Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 3/18/1999

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Guten Morgen, meine Damen und Herren! Die Sitzung ist eröffnet. Zunächst gratuliere ich dem Kollegen Dr. Rolf Bauer, der am 5. März seinen 60. Geburtstag feierte, und dem Kollegen Dieter Maaß ({0}), der am 7. März ebenfalls seinen 60. Geburtstag beging, nachträglich im Namen des ganzen Hauses sehr herzlich. ({1}) Bevor wir in die Tagesordnung eintreten, müssen einige Nachwahlen zu Gremien vorgenommen werden. Aus dem Kontrollausschuß beim Bundesausgleichsamt scheidet der Kollege Jochen Welt als ordentliches Mitglied aus. Die Fraktion der SPD schlägt als Nachfolger den Kollegen Günter Graf ({2}), der bisher stellvertretendes Mitglied war, und als neues stellvertretendes Mitglied den Kollegen Hans-Peter Kemper vor. Sind Sie mit diesen Vorschlägen einverstanden? Ich höre keinen Widerspruch. Dann sind der Kollege Graf als ordentliches und der Kollege Kemper als stellvertretendes Mitglied in den Kontrollausschuß beim Bundesausgleichsamt gewählt. Für den noch offenstehenden stellvertretenden Sitz im Wahlprüfungsausschuß schlägt die Fraktion Bündnis 90/ Die Grünen die Kollegin Steffi Lemke vor. Sind Sie auch damit einverstanden? - Ich höre keinen Widerspruch. Damit ist die Kollegin Steffi Lemke als stellvertretendes Mitglied in den Wahlprüfungsausschuß gewählt. Interfraktionell ist vereinbart worden, die verbundene Tagesordnung um die Ihnen in einer Zusatzpunktliste vorliegenden Punkte zu erweitern: ZP2 Abgabe einer Erklärung der Bundesregierung zum Stand der Agenda 2000 nach dem Rücktritt der europäischen Kommission ZP3 Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Helmut Haussmann, Ulrich Heinrich, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der F.D.P.: Agenda 2000 - Die Europäische Union erweiterungs- und zukunftsfähig machen - Drucksache 14/547 ZP4 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion der F.D.P.: Rücktritt des Bundesfinanzministers Oskar Lafontaine und Festhalten der Bundesregierung an ihren Steuergesetzen ZP5 Beratung des Antrags der Abgeordneten Hans Martin Bury, Ernst Schwanhold, Gerd Andres, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Werner Schulz ({3}), Margareta Wolf ({4}) und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Initiative gegen die Auswir- kungen der asiatischen Finanzkrise und des internationa- len Subventionswettlaufs auf die deutsche und europäi- sche Werftindustrie - Drucksache 14/540 - ZP6 a) Erste Beratung des von den Abgeordneten Dr. Jürgen Rüttgers, Erwin Marschewski, Günter Baumann, weiterer Abgeordneten und der Fraktion der CDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neuregelung des Staatsangehörigkeitsrechts ({5}) - Drucksache 14/535 - b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Jürgen Rüttgers, Erwin Marschewski, Günter Baumann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU: Modernes Ausländerrecht - Drucksache 14/532 - c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Jürgen Rüttgers, Erwin Marschewski, Günter Baumann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU: Integration und Toleranz - Drucksache 14/534 - ZP7 a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Ralf Brauksiepe, Klaus-Jürgen Hedrich, Dr. Christian Ruck, weiterer Abgeord- neter und der Fraktion der CDU/CSU: Europäische Ent- wicklungszusammenarbeit reformieren - Drucksache 14/537 - b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Joachim Günther, Gerhard Schüßler, Dr. Helmut Haussmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der F.D.P.: Eigenverantwortlichkeit der AKP-Staaten fördern - Drucksache 14/531 ZP8 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion der PDS: Haltung der Bundesregierung zu den u.a. durch die ökologische Steuerreform bedingten Tariferhöhungen der Deutschen Bahn AG unter besonderer Berücksichtigung der zusätzlichen Belastungen in den neuen Bundesländern Weiterhin ist vereinbart worden, den Tagesordnungspunkt 5c - es handelt sich um die Sammelübersicht 12 zu Petitionen - sowie das Integrationsförderungsgesetz, das ursprünglich mit der Beratung zur Reform des Staatsangehörigkeitsrechts unter Tagesordnung 9b vorgesehen war, abzusetzen. Außerdem weise ich auf eine nachträgliche Ausschußüberweisung im Anhang zur Zusatzpunktliste hin: Der in der 19. Sitzung des Deutschen Bundestages überwiesene nachfolgende Antrag soll nachträglich dem Ausschuß für Angelegenheiten der neuen Länder zur Mitberatung überwiesen werden. Antrag der Abgeordneten Dr.-Ing. Dietmar Kansy, Dirk Fischer ({6}), Eduard Oswald, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU Das Wohngeld jetzt und familiengerecht reformieren - Drucksache 14/292 überwiesen: Ausschuß für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen ({7}) Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuß für Angelegenheiten der neuen Länder Haushaltsausschuß Sind Sie mit diesen Vereinbarungen einverstanden? Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Fraktion der CDU/CSU hat fristgerecht beantragt, die heutige Tagesordnung um die Beratung ihres Antrags zur Rücknahme des Steuerentlastungsgesetzes, des Gesetzes zum Einstieg in die ökologische Steuerreform sowie des Gesetzes zur Neuregelung der geringfügigen Beschäftigungsverhältnisse zu erweitern. Der Antrag soll nach dem Wunsch der Antragsteller nach Tagesordnungspunkt 4 mit einer Debattenzeit von einer Stunde aufgerufen werden. Die Fraktion der F.D.P. hat fristgerecht beantragt, die Tagesordnung um die Beratung ihres Antrags zur Mißbilligung des Verhaltens des Bundesfinanzministers Oskar Lafontaine und zum Stopp der Steuergesetze und des 630-Mark-Gesetzes im Bundesrat zu erweitern. Der Antrag soll nach dem Wunsch der Antragsteller ebenfalls nach Tagesordnungspunkt 4 mit einer Debattenzeit von eineinhalb Stunden aufgerufen werden. Wird zu diesen Geschäftsordnungsanträgen das Wort gewünscht? - Das ist der Fall. Bevor ich das Wort erteile, erlaube ich mir folgenden Hinweis: Die Anträge der Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. zur Tagesordnung betreffen - das ist nicht überraschend - politisch umstrittene Themen. Wir führen jetzt aber nur eine Geschäftsordnungsdebatte. Eine Sachdebatte können wir führen, falls die beantragten Erweiterungen der Tagesordnung beschlossen werden. Ich bitte Sie, dies zu beachten und meine Amtsführung nicht zu erschweren, wenn wir jetzt in die Geschäftsordnungsdebatte eintreten. ({8}) Das gilt allerdings für alle künftigen Redner. ({9}) Ich erteile das Wort dem Kollegen Hans-Peter Repnik, CDU/CSU-Fraktion.

Hans Peter Repnik (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001825, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident, ich werde Ihren Rat beherzigen, mir allerdings auch erlauben, unseren Antrag inhaltlich zu begründen. Dies ist ja wohl notwendig. Hätte das Ganze nicht so schlimme Folgen - die Gesetzgebung für die 630-Mark-Jobs könnte nur noch für das Guinness-Buch der Rekorde empfohlen werden. ({0}) Vier Nachbesserungen waren bereits nötig, nun kündigt sich die fünfte an. Das konnte man gestern in der „Neuen Osnabrücker Zeitung“ einem Kommentar entnehmen. Der Kommentator Franz Schmedt fährt fort: Erst äußern Niedersachsen und NordrheinWestfalen lobenswerte Kritik an dem völlig verunglückten Gesetzentwurf, dann wollen sie am Freitag im Bundesrat trotzdem zustimmen, um sich anschließend wieder für Korrekturen einzusetzen. Solche Verwirrspiele sprechen jeder transparenten, logischen Politik Hohn. Sie sind nur möglich, weil parteipolitische Überlegungen - nur bis zum 19. März verfügt die Koalition noch über die Mehrheit in der Länderkammer - über die Sache gestellt werden. ({1}) Der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ konnte man in diesen Tagen entnehmen, daß der Wirtschaftsminister und designierte Übergangs- und Aushilfsfinanzminister Müller gesagt hat: Wenn ich die Schätzungen der Industrie gekannt hätte, hätte ich der Steuerreform - um sie geht es morgen im Bundesrat im Kabinett nicht zugestimmt. ({2}) Der Kollege Mosdorf, Parlamentarischer Staatssekretär dieser Regierung, sagt - heute morgen in der „Welt“ nachzulesen -, daß selbstverständlich Korrekturen an diesem Vorhaben vonnöten seien. ({3}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, der Chef dieses Unternehmens hüllt sich erst in Schweigen, dann in Kaschmir ({4}) und teilt dann vor wenigen Tagen über die „Bild“Zeitung mit: Ich lasse mit mir keine Politik gegen die Wirtschaft machen! . . . Es wird einen Punkt geben, wo ich die Verantwortung für eine solche Politik nicht mehr übernehmen werde! Liebe Kolleginnen und Kollegen, hier spricht der Bundeskanzler über die Politik der ersten fünf Monate seiner Regierung. Der Fahrer des Wagens dieser Chaos-Combo zieht in der Einsicht des Scheiterns seiner Politik die Konsequenz und begeht Unfallflucht. Er hinterläßt einen Scherbenhaufen sowohl im nationalen wie im europäiPräsident Wolfgang Thierse schen Bereich. Darüber werden wir nachher noch diskutieren. ({5}) - Nein. Keine Sorge, Herr Fischer. Und ich habe es selbst finanziert. ({6}) Das Thema ist so ernst - deshalb müssen wir heute darüber diskutieren -, weil wir seit dem Amtsantritt der Schröder-Regierung in der Bundesrepublik Deutschland eine halbe Million Arbeitslose mehr haben, weil der Rückgang der Investitionsquote beängstigend ist und weil die Frühindikatoren bezüglich der zukünftigen wirtschaftlichen Entwicklung geradezu besorgniserregend sind. Wir haben eine einmalige Situation. Die Mehrheit in diesem Hohen Hause hat gegen unseren Widerstand drei Gesetze durchgepeitscht. ({7}) Nun erkennt man die Schwächen. Man will korrigieren. Man nutzt aber nicht die letztmögliche Chance für diese Korrektur. Genau hier setzt unser Antrag an. Morgen stehen im Bundesrat diese drei Gesetze auf der Tagesordnung. Wenn der Bundesrat gegen jegliche ökonomische Vernunft aus parteipolitischen Interessen heraus morgen diese drei Gesetze durchwinkt, dann wird dies verhängnisvolle Auswirkungen für den Mittelstand, für die Gastronomie, für die Versicherungswirtschaft, für die Energiewirtschaft, für die Braunkohle, für die neuen Länder haben, und dies in einer Zeit, wo wir bereits wieder eine Trendwende zum Negativen auf dem Arbeitsmarkt haben. Deshalb, Herr Präsident, erwarten wir, daß dieser Antrag heute auf die Tagesordnung kommt, damit wir uns austauschen können, damit wir an den Bundesrat appellieren können, Abstand von diesem verhängnisvollen Vorhaben zu nehmen und Korrekturen möglich zu machen, damit sich die Ministerpräsidenten der SPD, seien es Glogowski oder Clement, seien es Stolpe oder Höppner, dem Beispiel der Ministerpräsidenten von Baden-Württemberg, Sachsen und Bayern anschließen und den Vermittlungsausschuß anrufen. ({8}) Bundeskanzler Schröder ist mit dem Versprechen angetreten, mehr Arbeitsplätze zu schaffen. Wenn es ihm mit seiner Aussage Ernst ist, daß er nicht gegen die Wirtschaft regieren möchte, dann bedeutet dies, daß er dieses unheilvolle Vorhaben stoppt. Er hat morgen über die SPD-Mehrheit im Bundesrat die Möglichkeit dazu. Wir fordern ihn nachhaltig auf, diese Möglichkeit zu nutzen. Dieser Bundeskanzler hat einen Amtseid auf die Verfassung und nicht auf eine Parteifibel geleistet. Er soll dem Amtseid gerecht werden. Deshalb bitten wir darum, daß wir dieses Thema heute - unserem Antrag entsprechend - auf die Tagesordnung setzen und diskutieren. ({9})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort für die SPD-Fraktion hat Kollege Wilhelm Schmidt.

Wilhelm Schmidt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002022, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Guten Morgen, Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Jeder hier im Saal weiß: Das ist jetzt die sechste Geschäftsordnungsdebatte, die die Opposition vom Zaun bricht. ({0}) Es ist übrigens schon die zweite, die sich gegen das Steuerentlastungsgesetz wendet. Da muß ich zunächst einmal fragen: Wo sind denn Ihre konkreten Anträge zum Steuerentlastungsgesetz? ({1}) Sie haben hier bisher nur Obstruktion betrieben. Nicht ein einziger Vorschlag von Ihnen liegt auf dem Tisch, der sich damit beschäftigt, wie Sie denn die Steuerreform angehen würden. Insofern müssen wir zunächst einmal registrieren, daß Sie hier ins Leere laufen werden. ({2}) Sie werden nicht nur wegen der Mehrheitsverhältnisse hier im Hause ins Leere laufen, an die Sie sich offensichtlich noch immer nicht gewöhnen wollen oder können, sondern auch wegen der rechtlichen Schwäche Ihrer Anträge. Wir sind überrascht, meine Damen und Herren von der CDU/CSU und von der F.D.P., daß Sie uns nicht schon wieder damit kommen, daß wir möglicherweise Verfassungsbruch begangen hätten, wie Sie in den vergangenen Geschäftsordnungsdebatten behauptet haben. Insofern erreicht Ihre heutige Antragstellung eine neue Dimension: Sie werfen uns nicht Verfassungsbruch vor, sondern Sie rufen andere Verfassungsorgane zum Verfassungsbruch auf. Das hat nun wirklich eine ganz neue Qualität. ({3}) Eigentlich bin ich es leid, Ihnen hier jedesmal Nachhilfeunterricht in Parlamentsrecht und in Verfassungsrecht zu geben. Aber wenn es denn sein muß, dann will ich Ihnen das gerne in aller Genauigkeit erklären. Soweit Sie die Bundesregierung auffordern, wegen eines Einspruchsgesetzes, nämlich wegen des Ökosteuergesetzes, den Vermittlungsausschuß anzurufen, ist das verfassungsrechtlich schlicht unzulässig. Anrufungsberechtigt in diesen Fällen ist allein der Bundesrat. Damit Sie das auch nachlesen können, nenne ich Ihnen die Fundstelle: Das steht in Art. 77 Abs. 2 des Grundgesetzes - nur damit Sie Bescheid wissen. ({4}) Soweit die Bundesregierung aufgefordert werden soll, den Vermittlungsausschuß wegen Zustimmungsgesetzen, nämlich wegen des Steuerentlastungsgesetzes und des Gesetzes zur Regelung der geringfügigen Beschäftigungsverhältnisse, anzurufen, ist das schlicht kurios. Hier sind zwar neben dem Bundesrat auch Bundestag und Bundesregierung zur Anrufung berechtigt - das steht in Art. 77 Abs. 2 Satz 4 -, aber erst dann, wenn feststeht, daß der Bundesrat das Gesetz scheitern lassen wird. Das ist übrigens - damit Sie auch das nachlesen können - die einhellige Meinung der Kommentatoren; ich verweise auf Maunz/Dürig/Herzog zu Art. 77, Randziffer 15. Aber ich schenke es mir jetzt, Ihnen die weiteren Fundstellen zu nennen. Zweck der Anrufungsmöglichkeit der Bundesregierung bei Zustimmungsgesetzen ist es, den Bundesrat möglichst zur Annahme des Gesetzentwurfs zu bewegen und nicht zur Ablehnung. Also ist das, was Sie da machen, widersprüchlich. Soweit der Bundesrat aufgefordert werden soll, den Vermittlungsausschuß anzurufen, offenbart dies ein gestörtes Verfassungsverständnis gegenüber unserer föderativen Rechtsordnung. Mit dem Gesetzesbeschluß in der zweiten und dritten Lesung endet nämlich die Dispositionsbefugnis des Deutschen Bundestages. Sie aber glauben, wir könnten von hier aus den Bundesrat im Rahmen einer erneuten Debatte auffordern, etwas anderes zu machen als das, was wir ihm vor einigen Wochen mit dem Abschlußbericht zu diesem Gesetz auf den Tisch gebracht haben. ({5}) Das ist schlicht gesetzeswidrig. Es ist ein Verfassungsbruch, zu dem Sie aufrufen wollen. Das machen wir nicht mit. ({6}) Daß für Ihre Anträge kein Aufsetzungsrecht besteht, wissen Sie ohnehin. Von daher brauchen wir nicht auch noch die Geschäftsordnung zu zitieren. Daß Sie aber mit der Zielsetzung Ihrer Anträge auch im politischen Sinne verantwortungslos handeln, will ich doch noch erwähnen. Wir alle wissen, daß Sie ausschließlich zerstörerisch tätig sein wollen. Von daher weisen wir Sie noch einmal auf folgendes hin: Wir wollen eine Steuersenkung, und zwar für Familien sowie Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Wir wollen die Entlastung des Mittelstandes. Das wird mit der von uns eingebrachten Gesetzgebung erzielt. ({7}) Meine Damen und Herren von der Opposition, Sie würden im übrigen, wenn Sie mit Ihrem Antrag Erfolg hätten, ein absolutes Chaos auf den Finanzmärkten und in den Staatskassen herbeiführen. ({8}) - Sie haben das ja an anderer Stelle schon vergeblich versucht. Das sollten Sie einfach einmal zur Kenntnis nehmen. Von daher lassen wir Ihr Vorgehen nicht zu. Ich will, da Sie sich gegen den bisher amtierenden Bundesfinanzminister wenden, noch ein abschließendes Wort zu seinem Rücktritt sagen: Wir lassen Oskar Lafontaine weder von Ihnen noch von Teilen der Öffentlichkeit in der Weise niedermachen und mit Schmutz bewerfen, wie das zum Teil geschehen ist. ({9}) Wir bedauern seinen Rücktritt, und wir danken ihm für seine großen Leistungen, die er in den vergangenen Monaten und Jahren hier und an anderer Stelle erbracht hat. ({10}) Ich stelle fest - denn ich empfinde Ihre Verfahrensweise als nicht menschenwürdig -: ({11}) Wir danken ihm nicht nur, sondern wir wünschen ihm auch persönlich für die Zukunft alles Gute. ({12})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Für die F.D.P.Fraktion erteile ich dem Kollegen Jörg van Essen das Wort.

Jörg Essen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000495, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! All das gekünstelte Begründen des Kollegen Schmidt hilft über eines nicht hinweg: Es geht nicht an, daß im ganzen Land und in vielen Hauptstädten der Welt immer noch über den Rücktritt des SPD-Vorsitzenden und Bundesfinanzministers Oskar Lafontaine heftig diskutiert wird und daß wir im Parlament, dem er als Finanzminister rechenschaftspflichtig ist, gehindert werden, darüber zu debattieren. ({0}) Es ist auch nicht hinnehmbar, daß sich die Menschen in Deutschland zu Recht darüber wundern, daß sie ihr eigenes Beschäftigungsverhältnis nicht einfach aufgeben können, ohne Kündigungsfristen einzuhalten, und daß sie nicht einfach den Bettel hinschmeißen können, ohne die Folgen zu tragen, daß aber der Bundesfinanzminister das offensichtlich tun kann. Wir wollen darüber sprechen, ob das so richtig ist. ({1}) Wilhelm Schmidt ({2}) Es muß uns im Parlament doch herausfordern, daß Oskar Lafontaine ein schlechtes Mannschaftsspiel innerhalb der Regierung kritisiert und daß Minister Trittin von den Grünen das rotgrüne Experiment für gescheitert erklärt. Wir wollen von der Regierung erfahren, was sie dazu zu sagen hat. ({3}) Es ist schlicht unerträglich, daß wir uns tagtäglich von SPD-Ministerpräsidenten anhören müssen, wie schlecht die von Rotgrün durchgeboxten Steuergesetze sind. Wir wollen hören, was die Regierung dazu zu sagen hat. ({4}) Wir nehmen es nicht hin, daß mitten in den Haushaltsberatungen und während der deutschen EUPräsidentschaft das wichtige Amt des Finanzministers vom Bundeswirtschaftsminister als Nebenjob wahrgenommen wird. Wir möchten hier im Parlament darüber sprechen, ob das so geht. ({5}) Wir nehmen es auch nicht hin, daß der SPDFraktionsvorsitzende für die Osterpause eine teure Sondersitzung des Bundestages ankündigt - nur damit der abgewählte hessische Ministerpräsident sein Versprechen brechen und morgen im Bundesrat Gesetzen zustimmen kann, von denen alle wissen, daß sie geändert werden müssen. Wir wollen das hier im Parlament zum Ausdruck bringen. ({6}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, all das macht deutlich: Ein Parlament, das wichtige Fragen beiseite schiebt bzw. übergeht, gibt sich auf. Wie schlecht muß eigentlich die Lage der Koalition, wie schwach müssen eigentlich die Argumente sein, wenn man sich hier der Debatte nicht stellt? Wir verlangen eine Aussprache über diese Fragen. ({7})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat nun Kollegin Kristin Heyne.

Kristin Heyne (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002676, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Eine Geschäftsordnungsdebatte am Donnerstagmorgen zu führen, das wird allmählich zu einer regelmäßigen, schlechten Angewohnheit. ({0}) Diesmal liegen sogar zwei Anträge vor. Kollege van Essen, nachdem die CDU/CSU hier einen verfassungsmäßig unhaltbaren Antrag eingebracht hat - der Kollege Schmidt hat das dargestellt -, habe ich gedacht, Sie wollten das korrigieren. Aber als ich in Ihren Antrag hineingeschaut habe, mußte ich feststellen, daß Sie den Unfug wortwörtlich von der CDU/CSU abgeschrieben haben. Wollen Sie den Bundestag tatsächlich dazu auffordern, daß er dem Bundesrat vorschreibt, wie er abzustimmen hat? Das kann doch nicht Ihr Ernst sein; das ist verfassungsmäßig völlig unhaltbar. ({1}) Aber, meine Damen und Herren, die F.D.P. will ja noch ein bißchen mehr. Die F.D.P. hat die Stirn, die neue Bundesregierung aufzufordern, bis zum 21. Juni das Datum wird exakt benannt - das Verfassungsgerichtsurteil zum Familienlastenausgleich umzusetzen. Das fordert die F.D.P., nachdem sie 29 Jahre lang in der Regierung war, nachdem sie 29 Jahre die Möglichkeit dazu hatte. ({2}) Sie sind vom Bundesverfassungsgericht mehrfach, in verschiedenen Urteilen, aufgefordert worden, endlich die Familien zu entlasten. ({3}) All diese Jahre über haben Sie - das war verfassungswidrig - den Familien zu hohe Steuern aufgebürdet, ({4}) und jetzt haben Sie die Unverfrorenheit, für die Beratung eines solchen Antrags auch noch eine extra Debatte zu beantragen. Meine Damen und Herren von der F.D.P., das machen wir ganz sicher nicht mit. ({5}) Sie nutzen das Mittel der Geschäftsordnungsdebatte, um ein weiteres Mal Ihre Horrormeldungen in die Welt zu blasen. ({6}) Man kann da lesen, daß insbesondere für die mittelständische Wirtschaft die Auswirkungen der Steuerreformen katastrophal seien. So tönt der bewährte Chor von Verbandssprechern und schwarzgelben Politikern. Henkel, Hundt, Stihl ({7}) und Vertreter von CDU und F.D.P. tragen gern die Fahne des Mittelstands vor sich her; aber der Karren, vor den sie gespannt sind, ist der Karren der großen Konzerne und der Großindustrie. ({8}) Mit Ihren hier im Eilverfahren eingebrachten Anträgen spielen Sie ein weiteres Mal den Retter des Mittelstandes. Sie hatten viele, viele Jahre Zeit, den Mittelstand zu unterstützen; Sie haben das versäumt. Wir setzen jetzt mit beiden Steuerprojekten, mit der Einkommensteuerreform und mit der Ökosteuer, Bedingungen, die eine Entlastung des Mittelstandes ermöglichen. ({9}) Das ist notwendig für die Schaffung von Arbeitsplätzen, und das tun wir. ({10}) Meine Damen und Herren von der Opposition, die bisher vorgelegten Steuergesetze sind der erste Schritt; das wissen auch Sie. Es wird eine Reform der Unternehmensbesteuerung folgen. Wir haben in der Koalition gemeinsam das Ziel dieser Reform festgelegt - Sie können das in unserem Koalitionsvertrag nachlesen -: Wir haben vor, die Unternehmensteuern auf 35 Prozent zu senken. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Opposition, eine Aufforderung dazu von Ihrer Seite ist überhaupt nicht notwendig. Aber notwendig ist, daß das inzwischen schon hysterische Herunterreden und Schlechtreden der Investitionsbedingungen in der Bundesrepublik Deutschland endlich aufhört. ({11}) Auch Sie, meine Damen und Herren von den Oppositionsparteien, und die Ihnen nahestehenden Institute und Verbände müssen endlich Verantwortung für die fahrlässig überzogene Kritik, die Sie äußern, übernehmen. Eine starke Wirtschaft und einen guten Wirtschaftsstandort kann man auch kaputtreden. Ich fordere Sie auf: Kehren Sie zu einem Mindestmaß an politischer Redlichkeit in dieser Debatte zurück, insbesondere auch in der Debatte in diesem Haus! ({12}) Es ist natürlich Ihre Pflicht als Opposition, unsere Arbeit als Regierungsfraktionen kritisch zu beäugen und kritisch zu begleiten. Dazu gehört auch das Mittel der Geschäftsordnungsdebatte; das ist völlig klar. Aber die Inflation an Geschäftsordnungsauseinandersetzungen, die wir in den vergangenen Wochen erlebt haben, wird dem Ernst der Aufgabe, endlich die skandalös hohe Arbeitslosigkeit in diesem Land zu bekämpfen, nicht gerecht. ({13}) Meine Damen und Herren von der Opposition, mit der grundlegenden Reform der Unternehmensbesteuerung haben wir eine wichtige, schwierige und viel zu lange vernachlässigte politische Aufgabe übernommen. Ich fordere Sie auf: Lassen Sie uns in einen konstruktiven Wettstreit um vernünftige Lösungen für diese Aufgabe eintreten! Dann erfüllen wir unseren Auftrag. ({14})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Für die Fraktion der PDS spricht nun der Kollege Roland Claus.

Roland Claus (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003065, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Grundanliegen der beiden Geschäftsordnungsanträge, die uns vorliegen, ist, drei Gesetze zu kippen, die wir erst kürzlich beschlossen haben, weil ein maßgeblicher Erfinder dieser Gesetze zurücktrat. Die PDS hat zweien dieser Gesetze nicht zugestimmt und sich bei einem enthalten. Demnach stehen wir diesem Vorgang aufgeschlossen gegenüber. ({0}) Wir können dies im einzelnen mit einiger Unbefangenheit beleuchten. Die Unbefangenheit begründet sich aus der Tatsache, daß wir zwischen den alten und den neuen Regierungsfraktionen stehen. ({1}) - Sie müssen doch zugeben: Den Zustand, daß wir beteiligt gewesen sind, hatten wir noch nicht. In der Frage der rechtlichen Beurteilung der beiden Geschäftsordnungsanträge können wir uns diese Unbefangenheit durchaus leisten. Aber beide Anträge haben diametrale Vorzüge und Schwächen. Der F.D.P.-Antrag ist rechtlich wesentlich korrekter als der der CDU/CSU; aber er ist aus unserer Sicht - dazu komme ich noch politisch-moralisch unvertretbar. ({2}) Der CDU/CSU-Antrag geht unseres Erachtens politisch in Ordnung, hat aber gravierende verfassungsrechtliche Fehler. ({3}) Was nun tun? Wir halten den CDU/CSU-Antrag für heilbar. Hätten Sie den Antrag doch in zwei Teilen gestellt: Erstens hätten Sie einen Gesetzentwurf zur Aufhebung der drei Gesetze einbringen können und zweitens einen Antrag, die Verhandlungen im Bundesrat möglichst aufzuhalten. Dann wäre es möglich gewesen, dem zuzustimmen. ({4}) Wir denken, daß dieser Fehler bei der Behandlung behoben werden kann, und werden deshalb dem CDU/CSU-Antrag zustimmen. ({5}) Der F.D.P.-Antrag geht formalrechtlich in Ordnung. Zudem wird die SPD bei Tricksereien erwischt. Aber Ihr Antrag ist so voller Häme gegenüber Oskar Lafontaine und menschlich daneben, daß wir ihn ablehnen. Ein solches Nachtreten machen wir einfach nicht mit. ({6}) Sie haben übrigens eine Glaubwürdigkeitslücke, weil Sie einerseits den Rücktritt begrüßt haben und ihn andererseits hier bejammern. In diesem Sinne unser Fazit: Der CDU/CSU-Antrag hat rechtliche Schwächen, die heilbar sind; er geht politisch in Ordnung. Der F.D.P.-Antrag ist moralisch daneben. Unser Votum habe ich Ihnen mitgeteilt. ({7})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Wir kommen zur Abstimmung. Wer stimmt für den Aufsetzungsantrag der CDU/CSU? - Wer stimmt dagegen? - Gibt es Ent- haltungen? - Der Aufsetzungsantrag ist mit den Stim- men von SPD und Bündnis 90/Die Grünen abgelehnt. Wer stimmt für den Aufsetzungsantrag der F.D.P.? - Wer stimmt dagegen? - Stimmenthaltungen? - Der Auf- setzungsantrag ist mit den Stimmen der SPD, der Frakti- on Bündnis 90/Die Grünen und der PDS abgelehnt. Ich rufe den Zusatzpunkt 2, die Tagesordnungspunkte 4 a und 4 b sowie den Zusatzpunkt 3 auf: ZP2 Abgabe einer Erklärung der Bundesregierung zum Stand der Agenda 2000 nach dem Rück- tritt der Europäischen Kommission 4 a) Beratung des Antrags der Fraktion der CDU/CSU Agenda 2000 - Europa voranbringen, einen fairen Interessenausgleich sichern - Drucksache 14/396 - b) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für die Angelegenheiten der Europäischen Union ({0}) - zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Agenda 2000 1. Eine stärkere und erweiterte Union ({1}) 2. Die Erweiterung der Union - Eine Herausforderung ({2}) 3. Zusammenfassungen und Schlußfolgerungen der Stellungnahmen der Kommission zu den Beitrittsanträgen zur Europäischen Union folgender Länder: - Bulgarien - Estland - Ungarn - Lettland - Litauen - Polen - Tschechische Republik - Rumänien - Slowenien - Slowakei - zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Mitteilung der Kommission Agenda 2000: Die Legislativvorschläge Allgemeiner Überblick - zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Vorschläge für Beschlüsse des Rates über die Grundsätze, Prioritäten, unmittelbaren Ziele und Bedingungen der Beitrittspartnerschaften - zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Vorschlag für eine Verordnung ({3}) des Rates über ein strukturpolitisches Instrument zur Vorbereitung auf den Beitritt - zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Vorschlag für eine Verordnung ({4}) des Rates über eine gemeinschaftliche Förderung für Maßnahmen in den Bereichen Landwirtschaft und Entwicklung des ländlichen Raumes zur Vorbereitung des Beitritts der Bewerberländer in Mittel- und Osteuropa während des Heranführungszeitraums - zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Vorschlag für eine Verordnung ({5}) des Rates zur Koordinierung der Hilfe für die beitrittswilligen Länder im Rahmen der Heranführungsstrategie - zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Vorschlag für eine Verordnung ({6}) des Rates mit allgemeinen Bestimmungen zu den Strukturfonds Vorschlag für eine Verordnung ({7}) des Rates über den Europäischen Fonds für regionale Entwicklung Vorschlag für eine Verordnung ({8}) des Rates betreffend den Europäischen Sozialfonds Vorschlag für eine Verordnung ({9}) des Rates über Strukturmaßnahmen im Fischereisektor - zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Vorschlag für eine Verordnung ({10}) des Rates zur Änderung der Verordnung ({11}) Nr. 1164/94 zur Errichtung des Kohäsionsfonds Vorschlag für eine Verordnung ({12}) des Rates zur Änderung von Anhang II der Verordnung ({13}) Nr. 1164/94 zur Errichtung des Kohäsionsfonds - zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Vorschlag für eine Verordnung ({14}) des Rates betreffend die Reform der gemeinsamen Agrarpolitik - zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Mitteilung der Kommission an den Rat und das Europäische Parlament über die Erstellung einer neuen finanziellen Vorausschau für den Zeitraum 2000-2006 - zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Die Finanzierung der Europäischen Union Bericht der Kommission über das Funktionieren des Eigenmittelsystems - zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Bericht über die Umsetzung der interinstitutionellen Vereinbarung vom 29. Oktober 1993 über die Haushaltsdisziplin und die Verbesserung des Haushaltsverfahrens Vorschläge für eine neue Vereinbarung - zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Vorschlag für eine Verordnung ({15}) des Rates zur Änderung der Verordnung ({16}) Nr. 2236/95 über die Grundregeln für die Gewährung von Gemeinschaftszuschüssen für transeuropäische Netze - zu der Unterrichtung durch das Europäische Parlament Entschließung des Europäischen Parlaments zur Mitteilung der Kommission zur Agenda Erster Teil Kapitel II „Wirtschaftlicher und sozialer Zusammenhang“ - zu der Unterrichtung durch das Europäische Parlament Entschließung des Europäischen Parlaments zur Agenda 2000 - Reform der Gemeinsamen Agrarpolitik - zu der Unterrichtung durch das Europäische Parlament Entschließung des Europäischen Parlaments zur Mitteilung der Kommission „Agenda 2000“: Finanzrahmen der Union für den Zeitraum 2000-2006 und künftiges Finanzierungssystem - Drucksachen 13/8391, 14/272 Nrn. 192, 196, 194, 202, 195, 199, 201, 200, 14/309 Nrn. 2.2, 2.1, 2.5, 14/272 Nrn. 197, 203, 205, 14/342 Nr. 1.4, 14/272 Nr. 193, 14/514 Berichterstattung: Abgeordnete Dr. Norbert Wieczorek Christian Sterzing Manfred Müller ({17}) ZP3 Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Helmut Haussmann, Ulrich Heinrich, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der F.D.P. Agenda 2000 - Die Europäische Union erweiterungs- und zukunftsfähig machen - Drucksache 14/547 Zur Regierungserklärung liegt ein Entschließungsantrag der Fraktionen der SPD und Bündnis 90/Die Grünen vor. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache im Anschluß an die Regierungserklärung drei Stunden vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Das Wort zur Abgabe einer Regierungserklärung hat der Bundesminister des Auswärtigen, Joseph Fischer.

Joseph Fischer (Minister:in)

Politiker ID: 11000552

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In einer Woche werden die Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union über die Agenda 2000, das heißt über zentrale Reformen der finanziell wichtigsten Aufgabenbereiche der Europäischen Union, zu entscheiden haben: über Reformen der gemeinsamen Agrarpolitik, der Strukturpolitik und des Beitragssystems sowie über den künftigen Finanzrahmen der Union für den Zeitraum 2000 bis 2006. Insgesamt reden wir über eine Größenordnung von um die 600 Milliarden Euro. Für alle Beteiligten geht es dabei um massive nationale Interessen und um sehr viel Geld. Entscheidend ist jedoch die politische Bedeutung der Agenda 2000 für die Zukunft Europas. Mit einem erfolgreichen Abschluß in Berlin würde eine der beiden entscheidenden Hürden für die Osterweiterung der Europäischen Union aus dem Weg geräumt. Dies wäre ein Signal an die Beitrittsländer, daß sich die Europäische Union ernsthaft auf ihre Aufnahme vorbereitet, und zugleich ein Ansporn, auf Reformkurs zu bleiben. Ein Scheitern in Berlin würde dagegen den Zeitplan der Erweiterung gefährden. Dies wollen und dürfen wir keinesfalls zulassen. ({0}) Die Erweiterung ist nach der erfolgreichen Einführung des Euro das wichtigste Zukunftsprojekt der Europäischen Union. Die Bundesregierung wird alle Anstrengungen unternehmen, um dieses Ziel schnellstmöglich zu erreichen. ({1}) Präsident Wolfgang Thierse Zudem liegt die Erweiterung der Europäischen Union nicht nur im europäischen, sondern vor allem auch im deutschen Interesse. Aber, meine Damen und Herren, noch mehr steht auf dem Spiel. Eine Einigung über die Agenda 2000 wäre ein notwendiges Signal an unsere Bürgerinnen und Bürger, daß die Europäische Union handlungsfähig bleibt. Damit wir die Zustimmung der Menschen zu Europa erhalten, müssen wir ihnen beweisen, daß die EU zu Reformen und zu einer vernünftigen Haushaltspolitik in der Lage ist. Wenn die Europäische Union gerade in der jetzigen Lage - nach dem Rücktritt der Kommission - ihre Hausaufgaben nicht macht, würde sie sich als handlungsunfähig und politisch zerrissen darstellen. Dies würde zu einem Rückfall in nationale Eigensucht führen. Der Rücktritt der Kommission stellt eine schwere Belastungsprobe für die laufenden Europageschäfte dar. Die Kommission hat mit ihrem Rücktritt die politische Verantwortung für die in dem Bericht der „Unabhängigen Sachverständigen“ erhobenen Vorwürfe übernommen. Dieser Schritt verlangt Respekt. So bedauerlich dieser präzedenzlose Vorgang ist, er zeigt doch auch, daß sich in Europa langsam, aber stetig eine europäische Öffentlichkeit und eine Stärkung der parlamentarischen Demokratie innerhalb der EUInstitutionen herauszubilden beginnt. Das muß man begrüßen. ({2}) Von überragender Bedeutung ist es jetzt, sicherzustellen, daß der Abschluß der Agenda 2000 auf dem Berliner Gipfel nicht gefährdet wird. In der gegenwärtigen Situation wäre es ein verheerendes Signal für die Handlungsfähigkeit Europas, die Agenda auszusetzen. Das ist auch die Meinung meiner EU-Kollegen, mit denen ich hierüber in engstem Kontakt stehe. Gerade jetzt braucht Europa dringender denn je den Erfolg bei der Reform seiner Finanzverfassung. ({3}) Lassen Sie mich an diesem Punkt ganz kurz auf die abwegige Kritik zu sprechen kommen, die am Bundeskanzler geübt wurde, die Kritik, daß er auf dem Rücktritt der Kommission nicht bereits im Januar bestanden habe. ({4}) - „So war es doch!“ Ihre Zwischenrufe, Herr Kollege Haussmann, stehen wirklich im berechtigten Ruf, sich durch besondere Intelligenz auszuzeichnen. ({5}) Sie zeichnen sich durch besondere Intelligenz deswegen aus, weil ich von Herrn Haussmann im Zusammenhang mit Europa immer nur die Forderung nach einem neuen Datum höre. Das ist das Ceterum censeo seiner europapolitischen Vorstellungen. Jetzt sehe ich ihn - man könnte fast sagen: im Stile eines Horrorschockers - auf der B 9 mit einer „Gelben Karte für RotGrün“ dräuend auf die Autofahrer herabblicken. Das ist sein Beitrag zum europapolitischen Wahlkampf. ({6}) Ich hoffe, Herr Haussmann zeigt uns noch lange die gelbe Karte. Ich kann Ihnen nur sagen: Man wird eher farbenblind, als daß sich politisch etwas ändert, wenn einem Herr Haussmann die gelbe Karte zeigt. ({7}) Ich möchte Ihnen an diesem Punkt aber klar entgegenhalten: Die Kritik am Bundeskanzler ist deswegen abwegig, weil der Bundeskanzler auf dieser unabhängigen Untersuchung bestanden hat, und dies war richtig. ({8}) Die Vorgehensweise, die Sie vorgeschlagen haben, hätte bedeutet, daß wir unmittelbar in einen schweren Konflikt unter anderem mit der französischen Regierung geraten wären. Das Insistieren auf einer unabhängigen Untersuchungskommission, auf dem „Rat der Weisen“ - wie es mit dem Kommissionspräsidenten vereinbart wurde -, war eine richtige Vorgehensweise. Daß die Kommission daraus jetzt die politischen Konsequenzen gezogen hat, war ebenfalls richtig und verdient unseren Respekt. Ich muß diese Kritik in aller Form zurückweisen. ({9}) Aber es kam in diesen Tagen noch toller. Der Vorschlag aus der bayerischen Staatskanzlei und der CSU, von den Herren Huber, Stoiber und Glos, den Europäischen Rat in Berlin abzusagen, ist nicht nur europafeindlich und verantwortungslos, er ist auch der Versuch, der deutschen EU-Präsidentschaft in einer wirklich entscheidenden Phase für unser Land und für Europa in den Rücken zu fallen, und zwar aus nur allzu durchsichtigen innenpolitischen Gründen. ({10}) Eine Verschiebung, die schon vorher von dem bayerischen Ministerpräsidenten gefordert wurde - Stoiber fordert sie schon seit längerem -, ist keine reale Option; sie hätte nur Nachteile, und die Kompromißstruktur würde auch zu einem späteren Zeitpunkt ganz exakt dieselbe bleiben. Die Bundesregierung wird sich deshalb weiterhin gemeinsam mit ihren EU-Partnern mit großem Nachdruck für eine Einigung in Berlin einsetzen. ({11}) Mich würde schon interessieren, welches die Haltung der CDU/CSU-Fraktion ist. Herr Kollege Schäuble, Sie sprechen noch. Mich interessiert, ob Sie in der Tat für eine Verschiebung sind. Hier sind heute klare Worte angesagt. Sie müssen sich einmal vorstellen - daran sehen Sie die ganze Verantwortungslosigkeit dieser Position -, die Bundesregierung, die Ratspräsidentschaft würde erklären: Wir sagen den Berliner Gipfel auf Grund der Krise, die durch den Rücktritt der Kommission eingetreten ist, ab. Man muß sich das einmal in den Konsequenzen vorstellen. Eine solche Belastung für Europa hätte es in der Geschichte der Europäischen Union noch nicht gegeben. CDU und CSU schlagen dies allen Ernstes vor! ({12}) Sie wissen es doch besser. Es ist doch nicht so, daß man hier wirklich einem Ochsen ins Ohr petzen muß. Sie wissen doch ganz genau, wie verantwortungslos die Haltung der Herren Glos, Stoiber und Huber an diesem Punkt ist. Deswegen, Herr Schäuble: Kommen Sie hierher, und stellen Sie zweifelsfrei richtig, daß dies nicht die Haltung der CDU/CSU-Bundestagsfraktion ist. ({13}) Meine Damen und Herren, die Kommission bleibt zunächst noch im Amt. Das ist notwendig, um einen stabilen Übergang zu sichern. Angesichts des gravierenden Glaubwürdigkeitsproblems, das die Kommission jetzt hat, wird die Bundesregierung aber darauf drängen, möglichst schnell einen neuen Kommissionspräsidenten zu nominieren, der dann eine neue Kommission zusammenstellen soll. Allerdings - das muß allen klar sein - bedarf die Lösung dieser Frage einer Zustimmung aller Partner. ({14}) - Zudem bedarf es der Zustimmung des Parlaments, das sich in einer schwierigen Situation befindet. Es gibt bei der Kommissionsbesetzung nämlich zwei konstitutionelle Probleme, die zu berücksichtigen sind: Das erste konstitutionelle Problem ist, daß nicht nur die Zustimmung des Parlaments notwendig ist, sondern daß wir uns, was den EU-Vertrag betrifft, sozusagen im Zustand eines Vertragsübergangs befinden. Es gibt zur Zeit den Maastricht-Vertrag und dann den Amsterdam-Vertrag, der hoffentlich zum 1. Juni dieses Jahres in Kraft tritt. Letzterer führt zu erweiterten Rechten des Parlamentes beim Vorschlag und bei der späteren Benennung des Präsidenten. Das ist eine Schwierigkeit, die zu berücksichtigen ist. Die zweite konstitutionelle Hürde, die in diesem Zusammenhang eine Rolle spielt, ist die Tatsache, daß es selbst dann, wenn jetzt eine neue Kommission eingesetzt wird, zu Beginn des nächsten Jahres des erneuten Prozederes bedürfte, um diese Kommission für die Dauer von fünf Jahren einzusetzen. Ich sehe wenig Sinn darin, jetzt eine neue Kommission zu berufen, die ausschließlich bis zum Jahresende im Amt wäre. Das sind die beiden zusätzlichen konstitutionellen Hürden. Es kommt eine dritte Hürde, eine politische Hürde, hinzu. Das ist die Tatsache, daß die Neuzusammensetzung des Europaparlaments zu berücksichtigen ist. Denn dieses Parlament muß ja - nicht nur, was die notwendigen Erweiterungsschritte betrifft, sondern vor allen Dingen, was die jetzt notwendigen unabweisbaren inneren Reformen betrifft - mit der neuen Kommission zusammenarbeiten. Daran können Sie bereits die Probleme sehen, die sich jenseits der nationalen Interessen, die bei der Besetzung so wichtiger Positionen völlig legitim sind, auftun. Deswegen wollen wir, so schnell es geht, eine einvernehmliche Lösung herbeiführen. Allerdings sind eine Reihe von Problemen zu berücksichtigen. Unsere Präsidentschaftsrolle verlangt uns einen schwierigen Balanceakt ab. Wir tragen in einer entscheidenden Phase Verantwortung für die Zukunft Europas. Deutschland vertritt - wie die anderen Partner auch - mit Festigkeit seine legitimen Interessen. ({15}) Wir werden das auch weiterhin tun. Unser Ziel ist eine faire, gleichgewichtige Gesamtlösung, bei der es keine Gewinner und keine Verlierer gibt. Denn sonst würde es diesen Kompromiß nicht geben. In Berlin geht es konkret um drei Elemente, die in einem ausgewogenen Gesamtpaket enthalten sein müssen. Erstens. Es geht um eine Reform der Agrarpolitik und eine Senkung der Agrarausgaben, die durch die Erweiterung und die bevorstehende WTO-Runde - wir hoffen, ab 2002 - unausweichlich geworden sind. Die gemeinsame Agrarpolitik muß durch die Reform auf mehr Wettbewerbsfähigkeit und Umweltverträglichkeit ausgerichtet werden. Für uns ist insbesondere wichtig, daß die Interessen der deutschen Bauern in Ost und West gewahrt bleiben. Das ist beim Kompromiß des Agrarrats vom 11. März der Fall. ({16}) - Wenn Sie das als Katastrophe bezeichnen, dann kann ich Ihnen nur sagen: Ich bin einmal gespannt, wie Sie sich verhalten. Wenn das eine Katastrophe ist, dann müssen Sie für ein Wiederaufknüpfen des Agrarkompromisses eintreten, und dann werden Sie die Interessen der deutschen Landwirte in Ostdeutschland wie in Westdeutschland schädigen, meine Damen und Herren. Das sage ich Ihnen. ({17}) Die Bauern - ich verstehe, daß, wenn es darum geht, Interessen durchzusetzen, demonstriert wird - sind aber auch kühle Rechner. Wenn Sie meinen, das sei eine Katastrophe, dann müssen Sie für das Wiederaufknüpfen des Kompromisses sein. Ich sage Ihnen: Dann werden die deutschen Bauern zu den Verlierern gehören und nicht zu den Gewinnern. Das wird die Konsequenz Ihrer Position sein. ({18}) Zweitens. In der Strukturpolitik geht es um eine Effizienzsteigerung und um eine Konzentration auf die strukturschwächsten und förderungsbedürftigsten Regionen, und zwar mit höheren Mitteln auch für die deutschen Ziel-1-Regionen - das sind die neuen Bundesländer -, und es geht um eine ausreichenden Flexibilität der Mitgliedstaaten bei der Auswahl der Ziel-2-Gebiete das sind bei uns die alten Bundesländer. Außerdem brauchen wir angemessene nationale Spielräume für eine eigenständige Regionalpolitik in den Mitgliedstaaten. Drittens. Es geht um eine fairere Lastenteilung in der Europäischen Union. Es ist für die Bundesregierung ein wesentliches Ziel, die Ungerechtigkeiten bezüglich des deutschen Nettosaldos zu korrigieren. Es kann nicht so bleiben, daß ein einziger Staat 60 Prozent des Nettotransfers in der EU bestreitet. Das erkennen auch unsere Partner an, und das wird ebenso im Eigenmittelbericht der EU-Kommission anerkannt. Aber wir müssen hier mit Realismus und Augenmaß vorgehen. Deutschland wird nach einer erfolgreichen Reform auch weiterhin größter Nettozahler bleiben. Entscheidend ist, daß wir eine gerechtere Lastenteilung erreichen, was angesichts der notwendigen Zustimmung unserer Partner alles andere als einfach sein wird. Die CDU/CSU hat für die Bundesregierung eine sogenannte „Meßlatte“ aufgestellt. Danach soll der deutsche Nettosaldo um 7 Milliarden DM bzw. nach Herrn Stoiber, dem bayerischen Ministerpräsidenten, sogar um 14 Milliarden DM verringert werden. Das soll unter anderem - jetzt hören Sie genau zu - über eine 50prozentige Kofinanzierung in der Agrarpolitik erreicht werden, obwohl Sie, Herr Schäuble, und auch Herr Stoiber genau wissen - das hat sich inzwischen auch gezeigt -, daß dies mit Frankreich, unserem wichtigsten Partner, nie und nimmer zu machen ist. ({19}) - Ich könnte es mir jetzt ganz einfach machen. Es wurde gesagt: „Wir hätten das durchgesetzt.“ - Liebe Kollegen, warum habt ihr das dann nicht in den 16 Jahren eurer Regierung durchgesetzt, wenn ihr so tapfer seid? Ihr habt doch 16 Jahre Zeit gehabt. Die Frage der Kofinanzierung stellt sich doch nicht erst seit heute. ({20}) Wir müssen doch nicht über die Sache streiten. Ich finde es schon erstaunlich, wie sich die europapolitischen Debatten seit dem Wahlausgang im September letzten Jahres verändert haben. ({21}) - Wir eiern überhaupt nicht. - In der Sache vertrete ich heute die gleiche Position wie damals in der Opposition, als ich die Position der früheren Bundesregierung unterstützt habe. Ich bin ebenso wie die Bundesregierung nach wie vor der Überzeugung, daß die Kofinanzierung für einen sich erweiternden EU-Agrarmarkt nicht nur aus Gründen der Verteilungsgerechtigkeit in der Nettozahlerfrage, sondern auch für das Management und die Handhabbarkeit eines sich so entwickelnden Agrarmarktes der richtige Weg ist. Nur, es hat sich gezeigt - da nützt alle bayerische Großmäuligkeit überhaupt nichts -, ({22}) daß die französische Regierung es zum „vitalen Interesse“ erklärt hat, sich nicht in dem Maß an der Kofinanzierung zu beteiligen. ({23}) Lassen Sie sich einmal von Ihrem Bundeskanzler a. D. Dr. Helmut Kohl erklären, was es heißt, wenn eine Regierung innerhalb der EU etwas zu ihrem „vitalen Interesse“ erklärt. Dies ist ein Hinweis auf die mögliche Inanspruchnahme des Vetos. Ich werfe Ihnen vor, daß Sie jetzt hier auf Grund innenpolitischer Oppositionsgründe ein europapolitisches Erbe in Stücke schlagen, und zwar in einer Geschwindigkeit, die ich nicht für möglich gehalten hätte. ({24}) Sie verlangen, daß sich Frankreich mit 50 Prozent an der Kofinanzierung beteiligt. Sie wissen ganz genau, daß es irreal ist, den deutschen Nettobeitrag über eine 50prozentige Kofinanzierung um 7 Milliarden DM zu senken. Wenn man das durchsetzen wollte, würde man das in Jahrzehnten im Rahmen der deutschfranzösischen Partnerschaft Erreichte in Frage stellen. An diesem Punkt mußten wir uns entscheiden, ob wir ein Veto bzw. einen Konflikt in Kauf nehmen wollen oder ob uns der nächste Schritt im europäischen Einigungsprozeß und die Fortentwicklung der deutschfranzösischen Partnerschaft als Motor dieses Einigungsprozesses wichtiger sind. Wir haben uns für Europa und gegen kleinkarierte oppositionelle innenpolitische Interessen entschieden. ({25}) Was Sie machen, ist purer Populismus. Das weiß jeder. ({26}) - Zu Ihrer „Substanzlosigkeit“, die Sie offenbar zum Schlüsselbegriff der Opposition auserkoren haben, will ich Ihnen sagen: Wenn Sie alles als substanzlos bezeichnen, selbst wenn man Ihnen Substanz liefert, mit der Sie aber nicht einverstanden sind, dann macht das Ihre Position nicht glaubwürdiger. Wenn das, was Herr Stoiber verkündet, substanzvoll ist, dann bin ich gerne substanzlos in der Europapolitik; denn seine Auffassung teile ich überhaupt nicht. ({27}) Da weiß ich mich in der Kontinuität eines anderen, den ich schon in meiner Position als Oppositionspolitiker unterstützt habe. Diese Politik führen wir fort; denn wir wollen die Einigung Europas. Bleiben Sie mit Ihrem Stoiber und Ihrer Substanz, wo der Pfeffer wächst, ({28}) meinetwegen auch dort, wo die Alpen glühen; das ist mir egal. ({29}) Meine Damen und Herren, jeder weiß, daß die heutige Nettozahlersituation auf dem Europäischen Rat 1992 in Edinburgh unter tätiger Mitwirkung von Bundeskanzler Kohl und des seinerzeitigen CSU-Vorsitzenden und Finanzministers festgelegt wurde. Damit wir uns nicht mißverstehen: Ich habe diese Position unterstützt. ({30}) Wir haben Sie, Herr Dr. Kohl, damals aus der Opposition heraus unterstützt, weil es gute Gründe für diese Entscheidung gab. Um so bitterer ist jetzt dieser wirklich bodenlose Populismus, den Teile Ihrer Fraktion und Ihrer Partei gegen Ihre damalige Position vorbringen. ({31}) Sie wissen nur zu gut, in welch schwierigen Fahrwassern Europa heute ist. Sie wissen auch, was von der deutschen Position abhängt. Ich appelliere hier noch einmal nachdrücklich an alle, zu begreifen, daß wir uns in einer Situation befinden, in der Zuwächse nur noch bedingt oder gar nicht vorhanden sind und in der es um eine Neuverteilung geht, eine Situation, in der von Deutschland erwartet wird, während der Präsidentschaft eine Gesamtlösung anzubieten, die der historischen Herausforderung gerecht wird, anstatt in kleinkarierten innenpolitischen Populismus zu verfallen. Keiner weiß dies besser als Dr. Helmut Kohl. Wir haben Sie damals unterstützt. Heute aber hören wir das glatte Gegenteil. Das ist auch eine klare Kampfansage gegen die Politik von Dr. Helmut Kohl in seiner damaligen Eigenschaft als Bundeskanzler, der für diese europapolitische Entwicklung stand, die hier im Haus eine breite Unterstützung gefunden hat. ({32}) Das eigentlich Widersprüchliche und Doppelzüngige ist aber, daß die Opposition einerseits öffentlich eine schnelle Osterweiterung befürwortet, wie kürzlich Herr Stoiber in Budapest - wir sehen dies ganz genauso: so schnell es geht -, gleichzeitig aber einer Verschiebung der Agenda 2000 das Wort redet. Einerseits soll weniger an Brüssel bezahlt werden, andererseits aber wird mehr für die bayrischen Bauern gefordert, was wir von den Partnern regelmäßig aufs Butterbrot geschmiert bekommen. ({33}) Das ist keine Milchmädchenrechnung - höchstens eine Milchbubirechnung, wenn ich mir Sie so ansehe -, ({34}) sondern eine bewußte Irreführung. Dies ist zutiefst unhistorisch und gegenüber unseren Partnern in Mittelund Osteuropa in hohem Maße undankbar und verantwortungslos. ({35}) Meine Damen und Herren, am vergangenen Wochenende haben wir auf dem informellen Treffen der EUAußenminister in Reinhartshausen substantielle Fortschritte erzielt. Die Aussichten für eine Lösung in Berlin haben sich damit verbessert. Es liegt noch ein erhebliches Stück Arbeit vor uns. Allerdings - das ist meine persönliche Meinung -: Ein Kompromiß ist in Sicht; dies ist bei einigem guten Willen machbar und erreichbar. In Reinhartshausen und am Montag im Ecofin-Rat ist es gelungen, das im Agrarministerrat am 11. März vereinbarte Kompromißpaket über die Eckwerte einer substantiellen Reform der gemeinsamen Agrarpolitik - das ist ein sehr wichtiges Faktum - zusammenzuhalten. Damit ist in einem wichtigen, bislang kontroversen Teilbereich der Agenda 2000 eine Lösung in Sicht. Für die Aushandlung dieses nicht einfachen Kompromisses gebührt dem Kollegen Funke aller Dank und alle Anerkennung. ({36}) Das ist keine diplomatische Floskel - ich meine dies allen Ernstes. Wer die Probleme, die dort zu bündeln waren, und die Schwierigkeiten der Überwindung der nationalen Positionen auch und gerade in diesem europapolitischen Wahljahr - in Europa sind immer irgendwo auch nationale Wahlen, die zu berücksichtigen sind kennt, wer auch die Schwierigkeiten der Kompromißbildung mitbekommen hat, der weiß, welch wirklich großer Erfolg dem Kollegen Funke gelungen ist. Dafür möchte ich ihm allen Dank und alle Anerkennung aussprechen. ({37}) Der Kompromiß ist ein wichtiger Schritt in Richtung Markt- und Umweltorientierung sowie Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit unserer Landwirtschaft. Wir hätten uns - daran besteht überhaupt kein Zweifel - eine weiterführende Lösung gewünscht; aber hierfür war bei einigen Partnern kein Konsens zu erzielen. Die erzielte Einigung ist ein für alle akzeptabler Kompromiß, der nahe an unserem Ziel der realen Konstanz von 40,5 Milliarden Euro im Jahresmittel für die sieben Jahre von 2000 und 2006 liegt. Mehrere Partner sind der Auffassung, daß weitere Anstrengungen unternommen werden müssen, um das Ziel zu erreichen, allerdings ohne das Kompromißpaket wieder in Frage zu stellen. Licht am Ende des Tunnels - auch dies ist ein wichtiges Faktum - gibt es auch bei den Strukturfonds. Alle Komponenten für einen Kompromiß liegen jetzt auf dem Tisch; allerdings sind noch schwierige Probleme zu lösen. In der EU zeichnet sich die Bereitschaft ab, auch die Strukturausgaben einschließlich der Kohäsionsfonds für die Zeit bis 2006 auf einen Wert zwischen 190 Milliarden Euro und 216 Milliarden Euro zu stabilisieren. Der exakte Wert muß noch festgelegt werden. Das gegenwärtige Niveau der Pro-Kopf-Förderung soll beibehalten werden. Grundsätzlich soll auch für Euro-Teilnehmer, sofern ihr Bruttosozialprodukt pro Kopf unter 90 Prozent des EU-Durchschnitts liegt, das Weiterlaufen des Kohäsionsfonds akzeptiert werden. Über deren Mittelausstattung muß allerdings noch entschieden werden, wobei nach Meinung einer Reihe von Partnern die ökonomischen Fortschritte der Kohäsionsländer, die sogenannte reale Konvergenz, berücksichtigt werden müssen. Es zeichnet sich zudem eine Konzentration bei den Förderzielen und eine Reduzierung der Zahl der Gemeinschaftsinitiativen ab. Dies sind wichtige Beiträge zur Steigerung der Effizienz, die in Deutschland insbesondere der ostdeutschen Wirtschaft zugute kommen werden. Wir sind uns in der Europäischen Union einig, daß eine Stabilisierung der Ausgaben und eine disziplinierte Haushaltsführung vor dem Hintergrund der angespannten Haushaltslage der nationalen Haushalte dringend geboten sind. Das Prinzip der realen Konstanz ist inzwischen weitgehend anerkannt, und auch über die Beibehaltung der gegenwärtigen Eigenmittelobergrenze von 1,27 Prozent des EU-Bruttosozialprodukts sowie über eine klare Trennung der Ausgaben für die 15 von den für die Erweiterung bestimmten Mitteln besteht weitgehendes Einvernehmen. Die künftigen Ausgaben werden damit unter den ursprünglichen Kommissionsansätzen liegen. Das ist vor dem Hintergrund enormer Haushaltssteigerungen in der Vergangenheit keineswegs selbstverständlich. Die Einsicht, daß den Bürgerinnen und Bürgern ein „Weiter so“ nicht mehr zu vermitteln wäre, hat sich Gott sei Dank durchgesetzt. Die meisten offenen Fragen gibt es noch bei der Reform des Eigenmittelsystems, also den eigenen Einnahmen der Europäischen Union. Hier zeichnet sich eine generelle Bereitschaft zur Änderung des Eigenmittelbeschlusses ab 2002 im Rahmen eines ausgewogenen Gesamtkompromisses ab. Es wird unter anderem weiter über den Ersatz der Mehrwertsteuer - durch Bruttosozialprodukt-Eigenmittel verhandelt, durch die die Zahlungen stärker an die Wirtschaftsleistungen geknüpft würden - das deutsche Nettosaldo würde sich dadurch verringern -, sowie über höhere Pauschalen bei der Erhebung der traditionellen Eigenmittel-Zölle und Agrarabschöpfungen -, über eine Anpassung des Großbritannien-Rabatts und schließlich auch über einen allgemeinen Korrekturmechanismus als Sicherheitsnetz für die Nettozahler. Für uns kommt es darauf an, in Berlin unserem Ziel eines fairen Lastenausgleichs näher zu kommen und eine fallende Kurve beim Nettosaldo einzuleiten. Bundeskanzler Gerhard Schröder bereist in dieser Woche die Hauptstädte unserer Partner, um Möglichkeiten einer weiteren Positionsannäherung auszuloten. Am 21. März werden die Außenminister auf ihrer Konklave in Brüssel den Stand noch einmal beraten, und am 24./25. März werden die Staats- und Regierungschefs zum Sondergipfel des Europäischen Rates in Berlin mit dem Ziel einer politischen Einigung über ein Gesamtpaket zur Agenda 2000 zusammenkommen. Die Chancen dafür - ich habe es schon vorher gesagt - stehen mittlerweile dank der geleisteten Arbeit der Präsidentschaft alles andere als schlecht. Aber zu einem guten Ergebnis werden wir nur kommen, wenn jeder Mitgliedstaat seinen Beitrag zu dem notwendigen Kompromiß leistet. Ich bin zuversichtlich, daß es in Berlin gelingen wird, trotz der noch offenen Einzelfragen eine faire und ausgewogene Lösung zu finden. Allerdings ist vor überzogenen Erwartungen zu warnen. Es ist immer ein Zeichen für einen guten Kompromiß, daß mit ihm keiner so richtig glücklich ist, aber auch niemand in ihm eine nationale Katastrophe sieht. So wird es auch in Berlin sein. In Berlin geht es für Europa um sehr viel. Eine umfassende Lösung der Agenda 2000 wäre die bedeutendste Finanzreform der Europäischen Union seit ihrer Gründung. Mit ihr würde ein wesentliches noch bestehendes Hindernis für die baldige Aufnahme der Beitrittskandidaten beseitigt. Herr Präsident, meine Damen und Herren, ich fordere deshalb den Deutschen Bundestag auf, die Bundesregierung bei ihrem Bemühen um einen erfolgreichen Abschluß der Agenda 2000 in Berlin zu unterstützen. Ich appelliere insbesondere auch an die Opposition, die Ziele der Bundesregierung für den Europäischen Rat zu unterstützen, anstatt sie durch unerfüllbare Forderungen zu konterkarieren und Zweifel an der integrationspolitischen Haltung Deutschlands zu wecken. Die CDU/CSU sollte nicht vergessen - Sie wissen es ja -: Deutschland verdankt Europa unendlich viel. Unser Land ist der große Gewinner, nicht nur ökonomisch, sondern auch sicherheitspolitisch, historisch und kulturell. Unser Land ist der große Gewinner des europäischen Integrationsprozesses. Die Bürden unserer Mittellage wurden im Integrationsprozeß aufgelöst. Die Wiedervereinigung wäre ohne die Zustimmung unserer europäischen Partner nicht möglich gewesen. Das „Ja“ zu Europa war über Jahrzehnte demokratischer Grundkonsens in Deutschland. Jetzt unsere europäischen Bindungen zu lockern, wäre ein Irrweg und ein gefährlicher Schritt nach hinten, der nicht nur Europa, sondern vor allem uns selber beschädigen würde. ({38}) Wir sollten deshalb alles tun, um den jahrzehntelangen europapolitischen Grundkonsens in Deutschland zu bewahren. Die Vollendung der europäischen IntegraBundesminister Joseph Fischer tion ist die große Aufgabe, die jetzt nach dem Ende des kalten Krieges und zu Beginn des nächsten Jahrtausends vor uns liegt und die wir praktisch zu bewältigen haben. Deutschland wird dabei eine entscheidende Rolle zukommen. Unser Land kann sich einen Rückzug aus seiner europapolitischen Verantwortung nicht erlauben, denn wir würden uns dadurch nur selber schädigen. Nach der Einführung des Euro müssen wir jetzt die nächste historische Herausforderung auf dem Weg zur europäischen Einheit bewältigen, nämlich die Osterweiterung der EU. Die Agenda 2000 ist dafür eine unumgängliche Voraussetzung. Deswegen kommt dem Erfolg des Europäischen Rates in Berlin eine so große Bedeutung zu. Neben den danach anzupackenden institutionellen Reformen während der nächsten Ratspräsidentschaften gehört eine erfolgreiche Reform der Finanzverfassung und -verteilung der EU zu den jetzt zu lösenden Aufgaben, um das gemeinsame Europa und die politische Union wirklich zu schaffen. Herr Präsident, meine Damen und Herren, die Bundesregierung weiß sich, wie alle ihre Vorgängerregierungen in der Bundesrepublik Deutschland, dieser historischen Herausforderung verpflichtet und wird deshalb alles in ihrer Kraft Stehende tun, um den Europäischen Rat in Berlin zum Erfolg zu führen. ({39})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Fraktionsvorsitzenden der CDU/CSU-Fraktion, Wolfgang Schäuble, das Wort.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001938, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Die europäische Einigung ist das wichtigste Projekt im Interesse der Deutschen am Ende dieses Jahrhunderts. ({0}) Wir haben die Chance, ganz Europa zu einem Kontinent von sicherem Frieden, von wirtschaftlichem Wohlstand, von sozialer Stabilität, von ökologischer Nachhaltigkeit zu entwickeln. Das ist das wichtigste Ziel, das wir am Ende eines Jahrhunderts mit zwei so grausamen Weltkriegen erreichen wollen. Darin sind wir uns in diesem Hause ganz überwiegend einig. Da brauchen wir, Herr Bundesaußenminister, auch keine großen Ermahnungen. Die CDU und die CSU bleiben die große politische Kraft der europäischen Einigung. Das war in den letzten 50 Jahren so - Sie waren oft auf der anderen Seite -, und das wird auch in den nächsten 50 Jahren so bleiben. ({1}) Nun ist der Außenminister ja früher ein ziemlich lebhafter Parlamentarier gewesen. ({2}) Deswegen hat er sich so verhalten, wie man sich als Regierung verhält, wenn man in ausgesprochenen Schwierigkeiten steckt: Er hat einen Popanz aufgebaut und kräftige Angriffe auf einen Pappkameraden gestartet, der in Wahrheit gar nicht existiert. ({3}) Das war allerdings der Regierungserklärung eines Außenministers eine Woche vor dem Europäischen Rat unangemessen. Es zeigt nur die Verlegenheit, in der die Regierung sich befindet. ({4}) Ich will Ihnen auch sogleich die Frage beantworten, Herr Vizekanzler - es ist um Sie herum auf der Regierungsbank ein bißchen einsam -, wenn Sie mir, da Sie mich so gefragt haben, einen Moment Ihre geschätzte Aufmerksamkeit schenken wollen. Wir haben am Dienstag für die CDU/CSU-Fraktion eine Erklärung abgegeben. Sie liegt schriftlich vor; ich gebe Ihnen nachher den Wortlaut noch einmal. Sie ist das kann ich Ihnen versichern - mit den Vorsitzenden der beiden Unionsparteien wörtlich abgestimmt. In dieser Erklärung steht nicht ein einziges Wort von einer Verschiebung des Europäischen Rates in Berlin, nicht ein einziges Wort. Ich sage das nur, damit der Popanz klar wird und das ausgeräumt wird; dann können wir zur Sache reden. Ich habe mir vorsichtshalber - darum habe ich Michael Glos gebeten - von Herrn Bocklet den Wortlaut der Erklärung des bayerischen Kabinetts nach der Sitzung am 16. März - das war Dienstag dieser Woche geben lassen. Auch in dieser Erklärung, in diesem Kabinettsbericht steht nicht ein Wort von der Verschiebung des Berliner Gipfels. ({5}) - Dann war die Agenturmeldung falsch. Ich gebe Ihnen nachher beide Erklärungen. Herr Bundesaußenminister, nehmen Sie es einfach zurück. Sie haben die Unwahrheit gesagt, und das gehört sich nicht in einer Regierungserklärung. ({6}) Ich habe die Dokumente hier. Sie können machen, was Sie wollen. ({7}) Sie haben im Schlußteil Ihrer Regierungserklärung auch Dinge gesagt, die wir unterstützen, denen wir zustimmen, was die Bedeutung der europäischen Politik, der europäischen Einigung und was die Bedeutung eines Erfolges der Agenda 2000 auch für die Osterweiterung anbetrifft. Darüber besteht doch gar kein Streit. Es geht aber nicht, hier einen Popanz aufzubauen und zu sagen, die anderen seien anderer Meinung. Deswegen muß das am Anfang ausgeräumt werden. ({8}) Nun steht dieses Europa - das ist auch wahr; darüber läßt sich doch auch in Ruhe und der Bedeutung der Sache angemessen diskutieren - nicht nur vor einer großen Herausforderung. Ich habe übrigens von diesem Platz aus bei der europapolitischen Debatte im Dezember zum Bundeskanzler gesagt: Jede deutsche Regierung, jeder deutsche Bundeskanzler wird angesichts des gewaltigen Reformbedarfs im Zusammenhang mit der Agenda 2000 eine Riesenaufgabe haben. Man wird in Europa nicht alles erreichen, was wir aus nationaler Sicht für wünschenswert halten, weil man sich unter 15 einigen muß. Wir werden Sie nicht an Maximalforderungen messen, sondern wir werden Sie dabei unterstützen, daß man das Bestmögliche erreicht. Darüber besteht kein Streit. Jetzt stehen wir in Europa aber nicht nur vor Herausforderungen mit der Agenda 2000, sondern zugleich vor einer Krise. Es war natürlich falsch, daß der Bundeskanzler am Dienstag als erste Reaktion auf den Rücktritt der Kommission der Europäischen Union gesagt hat, das sei gar keine Krise; die Kommission solle einfach geschäftsführend weitermachen und so tun, als wäre business as usual. Das war genau die falsche, unangemessene Reaktion. ({9}) Man kann jetzt nicht so tun, als ginge es einfach so weiter. Man kann bei der Kommission der Europäischen Union, die vom Europäischen Parlament zum Rücktritt gezwungen worden ist, obwohl der deutsche Ratspräsident, Bundeskanzler Schröder, noch im Januar versucht hat, das Parlament daran zu hindern, angesichts der Mittelverschwendung Aufklärung im Verantwortungsbereich der Europäischen Kommission zu schaffen, nicht einfach sagen, sie bleibt geschäftsführend im Amt, und kein Mensch kümmert sich darum. Das wäre genau der falsche Weg, um die Zustimmung der Menschen für europäische Politik zu gewinnen. Deswegen ist es gut, daß Schröder diese Position wenigstens korrigiert hat. ({10}) Die Aufgabe der Agenda 2000 ist nicht so oberflächlich, wie Sie es hier dargestellt haben. Es geht darum, die Entscheidungsfähigkeit der Europäischen Union und der Institutionen der Europäischen Union so zu verbessern, daß dieses Europa der 15 in der Lage ist, die gewaltigen Herausforderungen, auch was den Beitritt neuer Länder betrifft, der in unserem Interesse ist, zu meistern. Das ist die Aufgabe der Agenda 2000. ({11}) Das kann man doch auch nicht bestreiten. Herr Außenminister, Sie sind viel beschäftigt. Aber man legt Ihnen doch die Pressestimmen aus ganz Europa vor. Aus allen europäischen Hauptstädten haben wir doch in den letzten Wochen die Klagen gehört - ich will die Stimmen gar nicht vorlesen, aber ich schenke Ihnen eine Dokumentation -, daß die deutsche Präsidentschaft ausgesprochen schlecht gearbeitet hat und ausgesprochen schlecht vorbereitet war. Unsere Kritik ist: Durch Ihre schlechte Arbeit schaden Sie Europa. ({12}) Nach dem Rücktritt der Kommission darf die deutsche Präsidentschaft nicht so weitermachen wie bisher, nur damit nicht der Eindruck einer Krise entsteht. In der Krise kann auch eine Chance liegen; in ihr kann man die Tiefe des Reformbedarfs erkennen. Nach dem Rücktritt der Kommission ist die Aufgabe der deutschen Präsidentschaft, Europa aus der Krise zu führen. Je schneller dies gelingt, um so besser. Wir brauchen eine neue Kommission. Natürlich ist es schwierig, darüber einen Konsens zu erzielen. Ich will mich mit Ratschlägen zurückhalten. Trotzdem will ich eine Bemerkung machen: Wenn es gelingen sollte, den früheren italienischen Ministerpräsidenten Romano Prodi als Präsident der EU-Kommission zu gewinnen, dann sollte seine Präsidentschaft auf fünf Jahre angelegt sein. Herr Bundesaußenminister, Sie wollen doch unsere Unterstützung. Ich gebe Ihnen diese Unterstützung: Es wäre sehr gut, sich darauf zu verständigen, die Neubesetzung nach den Regelungen des Amsterdamer Vertrages durchzuführen. Am allerbesten wäre es, man würde dem zukünftigen Präsidenten die Chance geben, ein Programm für die weitere Politik der Europäischen Union vorzulegen. Wenn Sie darauf die Anstrengungen der deutschen Präsidentschaft konzentrieren, dann nutzen Sie die Krise, um die europäische Politik hinsichtlich der vor ihr liegenden Herausforderungen voranzubringen. ({13}) Mit Blick auf die Agenda 2000 haben Sie ebenfalls einen Popanz aufgebaut. Ich verstehe, daß Sie ein bißchen von Ihrer schwierigen Lage ablenken müssen. Ihr eigentlicher Fehler ist: Sie haben im Rahmen der Agenda 2000 zu sehr an der Oberfläche gearbeitet. Wenn Sie die Reform erfolgreich durchführen wollen, dann müssen Sie sozusagen tiefer pflügen. Ich will Ihnen ein paar Beispiele nennen. ({14}) - Herr Staatsminister Verheugen, lachen Sie nicht! Sie sind ja ständig damit beschäftigt, die Erklärungen des Bundeskanzlers so zu interpretieren, daß sie nicht noch mehr Schaden anrichten. Wir haben dies erst gestern in der Aktuellen Stunde des Bundestages wieder erlebt. ({15}) Wenn die deutsche Präsidentschaft damit beginnt, daß der Bundeskanzler öffentlich erklärt, die Hälfte des Geldes, das in Brüssel verbraten werde, stamme schließlich aus Deutschland und es müsse mit der europäischen Scheckbuchpolitik des ehemaligen Bundeskanzlers Kohl Schluß sein, dann beraubt sich der Bundeskanzler der Chancen für eine erfolgreiche Arbeit der deutschen Ratspräsidentschaft. Darüber kann Ihr dümmliches Lachen nicht hinwegtäuschen. ({16}) Wenn Sie die Debatte in Europa um die Agenda 2000 mit der Aussage beginnen - das ist die Scheckbuchpolitik von Schröder - „Wir zahlen ein paar Milliarden DM weniger und andere ein paar Milliarden DM mehr“, dann haben Sie natürlich keine Chancen, Frankreich, Spanien und die anderen Mitgliedsländer dafür zu gewinnen, zuzustimmen, ein paar Milliarden DM mehr zu zahlen, damit Deutschland weniger zahlen muß. So geht es nicht. Herr Bundesaußenminister Fischer, Sie haben in einem weiteren Punkt die Unwahrheit gesagt. ({17}) - Bleiben Sie ganz ruhig; ich habe die Dokumente da. ({18}) Wenn es Ihnen mit europäischer Politik Ernst ist, dann lassen Sie uns ehrlich und an der Sache orientiert diskutieren. Arbeiten Sie nicht mit Verfälschungen! ({19}) Sie haben die Behauptung aufgestellt, die CDU/CSUFraktion und die Parteien CDU und CSU hätten eine Reduzierung der deutschen Nettozahlungen um 14 Milliarden DM zur Meßlatte erhoben. Das ist falsch. ({20}) - Auch Herr Stoiber nicht! Der Kollege Stoiber und ich sind als Vorsitzende unserer Parteien vor die Bundespressekonferenz gegangen. Wir haben dort gemeinsam eine Erklärung vorgetragen. Sie können sie nachlesen. In dieser Erklärung wird daran erinnert - das ist wahr -, daß die deutschen Länderfinanzminister und die Ministerpräsidenten aller Bundesländer einstimmig beschlossen haben, also auch mit den Stimmen von Herrn Schröder und Herrn Lafontaine ({21}) - auch Eichel; ich will nicht alle 16 Ministerpräsidenten aufzählen, zumal sich die Namen schneller ändern, als man sich vorstellen kann; die drei von mir Genannten sind ja nicht mehr Ministerpräsidenten -, ({22}) die Entlastung müsse 14 Milliarden DM betragen. Wir haben nur daran erinnert, daß auch die SPDMinisterpräsidenten diese Forderungen aufgestellt haben. Nichts anderes hat Stoiber in der Bundestagsdebatte gesagt. Aber CDU und CSU haben diese Zahl ausdrücklich nicht zur Meßlatte erklärt. Ich nenne Ihnen unsere Meßlatte - wir haben das immer gesagt, und das gilt auch eine Woche vor dem Europäischen Rat -: Es muß im Rahmen der Agenda 2000 gelingen - ich sprach vorhin davon, tiefer zu pflügen -, die Subsidiarität in Europa stärker zu verwirklichen. Wir kommen in Europa nicht weiter voran - auch die Ereignisse, die zum Rücktritt der Europäischen Kommission geführt haben, unterstreichen die Richtigkeit dieser These -, wenn wir nicht zu einer klareren Abschichtung der Aufgaben kommen und neu festlegen, wofür die europäische Ebene, die Mitgliedstaaten und die Regionen zuständig sind. Das nennt man Subsidiarität, und das ist die entscheidende Aufgabe. Genau an diesem Punkt haben Sie während der deutschen Präsidentschaft nicht gearbeitet und keinerlei Ergebnisse erzielt. Deswegen haben Sie zu oberflächlich gearbeitet. ({23}) Nur wenn wir hier Ergebnisse erzielen, haben wir auch die Chance, daß wir mehr Transparenz und mehr Kontrolle erreichen und daß in Europa die Gefahr geringer wird, daß es zu Mittelverschwendung und zu Korruption kommt. Deswegen ist die Verwirklichung des Subsidiaritätsprinzips so entscheidend, und deswegen fordern wir, daß wir einen neuen Verfassungsvertrag in Europa bekommen, weil wir nur auf diese Weise die Frage beantworten können, wer was in Europa entscheidet. Nur mit mehr Subsidiarität, mit klarerer Abschichtung zwischen Europa und den Mitgliedstaaten, ist das zu erreichen. Das war immer die Politik von CDU und CSU. Sie ist richtig und bleibt unsere Meßlatte für den europäischen Gipfel in Berlin. Wir erwarten von Ihnen, daß Sie wenigstens kleine Schritte in diese Richtung erzielen. Wenn Sie bei der Kofinanzierung nicht 50 Prozent erreichten, würden wir Sie nicht kritisieren. Aber daß Sie sie als Prinzip ganz aufgeben, ist grundfalsch, weil die Kofinanzierung eben ein Schritt in Richtung auf mehr Subsidiarität gewesen wäre. ({24}) Sie haben also die Präsidentschaft falsch eingeleitet und nichts zustande gebracht. Deswegen ist der jetzige Stand der Vorbereitung des Berliner Gipfels nach unserer Bewertung - das sage ich jetzt auch nach Ihrer Regierungserklärung - unzureichend. ({25}) Sie hätten mit den anderen Mitgliedstaaten erfolgreicher verhandeln können, wenn Sie nicht über Milliarden hin oder her diskutiert hätten. Über die Frage, wofür Europa und wofür die Mitgliedstaaten zuständig sind, kann man mit jeder französischen Regierung sehr intensiv, zukunftsbezogen und konstruktiv diskutieren. Nur, wenn man so albern redet, wie es Schröder gemacht hat, dann erreicht man mit Frankreich natürlich nichts. ({26}) Es geht bei der Agenda 2000 immerhin um die Kleinigkeit von 1 400 Milliarden DM bis zum Jahre 2006. Gemessen daran, Herr Bundesaußenminister, bewerten wir das, was jetzt an Vorbereitung erreicht ist, als ungenügend. ({27}) - Ja, natürlich. Es zeichnet sich doch nach dem jetzigen Stand ab, daß wir in Europa höhere Ausgaben bekommen, ({28}) gekoppelt mit mehr Bürokratie, weniger Effizienz und weniger Leistungen für Deutschland. ({29}) Das verstehen die Deutschen ganz gewiß nicht unter mehr Fairneß, was Beitragsgerechtigkeit in Europa anbetrifft. ({30}) Ich möchte das mit wenigen Beispielen illustrieren. Natürlich ist es schwierig, in der Agrarpolitik einen Kompromiß zu erreichen. Aber die Milchpreise um 15 Prozent zu senken und gleichzeitig die Milchquoten zu erhöhen, das ist ordnungspolitisch wie markttechnisch vollkommener Unfug. Dafür kann ich Herrn Funke nicht loben. ({31}) Bei Rindfleisch und Getreide die Preise zu senken und nur noch die Hälfte der Preissenkungen im Gegensatz zu bisherigen Verabredungen auszugleichen, das ist auch der falsche Weg. Deswegen wäre ein Einstieg in die Kofinanzierung besser gewesen. Nach dem jetzigen Stand müssen die deutschen Bauern bei einem Gesamteinkommen von etwa 10 Milliarden DM Einkommenseinbußen in der Größenordnung von 2 Milliarden DM hinnehmen. Das sind 20 Prozent, und darüber kann man nicht leichtfertig hinwegreden. Dann wollen Sie morgen im Bundesrat noch eine Steuererhöhung durchziehen, die die Landwirtschaft noch einmal mit 1,5 Milliarden DM belastet. Schließlich kommen bei der Ökosteuer noch 350 Millionen DM dazu. So zerstört man die Lebensfähigkeit der deutschen Landwirtschaft. ({32}) Ich will noch einmal sagen, warum wir in der Agrarpolitik eine bessere Aufgabenabschichtung brauchen. Wenn Preissenkungen in Europa unvermeidlich sind, dann muß man durch direkte Einkommensbeihilfen Ausgleich schaffen. Man muß der Bevölkerung im übrigen immer wieder sagen: Wir verlangen in Europa einen besseren Verbraucherschutz, als er weltweit Standard ist, ein höheres Niveau im Tierschutz, ein höheres Niveau im Umweltschutz. Das halten wir alle für richtig. Wenn wir der Landwirtschaft das alles auferlegen, dann müssen wir durch direkte Einkommensbeihilfen helfen, dieses höhere Niveau zu ertragen. Man kann es nicht nur zu Lasten der Landwirtschaft fordern. Deswegen ist eine Politik der Einkommensbeihilfen notwendig und richtig, um dieses höhere Niveau für uns alle in unserem Lande und in Europa zu erhalten. Diese direkten Einkommensbeihilfen kann man in Europa zwischen Lissabon und Helsinki nicht einheitlich regeln. Das wird nie gelingen. Deswegen ist die Subsidiarität, die klarere Aufgabenabschichtung, der richtige Weg. Die Kofinanzierung wäre ein Einstieg. Das haben Sie ohne Not trotz der Unterstützung durch die Mehrheit aller Mitgliedstaaten aufgegeben. Das werfen wir Ihnen vor. ({33}) Was machen Sie nach dem jetzigen Stand in der Strukturförderung? ({34}) - Herr Bundesaußenminister, Sie haben appelliert, und Ihr Gesichtsausdruck ließ darauf schließen, daß Sie es ernst meinten, als Sie sagten, wir sollten uns sachlich mit den Fragen auseinandersetzen. ({35}) Tun Sie mir den Gefallen und hören Sie zu! Unterhalten Sie sich jedenfalls nicht währenddessen! ({36}) - Aber im Parlament müssen Sie sich ein bißchen anständiger benehmen, als Sie sich als Schüler benommen haben. Das muß ich Ihnen sagen, weil Sie hier gerufen haben, Sie hätten sich schon in der Schule so verhalten. ({37}) Sie sind doch inzwischen auch feiner gewandet. ({38}) - Herr Präsident, ich übernehme eben Ihre Arbeit: Es geht nicht an, wenn der Oppositionsführer - ({39}) - Machen Sie nur! Jetzt will ich Ihnen einmal den Unterschied sagen, verehrter Herr Kollege Zwischenrufer: Wenn der Bundesaußenminster eine Regierungserklärung zur Europapolitik abgibt und dafür wirbt, daß man der Bedeutung der europäischen Verantwortung gerecht wird, und der Oppositionsführer darauf antwortet ({40}) und einige seiner Bitten erfüllt - er hat gesagt, ich solle klarstellen, daß wir nicht eine Verschiebung des europäischen Gipfels gefordert haben; das habe ich getan -, dann können Sie sich benehmen, wie Sie wollen. Das ist Ihre Sache. Aber von dem Vertreter der Bundesregierung auf dieser zwei Meter entfernten Regierungsbank erwarte ich, daß er sich gegenüber dem Parlament respektvoll verhält - nicht mehr und nicht weniger. ({41}) - Wir können ein bißchen warten. - Es ist übrigens nach den Regeln dieses Parlaments immer noch nicht erlaubt, von der Regierungsbank oder von der Bundesratsbank aus Zwischenrufe zu machen. ({42}) - Sie können es machen, wie Sie wollen; ich warte. Offenbar ist es die Aufgabe der Opposition, die Minimalrechte des Parlaments auch gegen die Mehrheit zu verteidigen. ({43}) - Ja, so ist das. Sie werden es ertragen. ({44}) Ich möchte gerne etwas zum Thema Subsidiarität im Zusammenhang mit Strukturpolitik und damit etwas zu einem anderen wichtigen Bereich der Agenda 2000 sagen. Wir sind - das haben wir, CDU und CSU, immer gesagt, als Helmut Kohl und Theo Waigel Regierungsverantwortung getragen haben, auch in der Opposition, völlig unverändert - immer bereit gewesen, zu akzeptieren, daß die Mittel der Europäischen Union für Regionalförderung in Deutschland zurückgefahren werden. Deswegen handeln wir nicht widersprüchlich, wenn wir klar eine Begrenzung des deutschen Beitrags fordern. Sie haben eine Beitragsrückführung und ein Ende der Scheckbuchdiplomatie und gleichzeitig europäische Beschäftigungsprogramme gefordert. Das war doch Herr Schröder und nicht die Opposition. Wir haben gesagt: Jawohl, wir sind bereit, eine Rückführung der Mittel der Regionalförderung auch für Deutschland zu akzeptieren. Aber das muß dann im Sinne der Aufgabenabschichtung mit einer größeren Zuständigkeit der Mitgliedstaaten und der Regionen für Regionalförderung verbunden werden: Regionalpolitik in eigener Verantwortung. Das ist der Punkt. Jetzt haben wir die Situation, daß die Mittel für Regionalförderung in Europa weiter erhöht werden sollen, daß sie für Deutschland überproportional zurückgeführt werden sollen. ({45}) Noch immer ist nicht geklärt, daß der Unfug aufgegeben werden soll, daß die Förderung ländlicher Räume in der Regionalpolitik in Europa kein Förderkriterium mehr sein soll. Offenbar wird noch immer daran festgehalten, daß nur noch städtische Ballungszentren gefördert werden sollen. Damit schwächen Sie den ländlichen Raum nicht nur über die Agrarpolitik, sondern auch über die Strukturpolitik. ({46}) Ich sage Ihnen: Ein Teil der Stabilität Deutschlands hat gerade damit zu tun, daß wir ein ausgewogenes Verhältnis zwischen ländlichen Räumen und städtischen Ballungszentren haben. Wer die Lebensfähigkeit der ländlichen Räume erhält, nützt auch den städtischen Ballungszentren. ({47}) Was die Finanzreform anbetrifft: Wir halten - wir haben das oft gesagt; noch immer ist nicht geklärt, daß das vermieden wird - die Neuregelung der Beiträge für richtig. Wir sind einig, daß das entsprechend dem Bruttoinlandsprodukt in Kaufkraft ausgedrückt werden soll. Wenn das erreicht wird, macht das 7,5 Milliarden DM aus. Dafür sind Sie doch auch; das können Sie uns nicht vorwerfen. Sie haben gesagt, wir sollen Sie unterstützen. Wir treten für die Finanzreform ein, aber wir sagen zugleich: Solange nicht eine Neuregelung der Beitragsfinanzierung erreicht ist, können die Ausgaben der Europäischen Union für die jetzigen Mitgliedstaaten in den kommenden Jahren nicht weiter gesteigert werden. Die Erhöhung der Mittel um 170 Milliarden DM bis 2006 für die jetzigen 15 Mitgliedstaaten ist angesichts der Riesenaufgabe der Osterweiterung der falsche Weg in die falsche Richtung. Deswegen lehnen wir das ab. ({48}) Noch falscher ist - durch den Rücktritt der Kommission der Europäischen Union wird das noch unterstrichen -, daß man für die Kommission eine Effizienzreserve, quasi zur freihändigen Vergabe, einführt. Man fördert doch, wenn man in Europa nicht klarere Zuständigkeiten und Regelungen erreicht, geradezu die Mittelverschwendung, wenn man für die Kommission zur freihändigen Vergabe noch eine Effizienzreserve einführt. Deswegen halten wir das für falsch und sagen: Versuchen Sie, das auf dem Berliner Gipfel zu verhindern. ({49}) Wenn ich davon gesprochen habe, daß wir eine Erhöhung der Mittel der Europäischen Union für die jetzigen 15 Mitgliedstaaten um 170 Milliarden DM vor allem deswegen für falsch halten, weil wir uns so nicht richtig auf die Osterweiterung vorbereiten, dann will ich den Satz hinzufügen: Die Osterweiterung ist entsprechend dem deutschen Interesse das Wichtigste. Auch darin stimmen wir überein, Herr Bundesaußenminister. Wir sind nicht in allem unterschiedlicher Meinung. Das muß auch gar nicht sein. Die Osterweiterung muß allerdings richtig und gut durchgeführt werden. Sie muß dazu beitragen - auch das will ich angesichts einer Debatte, die gestern geführt worden ist, sagen -, daß sich in diesem Prozeß alle auf diesem Kontinent wieder zusammenfinden. Das gilt auch für die deutschen Heimatvertriebenen. Der Beitritt von Polen, Tschechien und anderen osteuropäischen Staaten muß dazu führen, daß die Wunden von Krieg und Vertreibung geheilt werden. ({50}) Deswegen ist es schlimm und falsch, daß der Bundeskanzler schon wieder in Gutsherrenart in dem Gespräch mit dem tschechischen Ministerpräsidenten Zeman den Eindruck erweckt hat - Sie haben ja in den letzten Tagen verzweifelt versucht, das so zu interpretieren, daß es nicht mehr ganz so falsch erschien, wie es gewirkt hat -, man gehe jetzt großzügig über die Rechte der Vertriebenen und der Sudetendeutschen hinweg. Ich sage Ihnen: Keine deutsche Regierung hat das Recht, auf privatrechtliche Ansprüche von Vertriebenen zu verzichten. ({51}) - Das ist das Problem bei den Äußerungen des Bundeskanzlers. Er behandelt die Probleme ungefähr so wie der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Clement das Problem des Justizministers in Nordrhein-Westfalen. Das geht schief, und es schadet unserem Land. Deswegen sage ich Ihnen: Auf diesem Wege kommen wir in Berlin nicht zu den Ergebnissen, die wir brauchen. Ich sagte: Europa steht vor einer großen Herausforderung und steckt zugleich in der Krise. Krise und Herausforderung sind fast dasselbe; im Chinesischen haben Krise und Chance das gleiche Schriftzeichen. Deswegen bleibt die Aufgabe, Europa jetzt aus dieser Krise herauszuführen. Daher komme ich noch einmal auf folgenden Punkt zu sprechen: Wir haben in den 90er Jahren unter der Verantwortung von Helmut Kohl und Theo Waigel das vielleicht schwierigste Projekt europäischer Politik in diesem Jahrzehnt, den Beginn der Europäischen Währungsunion, zu einem Erfolg geführt, den viele nicht für möglich gehalten haben. Wir haben in jenen schwierigen Debatten, in denen Lafontaine, Schröder und andere jahraus, jahrein Wahlkampf und Demagogie quer durch deutsche Lande betrieben haben, immer Kurs gehalten. ({52}) Wir haben immer gesagt: Wenn es zu einem Konflikt zwischen der Einhaltung des Zeitplanes und der Einhaltung der Kriterien kommen sollte, dann wären wir eher dafür, den Zeitplan zu verschieben, als die Stabilität der europäischen Währung aufzugeben. ({53}) - Ja, wir haben gefordert, beides zu erreichen. Aber im Konfliktfall, Herr Kollege Haussmann - das war immer unsere gemeinsame Politik -, hat die Substanzerhaltung Vorrang gegenüber der Einhaltung des Zeitplans. Das gilt auch für die Agenda 2000 - nicht mehr und nicht weniger. Die Substanz geht vor. An der Substanz müssen sich der Erfolg des Berliner Gipfels und die Bundesregierung messen lassen. Ich möchte noch auf die Tatsache hinweisen, daß der deutsche Bundeskanzler und Ratspräsident vor dem Berliner Gipfel in seinem - zugegebenermaßen reichlich gefüllten - Terminkalender keine Zeit findet, mit dem deutschen Parlament über den Berliner Gipfel und den Stand der europäischen Politik zu diskutieren und hier Rede und Antwort zu stehen. ({54}) - Bundeskanzler Kohl war vor jedem Gipfel hier im Deutschen Bundestag. Das war schon wieder gelogen! ({55}) Wir haben Respekt davor, daß der deutsche Ratspräsident in dieser Woche die europäischen Hauptstädte besucht. ({56}) - Ja, natürlich. - Deswegen haben wir angeboten, die jetzige Debatte am Montag oder Dienstag der kommenden Woche zu führen. Das haben Sie abgelehnt. Wir haben kein Verständnis dafür, daß ein Bundeskanzler in den Wochen vor dem europäischen Gipfel zwar Zeit findet, stundenlang in Kaschmir und sonstigen Stoffen für Modezeitschriften zu posieren, ({57}) aber keine Zeit dafür hat, europäische Politik vor dem Forum der Nation zu vertreten und zu erläutern. Das zeigt die Substanzlosigkeit dieses Bundeskanzlers! ({58}) Europa - ich sagte das zu Beginn meiner Rede und will das zum Schluß wiederholen - ist das wichtigste und das beste Projekt deutscher Politik am Ende dieses Jahrhunderts bzw. an der Schwelle zum kommenden Jahrhundert. Dieses Europa voranzubringen ist aber angesichts der Probleme eine sehr große Aufgabe. Deswegen muß man die Substanz der europäischen Politik bewahren. Deshalb sollte man mit den Problemen so umgehen, daß sich die Menschen auch angesichts der Entwicklungen in Europa zu Hause fühlen. Dies gilt für die Heimatvertriebenen, die Landwirte und die Bevölkerung insgesamt, die nicht das Gefühl haben sollen, nur zu zahlen und immer weniger zu verstehen, was in Europa passiert. Behutsamkeit, Substanz in der Sache, Klarheit im Hinblick auf die Regelungen und vielleicht auch Zurückhaltung in der Sprache - man sollte nicht von Scheckbuchdiplomatie sprechen - sind besser. Diese Dinge kann man nicht dadurch ersetzen, daß man eine Show inszenieren läßt. Geschäftigkeit und Show reichen nicht aus. Wir werden den Erfolg des Berliner Gipfels und der deutschen EU-Präsidentschaft an der Substanz messen. Wir hoffen, daß gute Ergebnisse erzielt werden. Darin unterstützen wir Sie. Aber wenn Sie durch Show und Geschäftigkeit von der Substanz ablenken, dann werden Sie auf entschiedene Kritik der Opposition stoßen.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Kollege Schäuble, gestatten Sie noch eine Zwischenfrage des Kollegen Wieczorek?

