daß wir uns falsch verstehen, meine Damen
und Herren: Auch die Gespräche mit Verbänden über
ein Bündnis für Arbeit oder ähnliches können hilfreich
sein, und wir begrüßen sie. Aber Arbeitsplätze werden
nicht an diesen runden oder eckigen Tischen herbeidiskutiert, sondern müssen in den Betrieben geschaffen
werden, insbesondere in den kleinen und mittleren Betrieben. Das wiederum geht nur, wenn es dort Aufträge
gibt. Und dort gibt es nur Aufträge, wenn man wettbewerbsfähig ist. Das hat bei kleinen und mittleren Betrieben eine ganze Menge mit den Arbeitskosten zu tun.
Meine Damen und Herren, ich komme zum Schluß.
Die Glaubwürdigkeit der deutschen Wirtschafts- und
Finanzpolitik ist seit dem Amtsantritt der rotgrünen
Bundesregierung schwer erschüttert.
({8})
Der Ruf einer soliden, seriösen Wirtschaftspolitik ist dahin.
({9})
Die sogenannte nachfrageorientierte Wirtschaftspolitik
von Finanzminister Lafontaine hat die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft verschlechtert
({10})
und bereits Tausende von Arbeitsplätzen vernichtet.
Jetzt müssen die Trümmer dieser Wirtschaftspolitik entschlossen beiseite geräumt werden, um den Schaden
wenigstens zu begrenzen.
Ich danke Ihnen.
({11})
Die Kollegin Ulrike
Mehl gibt Ihre Rede zu Protokoll.*) Das Haus ist damit
einverstanden.
Jetzt hat der Kollege Schwanhold von der SPD-Fraktion das Wort.
Herr Präsident! Meine
sehr verehrten Damen und Herren! Es ist gut, daß die
Debatte um den Jahreswirtschaftsbericht sich nicht aus-
schließlich um Steuerfragen kümmert, weil Wirtschafts-
politik etwas anderes ist, als sich nur über Steuern zu
unterhalten.
Dieser Jahreswirtschaftsbericht legt die Prognose für
das Jahr 1999 und die Ziele wirtschaftlicher Entwick-
lung für 1999 fest. Das ist in realistischer und nüchterner
Weise geschehen. Anders als in früheren Berichten wird
diesmal darauf verzichtet, die Situation schönzureden.
Vielmehr wird von einer realistischen Wachstumsrate
von 2 Prozent ausgegangen, die wir noch immer errei-
chen können und für die wir uns angesichts der Risiken,
die wir auf den internationalen Märkten haben, anstren-
gen sollten.
*) Anlage 2
Es gibt ein paar Ausgangsparameter, die wir nicht
vergessen dürfen.
Erstens. Die Vorgängerregierung hat uns die höchste
Staatsverschuldung hinterlassen, die die Bundesrepublik Deutschland jemals hatte.
Zweitens. Wir haben eine exorbitant hohe Arbeitslosigkeit, die zu bekämpfen unser allererstes Ziel sein
muß. Ursache auch dafür ist die falsche Wirtschaftsund Finanzpolitik der Vorgängerregierung, die mindestens in den Instrumenten nicht richtig gepolt gewesen
ist.
Drittens. Wir haben enge Vorgaben des europäischen
Stabilitätspaktes. Die Einführung des Euro ist insgesamt eine gelungene Maßnahme. Sie setzt uns in haushaltspolitischer Sicht allerdings enge Grenzen.
Viertens. Wir haben eine krisenhafte Entwicklung in
wichtigen Wirtschaftsregionen dieser Erde. Stichwortartig seien der fernöstliche Markt, die GUS-Nachfolgestaaten, aber auch die kränkelnde Wirtschaft in Lateinamerika genannt.
Vor diesem Hintergrund 2 Prozent Wachstum zu erreichen ist eine wichtige Aufgabe, die gestellt werden
muß und die wir lösen müssen. Die Senkung der Eingangssteuersätze und alles, was wir in der Steuerreform
gemacht haben, gibt wichtige Impulse für die Nachfrage.
Wenn die Exportwirtschaft krankt, muß man wenigstens
die Binnennachfrage dagegensetzen.
Das allein reicht aber nicht. Wir brauchen eine europäisch abgestimmte Wachstumspolitik, die nur im Konzert, in der Verabredung der europäischen Länder zu
machen ist. Wir brauchen eine zweite Stufe der Steuerreform; sie wird folgen. Diese Unternehmensteuerreform beinhaltet ein Paket an Maßnahmen zur Senkung
der Lohnnebenkosten unter 40 Prozent und zur Schaffung einer rechtsformunabhängigen Unternehmensteuer;
Ziel ist ein Satz von 35 Prozent. Dies alles sind Signale,
die jetzt schnell gegeben werden müssen, damit die
Wirtschaft Rahmendaten für die nächsten Jahre bekommt. Sie kann sich darauf verlassen, daß sie diese erhält, wenn die Expertenkommission, die durch Fachleute
der Wirtschaft in besonderem Maße ergänzt worden ist,
ihren Bericht vorlegt.
({0})
Die Stimmung in der Wirtschaft ist zum gegenwärtigen Zeitpunkt schlecht; wer wollte das leugnen. Aber Ihr
Gerede hat natürlich nur ein Ziel, nämlich diese Stimmung zu verschlechtern. Ihnen geht es in Wahrheit nicht
um die Lage der Wirtschaft und nicht um Wachstum,
sondern Ihnen geht es in Wahrheit ausschließlich darum,
die Lage schlechter zu reden, als sie ist.
({1})
Sie ist in der Tat gut, nur die Stimmung muß verbessert
werden.
Wir benötigen Investitionsanreize, damit die Hoffnungen auf diesen Standort verstärkt werden und die
mittelständische Wirtschaft ihren Investitionsattentismus
aufgibt. Deshalb war das Signal der ersten Steuerreform,
die mittelständische Wirtschaft zu entlasten, richtig. Ich
hoffe, wir können in der Unternehmensteuerreform noch
etwas draufsatteln, damit die Investitionstätigkeit von
dieser Seite wieder angeregt wird.
Über den Kurs der ausgewogenen Verbesserungen
von Angebots- und Nachfragebedingungen für die Unternehmen und Arbeitnehmer hinaus müssen besonders
die Mittelstandspolitik, die Innovationspolitik, die Europa- und Geldpolitik sowie die Außenpolitik ihre Beiträge für Wachstum und Beschäftigung leisten. Auch dies
steht begrüßenswerterweise im Einklang mit dem aktuellen Jahreswirtschaftsbericht.
Der Mittelstand bedarf als Hauptträger von Arbeitsund Ausbildungsplätzen über verbesserte Rahmenbedingungen hinaus spezieller Aufmerksamkeit durch eine
kohärente und übersichtliche Mittelstandsförderung.
Wir müssen die Förderung der kleinen und mittleren
Unternehmen und die Existenzgründungen auf wenige,
aufeinander abgestimmte Programme konzentrieren und
vereinfachen. In diesem Zusammenhang muß es auch zu
einer tragfähigen und klaren Aufgabenabgrenzung zwischen den Förderbanken, der Deutschen Ausgleichsbank
und der Kreditanstalt für Wiederaufbau, kommen.
Richtigerweise unterstreicht übrigens das Bundeswirtschaftsministerium die zentrale Bedeutung des Mittelstandes auch in seinem aktuellen Haushaltsplan. Für
den Bereich Technologie- und Innovationspolitik werden 2,2 Milliarden DM zur Verfügung gestellt.
Wir benötigen eine bessere Eigenkapitalausstattung
der kleinen und mittleren Unternehmen, zunächst einmal
durch eigenen Ertrag, aber auch mit gezielter Hilfe
durch das Eigenkapitalhilfeprogramm. Dieses Programm
muß erhalten und seine Finanzierungsmöglichkeit in
Zukunft gestärkt werden.
Wir müssen den Zugang zur selbständigen Tätigkeit
im Handwerk erleichtern. Der Große Befähigungsnachweis bleibt Voraussetzung, aber wir müssen uns schon
einmal anschauen, warum gerade unterhalb des Meisterbetriebes soviel Schwarzarbeit passiert und wie wir diesen Teil wieder in den ersten Arbeitsmarkt integrieren
können. Wenn es dort Hemmnisse gibt, müssen wir darüber nachdenken, wie wir sie abbauen können.
({2})
Wir müssen den Bereich der Schattenwirtschaft auch
im Dienstleistungssektor zu einem Teil des ersten Arbeitsmarktes entwickeln. Dazu gehören kleine Arbeitsverhältnisse, die im Zweifelsfalle auch subventioniert
sein können. Die Senkung der Lohnnebenkosten und
die weitere Senkung der Eingangsteuersätze sind allerdings eine wesentliche Voraussetzung dafür, daß bei einem geringeren Bruttoeinkommen ein ausreichender
Nettobetrag bleibt.
Der Bereich des Tourismus wird bei uns erstaunlicherweise noch immer unterschätzt. Hier arbeiten inzwischen 2,2 Millionen Menschen. Es ist eine Wachstumsbranche, die es zu stärken gilt. Dabei haben zunächst einmal die Betriebe ihre Chancen wahrzunehmen.
Aber wir haben auch von seiten des Staates den Tourismusstandort Bundesrepublik Deutschland attraktiver zu
machen und ihn insbesondere weltweit besser zu vermarkten.
({3})
Aus- und Weiterbildung müssen gerade im Bereich
der mittelständischen Wirtschaft verstärkt werden. Es
darf für uns als rohstoffarmes Industrieland keine
Wachstumsgrenzen dadurch geben, daß Qualifizierung
fehlt. Meine Damen und Herren, es ist doch Ihr Versäumnis, daß Unternehmen zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht wachsen können, weil es nicht ausreichend
Ingenieure gibt. Sie haben in der Ausbildung in der Vergangenheit falsche Schwerpunkte gesetzt. Das ist in den
letzten vier Monaten nicht zu korrigieren gewesen. Da
gibt es in weiten Bereichen Wachstumsgrenzen.
({4})
Die so verbesserten wirtschaftlichen Rahmenbedingungen schaffen finanzielle und andere Freiräume für
Modernisierung und für innovative Investitionen. Hiervon ausgehend sind zusätzlich zielgerichtete, arbeitsplatzschaffende Offensiven für Innovationen in neue
Produkte, Prozesse und Strukturen notwendig. Ziel ist
es, neue Märkte im Bereich neue Werkstoffe, aber auch
in den Bereichen des Umweltschutzes, der Telekommunikation, der Informations- und Kommunikationstechnologie, der Luft- und Raumfahrt, der Bio- und Gentechnologie und der Dienstleistungen auszuschöpfen.
Die Unternehmen müssen ihre Forschungsinvestitionen
erhöhen. Dankenswerterweise wird genau hier ein
Schwerpunkt gesetzt. Der Wissenstransfer von Forschungseinrichtungen in die Unternehmen, insbesondere
in den mittelständischen Bereich, muß gestärkt werden,
damit wir endlich wieder aus Grundlagenforschung Produkte und Arbeitsplätze schaffen. Allein hier liegt ein
Potential brach, welches uns im Arbeitsmarkt deutlich
nach vorne bringen könnte.
Wir haben also auch hier Defizite der Vergangenheit
aufzuholen. Auch da sind Ihre Versäumnisse durchaus
spürbar.
Ich möchte hinzufügen, daß die Förderung von erneuerbaren Energien ebenso wie Energieeinsparung
ein wichtiges Potential für Handel, Handwerk und für
dezentrale Dienstleistungen ist, was zu einem Arbeitnehmerpotential führt, das in den nächsten Jahren sicherlich deutlich über die Hunderttausendergrenze hinausgeht. Wir müssen diesen Bereichen eine Markteinführungshilfe gewähren.
Zur Geld- und Europapolitik möchte ich einige Bemerkungen machen, die Sie sicherlich nicht sonderlich
erfreuen werden. Zunächst zur Europapolitik: Trotz der
Krise der Kommission bleibt die deutsche EUPräsidentschaft solide und auf gutem Kurs. Die Koordinierung der Wirtschaftspolitik im europäischen Maßstab
ist übrigens das natürliche Spiegelbild der Europäischen
Währungsunion, die eine Vereinheitlichung fordert. Dies
muß die zweite Seite der gleichen Medaille sein. Die
Basis für eine gute Koordinierung ist ein vernünftiger
Rahmen. Daran wird gearbeitet.
Ferner ein Hinweis zur europäischen Geldpolitik:
Unbestrittenes Hauptziel der Geldpolitik ist die GeErnst Schwanhold
währleistung von niedrigen Inflationsraten. Dort allerdings, wo währungspolitischer Spielraum vorhanden ist,
muß eine verantwortungsbewußte Geldpolitik konjunktur- und arbeitsmarktpolitische Gesichtspunkte mit berücksichtigen. Ein solcher stabilitätspolitischer Spielraum ist mit einer Zuwachsrate der Verbraucherpreise
im Euro-Raum von voraussichtlich nur knapp über
1 Prozent im Jahre 1999 durchaus gegeben. In Teilbereichen gibt es erste deflationäre Tendenzen. Hier lohnt es
sich, anstatt zu kaufen, Geld zu horten. Dies führt nicht
zum Entstehen von Arbeitsplätzen.
In dieser Situation gilt es, dem Gründungsstatut der
Europäischen Zentralbank zu entsprechen. Letzteres
besagt - ich zitiere -:
Soweit dies ohne Beeinträchtigung des Zieles der
Preisstabilität möglich ist, unterstützt die EZB die
allgemeine Wirtschaftspolitik in der Gemeinschaft.
Dies muß allerdings auch erwartet werden.
Meine Damen und Herren, wir benötigen eine Absicherung auf der außenwirtschaftlichen Flanke, die zum
gegenwärtigen Zeitpunkt Gefährdungen ausgesetzt ist.
Wir müssen der mittelständischen Wirtschaft helfen,
auch diesen Bereich für sich selbst zu erarbeiten. Aus
einer gezielten Außenwirtschaftspolitik, aus einer Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit auf der Angebotsseite
der mittelständischen Wirtschaft, aus einem intelligenten
Technologietransfer und aus der Öffnung des Dienstleistungssektors lassen sich jene Arbeitsplätze der Zukunft
schaffen, die wir so dringend benötigen.
({5})
Das Wort für die
CDU/CSU-Fraktion hat die Kollegin Dagmar Wöhrl.
Herr Präsident! Meine
Damen und Herren! Herr Minister Müller, Sie könnten
heute ein sehr zufriedenes Gesicht machen. Sie konnten
an diesem Tag Oskar Lafontaines Rede zum Jahreswirtschaftsbericht halten, obwohl Sie als Wirtschaftsminister
eigentlich gar nicht zuständig sind. Sie können jetzt nach
Brüssel fahren und dort die Finanzgespräche leiten,
({0})
obwohl Sie aller Zuständigkeiten auf europapolitischem
Gebiet beraubt worden sind. Außerdem können Sie in
einem Land herumreisen, in dem seit Oskar Lafontaines
Rücktritt wieder eine hoffnungsvolle Stimmung
herrscht.
Aber diese Hoffnung trügt: Das Chaos und die Überforderung der Regierung sind nämlich noch nicht beendet. Das Auswechseln von nur einer einzigen Person genügt nicht. Notwendig wäre ein vollständiger Kurswechsel, ein Kurswechsel auf ganzer Linie.
({1})
Meine Damen und Herren, die Verantwortung für das
Chaos, das momentan herrscht, trägt derjenige, der nach
unserem Grundgesetz für die Richtlinien der Politik zuständig ist und der sie bestimmt, nämlich der Bundeskanzler. Alle verabschiedeten Gesetze tragen seine Unterschrift. Er war es, der den Finanzminister gewähren
ließ. Eine konzeptionslose Steuerreform wurde auf diese
Weise trotz hektischer, ewig währender Dauerreparaturen zu einem enormen Belastungsgesetz für unsere Bürger und Bürgerinnen.
Es ist der Bundeskanzler, der durch seinen ständigen
Meinungswechsel das Chaos im Zusammenhang mit den
630-Mark-Jobs herbeigeführt hat. Es ist die rotgrüne
Bundesregierung unter Gerhard Schröder, die die Bürgerinnen und Bürger mit einer Ökosteuer drangsalieren
will. Und auf Weisung des Bundeskanzlers wird die
noch bestehende rotgrüne Bundesratsmehrheit morgen
die entsprechenden Gesetze absegnen. Ich glaube, man
sieht, wer hier für diese Pannen, für diesen Murks und
für diese Pleiten verantwortlich ist, nämlich derjenige,
der in dieser Bundesregierung die Verantwortung trägt.
Das ist der Bundeskanzler.
({2})
Wo bleiben denn die vielen neuen Arbeitsplätze, die
so vollmundig vor der Wahl versprochen worden sind?
Sicher sind Konsensgespräche nützlich.
({3})
Aber was wir brauchen, ist ein klares Konzept. Wo ist
denn dieses klare Konzept? - Es fehlt. Ein Medienspektakel, das hier teilweise in großem Rahmen inszeniert
wird, hilft uns hier nicht weiter.
({4})
Wie sieht es denn bei unseren Nachbarn aus? Erfolgreiche Bündnisgespräche haben dort immer eine ganz
wichtige Grundlage gehabt, nämlich eine moderate
Lohnpolitik. Bei uns will die Gewerkschaftsseite darüber überhaupt nicht reden. Das wurde überhaupt nicht
in die Gespräche einbezogen. Darüber hinaus haben wir
einen Kanzler, der hier einseitig Partei ergreift, der die
jüngsten Tarifabschlüsse für angemessen hält. Wir wissen ganz genau, daß diese Tarifabschlüsse nicht dazu
beitragen werden, daß zukünftig neue Arbeitsplätze geschaffen werden können.
Wir haben jetzt ein sogenanntes Steuerentlastungsgesetz, von dem wir alle wissen, daß es ein Steuerbelastungsgesetz ist - und das nicht nur für die Großunternehmen, sondern gerade auch für den Mittelstand. Da
nützen auch alle Ihre Rechenkünste nichts, die Sie in
allen möglichen Facetten und Darstellungen immer wieder unter Beweis stellen.
({5})
Allein bei der Besteuerung der Energieversorger haben
Sie sich mal so eben nebenbei um ein paar Milliarden
DM verrechnet. Angesichts dieser immensen FehlertoleErnst Schwanhold
ranzen kann man sicher sein, daß auch in der Bilanz für
den Mittelstand aus einem Plus ganz schnell ein Minus
wird.
Bei dem Thema Unternehmensteuerreform versuchen Sie, die Unternehmen und die Betriebe zu vertrösten. Aber Sie täuschen sie auch. Auf der einen Seite
verspricht der Bundeskanzler den deutschen Unternehmen irgendwann einmal in der Zukunft eine deutliche
Senkung der Unternehmensteuern; auf der anderen Seite
wird ein Arbeitskreis „Unternehmensteuerreform“ eingesetzt, der bis Ende April Ergebnisse erzielen soll, aber
diese Ergebnisse sollen ohne Nettoentlastung sein.
({6})
Auf das bloße, vage Versprechen werden die Betriebe
nicht reagieren, und sie werden auch in Zukunft nicht
darauf bauen.
({7})
Im Jahreswirtschaftsbericht heißt es: Deutschland
muß wieder für Investoren attraktiv werden. Aber nach
den vielen Fehlern, nach den vielen Schnellschüssen, die
Sie sich bis jetzt geleistet haben, ist vom Interesse der
Investoren nicht mehr viel zu spüren. Wir stehen heute
nach einer sehr kurzen Zeit von nur fünf Monaten vor
einem immensen Trümmerhaufen. Das ist phantastisch,
wie Sie das geschafft haben;
({8})
das muß Ihnen erst einmal einer nachmachen, in fünf
Monaten ein solches Chaos in der Wirtschafts- und
Finanzpolitik anzurichten.
Unser Land fällt wirtschaftlich zurück. Letztes Jahr
hatten wir noch ein Wachstum von fast 3 Prozent. Für
das erste Vierteljahr 1999 sagt das DIW ein Wachstum
von 0 Prozent voraus; ich wiederhole: 0 Prozent. In den
ersten zehn Monaten des Jahres 1998 haben wir es geschafft, die Arbeitslosenzahl um 1 Million zu reduzieren. Was haben Sie geschafft? In der kurzen Zeit, in der
Sie an der Regierung sind, hat sich die Arbeitslosenzahl
um fast 500 000 erhöht. Das sind Fakten. Leider ist es
auch Fakt, daß wir keinen Aufschwung mehr haben,
sondern daß wir inzwischen einen Abschwung haben.
Das geht auf Ihr Konto, meine Damen und Herren in der
Bundesregierung, und auf das Konto dieses Bundeskanzlers.
({9})
Wir brauchen eine konsequente Politik der sozialen
Marktwirtschaft. Es sind die altbekannten Ziele, die
wir anstreben müssen: Stabilität des Preisniveaus, hoher
Beschäftigungsstand, außenwirtschaftliches Gleichgewicht und stetiges Wirtschaftswachstum. Aber was machen Sie daraus? Der Bundeskanzler hat es geschafft,
aus diesem magischen Viereck ein ökonomisches Bermudadreieck zu machen.
Beispiel Stabilität: Früher wurde die Stabilitätspolitik der Deutschen Bundesbank europaweit als Vorbild
angesehen. Heute sind wir so weit, daß wir den Euro vor
dieser Bundesregierung schützen müssen. Der Euro hat
im Vergleich zu seinem offiziellen Referenzkurs zu Jahresbeginn 7 Prozent an Wert verloren. Wo bleibt denn
das klare Signal eines Bundeskanzlers, daß er im deutschen und im europäischen Interesse auf einen starken
Euro Wert legt?
Was wir brauchen, sind nachhaltige Reformen - auch
bei den Sozialversicherungen - statt der Umverteilungspolitik, wie sie momentan gemacht wird. Was wir
brauchen, sind flexiblere Arbeitsmärkte. Was wir nicht
brauchen, sind Arbeitsplatzvernichtungsprogramme.
Schnellschüsse wie die Regelungen zu den sogenannten
630-Mark-Jobs oder der sogenannten Scheinselbständigkeit werden nach hinten losgehen. Sie werden das
sehen, schon in kürzester Zeit. Aber das Wichtigste, was
wir brauchen, ist ein Bundeskanzler, der sich wirklich
um unsere Arbeitslosen Sorgen macht
({10})
und sich darum kümmert, daß Arbeitsplätze geschaffen
werden, der eine gute Politik für unser Land macht und
dem dies wichtiger ist als seine persönliche Selbstdarstellung.
Vielen Dank.
({11})
Für die SPDFraktion gebe ich das Wort dem Kollegen Christian
Müller ({0}).
Herr Präsident!
Meine sehr geehrten Damen und Herrn! Frau Wöhrl, Sie
beschreiben mit einer gewissen Genüßlichkeit die Reisen, die Herr Bundeswirtschaftsminister Müller demnächst machen kann. Ich hätte nicht geglaubt, daß wir in
diesem Hause so weit sind, daß ein hart arbeitender Minister auf diese Art und Weise als ein Vergnügungsreisender abgestempelt wird. Das ist neu.
Ich empfehle im übrigen, die Zahlen zur Arbeitslosigkeit etwas exakter zu formulieren. Ich hätte es viel
besser gefunden, wenn Sie erwähnt hätten, daß diese
Bundesregierung ein Programm für 100 000 Jugendliche
auf den Weg gebracht hat, was sehr gut angenommen
wird. Damit ist uns wahrscheinlich mehr gedient als mit
dem Erwähnen der Zahl von 500 000 zusätzlichen Arbeitslosen, die nicht mit der Politik der jetzigen Regierung im Zusammenhang steht.
({0})
Der Kollege Schwanhold hat dankenswerterweise auf
die Realitätsbezogenheit dieses Jahreswirtschaftsberichtes hingewiesen. Dem will ich hinzufügen, daß sich
dieser Bericht zur gemeinsamen Verantwortung von Finanz-, Lohn- und Wirtschaftspolitik für Wachstum und
Beschäftigung bekennt. Dies erfordert auch Konsens.
Deswegen ist das Bündnis für Arbeit so wichtig. Der
Kollege Gysi ist deshalb im Irrtum, wenn er meint, es
handele sich dabei lediglich um eine Veranstaltung zur
Ausgabe von Befehlen seitens der Verbände. Zum einen
sitzen auch die Gewerkschaften mit am Tisch, zum anderen ist das ganze Vorhaben viel zu wichtig für das,
was wir gemeinsam vorhaben.
({1})
Das anzunehmende zweiprozentige Wirtschaftswachstum - Orakeleien sollte man beiseite lassen - ist
wohl eine realistische Zahl; die Risiken sind benannt.
Sicher ist es zu gering, insbesondere aus der Sicht der
neuen Bundesländer. Denn - darin sind wir uns wohl
einig - die Stärkung der Wirtschaftskraft in den neuen
Ländern bleibt das Kernproblem, auch aus volkswirtschaftlicher Sicht. Dies ist die eigentliche Aufgabe, die
zu lösen ist.
Nach den jüngsten Prognosen fällt das Wachstum für
1999 im Osten etwas stärker aus als im Westen. Das ist
zu begrüßen; denn nur mit einem über dem gesamtdeutschen Durchschnitt liegenden Wachstum ist ein Aufholprozeß überhaupt möglich und gibt es eine Chance
für eine Entwicklung zu einem selbsttragenden Aufschwung.
({2})
Dabei ist seit geraumer Zeit eine in mehrfacher Hinsicht differenzierte Entwicklung zu beobachten. Einer
sichtbar dynamisch verlaufenden Entwicklung im verarbeitenden Gewerbe als einer inzwischen bestimmenden sektoralen Antriebskraft - deren Wertschöpfung
nahm im vergangenen Jahr immerhin um 12 Prozent zu;
wie man den jüngsten Berichten entnehmen kann, ist
binnen Jahresfrist ein Auftragsplus von 13,7 Prozent
entstanden - steht nach dem sehr deutlichen Wechsel
der Antriebskräfte der Entwicklung in den letzten Jahren
die äußerst schwierige Situation der Bauwirtschaft in ihrer strukturellen Anpassungskrise gegenüber. Das gilt
auch dann noch, wenn sich die Baukonjunktur in diesem
Jahr etwas besser entwickelt, als zu erwarten war. Der
nach wie vor große Modernisierungsbedarf und die vorhandenen Fördermöglichkeiten in Ostdeutschland tragen
dazu jedenfalls bei.
Die Bundesregierung versucht sinnvollerweise, mit
der Aufstockung des Finanzrahmens von zwei Programmen einer möglichen Verschlechterung der Situation gegenzusteuern. Das KfW-Infrastrukturprogramm wird um 2 Milliarden DM auf insgesamt 7 Milliarden DM aufgestockt. Dadurch wird eine Absicherung
von insgesamt 47 000 Arbeitsplätzen am Bau erwartet.
Ich halte das nicht für eine Kleinigkeit.
Die Mittel für das KfW-Wohnraum-Modernisierungsprogramm werden - nachdem dessen Befristung
bis 1998 unter der alten Bundesregierung aufgehoben
worden ist - um weitere 5 Milliarden DM aufgestockt.
Damit liegt dieses Fördervolumen bei insgesamt
75 Milliarden DM.
({3})
Die Entwicklung nicht nur in den städtischen Gebieten
- vor allem in den neuen Bundesländern - wird somit
positiv beeinflußt.
Auf die Einschränkung der Steuervergünstigungen
für Gebäude in Sanierungsgebieten, in städtebaulichen
Entwicklungsbereichen und für Baudenkmäler ist verzichtet worden. Dadurch wird auch weiterhin privates
Kapital in die Stadterneuerung fließen, was nötig ist und
worauf wir größten Wert legen.
Auch der genossenschaftliche Wohnungsbau wird
gestärkt - so, wie das in unserem Wahlprogramm versprochen worden ist. Im Steuerentlastungsgesetz wird
auf eine gesetzliche Fixierung des Selbstnutzungsvorbehaltes für die genossenschaftliche Förderung im Rahmen
des Eigenheimzulagengesetzes verzichtet. Das ist gut für
die Genossenschaften.
Aber es gibt deutlicher werdende Unterschiede in
der regionalen Entwicklung der neuen Länder. Die
Zahl der ostdeutschen Arbeitsmarktregionen mit einer
deutlich günstigeren Entwicklung nimmt zu. Zu ihnen
gehört - nicht unerwartet - in zunehmendem Maße das
Umfeld der großen Städte. Demgegenüber wird deutlich,
daß die eher ländlich geprägten strukturschwachen Regionen, ganz besonders auch die Grenzregionen, nicht
aufholen konnten. Es entsteht damit das aus den alten
Ländern bekannte und leider gewohnte Bild des Gegensatzes zwischen Ballungsräumen und mehr oder weniger
ausblutenden Randregionen.
Daher ist es zu begrüßen, daß die Bundesregierung
die Gemeinschaftsaufgabe zur „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“ als maßgeblichen Beitrag
zur Förderung der Wirtschaft in den neuen Ländern ansieht, und zwar ohne Kürzungen der Mittel, wie dies in
den letzten Jahren stets der Fall war.
({4})
Allerdings ist angesichts der bleibenden Notwendigkeit
des Nachteilsausgleichs für den Osten an sich und der
zunehmenden inneren Differenzierung innerhalb der
neuen Länder anzumerken, daß die derzeitigen Haushaltsansätze für die Gemeinschaftsaufgabe auch künftig
ohne Abstriche erhalten bleiben müssen.
Eine erfolgreiche Regionalentwicklung ist ohne
Zweifel eine Angelegenheit mit vielen Facetten. In
strukturschwachen Regionen fällt diese Entwicklung
ganz besonders schwer. Neben politischem Willen benötigt man ohne Zweifel ein Mindestmaß an finanziellen
Mitteln. Gelingen kann die Regionalentwicklung aber
nur, wenn es genügend regionale Akteure gibt, die dies
wollen und in der Lage sind, über den eigenen Kirchturm hinauszudenken. Daran fehlt es im übrigen nicht zu
selten.
({5})
Befördert werden kann eine solche Entwicklung aber
auch durch ressortübergreifendes Handeln. Deshalb begrüße ich ausdrücklich, daß im Zusammenhang mit der
Forschungs- und Technologieförderung das im JahresChristian Müller ({6})
wirtschaftsbericht erwähnte Fördermodell Innoregio
aufgelegt wird. Es ist dem Ziel verpflichtet, das ich ausdrücklich teile, nämlich an forschungs- und technologieorientierten Entwicklungspolen in den schwachen
Regionen - ich betone: in den schwachen Regionen Ostdeutschlands anzusetzen und deren Entwicklung
modellhaft voranzubringen.
({7})
Daß dieser gute Ansatz des Forschungs- und Bildungsministeriums in enger Abstimmung mit dem Wirtschaftsministerium verfolgt werden soll, läßt mich hoffen, daß es gelingen kann, durch eine enge Verzahnung
mit der Gemeinschaftsaufgabe Effekte zu erzielen, die
solche Modellregionen gegenüber den Ballungsregionen
stärker voranbringen, als dies üblicherweise erwartet
werden kann.
({8})
Hier wäre auch darüber nachzudenken, ob nicht angesichts der Entwicklungsprobleme ganzer Regionen Ostdeutschlands, die sicherlich die Hälfte der dort wohnenden Bevölkerung umfassen, ressortübergreifende Ansätze überhaupt der richtige Weg sind, um Rahmenbedingungen für eine bessere Entwicklung dieser Regionen zu
schaffen. Das ist in den letzten Jahren stets versäumt
worden.
Ich denke, in diesen Ansatz gehören die schon erwähnten Fördermaßnahmen für kleine und mittlere
Unternehmen. Ich will nicht wiederholen, was Kollege
Schwanhold vorhin schon dargestellt hat. Ich will lediglich noch erwähnen, daß in diesen Rahmen auch die
wiederaufgelegte Forschungskooperation für mittelständische Unternehmen gehört, die Ihre Regierung im letzten Herbst eingestellt hatte.
Vielen Dank, meine Damen und Herren.
({9})
Ich schließe die
Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 14/334 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-
verstanden? - Das ist der Fall. Damit ist die Überwei-
sung so beschlossen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 13 a und 13 b auf:
a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur
Änderung des Finanzausgleichsgesetzes
- Drucksache 14/487 Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuß ({0})
Rechtsausschuß
Haushaltsausschuß mitberatend und gemäß § 96 GO
b) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Eingliederung der Schulden von Sondervermögen
in die Bundesschuld
- Drucksache 14/513 Überweisungsvorschlag:
Haushaltsausschuß ({1})
Ausschuß für Angelegenheiten der neuen Länder
Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an
die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu
überweisen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der
Fall. Damit sind die Überweisungen so beschlossen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 14 a bis 14 d auf.
Es handelt sich um die Beschlußfassung zu Vorlagen, zu
denen keine Aussprache vorgesehen ist.
Tagesordnungspunkt 14 a:
Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung ({2}) zu der Unterrichtung durch
die Bundesregierung
Mitteilung der Kommission
Anpassung und Förderung des Sozialen Dialogs auf Gemeinschaftsebene
Entwurf für einen Beschluß des Rates zur Änderung des Beschlusses 70/532/EWG zur Einsetzung des Ständigen Ausschusses für Beschäftigungsfragen der Europäischen Gemeinschaften
- Drucksachen 14/74 Nr. 2.12, 14/392 Berichterstattung:
Abgeordnete Leyla Onur
Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Die
Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist angenommen.
Tagesordnungspunkt 14 b:
Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses ({3})
Sammelübersicht 22 zu Petitionen
- Drucksache 14/462 ({4}) Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer
enthält sich? - Die Beschlußempfehlung ist damit angenommen.
Tagesordnungspunkt 14 c:
Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses ({5})
Sammelübersicht 23 zu Petitionen
- Drucksache 14/463 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Einige
enthalten sich. - Damit ist die Beschlußempfelung angenommen.
Christian Müller ({6})
Tagesordnungspunkt 14 d:
Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses ({7})
Sammelübersicht 24 zu Petitionen
- Drucksache 14/464 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer
enthält sich? - Damit ist die Beschlußempfehlung angenommen.
Ich rufe Zusatzpunkt 4 auf:
Aktuelle Stunde
auf Verlangen der Fraktion der F.D.P.
Rücktritt des Bundesfinanzministers Oskar
Lafontaine und Festhalten der Bundesregierung an ihren Steuergesetzen
Dazu eröffne ich die Aussprache und erteile das Wort
dem Kollegen Solms, F.D.P.-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir sahen
uns genötigt, die Aktuelle Stunde zu beantragen,
({0})
weil Sie heute morgen in der Geschäftsordnungsdebatte
abgelehnt haben, zu einem doppelt einmaligen Vorgang
in der Geschichte dieses Hauses Stellung zu nehmen.
({1})
Es kann doch nicht wahr sein, daß der wichtigste Minister Ihrer Regierung den Bettel hinschmeißt, davonläuft,
sich der Verantwortung entzieht und die Bundesregierung und die sie tragenden Fraktionen nicht bereit sind,
im Deutschen Bundestag darüber zu debattieren. Das ist
ein ausgesprochen einmaliger Vorgang, der nicht akzeptiert werden kann. Wir hätten gern auf diese Aktuelle
Stunde verzichtet, wenn Sie die Großmütigkeit gehabt
hätten, darüber zu diskutieren. Nun müssen wir uns leider auf diese Weise damit befassen, was eigentlich nur
ein Hilfsmittel ist.
({2})
Meine Damen und Herren, Herr Lafontaine ist mitten
in der wichtigsten Phase der Verantwortung eines deutschen Finanzministers davongegangen: mitten in den
Beratungen des Haushalts, mitten in der Präsidentschaft
der Europäischen Union und mitten in nicht abgeschlossenen Steuerberatungen und -verfahren, die erst morgen
im Bundesrat abgeschlossen werden sollen. Schon allein
das halte ich für unverantwortlich; aber wenn jemand
sagt, Pflichterfüllung sei eine Sekundärtugend, darf
einen das nicht wundern. Für mich ist Pflichterfüllung
- natürlich in Richtung auf die richtigen Ziele - eine
Primärtugend und eine wichtige Tugend.
({3})
Wir in der Politik haben eine Vorbildfunktion in
Deutschland; wir müssen als Vorbilder auftreten und
können uns nicht so schamlos der Verantwortung entziehen.
Nun will „Der Spiegel“ Ihnen helfen und propagiert:
„Schröders zweite Chance“. Meine Damen und Herren,
wo soll denn da die zweite Chance liegen? Lafontaine ist
gegangen; die Politik wird genau so weitergemacht.
({4})
Die Chance könnte doch nur darin liegen, daß jetzt ein
Neuanfang in der Politik gemacht wird. Aber die Wähler, die Ihnen zur Mehrheit verholfen haben, sind nun
doppelt betrogen: Lafontaine ist angetreten, um den Beziehern von kleinen Einkommen zu helfen - er hat viele
Steuergeschenke versprochen -, und hat sich nun davongestohlen; Schröder ist angetreten, um der Neuen
Mitte zu helfen, macht aber die Lafontainesche Politik
weiter, die auf Kosten der Neuen Mitte geht.
({5})
Das kann doch keine Botschaft für die Menschen in diesem Lande sein.
