Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Ich erteile das Wort
dem Ministerpräsidenten des Freistaates Bayern, Edmund
Stoiber.
Dr. Edmund Stoiber, Ministerpräsident ({0}) ({1}): Herr Präsident! Meine
sehr verehrten Damen! Meine Herren! Deutschland ist von
der schwersten Naturkatastrophe der Nachkriegsgeschichte heimgesucht worden. Wir trauern um die Toten.
Unser Mitgefühl gilt den Menschen, die Angehörige verloren haben, die verletzt wurden, deren Zuhause zerstört
wurde und deren Hab und Gut vernichtet ist. Wer dies mit
eigenen Augen gesehen hat und sieht, der spürt unmittelbar: Tausende Familien befinden sich in existenzieller materieller Not und am Rande seelischer Verzweiflung. Viele
Menschen im Osten sind nach zwölf Jahren Aufbau von
den gewaltigen Schäden bis ins Mark getroffen. Wir - das
ist das Signal von heute - stehen an ihrer Seite.
({2})
Unser Mitgefühl gilt auch unseren Nachbarn in Tschechien und in Österreich. Naturkatastrophen, Not und Leid
kennen keine Grenzen. Aber auch Solidarität und Hilfe
kennen keine Grenzen. Aus ganz Europa haben uns
Hilfsangebote und Bekundungen des Mitgefühls erreicht.
Dafür sagen wir großen Dank.
({3})
Wir stehen alle unter dem Eindruck der Naturgewalt.
Aber wir stehen auch unter dem Eindruck der großen
Hilfs- und Spendenbereitschaft. Es geht eine Welle der
Solidarität durch unser Land. Diese Tage und Wochen zeigen, dass die Opfer der Flut von ihren Landsleuten - ob
aus Süd oder West, ob aus Nord oder Ost - nicht allein gelassen werden. Nachbarn helfen Nachbarn, Freunde helfen Freunden und Fremde helfen Fremden.
Tausende junger Männer und Frauen haben das oft beklagte Bild einer kalten, egoistischen Gesellschaft und das
Bild von einer Null-Bock-Generation widerlegt. Sie haben Freizeit, Ferien oder Urlaub geopfert. Sie haben bei
brütender Hitze Sandsäcke bis zum Umfallen geschleppt.
Von ihren Gesichtern war abzulesen: Wir tun etwas Sinnvolles und Wertvolles. Manche haben ausgesprochen: Es
ist gut, wenn man gebraucht wird. Auf diese Jugend kann
Deutschland stolz sein.
({4})
Mit ihr hat Deutschland eine gute Zukunft.
Ganz Deutschland ist auch stolz auf die Helfer von
Feuerwehren, vom THW, dem Roten Kreuz und auf die
Helfer von vielen Hilfsorganisationen, Vereinen und Verbänden. Gerade Staat und Politik haben für diesen großartigen Bürger- und Gemeinsinn dankbar zu sein.
Über alle Meinungsverschiedenheiten hinweg zolle ich
der Bundesregierung Respekt für ihre rasche Soforthilfe.
({5})
Die Bundeswehr hat Großes geleistet. Wir können auf
unsere Soldatinnen und Soldaten stolz sein.
({6})
Nicht weniger dankbar sind wir den Mitarbeiterinnen
und Mitarbeitern in den Rathäusern, in den Landratsämtern, in den Landesregierungen und in den Krisenstäben.
Sie haben Tag und Nacht gearbeitet. Sie mussten aus der
Situation heraus rasch Entscheidungen treffen, um den
Opfern zu helfen und noch Schlimmeres zu verhüten.
Die Fluten haben überall in Europa Not, Leid und immense Schäden angerichtet. Im Osten Deutschlands sind
die Verwüstungen besonders schwer. Sie treffen eine Gesellschaft im Aufbau. Darin liegt vielleicht der Unterschied gegenüber den Schäden, die wir in Bayern, in Niedersachsen oder in Schleswig-Holstein zu tragen haben.
Auch diese Schäden sind gravierend, aber der Unterschied ist, dass sich die Gesellschaft in den neuen Ländern
in einer anderen Situation, nämlich in einer Phase des
Aufbaus, befindet. Deswegen ist es notwendig, mehr zu
helfen, als dies bei anderen Katastrophen bisher der Fall
gewesen ist.
({7})
Viele Betroffene können nicht auf Rücklagen zurückgreifen. Oft haben sie noch Kredite abzutragen. Wo sich
die Fluten Bahn brachen, sind zwölf Jahre mühsamer und
entbehrungsreicher Aufbauarbeit dahin. Ich habe es in
Dresden und im Raum Bitterfeld mit eigenen Augen gesehen. Zwölf Jahre lang haben diese Menschen geschuftet. Mark um Mark und Euro um Euro haben sie für den
Aufbau investiert. Umso mehr bewundere ich, dass sie
mitten im Schlamm und im Dreck sagen: Wir lassen uns
nicht unterkriegen.
({8})
Unter größten Mühen haben die Menschen den Städten
und Dörfern ihrer Heimat ein neues, ein schönes Gesicht
gegeben. Sie haben um die Erhaltung der Stadtbilder, der
Kirchen, der Theater und der nationalen Kulturgüter von
europäischem Rang gekämpft. Ich denke an den Zwinger
in Dresden. Ich denke an Schloss Pillnitz. Viele in ganz
Deutschland haben mit gebangt um Pirna, um Torgau, um
Wittenberg, um Dessau, um Wörlitz und um viele andere
Orte.
Bundeskanzler Gerhard Schröder
Jetzt muss es heißen: Wir müssen gemeinsam anpacken
und gemeinsam wieder aufbauen; das reicht von den Kulturgütern bis zu den Häusern und vor allen Dingen bis hin
zu den Betrieben. Deswegen steht für uns fest: Die Opfer
brauchen sehr schnelle Hilfe. Schnelle Hilfe ist die wirksamste Hilfe. In diesem Ziel sind wir uns einig. Zugleich
wissen wir: Die Folgen der Flut werden ganz Deutschland
über Jahre hinweg belasten. Diese Lasten müssen gerecht
auf alle Schultern der Nation verteilt werden.
Was brauchen die Opfer der Flut?
Erstens, Hilfe für Privathaushalte: Diese reicht von der
Unterstützung für dringendste Neuanschaffungen bis zur
Reparatur oder dem Neubau des Zuhauses.
Zweitens, Hilfe für Betriebe: Wir müssen den durch die
Flut in ihrer Existenz betroffenen, gefährdeten Betrieben
in jedem Einzelfall schnelle Hilfe anbieten, um Insolvenzen zu vermeiden und Arbeitsplätze zu retten. Der Naturkatastrophe darf nicht auch noch die wirtschaftliche Katastrophe folgen.
({9})
Drittens, Hilfen für die Landwirtschaft: Vielen Bauern
wurde gerade zur Erntezeit der Lohn ihrer Arbeit zunichte
gemacht. Auch ihnen muss wirksam geholfen werden.
Viertens, Hilfen für den Wiederaufbau der zerstörten
Infrastruktur: Es geht um die Wiederherstellung von
Straßen, von Brücken, von Schienenwegen, von Schulen,
von Kindergärten, von Kliniken, von Museen und von
großartigen Kulturdenkmälern der Deutschen.
Für diese immensen Aufgaben wird Hilfe in Höhe von
rund 10 Milliarden Euro zur Verfügung gestellt. Das ist
ein nationaler Kraftakt. Ich bin mir nicht sicher, ob dieser
nationale Kraftakt ausreichen wird. Aus nationaler Verantwortung und aus menschlicher Solidarität will die
Union rasche Hilfen für die Opfer. Deswegen wird das
Gesamtpaket der Bundesregierung - auch wenn wir bezüglich der Wege anderer Meinung sind - von uns nicht
blockiert. Denn eine Blockade würde bedeuten, dass die
Opfer nicht schnell genug das Geld bekommen, das wir
alle ihnen geben wollen. Wir wollen uns nicht auf dem
Rücken der Opfer hinsichtlich des Weges zerstreiten.
({10})
Damit geben wir den Flutopfern und den betroffenen
Ländern und Kommunen Sicherheit über die Höhe des
Hilfsfonds. Darin sind wir uns einig. Herr Bundeskanzler, Sie haben versprochen: Niemand soll nach der Flut
materiell schlechter gestellt sein als vor der Flut. - Das
sind große Worte. Ich möchte das gar nicht infrage stellen.
Die Betroffenen klammern sich jetzt an dieses Versprechen. Doch der vorliegende Gesetzentwurf und die Erläuterungen Ihres Finanzministers erfüllen die von Ihnen geweckten Erwartungen nicht.
({11})
Ich habe - dazu stehe ich - vorgestern in Leipzig betont, dass kein ostdeutsches Unternehmen allein wegen
der Flut in wirtschaftliche Schwierigkeiten geraten darf.
Der Unterschied ist - das sage ich als Ministerpräsident
eines betroffenen Landes, in dem auch Schäden zwischen
einer halben Milliarde und 1,5 Milliarden zu erwarten
sind -: Bei aller Anstrengung können der Staat bzw. staatliche Hilfe niemals eine Art Versicherung bieten. Bei den
bisherigen Hochwasserschäden haben wir auch bei
großzügigster Behandlung der Fälle insgesamt nur etwa
25 Prozent ersetzen können. Wegen der besonderen Situation in den neuen Ländern, die sich noch im Aufbau
befinden, müssen wir diesen Aufbau, der nun zum Teil
zerstört wurde, schnell wieder ankurbeln; sonst wird ganz
Deutschland unter dieser Situation zu leiden haben. Das
ist nicht nur ein Problem der besonders betroffenen Länder Sachsen und Sachsen-Anhalt, sondern der gesamten
Nation. Deswegen - das möchte ich hier deutlich machen müssen wir dabei anders vorgehen.
({12})
Wenn die Wirtschaft dort nicht mehr auf die Füße
käme, dann wären Arbeitslosigkeit, eine schlimme Abwanderung und Perspektivlosigkeit die Folge.
({13})
Der Grundsatz, dass kein Betrieb allein wegen der Flut in
Schwierigkeiten geraten darf, ist angesichts der schwierigen Sondersituation der Betriebe im Osten richtig. Dort
brauchen die Betriebe Klarheit. Die Menschen dort werden Sie auch an Ihren Taten messen und nicht nur an Ihren
Versprechungen, Herr Bundeskanzler.
({14})
- Sie werden das noch sehen. Vielleicht haben Sie sich
den Gesetzentwurf noch nicht genau angesehen. Er deckt
jedenfalls nicht das Versprechen, dass alle so gestellt werden wie vor der Flut.
({15})
Das wird sicherlich ein großes Thema der Diskussion und
Auseinandersetzung auch vor Ort, vor allen Dingen in den
betroffenen Ländern, darstellen.
({16})
Meine Damen, meine Herren, in dem Ziel der raschen
Hilfe für die Betroffenen sind wir uns einig. Nicht einig
sind wir uns über den Weg der Finanzierung.
({17})
Da wir zurzeit nicht die Mehrheit im Bundestag haben,
können wir unser besseres Finanzierungskonzept nicht
durchsetzen.
({18})
Eine unionsgeführte Bundesregierung
({19})
Ministerpräsident Dr. Edmund Stoiber ({20})
wird die Finanzierung umstellen.
({21})
Das ist auch eine Entscheidung, die die Menschen am
22. September treffen können.
({22})
Am Umfang der Hilfen ändert das nichts. Wir wollen die
Hilfen in Höhe von 10 Milliarden Euro erstens aus zusätzlichen Mitteln, die sich aus der Haushaltssperre ergeben, aus Umschichtungen und Mitteln der Europäischen
Union finanzieren. Zweitens wollen wir - anders als die
Bundesregierung - den Hilfsfonds mit den verfügbaren
Gewinnen der Bundesbank des Geschäftsjahres 2001 in
Höhe von 7,74 Milliarden Euro finanzieren.
({23})
Das wird eine unionsgeführte Bundesregierung sofort beschließen, wenn wir demnächst im Bundestag die Mehrheit haben.
({24})
- Ich verstehe, dass Sie sich darüber aufregen,
({25})
dass Sie möglicherweise demnächst im Bundestag nicht
mehr die Mehrheit haben. Es ist immerhin bemerkenswert,
dass nun auch Ihr Nachfolger und Parteifreund in Hannover diesen Weg ins Gespräch bringt, Herr Bundeskanzler.
({26})
Er hat interessanterweise gestern im ZDF bemerkt, es sei
nicht alles schlecht, nur weil es von der anderen Seite
komme. - Damit hat Ihr Nachfolger Recht. Ich meine, das
sollten Sie berücksichtigen, Herr Bundeskanzler.
({27})
Mit unserem Konzept werden die Schulden langsamer
abgebaut. Zwar fallen vorübergehend höhere Zinsen an,
({28})
aber das ist auch gerechtfertigt und sinnvoll. Denn höhere
Zinsen sind ein kleineres Übel als höhere Steuern.
({29})
Höhere Steuern lähmen die Konjunktur, hemmen das
Wachstum und vernichten Arbeitsplätze. Das ist der entscheidende Punkt.
({30})
Wir sind der festen Überzeugung - das ist die Grundauseinandersetzung zwischen Ihnen und uns -, dass uns höhere
Steuern teurer zu stehen kommen als höhere Zinsen.
({31})
Die Fluthilfen sind Investitionen in die Zukunft, Investitionen in Straßen, in Brücken, in Baudenkmäler, Investitionen zugunsten von mittelständischen Betrieben und
privaten Existenzen. Von diesen Investitionen werden die
zukünftigen Generationen in ganz Deutschland profitieren. Das ist gerade kein Schuldenmachen für den Konsum
von heute zulasten der Generationen von morgen;
({32})
vielmehr sind die Fluthilfen Investitionen auch für unsere
Kinder und für unsere Enkel. Sie führen zu einem massiven Konjunkturanstoß, zu dem für die Bürger nach unserem Modell zusätzlich noch die beträchtliche Entlastungswirkung durch die Nichtverschiebung der Steuerreform
hinzukommt.
({33})
Wir wollen eine andere Finanzierung, weil Deutschland neben der Flutkatastrophe unter einer zweiten nationalen Katastrophe leidet: Über 4 Millionen Arbeitslose
mitten im Sommer - das ist unser Problem.
({34})
In dieser Lage beschließt die Regierungskoalition
heute hier in diesem Haus eine Steuererhöhung;
({35})
denn bei der Steuererleichterung für das Jahr 2003 handelte es sich um eine Festlegung, auf die sich die Betriebe
in Deutschland verlassen haben.
({36})
Diese Festlegung auf niedrigere Steuern zum 1. Januar des
Jahres 2003 steht bereits seit zwei Jahren im Bundesgesetzblatt. Deshalb ist die Verschiebung der Steuerreform
für Unternehmer und Bürger eine Steuererhöhung. Das ist
Gift für den Einzelhandel und für den Mittelstand.
({37})
Wenn wir schon über diesen Aspekt reden, dann muss
ich Folgendes deutlich machen: Von den 7 Milliarden
Euro an Steuererhöhungen entfallen allein 5,6 Milliarden
Euro auf die Lohnsteuer; 80 Prozent tragen also die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Das ist die Wahrheit.
({38})
Ministerpräsident Dr. Edmund Stoiber ({39})
Schauen Sie einmal genau in die Tabellen: Für eine
Durchschnittsfamilie mit zwei Kindern und 30 000 Euro
Bruttolohn sind das im Jahr 334 Euro mehr Steuern, für
eine Familie in Stuttgart genauso wie in Dresden, in
Grimma oder in Hannover. Das ist eine Tatsache, die Sie
überhaupt nicht kennen.
({40})
Meine Damen, meine Herren, Sie haben hier von einer
gerechten Verteilung der Lasten gesprochen.
({41})
Aber diejenigen, die über ein Einkommen von zum Beispiel 90 000 Euro verfügen, tragen gegenüber denjenigen,
die ein Einkommen von 30 000 Euro haben, im Grunde
genommen keine wesentlich höhere Belastung. Die
Mehrverdiener werden nicht wesentlich höher belastet als
die Geringverdiener. Das ist eine Maßnahme, die für mich
nicht akzeptabel ist.
({42})
Herr Bundeskanzler, Sie nehmen großmütig das angebliche Angebot der Wirtschaft an, die Körperschaftsteuer zu erhöhen.
({43})
Die Körperschaftsteuer war aber im letzten Jahr null.
Im ersten Halbjahr dieses Jahres haben die deutschen Finanzämter 1,3 Milliarden Euro an Körperschaftsteuer
zurückgezahlt. Unsere Finanzämter sind bei der Körperschaftsteuer gegenwärtig Auszahlungsstellen und keine
Einnahmestellen mehr.
({44})
25 Prozent von null sind null. 26,5 Prozent von null sind
ebenfalls null. Meine sehr verehrten Damen und Herren,
das will ich Ihnen hier deutlich machen.
({45})
Die Bundesregierung bürdet allen Bürgern diese Finanzlasten in einem einzigen Jahr auf, darunter auch den
Zigtausenden von flutgeschädigten Bürgerinnen und Bürgern. Das empfinden die Opfer als ungerecht; das nimmt
ihnen Kraft und Mut.
Bei Umsetzung des Finanzierungsmodells der Bundesregierung rechnet zum Beispiel Handwerkspräsident
Philipp mit dem Verlust von 200 000 Arbeitsplätzen und
der Pleite von 25 000 Betrieben.
({46})
200 000 Arbeitslose mehr kosten die öffentliche Hand pro
Jahr 4,6 Milliarden Euro an Steuereinnahmen und Sozialausgaben. Sie können ein Problem nicht dadurch lösen,
dass Sie andere, noch riesigere Probleme auf Dauer aufhäufen.
({47})
Das beweist einmal mehr: Nichts ist teurer als die Arbeitslosigkeit.
({48})
Wir haben gegenüber dem vergangenen Jahr ohnehin
220 000 Arbeitsplätze weniger.
({49})
So viele Arbeitsplätze wurden innerhalb eines Jahres abgebaut.
Im ersten Halbjahr dieses Jahres ist die Wirtschaft gegenüber dem Vorjahr um 0,4 Prozent geschrumpft. Erst
gestern hat das Ifo-Institut ein schwächeres Wirtschaftswachstum vorausgesagt. Kernproblem bleibt auch im
kommenden Jahr die schwache Binnennachfrage.
({50})
Deshalb brauchen wir eine Steuersenkung, um Konsum
und Investitionen anzuregen. Professor Sinn, der Chef des
Ifo-Institutes, warnt ausdrücklich:
Insofern kann es nicht richtig sein, die Steuerreform
jetzt wegen der Flutkatastrophe zu verschieben.
Die „FAZ“ von heute fasst die Aussichten in einer
Schlagzeile zusammen: „Der Aufschwung rückt in weite
Ferne“. Diesen Trend nach unten müssen wir endlich
stoppen. Wir müssen Deutschland wieder nach vorne
bringen. Das ist unser Primärziel.
({51})
Diesen Trend nach unten - ein Minuswachstum in der ersten Hälfte dieses Jahres - können Sie nicht mit Steuererhöhungen umkehren. Deshalb sind Steuererhöhungen
falsch.
({52})
Herr Bundeskanzler, Sie verweisen hier zum Beispiel
auf Österreich. Es ist ja wunderbar, dass Sie plötzlich die
österreichischen Freunde entdecken.
({53})
Aber Österreich ist in einer völlig anderen Situation. Österreich hat kein Minuswachstum. Österreich hat eine
Ministerpräsident Dr. Edmund Stoiber ({54})
ganz andere Arbeitslosenzahl. Sie ist nämlich gerade halb
so hoch wie hier in Deutschland. Österreich hat eben aufgrund einer anderen Politik und auch anderer Belastungen
andere Möglichkeiten, auf diese Situation zu reagieren.
({55})
Wenn wir in einer fast rezessiven Phase mit Steuererhöhungen reagieren, machen wir einen schweren Fehler.
({56})
Rot-Grün fällt in Krisen immer nur eines ein: Steuererhöhungen.
({57})
Und dann wundern sie sich über die Folgen. Rot-Grün hat
nach dem 11. September beschlossen, die Tabak- und die
Versicherungsteuer zu erhöhen.
({58})
Rot-Grün beschließt jetzt, nach der Flut, die Steuern für
alle Steuerzahler zu erhöhen. Rot-Grün hatte ohnehin beschlossen, die Ökosteuer zum 1. Januar 2003 zu erhöhen.
({59})
In der Summe bedeutet das eine dreifache Steuererhöhung - Ökosteuer, Einkommensteuer und Ertragsteuer der
Unternehmen - zum 1. Januar des nächsten Jahres. Das ist
ein dreifacher Schlag gegen die Konjunktur. Das ist ein
dreifacher Schlag gegen die Arbeitsplätze in Deutschland.
({60})
Dies schadet ganz Deutschland.
({61})
Wir fordern deswegen: Steuern runter für alle und Hilfen für die Opfern der Flut! Das ist unser Konzept. Das
hilft dem Osten und ganz Deutschland.
({62})
Das Ausmaß der Flutkatastrophe ist Anlass, über Nothilfe und Wiederaufbau hinaus zu denken. Kurzfristig
muss der Hochwasserschutz und langfristig muss der
Klimaschutz verbessert werden.
({63})
Eine unionsgeführte Regierung wird folgende drei
Maßnahmen einleiten:
({64})
- Ich verstehe ja, dass Sie nervös sind; aber es hilft doch
überhaupt nichts.
({65})
Es ist hier doch offenkundig, dass wir uns im Ziel einig
sind: Es müssen möglichst rasch Milliardenbeträge für die
betroffenen Menschen gezahlt werden; das wollen wir.
({66})
Wir haben hierfür aber unterschiedliche Wege. Ich skizziere unseren Weg, der sich von Ihrem unterscheidet. Die
Probleme der Arbeitslosigkeit scheinen Sie überhaupt
nicht mehr zu interessieren.
({67})
Wir weisen hier darauf hin: Wir werden einen anderen
Weg gehen, wenn wir die Möglichkeit haben, diesen Weg
durchzusetzen.