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001938, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich habe soeben meine Rede beendet. ({0})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat nun Staatsminister Günter Verheugen.

Not found (Gast)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das Verfallsdatum der giftigen Rede, die wir gerade gehört haben, ist eine Woche und wenige Stunden, ({0}) und das Verfallsdatum der inhaltlichen Aussagen, die Sie, Herr Schäuble, gemacht haben, ist nicht einmal eine halbe Stunde. ({1}) Ich habe noch nie in diesem Haus eine Rede gehört, bei der nicht ein einziges Wort richtig war. Bei Ihrer Rede war das aber so. ({2}) Richtig in Ihrer Rede war nur eines, nämlich daß Europa wichtig ist. Alles, was Sie zum Stand, zur Vorbereitung, zum Ergebnis, zu den Zielen der derzeitigen Europapolitik gesagt haben, ist falsch. ({3}) Sie haben behauptet, Ihre Bundestagsfraktion und die beiden Parteien stünden geschlossen hinter dem Ziel, das Reformprojekt jetzt abzuschließen. Herr Dr. Schäuble, hier sind Agenturmeldungen von heute mit der Überschrift: Stoiber verlangt Verschiebung der Entscheidung über Agenda 2000. - Hier habe ich das; es ist von heute. ({4}) Ich erwarte von Ihnen, Herr Dr. Schäuble, daß Sie sich beim Bundesaußenminister für den Vorwurf der Lüge entschuldigen, und zwar so schnell wie möglich. ({5}) Sie haben Ihren Laden nicht im Griff. Sie wissen nicht, was Ihre eigenen Abgeordneten im Europaausschuß hören und was sie dort sagen. Sie wissen nicht, was gestern im Europaausschuß des Bundesrates gesagt worden ist. Sie wissen nicht, was zwischen der Bundesregierung und den Ministerpräsidenten der Länder besprochen worden ist. Wüßten Sie es nämlich, dann könnten Sie nicht einen einzigen von den Vorwürfen, die Sie erhoben haben, aufrechterhalten. Ich stelle fest, Herr Abgeordneter Dr. Schäuble: Erstens - das ist heute schon erkennbar - wird die Agenda 2000 auf dem Gipfel in Berlin fristgerecht verabschiedet werden, und zwar handelt es sich dabei um einen Termin, den Sie mit Ihrer Regierung im vergangenen Jahr, im Juni, festgelegt haben. Sie haben das erzeugt, was Sie selber jetzt als unziemlichen Termindruck bezeichnen lassen oder bezeichnen. Aber wir halten diesen Termin ein. Zweitens. Das Ergebnis der Beratungen in Berlin wird nicht die Bestätigung des Vorschlags der Kommission zur Agenda 2000 sein, auf den Sie die ganze Zeit Bezug genommen haben, auch mit den Horrorzahlen, die Sie verbreitet haben, um die Kolleginnen und Kollegen erschaudern zu lassen und das deutsche Volk zu erschrecken. Vielmehr wird über den derzeitigen Vorschlag der Präsidentschaft verhandelt, der in seinen finanziellen Auswirkungen um zig Milliarden unter dem liegt, was die Kommission vorgeschlagen hat. Das Sparziel in der europäischen Politik für die nächsten sieben Jahre wird erreicht werden. Der Anteil der Bundesrepublik Deutschland an den Nettoleistungen, den wir, gemessen an unserem eigenen Bruttosozialprodukt, für Brüssel erbringen müssen, wird zurückgehen, Herr Schäuble. Das können wir bereits heute sagen. ({6}) Wir werden auch erreichen, daß das Gesamtpaket so ausgewogen gestaltet wird, daß das Reformziel der Agenda 2000 erreicht wird: mehr Effizienz, mehr Flexibilität, übrigens auch mehr Transparenz, mehr Gerechtigkeit, mehr Zielgenauigkeit. Das ermöglicht eine Vorbereitung auf die großen Aufgaben, die in Europa vor uns stehen. Ich weise die Vorwürfe mit aller Entschiedenheit zurück - Sie, Herr Schäuble, haben sich diesen Vorwürfen angeschlossen -, die interessengeleitet aus einer bestimmten europäischen Hauptstadt im Hinblick auf die Art und Weise der Handhabung der deutschen Präsidentschaft gekommen sind. Sie, Herr Schäuble, können sich nicht vorstellen, daß in einer Phase der Verhandlungen, in der ein bestimmtes Mitgliedsland seinen Beitrag zum Gelingen des Gesamtkompromisses leisten muß, sich dieses Land vielleicht wehrt, indem es sagt: Deutschland verfolgt zu sehr seine eigenen Interessen. Ich erwarte in einer solchen Situation, daß der Deutsche Bundestag, daß alle demokratischen Parteien und Fraktionen geschlossen hinter ihrer Regierung stehen. ({7}) In ganz Europa, von Finnland bis nach Lissabon, ist die Lage völlig anders als hier. Dort stehen alle Parteien und die gesamte Öffentlichkeit hinter den Zielen, die ihre jeweilige Regierung im Zusammenhang mit der Agenda 2000 verfolgt. Nur hier, in der Bundesrepublik Deutschland, ist das anders. Ich möchte Sie an Ihre nationale Verantwortung erinnern, meine Damen und Herren von der CSU und von der CDU. ({8}) Verhalten Sie sich so, wie wir uns verhalten haben, ({9}) als der damalige Bundeskanzler Kohl unter ganz anderen finanzpolitischen Bedingungen Europapolitik gemacht hat. Das hat es nie gegeben: daß die SPD der Bundesregierung in einer schwierigen Phase der Europapolitik in den Rücken gefallen ist, so wie Sie das bei der jetzigen Bundesregierung tun. ({10}) Sie schaden mit der Art und Weise, wie Herr Dr. Schäuble diese Debatte heute begonnen hat, den deutschen Interessen zutiefst. ({11}) Sie erschweren die Verhandlungsposition. Ich sage Ihnen: Die Beamten aus den Ministerien, die diese Verhandlungen vorbereiten, leisten eine großartige Arbeit, Tag und Nacht. Ich stelle mich ausdrücklich hinter die Beamten, die Sie mit angegriffen haben. ({12}) Der Bundeslandwirtschaftsminister hat im Agrarrat einen Kompromiß zustande gebracht, wie Sie das während Ihrer ganzen Regierungszeit nie geschafft haben. An Hand eines Beispieles will ich Ihnen einmal aufzeigen, was Sie geschafft haben. Sie haben während Ihrer Regierungszeit für den Bereich Rindfleisch folgendes verabredet: Frankreich bestreitet zwar 22 Prozent der Rindfleischproduktion in Europa, bekommt aber 27 Prozent der Prämien, während Deutschland bei 19 Prozent der Produktion 11 Prozent der Prämien bekommt. ({13}) Das haben Sie während Ihrer Regierungszeit verabredet. Ich kann die Beispiele noch fortsetzen: Bundeskanzler Kohl hat - übrigens aus Gründen, die ich nicht für falsch halte und gar nicht kritisieren möchte - im Zusammenhang mit dem Delors-II-Paket Kohäsionsfonds für die ärmeren Länder des Südens eingeführt. ({14}) - Aber wissen Sie, was Sie nicht getan haben, Herr Altbundeskanzler Kohl? Sie haben nicht dafür gesorgt, daß es bei diesen Kohäsionsfonds einen Korrekturmechanismus gibt. Wir müssen jetzt mühsam versuchen, das einzuführen, damit wenigstens die durch die Milliardenzahlungen aus dem Kohäsionsfonds erreichten Fortschritte in die zukünftigen Zahlungen einbezogen werden. Das ist nämlich nicht der Fall; das haben Sie nicht verhandelt. Um Ihnen noch ein Beispiel zu geben: Sie haben seinerzeit einem Rabatt für Großbritannien zugestimmt. Ich will auch das nicht kritisieren. Die Lage in der Europäischen Union war damals entsprechend. Dieser Rabatt für Großbritannien beläuft sich heute auf immerhin 8 Milliarden DM pro Jahr - obwohl sich die Verhältnisse vollkommen geändert haben. Daß mit diesem Rabatt etwas geschehen muß, weiß jeder. Aber Sie haben es damals versäumt, eine zeitliche Begrenzung der Ermäßigung oder wenigstens eine Revisionsklausel zu verhandeln. All das, was wir heute an Belastungen vorfinden, ist während Ihrer Regierungszeit so verhandelt worden, daß es in Brüssel nur einstimmig, nur mit Zustimmung der Betroffenen, geändert werden kann. Und jetzt kommen Sie daher und behaupten, hier werde schlecht verhandelt. Wissen Sie, Herr Schäuble, eigentlich, was der Bundeskanzler in dieser Woche mit den anderen Regierungschefs in Vier-Augen-Gesprächen verhandelt? - Sie können es überhaupt nicht wissen. Wir sind jetzt in einer Phase, in der die Elemente eines Kompromisses in vertraulichsten Verhandlungen zwischen den Regierungschefs vorbereitet werden. Fragen Sie doch einmal Ihren früheren Bundeskanzler, wie er solche Gipfel vorbereitet hat, ob er mit seinen Kollegen Regierungschefs in Europa das, was verabredet wurde, auf dem Markt ausgebreitet hat. Wenn Sie das tun, können Sie keine Europapolitik mehr beteiben. Die Präsidentschaft beinhaltet die Pflicht, Sachwalter der europäischen Interessen zu sein. Dabei müssen wir, so gut es geht, die deutschen Interessen wahren. Das ist nur dann möglich, wenn die Gespräche mit den anderen Regierungen auf einer Ebene des Vertrauens und des Verständnisses stattfinden. Wenn die Gesprächspartner des Bundeskanzlers in dieser Woche befürchten müßten, daß Andeutungen von Konzessionen und mögliche Bewegungen, die sie vollziehen, sofort auf dem öffentlichen Markt diskutiert werden, dann erreichen Sie nichts. Tun Sie doch nicht so, als kennten Sie die einfachsten Grundregeln der internationalen Diplomatie und Verhandlungsführung nicht! Warten Sie ab, was in Berlin herauskommt, bevor Sie hier ein Urteil darüber abgeben! ({15}) Was in Berlin herauskommen wird, ist notwendig, um die Voraussetzungen für die Lösung der großen Probleme, die wir in Europa haben, zu schaffen. Denn die Agenda 2000 ist im Grunde ein mehr technisches Paket. Die eigentlichen politischen Aufgaben, mit denen die großen politischen Ziele verfolgt werden, kommen erst danach, nämlich dann, wenn wir den Finanzrahmen sichergestellt haben, wenn wir sichergestellt haben, daß wir uns auf die wirklich wichtigen Aufgaben konzentrieren, wenn ein Stück mehr Beitragsgerechtigkeit - mehr als das ist nicht zu erwarten - hergestellt wurde. Auch hier bitte ich sehr darum, nicht zu vergessen, daß dies keine rein deutsche Position ist. Ich sage das vor allen Dingen an die Adresse anderer Mitgliedstaaten. Schweden, Österreich, die Niederlande vertreten in dieser Frage eine viel, viel härtere Position als Deutschland; sie können es auch, weil sie nicht unter dem Zwang stehen, einen Kompromiß vorlegen zu müssen. Glaubt denn irgend jemand, wir hätten es uns ausgesucht und wären glücklich darüber, daß wir ein wirklich wichtiges, unverzichtbares deutsches Ziel auf europäischer Ebene gerade dann durchsetzen müssen, wenn wir selber die EU-Ratspräsidentschaft haben? Diesen Zeitplan haben nicht wir gemacht. Dieses Vorgehen ist unvermeidbar. Wann, wenn nicht jetzt, sollen wir diese Diskussion führen? Die nächste Finanzdiskussion findet im Jahre 2006 statt. Wenn jetzt nichts passiert, wenn alles so weitergeht wie bisher, dann wird die Nettozahlung Deutschlands an die EU im Jahre 2006 weit über 30 Milliarden DM betragen. Diese Entwicklung muß jetzt gestoppt werden. Wir können nicht zulassen, daß unsere Haushaltskonsolidierung auf der europäischen Ebene konterkariert wird. Wenn wir ein Stück mehr Beitragsgerechtigkeit erreicht haben - ich glaube, wir werden das schaffen -, dann kommen die nächsten großen Schritte. Für den Gipfel in Köln ist der Einstieg in die notwendigen institutionellen Reformen vorgesehen. Da geht es zunächst um die Reformen, die wir brauchen, um die Erweiterung vollziehen zu können, also die Zusammensetzung der Kommission, Mehrheitsverfahren im Rat - eine ganz wichtige, schwierige Frage - und die Stimmengewichtung. Wir müssen die institutionelle Diskussion in Europa ein gutes Stück weiterführen. Es reicht nicht aus, sich auf diese Fragen zu konzentrieren. Die Menschen in Europa erwarten jetzt, daß wir ihnen eine Antwort auf die Fragen geben: Wo wollen wir eigentlich hin? Welche Art von Verfassung soll Europa eigentlich haben? Wie schaffen wir ein System von „checks and balances“ zwischen den Institutionen? Dieses Verhältnis ist gestört; das ist gar keine Frage. Wodurch ist es gestört? ({16}) Es ist gestört durch das Europäische Parlament, das noch immer zu wenige Rechte hat, und durch eine Kommission, die in den letzten zehn Jahren einen gigantischen Machtzuwachs erfahren hat. Schauen Sie sich einmal an, was die Kommission vor zehn Jahren tun durfte, welche Mittel ihr damals zur Verfügung standen und was sie heute tun kann. Die Kommission hat heute dadurch Macht und Einfluß in Europa, daß sie die Herrin über gewaltige Mittel ist. Dem stehen keine entsprechenden demokratischen Kontrollen und vor allen Dingen kein entsprechendes Transparenzerfordernis gegenüber. Das alles müssen wir schaffen. Wir müssen die Frage beantworten: Wie schaffen wir ein demokratisches Europa, ein transparentes Europa und ein effizientes Europa? Ein weiteres Thema auf dem Gipfel in Köln ist die europäische Außen- und Sicherheitspolitik. Auch hier wird die deutsche EU-Ratspräsidentschaft erfolgreich sein können. Bereits heute zeichnet sich ab, daß wir einen großen Schritt nach vorn tun können in dem Ziel, Europa handlungsfähig zu machen: im Krisenmanagement und in der Krisenprävention. Es ist wichtig, über Geld zu reden. Wir reden hier wahrlich nicht über Peanuts. Aber es ist vielleicht fast noch ein bißchen wichtiger, darüber zu reden, wie wir in Europa die Voraussetzungen dafür schaffen, daß wir unser eigenes Haus Europa in Ordnung halten können. Wir werden auf dem Gipfel in Köln auch hier ein gutes Stück vorankommen. Wir treiben die Erweiterung voran. Wir haben das Tempo des Erweiterungsprozesses deutlich beschleunigt. Die Ergebnisse sind sehr zufriedenstellend. Wir können erkennen, daß die Erweiterung gelingen wird. Wir können heute auch schon erkennen, daß die gewählte Strategie in einer Reihe von europäischen Staaten dazu geführt hat, daß die Transformationsprozesse ernsthaft und auch erfolgreich vorangehen. Ich war gerade in Lettland und in Litauen. Ich bin sehr beeindruckt von den Bemühungen, die die Regierungen und die Parlamente dort unternommen haben. Ich bin sicher: Diese Bemühungen wären nicht möglich gewesen und sie könnten von den dort lebenden Menschen nicht getragen werden, wenn es nicht die Perspektive der Mitgliedschaft in der Europäischen Union gäbe. Das ist ein sehr wichtiger Punkt. Diejenigen, die die Zusammenhänge kennen, werden wissen, was ich damit meine. Mehr kann ich dazu nicht sagen, außer: Wir müssen jetzt darauf achten, daß die Spielregeln nicht geändert werden; denn das Spiel hat bereits begonnen. Das heißt, wir müssen darauf bestehen, daß jedes einzelne Land individuell nach seinen Fortschritten, nach seinen Bemühungen, nach seinen Erfolgen behandelt wird. Das gilt sowohl für den Vollzug des Beitritts als auch für den Beginn neuer Beitrittsverhandlungen. Das sind die Spielregeln gewesen, die in Luxemburg vereinbart wurden. Ob man sie für gut hält oder nicht, spielt überhaupt keine Rolle mehr. Sie sind vereinbart, sie gelten. Die europäischen Partner - diejenigen, die Mitglied werden wollen - orientieren sich daran. Wir dürfen die Regeln jetzt nicht ändern. Am Ende dieses Jahres sind Entscheidungen bezüglich der Aufnahme von weiteren Verhandlungen fällig. Ein letztes Wort zu der personellen Situation. Hier muß ich in der langen Liste der Fehler in der Rede von Herrn Schäuble noch etwas richtigstellen. Der Bundeskanzler hat das, was Sie, Herr Schäuble, dargestellt haben, nicht gesagt. Zufälligerweise stand ich neben ihm, als er sich zu der Frage geäußert hat, wie wir mit dieser Krise, die durch den Rücktritt der Kommission ausgelöst worden ist, umgehen. Er hat schlicht und einfach erst einmal das festgestellt, was in Art. 159 des EGVertrags steht. Dort steht: Die Kommission bleibt „im Amt“. Dort steht nicht „führt die Geschäfte weiter“, wie immer falsch dargestellt wird. Die Kommission, die wir jetzt haben, ist nicht eine eingeschränkte Kommission. ({17}) Sie ist im Amt geblieben. Es wäre anders, Herr Schäuble, wenn das Parlament die Kommission gestürzt hätte. Dann wäre sie geschäftsführend im Amt. Jetzt kommt es darauf an, daß wir uns mit den anderen europäischen Regierungen zunächst auf ein Verfahren hinsichtlich der Frage verständigen, ob eine Interimskommission eingesetzt wird oder jetzt die Kommission vorgeschlagen wird, die dann auch die folgenden fünf Jahre im Amt sein soll. Man muß erst diese Frage beantworten, bevor man sich der Personalfrage zuwenden kann. Auf dem Gipfel in Berlin wird zu entscheiden sein, wie man das macht. So ist es auch vorgesehen. Ich weiß aus den Gesprächen, die der Bundeskanzler in dieser Woche geführt hat, daß eine Einigungsmöglichkeit besteht. Relativ schnell danach wird man dann als Konferenz der Regierungschefs der Mitgliedsländer der Europäischen Union - das ist wieder ein anderes Gremium - zusammenkommen und einen Vorschlag machen können. Wir sollten als Deutsche sehr darauf achten - damit möchte ich schließen -, daß wir an die Spitze der Kommission einen Mann oder eine Frau berufen, der bzw. die Reformwillen, Reformfähigkeit, tiefe europäische Überzeugung und auch europäische Überzeugungsfähigkeit gegenüber den Menschen mitbringt. Kommissionspräsidenten waren immer wichtig. Aber ich glaube, daß in der Situation, in der wir jetzt sind, die wichtigste Personalentscheidung zumindest der letzten Jahre in der Europäischen Union vor uns steht. Auch eine solche Entscheidung muß gründlich vorbereitet sein. Sie muß im Konsens mit den anderen Mitgliedstaaten erfolgen. Es hat überhaupt keinen Zweck, Namen auf dem öffentlichen Markt auszubreiten. Namen, die jetzt genannt werden, sind verbraucht und verbrannt. Deshalb rate ich hier zu großer Zurückhaltung. Lassen Sie mich zusammenfassend feststellen: Die deutsche Präsidentschaft hat nach wenigen Wochen die Voraussetzungen dafür geschaffen, daß alle die Reformaufgaben, die Europa in diesem halben Jahr lösen muß, bewältigt werden können. Ich bin zuversichtlich, daß wir mit der Unterstützung des Hauses - ich werbe um Unterstützung auch der Opposition - auch die Zustimmung der Menschen in Deutschland und Europa für diesen Weg finden werden. ({18})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort für die F.D.P.-Fraktion hat Kollege Helmut Haussmann.

Prof. Dr. Helmut Haussmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000836, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Deutschland hat die EU-Ratspräsidentschaft. Die Bürger erwarten von dieser Präsidentschaft, daß die europäische Integration voranschreitet, daß die neue europäische Währung stabil bleibt und daß die Reformer in Osteuropa sicher sein können, heim nach Europa zu kommen. Wir haben soeben eine Bundesregierung erlebt - sie ist auf der Regierungsbank noch in Abstimmungsgesprächen -, die wenig souverän und sehr aggressiv ist. Die Bundesregierung macht einen sehr angeschlagenen Eindruck. Insofern, Herr Verheugen, erwarten wir jetzt auch nicht viel. Ich sage Ihnen gleich, was wir vom Verhandlungsstand der Agenda 2000 wissen. Die Agenda 2000 ist in der uns jetzt bekannten Form nicht zustimmungsfähig, Herr Fischer. Nicht, daß wir uns mißverstehen! ({0}) Es darf nicht einen Kompromiß um jeden Preis geben, nur weil wir eine extrem schwache Präsidentschaft haben. Sie müssen mehr liefern, Sie müssen mehr zeigen! Denn den Osteuropäern, dem Euro und den Bürgern in Deutschland ist nicht damit gedient, daß eine angeschlagene deutsche Bundesregierung verhandelt - im übrigen ohne den wichtigsten Fachminister; das hat bisher ja noch keine Rolle gespielt. ({1}) Das Aparte war, daß der Finanzminister bei der entscheidenden Sitzung des Ecofin-Rats am Montag gar nicht mehr da war. Der Wirtschaftsminister, dem vorher die Europakompetenz weggenommen wurde, mußte als Ersatzmann in die Bresche springen. Natürlich kann man nicht erwarten, daß die anderen europäischen Finanzminister von einer solchen Verhandlungsführung der deutschen Präsidentschaft sehr beeindruckt sind. ({2}) Wir sind also nicht nur in einer Krise der europäischen Einrichtungen, sondern auch in einer Krise der deutschen Präsidentschaft. Es heißt - so hört man, wenn man mit Fachleuten redet -: So billig waren mit einer deutschen Regierung Kompromisse noch nie zu bekommen. ({3}) Das ist die Wahrheit; das ist nicht gut für Europa, und das ist auch nicht gut für Deutschland. Herr Fischer, Sie wollen ja den Vergleich: Im Jahr 1998 haben wir den Euro unter der Regierung Kohl, Kinkel und Waigel vollendet. Ihre Fraktion - das sollte man am heutigen Tag nicht vergessen - hat gegen den Vertrag von Maastricht gestimmt. Jetzt aber sagen Sie immer: Wir waren von Anfang an dabei. Ihre Restfraktion im Deutschen Bundestag hat dem Vertrag von Maastricht nicht zugestimmt. Wenn Sie sich heute so freuen, daß das Europäische Parlament endlich von seinen Rechten Gebrauch gemacht hat, dann erinnern Sie sich doch bitte auch daran, daß die Fraktion der Grünen dem Vertrag von Amsterdam nicht zugestimmt hat. ({4}) - Sie haben dem nicht zugestimmt, Herr Schlauch. Das kann jeder im Protokoll nachlesen. Ohne den Vertrag von Amsterdam gäbe es diese Rechte des Europäischen Parlaments überhaupt nicht, und deswegen hätte die Kommission auch nicht abgelöst werden können. So ist die Wahrheit. ({5}) An dieser Stelle möchte ich auf das zurückblenden, was im Januar passiert ist. Im Januar waren die gravierenden Vorwürfe gegen die sozialistische Kommissarin Frau Cresson bereits wohlbekannt. Es gab einen Antrag der liberalen Fraktion in Straßburg, für den eine Zweidrittelmehrheit notwendig gewesen wäre. Durch die Intervention des Bundeskanzlers Schröder hat das Parlament - vor allem die große Fraktion der Sozialisten dem nicht zugestimmt. Frau Green, die sich jetzt an die Spitze der Kritiker stellt, war diejenige, die die Ablösung von Frau Cresson verhindert hat. ({6}) Wäre man damals den Liberalen im Europaparlament gefolgt, dann wäre Frau Cresson zurückgetreten, und wir hätten heute zumindest noch eine handlungsfähige Kommission, was bei der Agenda 2000 entscheidend ist. In Deutschland haben wir keinen Finanzminister mehr, und in Brüssel haben wir keine Kommission mehr. Das ist der Tatbestand. Als Europäer kann man in dieser Situation eigentlich nur traurig sein. Das alles bringt parteipolitisch nicht viel, weil die Wähler nicht unterscheiden. Sie sagen, die Kommission müsse zurücktreten, in Brüssel gebe es ohnehin nur Vetternwirtschaft und Korruption, und deshalb seien sie im Grunde gegen Europa. Sie sind leider nicht so weit, daraus den Schluß zu ziehen: Aus dieser Lage kommen wir nur durch eine höhere Wahlbeteiligung und durch ein stärkeres Europäisches Parlament heraus. Das wäre aber der richtige Ansatz. Zur Agenda 2000. Angefangen hat das ganze Unternehmen mit Herrn Schröder, der gesagt hat: Jetzt komme ich, und jetzt werden die deutschen Beiträge richtig gesenkt! Was vorher gemacht wurde, lief immer über das Geld, das war reine Scheckbuchdiplomatie! Wir ändern das sofort! - Das erklärt den Erwartungshorizont der Bürger in Deutschland. Ich kann Ihnen nur sagen: Wer als Tiger so abgesprungen ist, landet noch nicht einmal auf dem, sondern unter dem Bettvorleger. ({7}) Der entscheidende Punkt ist heute, daß die Regierung von Woche zu Woche ihr Verhandlungsziel minimiert. Im Jahr 2002, so hören wir jetzt, soll die Umstellung erfolgen. ({8}) Herr Fischer und Herr Verheugen, die einzig reale Verbesserung wäre nur durch eine Kofinanzierung erreicht worden. Diese haben Sie ohne Gegenleistung aus der Hand gegeben, weil Sie vorher unfähig waren, mit Frankreich einen Kompromiß zu erzielen. ({9}) Das lag vor allem daran, daß Herr Trittin das Verhandlungsklima zwischen Bonn und Paris so zerstört hat, daß man in Paris klar gesagt hat: In dieser Lage sehen wir überhaupt keinen Anlaß, die deutsche Präsidentschaft zu unterstützen. ({10}) Das hat jetzt zu dem Ergebnis geführt, daß die Bauern große Veränderungen hinnehmen müssen. Dabei möchte ich ausdrücklich darauf hinweisen: Sie müssen jetzt ihre Produkte 20 Prozent unter den Weltmarktpreisen verkaufen. Ich kann beurteilen, was das zum Beispiel für die Bauern auf der Schwäbischen Alb bedeutet und wie hoch ihre Einkommensverluste sind. Die deutschen Landwirte zeigen eine große Bereitschaft, im Interesse Europas zu handeln. Aber wenn Sie sich bezüglich der Kofinanzierung durchgesetzt hätten, dann hätten wir heute Instrumente, mit denen bäuerlichen Betrieben in den strukturschwachen Gebieten direkt geholfen werden könnte. ({11}) Insofern gibt es zwei Nachteile: Der deutsche Beitrag ist nicht effektiv gesunken. Man redet heute elegant von realer Konstanz. Was heißt denn reale Konstanz? Wir sparen nichts ein, wie Herr Schröder angekündigt hat, sondern bewegen uns auf dem bisherigen hohen Niveau. ({12}) - Entschuldigen Sie, Herr Verheugen, im Jahr 2002 wenn Sie zum Glück nicht mehr im Amt sein werden - ({13}) - Ich bin nicht umfragegläubig, Herr Schlauch. Man braucht keine Umfragen, sondern muß sich nur im Land umhören und vor Augen führen, welches Chaos Sie in so kurzer Zeit angerichtet haben und wie uneinsichtig Sie sich gegenüber Mittelständlern und Selbständigen sowie in der Steuerpolitik gezeigt haben, um zu wissen, daß es keine vier Jahre mehr dauern wird, bis diese Regierung abgelöst ist. Das wäre nicht nur für Deutschland, sondern auch für Europa ein großer Fortschritt. ({14}) Zum Schluß möchte ich drei Forderungen aufstellen: Wir brauchen möglichst rasch eine neue EUKommission. ({15}) Wenn es der Bundesregierung gelingen sollte, Herrn Prodi zu gewinnen und die Verabschiedung eines Strukturprogramms bis zum Jahre 2005 zu erreichen, dann wäre dies ein großer Fortschritt. Ich glaube, daß dies in der kurzen Zeit so nicht möglich sein wird. Wir sind aber in jedem Fall der Meinung, daß sich auch die sogenannte Übergangskommission von jetzt an bis zum Jahre 2000 nach den Bestimmungen des neuen Vertrages von Amsterdam wählen lassen sollte. Das heißt, Sie sollten nicht versuchen, die Schwächen des alten Vertrages von Maastricht auszunutzen. Auch die Übergangskommission sollte die Zustimmung des Europäischen Parlaments einholen. Hier kann ich Ihnen nur die Empfehlung geben, Ihre koalitionspolitischen Spiele bei der Besetzung der Kommission zu überdenken; denn nach dem neuen Vertrag von Amsterdam brauchen Sie eine Zustimmung aller Beteiligten. Es läuft nicht mehr nach dem Motto: Wir schicken Herrn Trittin nach Brüssel, weil er vorher in der Bundesregierung angeeckt ist. Es läuft auch nicht mehr nach dem Motto: Wir lösen die Probleme der Grünen mit der Frauenquote, indem die Männer in Bonn die Politik machen und die Frauen nach Brüssel geschickt werden, weil das gut genug für sie ist. Nach der jetzigen Krise lassen sich die Probleme der Europäischen Kommission so nicht mehr lösen. ({16}) - Das ist ein wichtiger Punkt. Herr Bangemann ist durch die Untersuchungsergebnisse bezüglich der Vorgänge um die EU-Kommission in keiner Weise belastet worden. ({17}) - Regen Sie sich ab. Ich kann Ihnen nur sagen: Herr Bangemann hat gegen Ihren Widerstand dafür gesorgt, daß es durch die Liberalisierung der Märkte heute in Deutschland und in Gesamteuropa Wettbewerb im Telekommunikationsbereich gibt. ({18}) Er hat eine Menge bewegt. Leider ist Frau Wulf-Mathies nicht frei von Vorwürfen. Es wird interessant sein, zu erfahren, ob Sie an ihr festhalten. Ich bin der Meinung, daß auch die Übergangskommission nur aus Kommissaren bestehen sollte, die völlig unbelastet sind. ({19}) Sie würden der Europawahl einen Tort antun, wenn Sie Karrierewünschen einiger folgten. Ein letzter Punkt, meine Damen und Herren: Wenn Sie das finanzielle Ergebnis der Agenda 2000 nicht nachbessern, wird sie nicht zustimmungsfähig sein. Das einzig Positive an dieser Krise ist, daß das Europäische Parlament zum erstenmal in seiner Geschichte zeigen konnte, daß es über eine Machtkontrolle verfügt, was hoffentlich bewirkt, daß die Wahlbeteiligung in Deutschland bei der Wahl des Europaparlamentes steigt. Vielen Dank. ({20})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Als nächster Redner hat der Kollege Rezzo Schlauch vom Bündnis 90/Die Grünen das Wort. ({0})

Rezzo Schlauch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002777, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Kollege Haussmann, nach Ihrer Rede kann man nur feststellen: Es verwundert nicht, daß Ihre Partei gar nicht im Europaparlament vertreten ist. ({0}) Ich glaube auch nicht, daß Sie dadurch im Juni den Einzug in das Europaparlament schaffen werden. ({1}) Der 24. und 25. März werden für Deutschland äußerst wichtige Daten sein. Auf dem Sondergipfel der europäischen Staats- und Regierungschefs nächste Woche in Berlin werden die Weichen für Europas Zukunft gestellt. Es gilt, dort die Verhandlungen über die Agenda 2000 zum Erfolg zu führen. Die Agenda 2000 ist nämlich nicht nur ein Haushaltsplan für die Europäische Union, sondern der Schlüssel zur Osterweiterung der EU. Eine reformierte Finanzverfassung, wie sie in der Agenda formuliert ist, eröffnet den mittel- und osteuropäischen Beitrittskandidaten eine konkrete Perspektive. ({2}) Wir wollen den Beitritt dieser Länder. Wir wollen eine Erweiterung der Europäischen Union. Die Regierung Schröder/Fischer setzt mit ihrem Einsatz für den Erfolg des Berliner Gipfels das fort, was unter Konrad Adenauer mit der Gründung der Europäischen Gemeinschaft im Jahre 1957 begonnen wurde und bis heute von allen Regierungen und den breiten Mehrheiten dieses Hauses getragen wurde. Sie aber, meine Damen und Herren von der CDU/CSU, stellen heute diesen breiten Konsens zur Disposition. Sie stellen die außenpolitische Verläßlichkeit unseres Landes in Frage. Ihnen sind die tagespolitischen und parteipolitischen Profilierungen wichtiger als die vorrangigen wirtschaftlichen, kulturellen und sozialen Interessen der Bundesrepublik an einem vereinigten Europa. ({3}) Herr Kollege Schäuble, in diesem Zusammenhang zitiere ich den Geschäftsführer des BDI, auf den Sie sich normalerweise gerne berufen, aus einer Presseerklärung vom 14. März, in der erklärt wird: In diesem Zusammenhang kritisierte der BDIGeschäftsführer auch die Forderung der Bonner Opposition, - hören Sie jetzt genau zu! den deutschen Nettobetrag um 14 Milliarden DM zu reduzieren. Es sei kurzsichtig, wenn die CDU in dieser Frage jetzt auf den populistischen Kurs von CSU-Chef Edmund Stoiber einschwenke. So weit der BDI. Dies spricht eigentlich für sich. ({4}) Herr Schäuble, Europa schaut auch auf Sie. Unsere Partner wollen wissen, ob die Union zum europäischen Erbe von Helmut Kohl steht oder nicht. Die Stärke der deutschen Europapolitik war nämlich, daß sie sich bislang immer auf breite Mehrheiten im Inland stützen konnte. Was Sie heute betreiben, schwächt unsere Position und schadet somit denjenigen, für die Sie vorgeben, sich einzusetzen. Herr Schäuble, das, was Sie heute hier geboten haben, ist an Ignoranz nicht zu überbieten, ({5}) und zwar deshalb, weil Sie den Außenminister und diese Regierung der Lüge bezichtigen. Ich zitiere die „ADN“ vom 17. März: Bayerns Ministerpräsident Edmund Stoiber ({6}) hält es für falsch, ohne eine legitimierte Kommission eine Entscheidung über die Agenda 2000 zu treffen. Des weiteren: Die Agenda 2000 könne deshalb von deutscher Seite zur Zeit nicht verhandelt werden. Unter diesen Umständen halte er es für fahrlässig, jetzt die Architektur Europas für die nächsten sieben Jahre mit einem Volumen von 1 400 Milliarden DM abzuschließen. Und weiter - Union bzw. CSU für „Gipfel verschieben“ - : Führende CSU-Politiker - das haben Sie vorhin wider besseres Wissen bestritten sprachen sich indessen für einen Stopp des Reformpakets Agenda 2000 aus. Der bayerische Ministerpräsident Edmund Stoiber ({7}) forderte den vorläufigen Stopp. Auch der Münchner Staatskanzleichef Erwin Huber ({8}) verlangte, den Berliner Gipfel zu verschieben. Was haben Sie vorhin hier vorgetragen? Sie haben gesagt, das sei eine Lüge. Daß das nicht so ist, ist hiermit nachgewiesen. Ich habe Sie aufzufordern, diese Beschuldigung gegen die Regierung zurückzunehmen. ({9}) Nehmen Sie die Situation der Bauern. Wer so wie der ehemalige Landwirtschaftsminister Ihrer Regierung in einem geradezu fundamentalistischen Nein zur Agenda 2000 verharrt ist und keinerlei konstruktive Verhandlungen geführt hat, wer so wie Sie den deutschen Bauern sagt, daß alles so bleiben könne, wie es ist, der tut den Bauern wirklich überhaupt keinen Gefallen. ({10}) Auch in diesem Zusammenhang haben Sie das Parlament belogen. Lesen Sie nach! Sie haben offensichtlich nicht den Antrag der Regierungsfraktionen nachgelesen. Ich zitiere: Der Deutsche Bundestag hält folgende Ziele für besonders wichtig. ... Dies gilt insbesondere für die Umweltprogramme und die Politik zur Stärkung der ländlichen Räume, die auf der Basis integrierter Programme zur Regionalentwicklung sowohl die Förderung einer nachhaltigen Landwirtschaft als auch alle für die Regionalentwicklung relevanten Strukturpolitiken umfassen sollte. Wie soll denn da Ihre Aussage stimmen, daß für die Förderung des ländlichen Raumes nichts mehr getan wird? Diese Aussage ist eine bewußte Irreführung des Parlaments gewesen. ({11}) Das ist die Art, wie Sie, Herr Kollege Schäuble, Politik betreiben. Hier treten Sie als europolitisches Lamm auf, und draußen bedienen Sie - jedenfalls Ihr Partner, die CSU - gleich anschließend die Presse mit antieuropäischen Ressentiments. ({12}) Wie wenig ernst es Ihnen um dieses vereinigte Europa ist, das sieht man doch an dem von Ihnen vorgelegten Antrag. Sie wollen alles auf einmal. Das wollen Sie sofort und umsonst. Die von mir zitierte Pressemitteilung zeigt genau auf, daß die Beitragszahlungen Deutschlands Ihrer Meinung nach um mindestens 7,5 Milliarden DM, nach der bayerischen Version sogar gleich um 14 Milliarden DM sinken sollten, während die Zuwendungen an Deutschland gleich hoch sein sollten. Sie wollen verbal die Osterweiterung, aber nur, wenn die Zuwendungen für Deutschland erhalten bleiben. Sie wollen europäisch sein und stellen doch den kurzfristigen nationalen oder gar bajuwarischen Nutzen vor den langfristigen Gewinn für alle Europäer. Wir wollen Europa erweitern und erneuern. Sie wollen, daß es so bleibt, wie es ist. Ja, Sie nehmen mit ihrer Verweigerungshaltung einen nicht kalkulierbaren Rückschlag zum Nachteil des gemeinsamen Europas und zum Schaden für unser Land gegen eine billige politische Tagesmünze in Kauf. So, Herr Schäuble, geht es nicht. ({13}) So wünschenswert jede einzelne Ihrer Forderungen ist, so fundamentalistisch und ohne jede Chance ist es, gleich alles ohne Abstriche durchsetzen zu wollen. Es ist doch kein Geheimnis, daß auch wir für Subsidiarität sind. Aber wenn Frankreich als wichtigster Partner an diesem Punkt nicht mitmacht, haben wir das zur Kenntnis zu nehmen. Ich kann Sie da nur fragen: Warum haben Sie es in 16 Jahren nicht geschafft, diesem Gedanken zum Durchbruch zu verhelfen? ({14}) Sie wissen ganz genau, daß es bei diesem Punkt so nicht geht, sonst hätten Sie ja während Ihrer Regierungszeit dahin gehende Anstrengungen unternommen. ({15}) Außerdem ist das Finanzsystem ja nicht während unserer Regierungszeit, sondern während Ihrer Regierungszeit entstanden; es ist das Ergebnis Ihrer Verhandlungen und aus Ihrer Einsicht in die Bedeutung des europäischen Integrationsprozesses entwickelt worden. Ich frage mich nur, ob die Einsicht einer Regierungsfraktion eine andere ist als die Einsicht einer Oppositionsfraktion. Sie hätten deutlich sagen müssen, daß Sie Ihre Einsichten geändert haben. ({16}) Ich verstehe auch nicht, Herr Schäuble, wie Sie eigentlich diesen nationalen Zungenschlag, der aus all diesen Äußerungen, die ich zitiert habe und die nachzulesen sind, hervorgeht, in einer Zeit vertreten können, in der die Globalisierung so schnell voranschreitet. Da kommen Sie mit Ihren nationalen Gedanken und nationalen Ideen nun wirklich nicht mehr hinterher. ({17}) Es ist klar, daß Ihnen der Rücktritt der Kommission gerade recht kam. Die CSU witterte ihre Chance und behauptete, die EU sei nicht handlungsfähig, der Gipfel müsse abgesagt und die Verhandlungen zur Agenda 2000 müßten verschoben werden. Das besagen die von mir zitierten Aussagen von CSU-Politikern. Auch die Motive sind klar: Die CSU wollte noch nie die Agenda und will sie nicht. Der CSU ist eben jede Subvention für Bayern wichtiger als die europäische Einigung und die Osterweiterung. ({18}) Der Rücktritt zeigt auch, wie notwendig eine umfassende Reform der Strukturen der Europäischen Union ist. Herr Schäuble, die Grünen haben sowohl hier wie auch im Europäischen Parlament immer wieder die Stärkung des Parlaments gefordert und auf die Tagesordnung gesetzt. Da hat man von Ihnen nichts gehört; dabei haben Sie uns nicht unterstützt. ({19}) Sie haben vielmehr immer das Übergewicht der Kommission und gleichzeitig ein schwaches Parlament hingenommen. ({20}) Sie wollen den Rücktritt instrumentalisieren, um die Verschiebung der Agenda 2000 zu befördern. Wir hingegen wollen die notwendigen Reformen auf europäischer Ebene angehen. Für uns ist der Rücktritt eine Chance. Wir werden die Konsequenzen daraus ziehen und die Rechte des Parlaments, für die wir immer gestritten haben, gegenüber denen der Kommission stärken. Auch hierzu werden wir noch während der deutschen Ratspräsidentschaft auf dem Gipfel in Köln die Initiative ergreifen. Wir werden mehr Transparenz schaffen, mehr Kontrolle der Kommission durch das Parlament durchsetzen und mehr Bürgernähe herstellen. Meine Damen und Herren, wenn wir heute über Europa reden, reden wir - das ist vorhin auch schon einmal gesagt worden, muß aber noch einmal angeführt werden - zu oft, zu viel und fast ausschließlich über Geld. Wir müssen wieder mehr über das Herz Europas reden. Das Herz Europas sind seine Bürger. ({21}) Die Bürger Europas stellen Ansprüche. Sie erwarten zu Recht mehr Dienstleistung, weniger Bürokratie, mehr demokratische Teilhabe und ein stärkeres Europäisches Parlament. ({22}) Es sollte uns Auftrag sein, diese Ansprüche und Wünsche auch zu realisieren. Der Gipfel in Köln wird der zweite Schritt sein, damit die EU fähig zur Erweiterung wird. Den ersten Schritt werden wir nächste Woche in Berlin machen. Wir wollen mit der Agenda 2000 das Tor für die Beitrittsländer in Osteuropa eröffnen. Wir schaffen die Voraussetzungen für eine neue Stufe der europäischen Integration. Das wird nur gelingen, wenn sich die Vertreter aller Länder aufeinander zubewegen. Mit Positionen, wie Sie sie hier heute vertreten haben, Herr Schäuble, wäre das Scheitern des Gipfels vorprogrammiert. Das bedeutete auf absehbare Zeit das Aus für die Osterweiterung und eine schwere Störung der Beziehungen der europäischen Partner untereinander. Aber auch für die Stabilität des Euros ist der Erfolg der Verhandlungen von entscheidender Bedeutung. ({23}) Die Agenda 2000 ist der Haushaltsplan für die Europäische Union für die nächsten Jahre. An ihr wird sich auch die Frage der Handlungs- und Reformfähigkeit der Europäischen Union zeigen. Scheitern die Verhandlungen, so würde das Vertrauen in eine gemeinsame europäische Politik, aber auch in die gemeinsame europäische Währung nachhaltig geschwächt. Daher werden wir auch gegen Ihre Opposition alles dafür tun, daß der Berliner Gipfel zum Erfolg wird. ({24}) Trotz Ihrer Rede, in der Sie offensichtlich die Realität der CDU- und CSU-Position nicht zur Kenntnis nehmen wollten, mit der Sie die Realität im Parlament anders geschildert haben, als Sie es gegenüber der Presse getan haben, trotz dieser Politik der gespaltenen Zunge appelliere ich an die Opposition - zumindest an die vernünftigen Kräfte der Opposition -: Kommen Sie aus Ihrer oppositionellen Schmollecke heraus! Besinnen Sie sich auf die Europapolitik Helmut Kohls! Dann müßten Sie unserem Entschließungsantrag zustimmen und Ihren einpakken. Danke schön. ({25})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt der Kollege Manfred Müller von der PDSFraktion.

Manfred Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002740, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Was wir in den letzten Tagen nach dem Rücktritt der Europäischen Kommission erlebt haben, war schlicht ein Trauerspiel. Das Medienecho macht es deutlich: Die Bürgerinnen und Bürger Europas verbinden dieses Europa mit Filz, Korruption, Vetternwirtschaft und Unfähigkeit. Europa ist da, wo die Millionen versickern und wo Versager sechsstellige Übergangsgelder kassieren. Das ist das Bild, das die Bürgerinnen und Bürger in diesem Land von Europa vermittelt bekommen. Die heutige Debatte hat auch keine besonderen neuen Akzente gesetzt. Außer Appellen ist da wenig gewesen, was den Bürgerinnen und Bürgern in diesem Europa Hoffnung machen konnte. ({0}) Europa erscheint nicht mehr als großartige Idee, die auch Herr Schäuble wieder beschworen hat. Es ist keine Rede mehr davon, was für ein gewaltiges Projekt es ist, unseren Kontinent nach zwei Weltkriegen und fast 50 Jahren erzwungener Teilung einen zu wollen. Europa ist den Menschen bestenfalls egal. Sie wenden sich ab, wenn sie das Gefeilsche um Quoten und Beiträge erleben. Die Europäische Kommission ist nicht zurückgetreten, sondern sie ist zurückgetreten worden. Diesen späten Akt der politischen Hygiene verdanken wir auch dem Druck des Europäischen Parlaments. Ein Sieg der Demokratie ist das allerdings noch lange nicht. Europa braucht endlich eine europäische Verfassungsdiskussion. Diese darf nicht vom Europäischen Rat, sondern sie muß vom Europäischen Parlament ausgehen. Der Europäische Rat hat in der Brüsseler Krise jämmerlich versagt. ({1}) Wir alle wissen doch, daß das Europäische Parlament und der Europäische Rechnungshof jahrelang Verschwendung, Inkompetenz und Vetternwirtschaft in der Kommission und der Bürokratie aufgedeckt haben, angeprangert haben, ohne daß der Europäische Rat jemals eingegriffen hätte. Deshalb muß die Initiative vom Europäischen Parlament ausgehen. Ein bloßer Austausch von Personen bringt überhaupt nichts. Europa braucht eine radikale Demokratisierung; Europa braucht ein Parlament mit demokratischem Biß; Europa braucht mehr unmittelbare und mehr direkte Demokratie. ({2}) Die Bürgerinnen und Bürger Europas werden sich nur dann wieder für das europäische Projekt begeistern, wenn sie mit ihren Wünschen und Hoffnungen ernst genommen werden. Warum ist zum Beispiel vor der Geldunion nichts unternommen worden, um ein europäisches Bürgerschaftsrecht zu schaffen? Es ist doch anachronistisch, daß wir alle demnächst mit den gleichen Geldscheinen ausgestattet werden, aber noch mit unterschiedlichen Pässen herumlaufen. Ganz zu schweigen davon, daß ein solcher Ansatz auch dazu beigetragen hätte, der aktuellen Diskussion um das deutsche Staatsbürgerschaftsrecht jegliche nationale Borniertheit zu nehmen. ({3}) Agenda 2000 ist ein Begriff, den die Bürgerinnen und Bürger Europas überhaupt nicht verstehen können. Was heißt Agenda 2000? Warum hat die Europäische Kommission nicht einen Begriff gewählt - zum Beispiel: Zukunft Europa 2000 -, der nach vorne orientiert ist? Mit diesem Wortungetüm Agenda 2000 versucht die Europäische Kommission, wesentliche Politikfelder der Union - wie die Landwirtschaft, die Strukturpolitik und die Finanzierung - nachhaltig zu reformieren. Die Notwendigkeit einer solchen Reform ergibt sich nicht nur aus dem anhaltenden Wunsch der Staaten Mittelosteuropas, möglichst schnell der EU beizutreten, sondern auch und vor allem aus den neuen Aufgaben und Kompetenzen, wie sie der Union mit den Verträgen von Maastricht und Amsterdam übertragen wurden. Zweifelsohne spielen dabei die finanziellen Fragen eine ganz entscheidende Rolle. Allerdings war angesichts der Größe und der Vielfalt der im Rahmen der Agenda zu lösenden Aufgaben die von Bundeskanzler Schröder angezettelte Nettozahler-Diskussion alles andere als hilfreich. Sie hat, wie wir heute wissen, die AgendaVerhandlungen eher erschwert als gefördert. Nur einem kam die ganze Nettozahler-Debatte wie gerufen, nämlich Bayerns Ministerpräsident Stoiber, der mit krachledernem Charme gleich 14 Milliarden DM herausschinden wollte. ({4}) - Ich sprach vom krachledernem Charme. - Mit dieser Form der Europa-Debatte befördert man nur eines: antieuropäische und nationalistische Stimmungen. Europa ist kein Armenhaus. Die Europäische Union ist kein Almosenempfänger. Europa kann und muß es sich leisten, zuerst die politischen Ziele zu bestimmen, dann nach den Kosten zu fragen, und erst in einem dritten Schritt zu sehen, wie die erforderlichen Mittel dafür aufgebracht werden können. Das Primat der Politik muß sich in Europa gegen das derzeitige Primat des Geldes endlich durchsetzen. ({5}) Dies ist kein Plädoyer für europäische Luftschlösser. Aber es ist der dringende Appell, die europäische Idee nicht auf das Niveau eines Preiskrieges zwischen zwei Supermarktketten zu reduzieren, bei dem nicht der bessere Service, sondern die niedrigeren Sozial- und Umweltstandards entscheiden. ({6}) Die PDS ist für eine gerechtere Lastenverteilung in Europa. Doch das heißt für uns, daß der mehr zahlen soll, der am meisten von der Integration profitiert. Dazu gehört nun einmal auch die Bundesrepublik. Wir sind nach wie vor Exportweltmeister. Mehr als zwei Drittel aller deutschen Exporte bleiben in der EU. Jeder dritte deutsche Arbeitsplatz hängt am Export. Was würde also geschehen, wenn nach gekürzten deutschen EU-Beiträgen und reduzierter Strukturförderung die Auftragslage auf den europäischen Markt zurückgeht? Eine Reform der EU-Finanzverfassung ist unumgänglich. Wir sind auch der Auffassung, daß bei den Einnahmen der EU mehr Gerechtigkeit hergestellt werden muß. Für uns klafft die Gerechtigkeitslücke allerdings nicht zwischen reicheren und ärmeren Ländern der EU; sie klafft zwischen den Bürgerinnen und Bürgern, die mit ihren Steuern die nationalen EU-Beiträge finanzieren, und jenen Unternehmen, die in erster Linie vom Binnenmarkt profitieren. Warum reden wir nicht endlich über eine europäische Steuergesetzgebung, die in diesem Punkt ansetzt und so die Einnahme- und Finanzautonomie der Europäischen Union stärkt? Die Bundesregierung will die Finanzierung der EU nach dem Prinzip der realen Ausgabenkonstanz gestalten. Das ist eine Mittelkürzung durch die „kalte Küche“, die wir für völlig unangemessen halten. Wer die Massenarbeitslosigkeit in Europa wirksam bekämpfen will, wer neue Mitglieder aufnehmen will und wer immer mehr Aufgaben auf die EU-Ebene verlagert, der braucht nicht weniger, sondern mehr, vor allem jedoch wirksam eingesetzte Fördermittel. Die PDS wendet sich deshalb entschieden dagegen, im Rahmen der sogenannten realen Ausgabenkonstanz die Mittelzuweisung für die Strukturfonds de facto zu kürzen. Wir unterstützen vielmehr den Vorschlag der Kommission, die Strukturfonds in den Jahren 2000 bis 2006 mit insgesamt 240 Milliarden Euro, und zwar in Preisen von 1999, auszustatten. Wir wollen, daß diese Fonds auf die bedürftigen Staaten und Regionen Europas konzentriert werden, und wir fordern, daß die Mittelvergabe einer stärkeren demokratischen Kontrolle unterliegt. ({7}) Das schafft mehr Gerechtigkeit, und es beugt solchen unseriösen Kungeleien vor, wie sie zum Rücktritt der Kommission geführt haben. Es reicht jedoch nicht aus, Mittel aus den Strukturfonds auf bedürftige Regionen zu konzentrieren. Diese Fonds müssen so gebündelt werden, daß die inneren Entwicklungspotentiale in den betroffenen Regionen freigesetzt werden. Vor allem aber ist die Strukturpolitik wesentlich stärker auf die Frage der Beschäftigungswirksamkeit zu konzentrieren. ({8}) Wir wollen, daß Strukturförderung an regionale Wohlstandskriterien gebunden wird, zu denen eben nicht nur das regionale Bruttosozialprodukt, sondern auch Kennzahlen zur Arbeitslosigkeit gehören. Meine Damen und Herren, die PDS ist eine proeuropäische Partei. ({9}) Wir nehmen den Gedanken der europäischen Integration sehr ernst. Wir wollen, daß die Menschen in Europa eine Chance sehen, ihr Leben in Frieden sicherer und gerechter zu gestalten. Deshalb haben wir vor den negativen Konsequenzen einer voreiligen Währungsunion gewarnt. Der Euro wird Europa in einem beispiellosen sozialen Härtetest zusammenschweißen. Das kommt uns alle teuer genug. Wer jetzt auch noch die Reform der europäischen Finanz-, Struktur- und Agrarpolitik monetaristischen Kriterien unterwirft, der erhöht die soziale Schieflage in Europa; der einigt Europa nicht, der spaltet. Danke schön. ({10})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Als nächste Rednerin hat die Kollegin Ingrid MatthäusMaier für die SPD-Fraktion das Wort.

Ingrid Matthäus-Maier (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001436, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Schäuble, - - Herr Kollege Schäuble! ({0}) Herr Kollege Schäuble - ({1}) - Ich habe Sie nicht gestört und möchte Sie bitten, mir zuzuhören. Wenn Sie es nicht tun, dann sage ich es eben anders. ({2}) Ich wollte zum Kollegen Schäuble ein persönliches Wort am Anfang sagen. Ich kenne ihn seit 20 Jahren. Wir haben schon zusammen im Finanzausschuß gesessen, und wir beide sind durchaus dafür bekannt, daß wir auch austeilen. Aber ich muß Ihnen sagen: Die Schärfe, die Sie seit einigen Jahren in die Debatten hineinbringen, ist mir nicht verständlich. Insbesondere sind die Gehässigkeit und das Gift, das Sie in den letzten Debatten, seitdem Sie die Wahl verloren haben, hier gegen die Koalition verbreiten, unerträglich. ({3}) Dies hat es bisher noch nicht gegeben. ({4}) Wenn Sie sich dann aber immer wieder beschweren, sobald von uns Zwischenrufe auf wirklich schärfste Attacken auf die Minister kommen, und Sie sie dann mit dem larmoyanten Hinweis zurückweisen, man würde Sie dauernd unterbrechen, dann ist das widersprüchlich. Wir werden das nicht hinnehmen. Ich bitte Sie, sich in Zukunft in den Debatten zu mäßigen, Herr Kollege. ({5}) Manfred Müller ({6}) Meine Damen und Herren, die Regierungschefs der Europäischen Union wollen und sollen in der nächsten Woche in Berlin die Agenda 2000 beschließen. Auch ich bin der Meinung, daß es sich - das wurde schon gesagt -, um ein schreckliches Wort handelt; denn die Menschen wissen nicht, was sie unter „Agenda 2000“ verstehen sollen. Sie hören nur Geld und Finanzrahmen. Die Agenda behandelt Dinge, die in den nächsten Jahren für Europa zu erledigen sind, erstens die Festlegung eines Finanzrahmens für die Jahre 2000 bis 2006, zweitens die Reform der gemeinsamen Agrarpolitik, damit sie nicht zu teuer wird, drittens die Reform der Strukturund Kohäsionsfonds, also der europäischen Fördermittel, und viertens eine faire Lastenverteilung innerhalb der Europäischen Union zwischen denen, die mehr einzahlen, als sie von der EU zurückerhalten, und den anderen, die aus dem europäischen Topf mehr Geld bekommen, als sie einzahlen. Darum geht es nächste Woche auf dem Gipfel. Zu der Festlegung des Finanzrahmens muß eines klar sein - die Regierung hat das heute wiederholt -: Das rasche Ausgabenwachstum, das es bisher in der Europäischen Union gab, können wir uns alle miteinander nicht mehr leisten. Das Stichwort heißt zu Recht „reale Konstanz“. Das heißt, auch in Europa dürfen die Haushalte nur auf dem jetzigen Niveau wachsen, ergänzt um die Inflationsrate, die Gott sei Dank sehr niedrig ist. Es kann nicht sein, daß wir in den nationalen Parlamenten kräftig sparen, und in Europa sind die Ausgabenzuwächse höher. Ich halte den Vorschlag der realen Konstanz, den die Bundesregierung gemacht hat, für gut. Es scheint Chancen zu geben, daß das nächste Woche klappt. ({7}) Zweitens: die Reform der Strukturfonds. 52 Prozent der Fläche der Europäischen Union werden heute gefördert. Das ist schlicht und einfach zuviel. Diese Gelder müssen auf die Gebiete konzentriert werden, die wirklich strukturschwach und förderungsbedürftig sind, genauso wie wir es auf nationaler Ebene mit dem Länderfinanzausgleich versuchen. Drittens. Wir brauchen eine faire Lastenverteilung innerhalb der EU. Das Stichwort „Nettozahler“ ruft bei den meisten Menschen schon Verärgerung hervor. Ich danke den beiden Rednern der Regierung, daß sie klargemacht haben, daß nach allem, was wir wissen, nächste Woche auf dem Gipfel beschlossen wird, daß die Nettobelastung der Bundesrepublik Deutschland relativ zurückgehen wird. Das ist gut so. ({8}) Meine Damen und Herren, die Agenda 2000 ist ein wichtiger Baustein für das weitere Zusammenwachsen der Bürger in Europa. Deswegen, Herr Schäuble, ist es unverantwortlich, daß gefordert wird - in diesem Fall von der CSU -, daß der Gipfel nächste Woche verschoben wird. Ihnen selbst ist das ja unangenehm. Sie sagen hier, das sei gar nicht so gesagt worden. Aber wenn man heute morgen die Erklärungen und Tickermeldungen liest, findet man immer wieder von Bayern die Forderung „Verschieben!“ oder jedenfalls „Wäre es nicht besser zu verschieben?“ Es ist völlig klar: Sie versuchen eine Arbeitsteilung. Herr Stoiber ist zuständig für den Stammtisch, fürs Verschieben, und Sie versuchen, noch einigermaßen zu retten, was Herr Kohl in den letzten 16 Jahren aufgebaut hat. Das ist unglaubwürdig. Stellen Sie sich hinter die Bundesregierung, damit in der nächsten Woche ein vernünftiges Konzept verabschiedet wird! ({9}) Es hat in den letzten Jahren viele wichtige Projekte gegeben: den gemeinsamen Binnenmarkt, den Euro und jetzt die Agenda 2000, die nächste Woche verabschiedet werden soll. Das sind ganz wichtige Meilensteine auf dem Weg der weiteren Integration: für Frieden, für Freiheit und Wohlstand für die Menschen in Europa. Rezzo Schlauch hat eben gesagt - das finde ich gut, obwohl ich für die Finanzen zuständig bin -: Wir dürfen nicht nur über Geld reden, sondern müssen auch über das Herz Europas sprechen. Die Vision für Europa geht über der Gelddebatte ein bißchen verloren. Denn was hat uns Europa gebracht? - Über ein halbes Jahrhundert Frieden. Das hat es noch nie in der europäischen Geschichte gegeben. ({10}) Wer sich daran erinnert, daß eine oder anderthalb Flugstunden von uns entfernt erbitterte kriegerische Auseinandersetzungen stattfinden - im Kosovo, in Bosnien flammen sie wieder auf -, der weiß: Das ist nicht selbstverständlich. Dazu gehört auch die Osterweiterung. Europa endet eben nicht an Oder und Neiße. Das war eine willkürliche Trennung. Wir können froh und dankbar sein, daß wir sie in Sachen NATO schon überwunden haben; auch in Sachen EU werden wir sie überwinden. ({11}) Zu den Fortschritten, die wir alle als selbstverständlich hinnehmen, die aber nicht selbstverständlich sind, gehören die Freizügigkeit - hier aus der rheinischen Region fährt man am Wochenende nach Belgien oder Holland an die See; da wird keiner mehr geprüft; da weiß man gar nicht, ob man noch in Belgien oder schon in Holland ist - und der Wohlstand, den die europäische Integration den Menschen gebracht hat, ein Wohlstand, um den uns die meisten Menschen in der ganzen Welt beneiden. Es wird oft von „Krieg oder Frieden“ gesprochen, wenn wir uns nicht einigen können. Wenn Sie das Wort „Krieg“ durch „Handelskrieg“ ersetzen, sehen Sie, wie schnell etwas passieren kann. Wenn Sie sich vorstellen, die Länder der EU würden bei den internationalen Unsicherheiten, bei den Turbulenzen in Südostasien oder in Südamerika nicht gemeinsam handeln, sondern auf ProIngrid Matthäus-Maier tektionismus, auf Handelskrieg zurückgreifen, dann bekommen Sie eine Vorstellung davon, zu welchen enormen Fortschritten wir es in Europa gebracht haben. ({12}) Mein Eindruck nach den Zeitungsanalysen ist, daß vermittelt werden soll, die Kriegsgeneration, diejenigen, die den Krieg noch miterlebt haben, verstünden das und wüßten, was das wert ist; aber die, die nach dem Krieg geboren sind - dazu gehöre auch ich -, wüßten das nicht mehr zu schätzen. Wenn das so wäre, wäre es falsch. Denn gerade die, die nach dem Krieg geboren sind, in einer Zeit, in der wir über ein halbes Jahrhundert Frieden mit klassischen Erbfeinden, ständig steigenden Wohlstand und Freizügigkeit haben, wissen, daß es ein Glück ist, in eine solche Zeit hineingeboren worden zu sein. Ich bin mit meiner Generation dankbar dafür. ({13}) Dafür stehen viele Kanzler: Konrad Adenauer mit der Westintegration, Willy Brandt mit seiner Ostpolitik als Wegbereiter für die Osterweiterung, Helmut Schmidt als Vater des Europäischen Währungssystems und als Vorreiter für den Euro und natürlich auch Helmut Kohl mit dem Euro und dem Amsterdamer Vertrag. ({14}) Ich habe es hier schon öfter gesagt, und jedermann weiß, daß ich es Herrn Waigel hoch anrechne, daß er trotz Stoiber und Gauweiler im Nacken intensiv für den Euro gefochten hat. ({15}) Aber, Herr Waigel, Sie konnten sich in den 16 Jahren Ihrer Regierung darauf verlassen, daß die damalige Opposition bei diesem schwierigen Thema hinter Ihnen stand, trotz Unterschieden im Detail. Was meinen Sie, was in diesem Lande los gewesen wäre, wenn wir uns offiziell gegen den Euro gestemmt und wiederholt hätten, was an den Stammtischen gesagt wurde: „Er hat die Deutsche Mark zum Fenster hinausgeworfen“? ({16})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Frau Kollegin Matthäus-Maier, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Hirche?

Ingrid Matthäus-Maier (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001436, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Gerne.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Bitte schön, Herr Hirche.

Walter Hirche (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002678, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Kollegin, können Sie bestätigen, daß das Papier der Ministerpräsidenten vom letzten Jahr, in dem eine Entlastung um 14 Milliarden DM gefordert wurde, die Unterschrift aller SPDMinisterpräsidenten, auch die des heutigen Bundeskanzlers Schröder, trägt?

Ingrid Matthäus-Maier (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001436, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Gerade nicht! Ich sage Ihnen ausdrücklich - der Kollege Norbert Wieczorek hat mir die Unterlagen gerade auf den Tisch gelegt -, daß die Entlastung um 14 Milliarden DM weder vom Bundesrat noch von den Ministerpräsidenten beschlossen worden ist. Ich weiß, daß diese Zahl in der Diskussion der Finanzminister eine Rolle spielte. Aber die Ministerpräsidenten haben das ausdrücklich nicht beschlossen, um die Position der Deutschen in den internationalen Verhandlungen nicht zusätzlich zu schwächen. ({0}) Es bleibt dabei: Wir haben in schwierigster Zeit, als die Menschen in Deutschland mehrheitlich gegen den Euro waren und es für uns ein leichtes gewesen wäre, schon den Bundestagswahlkampf 1994 mit dem Vorwurf zu bestreiten, Kohl schmeißt die gute Deutsche Mark aus dem Fenster, gesagt: Der Euro ist gut für die Wirtschaft, gut für die Menschen und gut für die Integration. ({1}) Das steht im Gegensatz zu dem, was Sie heute als Opposition machen. Nachdem Sie jetzt in der Opposition sind, verabschieden Sie sich von dem, was wir früher gemeinsam gemacht haben. Das ist nicht in Ordnung. ({2}) Denn nur wenn wir gemeinsam die nationalen Interessen Deutschlands vertreten und versuchen, gemeinsam zu einem fairen Kompromiß zu kommen, den auch die anderen Staaten unterstützen können, werden wir in Europa weiter vorankommen. ({3}) Deswegen ist es auch ein Fortschritt, daß die Kommission geschlossen zurückgetreten ist. Daß das eine Woche vor dem Gipfel nicht so angenehm ist, ist selbstverständlich. Aber daß die Kommission die Konsequenz daraus zieht, daß ihr Vetternwirtschaft und Unverantwortlichkeiten nachgewiesen worden sind, ist richtig. Ich begrüße ausdrücklich, daß diejenigen Sozialdemokraten, die im Januar dieses Jahres im Europäischen Parlament für eine Absetzung der Kommission gestimmt haben, jetzt recht bekommen haben. Aber ich erinnere auch daran: Es war erst Bundeskanzler Schröder, der den Vorschlag gemacht hat, eine überparteiliche Kommission einzusetzen, die jetzt durch Vorlage ihres Berichtes den Rücktritt der Kommission bewirkt hat. ({4}) - Umwege hin, Umwege her, tun Sie doch nicht so, Herr Haussmann, als hätten Sie die Weisheit mit Löffeln gefressen. ({5}) Wir haben die Angelegenheit bewältigt. Deswegen müssen wir jetzt den Erfolg, den das Europäische Parlament erreicht hat, fortsetzen. Da gibt es ein Problem: Wir haben in den letzten Jahren - auch mit unserer Stimme; denn wir sind dafür - Rechte der nationalen Parlamente abgegeben. Gleichzeitig hat das Europäische Parlament zwar zusätzliche Rechte bekommen, aber nicht in gleichem Maße. ({6}) Durch die Operation, daß von den nationalen Parlamenten Rechte abgegeben werden und das Europäische Parlament sie nicht in gleichem Maße erhält, hat es einen Schwund an Demokratie gegeben. Das darf nicht sein. ({7}) Wir müssen gemeinsam daran arbeiten, daß sich das ändert, daß zum Beispiel in Zukunft das Recht besteht, daß das Europäische Parlament auch einzelnen Kommissaren das Mißtrauen aussprechen kann. Denn machen wir uns doch nichts vor: Wenn eine bestimmte Kommissarin aus Frankreich rechtzeitig zurückgetreten wäre, hätte es dieses Desaster nicht gegeben. ({8}) Deswegen bin ich zutiefst überzeugt: So schwierig die Lage im Augenblick auch ist, sie zwingt uns um so mehr zu einem Erfolg. Denn wenn der Berliner Gipfel in der nächsten Woche scheitert, dann entsteht der Eindruck, Europa sei nicht handlungsfähig. Das darf nicht sein. Deswegen stehen wir Sozialdemokraten hinter der Regierung und der deutschen Ratspräsidentschaft ({9}) mit ihren Kompromißvorschlägen für die nächste Woche. Danke. ({10})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Als nächster Redner hat der Kollege Horst Seehofer von der CDU/CSU-Fraktion das Wort. ({0})

Horst Seehofer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002140, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Verehrte Kollegin Matthäus-Maier, daß Sie eine ganz normale parlamentarische Auseinandersetzung und eine sehr verantwortliche Rede unseres Fraktionsvorsitzenden Dr. Wolfgang Schäuble als „Gehässigkeit“ und „Gift“ bezeichnen, ({0}) disqualifiziert Sie als ernstzunehmende Gesprächspartnerin in diesem Parlament. ({1}) Herr Außenminister, Sie kleiden sich mittlerweile unbestritten gut, ({2}) aber mit der Wahrheit gehen Sie sehr oberflächlich und schlecht um. Sie haben hier den Eindruck erweckt, als würde die Opposition eine neue Europapolitik betreiben. Ich wiederhole das, was ich vor kurzem an dieser Stelle gesagt habe - daraufhin trat der damalige Finanzminister an das Pult und sagte, daß die Positionen der Opposition die Positionen der Regierung seien -: Herr Fischer, wir vertreten auch heute als Opposition von der Beitragsfinanzierung bis hin zur Agrarpolitik exakt das, was wir in den 90er Jahren entwickelt haben, was auf einer Sonderministerpräsidentenkonferenz mit dem Bundeskanzler Helmut Kohl noch im Juli des Jahres 1998 abgestimmt worden ist und was im Bundesrat behandelt worden ist. Die neue Bundesregierung unter Gerhard Schröder ist es, die sich von den bisherigen Positionen verabschiedet hat. Sie haben den europapolitischen Konsens verlassen! ({3}) Frau Matthäus-Maier, auch hinsichtlich der von Ihnen genannten 14 Milliarden DM sagen Sie die Unwahrheit. ({4}) Die Länderfinanzminister - ich habe das Protokoll vorliegen - haben am 13. Juni 1997 festgestellt, daß Deutschland im Zeitraum von 1991 bis 1996 insgesamt rund 140 Milliarden DM mehr an die EU gezahlt hat, als es von dort zurückerhalten hat. Also zahlt es über 14 Milliarden DM pro Jahr mehr an die EU. Diese Position haben die Länderfinanzminister 1998 nach der Bundestagswahl bekräftigt. Meine Damen und Herren, die Grundlinien der Europapolitik - ich verweise hier insbesondere auf unsere Einlassungen in bezug auf die Agenda 2000 - sind - ich sage es noch einmal - vom Bundesrat im Juni vor der letzten Bundestagswahl und von einer Sonderministerpräsidentenkonferenz beschlossen worden. Deshalb stelle ich hier noch einmal fest: Den europapolitischen Konsens in der Bundesrepublik Deutschland hat nur die neue Regierung des Gerhard Schröder aufgegeben, nicht die Opposition. ({5}) Wir vertreten exakt die gleichen Positionen wie vorher. Herr Fischer, Sie und die Grünen sind auch ein bißchen oberflächlich mit dem Problem des EU-Beitrages der Deutschen umgegangen. Sie haben hier gesagt: Ich habe das immer unterstützt. - Sie waren damals, 1995 am 31. März ist das hier entschieden worden -, Sprecher Ihrer Fraktion. Im Protokoll findet sich nicht Zustimmung der Grünen, sondern Enthaltung. ({6}) Auch hier haben Sie Ihre Position geändert. ({7}) Ähnlich verhält es sich mit Ihrer Position zur EUErweiterung. Ich habe Ihre diesbezügliche Rede noch einmal nachgelesen. Ihre Position zur EU-Erweiterung vor Weihnachten war eine andere als die, die Sie dann später in Ihrer Rede vor dem Europäischen Parlament vertreten haben. Wer so schludrig und oberflächlich mit der Wahrheit umgeht, kann uns nicht des Populismus zeihen. Das ist ganz eindeutig. ({8}) Jetzt komme ich zum EU-Beitrag. Wir bleiben bei der Position: Die Deutschen werden immer Nettozahler sein. Wir verstehen Solidarität so, daß ein starker Staat für die schwachen eintritt. Wir sind ein starker Staat, und deshalb üben wir Solidarität mit den schwachen. Wir haben immer für Beitragsgerechtigkeit plädiert, und zwar nicht erst jetzt, wo wir in der Opposition sind. Vielmehr war es 1997 Theo Waigel, der die Kommission mit der offenen Frage der Beitragsgerechtigkeit konfrontiert hat. Übrigens möchte ich erwähnen, daß die SPD damals, 1995, der Höhe dieser Beiträge zugestimmt hat. Es war noch die alte Regierung, die erreicht hat, daß die Kommission die Berechtigung des deutschen Anliegens anerkannt hat. ({9}) So ist die historische Entwicklung gewesen. ({10}) Eine Entlastung um 14 Milliarden - ich wiederhole es noch einmal - haben wir von der Union nie als politische Forderung erhoben. Wir bleiben bei dem Betrag, den Theo Waigel in seinem Kappungsmodell genannt hat, nämlich bei 7 bis 8 Milliarden DM. Wir sagen nur: Wenn die Ministerpräsidenten und die von der SPD gestellten Landesfinanzminister einen Betrag von 14 Milliarden einmal beschlossen und bestätigt haben, dann kann es nicht populistisch sein, wenn die Opposition als Meßlatte für Sie bei den Verhandlungen über die Agenda 2000 die Hälfte dieses Betrages nennt. ({11}) Dabei bleiben wir.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Norbert Wieczorek?

Horst Seehofer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002140, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Nein. - Gegen folgende Überlegungen spricht doch überhaupt nichts: Die deutsche Regierung erhebt als Forderung, die Höhe des deutschen Beitrages solle unserem Anteil am wirtschaftlichen Wohlstand in Europa entsprechen. Im Moment zahlen wir 29 Prozent; unser Anteil am Sozialprodukt, gemessen an der Kaufkraft, beträgt 24 Prozent. Deshalb sind unsere Beiträge um 7 bis 8 Milliarden zu hoch. Herr Fischer, auch wir wissen, daß man Kompromisse schließen muß. Aber was wir Ihnen vorhalten, ist, daß Sie die ganze Richtung der Europapolitik, nämlich weg vom Zentralismus und immer mehr Bürokratie, hin zu mehr Föderalismus und mehr Subsidiarität, aufgegeben haben. Es kann dann nicht einen Kompromiß geben, wenn die Richtung falsch ist. Wenn wir eine Kofinanzierung von 50 Prozent fordern, dann können wir auch einen entsprechenden Kompromiß mittragen. Aber wenn Sie völlig ohne Not 14 Tage vor dem entscheidenden Gipfel das Prinzip der Kofinanzierung aufgeben, das am ehesten geeignet ist, den Haushalt der EU massiv zu entlasten und mehr Subsidiarität und damit mehr Eigenverantwortung in Deutschland zu gewährleisten, dann ist das eine politische Zumutung und hat mit Regierungskunst nichts mehr zu tun. ({0}) Der ehemalige Finanzminister Lafontaine ({1}) war im Europaausschuß und hat erklärt: Die Kofinanzierung ist ein zentrales Verhandlungsziel der Bundesregierung. - Das war vor 14 Tagen. Am gleichen Tag erklärt der Agrarminister Funke selbstbewußt, das Thema sei vom Tisch. Am gleichen Tage findet der Kanzleramtsminister Hombach, daß die Kofinanzierung für Bonn ohnehin nur Mittel zum Zweck der Deckelung der Agrarausgaben gewesen sei. Die stellvertretende Regierungssprecherin Reinhardt korrigiert daraufhin den Landwirtschaftsminister mit der Aussage, die Kofinanzierung bleibe deutsches Verhandlungsziel, was den Landwirtschaftsminister veranlaßt, erneut zu beteuern, daß man über die Kofinanzierung nicht mehr reden wolle. ({2}) Der Bundeskanzler hat in der letzten Woche im Europaausschuß erklärt: Die deutsche Präsidentschaft kann die Kofinanzierung gar nicht aufgeben. - Sie wiederum haben heute in der Regierungserklärung ausgeführt, daß sie aufgegeben ist. Dafür ist das Wort „Chaos“ noch eine Beschönigung. Es handelt sich nicht um eine chaotische Politik; die Regierung in unserem Lande ist das Chaos. ({3}) Kommen Sie nicht in der nächsten Woche, am Freitag nach dem Gipfel, und sagen: Wir haben eine reale Konstanz der Ausgaben, und wir haben den Trend umgekehrt! - Das haben Sie ja heute wieder versucht. Diese Trendumkehr, die Sie als Ziel der Verhandlungen in acht Tagen darstellen, hat die vergangene Bundesregierung längst erreicht. Wir haben 1994 noch einen Nettobeitrag von 27,6 Milliarden gehabt. Dieser Betrag ist auf 22,5 Milliarden DM im Jahre 1997 gesunken. Das entspricht einer Reduzierung des Nettobeitrages von 30 Prozent auf 26,4 Prozent. Nach allen Informationen, die wir haben, hat sich dieser Trend 1998 fortgesetzt und wird auch 1999 nicht gebrochen. Deshalb: Kommen Sie nicht mit dem, was schon die alte Regierung erreicht hat, und versuchen sie nicht, uns das nächste Woche als Erfolg zu verkaufen! ({4}) Das Einfrieren der um die Inflationsrate bereinigten Ausgaben könnte in der Tat unsere Unterstützung finden. Aber die entscheidende Frage, wie diese Ausgaben dann von den Mitgliedsländern finanziert werden, lösen Sie nicht, wenn Sie die Beitragsgrundlagen nicht verändern, und zwar in der Richtung, wie das die Bundesregierung unter Helmut Kohl bereits eingeleitet hat. Zur Agrarpolitik, wo die größte Veränderung in Ihrer Haltung festzustellen ist. Die Agenda wird in der Form, wie Sie sie jetzt zur Verhandlungsgrundlage gemacht haben, mit Sicherheit von den Ministerpräsidenten abgelehnt. Ich stehe da als Vertreter der Opposition gar nicht alleine mit meiner Einschätzung. Die SPDAgrarminister haben sich am 12. März in Ludwigsburg zu diesem Verhandlungsergebnis geäußert - „zur Kenntnis genommen“, „nicht schlecht“ -, dann aber in der Frage, warum die Verhandlungen im Landwirtschaftsbereich nicht zustimmungsfähig sind, genau unsere Position übernommen. Wir sagen: Es macht doch keinen Sinn, eine Agrarreform durchzuführen, die für die Mitgliedsländer der Europäischen Union zu höheren Ausgaben als heute, für die Landwirte zu deutlich geringeren Einkommen als heute und für alle miteinander zu einer gigantischen Bürokratie führt. ({5}) Herr Landwirtschaftsminister, das ist doch nicht Regierungskunst! Lesen Sie nach, was die Landwirtschaftsminister Ihrer eigenen Partei gesagt haben: Auf die Landwirtschaft werden erhebliche Einkommensverluste zukommen. Und obwohl Herr Fischer heute erklärt hat, all diese Positionen seien aufgegeben, haben die Landwirtschaftsminister noch vor acht Tagen gesagt, daß sie an der Option der Kofinanzierung festhalten. Was die Bürokratie betrifft, so steht in diesem Beschluß der SPD-Agrarminister der bemerkenswerte Satz, daß der Agrarrat das Ziel einer durchgreifenden Vereinfachung der agrarpolitischen Maßnahmen nicht erreicht habe. ({6}) Das haben die SPD-Agrarminister festgestellt. ({7}) Und auch wir bleiben dabei: Dieser Agrarkompromiß ist nicht hinzunehmen. Bundeskanzler Schröder hat von diesem Pult aus einmal definiert, was „Reform“ ist: „Reform ist die Verbesserung der Lebensumstände von Menschen.“ Mit dieser Agrarreform verbessern Sie nicht die Lebensumstände von Menschen, sondern Sie verordnen staatlicherseits ein massenhaftes Höfesterben, die Existenzvernichtung bäuerlicher Familienbetriebe. Das ist die Realität, und deswegen werden wir das nicht mittragen. ({8}) Herr Außenminister, Sie sind in die ganze Schwierigkeit auch aus folgenden Gründen gekommen: Erstens hat es in der Geschichte des Bundestages noch nie einen Bundeskanzler gegeben, der im Vorfeld eines Gipfels mit dem Parlament so arrogant umgegangen ist wie der amtierende Bundeskanzler. Er hat nicht einmal die Chance ergriffen, sich der Unterstützung des Parlamentes zu versichern. ({9}) Zweitens hat es noch nie die Situation gegeben, daß in einer historischen Stunde wie dieser - diesbezüglich gebe ich Ihnen recht: Nach dem Beschluß des Euro ist das die wichtigste Weichenstellung für die europäische Zukunft - die deutsche Bundesregierung, zumal als Ratspräsidentin, über kein funktionsfähiges Finanzministerium verfügt. Das ist ein schwerer politischer Fehler. ({10}) Drittens gehen Sie bei diesen ganzen Verhandlungen rein fiskalistisch vor. ({11}) Sie haben kein geistiges Fundament und machen nicht saubere ordnungspolitische Vorstellungen zur Grundlage. Sie haben weder eine Verhandlungsstrategie noch ein Verhandlungskonzept. Sie sollten sich auf das rückbesinnen, was wir bis zum Bundestagswahlkampf 1998 gemeinsam getragen haben, nämlich daß wir ja sagen zu Europa, daß wir ja sagen zur Fortentwicklung Europas - es ist schön, wenn aus der westeuropäischen Union eines Tages eine gesamteuropäische Union wird - und daß wir nein sagen zu einem zentralistischen und bürokratischen Europa. Wir wollen ein föderales, ein subsidiäres Europa. Föderal und subsidiär sind das Gegenteil von Zentralismus. Genau dieser Zentralismus - mit neuen Kompetenzen in Straßburg und Brüssel, mit neuen Aufgaben für die Kommission - ist die Grundlage Ihrer Verhandlungsergebnisse. Weil Sie ordnungspolitisch die falsche Grundlage gewählt haben, werden Sie auch zu falschen Verhandlungsergebnissen kommen. Das werden wir nicht mittragen können. ({12}) Lassen Sie mich noch etwas zu der angeblich unterschiedlichen Haltung von CDU und CSU sagen. Wir bleiben bei der Aussage, die sich beim Euro bewährt hat: Substanz und Qualität gehen vor Zeitplan. ({13}) Deshalb werden wir Sie daran messen - das sage ich auch im Namen der CSU -, welche Substanz Sie bis nächste Woche zustande bringen. Das, was jetzt auf dem Tisch liegt und bekannt ist, ist unzureichend. Deshalb fordern wir Sie auf, diese Substanz so zu verändern, daß sie europäischen und deutschen Interessen gerecht wird. Wir von der Union wollen ein in gutem Sinne mächtiges Europa, das eine starke Wirtschaft, eine solidarische Gesellschaft und eine demokratische Ordnung miteinander verbindet. Niemand hat das in der Geschichte unserer Republik so realisiert wie die Union von Konrad Adenauer und Helmut Kohl: ein Europa, das die Interessen seiner Völker gegenüber der übrigen Welt kraftvoll vertritt, das seinen Beitrag zu einer friedlicheren und besseren Welt leistet und - darauf kommt es jetzt entscheidend an - das sich den Bürgern nähert. Deshalb, Herr Außenminister, lassen Sie ab von dieser Beschimpfung der Opposition und kehren Sie wieder zurück zum europapolitischen Konsens! Nur dann werden Sie unsere Unterstützung der Ergebnisse der nächsten Woche erwarten können. ({14})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Als nächster Redner hat der Kollege Christian Sterzing vom Bündnis 90/Die Grünen das Wort.

