Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Die Sitzung ist eröffnet.
Ich rufe zunächst den Tagesordnungspunkt 1 auf:
Befragung der Bundesregierung
Die Bundesregierung hat als Thema der heutigen Kabinettssitzung mitgeteilt: Gesetz zur Änderung des
Dritten Buches Sozialgesetzbuch.
Das Wort für den einleitenden fünfminütigen Bericht
hat der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung,
Walter Riester.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten
Damen und Herren! Das Bundeskabinett hat heute den
Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Sozialgesetzbuches III eingebracht. Wir gehen wichtige Maßnahmen
der Arbeitsförderung in einem Vorschaltgesetz an. Es ist
deswegen ein Vorschaltgesetz, weil wir in einem zweiten Schritt die Reform der Arbeitsförderung vornehmen
wollen.
Mit diesem Gesetz verfolgen wir drei Ziele. Erstens:
Einige aktive Arbeitsförderungsleistungen sollen gezielter als bisher auf arbeitsmarktpolitische Problemgruppen ausgerichtet sein. Wir wollen damit die Arbeitsmarktpolitik verstetigen, aber auch Fehlsteuerungen
entgegenwirken.
Zweitens: Vermeidbare sozialpolitische Härten für
Arbeitslose sollen beseitigt werden.
Drittens: Die Arbeitsämter sollen von überflüssiger
Verwaltungsarbeit und Bürokratie entlastet werden.
Zu den wichtigsten Maßnahmen gehören folgende
Punkte.
Erstens. Die Förderung älterer Arbeitnehmer durch
Eingliederungszuschüsse an Arbeitgeber soll künftig bereits nach sechsmonatiger Arbeitslosigkeit einsetzen
können. Bisher war das im Regelfall erst nach zwölfmonatiger Arbeitslosigkeit möglich. Mit dieser Verkürzung
wollen wir, wenn es irgendwie geht, Langzeitarbeitslosigkeit erst gar nicht entstehen lassen. Die drohende
Rückzahlungsverpflichtung, die bisher für Arbeitgeber
vorgesehen ist, die eine Weiterbeschäftigung nicht vornehmen können, wollen wir entfallen lassen, weil die
Erfahrung in vielen Bereichen zeigt, daß es wegen dieser
Verpflichtung erst gar nicht zu Einstellungen kommt.
Zweitens. Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen können in
Zukunft nicht mehr nur von Langzeitarbeitslosen in Anspruch genommen werden, sondern auch von Arbeitslosen, die erst sechs Monate ohne Arbeit sind. Wie gesagt,
wir wollen, wenn es irgendwie geht, Langzeitarbeitslosigkeit erst gar nicht entstehen lassen.
Drittens. In den neuen Bundesländern und in Arbeitsamtsbezirken mit hoher Arbeitslosigkeit können Arbeitslose und von Arbeitslosigkeit bedrohte Arbeitnehmer, die das 55. Lebensjahr vollendet haben, bis zu fünf
Jahre in Strukturanpassungsmaßnahmen gefördert werden.
Viertens. Die Förderfelder für Strukturanpassungsmaßnahmen werden bundeseinheitlich geregelt und um
den Maßnahmenbereich „Verbesserung der wirtschaftsnahen Infrastruktur“ erweitert. Den Arbeitsämtern ist
damit ein weiteres Instrument an die Hand gegeben, das
mit einer aktiven Wirtschafts- und Strukturpolitik verknüpft werden kann. Unser Ziel ist es, die vorhandenen
Instrumente genauer einzusetzen. Deshalb konzentrieren
wir die Förderung von Strukturanpassungsmaßnahmen
in Wirtschaftsunternehmen in den neuen Bundesländern
und Berlin ({0}) stärker als bisher auf arbeitsmarktpolitische Zielgruppen.
Das Gesetz enthält aber noch weitere wichtige Regelungen für Arbeitslose und Arbeitsämter, die ich kurz
erwähnen möchte.
Erstens. Die von der früheren Bundesregierung eingeführte Verpflichtung für Arbeitslose, ihre persönliche
Arbeitslosenmeldung im Abstand von drei Monaten zu
erneuern, hat in der Praxis lediglich zu ganz erheblichem
Verwaltungsaufwand geführt. Die Bekämpfung des Leistungsmißbrauchs, die mit dieser Verpflichtung einmal
beabsichtigt war, wurde dadurch nicht erreicht. Die Verpflichtung zur regelmäßigen Meldung soll deswegen
entfallen. Der Ermessensspielraum der Arbeitsämter
wird gestärkt. Dadurch wird natürlich nicht das Recht
der Arbeitsämter beschränkt, den Arbeitslosen einzubestellen.
Zweitens. Die ebenfalls von der alten Bundesregierung eingeführte Verlängerung zumutbarer Pendelzeiten
für Vollzeitbeschäftigte und Teilzeitbeschäftigte wird
wieder in den alten Zustand zurückgeführt. Auch diesbezüglich haben wir Meldungen, daß sich die Regelung
nicht bewährt hat.
Drittens. Der Anreiz für Arbeitslose, eine im Vergleich zur früheren Beschäftigung niedriger entlohnte
Arbeit aufzunehmen, soll verbessert werden. Arbeitslose, die, verglichen mit ihrer letzten Beschäftigung, eine
niedriger entlohnte Arbeit annehmen, sind vor Nachteilen bei der Bemessung des Arbeitslosengeldes geschützt,
wenn sie ihren Arbeitsplatz innerhalb von drei Jahren
erneut verlieren.
Das sind die wesentlichen Änderungen und Zielsetzungen, die wir mit dem Gesetz erreichen wollen. Ich
bin überzeugt, daß das Vorschaltgesetz ein effizienteres
Vorgehen ermöglicht, um bürokratische Hindernisse, die
vermeidbar sind, einzugrenzen und insbesondere Langzeitarbeitslosigkeit bei älteren Arbeitnehmern möglichst
gar nicht entstehen zu lassen oder schneller zu beseitigen.
Herzlichen Dank.
Ich bitte, zunächst
Fragen zu dem Themenbereich zu stellen, der soeben
aufgerufen wurde. Die erste Fragestellerin ist die Kollegin Birgit Schnieber-Jastram.
Herr Minister, Sie haben eben deutlich gemacht, daß Ihnen das
Vorschaltgesetz sehr wichtig ist. Ich möchte fragen:
Warum bringen Sie es erst jetzt ein? Es war doch im wesentlichen schon zu unserer Zeit fertig.
Bis zum jetzigen Zeitpunkt habe ich
nicht den Eindruck gehabt, daß das Parlament mit
Regierungseingaben zu wenig belastet war. Frau
Schnieber-Jastram, wir haben das Vorschaltgesetz zum
jetzigen Zeitpunkt eingebracht, weil wir es im Rahmen breiter Befragungen und mit den Mitarbeitern der
Arbeitsämter abgestimmt haben. Damit ist das Vorschaltgesetz sozusagen ein Ergebnis der Praxisüberprüfung.
Eine Nachfrage.
Ich möchte
noch eine Frage zur Pendlerregelung stellen. Herr Minister, ich weiß nicht, ob Ihnen bekannt ist, daß die
letzte Bundesregierung die Pendlerregelung nicht eingeführt hat, um irgendwen zu ärgern und ihm zuzumuten,
überlange Zeit unterwegs zu sein. Aber wenn ich mir
einmal vor Augen führe, wie lange Arbeitnehmer in
großen Ballungsräumen, beispielsweise in Berlin, unterwegs sind, um an ihren Arbeitsplatz zu gelangen,
dann muß ich die Effizienz der Rücknahme dieser Regelung in Frage stellen. Stimmen Sie meiner Einschätzung zu?
Dem ersten Teil Ihrer Ausführungen stimme ich zu: Ich unterstelle, daß Sie die Pendlerregelung
nicht eingeführt haben, um Leute zu ärgern. Aber Sie
verhindern mit dieser Regelung die Aufnahme von Teilzeitarbeit, wenn Sie Teilzeitbeschäftigten, die noch
Pflege- oder Erziehungsaufgaben wahrnehmen müssen,
zusätzlich eine Pendlerzeit zumuten, die länger als die
Hälfte ihrer Beschäftigungszeit dauert. Dies besagen die
Berichte aus den Arbeitsämtern, die wir bekommen haben. Hier hat man sehr stark darauf gedrungen, zum alten Zustand zurückzukehren.
Kollege Dirk Niebel,
Ihre Frage, bitte.
Herr Minister, Sie haben die
Neuregelung in bezug auf den Eingliederungszuschuß
für ältere Arbeitnehmer angesprochen. Ich möchte dazu
zwei Fragen stellen, wenn Sie erlauben: Erstens. Der
Eingliederungszuschuß soll nach sechsmonatiger Arbeitslosigkeit gewährt werden. Dies wird einen finanziellen Mehrbedarf erforderlich machen. Haben Sie diesen schon berechnet?
Zweitens. Sie haben gesagt, daß die Nachbeschäftigungspflicht abgeschafft werden soll. Wenn ich an die
Haushaltsberatungen hier im Plenum und an die im Ausschuß zurückdenke, dann wurde dort über Beschäftigungshilfen für Langzeitarbeitslose diskutiert. Ich meine
mich daran zu erinnern, daß Sie die Auffassung vertreten haben, daß gerade durch die Nachbeschäftigungspflicht das Instrument des Eingliederungszuschusses besonders gut geeignet sei, um Personen im ersten Arbeitsmarkt unterzubringen, weil durch den Förderungszeitraum und die Nachbeschäftigungspflicht insgesamt
ein relativ langer Zeitraum der Beschäftigung erreicht
werden kann. Ich verstehe nicht, warum Sie dieses Instrument zurücknehmen, obwohl es doch sinnvoll wäre,
wenn 55- oder 56jährige Arbeitslose vor der Rente noch
einmal dauerhaft in den Arbeitsmarkt eingegliedert werden könnten.
Herr Abgeordneter Niebel, uns liegen Berichte von Arbeitsämtern vor, die besagen, daß die
Nachbeschäftigungsverpflichtung nicht nur bei Wirtschaftsunternehmen, sondern auch bei Wohlfahrtsverbänden, die einstellen wollen, aber gar kein Geld haben,
um gegebenenfalls die Fördermittel zurückzuzahlen, dazu führt, daß überhaupt keine Einstellungen vorgenommen werden. Deswegen wollen wir auf die Nachbeschäftigungsverpflichtung gerade für ältere Arbeitnehmer verzichten.
Sie haben auf einen Redebeitrag hingewiesen, den ich
hier geleistet habe. Was Sie sagen, ist richtig. In diesem
Redebeitrag habe ich die Lohnkostenzuschüsse bei den
Strukturanpassungsmaßnahmen Ost für Wirtschaftsunternehmen kritisiert, die ohne jede Zielbindung gewährt
werden. Ich bezweifle aber, ob es richtig wäre, aus den
gleichen Gründen eine Nachbeschäftigungsverpflichtung
beizubehalten. Ich denke, wir müssen eine zielgenauere
Regelung schaffen, die Lohnkostenzuschüsse auf bestimmte Gruppen ausrichtet. Diesem Anliegen haben wir
im Vorschaltgesetz Rechnung getragen.
Eine Nachfrage, bitte.
Welche Maßnahmen haben Sie
vorgesehen oder zumindest angedacht, um eventuelle
Mitnahmeeffekte dadurch auszuschließen, daß in Zukunft keine Nachbeschäftigungsverpflichtung mehr besteht? Die Wahrscheinlichkeit, daß jemand nur noch für
die Dauer des Förderzeitraums beschäftigt wird und dem
Arbeitsamt danach wieder zur Verfügung steht, ist meines Erachtens relativ hoch.
Ich schließe nicht aus, daß solche Mitnahmeeffekte entstehen. Wenn das so ist - ich habe gerade
die Lohnkostenzuschüsse angesprochen -, dann sind
solche Mitnahmeeffekte bei anderen Maßnahmen ausgeprägter. Wir müssen unsere Politik auf Zielgruppen
ausrichten. Gerade für ältere Arbeitnehmer haben wir
bewußt einen Förderzeitraum von bis zu fünf Jahren geschaffen. Wir haben das getan, weil in Bereichen mit
hoher Arbeitslosigkeit ältere Mitarbeiter dann, wenn sie
langzeitarbeitslos sind oder gar Leistungseinschränkungen haben, kaum noch vermittelbar sind. Wir haben hier
die Schwelle niedrig gehalten - auch ohne Rückzahlungsverpflichtung -, um diese Menschen überhaupt in
den ersten Arbeitsmarkt integrieren zu können.
Ich habe vergessen, eine Frage nach den Kostenwirkungen zu beantworten, die Sie vorhin gestellt haben.
Wir gehen davon aus, daß das Vorschaltgesetz insgesamt kostenneutral ist. Aber ich muß Ihnen sagen: Es ist
aus den unterschiedlichen Praxiswirkungen heraus sehr
schwer, genaue Aussagen zu den Kosten zu machen.
Durch das gezieltere Ansetzen von Lohnkostenzuschüssen können Einspareffekte erzielt werden. Wenn wir das
tun, was Sie angesprochen haben, kann es durchaus zu
höheren Ausgaben kommen.
Insgesamt gehen wir aber davon aus, daß es kostenneutral bleibt, weil wir zielgenauer fördern.
Nächster Fragesteller
ist der Kollege Peter Dreßen.
Herr Bundesminister, nachdem
das 2-Milliarden-DM-Programm, das speziell auf Jugendliche ausgerichtet ist, angesprochen worden ist das Programm kommt im übrigen sehr gut an und ist ein
großer Erfolg - , möchte ich Sie fragen, was dieser Gesetzentwurf speziell für ältere Arbeitslose leistet.
Ich habe gerade die besondere Problematik
von älteren Arbeitslosen angesprochen. Diese Problematik besteht darin, daß sie zunehmend nicht mehr vermittelbar sind. Das ist schlimm, insbesondere dort, wo
eine hohe Arbeitslosigkeit besteht. Erschwerend kommt
Langzeitarbeitslosigkeit hinzu. Noch erschwerender
kommen gesundheitliche Einschränkungen hinzu. Darauf wird in dem Gesetzentwurf Rücksicht genommen.
Wir sehen folgendes vor:
Erstens. Es muß nicht erst Langzeitarbeitslosigkeit
mit einer Dauer von zwölf Monaten entstehen, damit die
Eingliederungszuschüsse für Ältere greifen können.
Zweitens. Gerade bei Menschen, die 55 Jahre alt oder
älter sind und arbeitslos sind oder von Arbeitslosigkeit
bedroht sind, soll bei Strukturanpassungsmaßnahmen
ein Förderzeitraum von bis zu fünf Jahren eröffnet werden.
Es handelt sich um wichtige Gesichtspunkte, die wir
gerade für ältere Arbeitslose vorsehen. Wir möchten
somit den insbesondere in den neuen Bundesländern
vorzufindenden Zustand, daß ältere Arbeitssuchende
überhaupt nicht vermittelt werden können, wieder aufbrechen.
Herr Kollege Dreßen, Ihre Nachfrage.
Herr Minister, ist in diesem
Zusammenhang die Altersgrenze von 55 Jahren bei den
Eingliederungszuschüssen nicht zu hoch?
Im Prinzip ja. Wir möchten gleichzeitig,
parallel zum Gesetz, über eine Rechtsverordnung probeweise über einen Zeitraum von zwei Jahren, um Erfahrungen zu sammeln, die Altersgrenze auf das 50. Lebensjahr absenken.
Nächster Fragesteller
ist der Kollege Franz Thönnes.
Herr Minister, diese Regierung ist mit dem Versprechen angetreten, in der aktiven
Arbeitsmarktpolitik die Frauen ihrem Anteil an der Arbeitslosigkeit entsprechend zu fördern. Inwieweit enthält
dieser Gesetzentwurf Regelungen, die die besondere
Situation von arbeitslosen Frauen betreffen?
Der Gesetzentwurf enthält hierzu Regelungen. Aber lassen Sie mich noch ganz kurz auf das angesprochene Sofortprogramm gegen Jugendarbeitslosigkeit
eingehen. Nach den ersten Auswertungen dieses ProBundesminister Walter Riester
gramms, die jetzt vorliegen, sind 44,5 Prozent der in das
Programm aufgenommenen Personen Frauen. Darüber
freue ich mich sehr.
({0})
Jetzt komme ich zu Ihrer konkreten Frage, was im
Gesetz steht:
Erstens. Die vorhin angesprochenen Pendelzeiten betreffen natürlich insbesondere Frauen, die als Teilzeitbeschäftigte arbeiten wollen. Deswegen wollen wir dafür
sorgen, daß die Pendelzeiten kürzer werden.
Zweitens wollen wir Weiterbildungsmöglichkeiten
eröffnen, ohne daß ein aktueller Leistungsbezug besteht.
Auch durch diesen Punkt werden insbesondere Frauen
begünstigt.
Als dritten Punkt stellen wir durch eine Definition
klar, daß insbesondere bei Unterbrechungen der Erwerbstätigkeit durch Pflegetätigkeiten oder Kindererziehungszeiten trotzdem Weiterbildungsmöglichkeiten
wahrgenommen werden können.
Das Wort hat die
Kollegin Erika Lotz.
Herr Minister, Sie haben in Ihrem
Vorschlag auch eine Ausweitung der Weiterbildungsmöglichkeiten für Teilzeitbeschäftigte vorgesehen. Welche Erwartungen verbinden Sie damit?
Die Weiterbildungsmöglichkeiten sind jetzt
so angelegt - im Grundsatz ist das natürlich richtig -,
daß sie sich an Vollzeitbeschäftigte richten. Wir haben
aber insbesondere bei den Menschen große Probleme,
die wegen gesundheitlicher Einschränkungen überhaupt
nur einer Teilzeitbeschäftigung nachgehen können. Unser Gesetz eröffnet diesen die Möglichkeit, an Weiterbildungsmaßnahmen teilzunehmen, so daß auch Menschen mit gesundheitlichen Einschränkungen leichter in
den Arbeitsprozeß integriert werden können.
Herr Kollege Koppelin, Ihre Frage, bitte.
Herr Minister, teilen Sie
meine Auffassung, nachdem eine ganze Reihe von Fragen aus der SPD-Fraktion gekommen sind, die ja die
Bundesregierung wohl trägt, daß auch in dieser Frage
das Mannschaftsspiel noch nicht richtig klappt?
({0})
Diese Auffassung teile ich überhaupt nicht.
Schon die Tatsache, daß Sie uns ein Mannschaftsspiel
unterstellen, zeigt ja, daß es bei uns klappt.
({0})
Ich bitte doch darum,
beim aufgerufenen Themenbereich zu bleiben.
Nächster Fragesteller ist der Kollege Kurt Bodewig.
Herr Minister, ich würde gern
ein Detailproblem ansprechen, nämlich das Arbeitslosengeld für entlassene Strafgefangene. Nach dem Entwurf soll es neu geregelt werden. Was waren eigentlich
die Gründe dafür, die Bemessungsgrundlage für das Arbeitslosengeld entlassener Gefangener neu zu regeln?
Bisher richtet sich das Arbeitslosengeld für
Strafgefangene nach einer Bemessungsgrundlage von
gut 4 000 DM. Wir sind den Weg gegangen, die Bemessung des Arbeitslosengeldes für Strafgefangene an den
Verdienstmöglichkeiten auszurichten, die er bei seiner
Entlassung auf dem Arbeitsmarkt hat. Wir gehen deshalb nicht mehr von einem fiktiven pauschalen Ansatz
aus, der im Vergleich zu anderen Gruppen, aber möglicherweise auch für den Strafgefangenen, Ungerechtigkeiten mit sich bringt. Jetzt bemißt es sich an seiner
Qualifikation und den beruflichen Fähigkeiten.
Nächster Fragesteller
ist der Kollege Hans Büttner.
Herr Minister, die
Kollegin Schnieber-Jastram hat ja vorhin schon darauf
hingewiesen, daß etliche Vorschläge der alten Bundesregierung, vor allem die falsche Entscheidung, die Meldepflicht für 58jährige und Ältere einzuführen, nur zu
bürokratischem Aufwand geführt haben. Deswegen ist
es positiv, daß Sie mit Ihrem Schritt einen Beitrag zur
Entbürokratisierung leisten.
({0})
In diesem Zusammenhang meine Frage: Werden Sie
diese Entscheidung auch rückwirkend auf Personen anwenden, die mit dem 60. Lebensjahr in den Ruhestand
gehen, aber deswegen keine Rente erhalten, weil sie den
Rentenversicherern nicht für alle Zeiträume ununterbrochen Arbeitslosmeldungen vorlegen können? Wenn sie
zwar arbeitslos gemeldet waren, aber der dummen Bestimmung, sich alle drei Monate zu melden, zum Teil
aus Unkenntnis und zum Teil auch deswegen, weil das
Arbeitsamt ihnen sagte, sie könnten nicht vermittelt
werden, nicht nachgekommen sind, erhalten sie nämlich
keine Rente. Werden Sie dafür sorgen, daß diese unsinnige Vorschrift auch im Verwaltungsvollzug bei der
Rentenversicherung beseitigt wird?
Herr Abgeordneter Büttner, das will ich
Ihnen aus dem Bauch heraus nicht mit Ja oder Nein
beantworten. Da frage ich bei mir im Ministerium und
lasse mir das genauer schildern, und dann wollen wir
entscheiden. Aus dem Bauch heraus kann ich dazu nicht
ja oder nein sagen.
({0})
- Lassen Sie mich einmal sagen: Ich habe kein Interesse
am Strecken. Fragen Sie!
({1})
Nächster Fragesteller
ist der Abgeordnete Klaus Brandner.
Herr Minister, wir waren
gerade beim Thema Entbürokratisierung. Wir wissen
alle, daß die Regierung angetreten ist, bürokratische
Vorschriften, die sich nicht bewährt haben, abzuschaffen. Gerade bei den Arbeitslosen gibt es eine Regelung,
die vorsieht, daß der Arbeitslose sich persönlich innerhalb von drei Monaten beim Arbeitsamt melden muß,
um weiterhin Leistungen zu erhalten. Dadurch sollte angeblich der Kontakt zum Arbeitsamt aufrechterhalten
bleiben. Sehen Sie diese Regelung als überflüssig an?
Hat sie sich bewährt, oder sollte sie in der Tat gestrichen
werden, weil sie inhaltlich keine Bedeutung hat?
Ich mache es sehr schnell: Sie hat sich
nicht bewährt. Dazu liegen für mich interessante Briefe
vor, auch von der jetzigen Opposition, die das bürokratische Vorgehen zu Recht kritisiert hat. Man hat versucht,
das auf Zielgruppen zu reduzieren; man hat bei den Arbeitsämtern aber gemerkt, daß das letztendlich nur zu
einem riesigen Verwaltungsaufwand führt. Das Ziel,
Leistungsmißbrauch zu verhindern, wird damit nicht erreicht. Deswegen schaffen wir es ab.
({0})
Frau Kollegin Dr.
Knake-Werner, Ihre Frage, bitte.
Herr Minister, ich
habe eine Frage zu den Strukturanpassungsmaßnahmen.
Zunächst einmal habe ich befriedigt zur Kenntnis
genommen, daß das, was Sie ursprünglich nur für die
ostdeutschen Bundesländer vorgesehen hatten, also die
Felder, auch auf die westdeutschen Bundesländer ausgedehnt wird.
Dann haben Sie gesagt - jedenfalls habe ich das dem
Referentenentwurf entnommen -, daß es eine Förderung
geben soll für ältere Arbeitnehmer ab 55 für eine Dauer
von fünf Jahren. Ich hätte gerne gewußt, wie das konkret
aussehen soll, welche Fördermaßnahmen da angewandt
werden sollen - gibt es einen Mix von Fördermaßnahmen, um diese fünf Jahre zusammenzubringen? - und ob
Sie sich vorstellen können, daß das etwas ist, was sozusagen auch Ihrem eigenen Anspruch auf Verstetigung
näherkommt, und zwar auch bezogen auf andere Beschäftigtengruppen?
Erst einmal ist es nur auf diese Altersgruppe bezogen. Auf diese Altersgruppe ist es insbesondere
deswegen bezogen - das gilt vor allem für die Arbeitsamtsbereiche ganz Ostdeutschlands und für die Arbeitsamtsbereiche mit hoher Arbeitslosigkeit -, weil es für
viele dieser älteren Arbeitslosen fast entwürdigend ist,
wenn sie in Maßnahmen immer nur kurzfristig beschäftigt werden und keine längerfristige Perspektive haben.
Daher möchten wir die Möglichkeit eröffnen, bis zu fünf
Jahre ein Leistungsangebot zu machen, durch das für
diese Arbeitslosen Beschäftigungsmöglichkeiten geschaffen werden.
Eine Nachfrage,
bitte!
Ich habe noch eine
Nachfrage. Sie wissen, Herr Minister, daß das Land
Mecklenburg-Vorpommern mit seinem Modellversuch
zum öffentlich geförderten Beschäftigungssektor angepeilt hat, diesen Bereich fünf Jahre lang zu fördern. Sie
tun sich damit sehr schwer, weil ihnen dazu Bundesregelungen fehlen. Können Sie sich vorstellen, daß das,
was Sie jetzt hier einleiten, auch eine Möglichkeit wäre,
um einen solchen Modellversuch über diesen Zeitraum
zu fördern?
({0})
Inwieweit man das über einen Modellversuch machen kann, darüber muß man sprechen. Ich
habe mit dem Arbeitsminister von Mecklenburg-Vorpommern gerade vor kurzem ein Gespräch geführt. Er
sagte mir, ihm lägen sehr viele Anfragen in bezug auf
einen Modellversuch vor. Dafür sind die Mittel in dem
erforderlichen Umfang nicht da, weder in MecklenburgVorpommern noch insgesamt. Aber ich denke, wir müssen - auch experimentell - einige Versuche machen, um
daraus zu lernen. Insgesamt gilt es aber, für diesen Kreis
älterer Arbeitnehmer, der im Kern merkt, daß er kaum
dauerhafte Beschäftigungsmöglichkeiten hat, entsprechende Beschäftigungsmöglichkeiten zu entwickeln.
Weitere Wortmeldungen zu diesem Themenbereich liegen mir nicht vor.
Gibt es darüber hinaus sonstige Fragen an die Bundesregierung? - Herr Kollege Hollerith, bitte.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich frage aus ak2090
tuellem Anlaß, nämlich der besonderen Art und Weise
von Fahnenflucht von Bundesminister Lafontaine, die
er dem deutschen Volk vorführte,
({0})
die Bundesregierung: Wann und in welcher Form hat
Bundesminister Lafontaine um seine Entlassung als
Bundesminister der Finanzen gebeten?
({1})
Wer antwortet für die
Bundesregierung?
({0})
Damit Sie nicht annehmen, ich beginge
Fahnenflucht, will ich antworten. Mir ist bekannt, daß zu
diesem Thema offensichtlich - ({0})
- Ich gebe die Frage an den Vertreter des Kanzleramtes
weiter.
({1})
Herr Kollege Steinmeier, ich will meine Frage wiederholen; Sie waren
noch auf dem Weg hierher. Wann und in welcher Form
hat Herr Bundesminister Lafontaine um seine Entlassung als Bundesminister der Finanzen gebeten?
Dr. Steinmeier, Ihre
Antwort bitte auf die Frage des Kollegen Hollerith.
Herr Abgeordneter, ich glaube, die
Antwort ist inzwischen auf vielfältige Art und Weise
bekannt geworden.
({0})
- Lassen Sie mich bitte antworten! - Der Bundesminister der Finanzen hat am vergangenen Donnerstag
nachmittag durch einen Brief an den Bundeskanzler um
seine Entlassung gebeten.
Herr Kollege Hollerith, Sie haben die Möglichkeit zur Nachfrage.
Ich möchte folgende
Frage anschließen: Wann hat Bundeskanzler Schröder
dieser Bitte entsprochen?
Der Bundeskanzler hat diesen Brief,
der ihm am Donnerstag nachmittag durch einen Boten
überbracht wurde, entgegengenommen. Ich weiß jetzt
nicht, ob mit Ihrer Frage Weiteres insinuiert ist.
({0})
Herr Kollege Hollerith, Sie haben nur zwei Fragen.
({0})
Nächster Fragesteller ist der Kollege Bartholomäus
Kalb.
Ich möchte nachfragen: Hat der Bundeskanzler dieser Bitte entsprochen?
Hat er dem Herrn Bundespräsidenten vorgeschlagen,
den Herrn Bundesfinanzminister zu entlassen? Ich darf
weiter fragen: Ist dem Herrn Bundesfinanzminister zwischenzeitlich die Entlassungsurkunde übergeben worden, oder wann wird er sie entgegennehmen?
({0})
Nachdem im Verlaufe des Nachmittags geklärt war, daß die Bitte um Entlassung unwiderruflich ist, hat der Bundeskanzler noch am selben
Abend eine kurze Pressemitteilung, die Ihnen bekannt
ist, abgegeben. Darin hat er dem Bundesfinanzminister
für seine bisherige Arbeit gedankt. Daraus können Sie
entnehmen, daß im Verlaufe dieses Nachmittags der
Entlassungswunsch vom Bundeskanzler akzeptiert worden ist.
Auf Ihre zweite Frage, wann die Entlassungsurkunde
ausgehändigt wird, teile ich Ihnen mit, daß dies meines
Wissens morgen nachmittag um 16.15 Uhr durch den
Bundespräsidenten geschehen wird.
({0})
Eine Nachfrage, bitte, Herr Kollege Kalb.