({68})
Das ist auch das Signal an die Menschen: Wir sagen Ja zur
Hilfe in der Höhe, wie sie jetzt vorgesehen ist; die Größenordnung ist klar. Die Wege sind aber unterschiedlich.
({69})
Unser Weg steht heute und schließlich auch am 22. September zur Disposition. Wer unseren Weg gehen will,
muss uns unterstützen.
({70})
Erstens. Alle Länder sind gefordert, mehr in den Hochwasserschutz zu investieren.
({71})
Wir brauchen natürliche Wasserrückhaltemöglichkeiten, die Freihaltung gefährdeter Flächen und Investitionen in Dämme, Deiche und Hochwasserrückhaltebecken.
Das kostet Geld.
({72})
Deshalb schlage ich ein national abgestimmtes Programm
für den Hochwasserschutz in Deutschland vor. Eine
unionsgeführte Bundesregierung
({73})
wird dazu - zusammen mit der Landwirtschaft und den
Ländern - schnellstmöglich eine Konzeption erarbeiten.
({74})
Ministerpräsident Dr. Edmund Stoiber ({75})
Zweitens. Wir werden das Erneuerbare-EnergienGesetz verbessern,
({76})
um größtmögliche Anreize zur Nutzung der neuesten
Technologien und zur Senkung der Produktionskosten zu
geben.
({77})
Drittens. Eine unionsgeführte Bundesregierung wird
Wärmeschutzmaßnahmen in einer Größenordnung von
rund 100 Millionen Euro pro Jahr steuerlich fördern. Damit
lösen wir in den nächsten zehn Jahren ein Investitionsvolumen von 2 bis 3 Milliarden Euro aus. Das schafft Arbeitsplätze im Mittelstand. Das größte CO2-Einsparpotenzial
liegt in der Förderung von Wärmeschutz- und Energiesparmaßnahmen an Altbauten. Damit setzen wir ökologische Anreize.
({78})
Ich will Ihnen in aller Deutlichkeit sagen: Ich habe Verständnis dafür, dass Sie so aufgeregt sind.
({79})
Aber schauen Sie sich an, wo in den letzten Jahren am
meisten in die regenerativen Energien investiert wurde.
({80})
Sie wissen ganz genau, dass der Anteil an regenerativen
Energien in Deutschland in einer Größenordnung von nur
3 Prozent liegt. In meinem Verantwortungsbereich beträgt
der Anteil über 10 Prozent.
({81})
Herr Ministerpräsident, ich darf Sie einen Moment unterbrechen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, bei aller verständlichen Erregung in Wahlkampfzeiten bitte ich doch sehr darum, einem Redner des Bundesrates Gehör zu schenken.
({0})
Dr. Edmund Stoiber, Ministerpräsident ({1}):
Mich jedenfalls stört das in keiner Weise. Wir werden unsere Positionen zum Ausdruck bringen. Ob Sie hier
schreien, stören oder die Debatte in sonst einer Weise belasten, interessiert uns und mich im Besonderen überhaupt nicht. Das will ich deutlich machen.
({2})
Ich sage noch einmal in aller Offenheit: Es gibt Länder,
deren Abgeordnete in Ihren Reihen sitzen, in denen sich
die Haushaltssperre auch auf alle Maßnahmen zur Förderung der regenerativen Energien bezieht. In diesen Ländern - ich könnte die Namen nennen - wird permanent abstrakt davon geredet, dass sehr viel für regenerative
Energien gemacht werden muss. In dem Land, in dem ich
bisher Verantwortung trage, gibt es für regenerative Energien keine Haushaltssperre. Deswegen sollten Sie sich das
einmal anschauen.
({3})
Damit kommen wir zur so genannten Ökosteuer. Die
Ökosteuer hat keine ökologische Wirkung.
({4})
Deshalb bleibt es dabei: Wir werden die nächste Stufe der
Ökosteuer aussetzen.
({5})
Ökologisch und ökonomisch wirkt nur eine europaweite,
wettbewerbsneutrale, schadstoffbezogene Abgabe. Wir
können in einem europäischen Binnenmarkt nicht permanent völlig unterschiedliche Wettbewerbsbedingungen für
die deutsche Wirtschaft schaffen oder gar akzeptieren.
Und dann beklagen Sie sich über den Verlust von Arbeitsplätzen!
({6})
Wer den Verlust von 220 000 Arbeitsplätzen binnen eines
Jahres politisch zu verantworten hat, gleichzeitig aber
locker mit Steuererhöhungen operiert, der nimmt die Probleme in unserem Lande nicht hinreichend ernst. Wir sagen das.
({7})
Umweltschutz ist Kernbestandteil einer auf Dauer angelegten nachhaltigen Politik.
({8})
Dazu haben wir uns bei der UN-Konferenzen von Rio und
Kioto verpflichtet. Diesen Weg haben CDU und CSU insbesondere unter der damaligen Umweltministerin Angela
Merkel eingeleitet.
({9})
Auch nach der Konferenz von Johannesburg sind wir zu
weiteren Schritten bereit. Zu den Problemen, die nur global zu lösen sind, gehört zweifelsohne die Erwärmung des
Klimas.
({10})
- Das hat mit dem Donauausbau nichts zu tun.
({11})
Kernziel der Zukunftsvorsorge ist unstreitig die Reduktion der CO2-Emissionen. Alle Länder müssen hier
einen Beitrag leisten. Deutschland tut das mit seiner Klimaschutzstrategie seit 1990. Wir haben uns innerhalb der
Europäischen Union dazu verpflichtet, die CO2-Emissionen bis zum Jahre 2012 um 21 Prozent zu senken. Wir
übernehmen damit 75 Prozent dessen, was die gesamte
Europäische Union leistet. Deutschland hat damit eine
Ministerpräsident Dr. Edmund Stoiber ({12})
Vorreiterrolle beim Klimaschutz. - Auch hier möchte ich
noch einmal den sehr dankenswerten Beitrag erwähnen,
den Bundeskanzler Kohl 1992 in Rio in diesem Zusammenhang geleistet hat.
({13})
Von diesen 21 Prozent sind bereits 19 Prozent erreicht.
Von diesen 19 Prozent - das muss der Klarheit wegen gesagt werden - fallen zwei Drittel in die Zeit der bis 1998
unionsgeführten Bundesregierung.
({14})
Umweltschutz hat in diesem Lande nicht mit Rot-Grün
begonnen und er wird mit dem Ende von Rot-Grün auch
nicht aufhören.
({15})
An dieser Stelle will ich noch einmal deutlich sagen:
Aufgabe der Bundesregierung ist es auch, die europäischen Partner darauf hinzuweisen, dass der CO2-Ausstoß
ein weltweites und natürlich auch ein europaweites Problem ist, und auf gemeinsames Handeln hinzuwirken.
({16})
Es reicht nicht, dass sich die anderen darauf verlassen,
dass die Deutschen 75 Prozent erbringen, und sie dann im
Grunde genommen nicht die Leistungen erbringen, zu denen sie fähig sind, damit wir insgesamt mehr erreichen.
Das wäre eine sinnvolle Europapolitik. Nicht nationale
Alleingänge in Europa sind gefordert, sondern ein Zusammenstand und ein gemeinsames Wirken in Europa mit
einer entsprechenden gleichmäßigen Verteilung.
({17})
Meine Damen, meine Herren, was die Opfer der Flut
neben den Finanzhilfen vor allem brauchen, das sind Mut
zu einem erneuten Aufbau, Perspektiven für ihre Zukunft
und Zutrauen in die eigene Kraft.
({18})
Ich bin zuversichtlich:
({19})
Mit dem unbeugsamen Willen, mit dem sich die Menschen gegen die Flut stemmten, werden sie auch den Aufbau meistern. Der Bürgermeister der so arg gebeutelten
Stadt Grimma hat gesagt - ich zitiere ihn -:
In den Tagen der schrecklichen Flut habe ich begonnen zu resignieren. Aber die überwältigende Welle
der Hilfsbereitschaft hat uns neue Kraft gegeben.
Ich habe in Dresden und in Bitterfeld die Angst und die
Not gesehen und die Verzweiflung gespürt. Das erinnert
meine Generation an die Bilder von Zerstörung und Verlust von Hab und Gut, wie wir sie aus den Schilderungen
unserer Eltern über die Kriegs- und Nachkriegszeit kennen. Wir ahnen dabei, welchen Mut und welche Kraft
diese Generation hatte, ihr Schicksal in die eigenen Hände
zu nehmen und sich nicht unterkriegen zu lassen. Ich bin
sicher: Die Menschen an der Weißeritz, an der Mulde und
an der Elbe haben heute ebenso den Durchhaltewillen, für
sich und ihre Kinder wieder Lebensperspektiven und Zukunft zu schaffen.
Uns in der Union geht es darum,
({20})
den Opfern auch künftig beizustehen. Die Zuwendung
darf nicht mit dem Sinken der Pegel enden. Sie muss auf
Dauer bleiben. Ich bin fest davon überzeugt: Zu dieser Solidarität steht das gesamte deutsche Volk.
({21})
In der Krise zeigt sich der Zusammenhalt der Menschen in Ost und West. Die Feuerwehrfahrzeuge aus
Essen oder Hof im Einsatz in Dresden, die THW-Fahrzeuge aus Mainz oder Aalen in Sachsen-Anhalt, das ist gelebte deutsche Einheit.
({22})
Bei allen Unsicherheiten, Nöten und Sorgen und bei aller
Auseinandersetzung bleibt die Gewissheit:
({23})
Niemand steht allein; in der Not stehen wir zusammen.
Herzlichen Dank.
({24})
Ich erteile Minister
Hans Eichel das Wort.
Hans Eichel, Bundesminister der Finanzen ({0}): Herr Präsident!
Meine sehr verehrten Damen und Herren! In einem Punkt
besteht Einigkeit - darüber bin ich froh -: Den Menschen,
die in den Hochwassergebieten an der Elbe und insbesondere an der Mulde so furchtbar betroffen sind, muss sofort
geholfen werden; ihnen muss sofort die Gewissheit gegeben werden, dass der Wiederaufbau finanziert wird.
({1})
Sie dürfen nicht resignieren, sondern sie müssen mit unser aller Beistand ihre eigenen Kräfte mobilisieren können, um den Wiederaufbau sofort zu beginnen. Genau darauf haben wir uns eingestellt.
({2})
Mittlerweile sind die Unterschiede offenkundig. Herr
Kollege Stoiber, ich weiß nicht, wer Ihnen den Satz, der
Ministerpräsident Dr. Edmund Stoiber ({3})
besagt, höhere Zinsen seien besser als höhere Steuern,
aufgeschrieben hat. Das ist ökonomischer Unsinn.
({4})
Höhere Zinsen, verehrter Herr Kollege Stoiber, sind
nichts weiter - das ist der ganze Unterschied - als höhere
Steuern in der Zukunft.
({5})
Daran, dass Sie das nicht erkannt haben, hat der Bundeshaushalt gekrankt, den wir 1998 übernommen haben.
({6})
Der ganze Unterschied zwischen Ihren Finanzierungsvorschlägen und unseren besteht darin, dass wir sofort bezahlen, während Sie die Finanzierung über die Banken vornehmen und die Rechnung unseren Kindern und
Enkeln zukommen lassen wollen.
({7})
Was diesen Unterschied angeht, ist die Opposition allerdings verlässlich;
({8})
denn genau denselben Fehler - übrigens, die Geschichte
wiederholt sich wirklich manchmal - haben Sie zu Beginn
der Wiedervereinigung gemacht.
({9})
Damals, zum 1. Januar 1991, stand die dritte Stufe der
Steuerreform an, die Gerhard Stoltenberg auf den Weg gebracht hatte; es ging um eine Entlastung in Höhe von
25 Milliarden DM. Damals haben Ihnen die seinerzeit oppositionellen Sozialdemokraten - daran erkennt man den
Unterschied im Hinblick auf das Oppositionsverständnis
zwischen CDU/CSU heute und SPD damals -, die Gewerkschaften und auch viele Vertreter der Wirtschaft gesagt: Jetzt ist kein Raum für Steuersenkungen; jetzt brauchen wir das ganze Geld, um den Osten aufzubauen.
({10})
Es tut mir Leid, sagen zu müssen, dass Herr Kohl damals die Mär geboren hat, die Wiedervereinigung könne
aus der Portokasse finanziert werden und im Osten habe
man in wenigen Jahren blühende Landschaften. Die Menschen haben anschließend die größte Enttäuschung erlebt.
({11})
Die Lage heute ist so ähnlich wie damals. Die Menschen waren seinerzeit bereit, das Opfer zu bringen, auf
die Steuersenkung zu verzichten. Dem hätte die Opposition zugestimmt. Wir haben heute dieselbe Situation. In
allen Versammlungen, die ich besuche, erlebe ich, dass
die Menschen ganz selbstverständlich Ja sagen: Da diese
große Katastrophe jetzt da ist, sind wir bereit, ein Jahr auf
Steuersenkungen zu verzichten, damit solide wiederaufgebaut werden kann und nicht unsere Kinder das bezahlen müssen.
({12})
Herr Kollege Stoiber, Sie machen einen schwerwiegenden und lang nachwirkenden Fehler, wenn Sie die Bereitschaft der Menschen zur solidarischen Finanzierung
nicht abrufen. Dieser Fehler würde uns, wenn er gemacht
würde, später auf die Füße fallen.
({13})
Das entspräche übrigens exakt dem Problem, das wir von
Ihnen übernommen haben: Ein solcher Schuldenberg ist
durch die Kosten für die Wiedervereinigung nicht zu
rechtfertigen. Eine solide Finanzierung hätte man anmahnen können. Das gilt auch in diesem Fall.
({14})
Im Übrigen führt das nur dazu, dass es immer teurer
wird. Verehrter Herr Kollege Stoiber, Sollzinsen sind immer höher als Habenzinsen;
({15})
davon leben doch die Banken. Was Sie vorschlagen, bedeutet doch, dass 4,4 Milliarden Euro an Zinsausgaben im
Laufe der nächsten elf Jahre dazukommen, weil im Erblastentilgungsfonds nicht getilgt wird.
({16})
Was für ein Unsinn das ist, sehen Sie an den folgenden
Zahlen, die ich für Deutschland habe hochrechnen lassen:
Die Bundesrepublik Deutschland hat im Laufe ihrer Geschichte mehr Geld für Zinsen ausgegeben, als sie Kredite
aufgenommen hat. Dieser Zusammenhang ist völlig logisch. Lassen wir den Unsinn also! Fangen wir endlich an,
solide zu finanzieren!
({17})
Wer von Umschichtungen redet und meint, damit das
Größenordnungsthema zu bewältigen, der ist auch beweispflichtig und muss das hier sagen.
({18})
Ich habe immer gesagt, dass der Haushalt auf Kante
genäht ist. In dieser Situation eine Debatte darüber zu
führen - wäre sie denn ernst gemeint -, wie ich das Kindergeld kürze, wie ich die Rente kürze oder in großem
Umfang Investitionen in den alten Bundesländern zusammenstreiche, fördert nicht die Solidarität in Deutschland.
Man muss sagen, dass es besser ist, ein Jahr länger auf
Steuersenkungen zu warten.
({19})
Das ist im Übrigen auch gerecht.
({20})
Eine der „tollsten“ Sachen, die Sie machen, ist, dass
Sie, der Sie die Senkung des Spitzensteuersatzes auf unter 40 Prozent zum obersten Staatsziel erklärt haben, uns
etwas von gerechter Steuerpolitik erzählen wollen.
({21})
Das läuft mit uns nicht. Herr Kollege Stoiber, vielleicht
sollten Sie Herrn Faltlhauser einmal befragen, wenn er
nicht als Propagandaredner, sondern als Finanzminister
unterwegs ist. Es gibt keine gerechtere Finanzierung als
über die Einkommensteuer, weil sie nämlich im Unterschied zu jeder anderen Finanzierung bedeutet, dass diejenigen, die über kleine Einkommen verfügen - Sie haben
diese Menschen früher verfassungswidrig hoch besteuert -,
({22})
nicht zahlen müssen, während der Beitrag mit steigendem
Einkommen immer stärker wächst. Das ist nämlich der
Sinn des progressiven Steuertarifs, sehr verehrter Herr
Kollege Stoiber.
({23})
Es zahlen alle, die steuerpflichtig sind. Natürlich zahlen
auch der Chef von Daimler-Chrysler und der Chef der
Deutschen Bank. Wir haben mit den Steuerschlupflöchern Schluss gemacht, die denjenigen, die große Einkommen hatten, die Möglichkeit gaben, sich steuerfrei zu
stellen.
({24})
Die Solidarität der Wirtschaftsverbände erkenne ich
ausdrücklich an. Man wird zwischen den Wirtschaftsverbänden sehr genau unterscheiden müssen. Die Solidarität
des BDI und insbesondere des Deutschen Industrie- und
Handelskammertages war angesichts einer solcher Herausforderung vorhanden. Sie haben gesagt: Wir tragen
das mit. Es war deutlich erkennbar, dass sie auch bereit
sind, zusätzlich eine Erhöhung der Körperschaftsteuer um
1,5 Prozentpunkte hinzunehmen. Das will ich ausdrücklich anerkennen.
({25})
Herr Kollege Stoiber, Sie haben nicht damit gerechnet,
dass Sie vor der Wahl für Ihre Kampagne, dass der Mittelstand benachteiligt sei und die Großen begünstigt würden, den Wahrheitsbeweis für diese - wahrheitswidrige Behauptung antreten müssen.
({26})
Zunächst haben Sie gesagt - ich habe das im Fernsehen
verfolgt -, der Vorschlag sei nicht gerecht, die Zahler von
Körperschaftsteuer müssten auch beteiligt werden auch Herr Merz hat das gesagt; er hat auf unseren Vorschlag hin seine Position in einer Nacht übrigens dreimal
gewechselt.
({27})
Wir haben Sie eingeladen, Vorschläge zu machen. Wir
hätten die auch akzeptiert, verehrter Herr Kollege Stoiber,
wenn da nur irgendein vernünftiger Vorschlag auf den
Tisch gekommen wäre. Es ist aber kein Vorschlag auf den
Tisch gekommen.
Alleine das Thema Körperschaftsteuer ist ein Stück aus
dem Tollhaus. Ihre Fraktion kannte bei der ganzen Diskussion um die Steuerreform nur zwei Begriffe: Spitzensteuersatz und körperschaftsteuerliches Vollanrechnungsverfahren. Im Moment wird das alte Steuerrecht, das Sie
behalten wollten, abgewickelt. Das, was da passiert, hat
mit unserem nichts, aber auch gar nichts zu tun.
({28})
Im Übrigen geht dieser Teil des Geldes ja nicht verloren;
den zahlen auf der anderen Seite - das wissen Sie doch
ganz genau, wenn Sie nur ein bisschen Ahnung davon haben - die Aktionäre. Deswegen ist ja das Aufkommen aus
der Kapitalertragsteuer im vergangenen Jahr um 7 Milliarden Euro gestiegen. Diese ist nämlich das Pendant zur
ausgefallenen Körperschaftsteuer, die nach Ihrem System
zurückgezahlt werden musste, nach unserem jetzt aber
nicht mehr. All das, was Sie da erzählen, ist ja nicht wahr.
({29})
Weil es nicht wahr ist, waren Sie ja auch vor dem Hintergrund Ihrer eigenen Propaganda nicht in der Lage, einen
einzigen Abänderungsvorschlag zu unseren Vorschlägen
zu machen. So schnell ist solch ein falsches Propagandagebäude noch nie zusammengebrochen, wie wir es in diesen Tagen erlebt haben.
({30})
Nun zu dem, was den Mittelstand betrifft; auch das ist
eine spannende Veranstaltung, auch in Bezug auf Sie und
Herrn Philipp. Ich habe ja gar nicht gewusst, wie viele
Fans meiner Steuerreform es gibt, bevor wir sagten, wir
verschieben sie um ein Jahr. Ich habe nicht gemerkt, wie
viele Fans der Steuerreform wir haben.
({31})
Sie und viele andere haben uns doch die ganze Zeit erzählt,
dass sie ungerecht sei und eine hohe Belastung für den
Mittelstand mit sich bringe. Nun verschieben wir diese Belastung, aber es sollen 200 000 Arbeitsplätze verloren und
25 000 Betriebe Pleite gehen. Dass an dieser Behauptung
nichts stimmt, sieht jeder Mensch in diesem Lande.
({32})
Deswegen möchte ich Ihnen eines sagen, dabei unterscheide ich auch: Herr Philipp sollte endlich einmal seine
Funktion als Präsident des Zentralverbandes des Deutschen Handwerks ernst nehmen und sich nicht immer wie
ein ehemaliger Aachener CDU-Stadtrat verhalten. Dann
kämen wir bei der Vertretung der Interessen des Mittelstandes weiter.
({33})
Herr Minister Eichel,
gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Wissmann?
Ich
möchte mich gerne einmal mit den Argumenten von Herrn
Kollegen Stoiber auseinander setzen.
({0})
Sehen wir uns, meine Damen und Herren, nur noch eines an, nämlich die obere Grenzsteuerbelastung. Als wir
an die Regierung kamen, lag die obere Grenzsteuerbelastung für den Mittelstand bei 70 Prozent: 53 Prozent Spitzensteuersatz plus Solidaritätszuschlag plus Gewerbesteuer. Allein dadurch, dass wir die Gewerbesteuer als
Kostenfaktor der mittelständischen Betriebe beseitigt haben, konnte diese Belastung um 13 Prozentpunkte gesenkt
werden. Indem wir dann noch den Spitzensteuersatz auf
48 Prozent heruntergefahren haben, haben wir die obere
Grenzsteuerbelastung von 70 auf 51 Prozent reduziert.
Das ist die Wahrheit in Bezug auf den Mittelstand, meine
Damen und Herren.
({1})
Dann steht die Frage im Raum, wie sich das konjunkturell auswirkt. Dazu hat der Bundeskanzler schon das
Nötige gesagt. Natürlich sind Steuersenkungen schön.