Christian Sterzing (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002810, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir sind in den letzten Minuten mit den zentralen Sätzen des CDULeitantrages für den Erfurter Parteitag beglückt worden. Darin gibt es erneut Widersprüche zwischen den vollmundigen europapolitischen Bekenntnissen auf der einen Seite und den verschiedenen politischen Forderungen auf der anderen Seite. Wir haben - da sind wir uns, glaube ich, hier weitgehend einig - in Brüssel auf Grund des Rücktritts der Kommission eine sehr schwierige Situation. Die EU ist in einer institutionellen Krise. Wir stehen wenige Tage vor wichtigen Entscheidungen in Berlin. Die Opposition in diesem Hause - so habe ich den Eindruck - reagiert mit einer gewissen Schadenfreude über diesen Zustand. ({0}) - Doch! Das war in den letzten zwei Stunden dieser Debatte sehr deutlich zu spüren. ({1}) Wenn ich die europapolitischen Debatten der letzten Jahre in diesem Hause Revue passieren lasse, kann ich nur feststellen, daß eine so schwierige europapolitische Situation noch nie so rücksichtslos, so hemmungslos für parteipolitische Zwecke mißbraucht worden ist, wie dies hier heute geschehen ist. ({2}) Dabei haben wir in der EU im Augenblick ganz sicher einen Zustand, der genaue Analyse und auch Phantasie für Problemlösungen erfordert und der es notwendig macht, daß alle Beteiligten konstruktiv über weitere Schritte nachdenken. Der kollektive Rücktritt der Kommission wirft eine ganze Reihe von Fragen auf. Ein Teil dieser Fragen ist hier heute angeschnitten worden: Da haben wir eine vertraglich nicht ganz klare Situation; da müssen wir eine Übergangsregelung mit einer dauerhaften Regelung für den Kommissionspräsidenten und die Kommission verbinden; da haben wir einen Übergang vom Maastrichter Vertrag zum Amsterdamer Vertrag; da stehen die Europawahlen vor der Tür; da geht es darum, im Zusammenhang mit der Agenda 2000 möglichst rasch eine handlungsfähige Kommission zusammenzustellen. Es ist - darin hat sich hier schon Übereinstimmung gezeigt - deutlich geworden, daß die neue Kommission auf jeden Fall in enger Abstimmung mit dem Europäischen Parlament zusammengestellt werden muß. Im Amsterdamer Vertrag erhält das Europäische Parlament erweiterte Rechte bei der Benennung des Kommissionspräsidenten. Wir müssen ganz deutlich sagen: Eine Benennung, die diese - wahrscheinlich erst am 1. Juni in Kraft tretenden - neuen Regelungen nicht berücksichtigt, also eine Umgehung der neuen Rechtsstellung des Europäischen Parlaments mit sich bringen würde, kann unsere Zustimmung nicht finden. Ich bin sehr froh darüber, daß die Bundesregierung, namentlich auch der Kanzler, in den letzten Tagen schon damit begonnen hat, in Konsultationen auch mit dem Präsidenten des Europäischen Parlaments zu einer einvernehmlichen Regelung zu kommen. Gerade so kurz vor den Europawahlen wäre es ein verheerendes Signal, wenn das Europaparlament nicht in ausreichender Weise an der Bildung der neuen Kommission beteiligt würde. ({3}) Damit bin ich auch schon bei den mittelfristigen Konsequenzen, die sich aus der augenblicklichen Situation in Brüssel ergeben. Das Stichwort heißt hier sicherlich: innere oder institutionelle Reformen. In diesen Tagen wird deutlich, daß wir nicht nur über Stimmengewichtung im Rat, über Mehrheitsentscheidungen und über die Anzahl der Kommissare reden müssen, sondern daß es um eine durchgreifende Demokratisierung der Institutionen, der Verfahren und Entscheidungsprozesse in der EU geht. Wir müssen über die Stellung der Kommission und auch der einzelnen Kommissare im Institutionengefüge nachdenken. Wir müssen die demokratische Legitimation dieses so wichtigen Organs verbreitern. Das heißt, wir müssen endlich konsequent auf eine Stärkung des Europäischen Parlaments hinarbeiten und die Mitentscheidungsrechte, die Kontrollrechte des Parlaments auch und gerade gegenüber der Kommission stärken. Das sind reformpolitische Herausforderungen, denen wir uns stellen müssen. Auch wenn dieser Rücktritt bzw. die lange, mühsame und auch sehr zähflüssige Auseinandersetzung, die diesem Rücktritt vorausgegangen ist, eine ganze Reihe von Problemen aufwirft, so dürfen wir diese nicht auf die Frage nach dem menschlichen oder politischen Versagen einiger Kommissare oder Kommissarinnen reduzieren. Wir müssen deutlich erkennen, daß schlaglichtartig Mängel in der demokratischen Verfaßtheit dieser Union sichtbar geworden sind. ({4}) Damit weisen diese Ereignisse auch ein Stück weit über die Agenda 2000 hinaus. Wir brauchen dringend einen Abschluß der Agenda 2000, weil sie zum einen überfällige Reformen in den verschiedenen Politikbereichen der EU einleitet und weil sie zum anderen notwendig ist, um die EU erweiterungsfähig zu machen. ({5}) Wenn wir die Agenda nicht schleunigst abschließen, dann drohen wir die historische Chance auf die Erweiterung der EU zu verpassen. Dies sollten sich gerade all die Damen und Herren der Opposition überlegen, die in diesen Tagen mit dem Gedanken einer Verschiebung der Agenda spielen. Wir brauchen ein solches Zeichen der Handlungsfähigkeit innerhalb der EU, und die Beitrittsländer brauchen das Zeichen, daß wir bereit und fähig sind, alles zu tun, was für die Erweiterung der EU erforderlich ist. Dieses Zeichen sind wir gerade den Beitrittsländern schuldig. ({6}) Herr Kollege Seehofer, Sie haben gesagt, die Position der Grünen im Hinblick auf die Erweiterung habe sich in den letzten Wochen geändert. ({7}) Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie dies genauer belegen würden. Gerade die Grünen haben sich in den letzten Jahren immer eindeutig für eine gesamteuropäische Perspektive ausgesprochen. ({8}) - Das hatte mit unserer Kritik an den Mängeln der demokratischen Verfaßtheit der EU zu tun. Das haben wir damals sehr deutlich gemacht. Wir haben gesagt, wir enthalten uns, stellen aber das Ziel der Erweiterung in keiner Weise in Frage. Das ist damals sehr deutlich geworden; alles andere wäre wirklich ein Mißverständnis. Die Herstellung der Erweiterungsfähigkeit der EU ist das Ziel. Wenn wir das vor dem Hintergrund der Ereignisse der letzten Tage in Brüssel überdenken, dann erkennen wir, daß für die Überlebensfähigkeit der Europäischen Union ein Weiteres notwendig ist, nämlich die Herstellung demokratischerer Strukturen. Das sind zwei zentrale Reformprojekte für die Europäische Union, die wir angehen müssen. Das sind zwei Herausforderungen, die wir zu bewältigen haben. Mit der Agenda 2000 geben wir ein Zeichen in Richtung Beitrittsländer; mit den inneren Reformen geben wir ein Zeichen in Richtung Bürgerinnen und Bürger in der Europäischen Union, daß die Union in der Lage ist, sich demokratisch zu reformieren. Es ist traurig - dieser Eindruck verfestigt sich -, daß sich die Opposition diesen Aufgaben in weiten Teilen entzieht und nicht bereit ist, daran mitzuarbeiten. Wenn man sich die Äußerungen und Vorschläge der letzten Tage und Wochen - insbesondere der CSU, aber auch der CDU - anschaut, dann stellt man fest, daß darin wenig von einer europapolitischen Gesamtverantwortung zu spüren ist. Es gibt die Forderung nach der Verschiebung der Agenda-Entscheidungen, und zwar nicht nur in Interviews. Wir haben diese Töne noch gestern auch im Europaausschuß gehört. Das ist jenes Doppelspiel, das heute wieder sichtbar wurde: auf der einen Seite in Erklärungen - zum Beispiel in denen des bayerischen Kabinetts - rhetorische Bekenntnisse zum Integrationsprozeß abzugeben, auf der anderen Seite in Interviews antieuropäische Vorurteile zu bedienen. Das ist die augeblickliche Situation in der CDU und CSU. Es ist die christdemokratische Seite in diesem Haus, die, glaube ich, einen dramatischen Wandel in ihrer Europapolitik vollzieht. Das wird besonders deutlich, wenn man sich den Leitantrag der CDU für ihren Parteitag in Erfurt anschaut, der wie von zwei Autoren geschrieben erscheint. Darin finden sich eine ganze Reihe von widersprüchlichen Vorstellungen und Vorschlägen. Schon während der Regierungszeit der alten Bundesregierung haben wir erlebt, daß es ihr nicht gelungen ist, zu einer übereinstimmenden Position in Sachen Agenda 2000 zu gelangen. An den unterschiedlichen Äußerungen ist abzulesen, daß die schleichende „Stoiberisierung“ der Europapolitik der CDU/CSU schon ein fortgeschrittenes Stadium erreicht hat. Wir sagen ganz klar: Wer die Verschiebung der Agenda 2000 fordert, der sabotiert die Erweiterung der EU und will sie handlungsunfähig machen. Da werden wir natürlich nicht mitmachen. ({9}) Nach meiner Einschätzung ist es eine Art „europapolitische Sonthofen-Strategie“, die aus dem bayerischen Raum heraus betrieben wird und welche die Krise der EU für innenpolitische Zwecke mißbrauchen will. Schauen wir uns die Forderungen der CDU/CSU im einzelnen an, so wird deutlich, daß es kein Konzept für die Lösung der anstehenden Probleme gibt und daß viele Äußerungen - gerade vom Kollegen Schäuble - von wenig Sachkenntnis geprägt sind. Vieles, was er heute an Kritik angeführt hat, trifft auf die Entscheidungen und die Vorlagen der Bundesregierung längst nicht mehr zu. Er hat die stärkere Förderung der ländlichen Räume angemahnt. Das ist eine alte Forderung sowohl der SPD als auch der Grünen und in den Vorschlägen längst berücksichtigt. Wenn er die Effizienzreserve in den Händen der Kommission kritisiert, dann ist daran zu erinnern, daß diese Effizienzreserve längst von 10 Prozent auf 4 Prozent reduziert worden ist. Auch ist längst geregelt worden, daß ihre Verwendung in der Verantwortung der einzelnen nationalen Regierungen und nicht in der der Kommission liegt. Hier werden die Augen vor dem verschlossen, was in den Verhandlungen der letzten Wochen erreicht worden ist. Es werden Maximalforderungen aufgestellt, die nicht verhandelbar sind, die die deutsche Verhandlungsposition diskreditieren und insbesondere auch die Chancen und Möglichkeiten der deutschen Präsidentschaft erheblich erschweren würden, im augenblicklich schwierigen Kompromißprozeß zu vermitteln. Das muß man sehr deutlich herausstellen, auch mit Blick auf die Krokodilstränen, die von Ihrer Seite im Hinblick auf die angebliche Verschlechterung des deutsch-französischen Verhältnisses vergossen werden. Mit Ihren Forderungen - 14 Milliarden DM an Einsparungen und 50 Prozent Kofinanzierung - haben Sie doch keinerlei Chance, die Unterstützung der Franzosen zu finden. Insofern bauen Sie hier eine Position auf, die eine konstruktive Auseinandersetzung über die Agenda 2000 unmöglich macht. Das sollten Sie ganz deutlich sehen. ({10}) Die europäische Integration ist in den letzten Tagen und Wochen in ein schwieriges Fahrwasser geraten. Es geht jetzt darum, einen klaren Kurs einzuschlagen. Die Verabschiedung der Agenda 2000 in Berlin im Vorfeld der Europawahlen könnte zum einen den Beitrittsländern signalisieren, daß wir zur EU-Erweiterung bereit sind, und zum anderen innerhalb der EU signalisieren, daß wir auch weiterhin reform- und handlungsfähig sind. Dafür verdient die Bundesregierung unsere ganze Unterstützung. Vielen Dank. ({11})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt die Kollegin Sabine LeutheusserSchnarrenberger von der F.D.P.-Fraktion.

Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001336, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Angesichts der bekannten - nicht nur europapolitischen - Nöte und Bedrängnisse der Bundesregierung kann sich selbst eine Vertreterin der Opposition eines gewissen Mitgefühls nicht ganz erwehren. Deshalb werde ich sorgsam und sparsam mit dem Salz umgehen, das ich in die vielen offenen Wunden der Bundesregierung und der sie tragenden Parteien streuen möchte. Aber eines, Herr Sterzing, möchte ich gleich zu Anfang sagen: Sie haben eben zu Recht betont, wie notwendig eine stärkere Demokratisierung der Europäischen Union, die Stärkung des Parlaments und ein ausgeglicheneres Verhältnis zwischen Kommission und Parlament sind. Genau das ist im Vertrag von Amsterdam angelegt, mit dem zwar nicht alle Wünsche erfüllt, aber doch die richtigen Weichen gestellt werden konnten. Deshalb ist es ein Zeichen für europapolitische Weitsicht, solchen grundlegenden Weichenstellungen zuzustimmen, wenn man sieht, daß sie in die richtige Richtung erfolgen, nämlich in Richtung einer stärkeren Vertiefung der Europäischen Politischen Union. Dafür hat die Fraktion der Grünen, als entsprechende Beschlüsse zur Verabschiedung anstanden, nicht gesorgt. Vielleicht hat sie auch die Notwendigkeit dazu nicht gesehen. ({0}) In der nächsten Woche steht europapolitisch sehr viel auf dem Spiel, mehr, als es ein kurzatmiger Parteienstreit um den einen oder anderen Punkt rechtfertigen würde: Es geht nämlich um die Zukunft Europas. Die Reform „Agenda 2000“, deren Gelingen nicht nur für die Finanzierbarkeit der Osterweiterung, sondern auch für die den Bürgerinnen und Bürgern zunehmend abverlangte übernationale Solidarität und für die öffentliche Akzeptanz der weiteren europäischen Integration wichtig ist, ist wenige Tage vor dem entscheidenden Gipfel in Berlin noch nicht unter Dach und Fach gebracht. Zumindest läßt das, was uns bis heute mitgeteilt worden ist, unserer Meinung nach nicht erkennen, ob es zu einem tragfähigen Kompromiß kommen kann, der dann die notwendige Grundlage für den Erweiterungsprozeß ist. Ich glaube für die Liberalen in Anspruch nehmen zu können: Wir waren es, die sich ohne Wenn und Aber für die Osterweiterung, für die Vertiefung der Europäischen Politischen Union ({1}) und für die Europäische Wirtschafts- und Währungsunion eingesetzt und sich für ein Europa der Bürgerinnen und Bürger stark gemacht haben. ({2}) Um den Agrarkompromiß, auch um die Vorstellungen im Bereich der nationalen Kofinanzierung - wohl auf Grund allzu forscher Verhandlungsstrategie der deutschen EU-Präsidentschaft - ist es wenige Tage vor dem Berliner Gipfel schlecht bestellt. Deshalb sieht es auch für die angekündigte substantielle Entlastung durch eine Verringerung des deutschen EU-Beitrages schlecht aus. ({3}) Ich lege für die Liberalen Wert auf die Feststellung: Nie waren wir diejenigen, die in dieser Form - ich beziehe mich hier auf den Populismus, den Herr Schröder, der Bundeskanzler, verfolgt, aber auch auf den Populismus, der aus Bayern zu hören ist ({4}) das Zahlmeisterargument in die Welt gesetzt haben. ({5}) Leider hat sich Bundeskanzler Schröder in eine unselige Allianz mit denen begeben, die nicht so sehr den Fortschritt und die Vertiefung der Europäischen Politischen Union auf ihre Agenda geschrieben haben. Wir Liberale können belegen, daß wir nie die Verweigerer oder Blockierer im europäischen Integrationsprozeß gewesen sind. Das werden Sie an jeder einzelnen Abstimmung in den letzten 27 Jahren erkennen können. ({6}) In dieser derzeit wirklich tristen Situation aber müssen die Chancen erkannt werden, die aus der Not heraus erwachsen - so widersprüchlich sich das anhören mag -, auf Grund des Rücktritts der Kommission und der Vorgeschichte, eine weitergehende grundlegende Reform der europäischen Strukturen und Institutionen beherzt in Angriff zu nehmen. Unabhängig von der schwierigen Frage, wie mit einer wohlüberlegten Interimslösung nach dem Beteiligungsverfahren des Vertrages von Amsterdam die Zeit bis zur endgültigen Neubildung der Europäischen Kommission überbrückt wird, ist die Zeit reif, die Entscheidungs- und Abhängigkeitsstrukturen in der Kommission und das Verhältnis von Kommission zu Parlament zu überdenken. Es ist unstrittig, daß die Position des Kommissionspräsidenten gegenüber den Kommissaren gestärkt und damit auch seine politische Verantwortung ausgeweitet werden muß. Es darf nicht länger sein, daß mit Hilfe des Kollegialitätsprinzips die begründete Forderung nach Entlassung eines Kommissionsmitglieds grundsätzlich abgeblockt werden kann. ({7}) Aber auch die Position der Kommissare muß gestärkt werden, und zwar gegenüber den ihnen unterstellten Generaldirektionen. Wenn - zu Recht - den einzelnen Kommissaren die Übernahme der vollen Ressortverantwortung abverlangt wird - nach dem Untersuchungsbericht ist sie anscheinend nicht wahrgenommen worden -, dann müssen sie auch die Möglichkeit haben, die Richtlinien ihrer Ressortpolitik notfalls durch Personalentscheidungen durchzusetzen. Das können sie zum jetzigen Zeitpunkt nicht. ({8}) Also muß es auch dort Änderungen geben. ({9}) Die Arbeits- und Entscheidungsabläufe in der Kommission müssen von übersteigertem Formalismus befreit und damit effizienter werden. Die von der Kommission zu Recht verlangte Transparenz darf nicht durch immer mehr unüberschaubare Formalisierung und Bürokratisierung in ihr Gegenteil verkehrt werden. Es ist natürlich nicht hinnehmbar, daß die zur Kontrolle der Kommissionsarbeit und zur Verhinderung von Fehlverhalten eingerichteten Institutionen wie die bestehende UCLAF als Einheiten der Kommission deren Einflußnahme direkt unterworfen sind. Wenn es jetzt zur Umgestaltung dieser Antibetrugseinheit kommt, dann muß dem Aspekt der institutionellen Unabhängigkeit sehr viel stärker Rechnung getragen werden, als wir es den bisherigen Vorschlägen entnehmen können. Ansonsten wird es nicht zu einer unabhängigen Kontrolle kommen. Neben diesen Chancen für eine grundlegende Reform der Kommission eröffnet der Rücktritt der Kommission in dem Sinne Chancen, daß sich der Europäische Rat, an den jetzt immense Erwartungen gerichtet werden, seiner Verantwortung wirklich voll bewußt ist. ({10}) Die Verhandlungsführung der deutschen Ratspräsidentschaft sollte daher viel stärker darauf drängen, zu vernünftigen Kompromissen durch Beiträge anderer Mitgliedstaaten zu kommen. ({11}) Das heißt, aus der Krise erwächst eine Chance, wenn sie genutzt wird, wenn die Verhandlungsführung dies möglich macht. Wir als Opposition wollen, daß Sie in Berlin Erfolg bei der Fortsetzung der europäischen Integration haben. ({12}) Nur, Sie dürfen uns nicht verwehren, deutlich zu machen, daß das, was uns bisher bekannt ist, noch nicht ausreicht, um zu sagen: Ja, der Berliner Gipfel bringt Europa wirklich entscheidend voran. Wir sollten vom Bundeskanzler eines erwarten: Er sollte in Berlin endlich unter Beweis stellen, daß er mit Europa eine Vision verbindet. ({13}) Er sollte mit Europa die Vision verbinden, daß er Europäer ist, vom Verstand und vom Herzen her. ({14}) Das haben wir als Liberale in den letzten Jahren wirklich ausreichend unter Beweis stellen können. Wenn deutlich wird, daß man keine europäische Vision hat, wenn deutlich wird, daß man ohne eine solche Einstellung verhandelt, dann kommen eben nur kleine Kompromisse zustande, die für ein tragfähiges Europa nicht weiterführend sind. Auch darum geht es uns in dieser heutigen Debatte. Vielen Dank. ({15})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Als nächste Rednerin hat die Kollegin Kersten Naumann von der PDS-Fraktion das Wort.

Kersten Naumann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003197, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren Abgeordnete! Mit den heute zu beratenden Anträgen versuchen die CDU/CSU und - wenn auch etwas weniger, wie meine Vorrednerin beteuerte die F.D.P., Salz in offene Wunden zu streuen und daraus auf Kosten der Bauern politisches Kapital zu schlagen. ({0}) Der von den unionsgeführten Ländern in der Konferenz der Länderagrarminister in der vergangenen Woche provozierte Konflikt wird sich als Versuch entpuppen, die eigentlichen politischen Absichten zu verschleiern und dem Bundestag ein Kuckucksei unterzuschieben und das kurz vor dem christlichen Osterfest. Die CDU/CSU und die F.D.P. erwarten vom Bundestag, daß er sich entsprechend ihren Anträgen für das Modell der Kofinanzierung ausspricht. Dabei sollte Ihnen doch völlig klar sein, daß erstens das Solidaritätsprinzip unterlaufen wird, daß zweitens dieses Modell in der EU unter 15 sehr differenziert entwickelten EUStaaten nicht konsensfähig ist und daß drittens die Einsparung bei Nettozahlern zu geringeren Auszahlungen an Nettoempfänger führt. Vereinfacht gesagt, heißt das: Das Geld fehlt dann bei anderen Bauern in der EU. Wer die Landwirtschaft der EU gestalten will, der muß die Agrarpolitik demokratisieren und vor allem fair mit anderen umgehen. ({1}) Die CDU/CSU und auch die F.D.P. sprechen in ihren Anträgen sogar von „solidarischer und fairer Lastenteilung“. Solidarität besteht für Sie - entgegen der vorhin gemachten Äußerung von Herrn Seehofer - aber nicht darin, daß der Stärkere dem Schwächeren hilft; vielmehr soll ökonomische Stärke dazu benutzt werden, um mit formalen Gleichheitskriterien den eigenen Vorteil auf Kosten anderer zu maximieren. Die Chance, langjährig Voraussetzungen dafür zu schaffen, daß sich regionale Strukturen unter Einbeziehung einer marktfähigen Landwirtschaft entwickeln, wurde verpaßt. Auch mit dem Euro und den mit ihm verbundenen Versprechungen wurden keine Voraussetzungen für eine gleichberechtigte Entwicklung geschaffen. Erst wollte man den Euro, und jetzt steht man vor dem Dilemma, daß die Mitgliedstaaten mit geringerer Produktivität nicht mehr die Möglichkeit haben, bestehende Wettbewerbsnachteile auf den Märkten durch Währungsveränderungen aufzufangen. Dieser Nachteil der ökonomisch schwächeren EUMitglieder wird zudem noch durch Ihre Forderungen vertieft, meine Damen und Herren von der CDU/CSU und der F.D.P., die Mittel für die Struktur- und Regionalförderung zu kürzen mit dem Effekt, daß die disproportionale Entwicklung zwischen den einzelnen EU-Ländern und -Regionen nicht abgebaut, sondern weiter verschärft wird. Der Gipfel des nationalen Egoismus ist es aber, wenn gefordert wird, die Möglichkeiten zur regionalen Wirtschaftsförderung als Ausgleich für die Kürzungen der EU-Hilfen zu erweitern. Glauben die christlichen und liberalen Parteien wirklich, daß die ärmeren EU-Partner, die kein Geld für zusätzliche nationale Förderprogramme haben, diesem Vorschlag zustimmen werden? Der von der CDU/CSU geforderte faire Interessenausgleich erweist sich bei genauerem Hinsehen als ein Versuch, hinter moralisch klingenden Parolen die Interessen des Stärkeren durchzusetzen. Geld ist immer nur genug da, wenn es um die Nachrüstung der neuen osteuropäischen NATO-Staaten geht. Viel zuwenig Geld wird allerdings dafür aufgewendet, daß die beitrittswilligen Länder die politischen, wirtschaftlichen und sozialen Voraussetzungen für den Beitritt zur EU erfüllen können. Statt dafür Hilfen zu geben, mahnen CDU und CSU ausreichend lange Übergangsfristen an. Man kann es drehen und wenden wie man will, die Anträge der CDU/CSU und der F.D.P. sind nicht zustimmungsfähig. Meine Damen und Herren, in der Politik der PDS sind Subsidiarität und Solidarität zwei wesentliche, untrennbar miteinander verbundene Prinzipien. Sie müssen aber inhaltlich durch das Ziel bestimmt sein, mit ihnen ein menschenwürdiges Europa zu gestalten. Unter den Bedingungen der Agenda 2000 ist der Zeitpunkt für eine neue nationale Agrarpolitik gekommen, wie sie auch der Bauernverband fordert. Ihr Inhalt muß nach Meinung der PDS vor allem in folgendem bestehen: Erstens. Der bevorstehende Agrarstrukturwandel darf nicht den Marktkräften überlassen, er muß gesellschaftlich gestaltet werden. ({2}) Zweitens. Die Kooperation als der Hauptweg für den Strukturwandel ist staatlich zu fördern, da sie die Chance bietet, für die Agrarproduktion Produktionsmittel auszutauschen und Arbeitsplätze zu erhalten. Drittens. Der Strukturwandel muß die Veränderung der Produktionsweise einschließen und zu einem nachhaltigen Wirtschaften führen. Viertens. Die Anpassung der Produktion an die Nachfrage ist durch die Förderung einer Vertragslandwirtschaft zu realisieren. Eine solche nationale Agrarpolitik stünde nicht im Widerspruch zur Agenda 2000. Sie würde aber die Chance eröffnen, deren schlimmste Auswirkungen abzufedern und den Weg für eine tatsächlich zukunftsfähige Agrarentwicklung frei zu machen. Die Europawahlen werden den Bürgerinnen und Bürgern Gelegenheit geben, die Agrarkonzepte der Parteien auf den Prüfstand zu stellen. Danke schön. ({3})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Als nächster Redner hat der Bundesminister Karl-Heinz Funke das Wort.

Karl Heinz Funke (Minister:in)

Politiker ID: 11005303

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Agrarpolitik hat in der Politik der Europäischen Gemeinschaft immer eine herausragende Rolle gespielt. Zu Beginn war sie der Motor der europäischen Einigung; für Frankreich war sie unbestrittenermaßen auch eine ganz besondere Geschäftsgrundlage. Ich denke, alle, die die Entwicklung Europas seit den 50er Jahren verfolgt haben, wissen, um die politische Bedeutung ebendieser Agrarpolitik insbesondere auch für die Integration Europas. Ansonsten kann man das sicherlich auch nachlesen. Ich glaube - da stehe ich nicht allein -, daß wir im Agrarministerrat - das ist hier heute wiederholt angesprochen und diskutiert worden - insgesamt eine gute Arbeit gemacht haben. Ich sage bewußt nicht, daß wir alles zur Zufriedenheit gelöst und alle Wünsche erfüllt hätten. Wir haben aber insgesamt eine gute Arbeit geleistet und auch für die Landwirtschaft einen vertretbaren Kompromiß erzielt. ({0}) Ich möchte auch angesichts der teilweise weit auseinanderliegenden Positionen, die zunächst überhaupt nicht miteinander vereinbar und wirklich konträr waren, den Kolleginnen und Kollegen der anderen Mitgliedstaaten dafür danken, daß sie es durch ihr Verhalten ermöglicht haben, daß wir uns aufeinander zubewegen konnten. Ich danke diesen Kolleginnen und Kollegen sehr dafür. ({1}) Ich danke auch dafür, daß sie letztlich nationale Einzelinteressen, so berechtigt sie auch immer sind, zurückgestellt haben und damit, wenn man so will, den Abschluß dieser Verhandlungen ermöglichten. Ich schließe trotz aller Kontroversen, die wir hatten, hier den Dank an den zuständigen Kommissar und seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ein. Daß wir manchmal 20 Stunden lang ohne Pause tagten, hat auch bei denen Tribut verlangt; auch ihnen ein herzliches Dankeschön. Ich sage das ausdrücklich, und zwar unabhängig davon, daß wir, zumindest zunächst, bevor wir uns einigten, sehr kontroverse Positionen hatten. Im übrigen habe ich - das will ich der heutigen Opposition einmal sagen ({2}) von Beginn an, also auch in Wahlveranstaltungen, immer die Auffassung vertreten, daß auf der Grundlage des Kommissionsvorschlags zu verhandeln ist. So ist es vorgesehen. So war auch der Auftrag der Regierungschefs vom Dezember 1995. ({3}) - Ich komme gleich dazu. Es ist - um in bayerischer Sprache zu bleiben - ein Schmarren, was Sie hier zur Agrarpolitik erzählen. ({4}) Herr Seehofer, Sie haben sich in der letzten Zeit ab und zu zur Agrarpolitik geäußert. Das erste, was ich von Ihnen hier im Deutschen Bundestag gehört habe, war Ihre Äußerung, Sie hätten im Gesundheitsministerium überwintert. Das war schon höchst eindrucksvoll. ({5}) - Doch, das haben Sie wörtlich gesagt. Es ging um dieses Hamsterverhalten: Im Sommer ein bißchen Kraft sammeln, um dann nahtlos in den Winterschlaf übergehen zu können. ({6}) Sie hätten sich ab und zu mit einem agrarpolitischen Kompendium beschäftigen können. Ihre ganzen agrarpolitischen Reden laufen so nach dem Motto: Wer jeden Tag ein Eisbein ißt, ist ein Polarforscher. - Meine Damen und Herren, das langt nicht! ({7}) Herr Kollege Seehofer, zugestandenermaßen habe ich mich bisher wenig mit Gesundheitspolitik beschäftigt. Daher bin ich bis zu Ihrem eigenen Bekenntnis, Sie hätten im Gesundheitsministerium überwintert, davon ausgegangen, davon hätten Sie Ahnung. Von Agrarpolitik haben Sie aber nun wirklich keine Ahnung. ({8}) Das Problem der letzten Bundesregierung ist gewesen, daß man den Eindruck erweckt hat, als könne man das, was die Kommission vorschlägt, gänzlich vom Tisch wischen, als könne man etwas gänzlich anderes beschließen. Deswegen war man auch immer gegen die Mehrheit im Ministerrat, und man war gegen den zuständigen Kommissar. Ich will Ihnen sagen, da das von Ihnen zum Teil unterstützt wird: Daß der Agrarkommissar Fischler nun zum Buhmann der Nation oder europäischer Bauern abgestempelt wird, das mache ich nicht mit. Ich stimme weiß Gott nicht in allem mit ihm überein. Aber das ist eine Verhaltensweise, die meinem Verhaltens- und Denkmuster nicht entspricht. ({9}) So, wie Sie es angelegt haben, wäre eines passiert das brauchen Sie mir nicht zu glauben; aber das können Sie nachlesen; Sie brauchen es sich nur von Fachleuten in Brüssel sagen zu lassen -: Sie hätten für die Landwirte Europas und für die deutschen Landwirte aus Brüssel ein wesentlich schlechteres Ergebnis mitgebracht. Sie haben nur die Schwierigkeit, das eingestehen zu müssen. Ein von mir durchaus sehr geschätzter Kollege der Opposition hat mir im Europaausschuß gesagt: Wir sind im Grunde froh, daß Ihr Amtsvorgänger nicht zu verhandeln brauchte. - Er wußte schon, worüber er redete. ({10}) Wir waren mit unserer Strategie letztlich durchaus erfolgreich. ({11}) - Sie reden dauernd von Bayern. Nun ist Bayern wichtig, aber es gibt auch noch andere Länder in der Bundesrepublik Deutschland. ({12}) Herr Glos, ich will Ihnen einmal eines sagen: Zugegebenermaßen ist der Anpassungsdruck bei Ihren Strukturen in Bayern größer als der bei den Strukturen in meinem Heimatland Niedersachsen. Da Sie nicken, bitte ich Sie, zumindest einmal darüber nachzudenken, ob Sie über die Jahre eigentlich die richtige Landesagrarpolitik betrieben haben. ({13}) Damit wollen wir uns gerne einmal auseinandersetzen. ({14}) Ich habe noch die Kritik im Ohr, die Bayern geäußert hat, als ich Agrarminister in Niedersachsen war: Da streicht der böse Funke in Niedersachsen die Ausgleichszulage für benachteiligte Gebiete, zunächst teilweise, dann ganz, und bringt es ins einzelbetriebliche Förderprogramm, in die Investitionsprogramme hinein. - Ich habe das für notwendig gehalten, weil ich wußte, daß der Wettbewerbsdruck in der Landwirtschaft zunehmen wird. Das hat mir Kritik eingebracht, vor allem von Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Bayern. Es zeigt sich heute, daß mein Handeln richtig war, den Betrieben, die einem stärkeren Wettbewerbsdruck ausgesetzt sind, durch zukunftsträchtige Investitionen zu helfen, diesem Wettbewerb standzuhalten, und die Ausgleichszahlungen nicht sozusagen mit der Gießkanne über die gesamte Fläche zu verteilen. ({15}) Im übrigen will ich erwähnen, daß ich damals in dieser Frage von der F.D.P. ausdrücklich unterstützt wurde. Dies ist ein vernünftiger Ansatz der Landesagrarpolitik. Sie müssen sich aber einmal fragen lassen, warum Sie in Bayern einen anderen Weg gewählt haben, nämlich höhere Ausgleichszahlungen über die Fläche verteilt und geringere Investitionstätigkeit. Sie dürfen nicht immer alles auf Bonn und Brüssel schieben. Sie haben einen Weg gewählt, der nicht zukunftsträchtig ist. ({16}) - Herr Kollege Hirche, ich nehme Ihr Stichwort gerne auf. Wir sind uns einig darin, daß es um die Leistungsfähigkeit des bäuerlichen Familienbetriebs geht.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Bundesminister, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Glos?

Karl Heinz Funke (Minister:in)

Politiker ID: 11005303

Gern.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Glos.

Michael Glos (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000691, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Bundesminister, nachdem Sie mich angesprochen haben, möchte ich Sie fragen, was das Ziel Ihrer Landwirtschaftspolitik ist. Bisher haben wir auch in Bayern das Ziel verfolgt, möglichst viele selbständige bäuerliche Existenzen zu erhalten. Wenn Sie allerdings dieses Ziel aufgeben und eine Strategie des Wachsens und Weichens mit Gewalt betreiben, sind wir ein ganzes Stück auseinander. ({0})

Karl Heinz Funke (Minister:in)

Politiker ID: 11005303

Wer will denn Ihrer Aussage widersprechen, daß wir möglichst viele selbständige Existenzen erhalten wollen? Ihre Aussage ist ein Allgemeinplatz sondergleichen. Wenn das Ihr agrarpolitisches Kredo ist, dann muß ich sagen, daß Ihre Politik keinen Inhalt hat. Selbständige Existenzen erhalten will doch jeder von uns. Auf Ihren Vorwurf - so habe ich Sie verstanden -, wir würden eine Politik des Wachsens oderWeichens betreiben, sage ich Ihnen: Auch Ihre Agrarpolitik war nicht eine Politik des Wachsens oder Weichens, sondern eine Politik des Wachsens und Weichens. Die Konjunktion, die Sie gewählt haben, war völlig falsch. ({0}) Ihre Auffassung beruht doch nur auf platter Ökonomie. Wie wollen Sie angesichts von Sättigungsgraden nicht nur in Deutschland, sondern in ganz Europa -, angesichts von Überschüssen bei einigen zentralen Produkten der Landwirtschaft und angesichts eines Produktivitätsfortschritts von 3 Prozent im Durchschnitt der letzten 30 Jahre - er hält weiter an - die Existenz der Landwirte sichern? Dies geht ökonomisch gesehen nicht. Daß Sie diesen Zusammenhang unter Umständen zwar erkannt haben - das traue ich Ihnen zu -, daß Sie ihn den Landwirten aber nicht erläutert haben, ist Ihrerseits ein Stück Versäumnis in Sachen Glaubwürdigkeit der Agrarpolitik. Das muß ich Ihnen sehr deutlich sagen. ({1}) - Ich soll es also nicht können, aber Sie! Ich bin froh darüber, daß die Stützpreise im Rindersektor nicht um 30 Prozent, sondern um 20 Prozent gesenkt wurden, daß wir bei der Milchreform und bei den Getreidepreisen Korrekturen erreicht haben und - ich wiederhole es - daß wir das katastrophale Verhandlungsergebnis hinsichtlich des Rindersektors von 1992 - 19 Prozent Produktionsanteil, aber nur 9 Prozent Prämienanteil - auf 14 Prozent Prämienanteil korrigiert haben. ({2}) Man weiß es ja im Moment gar nicht mehr so genau. Aber ich vermute mal, 1992 haben nicht SPD und Grüne regiert. Angesichts Ihrer Äußerungen könnte man fast meinen, daß wir auch schon 1992 regiert haben. Die spezifisch deutschen Anliegen, die wir im Interesse der fünf neuen Länder und auch der alten Länder vertreten haben, sind insgesamt berücksichtigt worden. Auch diesen Punkt sollte man einmal hervorheben. Wenn Sie mir nicht glauben, will ich einmal zitieren, was die Arbeitsgemeinschaft Deutscher Rinderzüchter sagt. Kein Sozialdemokrat und auch kein Grüner - ich weiß es genau - ist Mitglied des Vorstandes. ({3}) - In der Tat sind es Unternehmer. Deswegen ist es interessant, ihre Meinung dazu zu hören: Der präsidierende Bundeslandwirtschaftsminister Karl-Heinz Funke hat angesichts der divergierenden Interessenlage einen beachtlichen Verhandlungserfolg erzielt. ({4}) In aller Bescheidenheit und Demut habe ich nur von einem Erfolg und nicht davon gesprochen, daß es ein beachtlicher Erfolg sei. Ich bedanke mich für das Kompliment. Wem das nicht genügt, dem zitiere ich eine Erklärung des Deutschen Raiffeisenverbandes. ({5}) Es ist völlig richtig, daß dies ebenfalls keine sozialdemokratische Kampforganisation ist. Ich könnte Ihnen die entsprechenden Mitglieder nennen; einige kenne ich noch aus der evangelischen Landjugendbewegung. Da heißt es: Einer Forderung des Deutschen Raiffeisenverbandes e.V. ({6}), Bonn, entsprechend sind die Agrarminister vom ursprünglichen Kommissionsvorschlag des „Sturzfluges auf Weltmarktpreisniveau“ abgerückt. Vorgesehen sind nun schrittweise Preissenkungen. Das werde den unternehmerischen Erfordernissen bei der Anpassung an die neuen Rahmenbedingungen eher gerecht ... Wohl wahr, der Raiffeisenverband erkennt es richtig; die haben den Boden der Realität unter den Füßen. ({7}) Damit wir das vollmachen - dreimal ist ja wohl Oldenburger Recht, meine Damen und Herren ({8}) will ich noch darauf hinweisen, was mein Thüringer Kollege Volker Sklenar dazu sagt. ({9}) Wenn ich Zeit dazu hätte, würde ich jetzt auf eine Presseerklärung nach der anderen eingehen. Volker Sklenar - gegenwärtig sicherlich noch in Ihrer Partei, nehme ich an - wird von der „Ostthüringer Zeitung“ zitiert: Das Gesamtpaket der Agenda 2000 biete zwar keinen Grund zum Jubeln, sei aber eine echte Chance zur Konsolidierung der Agrarbetriebe in Thüringen. ({10}) Er soll auch nicht jubeln, das erwarte ich von ihm nicht. Aber wenn er so etwas sagt, dann freue ich mich darüber. Wäre er ein Sozialdemokrat, wäre das ein einziges Hosianna. ({11}) Da soll Herr Kollege Schäuble ruhig von Milliardenverlusten für die Landwirtschaft reden. Das hat er hier eben getan; ich verzeihe ihm das, er kann das alles auch nicht wissen. ({12}) - Herr Müller, seien Sie einmal ruhig! Ich habe Sie gestern im Europaausschuß erlebt. Ich kann Ihnen sagen: Das war eine Freude! ({13}) Das war eine agrarpolitische, agrarökonomische und betriebswirtschaftliche Lehrstunde. Mein Volkswirtschaftsprofessor, der Hamburger Harald Jürgensen, hätte unter Ihren Beitrag eine 13 geschrieben - keine sechs, eine 13. So abenteuerlich war Ihr Beitrag. ({14}) Ich weiß nicht, ob ich das Protokoll der Sitzung bekomme. Ich hoffe es aber. Daraus werde ich landauf, landab zitieren. Dann werde ich bei den Beiträgen, die Sie da geliefert haben, in Bayern heiliggesprochen. ({15}) Wenn hier also behauptet wird, es gebe Milliardenverluste für die deutschen Bauern, dann stimmt das in dieser Form überhaupt nicht. ({16}) - Es stimmt nicht. Ich habe Ihnen schon im Ausschuß gesagt: Kein Mensch hat dazu im Moment korrekte Rechnungen. Was gilt, ist eines - das sage ich ernsthaft; das habe ich vorher schon gesagt, und ich sage es auch heute -: Der Wettbewerbsdruck auf die deutsche Landwirtschaft wird zunehmen. Das ist schon seit 1992 und erst recht seit dem 1994er GATT-Beschluß so. Die Liberalisierung der Weltmärkte - auch des Agrarhandels - wird zunehmen. Ich sage den Landwirten nichts anderes. Wer glaubt, durch die WTO kämen wir hinter die Beschlußlage von Marrakesch des GATT im Jahre 1994 zurück, sagt den Leuten bewußt Falsches. Ich kann Sie nur bitten, auch was die Agenda betrifft, nicht durchs Land zu ziehen und angenehme Unwahrheiten zu verbreiten. Vielmehr sollten Sie über die unangenehmen Wahrheiten reden. ({17}) Das dient den jungen Leuten in den Betrieben am ehesten. Sie wollen klare Rahmenbedingungen, aber auch klare Aussagen. Wir werden unseren Beitrag dazu leisten, auch wenn ich dafür Kritik einstecken muß; denn eines möchte ich mir am Ende meiner Amtszeit wie lange sie auch dauern mag - nicht sagen lassen ({18}) - ich bin da sehr bescheiden, Herr Kollege Seehofer -: daß ich wohlwissend Dinge verschwiegen hätte und damit junge Unternehmerinnen und Unternehmer in der Landwirtschaft in die Irre geführt hätte. Diesem Vorwurf möchte ich mich moralisch-ethisch nicht aussetzen. Das sollten auch Sie nicht tun. Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit. ({19})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Als nächster Redner hat der Kollege Peter Hintze von der CDU/CSU-Fraktion das Wort.

Peter Hintze (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000907, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Tausende von Bauern in Deutschland schauen auf die Verhandlungen zur Agenda 2000. Tausende von Bauern bangen um ihre Existenz, weil sie nicht wissen, ob sie mit den stark abgesenkten Preisen und den unzureichenden Teilausgleichen in Zukunft zurechtkommen. Und in einer solchen Situation stellt sich Landwirtschaftsminister Funke hier hin und preist seine eigene Arbeit. Ich finde das unangemessen. ({0}) Es nützt auch nichts, wenn Sie, Herr Funke, hier lustige Witze über Eisbeinessen oder über andere Sachen machen, aber in der Sache genau das Gegenteil von dem tun, was Sie hier proklamieren. Ich will ein Beispiel herausgreifen. Sie sagen: Wir haben einen Überschuß in der landwirtschaftlichen Produktion; dagegen muß man etwas tun. Das ist ein Gedanke, dem man sich anschließen könnte. Aber es waren doch Sie, der im Bereich der Milch eine Quotenerhöhung mitvereinbart hat und für eine weitere Überschußproduktion gesorgt hat, ({1}) die Preise drückt, die landwirtschaftlichen Existenzen angreift und so die Situation verschlechtert. Ich will in diesem Zusammenhang noch etwas sagen. Diese Bundesregierung ist mit dem Versprechen angetreten, die Arbeitslosigkeit zu senken, was auch die Menschen in Deutschland für eine wichtige Sache halten. Wir können feststellen: in der Steuerpolitik bisher krasse Fehlanzeige, ({2}) jetzt leider auch in der Landwirtschaftspolitik. Ich will noch einen Punkt nennen - Kollege Ronsöhr wird hinterher die Sache im einzelnen ausführen -: Herr Minister Funke, Sie haben noch im letzten Jahr einer Vereinbarung der Agrarministerkonferenz zugestimmt Sie haben sie mit herbeigeführt -, die zur Agenda 2000 zu folgendem Ergebnis kommt: Die zu erwartenden Einkommensrückgänge entziehen der deutschen Landwirtschaft das Einkommenspotential von über 100 000 Vollarbeitskräften. Darüber hinaus dürfte im vor- und nachgelagerten Bereich nochmals mindestens dieselbe Zahl von Arbeitsplätzen wegbrechen. Meine Damen und Herren, wir muten unseren Landwirten zu, daß sie Einkommenseinbußen hinnehmen. Wir muten dem deutschen Steuerzahler zu, daß er mehr für die Landwirtschaft in Europa zahlt, wobei weniger dabei herauskommt. Aber das Schlimmste ist, daß Sie hier einen sogenannten Kompromiß geschmiedet haben, der über 100 000 Arbeitsplätze in der Landwirtschaft gefährdet. Das halten wir für verwerflich. ({3}) Es war wirklich der Gipfel, daß Sie, Herr Minister Funke, in der Frage der Lastengerechtigkeit vorgeprescht sind, möglicherweise das Auswärtige Amt in Schwierigkeiten gebracht haben und lakonisch erklärt haben: Die Kofinanzierung ist vom Tisch. Damit haben Sie nicht nur ein wichtiges Element der Lastengerechtigkeit zerstört und einen schweren Verhandlungsfehler begangen, sondern auch der Erweiterungsfähigkeit der Europäischen Union einen Bärendienst erwiesen. Denn eine Neustrukturierung, eine andere Verteilung der Lasten wäre eine wichtige Aufgabe in Vorbereitung auf die Osterweiterung. ({4}) Nun, wie ist die allgemeine Lage? Erstens. Die Kommission ist zurückgetreten. Zweitens. Der Bundesregierung ist der Bundesfinanzminister abhanden gekommen. Drittens. Gestern, eine Woche vor dem Gipfel in Berlin, ist das Ratssekretariat in den Streik getreten. Ich habe heute von der Bundesregierung kein Wort dazu gehört. Ich habe bewußt die ganze Debatte abgewartet. Es sitzt auch nur noch Herr Staatsminister Verheugen hier. ({5}) - Ich meine das zahlenmäßig. ({6}) - Schon recht. Wir hätten bei einer Europadebatte erwartet, daß der Bundeskanzler hier sitzt; er ist nicht da. Wir hätten erwartet, daß der Herr Außenminister die kurze Zeit hier ausharrt; auch er ist nicht da. Daß Sie da sind, verdient weiß Gott kein Sonderlob. Sie haben dazu keinen Ton gesagt. Dann greifen Sie die CDU/CSU an, weil sie gesagt hat: Die Kommission ist weg, die Bundesregierung ist ins Schlingern geraten, das Ratssekretariat streikt; da stellt sich die Frage, ob dann ein Gipfel gutgehen kann. Da sagen Sie - das ist eine tolle Argumentation -, es wäre für sich gesehen schon gut, wenn überhaupt irgend etwas beschlossen würde. Meine Damen und Herren, das ist eine Verwechslung von Form und Inhalt, die ich noch nie erlebt habe. Zu sagen: „Egal, was für ein Quatsch beschlossen wird - wenn wir etwas beschließen, ist es gut“, entspricht nicht dem Grundsatz unserer Europapolitik. Das ist keine verantwortliche Politik. ({7}) Dann haben Sie gesagt, jetzt mache die Opposition Ihnen Schwierigkeiten in der Außenpolitik oder in der Europapolitik. Was war denn in den letzten Wochen und Monaten? Erst verprellt Herr Trittin Frankreich und Großbritannien, und dann wundert man sich, daß wir Schwierigkeiten bei den Verhandlungen mit diesen Ländern haben. Anschließend verprellt Herr Lafontaine alle in Europa mit seinen Vorschlägen, die Unabhängigkeit der Europäischen Zentralbank in Frage zu stellen und die gesamte Besteuerung zu harmonisieren. ({8}) Dann verprellt Herr Fischer die gesamte NATO, und Herr Schröder stellt sich zu Beginn der Präsidentschaft hin und spricht von den Dingen, die in Europa verbraten werden. Wer die Europapolitik so angeht, der geht sie falsch an. Wenn hier einer den Konsens aufgelöst hat, dann ist das Rotgrün. ({9}) Das setzt sich fort. Jetzt wird die Kommission neu berufen. Nun gibt es den Gedanken, das sei eine gute Möglichkeit, die Quotenprobleme bei den Grünen zu beseitigen. Das kann aber doch weiß Gott kein Kriterium für die Besetzung der Kommission sein. Alle großen Staaten in Europa sagen: Europa muß man gemeinsam gestalten, nicht Regierung gegen Opposition und Opposition gegen Regierung, sondern da muß man die ganze Bevölkerung mitnehmen. Frankreich, England, Italien und bisher auch Deutschland sagen: Wir werden durch die Regierungsparteien und durch die Oppositionsparteien vertreten. Aber Sie sagen: Nein, wir müssen den Grünen helfen, ihre Probleme zu lösen. Damit brechen Sie schon wieder den Konsens. Sie brechen den Konsens, nicht wir. ({10}) Es ist schon traurig - das muß ich doch sagen -, wie der Herr Bundeskanzler, der heute leider nicht da ist, diese Fragen handhabt. ({11}) - Frau Matthäus-Maier, das muß ich Ihnen jetzt einmal sagen: Sie haben Ihr Kontingent wirklich erschöpft. ({12}) Ihren Beitrag heute morgen und einige Ihrer Anmerkungen in parlamentarischen Debatten in der Vergangenheit finde ich voll daneben. Ich will das nicht weiter kommentieren; aber ich bitte Sie, jetzt nicht weiter dazwischenzubrüllen. ({13}) Wenn der Herr Bundeskanzler hier wäre, dann würde ich ihn fragen: Welche Vision haben Sie eigentlich in der Europapolitik? Welche Vorstellung haben Sie? Welchen Plan haben Sie? Wir müssen feststellen: Er hat keine Vision, er hat keine Vorstellung, und er hat keinen Plan. ({14})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr

Peter Hintze (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000907, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Nein, lasse ich nicht zu. ({0}) Ich will das fürs Protokoll gerne erklären. Nach den wirklich bösartigen Ausführungen gegen unseren Fraktionsvorsitzenden sehe ich es nicht ein, ihr hier Zeit für eine Zwischenfrage einzuräumen. Das muß ich einmal sagen. ({1}) Die Tatsache, daß der leere Stuhl des Kanzlers das Symbol für die Europapolitik der Bundesregierung ist, für einen Kanzler, der keine Vision und keine Idee hat, ist die Quelle für die vielen Verhandlungspannen: Kofinanzierung von Funke kassiert; das Auswärtige Amt rauft sich die Haare; Frankreich und England vor den Verhandlungen verprellt; dann will man das Geld usw. Das klappt alles nicht. Das liegt daran, daß er, der nicht da ist, der so gerne seine Zeit bei Fotosessions verbringt - Peter Hintze

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Kollege Hintze, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Verheugen?

Peter Hintze (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000907, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Bitte schön.

Günter Verheugen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002368, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Hintze, nachdem Sie nun mehrfach auf die Abwesenheit des Bundeskanzlers angespielt haben: Ist Ihnen bewußt, daß jeder Ratspräsident, bevor ein ordentlicher Gipfel stattfindet, sämtliche europäischen Hauptstädte zu besuchen hat, daß das auch jeder frühere Bundeskanzler getan hat, daß der Termin für diese Reise seit langer Zeit feststand, daß in fünf Tagen 14 Hauptstädte besucht werden müssen und daß der Bundeskanzler heute Gespräche mit dem spanischen Ministerpräsidenten, dem portugiesischen Ministerpräsidenten und dem luxemburgischen Ministerpräsidenten zu führen hat, um den Kompromiß in der nächsten Woche möglich zu machen? Ist Ihnen klar, daß das dem Parlament bekannt war und daß deshalb besprochen war, daß heute der Außenminister und nach dem Rat der Bundeskanzler die Regierungserklärung abgibt? Sind Sie nicht der Meinung, Herr Kollege Hintze, daß Sie vor diesem Hintergrund dem, was der Bundeskanzler in dieser Woche für Deutschland und für Europa leistet, Respekt und Anerkennung zollen sollten? ({0})

Peter Hintze (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000907, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich werde diese Frage gerne beantworten. Mir ist bekannt, daß der Herr Bundeskanzler diese politische Reise macht. Mir ist bekannt, daß das üblich ist. Ich halte sie auch für richtig. ({0}) - Es geht weiter. - Was wir allerdings in der Europapolitik noch nie gehabt haben, Herr Kollege Verheugen, ist, daß uns ein Bundeskanzler über Wochen im Deutschen Bundestag die Aussprache über einen solch wichtigen Gipfel verweigert. ({1}) - Dazu komme ich noch. ({2}) Ich erinnere daran, daß die CDU/CSU und die F.D.P. im Deutschen Bundestag den Antrag gestellt haben, wenigstens am Freitag der Haushaltswoche im Februar dieses Jahres eine europapolitische Debatte über diese Dinge zuzulassen, damit es vor dem Gipfel nicht zu zeitlichen Engpässen kommt. Das haben Sie mit Ihrer Mehrheit abgelehnt. ({3}) Herr Verheugen, mich als Parlamentarier bedrückt es, daß ein deutscher Kanzler zwei Stunden Zeit für eine Fotosession mit Pferdelederschuhen und Kaschmirmantel, aber nicht eine Stunde Zeit für eine Plenardebatte im Deutschen Bundestag hat. Das bedrückt mich sehr. ({4})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Herr Kollege, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Kollegen Bertl?

Peter Hintze (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000907, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja, das gestatte ich.

Hans Werner Bertl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002628, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Hintze, können Sie mir und dem Hause bestätigen - ich habe in meinem Terminkalender nachgeschaut -, daß der Bundeskanzler am Mittwoch letzter Woche, am 10. März, weit über eine Stunde im Europaausschuß anwesend war und daß wir über alle Bereiche der von Ihnen hier reklamierten Positionen informiert wurden? Hat dieser Termin stattgefunden oder nicht? ({0})

Peter Hintze (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000907, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Das will ich Ihnen, lieber Herr Kollege, gerne bestätigen. Auch das war ein interessanter Vorgang. Denn es war ja so: Wir haben eine Möglichkeit gesucht, mit dem Bundeskanzler vor der deutschen Öffentlichkeit über diese Dinge zu diskutieren. Wir sind dann damit beschieden worden, er sei bereit, in nichtöffentlicher Sitzung in den Europaausschuß zu kommen. Das haben wir als ein kleines Zugeständnis seinerseits angenommen. Aber daß man sich jetzt quasi dafür bedanken muß, daß der Bundeskanzler, wenn er dem Plenum über Wochen die Aussprache verweigert, für eine Stunde in den Europaauschuß kommt und gleich zu Beginn der Sitzung sagt, man müsse auf die Zeit achten, das kann doch wohl nicht wahr sein. ({0})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Herr Kollege, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Kollegen Bertl?

Peter Hintze (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000907, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Gerne. - Bitte schön.

Hans Werner Bertl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002628, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich möchte nur noch auf eine Bemerkung von Ihnen eingehen: Können Sie mir bestätigen, daß der Europaausschuß öffentlich getagt hat und daß insofern Ihre Forderung, eine öffentliche Aussprache zu führen, letzte Woche im Europaausschuß erfüllt wurde?

Peter Hintze (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000907, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich erkläre das gerne: Der Bundeskanzler hat Wert darauf gelegt - das ist auch sein gutes Recht -, daß sein Erscheinen im Ausschuß, also die Tatsache seiner Anwesenheit, von Fernsehkameras vor Beginn der Sitzung aufgenommen wurde. Daß das bei Ihnen als Ausschußmitglied den Irrtum hervorgerufen hat, die Sitzung sei öffentlich, ist um so verständlicher, als die Einlassungen des Bundeskanzlers in dieser Sitzung materiell so gegen Null gingen, daß man wirklich dem Irrtum erliegen kann, es sei eine öffentliche Sitzung gewesen, Herr Kollege. ({0}) Die Londoner „Times“ hat geschrieben, es brauche wahrscheinlich noch lange, bis Bundeskanzler Schröder die Statur von Helmut Kohl erreicht habe. Ich halte diese Einschätzung für zu optimistisch. Er wird das nie schaffen. ({1}) Ich komme zum Schluß. Wir selber in der CDU/CSU bleiben der europäischen Idee in Wort und Tat verbunden. Aber wir lassen nicht zu, daß mit dem Ruf nach der europäischen Idee politisch alles und jedes, wie wir das soeben hier traurigerweise vom Landwirtschaftsminister gehört haben, verkleistert und gerechtfertigt wird. ({2}) Wir wollen, weil wir es mit der Erweiterung und mit Europa ernst meinen, nicht zulassen, daß mit heißer Nadel ein Kleid gestrickt wird, das schon nach der ersten Benutzung auseinanderfällt. Deswegen lautet unser Appell: Nutzen Sie die letzten Tage und Stunden, um aus der Agenda 2000 noch etwas Vernünftiges zu machen. Das, was bis jetzt vorliegt, wird diesem Anspruch nicht gerecht. ({3})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Das Wort hat jetzt der Kollege Günter Gloser, SPD-Fraktion.

Günter Gloser (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002660, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich muß den Kollegen Hintze, den ich im Ausschuß anders erlebe, fragen: Glauben Sie das wirklich, was Sie gerade hier geäußert haben? ({0}) Ich erlebe Sie ja auch in den Ausschußsitzungen. ({1}) - Lassen Sie mich einmal ausreden. Ich komme auf die Erfahrungen zurück, die wir mit Bundeskanzler Helmut Kohl gemacht haben. In bezug darauf waren wir uns einig. Ich nehme das einmal als Maßstab. ({2}) Kohl hat immer wieder gesagt: Sie glauben doch nicht, daß ich in einer öffentlichen oder teilweise öffentlichen Ausschußsitzung darüber spreche, was ich in Konferenzen verhandeln will. Wenn ich das nämlich sage, wird es nach draußen gegeben. Auch Schröder hat nichts anderes gemacht. ({3}) Bundeskanzler Schröder stand für Ihre Fragen zur Verfügung, und das Gegenteil von dem ist richtig, was Sie gerade behauptet und unterstellt haben, nämlich daß er nichts gesagt habe. Er hat ganz konkrete Fragen sehr detailliert beantwortet. Ich weiß aus Ihrem eigenen Lager, daß Sie baß erstaunt waren, wie der Bundeskanzler diese Fragen alle beantwortet hat. Insofern wollen wir doch hier keine Legenden bilden. ({4}) Nun zu Herrn Seehofer. Wenn Sie nicht aus dem Amt geschieden wären, müßte ich sagen: Schuster, bleib bei deinem Leisten. ({5}) Aber auf das Gebiet der Agrarpolitik hätten Sie sich nicht begeben sollen; denn es wurde ja gerade deutlich, was hier passiert ist. ({6}) Ich möchte noch einmal der Bundesregierung unsere Unterstützung dokumentieren und versichern, daß es richtig war, an dem Zeitplan festzuhalten, nämlich letzte Woche diese Sitzung und in der nächsten diese Konferenz durchzuführen. Auch wenn vielleicht mancher bei uns skeptisch war: Gerade weil die jetzige Situation mit ihren turbulenten Tagen eingetreten ist, ist es wichtig, daß die Europäische Union Handlungsfähigkeit nach außen demonstriert und zeigt, daß sie für die nächsten Jahre reformfähig ist. ({7}) Auch ich komme aus Bayern. Ich kann das Feldgeschrei der CSU überhaupt nicht mehr kapieren. Ich möchte die Herren Glos und Seehofer einmal fragen: Wie viele Kerzen müssen Sie eigentlich am Sonntag in der Kirche wegen Ihrer Scheinheiligkeit aufstellen? ({8}) Es ist wirklich wahr: Sie müssen doch jedesmal hintreten und sagen: Herr, verzeih mir; ich habe es nicht so gemeint, aber ich mußte es so sagen. ({9}) Es ist doch wirklich fatal. Ich habe das in den letzten Monaten verfolgt. Der Ajatollah des Alpenvorlands Edmund Stoiber pflegt auf der einen Seite einen ordinären Populismus - auch ich bin der Meinung, wie das verschiedene Kollegen, beispielsweise Herr Sterzing, gesagt haben, daß man in verschiedenen Punkten unterschiedlicher Auffassung sein kann -, und auf der anderen Seite stellt er sich ständig hin und sagt: Wir müssen den Nettobeitrag reduzieren; ich möchte aber nicht, daß meine Bauern Opfer bringen müssen. Das Schönste war ja: An einem Tag wettert Edmund Stoiber, daß er keine rasche Osterweiterung will, und am nächsten Tag macht er vor den Ungarn einen Kotau und sagt: Doch, ich bin für eine rasche Erweiterung. Dies ist eine Scheinheiligkeit, und das ist überhaupt nicht mehr zu vertreten. ({10}) Damit komme ich zu folgendem Punkt. In den ersten Wochen haben Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, die Legende verbreitet, die Sozialdemokraten und natürlich auch Bündnis 90/Die Grünen wollten die Osterweiterung nicht. Bei Besuchen im Ausland haben Sie anscheinend gesagt, wir seien diejenigen, die die Osterweiterung nicht wollten. Wir bestätigen ausdrücklich, daß wir für diese Osterweiterung sind. In der nächsten Woche gibt es diese Konferenz, und wir werden ein Ergebnis zustande bringen. Damit setzen wir ein deutliches Zeichen für diese Osterweiterung. ({11}) Ein weiterer Punkt. Vielleicht sollten Sie einmal die Seminare Ihrer Hanns-Seidel-Stiftung besuchen; denn dort wird vermutlich weit transparenter und ehrlicher dargestellt, wie auf europäischer Ebene bestimmte Prozesse ablaufen. Auch Herr Kohl hat sicher gelegentlich Ziele formuliert, mit denen er in eine Konferenz gegangen ist; aber ich habe noch nie erlebt, daß er mit einem Ergebnis herausgekommen ist, das dem vorher genannten Ziel vollständig entsprach. ({12}) - Weil man Kompromisse schließen muß, Herr Seehofer. ({13}) In Seminaren der Hanns-Seidel-Stiftung werden diese Prozesse dargestellt, und es wird nicht dieses Wischiwaschi gemacht, das Sie dem Deutschen Bundestag, der deutschen Öffentlichkeit und darüber hinaus präsentiert haben. ({14}) - Hören Sie doch mit diesen Stichworten auf, wer wen wann verraten hat. Ich stelle eindeutig fest: Herzlichen Dank an den Agrarministerrat, daß es zu diesem Ergebnis gekommen ist. Es ist ein Funke übergesprungen! ({15}) Aber ich möchte schon noch ein paar kritische Dinge anmerken. Ist es wirklich das Europa, das wir wollen, wenn wir tagelang, wochenlang über Garantiepreise, -mengen, Milchquoten, Rindfleisch usw. diskutieren? Die Generationen, die nach 1950 geboren sind, haben doch andere Ziele in Europa. Damit kein Mißverständnis entsteht: Mir ist die Existenz und die Wettbewerbsfähigkeit der Landwirtschaft wichtig, ohne Zweifel. Aber Sie können nicht dauernd auf Bauernversammlungen in diesem Lande etwas verkünden, was Sie selbst nicht einhalten können, Herr Müller. Das sollten Sie endlich einmal gelernt haben - auch wenn Sie aus dem Allgäu kommen. ({16}) Europa hat eine andere Zukunft: Wie gehen wir miteinander um in der Frage der Bildungspolitik, in der Frage der Technik? Wir können uns doch nicht stundenlang über Agrarquoten unterhalten. Ich bin, wie viele Kolleginnen und Kollegen der SPD-Bundestagsfraktion, der Auffassung, daß wir endlich zu einer europäischen Verfassung, zu europäischen Bürgerrechten kommen müssen. Damit erfüllen wir den Auftrag, darin liegt Sinnstiftendes. Insofern bin ich auch etwas enttäuscht über die französischen Partner, die partout keine Kofinanzierung wollten, weil sie, so wie ich hörte, noch in dem Glauben sind, diese gemeinsame Agrarpolitik sei etwas Sinnstiftendes aus der Gründungszeit der Europäischen Union. Diesbezüglich habe ich eine andere Auffassung. Aber Sie wissen ganz genau - auch das wird auf den Seminaren der Hanns-Seidel-Stiftung verkündet -, daß man Einstimmigkeit, daß man einen Konsens, eine Zustimmung aller braucht, um zu bestimmten Ergebnissen zu kommen. Insofern ist der Weg, der geebnet wurde, sehr gut. Meine sehr verehrten Damen und Herren, sicherlich werden wir auf diesem Gipfel nicht alles von dem, was wir uns vorgenommen haben, erreichen. Aber es war die in diesen Tagen gescholtene Kommission, die diese Agenda 2000, dieses Europa der Zukunft, entwickelt hat und dazu konkrete Vorschläge vorgelegt hat. Sie war es, die deutlich gemacht hat: Es nützt nichts, wenn man nur in den Nischen, in den Schrebergärten Politik macht. Wir wollen eben keine Renationalisierung der Landwirtschaftspolitik, wir wollen eine gemeinschaftliche Politik. Die gemeinsamen Probleme kann man in der Europäischen Union auch nur gemeinsam lösen. Wenn Bayern bei diesem fundamentalistischen Ansatz bleibt, dann sind Sie auf dem berühmten Holzweg, Herr Kollege Müller. Ich möchte dazu ein Zitat einbringen: Wir müssen die europäische Flagge hissen, weil die schrebergärtnerischen Größenordnungen der euroGünter Gloser päischen Nationalstaaten nicht mehr ausreichen, um mit den Notwendigkeiten und Problemen der nächsten Generation fertig zu werden. Jeder, der es ernst meint mit Europa, weiß und muß nach diesem Wissen handeln, daß die europäische Kleinstaaterei der Vergangenheit nicht ihre Fortsetzung im kleineuropäischen Denken der Gemeinschaft finden darf. Ich kann dem nur zustimmen. ({17}) - Das sage ich Ihnen - Sie hätten eigentlich klatschen können; es irritiert mich, daß die Praxis bei Ihnen heute anders aussieht -: Es war Franz Josef Strauß, der das vor vielen Jahren gesagt hat. ({18}) Das eben trifft den Punkt: Der liebe Edmund Stoiber will sich aus allem zurückziehen, will nur in seinem Schrebergarten Bayern gestalten. Gestaltung muß darüber hinaus stattfinden. Er tritt auf europäischer Ebene immer wieder als vehementer Kämpfer für den Föderalismus auf. Er sollte lieber einmal in Bayern als Föderalist auftreten; dort redet er gegenüber Kreisen und Kommunen nämlich dem Zentralismus das Wort. Er sollte nicht den anderen Wasser predigen und selber Wein trinken. ({19}) Ich danke der Bundesregierung für ihren massiven Einsatz für das Zustandekommen dieses Gipfels. Wir wünschen ihr Glück und Erfolg, weil ihr Erfolg auch der unsrige ist. Ich bedanke mich bei den vielen Kolleginnen und Kollegen in der CDU, die bis zuletzt versucht haben, eine gemeinsame Entschließung des Bundestages zustande zu bringen. Im Interesse dieser Kollegen - damit sie keinen Schaden nehmen - nenne ich keinen Namen. Vielen Dank. ({20})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Es spricht jetzt der Kollege Heinrich-Wilhelm Ronsöhr für die CDU/CSUFraktion.

Heinrich Wilhelm Ronsöhr (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002766, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wissen Sie, was ich an dieser Debatte schlimm finde? Ich finde es schlimm, daß die Existenzfähigkeit der Landwirtschaft gegen die Weiterentwicklung der Europäischen Union ausgespielt wird. Das will ich, das wollen wir von der CDU/CSU nicht. Die Bauern in unserem Lande haben schon auf Europa gesetzt, als der jetzige Landwirtschaftsminister, der damals niedersächsischer Landwirtschaftsminister gewesen ist, noch aus der Europäischen Union austreten wollte. ({0}) Das ist damals lächerlich gewesen; aber er hat es als Ernst verkauft. Dann hat er hier erklärt, daß er mit der bayerischen Strukturpolitik nicht einverstanden sei. Er hat die Bayern massiv belehrt und damit natürlich seine Einsparpolitik verteidigt. Das macht er heute noch. Ich kann mich an eine Veranstaltung erinnern, auf der Karl-Heinz Funke - er war damals Diskussionsredner; ich kann dafür Zeugen nennen - dafür eingetreten ist, daß ein Bauer mit 8 Kühen einen höheren Milchpreis bekommt als einer mit 80 Kühen, weil er den Strukturwandel behindern wollte. Das sind Widersprüche, an die man auch einmal erinnern muß. Ich glaube, daß er heute von dieser Politik weg ist. ({1}) Aber ich will wenigstens einmal darauf aufmerksam machen dürfen. Mein Vorredner, Herr Gloser, hat davon gesprochen, daß ein Funke überspringen müsse. Der ist auch übergesprungen. Wissen Sie: Wenn ein Funke überspringt das sage ich Ihnen jetzt als Bauer -, kann es auch brennen. ({2}) Meine Damen und Herren, Herr Seehofer hat die Frage gestellt: Wer hat eigentlich den Konsens in der Agrarpolitik aufgekündigt? ({3}) Dieser Landwirtschaftsminister war an einer Beschlußfassung der Länder beteiligt. Er hat als Landwirtschaftsminister dieser Beschlußfassung zugestimmt. Aber nachdem wir die damalige Beschlußfassung zum Antrag erhoben hatten, waren Kollegen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen dagegen. Da liegt die Konsensaufkündigung. ({4}) Jetzt sagt man: Wir brauchen das alles, damit das WTO-konform ist. Meine Damen und Herren, war der damalige Beschluß nicht WTO-konform? Wir verlangen dazu zumindest eine ganz eindeutige Erklärung. Die Aufkündigung dieses Konsenses kommt der Landwirtschaft und den deutschen Steuerzahler - das ist ja das Eigenartige; das ist ja das Widersprüchliche - teuer zu stehen. Wir wollten mit dem damaligen Beschluß und auch mit unserem heutigen Antrag die Existenzfähigkeit der Landwirtschaft sichern. Jetzt wird die Agenda 2000 noch sehr positiv dargestellt. Ich hätte von diesem Landwirtschaftsminister das sage ich in aller Ehrlichkeit und Offenheit - wenigstens einen Satz des Bedauerns erwartet, daß die Landwirte durch die Agenda 2000 so starke Einkommenseinbußen erfahren. ({5}) Ich habe mich da geirrt. Ich entschuldige mich bei denen, die ich immer wieder von etwas anderem überzeugen wollte.

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Herr Kollege Ronsöhr, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Seehofer?

Heinrich Wilhelm Ronsöhr (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002766, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Bitte. ({0})

Horst Seehofer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002140, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Ronsöhr, können Sie meine Einschätzung teilen, daß es heute ein unerträglicher Zynismus war, daß der deutsche Landwirtschaftsminister von einem großen Erfolg spricht, daß er das Ganze hier im deutschen Parlament zum Teil noch in ein Gaudium umwandelt, während draußen 50 000 bis 60 000 kleine und mittlere Betriebe um ihre Existenz bangen und die realen Einkommen der Landwirte durch diese Reform, die Herr Funke als Erfolg feiert, unbestritten zwischen 10 und 20 Prozent zurückgehen werden? Ist dies nicht blanker Zynismus?

Heinrich Wilhelm Ronsöhr (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002766, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Auch ich sehe das als Zynismus an. Der Landwirtschaftsminister hält hier Karnevalsreden, und die Landwirte haben Sorgen um ihre Existenz. ({0}) Meine Damen und Herren, die Agenda 2000 wird immer nur vordergründig diskutiert. Jetzt wird davon gesprochen, daß die Milchpreissenkung verschoben wird. Nur - Herr Schäuble, Herr Seehofer und Herr Hintze sind bereits darauf eingegangen -: Wir haben bereits im nächsten Jahr eine Ausweitung der Milchproduktion um fast 1 Prozent. Das führt zu einem Preisdruck. Davon geht ein enormer Preisdruck auch für die deutsche Landwirtschaft aus, obwohl sie die Ausweitung der Produktion gar nicht mitmachen kann. Es wird davon gesprochen, der Getreidepreis sinke zweimal um 10 Prozent. Aber es wird auch in dem Papier, das wir gestern in der Ausschußsitzung vom Ernährungsministerium bekommen haben, verschwiegen, daß man auch die sogenannten Reports-Preisaufschläge abbaut. Das bedeutet noch einmal 3 Prozent Preissenkung. Es wird immer vom Sicherheitsnetz beim Rindfleisch gesprochen. Wissen Sie eigentlich, daß das Sicherheitsnetz erst greift, wenn der Rindfleischpreis um 44 Prozent, um fast die Hälfte gesunken ist? Wer kann denn da noch von einem Sicherheitsnetz sprechen? So kann es doch nicht gehen. ({1}) Die Agenda 2000 wird in der Form, in der sie jetzt zur Beschlußfassung vorliegt, noch nicht einmal richtig dargestellt. Das wäre doch das mindeste, was man erwarten kann. ({2}) Die deutschen Winzer produzieren einen ehrlichen Wein. Der Wein dieses Landwirtschaftsministers ist trübe. ({3}) Meine Damen und Herren, ich finde gut, daß unser Fraktionsvorsitzender einmal über die nationalen Belastungen der Landwirtschaft gesprochen hat. ({4}) - Ich habe Sie auch ausreden lassen. Hören Sie sich das Unangenehme ruhig einmal an! - Vor einiger Zeit hat dieser Bundeslandwirtschaftsminister dem früheren und vielleicht auch noch heutigen Finanzminister Lafontaine einen Schinken überreicht, damit er eine Milliardenbelastung durch die Steuergesetzgebung von den deutschen Bauern fernhält. Nun haben die fleißigen Bauern in Deutschland eine Milliardenbelastung, und Lafontaine hat seinen Schinken, hat sein Einkommen und verweigert auch noch die Arbeit. ({5}) Wenn die Sozialdemokratie angesichts dieser Lage noch von Gerechtigkeit spricht, dann verläßt sie ihre Tradition, denn Tradition ist bei ihr auch der Anspruch auf Gerechtigkeit. Vor einiger Zeit wurden hierzu noch Reden gehalten. Ich habe das, weil man als Hannoveraner zum britischen Königshaus immer eine positive Einstellung hatte, nie mitgemacht. Aber die Sozialdemokraten haben immer davon gesprochen, die britische Königin würde die meisten Subventionen bekommen. Die Wahrscheinlichkeit, daß sie jetzt noch mehr Subventionen bekommt, ist sehr hoch, aber die deutschen Bauern erhalten weniger Einkommen. Das sind die Tatsachen, über die es hier zu diskutieren gilt. ({6}) Die deutschen Bauern wollten keine Subventionserhöhung. Die deutschen Bauern wollten - dies wird vom Landwirtschaftsminister und vielen aus der SPD wieder einmal falsch dargestellt - Gerechtigkeit, Gerechtigkeit angesichts der Leistungen, die sie in unserer Gesellschaft erbringen. ({7}) Sie wollten, daß ihre Leistungen auch gerecht bewertet werden. Aber die Antwort durch die Agenda 2000 ist, daß sie jetzt existenzgefährdende Rahmenbedingungen bekommen. Wenn Sie es, Herr Funke, gegenüber den deutschen Bauern und dem Bundestag ehrlich meinen, dann nehmen Sie die hausgemachten Belastungen, die die Bauern durch die Steuergesetzgebung erfahren, wieder zurück, damit die Landwirtschaft nicht noch mehr ausblutet. Wenn Sie ein wenig Herzblut für die deutsche Landwirtschaft haben, dann setzen Sie zumindest diese Forderung um! ({8}) Ich glaube, die Bauern haben es verdient. Sie haben immer zu Europa gestanden. Jetzt wollen sie, daß Europa zu ihnen steht. Sie haben früher als der Bundeskanzler, der heute nicht anwesend ist, ({9}) zum Euro gestanden, und jetzt werden sie Leidtragende einer europäischen Entwicklung, die dieser Landwirtschaftsminister und diese Bundesregierung zu verantworten hat. Vielen Dank. ({10})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht jetzt die Kollegin Ulrike Höfken.

Ulrike Höfken-Deipenbrock (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002680, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Immerhin hatte die Quotierungsdiskussion bei den Grünen keine Hintzes und Ronsöhrs als Ergebnis. Das ist allein schon mal gut. Die ganze heutige Debatte entwickelt sich ja zur Wadenbeißerei auf Dakkelhöhe. ({0}) Herr Schäuble, Sie haben heute morgen die mangelhafte Vorbereitung der deutschen Ratspräsidentschaft beklagt. An diesem Punkt haben Sie ganz gewiß Recht. Aber genau das war das Versäumnis der alten Bundesregierung. ({1}) Borchert hat immer unter dem Tisch gesessen, und nun wird das von dem eigenen Fraktionsvorsitzenden beklagt. Minister Funke hat auf der Basis dessen, was in Anbetracht der mangelhaften Vorbereitung und in Anbetracht der zu Beginn der Verhandlungen völlig auseinanderklaffenden Interessen der Mitgliedstaaten möglich war, ein gutes Ergebnis erzielt. ({2}) Niemand bestreitet übrigens die schwierige Lage der Landwirtschaft in Deutschland und in weiten Teilen Europas. Darüber gibt übrigens, Herr Hintze, der Situationsbericht des Deutschen Bauernverbandes Aufschluß, der den Verlust von 82 000 Arbeitsplätzen beklagt. Dieser Bericht bezieht sich aber gerade auf die Arbeit der alten Bundesregierung und damit auf genau die alte Agrarpolitik, die überhaupt keine Lösungen geschaffen hat. Diese Politik hat zu enormen finanziellen Fehlbelastungen geführt - zu Lasten der Steuerzahler, zu Lasten der Mehrzahl der Bauern und zu Lasten der Umwelt und Verbraucher. Die Endzeitstimmung, die Herr Seehofer, Herr Deß oder Herr Hintze heute verbreiten, hat durchaus ihre Berechtigung. Man muß aber ganz klar sagen, daß die Kohl-Regierung in 16 Jahren die Landwirtschaft marginalisiert hat. ({3}) Dabei halten wir die Fragen der Agrarrohstoffe, der gesunden Ernährung der wachsenden Weltbevölkerung und der Zurverfügungstellung von sauberem Wasser für Zukunftsfragen, die bislang keine Beantwortung gefunden haben. Die Überschüsse, die die alte Politik bewirkt hat, haben zu der Entwertung von landwirtschaftlichen Produkten und Lebensmitteln geführt. Ich bin sehr gespannt, wie Sie sich beispielsweise bei der Debatte um den Tierschutz im Grundgesetz verhalten werden, bei der es darum geht, Werte und Bewertungen wieder ethisch zu verankern. Wie ich das sehe, werden Sie dann wieder kneifen. ({4}) Ordnungspolitische Maßnahmen und Mengenregulierung fordert die CDU/CSU jetzt. Aber die Maßnahmen, die der Umwelt und der Qualität gedient hätten - Qualitätsinstrumente wie beispielsweise die Stickstoffdünger -, haben Sie immer abgelehnt. Direkte Einkommensübertragungen werden jetzt gefordert - zuletzt heute morgen von Herrn Schäuble -, als ob sich ein Wirtschaftsbereich mit Transferzahlungen und Sozialhilfeleistungen überhaupt über Wasser halten könnte. Das ist genau das Aufs-falsche-Gleis-Setzen, das Minister Funke vorhin erwähnt hat.

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Frau Kollegin, lassen Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Ronsöhr zu?

Ulrike Höfken-Deipenbrock (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002680, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ja.

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Bitte.

Heinrich Wilhelm Ronsöhr (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002766, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Kollegin Höfken, sind Sie bereit, einmal den Kollegen Weisheit zu fragen, was er gegenüber dem Bund der Deutschen Landjugend, bei dem wir uns am Dienstag befunden haben, für eine Erklärung abgegeben hat? Herr Weisheit hat dort gegenüber dem Bund der Deutschen Landjugend erklärt, daß die Aufnahme des Tierschutzes ins Grundgesetz überhaupt keine Veränderung mit sich bringt. Das mag man woanders wieder anders darstellen. Nur, dieses Spiel machen wir nicht mit, nämlich das Spiel, das zum einen um die Aufnahme des Tierschutzes ins Grundgesetz und zum andern mit den Bauern betrieben wird. Sie müssen schon ehrlich erklären, was Sie eigentlich wollen.

Ulrike Höfken-Deipenbrock (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002680, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich danke Ihnen sehr für Ihre Zwischenfrage und kann Ihnen darauf antworten: Wenn Herr Weisheit gesagt hat, daß sich durch eine entsprechende Grundgesetzänderung für die Landwirtschaft und die landwirtschaftliche Produktion nichts ändern wird, dann muß man feststellen, daß er recht hat. Aber die Wertigkeit der artgerechten Tierhaltung und der Produktion und das Verhalten sowie das Bewußtsein der Verbraucher ändern sich. Genau hier liegt Ihr Problem: Sie sind unglaubwürdig bei der Berücksichtigung der Interessen der Bevölkerung. Diese nutzen Sie nur, wenn es um ausländerfeindliche Parolen geht. ({0}) Mit der Agenda 2000 wird der schwierige Einstieg in eine Marktorientierung und eine stärkere Umweltgerechtigkeit geschaffen. Auch wenn es hier mehr Konsequenz und sanftere Übergänge hätte geben können, muß man feststellen: Ein modernes Leitbild für die Landwirtschaft wäre schon längst gestaltet worden, wenn Sie hier rechtzeitig einen Konsens erzielt hätten.

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Frau Kollegin, es gibt eine weitere Zwischenfrage. Lassen Sie sie zu?

Ulrike Höfken-Deipenbrock (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002680, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ja.

Norbert Schindler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002776, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Kollegin Höfken, stimmen Sie mir darin zu, daß durch die Beschlüsse, die im Rahmen der Agenda 2000 getroffen werden, die Situation sowohl bezüglich Milchüberschüsse als auch der Stillegung von Getreideflächen verschärft wird? Oder sind Sie anderer Auffassung? Man muß in der heutigen Debatte auf folgendes deutlich hinweisen: In diesen Tagen beschließen wir im Rahmen der Agenda 2000 Umsatzrückgänge für die Wertschöpfung der deutschen Landwirtschaft in Höhe von 2,5 Milliarden DM. Dieser Umsatzrückgang erhöht sich noch um weitere 1,5 Milliarden DM durch das beschlossene Steuerentlastungsgesetz. Die Wertschöpfung der deutschen Landwirtschaft liegt bei etwa 40 Milliarden DM. Durch unsere Beschlüsse verlieren die deutschen Landwirte 10 Prozent ihres Umsatzes, der voll auf die Gewinne durchschlägt. Das kann man um Gottes willen doch nicht als Erfolg einer zukunftsorientierten Wirtschafts- und Agrarpolitik verkaufen. Dazu hätte ich gerne eine Antwort von Ihnen. ({0})

Ulrike Höfken-Deipenbrock (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002680, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrter Herr Kollege Schindler, ich habe vorhin auf die Ergebnisse des Situationsberichtes des Deutschen Bauernverbandes hingewiesen. Ich kann dazu nur sagen: Die Instrumente, die Sie einfordern, haben zu gar nichts geführt. Es kann also nur besser werden. Für diese Chance und die neuen Wege soll die Agenda 2000 genutzt werden. Wenn es zu Ergebnissen kommen soll, dann muß man sagen, daß sie nur auf der Basis dessen, was jetzt hier erarbeitet wird, erzielt werden; denn die Verantwortung für die jetzige Situation tragen Sie. Vielen Dank. ({0}) Marktorientierung heißt, die faktisch vorhandenen Aufteilungen der Märkte politisch zu gestalten. Alles andere würde nämlich bedeuten, die Realität völlig zu ignorieren. Diese Gestaltung bedeutet auf der einen Seite eine Weltmarktorientierung und auf der anderen Seite - das ist für Europa die wichtigste - die Orientierung an einer differenzierten Qualitätsanforderung nach hochwertigen Nahrungsmitteln durch die europäischen Verbraucher des europäischen Binnenmarkts, an der Nachfrage nach den gesellschaftlichen Leistungen der Landwirtschaft für den Naturschutz und die Landschaftspflege sowie nach sauberem Wasser und sauberen Formen der Energieerzeugung. Solche Entwicklungen bieten auch kleinen und mittleren Betrieben Perspektiven, die diesen bisher eher verschlossen als eröffnet worden sind. Durch die Agenda 2000 kann der agrarpolitische Markt noch nicht richtig rundlaufen. Aber sie bietet Möglichkeiten der Entwicklung. Auch wenn die Weltmarktorientierung sicherlich nur für einen kleinen Teil der Betriebe interessant ist, sehen wir dennoch in der Steigerung der Nachfrage nach Qualitätsprodukten durch die 340 Millionen Verbraucher des EUBinnenmarktes eine Chance für die Entwicklung eines Wirtschaftsbereiches, der in der letzten Zeit nur an die Wand gedrückt wurde. Minister Funke konnte mit seiner Politik die Übergangs- und Anpassungsprobleme deutlich erleichtern. Niemand hat gesagt, das Ganze sei ein wunderbarer Erfolg. Wenn man einen solchen erzielen wollte, müßte man die letzten 40 Jahre Agrarpolitik ungeschehen machen. Das kann man nicht in fünf Monaten Regierungszeit schaffen, und schon gar nicht in einigen Tagen Ratspräsidentschaft. Aber die Kosten halten sich immerhin in dem engen Rahmen, den wir uns zum Ziel gesetzt hatten. Zum Beispiel im Rindfleischbereich fließen statt 9 Prozent nun 14 Prozent Prämien nach Deutschland. Das haben Sie doch immer verlangt, aber nie eingeleitet. Es gibt Lösungen explizit für Deutschland, insbesondere für die neuen Länder - diese wären bei den vorherigen Kommissionsbeschlüssen sehr arm dran gewesen -: Die Grundflächen werden verankert. Eine Grünlandprämie wird eingeführt. Die Variabilität bei den 90 Tiergrenzen wird eingeführt. Es gibt keine Degression, die einseitig zu Lasten der ostdeutschen Betriebe geht. Es gibt - das ist das Wichtigste - eine neue Rechtsgrundlage für den Bereich Milch. Um noch einmal auf das einzugehen, was der Kollege Schindler angesprochen hat: Es konnte den enormen Ansprüchen des London Club entgegengewirkt werden. Eine Absenkung der Milchquote wäre sinnvoller gewesen; das gebe ich zu. Doch die jetzigen Aufstockungen das ist gestern auch im Agrarausschuß so gesagt worden - bringen real nicht mehr Milch auf den Markt. Sie legalisieren nur die entstandenen Übermengen in Italien, Griechenland, Spanien und Irland und verursachen somit keinen weiteren Preisdruck. Insofern ist falsch, was Kollege Schindler gesagt hat. Es werden nicht mehr Mengen auf dem Markt sein als heute; und für diese wurden nur bisher die Superabgaben gezahlt. Entscheidend ist das Auslaufen der jetzigen Milchmengengarantieordnung im Jahr 2006 und die Überprüfung im Jahr 2003. Damit wird endlich eine Rechtsgrundlage für ein Lieferrecht geschaffen, das den zukunftsfähigen und entwicklungsfähigen Betrieben und den jungen Landwirten eine Wirtschaftsperspektive eröffnet. Es gibt auch beim Wein durchaus gute Ergebnisse; sie sind nicht getrübt. Insgesamt konnten Mengenregulierungsinstrumente aufrechterhalten werden. Der Bauernverband hat gesagt, 4,2 Milliarden DM wäre das Volumen, um das die Landwirtschaft durch die alten Kommissionsvorschläge belastet worden wäre. Minister Funke hat nun erzielt, daß diese Belastung um fast die Hälfte reduziert wird. Was also sind die Klagen? Ein Verschieben der Agenda 2000 - das will ich zum Schluß sagen - ist das Absurdeste, was man jetzt fordern könnte. Dies hieße wirklich: Die EU-Wahl vor Augen benutzen CDU/CSU und F.D.P. die Bauern wieder in unverantwortlicher Weise als parteipolitische Spielmasse - entgegen den nationalen Interessen, den Interessen der Landwirtschaft und ihrer eigenen Europapolitik. ({1}) Mit den Vorschlägen zur horizontalen Verordnung und den Strukturfonds eröffnen sich neue Spielräume. In der nationalen Ausgestaltung gibt es Spielräume für mehr Beschäftigung, mehr Umweltschutz und mehr Tierschutz. Diese gilt es zu nutzen. Dazu laden wir auch die Opposition ein. Danke schön. ({2})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Zu einer Kurzintervention erteile ich dem Kollegen Schindler, CDU/CSU, das Wort.

Norbert Schindler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002776, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Höfken, Sie haben hier gesagt, daß die schlimmsten Befürchtungen ob es nun 2,5 Milliarden DM, 4 Milliarden DM oder 5 Milliarden DM sein werden - abgeschwächt werden. Die Philosophie aber „Weniger ist mehr, gesteuerte Märkte und keine Überschüsse“ - so Frau Höfken - ist mit der Entscheidung, die Milchquote zu erweitern, beschlossene Sache. Das bedeutet einen Preisdruck auf den Märkten und ein vermindertes Einkommen für die Bauern. Es ist unumstritten - das muß man doch einmal sagen -, daß die Agrarpreise zurückgenommen und im Schnitt nur hälftig ausgeglichen werden. Dies schlägt sich letztendlich auf die Gewinne nieder. Dies muß in einer solchen Debatte doch deutlich gesagt werden. Es gibt in Deutschland keine Gewinner. Die deutschen und auch die europäischen Bauern sind weitestgehend Verlierer dieses Beschlusses. Was wir heute morgen seitens der Regierungskoalition gehört haben, war doch das Belobigen eines falschen Ergebnisses. ({0})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Zur Erwiderung, Frau Kollegin Höfken, bitte.

Ulrike Höfken-Deipenbrock (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002680, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich muß nicht wiederholen, wie problematisch ich immer die erste Säule der Agenda 2000 gefunden habe. Nichtsdestotrotz: Man muß betonen, daß all dies doch auf dem Mist der alten Bundesregierung gewachsen ist. ({0}) Gerade im Milchbereich war das, worüber jetzt geklagt wird, ein Schildbürgerstreich des alten Landwirtschaftsministers Borchert. Das einzige Engagement von Minister Borchert richtete sich doch damals auf die Sicherung der Maisgrundflächen. Silomaisprämien waren das bundesdeutsche Ziel in den europäischen Verhandlungen. Die Durchsetzung genau dieser Zielanforderungen hat zu dem verhängnisvollen Rattenschwanz geführt, nämlich zu den Forderungen nach Quotenaufstokkungen und zu der jetzigen Entwicklung. Insofern ist das, womit wir es heute zu tun haben, das Ergebnis eines strategischen Fehlers der alten Bundesregierung. Zum Glück konnte dieses Ergebnis noch abgemildert werden. ({1})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Letzter Redner der Debatte ist der Kollege Markus Meckel, SPD-Fraktion.

Markus Meckel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001451, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Sehr verehrte Damen und Herren! Sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen! Nach den letzten Reden möchte man meinen, die Landwirtschaft stehe im Zentrum europäischen Interesses. ({0}) Viele Menschen in ganz Europa werden das kaum verstehen. Ich sage gleichzeitig: Es gehört nun einmal zur Geburtsgeschichte und zur Geschichte der Europäischen Union insgesamt: Wenn man die Landwirtschaft allein als Wirtschaftszweig betrachtete - so war sie am Anfang geplant; dafür kämpfen Sie offensichtlich noch immer und wenn es nur noch um die Frage der Preissubventionen ginge, müßten wir sagen, daß Europa falsch strukturiert bleibt. Was jetzt passiert ist und wobei unser Bundeslandwirtschaftsminister geholfen hat, ist zum einen, ein Stück weit dabei voranzukommen, die wirtschaftliche Dimension der Landwirtschaft durch die Veränderung von Preissubventionen hin zu mehr Marktorientierung umzugestalten. Zum anderen hat der BundeslandwirtUlrike Höfken schaftsminister geholfen, anzuerkennen, daß das Wohl der Landwirtschaft und das Wohl aller, die mit der Gestaltung des ländlichen Raumes zu tun haben, im öffentlichen Interesse liegt. Deshalb ist es richtig, denjenigen Landwirten, die gleichzeitig Landschaftspflege betreiben, angemessene Direkthilfen zu gewähren. Diesen schwierigen Schritt zu gestalten ist die Aufgabe, vor der wir in Europa stehen. ({1}) Wir wissen alle, daß es eine ausgesprochen schwierige Aufgabe ist. Ich möchte zu diesem Punkt keine weiteren Ausführungen machen. ({2}) - Herr Kollege, deshalb will ich mich nicht weiter mit der Landwirtschaft beschäftigen. Ich weiß, wie schwer es ist, diesen Schritt zu gehen; aber ich möchte gleichzeitig sagen: Es gibt anderes, das ebenfalls in das Zentrum der Aufmerksamkeit gerückt werden muß. Ich meine die Gestaltung ganz Europas. Wir haben vor zehn Jahren mit dem Zusammenbruch der kommunistischen Systeme die Chance erhalten, das zusammenwachsende Europa zu gestalten. Die Länder Ost- und Ostmitteleuropas drängen in die Institutionen des Westens. Wir erinnern uns daran - ich denke, wir sehen das im ganzen Haus mit Freude -, daß die Polen, die Tschechen und die Ungarn vor kurzem in die NATO eingetreten sind. Andere Staaten wollen folgen. Wir sind jetzt bei einem sehr viel schwierigeren Thema, das alle Bereiche der Gesellschaft und der Wirtschaft angeht; es geht um die Gestaltung Europas im Rahmen der Europäischen Union. ({3})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Herr Kollege Mekkel, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Schindler?