Ich möchte mit zwei kurzen Zitaten einmal daran erinnern, was Lafontaine und Schröder auf dem Sonderparteitag der SPD nach der gewonnenen Bundestagswahl gesagt haben. Lafontaine sagte:
Wir haben jetzt eine klare Vereinbarung, liebe Genossinnen und Genossen, die heißt: Die Regierung Schröder kann nur Erfolg haben, wenn Parteivorsitzender und Kanzler, wenn Kanzler und
Parteivorsitzender zusammenarbeiten und sich
nicht, von wem auch immer, auseinanderdividieren
lassen.
({6})
Schröder sagte:
Diese Form der Zusammenarbeit, dieses Zusammenstehen in schwierigen Zeiten, das ist keine
Eintagsfliege; das wird dauern.
({7})
Das war die Basis unseres Wahlerfolges, und das
wird die Basis des Erfolges unserer Regierung sein,
liebe Genossinnen und Genossen. Deshalb ganz
persönlich, lieber Oskar: Laß sie bellen. Die Karawane zieht weiter.
({8})
Die Karawane ist im Sandsturm steckengeblieben.
Was wir jetzt haben, ist nur noch Sand im Getriebe.
({9})
Was sind denn nun die Ergebnisse? Wie wirken sie
sich aus? Wenn Herr Poß heute erklärt, die deutschen
Unternehmen würden im Vergleich zu anderen Ländern
ganz niedrig besteuert, darf man sich ja nicht wundern,
daß Sie eine Politik machen, mit der die Unternehmen
abkassiert werden. Das ist die logische Schlußfolgerung
aus einer solchen Auffassung. Daß aber gleichzeitig Tausende von Unternehmen jedes Jahr über die
Vizepräsidentin Anke Fuchs
Wupper gehen - Sie können es ja jeden Tag in der Zeitung lesen -,
({10})
ist der Beweis dafür, daß eine solche Politik unverantwortlich ist.
({11})
Den abgewählten Ministerpräsidenten Eichel dazu zu
verpflichten, diesen falschen Gesetzen morgen im Bundesrat über die Hürde zu helfen, ihn dann aber zum Finanzminister zu machen! Was soll das für eine Botschaft
sein? Er war ja ohnehin nur der Lautsprecher von Lafontaine und hat keine eigenen Beiträge zur Finanzpolitik geleistet, so daß daraus wieder keine Hoffnung entstehen kann.
Morgen stehen das „Steuerbelastungsgesetz“, das
630-Mark-Gesetz und die Ökosteuer zur Abstimmung;
bedauerlicherweise haben Sie das Gesetz über die
Scheinselbständigkeit schon verabschiedet. Mir ist nicht
verborgen geblieben, daß in Ihren Fraktionen aufgeregte
Diskussionen darüber stattgefunden haben, was Sie damit angerichtet haben. Es wäre eben besser - das habe
ich in der letzten Debatte schon gesagt -, erst einmal
nachzudenken, bevor Sie handeln. Die Politik nach dem
Motto „Erst entscheiden und hinterher nachdenken“
muß in die Irre führen. Aber Sie scheinen nicht belehrbar zu sein.
({12})
Sie scheinen das weitermachen zu wollen. Jedenfalls
werden Sie mit Ihrem Scheinselbständigkeitsgesetz viele
selbständige Existenzen in den Ruin treiben: Unternehmensberater, Handels- und Versicherungsvertreter
Herr Kollege, denken Sie an die Zeit?
ich komme zum
Schluß, Frau Präsidentin -, Musikerzieher, Kurierdienste, Speditionen, Werbeagenturen, Softwarespezialisten, Ingenieur- und Architekturbüros und überall in der
Neuen Mitte. Das haben Sie dann zu verantworten; dafür
haben Sie sich zu rechtfertigen.
Es nützt und hilft nichts, in den Medien gut aufzutreten und teure und wertvolle Anzüge vorzuführen.
Menschlich habe ich zwar Verständnis dafür;
({0})
aber als Bundeskanzler hat man eine andere Aufgabe
wahrzunehmen.
Herr Kollege, Ihre
Redezeit ist zu Ende.
Als Bundeskanzler muß man die Richtlinien der Politik so bestimmen, daß sie im Interesse der Bürger wahrgenommen
werden.
Vielen Dank.
({0})
Das Wort hat nun
die Kollegin Nicolette Kressl, SPD-Fraktion.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Es hat
sich im Laufe der heutigen Diskussion wieder gezeigt,
daß es nicht sehr einfach ist, mit Ihnen über die Sache zu
reden. Es scheint Ihnen sehr leicht zu fallen, reine Polemik zu betreiben. Ich kann verstehen, daß Ihnen im
Moment Ihre Polemik über Ihren Frust, weil Sie Ihre
alte Klientelpolitik nicht mehr fortsetzen können, hinweghilft.
({0})
Deshalb erlauben Sie mir, ein paar grundsätzliche Bemerkungen über Ihr parlamentarisches Selbstverständnis
im Zusammenhang mit Ihrem Antrag zur heutigen Aktuellen Stunde zu machen.
Welches grundsätzliche parlamentarische Selbstverständnis steckt denn hinter Ihrem Antrag? Sie tun so, als
hätten nicht gewählte Abgeordnete in diesem Parlament
über ein Gesetz beraten und es beschlossen. Wir verstehen parlamentarische Arbeit und parlamentarisches
Selbstverständnis so, daß wir uns mit den Fakten auseinandersetzen. Das haben wir im Ausschuß getan. Sie haben das nicht getan, sondern nur mit Geschäftsordnungsdebatten gearbeitet.
({1})
Wir haben in den Anhörungen, die es gegeben hat, Kritik angenommen und umgesetzt. Das muß so sein. Das
gehört auch zu unserem parlamentarischen Selbstverständnis. Nach den Anhörungen haben wir uns für ein
Gesetz entschieden. Wenn wir uns für ein Gesetz entscheiden - hier spreche ich für alle meine Kolleginnen
und Kollegen in der Fraktion -, dann hängt das nicht
von einem Minister oder einer Ministerin ab - bei allem
Respekt vor Regierungsmitgliedern -, sondern davon,
daß wir uns nach einer ordentlichen Diskussion für dieses Gesetz entschieden haben. Deshalb verstehe ich Ihr
parlamentarisches Verständnis, das Sie mit diesem Antrag offenbaren, gar nicht.
({2})
Es mag ja sein, liebe Kolleginnen und Kollegen von
der Opposition, daß Sie Ihr parlamentarisches Selbstverständnis mit der Person eines Ministers verknüpft haben.
Für uns zählen die parlamentarischen Entscheidungen, die es gegeben hat.
({3})
Eine weitere Anmerkung zu Ihrem parlamentarischen
Selbstverständnis. Ich habe erlebt, daß Sie in den Beratungen, die wir im Finanzausschuß geführt haben, Ihre
Rolle als Opposition nicht wahrgenommen haben, die
natürlich auch kritische Anmerkungen erfordert. Sie sind
sozusagen als Filiale der Interessenlobby im Ausschuß
aufgetreten.
({4})
Was haben Sie gemacht, als wir über Zahlen und Berechnungen diskutiert haben? Sie haben die Briefe der
Interessenverbände herausgeholt und die darin enthaltenen Zahlen wortwörtlich abgelesen, anstatt sich um ordentliche Berechnungen zu kümmern. Wir haben tagelang und seitenweise erlebt, wie Sie einfach nur die
Briefe der Interessenverbände vorgelesen haben. In diesem Zusammenhang möchte ich Sie auf einen Bericht,
der vor zwei Tagen in der „Süddeutschen Zeitung“ erschienen ist, hinweisen, in dem unsere Berechnungen für
richtig erklärt wurden und deutlich wurde, daß auch offensichtlich Sie diese Berechnungen kannten. Trotzdem
hat niemand aus Ihren Reihen gegen das eigene Steuerkonzept protestiert, weil niemand damit rechnen mußte,
daß es Wirklichkeit wird.
({5})
Ich habe den Eindruck, Herr Rauen, daß es Ihnen
nicht um die Sache, sondern zum Schluß nur noch um
Destruktion ging, ohne die Interessen der Menschen und
des Standortes zu berücksichtigen.
({6})
- Herr Thiele, Sie sagen: Reden Sie einmal zum Thema.
Es ist ein besonderer Witz, wenn Sie so etwas sagen.
Wir reden darüber, daß Sie etwas außer Kraft setzen
wollen, was im Rahmen eines ordentlichen parlamentarischen Verfahrens im Bundestag verabschiedet worden
ist. Darum geht es hier tatsächlich. Darüber sollten wir
reden.
Ich möchte auch noch einen inhaltlichen Hinweis geben. Wenn Sie so tun, als sei alles furchtbar, dann haben
Sie offensichtlich nicht die Tatsache verkraftet, daß es
jetzt eine Mehrheit gibt, die eine andere Richtung will,
nämlich daß auch Familien und Arbeitnehmer entlastet
werden. Das ist die richtige Richtung. Es tut mir leid,
wenn Sie das nicht akzeptieren können. Diese Mehrheit
haben wir im übrigen auch dafür bekommen, in der
Steuerpolitik andere Schwerpunkte zu setzen.
({7})
Ihr Kollege Koppelin hat noch nach dem Beschluß
des Verfassungsgerichts hier gesagt, die Erhöhung des
Kindergeldes sei ein Geschenk. Ich frage mich wirklich,
wo Ihr politischer Sachverstand geblieben ist und Ihr
Verständnis für das, was in diesem Lande vor sich geht.
({8})
Wir halten die Entscheidungen, die wir hier getroffen
haben, für die richtige Ausgangsbasis, die Struktur der
Unternehmensteuern zu verbessern - die Struktur nämlich ist es, die daneben ist - und die Entlastung der Familien, die Sie über Jahre hinweg vorzunehmen versäumt haben, endlich auf den Weg zu bringen.
Eines noch als Anmerkung zu vorhin: Der Beschluß
des Verfassungsgerichts bezieht sich nicht auf das Jahr
1983. Er macht vielmehr deutlich, daß Sie bis zum jetzigen Zeitpunkt die Freibeträge über Jahre hinweg zu
niedrig angesetzt haben.
Frau Kollegin, wir
sind in der Aktuellen Stunde.
Ich weiß. - Weil dies die
richtige Ausgangsbasis für weitere Verbesserungen im
Bereich der Steuersystematik ist, können wir überzeugt
und selbstbewußt sagen: Die Entscheidungen waren
richtig. Dazu stehen wir noch immer.
({0})
Nun erteile ich dem
Kollegen Hans Michelbach, CDU/CSU-Fraktion, das
Wort.
Sehr geehrte Frau
Präsidentin! Meine Damen und Herren! Gestern habe
ich durch eine Telefonhotline die Sorgen unserer Bürger
erfahren können.
({0})
90 Prozent der Anrufer haben sich bitter über das rotgrüne Regierungsdesaster, die negativen Auswirkungen
auf den Arbeitsmarkt und den wirtschaftspolitischen
Kurs beklagt. Das negative Meinungsbild hat ein Anrufer mit der Frage auf den Punkt gebracht: Von welchen
Hallodris wird unser Land jetzt eigentlich regiert?
({1})
Es wundert mich nicht, wenn die Leute draußen denken, dem Ansehen der Politik und unserem Land werde
schwerer Schaden zugefügt. Wo sind wir, meine Damen
und Herren dieses Hohen Hauses, heute inzwischen hingekommen? Der Bundesfinanzminister wird zum Kabinettsflüchtling und pervertiert seinen Amtseid zur Terrassenveranstaltung von Saarbrücken. Der BundeskanzNicolette Kressl
ler degeneriert zum Pfau eines Life-Style-Magazins unter der Überschrift „Smart, Smilie, Windei“.
({2})
- Ich kann nur feststellen: Eitelkeit ist das sicherste
Kennzeichen des Dilettanten; das ist eine alte Weisheit.
- Der Umweltminister erklärt das rotgrüne Regierungsprojekt für tot. Der Wirtschaftsminister wird zunächst
wirtschaftspolitisch kastriert und avanciert dann zum
Superversprechungsminister. Der neue Traumkandidat
Eichel ist schon heute das genaue Gegenteil von Wirtschaftsdynamik.
({3})
Sie haben keine neuen Einfälle. Sie haben nur politische
Ausfälle.
({4})
Meine Damen und Herren, dieses Regierungskunststück taugt nur noch für die Lach- und Schießgesellschaft, nicht für unsere Menschen, nicht für unsere Arbeitsplätze und nicht für dieses Land. Sie machen Politik
gegen den Willen unserer Bürger. Von niemandem werden Sie wirklich ernst genommen. Niemand glaubt Ihnen mehr, schon gar nicht in der Steuerpolitik. Wenn
alle Reformprojekte im Chaos münden, wenn Sie die
mittelständischen Betriebe überfordern, wenn Sie als
makroökonomische Geistertruppe auftreten, dann schadet dies unserem Land und führt in die Wirtschaftskrise.
Auch eine starke Volkswirtschaft kann durch schlechte
Regierungsarbeit in die Krise geführt werden. Niemand
kann bei dieser gemeinwohlwidrigen Politik Schadenfreude empfinden. Aber morgen im Bundesrat in großer
Hast den Wahlverlierer Eichel für die Steuergesetze geradezu zu mißbrauchen ist ein Angriff auf den demokratischen Anstand in diesem Land, meine Damen und Herren.
({5})
Das ist der Gipfel der Arroganz der Macht. Das ist ein
Handstreich gegen den Willen der Bürger und der
Wähler, ein Novum in der deutschen Nachkriegsgeschichte, eine politische Willfährigkeit ohne Beispiel.
Das negative Meinungsbild zeigt die große Enttäuschung über die verpaßte Chance zu einer grundlegenden Steuerreform mit einer echten Nettoentlastung und
mit Steuervereinfachungen. Ziehen Sie Ihre Steuergesetze zurück! Ihre selbstgesteckten Ziele werden in keiner
Weise erreicht: Entlastung der Bürger, Bekämpfung der
Arbeitslosigkeit, Förderung von Wachstum und Beschäftigung, Vereinfachung des Steuerrechts - alles
Fehlanzeige. Statt dessen kommen auf die Bürger in
Deutschland massive Steuererhöhungen zu.
({6})
Wir haben es mit einem Kaufkraftmärchen zu tun.
Man muß sich das einmal vorstellen: Wir haben auf
Grund der Erhöhung des Kindergeldes und der Tarifsenkung eine Entlastung von 6,7 Milliarden DM. In der Gegenfinanzierung Ihres Finanztableaus sind 3,7 Milliarden DM vorgesehen. Eine zusätzliche Nettoentlastung
von 3 Milliarden DM wäre möglich. Gleichzeitig sorgen
Sie durch die Ökosteuer für eine Steuererhöhung von
4 Milliarden DM. Das heißt, unter dem Strich kommt
eine Mehrbelastung heraus. Hinzu kommt eine Steuererhöhung von über 5 Prozent durch den Progressionszuwachs. Wir haben es von hinten bis vorne mit einem
Kaufkraftmärchen zu tun. Sie ziehen den Leuten das,
was Sie ihnen in die linke Tasche geben, aus der rechten
Tasche heraus. Das ist die Wahrheit über Ihre Steuerpolitik.
({7})
Es gibt auch ein deutliches Mittelstandsmärchen. Der
Gipfel von „tarnen und täuschen“ findet in der „Mittelstandsschönrechnung“ statt. Durch falsche Abgrenzung
gegenüber den privaten Haushalten werden die Mittelstandsbelastungen vorsätzlich gefälscht. Dabei sind in
Deutschland 90 Prozent der Mittelstandsbetriebe Personengesellschaften, die überhaupt keine Trennung zwischen privater und betrieblicher Belastung kennen.
Es bleibt bei Ihrer Belastungsprobe für die Wirtschaft
und für die Arbeitsplätze mit einer Gegenfinanzierung
von über 30 Milliarden DM. Das ist die Wahrheit über
Ihre Steuerpolitik.
Herr Kollege, kommen Sie bitte zum Schluß.
Schröder hat sicherlich recht - ({0})
Ihre Redezeit ist abgelaufen.
Frau Präsidentin,
ich komme zum Ende. - Eine Tatsache Ihrer rotgrünen
Steuerpolitik ist sicherlich, daß Schröder recht hat: Die
Karawane zieht weiter, die Kamele laufen, laufen und
laufen, und selbst der Sand wird bei Ihnen teurer.
({0})
Wie Sie wissen, mag
ich muntere Debatten. Wir sind aber in einer Aktuellen
Stunde. Ich möchte daran erinnern, daß jeder Redebeitrag nur fünf Minuten betragen darf.
Ich erteile nun das Wort Kerstin Müller, Bündnis 90/
Die Grünen.
({0})
- Genau. - Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen
und Kollegen von der F.D.P., Sie können hier noch so
viele Geschäftsordnungsdebatten führen, Sie können
noch so viele Aktuelle Stunden beantragen, ich kann Ihnen versichern: Wir, die Koalition, werden an den Steuergesetzen festhalten.
({0})
Ich sage sehr deutlich zu Beginn: Meine Fraktion bedauert den Rücktritt von Oskar Lafontaine. Wir haben
sehr gut mit Oskar Lafontaine zusammengearbeitet. Für
uns ist aber auch klar - ich denke, ich kann das auch im
Namen der SPD sagen -: Diese Koalition wird Kurs
halten. Wir werden Schritt für Schritt unsere Reformprojekte umsetzen und diese Koalition zum Erfolg führen.
({1})
Sie alle wissen, daß wir in manchen Fragen mit Oskar
Lafontaine unterschiedlicher Meinung waren. Das ist
kein Geheimnis. Aber das heißt eben nicht, daß wir jetzt
das Kind mit dem Bade ausschütten. Die Steuerreform
war kein Privatprojekt von Oskar Lafontaine; vielmehr
ist sie ein zentrales Reformprojekt dieser Regierung;
deshalb werden wir an dieser Reform festhalten.
({2})
- Nein.
Ich werde Ihnen jetzt erklären, warum wir an dieser
Reform festhalten. Wir werden zunächst einmal mehr
Steuergerechtigkeit schaffen. Davon hat man in Ihren
Plänen der letzten Legislaturperiode nichts sehen können. Wir werden mit der Steuerreform mehr Solidarität
und mehr soziale Gerechtigkeit in dieser Gesellschaft
schaffen. Das gilt zuallererst für die Menschen selbst.
({3})
Sie, meine Damen und Herren von der CDU, haben
in der letzten Legislaturperiode viel von Familien geredet. Aber mit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichtes ist doch eines deutlich geworden: Das waren alles
nur Sonntagsreden. Sie haben den Familien fast 20 Milliarden DM vorenthalten. Diese Koalition hat auch
den Auftrag - wir werden uns dieser Herausforderung
stellen -, das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes
umzusetzen.
({4})
Wir werden eine familienfreundliche und kinderfreundliche Politik machen. Das Steuerentlastungsgesetz
ist dazu ein erster wichtiger Schritt. Wir werden nämlich
die Situation der Menschen, die Kinder haben, die sich
für ein Leben mit Kindern entschieden haben, durch einen niedrigen Eingangssteuersatz, durch ein höheres
Kindergeld und durch die Erhöhung des steuerlichen
Grundfreibetrags entscheidend verbessern. Das sind alles Verbesserungen für die Familien, zu denen Sie in
16 Jahren nicht in der Lage waren.
Ferner wollen wir den wirtschaftlichen Wettbewerb
in diesem Lande wieder gerechter und fairer gestalten.
Auch hier hat die alte Regierung völlig versagt. Es
schreit doch zum Himmel, wie die alte Regierung mit
den kleinen und mittelständischen Unternehmen in
Deutschland umgegangen ist. Das war ja gerade Gegenstand der Debatte um den Jahreswirtschaftsbericht. Fragen Sie doch einmal die Handwerksmeisterin um die
Ecke, was sie davon hält, daß Daimler-Chrysler trotz
Milliardengewinnen keine Steuern bezahlt. Fragen Sie
einmal die Menschen, ob sie es richtig finden, daß sich
Großkonzerne mit steuerfreien Rückstellungen immer
neue Märkte zu Bedingungen sichern, mit denen kein
Mittelständler mithalten kann. Ich meine, das ist nicht
mittelstandsfreundlich und hat mit fairem Wettbewerb
überhaupt nichts zu tun.
({5})
- Wir werden das mit unserer Steuerreform ändern. Ein
Hauptziel unserer Unternehmensteuerreform wird es
sein, fairen Wettbewerb zu schaffen.
({6})
Wir streben - das ist jedenfalls unser Ziel - einen
Steuersatz von 35 Prozent an. Ich sage dazu aber auch
ganz deutlich: Das gilt nur dann, wenn er auch gegenzufinanzieren ist. Die Steuersätze unter Beibehaltung der
Subventionen zu senken, wie es manchen Verbandsvertretern vorschwebt, das wird es mit dieser Koalition
nicht geben.
({7})
Wir entlasten den Mittelstand auch noch durch ein
weiteres Kernstück unserer Politik, nämlich durch die
ökologische Steuerreform.
({8})
- Daß Sie von ökologischer Innovation keine Ahnung
haben, meine Damen und Herren von der F.D.P., das
haben Sie dieser Gesellschaft nicht nur während der
letzten 16, sondern während der letzten 29 Jahre bewiesen.
({9})
Wir werden an der ökologischen Steuerreform festhalten. Sie wird kommen. Wir werden auch die zweite
und dritte Stufe einleiten, weil wir endlich eine nachhaltige Wirtschaftspolitik betreiben wollen. Ich kann die
Verbandsvertreter, die jetzt Morgenluft wittern, nur
enttäuschen: Wir werden uns von diesen Projekten nicht
abhalten lassen, und ich kann sie nur auffordern, sich
konstruktiv an dem Prozeß des „Bündnisses für Arbeit“
zu beteiligen. Dieses „Bündnis für Arbeit“ ist ein Angebot und der wichtige Versuch, aus der Konfrontation der
letzten Jahre zwischen Regierung, Unternehmen und
Gewerkschaften, für die sich die rechte Seite des Hauses
mitverantwortlich zeigt, herauszukommen. Wir wollen
versuchen, neue Wege bei der Schaffung von Arbeitsplätzen zu gehen. Wer das „Bündnis für Arbeit“ dazu
mißbraucht, diese Regierung zu erpressen, indem er
immer wieder mit dem Scheitern droht, der hat den
Geist des „Bündnisses für Arbeit“ nicht verstanden. Wir
wollen den Erfolg, doch das Bündnis kann nur erfolgreich sein, wenn wirklich alle Seiten einsehen, daß Einzelinteressen hinter dem gemeinsamen Interesse, daß
dieses Land neue Arbeitsplätze und Wettbewerbsfähigkeit braucht, zurückstehen müssen, und gleichzeitig
auch neue Arbeitsplätze geschaffen werden.
Frau Kollegin!
Ich komme zum Schluß. - Wir werden dafür
kämpfen und diesen Weg gehen. Wir wären ihn gerne
auch mit Oskar Lafontaine gegangen. Nun ist er nicht
mehr dabei, aber das ist kein Grund, das will ich zum
Schluß noch einmal sagen
Frau Kollegin, Ihre
Redezeit ist abgelaufen.
- ja -, auf den Weg, den Sie 16 Jahre lang gegangen sind, zurückzukehren. Das war nämlich ein Weg
in die Sackgasse. Den werden wir sicherlich nicht beschreiten.
({0})
Nun erteile ich das
Wort Herrn Dr. Gregor Gysi, PDS-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine
Damen und Herren! Die Überschrift der Aktuellen Stunde ist merkwürdig, Herr Solms. Ich muß zugleich einräumen, daß es fremd klingt, wenn Sie zweimal in Ihrer
Rede von Genossinnen und Genossen sprechen.
({0})
- Ich weiß, daß Sie zitiert haben. Das ändert aber nichts
an der Fremdheit, die man dabei empfindet.
({1})
- Die muß ich mir mitdenken. Gut, ich gebe mir Mühe.
Sie haben den Rücktritt des Bundesfinanzministers
Oskar Lafontaine und das Festhalten der Bundesregierung an ihren Steuergesetzen zum Gegenstand der Aktuellen Stunde gemacht. Darf ich Sie darauf hinweisen,
daß diese Steuergesetze durch eine Mehrheit des Bundestages verabschiedet worden sind? Das heißt, die
Bundesregierung könnte, selbst wenn sie es wollte, diese
Gesetze überhaupt nicht zurücknehmen.
({2})
Sagen Sie einmal: Wo leben wir eigentlich? Wie
werden denn hier die Debatten geführt? Konsequent wäre doch gewesen - das haben wir heute morgen schon
gesagt -, Sie hätten einen Gesetzentwurf eingebracht,
bei dem es in § 1 heißt, daß die Gesetze vom Soundsovielten und Soundsovielten aufgehoben werden. In § 2
steht dann, wann das Gesetz in Kraft tritt. Dann würde
übrigens auch ein Beschluß des Parlaments Sinn machen, in dem der Bundesrat gebeten wird, seine Entscheidung so lange auszusetzen, bis man über den Gesetzentwurf entschieden hat. Aber was soll denn das
hier: „das Festhalten der Bundesregierung an ihren Steuergesetzen“? Die Gesetze beschließt immer noch der
Bundestag. Die Bundesregierung hat da nichts festzuhalten oder loszulassen. Das müssen wir hier doch einfach einmal klären.
({3})
Wenn man in diesen Dingen so ungenau wird, also
offensichtlich selbst handwerkliche Schwächen besitzt,
dann darf man sie anderen nicht vorwerfen.
({4})
Bei zwei Gesetzen haben wir mit Nein gestimmt. Bei
einem Gesetz haben wir uns der Stimme enthalten. Wir
wären sehr froh, wenn der Bundesrat morgen zumindest
bei zwei Gesetzen den Vermittlungsausschuß anrufen
würde, damit wir noch eine Chance haben, sie zu verbessern. Da stimmen wir sogar überein. Ob wir sie allerdings in die gleiche Richtung verbessern wollen, da bin
ich nicht ganz so sicher; das würde ich eher bezweifeln.
Aber eine Verbessserung würden wir schon anstreben.
({5})
Natürlich ist es nicht hilfreich - das will ich allerdings auch einmal deutlich sagen -, wenn von der
Mehrheit, die die Gesetze beschlossen hat, ständig gesagt wird, man akzeptiere es, daß die Gesetze korrigiert
werden müßten. Sie müssen auch einmal zu Ihrer Entscheidung stehen.
({6})
Wenn Sie sie korrigieren wollen, dann machen Sie es
gleich und nicht erst in einem halben Jahr. Das wäre
dann wirklich Zeitverschwendung. Da muß ich allerdings der anderen Seite der Opposition recht geben.
({7})
In der Überschrift zur Aktuellen Stunde ist auch vom
Rücktritt des Bundesfinanzministers Oskar Lafontaine
die Rede. Ich habe in den Beiträgen hier sehr viel Häme
gehört. Man konnte sie auch in Zeitungen lesen. Lassen
Sie mich dazu einige wenige Bemerkungen machen.
Kerstin Müller ({8})
Zunächst einmal bin ich der Meinung, daß sich Oskar
Lafontaine nicht verfassungskonform verhalten hat.
({9})
Das muß man einfach sagen. Das Grundgesetz sieht keinen Rücktritt eines Bundesministers vor.
({10})
Wenn man einen solchen Weg geht, dann schreibt man
an den Kanzler und bittet ihn darum, den Bundespräsidenten zu ersuchen, daß er einen mittels einer Entlassungsurkunde aus dem Amt entläßt, wie es heute geschehen ist. Aber solange das nicht passiert ist, ist man
Bundesfinanzminister. Solange trägt man auch die Verantwortung für die entsprechende Politik.
Ich meine, auch dort müssen wir genau sein. Wenn
wir nämlich Verantwortung von jeder und jedem in jedem Arbeitsverhältnis verlangen, dann müssen auch wir
als Politiker uns in solchen Fragen konsequent verhalten
und das Grundgesetz achten.
({11})
Wir dürfen nicht einfach aus einer Stimmung, die
verständlich sein mag, heraus meinen, daß es möglich
ist, diese Vorschriften zu umgehen. Er hat sich ja nicht
einmal formal krank gemeldet. Das wäre noch etwas anderes gewesen. Die Form ist wirklich nicht gewahrt
worden. Das sind - das will ich in diesem Zusammenhang sagen - keine leeren Fragen.
Lassen Sie mich noch eine weitere Bemerkung machen. Es geht uns hier zwar nichts an, aber wenn man
Parteivorsitzender ist, dann - so meine ich - schuldet
man seinen Mitgliedern wenigstens eine Erklärung,
wenn man von einer solchen Funktion zurücktritt. Das
ist nicht Sache des Bundestages; aber ich wollte meine
Meinung dazu sagen.
({12})
- Das ist auch nicht meine Sache. Aber ich darf trotzdem eine Meinung dazu haben.
Ein bißchen Respekt flößt mir diese Haltung doch
ein. Es kann einen ja auch um drei Minuten vor 18 Uhr
ein bißchen süchtig machen. Einfach so zu sagen:
„Schluß, aus, das war es!“, das hat auch etwas Verführerisches.
({13})
- Ich weiß, daß Sie sich sehr freuen würden. Ich überlege mir aber schon sehr genau, wem ich eine Freude mache und wem nicht. Das müssen Sie mir schon überlassen.
({14})
Ich sage Ihnen nur eines: Den Respekt davor, daß ein
Mann die Konsequenz daraus zieht, daß er glaubt, es
ginge nicht mehr weiter, und daß er sie wirklich so total
zieht, sollte man in seinen Formulierungen schon zum
Ausdruck bringen. Ich halte die Häme, die in diesem
Zusammenhang an den Tag gelegt wird, für einfach unfair.
({15})
Viele von uns, die schon in einer ähnlichen Situation
waren, haben aus vielen Motiven - nicht nur aus ehrenwerten Motiven - vor einer solchen Konsequenz zurückgeschreckt. Wenn ein anderer diese Konsequenz an
den Tag legt, dann muß man seinen Respekt zum Ausdruck bringen und zugeben - selbst wenn man einzelne
Umstände rügen muß -, daß einem dieses Verhalten ein
bißchen imponiert. Den unfairen Umgang mit Lafontaine
als Person lehnen wir ab. Nachtreten ist sowieso das
letzte an menschlichem Verhalten. Daran werden wir
uns auf gar keinen Fall beteiligen.
({16})
Denken Sie an die
Zeit?
Ja, Frau Präsidentin.
Ich füge hinzu: Oskar Lafontaine war sicherlich ein
wichtiger Politiker. Ja, es ist wahr, ich habe seinen
Schritt bedauert.
Herr Kollege, wir
befinden uns in der Aktuellen Stunde.
Gut, Frau Präsidentin.
Lafontaine war ein Mann mit Visionen. Man muß
nicht mit allem einverstanden sein, was er gemacht hat.
Aber man muß sagen, daß er immer wußte, was er
wollte. Das kann man nicht von allen Politikerinnen und
Politikern in diesem Hause sagen. Ich wünsche mir mehr
Politiker von dieser Art.
({0})
Nun erteile ich das
Wort Ernst Schwanhold, SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine
Damen und Herren! Es ist schon erstaunlich, unter welcher Überschrift Sie diese Aktuelle Stunde beantragt haben. In Vorbereitung dieser Aktuellen Stunde habe ich
mir die Namen Ihrer Minister heraussuchen lassen, die
in den letzten 16 Jahren zurückgetreten sind oder die zurückgetreten worden sind. Die Liste enthält 54 Namen.
Darunter befinden sich allein vier Wirtschaftsminister.
Einen Wirtschaftsminister wollten Sie herausmobben,
Herr Solms. Das ist Ihnen nicht gelungen, was ich im
nachhinein gut finde. Wie Sie mit Ihren zurückgetretenen Ministern umgegangen sind, war in hohem Maße
unanständig. Wie Sie mit Lafontaine umgehen, ist
Nachtreten und kein würdiges Verhalten für dieses Parlament.
({0})
Herr Solms redet von Pleiten. Herr Solms, heute ist
den Tickermeldungen zu entnehmen, daß in diesem Jahr
der Pleitenanstieg erstmalig gebremst ist. Ich will Ihnen
das Ergebnis Ihrer Wirtschafts- und Finanzpolitik des
Jahres 1997 sagen: Über 20 000 Unternehmen gingen in
Konkurs; es wurden 200 000 Arbeitsplätze mehr vernichtet, als durch Neugründungen geschaffen wurden.
Sie sollten nicht über Pleiten reden, sondern Ihre Fehlleistungen beklagen!
({1})
Was wir in der Finanz- und Steuerpolitik tun müssen,
ist das Wegräumen des Schutts, den Sie aufgehäuft haben.
({2})
Das Steuerrecht ist doch nicht von selbst so undurchsichtig und so kompliziert geworden. Sie werfen uns
vor, daß wir es noch nicht vereinfacht haben. Nun gut,
vielleicht ist der Vorwurf berechtigt, daß wir nicht schon
nach fünf Monaten alles beseitigt haben, was Sie in
16 Jahren an Chaos angerichtet haben. Sie haben in den
letzten vier Jahren rund ein Dutzend Steuererhöhungen
vorgenommen und damit Unternehmen und Bevölkerung mit 120 Milliarden DM zusätzlich belastet. Jetzt
geht es erstmalig mit den Lohnnebenkosten und mit den
Steuersätzen herunter, schon schreien Sie Zeter und
Mordio - verlogen, nichts als verlogen.
({3})
Die Unternehmen wissen und die Bürgerinnen und
Bürger spüren es in ihrer Tasche, daß sie eine Entlastung
erfahren. Ich will Ihnen einmal Zahlen vom Verband der
Chemischen Industrie nennen, die sich auf die Entlastung durch die Ökosteuer in bestimmten Branchen beziehen. Schädlingsbekämpfungs- und Pflanzenschutzmittel:
({4})
- in dieser Branche wird gearbeitet; darüber brauchen
Sie nicht zu lachen, Herr Bohl -: 990 000 DM Entlastung; Anstrichmittel und Druckfarben: 9,74 Millionen DM Entlastung; pharmazeutische Erzeugnisse:
23,25 Millionen DM Entlastung; Seifen, Wasch-, Reinigungs- und Körperpflegemittel: 8,46 Millionen DM
Entlastung; sonstige chemische Erzeugnisse: 6,91 Millionen DM Entlastung.
Diese Zahlen sind einer Statistik des Verbandes der
Chemischen Industrie zu entnehmen, die ich Ihnen gerne
zur Verfügung stelle. Hören Sie mit Ihrem Geschwätz
auf, daß die ökologische Steuerreform die Unternehmen
nur belastet! Ich komme aus einem mittelständischen
Unternehmen der chemischen Industrie und weiß, welche Entlastungswirkung sich für die Unternehmen ergibt, wenn man 40 Prozent Lohnkosten und nur 3 Prozent Energiekosten hat. Unser Gesetz führt zu einer
deutlichen Entlastung. Dies trifft für den Durchschnitt
der Industrie zu.
({5})
Daß Sie sich über die Einführung der Ökosteuer ärgern, kann ich verstehen. Diesen Paradigmenwechsel
haben Sie nicht geschafft. Herr Repnik hat einmal ein
intelligentes Modell aufgestellt. Er bekam dafür von seinem jetzigen Fraktions- und Parteivorsitzenden eins auf
den Deckel und mußte sein Modell wieder in die
Schublade packen.
({6})
Es ist schon ein vernünftiger Einstieg, nicht den Faktor
Arbeit, sondern den Ressourcen- und Umweltverbrauch
immer mehr zu belasten. Nur so können wir unser Sozialsystem stabilisieren und den Sozialstaat finanzieren.
Das ist ein Paradigmenwechsel, wie wir ihn benötigen.
Sie dagegen haben den Faktor Arbeit immer teurer gemacht, was schließlich zu dem großen Rationalisierungsdruck führte, und am Ende wunderten Sie sich darüber, daß die Arbeitslosigkeit stieg.
({7})
Die Steuerreform hat natürlich noch nicht ausreichende Ergebnisse erbracht; darüber haben wir eben
schon geredet. Gleichwohl bin ich Ihnen für diese Aktuelle Stunde dankbar, Herr Solms, bietet sie doch eine
ausgesprochen gute Möglichkeit, noch einmal darzustellen, welche positiven Wirkungen die Steuergesetzgebung der ersten Monate auf Bürgerinnen und Bürger
und einen Teil der Unternehmen hat.
({8})
Herzlichen Dank, daß Sie uns diese Möglichkeit verschafft haben!
({9})
Ich lobe den Kollegen Schwanhold dafür, daß er die Redezeit eingehalten
hat, und erteile dem Kollegen Dietrich Austermann,
CDU/CSU-Fraktion, das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wenn man sich die
Situation der Bundesrepublik vor Augen halten will,
muß man sich eigentlich nur die Regierungsbank angukken. Damit sage ich nichts gegen den Kollegen Volmer,
auch nichts gegen den Kollegen Mosdorf. Aber ich frage, wie es eigentlich auf dem Platz des Bundesfinanzministers zur Zeit aussieht. Wer ist eigentlich in dieser
Stunde amtierender Bundesfinanzminister? Wir hören,
daß um 16.15 Uhr der Bundesfinanzminister, der bis dahin noch im Amt war, seine Entlassungsurkunde in
Empfang genommen hat. Wir haben aber bisher nicht
gehört, daß nach der Geschäftsordnung der Bundesregierung ein neuer Minister berufen worden wäre. Die beiden Parlamentarischen Staatssekretäre scheinen zur Zeit
nicht im Amt zu sein. Das heißt, wir haben hier eine
Leerstelle.