Darf ich nachfragen, auf welcher gesetzlichen Grundlage oder auf welcher Grundlage der Geschäftsordnung der Bundesregierung das Bundesministerium der Finanzen seit Donnerstag letzter Woche, auch bei internationalen Verhandlungen, zum Beispiel beim Ecofin-Rat, offiziell
vertreten worden ist?
({0})
- Entschuldigung, ich habe nach der Grundlage gefragt.
Das wird die Bundesregierung doch wohl beantworten
können.
Herr Kollege, Sie
haben Ihre Frage gestellt, und jetzt kommt die Antwort
von seiten der Bundesregierung.
Nach der Geschäftsordnung der
Bundesregierung ist die Vertretung eines Ministers
durch ein anderes Kabinettsmitglied möglich. Sie wissen, daß der Bundesminister der Finanzen durch den
Bundeswirtschaftsminister vertreten wird, der die Vertretung, auch auf Sitzungen der internationalen Gremien,
seit der letzten Woche übernommen hat.
({0})
Nächster Fragesteller
ist der Kollege Dietrich Austermann. Ich verweise darauf, daß die ersten vier Fragesteller angemeldet worden
sind. Ich habe Sie auf der Liste eingetragen.
Herr Steinmeier, ich hätte gerne gewußt: Was ist denn die Grundlage
der Vertretung? Die Geschäftsordnung der Bundesregierung geht von bestimmten Regularien aus. Ist der Grund
Krankheit, genehmigter Urlaub oder etwas anderes?
({0})
Normalerweise muß eine bestimmte Voraussetzung erfüllt sein, damit eine rechtlich einwandfreie Vertretung ich spreche insbesondere das Thema Ecofin-Rat an - erfolgen kann.
({1})
Herr Abgeordneter, uns trifft diese
Frage natürlich nicht ganz unerwartet, und mit Blick auf
die Zuhörer und Zuschauer verstehe ich sie auch. Dennoch haben Sie vielleicht Verständnis für unsere Haltung, daß wir es in der gegenwärtigen Situation - einen
Tag vor Übergabe der Entlassungsurkunde - als unzumutbar empfinden, den Finanzminister hierher zu zitieren.
({0})
Herr Kollege
Austermann, eine Nachfrage, bitte.
Ich habe zwei
Fragen, und meine erste Frage ist noch nicht beantwortet. Ich muß also darauf bestehen, daß zunächst die erste
Frage beantwortet wird. Herr Bundesminister Lafontaine
hat, wie andere auch - wenn auch ohne entsprechende
Formulierung -, einen Eid geleistet, der ihn verpflichtet,
Arbeit zu leisten und präsent zu sein. Deswegen haben
wir ihn auch für heute mittag in den Haushaltsausschuß
bestellt. Er ist noch im Amt. Auch der Parlamentarische
Staatssekretär sitzt noch da. Ich hätte gerne gewußt, auf
Grund welcher gesetzlichen Regelung und welchen
Sachverhaltes die Nichtanwesenheit beim Ecofin-Rat
und bei anderen Ereignissen zu rechtfertigen ist.
Ich hatte auf Ihr Verständnis gehofft.
Wir sind Ihnen gegenüber offen. Ich habe in meiner
Antwort eben signalisiert, daß wir uns auf keinen der
bekannten Gründe, wie Auslandsaufenthalt, Urlaub oder
ähnliches, berufen. Sie haben recht, der Bundesminister
der Finanzen ist bis zur Übergabe seiner Entlassungsurkunde nach wie vor Kabinettsmitglied. Im übrigen habe
ich mich eben bemüht, Ihnen zur Frage der Zumutbarkeit in aller Offenheit Auskunft zu geben.
({0})
Nächste Fragestellerin ist die Kollegin Gerda Hasselfeldt.
Ich möchte gerne,
Frau Präsidentin, den Vertreter des Bundesfinanzministeriums fragen: Von welcher Belastungsgrundlage für
die Energiewirtschaft im Rahmen des sogenannten
Steuerentlastungsgesetzes ging der Finanzminister bis
zum 9. März aus? - Soll ich die Frage noch einmal wiederholen?
Dr. Frank-Walter Steinmeier: Staatssekretär im
Bundeskanzleramt: An Herrn Diller?
Ich habe die Frage
an den Vertreter des Bundesfinanzministeriums gerichtet
und dies vorher auch ausdrücklich artikuliert. Ich ging
deshalb davon aus, daß Sie aufgepaßt haben, aber offensichtlich war das nicht der Fall.
Ich möchte gerne wissen, von welcher Belastungswirkung für die Energiewirtschaft auf Grund des Steuerentlastungsgesetzes der Bundesfinanzminister bis zu den
Konsensgesprächen am 9. März ausging.
({0})
Verehrte Frau Kollegin, das können Sie
nachlesen.
({0})
Wenn Sie das nicht
beantworten können, will ich den Kern der Sache noch
einmal zum Ausdruck bringen. Sie wissen, Herr Staatssekretär, daß der Finanzminister zunächst von etwa 10
Milliarden DM ausgegangen ist und daß er dann nach
wenigen Tagen zugestanden hat, daß die Belastungswirkung für die Energiewirtschaft bis zum Jahr 2009 nicht
10 Milliarden DM, sondern über 20 Milliarden DM,
nämlich 21 Milliarden DM, betragen wird.
Nun frage ich Sie: Hat Bundeskanzler Schröder in
dem Treffen mit Vertretern der Energiewirtschaft auch
zugestanden, daß die bisherigen Gespräche zahlenmäßig
auf falschen Grundlagen und unter falschen Annahmen
geführt wurden? Ich bitte um eine konkrete Antwort.
Verehrte Frau Kollegin, soweit ich die
Diskussion mitverfolgt habe - im Bundesministerium
der Finanzen ist das nicht mein originärer Zuständigkeitsbereich, sondern der der Kollegin Barbara
Hendricks -, ist festzustellen: Die Gespräche haben eine
Einigung dahin gehend erbracht, daß man im Lichte der
tatsächlichen Entwicklung prüfen wird, ob die Annahmen des Bundesfinanzministeriums auch tatsächlich zutreffen, und daß man dann, wenn diese Annahmen nicht
zutreffen, in Gespräche eintritt und Lösungen entwikkelt.
({0})
Frau Kollegin Hasselfeldt, Sie haben schon zwei Fragen gestellt. Ich
möchte noch einmal darauf hinweisen, daß es üblich ist,
daß man eine Frage und eine Nachfrage stellen kann.
Darauf haben wir uns in der Geschäftsordnung verständigt.
({0})
Nächster Fragesteller ist der Kollege Koppelin.
Da uns das Bundeskanzleramt jetzt erfreulicherweise mitgeteilt hat, wann
der bisherige Bundesfinanzminister Lafontaine entlassen
wird, darf ich folgende Frage an die Regierung bzw. an
das Kanzleramt richten: Was hindert den Herrn Bundeskanzler, nachdem er uns den Nachfolger im Amt des
Bundesfinanzministers, nämlich Herrn Eichel, schon
präsentiert hat, daran, ihn hier im Hause in dieser Woche
vereidigen zu lassen, und warum läßt er ihn statt dessen,
wie ich heute den Nachrichtenagenturen entnommen habe, in einer Sondersitzung am 8. April dieses Jahres vereidigen, was zusätzliches Geld, also erhebliche Steuermittel, kosten wird? Gibt es irgendwelche Gründe dafür?
Denn - ich sage das aus Sicht der F.D.P.-Fraktion - es
ist ja im Rahmen der deutschen EU-Präsidentschaft
nicht unbedeutend, einen amtierenden Finanzminister zu
haben.
({0})
- Nein, dies ist bei der Befragung der Bundesregierung
nicht nötig. Sie sollten sich einmal schlau machen. - Wir
sollten auch für die aktuellen Haushaltsberatungen einen
Finanzminister haben. Was hindert also den Bundeskanzler, Herrn Eichel in dieser Woche vereidigen zu lassen?
Herr Staatssekretär
Steinmeier, bitte.
Herr Abgeordneter, ich kann nicht
beurteilen, inwieweit es in früheren Fällen bei Ernennungen von Ministern im Laufe einer Legislaturperiode
nicht auch vorgekommen ist, daß Sondersitzungen des
Bundestages stattgefunden haben.
({0})
Im übrigen steht Herr Eichel vor dem 8. April dieses
Jahres nicht zur Verfügung.
({1})
Nächste Fragestellerin ist die Kollegin Irmgard Schwaetzer. - Bitte.
Ich frage die
Bundesregierung: Sie haben uns nun mitgeteilt, daß der
jetzige Bundesfinanzminister morgen die Entlassungsurkunde ausgehändigt bekommt. Damit erlischt gleichzeitig die Amtszeit der Parlamentarischen Staatssekretäre.
({0})
Werden die Parlamentarischen Staatssekretäre für die
Zwischenzeit, also von morgen bis zum 8. April dieses
Jahres, ernannt? Dies würde voraussetzen, daß Herr
Müller ebenfalls einen Eid als Finanzminister leisten
müßte. Ist das so von der Bundesregierung geplant, bzw.
mit welchen anderen Konstruktionen gedenkt die Bundesregierung, die jetzigen Staatssekretäre im Amt zu
halten?
({1})
Frau Abgeordnete, ich gehe gegenwärtig davon aus, daß es nach der Übergabe des Entlassungsschreibens an den bisherigen Bundesfinanzminister zu einer Ernennung von zwei Parlamentarischen
Staatssekretären kommen wird. Hinsichtlich des richtigen rechtlichen Weges bin ich derzeit im Gespräch mit
dem Bundespräsidialamt. Ich möchte der Entscheidung
dort im Augenblick nicht vorgreifen.
({0})
Frau Schwaetzer, Sie
können noch eine kurze Nachfrage stellen.
Herr Staatssekretär, mit dieser Antwort kann ein Parlamentarier nicht
zufrieden sein. Denn aus Ihrer Antwort geht hervor, daß
Sie selber in diesem Zusammenhang rechtliche Schwierigkeiten sehen. Vielleicht könnten Sie uns diese
Schwierigkeiten einmal beschreiben. Was veranlaßt Sie
eigentlich dazu, auf diese Weise bestehende rechtliche
Regelungen zu umgehen, statt, wie es möglich wäre darauf hat der Kollege Koppelin hingewiesen -, in dieser Woche den vorgesehenen Finanzminister vereidigen
zu lassen?
({0})
Die beiden rechtlichen Wege, die ich
eben angesprochen habe, sind mit keinem rechtlichen
Makel behaftet. Sie sind beide zulässig; darin bin ich mit
dem Bundespräsidialamt einer Meinung. Nur, das Bundespräsidialamt hat zur Zeit keine Möglichkeit, diese
beiden möglichen Wege mit dem Bundespräsidenten
selbst zu besprechen. Da der Bundespräsident hierzu eine Meinung hat, will das Bundespräsidialamt dem Gespräch im Augenblick durch eine Auskunft mir gegenüber - das verstehe ich - nicht vorgreifen. Dies wird im
Laufe des heutigen Nachmittags oder aber morgen früh
geklärt.
Der wirklich letzte
Fragesteller im Rahmen der Regierungsbefragung ist der
Kollege Fromme.
Ich frage
die Bundesregierung: Wenn die Zahlengrundlage insbesondere bei einem wichtigen Eckpfeiler, dem
Steuerentlastungsgesetz, sowohl qualitativ als auch
quantitativ so offen ist, wäre es dann nicht verantwortungsbewußter, die Verabschiedung im Bundesrat aufzuschieben?
Herr Kollege, diese Auffassung kann ich
überhaupt nicht teilen. Die Bundesregierung ist bei ihrer
Schätzung, daß das Volumen 10 Milliarden DM beträgt,
von einem Zeitraum von 4 Jahren ausgegangen. Die
Wirtschaft ist bei ihrer Schätzung, daß es 25 Milliarden
DM betragen wird, von einem Zeitraum von 10 Jahren
ausgegangen. Insofern sind die beiden Zahlen im Prinzip
deckungsgleich.
Noch eine Nachfrage, Herr Kollege.
Herr Staatssekretär, ich frage mich, wenn Sie die Zahlen doch wissen, warum Sie dann der Kollegin Hasselfeldt eben nicht
geantwortet haben.
Weil ich mich wundere, daß eine so gut
informierte Kollegin wie Frau Hasselfeldt eine Frage
stellt, zu der sie die Antwort eigentlich kennen müßte.
({0})
Die Befragung der
Bundesregierung ist beendet.
Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 2 auf:
Fragestunde
- Drucksache 14/512 Als erstes rufe ich den Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Finanzen auf. Zur Beantwortung
steht der Parlamentarische Staatssekretär Karl Diller bereit.
Ich rufe die Frage 1 des Abgeordneten Gerald Weiß
auf:
Wird die Bundesregierung dem Vorschlag der Europäischen
Kommission, auf arbeitsintensive Endverbraucher-Dienstleistungen - wie z. B. denen des Friseurhandwerks - versuchsweise für die Dauer von drei Jahren einen ermäßigten Mehrwertsteuersatz anzuwenden, bis zum vorgesehenen Stichtag 1. September 1999 zustimmen?
Herr Kollege Weiß, Ihre Frage möchte ich
wie folgt beantworten:
Die Kommission hat am 17. Februar dieses Jahres
entschieden, im Rat einen Richtlinienvorschlag zur
weiteren Umsatzsteuerharmonisierung vorzulegen. Diesen Vorschlag hat sie am Montag in meiner Anwesenheit im Ecofin-Rat vorgestellt.
Wir haben zur Kenntnis genommen, daß nach dem
Richtlinienvorschlag der Kommission der Rat einen
Mitgliedstaat auf Vorschlag der Kommission einstimmig
ermächtigen kann, für die Jahre 2000, 2001 und 2002
versuchsweise einen ermäßigten Satz auf bestimmte arbeitsintensive Dienstleistungen anzuwenden. Nach diesem Richtlinienvorschlag, den uns die Kommission am
Montag präsentiert hat, müssen die betreffenden
Dienstleistungen folgende Bedingungen erfüllen: Sie
müssen arbeitsintensiv sein. Sie müssen direkt gegenüber dem Endverbraucher erbracht werden. Sie müssen
überwiegend lokalen Charakter aufweisen und dürfen
keine Wettbewerbsverzerrungen hervorrufen. Durch die
Anwendung des ermäßigten Satzes darf das reibungslose
Funktionieren des Binnenmarktes nicht beeinträchtigt
werden.
Unter die Dienstleistungen, die die genannten Voraussetzungen erfüllen und nach Ansicht der Kommission besonders gut zur Schaffung von Arbeitsplätzen geeignet sein dürften, fallen beispielsweise Reparaturarbeiten an beweglichen Gegenständen, Renovierungsarbeiten an Wohngebäuden und Pflegedienstleistungen zu
Hause.
Ich habe zugesagt, daß wir die Beratungen zu dem
Vorschlag noch während unserer Präsidentschaft im ersten Halbjahr 1999 aufnehmen werden.
Ob die Bundesregierung der Richtlinie in der vorgeschlagenen Fassung zustimmen kann, vermag ich derzeit
noch nicht zu beantworten. Wir müssen jetzt erst einmal
den offiziellen Vorschlag, der uns am Montag vorgestellt worden ist, prüfen. Erst danach kann die Haltung
der Bundesregierung festgelegt werden.
Ich möchte Sie aber schon jetzt darauf hinweisen, daß
es nicht allein von unserer Haltung abhängt, ob eine
Richtlinie im Bereich der Umsatzsteuerharmonisierung
verabschiedet wird. Vielmehr müssen alle EUMitgliedstaaten einer solchen Richtlinie zustimmen.
Im übrigen möchte ich daran erinnern, daß sich vor
einem Jahr, nämlich im März und April, der Deutsche
Bundestag mit den Stimmen aller Fraktionen - ausgenommen denen der PDS - gegen die versuchsweise Einführung eines ermäßigten Mehrwertsteuersatzes für arbeitsintensive Dienstleistungen ausgesprochen hat. Ich
verweise in diesem Zusammenhang auf den Bericht des
federführenden Finanzausschusses; das ist die Bundestagsdrucksache 13/10058 vom 5. März 1998.
Herr Kollege Weiß,
Sie haben eine Nachfrage? - Bitte.
Ich bin etwas erstaunt darüber, Herr Staatssekretär, daß es noch
keine endgültige Meinung der Bundesregierung in dieser
Frage gibt. Ist sie nicht insoweit positiv vorgeprägt, als
Gerhard Schröder, der jetzige Bundeskanzler, als Kanzlerkandidat im Mai 1998 in seinem sogenannten Mittelstandsprogramm Sympathie für diesen Vorschlag eines
gespaltenen Mehrwertsteuersatzes für arbeitsintensive
Endverbraucherdienstleistungen hat erkennen lassen und
öffentlich zugesagt hat, diese europäischen Überlegungen im Hinblick auf die Schaffung von zusätzlichen Arbeitsplätzen in diesen Wirtschaftssektoren zu prüfen?
Gehen Sie mit einer solchen positiven Grundeinstellung
- auch im Hinblick darauf, daß dadurch vielleicht Arbeitsplätze geschaffen werden können - an die Prüfung,
und wann wird diese abgeschlossen sein?
Herr Kollege, ich möchte noch einmal
daran erinnern, daß ich in meiner Funktion als amtierender Präsident beim Ecofin-Rat zugesagt habe, daß wir
die Verhandlungen noch im ersten Halbjahr aufnehmen
werden, um zu einer abschließenden Meinung zu kommen. Die Bundesregierung muß sich jetzt auf Grund des
neuen, am Montag präsentierten endgültigen Kommissionsvorschlags eine Meinung bilden.
Ich weise darauf hin, daß in der Begründung des
Kommissionsvorschlages durch die Kommission selbst
auf viele Schwierigkeiten hingewiesen wird. Ich möchte
einmal zitieren. Die Kommission selbst schreibt:
Es ist keineswegs sicher, daß sich eine Mehrwertsteuerermäßigung positiv auf die Schaffung von
Arbeitsplätzen auswirkt.
Sie schreibt weiterhin:
Es ist äußerst schwierig, vorab ein erschöpfendes
Verzeichnis der Dienstleistungen aufzustellen,
({0})
auf die dieser ermäßigte Satz anwendbar wäre.
Sie schreibt ferner:
… muß die Kommission die Möglichkeit haben,
dem Rat geeignete Maßnahmen vorzuschlagen, um
nachteiligen Auswirkungen eines ermäßigten Satzes auf den Wettbewerb sowohl innerhalb des betreffenden Landes als auch gegenüber anderen Mitgliedstaaten entgegenzuwirken.
Das bedeutet, die Kommission selbst ist in bezug auf ihren Vorschlag der Meinung, daß es noch eine ganze
Menge Detailarbeit gibt. Das muß sorgfältig geprüft
werden.
Eine zweite Nachfrage. Bitte, Herr Kollege.
Herr
Staatssekretär, wie schätzen Sie das Meinungsbild im
Ministerrat hinsichtlich dieser Frage gegenwärtig ein?
Wenn ich mich richtig erinnere, hat außer
dem vortragenden Kommissar Monti niemand dazu das
Wort ergriffen. Vielmehr haben wir einmütig - meinem
Vorschlag folgend - beschlossen, den Ausschuß der
Ständigen Vertreter und die Gruppe Finanzfragen zu beauftragen, die Beratungen aufzunehmen.
Ich rufe die Frage 2
des Kollegen Börnsen auf:
Welche ordnungs-, fiskal- und europapolitischen Maßnahmen plant die Bundesregierung bereits in kurzer Frist sowohl auf
nationaler Ebene sowie im Rahmen der Verhandlungen zur
Agenda 2000 zu ergreifen, um dem Grundsatz der freien Mobilität, der bereits in den Römischen Verträgen vereinbart worden
ist, und damit verbundenen freien Wahl des Wohn- und Arbeitsplatzes für alle Bürgerinnen und Bürger innerhalb der Europäischen Union Rechnung zu tragen und infolgedessen Doppelbesteuerungen in Grenzregionen, die zur Einschränkung zwischenstaatlicher Mobilität für mehr als 300 000 Grenzgänger bundesweit führen, insbesondere aber auch zwischen Deutschland und
dem Königreich Dänemark, wie das „Flensburger Tageblatt“
vom 2. März 1999 berichtet, zu vermeiden bzw. abzuschaffen?
Herr Kollege Börnsen, der Gesetzgeber
hat sich in der Vergangenheit mehrfach mit der Besteuerung der im Ausland ansässigen Grenzgänger mit deutschen Einkünften befaßt. Nachdem der Europäische Gerichtshof mit Urteil vom 14. Februar 1995 im Fall
Schumaker entschieden hatte, daß die Regelungen des
§ 50 Abs. 4 des Einkommensteuergesetzes in der Fassung des Grenzpendlergesetzes dem Erfordernis der
Freizügigkeit in der EU nicht gerecht wurden, ist durch
das Jahressteuergesetz 1996 in § 1 Abs. 3 in Verbindung
mit § 1a Einkommensteuergesetz eine Regelung getroffen worden, nach der im Ausland ansässige Personen
wie unbeschränkt Steuerpflichtige behandelt werden,
wenn ihre Einkünfte mindestens zu 90 vom Hundert der
deutschen Einkommensteuer unterliegen oder die nicht
der deutschen Einkommensteuer unterliegenden Einkünfte nicht mehr als 12 000 DM - bei zusammenveranlagten Ehepaaren 24 000 DM - im Kalenderjahr betragen.
Dabei kommen EU-Staatsangehörige bei Wohnsitz
innerhalb der EU im Falle der Zusammenveranlagung
insbesondere in den Genuß des Ehegattensplittings,
Steuerklasse III.
Die Regelungen entsprechen den Vorgaben des
EuGH. Die Bundesregierung hält sie nach wie vor für
sachgerecht und sieht keine Veranlassung, hieran etwas
zu ändern.
Eine Zusatzfrage,
Herr Kollege Börnsen, bitte.
Herr
Staatssekretär, Sie wissen, es handelt sich um fast
300 000 Personen, die im Rahmen der Doppelbesteuerungsabkommen nicht, wie andere Bürger in der Bundesrepublik, Steuergerechtigkeit erfahren. Sehen Sie
nicht doch Handlungsbedarf bei dieser großen Anzahl
von Personen, deren Recht auf Reise- und Berufsfreiheit
in der EU immer noch eingeschränkt ist, weil die Steuersätze nicht angeglichen worden sind bzw. weil es keine Regelung gibt, die eine Verringerung der Steuersätze
vorsieht, damit sie wie alle anderen Steuergerechtigkeit
erfahren?
Herr Kollege Börnsen, Doppelbesteuerungen werden durch die Doppelbesteuerungsabkommen ja gerade vermieden.
({0})
Eine zweite Zusatzfrage, bitte, Herr Kollege.
Herr
Staatssekretär, ist es nicht notwendig, daß man angesichts der Tatsache, daß so viele Bürger - immerhin
300 000 - dieses Unrecht an sich spüren, mit den Sprechern der Organisationen zu einem Dialog kommt, um
festzustellen, ob es nicht doch Handlungsbedarf gibt?
Herr Kollege, ich habe in der Antwort auf
Ihre Frage beleuchtet, wie es sich bei Steuerpflichtigen
verhält, die im Ausland wohnen. Ich möchte den Aspekt
auch noch bezüglich der Personen beleuchten - dies
liegt Ihnen ja wohl besonders am Herzen -, die im Inland wohnen und im EU-Ausland arbeiten.
Diese Personen unterliegen bereits auf Grund ihres
Wohnsitzes der unbeschränkten Steuerpflicht und kommen im Fall der Zusammenveranlagung ohne weiteres in
den Genuß des Splittingverfahrens und persönlicher Abzüge. Soweit Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit,
die im Ausland bezogen werden, nach dem Doppelbesteuerungsabkommen von der deutschen Steuer befreit
sind, werden sie allerdings im Rahmen des sogenannten
Progressionsvorbehaltes zur Ermittlung des Steuersatzes
für die weiterhin in Deutschland steuerpflichtigen Einkünfte berücksichtigt.
Dies hält die Bundesregierung nach wie vor für sachgerecht, da damit der steuerlichen Leistungsfähigkeit
Rechnung getragen wird. Der Steuersatz wäre nicht
niedriger, wenn die gesamten Einkünfte aus Deutschland
bezogen würden. Auch insoweit sieht die Bundesregierung keinen Anlaß zu Änderungen.
Die Fragen 3 und 4
zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie sowie die Fragen 5 und 6 zum
Geschäftsbereich des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung werden
schriftlich beantwortet.
Deshalb rufe ich jetzt den Geschäftsbereich des Auswärtigen Amtes auf. Zur Beantwortung steht Staatsminister Dr. Ludger Volmer zur Verfügung. Ich rufe die Frage 7 der Abgeordneten Sabine Leutheusser-Schnarrenberger auf:
Welches Ziel verfolgt die Bundesregierung, die in ihrer Regierungserklärung die Menschenrechtspolitik zu einem besonderen Schwerpunkt ihrer Politik erklärt hat, als Präsidentschaft innerhalb der Europäischen Union in bezug auf die in den vergangenen Monaten dramatisch zugenommenen Menschenrechtsverletzungen in China, und welchen Vorschlag wird sie dem
Ministerrat unterbreiten?
Frau Leutheusser-Schnarrenberger, der Schutz der
Menschenrechte weltweit zählt zu den außenpolitischen
Schwerpunkten der Bundesregierung. Teil dieser Politik
ist der Dialog über menschenrechtliche Fragen, den sie
mit wichtigen Partnern führt. Zu diesen Dialogpartnern
gehört namentlich auch China.
Der menschenrechtliche Dialog der EU mit China hat
in den letzten Monaten erhebliche Rückschläge erfahren.
Das Vorgehen gegen Dissidenten durch die chinesische
Führung im Dezember 1998 ist von der Bundesregierung und ihren europäischen Partnern sofort und un2096
zweideutig in Erklärungen und Demarchen in Peking
verurteilt worden.
Im Rahmen unserer EU-Ratspräsidentschaft haben
wir die chinesische Seite durch Troika-Konsultationen
in Berlin im Februar dieses Jahres in deutlicher Form
vor allem auch auf die für uns nicht akzeptable Verfolgung von Bürgerrechtlern hingewiesen und die Rücknahme der Verfolgungsmaßnahmen verlangt. Die Menschenrechtsverletzungen der letzten Zeit waren auch
Gegenstand einer hochrangigen Troika-Mission auf
Ebene der politischen Direktoren, die wir am 16. März
in Peking durchgeführt haben.
Auf der bevorstehenden 55. Tagung der Menschenrechtskommission in Genf wird die Bundesregierung im
Rahmen ihrer Ratspräsidentschaft zu den Menschenrechtsverletzungen in China erneut und unzweideutig
Stellung nehmen. In welcher Form dies konkret geschieht, wird gegenwärtig mit den EU-Partnern und
wichtigen anderen westlichen Staaten abgestimmt. Dabei ist es ein zentrales politisches Ziel der Bundesregierung, die Geschlossenheit der EU in ihrer Menschenrechtspolitik gegenüber China zu wahren.
Im übrigen bieten auch der anstehende Besuch von
Außenminister Tang und die für den 28. März vorgesehene EU-Troika-Konsultation auf Ministerebene Gelegenheit, die Menschenrechtsverletzungen anzusprechen.
Frau Kollegin
Leutheusser-Schnarrenberger, Ihre Nachfrage, bitte.
Herr Staatsminister, teilt die Bundesregierung die Auffassung des Menschenrechtsbeauftragten im Auswärtigen Amt, Herrn Poppe, daß eine Resolution der Europäischen Union, gegebenenfalls auch allein von der
Bundesregierung in Genf initiiert, die die Menschenrechtsverletzungen in der Volksrepublik China verurteilt, der richtige Weg ist? Unterstützt sie dieses Vorhaben des Menschenrechtsbeauftragten?
Eine Resolution ist eine von mehreren denkbaren
Optionen. Der Bundesregierung kommt es, wie ich gerade dargelegt habe, vor allen Dingen darauf an, die Geschlossenheit der Europäischen Union zu wahren. Wir
wissen, daß die Idee einer Resolution nicht überall geteilt wird. Wir suchen nach einer gemeinsamen Handlungsoption, so daß der chinesischen Seite die Möglichkeit verbaut ist, die europäischen Staaten gegeneinander
auszuspielen.
Die Fragen 8 und 9
des Abgeordneten Koppelin werden schriftlich beantwortet.
Ich rufe die Frage 10 des Abgeordneten Andreas
Schmidt auf:
Hält die Bundesregierung die wiederholte Werbung von
Bundesminister Joseph Fischer für die Brockhaus-Enzyklopädie
({0}) mit Artikel 66 GG in Verbindung mit § 5 Abs. 1 Satz 1
des Bundesministergesetzes ({1}) für
vereinbar?
Sorry, Sie haben eine andere Numerierung der
Fragen als ich.
Es handelt sich um
die Frage 10 des Abgeordneten Andreas Schmidt.
Bei mir ist die Frage 10 die des Abgeordneten
Raidel. Deshalb muß ich die Antwort auf die Frage des
Abgeordneten Andreas Schmidt suchen.
({0})
Vielleicht hilft es Ihnen, wenn ich Ihnen ein Stichwort gebe. Es geht um die
Brockhaus-Enzyklopädie.
({0})
Die Numerierung der Fragen bei der Frau Vorsitzenden und bei uns war unterschiedlich. Ich mußte sie
nun erst identifizieren.