Aber die Zusammenhänge, die Sie in den Diskussionen
herstellen, sind schon sehr merkwürdig. Sie tun gerade so,
als ob die Steuerpolitik die Konjunktur lenken könne. Das
höchste Wirtschaftswachstum hatten wir im Jahre 2000,
als wir noch gar keine Steuersenkungen durchgeführt hatten. Weitaus weniger hatten wir im Jahre 2001, nachdem
wir die Steuern im großen Umfang gesenkt hatten. Das
müsste Sie doch einmal zum Nachdenken über die Frage
anregen, wie Konjunkturverläufe aussehen und wie
man diese gestaltet.
({2})
Ein Teil der Steuerentlastung könnte in den Sparstrumpf gehen. Jetzt aber gehen die gesamten 7,1 Milliarden Euro sofort und vollständig in Investitionen; nicht nur
das: Auch privates Kapital wird noch ordentlich mobilisiert. Der Kanzler hat doch Recht: Es können sich jetzt
nicht einige, die in der Marktwirtschaft ebenfalls Verantwortung haben, auf Kosten des Steuerzahlers davonschleichen.
({3})
Das gilt auch für die Versicherungen - denen ich das
nicht unterstelle - und für die Banken. Denn wenn wir
hier nicht tätig geworden wären, hätten sie Totalausfälle.
Deshalb kann man einen Solidarbeitrag zumindest bei der
Entschuldung der kleinen Betriebe im Katastrophengebiet
in Ostdeutschland erwarten.
({4})
Wir haben einen Vorschlag gemacht, der solide finanziert und gerecht ist, der das Geld sauber hereinbringt und
den Mittelstand überhaupt nicht schädigt. Das Ganze wird
übrigens ein einziges Programm insbesondere für kleine
und mittelständische Betriebe und ihre Aufträge sein. Das
sollte Herr Philipp in Dresden, Grimma und anderen Städten seinen Mittelständlern einmal sagen.
({5})
Außerdem ist unsere Politik europäisch eingebunden.
Schließlich haben wir ein paar Verpflichtungen, übrigens
auch für die gemeinsame Währung. Mit Ihrem Programm
würden Sie bei der EZB - würde es je Regierungsprogramm werden; denn die EZB äußert sich zu Recht nicht
zu Oppositionsprogrammen - keine Freude auslösen. In
Brüssel ist deutlich zum Ausdruck gebracht worden, dass
der Weg, den wir gehen, europäisch eingebunden und der
einzig richtige ist.
({6})
Zum Schluss, verehrter Herr Kollege Stoiber, noch
eine Bemerkung zum Thema Umweltschutz, das ich hier
im Übrigen nicht weiter behandeln will. Als wir mit Ihnen, der damaligen Regierung Kohl, Anfang der 90erJahre - Gerhard Schröder war damals niedersächsischer
Ministerpräsident - den Versuch unternahmen, ein Einvernehmen über den Ausstieg aus der Kernenergie zu erzielen, haben wir darum gebeten, dass mit Blick auf das,
was in den 70er-Jahren an Energiesparprogrammen, an
Förderung der regenerativen Energien und der KraftWärme-Koppelung und an weiteren Programmen auf den
Weg gebracht worden war, einmal dargestellt werde, was
daraus in den Jahren der Regierung Kohl geworden ist.
Wissen Sie, was das Ergebnis war? - Alles ist im Laufe
der Jahre beendet worden. Hätten wir damals nicht einen
solchen Rückschritt in der Energiepolitik gehabt, wären
wir heute schon sehr viel weiter.
({7})
Ich will jetzt nicht über Bayern rechten, Herr Kollege
Stoiber. Aber wenn die Verhältnisse in Bayern so sind, wie
Sie sie geschildert haben, hat sich das nicht bis zur
CDU/CSU-Bundestagsfraktion und zur CSU-Landesgruppe herumgesprochen. Denn von Ihren Freunden hier
im Deutschen Bundestag ist fast alles, was wir in Sachen
erneuerbare Energien, Wärmedämmung usw. gemacht
haben - allein 1 Milliarde Euro im Bundeshaushalt; Sie
versprechen jetzt 100 Millionen Euro -, abgelehnt worden. Mehr muss man dazu nicht sagen.
({8})
Ein paar Sätze zu einem anderen Thema, das Sie zu
Recht angesprochen haben, wenn auch nicht unbedingt in
diesem Zusammenhang. Es ist unser großes Thema: die
Arbeitslosigkeit. Herr Kollege Stoiber, Sie führen dazu
eine wunderliche Debatte. Ich sehe in diesen Tagen die
Plakate. Darauf wird der Kanzler mit 4 Millionen Arbeitslosen in Verbindung gebracht.
({9})
- Warten Sie einen Moment ab, gleich können Sie klatschen. - Die höchste Arbeitslosigkeit nach der Wiedervereinigung hatten wir im Januar/Februar 1998. Da war
nur die Frage: Überschreiten wir die Schwelle der 5 Millionen Arbeitslosen oder bleiben wir knapp darunter? Das
fällt in Ihre Zeit.
({10})
Auch heute sind es mindestens 300 000 Arbeitslose
weniger. Im Unterschied zu Ihnen haben wir vor dem
Wahltag keine Bilanzschönung betrieben.
({11})
Sie wissen genau, was Sie 1998 gemacht haben: Sie haben ein Vierteljahr vor der Wahl die AB-Maßnahmen zusammengeschoben, damit 300 000 Leute mehr auf der
Payroll der Beschäftigungsmaßnahmen standen und Sie
die Bilanz schönen konnten. Das war ein zynischer Umgang mit den Arbeitslosen. So etwas machen wir nicht.
Die Menschen haben das auch nicht akzeptiert.
({12})
Ich finde es außerordentlich spannend, dass Sie jetzt
sagen, seit dem vergangenen Jahr seien rund 200 000 Arbeitslätze verloren gegangen.
({13})
Ich erinnere mich noch an die Debatten in diesem Hause,
in denen Sie bestritten haben, dass wir - das ist übrigens
dieselbe Statistik - über 1 Million Beschäftigte mehr haben. Das müssen Sie dazusagen, verehrter Herr Merz:
dass wir bis zum vorigen Sommer 1,2 Millionen Beschäftigte mehr hatten, als es zum Ende der Regierung Kohl
waren.
({14})
Diese Zahl hat sich inzwischen aufgrund der flauen
Konjunktur etwas verringert. Das ist wahr. Aber es bleiben eine Million Arbeitsplätze bzw. eine Million Beschäftigte mehr als zum Ende Ihrer Regierungszeit.
({15})
Wenn wir jetzt bilanzieren, dann sage ich Ihnen: Es ging
bei uns nicht nur um mehr Beschäftigung und weniger Arbeitslose - natürlich wollten und wollen wir hier noch weiter vorankommen -, sondern wir haben auch für niedrigere
Steuern gesorgt und weniger neue Schulden gemacht. Jetzt
muss ich nicht mehr jede vierte Steuermark für Zinsen
überweisen, sondern nur noch jede fünfte. Das ist der Erfolg der Konsolidierungspolitik der letzten vier Jahre.
({16})
Das hat uns auch Raum gegeben, Schluss zu machen
mit dem Unsinn, ausgerechnet den Bildungsetat zum
Sparhaushalt zu machen, meine Damen und Herren.
({17})
Denn den haben wir wieder ordentlich aufgestockt. Die
Investitionen im Verkehrsbereich waren nie so hoch, wie
sie heute sind.
({18})
Den Aufbau Ost kann nur derjenige solide auf 15 Jahre
im Voraus finanzieren, der eine solide Finanzpolitik
macht - niemand sonst.
({19})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, deswegen
sage ich: Es ist gut - das ist die positive Seite -, dass das
Konzept, das wir vorgeschlagen haben, sowohl im Bundestag als offensichtlich auch im Bundesrat eine Mehrheit
finden wird, damit die Menschen die Gewissheit haben,
dass der Aufbau beginnt. Aber es ist auch gut - wenn es
denn so ist -, dass sich die Menschen am 22. September
dieses Jahres zwischen klaren Alternativen entscheiden
können: Wollen wir bei der Verschuldung wieder dort anfangen, wo wir 1998 aufgehört haben,
({20})
oder wollen wir konsequent den Weg aus der Schuldenfalle gehen? Das ist die Entscheidungsfrage, um die es am
22. September dieses Jahres gehen wird.
({21})
Das, meine Damen und Herren, gilt grundsätzlich;
auch bei der Bewältigung der Flutkatastrophe. Ich sage
Ihnen eines: Die Menschen im Lande zeigen viel mehr
Solidarität als Sie, meine Damen und Herren von der
CDU/CSU, mit Ihrer Art von Politik abfordern. Die Menschen fragen danach, ob die Politik nicht endlich einmal
dasselbe Maß an Solidarität aufbringt, das sie ihrerseits zu
leisten in der Lage sind und das sie auch leisten wollen.
Das würde unserem Land nämlich gut tun.
({22})
Zu einer Kurzintervention hat jetzt der Kollege Friedrich Merz das Wort.
Frau Präsidentin! Meine
Damen und Herren! Mir stehen nur drei Minuten zur Verfügung.
({0})
- Entschuldigung, das parlamentarische Recht, hier eine
Kurzintervention abzugeben, werden Sie nicht in Frage
stellen - auch nicht durch die Lautstärke Ihrer Zurufe,
meine Damen und Herren.
({1})
Herr Bundesfinanzminister, Sie haben hier gerade behauptet, die Opposition bzw. die Union, der Ministerpräsident des Freistaates Bayern und auch ich hätten unsere
Meinung geändert
({2})
und innerhalb kurzer Zeit etwas anderes gesagt, als wir
heute hier sagen. Hierzu stelle ich Folgendes fest:
Erstens. Wir beide sind am späten Sonntagabend des
18. August dieses Jahres zusammen in einer Fernsehsendung gewesen, in der Sie gefragt worden sind, ob Sie es für
richtig halten würden, die Finanzierung der Flutkatastrophe durch die Verschiebung der Steuerreform zu finanzieren. Dies haben Sie an diesem Abend zweimal ausdrücklich ausgeschlossen. Weniger als 20 Stunden später
hat das Bundeskabinett der Bundesrepublik Deutschland
unter Ihrer Beteiligung etwas anderes beschlossen.
({3})
Das ist die Wahrheit.
({4})
Zweitens. Wenn Sie uns hier in einem der Sache völlig
unangemessenen Ton Vorwürfe machen,
({5})
weil wir einen anderen Vorschlag zur Finanzierung der
Flutkatastrophe machen als Sie durch Steuererhöhungen,
({6})
dann stelle ich hier Folgendes fest: Als Bundesfinanzminister haben Sie zur Finanzierung des Solidarpaktes II
bzw. zur Refinanzierung des Bundesanteiles für drei Jahre
die Tilgung des Fonds „Deutsche Einheit“ ausgesetzt.
Das ist so beschlossen. Dies allein hat in Ihrem laufenden
Haushalt Einsparungen zulasten zukünftiger Generationen von über 800 Millionen Euro ausgelöst. Sie haben in
diesem Parlament die Aussetzung der Tilgung des Fonds
„Deutsche Einheit“ von insgesamt 4,5 Milliarden Euro
zur Finanzierung des Solidarpaktes II durchgesetzt und
dies von dieser Stelle aus als solide Haushaltspolitik vertreten. Man kann über diese Art der Finanzierung sehr unterschiedlicher Auffassung sein. Eine gesunde Volkswirtschaft, die Wachstum und einen Zuwachs an Beschäftigung
aufweist, müsste eigentlich ohne Steuererhöhungen und
ohne die Streckung der Schuldentilgung auskommen können. Dass das nicht so ist, haben Sie zu verantworten.
({7})
Unser Vorschlag, dass die Finanzierung über eine
Streckung der Schuldentilgung erfolgen könne, kann
nicht völlig falsch sein, weil es genau dem entspricht, was
Sie beim Fonds „Deutsche Einheit“ und beim Solidarpakt II gemacht haben. Mittlerweile haben auch zwei Ministerpräsidenten aus Ihren Reihen, der ehemalige aus
Brandenburg und der amtierende in Niedersachsen, in
diesen Tagen ausdrücklich gesagt, dass auch der Bundesbankgewinn zur Finanzierung dieser Aufgabe herangezogen werden könne. Was wir hier gegenwärtig erleben - das
zeigt auch Ihr Beitrag, Herr Bundesfinanzminister -, ist in
der Sache unangemessen und in der Form unredlich.
({8})
Zur Erwiderung gebe
ich das Wort dem Herrn Minister Hans Eichel.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Merz,
Sie haben Recht. Ich habe am Sonntagabend
({0})
in einer Debatte, in der es um die Frage ging - in diesem
Punkt habe ich tatsächlich meine Meinung geändert -,
({1})
zu welchem Zeitpunkt wir entscheiden, gesagt: Wir kennen die Höhe der Schäden noch nicht.
({2})
- Jawohl.
Wir haben uns die politische Diskussion genau angeschaut, in der jede nur denkbare Summe genannt wurde.
So werden Sie dieses Land nicht führen können.
({3})
Daraufhin haben wir, voran der Bundeskanzler, beschlossen, dass wir sofort die notwendigen Instrumente zur Verfügung stellen.
({4})
Verehrter Herr Kollege Merz, Ihre Bemerkung über
den Fonds „Deutsche Einheit“ hätten Sie besser nicht gemacht. Die Belastungen rühren daher, dass die Bundesländer unter Führung der Südschiene erklärt haben, sie
könnten den Länderfinanzausgleich nicht finanzieren,
({5})
wenn der Bund nicht zusätzlich Mittel zur Verfügung stellen würde. Das ist der Hintergrund bei der Finanzierung
des Fonds „Deutsche Einheit“. Die Probleme wurden
nicht von mir, sondern von Ihnen verursacht.
({6})
Ich will Ihnen einmal vorlesen, was der Kollege Gabriel
zur Finanzierung im Niedersächsischen Landtag gesagt hat:
Deshalb wird diese Entscheidung, die Steuerreform
- Sie reden immer von Steuererhöhung; es ist aber eine
Steuersenkung um ein Jahr zu schieben, von der niedersächsischen
Landesregierung voll mit getragen. Es gibt dazu auch
keine ernsthafte Alternative. Die Forderung von CDU
und CSU, stattdessen zur Schuldentilgung festgelegte
Bundesbankgewinne als Sofortprogramme aufzulegen, ist nichts anderes als ein ungedeckter Wechsel
auf die Zukunft.
({7})
Die ausschließliche Finanzierung der deutschen Einheit auf Pump ist ein volkswirtschaftlicher Fehler
gewesen. Unterm Strich wären mit dieser höheren
Verschuldung durch den Einsatz der Bundesbankgewinne jährlich 400 Millionen Euro zusätzlich zu tilgen. Über zehn Jahre hieße das: Mehr als die Hälfte
der von Edmund Stoiber vorgeschlagenen Summe
geht für zusätzliche Tilgungszahlungen drauf. Das
ist schlicht ökonomischer Unsinn.
So Herr Gabriel wörtlich.
({8})
Die Antwort ist ganz einfach und wird auch nicht durch
das verschleiert, was immer Sie im Einzelnen noch erzählen mögen: Entweder finanzieren wir jetzt durch einen
Verzicht auf Steuersenkungen oder unseren Kindern und
Enkeln wird später die Rechnung präsentiert,
({9})
wobei wir zwischenzeitlich wesentlich mehr Zinsen zahlen müssen. Unser Vorschlag ist solide, während Ihr Vorschlag unsolide ist, so wie wir es von Ihnen gewohnt sind.
({10})
Ich bitte diejenigen,
die etwas miteinander zu bereden haben, sich hinzusetzen, damit der Ablauf der Sitzung nicht gestört wird.
({0})
Ich möchte ferner darauf hinweisen, dass die Verantwortung für den Ablauf der Sitzung mir obliegt.
({1})
Ich werde sie so wahrnehmen, wie ich es für richtig halte
und wie es mit den Parlamentarischen Geschäftsführern
besprochen worden ist.
Jetzt hat der Kollege Dr. Westerwelle das Wort für die
FDP-Fraktion.
({2})
Frau Präsidentin!
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich glaube, dass
die Menschen, die uns bisher zugesehen haben, von dieser Debatte etwas anderes erwarten als das Schlagen von
Wahlkampfschlachten. Vielmehr möchten sie in Wahrheit eine Antwort haben, wie wir auf diese katastrophale
Situation reagieren.
({0})
Deswegen wäre ich Ihnen außerordentlich dankbar, wenn
Sie in diesem Augenblick einfach einmal überlegen, ob es
der richtige Stil ist,
({1})
dass die Opposition bei der Regierungserklärung des deutschen Bundeskanzlers schweigend zuhört, gelegentlich
Beifall gibt, gelegentlich natürlich keinen Beifall gibt, aber
dass dann, wenn die andere Seite spricht - in diesem Fall
der bayerische Ministerpräsident oder jetzt meine Person -, wir sofort in ein Sperrfeuer von Zwischenrufen laufen. Wie nervös sind Sie, dass Sie das brauchen?
({2})
Ich denke, dass die Menschen, die uns jetzt zusehen,
vor allen Dingen wollen, dass wir uns mit den wirklichen
Problemen auseinander setzen,
({3})
dass wir in dieser Situation keine Wahlkampfschlacht
schlagen, sondern dass wir uns vor allen Dingen damit beschäftigen, wie die Folgen dieser Hochwasserkatastrophe
bekämpft werden können.
({4})
Die Solidarität mit den Betroffenen der Hochwasserkatastrophe ist aus meiner Sicht eine nationale Aufgabe. Niemand will sich dieser Aufgabe entziehen. Es ist großartig,
wie viel Solidarität wir in dieser wirklich dramatischen
Zeit bei den Bürgerinnen und Bürgern in unserem Lande
erlebt haben. Das ist ein Zeichen dafür, dass es in Deutschland eine funktionierende Bürgergesellschaft gibt.
({5})
Ich denke, dass auch niemand hier im Parlament die Aufgabe der Bekämpfung der Folgen dieser Hochwasserkatastrophe infrage stellt. Niemand in diesem Parlament
will sich dieser Aufgabe entziehen.
Ich möchte vorab auch aus meiner Sicht, aus der Sicht
der Freien Demokraten, den Bürgerinnen und Bürgern in
Deutschland für die unglaubliche Spendenbereitschaft
danken. Ich finde, dass dies unsere Anerkennung und unseren Respekt verdient und dass diese großartige Leistung
unserer Bürgerinnen und Bürger es nicht verdient hat, im
Wahlkampfgetümmel unterzugehen.
({6})
Ich möchte ausdrücklich denen danken, die mit herausragenden Leistungen beim Katastrophenschutz - bei der
Bundeswehr, bei der Polizei, bei der Feuerwehr - gewirkt
haben, den vielen technischen Helfern, den Freiwilligen,
denjenigen, die in karitativen Einrichtungen geholfen haben, und natürlich den vielen, vielen tausend Freiwilligen,
die, ohne in irgendeiner Organisation zu sein, spontan mit
angepackt haben. Sie alle sind Zeichen und Beleg für eine
Gesellschaft, auf die wir stolz sein können. Das ist, wie
ich hoffe, für die meisten in diesem Parlament wirklich
ein Augenblick gewesen, in dem wir uns ganz nahe beieinander gefühlt haben, auch wenn der Debattenverlauf
der letzten zwei Stunden gelegentlich einen anderen Eindruck erweckt haben mag.
({7})
Jetzt wollen wir uns mit der Frage, wie die Folgen dieser
Hochwasserkatastrophe beseitigt werden können, auseinander setzen. Es geht jetzt darum, die Schäden zu beseitigen.
Es geht darum, Häuser, Gewerbe und Infrastruktur wieder
aufzubauen. Deswegen ist es richtig, dass die Bundesregierung - und zwar mit Unterstützung der parlamentarischen
Opposition - einen Sonderfonds, einen Aufbaufonds,
bilden will, damit tatsächlich genügend Mittel zusammenkommen.
Meine Einschätzung ist, nachdem ich mir vor allen Dingen in Dresden die Folgen der Hochwasserkatastrophe angesehen habe, dass die bisher diskutierten Zahlen eher zu
knapp als zu großzügig bemessen sein dürften. Wir alle
werden uns im Deutschen Bundestag noch mehrfach über
das unterhalten müssen, was beispielsweise im Hinblick
auf zerstörte Deichanlagen auf uns zukommt. Wir sehen
im Augenblick das, was an Infrastruktur, an Häusern und
an Betrieben zerstört worden ist. Die vielen versteckten
Schäden, beispielsweise von 100 Jahre alten Deichen, die
aufgeweicht sind und möglicherweise eine vollständige
Sanierung brauchen, kennen wir noch nicht.
Wir müssen uns darauf einstellen und vor allen Dingen
müssen wir uns dafür wappnen. Deswegen sind wir Freien
Demokraten der Meinung: Es ist ein Fehler, wenn jetzt in
dieser Situation das eine Unglück der Hochwasserkatastrophe durch ein anderes Unglück, nämlich durch Steuererhöhungen zugunsten von mehr Arbeitslosigkeit, bekämpft
werden soll.
({8})
Das Einzige, was diese Steuererhöhungspolitik bewirken
wird, ist, dass das Wirtschaftswachstum tatsächlich reduziert wird.
({9})
Das Ergebnis ist: weniger Wirtschaftswachstum und mehr
Arbeitslosigkeit durch Steuererhöhungen.
Gerade die Menschen in den von Hochwasser betroffenen Regionen brauchen zwar sofort Hilfe, aber sie
brauchen auch neue Chancen und Perspektiven durch
Wirtschaftswachstum und dadurch, dass neue Beschäftigungschancen entstehen. Wer das Hochwasser und seine
Folgen durch Steuererhöhungen bekämpfen will, vergisst,
dass man damit den Betroffenen, den Opfern in der Region, Steine statt Brot gibt.