({0})
Zugleich müßte angesichts der schwierigen Situation die
Regierung aber handeln. Es sind Entscheidungen gefordert, und man müßte auf das eingehen, was wirtschaftlich und politisch notwendig ist.
Wir wissen, daß der Minister, der bis vor wenigen
Minuten im Amt gewesen und jetzt ins Private geflohen
ist, immer davon gesprochen hat, unser Land brauche
nach 16 Jahren schwarzgelber Regierung einen Kassensturz. Ich frage, warum man nicht auch nach 135 Tagen
Schröder/Lafontaine/Fischer einen Kassensturz machen
sollte.
Wer sich heute mit der Situation auf dem Arbeitsmarkt sowie mit Haushalts- und Finanzfragen befaßt,
stößt ständig auf Ungereimtheiten. Ich komme aus einer
Sitzung des Haushaltsausschusses, in der wir von der
Union und der F.D.P. versuchen mußten, Herrn Scharping gegen eine wildgewordene Truppe von rotgrünen
Politikern zu stützen, die ziemlich plan- und ziellos in
den Verteidigungsetat hineinschneiden wollten, nachdem sie uns vorher noch aufgefordert hatten, wir mögen
bitte gemeinsam eine Position in Sachen Kosovo einnehmen.
Die Bundesrepublik war bis zum Oktober letzten Jahres in einer guten Verfassung; sie war ein Land mit einer
guten Perspektive.
({1})
135 Tage rotgrüner Regierung bedeuten jedoch Abschwung statt Rekordwirtschaftswachstum, Exportrisiken statt Exportboom, steigende Staatsquote statt sinkenden Staatsverbrauchs, Rückschritt mit alten Politikrezepten, Rücknahme und das Aussetzen von Reformen,
hausgemachte falsche Politik statt Modernisierung unseres gesamten Staates.
In diesen 135 Tagen ist aus sinkender Arbeitslosigkeit steigende Arbeitslosigkeit geworden, aus einem klaren Steuerkonzept ein Steuerchaos, aus einem vernünftigen Energiemix mit funktionierenden Strukturen ein
Ausstiegsdruck auf die Wirtschaft mit ruinösen Steuern
für die Energieversorger.
Wenn man sich vor Augen hält, wie innerhalb von
drei, vier Monaten eine Regierung alles, aber auch alles
völlig durcheinanderbringt, dann ist es doch logisch, daß
man dann, wenn der Finanzminister als einer der
Hauptverantwortlichen geht - wir sind ihm dafür dankbar, daß er diese Entscheidung getroffen hat -, die
Schlußfolgerung zieht, man müsse die falsche Weichenstellung der letzten drei Monate aufgeben und zu
einem Kurs kommen, der wieder mehr Arbeitsplätze bedeutet.
135 Tage rotgrüner Regierung bedeuten statt geordneter Bundesfinanzen mit sinkenden Ausgaben und sinkendem Staatsanteil bei höherer Investitionsquote immer
neue rotgrüne Haushaltslöcher und Investitionsstau.
Der Bundeskanzler hat vor acht Tagen gefordert - ich
zitiere aus der „Bild“-Zeitung, die über die Kabinettssitzung berichtet hat -: „Wir brauchen kräftige Signale zur
Verbesserung der Stimmung in der Wirtschaft“, weil die
Konjunktur gerade „einbricht“. Herr Schröder wörtlich:
Wir haben es nicht nur mit den Unternehmern zu
tun, sondern auch mit deren Gewerkschaften!
Herr Schwanhold, die sind offensichtlich alle ganz
dankbar für die Steuerentlastung. „Wir dürfen nicht
ignorieren“, sagt Schröder, „daß . . . Arbeiter auf der
Straße waren“ und für ihre Arbeitsplätze demonstriert
haben.
Auch gegen die Agenda 2000 würden die Bauern
demonstrieren.
Da baut sich
- sagt Schröder eine ernstzunehmende Front auf. . . . Da ist die
Dosis zu hoch. Wenn dies so weitergeht, weiß ich
nicht, wie man diese Politik auf Dauer legitimieren
kann.
Ferner:
Ich kann das nicht zusammenhalten, wenn wir der
Wirtschaft mehr zumuten, als sie tragen kann.
Wenn er in dieser Situationsbeschreibung recht hat,
muß doch der Rücktritt von Lafontaine ein Einschnitt
und eine Aufforderung sein, ein völliges Umsteuern in
der Politik vorzunehmen. Ich glaube, daß es keine andere Konsequenz aus dieser Entscheidung gibt.
Die Kritik an diesen bisher 135 Tagen kommt doch
nicht nur von der Union. Herr Glogowski kritisiert; er
sagt, er werde morgen im Bundesrat Anmerkungen zur
Steuerreform, zu allen drei Steuergesetzen machen. Er
sagt: „Wir haben schwere Bedenken, aber stimmen zu“
und fordert dafür, daß man eine Gesetzesfolgenabschätzung nachschiebt. Aus Mainz - auch keine Unionsregierung - und von Clement kommt genau das gleiche. Alle
fordern Korrekturen. Sie sind offensichtlich dankbar für
das, Herr Schwanhold, was Sie in den letzten drei Monaten hier beschlossen haben. SPD-nahe Manager gehen
auf Gegenkurs zum Finanzminister, fordern eine Deregulierung des Arbeitsmarktes, fordern eine Senkung von
Steuern und Abgaben.
Herr Kollege, denken Sie an Ihre Zeit!
Ich glaube, ich
komme zum Schluß.
({0})
Genau das Gegenteil von Vernunft wird praktiziert.
Wir fordern von Ihnen, daß Sie diesen Einschnitt, diesen
Rücktritt des Ministers zum Anlaß nehmen nachzudenken. Alle Bundesländer fordere ich auf, morgen bei der
Beratung im Bundesrat die drei Gesetze, die wir und andere mit Recht kritisieren, nicht passieren zu lassen,
sondern den Vermittlungsausschuß anzurufen, damit wir
uns darüber vergewissern können, was not tut für mehr
Arbeitsplätze in Deutschland.
Herzlichen Dank.
({1})
Das Wort hat nun
Klaus Müller, Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Das scheint mir die Aktuelle Stunde der groben Klötze zu sein. Jetzt zum Schluß wurde noch einmal
ordentlich draufgehauen. Ich finde, auf eine solche Debatte paßt nur ein grober Keil.
Herr Solms, Sie haben von Vorbildern in der Politik
gesprochen. Dazu fällt mir eine Menge ein, insbesondere: Wer im Glashaus sitzt, soll nicht mit Steinen werfen.
Ich erinnere nur an Antragsfristen, die man hier und dort
versäumt. Bei Sozialhilfeempfängerinnen und Sozialhilfeempfängern schreit man dann gleich: kürzen! Bei anderen versucht man, sich herauszuwinden. Ich finde, wer
hier von Vorbildern redet, sollte genau aufpassen, wovon er redet.
Die Finanzpolitik von Theo Waigel und Oskar Lafontaine war vielleicht gar nicht so unterschiedlich.
Wenn man sich anguckt, was im Steuerentlastungsgesetz
stand, stellt man fest, daß man gar nicht so weit voneinander entfernt war. Nur gibt es einen zentralen Unterschied zwischen beiden Gesetzen: Ihr Gesetz war unsolide und unsozial, und vor allem haben Sie es nicht realisieren können, während das Steuerentlastungsgesetz von
Rotgrün die Steuersätze gerade im Eingangsbereich
senkt und solide gegenfinanziert ist.
({0})
Ich möchte Sie daran erinnern, was in Ihrem Gesetzentwurf alles gestanden hat. Von der Mehrwertsteuererhöhung ganz zu schweigen, lasen wir da von der
Verlängerung der Ansammlungsfristen für Rückstellungen, dem Rückstellungsverbot für Endlager, dem
Wertaufholungsgebot, der eingeschränkten Schadensrückstellung für die Versicherungswirtschaft, der Senkung der degressiven AfA auf Ausrüstungsinvestitionen
und der Einführung einer Versicherungsteuer. Herrjemine! Das ist genau das, worüber Sie sich jetzt aufregen
und wogegen Sie heute zum allerletztenmal querzutreiben versucht haben. Ich sage Ihnen nur: Es wird nicht
gelingen.
Sie kritisieren immer das Nachbessern. Was ist denn
Ihr Verständnis von Gesetzgebung?
({1})
Was ist denn Ihr Verständnis von Beratung und einem
vernünftigen Gesetzgeber, wenn man nicht aus berechtigter Kritik lernt? Daß Sie im letzten September abgewählt worden sind,
({2})
lag - falls Sie es schon vergessen haben - insbesondere
daran, daß Sie in Ihrem Gesetzgebungsverfahren eben
nicht gelernt haben.
({3})
Sie haben versucht, Ihr Steuergesetz durchzupeitschen.
({4})
Sie sind damit aus berechtigten Gründen im Bundesrat
gescheitert, weil es nicht solide gegenfinanziert war.
({5})
- Oh, da höre ich das Stichwort „keine Entlastung“. Ich
finde, daß unser Gesetz mit 20 Milliarden DM Nettoentlastung
({6})
genau die richtige Antwort ist. Wie Sie sicherlich in der
Information des Finanzministeriums nachlesen konnten,
entlasten wir die Privathaushalte in Höhe von 24 Milliarden DM sowie den Mittelstand in Höhe von 5,5 Milliarden DM
({7})
- wir fangen zum 1. Januar damit an, Herr Thiele - und
belasten zu Recht die großen internationalen Konzerne.
Sie haben heute in der Debatte über den Jahreswirtschaftsbericht von der Kollegin Wolf, vom Kollegen
Schulz und vom Kollegen Poß gehört, was die OECD
dazu sagt. Die OECD, die Sie überhaupt nicht als eine
nicht neutrale Instanz anfeinden können, hat Ihnen ins
Stammbuch geschrieben: 8 Prozent effektive Belastung
für Körperschaften. Daran sehen Sie, daß unser Steuerentlastungsgesetz genau auf der richtigen Linie liegt.
({8})
Ich will deutlich sagen, daß wir den Rücktritt von
Herrn Lafontaine bedauert haben, denn Herr Lafontaine
hat für diese Koalition eine wichtige Rolle gespielt, und
er war für uns ein wichtiger Bündnispartner. Er war für
uns deshalb wichtig, weil er tatsächlich eine Vision hatte. An dieser Stelle will ich Herrn Gysi einmal recht geben. Er war ein Politiker, der klar gesagt hat, daß er
Ziele hat, daß er streitbar ist und daß er für seine Ziele
einsteht. Das nötigt mir Respekt ab, denn das ist wirklich Politik und besser als ein Dahinlavieren und ständiges Herumkritisieren ohne einen einzigen Vorschlag.
({9})
Ich will aber auch sagen, daß ich mich persönlich auf
die Zusammenarbeit mit dem designierten Finanzminister, Herrn Hans Eichel, freue, weil ich glaube, daß auch
er ein Garant für eine Modernisierung des Steuersystems,
({10})
für mehr Generationengerechtigkeit, für die Fortsetzung
der ökologischen Steuerreform, für ein modernes internationales Unternehmensteuerrecht
({11})
und für die Entlastung der Familien ist, was Ihnen nicht
wichtig ist, was Ihnen nicht gelungen ist und was Sie im
Steuerentlastungsgesetz abgelehnt und lächerlich gemacht haben.
({12})
Last, not least: Ich hoffe, daß Sie den neuen Finanzminister als eine zweite Chance begreifen, in Zukunft
nicht nur herumzunölen, sondern mit konkreten eigenen
Vorschlägen in den Finanzausschuß zu gehen. Bis heute
habe ich da nichts von Ihnen gesehen. Das fand ich ausgesprochen schade. Ich freue mich darauf.
Vielen Dank.
({13})
Jetzt erteile ich das
Wort dem Kollegen Carl-Ludwig Thiele, F.D.P.Fraktion.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Kein Kassierer eines Gesangvereins oder Kegelklubs verläßt sein Amt so, wie Oskar Lafontaine sein
Amt als Bundesfinanzminister verlassen hat.
({0})
Kein Arbeitnehmer kann sich einen solchen Abgang leisten, weil er dann mit Disziplinarverfahren, fristloser
Kündigung und Kürzung seiner Bezüge zu rechnen hat.
({1})
Kein Minister seit Bestehen der Bundesrepublik
Deutschland hat in dieser Art und Weise Fahnenflucht
vor seiner Verantwortung begangen wie Finanzminister
Oskar Lafontaine.
({2})
Das ganze Verhalten des Finanzministers ist eine
grobe Mißachtung der Verfassung,
({3})
insbesondere des Verfassungsorgans Bundespräsident,
indem Oskar Lafontaine sich selbst beurlaubt, ohne
die Urkunde des Bundespräsidenten in der Hand zu
haben.
({4})
Das Ganze ist ein Skandal.
({5})
Ein Skandal ist aber auch, daß die rotgrünen Bundestagsabgeordneten es ablehnen, diesen Vorgang im Deutschen Bundestag zu debattieren. Was für ein Selbstverständnis haben Sie überhaupt?
({6})
Ist es für Sie normal, daß der Bundesfinanzminister so
zurücktritt, daß es die Bundesregierung ablehnt, hierzu
im Rahmen einer Regierungserklärung Stellung zu nehmen, daß jedes klare Wort einer Mißbilligung oder Rüge
von Bundeskanzler Gerhard Schröder und seiner rotgrünen Chaostruppe zu diesem Vorgang ausbleibt? Das
nenne ich einen Skandal, und das ist ein Skandal, den
wir hier noch nicht erlebt haben.
({7})
Wie schlecht muß eigentlich die Lage der Koalition
und wie schwach müssen Ihre Argumente sein, wenn Sie
sich dieser Debatte nicht stellen?
({8})
Deshalb ist es richtig, daß wir als F.D.P. darauf gedrängt
haben, diese Vorgänge heute hier im Deutschen Bundestag im Rahmen einer Aktuellen Stunde zur Sprache
zu bringen.
({9})
Die rotgrüne Politik und ihre Gesetze sind doch der
Grund dafür, daß wir heute 500 000 Arbeitslose mehr
haben als zum Zeitpunkt der Bundestagswahl.
({10})
Nach Art. 65 des Grundgesetzes bestimmt der Bundeskanzler die Richtlinien der Politik und trägt dafür die
Verantwortung.
({11})
Alle Gesetze tragen die Unterschrift des Bundeskanzlers. Alle Gesetze sind vom Bundeskabinett verabschiedet worden.
Die Steuergesetze zeigen, daß nicht die Politik von
Oskar Lafontaine, sondern die bisherige Politik der rotgrünen Koalition unter Bundeskanzler Gerhard Schröder
gescheitert ist. Die Grünen - Bundesminister Trittin und
eine der Vorstandssprecherinnen - erklären ja auch:
Klaus Wolfgang Müller ({12})
Rotgrün ist gescheitert. An dieser Stelle muß ich wirklich sagen: Sie haben recht.
({13})
Es ist ein Skandal, daß Ministerpräsident Eichel, der
sich am Abend der verlorenen Hessen-Wahl als ausgesprochen honoriger Verlierer gezeigt hat,
({14})
morgen, ohne die Legitimation zu haben, sein Wort, daß
er am Abend der Wahl im Fernsehen gegenüber allen
Bürgern gegeben hat, bricht und den Gesetzen mit der
Stimme des Landes Hessen zustimmt, wozu er zwar
formal das Recht hat, moralisch aber nicht mehr legitimiert ist.
({15})
Es ist ferner ein Skandal, daß Ministerpräsident Eichel nicht am heutigen oder am morgigen Tag im Deutschen Bundestag als Finanzminister vereidigt wird. Es
ist ein Skandal, daß statt dessen in der Osterpause am
8. April dieses Jahres eine Sondersitzung des Bundestages mit ungeheurer Kostenbelastung stattfinden soll, die
der deutsche Steuerzahler zu tragen hat.
({16})
Es ist ein Skandal, daß wir während der Zeit, in der
Haushaltsberatungen anstehen - Kollege Austermann
hat darüber berichtet -, während der deutschen Ratspräsidentschaft und während der Neuordnung der Finanzen
der Europäischen Union keinen amtierenden Finanzminister haben, sondern daß das jemand neben seiner eigentlichen Kompetenz stellvertretend sowie vorläufig
und auf Abruf zu bewerkstelligen hat. So kann eine
Bundesregierung in diesen Zeiten keine Regierung führen. Das ist schäbig.
({17})
Viele Bürger in unserem Land haben sich bei der
letzten Bundestagswahl von dem Schröder-Spruch „Wir
machen nicht alles anders, aber vieles besser“ einlullen
lassen. Jetzt können wir feststellen: Rotgrün macht
nichts besser; es macht vieles schlechter, als es zuvor
der Fall war. Rotgrün - das zeigt auch Ihr Beitrag, Herr
Müller - erweist sich in den Beratungen zu jedem Gesetz in Mißachtung der Rechte der Abgeordneten der
Opposition, was sogar die PDS bestätigt, als unerträglich
überheblich, wie es hier im Bundestag noch nie vorgekommen ist.
({18})
Vor allem erweist sich Rotgrün als absolut beratungsresistent.
({19})
Kein guter Vorschlag und keine berechtigte Kritik werden aufgenommen. Die eigenen Vorhaben werden einfach durchgezogen.
Der „Spiegel“ tituliert in dieser Woche „Schröders
zweite Chance“. Wenn Sie diese zweite Chance ernsthaft nutzen wollen, dann fordern wir Sie auf: Stoppen
Sie das Steuerbelastungsgesetz! Das kann der Bundestag
übrigens tun, Kollege Gysi. Stoppen Sie das PseudoÖkosteuergesetz! Stoppen Sie das Gesetz zur faktischen
Abschaffung der 630-Mark-Jobs!
Und Sie stoppen
jetzt Ihre Rede. Denn Ihre Redezeit ist abgelaufen.
({0})
Nur wenn Sie dies tun,
haben Sie eine zweite Chance.
Herzlichen Dank für die angenehme Verfahrensleitung, Frau Präsidentin.
({0})
Herr Thiele, ich bin
hinsichtlich Ihrer Redezeit großzügig gewesen.
({0})
Ich entschuldige mich. Ich wollte mich nicht in Ihre
Rede einmischen; aber meine Bemerkung paßte ganz
gut, wie Sie sich vorstellen können. Aber es war nicht
richtig.
Jetzt hat der Kollege Jörg-Otto Spiller, SPD-Fraktion,
das Wort.
Frau Präsidentin! Meine
sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Thiele,
ich mache mir ein bißchen Sorgen um Ihre Gesundheit.
Sie sind genauso aufgeregt wie vor dem Rücktritt von
Oskar Lafontaine, den wir sehr bedauern.
({0})
Aber ich kann gut verstehen, daß Sie damals, zu den
Zeiten, als Oskar Lafontaine hier mit Ihnen debattiert
hat, feuchte Hände bekamen, weil Sie in der Debatte
keinen Stich machen konnten.
({1})
Zum Kollegen Michelbach muß ich sagen: Sie sind
ein hochgewachsener Mensch. Sie spezialisieren sich
jetzt nur noch auf das Wadenbeißen. Das führt zu Haltungsschäden.
({2})
Ich hatte die Hoffnung, Herr Kollege Solms und Herr
Kollege Thiele, daß die F.D.P. diese Aktuelle Stunde
beantragt hat, weil sie jetzt doch erkannt hat, daß sie
sich in der Debatte um das Steuerentlastungsgesetz geirrt hat. Gestern - Frau Kollegin Frick war ja als Mitglied des Finanzausschusses mit in Paris - haben wir
von der OECD nämlich bestätigt bekommen: Das Land
in Europa mit der niedrigsten effektiven Steuerbelastung
der Kapitalgesellschaften ist Deutschland. Der Durchschnittssatz beträgt 8 Prozent der Gewinne. Darin liegt
- Herr Kollege Thiele, Herr Kollege Solms - die eigentliche Unaufrichtigkeit der F.D.P.
In der Zeit, als die F.D.P. den Bundeswirtschaftsminister stellte - das waren viele Jahre, egal, wie die
Herren hießen -, haben Sie hingenommen, daß die
Wettbewerbsordnung völlig durchlöchert wurde, daß das
Prinzip eines fairen Wettbewerbs durch ein Chaos an
Vergünstigungen und Schlupflöchern ersetzt wurde, so
daß ein fairer Wettbewerb unter Ihrer Desorientierung
nicht mehr möglich war.
({3})
Es trifft zu - manche Mittelständler fragen, warum
die immer über mäßige Steuerbelastung der Unternehmen reden -, daß viele Unternehmen in Deutschland zu
Recht über die hohe Belastung klagen.
({4})
Aber der Durchschnitt ist niedrig, weil Sie es durch Ihre
zerstörerische Politik zugelassen haben, daß sich viele
Unternehmen mit Geschick der Steuerpflicht völlig entzogen haben. Das werden wir ändern. Der erste Schritt
ist das bereits vom Bundestag beschlossene Steuerentlastungsgesetz. Der nächste Schritt wird die umfassende
Reform der Unternehmensbesteuerung sein. Die Erfahrung, die wir gestern in dem sehr fachlichen und sehr
nüchternen Gespräch mit den Experten der OECD gemacht haben, ermutigt uns sehr dazu.
Ich möchte Sie bitten - ich weiß nicht, ob das etwas nutzt -: Besinnen Sie sich wieder darauf, daß
eine politische Partei dem Gemeinwohl verpflichtet ist
und daß Sie nicht nur der Lautsprecher von Verbänden
sind!
({5})
Die Verbände können das alleine. Da müssen Sie nicht
auch noch in dasselbe Horn blasen. Das Ganze klingt
übrigens bei denen häufig vernünftiger als bei Ihnen.
({6})
Ich nenne noch ein Beispiel, was sehr niederschmetternd ist. Natürlich ist es völlig gerechtfertigt, daß die
Finanzvorstände von großen Unternehmen ihre Interessen wahren und wahrnehmen wollen. Aber laufen Sie
doch nicht einfach hinterher. Ein Unternehmen - Daimler-Benz jetzt Daimler-Chrysler -, dessen Vorstandsvorsitzender sich noch vor kurzem damit gebrüstet hat, in
Deutschland für den Rest dieses Jahrhunderts - das ist ja
nicht mehr lange, aber immerhin hat er das vor ein paar
Jahren erzählt - keine Steuern mehr zu zahlen, droht
jetzt, ins Ausland zu gehen, wenn es nicht entlastet wird.
Ich danke Ihnen, daß Sie nicht auch noch angedroht haben, ins Ausland zu gehen.
({7})
Wir müssen doch ein Stück Nüchternheit bewahren.
Meine Damen und Herren, wir werden konsequent
unsere Steuerpolitik fortsetzen zum Wohle eines fairen
Wettbewerbs und mit dem Ziel der Besteuerung nach
der Leistungsfähigkeit. Es war leider nicht möglich, daß
Sie sich, Herr Kollege Rauen, obwohl Sie im Finanzausschuß oft vernünftige Beiträge leisten, in Ihrer Partei
durchsetzen. Die Koalition, die 16 Jahre dieses Land regiert hat, hat dazu überhaupt nichts beigetragen. Sie haben eine Unordnung hinterlassen, die der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit unseres Landes leider geschadet hat. Wir werden das wieder in Ordnung bringen.
({8})
Jetzt erteile ich dem
Kollegen Jochen-Konrad Fromme, CDU/CSU-Fraktion,
das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Spiller,
keine Angst, wir werden nicht - so wie Ihr Finanzminister - fahnenflüchtig, auch wenn Sie uns dazu auffordern.
({0})
Meine Damen und Herren, ich fordere Sie auf: Machen Sie mit den Ministerpräsidenten heute abend das,
was Sie mit Herrn Eichel nach der Hessen-Wahl gemacht haben! Fordern Sie sie auf, ihre Meinung zu ändern und im Bundesrat den Vermittlungsausschuß anzurufen!
Die Gesetze, die Sie vorgelegt haben, schaffen - wie
Sie es versprochen haben - Arbeitsplätze, aber nicht auf
dem ersten Arbeitsmarkt, sondern bei den Steuerberatern, bei der Finanzverwaltung, bei den Schwarzarbeitern und insbesondere im Ausland, aber nicht, so wie es
eigentlich Ihr Ziel war, in Deutschland.
({1})
Die Steuerberater selber sagen, daß sie funktionierende
Gesetze haben möchten. Diese Gesetze möchten sie gerade nicht haben.
({2})
- Herr Poß, bleiben Sie ruhig!
Sie haben vier Anläufe unternommen, um die Mindestbesteuerung durchzusetzen, und immer noch wird
sie als verfassungswidrig betrachtet.
({3})
Sie mußten nach Gesprächen mit der Versicherungswirtschaft eine Kommission einsetzen, um nachzubessern.
Sie haben - das wurde schon angesprochen - mit
Daimler-Benz sprechen müssen. Sie haben gesagt - so
auch Sie, Herr Poß, gerade eben -, die Kumpel in der
Braunkohle- und Steinkohlewirtschaft könnten sich auf
die SPD verlassen. Ich weiß gar nicht, warum sie dann
gegen Ihre Steuerreform Sturm laufen. Die Zeitungsverlage sind auf die Barrikaden gegangen.
({4})
Sie haben gesagt, Sie wollten einen Kurswechsel.
Zumindest haben Sie das noch vor kurzem gesagt; hinterher wollten Sie das nicht mehr wahrhaben. Dann
müssen Sie doch vorher etwas falsch gemacht haben;
sonst hätten Sie gar keinen Kurswechsel ankündigen
müssen. Aber Sie vollziehen ihn natürlich nicht.
Wie ein roter Faden zieht sich durch Ihr gesamtes
Konzept das Ansinnen, Liquidität aus den Unternehmen
abzuziehen, um einige wenige Wohltaten zu erfüllen. Es
ist verantwortungslos, wie Sie mit der Öffentlichkeit
umgehen.
({5})
Sie tun immer so, als würden Sie nachbessern. An einigen Stellen haben Sie auch etwas nachgebessert. Aber
nehmen wir das Beispiel der Teilwertabschreibung: Statt
3,2 Milliarden DM wollen Sie jetzt noch 2,4 Milliarden
DM erzielen. Also bleiben Sie doch bei dem Instrument.
Wenn man aus einem Kardinalfehler einen Fehler
macht, dann bleibt es bei einem Fehler. Das kennzeichnet Ihre Steuerreform: Sie bleibt ein Fehler.
({6})
Sie haben die „Neue Mitte“, den Mittelstand enttäuscht. Jetzt versuchen Sie, Nebelkerzen zu werfen, indem Sie auf die Unternehmensteuerreform verweisen.
Sie tun immer so, als würde dieser Kreis in einem zweiten Schritt entlastet. Was wollen Sie denn eigentlich?
Herr Poß hat gesagt, das Volumen werde nicht reduziert;
Herr Schwanhold hat genau das Gegenteil gesagt. In der
Öffentlichkeit erzeugen Sie immer den Eindruck, in einem zweiten Schritt, mit einer Unternehmensteuerreform, sollen die Steuern für diese Kreise gesenkt werden. Wenn Sie das wirklich vorhaben, kann ich nur sagen: Nehmen Sie das Ganze, machen Sie es neu, und
verabschieden Sie es in einem Schritt! Dann wäre das
auch glaubwürdig, aber so nicht.
({7})
Die Regelungen zu den 630-Mark-Beschäftigungsverhältnissen sind ein einziges Abkassierungsmodell.
({8})
Von den 4,5 Millionen Menschen, die jetzt in 630-MarkBeschäftigungsverhältnissen stehen, werden in Zukunft
3,5 Millionen steuerpflichtig. Im Finanzausschuß haben
Sie gesagt, Sie wollten nur 1 Million Bescheinigungen
für die Steuerbefreiung ausstellen. Also muß doch der
Rest steuerpflichtig werden.
({9})
Nun lassen die Ministerpräsidenten verlauten, sie
wollten eine Gesetzesfolgenabschätzung - nachdem das
Gesetz verabschiedet ist. So etwas brauche ich doch als
Grundlage für eine Entscheidung. Sie verfahren nach
dem Motto: Wir probieren aus, mal sehen, was rauskommt. - Nachdem Sie die Richtung verloren haben,
verdoppeln Sie beim Rudern die Anstrengungen. So
kann es nicht gehen.
({10})
Sie sagen, wir würden die Ministerpräsidenten in verfassungswidriger Weise beeinflussen. Nein, meine Damen und Herren, wir ermahnen die Ministerpräsidenten,
den Amtseid, den sie für ihr Land geleistet haben, ernst
zu nehmen. Einer von ihnen hat gesagt: „Erst das Land,
dann die Partei.“ Morgen wird genau das Gegenteil vollzogen.
Deshalb: Ziehen Sie den Gesetzenwurf zurück! Sie
haben selbst gesagt, daß er Murks ist. Frau Kollegin
Scheel - sie ist gerade nicht da - hat geäußert, daß der
Gesetzentwurf so nicht richtig ist.
Ich erinnere mich an eine Äußerung im Finanzausschuß: Es besteht die Wahrscheinlichkeit, daß diese
Norm angewendet werden kann. Das ist handwerkliche
Schlamperei. Da kann es nichts anderes geben als: Einpacken, neu machen und dann Vertrauen erwerben!
Danke schön.
({11})
Jetzt hat das Wort
der Kollege Lothar Binding, SPD-Fraktion.
Sehr geehrte
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich
habe von Herrn Thiele gehört, daß es in den Osterferien
eine Sondersitzung geben soll. Daraufhin habe ich mich
sehr aufgeregt und dachte: Das ist schlimm; das kostet
wahnsinnig viel. Sie haben den Nährboden dafür bereitet.
({0})
Jetzt habe ich gehört, daß der Ältestenrat beschlossen
hat, keine Sondersitzung druchzuführen.
({1})
Ich glaube, daß mit diesem Beispiel Ihrer Öffentlichkeitsarbeit klar wird, wie Sie Politik machen.
({2})
Sie sagen, wir würden uns bestimmten Debatten entziehen. Richtig ist aber, daß wir uns zielführenden Debatten sehr gern stellen. Das sind nämlich Debatten, die
unserer Gesellschaft helfen, die unserer Wirtschaft helJochen-Konrad Fromme
fen, die den Menschen helfen. Aber ich muß hier etwas
ganz anderes erleben: Es werden Aktuelle Stunden mit
eigentlich nur einem Ziel beantragt, nämlich Plenarzeit
zu verbrauchen. Es werden Anhörungen unter dem
Deckmantel beantragt, Öffentlichkeit herzustellen, Betroffene und Experten zu hören. In Wahrheit werden
aber so viele Experten eingeladen, daß von vornherein
klar ist: Man kann überhaupt nur 30 Prozent dieser Experten befragen; die anderen 70 Prozent gehen verärgert
nach Hause und sagen: Wir sind eingeladen worden und
durften gar nicht reden. Ich habe Ausschußsitzungen
erlebt, in denen so lange filibustert wurde, daß die Sitzung um 2 Uhr nachts noch immer nicht zu Ende war.
Ich habe - das gibt mir zu denken - erlebt, daß ein Berichterstatter versucht hat,
({3})
durch nicht vollzogene Protokollunterzeichnungen den
Parlamentsbetrieb aufzuhalten. Ich halte das alles nicht
für legitime Anliegen, die jemand, der seriöse Politik
macht, zu verfolgen hat.
({4})
Ich glaube, daß Parlament und Regierung die Verantwortung tragen, die Rahmenbedingungen für Gesellschaft und Wirtschaft zu definieren. Aber die Rahmenbedingungen werden auch durch das Verhalten der Opposition definiert. Das heißt, wenn man feststellt, daß
eine Regierung oder eine Regierungskoalition einen
Fehler macht, muß man einen konstruktiven Gegenvorschlag machen. Das ist die Aufgabe einer Opposition.
Da, muß ich sagen, habe ich bei Ihnen relativ wenig gefunden. Ich glaube, daß Sie Ihrer Verantwortung in der
Opposition damit nicht gerecht werden.
Mit dem Verfahren, das ich eingangs nannte, nämlich
durch eine Falschmeldung Aufregung zu erzeugen, um
das Dementi in den vielen anderen nachfolgenden
Falschmeldungen untergehen zu lassen, haben Sie auch
für den deutschen Wirtschaftsstandort ein weltweites
Negativmarketing betrieben.
({5})
Ich glaube, daß unserem Volk durch die Summe Ihrer
Äußerungen großer Schaden zugefügt wurde. Ihr Verhalten hilft nämlich weder der Wirtschaft noch dem
Handwerk, noch den Familien. Es hilft auch nicht unserer weltweiten Reputation.
Es gibt ein weiteres Moment, das ich ansprechen
möchte: das der Verallgemeinerung. Es stimmt, wenn
Sie sagen, wir würden „die Wirtschaft“ belasten.
({6})
All die, die bisher keine oder wenig Steuern zahlen,
sollen künftig mehr Steuern zahlen. Aber Sie sagen
nicht, daß wir die Wirtschaft auch entlasten. Gerechte
Besteuerung heißt, die, die keine Steuern zahlen, aber
die Infrastruktur nutzen, die mit den Steuern der anderen
bezahlt wurde, zu belasten.
({7})
Der entscheidende Punkt ist, daß Steuergerechtigkeit
beide Momente aufweist, nämlich Belastung derjenigen,
die sich ihrer Pflicht entziehen, und Entlastung derjenigen, die ihre Steuern ehrlich zahlen.
Ich glaube, daß wir einer gerechten gesellschaftlichen
Entwicklung mit der Entlastung der Arbeitnehmer, mit
der Entlastung des Mittelstandes, mit der Belastung der
Konzerne, die bisher kaum Steuern zahlen, sehr wohl
einen vernünftigen Boden bereitet haben. Ich bitte Sie,
dies unter Marketinggesichtspunkten für Deutschland
entsprechend differenziert darzustellen. Ich glaube, daß
wir gerade unter dem Gesichtspunkt der differenzierten
Darstellung wirtschafts- und finanzpolitischer Zusammenhänge Oskar Lafontaine noch sehr vermissen werden.
({8})
Jetzt hat das Wort
Otto Bernhardt, CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin!
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist sicher
richtig, daß in der Bundesrepublik schon mancher Minister zurückgetreten ist. Aber noch nie hat ein Rücktritt
eines Ministers so positive Signale ausgeübt,
({0})
sei es an den nationalen oder internationalen Börsen
oder seien es die Erwartungen an die wirtschaftliche Zukunft.
Mit dem Namen Lafontaine werden in Deutschland
insbesondere vier Dinge verbunden: erstens das Steuerchaos der letzten Monate, zweitens die in Wissenschaft und Praxis längst widerlegte These von der nachfrageorientierten Wirtschafts- und Finanzpolitik,
({1})
drittens das sogenannte Steuerentlastungsgesetz - Herr
Kollege Müller, Sie wissen genau wie ich, die Entlastung ist nicht für 1999 und nicht für das Jahr 2000 vorgesehen, sondern, wenn überhaupt, für das Jahr 2002;
von daher verdient dieses Gesetz sicher nicht den Namen Entlastungsgesetz -,
({2})
viertens das Ökosteuergesetz. Wenn wir letzteres genau
betrachten, ist es doch auf der einen Seite schlicht ein
Energiesteuererhöhungsgesetz und auf der anderen Seite
eine Erhöhung des Bundeszuschusses zu den Sozialversicherungen.
({3})
Allerdings gibt es nicht nur innerhalb der CDU/CSU
und der F.D.P. sowie den von Ihnen vielzitierten WirtLothar Binding ({4})
schaftsverbänden unterschiedliche Beurteilungen dieser
Gesetze. Interessant ist, daß Minister Müller - er ist leider nicht da - zum Teil ein deutliches Absenken der
Körperschaftsteuer auf 35 Prozent fordert. Die GrünenKollegin Frau Scheel sagt, das ist nicht genug, es müssen 23 Prozent sein. Klaus Müller von den Grünen erklärt im WDR, die Unternehmensbesteuerung sei international nicht wettbewerbsfähig. Recht hat er, meine
Damen und Herren. Nur erklärt zur gleichen Zeit der
Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion, es sei „Unsinn, über neue Unternehmensbesteuerungen zu spekulieren“. Der Kollege Poß von der SPD erklärt, es gebe
keinen weiteren Spielraum für Steuersenkungen. Herr
von Larcher, ebenfalls sozialdemokratischer Kollege,
sagt sogar, weitere Steuerentlastungen seien fahrlässig.
({5})
Meine Damen und Herren, wenn wir eine Bilanz der
Finanzpolitik von Oskar Lafontaine ziehen, ist das Urteil
von Karl Otto Pöhl, ehemaliger Bundesbankpräsident,
SPD-Mitglied besonders wichtig. Er nennt die Finanzpolitik von Oskar Lafontaine eine „kurzsichtige und naive Politik, die von wenig Kenntnis der Märkte zeugt“.
Ich glaube, das ist ein Satz, über den wir alle nachdenken sollten.
({6})
Mehrere Redner haben den Besuch gestern in Paris
bei der OECD, an dem auch ich beteiligt war, angesprochen. Die Aktuelle Stunde reicht leider nicht aus, um
ausführlich dazu Stellung zu nehmen. Dort ist gesagt
worden, die Tendenz des Steuergesetzes - niedrigere
Steuern, breitere Bemessungsgrundlage - sei richtig.
Sehen Sie sich einmal das Petersberger Modell an! Das
war genau diese Richtung. Nur, die Steuersenkung im
Jahr 2002 auf 48,5 Prozent, das kann es doch nicht sein.