Markus Meckel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001451, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Nein, da sie sich offensichtlich auf Landwirtschaft bezieht und ich dieses Thema hinter mir lassen will, möchte ich das nicht tun. ({0}) Im Auswärtigen Ausschuß war gestern die bulgarische Außenministerin Michailowa zu Gast, die uns den Wunsch ihres Landes auf Mitgliedschaft in der Europäischen Union eindrücklich vorgetragen hat. Bulgarien ist ein Land, das von der Geschichte wahrhaftig schwer geschlagen ist. Es hatte ferner in den Jahren nach 1990 nicht immer Glück mit seinen Regierungen. Sie hat uns gebeten, bei der Aufnahme zu helfen. Sie sagte: Wir wollen hinzukommen; wir wollen, daß diese Europäische Union erweitert wird; macht dies nicht von eurer Fähigkeit zu inneren Reformen abhängig! Wir alle wissen, daß dieser Wunsch nicht erfüllt werden kann. Die Europäische Union ist nur wirklich erweiterungsfähig, wenn wir im Rahmen der Agenda 2000 den Finanzrahmen und die Agrarpolitik verändern und Strukturreformen vornehmen. Wir müssen neue Strukturen schaffen bzw. bestehende anpassen, um so ein erweitertes Europa gestalten zu können. Wir müssen Europa fit für die Erweiterungen machen. Deshalb ist es der wichtigste Dienst, der den Beitrittskandidaten während der deutschen Präsidentschaft geleistet werden kann, diese Agenda 2000 zu verabschieden. Von daher kann ich es überhaupt nicht verstehen, meine verehrten Damen und Herren von der Opposition, wenn Sie hier die Frage aufwerfen, ob die Agenda verschoben werden soll, oder sagen, daß die Dinge lieber gut als zeitnah gemacht werden sollen, so wie es Herr Hintze gestern vorgeschlagen hat. Ich glaube, daß deutlich gemacht werden muß, daß jetzt gerade dieses Fitmachen der EU durch die Agenda auf der Tagesordnung steht. Ich habe die große Befürchtung - das ist heute schon mehrfach gesagt worden -, daß der Konsens in der Europapolitik, der bisher dieses Haus beherrscht hat, von der rechten Seite dieses Hauses zerstört wird. Jedenfalls hat die Diskussion vieles dazu beigetragen. Gleichzeitig habe ich die Befürchtung - das sage ich aus Mitgefühl -, daß die Union sich der Lage nähert, in der sie Anfang der 70er Jahre schon einmal war. Damals hat sie sich aus dem breiten europäischen Konsens in bezug auf die KSZE verabschiedet, heute geschieht es offensichtlich in bezug auf die Gestaltung Europas durch die EU genauso. Ich möchte Sie warnen und bitten, zu diesem Konsens zurückzukehren. ({1}) Zehn plus zwei Staaten, das heißt zehn Staaten Ostmitteleuropas und zwei Staaten des Mittelmeers, stehen vor der Tür der Europäischen Union und klopfen an. Sie wollen differenziert nach ihren Möglichkeiten behandelt werden. In der Vergangenheit hat es ja bei uns manchen Streit darüber gegeben, ob man nicht alle Staaten gleich behandeln sollte, zum Beispiel durch gleichzeitige Verhandlungen. Ich halte die damalige Entscheidung zu differenzieren für richtig, weil die Staaten Ostmitteleuropas nicht mehr als Ostblock zu betrachten sind, sondern nach ihren jeweils konkreten Möglichkeiten und Reformschritten individuell behandelt und beurteilt werden müssen. Gleichwohl ist es ein wichtiger Erfolg des damaligen Außenministers Kinkel und der deutschen Bundesregierung gewesen, hier so zu differenzieren, daß es nicht zwei festgeschriebene Gruppen gibt und es nicht von vornherein klar ist, daß alle diejenigen, mit denen zur gleichen Zeit verhandelt wird, auch gemeinsam beitreten werden, sondern diejenigen, die in der zweiten Reihe stehen, im Beitrittsprozeß andere überholen können. Ich halte es für wichtig, daß hier genau hingesehen wird. Deshalb sollte man zum Beispiel Lettland - das wurde heute schon gesagt - und die Slowakei mit in den Blick nehmen. Wir haben damals gerade auf Grund der Demokratiedefizite einer Verhandlungsaufnahme mit den Slowaken - sie haben inzwischen Herrn Meciar abgewählt - nicht zustimmen können. Heute stehen sie außerhalb der NATO. Bei den Eröffnungsreden zum NATO-Beitritt der Tschechen hat das eine Rolle gespielt. Manche erinnerten an den Prager Frühling 1968 und an Herrn Dubcek, der ein Slowake war. Das heißt, hier stehen wir jetzt in der Verantwortung, den Slowaken eine Perspektive und ein klares Signal zu geben, damit sie ihre jetzt begonnene demokratische und wirtschaftliche Entwicklung fortsetzen. Ich hoffe sehr, daß für die Slowakei, Lettland und auch Litauen am Ende dieses Jahres ein solches Signal möglich wird. Jetzt kommt es darauf an, entsprechende Verhandlungen parallel zu den aktuellen Verhandlungen um die Agenda 2000 zu führen. Bei diesen Verhandlungen wird es darauf ankommen, den Fahrplan zügig zu gestalten. Das ist, wie ich glaube, das wesentliche Verdienst unserer Präsidentschaft, während der wir uns klar und deutlich an diesen Fahrplan halten. Dadurch eröffnen wir die Perspektive, am Ende dieses oder Anfang nächsten Jahres zu sagen, wann ein solcher Verhandlungsprozeß für konkrete Länder abgeschlossen sein kann. Hier wurde immer wieder die Debatte darüber geführt, ob man schon heute ein Datum nennen könnte. Manche in diesem Hause - auch ich selbst - waren Anfang der 90er Jahre dafür, Daten zu nennen, weil es diesen Verhandlungsprozeß noch nicht gab. Damals war das sinnvoll, weil es durchaus möglich ist, durch Daten Prozesse zu beschleunigen. Aber wenn man konkret im Verhandlungsprozeß steht, dann ist dies meiner Meinung nach keine sinnvolle Forderung. Wir wissen alle, daß es Probleme gibt, und zwar eine Fülle von Problemen, sowohl für die Beitrittsstaaten als auch für uns selbst. Es wird darauf ankommen, diese mit großem Realismus, mit großer Klarheit anzugehen und Bedingungen dafür zu schaffen, daß auch die Staaten Ostmitteleuropas, und zwar nicht nur die, die jetzt verhandeln, sondern auch die, die in der zweiten Reihe stehen, möglichst bald durch einen deutlichen Fahrplan eine klare Perspektive dafür erhalten, zu diesem vereinten Europa zu gehören. Ich glaube, die Kommission und auch der Ministerrat müssen dafür gelobt werden, daß der Finanzrahmen, der jetzt beschlossen werden soll, die Perspektive eröffnet, diesen Staaten noch mehr als bisher zu helfen, die Anforderungen zu erfüllen, die dafür dringend notwendig sind. Ich danke Ihnen. ({2})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Ich schließe die Aussprache. Wir kommen damit zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktionen der SPD und Bündnis 90/Die Grünen auf der Drucksache 14/550. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen von CDU/CSU und F.D.P. bei Enthaltung der PDS angenommen. Abstimmung über den Antrag der Fraktion der CDU/CSU mit dem Titel „Agenda 2000 - Europa voranbringen, einen fairen Interessenausgleich sichern“ auf der Drucksache 14/396. Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Stimmenthaltungen? - Der Antrag ist gegen die Stimmen der CDU/CSU-Fraktion abgelehnt. Abstimmung über den Antrag der Fraktion der F.D.P. „Agenda 2000 - Die Europäische Union erweiterungsund zukunftsfähig machen“ auf der Drucksache 14/547. Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Stimmenthaltungen? - Der Antrag ist gegen die Stimmen der F.D.P.-Fraktion abgelehnt. Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Ausschusses für Angelegenheiten der Europäischen Union zu mehreren Vorlagen der Europäischen Union auf der Drucksache 14/514. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! Stimmenthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Fraktionen der CDU/CSU und der F.D.P. bei Enthaltung der PDS angenommen. Ich rufe nunmehr den Tagesordnungspunkt 3 auf: Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung Jahreswirtschaftsbericht 1999 der Bundesregierung „Neue Wege zu mehr Beschäftigung“ - Drucksache 14/334 Überweisungsvorschlag: Finanzausschuß ({0}) Ausschuß für Wirtschaft und Technologie Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuß für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Ausschuß für Angelegenheiten der neuen Länder Ausschuß für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Ausschuß für Tourismus Ausschuß für die Angelegenheiten der Europäischen Union Haushaltsausschuß Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache zweieinhalb Stunden vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat zunächst der Bundesminister für Wirtschaft und Technologie, Herr Müller. ({1})

Werner Müller (Minister:in)

Politiker ID: 11005310

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die konjunkturellen Perspektiven für unsere Volkswirtschaft haben sich seit Herbst letzten Jahres eingetrübt. Daß das für alle europäischen Volkswirtschaften gleichermaßen gilt, wurde an diesem Montag in der Sitzung der Euro-Finanzminister einvernehmlich festgestellt. Das ist für unsere deutsche Volkswirtschaft natürlich nur ein sehr begrenzter Trost. Es zeigt aber, daß die Hauptgründe für den Wachstumsverlust - den schon eingetretenen wie den im Jahreswirtschaftsbericht erwarteten - hauptsächlich in den anhaltend ungünstigen weltwirtschaftlichen Rahmendaten liegen. Der deutsche Export hat kräftige Einbußen zu verzeichnen. Das ist ein objektiver Grund für eine mäßige Stimmung in der Wirtschaft. Daneben - ich will es nicht verkennen - gibt es auch subjektive Gründe für die aktuell ungute Stimmung in unserer Wirtschaft. Seit Herbst letzten Jahres lassen etliche Verbände der Wirtschaft deutlich erkennen, daß ihnen das Votum des Wählers vom 27. September nicht gefällt. Das ist für die heutigen Regierungsparteien zwar nicht unbedingt schön, aber auch nicht gänzlich unerwartet. ({0}) Eher schon unerwartet ist die Beobachtung, daß so ziemlich jedes bisherige Reformvorhaben dieser Bundesregierung benutzt wird, Stimmung gegen die Regierung zu machen und die Stimmung in der Wirtschaft bewußt schlechtzureden. Es ist nicht gut, wenn die Wirtschaft den Anschein erweckt, sie wolle diese Bundesregierung vor sich hertreiben. ({1}) Öffentliche Drohungen, Einladungen zu Bündnis- und Konsensgesprächen abzulehnen, es sei denn, die Regierung mache dieses oder jenes, sind nicht nur schlechter Stil, sondern sie deuten auf ein mangelndes Politikverständnis hin. ({2}) Öffentliche Drohungen, man werde mit seinem Unternehmen dieses Land verlassen, können sehr tiefgreifende Fragen zur Rolle der Wirtschaft in unserem Staat aufwerfen. ({3}) Ich empfehle in diesem Zusammenhang der Wirtschaft sehr ernsthaft die Durchsicht der Rede des Herrn Bundespräsidenten auf dem Weltwirtschaftsforum von Davos vom 28. Januar dieses Jahres. ({4}) Im Sinne dieser Rede des Herrn Bundespräsidenten möchte ich sagen dürfen: Diese Bundesregierung wird nicht zulassen, daß unter dem Stichwort der Globalität die Politik ihres Wesens beraubt wird. ({5}) Zu etlichen hämischen Kommentaren aus der Wirtschaft nach dem Rücktritt des Bundesfinanzministers kann ich nur feststellen: substanzlos und oft sogar unverschämt. ({6}) Offen und im Klartext gesagt: Es ist und bleibt ein Irrglauben, man könne diese Bundesregierung vor sich hertreiben. ({7}) Dies vorausgeschickt will ich ebenso im Klartext sagen: Diese Bundesregierung will eine Wirtschafts- und Finanzpolitik für die Wirtschaft und nicht etwa gegen die Wirtschaft machen. ({8}) Dies gilt heute um so mehr, als diese Bundesregierung weiß, daß nur mit der Wirtschaft die Arbeitslosigkeit spürbar abgebaut werden kann. Eine wirtschaftsfreundliche Politik kann aber nur funktionieren, wenn die Wirtschaft, ihre Verbände, ihre Unternehmen und ihre Unternehmer einige zentrale Grundsätze der Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik dieser Bundesregierung akzeptieren: Erstens. Im Mittelpunkt der Wirtschaft steht nicht der Börsenkurs oder etwa gar der Shareholder Value; im Mittelpunkt der Wirtschaft stehen der Mensch, seine lebenswerte Gegenwart und erlebenswerte Zukunft. ({9}) Zweitens. Die soziale Marktwirtschaft ist seit vielen Jahren peu à peu unsozialer geworden. Hier besteht ein objektiver Korrekturbedarf. ({10}) Drittens. Gewinn ist ebenso selbstverständlich zu versteuern wie Lohn. Auch die Wirtschaft muß einen Beitrag zur Finanzierung unseres Staates leisten. ({11}) Viertens. Zuviel Staat in Wirtschaft und Gesellschaft lähmt private, also auch unternehmerische, Initiative und Vorsorge. Deswegen müssen alle Teile der Gesellschaft, also auch die Wirtschaft, die Ansprüche an den Staat zurückschrauben. ({12}) Fünftens. Der Versuch, Politik durch Bündnis- und Konsensgespräche konsensual zu betreiben, setzt konsensfähige und konsenswillige Partner in Wirtschaft und Gesellschaft voraus. Ich denke, daß jeder dieser fünf einfachen, von mir vorgetragenen Grundsätze allgemeine Zustimmung finden kann. Dann sollte man auch die wichtigsten wirtschafts- und finanzpolitischen Konsequenzen, die die Bundesregierung aus diesen einfachen Grundsätzen zieht, grundsätzlich akzeptieren. Wir müssen die negativen Trends auf dem Arbeitsmarkt korrigieren; denn es kann gar kein wichtigeres wirtschaftspolitisches Ziel geben als den Abbau der Arbeitslosigkeit. ({13}) Wir müssen korrigieren, daß seit bald 20 Jahren die Verteuerung des Faktors Arbeit, also die Lohnerhöhungen, permanent von Inflation und erhöhten Steuern und Abgaben vollständig aufgefressen wird. ({14}) Wir müssen korrigieren, daß sich die Subventionen an die Wirtschaft mit den Steuern aus der Wirtschaft ungefähr zu Null saldieren. Wir müssen korrigieren, daß die nominalen Steuersätze weit über der effektiven Steuerlast liegen. Wir müssen den Trend zu wachsender Staatsverschuldung, ferner die Höhe der Staatsquote korrigieren, um so die Voraussetzung für eine Korrektur der steuerlichen Belastungen aller Wirtschaftssubjekte zu schaffen. ({15}) Wir müssen die relative Schlechterstellung der Familien korrigieren. All diese Ziele kennzeichnen in jedem Einzelfall dringend notwendigen Korrekturbedarf bei dem über die letzten rund 20 Jahre herbeigeführten Zustand. All diese Korrekturen bzw. Reformziele der neuen Bundesregierung in ihrer Gesamtheit schaffen die Voraussetzung dafür, unsere Volkswirtschaft mittel- und langfristig auf einen ebenso gewinnträchtigen wie zugleich wieder sozial gerechten Wachstumspfad zurückzuführen. ({16}) Dazu brauchen wir die Einsicht, daß diese eingeleiteten und beabsichtigten Korrekturen unbequem sind. Das erfordert ferner die Einsicht, daß wir nicht in fünf Monaten Regierungszeit korrigiert haben können, was in 200 Monaten zuvor mißentwickelt wurde. ({17}) Dazu brauchen wir die Einsicht, daß das bequeme „Weiter so“ keine Zukunft hätte. Dazu brauchen wir vor allem die Einsicht, daß jeder sein ihm mögliches Maß zur Zukunftsgestaltung selber beitragen kann und ein zumutbares Maß selber beitragen muß. Das waren die Ziele und Erwartungen dieser Bundesregierung bei Amtsantritt. Das sind sie unverändert heute. Ich wüßte also nicht, weshalb überhaupt oder wegen des Rücktritts eines einzelnen Ministers ein grundsätzlicher Neuanfang erforderlich wäre. ({18}) Wer das heute fordert, der behauptet, daß es nach den letzten 20 Jahren hierzulande nichts zu korrigieren gäbe. ({19}) Das ist ja wohl eine etwas arg blinde Vorstellung. Deswegen - auch angesichts so manchen Zwischenrufes - an die Opposition: Ihre heutigen wirtschafts- und finanzpolitischen Forderungen werden hinsichtlich des Mangels an Substanz allenfalls noch von der Leere der öffentlichen Kassen, die Sie hinterlassen haben, übertroffen. ({20}) - Herr Schäuble, Sie meinen wahrscheinlich - Sie wissen, ich schätze Sie -, daß das wieder einmal eine messerscharfe Bemerkung war. Ich sitze hier schon den ganzen Morgen; ich will Ihnen sagen, mit was für einem Messer Sie immer nach uns werfen: Es ist ein Messer ohne Stiel, dem die Klinge fehlt. ({21}) Zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit und zur Modernisierung der Wirtschaft setzen wir auf eine Kombination von Maßnahmen, die sowohl die Wirtschaft entlasten als auch die private Nachfrage stärken und so die Investitionsbedingungen und insbesondere auch die Investitionsnachfrage verbessern. In Ihrem Jahreswirtschaftsbericht hat die Bundesregierung ihre Konzeption noch einmal dargelegt. Auf einige Aspekte des Jahreswirtschaftsberichtes habe ich besonderen Wert gelegt. Erstens. Es ist nunmehr Teil der wirtschaftspolitischen Strategie, daß die Nettolöhne vor allem auch durch Senkung von Steuern und Abgaben steigen sollen. Zweitens. Die makroökonomische Politikkoordination muß durch eine Abstimmung der mikroökonomischen Politikbereiche auch auf europäischer Ebene komplementär begleitet werden. Durch Strukturreformen auf den Güter- und Faktormärkten müssen Inflexibilitäten auf der Angebotsseite, insbesondere Marktzutrittsbarrieren, abgebaut werden. Das ist eine Aufgabe für uns und eine Daueraufgabe des EU-Binnenmarktrates und anderer EU-Fachräte. Drittens. Der Jahreswirtschaftsbericht stellt ausdrücklich fest, daß das spannungsfreie Zusammenspiel der makroökonomischen Politikbereiche mit einer ausreichenden Flexibilisierung auf der Angebotsseite Hand in Hand gehen muß. Er stellt weiter fest, daß Angebotspolitik zur Verbesserung der einzelwirtschaftlichen Anpassungsfähigkeit eine permanente Aufgabe der Wirtschaftspolitik ist. Meine Damen und Herren, im Gegensatz zur Situation in früheren Legislaturperioden setzt diese Bundesregierung um, was sie in ihrem Jahreswirtschaftsbericht angekündigt hat. ({22}) Das Steuerentlastungsgesetz ist, wie Sie wissen, nur einen Monat nach Veröffentlichung des Jahreswirtschaftsberichtes vom Bundestag verabschiedet worden. ({23}) - Ich komme gleich auf diese Bemerkung zurück. Das ist ein interessanter Punkt. Schrittweise sinken die steuerlichen Höchstsätze auf Lohn und Einkommen, auf gewerbliche Einkommen und für einbehaltene Gewinne. Im Gegenzug wird die Bemessungsgrundlage verbreitert. Durch die Nachbesserungen beim Steuerentlastungsgesetz haben wir zusätzliche Erleichterungen für Mittelstand und Handwerk schaffen können, die über die Pläne der vorhergehenden Regierung weit hinausgehen: Die Teilwertabschreibung wird beibehalten; die Ansparabschreibung für kleine und mittlere Unternehmen bleibt dauerhaft bestehen; ein einjähriger Verlustrücktrag mit einem mittelstandsorientierten Höchstbetrag von 1 Million DM wird dauerhaft beibehalten; ({24}) die Freibeträge bei der Besteuerung von Betriebsveräußerungen bleiben erhalten. Zusammen mit der rechnerischen Verteilung der Veräußerungsgewinne - nicht der Erlöse - auf fünf Jahre wird die Altersvorsorge durch Betriebsveräußerung gesichert. Dafür, daß diese Punkte ins Gesetz geschrieben werden konnten, habe ich mich mit Nachdruck verwendet. Daß es geklappt hat, freut mich auch für Handwerk und Mittelstand. ({25}) Der Bundesrat wird dieses Steuerreformpaket morgen erörtern und verabschieden. Die Bundesregierung beabsichtigt, noch vor der Sommerpause die Eckpunkte einer Unternehmensteuerreform verbindlich vorzulegen. Die Wirtschaft soll sich definitiv darauf einstellen können, daß die Steuer auf unternehmerische Erträge im nächsten Jahr höchstens 35 Prozent betragen wird. Wir wollen dies nach sorgfältiger und nicht hastiger Vorbereitung vor der Sommerpause vor allem aus zwei Gründen vorlegen: Erstens belastet die jetzt zu verabschiedende Steuerreform die Unternehmen in diesem Jahr. Hier muß ein enger zeitlicher Zusammenhang zur geplanten Entlastung hergestellt werden. ({26}) Zweitens wollen wir ein deutliches Zeichen für wirtschaftlichen Aufbruch setzen, ehe sich etwa Attentismus verbreitet. ({27}) Im übrigen sei angemerkt, daß wir bis zur Sommerpause auch geklärt haben werden, wie dem Verfassungsgerichtsbeschluß zur Familienentlastung Rechnung getragen wird. Um die politische Handlungsfähigkeit zu sichern und öffentliche Investitionen, die von der alten Bundesregierung sträflich vernachlässigt worden sind, zu ermöglichen, brauchen wir solide Staatsfinanzen.

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Herr Minister, gestatten Sie eine Frage des Kollegen Schäuble?

Werner Müller (Minister:in)

Politiker ID: 11005310

Sicher, gerne.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001938, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Minister Müller, Sie sprechen im Augenblick in Wahrnehmung der Geschäftsführung für den Bundesfinanzminister. Ich hatte gehofft, daß Sie auf meinen Zwischenruf antworten würden. Sie hatten das angekündigt. Jetzt habe ich die Antwort vermißt.

Werner Müller (Minister:in)

Politiker ID: 11005310

Ich rede noch, wie Sie feststellen.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001938, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sie sind aber schon über die Passage zum Steuerentlastungsgesetz hinweg. Beim Familienlastenausgleich werden Sie doch nicht auf das Thema kommen, zu dem ich Sie gerne befragen möchte. Ich habe von Ihnen als Wirtschaftsminister die Erklärung gelesen, daß Sie, wenn Sie gewußt hätten, daß die in Zahlen ausgedrückten Auswirkungen der Veränderungen durch diesen Gesetzentwurf, der morgen im Bundesrat verabschiedet werden soll, so sind, wie sie jetzt bis Ostern in einer Arbeitsgruppe geprüft werden sollen, diesem Gesetzentwurf im Kabinett nicht zugestimmt hätten. Darf ich Sie fragen, was Sie dazu sagen?

Werner Müller (Minister:in)

Politiker ID: 11005310

Das ist, ehrlich gesagt, nicht ganz sauber zitiert. Ich kann doch nicht gesagt haben, daß ich nicht zugestimmt hätte, wenn ich es noch gar nicht gewußt habe. ({0}) - Das ist richtig. Aber weil die Zahlen offensichtlich hin und her schwanken - ({1}) - Ich mache daraus keinen Hehl. Ich will daran erinnern, daß ich am Wochenende gesagt habe, ein Mannschaftsspieler kann nur so gut spielen, wie er durch sein Haus vorbereitet wird. ({2}) Ich sage das in aller Deutlichkeit. In diesem konkreten Falle will ich Ihnen sagen: Wenn ich an dem Tage, als im Kabinett darüber beraten wurde, gewußt hätte, daß zum Beispiel allein das Gebot der Abzinsung später fälliger Sachleistungsverpflichtungen zwischen 17 und 20 Milliarden DM kosten würde, hätte ich dem nicht zugestimmt. Diese Aussage kann ich inzwischen wieder revidieren, weil diese Zahlen, die die Stromwirtschaft errechnet hat, bei weitem nicht stimmen. ({3}) - Wenn Sie so ungeduldig sind, darf ich aus meiner Rede etwas vorziehen, was eigentlich erst später gekommen wäre. Zu jeder Abzinsung gehört eine Aufzinsung. ({4}) Im ersten Jahr erhöhen sich durch die Abzinsung der Rückstellungen die Gewinne und damit die Steuerlast. Das bringt dem Staat eine Kasseneinnahme. Dabei ist es egal, ob das, wie es das Finanzministerium ausgerechnet hat, 17 Milliarden DM oder, wie die EVUs sagen, 19 Milliarden DM sind. Wichtig ist nur, daß die Rückstellungen in den Folgejahren wieder aufgezinst werden und daß der Aufzinsungsbetrag genauso groß wie der Abzinsungsbetrag ist, so daß sich die Sache nach Adam Riese zu Null saldiert. ({5}) Die Unternehmen haben natürlich Belastungen; ich weiß das. Sie haben Liquiditätsverluste etc. Ich will nicht sagen, daß die Belastung gleich null ist, aber sie beträgt nicht 19 Milliarden DM. Da sind wir uns doch einig. Zweitens entsteht für die Unternehmen ein dauerhafter Verlust, wenn wir das wahr machen, was wir gesagt haben, nämlich daß wir die Unternehmensteuersätze deutlich senken. ({6}) Diese Fragen beschäftigen mich auch. Deswegen bilden wir nun eine Arbeitsgruppe zusammen mit den Finanzvorständen der EVUs. ({7}) Was folgt daraus, wenn die Steuersätze, die in der morgigen Bundesratssitzung Gesetz werden, unverändert angewandt werden? Wir sind uns einig, daß es bei dieser Abzinsung mit weitem Abstand nicht die 17 bis 19 Milliarden DM sein können. ({8}) Jetzt darf ich Ihnen sagen: Wenn ich in der Kabinettssitzung am 10. Februar mein heutiges Wissen gehabt hätte, hätte ich vielleicht wieder zugestimmt. ({9}) - Das glaube ich nicht. ({10}) - Die Leute, die das ausrechnen, haben schon vorher für Finanzminister gerechnet. ({11})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Herr Minister, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Kollegen Schäuble?

Werner Müller (Minister:in)

Politiker ID: 11005310

Mir macht es Spaß. ({0})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001938, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Minister Müller, mir macht dieser Teil hier nicht Spaß. Denn ich finde, wir sollten politische Verantwortung nicht auf Mitarbeiter abschieben. ({0}) Deswegen möchte ich Sie fragen: Habe ich es richtig gelesen, daß sich das Bundesfinanzministerium bei der Berechnung der finanziellen Auswirkungen dieser Gesetze - wie frühere Bundesfinanzministerien auch - auf die Zuarbeit aus Länderfinanzministerien gestützt hat und daß in dem vorliegenden Fall das Finanzministerium in Nordrhein-Westfalen die wesentlichen Berechnungsgrundlagen geliefert hat? Habe ich das richtig gelesen, oder ist das unzutreffend?

Werner Müller (Minister:in)

Politiker ID: 11005310

Ob Sie das richtig gelesen haben, weiß ich nicht. Ich kann Ihnen nur sagen, was ich weiß. ({0}) Ich bin in diesen wenigen Tagen der kommissarischen Amtsführung des Bundesfinanzministeriums noch nicht so tief in die Einzelheiten dieses Ministeriums eingedrungen, um Ihnen auch diese Frage schon beantworten zu können. ({1}) Mir geht es darum, daß wir stimmige Zahlen erhalten. Ich akzeptiere Ihren Hinweis, man solle nicht alles auf Mitarbeiter abschieben. Das ist richtig. Aber ich habe vorhin deutlich gesagt: Es stimmt mich ein bißchen bedenklich, daß man in der Stromwirtschaft nur die Belastungen errechnet. Denn daß man hernach gleich wieder aufzinsen muß, das wußte man ja. Man weiß auch ungefähr, in welcher Größenordnung das dann zu steuerlichen Mindereinnahmen bei der öffentlichen Hand führt. Das ist nun einmal so passiert. Schön war es nicht. Ich möchte jedoch eines in aller Deutlichkeit sagen dürfen: Es soll nicht der Eindruck entstehen, wir würden einzelne Punkte in bezug auf die Steuerbelastungen korrigieren, weil man sonst meinen könnte, man sei jemandem hinterhergelaufen. Die Gesetze werden unverändert angewandt. Man muß berechnen, zu welchem Ergebnis deren Umsetzung führt. ({2}) Ich war an folgendem Punkt stehengeblieben: Wenn wir eine vernünftige Wirtschaftspolitik betreiben wollen, dann benötigen wir solide Staatsfinanzen. Solide Staatsfinanzen sind die Basis für ein stetiges Wirtschaftswachstum, für eine stabile Nachfrage und für gute Angebotsbedingungen. Deshalb muß im Gegensatz zur Finanzpolitik der letzten Jahre wieder ein solider Kurs gefahren werden. Ein solider Haushalt ist ein Kernelement der Beschäftigungspolitik. Wir wollen Schluß machen mit der Anhäufung öffentlicher Schulden, wie sie in den letzten Jahren immer wieder stattgefunden hat. Im deutschen Stabilitätsprogramm, welches im EU-Finanzministerrat am Montag dieser Woche ohne einschränkende Bemerkungen akzeptiert wurde, haben wir uns klar für den Kurs der fiskalischen Stabilität ausgesprochen. Meine Damen und Herren, bei all dem räume ich ein, daß im Verlaufe der bisherigen Reformbemühungen dieser Bundesregierung nicht alles nach Wunsch gelaufen ist. ({3}) Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang den Regierungsfraktionen für ihre gelegentlich sogar sehr verständnisvolle Unterstützung unserer Arbeit danken. ({4}) Über manche Belastungen, die durch die eine oder andere gesetzliche Maßnahme möglicherweise entstehen, wird noch gesprochen werden müssen. Aber dazu müssen wir zusammen mit den Betroffenen die genaue Höhe der Belastungen feststellen. Nun folgt der Passus, den ich bereits vorgetragen habe. Ich bleibe dabei: Die Belastungen der deutschen Stromwirtschaft, übrigens auch die des Braunkohlebergbaus, scheinen nur besonders hoch zu sein. Es ist einfach einmal gesagt worden, es werde nur abgezinst. Das muß aber in Verbindung gebracht werden mit dem Stand und mit dem Zeitpunkt der Rekultivierung. Dann sieht die Situation schon wieder anders aus. Das sage ich in aller Deutlichkeit, weil man sich im Bereich des ostdeutschen Braunkohlebergbaus auf Grund der Belastungen Sorgen gemacht hat. So groß müssen die Sorgen also nicht sein. Wenn wir diese Zahlen mit der Stromwirtschaft abgeglichen haben, dann - davon bin ich fest überzeugt werden wir die Gespräche über das geordnete Auslaufen der Kernenergienutzung zügig voran- und mit einem vernünftigen Ergebnis auch zügig zu Ende bringen. Meine Damen und Herren, konstitutives Merkmal einer wohlverstandenen sozialen Marktwirtschaft ist es, daß sie den Menschen ausreichende Entfaltungsmöglichkeiten bietet. Angesichts einer Staatsquote von fast 50 Prozent bedeutet zeitgemäße Wirtschaftspolitik deshalb für mich auch: Der Staat muß sich zurücknehmen, damit die Wirtschaft, die Menschen im Lande endlich wieder besser vorankommen. Wenn die Staatsquote nun rund 50 Prozent beträgt, so sind Ursache dafür die allgegenwärtigen, sehr konkreten Ansprüche aller Gruppen an den Staat. Dagegen hört man oft nur sehr allgemeine Forderungen nach staatlicher Zurückhaltung, meist von den gleichen Gruppen; gelegentlich hört man auch schon einmal Sparvorschläge der einen Gruppe, die dann aber nur eine andere Gruppe betreffen. Dazu sage ich: Wir alle müssen unsere Anforderungen an staatliche Aufgaben und Hilfen zurücknehmen. Wir wollen aber keineswegs etwa einen Nachtwächterstaat. Wir wollen einen aktivierenden Staat, der die individuelle Entfaltung der Person, ob als Arbeitnehmer oder Unternehmer, fördert und zugleich Gemeinwohl und Solidarität im Blick behält. Hierzu müssen wir Reformen der Steuer- und Sozialsysteme einleiten, die Innovationstätigkeit und Risikobereitschaft in der Wirtschaft stärken und insbesondere Mittelstand und Handwerk als wichtigste Arbeitgeber unterstützen. Dabei darf der Aufbruch zu mehr Eigenverantwortlichkeit nicht immer nur für die Arbeitnehmer gelten; die Unternehmer sind hier gleichermaßen gefragt. Subventionsabbau muß also Teil der Reform des Steuersystems werden. ({5}) Vielleicht müssen wir ab sofort darauf achten, daß öffentliche Hilfen zeitlich befristet und degressiv ausgestaltet werden. ({6}) Das schafft Klarheit, verhindert das Entstehen von Abhängigkeiten und bewirkt wachsende Selbstverantwortung für wirtschaftliche Tätigkeit. ({7}) Es wird dann auch leichter, Abgabenentlastung und Haushaltskonsolidierung gleichzeitig anzugehen. Meine Damen und Herren, so schafft zeitgemäße Wirtschaftspolitik auch mehr Beschäftigung in unserem Land. Die mittelfristigen Aussichten werden schon heute von den Konjunkturforschern der Institute wieder deutlich positiver gesehen. Die Wirtschaftsaussichten werden noch positiver werden, wenn wir vor der Sommerpause unsere verläßlichen steuerlichen Eckdaten vorlegen. ({8}) Der Fahrplan der Wirtschaftspolitik liegt Ihnen heute mit dem Jahreswirtschaftsbericht 1999 vor. Anders als viele seiner Vorgänger in den vergangenen Jahren ist er ebenso lesens- wie bedenkenswert, ({9}) unter anderem auch deswegen, weil er von zwei Autoren geschrieben wurde. Vielen Dank. ({10})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Für die CDU/CSUFraktion hat jetzt der Kollege Matthias Wissmann das Wort.

Matthias Wissmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002534, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Jahreswirtschaftsbericht beschreibt die Erwartungen der Schröder-Regierung für die wirtschaftliche Entwicklung. Unter dem Begriff des „aktivierenden Sozialstaats“ wird den Menschen der Abbau der Arbeitslosigkeit und mehr Gerechtigkeit in Aussicht gestellt. Bedauerlicherweise sprechen die wirtschaftlichen Daten und Fakten der letzten Monate eine deutlich andere Sprache. In den letzten drei Monaten des Jahres 1998 ist das Bruttoinlandsprodukt um 0,4 Prozent gesunken. Auch die Wachstumsperspektiven für 1999 haben sich deutlich verschlechtert. Einzelne Branchen wie der Maschinenbau sprechen von einer problematisch eingetrübten Entwicklung. Aber es verhält sich nicht nur so, daß große Unternehmen Sorgen über die Entwicklung haben und die Regierung kritisieren, Herr Bundeswirtschaftsminister, und es sind auch nicht nur Industrieverbände, die das äußern. Gestern, bei der Eröffnung der größten Handwerksmesse der Welt, hat der Präsident des Zentralverbandes des Deutschen Handwerks wörtlich gesagt - ich zitiere -, nach Rückfrage bei vielen Betrieben habe er den Eindruck, die Betriebe hätten „das Vertrauen in die wirtschaftliche Zukunft verloren“. Er fügte hinzu, in seinem Wirtschaftszweig drohten jetzt Entlassungen. Der Deutsche Industrie- und Handelstag geht von einer Steuermehrbelastung des Mittelstandes durch die neuen Steuergesetze von 10 Milliarden DM aus. ({0}) Herr Bundeswirtschaftsminister, ich verstehe gut, daß man nicht in fünf Monaten all das, was man im Programm hat, umsetzen kann. Ich verstehe auch, daß man, wenn man regiert, Fehler macht. Auch wir haben Fehler gemacht. ({1}) Aber hören Sie dazu einmal die Meinung der Fachwelt, lesen Sie einmal die nationale und internationale Presse. Immerhin vergleichen Sie fünf Monate mit 200 Monaten. Das Maß an handwerklichen Fehlern, an Schnitzern beim professionellen Vorgehen, an wirtschafts- und steuerpolitischen Fehlentscheidungen, die Sie in fünf Monaten hingelegt haben, ist einzigartig. Andere brauchten Jahre, um nur einen Teil dessen hinzubekommen. ({2}) Es läßt aufhorchen, daß der Bundeswirtschaftsminister für sich und die Wirtschaftspolitik der Bundesregierung gar keinen Neuanfang in Anspruch nimmt. Denn eines ist doch klar: Sie haben den rotgrünen Tanker, zu dem sich gestern die grüne Seite noch einmal öffentlich geäußert hat, in voller Fahrt auf einen Eisberg zugesteuert. Jetzt hat Lafontaine fluchtartig das sinkende Schiff verlassen. Aber es ist doch völlig klar: Ein Austauschen von Personen reicht nicht aus. Sie müssen das wirtschafts- und steuerpolitische Ruder grundsätzlich herumreißen. Es reicht auch nicht aus, einzugestehen, daß dieses und jenes beim Ökosteuergesetz, beim 630-MarkGesetz, bei der Steuerreformkonzeption nicht in Ordnung ist. Wenn es nicht in Ordnung ist, dann korrigieren Sie das - sofern Sie große wirtschaftspolitische Fehler vermeiden wollen -, bevor die Maßnahmen Rechtskraft erlangen! ({3}) Machen wir uns keine Illusionen: Wenn diese Regierung ihren wirtschafts-, finanz- und steuerpolitischen Kurs nicht grundlegend ändert, dann werden wir nicht das Wirtschaftswachstum und nicht die Arbeitsplatzentwicklung bekommen, die wir dringend brauchen. Ihre bisherige Politik ist gekennzeichnet von Durcheinander, Konfusion und Unsicherheit. Schnelligkeit geht vor Sorgfältigkeit, Ideologie vor Sachverstand. Der Begriff „nachbessern“ hat die besten Chancen, zum politischen Unwort des Jahres zu werden. ({4}) Ich könnte Ihnen das an Hand vieler Bereiche belegen. Als die Energiewirtschaft zum Bundeskanzler gegangen ist, sagte er: Wenn nicht unsere, sondern eure Zahlen stimmen, dann wird nachgebessert. - Als die Versicherungswirtschaft zum Bundeskanzler gegangen ist, sagte er: Wenn unsere Zahlen nicht stimmen sollten, dann wird nachgebessert. - In einem Fernsehgespräch zur 630-Mark-Regelung sagte mir Herr Glogowski, er finde das alles ganz verheerend, weil hoch bürokratisch. Auf meine Frage, ob er zustimme, sagte er: Ja, aber man kann ja nachbessern. Bezüglich der Ökosteuer gibt es aus Ihren Reihen eine Vielzahl von kritischen Hinweisen auf die Belastung der kleinen und mittleren Unternehmen durch die bürokratischen Regelungen, die aus diesem Steuerkonvolut erwachsen. Wenn man vernünftige Leute aus Ihren Reihen darauf anspricht, hört man: Sie haben eigentlich recht, Herr Wissmann, das ist handwerklich problematisch. - Aber auf die Frage, ob sie dennoch zustimmen wollten, sagen sie: Ja, wir stimmen zu, aber wir können ja nachbessern. - Der Begriff „handwerkliche Fehler“, den Sie gebrauchen, ist eine Beleidigung des Handwerks in Deutschland. Das Handwerk arbeitet fachlich besser, als Sie es tun. ({5}) Herr Bundeswirtschaftsminister, den Begriff Steuervereinfachung können Sie angesichts Ihrer Gesetzentwürfe endgültig aus dem Vokabular streichen. Eine solch chaotische Vorbereitung der Steuergesetze, wie Sie sie sich geleistet haben, ist in der deutschen Steuergesetzgebung einzigartig. ({6}) Da Sie sich, Herr Bundeswirtschaftsminister, darum auch persönlich kümmern, möchte ich es mit Sorge ansprechen: Ähnliche Gefahren wie in der Steuerpolitik mit unmittelbaren Wirkungen für Arbeitsplätze im Mittelstand und in der Wirtschaft drohen auch in der Energiepolitik. Die Energiekonsensgespräche, wie Sie sie nennen, drohen zu Gesprächen über die Restlaufzeiten von Kernkraftwerken zu werden. Es sind keine Gespräche über die Entwicklung eines energiepolitischen Gesamtkonzepts für Deutschland, für Arbeitsplätze, für Betriebe und für Wettbewerbsfähigkeit. ({7}) Wirkliche Energiekonsensgespräche beinhalten mehr als nur einen ideologischen oder betriebswirtschaftlichen Bekenntnisstreit über den Ausstieg aus der Kernenergie und über Restlaufzeiten. Es geht darum, ein widerspruchsfreies energiepolitisches Gesamtkonzept zu entwickeln, das den Kriterien Versorgungssicherheit, Umweltverträglichkeit, Wirtschaftlichkeit und Ressourcenschonung genügt. Ein solches Zukunftskonzept müßte folgende Punkte enthalten: ein langfristiges Konzept zum Strombedarf und zu Kraftwerkskapazitäten für die kommenden Jahrzehnte, ein langfristiges Konzept zur Sicherung wettbewerbsfähiger Stromkosten - wir stehen schließlich in einem härter werdenden europäischen und internationalen Wettbewerb -, ein überzeugendes Programm zur Energieeinsparung, ein wirtschaftlich tragfähiges Konzept zur Entwicklung alternativer Energiequellen - ich betone: ein wirtschaftlich tragfähiges Konzept -, ein Gesamtkonzept für die End- und Zwischenlagerung der Kernenergieabfälle und nicht zuletzt eine klare Formulierung der Klimaziele auf der Grundlage einer veränderten Energiepolitik. Wer aussteigen will, muß sagen, wie die notwendige Energieversorgung, die sich die Volkswirtschaft und die Arbeitnehmer auch leisten können, sichergestellt werden soll. Wie sollen die rund 150 000 Arbeitsplätze, die durch den Atomausstieg verlorengehen können, ersetzt werden? Wie soll - auch zum Schutz unserer eigenen Bevölkerung - der Einfluß Deutschlands auf die Verbesserung der Sicherheit mittel- und osteuropäischer Kernkraftwerke gewahrt bleiben? Wie wollen wir die Energieversorgung langfristig sichern? Mir wäre es zuwenig, wenn sich am Ende die Stromunternehmen und die Bundesregierung über Restlaufzeiten einig werden würden, wir aber kein wirkliches Zukunftskonzept für die Energieversorgung hätten. Ein solches brauchen wir aber für Arbeitsplätze und Volkswirtschaft. ({8}) Meine Damen und Herren, wir brauchen einen grundlegenden Kurswechsel. Wir brauchen eine Wirtschafts-, Finanz- und Sozialpolitik, die Deutschland leistungsfähiger und moderner macht. Was wirtschaftliche Vokabeln angeht, ist der Bundeskanzler meistens höchst modern. Wenn es aber um die Substanz geht, die Gesetze, unter denen sein Name steht, dann wird er ganz und gar altmodisch: ({9}) 630-Mark-Gesetz, ({10}) Steuerentlastungsgesetz, das morgen im Bundesrat beraten wird. Das werden Ihnen nicht nur wir, sondern auch die Bürger nicht mehr lange durchgehen lassen: sozusagen einen modernen Lifestyle darzustellen, aber ein unmodernes Programm zu realisieren. ({11}) Sie müssen ein modernes wirtschaftliches Programm realisieren. Dazu gehören - das haben Sie, Herr Bundeswirtschaftsminister, zu Recht angesprochen - die Selbstbeschränkung des Staates zugunsten der Bürger und die Rückführung des Staatsanteils am Bruttosozialprodukt, der seit 1996 erfreulicherweise wieder sinkt. Ziel muß es sein, die Staatsquote langfristig auf etwa 40 Prozent zu senken. ({12}) Mittelfristiges Ziel - ich weiß, daß das morgen nicht zu erreichen ist - muß es sein, zu einem Haushalt ohne Nettokreditaufnahme zurückzukehren. ({13}) Wir brauchen attraktive Rahmenbedingungen für Investitionen und für mehr Selbständigkeit. Glauben Sie bloß nicht, daß die Wirtschaft allein dadurch ermutigt wird, daß abwechselnd Unternehmensteuersätze von 35, 27, 25 oder 22 Prozent genannt werden, wobei die Verfasser teilweise gar nicht wissen, welche Steuersätze sie einrechnen sollen und welche nicht. Eines ist ganz klar. Ludwig Erhard, Herr Bundeswirtschaftsminister, hat recht gehabt, als er gesagt hat: 50 Prozent der Wirtschaftspolitik sind Psychologie. Aber psychologische Veränderungen erarbeitet man nicht mit modernen Vokabeln, nicht mit der einen oder anderen auch richtigen Rede, sondern nur dadurch, daß man die Substanz seiner Politik so modern, wirtschaftsfreundlich, mittelstandsfördernd und zur Selbständigkeit ermutigend entwickelt, wie es dringend vonnöten ist. Davon haben wir in den letzten fünf Monaten leider überhaupt nichts gesehen. ({14}) Ideen aus der ideologischen Mottenkiste helfen dem Standort Deutschland im Zeitalter der Globalisierung nicht weiter. Es kommt jetzt darauf an, daß Sie wirklich zu einem Neuanfang finden, daß Sie nicht bei einem Austausch von ein oder zwei Personen stehenbleiben. Wir und - davon bin ich überzeugt - auch ein immer größerer Teil der deutschen Öffentlichkeit werden Sie nicht danach beurteilen, ob Sie die eine oder andere schöne Pressekonferenz machen, die eine oder andere gelungene Selbstdarstellung vornehmen, sondern danach, ob es Ihnen wirklich gelingt, ein im wahrsten Sinne des Wortes modernes Wirtschafts-, Finanz- und Steuerkonzept zu entwickeln. Es tut mir leid, Herr Bundeswirtschaftsminister, auch wenn ich Sie persönlich symphatisch finde: Heute haben Sie zu einem inhaltlichen Neuanfang Ihrer Politik nichts Substantielles beigetragen. ({15})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht jetzt der Kollege Werner Schulz.

Werner Schulz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002108, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Eines kann man der Politik im Moment wahrlich nicht nachsagen: einen Mangel an Überraschungen. Während wir den Jahreswirtschaftsbericht der Bundesregierung heute auf der Tagesordnung haben, ist der Herausgeber zwischenzeitlich und auf eine völlig ungewöhnliche Weise verschwunden, allenfalls noch einmal als Privatmann auf der Bildfläche erschienen. So schnell sind natürlich die Probleme leider nicht weg. Zwar hatte man beim Jubel an der Börse kurzzeitig den Eindruck, als würde der Rücktritt des deutschen Finanzministers schon die Lösung aller Dinge darstellen, als könnten die Freudensprünge der Börsianer den Dax und den Euro, also diese modernen Einschaltquoten der Wirtschaftspolitik, dauerhaft nach oben treiben. Aber, Herr Wissmann, da ist eben nicht nur die Hälfte Psychologie, sondern offenbar auch ein gerüttelt Maß an Irrationalität mit im Spiel. Welches sind denn unsere Probleme? Wenn man Ihnen zuhört, hat man den Eindruck, als hätten die Anlaufschwierigkeiten, meinetwegen auch die handwerklichen Fehler - sie hat bisher keiner bestritten, und sie werden immer wieder zugestanden - den Ausschlag gegeben. So kann man sich für meine Begriffe auch nachträglich aus der Verantwortung stehlen. Die Probleme von heute hängen doch mit den verschleppten, mit den vertanen und versäumten Entscheidungen von gestern, den letzten Jahren Ihrer Regierung und eigentlich schon mit der Zeit weit vor der deutschen Einheit, wenn ich mich an die Ausführungen des Exbundeskanzlers erinnere, zusammen. Wir haben doch kein zukunftsfähiges, kein blühendes Staatsunternehmen übernommen, sondern eher eine wilde Altlastendeponie: über viereinhalb Millionen Arbeitslose bei einer strukturell verfestigten Dauerarbeitslosigkeit, ein unüberschaubares Steuersystem, das zu sozialer Ungerechtigkeit, zur Erosion der Steuerbasis, zu Fehlkalkulationen ungeheuren Ausmaßes geführt hat, eine exorbitante Staatsverschuldung, die auch mit der Fehlfinanzierung der deutschen Einheit zu Lasten der Sozialversicherungssysteme zusammenhängt. Deswegen waren die ersten Bemühungen der neuen Bundesregierung darauf gerichtet, eben nicht die „Neue Mitte“ zu bedienen, sondern die alte soziale Schieflage zu beheben. Es gab einen finanziellen Nachholbedarf bei den unteren und mittleren Einkommen, bei Familien mit Kindern. Daß wir hier sogar zu kurz gegriffen haben, zeigt doch der Beschluß des Bundesverfassungsgerichts über das, was in den letzten Regierungsjahren gelaufen ist. Dieser Beschluß müßte Sie in gewisser Weise beschämen. Die rotgrüne Regierung wurde gewählt, um diesen Problemstau aufzulösen. Unsere Politik zielt darauf ab, Voraussetzungen für neue Arbeitsplätze zu schaffen, den Sozialstaat durch grundlegende Reformen zu sichern und die Modernisierung von Wirtschaft und Gesellschaft anzupacken. Im Zentrum unserer Bemühungen steht der Abbau der Arbeitslosigkeit. Sicherlich - das ist mittlerweile eine Binsenweisheit - schafft eine Regierung keine neuen Arbeitsplätze, es sei denn im öffentlichen Dienst. Dort sollten wir durch Arbeitszeitverkürzung und durch eine mutige Teilzeitoffensive durchaus Beispiele setzen, wie die vorhandene Arbeit auf mehr Beschäftigte verteilt werden kann. Wenn wir vom klassischen Ideal der Vollbeschäftigung Abschied nehmen, werden wir schnell sehen, daß es genügend Arbeit gibt. Wenn es gelingt, im „Bündnis für Arbeit“ endlich der Frage der Überstunden, der Schwarzarbeit und der Schattenwirtschaft zu Leibe zu rücken, wird sich das auch in der Statistik niederschlagen. Wichtig ist, daß das „Bündnis für Arbeit“ jetzt möglichst schnell und bald zu konkreten Ergebnissen kommt, daß es Befindlichkeitsanalysen und reinen Meinungsaustausch überwindet und daß die Probleme nicht vom runden Tisch auf die lange Bank geschoben werden. In diesem Bereich ist das Tempo gefragt, das wir bei anderen Reformmaßnahmen jetzt herausgenommen haben, um die Dinge gründlicher zu beraten. ({0}) Richtig ist, daß im „Bündnis für Arbeit“ keine Tarifgespräche stattfinden. Dennoch ist es, wenn wir an den Erfolg bestimmter Nachbarländer anknüpfen wollen, sinnvoll, sich über die Ziele künftiger Tarifpolitik zu verständigen, um den Arbeitslosen, die an diesen Gesprächen - sowohl an den Gesprächen im Rahmen des „Bündnisses für Arbeit“ als auch an den Tarifgesprächen - nicht beteiligt sind, vor Augen zu führen, daß es künftig lohn- und beschäftigungspolitische Komponenten gibt, die auch entsprechend ausgewiesen werden. Nach der Neuregelung und Erprobung der 630-DMJobs werden wir uns dem Niedriglohnsektor zuwenden. Hauptsächlich im Dienstleistungsgewerbe, das noch etliches zu wünschen übrigläßt, können neue Arbeitsplätze erschlossen werden. Dazu bedarf es Anreize, jenseits der 630-DM-Grenze eine Beschäftigung aufMatthias Wissmann zunehmen, zum Beispiel durch degressive Zuschüsse zu den Sozialbeiträgen. ({1}) Wir wollen die Motivation von Langzeitarbeitslosen zur Annahme von Arbeitsplätzen fördern. Für diejenigen, die einen Arbeitsplatz annehmen, soll das zusätzliche Einkommen ein Jahr lang nur zur Hälfte auf die Arbeitslosen- und Sozialhilfe angerechnet werden. Das spart unter dem Strich Kosten, hilft den Betroffenen und verringert die Flucht in die Schwarzarbeit. ({2}) Solchen Angeboten für Arbeitslose werden aber auch Pflichten gegenüberstehen, diese Angebote zu nutzen. Einen allgemeinen öffentlich subventionierten Niedriglohnsektor, wie ihn zum Beispiel der BDA fordert, halten wir allerdings aus ordnungspolitischen Gründen für nicht vertretbar. Das „Bündnis für Arbeit“ ist zweckmäßigerweise zu einem Bündnis für Arbeit, Ausbildung und Wettbewerbsfähigkeit erweitert worden. Die Gespräche sollten eigentlich ohne politische Vorbedingungen ablaufen. Doch gerade die Verbände und Großunternehmen, die das lauthals gefordert haben, sind jetzt emsig dabei, eine einzigartige Drohkulisse aufzubauen. Sie drohen offen mit Abwanderung und Investitionszurückhaltung. Teilweise trägt das Ganze groteskabsurde Züge, wenn sich zum Beispiel der Daimler-Chrysler-Konzern in die Debatte über eine vernünftige Steuerregelung einschaltet. Das ist ein Unternehmen, das in den letzten Jahren kaum Steuern gezahlt hat und dem der Staat allenfalls bei der Inanspruchnahme von Subventionen für Luft- und Raumfahrt in Erinnerung kommt. ({3}) Gerade die Global Players haben doch den Bogen raus, Steuern dort zu bezahlen, wo es am billigsten ist, und dort zu leben, wo es am schönsten ist - blind dafür, daß sie den Ast absägen, auf dem sie ihren eigenen Stammsitz haben. Die Art und Weise, wie momentan bestimmte Kreise der Wirtschaft versuchen, die Politik unter Druck zu setzen, grenzt an Erpressung. Wer so handelt, gefährdet nicht nur den Standort Deutschland, sondern auch den demokratischen Konsens in unserem Land. Ich kann diese noble außerparlamentarische Opposition mit ihren gewichtigen Unterschriften nur auffordern, wieder auf den Boden der Tatsachen zurückzukommen. Das würde uns allen bei der Modernisierung der Wirtschaft helfen. Von den akademischen Debatten einmal abgesehen, hat auch der zurückgetretene Finanzminister - wenn man den Jahreswirtschaftsbericht genau liest, erkennt man das - keine reine Nachfragepolitik betrieben. Heute gehört es doch zum politischen Allgemeinwissen, daß man einen ausgewogenen Mix aus Angebots- und Nachfragepolitik braucht. Wenn die Daten aus den empirischen Untersuchungen der Zukunftskommission stimmen, daß ein Viertel der Arbeitslosigkeit nachfrageund drei Viertel struktur- und angebotsbedingt sind, dann ergeben sich daraus auch die Proportionen des Handlungsbedarfs. Die Kosten des immobilen Faktors Arbeit müssen wieder mit denen der mobilen Faktoren Kapital und Technologie in Einklang gebracht werden, die im Land bleiben oder wieder verstärkt ins Land zurückgeholt werden müssen. Deswegen haben wir auch die Ökosteuer eingeführt, um von den hohen Lohnzusatzkosten herunterzukommen, um die Rentenversicherung zu entlasten und um wieder einen Gleichklang zwischen dem immobilen Faktor Arbeit und dem mobilen Faktor Kapital herzustellen. ({4}) Die Attraktivität und Leistungsfähigkeit des Standortes Deutschland wird durch ein zugegebenermaßen international nicht mehr wettbewerbsfähiges Steuersystem verdeckt, das keine Anziehungskraft besitzt. Es gibt bei uns sehr hohe Spitzensteuersätze, die in Europa einmalig sind. Aber wie wir wissen - der Finanzausschuß hat es in dieser Woche bei der OECD noch einmal in Erfahrung gebracht -, ist die steuerliche Belastung der Unternehmen in Deutschland eher zurückgegangen, nämlich von 5 Prozent auf heute etwa 3,8 Prozent. In der EU liegt die Belastung im Durchschnitt bei 7,5 Prozent, in den OECD-Staaten sogar bei 8,2 Prozent. Schaut man sich die effektive Steuerbelastung genau an, dann muß man feststellen, daß Unternehmen in Deutschland, verglichen mit anderen Ländern, überhaupt nicht stark belastet werden, nämlich im Durchschnitt nur mit 8 Prozent. In Großbritannien liegt die Belastung bei 48 Prozent und in den USA bei 24 Prozent. Unser Problem ist die ungerechte Verteilung. ({5}) Während sich die einen darauf verstehen, überhaupt keine Steuern zu zahlen, müssen andere einen relativ hohen Anteil tragen. Das gilt für allem für die kleinen und mittelständischen Betriebe, die die Hauptlast tragen. ({6}) Seit langem wird eine größere Klarheit und Vereinfachung im Steuersystem gefordert. Wir wissen natürlich, daß die Entlastung von Unternehmen einen Beitrag für Investitionen und damit zur Schaffung von Arbeitsplätzen darstellen kann. Wir haben bereits mit der ersten Stufe der Steuerreform etwas dazu beigetragen. Trotz aller bisherigen gegenteiligen Behauptungen wird man erkennen können - wenn der Pulverdampf erst einmal verzogen ist -, daß dies den kleinen und mittelständischen Betrieben genutzt hat. Die jüngsten Berechnungen des Bundesfinanzministeriums weisen für die erste Stufe der Steuerreform eine Entlastung von 5,5 Milliarden DM aus. Darüber werden wir uns in den nächsten Jahren noch reichlich auseinandersetzen können. Ein modernes Unternehmensteuerrecht wird sich aber nicht nur an der Höhe der Steuersätze zeigen, sondern auch daran, daß die Ungerechtigkeit, die ich hier Werner Schulz ({7}) skizziert habe, beseitigt wird und daß zwischen den hochbelasteten kleinen und mittleren Unternehmen und den Unternehmen, die bisher das Gros der Besteuerung getragen haben, unterschieden wird. Hier geht es vor allem um Besitzstandswahrung und Rückversicherungsmentalität, die wir abbauen müssen, wenn wir im internationalen Vergleich bestehen wollen. Das steuerliche Rückstellungswesen in der deutschen Wirtschaft ist in anderen Ländern, die ein vergleichsweise hohes Wachstum haben, so nicht bekannt. Die Bundesbank beziffert in ihrem jüngsten Bericht die Höhe der aufgelaufenen Rückstellungen auf etwa 690 Milliarden DM. Der Nettowert aller Sachanlagen in Deutschland beträgt demgegenüber 758 Milliarden DM und liegt damit nur wenig über der eben erwähnten Summe. Das muß man sich vor Augen führen und miteinander vergleichen. Insofern ist die Abzinsung der Rücklagen der Energie- und Versicherungsbranchen völlig gerechtfertigt. Gerade die Atomkonzerne haben ihre steuersparenden Rückstellungen doch bisher dazu genutzt, in andere Branchen wie die Telekommunikation oder die Abfallentsorgung zu investieren. Damit sind aus Rücklagen eigentlich verdeckte Subventionen geworden. Wir wollen nichts anderes als eine schrittweise Auflösung dieser Rücklagen, die selbstverständlich, solange sie nicht gebraucht werden, versteuert werden müssen. Ich hoffe, daß wir beim Abbau der Subventionen auf genauso viel Gegenliebe stoßen wie bei der Senkung der Steuersätze. An der Notwendigkeit eines Subventionsabbaus wird so lange nicht gezweifelt, wie es einen nicht selbst trifft. Ich glaube, wir müssen uns hier vor allen Dingen von dem Sankt-Florians-Prinzip verabschieden. In diesem Zusammenhang stimme ich Wolfgang Schäuble zu, der in der „Wirtschaftswoche“ vom 11. März betont hat: Wir müssen uns von unseren sozialen Besitzständen trennen, wenn sie nicht mehr finanzierbar sind. Genau darum geht es, wenn wir nicht mehr bereit sind, Altindustrien durch Subventionen vor der Grablegung zu bewahren und Industriezweigen wie Atomwirtschaft, Steinkohle und Werften im bisherigen Maße Subventionen zukommen zu lassen. ({8}) Ein sozialverträglicher Ausstieg aus der Steinkohlesubvention ist eben nicht abrupt möglich.

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Schäuble?

Werner Schulz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002108, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ja.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001938, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Schulz, trügt mich meine Erinnerung, daß die Spitzen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen bei den Demonstrationen der Bergarbeiter, als es darum ging, ob die Subventionen für den Steinkohlebergbau abgebaut werden sollen oder nicht, vorneweg gegangen sind? Wenn Sie jetzt erklären, Sie seien für einen Subventionsabbau, dann machen Sie doch das Gegenteil von dem, was Sie noch vor ein, zwei Jahren hier in Bonn gesagt haben. ({0})

Werner Schulz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002108, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich kenne das Beispiel. Sie haben sich dessen zur Genüge bedient; Sie haben es immer wieder angeführt. Ich habe deutlich gesagt, daß wir keinen abrupten Ausstieg aus der Subventionierung wollen. ({0}) - Ähnliches haben Sie selbst vorgehabt. Ich bestätige Sie doch in Ihrer Auffassung. Auch die alte Bundesregierung hat gesagt, daß man nicht von heute auf morgen aus der Steinkohlesubvention aussteigen kann. ({1}) - Ich denke, die Richtung ist klar. Deswegen habe ich das hier noch einmal betont. Wir können uns gern darüber verständigen, wie der Ausstieg schneller erfolgen kann. Wir sind dabei; das war bisher nicht unser Problem. Wir brauchen die finanziellen Spielräume für die ökologische Modernisierung der sozialen Marktwirtschaft. Denn wenn etwas in der Wirtschaft stattfinden muß, dann ist das die Ökologie, die mehr als Natur- und Umweltschutz ist, auch wenn sich das in der Bevölkerung noch nicht in dem Maße herumgesprochen hat.

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Herr Kollege, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Kollegen Friedhoff?

Werner Schulz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002108, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ja.

Paul K. Friedhoff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000588, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Schulz, habe ich Sie gerade richtig verstanden, daß es Ziel der Politik dieser Bundesregierung ist, zu einem Auslaufbergbau zu kommen?

Werner Schulz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002108, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Wir werden die Steinkohlesubventionen auf den Prüfstand stellen und die Subventionen generell weiter abbauen. Sie haben vielleicht in den letzten Tagen ein Diskussionspapier von uns gelesen, in dem wir vorschlagen, die Subventionen generell um 10 Prozent pro Jahr abzuschmelzen. Das gilt natürlich für die Subventionen für Altindustrien noch viel stärker, aber auch für SubventioWerner Schulz ({0}) nen, deren Notwendigkeit schon seit Jahren überhaupt nicht mehr geprüft worden ist.

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Herr Kollege, es gibt eine weitere Frage.

Paul K. Friedhoff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000588, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Schulz, gilt das auch für die neuen Länder? Und habe ich es richtig verstanden, daß Sie meine Frage, ob Sie zu einem Auslaufbergbau kommen wollen, mit Ja beantwortet haben?

Werner Schulz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002108, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Der Steinkohlebergbau in den neuen Ländern ist bereits in den 70er Jahren ausgelaufen. ({0}) Die Braunkohle ist natürlich ein Rohstoff, den wir bei einer Neukonzipierung der Energiewirtschaft gerne als Verstromungsgrundlage ablösen würden. Aber auch das braucht Zeit. Selbstverständlich brauchen wir Übergangsfristen. In zehn oder zwanzig Jahren ist es im Osten mit der Braunkohle vorbei. Ich setze nicht darauf, daß wir die SED-Wirtschaftspolitik fortsetzen, indem wir zur Verstromung die halbe Lausitz abbaggern. Das ist auf Dauer weder wettbewerbsfähig noch ökologisch verträglich. Wir brauchen diese finanziellen Spielräume, um in der Energiewirtschaft umzusteigen. Natürlich brauchen wir längere Zeiträume. Das geht nicht von heute auf morgen und auch nicht in dieser einen Legislaturperiode. Ich glaube aber, daß wir gut beraten sind, wenn wir auf die Art des ökologischen Aufbruchs eines klassischen Industrielandes setzen: auf der Grundlage von ökologischer Modernisierung, von Produkt- und Verfahrensinnovationen. Um es am Schluß in aller Klarheit zu sagen: Die Bundesregierung betreibt keine wirtschaftsfeindliche Politik, schon gar keine mittelstandsfeindliche Politik. Auch wenn einige die Anlaufschwierigkeiten der Regierung genutzt haben, um dieses Zerrbild aufzubauen: Die Bundesregierung setzt in Verbindung mit den Zielen soziale Gerechtigkeit und ökologische Modernisierung auf eine wirtschaftsfreundliche Politik. Allerdings sollte nun auch die Wirtschaft beweisen, daß sie letztlich den Menschen dient und daß sie bereit, willens und fähig ist, neue Arbeitsplätze in unserem Land zu schaffen. Ich danke Ihnen. ({1})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Für die F.D.P.Fraktion spricht jetzt der Kollege Rainer Brüderle.

Rainer Brüderle (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003059, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Jahreswirtschaftsbericht soll die Leitlinien der Bundesregierung für die Wirtschaftsund Finanzpolitik vorstellen. Diese Leitlinien sind falsch. Sie müssen geändert werden. Es hat ja seinen Grund, weshalb Oskar Lafontaine aus dem Amt geflüchtet ist. Er ist doch nicht deshalb gegangen, weil alles in Ordnung war und so toll gelaufen ist. Es hat ja einen tieferen Grund, weshalb er inzwischen als zweiter nach Stollmann von diesem Dampfer geflüchtet ist. Die spannende Frage wird sein: Wer ist der nächste, der geht? ({0}) Es ist sicherlich nicht redlich, in der öffentlichen Diskussion Lafontaine zum Sündenbock für alles zu machen. Die Verantwortung für die Politik der Bundesregierung hat in erster Linie der Bundeskanzler. ({1}) Er bestimmt die Richtlinien der Politik. Er erklärt alles zur Chefsache: Gespräche, Fototermine, seine persönliche Begleitung oder Treffen mit Gewerkschafts- und Industriebossen. ({2}) - Frau Kollegin, es handelt sich um eine Geschmacksfrage, wenn sich ein Kanzler hinstellt und behauptet, in diesem Land Politik mit dem Anspruch, soziale Gerechtigkeit herzustellen, zu machen, und sich dann damit brüstet, was ein Kaschmirmantel kostet. Das ist ein Unding. ({3}) Das muß er mit seiner Partei und seinen Wählern austragen. Wenn Sie aber mit einem Zwischenruf die Sache ansprechen, dann muß das gesagt werden. Mit Ihrer Politik haben Sie eine umfassende Verunsicherung der Wirtschaft ausgelöst. Herr Müller, ich finde es schon dreist, wenn Sie als Bundeswirtschaftsminister die Hilferufe aus der Wirtschaft zurückweisen. Die Handwerker haben sich zu Recht beschwert, daß sich ihre Lage nicht verbessert, sondern verschlechtert hat. Das jüngste Warnsignal kommt aus der Bauwirtschaft, wo weitere 50 000 Arbeitsplätze verlorenzugehen drohen. Wenn Sie es diffamieren, daß die Wirtschaft gegen sie mobil macht, dann frage ich Sie: Wie dumm schätzen Sie die Menschen denn ein? Erst werden ihre Rahmenbedingungen verschlechtert, man kassiert bei ihnen mehr ab, vieles wird bürokratischer und inflexibler, die Stimmung im Lande wird schlechter, und dann sollen sie noch Beifall für eine falsche Politik klatschen? Was erwarten Sie denn von der Wirtschaft und vom Mittelstand? Sie haben es doch nicht mit Doofmännern zu tun! Auch diese Menschen können bis drei zählen. ({4}) Sie haben eine Ökosteuer eingeführt, die keine ist. Sie sind für das unerträgliche Theater um die 630-MarkVerträge verantwortlich. Es ist interessant, zu sehen: Da die Verleger betroffen sind, merken auch die SPDMinisterpräsidenten, daß etwas falsch läuft. Herr Glogowski traut sich nicht, das auszusprechen. Vor den Verlegern spricht man anders, in der Hoffnung, so eine gute Presse zu bekommen. Werner Schulz ({5}) Die Reform der Sozialsysteme wird nicht angegangen. Gleichzeitig wird durcheinanderdiskutiert. Herr Riester sagt: Die Höhe der Rente wird nach Kassenlage festgelegt; ab 60 Jahren gehören alle in die Rente. Äußerungen dieser Art fördern eine Stimmung, die den Attentismus, die die Zurückhaltung bei Investitionen geradezu beschwört. Es handelt sich um einen normalen Reflex der Wirtschaft, abzuwarten, wenn man nicht weiß, wohin die Reise geht. Keiner ist so dumm, sein gutes Geld in etwas zu investieren, was sich am Schluß als Fehlinvestition herausstellen könnte. Deshalb muß man Klarheit schaffen, richtige Rahmenbedingungen setzen und Ordnungspolitik betreiben. ({6}) Die von Ihnen vorgenommene Verschärfung der Einstellbedingungen für den Mittelstand, für die kleinen und mittleren Unternehmen, ist natürlich kontraproduktiv. Zu dieser falschen Denkweise, zu dieser falschen Grundhaltung, die auch in Ihrem Jahreswirtschaftsbericht deutlich wird, paßt die Vorgehensweise der Vergangenheit bis hin zur Beschimpfung der Notenbank. Es ist ein Münchhausen-Theorem, zu meinen, durch die Steigerung der Nachfrage die Strukturprobleme dieses Landes lösen zu können. Das geht so nicht. Das ist überall, wo man es ausprobiert hat, schiefgegangen. ({7}) Sie sind da völlig isoliert gegenüber der erdrückenden Mehrheit der Wirtschaftswissenschaftler und der Fachleute. Deshalb hätten Sie die Chance nutzen sollen, nachdem Lafontaine davongelaufen ist, Ihre Politik zu ändern, und hätten das zum Anlaß nehmen sollen, von dem falschen Weg herunterzukommen und den richtigen Weg einzuschlagen, aber nicht „business as usual“ zu betreiben und starr auf den falschen Vorstellungen zu beharren. ({8}) Es bleibt alles, wie es ist. Sie müssen doch nachbessern. Machen Sie es doch gleich, dann kommen wir schneller voran. Belästigen Sie nicht die Wirtschaft mit diesen falschen Vorstellungen! ({9}) - Weil Sie mich ja nicht rangelassen haben. Ich würde es Ihnen schon zeigen! ({10}) Die Verschleißerscheinungen nach dieser kurzen Zeit - ({11}) - Ich möchte keine Zwischenfragen zulassen, Herr Mosdorf, sondern meine Ausführungen inhaltlich zusammenhängend darlegen. Ich habe nur ein paar Minuten, die brauche ich. Anschließend können Sie fragen. Dann bekommen Sie auch eine Antwort. Jetzt hören Sie einmal zu. Vielleicht lernen Sie etwas. Sie haben im Jahreswirtschaftsbericht eine sehr „mutige“ Prognose aufgestellt: 60 000 Arbeitsplätze sollen in diesem Jahr neu geschaffen werden. Das ist eine wirklich mutige Zielsetzung und eine hohe Zielmarke, an der Sie sich orientieren. Aber Sie werden auch sie nicht schaffen. Sie werden nicht einmal dieses bescheidene Ziel der 60 000 Arbeitsplätze schaffen. Das ist schon Makulatur, weil Sie Verunsicherung und Attentismus ausgelöst haben. Bringen Sie ja nicht die Begründung, das liege alles an Übersee. Sie können die 50 000 Arbeitsplätze, die in der Bauwirtschaft verlorenzugehen drohen, nicht mit der Entwicklung in Brasilien oder China begründen. Verantwortlich sind dafür Ursachen hier vor Ort in unserem Land. ({12}) Sie bekommen das nur hin, wenn Sie Klarheit schaffen und von einer falschen Denke herunterkommen. Symptomatisch für diese falsche Denke ist auch Ihr Kapitel über die internationale Koordination der Wirtschaftspolitiken. Die anderen werden nicht so blöd sein, unsere Fehler zu kopieren, sondern werden ihren eigenen Weg suchen. Das heißt nichts anderes, als daß man Strukturprobleme nur vor Ort lösen kann. Man kann sie nur in einer Region lösen. Sie bauen sich ein Alibi auf, weil Sie es nicht schaffen: Einmal sind die Europäer schuld, dann die Weltwirtschaft. Alle sind schuld, nur Müller nicht. Das kann es nicht sein. ({13}) Es ist auch ein Alarmsignal, wenn die KPMG, eine der renommiertesten Wirtschaftsprüfungsgesellschaften, auf Grund des Vergleichs ihrer weltweit tätigen Kunden sagt: Nur Japan ist teurer und schlechter in den Standortbedingungen als Deutschland. Daran müssen Sie ansetzen. Das kann man auch nicht mit dem „Bündnis für Arbeit“ wegreden. Man kann Probleme sowieso nicht wegreden. Wirtschaftspolitik muß durch den ordnungspolitischen Rahmen Wettbewerb in der Breite auslösen. Die Illusion, daß dann, wenn sich vier zusammensetzen, die selbst gar keine Arbeitsplätze schaffen, etwas bewirkt werden könnte, ist ein völlig falscher Weg. Reden schadet zwar nicht; Sie bräuchten aber ein Bündnis für den Mittelstand, um den kleinen und mittleren Betrieben zu helfen. Indem Sie Steuervereinfachungen nicht realisieren, sondern alles noch komplizierter machen, schaffen Sie nur bei den Steuerberatern einige wenige Arbeitsplätze. Dafür nehmen Sie sie woanders weg. Sie entlasten nicht, wie es nötig wäre. ({14}) - Herr Schwanhold, hören Sie doch zu! Sie kriegen es sonst nicht mit. - Sie versuchen, die Verantwortung für Ihre falsche Politik auf Europa zu verlagern. ({15}) Nutzen Sie, Herr Müller, wenigstens jetzt, wo Lafontaine weg ist, die Gelegenheit, und holen Sie die Zuständigkeit für die Ordnungspolitik wieder in Ihr Haus zurück. ({16}) Vielleicht wäre der Bericht etwas anständiger ausgefallen, wenn er in Ihrem Hause gemacht worden wäre. Das Wirtschaftsministerium muß das ordnungspolitische Gewissen einer Regierung sein. Jetzt besteht die Chance, dies zu korrigieren und wenigstens eine Mannschaft zusammenzusetzen, die arbeitet und dies richtig macht. Es hilft nicht, wenn Sie mit gelegentlich etwas lockeren Äußerungen, die wirtschaftspolitisch gar nicht so falsch sind, das Feigenblatt für Grünrot abgeben. Sie müssen etwas durchsetzen. Wenn Sie das nicht können, weil man Sie nicht läßt, überlegen Sie sich, ob Sie an der richtigen Stelle sind. ({17})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Das Wort für die PDS-Fraktion hat der Abgeordnete Dr. Gregor Gysi.

Dr. Gregor Gysi (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000756, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Brüderle, auch Ihre Vorschläge sind natürlich problematisch. Wenn ich Sie richtig verstanden habe, haben Sie der Bundesregierung empfohlen, dieselbe Politik zu verfolgen, die die vorhergehende Bundesregierung gemacht hat. Das würde dann allerdings zwingend bedeuten, daß auch sie abgewählt würde. Warum sollte sie diesen Weg beschreiten? Ich denke, ein paar Änderungen und Korrekturen in der Politik brauchen wir schon. ({0}) Auf der anderen Seite sage ich aber auch, daß die letzten Tage und Wochen eines klar gezeigt haben: Wir müssen über die Wirtschaft, den Zweck von Wirtschaft, das Verhältnis von Politik und Wirtschaft hier sehr viel eingehender diskutieren und nachdenken; denn da haben sich Verschiebungen ergeben, die viele Fragen in unserer Gesellschaft aufwerfen. Der letzte Zweck von Wirtschaft ist der Austausch zwischen Mensch und Natur im Interesse der allgemeinen Wohlfahrt der Menschen. Das muß man sich immer vor Augen führen. Wirtschaft hat keinen Selbstzweck, sondern einen Zweck im Zusammenhang mit den Interessen von Millionen Menschen. ({1}) Was das Verhältnis von Politik und Wirtschaft betrifft, so gibt es eigentlich den Primat der Politik. Das führt ja auch dazu, daß Politikerinnen und Politiker gewählt werden. Herr Henkel, Herr Hundt und Herr Stihl stellen sich zwar hin und wissen alles besser. Sie üben den größten Druck aus. Sie nötigen zum Teil; sie drohen sogar. Aber den Mut, sich einmal einer Wahl der Bevölkerung zu stellen, den haben sie nicht. ({2}) Deshalb sage ich: Wenn es soweit gekommen ist, daß die Wirtschaftsverbände entscheiden, wer Bundesfinanzminister ist oder nicht, besteht darin eine Gefährdung der Demokratie, gegen die sich eigentlich alle Politikerinnen und Politiker wenden müßten. ({3}) Aber mit Demokratie hat natürlich auch zu tun, wenn ich ein Bündnis für Arbeit zunächst so aufbaue, daß der Eindruck entsteht, es gehe darum, einen breiten Konsens zur Schaffung von Arbeitsplätzen, für mehr Bildung, Innovation und Forschung zu erreichen. Es ist im Prinzip nichts dagegen zu sagen, daß so viel Konsens wie möglich erreicht werden soll. Aber wenn er nicht zu erreichen ist, muß natürlich auch einmal entschieden werden. Das scheint mir nun eine ausgesprochen schwache Strecke des Bundeskanzlers zu sein. Ich füge an dieser Stelle hinzu: Wenn der Bundeskanzler erklärt, er wolle die Steuergesetze und alles andere in diesem Bündnis für Arbeit verabreden, dann ist das verfassungsrechtlich höchst problematisch; denn für die Entwürfe solcher Gesetze ist immer noch die Regierung zuständig und für die Verabschiedung der Bundestag und der Bundesrat, nicht das Bündnis für Arbeit. Wenn ich so herangehe, dann animiere ich Wirtschaftsverbände natürlich geradezu dazu, sich als zuständig zu empfinden und eine solche Politik zu betreiben. Deshalb hoffe ich sehr, daß das korrigiert wird. ({4}) Das Bündnis für Arbeit darf keine Zentrale zum Befehlsempfang an den Kanzler durch die Wirtschaftsverbände werden. Diese Gefahr besteht augenblicklich. Das muß man deutlich formulieren. ({5}) Ich habe allerdings auch mit großem Erstaunen Herrn Schulz hier zugehört. Ich bin Ihnen auch für Ihre Zwischenfragen wirklich dankbar, weil dadurch Klarheit geschaffen worden ist. Ich habe den Koalitionsvertrag durchgelesen. Da stand von alledem nichts drin. Es muß ein Geheimpapier geben, in dem steht, daß SPD und Grüne ernsthaft entschlossen sind, Braun- und Steinkohle auslaufen zu lassen, die Subventionen zu streichen und damit Tausende von Arbeitsplätzen in den entsprechenden Regionen zu vernichten und die Energiepolitik zu gefährden. Was den Ausstieg aus der Atomenergie betrifft, so sind wir sehr dafür. Aber ansonsten braucht man einen Mix verschiedener Energieformen. Worauf wollen Sie das denn reduzieren? Wie wollen Sie denn die Stromversorgung dann überhaupt noch sichern? Die Leute in den Kohlengruben jetzt so zu verunsichern, wie Sie es getan haben, Herr Schulz, und gleichzeitig zuzulassen, daß neue Lehrlinge ausgebildet werden, denen man aber heute schon sagt, daß sie gar keine Perspektive hätten, ist meiner Ansicht nach eine höchst verfehlte Politik. Ich kann nur hoffen, daß die SPD diese Rede korrigiert. Sonst bleibt das so im Raume stehen, als wäre es zwischen den Koalitionären vereinbart. Ich denke, daß in den letzten Tagen - auch im Zusammenhang mit dem Rücktritt, der übrigens im Grundgesetz nicht vorgesehen ist, von Oskar Lafontaine ({6}) auch andere Fragen aufgeworfen worden sind, zum Beispiel die Frage: Wer repräsentiert eigentlich Wirtschaft, und was sollen eigentlich die Begriffe „wirtschaftsfeindlich“ und „wirtschaftsfreundlich“? Ich meine, das ist völlig absurd und geht völlig daneben. Das macht die Wirtschaft zu einem Einheitsblock, der sie niemals ist. Wir haben zehntausende Unternehmen, die am Existenzminimum nagen. Dazu gehört gerade - wir haben heute vormittag darüber gesprochen - eine Vielzahl landwirtschaftlicher Betriebe. Die kann ich doch nicht genauso behandeln wie riesige Versicherungen, Banken und große Konzerne, die seit Jahren und Jahrzehnten immer mehr Gewinne machen und immer weniger zum Gemeinwohl in dieser Gesellschaft beitragen. ({7}) Wirtschaft muß im Interesse von Menschen funktionieren; darüber muß man sich Gedanken machen. Was mich übrigens schon seit Jahren stört, ist folgendes: Alle Fraktionen - unsere eingeschlossen - reden immer von kleinen und mittelständischen Unternehmen. Bei Ihnen hatte ich allerdings immer den Eindruck, daß Sie zwar von kleinen und mittelständischen Unternehmen reden, aber immer die großen Konzerne und Banken meinen, für die Sie dann auch die Politik gemacht haben - und eben nicht für die kleinen und mittelständischen Unternehmen. ({8}) Schauen wir uns doch einmal die realen Zahlen an. Die Gewinne haben sich von 1980 bis 1998 verdoppelt. Das Problem ist natürlich, daß dies nur für einen Teil der Unternehmen gilt. Aber wenn man schon mit Zahlen operiert, muß man auch diese Zahl nennen: Im gleichen Zeitraum haben sich die Steuerzahlungen der Wirtschaft auf weniger als die Hälfte reduziert. Der Anteil der Unternehmensteuern am Gesamtsteueraufkommen betrug 1970 24 Prozent. Heute liegt der Anteil bei 7 Prozent. Man kann fast schon sagen, daß man diese Steuern auf Grund ihres geringen Anteils ganz abschaffen könnte. Die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und zum Teil auch die kleinen und mittelständischen Unternehmen mußten diese Steuerausfälle ausgleichen. Das wurde auch durch Sozialabbau erreicht. Genau dies ist nicht Politik der PDS; es ist nicht linke Politik und nicht Politik der sozialen Gerechtigkeit. Mit dieser Politik werden wir uns immer auseinandersetzen. ({9}) Auch der Vergleich mit anderen EU-Mitgliedstaaten kann für Ihre Politik nicht herhalten. Sie ziehen zum Vergleich immer den nominalen Steuersatz heran und fügen niemals hinzu - das hat schon in der letzten Legislaturperiode die rechte Seite dieses Hauses nicht gemacht -, daß es nicht um den theoretisch veranschlagten Steuersatz geht, sondern um die tatsächlich von der Wirtschaft gezahlten Steuern. Diesbezüglich stehen wir unter allen EU-Mitgliedsländern an vorletzter Stelle. Es gibt nur ein EU-Mitgliedsland, in dem die Wirtschaft weniger Steuern zahlt als in Deutschland. Das ist die Realität. Was passiert nach dem Rücktritt des Bundesfinanzministers? Herr Bundeswirtschaftsminister Müller - er ist bei der Debatte über seine Politik nicht mehr anwesend ({10}) sagt heute als Vertreter der Bundesregierung, er wolle die Unternehmensteuer von 45 Prozent auf 35 Prozent senken. Dann sagt Herr Clement, ein Steuersatz von 35 Prozent sei ihm eigentlich noch zu hoch; er trete für einen Steuersatz von 28 Prozent ein. Im Rahmen des ewigen Wettbewerbs, die F.D.P. neoliberal zu überholen, sagt dann Frau Scheel vom Bündnis 90/Die Grünen, ein Steuersatz von 22 Prozent entspreche ihren Vorstellungen. Ich warte jetzt auf den ersten Vorschlag, der auf 0 Prozent hinausläuft. Ich frage Sie: Wohin soll das führen? Es handelt sich doch um eine Art Rasenmäherpolitik. Tausende Unternehmen können keine Steuern zahlen, weil sie am Existenzminimum sind. Andere Unternehmen haben ständig steigende Gewinne, ohne daß sie ihren angemessenen Beitrag zum Gemeinwohl dieser Gesellschaft leisten. Hören Sie doch auf mit dem Hoch- und Runtersetzen von pauschalen Steuersätzen! Lassen Sie uns eine Steuer einführen, die sich differenziert nach der Leistungsfähigkeit der Unternehmen richtet! Dieses Ziel wird weder mit einem Steuersatz von 35 Prozent noch mit einem Steuersatz von 22 oder 28 oder 45 Prozent erreicht, sondern nur mit einer Steuer, die sich in gerechter Weise nach der Leistungsfähigkeit der Unternehmen richtet. ({11}) Zum vorauseilenden Gehorsam nach dem Motto „Wer macht sich jetzt bei Wirtschaftsverbänden am beliebtesten? Wer bekommt die meisten Pluspunkte?“ kann ich Ihnen nur sagen: Dieses Handeln hilft nicht weiter und wird Ihrer Regierung nicht bekommen. Wenn jetzt schon Herr Rühe im Fernsehen sagt, daß die Regierung seiner Meinung nach erst der Wirtschaft geschadet habe und nun anscheinend zum Lakaien der Wirtschaft werde, was ebenso falsch sei, dann sollte dies für Sie ein Warnsignal sein. Sie haben meines Erachtens einen falschen Ansatz für Ihre Politik gewählt. Wenn man Arbeitslosigkeit bekämpfen will, so kommt man um verschiedene Änderungen nicht herum. Wir müssen einfach über eine gerechtere Verteilung der Arbeit in unserer Gesellschaft nachdenken. Wir kommen doch um die Fragen des Abbaus von Überstunden und der Arbeitszeitverkürzung nicht herum. Aber auch diese Koalition verweigert im Grunde genommen das Gespräch über diese Fragen, obwohl wir es brauchen. Wir kommen um die Schaffung eines öffentlich geförderten Beschäftigungssektors nicht herum, mit dem Arbeitsplätze dauerhaft in Bereichen entstehen, in denen es keine Konkurrenz gibt, aber auf die die Gesellschaft dringend angewiesen ist, nämlich Arbeitsplätze im Bildungsbereich, im Sozialbereich, im Ökologiebereich und in vielen anderen Bereichen. ({12}) Natürlich hatte Oskar Lafontaine recht, als er die Nachfrageseite in die Diskussion gebracht hatte. In diesem Zusammenhang muß man sagen, daß es überhaupt keinen ernstzunehmenden Wirtschaftspolitiker gibt - das will ich einmal den Damen und Herren von der F.D.P. sagen -, der sich zwischen Angebots- und Nachfragepolitik entscheiden würde. Man braucht immer ein ausgewogenes Verhältnis von beiden. Das Problem ist nur, daß Sie über Jahre die Kaufkraft - mit ruinösen Folgen gerade für die kleinen und mittelständischen Unternehmen - reduziert haben. Das ist die Tatsache. ({13}) Deswegen ist die Frage der sozialen Gerechtigkeit zugleich eine Frage vernünftiger Wirtschaftspolitik. Ich habe den Kanzler immer verteidigt, wenn er hier im Hause persönlich angegriffen wurde. Allerdings muß ich sagen, daß er jetzt eine Grenze überschritten hat. Sein Verhältnis zur Kaufkraft sollte man nicht darstellen, indem man sich als Model in einer Zeitschrift ablichten läßt, mit 6 000-Mark-Mänteln und 4 000-MarkSchuhen. ({14}) Damit entfernt man sich nämlich von der Bevölkerung in einem Maße, wie es nicht akzeptabel ist. Ganz egal, wer den Kanzler stellt: Ein Kanzler darf sich eine solche Entfernung von der Bevölkerung meines Erachtens nicht erlauben. Er beschädigt damit die Politik insgesamt. ({15}) Natürlich gehören auch Bildung, Wissenschaft und Forschung sowie ökologischer Umbau zur Arbeitsmarktpolitik. Die Ökosteuer führt aber zu keinem ökologischen Umbau. Wir kommen damit bei der Schaffung von Arbeitsplätzen keinen Schritt weiter. Zur Arbeitsmarktpolitik gehört auch die direkte Förderung kleiner und mittelständischer Unternehmen. Ich sage Ihnen auch, weshalb: Es gibt viele, die gar keine Steuern zahlen können. Denen helfen Sie auch mit einer Steuersenkung nicht mehr. Denen können Sie nur noch mit einer direkten Förderung helfen, für die wir seit langer Zeit eintreten. Das setzt aber voraus, daß die Unternehmen mit hohem Gewinn endlich angemessene Steuern zahlen, damit die Förderung der anderen finanziert werden kann. ({16}) Natürlich brauchen wir einen neuen Ansatz bei den Lohnnebenkosten. Ihr Projekt, über eine Ökosteuer die Lohnnebenkosten zu senken, ist aber in vielfacher Hinsicht abenteuerlich. Erstens hat das miteinander nichts zu tun. Zweitens ist eine solche Maßnahme nicht dauerhaft. Was machen Sie denn, wenn Ihre Ökosteuer je wirkt? Was machen Sie denn, wenn die Leute ernsthaft weniger Energie verbrauchen und Ihre Mehreinnahmen aus der Ökosteuer verloren gehen? Wollen Sie dann die Lohnnebenkosten wieder erhöhen, oder soll das zu einer dauerhaften Spirale der Energiesteuererhöhung werden, mit all ihren schädlichen Folgen für Rentnerinnen und Rentner, für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, für Sozialhilfeempfängerinnen und Sozialhilfeempfänger und für die Wirtschaft? ({17}) Sie behandeln die Wirtschaft im übrigen extrem ungleich. Weshalb die Industrie fast vollen Ausgleich bekommt, der Dienstleistungsbereich aber nicht, und die Landwirtschaft geradezu ruinös beteiligt wird, konnte mir von der Bundesregierung noch niemand erklären. ({18}) Ich sage Ihnen noch etwas: Wer Wirtschaftspolitik machen und Arbeitsplätze schaffen will, der muß auch bereit sein, den Kommunen und den Ländern Möglichkeiten zur Investition zu geben. Alle drei Gesetze, die morgen im Bundesrat verabschiedet werden sollen, kürzen die Einnahmen von Ländern und Kommunen, was erhebliche Folgen für deren Investitionstätigkeiten und Investitionsmöglichkeiten und damit auch für die Arbeitsplätze hat. Vielleicht noch ein Wort zum Osten: Wir brauchen in den Kommunen wieder eine Investitionspauschale, damit die Kommunen - gerade in den neuen Bundesländern -, was Arbeitsplätze, was soziale, ökologische und kulturelle Fragen betrifft, endlich wieder investieren und aktiv werden können.

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Herr Kollege Gysi, ich muß Sie bitten, zum Schluß zu kommen.