Die zitierten Rechtstexte, Herr Schmidt, untersagen
lediglich die Ausübung eines anderen besoldeten Amtes,
eines Gewerbes oder Berufs durch die Mitglieder der
Bundesregierung. Gewerbe und Beruf sind auf Dauer
angelegte und auf Erwerb ausgerichtete Tätigkeiten. Bei
der fraglichen Werbung handelt es sich weder um eine
gewerbliche noch eine berufliche Tätigkeit im Sinne des
Art. 66 des Grundgesetzes und des § 5 Abs. 1 des Bundesministergesetzes. Es fehlt an dem Element einer auf
Dauer angelegten und auf Erwerb ausgerichteten Tätigkeit. Ein wirtschaftlicher Vorteil wurde nicht erzielt.
Minister Fischer hatte schon in seiner Zeit als Abgeordneter, also vor dem Antritt des Ministeramtes, auf ein
Honorar zugunsten eines wohltätigen Zweckes verzichtet. Im Vordergrund steht damit ein ideeller, auf Bildung bezogener Zweck. Vertragliche Grundlage ist eine
Vereinbarung zwischen dem Brockhaus-Verlag und
MdB Fischer vom Sommer 1998. Eine zeitliche Befristung der Anzeigenkampagne war damals nicht vorgesehen.
Herr Kollege
Schmidt, bitte Ihre Nachfrage.
Ich habe
eine Zusatzfrage. In der Anzeige heißt es unter dem Bild
von Außenminister Fischer: „Wer keine Ahnung hat, hat
auch keine Meinung.“
({0})
Ist Ihnen bekannt, ob er damit irgendein bestimmtes
Regierungsmitglied ansprechen wollte?
Damals war, wie Sie wissen, eine andere Regierung im Amt. Ich glaube, daß Fischer über die Höflichkeit verfügte, sich bei lexikalischen Angaben über die
frühere Regierung zurückzuhalten.
({0})
Ich rufe jetzt die
Frage 11 des Abgeordneten Hans Raidel auf:
Verstoßen nach Auffassung der Bundesregierung die sogenannten Beneš-Dekrete, die als rechtliche Grundlage der völkerrechtswidrigen Vertreibung und entschädigungslosen Enteignung von Deutschen in der Tschechoslowakei dienten, sowie das
tschechoslowakische „Amnestie-Gesetz“ vom 8. Mai 1946 gegen Grundsätze des Völkerrechtes und der Menschenrechte, und
wenn ja, was unternimmt die Bundesregierung, um gegenüber
der Tschechischen Republik auf die Aufhebung der BeneDekrete hinzuwirken?
Die Bundesregierung, Herr Raidel, hat die Vertreibung der Deutschen und die entschädigungslose Enteignung deutschen Vermögens immer als völkerrechtswidrig angesehen. Ungeachtet des insoweit bestehenden
Dissenses mit der tschechischen Regierung sind sich
beide Regierungen darin einig, daß die im Zusammenhang mit dem zweiten Weltkrieg stehenden und aus ihm
folgenden Ereignisse Teil einer abgeschlossenen historischen Epoche bilden.
In Ziffer III der Deutsch-Tschechischen Erklärung
vom 21. Januar 1997 bedauert die tschechische Seite,
daß durch die nach dem Kriegsende erfolgte Vertreibung
sowie zwangsweise Aussiedlung der Sudetendeutschen
aus der damaligen Tschechoslowakei sowie durch die
Enteignung und Ausbürgerung unschuldigen Menschen
viel Leid und Unrecht zugefügt wurde, und dies auch
angesichts des kollektiven Charakters der Schuldzuweisung.
Wenn Ministerpräsident Zeman am 8. März 1999
darüber hinaus erklärt hat, daß die Wirksamkeit einiger
Maßnahmen nach dem zweiten Weltkrieg wie der Dekrete des Präsidenten der Republik inzwischen erloschen
ist, zielt diese Formulierung auf die sogenannten BenešDekrete ab und stellt klar, daß diese in Zukunft nicht
mehr gelten.
Eine Nachfrage des
Kollegen Raidel.
Herr Staatssekretär, bestätigt die Bundesregierung die Auffassung, daß die sogenannten Beneš-Dekrete eben nicht außer Kraft getreten sind, vielmehr die Konfiskation deutschen Vermögens durch ein Urteil des Verfassungsgerichts der
Tschechischen Republik vom 8. März 1995 bestätigt
worden ist und daß daraus der Schluß, den Sie gezogen
haben, eben nicht gezogen werden kann?
Die Bundesregierung - das ist eine Antwort auf
die zweite von Ihnen eingebrachte Frage, die mit Ihrer
jetzigen Nachfrage fast identisch ist - beobachtet die
interne Gesetzgebung in der Tschechischen Republik
sowohl hinsichtlich ihrer Konzeption als auch hinsichtlich des anschließenden Gesetzesvollzugs sehr genau auf
den Punkt hin, den Sie angesprochen haben.
Es gibt eine weitere
Zusatzfrage des Kollegen Raidel.
Herr Staatsminister, verläßt die Tschechische Republik nach Auffassung der
Bundesregierung mit ihrer Restitutionspolitik gegenüber
den Betroffenen, deren Eigentum entschädigungslos
eingezogen worden ist, nicht nur die Rechtsstandards
der Europäischen Union, sondern auch die der OSZE
und des Europarates, von Institutionen, denen die
Tschechische Republik bereits angehört, und wenn ja,
was unternimmt die Bundesregierung, um gegenüber der
tschechischen Regierung auf eine völkerrechtskonforme
Änderung ihrer Restitutionspolitik zu drängen?
Ich kann nur wiederholen, was ich gerade sagte:
Wir beobachten die Vorgänge genau und werden in dem
Moment, in dem wir Anlaß haben, daran zu zweifeln,
daß sie mit internationalen Vereinbarungen in Übereinstimmung stehen, den Sachverhalt im Dialog ansprechen.
({0})
Ich rufe jetzt die
Frage 12 auf:
Wie bewertet die Bundesregierung die Äußerung des tschechischen Ministerpräsidenten Milos Zeman im Beisein des deutschen Bundeskanzlers Gerhard Schröder am 8. März 1999 in
Bonn, „daß bei der Beibehaltung der Rechtskontinuität der
tschechischen Rechtsordnung die Wirksamkeit einiger nach dem
Jahre 1945 beschlossener Gesetze bereits erloschen ist“, vor dem
Hintergrund der Tatsache, daß nach wie vor neben den heimatvertriebenen Deutschen auch die Angehörigen der deutschen
Minderheit in der Tschechischen Republik von der Rückübertragung entzogenen Eigentums ausgeschlossen sind?
Zur Beantwortung, Herr Staatsminister, bitte.
Herr Raidel, die Bundesregierung begrüßt die
Feststellung von Ministerpräsident Zeman, daß die neue
tschechische Regierung in ihrer Konzeption davon ausgeht, daß die Wirksamkeit einiger nach dem Jahre 1945
beschlossener Gesetze bereits erloschen ist.
Herr Kollege Raidel,
bitte.
Andreas Schmidt ({0})
Sind der Bundesregierung
Eingriffe oder Überprüfungsabsichten der tschechischen
Regierung in bezug auf laufende oder abgeschlossene
Gerichtsverfahren über die Restitution entzogenen
Eigentums ohne Entschädigung bekannt, und wenn ja,
hält die Bundesregierung diese Einwirkungs- oder Überprüfungsmaßnahmen der tschechischen Regierung für
einen Verstoß gegen das Prinzip der Unabhängigkeit der
Justiz? Das steht ja im Gegensatz zu den Erklärungen,
die Sie vorhin abgegeben haben.
Ich habe vorhin gesagt - dies kann ich nur wiederholen -, daß wir die Restitutionsgesetzgebung und den
anschließenden Gesetzesvollzug genau beobachten.
Wenn wir meinen, daß sie mit internationalem Recht
nicht zu vereinbaren sind, wollen wir dies im Dialog ansprechen. Ansonsten mischen wir uns nicht in die interne Gesetzgebung eines anderen Staates ein.
({0})
Kollege Raidel, Ihre
zweite Nachfrage, bitte.
Herr Staatsminister, würden Sie mir bitte bestätigen, daß der Herr Bundeskanzler
dieses Thema sehr unsensibel angegangen ist und mehr
auf die Rechte der einheimischen Bevölkerung als auf
Befindlichkeiten der Tschechischen Republik zu schauen hätte und daß er, wenn er selbst Heimatvertriebener
wäre, manche dieser Fragen etwas sensibler beurteilen
würde?
Der Bundeskanzler hat neben der Befindlichkeit
der Menschen in der Bundesrepublik auch auf die
außenpolitischen Grundlinien und die Verpflichtungen,
die wir in der internationalen Politik haben, Rücksicht
zu nehmen. Letzteres betrifft insbesondere den Versöhnungsauftrag, der auch im Deutschen Bundestag
breite Unterstützung findet. Der Bundeskanzler hat im
Sinne der Abwägung dieser beiden Güter optimal gehandelt.
({0})
Es gibt eine Nachfrage des Kollegen Lippelt.
Herr Staatsminister, sind Sie mit mir der Meinung, daß
nicht nur von seiten der Regierung, sondern auch von
seiten früherer Regierungsparteien Beziehungen belastet
werden können und daß diese früheren Regierungsparteien den Text der Deutsch-Tschechischen Vereinbarung, die ja ihre Regierung abgeschlossen hat, vielleicht
nicht ganz im Kopf haben? Es heißt in dieser Vereinbarung nämlich - ich darf mit Genehmigung der Frau Präsidentin zitieren -:
Beide Seiten erklären deshalb, daß sie ihre Beziehungen nicht mit aus der Vergangenheit herrührenden politischen und rechtlichen Fragen belasten
werden.
Herr Kollege Lippelt, ich danke Ihnen für die Zitierung. Dieses Zitat hatte ich mir für die Beantwortung
einer weiteren Frage bereits herausgesucht. Inhaltlich
stimme ich mit Ihnen völlig überein.
Es gibt eine weitere
Nachfrage. Bitte, Herr Kollege.
Herr Staatsminister,
nachdem Herr Kollege Lippelt von der DeutschTschechischen Erklärung gesprochen und darauf hingewiesen hat, daß die Deutsch-Tschechische Erklärung
unter der Bundesregierung von Helmut Kohl mit der
tschechischen Seite ausgehandelt worden ist, frage ich
Sie: Sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß der
damalige Bundeskanzler Kohl, als er zur Unterzeichnung der Deutsch-Tschechischen Erklärung nach Prag
gereist ist, im Anschluß an die Unterzeichnung der Erklärung bei einer Presseerklärung auf Nachfrage von
Journalisten ausdrücklich gesagt hat, daß die Vermögensfragen auch nach der deutsch-tschechischen Erklärung offengeblieben sind? Herr Staatsminister, wie verhalten sich denn dann die Aussagen des Bundeskanzlers
zu der mir von Ihrem Kollegen im Auswärtigen Amt,
Herrn Staatsminister Verheugen, am 9. Februar dieses
Jahres mitgeteilten Antwort, daß auch die DeutschTschechische Erklärung an der Auffassung der Bundesregierung nichts geändert hat, daß die Vermögensfragen
offengeblieben sind und die Bundesrepublik gegenüber
Tschechien nicht auf Vermögensansprüche verzichtet
hat?
Erstens bin ich bereit, zur Kenntnis zu nehmen,
was Bundeskanzler Kohl einst gesagt hat. Zweitens
möchte ich Sie darauf hinweisen, daß Sie die Frage, die
Sie jetzt als Zusatzfrage formulieren, bereits als ordentliche Frage eingebracht haben. Sie wird dann in dem
von der Präsidentin vorgegebenen Zeitrahmen beantwortet werden.
Dann rufe ich jetzt
die Frage 13 des Abgeordneten Hartmut Koschyk auf:
Wie steht die Aussage von Bundeskanzler Gerhard Schröder
beim Besuch des tschechischen Ministerpräsidenten Milos Zeman am 8. März 1999 in Bonn, daß wir „weder heute noch in
Zukunft Vermögensfragen aufwerfen oder Forderungen stellen“,
im Einklang mit der Antwort der Bundesregierung vom 9. Februar 1999 durch Staatsminister Günter Verheugen auf meine
Frage 11 in Drucksache 14/373, „die deutsch-tschechische Erklärung vom 21. Januar 1997“ hat „an dieser Auffassung der
Bundesregierung nichts geändert“, daß „die Vertreibung der
Deutschen und die entschädigungslose Einziehung deutschen
Vermögens ... völkerrechtswidrig“ sei und die „Bundesregierung
auch nicht auf vermögensrechtliche Ansprüche Deutscher gegenüber den genannten Staaten - Polen, Tschechische Republik
- verzichtet hat“?
Das ist die Frage, die Sie gerade wiederholt haben.
Die Aussage von Bundeskanzler Gerhard Schröder steht
zu der Antwort von Staatsminister Verheugen nicht im
Widerspruch. An der mit der zitierten Antwort vom 9.
Februar 1999 mitgeteilten Bewertung der Bundesregierung hat sich nichts geändert.
Herr Kollege Koschyk, Ihre erste Nachfrage, bitte.
Herr Staatsminister,
welche Rechtsqualität hat denn dann die Aussage von
Bundeskanzler Schröder gegenüber dem tschechischen
Ministerpräsidenten Zeman gehabt? Im Völkerrecht gibt
es durchaus die Frage, ob mündliche Aussagen von Regierungschefs gegenüber anderen Regierungschefs einen
rechtlich bindenden Charakter haben. Hat denn die Aussage des Bundeskanzlers gegenüber seinem tschechischen Amtskollegen die Qualität einer rechtlich bindenden Aussage gehabt, oder war es eine politisch motivierte, rechtlich völlig unbedeutende Äußerung?
Wenn wir, so wie Sie es gerade getan haben, zwischen privatrechtlichen Ansprüchen und politischen Äußerungen der Bundesregierung unterscheiden, dann
möchte ich keine Diskrepanz und keinen Widerspruch in
der internen Politik der Bundesregierung konstruieren.
Eine Frage ist, ob es historisch begründete rechtliche
Ansprüche gibt. Die andere Frage ist die des politischen
Umgangs mit den heutigen Realitäten, die nicht nur diese Ansprüche beinhalten, sondern auch einen Versöhnungsauftrag. In diesem Zusammenhang hat die Bundesregierung einen weiten Spielraum, der ihr auch verfassungsrechtlich zugebilligt wurde.
Ihre zweite Nachfrage. Bitte, Herr Kollege Koschyk.
Habe ich Sie, Herr
Staatsminister, dann richtig verstanden, daß Ihre Antwort bedeutet, daß die Bundesrepublik Deutschland
auch weiterhin im völkerrechtlichen Umgang mit der
Tschechischen Republik auf die Offenheit der Vermögensfragen verweisen wird und das auch so gegenüber
der Tschechischen Republik vertreten wird?
Die Bundesregierung wird sich gegenüber der
Tschechischen Republik in genau der Art verhalten, wie
es in dem Abkommen mit der Tschechischen Republik
vereinbart worden ist.
Es gibt eine weitere
Zusatzfrage der Kollegin Dr. Antje Vollmer.
Herr Staatsminister Volmer, da Sie und ich die soeben
gestellten Fragen des Kollegen dahin gehend interpretieren mußten, daß er meinte, die Äußerungen des Bundeskanzlers könnten eventuell so verstanden werden, daß
private Vermögensansprüche an die Bundesrepublik gestellt werden könnten, möchte ich Sie fragen, ob auch
Ihnen das Gutachten des sehr angesehenen Völkerrechtlers Tomuschat bekannt ist, der zu dem Schluß gekommen ist, daß die Frage, ob solche Ansprüche gegen
die Bundesrepublik als Haftende möglicherweise vor
dem Bundesverfassungsgericht geltend gemacht werden
könnten, zu verneinen ist. Keine Regierung der Welt
kann genötigt werden, individuelle Eigentumsansprüche
auf Kosten eines friedlichen, freundschaftlichen und
versöhnlichen Verhältnisses zu den Nachbarn geltend zu
machen. Ist Ihnen dieses Gutachten bekannt? Schließen
Sie sich der dort vertretenen Auffassung an?
Uns ist diese Rechtsauffassung bekannt. Die Bundesregierung handelt in dem sicheren Gefühl, sich auf
rechtlich einwandfreiem Boden zu bewegen.
Es gibt eine weitere
Zusatzfrage der Kollegin Reinhardt.
Herr Staatsminister,
ich möchte hier kurz den Bundeskanzler zitieren, der
wörtlich gesagt hat:
Als Folge dessen werden die Regierungen beider
Staaten in diesem Zusammenhang weder heute
noch in Zukunft Vermögensfragen aufwerfen oder
Forderungen stellen.
Staatsminister Verheugen hat damals im gleichen Zusammenhang auf eine schriftliche Frage geantwortet:
Hieraus folgt, daß die Bundesregierung auch nicht
auf vermögensrechtliche Ansprüche Deutscher gegenüber den genannten Staaten verzichtet hat.
Können Sie mir angesichts dieser Zitate einmal erklären, warum es hier keinen Widerspruch gibt, obwohl Sie
vorher behauptet haben, es gebe keinen Widerspruch?
({0})
Ich sehe keinen Widerspruch; denn zwischen konstruierbaren Rechtsansprüchen auf der einen Seite und
dem politischen Umgang mit Forderungen auf der anderen Seite darf man unterscheiden. Eine entsprechende
Billigung wurde sogar durch das Bundesverfassungsgericht eingeräumt.
Vizepräsidentin Petra Bläss
Ich rufe jetzt Frage 14 des Abgeordneten Hartmut Koschyk auf:
Hat Bundeskanzler Gerhard Schröder gegenüber dem tschechischen Ministerpräsidenten Milos Zeman bei dessen Besuch
am 8. März 1999 in Bonn die Auffassung gemäß der Antwort
der Bundesregierung vom 9. Februar 1999 auf meine Frage 11 in
Drucksache 14/373 deutlich gemacht, daß die „Bundesregierung
... die Vertreibung der Deutschen und die entschädigungslose
Einziehung deutschen Vermögens als völkerrechtswidrig“ ansehe und daß „die deutsch-tschechische Erklärung vom 21. Januar
1997 an dieser Auffassung der Bundesregierung nichts geändert“ habe und hieraus folge, daß „die Bundesregierung auch
nicht auf vermögensrechtliche Ansprüche Deutscher gegenüber
den genannten Staaten - Polen, Tschechische Republik - verzichtet hat“?
Herr Koschyk, Sie haben im Prinzip schriftlich die
gleiche Frage formuliert, die gerade von der Kollegin
mündlich gestellt worden ist. Deshalb kann ich meine
Antwort nur wiederholen: Hinsichtlich der von Ihnen
aufgeworfenen Fragen bleibt die Bundesregierung bei
ihrer Bewertung.
Eine Nachfrage, bitte, Herr Kollege Koschyk.
Herr Staatsminister,
stimmt die Bundesregierung der Auffassung zu, daß Ansprüche deutscher Staatsangehöriger gegenüber anderen
Staaten, deren Rechtsordnung keine entsprechende Anspruchsgrundlage bietet, nur dann Aussicht auf Erfolg
haben, wenn die Bundesrepublik Deutschland selbst als
Schutzstaat im Rahmen des diplomatischen Schutzes
diese Ansprüche geltend macht?
Ich verweise auf das, was ich mehrfach betont habe, nämlich daß die Bundesregierung verschiedene
Rechtsgüter und politische Aufträge gegeneinander abzuwägen hat und dabei einen breiten Ermessungsspielraum besitzt.
Herr Kollege Koschyk, Ihre zweite Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatsminister,
inwieweit wird nach Ihrer Einschätzung dieser politische
Ermessungsspielraum gegeben sein, wenn man für die
Durchsetzung innerstaatlicher Entschädigungsansprüche
keinen diplomatischen Schutz gewähren will? Wo liegt
nach Ihrer Meinung hier die Grenze, auch im Hinblick
auf die Tatsache, daß die Tschechische Republik inzwischen Mitglied des Europarates geworden ist und daß
die Menschenrechtskonvention des Europarates, die die
Tschechische Republik unterschrieben hat, eine ausdrückliche Eigentumsgarantie enthält? Das heißt, daß
die offenen Eigentums- und Vermögensansprüche deutscher Staatsbürger gegenüber der Tschechischen Republik nicht nur das bilaterale Verhältnis zwischen der
Bundesrepublik Deutschland und der Tschechischen
Republik, sondern auch die Einhaltung der Europäischen
Menschenrechtskonvention betreffen.
Wie ich schon vorhin ausführte, fühlt sich die
Bundesregierung vor allen Dingen dem Versöhnungsgedanken im internationalen Bereich verpflichtet. Wenn
man bei Partnerländern, mit denen wir Dialoge führen,
feststellen muß, daß sie gegen internationales Recht verstoßen, dann können solche Verstöße im Rahmen des
Dialoges angesprochen werden. Zu Ihrer Behauptung,
daß es solche Verstöße gebe, will ich im Moment keine
Stellung nehmen.
Die nächste Zusatzfrage stellt die Kollegin Dr. Antje Vollmer.
Herr Staatsminister, ich möchte Bezug auf die Frage des
Kollegen Koschyk nehmen. In seiner Frage war von der
Notwendigkeit die Rede, daß sich die Bundesregierung
als Schutzstaat für individuelle Eigentumsansprüche
verstehen solle. Wie beurteilen Sie in diesem Zusammenhang die Tatsache, daß die vorige Bundesregierung
unter Leitung von Helmut Kohl individuelle Eigentumsansprüche von Grundbesitzern in den neuen Bundesländern - ich spreche vom früheren Großgrundbesitz
- zurückgewiesen hat? Diese Ansprüche hätte sie sehr
wohl befriedigen können, wenn sie diese Rechtsauffassung vertreten hätte; denn immerhin handelte es sich
nicht um Ansprüche auf fremdem, sondern auf eigenem
Territorium.
Die damalige Bundesregierung hat die Angelegenheit
offensichtlich rechtlich geprüft. Sie hat vor dem Bundesverfassungsgericht dafür recht bekommen, daß sie
sich genauso verhalten hat, wie es jetzt von ebendieser
Opposition moniert wird. Wie beurteilen Sie diesen Widerspruch?
Die verfassungsrechtliche Lage scheint mir ohnehin klar zu sein. Ich nehme zustimmend zur Kenntnis,
daß auch die alte Bundesregierung die vorwärtsweisenden Aspekte ihrer Politik in dieser Frage in den Vordergrund gestellt hat. Diesem Beispiel folgen wir nun auch
im Bereich der internationalen Politik.
Nächster Fragesteller
ist der Kollege Lippelt.
Herr Staatsminister, ist es falsch, von einem historischen
Zusammenhang zu sprechen, wenn ich behaupte, daß
wir nach dem Wiedererstehen der Tschechoslowakei
nach ihrer völligen Zerstörung durch das nationalsozialistische Deutschland einen Vertrag über gute Freundschaft und Nachbarschaft geschlossen haben, der in gewisser Weise den ausstehenden Friedensvertrag ersetzt
hat?
Folgen Sie auch meiner Behauptung, daß privatrechtliche Ansprüche im privatrechtlichen Bereich sehr wohl
ihre Legitimation haben? Wenn dies so ist, müssen sie
allerdings vor den zuständigen Gerichten eingeklagt
werden. Aus der Fürsorgepflicht des Staates hinsichtlich
seiner Bürger kann man nach einer solchen Katastrophe
aber nicht herleiten, daß dieser Staat auch für privatrechtliche Ansprüche - die ja privat verfolgt werden
können - eintreten muß, weil dazwischen immerhin die
Zerstörung eines anderen Staates liegt.
({0})
- Ich frage, ob diese Meinung geteilt wird.
({1})
- Okay, wir reden nachher sowieso noch weiter. Dann
können wir weitersehen. - Sehen auch Sie diesen Zusammenhang? Finden Sie nicht, daß sich die hier vorgelegten Fragen durch eine unglaubliche Unhistorizität
auszeichnen?
Herr Kollege Lippelt, ich möchte als Antwort auf
Ihre Frage nun das zitieren, was ich mir eigentlich vorbehalten hatte. Es faßt die Antwort der beiden Regierungen in Vertragsform zusammen, ratifiziert durch den
Deutschen Bundestag. In dem entsprechenden Abkommen steht unter Ziffer IV - ich erlaube mir zu zitieren - :
Beide Seiten stimmen darin überein, daß das begangene Unrecht der Vergangenheit angehört und
werden daher ihre Beziehungen auf die Zukunft
ausrichten. Gerade deshalb, weil sie sich der tragischen Kapitel ihrer Geschichte bewußt bleiben,
sind sie entschlossen, in der Gestaltung ihrer Beziehungen weiterhin der Verständigung und dem
gegenseitigen Einvernehmen Vorrang einzuräumen,
wobei jede Seite ihrer Rechtsordnung verpflichtet
bleibt und respektiert, daß die andere Seite eine andere Rechtsauffassung hat. Beide Seiten erklären
deshalb, daß sie ihre Beziehungen nicht mit aus der
Vergangenheit herrührenden politischen und rechtlichen Fragen belasten werden.
Ich rufe die Frage 15
des Abgeordneten Christian Schmidt auf:
Wie ist die Erklärung von Bundeskanzler Gerhard Schröder
vom 8. März 1999 im Beisein des tschechischen Ministerpräsidenten Milos Zeman, daß beide die „aus der Vergangenheit herrührenden politischen und rechtlichen Fragen ... als abgeschlossen“ betrachten und „weder heute noch in Zukunft Vermögensfragen aufwerfen oder Forderungen stellen“, mit der staatsrechtlichen Verpflichtung der Bundesregierung zu vereinbaren, den
eigenen Staatsbürgern bei der Verfolgung rechtmäßiger Interessen gegenüber fremden Staaten diplomatischen Schutz zu gewähren?
Herr Schmidt, die von Ihnen zitierte Äußerung von
Bundeskanzler Gerhard Schröder enthält keinen Verzicht auf eigentums- oder vermögensrechtliche Positionen Vertriebener. Bei der Entscheidung darüber, ob und
gegebenenfalls wie die Bundesregierung gegenüber einem Drittstaat zugunsten eigener Staatsangehöriger tätig
werden soll, verfügt sie über ein weites politisches Ermessen.
Herr Kollege
Schmidt, Ihre Nachfrage bitte.
Meine Zusatzfrage steht, wenn Sie, Frau Präsidentin, es gestatten,
eher im Zusammenhang mit der Beantwortung der Frage
14. Herr Staatsminister, sind Sie bereit, zur Kenntnis zu
nehmen, daß die von Ihnen zitierte Deutsch-Tschechische Erklärung vom 21. Januar 1997 keinen völkerrechtlichen Vertrag darstellt, demzufolge entgegen Ihrer
Äußerung auch vom Deutschen Bundestag nicht im Sinne von Art. 59 Abs. 2 des Grundgesetzes ratifiziert worden ist und sich deswegen die völkerrechtliche Lage
nach dieser Erklärung nicht geändert hat?
Auch wenn es nicht zu einer Ratifizierung durch
den Bundestag gekommen ist, sondern zu einer übereinstimmenden politischen Willenserklärung und diese im
völkerrechtlichen Sinne kein Vertrag ist, wie Sie sagen,
so hat sie dennoch als Vereinbarung eine Bindungswirkung und ist für die Politik der heutigen Regierung leitend.
Kollege Schmidt, Ihre zweite Zusatzfrage.
Herr
Staatsminister, verstehe ich die Antwort in bezug auf das
Zitat von Bundeskanzler Schröder in meiner Frage 15,
daß die rechtlichen Fragen „als abgeschlossen“ betrachtet werden, in dem Sinne richtig, daß Bundeskanzler
Schröder davon ausgeht, daß die Beneš-Dekrete, auf die
offensichtlich Bezug genommen wurde, ex nunc nichtig
sind?
Ich kann nur noch einmal auf die Unterscheidung,
über die wir hier mehrmals gesprochen haben, zwischen
privatrechtlichen Ansprüchen und politischen Zielvorgaben verweisen, die man im Auge haben und gegeneinander abwägen muß. In der Konklusion führt das zu einer Politik, wie sie in dem für uns bindenden Vertrag
niedergelegt ist.
Frau Kollegin Dr.
Vollmer, Ihre Zusatzfrage bitte.
Herr Staatsminister, ist Ihnen bekannt, daß diese Erklärung, von der der Kollege Schmidt eben sagte, daß sie
keinen Vertragscharakter habe, so lange wie kaum etwas
anderes im Deutschen Bundestag diskutiert worden ist,
nämlich zwei Jahre, am Ende vom ganzen Hause gemeinsam angenommen worden ist, inklusive der Stimmen der CDU sowie - mit nur ganz wenigen Ausnahmen - der CSU, und sogar - das wissen Sie vielleicht
nicht - der bayerische Ministerpräsident Stoiber persönlich - ich war Zeuge dieser Begebenheit - vor der Sudetendeutschen Landsmannschaft diese Erklärung dankenswerterweise verteidigt hat?
Wie ich vorhin schon sagte, ist nicht nur mir, sondern wahrscheinlich fast jedem hier im Hause bewußt,
daß der Prozeß so abgelaufen ist, wie Sie es dargestellt
haben. Es gab in der Tat eine breite politische Mehrheit,
und diese Entscheidung wurde von allen Fraktionen getragen. Deshalb hat dieser Vertrag, selbst wenn er im
völkerrechtlichen Sinne nicht ratifiziert wurde, dennoch
eine Bindungswirkung. Die jetzige Regierung erklärt
unmißverständlich, daß sie sich an ihn halten wird.