Was die 8 Prozent effektive Steuerbelastung betrifft,
ist auf Nachfrage klar gesagt worden: Dies gilt nicht für
Einzelunternehmen, nicht für Personengesellschaften.
Jeder hier im Raum weiß doch: Acht von zehn Unternehmen in Deutschland sind Einzelunternehmungen
oder Personengesellschaften.
({7})
Die Wirtschaft hat übrigens längst auf die Steuerpolitik von Rotgrün reagiert: 500 000 zusätzliche Arbeitslose seit dem Regierungswechsel, rückläufiges Wirtschaftswachstum - Sie haben die Zahlen gehört -, Auftragsrückgänge in verschiedenen Branchen. Der langjährige Präsident des Kieler Weltwirtschaftsinstituts, den
ich persönlich sehr schätze, Herr Professor Giersch - Sie
sollten sich das anhören -, hat recht, wenn er sagt: Niedrigere Steuern erfordern niedrigere Staatsausgaben, alles
andere ist ökonomischer Unsinn.
({8})
Ich habe genau gehört: Als der Wirtschaftsminister vorhin erklärt hat, der Staat müsse sich zurücknehmen, hat
von Ihrer Seite niemand geklatscht.
({9})
Ich komme zum Schluß und möchte folgendes erklären. Oskar Lafontaine hat seinen Beitrag zur Verbesserung des wirtschaftspolitischen Klimas in Deutschland
durch seinen Rücktritt geleistet. Leisten Sie Ihren Beitrag, indem Sie diese unseligen Steuergesetze zurückziehen!
({10})
Die Aktuelle Stunde
ist beendet.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 5a und 5b auf:
a) Erste Beratung des von den Abgeordneten Rainer
Funke, Jörg van Essen, Hildebrecht Braun
({0}), weiteren Abgeordneten und der
Fraktion der F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines
Gesetzes zur Änderung des Bürgerlichen Gesetzbuchs ({1})
- Drucksache 14/326 Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuß ({2})
Innenausschuß
Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuß für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
b) Erste Beratung des von den Abgeordneten Christina Schenk, Sabine Jünger, Christine Ostrowski, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der
PDS eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur
Übernahme der gemeinsamen Wohnung nach
Todesfall der Mieterin/des Mieters oder der
Mitmieterin/des Mitmieters ({3})
- Drucksache 14/308 Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuß ({4})
Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuß für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Stunde vorgesehen, wobei die Fraktion
der F.D.P. zehn Minuten erhalten soll. - Ich höre keinen
Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Kollegen
Hildebrecht Braun, F.D.P.-Fraktion, das Wort.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Unsere Rechtswirklichkeit ist oft merkwürdig und in manchen Bereichen auch unerträglich. Ich möchte Ihnen folgenden Sachverhalt nahebringen, der bei uns ohne weiteres möglich ist: Zwei Männer leben über Jahrzehnte
zusammen in dem Bewußtsein, daß sie zueinander gehören und immer füreinander einstehen wollen. Einer erkrankt an Aids; der andere übernimmt in vorbildlicher
Weise Verantwortung und pflegt seinen Partner bis zum
Tod. Der Partner war der Mieter der Wohnung. Die Folge des Vorgangs: Der Freund muß aus der Wohnung
heraus. Und wer kommt in die Wohnung? Der Verstorbene hat kein Testament gemacht und deshalb wird ein
entfernter Verwandter aus Argentinien Erbe. Er hat ein
Recht auf die Wohnung, und zwar mit allen damit zusammenhängenden Rechten, auch dem des Mieterschutzes. Das kann ja wohl so nicht wahr sein!
({0})
Meine Damen und Herren, morgen wird der Deutsche
Bundestag das Staatsangehörigkeitsrecht mit großer
Mehrheit neu gestalten. Parteien der Regierungskoalition und der Opposition werden gemeinsam neues Recht
schaffen, weil sie der Meinung sind, daß die Grundlagen
unserer Gesellschaft mit möglichst großen Mehrheiten
geschaffen werden sollten.
({1})
Auch die Frage des Zusammenlebens der Menschen in
unserem Land gehört zu den gesellschaftlichen Grundlagen unseres Gemeinwesens.
Ein Leben ohne Angst ist eine Voraussetzung für individuelle Freiheit.
({2})
Diskriminierung ist Auslöser vielfältiger Angst. Unser
Gesetzentwurf soll dazu beitragen, in Zukunft Diskriminierung in einem wichtigen Teilbereich zu verhindern
und ein Leben ohne Angst vor dem Verlust der Wohnung zu ermöglichen.
({3})
Ich fordere Sie daher alle auf, in den Beratungen im
Ausschuß, aber auch in der gesellschaftlichen Diskussion zur weiteren Verbesserung unseres Gesetzentwurfes
beizutragen und das Gesetz in Kürze gemeinsam zu beschließen.
Worum geht es nun im einzelnen? Der Gesetzgeber
hat im Jahr 1964 den § 569a in das BGB eingefügt. Dieser besagt, daß der überlebende Ehegatte, der nicht
selbst Vertragspartner des Vermieters war, kraft Gesetzes an Stelle des verstorbenen Ehepartners in das Mietverhältnis eintritt. Die Regelung trug dem Umstand
Rechnung, daß früher regelmäßig - heute allerdings
auch noch sehr häufig - der Ehemann den Mietvertrag
allein unterschrieben hat und die in den überwiegenden
Fällen überlebende Ehefrau nach dem Tod des Mannes
schutzlos wäre, obwohl die Ehewohnung für sie natürlich genau wie für den Ehemann Lebensmittelpunkt man könnte auch sagen: Heimat - geworden war. Zugleich wurde damals festgelegt, daß auch Familienangehörige in das Mietverhältnis eintreten, allerdings nur,
wenn sie mit dem Verstorbenen einen gemeinsamen
Hausstand geführt haben. Das Gesetz stellte also erstens
auf die rechtliche Sonderbeziehung der Ehe, zweitens
auf die Angehörigeneigenschaft und drittens auf die besondere Bedeutung der Wohnung als Lebensmittelpunkt
für die Bewohner ab. Geschützt werden sollten Ehe und
Familie, aber insbesondere die Menschen, die diese
Wohnung gemeinsam mit dem Vertragspartner, also
dem Mieter, bewohnt haben.
Der Gesetzgeber entschied sich auch bei der Abwägung der Rechte des Vermieters, der über sein Eigentum
verfügen können soll, und der Rechte der neben dem
Mieter selbst in der Wohnung lebenden Menschen für
die Mitbewohner, denen ein Umzug erspart werden
sollte, aber eben nur dann, wenn es sich um Ehepartner
oder überlebende Angehörige handelte.
Seit Jahrzehnten beobachten wir nun eine gesellschaftliche Veränderung, die jetzt auch im Gesetz ihren Ausdruck finden soll. Es ist auf der einen Seite nicht
mehr selbstverständlich, daß Menschen, die sich lieben,
auch heiraten. Auf der anderen Seite bilden Menschen
auch ohne eine Liebesbeziehung oft einen gemeinsamen
Hausstand, weil sie nicht allein leben wollen. Ich denke
hier zum Beispiel an die immer häufiger werdenden Seniorengemeinschaften und an die vielen Witwen, aber
auch an die große Zahl der Alleinlebenden, die im Alter
nicht in ein Altenheim gehen wollen, aber auch nicht
mehr allein leben können, weil sie auf die Hilfe einer
anderen Person angewiesen sind. Solche Gemeinschaften von Menschen, die sicherlich unterschiedlich stark
Verantwortung füreinander übernehmen wollen, sollen
und dürfen in Zukunft nicht mehr das Recht auf die
Wohnung verlieren, wenn der Partner oder die Partnerin
verstirbt, der oder die den Mietvertrag abgeschlossen
hat.
({4})
Der Bundesgerichtshof hat das geltende Recht schon
bisher so ausgelegt, daß er ein Recht des überlebenden Partners einer heterosexuellen Lebensgemeinschaft
auf Übernahme der gemeinsamen Wohnung angenommen hat. Aus unerfindlichen Gründen hat der
Bundesgerichtshof dieses Recht homosexuellen Lebensgemeinschaften bisher nicht zugestanden. Für uns
Liberale kommt eine solche Differenzierung nicht in
Frage.
({5})
Warum sollte ein verschiedengeschlechtliches unverheiratetes Paar bessergestellt sein als ein Paar desselben
Geschlechts? - Der Bundesgerichtshof hätte sogar verständlicher entschieden, wenn er einer gleichgeschlechtlichen Lebensgemeinschaft das Übernahmerecht eingeräumt hätte, während er es Unverheirateten verschiedenen Geschlechts verweigert hätte; denn letztere können
heiraten und konnten auf diese Weise schon bisher das
Recht auf Übernahme der gemeinsamen Wohnung erlangen, was das Bundesverfassungsgericht homosexuellen Lebensgemeinschaften bisher verweigert.
Wir wollen aber nicht nur auf die Rechtsprechung
schauen. Wir wollen in das Gesetz hineinschreiben, wer
welche Rechte hat. Wir wollen auch hineinschreiben,
daß für uns die sexuelle Orientierung überhaupt kein geeignetes Kriterium ist. Wir stellen darauf ab, daß zwei
oder mehr Menschen, die einen gemeinsamen Hausstand
haben, in ihrer Wohnung ihren Lebensmittelpunkt eingerichtet haben, der auch dann Lebensmittelpunkt bleiben
soll, wenn ein Partner verstirbt.
({6})
Hildebrecht Braun ({7})
Wir sind uns dessen bewußt, daß mit einer solchen
Regelung der Kreis der Übernahmeberechtigten vergrößert wird, was nicht ohne weiteres den Beifall der
Vermieter finden wird. Aber ich möchte bereits hier ankündigen, daß wir in naher Zukunft einen Entwurf zur
Reform des Mietrechts in das Gesetzgebungsverfahren
einbringen werden. In einem Teil dieses Gesetzentwurfes werden wir eine weitere Interpretation des geltenden
Rechts als durch den BGH vornehmen. Der BGH hat,
wie ich vorhin schon ausführte, auch den Erben, die
nicht mit dem Mieter einen gemeinsamen Hausstand
hatten, sondern möglicherweise im fernen Ausland leben, das Recht auf Eintritt in einen bestehenden Mietvertrag eingeräumt. Die Ausweitung des Kreises derjenigen, die berechtigt sind, einen Mietvertrag zu übernehmen, halten wir Liberale für falsch. Wir werden daher eine Klarstellung im Gesetz beantragen, mit der jedem deutlich gemacht werden soll, daß das Erbrecht
nicht auch das Mietverhältnis, in dem ja eine sehr personengebundene Komponente enthalten ist, mit allen
Rechten umfaßt.
Der BGH hat in seiner Auslegung des geltenden
Rechts dem Erbrecht gar eine größere Bedeutung beigemessen als dem Recht, das einem Angehörigen eines
Hausstandes aus dem tatsächlichen gemeinsamen Leben
in einer bestimmten Wohnung zuwächst. Auch die
Bund-Länder-Arbeitsgruppe, die bekanntlich von der
SPD dominiert war, hat bereits 1996 einen § 575d vorgesehen, der für die Kündigung des Mietverhältnisses
gegenüber dem nicht in Wohngemeinschaft lebenden
Erben kein berechtigtes Interesse mehr erforderte. Dies
bedeutet, anders ausgedrückt, daß die Mehrheit dieser
Arbeitsgruppe damals der Meinung war, daß das Erbrecht nicht in der Weise zum Tragen kommen darf, wie
es der Bundesgerichtshof ausgelegt hat.
Kurz: Wir werden für ein modernes Mietrecht sorgen,
das nicht diskriminiert, sondern alle Menschen in einem
Kernbereich ihres Lebens schützt, nämlich in ihrem engsten Lebensbereich, in ihrer eigenen Wohnung.
Vielen Dank.
({8})
Das Wort hat die
Kollegin Gabriele Iwersen, SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Die Stadtgesellschaft droht
zu vereinsamen. Das ist kein Geheimnis; denn die Tendenz zu immer mehr Einpersonenhaushalten hält leider
ungebrochen an. In den größten Städten Deutschlands
leben inzwischen schon 50 Prozent, in einigen sogar
über 50 Prozent der Einwohner alleine. Besonders im
Alter führt das zur Isolation und zur Abhängigkeit von
öffentlichen und privatwirtschaftlich organisierten Hilfeangeboten, weil die Möglichkeit zur gegenseitigen
Hilfeleistung, wie sie in Familien selbstverständlich ist,
entfällt. Diese Entwicklung führt außerdem zu einer
nicht zu verantwortenden Fehlbelegung großer Wohnungen, und die wiederum führt maßgeblich zum explosionsartigen Wachstum der Städte, selbst bei gleichbleibenden Einwohnerzahlen.
Wir Sozialdemokraten haben deshalb großes Interesse an der Gründung von Lebensgemeinschaften, die
nicht nur gemeinsam haushalten, sondern auch gegenseitige Beistandspflichten übernehmen. Dadurch wird
einerseits der verfügbare Wohnungsbestand besser genutzt, andererseits der Tendenz zu immer mehr Einpersonenhaushalten und der fortschreitenden Vereinsamung
insbesondere im Alter entgegengewirkt.
Aus Sicht der Wohnungspolitiker ist es positiv zu
bewerten, daß sich mehr und mehr Abgeordnete des
Deutschen Bundestages dafür einsetzen, nichtehelichen
Lebensgemeinschaften unabhängig davon, ob sie wegen sexueller Orientierung oder aus völlig anderen
Gründen geschlossen worden sind, Rechtssicherheit
auch über den Tod eines Partners hinaus zu verschaffen.
({0})
Insofern sind wir F.D.P. und PDS dankbar dafür, daß sie
durch ihre Gesetzentwürfe den Anstoß zu dieser Debatte
geben. Vielen Dank!
({1})
Der Aufschrei der Ehe- und Familienschützer - da
muß ich mich wohl mehr an die Mitte dieses Hauses
richten - ist vorprogrammiert, beruht aber mit Sicherheit
auf der Fehlannahme, Ehe und Familie könnten sich
nur dann des wirkungsvollen Schutzes der staatlichen
Ordnung erfreuen, wenn dieser Schutz anderen vorenthalten wird.
Es macht mir übrigens Freude, zu beobachten, wie
sich die F.D.P. Monat für Monat von den Fesseln der
sozialliberalen Koalition erholt. 16 Jahre sind schließlich
eine lange Zeit.
({2})
- Konservativliberale Koalition, die für Sie vermutlich
eine dauerhafte Verpflichtung zur Enthaltsamkeit gewesen ist.
In der Sache sind wir uns also mit den Antragstellern
weitgehend einig. Auf Dauer angelegte Lebensgemeinschaften schaffen sich ein gemeinsames Wohnmilieu,
welches für den Hinterbliebenen genauso wertvoll und
unverzichtbar ist wie für einen Verwitweten.
Wenn wir Ihrem Schnellschuß heute trotzdem keine
Zustimmung signalisieren - die Beratungen liegen aber
noch vor uns -, liegt das an dem von Ihnen, der F.D.P.,
erkannten umfangreichen Regelungsbedarf zum Thema Lebenspartnerschaften. Denn eine Mietrechtsreform muß eine Reihe von antiquierten Regelungen ersetzen, soll einerseits zu einer Mietrechtsvereinfachung
führen - da sind wir uns sicherlich einig - und andererseits Mietern und Vermietern gerecht werden. Eine entsprechende Bund-Länder-Arbeitsgruppe - Herr Braun,
Sie haben sie schon erwähnt - war bereits tätig und hat
1996 ein Ergebnis vorgelegt. Dies hätten Sie in der alten
Koalition bereits 1997 umsetzen können, wenn das ErHildebrecht Braun ({3})
gebnis akzeptabel gewesen wäre und Sie als F.D.P. sich
hätten durchsetzen können. Dafür, daß das nicht geschah, mag es unterschiedliche Gründe geben.
Ich beschreibe einmal den heutzutage gültigen
Rechtsanspruch des Vermieters. Er kann sich in der
Regel seine Mieter aussuchen. Dieses Recht wird nur
durch das Menschenrecht „Anspruch auf Ehe und Familie“ eingeschränkt. Das heißt, wenn ihm, dem Vermieter,
der neu hinzukommende Ehepartner nicht gefällt, dann
kann er trotzdem nicht kündigen. Anders ist es beim
Einzug eines Bekannten oder eines Freundes. Dessen
Mitbenutzung läßt sich über ein Untermietverhältnis regeln. Aber in diesem Fall hat der Vermieter wieder ein
Mitspracherecht; er kann nämlich einfach nein sagen.
Wenn ein Schutzanspruch für auf Dauer angelegte
Lebensgemeinschaften im Mietrecht bzw. im BGB geschaffen werden soll, dann brauchen wir vor allen Dingen eine rechtliche Absicherung dieser Lebensgemeinschaften, die vom Vermieter akzeptiert werden muß, so
wie er es auch bei der Ehe muß.
({4})
Über eine auf Dauer angelegte Veränderung der Lebensumstände eines Mieters müßte - ({5})
- Jetzt besteht ein Unterschied; aber wenn man das ändern will, dann müßte man unter Umständen eine Form
finden, die auch das ermöglicht. - Darum müßte auf jeden Fall - was ich Ihrem Gesetzentwurf nicht entnehmen konnte - der Vermieter darüber informiert werden,
daß eine solche Lebensgemeinschaft gebildet worden ist,
damit nicht nach dem Tod des Mieters der Hinterbliebene zu einer menschenunwürdigen nachträglichen Beweisführung gezwungen wird, daß die Lebensgemeinschaft wirklich auf Dauer angelegt gewesen ist.
Wenn es Ihnen, meine Damen und Herren, natürlich
auch von der PDS, wirklich um den Schutz nichtehelicher Lebensgemeinschaften geht, dann bedenken Sie:
Eine Veränderung des Mietrechts für den Todesfall
reicht nach meiner Ansicht sowieso nicht aus. Denken
Sie bitte auch einmal an den Fall, daß durch die Kündigung des Mieters eine Lebensgemeinschaft verändert
werden muß, weil zum Beispiel der Hauptmieter, so
möchte ich ihn einmal nennen, in ein Pflegeheim gehen
muß. Trotzdem besteht ein Interesse daran, diese Wohnung als einen letzten Hort des gemeinsamen Zuhauses
zu erhalten. Auch das ist in Ihrem Gesetzentwurf nicht
berücksichtigt; denn Sie sprechen immer nur vom Ende
des Mietverhältnisses durch Tod, nicht aber vom Ende
durch Kündigung. Man würde nämlich kündigen, wenn
man ins Pflegeheim geht, und sich nicht einfach totstellen. Es fehlt also noch etwas.
Es gibt auch noch den Fall der Wohngemeinschaften
älterer Personen. Beispiel: Ein Witwer will nicht mehr
allein in einer zu großen Wohnung wohnen und sucht
sich zwei Bekannte, die mit ihm zusammen wohnen. Sie
leben dort bis zum Tod des Mieters gemeinsam und in
guten Verhältnissen. Das Mietverhältnis geht aber automatisch - auch Sie haben es schon erwähnt - auf den
Erben des Verstorbenen und nicht auf die Mitbewohner
über. Mieter - also der neue Mieter, der dazu durch Erbe
geworden ist - und Vermieter haben das Recht, innerhalb der gesetzlichen Frist zu kündigen, während die
Mitbewohner wiederum leer ausgehen. Es nützt ihnen
überhaupt nichts, sich auf eine jahrelange gemeinsame
Haushaltsführung zu berufen; das Erbrecht hat leider
Vorrang. Auch für dieses Problem fehlt eine Lösung. Sie
haben angekündigt, noch mehr vorzulegen; aber solange
keine weiteren Vorlagen vorhanden sind, sind Ihre ganzen Pläne nur sehr dürftig.
({6})
An diesem Beispiel können Sie erkennen, daß die
Reihenfolge Ihrer Bemühungen einfach falsch ist. Erst
brauchen wir die Verbindlichkeit für die besondere
Form der Lebens- oder Hausgemeinschaft, wie man
es auch immer nennen will. Wenn das geschehen ist,
kann man darauf Ansprüche im Mietrecht aufbauen.
Sonst steht nämlich als erstes in jedem Mietvertrag, daß
ein gemeinsamer Hausstand von nicht verwandten Personen ausgeschlossen wird.
Wir wollen auf gar keinen Fall eine Mietrechtsänderung, die die betroffenen Lebensgemeinschaften, also in
erster Linie gleichgeschlechtliche Paare und die Wohngemeinschaften älterer Menschen, vor neue Probleme
stellt und ihre Chancen auf dem Wohnungsmarkt verschlechtert.
Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Braun?
Ja, wenn Sie mir das noch
gestatten.
Das gestatte ich
noch. An sich ist Ihre Redezeit abgelaufen. Darauf haben Sie zu Recht hingewiesen. Aber ich gestatte Herrn
Kollegen Braun eine Zwischenfrage.
Bitte, Herr Braun.
Frau Kollegin Iwersen, wollen Sie das Recht einer überlebenden
Witwe - nehmen wir wieder dieses Beispiel -, die über
Jahre hinweg mit einer anderen Witwe zusammenlebt,
davon abhängig machen, daß wir ein Statut im Bundestag finden, das auch für eine solche Gemeinschaft zusammenlebender Personen geeignet wäre?
Ich möchte Rechtssicherheit für die Lebensgemeinschaft, wenn der Anspruch gestellt wird, in das Mietrecht eintreten zu können. Sie
müssen davon ausgehen, daß der Vermieter Nachfolgemieter, die er selber nie kennenlernt, über eine lange
Reihe von Jahren nicht immer akzeptieren muß. Darum
muß ihm entweder eine Form von Lebensgemeinschaft
präsentiert werden, die er zu akzeptieren hat, oder er
muß darauf einen Einfluß haben. Beides ist hier nicht
vorhanden.
Wir müssen - da werden Sie mir sicherlich auch recht
geben - Rechtsansprüche und Vertrauensschutz für
beide Parteien, die Mietpartei und die Vermieter, organisieren. Sonst funktioniert es nicht. Es geht hier nämlich
nicht in erster Linie um eine moralische Frage, sondern
es steht ein rechtliches Problem zur Diskussion. Es
wundert mich schon, daß sich gerade die F.D.P. überhaupt nicht um die Belange der Vermieter, die in der
Regel Hausbesitzer sind, kümmert. Das wäre eigentlich
gerade ihre Aufgabe.
({0})
Ich bin auf die Beratungen gespannt und bin sicher,
daß in der Zwischenzeit auch von uns ein Gesetzentwurf
vorgelegt werden kann, durch den gerade diese Art der
nichtehelichen Lebensgemeinschaften eine neue rechtliche Form erhalten wird. Dazu werden meine Nachredner
noch Stellung nehmen.
Schönen Dank.
({1})
Das Wort hat nun
der Kollege Eckart von Klaeden, CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Nachdem wir uns in
der Aktuellen Stunde gegenseitig alle Entsetzlichkeiten
dieser Welt bescheinigt haben, sind wir nun wieder im
trauten Kreis der Rechtspolitiker zusammen. Wir beschäftigen uns heute wieder einmal mit einem alten Bekannten, mit dem § 569 a des Bürgerlichen Gesetzbuches. Das einzige, was mich an diesem vertraulichen
Curriculum im Vergleich zu denen, die wir in der letzten
Legislaturperiode zu dem Thema abgehalten haben,
stört, sind die geänderten Mehrheitsverhältnisse. Aber
auch das mag sich vielleicht wieder geben.
({0})
- Ja, das habe ich mir gedacht, daß Sie das nicht stört.
So ist das Empfinden dann doch bei aller Gemeinsamkeit unterschiedlich verteilt.
Es wird Sie nicht wundern, daß wir mit Aufmerksamkeit und Verwunderung zur Kenntnis genommen
haben, daß PDS und F.D.P. einen inhaltlich sehr ähnlichen Antrag eingebracht haben, wir ihm aber trotzdem
in trauter Gemeinsamkeit mit der SPD nicht werden zustimmen können. Das hat unterschiedliche Gründe.
Nachdem ich davon gesprochen habe, daß es sich bei
dem § 569 a BGB um einen alten Bekannten handelt,
will ich ein wenig auf seine Geschichte hinweisen - der
Kollege Braun hat es auch schon getan -: Er geht auf
§ 19 des Mieterschutzgesetzes vom 1. Juni 1923 zurück.
Er ist dann in den § 19 Abs. 1 und 2 des Mieterschutzgesetzes vom 15. Dezember 1942 eingegangen und entsprach damals schon im wesentlichen der heutigen Regelung. Er ist dann - darauf hat Kollege Braun richtig
hingewiesen - 1964 so in das Bürgerliche Gesetzbuch
aufgenommen und seitdem nicht mehr verändert worden.
Der Repetitor, Herr Dr. Hitzemann, den ich an der
Universität Göttingen zu besuchen die Freude hatte, hat
die damaligen patriarchalischen Verhältnisse, die insbesondere im Mietrecht zum Ausdruck kommen und unter
anderem zur Entwicklung des sogenannten Vertrags mit
Schutzwirkung zugunsten Dritter geführt haben, besonders anschaulich geschildert. Es wäre wohl nicht ganz
angebracht, das auch hier zu tun. Trotzdem ist doch der
Hinweis wesentlich, daß damals - unter diesem Eindruck ist diese Vorschrift entstanden - die wesentlichen
Außenbeziehungen der Familie vom Haushaltsvorstand
geregelt wurden; das war in patriarchalischer Tradition
der Mann oder Vater, der die Verträge unterschrieb,
während die Frau, wie es immer wieder so schön hieß
und glücklicherweise heute von uns belächelt wird, für
Kinder, Küche, Kirche usw. zuständig war. Diese Verhältnisse haben sich glücklicherweise geändert. Ich
glaube nicht, daß es auf Grund der jetzt geänderten gesellschaftlichen Verhältnisse angezeigt ist, diese damals
berechtigte Schutzwirkung auf alle möglichen Gemeinschaftsverhältnisse auszudehnen, wie es der Vorschlag
der F.D.P. vorsieht.
Nun hat sich der BGH in der hier schon mehrfach zitierten Entscheidung dazu durchgerungen, diese Schutzfunktion auch auf eheähnliche Gemeinschaften auszudehnen. Ich will hier einmal die Definition des BGH zur
eheähnlichen Gemeinschaft vortragen. Danach ist eine
eheähnliche Gemeinschaft eine Lebensgemeinschaft
zwischen Mann und Frau, die auf Dauer angelegt ist,
daneben keine weitere Lebensgemeinschaft gleicher Art
zuläßt und sich durch innere Bindungen auszeichnet, die
ein gegenseitiges Einstehen der Partner füreinander begründen, also über die Beziehungen in einer reinen
Haushalts- und Wirtschaftsgemeinschaft hinausgeht. Es heißt dort weiter:
Gleichgeschlechtliche und ihrer Art nach nur vorübergehend angelegte Partnerschaften scheiden
damit von vornherein aus.
Nun ist damit aber keine Diskriminierung gleichgeschlechtlicher Lebensgemeinschaften gemeint gewesen;
vielmehr hat der BGH einen wesentlichen Grund für die
Ausdehnung dieser Schutzfunktion darin gesehen, daß
insbesondere den Kindern, die aus eheähnlichen Gemeinschaften hervorgehen, eine besondere Schutzfunktion des Gesetzes zuteil werden soll. Es heißt dort
wörtlich:
Erst recht erscheint es nicht hinnehmbar, dem aus
einer solchen
- also einer eheähnlichen Partnerschaft hervorgegangenen gemeinsamen
nichtehelichen Kind das Eintrittsrecht zu gewähren,
dessen leiblichen überlebenden Elternteil aber ausGabriele Iwersen
zuschließen und auf sein „Recht“ zu verweisen, als
Familienangehöriger des Kindes in der Wohnung
zu verbleiben.
Ich glaube, mit diesem Hinweis hat der BGH zutreffend beschrieben, warum es sinnvoll ist, die Schutzfunktion in Analogie auf die hier definierte eheähnliche
Gemeinschaft, aber nicht auf weitere Lebensgemeinschaften auszudehnen.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Westerwelle?
Ja, gerne.
Bitte sehr.
Sie haben jetzt die
Meinung des BGH vorgetragen. Als Juristen wissen wir,
daß der BGH die Gesetze anwendet und an Hand der
Gesetze, die wir hier beschließen, eine Rechtsprechung
entwickelt. Die Meinung des BGH kennen alle, die hier
sitzen. Wir wüßten nur gern Ihre Meinung; denn wie die
Rechtsprechung des BGH ist, entscheiden ja auch wir.
Deswegen ist meine Frage an Sie: Wie ist denn Ihre
Meinung dazu? Ist es Ihrer persönlichen Auffassung
nach wirklich zulässig, daß ein heterosexuelles nichteheliches Paar gegenseitige Rechte aus einem Mietvertrag herleiten kann, ein - selbstverständlich unverheiratetes - homosexuelles Paar dagegen nicht? Kann das
Kind, das aus nichtehelichen heterosexuellen Beziehungen stammt, das einzige Kriterium sein, wo doch zahlreiche nichteheliche Lebensgemeinschaften geschützt
werden, ohne daß sie Kinder hätten?
Herr Kollege
Westerwelle, ich wäre zu diesem Punkt gleich gekommen. Ich halte das in der Tat für ein wesentliches Kriterium. - Sie können sich gerne setzen; denn ich bin mit
ausreichend Redezeit ausgestattet, so daß ich diese Unterbrechung nicht benötige.
Ich halte diese Differenzierung in der Tat für eine
vernünftige Differenzierung; denn der BGH führt in seiner Entscheidung des weiteren aus, daß diese Ausweitung der Schutzfunktion die Dispositionsfreiheit des
Vermieters seiner Ansicht nach nicht über Gebühr strapaziert. Im Gegensatz dazu würde die Dispositionsfreiheit des Vermieters meiner Meinung nach in einer nicht
mehr vernünftigen Weise beschränkt, wenn wir die
Schutzfunktion auf weitere Lebensgemeinschaften ausdehnen würden, insbesondere - wie Sie es vorgeschlagen haben - auf alle möglichen Lebensgemeinschaften.
Ich bin nicht der Ansicht, daß das verfassungswidrig wäre. Aber ich bin durchaus der Meinung, daß es da Probleme gibt. Ich will dazu nur auf die Verfassungsgerichtsentscheidung hinweisen, die in der „NJW“ 1990,
Heft 25, abgedruckt ist und in der es heißt:
Der Eigentümer darf auch nicht verpflichtet werden, sämtliche Mitbewohner des jeweiligen Mieters
als Nachfolger zu akzeptieren, ohne auf die Person
des Vertragspartners noch in irgendeiner Weise
Einfluß nehmen zu können.
Ich glaube nicht, daß dieser Zustand bei Umsetzung
Ihres Vorschlages letztendlich erreicht würde. Meiner
Meinung nach aber würde dadurch in der Austarierung
von sinnvoller Schutzfunktion auf der einen Seite und
Vertragsfreiheit auf der anderen Seite der Ausschlag zu
sehr zuungunsten der Vertragsfreiheit gehen; denn zur
Vertragsfreiheit gehört nicht nur, daß die Vertragspartner gemeinsam den Vertragsgegenstand bestimmen
können, sondern man muß sich seine Vertragspartner
auch aussuchen können. Aus vernünftigen Gründen ist
das im Mietrecht - wie wir das auch bei der Regelung
des § 569 a BGB feststellen können - zum Teil eingeschränkt. Aber ich meine, daß es einer weiteren gesetzlichen Regelung hierzu jedenfalls nicht bedarf.
Ich will mit einem Zitat schließen und deutlich machen, warum wir an einer derartigen Regelung nicht
interessiert sind, gleichwohl aber der Ansicht sind,
daß Lebensgemeinschaften, in denen gegenseitig Verantwortung übernommen wird, natürlich zu begrüßen
sind.
Lassen Sie noch eine
Zwischenfrage zu?
Bitte, wenn Herr
Braun noch eine Frage stellen möchte.
Herr von
Klaeden, bevor Sie zum Schluß kommen, möchte ich
Sie noch fragen: Können Sie sich erklären, warum Ihre
Vertreter in der alten Koalitionsarbeitsgruppe
„Mietrecht“, die ja in der letzten Legislaturperiode sehr
intensiv das gesamte Mietrecht diskutiert hat, in diesem
Punkt in Übereinstimmung mit der F.D.P. genau die
vorgeschlagene Formulierung für richtig erkannt haben?
({0})
Wenn zwei alte Menschen gleichen Geschlechts zusammenwohnen, weil sie beide gebrechlich sind und
einander helfen wollen, dann erhält der Überlebende
dieser Gemeinschaft keinen Schutz. Wären sie verschiedenen Geschlechts, würden sie von der Rechtsprechung
des BGH geschützt werden, auch wenn sie keine Ehe
führen. Können Sie mir erklären, worin der Unterschied
liegen soll?
Herr Kollege
Braun, ich bin wie Sie der Ansicht - Sie haben es ja in
Ihrer Rede ausgeführt -, daß die sexuelle Orientierung
mit der Frage des Bestehens oder Nichtbestehens eines
Mietverhältnisses überhaupt nichts zu tun hat. In diesem
Punkt sind wir völlig einer Meinung. Ihre Anmerkung
führt mich aber dazu, zu sagen, daß man Kritik an der
analogen Anwendung des § 569a BGB auf eheähnliche
Gemeinschaften durch den BGH üben kann. Ich glaube
nicht, daß man weitere Analogien auf andere Lebensverhältnisse übertragen sollte.
({0})
In der Analyse stimmen wir überein. Ich bin aber
nicht der Meinung, daß das Aufstellen weiterer Analogien notwendig ist. Andere Kollegen - ich erinnere in diesem Zusammenhang insbesondere an den von uns allen
geschätzten Kollegen Dr. Dietrich Mahlo - haben in ihren Reden im Plenum immer wieder deutlich gemacht,
daß sie einer Veränderung des § 569 a BGB, so wie sie
jetzt von beiden Flügeln des Hauses gemeinsam vorgeschlagen wurde, nicht zustimmen können.
Ich will zum Schluß sagen, daß es für den Schutz dieser Lebensgemeinschaften überhaupt keine Rolle spielt,
ob es sich um hetero- oder homosexuelle Lebensgemeinschaften, um die von Ihnen angesprochene Seniorenwohngemeinschaft oder um eine andere Form des
Zusammenlebens handelt, in der man Verantwortung
füreinander übernimmt. Ich begrüße es, daß es diese Lebensgemeinschaften gibt. Man sollte sie soweit wie
möglich schützen und unterstützen.
({1})
Ich bin aber der Meinung, daß die Einschränkung der
Vertragsfreiheit - dies habe ich bereits erläutert - hier
nicht nötig ist. Ich bin ferner der Meinung, daß es einen
entsprechenden sozialen Handlungsbedarf nicht gibt.
Ich will mit einem Zitat des Kollegen Jürgen Sonnenschein enden:
Zu bedenken ist auch, daß die rechtlich einfachste
Lösung immer noch die klarste ist. Beziehen die
Partner einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft
die Wohnung gemeinsam, können sie den Mietvertrag als Mitmieter abschließen. Kommt der Partner
erst später hinzu, sollte er im Einvernehmen mit
dem Vermieter schon zu Lebzeiten des Mieters in
das Mietverhältnis einbezogen oder von diesem
zum Erben eingesetzt werden.
Die Möglichkeit der Einbeziehung des Partners ist also
schon gegeben, so daß das Mietrecht nicht weiter reguliert oder verkompliziert werden muß.
Die Vertragsfreiheit sollte man - ich hatte eine ähnliche Haltung bei den Liberalen angenommen -, bei aller
Regulierung, die es in diesem Staate ohnehin schon gibt,
soweit wie möglich schützen. Deswegen bringt nach
meiner Ansicht die Ausweitung des § 569a BGB im Ergebnis nichts, sondern führt nur zu weiteren Schwierigkeiten und zu weiteren Komplikationen.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({2})
Nun erteile ich das
Wort dem Kollegen Volker Beck, Bündnis 90/Die Grünen.
Meine Damen und Herren! Im Grunde sind wir uns
einig: Niemand darf wegen seiner sexuellen Orientierung diskriminiert oder benachteiligt werden.
Wir arbeiten an einer Änderung des Mietrechts.
Wir werden durch diese Änderung insbesondere
auch die Benachteiligung gleichgeschlechtlicher
Partner, die mit dem Mieter einen auf Dauer angelegten gemeinsamen Haushalt geführt haben und
die nach dessen Tod in das Mietverhältnis eintreten
wollen, beseitigen. Ich meine, daß wir auf diese
Weise insgesamt eine sachgerechte Weiterentwicklung unseres Mietrechts erreichen.
({0})
- Das verdient eigentlich auch den Beifall der F.D.P.;
das war nämlich der Wortlaut der Rede, die der damalige Parlamentarische Staatssekretär Rainer Funke am
26. Juni 1997 hier im Hause gehalten hat.
({1})
Ich dachte mir, wenn Sie von der F.D.P. unseren grünen Gesetzentwurf aus der vergangenen Wahlperiode
Wort für Wort abschreiben, kann ich spaßeshalber Ihre
damaligen Reden zum § 569 a BGB halten. In puncto
geistiges Eigentum sind Sie heute offensichtlich nicht an
Art. 14 GG gebunden gewesen. Sie hätten wenigstens
einmal darauf verweisen können, woher Sie den Text
haben.
({2})
Aber Spaß beiseite; es geht heute wirklich um ein ernstes Thema.