({10})
Die Antwort lautet: Wirtschaftswachstum, Arbeitsplätze und Chancen für Existenzgründer, für Menschen,
die sich selbstständig machen wollen und jetzt eine
enorme Portion von geradezu trotzigem Optimismus zeigen. Das sind die Menschen, die etwas anpacken und wieder etwas schaffen wollen. Denen dürfen nicht durch
Steuererhöhungen Knüppel zwischen die Beine geworfen
werden. Darin unterscheiden wir uns in den politischen
Konzepten eindeutig.
({11})
Es ist aus unserer Sicht notwendig, noch einmal über
die Zahlen zu sprechen. Deutschland hat mittlerweile das
niedrigste Wirtschaftswachstum in ganz Europa.
({12})
Wir hatten ein Wirtschaftswachstum von 0,2 Prozent im
ersten Quartal und von 0,3 Prozent im zweiten Quartal.
Arbeitsplätze entstehen aber erst mit einem Wirtschaftswachstum ab etwa 1,5 Prozent. Jedes Prozent Wirtschaftswachstum, das - zum Beispiel durch eine Steuersenkungspolitik - erzielt wird, bringt 7 Milliarden Euro
Staatseinnahmen.
({13})
Sie meinen, Sie könnten die Haushaltslöcher schließen, indem Sie die Steuern erhöhen. Wir aber meinen, wir
erreichen nur dann gesunde Staatsfinanzen, wenn die
Steuern gesenkt werden, wenn investiert wird, Wirtschaftswachstum stattfindet und die Menschen wieder
Arbeit und Ausbildung haben.
({14})
Das ist ein fundamentaler Unterschied in den politischen
Ansätzen.
({15})
Natürlich stellt es eine Steuererhöhung dar, wenn beispielsweise eine bereits im Bundesgesetzblatt zugunsten
des Mittelstandes beschlossene Steuersenkung verschoben wird.
({16})
Es ist im Übrigen nicht richtig, Herr Minister Eichel,
dass das, was eigentlich zum 1. Januar 2003 in Kraft treten sollte, seitens der Freien Demokraten - um an dieser
Stelle für die liberale Opposition zu sprechen - blockiert
oder abgelehnt worden ist. Ich erinnere mich an viele
Gespräche, die ich selbst mit Ihnen und dem Bundeskanzler geführt habe. Unser Landesvorsitzender von Rheinland-Pfalz, Rainer Brüderle, hat Ihnen im Bundesrat mit
unserer parteipolitischen Unterstützung nur deshalb grünes Licht gegeben, weil eben jetzt auch Entlastungen des
Mittelstands in Kraft treten sollten.
({17})
Sie nehmen dem Mittelstand Chancen. Das kostet Arbeit
und Ausbildung und stellt faktisch eine Steuererhöhung
dar, auch wenn Sie das anders bezeichnen wollen.
Ich meine, dass es auf der anderen Seite auch kein kluger Vorschlag ist, die Schulden zu erhöhen. Das ist meiner Meinung nach genauso falsch. Das sind zwei falsche
Wege, die vorgeschlagen werden.
({18})
Denn wenn jetzt die Schulden erhöht werden, dann bedeutet das lediglich, dass unsere Währung, der Euro, weicher wird. Das können wir nicht wollen. Deshalb haben
wir als Deutsche schließlich die Stabilitätskriterien in
Europa durchgesetzt. Es bedeutet aber in der Tat auch,
dass zulasten der jungen Generation das finanziert werden
soll, was jetzt aus unserer volkswirtschaftlichen Kraft
finanziert werden muss. Auch das ist nicht fair.
Wir haben deshalb einen anderen Vorschlag gemacht,
der Ihnen übrigens schriftlich vorliegt; deswegen sollten
Sie sich jetzt nicht so fragend umschauen. Jedem Abgeordneten liegt das Konzept der Freien Demokraten vor,
({19})
mit Vorschlägen dazu, wie beispielsweise dieser Betrag
durch Haushaltsumschichtungen erwirtschaftet werden
kann.
({20})
Wir erleben im Deutschen Bundestag in diesen Stunden vor allen Dingen, dass die eine Seite des Hauses an
höhere Steuern denkt, dass andere an eine Erhöhung der
Schulden denken, aber dass es mit Ausnahme von uns offensichtlich niemanden gibt, der konkrete Einsparungsvorschläge macht. Wir können bei einem Bundeshaushalt
in Höhe von 250 Milliarden Euro jährlich nicht bei jeder
Katastrophe, so schlimm sie auch sein mag, reflexartig
nach Steuererhöhungen rufen. Das ist der Grund für die
deutsche Krankheit. Das ist der Grund dafür, dass wir
beim Wirtschaftswachstum in Europa an letzter Stelle angekommen sind.
({21})
Wir müssen diesen Weg verlassen. Wir brauchen einen
Politikwechsel. Darüber müsste hier an dieser Stelle diskutiert werden.
Allein die Höhe der Subventionen beträgt in jedem
Jahr 55 Milliarden Euro. Es wurde bisher kein einziges
Wort darüber verloren, ob man nicht auch einmal an diese
Subventionen herangehen könne. Wir müssten darüber
hinaus über den Abbau von Bürokratie reden, über Privatisierungen - das ist ohnehin die wichtigste ordnungspolitische Aufgabe - oder über Umschichtungen im Haushalt. Beide Seiten hier erwarten in Wahrheit, dass alle in
Deutschland sparen, mit Ausnahme der Politik und des
Staates. Das kann nicht in Ordnung sein.
({22})
Das ist der Grund dafür, dass die Arbeitslosigkeit weiter
steigt. Das werden wir in diesem Bundestag in jedem Fall
ablehnen. Dafür lassen wir uns nicht verhaften.
Meine Damen und Herren, ich habe mich bemüht, aus
unserer Sicht eine Alternative vorzulegen.
({23})
Wir haben uns heute Morgen entschlossen, dieser Debatte
ruhig zu folgen und uns die Argumente der unterschiedlichen Seiten anzuhören; denn ich glaube, dass sich ein
Parlament in solchen Situationen auch dadurch bewähren
muss, dass es einen entsprechenden kultivierten Stil zeigt.
Die Art aber, wie Sie auf unsere Beiträge reagieren, zeigt,
dass Sie die Herausforderung der Stunde wirklich nicht
begriffen haben. Bemühungen um Steuersenkungen, um
neue Arbeitsplätze, um mehr Wirtschaftswachstum sowie
das Zusammenstehen müssen das Gebot der Stunde sein
und nicht solche peinlichen Wahlkampfmanöver, die jeder, der uns jetzt zusieht, einfach durchschauen kann.
Vielen Dank.
({24})
Das Wort hat jetzt
Bundesaußenminister Joschka Fischer.
Joseph Fischer, Bundesminister des Auswärtigen
({0}): Frau Präsidentin!
Meine Damen und Herren! Der Herr Bundeskanzler hat
heute in seiner Regierungserklärung sehr eindringlich und
sehr eindrücklich von den Erfahrungen gesprochen, die er
bei dem Besuch in den überfluteten Gebieten gemacht hat.
In der Tat: Das kann ich nur bestätigen. Die Medien können das ganze Ausmaß der Zerstörung wie auch das,
was das für die betroffenen Menschen heißt, nur unzureichend wiedergeben.
Ich war dort in Begleitung des Präsidenten der Europäischen Kommission. Ich möchte hinzufügen: Wir sind
sehr dankbar, dass Kommissionspräsident Prodi mit drei
Kommissaren sofort unserer Einladung gefolgt ist und
dass er sich einen persönlichen Eindruck von der Katastrophe verschafft hat.
({1})
Wir sind auch über die Entscheidungen der Kommission
sehr dankbar.
Ich habe mit meinen 54 Jahren bisher in unseren Breitengraden nichts Vergleichbares an Zerstörungen gesehen. Folgende Begegnung macht jenseits der materiellen
Schäden das eigentliche Desaster klar: In Weesenstein bin
ich auf einen Bäckermeister getroffen - er war etwa in
meinem Alter -,
({2})
der vor seinem völlig zerstörten Betrieb saß. Er sagte, er
habe noch im letzten Jahr ein kleines Café aufgemacht,
aber nun sei alles kaputt, die Backstube und der Laden
seien völlig zerstört. Als jemand Anfang 40 habe er nach
der Wende versucht, sich eine kleine bescheidene Existenz aufzubauen. Nun frage er sich, ob er es jetzt, mit
Mitte 50, nochmals fertig bringe, neu anzufangen.
Das Wichtige an der Solidarität ist, wie ich finde, nicht
nur, dass die Menschen so weit es geht materiell schadenfrei gestellt werden; wichtig sind - das macht meines Erachtens den eigentlichen Wert dieser breiten Spendenbereitschaft aus - vor allen Dingen auch der Mut, der
zugesprochen wird, und die emotionale Zuwendung, dass
diese Generation, die nach der Wende versucht hat aufzubauen, jetzt den Mut nicht verliert, sondern die Aufbauarbeit ein weiteres Mal angehen kann und es auch packt.
({3})
Ich habe dort mit dem Landrat, der ebenfalls zugegen
war, gesprochen. Er hat von einer flächendeckenden Zerstörung der Abwasseranlagen gesprochen; Investitionen,
die seit der deutschen Einheit zum Beispiel in Kläranlagen getätigt wurden, seien vernichtet, Rohrleitungssysteme seien zerstört ebenso wie kommunale Infrastruktur,
Kindergärten und Schulen. Ich hatte auch die Gelegenheit, mit dem Oberbürgermeister von Pirna zu sprechen,
der mir sagte, sie hätten diese wunderbare Altstadt jetzt
fast fertig saniert, mit Hunderten Millionen Euro. Und
dann kam die Flut.
Der sächsische Ministerpräsident wird eindrücklich
über die Zerstörung seines Landes sprechen können. Zumindest für Sachsen gilt der Satz, dass wir es jetzt mit einer zweiten Aufbauanstrengung zu tun haben werden. Ich
denke, es ist sehr wichtig, dass alle klar machen, dass wir
es hier mit einer Solidaritätsaufgabe zu tun haben, dass die
Länder und die Menschen, aber auch unsere europäischen
Nachbarn - ich möchte hier an die Tschechische Republik
erinnern, die es mindestens so schwer getroffen hat - alle
zusammenstehen und in einer gemeinsamen, solidarischen Anstrengung den Opfern und den betroffenen Gebietskörperschaften helfen müssen.
({4})
Ich finde, an diesem Punkt sollte man bei allem Wahlkampf die Worte wohl wägen. Wir müssen über Wege zur
Bekämpfung der Arbeitslosigkeit streiten.
({5})
In der Vergangenheit hat hier niemand das Ei des Kolumbus gefunden. Die FDP war 29 Jahre in der Regierung; ich
möchte jetzt die Arbeitslosenzahlen von 1998 nicht wiederholen. Die CDU/CSU war 16 Jahre in der Regierung;
ich möchte die Arbeitslosenzahlen nicht wiederholen.
Aber ich halte überhaupt nichts davon, das dramatische
Problem der Arbeitslosigkeit, das ein strukturelles Problem ist, jetzt dem Unglück der Flutopfer entgegenzusetzen. Meine Damen und Herren, das sollten wir lassen.
({6})
Das werden die betroffenen Menschen nicht verstehen.
Das sollten wir wirklich nicht tun. Das rechtfertigt auch
die Hitze des Wahlkampfes nicht.
Herr Westerwelle, um auch das vorneweg zu sagen: Ich
verstehe, dass wir hier unsere programmatischen Positionen haben. Niemand von uns ist mit hohen Steuersätzen
verheiratet oder ist der Meinung, hohe Steuersätze müssten sein. Deswegen hat die Bundesregierung ein Steuersenkungsprogramm in der Größenordnung von über
50 Milliarden beschlossen, für das Sie jetzt mit der Forderung, die zweite Stufe solle pünktlich stattfinden, so
vehement eintreten.
Wir haben großen Wert darauf gelegt, Deutschland damit wieder zum Investitionsstandort zu machen. Das ist
uns gelungen. Die Auslandsinvestitionen haben sich in
den letzten vier Jahren positiv entwickelt. Wir haben Wert
darauf gelegt, dass vor allem den Familien, den unteren
und mittleren Einkommen geholfen wird. Das heißt, dass
Wettbewerbsfähigkeit und Gerechtigkeit diese Steuerreform tragen. Dass Sie diese Steuerreform jetzt fordern,
das ehrt uns und den Vater dieser Steuerreform, Hans
Eichel.
({7})
Angesichts der Erfahrungen mit der deutschen Einheit
sage ich heute: Niemand beschwert sich hier über die
Kosten; im Gegenteil kann man mit Geld gar nicht ausdrücken, was wir durch die deutsche Einheit gewonnen
haben, nicht nur im Inneren, sondern auch an Frieden
und Stabilität in einem zusammenwachsenden Europa.
Aber eines muss doch klar sein: Wir können den Opfern
jetzt nicht, weil wir davon ideologisch überzeugt sind,
Steuersenkungen anbieten. Die werden dem Bäckermeister in seiner Not nicht helfen. Die werden den Gemeinden,
den Gebietskörperschaften in ihrer Not nicht helfen.
({8})
Abgesehen davon bin ich auch von der Richtigkeit
nicht überzeugt. Hans Eichel hat das Beispiel 2000/2001
gebracht. Ich meine, Sie hatten 29 Jahre Zeit, diese Politik umzusetzen. Ich sage ja gar nicht, dass Steuersenkungen, wenn sie bezahlbar und finanzierbar sind, nicht ein
positives Element sein könnten. Aber machen wir doch
daraus keinen Glaubenskrieg! Machen wir vor allen Dingen keine unseriösen Versprechungen!
({9})
Wenn Sie über das, was wir wollen, hinaus Steuern senken wollen, dann müssen Sie das den Menschen vor den
Wahlen sagen.
Der bayerische Ministerpräsident hat hier in seiner
Rede versucht, diesen Anstrengungen für gesamtstaatliche Solidarität gerecht zu werden.
({10})
Herr Ministerpräsident, Sie konnten aber natürlich der
Versuchung nicht widerstehen, in die Rolle des Wahlkämpfers zu schlüpfen. Man mag sich wirklich darüber
Bundesminister Joseph Fischer
streiten. Sie sind der Meinung, dass die Schuldenfinanzierung der bessere Weg ist. Wir sind - Hans Eichel hat
die Gründe genannt - aufgrund der Erfahrungen mit der
deutschen Einheit und mit dem zu hohen Schuldenaufbau
anderer Meinung.
Herr Westerwelle, Sie sagen, der Staat spare nicht. Als
Bundesaußenminister musste ich in den vergangenen Jahren Dinge akzeptieren - und zwar aus Solidarität gegenüber der Konsolidierungspolitik -, die ich eigentlich für
nicht richtig hielt. Aber weil wir unter Spardruck stehen,
weil wir konsoldieren müssen, weil wir sonst in der Tat
jede vierte Steuermark in den Schuldendienst geben
müssten, habe ich sie akzeptiert.
Seit vier Jahren machen wir Konsolidierungsanstrengungen. Diese Anstrengungen gehören zur Wiedergewinnung der Wettbewerbsfähigkeit. Deswegen hat auch EUKommissar Solbes, der ja keineswegs einen unkritischen
Blick auf die Mitgliedstaaten und ihre Finanzpolitik hat,
die Entscheidung der Bundesregierung begrüßt. Das müssen Sie doch einmal zur Kenntnis nehmen. Dies geschah
gerade vor dem Hintergrund unserer Erfahrungen: Wir haben einen zu hohen Schuldenstand, der die wirtschaftliche
Wettbewerbsfähigkeit unseres Landes nach unten zieht
und zugleich den Druck auf den Arbeitsmarkt erhöht. Genau das wollen wir nicht so fortsetzen, wie es acht Jahre
lang unter der Regierung von Helmut Kohl, also unter der
Regierung der CDU/CSU und der FDP, geschehen ist.
({11})
Sie sagen, wir hätten nach dem 11. September die Steuern erhöht; das ist richtig. Ich frage Sie jetzt, ob Sie sich
noch an den Golfkrieg erinnern können.
({12})
Wer hat denn damals eine Erhöhung der Mineralölsteuer
um 20 Pfennige beschlossen? War das Rot-Grün oder waren das nicht auch Sie und der Freistaat Bayern? Auf dieser Ebene möchte ich die Klingen jetzt aber nicht kreuzen.
({13})
Für mich ist etwas anderes entscheidend: Wir müssen
jetzt nicht nur eine große solidarische Anstrengung erbringen, sondern wir müssen jetzt auch die Vernunft wieder
einschalten. Wir müssen erkennen, dass es einen Zusammenhang mit der Tatsache gibt, dass wir das Weltklima
verändern.
Auf einer Pressekonferenz hat Professor Jäger heute
ein sehr gutes Beispiel gebracht. Er hat gesagt, dass es
keine Möglichkeit gibt, den Lungenkrebs direkt und unmittelbar, sozusagen monokausal, mit dem Rauchen in
Verbindung zu bringen. Dennoch gibt es die Gewissheit,
dass Rauchen die Gefahr für Lungenkrebs um Faktoren
wahrscheinlicher macht als das Nichtrauchen.
({14})
Genau damit haben wir es auch bei den CO2-Emissionen
und bei der Klimakatastrophe zu tun.
Meine Damen und Herren, deswegen müssen wir an
morgen und übermorgen denken. Sie haben gesagt, dass
zwei Drittel der CO2-Reduktionen unter der Regierung
von Helmut Kohl vorgenommen worden sind. Ich kann
Ihnen nur sagen: Das nehme ich gerne entgegen. Sie haben zwei Drittel in 16 Jahren reduziert, wir haben ein Drittel in vier Jahren reduziert. Es reicht eine einfache Grundrechenart, um sich vorstellen zu können, was es für den
Klimaschutz bedeuten würde, wenn Sie wieder an die Regierung kämen, und was es für den Klimaschutz hieße,
wenn wir weitermachen könnten. Ein besseres Argument
kann ich gar nicht finden.
({15})
Herr Stoiber, ich weiß nicht, wer Ihnen das aufgeschrieben hat. Sie kommen jetzt mit 100 Millionen Euro für die
Altbausanierung. Ich kann Ihnen nur sagen: Wir mobilisieren mit einer Milliarde Euro ein Kreditvolumen von
5 Milliarden Euro und ein Investitionsvolumen zwischen
10 und 20 Milliarden Euro; das ist die Realität von heute.
Die sinkenden Emissionen - gerade auch im Haushaltsbereich - wurden exakt dadurch erreicht. Hinzu kommen
noch 0,5 Milliarden Euro aus dem Marktanreizprogramm,
also aus der Ökosteuer. Wenn Sie diese abschaffen, bekommen Sie nicht nur das Problem, dass Sie Staatsmittel
in Höhe von 16 Milliarden Euro zuführen müssen, um die
Rentenversicherungsbeiträge niedrig zu halten, sondern
Sie bekommen auch ein Problem im Zusammenhang mit
den Emissionen. Sie warten hier mit lediglich 100 Millionen Euro auf.
({16})
- Nein. Mir geht es hier nicht um Wahlkampf,
({17})
sondern um das Werben darum, dass wir die Konsequenzen ziehen und dass wir eine Politik, die auf Vernunft setzt
und die an das Morgen und Übermorgen denkt, im Interesse der künftigen Generationen fortführen können.
({18})
Sie sagen, die Ökosteuer habe nicht gewirkt. Ich muss
Ihnen hier in aller Sachlichkeit widersprechen. Schauen
wir uns doch die entscheidenden Lenkungsfragen an. Die
erste Frage lautet: Hat die Ökosteuer bei den verkehrsspezifischen Schadstoffemissionen eine Lenkungswirkung gehabt? Herr Ministerpräsident, ich sage Ihnen,
dass Sie schlicht und einfach falsch informiert sind. In den
Jahren 2000 und 2001 gab es zum ersten Mal überhaupt
einen Rückgang der verkehrsspezifischen Schadstoffemissionen, vor allem auch der klimarelevanten Spurengase. Das ist eine der erwünschten Lenkungswirkungen
der Ökosteuer.
({19})
Der zweite Punkt, den ich in dem Zusammenhang anspreche, lautet: Hat sie beim spezifischen Kraftstoffverbrauch reduzierend gewirkt? Auch hier ist die Antwort
eindeutig, nämlich Ja.
Bundesminister Joseph Fischer
Die dritte Frage lautet, ob sie das Verbraucherverhalten
bei Neuanschaffungen von PKWs in die richtige Richtung, nämlich in ein umweltverträglicheres und umweltverantwortlicheres Handeln, gelenkt hat. Die Antwort
lautet auch hier wiederum eindeutig Ja.
({20})
Denn wenn es um Neuzulassungen geht, steht bei der
Konsumentenentscheidung heute der niedrige Kraftstoffverbrauch an erster Stelle.
({21})
Ich kann Ihnen nur sagen: Sie sollten die Ideologie
an dem Punkt wirklich hintanstellen. Sie sind mittlerweile von einem - ich sage es einmal so; denn davon verstehen wir Grüne viel - Anti-Ökosteuer-Fundi eher zu einem
Realo geworden; denn Sie haben erkannt, dass Ihnen
16 Milliarden Euro fehlen würden. Wenn Sie allein nur
die nächste Stufe nicht einführen würden,
({22})
würde das eine Erhöhung der Rentenversicherungsbeiträge um 0,2 Prozentpunkte bedeuten. Aber Sie werden
nicht in die Lage kommen, diese Entscheidung treffen zu
müssen. Mit der Politik, die Sie vorgestellt haben, wird es
keine Mehrheit geben.
({23})
Ich möchte noch einmal auf das hinweisen, was wir
hier beschlossen haben und was die Union abgelehnt hat.
Ich will Ihnen sagen, was wir in den vier Jahren für den
Klimaschutz gemacht haben. Beim Erneuerbare-Energien-Gesetz war die CDU/CSU dagegen, die FDP auch.
