Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Ich erteile das Wort
dem Kollegen Dr. Wolfgang Schäuble, CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen
und Herren! Das verantwortungsvolle Amt des Bundesverteidigungsministers ist, wie Kollege Struck eben gesagt hat, eine besonders schwierige Aufgabe. Deswegen,
Herr Verteidigungsminister, wünschen wir Ihnen, auch
wenn es nur für zwei Monate ist,
({0})
im Interesse der Soldaten und der Sicherheit unseres Landes für Ihre Amtsführung eine glückliche Hand.
({1})
Ich füge sogleich hinzu: Wir stimmen ausdrücklich
Ihren Aussagen hinsichtlich des Ansehens zu, das sich die
Bundeswehr bei den Auslandseinsätzen erworben hat und
jeden Tag erwirbt, ebenso Ihren Aussagen hinsichtlich der
großen Leistung der Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr. Sie verdienen unser aller Dank und Unterstützung.
({2})
Wir hätten aber, Herr Verteidigungsminister, in Ihren
Ausführungen heute schon gern ein Wort zu den Entscheidungen gehört, die in Ihrer Amtszeit noch anstehen.
Die vollständige Finanzierung des Transportflugzeugs
A400M ist dringend zu klären. Nicht irgendwann, sondern in den nächsten Wochen steht eine Entscheidung
über den künftigen Schützenpanzer an. Eine Entscheidung über den Flugkörper „Meteor“ muss dringend getroffen werden. Das alles muss in den nächsten Wochen im
Interesse der Bundeswehr, der Sicherheit unseres Landes
und der Bündnisfähigkeit der Bundesrepublik Deutschland entschieden werden.
({3})
Ihre öffentliche Ankündigung, dass Sie die Politik Ihres
Vorgängers fortsetzen und insbesondere an der finanziellen Ausstattung des Verteidigungshaushalts nichts ändern
wollen, lässt leider nichts Gutes erwarten.
({4})
In den Zeitungen war zu lesen, Herr Klose sei gefragt
worden, ob er nicht Bundesverteidigungsminister werden
wolle; er habe es davon abhängig gemacht, dass der Verteidigungshaushalt aufgestockt werde. Diese Zusage ist
ihm nicht gegeben worden.
({5})
- Ich habe gestern in der Zeitung gelesen, dass die Parlamentarische Staatssekretärin beim Bundesminister der
Verteidigung gesagt hat, man müsse noch einmal über die
Finanzprobleme reden. Das ist also offenbar schon bis in
die Führungsetage des Verteidigungsministeriums vorgedrungen.
({6})
Aber an diesem Tag muss auch gesagt werden: Ungeachtet der einzelnen Geschichten und Affären
({7})
Bundesminister Dr. Peter Struck
hat das eigentliche Problem des Verteidigungsministers
Scharping und der Sicherheitspolitik dieser Bundesregierung darin bestanden, dass die Zusage, die der Bundeskanzler bei der Berufung von Verteidigungsminister
Scharping 1998 im Hinblick auf die finanzielle Ausstattung gegeben hat, nicht eingehalten worden ist.
({8})
Die Zusage - deren sich Herr Scharping gerühmt hat,
sie vom Bundeskanzler bekommen zu haben - besagte,
dass die Ansätze der früheren Bundesregierung in der
mittelfristigen Finanzplanung für den Verteidigungshaushalt in dieser Legislaturperiode fortgeschrieben
werden. Genau diese Zusage hat der Bundeskanzler gebrochen.
({9})
Die Differenz beläuft sich in dieser Legislaturperiode auf
eine Größenordnung von 10 Milliarden Euro.
({10})
- Es war ein Wortbruch, Herr Kollege Stiegler. Das alles
ändert nichts daran.
({11})
Das Problem ist doch Folgendes: Was hat Herr
Scharping gemacht? Der Volksmund weiß es: Wenn das
Tischtuch zu knapp ist, dann reißt man immer, wenn man
es in die eine oder andere Richtung zieht, irgendwo eine
Lücke auf. Genau so war es von Mal zu Mal. Es ist gar
nicht zu bestreiten, dass der Ansatz richtig ist, mit Privatisierung, mit Outsourcing, mit einer neuen Form der Liegenschaftsverwaltung Effizienzgewinne zu erzielen. Aber
die Aussagen, dass man dadurch im nächsten Haushaltsjahr Milliardengewinne erzielen könne, waren ein ums
andere Mal unseriös. Die Zusagen und Planungen, die darauf gegründet waren, waren niemals verlässlich. Jedes
Jahr wurden den Planungen weitere Grundlagen entzogen
und Zusagen nicht eingehalten. Frau Fugmann-Heesing
hat durch Liegenschaftsverwaltung oder Privatisierungen
übrigens nicht eine einzige Mark für die Bundeswehr erzielt. Das ist die Wahrheit.