Dr. Gregor Gysi (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000756, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Noch einen Satz: Natürlich brauchen wir auch eine internationale Regulierung der Finanzen. Ich sage Ihnen: Sie haben aus unserer Gesellschaft, die einmal eine hochproduktive Produktionsgesellschaft war, eine Lottogesellschaft gemacht, in der aus Geld Geld gemacht wird. Wenn wir das nicht ändern, wenn nicht wieder die Produktion attraktiver wird, sondern Spekulation das Attraktive in dieser Gesellschaft bleibt, werden wir die Arbeitsplatzsituation nicht ändern. ({0}) Deshalb meine Bitte an die Bundesregierung: Gewinnen Sie den Primat der Politik zurück. Werden Sie nicht Exekutive der Wirtschaftsverbände und auch nicht Diener der Medien. Das ist zuwenig für eine Bundesregierung. ({1})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Liebe Kolleginnen und Kollegen, bevor ich das Wort weitergebe, möchte ich eine Bemerkung machen. Es gehört wohl zu den Aufgaben des amtierenden Präsidenten, die Rechte und die Würde des Parlaments zu wahren. Ich stelle fest, daß bei der Beratung des Jahreswirtschaftsberichtes 1999 der Bundesregierung mit dem Titel „Neue Wege zu mehr Beschäftigung“ das federführende Ressort nicht vertreten ist, das Bundeskanzleramt nicht vertreten ist ({0}) und auch der Bundeswirtschaftsminister nicht anwesend ist - auch kein anderer Minister. ({1}) Es tut mir leid, daß ich das jetzt sagen muß, aber ich denke, es gehört zu meinen Aufgaben, darauf hinzuweisen. Ich muß mir vorbehalten, diesen Punkt gegenüber der Bundesregierung zur Sprache zu bringen. ({2}) Das Wort hat Ministerpräsident Teufel aus BadenWürttemberg. ({3}) - Das Wort hat der baden-württembergische Ministerpräsident Erwin Teufel. ({4}) Erwin Teufel, Ministerpräsident ({5}): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ein Jahreswirtschaftsbericht für 1999 muß mit einem Blick auf das gute Jahr 1998 beginnen. Wir hatten ein Wirtschaftswachstum von 2,8 Prozent, in BadenWürttemberg von 4,1 Prozent, eine Exportsteigerung von 7 Prozent bundesweit, ({6}) in Baden-Württemberg von 10 Prozent, rund 130 000 zusätzliche Arbeitsplätze in Westdeutschland, allein 40 000 davon in Baden-Württemberg. Nun ist dieser positive Trend seit mehreren Monaten abgebrochen. ({7}) Der Jahreswirtschaftsbericht 1999 der Bundesregierung trägt den Titel „Neue Wege zu mehr Beschäftigung“. Er ist in diesem zentralen Punkt schon heute Makulatur. ({8}) Nach dem Urteil der überwiegenden Mehrzahl der Institute und Sachverständigen, der Wirtschaftsverbände und Finanzmärkte wird das Wirtschaftswachstum 1999 nicht, wie im Jahreswirtschaftsbericht angenommen, 2 Prozent betragen, sondern allenfalls 1,5 Prozent. Damit bildet Deutschland das Schlußlicht innerhalb der Europäischen Union. Seit dem Amtsantritt des Bundeskanzlers ist die Zahl der Arbeitslosen in Deutschland um genau 500 000 gestiegen. ({9}) Das ist nicht nur der im Winter übliche saisonale Anstieg. ({10}) Die Beschäftigungsschwelle, ab der wirtschaftliches Wachstum zu mehr Arbeitsplätzen führt, liegt bei ca. 2,5 Prozent. Das heißt, mit einem Wachstum 1999 von maximal 1,5 Prozent steuern wir nicht auf mehr, sondern auf weniger Arbeitsplätze zu. Das bedeutet weniger Chancen für Arbeitslose, weniger Chancen für Berufsanfänger, weniger Steuereinnahmen, eine zusätzliche Belastung der sozialen Sicherungssysteme, und das bedeutet, daß all die Vorausschätzungen des Jahreswirtschaftsberichts auch zur Konsumnachfrage vorne und hinten nicht mehr aufgehen. ({11}) Es ist ein Scherbenhaufen, den Sie nach nur 140 Tagen angerichtet haben. Noch nie hat eine Regierung in so kurzer Zeit so viel Erwartung, so viel Vertrauen, so viel Kredit verspielt. ({12}) Der designierte Wirtschaftsminister ist gar nicht erst angetreten, und nun der Abgang des Finanzministers. Noch vor wenigen Wochen wollte er das gesamte Weltfinanzsystem umgestalten. Jetzt zieht er sich sang- und klanglos, verantwortungslos und stillos auf einen Bauernhof im Saarland zurück. ({13}) Daß die Konjunktur durch die Krisen in Fernost, in Rußland, in Lateinamerika schon Ende 1998 ihren vorläufigen Zenit überschritten hat, kann man dieser Regierung sicher nicht anlasten. Aber wofür einzig und allein sie die Verantwortung trägt, ist die Tatsache, daß nun auch die Stimmungslage und das unternehmerische Binnenklima von Monat zu Monat weiter in den Keller geht. ({14}) Es ist bestürzend, mit ansehen zu müssen, wie die anfängliche Erwartung und Skepsis der Wirtschaft in vielen Branchen, angefangen von den Chefetagen der Großunternehmen bis tief hinein in den Mittelstand, in den Bereich des Handwerks, der Selbständigen, der freien Berufe, nun in blankes Entsetzen umgeschlagen ist. ({15}) Die Stimmung ist so verheerend, weil diese Regierung das reine Chaos angerichtet hat. ({16}) Nichts, was diese Regierung bisher angepackt hat, nichts, was sie entworfen, zurückgenommen, wieder korrigiert, dann, mehr oder weniger umgekrempelt, in immer kürzeren Intervallen wieder vorgelegt hat, läßt auch nur ansatzweise „neue Wege zu mehr Beschäftigung“ erkennen. ({17}) - Baden-Württemberg ist ein positives Beispiel. Unter allen 16 deutschen Ländern das höchste Wachstum machen Sie das einmal bundesweit nach! ({18}) Was am Ende dieser beispiellos hektischen, Verwirrung stiftenden und inhaltlich geradezu dilettantischen Phase nun summa summarum auf dem Tisch liegt, ist ein Programm, das die Wirtschaft belastet und nicht entlastet, ({19}) das Investitionen blockiert und nicht fördert, das Arbeitsplätze gefährdet und nicht schafft, das die sozialen Sicherungssysteme neuen Belastungen aussetzt und den Standort Deutschland geradezu systematisch abwertet. Herr Minister Hombach empfiehlt der SPD, Ludwig Erhard und die Freiburger Schule zu entdecken und ihre Erkenntnisse zu nutzen. Wie wahr! Lesen Sie einmal nach, was in den „Grundsätzen der Wirtschaftspolitik“ von Walter Eucken steht: Die nervöse Unrast der Wirtschaftspolitik, die oft heute verwirft, was gestern galt, schafft ein großes Maß von Unsicherheit und verhindert viele Investitionen. Es fehlt die Atmosphäre des Vertrauens. ... Wenn aber die Wirtschaftspolitik nicht eine zureichende Konstanz besitzt, kann auch die Wettbewerbsordnung nicht voll funktionsfähig sein. Meine Herren von der Bundesregierung, gehen Sie in die Freiburger Schule! ({20}) Lassen Sie mich auf Einzelbeispiele kommen, zunächst zur Steuerreform. Es liegt klar auf der Hand, was gefordert ist, um Innovationen, Investitionen und damit Arbeitsplätze zu schaffen. Unsere Unternehmen, die auf dem heimischen Binnenmarkt und auf allen Märkten der Welt einem harten Wettbewerb ausgesetzt sind, brauchen die gleichen Rahmenbedingungen, die gleichen Steuertarife und die gleichen Wettbewerbsbedingungen wie ihre Wettbewerber. Wir brauchen verbesserte Investitionsbedingungen für private Unternehmen. Das sehen alle ein - außer dem Spitzentrio im Bundesfinanzministerium, das sowohl für den Entwurf der Steuerreform wie auch für den Jahreswirtschaftsbericht verantwortlich ist. Der Bundeskanzler und die ganze Bundesregierung stimmen zu oder lassen gewähren. Der Kardinalfehler Ihrer Steuerpolitik besteht darin, daß Sie die zentrale Bedeutung des Steuersystems für die Sicherung und Schaffung von Arbeitsplätzen im Rahmen einer globalisierten Wirtschaft bis heute nicht einsehen oder schlicht und einfach nicht wahrhaben wollen. ({21}) Statt dessen steht Ihre Steuerreform unter dem Primat der Umverteilung. Sie haben damit genau dort angesetzt, wo sozialdemokratische Politik schon in den 70er Jahren gescheitert ist. Karl Schiller hat Ihnen damals den Rükken gekehrt. Viele Ihrer Wähler vom 27. September kehren Ihnen schon heute den Rücken. ({22}) Die Unternehmen in Deutschland seien nicht höher belastet als die Unternehmen in vergleichbaren Ländern, hört man vom Bundesfinanzministerium und dieser Bundesregierung immer wieder. Das Gegenteil ist richtig. Das Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung in Mannheim hat jüngsten Datums eine große Studie veröffentlicht, in der die Steuerlast der Unternehmen in fünf westlichen Industriestaaten über mehrere Jahre hinweg untersucht wurde. Das niederschmetternde Ergebnis: Eine Kapitalgesellschaft zahlt in Deutschland zwischen 10 Prozent und 38 Prozent mehr Steuern als in den USA, den Niederlanden und Großbritannien. ({23}) Es wurde die Steuerbelastung für eine typische mittelständische GmbH in fünf Ländern ermittelt. Bei identischer Ausgangslage beträgt die Steuerbelastung der Betriebe in Großbritannien 14 Millionen DM, in den Niederlanden 16 Millionen DM, in den USA 20 Millionen DM, in Deutschland 23 Millionen DM und in Frankreich 24 Millionen DM. Großbritannien und die Niederlande haben nicht nur die niedrigste Gesamtbelastung, sondern auch die einfachsten Steuersysteme. Dagegen sind 60 Prozent der Steuerrechtsliteratur der Welt in deutscher Sprache verfaßt. Da brauchen wir sicher nicht Weltmeister zu sein. ({24}) - Sie machen nachweisbar alles noch komplizierter! Das ist doch das Problem. ({25}) Das heißt doch, wir brauchen auch für die Unternehmen und insbesondere für die mittelständische Wirtschaft eine deutliche Nettoentlastung. Denn wo sollen denn sonst neue Arbeitsplätze entstehen? Sie sind also mit Ihrer Steuerreform nicht ein bißchen vom Weg abgekommen, nein, Ihr Weg führt in die verkehrte Richtung. Sie entlasten nicht Investitionen, sondern Sie belasten sie. Sie begünstigen nicht das Entstehen neuer Arbeitsplätze, sondern Sie verhindern dies. Nur bei den Finanzämtern werden Sie ein neues Beschäftigungswunder auslösen, weil Sie das komplizierte deutsche Steuerrecht noch komplizierter machen. Sie handeln nicht nur gegen die Interessen der Wirtschaft und gegen die Hoffnung der Bürger auf neue ArMinisterpräsident Erwin Teufel ({26}) beitsplätze, sondern auch gegen den gesamten ökonomischen Sachverstand der Wissenschaft. Die Wissenschaftler fordern schon für 1999, und zwar ohne Gegenfinanzierung, eine Steuerentlastung von 15 bis 20 Milliarden DM. Nun zu den 630-Mark-Arbeitsverhältnisssen: Was Sie mit der Neuregelung der 630-Mark-Arbeitsverhältnisse vorgelegt haben, ist wahrlich kein Meisterstück. Ihrem ersten Entwurf hat man die Verfassungswidrigkeit schon aus 100 Meter Entfernung angesehen. Die Landesregierung von Baden-Württemberg hat Ihnen durch ein Gutachten von Professor Kirchhof aus Tübingen in mehreren Punkten Verfassungswidrigkeit nachgewiesen. Wir haben eine Klage vor dem Bundesverfassungsgericht angekündigt, falls Ihr Entwurf Gesetz wird. Daraufhin haben Sie Ihren Gesetzentwurf geflickt bzw. zumindest korrigiert. Aber es bleibt doch die Tatsache: Mit diesem Gesetz entfachen Sie einen neuen bürokratischen Aufwand bei den Arbeitnehmern, den Arbeitgebern, den Sozialversicherungsanstalten und den Finanzämtern. Sie werden damit nur eines erreichen, nämlich weitere Beschäftigte massiv in die Schwarzarbeit zu treiben. ({27}) Sie verringern die Zahl der Arbeitsplätze. Sie schaden den an dieser Beschäftigung interessierten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern. Sie gefährden ganze Branchen - etwa den Handel, das Zeitungsgewerbe, das Handwerk und den Hotel- und Gaststättenbereich. Schauen Sie sich einmal den Aufschrei und den geschlossenen Widerstand des gesamten Mittelstandes an. ({28}) Die vielen Kleinbetriebe sind leider nicht so stark, daß sie eine Audienz beim Bundeskanzler und ein Korrekturversprechen erlangen, wie es einigen großen Branchen erfreulicherweise gelungen ist. Auch Ministerpräsident Glogowski sagte: Dieses Gesetz treibt die Leute eher in die Schwarzarbeit. Deshalb mein Appell an Herrn Glogowski und die SPD-Ministerpräsidenten: Lassen Sie morgen die Hände unten, wenn dieses Gesetz im Bundesrat zur Abstimmung steht. ({29}) Nun komme ich zur Ökosteuer. Mit der Ökosteuer wollen Sie durch eine Belastung von Bürgern und Unternehmen eine zusätzliche Steuerquelle erschließen. Der Begriff „ökologische Steuerreform“ ist eine Irreführung der Öffentlichkeit; denn mit Ökologie und Reform hat dieses Gesetzesvorhaben nichts zu tun. Es bringt schlicht eine Steuererhöhung mit sich, obwohl schon heute Deutschlands Energiesteuern mit 67 Milliarden DM deutlich höher sind als die Beschaffungskosten für Energie. Es gilt wieder einmal: Bürokratie und nochmals Bürokratie! Ich zitiere das „Handelsblatt“, das sich auf Aussagen des Bundesfinanzministeriums beruft: Im produzierenden Gewerbe müßten rund 200 000 Erlaubnisse zum steuerbegünstigten Bezug von Strom erteilt werden. Rund 130 000 Unternehmen und rund 5 500 Kraftwerken müsse die Mineralölsteuer auf Heizöl und Erdgas vergütet werden, und rund 30 000 Unternehmen müsse die Ökosteuer erstattet werden. - Es müssen also hunderttausendfach Anträge gestellt und bearbeitet werden, und das trotz der ständigen Forderungen nach einer Verwaltungsvereinfachung. Meine Damen und Herren, Sie treiben auch die Preise in den Bereichen der Bahn und des Nahverkehrs in die Höhe. Ist das ökologisch? ({30}) Schüler und Studenten, Arbeitslose, Sozialhilfeempfänger und Rentner werden voll belastet, ohne daß sie von der Absenkung der Sozialbeiträge profitieren. Ist dies die neue soziale Gerechtigkeit? Meine Damen und Herren der Regierung und der Koalition, kehren Sie um! ({31}) Sie sind in einer Sackgasse, und wenn man in einer Sackgasse ist, ist es das Beste, so früh wie möglich umzukehren. ({32}) Ihr ideologischer Politikansatz ist gescheitert. ({33}) Gehen Sie bei Kurt Schumacher in die Lehre! ({34}) Ich zitiere ihn immer wieder mit dem Satz: Politik beginnt mit dem Betrachten der Wirklichkeit. ({35}) Das ganze Chaos, das Sie schon in den ersten fünf Monaten bei nahezu jedem Vorhaben gestiftet haben, läßt sich auf einen Nenner bringen: Ihr Politikansatz ist weder ökonomisch noch ökologisch; vielmehr ist er ideologisch. Eine solche Politik kann nur scheitern. ({36}) Eine Politik, die die Wirklichkeit der globalen Märkte und den internationalen Wettbewerb ignoriert, eine Politik, die nicht zur Kenntnis nehmen will, welch enorme Herausforderungen sich daraus für Wirtschaft, Politik und Gesellschaft der drittgrößten Industrienation ergeben, eine solche ideologisch angelegte Politik muß sich zwangsläufig gegen die Interessen der Bürgerinnen und Bürger richten. Dafür haben Sie in Hessen bereits die Quittung bekommen. Es ist doch nicht nur Herr Lafontaine gescheitert; seine Politik ist gescheitert ({37}) und muß korrigiert werden. ({38}) Ministerpräsident Erwin Teufel ({39}) Der Vorhang fiel, und alle Fragen blieben offen. Noch hat der Bundeskanzler eine große Chance für einen Neuanfang. Legen Sie eine Denkpause ein und legen Sie ein neues Gesamtkonzept vor. Es muß doch die Grundsatzfrage entschieden werden, ob die Nachfragepolitik, die zur Isolierung der Bundesrepublik in ganz Europa geführt hat, fortgeschrieben werden soll oder ob die Angebotsbedingungen so verbessert werden, daß die Wirtschaft wieder Vertrauen fassen kann. ({40}) Es kann doch nicht so weitergehen, daß Sie einzelne Branchen mit 15 Milliarden oder 20 Milliarden DM mehr belasten und der Bundeskanzler dann mit einzelnen Branchen Rabattverhandlungen führt und als Ausputzer tätig wird. Wider den Wortlaut des Gesetzentwurfs verspricht er Höchstbelastungsgrenzen, die nicht überschritten werden dürfen, und er beruhigt, er tröstet, er verbreitet Hoffnung auf eine zukünftige Steuerreform - so wie auch der Bundeswirtschaftsminister vorhin und fügt hinzu, daß er den Gesetzentwurf mit seinen schlimmen Belastungen leider nicht mehr ändern könne. Das ist doch eine Politik nach dem Motto: Jetzt mach' ich meinem Hund a Freud. Zuerst schlag ich ihn rum und dann hör’ ich auf. Das ist die Politik der Bundesregierung. ({41}) Der Bundeskanzler räumt handwerkliche Fehler ein. Das ist nicht nur eine Verniedlichung, sondern ganz und gar unzutreffend. Denn Handwerksmeister können erstens rechnen, und Handwerksmeister legen zweitens eine Meisterleistung vor und keinen Murks. Ihr Flickwerk erinnert mich an die beiden Schustergesellen, die zu ihrem Meister sagen: „Meister, die Schuhe sind fertig. Sollen wir gleich mit dem Flicken anfangen?“ ({42}) Flickschustern Sie nicht weiter, sondern bringen Sie endlich neue Schuhe! Machen Sie einen neuen Anfang! Nehmen Sie die Gesetze zur Steuerreform, zur Ökosteuer und zu 630-Mark-Arbeitsverhältnissen vom Tisch des Bundesrats. Wenn Sie es nicht tun, ist diese in jeder Hinsicht mißratene Reform nicht mehr das Werk Lafontaines, sondern Ausweis des Versagens des Bundeskanzlers und das Werk Eichels, der ohne Mandat des Wählers diesem schädlichen Gesetzentwurf durch sein Umfallen zu einer Mehrheit verhelfen will. ({43}) Herr Bundeswirtschaftsminister Müller, der Sie heute auch als Finanzminister diese Politik Lafontaines vertreten müssen, kennen Sie die Äußerungen Ihres österreichischen Kollegen? Ich zitiere aus der „Presse“ in Wien nach einer dpa-Meldung - Überschrift: „Firmen fliehen vor rot-grünen Reformen“ -: Täglich gebe es bis zu 30 Anfragen aus Deutschland, ob man sich in Österreich ansiedeln könne. Das teilte Österreichs Wirtschaftsminister Johannes Farnleitner der Zeitung mit. Der Minister habe von einem regelrechten Ansturm auf Firmenniederlassungen in Österreich berichtet, der vom Kurs der neuen deutschen Koalition ausgelöst worden sei. ({44}) Herr Kollege Müller, Sie äußern sich von allen Regierungsmitgliedern noch am vernünftigsten. Aber was tun Sie denn ganz persönlich konkret als Wirtschaftsminister gegen eine Politik, die solche Folgen hat? ({45}) Sie müßten doch derjenige sein, der vor Risiken und Nebenwirkungen dieser Arznei warnt. ({46}) Meine Damen und Herren, das Innovationsklima in Wirtschaft und Gesellschaft hatte sich in den letzten Jahren spürbar gebessert. Die Bundesregierung ist drauf und dran, dies alles wieder zunichte zu machen. Nicht das Land, nicht die Leute, nicht die Wirtschaft, sondern die Regierung ist das Problem, das wir haben. ({47}) Ich fordere Sie auf: Tun Sie endlich etwas für die Zukunftschancen von Millionen Menschen! Im SPD-Programm zur Bundestagswahl 1998 stand ganz am Anfang: „Deutschland ist ein starkes Land. Aber es hat eine schwache Bundesregierung.“ ({48}) Nach 140 Tagen Regierung Schröder steht fest: Dieser Satz war noch nie so richtig wie heute. Deutschland ist ein starkes Land, aber es hat eine schwache Regierung. ({49})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Das Wort für die SPD-Fraktion hat der Kollege Joachim Poß.

Joachim Poß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001740, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Ministerpräsident Teufel, Sie haben recht: ({0}) Sie haben mit dazu beigetragen, daß unser Land in den letzten anderthalb Jahrzehnten in eine Sackgasse geführt wurde. ({1}) Sie sind mit verantwortlich dafür, daß die Facharbeiter in Ihrem schönen Ländle in den letzten Jahren mit hohen Steuern und Abgaben belastet wurden, die leistungsfeindlich sind. Das liegt in Ihrer Verantwortung, Herr Teufel. ({2}) Ministerpräsident Erwin Teufel ({3}) Sie tragen mit Verantwortung dafür, daß es eine Schieflage gibt bei der Besteuerung der mittelständischen Wirtschaft einerseits und der Großindustrie andererseits, das heißt, daß die Handwerksmeister in Ihrem Ländle im Verhältnis zu Daimler - die sich jetzt sogar noch beschwert haben, obwohl sie für 1997 eine Körperschaftsteuererstattung von 3,2 Milliarden DM bekommen haben - so hoch besteuert werden. Das liegt in Ihrer Verantwortung, und darüber müßten Sie eigentlich reden, wenn Sie hier schon das Wort nehmen. ({4}) Also: Beklagen Sie nicht die Folgen Ihrer Politik, Herr Ministerpräsident. Eigentlich haben Sie einen viel zu guten Ruf ({5}) - doch, gelegentlich sagt er schon einmal etwas Vernünftiges; heute war das nicht der Fall -, um solche kurzsichtigen und falschen Reden zu halten. ({6}) Wenn man von wahren Zahlen und Fakten ausgehen will, Herr Ministerpräsident, Herr Wissmann, dann reicht ein Besuch bei der OECD in Paris, wie ihn der Finanzausschuß des Deutschen Bundestages gestern gemacht hat, um die Standort- und Steuerdebatte der Wirtschaft und der Opposition als das zu entlarven, was sie ist: unsinnig und schädlich. ({7}) Dieses Ergebnis hat der gestrige Besuch des Finanzausschusses bei der OECD gebracht. Ich empfehle also Reisen zur OECD. Ich begrüße es auch, daß die gemeinsamen Vorbereitungen und Aktivitäten zum „Bündnis für Arbeit“ Anlaß dazu bieten, die wahren Fakten und Zahlen über die Bundesrepublik und ihre Stellung im internationalen Wettbewerb aufzuzeigen. Das gilt nicht zuletzt für das Steuerrecht im internationalen Vergleich. Ich werde Herrn Wissmann, falls er von seiner Fraktion über den gestrigen Besuch bei der OECD nicht informiert wurde, die wesentlichen Ergebnisse einmal zufaxen. Die Experten der OECD haben gestern im Gespräch mit den Mitgliedern des Finanzausschusses unmißverständlich festgestellt: Erstens. Anlage und Konzeption der Steuerreform von SPD und Bündnis 90/Die Grünen, die zur Entlastung des Faktors Arbeit führen, sind richtig. Zweitens. Die von uns begonnenen Maßnahmen zur Verbreiterung der Bemessungsgrundlage tragen dem Prozeß der Globalisierung Rechnung. Die hochrangigen Experten der OECD haben in diesem Zusammenhang ausdrücklich genannt: die Einschränkung der Teilwertabschreibung und das Wertaufholungsgebot, die Abzinsung bei Rückstellungen und die Begrenzung der Abziehbarkeit der Verluste, die im Ausland gemacht werden. Die OECD hat eine Statistik vorgelegt, die hier heute schon zitiert wurde. Danach hat die Bundesrepublik Deutschland mit 8 Prozent die weitaus niedrigste Effektivbelastung in der gesamten OECD. Darüber liegen die Niederlande mit 22 Prozent, die Vereinigten Staaten mit 24 Prozent; United Kingdom liegt bei 49 Prozent Effektivbelastung. Das sind die Zahlen und Fakten, die Grundlage unserer Steuerpolitik sind, und nicht ideologische Erkenntnisse. ({8}) Die Koalition von SPD und Grünen ist also nach dem Urteil der OECD auf dem richtigen Weg; ({9}) denn sie bestätigt: Die Bemessungsgrundlage ist in Deutschland sehr schmal, im EU-Vergleich extrem schmal. Unternehmen haben in Deutschland in hohem Maße die Möglichkeit, ihre Erträge in den Bilanzen zu verstecken. Sie können hohe stille Reserven bilden und damit die Steuern geringhalten. Deutsche Unternehmen schreiben doppelt soviel ab wie amerikanische Unternehmen. Die Besonderheiten des deutschen Bilanz- und Steuerrechts haben historische Gründe. ({10})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Herr Kollege Poß, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Höll?

Joachim Poß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001740, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja, bitte.

Dr. Barbara Höll (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000921, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Poß, ich war an der gestrigen Sitzung ebenfalls beteiligt. Die grundlegende Einschätzung, die Sie hier vorgetragen haben, stimmt sicherlich. Einige Punkte müßte man vielleicht etwas korrigieren. Meine Frage: Wenn diese Einschätzung der OECD stimmt, warum diskutieren Sie dann jetzt hier weiter über eine Unternehmensteuerreform, die eine pauschale Senkung des Satzes auf 35 Prozent vorsieht? Das ist mir noch nicht ersichtlich. Vor allem wissen wir nicht, inwieweit da die Gewerbeertragsteuer und der Solizuschlag enthalten sind. Sind sie nicht enthalten, würde das im Klartext heißen, daß die Unternehmensteuer noch weiter sinkt. Sie ist bereits niedrig. Dazu kommt: Was wird, wenn Sie es rechtsformunabhängig machen wollen, mit den Spitzensteuersätzen, mit den Einkommensteuersätzen insgesamt?

Joachim Poß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001740, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Kollegin Höll, Sie konnten bei der gestrigen Diskussion doch folgendes zur Kenntnis nehmen - ich kann ja nicht alles zitieren -: Wir haben hohe Sätze; damit liegen wir an der Spitze. Das kann Investoren abschrecken. Wir haben aber auch die niedrigste faktische Belastung. Unsere Aufgabe ist, die Sätze zu senken ({0}) und die Bemessungsgrundlage zu verbreitern. Das wollen wir konsequent tun, Frau Kollegin Höll. ({1}) Die deutschen Unternehmen wollen dieses neue Bilanz- und Steuerrecht nicht. Sie fordern niedrige Steuersätze. Diese können sie aber nur bekommen, wenn wir die Bemessungsgrundlage verbreitern. Niedrige Steuersätze und schmale Bemessungsgrundlage schließen sich aus. ({2}) Beides gleichzeitig ist ungerecht und nicht zu finanzieren. ({3}) Deswegen machen wir eine Steuerreform, auch eine Unternehmensteuerreform, bei der die Bemessungsgrundlage verbreitert und die Gewinnermittlung objektiviert wird. Daher sind zum Beispiel die hohen Rückstellungen, die Unternehmen in anderen Ländern nicht bilden können, zurückzuführen.

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Herr Kollege Poß, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Fromme?

Joachim Poß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001740, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Bitte schön.

Jochen Konrad Fromme (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003126, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Poß, wollten Sie mit Ihrer Antwort auf die Frage der Kollegin Höll zum Ausdruck bringen, daß Sie keine Steuersenkung für Unternehmen wollen? ({0})

Joachim Poß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001740, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Fromme, die Diskussion leidet in der Tat ein wenig an begrifflichen Unschärfen. Manchmal wird man auch Opfer der eigenen begrifflichen Unschärfe. Ich habe vorhin gesagt: Wir müssen die Steuersätze senken. Das ist über Jahre die gemeinsame Auffassung dieses Parlaments gewesen. Wir wollen Steuersatzsenkungen und die Verbreiterung der Bemessungsgrundlage. Das heißt aber, daß wir - ich jedenfalls vermag ihn nicht zu erkennen - finanzpolitischen Spielraum für eine Effektiventlastung wahrscheinlich nur in einem sehr geringen Umfang haben. Aber das ist nicht so sehr das Problem. Das Problem sind - siehe OECD-Zahlen - die hohen Steuersätze einerseits und die geringe Effektivbelastung andererseits. Beides müssen wir zusammenführen. Eigentlich müßten Sie bei dieser Operation mitmachen. ({0})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Es besteht der Wunsch nach einer weiteren Zwischenfrage, Herr Kollege Poß.

Joachim Poß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001740, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja, bitte.

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Bitte schön.

Jochen Konrad Fromme (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003126, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Poß, können Sie mir dann erklären, warum der Bundeswirtschaftsminister und Vertreter Ihrer Koalition gegenüber der Wirtschaft ständig den Eindruck erwecken, daß die Steuern in der Summe gesenkt werden sollen? ({0})

Joachim Poß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001740, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Der Bundeswirtschaftsminister hat auch in der heutigen Sitzung nichts anderes gesagt als das, was ich hier ausgeführt habe. Wir haben hohe Steuersätze und müssen diese herunterfahren. Der Bundeswirtschaftsminister hat auch in den letzten Debatten darauf hingewiesen, daß wir großzügige Rückstellungsmöglichkeiten und anderes mehr haben und daß es darum geht, beides zusammenzuführen. Ich jedenfalls vermag weder heute noch im Zusammenhang mit den letzten Sitzungen einen Unterschied zwischen den Äußerungen des Bundeswirtschaftsministers und meinen zu erkennen. In der öffentlichen Diskussion wird oft nicht zwischen der Senkung von Steuersätzen und der Senkung der Steuerlast insgesamt unterschieden. Das müssen wir begrifflich auseinanderhalten. ({0}) Im übrigen, der Bundeswirtschaftsminister und ich stimmen in der Analyse überein, daß die Schieflage bei der Belastung der Wirtschaft, die daran deutlich wird, daß ein Handwerksmeister relativ hoch belastet wird, während Daimler-Chrysler alle Möglichkeiten hat, sich der Besteuerung zu entziehen, eine Erblast der Regierung Kohl und kein aktuelles Problem der Steuerbeschlüsse dieser Koalition ist. ({1})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Herr Kollege Poß, es liegen noch zwei Wünsche nach Zwischenfragen vor.

Joachim Poß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001740, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Bitte, ich stehe zur Verfügung.

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Bitte schön, Herr Kollege Hauser. ({0})

Hansgeorg Hauser (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000832, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Poß, Sie sprechen wiederholt die Firma Daimler-Chrysler an. Ich will nicht weiter auf das Thema Verlustvortrag zu sprechen kommen, sondern auf eine Äußerung Ihres Kollegen, des Parlamentarischen Staatssekretärs Mosdorf. Er sagt zum Brief von DaimJoachim Poß ler-Chrysler, man müsse die Kritik von DaimlerChrysler ernst nehmen. Er stellt fest, die Besteuerung der Schachteldividenden ist ein eklatanter Fehler; sie wird auch im internationalen Vergleich so nicht vorgenommen. Wir haben darüber im Ausschuß sehr ernsthaft diskutiert. Ich frage Sie deshalb, ob Sie die Äußerung Ihres Kollegen Mosdorf für richtig halten, der sagt, man muß in diesem Punkt - im Rahmen der von Ihnen geplanten Unternehmensteuerreform - eine Korrektur anbringen, das heißt, die Besteuerung der Schachteldividenden wieder zurücknehmen. Sind Sie der gleichen Meinung? Als ich Herrn Mosdorf diese Frage gestellt habe, hat er mich an Sie verwiesen. Er hat mir gesagt, er könne das nicht beantworten, nur Sie könnten das. ({0})

Joachim Poß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001740, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Hauser, natürlich gibt es in der Beurteilung einzelner Maßnahmen unterschiedliche Meinungen in dieser Regierung oder Koalition - genauso, wie das in Ihrer Partei der Fall ist. Wir werden das im einzelnen sorgfältig diskutieren. Ich kenne die Äußerung des Kollegen nicht; ich habe sie heute noch nicht zur Kenntnis nehmen können. Wir werden im Zusammenhang mit der Unternehmensteuerreform noch viele Probleme in aller Ruhe, wie auch der Bundeswirtschaftsminister ausgeführt hat, diskutieren. Dies wird dann eines von vielen sein.

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Herr Kollege Dautzenberg, bitte schön.

Leo Dautzenberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003067, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Poß, wenn Sie schon die Zusammenstellung der OECD von gestern zitieren, würden Sie dann bitte zumindest der Vollständigkeit halber, damit Sie nicht der selektiven Wahrnehmung nur einzelner Aussagen erliegen, zur Kenntnis geben, daß sich diese Statistik über die Gesamtbelastung der Unternehmen ausschließlich auf Kapitalgesellschaften und eben nicht auf natürliche Personen und Personengesellschaften bezieht, die 80 bis 85 Prozent unserer gesamten Unternehmen ausmachen und die, weil sie Einkommensteuer bezahlen, in diese Betrachtung gar nicht einbezogen sind? ({0})

Joachim Poß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001740, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich habe nichts anderes gesagt ({0}) und auch nicht versucht, einen anderen Eindruck zu erwecken. ({1}) - Herr Kollege Michelbach, Sie waren doch gar nicht dabei. Sie sollten gelegentlich einmal an sich halten und zuhören. Wir haben das gestern sehr sachlich und gemeinschaftlich bei der OECD diskutiert. Es ist richtig, das bezieht sich auf Kapitalgesellschaften, also auf Aktiengesellschaften und GmbHs, aber eben auch - insoweit zu Ihrer Nachfrage, Herr Kollege - auf GmbH & Co. KGs. Wenn wir in Italien eine Spitzenbelastung von 75 Prozent bzw. in England von 49 Prozent haben und Deutschland in diesem Bereich mit einer Effektivbelastung von 8 Prozent ausgewiesen wird, dann ist doch evident, daß Ihr Propagandagerede überhaupt nicht trägt. ({2})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Eine weitere Zwischenfrage.

Leo Dautzenberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003067, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Poß, wenn das so zutreffen sollte, wenn das also die beste Grundlage für Investitionen in Deutschland wäre, dann müßten Sie doch Überlegungen anstellen, den Zufluß von Investitionskapital aus dem Ausland zu begrenzen. ({0})

Joachim Poß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001740, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Dautzenberg, nachdem wir gestern so sachlich diskutiert haben, sollten Sie jetzt nicht versuchen, den Problemen mit Polemik zu begegnen. Es bleibt bei der Grundlinie, die ich dargestellt habe, die richtig ist und die für unsere Unternehmen auch notwendig ist. Wenn wir über den internationalen Wettbewerb sprechen, dann sprechen wir eben in erster Linie über Aktiengesellschaften und GmbHs und nicht über Personengesellschaften. Ich weiß also gar nicht, was das soll, mir das vorzuwerfen. Wir haben über internationale Wettbewerbsfähigkeit gesprochen. Also machen wir Regeln für die internationale Wettbewerbsfähigkeit. Das gilt auch für das Steuerrecht. ({0})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Herr Kollege Schindler, bitte schön.

Norbert Schindler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002776, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Poß, ich war gestern bei der Diskussion dabei. Jetzt will ich noch einmal bei dem nachkarten, was Kollege Dautzenberg sagte. Sie haben vorhin ausgeführt, es seien 8 Prozent Steuerbelastung in Deutschland - so die Aussage der OECD - und 49 Prozent im United Kingdom. Glauben Sie diesen Zahlen der OECD? Mir sind mittlerweile andere Zahlen bekannt. Lassen Sie im Bundesministerium der Finanzen einmal nachfragen, ob diese Zahlen im internationalen Vergleich überhaupt fair dargestellt sind.

Joachim Poß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001740, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege, ich habe, um mich zu vergewissern, diese Frage heute schriftlich an das Bundesfinanzministerium gerichtet. Ich bin dafür, daß wir in der Tat alle Quellen der Erkenntnis ausschöpfen. Aber selbst wenn die Zahl von 8 Prozent nicht stimmen sollte und es in Wirklichkeit 16 Prozent wären, ändert das nichts am Ergebnis. Übrigens sind das nicht nur die Zahlen von der OECD. Wir haben die Weltbank Hansgeorg Hauser ({0}) und andere Quellen, die sagen: In der effektiven Steuerbelastung liegen wir im weltweiten Vergleich unten. Herr Kollege, Sie können reden, was Sie wollen: Das ist das Ergebnis. ({1})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Eine weitere Zwischenfrage?

Joachim Poß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001740, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja, natürlich.

Norbert Schindler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002776, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich bin Ihnen dankbar, daß auch Sie in diesem Zweifel sind, den ich hinsichtlich dieser Aussage seit gestern mittag selbst habe. Danke schön. ({0})

Joachim Poß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001740, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Nein, Herr Kollege - jetzt müssen Sie auch stehenbleiben -, ich bin überhaupt nicht im Zweifel. Ich will nur ganz sichergehen, weil ich immer wissen will, worüber ich rede. Das unterscheidet mich womöglich von einigen in diesem Hause. ({0}) - Keine Zwischenfragen mehr? Das enttäuscht mich ein wenig, meine Damen und Herren von der Opposition. Wir haben in den letzten Wochen den medienwirksamen Widerstand zweier großer Branchen gegen die Besteuerung ihrer sehr hohen Rückstellungen nach dem Steuerreformpaket erlebt. Unternehmen, die in der Vergangenheit in der Lage waren, riesige Rückstellungen steuerfrei anzusammeln, haben mit falschen Zahlen, Horrormeldungen und Abwanderungsdrohungen versucht, die Öffentlichkeit zu verängstigen. Ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, daß die Vorstände dieser Unternehmen wenig Vorstellung davon hatten, wovon sie redeten oder worüber sie lamentierten. Sie sind die wahren Besitzstands- und Privilegienverteidiger. Insbesondere waren sie sich angesichts der geringen Steuerzahlungen in der Vergangenheit offensichtlich nicht klar darüber, welche steuerlichen Vergünstigungen sie bei ihren Rückstellungen erhalten hatten. Auch die Regierung Kohl hatte dies eingesehen und begonnen, dagegen anzugehen. Jetzt sind den Unternehmen von der jetzigen Bundesregierung Fristen von bis zu zehn Jahren eingeräumt worden, damit sie sich auf eine Besteuerung einstellen können, die man vielleicht als normal bezeichnen kann. Wir haben gestern bei der OECD in Paris erfahren das finde ich richtig und wichtig -, daß es verantwortungslos ist, wenn kein gutes Haar am Standort Deutschland gelassen wird. Dieser Produktionsstandort ist attraktiv. ({1}) Zur Attraktivität zählt nicht nur die Besteuerung, sondern zählen alle wirtschaftlichen und sozialen Voraussetzungen für die Produktion. Dazu gehören eine gute Infrastruktur, eine gute Ausbildung der Arbeitnehmer und sozialer Friede. Die Zuspitzung der Diskussion auf die Besteuerung der Industrie ist einäugig und eindimensional. Selbstverständlich beeinflußt das Steuersystem die Produktionsbedingungen in Deutschland, wie wir alle wissen. Aber mit der Steuerpolitik allein läßt sich hohe Arbeitslosigkeit eben nicht beseitigen. Daß man das kann, ist ebenfalls eine Legende, die unsere Vorgängerregierung gebildet hat. Die Steuerreform ist keine Jobmaschine. Sie kann zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit nur einen Beitrag leisten. Wer Finanzpolitik betreibt, darf die Haushaltspolitik nicht vernachlässigen. Man kann die Steuersätze nur verringern, wenn dadurch keine unvertretbaren Lücken im Haushalt entstehen. Eine Senkung der Steuersätze auf Pump verlagert die Lasten auf nachfolgende Generationen und ist unverantwortlich. ({2}) Eine Senkung der Steuersätze, die dazu führt, daß notwendige Aufgaben des Staates nicht mehr wahrgenommen werden können, ist auch ungerecht. Der Staat hat Aufgaben im Interesse der Wirtschaft, aber auch zum Wohl der Bürgerinnen und Bürger zu erledigen, Aufgaben, die notwendig sind und auch bei größten Sparanstrengungen nicht einfach zurückgeführt und vernachlässigt werden können. Eine Vernachlässigung solcher staatlichen Aufgaben geht zum Beispiel zu Lasten der Arbeitnehmer, Familien, Arbeitslosen und anderer Gruppen der Bevölkerung. Eine Senkung der Steuersätze für Unternehmen mit solchen Auswirkungen kann von uns nicht akzeptiert werden, übrigens, Herr Teufel, auch nicht im Interesse der gewerblichen Wirtschaft vor Ort. Wenn die Kommunen nicht mehr investitionsfähig sind, dann leiden darunter die kleinen und mittleren Betriebe sowie die Arbeitnehmer, die dort beschäftigt sind. Das ist die ökonomische Realität, mit der wir uns auseinandersetzen müssen. ({3}) Ich habe mich gefreut, heute hier ein paar Zahlen, die für einige von Ihnen vielleicht etwas überraschend waren, zu präsentieren. Es hat mir Spaß gemacht. Ich hoffe, Ihnen auch. Eine Bemerkung möchte ich noch an den grünen Bündnispartner richten: Herr Kollege Schulz, der Bundeskanzler hat von dieser Stelle aus ein klares Wort zur Energiepolitik und auch zur Braun- und Steinkohle gesagt. Daran ändert sich für die sozialdemokratische Bundestagsfraktion nichts. Die Bergleute können sich auf die Sozialdemokraten hier im deutschen Parlament verlassen. ({4})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Ich gebe dem Abgeordneten Gunnar Uldall für die CDU/CSU-Fraktion das Wort.

Gunnar Uldall (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002353, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Unter dem vielen, was Herr Kollege Poß gesagt hat, ist sicherlich ein richtiger Gedanke gewesen: ({0}) Die Verbreiterung der Bemessungsgrundlage muß immer im Zusammenhang mit der Senkung der Steuersätze gesehen werden. Aber genau das tun Sie nicht, Herr Poß. Sie verbreitern die Bemessungsgrundlage, ohne die Steuersätze zu reduzieren. ({1}) Dies nennt man auf deutsch schlichtweg Steuererhöhung. Nachdem die Sozialdemokraten die Bemessungsgrundlage verbreitert haben, versprechen sie jetzt vage, die Steuern in der Zukunft zu senken. Sie sagen: Irgendwann wird es eine Senkung der Steuersätze geben. Herr Poß, die Amerikaner haben einen Spruch, der lautet: „Buy now, pay later.“ Übersetzt: „Kauf jetzt, zahle später.“ Sie drehen diesen Spruch um, indem Sie sagen: Zahle heute, und wir sagen dir später, was wir dir dafür liefern werden. - So darf man Finanzpolitik nicht betreiben, Herr Poß. ({2}) Wirtschaftsminister Müller hat dargestellt, daß er im Laufe der Beratungen über das Steuergesetz mehrfach unterschiedliche Berechnungen angestellt hat und mehrfach seine Haltung von Zustimmung in Ablehnung und von Ablehnung in Zustimmung geändert hat. Das kritisiere ich überhaupt nicht. Es gehört zu einer Beratung, daß man weitere Erkenntnisse gewinnt. Was ich Ihnen aber vorwerfe, Herr Minister, ist, daß Sie dieses Gesetz verabschiedet haben, ohne sich endgültig darüber im klaren zu sein, welche Folgen es haben wird. Das darf man nicht machen. ({3}) Durch eine Politik, die da heißt: „Wenn sich später irgendwelche negativen Effekte ergeben, werden wir eine Nachbesserung vornehmen“, gefährden Sie Tausende von Existenzen in Deutschland. Man muß deswegen sehr vorsichtig mit dem sein, was man in ein Gesetz schreibt. ({4}) Das, was Sie gemacht haben, Herr Müller, war falsch. ({5}) Herr Poß und Herr Müller haben davon gesprochen, daß eine Entlastung notwendig ist. Ich glaube, dem stimmen wir alle zu; darüber sind wir uns einig. Vage für die Zukunft versprochen ist nach den jetzigen Papieren eine Senkung der Steuern im Jahre 2002 - zufällig im Wahljahr - um 20 Milliarden DM. Gleichzeitig aber steigt bis zum Jahr 2002 das jährliche Steueraufkommen um 110 Milliarden DM. Das heißt: Sie senken die Steuern gar nicht, sondern nehmen eine Erhöhung nur nicht in dem Maße vor, wie Sie es sonst getan hätten. Von 110 Milliarden DM Mehreinnahmen verbleiben 90 Milliarden DM beim Staat, und 20 Milliarden DM geben Sie als Steuerermäßigung zurück. Das, meine Damen und Herren, ist keine Steuersenkung, sondern lediglich eine geringere Mehrbelastung. Es bleibt nach wie vor bei einer satten Steuermehrbelastung für die Bürger. Die negativen Folgen einer solchen Politik, mit einem Hin und Her und mit vagen Versprechungen für die Zukunft, ohne zu sagen, was in der Zukunft tatsächlich passieren wird, sind für jedermann erkennbar. Wir haben im vergangenen Jahr in Deutschland ein Wachstum von 2,8 Prozent verzeichnet. Herr Ministerpräsident Teufel hat dies vorhin dargelegt und hinzugefügt, daß das Wachstum in Baden-Württemberg 4,1 Prozent betragen hat. Herr Ministerpräsident, herzlichen Glückwunsch für diesen großartigen Erfolg! ({6}) Wovon man hätte ausgehen müssen, ist, daß diese Regierung nicht nur ein Wachstum von 2,8 Prozent erreicht, sondern eines noch darüber hinaus. Die deutsche Wirtschaft befand sich schließlich auf dem Weg nach oben. Insofern hätten aus diesen 2,8 Prozent auch 3,5 oder 4,0 Prozent, vielleicht sogar die 4,1 Prozent von Baden-Württemberg werden müssen. Aber die Regierung selbst glaubt schon nicht mehr an solche Werte und hat im Jahreswirtschaftsbericht gerade einmal ein Wachstum von 2,0 Prozent angesetzt. Wenn man der Meinung der Forschungsinstitute folgt - sie sagen wahrscheinlich die bittere Wahrheit -, dann werden die Ist-Ergebnisse noch darunter liegen. ({7}) Das DIW, wirklich kein der CDU oder der F.D.P. nahestehendes Institut, rechnet mit 1,4 Prozent, der Deutsche Industrie- und Handelstag mit 1,5 Prozent und das Institut für Weltwirtschaft in Kiel mit 1,6 Prozent. Alle diese Werte liegen deutlich unter dem Wert der Regierung in ihrer Prognose für dieses Jahr. Das Schlimme daran ist aber, meine Damen und Herren, daß mit dieser Wachstumserwartung der Regierung nie die Schwelle zur Einstellung neuer Mitarbeiter in den Unternehmen überschritten werden wird. Deswegen werden wir bedauerlicherweise erleben, daß statt eines weiteren Aufbaus von Beschäftigung und einer weiteren Abnahme der Arbeitslosigkeit in Deutschland bestenfalls eine Stagnation auf dem Arbeitsmarkt eintritt, wahrscheinlich sogar eine weitere Erhöhung der Zahl der Arbeitslosen. ({8}) Entsprechend schlecht ist auch die Stimmung in der Wirtschaft insgesamt. Das ist von vielen Rednern ausführlich dargelegt worden. Deswegen möchte ich dies nicht wiederholen. Ich will aber darauf hinweisen, daß es auch Freude über diese Entwicklung gibt, aber leider nicht in Deutschland. Kürzlich hat die „FAZ“ berichtet, daß die Verwaltungs- und Privatbank AG in Liechtenstein neben ihrer ohnehin schon sehr satten Dividende eine Sonderdividende in Höhe von 4 Franken ausschütten möchte. Diese Sonderdividende bezeichnet sie als „LafontaineEffekt“, weil auf Grund der falschen Wirtschafts- und Finanzpolitik so viel Geld aus Deutschland abgeflossen sei, daß eine Erhöhung der Dividende vorgenommen werden könne. - Dies muß uns zum Nachdenken anregen und uns zeigen, daß wir diesen Weg so auf keinen Fall weitergehen können. Eines ist klar: Wenn alle am öffentlichen Meinungsbild in Deutschland Beteiligten - die Unternehmen, die Gewerkschaften, die Medien und auch das Ausland - die Wirtschaftspolitik dieser Regierung in höchstem Maße gelobt hätten, dann wäre Oskar Lafontaine natürlich nicht zurückgetreten. Insofern mögen die personellen Querelen in der Bundesregierung wohl der Anlaß für den Rücktritt gewesen sein. Die Ursache hierfür war aber die fehlgeschlagene Politik. Dabei hat Lafontaine nur das getan, was in den Parteiprogrammen und in der Koalitionsvereinbarung steht. Er tat das alles unter der Richtlinienkompetenz des Kanzlers. Wir können festhalten: Gescheitert ist nicht ein einzelner Minister, sondern die Wirtschafts- und Finanzpolitik der gesamten Regierung. Der Verantwortliche für dieses Chaos ist nach wie vor im Amt. Er heißt Bundeskanzler Schröder. ({9}) Meine Damen und Herren, wir müssen leider erkennen, daß die notwendigen zukunftsweisenden Konsequenzen von der Regierung im Jahreswirtschaftsbericht nicht gezogen worden sind. Die rotgrüne Koalition nimmt immer andere in die Pflicht. Für diejenigen Probleme, für die sie eigentlich selbst zuständig ist, wird immer irgend jemand anderes in die Verantwortung genommen. So soll zum Beispiel das „Bündnis für Arbeit“ Arbeitsplätze schaffen. Die Europäische Zentralbank soll über Zinssenkungen die Nachfrage beleben. Eine neue, noch unbekannte Institution soll über eine Währungskoordination außenwirtschaftliche Gefahren abwenden, und die EU soll die Beschäftigungspolitik vorantreiben. Dahinter steht Methode: Man will immer einen anderen Schuldigen schon parat haben, wenn sich die Politik der Bundesregierung als gescheitert herausgestellt hat. Wenn man schon nach einem Schuldigen sucht, bevor man mit dem Regieren überhaupt richtig begonnen hat, dann ist das ein Zeichen dafür, daß man selber kein Vertrauen in seine politischen Maßnahmen hat. ({10}) Ich kann nur sagen: Die letzte Gelegenheit, um die Konsequenzen aus dieser gescheiterten Politik zu ziehen, ist die Abstimmung morgen im Bundesrat. Deswegen lautet mein Appell: Stimmen Sie, die Ministerpräsidenten, die der Sozialdemokratischen Partei angehören, diesen verworrenen Gesetzen nicht zu! Tun Sie etwas für die Konjunktur, tun Sie etwas für die Arbeitsplätze in Deutschland! ({11})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Das Wort für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat die Kollegin Margareta Wolf.

Margareta Wolf-Mayer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002831, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Uldall, Sie unterliegen einem grundsätzlichen Mißverständnis. Sie haben gerade gesagt, wir nähmen immer andere in die Haftung. Ein Beispiel dafür ist für Sie das „Bündnis für Arbeit“. Das „Bündnis für Arbeit“ ist Ausdruck einer von einer breiten gesellschaftlichen Schicht getragenen Verantwortungsdemokratie. In anderen Ländern, wie in den Niederlanden, ist man damit sehr gut gefahren. Ihr „Bündnis für Arbeit“ ist gescheitert, weil Sie den Dialog mit der Wirtschaft und mit den Gewerkschaften nicht mehr gesucht haben. Wir wagen explizit einen Neuanfang. ({0}) Verehrter Herr Ministerpräsident, ich habe Sie in Indonesien als einen Mann des Stils und der Redlichkeit erlebt. Als ich heute Ihre Rede gehört habe, habe ich mir gedacht: Vielleicht wäre es besser gewesen, Sie hätten diese Rede im Juni oder im August letzten Jahres in diesem Hause gehalten. Um der Redlichkeit Genüge zu tun, hätten Sie sagen müssen, daß wir vor vier Monaten die Regierung mit einem Höchststand an Arbeitslosigkeit, mit einem Höchststand an Abgaben auf Arbeit, mit einem Höchststand an Staatsverschuldung und mit einer immensen Investitionszurückhaltung, die es damals auch im Land Baden-Württemberg gab, übernommen haben. ({1}) Wenn es Ihnen um die Redlichkeit gegangen wäre, dann hätten Sie als Vertreter der Christlich Demokratischen Union auch etwas dazu sagen müssen, wie die Lage der Familien war. Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts ist für Ihre Regierung eine schallende Ohrfeige. ({2}) Das hier ständig inkriminierte Steuerentlastungsgesetz, das morgen den Bundesrat passieren wird, hat auf jeden Fall eine Wirkung, die auch Sie positiv finden müßten - es wäre schön gewesen, wenn Sie es erwähnt hätten -: Es entlastet die Privathaushalte und die Familien um 2,5 Milliarden DM. ({3}) Sie reden immer nur über eine Entlastung bei der Wirtschaft. Man kann es nun wirklich nachlesen, wie die Privathaushalte entlastet werden. ({4}) Noch eine Bemerkung zu Ihnen, Herr Brüderle: Sie haben vorhin dem Wirtschaftsminister der Koalition vorgeworfen - ({5}) - Wissen Sie, daß ich Sie schon einmal gefragt habe, ob Sie keinen Friseur haben, der mit Ihnen redet? Sie quatschen den ganzen Tag dazwischen. Sagen Sie hier doch einmal etwas wirklich Konstruktives! ({6}) Herr Brüderle, Sie haben vorhin gesagt, die Leitlinien der Wirtschaftspolitik seien falsch. Wir debattieren heute über den ersten Jahreswirtschaftsbericht der rotgrünen Bundesregierung. Jetzt nenne ich Ihnen einmal ein paar Leitlinien dieses Jahreswirtschaftsberichtes und möchte von Ihnen wissen, ob diese Leitlinien falsch sind. Diese sind nämlich nicht falsch.

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Frau Kollegin Wolf, gestatten Sie vorher eine Zwischenfrage? - Bitte schön.

Norbert Barthle (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003033, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Kollegin Wolf, ich habe einen Friseur, mit dem ich sprechen kann.

Margareta Wolf-Mayer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002831, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Das ist schön für Sie!

Norbert Barthle (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003033, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich möchte Ihnen aber eine Frage stellen, da Sie das Familienurteil aus Karlsruhe angesprochen haben: Ist Ihnen bekannt, daß der Steuerbescheid der Beschwerdeführer auf das Jahr 1983 zurückgeht? Das war gerade ein Jahr nach dem damaligen Regierungswechsel. Von den Beschwerdeführern wurde in Karlsruhe ein Steuertatbestand beklagt, der noch in die Regierungszeit der SPD zurückreichte.

Margareta Wolf-Mayer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002831, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Entschuldigen Sie, Herr Kollege, das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Urteil durchaus die Belastung der Familien durch die Politik der letzten 16 Jahre beurteilt. Wenn wir uns hier immer wieder nur vorhalten, daß der eine dies und der andere das gemacht habe, aber nie eine Lösung suchen, dann kommen wir nicht weiter. ({0}) Nein, es geht um die Politik, die Sie in den letzten 16 Jahren gemacht haben. ({1}) Herr Kollege Brüderle, man sollte in diesem Parlament tatsächlich kommunizieren. Auf Ihre Vorwürfe gegen den Jahreswirtschaftsbericht sage ich Ihnen, was dort wirklich steht: Erstens steht da: Moderne Wirtschaftspolitik hat die Aufgabe, die Rahmenbedingungen für wirtschaftliche Dynamik und Beschäftigung zu verbessern. Das ist richtig. Zweitens steht da: Dem Bedürfnis der Menschen nach sozialer Gerechtigkeit muß wieder Geltung verschafft werden. Das ist ein ganz wichtiger Punkt vor dem Hintergrund der Debatte um die Gerechtigkeitslücke. Drittens steht da: Deutschland muß offen für Innovationen und attraktiv für Investoren sein, um im internationalen Wettbewerb leistungsfähig zu bleiben. Die Sachverständigen schreiben seit Jahren, daß wir hier erhebliche Defizite haben; ergo ist auch dieses richtig. Viertens steht da: Die ökologische Erneuerung muß vorangetrieben werden. Sie können nicht negieren, daß auch das richtig ist. Weiter steht da: Die Rolle des Staates muß neu definiert werden. So geht es weiter. Sie haben es leider versäumt, den Bericht zu lesen. ({2}) - Entschuldigen Sie, es ist doch ein Gebot der intellektuellen Redlichkeit, wenn man einen diskursiven Politikstil pflegen will, nicht zu sagen, das sei alles Makulatur oder falsch. Es ist schlicht nicht falsch. Man kann sich hinterher durchaus über die Instrumente streiten. ({3}) Aber, Herr Kollege Brüderle, das Ziel der rotgrünen Bundesregierung ist eine Wirtschaftspolitik, die nicht Besitzstandswahrung und Egoismus befördert, sondern Solidarität und Eigenverantwortung. Ich bin der Meinung, daß der Jahreswirtschaftsbericht keine der tatsächlich sehr schwierigen Herausforderungen, vor denen Politik steht, ausblendet. Wir haben es mit hoher Arbeitslosigkeit und dem Problem zu tun, daß die sozialen Sicherungssysteme nicht mehr das Vertrauen bei der Bevölkerung haben und ihre Finanzierung in Frage steht. Wir haben es tatsächlich auch mit einem angenommenen maximalen Wirtschaftswachstum von 2 Prozent im Jahr 1999 zu tun. ({4}) - Seien Sie so freundlich - ich bin eine Frau, Sie sind ein Mann -: Halten Sie einmal für fünf Minuten den Mund. ({5}) Uns geht es darum, die Verbesserung der Angebotsbedingungen mit einem Zugewinn an Sicherheit und Teilhabe für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zu verknüpfen. Unsere Wirtschaftspolitik sieht sich der Bürgergesellschaft verpflichtet. Wir wollen die RahMargareta Wolf ({6}) menbedingungen für mehr Freiheit und Eigenverantwortung in diesem Lande verbessern. Wir wollen eine Brücke zwischen Kapital und Arbeit bauen. ({7}) - Das ist überhaupt kein Blabla! ({8}) - Wie heißen Sie überhaupt, sehr verehrter Herr Kollege? ({9}) Sie sind wirklich unmöglich. Die Wirtschaftspolitik der letzten 16 Jahre, meine verehrten Kolleginnen und Kollegen, und auch die Politik der 80er Jahre in Frankreich sind für uns Appell genug, um uns auf eine intelligente Mischung von Angebots- und Nachfragepolitik zu verständigen. Die Erfahrungen mit Ihrer Regierung, aber auch die Erfahrungen in Frankreich sind Anlaß genug, um endlich aus den Gräben herauszukommen und im Interesse von wirtschaftlichen strukturellen Reformen tatsächlich ein Policy-Mix in diesem Land zu machen. ({10}) Ich sprach schon davon: Wir verfolgen einen dialogorientierten und verantwortungsorientierten Politikansatz, Herr Kollege Uldall. Dafür steht das „Bündnis für Arbeit“. Es ist für mich - so verstehe ich es - ein Ort, an dem abgeklärt wird: Wer hat welche Pflichten? Wer übernimmt welche Aufgaben? Es ist auch ein Ort des Gebens und Nehmens. Es ist ein Ort, an dem der Strukturwandel in Deutschland besprochen werden kann. Uns geht es um die Erneuerung der sozialen Marktwirtschaft. Aber wir wollen dies nicht durch Spaltung der Gesellschaft und zu Lasten künftiger Generationen erreichen. Uns geht es auch um die wirtschaftliche Konkurrenzfähigkeit. Dies steht alles auf einem Niveau und hat gleichwertigen Charakter. Ich möchte noch kurz auf den BDI zu sprechen kommen. ({11})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Frau Kollegin Wolf, gestatten Sie noch eine Zwischenfrage?

Margareta Wolf-Mayer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002831, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Nein, jetzt gestatte ich keine Zwischenfrage, weil ich jetzt erst einmal auf den BDI zu sprechen kommen möchte. Der BDI hat in den letzten Jahren - wie manche Verbandsvertreter - den Standort Deutschland - so habe ich es empfunden - des öfteren schlechtgeredet. Ich kann nur an den BDI appellieren, dieses nunmehr zu unterlassen; denn nicht umsonst hat schon die alte Bundesregierung einen Standortbeauftragten eingesetzt, der sich um verstärkte Investitionen des Auslands in Deutschland bemühen mußte. Wenn der BDI - der BDI ist Teilnehmer am „Bündnis für Arbeit“ und übernimmt dort auch gesellschaftspolitische Verantwortung - letzte Woche im „Handelsblatt“ verlauten ließ - es handelte sich um ein Eckpunktepapier zur Unternehmensteuerreform -: Neue, die Wirtschaft belastende Gegenfinanzierungsmaßnahmen durch den Abbau von Sondertatbeständen und Steuervergünstigungen darf es nach Auffassung des BDI nicht geben… dann kann ich nur sagen: Vor dem Hintergrund der angesprochenen Staatsverschuldung, vor dem Hintergrund der OECD-Studie, die wir gerade hinlänglich diskutiert haben, vor dem Hintergrund der Tatsache, daß die Kapitalgesellschaften nur 8 Prozent zum gesamten Steuereinkommen beitragen - das ist die niedrigste Quote in Gesamteuropa; sie ist wesentlich niedriger als die in den USA -, und angesichts der schmalen Bemessungsgrundlage, die wir heute haben und die verantwortlich dafür ist, daß die Großunternehmen wenig Steuern gezahlt haben und wenig zum Steueraufkommen beitragen, die kleinen Unternehmen aber sehr viel, muß der BDI sich unter dem Stichwort „Verantwortung“ überlegen, ob es verantwortbar ist, heute zu sagen, daß die Bemessungsgrundlage nicht verbreitert werden darf. Ich kann im Hinblick auf die Gesamtverantwortung nur schärfstens an den BDI appellieren, von dieser Position zurückzurudern, weil das „Bündnis für Arbeit“ nur dann funktionieren wird, wenn sich alle in ihm auch verantwortlich zeigen für eine wirtschaftliche Entwicklung in Deutschland, die gleichzeitig mit Gerechtigkeit einhergeht. Danke schön. ({0})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Das Wort für die F.D.P. hat der Kollege Paul Friedhoff.

Paul K. Friedhoff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000588, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In diesen Tagen ist ja sehr häufig von einem Neuanfang der rotgrünen Bundesregierung die Rede, vom Willen des Bundeskanzlers Schröder, mit der wirtschaftsfeindlichen Politik seines ehemaligen Finanzministers zu brechen. Darauf haben auch viele Leute eine gewisse Hoffnung gesetzt. Ich muß sagen: Die heutige Debatte hat mich in dieser Richtung sehr enttäuscht. Herr Müller, Sie haben eben im Grunde genommen gesagt: Es bleibt alles, wie es ist. Da ändert sich überhaupt nichts. ({0}) Wenn ich Herrn Poß richtig verstanden habe, dann zahlen die Unternehmen in Deutschland sowieso schon die niedrigsten Steuern, so daß man da also auch nichts Besonderes machen muß. Ich glaube, das ist völlig verkehrt und geht an der Realität vorbei. ({1}) Margareta Wolf ({2}) Die Realität ist so, daß die Erwartungen der Märkte hoch sind. Es wird ja nicht umsonst von einer „Lafontaine-Lücke“ gesprochen, davon, daß sich die Finanzmärkte anderswo anders entwickeln als bei uns. Dies ist eine Realität, auf die man einmal hinweisen muß. Das paßt alles nicht so ganz zusammen. Wenn der Rest der Welt vielleicht noch nicht gemerkt hat, wie toll es hier ist, bleibt nur eines: Wir müssen es ihnen zeigen. Ich bin fest davon überzeugt: Wenn jetzt das wirtschaftspolitische Ruder nicht herumgeworfen wird, dann wird sich diese Lafontaine-Hausse auf Grund seines Rücktritts - der DAX hat innerhalb von drei Tagen immerhin um 7 Prozent angezogen - in eine SchröderBaisse umwandeln. Der Verband Deutscher Maschinen- und Anlagenbau hat vor wenigen Tagen seine Wachstumsprognose revidiert. Vor sechs Monaten, im Oktober 1998, hatte der VDMA im Bereich des Maschinenbaus noch mit einem Wachstum von 2 Prozent gerechnet. Jetzt prognostiziert er Stagnation. Stagnation würde bedeuten, daß die Zahl der Arbeitslosen weiter wächst, wie dies schon seit dem Amtsantritt der rotgrünen Regierung der Fall ist. Das Baugewerbe hat zu Beginn dieser Woche bekanntgegeben - Rainer Brüderle hat dies eben schon erwähnt -, daß es 1999 mit einem Verlust von etwa 50 000 Arbeitsplätzen allein im Bauhauptgewerbe rechnet. Der Präsident des Zentralverbandes nennt als Ursache - ich darf wörtlich zitieren -: Die Bundesregierung betreibt eine Politik, die Investitionen geradezu verhindert. Warum äußern die Verbände eine solche Meinung? Erkennen sie etwa die Realität nicht? Sie sollten darüber wenigstens nachdenken. Die Botschaft an die Adresse der Bundesregierung ist eindeutig: Ihre Wirtschaftspolitik gegen den Markt muß sofort beendet werden. Wenn Produkte mit einem hohen Arbeitskostenanteil und Dienstleistungen am Wirtschaftsstandort Deutschland nicht konkurrenzfähig sind, dann geraten Arbeitsplätze und Wohlstand in unserem Land in Gefahr. Deshalb müssen die Angebotsbedingungen in Deutschland verbessert werden, vor allem bei den Arbeitskosten. Deshalb muß man Ausgaben begrenzen und darf nicht, wie Sie es tun, einfach die Einnahmen durch Umfinanzierung auf andere Art hereinholen. ({3}) Diese Tatsache haben die Altlinken von SPD und GRÜNEN noch nie begriffen und werden sie wohl auch nie begreifen. ({4}) Politiker wie Lafontaine interpretieren die Wirtschaft immer noch als böse und raffgierige Erscheinungsform des Kapitalismus, den es zu bekämpfen gilt. Diesen Standpunkt hat Lafontaine in seiner Abschiedserklärung noch einmal sehr anschaulich gemacht, als er den Vergleich von dem Herzen und der Börse anstellte. Wenn man in einer solchen Gedankenwelt lebt, darf man sich nicht wundern, wenn das Ergebnis eine falsche Politik ist. ({5})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Herr Kollege Friedhoff, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Skarpelis-Sperk?

Paul K. Friedhoff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000588, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Immer.

Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002183, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Lieber Herr Kollege Friedhoff, Sie haben vorhin die Konjunkturaussagen und Prognosen des VDMA und der deutschen Bauwirtschaft zitiert. Sind Sie bereit, sich zu erinnern, daß sich der VDMA in seiner Erklärung, warum seine Erwartungen zur Konjunkturentwicklung gedämpft sind, auf die Situation der Exportwirtschaft bezogen hat? Können Sie erläutern, was die Bundesregierung, insbesondere der Bundesfinanzminister und der Bundeswirtschaftsminister, zur Rußland-Krise, zur Brasilien-Krise und zur Ostasien-Krise in diesem Punkte beigetragen haben? Oder sind Sie bereit, zuzugeben, daß überwiegend weltwirtschaftliche Entwicklungen zu der jetzigen Situation beigetragen haben? Sind Sie ferner bereit, zur Kenntnis zu nehmen - Sie können dies in den Berichten der Bauwirtschaft der letzten Jahre nachlesen -, daß die öffentlichen und privaten Investitionen, insbesondere die öffentlichen, in den letzten acht Jahren kontinuierlich massiv abgenommen haben und daß sich deswegen die deutsche Bauwirtschaft beim Bundeswirtschaftsminister und beim Bundesfinanzminister bitterlich beklagt hat? Sind Sie also bereit, Ihre wirtschaftliche Bewertung nicht nur auf die letzten vier Monate, sondern auf die vergangenen drei oder vier Jahre zu beziehen?

Paul K. Friedhoff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000588, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ich bin immer dazu bereit, wenn Sie mir belehrende Worte sagen. Wenn man auf diese Punkte hingewiesen wird, wird der Wissensstand erweitert. Ich habe Ihnen nur vorgelesen, was der Präsident des Zentralverbandes als Ursache genannt hat. Er hat wörtlich gesagt - ich zitiere ihn noch einmal -: Die Bundesregierung betreibt eine Politik, die Investitionen geradezu verhindert. Ich vermute, er hat nicht die alte Bundesregierung, sondern die neue Bundesregierung gemeint. ({0}) Was die von Ihnen angesprochenen Krisen angeht Herr Uldall ist vorhin schon darauf eingegangen -, so kann ich mich daran erinnern, daß vor vier Monaten in Asien, aber auch in Rußland nicht alles in Ordnung war. Das ist nicht plötzlich über uns gekommen, sondern das hat eine lange Entwicklung. Ich vermute, daß die MenPaul K. Friedhoff schen klug genug gewesen sind und das vor vier Monaten ebenfalls berücksichtigt haben. Seitdem hat sich die Situation aber noch einmal verschlechtert: nicht im Ausland, sondern bei uns. Hinzugekommen sind also hausgemachte Ursachen, für die Bundeskanzler Schröder die Verantwortung trägt. ({1}) Darüber müssen wir hier reden, und deswegen ist es Ihnen auch peinlich, daß Sie heute morgen dagegengestimmt haben, daß hier über den Rücktritt des Finanzministers debattiert werden kann. Also tun wir es an dieser Stelle. ({2}) Die Wirtschaftspolitik unter Lafontaine bestand aus einem Gemisch aus sozialistischem Umverteilungsdrang und keynesianischen Theorieresten; die reine Lehre hat er ja auch nicht vertreten. Manches davon ist auch nach Lafontaine geblieben. So dauert der Versuch der Bundesregierung an, Großunternehmen und Mittelstand gegeneinander auszuspielen; das haben wir heute morgen auch wieder von Ihnen gehört. Die rotgrüne Koalition sucht den billigen Applaus, indem sie verkündet, den Großen nun einmal richtig die Daumenschrauben anzulegen. Entgegen allen Beteuerungen: Ihre Politik entlastet den Mittelstand nicht, sondern sie belastet ihn. Wenn die rotgrüne Bundesregierung an der ökonomischen Wahrheit interessiert wäre, erklärte sie den Menschen, daß unser Land das Nebeneinander von Groß-, Mittel- und Kleinbetrieben dringend braucht. Sie würde deutlich machen, daß die Großunternehmen ein Drittel der Arbeitnehmer beschäftigen, die Hälfte der Wertschöpfung erzeugen und zu unverzichtbaren Auftraggebern gerade für viele kleine und mittlere Betriebe gehören. ({3}) Sie helfen dem Mittelstand also nicht, wenn Sie die Großunternehmen aus dem Land jagen, indem Sie ihnen so schlechte Rahmenbedingungen geben, daß sie ihre Möglichkeiten nutzen und aus dem Land gehen. Das ist ein Bumerang; die Folgen muß anschließend der Mittelstand tragen. Es wirft kein gutes Licht auf Ihren Willen zur Veränderung, Herr Minister Müller, daß Sie den Jahreswirtschaftsbericht nicht schleunigst haben überarbeiten lassen. Glauben Sie mir, in Ihrem Ministerium gibt es exzellente Leute, die das liebend gern gemacht hätten. ({4}) Aber statt dessen atmet der Bericht nach wie vor die Ideen von Lafontaines Staatssekretär Flassbeck, dessen Lieblingsidee fester Wechselkurszielzonen international irgendwo zwischen Lachnummer und Absurdität eingeordnet wird. Die deutsche Wirtschafts- und Finanzpolitik ist international in eine vollständige Isolation getrieben worden. Dafür trägt auch der Bundeskanzler die Verantwortung, denn er bestimmt die Richtlinien der Politik. Bundeskanzler Schröder trägt die politische Verantwortung für den jetzigen Scherbenhaufen in der deutschen Wirtschafts- und Finanzpolitik. Wenn es einen Neuanfang in der Wirtschaftspolitik geben soll, dann müssen die eklatanten Fehler der ersten Monate schleunigst revidiert werden. Herr Wirtschaftsminister, das könnte jetzt Ihre Stunde sein, wenn Sie dafür kämpften, daß das Steuererhöhungsgesetz der Koalition neu beraten wird. Jetzt haben Sie die Chance! Die Wirtschaftspolitik der Bundesregierung, meine Damen und Herren, braucht in der Tat einen Neuanfang. Dazu gehört auch eine finanzierbare Energieversorgung, die Planungssicherheit bietet. Chaos und Verunsicherung in der deutschen Energiepolitik haben bereits einen Namen: Trittin. Bundeskanzler Schröder hat dazu gesagt, er wolle „mehr Fischer und weniger Trittin“. In den Betrieben unseres Landes wird aufmerksam beobachtet werden, ob Kanzler Schröder weniger Trittin wirklich durchsetzen kann. Nach meiner Meinung wäre es das Beste, er würde ihn ganz einfach rauswerfen. ({5}) Wirtschaftsminister Müller hat in den nächsten Wochen die Chance, einiges von dem verlorenen Vertrauen der Märkte in den Wirtschaftsstandort Deutschland zurückzugewinnen. Dafür muß er sich aber das nötige Instrumentarium wieder verschaffen. Das Wirtschaftsministerium muß sein früheres ordnungspolitisches Wächteramt zurückgewinnen und gegenüber Finanzministerium und Kanzleramt zur alten Stärke zurückfinden. ({6}) Als erster Schritt sollten die ins Finanzministerium überführten Abteilungen umgehend in das Bundeswirtschaftsministerium zurückverlagert werden: ({7}) Grundsatzabteilung, Europaabteilung und bei der Gelegenheit am besten auch gleich die Abteilung Geld und Kredit. Der neue Finanzminister und frisch abgewählte Ministerpräsident von Hessen wird ohnehin genug damit zu tun haben, um den Augiasstall bei Steuer und Haushalt auszumisten. Auf die Funktion des Wirtschaftsministeriums als marktwirtschaftliches Leuchtfeuer der Bundesregierung kann in diesen Monaten weniger denn je verzichtet werden. Das gilt auch nach dem Abgang von Oskar Lafontaine. Denn Bundeskanzler Schröder selbst hat offenbar nur sehr unklare Vorstellungen von moderner Wirtschaftspolitik; sonst würde er stärker auf die Wettbewerbsfähigkeit deutscher Unternehmen setzen und nicht auf korporatistische Rezepte von gestern, die im globalen Wettbewerb sicher überhaupt keine Chance mehr haben. Nicht daß wir uns falsch verstehen, meine Damen und Herren: Auch die Gespräche mit Verbänden über ein Bündnis für Arbeit oder ähnliches können hilfreich sein, und wir begrüßen sie. Aber Arbeitsplätze werden nicht an diesen runden oder eckigen Tischen herbeidiskutiert, sondern müssen in den Betrieben geschaffen werden, insbesondere in den kleinen und mittleren Betrieben. Das wiederum geht nur, wenn es dort Aufträge gibt. Und dort gibt es nur Aufträge, wenn man wettbewerbsfähig ist. Das hat bei kleinen und mittleren Betrieben eine ganze Menge mit den Arbeitskosten zu tun. Meine Damen und Herren, ich komme zum Schluß. Die Glaubwürdigkeit der deutschen Wirtschafts- und Finanzpolitik ist seit dem Amtsantritt der rotgrünen Bundesregierung schwer erschüttert. ({8}) Der Ruf einer soliden, seriösen Wirtschaftspolitik ist dahin. ({9}) Die sogenannte nachfrageorientierte Wirtschaftspolitik von Finanzminister Lafontaine hat die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft verschlechtert ({10}) und bereits Tausende von Arbeitsplätzen vernichtet. Jetzt müssen die Trümmer dieser Wirtschaftspolitik entschlossen beiseite geräumt werden, um den Schaden wenigstens zu begrenzen. Ich danke Ihnen. ({11})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Die Kollegin Ulrike Mehl gibt Ihre Rede zu Protokoll.*) Das Haus ist damit einverstanden. Jetzt hat der Kollege Schwanhold von der SPD-Fraktion das Wort.

Ernst Schwanhold (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002122, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist gut, daß die Debatte um den Jahreswirtschaftsbericht sich nicht aus- schließlich um Steuerfragen kümmert, weil Wirtschafts- politik etwas anderes ist, als sich nur über Steuern zu unterhalten. Dieser Jahreswirtschaftsbericht legt die Prognose für das Jahr 1999 und die Ziele wirtschaftlicher Entwick- lung für 1999 fest. Das ist in realistischer und nüchterner Weise geschehen. Anders als in früheren Berichten wird diesmal darauf verzichtet, die Situation schönzureden. Vielmehr wird von einer realistischen Wachstumsrate von 2 Prozent ausgegangen, die wir noch immer errei- chen können und für die wir uns angesichts der Risiken, die wir auf den internationalen Märkten haben, anstren- gen sollten. *) Anlage 2 Es gibt ein paar Ausgangsparameter, die wir nicht vergessen dürfen. Erstens. Die Vorgängerregierung hat uns die höchste Staatsverschuldung hinterlassen, die die Bundesrepublik Deutschland jemals hatte. Zweitens. Wir haben eine exorbitant hohe Arbeitslosigkeit, die zu bekämpfen unser allererstes Ziel sein muß. Ursache auch dafür ist die falsche Wirtschaftsund Finanzpolitik der Vorgängerregierung, die mindestens in den Instrumenten nicht richtig gepolt gewesen ist. Drittens. Wir haben enge Vorgaben des europäischen Stabilitätspaktes. Die Einführung des Euro ist insgesamt eine gelungene Maßnahme. Sie setzt uns in haushaltspolitischer Sicht allerdings enge Grenzen. Viertens. Wir haben eine krisenhafte Entwicklung in wichtigen Wirtschaftsregionen dieser Erde. Stichwortartig seien der fernöstliche Markt, die GUS-Nachfolgestaaten, aber auch die kränkelnde Wirtschaft in Lateinamerika genannt. Vor diesem Hintergrund 2 Prozent Wachstum zu erreichen ist eine wichtige Aufgabe, die gestellt werden muß und die wir lösen müssen. Die Senkung der Eingangssteuersätze und alles, was wir in der Steuerreform gemacht haben, gibt wichtige Impulse für die Nachfrage. Wenn die Exportwirtschaft krankt, muß man wenigstens die Binnennachfrage dagegensetzen. Das allein reicht aber nicht. Wir brauchen eine europäisch abgestimmte Wachstumspolitik, die nur im Konzert, in der Verabredung der europäischen Länder zu machen ist. Wir brauchen eine zweite Stufe der Steuerreform; sie wird folgen. Diese Unternehmensteuerreform beinhaltet ein Paket an Maßnahmen zur Senkung der Lohnnebenkosten unter 40 Prozent und zur Schaffung einer rechtsformunabhängigen Unternehmensteuer; Ziel ist ein Satz von 35 Prozent. Dies alles sind Signale, die jetzt schnell gegeben werden müssen, damit die Wirtschaft Rahmendaten für die nächsten Jahre bekommt. Sie kann sich darauf verlassen, daß sie diese erhält, wenn die Expertenkommission, die durch Fachleute der Wirtschaft in besonderem Maße ergänzt worden ist, ihren Bericht vorlegt. ({0}) Die Stimmung in der Wirtschaft ist zum gegenwärtigen Zeitpunkt schlecht; wer wollte das leugnen. Aber Ihr Gerede hat natürlich nur ein Ziel, nämlich diese Stimmung zu verschlechtern. Ihnen geht es in Wahrheit nicht um die Lage der Wirtschaft und nicht um Wachstum, sondern Ihnen geht es in Wahrheit ausschließlich darum, die Lage schlechter zu reden, als sie ist. ({1}) Sie ist in der Tat gut, nur die Stimmung muß verbessert werden. Wir benötigen Investitionsanreize, damit die Hoffnungen auf diesen Standort verstärkt werden und die mittelständische Wirtschaft ihren Investitionsattentismus aufgibt. Deshalb war das Signal der ersten Steuerreform, die mittelständische Wirtschaft zu entlasten, richtig. Ich hoffe, wir können in der Unternehmensteuerreform noch etwas draufsatteln, damit die Investitionstätigkeit von dieser Seite wieder angeregt wird. Über den Kurs der ausgewogenen Verbesserungen von Angebots- und Nachfragebedingungen für die Unternehmen und Arbeitnehmer hinaus müssen besonders die Mittelstandspolitik, die Innovationspolitik, die Europa- und Geldpolitik sowie die Außenpolitik ihre Beiträge für Wachstum und Beschäftigung leisten. Auch dies steht begrüßenswerterweise im Einklang mit dem aktuellen Jahreswirtschaftsbericht. Der Mittelstand bedarf als Hauptträger von Arbeitsund Ausbildungsplätzen über verbesserte Rahmenbedingungen hinaus spezieller Aufmerksamkeit durch eine kohärente und übersichtliche Mittelstandsförderung. Wir müssen die Förderung der kleinen und mittleren Unternehmen und die Existenzgründungen auf wenige, aufeinander abgestimmte Programme konzentrieren und vereinfachen. In diesem Zusammenhang muß es auch zu einer tragfähigen und klaren Aufgabenabgrenzung zwischen den Förderbanken, der Deutschen Ausgleichsbank und der Kreditanstalt für Wiederaufbau, kommen. Richtigerweise unterstreicht übrigens das Bundeswirtschaftsministerium die zentrale Bedeutung des Mittelstandes auch in seinem aktuellen Haushaltsplan. Für den Bereich Technologie- und Innovationspolitik werden 2,2 Milliarden DM zur Verfügung gestellt. Wir benötigen eine bessere Eigenkapitalausstattung der kleinen und mittleren Unternehmen, zunächst einmal durch eigenen Ertrag, aber auch mit gezielter Hilfe durch das Eigenkapitalhilfeprogramm. Dieses Programm muß erhalten und seine Finanzierungsmöglichkeit in Zukunft gestärkt werden. Wir müssen den Zugang zur selbständigen Tätigkeit im Handwerk erleichtern. Der Große Befähigungsnachweis bleibt Voraussetzung, aber wir müssen uns schon einmal anschauen, warum gerade unterhalb des Meisterbetriebes soviel Schwarzarbeit passiert und wie wir diesen Teil wieder in den ersten Arbeitsmarkt integrieren können. Wenn es dort Hemmnisse gibt, müssen wir darüber nachdenken, wie wir sie abbauen können. ({2}) Wir müssen den Bereich der Schattenwirtschaft auch im Dienstleistungssektor zu einem Teil des ersten Arbeitsmarktes entwickeln. Dazu gehören kleine Arbeitsverhältnisse, die im Zweifelsfalle auch subventioniert sein können. Die Senkung der Lohnnebenkosten und die weitere Senkung der Eingangsteuersätze sind allerdings eine wesentliche Voraussetzung dafür, daß bei einem geringeren Bruttoeinkommen ein ausreichender Nettobetrag bleibt. Der Bereich des Tourismus wird bei uns erstaunlicherweise noch immer unterschätzt. Hier arbeiten inzwischen 2,2 Millionen Menschen. Es ist eine Wachstumsbranche, die es zu stärken gilt. Dabei haben zunächst einmal die Betriebe ihre Chancen wahrzunehmen. Aber wir haben auch von seiten des Staates den Tourismusstandort Bundesrepublik Deutschland attraktiver zu machen und ihn insbesondere weltweit besser zu vermarkten. ({3}) Aus- und Weiterbildung müssen gerade im Bereich der mittelständischen Wirtschaft verstärkt werden. Es darf für uns als rohstoffarmes Industrieland keine Wachstumsgrenzen dadurch geben, daß Qualifizierung fehlt. Meine Damen und Herren, es ist doch Ihr Versäumnis, daß Unternehmen zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht wachsen können, weil es nicht ausreichend Ingenieure gibt. Sie haben in der Ausbildung in der Vergangenheit falsche Schwerpunkte gesetzt. Das ist in den letzten vier Monaten nicht zu korrigieren gewesen. Da gibt es in weiten Bereichen Wachstumsgrenzen. ({4}) Die so verbesserten wirtschaftlichen Rahmenbedingungen schaffen finanzielle und andere Freiräume für Modernisierung und für innovative Investitionen. Hiervon ausgehend sind zusätzlich zielgerichtete, arbeitsplatzschaffende Offensiven für Innovationen in neue Produkte, Prozesse und Strukturen notwendig. Ziel ist es, neue Märkte im Bereich neue Werkstoffe, aber auch in den Bereichen des Umweltschutzes, der Telekommunikation, der Informations- und Kommunikationstechnologie, der Luft- und Raumfahrt, der Bio- und Gentechnologie und der Dienstleistungen auszuschöpfen. Die Unternehmen müssen ihre Forschungsinvestitionen erhöhen. Dankenswerterweise wird genau hier ein Schwerpunkt gesetzt. Der Wissenstransfer von Forschungseinrichtungen in die Unternehmen, insbesondere in den mittelständischen Bereich, muß gestärkt werden, damit wir endlich wieder aus Grundlagenforschung Produkte und Arbeitsplätze schaffen. Allein hier liegt ein Potential brach, welches uns im Arbeitsmarkt deutlich nach vorne bringen könnte. Wir haben also auch hier Defizite der Vergangenheit aufzuholen. Auch da sind Ihre Versäumnisse durchaus spürbar. Ich möchte hinzufügen, daß die Förderung von erneuerbaren Energien ebenso wie Energieeinsparung ein wichtiges Potential für Handel, Handwerk und für dezentrale Dienstleistungen ist, was zu einem Arbeitnehmerpotential führt, das in den nächsten Jahren sicherlich deutlich über die Hunderttausendergrenze hinausgeht. Wir müssen diesen Bereichen eine Markteinführungshilfe gewähren. Zur Geld- und Europapolitik möchte ich einige Bemerkungen machen, die Sie sicherlich nicht sonderlich erfreuen werden. Zunächst zur Europapolitik: Trotz der Krise der Kommission bleibt die deutsche EUPräsidentschaft solide und auf gutem Kurs. Die Koordinierung der Wirtschaftspolitik im europäischen Maßstab ist übrigens das natürliche Spiegelbild der Europäischen Währungsunion, die eine Vereinheitlichung fordert. Dies muß die zweite Seite der gleichen Medaille sein. Die Basis für eine gute Koordinierung ist ein vernünftiger Rahmen. Daran wird gearbeitet. Ferner ein Hinweis zur europäischen Geldpolitik: Unbestrittenes Hauptziel der Geldpolitik ist die GeErnst Schwanhold währleistung von niedrigen Inflationsraten. Dort allerdings, wo währungspolitischer Spielraum vorhanden ist, muß eine verantwortungsbewußte Geldpolitik konjunktur- und arbeitsmarktpolitische Gesichtspunkte mit berücksichtigen. Ein solcher stabilitätspolitischer Spielraum ist mit einer Zuwachsrate der Verbraucherpreise im Euro-Raum von voraussichtlich nur knapp über 1 Prozent im Jahre 1999 durchaus gegeben. In Teilbereichen gibt es erste deflationäre Tendenzen. Hier lohnt es sich, anstatt zu kaufen, Geld zu horten. Dies führt nicht zum Entstehen von Arbeitsplätzen. In dieser Situation gilt es, dem Gründungsstatut der Europäischen Zentralbank zu entsprechen. Letzteres besagt - ich zitiere -: Soweit dies ohne Beeinträchtigung des Zieles der Preisstabilität möglich ist, unterstützt die EZB die allgemeine Wirtschaftspolitik in der Gemeinschaft. Dies muß allerdings auch erwartet werden. Meine Damen und Herren, wir benötigen eine Absicherung auf der außenwirtschaftlichen Flanke, die zum gegenwärtigen Zeitpunkt Gefährdungen ausgesetzt ist. Wir müssen der mittelständischen Wirtschaft helfen, auch diesen Bereich für sich selbst zu erarbeiten. Aus einer gezielten Außenwirtschaftspolitik, aus einer Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit auf der Angebotsseite der mittelständischen Wirtschaft, aus einem intelligenten Technologietransfer und aus der Öffnung des Dienstleistungssektors lassen sich jene Arbeitsplätze der Zukunft schaffen, die wir so dringend benötigen. ({5})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Das Wort für die CDU/CSU-Fraktion hat die Kollegin Dagmar Wöhrl.