({0})
Auch der Kollege
Koschyk hat eine Nachfrage. Bitte schön.
Herr Staatsminister,
die Einlassung der Frau Vizepräsidentin und Kollegin
Vollmer veranlaßt mich doch zu der Frage, ob die in einem langen Prozeß in diesem Hause erreichte große politische Gemeinsamkeit, an dem sich auch die
CDU/CSU-Fraktion und, wie Frau Vollmer es sagte, der
bayerische Ministerpräsident beteiligt haben, indem sie
bei den betroffenen sudetendeutschen Mitbürgerinnen
und Mitbürgern in Deutschland für eine politische Akzeptanz der Deutsch-Tschechischen Erklärung warben,
nicht durch die völlig unnötige, rechtlich fragwürdige
und vom Bundeskanzler gegenüber Herrn Zeman neu
vom Zaun gebrochene Diskussion über die Eigentumsfragen zerstört worden ist? In diesem Hause bestand ja
auch politische Gemeinsamkeit darüber, daß durch die
Deutsch-Tschechische Erklärung die Vertretung der Eigentums- und Vermögensfragen durch die Bundesrepublik Deutschland völkerrechtlich nicht ad acta gelegt
worden ist. Hat dieses erneute Aufwerfen jetzt nicht zu
neuen Diskussionen geführt, die der DeutschTschechischen Erklärung eher schaden als nützen?
Der Bundeskanzler hat nicht über die Eigentumsfragen gesprochen, sondern über den politischen Umgang mit Eigentumsfragen. Er befindet sich mit diesen
Aussagen auf der Basis der Vereinbarung, die wir gerade besprochen haben.
Ich rufe die Frage 16
des Abgeordneten Christian Schmidt auf:
In welchem rechtlichen Verhältnis steht die in Frage 15 genannte Äußerung von Bundeskanzler Gerhard Schröder zu dem
begleitenden Briefwechsel zum Vertrag vom 27. Februar 1992
zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Tschechischen und Slowakischen Föderativen Republik, in dem übereinstimmend erklärt worden war, daß sich dieser Vertrag nicht auf
Vermögensfragen bezieht und daraus zu schließen ist, daß diese
Fragen als offen angesehen worden waren?
Da wir diese Frage der Substanz nach in dem Frage-und-Antwort-Spiel gerade schon mehrmals behandelt
haben, kann ich nur auf meine Antwort zu Ihrer letzten
Frage verweisen. Das ist inhaltlich identisch.
({0})
Ihre Zusatzfrage,
Herr Kollege Schmidt.
Herr
Staatsminister, gestatten Sie mir zur Einleitung eine
Bemerkung, bevor ich die Zusatzfrage wiederhole, die
ich zur Frage 15 gestellt habe; denn Sie haben sie entgegen Ihrer Darstellung in der Substanz nicht beantwortet.
Wenn es ein Haus in der Bundesregierung gibt, das
sich intensiv mit Fragen des Völkerrechts auseinanderzusetzen hat, dann ist es das Auswärtige Amt. Gerade
deswegen erwarte ich, daß das Auswärtige Amt völkerrechtlich relevante Fragen völkerrechtlich präzise beantwortet. Die Frage nach ex tunc/ex nunc, nach Nichtigkeit von Anfang an, nach Nichtigkeit vom Zeitpunkt
der Erklärung der Unwirksamkeit an, hat ja erhebliche
Relevanz auch für die privaten Ansprüche.
Nachdem in der Erklärung vom 21. Januar 1997, die
von Ihnen zitiert worden ist, Frau Kollegin Vollmer, die
Berufung auf das jeweilige Verständnis der Rechtsordnungen der jeweiligen Partnerregierungen enthalten ist,
erhebt sich doch die Frage: Wie verstehen Sie das als
Vertreter des Auswärtigen Amtes? Sind sie zum Zeitpunkt der Enteignung wirksam gewesen und nachher
nichtig geworden oder nicht? Wenn Sie diese Auffassung nicht präzise darlegen, dann wird jemandem, der
individualrechtlich Ansprüche geltend macht, möglicherweise die Rechtsmeinung der eigenen Regierung
entgegengehalten werden. Ganz so salopp und einfach
aus der Kaschmirtasche kann man diese Fragen nicht
beantworten.
({0})
Das mit der Kaschmirtasche war unsachlich; das nehme
ich zurück - Entschuldigung - und sage: aus der Stofftasche.
Herr Kollege Schmidt, ich nehme nicht an, daß Sie
eine Antwort der Bundesregierung provozieren wollen,
die jeglichen individualrechtlichen Anspruch unmöglich
macht. Wenn Sie eine Diskussion über das Völkerrecht
verlangen, kann ich Ihnen nur entgegenhalten: Das ist
erheblich breiter angelegt, als Sie es gerade angesproDr. Antje Vollmer
chen haben. Die wichtigste völkerrechtliche Verpflichtung für die Bundesregierung ist die Friedenspflicht.
({0})
Herr Schmidt, eine
zweite Zusatzfrage, bitte.
Herr
Staatsminister, gehen Sie mit mir davon aus, daß diese
Berufung auf die allgemeine Friedenspflicht und damit
die Subsumierung allen Handelns, das man aus der eigenen Sicht politisch nicht als richtig definiert, eine äußerst fragwürdige Definition von völkerrechtlichen Verpflichtungen ist?
Herr Schmidt, unter uns Nichtjuristen: Es war keine Subsumierung, sondern eine Güterabwägung.
Eine weitere Zusatzfrage, bitte, Herr Kollege.
Herr Staatsminister,
darf ich Sie so interpretieren, daß die Bundesregierung
dann, wenn individuelle Ansprüche geltend gemacht
würden, klipp und klar darlegen würde, daß sie solchen
Ansprüchen nichts in den Weg legen würde, bzw. kann
ich so weit gehen zu sagen, daß sie dann den Antragsteller oder Anspruchsteller unterstützen würde?
Die Bundesregierung wird - wie ich es mehrmals
dargestellt habe - in dem Moment, in dem solche Ansprüche formuliert werden und auftreten, unter Einbeziehung all der Kriterien handeln, die für ihre internationale Politik handlungsleitend sind.
Sie haben leider keine zweite Frage, weil Sie nicht der Fragesteller waren,
Herr Kollege Lintner.
Frau Kollegin Dr. Vollmer, Ihre Frage bitte.
Herr Staatsminister, 16 Jahre lang hatten wir hier im
Hause andere Mehrheitsverhältnisse. Ist Ihnen irgendein
Akt der vorigen Bundesregierung bekannt, mit dem sie
sich zum Fürsprecher und Akteur hinsichtlich individueller Eigentumsansprüche gegenüber der tschechoslowakischen Republik und später der Tschechischen Republik gemacht hat? Wenn indirekt gefordert wird, die
Bundesregierung solle zu einem Sprecher, ja sogar zu
einem Akteur in diesem Bereich werden, antworte ich,
daß 16 Jahre lang die Möglichkeit bestand, einen solchen Prozeß, den ich für ungeheuer schädlich gehalten
hätte, in Gang zu setzen. Offensichtlich stand davor die
Weisheit der Regierung Kohl mit den Außenministern
Genscher und Kinkel, so daß es entsprechende Aktionen
nicht gegeben hat. Wie beurteilen Sie unter diesem Gesichtspunkt die entsprechende Forderung der Kollegen?
Frau Kollegin, es hat sich mit der Politik der Bundesregierung bezüglich der rechtlichen Ansprüche so
verhalten, wie Sie es dargestellt haben. Als Vertreter der
Bundesregierung kann und will ich nicht verhindern,
daß Kollegen aus dem parlamentarischen Raum immer
mal wieder die verlorenen Schlachten von gestern schlagen wollen.
({0})
Eine Frage der Kollegin Baumeister.
Frau Präsidentin,
ich möchte keine Frage, sondern einen Antrag zur Geschäftsordnung stellen. Nachdem dieser Fragenkomplex
unsererseits abgeschlossen ist und ich namens der
CDU/CSU-Fraktion feststellen darf, daß der Herr
Staatsminister die Fragen betreffend Irritationen bezüglich der Äußerungen des Bundeskanzlers zum deutschtschechischen Verhältnis nicht ausreichend beantwortet
hat, beantrage ich für meine Fraktion nach § 106 unserer
Geschäftsordnung eine Aktuelle Stunde.
({0})
Liebe Kolleginnen
und Kollegen, Sie haben soeben vernommen, daß die
Fraktion der CDU/CSU zur Antwort der Bundesregierung auf die beiden letzten Fragen eine Aktuelle Stunde
verlangt hat. Dies entspricht Nummer 1b der Richtlinien
für Aktuelle Stunden. Nach Nummer 2a der Richtlinien
muß die Aussprache unmittelbar nach Schluß der Fragestunde durchgeführt werden.
Ich rufe jetzt die Frage 17 des Abgeordneten Wolfgang Dehnel auf:
Wird die Bundesregierung die Hinterbliebenen der Opfer des
Seilbahnunglücks von Cavalese vom 3. Februar 1998, bei dem
20 Menschen ums Leben kamen, nach dem Freispruch des Piloten in ihrem Kampf um Entschädigung und Gerechtigkeit unterstützen, und wenn ja, in welcher Weise?
Herr Kollege Dehnel, die Bundesregierung unterstützt die Hinterbliebenen der Opfer bei der Geltendmachung ihrer Schadensersatzansprüche mit allen ihr zur
Verfügung stehenden Mitteln. Bundesminister Fischer
hat sich persönlich an die amerikanische Außenministerin und an seinen italienischen Amtskollegen mit der
Bitte gewandt, die materiellen Folgen des Unglücks
schnell, fair, umfassend und unbürokratisch zu regeln.
Gegenüber der Regierung der USA und der Regierung von Italien haben unsere Botschaften auf die
Dringlichkeit einer befriedigenden Regelung hingewieStaatsminister Dr. Ludger Volmer
sen. In Unterstützung der Hinterbliebenen hat der Gesandte unserer Botschaft in Washington am 10. März
1999 mit den Angehörigen und ihren Rechtsvertretern
ausführlich erörtert, wie Anliegen der Hinterbliebenen
weiter zum Erfolg verholfen werden kann.
Herr Kollege Dehnel,
bitte Ihre Zusatzfrage.
Sind schon Antworten der italienischen und der amerikanischen Regierung eingegangen?
Nach unseren Informationen ist der Stand der Entschädigungszahlungen folgender: Die Angehörigen der
Opfer haben von den USA eine erste Hilfe in Höhe von
5 000 US-Dollar erhalten. Italien hat an die Familien der
Opfer umgerechnet zirka 100 000 DM pro Opfer ausgezahlt, die auf eine spätere Entschädigung nicht angerechnet werden. In fünf Fällen der deutschen Opfer hat
Italien Vorschläge für eine endgültige Regulierung der
materiellen Folgen des Unglücks gemacht. In drei Fällen
werden von der Landesversicherungsanstalt Sachsen
Witwenrenten im Vorgriff auf eine spätere Entschädigung ausgezahlt.
Eine Entschädigung für die Region in Höhe von 20
Millionen US-Dollar wurde von den USA bisher nur im
Haushalt des Verteidigungsministeriums bereitgestellt,
jedoch noch nicht ausgezahlt. Wann eine Auszahlung erfolgen wird, bleibt abzuwarten.
Ihre zweite Zusatzfrage bitte, Herr Kollege Dehnel.
Wird die Bundesregierung es bei diesen Briefen belassen, oder wird sie
weiter intervenieren, um den Hinterbliebenen der Opfer
bei der Entschädigung und auch bei der Rechtsprechung
zu helfen?
Die Bundesregierung wird alles tun, was sie leisten
muß und leisten kann, um den Geschädigten zu helfen.
Wir gehen auch davon aus, daß dies ein Vorgang ist, der
auf den normalen rechtlichen und konsularischen Bahnen zu bewerkstelligen ist, und daß es dazu keiner besonderen politischen Intervention bedarf.
Damit rufe ich die
Frage 18 des Kollegen Hans-Dirk Bierling auf:
Was hat die Bundesregierung gegenüber der Regierung der
Vereinigten Staaten von Amerika unternommen, um eine gerichtliche Aufklärung der Verantwortlichkeit für das Seilbahnunglück von Cavalese durchzusetzen?
Herr Kollege Bierling, gemäß NATO-Truppenstatut und bilateralen Zusatzabkommen mit Italien haben
die USA als Entsendestaat das Recht zur Ausübung der
Gerichtsbarkeit gegenüber dem für das Seilbahnunglück
verantwortlichen Piloten und dem Navigator. Das Beweismaterial befand sich entweder in den USA oder in
Italien.
Vor diesem Hintergrund gab es für die Bundesregierung keine Möglichkeit, einen Beitrag zur gerichtlichen
Aufklärung der strafrechtlichen Beurteilung des Unglücksfalles zu leisten. Sollte die Bundesregierung im
Zuge weiterer strafrechtlicher Verfahren um Unterstützung gebeten werden, ist sie im Rahmen der ihr zur Verfügung stehenden Mittel bereit, diese zu leisten.
Die USA haben sich uneingeschränkt zu ihrer zivilrechtlichen Verantwortung bekannt. Zivilgerichtliche
Verfahren sind noch nicht anhängig. Die Bundesregierung unterstützt die Angehörigen der Opfer bei ihren
Bemühungen um eine rasche und umfassende Entschädigung. Der Bundesminister des Auswärtigen, Fischer,
hat sich hierfür persönlich mit großem Nachdruck eingesetzt.
Herr Kollege Bierling, Ihre Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatsminister, nach Ihrer Antwort muß ich Sie fragen: Hält die
Bundesregierung - nach der Erfahrung mit dem Urteil,
im Sinne des Piloten und in Kenntnis der Tatsache, daß
gegen Entscheidungen amerikanischer Militärgerichte
keine Rechtsmittel möglich sind - ein amerikanisches
Militärgericht für geeigneter als ein Zivilgericht der
Vereinigten Staaten, diesen Unglücksfall strafrechtlich
aufzuarbeiten?
Die Bundesregierung greift nicht in die Rechtsprechung eines anderen Staates ein. Sie nutzt allerdings ihre
konsularischen Möglichkeiten, um Bundesbürger zu
unterstützen, wenn sie ihr Recht suchen.
Eine zweite Zusatzfrage, bitte, Herr Kollege.
Hat die Bundesregierung Erkenntnisse darüber, ob es noch zu einem strafrechtlichen Verfahren vor anderen Gerichten der Vereinigten Staaten kommen wird?
Darüber haben wir im Moment keine Erkenntnisse.
Es gibt eine weitere
Zusatzfrage, und zwar des Kollegen Schauerte.
Herr Staatsminister, sieht die Bundesregierung nach der Verhaltensweise der Amerikaner die Notwendigkeit - möglicherweise
gemeinsam mit der italienischen Regierung -, die bisherigen vertraglichen Regelungen im Rahmen des Truppenstatuts im Hinblick auf zukünftige Fälle zu überdenken, oder sieht sie diesbezüglich keinerlei Veranlassung?
Die Bundesregierung hat die Entscheidung der Jury des amerikanischen Militärgerichts, die nicht begründet werden muß, mit Erstaunen zur Kenntnis genommen. Selbstverständlich macht sie sich Gedanken darüber, wie, falls ähnliche oder anders gelagerte Problematiken vor der amerikanischen Justiz zu verhandeln
sind, mit den Freunden in den USA geredet werden
kann. Allerdings bleiben wir dabei: Wir haben keine
Möglichkeiten, in die Urteilsfindung hineinzuregieren.
Es ist bedauerlich, daß es nicht möglich ist, Rechtsmittel
einzulegen. Aber dagegen können wir im Moment leider
nichts tun.
Damit rufe ich die
Frage 19 des Kollegen Bierling auf:
In welcher Weise unterstützt die Bundesregierung die Ansprüche der deutschen Hinterbliebenen der Opfer von Cavalese
und fordert die USA auf, ihr Versprechen einer unkomplizierten
und angemessenen finanziellen Entschädigung umgehend zu erfüllen?
Herr Bierling, wie ich gerade schon ausgeführt habe, unterstützt die Bundesregierung die Hinterbliebenen
der Opfer mit allen ihr politisch und rechtlich zur Verfügung stehenden Mitteln bei der Geltendmachung ihrer
Schadensersatzansprüche. Gegenüber den Regierungen
der USA und Italiens haben unsere Botschaften eine zügige und befriedigende Entschädigung gefordert. Der
Bundesminister des Auswärtigen, Fischer, hat sich persönlich an die amerikanische Außenministerin und an
seinen italienischen Amtskollegen mit der Bitte gewandt, die materiellen Folgen des Unglücks schnell,
fair, umfassend und unbürokratisch zu regeln.
In Unterstützung der Hinterbliebenen hat der Gesandte unserer Botschaft in Washington am 10. März
1999 mit den Angehörigen der Opfer und ihren Rechtsvertretern ausführlich erörtert, wie man den berechtigten
humanitären Anliegen der Hinterbliebenen zum Erfolg
verhelfen kann. Im gleichen Sinne war es bereits am
18. Januar dieses Jahres im Auswärtigen Amt, unter
Teilnahme des Bürgermeisters von Burgstädt, zu einem
Gespräch mit den Rechtsvertretern der Angehörigen gekommen.
Herr Bierling, bitte.
Herr Staatsminister, ich bin im Grunde genommen mit Ihrer Antwort
zufrieden, habe aber trotzdem noch eine Nachfrage: Beurteilt die Bundesregierung - wie ich - die von Ihnen
vorhin erwähnte sehr rasche Einstellung von 20 Millionen US-Dollar in den US-Haushalt zu dem Zweck, der
betroffenen Region zu helfen, als ein staatliches Schuldanerkenntnis?
Herr Kollege, wir begrüßen, daß dieser Betrag zur
Verfügung gestellt worden ist. Ich möchte das Verhältnis zwischen strafrechtlicher und zivilrechtlicher Wertung dieses gesamten Falles in den USA nicht offiziell
kommentieren.
Ihre zweite Zusatzfrage, bitte, Herr Kollege.
Herr Staatsminister, dann muß ich konkreter nachfragen, ob Sie es - wie
ich - nicht für pervers halten, daß in den Haushalt der
USA unverzüglich 20 Millionen US-Dollar für den
Neubau einer Seilbahn in der betroffenen Region eingestellt werden, die Hinterbliebenen aber zunächst mit
5 000 Dollar - und das erst nach Überwindung von
Schwierigkeiten - abgefunden werden.
Herr Kollege Bierling, Sie werden verstehen, daß
ich Ihre Wertung des amerikanischen Vorgehens mit
dem Begriff „pervers“ quasi regierungsamtlich nicht bestätigen kann.
({0})
Aber ich nehme zur Kenntnis, daß Sie diese Gelegenheit
nutzen, Ihre Auffassung sehr deutlich zur Sprache zu
bringen.
Damit rufe ich nunmehr den Geschäftsbereich des Bundesministeriums des
Innern auf. Zur Beantwortung steht der Herr Parlamentarische Staatssekretär Fritz Rudolf Körper zur Verfügung.
Die Frage 20 des Abgeordneten Johannes Singhammer wird schriftlich beantwortet.
Dann rufe ich die Frage 21 des Abgeordneten Norbert
Hauser auf:
Gedenkt die Bundeszentrale für politische Bildung ihr umfangreiches Angebot in der Besuchergruppenbetreuung auch
nach dem Umzug des Deutschen Bundestages nach Berlin aufrechtzuerhalten?
Diese Frage ist mit einem eindeutigen Ja zu beantworten. Die Bundesregierung gedenkt das umfangreiche Angebot der Bundeszentrale für
politische Bildung im Rahmen der Besuchergruppenbetreuung auch nach dem Umzug des Deutschen Bundestages nach Berlin aufrechtzuerhalten.
Herr Kollege Hauser,
Ihre Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatssekretär, darf ich Ihrer Antwort entnehmen, daß dies sowohl für die Bundeshauptstadt Berlin als auch für die
Bundesstadt Bonn gilt?
Es wird auch in Zukunft so sein,
daß Besuchergruppen nach Bonn kommen. Auch dafür
steht das Angebot unserer Zentrale zu Verfügung.
Dann rufe ich die
Frage 22 des Abgeordneten Hauser auf:
Inwieweit wird die Bundeszentrale für politische Bildung mit
ihrer Außenstelle in Berlin ihr Angebot angesichts deutlich steigender Zahlen von Besuchergruppen der Abgeordneten und des
Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung ausbauen?
Herr Hauser, die Bundeszentrale
für politische Bildung ist personell und sächlich darauf
vorbereitet, Besuchergruppen der Abgeordneten des
Deutschen Bundestages und des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung in ihrer Außenstelle in
Berlin über ihre Aufgabe und ihr Angebot im Rahmen
der politischen Bildung zu informieren.
Da der Kollege Siegfried Helias nicht anwesend ist, können die Fragen 23
und 24 nicht beantwortet werden. Es wird verfahren, wie
in der Geschäftsordnung vorgesehen.
Dann rufe ich den Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Justiz auf. Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Eckhart Pick zur Verfügung.
Ich verweise darauf, daß die Fragen 25, 26, 27 und 28
schriftlich beantwortet werden.
Deshalb rufe ich jetzt die Frage 29 des Abgeordneten
Dr. Martin Mayer ({0}) auf:
Teilt die Bundesregierung die Auffassung, daß das unerwünschte und unverlangte Zusenden von elektronischer Post zu
Werbezwecken ({1}) unterbunden werden soll?
Herr Kollege Dr. Mayer, das
unverlangte Zusenden von elektronischer Post ist bereits
nach geltendem nationalen Recht unzulässig, da es gegen die Regeln des lauteren Wettbewerbs verstößt und
unter Umständen das allgemeine Persönlichkeitsrecht
verletzt. Der Betroffene hat einen Unterlassungsanspruch zur Abwehr solcher Werbung aus § 1 UWG, dem
Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb, gegebenenfalls auch aus § 823 BGB. Dies ist inzwischen gefestigte
und einhellige Rechtsprechung einer Reihe von Untergerichten und auch ganz herrschende Meinung in der juristischen Literatur. Die Bundesregierung teilt diese
Rechtsauffassung.
Eine Zusatzfrage,
bitte? - Bitte, Herr Kollege.
Herr
Staatssekretär, teilen Sie die Auffassung, daß sich diese
Rechtsauffassung der Bundesregierung offenbar bei
bestimmten Nutzern nicht herumgesprochen hat, weil
noch in großem Umfang unverlangte und unerwünschte
Werbemails im Netz versandt werden?
Ich schließe nicht aus, daß es
Verstöße gegen die Rechtslage gibt. Die Bundesregierung ist immer dankbar, wenn sie auf entsprechende
Verstöße hingewiesen wird, damit die Betreiber der
Netze informiert werden können.
Eine zweite Zusatzfrage, bitte, Herr Kollege.
Herr
Staatssekretär, teilen Sie meine Auffassung, daß es offenbar trotz dieser aus Ihrer Sicht eindeutigen Rechtslage den Inhabern von Mailboxen bisher nicht gelingt, unerwünschte Mails abzuwehren?
Ich teile Ihre Auffassung, weil
das unverlangte Senden von Werbung zumindest eine
Belästigung der Nutzer ist und vor allen Dingen mit einem entsprechenden Aufwand verbunden ist, auch finanziell, zum Beispiel wenn sie sich telefonisch an den
Provider wenden.
Im übrigen ist uns bekannt, daß Versuche der Filterung noch am Beginn der Entwicklung stehen; offensichtlich kann eine solche Filterung auch überspielt werden.
Damit rufe ich die
Frage 30 des Kollegen Dr. Mayer auf:
Wenn ja, welche Maßnahmen ergreift die Bundesregierung
auf europäischer und internationaler Ebene, um unerwünschtes
und unverlangtes Zusenden von elektronischer Post zu Werbezwecken zu verhindern?
Herr Kollege Dr. Mayer, zunächst ist darauf hinzuweisen, daß diese Frage Gegenstand der Fernabsatz- und der sogenannten ISDNDatenschutz-Richtlinie ist, wonach mindestens gewährleistet sein muß, daß der Betroffene das Recht hat, die
Zusendung unverlangter Werbung per elektronischer
Post abzulehnen. Die deutsche Rechtsprechung geht,
wie ich Ihnen eben dargelegt habe, noch darüber hinaus,
da sie schon die Zusendung ohne vorherige Einwilligung
des Empfängers für unzulässig erachtet.
Die Bundesregierung ist im übrigen auf der Ebene der
Europäischen Union an den Beratungen zum Vorschlag
für eine Richtlinie über bestimmte rechtliche Aspekte
des elektronischen Geschäftsverkehrs im Binnenmarkt
beteiligt, die eine Regelung zur unerbetenen kommerziellen Kommunikation vorsieht. Diese Regelung erfaßt
auch unverlangt übersandte E-Mail-Werbung. Sie enthält jedoch lediglich eine Kennzeichnungspflicht. Es
bleibt nach wie vor der Entscheidung der Mitgliedstaaten überlassen, ob derartige Werbung in ihrem Hoheitsgebiet zulässig ist oder nicht. Auch hier ist auf die bereits skizzierte restriktive deutsche Rechtsprechung hinzuweisen.
Die Bundesregierung ist darüber hinaus auf internationaler Ebene an den Beratungen über Leitlinien der
OECD zum Verbraucherschutz im elektronischen Geschäftsverkehr beteiligt. Sie wird ihre Rechtsvorstellungen zur unerbetenen kommerziellen Kommunikation in
die Diskussion auf EU-Ebene und internationaler Ebene
einbringen.
Herr Kollege Dr.
Mayer, Ihre Zusatzfrage, bitte.
Herr
Staatssekretär, teilen Sie die Auffassung, daß sehr rasch
auf internationaler Ebene eine Regelung gefunden werden muß, die die unerwünschte Zusendung von WerbeE-Mails verbietet, damit nicht das elektronische Nachrichtenwesen nachhaltig geschädigt wird? Ich glaube,
auch die Bundesrepublik hat großes Interesse daran, daß
die E-Mail-Technik rasche Verbreitung findet.
Herr Kollege Dr. Mayer, ich
bin mit Ihnen der Auffassung, daß es wünschenswert
wäre, daß der deutsche Standard beim Rechtsschutz gegen unerwünschte elektronische Reklame auch international gilt. Aber bereits auf der EU-Ebene gibt es einen
geringeren Schutz. Das trifft uns nicht; unsere Rechtsordnung wird davon nicht berührt. Die Bundesrepublik
wird nachdrücklich darauf hinwirken, daß unsere Standards in dieser Form auch international und - wenn
möglich - in der EU Geltung haben.
Herr Dr. Mayer, bitte
Ihre zweite Zusatzfrage.
Herr
Staatssekretär, sind Sie mit mir der Auffassung, daß es
bei einem Verbot der unerwünschten Zusendung von
E-Mails für die Werbewirtschaft eine Möglichkeit geben
muß - sie muß hier ihre Phantasie einsetzen -, den
Empfänger dafür zu gewinnen, daß er bestimmte WerbeE-Mails freiwillig empfängt?
Es ist völlig richtig: Auch
nach unserem Recht ist die Zusendung solcher E-Mails
natürlich zulässig, wenn vorher die Zustimmung des
Betroffenen gegeben wurde. Insofern wenden wir uns
und wendet sich die Rechtsprechung gegen unverlangt
- also ohne Einwilligung des Betroffenen - zugesandte
E-Mails.
Ich möchte nachtragen, daß die Frage 20 des Abgeordneten Johannes Singhammer zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums
des Innern schriftlich beantwortet wird.
Nunmehr rufe ich den Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Arbeit und Sozialordnung auf. Zur Beantwortung steht Frau Parlamentarische Staatssekretärin
Ulrike Mascher zur Verfügung. Zunächst rufe ich die
Frage 31 des Kollegen Thomas Strobl auf:
Welche finanziellen Mehrbelastungen für den Haushalt der
Bundesanstalt für Arbeit im Bereich der Arbeitslosenhilfe erwartet die Bundesregierung nach dem Urteil des Bundessozialgerichts in Kassel ({0}), wonach Arbeitslose ihr
Vermögen nicht aufbrauchen müssen, das sie zur Aufrechterhaltung ihres Lebensstandards im Alter angespart haben?
Herr Kollege
Strobl, nach geltendem Recht ist im Rahmen der Bedürftigkeitsprüfung bei der Arbeitslosenhilfe Vermögen
nicht zu berücksichtigen, das „zur Aufrechterhaltung
einer angemessenen Alterssicherung bestimmt ist“. Das
Bundessozialgericht hat in dem von Ihnen angesprochenen Urteil dargelegt, unter welchen Voraussetzungen
davon auszugehen ist, daß Vermögen für die Alterssicherung bestimmt ist, und in welcher Höhe eine zusätzliche Alterssicherung als angemessen anzusehen ist. Die
konkrete Streitsache hat das Gericht zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht
zurückverwiesen.
Die Auffassung des Bundessozialgerichts weicht von
der bisherigen Praxis der Bundesanstalt für Arbeit ab.