Es gibt allerdings einen riesigen Unterschied zwischen Ihnen, meine Damen und Herren von der F.D.P.,
und uns: Ihre damals groß angekündigte Mietrechtsreform ist nie Wirklichkeit geworden, sondern ins Nirwana gebrochener Versprechen entschwunden. Unsere Koalition dagegen macht mit der umfassenden Mietrechtsreform ernst und wird in diesem Jahr Entsprechendes
vorlegen. Darin werden wir auch die Sonderrechtsnachfolge im Todesfall neu regeln. Wir werden aber darüber
hinausgehen. Wir wollen die Gleichstellung auch in
weiteren Bereichen verwirklichen, in denen das geltende
Mietrecht darauf abstellt, ob zum Hausstand des Mieters
gehörende Personen oder Familienangehörige vorhanden sind.
Kurzum, wir wollen das gründlicher machen. Wir haben jetzt die Kapazitäten und die Unterstützung des
Bundesjustizministeriums. Die werden wir politisch nutzen. Damit kommen wir in einer kooperativen Atmosphäre ein gutes Stück voran. Es ist auch für die Menschen draußen im Lande das Beste, wenn wir hier eine
umfassende Reform anpacken.
({3})
Das Mietrecht ist aber nur ein kleiner Ausschnitt dieses Themas. Es geht um eine ganze Reihe von anderen
Problemen. Wenn Sie, Herr von Klaeden, hier zum Ausdruck bringen, daß Sie die Mietrechtslösung nicht wollten, zugleich aber davon sprechen, daß Sie auf Dauer
angelegte gleichgeschlechtliche Lebensgemeinschaften schützen wollen,
({4})
dann möchte ich einmal Ihr rechtspolitisches Konzept
kennenlernen. Damit, daß Sie sagen, Sie fänden gleichgeschlechtliche Lebensgemeinschaften okay und wollten
sie auch irgendwie schützen, ist diesen Menschen nicht
geholfen. Sie wollen von uns ganz konkrete Regelungen.
Dazu ist die Politik, dazu sind wir als Gesetzgeber verpflichtet.
({5})
Daß Sie hier den BGH verteidigt haben, kritisiere ich;
denn der Duktus der Begründung dieses Urteils war ein
ausdrücklich diskriminierender. Der Satz, der zum Ausschluß der Homosexuellen führt, besagte: Das gilt nicht
für homosexuelle und andere nicht auf Dauer angelegte
Lebensgemeinschaften.
({6})
Das spricht homosexuellen Menschen grundsätzlich die
Fähigkeit zu auf Dauer angelegten Lebensgemeinschaften ab, und das ist eine Ungeheuerlichkeit, die man auch
bei einem obersten Gericht zurückweisen muß.
({7})
Es ist ein gutes Zeichen - das darf man bei einer solchen Debatte auch einmal feststellen -, daß an einem
Tag wie dem heutigen zwei Drittel des Hauses - so gut
ist die CDU/CSU heute nicht besetzt; deshalb sind es
sogar mehr - dafür sind, etwas für die Rechte von homosexuellen Paaren und auch von anderen Lebensformen zu tun. Vor 10 oder 15 Jahren wäre bei dieser Frage
ein solches Mehrheitsverhältnis nicht möglich gewesen.
Das zeigt, daß die Gesellschaft auch hier vorangeschritten ist. Wir stellen das mit Befriedigung fest.
({8})
Herr von Klaeden, Konservative beklagen - manchmal durchaus mit unserer Unterstützung -, daß es in der
Gesellschaft zunehmend an Mitmenschlichkeit fehle,
daß der Egoismus zunehme, daß Vereinzelungstendenzen dazu führten, daß Menschen vereinsamen und Solidaritätsstrukturen in der Gesellschaft zusammenbrechen,
und daß nach dem Staat gerufen werde, weil es in der
Gesellschaft an entsprechenden Kräften fehle. Wenn wir
dies aber beklagen, dann dürfen wir nicht da wegschauen, wo Mitmenschlichkeit vorhanden ist, wo Verantwortung von Menschen füreinander auf Dauer übernommen wird und wo Menschen über Jahre und Jahrzehnte füreinander einstehen. Dann dürfen wir uns als
Gesetzgeber nicht nach einer gesellschaftspolitischen
Fiktion richten, sondern müssen uns hier an den Realitäten ausrichten. Das heißt, wir brauchen die Anerkennung auch gleichgeschlechtlicher Lebensgemeinschaften
im Familienrecht. Diese Koalition hat sich diesen Punkt,
die eingetragene Lebenspartnerschaft, als eines ihrer Reformprojekte auf die Fahnen geschrieben. Ich lade alle
Oppositionsfraktionen ausdrücklich ein, sich an dem gesellschaftspolitischen Prozeß wie an der Gesetzgebung
aktiv und konstruktiv zu beteiligen, weil wir eine gute
Lösung für die Menschen erreichen wollen.
Ich will Ihnen ein paar Sachen nennen, um die es da
geht. Da geht es nicht um Petitessen und auch nicht um
Symbolik, sondern um brennende Probleme von Menschen, die zusammen leben wollen, die dafür aber keinen rechtlichen Rahmen haben, weil das privatrechtlich
vertraglich nicht zu regeln ist.
Da werden Partner, die zum Beispiel zum Studieren
aus den USA hierher gekommen sind und sich hier an
der Universität verlieben - so etwas kommt ja vor, und
zwar nicht nur bei Heterosexuellen, sondern auch bei
Homosexuellen - und die nach Ende des Studiums ihr
gemeinsam aufgebautes Leben fortsetzen wollen, des
Landes verwiesen. Sie erhalten hier weder Aufenthaltstitel noch Arbeitsgenehmigung, weil die gleichgeschlechtliche Lebensgemeinschaft nicht den Schutz des
Rechtes verlangen kann. Hier werden Leben und Liebe
von Menschen zerstört. Ich finde, dazu hat der Gesetzgeber kein Recht. Er darf da nicht wegschauen.
({9})
Es gibt Leute, die in Mietwohnungen wohnen. Andere wohnen in Eigentumswohnungen und haben sich
diese im Laufe des Lebens gemeinsam erspart, erarbeitet, haben sie schuldenfrei gekriegt. Dann verstirbt einer
der beiden Partner; das kommt auf Grund von Aids bei
jungen Männern und Männern mittleren Alters häufiger
vor. Der Überlebende ist dann trotz Testaments vor die
Situation gestellt, daß ein Teil der Wohnung auf Grund
der Pflichtteilsansprüche auf einmal der „buckligen“
Verwandtschaft gehört und ein anderer Teil dem Finanzminister - wie auch immer er dann heißen mag -,
({10})
weil weder ein Freibetrag bei der Erbschaftsteuer über
10 000 DM hinaus gewährt wird noch bei den Steuersätzen darauf Rücksicht genommen wird, welche enge Beziehung das war und daß die Partner ihr Leben auch
ökonomisch gemeinsam geplant und gemeinsam auf die
Schiene gesetzt haben. Hier müssen die Menschen unter
Umständen den Auszug aus der Wohnung und zusätzlich den Verlust des Partners verkraften. Das ist eine unnötige Grausamkeit, die der Gesetzgeber mit einem Federstrich beseitigen kann. Deshalb brauchen wir ein solches Gesetz zur eingetragenen Lebenspartnerschaft.
Ein weiteres Beispiel: Berlin-Umzug. Eine Frau in
einer lesbischen Partnerschaft arbeitet in der Bundestagsverwaltung. Ihre Freundin ist an einem Lehrstuhl der
Bonner Universität beschäftigt. Die Kollegin aus der
Bundestagsverwaltung zieht nach Berlin. Ihre Freundin
Volker Beck ({11})
möchte nach einer Weile nachziehen, weil sie beide das
Pendeln auf Dauer satt haben. - Das ist nur zu verständlich; das ist kein Zustand auf Dauer. - Sie bekommt
aber drei Monate lang kein Arbeitslosengeld, weil es
kein rechtfertigender Grund ist, eine Stelle aufzugeben,
um dem gleichgeschlechtlichen Partner hinterherzuziehen, weil diese Lebensgemeinschaft keine Anerkennung
des Rechtes genießt. Auch das ist eine nicht zu rechtfertigende Schikane, die wir dringend abstellen müssen.
({12})
Wir müssen klarmachen: Homosexuelle Menschen
sind Bürgerinnen und Bürger wie alle anderen auch: mit
gleichen Rechten, mit gleichen Pflichten. Sie sind Steuerzahler und Steuerzahlerinnen. Sie sind Wähler und
Wählerinnen. Sie haben deshalb auch den Anspruch, daß
wir als Gesetzgeber uns hier aufmachen. Wir sollten
würdigen, wenn Verantwortung füreinander übernommen wird. Wir sollten uns gegenüber neuen Familienformen öffnen und uns an den Realitäten und nicht an
den Ideologien der 50er Jahre oder des 19. Jahrhunderts
orientieren.
Der Schutz von Ehe und Familie besteht darin, daß
wir insbesondere das Zusammenleben mit Kindern fördern: Familie ist, wo Kinder sind.
({13})
Sie haben bei der Familienförderung jahrelang nicht auf
die Kinderförderung geachtet. Der Schutz von Ehe und
Familie besteht für Sie darin, daß alles, was nicht Ihren
Vorstellungen von Zusammenleben entspricht, rechtlich
benachteiligt, gesellschaftlich unterdrückt wird.
({14})
Da hat Ihnen das Bundesverfassungsgericht vor einigen
Wochen mit Recht eine klare Absage ins Stammbuch
geschrieben.
Ich denke, Sie sollten sich jetzt für die rechtliche Anerkennung anderer und neuer Lebensformen öffnen. Das
Recht muß sich an der Realität orientieren. Jede Liebe
verdient Respekt.
({15})
Als
nächste Rednerin hat das Wort die Kollegin Christina
Schenk von der PDS-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine
Damen und Herren! Nach geltendem Recht haben nur
Ehegatten oder andere Familienangehörige beim Todesfall der Mieterin oder des Mieters das Recht, den Mietvertrag für die gemeinsam bewohnte Wohnung fortzusetzen. Das bedeutet Rechtsunsicherheit, und zwar nicht
nur für nicht verheiratete Paare mit gemeinsamem
Haushalt, sondern für alle, die aus den verschiedensten
Gründen in einer Wohngemeinschaft zusammenleben.
Beim Tod des Mieters oder der Mieterin haben sie keinen gesetzlichen Anspruch auf Fortsetzung des Mietvertrages.
Der Bundesgerichtshof - das ist hier schon öfter gesagt worden - hat diese Situation in seiner Rechtsprechung ein wenig verbessert. Seit 1993 gilt der Mietschutz von Ehegatten und Familienangehörigen nach
§ 569 BGB auch für heterosexuelle Lebensgemeinschaften. Homosexuelle Paare hingegen hat der Bundesgerichtshof von einer solchen Regelung ausdrücklich
ausgenommen.
Wir meinen, daß eine solche Unterscheidung nicht
akzeptabel ist.
({0})
Es gibt überhaupt keinen Grund, homosexuelle Lebensgemeinschaften gegenüber heterosexuellen Paaren zu
benachteiligen. Die notwendige Änderung in § 569 des
Bürgerlichen Gesetzbuches scheiterte bislang jedoch an
der CDU/CSU, die sich in dieser Frage jeglichem Fortschritt verweigert hat. Die Konservativen malen die Zerstörung von Ehe und Familie oder gar den Untergang
des Abendlandes schlechthin an die Wand, wenn es auch
nur um ganz kleine Schritte in Richtung Gleichstellung
aller Lebensweisen geht.
({1})
Die Diskussion um den Familienbegriff im Koalitionsvertrag hat das wieder auf sehr erschreckende Weise
deutlich werden lassen.
Die PDS hat hier einen Gesetzentwurf vorgelegt, der
den Rechtsanspruch auf Übernahme einer Wohnung
nach dem Tod des Mieters allen zuerkennt, die in einem
Haushalt zusammenleben, und das unabhängig davon, aus welchen Gründen sie dies tun. Es kommt nicht
darauf an - jedenfalls für uns nicht -, ob es sich um
eine Zweckgemeinschaft zur Verringerung der individuellen Mietbelastung, um eine Lebensgemeinschaft,
um eine Pflege- oder Betreuungssituation oder um eine
Wohngemeinschaft von Seniorinnen und Senioren handelt oder ob vielleicht versuchte Erbschleicherei der
Grund des Zusammenlebens war. Der Gesetzgeber tut
gut daran, nicht über die persönlichen Motive des Zusammenlebens zu urteilen, sondern sie zu respektieren.
Genau das fordert der von uns eingebrachte Gesetzentwurf.
({2})
Es freut mich, daß die F.D.P. unmittelbar nach uns
einen Entwurf vorgelegt hat, der einen ähnlichen Grundansatz verfolgt. Allerdings - das möchte ich hier doch
deutlich machen - verlangen Sie von der hinterbliebenen
Person den Nachweis, daß die Haushaltsgemeinschaft
auf Dauer angelegt war.
({3})
Volker Beck ({4})
Dieser Begriff ist, bislang zumindest, nicht klar definiert
und eröffnet einen großen Interpretationsspielraum für
Vermieter und Gerichte. Wir meinen, dieser Interpretationsspielraum sollte unbedingt vermieden werden, denn
Rechtssicherheit entsteht dadurch nicht.
Zum Abschluß möchte ich noch eine grundsätzliche
Bemerkung machen. Wer wirklich Diskriminierungen
und sachwidrige Ungleichbehandlungen beenden will,
kommt nicht weit, wenn er sich auf ausgewählte Gruppen, zum Beispiel Lesben und Schwule, beschränkt. Eine Salamitaktik, die zwar die Diskriminierung für lesbische und schwule eheähnliche Gemeinschaften beendet,
sie aber für andere Gruppen bestehenläßt, setzt die Diskriminierung fort, wenn auch in veränderter Weise.
Es geht also nicht um Minderheitenpolitik, sondern
um die Anerkennung der Vielfalt der Formen des Zusammenlebens, um die Umsetzung des Grundsatzes
„Gleiches Recht für alle“.
({5})
Heute dominiert nicht mehr ein einziges Lebensmodell,
sondern es existiert eine große und zunehmende Vielfalt
ganz verschiedener Lebensformen. Wir meinen, dem
Gesetzgeber steht es nicht zu, ungerechtfertigte Unterschiede zwischen selbstgewählten Formen des Zusammenlebens zwischen Erwachsenen zu machen. Das gilt
nicht nur im Mietrecht, sondern auch in den anderen
Rechtsbereichen, für die gegenwärtig der Reformbedarf
- Herr Beck hat das eben kurz skizziert, allerdings leider
ausschließlich in bezug auf Lesben und Schwule - diskutiert wird, zum Beispiel im Angehörigenrecht oder im
Erb- und im Strafrecht.
Lassen Sie uns endlich einen Weg finden, die rechtlichen Rahmenbedingungen so zu gestalten, daß keine
Lebensform gegenüber anderen privilegiert oder diskriminiert wird. Im Mietrecht könnte der von der PDS vorgelegte Gesetzentwurf dafür ein Anfang sein.
Danke schön.
({6})
Als
nächste Rednerin hat das Wort die Kollegin von Renesse
von der SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Meine
Damen und Herren! Ich kann nur sagen: Die F.D.P. verblüfft einen mehr und mehr. Sie haben 16 Jahre lang das
Bundesjustizministerium geführt.
({0})
- Ich spreche gar nicht davon, daß Sie lange Zeit geflötet haben und nicht gepfiffen und daß Sie jetzt erwarten,
daß wir tanzen, wenn Sie pfeifen. Das wird nicht passieren.
({1})
Vor allem als Juristin interessiert mich: Welche juristische Qualität hat der Gesetzentwurf der F.D.P.? Mit
Recht hat Frau Schenk darauf hingewiesen, daß sich die
Klärung der Frage, was ein auf Dauer angelegter
Hausstand ist, vielleicht für einen After-Dinner-Talk
bei Rotary eignet, aber nicht für das BGB. Ich kenne im
BGB die „unbestimmte Dauer“. Ich kenne im BGB die
„lange Dauer“. Ich kenne im BGB die „kurze Dauer“.
Aber die Formulierung „auf Dauer“ eignet sich nur für
Gespräche unter Freunden. Jeder weiß dann, was gemeint ist.
Frau
Kollegin von Renesse, erlauben Sie eine Zwischenfrage
des Kollegen Westerwelle?
Herr Westerwelle versteht etwas davon, deswegen immer. Erklären Sie es
mir.
Bitte
schön, Herr Westerwelle.
Zum ersten: Ihre
letzte Bemerkung trifft zu. Zum zweiten - ich muß eine
Frage formulieren -: Ist Ihnen bekannt, daß die Formulierung „auf Dauer angelegt“ die wörtliche Übernahme
der entsprechenden Formulierung des Bundesverfassungsgerichtes im Hinblick auf die Definition der nichtehelichen Lebensgemeinschaft ist, die vom Bundesverfassungsgericht bislang bedauerlicherweise ausschließlich auf verschiedengeschlechtliche Lebensgemeinschaften bezogen wurde?
Verehrter Herr Westerwelle, wenn das Bundesverfassungsgericht ein Urteil
begründet, dann haben wir es - übrigens auch beim
BGH - mit einem anderen Text zu tun, als das im Rahmen eines Gesetzes der Fall ist.
({0})
Ein Gesetz muß gerichtsfest sein. Ich muß im Bestreitensfall einen gemeinsamen Hausstand im Ergebnis
auch nachweisen können. In der Begründung Ihres Gesetzentwurfes hört es sich ein wenig so an, als wollten
Sie darauf abstellen, daß schon eine gewisse Dauer der
Hausgemeinschaft bestanden haben soll. Erklären Sie
bitte, welche, und überlassen Sie die diesbezügliche
Konkretisierung nicht der Arbeit des Rechtsausschusses.
({1})
Eine Legaldefinition will ich auch für den gemeinsamen Hausstand haben. Was meinen Sie, welche Schwierigkeiten man als Familienrichter hat, im Bestreitensfall
festzustellen, ob Menschen im gemeinsamen Haus getrennt leben? Wie ist das bei einer WG, in der man die
gemeinsame Küche benutzt und von Zeit zu Zeit die
Vorräte auffüllt? Ist das dann ein gemeinsamer Hausstand? Was soll denn angesichts dieser Ungenauigkeiten
bei den Gerichten herauskommen?
Verehrter Herr Funke, als ehemaliger Parlamentarischer Staatssekretär im Justizministerium müßten Sie
eigentlich wissen, daß man im feinziselierten Garten des
BGB nicht mit der Schubkarre ein paar Kieselsteine abladen kann, sondern daß eine Regelung in den übrigen
Bereich hineinpassen muß.
({2})
Mit Recht hat die Kollegin Iwersen darauf hingewiesen, daß Sie immer in der Gefahr sind, alles zu Tode zu
schützen, was Sie vorgeben, schützen zu wollen. Die bestehenden Haushaltsgemeinschaften - ich vernachlässige einmal die anderen bestehenden Probleme - werden
möglicherweise auf Grund Ihrer Formulierung geschützt. Aber in jedem Mustermietvertrag des Hauseigentümerverbandes wird stehen: Haushaltsgemeinschaften aufzunehmen ist verboten. Das, was Sie den
Haushaltsgemeinschaften zugestehen wollen, kann ja
wohl nur für diejenigen gelten, die berechtigterweise da
sind. Was unterscheidet eine Haushaltsgemeinschaft von
einem Untermietverhältnis? Der gemeinsame Hausstand,
ist ein Pudding, ein Luftballon ohne Gummihülle. Damit
kann ich als Juristin nicht viel anfangen.
Dasselbe gilt natürlich bis zu einem gewissen Grade
auch für den Entwurf der PDS, die zwar die Formulierung „auf Dauer“ weggelassen hat, aber gleichzeitig
auch die Ehe über Bord geworfen hat, und zwar mit folgendem Ergebnis: Wenn zum Beispiel ein Mieter, der
Haushaltsvorstand, stirbt und seine Witwe mit ihren
zwei Kindern die Wohnung übernimmt, dann können
die nur gemeinsam Mieter werden. Wenn ein Kind auszieht, dann müssen alle kündigen. Ich möchte einmal
wissen, wie Sie das Ihrer biedermeierlich-konventionellen Klientel im Osten erklären wollen.
({3})
Das kommt mir vor wie eine Verhöhnung. Denn die
Ostdeutschen leben, soweit ich das auf Grund meiner
Reisen in die neuen Bundesländer beurteilen kann, relativ konventionell. Diese „fashionable“ Methode, die Sie
hier an den Tag legen, kommt mir wie eine „megacoole“
Haltung vor. Mit Juristerei hat das nicht viel zu tun.
({4})
Das Schlimmste, was man der F.D.P. vorwerfen muß,
ist, daß sie mogelt. Lieber Herr Braun, so sympathisch,
wie Sie vieles verkaufen, so sehr mogeln Sie auch. Denn
Sie wollen nicht über den Unterschied sprechen zwischen einer Haushaltsgemeinschaft und einer Personengemeinschaft zweier einander nahestehender Menschen mit der Exklusivität, die eine solche Gemeinschaft
hat, auch bei Homosexuellen in der Tat haben kann, da
sind wir uns einig.
Ich habe früher selber einmal die Überlegung gehabt,
von Haushaltsgemeinschaften zu sprechen, um das
angst- und aggressionsbesetzte Wort „Homosexualität“
nicht aussprechen zu müssen. Sie kommen aber nicht
drumherum, weil nämlich nur dann, wenn es sich um eine solche Beziehung handelt - das ist der eigentliche
Grund, warum die Ehe geschützt ist -, das Menschenrecht des Mieters die Dispositionsfreiheit des Vermieters
so weit in den Hintergrund rücken kann. Der Schutz der
Haushaltsgemeinschaft muß anders erfolgen als der
Schutz einer engen Personengemeinschaft. Das ist nun
einmal so, und Sie werden das auch noch sehen.
Frau
Kollegin von Renesse, erlauben Sie eine Zwischenfrage
des Kollegen Braun?
Bitte, Herr Braun.
Frau von
Renesse, Sie verwundern mich natürlich schon etwas.
Wir führen Diskussionen über diese Thematik jetzt seit
nahezu fünf Jahren, meist in derselben Besetzung. Sie
sprechen für die SPD, Volker Beck spricht für die Grünen, ich spreche für die F.D.P.;
({0})
Herr Mahlo, der sonst für die CDU/CSU gesprochen hat,
ist ausgeschieden, aber die Kollegin von der PDS ist
wieder dabei. Wie können Sie also sagen, daß ich je Bedenken dagegen gehabt hätte, das Wort „Homosexualität“ aus- bzw. anzusprechen? Meine Frage an Sie ist: Ist
Ihnen unbekannt, daß es in § 569 a Abs. 2 BGB den Begriff des gemeinsamen Hausstands längst gibt, so daß
wir hier nur einen Begriff übernehmen und ihn jetzt für
das heranziehen, was wir politisch - wenn ich es richtig
sehe - im wesentlichen gemeinsam wollen?
Lieber Herr Braun, im
BGB gibt es bisher - darum konnte man das Wort „gemeinsamer Hausstand“ problemlos verwenden - nur
folgende drei Fälle. Erstens. Jemand lebt allein. Zweitens. Jemand lebt mit seinem Ehegatten zusammen.
Drittens. Jemand lebt mit Ehegatten und Familie. Darum
war der gemeinsame Hausstand kein Problem, weil wir
den dann nämlich im Familienrecht hatten. Da gibt es
nämlich die Vorschrift des § 1353 BGB, der die Verpflichtung zur ehelichen Lebensgemeinschaft vorsieht.
Deswegen konnte man ihn da unterstellen.
({0})
- Herr Braun, Sie entschuldigen, ich würde das gerne zu
Ende führen, weil Sie mir Gelegenheit gegeben haben,
das zu definieren.
Der gemeinsame Hausstand in der Familie ist kein
Problem, weil er unterstellt wird. Darum habe ich ja darauf hingewiesen, wie problematisch der Begriff „Trennung“ für den Familienrichter im Bestreitensfall ist,
wenn es die gemeinsame Wohnung betrifft. Sie werden
bei Ihrem Gesetzentwurf noch viel mehr Bestreitensfälle
bekommen. Weil das im BGB so ist, hat man den Tod und nicht, wie Frau Iwersen mit Recht sagte, die Kündigung, die beim gemeinsamen Haushalt viel wichtiger
und viel häufiger ist - als einzigen Anknüpfungspunkt
genommen, weil man sich nämlich nur vorstellen
konnte: allein, verheiratet, mit Familie. Scheidung - wie
in den letzten beiden Fällen immerhin denkbar - kannte
man nicht. Eine Ehe wird nur durch den Tod geschieden,
durch nichts sonst. - Das war auch mal so, aber es ist
nicht mehr so. Deswegen brauchen wir eine „Renovierung“ des gesamten Mietrechts.
Dieselben Probleme stellen sich für den Fall, daß der
Mieter der Ehemann ist, geschieden wird und nun seine
Frau im Wege des Prozesses zwingt, aus der Wohnung
auszuziehen, weil sie dann kündigen muß. Da sehen Sie,
wie problematisch das Mietrecht ist, weil es die Verhältnisse nicht spiegelt, die wir heute haben.
({1})
Ein Letztes: Die Beziehung von zwei Menschen,
egal, welcher Sexualität, die in der Tat so viel Nähe hat,
daß sie verletzlich wird, braucht Verläßlichkeit in einem
ganz anderen Rechtsinstitut. Da mogeln wir nicht mehr,
da werden wir sagen, was Sache ist. Ich hoffe, daß wir
dann Ihre Stimme haben.
Vielen Dank.
({2})
Als
letzter Redner in dieser Aussprache hat nun der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Eckhart Pick das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen
und Herren! Ich bin sehr froh, daß wir heute Gelegenheit
haben, über dieses Thema zu diskutieren, weil ich in der
Rückschau feststellen kann: Vor rund zwölf Jahren, als
ich in den Bundestag kam, hätte man eine solche Debatte wohl nicht in dieser Fairneß miteinander führen
können.
Das Bundesministerium der Justiz und auch mich
selbst erreichen immer wieder zahlreiche Eingaben, in
denen Betroffene - aber vielfach auch deren Eltern schildern, mit welchen Benachteiligungen gesellschaftlicher und insbesondere auch rechtlicher Art Menschen,
die in einer auf Dauer angelegten Lebensgemeinschaft
leben, zu rechnen haben, unabhängig davon, ob es sich
dabei um heterosexuelle oder gleichgeschlechtliche Lebensgemeinschaften handelt.
Ihnen liegen heute zwei Gesetzesanträge, einer der
F.D.P.- und einer der PDS-Fraktion, vor, die das Wohnrecht hinterbliebener Haushaltsangehöriger betreffen.
Damit wird ein großer Teil von nichtehelichen Lebensgemeinschaften tangiert. Die meisten von Ihnen werden
sich erinnern, daß die Frage des Eintrittsrechts hinterbliebener Haushaltsangehöriger, oder anders gesagt:
die Gleichstellung aller - ich bleibe zunächst bei diesem
Begriff - auf Dauer angelegter Lebensgemeinschaften
mit den nach geltendem Recht privilegierten Ehegatten
und Familienangehörigen, dieses Haus bereits mehrfach
beschäftigt hat.
Die Vorgängerregierung wollte dieses Thema zunächst im Rahmen der von ihr angestrebten Mietrechtsreform ansprechen, die dann jedoch im Streit zwischen
F.D.P. und CSU zerrieben wurde. Auch ein - eher halbherziger - Versuch am Ende der vergangenen Legislaturperiode, die Gleichstellung auf Dauer angelegter
Lebensgemeinschaften im Mietrecht gesetzlich zu verankern, scheiterte.
Nach geltendem Recht treten - wir haben das gehört - mit dem Tod des Mieters nur der Ehegatte oder
andere Familienangehörige in das Mietverhältnis ein,
wenn sie mit dem Mieter einen gemeinsamen Haushalt
geführt haben. Dieses Eintrittsrecht hat der BGH, wie
wir gehört haben, auf eheähnliche Gemeinschaften
ausgedehnt. Aus der Sicht des BGH ist das im übrigen
sicherlich auch schon ein mutiger Schritt, obwohl man
natürlich immer sagen kann, daß er noch mutiger hätte
sein können. Aber immerhin, diese Rechtsprechung war
zumindest ein Fortschritt.
Zugleich hat der BGH aber klargestellt, daß eine eheähnliche Gemeinschaft eine Lebensgemeinschaft zwischen Mann und Frau voraussetzt und ein Eintrittsrecht
bei gleichgeschlechtlichen Partnerschaften damit von
vornherein ausscheidet. Im Gegensatz zur früheren Regierung besteht innerhalb dieser Regierung breiter Konsens darüber, daß dies diskriminierend ist und in Anbetracht der gewandelten sozialen Verhältnisse dringend
geändert werden muß.
({0})
Es sollte bei einer Neuregelung des Eintrittsrechts
deshalb eine Lösung gefunden werden, die gerade nicht
nach der jeweiligen sexuellen Orientierung der Partner
der Lebensgemeinschaft differenziert. Dies könnte beispielsweise durch die im F.D.P.-Entwurf vorgeschlagene
Formulierung erreicht werden, wonach Personen ein
Eintrittsrecht eingeräumt wird, die mit dem Mieter einen
auf Dauer angelegten gemeinsamen Haushalt geführt
haben. Dies ist zumindest ein diskussionswürdiger Ansatz. Aber auch der Begriff der „auf Dauer angelegten
Lebensgemeinschaft“ könnte weiterführend sein. Wir
werden das noch im einzelnen zu untersuchen haben.
In jedem Fall müssen sowohl nichteheliche Lebensgemeinschaften zwischen Mann und Frau als auch
gleichgeschlechtliche Lebensgemeinschaften erfaßt sein,
die einen auf Dauer angelegten gemeinsamen Haushalt
führen. In beiden Fällen haben nämlich die Mitbewohner häufig einschneidende Dispositionen in ihrem persönlichen Lebensbereich getroffen. Sie haben möglicherweise eine frühere Wohnung aufgegeben und sind,
je nach Dauer ihres Zusammenlebens, in ihrer Umgebung sozial verwurzelt.
Gleiches gilt aber auch für eine auf Dauer angelegte
häusliche Gemeinschaft beispielsweise zweier älterer
Menschen als Alternative zum Alten- oder Pflegeheim.
Auch diese Menschen haben ihren Lebensmittelpunkt in
der Wohnung des verstorbenen Mieters gegründet und
damit eine grundlegende Weichenstellung in ihrer Lebensplanung vorgenommen. Das rechtfertigt es nach
Auffassung der Bundesregierung, auch ihnen beim Tode
des Mieters das Recht zum Eintritt in den Mietvertrag in
gleicher Weise zu gewähren wie Familienangehörigen.
Ich möchte noch eine Bemerkung zum PDS-Entwurf
machen: Ich denke, daß dieser Entwurf eindeutig über
das Ziel hinausschießt. Sie von der PDS möchten immer
dann ein Eintrittsrecht schaffen, wenn ein gemeinsamer
Hausstand geführt wird. Nach Ihrem Entwurf soll es
gerade nicht erforderlich sein, daß Mieter und Mitbewohner eine auf Dauer angelegte häusliche Gemeinschaft führen, bei der die Verbundenheit über eine reine
Haushalts- und Wirtschaftsgemeinschaft hinausgeht. Bei
nur vorübergehenden Mitbewohnern überwiegt aber
nach Auffassung der Bundesregierung das Interesse des
Vermieters, seine Mieter selber auszusuchen. Ihr Antrag
verlagert die Optionen zu Lasten der Vermieter, so daß
von Vertragsfreiheit wohl nicht mehr die Rede sein
kann.
({1})
Ich möchte zusammenfassend folgendes sagen: Diese
Bundesregierung will ein Eintrittsrecht für hinterbliebene Haushaltsangehörige und damit die Gleichstellung
der auf Dauer angelegten Lebensgemeinschaften gleich welcher sexuellen Orientierung - auch im
Mietrecht.
Ich möchte noch einmal betonen: Die Frage der
Gleichbehandlung stellt sich keineswegs nur beim Eintrittsrecht, sondern überall da, wo das geltende Mietrecht
darauf abstellt, ob zum Hausstand des Mieters gehörende Personen oder Familienangehörige vorhanden sind.
Das heißt, es geht nicht nur um die hier zitierte Regelung beim Tod eines Ehegatten.
Es wäre nicht konsequent, bei einer Änderung des
Mietrechts nur für den Fall des Todes des Mieters auf
Dauer angelegte Gemeinschaften der Ehe gleichzustellen,
({2})
ansonsten aber eine entsprechende gesetzgeberische
Klarstellung zu unterlassen. Das weiß auch die F.D.P.
sehr gut. Ich erinnere mich, daß ihr Justizminister schon
auf diese Probleme hingewiesen hat.
Das Bundesministerium der Justiz hat die Mietrechtsreform entsprechend der Koalitionsvereinbarung in Angriff genommen. Es wird mit Hochdruck daran gearbeitet, um auch den hier zur Debatte stehenden Mißstand
konsequent zu beseitigen. Aber wir wollen kein Flickwerk, sondern eine in sich stimmige Reform. Damit ist
auch den Betroffenen am besten gedient.
Ich möchte daher an Sie alle appellieren, die Bundesregierung in ihrem Bemühen um eine Reform des
Mietrechts zu unterstützen, die den berechtigten Belangen von Mietern und Vermietern Rechnung trägt und
zudem eine echte Vereinfachung mit sich bringt.
Vielen Dank.
({3})
Ich
schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Gesetzentwürfe auf den Drucksachen 14/326 und 14/308 an die in der
Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen.
Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? - Das ist nicht
der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 6 auf:
Erste Beratung des von den Fraktionen SPD,
CDU/CSU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und
F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Änderung von Vorschriften über parlamentarische Gremien
- Drucksache 14/539 Überweisungsvorschlag:
Innenausschuß ({0})
Ausschuß für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung
Rechtsausschuß
Haushaltsausschuß
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 30 Minuten vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Als erster Redner hat der
Kollege Dieter Wiefelspütz von der SPD-Fraktion das
Wort.
Herr Präsident! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Die parlamentarische Kontrolle der Nachrichtendienste des Bundes wird gegenwärtig durch mehrere Gremien wahrgenommen. Die
bisherigen Erfahrungen zeigen, daß der Deutsche Bundestag seinem Kontrollauftrag besser gerecht werden
kann, wenn die Kontrollaufgaben stärker gebündelt werden. Deshalb sollen die Parlamentarische Kontrollkommission und das sogenannte G-10-Gremium in ein Kontrollorgan unter der neuen Bezeichnung „Parlamentarisches Kontrollgremium“ zusammengefaßt werden.
Eine wirksamere Kontrolle der Nachrichtendienste
des Bundes läßt es auch angezeigt erscheinen, daß das
neue Parlamentarische Kontrollgremium erweiterte
Kontrollmöglichkeiten erhält, indem ihm die Bundesregierung Einsicht in Akten und Dateien der Dienste gibt
sowie die Anhörung von Mitarbeitern der Dienste gestattet und Besuche bei den Diensten ermöglicht.
Wir haben uns in den bisherigen Beratungen intensiv
mit der Erweiterung der Kontrollrechte des Parlaments
befaßt. Das Ergebnis unserer Überlegungen hat seinen
Niederschlag in den §§ 2, 2 a und 2 b des Gesetzentwurfs gefunden. Die umfassenden Kontrollrechte des
Bundestages sind lediglich begrenzt durch den Kernbereich der Regierung und die Verfügungsberechtigung
des Bundes über die Informationen und Gegenstände der
Nachrichtendienste.
Das Gesetz, das wir heute zur ersten Lesung vorlegen, ist im wesentlichen dadurch gekennzeichnet, daß
die Praxis der Parlamentarischen Kontrollkommission
der letzten Jahre gesetzlich festgeschrieben wird. Das
betrifft insbesondere Art und Umfang des Zuganges zur
Information unserer Dienste. Durch die gesetzliche Festschreibung dieser Praxis wird gewährleistet, daß die ArParl. Staatssekretär Dr. Eckhart Pick
beit des Parlamentarischen Kontrollgremiums nicht vom
Wohlwollen einer Bundesregierung abhängig ist. Vielmehr prägen klare gesetzliche Vorschriften die Beziehung zwischen dem Parlamentarischen Kontrollgremium einerseits und der Bundesregierung bzw. den Nachrichtendiensten andererseits.
Ich begrüße ausdrücklich, daß dieser Gesetzentwurf
von SPD, Bündnis 90/Die Grünen, CDU/CSU und
F.D.P. eingebracht wird. Dies spricht dafür, daß wir eine
ausgewogene Regelung gefunden haben, die in angemessener Weise auch die legitimen Rechte der Opposition berücksichtigt. Bei der Erarbeitung dieses Gesetzentwurfs habe ich die eindrucksvolle Erfahrung gemacht, daß man auch mit einem ausgewiesenen Gegner
von Nachrichtendiensten - die Rede ist von unserem geschätzten Kollegen Ströbele - ein, wie ich meine, vernünftiges Gesetz zur Kontrolle der Nachrichtendienste
schaffen kann.