Der Steuerbefreiung von Biotreibstoffen haben Sie zugestimmt, die FDP war tapfer dagegen. Der Biomasseverordnung haben Sie zugestimmt, die FDP war tapfer dagegen. Beim Kraft-Wärme-Kopplungsgesetz waren Sie
dagegen, die FDP auch. Bei der ökologischen Steuerreform waren Sie mit fundamentalistischem Eifer dagegen,
die FDP auch. Energieeinsparverordnung: dagegen; Einrichtung der Deutschen Energie-Agentur: dagegen; wirksame Ausgestaltung des Emissionshandels: dagegen;
LKW-Maut: dagegen; massive Steigerungen der Bahninvestitionen: dagegen; Verwendung der Einnahmen der
LKW-Maut auch für den Schienenverkehr: dagegen;
Grundsatzbeschluss des Deutschen Bundestages zu einer
naturverträglichen Binnenschifffahrt: dagegen.
Uns würde schon interessieren, ob durch Ihr Bekenntnis zu Konsequenzen aus dieser Katastrophe und für einen vorsorgenden Klima- und Gewässerschutz endlich
auch bei der Staatsregierung in Bayern Vernunft einzieht
und der Ausbau des letzten freifließenden Stücks der Donau tatsächlich unterlassen wird. Das wäre ein konkreter
Beitrag.
({24})
Ich erwähne das alles, weil wir eine vorsorgende Politik betreiben müssen. Wir werden in 50 Jahren 9 Milliarden Menschen sein. 20 Prozent der Menschheit sind es,
die schon heute das Klima aus dem Gleichgewicht gebracht haben. Wenn 20 Prozent hinzukommen, dann ist es
immer noch nicht die Hälfte der Menschheit, die an den
Segnungen des Fortschritts teilnimmt. Wir werden unseren Kindern und Kindeskindern - das ist eine der Lektionen aus den Ereignissen vom 11. September - eine unfriedliche Welt hinterlassen, wenn wir uns nicht für eine
gerechtere Gestaltung der Globalisierung und für eine gerechtere Verteilung der Lebenschancen einsetzen. Das bedeutet auch Ressourcengerechtigkeit.
({25})
Das heißt aber auch, dass die Hauptverursacher umsteigen müssen. Gerade die erneuerbaren Energieträger zeigen in den neuen Bundesländern an erster Stelle:
Wir haben das Know-how und den Fleiß der Facharbeiter
sowie die Intelligenz der Ingenieure. Wir können doch
heute die Technologie und die Produkte entwickeln - das
haben wir mit dem Ausstieg aus der Atomenergie und dem
Einstieg in die erneuerbaren Energieträger bewiesen -,
die 9 Milliarden Menschen in der Tat eine umweltverträgliche Zukunft geben können. Damit sichern wir vor allen Dingen auch unsere eigenen Arbeitsplätze und unseren Anteil am Wohlstand.
Vielen Dank.
({26})
Ich erteile dem Ministerpräsidenten des Freistaates Sachsen, Herrn
Milbradt, das Wort.
Dr. Georg Milbradt, Ministerpräsident ({0}):
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich möchte
gerne zu dem eigentlichen Tagesordnungspunkt von heute
zurückkehren, nämlich zu der Frage des Flutopfersolidaritätsgesetzes.
({1})
Wir haben in Sachsen 18 schreckliche Tage hinter uns.
Vor nicht einmal drei Wochen erreichten mich am Mittag
des 12. August beunruhigende Nachrichten. Der mittlere
Erzgebirgskreis hatte nach stundenlangen schweren Regenfällen und der Überflutung von Ortschaften an der
böhmischen Grenze Katastrophenalarm ausgelöst. 16 weitere Kreise sollten in schneller Folge folgen. Liebliche
Gebirgsbäche hatten sich in gewaltige Sturzfluten verwandelt. Die Weißeritz, von der hier schon mehrmals die
Rede war, ein kleines Flüsschen, das in Dresden in die
Elbe mündet, führte so viel Wasser wie normalerweise die
Elbe im Sommer. Man muss sich das vorstellen: Eine solche Wassermenge donnerte durch das Tal.
Die Mulde, ein im Unterlauf eigentlich träger Fluss,
vernichtete in den Zentren der Mittelstädte Döbeln,
Bundesminister Joseph Fischer
Grimma und Eilenburg in wenigen Stunden das Werk der
vergangenen zwölf Jahre. Gespeist durch verheerende
Regengüsse im Böhmerwald, also nicht in Deutschland,
weitergeleitet durch die Moldau, stieg in den folgenden
Tagen der Pegel der Elbe immer bedrohlicher, bis er
schließlich 9,40 Meter in Dresden, den höchsten Stand
seit tausend Jahren, erreichte.
Bei Torgau - auch das ist vielleicht interessant; denn
immer wieder erhalten wir von einigen Leuten auf den
Rhein bezogene Ratschläge - war die Elbe 15 Kilometer
breit. Insoweit hatte sie also offensichtlich genug Möglichkeiten, sich auszudehnen. Allerdings waren bei dieser
hohen Pegelmarke auch dort Zerstörungen unvermeidlich.
Wir betrauern 21 Tote. Noch immer sind einige Menschen nicht wieder aufgetaucht, sodass wir damit rechnen
müssen, dass die Zahl der Toten noch steigt. Wir trauern
mit den Angehörigen.
Die ungebändigten Wassermassen verwüsteten allein
in Sachsen 20 000 bis 30 000 Häuser, 4 000 Autos, 740 Kilometer Straße und 538 Kilometer Eisenbahn. 180 Brücken
existieren nicht mehr oder sind unbenutzbar geworden.
Schulen, Alteneinrichtungen und eine Fakultät der Technischen Universität Dresden, Strom- und Gas-, Wasserund Abwasserleitungen sind weggerissen oder schwer
beschädigt worden. Wertvolle Kulturdenkmäler von europäischem Rang standen tagelang unter Wasser. 10 000 vorwiegend kleine und mittlere Betriebe erlitten erhebliche
Schäden. 40 000 Arbeitsplätze sind dadurch tangiert und
teilweise gefährdet.
Hohe Schäden hat auch unser Nachbarland SachsenAnhalt erlitten.
Die exakte Schadenssumme kennen wir alle noch
nicht. Dafür ist es noch zu früh. Aber allein für Sachsen
rechnen wir mit einem Schaden von bis zu 15 Milliarden
Euro. Das entspricht dem Volumen unseres Landeshaushaltes. Aus Sachsen-Anhalt hören wir Zahlen von 6 bis
8 Milliarden Euro.
Das ist die Bilanz der schrecklichsten Naturkatastrophe, die Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg erlebt
hat. Nur zum Vergleich: Bei der großen Flutkatastrophe in
Hamburg betrugen die Schäden 400 Millionen DM.
Natürlich muss man das umrechnen; die Werte haben sich
verändert. Das soll nur deutlich machen, mit welchen Dimensionen wir es heute zu tun haben. Diese Flutkatastrophe - da bin ich mir sicher - hat unser Land, hat Sachsen
und ganz Deutschland verändert.
Wir sind aber nicht nur von einer Welle der Vernichtung heimgesucht worden, sondern auch durch eine Woge
der Hilfsbereitschaft zusammengewachsen. Der Satz
„Wir sind ein Volk“ hat neue Bedeutung erhalten.
({2})
Aus allen Teilen des Landes kamen freiwillig Jung und
Alt, fragten nicht lange und packten mit an. Feuerwehren,
Hilfsorganisationen und Polizeien aus allen deutschen
Ländern sowie der Bundesgrenzschutz, die Bundeswehr
und das THW haben uns in Sachsen und unsere Nachbarländer in ihrer großen Not unterstützt. Für diese enorme
Anstrengung bedanke ich mich bei allen Helfern, die,
ohne zu fragen, dazu beigetragen haben, Schlimmeres zu
verhindern. Denn es hätte noch schlimmer kommen können.
({3})
Meine Damen und Herren, diese Hilfe, diese überwältigende Mitmenschlichkeit werden wir in Sachsen niemals vergessen.
({4})
Sie können sicher sein: Sollte einmal an Mosel oder Rhein
Vergleichbares geschehen, dann werden die Sachsen die
Ersten sein, die helfen; denn sie kennen das Problem.
({5})
Mein Dank richtet sich auch an den Bund. Der Bundeskanzler hat bei seinem Besuch in Grimma klar gemacht, dass es sich bei der Bewältigung der Schäden um
eine nationale Aufgabe handelt. Ebenso wie der Ministerpräsident unseres Partnerlandes Bayern, Edmund
Stoiber, haben sich der Bundeskanzler und eine Reihe von
Kabinettsmitgliedern vor Ort ein Bild von der Lage gemacht und uns Unterstützung zugesagt. Ich danke auch
dem Bundespräsidenten und dem Präsidenten der Europäischen Kommission für ihren Besuch und ihre Solidarität. Alle diese Besuche haben uns Mut gemacht.
({6})
Große Sorgen machen uns jetzt die Wirtschaft, die kleinen und mittelständischen Betriebe, die Ladenbesitzer,
die Handwerker, unser noch kleiner Mittelstand, dessen
Existenz in den Flutgebieten bedroht ist.
Ich habe mich bei meinen vielen Besuchen in den Katastrophengebieten davon überzeugt: Unser Mittelstand
ist trotz großer Schäden bereit, weiterzumachen, neu anzufangen, wenn wir ihm dabei helfen. Ähnliches gilt für
die geschädigten privaten Hausbesitzer. Deswegen sind
jetzt Taten gefragt. Ich bin froh, dass das Flutopfersolidaritätsgesetz schnell verabschiedet wird, damit ein Rahmen
für die Hilfsprogramme geschaffen wird, bevor die letzten Aufräumarbeiten beendet sind.
Ich will deutlich sagen: Die Frage, wie dieser Fonds
gespeist wird, beantworten wir mit der nächsten Bundestagswahl. Heute haben wir darüber zu entscheiden, wie
dieser Fonds verwandt wird. Dazu möchte ich einige Ausführungen sagen: Ich bin sicher, dass die Solidarität auch
nach dem 22. September anhält und nicht von anderen
Motiven geleitet ist.
Noch ein Wort an Bundeswirtschaftsminister Müller:
Herr Kollege Müller, Sie haben uns vorgeworfen, Hilfszahlungen zu verschleppen und Geld auf unseren Konten
einfrieren zu wollen. Ich habe die Angelegenheit überprüft und kann Ihnen versichern, dass Sie offensichtlich
Ministerpräsident Dr. Georg Milbradt ({7})
einer Fehlinformation aufgesessen sind. Wir wickeln das
15 000-Euro-Programm, ein Bund-Länder-Programm, zusammen mit unserem eigenen, schon vorher beschlossenen Landesprogramm in einem Verfahren ab. Geld wird
ausgezahlt. Die Verwaltungsvereinbarung haben wir gestern Abend erhalten. Wir schicken sie Ihnen heute unterschrieben zurück. Bundesgeld ist bis heute elf Uhr noch
nicht auf unseren Konten.
({8})
Das Bundeswirtschaftsministerium hat sich aber schon
nach der Kontonummer erkundigt; deswegen bin ich sicher, dass das Geld auch kommt.
({9})
Ich weiß, dass bei allen Beteiligten die Nerven blank
liegen, und hoffe, dass das der Grund der Aufregung ist
und nicht der Wahlkampf, zumal die beiden beteiligten
Wirtschaftsminister parteilos sind.
Wir sollten allerdings nicht vergessen, dass 15 000 Euro
pro Betrieb zwar eine erste Hilfe sind, aber keine Lösung
für ein Unternehmen, das eine beträchtliche Investition
über Kredit finanziert hat.
({10})
Lösungen sind wichtiger und ich glaube, Kollege Müller,
Sie sind damit einverstanden; allerdings sind sie schwieriger als Pauschalzahlungen. Überlegungen und Absprachen gibt es. Jetzt müssen sie in ein Regelwerk umgesetzt
werden. Ich will ganz deutlich sagen: Gerade in der Wirtschaft brauchen wir keinen Aktionismus; vielmehr sind
klare Köpfe gefragt, die auch rechnen können.
Lassen Sie mich eine Bemerkung zu den Banken machen. Die betroffenen Banken sind nicht die national und
international tätigen großen Kreditinstitute, sondern zu
mehr als 90 Prozent die örtlichen Sparkassen und die örtlichen Volksbanken.
({11})
Nach einer Pleite im Mittelstand können wir uns nicht
auch noch eine Pleite der regionalen Banken erlauben,
denn das würde den Aufbau in anderen Teilen gefährden.
({12})
Ich hoffe, dass es uns allen gemeinsam gelingt, eine vernünftige Lösung zu finden, was natürlich bedeutet, dass
öffentliche Mittel in erheblichem Maße mobilisiert werden müssen.
Sachsen braucht die Hilfe des Bundes und der Länder
mehr als je zuvor - ich spreche hier auch im Namen meines Kollegen Wolfgang Böhmer -, denn gemeinsam mit
Sachsen-Anhalt sind bei uns die mit Abstand schwersten
Schäden entstanden. Ich bin froh, dass Brandenburg,
Mecklenburg-Vorpommern, Schleswig-Holstein und Niedersachsen mit einem blauen - um nicht zu sagen: mit
einem dunkelblauen - Auge davongekommen sind. Niemand weiß zurzeit, inwieweit der Umfang des Solidaritätsfonds die Höhe der Schäden abdeckt. Eines steht
aber fest: Die Schäden werden sich nicht der Höhe der gerade verfügbaren Mittel anpassen. Die Zerstörungskraft
einer Flutkatastrophe richtet sich nicht danach, welche
Einnahmemöglichkeiten sich gerade ergeben und wie gemäß unserer Verfassung die Steueraufkommen zwischen
Bund und Ländern normalerweise verteilt werden.
Der Bundeskanzler hat erklärt: Keinem wird es nach
der Katastrophe schlechter gehen als zuvor. Nach unseren
Informationen stehen für die betroffenen Privathaushalte
und Unternehmen nach den Plänen der Bundesregierung
rund 2 Milliarden Euro zur Verfügung. Das ist eine gewaltige Summe. Allerdings besagen die Schadenschätzungen, dass im Freistaat Sachsen bis zu 4 Milliarden
Euro Schaden allein im Bereich der Wirtschaft zu verzeichnen sind. Ich will es einmal ganz vorsichtig formulieren: Hier kann sich eine Lücke auftun. Auch darüber
müssen wir nicht heute, aber zu gegebener Zeit reden.
Wir werden sorgfältig darauf achten, dass der Bund zur
Begleichung seiner eigenen Schäden zunächst die angekündigte Umschichtung im Verkehrsetat nutzt und erst
dann auf den Fonds zurückgreift und nicht umgekehrt.
({13})
Bei der Beseitigung der Schäden müssen alle Staatsebenen gleichmäßig berücksichtigt werden: Bund, Länder
und Gemeinden. Die Schadenshöhe und nicht die Steuerverteilung nach dem Grundgesetz ist ein Indikator für die
Höhe der Hilfe, die wir bekommen. Erst wenn alle betroffenen Länder eine verlässliche Aufstellung über die Schäden nach einheitlichen Kriterien vorgelegt haben, kann
über einen endgültigen vertikalen, aber auch horizontalen
Verteilungsschlüssel sinnvoll entschieden werden.
Wir brauchen dringend eine Verbreiterung und Neuausrichtung bestehender Programme, aber auch ganz
neue, speziell auf diese Situation zugeschnittene Förderprogramme. Die bisherigen Vorschläge sind gut. Sie
können aber nur eine erste Antwort sein; denn wir brauchen genügend Flexibilität, um die notwendige Passgenauigkeit zu bekommen. Ich könnte Ihnen eine ganze
Reihe von Schadensfällen nennen, die bisher nicht unter
die Kategorien des Programmes fallen. Ich bin mir aber
sicher, dass es uns gelingen wird, auch hierfür eine Lösung zu finden.
Herr Ministerpräsident, Sie dürfen zwar so lange reden, wie Sie wollen. Es
ist aber etwas ganz anderes vereinbart worden. Ich möchte
Sie herzlich bitten, sich daran zu halten.
Dr. Georg Milbradt, Ministerpräsident ({0}): Ich
habe mich an der Vereinbarung nicht beteiligt, Frau Präsidentin. Ich finde, dass ich als Ministerpräsident eines
besonders betroffenen Landes hier reden kann, ohne dass
die Minuten auf die Redezeit der Fraktion meiner Parteifreunde angerechnet werden. Ich bin auch gleich am Ende
meiner Rede.
({1})
Herr Ministerpräsident, ich möchte Sie darauf hinweisen, dass der Ministerpräsident des Freistaates Bayern die ganze Redezeit in
Ministerpräsident Dr. Georg Milbradt ({0})
Anspruch genommen hat. Ich will jetzt nicht darüber
streiten. Ich wollte nur den kleinen Hinweis geben, dass
wir uns ein bisschen an die Vereinbarung halten sollten.
({1})
Sie haben weiterhin das Wort.
Dr. Georg Milbradt, Ministerpräsident ({2}):
Frau Präsidentin, ich bin auch gleich am Ende meiner
Rede. Ich gehe davon aus, dass die Schadensrelation zwischen Sachsen und Bayern etwa 8 : 1 beträgt. Ich will aber
nicht die achtfache Redezeit von Ministerpräsident
Stoiber in Anspruch nehmen.
Die Zeit der Pauschalzahlungen geht zu Ende. Die
Aufteilung der Mittel kann nicht danach erfolgen, welcher Ressortminister am erfolgreichsten und möglichst
publikumswirksam in den Topf langt. Uns ist von der
Bundesregierung zugesagt worden, dass die Länderschlüssel vorläufig sind und die Aufteilung auf die Programme variabel ist. Das begrüßen wir ausdrücklich
({3})
und hoffen, dass auch so verfahren wird, Frau Kollegin.
Wir werden im Gesetzgebungsverfahren Vorschläge machen, die das sicherstellen. Wir werden bei den weiteren
Verhandlungen über die Programme und bei ihrer Durchführung darauf achten, dass eine gerechte und zweckentsprechende Verteilung und Verwendung der Mittel erfolgt.
Weder den Hilfeempfängern noch den Bürgern, die das
Geld letztendlich aufbringen, wäre eine Schieflage vermittelbar. Niemand übt über ein Jahr Verzicht auf eine
versprochene Steuersenkung, wenn die Gelder nicht genau dorthin gelangen, wo die Hilfe am nötigsten und der
Wiederaufbau am dringlichsten ist.
({4})
- Meine sehr verehrten Damen und Herren von der SPD,
ich glaube, dass die Grundsätze, die ich vorgetragen habe,
bei längerem Nachdenken auch Ihre Zustimmung finden
müssten.
({5})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, trotz aller
Not habe ich aber auch gespürt: Es ist in unserem Land ein
unbändiger Wille vorhanden, die Folgen der Katastrophe
zu überwinden. Wir stehen im Land zusammen und sind
uns der Solidarität aller in dieser schwierigen Zeit sicher.
Die Sachsen haben es gelernt zuzupacken. Sie haben in
der Vergangenheit bewiesen, dass sie aus dem ihnen anvertrauten Geld das Beste machen. Ich verspreche Ihnen:
So wird es auch diesmal wieder geschehen.
Herzlichen Dank.
({6})
Ich erteile dem
Fraktionsvorsitzenden der PDS, Roland Claus, das Wort.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen
und Herren! Vielleicht können wir uns bei allem Streit in
der Sache auf eine Formel einigen, die heißt: Alle Vorschläge, die wirklich helfen, sind in diesen Stunden willkommen,
({0})
und zwar unabhängig davon, welchen Absender die jeweiligen Vorschläge haben. Deshalb möchte ich mich
auch sehr gerne dem Dank anschließen, der hier bereits an
die vielen Helferinnen und Helfer im Lande, an THW und
Bundeswehr, an Hilfsorganisationen wie beispielsweise
die Volkssolidarität, die gerne vergessen wird, ausgesprochen wurde. Ich möchte aber als Ostdeutscher auch den
Bürgerinnen und Bürgern in den westlichen Bundesländern Dank sagen, die in dieser Situation zu Hilfe und Solidarität bereit sind.
({1})
An Ihre Adresse, Herr Stoiber, sage ich: Ich habe an der
Donau und am Rhein ehrliche Solidarität erlebt. Etwas
völlig anderes ist Ihr Versuch, hier im Bundestag auf den
Wogen der Flut Ihren Wahlkampf heimzureiten.
({2})
Das geht vor Ort - ich habe es im Kreis Wittenberg erlebt - ganz anders. Dort sind ein PDS-Bürgermeister und
ein CDU-Stadtratsmitglied diejenigen, die sich am intensivsten um die Folgen kümmern und den Menschen helfen. Solch ein Verhalten muss heute unser Maßstab sein.
Zum Hilfegesetz der Koalition haben wir ein deutliches Ja gesagt und auch für die Abstimmungen im Bundestag und Bundesrat ein deutliches Ja ohne Wenn und
Aber verabredet, wenngleich wir einige Kritikpunkte und
Veränderungsvorschläge haben, die Sie möglicherweise
noch berücksichtigen können. Wir als PDS haben gefragt,
warum in dieser Situation die Besteuerung von Unternehmensveräußerungen nicht zur Finanzierung herangezogen wird. Das wäre eine wirkliche Quelle, aus der
Mittel geschöpft werden könnten, um etwas zu tun.
({3})
Wir schlagen Ihnen hier vor, eine Einmalabgabe auf
große Vermögen zu erheben, also auf Vermögen über
500 000 Euro, selbst genutztes Wohneigentum nicht mitgerechnet.
({4})
Wir wenden uns auch an Banken und Versicherungen, und
zwar auch an die größeren, nicht nur an die Sparkassen,
die schon helfen, mit der Bitte, in dieser Situation Besonnenheit zu zeigen.
({5})
Der hier zitierte Bäckermeister braucht nicht neue Kredite; dem Mann muss mit Schuldenerlass und mit Tilgungsaussetzung geholfen werden.
({6})
Vizepräsidentin Anke Fuchs
Warum, so frage ich mich, meine Damen und Herren, sind
bisher nicht auch, wenn hier alle über unsere Nachbarländer reden, die Vorschläge aus Tschechien und Österreich
zur Sprache gekommen, nämlich durch einen Verzicht
auf Rüstungsgerät einen Beitrag zu den Hilfsprogrammen zu leisten?