Das Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung
prüft daher, ob das Urteil eine Einzelfallentscheidung ist
und Folgerungen für die Praxis erst bei Vorliegen einer
ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zu
ziehen wären. Das Ministerium prüft außerdem, ob
durch eine Änderung der Arbeitslosenhilfe-Verordnung
eindeutig klarstellend eine der bisherigen Praxis entsprechende vorläufige und ausdrückliche Regelung getroffen werden sollte. Vor Abschluß dieser Prüfung läßt
sich nicht sagen, ob das von Ihnen angesprochene Urteil
über den konkreten Einzelfall hinaus finanzielle Auswirkungen hat.
Herr Kollege Strobl,
bitte Ihre Zusatzfrage.
Frau Staatssekretärin,
können Sie mir darüber Aufschluß geben, wann Ihrer
Meinung nach Ihre Überprüfung der grundsätzlichen
Frage abgeschlossen ist und wann Sie meine konkrete
Parl. Staatssekretär Dr. Eckart Pick
Frage betreffend den Haushalt der Bundesanstalt für Arbeit beantworten können?
Es wird einige Wochen dauern, bis wir wissen, ob das Urteil des
Bundessozialgerichts eine konkrete Auswirkung auf die
Praxis der Bundesanstalt für Arbeit hat. Was die Änderung der Arbeitslosenhilfe-Verordnung betrifft, denke
ich, daß wir Ihnen das in einigen Wochen mitteilen können.
Ich rufe jetzt die
Frage 32 des Kollegen Strobl auf:
Welche Konsequenzen dieses Urteils sieht die Bundesregierung für den Bereich der Sozialhilfe und anderer Sozialleistungen?
Sie fragen,
welche Auswirkungen dieses Urteil für den Bereich der
Sozialhilfe und für andere Sozialleistungen hat. Dazu ist
festzustellen: Das Urteil des Bundessozialgerichtes hat
keine präjudizierenden Auswirkungen für das Sozialhilferecht. Das Sozialhilferecht unterliegt dem Rechtsweg
vor den Verwaltungsgerichten. Das ist für einen Laien
vielleicht etwas überraschend; aber es ist so. Formal
können daher nur Urteile des Bundesverwaltungsgerichtes richtungweisend für die Auslegung des Bundessozialhilfegesetzes sein. Das Bundesverwaltungsgericht
hat sich in mehreren Urteilen, auch in jüngster Zeit, zu
den hier relevanten Problemen geäußert. Eine Änderung
dieser Rechtsprechung ist nach unserer derzeitigen
Kenntnis in Zukunft nicht zu erwarten.
({0})
Das Nachrangprinzip des Sozialhilferechtes verlangt
regelmäßig den Einsatz des gesamten verwertbaren
Vermögens. Nur soweit dem Einsatz solchen Vermögens in einem atypischen Einzelfall besondere Härtegründe entgegenstehen, hat der Sozialhilfeträger die
Möglichkeit, von einer Anrechnung abzusehen. Dies
entspricht der Natur der Sozialhilfe. Anders als die Arbeitslosenhilfe wird zum Beispiel Hilfe zum Lebensunterhalt auch im Rentenalter gewährt, so daß nicht - wie
bei der Arbeitslosenhilfe - auf eine auslaufende Leistungsgewährung zu achten ist, die von einer dann voraussichtlich kleineren Sozialleistung, nämlich der Rente,
abgelöst wird und Bedürftigkeit auslösen kann.
Eine Zusatzfrage,
Herr Kollege, bitte.
Frau Staatssekretärin,
verstehe ich Sie richtig, daß die Bundesregierung der
Auffassung ist, daß das Urteil des Bundessozialgerichts
keinerlei Auswirkungen auf den Bereich der Sozialhilfe
hat?
In der Tat:
Wir gehen davon aus, daß es keine Auswirkungen auf
den Bereich der Sozialhilfe hat.
Eine weitere Zusatzfrage, bitte sehr, Herr Kollege.
Ist diese Grundsatzfrage in Ihrem Hause abschließend geprüft?
Ja, soweit uns
das bisher möglich war, haben wir das abschließend geprüft.
Wir kommen nun
zur Frage 33 des Abgeordneten Wolfgang Meckelburg:
Wie beurteilt die Bundesregierung die anhaltende Kritik, das
Gesetz zu Korrekturen in der Sozialversicherung und zur Sicherung der Arbeitnehmerrechte erschwere für Existenzgründer den
Weg in die berufliche Selbständigkeit und habe bereits jetzt zu
deutlichen Auftragsrückgängen bei Freiberuflern geführt, weil
die Auftraggeber befürchten, zur Zahlung von Sozialbeiträgen
herangezogen zu werden?
Bitte sehr, Frau Staatssekretärin.
Ihre Frage
bezieht sich auf Kritik am Korrekturgesetz zur Sicherung der Arbeitnehmerrechte. Darauf kann ich Ihnen
folgende Antwort geben: Für Existenzgründer gibt es in
der Existenzgründungsphase besondere Beitragserleichterungen. Die danach verbleibende Beitragsbelastung ist
unter Berücksichtigung des Umstandes, daß auch der
Personenkreis der Existenzgründer Altersvorsorge betreiben muß, zumutbar. Befürchtungen von Auftraggebern, zur Zahlung von Beiträgen herangezogen zu werden, sind unbegründet, soweit es sich bei den Auftragnehmern um echte Existenzgründer handelt.
Eine Zusatzfrage,
Herr Kollege, bitte.
Frau Kollegin
Mascher, sind Ihnen die Briefe, die uns als Abgeordnete
ja in großen Mengen erreichen, völlig unbekannt, die
zum Inhalt haben, daß das Gesetz ein absoluter Schnellschuß ist, daß es verhindert, daß sich vor allem junge
Leute selbständig machen, und daß somit keine Arbeitsplätze geschaffen werden?
Nein, solche
Briefe sind mir nicht unbekannt. Zur gleichen Zeit, wie
wir hier diese Fragestunde durchführen, hat der Arbeitsminister ein Gespräch mit den Sozialversicherungsträgern, um Befürchtungen, die in der ÖffentlichThomas Strobl
keit entstanden sind, durch gezielte Informationen auszuräumen.
Ich habe ja davon gesprochen, daß es Beitragserleichterungen für Existenzgründer gibt. Man muß sich
da einmal die Beträge vor Augen führen: In den ersten
drei Berufsjahren sind auf Antrag nur Beiträge nach der
Hälfte des Durchschnittseinkommens - das sind im
Westen 2 200 DM und im Osten 1 860 DM - zu leisten.
Wenn das tatsächliche Einkommen des Betreffenden
noch unter diesen 2 200 DM bzw. 1 860 DM liegt, dann
kann der Beitrag weiter, bis zu einem Mindestbeitrag
von 123 DM, ermäßigt werden. Dabei ist das zu versteuernde Einkommen maßgebend. Da bei den Existenzgründern in den ersten Jahren hohe Abschreibungen
ganz typisch sind, kann man davon ausgehen, daß ein
Existenzgründer, der in einer schwierigen finanziellen
Lage ist, seine Altersvorsorge mit einem Mindestbeitrag
von 123 DM sichern kann. Hinzu kommt die Möglichkeit, diese Beiträge zu stunden.
Wenn man sich das konkret vor Augen führt, kann
man, glaube ich, nicht sagen, daß den Existenzgründern
hierdurch materiell der Garaus gemacht wird.
Eine weitere Zusatzfrage, bitte sehr, Herr Kollege.
Frau Staatssekretärin, welche Stellung nehmen Sie zu folgenden Äußerungen: Wir haben auf Grund der neuen Gesetzeslage
sofort entschieden, keine Aufträge mehr an Freiberufler
zu vergeben; wir wollen nicht riskieren, in einigen Jahren nach einer Steuerprüfung Pflichtbeiträge für mehrere
Jahre nachzahlen zu müssen? - Auch das würde zu weniger Aufträgen und weniger Arbeit führen.
Wir haben
die Schwierigkeit, zwischen den Scheinselbständigen
und den arbeitnehmerähnlichen Selbständigen unterscheiden zu müssen. Von den Scheinselbständigen, bei
denen an Hand von vier Kriterien vermutet wird, daß sie
Sozialversicherungsbeiträge zu entrichten haben, wird
häufig die Sorge geäußert, daß auch für die Vergangenheit Nachzahlungen zu leisten sind. Da kann ich sie beruhigen: Nachzahlungen für die Vergangenheit sind
nicht zu leisten. Aber wenn nach Inkrafttreten des Gesetzes Beiträge nicht ordnungsgemäß gezahlt werden,
dann ist eine solche Nachzahlungspflicht natürlich möglich, allerdings nicht für vier Jahre zurück.
Zum drohenden Auftragsentzug für Freiberufler - das
würde auch die arbeitnehmerähnlichen Selbständigen
treffen -: Da frage ich mich immer, Herr Kollege Mekkelburg, was das für Aufgaben waren, die die Freiberufler bisher übernommen haben. Ich gehe davon aus,
das waren Aufgaben, die für das Unternehmen, für den
Betrieb von Bedeutung waren. Es waren sicher nicht
Arbeitbeschaffungsmaßnahmen. Man hat also sicher
nicht gesagt: Der nette Freiberufler soll auch etwas tun.
Vielmehr waren es wichtige Aufgaben für das Unternehmen. Da stellt sich für den Arbeitgeber, den Auftraggeber doch die Frage, ob er die Arbeiten durch neue,
fest einzustellende Arbeitnehmer erledigen läßt oder,
wenn er den Freiberufler nicht mehr beschäftigen will,
ob er die Arbeit an ein anderes Unternehmen weitergibt.
Dann muß er den Gewinn des anderen Unternehmers
bezahlen. Ich kann mir keinen rational agierenden Auftraggeber vorstellen, der Aufträge, die für sein Unternehmen bisher von Bedeutung waren, nicht mehr ausführt.
Ich rufe die Frage 34
des Kollegen Meckelburg auf:
Wird die Bundesregierung auch im Hinblick auf Äußerungen
der wirtschaftspolitischen Sprecher der Fraktion der SPD und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN im Deutschen Bundestag, Hans Martin Bury, MdB, und Margareta Wolf ({0}), MdB, eine Initiative zur Änderung des Gesetzes ergreifen?
Frau Staatssekretärin, bitte.
Herr Meckelburg, die Bundesregierung wird die Umsetzung des Gesetzes natürlich weiterhin aufmerksam verfolgen. Sie
wird vor allem darauf hinwirken, daß Anlaufschwierigkeiten unbürokratisch, bürgernah und durch gute Information der Betroffenen beseitigt werden. Ich habe schon
darauf hingewiesen, daß sich ein Großteil der Schwierigkeiten offenbar durch Fehlinformationen und auf
Grund einer nicht sorgfältigen Trennung der Begriffe
„Scheinselbständigkeit“, „arbeitnehmerähnliche Selbständige“ und „geringfügige Beschäftigung“ ergibt. Der
Arbeitsminister klärt im Moment mit den Sozialversicherungsträgern, wie man diesen Falschinformationen
begegnen kann, wie man noch mehr Informationen über
den Inhalt der Neuregelungen verbreiten kann.
Sollten sich bei der Anwendung der Neuregelung auf
Grund der realen Gesetzeslage in der Praxis Hinweise
für Verbesserungsmöglichkeiten ergeben, werden wir
diese aufgreifen. Aber, ich denke, man sollte erst einmal
auf der Basis der vorhandenen Gesetze abwarten, wie
sich das in der Praxis entwickelt.
Damit ist der Bereich des Bundesministeriums für Arbeit und Sozialordnung beendet. Ich danke der Frau Staatssekretärin für
die Beantwortung der Fragen.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Verteidigung auf. Zur Beantwortung steht der
Parlamentarische Staatssekretär Walter Kolbow zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 35 des Abgeordneten Harald Friese
auf:
Ist der Bundesregierung bekannt, daß Rußland und die USA
in Kürze wegen der veralteten russischen Computersysteme
({0}) eine gemeinsame Frühwarnzentrale zum
Schutz gegen irrtümlich abgefeuerte Atomraketen einrichten
werden, und wie groß schätzt die Bundesregierung die Gefahr
ein, daß dies tatsächlich auf Grund veralteter russischer Rechner
geschehen könnte?
Herr Staatssekretär, bitte.
Frau Präsidentin, geschätzter
Kollege Friese, erlauben Sie mir, die Fragen 35 und 36
im Zusammenhang zu beantworten?
({0})
Dann rufe ich auch
die Frage 36 des Abgeordneten Friese auf:
Kann die Detonation einer irrtümlich abgefeuerten Nuklearrakete nach Einschätzung der Bundesregierung verhindert werden, und, wenn nein, welche Folgen wären zu befürchten?
Herr Kollege Friese, der
Bundesregierung ist bekannt, daß auf dem russischamerikanischen Gipfeltreffen im September 1998 in
Moskau die Präsidenten beider Staaten einen bilateralen
Informationsaustausch zu Raketenstarts und Frühwarndaten vereinbart haben. Zu diesem Zweck soll ein ständiges gemeinsames Frühwarnzentrum auf russischem
Territorium eingerichtet werden. Ziel ist es, Fehleinschätzungen auf Grund irrtümlicher Meldungen nationaler Frühwarneinrichtungen zu verhindern. Der Aufbau
dieses Zentrums, an dem sich künftig weitere Staaten
beteiligen sollen, ist nicht vor 2000 zu erwarten.
Insbesondere - danach fragen Sie - im Hinblick auf
das Jahr-2000-Problem soll unverzüglich ein gemeinsames russisch-amerikanisches Alarm- und Lagezentrum
beim US Space Command in Colorado eingerichtet werden. Es ist durchaus möglich - wie es Kollegen aus dem
Verteidigungsausschuß schon getan haben -, sich vor
Ort zu informieren und die Wirksamkeit einer solchen
Lageeinrichtung im Hinblick auf unsere Interessenlage
zu überprüfen. Nach derzeitigem Erkenntnisstand liegen
keinerlei Hinweise vor, daß es auf Grund einer technischen Fehlfunktion russischer Computersysteme - auch
nicht in Folge einer mangelhaften Jahr-2000-Anpassung
- zu einem unbeabsichtigten Raketenstart kommen
könnte.
Herr Kollege, eine
Zusatzfrage, bitte sehr.
Herr Staatssekretär, ist Ihnen
bekannt, daß die russische Generalität in dieser Frage offensichtlich eine andere Auffassung vertritt, wie die
„Neue Zürcher Zeitung“ auf Grund einer „dpa“-Meldung schreibt, und tatsächlich befürchtet, daß wegen des
Jahr-2000-Problems zur Jahrtausendwende russische
Raketen irrtümlich abgefeuert werden?
Wir kennen diese Pressemeldungen. Nichtsdestotrotz haben wir den Sachverhalt
seriös geprüft und Ihnen deshalb die Auskunft, die Sie
erbeten haben, so gegeben.
Eine weitere Zusatzfrage des Kollegen Friese, bitte sehr.
Herr Staatssekretär, wäre es
gegebenenfalls nicht sicherer, zu diesem Zeitpunkt die
steuernden Computer auszuschalten bzw. die Atomsprengköpfe auszubauen, um zu verhindern, daß auf
Grund dieses Computerproblems ein Fehlstart eingeleitet wird?
Herr Abgeordneter, wir sind
in dieser Frage äußerst sensibel und gehen mit diesem
Problem, auch was die Kontaktaufnahme mit Rußland
im Bündnis, im NATO-Kooperationsrat und sogar in der
OSZE angeht, sehr offensiv um und versuchen, dieses
Problem durch Informationsabgleichungen rechtzeitig
zu lösen.
Die Fragen 37 und
38 sind vom Fragesteller zurückgezogen worden.
Die Fragen 39, 40, 41, 42, 43 und 44 werden schriftlich beantwortet.
Damit ist der Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Verteidigung abgearbeitet. Ich danke dem
Herrn Staatssekretär für die Beantwortung der Fragen.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen auf. Zur
Beantwortung der Fragen steht zunächst der Parlamentarische Staatssekretär Siegfried Scheffler zur Verfügung.
Ich rufe Frage 45 der Kollegin Maritta Böttcher auf:
Will die Bundesregierung den Bundesverkehrswegeplan dahin gehend fortschreiben, daß dem Anliegen des Kreises TeltowFläming im Land Brandenburg, die B 101 durchgängig bis Lukkenwalde vierspurig auszubauen, Rechnung getragen wird?
Herr Staatssekretär, bitte.
Frau Präsidentin, wenn Sie und auch die Kollegin Böttcher gestatten, möchte ich die Fragen 45 und 46 im Zusammenhang beantworten.
Die Fragestellerin ist
einverstanden. Dann rufe ich auch Frage 46 auf:
Ist die mögliche vorgesehene Form eines Staatsvertrages
zwischen Bund, Land und Kreis die erforderliche rechtliche und
auch finanzierbare Form der Umsetzung?
Bitte sehr.
Der Bundesverkehrswegeplan wird gemäß den Aussagen in der Koalitionsvereinbarung zügig überarbeitet.
Das gilt auch und zunächst für die zu aktualisierenden
Strukturdaten und Verkehrsprognosen, für die Bewertungsmaßstäbe und für die Sicherstellung der Finanzierbarkeit einschließlich der Folgekosten. Die Arbeiten dazu sind eingeleitet.
Die Bundesregierung wird, soweit das Land Brandenburg die Aufnahme des vierstreifigen Ausbaus der
B 101 in den Bedarfsplan beantragt, die Maßnahme in
die anstehende Überprüfung einbeziehen. Weitergehende Aussagen sind zur Zeit nicht möglich. Die abschließende Festlegung über Bedarf und Dringlichkeit trifft
der Deutsche Bundestag.
Ergibt die Überprüfung den Bedarf eines vierstreifigen Ausbaus, so ist mit der Aufnahme in den Bedarfsplan des Bundesverkehrswegeplans jedoch noch keine
Aussage zur Finanzierung und zur Kostenträgerschaft
getroffen. Vielmehr ist dann zu prüfen, ob eine Mitfinanzierung des Landes bei dem Vorhaben B 101 im
Bereich des Teltow-Fläming-Kreises in Betracht kommt.
Bei zur Mitfinanzierung vorgesehenen Maßnahmen des
Bundes erfolgt die rechtliche Form der Umsetzung
durch eine Verwaltungsvereinbarung. Der Abschluß
eines Staatsvertrages ist hier nicht erforderlich.
Bei der Verwaltungsvereinbarung sind im wesentlichen folgende Kriterien zu beachten: Mit dem Finanzierungsbeitrag muß das Land landeseigene Aufgaben verfolgen, die Höhe der Landesbeteiligung muß dem Landesinteresse entsprechen, und die der Mitfinanzierung
zugrunde gelegten Kosten müssen realistisch sein. So
muß zum Beispiel eine Klausel für Kostenerhöhungen
vorgesehen sein; auch müssen die erhöhten Betriebsund Unterhaltungskosten enthalten sein. Die Verwaltungsvereinbarung wird seitens des Bundes nur mit Zustimmung des Bundesministers der Finanzen geschlossen. Die Vereinbarung wird von Bund und Land unter
dem Vorbehalt abgeschlossen, daß die benötigten Haushaltsmittel durch den Deutschen Bundestag und das
Landesparlament, in dem Fall den Landtag von Brandenburg, bewilligt werden. Schließlich ist die Vereinbarung unkündbar.
Eine Zusatzfrage,
Frau Kollegin, bitte sehr.
Ich möchte eine Nachfrage
zur Finanzierung stellen. Ist eine Mischfinanzierung, in
die auch private Mittel einfließen, aus juristischer Sicht
überhaupt möglich? Die Frage bezieht sich insbesondere
auf die sich daraus ergebende Rechtmäßigkeit des Baulastträgers und auf die Folgekostenfinanzierung bei Instandsetzung.
Mir ist natürlich bekannt, daß bei einzelnen Maßnahmen
Investoren dem Land unter die Arme greifen und sich an
der Finanzierung beteiligen wollen. Über eine solche
Mischfinanzierung ist dann aber eine Vereinbarung zwischen dem Land Brandenburg und den Investoren zu
schließen. Die Mischfinanzierung gründet aber nicht auf
einer Vereinbarung zwischen den Investoren und dem
Bund.
Noch eine Zusatzfrage, bitte sehr.
Wie Sie wissen, hat das
Land Brandenburg eine Wirtschaftlichkeits- und Machbarkeitsstudie in Auftrag gegeben, die inzwischen vorliegt. In diesem Zusammenhang möchte ich Sie fragen,
ob vorgesehen ist, die Kriterien für die Aufnahme in den
Bundesverkehrswegeplan auch auf die Strukturpolitik
von Regionen auszurichten und nicht, wie heute, nur
an wirtschaftlichen und ökologischen Kriterien zu messen.
Ihnen ist ja bekannt, daß der Bedarfsplan für die Bundesfernstraßen für die B 101 einen vierstreifigen Neubau
von der Landesgrenze Berlin-Brandenburg bis zur A 10
- Zubringer Großbeeren - beinhaltet und im weiteren
Verlauf insbesondere zweistreifige Ortsumgehungen bei
Luckenwalde und Jüterbog vorsieht. Insofern hat der
Bund dem Landesinteresse letztendlich entsprochen.
Wir werden auch bei unserer Überarbeitung des Bundesverkehrswegeplanes die Interessen des Landes Brandenburg in die gesamtwirtschaftliche Bewertung, in die
ökologische Beurteilung, auf die wir zukünftig größeren
Wert legen, sowie in die städtebauliche Beurteilung das ist gerade für Kleinprojekte von Bedeutung - einbeziehen.
Keine weiteren Zusatzfragen? - Dann danke ich Herrn Scheffler für die
Beantwortung der Fragen.
Ich rufe nun die Frage 47 des Abgeordneten Wolfgang Dehnel auf. - Der Abgeordnete Dehnel ist nicht
anwesend. Es wird verfahren, wie in der Geschäftsordnung vorgesehen.
Dann rufe ich die Frage 48 des Kollegen Walter Hirche auf:
Wann wird die Bundesregierung unter Berücksichtigung der
Beschlußlage im Petitionsausschuß des Deutschen Bundestages
die notwendigen Gelder zur Lärmsanierung an der Eisenbahnstrecke Hannover-Berlin zur Verfügung stellen, damit u. a. die
Anwohner der Brücke am Brodweg in Braunschweig vor dem
unerträglichen Lärm geschützt werden?
Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär Lothar Ibrügger zur Verfügung. Herr Staatssekretär, bitte.
Herr
Kollege Hirche, die Bereitstellung von Haushaltsmitteln
des Bundes für Lärmsanierung setzt voraus, daß ein
Titel mit dieser Zweckbestimmung im Bundeshaushalt
eingestellt ist. Erstmals ist ein entsprechender Titel in
dem Entwurf der Bundesregierung für den Haushalt
1999 enthalten. Die vorgesehenen Bundesmittel können
erst bereitgestellt werden, wenn der Deutsche Bundestag das Haushaltsgesetz für das Jahr 1999 verabschiedet
hat.
Eine Zusatzfrage,
Herr Kollege, bitte sehr.
Herr Staatssekretär, wie
steht die Bundesregierung zu dem Vorschlag bzw. der
Forderung des Petitionsausschusses, das Entstehen eines
rechtsfreien Raumes im Hinblick auf Lärmschutzmaßnahmen durch die Schaffung neuer Gesetze zu verhindern?
Herr
Kollege Hirche, aus eigener Mitarbeit im Petitionsausschuß wie im Verkehrsausschuß des Deutschen Bundestages weiß ich, daß es auf Grund der Tausenden von
Beschwerden betreffend den Lärmschutz an Schienenwegen, die dem Petitionsausschuß vorliegen, ein breites
Anliegen des Parlamentes war, nicht nur Lärmschutz an
den neu gebauten Schienenwegen sicherzustellen, sondern auch an bestehenden Schienenwegen Lärmschutz
einzuführen. Es gibt es eine Vielzahl von Strecken, bei
denen es vordringlich ist, diese Maßnahme durchzuführen.
Die Deutsche Bahn AG - bzw. damals noch die
Deutsche Bundesbahn - hat Anfang der 90er Jahre eine
Schätzung vorgenommen. Danach bewegen sich die Kosten in einer Größenordnung von 5 Milliarden DM. Wir
wollen 1999 als einen ersten Ansatz 100 Millionen DM
einstellen. Ob und in welcher Weise an den bestehenden
Strecken - Sie haben Braunschweig angesprochen Lärmschutz unmittelbar verwirklicht werden kann,
hängt natürlich von den dazu notwendigen Verfahren ab.
Diese Projekte müssen jeweils im einzelnen vorbereitet
werden. Ob und wie es in den einzelnen Orten gelingt,
den Lärmschutz sicherzustellen, wird sich im Vollzug
des Haushalts zeigen müssen. Es geht darum, welche
Projekte in welchen Bereichen des Bundesgebiets angemeldet werden.
Sie sprachen vom rechtsfreien Raum. Ob auf Planfeststellungsverfahren verzichtet werden kann, wird sich
bei jedem Projekt einzeln zeigen müssen. Bewegt man
sich auf dem Gelände der Deutschen Bahn AG, wird das
leichter sein; werden andere Grundstücke in Anspruch
genommen, wird man notwendigerweise abgestimmt
vorgehen müssen. Deswegen kann ich Ihre Frage heute
nur generell beantworten. Es muß jeweils im Einzelfall
vor Ort entschieden werden, welches Instrumentarium
genommen wird, um den Lärmschutz sicherzustellen.
Ihre zweite Zusatzfrage, Herr Kollege.
Darf ich aus Ihrer Antwort
schließen, daß die Bundesregierung gemeinsam mit der
Deutschen Bahn AG an einer Prioritätenliste arbeitet?
Oder wie ist das Verfahren vorstellbar? Gibt es schon
eine Einschätzung, an welcher Stelle der Prioritätenliste
die erwähnte Brücke liegen würde?
Herr
Kollege Hirche, was ich Ihnen vorgetragen habe, beruhte auf einer Abschätzung der Deutschen Bahn AG
- wie gesagt, damals noch der Deutschen Bundesbahn vor der Bahnreform. Die Bahnreform selbst hat die Bedingungen grundlegend verändert. Daher ist in diesem
Fall zunächst einmal die Deutsche Bahn AG in ihrer
Verantwortung für das Netz unmittelbar gefordert, der
Bundesregierung Vorschläge zu machen, in welcher Art
und Weise - auch unter Maßgabe der angesprochenen
Mittel - Projekte in Angriff genommen werden können.
Eine exakte Antwort für einzelne Bereiche vorhandener
Schienenstrecken ist zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch
nicht möglich.
Nun rufe ich die
Frage 49 des Abgeordneten Hans-Joachim Otto auf:
Wird die Bundesregierung das Projekt Frankfurt 21 ({0}) in den nächsten
Bedarfsplan Schiene des Bundesverkehrswegeplans aufnehmen?
Herr Staatssekretär, bitte.
Herr
Kollege Otto, entsprechend der Koalitionsvereinbarung
wird der Bundesverkehrswegeplan zügig überarbeitet.
Das gilt sowohl für die zu aktualisierenden Strukturdaten und Verkehrsprognosen als auch für die Bewertungsmaßstäbe, für die verkehrsträgerübergreifenden
Integrations- und Substitutionseffekte und für die Sicherstellung der Finanzierbarkeit einschließlich der Folgekosten. Die ersten Arbeiten dazu sind bereits eingeleitet. Welche Schieneninfrastrukturvorhaben im Rahmen dieser Überarbeitung näher untersucht werden, wird
noch zwischen der Deutschen Bahn AG und dem Bund
abgestimmt werden. Zu der Frage, ob auch ein Fernbahntunnel unter der Frankfurter Innenstadt zu diesen
Vorhaben zählen wird, sind daher zur Zeit noch keine
Aussagen möglich.
Eine Zusatzfrage,
Herr Kollege Otto.
Herr
Staatssekretär, nachdem die Machbarkeitsstudie abgeschlossen ist und nachdem die Deutsche Bahn AG, die
Stadt Frankfurt und das Land Hessen bereits seit Monaten positive Entscheidungen zu diesem Projekt getroffen
haben, frage ich Sie, wann denn endlich eine Entscheidung des Bundes und insbesondere Ihres Ministeriums
zu dieser Frage fallen wird.
Herr
Kollege Otto, auch in diesem Zusammenhang muß ich
Sie auf die grundlegenden Veränderungen durch die
Bahnreform hinweisen. Die Deutsche Bahn AG und deren Vorstand sind für die Projekte und Maßnahmen verantwortlich, die sie selbst vorschlagen. Der Kern Ihrer
Frage zielt darauf ab, ob die Bundesregierung das Projekt Frankfurt 21 in den nächsten Bedarfsplan Schiene
des Bundesverkehrswegeplanes aufnehmen wolle. Dazu
kann ich Ihnen sagen: Es ist eine Entscheidung des Parlamentes, ob in das Schienenwegeausbaugesetz die
Maßnahme, auf die Sie mit Ihrer Frage abzielen, aufgenommen werden soll. Deswegen kann ich Ihnen mit
Blick auf die Zukunft zunächst nur antworten: Weder
das Bundeskabinett noch das Parlament können unmittelbar über das Projekt Frankfurt 21 entscheiden; darüber können vielmehr nur alle Beteiligten im Zusammenwirken entscheiden.
Ihre zweite Zusatzfrage, Herr Kollege.
Herr
Staatssekretär, wie erklären Sie sich dann die Äußerungen des Sprechers Ihres Ministeriums, Volker Mattern,
der erklärt hat, die Entscheidung über das Projekt Frankfurt 21 habe sich der Minister persönlich vorbehalten?