Dagmar G. Wöhrl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002829, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Minister Müller, Sie könnten heute ein sehr zufriedenes Gesicht machen. Sie konnten an diesem Tag Oskar Lafontaines Rede zum Jahreswirtschaftsbericht halten, obwohl Sie als Wirtschaftsminister eigentlich gar nicht zuständig sind. Sie können jetzt nach Brüssel fahren und dort die Finanzgespräche leiten, ({0}) obwohl Sie aller Zuständigkeiten auf europapolitischem Gebiet beraubt worden sind. Außerdem können Sie in einem Land herumreisen, in dem seit Oskar Lafontaines Rücktritt wieder eine hoffnungsvolle Stimmung herrscht. Aber diese Hoffnung trügt: Das Chaos und die Überforderung der Regierung sind nämlich noch nicht beendet. Das Auswechseln von nur einer einzigen Person genügt nicht. Notwendig wäre ein vollständiger Kurswechsel, ein Kurswechsel auf ganzer Linie. ({1}) Meine Damen und Herren, die Verantwortung für das Chaos, das momentan herrscht, trägt derjenige, der nach unserem Grundgesetz für die Richtlinien der Politik zuständig ist und der sie bestimmt, nämlich der Bundeskanzler. Alle verabschiedeten Gesetze tragen seine Unterschrift. Er war es, der den Finanzminister gewähren ließ. Eine konzeptionslose Steuerreform wurde auf diese Weise trotz hektischer, ewig währender Dauerreparaturen zu einem enormen Belastungsgesetz für unsere Bürger und Bürgerinnen. Es ist der Bundeskanzler, der durch seinen ständigen Meinungswechsel das Chaos im Zusammenhang mit den 630-Mark-Jobs herbeigeführt hat. Es ist die rotgrüne Bundesregierung unter Gerhard Schröder, die die Bürgerinnen und Bürger mit einer Ökosteuer drangsalieren will. Und auf Weisung des Bundeskanzlers wird die noch bestehende rotgrüne Bundesratsmehrheit morgen die entsprechenden Gesetze absegnen. Ich glaube, man sieht, wer hier für diese Pannen, für diesen Murks und für diese Pleiten verantwortlich ist, nämlich derjenige, der in dieser Bundesregierung die Verantwortung trägt. Das ist der Bundeskanzler. ({2}) Wo bleiben denn die vielen neuen Arbeitsplätze, die so vollmundig vor der Wahl versprochen worden sind? Sicher sind Konsensgespräche nützlich. ({3}) Aber was wir brauchen, ist ein klares Konzept. Wo ist denn dieses klare Konzept? - Es fehlt. Ein Medienspektakel, das hier teilweise in großem Rahmen inszeniert wird, hilft uns hier nicht weiter. ({4}) Wie sieht es denn bei unseren Nachbarn aus? Erfolgreiche Bündnisgespräche haben dort immer eine ganz wichtige Grundlage gehabt, nämlich eine moderate Lohnpolitik. Bei uns will die Gewerkschaftsseite darüber überhaupt nicht reden. Das wurde überhaupt nicht in die Gespräche einbezogen. Darüber hinaus haben wir einen Kanzler, der hier einseitig Partei ergreift, der die jüngsten Tarifabschlüsse für angemessen hält. Wir wissen ganz genau, daß diese Tarifabschlüsse nicht dazu beitragen werden, daß zukünftig neue Arbeitsplätze geschaffen werden können. Wir haben jetzt ein sogenanntes Steuerentlastungsgesetz, von dem wir alle wissen, daß es ein Steuerbelastungsgesetz ist - und das nicht nur für die Großunternehmen, sondern gerade auch für den Mittelstand. Da nützen auch alle Ihre Rechenkünste nichts, die Sie in allen möglichen Facetten und Darstellungen immer wieder unter Beweis stellen. ({5}) Allein bei der Besteuerung der Energieversorger haben Sie sich mal so eben nebenbei um ein paar Milliarden DM verrechnet. Angesichts dieser immensen FehlertoleErnst Schwanhold ranzen kann man sicher sein, daß auch in der Bilanz für den Mittelstand aus einem Plus ganz schnell ein Minus wird. Bei dem Thema Unternehmensteuerreform versuchen Sie, die Unternehmen und die Betriebe zu vertrösten. Aber Sie täuschen sie auch. Auf der einen Seite verspricht der Bundeskanzler den deutschen Unternehmen irgendwann einmal in der Zukunft eine deutliche Senkung der Unternehmensteuern; auf der anderen Seite wird ein Arbeitskreis „Unternehmensteuerreform“ eingesetzt, der bis Ende April Ergebnisse erzielen soll, aber diese Ergebnisse sollen ohne Nettoentlastung sein. ({6}) Auf das bloße, vage Versprechen werden die Betriebe nicht reagieren, und sie werden auch in Zukunft nicht darauf bauen. ({7}) Im Jahreswirtschaftsbericht heißt es: Deutschland muß wieder für Investoren attraktiv werden. Aber nach den vielen Fehlern, nach den vielen Schnellschüssen, die Sie sich bis jetzt geleistet haben, ist vom Interesse der Investoren nicht mehr viel zu spüren. Wir stehen heute nach einer sehr kurzen Zeit von nur fünf Monaten vor einem immensen Trümmerhaufen. Das ist phantastisch, wie Sie das geschafft haben; ({8}) das muß Ihnen erst einmal einer nachmachen, in fünf Monaten ein solches Chaos in der Wirtschafts- und Finanzpolitik anzurichten. Unser Land fällt wirtschaftlich zurück. Letztes Jahr hatten wir noch ein Wachstum von fast 3 Prozent. Für das erste Vierteljahr 1999 sagt das DIW ein Wachstum von 0 Prozent voraus; ich wiederhole: 0 Prozent. In den ersten zehn Monaten des Jahres 1998 haben wir es geschafft, die Arbeitslosenzahl um 1 Million zu reduzieren. Was haben Sie geschafft? In der kurzen Zeit, in der Sie an der Regierung sind, hat sich die Arbeitslosenzahl um fast 500 000 erhöht. Das sind Fakten. Leider ist es auch Fakt, daß wir keinen Aufschwung mehr haben, sondern daß wir inzwischen einen Abschwung haben. Das geht auf Ihr Konto, meine Damen und Herren in der Bundesregierung, und auf das Konto dieses Bundeskanzlers. ({9}) Wir brauchen eine konsequente Politik der sozialen Marktwirtschaft. Es sind die altbekannten Ziele, die wir anstreben müssen: Stabilität des Preisniveaus, hoher Beschäftigungsstand, außenwirtschaftliches Gleichgewicht und stetiges Wirtschaftswachstum. Aber was machen Sie daraus? Der Bundeskanzler hat es geschafft, aus diesem magischen Viereck ein ökonomisches Bermudadreieck zu machen. Beispiel Stabilität: Früher wurde die Stabilitätspolitik der Deutschen Bundesbank europaweit als Vorbild angesehen. Heute sind wir so weit, daß wir den Euro vor dieser Bundesregierung schützen müssen. Der Euro hat im Vergleich zu seinem offiziellen Referenzkurs zu Jahresbeginn 7 Prozent an Wert verloren. Wo bleibt denn das klare Signal eines Bundeskanzlers, daß er im deutschen und im europäischen Interesse auf einen starken Euro Wert legt? Was wir brauchen, sind nachhaltige Reformen - auch bei den Sozialversicherungen - statt der Umverteilungspolitik, wie sie momentan gemacht wird. Was wir brauchen, sind flexiblere Arbeitsmärkte. Was wir nicht brauchen, sind Arbeitsplatzvernichtungsprogramme. Schnellschüsse wie die Regelungen zu den sogenannten 630-Mark-Jobs oder der sogenannten Scheinselbständigkeit werden nach hinten losgehen. Sie werden das sehen, schon in kürzester Zeit. Aber das Wichtigste, was wir brauchen, ist ein Bundeskanzler, der sich wirklich um unsere Arbeitslosen Sorgen macht ({10}) und sich darum kümmert, daß Arbeitsplätze geschaffen werden, der eine gute Politik für unser Land macht und dem dies wichtiger ist als seine persönliche Selbstdarstellung. Vielen Dank. ({11})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Für die SPDFraktion gebe ich das Wort dem Kollegen Christian Müller ({0}).

Christian Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001545, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herrn! Frau Wöhrl, Sie beschreiben mit einer gewissen Genüßlichkeit die Reisen, die Herr Bundeswirtschaftsminister Müller demnächst machen kann. Ich hätte nicht geglaubt, daß wir in diesem Hause so weit sind, daß ein hart arbeitender Minister auf diese Art und Weise als ein Vergnügungsreisender abgestempelt wird. Das ist neu. Ich empfehle im übrigen, die Zahlen zur Arbeitslosigkeit etwas exakter zu formulieren. Ich hätte es viel besser gefunden, wenn Sie erwähnt hätten, daß diese Bundesregierung ein Programm für 100 000 Jugendliche auf den Weg gebracht hat, was sehr gut angenommen wird. Damit ist uns wahrscheinlich mehr gedient als mit dem Erwähnen der Zahl von 500 000 zusätzlichen Arbeitslosen, die nicht mit der Politik der jetzigen Regierung im Zusammenhang steht. ({0}) Der Kollege Schwanhold hat dankenswerterweise auf die Realitätsbezogenheit dieses Jahreswirtschaftsberichtes hingewiesen. Dem will ich hinzufügen, daß sich dieser Bericht zur gemeinsamen Verantwortung von Finanz-, Lohn- und Wirtschaftspolitik für Wachstum und Beschäftigung bekennt. Dies erfordert auch Konsens. Deswegen ist das Bündnis für Arbeit so wichtig. Der Kollege Gysi ist deshalb im Irrtum, wenn er meint, es handele sich dabei lediglich um eine Veranstaltung zur Ausgabe von Befehlen seitens der Verbände. Zum einen sitzen auch die Gewerkschaften mit am Tisch, zum anderen ist das ganze Vorhaben viel zu wichtig für das, was wir gemeinsam vorhaben. ({1}) Das anzunehmende zweiprozentige Wirtschaftswachstum - Orakeleien sollte man beiseite lassen - ist wohl eine realistische Zahl; die Risiken sind benannt. Sicher ist es zu gering, insbesondere aus der Sicht der neuen Bundesländer. Denn - darin sind wir uns wohl einig - die Stärkung der Wirtschaftskraft in den neuen Ländern bleibt das Kernproblem, auch aus volkswirtschaftlicher Sicht. Dies ist die eigentliche Aufgabe, die zu lösen ist. Nach den jüngsten Prognosen fällt das Wachstum für 1999 im Osten etwas stärker aus als im Westen. Das ist zu begrüßen; denn nur mit einem über dem gesamtdeutschen Durchschnitt liegenden Wachstum ist ein Aufholprozeß überhaupt möglich und gibt es eine Chance für eine Entwicklung zu einem selbsttragenden Aufschwung. ({2}) Dabei ist seit geraumer Zeit eine in mehrfacher Hinsicht differenzierte Entwicklung zu beobachten. Einer sichtbar dynamisch verlaufenden Entwicklung im verarbeitenden Gewerbe als einer inzwischen bestimmenden sektoralen Antriebskraft - deren Wertschöpfung nahm im vergangenen Jahr immerhin um 12 Prozent zu; wie man den jüngsten Berichten entnehmen kann, ist binnen Jahresfrist ein Auftragsplus von 13,7 Prozent entstanden - steht nach dem sehr deutlichen Wechsel der Antriebskräfte der Entwicklung in den letzten Jahren die äußerst schwierige Situation der Bauwirtschaft in ihrer strukturellen Anpassungskrise gegenüber. Das gilt auch dann noch, wenn sich die Baukonjunktur in diesem Jahr etwas besser entwickelt, als zu erwarten war. Der nach wie vor große Modernisierungsbedarf und die vorhandenen Fördermöglichkeiten in Ostdeutschland tragen dazu jedenfalls bei. Die Bundesregierung versucht sinnvollerweise, mit der Aufstockung des Finanzrahmens von zwei Programmen einer möglichen Verschlechterung der Situation gegenzusteuern. Das KfW-Infrastrukturprogramm wird um 2 Milliarden DM auf insgesamt 7 Milliarden DM aufgestockt. Dadurch wird eine Absicherung von insgesamt 47 000 Arbeitsplätzen am Bau erwartet. Ich halte das nicht für eine Kleinigkeit. Die Mittel für das KfW-Wohnraum-Modernisierungsprogramm werden - nachdem dessen Befristung bis 1998 unter der alten Bundesregierung aufgehoben worden ist - um weitere 5 Milliarden DM aufgestockt. Damit liegt dieses Fördervolumen bei insgesamt 75 Milliarden DM. ({3}) Die Entwicklung nicht nur in den städtischen Gebieten - vor allem in den neuen Bundesländern - wird somit positiv beeinflußt. Auf die Einschränkung der Steuervergünstigungen für Gebäude in Sanierungsgebieten, in städtebaulichen Entwicklungsbereichen und für Baudenkmäler ist verzichtet worden. Dadurch wird auch weiterhin privates Kapital in die Stadterneuerung fließen, was nötig ist und worauf wir größten Wert legen. Auch der genossenschaftliche Wohnungsbau wird gestärkt - so, wie das in unserem Wahlprogramm versprochen worden ist. Im Steuerentlastungsgesetz wird auf eine gesetzliche Fixierung des Selbstnutzungsvorbehaltes für die genossenschaftliche Förderung im Rahmen des Eigenheimzulagengesetzes verzichtet. Das ist gut für die Genossenschaften. Aber es gibt deutlicher werdende Unterschiede in der regionalen Entwicklung der neuen Länder. Die Zahl der ostdeutschen Arbeitsmarktregionen mit einer deutlich günstigeren Entwicklung nimmt zu. Zu ihnen gehört - nicht unerwartet - in zunehmendem Maße das Umfeld der großen Städte. Demgegenüber wird deutlich, daß die eher ländlich geprägten strukturschwachen Regionen, ganz besonders auch die Grenzregionen, nicht aufholen konnten. Es entsteht damit das aus den alten Ländern bekannte und leider gewohnte Bild des Gegensatzes zwischen Ballungsräumen und mehr oder weniger ausblutenden Randregionen. Daher ist es zu begrüßen, daß die Bundesregierung die Gemeinschaftsaufgabe zur „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“ als maßgeblichen Beitrag zur Förderung der Wirtschaft in den neuen Ländern ansieht, und zwar ohne Kürzungen der Mittel, wie dies in den letzten Jahren stets der Fall war. ({4}) Allerdings ist angesichts der bleibenden Notwendigkeit des Nachteilsausgleichs für den Osten an sich und der zunehmenden inneren Differenzierung innerhalb der neuen Länder anzumerken, daß die derzeitigen Haushaltsansätze für die Gemeinschaftsaufgabe auch künftig ohne Abstriche erhalten bleiben müssen. Eine erfolgreiche Regionalentwicklung ist ohne Zweifel eine Angelegenheit mit vielen Facetten. In strukturschwachen Regionen fällt diese Entwicklung ganz besonders schwer. Neben politischem Willen benötigt man ohne Zweifel ein Mindestmaß an finanziellen Mitteln. Gelingen kann die Regionalentwicklung aber nur, wenn es genügend regionale Akteure gibt, die dies wollen und in der Lage sind, über den eigenen Kirchturm hinauszudenken. Daran fehlt es im übrigen nicht zu selten. ({5}) Befördert werden kann eine solche Entwicklung aber auch durch ressortübergreifendes Handeln. Deshalb begrüße ich ausdrücklich, daß im Zusammenhang mit der Forschungs- und Technologieförderung das im JahresChristian Müller ({6}) wirtschaftsbericht erwähnte Fördermodell Innoregio aufgelegt wird. Es ist dem Ziel verpflichtet, das ich ausdrücklich teile, nämlich an forschungs- und technologieorientierten Entwicklungspolen in den schwachen Regionen - ich betone: in den schwachen Regionen Ostdeutschlands anzusetzen und deren Entwicklung modellhaft voranzubringen. ({7}) Daß dieser gute Ansatz des Forschungs- und Bildungsministeriums in enger Abstimmung mit dem Wirtschaftsministerium verfolgt werden soll, läßt mich hoffen, daß es gelingen kann, durch eine enge Verzahnung mit der Gemeinschaftsaufgabe Effekte zu erzielen, die solche Modellregionen gegenüber den Ballungsregionen stärker voranbringen, als dies üblicherweise erwartet werden kann. ({8}) Hier wäre auch darüber nachzudenken, ob nicht angesichts der Entwicklungsprobleme ganzer Regionen Ostdeutschlands, die sicherlich die Hälfte der dort wohnenden Bevölkerung umfassen, ressortübergreifende Ansätze überhaupt der richtige Weg sind, um Rahmenbedingungen für eine bessere Entwicklung dieser Regionen zu schaffen. Das ist in den letzten Jahren stets versäumt worden. Ich denke, in diesen Ansatz gehören die schon erwähnten Fördermaßnahmen für kleine und mittlere Unternehmen. Ich will nicht wiederholen, was Kollege Schwanhold vorhin schon dargestellt hat. Ich will lediglich noch erwähnen, daß in diesen Rahmen auch die wiederaufgelegte Forschungskooperation für mittelständische Unternehmen gehört, die Ihre Regierung im letzten Herbst eingestellt hatte. Vielen Dank, meine Damen und Herren. ({9})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 14/334 an die in der Tagesordnung aufge- führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein- verstanden? - Das ist der Fall. Damit ist die Überwei- sung so beschlossen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 13 a und 13 b auf: a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Finanzausgleichsgesetzes - Drucksache 14/487 Überweisungsvorschlag: Finanzausschuß ({0}) Rechtsausschuß Haushaltsausschuß mitberatend und gemäß § 96 GO b) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Eingliederung der Schulden von Sondervermögen in die Bundesschuld - Drucksache 14/513 Überweisungsvorschlag: Haushaltsausschuß ({1}) Ausschuß für Angelegenheiten der neuen Länder Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Damit sind die Überweisungen so beschlossen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 14 a bis 14 d auf. Es handelt sich um die Beschlußfassung zu Vorlagen, zu denen keine Aussprache vorgesehen ist. Tagesordnungspunkt 14 a: Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung ({2}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Mitteilung der Kommission Anpassung und Förderung des Sozialen Dialogs auf Gemeinschaftsebene Entwurf für einen Beschluß des Rates zur Änderung des Beschlusses 70/532/EWG zur Einsetzung des Ständigen Ausschusses für Beschäftigungsfragen der Europäischen Gemeinschaften - Drucksachen 14/74 Nr. 2.12, 14/392 Berichterstattung: Abgeordnete Leyla Onur Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist angenommen. Tagesordnungspunkt 14 b: Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses ({3}) Sammelübersicht 22 zu Petitionen - Drucksache 14/462 ({4}) Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die Beschlußempfehlung ist damit angenommen. Tagesordnungspunkt 14 c: Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses ({5}) Sammelübersicht 23 zu Petitionen - Drucksache 14/463 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Einige enthalten sich. - Damit ist die Beschlußempfelung angenommen. Christian Müller ({6}) Tagesordnungspunkt 14 d: Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses ({7}) Sammelübersicht 24 zu Petitionen - Drucksache 14/464 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Damit ist die Beschlußempfehlung angenommen. Ich rufe Zusatzpunkt 4 auf: Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion der F.D.P. Rücktritt des Bundesfinanzministers Oskar Lafontaine und Festhalten der Bundesregierung an ihren Steuergesetzen Dazu eröffne ich die Aussprache und erteile das Wort dem Kollegen Solms, F.D.P.-Fraktion.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002190, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir sahen uns genötigt, die Aktuelle Stunde zu beantragen, ({0}) weil Sie heute morgen in der Geschäftsordnungsdebatte abgelehnt haben, zu einem doppelt einmaligen Vorgang in der Geschichte dieses Hauses Stellung zu nehmen. ({1}) Es kann doch nicht wahr sein, daß der wichtigste Minister Ihrer Regierung den Bettel hinschmeißt, davonläuft, sich der Verantwortung entzieht und die Bundesregierung und die sie tragenden Fraktionen nicht bereit sind, im Deutschen Bundestag darüber zu debattieren. Das ist ein ausgesprochen einmaliger Vorgang, der nicht akzeptiert werden kann. Wir hätten gern auf diese Aktuelle Stunde verzichtet, wenn Sie die Großmütigkeit gehabt hätten, darüber zu diskutieren. Nun müssen wir uns leider auf diese Weise damit befassen, was eigentlich nur ein Hilfsmittel ist. ({2}) Meine Damen und Herren, Herr Lafontaine ist mitten in der wichtigsten Phase der Verantwortung eines deutschen Finanzministers davongegangen: mitten in den Beratungen des Haushalts, mitten in der Präsidentschaft der Europäischen Union und mitten in nicht abgeschlossenen Steuerberatungen und -verfahren, die erst morgen im Bundesrat abgeschlossen werden sollen. Schon allein das halte ich für unverantwortlich; aber wenn jemand sagt, Pflichterfüllung sei eine Sekundärtugend, darf einen das nicht wundern. Für mich ist Pflichterfüllung - natürlich in Richtung auf die richtigen Ziele - eine Primärtugend und eine wichtige Tugend. ({3}) Wir in der Politik haben eine Vorbildfunktion in Deutschland; wir müssen als Vorbilder auftreten und können uns nicht so schamlos der Verantwortung entziehen. Nun will „Der Spiegel“ Ihnen helfen und propagiert: „Schröders zweite Chance“. Meine Damen und Herren, wo soll denn da die zweite Chance liegen? Lafontaine ist gegangen; die Politik wird genau so weitergemacht. ({4}) Die Chance könnte doch nur darin liegen, daß jetzt ein Neuanfang in der Politik gemacht wird. Aber die Wähler, die Ihnen zur Mehrheit verholfen haben, sind nun doppelt betrogen: Lafontaine ist angetreten, um den Beziehern von kleinen Einkommen zu helfen - er hat viele Steuergeschenke versprochen -, und hat sich nun davongestohlen; Schröder ist angetreten, um der Neuen Mitte zu helfen, macht aber die Lafontainesche Politik weiter, die auf Kosten der Neuen Mitte geht. ({5}) Das kann doch keine Botschaft für die Menschen in diesem Lande sein. Ich möchte mit zwei kurzen Zitaten einmal daran erinnern, was Lafontaine und Schröder auf dem Sonderparteitag der SPD nach der gewonnenen Bundestagswahl gesagt haben. Lafontaine sagte: Wir haben jetzt eine klare Vereinbarung, liebe Genossinnen und Genossen, die heißt: Die Regierung Schröder kann nur Erfolg haben, wenn Parteivorsitzender und Kanzler, wenn Kanzler und Parteivorsitzender zusammenarbeiten und sich nicht, von wem auch immer, auseinanderdividieren lassen. ({6}) Schröder sagte: Diese Form der Zusammenarbeit, dieses Zusammenstehen in schwierigen Zeiten, das ist keine Eintagsfliege; das wird dauern. ({7}) Das war die Basis unseres Wahlerfolges, und das wird die Basis des Erfolges unserer Regierung sein, liebe Genossinnen und Genossen. Deshalb ganz persönlich, lieber Oskar: Laß sie bellen. Die Karawane zieht weiter. ({8}) Die Karawane ist im Sandsturm steckengeblieben. Was wir jetzt haben, ist nur noch Sand im Getriebe. ({9}) Was sind denn nun die Ergebnisse? Wie wirken sie sich aus? Wenn Herr Poß heute erklärt, die deutschen Unternehmen würden im Vergleich zu anderen Ländern ganz niedrig besteuert, darf man sich ja nicht wundern, daß Sie eine Politik machen, mit der die Unternehmen abkassiert werden. Das ist die logische Schlußfolgerung aus einer solchen Auffassung. Daß aber gleichzeitig Tausende von Unternehmen jedes Jahr über die Vizepräsidentin Anke Fuchs Wupper gehen - Sie können es ja jeden Tag in der Zeitung lesen -, ({10}) ist der Beweis dafür, daß eine solche Politik unverantwortlich ist. ({11}) Den abgewählten Ministerpräsidenten Eichel dazu zu verpflichten, diesen falschen Gesetzen morgen im Bundesrat über die Hürde zu helfen, ihn dann aber zum Finanzminister zu machen! Was soll das für eine Botschaft sein? Er war ja ohnehin nur der Lautsprecher von Lafontaine und hat keine eigenen Beiträge zur Finanzpolitik geleistet, so daß daraus wieder keine Hoffnung entstehen kann. Morgen stehen das „Steuerbelastungsgesetz“, das 630-Mark-Gesetz und die Ökosteuer zur Abstimmung; bedauerlicherweise haben Sie das Gesetz über die Scheinselbständigkeit schon verabschiedet. Mir ist nicht verborgen geblieben, daß in Ihren Fraktionen aufgeregte Diskussionen darüber stattgefunden haben, was Sie damit angerichtet haben. Es wäre eben besser - das habe ich in der letzten Debatte schon gesagt -, erst einmal nachzudenken, bevor Sie handeln. Die Politik nach dem Motto „Erst entscheiden und hinterher nachdenken“ muß in die Irre führen. Aber Sie scheinen nicht belehrbar zu sein. ({12}) Sie scheinen das weitermachen zu wollen. Jedenfalls werden Sie mit Ihrem Scheinselbständigkeitsgesetz viele selbständige Existenzen in den Ruin treiben: Unternehmensberater, Handels- und Versicherungsvertreter

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Herr Kollege, denken Sie an die Zeit?

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002190, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

ich komme zum Schluß, Frau Präsidentin -, Musikerzieher, Kurierdienste, Speditionen, Werbeagenturen, Softwarespezialisten, Ingenieur- und Architekturbüros und überall in der Neuen Mitte. Das haben Sie dann zu verantworten; dafür haben Sie sich zu rechtfertigen. Es nützt und hilft nichts, in den Medien gut aufzutreten und teure und wertvolle Anzüge vorzuführen. Menschlich habe ich zwar Verständnis dafür; ({0}) aber als Bundeskanzler hat man eine andere Aufgabe wahrzunehmen.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Herr Kollege, Ihre Redezeit ist zu Ende.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002190, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Als Bundeskanzler muß man die Richtlinien der Politik so bestimmen, daß sie im Interesse der Bürger wahrgenommen werden. Vielen Dank. ({0})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Das Wort hat nun die Kollegin Nicolette Kressl, SPD-Fraktion. ({0})

Nicolette Kressl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002706, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Es hat sich im Laufe der heutigen Diskussion wieder gezeigt, daß es nicht sehr einfach ist, mit Ihnen über die Sache zu reden. Es scheint Ihnen sehr leicht zu fallen, reine Polemik zu betreiben. Ich kann verstehen, daß Ihnen im Moment Ihre Polemik über Ihren Frust, weil Sie Ihre alte Klientelpolitik nicht mehr fortsetzen können, hinweghilft. ({0}) Deshalb erlauben Sie mir, ein paar grundsätzliche Bemerkungen über Ihr parlamentarisches Selbstverständnis im Zusammenhang mit Ihrem Antrag zur heutigen Aktuellen Stunde zu machen. Welches grundsätzliche parlamentarische Selbstverständnis steckt denn hinter Ihrem Antrag? Sie tun so, als hätten nicht gewählte Abgeordnete in diesem Parlament über ein Gesetz beraten und es beschlossen. Wir verstehen parlamentarische Arbeit und parlamentarisches Selbstverständnis so, daß wir uns mit den Fakten auseinandersetzen. Das haben wir im Ausschuß getan. Sie haben das nicht getan, sondern nur mit Geschäftsordnungsdebatten gearbeitet. ({1}) Wir haben in den Anhörungen, die es gegeben hat, Kritik angenommen und umgesetzt. Das muß so sein. Das gehört auch zu unserem parlamentarischen Selbstverständnis. Nach den Anhörungen haben wir uns für ein Gesetz entschieden. Wenn wir uns für ein Gesetz entscheiden - hier spreche ich für alle meine Kolleginnen und Kollegen in der Fraktion -, dann hängt das nicht von einem Minister oder einer Ministerin ab - bei allem Respekt vor Regierungsmitgliedern -, sondern davon, daß wir uns nach einer ordentlichen Diskussion für dieses Gesetz entschieden haben. Deshalb verstehe ich Ihr parlamentarisches Verständnis, das Sie mit diesem Antrag offenbaren, gar nicht. ({2}) Es mag ja sein, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Opposition, daß Sie Ihr parlamentarisches Selbstverständnis mit der Person eines Ministers verknüpft haben. Für uns zählen die parlamentarischen Entscheidungen, die es gegeben hat. ({3}) Eine weitere Anmerkung zu Ihrem parlamentarischen Selbstverständnis. Ich habe erlebt, daß Sie in den Beratungen, die wir im Finanzausschuß geführt haben, Ihre Rolle als Opposition nicht wahrgenommen haben, die natürlich auch kritische Anmerkungen erfordert. Sie sind sozusagen als Filiale der Interessenlobby im Ausschuß aufgetreten. ({4}) Was haben Sie gemacht, als wir über Zahlen und Berechnungen diskutiert haben? Sie haben die Briefe der Interessenverbände herausgeholt und die darin enthaltenen Zahlen wortwörtlich abgelesen, anstatt sich um ordentliche Berechnungen zu kümmern. Wir haben tagelang und seitenweise erlebt, wie Sie einfach nur die Briefe der Interessenverbände vorgelesen haben. In diesem Zusammenhang möchte ich Sie auf einen Bericht, der vor zwei Tagen in der „Süddeutschen Zeitung“ erschienen ist, hinweisen, in dem unsere Berechnungen für richtig erklärt wurden und deutlich wurde, daß auch offensichtlich Sie diese Berechnungen kannten. Trotzdem hat niemand aus Ihren Reihen gegen das eigene Steuerkonzept protestiert, weil niemand damit rechnen mußte, daß es Wirklichkeit wird. ({5}) Ich habe den Eindruck, Herr Rauen, daß es Ihnen nicht um die Sache, sondern zum Schluß nur noch um Destruktion ging, ohne die Interessen der Menschen und des Standortes zu berücksichtigen. ({6}) - Herr Thiele, Sie sagen: Reden Sie einmal zum Thema. Es ist ein besonderer Witz, wenn Sie so etwas sagen. Wir reden darüber, daß Sie etwas außer Kraft setzen wollen, was im Rahmen eines ordentlichen parlamentarischen Verfahrens im Bundestag verabschiedet worden ist. Darum geht es hier tatsächlich. Darüber sollten wir reden. Ich möchte auch noch einen inhaltlichen Hinweis geben. Wenn Sie so tun, als sei alles furchtbar, dann haben Sie offensichtlich nicht die Tatsache verkraftet, daß es jetzt eine Mehrheit gibt, die eine andere Richtung will, nämlich daß auch Familien und Arbeitnehmer entlastet werden. Das ist die richtige Richtung. Es tut mir leid, wenn Sie das nicht akzeptieren können. Diese Mehrheit haben wir im übrigen auch dafür bekommen, in der Steuerpolitik andere Schwerpunkte zu setzen. ({7}) Ihr Kollege Koppelin hat noch nach dem Beschluß des Verfassungsgerichts hier gesagt, die Erhöhung des Kindergeldes sei ein Geschenk. Ich frage mich wirklich, wo Ihr politischer Sachverstand geblieben ist und Ihr Verständnis für das, was in diesem Lande vor sich geht. ({8}) Wir halten die Entscheidungen, die wir hier getroffen haben, für die richtige Ausgangsbasis, die Struktur der Unternehmensteuern zu verbessern - die Struktur nämlich ist es, die daneben ist - und die Entlastung der Familien, die Sie über Jahre hinweg vorzunehmen versäumt haben, endlich auf den Weg zu bringen. Eines noch als Anmerkung zu vorhin: Der Beschluß des Verfassungsgerichts bezieht sich nicht auf das Jahr 1983. Er macht vielmehr deutlich, daß Sie bis zum jetzigen Zeitpunkt die Freibeträge über Jahre hinweg zu niedrig angesetzt haben.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Frau Kollegin, wir sind in der Aktuellen Stunde.

Nicolette Kressl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002706, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich weiß. - Weil dies die richtige Ausgangsbasis für weitere Verbesserungen im Bereich der Steuersystematik ist, können wir überzeugt und selbstbewußt sagen: Die Entscheidungen waren richtig. Dazu stehen wir noch immer. ({0})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Nun erteile ich dem Kollegen Hans Michelbach, CDU/CSU-Fraktion, das Wort.

Hans Michelbach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002738, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Gestern habe ich durch eine Telefonhotline die Sorgen unserer Bürger erfahren können. ({0}) 90 Prozent der Anrufer haben sich bitter über das rotgrüne Regierungsdesaster, die negativen Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt und den wirtschaftspolitischen Kurs beklagt. Das negative Meinungsbild hat ein Anrufer mit der Frage auf den Punkt gebracht: Von welchen Hallodris wird unser Land jetzt eigentlich regiert? ({1}) Es wundert mich nicht, wenn die Leute draußen denken, dem Ansehen der Politik und unserem Land werde schwerer Schaden zugefügt. Wo sind wir, meine Damen und Herren dieses Hohen Hauses, heute inzwischen hingekommen? Der Bundesfinanzminister wird zum Kabinettsflüchtling und pervertiert seinen Amtseid zur Terrassenveranstaltung von Saarbrücken. Der BundeskanzNicolette Kressl ler degeneriert zum Pfau eines Life-Style-Magazins unter der Überschrift „Smart, Smilie, Windei“. ({2}) - Ich kann nur feststellen: Eitelkeit ist das sicherste Kennzeichen des Dilettanten; das ist eine alte Weisheit. - Der Umweltminister erklärt das rotgrüne Regierungsprojekt für tot. Der Wirtschaftsminister wird zunächst wirtschaftspolitisch kastriert und avanciert dann zum Superversprechungsminister. Der neue Traumkandidat Eichel ist schon heute das genaue Gegenteil von Wirtschaftsdynamik. ({3}) Sie haben keine neuen Einfälle. Sie haben nur politische Ausfälle. ({4}) Meine Damen und Herren, dieses Regierungskunststück taugt nur noch für die Lach- und Schießgesellschaft, nicht für unsere Menschen, nicht für unsere Arbeitsplätze und nicht für dieses Land. Sie machen Politik gegen den Willen unserer Bürger. Von niemandem werden Sie wirklich ernst genommen. Niemand glaubt Ihnen mehr, schon gar nicht in der Steuerpolitik. Wenn alle Reformprojekte im Chaos münden, wenn Sie die mittelständischen Betriebe überfordern, wenn Sie als makroökonomische Geistertruppe auftreten, dann schadet dies unserem Land und führt in die Wirtschaftskrise. Auch eine starke Volkswirtschaft kann durch schlechte Regierungsarbeit in die Krise geführt werden. Niemand kann bei dieser gemeinwohlwidrigen Politik Schadenfreude empfinden. Aber morgen im Bundesrat in großer Hast den Wahlverlierer Eichel für die Steuergesetze geradezu zu mißbrauchen ist ein Angriff auf den demokratischen Anstand in diesem Land, meine Damen und Herren. ({5}) Das ist der Gipfel der Arroganz der Macht. Das ist ein Handstreich gegen den Willen der Bürger und der Wähler, ein Novum in der deutschen Nachkriegsgeschichte, eine politische Willfährigkeit ohne Beispiel. Das negative Meinungsbild zeigt die große Enttäuschung über die verpaßte Chance zu einer grundlegenden Steuerreform mit einer echten Nettoentlastung und mit Steuervereinfachungen. Ziehen Sie Ihre Steuergesetze zurück! Ihre selbstgesteckten Ziele werden in keiner Weise erreicht: Entlastung der Bürger, Bekämpfung der Arbeitslosigkeit, Förderung von Wachstum und Beschäftigung, Vereinfachung des Steuerrechts - alles Fehlanzeige. Statt dessen kommen auf die Bürger in Deutschland massive Steuererhöhungen zu. ({6}) Wir haben es mit einem Kaufkraftmärchen zu tun. Man muß sich das einmal vorstellen: Wir haben auf Grund der Erhöhung des Kindergeldes und der Tarifsenkung eine Entlastung von 6,7 Milliarden DM. In der Gegenfinanzierung Ihres Finanztableaus sind 3,7 Milliarden DM vorgesehen. Eine zusätzliche Nettoentlastung von 3 Milliarden DM wäre möglich. Gleichzeitig sorgen Sie durch die Ökosteuer für eine Steuererhöhung von 4 Milliarden DM. Das heißt, unter dem Strich kommt eine Mehrbelastung heraus. Hinzu kommt eine Steuererhöhung von über 5 Prozent durch den Progressionszuwachs. Wir haben es von hinten bis vorne mit einem Kaufkraftmärchen zu tun. Sie ziehen den Leuten das, was Sie ihnen in die linke Tasche geben, aus der rechten Tasche heraus. Das ist die Wahrheit über Ihre Steuerpolitik. ({7}) Es gibt auch ein deutliches Mittelstandsmärchen. Der Gipfel von „tarnen und täuschen“ findet in der „Mittelstandsschönrechnung“ statt. Durch falsche Abgrenzung gegenüber den privaten Haushalten werden die Mittelstandsbelastungen vorsätzlich gefälscht. Dabei sind in Deutschland 90 Prozent der Mittelstandsbetriebe Personengesellschaften, die überhaupt keine Trennung zwischen privater und betrieblicher Belastung kennen. Es bleibt bei Ihrer Belastungsprobe für die Wirtschaft und für die Arbeitsplätze mit einer Gegenfinanzierung von über 30 Milliarden DM. Das ist die Wahrheit über Ihre Steuerpolitik.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Herr Kollege, kommen Sie bitte zum Schluß.

Hans Michelbach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002738, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Schröder hat sicherlich recht - ({0})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Ihre Redezeit ist abgelaufen.

Hans Michelbach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002738, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin, ich komme zum Ende. - Eine Tatsache Ihrer rotgrünen Steuerpolitik ist sicherlich, daß Schröder recht hat: Die Karawane zieht weiter, die Kamele laufen, laufen und laufen, und selbst der Sand wird bei Ihnen teurer. ({0})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Wie Sie wissen, mag ich muntere Debatten. Wir sind aber in einer Aktuellen Stunde. Ich möchte daran erinnern, daß jeder Redebeitrag nur fünf Minuten betragen darf. Ich erteile nun das Wort Kerstin Müller, Bündnis 90/ Die Grünen. ({0})

Kerstin Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002741, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

- Genau. - Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen von der F.D.P., Sie können hier noch so viele Geschäftsordnungsdebatten führen, Sie können noch so viele Aktuelle Stunden beantragen, ich kann Ihnen versichern: Wir, die Koalition, werden an den Steuergesetzen festhalten. ({0}) Ich sage sehr deutlich zu Beginn: Meine Fraktion bedauert den Rücktritt von Oskar Lafontaine. Wir haben sehr gut mit Oskar Lafontaine zusammengearbeitet. Für uns ist aber auch klar - ich denke, ich kann das auch im Namen der SPD sagen -: Diese Koalition wird Kurs halten. Wir werden Schritt für Schritt unsere Reformprojekte umsetzen und diese Koalition zum Erfolg führen. ({1}) Sie alle wissen, daß wir in manchen Fragen mit Oskar Lafontaine unterschiedlicher Meinung waren. Das ist kein Geheimnis. Aber das heißt eben nicht, daß wir jetzt das Kind mit dem Bade ausschütten. Die Steuerreform war kein Privatprojekt von Oskar Lafontaine; vielmehr ist sie ein zentrales Reformprojekt dieser Regierung; deshalb werden wir an dieser Reform festhalten. ({2}) - Nein. Ich werde Ihnen jetzt erklären, warum wir an dieser Reform festhalten. Wir werden zunächst einmal mehr Steuergerechtigkeit schaffen. Davon hat man in Ihren Plänen der letzten Legislaturperiode nichts sehen können. Wir werden mit der Steuerreform mehr Solidarität und mehr soziale Gerechtigkeit in dieser Gesellschaft schaffen. Das gilt zuallererst für die Menschen selbst. ({3}) Sie, meine Damen und Herren von der CDU, haben in der letzten Legislaturperiode viel von Familien geredet. Aber mit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichtes ist doch eines deutlich geworden: Das waren alles nur Sonntagsreden. Sie haben den Familien fast 20 Milliarden DM vorenthalten. Diese Koalition hat auch den Auftrag - wir werden uns dieser Herausforderung stellen -, das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes umzusetzen. ({4}) Wir werden eine familienfreundliche und kinderfreundliche Politik machen. Das Steuerentlastungsgesetz ist dazu ein erster wichtiger Schritt. Wir werden nämlich die Situation der Menschen, die Kinder haben, die sich für ein Leben mit Kindern entschieden haben, durch einen niedrigen Eingangssteuersatz, durch ein höheres Kindergeld und durch die Erhöhung des steuerlichen Grundfreibetrags entscheidend verbessern. Das sind alles Verbesserungen für die Familien, zu denen Sie in 16 Jahren nicht in der Lage waren. Ferner wollen wir den wirtschaftlichen Wettbewerb in diesem Lande wieder gerechter und fairer gestalten. Auch hier hat die alte Regierung völlig versagt. Es schreit doch zum Himmel, wie die alte Regierung mit den kleinen und mittelständischen Unternehmen in Deutschland umgegangen ist. Das war ja gerade Gegenstand der Debatte um den Jahreswirtschaftsbericht. Fragen Sie doch einmal die Handwerksmeisterin um die Ecke, was sie davon hält, daß Daimler-Chrysler trotz Milliardengewinnen keine Steuern bezahlt. Fragen Sie einmal die Menschen, ob sie es richtig finden, daß sich Großkonzerne mit steuerfreien Rückstellungen immer neue Märkte zu Bedingungen sichern, mit denen kein Mittelständler mithalten kann. Ich meine, das ist nicht mittelstandsfreundlich und hat mit fairem Wettbewerb überhaupt nichts zu tun. ({5}) - Wir werden das mit unserer Steuerreform ändern. Ein Hauptziel unserer Unternehmensteuerreform wird es sein, fairen Wettbewerb zu schaffen. ({6}) Wir streben - das ist jedenfalls unser Ziel - einen Steuersatz von 35 Prozent an. Ich sage dazu aber auch ganz deutlich: Das gilt nur dann, wenn er auch gegenzufinanzieren ist. Die Steuersätze unter Beibehaltung der Subventionen zu senken, wie es manchen Verbandsvertretern vorschwebt, das wird es mit dieser Koalition nicht geben. ({7}) Wir entlasten den Mittelstand auch noch durch ein weiteres Kernstück unserer Politik, nämlich durch die ökologische Steuerreform. ({8}) - Daß Sie von ökologischer Innovation keine Ahnung haben, meine Damen und Herren von der F.D.P., das haben Sie dieser Gesellschaft nicht nur während der letzten 16, sondern während der letzten 29 Jahre bewiesen. ({9}) Wir werden an der ökologischen Steuerreform festhalten. Sie wird kommen. Wir werden auch die zweite und dritte Stufe einleiten, weil wir endlich eine nachhaltige Wirtschaftspolitik betreiben wollen. Ich kann die Verbandsvertreter, die jetzt Morgenluft wittern, nur enttäuschen: Wir werden uns von diesen Projekten nicht abhalten lassen, und ich kann sie nur auffordern, sich konstruktiv an dem Prozeß des „Bündnisses für Arbeit“ zu beteiligen. Dieses „Bündnis für Arbeit“ ist ein Angebot und der wichtige Versuch, aus der Konfrontation der letzten Jahre zwischen Regierung, Unternehmen und Gewerkschaften, für die sich die rechte Seite des Hauses mitverantwortlich zeigt, herauszukommen. Wir wollen versuchen, neue Wege bei der Schaffung von Arbeitsplätzen zu gehen. Wer das „Bündnis für Arbeit“ dazu mißbraucht, diese Regierung zu erpressen, indem er immer wieder mit dem Scheitern droht, der hat den Geist des „Bündnisses für Arbeit“ nicht verstanden. Wir wollen den Erfolg, doch das Bündnis kann nur erfolgreich sein, wenn wirklich alle Seiten einsehen, daß Einzelinteressen hinter dem gemeinsamen Interesse, daß dieses Land neue Arbeitsplätze und Wettbewerbsfähigkeit braucht, zurückstehen müssen, und gleichzeitig auch neue Arbeitsplätze geschaffen werden.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Frau Kollegin!

Kerstin Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002741, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich komme zum Schluß. - Wir werden dafür kämpfen und diesen Weg gehen. Wir wären ihn gerne auch mit Oskar Lafontaine gegangen. Nun ist er nicht mehr dabei, aber das ist kein Grund, das will ich zum Schluß noch einmal sagen

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Frau Kollegin, Ihre Redezeit ist abgelaufen.

Kerstin Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002741, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

- ja -, auf den Weg, den Sie 16 Jahre lang gegangen sind, zurückzukehren. Das war nämlich ein Weg in die Sackgasse. Den werden wir sicherlich nicht beschreiten. ({0})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Nun erteile ich das Wort Herrn Dr. Gregor Gysi, PDS-Fraktion.

Dr. Gregor Gysi (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000756, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Überschrift der Aktuellen Stunde ist merkwürdig, Herr Solms. Ich muß zugleich einräumen, daß es fremd klingt, wenn Sie zweimal in Ihrer Rede von Genossinnen und Genossen sprechen. ({0}) - Ich weiß, daß Sie zitiert haben. Das ändert aber nichts an der Fremdheit, die man dabei empfindet. ({1}) - Die muß ich mir mitdenken. Gut, ich gebe mir Mühe. Sie haben den Rücktritt des Bundesfinanzministers Oskar Lafontaine und das Festhalten der Bundesregierung an ihren Steuergesetzen zum Gegenstand der Aktuellen Stunde gemacht. Darf ich Sie darauf hinweisen, daß diese Steuergesetze durch eine Mehrheit des Bundestages verabschiedet worden sind? Das heißt, die Bundesregierung könnte, selbst wenn sie es wollte, diese Gesetze überhaupt nicht zurücknehmen. ({2}) Sagen Sie einmal: Wo leben wir eigentlich? Wie werden denn hier die Debatten geführt? Konsequent wäre doch gewesen - das haben wir heute morgen schon gesagt -, Sie hätten einen Gesetzentwurf eingebracht, bei dem es in § 1 heißt, daß die Gesetze vom Soundsovielten und Soundsovielten aufgehoben werden. In § 2 steht dann, wann das Gesetz in Kraft tritt. Dann würde übrigens auch ein Beschluß des Parlaments Sinn machen, in dem der Bundesrat gebeten wird, seine Entscheidung so lange auszusetzen, bis man über den Gesetzentwurf entschieden hat. Aber was soll denn das hier: „das Festhalten der Bundesregierung an ihren Steuergesetzen“? Die Gesetze beschließt immer noch der Bundestag. Die Bundesregierung hat da nichts festzuhalten oder loszulassen. Das müssen wir hier doch einfach einmal klären. ({3}) Wenn man in diesen Dingen so ungenau wird, also offensichtlich selbst handwerkliche Schwächen besitzt, dann darf man sie anderen nicht vorwerfen. ({4}) Bei zwei Gesetzen haben wir mit Nein gestimmt. Bei einem Gesetz haben wir uns der Stimme enthalten. Wir wären sehr froh, wenn der Bundesrat morgen zumindest bei zwei Gesetzen den Vermittlungsausschuß anrufen würde, damit wir noch eine Chance haben, sie zu verbessern. Da stimmen wir sogar überein. Ob wir sie allerdings in die gleiche Richtung verbessern wollen, da bin ich nicht ganz so sicher; das würde ich eher bezweifeln. Aber eine Verbessserung würden wir schon anstreben. ({5}) Natürlich ist es nicht hilfreich - das will ich allerdings auch einmal deutlich sagen -, wenn von der Mehrheit, die die Gesetze beschlossen hat, ständig gesagt wird, man akzeptiere es, daß die Gesetze korrigiert werden müßten. Sie müssen auch einmal zu Ihrer Entscheidung stehen. ({6}) Wenn Sie sie korrigieren wollen, dann machen Sie es gleich und nicht erst in einem halben Jahr. Das wäre dann wirklich Zeitverschwendung. Da muß ich allerdings der anderen Seite der Opposition recht geben. ({7}) In der Überschrift zur Aktuellen Stunde ist auch vom Rücktritt des Bundesfinanzministers Oskar Lafontaine die Rede. Ich habe in den Beiträgen hier sehr viel Häme gehört. Man konnte sie auch in Zeitungen lesen. Lassen Sie mich dazu einige wenige Bemerkungen machen. Kerstin Müller ({8}) Zunächst einmal bin ich der Meinung, daß sich Oskar Lafontaine nicht verfassungskonform verhalten hat. ({9}) Das muß man einfach sagen. Das Grundgesetz sieht keinen Rücktritt eines Bundesministers vor. ({10}) Wenn man einen solchen Weg geht, dann schreibt man an den Kanzler und bittet ihn darum, den Bundespräsidenten zu ersuchen, daß er einen mittels einer Entlassungsurkunde aus dem Amt entläßt, wie es heute geschehen ist. Aber solange das nicht passiert ist, ist man Bundesfinanzminister. Solange trägt man auch die Verantwortung für die entsprechende Politik. Ich meine, auch dort müssen wir genau sein. Wenn wir nämlich Verantwortung von jeder und jedem in jedem Arbeitsverhältnis verlangen, dann müssen auch wir als Politiker uns in solchen Fragen konsequent verhalten und das Grundgesetz achten. ({11}) Wir dürfen nicht einfach aus einer Stimmung, die verständlich sein mag, heraus meinen, daß es möglich ist, diese Vorschriften zu umgehen. Er hat sich ja nicht einmal formal krank gemeldet. Das wäre noch etwas anderes gewesen. Die Form ist wirklich nicht gewahrt worden. Das sind - das will ich in diesem Zusammenhang sagen - keine leeren Fragen. Lassen Sie mich noch eine weitere Bemerkung machen. Es geht uns hier zwar nichts an, aber wenn man Parteivorsitzender ist, dann - so meine ich - schuldet man seinen Mitgliedern wenigstens eine Erklärung, wenn man von einer solchen Funktion zurücktritt. Das ist nicht Sache des Bundestages; aber ich wollte meine Meinung dazu sagen. ({12}) - Das ist auch nicht meine Sache. Aber ich darf trotzdem eine Meinung dazu haben. Ein bißchen Respekt flößt mir diese Haltung doch ein. Es kann einen ja auch um drei Minuten vor 18 Uhr ein bißchen süchtig machen. Einfach so zu sagen: „Schluß, aus, das war es!“, das hat auch etwas Verführerisches. ({13}) - Ich weiß, daß Sie sich sehr freuen würden. Ich überlege mir aber schon sehr genau, wem ich eine Freude mache und wem nicht. Das müssen Sie mir schon überlassen. ({14}) Ich sage Ihnen nur eines: Den Respekt davor, daß ein Mann die Konsequenz daraus zieht, daß er glaubt, es ginge nicht mehr weiter, und daß er sie wirklich so total zieht, sollte man in seinen Formulierungen schon zum Ausdruck bringen. Ich halte die Häme, die in diesem Zusammenhang an den Tag gelegt wird, für einfach unfair. ({15}) Viele von uns, die schon in einer ähnlichen Situation waren, haben aus vielen Motiven - nicht nur aus ehrenwerten Motiven - vor einer solchen Konsequenz zurückgeschreckt. Wenn ein anderer diese Konsequenz an den Tag legt, dann muß man seinen Respekt zum Ausdruck bringen und zugeben - selbst wenn man einzelne Umstände rügen muß -, daß einem dieses Verhalten ein bißchen imponiert. Den unfairen Umgang mit Lafontaine als Person lehnen wir ab. Nachtreten ist sowieso das letzte an menschlichem Verhalten. Daran werden wir uns auf gar keinen Fall beteiligen. ({16})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Denken Sie an die Zeit?

Dr. Gregor Gysi (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000756, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Ja, Frau Präsidentin. Ich füge hinzu: Oskar Lafontaine war sicherlich ein wichtiger Politiker. Ja, es ist wahr, ich habe seinen Schritt bedauert.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Herr Kollege, wir befinden uns in der Aktuellen Stunde.

Dr. Gregor Gysi (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000756, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Gut, Frau Präsidentin. Lafontaine war ein Mann mit Visionen. Man muß nicht mit allem einverstanden sein, was er gemacht hat. Aber man muß sagen, daß er immer wußte, was er wollte. Das kann man nicht von allen Politikerinnen und Politikern in diesem Hause sagen. Ich wünsche mir mehr Politiker von dieser Art. ({0})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Nun erteile ich das Wort Ernst Schwanhold, SPD-Fraktion.

Ernst Schwanhold (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002122, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es ist schon erstaunlich, unter welcher Überschrift Sie diese Aktuelle Stunde beantragt haben. In Vorbereitung dieser Aktuellen Stunde habe ich mir die Namen Ihrer Minister heraussuchen lassen, die in den letzten 16 Jahren zurückgetreten sind oder die zurückgetreten worden sind. Die Liste enthält 54 Namen. Darunter befinden sich allein vier Wirtschaftsminister. Einen Wirtschaftsminister wollten Sie herausmobben, Herr Solms. Das ist Ihnen nicht gelungen, was ich im nachhinein gut finde. Wie Sie mit Ihren zurückgetretenen Ministern umgegangen sind, war in hohem Maße unanständig. Wie Sie mit Lafontaine umgehen, ist Nachtreten und kein würdiges Verhalten für dieses Parlament. ({0}) Herr Solms redet von Pleiten. Herr Solms, heute ist den Tickermeldungen zu entnehmen, daß in diesem Jahr der Pleitenanstieg erstmalig gebremst ist. Ich will Ihnen das Ergebnis Ihrer Wirtschafts- und Finanzpolitik des Jahres 1997 sagen: Über 20 000 Unternehmen gingen in Konkurs; es wurden 200 000 Arbeitsplätze mehr vernichtet, als durch Neugründungen geschaffen wurden. Sie sollten nicht über Pleiten reden, sondern Ihre Fehlleistungen beklagen! ({1}) Was wir in der Finanz- und Steuerpolitik tun müssen, ist das Wegräumen des Schutts, den Sie aufgehäuft haben. ({2}) Das Steuerrecht ist doch nicht von selbst so undurchsichtig und so kompliziert geworden. Sie werfen uns vor, daß wir es noch nicht vereinfacht haben. Nun gut, vielleicht ist der Vorwurf berechtigt, daß wir nicht schon nach fünf Monaten alles beseitigt haben, was Sie in 16 Jahren an Chaos angerichtet haben. Sie haben in den letzten vier Jahren rund ein Dutzend Steuererhöhungen vorgenommen und damit Unternehmen und Bevölkerung mit 120 Milliarden DM zusätzlich belastet. Jetzt geht es erstmalig mit den Lohnnebenkosten und mit den Steuersätzen herunter, schon schreien Sie Zeter und Mordio - verlogen, nichts als verlogen. ({3}) Die Unternehmen wissen und die Bürgerinnen und Bürger spüren es in ihrer Tasche, daß sie eine Entlastung erfahren. Ich will Ihnen einmal Zahlen vom Verband der Chemischen Industrie nennen, die sich auf die Entlastung durch die Ökosteuer in bestimmten Branchen beziehen. Schädlingsbekämpfungs- und Pflanzenschutzmittel: ({4}) - in dieser Branche wird gearbeitet; darüber brauchen Sie nicht zu lachen, Herr Bohl -: 990 000 DM Entlastung; Anstrichmittel und Druckfarben: 9,74 Millionen DM Entlastung; pharmazeutische Erzeugnisse: 23,25 Millionen DM Entlastung; Seifen, Wasch-, Reinigungs- und Körperpflegemittel: 8,46 Millionen DM Entlastung; sonstige chemische Erzeugnisse: 6,91 Millionen DM Entlastung. Diese Zahlen sind einer Statistik des Verbandes der Chemischen Industrie zu entnehmen, die ich Ihnen gerne zur Verfügung stelle. Hören Sie mit Ihrem Geschwätz auf, daß die ökologische Steuerreform die Unternehmen nur belastet! Ich komme aus einem mittelständischen Unternehmen der chemischen Industrie und weiß, welche Entlastungswirkung sich für die Unternehmen ergibt, wenn man 40 Prozent Lohnkosten und nur 3 Prozent Energiekosten hat. Unser Gesetz führt zu einer deutlichen Entlastung. Dies trifft für den Durchschnitt der Industrie zu. ({5}) Daß Sie sich über die Einführung der Ökosteuer ärgern, kann ich verstehen. Diesen Paradigmenwechsel haben Sie nicht geschafft. Herr Repnik hat einmal ein intelligentes Modell aufgestellt. Er bekam dafür von seinem jetzigen Fraktions- und Parteivorsitzenden eins auf den Deckel und mußte sein Modell wieder in die Schublade packen. ({6}) Es ist schon ein vernünftiger Einstieg, nicht den Faktor Arbeit, sondern den Ressourcen- und Umweltverbrauch immer mehr zu belasten. Nur so können wir unser Sozialsystem stabilisieren und den Sozialstaat finanzieren. Das ist ein Paradigmenwechsel, wie wir ihn benötigen. Sie dagegen haben den Faktor Arbeit immer teurer gemacht, was schließlich zu dem großen Rationalisierungsdruck führte, und am Ende wunderten Sie sich darüber, daß die Arbeitslosigkeit stieg. ({7}) Die Steuerreform hat natürlich noch nicht ausreichende Ergebnisse erbracht; darüber haben wir eben schon geredet. Gleichwohl bin ich Ihnen für diese Aktuelle Stunde dankbar, Herr Solms, bietet sie doch eine ausgesprochen gute Möglichkeit, noch einmal darzustellen, welche positiven Wirkungen die Steuergesetzgebung der ersten Monate auf Bürgerinnen und Bürger und einen Teil der Unternehmen hat. ({8}) Herzlichen Dank, daß Sie uns diese Möglichkeit verschafft haben! ({9})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Ich lobe den Kollegen Schwanhold dafür, daß er die Redezeit eingehalten hat, und erteile dem Kollegen Dietrich Austermann, CDU/CSU-Fraktion, das Wort. ({0})

Dietrich Austermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000066, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wenn man sich die Situation der Bundesrepublik vor Augen halten will, muß man sich eigentlich nur die Regierungsbank angukken. Damit sage ich nichts gegen den Kollegen Volmer, auch nichts gegen den Kollegen Mosdorf. Aber ich frage, wie es eigentlich auf dem Platz des Bundesfinanzministers zur Zeit aussieht. Wer ist eigentlich in dieser Stunde amtierender Bundesfinanzminister? Wir hören, daß um 16.15 Uhr der Bundesfinanzminister, der bis dahin noch im Amt war, seine Entlassungsurkunde in Empfang genommen hat. Wir haben aber bisher nicht gehört, daß nach der Geschäftsordnung der Bundesregierung ein neuer Minister berufen worden wäre. Die beiden Parlamentarischen Staatssekretäre scheinen zur Zeit nicht im Amt zu sein. Das heißt, wir haben hier eine Leerstelle. ({0}) Zugleich müßte angesichts der schwierigen Situation die Regierung aber handeln. Es sind Entscheidungen gefordert, und man müßte auf das eingehen, was wirtschaftlich und politisch notwendig ist. Wir wissen, daß der Minister, der bis vor wenigen Minuten im Amt gewesen und jetzt ins Private geflohen ist, immer davon gesprochen hat, unser Land brauche nach 16 Jahren schwarzgelber Regierung einen Kassensturz. Ich frage, warum man nicht auch nach 135 Tagen Schröder/Lafontaine/Fischer einen Kassensturz machen sollte. Wer sich heute mit der Situation auf dem Arbeitsmarkt sowie mit Haushalts- und Finanzfragen befaßt, stößt ständig auf Ungereimtheiten. Ich komme aus einer Sitzung des Haushaltsausschusses, in der wir von der Union und der F.D.P. versuchen mußten, Herrn Scharping gegen eine wildgewordene Truppe von rotgrünen Politikern zu stützen, die ziemlich plan- und ziellos in den Verteidigungsetat hineinschneiden wollten, nachdem sie uns vorher noch aufgefordert hatten, wir mögen bitte gemeinsam eine Position in Sachen Kosovo einnehmen. Die Bundesrepublik war bis zum Oktober letzten Jahres in einer guten Verfassung; sie war ein Land mit einer guten Perspektive. ({1}) 135 Tage rotgrüner Regierung bedeuten jedoch Abschwung statt Rekordwirtschaftswachstum, Exportrisiken statt Exportboom, steigende Staatsquote statt sinkenden Staatsverbrauchs, Rückschritt mit alten Politikrezepten, Rücknahme und das Aussetzen von Reformen, hausgemachte falsche Politik statt Modernisierung unseres gesamten Staates. In diesen 135 Tagen ist aus sinkender Arbeitslosigkeit steigende Arbeitslosigkeit geworden, aus einem klaren Steuerkonzept ein Steuerchaos, aus einem vernünftigen Energiemix mit funktionierenden Strukturen ein Ausstiegsdruck auf die Wirtschaft mit ruinösen Steuern für die Energieversorger. Wenn man sich vor Augen hält, wie innerhalb von drei, vier Monaten eine Regierung alles, aber auch alles völlig durcheinanderbringt, dann ist es doch logisch, daß man dann, wenn der Finanzminister als einer der Hauptverantwortlichen geht - wir sind ihm dafür dankbar, daß er diese Entscheidung getroffen hat -, die Schlußfolgerung zieht, man müsse die falsche Weichenstellung der letzten drei Monate aufgeben und zu einem Kurs kommen, der wieder mehr Arbeitsplätze bedeutet. 135 Tage rotgrüner Regierung bedeuten statt geordneter Bundesfinanzen mit sinkenden Ausgaben und sinkendem Staatsanteil bei höherer Investitionsquote immer neue rotgrüne Haushaltslöcher und Investitionsstau. Der Bundeskanzler hat vor acht Tagen gefordert - ich zitiere aus der „Bild“-Zeitung, die über die Kabinettssitzung berichtet hat -: „Wir brauchen kräftige Signale zur Verbesserung der Stimmung in der Wirtschaft“, weil die Konjunktur gerade „einbricht“. Herr Schröder wörtlich: Wir haben es nicht nur mit den Unternehmern zu tun, sondern auch mit deren Gewerkschaften! Herr Schwanhold, die sind offensichtlich alle ganz dankbar für die Steuerentlastung. „Wir dürfen nicht ignorieren“, sagt Schröder, „daß . . . Arbeiter auf der Straße waren“ und für ihre Arbeitsplätze demonstriert haben. Auch gegen die Agenda 2000 würden die Bauern demonstrieren. Da baut sich - sagt Schröder eine ernstzunehmende Front auf. . . . Da ist die Dosis zu hoch. Wenn dies so weitergeht, weiß ich nicht, wie man diese Politik auf Dauer legitimieren kann. Ferner: Ich kann das nicht zusammenhalten, wenn wir der Wirtschaft mehr zumuten, als sie tragen kann. Wenn er in dieser Situationsbeschreibung recht hat, muß doch der Rücktritt von Lafontaine ein Einschnitt und eine Aufforderung sein, ein völliges Umsteuern in der Politik vorzunehmen. Ich glaube, daß es keine andere Konsequenz aus dieser Entscheidung gibt. Die Kritik an diesen bisher 135 Tagen kommt doch nicht nur von der Union. Herr Glogowski kritisiert; er sagt, er werde morgen im Bundesrat Anmerkungen zur Steuerreform, zu allen drei Steuergesetzen machen. Er sagt: „Wir haben schwere Bedenken, aber stimmen zu“ und fordert dafür, daß man eine Gesetzesfolgenabschätzung nachschiebt. Aus Mainz - auch keine Unionsregierung - und von Clement kommt genau das gleiche. Alle fordern Korrekturen. Sie sind offensichtlich dankbar für das, Herr Schwanhold, was Sie in den letzten drei Monaten hier beschlossen haben. SPD-nahe Manager gehen auf Gegenkurs zum Finanzminister, fordern eine Deregulierung des Arbeitsmarktes, fordern eine Senkung von Steuern und Abgaben.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Herr Kollege, denken Sie an Ihre Zeit!

Dietrich Austermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000066, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich glaube, ich komme zum Schluß. ({0}) Genau das Gegenteil von Vernunft wird praktiziert. Wir fordern von Ihnen, daß Sie diesen Einschnitt, diesen Rücktritt des Ministers zum Anlaß nehmen nachzudenken. Alle Bundesländer fordere ich auf, morgen bei der Beratung im Bundesrat die drei Gesetze, die wir und andere mit Recht kritisieren, nicht passieren zu lassen, sondern den Vermittlungsausschuß anzurufen, damit wir uns darüber vergewissern können, was not tut für mehr Arbeitsplätze in Deutschland. Herzlichen Dank. ({1})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Das Wort hat nun Klaus Müller, Bündnis 90/Die Grünen.

Klaus Wolfgang Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003195, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das scheint mir die Aktuelle Stunde der groben Klötze zu sein. Jetzt zum Schluß wurde noch einmal ordentlich draufgehauen. Ich finde, auf eine solche Debatte paßt nur ein grober Keil. Herr Solms, Sie haben von Vorbildern in der Politik gesprochen. Dazu fällt mir eine Menge ein, insbesondere: Wer im Glashaus sitzt, soll nicht mit Steinen werfen. Ich erinnere nur an Antragsfristen, die man hier und dort versäumt. Bei Sozialhilfeempfängerinnen und Sozialhilfeempfängern schreit man dann gleich: kürzen! Bei anderen versucht man, sich herauszuwinden. Ich finde, wer hier von Vorbildern redet, sollte genau aufpassen, wovon er redet. Die Finanzpolitik von Theo Waigel und Oskar Lafontaine war vielleicht gar nicht so unterschiedlich. Wenn man sich anguckt, was im Steuerentlastungsgesetz stand, stellt man fest, daß man gar nicht so weit voneinander entfernt war. Nur gibt es einen zentralen Unterschied zwischen beiden Gesetzen: Ihr Gesetz war unsolide und unsozial, und vor allem haben Sie es nicht realisieren können, während das Steuerentlastungsgesetz von Rotgrün die Steuersätze gerade im Eingangsbereich senkt und solide gegenfinanziert ist. ({0}) Ich möchte Sie daran erinnern, was in Ihrem Gesetzentwurf alles gestanden hat. Von der Mehrwertsteuererhöhung ganz zu schweigen, lasen wir da von der Verlängerung der Ansammlungsfristen für Rückstellungen, dem Rückstellungsverbot für Endlager, dem Wertaufholungsgebot, der eingeschränkten Schadensrückstellung für die Versicherungswirtschaft, der Senkung der degressiven AfA auf Ausrüstungsinvestitionen und der Einführung einer Versicherungsteuer. Herrjemine! Das ist genau das, worüber Sie sich jetzt aufregen und wogegen Sie heute zum allerletztenmal querzutreiben versucht haben. Ich sage Ihnen nur: Es wird nicht gelingen. Sie kritisieren immer das Nachbessern. Was ist denn Ihr Verständnis von Gesetzgebung? ({1}) Was ist denn Ihr Verständnis von Beratung und einem vernünftigen Gesetzgeber, wenn man nicht aus berechtigter Kritik lernt? Daß Sie im letzten September abgewählt worden sind, ({2}) lag - falls Sie es schon vergessen haben - insbesondere daran, daß Sie in Ihrem Gesetzgebungsverfahren eben nicht gelernt haben. ({3}) Sie haben versucht, Ihr Steuergesetz durchzupeitschen. ({4}) Sie sind damit aus berechtigten Gründen im Bundesrat gescheitert, weil es nicht solide gegenfinanziert war. ({5}) - Oh, da höre ich das Stichwort „keine Entlastung“. Ich finde, daß unser Gesetz mit 20 Milliarden DM Nettoentlastung ({6}) genau die richtige Antwort ist. Wie Sie sicherlich in der Information des Finanzministeriums nachlesen konnten, entlasten wir die Privathaushalte in Höhe von 24 Milliarden DM sowie den Mittelstand in Höhe von 5,5 Milliarden DM ({7}) - wir fangen zum 1. Januar damit an, Herr Thiele - und belasten zu Recht die großen internationalen Konzerne. Sie haben heute in der Debatte über den Jahreswirtschaftsbericht von der Kollegin Wolf, vom Kollegen Schulz und vom Kollegen Poß gehört, was die OECD dazu sagt. Die OECD, die Sie überhaupt nicht als eine nicht neutrale Instanz anfeinden können, hat Ihnen ins Stammbuch geschrieben: 8 Prozent effektive Belastung für Körperschaften. Daran sehen Sie, daß unser Steuerentlastungsgesetz genau auf der richtigen Linie liegt. ({8}) Ich will deutlich sagen, daß wir den Rücktritt von Herrn Lafontaine bedauert haben, denn Herr Lafontaine hat für diese Koalition eine wichtige Rolle gespielt, und er war für uns ein wichtiger Bündnispartner. Er war für uns deshalb wichtig, weil er tatsächlich eine Vision hatte. An dieser Stelle will ich Herrn Gysi einmal recht geben. Er war ein Politiker, der klar gesagt hat, daß er Ziele hat, daß er streitbar ist und daß er für seine Ziele einsteht. Das nötigt mir Respekt ab, denn das ist wirklich Politik und besser als ein Dahinlavieren und ständiges Herumkritisieren ohne einen einzigen Vorschlag. ({9}) Ich will aber auch sagen, daß ich mich persönlich auf die Zusammenarbeit mit dem designierten Finanzminister, Herrn Hans Eichel, freue, weil ich glaube, daß auch er ein Garant für eine Modernisierung des Steuersystems, ({10}) für mehr Generationengerechtigkeit, für die Fortsetzung der ökologischen Steuerreform, für ein modernes internationales Unternehmensteuerrecht ({11}) und für die Entlastung der Familien ist, was Ihnen nicht wichtig ist, was Ihnen nicht gelungen ist und was Sie im Steuerentlastungsgesetz abgelehnt und lächerlich gemacht haben. ({12}) Last, not least: Ich hoffe, daß Sie den neuen Finanzminister als eine zweite Chance begreifen, in Zukunft nicht nur herumzunölen, sondern mit konkreten eigenen Vorschlägen in den Finanzausschuß zu gehen. Bis heute habe ich da nichts von Ihnen gesehen. Das fand ich ausgesprochen schade. Ich freue mich darauf. Vielen Dank. ({13})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Jetzt erteile ich das Wort dem Kollegen Carl-Ludwig Thiele, F.D.P.Fraktion.

Carl Ludwig Thiele (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002315, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Kein Kassierer eines Gesangvereins oder Kegelklubs verläßt sein Amt so, wie Oskar Lafontaine sein Amt als Bundesfinanzminister verlassen hat. ({0}) Kein Arbeitnehmer kann sich einen solchen Abgang leisten, weil er dann mit Disziplinarverfahren, fristloser Kündigung und Kürzung seiner Bezüge zu rechnen hat. ({1}) Kein Minister seit Bestehen der Bundesrepublik Deutschland hat in dieser Art und Weise Fahnenflucht vor seiner Verantwortung begangen wie Finanzminister Oskar Lafontaine. ({2}) Das ganze Verhalten des Finanzministers ist eine grobe Mißachtung der Verfassung, ({3}) insbesondere des Verfassungsorgans Bundespräsident, indem Oskar Lafontaine sich selbst beurlaubt, ohne die Urkunde des Bundespräsidenten in der Hand zu haben. ({4}) Das Ganze ist ein Skandal. ({5}) Ein Skandal ist aber auch, daß die rotgrünen Bundestagsabgeordneten es ablehnen, diesen Vorgang im Deutschen Bundestag zu debattieren. Was für ein Selbstverständnis haben Sie überhaupt? ({6}) Ist es für Sie normal, daß der Bundesfinanzminister so zurücktritt, daß es die Bundesregierung ablehnt, hierzu im Rahmen einer Regierungserklärung Stellung zu nehmen, daß jedes klare Wort einer Mißbilligung oder Rüge von Bundeskanzler Gerhard Schröder und seiner rotgrünen Chaostruppe zu diesem Vorgang ausbleibt? Das nenne ich einen Skandal, und das ist ein Skandal, den wir hier noch nicht erlebt haben. ({7}) Wie schlecht muß eigentlich die Lage der Koalition und wie schwach müssen Ihre Argumente sein, wenn Sie sich dieser Debatte nicht stellen? ({8}) Deshalb ist es richtig, daß wir als F.D.P. darauf gedrängt haben, diese Vorgänge heute hier im Deutschen Bundestag im Rahmen einer Aktuellen Stunde zur Sprache zu bringen. ({9}) Die rotgrüne Politik und ihre Gesetze sind doch der Grund dafür, daß wir heute 500 000 Arbeitslose mehr haben als zum Zeitpunkt der Bundestagswahl. ({10}) Nach Art. 65 des Grundgesetzes bestimmt der Bundeskanzler die Richtlinien der Politik und trägt dafür die Verantwortung. ({11}) Alle Gesetze tragen die Unterschrift des Bundeskanzlers. Alle Gesetze sind vom Bundeskabinett verabschiedet worden. Die Steuergesetze zeigen, daß nicht die Politik von Oskar Lafontaine, sondern die bisherige Politik der rotgrünen Koalition unter Bundeskanzler Gerhard Schröder gescheitert ist. Die Grünen - Bundesminister Trittin und eine der Vorstandssprecherinnen - erklären ja auch: Klaus Wolfgang Müller ({12}) Rotgrün ist gescheitert. An dieser Stelle muß ich wirklich sagen: Sie haben recht. ({13}) Es ist ein Skandal, daß Ministerpräsident Eichel, der sich am Abend der verlorenen Hessen-Wahl als ausgesprochen honoriger Verlierer gezeigt hat, ({14}) morgen, ohne die Legitimation zu haben, sein Wort, daß er am Abend der Wahl im Fernsehen gegenüber allen Bürgern gegeben hat, bricht und den Gesetzen mit der Stimme des Landes Hessen zustimmt, wozu er zwar formal das Recht hat, moralisch aber nicht mehr legitimiert ist. ({15}) Es ist ferner ein Skandal, daß Ministerpräsident Eichel nicht am heutigen oder am morgigen Tag im Deutschen Bundestag als Finanzminister vereidigt wird. Es ist ein Skandal, daß statt dessen in der Osterpause am 8. April dieses Jahres eine Sondersitzung des Bundestages mit ungeheurer Kostenbelastung stattfinden soll, die der deutsche Steuerzahler zu tragen hat. ({16}) Es ist ein Skandal, daß wir während der Zeit, in der Haushaltsberatungen anstehen - Kollege Austermann hat darüber berichtet -, während der deutschen Ratspräsidentschaft und während der Neuordnung der Finanzen der Europäischen Union keinen amtierenden Finanzminister haben, sondern daß das jemand neben seiner eigentlichen Kompetenz stellvertretend sowie vorläufig und auf Abruf zu bewerkstelligen hat. So kann eine Bundesregierung in diesen Zeiten keine Regierung führen. Das ist schäbig. ({17}) Viele Bürger in unserem Land haben sich bei der letzten Bundestagswahl von dem Schröder-Spruch „Wir machen nicht alles anders, aber vieles besser“ einlullen lassen. Jetzt können wir feststellen: Rotgrün macht nichts besser; es macht vieles schlechter, als es zuvor der Fall war. Rotgrün - das zeigt auch Ihr Beitrag, Herr Müller - erweist sich in den Beratungen zu jedem Gesetz in Mißachtung der Rechte der Abgeordneten der Opposition, was sogar die PDS bestätigt, als unerträglich überheblich, wie es hier im Bundestag noch nie vorgekommen ist. ({18}) Vor allem erweist sich Rotgrün als absolut beratungsresistent. ({19}) Kein guter Vorschlag und keine berechtigte Kritik werden aufgenommen. Die eigenen Vorhaben werden einfach durchgezogen. Der „Spiegel“ tituliert in dieser Woche „Schröders zweite Chance“. Wenn Sie diese zweite Chance ernsthaft nutzen wollen, dann fordern wir Sie auf: Stoppen Sie das Steuerbelastungsgesetz! Das kann der Bundestag übrigens tun, Kollege Gysi. Stoppen Sie das PseudoÖkosteuergesetz! Stoppen Sie das Gesetz zur faktischen Abschaffung der 630-Mark-Jobs!

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Und Sie stoppen jetzt Ihre Rede. Denn Ihre Redezeit ist abgelaufen. ({0})

Carl Ludwig Thiele (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002315, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Nur wenn Sie dies tun, haben Sie eine zweite Chance. Herzlichen Dank für die angenehme Verfahrensleitung, Frau Präsidentin. ({0})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Herr Thiele, ich bin hinsichtlich Ihrer Redezeit großzügig gewesen. ({0}) Ich entschuldige mich. Ich wollte mich nicht in Ihre Rede einmischen; aber meine Bemerkung paßte ganz gut, wie Sie sich vorstellen können. Aber es war nicht richtig. Jetzt hat der Kollege Jörg-Otto Spiller, SPD-Fraktion, das Wort.

Jörg Otto Spiller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002804, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Thiele, ich mache mir ein bißchen Sorgen um Ihre Gesundheit. Sie sind genauso aufgeregt wie vor dem Rücktritt von Oskar Lafontaine, den wir sehr bedauern. ({0}) Aber ich kann gut verstehen, daß Sie damals, zu den Zeiten, als Oskar Lafontaine hier mit Ihnen debattiert hat, feuchte Hände bekamen, weil Sie in der Debatte keinen Stich machen konnten. ({1}) Zum Kollegen Michelbach muß ich sagen: Sie sind ein hochgewachsener Mensch. Sie spezialisieren sich jetzt nur noch auf das Wadenbeißen. Das führt zu Haltungsschäden. ({2}) Ich hatte die Hoffnung, Herr Kollege Solms und Herr Kollege Thiele, daß die F.D.P. diese Aktuelle Stunde beantragt hat, weil sie jetzt doch erkannt hat, daß sie sich in der Debatte um das Steuerentlastungsgesetz geirrt hat. Gestern - Frau Kollegin Frick war ja als Mitglied des Finanzausschusses mit in Paris - haben wir von der OECD nämlich bestätigt bekommen: Das Land in Europa mit der niedrigsten effektiven Steuerbelastung der Kapitalgesellschaften ist Deutschland. Der Durchschnittssatz beträgt 8 Prozent der Gewinne. Darin liegt - Herr Kollege Thiele, Herr Kollege Solms - die eigentliche Unaufrichtigkeit der F.D.P. In der Zeit, als die F.D.P. den Bundeswirtschaftsminister stellte - das waren viele Jahre, egal, wie die Herren hießen -, haben Sie hingenommen, daß die Wettbewerbsordnung völlig durchlöchert wurde, daß das Prinzip eines fairen Wettbewerbs durch ein Chaos an Vergünstigungen und Schlupflöchern ersetzt wurde, so daß ein fairer Wettbewerb unter Ihrer Desorientierung nicht mehr möglich war. ({3}) Es trifft zu - manche Mittelständler fragen, warum die immer über mäßige Steuerbelastung der Unternehmen reden -, daß viele Unternehmen in Deutschland zu Recht über die hohe Belastung klagen. ({4}) Aber der Durchschnitt ist niedrig, weil Sie es durch Ihre zerstörerische Politik zugelassen haben, daß sich viele Unternehmen mit Geschick der Steuerpflicht völlig entzogen haben. Das werden wir ändern. Der erste Schritt ist das bereits vom Bundestag beschlossene Steuerentlastungsgesetz. Der nächste Schritt wird die umfassende Reform der Unternehmensbesteuerung sein. Die Erfahrung, die wir gestern in dem sehr fachlichen und sehr nüchternen Gespräch mit den Experten der OECD gemacht haben, ermutigt uns sehr dazu. Ich möchte Sie bitten - ich weiß nicht, ob das etwas nutzt -: Besinnen Sie sich wieder darauf, daß eine politische Partei dem Gemeinwohl verpflichtet ist und daß Sie nicht nur der Lautsprecher von Verbänden sind! ({5}) Die Verbände können das alleine. Da müssen Sie nicht auch noch in dasselbe Horn blasen. Das Ganze klingt übrigens bei denen häufig vernünftiger als bei Ihnen. ({6}) Ich nenne noch ein Beispiel, was sehr niederschmetternd ist. Natürlich ist es völlig gerechtfertigt, daß die Finanzvorstände von großen Unternehmen ihre Interessen wahren und wahrnehmen wollen. Aber laufen Sie doch nicht einfach hinterher. Ein Unternehmen - Daimler-Benz jetzt Daimler-Chrysler -, dessen Vorstandsvorsitzender sich noch vor kurzem damit gebrüstet hat, in Deutschland für den Rest dieses Jahrhunderts - das ist ja nicht mehr lange, aber immerhin hat er das vor ein paar Jahren erzählt - keine Steuern mehr zu zahlen, droht jetzt, ins Ausland zu gehen, wenn es nicht entlastet wird. Ich danke Ihnen, daß Sie nicht auch noch angedroht haben, ins Ausland zu gehen. ({7}) Wir müssen doch ein Stück Nüchternheit bewahren. Meine Damen und Herren, wir werden konsequent unsere Steuerpolitik fortsetzen zum Wohle eines fairen Wettbewerbs und mit dem Ziel der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit. Es war leider nicht möglich, daß Sie sich, Herr Kollege Rauen, obwohl Sie im Finanzausschuß oft vernünftige Beiträge leisten, in Ihrer Partei durchsetzen. Die Koalition, die 16 Jahre dieses Land regiert hat, hat dazu überhaupt nichts beigetragen. Sie haben eine Unordnung hinterlassen, die der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit unseres Landes leider geschadet hat. Wir werden das wieder in Ordnung bringen. ({8})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Jetzt erteile ich dem Kollegen Jochen-Konrad Fromme, CDU/CSU-Fraktion, das Wort.

Jochen Konrad Fromme (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003126, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Spiller, keine Angst, wir werden nicht - so wie Ihr Finanzminister - fahnenflüchtig, auch wenn Sie uns dazu auffordern. ({0}) Meine Damen und Herren, ich fordere Sie auf: Machen Sie mit den Ministerpräsidenten heute abend das, was Sie mit Herrn Eichel nach der Hessen-Wahl gemacht haben! Fordern Sie sie auf, ihre Meinung zu ändern und im Bundesrat den Vermittlungsausschuß anzurufen! Die Gesetze, die Sie vorgelegt haben, schaffen - wie Sie es versprochen haben - Arbeitsplätze, aber nicht auf dem ersten Arbeitsmarkt, sondern bei den Steuerberatern, bei der Finanzverwaltung, bei den Schwarzarbeitern und insbesondere im Ausland, aber nicht, so wie es eigentlich Ihr Ziel war, in Deutschland. ({1}) Die Steuerberater selber sagen, daß sie funktionierende Gesetze haben möchten. Diese Gesetze möchten sie gerade nicht haben. ({2}) - Herr Poß, bleiben Sie ruhig! Sie haben vier Anläufe unternommen, um die Mindestbesteuerung durchzusetzen, und immer noch wird sie als verfassungswidrig betrachtet. ({3}) Sie mußten nach Gesprächen mit der Versicherungswirtschaft eine Kommission einsetzen, um nachzubessern. Sie haben - das wurde schon angesprochen - mit Daimler-Benz sprechen müssen. Sie haben gesagt - so auch Sie, Herr Poß, gerade eben -, die Kumpel in der Braunkohle- und Steinkohlewirtschaft könnten sich auf die SPD verlassen. Ich weiß gar nicht, warum sie dann gegen Ihre Steuerreform Sturm laufen. Die Zeitungsverlage sind auf die Barrikaden gegangen. ({4}) Sie haben gesagt, Sie wollten einen Kurswechsel. Zumindest haben Sie das noch vor kurzem gesagt; hinterher wollten Sie das nicht mehr wahrhaben. Dann müssen Sie doch vorher etwas falsch gemacht haben; sonst hätten Sie gar keinen Kurswechsel ankündigen müssen. Aber Sie vollziehen ihn natürlich nicht. Wie ein roter Faden zieht sich durch Ihr gesamtes Konzept das Ansinnen, Liquidität aus den Unternehmen abzuziehen, um einige wenige Wohltaten zu erfüllen. Es ist verantwortungslos, wie Sie mit der Öffentlichkeit umgehen. ({5}) Sie tun immer so, als würden Sie nachbessern. An einigen Stellen haben Sie auch etwas nachgebessert. Aber nehmen wir das Beispiel der Teilwertabschreibung: Statt 3,2 Milliarden DM wollen Sie jetzt noch 2,4 Milliarden DM erzielen. Also bleiben Sie doch bei dem Instrument. Wenn man aus einem Kardinalfehler einen Fehler macht, dann bleibt es bei einem Fehler. Das kennzeichnet Ihre Steuerreform: Sie bleibt ein Fehler. ({6}) Sie haben die „Neue Mitte“, den Mittelstand enttäuscht. Jetzt versuchen Sie, Nebelkerzen zu werfen, indem Sie auf die Unternehmensteuerreform verweisen. Sie tun immer so, als würde dieser Kreis in einem zweiten Schritt entlastet. Was wollen Sie denn eigentlich? Herr Poß hat gesagt, das Volumen werde nicht reduziert; Herr Schwanhold hat genau das Gegenteil gesagt. In der Öffentlichkeit erzeugen Sie immer den Eindruck, in einem zweiten Schritt, mit einer Unternehmensteuerreform, sollen die Steuern für diese Kreise gesenkt werden. Wenn Sie das wirklich vorhaben, kann ich nur sagen: Nehmen Sie das Ganze, machen Sie es neu, und verabschieden Sie es in einem Schritt! Dann wäre das auch glaubwürdig, aber so nicht. ({7}) Die Regelungen zu den 630-Mark-Beschäftigungsverhältnissen sind ein einziges Abkassierungsmodell. ({8}) Von den 4,5 Millionen Menschen, die jetzt in 630-MarkBeschäftigungsverhältnissen stehen, werden in Zukunft 3,5 Millionen steuerpflichtig. Im Finanzausschuß haben Sie gesagt, Sie wollten nur 1 Million Bescheinigungen für die Steuerbefreiung ausstellen. Also muß doch der Rest steuerpflichtig werden. ({9}) Nun lassen die Ministerpräsidenten verlauten, sie wollten eine Gesetzesfolgenabschätzung - nachdem das Gesetz verabschiedet ist. So etwas brauche ich doch als Grundlage für eine Entscheidung. Sie verfahren nach dem Motto: Wir probieren aus, mal sehen, was rauskommt. - Nachdem Sie die Richtung verloren haben, verdoppeln Sie beim Rudern die Anstrengungen. So kann es nicht gehen. ({10}) Sie sagen, wir würden die Ministerpräsidenten in verfassungswidriger Weise beeinflussen. Nein, meine Damen und Herren, wir ermahnen die Ministerpräsidenten, den Amtseid, den sie für ihr Land geleistet haben, ernst zu nehmen. Einer von ihnen hat gesagt: „Erst das Land, dann die Partei.“ Morgen wird genau das Gegenteil vollzogen. Deshalb: Ziehen Sie den Gesetzenwurf zurück! Sie haben selbst gesagt, daß er Murks ist. Frau Kollegin Scheel - sie ist gerade nicht da - hat geäußert, daß der Gesetzentwurf so nicht richtig ist. Ich erinnere mich an eine Äußerung im Finanzausschuß: Es besteht die Wahrscheinlichkeit, daß diese Norm angewendet werden kann. Das ist handwerkliche Schlamperei. Da kann es nichts anderes geben als: Einpacken, neu machen und dann Vertrauen erwerben! Danke schön. ({11})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Jetzt hat das Wort der Kollege Lothar Binding, SPD-Fraktion.

Lothar Binding (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003050, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich habe von Herrn Thiele gehört, daß es in den Osterferien eine Sondersitzung geben soll. Daraufhin habe ich mich sehr aufgeregt und dachte: Das ist schlimm; das kostet wahnsinnig viel. Sie haben den Nährboden dafür bereitet. ({0}) Jetzt habe ich gehört, daß der Ältestenrat beschlossen hat, keine Sondersitzung druchzuführen. ({1}) Ich glaube, daß mit diesem Beispiel Ihrer Öffentlichkeitsarbeit klar wird, wie Sie Politik machen. ({2}) Sie sagen, wir würden uns bestimmten Debatten entziehen. Richtig ist aber, daß wir uns zielführenden Debatten sehr gern stellen. Das sind nämlich Debatten, die unserer Gesellschaft helfen, die unserer Wirtschaft helJochen-Konrad Fromme fen, die den Menschen helfen. Aber ich muß hier etwas ganz anderes erleben: Es werden Aktuelle Stunden mit eigentlich nur einem Ziel beantragt, nämlich Plenarzeit zu verbrauchen. Es werden Anhörungen unter dem Deckmantel beantragt, Öffentlichkeit herzustellen, Betroffene und Experten zu hören. In Wahrheit werden aber so viele Experten eingeladen, daß von vornherein klar ist: Man kann überhaupt nur 30 Prozent dieser Experten befragen; die anderen 70 Prozent gehen verärgert nach Hause und sagen: Wir sind eingeladen worden und durften gar nicht reden. Ich habe Ausschußsitzungen erlebt, in denen so lange filibustert wurde, daß die Sitzung um 2 Uhr nachts noch immer nicht zu Ende war. Ich habe - das gibt mir zu denken - erlebt, daß ein Berichterstatter versucht hat, ({3}) durch nicht vollzogene Protokollunterzeichnungen den Parlamentsbetrieb aufzuhalten. Ich halte das alles nicht für legitime Anliegen, die jemand, der seriöse Politik macht, zu verfolgen hat. ({4}) Ich glaube, daß Parlament und Regierung die Verantwortung tragen, die Rahmenbedingungen für Gesellschaft und Wirtschaft zu definieren. Aber die Rahmenbedingungen werden auch durch das Verhalten der Opposition definiert. Das heißt, wenn man feststellt, daß eine Regierung oder eine Regierungskoalition einen Fehler macht, muß man einen konstruktiven Gegenvorschlag machen. Das ist die Aufgabe einer Opposition. Da, muß ich sagen, habe ich bei Ihnen relativ wenig gefunden. Ich glaube, daß Sie Ihrer Verantwortung in der Opposition damit nicht gerecht werden. Mit dem Verfahren, das ich eingangs nannte, nämlich durch eine Falschmeldung Aufregung zu erzeugen, um das Dementi in den vielen anderen nachfolgenden Falschmeldungen untergehen zu lassen, haben Sie auch für den deutschen Wirtschaftsstandort ein weltweites Negativmarketing betrieben. ({5}) Ich glaube, daß unserem Volk durch die Summe Ihrer Äußerungen großer Schaden zugefügt wurde. Ihr Verhalten hilft nämlich weder der Wirtschaft noch dem Handwerk, noch den Familien. Es hilft auch nicht unserer weltweiten Reputation. Es gibt ein weiteres Moment, das ich ansprechen möchte: das der Verallgemeinerung. Es stimmt, wenn Sie sagen, wir würden „die Wirtschaft“ belasten. ({6}) All die, die bisher keine oder wenig Steuern zahlen, sollen künftig mehr Steuern zahlen. Aber Sie sagen nicht, daß wir die Wirtschaft auch entlasten. Gerechte Besteuerung heißt, die, die keine Steuern zahlen, aber die Infrastruktur nutzen, die mit den Steuern der anderen bezahlt wurde, zu belasten. ({7}) Der entscheidende Punkt ist, daß Steuergerechtigkeit beide Momente aufweist, nämlich Belastung derjenigen, die sich ihrer Pflicht entziehen, und Entlastung derjenigen, die ihre Steuern ehrlich zahlen. Ich glaube, daß wir einer gerechten gesellschaftlichen Entwicklung mit der Entlastung der Arbeitnehmer, mit der Entlastung des Mittelstandes, mit der Belastung der Konzerne, die bisher kaum Steuern zahlen, sehr wohl einen vernünftigen Boden bereitet haben. Ich bitte Sie, dies unter Marketinggesichtspunkten für Deutschland entsprechend differenziert darzustellen. Ich glaube, daß wir gerade unter dem Gesichtspunkt der differenzierten Darstellung wirtschafts- und finanzpolitischer Zusammenhänge Oskar Lafontaine noch sehr vermissen werden. ({8})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Jetzt hat das Wort Otto Bernhardt, CDU/CSU-Fraktion.