({0})
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({1})
Ich darf
als nächsten Redner den Kollegen Dr. Edzard SchmidtJortzig vorziehen, weil der Redner der CDU/CSU wohl
noch im Anmarsch ist. Bitte schön, Herr SchmidtJortzig.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Da
es sich um eine Gemeinschaftsinitiative handelt, kann
ich ohne Umschweife erklären, daß die F.D.P. diese Initiative, diesen Reformschritt nicht nur begrüßt, sondern
ausdrücklich unterstützt und konstruktiv mit voranbringen will. Ich begrüße auch, daß das Ganze in dem auch
von Ihnen schon gewürdigten breiten Konsens zustande
kommt. Gerade der Bereich der Nachrichtendienste
und ihrer Kontrolle ist ein viel zu sensibler Bereich, als
daß man da parteipolitische Zerstreitung betreiben sollte.
Ich begrüße auch, daß dieses Reformstück, das uns jetzt
in der ersten Lesung zur Beratung vorliegt, so rasch und
zügig zustande gekommen ist. Sie wissen, wir haben bei
strenger Sicht ein gewisses Legitimationsproblem der
jetzt noch in Funktion befindlichen Kontrollgremien, die
sich noch aus der letzten Legislaturperiode legitimieren.
Daß wir in diesem Bereich ein Spannungsverhältnis
zwischen einerseits dem Funktionenschutz und dem Geheimhaltungsbedürfnis der Nachrichtendienste und andererseits der notwendigen Kontrolle und demokratischen Rückbindung vorfinden, ist völlig unübersehbar.
Daß wir alle hier im Hause, egal ob in der Mehrheit, die
die Regierung trägt, oder in der Opposition, dieses
Spannungsverhältnis zugunsten der demokratischen und
vom Parlament vermittelten Kontrolle auflösen wollen,
ist eindeutig. Dabei müssen natürlich die notwendigen
Bedingungen für Arbeit und Wirkungsmöglickeiten bei
den Diensten gewahrt bleiben. Deswegen ist Ziel des
Reformschrittes, den wir jetzt zu beraten haben, eine
möglichst effektive und effiziente parlamentarische
Kontrolle zustande zu bringen, und zwar nicht nur organisatorisch, sondern auch funktionell.
Ich möchte eigentlich nur zum Organisatorischen etwas sagen, weil nicht unerwähnt bleiben soll - ich weiß
das etwa von Ihnen, Herr Wiefelspütz -, daß es durchaus
noch weitergehendere Reformmöglichkeiten gegeben
hätte, sie aber - ich sage das einmal optimistisch - noch
nicht verwirklicht werden konnten. Wir fassen jetzt die
Parlamentarische Kontrollkommission provinzieller und
bisheriger Machart - ich sage ausdrücklich „provinzieller Machart“, weil sie eben auf ihren ganz engen Bereich
konzentriert war - und das G-10-Gremium organisatorisch zusammen. Sicherlich wäre es wünschenswert gewesen, wenn wir auch noch das Vertrauensgremium des
Haushaltsausschusses mit einbezogen hätten. Ich sage
ausdrücklich: Ich hätte mir auch gut denken können, daß
wir die G-10-Kommission und vielleicht sogar das
Kontrollgremium nach dem Außenwirtschaftsgesetz
einbeziehen.
({0})
- Natürlich sind das andere Dinge. Man hätte nur organisatorisch noch weitergehen können.
Was wir im funktionalen Bereich zustande bringen,
finde ich allerdings erfreulich. Denn dort gibt es nicht
nur die ausführlich genannten Berichtspflichten, Auskunftsverlangen, Akten- und Dateneinsicht, das Recht
zur Sachverständigenbestellung. Auch die Befugnis,
Eingaben entgegennehmen zu können, halte ich für eine
ganz wichtige Einrichtung bei einer demokratischen
Kontrolle. Schließlich ist auch die nebeneinander ablaufende, aber sich doch in einem gemeinsamen Wirken
äußernde Zusammenarbeit mit dem Vertrauensgremium
des Haushaltsausschusses derart kooperativ und vernünftig gelöst, daß es, glaube ich, wirklich ein guter Reformschritt ist. Ich hoffe deshalb sehr, daß wir, wo es
nötig ist - ich bin sicher, das wird gelingen -, in den Beratungen noch die eine oder andere Verbesserung erreichen und diesen fälligen Reformschritt im übrigen aber
zügig vollenden.
Vielen Dank.
({1})
Als
nächster Redner hat nun der Kollege Hans-Christian
Ströbele von Bündnis 90/Die Grünen das Wort.
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und
Kollegen! Es ist richtig, daß wir - ich vertrete das auch
selber - gemeinsam mit der SPD-Fraktion und anderen
einen Gesetzentwurf vorlegen, der nicht bündnisgrünes
Programm, das bekanntlich die Abschaffung der Geheimdienste fordert, umsetzt. Der Gesetzentwurf entspricht aber auch nicht - das muß ich dem Kollegen
Penner sagen - der Vorlage, die Sie in der letzten
Legislaturperiode, im März vergangenen Jahres, als
Sie noch in der Opposition waren, vorgelegt haben. Wir
- beide Fraktionen - sind gleichwohl dafür, dieses Gesetz zu verabschieden, weil damit endlich gesetzlich
festgeschrieben wird, daß und wie die Geheimdienste
in Deutschland durch Parlamentsgremien besser kontrolliert werden.
Zum erstenmal in der deutschen Geschichte wird Abgeordneten des Parlaments - solchen von Regierungsund Oppositionsfraktionen - per Gesetz das Recht eingeräumt,
({0})
Einsicht in Akten von Geheimdiensten zu nehmen, Dateien einzusehen, Mitarbeiter der Dienste anzuhören und
Besuche bei Diensten durchzuführen. In Einzelfällen
kann das PKG - wie das Gremium jetzt heißen soll, damit es nicht mit anderen Kommissionen und vor allen
Dingen nicht mit anderen Parteien verwechselt wird sogar einen Sachverständigen beauftragen, zur Wahrnehmung der Kontrollaufgaben Untersuchungen durchzuführen. Das sind Rechte, die sich Parlamentsabgeordnete vor 1945 oder auch Volkskammerabgeordnete nach
1949 sehr gewünscht hätten und die vielleicht auch zu
effektiven Ergebnissen geführt hätten. Aber auch wir in
der Bundesrepublik haben das in den letzten Jahrzehnten
leider nicht gehabt - jedenfalls nicht in der Form eines
Gesetzes. Die Mitglieder der PKK - unter anderem der
Kollege Penner - waren darauf angewiesen, daß die jeweiligen Regierungen ihnen diese Möglichkeiten zur
Kontrolle gewährt haben.
Als Mitglied eines Untersuchungsausschusses, der
sich von 1985 bis 1987 mit dem Bundesamt für Verfassungsschutz beschäftigt hat, habe ich damals in unserem
Votum festgestellt, daß die Geschichte der Geheimdienste in der Bundesrepublik auch eine Geschichte von
Skandalen ist, die alle - alle, ausnahmslos - über die
Presse ans Licht gekommen und aufgeklärt worden sind.
Die gesetzlichen Rechte, die jetzt eingeräumt werden,
sollen helfen, daß das anders wird. Vielleicht können
damit in Zukunft Fehlentwicklungen und Skandale auch in den Geheimdiensten - vermieden werden.
Ich verhehle allerdings nicht, daß ich skeptisch bin,
ob die Rechte, die jetzt in dem Gesetzentwurf enthalten
sind, ausreichen. Vielleicht wäre etwas anderes doch
richtiger gewesen; der Kollege Struck hat das einmal in
einer Kritik formuliert hat, als er aus der PKK ausgetreten ist: Wirkliche Aufklärung kann nur durch die Rechte
eines parlamentarischen Untersuchungsausschusses gewährleistet werden. Ich frage mich, wie wir zu anderen
Ergebnissen kommen können als zu dem, was der Kollege Penner 1991 als Mitglied der PKK so formuliert
hat: die zu Kontrollierenden kontrollieren, was die Kontrolleure kontrollieren sollen. Das ist eine sehr flotte
Formulierung; das gebe ich zu.
({1})
- „Sehr intelligente Formulierung“. - Wir denken, daß
das in Zukunft anders werden soll. Dazu soll das Gesetz
beitragen.
Wir hätten gern etwas mehr erreicht. Aber das konnten wir nicht schaffen. Dafür gab es viele Gründe; wir
werden das noch diskutieren.
Ich bin der Meinung, daß die Effektivität des neuen
Gremiums wichtig ist. Sie wird auch davon abhängen,
ob alle Seiten, alle Flügel und alle Fraktionen dieses
Parlaments an dem jetzigen PKG, dem Parlamentarischen Kontrollgremium, beteiligt werden. Wenn das
nicht der Fall ist, dann fehlt auch diesem Gremium ein
bißchen die Legitimation. In diesem Zusammenhang
kann ich den jetzigen Innenminister zitieren, der 1986,
als die Grünen nicht in die PKK aufgenommen worden
waren, erklärt hat, daß es ein Flurschaden für die Demokratie oder eine Niederlage für das ganze Parlament ist,
wenn eine Fraktion dieses Hauses nicht in einem solchen Gremium vertreten ist.
In Richtung der PDS sage ich: Mir ist völlig unverständlich, wie Kritiker der Geheimdienste und der Praxis
von Geheimdiensten Überlegungen in der Öffentlichkeit
dahin gehend anstellen können, daß sie den Dunkelmännern, die sie ja fürchten, nicht auf die Finger und in ihre
Akten schauen wollen. Das ist kein glaubwürdiges parlamentarisches Verhalten.
Unser Ziel bleibt es, Licht in das Dunkel der Geheimdienste zu bringen und damit den Geheimdiensten
ein bißchen das Bedrohliche und auch das Geheime zu
nehmen. Nur so kann ein solcher Dienst vielleicht
irgendwann einmal ein allseits akzeptierter Teil eines
demokratischen Gemeinwesens werden. Deshalb bringen wir den vorliegenden Gesetzentwurf mit ein. Wenn
sich in den nächsten Jahren herausstellen sollte - da
gebe ich Ihnen wiederum recht -, daß die hier vorgesehenen Rechte und Befugnisse nicht ausreichen, dann
müssen wir noch einmal nachbessern. Ich hoffe dann auf
eine ähnlich große Mehrheit in diesem Hause, wie sie
sich jetzt abzeichnet.
Danke sehr.
({2})
Das
Wort hat nun der Kollege Erwin Marschewski von der
CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident!
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir als Parlamentarische Kontrollkommission treten nur selten,
Herr Kollege Penner, an die Öffentlichkeit. Dabei sind
die dort anfallenden Themen von großer Bedeutung. Es
geht um nicht mehr und nicht weniger, als Gefahren von
den Menschen und von unserem Land abzuwenden. Als
Stichworte nenne ich Bedrohung der inneren und äußeren Sicherheit durch Spionage, internationalen Terror
und Schleusertum. Mit anderen Worten: Es geht um die
Sicherung der freiheitlich-demokratischen Grundordnung in Deutschland und um die Abwehr möglicher
Eingriffe von außen. Es geht dabei um die Bekämpfung
von Terrorismus, Waffenhandel, Geldfälschung und
schweren Drogendelikten.
Der Bundesnachrichtendienst, das Bundesamt für
Verfassungsschutz und der Militärische Abschirmdienst erfüllen meines Erachtens ihre Aufgaben - das
kann ich nach ein paar Jahren Mitgliedschaft in der
PKK sagen - mit großer Sorgfalt. Ich möchte daher als
augenblicklicher Vorsitzender der PKK diesen Diensten
und ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern für die
wertvolle Arbeit und die vorbildliche Aufgabenerfüllung
in schwieriger Zeit herzlich danken.
({0})
Diese Leute tun mehr als ihre Pflicht. In der Presse oftmals hochgespielte sogenannte Pannen sind oftmals nur
ein Produkt einzelner Vertreter der veröffentlichten
Meinung.
Meine Erfahrung bei der parlamentarischen Kontrolle
der Dienste zeigt: Die Arbeit der Dienste erfolgt nach
Recht und Gesetz, zum Nutzen unseres Landes und zum
Wohle der Menschen. Man braucht da nicht Licht ins
Dunkel zu bringen, Herr Kollege Ströbele. Wer so etwas
sagt, treibt den Teufel mit dem Beelzebub aus. Unsere
Arbeit klappt wirklich vorzüglich.
Die Erfahrung zeigt auch - in dem Punkt gebe ich Ihnen sogar recht -, daß die Kontrolle nur dann gelingt,
wenn sie auf der vertrauensvollen Zusammenarbeit von
Politikern aller demokratischen Gruppierungen beruht,
die die verfassungsmäßige Grundordnung unseres Landes verteidigen wollen. Das allein garantiert den Erfolg;
auch in der Vergangenheit war das so. Das werden alle
Kollegen bestätigen: Ihre Kollegen, insbesondere der
Kollege Such, die Kollegen der SPD und die Kollegen
der F.D.P.
Eine Fraktion jedoch - hier unterscheide ich mich
von Ihnen Herr Ströbele -, nämlich die, die den ExSpion „Topas“ beschäftigen wollte, die seine schädliche
Tätigkeit hoffähig machen wollte, erfüllt diese Voraussetzungen nicht.
({1})
„Topas“-Freunde als Mitglied der Parlamentarischen
Kontrollkommission? Undenkbar! Dies würde gerade
den Flurschaden anrichten, von dem Sie gesprochen haben.
({2})
- Ich möchte weiter ausführen. Ich bitte um Verständnis
dafür.
Sie
wollen keine Zwischenfrage zulassen?
Nein. - Es bleibt
daher richtig, daß die Mitglieder der PKK unmittelbar
und ausschließlich von der Mehrheit aller Abgeordneten
gewählt werden. Das macht sie unabhängig gegenüber
jedermann.
Der Deutsche Bundestag unterstreicht damit auch,
daß ihm an einer ernsthaften und effektiven Kontrolle
des Regierungshandelns auf diesem Feld gelegen ist.
Diesem Ziel dient auch die Begrenzung der Mitgliederzahl auf neun. Ich meine, ein größerer Kreis - das ist
eben das Hauptproblem; das ist wirklich unsere Erfahrung - würde die vertrauliche Kontrolltätigkeit nicht
mehr gewährleisten.
Zum heutigen Gesetzentwurf. Die Kollegen haben es
schon gesagt: Dieser Gesetzentwurf verbessert die
Möglichkeit der parlamentarischen Kontrolle. Bisher
kannten wir nur die umfassende Informationspflicht der
Bundesregierung. Ich muß sagen: Dies hat die alte Bundesregierung wirklich getan. Daher darf ich dem ehemaligen Kanzleramtsminister Bohl und dem ehemaligen
Staatsminister Schmidbauer an dieser Stelle einen herzlichen Dank aussprechen.
({0})
Ich will aber auch die neue Bundesregierung auffordern,
diese vertrauensvolle Zusammenarbeit - ich denke da
insbesondere an Herrn Hombach - ungeschmälert fortzusetzen.
Zur Gesetzeslage. Die Regelungen, die wir haben,
werden ergänzt oder festgeschrieben. Rechte wie beispielsweise das Akteneinsichtsrecht, die Mitarbeiteranhörung und auch die Mitberatung der Wirtschaftspläne
waren in der Praxis schon vorhanden; sie wurden uns
durch die alte Bundesregierung gewährt. Diese wollen
wir jetzt in das Gesetz aufnehmen. Neu ist die Zusammenarbeit mit dem G-10-Gremium, die wir alle seit langem für sinnvoll erachtet und angeregt haben.
An eines müssen wir denken: Wenn wir die Aufgaben
der PKK erweitern, müssen wir die PKK selbstverständlich auch organisatorisch verstärken, um sie in die
Lage zu versetzen, den großen Bereichen, dem Militärischen Abschirmdienst, dem BND - mit 6 000 Mitarbeitern - oder dem Bundesamt für Verfassungsschutz, Entsprechendes entgegenzusetzen.
Meine Damen und Herren, was den neuen Namen
„Parlamentarisches Kontrollgremium“ anbetrifft: Da
bisher niemand die PKK des Bundestages je mit der
gleichnamigen Terrororganisation verwechselt hat,
könnten wir auf eine solche Umbenennung, so meine
ich, verzichten. Darüber wollen wir noch reden.
Leider nicht im Gesetz festgeschrieben wird unsere
Empfehlung, der PKK ein Vorschlagsrecht für die Besetzung der Präsidentenämter des BND, des BfV und
des MAD zuzubilligen. Da aber sind sich offensichtlich
alle Regierungen gleich, Herr Kollege Penner. Das ist
völlig richtig, und deswegen wollen wir dies hier erwähnen. Es war auch in der Vergangenheit so. Ich halte diese Regelung für richtig, weil jede Bundesregierung die
enormen Erfahrungen - da spreche ich für uns -, die wir
in der PKK in all den Jahren in diesem Bereich gesammelt haben, nutzen sollte.
Abschließend begrüße ich es sehr, daß wir diesen Gesetzentwurf interfraktionell einbringen. Jede Bundesregierung sollte wissen: Dem Deutschen Bundestag ist es
Ernst mit der Durchsetzung seiner Kontrollrechte. Die
Mitglieder der Parlamentarischen Kontrollkommission
werden diese Aufgabe auch in Zukunft selbstbewußt und
verantwortungsbewußt wahrnehmen. Denn unsere gemeinsame Überzeugung ist: Es lohnt sich, für unseren
Staat und den Schutz seiner freiheitlich-demokratischen
Grundordnung einzutreten, Gefahren abzuwehren und so
zum Wohlergehen der Menschen in unserem Lande beizutragen.
Herzlichen Dank.
({1})
Als
letzter Redner in dieser Aussprache hat der Kollege Roland Claus von der PDS-Fraktion das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr
verehrten Damen und Herren! Wenn vier Fraktionen in
diesem Hohen Hause einen Gesetzentwurf gemeinsam
einbringen, dann sieht das natürlich nach großer Einmütigkeit aus.
({0})
Ich finde, Sie übertreiben die Darstellung dieser Einmütigkeit ein klein wenig. So friedfertig ging es nämlich
auf dem Weg bis hierher nicht zu. Das wissen Sie ganz
genau. Herr Kollege Marschewski, ganz interfraktionell
ist der Antrag hier natürlich auch nicht eingebracht worden.
Ich will Sie an Pressemeldungen von vor wenigen
Wochen erinnern. Was haben Sie sich gegenseitig - die
SPD an die Adresse der CDU, aber auch umgekehrt und
innerhalb der Koalition - genau zu diesem Thema vorgeworfen! Alles hatte nur einen einzigen Schwerpunkt offenbar handelt es sich um Ihr Lieblingsthema -: Beteiligt man die PDS an diesem Gremium oder nicht? Ich
denke, Sie alle haben diese Erklärungen noch nicht vergessen.
Bis auf den Kollegen Ströbele blenden Sie alle das
aus und sagen: Eine Zahl ist im Gesetzentwurf gegenwärtig nicht enthalten. Aber schon in der nächsten Woche - so sieht Ihr Fahrplan wohl aus - müssen Sie hier
Farbe bekennen. An die Adresse des Kollegen Ströbele
sage ich ausdrücklich: Natürlich gibt es auch bei uns wie bei Ihnen - die Auffassung, sich nicht zu beteiligen.
Für die Bundestagsfraktion der PDS erkläre ich deutlich:
Wir wollen schon; nur, Sie lassen uns bisher noch nicht.
({1})
Ich möchte an die Geschichte des Gesetzentwurfs
erinnern: Nach einer kurzen Zeit anfänglicher Ratlosigkeit machte die Fraktionsspitze der SPD den Vorschlag,
das Gremium auf 15 Mitglieder - also mit Beteiligung
der PDS - auszudehnen. Wenig später hat sich der Kollege Struck zu der Formel „keine Beteiligung der PDS“
durchgerungen. Das stand damals im ausdrücklichen
Zusammenhang mit einem von ihm so verstandenen
Fehlverhalten unserer Fraktion.
Das ist verfassungsrechtlich bedenklich. Selbstverständlich steht der Mehrheit im Bundestag zu, die Größe
dieses Gremiums beliebig zuzuschneiden. Das Bedenkliche aber ist die Aussage des Kollegen Struck, man
müsse das Gremium klein halten, um eine Fraktion herauszuhalten. Das hat er unglücklicherweise so verknüpft, und das weiß er auch.
Wenn der Kollege Marschewski hier allerdings indirekt sagt, daß die freiheitlich-demokratische Grundordnung gefährdet wäre, wenn man das Gremium größer
machte und die PDS daran beteiligte, dann muß ich
dem entgegnen: Das ist eine Einteilung des Bundestages in Abgeordnete mit größeren und Abgeordnete
mit minderen Rechten, die wir so nicht hinnehmen
wollen.
({2})
Wenn das Gesetz und die darin vorgesehene Mitgliederzahl so beschlossen werden, muß über eine verfassungsrechtliche Überprüfung nachgedacht werden.
Ich will das hier moderat ansprechen und diese Möglichkeit offenhalten. Vielleicht korrigieren Sie sich noch
selbst bis zur zweiten und dritten Lesung dieses Gesetzes.
Ich möchte noch einen inhaltlichen Einwand machen,
der nicht nur von uns, sondern auch von Konservativen
vorgebracht wird. Er betrifft die Zusammenlegung. Ich
denke, daß das von Ihnen vorgetragene Argument, es
werde transparenter, an vielen Stellen stimmt. Aber
wenn man aus zwei vorhandenen Kontrollgremien nur
noch eins macht, dann ist das auch ein Einschnitt in die
bisherigen Möglichkeiten der parlamentarischen Kontrolle.
Einer Überweisung werden wir uns natürlich nicht
verweigern.
Vielen Dank.
({3})
Ich
schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 14/539 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es
dazu anderweitige Vorschläge? - Das ist nicht der Fall.
Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Bevor ich den Tagesordnungspunkt 7 und den Zusatzpunkt 5 aufrufe, möchte ich darauf hinweisen, daß
die Redebeiträge zu Tagesordnungspunkt 8 mit Ausnahme des Beitrags der PDS zu Protokoll gegeben werden sollen. Die namentliche Abstimmung wird also etwas früher stattfinden. Ich sage das, damit Sie in den
Fraktionen schon einmal eine Vorwarnung geben können.
({0})
- Ich schätze, daß die namentliche Abstimmung in etwas
mehr als einer Stunde, also nach neun Uhr, stattfinden
wird.
Ich rufe den Tagesordnungpunkt 7 und den Zusatzpunkt 5 auf:
7. Beratung des Antrags der Abgeordneten Wolfgang Börnsen ({1}), Gunnar Uldall, Ulrich
Adam, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
der CDU/CSU
Initiative gegen die Auswirkungen der asiatischen Finanzkrise und des internationalen
Subventionswettlaufs auf die deutsche und europäische Werftindustrie
- Drucksache 14/400 Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Wirtschaft und Technologie ({2})
Auswärtiger Ausschuß
Ausschuß für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
Ausschuß für Angelegenheiten der neuen Länder
Haushaltsausschuß
ZP 5 Beratung des Antrags der Abgeordneten Hans
Martin Bury, Ernst Schwanhold, Gerd Andres,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
sowie der Abgeordneten Werner Schulz ({3}), Margareta Wolf ({4}) und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Initiative gegen die Auswirkungen der asiatischen Finanzkrise und des internationalen
Subventionswettlaufs auf die deutsche und europäische Werftindustrie
- Drucksache 14/540 Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Wirtschaft und Technologie ({5})
Auswärtiger Ausschuß
Ausschuß für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
Ausschuß für Angelegenheiten der neuen Länder
Haushaltsausschuß
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Stunde vorgesehen. Gibt es Widerspruch? - Das ist nicht der Fall. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Als erster Redner hat der
Kollege Wolfgang Börnsen von der CDU/CSU-Fraktion
das Wort.
Herr
Präsident! Meine Damen und Herren! „Maritimer
Standort Deutschland - geschlossen wegen Verlagerung
nach Fernost!“ So könnte die Schlagzeile bereits in wenigen Monaten lauten, wenn nicht zügig gehandelt wird.
Die Währungskrise in Asien wirft ihre Schatten auch auf
die deutsche Küste. Schiffbauer bangen um Anschlußaufträge, Gewerkschaftler befürchten Massenentlassungen, und die Politik sowohl in den norddeutschen Küstenländern als auch in Bonn sieht zur Zeit zerstritten
und tatenlos zu.
In den letzten Monaten des vergangenen Jahres
konnten fast keine neuen Schiffbauaufträge eingeworben werden. In den ersten drei Monaten 1998 betrug die
Größenordnung der Aufträge dagegen noch 203 000
Tonnen, im zweiten Quartal noch 127 000 Tonnen, im
dritten sank die Zahl auf 90 000 Tonnen. Im Oktober
waren es noch 7 000 Tonnen. Im November 1998 gab es
keine mehr, desgleichen im Dezember. Bereits in eineinhalb Jahren, so die Branche, fehlen für die meisten
der 100 deutschen Werften die Anschlußaufträge. Dabei
gehören die deutschen Schiffbauer zu den innovativsten
und produktivsten der Welt. Doch jeder zweite Schiffbauauftrag ging 1998 an Korea.
Der Grund für diese extreme Verlagerung der Neubauten ist einfach: Währungsturbulenzen, radikale
Lohnsenkungen und staatliche Subventionspolitik in
Korea, der zweitgrößten Schiffbaunation der Welt. Koreanische Anbieter betreiben radikales Preisdumping,
finanziert auch durch deutsche Steuermittel. Erst die
Kredite des Internationalen Währungsfonds in Höhe von
58 Milliarden US-Dollar haben nämlich den fernöstlichen Anbietern wieder auf die Beine geholfen. Finanzstarkes Mitglied des IWF ist Deutschland. Es darf nicht
sein, daß durch deutsche Steuergelder Arbeitsplätze in
Asien geschaffen und bei uns vernichtet werden.
Koreanische Werften können mit einem Preisvorteil
von bis zu 30 Prozent am Weltmarkt operieren. Schiffe
werden zu Materialkosten angeboten. Werften, die sich
bereits in Konkurs befanden, treten plötzlich zu Billigpreisen wieder auf dem Weltmarkt auf und gefährden
deutsche und europäische Arbeitsplätze. Das ist durch
den Markt allein nicht auszugleichen. Kostete vor Jahresfrist ein koreanisches Containerschiff noch gut
80 Millionen Dollar, so ist das gleiche Schiff jetzt für
weniger als 45 Millionen Dollar zu haben. Kein Wunder
also, wenn an der deutschen Küste die Auftragsbücher
leer bleiben.
Die erfolgreiche Flensburger Schiffbaugesellschaft
stellt dazu nüchtern fest: Vor knapp zwei Jahren war ein
Containerfrachter aus dem Hause FSG noch für gut
21 Millionen DM zu haben. Heute liegt der Verkaufspreis durch die Dumpingpolitik der anderen bei
16 Millionen DM. Der Betriebsrat der FSG befürchtet:
„Wenn das so weitergeht, haben wir keine Überlebenschance!“ Fairer Wettbewerb ist ausgeschlossen, und es
gibt Protest von allen Seiten. Bonn senkt trotzdem die
Wettbewerbshilfe und die Zinszuschüsse. Das ist der
falsche Weg.
Allein in Deutschland sind mehr als 26 000 Menschen auf 100 Werften direkt und dazu noch 70 000
Mitarbeiter in 400 Zulieferbetrieben davon betroffen. Es
geht also um 100 000 Arbeitsplätze. In Europa arbeiten
allein im Kernbereich der maritimen Industrie mehr als
300 000 Menschen. Ohne Anschlußaufträge droht ihnen
die Arbeitslosigkeit. Es handelt sich also nicht nur um
ein regionales, nationales oder branchenbezogenes Problem. Hier ist der maritime Standort Europa insgesamt
betroffen.
Seit 1985 ist der Weltmarktanteil Europas im Schiffbau von 28 auf 19 Prozent zurückgegangen. Gleichzeitig
konnte Korea, gestützt auf staatliche Finanzierungshilfen, den eigenen Anteil von 12 auf 25 Prozent ausbauen.
Man will Nummer eins in der Welt werden. Der deutsche Anteil stabilisierte sich zwischen 6 und 7 Prozent
mit einer Wertschöpfung von immerhin 7,5 Milliarden
DM.
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
Deutschland ist die drittgrößte Schiffbaunation der
Welt - noch. Die deutsche Politik ist jetzt gefordert. Der
schleswig-holsteinische Wirtschaftsminister hat kürzlich
in einem Brief an seinen Bonner Kollegen auf die Auftragslücke hingewiesen und eine Aufstockung der deutschen Fördermittel gefordert. Reaktion der Bundesregierung - leider -: kein Handlungsbedarf. - So darf man
mit Menschen in Deutschland nicht umgehen.
({0})
Stellen Sie sich einmal Kiel ohne HDW, Hamburg
ohne Blohm & Voss, Oldenburg ohne die Papen-, Wolgast ohne die Peene-Werft vor. Wenn wir nicht schnell
und entschieden handeln, ist der Werftenstandort
Deutschland ernsthaft gefährdet. Es besteht Handlungsbedarf für die Bundesregierung.
Das gilt erstens für den Förderspielraum, den Brüssel vorgibt. Er wird von Bonn nicht ausgeschöpft. Die
8. EU-Schiffbaurichtlinie bietet dafür eigentlich ein
wirksames Instrument. Während Spanien, Frankreich
und Italien ihre Werften mit 9,9 Prozent fördern, bremst
Bonn die blaue Industrie bei 7 Prozent. Die Benachteiligung gegenüber den europäischen Mitwettbewerbern ist
nicht hinnehmbar.
Zweitens geht es um die bisherige Beibehaltung der
Wettbewerbshilfe in der Höhe, wie sie die Landesregierung Schleswig-Holsteins fordert. Dazu ist dieser Betrag
in der mittelfristigen Finanzplanung so festzuschreiben,
daß die Werften Planungssicherheit erhalten.
Drittens geht es nicht an, daß einer ganzen Branche
im Rahmen der neuen Steuergesetzgebung die Sonderabschreibungen jetzt so drastisch gekappt werden, daß
sich Investitionen in den Schiffbau nicht mehr lohnen.
Aufträge von über 2 Milliarden DM könnten bei Beibehaltung der Verlustzuweisung gebunden werden. Umgerechnet wären das gut 6 000 Arbeitsplätze.
Die Lage für die deutschen Werften wird dadurch
dramatisch, daß die Auswirkungen dieser Steueränderung mit dem Abbruch der Anschlußaufträge zeitlich zusammenfallen. Wer diesen Doppelschlag gegen die maritime Wirtschaft nicht will, der darf diesen Teil der
Steuergesetzgebung im Bundesrat nicht passieren lassen.
Das gilt vor allem für die Landesregierungen an der Küste. Es ist nicht vertretbar, mehr Fördermittel aus Bonn
und Brüssel zu fordern, wenn man zu Hause seine Hausaufgaben nicht gemacht hat.
({1})
- Die reicht nur bis zum Jahre 2000, länger nicht.
In Schleswig-Holstein wurden in den vergangenen
Jahren - diese Zahl stammt vom Wirtschaftsminister
selbst - bei der Schiffbauförderung 35 Millionen DM
eingespart. Die norddeutschen Küstenländer müssen
morgen, am Freitag, Farbe bekennen. Ich fordere sie auf,
deutlich zu machen, was sie von der maritimen Politik
halten, und am Freitag nein zur Steueränderung zu sagen.
({2})
Diese Aufforderung begründet sich auch durch die
internationale Lage auf dem Schiffbaumarkt. Die Dauer
dieser Krise ist noch gar nicht absehbar. Als Reaktion
auf die koreanische Krise haben chinesische Schiffbauer
eine Abwertung des chinesischen Yuang um 20 Prozent
gefordert mit der Begründung, nur so könne man dem
Preisdruck standhalten. Japan hat diesen Schritt mit der
Abwertung des Yen bereits vollzogen. Eine Abwertungsspirale mit unabsehbaren Folgen für Europa hat
eingesetzt.
Wir, die CDU/CSU-Bundestagsfraktion, halten ein
Sechs-Punkte-Sofortprogramm für die Stärkung der
maritimen Wirtschaft für notwendig:
Erstens. Der IWF muß dafür Sorge tragen, daß seine
Mittel in Südkorea nicht weiter zu Wettbewerbsverzerrungen im Weltschiffbau führen. Auch die Bundesregierung als Mitglied des IWF trägt eine Mitverantwortung.
Wir erwarten klare Aussagen darüber, daß ein Mißbrauch der Währungshilfen ausgeschlossen wird.
Zweitens. Die Wettbewerbshilfen sind kurz- und
mittelfristig in voller Höhe fortzusetzen und gegebenenfalls auszubauen. Die Reduzierung der Mittel im Bundeshaushalt von bisher 70 auf jetzt 50 Millionen DM ist
rückgängig zu machen. Sie ist ein falsches Signal zur
falschen Zeit. Mit den jetzt diskutierten Wettbewerbshilfen von Bund und Ländern in Höhe von insgesamt
150 Millionen DM wird nicht einmal die Hälfte des augenblicklichen Auftragsvolumen von 4 bis 5 Milliarden
DM gebunden. Die koreanischen Herausforderungen
sind dabei noch gar nicht berücksichtigt.
Drittens. Die Streichung der Sonderabschreibungen
zum 31. Dezember des nächsten Jahres muß zurückgenommen werden. Eigenkapital und Risikobereitschaft
sind das Rückgrat des Schiffbaus. Nur durch steuerliche
Anreize werden ausreichend Mittel für Investitionen
freigesetzt.
Viertens. Bedingt durch die zunehmende Änderung
der Wertschöpfung beim Schiffbau - die Zulieferindustrie, deren Standorte besonders in West- und Süddeutschland liegen, hat bereits einen 70prozentigen Anteil - ist es sachgerecht, wenn man bei den Wettbewerbshilfen von einer Fördermittelregelung mit dem
Verhältnis ein Drittel Bund und zwei Drittel Länder zu
einer hälftigen Aufteilung der Förderbeiträge kommt.
Fünftens. Auch die Bundesländer dürfen bei der
Schiffbauförderung nicht zögern und zaudern. Sie stehen
besonders in der Verantwortung. Mittelkürzung zur Unzeit bedeuten Arbeitslosigkeit und Abwanderung von
Know-how. Es geht nicht an, daß zum Beispiel Schleswig-Holstein Fördergelder in Höhe von 35 Millionen
DM ausläßt.
Sechstens. Das internationale OECD-Abkommen,
das wegen der fehlenden Unterschrift der Amerikaner
auf Eis liegt, muß endlich zum Abschluß gebracht werden. Der internationale Subventionswettlauf ist endlich
zu beenden. Das nächste G-8-Treffen wäre für eine derartige Entscheidung durchaus geeignet. Doch dafür muß
die Bundesregierung jetzt offensiv werden.
({3})
Wolfgang Börnsen ({4})
Wird jetzt nicht konsequent gehandelt, ist eine Krise
im deutschen Schiffbau unausweichlich. Verantwortungsvolle Politik muß das verhindern. Die Werften
selbst haben in den vergangenen Jahren bis an die Grenze des Verantwortbaren rationalisiert und die Arbeit optimiert. Ich nenne Ihnen dazu ein Beispiel aus meinem
Wahlkreis Flensburg. Die FSG hat vor zehn Jahren zwei
Schiffe pro Jahr gebaut. Neun Jahre später baut sie in
der gleichen Zeit mit der gleichen Größe der Belegschaft
sechs Schiffe. Das zeigt ganz deutlich, wie stark die Optimierung im Schiffbau vorangeschritten ist. Auch andere Werften in Deutschland haben trotz reduzierter Belegschaft ähnliche Erfolge zu verzeichnen.
Experten prognostizieren einen Boom im Weltschiffbau. Über 10 000 Einheiten sind über 20 Jahre alt. Neue
Märkte erschließen sich aus dem Programm „From Road
to Sea“. An diesem maritimen Zukunftsmarkt sollte unser Land beteiligt sein. Technologisch sind wir führend
in der Welt. Doch wenn wir jetzt nicht auf die koreanische Herausforderung reagieren, haben nicht nur die
Menschen an der Küste das Nachsehen, sondern die maritime Verbundwirtschaft insgesamt.
({5})
Als
nächste Rednerin hat die Kollegin Margrit Wetzel von
der SPD-Fraktion das Wort.
Herr Präsident! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste auf der Tribüne!
Ich kann mir Ausführungen zur Finanzkrise in Korea,
die zu der dramatischen Krise im deutschen Schiffbau
geführt hat, sparen, weil all das, was Herr Börnsen dazu
gesagt hat, zweifellos richtig ist. Ich will nur ergänzend
hinzufügen, daß mit dem gigantischen Ausbau der
Werftkapazitäten in Korea die führende Schiffbaunation
noch weitere Marktanteile zu Lasten der Stabilität der
Werftwirtschaft gewonnen hat.
Ich gebe ein Beispiel: Der Halla-Konzern hat allein
durch die Errichtung einer neuen riesigen Großwerft eine Verschuldungsrate von über 2000 Prozent Fremdkapital zu Eigenkapital erreicht. Als die koreanische Wirtschaft vor dem totalen Zusammenbruch stand, war es
völlig richtig, daß der Internationale Währungsfonds
einen großen Kredit gegeben hat. Bedauerlicherweise
sind mit diesem Kredit keine Kapazitätsbeschränkungen
für den Schiffbau verbunden gewesen. In diesem Punkt
sind ihre Ausführungen, Herr Börnsen, völlig richtig.