Ich
kenne nicht die Ausgangsfrage, auf die der Mitarbeiter
geantwortet hat. Deswegen will ich mich hier auch nicht
an Spekulationen beteiligen. Mein Ministerium selbst
befaßt sich mit einer Vielzahl von Projekten im Rahmen
des Bundesverkehrswegeplanes. Deswegen erwidere ich
Ihnen heute: Es gibt auch Erörterungen über andere
Projekte, zum Beispiel in Köln, Stuttgart und Leipzig.
Deswegen kann ich Ihnen heute weder im Namen der
Bundesregierung noch des Bundesverkehrsministeriums
eine Antwort darauf geben, wann und auf welche Art
und Weise die Entscheidungen getroffen werden. Sie
wissen, daß im Bundeshaushaltsrecht letzten Endes auch
für die Finanzierung einzelner Projekte im Rahmen der
Ressortverantwortlichkeiten ganz bestimmte Verfahrenswege vorgeschrieben sind. Dies gilt auch für Großprojekte, die unmittelbar unter das Schienenwegeausbaugesetz fallen.
Der Kollege Wiese
hat eine Zusatzfrage, bitte sehr.
Herr Staatssekretär, wenn man die älteste ICE-Strecke Deutschlands,
die von München über Stuttgart und Frankfurt nach
Hamburg führt, als Beispiel nimmt, glauben Sie dann
nicht auch, daß man dann den Gesamtzusammenhang
zwischen den einzelnen Ausbauphasen sehen muß, wenn
es darum geht, die im Schienenverkehrswegeplan vorgesehenen Maßnahmen für einen leistungsfähigen Ausbau
durchzuführen? Hier können also nicht einzelne Abschnitte besonders betrachtet werden; vielmehr müssen
alle Projekte, die Sie gerade eben erwähnt haben, u.a.
Stuttgart 21 und Frankfurt 21, die alle an dieser großen
ICE-Strecke in Deutschland liegen, in einem Zusammenhang gesehen und gleich gewichtet werden.
Herr
Kollege, alle Vorhaben, die im Rahmen des Schienenwegeausbaugesetzes erfaßt sind und in den vordringlichen Bedarf eingestellt wurden, stellen den Maßstab für
das Handeln der Bundesregierung dar. Über die Projekte, die Sie angesprochen haben, insbesondere über den
grundlegenden Umbau großer Bahnhöfe und auch die
Veränderung von Trassenführungen, die in den jeweils
betroffenen Städten enorme Planungsverfahren auslösen
- Rechtssetzungspflichten, städtebauliche Entwicklungspläne, Bebauungspläne und vieles andere mehr -,
wird das Parlament im Zuge der Beratungen über das
Schienenwegeausbaugesetz entscheiden. Wir sehen dies
als Maßstab für unser Handeln und unsere Entscheidungen an.
Ich danke dem
Herrn Staatssekretär Lothar Ibrügger dafür, daß er die
Fragen beantwortet hat.
Wir kommen nun zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit. Zur Beantwortung steht Frau Staatssekretärin
Simone Probst zur Verfügung.
Ich rufe Frage 50 der Kollegin Ulrike Flach auf.
Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung darüber, ob
durch die Verwendung von Schneekanonen der Grundwasserspiegel in den Skiregionen der Alpen absinkt, und welche
Schlußfolgerungen zieht die Bundesregierung aus diesen Erkenntnissen?
Bitte sehr, Frau Staatssekretärin.
Frau Kollegin Flach, uns liegen keine Informationen vor, daß die Gewinnung von Wasser für die
künstliche Beschneiung von Skipisten zu einer Absenkung des Grundwasserspiegels führt. Das ist eigentlich
auch nicht zu erwarten; denn in der Regel werden Oberflächengewässer oder eigens angelegte Speicherbecken
dafür benutzt.
Die davon betroffenen Regionen befinden sich meist
in höheren Lagen. Gerade in diesen Lagen wird darauf
verzichtet, Grundwasser zu nutzen, weil die vorhandene
Menge so gering ist oder weil der technische Aufwand,
das Grundwasser zu nutzen, viel zu hoch ist.
Dennoch impliziert Ihre Frage ein Problem, nämlich
daß immer mit geringfügigen Störungen des Wasserhaushaltes gerechnet werden muß, daß man also diese
Störungen nicht völlig ausschließen kann. Es gibt aber
eine hydrologische Situation in den Alpen, die eher darauf hindeutet, daß diese Phänomene zeitlich und räumlich begrenzt sind: Es gibt eine extrem hohe Niederschlagsmenge. Sie liegt im Bereich von 2 000 bis 2 500
Millimeter pro Jahr. Eine Auswirkung auf den Wasserhaushalt ist also zumindest räumlich und zeitlich sehr
eng begrenzt.
Im Zusammenhang mit Ihrer Frage an die Bundesregierung möchte ich darauf hinweisen, daß in Deutschland die entsprechenden Wasserentnahmen dem Wasserhaushaltsgesetz unterliegen. Für den Vollzug des
Wasserhaushaltsgesetzes, für die Wasserwirtschaft und
das Wasserrecht sind nach der Kompetenzverteilung die
Länder zuständig. In diesem Fall kann man sich auf
Bayern beschränken. Wir befinden uns im Kontakt mit
der Bayerischen Staatsregierung. Nach Auskunft des
Bayerischen Staatsministeriums für Landesentwicklung
und Umweltfragen wird die Erlaubnis zur Wasserentnahme nur erteilt, wenn sichergestellt ist, daß die ökologischen Funktionen des genutzten Oberflächenwassers
nicht beeinträchtigt sind.
Frau Kollegin Flach,
eine Zusatzfrage, bitte.
Frau Staatssekretärin, gehe
ich recht in der Annahme, daß die Aussagen vom
BUND und auch vom NABU, die in diesem Zusammenhang immer wieder mit sehr starken Vorwürfen verbunden werden, gegenstandslos sind?
Sie sind nicht gegenstandslos. Ich habe ja gesagt, daß es bei jedem Eingriff in die Natur eine Störung
des Wasserhaushaltes gibt. Selbstverständlich stellt sich
auch die Frage der qualitativen Beeinträchtigung des
Grundwasserspiegels. Ich halte es für ein großes Problem, daß Bakterien als Kristallisationskeime in diesen
Schneekanonen eingesetzt werden. Das ist zwar in
Deutschland verboten, aber in den Alpenregionen anderer Länder durchaus denkbar.
Es liegen uns keine wissenschaftlich verifizierbaren
Informationen vor, daß der Grundwasserspiegel abgesenkt wird. Ich habe versucht, zu erklären, daß es auch
im Bereich der Einflüsse zumindest eine räumliche und
zeitliche Begrenzung gibt. Nichtsdestotrotz sind alle Argumente zu prüfen. Vor allen Dingen in diesem Sinne
war der Hinweis zu verstehen, daß wir mit der Bayerischen Staatsregierung in Kontakt stehen. Wir suchen das
Gespräch mit ihr, weil sie zuständig ist.
Die Fragen Nr. 51
und 52 werden schriftlich beantwortet.
Ich rufe die Frage 53 des Abgeordneten Kurt Rossmanith auf. - Ich stelle fest, daß er nicht anwesend ist.
Ich rufe die Frage 54 desselben Kollegen auf. Ich
stelle fest, daß er wiederum nicht anwesend ist.
Die Frage 55 des Kollegen Wolfgang Börnsen ({0}) wird schriftlich beantwortet.
Ich danke Frau Staatssekretärin Simone Probst für die
Beantwortung der Fragen.
Die Fragestunde ist damit beendet.
Die Fraktion der CDU/CSU hat auf Grund der Antworten der Bundesregierung auf die Fragen 11 bis 16
eine Aktuelle Stunde verlangt. Das entspricht der
Nr. 1b der Richtlinien für die Aktuelle Stunde. Die Aussprache muß nach Nr. 2 a dieser Richtlinien unmittelbar
nach Schluß der Fragestunde durchgeführt werden, was
wir nunmehr tun.
Da wir ein bißchen früh dran sind, frage ich: Sind alle
Kombattanten da? - Das ist offensichtlich der Fall. Denken Sie bitte daran, daß für die Aktuelle Stunde eine Redezeit von fünf Minuten gilt.
Ich eröffne die Aussprache in der Aktuellen Stunde
und erteile das Wort dem Kollegen Hartmut Koschyk,
CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die von Mitgliedern
unserer Fraktion in der vorausgegangenen Fragestunde
gestellten Fragen bezüglich der Äußerungen des Bundeskanzlers am 8. März gegenüber seinem tschechischen
Amtskollegen Zeman wurden von der Bundesregierung
nur unzureichend beantwortet. So blieb durch die Antworten der Bundesregierung unklar, welche rechtliche
Qualität die Erklärung des Bundeskanzlers hat, man
werde in Zukunft gegenüber Tschechien keine Vermögensfragen mehr aufwerfen und betrachte politische und
rechtliche Fragen der Vergangenheit als abgeschlossen,
wohingegen der Staatsminister im Auswärtigen Amt
Günter Verheugen mir auf eine Parlamentsanfrage noch
am 9. Februar mitteilte, daß auch die DeutschTschechische Erklärung am Standpunkt der Bundesregierung nichts geändert hat, wonach die Vertreibung der
Deutschen und die entschädigungslose Einziehung deutschen Vermögens völkerrechtswidrig sind und die Bundesregierung auf vermögensrechtliche Ansprüche Deutscher gegenüber der Tschechischen Republik eben nicht
verzichtet hat. Die Bundesregierung hat uns auch keine
Auskunft darüber geben können, ob die Erklärung des
Bundeskanzlers einen rechtlich bindenden Charakter hat
oder ob es sich um eine rechtlich unbeachtbare politische Äußerung handelte.
Wir müssen hierzu feststellen: Mit seinen leichtfertigen Äußerungen hat der Bundeskanzler Zweifel an der
Vertretung berechtigter Interessen deutscher Mitbürgerinnen und Mitbürger aufkommen lassen. Er hat es auch
gegenüber der Tschechischen Republik an Klarheit in
bezug auf die Auffassung der Bundesregierung zu den
offenen Vermögensfragen fehlen lassen. Unklarheit in
wichtigen Rechtsfragen gegenüber eigenen Mitbürgerinnen und Mitbürgern, aber auch gegenüber ausländischen Partnern beschädigt Vertrauen und läßt die notwendige Berechenbarkeit einer Regierung im In- wie im
Ausland vermissen.
({0})
Die Äußerungen des Bundeskanzlers waren auch rechtlich fragwürdig und politisch schädlich, politisch schädlich deshalb, weil er völlig unnötig jetzt die offenen Eigentums- und Vermögensfragen aufgeworfen und damit
den deutsch-tschechischen Beziehungen geschadet hat.
Die Aussagen des Bundeskanzlers lassen aber auch
die Frage nach dem Umgang der neuen Bundesregierung
mit den deutschen Heimatvertriebenen aufkommen. Es
war ein guter Brauch der Vorgängerregierung unter
Helmut Kohl, die Vertriebenen als wichtige Bevölkerungsgruppe unseres Landes bei allen sie betreffenden
Fragen mit in die Entscheidungen einzubeziehen, zu hören, zu konsultieren und den Dialog mit ihnen zu suchen. Bundeskanzler Schröder hat sich beim Besuch des
tschechischen Premierministers beeilt, diesem zu versichern - ich zitiere mit Genehmigung der Frau Präsidentin -,
daß gelegentlich geäußerte Wünsche der deutschen
Vertriebenenverbände nicht die deutsche Außenpolitik beeinflussen.
Ich frage, liebe Kolleginnen und Kollegen: Geht man
so mit legitimen Anliegen deutscher Mitbürgerinnen und
Mitbürger um?
({1})
Den Vertriebenen geht es im Kern um elementare
Menschenrechte, die, wie Außenminister Fischer am
Tag der Menschenrechte 1998 gesagt hat, den Schwerpunkt der deutschen Außenpolitik bilden. Auch paßt es
nicht ins jetzige Bild, wenn der Bundeskanzler noch am
24. Februar vor dem Hohen Haus erklärt hat, es sei richtig, unseren Partnern in Europa verständlich zu machen,
daß auch die Deutschen ein Recht auf die Vertretung ihrer Interessen haben. Dann, meine Damen und Herren,
muß man im gesamtstaatlichen Interesse mit der gebotenen Abwägung in der Außenpolitik aber auch dafür
sorgen, daß berechtigte Interessen von Mitbürgerinnen
und Mitbürgern nicht achtlos beiseite geschoben werden.
Wenn Herr Steiner die Erklärung des Bundeskanzlers
im Nachgang so interpretieren zu müssen meint, dem
Bundeskanzler sei es nicht darum gegangen, auf Rechtspositionen zu verzichten, sondern er habe sich von bayerischen Illusionen abgesetzt, dann sage ich dazu besonders an die Adresse der sozialdemokratischen Fraktion:
Lesen Sie einmal nach, was Ihr Parteifreund Volkmar
Gabert als Sprecher der sudetendeutschen Sozialdemokraten zu den Äußerungen des Bundeskanzlers gegenüber Herrn Zeman erklärt hat. Herr Gabert hat zu Recht
angemahnt, daß der Bundeskanzler endlich einmal m i t
den Sudetendeutschen über die sie bewegenden Fragen
spricht und nicht mit Herrn Zeman ü b e r die Sudetendeutschen.
({2})
Lesen Sie bitte auch nach - damit will ich zum
Schluß kommen -, was nicht unbedeutende Kommentatoren in deutschen Tageszeitungen dazu geschrieben
haben. Thomas Schmid schrieb in der „Welt“:
Auch in der Vertriebenenfrage gilt: Die Frage der
Moral läßt sich nicht von der des Eigentums trennen. Lösungen werden, so oder so, schwer sein.
Wer heute aber die Frage der Vertreibung in Seminare und Geschichtsbücher abschieben will, nimmt
ein großes Problem von Recht und Unrecht nicht
ernst.
Dem können wir nur zustimmen.
({3})
Wir bedauern, daß es zu diesen Aussagen des Bundeskanzlers gekommen ist. Wir erwarten, daß er es
analog der Vorgängerregierung endlich einmal unternimmt, die Verantwortlichen der Sudetendeutschen zu
einem Gespräch zu empfangen, daß er seine Äußerungen erklärt und nicht ständig gegenüber auswärtigen Gästen über diese Schicksalsgruppe redet, sondern mit ihr
die sie bewegenden Probleme diskutiert.
({4})
Liebe Kolleginnen
und Kollegen! In der Aktuellen Stunde sind auch die
längeren Schlußbemerkungen von einer halben Minute
im Rahmen der zur Verfügung stehenden fünf Minuten
zu machen.
Ich freue mich, daß zu dieser Debatte der ehemalige
Außenminister der früheren Tschechoslowakei, Herr
Jirí Dienstbier, auf der Ehrentribühne Platz genommen
hat. Wir begrüßen Sie sehr herzlich.
({0})
Nun erteile ich das Wort dem Kollegen Gert Weisskirchen, SPD-Fraktion.
Liebe Frau
Präsidentin! Es trifft sich gut, daß Jirí Dienstbier an dieser Debatte teilnimmt. Was wird er, was werden diejenigen bei Charta 77 über diese Debatte denken, die dafür
gesorgt haben, daß Deutschland jetzt wiedervereinigt ist,
und die darauf gehofft haben, daß es eine Debatte im
Deutschen Bundestag gibt, die nicht rückwärts gewandt
Fragen der Vergangenheit in den Mittelpunkt stellt?
({0})
Was wird er darüber denken?
({1})
Vielleicht darf ich noch einige Zitate anführen - ich
muß das einfach tun -, um Ihnen deutlich zu machen,
wo und wie die Debatte in Charta 77 - da sitzt einer der
hervorragenden Repräsentanten - geführt worden ist.
Nehmen Sie zum Beispiel jemanden wie den unerbittlichen Debattenredner Erazim Kohak, der gesagt hat:
Als wir die Deutschen vertrieben, haben wir Tschechen uns aus Europa vertrieben.
Das sagte ein tschechischer Historiker. Ich möchte
noch ein anderes Zitat anfügen:
Eine Nation Masaryks
- hat er gesagt hätte es nicht gebraucht, sich der Methoden Hitlers
zu bedienen; wenn sie dies getan hat, dann hatte sie
ihre edelsten Ideale verraten und sich dem künftigen Verderben ausgeliefert.
Auch das ist ein Zitat dieses tschechischen Historikers. Es gibt eine intensive Debatte, die Tabus bricht innerhalb der Tschechischen Republik. Sie aber tun so, als
wenn es diese Debatte nicht gäbe. Sie machen nichts anderes, als eben jene Vergangenheit, die schlimm gewesen ist, wieder hervorzukramen.
({2})
Kolleginnen und Kollegen, wir hatten uns vor zwei
Jahren mit der Deutsch-Tschechischen Erklärung darauf
verständigt, daß wir eine Tür öffnen für eine andere Zukunft, für eine Gemeinsamkeit der europäischen Zukunft, bei der wir Deutsche und Tschechen verantwortungsbewußte Partner sind.
Lieber Kollege Koschyk, da geht es doch nicht darum, daß die Vergangenheit in die Geschichtsseminare
verbannt werden soll. Sie nehmen doch an den Debatten
des Deutsch-Tschechischen Gesprächsforums teil. Sie
wissen doch, wie intensiv und hart wir miteinander gerade jene Fragen, die uns berühren, ansprechen.
Das, was sich von 1946 bis 1948 ereignet hat, was
damals in der Tschechoslowakei zu diesen Vertreibungen geführt hat, konnte doch nur vor einem historischen
Hintergrund stattfinden. Haben wir denn alle vergessen,
wie damals die NS-Diktatur mit den Tschechen umgegangen ist? Ich will Ihnen einmal etwas aus der Rede
vorlesen, die Himmler am 4. Oktober 1943 in Posen gehalten hat - Zitat:
Ein Grundsatz muß für den SS-Mann absolut gelten: Ehrlich, anständig, treu und kameradschaftlich
haben wir zu Angehörigen unseres eigenen Blutes
zu sein und zu sonst niemandem. Wie es den Russen geht, wie es den Tschechen geht, ist mir total
gleichgültig.
Das ist der Hintergrund: daß Deutsche Mörder waren
und Lidice zustande gebracht haben, daß in Theresienstadt und in vielen anderen Orten Hunderttausende von
Tschechen ermordet worden sind. Darauf folgte die - sicherlich von uns nicht geteilte - Antwort, die von 1946
bis 1948 gegeben worden ist.
Ich wende mich gegen jede Form von Kollektivschuld. Auch die Sudetendeutschen sind nicht kollektiv
schuldig gewesen. Genau diese Debatte wird in der
Tschechischen Republik heute geführt. Sie können
Stichworte finden wie die Vergleiche zwischen den
Vertreibungen und den - ich zitiere jetzt einen tschechischen Autor - ethnischen Säuberungen. In der Tschechischen Republik weiß man sehr wohl, was damals geschehen ist.
Wir müssen politisch dazu beitragen, daß wir unsere
Gemeinsamkeit vom Januar 1997 fortsetzen und die Türen aufmachen, damit die Tschechische Republik mit
uns gemeinsam in eine offene europäische Zukunft geht.
Deswegen sind solche Debatten völlig überflüssig.
({3})
Das Wort hat nun
die Kollegin Antje Vollmer.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Seit
vergangenem Freitag ist Tschechien NATO-Mitglied.
Diese kleine Republik gehört auch zum Kreis der Kandidaten für die erste Erweiterungsrunde der EU.
({0})
Was das für dieses Land bedeutet, kann man nur ermessen, wenn man einen Blick auf die Geschichte wirft.
Dieses Land ist zweimal von großen und mächtigen
Nachbarn überfallen worden, nämlich 1938/39 und
1968. Man muß begreifen, was es für dieses Land bedeutet, jetzt endlich mit dem großen Nachbarn
Deutschland und mit den westlichen Demokratien, die
ihm 1938 nicht zur Seite gestanden haben, in einem
Bündnis zu sein. Niemand in diesem Hause hat das
Recht, die Sicherheit für dieses Land, das sehr viel gelitten hat, wieder in Frage zu stellen.
({1})
Wir und auch der Bundeskanzler verabschieden uns
nicht von der historischen Wahrheit. Wir verabschieden
uns aber von innenpolitisch motivierten bayerischen
Illusionen
({2})
und von nackten Verbandsinteressen. In diesem Fall hat
- das muß man auch den Bayern sagen - europäische
Politik Vorrang vor durchsichtigen innenpolitischen Interessen.
({3})
Für die historische Wahrheit haben die Präsidenten
beider Republiken, Richard von Weizsäcker, Roman
Herzog und Vaclav Havel, im Namen ihrer Völker sehr
offene Worte gefunden. Vaclav Havel hat sich für die
Verbrechen der Vertreibung entschuldigt. Er hat gesagt,
daß die Vertreibung Unrecht gewesen sei und daß niemand von dieser Haltung abrücke. Genau diese Haltung
ist in den Erklärungen der beiden Parlamente ausgedrückt worden.
Über die Deutsch-Tschechische Erklärung haben wir
zwei Jahre lang mühseligst verhandelt. Sie wissen sehr
wohl, daß wir auch mit den Sudetendeutschen diskutiert
haben; sie wurden schon am Anfang in diese Debatte
einbezogen. Diese Debatte muß auch in Zukunft angstfrei geführt werden.
({4})
Angesichts der Ängste, die Sie wecken, muß mir einmal
jemand erklären, wie diese Debatte angstfrei geführt
werden soll, wenn Sie zwei bis drei Millionen potentielle individuelle Eigentumsansprüche ins Feld führen.
({5})
Keine Regierung der Welt, auch nicht diese Regierung,
ist gezwungen, private Eigentumsansprüche über das
friedliche Verhältnis zu den Nachbarn zu stellen.
({6})
Im übrigen war genau das die Meinung der Regierung
Helmut Kohl. Dieser Meinung hat sich damals - dies hat
lange gedauert; ich habe schon erwähnt, daß ich persönlich Zeuge war - der bayerische Ministerpräsident Stoiber in seiner Rede vor der Sudetendeutschen Landsmannschaft angeschlossen. Auch er hat sich hinter diese
Erklärung gestellt.
Was machen die Bayern nun? Sie rudern ganz offensichtlich zurück, weil sie Angst haben, in diesem Raum
Kredit zu verspielen. - In dieser schwierigen Situation
können wir Ihnen nicht helfen. Wenn Sie falsche Illusionen geweckt haben, dann müssen Sie selbst dies in
den entsprechenden Verbänden klarstellen; denn auch
Sie haben für Klarheit und dafür zu sorgen, daß die europäische Perspektive gerade in diesem Milieu nicht
verwaschen wird.
({7})
Ich möchte auch den Landsmannschaften etwas sagen. Die Landsmannschaften müssen endlich in der Gegenwart ankommen. Ich habe viele Gespräche mit ihnen
geführt und habe die dringende Bitte an sie, ihren Mitgliedern endlich den Spielraum zu geben, in der Gegenwart anzukommen. Diese Gegenwart ist nicht dadurch
gekennzeichnet, daß sie sozusagen den Rächer der Enterbten auf immer und ewig spielen können, sondern sie
ist dadurch gekennzeichnet, daß sie Brückenbauer zu
unseren Nachbarn sein müssen.
({8})
Ein langgehegter Wunsch von mir ist, daß sich die
Vertriebenenverbände endlich in Kulturvereinigungen
umwandeln; denn von Kultur verstehen sie eine ganze
Menge, und genau das brauchen wir in Europa.
({9})
In Europa gilt es, die Erinnerung an die Heimat zu bewahren. Die Vertriebenenverbände haben aber nicht das
Recht - letztendlich wissen das auch alle -, die europäische Perspektive dieser sehr gebeutelten Region Europas
zu zerstören, das Land zu beunruhigen und die Menschen zu irritieren. Das ist die Meinung der Mehrheit der
Deutschen. Diese Meinung hat der Bundeskanzler sehr
deutlich zum Ausdruck gebracht, und ich bin ihm ausgesprochen dankbar dafür.
({10})
Das Wort hat nun
der Kollege Ulrich Irmer, F.D.P.-Fraktion.
Vielen Dank, Frau Präsidentin! Zunächst heiße ich Jirí Dienstbier herzlich willkommen. Ich freue mich, daß Sie bei dieser Debatte hier
anwesend sind.
Allerdings muß ich die Kollegen von der CDU/CSUFraktion fragen, ob die Äußerungen des Bundeskanzlers
in diesem Zusammenhang wirklich das wichtigste Thema sind, das wir heute besprechen müssen.
({0})
Denn vor einer Woche ist der Bundesfinanzminister zurückgetreten; gestern ist die EU-Kommission zurückgetreten, und auch das hat wohl etwas mit unseren Beziehungen zur Tschechischen Republik zu tun.
Umgekehrt muß ich mich natürlich an die Adresse
der SPD und auch des Bundeskanzlers wenden und sagen: Sie haben damals diese Begegnung zwischen Zeman und Schröder und das, was dort besprochen wurde,
zum historischen Ereignis hochstilisiert. Das war etwas
abenteuerlich, vor allem im Lichte dessen, was Staatsminister Volmer jetzt auf die Fragen aus der CSU geantwortet hat. Denn da hieß es, wenn ich den Staatsminister richtig verstanden habe: Es bleibt alles beim alten;
an der Rechtsposition hat sich nichts geändert.
Ich hoffe, daß das so ist. Wir haben doch in der Vergangenheit - die Geschichte der deutsch-tschechoslowakischen/deutsch-tschechischen Beziehungen seit dem
Umbruch 1989 war wirklich kein Ruhmesblatt - bei der
Ausarbeitung der Verträge und der Erklärung die vermögensrechtlichen Fragen ganz bewußt ausgespart.
({1})
Und warum? Aus guten Gründen, zum einen nämlich,
weil wir gesagt haben: Wenn wir hier vermögensrechtliche Fragen ansprechen, dann machen wir die Bundesrepublik Deutschland zum Gegenstand reparationsrechtlicher Ansprüche nicht nur seitens der Tschechischen Republik, sondern auch seitens anderer früherer Kriegsgegner. Wir hätten doch hier ein Faß aufgemacht, wobei
die Konsequenzen nicht überschaubar gewesen wären.
Auf der anderen Seite haben wir immer betont: Keine
deutsche Bundesregierung hat das Recht, auf private
Ansprüche von privaten Personen, die diese vielleicht
haben, vielleicht auch nicht, zu verzichten. Das wäre eine Äußerung zu Lasten Dritter.
({2})
- Nein, hat er nicht; das wurde heute hier klargestellt.
Aber ich möchte, daß festgehalten wird, daß heute hier
seitens der Bundesregierung erklärt worden ist: Damit
ist kein Verzicht auf privatrechtliche und vermögensrechtliche Ansprüche verbunden gewesen. Das ist wichtig, denn sonst würde sich diese Bundesregierung gegenüber denen, deren Ansprüche aufgegeben worden
wären, möglicherweise regreßpflichtig machen. Das
kann wohl keiner von uns wollen.
Lassen wir die Vergangenheit auf sich beruhen. Ich
glaube - Frau Vollmer hat das dankenswerterweise angesprochen -, daß der Beitritt der Tschechischen Republik zur NATO wirklich ein historisches Ereignis war.
Wir sollten - das tue ich hiermit für meine Fraktion die Tschechische Republik im Kreise der Verbündeten
herzlich willkommen heißen.
({3})
Ich wünsche mir, daß die Vertriebenen und Flüchtlinge
auch in der Zukunft, wie schon in der Vergangenheit,
dazu beitragen, daß die Beziehungen zwischen Tschechen und Deutschen endgültig in Ordnung kommen
können. Ich habe immer darauf hingewiesen, daß die
Flüchtlinge und Vertriebenen gegenüber anderen deutschen Mitbürgern ein Sonderopfer erbracht haben, obwohl sie nicht schuldiger und nicht weniger schuldig
waren als andere Deutsche. Dies dürfen wir nicht einfach beiseite fegen, sondern diese persönliche emotionale Betroffenheit müssen wir respektieren. Zum Teil
teilen wir sie ja; auch in diesem Raum sind selbst Betroffene. Das muß jede Bundesregierung, wenn sie mit
diesen schwierigen Problemen sensibel umgehen will,
zur Kenntnis nehmen.
Insofern sage ich: Das Hochstilisieren dieser Äußerungen bei dem Treffen zwischen Zeman und Schröder
zu einem historischen Ereignis war bei weitem überzogen. Herr Außenminister Fischer, Sie haben früher einmal der alten Bundesregierung zugerufen: „Avanti Dilettanti!“
({4})
Sie sollten sich öfter selbst zitieren, wenn es um die Außenpolitik der neuen Bundesregierung geht. So kommen
wir in der Frage der Versöhnung zwischen Deutschen
und Tschechen jedenfalls nicht weiter. Wir müssen darauf bestehen, daß insbesondere diese alten Fragen nicht
als Hinderungsgrund instrumentalisiert werden, wenn es
darum geht, die Tschechische Republik auch in die Europäische Union aufzunehmen. Wir sollten darauf hinarbeiten, daß dies alsbald geschieht. Gerade den Tschechen, aber auch anderen Nachbarn im Osten sind wir
hier in besonderem Maße verpflichtet.
Ich entschuldige meine Fraktion, daß sie nicht anwesend ist. Das liegt nicht an mangelndem Interesse an
dem Thema, sondern daran, daß wir zur Zeit die Bundespräsidentschaftskandidaten bei uns zu Gast haben
und mit ihnen sprechen.