Otto Bernhardt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003037, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist sicher richtig, daß in der Bundesrepublik schon mancher Minister zurückgetreten ist. Aber noch nie hat ein Rücktritt eines Ministers so positive Signale ausgeübt, ({0}) sei es an den nationalen oder internationalen Börsen oder seien es die Erwartungen an die wirtschaftliche Zukunft. Mit dem Namen Lafontaine werden in Deutschland insbesondere vier Dinge verbunden: erstens das Steuerchaos der letzten Monate, zweitens die in Wissenschaft und Praxis längst widerlegte These von der nachfrageorientierten Wirtschafts- und Finanzpolitik, ({1}) drittens das sogenannte Steuerentlastungsgesetz - Herr Kollege Müller, Sie wissen genau wie ich, die Entlastung ist nicht für 1999 und nicht für das Jahr 2000 vorgesehen, sondern, wenn überhaupt, für das Jahr 2002; von daher verdient dieses Gesetz sicher nicht den Namen Entlastungsgesetz -, ({2}) viertens das Ökosteuergesetz. Wenn wir letzteres genau betrachten, ist es doch auf der einen Seite schlicht ein Energiesteuererhöhungsgesetz und auf der anderen Seite eine Erhöhung des Bundeszuschusses zu den Sozialversicherungen. ({3}) Allerdings gibt es nicht nur innerhalb der CDU/CSU und der F.D.P. sowie den von Ihnen vielzitierten WirtLothar Binding ({4}) schaftsverbänden unterschiedliche Beurteilungen dieser Gesetze. Interessant ist, daß Minister Müller - er ist leider nicht da - zum Teil ein deutliches Absenken der Körperschaftsteuer auf 35 Prozent fordert. Die GrünenKollegin Frau Scheel sagt, das ist nicht genug, es müssen 23 Prozent sein. Klaus Müller von den Grünen erklärt im WDR, die Unternehmensbesteuerung sei international nicht wettbewerbsfähig. Recht hat er, meine Damen und Herren. Nur erklärt zur gleichen Zeit der Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion, es sei „Unsinn, über neue Unternehmensbesteuerungen zu spekulieren“. Der Kollege Poß von der SPD erklärt, es gebe keinen weiteren Spielraum für Steuersenkungen. Herr von Larcher, ebenfalls sozialdemokratischer Kollege, sagt sogar, weitere Steuerentlastungen seien fahrlässig. ({5}) Meine Damen und Herren, wenn wir eine Bilanz der Finanzpolitik von Oskar Lafontaine ziehen, ist das Urteil von Karl Otto Pöhl, ehemaliger Bundesbankpräsident, SPD-Mitglied besonders wichtig. Er nennt die Finanzpolitik von Oskar Lafontaine eine „kurzsichtige und naive Politik, die von wenig Kenntnis der Märkte zeugt“. Ich glaube, das ist ein Satz, über den wir alle nachdenken sollten. ({6}) Mehrere Redner haben den Besuch gestern in Paris bei der OECD, an dem auch ich beteiligt war, angesprochen. Die Aktuelle Stunde reicht leider nicht aus, um ausführlich dazu Stellung zu nehmen. Dort ist gesagt worden, die Tendenz des Steuergesetzes - niedrigere Steuern, breitere Bemessungsgrundlage - sei richtig. Sehen Sie sich einmal das Petersberger Modell an! Das war genau diese Richtung. Nur, die Steuersenkung im Jahr 2002 auf 48,5 Prozent, das kann es doch nicht sein. Was die 8 Prozent effektive Steuerbelastung betrifft, ist auf Nachfrage klar gesagt worden: Dies gilt nicht für Einzelunternehmen, nicht für Personengesellschaften. Jeder hier im Raum weiß doch: Acht von zehn Unternehmen in Deutschland sind Einzelunternehmungen oder Personengesellschaften. ({7}) Die Wirtschaft hat übrigens längst auf die Steuerpolitik von Rotgrün reagiert: 500 000 zusätzliche Arbeitslose seit dem Regierungswechsel, rückläufiges Wirtschaftswachstum - Sie haben die Zahlen gehört -, Auftragsrückgänge in verschiedenen Branchen. Der langjährige Präsident des Kieler Weltwirtschaftsinstituts, den ich persönlich sehr schätze, Herr Professor Giersch - Sie sollten sich das anhören -, hat recht, wenn er sagt: Niedrigere Steuern erfordern niedrigere Staatsausgaben, alles andere ist ökonomischer Unsinn. ({8}) Ich habe genau gehört: Als der Wirtschaftsminister vorhin erklärt hat, der Staat müsse sich zurücknehmen, hat von Ihrer Seite niemand geklatscht. ({9}) Ich komme zum Schluß und möchte folgendes erklären. Oskar Lafontaine hat seinen Beitrag zur Verbesserung des wirtschaftspolitischen Klimas in Deutschland durch seinen Rücktritt geleistet. Leisten Sie Ihren Beitrag, indem Sie diese unseligen Steuergesetze zurückziehen! ({10})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Die Aktuelle Stunde ist beendet. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 5a und 5b auf: a) Erste Beratung des von den Abgeordneten Rainer Funke, Jörg van Essen, Hildebrecht Braun ({0}), weiteren Abgeordneten und der Fraktion der F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Bürgerlichen Gesetzbuchs ({1}) - Drucksache 14/326 Überweisungsvorschlag: Rechtsausschuß ({2}) Innenausschuß Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuß für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen b) Erste Beratung des von den Abgeordneten Christina Schenk, Sabine Jünger, Christine Ostrowski, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der PDS eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Übernahme der gemeinsamen Wohnung nach Todesfall der Mieterin/des Mieters oder der Mitmieterin/des Mitmieters ({3}) - Drucksache 14/308 Überweisungsvorschlag: Rechtsausschuß ({4}) Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuß für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Stunde vorgesehen, wobei die Fraktion der F.D.P. zehn Minuten erhalten soll. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Kollegen Hildebrecht Braun, F.D.P.-Fraktion, das Wort.

Hildebrecht Braun (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002634, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Unsere Rechtswirklichkeit ist oft merkwürdig und in manchen Bereichen auch unerträglich. Ich möchte Ihnen folgenden Sachverhalt nahebringen, der bei uns ohne weiteres möglich ist: Zwei Männer leben über Jahrzehnte zusammen in dem Bewußtsein, daß sie zueinander gehören und immer füreinander einstehen wollen. Einer erkrankt an Aids; der andere übernimmt in vorbildlicher Weise Verantwortung und pflegt seinen Partner bis zum Tod. Der Partner war der Mieter der Wohnung. Die Folge des Vorgangs: Der Freund muß aus der Wohnung heraus. Und wer kommt in die Wohnung? Der Verstorbene hat kein Testament gemacht und deshalb wird ein entfernter Verwandter aus Argentinien Erbe. Er hat ein Recht auf die Wohnung, und zwar mit allen damit zusammenhängenden Rechten, auch dem des Mieterschutzes. Das kann ja wohl so nicht wahr sein! ({0}) Meine Damen und Herren, morgen wird der Deutsche Bundestag das Staatsangehörigkeitsrecht mit großer Mehrheit neu gestalten. Parteien der Regierungskoalition und der Opposition werden gemeinsam neues Recht schaffen, weil sie der Meinung sind, daß die Grundlagen unserer Gesellschaft mit möglichst großen Mehrheiten geschaffen werden sollten. ({1}) Auch die Frage des Zusammenlebens der Menschen in unserem Land gehört zu den gesellschaftlichen Grundlagen unseres Gemeinwesens. Ein Leben ohne Angst ist eine Voraussetzung für individuelle Freiheit. ({2}) Diskriminierung ist Auslöser vielfältiger Angst. Unser Gesetzentwurf soll dazu beitragen, in Zukunft Diskriminierung in einem wichtigen Teilbereich zu verhindern und ein Leben ohne Angst vor dem Verlust der Wohnung zu ermöglichen. ({3}) Ich fordere Sie daher alle auf, in den Beratungen im Ausschuß, aber auch in der gesellschaftlichen Diskussion zur weiteren Verbesserung unseres Gesetzentwurfes beizutragen und das Gesetz in Kürze gemeinsam zu beschließen. Worum geht es nun im einzelnen? Der Gesetzgeber hat im Jahr 1964 den § 569a in das BGB eingefügt. Dieser besagt, daß der überlebende Ehegatte, der nicht selbst Vertragspartner des Vermieters war, kraft Gesetzes an Stelle des verstorbenen Ehepartners in das Mietverhältnis eintritt. Die Regelung trug dem Umstand Rechnung, daß früher regelmäßig - heute allerdings auch noch sehr häufig - der Ehemann den Mietvertrag allein unterschrieben hat und die in den überwiegenden Fällen überlebende Ehefrau nach dem Tod des Mannes schutzlos wäre, obwohl die Ehewohnung für sie natürlich genau wie für den Ehemann Lebensmittelpunkt man könnte auch sagen: Heimat - geworden war. Zugleich wurde damals festgelegt, daß auch Familienangehörige in das Mietverhältnis eintreten, allerdings nur, wenn sie mit dem Verstorbenen einen gemeinsamen Hausstand geführt haben. Das Gesetz stellte also erstens auf die rechtliche Sonderbeziehung der Ehe, zweitens auf die Angehörigeneigenschaft und drittens auf die besondere Bedeutung der Wohnung als Lebensmittelpunkt für die Bewohner ab. Geschützt werden sollten Ehe und Familie, aber insbesondere die Menschen, die diese Wohnung gemeinsam mit dem Vertragspartner, also dem Mieter, bewohnt haben. Der Gesetzgeber entschied sich auch bei der Abwägung der Rechte des Vermieters, der über sein Eigentum verfügen können soll, und der Rechte der neben dem Mieter selbst in der Wohnung lebenden Menschen für die Mitbewohner, denen ein Umzug erspart werden sollte, aber eben nur dann, wenn es sich um Ehepartner oder überlebende Angehörige handelte. Seit Jahrzehnten beobachten wir nun eine gesellschaftliche Veränderung, die jetzt auch im Gesetz ihren Ausdruck finden soll. Es ist auf der einen Seite nicht mehr selbstverständlich, daß Menschen, die sich lieben, auch heiraten. Auf der anderen Seite bilden Menschen auch ohne eine Liebesbeziehung oft einen gemeinsamen Hausstand, weil sie nicht allein leben wollen. Ich denke hier zum Beispiel an die immer häufiger werdenden Seniorengemeinschaften und an die vielen Witwen, aber auch an die große Zahl der Alleinlebenden, die im Alter nicht in ein Altenheim gehen wollen, aber auch nicht mehr allein leben können, weil sie auf die Hilfe einer anderen Person angewiesen sind. Solche Gemeinschaften von Menschen, die sicherlich unterschiedlich stark Verantwortung füreinander übernehmen wollen, sollen und dürfen in Zukunft nicht mehr das Recht auf die Wohnung verlieren, wenn der Partner oder die Partnerin verstirbt, der oder die den Mietvertrag abgeschlossen hat. ({4}) Der Bundesgerichtshof hat das geltende Recht schon bisher so ausgelegt, daß er ein Recht des überlebenden Partners einer heterosexuellen Lebensgemeinschaft auf Übernahme der gemeinsamen Wohnung angenommen hat. Aus unerfindlichen Gründen hat der Bundesgerichtshof dieses Recht homosexuellen Lebensgemeinschaften bisher nicht zugestanden. Für uns Liberale kommt eine solche Differenzierung nicht in Frage. ({5}) Warum sollte ein verschiedengeschlechtliches unverheiratetes Paar bessergestellt sein als ein Paar desselben Geschlechts? - Der Bundesgerichtshof hätte sogar verständlicher entschieden, wenn er einer gleichgeschlechtlichen Lebensgemeinschaft das Übernahmerecht eingeräumt hätte, während er es Unverheirateten verschiedenen Geschlechts verweigert hätte; denn letztere können heiraten und konnten auf diese Weise schon bisher das Recht auf Übernahme der gemeinsamen Wohnung erlangen, was das Bundesverfassungsgericht homosexuellen Lebensgemeinschaften bisher verweigert. Wir wollen aber nicht nur auf die Rechtsprechung schauen. Wir wollen in das Gesetz hineinschreiben, wer welche Rechte hat. Wir wollen auch hineinschreiben, daß für uns die sexuelle Orientierung überhaupt kein geeignetes Kriterium ist. Wir stellen darauf ab, daß zwei oder mehr Menschen, die einen gemeinsamen Hausstand haben, in ihrer Wohnung ihren Lebensmittelpunkt eingerichtet haben, der auch dann Lebensmittelpunkt bleiben soll, wenn ein Partner verstirbt. ({6}) Hildebrecht Braun ({7}) Wir sind uns dessen bewußt, daß mit einer solchen Regelung der Kreis der Übernahmeberechtigten vergrößert wird, was nicht ohne weiteres den Beifall der Vermieter finden wird. Aber ich möchte bereits hier ankündigen, daß wir in naher Zukunft einen Entwurf zur Reform des Mietrechts in das Gesetzgebungsverfahren einbringen werden. In einem Teil dieses Gesetzentwurfes werden wir eine weitere Interpretation des geltenden Rechts als durch den BGH vornehmen. Der BGH hat, wie ich vorhin schon ausführte, auch den Erben, die nicht mit dem Mieter einen gemeinsamen Hausstand hatten, sondern möglicherweise im fernen Ausland leben, das Recht auf Eintritt in einen bestehenden Mietvertrag eingeräumt. Die Ausweitung des Kreises derjenigen, die berechtigt sind, einen Mietvertrag zu übernehmen, halten wir Liberale für falsch. Wir werden daher eine Klarstellung im Gesetz beantragen, mit der jedem deutlich gemacht werden soll, daß das Erbrecht nicht auch das Mietverhältnis, in dem ja eine sehr personengebundene Komponente enthalten ist, mit allen Rechten umfaßt. Der BGH hat in seiner Auslegung des geltenden Rechts dem Erbrecht gar eine größere Bedeutung beigemessen als dem Recht, das einem Angehörigen eines Hausstandes aus dem tatsächlichen gemeinsamen Leben in einer bestimmten Wohnung zuwächst. Auch die Bund-Länder-Arbeitsgruppe, die bekanntlich von der SPD dominiert war, hat bereits 1996 einen § 575d vorgesehen, der für die Kündigung des Mietverhältnisses gegenüber dem nicht in Wohngemeinschaft lebenden Erben kein berechtigtes Interesse mehr erforderte. Dies bedeutet, anders ausgedrückt, daß die Mehrheit dieser Arbeitsgruppe damals der Meinung war, daß das Erbrecht nicht in der Weise zum Tragen kommen darf, wie es der Bundesgerichtshof ausgelegt hat. Kurz: Wir werden für ein modernes Mietrecht sorgen, das nicht diskriminiert, sondern alle Menschen in einem Kernbereich ihres Lebens schützt, nämlich in ihrem engsten Lebensbereich, in ihrer eigenen Wohnung. Vielen Dank. ({8})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Das Wort hat die Kollegin Gabriele Iwersen, SPD-Fraktion.

Gabriele Iwersen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000998, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Stadtgesellschaft droht zu vereinsamen. Das ist kein Geheimnis; denn die Tendenz zu immer mehr Einpersonenhaushalten hält leider ungebrochen an. In den größten Städten Deutschlands leben inzwischen schon 50 Prozent, in einigen sogar über 50 Prozent der Einwohner alleine. Besonders im Alter führt das zur Isolation und zur Abhängigkeit von öffentlichen und privatwirtschaftlich organisierten Hilfeangeboten, weil die Möglichkeit zur gegenseitigen Hilfeleistung, wie sie in Familien selbstverständlich ist, entfällt. Diese Entwicklung führt außerdem zu einer nicht zu verantwortenden Fehlbelegung großer Wohnungen, und die wiederum führt maßgeblich zum explosionsartigen Wachstum der Städte, selbst bei gleichbleibenden Einwohnerzahlen. Wir Sozialdemokraten haben deshalb großes Interesse an der Gründung von Lebensgemeinschaften, die nicht nur gemeinsam haushalten, sondern auch gegenseitige Beistandspflichten übernehmen. Dadurch wird einerseits der verfügbare Wohnungsbestand besser genutzt, andererseits der Tendenz zu immer mehr Einpersonenhaushalten und der fortschreitenden Vereinsamung insbesondere im Alter entgegengewirkt. Aus Sicht der Wohnungspolitiker ist es positiv zu bewerten, daß sich mehr und mehr Abgeordnete des Deutschen Bundestages dafür einsetzen, nichtehelichen Lebensgemeinschaften unabhängig davon, ob sie wegen sexueller Orientierung oder aus völlig anderen Gründen geschlossen worden sind, Rechtssicherheit auch über den Tod eines Partners hinaus zu verschaffen. ({0}) Insofern sind wir F.D.P. und PDS dankbar dafür, daß sie durch ihre Gesetzentwürfe den Anstoß zu dieser Debatte geben. Vielen Dank! ({1}) Der Aufschrei der Ehe- und Familienschützer - da muß ich mich wohl mehr an die Mitte dieses Hauses richten - ist vorprogrammiert, beruht aber mit Sicherheit auf der Fehlannahme, Ehe und Familie könnten sich nur dann des wirkungsvollen Schutzes der staatlichen Ordnung erfreuen, wenn dieser Schutz anderen vorenthalten wird. Es macht mir übrigens Freude, zu beobachten, wie sich die F.D.P. Monat für Monat von den Fesseln der sozialliberalen Koalition erholt. 16 Jahre sind schließlich eine lange Zeit. ({2}) - Konservativliberale Koalition, die für Sie vermutlich eine dauerhafte Verpflichtung zur Enthaltsamkeit gewesen ist. In der Sache sind wir uns also mit den Antragstellern weitgehend einig. Auf Dauer angelegte Lebensgemeinschaften schaffen sich ein gemeinsames Wohnmilieu, welches für den Hinterbliebenen genauso wertvoll und unverzichtbar ist wie für einen Verwitweten. Wenn wir Ihrem Schnellschuß heute trotzdem keine Zustimmung signalisieren - die Beratungen liegen aber noch vor uns -, liegt das an dem von Ihnen, der F.D.P., erkannten umfangreichen Regelungsbedarf zum Thema Lebenspartnerschaften. Denn eine Mietrechtsreform muß eine Reihe von antiquierten Regelungen ersetzen, soll einerseits zu einer Mietrechtsvereinfachung führen - da sind wir uns sicherlich einig - und andererseits Mietern und Vermietern gerecht werden. Eine entsprechende Bund-Länder-Arbeitsgruppe - Herr Braun, Sie haben sie schon erwähnt - war bereits tätig und hat 1996 ein Ergebnis vorgelegt. Dies hätten Sie in der alten Koalition bereits 1997 umsetzen können, wenn das ErHildebrecht Braun ({3}) gebnis akzeptabel gewesen wäre und Sie als F.D.P. sich hätten durchsetzen können. Dafür, daß das nicht geschah, mag es unterschiedliche Gründe geben. Ich beschreibe einmal den heutzutage gültigen Rechtsanspruch des Vermieters. Er kann sich in der Regel seine Mieter aussuchen. Dieses Recht wird nur durch das Menschenrecht „Anspruch auf Ehe und Familie“ eingeschränkt. Das heißt, wenn ihm, dem Vermieter, der neu hinzukommende Ehepartner nicht gefällt, dann kann er trotzdem nicht kündigen. Anders ist es beim Einzug eines Bekannten oder eines Freundes. Dessen Mitbenutzung läßt sich über ein Untermietverhältnis regeln. Aber in diesem Fall hat der Vermieter wieder ein Mitspracherecht; er kann nämlich einfach nein sagen. Wenn ein Schutzanspruch für auf Dauer angelegte Lebensgemeinschaften im Mietrecht bzw. im BGB geschaffen werden soll, dann brauchen wir vor allen Dingen eine rechtliche Absicherung dieser Lebensgemeinschaften, die vom Vermieter akzeptiert werden muß, so wie er es auch bei der Ehe muß. ({4}) Über eine auf Dauer angelegte Veränderung der Lebensumstände eines Mieters müßte - ({5}) - Jetzt besteht ein Unterschied; aber wenn man das ändern will, dann müßte man unter Umständen eine Form finden, die auch das ermöglicht. - Darum müßte auf jeden Fall - was ich Ihrem Gesetzentwurf nicht entnehmen konnte - der Vermieter darüber informiert werden, daß eine solche Lebensgemeinschaft gebildet worden ist, damit nicht nach dem Tod des Mieters der Hinterbliebene zu einer menschenunwürdigen nachträglichen Beweisführung gezwungen wird, daß die Lebensgemeinschaft wirklich auf Dauer angelegt gewesen ist. Wenn es Ihnen, meine Damen und Herren, natürlich auch von der PDS, wirklich um den Schutz nichtehelicher Lebensgemeinschaften geht, dann bedenken Sie: Eine Veränderung des Mietrechts für den Todesfall reicht nach meiner Ansicht sowieso nicht aus. Denken Sie bitte auch einmal an den Fall, daß durch die Kündigung des Mieters eine Lebensgemeinschaft verändert werden muß, weil zum Beispiel der Hauptmieter, so möchte ich ihn einmal nennen, in ein Pflegeheim gehen muß. Trotzdem besteht ein Interesse daran, diese Wohnung als einen letzten Hort des gemeinsamen Zuhauses zu erhalten. Auch das ist in Ihrem Gesetzentwurf nicht berücksichtigt; denn Sie sprechen immer nur vom Ende des Mietverhältnisses durch Tod, nicht aber vom Ende durch Kündigung. Man würde nämlich kündigen, wenn man ins Pflegeheim geht, und sich nicht einfach totstellen. Es fehlt also noch etwas. Es gibt auch noch den Fall der Wohngemeinschaften älterer Personen. Beispiel: Ein Witwer will nicht mehr allein in einer zu großen Wohnung wohnen und sucht sich zwei Bekannte, die mit ihm zusammen wohnen. Sie leben dort bis zum Tod des Mieters gemeinsam und in guten Verhältnissen. Das Mietverhältnis geht aber automatisch - auch Sie haben es schon erwähnt - auf den Erben des Verstorbenen und nicht auf die Mitbewohner über. Mieter - also der neue Mieter, der dazu durch Erbe geworden ist - und Vermieter haben das Recht, innerhalb der gesetzlichen Frist zu kündigen, während die Mitbewohner wiederum leer ausgehen. Es nützt ihnen überhaupt nichts, sich auf eine jahrelange gemeinsame Haushaltsführung zu berufen; das Erbrecht hat leider Vorrang. Auch für dieses Problem fehlt eine Lösung. Sie haben angekündigt, noch mehr vorzulegen; aber solange keine weiteren Vorlagen vorhanden sind, sind Ihre ganzen Pläne nur sehr dürftig. ({6}) An diesem Beispiel können Sie erkennen, daß die Reihenfolge Ihrer Bemühungen einfach falsch ist. Erst brauchen wir die Verbindlichkeit für die besondere Form der Lebens- oder Hausgemeinschaft, wie man es auch immer nennen will. Wenn das geschehen ist, kann man darauf Ansprüche im Mietrecht aufbauen. Sonst steht nämlich als erstes in jedem Mietvertrag, daß ein gemeinsamer Hausstand von nicht verwandten Personen ausgeschlossen wird. Wir wollen auf gar keinen Fall eine Mietrechtsänderung, die die betroffenen Lebensgemeinschaften, also in erster Linie gleichgeschlechtliche Paare und die Wohngemeinschaften älterer Menschen, vor neue Probleme stellt und ihre Chancen auf dem Wohnungsmarkt verschlechtert.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Braun?

Gabriele Iwersen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000998, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja, wenn Sie mir das noch gestatten.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Das gestatte ich noch. An sich ist Ihre Redezeit abgelaufen. Darauf haben Sie zu Recht hingewiesen. Aber ich gestatte Herrn Kollegen Braun eine Zwischenfrage.

Gabriele Iwersen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000998, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Bitte, Herr Braun.

Hildebrecht Braun (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002634, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Kollegin Iwersen, wollen Sie das Recht einer überlebenden Witwe - nehmen wir wieder dieses Beispiel -, die über Jahre hinweg mit einer anderen Witwe zusammenlebt, davon abhängig machen, daß wir ein Statut im Bundestag finden, das auch für eine solche Gemeinschaft zusammenlebender Personen geeignet wäre?

Gabriele Iwersen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000998, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich möchte Rechtssicherheit für die Lebensgemeinschaft, wenn der Anspruch gestellt wird, in das Mietrecht eintreten zu können. Sie müssen davon ausgehen, daß der Vermieter Nachfolgemieter, die er selber nie kennenlernt, über eine lange Reihe von Jahren nicht immer akzeptieren muß. Darum muß ihm entweder eine Form von Lebensgemeinschaft präsentiert werden, die er zu akzeptieren hat, oder er muß darauf einen Einfluß haben. Beides ist hier nicht vorhanden. Wir müssen - da werden Sie mir sicherlich auch recht geben - Rechtsansprüche und Vertrauensschutz für beide Parteien, die Mietpartei und die Vermieter, organisieren. Sonst funktioniert es nicht. Es geht hier nämlich nicht in erster Linie um eine moralische Frage, sondern es steht ein rechtliches Problem zur Diskussion. Es wundert mich schon, daß sich gerade die F.D.P. überhaupt nicht um die Belange der Vermieter, die in der Regel Hausbesitzer sind, kümmert. Das wäre eigentlich gerade ihre Aufgabe. ({0}) Ich bin auf die Beratungen gespannt und bin sicher, daß in der Zwischenzeit auch von uns ein Gesetzentwurf vorgelegt werden kann, durch den gerade diese Art der nichtehelichen Lebensgemeinschaften eine neue rechtliche Form erhalten wird. Dazu werden meine Nachredner noch Stellung nehmen. Schönen Dank. ({1})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Das Wort hat nun der Kollege Eckart von Klaeden, CDU/CSU-Fraktion.

Eckart Klaeden (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002698, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Nachdem wir uns in der Aktuellen Stunde gegenseitig alle Entsetzlichkeiten dieser Welt bescheinigt haben, sind wir nun wieder im trauten Kreis der Rechtspolitiker zusammen. Wir beschäftigen uns heute wieder einmal mit einem alten Bekannten, mit dem § 569 a des Bürgerlichen Gesetzbuches. Das einzige, was mich an diesem vertraulichen Curriculum im Vergleich zu denen, die wir in der letzten Legislaturperiode zu dem Thema abgehalten haben, stört, sind die geänderten Mehrheitsverhältnisse. Aber auch das mag sich vielleicht wieder geben. ({0}) - Ja, das habe ich mir gedacht, daß Sie das nicht stört. So ist das Empfinden dann doch bei aller Gemeinsamkeit unterschiedlich verteilt. Es wird Sie nicht wundern, daß wir mit Aufmerksamkeit und Verwunderung zur Kenntnis genommen haben, daß PDS und F.D.P. einen inhaltlich sehr ähnlichen Antrag eingebracht haben, wir ihm aber trotzdem in trauter Gemeinsamkeit mit der SPD nicht werden zustimmen können. Das hat unterschiedliche Gründe. Nachdem ich davon gesprochen habe, daß es sich bei dem § 569 a BGB um einen alten Bekannten handelt, will ich ein wenig auf seine Geschichte hinweisen - der Kollege Braun hat es auch schon getan -: Er geht auf § 19 des Mieterschutzgesetzes vom 1. Juni 1923 zurück. Er ist dann in den § 19 Abs. 1 und 2 des Mieterschutzgesetzes vom 15. Dezember 1942 eingegangen und entsprach damals schon im wesentlichen der heutigen Regelung. Er ist dann - darauf hat Kollege Braun richtig hingewiesen - 1964 so in das Bürgerliche Gesetzbuch aufgenommen und seitdem nicht mehr verändert worden. Der Repetitor, Herr Dr. Hitzemann, den ich an der Universität Göttingen zu besuchen die Freude hatte, hat die damaligen patriarchalischen Verhältnisse, die insbesondere im Mietrecht zum Ausdruck kommen und unter anderem zur Entwicklung des sogenannten Vertrags mit Schutzwirkung zugunsten Dritter geführt haben, besonders anschaulich geschildert. Es wäre wohl nicht ganz angebracht, das auch hier zu tun. Trotzdem ist doch der Hinweis wesentlich, daß damals - unter diesem Eindruck ist diese Vorschrift entstanden - die wesentlichen Außenbeziehungen der Familie vom Haushaltsvorstand geregelt wurden; das war in patriarchalischer Tradition der Mann oder Vater, der die Verträge unterschrieb, während die Frau, wie es immer wieder so schön hieß und glücklicherweise heute von uns belächelt wird, für Kinder, Küche, Kirche usw. zuständig war. Diese Verhältnisse haben sich glücklicherweise geändert. Ich glaube nicht, daß es auf Grund der jetzt geänderten gesellschaftlichen Verhältnisse angezeigt ist, diese damals berechtigte Schutzwirkung auf alle möglichen Gemeinschaftsverhältnisse auszudehnen, wie es der Vorschlag der F.D.P. vorsieht. Nun hat sich der BGH in der hier schon mehrfach zitierten Entscheidung dazu durchgerungen, diese Schutzfunktion auch auf eheähnliche Gemeinschaften auszudehnen. Ich will hier einmal die Definition des BGH zur eheähnlichen Gemeinschaft vortragen. Danach ist eine eheähnliche Gemeinschaft eine Lebensgemeinschaft zwischen Mann und Frau, die auf Dauer angelegt ist, daneben keine weitere Lebensgemeinschaft gleicher Art zuläßt und sich durch innere Bindungen auszeichnet, die ein gegenseitiges Einstehen der Partner füreinander begründen, also über die Beziehungen in einer reinen Haushalts- und Wirtschaftsgemeinschaft hinausgeht. Es heißt dort weiter: Gleichgeschlechtliche und ihrer Art nach nur vorübergehend angelegte Partnerschaften scheiden damit von vornherein aus. Nun ist damit aber keine Diskriminierung gleichgeschlechtlicher Lebensgemeinschaften gemeint gewesen; vielmehr hat der BGH einen wesentlichen Grund für die Ausdehnung dieser Schutzfunktion darin gesehen, daß insbesondere den Kindern, die aus eheähnlichen Gemeinschaften hervorgehen, eine besondere Schutzfunktion des Gesetzes zuteil werden soll. Es heißt dort wörtlich: Erst recht erscheint es nicht hinnehmbar, dem aus einer solchen - also einer eheähnlichen Partnerschaft hervorgegangenen gemeinsamen nichtehelichen Kind das Eintrittsrecht zu gewähren, dessen leiblichen überlebenden Elternteil aber ausGabriele Iwersen zuschließen und auf sein „Recht“ zu verweisen, als Familienangehöriger des Kindes in der Wohnung zu verbleiben. Ich glaube, mit diesem Hinweis hat der BGH zutreffend beschrieben, warum es sinnvoll ist, die Schutzfunktion in Analogie auf die hier definierte eheähnliche Gemeinschaft, aber nicht auf weitere Lebensgemeinschaften auszudehnen.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Westerwelle?

Eckart Klaeden (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002698, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja, gerne.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Bitte sehr.

Dr. Guido Westerwelle (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002944, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sie haben jetzt die Meinung des BGH vorgetragen. Als Juristen wissen wir, daß der BGH die Gesetze anwendet und an Hand der Gesetze, die wir hier beschließen, eine Rechtsprechung entwickelt. Die Meinung des BGH kennen alle, die hier sitzen. Wir wüßten nur gern Ihre Meinung; denn wie die Rechtsprechung des BGH ist, entscheiden ja auch wir. Deswegen ist meine Frage an Sie: Wie ist denn Ihre Meinung dazu? Ist es Ihrer persönlichen Auffassung nach wirklich zulässig, daß ein heterosexuelles nichteheliches Paar gegenseitige Rechte aus einem Mietvertrag herleiten kann, ein - selbstverständlich unverheiratetes - homosexuelles Paar dagegen nicht? Kann das Kind, das aus nichtehelichen heterosexuellen Beziehungen stammt, das einzige Kriterium sein, wo doch zahlreiche nichteheliche Lebensgemeinschaften geschützt werden, ohne daß sie Kinder hätten?

Eckart Klaeden (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002698, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Westerwelle, ich wäre zu diesem Punkt gleich gekommen. Ich halte das in der Tat für ein wesentliches Kriterium. - Sie können sich gerne setzen; denn ich bin mit ausreichend Redezeit ausgestattet, so daß ich diese Unterbrechung nicht benötige. Ich halte diese Differenzierung in der Tat für eine vernünftige Differenzierung; denn der BGH führt in seiner Entscheidung des weiteren aus, daß diese Ausweitung der Schutzfunktion die Dispositionsfreiheit des Vermieters seiner Ansicht nach nicht über Gebühr strapaziert. Im Gegensatz dazu würde die Dispositionsfreiheit des Vermieters meiner Meinung nach in einer nicht mehr vernünftigen Weise beschränkt, wenn wir die Schutzfunktion auf weitere Lebensgemeinschaften ausdehnen würden, insbesondere - wie Sie es vorgeschlagen haben - auf alle möglichen Lebensgemeinschaften. Ich bin nicht der Ansicht, daß das verfassungswidrig wäre. Aber ich bin durchaus der Meinung, daß es da Probleme gibt. Ich will dazu nur auf die Verfassungsgerichtsentscheidung hinweisen, die in der „NJW“ 1990, Heft 25, abgedruckt ist und in der es heißt: Der Eigentümer darf auch nicht verpflichtet werden, sämtliche Mitbewohner des jeweiligen Mieters als Nachfolger zu akzeptieren, ohne auf die Person des Vertragspartners noch in irgendeiner Weise Einfluß nehmen zu können. Ich glaube nicht, daß dieser Zustand bei Umsetzung Ihres Vorschlages letztendlich erreicht würde. Meiner Meinung nach aber würde dadurch in der Austarierung von sinnvoller Schutzfunktion auf der einen Seite und Vertragsfreiheit auf der anderen Seite der Ausschlag zu sehr zuungunsten der Vertragsfreiheit gehen; denn zur Vertragsfreiheit gehört nicht nur, daß die Vertragspartner gemeinsam den Vertragsgegenstand bestimmen können, sondern man muß sich seine Vertragspartner auch aussuchen können. Aus vernünftigen Gründen ist das im Mietrecht - wie wir das auch bei der Regelung des § 569 a BGB feststellen können - zum Teil eingeschränkt. Aber ich meine, daß es einer weiteren gesetzlichen Regelung hierzu jedenfalls nicht bedarf. Ich will mit einem Zitat schließen und deutlich machen, warum wir an einer derartigen Regelung nicht interessiert sind, gleichwohl aber der Ansicht sind, daß Lebensgemeinschaften, in denen gegenseitig Verantwortung übernommen wird, natürlich zu begrüßen sind.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Lassen Sie noch eine Zwischenfrage zu?

Eckart Klaeden (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002698, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Bitte, wenn Herr Braun noch eine Frage stellen möchte.

Hildebrecht Braun (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002634, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr von Klaeden, bevor Sie zum Schluß kommen, möchte ich Sie noch fragen: Können Sie sich erklären, warum Ihre Vertreter in der alten Koalitionsarbeitsgruppe „Mietrecht“, die ja in der letzten Legislaturperiode sehr intensiv das gesamte Mietrecht diskutiert hat, in diesem Punkt in Übereinstimmung mit der F.D.P. genau die vorgeschlagene Formulierung für richtig erkannt haben? ({0}) Wenn zwei alte Menschen gleichen Geschlechts zusammenwohnen, weil sie beide gebrechlich sind und einander helfen wollen, dann erhält der Überlebende dieser Gemeinschaft keinen Schutz. Wären sie verschiedenen Geschlechts, würden sie von der Rechtsprechung des BGH geschützt werden, auch wenn sie keine Ehe führen. Können Sie mir erklären, worin der Unterschied liegen soll?

Eckart Klaeden (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002698, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Braun, ich bin wie Sie der Ansicht - Sie haben es ja in Ihrer Rede ausgeführt -, daß die sexuelle Orientierung mit der Frage des Bestehens oder Nichtbestehens eines Mietverhältnisses überhaupt nichts zu tun hat. In diesem Punkt sind wir völlig einer Meinung. Ihre Anmerkung führt mich aber dazu, zu sagen, daß man Kritik an der analogen Anwendung des § 569a BGB auf eheähnliche Gemeinschaften durch den BGH üben kann. Ich glaube nicht, daß man weitere Analogien auf andere Lebensverhältnisse übertragen sollte. ({0}) In der Analyse stimmen wir überein. Ich bin aber nicht der Meinung, daß das Aufstellen weiterer Analogien notwendig ist. Andere Kollegen - ich erinnere in diesem Zusammenhang insbesondere an den von uns allen geschätzten Kollegen Dr. Dietrich Mahlo - haben in ihren Reden im Plenum immer wieder deutlich gemacht, daß sie einer Veränderung des § 569 a BGB, so wie sie jetzt von beiden Flügeln des Hauses gemeinsam vorgeschlagen wurde, nicht zustimmen können. Ich will zum Schluß sagen, daß es für den Schutz dieser Lebensgemeinschaften überhaupt keine Rolle spielt, ob es sich um hetero- oder homosexuelle Lebensgemeinschaften, um die von Ihnen angesprochene Seniorenwohngemeinschaft oder um eine andere Form des Zusammenlebens handelt, in der man Verantwortung füreinander übernimmt. Ich begrüße es, daß es diese Lebensgemeinschaften gibt. Man sollte sie soweit wie möglich schützen und unterstützen. ({1}) Ich bin aber der Meinung, daß die Einschränkung der Vertragsfreiheit - dies habe ich bereits erläutert - hier nicht nötig ist. Ich bin ferner der Meinung, daß es einen entsprechenden sozialen Handlungsbedarf nicht gibt. Ich will mit einem Zitat des Kollegen Jürgen Sonnenschein enden: Zu bedenken ist auch, daß die rechtlich einfachste Lösung immer noch die klarste ist. Beziehen die Partner einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft die Wohnung gemeinsam, können sie den Mietvertrag als Mitmieter abschließen. Kommt der Partner erst später hinzu, sollte er im Einvernehmen mit dem Vermieter schon zu Lebzeiten des Mieters in das Mietverhältnis einbezogen oder von diesem zum Erben eingesetzt werden. Die Möglichkeit der Einbeziehung des Partners ist also schon gegeben, so daß das Mietrecht nicht weiter reguliert oder verkompliziert werden muß. Die Vertragsfreiheit sollte man - ich hatte eine ähnliche Haltung bei den Liberalen angenommen -, bei aller Regulierung, die es in diesem Staate ohnehin schon gibt, soweit wie möglich schützen. Deswegen bringt nach meiner Ansicht die Ausweitung des § 569a BGB im Ergebnis nichts, sondern führt nur zu weiteren Schwierigkeiten und zu weiteren Komplikationen. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({2})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Nun erteile ich das Wort dem Kollegen Volker Beck, Bündnis 90/Die Grünen.

Volker Beck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002625, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Meine Damen und Herren! Im Grunde sind wir uns einig: Niemand darf wegen seiner sexuellen Orientierung diskriminiert oder benachteiligt werden. Wir arbeiten an einer Änderung des Mietrechts. Wir werden durch diese Änderung insbesondere auch die Benachteiligung gleichgeschlechtlicher Partner, die mit dem Mieter einen auf Dauer angelegten gemeinsamen Haushalt geführt haben und die nach dessen Tod in das Mietverhältnis eintreten wollen, beseitigen. Ich meine, daß wir auf diese Weise insgesamt eine sachgerechte Weiterentwicklung unseres Mietrechts erreichen. ({0}) - Das verdient eigentlich auch den Beifall der F.D.P.; das war nämlich der Wortlaut der Rede, die der damalige Parlamentarische Staatssekretär Rainer Funke am 26. Juni 1997 hier im Hause gehalten hat. ({1}) Ich dachte mir, wenn Sie von der F.D.P. unseren grünen Gesetzentwurf aus der vergangenen Wahlperiode Wort für Wort abschreiben, kann ich spaßeshalber Ihre damaligen Reden zum § 569 a BGB halten. In puncto geistiges Eigentum sind Sie heute offensichtlich nicht an Art. 14 GG gebunden gewesen. Sie hätten wenigstens einmal darauf verweisen können, woher Sie den Text haben. ({2}) Aber Spaß beiseite; es geht heute wirklich um ein ernstes Thema. Es gibt allerdings einen riesigen Unterschied zwischen Ihnen, meine Damen und Herren von der F.D.P., und uns: Ihre damals groß angekündigte Mietrechtsreform ist nie Wirklichkeit geworden, sondern ins Nirwana gebrochener Versprechen entschwunden. Unsere Koalition dagegen macht mit der umfassenden Mietrechtsreform ernst und wird in diesem Jahr Entsprechendes vorlegen. Darin werden wir auch die Sonderrechtsnachfolge im Todesfall neu regeln. Wir werden aber darüber hinausgehen. Wir wollen die Gleichstellung auch in weiteren Bereichen verwirklichen, in denen das geltende Mietrecht darauf abstellt, ob zum Hausstand des Mieters gehörende Personen oder Familienangehörige vorhanden sind. Kurzum, wir wollen das gründlicher machen. Wir haben jetzt die Kapazitäten und die Unterstützung des Bundesjustizministeriums. Die werden wir politisch nutzen. Damit kommen wir in einer kooperativen Atmosphäre ein gutes Stück voran. Es ist auch für die Menschen draußen im Lande das Beste, wenn wir hier eine umfassende Reform anpacken. ({3}) Das Mietrecht ist aber nur ein kleiner Ausschnitt dieses Themas. Es geht um eine ganze Reihe von anderen Problemen. Wenn Sie, Herr von Klaeden, hier zum Ausdruck bringen, daß Sie die Mietrechtslösung nicht wollten, zugleich aber davon sprechen, daß Sie auf Dauer angelegte gleichgeschlechtliche Lebensgemeinschaften schützen wollen, ({4}) dann möchte ich einmal Ihr rechtspolitisches Konzept kennenlernen. Damit, daß Sie sagen, Sie fänden gleichgeschlechtliche Lebensgemeinschaften okay und wollten sie auch irgendwie schützen, ist diesen Menschen nicht geholfen. Sie wollen von uns ganz konkrete Regelungen. Dazu ist die Politik, dazu sind wir als Gesetzgeber verpflichtet. ({5}) Daß Sie hier den BGH verteidigt haben, kritisiere ich; denn der Duktus der Begründung dieses Urteils war ein ausdrücklich diskriminierender. Der Satz, der zum Ausschluß der Homosexuellen führt, besagte: Das gilt nicht für homosexuelle und andere nicht auf Dauer angelegte Lebensgemeinschaften. ({6}) Das spricht homosexuellen Menschen grundsätzlich die Fähigkeit zu auf Dauer angelegten Lebensgemeinschaften ab, und das ist eine Ungeheuerlichkeit, die man auch bei einem obersten Gericht zurückweisen muß. ({7}) Es ist ein gutes Zeichen - das darf man bei einer solchen Debatte auch einmal feststellen -, daß an einem Tag wie dem heutigen zwei Drittel des Hauses - so gut ist die CDU/CSU heute nicht besetzt; deshalb sind es sogar mehr - dafür sind, etwas für die Rechte von homosexuellen Paaren und auch von anderen Lebensformen zu tun. Vor 10 oder 15 Jahren wäre bei dieser Frage ein solches Mehrheitsverhältnis nicht möglich gewesen. Das zeigt, daß die Gesellschaft auch hier vorangeschritten ist. Wir stellen das mit Befriedigung fest. ({8}) Herr von Klaeden, Konservative beklagen - manchmal durchaus mit unserer Unterstützung -, daß es in der Gesellschaft zunehmend an Mitmenschlichkeit fehle, daß der Egoismus zunehme, daß Vereinzelungstendenzen dazu führten, daß Menschen vereinsamen und Solidaritätsstrukturen in der Gesellschaft zusammenbrechen, und daß nach dem Staat gerufen werde, weil es in der Gesellschaft an entsprechenden Kräften fehle. Wenn wir dies aber beklagen, dann dürfen wir nicht da wegschauen, wo Mitmenschlichkeit vorhanden ist, wo Verantwortung von Menschen füreinander auf Dauer übernommen wird und wo Menschen über Jahre und Jahrzehnte füreinander einstehen. Dann dürfen wir uns als Gesetzgeber nicht nach einer gesellschaftspolitischen Fiktion richten, sondern müssen uns hier an den Realitäten ausrichten. Das heißt, wir brauchen die Anerkennung auch gleichgeschlechtlicher Lebensgemeinschaften im Familienrecht. Diese Koalition hat sich diesen Punkt, die eingetragene Lebenspartnerschaft, als eines ihrer Reformprojekte auf die Fahnen geschrieben. Ich lade alle Oppositionsfraktionen ausdrücklich ein, sich an dem gesellschaftspolitischen Prozeß wie an der Gesetzgebung aktiv und konstruktiv zu beteiligen, weil wir eine gute Lösung für die Menschen erreichen wollen. Ich will Ihnen ein paar Sachen nennen, um die es da geht. Da geht es nicht um Petitessen und auch nicht um Symbolik, sondern um brennende Probleme von Menschen, die zusammen leben wollen, die dafür aber keinen rechtlichen Rahmen haben, weil das privatrechtlich vertraglich nicht zu regeln ist. Da werden Partner, die zum Beispiel zum Studieren aus den USA hierher gekommen sind und sich hier an der Universität verlieben - so etwas kommt ja vor, und zwar nicht nur bei Heterosexuellen, sondern auch bei Homosexuellen - und die nach Ende des Studiums ihr gemeinsam aufgebautes Leben fortsetzen wollen, des Landes verwiesen. Sie erhalten hier weder Aufenthaltstitel noch Arbeitsgenehmigung, weil die gleichgeschlechtliche Lebensgemeinschaft nicht den Schutz des Rechtes verlangen kann. Hier werden Leben und Liebe von Menschen zerstört. Ich finde, dazu hat der Gesetzgeber kein Recht. Er darf da nicht wegschauen. ({9}) Es gibt Leute, die in Mietwohnungen wohnen. Andere wohnen in Eigentumswohnungen und haben sich diese im Laufe des Lebens gemeinsam erspart, erarbeitet, haben sie schuldenfrei gekriegt. Dann verstirbt einer der beiden Partner; das kommt auf Grund von Aids bei jungen Männern und Männern mittleren Alters häufiger vor. Der Überlebende ist dann trotz Testaments vor die Situation gestellt, daß ein Teil der Wohnung auf Grund der Pflichtteilsansprüche auf einmal der „buckligen“ Verwandtschaft gehört und ein anderer Teil dem Finanzminister - wie auch immer er dann heißen mag -, ({10}) weil weder ein Freibetrag bei der Erbschaftsteuer über 10 000 DM hinaus gewährt wird noch bei den Steuersätzen darauf Rücksicht genommen wird, welche enge Beziehung das war und daß die Partner ihr Leben auch ökonomisch gemeinsam geplant und gemeinsam auf die Schiene gesetzt haben. Hier müssen die Menschen unter Umständen den Auszug aus der Wohnung und zusätzlich den Verlust des Partners verkraften. Das ist eine unnötige Grausamkeit, die der Gesetzgeber mit einem Federstrich beseitigen kann. Deshalb brauchen wir ein solches Gesetz zur eingetragenen Lebenspartnerschaft. Ein weiteres Beispiel: Berlin-Umzug. Eine Frau in einer lesbischen Partnerschaft arbeitet in der Bundestagsverwaltung. Ihre Freundin ist an einem Lehrstuhl der Bonner Universität beschäftigt. Die Kollegin aus der Bundestagsverwaltung zieht nach Berlin. Ihre Freundin Volker Beck ({11}) möchte nach einer Weile nachziehen, weil sie beide das Pendeln auf Dauer satt haben. - Das ist nur zu verständlich; das ist kein Zustand auf Dauer. - Sie bekommt aber drei Monate lang kein Arbeitslosengeld, weil es kein rechtfertigender Grund ist, eine Stelle aufzugeben, um dem gleichgeschlechtlichen Partner hinterherzuziehen, weil diese Lebensgemeinschaft keine Anerkennung des Rechtes genießt. Auch das ist eine nicht zu rechtfertigende Schikane, die wir dringend abstellen müssen. ({12}) Wir müssen klarmachen: Homosexuelle Menschen sind Bürgerinnen und Bürger wie alle anderen auch: mit gleichen Rechten, mit gleichen Pflichten. Sie sind Steuerzahler und Steuerzahlerinnen. Sie sind Wähler und Wählerinnen. Sie haben deshalb auch den Anspruch, daß wir als Gesetzgeber uns hier aufmachen. Wir sollten würdigen, wenn Verantwortung füreinander übernommen wird. Wir sollten uns gegenüber neuen Familienformen öffnen und uns an den Realitäten und nicht an den Ideologien der 50er Jahre oder des 19. Jahrhunderts orientieren. Der Schutz von Ehe und Familie besteht darin, daß wir insbesondere das Zusammenleben mit Kindern fördern: Familie ist, wo Kinder sind. ({13}) Sie haben bei der Familienförderung jahrelang nicht auf die Kinderförderung geachtet. Der Schutz von Ehe und Familie besteht für Sie darin, daß alles, was nicht Ihren Vorstellungen von Zusammenleben entspricht, rechtlich benachteiligt, gesellschaftlich unterdrückt wird. ({14}) Da hat Ihnen das Bundesverfassungsgericht vor einigen Wochen mit Recht eine klare Absage ins Stammbuch geschrieben. Ich denke, Sie sollten sich jetzt für die rechtliche Anerkennung anderer und neuer Lebensformen öffnen. Das Recht muß sich an der Realität orientieren. Jede Liebe verdient Respekt. ({15})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Als nächste Rednerin hat das Wort die Kollegin Christina Schenk von der PDS-Fraktion. ({0})

Christina Schenk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001957, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nach geltendem Recht haben nur Ehegatten oder andere Familienangehörige beim Todesfall der Mieterin oder des Mieters das Recht, den Mietvertrag für die gemeinsam bewohnte Wohnung fortzusetzen. Das bedeutet Rechtsunsicherheit, und zwar nicht nur für nicht verheiratete Paare mit gemeinsamem Haushalt, sondern für alle, die aus den verschiedensten Gründen in einer Wohngemeinschaft zusammenleben. Beim Tod des Mieters oder der Mieterin haben sie keinen gesetzlichen Anspruch auf Fortsetzung des Mietvertrages. Der Bundesgerichtshof - das ist hier schon öfter gesagt worden - hat diese Situation in seiner Rechtsprechung ein wenig verbessert. Seit 1993 gilt der Mietschutz von Ehegatten und Familienangehörigen nach § 569 BGB auch für heterosexuelle Lebensgemeinschaften. Homosexuelle Paare hingegen hat der Bundesgerichtshof von einer solchen Regelung ausdrücklich ausgenommen. Wir meinen, daß eine solche Unterscheidung nicht akzeptabel ist. ({0}) Es gibt überhaupt keinen Grund, homosexuelle Lebensgemeinschaften gegenüber heterosexuellen Paaren zu benachteiligen. Die notwendige Änderung in § 569 des Bürgerlichen Gesetzbuches scheiterte bislang jedoch an der CDU/CSU, die sich in dieser Frage jeglichem Fortschritt verweigert hat. Die Konservativen malen die Zerstörung von Ehe und Familie oder gar den Untergang des Abendlandes schlechthin an die Wand, wenn es auch nur um ganz kleine Schritte in Richtung Gleichstellung aller Lebensweisen geht. ({1}) Die Diskussion um den Familienbegriff im Koalitionsvertrag hat das wieder auf sehr erschreckende Weise deutlich werden lassen. Die PDS hat hier einen Gesetzentwurf vorgelegt, der den Rechtsanspruch auf Übernahme einer Wohnung nach dem Tod des Mieters allen zuerkennt, die in einem Haushalt zusammenleben, und das unabhängig davon, aus welchen Gründen sie dies tun. Es kommt nicht darauf an - jedenfalls für uns nicht -, ob es sich um eine Zweckgemeinschaft zur Verringerung der individuellen Mietbelastung, um eine Lebensgemeinschaft, um eine Pflege- oder Betreuungssituation oder um eine Wohngemeinschaft von Seniorinnen und Senioren handelt oder ob vielleicht versuchte Erbschleicherei der Grund des Zusammenlebens war. Der Gesetzgeber tut gut daran, nicht über die persönlichen Motive des Zusammenlebens zu urteilen, sondern sie zu respektieren. Genau das fordert der von uns eingebrachte Gesetzentwurf. ({2}) Es freut mich, daß die F.D.P. unmittelbar nach uns einen Entwurf vorgelegt hat, der einen ähnlichen Grundansatz verfolgt. Allerdings - das möchte ich hier doch deutlich machen - verlangen Sie von der hinterbliebenen Person den Nachweis, daß die Haushaltsgemeinschaft auf Dauer angelegt war. ({3}) Volker Beck ({4}) Dieser Begriff ist, bislang zumindest, nicht klar definiert und eröffnet einen großen Interpretationsspielraum für Vermieter und Gerichte. Wir meinen, dieser Interpretationsspielraum sollte unbedingt vermieden werden, denn Rechtssicherheit entsteht dadurch nicht. Zum Abschluß möchte ich noch eine grundsätzliche Bemerkung machen. Wer wirklich Diskriminierungen und sachwidrige Ungleichbehandlungen beenden will, kommt nicht weit, wenn er sich auf ausgewählte Gruppen, zum Beispiel Lesben und Schwule, beschränkt. Eine Salamitaktik, die zwar die Diskriminierung für lesbische und schwule eheähnliche Gemeinschaften beendet, sie aber für andere Gruppen bestehenläßt, setzt die Diskriminierung fort, wenn auch in veränderter Weise. Es geht also nicht um Minderheitenpolitik, sondern um die Anerkennung der Vielfalt der Formen des Zusammenlebens, um die Umsetzung des Grundsatzes „Gleiches Recht für alle“. ({5}) Heute dominiert nicht mehr ein einziges Lebensmodell, sondern es existiert eine große und zunehmende Vielfalt ganz verschiedener Lebensformen. Wir meinen, dem Gesetzgeber steht es nicht zu, ungerechtfertigte Unterschiede zwischen selbstgewählten Formen des Zusammenlebens zwischen Erwachsenen zu machen. Das gilt nicht nur im Mietrecht, sondern auch in den anderen Rechtsbereichen, für die gegenwärtig der Reformbedarf - Herr Beck hat das eben kurz skizziert, allerdings leider ausschließlich in bezug auf Lesben und Schwule - diskutiert wird, zum Beispiel im Angehörigenrecht oder im Erb- und im Strafrecht. Lassen Sie uns endlich einen Weg finden, die rechtlichen Rahmenbedingungen so zu gestalten, daß keine Lebensform gegenüber anderen privilegiert oder diskriminiert wird. Im Mietrecht könnte der von der PDS vorgelegte Gesetzentwurf dafür ein Anfang sein. Danke schön. ({6})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Als nächste Rednerin hat das Wort die Kollegin von Renesse von der SPD-Fraktion.

Margot Renesse (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001820, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich kann nur sagen: Die F.D.P. verblüfft einen mehr und mehr. Sie haben 16 Jahre lang das Bundesjustizministerium geführt. ({0}) - Ich spreche gar nicht davon, daß Sie lange Zeit geflötet haben und nicht gepfiffen und daß Sie jetzt erwarten, daß wir tanzen, wenn Sie pfeifen. Das wird nicht passieren. ({1}) Vor allem als Juristin interessiert mich: Welche juristische Qualität hat der Gesetzentwurf der F.D.P.? Mit Recht hat Frau Schenk darauf hingewiesen, daß sich die Klärung der Frage, was ein auf Dauer angelegter Hausstand ist, vielleicht für einen After-Dinner-Talk bei Rotary eignet, aber nicht für das BGB. Ich kenne im BGB die „unbestimmte Dauer“. Ich kenne im BGB die „lange Dauer“. Ich kenne im BGB die „kurze Dauer“. Aber die Formulierung „auf Dauer“ eignet sich nur für Gespräche unter Freunden. Jeder weiß dann, was gemeint ist.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Frau Kollegin von Renesse, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Westerwelle?

Margot Renesse (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001820, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Westerwelle versteht etwas davon, deswegen immer. Erklären Sie es mir.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Bitte schön, Herr Westerwelle.

Dr. Guido Westerwelle (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002944, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Zum ersten: Ihre letzte Bemerkung trifft zu. Zum zweiten - ich muß eine Frage formulieren -: Ist Ihnen bekannt, daß die Formulierung „auf Dauer angelegt“ die wörtliche Übernahme der entsprechenden Formulierung des Bundesverfassungsgerichtes im Hinblick auf die Definition der nichtehelichen Lebensgemeinschaft ist, die vom Bundesverfassungsgericht bislang bedauerlicherweise ausschließlich auf verschiedengeschlechtliche Lebensgemeinschaften bezogen wurde?

Margot Renesse (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001820, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Verehrter Herr Westerwelle, wenn das Bundesverfassungsgericht ein Urteil begründet, dann haben wir es - übrigens auch beim BGH - mit einem anderen Text zu tun, als das im Rahmen eines Gesetzes der Fall ist. ({0}) Ein Gesetz muß gerichtsfest sein. Ich muß im Bestreitensfall einen gemeinsamen Hausstand im Ergebnis auch nachweisen können. In der Begründung Ihres Gesetzentwurfes hört es sich ein wenig so an, als wollten Sie darauf abstellen, daß schon eine gewisse Dauer der Hausgemeinschaft bestanden haben soll. Erklären Sie bitte, welche, und überlassen Sie die diesbezügliche Konkretisierung nicht der Arbeit des Rechtsausschusses. ({1}) Eine Legaldefinition will ich auch für den gemeinsamen Hausstand haben. Was meinen Sie, welche Schwierigkeiten man als Familienrichter hat, im Bestreitensfall festzustellen, ob Menschen im gemeinsamen Haus getrennt leben? Wie ist das bei einer WG, in der man die gemeinsame Küche benutzt und von Zeit zu Zeit die Vorräte auffüllt? Ist das dann ein gemeinsamer Hausstand? Was soll denn angesichts dieser Ungenauigkeiten bei den Gerichten herauskommen? Verehrter Herr Funke, als ehemaliger Parlamentarischer Staatssekretär im Justizministerium müßten Sie eigentlich wissen, daß man im feinziselierten Garten des BGB nicht mit der Schubkarre ein paar Kieselsteine abladen kann, sondern daß eine Regelung in den übrigen Bereich hineinpassen muß. ({2}) Mit Recht hat die Kollegin Iwersen darauf hingewiesen, daß Sie immer in der Gefahr sind, alles zu Tode zu schützen, was Sie vorgeben, schützen zu wollen. Die bestehenden Haushaltsgemeinschaften - ich vernachlässige einmal die anderen bestehenden Probleme - werden möglicherweise auf Grund Ihrer Formulierung geschützt. Aber in jedem Mustermietvertrag des Hauseigentümerverbandes wird stehen: Haushaltsgemeinschaften aufzunehmen ist verboten. Das, was Sie den Haushaltsgemeinschaften zugestehen wollen, kann ja wohl nur für diejenigen gelten, die berechtigterweise da sind. Was unterscheidet eine Haushaltsgemeinschaft von einem Untermietverhältnis? Der gemeinsame Hausstand, ist ein Pudding, ein Luftballon ohne Gummihülle. Damit kann ich als Juristin nicht viel anfangen. Dasselbe gilt natürlich bis zu einem gewissen Grade auch für den Entwurf der PDS, die zwar die Formulierung „auf Dauer“ weggelassen hat, aber gleichzeitig auch die Ehe über Bord geworfen hat, und zwar mit folgendem Ergebnis: Wenn zum Beispiel ein Mieter, der Haushaltsvorstand, stirbt und seine Witwe mit ihren zwei Kindern die Wohnung übernimmt, dann können die nur gemeinsam Mieter werden. Wenn ein Kind auszieht, dann müssen alle kündigen. Ich möchte einmal wissen, wie Sie das Ihrer biedermeierlich-konventionellen Klientel im Osten erklären wollen. ({3}) Das kommt mir vor wie eine Verhöhnung. Denn die Ostdeutschen leben, soweit ich das auf Grund meiner Reisen in die neuen Bundesländer beurteilen kann, relativ konventionell. Diese „fashionable“ Methode, die Sie hier an den Tag legen, kommt mir wie eine „megacoole“ Haltung vor. Mit Juristerei hat das nicht viel zu tun. ({4}) Das Schlimmste, was man der F.D.P. vorwerfen muß, ist, daß sie mogelt. Lieber Herr Braun, so sympathisch, wie Sie vieles verkaufen, so sehr mogeln Sie auch. Denn Sie wollen nicht über den Unterschied sprechen zwischen einer Haushaltsgemeinschaft und einer Personengemeinschaft zweier einander nahestehender Menschen mit der Exklusivität, die eine solche Gemeinschaft hat, auch bei Homosexuellen in der Tat haben kann, da sind wir uns einig. Ich habe früher selber einmal die Überlegung gehabt, von Haushaltsgemeinschaften zu sprechen, um das angst- und aggressionsbesetzte Wort „Homosexualität“ nicht aussprechen zu müssen. Sie kommen aber nicht drumherum, weil nämlich nur dann, wenn es sich um eine solche Beziehung handelt - das ist der eigentliche Grund, warum die Ehe geschützt ist -, das Menschenrecht des Mieters die Dispositionsfreiheit des Vermieters so weit in den Hintergrund rücken kann. Der Schutz der Haushaltsgemeinschaft muß anders erfolgen als der Schutz einer engen Personengemeinschaft. Das ist nun einmal so, und Sie werden das auch noch sehen.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Frau Kollegin von Renesse, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Braun?

Margot Renesse (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001820, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Bitte, Herr Braun.

Hildebrecht Braun (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002634, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau von Renesse, Sie verwundern mich natürlich schon etwas. Wir führen Diskussionen über diese Thematik jetzt seit nahezu fünf Jahren, meist in derselben Besetzung. Sie sprechen für die SPD, Volker Beck spricht für die Grünen, ich spreche für die F.D.P.; ({0}) Herr Mahlo, der sonst für die CDU/CSU gesprochen hat, ist ausgeschieden, aber die Kollegin von der PDS ist wieder dabei. Wie können Sie also sagen, daß ich je Bedenken dagegen gehabt hätte, das Wort „Homosexualität“ aus- bzw. anzusprechen? Meine Frage an Sie ist: Ist Ihnen unbekannt, daß es in § 569 a Abs. 2 BGB den Begriff des gemeinsamen Hausstands längst gibt, so daß wir hier nur einen Begriff übernehmen und ihn jetzt für das heranziehen, was wir politisch - wenn ich es richtig sehe - im wesentlichen gemeinsam wollen?

Margot Renesse (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001820, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Lieber Herr Braun, im BGB gibt es bisher - darum konnte man das Wort „gemeinsamer Hausstand“ problemlos verwenden - nur folgende drei Fälle. Erstens. Jemand lebt allein. Zweitens. Jemand lebt mit seinem Ehegatten zusammen. Drittens. Jemand lebt mit Ehegatten und Familie. Darum war der gemeinsame Hausstand kein Problem, weil wir den dann nämlich im Familienrecht hatten. Da gibt es nämlich die Vorschrift des § 1353 BGB, der die Verpflichtung zur ehelichen Lebensgemeinschaft vorsieht. Deswegen konnte man ihn da unterstellen. ({0}) - Herr Braun, Sie entschuldigen, ich würde das gerne zu Ende führen, weil Sie mir Gelegenheit gegeben haben, das zu definieren. Der gemeinsame Hausstand in der Familie ist kein Problem, weil er unterstellt wird. Darum habe ich ja darauf hingewiesen, wie problematisch der Begriff „Trennung“ für den Familienrichter im Bestreitensfall ist, wenn es die gemeinsame Wohnung betrifft. Sie werden bei Ihrem Gesetzentwurf noch viel mehr Bestreitensfälle bekommen. Weil das im BGB so ist, hat man den Tod und nicht, wie Frau Iwersen mit Recht sagte, die Kündigung, die beim gemeinsamen Haushalt viel wichtiger und viel häufiger ist - als einzigen Anknüpfungspunkt genommen, weil man sich nämlich nur vorstellen konnte: allein, verheiratet, mit Familie. Scheidung - wie in den letzten beiden Fällen immerhin denkbar - kannte man nicht. Eine Ehe wird nur durch den Tod geschieden, durch nichts sonst. - Das war auch mal so, aber es ist nicht mehr so. Deswegen brauchen wir eine „Renovierung“ des gesamten Mietrechts. Dieselben Probleme stellen sich für den Fall, daß der Mieter der Ehemann ist, geschieden wird und nun seine Frau im Wege des Prozesses zwingt, aus der Wohnung auszuziehen, weil sie dann kündigen muß. Da sehen Sie, wie problematisch das Mietrecht ist, weil es die Verhältnisse nicht spiegelt, die wir heute haben. ({1}) Ein Letztes: Die Beziehung von zwei Menschen, egal, welcher Sexualität, die in der Tat so viel Nähe hat, daß sie verletzlich wird, braucht Verläßlichkeit in einem ganz anderen Rechtsinstitut. Da mogeln wir nicht mehr, da werden wir sagen, was Sache ist. Ich hoffe, daß wir dann Ihre Stimme haben. Vielen Dank. ({2})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Als letzter Redner in dieser Aussprache hat nun der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Eckhart Pick das Wort.

Prof. Dr. Eckhart Pick (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001715

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bin sehr froh, daß wir heute Gelegenheit haben, über dieses Thema zu diskutieren, weil ich in der Rückschau feststellen kann: Vor rund zwölf Jahren, als ich in den Bundestag kam, hätte man eine solche Debatte wohl nicht in dieser Fairneß miteinander führen können. Das Bundesministerium der Justiz und auch mich selbst erreichen immer wieder zahlreiche Eingaben, in denen Betroffene - aber vielfach auch deren Eltern schildern, mit welchen Benachteiligungen gesellschaftlicher und insbesondere auch rechtlicher Art Menschen, die in einer auf Dauer angelegten Lebensgemeinschaft leben, zu rechnen haben, unabhängig davon, ob es sich dabei um heterosexuelle oder gleichgeschlechtliche Lebensgemeinschaften handelt. Ihnen liegen heute zwei Gesetzesanträge, einer der F.D.P.- und einer der PDS-Fraktion, vor, die das Wohnrecht hinterbliebener Haushaltsangehöriger betreffen. Damit wird ein großer Teil von nichtehelichen Lebensgemeinschaften tangiert. Die meisten von Ihnen werden sich erinnern, daß die Frage des Eintrittsrechts hinterbliebener Haushaltsangehöriger, oder anders gesagt: die Gleichstellung aller - ich bleibe zunächst bei diesem Begriff - auf Dauer angelegter Lebensgemeinschaften mit den nach geltendem Recht privilegierten Ehegatten und Familienangehörigen, dieses Haus bereits mehrfach beschäftigt hat. Die Vorgängerregierung wollte dieses Thema zunächst im Rahmen der von ihr angestrebten Mietrechtsreform ansprechen, die dann jedoch im Streit zwischen F.D.P. und CSU zerrieben wurde. Auch ein - eher halbherziger - Versuch am Ende der vergangenen Legislaturperiode, die Gleichstellung auf Dauer angelegter Lebensgemeinschaften im Mietrecht gesetzlich zu verankern, scheiterte. Nach geltendem Recht treten - wir haben das gehört - mit dem Tod des Mieters nur der Ehegatte oder andere Familienangehörige in das Mietverhältnis ein, wenn sie mit dem Mieter einen gemeinsamen Haushalt geführt haben. Dieses Eintrittsrecht hat der BGH, wie wir gehört haben, auf eheähnliche Gemeinschaften ausgedehnt. Aus der Sicht des BGH ist das im übrigen sicherlich auch schon ein mutiger Schritt, obwohl man natürlich immer sagen kann, daß er noch mutiger hätte sein können. Aber immerhin, diese Rechtsprechung war zumindest ein Fortschritt. Zugleich hat der BGH aber klargestellt, daß eine eheähnliche Gemeinschaft eine Lebensgemeinschaft zwischen Mann und Frau voraussetzt und ein Eintrittsrecht bei gleichgeschlechtlichen Partnerschaften damit von vornherein ausscheidet. Im Gegensatz zur früheren Regierung besteht innerhalb dieser Regierung breiter Konsens darüber, daß dies diskriminierend ist und in Anbetracht der gewandelten sozialen Verhältnisse dringend geändert werden muß. ({0}) Es sollte bei einer Neuregelung des Eintrittsrechts deshalb eine Lösung gefunden werden, die gerade nicht nach der jeweiligen sexuellen Orientierung der Partner der Lebensgemeinschaft differenziert. Dies könnte beispielsweise durch die im F.D.P.-Entwurf vorgeschlagene Formulierung erreicht werden, wonach Personen ein Eintrittsrecht eingeräumt wird, die mit dem Mieter einen auf Dauer angelegten gemeinsamen Haushalt geführt haben. Dies ist zumindest ein diskussionswürdiger Ansatz. Aber auch der Begriff der „auf Dauer angelegten Lebensgemeinschaft“ könnte weiterführend sein. Wir werden das noch im einzelnen zu untersuchen haben. In jedem Fall müssen sowohl nichteheliche Lebensgemeinschaften zwischen Mann und Frau als auch gleichgeschlechtliche Lebensgemeinschaften erfaßt sein, die einen auf Dauer angelegten gemeinsamen Haushalt führen. In beiden Fällen haben nämlich die Mitbewohner häufig einschneidende Dispositionen in ihrem persönlichen Lebensbereich getroffen. Sie haben möglicherweise eine frühere Wohnung aufgegeben und sind, je nach Dauer ihres Zusammenlebens, in ihrer Umgebung sozial verwurzelt. Gleiches gilt aber auch für eine auf Dauer angelegte häusliche Gemeinschaft beispielsweise zweier älterer Menschen als Alternative zum Alten- oder Pflegeheim. Auch diese Menschen haben ihren Lebensmittelpunkt in der Wohnung des verstorbenen Mieters gegründet und damit eine grundlegende Weichenstellung in ihrer Lebensplanung vorgenommen. Das rechtfertigt es nach Auffassung der Bundesregierung, auch ihnen beim Tode des Mieters das Recht zum Eintritt in den Mietvertrag in gleicher Weise zu gewähren wie Familienangehörigen. Ich möchte noch eine Bemerkung zum PDS-Entwurf machen: Ich denke, daß dieser Entwurf eindeutig über das Ziel hinausschießt. Sie von der PDS möchten immer dann ein Eintrittsrecht schaffen, wenn ein gemeinsamer Hausstand geführt wird. Nach Ihrem Entwurf soll es gerade nicht erforderlich sein, daß Mieter und Mitbewohner eine auf Dauer angelegte häusliche Gemeinschaft führen, bei der die Verbundenheit über eine reine Haushalts- und Wirtschaftsgemeinschaft hinausgeht. Bei nur vorübergehenden Mitbewohnern überwiegt aber nach Auffassung der Bundesregierung das Interesse des Vermieters, seine Mieter selber auszusuchen. Ihr Antrag verlagert die Optionen zu Lasten der Vermieter, so daß von Vertragsfreiheit wohl nicht mehr die Rede sein kann. ({1}) Ich möchte zusammenfassend folgendes sagen: Diese Bundesregierung will ein Eintrittsrecht für hinterbliebene Haushaltsangehörige und damit die Gleichstellung der auf Dauer angelegten Lebensgemeinschaften gleich welcher sexuellen Orientierung - auch im Mietrecht. Ich möchte noch einmal betonen: Die Frage der Gleichbehandlung stellt sich keineswegs nur beim Eintrittsrecht, sondern überall da, wo das geltende Mietrecht darauf abstellt, ob zum Hausstand des Mieters gehörende Personen oder Familienangehörige vorhanden sind. Das heißt, es geht nicht nur um die hier zitierte Regelung beim Tod eines Ehegatten. Es wäre nicht konsequent, bei einer Änderung des Mietrechts nur für den Fall des Todes des Mieters auf Dauer angelegte Gemeinschaften der Ehe gleichzustellen, ({2}) ansonsten aber eine entsprechende gesetzgeberische Klarstellung zu unterlassen. Das weiß auch die F.D.P. sehr gut. Ich erinnere mich, daß ihr Justizminister schon auf diese Probleme hingewiesen hat. Das Bundesministerium der Justiz hat die Mietrechtsreform entsprechend der Koalitionsvereinbarung in Angriff genommen. Es wird mit Hochdruck daran gearbeitet, um auch den hier zur Debatte stehenden Mißstand konsequent zu beseitigen. Aber wir wollen kein Flickwerk, sondern eine in sich stimmige Reform. Damit ist auch den Betroffenen am besten gedient. Ich möchte daher an Sie alle appellieren, die Bundesregierung in ihrem Bemühen um eine Reform des Mietrechts zu unterstützen, die den berechtigten Belangen von Mietern und Vermietern Rechnung trägt und zudem eine echte Vereinfachung mit sich bringt. Vielen Dank. ({3})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Gesetzentwürfe auf den Drucksachen 14/326 und 14/308 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 6 auf: Erste Beratung des von den Fraktionen SPD, CDU/CSU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung von Vorschriften über parlamentarische Gremien - Drucksache 14/539 Überweisungsvorschlag: Innenausschuß ({0}) Ausschuß für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung Rechtsausschuß Haushaltsausschuß Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 30 Minuten vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Als erster Redner hat der Kollege Dieter Wiefelspütz von der SPD-Fraktion das Wort.

Dr. Dieter Wiefelspütz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002506, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die parlamentarische Kontrolle der Nachrichtendienste des Bundes wird gegenwärtig durch mehrere Gremien wahrgenommen. Die bisherigen Erfahrungen zeigen, daß der Deutsche Bundestag seinem Kontrollauftrag besser gerecht werden kann, wenn die Kontrollaufgaben stärker gebündelt werden. Deshalb sollen die Parlamentarische Kontrollkommission und das sogenannte G-10-Gremium in ein Kontrollorgan unter der neuen Bezeichnung „Parlamentarisches Kontrollgremium“ zusammengefaßt werden. Eine wirksamere Kontrolle der Nachrichtendienste des Bundes läßt es auch angezeigt erscheinen, daß das neue Parlamentarische Kontrollgremium erweiterte Kontrollmöglichkeiten erhält, indem ihm die Bundesregierung Einsicht in Akten und Dateien der Dienste gibt sowie die Anhörung von Mitarbeitern der Dienste gestattet und Besuche bei den Diensten ermöglicht. Wir haben uns in den bisherigen Beratungen intensiv mit der Erweiterung der Kontrollrechte des Parlaments befaßt. Das Ergebnis unserer Überlegungen hat seinen Niederschlag in den §§ 2, 2 a und 2 b des Gesetzentwurfs gefunden. Die umfassenden Kontrollrechte des Bundestages sind lediglich begrenzt durch den Kernbereich der Regierung und die Verfügungsberechtigung des Bundes über die Informationen und Gegenstände der Nachrichtendienste. Das Gesetz, das wir heute zur ersten Lesung vorlegen, ist im wesentlichen dadurch gekennzeichnet, daß die Praxis der Parlamentarischen Kontrollkommission der letzten Jahre gesetzlich festgeschrieben wird. Das betrifft insbesondere Art und Umfang des Zuganges zur Information unserer Dienste. Durch die gesetzliche Festschreibung dieser Praxis wird gewährleistet, daß die ArParl. Staatssekretär Dr. Eckhart Pick beit des Parlamentarischen Kontrollgremiums nicht vom Wohlwollen einer Bundesregierung abhängig ist. Vielmehr prägen klare gesetzliche Vorschriften die Beziehung zwischen dem Parlamentarischen Kontrollgremium einerseits und der Bundesregierung bzw. den Nachrichtendiensten andererseits. Ich begrüße ausdrücklich, daß dieser Gesetzentwurf von SPD, Bündnis 90/Die Grünen, CDU/CSU und F.D.P. eingebracht wird. Dies spricht dafür, daß wir eine ausgewogene Regelung gefunden haben, die in angemessener Weise auch die legitimen Rechte der Opposition berücksichtigt. Bei der Erarbeitung dieses Gesetzentwurfs habe ich die eindrucksvolle Erfahrung gemacht, daß man auch mit einem ausgewiesenen Gegner von Nachrichtendiensten - die Rede ist von unserem geschätzten Kollegen Ströbele - ein, wie ich meine, vernünftiges Gesetz zur Kontrolle der Nachrichtendienste schaffen kann. ({0}) Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({1})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Ich darf als nächsten Redner den Kollegen Dr. Edzard SchmidtJortzig vorziehen, weil der Redner der CDU/CSU wohl noch im Anmarsch ist. Bitte schön, Herr SchmidtJortzig.

Prof. Dr. Edzard Schmidt-Jortzig (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002781, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Da es sich um eine Gemeinschaftsinitiative handelt, kann ich ohne Umschweife erklären, daß die F.D.P. diese Initiative, diesen Reformschritt nicht nur begrüßt, sondern ausdrücklich unterstützt und konstruktiv mit voranbringen will. Ich begrüße auch, daß das Ganze in dem auch von Ihnen schon gewürdigten breiten Konsens zustande kommt. Gerade der Bereich der Nachrichtendienste und ihrer Kontrolle ist ein viel zu sensibler Bereich, als daß man da parteipolitische Zerstreitung betreiben sollte. Ich begrüße auch, daß dieses Reformstück, das uns jetzt in der ersten Lesung zur Beratung vorliegt, so rasch und zügig zustande gekommen ist. Sie wissen, wir haben bei strenger Sicht ein gewisses Legitimationsproblem der jetzt noch in Funktion befindlichen Kontrollgremien, die sich noch aus der letzten Legislaturperiode legitimieren. Daß wir in diesem Bereich ein Spannungsverhältnis zwischen einerseits dem Funktionenschutz und dem Geheimhaltungsbedürfnis der Nachrichtendienste und andererseits der notwendigen Kontrolle und demokratischen Rückbindung vorfinden, ist völlig unübersehbar. Daß wir alle hier im Hause, egal ob in der Mehrheit, die die Regierung trägt, oder in der Opposition, dieses Spannungsverhältnis zugunsten der demokratischen und vom Parlament vermittelten Kontrolle auflösen wollen, ist eindeutig. Dabei müssen natürlich die notwendigen Bedingungen für Arbeit und Wirkungsmöglickeiten bei den Diensten gewahrt bleiben. Deswegen ist Ziel des Reformschrittes, den wir jetzt zu beraten haben, eine möglichst effektive und effiziente parlamentarische Kontrolle zustande zu bringen, und zwar nicht nur organisatorisch, sondern auch funktionell. Ich möchte eigentlich nur zum Organisatorischen etwas sagen, weil nicht unerwähnt bleiben soll - ich weiß das etwa von Ihnen, Herr Wiefelspütz -, daß es durchaus noch weitergehendere Reformmöglichkeiten gegeben hätte, sie aber - ich sage das einmal optimistisch - noch nicht verwirklicht werden konnten. Wir fassen jetzt die Parlamentarische Kontrollkommission provinzieller und bisheriger Machart - ich sage ausdrücklich „provinzieller Machart“, weil sie eben auf ihren ganz engen Bereich konzentriert war - und das G-10-Gremium organisatorisch zusammen. Sicherlich wäre es wünschenswert gewesen, wenn wir auch noch das Vertrauensgremium des Haushaltsausschusses mit einbezogen hätten. Ich sage ausdrücklich: Ich hätte mir auch gut denken können, daß wir die G-10-Kommission und vielleicht sogar das Kontrollgremium nach dem Außenwirtschaftsgesetz einbeziehen. ({0}) - Natürlich sind das andere Dinge. Man hätte nur organisatorisch noch weitergehen können. Was wir im funktionalen Bereich zustande bringen, finde ich allerdings erfreulich. Denn dort gibt es nicht nur die ausführlich genannten Berichtspflichten, Auskunftsverlangen, Akten- und Dateneinsicht, das Recht zur Sachverständigenbestellung. Auch die Befugnis, Eingaben entgegennehmen zu können, halte ich für eine ganz wichtige Einrichtung bei einer demokratischen Kontrolle. Schließlich ist auch die nebeneinander ablaufende, aber sich doch in einem gemeinsamen Wirken äußernde Zusammenarbeit mit dem Vertrauensgremium des Haushaltsausschusses derart kooperativ und vernünftig gelöst, daß es, glaube ich, wirklich ein guter Reformschritt ist. Ich hoffe deshalb sehr, daß wir, wo es nötig ist - ich bin sicher, das wird gelingen -, in den Beratungen noch die eine oder andere Verbesserung erreichen und diesen fälligen Reformschritt im übrigen aber zügig vollenden. Vielen Dank. ({1})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Als nächster Redner hat nun der Kollege Hans-Christian Ströbele von Bündnis 90/Die Grünen das Wort.

Hans Christian Ströbele (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002273, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Es ist richtig, daß wir - ich vertrete das auch selber - gemeinsam mit der SPD-Fraktion und anderen einen Gesetzentwurf vorlegen, der nicht bündnisgrünes Programm, das bekanntlich die Abschaffung der Geheimdienste fordert, umsetzt. Der Gesetzentwurf entspricht aber auch nicht - das muß ich dem Kollegen Penner sagen - der Vorlage, die Sie in der letzten Legislaturperiode, im März vergangenen Jahres, als Sie noch in der Opposition waren, vorgelegt haben. Wir - beide Fraktionen - sind gleichwohl dafür, dieses Gesetz zu verabschieden, weil damit endlich gesetzlich festgeschrieben wird, daß und wie die Geheimdienste in Deutschland durch Parlamentsgremien besser kontrolliert werden. Zum erstenmal in der deutschen Geschichte wird Abgeordneten des Parlaments - solchen von Regierungsund Oppositionsfraktionen - per Gesetz das Recht eingeräumt, ({0}) Einsicht in Akten von Geheimdiensten zu nehmen, Dateien einzusehen, Mitarbeiter der Dienste anzuhören und Besuche bei Diensten durchzuführen. In Einzelfällen kann das PKG - wie das Gremium jetzt heißen soll, damit es nicht mit anderen Kommissionen und vor allen Dingen nicht mit anderen Parteien verwechselt wird sogar einen Sachverständigen beauftragen, zur Wahrnehmung der Kontrollaufgaben Untersuchungen durchzuführen. Das sind Rechte, die sich Parlamentsabgeordnete vor 1945 oder auch Volkskammerabgeordnete nach 1949 sehr gewünscht hätten und die vielleicht auch zu effektiven Ergebnissen geführt hätten. Aber auch wir in der Bundesrepublik haben das in den letzten Jahrzehnten leider nicht gehabt - jedenfalls nicht in der Form eines Gesetzes. Die Mitglieder der PKK - unter anderem der Kollege Penner - waren darauf angewiesen, daß die jeweiligen Regierungen ihnen diese Möglichkeiten zur Kontrolle gewährt haben. Als Mitglied eines Untersuchungsausschusses, der sich von 1985 bis 1987 mit dem Bundesamt für Verfassungsschutz beschäftigt hat, habe ich damals in unserem Votum festgestellt, daß die Geschichte der Geheimdienste in der Bundesrepublik auch eine Geschichte von Skandalen ist, die alle - alle, ausnahmslos - über die Presse ans Licht gekommen und aufgeklärt worden sind. Die gesetzlichen Rechte, die jetzt eingeräumt werden, sollen helfen, daß das anders wird. Vielleicht können damit in Zukunft Fehlentwicklungen und Skandale auch in den Geheimdiensten - vermieden werden. Ich verhehle allerdings nicht, daß ich skeptisch bin, ob die Rechte, die jetzt in dem Gesetzentwurf enthalten sind, ausreichen. Vielleicht wäre etwas anderes doch richtiger gewesen; der Kollege Struck hat das einmal in einer Kritik formuliert hat, als er aus der PKK ausgetreten ist: Wirkliche Aufklärung kann nur durch die Rechte eines parlamentarischen Untersuchungsausschusses gewährleistet werden. Ich frage mich, wie wir zu anderen Ergebnissen kommen können als zu dem, was der Kollege Penner 1991 als Mitglied der PKK so formuliert hat: die zu Kontrollierenden kontrollieren, was die Kontrolleure kontrollieren sollen. Das ist eine sehr flotte Formulierung; das gebe ich zu. ({1}) - „Sehr intelligente Formulierung“. - Wir denken, daß das in Zukunft anders werden soll. Dazu soll das Gesetz beitragen. Wir hätten gern etwas mehr erreicht. Aber das konnten wir nicht schaffen. Dafür gab es viele Gründe; wir werden das noch diskutieren. Ich bin der Meinung, daß die Effektivität des neuen Gremiums wichtig ist. Sie wird auch davon abhängen, ob alle Seiten, alle Flügel und alle Fraktionen dieses Parlaments an dem jetzigen PKG, dem Parlamentarischen Kontrollgremium, beteiligt werden. Wenn das nicht der Fall ist, dann fehlt auch diesem Gremium ein bißchen die Legitimation. In diesem Zusammenhang kann ich den jetzigen Innenminister zitieren, der 1986, als die Grünen nicht in die PKK aufgenommen worden waren, erklärt hat, daß es ein Flurschaden für die Demokratie oder eine Niederlage für das ganze Parlament ist, wenn eine Fraktion dieses Hauses nicht in einem solchen Gremium vertreten ist. In Richtung der PDS sage ich: Mir ist völlig unverständlich, wie Kritiker der Geheimdienste und der Praxis von Geheimdiensten Überlegungen in der Öffentlichkeit dahin gehend anstellen können, daß sie den Dunkelmännern, die sie ja fürchten, nicht auf die Finger und in ihre Akten schauen wollen. Das ist kein glaubwürdiges parlamentarisches Verhalten. Unser Ziel bleibt es, Licht in das Dunkel der Geheimdienste zu bringen und damit den Geheimdiensten ein bißchen das Bedrohliche und auch das Geheime zu nehmen. Nur so kann ein solcher Dienst vielleicht irgendwann einmal ein allseits akzeptierter Teil eines demokratischen Gemeinwesens werden. Deshalb bringen wir den vorliegenden Gesetzentwurf mit ein. Wenn sich in den nächsten Jahren herausstellen sollte - da gebe ich Ihnen wiederum recht -, daß die hier vorgesehenen Rechte und Befugnisse nicht ausreichen, dann müssen wir noch einmal nachbessern. Ich hoffe dann auf eine ähnlich große Mehrheit in diesem Hause, wie sie sich jetzt abzeichnet. Danke sehr. ({2})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat nun der Kollege Erwin Marschewski von der CDU/CSU-Fraktion.

Erwin Marschewski (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001424, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir als Parlamentarische Kontrollkommission treten nur selten, Herr Kollege Penner, an die Öffentlichkeit. Dabei sind die dort anfallenden Themen von großer Bedeutung. Es geht um nicht mehr und nicht weniger, als Gefahren von den Menschen und von unserem Land abzuwenden. Als Stichworte nenne ich Bedrohung der inneren und äußeren Sicherheit durch Spionage, internationalen Terror und Schleusertum. Mit anderen Worten: Es geht um die Sicherung der freiheitlich-demokratischen Grundordnung in Deutschland und um die Abwehr möglicher Eingriffe von außen. Es geht dabei um die Bekämpfung von Terrorismus, Waffenhandel, Geldfälschung und schweren Drogendelikten. Der Bundesnachrichtendienst, das Bundesamt für Verfassungsschutz und der Militärische Abschirmdienst erfüllen meines Erachtens ihre Aufgaben - das kann ich nach ein paar Jahren Mitgliedschaft in der PKK sagen - mit großer Sorgfalt. Ich möchte daher als augenblicklicher Vorsitzender der PKK diesen Diensten und ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern für die wertvolle Arbeit und die vorbildliche Aufgabenerfüllung in schwieriger Zeit herzlich danken. ({0}) Diese Leute tun mehr als ihre Pflicht. In der Presse oftmals hochgespielte sogenannte Pannen sind oftmals nur ein Produkt einzelner Vertreter der veröffentlichten Meinung. Meine Erfahrung bei der parlamentarischen Kontrolle der Dienste zeigt: Die Arbeit der Dienste erfolgt nach Recht und Gesetz, zum Nutzen unseres Landes und zum Wohle der Menschen. Man braucht da nicht Licht ins Dunkel zu bringen, Herr Kollege Ströbele. Wer so etwas sagt, treibt den Teufel mit dem Beelzebub aus. Unsere Arbeit klappt wirklich vorzüglich. Die Erfahrung zeigt auch - in dem Punkt gebe ich Ihnen sogar recht -, daß die Kontrolle nur dann gelingt, wenn sie auf der vertrauensvollen Zusammenarbeit von Politikern aller demokratischen Gruppierungen beruht, die die verfassungsmäßige Grundordnung unseres Landes verteidigen wollen. Das allein garantiert den Erfolg; auch in der Vergangenheit war das so. Das werden alle Kollegen bestätigen: Ihre Kollegen, insbesondere der Kollege Such, die Kollegen der SPD und die Kollegen der F.D.P. Eine Fraktion jedoch - hier unterscheide ich mich von Ihnen Herr Ströbele -, nämlich die, die den ExSpion „Topas“ beschäftigen wollte, die seine schädliche Tätigkeit hoffähig machen wollte, erfüllt diese Voraussetzungen nicht. ({1}) „Topas“-Freunde als Mitglied der Parlamentarischen Kontrollkommission? Undenkbar! Dies würde gerade den Flurschaden anrichten, von dem Sie gesprochen haben. ({2}) - Ich möchte weiter ausführen. Ich bitte um Verständnis dafür.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Sie wollen keine Zwischenfrage zulassen?

Erwin Marschewski (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001424, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Nein. - Es bleibt daher richtig, daß die Mitglieder der PKK unmittelbar und ausschließlich von der Mehrheit aller Abgeordneten gewählt werden. Das macht sie unabhängig gegenüber jedermann. Der Deutsche Bundestag unterstreicht damit auch, daß ihm an einer ernsthaften und effektiven Kontrolle des Regierungshandelns auf diesem Feld gelegen ist. Diesem Ziel dient auch die Begrenzung der Mitgliederzahl auf neun. Ich meine, ein größerer Kreis - das ist eben das Hauptproblem; das ist wirklich unsere Erfahrung - würde die vertrauliche Kontrolltätigkeit nicht mehr gewährleisten. Zum heutigen Gesetzentwurf. Die Kollegen haben es schon gesagt: Dieser Gesetzentwurf verbessert die Möglichkeit der parlamentarischen Kontrolle. Bisher kannten wir nur die umfassende Informationspflicht der Bundesregierung. Ich muß sagen: Dies hat die alte Bundesregierung wirklich getan. Daher darf ich dem ehemaligen Kanzleramtsminister Bohl und dem ehemaligen Staatsminister Schmidbauer an dieser Stelle einen herzlichen Dank aussprechen. ({0}) Ich will aber auch die neue Bundesregierung auffordern, diese vertrauensvolle Zusammenarbeit - ich denke da insbesondere an Herrn Hombach - ungeschmälert fortzusetzen. Zur Gesetzeslage. Die Regelungen, die wir haben, werden ergänzt oder festgeschrieben. Rechte wie beispielsweise das Akteneinsichtsrecht, die Mitarbeiteranhörung und auch die Mitberatung der Wirtschaftspläne waren in der Praxis schon vorhanden; sie wurden uns durch die alte Bundesregierung gewährt. Diese wollen wir jetzt in das Gesetz aufnehmen. Neu ist die Zusammenarbeit mit dem G-10-Gremium, die wir alle seit langem für sinnvoll erachtet und angeregt haben. An eines müssen wir denken: Wenn wir die Aufgaben der PKK erweitern, müssen wir die PKK selbstverständlich auch organisatorisch verstärken, um sie in die Lage zu versetzen, den großen Bereichen, dem Militärischen Abschirmdienst, dem BND - mit 6 000 Mitarbeitern - oder dem Bundesamt für Verfassungsschutz, Entsprechendes entgegenzusetzen. Meine Damen und Herren, was den neuen Namen „Parlamentarisches Kontrollgremium“ anbetrifft: Da bisher niemand die PKK des Bundestages je mit der gleichnamigen Terrororganisation verwechselt hat, könnten wir auf eine solche Umbenennung, so meine ich, verzichten. Darüber wollen wir noch reden. Leider nicht im Gesetz festgeschrieben wird unsere Empfehlung, der PKK ein Vorschlagsrecht für die Besetzung der Präsidentenämter des BND, des BfV und des MAD zuzubilligen. Da aber sind sich offensichtlich alle Regierungen gleich, Herr Kollege Penner. Das ist völlig richtig, und deswegen wollen wir dies hier erwähnen. Es war auch in der Vergangenheit so. Ich halte diese Regelung für richtig, weil jede Bundesregierung die enormen Erfahrungen - da spreche ich für uns -, die wir in der PKK in all den Jahren in diesem Bereich gesammelt haben, nutzen sollte. Abschließend begrüße ich es sehr, daß wir diesen Gesetzentwurf interfraktionell einbringen. Jede Bundesregierung sollte wissen: Dem Deutschen Bundestag ist es Ernst mit der Durchsetzung seiner Kontrollrechte. Die Mitglieder der Parlamentarischen Kontrollkommission werden diese Aufgabe auch in Zukunft selbstbewußt und verantwortungsbewußt wahrnehmen. Denn unsere gemeinsame Überzeugung ist: Es lohnt sich, für unseren Staat und den Schutz seiner freiheitlich-demokratischen Grundordnung einzutreten, Gefahren abzuwehren und so zum Wohlergehen der Menschen in unserem Lande beizutragen. Herzlichen Dank. ({1})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Als letzter Redner in dieser Aussprache hat der Kollege Roland Claus von der PDS-Fraktion das Wort.