({7})
Es geht hier nicht, um nicht missverstanden zu werden,
um irgendwelche pauschalen Kürzungen. Es geht mir
aber schon darum, neue Anschaffungen wie den Großflieger A400 oder den neuen Panzertyp infrage zu stellen.
Wenn der Bundeskanzler schon meint - ich finde das ja
gut -, dass er keine militärischen Abenteuer wolle, dann
kann er in dieser Situation auch auf militärisches Abenteuergerät verzichten.
({8})
Ich bin sehr froh über die Spendenbereitschaft der Bevölkerung in unserem Lande. Aber ich will einmal Folgendes gegenrechnen: Was bisher an privaten Spenden
zusammengekommen ist, entspricht fast exakt den Kosten
für ein einziges Großraumflugzeug A400. Da sehen Sie,
welche Möglichkeiten es hier gibt.
Die PDS-Fraktion hat Ihnen heute ein Gesetz vorgelegt, das uns vor allem deshalb wichtig ist, weil es uns darum geht, dass die Versprechen, die zurzeit gegeben werden, auch eingehalten werden. Es ist kein Gegenentwurf
zum Koalitionsgesetz, sondern ein Gesetz zur praktikablen Ausführung der jetzt so sehnlichst erwarteten Auszahlungen und Hilfeleistungen. Ich glaube schon, dass es
wichtig ist, in der eingetretenen Schadenssumme voll zu
entschädigen.
({9})
Wenn Herr Beckstein sagt, voller Ausgleich nur in Härtefällen, macht mich das natürlich besorgt. Ich bin auch
skeptisch, weil der Kanzler heute nicht seine Formel aus
der Magdeburger Erklärung wiederholt hat. Damals hat er
gesagt, dass er für die volle Schadensregulierung eintritt
und dass alle dort wieder anfangen können, wo sie vor der
Flut standen. Ich denke, das muss angemahnt werden. Es
ist wichtig, hier sofort zu helfen.
({10})
Wie geht das? Wir haben den Vorschlag gemacht, die
Versicherungen einzubeziehen, den Wiederaufbaufonds
bei der Kreditanstalt für Wiederaufbau anzusiedeln und
mit einem Schadensausgleichsfonds für rasche Hilfeleistungen einzutreten. Sie werden im Handel und Gewerbe
erwartet. Dazu ist eine Menge gesagt worden. Auch und
gerade für Existenzgründerinnen und Existenzgründer
sind diese Soforthilfen jetzt nötig.
Man muss in dieser Situation einmal feststellen, wie
häufig in diesem Lande und im Bundestag das Unternehmertum beschworen wird und wie wenig gerade junge
Unternehmerinnen und Unternehmer bei Risiken abgesichert sind. Auch das muss uns zu denken geben.
Wir wollen deshalb diesen Bundeskanzler beim Wort
nehmen. Wir wissen, dass ihm auch Skepsis entgegenschlägt, denn die Versprechen hinsichtlich der Senkung
der Arbeitslosigkeit sind natürlich nicht vergessen.
Ich darf noch eine Bitte an Sie richten, liebe Kolleginnen und Kollegen, die Sie hier im Bundestag mehrfach,
offenbar gut gemeint, den Satz ausgesprochen haben,
zehn oder zwölf Jahre Aufbau Ost seien zunichte gemacht worden. Da ist natürlich etwas dran. Aber da dieser
Satz auch vor der Semperoper und vor dem Dresdner
Zwinger gesagt worden ist, muss ich Folgendes feststellen: Gelebt und gearbeitet wurde in Dresden und anderswo auch schon vor 1990.
({11})
Ich denke, dass wir für diesen Wiederaufbau einen
neuen Ansatz brauchen. Wir brauchen nicht den Segen
von oben, wir brauchen keine Chefsache Flut. Die Menschen in den neuen Ländern wollen, dass Bedingungen
geschaffen werden, unter denen sie mit ihrer eigenen
Hände und Köpfe Arbeit für ihre Zukunft eintreten können. Deshalb wird über vieles neu nachzudenken sein,
auch in der Umweltpolitik. Wenn wir in dieser Situation
nicht ernsthaft dafür sorgen, dass der Ausbau von Donau
und Elbe sofort gestoppt wird, wann wollen wir dann zur
Vernunft kommen?
({12})
Ebenso ist über einen wirksameren Katastrophenschutz nachzudenken. Da kann man - das werden Sie
jetzt wieder kritisieren- auch manches von der DDR lernen. Es gibt eine ganze Reihe vergessener Hochwasser,
die nicht die allgemeine Aufmerksamkeit erregt haben,
beispielsweise das Harz-Hochwasser. Deshalb haben wir
unseren Aufruf überschrieben: „Aufatmen. Aufräumen.
Aufbauen. Gemeinsam. Für ein neues Aufbauwerk.“
Vielen Dank.
({13})
Ich erteile das Wort
dem Senator der Freien und Hansestadt Hamburg, Herrn
Ronald Schill.
({0})
Meine sehr
verehrten Damen und Herren! Sehr verehrte Frau Präsidentin! Dass jetzt einige Herrschaften den Saal verlassen,
ist symptomatisch dafür, mit welcher unglaublichen
Selbstherrlichkeit und Arroganz hier über Probleme hinweggegangen wird, die Sie selbst angerichtet haben.
Unser Mitgefühl gilt den Opfern der schlimmen Flutkatastrophe. Ich selbst war als Innensenator der Freien
und Hansestadt Hamburg in unserer Partnerstadt Dresden
und habe mir ein Bild machen können einerseits von den
Verheerungen dort, andererseits aber auch von der Welle
der Hilfsbereitschaft auch unbeteiligter Personen, von der
Spendenbereitschaft und der enormen Tatkraft. Die Spendenbereitschaft, die Tatkraft und das Engagement müssen
selbstverständlich durch staatliche Hilfe ergänzt werden,
und zwar in einer Größenordnung, wie sie hier angedacht
ist, nämlich in Höhe von mindestens 7 Milliarden Euro.
Darüber besteht kein Zweifel. Darüber besteht ein breiter
Konsens unter Demokraten.
Eine andere Frage, die mich und sehr viele Bürger umtreibt, ist jedoch: Was ist aus Deutschland geworden, dass
die für die Hilfe nach der Flutkatastrophe benötigten
7 Milliarden Euro nicht anders aufgebracht werden können als durch faktische Steuererhöhungen? Die Verschiebung der Steuerentlastungsstufe für das Jahr 2003
trifft ausgerechnet die kleinen Leute, Arbeitnehmer und
Kleinbetriebe, und ist höchst unsozial für eine Partei, die
sich sozialdemokratisch nennt.
({0})
Die Wirtschaft wird hierdurch, wie bereits in der Vergangenheit, weiter erdrosselt. Wo sind eigentlich - diese Frage
erhebt sich in der Bevölkerung - die 50 Milliarden Euro
geblieben, die der Finanzminister aufgrund der UMTSLizenzen bekommen hat?
({1})
Das waren sage und schreibe 50 Milliarden Euro. Waren
hierfür nicht sogar der Absturz der Telekomaktie und die
damit verbundene Schädigung von Millionen Kleinaktionären in Kauf genommen worden?
({2})
- Ich beschäftige mich mit dem Thema der Notwendigkeit, die Hilfe nach der Flutkatastrophe durch Steuererhöhungen zu finanzieren, die Sie ja als alternativlos angesehen haben.
Nach fast jährlich wiederkehrenden Katastrophen vergleichbaren Ausmaßes wird die Hilfe in den USA ganz
selbstverständlich aus Überschüssen und Rücklagen finanziert. In den USA würde niemand auf die Idee kommen, nach verheerenden Waldbränden, Hurrikans oder
dem Ereignis des 11. September 2001 die Steuern zu erhöhen und damit der Wirtschaft den Garaus zu machen.
Auf solche Ideen verfällt man nur hier.
({3})
Was ist aus Deutschland geworden, dass die benötigten
7,1 Milliarden Euro nur durch faktische Steuererhöhungen finanziert werden können? Der Bundeskanzler sagte
vorhin, er glaube an die Kraft der Volkswirtschaft - der
Volkswirtschaft, die er selbst zugrunde gerichtet hat,
meine Damen und Herren. Wir haben in Deutschland das
geringste Wirtschaftswachstum und den höchsten Schuldenberg in Europa.
({4})
Rot-Grün ist es gelungen, die schon vorhandenen Schulden um noch einmal 100 Milliarden Euro zu erhöhen.
Wenn wir noch die 50 Milliarden Euro aufgrund der
UMTS-Lizenzen dazurechnen, haben Sie in den letzten
vier Jahren 150 Milliarden Euro verpulvert.
({5})
Wir haben darüber hinaus - diese Bemerkung in puncto
Kraft der Volkswirtschaft, auf die sich Herr Schröder gerne
verlässt - die höchste Abgabenquote in ganz Europa. Es ist
errechnet worden, dass der durchschnittliche Mensch sage
und schreibe 56 Prozent seiner Arbeitszeit im Jahr nur für
den Staat aufwendet. Diese Zahl, 56 Prozent, lässt es natürlich vielen Bürgern unsinnig erscheinen, in diesem Lande
überhaupt noch einer geregelten Arbeit nachzugehen.
({6})
Sie sagen: Arbeit lohnt sich nicht mehr. Deswegen arbeiten viele von ihnen schwarz und beziehen gleichzeitig Sozialhilfe. Deswegen haben wir eine Schattenwirtschaft
von 350 Milliarden Euro. Dagegen wird nichts getan. Vielmehr werden die Umstände, die die geregelte, reguläre Arbeit unattraktiv machen, immer schlimmer. Dazu soll jetzt
auch die weitere Steuererhöhung ganz eindeutig beitragen.
Wie konnte es dazu kommen, obwohl doch die Menschen unseres Landes anerkanntermaßen zu den tüchtigsten Europas gehören? Unsere tüchtigen Bürger klagen an,
auf welche verschwenderische Weise deutsche Politiker
in den vergangenen Jahrzehnten mit dem Geld umgegangen sind. Unsere tüchtigen Bürger klagen zum Beispiel
diejenigen Politiker an, die sich darin gefallen haben, in
den letzten Jahrzehnten mit dem Kelch der Barmherzigkeit, gefüllt mit deutschen Steuergeldern, durch die ganze
Welt zu ziehen und bei irgendwelchen Katastrophen die
betroffenen Menschen hierher zu holen. Jeder, der dagegen etwas gesagt hat, wurde als ausländerfeindlich- bzw.
als menschenunfreundlich diffamiert.
Jetzt wundert sich die ganze Welt, dass Deutschland noch
nicht einmal in der Lage ist, der in Not geratenen Bevölkerung aus eigener Kraft zu helfen, ohne die Steuer zu erhöhen
womit gleichzeitig die Leistungsfähigkeit der Wirtschaft
erdrosselt wird. Die ganze Welt wundert sich mittlerweile
darüber, was aus diesem Deutschland geworden ist.
({7})
Wir bilden das Schlusslicht in Europa, was Sie teilweise
zu verantworten haben.
Es hat in den letzten 30 Jahren eine massive Zuwanderung stattgefunden, die zulasten der Sozialkassen geht.
({8})
- Ich rede zur Sache. Es besteht nämlich aufgrund der Flutkatastrophe die Notwendigkeit, die Steuern zu erhöhen.
Mit den Ursachen für diese Notwendigkeit sollten Sie sich
einmal befassen; denn Sie gehören zu den Verantwortlichen. - Wie gesagt, es hat eine Zuwanderung stattgefunden, die zulasten der Sozialkassen geht. Obwohl es eine
Verdoppelung der Zahl der Ausländer seit 1972, also in den
letzten 30 Jahren, gegeben hat - ich sage das in aller Deutlichkeit -, waren 1972 mehr ausländische Mitbürger erwerbstätig als heute. Damals waren es 2,3 Millionen und
jetzt sind es nur noch 2 Millionen.
Was lernen wir daraus? - Wir lernen daraus, dass es
eine verdammt teure Entwicklung gewesen ist.
({9})
Senator Ronald B. Schill ({10})
Jetzt fehlen die nötigen Gelder für Hilfsmaßnahmen, die in
den USA bei vergleichbaren Katastrophen aus der Portokasse finanziert werden. Wir haben uns etwa den Luxus
geleistet, in der Zeit des Bosnien-Bürgerkriegs doppelt so
viele Bosnier nach Deutschland zu holen wie sämtliche
Staaten der Europäischen Union zusammen. Da stellt sich
doch die Frage, ob die Regierungschefs anderer europäischer Nationen unmenschlich waren oder ob nicht vielmehr die Politiker unseres Landes die Bedürfnisse der eigenen Bevölkerung mit Füßen getreten haben.
({11})
In den letzten Jahren wurden jedes Jahr über 10 Milliarden DM für Flüchtlinge in Deutschland ausgegeben.
Dieses Geld fehlt jetzt an anderer Stelle. Sehen Sie es endlich ein! Wer mir vorwirft, ich würde das Leid der Flutopfer gegen das Leid der Flüchtlinge ausspielen, dem
kann ich nur sagen: Nur ein Rabenvater lässt seine Kinder
darben, während er sich um unbekannte Gäste kümmert.
Sie haben in der Vergangenheit das Geld verfrühstückt
und haben es mit der Gießkanne über die ganze Welt verteilt, sodass Deutschland diese Katastrophe nicht mehr
angemessen bewältigen kann.
({12})
Die tüchtigen Bürger unseres Landes klagen an. Sie klagen die rot-grüne Regierung an, die ein Zuwanderungsgesetz, allen besseren Einsichten zum Trotz, gegen den Willen von 83 Prozent der Bevölkerung durchgepaukt hat, die
in diesem Gesetz ein Zuwanderungserweiterungsgesetz
sehen. Die Bürger lehnen dieses Gesetz insbesondere deshalb ab, weil es die Ströme unkontrollierter Zuwanderung
in der Zukunft noch erweitern wird.
Da die Bundesregierung das weiß, hat sie 3 Millionen Euro dafür aufgewendet - das ist ein weiterer Skandal und vor dem Hintergrund der Flutkatastrophe besonders
peinlich -, um mit einer Briefkampagne der Bevölkerung
dieses Gesetz schmackhaft zu machen.
({13})
Diese 3 Millionen Euro wurden fünf Wochen vor der Bundestagswahl sozusagen für Wahlwerbung ausgegeben.
({14})
Wie wollen Sie den Menschen in Dresden erklären, dass
es Ihnen wichtiger ist, der Bevölkerung mithilfe der
3 Millionen Euro Ihr Gesetz schmackhaft zu machen und
dem Bürger Sand in die Augen zu streuen, als mit diesem
Geld dort zu helfen, wo es dringend gebraucht wird?
({15})
Die tüchtigen Menschen unseres Landes klagen an, dass
sie an den wichtigsten Entscheidungen nicht beteiligt werden, dass sie faktisch entmündigt werden, wenn es um die
Fragen geht, ob Deutschland ein Einwanderungsland werden soll oder ob es eine EU-Osterweiterung geben soll.
Ich besuche gelegentlich meine Freunde in Polen und
habe dieses Land auch schon einmal von der Westgrenze
bis zur Ostgrenze bereist. Dabei habe ich festgestellt, dass
dort die Infrastruktur mehr im Argen liegt als in der
ehemaligen DDR im Jahre 1989.
({16})
Deswegen stellt sich für den Bürger die Frage: Wie teuer
wird uns die Osterweiterung? Ruinieren wir uns damit als
Hauptnettozahler der Europäischen Union endgültig oder
schaffen wir es gerade noch? Aber der Bürger wird nicht
gefragt. Er hat keine Alternative. Deswegen muss es in
wichtigen Fragen, wie in anderen europäischen Nationen
üblich, endlich so etwas wie Volksabstimmungen geben.
Die tüchtigen Bürger dieses Landes klagen darüber
hinaus die Mitglieder auch dieses Hauses an, die sich
durch schwarze Kassen bereichern
({17})
und Korruption betreiben, beispielsweise in NordrheinWestfalen bei der Vergabe von Baugenehmigungen für
Müllverbrennungsanlagen; die Namen Trienekens und
Wienand haben traurige Berühmtheit erlangt. Sie klagen
auch die Bonusmeilenmentalität, die der eine oder andere
hier kennen gelernt hat, an.
Die tüchtigen Menschen dieses Landes, die jetzt nicht
verstehen können, warum die Flutkatastrophe nicht durch
Rücklagen finanziert werden kann, klagen auch an, dass
in den 70er-Jahren ein Strafvollzugsgesetz geschaffen
worden ist, welches an der menschlichen Wirklichkeit
vorbeigeht, da ja bekanntermaßen nicht jeder Mörder,
Vergewaltiger und Räuber resozialisierbar ist. Dieses
Strafvollzugsgesetz hat dazu geführt, dass jeder Kriminelle einen Anspruch auf eine Einzelzelle hat. Erklären
Sie das einmal den Menschen auf der Straße, die sich als
AOK-Patienten ihr Krankenzimmer mit anderen Kranken
teilen müssen! Erklären Sie das einmal den jungen Wehrpflichtigen, die sich ihre Stube mit anderen Wehrpflichtigen teilen müssen! Erklären Sie einmal den Menschen auf
der Straße, dass im hessischen Weiterstadt für 400 Gefangene eine Strafanstalt mit Schwimmbad und sonstigem
Komfort für 300 Millionen DM gebaut worden ist!
({18})
Erzählen Sie das doch einmal gegen besseres Wissen und
durch ideologische Verblendung begünstigt! Jeder Haftplatz kostet pro Monat 3 000 Euro.
({19})
- Das hat in der Hinsicht damit zu tun, dass die Kassen in
Deutschland jetzt leer sind und wir deswegen nicht in der
Lage sind, die Flutkatastrophe zu bekämpfen und mit Mitteln zu sanieren, die eigentlich in Hülle und Fülle vorhanden
sein müssten angesichts der tüchtigen Bevölkerung, die sich
abrackert. Dafür müsste das Geld zur Verfügung stehen.
({20})
Die tüchtigen Menschen klagen auch Herrn Gerhard
Schröder an, weil er zur nächsten Wahl noch einmal antritt, obwohl er gesagt hat, wenn es ihm nicht gelinge, die
Arbeitslosenzahlen auf unter 3,5 Millionen zu senken,
Senator Ronald B. Schill ({21})
dann habe er es nicht verdient, wiedergewählt zu werden.
Wie kann jemand, der so etwas formuliert, jetzt die Unverschämtheit besitzen, hier wieder anzutreten?
({22})
Er schiebt es gern auf weltwirtschaftliche Faktoren; das
habe auch ich schon begriffen. Das ist aber vor dem Hintergrund, dass er seine Politik der ruhigen Hand bloß hätte
einschlafen lassen müssen und die Arbeitslosenzahlen
wären automatisch auf unter 3,5 Millionen gesunken, unglaublich. Denn demographisch wäre das zwangsläufig
der Fall gewesen. Wir haben in den letzten zweieinhalb
Jahren 600 000 ältere Arbeitnehmer mehr, die pensioniert
worden sind, als Neuzugänge. Allein aufgrund dessen
wäre ohne das Zutun des Kanzlers ein Abbau der Arbeitslosigkeit möglich gewesen. Der Kanzler hat Arbeitsplätze
in Millionenhöhe gezielt vernichtet.
Durch vier Maßnahmen hat Bundeskanzler Schröder
mit seinen Grünen und seinen Roten etwa 1 Million Arbeitsplätze völlig ohne Not vernichtet: erstens durch die
Abschaffung der so genannten 630-Mark-Jobs,
({23})
zweitens durch eine völlig unsinnige Regelung zur
Scheinselbstständigkeit,
({24})
drittens durch eine wachstumsfeindliche Ökosteuer und
viertens durch eine Ausweitung des Kündigungsschutzes.
Das hat 1 Million Arbeitsplätze gekostet. Aber das war
ihm der Spaß offenbar wert.
Auch durch die Finanzierung der Differenz zwischen
3,5 Millionen und 4 Millionen Arbeitslosen sind enorme
Kosten entstanden. Das ist Geld, das jetzt natürlich fehlt.
Nun fällt ihm wieder nichts Besseres ein, als angesichts
dieser nationalen Katastrophe die Steuern zu erhöhen.
({25})
Herr Senator, Ihre angemeldete Redezeit ist abgelaufen. Ich bitte Sie, zum
Schluss zu kommen.
Es ist kein
Geld mehr vorhanden für die Fluthilfe. Es ist kein Geld
vorhanden für Basisinnovationen, um die uns die ganze
Welt beneidet.
({0})
Es gibt ganz tolle Leistungen der Ingenieurkunst. Ich
möchte nur den Transrapid nennen. Der wird jetzt in
China gebaut, weil in Deutschland kein Geld mehr vorhanden ist.
Deutschland ist letztendlich herabgewirtschaftet worden. Wir haben ohne Zweifel die tüchtigsten Menschen,
aber sicherlich die unfähigsten Politiker.
({1})
Aus gegebenem Anlass muss ich noch einen Punkt hinzufügen. Der betrifft Sie, Frau Präsidentin.
Ja.
Menschen in
Not müssen darauf vertrauen können, dass - jedenfalls im
Bundestag, dem höchsten deutschen Parlament - alles mit
rechten Dingen zugeht. In diesem höchsten deutschen -
Es tut mir Leid, aber
ich muss Ihnen jetzt das Wort entziehen. Es hat keinen
Sinn weiterzureden. Verlassen Sie bitte das Rednerpult!
Ihre Redezeit ist abgelaufen.
({0})
Sie haben eine Redezeit von 15 Minuten angemeldet,
die Sie weit überschritten haben. Deswegen darf ich Sie
bitten, das Rednerpult zu verlassen.
Ich weise darauf hin, dass der Herr Innensenator Mitglied des Hamburger Senats ist und hier auch als solches
spricht. - Ich erteile Ihnen erneut die Gelegenheit zu einem Schlusswort und dann verlassen Sie bitte das Pult.