Deshalb, Frau Präsidentin, komme ich jetzt zum
Schluß, bitte Sie aber, den nächsten Redner nicht aufzurufen, ehe ich nicht meinen Platz erreicht habe, damit
ich mir selbst applaudieren kann und im Protokoll vermerkt wird: rauschender Beifall bei der F.D.P.
Ich danke Ihnen.
({5})
Herr Kollege, Sie
hatten den Beifall des ganzen Hauses. So tun wir das
jetzt immer, um den Beifall des ganzen Hauses zu erzielen.
Ich erteile nun das Wort dem Kollegen Fred Gebhardt, PDS-Fraktion. - Bitte.
({0})
Frau Präsidentin! Meine
Damen und Herren! Es bedarf wahrlich keiner großen
Anstrengungen, um festzustellen, daß die Beziehungen
zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der
Tschechischen Republik nicht die besten sind, um es
einmal sehr vorsichtig zu formulieren.
({0})
Dieser Zustand ist nichts Neues, und er überdauert offenbar auch solch einschneidende Ereignisse wie die
grundlegenden gesellschaftlichen und politischen
Wandlungen der letzten Jahre in Mittel- und Osteuropa.
Von seiten der CDU/CSU hat es zu keinem Zeitpunkt
eine systematische, auf eine Verbesserung der Beziehungen hinarbeitende Politik gegeben. Es reicht nicht
aus, die Anstrengungen allein auf die Einbindung der
Tschechischen Republik in die NATO zu richten und
dabei das gesamte Spektrum der möglichen Beziehungen zu vernachlässigen. So konnte und so kann keine
stabile Nachbarschaft wachsen.
Noch schwerwiegender ist allerdings, daß die endlosen eigentumsrechtlichen Forderungen aus den Reihen
der CDU und der CSU bei der tschechischen Bevölkerung den Eindruck erzeugen, deren Verständnis gutnachbarschaftlicher Beziehungen erschöpfe sich darin.
Und so ist es ja wohl auch. So kann kein Vertrauen entstehen. Jeder Schritt nach vorne, jede sich auch nur abzeichnende Verbesserung der Beziehungen zur Tschechischen Republik - die Erklärung des Bundeskanzlers
war ein Schritt in diese Richtung - wurde und wird von
seiten der CDU/CSU torpediert und mit einem neuen
Affront gegen Tschechien quittiert.
Die Deutsch-Tschechische Erklärung ist gewiß nicht
ein Erfolg der CDU/CSU-Politik, sondern einzig dem
Bemühen der tschechischen Seite und dem öffentlichen
Druck in unserem Lande geschuldet. Die Zustimmung
der damaligen Bundesregierung erfolgte doch nur zähneknirschend. Daß Sie von der CDU und CSU diese Erklärung bis heute nicht wirklich ernst nehmen, haben Sie
soeben in der Fragestunde durch Ihre sechs eingereichten Fragen, aus denen im Rahmen von Nachfragen
zwanzig Fragen wurden, wieder bewiesen.
({1})
Meine Damen und Herren, so schwer ist es doch gar
nicht: Wer an gutnachbarschaftlichen Beziehungen zur
Tschechischen Republik tatsächlich interessiert ist, der
muß auch den Satz der Deutsch-Tschechischen ErkläUlrich Irmer
rung ernst nehmen, der da lautet - er wurde schon genannt; ich wiederhole ihn -:
Beide Seiten erklären deshalb, daß sie ihre Beziehungen nicht mit aus der Vergangenheit herrührenden politischen und rechtlichen Fragen belasten
werden.
({2})
Heute demonstriert die CDU/CSU, was von ihrer Unterschrift zu halten war, nämlich nichts. Heute demonstriert
sie, wie ernst sie diese Erklärung nimmt, nämlich überhaupt nicht.
({3})
Es war lange überfällig, unmißverständlich klarzustellen, daß es gegenüber der Tschechischen Republik
von deutscher Seite keine Ansprüche gibt und daß die
Politik unseres Landes nicht mehr mit der Politik sudetendeutscher Landsmannschaften, ähnlicher Gruppierungen und deren Befürworter in CDU und CSU zu
verwechseln ist. Eine Verbesserung der Beziehungen zur
Tschechischen Republik ohne einen eindeutigen Verzicht auf Revanchismus und deutsche Ansprüche ist undenkbar.
Der Präsident der Tschechischen Republik, Václav
Havel, hat in seiner richtungweisenden Rede in der Prager Karls-Universität erklärt, sein Land werde den heutigen Generationen in Deutschland keine Rechnungen
für das historische Unrecht ausstellen, das den Menschen in der Tschechoslowakei vom nationalsozialistischen Deutschland widerfahren ist, genausowenig wie
sein Land dies den Nachfolgestaaten der Sowjetunion
gegenüber tun werde. Eine solche Haltung ist vorbildlich und verlangt hohen Respekt. - Havel ergänzte:
Und weil das so ist, halten wir all die Versuche,
von uns entweder in materieller oder anderer Form
Ersatz für die Nachkriegsaussiedlung zu verlangen,
für um so absurder.
Dem ist im Grunde nichts hinzuzufügen
({4})
- außer, daß es schon überaus beschämend ist, einmal
mehr mit dem kleinlichen und bornierten Insistieren auf
Eigentumsrückgabe und Rücknahme der Beneš-Dekrete
seitens der CDU/CSU konfrontiert zu sein.
Wir erwarten von der CDU/CSU bestimmt nicht die
Größe eines Vaclav Havel, wie er sie mit seinem großzügigen Angebot zum offenen Dialog und zu ehrlicher
Versöhnung bewiesen hat. Aber ein gewisses Maß angemessener Zurückhaltung stünde ihr wirklich gut zu
Gesicht.
({5})
Ich erteile dem
Herrn Außenminister Fischer das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Diese Debatten berühren mich immer auf merkwürdige Weise. In
den vergangenen Tagen sind Polen, Tschechien und Ungarn Mitglieder der NATO geworden. Wir hoffen, morgen entscheidende Voraussetzungen für die Osterweiterung der Europäischen Union zu leisten, so daß in überschaubarer Zeit, möglichst schnell, Tschechien Mitglied
der Europäischen Union wird, das heißt: Bestandteil des
sich vereinigenden Europas - genauso wie Ungarn.
Meine Familie kommt aus Ungarn. Die Fischers waren 200 Jahre lang Ungarn. Sie sind Mitte des 18. Jahrhunderts ausgewandert - arme Bauern von der Schwäbischen Alb - und wurden 1946 im Viehwaggon wieder
zurückgeschickt. Warum? - Dies war die unmittelbare
Folge davon - das dürfen wir nicht vergessen, gerade
die zweite Generation nicht -, daß unser Land 1933 einen Teufelspakt mit Hitler eingegangen ist.
Vielleicht erleben wir jetzt, mit Abstand, was dieser
Teufelskreis damals nicht nur an Verbrechen und an
Verantwortung - das war keine Kollektivschuld -, sondern auch an Verlust bedeutet hat. An erster Stelle steht
die Zerstörung dieser großartigen Symbiose von
Deutschland und den deutschen Juden. An zweiter Stelle
steht die Zerstörung dieser für Deutschland so wichtigen, so großartigen Symbiose von osteuropäischem Judentum und deutscher Kultur; Elias Canetti steht dafür.
Aber auch die Zerstörung des osteuropäischen
Deutschtums, der Verlust eines Drittels des Gebietes des
Deutschen Reiches und die Zerstörung des jahrhundertelangen Zusammenlebens von Deutschen und Tschechen in Böhmen und Mähren gehören dazu.
({0})
Ich verstehe den Schmerz der Menschen:
({1})
nicht nur den über das individuelle Leid, über den Verlust von Heimat, sondern auch den über den unwiederbringlichen Verlust von Kultur. Ich habe gestern ein Gespräch mit dem rumänischen Außenminister geführt. Die
großartige, uralte Kultur der Siebenbürger Sachsen ist
ebenfalls fast unwiederbringlich zerstört worden. Das
alles ist das Ergebnis des Teufelspakts mit Hitler, diesem Massenmörder, der Deutschland fast völlig zerstört
hat.
Ich appelliere nochmals auch und gerade an die organisierten Sudetendeutschen - um die geht es; es geht
nicht um die Sudetendeutschen generell -, endlich zu
begreifen, daß wir, die zweite Generation, diejenigen,
die von Eltern abstammen, die die Vertreibung zu erleiden hatten, am gemeinsamen Europa bauen.
Es waren immer die Unschuldigen, die vertrieben
wurden. Meine Mutter hat mir gesagt: Die, die Dreck am
Stecken hatten, sind mit der deutschen Wehrmacht abgezogen. Die, die ausgewiesen wurden, respektive die,
die umgebracht, also ermordet oder totgeschlagen, wurden - all das hat es gegeben -, waren meist die UnFred Gebhardt
schuldigen; sie sind mit bestem Gewissen zurückgeblieben. Insofern kann man an der Jahreszahl, zumindest
was unser Vertreibungsschicksal anbetrifft, erkennen die deutsche Wehrmacht hat Ungarn 1944/45 verlassen -: Wer 1946 noch in Ungarn war, der wußte sich unschuldig. - Zwangsarbeiterschicksale, die Verschleppung - das alles ist bekannt. Das ist Ergebnis dieses Teufelspaktes. Es ist Teil unserer nationalen Geschichte.
Auch uns Deutschen hat das vereinte Europa eine
große Chance geboten. Wir sind doch nicht nur materiell, sondern auch kulturell und historisch die großen
Gewinner des europäischen Einigungsprozesses. Daß
dieses Deutschland heute wiedervereinigt ist mit Zustimmung aller unserer Nachbarn, daß es geachtet ist,
eine zentrale, demokratische Macht in einem vereinten
Europa ist, ist ein unglaubliches Glück, das diejenigen,
die 1945 überlebt haben, für nicht möglich gehalten haben. Wenn das damals jemand beschrieben hätte - er
wäre als Phantast bezeichnet worden. Das hat das vereinte Europa für uns getan. Daher sollten wir doch den
Erfolg suchen und diesen Vereinigungsprozeß abschließen, und wir sollten nicht diese rückwärtsgewandten
Debatten führen, die nichts Gutes mit sich bringen werden. Deswegen lautet mein Appell, meine Damen und
Herren, damit wirklich Schluß zu machen.
({2})
Sich der Geschichte zu erinnern heißt, sie nicht zu vergessen. Wir sollten aber keine Aufrechnungsdebatte führen; aus ihr wird für unser Land nichts Gutes entstehen.
({3})
Gegenüber unseren Nachbarn in Mittel- und Osteuropa verfolgt die Bundesregierung eine Politik der guten
Nachbarschaft und des zukunftsgerichteten Ausbaus unserer Beziehungen, bilateral wie im europäischen Kontext. Diese Politik stellt sich der besonderen historischen
Verantwortung, und sie entspricht auch den deutschen
Interessen.
Die öffentlichen Erklärungen von Bundeskanzler
Schröder und Ministerpräsident Zeman vom 8. März
buchstabieren Aussagen der Deutsch-Tschechischen Erklärung vom 21. Januar 1997 weiter aus. Darin liegt der
Erfolg dieses Besuchs. Das bringt auch eine Verbesserung der deutsch-tschechischen Beziehungen.
({4})
- Ich kann Ihnen sagen, was „ausbuchstabieren“ ist.
Ausbuchstabieren meint schlicht und einfach, daß man
einen Vertrag mit Leben erfüllt. Sie sollten sich endlich
daran beteiligen und nicht mit beiden Füßen auf der
Bremse stehen.
({5})
Herr Koschyk, wir sind beide Vertriebene, obwohl wir
hier geboren sind. Der Unterschied zwischen Ihnen und
mir ist allerdings, daß Sie als Vertriebenenfunktionär
nach wie vor meinen, dies hochhalten zu müssen.
({6})
Das ist „ausbuchstabieren“. Ich hoffe, wir verstehen uns
jetzt.
({7})
Die Aussage von Ministerpräsident Zeman, nach der
die Wirksamkeit einiger Maßnahmen nach dem zweiten
Weltkrieg erloschen sei - hierunter sind die zitierten
Beneš-Dekrete zu verstehen -, kommt einer gerade
auch von sudetendeutscher Seite geforderten „Ex-nunc“Nichtigkeitserklärung sehr nahe. Die Bundesregierung
begrüßt diese Festlegung nachdrücklich und sieht in ihr
einen wichtigen Schritt für die Fortentwicklung unserer
Beziehungen zur Tschechischen Republik, und darüber
müßten Sie sich eigentlich freuen.
({8})
Beide Regierungschefs waren sich darin einig, daß
die bilateralen Beziehungen nicht mit aus der Vergangenheit herrührenden politischen und rechtlichen Fragen
belastet, sondern auf die Zukunft ausgerichtet werden
sollen. Sie betrachten diese Fragen als abgeschlossen
und werden weder heute noch künftig Vermögensfragen
in diesem Zusammenhang aufwerfen. Diese politische
Aussage
({9})
enthält keinen Verzicht auf eigentums- und vermögensrechtliche Positionen Vertriebener. Sie bedeutet, daß die
Bundesregierung derartige Forderungen nicht gegenüber
der tschechischen Regierung geltend machen wird. Wir
bewegen uns hier im Konsens mit der früheren Bundesregierung. Auch der Kollege Lamers hat in der „Neuen
Osnabrücker Zeitung“ festgestellt, daß auch die frühere
Bundesregierung keine Vermögensforderungen an
Tschechien gestellt hat. Recht hat er!
({10})
Die mit den Erklärungen der beiden Regierungschefs
vollzogene Klarstellung wird sich positiv auf unsere Beziehungen zur Tschechischen Republik auswirken. Sie
ermöglicht uns einen unbefangeneren Umgang miteinander und wirkt noch vorhandenen Ängsten entgegen.
Diese Ängste werden in der Tschechischen Republik
von ganz Rechts und ganz Links innenpolitisch ausgebeutet, zum Schaden der europäischen Integration und
auch zum Schaden der Aussöhnung - das wissen Sie nur
zu gut.
Auch die Kritiker der Erklärungen sollten akzeptieren, daß die in Frage stehenden Forderungen ein halbes
Jahrhundert nach Krieg und Vertreibung in einem
neuen, geeinten Europa nicht mehr die aktuelle Politik
Deutschlands bestimmen dürfen.
Am vergangenen Freitag sind Tschechien, Polen und
Ungarn der Nordatlantischen Allianz beigetreten, ein historischer Schritt für Europa und auch ein guter Tag für
Deutsche und Tschechen, die sich 50 Jahre als Feinde
gegenüberstanden. Der Bundeskanzler hat gegenüber
Ministerpräsident Zeman deutlich gemacht, daß
Deutschland auch den Beitritt der Tschechischen Republik zur Europäischen Union ohne Einschränkungen,
ohne Wenn und Aber - so schnell es geht - unterstützt.
Dies liegt wegen der mit dem Beitritt verbundenen
Wirksamkeit der europäischen Grundfreiheiten gerade
auch im Interesse der Sudetendeutschen.
Die Bundesregierung bedauert wie ihre Vorgängerregierung zutiefst das große Leid, das den Sudetendeutschen durch Vertreibung und entschädigungslose Enteignung - wie auch allen anderen Vertriebenen; ich füge
dies hier hinzu - zugefügt worden ist. Ihren Schmerz
kann den Opfern niemand nehmen.
Die Vertreibung und Enteignung auf der Grundlage
der sogenannten Beneš-Dekrete betrachtet die Bundesregierung unverändert als völkerrechtswidrig, sie respektiert aber - wie es schon in Ziffer IV der DeutschTschechischen Erklärung heißt -, daß die tschechische
Seite eine andere Rechtsauffassung hat. Dies gilt auch
für das Strafvereitelungsgesetz vom Mai 1946, durch
das im Zuge der Vertreibung begangene Verbrechen
straffrei gestellt wurden. Dieses Gesetz und seine Folgen
sind im übrigen in Ziffer III der Deutsch-Tschechischen
Erklärung auch von der tschechischen Regierung bedauert worden.
Entscheidend aber ist: Politik darf sich nicht in der
gegenseitigen Darstellung von Rechtsauffassungen erschöpfen, schon gar nicht europäische Integrationspolitik. Unsere Aufgabe im Verhältnis zu unserem Partner
und neuen Verbündeten Tschechien ist die Gestaltung
der gemeinsamen Zukunft im geeinten Europa. Diesem Ziel sind Bundeskanzler Schröder und Ministerpräsident Zeman am 8. März ein gutes Stück nähergekommen.
({11})
Das Wort hat nun
der Kollege Karl Lamers, CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Herr Minister, Sie haben sich in einer eindrucksvollen Weise von Ihrem Bundeskanzler distanziert. Wenn dieser anläßlich des Besuches von Ministerpräsidenten Zeman eine ähnlich sensible Einstellung gegenüber den Vertriebenen an den Tag
gelegt hätte, wie Sie das hier versucht haben, dann sähe
die Sache anders aus, dann würden wir diese Debatte
heute nicht führen.
({0})
- Ich weiß, Herr Minister, daß Ihnen das unangenehm
ist, obwohl ich nicht glaube, daß das unbewußt geschehen ist.
Sie wissen sehr genau, daß der Bundeskanzler bei
dieser Gelegenheit ein weiteres Mal das angemessene
Empfinden für sensible und delikate Themen vermissen
ließ. Sie wissen sehr genau, daß das Thema der Vermögensansprüche der Vertriebenen außerordentlich schwierig ist. Übrigens wird es, Herr Minister, noch schwieriger durch die Tatsache, daß es eine wahrscheinlich
wachsende Zahl von Entschädigungsansprüchen gegen
deutsche Unternehmungen und gegen Deutschland geben wird.
({1})
- Damit kein falscher Eindruck entsteht: Ich begrüße es
sehr - das wissen Sie doch auch -, daß sich die Bundesregierung dieser Sache annimmt.
Sie haben hier erklärt - und Herr Volmer hat es heute
wiederholt -, daß Sie die Beneš-Dekrete für völkerrechtswidrig halten. Wenn das so ist, dann stimmt die
Rechtsordnung der Tschechischen Republik - das steht
ja auch in der Deutsch-Tschechischen Erklärung - mit
unseren Vorstellungen nicht überein. Dann stellt sich
aber die Frage, ob die Rechtsordnung der Tschechischen
Republik mit den Rechtsvorstellungen in der Europäischen Union übereinstimmt.
({2})
Wir wissen doch alle, daß EU-Recht in die nationalen
Rechtsordnungen hineinwirkt, etwa durch Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofes, die für die Mitgliedsländer bindend sind, und daß auf diesem Wege direkte Ansprüche der Bürger geltend gemacht werden.
Wir alle wissen genau, wie delikat das Thema ist, das
hier angerührt worden ist. Wenn das aber so ist, dann
wäre es sehr angebracht gewesen, Herr Minister, so
meine ich, dieses Thema anders zu behandeln, als die
Bundesregierung es getan hat.
({3})
Dies war, mit Verlaub gesagt, dämlich
({4})
und diente überhaupt nicht dem, was wir gemeinsam
wollen - was wir gemeinsam wollen müssen -, nämlich
die Mitgliedschaft Tschechiens in der Europäischen
Union auf der Grundlage einer wirklichen Versöhnung
zwischen Tschechen und Deutschen.
Sie wissen doch sehr genau, daß die Schwierigkeiten,
die die Tschechen mit den Vertriebenen haben, im
Grunde darin begründet liegen, daß sie SchwierigkeiBundesminister Joseph Fischer
ten mit sich selbst, mit ihrer eigenen Vergangenheit haben.
({5})
Ich habe das auch schon in Tschechien gesagt und habe
dafür in manchen Gesprächen sehr viel Verständnis gefunden. Daß Herr Zeman jemand ist, der damit ganz besondere Schwierigkeiten hat, weiß diese Seite des Hauses sehr genau.
({6})
Verehrte Kollegen, ich erinnere Sie daran, daß wir bei
der Deutsch-Tschechischen Erklärung sehr gut zusammengearbeitet haben. Ich habe übrigens die Haltung der
Sozialdemokraten in diesem Zusammenhang von dieser
Stelle aus - wie auch bei meinen Gesprächen in Tschechien - ausdrücklich anerkannt. Ich habe damals viele
Gespräche geführt und kann nur sagen: Herr Klaus war
schon schwierig, aber Herr Zeman übertrifft ihn leider
bei weitem.
({7})
Das alles wissen auch Sie. Mit Verlaub gesagt: Vor diesem Hintergrund halte ich den dämlichen Umgang mit
diesem Thema für absolut kontraproduktiv.
({8})
Wenn Sie der Sache einen Gefallen tun wollen, dann
anempfehlen Sie Herrn Schröder - das ist ein ziemlich
aussichtsloses Unterfangen, ich weiß es - ein wenig
mehr Sensibilität für schwierige historische Gegebenheiten. Damit würden Sie vielleicht sogar der Regierung
einen Gefallen tun, zumindest aber der Politik dieses
Landes und auch unserem Anliegen, nämlich der Versöhnung zwischen Tschechen und Deutschen, die nicht
ohne die Vertriebenen bewerkstelligt werden kann.
({9})
Herr Außenminister
Fischer, Sie können gerne noch einmal reden. Ich weise
nur darauf hin: Wenn der Wunsch besteht, noch einmal
zu reden, was ich angesichts des Themas richtig finde,
müßte ich die Aussprache dazu eröffnen. - Meine Damen und Herren, Sie können noch ein bißchen überlegen, die Aktuelle Stunde dauert ja noch an. Wenn Bedarf besteht, sich noch auszutauschen, können wir miteinander vereinbaren, den Bundesminister erneut reden
zu lassen. Dann würde ich die Aussprache dazu eröffnen.
Zunächst einmal gebe ich aber der Kollegin Petra
Ernstberger das Wort.
Frau Präsidentin! Meine
Damen und Herren! Herr Lamers, ich unterstelle jetzt
einfach einmal, daß wir hier alle das Ziel haben, die
Verbindungen zu Tschechien, die Beziehungen zwischen Deutschland und der Tschechischen Republik zu
verbessern und auf eine normale Ebene zu bringen. Die
heutige Veranstaltung trägt aber dazu nicht bei.
({0})
Die derzeitige Bundesregierung betrachtet ebenso wie
ihre Vorgängerin die Beneš-Dekrete, soweit sie sich auf
die Vertreibung, die Ausbürgerung und die Enteignung
von Deutschen in der ehemaligen Tschechoslowakei beziehen, nach wie vor als völkerrechtswidrig. Das hat sie
immer deutlich gemacht. Das ist auch der DeutschTschechischen Erklärung zu entnehmen. Dort steht
nämlich in Ziffer IV: Jede Seite - die Tschechen haben
nämlich eine andere Vorstellung davon - bleibt ihrer
Rechtsordnung verpflichtet und respektiert, daß die andere Seite eine andere Rechtsauffassung hat. - Dies gilt
auch für die Vertreibung und die entschädigungslose
Einziehung des deutschen Vermögens. Das ist und bleibt
völkerrechtswidrig. An diesem Rechtsstandpunkt hat
sich überhaupt nichts geändert, auch nicht durch den Besuch von Herrn Zeman und die Erklärungen unseres
Bundeskanzlers. Deutsche Bürger, die an tschechischen
Gerichten Klage erheben, werden weiterhin Unterstützung erhalten; das hat auch Staatsminister Volmer heute
deutlich gemacht.
Die Übereinkunft, die Herr Bundeskanzler Schröder
und Ministerpräsident Zeman getroffen haben, stellt auf
dem Weg zu guten Beziehungen zwischen Deutschland
und Tschechien einen ganz wichtigen Schritt dar. Wir
müssen nachhaltig versuchen, diese Verbindungen und
diese Beziehungen zu verbessern und einer positiven
Zukunft zuzuführen.
({1})
Dazu gehört auch, daß politische und rechtliche Fragen den Schmerz, den die Vergangenheit verursacht und
hinterlassen hat, nicht negieren. Das Leid und die Wunden, die die Menschen erlitten haben, die Menschen beider Länder zugefügt worden sind, sollten eine immerwährende Mahnung im Bewußtsein des deutschen und
auch des tschechischen Volkes bleiben.
Ich glaube, wir sollten auch die Verbände der Flüchtlinge und Vertriebenen in Deutschland nutzen. Warum
stellen die sich eigentlich nicht als Lobby für die Tschechische Republik dar?
({2})
Warum werden sie nicht Botschafter für uns Deutsche?
({3})
Sie sind diejenigen, die Tschechien kennen und den entsprechenden Sachverstand haben.
({4})
- Das müssen sie aber auch offiziell machen.
Auch und gerade vor diesem Hintergrund in den
deutsch-tschechischen Beziehungen brauchen wir eine
Hinwendung zur Gegenwart, zur Realität, und wir brauchen den Blick in die Zukunft.
({5})
Gerade jetzt, wo Tschechien - es ist schon dreimal erwähnt worden - NATO-Mitglied geworden ist, sind wir
nicht nur Partner, sondern auch Verbündete. Deswegen
müssen wir die Chance, die wir jetzt haben, nutzen und
Partnerschaft und Freundschaft zum Wohle des deutschen Volkes und natürlich auch zum Wohle des tschechischen Volkes entwickeln. Das ist unsere Aufgabe,
nicht eine kleinkrämerische Diskussion über die Aussagen, die sowieso klar und deutlich waren.
({6})
Ich habe mich vorhin geirrt, meine Damen und Herren. Ich will Sie darüber informieren: In einer Aktuellen Stunde kann die
Bundesregierung bis zu dreimal jeweils 10 Minuten reden. Erst nach diesen 30 Minuten würde ein Anspruch
bestehen, die Redezeiten zu erweitern. Wenn die Bundesregierung reden möchte, so hat sie noch zweimal
10 Minuten, ohne daß ein Anspruch darauf bestünde, die
Aktuelle Stunde zu erweitern. Ich wollte dies nur klarstellen, damit wir wissen, worüber wir reden.
Das Wort hat nun Reinhard Freiherr von Schorlemer.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Bundesaußenminister, Sie haben zu Recht darauf hingewiesen, daß in diesen Tagen Polen, Tschechien
und Ungarn Mitglied der NATO geworden sind. Es war
bewegend, als gestern im Fernsehen gezeigt wurde, wie
die drei Ministerpräsidenten Buzek, Zeman und Victor
Orban in Brüssel dabei waren. Ich sage aber ganz offen:
Ich habe dabei spontan an drei Namen gedacht: erstens
Helmut Kohl, zweitens Volker Rühe und drittens Klaus
Kinkel. Sie sind es nämlich gewesen, die den Beitritt
dieser Länder zur NATO als Herzensanliegen, gleichsam als Verpflichtung vertreten und ihn auch bei Zögern
im Bündnis konsequent durchgesetzt haben. Ich könnte
jetzt, verehrter Herr Bundesaußenminister, einige Namen von Mitgliedern der derzeitigen Regierung nennen,
die damals gar nicht so freudig unterstützt und begleitet
haben, daß die Länder, die Sie nun in der NATO begrüßt
haben, Mitglied der NATO werden. Deshalb ist es völlig
unverständlich, daß der Herr Staatsminister Verheugen
die Begegnung des Bundeskanzlers mit Ministerpräsident Zeman als eine historische bezeichnete. Für mich
war aber in der Tat historisch, daß die ehemaligen Warschauer-Pakt-Staaten Polen, Ungarn und Tschechien in
diesen Tagen in die NATO aufgenommen worden sind.
({0})
Die Bundesregierung unter Helmut Kohl hat 1992
den Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland
und der Tschechischen - damals noch: und Slowakischen Föderativen - Republik über gute Nachbarschaft
und freundschaftliche Zusammenarbeit geschlossen und
1997 die gemeinsame Erklärung unterzeichnet. Damit
wurde die Tür zur Erkenntnis geöffnet, wo wir gefehlt
haben, wo im Namen Deutschlands gefehlt worden ist,
wo das verbrecherische System Hitlers, der Nazis die
Tschechen geknechtet, die Menschenrechte geknüppelt
hat und auf die Bürger gleichsam mit Steinen zugegangen ist. Die Tschechen bedauern in dieser gemeinsamen
Erklärung die Vertreibung, die Enteignung und Ausbürgerung und auch die besonderen Exzesse. In der schon
erwähnten „Neuen Osnabrücker Zeitung“ wird zum Besuch des Ministerpräsidenten Zeman hier in Bonn unter
anderem kommentiert:
Mit der gemeinsamen Erklärung von 1997 zwischen beiden Staaten ist ein Fundament geschaffen
worden, das Nebeneinander zu einer gutgemeinten
Nachbarschaft zu entwickeln. Davon war nach den
Gesprächen jedoch weder in Schröders noch in
Zemans Äußerungen die Rede. Soll jetzt statt der
Aufarbeitung der Geschichte der Weg des Verdrängens beschritten werden?
({1})
Ausgerechnet an diesem neuralgischen Punkt verstößt der Kanzler gegen seine Zusage, außenpolitische Kontinuität zu wahren.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir haben
immer darauf hingewiesen und werden auch weiter darauf hinweisen, daß es trotz der bestehenden Verträge mit
der Tschechischen Republik und der gemeinsamen
Deutsch-Tschechischen Erklärung immer noch offene
Fragen gibt, die nur im gegenseitigen Einvernehmen und
auf der Basis der Wahrheit und der Wahrhaftigkeit gelöst werden können.
In der tschechischen Presse wird die Erklärung Zemans so gewertet, daß er nicht auf alle, sondern nur auf
einige Beneš-Dekrete verzichtet habe. Wir wollen genau
wissen, welche es sind.