Roland Claus (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003065, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wenn vier Fraktionen in diesem Hohen Hause einen Gesetzentwurf gemeinsam einbringen, dann sieht das natürlich nach großer Einmütigkeit aus. ({0}) Ich finde, Sie übertreiben die Darstellung dieser Einmütigkeit ein klein wenig. So friedfertig ging es nämlich auf dem Weg bis hierher nicht zu. Das wissen Sie ganz genau. Herr Kollege Marschewski, ganz interfraktionell ist der Antrag hier natürlich auch nicht eingebracht worden. Ich will Sie an Pressemeldungen von vor wenigen Wochen erinnern. Was haben Sie sich gegenseitig - die SPD an die Adresse der CDU, aber auch umgekehrt und innerhalb der Koalition - genau zu diesem Thema vorgeworfen! Alles hatte nur einen einzigen Schwerpunkt offenbar handelt es sich um Ihr Lieblingsthema -: Beteiligt man die PDS an diesem Gremium oder nicht? Ich denke, Sie alle haben diese Erklärungen noch nicht vergessen. Bis auf den Kollegen Ströbele blenden Sie alle das aus und sagen: Eine Zahl ist im Gesetzentwurf gegenwärtig nicht enthalten. Aber schon in der nächsten Woche - so sieht Ihr Fahrplan wohl aus - müssen Sie hier Farbe bekennen. An die Adresse des Kollegen Ströbele sage ich ausdrücklich: Natürlich gibt es auch bei uns wie bei Ihnen - die Auffassung, sich nicht zu beteiligen. Für die Bundestagsfraktion der PDS erkläre ich deutlich: Wir wollen schon; nur, Sie lassen uns bisher noch nicht. ({1}) Ich möchte an die Geschichte des Gesetzentwurfs erinnern: Nach einer kurzen Zeit anfänglicher Ratlosigkeit machte die Fraktionsspitze der SPD den Vorschlag, das Gremium auf 15 Mitglieder - also mit Beteiligung der PDS - auszudehnen. Wenig später hat sich der Kollege Struck zu der Formel „keine Beteiligung der PDS“ durchgerungen. Das stand damals im ausdrücklichen Zusammenhang mit einem von ihm so verstandenen Fehlverhalten unserer Fraktion. Das ist verfassungsrechtlich bedenklich. Selbstverständlich steht der Mehrheit im Bundestag zu, die Größe dieses Gremiums beliebig zuzuschneiden. Das Bedenkliche aber ist die Aussage des Kollegen Struck, man müsse das Gremium klein halten, um eine Fraktion herauszuhalten. Das hat er unglücklicherweise so verknüpft, und das weiß er auch. Wenn der Kollege Marschewski hier allerdings indirekt sagt, daß die freiheitlich-demokratische Grundordnung gefährdet wäre, wenn man das Gremium größer machte und die PDS daran beteiligte, dann muß ich dem entgegnen: Das ist eine Einteilung des Bundestages in Abgeordnete mit größeren und Abgeordnete mit minderen Rechten, die wir so nicht hinnehmen wollen. ({2}) Wenn das Gesetz und die darin vorgesehene Mitgliederzahl so beschlossen werden, muß über eine verfassungsrechtliche Überprüfung nachgedacht werden. Ich will das hier moderat ansprechen und diese Möglichkeit offenhalten. Vielleicht korrigieren Sie sich noch selbst bis zur zweiten und dritten Lesung dieses Gesetzes. Ich möchte noch einen inhaltlichen Einwand machen, der nicht nur von uns, sondern auch von Konservativen vorgebracht wird. Er betrifft die Zusammenlegung. Ich denke, daß das von Ihnen vorgetragene Argument, es werde transparenter, an vielen Stellen stimmt. Aber wenn man aus zwei vorhandenen Kontrollgremien nur noch eins macht, dann ist das auch ein Einschnitt in die bisherigen Möglichkeiten der parlamentarischen Kontrolle. Einer Überweisung werden wir uns natürlich nicht verweigern. Vielen Dank. ({3})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 14/539 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Bevor ich den Tagesordnungspunkt 7 und den Zusatzpunkt 5 aufrufe, möchte ich darauf hinweisen, daß die Redebeiträge zu Tagesordnungspunkt 8 mit Ausnahme des Beitrags der PDS zu Protokoll gegeben werden sollen. Die namentliche Abstimmung wird also etwas früher stattfinden. Ich sage das, damit Sie in den Fraktionen schon einmal eine Vorwarnung geben können. ({0}) - Ich schätze, daß die namentliche Abstimmung in etwas mehr als einer Stunde, also nach neun Uhr, stattfinden wird. Ich rufe den Tagesordnungpunkt 7 und den Zusatzpunkt 5 auf: 7. Beratung des Antrags der Abgeordneten Wolfgang Börnsen ({1}), Gunnar Uldall, Ulrich Adam, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU Initiative gegen die Auswirkungen der asiatischen Finanzkrise und des internationalen Subventionswettlaufs auf die deutsche und europäische Werftindustrie - Drucksache 14/400 Überweisungsvorschlag: Ausschuß für Wirtschaft und Technologie ({2}) Auswärtiger Ausschuß Ausschuß für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen Ausschuß für Angelegenheiten der neuen Länder Haushaltsausschuß ZP 5 Beratung des Antrags der Abgeordneten Hans Martin Bury, Ernst Schwanhold, Gerd Andres, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Werner Schulz ({3}), Margareta Wolf ({4}) und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Initiative gegen die Auswirkungen der asiatischen Finanzkrise und des internationalen Subventionswettlaufs auf die deutsche und europäische Werftindustrie - Drucksache 14/540 Überweisungsvorschlag: Ausschuß für Wirtschaft und Technologie ({5}) Auswärtiger Ausschuß Ausschuß für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen Ausschuß für Angelegenheiten der neuen Länder Haushaltsausschuß Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Stunde vorgesehen. Gibt es Widerspruch? - Das ist nicht der Fall. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Als erster Redner hat der Kollege Wolfgang Börnsen von der CDU/CSU-Fraktion das Wort.

Wolfgang Börnsen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000227, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! „Maritimer Standort Deutschland - geschlossen wegen Verlagerung nach Fernost!“ So könnte die Schlagzeile bereits in wenigen Monaten lauten, wenn nicht zügig gehandelt wird. Die Währungskrise in Asien wirft ihre Schatten auch auf die deutsche Küste. Schiffbauer bangen um Anschlußaufträge, Gewerkschaftler befürchten Massenentlassungen, und die Politik sowohl in den norddeutschen Küstenländern als auch in Bonn sieht zur Zeit zerstritten und tatenlos zu. In den letzten Monaten des vergangenen Jahres konnten fast keine neuen Schiffbauaufträge eingeworben werden. In den ersten drei Monaten 1998 betrug die Größenordnung der Aufträge dagegen noch 203 000 Tonnen, im zweiten Quartal noch 127 000 Tonnen, im dritten sank die Zahl auf 90 000 Tonnen. Im Oktober waren es noch 7 000 Tonnen. Im November 1998 gab es keine mehr, desgleichen im Dezember. Bereits in eineinhalb Jahren, so die Branche, fehlen für die meisten der 100 deutschen Werften die Anschlußaufträge. Dabei gehören die deutschen Schiffbauer zu den innovativsten und produktivsten der Welt. Doch jeder zweite Schiffbauauftrag ging 1998 an Korea. Der Grund für diese extreme Verlagerung der Neubauten ist einfach: Währungsturbulenzen, radikale Lohnsenkungen und staatliche Subventionspolitik in Korea, der zweitgrößten Schiffbaunation der Welt. Koreanische Anbieter betreiben radikales Preisdumping, finanziert auch durch deutsche Steuermittel. Erst die Kredite des Internationalen Währungsfonds in Höhe von 58 Milliarden US-Dollar haben nämlich den fernöstlichen Anbietern wieder auf die Beine geholfen. Finanzstarkes Mitglied des IWF ist Deutschland. Es darf nicht sein, daß durch deutsche Steuergelder Arbeitsplätze in Asien geschaffen und bei uns vernichtet werden. Koreanische Werften können mit einem Preisvorteil von bis zu 30 Prozent am Weltmarkt operieren. Schiffe werden zu Materialkosten angeboten. Werften, die sich bereits in Konkurs befanden, treten plötzlich zu Billigpreisen wieder auf dem Weltmarkt auf und gefährden deutsche und europäische Arbeitsplätze. Das ist durch den Markt allein nicht auszugleichen. Kostete vor Jahresfrist ein koreanisches Containerschiff noch gut 80 Millionen Dollar, so ist das gleiche Schiff jetzt für weniger als 45 Millionen Dollar zu haben. Kein Wunder also, wenn an der deutschen Küste die Auftragsbücher leer bleiben. Die erfolgreiche Flensburger Schiffbaugesellschaft stellt dazu nüchtern fest: Vor knapp zwei Jahren war ein Containerfrachter aus dem Hause FSG noch für gut 21 Millionen DM zu haben. Heute liegt der Verkaufspreis durch die Dumpingpolitik der anderen bei 16 Millionen DM. Der Betriebsrat der FSG befürchtet: „Wenn das so weitergeht, haben wir keine Überlebenschance!“ Fairer Wettbewerb ist ausgeschlossen, und es gibt Protest von allen Seiten. Bonn senkt trotzdem die Wettbewerbshilfe und die Zinszuschüsse. Das ist der falsche Weg. Allein in Deutschland sind mehr als 26 000 Menschen auf 100 Werften direkt und dazu noch 70 000 Mitarbeiter in 400 Zulieferbetrieben davon betroffen. Es geht also um 100 000 Arbeitsplätze. In Europa arbeiten allein im Kernbereich der maritimen Industrie mehr als 300 000 Menschen. Ohne Anschlußaufträge droht ihnen die Arbeitslosigkeit. Es handelt sich also nicht nur um ein regionales, nationales oder branchenbezogenes Problem. Hier ist der maritime Standort Europa insgesamt betroffen. Seit 1985 ist der Weltmarktanteil Europas im Schiffbau von 28 auf 19 Prozent zurückgegangen. Gleichzeitig konnte Korea, gestützt auf staatliche Finanzierungshilfen, den eigenen Anteil von 12 auf 25 Prozent ausbauen. Man will Nummer eins in der Welt werden. Der deutsche Anteil stabilisierte sich zwischen 6 und 7 Prozent mit einer Wertschöpfung von immerhin 7,5 Milliarden DM. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms Deutschland ist die drittgrößte Schiffbaunation der Welt - noch. Die deutsche Politik ist jetzt gefordert. Der schleswig-holsteinische Wirtschaftsminister hat kürzlich in einem Brief an seinen Bonner Kollegen auf die Auftragslücke hingewiesen und eine Aufstockung der deutschen Fördermittel gefordert. Reaktion der Bundesregierung - leider -: kein Handlungsbedarf. - So darf man mit Menschen in Deutschland nicht umgehen. ({0}) Stellen Sie sich einmal Kiel ohne HDW, Hamburg ohne Blohm & Voss, Oldenburg ohne die Papen-, Wolgast ohne die Peene-Werft vor. Wenn wir nicht schnell und entschieden handeln, ist der Werftenstandort Deutschland ernsthaft gefährdet. Es besteht Handlungsbedarf für die Bundesregierung. Das gilt erstens für den Förderspielraum, den Brüssel vorgibt. Er wird von Bonn nicht ausgeschöpft. Die 8. EU-Schiffbaurichtlinie bietet dafür eigentlich ein wirksames Instrument. Während Spanien, Frankreich und Italien ihre Werften mit 9,9 Prozent fördern, bremst Bonn die blaue Industrie bei 7 Prozent. Die Benachteiligung gegenüber den europäischen Mitwettbewerbern ist nicht hinnehmbar. Zweitens geht es um die bisherige Beibehaltung der Wettbewerbshilfe in der Höhe, wie sie die Landesregierung Schleswig-Holsteins fordert. Dazu ist dieser Betrag in der mittelfristigen Finanzplanung so festzuschreiben, daß die Werften Planungssicherheit erhalten. Drittens geht es nicht an, daß einer ganzen Branche im Rahmen der neuen Steuergesetzgebung die Sonderabschreibungen jetzt so drastisch gekappt werden, daß sich Investitionen in den Schiffbau nicht mehr lohnen. Aufträge von über 2 Milliarden DM könnten bei Beibehaltung der Verlustzuweisung gebunden werden. Umgerechnet wären das gut 6 000 Arbeitsplätze. Die Lage für die deutschen Werften wird dadurch dramatisch, daß die Auswirkungen dieser Steueränderung mit dem Abbruch der Anschlußaufträge zeitlich zusammenfallen. Wer diesen Doppelschlag gegen die maritime Wirtschaft nicht will, der darf diesen Teil der Steuergesetzgebung im Bundesrat nicht passieren lassen. Das gilt vor allem für die Landesregierungen an der Küste. Es ist nicht vertretbar, mehr Fördermittel aus Bonn und Brüssel zu fordern, wenn man zu Hause seine Hausaufgaben nicht gemacht hat. ({1}) - Die reicht nur bis zum Jahre 2000, länger nicht. In Schleswig-Holstein wurden in den vergangenen Jahren - diese Zahl stammt vom Wirtschaftsminister selbst - bei der Schiffbauförderung 35 Millionen DM eingespart. Die norddeutschen Küstenländer müssen morgen, am Freitag, Farbe bekennen. Ich fordere sie auf, deutlich zu machen, was sie von der maritimen Politik halten, und am Freitag nein zur Steueränderung zu sagen. ({2}) Diese Aufforderung begründet sich auch durch die internationale Lage auf dem Schiffbaumarkt. Die Dauer dieser Krise ist noch gar nicht absehbar. Als Reaktion auf die koreanische Krise haben chinesische Schiffbauer eine Abwertung des chinesischen Yuang um 20 Prozent gefordert mit der Begründung, nur so könne man dem Preisdruck standhalten. Japan hat diesen Schritt mit der Abwertung des Yen bereits vollzogen. Eine Abwertungsspirale mit unabsehbaren Folgen für Europa hat eingesetzt. Wir, die CDU/CSU-Bundestagsfraktion, halten ein Sechs-Punkte-Sofortprogramm für die Stärkung der maritimen Wirtschaft für notwendig: Erstens. Der IWF muß dafür Sorge tragen, daß seine Mittel in Südkorea nicht weiter zu Wettbewerbsverzerrungen im Weltschiffbau führen. Auch die Bundesregierung als Mitglied des IWF trägt eine Mitverantwortung. Wir erwarten klare Aussagen darüber, daß ein Mißbrauch der Währungshilfen ausgeschlossen wird. Zweitens. Die Wettbewerbshilfen sind kurz- und mittelfristig in voller Höhe fortzusetzen und gegebenenfalls auszubauen. Die Reduzierung der Mittel im Bundeshaushalt von bisher 70 auf jetzt 50 Millionen DM ist rückgängig zu machen. Sie ist ein falsches Signal zur falschen Zeit. Mit den jetzt diskutierten Wettbewerbshilfen von Bund und Ländern in Höhe von insgesamt 150 Millionen DM wird nicht einmal die Hälfte des augenblicklichen Auftragsvolumen von 4 bis 5 Milliarden DM gebunden. Die koreanischen Herausforderungen sind dabei noch gar nicht berücksichtigt. Drittens. Die Streichung der Sonderabschreibungen zum 31. Dezember des nächsten Jahres muß zurückgenommen werden. Eigenkapital und Risikobereitschaft sind das Rückgrat des Schiffbaus. Nur durch steuerliche Anreize werden ausreichend Mittel für Investitionen freigesetzt. Viertens. Bedingt durch die zunehmende Änderung der Wertschöpfung beim Schiffbau - die Zulieferindustrie, deren Standorte besonders in West- und Süddeutschland liegen, hat bereits einen 70prozentigen Anteil - ist es sachgerecht, wenn man bei den Wettbewerbshilfen von einer Fördermittelregelung mit dem Verhältnis ein Drittel Bund und zwei Drittel Länder zu einer hälftigen Aufteilung der Förderbeiträge kommt. Fünftens. Auch die Bundesländer dürfen bei der Schiffbauförderung nicht zögern und zaudern. Sie stehen besonders in der Verantwortung. Mittelkürzung zur Unzeit bedeuten Arbeitslosigkeit und Abwanderung von Know-how. Es geht nicht an, daß zum Beispiel Schleswig-Holstein Fördergelder in Höhe von 35 Millionen DM ausläßt. Sechstens. Das internationale OECD-Abkommen, das wegen der fehlenden Unterschrift der Amerikaner auf Eis liegt, muß endlich zum Abschluß gebracht werden. Der internationale Subventionswettlauf ist endlich zu beenden. Das nächste G-8-Treffen wäre für eine derartige Entscheidung durchaus geeignet. Doch dafür muß die Bundesregierung jetzt offensiv werden. ({3}) Wolfgang Börnsen ({4}) Wird jetzt nicht konsequent gehandelt, ist eine Krise im deutschen Schiffbau unausweichlich. Verantwortungsvolle Politik muß das verhindern. Die Werften selbst haben in den vergangenen Jahren bis an die Grenze des Verantwortbaren rationalisiert und die Arbeit optimiert. Ich nenne Ihnen dazu ein Beispiel aus meinem Wahlkreis Flensburg. Die FSG hat vor zehn Jahren zwei Schiffe pro Jahr gebaut. Neun Jahre später baut sie in der gleichen Zeit mit der gleichen Größe der Belegschaft sechs Schiffe. Das zeigt ganz deutlich, wie stark die Optimierung im Schiffbau vorangeschritten ist. Auch andere Werften in Deutschland haben trotz reduzierter Belegschaft ähnliche Erfolge zu verzeichnen. Experten prognostizieren einen Boom im Weltschiffbau. Über 10 000 Einheiten sind über 20 Jahre alt. Neue Märkte erschließen sich aus dem Programm „From Road to Sea“. An diesem maritimen Zukunftsmarkt sollte unser Land beteiligt sein. Technologisch sind wir führend in der Welt. Doch wenn wir jetzt nicht auf die koreanische Herausforderung reagieren, haben nicht nur die Menschen an der Küste das Nachsehen, sondern die maritime Verbundwirtschaft insgesamt. ({5})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Als nächste Rednerin hat die Kollegin Margrit Wetzel von der SPD-Fraktion das Wort.

Dr. Margrit Wetzel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002494, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste auf der Tribüne! Ich kann mir Ausführungen zur Finanzkrise in Korea, die zu der dramatischen Krise im deutschen Schiffbau geführt hat, sparen, weil all das, was Herr Börnsen dazu gesagt hat, zweifellos richtig ist. Ich will nur ergänzend hinzufügen, daß mit dem gigantischen Ausbau der Werftkapazitäten in Korea die führende Schiffbaunation noch weitere Marktanteile zu Lasten der Stabilität der Werftwirtschaft gewonnen hat. Ich gebe ein Beispiel: Der Halla-Konzern hat allein durch die Errichtung einer neuen riesigen Großwerft eine Verschuldungsrate von über 2000 Prozent Fremdkapital zu Eigenkapital erreicht. Als die koreanische Wirtschaft vor dem totalen Zusammenbruch stand, war es völlig richtig, daß der Internationale Währungsfonds einen großen Kredit gegeben hat. Bedauerlicherweise sind mit diesem Kredit keine Kapazitätsbeschränkungen für den Schiffbau verbunden gewesen. In diesem Punkt sind ihre Ausführungen, Herr Börnsen, völlig richtig. Aber einige Ihrer Schlußfolgerungen sind falsch. Es ist überhaupt keine Frage, daß Deutschland reagieren muß. Wir müssen national und gemeinsam mit den anderen europäischen Schiffbaunationen auf EU-Ebene handeln. Die deutschen Werften und die Arbeitnehmer an den Küstenstandorten können sich dabei auf die Koalitionsfraktionen verlassen. ({0}) Wir fordern ganz eindeutig, daß die Auflagen des Internationalen Währungsfonds streng eingehalten und überwacht werden. Eine freiwillige Selbstbeschränkung, wie sie in Ihrem Antrag vorgesehen ist, ist insofern schon hanebüchen, als Sie selber gesagt haben, daß Korea versuche, Marktführer zu werden. Wir können uns die Zahlen anschauen; Sie haben sie hier ja selber vorgeführt. Die Koreaner versuchen mit aller Macht, Japan zu übertrumpfen. Wenn man dann auf freiwillige Selbstbeschränkung abhebt, wird man nicht allzuviel erreichen. Wir müssen also auf allen Ebenen und mit allem Nachdruck darauf hinwirken, daß Korea zu langfristig verbindlichen Kapazitätsbeschränkungen verpflichtet wird. Auch sollten wir Herrn Bangemann bei seiner letzten Amtshandlung als EU-Kommissar durchaus den Rücken stärken; denn er wird bereits in der nächsten Woche in Korea Gespräche zu diesem Thema führen. Der Deutsche Bundestag sollte ebenso wie die Bundesregierung klarmachen, daß wir ihn unterstützen und ihm helfen. ({1}) Des weiteren müssen wir darauf hinwirken, daß IWFKredite in Zukunft grundsätzlich mit Auflagen zur Kapazitätsbegrenzung verbunden werden, wenn sie an Schiffbaunationen gegeben werden. ({2}) Sie haben das OECD-Abkommen erwähnt, Herr Börnsen. Sie wissen aber ganz genau, daß es nie in Kraft getreten ist, weil die USA es nicht ratifiziert haben, und daß es inzwischen schlicht und einfach überholt ist. Wir müssen daran arbeiten, daß die Probleme im deutschen und im europäischen Schiffbau mit einer globalen Strategie gelöst werden. Das heißt, wir brauchen auf europäischer Ebene eine ganz schnelle Einigung über ein neues Abkommen. Besser wäre es, wenn es uns gelänge, die führenden Schiffbaunationen Japan, Korea und China - die Chinesen überholen uns gerade und werden wohl auch in Zukunft vor uns liegen -, aber auch die USA, Norwegen und Polen einzubinden. Wenn wir den Schiffbaumarkt langfristig tatsächlich stabilisieren wollen, wären wir mit einem neuen Abkommen ein ganzes Stück weiter. Ferner sollte die Bundesregierung darauf drängen ich bin sicher, sie wird es auch tun -, daß die Wettbewerbsfragen in einem solchen neuen Abkommen geregelt werden, daß Sanktionsmöglichkeiten vorgesehen werden und daß Preisdumping verhindert wird. ({3}) Nur dann können wir einen stabilen Schiffbaumarkt bekommen. Die liberale europäische Wirtschaftspolitik der letzten Jahre - dessen bin ich mir ganz sicher - können wir uns im Gegensatz zu einer dauerhaft zielgerichteten und konsequent durchgehaltenen asiatischen Industriepolitik nicht mehr leisten. Wir müssen da etwas ändern; denn unseren Werften steht - das haben Sie durchaus zutreffend geschildert - das Wasser bis zum Hals. Die großen Werften haben noch Aufträge bis ins Jahr 2000, bei den Wolfgang Börnsen ({4}) kleinen sind die Auftragsbücher bereits im Herbst 1999 leer. Ohne unsere Hilfe - das ist völlig klar - werden einige dieser Werften die nächsten zwei Jahre nicht überstehen können. Wir wissen, daß Fachleute wegen der Wettbewerbsvorteile Koreas davon ausgehen, daß sich der Schiffbaumarkt frühestens in zwei Jahren etwas stabilisieren wird. Es geht also darum, diese zwei Jahre zu überbrücken. Auch die Zulieferindustrie, auf die - auch das haben Sie völlig zutreffend dargestellt - 70 Prozent der Wertschöpfung im Schiffbau entfällt, ist auf die Aufträge aus dem deutschen Schiffbau angewiesen; denn nur im deutschen Schiffbau können sie tatsächlich Leistungen im Bereich der Hochtechnologie erbringen und sich selbst weiterentwickeln. Sie können so etwas nicht mit Verkäufen in Billigschiffbauländer erreichen. Den Zulieferern geht es um Aufträge aus dem deutschen Schiffbau. Immerhin handelt es sich dabei nicht nur um ein Küstenproblem, denn mehr als 50 Prozent der Zulieferleistungen werden mittlerweile in Bayern und BadenWürttemberg erbracht. Das heißt, alles, was wir für die deutschen Werften tun, tun wir zugleich für Bayern und Baden-Württemberg. Wir haben technologisch die Nase nur vorn, wenn wir den Werften und den Zulieferern die Möglichkeit geben, im Hochtechnologie- und Spezialschiffbau Forschung zu betreiben, Konstruktionen zu entwickeln und Produkte zu verkaufen. Schiffbau ist nämlich nur zu einem geringen Anteil Stahlbau. Schiffbau ist vor allem auch Maschinenbau, Elektrotechnik und Elektronik von allerhöchster Qualität. Dazu kommt die Systemtechnik, um alle diese Bereiche effizient zu verknüpfen. Sie haben auch völlig zutreffend gesagt, daß der Schiffbaumarkt kontinuierlich wächst. Die Abwrackraten nehmen zu. Das heißt, wir haben einen gewaltigen Markt. Deshalb dürfen wir nicht einfach zusehen, daß die deutschen Werften nicht in der Lage sind, Aufträge zu akquirieren. Herr Börnsen, bei Ihren Worten kommen mir fast die Tränen. Man hat das Gefühl, Sie waren die letzten 16 Jahre nicht im Bundestag. Ich glaube aber, Sie waren eine ganze Reihe von Jahren hier. Sie müßten eigentlich wissen - zumindest ich erinnere mich ganz gut daran -, welche Anträge Sie selber gestellt haben bzw. welche Anträge der damaligen Opposition Sie abgebügelt haben. Gucken wir uns doch einmal an, wie Deutschland im europäischen Wettbewerb steht. Die Fördermöglichkeiten, die die europäischen Nachbarländer ausnutzen, haben Sie mit Ihrer früheren Mehrheit den deutschen Werften über all die Jahre hinweg nicht gegeben. Sie waren es doch, die die Förderquoten des Bundes im Verhältnis zu den Ländern kontinuierlich abgebaut haben. Das ist ab dem Jahre 1991 passiert. Zunächst war das Verhältnis zwei Drittel Bund, ein Drittel Land, wie es sicherlich auch angemessen war. ({5}) Sie haben das kontinuierlich geändert. Sie haben dafür gesorgt, daß die Förderung von den Ländern nicht finanziert werden kann, weil sie keine entsprechende Finanzausstattung haben. ({6}) Deshalb ist die Forderung der Küstenländer, wieder zu einer Fifty-fifty-Quote zu kommen, doch durchaus legitim. ({7}) Ich denke, an dieser Quote müssen wir arbeiten. ({8}) Das müssen wir prüfen. Die Koalitionsfraktionen bitten die Bundesregierung darum, das wohlwollend zu prüfen. ({9}) Darauf können Sie sich verlassen. Sie haben einen weiteren Fehler gemacht, den Sie jetzt offensichtlich auf einmal vergessen haben. Sie als Mehrheitsfraktionen haben damals Verpflichtungsermächtigungen für die Werftenhilfe nicht in ausreichendem Maße zur Verfügung gestellt. Wie sieht es bei den Werften aus? - Sie akquirieren Ihre Aufträge doch nach vorne und nicht nach hinten. Es kann nicht darum gehen, die Zinsbeihilfen zu erhöhen, wenn wir ein niedriges Zinsniveau haben und sicher sein können, daß die Zinsbeihilfen wegen des OECDAbkommens für Schiffsexportkredite überhaupt nicht ausgeschöpft werden. Das heißt, diese Hilfe wäre wirkungslos. Es geht jetzt darum, den Werften die Möglichkeit zu geben, Aufträge zu akquirieren. Das geht nur mit Verpflichtungsermächtigungen, die nach EU-Recht zur Zeit nur noch für 1999 und 2000 möglich sind. Nur wenn diese Verpflichtungsermächtigungen in den Haushalt eingestellt werden - wir bitten wirklich eindringlich darum, das zu prüfen -, können die Werften bankfähige Titel erwerben, damit sie die Vorausfinanzierung für Aufträge, die sie dann hoffentlich akquirieren können, bekommen. Ihre falsche Politik hat die Werften Marktanteile gekostet und dazu geführt, daß sie diese Möglichkeiten nicht ausschöpfen konnten. Ich weiß natürlich, daß weder der Finanzminister noch der Wirtschaftsminister, nicht einmal in Personalunion, einen Goldesel neben sich am Kabinettstisch haben. ({10}) Trotzdem richte ich für die Koalitionsfraktionen die eindringliche Bitte an die Bundesregierung, zu prüfen, wie wir den Werften wirklich helfen können. Ich denke, notwendig ist - das sollte man ganz klar sagen - eine wirtschaftspolitische Krisenintervention für die Dauer der nächsten zwei Jahre. Es geht nicht darum, die Zinsbeihilfen zu erhöhen. Es geht auch nicht darum, Dauersubventionen für die Werftindustrie festzuzurren. ({11}) Vielmehr geht es wirklich um eine Krisenintervention ich wiederhole das - für die nächsten zwei Jahre. Die Werften brauchen Möglichkeiten, bankfähige Titel zu erhalten, mit denen sie Aufträge akquirieren können. ({12}) - Natürlich stimmt das mit der VE. Aber klar! Prüfen Sie das doch! ({13}) Eine Werft, die pleite ist, kann nicht wieder auf die Beine kommen. Sie kann auch keine Aufträge mehr erteilen, und die Zulieferindustrie leidet mit. Ich denke, wenn es uns gelingt, die nächsten zwei Jahre zu überbrücken, dann haben wir Zeit, um die Abkommen auf europäischer und internationaler Ebene unter Dach und Fach zu bringen. ({14}) Der Schiffbau ist eine Schlüsselindustrie in der Verkehrstechnik, in der Sicherheitstechnik und in der Umwelttechnik. 90 Prozent aller Exporte der EU gehen über den Wasserweg. Damit komme ich zum dem Part, den ich eigentlich von der Industrie, und zwar von der gesamten maritimen Industrie, erwarte. Werften und Zulieferer müssen ihre enormen und bisher außerordentlich erfolgreichen Anstrengungen zur Qualitätssicherung und Liefertreue weiterbetreiben. Sie müssen weiter daran arbeiten, ihre Kapitalkosten und Overheads noch mehr zu senken. Werften und Zulieferer sollten dabei unterstützt werden, noch besser als bisher zu kooperieren, damit sie gemeinsam technische Entwicklungen vorantreiben können und damit sie Einkaufs-, Vermarktungs- oder Produktionsvorteile nutzen können. Was aber meines Erachtens am wichtigsten ist: Die maritime Industrie muß sich dessen bewußt sein, daß die Bindung an den Nationalstaat der Schlüssel zu belastbaren nationalen Wertschöpfungsketten ist. Ich frage mich, ob wir von den Japanern noch immer nichts gelernt haben. Sie haben geschlossene Märkte. Es geht in diesem Fall für die Werften nicht nur um staatliche Hilfen. Darum geht es auch. Aber es geht vor allem darum, daß deutsche Reeder die Schiffe in Deutschland und nicht in Korea oder China bestellen. Ich sage Ihnen etwas, Herr Börnsen: Auch ich habe einen Wahlkreis an der Küste. Als wir mit den Steuergesetzen beschlossen haben, daß die Verlustzuweisungsgesellschaften nicht mehr unbefristet weiter so agieren können wie zuvor, sind in der kurzen Zeit, die die Gesellschaften zur Verfügung hatten, das heißt in exakt sechs Stunden, allein aus meinem Wahlkreis 40 Schiffe in Korea bestellt worden. Das ärgert mich maßlos. Das ist nichts weiter als eine Reaktion darauf, daß eine Politik, die Sie jahrelang betrieben haben, auf einmal beendet werden sollte. Die Korrelation der nationalen Bindung von Schiffbau, Reeder, Flagge und Besatzung dürfen wir nicht länger übersehen. Denn wer den guten alten Reeder durch Verlustzuweisungsgesellschaften ersetzt, wer Bareboatschiffe unter Billigflagge mit Minimalbesatzung fahren läßt, darf sich nicht ernsthaft wundern, wenn dann die deutschen Reeder ihre Schiffe in Korea bestellen. ({15})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Frau Kollegin Wetzel, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Schauerte?

Dr. Margrit Wetzel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002494, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Aber gern.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Bitte schön.

Hartmut Schauerte (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002770, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Kollegin, ich bedanke mich dafür. Ich möchte an einen Vorgang im Herbst des Jahres 1997 erinnern. Wir waren damals dabei, die Subventionierung über die Verlustzuweisungen zu unterbinden. Insbesondere ärgerte uns, daß Zahnärzte aus Baden-Württemberg Kapitäne zur See von Schiffen wurden, die in Korea gebaut wurden. Wir hatten einen entsprechenden Ansatz im Wirtschafts- und Finanzausschuß. Es war die SPD-Arbeitsgruppe im Wirtschaftsarbeitskreis, gestützt von den SPD-Landesregierungen aus Schleswig-Holstein, Niedersachsen, Bremen, Hamburg - damals noch relativ stark SPD - und MecklenburgVorpommern, die darum gebeten haben, genau das nicht zu tun, weil sie der Meinung waren, das würde dem Standort schaden und Arbeitsplätze in der maritimen Wirtschaft vernichten. ({0}) So war die Wirklichkeit. Sind Sie nicht mit mir der Meinung, daß man bei der Wahrheit bleiben sollte, statt hier Schuldzuweisungen auszusprechen?

Dr. Margrit Wetzel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002494, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich kann mich insofern nicht erinnern, als ich im Herbst nicht dabei war. Ich bin erst in dieser Legislaturperiode wieder in den Bundestag gekommen; insofern konnte ich nicht dabeisein. Aber eines kann ich Ihnen sicher sagen, Herr Schauerte: Daß die Küstenländer so reagieren mußten, war völlig klar, denn sie konnten das Wahlergebnis vom 27. September nicht voraussehen. Sie kannten Ihre Politik und wußten nicht, daß wir eine Mehrheit bekommen. Das Problem ist nicht unbedingt, daß man den Werften durch die BeDr. Margrit Wetzel schränkungen bei den Verlustzuweisungsgesellschaften die Aufträge wegnimmt. Das haben wir auch gesehen. Die Küstenländer haben uns sofort gebeten, ihnen Vertrauensschutz zu gewähren und eine Übergangsfrist einzuräumen. Das ist auch vollständig in Ordnung. Niemand von uns will, daß Aufträge zurückgezogen werden oder daß die Werften weniger Beschäftigung haben. Deshalb haben auch wir in unserer Arbeitsgruppe dafür gekämpft, daß es den Vertrauensschutz gibt. ({0}) Ich bin vollständig davon überzeugt, daß das richtig ist, denn wir können uns diese Auftragseinbrüche überhaupt nicht leisten. Aber wir müssen - da wäre es nett gewesen, wenn Sie mir zugehört hätten - die gesamte Schiffbau- und Schiffahrtspolitik an grundlegenden Stellen verändern und wirklich darauf abzielen, nationale Wertschöpfungsketten zu haben. Das ist wichtig. Eine solche Politik ist nur mit einer veränderten Regierung und mit einer veränderten Mehrheit möglich geworden. Insofern haben die Länder völlig recht. Da geht es nicht um Schuldzuweisungen und auch nicht darum, wer die Wahrheit sagt. Es geht um die Frage, aus welcher Perspektive man an diese äußerst wichtigen Dinge herangeht. ({1}) - Das tun wir auch. Keine Sorge! Der Punkt ist - ich komme zu meinem Ausgangspunkt zurück -: Wir können auf dem globalen Schiffbau- und Schiffahrtsmarkt nur dann bestehen, wenn wir im wirklich guten Sinne ein neues Nationalbewußtsein entwickeln. ({2}) - Doch. - Dabei müssen Politik, Reeder und Werftindustrie gemeinsam handeln. Denn es geht um die Sicherung von Beschäftigung, um die Sicherung von Arbeitsplätzen. Das schaffen wir nur gemeinsam mit den Reedern, der Werftindustrie und den Küstenländern. Herr Goldmann, Sie sagen so locker: Nein. Lesen Sie einmal den Antrag der CDU/CSU. Dort steht im Grunde genau das gleiche, nur mit einem Unterschied: Die CDU/CSU will nämlich gar nicht, daß wir das wirklich so umsetzen, wie sie es fordert, sondern sie will, daß wir Berichte darüber vorlegen. ({3}) Das ist es, was mich am meisten ärgert. Herr Börnsen, in Ihrer Rede klang es so, als stellten Sie inhaltliche Forderungen. Wenn Sie Ihren Antrag genau lesen, dann können Sie feststellen, daß Sie zu all den von Ihnen geforderten Aktivitäten nur die Vorlage von Berichten verlangen. Ich freue mich, daß wir einen Bundeswirtschaftsminister haben, der wirklich alles dazu tut, um die Wirtschaft mit einem guten Konzept und einer guten Strategie zu unterstützen. Ich denke, daß die hochmotivierten Mitarbeiter des Wirtschaftsministeriums wesentlich mehr Lust dazu haben, die entsprechenden notwendigen Verhandlungen vorzubereiten, als für die Opposition Berichte zu schreiben. ({4}) Bei all diesen Dingen geht es um die Sicherung von Beschäftigung bzw. um die Sicherung von Arbeitsplätzen. Wir werden daran mitwirken. Für die Beratung unserer Anträge wünsche ich uns deshalb ein klares Ziel vor Augen, einen sicheren Kurs und hinsichtlich der Finanzen die notwendige Handbreit Wasser unter dem Kiel. Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit. ({5})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Als nächste Rednerin hat das Wort die Kollegin Gudrun Kopp von der F.D.P.-Fraktion.

Gudrun Kopp (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003160, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Sehr geehrte Herren und Damen! Liebe Frau Wetzel, ich denke, wir alle zusammen müssen uns gerade im Hinblick auf die Schiffbauindustrie und auch im Hinblick auf die gesamte Wirtschaft auf globale Zusammenhänge einstellen und können nicht zu nationalen Alleingängen zurückkehren, die uns auf Dauer absolut nichts nützen. ({0}) Man muß zum einen bedenken, daß es durch die Politik der neuen Bundesregierung leider nicht mehr genügend reiche Zahnärzte gibt, die sich bei solchen Projekten engagieren könnten. ({1}) Sie sprachen zum anderen davon, daß man sich nur mit Hilfe von Übergangsfristen auf Gesetzesänderungen einstellen kann. Genau das wünschten wir uns im Hinblick auf Ihre Gesetzesvorhaben, und zwar beim Thema 630Mark-Jobs. Man sollte wissen, was auf einen zukommt. Dies könnte man auf weitere Politikbereiche übertragen. Zurück zum eigentlichen Thema, nämlich zur maritimen Wirtschaft, die auch bei uns in Deutschland ein wichtiger Teil der mittelständischen Wirtschaft ist. 70 Prozent der Wertschöpfung - auch ich weise noch einmal darauf hin - entstehen in der Tat unter anderem bei der mittelständischen Wirtschaft der Küstenländer, auch wenn Sie sagen, daß diesbezügliche Schwerpunkte in Süddeutschland liegen. Ich kann nur sagen: Hauptsache, es gibt in unserem Land Aufträge. ({2}) Ich möchte nicht in den Wettbewerb zwischen Bayern, Nordrhein-Westfalen oder sonstigen Ländern eintreten. Arbeit ist Arbeit, und sie tut uns gut. ({3}) Ich möchte noch auf eines hinweisen: Die kleinen Werften haben - das ist mir von Experten meiner FrakDr. Margrit Wetzel tion glaubwürdig berichtet worden - nur für das nächste Jahr bzw. maximal die nächsten anderthalb Jahre Aufträge. Was diese Werften brauchen, ist in erster Linie eine finanzpolitische Planungssicherheit. ({4}) Wir brauchen keine Absichtserklärungen und Initiativen, die nebulös bleiben. Wir brauchen vielmehr konkrete Aussagen der jetzigen Bundesregierung - Sie haben dazu die Chance - zum Haushalt 1999. ({5}) Ich muß Ihnen hier etwas vorhalten: In Ihrem Antrag ist zwar von lobenswerten Initiativen, nämlich davon, daß man manches tun müßte und vielleicht eine höhere finanzielle Unterstützung bräuchte, zu lesen. In Ihren Ansätzen werden Sie jedoch nicht konkret. Ich habe heute im Jahreswirtschaftsbericht einen Satz gelesen, in dem die Bundesregierung in Hinblick auf den Schiffbau Stellung bezieht. Sie schreibt hier einen Satz - es ist nachzulesen auf Seite 60 im Jahreswirtschaftsbericht -: Einige Branchen wie z.B. Stahl und Schiffbau sind durch die Auswirkungen der weltweiten Turbulenzen an den Finanz- und Devisenmärkten besonders betroffen. Dann geht es nur mit der Stahlindustrie weiter. Der Schiffbau kommt überhaupt nicht mehr vor, keinerlei Perspektiven und schon gar keine Planungssicherheiten. So können Sie auch in diesem Bereich dieses Politikfeld nicht beackern, jedenfalls nicht erfolgreich. ({6}) - Richtig, Herr Börnsen, es geht um 100 000 Arbeitsplätze in unserem Land. Bedenken Sie, daß während der letzten 12 Monate allein bereits zirka 3 500 Arbeitsplätze abgebaut wurden. Dieser Industriezweig ist einer, der von hoher Effektivität und von einem sehr hohen technischen Standard geprägt ist. Das heißt, was an Produktivität, an internationaler Wettbewerbsfähigkeit herauszuholen ist, wird von dem Schiffbauzweig geleistet. ({7}) Selbstverständlich geht es darum, diesen irrsinnigen Subventionswettlauf, der derzeit weltweit tobt, in irgendeiner Weise aufzuhalten. Das können wir nur, indem Sie, die Vertreter der Bundesregierung, endlich konkrete Gespräche aufnehmen und zusehen, daß wir in diesem Bereich multilaterale Abkommen bekommen. ({8}) Wir müssen in der Tat die derzeitige Diskrepanz von zirka 30 Prozent durch den Währungsvorteil in der koreanischen Schiffsindustrie überwinden und die schlimme Zeit, die derzeit die Werftindustrie durchleben muß, überbrücken. Nun komme ich noch einmal auf die Frage zurück: Wie stellen Sie sich das Ganze denn vor? Ich nenne Ihnen ein Beispiel. Die F.D.P.-Fraktion hat im Haushaltsausschuß einen Antrag vorgelegt, der besagt, daß wir eine Aufstockung der Verpflichtungsermächtigungen für diesen Bereich fordern. Wir möchten nämlich, daß die Verpflichtungsermächtigungen um 55 Millionen DM auf 105 Millionen DM erhöht werden, weil wir sagen, dieser Finanzbedarf wird insgesamt bestehen. Die Beratung dieses Antrags ist vertagt worden. Im Ausschuß ist mit Mehrheit entschieden worden, in der Bereinigungssitzung im April werde man darüber noch einmal konferieren. Wenn ich mich an die Sitzung im Wirtschaftsausschuß und an den Antrag der CDU/CSU-Fraktion auf Mittelerhöhung erinnere: wiederum abgeschmettert, vom Tisch gefegt. Ich nehme Ihnen ab, daß Sie vom Fach sind, was den Schiffbau betrifft; das ist gar keine Frage. Aber Sie sind der konkreten Frage, wie Sie das Ganze denn finanzieren wollen, völlig ausgewichen. Auch in Ihrem Papier ist nur die Rede davon, daß die Industrie 50 Millionen DM Mitteleinstellungen in den Haushalt für nicht ausreichend hält. Sie ziehen das in Erwägung, und damit hat es sich. Ich kann Ihnen zum ersten nur raten und fordere auch diese Bundesregierung auf: Werden Sie in den finanziellen Dingen konkret. ({9}) Schaffen Sie zum zweiten bei multilateralen Abkommen Fakten, und berichten Sie über Ihre ganz konkreten Schritte: Wie wollen Sie unsere Werftwirtschaft auch international in die Lage versetzen, daß wir diesem Subventionswettlauf zu Lasten unserer Arbeitsplätze, zu Lasten dieser Industrie nicht weiter ausgesetzt sind? Ich kann Ihnen zum Schluß nur raten: Handeln Sie sofort! Bessern Sie nach! Denn Sie wissen: Das ist nicht das erste Mal, darin haben Sie Übung. Danke schön. ({10})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Als nächster Redner hat der Kollege Werner Schulz vom Bündnis 90/Die Grünen das Wort.

Werner Schulz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002108, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Vielleicht kann ich ungezwungener über dieses Thema reden, weil ich den Werften nicht so nahe bin. Ich muß eine sehr merkwürdige Diskrepanz in einer Sache am heutigen Tage feststellen. Als wir heute mittag den Jahreswirtschaftsbericht der Bundesregierung diskutiert haben, sind wir uns in der Frage des Subventionsabbaus sehr nahe gekommen. Das scheint, wenn man das Thema sehr allgemein behandelt, relativ einfach zu sein. ({0}) Wenn es dann allerdings konkret wird, wenn es zur Sache geht - um Steinkohle, um Landwirtschaft, um Werften -, dann kommen die mehr oder weniger hinlänglich bekannten Argumente, dann ist in der Sache relativ wenig Bewegung. Nun will ich es mir nicht so einfach machen. Denn die Sorge an der Küste ist durchaus berechtigt. Wenn die Zahlen, die mir vorliegen, in Ordnung sind, sind die Aufträge zurückgegangen oder stagnieren zumindest. Allerdings muß man dies natürlich vor dem Hintergrund der sehr günstigen Auftragslage sehen, die sich zwischen Herbst 1997 und Frühjahr 1998 auf Grund der so würde ich das zumindest einschätzen - Unsicherheit in Südkorea ergeben hat. Dies spiegelt sich auch in der Tatsache wider, daß das Auftragsvolumen in 1998 mit, so glaube ich, 6,5 oder 6,6 Milliarden DM deutlich über dem Auftragsvolumen von 1997 liegt. Meine Vorredner haben zu Recht ausgeführt, daß die Auftragsbücher noch bis Herbst 1999, bei vielen Werften sogar bis 2000, gefüllt sind - noch, das ist das Problem. Wir haben es im Moment mit äußerst rabiaten Wettbewerbern aus Südkorea zu tun. Nach dem, was uns vorliegt, handelt es sich nicht um Dumping, werden die Mittel des Internationalen Währungsfonds also offensichtlich nicht zweckfremd verwandt. Aber dennoch verzeichnen wir einen drastischen Rückgang bei den Löhnen, ({1}) und die Beschäftigung nimmt rapide ab. Zudem wirkt sich natürlich auch die Währungsabwertung des Wons aus. Insofern ist das Problem nicht von der Hand zu weisen. Auf der anderen Seite gibt es seit Jahren - auch das haben Sie erwähnt - Bemühungen auf internationaler Ebene, zu einem verbindlichen Subventionsabbau im Schiffsbau zu kommen. Eine entsprechende OECDVereinbarung ist seit 1996 praktisch nicht ratifiziert, obwohl sie ursprünglich sogar von den USA mit initiiert wurde. Die Bundesregierung muß sich intensiv darum bemühen, daß wir zu international vergleichbaren Wettbewerbsbedingungen kommen. Das scheint mir der ausschlaggebende Punkt zu sein. ({2}) - Ich denke, das werden wir schon in die Wege leiten. Sie können sehen, daß es offenbar nicht so einfach ist; denn auch die alte Bundesregierung hat dies nicht geschafft. Das reicht, wie gesagt, bis 1996 - das sind ja doch ein paar Jährchen - zurück. Ganz so schnell ist das also offenbar nicht zu machen. ({3}) - Wir können uns noch nachher unterhalten. Dann würde ich Ihnen auf Ihre Halbsätze auch antworten. In einigen Punkten stimmen wir grundsätzlich mit der Opposition überein, insbesondere darin, daß wir diesen Subventionsabbau zügig vorantreiben müssen. Wir sollten die Möglichkeiten der Wettbewerbshilfe, die die Haushaltsansätze bis 2000 bieten, möglichst ausschöpfen. Und wenn es wirklich hart kommen sollte, müssen wir über die ganze Sache noch einmal reden. Ich sehe im Moment jedenfalls keine Möglichkeit, über den Haushaltsansatz, den wir für dieses Jahr zur Verfügung haben, hinaus etwas zu tun. Eigentlich handelt es sich ja um einen etwas verklausulierten Haushaltsantrag, Herr Börnsen, der mit einer besonderen Situation begründet wird. Sie hätten Ihr Anliegen ebensogut als Änderungsantrag im Haushalts- und im Wirtschaftsausschuß einbringen können. ({4}) Für Zinszuschüsse sehe ich im Moment - jedenfalls für 1999 - keine Notwendigkeit. Wir sollten zumindest in dem Einvernehmen auseinandergehen, daß wir darüber eine vertiefte Diskussion führen, wenn wir genaueres Material vorliegen haben. Falls sich Ihre Befürchtungen in dieser dramatischen Art und Weise bestätigen sollten - daß ein maritimer Standort tatsächlich nach Fernost verschwindet -, dann ist es, um mit einer anderen Branche zu sprechen, höchste Eisenbahn zu handeln. ({5})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Als nächster Redner hat der Kollege Rolf Kutzmutz von der PDS-Fraktion das Wort.

Rolf Kutzmutz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002713, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die von dem Kollegen Börnsen und der CDU/CSU-Fraktion mit ihrem Antrag öffentlich dargelegten Probleme sind in der Tat dramatisch. Nicht umsonst hat die Koalition einen - wenn auch kleinen Antrag nachgelegt. In der Beschreibung der Situation bin ich mit meinen Vorrednerinnen und Vorrednern weitgehend einig. Ich möchte nur eine - allerdings wichtige - Anmerkung zur Beurteilung des IWF durch die Koalition machen. Vermutlich haben Sie sogar recht, wenn Sie sagen, daß es sich nicht um Subventionen in rechtsförmlichem Sinne handelt. Aber das ändert nichts an der praktischen Wirkung. ({0}) Die IWF-Politik hat - nicht zuletzt auf Kosten der südkoreanischen Beschäftigten - den Rahmen für die allseits beklagte koreanische Exportoffensive erst geschaffen. Zu den Bedingungen gehörten Lohn- und Beschäftigungskürzungen. Für mich ist es schon pikant, daß in dem Antrag der Sozialdemokraten ausgerechnet diese Probleme ganz restriktiv gehandhabt, also unter besondere Kontrolle gestellt werden. Mit jeder weiteren Werner Schulz ({1}) Lohnkürzung, mit jedem weiteren Beschäftigungsabbau in Korea werden sich gerade die Probleme ausweiten, die wir hier lösen wollen - gemeinsam; davon gehe ich noch immer aus. ({2}) Es muß jetzt gehandelt werden; das ist richtig. Aber das, was von beiden Antragstellern vorgeschlagen wird, ist nicht mehr als weiße Salbe. Mehr kann man dazu nicht sagen. Was soll die schnellstmögliche Ratifizierung des seit 1994 vorliegenden OECD-Schiffbauabkommens? Was soll die Fortschreibung der bisherigen nationalen Fördermöglichkeiten? Was sollen energische Bund-LänderTätigkeitsberichte bis Mitte Mai in dieser Situation? Das schadet zwar nichts, aber es hilft auch nichts. ({3}) Wir wissen doch wohl alle, Herr Börnsen, daß dieses Abkommen von Südkorea längst ratifiziert worden ist, daß die Säge vielmehr bei den USA klemmt. Ebenso sind wir uns doch wohl einig, daß 7 Prozent Zuschuß zum Auftragspreis und 2 Prozent Zinsverbilligung für Werftkunden, die noch dazu nur bei einem Zinsniveau von über 10 Prozent greifen, angesichts der gegenwärtigen Kostenvorteile der südkoreanischen Werften das Kapital einfach nicht anlocken werden. Wohl niemand glaubt hier tatsächlich daran, daß sich die Südkoreaner bei mindestens 30 Prozent Preisvorteil zur - ich zitiere „freiwilligen Selbsteinschränkung der Schiffbaukapazitäten“ bewegen lassen. Herr Börnsen, auch in Fernost sind Arbeitsplätze - gerade angesichts der dortigen dramatischen sozialen Lage - viel zu wertvoll, als daß ein Land freiwillig auf solche Vorteile verzichten würde. Natürlich könnten wir in dieser Lage sagen: Laßt uns statt ein paar Millionen gleich ein paar Milliarden mehr an direkten Zuschüssen oder indirekten Steuervergünstigungen für den Schiffbau hierzulande lockermachen. Die zahlreichen innovativen Arbeitsplätze und dieses ökologische Verkehrsmittel seien es uns wert. - Aber erstens fehlt uns dazu das Geld, und zweitens wäre selbst bei vorhandenen Mitteln das Pferd dann von hinten aufgezäumt. Das hieße nämlich - bildlich gesprochen -, den Kuponabschneider durch die Allgemeinheit gleich zweimal zu subventionieren. ({4}) Das aber ist auf die Dauer nicht nur unbezahlbar, sondern es ist auch zutiefst unsozial, auch unmoralisch. Das Grundproblem ist ein anderes. Die von der CDU/CSU verlangten Initiativen gegen die Auswirkungen der asiatischen Finanzkrise auf die deutsche und europäische Werftindustrie lösen dieses Problem nicht, auch nicht das von Frau Wetzel angesprochene nationale Bewußtsein und das nationale Handeln. Es muß parallel zu all den Maßnahmen, die wir hier besprechen, grundsätzlich um eine Reform der Weltwirtschaftsordnung gehen; ({5}) denn die jetzige Lage der Werften und die bisher diskutierten Rettungsanker sind nur ein Symptom eines Teufelskreises, den es zu durchbrechen gilt, weil er nicht zu kurieren ist. Wir können übrigens schon morgen in anderen Branchen mit solchen Problemen konfrontiert sein, wenn in der nächsten Weltgegend der Finanzkollaps droht und der IWF wie gehabt beispringt. Gerade Sie von der CDU/CSU haben immer die Deregulierung der Weltfinanzmärkte propagiert. Sie haben heute in manchen Reden den Rücktritt von Herrn Lafontaine unter anderem auch wegen seiner Meinung zu diesem Problem gefeiert. Mit den von Ihnen jetzt ins Plenum gebrachten Problemen haben Sie gewiß unfreiwillig ein Menetekel Ihrer eigenen bisherigen Politik beschrieben. Ich hielte es übrigens für fatal, wenn mit dem Rücktritt von Herrn Lafontaine auch das Ende von so mancher politischen Idee vollzogen würde, die er hier vertreten hat. Das sage ich übrigens auch in Richtung der Koalition. Ich erinnere die Bundesregierung an ihre eigene Antwort von Anfang März auf eine entsprechende Frage unserer Fraktion: Eine verstärkte Kooperation bei der Einführung und Durchsetzung von Sozial- und Umweltstandards kann international zu mehr Effizienz und Kostenvorteilen führen. Gleiches gilt für die ebenfalls von der Regierung Schröder beschworene Ausweitung der Finanzmarktaufsicht. Wenn es nicht gelingt, Strukturen aufzubauen, bei denen die Gewinner der Deregulierung der Finanzmärkte - die Banken, Versicherungen und Fonds weltweit künftig die Verluste ihrer Transaktionen selbst zu tragen haben, dann brauchen wir über die Hilfsmaßnahmen, über die wir heute sprechen, nicht länger zu reden. ({6}) Solange Worte wie „Wechselkurszielzonen“, „Devisenumsatzsteuer“ oder „Beschränkungen des Kapitalexports“ nicht in den Mund genommen, geschweige denn in Überlegungen zur Stabilisierung der Weltwährungssysteme einbezogen werden, wird es immer wieder zu plötzlichen und riesigen Kapitalbewegungen mit solch katastrophalen Wirkungen wie in Südostasien, Südamerika oder Rußland kommen. Deshalb geht es darum, daß sich die Bundesregierung parallel zu den Maßnahmen, die heute angesprochen werden, für eine grundlegende Reform der Weltwirtschaftsordnung einsetzt und sie auch durchsetzen hilft. Ansonsten wird die Politik und mit ihr die zahlende Allgemeinheit die Geschichte von Hase und Igel stets weiter nur aus der Hasenperspektive betrachten dürfen. Danke schön. ({7})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Als nächster Redner hat das Wort der Kollege Ulrich Adam von der CDU/CSU-Fraktion.

Ulrich Adam (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000005, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Von meinen Vorrednerinnen und -rednern wurde die Situation ausführlich dargestellt. Es sei mir als Vertreter aus den neuen Ländern gestattet, noch einige Aspekte hinzuzufügen, die die Situation gerade für den Schiffbau in den neuen Ländern und speziell in Mecklenburg-Vorpommern noch deutlicher und, so glaube ich, als noch schwieriger darstellen. Wir haben in den letzten acht Jahren - das war die Bundesregierung unter Helmut Kohl - über 4 Milliarden DM in den Aufbau der Werften von MecklenburgVorpommern gesteckt; das sei hier einmal vermerkt. ({0}) In dieser Zahl sind nicht die Kosten für die zweite Privatisierung auf Grund des Konkurses des Bremer Vulkan - es handelte sich um Kosten in Höhe von fast 1 Milliarde DM - enthalten. Ich erspare mir jetzt, auf die Hintergründe einzugehen; damit haben sich ja mehrere Untersuchungsausschüsse befaßt. Auf Grund dieser Investitionen konnte das Produktionsvolumen von 1993 bis zum letzten Jahr von 1,3 Milliarden DM auf 1,6 Milliarden DM gesteigert werden. Es handelt sich um eine sehr gute Entwicklung, die sich natürlich besonders in unserem Land bemerkbar macht, da die Werftenindustrie - das wissen Sie - der einzige bemerkenswerte industrielle Zweig ist, den wir in unserem Lande haben. Aus diesem Grunde machte sich gerade in den letzten Jahren verstärkt folgende zusätzliche Schwierigkeit bemerkbar: Zusammen mit den Investitionsverpflichtungen wurden die Werften von Mecklenburg-Vorpommern mit einer Begrenzung ihrer Tonnageproduktion belegt. Das möchte ich am Beispiel der Peene-Werft in Wolgast belegen. Diese Werft ist an eine Tonnageproduktion von 35 000 cgt pro Jahr gebunden. Das bedeutet, im letzten Jahr mußte die Produktion um 20 000 Betriebsstunden reduziert werden, da eine Überschreitung dieser cgt-Zahl eine Rückzahlung der Unterstützung zur Folge gehabt hätte. Diese Regelung ist bis zum Jahre 2001 begrenzt. Die EU-Kommission hat schon signalisiert, daß ab dem Jahre 2001 die Möglichkeit besteht, die Obergrenzen neu zu verhandeln. Sie hat aber auch bereits deutlich gemacht, daß sie an sich dazu nicht bereit ist. Das bedeutet praktisch, daß diese Grenzen bis zum Jahre 2005 bestehenbleiben. Auf Grund der Produktionssteigerungen würden diese Probleme dann noch stärker zu Buche schlagen. Deswegen fordere ich - zusätzlich zu den aufgestellten Forderungen - die Bundesregierung auf, auch in diesem Zusammenhang tätig zu werden ({1}) und in Verhandlungen mit der EU-Kommission zu treten, damit diese Grenzen schon im Jahre 2001 fallen, um hier nicht eine zusätzliche Bremse einzubauen. Das gleiche gilt natürlich auch für die Landesregierung von Mecklenburg-Vorpommern. Auch von ihr erwarte ich, daß sie sich für die Interessen des Landes MecklenburgVorpommern einsetzt. ({2}) Denn eins ist klar: Wenn die genannten Beihilfen nicht angepaßt werden und wenn die Gleichstellung des Wettbewerbs in Deutschland insgesamt - unter diesen schwierigen Bedingungen bedeutet das natürlich: besonders in Mecklenburg-Vorpommern - jetzt nicht hergestellt wird, bestehen sowohl für die Peene-Werft als auch für die anderen Werften in MecklenburgVorpommern keinerlei Überlebenschancen. Das heißt, wir erwarten von einer Bundesregierung, die vollmundig die Priorität für den Aufbau Ost propagiert, daß sie im Sinne eines notwendigen Erhaltes der Arbeitsstellen handelt. ({3}) Die gleiche politische Verantwortung trifft auch die Landesregierung in Mecklenburg-Vorpommern. Ich frage deshalb: Ist Ministerpräsident Ringstorff nicht klar, daß er mit seiner wirtschaftsfeindlichen Politik den einzigen Industriezweig in Mecklenburg-Vorpommern, nämlich die Werftindustrie, unmittelbar gefährdet? Ich darf an dieser Stelle hinzufügen, daß durch sein zögerliches Handeln bei der Ansiedlung des Airbusses A3XX bereits eine weitere Chance für das Land vertan wurde. Auf Grund der Steuer- und Gesetzesvorhaben der Bundesregierung ist der Industriestandort Lubmin - dort soll ein weiteres Industriezentrum aufgebaut werden - gefährdet. Auch insofern ist die Landesregierung nicht tätig geworden. Im Gegenteil: Es wird so sein, daß sich die Landesregierung Mecklenburg-Vorpommern nur durch den Widerstand der PDS - man höre und staune! - in der morgigen Abstimmung über die Steuergesetze im Bundesrat der Stimme enthalten wird. Ich darf an dieser Stelle den Umweltminister von Mecklenburg-Vorpommern, Herrn Professor Methling, zitieren, der gestern in der „Ostsee-Zeitung“ sagte: Der vorliegende Gesetzestext weist erhebliche Mängel auf. Die Ökosteuer wird dem Anspruch eines politischen Steuerinstrumentariums nicht gerecht. Desgleichen bin ich persönlich maßlos von den SPDKolleginnen und Kollegen aus MecklenburgVorpommern im Deutschen Bundestag enttäuscht, die den Steuerreformgesetzen trotz der besonderen Belastungen der Menschen in unserem Land durch die rotgrüne Steuerpolitik zugestimmt haben. Damit haben sie die Interessen der Bürgerinnen und Bürger in Mecklenburg-Vorpommern mit Füßen getreten ({4}) und dazu beigetragen, daß die Kluft zwischen den alten und den neuen Bundesländern hinsichtlich der Abgabenbelastungen noch größer wird. ({5}) Die Tatsachen, daß sowohl der niedersächsische als auch der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Nachbesserungen an der Steuerreform verlangen und die SPD-Regierung in Sachsen-Anhalt in der morgigen Bundesratssitzung ihren Protest gegen die Einführung der Ökosteuer sogar schriftlich zu Protokoll geben will, halte ich in diesem Zusammenhang schon für äußerst bemerkenswert. Das sollte Sie doch sehr nachdenklich stimmen. ({6}) - Ich bin beim Thema. - Es ging doch um die Frage, wer denn diese Verhandlungen führen soll. Ich denke, Herr Lafontaine hat mit seiner Flucht aus der steuer- und finanzpolitischen Verantwortung dieser Bundesregierung das entsprechende Signal gesetzt und das Versagen der Bonner Regierungspolitik deutlich genug gemacht. Dazu schreibt der „Stern“ in seinem Leitartikel: Lafontaine hatte nur einen Grund hinzuschmeißen: Sein Machtkonzept ist nicht aufgegangen. Als starker Finanzminister wollte er die heimliche Nummer eins sein und den - vermeintlich - schwachen Kanzler dominieren. Es kam anders. Während Lafontaine von der Presse um die Ohren bekam, sonnte sich Schröder als „Cashmere-Kanzler“ in den Fernsehshows des Landes. Nein, Oskar Lafontaines Flucht von all seinen Funktionen verdient keinen Respekt. Weil er aus gekränkter Eitelkeit geht, ist sein Abgang ruhmlos, wie seine Amtszeit sinnlos war. ({7}) Das erinnert mich an einen Slogan, den wir im Wahlkampf 1990 verwendet haben - vielleicht hätten wir ihn wieder benutzen sollen; ich gestehe, ich weiß nicht, ob das der Grund war, warum wir im letzten Jahr die Wahl verloren haben -: „Ein Saarländer reicht uns!“ ({8})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Als letzter Redner hat jetzt der Parlamentarische Staatssekretär Siegmar Mosdorf das Wort.

Siegmar Mosdorf (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001535

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich darf nach dieser sachlichen Debatte über den Schiffbau zunächst einmal sagen, daß der Schiffbau eine der wichtigsten Branchen in Deutschland und auch eine High-TechBranche ist. Manchmal hat man den Eindruck, daß das nicht so sei. Die Schiffbauindustrie gehört nicht mehr zur klassischen Schwerindustrie, sondern ist inzwischen eine High-Tech-Industrie. Wir sollten auch in Zukunft auf den Schiffbau setzen. ({0}) Die Bundesregierung will das jedenfalls tun. Ich denke, darauf sollten auch unsere gemeinsamen Anstrengungen abzielen, gerade in einer Zeit, in der sich die Schiffbauindustrie weltweit fundamental verändert. Es gab die Koreakrise. Sie hat die Globaldaten erheblich verändert. In Korea sind die Löhne um 25 Prozent gesenkt worden. Auch die Beschäftigtenzahl hat um mehr als 20 Prozent abgenommen. Gleichzeitig erfolgte eine starke Abwertung des Won. Danach gab es Wettbewerbsbedingungen, die nicht mehr fair waren. Deshalb haben wir diese Bedingungen untersuchen lassen. Wir haben vor dem Hintergrund der spezifischen Bedingungen der Koreakrise dem IMF deutlich gemacht, daß mit Hilfe unserer Stützungskredite in speziellen Branchen nicht Bedingungen geschaffen werden dürfen, die den Wettbewerb auf den Weltmärkten verzerren. Darauf werden wir auch in Zukunft achten. ({1}) Herr Börnsen, Sie haben vorhin aus dem Brief des schleswig-holsteinischen Wirtschaftsministers vom Dezember an den Bundesfinanzminister zitiert. Diesen Brief habe ich mir gerade noch einmal durchgelesen, weil Sie behauptet haben, daß dort stehe, es gebe keinen Handlungsbedarf. ({2}) - Stimmt, lieber Herr Börnsen. Wir kennen uns nun schon so lange, und Sie wissen, daß man das, was in der Zeitung steht, immer genau lesen muß. Den von Ihnen zitierten Brief gebe ich Ihnen gleich. Sie werden dann feststellen, daß dort nichts über „keinen Handlungsbedarf“ steht. In dem Brief geht es nur um die Frage, wie mit dem Verteilungsschlüssel verfahren werden soll. Sie wissen, daß es eine lange Diskussion über die Höhe des Anteils des Bundes und des Anteils der Länder gibt. Dort stand aber nichts von „kein Handlungsbedarf“. Im Gegenteil: Der Minister hat in dem Brief ausgeführt, er sei durch die Bedingungen auf dem Weltmarkt alarmiert. Die veränderten Bedingungen hängen nicht nur mit der Koreakrise, sondern auch mit dem Aufbau von neuen Kapazitäten in China zusammen, das inzwischen massiv auf den Weltmarkt drängt und mit erheblichen Anstrengungen versucht, dort eine wichtige Rolle zu spielen. Deshalb will ich nur darauf hinweisen: Es muß unser gemeinsames Interesse sein, daß wir nur dann zusammen mit dem IMF und der Weltbank - auch wenn es dafür gute Gründe gibt - ausländische Volkswirtschaften unterstützen, wenn ein paar Bedingungen erfüllt sind, zum Beispiel daß der Bankensektor in den unterstützten Volkswirtschaften so transparent ist, daß auch Fairneß gegenüber den Wettbewerbern herrscht, zum Beispiel daß die Kreditvergabe nicht an staatliche Vorgaben geknüpft wird, die dann für Subventionen verwendet werden, zum Beispiel daß es Rechnungslegungsvorschriften gibt, die für alle gleich und nicht nur für bestimmte Volkswirtschaften gelten, und zum Beispiel daß bei gruppeninterner Kreditvergabe garantiert wird, daß mit diesen Krediten keine Kapazitätserweiterungen vorgenommen werden - das ist der Punkt, um den es bei den multilateralen Abkommen geht -, die dann zu einem nicht fairen und nicht korrekten internationalen Wettbewerb führen. ({3}) Der Wettbewerbsdruck ist enorm. Deshalb müssen wir alles tun, wenn wir den heimischen Schiffbau erhalten wollen, um sehr gut und exzellent zu sein. Das ist unsere erste Antwort auf die Globalisierung. Die deutsche Schiffbauindustrie unternimmt in dieser Hinsicht entsprechende Anstrengungen. Zweitens müssen wir auch das in Angriff nehmen - das gehört dazu -, worüber wir in den letzten Wochen polemisch diskutiert haben: Wir brauchen nämlich internationale Standards, Koordination und Spielregeln, die zu Fairneß auf dem Weltmarkt beitragen. Ich glaube, hier sind wir uns einig. Deshalb sollten wir an diesem Punkt die Polemik herausnehmen. Für eine Weltwirtschaft, die grenzenlos ist, braucht man Spielregeln, die international akzeptiert werden. Entsprechende multilaterale Abkommen gibt es noch nicht. Wir wollen uns jedenfalls in Zukunft dafür einsetzen. ({4}) Lassen Sie mich zum Schluß noch drei Punkte aufzählen: Erstens. Die Bundesregierung tut alles, um die Schiffbauindustrie in Deutschland zu stabilisieren und auch weiterhin zu stärken. Wir wissen, wie wichtig diese Branche ist. Deshalb wollten wir als Wirtschaftsministerium - das will ich ausdrücklich sagen - in unseren Haushalt 70 Millionen DM an Verpflichtungsermächtigungen einstellen. Aus Gründen fehlender Haushaltsmittel sah sich das Ministerium nur in der Lage, bisher 50 Millionen DM vorzusehen. Das Wirtschaftsministerium hat aus Gründen der Planungssicherheit alles getan - und wir wollen auch weiterhin alles tun -, um deutlich zu machen, daß es eine Stabilität gibt. Wir kämpfen darum. Sie kennen aber auch die Haushaltsbedingungen; diese haben wir nicht zu verantworten. Das sind die Baustellen unserer Vorgänger; wir können dies nicht ändern. ({5}) Zweitens. Ich glaube, es ist sehr wichtig, gemeinsam festhalten zu können, daß wir für den Haushalt 1999 Barmittel in Höhe von 217 Millionen DM vorgesehen haben. Das ist auch wichtig, was die Zinszuschüsse angeht. Darauf kann sich die Werftindustrie verlassen. Drittens. Das Forschungsministerium hat vor - dies möchte ich sagen, weil es ein bißchen untergegangen ist -, die Mittel für die Forschungs- und Entwicklungsförderung im Schiffbausektor in den nächsten Jahren von 30 Millionen DM auf 90 Millionen DM anzuheben. Das ist ein wichtiger Schritt; denn damit wird klar: Wir gehen nicht in die Direktsubventionen. Das wäre auch nach den Standards der Beihilfekonzepte gar nicht möglich. Durch Forschung und Technologie zu helfen ist ein sinnvolles Konzept. Deshalb ist die Anhebung der Mittel im Rahmen der Forschungs- und Technologiepolitik in diesem Bereich zum Schluß der Debatte eine gute Nachricht. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({6})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bitte noch für einige Minuten um Aufmerksamkeit. Wir werden gleich zur namentlichen Abstimmung kommen. Zunächst einmal schließe ich die Aussprache zu diesem Tagesordnungspunkt. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 14/400 und 14/540 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 8 auf: Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Dr. Heidi Knake-Werner und der Fraktion der PDS eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Korrektur von Fehlentwicklungen im Recht der Arbeitslosenhilfe ({0}) - Drucksache 14/15 ({1}) Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung ({2}) - Drucksache 14/391 - Berichterstattung: Abgeordneter Dirk Niebel Ich weise darauf hin, daß wir nach der Aussprache über diesen Gesetzentwurf namentlich abstimmen wer- den. Folgende Redner haben ihre Rede zu Protokoll gege- ben: Ute Kumpf, SPD, Heinz Schemken, CDU/CSU, Dr. Thea Dückert, Bündnis 90/Die Grünen, und Dirk Niebel, F.D.P.*) Der Redner der PDS, der Kollege Dr. Klaus Grehn, möchte gerne sprechen. Bitte schön, Herr Grehn, Sie haben das Wort.

Dr. Klaus Grehn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003135, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist schon seltsam - das muß ich sagen -: Diese Bundesregierung ist unter dem von den Wählern honorierten Motto der Herstellung der sozialen Gerechtigkeit angetreten. Die Botschaft hörte ich wohl, und sie ist richtig. ({0}) *) Anlage 3 Das Seltsame hingegen ist, daß Themen, die dieser Botschaft gerecht werden, speziell wenn sie von der PDS eingebracht werden, auf den späten Abend gelegt werden. ({1}) Ich frage Sie: Soll so der Öffentlichkeit signalisiert werden, daß es so ernst gar nicht gemeint ist? Oder ist es ein klein wenig das schlechte Gewissen? Sollen möglichst wenige davon erfahren, mit welch fadenscheinigen Begründungen sinnvolle, sozial gerechte und eigentlich leicht zu bedienende Gesetzesvorschläge der PDS abgelehnt oder in die Unendlichkeit verschoben werden? Im übrigen: Mit diesen Ablehnungen stoßen Sie in erster Linie die Betroffenen, von denen im September nicht wenige Sie gewählt haben, vor den Kopf, nicht die PDS! ({2}) Mit flammendem Eifer sprachen sich Rednerinnen und Redner der Koalition gegen sozialpolitisch relevante Anträge und Gesetzentwürfe der PDS-Fraktion aus. Man ließe sich nicht die Schrittfolge diktieren, so wurde gesagt. In der Sache selbst gab es ausgesprochen oder unausgesprochen oftmals identische Auffassungen. Wie aber steht es nun mit den Argumenten, daß alles in einer grundlegenden Reform des SGB III geregelt werde und die Eile der PDS ungerechtfertigt sei? Statt der grundlegenden Reform des SGB III legen Sie nun Teillösung nach Teillösung vor: Entlassungsentschädigungsänderungsgesetz, Vorschaltgesetz zum SGB III, Siebtes Gesetz zur Änderung des Bundessozialhilfegesetzes einschließlich erster Änderung zur Änderung. Das, was Sie an den Entwürfen der PDS kritisieren, tun Sie nun selbst. Offenbar hat sich Ihre Auffassung von späteren grundsätzlichen Regelungen gewandelt. ({3})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Kollege Grehn, ich darf Sie einen Moment unterbrechen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, geben Sie dem Kollegen noch die letzten zweieinhalb Minuten Zeit, Ihnen seine Ausführungen vorzutragen, und bewahren Sie bitte etwas mehr Ruhe. ({0}) Bitte schön, Herr Kollege.

Dr. Klaus Grehn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003135, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Wo bleibt da die Logik der Argumente? Lassen Sie endlich zu, daß wir aus den offenbar gleichen Gründen wie Sie den Finger auf grobe Ungerechtigkeiten der Sozial- und Arbeitsmarktpolitik der alten Regierung legen. Ihre hoffentlich bessere Politik wird doch dadurch nicht beschädigt. Grundsätzlich gegen Anträge der PDS zu sein, nur weil es die PDS ist, ist ein alter Hut, den Sie zumindest landesweit nicht mehr verkaufen können. ({0}) Sprechen wir also über das, was rasch geändert werden muß. Wenden Sie sich den bedürftigen Menschen zu! Die PDS hat mit Gesetzesinitiativen maßvolle, aber sofortige Korrekturen am SGB III gefordert. Für den großen Bereich der Arbeitslosenhilfe fordert sie mit dem vorliegenden Gesetzentwurf lediglich die Aufhebung einer völlig ungerechtfertigten Willkür, die jährliche Absenkung der Bemessungsgrundlage für die Arbeitslosenhilfe um 3 Prozent. ({1}) Da es hier um Menschen geht, die auf absehbare Zeit kaum eine Chance auf Wiedereinstellung in einen Arbeitsplatz haben und die bereits arm sind, trifft sie diese Ungerechtigkeit doppelt. Die Einführung dieser Böswilligkeit durch die KohlRegierung war neben anderen Schikanen ein Signal für den Umgang mit Arbeitslosigkeit und Arbeitslosen. Fiskalisch ist für den Staat dabei kaum etwas herausgekommen. Dafür müssen allerdings die Kommunen nunmehr Ausgleich für das schaffen, was den Sozialhilfeempfängern verlorengeht. ({2}) Wie nur kann eine sozialdemokratisch geführte Regierung diesen Stil fortsetzen? Die Zahl der registrierten Arbeitslosen konnten Sie in den letzten fünf Monaten Ihrer Regierungszeit nicht senken. Vielleicht war das so rasch nicht möglich. Allerdings stehen die Signale in diesem Bereich sehr stark auf Rot. Sie haben einige Dinge in Angriff genommen. Das Programm zur Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit war ein erster Schritt. Die Bereitstellung von mehr Mitteln für die Arbeitsmarktpolitik ist verdienstvoll. Aber beide Maßnahmen sind kein Argument für die Ablehnung des Gesetzentwurfs, der auf die Hilfe für Langzeitarbeitslose und schwer vermittelbare ehemalige Arbeitnehmer ausgerichtet ist, die auch auf dem zweiten Arbeitsmarkt keine Chance haben. Das sind viele. ({3}) Es ist höchste Zeit, jenen zu helfen, die wegen ihrer unverschuldeten Arbeitslosigkeit immer weiter von der Gesellschaft abgekoppelt werden. Während die durch einen Arbeitsplatz Privilegierten über Tarifmaßnahmen, Diätenerhöhungen und anderes eine regelmäßige Besserstellung erreichen, werden die kargen Mittel zum Lebensunterhalt dieser um ein Mehrfaches schlechtergestellten arbeitslosen Sozialhilfeempfänger jährlich gekürzt. Das ist nicht hinnehmbar. Das ist von sozialer Gerechtigkeit weit entfernt. ({4}) Wir appellieren an Sie, keinen Alleinvertretungsanspruch in der Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik aufrechtzuerhalten. Beweisen Sie, daß auch ohne Oskar Lafontaine nicht vergessen wird, warum Sie und nicht die alte Regierungskoalition gewählt wurde.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Kollege, kommen Sie bitte zum Schluß.

Dr. Klaus Grehn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003135, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Letzter Satz. Gegen den vorliegenden Gesetzentwurf gibt es keine sachlichen Einwände. Sie können ihm zustimmen, ohne in Ihrer eigenen Politik Schaden anzurichten. Ersparen Sie diesem Haus eine Blamage durch eine etwaige Ablehnung! ({0})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den Gesetzentwurf der Fraktion der PDS zur Korrektur von Fehlentwicklungen im Recht der Arbeitslosenhilfe auf Drucksache 14/15. Der Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung empfiehlt auf Drucksache 14/391, den Gesetzentwurf abzulehnen. Ich lasse über den Gesetzentwurf der PDS auf Drucksache 14/15 abstimmen. Die Fraktion der PDS verlangt namentliche Abstimmung. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen. Sind alle Urnen besetzt? - Das ist der Fall. Ich eröffne die Abstimmung. Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine Stimmkarte nicht abgegeben hat? - Das scheint nicht der Fall zu sein. Dann schließe ich die Abstimmung. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Bis zum Vorliegen des Ergebnisses der namentlichen Abstimmung unterbreche ich die Sitzung. ({0})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Die unterbrochene Sitzung ist wieder eröffnet. Ich gebe das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung über den Gesetzentwurf der PDS zur Korrektur von Fehlentwicklungen im Recht der Arbeitslosenhilfe auf Drucksachen 14/15 und 14/391 bekannt: Abgegebene Stimmen 506. Mit Ja haben gestimmt 28, mit Nein haben gestimmt 478, keine Enthaltungen. Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung abgelehnt. Damit entfällt nach unserer Geschäftsordnung die weitere Beratung. Endgültiges Ergebnis Abgegebene Stimmen: 504; davon ja: 28 nein: 476 Ja PDS Dr. Dietmar Bartsch Eva Bulling-Schröter Dr. Heinrich Fink Dr. Ruth Fuchs Fred Gebhardt Wolfgang Gehrcke-Reymann Dr. Gregor Gysi Carsten Hübner Ulla Jelpke Sabine Jünger Gerhard Jüttemann Dr. Evelyn Kenzler Dr. Heidi Knake-Werner Heidi Lippmann-Kasten Dr. Christa Luft Heidemarie Lüth Angela Marquardt Manfred Müller ({0}) Rosel Neuhäuser Gustav-Adolf Schur Dr. Winfried Wolf Nein CDU/CSU Ilse Aigner Günter Baumann Meinrad Belle Dr. Sabine Bergmann-Pohl Hans-Dirk Bierling Renate Blank Peter Bleser Dr. Norbert Blüm Friedrich Bohl Dr. Maria Böhmer Sylvia Bonitz ({1}) Wolfgang Bosbach Klaus Brähmig Dr. Ralf Brauksiepe Georg Brunnhuber Klaus Bühler ({2}) Cajus Caesar Peter H. Carstensen ({3}) Wolfgang Dehnel Hubert Deittert Albert Deß Wilhelm Dietzel Thomas Dörflinger Hansjürgen Doss Marie-Luise Dött Maria Eichhorn Rainer Eppelmann Anke Eymer Ilse Falk Dr. Hans Georg Faust Ulf Fink Ingrid Fischbach Dr. Hans-Peter Friedrich ({4}) Dr. Jürgen Gehb Dr. Heiner Geißler Georg Girisch Dr. Reinhard Göhner Peter Götz Dr. Wolfgang Götzer Kurt-Dieter Grill Manfred Grund Gottfried Haschke ({5}) Gerda Hasselfeldt Norbert Hauser ({6}) ({7}) Klaus-Jürgen Hedrich Manfred Heise Siegfried Helias Ernst Hinsken Martin Hohmann Klaus Holetschek Dr. Karl-Heinz Hornhues Joachim Hörster Hubert Hüppe Georg Janovsky Dr.-Ing. Rainer Jork Dr. Harald Kahl Dr. Dietmar Kansy Manfred Kanther Irmgard Karwatzki Volker Kauder Ulrich Klinkert Norbert Königshofen Eva-Maria Kors Hartmut Koschyk Thomas Kossendey Rudolf Kraus Dr. Martina Krogmann Dr. Paul Krüger Dr. Hermann Kues Dr. Karl A. Lamers ({8}) Dr. Paul Laufs Karl-Josef Laumann Vera Lengsfeld Werner Lensing Peter Letzgus Ursula Lietz Walter Link ({9}) Dr. Klaus Lippold ({10}) Dr. Manfred Lischewski Dr. Michael Luther Erich Maaß ({11}) Dr. Martin Mayer ({12}) Dr. Michael Meister Dr. Angela Merkel Friedrich Merz Dr. Gerd Müller Bernward Müller ({13}) Elmar Müller ({14}) Bernd Neumann ({15}) Claudia Nolte Franz Obermeier Friedhelm Ost Eduard Oswald Norbert Otto ({16}) Anton Pfeifer Beatrix Philipp Ronald Pofalla Ruprecht Polenz Marlies Pretzlaff Hans Raidel Helmut Rauber Peter Rauen Christa Reichard ({17}) Erika Reinhardt Klaus Riegert Franz Romer Hannelore Rönsch ({18}) Dr. Klaus Rose Dr. Christian Ruck Volker Rühe Dr. Jürgen Rüttgers Hartmut Schauerte Heinz Schemken Gerhard Scheu Dietmar Schlee Bernd Schmidbauer Christian Schmidt ({19}) Dr.-Ing. Joachim Schmidt ({20}) Andreas Schmidt ({21}) Birgit Schnieber-Jastram Dr. Andreas Schockenhoff Dr. Rupert Scholz Reinhard Freiherr von Schorlemer Dr. Erika Schuchardt Clemens Schwalbe Wilhelm-Josef Sebastian Heinz Seiffert Johannes Singhammer Bärbel Sothmann Margarete Späte Erika Steinbach Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten Andreas Storm Dorothea Störr-Ritter Max Straubinger Matthäus Strebl Thomas Strobl Dr. Rita Süssmuth Dr. Susanne Tiemann Edeltraut Töpfer Dr. Hans-Peter Uhl Arnold Eugen Hugo Vaatz Angelika Volquartz Andrea Voßhoff Dr. Theodor Waigel Peter Weiß ({22}) Gerald Weiß ({23}) Annette Widmann-Mauz Heinz Wiese ({24}) Hans-Otto Wilhelm ({25}) Klaus-Peter Willsch Werner Wittlich Elke Wülfing Peter Kurt Würzbach Benno Zierer Wolfgang Zöller SPD Brigitte Adler Gerd Andres Rainer Arnold Hermann Bachmaier Ernst Bahr Doris Barnett Dr. Hans-Peter Bartels Eckhardt Barthel ({26}) Klaus Barthel ({27}) Ingrid Becker-Inglau Dr. Axel Berg Friedhelm Julius Beucher Petra Bierwirth Rudolf Bindig Lothar Binding ({28}) Kurt Bodewig Klaus Brandner Willi Brase Rainer Brinkmann ({29}) Bernhard Brinkmann ({30}) Hans-Günter Bruckmann Edelgard Bulmahn Ursula Burchardt Dr. Michael Bürsch Hans Martin Bury Hans Büttner ({31}) Wolf-Michael Catenhusen Dr. Peter Wilhelm Danckert Dr. Herta Däubler-Gmelin Christel Deichmann Karl Diller Peter Dreßen Rudolf Dreßler Detlef Dzembritzki Dieter Dzewas Dr. Peter Eckardt Sebastian Edathy Ludwig Eich Marga Elser Peter Enders Petra Ernstberger Annette Faße Lothar Fischer ({32}) Gabriele Fograscher Iris Follak Rainer Fornahl Hans Forster Dagmar Freitag Lilo Friedrich ({33}) Harald Friese Arne Fuhrmann Monika Ganseforth Konrad Gilges Iris Gleicke Uwe Göllner Renate Gradistanac Günter Graf ({34}) Angelika Graf ({35}) Dieter Grasedieck Monika Griefahn Achim Großmann Karl Hermann Haack ({36}) Hans-Joachim Hacker Alfred Hartenbach Anke Hartnagel Nina Hauer Hubertus Heil Frank Hempel Rolf Hempelmann Dr. Barbara Hendricks Gustav Herzog Monika Heubaum Uwe Hiksch Reinhold Hiller ({37}) Stephan Hilsberg Gerd Höfer Jelena Hoffmann ({38}) Walter Hoffmann ({39}) Frank Hofmann ({40}) Ingrid Holzhüter Christel Humme Lothar Ibrügger Barbara Imhof Brunhilde Irber Renate Jäger Jann-Peter Janssen Ilse Janz Dr. Uwe Jens Johannes Kahrs Ulrich Kasparick Sabine Kaspereit Susanne Kastner Hans-Peter Kemper Klaus Kirschner Marianne Klappert Hans-Ulrich Klose Walter Kolbow Fritz Rudolf Körper Karin Kortmann Anette Kramme Angelika Krüger-Leißner Horst Kubatschka Ernst Küchler Ute Kumpf Dr. Uwe Küster Werner Labsch Christine Lambrecht Brigitte Lange Christian Lange ({41}) Detlev von Larcher Christine Lehder Dr. Elke Leonhard Eckhart Lewering Götz-Peter Lohmann ({42}) Christa Lörcher Erika Lotz Dr. Christine Lucyga Dieter Maaß ({43}) Winfried Mante Dirk Manzewski Tobias Marhold Ulrike Mascher Christoph Matschie Heide Mattischeck Ulrike Mehl Ulrike Merten Angelika Mertens Dr. Jürgen Meyer ({44}) Ursula Mogg Michael Müller ({45}) Jutta Müller ({46}) Christian Müller ({47}) Franz Müntefering Andrea Nahles Volker Neumann ({48}) Gerhard Neumann ({49}) Dr. Edith Niehuis Günter Oesinghaus Eckhard Ohl Leyla Onur Holger Ortel Adolf Ostertag Kurt Palis Albrecht Papenroth Dr. Willfried Penner Dr. Martin Pfaff Georg Pfannenstein Johannes Andreas Pflug Karin Rehbock-Zureich Renate Rennebach Bernd Reuter Dr. Edelbert Richter Reinhold Robbe Renè Röspel Dr. Ernst Dieter Rossmann Birgit Roth ({50}) Marlene Rupprecht Thomas Sauer Dr. Hansjörg Schäfer Gudrun Schaich-Walch Rudolf Scharping Bernd Scheelen Dr. Hermann Scheer Siegfried Scheffler Horst Schild Otto Schily Dieter Schloten Horst Schmidbauer ({51}) Ulla Schmidt ({52}) Silvia Schmidt ({53}) Dagmar Schmidt ({54}) Wilhelm Schmidt ({55}) Heinz Schmitt ({56}) Olaf Scholz Fritz Schösser Ottmar Schreiner Gisela Schröter Dr. Mathias Schubert Richard Schuhmann ({57}) Volkmar Schultz ({58}) Ilse Schumann Dr. R. Werner Schuster Dr. Angelica Schwall-Düren Rolf Schwanitz Bodo Seidenthal Erika Simm Wieland Sorge Wolfgang Spanier Dr. Margrit Spielmann Dr. Ditmar Staffelt Ludwig Stiegler Rolf Stöckel Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms Rita Streb-Hesse Dr. Peter Struck Joachim Stünker Joachim Tappe Jörg Tauss Jella Teuchner Dr. Gerald Thalheim Franz Thönnes Adelheid Tröscher Rüdiger Veit Simone Violka Ute Vogt ({59}) Hedi Wegener Wolfgang Weiermann Reinhard Weis ({60}) Gert Weisskirchen ({61}) Hans-Joachim Welt Dr. Rainer Wend Hildegard Wester Lydia Westrich Inge Wettig-Danielmeier Dr. Norbert Wieczorek Jürgen Wieczorek ({62}) Heino Wiese ({63}) Klaus Wiesehügel Brigitte Wimmer ({64}) Engelbert Wistuba Barbara Wittig Dr. Wolfgang Wodarg Verena Wohlleben Hanna Wolf ({65}) Waltraud Wolff ({66}) Heidemarie Wright Uta Zapf Dr. Christoph Zöpel BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN Gila Altmann ({67}) Marieluise Beck ({68}) Volker Beck ({69}) Angelika Beer Annelie Buntenbach Ekin Deligöz Dr. Thea Dückert Franziska Eichstädt-Bohlig Hans-Josef Fell Katrin Göring-Eckardt Rita Grießhaber Winfried Hermann Michaele Hustedt Steffi Lemke Dr. Reinhard Loske ({70}) Kerstin Müller ({71}) Winfried Nachtwei Christa Nickels Cem Özdemir Simone Probst Christine Scheel Irmingard Schewe-Gerigk Albert Schmidt ({72}) Werner Schulz ({73}) Christian Simmert Hans-Christian Ströbele Jürgen Trittin Dr. Antje Vollmer Sylvia Voß Helmut Wilhelm ({74}) F.D.P. ({75}) Ernst Burgbacher Gisela Frick Horst Friedrich ({76}) Rainer Funke Hans-Michael Goldmann Joachim Günther ({77}) Dr. Karlheinz Guttmacher Klaus Haupt Ulrich Heinrich Birgit Homburger Ulrich Irmer Dr. Klaus Kinkel Dr. Heinrich L. Kolb Ina Lenke Dirk Niebel Günter Friedrich Nolting Hans-Joachim Otto ({78}) Detlef Parr Dr. Irmgard Schwaetzer Marita Sehn Dr. Max Stadler Dr. Dieter Thomae Entschuldigt wegen Übernahme einer Verpflichtung im Rahmen ihrer Mitgliedschaft in den Parlamentarischen Versammlungen des Europarates und der WEU, der NAV, der OSZE oder der IPU Abgeordnete Behrendt, Wolfgang, SPD Siebert, Bernd, CDU/CSU Wir sind am Schluß unserer heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Freitag, den 19. März 1999, 9 Uhr ein. Die Sitzung ist geschlossen.