Sonst entziehe ich Ihnen das Wort.
Bitte sehr.
({1})
Ich bin mit
großem Vertrauen in den Bundestag gekommen und
musste feststellen, dass hier die Verfassung mit Füßen getreten wird.
({0})
Ich hatte mein Rederecht nach Art. 43 Abs. 2 des
Grundgesetzes rechtzeitig angemeldet, und zwar unter
Zeugen, und die Bundestagspräsidentin - ({1})
Meine Damen und
Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte darauf hinweisen, dass Herr Schill Mitglied des Senats der
Freien und Hansestadt Hamburg ist und als Regierungsmitglied hier sprechen durfte. Er hat nach Art. 43 Recht
auf jederzeitiges Gehör. Das heißt aber nicht, dass er hier
hinhüpfen kann, wenn es ihm passt, sondern nur dann,
wenn es in den Tagesordnungspunkt, zu dem er gehört
werden will, hineinpasst. Deswegen haben wir den Ablauf
Senator Ronald B. Schill ({0})
so gewählt, dass auch die anderen Mitglieder von Bundesrat und Bundesregierung, die ebenfalls einen Anspruch
auf jederzeitiges Gehör haben, zu Wort gekommen sind.
Ich habe aber - das gebe ich zu - nicht zugelassen, dass
zunächst nur Mitglieder der Bundesregierung und des
Bundesrats sprechen und die Fraktionsvorsitzenden erst in
der zweiten Runde zu Wort kommen. Ich meine, dass damit auch für Herrn Schill das Recht auf jederzeitiges
Gehör gewahrt wurde, liebe Kolleginnen und Kollegen.
({1})
Nun nimmt Herr Bundeswirtschaftsminister Dr. Werner
Müller das Recht auf jederzeitiges Gehör in Anspruch.
Dr. Werner Müller, Bundesminister für Wirtschaft
und Technologie ({2}): Frau
Präsidentin! Meine Damen und Herren! Gestatten Sie mir
eine Vorbemerkung. Sie haben darauf hingewiesen, Frau
Präsidentin, dass ein Vertreter des Bundeslandes Hamburg als Mitglied des Bundesrates das Recht hat, hier zu
reden. Das wird auch nicht bestritten. Man wird aber
sicherlich die Frage stellen dürfen, ob Hamburg durch
eine solche Rede hier angemessen vertreten wird.
({3})
Es liegt auch an den Wählerinnen und Wählern, am
22. September dafür Sorge zu tragen, dass solche Reden,
wie sie in der langen Geschichte dieses Hauses nicht gehalten wurden, eine einmalige Entgleisung bleiben.
({4})
Man wundert sich, mit wem die CDU koaliert.
({5})
Lassen Sie mich nun zum eigentlichen Thema kommen
und feststellen, dass diese Hochwasserkatastrophe in etlichen Bundesländern - vor allem in Ostdeutschland; dort
sind mit Abstand die größten Schäden entstanden - Abertausende von Unternehmerinnen und Unternehmern betrifft, die in aller Regel erst nach 1990 den Schritt in die
Selbstständigkeit gewagt haben.
Wir alle wissen, dass wir vonseiten der Politik diesen
Unternehmerinnen und Unternehmern die vielen immateriellen Schäden, die seelischen Nöte nicht nehmen können; wir können sie allenfalls lindern. Aber was wir können, ist, dabei mitzuhelfen, die materiellen Schäden
großzügig und umfangreich zu beseitigen. Das Ziel, das
wir uns gesetzt haben, ist relativ einfach: Jeder Betroffene
soll seine Selbstständigkeit fortsetzen können, auch dann,
wenn das Fortsetzen für ihn praktisch einen Neuanfang
bedeutet.
({6})
Ich bin dem Bundeskanzler und dem Bundesfinanzminister sehr dankbar, dass wir von Anfang an nicht gefragt
haben, was uns die Schadenbeseitigung insgesamt kosten
wird, sondern dass wir ganz anders vorgegangen sind. Wir
haben uns nämlich überlegt, was wäre, wenn wir selber
betroffen wären, was wäre, wenn unser Betrieb fortgeschwommen wäre, und haben alle Hilfsmaßnahmen aus
der Sicht des einzelnen betroffenen Betriebes erörtert.
({7})
Mit diesen Überlegungen bin ich noch in der Woche,
als die Ereignisse eintraten, auf meine Länderkollegen
insbesondere aus Ostdeutschland zugegangen. Gemeinsam haben wir auch mit den Präsidenten der betroffenen
Handwerks- und Handelskammern diese erörtert und ein
Programm konzipiert. Parallel dazu hat der Finanzminister eine Finanzierung mit großem Volumen entwickelt.
Bereits am Montag vor einer Woche haben wir dann in der
Sondersitzung des Bundeskabinettes sowohl die Finanzierung wie auch die Verwendung der Mittel für die
Hilfe beschließen können.
({8})
Gestatten Sie, dass ich Ihnen zunächst einmal dieses
Hilfsprogramm für die Wirtschaft kurz vorstelle. Dabei
ist die Wirtschaft umfassend gemeint; darunter fallen Unternehmerinnen und Unternehmer, seien sie Ärzte, Lebensmitteleinzelhändler oder Lackierer, wie auch Autowerkstätten und Produktionsbetriebe. Für alle gilt dieses
Hilfsprogramm. Das Hilfsprogramm setzt sich zusammen
aus einer unmittelbaren Soforthilfe und aus einem Programm, alle Mittel möglichst kurzfristig bereitzustellen,
um richtig weitermachen und gegebenenfalls neu anfangen zu können.
Das eigentliche Sofortprogramm beinhaltet drei wesentliche Punkte. Erstens. Die Betriebe werden aus den
unterschiedlichsten Gründen eine gewisse Menge Geld
sofort bar auf die Hand brauchen. Die Höhe haben wir
nach Rücksprache auch mit den Kammerpräsidenten auf
bis zu 15 000 Euro je Einzelfall festgesetzt. Dieses Geld
ist inzwischen aus meinem Haushalt an die Landesförderinstitute überwiesen worden und steht ab heute Mittag
morgen und in den nächsten Tagen zur Auszahlung bereit.
Der nächste Punkt. Wir haben, weil wir wollen, dass
die Betriebe weitermachen, dafür Sorge getragen, dass sie
von den laufenden Kosten entlastet werden. Wir haben geregelt, dass Betriebe, deren Personal nicht produktiv arbeiten kann, von den Personalkosten dadurch total entlastet werden können, dass sie „Kurzarbeit Null“ beantragen
und dass in diesem besonderen Falle auch die Sozialkosten, die der Arbeitgeber sonst zu tragen hätte, von der
Bundesanstalt für Arbeit übernommen werden.
Der dritte Punkt ist, dass die laufenden Zahlungen aufgrund bestehender Kredite, also Zinsen und Tilgung,
zunächst einmal nicht geleistet werden müssen, weil der
Bankensektor damit einverstanden ist, diesen betroffenen
Betrieben ein Moratorium zu geben.
Das sind die Maßnahmen, die unmittelbar als Soforthilfe greifen. Daneben müssen wir in den nächsten Tagen
Vizepräsidentin Anke Fuchs
beginnen, mit den Betrieben über die Themen Finanzierung, Weiterbetrieb und Neuanfang zu sprechen.
({9})
Das ist bereits programmatisch festgelegt. Ich bitte darum, nicht immer so zu tun, als würde sich der Bund auf
die Soforthilfe beschränken. Das, wovon ich jetzt spreche,
ist lange, schon seit eineinhalb Wochen Kabinettsbeschluss und auch in der Sitzung des Bundeskanzlers mit
den Ministerpräsidenten vorgetragen worden, nachdem es
vorher in der Sitzung des Kanzlers mit den Wirtschaftsministern der Länder akzeptiert worden war.
Wir werden dafür sorgen, dass den betroffenen Betrieben sofort Eigenkapital zugeführt wird. Wir haben die
Eigenkapitalhilfeprogramme des Bundes sämtlich so
geändert, dass diese Betriebe neues Eigenkapital zugeführt bekommen. Parallel ermittelt der Betrieb, was getan
werden muss, wie viel er investieren muss.
Auf der Basis des gegebenen Eigenkapitals werden
diese Betriebe dann einen neuen Kredit brauchen. Wir haben dafür seitens der Bundesförderbanken sehr günstige
Kredite mit 2,5 Prozent Zinsen bereitgestellt. Damit die
Hausbanken entgegen der üblichen Diskussion - „Leiten
Banken überhaupt noch Kredite durch?“ - in diesem Falle
die Kredite zur Verfügung stellen, sind diese Kredite mit
einer 80-prozentigen Haftungsfreistellung versehen.
({10})
Man wird im Einzelfall und je nach Grad der Zerstörung
auch prüfen müssen, inwieweit die Altschulden eines Betriebes zu löschen sind. Wir haben dafür seitens des Bundes
einen durchaus umfangreichen Fonds aufgelegt.
Insgesamt kann man sagen: Aus den Elementen Eigenkapitalzuführung, neuer, zinsgünstiger Kredit und Entschuldung wird sich ein Finanzierungskonzept für den
Weiterbetrieb entwickeln lassen. Wir haben uns die Überschrift gesetzt: Kein Betrieb soll nach der Flut eine höhere
Belastung haben, als er sie vorher hatte. Das ist die Richtschnur. Wir müssen so großzügig an die Sache herangehen; denn wir sind - ich sage es noch einmal - diesen Betrieben gegenüber besonders verpflichtet, weil sie gerade
erst in einem Landesteil gegründet wurden, wo 40 Jahre
lang unternehmerische Tätigkeit verboten war.
({11})
Ich will hinzufügen, dass wir in meinem Ministerium
einen Krisenstab gebildet haben, der in Zusammenarbeit
mit den Ländern die Durchführung überwacht. Ich werde
mich selber aktiv einschalten. Ich werde permanenten
Kontakt mit den Kammern halten, damit ich weiß, dass
das, was der Bund bereitstellt, tatsächlich vor Ort eingesetzt wird.
({12})
Herr Ministerpräsident, Sie haben meine Kritik an
Ihrem Land aufgegriffen - das ist ja auch richtig - und gesagt, Sie hätten sich informiert. Ich weiß nicht, wie Sie informiert wurden. Ich will Ihnen meine Informationen geben. Mir ist beispielsweise am Montagabend dieser Woche zu Ohren gekommen, das Land erwarte, dass wir die
Sofortgelder am Donnerstag auf ein Landeskonto überweisen; aber ausgezahlt werden könnten sie frühestens,
wenn das sächsische Kabinett wieder zusammengetreten
sei, und das könne vor dem 3. September gar nicht sein.
({13})
Deswegen sah ich mich genötigt, meinem geschätzten
Kollegen einen Brief zu schreiben, er möge mir unmittelbar bestätigen, dass erstens die Antragsformulare erarbeitet werden
({14})
und dass zweitens diese Gelder ab Donnerstag ausgezahlt
werden.
({15})
Herr Ministerpräsident, ich darf darauf hinweisen: Die
Auszahlung der Gelder, die seitens Ihres Landes immer
angemahnt wird, kann erst erfolgen, wenn der Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestages dem zugestimmt
hat. Das hat er heute um 11 Uhr getan. Um 12 Uhr sind
die Gelder überwiesen worden. Ich erwarte, dass sie in
Ihrem Land jetzt ausgezahlt werden.
({16})
Wir bedienen uns der Hilfe Ihrer Ausgleichsbank. Ich
erwarte, dass die Ausgleichsbank Ihres Landes sich hier
konstruktiv einbringt. Hier sitzen einige Abgeordnete, die
Klagen aus der sächsischen Gegend bekommen: Wenn
man bei der Ausgleichsbank anruft, heißt es, Geld gebe es
nicht, diese 15 000 Euro kämen in irgendeinen Topf. Ich
weiß gar nicht, woher ein solcher Unsinn kommt; aber das
kann man dokumentieren. Ich habe die Bitte - damit können wir das beschließen -, dass die Länder und auch Ihr
Bundesland das Tempo, das der Bund vorlegt, mitgehen.
({17})
- Wir spielen nicht schwarzer Peter. Das ist doch eine
furchtbar dumme Vokabel.
({18})
Wir stellen das Geld zur Verfügung, damit die Unternehmen es sofort bekommen. Ich bin dafür verantwortlich,
weil ich öffentlich erklärt habe, dass die Unternehmen sofort Geld erhalten. Ich nehme diese Verantwortung ernst.
Das will ich ja gerade erklären.
Herr Ministerpräsident, wenn man das wirklich zügig
unterstützen will, muss man beispielsweise den Kammern
vor Ort, den Kreisen und den Landratsämtern diese AnBundesminister Dr. Werner Müller
träge in kürzester Frist zustellen und nicht, wie mir jetzt
schriftlich mitgeteilt wurde, verkünden, dass man diese
Anträge nun postalisch an die Landratsämter auf den Weg
bringt. Ich habe nichts gegen die Deutsche Post, aber es
gibt auch schnellere Wege.
({19})
Meine Damen und Herren, mir geht es darum, dass wir
ein Programm für die Wirtschaft aufgelegt haben. Jeder
betroffene Betrieb, ob in Bayern oder insbesondere in
Ostdeutschland, darf sich sicher sein, dass der Bund zu
folgendem Satz steht: Habt den Mut und fahrt die Betriebe
weiter, wir werden regeln, dass euch das zu zumutbaren
Bedingungen gelingen wird.
({20})
Vor diesem Hintergrund habe ich die Bitte an die Wirtschaft, dass wir insgesamt zusammenstehen. Ich bitte darum, dass Betriebe, die derzeit nicht beliefert werden können, weil sächsische Betriebe ausgefallen sind, die
Lieferbeziehungen nicht abbrechen.
({21})
Ich habe auch die Bitte, dass Betriebe beispielsweise eine
Zeit lang einen Lehrling übernehmen, wenn er in einem
betroffenen Betrieb nicht arbeiten kann. Es ist großartig,
wie viel Hilfe generell geleistet wird. Ich bin mir sicher,
dass die Betriebe, die nicht betroffen sind, auch in diesen
Fragen solidarisch zu den betroffenen Betrieben stehen.
({22})
Das war die Vorstellung des Programms zur Hilfe der
Wirtschaft. Ich will in meiner Rede jetzt einen kleinen
Bruch machen.
Ich wundere mich ehrlich gesagt schon, dass beispielsweise der Vorsitzende der FDP hier hinkommt
({23})
und sich, nachdem erst zwei Reden gehalten wurden, darüber beschwert, dass hier Wahlkampfreden gehalten
würden. Nicht weil er mein Chef ist, sondern weil ich zugehört habe, muss ich Ihnen deutlich sagen: Der Bundeskanzler hat eine Regierungserklärung abgegeben und
keine Wahlkampfrede gehalten.
({24})
Die Erwiderung - ich weiß gar nicht, ob das eine Wahlkampfrede war - war aber stellenweise eine Herausforderung an den ökonomischen Sachverstand.
({25})
Wie kann man beispielsweise hier im Deutschen Bundestag ernsthaft verkünden, Schulden zu machen sei wesentlich besser, als die Steuern zu erhöhen?
({26})
- Lassen Sie mich doch einmal ausreden! - Wenn das der
Fall wäre, frage ich mich, warum wir überhaupt noch
Steuern zahlen. Dann könnten wir doch nur noch Schulden machen.
({27})
Wie kann man aufgrund dieser unglücklichen Hochwasserkatastrophe allen Ernstes von einem krassen Gegner
der eichelschen Steuerreform zu einem feuernden Anhänger werden? Wie geht das? Das ist - bis zum Tag vor
der Flut - zitierfähig.
({28})
Überall wurde gesagt, dass die Senkung des Spitzensteuersatzes um eineinhalb Prozent völlig wirkungslos
verpuffe; das könne man nicht Steuerreform nennen. Jetzt
erfolgt die Steuersenkung um eineinhalb Prozentpunkte
erst ein Jahr später und plötzlich bricht Deutschland zusammen. Sie müssen es sich schon gefallen lassen, dass
das als pure Wahlkampfpolemik bezeichnet wird.
({29})
Nach dieser Überleitung kommen plötzlich - damit erhält man die Brücke dafür, dass man zu einem Anhänger
Eichels wird - die alten Parolen, dass Deutschland
Schlusslicht sei usw. Ich will Ihnen sagen: Bezüglich der
Wachstumsraten liegen wir derzeit - auf der Basis eines
niedrigen Wachstums - im Mittelfeld Europas. Die Rezessionszeit haben wir seit dem letzten Halbjahr hinter
uns. Zwei Quartale hintereinander wuchs die Wirtschaft,
wenn auch nicht stark. Auch das Ifo-Institut hat gesagt,
dass die Prognose der Bundesregierung erreicht wird. Ich
selbst war ja optimistischer. Die 0,75 Prozent stehen aber
nicht infrage. Das nur einmal am Rande.
Auch in vielen anderen Bereichen liegen wir zumindest im Mittelfeld Europas. Gerade heute hat die Europäische Union eine Beschäftigungsstatistik herausgegeben.
Danach liegt die durchschnittliche Beschäftigungsrate in
Deutschland bei 65,7 Prozent. Das ist sogar in der oberen
Hälfte aller europäischen Länder. Am Ende liegt Spanien
mit einem Beschäftigungsgrad von nur 54 Prozent. Das
alles verschweigen Sie.
Sie verschweigen beispielsweise etwas, wenn Sie sagen, unser Wachstum sei kleiner als das der Niederlande.
Ich kann genauso gut sagen: Das deutsche Wachstum ist
achtmal größer als das der Niederlande, weil wir insgesamt ein größeres Volk mit einem wesentlich höheren
Wachstumsniveau sind.
({30})
So könnte man mit Ihnen über alles Mögliche reden.
Aber es hat wenig Zweck zu diskutieren, weil Ihnen oft
die Einsicht in ganz natürliche Abläufe fehlt. Wesentlich
eindrucksvoller ist es, wenn man Ihnen ein paar Zahlen
vorhält.
Ich kenne die Politik, dass Schulden besser sind als
Steuern. Sie haben von 1995 bis 1998 die Bundesschuld
um 200 Milliarden Euro erhöht. In den letzten vier Jahren
unter Helmut Kohl ist die Bundesschuld um 400 Milliarden DM angewachsen. Wir können stolz darauf sein, dass
wir in den vier Jahren der Regierung Schröder/Eichel die
Bundesschuld um nur 37 Milliarden Euro erhöht haben.
Das ist ein ganz gewaltiger Fortschritt im Umdenken.
({31})
Politik kann nicht heißen, auf Kosten künftiger Generationen zu leben.
({32})
Der einfache Satz, dass wir unser Leben nicht auf Kosten
künftiger Generationen gestalten dürfen, ist erstmals in
dieser Bundesregierung wirklich umgesetzt worden.
({33})
Ich halte es für sehr bezeichnend, dass Sie keinen anderen Vorschlag machen können als den, künftige Generationen sollen zahlen, wenn es darum geht, eine Sonderaufgabe zu lösen.
({34})
- Ich trage für die Konjunktur Mitverantwortung; dazu
bekenne ich mich.
({35})
Aber Sie werden mir doch gestatten, daran zu erinnern,
dass wir Konjunkturpolitik nicht dadurch machen, permanent das Geld der Kinder in der Gegenwart auszugeben.
Das ist ein großer Unterschied zu Ihrer Wirtschaftspolitik.
({36})
Ich möchte noch kurz auf das eingehen, was ich vorhin
schon angesprochen habe. Der Bundeskanzler hat eine
Regierungserklärung abgegeben, sie wurde mit einer
Wahlkampfrede erwidert. Diese Wahlkampfrede enthielt
Dinge, bei denen ich mich frage, ob sich der bayerische
Ministerpräsident vielleicht verlesen hat. Ich bin ziemlich
sicher, dass er sein Manuskript nicht richtig vorgelesen
hat. Ich will Ihnen einen Satz zitieren. Er hat gesagt: Wir
werden alle Programme für regenerative Energien verbessern. Ich gehe jede Wette ein, dass in seinem Manuskript „verwässern“ steht.
({37})
Man kann das ganz einfach darstellen. Zu Beginn
unserer Regierungszeit, standen in meinem Haushalt für
die Förderung regenerativer Energien 20 Millionen DM
zur Verfügung. Heute geben wir für die Förderung
regenerativer Energien allein beim Marktanreizprogramm das Zwanzigfache aus, nämlich 200 Millionen Euro.
({38})
Fast möchte man sagen, der Flut sei Dank. Bis einen
Tag vor der Flut gab es jede Menge zitierfähiger Aussagen: Wir werden die Förderung regenerativer Energien
umstellen. Wir werden mit der Windenergie Schluss machen, eine völlige Überförderung. - Jetzt muss man sich
anhören: In Bayern liegt der Anteil regenerativer Energien
mit 4 Prozent über dem Bundesdurchschnitt. Es fehlt nur
noch, dass der bayerische Ministerpräsident erklärt, erst
seitdem er in Bayern regiere, flössen dort die Gebirgsbäche.
({39})
Ich komme zu dem zurück, was mir am Herzen liegt.
Ich wäre froh, wenn es uns gelänge, die Hilfe, die die Bürgerinnen und Bürger, vor allem aber auch die Unternehmerinnen und Unternehmer erwarten, aus dem Wahlkampf herauszuhalten.
({40})
Für mich ist es das oberste Gebot der Stunde, dass die Bürgerinnen und Bürger der Politik der Bundesregierung in
diesen besonderen Punkten vertrauen und wir ihr Vertrauen durch eine ganz konkrete Leistung würdigen, damit wir sagen können: Die Leute haben den Mut aufgebracht und mit unserer Hilfe weitergemacht.
Danke.
({41})
Zu einer Kurzintervention erteile ich dem Ministerpräsidenten des Freistaates Sachsen, Herrn Milbradt, das Wort.