Aber einige Ihrer Schlußfolgerungen sind falsch. Es
ist überhaupt keine Frage, daß Deutschland reagieren
muß. Wir müssen national und gemeinsam mit den anderen europäischen Schiffbaunationen auf EU-Ebene
handeln. Die deutschen Werften und die Arbeitnehmer
an den Küstenstandorten können sich dabei auf die Koalitionsfraktionen verlassen.
({0})
Wir fordern ganz eindeutig, daß die Auflagen des Internationalen Währungsfonds streng eingehalten und überwacht werden.
Eine freiwillige Selbstbeschränkung, wie sie in Ihrem Antrag vorgesehen ist, ist insofern schon hanebüchen, als Sie selber gesagt haben, daß Korea versuche,
Marktführer zu werden. Wir können uns die Zahlen anschauen; Sie haben sie hier ja selber vorgeführt. Die Koreaner versuchen mit aller Macht, Japan zu übertrumpfen. Wenn man dann auf freiwillige Selbstbeschränkung
abhebt, wird man nicht allzuviel erreichen.
Wir müssen also auf allen Ebenen und mit allem
Nachdruck darauf hinwirken, daß Korea zu langfristig
verbindlichen Kapazitätsbeschränkungen verpflichtet
wird. Auch sollten wir Herrn Bangemann bei seiner
letzten Amtshandlung als EU-Kommissar durchaus den
Rücken stärken; denn er wird bereits in der nächsten
Woche in Korea Gespräche zu diesem Thema führen.
Der Deutsche Bundestag sollte ebenso wie die Bundesregierung klarmachen, daß wir ihn unterstützen und ihm
helfen.
({1})
Des weiteren müssen wir darauf hinwirken, daß IWFKredite in Zukunft grundsätzlich mit Auflagen zur Kapazitätsbegrenzung verbunden werden, wenn sie an
Schiffbaunationen gegeben werden.
({2})
Sie haben das OECD-Abkommen erwähnt, Herr
Börnsen. Sie wissen aber ganz genau, daß es nie in Kraft
getreten ist, weil die USA es nicht ratifiziert haben, und
daß es inzwischen schlicht und einfach überholt ist. Wir
müssen daran arbeiten, daß die Probleme im deutschen
und im europäischen Schiffbau mit einer globalen Strategie gelöst werden. Das heißt, wir brauchen auf europäischer Ebene eine ganz schnelle Einigung über ein
neues Abkommen.
Besser wäre es, wenn es uns gelänge, die führenden
Schiffbaunationen Japan, Korea und China - die Chinesen überholen uns gerade und werden wohl auch in Zukunft vor uns liegen -, aber auch die USA, Norwegen
und Polen einzubinden. Wenn wir den Schiffbaumarkt
langfristig tatsächlich stabilisieren wollen, wären wir mit
einem neuen Abkommen ein ganzes Stück weiter.
Ferner sollte die Bundesregierung darauf drängen ich bin sicher, sie wird es auch tun -, daß die Wettbewerbsfragen in einem solchen neuen Abkommen geregelt werden, daß Sanktionsmöglichkeiten vorgesehen
werden und daß Preisdumping verhindert wird.
({3})
Nur dann können wir einen stabilen Schiffbaumarkt bekommen.
Die liberale europäische Wirtschaftspolitik der letzten
Jahre - dessen bin ich mir ganz sicher - können wir uns
im Gegensatz zu einer dauerhaft zielgerichteten und
konsequent durchgehaltenen asiatischen Industriepolitik
nicht mehr leisten. Wir müssen da etwas ändern; denn
unseren Werften steht - das haben Sie durchaus zutreffend geschildert - das Wasser bis zum Hals. Die großen
Werften haben noch Aufträge bis ins Jahr 2000, bei den
Wolfgang Börnsen ({4})
kleinen sind die Auftragsbücher bereits im Herbst 1999
leer. Ohne unsere Hilfe - das ist völlig klar - werden einige dieser Werften die nächsten zwei Jahre nicht überstehen können. Wir wissen, daß Fachleute wegen der
Wettbewerbsvorteile Koreas davon ausgehen, daß sich
der Schiffbaumarkt frühestens in zwei Jahren etwas stabilisieren wird. Es geht also darum, diese zwei Jahre zu
überbrücken.
Auch die Zulieferindustrie, auf die - auch das haben
Sie völlig zutreffend dargestellt - 70 Prozent der Wertschöpfung im Schiffbau entfällt, ist auf die Aufträge aus
dem deutschen Schiffbau angewiesen; denn nur im deutschen Schiffbau können sie tatsächlich Leistungen im
Bereich der Hochtechnologie erbringen und sich selbst
weiterentwickeln. Sie können so etwas nicht mit Verkäufen in Billigschiffbauländer erreichen. Den Zulieferern geht es um Aufträge aus dem deutschen Schiffbau.
Immerhin handelt es sich dabei nicht nur um ein Küstenproblem, denn mehr als 50 Prozent der Zulieferleistungen werden mittlerweile in Bayern und BadenWürttemberg erbracht. Das heißt, alles, was wir für die
deutschen Werften tun, tun wir zugleich für Bayern und
Baden-Württemberg.
Wir haben technologisch die Nase nur vorn, wenn
wir den Werften und den Zulieferern die Möglichkeit
geben, im Hochtechnologie- und Spezialschiffbau Forschung zu betreiben, Konstruktionen zu entwickeln
und Produkte zu verkaufen. Schiffbau ist nämlich
nur zu einem geringen Anteil Stahlbau. Schiffbau ist vor
allem auch Maschinenbau, Elektrotechnik und Elektronik von allerhöchster Qualität. Dazu kommt die
Systemtechnik, um alle diese Bereiche effizient zu verknüpfen.
Sie haben auch völlig zutreffend gesagt, daß der
Schiffbaumarkt kontinuierlich wächst. Die Abwrackraten nehmen zu. Das heißt, wir haben einen gewaltigen
Markt. Deshalb dürfen wir nicht einfach zusehen, daß
die deutschen Werften nicht in der Lage sind, Aufträge
zu akquirieren.
Herr Börnsen, bei Ihren Worten kommen mir fast die
Tränen. Man hat das Gefühl, Sie waren die letzten
16 Jahre nicht im Bundestag. Ich glaube aber, Sie waren
eine ganze Reihe von Jahren hier. Sie müßten eigentlich
wissen - zumindest ich erinnere mich ganz gut daran -,
welche Anträge Sie selber gestellt haben bzw. welche
Anträge der damaligen Opposition Sie abgebügelt haben.
Gucken wir uns doch einmal an, wie Deutschland im
europäischen Wettbewerb steht. Die Fördermöglichkeiten, die die europäischen Nachbarländer ausnutzen, haben Sie mit Ihrer früheren Mehrheit den deutschen
Werften über all die Jahre hinweg nicht gegeben. Sie
waren es doch, die die Förderquoten des Bundes im
Verhältnis zu den Ländern kontinuierlich abgebaut haben. Das ist ab dem Jahre 1991 passiert. Zunächst war
das Verhältnis zwei Drittel Bund, ein Drittel Land, wie
es sicherlich auch angemessen war.
({5})
Sie haben das kontinuierlich geändert. Sie haben dafür
gesorgt, daß die Förderung von den Ländern nicht finanziert werden kann, weil sie keine entsprechende Finanzausstattung haben.
({6})
Deshalb ist die Forderung der Küstenländer, wieder zu
einer Fifty-fifty-Quote zu kommen, doch durchaus legitim.
({7})
Ich denke, an dieser Quote müssen wir arbeiten.
({8})
Das müssen wir prüfen. Die Koalitionsfraktionen bitten
die Bundesregierung darum, das wohlwollend zu prüfen.
({9})
Darauf können Sie sich verlassen.
Sie haben einen weiteren Fehler gemacht, den Sie
jetzt offensichtlich auf einmal vergessen haben. Sie als
Mehrheitsfraktionen haben damals Verpflichtungsermächtigungen für die Werftenhilfe nicht in ausreichendem Maße zur Verfügung gestellt.
Wie sieht es bei den Werften aus? - Sie akquirieren
Ihre Aufträge doch nach vorne und nicht nach hinten. Es
kann nicht darum gehen, die Zinsbeihilfen zu erhöhen,
wenn wir ein niedriges Zinsniveau haben und sicher sein
können, daß die Zinsbeihilfen wegen des OECDAbkommens für Schiffsexportkredite überhaupt nicht
ausgeschöpft werden. Das heißt, diese Hilfe wäre wirkungslos.
Es geht jetzt darum, den Werften die Möglichkeit zu
geben, Aufträge zu akquirieren. Das geht nur mit Verpflichtungsermächtigungen, die nach EU-Recht zur Zeit
nur noch für 1999 und 2000 möglich sind. Nur wenn
diese Verpflichtungsermächtigungen in den Haushalt
eingestellt werden - wir bitten wirklich eindringlich
darum, das zu prüfen -, können die Werften bankfähige
Titel erwerben, damit sie die Vorausfinanzierung für
Aufträge, die sie dann hoffentlich akquirieren können,
bekommen. Ihre falsche Politik hat die Werften Marktanteile gekostet und dazu geführt, daß sie diese Möglichkeiten nicht ausschöpfen konnten.
Ich weiß natürlich, daß weder der Finanzminister
noch der Wirtschaftsminister, nicht einmal in Personalunion, einen Goldesel neben sich am Kabinettstisch haben.
({10})
Trotzdem richte ich für die Koalitionsfraktionen die eindringliche Bitte an die Bundesregierung, zu prüfen, wie
wir den Werften wirklich helfen können.
Ich denke, notwendig ist - das sollte man ganz klar
sagen - eine wirtschaftspolitische Krisenintervention
für die Dauer der nächsten zwei Jahre. Es geht nicht
darum, die Zinsbeihilfen zu erhöhen. Es geht auch nicht
darum, Dauersubventionen für die Werftindustrie festzuzurren.
({11})
Vielmehr geht es wirklich um eine Krisenintervention ich wiederhole das - für die nächsten zwei Jahre. Die
Werften brauchen Möglichkeiten, bankfähige Titel zu
erhalten, mit denen sie Aufträge akquirieren können.
({12})
- Natürlich stimmt das mit der VE. Aber klar! Prüfen
Sie das doch!
({13})
Eine Werft, die pleite ist, kann nicht wieder auf die Beine kommen. Sie kann auch keine Aufträge mehr erteilen, und die Zulieferindustrie leidet mit.
Ich denke, wenn es uns gelingt, die nächsten zwei
Jahre zu überbrücken, dann haben wir Zeit, um die Abkommen auf europäischer und internationaler Ebene
unter Dach und Fach zu bringen.
({14})
Der Schiffbau ist eine Schlüsselindustrie in der Verkehrstechnik, in der Sicherheitstechnik und in der Umwelttechnik. 90 Prozent aller Exporte der EU gehen über
den Wasserweg.
Damit komme ich zum dem Part, den ich eigentlich
von der Industrie, und zwar von der gesamten maritimen
Industrie, erwarte. Werften und Zulieferer müssen ihre
enormen und bisher außerordentlich erfolgreichen Anstrengungen zur Qualitätssicherung und Liefertreue
weiterbetreiben. Sie müssen weiter daran arbeiten, ihre
Kapitalkosten und Overheads noch mehr zu senken.
Werften und Zulieferer sollten dabei unterstützt werden,
noch besser als bisher zu kooperieren, damit sie gemeinsam technische Entwicklungen vorantreiben können und
damit sie Einkaufs-, Vermarktungs- oder Produktionsvorteile nutzen können.
Was aber meines Erachtens am wichtigsten ist: Die
maritime Industrie muß sich dessen bewußt sein, daß die
Bindung an den Nationalstaat der Schlüssel zu belastbaren nationalen Wertschöpfungsketten ist. Ich frage mich,
ob wir von den Japanern noch immer nichts gelernt haben. Sie haben geschlossene Märkte. Es geht in diesem
Fall für die Werften nicht nur um staatliche Hilfen. Darum geht es auch. Aber es geht vor allem darum, daß
deutsche Reeder die Schiffe in Deutschland und nicht in
Korea oder China bestellen.
Ich sage Ihnen etwas, Herr Börnsen: Auch ich habe
einen Wahlkreis an der Küste. Als wir mit den Steuergesetzen beschlossen haben, daß die Verlustzuweisungsgesellschaften nicht mehr unbefristet weiter so agieren
können wie zuvor, sind in der kurzen Zeit, die die Gesellschaften zur Verfügung hatten, das heißt in exakt
sechs Stunden, allein aus meinem Wahlkreis 40 Schiffe
in Korea bestellt worden. Das ärgert mich maßlos. Das
ist nichts weiter als eine Reaktion darauf, daß eine Politik, die Sie jahrelang betrieben haben, auf einmal beendet werden sollte.
Die Korrelation der nationalen Bindung von Schiffbau, Reeder, Flagge und Besatzung dürfen wir nicht
länger übersehen. Denn wer den guten alten Reeder
durch Verlustzuweisungsgesellschaften ersetzt, wer Bareboatschiffe unter Billigflagge mit Minimalbesatzung
fahren läßt, darf sich nicht ernsthaft wundern, wenn
dann die deutschen Reeder ihre Schiffe in Korea bestellen.
({15})
Frau
Kollegin Wetzel, erlauben Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Schauerte?
Aber gern.
Bitte
schön.
Frau Kollegin, ich
bedanke mich dafür. Ich möchte an einen Vorgang im
Herbst des Jahres 1997 erinnern. Wir waren damals dabei, die Subventionierung über die Verlustzuweisungen
zu unterbinden. Insbesondere ärgerte uns, daß Zahnärzte
aus Baden-Württemberg Kapitäne zur See von Schiffen
wurden, die in Korea gebaut wurden. Wir hatten einen
entsprechenden Ansatz im Wirtschafts- und Finanzausschuß. Es war die SPD-Arbeitsgruppe im Wirtschaftsarbeitskreis, gestützt von den SPD-Landesregierungen aus
Schleswig-Holstein, Niedersachsen, Bremen, Hamburg
- damals noch relativ stark SPD - und MecklenburgVorpommern, die darum gebeten haben, genau das nicht
zu tun, weil sie der Meinung waren, das würde dem
Standort schaden und Arbeitsplätze in der maritimen
Wirtschaft vernichten.
({0})
So war die Wirklichkeit. Sind Sie nicht mit mir der Meinung, daß man bei der Wahrheit bleiben sollte, statt hier
Schuldzuweisungen auszusprechen?
Ich kann mich insofern
nicht erinnern, als ich im Herbst nicht dabei war. Ich bin
erst in dieser Legislaturperiode wieder in den Bundestag
gekommen; insofern konnte ich nicht dabeisein. Aber
eines kann ich Ihnen sicher sagen, Herr Schauerte: Daß
die Küstenländer so reagieren mußten, war völlig klar,
denn sie konnten das Wahlergebnis vom 27. September
nicht voraussehen. Sie kannten Ihre Politik und wußten
nicht, daß wir eine Mehrheit bekommen. Das Problem
ist nicht unbedingt, daß man den Werften durch die BeDr. Margrit Wetzel
schränkungen bei den Verlustzuweisungsgesellschaften
die Aufträge wegnimmt. Das haben wir auch gesehen.
Die Küstenländer haben uns sofort gebeten, ihnen Vertrauensschutz zu gewähren und eine Übergangsfrist
einzuräumen. Das ist auch vollständig in Ordnung. Niemand von uns will, daß Aufträge zurückgezogen werden
oder daß die Werften weniger Beschäftigung haben.
Deshalb haben auch wir in unserer Arbeitsgruppe dafür
gekämpft, daß es den Vertrauensschutz gibt.
({0})
Ich bin vollständig davon überzeugt, daß das richtig ist,
denn wir können uns diese Auftragseinbrüche überhaupt
nicht leisten.
Aber wir müssen - da wäre es nett gewesen, wenn
Sie mir zugehört hätten - die gesamte Schiffbau- und
Schiffahrtspolitik an grundlegenden Stellen verändern
und wirklich darauf abzielen, nationale Wertschöpfungsketten zu haben. Das ist wichtig. Eine solche Politik ist nur mit einer veränderten Regierung und mit einer
veränderten Mehrheit möglich geworden. Insofern haben die Länder völlig recht. Da geht es nicht um Schuldzuweisungen und auch nicht darum, wer die Wahrheit
sagt. Es geht um die Frage, aus welcher Perspektive man
an diese äußerst wichtigen Dinge herangeht.
({1})
- Das tun wir auch. Keine Sorge!
Der Punkt ist - ich komme zu meinem Ausgangspunkt zurück -: Wir können auf dem globalen Schiffbau- und Schiffahrtsmarkt nur dann bestehen, wenn wir
im wirklich guten Sinne ein neues Nationalbewußtsein
entwickeln.
({2})
- Doch. - Dabei müssen Politik, Reeder und Werftindustrie gemeinsam handeln. Denn es geht um die Sicherung von Beschäftigung, um die Sicherung von Arbeitsplätzen. Das schaffen wir nur gemeinsam mit den Reedern, der Werftindustrie und den Küstenländern.
Herr Goldmann, Sie sagen so locker: Nein. Lesen Sie
einmal den Antrag der CDU/CSU. Dort steht im Grunde
genau das gleiche, nur mit einem Unterschied: Die
CDU/CSU will nämlich gar nicht, daß wir das wirklich
so umsetzen, wie sie es fordert, sondern sie will, daß wir
Berichte darüber vorlegen.
({3})
Das ist es, was mich am meisten ärgert. Herr Börnsen, in
Ihrer Rede klang es so, als stellten Sie inhaltliche Forderungen. Wenn Sie Ihren Antrag genau lesen, dann können Sie feststellen, daß Sie zu all den von Ihnen geforderten Aktivitäten nur die Vorlage von Berichten verlangen.
Ich freue mich, daß wir einen Bundeswirtschaftsminister haben, der wirklich alles dazu tut, um die Wirtschaft
mit einem guten Konzept und einer guten Strategie zu
unterstützen. Ich denke, daß die hochmotivierten Mitarbeiter des Wirtschaftsministeriums wesentlich mehr Lust
dazu haben, die entsprechenden notwendigen Verhandlungen vorzubereiten, als für die Opposition Berichte zu
schreiben.
({4})
Bei all diesen Dingen geht es um die Sicherung von
Beschäftigung bzw. um die Sicherung von Arbeitsplätzen. Wir werden daran mitwirken. Für die Beratung unserer Anträge wünsche ich uns deshalb ein klares Ziel
vor Augen, einen sicheren Kurs und hinsichtlich der Finanzen die notwendige Handbreit Wasser unter dem
Kiel.
Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
({5})
Als
nächste Rednerin hat das Wort die Kollegin Gudrun
Kopp von der F.D.P.-Fraktion.
Herr Präsident! Sehr geehrte
Herren und Damen! Liebe Frau Wetzel, ich denke, wir
alle zusammen müssen uns gerade im Hinblick auf die
Schiffbauindustrie und auch im Hinblick auf die gesamte Wirtschaft auf globale Zusammenhänge einstellen
und können nicht zu nationalen Alleingängen zurückkehren, die uns auf Dauer absolut nichts nützen.
({0})
Man muß zum einen bedenken, daß es durch die Politik
der neuen Bundesregierung leider nicht mehr genügend
reiche Zahnärzte gibt, die sich bei solchen Projekten engagieren könnten.
({1})
Sie sprachen zum anderen davon, daß man sich nur mit
Hilfe von Übergangsfristen auf Gesetzesänderungen einstellen kann. Genau das wünschten wir uns im Hinblick
auf Ihre Gesetzesvorhaben, und zwar beim Thema 630Mark-Jobs. Man sollte wissen, was auf einen zukommt.
Dies könnte man auf weitere Politikbereiche übertragen.
Zurück zum eigentlichen Thema, nämlich zur maritimen Wirtschaft, die auch bei uns in Deutschland ein
wichtiger Teil der mittelständischen Wirtschaft ist.
70 Prozent der Wertschöpfung - auch ich weise noch
einmal darauf hin - entstehen in der Tat unter anderem
bei der mittelständischen Wirtschaft der Küstenländer,
auch wenn Sie sagen, daß diesbezügliche Schwerpunkte
in Süddeutschland liegen. Ich kann nur sagen: Hauptsache, es gibt in unserem Land Aufträge.
({2})
Ich möchte nicht in den Wettbewerb zwischen Bayern,
Nordrhein-Westfalen oder sonstigen Ländern eintreten.
Arbeit ist Arbeit, und sie tut uns gut.
({3})
Ich möchte noch auf eines hinweisen: Die kleinen
Werften haben - das ist mir von Experten meiner FrakDr. Margrit Wetzel
tion glaubwürdig berichtet worden - nur für das nächste
Jahr bzw. maximal die nächsten anderthalb Jahre Aufträge. Was diese Werften brauchen, ist in erster Linie eine finanzpolitische Planungssicherheit.
({4})
Wir brauchen keine Absichtserklärungen und Initiativen,
die nebulös bleiben. Wir brauchen vielmehr konkrete
Aussagen der jetzigen Bundesregierung - Sie haben dazu die Chance - zum Haushalt 1999.
({5})
Ich muß Ihnen hier etwas vorhalten: In Ihrem Antrag
ist zwar von lobenswerten Initiativen, nämlich davon,
daß man manches tun müßte und vielleicht eine höhere
finanzielle Unterstützung bräuchte, zu lesen. In Ihren
Ansätzen werden Sie jedoch nicht konkret. Ich habe
heute im Jahreswirtschaftsbericht einen Satz gelesen,
in dem die Bundesregierung in Hinblick auf den Schiffbau Stellung bezieht. Sie schreibt hier einen Satz - es ist
nachzulesen auf Seite 60 im Jahreswirtschaftsbericht -:
Einige Branchen wie z.B. Stahl und Schiffbau sind
durch die Auswirkungen der weltweiten Turbulenzen an den Finanz- und Devisenmärkten besonders
betroffen.
Dann geht es nur mit der Stahlindustrie weiter. Der
Schiffbau kommt überhaupt nicht mehr vor, keinerlei
Perspektiven und schon gar keine Planungssicherheiten.
So können Sie auch in diesem Bereich dieses Politikfeld
nicht beackern, jedenfalls nicht erfolgreich.
({6})
- Richtig, Herr Börnsen, es geht um 100 000 Arbeitsplätze in unserem Land.
Bedenken Sie, daß während der letzten 12 Monate
allein bereits zirka 3 500 Arbeitsplätze abgebaut wurden. Dieser Industriezweig ist einer, der von hoher Effektivität und von einem sehr hohen technischen Standard geprägt ist. Das heißt, was an Produktivität, an internationaler Wettbewerbsfähigkeit herauszuholen ist,
wird von dem Schiffbauzweig geleistet.
({7})
Selbstverständlich geht es darum, diesen irrsinnigen
Subventionswettlauf, der derzeit weltweit tobt, in irgendeiner Weise aufzuhalten. Das können wir nur, indem Sie, die Vertreter der Bundesregierung, endlich
konkrete Gespräche aufnehmen und zusehen, daß wir in
diesem Bereich multilaterale Abkommen bekommen.
({8})
Wir müssen in der Tat die derzeitige Diskrepanz von
zirka 30 Prozent durch den Währungsvorteil in der koreanischen Schiffsindustrie überwinden und die schlimme Zeit, die derzeit die Werftindustrie durchleben muß,
überbrücken.
Nun komme ich noch einmal auf die Frage zurück:
Wie stellen Sie sich das Ganze denn vor? Ich nenne Ihnen ein Beispiel. Die F.D.P.-Fraktion hat im Haushaltsausschuß einen Antrag vorgelegt, der besagt, daß wir eine Aufstockung der Verpflichtungsermächtigungen für
diesen Bereich fordern. Wir möchten nämlich, daß die
Verpflichtungsermächtigungen um 55 Millionen DM auf
105 Millionen DM erhöht werden, weil wir sagen, dieser
Finanzbedarf wird insgesamt bestehen. Die Beratung
dieses Antrags ist vertagt worden. Im Ausschuß ist mit
Mehrheit entschieden worden, in der Bereinigungssitzung im April werde man darüber noch einmal konferieren. Wenn ich mich an die Sitzung im Wirtschaftsausschuß und an den Antrag der CDU/CSU-Fraktion auf
Mittelerhöhung erinnere: wiederum abgeschmettert,
vom Tisch gefegt.
Ich nehme Ihnen ab, daß Sie vom Fach sind, was den
Schiffbau betrifft; das ist gar keine Frage. Aber Sie sind
der konkreten Frage, wie Sie das Ganze denn finanzieren wollen, völlig ausgewichen. Auch in Ihrem Papier
ist nur die Rede davon, daß die Industrie 50 Millionen
DM Mitteleinstellungen in den Haushalt für nicht ausreichend hält. Sie ziehen das in Erwägung, und damit hat
es sich. Ich kann Ihnen zum ersten nur raten und fordere
auch diese Bundesregierung auf: Werden Sie in den finanziellen Dingen konkret.
({9})
Schaffen Sie zum zweiten bei multilateralen Abkommen
Fakten, und berichten Sie über Ihre ganz konkreten
Schritte: Wie wollen Sie unsere Werftwirtschaft auch
international in die Lage versetzen, daß wir diesem Subventionswettlauf zu Lasten unserer Arbeitsplätze, zu Lasten dieser Industrie nicht weiter ausgesetzt sind?
Ich kann Ihnen zum Schluß nur raten: Handeln Sie
sofort! Bessern Sie nach! Denn Sie wissen: Das ist nicht
das erste Mal, darin haben Sie Übung.
Danke schön.
({10})
Als
nächster Redner hat der Kollege Werner Schulz vom
Bündnis 90/Die Grünen das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren!
Vielleicht kann ich ungezwungener über dieses Thema
reden, weil ich den Werften nicht so nahe bin.
Ich muß eine sehr merkwürdige Diskrepanz in einer
Sache am heutigen Tage feststellen. Als wir heute mittag
den Jahreswirtschaftsbericht der Bundesregierung diskutiert haben, sind wir uns in der Frage des Subventionsabbaus sehr nahe gekommen. Das scheint, wenn
man das Thema sehr allgemein behandelt, relativ einfach zu sein.
({0})
Wenn es dann allerdings konkret wird, wenn es zur Sache geht - um Steinkohle, um Landwirtschaft, um
Werften -, dann kommen die mehr oder weniger hinlänglich bekannten Argumente, dann ist in der Sache
relativ wenig Bewegung.
Nun will ich es mir nicht so einfach machen. Denn
die Sorge an der Küste ist durchaus berechtigt. Wenn die
Zahlen, die mir vorliegen, in Ordnung sind, sind die
Aufträge zurückgegangen oder stagnieren zumindest.
Allerdings muß man dies natürlich vor dem Hintergrund
der sehr günstigen Auftragslage sehen, die sich zwischen Herbst 1997 und Frühjahr 1998 auf Grund der so würde ich das zumindest einschätzen - Unsicherheit
in Südkorea ergeben hat. Dies spiegelt sich auch in der
Tatsache wider, daß das Auftragsvolumen in 1998 mit,
so glaube ich, 6,5 oder 6,6 Milliarden DM deutlich über
dem Auftragsvolumen von 1997 liegt. Meine Vorredner
haben zu Recht ausgeführt, daß die Auftragsbücher noch
bis Herbst 1999, bei vielen Werften sogar bis 2000, gefüllt sind - noch, das ist das Problem.
Wir haben es im Moment mit äußerst rabiaten Wettbewerbern aus Südkorea zu tun. Nach dem, was uns
vorliegt, handelt es sich nicht um Dumping, werden die
Mittel des Internationalen Währungsfonds also offensichtlich nicht zweckfremd verwandt. Aber dennoch
verzeichnen wir einen drastischen Rückgang bei den
Löhnen,
({1})
und die Beschäftigung nimmt rapide ab. Zudem wirkt
sich natürlich auch die Währungsabwertung des Wons
aus. Insofern ist das Problem nicht von der Hand zu weisen.
Auf der anderen Seite gibt es seit Jahren - auch das
haben Sie erwähnt - Bemühungen auf internationaler
Ebene, zu einem verbindlichen Subventionsabbau im
Schiffsbau zu kommen. Eine entsprechende OECDVereinbarung ist seit 1996 praktisch nicht ratifiziert,
obwohl sie ursprünglich sogar von den USA mit initiiert
wurde. Die Bundesregierung muß sich intensiv darum
bemühen, daß wir zu international vergleichbaren Wettbewerbsbedingungen kommen. Das scheint mir der ausschlaggebende Punkt zu sein.
({2})
- Ich denke, das werden wir schon in die Wege leiten.
Sie können sehen, daß es offenbar nicht so einfach ist;
denn auch die alte Bundesregierung hat dies nicht geschafft. Das reicht, wie gesagt, bis 1996 - das sind ja
doch ein paar Jährchen - zurück. Ganz so schnell ist das
also offenbar nicht zu machen.
({3})
- Wir können uns noch nachher unterhalten. Dann würde ich Ihnen auf Ihre Halbsätze auch antworten.
In einigen Punkten stimmen wir grundsätzlich mit der
Opposition überein, insbesondere darin, daß wir diesen
Subventionsabbau zügig vorantreiben müssen. Wir
sollten die Möglichkeiten der Wettbewerbshilfe, die die
Haushaltsansätze bis 2000 bieten, möglichst ausschöpfen. Und wenn es wirklich hart kommen sollte, müssen
wir über die ganze Sache noch einmal reden. Ich sehe im
Moment jedenfalls keine Möglichkeit, über den Haushaltsansatz, den wir für dieses Jahr zur Verfügung haben, hinaus etwas zu tun. Eigentlich handelt es sich ja
um einen etwas verklausulierten Haushaltsantrag, Herr
Börnsen, der mit einer besonderen Situation begründet
wird. Sie hätten Ihr Anliegen ebensogut als Änderungsantrag im Haushalts- und im Wirtschaftsausschuß einbringen können.
({4})
Für Zinszuschüsse sehe ich im Moment - jedenfalls
für 1999 - keine Notwendigkeit. Wir sollten zumindest
in dem Einvernehmen auseinandergehen, daß wir darüber eine vertiefte Diskussion führen, wenn wir genaueres Material vorliegen haben. Falls sich Ihre Befürchtungen in dieser dramatischen Art und Weise bestätigen
sollten - daß ein maritimer Standort tatsächlich nach
Fernost verschwindet -, dann ist es, um mit einer anderen Branche zu sprechen, höchste Eisenbahn zu handeln.
({5})
Als
nächster Redner hat der Kollege Rolf Kutzmutz von der
PDS-Fraktion das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die von dem Kollegen Börnsen und
der CDU/CSU-Fraktion mit ihrem Antrag öffentlich
dargelegten Probleme sind in der Tat dramatisch. Nicht
umsonst hat die Koalition einen - wenn auch kleinen Antrag nachgelegt. In der Beschreibung der Situation
bin ich mit meinen Vorrednerinnen und Vorrednern
weitgehend einig.
Ich möchte nur eine - allerdings wichtige - Anmerkung zur Beurteilung des IWF durch die Koalition machen. Vermutlich haben Sie sogar recht, wenn Sie sagen,
daß es sich nicht um Subventionen in rechtsförmlichem
Sinne handelt. Aber das ändert nichts an der praktischen
Wirkung.
({0})
Die IWF-Politik hat - nicht zuletzt auf Kosten der südkoreanischen Beschäftigten - den Rahmen für die allseits beklagte koreanische Exportoffensive erst geschaffen. Zu den Bedingungen gehörten Lohn- und Beschäftigungskürzungen. Für mich ist es schon pikant, daß in
dem Antrag der Sozialdemokraten ausgerechnet diese
Probleme ganz restriktiv gehandhabt, also unter besondere Kontrolle gestellt werden. Mit jeder weiteren
Werner Schulz ({1})
Lohnkürzung, mit jedem weiteren Beschäftigungsabbau
in Korea werden sich gerade die Probleme ausweiten,
die wir hier lösen wollen - gemeinsam; davon gehe ich
noch immer aus.
({2})
Es muß jetzt gehandelt werden; das ist richtig. Aber das,
was von beiden Antragstellern vorgeschlagen wird, ist
nicht mehr als weiße Salbe. Mehr kann man dazu nicht
sagen.
Was soll die schnellstmögliche Ratifizierung des seit
1994 vorliegenden OECD-Schiffbauabkommens? Was
soll die Fortschreibung der bisherigen nationalen Fördermöglichkeiten? Was sollen energische Bund-LänderTätigkeitsberichte bis Mitte Mai in dieser Situation? Das
schadet zwar nichts, aber es hilft auch nichts.
({3})
Wir wissen doch wohl alle, Herr Börnsen, daß dieses
Abkommen von Südkorea längst ratifiziert worden ist,
daß die Säge vielmehr bei den USA klemmt. Ebenso
sind wir uns doch wohl einig, daß 7 Prozent Zuschuß
zum Auftragspreis und 2 Prozent Zinsverbilligung für
Werftkunden, die noch dazu nur bei einem Zinsniveau
von über 10 Prozent greifen, angesichts der gegenwärtigen Kostenvorteile der südkoreanischen Werften das
Kapital einfach nicht anlocken werden. Wohl niemand
glaubt hier tatsächlich daran, daß sich die Südkoreaner
bei mindestens 30 Prozent Preisvorteil zur - ich zitiere „freiwilligen Selbsteinschränkung der Schiffbaukapazitäten“ bewegen lassen. Herr Börnsen, auch in Fernost
sind Arbeitsplätze - gerade angesichts der dortigen dramatischen sozialen Lage - viel zu wertvoll, als daß ein
Land freiwillig auf solche Vorteile verzichten würde.
Natürlich könnten wir in dieser Lage sagen: Laßt uns
statt ein paar Millionen gleich ein paar Milliarden mehr
an direkten Zuschüssen oder indirekten Steuervergünstigungen für den Schiffbau hierzulande lockermachen.
Die zahlreichen innovativen Arbeitsplätze und dieses
ökologische Verkehrsmittel seien es uns wert. - Aber erstens fehlt uns dazu das Geld, und zweitens wäre selbst
bei vorhandenen Mitteln das Pferd dann von hinten aufgezäumt. Das hieße nämlich - bildlich gesprochen -,
den Kuponabschneider durch die Allgemeinheit gleich
zweimal zu subventionieren.
({4})
Das aber ist auf die Dauer nicht nur unbezahlbar, sondern es ist auch zutiefst unsozial, auch unmoralisch.
Das Grundproblem ist ein anderes. Die von der
CDU/CSU verlangten Initiativen gegen die Auswirkungen der asiatischen Finanzkrise auf die deutsche und europäische Werftindustrie lösen dieses Problem nicht,
auch nicht das von Frau Wetzel angesprochene nationale
Bewußtsein und das nationale Handeln. Es muß parallel
zu all den Maßnahmen, die wir hier besprechen, grundsätzlich um eine Reform der Weltwirtschaftsordnung
gehen;
({5})
denn die jetzige Lage der Werften und die bisher diskutierten Rettungsanker sind nur ein Symptom eines Teufelskreises, den es zu durchbrechen gilt, weil er nicht zu
kurieren ist.
Wir können übrigens schon morgen in anderen Branchen mit solchen Problemen konfrontiert sein, wenn in
der nächsten Weltgegend der Finanzkollaps droht und
der IWF wie gehabt beispringt.
Gerade Sie von der CDU/CSU haben immer die Deregulierung der Weltfinanzmärkte propagiert. Sie haben
heute in manchen Reden den Rücktritt von Herrn Lafontaine unter anderem auch wegen seiner Meinung zu
diesem Problem gefeiert. Mit den von Ihnen jetzt ins
Plenum gebrachten Problemen haben Sie gewiß unfreiwillig ein Menetekel Ihrer eigenen bisherigen Politik beschrieben.
Ich hielte es übrigens für fatal, wenn mit dem Rücktritt von Herrn Lafontaine auch das Ende von so mancher politischen Idee vollzogen würde, die er hier vertreten hat. Das sage ich übrigens auch in Richtung der
Koalition.
Ich erinnere die Bundesregierung an ihre eigene
Antwort von Anfang März auf eine entsprechende Frage
unserer Fraktion:
Eine verstärkte Kooperation bei der Einführung und
Durchsetzung von Sozial- und Umweltstandards
kann international zu mehr Effizienz und Kostenvorteilen führen.
Gleiches gilt für die ebenfalls von der Regierung
Schröder beschworene Ausweitung der Finanzmarktaufsicht. Wenn es nicht gelingt, Strukturen aufzubauen, bei
denen die Gewinner der Deregulierung der Finanzmärkte - die Banken, Versicherungen und Fonds weltweit künftig die Verluste ihrer Transaktionen selbst
zu tragen haben, dann brauchen wir über die Hilfsmaßnahmen, über die wir heute sprechen, nicht länger zu reden.
({6})
Solange Worte wie „Wechselkurszielzonen“, „Devisenumsatzsteuer“ oder „Beschränkungen des Kapitalexports“ nicht in den Mund genommen, geschweige denn
in Überlegungen zur Stabilisierung der Weltwährungssysteme einbezogen werden, wird es immer wieder zu
plötzlichen und riesigen Kapitalbewegungen mit solch
katastrophalen Wirkungen wie in Südostasien, Südamerika oder Rußland kommen. Deshalb geht es darum, daß
sich die Bundesregierung parallel zu den Maßnahmen,
die heute angesprochen werden, für eine grundlegende
Reform der Weltwirtschaftsordnung einsetzt und sie
auch durchsetzen hilft. Ansonsten wird die Politik und
mit ihr die zahlende Allgemeinheit die Geschichte von
Hase und Igel stets weiter nur aus der Hasenperspektive
betrachten dürfen.