({2})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, Außenpolitik ist keine gute, sondern eine schlechte und nicht in
die Zukunft gerichtete Außenpolitik, wenn sie populistisch, nur auf den Tag schauend, unkonkret und interpretierbar wird.
({3})
Lassen Sie mich abschließend sagen: Der Bundeskanzler wird am 30. September nach Prag fahren.
({4})
In unserer Erinnerung ist, daß am 30. September 1989
vom Balkon der deutschen Botschaft Außenminister
Genscher und Kanzleramtsminister Rudolf Seiters Tausenden von DDR-Bürgern verkünden konnten, sie
könnten ausreisen. Es waren bewegende Szenen. Diese
Menschen wollten aus der DDR, aus dem SED-Regime
heraus, dessen erster Mann Erich Honecker war.
({5})
- Einige werden sich daran noch erinnern; Sie besonders. - Über diesen Mann ist am 21. Dezember 1985 im
„Vorwärts“ vom damaligen Oppositionsführer im Niedersächsischen Landtag gesagt worden, er sei „ein zutiefst redlicher Mann“. Der damalige Oppositionsführer
ist der heutige Bundeskanzler.
({6})
Nun hat der Kollege
Helmut Lippelt, Bündnis 90/Die Grünen, das Wort.
Verehrte Frau Präsidentin! Liebe Leute aus der
CDU/CSU, ich verstehe nicht, warum Sie hier heute eine Debatte hochgezogen haben, die mir vorkommt, als
gehe es um die Klärung von Grundpositionen im Verhältnis zu unseren tschechischen Nachbarn und als stünden wir auf dem Höhepunkt des kalten Krieges kurz vor
der Verabschiedung der Ostverträge. Wo aber stehen wir
wirklich? Am Freitag - das ist schon mehrfach erwähnt
worden - ist die Tschechische Republik Mitglied der
NATO geworden, und am Montag abend gab es den
Empfang, auf dem alle NATO-Botschafter zugegen waren und Tschechien, Polen und Ungarn als Freunde in
der NATO willkommen hießen. Die Verhandlungen
über die Aufnahme Tschechiens in die EU sind auf gutem Wege. In wenigen Jahren werden wir ein ganz neues Kapitel des Zusammenlebens in Mitteleuropa beginnen. Auf beiden Seiten sind wir schon jetzt dabei, uns
auf diesen gemeinsamen wirtschaftlichen, politischen
und sozialen Raum vorzubereiten.
Wir, Bündnis 90/ Die Grünen, haben immer vertreten,
daß ein offener und klarer Umgang mit der Vergangenheit eine Bedingung dafür ist, daß sich die Vergangenheit nicht wiederholt. Die Verurteilung der Verbrechen
des nationalsozialistischen Deutschlands muß für die
Bundesrepublik konstitutiv bleiben. Daß auch die tschechische Seite die Vertreibung der deutschen Minderheit
inzwischen als Verbrechen ansieht, ist für uns ein ganz
wichtiges Zeichen der demokratischen Erneuerung der
Tschechischen Republik.
({0})
Der Rechtsstreit, der uns von Ihnen wieder als eine
zentrale politische Frage im Verhältnis der beiden Länder dargestellt wird, ist demgegenüber wirklich von untergeordneter Bedeutung. Es gibt in der Frage der Bewertung der Enteignungen auf der Grundlage der BenešDekrete verschiedene Rechtsauffassungen. Genau das ist
in der gemeinsamen Tschechisch-Deutschen Erklärung
festgeschrieben. Diese unterschiedlichen Auffassungen
werden auch noch längere Zeit bleiben.
Aber es ist vom Kanzler nicht unsensibel gewesen,
wenn er, nach vorne blickend, gesagt hat, diese Fragen
seien im Verhältnis beider Staaten zueinander nicht
mehr von zentraler Bedeutung.
({1})
Unsensibel aber ist Ihr permanentes Verlangen nach
Aufhebung der Beneš-Dekrete, weil diese konstitutiv für
die Rechtsordnung eines Nachbarlandes gewesen sind.
({2})
Sie greifen in die Rechtsordnung eines Nachbarlandes
ein, als hätte es 1945 nie gegeben.
Das wirkliche Problem ist meiner Ansicht nach, daß
wir zwar mit Polen einen Grenzvertrag geschlossen haben, weshalb im Verhältnis zu Polen Fragen der Vermögensverhältnisse überhaupt nicht aufkommen, aber ein
Friedensvertrag mit den vom nationalsozialistischen
Deutschland genauso behandelten Ländern Tschechische Republik und Slowakei fehlt. Statt dessen wurde
gezögert - am Schluß wurde es nur eine Erklärung -,
und jetzt fangen Sie an, über die Rechtsgültigkeit der
tschechischen Grundordnung zu reden. Ich finde, das ist
eine schlimme Sache.
Jetzt sage ich nur noch eines: Viele Fragen der Privatisierung, der Entschädigung und der Rückgabe sind
auch für die tschechischen Bürgerinnen und Bürger noch
nicht gelöst; auch Tschechien befindet sich nach dem
Umbruch des realsozialistischen Systems noch in einem
Transformationsprozeß. Meiner Meinung nach zeugt es
nur von Arroganz und Hartherzigkeit, jetzt von deutscher Seite die Frage des Eigentums der deutschen Minderheit aufzuwerfen. Wir sollten in der gegenwärtigen
Lage vielmehr Tschechien dabei helfen, sich als selbständiger Staat in der Mitte Europas politisch und wirtschaftlich zu konsolidieren - und dies in guter Nachbarschaft und in engem politischen Bündnis mit uns in
NATO und EU.
Lassen Sie mich noch eines sagen. Als Historiker, der
sich besonders mit der Zwischenkriegszeit beschäftigt
hat, erschrecke ich zuweilen über die Leichtfertigkeit,
mit der von der konservativen Seite in diesem Hause
Fragen gestellt werden, die gegenwärtig nur zu Destabilisierung und zu gegenseitiger Feindschaft beitragen
können.
({3})
Aus der Geschichte lernen heißt für mich auch, daß
von deutscher Seite nie wieder zur wirtschaftlichen und
politischen Destabilisierung unserer kleineren mitteleuropäischen Nachbarn beigetragen werden darf.
Deshalb der Appell an Sie: Nehmen Sie die DeutschTschechische Erklärung beim Wort, und orientieren sich
an dem zentralen Satz, in dem beide Seiten erklären, daß
sie ihre Beziehungen nicht mit aus der Vergangenheit
herrührenden politischen und rechtlichen Fragen belasten wollen.
({4})
Das Wort hat nun
die Kollegin Erika Reinhardt, CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Dr. Lippelt,
wenn Sie sagen, Sie verstünden diese Debatte nicht,
dann kann ich wiederum verstehen, daß Sie sie nicht
verstehen. Denn Sie gehörten zu denen, die die NATO
abschaffen wollten.
({0})
Darum frage ich mich, warum Sie das jetzt so groß herausstellen.
({1})
Diese Debatte hat in erster Linie etwas damit zu tun,
wie sich der Bundeskanzler geäußert hat. Ich lese Ihnen
das gerne noch einmal zur Erinnerung vor, allerdings
nur einen Teil, denn sonst würde es zu lang:
Als Folge dessen werden die Regierungen beider
Staaten in diesem Zusammenhang weder heute
noch in Zukunft Vermögensfragen aufwerfen oder
Forderungen stellen.
Herr Verheugen hat auf eine Anfrage eine ganz andere Antwort gegeben. Er hat gesagt, daß die Vermögensfrage offenbleibe. Als man den Staatsminister Volmer heute in der Fragestunde darauf hingewiesen hat,
daß es insofern einen Widerspruch gebe, hat er gesagt,
es gebe keinen Widerspruch. Ich bitte, daß man einmal
klarstellt, wie diese Regierung zu diesen Vermögensfragen steht. Sind sie nun offen, oder sind sie erledigt? So
einfach kann man es sich nicht machen, wie Sie es tun.
Schließlich und endlich hat der Bundeskanzler in einem kurzen Statement auf elementare Rechte von
3 Millionen Sudetendeutschen und 10 Millionen Vertriebenen verzichtet. Der Bundeskanzler muß sich schon
fragen lassen, wie sich diese Äußerungen mit seinem
Amtseid vereinbaren lassen, der ihn verpflichtet, Schaden vom deutschen Volk abzuwenden. Bisher haben alle
Bundesregierungen die unrechtmäßige Enteignung und
die Vertreibung der Sudetendeutschen als völkerrechtswidrig bezeichnet und darauf hingewiesen, daß die Entschädigungsfragen offenbleiben.
Wenn heute von den Beneš-Dekreten die Rede ist,
möchte ich schon bitten, daß man den Mut hat, zu fordern, daß diese Dekrete zurückgezogen werden. Ich
glaube, es ist an der Zeit.
({2})
Die Heimatvertriebenen haben ihren Teil zur Aussöhnung beigetragen. Sie waren die ersten. Lieber Herr
Minister Fischer, ich rate Ihnen: Lesen Sie einmal die
Charta der Heimatvertriebenen, die 50 Jahre alt ist!
({3})
Die Heimatvertriebenen waren die ersten, die nicht nur
auf Gewalt verzichtet, sondern auch den Aufbau ganz
massiv und engagiert betrieben haben. Das sollten wir
honorieren. Wir sollten nicht so tun, als wären die Heimatvertriebenen diejenigen, die nur am Vermögen hängen. Trotzdem können Sie es sich nicht so einfach machen, indem Sie die Vermögensfrage zur Seite schieben
und den Vertriebenen sagen: Seid zufrieden, es wird sich
schon irgendwie regeln.
({4})
- „Heilig's Blechle“, das mag schon sein.
Ich möchte auch dem Bundeskanzler die Frage stellen, mit welchem Maß er eigentlich mißt, wenn er sich
für eine Regelung zugunsten ehemaliger Zwangsarbeiter
einsetzt, aber gleichzeitig die berechtigten Belange der
Sudetendeutschen ignoriert. Diese Haltung wurde vorher
damit begründet, daß man die Belange dieser beiden
Gruppen nicht vermischen dürfe. Aber man darf auf einem Auge nicht blind sein. Entweder setzt man sich für
beide Seiten ein oder für keine. Aber man kann nicht auf
der einen Seite so und auf der anderen Seite so reagieren.
({5})
Lieber Herr Kollege Dr. Lippelt, Sie haben vorhin gesagt, die Tschechoslowakei habe viel Zerstörung erlebt.
Ich stamme aus einer Region, die an die Tschechoslowakei grenzte. Ich habe einen großen Teil meiner Kindheit und Jugend in der Tschechoslowakei verbracht.
Man hat während des Krieges dort hervorragend einkaufen können, weil es alles gab. Die Tschechoslowakei
war das Aushängeschild Hitlers. Das war damals so. Er
hat dieses Land zu Propagandazwecken verwendet.
Deshalb können Sie sich jetzt nicht hier hinstellen und
sagen, dort sei alles zerstört worden. Wir müssen es
schaffen, daß die Menschen aufeinander zugehen.
({6})
Die Aufrechnung von Zerstörungen ist nicht entscheidend. Das Zugehen aufeinander ist entscheidend; es ist
weit wichtiger.
({7})
- Liebe Frau Kollegin Vollmer, Sie haben vorher die
Möglichkeit gehabt, zu reden. Sie sollten Ihre Redezeit
nutzen und keine Zwischenrufe machen, die nicht qualifiziert sind.
({8})
Ich bitte Sie darum, dieser Sache den gebührenden
Ernst zukommen zu lassen. Sie sollten hier nicht so tun,
als ob die CDU/CSU etwas einseitig hochspiele. Hochgespielt wurde es vom Kanzler, der sich hier unqualifiziert geäußert hat.
({9})
- Es ist so. - Die Linke sagt etwas anderes als die
Rechte. Aber das sind wir von dieser Regierung inzwischen gewohnt.
Vielen Dank.
({10})
Nun hat das Wort
der Kollege Markus Meckel, SPD-Fraktion.
Sehr verehrte Frau Präsidentin! Eigentlich war ich der Meinung, die heutige Debatte sei unnütz, weil andere Fragen, die schon angesprochen wurden, wie die Mitgliedschaft Polens, Ungarns und der Tschechischen Republik in der NATO
und der europäische Erweiterungsprozeß, über den morgen diskutiert werden soll, wichtiger seien. Aber der
letzte Beitrag hat mir deutlich gemacht, daß es offensichtlich noch eine ganze Menge Gesprächsbedarf in bezug auf die eigene Geschichte und die eigene Identität
gibt.
({0})
Ich will nicht sagen, daß Ihre Rede ein starkes Stück
gewesen ist. Es ist aber einfach schade, wenn jemand,
der politische Verantwortung trägt, so wenig von den
differenzierten Problemen, die in die Zukunft weisen,
begriffen hat und sie nicht wirklich anerkennt. Die Vergleiche, die Sie heute gezogen haben, müssen in aller
Klarheit zurückgewiesen werden.
({1})
Sie wissen vielleicht, daß auch ich mich mit historischen Fragen beschäftige und sie nicht nur als eine Sache der Vergangenheit betrachte, die man zugunsten der
Zukunft einfach vernachlässigen darf. Aber es ist etwas
anderes, sich nur auf einen bestimmten Punkt zu fixieren
und von ihm zu sprechen und gleichzeitig zu versuchen,
historische Fragen mit rechtlichen Fragen zu vermischen. Wir wissen alle - jedenfalls wenn wir genau hinsehen -, wie schwierig es ist, historische Prozesse rechtlich einzufangen. Genauso wie die Tschechen aus den
genannten Gründen natürlich Schwierigkeiten haben,
einfach das zu tun, was Sie von Ihnen leichtfertig erwarten - was Herr Zeman jetzt deutlich gesagt hat, war
eine wichtige Botschaft -, genausowenig konnten wir
und konnte sogar ein Willy Brandt das Münchener Abkommen, das wahrhaftig ein Schandabkommen war, von
Anfang an für null und nichtig erklären.
({2})
So schwierig ist eben die Geschichte, und so schwierig
ist es, nachträglich mit Rechtsfragen umzugehen. Ich
bitte Sie dringend, dies im Gedächtnis zu behalten.
Wenn Sie heute wieder die Vermögensfrage ansprechen, in der juristisch keinerlei Differenz zwischen uns
besteht, dann muß ich gleichzeitig deutlich machen, daß
diese Frage überhaupt nur deshalb aufkommt, weil wir
bei der Vereinigung Deutschlands meines Erachtens
grundlegende Fehler gemacht haben.
({3})
Wer nämlich glaubte, das Prinzip „Rückgabe vor Entschädigung“ mit all den Schwierigkeiten, die es schon
innerdeutsch bedeutet hat, durchsetzen zu können, der
hat übersehen, daß es entsprechende Begehrlichkeiten
bei Generationen geweckt hat,
({4})
die uns in bezug auf die tschechischen oder polnischen
Freunde und Gebiete nachträglich vor entsprechende
Probleme gestellt haben.
({5})
Lieber Kollege von Schorlemer, wenn Sie so tun, als
wenn der Bundeskanzler oder die Bundesregierung einer
Verdrängung von Geschichte das Wort reden wollten,
dann kann ich Ihnen nur sagen: Genau das Gegenteil ist
der Fall. Sie merken doch - Sie selbst waren öfter in
Tschechien und in der Slowakei -, wie schwierig der
Prozeß der Aufarbeitung der Geschichte gerade in der
Tschechischen Republik gesellschaftlich gesehen ist.
Warum ist er so schwierig? Natürlich hat das auch
mit 40 Jahren kommunistischer Vergangenheit zu tun;
natürlich hat es mit Verdrängung und mit zuwenig Information zu tun. Aber es hat auch etwas damit zu tun,
daß diejenigen, die wie Vaclav Havel diese Dinge deutlich ansprechen, befürchten müssen, aus der eigenen Gesellschaft Anfragen zu bekommen, was das Eingehen
auf entsprechende Forderungen aus Deutschland, aus einer bestimmten sudetendeutschen Ecke für Folgen hat.
Ich muß sagen: Die Klarheit, die die Bundesregierung
jetzt hergestellt hat, ist ausgesprochen wichtig, um einen
offenen Umgang mit der Vergangenheit in der Tschechischen Republik und bei unseren östlichen Nachbarn zu
fördern. Ich halte die von der Bundesregierung hergestellte Klarheit für ausgesprochen wichtig.
({6})
Wenn ich soeben von einer „sudetendeutschen Ecke“
gesprochen habe, dann möchte ich dazu sagen: Dies ist
eine Formulierung, die ich gleich wieder zurücknehme,
weil ich keine Ausgrenzung der Sudetendeutschen aus
der deutschen Geschichte und aus der deutschen Gesellschaft betreiben will. Ich meine nur diejenigen, die diese
Forderungen immer wieder ins Zentrum des deutschtschechischen Verhältnisses stellen. Ich weiß ganz genau, daß sehr viele Sudetendeutsche - wie übrigens
Vertriebene überhaupt - diese Fragen auch ganz anders
behandeln und wirklich eine Verbindung, eine Brücke
zu unseren tschechischen, polnischen, slowakischen und
anderen östlichen Brüdern anstreben. Das muß deutlich
angesprochen werden. Wir selber sollten uns diese Geschichte deutlich ins Bewußtsein rufen.
Hier ist eben der Name Volkmar Gabert dazwischengerufen worden. Ich schätze ihn sehr. Er ist Repräsentant einer Geschichte, die deutlich macht, daß die ersten
Opfer Hitlers zum Beispiel die sudetendeutschen Sozialdemokraten waren, die in KZs gebracht wurden, die in
die Emigration gegangen sind und die ein wesentliches
Stück europäischer Demokratiegeschichte darstellen.
Man muß die Vertreibung, die sie anschließend erfahren
haben, natürlich als Unrecht bezeichnen, wobei ich hinzufüge, daß das Verhalten von jemandem, der der Henlein-Partei angehörte und Hitler begrüßt hat - auch das
gab es; da kann ich manches nachvollziehen - ebenfalls
unrechtmäßig ist. Die Perspektiven waren sehr unterschiedlich.
Ich hoffe, daß es uns gelingt, zu einer differenzierteren Betrachtung der Geschichte zu kommen, indem wir
gerade nicht Rechtsfragen aufwerfen, sondern miteinander als europäische Völker versuchen, offen und gemeinsam unsere Geschichte differenziert zu schreiben
und sie uns nicht gegenseitig vorzuwerfen.
Ich danke Ihnen.
({7})
Das Wort hat jetzt
der Kollege Bötsch, CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren Kollegen! Herr Kollege
Meckel, Sie haben sehr viel vom Differenzieren gesprochen. Sie haben - das muß ich anerkennen - auch versucht zu differenzieren. Aber als Meister des Differenzierens ist Herr Bundeskanzler Schröder in dieser Frage
sicherlich nicht aufgefallen.
({0})
- Aber Herr Meckel, ich sage es ja. - Herr Schröder ist
ganz im Gegenteil mit seinen Pferdelederschuhen mitten
in den Fettnapf hineingetreten.
({1})
Worum geht es eigentlich? Es geht um eine freundschaftliche und zukunftsorientierte Beziehung zwischen
zwei Ländern, die eine lange, schicksalhafte, zeitweise
sich gegenseitig befruchtende Vergangenheit, aber leider
auch eine viel Leid und Elend verbreitende jüngere Geschichte haben. Ich brauche dem, was von allen Seiten
dazu ausgeführt wurde, nichts hinzuzufügen.
Es geht jetzt in der Tat um die Aussöhnung von Deutschen und Tschechen. Es geht um die gemeinsame Zukunft unserer beiden Völker. Zukunft gewinnen bedeutet
aber auch, die Vergangenheit ehrlich zu bewältigen.
({2})
Das ist keine Einbahnstraße. Zu den Verbrechen der Nazis haben wir uns bekannt. Das ist selbstverständlich. Da
gibt es nichts wegzudiskutieren. Entsprechendes sollte
aber auch für die andere Seite gelten. Ein kurzes Medienspektakel mit Friede, Freude, Eierkuchen kann doch
die wahren Probleme nicht verdecken. Diese Probleme
existieren, ob es der Kanzler nun wahrhaben will oder
nicht. Gute Laune verbreiten und lächeln ist bei diesem
Thema nicht angebracht.
({3})
Die überflüssige Aufgabe von Rechtspositionen - es ist
ja heute hier relativiert worden; das will ich durchaus
anerkennen - verdrängt vielleicht vorübergehend diese
Vergangenheit, aber kann diese Probleme nicht lösen.
Dem Kanzler fehlen die außenpolitischen Konturen.
Warum hat er denn kein Wort zu den Beneš-Dekreten
gesagt, welche die Vertreibung und Enteignung von etwa 3 Millionen Deutschen rechtfertigten? Es gab keine
Stellungnahme zu dem sogenannten Amnestiegesetz.
Das Rätselraten, was Herr Zeman mit seiner Äußerung zu den Beneš-Dekreten gemeint hat, kann ich ohne
weiteres beenden. Er selber hat CTK ein Interview gegeben, in dem er nach der Übersetzung des Bundespresseamtes gesagt hat:
Wenn wir sagen, daß die Wirkung gewisser nach
1945 ergriffener gesetzlicher Maßnahmen erloschen ist, meinen wir, daß man z. B. den Besitz
eines deutschen Geschäftsmannes, der in der
Tschechischen Republik investiert hat, nicht auf der
Grundlage der Beneš-Dekrete konfiszieren kann.
Die Dekrete waren gedacht als einmalige Maßnahme in einer spezifischen historischen Situation, die
wir nicht ändern können. Da sich die historische
Situation jedoch geändert hat, besagt unser Konzept, daß die Wirkung gewisser gesetzlicher Maßnahmen erloschen ist. Ich denke, daß es eine absolut realistische Erklärung ist, die die Tatsache nicht
leugnet, daß diese Gesetze Teil unserer Rechtsordnung bleiben.
Er hat sie also ausdrücklich - einschließlich ihrer damaligen Wirkung - bestätigt.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, natürlich
begrüßen wir jetzt mit allen anderen die Aufnahme der
Tschechischen Republik in die NATO. Nur wenn Sie,
Herr Außenminister, das heute so emphatisch begrüßen,
dann gestatten Sie mir auch, darauf hinzuweisen, daß
Sie noch an ganz anderen Stellschrauben gedreht haben.
Als wir die NATO verteidigt haben, waren Sie noch
unter den 310 000 Menschen im Bonner Hofgarten, die
die damaligen Maßnahmen der NATO nicht begrüßten,
sondern etwas ganz anderes im Sinne hatten. Sie werden
sich auch noch erinnern, auf welcher Seite Sie bei den
tagelangen Debatten im Herbst 1983 standen - jedenfalls nicht auf der Seite der NATO -, ganz zu schweigen
von der damaligen Haltung Ihres Staatsministers, der
heute in der Fragestunde ähnliches ausgeführt hat.
Meine Damen und Herren, der EU-Beitritt Tschechiens steht bevor. Ich will jetzt keinen Zeitraum nennen. Das ist eine höchst erfreuliche Entwicklung im lange durch den Eisernen Vorhang getrennten Europa. Aber
die Europäische Union ist mehr als eine WirtschaftsgeMarkus Meckel
meinschaft. Sie ist auch eine Wertegemeinschaft. Darüber kann man sich nicht mit ein paar flotten Äußerungen hinwegsetzen.
({4})
Das muß man vor allen Dingen ernsthafter betreiben als
manche Vorstellung beispielsweise in der Zeitschrift
„Gala“. Mit solchen lockeren Auftritten dient man nicht
der deutsch-tschechischen Aussöhnung; vielmehr muß
man es anders anfassen, wenn man der Zukunft unserer
Völker gerecht werden will.
Vielen Dank.
({5})
Nun hat das Wort
der Kollege Gernot Erler, SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte zum Abschluß der
Aktuellen Stunde den Versuch einer politischen Einordnung dieser Debatte machen.
({0})
Es hat nach den großen Ereignissen von 1989/90 drei
herausragende Schritte in dem deutsch-tschechischen
Verhältnis auf dem Weg zur Aussöhnung und zur
Freundschaft gegeben. Das erste war der Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Tschechischen und Slowakischen Föderation über gute Nachbarschaft und freundschaftliche Zusammenarbeit vom
Februar 1992.
Ich erinnere Sie daran: Schon gegen diesen ersten
Schritt gab es damals Protest und Kritik aus dem außerparlamentarischen Raum. Einer der Unterzeichner war
Helmut Kohl. Ein anderer - ich möchte nochmals meine
Freude darüber zum Ausdruck bringen, daß er heute
unter uns ist - war der damalige Außenminister Jirí
Dienstbier. Helmut Kohl hat dann als Unterzeichner auf
dem Hradschin in Prag eine Antwort auf diesen Protest
gegeben. Er hat zu diesen Protesten gesagt, nicht alle
würden diesen Prozeß begreifen. Er hat hinzugefügt:
Man muß nur an einem Tag und in einer Zeit den Mut
haben, damit zu beginnen. - Dem kann man heute noch
zustimmen.
Es gab dann einen zweiten Schritt. Das ist die schon
oft zitierte Deutsch-Tschechische Erklärung über die
gegenseitigen Beziehungen und deren künftige Entwicklung vom Januar 1997. Da gab es ein klares Wort
zur Vergangenheit. Herr Kollege Bötsch, ich darf Sie
erinnern: Etwas Klareres zu der Frage der Amnestiegesetze kann man nicht mehr sagen als das, was in dieser
Erklärung schon festgehalten wurde. Das war eine klare
Distanzierung.
({1})
Dann kam in dem schon mehrfach zitierten Abschnitt IV die Erklärung, man wolle sich auf die Zukunft
konzentrieren. Man habe verschiedene Rechtsstandpunkte. Aber man wolle nicht, daß diese den Weg der
Aussöhnung belasten. Auch hierzu gab es wieder Kritik
aus dem außerparlamentarischen Raum. Wir gemeinsam
- Sie, wir und der Bundeskanzler - haben diese Kritik
im Deutschen Bundestag in einer nachlesenswerten
Debatte am 30. Januar 1997 zurückgewiesen.
Kürzlich folgte der dritte Schritt, der Besuch von
Zeman am 8. März in Deutschland. Herr von Schorlemer, man kann sich darüber unterhalten, ob das ein
historisches Ereignis war. Ich meine, der Atem der Geschichte weht überall, wo der deutsche Bundeskanzler
ist.
({2})
- Ja, man kann das auch anders ausdrücken. Entscheidend aber ist: Die Ergebnisse stehen voll in der Kontinuität der anderen beiden wichtigen Schritte. Was können Sie denn dagegen haben, daß nun gesagt worden ist,
die Beneš-Dekrete seien nicht mehr wirksam, sie seien
erloschen?
({3})
Was können Sie denn dagegen haben, daß der Bundeskanzler das wiederholt hat, was in der Erklärung steht,
nämlich daß man sich auf die Zukunft konzentriert?
Was die Erklärung betrifft, daß die Vermögensfragen
staatlicherseits nicht mehr aufgeworfen werden, so hat
Ihre Regierung doch 16 Jahre lang das gleiche getan. Sie
haben diese Vermögensfragen nicht ein einziges Mal
aufgeworfen. Jetzt ist das nur erklärt worden. Das hat
eine positive Wirkung auch bei unseren Freunden gehabt.
({4})
Meine Damen und Herren, Sie haben die Kontinuität
und den Konsens dadurch verlassen, daß Sie jetzt im
Bundestag Kritik üben. Wir haben diesen Prozeß als
Parlamentarier immer gemeinsam begleitet. Das haben
Sie nicht getan. Da muß man sich schon fragen, warum.
({5})
Das hat doch nichts mit Verdrängung der Geschichte zu
tun, wie hier gesagt worden ist. Die Vertreibung der Sudetendeutschen 1945 war ein Verbrechen, das anderen
Verbrechen folgte. Die Opfer mußten für Verbrechen
zahlen, die von Deutschland bzw. Adolf Hitler damals
ausgegangen waren.
Wir verbeugen uns hier gemeinsam vor dem Schicksal der Opfer, der Betroffenen. Ganz besonders erkennen
wir an, daß viele von denen, die gelitten haben, die Kraft
aufgebracht haben, in diesem deutsch-tschechischen
Versöhnungsprozeß die Hand zu reichen.
Aber ein Faktum ist auch: Die Mehrheit der deutschen Bevölkerung möchte ein Verhältnis von Freundschaft und Zusammenarbeit mit dem Volk Vaclav Havels haben und möchte dieses Verhältnis weiterentwikkeln. Das heißt, es kann kein Vetorecht, das gegen diesen Wunsch gerichtet ist, für die Sprecher der Opfer von
1945 geben.
Insofern hoffe ich, daß diese Debatte nur ein Zwischenspiel war und daß Sie zu der Gemeinsamkeit zurückkehren, die uns bisher im Zuge des Vorantreibens
des Aussöhnungsprozesses mit diesem Nachbarn ausgezeichnet hat, der sich voll zu der westlichen Wertegemeinschaft von EU und NATO bekennt.
Ich fordere Sie auf: Kehren Sie zu dieser Gemeinsamkeit zurück! Dieses wichtige Ziel ist es wert.
Vielen Dank.
({6})
Die Aktuelle Stunde
ist beendet.
Wir sind damit am Schluß unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Donnerstag, den 18. März 1999,
9 Uhr ein.
Die Sitzung ist geschlossen.