Dr. Georg Milbradt, Ministerpräsident ({0}): Herr
Kollege Müller, lassen Sie mich vier Punkte feststellen:
Erster Punkt. Der Freistaat Sachsen hat schon vor der
Bundesregierung ein Hilfeprogramm für die Betriebe
beschlossen. Die entsprechenden Antragsformulare sind
in der letzten Woche ausgegeben worden; ich selber war
dabei. Wir haben es für sinnvoll gehalten, dieses Programm mit dem Ihren zusammenzufassen, damit die Betroffenen nicht zweimal Anträge stellen müssen und von
einer Stelle Geld bekommen. Das ist erfolgt. Sie sollten
froh darüber sein, dass wir für die Betriebe bereits 20 Millionen Euro aus eigenen Mitteln bereitgestellt haben, die
wir weder im Rahmen des Fonds noch auf andere Art und
Weise zurückhaben wollen. Das ist unser Beitrag zur Linderung der Not unserer Betriebe.
({1})
Zweiter Punkt. Es ist völlig klar, dass das Geld ausgezahlt wird. Wir zahlen es aus und wir werden es auszahlen.
({2})
- Es ist zum Teil schon ausgezahlt worden.
({3})
- Wir zahlen aus! Sie brauchen sich gar nicht darüber aufzuregen. Wir zahlen aus, obwohl wir das Geld vom Bund
noch nicht bekommen haben. Denn ich vertraue darauf,
dass er seine Zusage einhält. Es ist doch völlig unerheblich, wann welche Gelder auf welchen Konten sind.
({4})
Dritter Punkt. Herr Kollege Müller, wir sind nicht so
weit hinter dem Mond, dass wir für die Verteilung der
Formulare die normale Post benutzen. Sie können sie im
Internet abrufen und sie sind per E-Mail an die Kreisverwaltungen weitergeleitet worden. Das heißt, die Formulare können benutzt werden und sie werden benutzt.
Ein vierter Punkt, den ich anmerken möchte: Wenn wir
uns um die betroffenen Betriebe kümmern wollen, dann
brauchen wir jetzt - darüber sind wir uns doch im Klaren keinen Streit über die Soforthilfe, sondern klare Regeln zur
Entschuldung. Ich bin mir sicher, dass von Ihrem Hause
heute oder morgen die entsprechenden Vorlagen kommen,
die wir dann gegenzeichnen werden. Das ist der eigentliche
Punkt, über den wir sprechen müssen. In diesem Zusammenhang sollten wir dann auch - das habe ich extra angemerkt - über die Rolle unserer Sparkassen und Volksbanken beraten. Denn wir sind daran interessiert, dass sie nicht
in die Knie gehen. Ich glaube, das ist auch Ihre Meinung.
Wir sind also einer Meinung und könnten die Sache
beenden, wenn wir nicht weiter Wahlkampf betreiben
wollten.
({5})
Herr Minister Müller,
möchten Sie antworten? - Bitte sehr.
({0})
Herr Ministerpräsident, ich verzichte
bewusst auf eine Erwiderung und habe nur eine Bitte: Die
Briefe, die mich aus Ihrem Land erreichen, sollten nicht
die Aussagen enthalten, die ich hier vorgetragen habe.
Wenn es stimmt, dass diese Aussagen falsch sind, dann
freue ich mich.
({0})
Auch freue ich mich, dass man bei Ihnen die Formulare
aus dem Internet herunterladen kann. Auch das muss eine
ganz neue Entwicklung sein. Aber Schwamm drüber!
Wichtig ist, dass wir, was die Hilfe anbelangt, ein gemeinsames Interesse haben und dass diese Hilfe so
schnell wie möglich vor Ort ist. Ich habe hier nur gesagt:
Ich möchte das durchgesetzt wissen. Ich sehe, dass Sie
mir zustimmen.
({1})
Jetzt hat das Wort die
Kollegin Eva Bulling-Schröter für die PDS-Fraktion.
Frau Präsidentin!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Deutschland wird beim
Erdgipfel in Johannesburg seine Erfolge im Umweltschutz feiern. Zur gleichen Zeit werden viele Menschen
an Elbe und Donau vor dem Nichts stehen. Sie schaufeln
mühsam Schlamm aus Kellern und verwüsteten Wohnungen. Die Jahrhundertflut dieses Sommers zerstörte Menschenleben, Infrastruktur und Existenzen.
Viele Betroffene fragen sich nun: War die Katastrophe
nur eine böse Laune der Natur oder stimmt vielleicht doch
etwas nicht im Ökomusterland? Fakt ist: Schlimme Überflutungen gab es schon früher. Die alten Hochwassermarken zeugen davon. Dennoch machen die Menschen und
ihre Politik solche Katastrophen immer wahrscheinlicher
und verschlimmern die Folgen. Wissenschaftler prognostizieren neue Katastrophen und warnen im Wesentlichen
vor zwei Punkten: erstens vor den fortwährenden Eingriffen in den Lauf der Flüsse und Ströme sowie vor
Flächenversiegelungen und zweitens vor dem menschlichen Beitrag zum Klimawandel. Seit Jahrzehnten wurden der Wasserlauf von Moldau und Elbe sowie deren Nebenflüssen ebenso wie der fast aller größeren Flüsse in
Europa begradigt, kanalisiert und eingeengt. Auwälder
und andere natürliche Überschwemmungsgebiete wurden
beseitigt und als neue Siedlungsgebiete oder Ackerland
ausgewiesen. Es gibt noch immer Uneinsichtige. Zum
Beispiel rückt die CSU - Herr Stoiber ist mittlerweile
nicht mehr da ({0})
nicht von ihrer Forderung ab, das letzte unverbaute Stück
Donau zwischen Straubing und Vilshofen doch noch zuzubetonieren. Der Bund für Umwelt und Naturschutz
sagt: Wer Stoiber wählt, wählt Staustufen. - Das sollten
sich die Wähler merken.
({1})
Der durch den Menschen verursachte Klimawandel
vergrößert die Überschwemmungsgefahren. Der gegenwärtige Gehalt an CO2 in der Atmosphäre wurde die letzten 20 Millionen Jahre mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht
überschritten. In den letzten 1 000 Jahren gab es keinen derart schnellen Temperaturanstieg wie in den letzten
100 Jahren.
Ministerpräsident Dr. Georg Milbradt ({2})
Was ist jetzt also notwendig? - Ein durchgreifendes
Umsteuern im Verkehrsbereich und beim gigantischen
Ressourcenverbrauch. Wenn wir Hochwasserprävention
und Klimaschutz ernsthaft betreiben wollen, dann gehören genau diese Themen demnächst auf die Tagesordnung. Ich wünsche uns allen, dass wir hier nicht schon
bald wieder über die nächste Hochwasserkatastrophe reden müssen. Wir müssen vielmehr alles tun, damit Katastrophen wie diese in Zukunft verhindert werden.
({3})
Ich erteile das Wort
dem Bundesminister Jürgen Trittin.
Frau Präsidentin! Meine
Damen und Herren! Das, was wir zu bewältigen haben, ist
die Folge von etwas, was es in dieser Form im Sommer
noch nie gegeben hat: Das Jahrtausendhochwasser in
Dresden war das Ergebnis von Regenfällen, die so stark
waren, dass in einzelnen Orten in einem 24-Stunden-Zyklus dreimal so viel Regen wie sonst im ganzen August
fiel. Der damit verbundenen Herausforderung haben wir
uns gemeinsam zu stellen.
Zu dieser Herausforderung zählt, dass wir jetzt darangehen müssen, aufzuräumen und wieder aufzubauen.
Wenn wir wissen, dass es zwischen der globalen Erwärmung und dem Auftreten solcher Wetterphänomene einen
Zusammenhang gibt, dann bedeutet das für uns, in Zukunft aktiv Gefahrenvorsorge zu betreiben. Gefahrenvorsorge gilt es deshalb zu betreiben, weil uns alle Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, egal wie hoch sie
den Anteil menschlichen Handelns an der globalen Erwärmung veranschlagen, sagen, dass in den nächsten Jahren noch mit einem Anstieg der Temperaturen um mindestens 1 Grad Celsius zu rechnen ist.
Wir müssen uns hier, im Deutschen Bundestag, auch
klar machen: Ein Anstieg von 0,7 Grad Celsius in den
letzten 100 Jahren hat zu einem Anstieg des Wassers um
20 Zentimeter geführt. Was ein Anstieg um 1 Grad bedeutet, können Sie an Folgendem sehen: Schleswig-Holstein erhöht zurzeit die Deiche um 50 Zentimeter. Angesichts all des Leids, das wir in diesen Tagen in Sachsen
und insbesondere in Sachsen-Anhalt erfahren haben, sollten wir uns klar machen, dass ein Land wie Bangladesch
- man bedenke seine Küstenlinie - die angesichts einer
möglichen Flutkatastrophe notwendigen Leistungen allein überhaupt nicht finanzieren kann. Die Menschen dort
werden das, was wir mit angerichtet haben, im wahrsten
Sinne des Wortes auszubaden haben.
({0})
Deswegen bin ich so daran interessiert, dass das KiotoProtokoll, das wir gegen den Widerstand der USA so weit
gebracht haben, dass es ratifiziert werden konnte, nun
endlich in Kraft tritt. Dieses Protokoll dient nicht nur der
Senkung der Treibhausgasemissionen, sondern es stellt
auch Mittel bereit, mit denen wir Ländern wie Bangladesch, Inseln wie Tuvalu und anderen bei der dringendsten Gefahrenvorsorge, zum Beispiel beim Dammbau, helfen können.
({1})
Ich kann nicht verstehen, dass sich der größte Verursacher
an dieser Stelle heraushält.
Zur Gefahrenvorsorge. Wir müssen auch hier in
Deutschland Gefahrenvorsorge betreiben. Wir haben das
Problem, dass selbst an dem letzten frei fließenden Fluss
Europas, der Elbe, nur noch 14 Prozent der früheren Überschwemmungsfläche, also 14 Prozent des ursprünglichen
Flussbettes, zur Verfügung stehen. Wenn das aber richtig
ist, dann muss die Diskussion über neue Staustufen an der
Saale, über die Ausweisung neuer Gewerbegebiete und
über weitere flussbauliche Maßnahmen, die lediglich dem
Ziel der Verbesserung der Schifffahrtstiefe dienen, aber
nicht dem Gebot der Hochwasservorsorge und des Hochwasserschutzes genügen, endlich ein Ende haben.
({2})
Wir haben 7 Millionen Euro zur Verfügung gestellt, um
am „bösen Ort“, wo die Menschen in der Prignitz in den
letzten Wochen gekämpft haben, damit das Wasser nicht
über die Ufer tritt, nun umgehend das zu tun, was erforderlich ist, damit der Druck gemindert wird. Zusammen
mit dem Land Brandenburg werden wir dort eine
Deichrückverlegung vornehmen und so 400 Hektar neue
Überschwemmungsflächen schaffen, und zwar aus Naturschutzmitteln und nicht aus Hochwasserschutzmitteln.
Dasselbe haben wir bereits an der Mittleren Elbe, bei
Dessau, an der Saalemündung getan.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der FDP, ich rate
Ihnen, mit den Leuten, die mit Sandsäcken am Deich gestanden haben, einmal folgenden Satz aus Ihrem FDPBundestagswahlprogramm zu diskutieren:
In der Schifffahrt müssen Maßnahmen gegen den
niedrigen Wasserstand auf den Bundeswasserstraßen
ergriffen werden.
Diskutieren Sie das einmal an der Bundeswasserstraße
Elbe in diesen Tagen.
({3})
Wir haben gesagt, dass wir zu mehr Fläche und zu mehr
Überschwemmungsgebieten kommen müssen. Das ist
eines der Themen, die wir in der kommenden Woche mit
den Elbanliegerstaaten diskutieren. Der Hochwasseraktionsplan Elbe, der vorliegt, muss jetzt in Kraft gesetzt
werden. Alle Elbanliegerstaaten, darunter Sachsen-Anhalt, Sachsen, Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg
- also auch die Länder, die Herr Stoiber nicht eingeladen
hat -, müssen an einem Strang ziehen, damit wir auf diesem Gebiet endlich gemeinsam mit der Tschechischen
Republik zu einem Ergebnis kommen.
({4})
Lassen Sie mich eine weitere Bemerkung machen. Wir
brauchen eine Politik der Ursachenbekämpfung. Herr Kollege Müller war mit seinem Hinweis sehr zurückhaltend.
Herr Stoiber hat gestern in Alzenau eine Solarfabrik eröffnet, von der er behauptet, sie sei die größte in Deutschland.
Wenn es nach Edmund Stoiber und dem Freistaat Bayern
gegangen wäre, hätte diese Solarfabrik in Deutschland
überhaupt nichts verkaufen können, denn er hat die Rahmenbedingungen für diese Industrie bekämpft.
({5})
Wer war denn gegen das Erneuerbare-Energien-Gesetz,
das dazu geführt hat, dass Deutschland von einem Importland für Photovoltaikmodule zu einem Exportland
geworden ist und dass sich der Umfang dieser Branche
versechsfacht hat? Wer war gegen das Erneuerbare-Energien-Gesetz, das dazu geführt hat, dass die Anzahl der
Beschäftigten in der Windbranche von 17 000 im Jahre
1998 auf heute 40 000 gestiegen ist?
({6})
Die Windbranche in Deutschland ist heute der zweitgrößte Nachfrager nach Stahl. Wo kriegen Sie garantiert
kein Windrad genehmigt? - Nicht in Hessen; die wissen,
wie das geht. Nicht in einem Binnenland wie NordrheinWestfalen; dort steht der größte Windpark. Im Freistaat
des Ministerpräsidenten und Kanzlerkandidaten wird eine
aktive Verhinderungspolitik betrieben.
({7})
- Auch in Baden-Württemberg, das stimmt. - Nur in diesen Ländern wird eine Politik betrieben, die dazu führt,
dass von einer Verbesserung im Bereich der erneuerbaren
Energien keine Spur ist.
Ich habe heute gehört, man wolle für das Energiesparen
eintreten. Warum waren Sie dann gegen die Energieeinsparverordnung? Warum waren Sie gegen das Marktanreizprogramm, gegen all die praktischen Maßnahmen im Klimaschutz? Ich glaube, dass in dieser Debatte eines klar
geworden ist: Es gibt in Deutschland auch eine Auseinandersetzung darüber, ob wir mit einer vorsorgenden Umweltpolitik weitermachen, einer Politik, die Hochwasserschutz
nicht nur als Deichbau begreift, sondern als Möglichkeit,
Flüssen Raum zu geben, einer Politik, die durch eine aktive
Klimaschutzpolitik für kommende Generationen vorsorgt.
Ansonsten tritt das ein, weswegen man die Konservativen
gelegentlich auch als Schwarze bezeichnet, nämlich umweltpolitisch ein großes schwarzes Loch.
({8})
Als letzter Rednerin
in dieser Debatte erteile ich das Wort der Kollegin Birgit
Homburger für die FDP-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte gerne für die
FDP-Fraktion zu den Punkten, die den Umweltschutz betreffen, Stellung nehmen. Zunächst einmal muss man
deutlich sagen, dass an dieser Stelle Aufrichtigkeit das
Gebot der Stunde ist.
({0})
Da, Herr Minister Trittin - darauf komme ich noch ein
paar Mal zu sprechen -, ist eines allerdings ganz klar: Hätten wir alle Schutzmaßnahmen, über die wir diskutieren,
ergriffen, müsste man trotzdem aufrichtigerweise sagen:
Einen absolut sicheren Schutz vor Hochwasser und Überschwemmungen wird es nicht geben. Wir können zur Vorsorge nur alles Menschenmögliche tun. Das gilt sowohl
für den Hochwasser- als auch für den Klimaschutz.
({1})
Deswegen haben wir von unserer Seite ein Aktionsprogramm für einen verantwortungsvollen, vorausschauenden und vorbeugenden Hochwasserschutz vorgelegt.
Wir lehnen uns dabei an die Expertenempfehlungen an,
die teilweise auch hier besprochen worden sind.
Es geht darum, dass genügend Überschwemmungsgebiete vorhanden sind, dass Rückhalteflächen geschaffen werden; es geht auch um die Frage der Deichsicherheit und darum, den erforderlichen Baumaßnahmen im
Deichbereich Priorität einzuräumen. Wir müssen hier
ein Flächenmanagement einführen. Gerade bei diesem
Hochwasser hat es sich gezeigt, dass es auch nötig ist, die
kleinen Flussläufe in der Fläche in ein Hochwassermanagement miteinzubeziehen. Es hat sich auch gezeigt,
dass es bezüglich der länderübergreifenden und internationalen Zusammenarbeit nach wie vor viel zu tun gibt.
Deswegen schlagen wir vor, dass Sie eine internationale
Hochwasserkonferenz einberufen, die sich mit Fragen
des vorsorgenden Hochwasserschutzes beschäftigt und
in der man miteinander bespricht, wer welche Maßnahmen an welchen Flussläufen in Europa ergreift, um
zu verhindern, dass es zu solchen Überschwemmungen
kommt.
({2})
Es ist auch gemeinsames, entschlossenes Handeln
nötig. Deswegen sagen wir ganz klar: Auch wenn nicht
mit letzter Sicherheit der kausale Zusammenhang zwischen Klimagasen und Unwettern nachgewiesen werden
kann, so ist es trotzdem aus Vorsorgegründen richtig, Klimaschutz zu betreiben.
({3})
Die FDP hat hier Vorschläge unterbreitet. Wir haben, um
das aufzugreifen, überhaupt erst das Stromeinspeisungsgesetz zur Förderung erneuerbarer Energien in Deutschland eingeführt.
({4})
Im Laufe der Zeit haben wir festgestellt, dass es damit Probleme gibt. Deshalb haben wir Ihr EEG abgelehnt. Wir haben aber einen eigenen Vorschlag, Herr Minister Trittin, unterbreitet. Der Ehrlichkeit halber hätten Sie hier sagen
müssen, dass wir einen Vorschlag für eine marktwirtschaftliche Förderung erneuerbarer Energien vorgelegt haben.
({5})
Meine letzte Bemerkung gilt der Ökosteuer, die hier
heute mehrfach thematisiert wurde. Sie stellt keine Lösung dar. Selbst der Sachverständigenrat für Umweltfragen sagt Ihnen deutlich, dass eine fehlende Emissionsorientierung und weit reichende Ausnahmeregelungen
Probleme darstellen
({6})
und ein System handelbarer Zertifikate grundsätzlich der
bessere Weg wäre.
({7})
Die FDP hat analog zu den internationalen Vereinbarungen vorgeschlagen, diesen Weg zu gehen. Alle unsere
diesbezüglichen Anträge, die wir gestellt haben, haben
Sie abgelehnt. Angesichts der Herausforderungen in der
Klimapolitik fordere ich Sie, Herr Trittin, zu mehr Ehrlichkeit auf. Es geht hier um die Frage des Weges und
nicht um die Frage des Klimaschutzes an sich. Wir halten
an dem Ziel, den nationalen CO2-Ausstoß bis 2005 um
25 Prozent zu reduzieren, fest.
({8})
Wir reden nicht mehr nur über das europäische Ziel,
wie Sie es tun, weil Sie merken, dass Sie mit Ihrer Politik
nicht weiterkommen. Die FDP bekennt sich ganz klar
zum Klimaschutz. Wir wollen, dass die modernen Instrumente des Klimaschutzes, die wir weltweit beschlossen
haben, endlich in Deutschland eingeführt werden und
nicht von der Delegation beim Flug nach Johannesburg
nur als PR-Gag verwendet werden.
Vielen Dank.
({9})
Ich schließe die Aussprache.
Ich erlaube mir, darauf hinzuweisen, dass sich die Diskussion deswegen etwas in die Länge gezogen hat, weil
die Vereinbarung zwischen den Parlamentarischen Geschäftsführern über die Redezeit ein bisschen ins Wanken
geraten ist. Ich bitte darum, dass, wenn viele Bundesratsmitglieder sprechen, darauf geachtet wird, dass die Zeiten
trotzdem einigermaßen gerecht verteilt werden. Ich
denke, ich habe dafür gesorgt. Ich bin Ihnen dankbar, dass
Sie so lange hier gesessen haben.
Wir kommen zu den Abstimmungen und Überweisungen. Tagesordnungspunkt 1 a. Wer stimmt für den Entschließungsantrag der Fraktionen der SPD und des
Bündnisses 90/Die Grünen auf Drucksache 14/9898? Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Gegen die
Stimmen von CDU/CSU und FDP ist der Entschließungsantrag angenommen.
Wer stimmt für den Entschließungsantrag der Fraktion
der CDU/CSU auf Drucksache 14/9906? - Wer stimmt
dagegen? - Enthaltungen? - Bei Enthaltung der PDS und
gegen die Stimmen von CDU/CSU und FDP ist der Antrag mit den Stimmen des Bündnisses 90/Die Grünen und
der SPD abgelehnt.
Wer stimmt für den Entschließungsantrag der Fraktion
der FDP auf Drucksache 14/9907? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Bei Enthaltung von CDU/CSU und PDS ist
der Entschließungsantrag gegen die Stimmen der FDP abgelehnt.
Tagesordnungspunkte 1 a bis 1 d und Zusatzpunkte
bis 1 a bis 1 c. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf Drucksachen 14/9894, 14/9905 und 14/9895 an
die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse sowie
an den Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft und an den Ausschuss für Angelegenheiten der neuen Länder vorgeschlagen. Die Vorlagen auf
Drucksachen 14/9908, 14/9899, 14/9900 und 14/9901
sollen an dieselben Ausschüsse wie die Vorlage auf
Drucksache 14/9905, Tagesordnungspunkt 1 c, überwiesen werden. - Das haben Sie alle verstanden und es gibt
auch keine anderen Vorschläge. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
Zusatzpunkt 1 d. Wir kommen zur Abstimmung über
den Antrag der PDS auf Drucksache 14/9902 mit dem
Titel „Flutkatastrophe 2002: Den Opfern langfristig und
wirksam helfen - Rüstungsprojekte streichen“. Wer
stimmt für diesen Antrag? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Keine. Der Antrag ist gegen die Stimmen der
PDS abgelehnt.
Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Donnerstag, 12. September 2002, 10 Uhr, ein.
Die Sitzung ist geschlossen.