Danke schön.
({7})
Als
nächster Redner hat das Wort der Kollege Ulrich Adam
von der CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine
sehr verehrten Damen und Herren! Von meinen Vorrednerinnen und -rednern wurde die Situation ausführlich
dargestellt. Es sei mir als Vertreter aus den neuen Ländern gestattet, noch einige Aspekte hinzuzufügen, die
die Situation gerade für den Schiffbau in den neuen
Ländern und speziell in Mecklenburg-Vorpommern
noch deutlicher und, so glaube ich, als noch schwieriger
darstellen.
Wir haben in den letzten acht Jahren - das war die
Bundesregierung unter Helmut Kohl - über 4 Milliarden
DM in den Aufbau der Werften von MecklenburgVorpommern gesteckt; das sei hier einmal vermerkt.
({0})
In dieser Zahl sind nicht die Kosten für die zweite Privatisierung auf Grund des Konkurses des Bremer Vulkan - es handelte sich um Kosten in Höhe von fast
1 Milliarde DM - enthalten. Ich erspare mir jetzt, auf die
Hintergründe einzugehen; damit haben sich ja mehrere
Untersuchungsausschüsse befaßt.
Auf Grund dieser Investitionen konnte das Produktionsvolumen von 1993 bis zum letzten Jahr von 1,3 Milliarden DM auf 1,6 Milliarden DM gesteigert werden.
Es handelt sich um eine sehr gute Entwicklung, die sich
natürlich besonders in unserem Land bemerkbar macht,
da die Werftenindustrie - das wissen Sie - der einzige
bemerkenswerte industrielle Zweig ist, den wir in unserem Lande haben.
Aus diesem Grunde machte sich gerade in den letzten
Jahren verstärkt folgende zusätzliche Schwierigkeit bemerkbar: Zusammen mit den Investitionsverpflichtungen wurden die Werften von Mecklenburg-Vorpommern
mit einer Begrenzung ihrer Tonnageproduktion belegt.
Das möchte ich am Beispiel der Peene-Werft in Wolgast belegen. Diese Werft ist an eine Tonnageproduktion von 35 000 cgt pro Jahr gebunden. Das bedeutet, im
letzten Jahr mußte die Produktion um 20 000 Betriebsstunden reduziert werden, da eine Überschreitung dieser
cgt-Zahl eine Rückzahlung der Unterstützung zur Folge
gehabt hätte.
Diese Regelung ist bis zum Jahre 2001 begrenzt. Die
EU-Kommission hat schon signalisiert, daß ab dem Jahre 2001 die Möglichkeit besteht, die Obergrenzen neu zu
verhandeln. Sie hat aber auch bereits deutlich gemacht,
daß sie an sich dazu nicht bereit ist. Das bedeutet praktisch, daß diese Grenzen bis zum Jahre 2005 bestehenbleiben. Auf Grund der Produktionssteigerungen würden
diese Probleme dann noch stärker zu Buche schlagen.
Deswegen fordere ich - zusätzlich zu den aufgestellten Forderungen - die Bundesregierung auf, auch in diesem Zusammenhang tätig zu werden
({1})
und in Verhandlungen mit der EU-Kommission zu treten, damit diese Grenzen schon im Jahre 2001 fallen, um
hier nicht eine zusätzliche Bremse einzubauen. Das gleiche gilt natürlich auch für die Landesregierung von
Mecklenburg-Vorpommern. Auch von ihr erwarte ich,
daß sie sich für die Interessen des Landes MecklenburgVorpommern einsetzt.
({2})
Denn eins ist klar: Wenn die genannten Beihilfen
nicht angepaßt werden und wenn die Gleichstellung des
Wettbewerbs in Deutschland insgesamt - unter diesen
schwierigen Bedingungen bedeutet das natürlich: besonders in Mecklenburg-Vorpommern - jetzt nicht hergestellt wird, bestehen sowohl für die Peene-Werft als
auch für die anderen Werften in MecklenburgVorpommern keinerlei Überlebenschancen. Das heißt,
wir erwarten von einer Bundesregierung, die vollmundig
die Priorität für den Aufbau Ost propagiert, daß sie im
Sinne eines notwendigen Erhaltes der Arbeitsstellen
handelt.
({3})
Die gleiche politische Verantwortung trifft auch die
Landesregierung in Mecklenburg-Vorpommern. Ich frage deshalb: Ist Ministerpräsident Ringstorff nicht klar,
daß er mit seiner wirtschaftsfeindlichen Politik den einzigen Industriezweig in Mecklenburg-Vorpommern,
nämlich die Werftindustrie, unmittelbar gefährdet? Ich
darf an dieser Stelle hinzufügen, daß durch sein zögerliches Handeln bei der Ansiedlung des Airbusses A3XX
bereits eine weitere Chance für das Land vertan wurde.
Auf Grund der Steuer- und Gesetzesvorhaben der Bundesregierung ist der Industriestandort Lubmin - dort soll
ein weiteres Industriezentrum aufgebaut werden - gefährdet. Auch insofern ist die Landesregierung nicht tätig geworden. Im Gegenteil: Es wird so sein, daß sich
die Landesregierung Mecklenburg-Vorpommern nur
durch den Widerstand der PDS - man höre und staune!
- in der morgigen Abstimmung über die Steuergesetze
im Bundesrat der Stimme enthalten wird.
Ich darf an dieser Stelle den Umweltminister von
Mecklenburg-Vorpommern, Herrn Professor Methling,
zitieren, der gestern in der „Ostsee-Zeitung“ sagte:
Der vorliegende Gesetzestext weist erhebliche
Mängel auf. Die Ökosteuer wird dem Anspruch eines politischen Steuerinstrumentariums nicht gerecht.
Desgleichen bin ich persönlich maßlos von den SPDKolleginnen und Kollegen aus MecklenburgVorpommern im Deutschen Bundestag enttäuscht, die
den Steuerreformgesetzen trotz der besonderen Belastungen der Menschen in unserem Land durch die rotgrüne Steuerpolitik zugestimmt haben. Damit haben sie
die Interessen der Bürgerinnen und Bürger in Mecklenburg-Vorpommern mit Füßen getreten
({4})
und dazu beigetragen, daß die Kluft zwischen den alten
und den neuen Bundesländern hinsichtlich der Abgabenbelastungen noch größer wird.
({5})
Die Tatsachen, daß sowohl der niedersächsische als
auch der nordrhein-westfälische Ministerpräsident
Nachbesserungen an der Steuerreform verlangen und die
SPD-Regierung in Sachsen-Anhalt in der morgigen
Bundesratssitzung ihren Protest gegen die Einführung
der Ökosteuer sogar schriftlich zu Protokoll geben will,
halte ich in diesem Zusammenhang schon für äußerst
bemerkenswert. Das sollte Sie doch sehr nachdenklich
stimmen.
({6})
- Ich bin beim Thema. - Es ging doch um die Frage,
wer denn diese Verhandlungen führen soll. Ich denke,
Herr Lafontaine hat mit seiner Flucht aus der steuer- und
finanzpolitischen Verantwortung dieser Bundesregierung das entsprechende Signal gesetzt und das Versagen
der Bonner Regierungspolitik deutlich genug gemacht.
Dazu schreibt der „Stern“ in seinem Leitartikel:
Lafontaine hatte nur einen Grund hinzuschmeißen:
Sein Machtkonzept ist nicht aufgegangen. Als starker Finanzminister wollte er die heimliche Nummer
eins sein und den - vermeintlich - schwachen
Kanzler dominieren. Es kam anders. Während Lafontaine von der Presse um die Ohren bekam,
sonnte sich Schröder als „Cashmere-Kanzler“ in
den Fernsehshows des Landes. Nein, Oskar Lafontaines Flucht von all seinen Funktionen verdient
keinen Respekt. Weil er aus gekränkter Eitelkeit
geht, ist sein Abgang ruhmlos, wie seine Amtszeit
sinnlos war.
({7})
Das erinnert mich an einen Slogan, den wir im Wahlkampf 1990 verwendet haben - vielleicht hätten wir ihn
wieder benutzen sollen; ich gestehe, ich weiß nicht, ob
das der Grund war, warum wir im letzten Jahr die Wahl
verloren haben -: „Ein Saarländer reicht uns!“
({8})
Als
letzter Redner hat jetzt der Parlamentarische Staatssekretär Siegmar Mosdorf das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich darf nach
dieser sachlichen Debatte über den Schiffbau zunächst
einmal sagen, daß der Schiffbau eine der wichtigsten
Branchen in Deutschland und auch eine High-TechBranche ist. Manchmal hat man den Eindruck, daß das
nicht so sei. Die Schiffbauindustrie gehört nicht mehr
zur klassischen Schwerindustrie, sondern ist inzwischen
eine High-Tech-Industrie. Wir sollten auch in Zukunft
auf den Schiffbau setzen.
({0})
Die Bundesregierung will das jedenfalls tun. Ich denke,
darauf sollten auch unsere gemeinsamen Anstrengungen
abzielen, gerade in einer Zeit, in der sich die Schiffbauindustrie weltweit fundamental verändert. Es gab die
Koreakrise. Sie hat die Globaldaten erheblich verändert. In Korea sind die Löhne um 25 Prozent gesenkt
worden. Auch die Beschäftigtenzahl hat um mehr als 20
Prozent abgenommen. Gleichzeitig erfolgte eine starke
Abwertung des Won. Danach gab es Wettbewerbsbedingungen, die nicht mehr fair waren. Deshalb haben
wir diese Bedingungen untersuchen lassen. Wir haben
vor dem Hintergrund der spezifischen Bedingungen der
Koreakrise dem IMF deutlich gemacht, daß mit Hilfe
unserer Stützungskredite in speziellen Branchen nicht
Bedingungen geschaffen werden dürfen, die den Wettbewerb auf den Weltmärkten verzerren. Darauf werden wir auch in Zukunft achten.
({1})
Herr Börnsen, Sie haben vorhin aus dem Brief des
schleswig-holsteinischen Wirtschaftsministers vom Dezember an den Bundesfinanzminister zitiert. Diesen
Brief habe ich mir gerade noch einmal durchgelesen,
weil Sie behauptet haben, daß dort stehe, es gebe keinen
Handlungsbedarf.
({2})
- Stimmt, lieber Herr Börnsen. Wir kennen uns nun
schon so lange, und Sie wissen, daß man das, was in der
Zeitung steht, immer genau lesen muß. Den von Ihnen
zitierten Brief gebe ich Ihnen gleich. Sie werden dann
feststellen, daß dort nichts über „keinen Handlungsbedarf“ steht. In dem Brief geht es nur um die Frage, wie
mit dem Verteilungsschlüssel verfahren werden soll.
Sie wissen, daß es eine lange Diskussion über die Höhe
des Anteils des Bundes und des Anteils der Länder gibt.
Dort stand aber nichts von „kein Handlungsbedarf“. Im
Gegenteil: Der Minister hat in dem Brief ausgeführt, er
sei durch die Bedingungen auf dem Weltmarkt alarmiert.
Die veränderten Bedingungen hängen nicht nur mit
der Koreakrise, sondern auch mit dem Aufbau von neuen Kapazitäten in China zusammen, das inzwischen
massiv auf den Weltmarkt drängt und mit erheblichen
Anstrengungen versucht, dort eine wichtige Rolle zu
spielen. Deshalb will ich nur darauf hinweisen: Es muß
unser gemeinsames Interesse sein, daß wir nur dann zusammen mit dem IMF und der Weltbank - auch wenn
es dafür gute Gründe gibt - ausländische Volkswirtschaften unterstützen, wenn ein paar Bedingungen erfüllt sind, zum Beispiel daß der Bankensektor in den
unterstützten Volkswirtschaften so transparent ist, daß
auch Fairneß gegenüber den Wettbewerbern herrscht,
zum Beispiel daß die Kreditvergabe nicht an staatliche
Vorgaben geknüpft wird, die dann für Subventionen
verwendet werden, zum Beispiel daß es Rechnungslegungsvorschriften gibt, die für alle gleich und nicht nur
für bestimmte Volkswirtschaften gelten, und zum Beispiel daß bei gruppeninterner Kreditvergabe garantiert
wird, daß mit diesen Krediten keine Kapazitätserweiterungen vorgenommen werden - das ist der Punkt, um
den es bei den multilateralen Abkommen geht -, die
dann zu einem nicht fairen und nicht korrekten internationalen Wettbewerb führen.
({3})
Der Wettbewerbsdruck ist enorm. Deshalb müssen
wir alles tun, wenn wir den heimischen Schiffbau erhalten wollen, um sehr gut und exzellent zu sein. Das ist
unsere erste Antwort auf die Globalisierung. Die deutsche Schiffbauindustrie unternimmt in dieser Hinsicht
entsprechende Anstrengungen.
Zweitens müssen wir auch das in Angriff nehmen
- das gehört dazu -, worüber wir in den letzten Wochen
polemisch diskutiert haben: Wir brauchen nämlich internationale Standards, Koordination und Spielregeln,
die zu Fairneß auf dem Weltmarkt beitragen. Ich glaube,
hier sind wir uns einig. Deshalb sollten wir an diesem
Punkt die Polemik herausnehmen. Für eine Weltwirtschaft, die grenzenlos ist, braucht man Spielregeln, die
international akzeptiert werden. Entsprechende multilaterale Abkommen gibt es noch nicht. Wir wollen uns
jedenfalls in Zukunft dafür einsetzen.
({4})
Lassen Sie mich zum Schluß noch drei Punkte aufzählen: Erstens. Die Bundesregierung tut alles, um die
Schiffbauindustrie in Deutschland zu stabilisieren und
auch weiterhin zu stärken. Wir wissen, wie wichtig diese
Branche ist. Deshalb wollten wir als Wirtschaftsministerium - das will ich ausdrücklich sagen - in unseren
Haushalt 70 Millionen DM an Verpflichtungsermächtigungen einstellen. Aus Gründen fehlender Haushaltsmittel sah sich das Ministerium nur in der Lage, bisher
50 Millionen DM vorzusehen.
Das Wirtschaftsministerium hat aus Gründen der Planungssicherheit alles getan - und wir wollen auch weiterhin alles tun -, um deutlich zu machen, daß es eine
Stabilität gibt. Wir kämpfen darum. Sie kennen aber
auch die Haushaltsbedingungen; diese haben wir nicht
zu verantworten. Das sind die Baustellen unserer Vorgänger; wir können dies nicht ändern.
({5})
Zweitens. Ich glaube, es ist sehr wichtig, gemeinsam
festhalten zu können, daß wir für den Haushalt 1999
Barmittel in Höhe von 217 Millionen DM vorgesehen haben. Das ist auch wichtig, was die Zinszuschüsse angeht. Darauf kann sich die Werftindustrie
verlassen.
Drittens. Das Forschungsministerium hat vor - dies
möchte ich sagen, weil es ein bißchen untergegangen
ist -, die Mittel für die Forschungs- und Entwicklungsförderung im Schiffbausektor in den nächsten
Jahren von 30 Millionen DM auf 90 Millionen DM anzuheben. Das ist ein wichtiger Schritt; denn damit wird
klar: Wir gehen nicht in die Direktsubventionen. Das
wäre auch nach den Standards der Beihilfekonzepte gar
nicht möglich. Durch Forschung und Technologie zu
helfen ist ein sinnvolles Konzept. Deshalb ist die Anhebung der Mittel im Rahmen der Forschungs- und Technologiepolitik in diesem Bereich zum Schluß der Debatte eine gute Nachricht.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({6})
Liebe
Kolleginnen und Kollegen, ich bitte noch für einige Minuten um Aufmerksamkeit. Wir werden gleich zur namentlichen Abstimmung kommen.
Zunächst einmal schließe ich die Aussprache zu diesem Tagesordnungspunkt. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 14/400 und
14/540 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 8 auf:
Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Dr. Heidi Knake-Werner und der Fraktion der PDS eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Korrektur von Fehlentwicklungen im Recht der Arbeitslosenhilfe ({0})
- Drucksache 14/15 ({1})
Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung ({2})
- Drucksache 14/391 -
Berichterstattung:
Abgeordneter Dirk Niebel
Ich weise darauf hin, daß wir nach der Aussprache
über diesen Gesetzentwurf namentlich abstimmen wer-
den.
Folgende Redner haben ihre Rede zu Protokoll gege-
ben: Ute Kumpf, SPD, Heinz Schemken, CDU/CSU, Dr.
Thea Dückert, Bündnis 90/Die Grünen, und Dirk Niebel,
F.D.P.*)
Der Redner der PDS, der Kollege Dr. Klaus Grehn,
möchte gerne sprechen. Bitte schön, Herr Grehn, Sie haben das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist schon seltsam - das muß ich sagen -: Diese Bundesregierung ist unter dem von den
Wählern honorierten Motto der Herstellung der sozialen
Gerechtigkeit angetreten. Die Botschaft hörte ich wohl,
und sie ist richtig.
({0})
*) Anlage 3
Das Seltsame hingegen ist, daß Themen, die dieser Botschaft gerecht werden, speziell wenn sie von der PDS
eingebracht werden, auf den späten Abend gelegt werden.
({1})
Ich frage Sie: Soll so der Öffentlichkeit signalisiert werden, daß es so ernst gar nicht gemeint ist? Oder ist es ein
klein wenig das schlechte Gewissen? Sollen möglichst
wenige davon erfahren, mit welch fadenscheinigen Begründungen sinnvolle, sozial gerechte und eigentlich
leicht zu bedienende Gesetzesvorschläge der PDS abgelehnt oder in die Unendlichkeit verschoben werden?
Im übrigen: Mit diesen Ablehnungen stoßen Sie in erster Linie die Betroffenen, von denen im September
nicht wenige Sie gewählt haben, vor den Kopf, nicht die
PDS!
({2})
Mit flammendem Eifer sprachen sich Rednerinnen
und Redner der Koalition gegen sozialpolitisch relevante
Anträge und Gesetzentwürfe der PDS-Fraktion aus. Man
ließe sich nicht die Schrittfolge diktieren, so wurde gesagt. In der Sache selbst gab es ausgesprochen oder unausgesprochen oftmals identische Auffassungen.
Wie aber steht es nun mit den Argumenten, daß alles
in einer grundlegenden Reform des SGB III geregelt
werde und die Eile der PDS ungerechtfertigt sei? Statt
der grundlegenden Reform des SGB III legen Sie nun
Teillösung nach Teillösung vor: Entlassungsentschädigungsänderungsgesetz, Vorschaltgesetz zum SGB III,
Siebtes Gesetz zur Änderung des Bundessozialhilfegesetzes einschließlich erster Änderung zur Änderung.
Das, was Sie an den Entwürfen der PDS kritisieren,
tun Sie nun selbst. Offenbar hat sich Ihre Auffassung
von späteren grundsätzlichen Regelungen gewandelt.
({3})
Herr
Kollege Grehn, ich darf Sie einen Moment unterbrechen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, geben Sie dem
Kollegen noch die letzten zweieinhalb Minuten Zeit, Ihnen seine Ausführungen vorzutragen, und bewahren Sie
bitte etwas mehr Ruhe.
({0})
Bitte schön, Herr Kollege.
Wo bleibt da die Logik der
Argumente? Lassen Sie endlich zu, daß wir aus den offenbar gleichen Gründen wie Sie den Finger auf grobe
Ungerechtigkeiten der Sozial- und Arbeitsmarktpolitik
der alten Regierung legen. Ihre hoffentlich bessere Politik wird doch dadurch nicht beschädigt. Grundsätzlich
gegen Anträge der PDS zu sein, nur weil es die PDS
ist, ist ein alter Hut, den Sie zumindest landesweit nicht
mehr verkaufen können.
({0})
Sprechen wir also über das, was rasch geändert werden muß. Wenden Sie sich den bedürftigen Menschen
zu! Die PDS hat mit Gesetzesinitiativen maßvolle, aber
sofortige Korrekturen am SGB III gefordert. Für den
großen Bereich der Arbeitslosenhilfe fordert sie mit dem
vorliegenden Gesetzentwurf lediglich die Aufhebung
einer völlig ungerechtfertigten Willkür, die jährliche
Absenkung der Bemessungsgrundlage für die Arbeitslosenhilfe um 3 Prozent.
({1})
Da es hier um Menschen geht, die auf absehbare Zeit
kaum eine Chance auf Wiedereinstellung in einen Arbeitsplatz haben und die bereits arm sind, trifft sie diese
Ungerechtigkeit doppelt.
Die Einführung dieser Böswilligkeit durch die KohlRegierung war neben anderen Schikanen ein Signal für
den Umgang mit Arbeitslosigkeit und Arbeitslosen. Fiskalisch ist für den Staat dabei kaum etwas herausgekommen. Dafür müssen allerdings die Kommunen nunmehr Ausgleich für das schaffen, was den Sozialhilfeempfängern verlorengeht.
({2})
Wie nur kann eine sozialdemokratisch geführte Regierung diesen Stil fortsetzen? Die Zahl der registrierten
Arbeitslosen konnten Sie in den letzten fünf Monaten
Ihrer Regierungszeit nicht senken. Vielleicht war das so
rasch nicht möglich. Allerdings stehen die Signale in
diesem Bereich sehr stark auf Rot.
Sie haben einige Dinge in Angriff genommen. Das
Programm zur Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit
war ein erster Schritt. Die Bereitstellung von mehr Mitteln für die Arbeitsmarktpolitik ist verdienstvoll. Aber
beide Maßnahmen sind kein Argument für die Ablehnung des Gesetzentwurfs, der auf die Hilfe für Langzeitarbeitslose und schwer vermittelbare ehemalige Arbeitnehmer ausgerichtet ist, die auch auf dem zweiten Arbeitsmarkt keine Chance haben. Das sind viele.
({3})
Es ist höchste Zeit, jenen zu helfen, die wegen ihrer
unverschuldeten Arbeitslosigkeit immer weiter von der
Gesellschaft abgekoppelt werden. Während die durch
einen Arbeitsplatz Privilegierten über Tarifmaßnahmen,
Diätenerhöhungen und anderes eine regelmäßige Besserstellung erreichen, werden die kargen Mittel zum
Lebensunterhalt dieser um ein Mehrfaches schlechtergestellten arbeitslosen Sozialhilfeempfänger jährlich
gekürzt. Das ist nicht hinnehmbar. Das ist von sozialer
Gerechtigkeit weit entfernt.
({4})
Wir appellieren an Sie, keinen Alleinvertretungsanspruch in der Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik aufrechtzuerhalten. Beweisen Sie, daß auch ohne Oskar Lafontaine nicht vergessen wird, warum Sie und nicht die alte
Regierungskoalition gewählt wurde.
Herr
Kollege, kommen Sie bitte zum Schluß.
Letzter Satz.
Gegen den vorliegenden Gesetzentwurf gibt es keine
sachlichen Einwände. Sie können ihm zustimmen, ohne
in Ihrer eigenen Politik Schaden anzurichten. Ersparen
Sie diesem Haus eine Blamage durch eine etwaige Ablehnung!
({0})
Ich
schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den Gesetzentwurf der Fraktion der PDS zur Korrektur von Fehlentwicklungen im Recht der Arbeitslosenhilfe auf Drucksache 14/15. Der Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung
empfiehlt auf Drucksache 14/391, den Gesetzentwurf
abzulehnen. Ich lasse über den Gesetzentwurf der PDS
auf Drucksache 14/15 abstimmen. Die Fraktion der PDS
verlangt namentliche Abstimmung. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorgesehenen Plätze
einzunehmen.
Sind alle Urnen besetzt? - Das ist der Fall. Ich eröffne die Abstimmung.
Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine
Stimmkarte nicht abgegeben hat? - Das scheint nicht der
Fall zu sein. Dann schließe ich die Abstimmung. Ich
bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der
Auszählung zu beginnen. Bis zum Vorliegen des Ergebnisses der namentlichen Abstimmung unterbreche ich
die Sitzung.
({0})
Die unterbrochene Sitzung ist wieder eröffnet.
Ich gebe das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung über den Gesetzentwurf der PDS zur Korrektur von Fehlentwicklungen im Recht der Arbeitslosenhilfe auf Drucksachen 14/15 und 14/391 bekannt:
Abgegebene Stimmen 506. Mit Ja haben gestimmt 28,
mit Nein haben gestimmt 478, keine Enthaltungen. Der
Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung abgelehnt. Damit
entfällt nach unserer Geschäftsordnung die weitere Beratung.
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 504;
davon
ja: 28
nein: 476
Ja
PDS
Dr. Dietmar Bartsch
Eva Bulling-Schröter
Dr. Heinrich Fink
Dr. Ruth Fuchs
Fred Gebhardt
Wolfgang Gehrcke-Reymann
Dr. Gregor Gysi
Carsten Hübner
Ulla Jelpke
Sabine Jünger
Gerhard Jüttemann
Dr. Evelyn Kenzler
Dr. Heidi Knake-Werner
Heidi Lippmann-Kasten
Dr. Christa Luft
Heidemarie Lüth
Angela Marquardt
Manfred Müller ({0})
Rosel Neuhäuser
Gustav-Adolf Schur
Dr. Winfried Wolf
Nein
CDU/CSU
Ilse Aigner
Günter Baumann
Meinrad Belle
Dr. Sabine Bergmann-Pohl
Hans-Dirk Bierling
Renate Blank
Peter Bleser
Dr. Norbert Blüm
Friedrich Bohl
Dr. Maria Böhmer
Sylvia Bonitz
({1})
Wolfgang Bosbach
Klaus Brähmig
Dr. Ralf Brauksiepe
Georg Brunnhuber
Klaus Bühler ({2})
Cajus Caesar
Peter H. Carstensen
({3})
Wolfgang Dehnel
Hubert Deittert
Albert Deß
Wilhelm Dietzel
Thomas Dörflinger
Hansjürgen Doss
Marie-Luise Dött
Maria Eichhorn
Rainer Eppelmann
Anke Eymer
Ilse Falk
Dr. Hans Georg Faust
Ulf Fink
Ingrid Fischbach
Dr. Hans-Peter Friedrich
({4})
Dr. Jürgen Gehb
Dr. Heiner Geißler
Georg Girisch
Dr. Reinhard Göhner
Peter Götz
Dr. Wolfgang Götzer
Kurt-Dieter Grill
Manfred Grund
Gottfried Haschke
({5})
Gerda Hasselfeldt
Norbert Hauser ({6})
({7})
Klaus-Jürgen Hedrich
Manfred Heise
Siegfried Helias
Ernst Hinsken
Martin Hohmann
Klaus Holetschek
Dr. Karl-Heinz Hornhues
Joachim Hörster
Hubert Hüppe
Georg Janovsky
Dr.-Ing. Rainer Jork
Dr. Harald Kahl
Dr. Dietmar Kansy
Manfred Kanther
Irmgard Karwatzki
Volker Kauder
Ulrich Klinkert
Norbert Königshofen
Eva-Maria Kors
Hartmut Koschyk
Thomas Kossendey
Rudolf Kraus
Dr. Martina Krogmann
Dr. Paul Krüger
Dr. Hermann Kues
Dr. Karl A. Lamers
({8})
Dr. Paul Laufs
Karl-Josef Laumann
Vera Lengsfeld
Werner Lensing
Peter Letzgus
Ursula Lietz
Walter Link ({9})
Dr. Klaus Lippold
({10})
Dr. Manfred Lischewski
Dr. Michael Luther
Erich Maaß ({11})
Dr. Martin Mayer
({12})
Dr. Michael Meister
Dr. Angela Merkel
Friedrich Merz
Dr. Gerd Müller
Bernward Müller ({13})
Elmar Müller ({14})
Bernd Neumann ({15})
Claudia Nolte
Franz Obermeier
Friedhelm Ost
Eduard Oswald
Norbert Otto ({16})
Anton Pfeifer
Beatrix Philipp
Ronald Pofalla
Ruprecht Polenz
Marlies Pretzlaff
Hans Raidel
Helmut Rauber
Peter Rauen
Christa Reichard ({17})
Erika Reinhardt
Klaus Riegert
Franz Romer
Hannelore Rönsch
({18})
Dr. Klaus Rose
Dr. Christian Ruck
Volker Rühe
Dr. Jürgen Rüttgers
Hartmut Schauerte
Heinz Schemken
Gerhard Scheu
Dietmar Schlee
Bernd Schmidbauer
Christian Schmidt ({19})
Dr.-Ing. Joachim Schmidt
({20})
Andreas Schmidt ({21})
Birgit Schnieber-Jastram
Dr. Andreas Schockenhoff
Dr. Rupert Scholz
Reinhard Freiherr von
Schorlemer
Dr. Erika Schuchardt
Clemens Schwalbe
Wilhelm-Josef Sebastian
Heinz Seiffert
Johannes Singhammer
Bärbel Sothmann
Margarete Späte
Erika Steinbach
Dr. Wolfgang Freiherr von
Stetten
Andreas Storm
Dorothea Störr-Ritter
Max Straubinger
Matthäus Strebl
Thomas Strobl
Dr. Rita Süssmuth
Dr. Susanne Tiemann
Edeltraut Töpfer
Dr. Hans-Peter Uhl
Arnold Eugen Hugo Vaatz
Angelika Volquartz
Andrea Voßhoff
Dr. Theodor Waigel
Peter Weiß ({22})
Gerald Weiß ({23})
Annette Widmann-Mauz
Heinz Wiese ({24})
Hans-Otto Wilhelm ({25})
Klaus-Peter Willsch
Werner Wittlich
Elke Wülfing
Peter Kurt Würzbach
Benno Zierer
Wolfgang Zöller
SPD
Brigitte Adler
Gerd Andres
Rainer Arnold
Hermann Bachmaier
Ernst Bahr
Doris Barnett
Dr. Hans-Peter Bartels
Eckhardt Barthel ({26})
Klaus Barthel ({27})
Ingrid Becker-Inglau
Dr. Axel Berg
Friedhelm Julius Beucher
Petra Bierwirth
Rudolf Bindig
Lothar Binding ({28})
Kurt Bodewig
Klaus Brandner
Willi Brase
Rainer Brinkmann ({29})
Bernhard Brinkmann
({30})
Hans-Günter Bruckmann
Edelgard Bulmahn
Ursula Burchardt
Dr. Michael Bürsch
Hans Martin Bury
Hans Büttner ({31})
Wolf-Michael Catenhusen
Dr. Peter Wilhelm Danckert
Dr. Herta Däubler-Gmelin
Christel Deichmann
Karl Diller
Peter Dreßen
Rudolf Dreßler
Detlef Dzembritzki
Dieter Dzewas
Dr. Peter Eckardt
Sebastian Edathy
Ludwig Eich
Marga Elser
Peter Enders
Petra Ernstberger
Annette Faße
Lothar Fischer ({32})
Gabriele Fograscher
Iris Follak
Rainer Fornahl
Hans Forster
Dagmar Freitag
Lilo Friedrich ({33})
Harald Friese
Arne Fuhrmann
Monika Ganseforth
Konrad Gilges
Iris Gleicke
Uwe Göllner
Renate Gradistanac
Günter Graf ({34})
Angelika Graf ({35})
Dieter Grasedieck
Monika Griefahn
Achim Großmann
Karl Hermann Haack
({36})
Hans-Joachim Hacker
Alfred Hartenbach
Anke Hartnagel
Nina Hauer
Hubertus Heil
Frank Hempel
Rolf Hempelmann
Dr. Barbara Hendricks
Gustav Herzog
Monika Heubaum
Uwe Hiksch
Reinhold Hiller ({37})
Stephan Hilsberg
Gerd Höfer
Jelena Hoffmann ({38})
Walter Hoffmann
({39})
Frank Hofmann ({40})
Ingrid Holzhüter
Christel Humme
Lothar Ibrügger
Barbara Imhof
Brunhilde Irber
Renate Jäger
Jann-Peter Janssen
Ilse Janz
Dr. Uwe Jens
Johannes Kahrs
Ulrich Kasparick
Sabine Kaspereit
Susanne Kastner
Hans-Peter Kemper
Klaus Kirschner
Marianne Klappert
Hans-Ulrich Klose
Walter Kolbow
Fritz Rudolf Körper
Karin Kortmann
Anette Kramme
Angelika Krüger-Leißner
Horst Kubatschka
Ernst Küchler
Ute Kumpf
Dr. Uwe Küster
Werner Labsch
Christine Lambrecht
Brigitte Lange
Christian Lange ({41})
Detlev von Larcher
Christine Lehder
Dr. Elke Leonhard
Eckhart Lewering
Götz-Peter Lohmann
({42})
Christa Lörcher
Erika Lotz
Dr. Christine Lucyga
Dieter Maaß ({43})
Winfried Mante
Dirk Manzewski
Tobias Marhold
Ulrike Mascher
Christoph Matschie
Heide Mattischeck
Ulrike Mehl
Ulrike Merten
Angelika Mertens
Dr. Jürgen Meyer ({44})
Ursula Mogg
Michael Müller ({45})
Jutta Müller ({46})
Christian Müller ({47})
Franz Müntefering
Andrea Nahles
Volker Neumann ({48})
Gerhard Neumann ({49})
Dr. Edith Niehuis
Günter Oesinghaus
Eckhard Ohl
Leyla Onur
Holger Ortel
Adolf Ostertag
Kurt Palis
Albrecht Papenroth
Dr. Willfried Penner
Dr. Martin Pfaff
Georg Pfannenstein
Johannes Andreas Pflug
Karin Rehbock-Zureich
Renate Rennebach
Bernd Reuter
Dr. Edelbert Richter
Reinhold Robbe
Renè Röspel
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Birgit Roth ({50})
Marlene Rupprecht
Thomas Sauer
Dr. Hansjörg Schäfer
Gudrun Schaich-Walch
Rudolf Scharping
Bernd Scheelen
Dr. Hermann Scheer
Siegfried Scheffler
Horst Schild
Otto Schily
Dieter Schloten
Horst Schmidbauer
({51})
Ulla Schmidt ({52})
Silvia Schmidt ({53})
Dagmar Schmidt ({54})
Wilhelm Schmidt ({55})
Heinz Schmitt ({56})
Olaf Scholz
Fritz Schösser
Ottmar Schreiner
Gisela Schröter
Dr. Mathias Schubert
Richard Schuhmann
({57})
Volkmar Schultz ({58})
Ilse Schumann
Dr. R. Werner Schuster
Dr. Angelica Schwall-Düren
Rolf Schwanitz
Bodo Seidenthal
Erika Simm
Wieland Sorge
Wolfgang Spanier
Dr. Margrit Spielmann
Dr. Ditmar Staffelt
Ludwig Stiegler
Rolf Stöckel
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
Rita Streb-Hesse
Dr. Peter Struck
Joachim Stünker
Joachim Tappe
Jörg Tauss
Jella Teuchner
Dr. Gerald Thalheim
Franz Thönnes
Adelheid Tröscher
Rüdiger Veit
Simone Violka
Ute Vogt ({59})
Hedi Wegener
Wolfgang Weiermann
Reinhard Weis ({60})
Gert Weisskirchen
({61})
Hans-Joachim Welt
Dr. Rainer Wend
Hildegard Wester
Lydia Westrich
Inge Wettig-Danielmeier
Dr. Norbert Wieczorek
Jürgen Wieczorek ({62})
Heino Wiese ({63})
Klaus Wiesehügel
Brigitte Wimmer ({64})
Engelbert Wistuba
Barbara Wittig
Dr. Wolfgang Wodarg
Verena Wohlleben
Hanna Wolf ({65})
Waltraud Wolff ({66})
Heidemarie Wright
Uta Zapf
Dr. Christoph Zöpel
BÜNDNIS 90 /
DIE GRÜNEN
Gila Altmann ({67})
Marieluise Beck ({68})
Volker Beck ({69})
Angelika Beer
Annelie Buntenbach
Ekin Deligöz
Dr. Thea Dückert
Franziska Eichstädt-Bohlig
Hans-Josef Fell
Katrin Göring-Eckardt
Rita Grießhaber
Winfried Hermann
Michaele Hustedt
Steffi Lemke
Dr. Reinhard Loske
({70})
Kerstin Müller ({71})
Winfried Nachtwei
Christa Nickels
Cem Özdemir
Simone Probst
Christine Scheel
Irmingard Schewe-Gerigk
Albert Schmidt ({72})
Werner Schulz ({73})
Christian Simmert
Hans-Christian Ströbele
Jürgen Trittin
Dr. Antje Vollmer
Sylvia Voß
Helmut Wilhelm ({74})
F.D.P.
({75})
Ernst Burgbacher
Gisela Frick
Horst Friedrich ({76})
Rainer Funke
Hans-Michael Goldmann
Joachim Günther ({77})
Dr. Karlheinz Guttmacher
Klaus Haupt
Ulrich Heinrich
Birgit Homburger
Ulrich Irmer
Dr. Klaus Kinkel
Dr. Heinrich L. Kolb
Ina Lenke
Dirk Niebel
Günter Friedrich Nolting
Hans-Joachim Otto
({78})
Detlef Parr
Dr. Irmgard Schwaetzer
Marita Sehn
Dr. Max Stadler
Dr. Dieter Thomae
Entschuldigt wegen Übernahme einer Verpflichtung im Rahmen ihrer Mitgliedschaft in den Parlamentarischen Versammlungen
des Europarates und der WEU, der NAV, der OSZE oder der IPU
Abgeordnete
Behrendt, Wolfgang, SPD Siebert, Bernd, CDU/CSU
Wir sind am Schluß unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Freitag, den 19. März 1999, 9 Uhr
ein.
Die Sitzung ist geschlossen.