Sie haben von Haushaltsberatung zu Haushaltsberatung die Zahlungen zwischen dem Einzelplan 60 und dem
Einzelplan 40 hin- und hergeschoben und auf diese Art
und Weise die Zahlen manipuliert. In der Sache fehlen in
dieser Legislaturperiode 10 Milliarden Euro im Verteidigungshaushalt.
({12})
- Die Luftbuchungen haben Sie vorgenommen.
Es gab ein unendlich großes Theater um die Finanzierung und Beschaffung des Transportflugzeugs A400M.
Das Haushaltsrecht des Parlaments wurde grob missachtet, sodass das Bundesverfassungsgericht eingeschaltet
werden musste.
({13})
Unsere international anerkannte Verlässlichkeit und Berechenbarkeit sind schwer geschädigt worden.
Im Haushalt 2003 benutzen Sie den Trick, die Mittel
für die Auslandseinsätze niedriger anzusetzen, um dadurch Spielraum zu gewinnen, obwohl der Verteidigungsminister eben in seiner Rede gesagt hat, dass mit einem
Rückgang der Zahl der Auslandseinsätze nicht zu rechnen
sei. Im Rahmen der Haushaltsberatungen legen Sie aber
andere Zahlen zugrunde. Ich sage dazu: Tricks, Tricks,
Tricks! Am Ende ist es immer dasselbe: Zusagen werden
nicht eingehalten und eine verlässliche Planung ist nicht
möglich.
({14})
Deswegen ist im Laufe der Amtszeit von Herrn
Scharping auf nationaler und internationaler Ebene und
auch bei den Soldaten der Bundeswehr jegliches Vertrauen verloren gegangen. Das ist das eigentliche Problem. Deswegen hätte Herr Scharping früher entlassen
werden müssen, nicht erst zwei Monate vor Ende der Legislaturperiode.
({15})
Das hat dem Ansehen der Bundeswehr und der äußeren
Sicherheit dieses Landes geschadet.
({16})
- Bei den Auslandseinsätzen. Das Ansehen der Bundesrepublik Deutschland als verlässlicher Partner in der Europäischen Union und in der atlantischen Gemeinschaft hat
in den Jahren der rot-grünen Regierung Schaden genommen. Das Gewicht und der Einfluss Deutschlands im
Bündnis haben abgenommen.
({17})
- Das hören Sie nicht gern. Wer im Bündnis mitsprechen
möchte, braucht Glaubwürdigkeit und entsprechende
Fähigkeiten. Anders kann ein Mitspracherecht nicht begründet werden.
({18})
Wir brauchen eine neue Balance in den transatlantischen Beziehungen zwischen dem europäischen und
dem amerikanischen Teil. Alle Debatten, bis hin zu denen
über den Internationalen Strafgerichtshof, hängen letzten
Endes an der Frage, ob es eine hinreichende Balance zwischen europäischen Potenzialen und Fähigkeiten einerDr. Wolfgang Schäuble
seits und amerikanischen Potenzialen und Fähigkeiten andererseits gibt. Nur zu kritisieren und Anregungen dafür
zu geben, was andere machen sollen, löst die Probleme
nicht, macht uns nicht partnerschaftsfähig, schwächt das
Bündnis und schadet der äußeren Sicherheit.
Die deutschen Streitkräfte müssen sich in die europäischen Streitkräfte im atlantischen Raum einfügen und die
erforderlichen Anforderungen erbringen. Daran muss die
Planung für die Streitkräfte ausgerichtet werden. Das ist
die entscheidende Aufgabe. Dazu braucht man entsprechende Fähigkeiten und Potenziale. Das muss man bei
den Haushaltsplanungen zugrunde legen. Die Bundeswehrreform muss fortgeführt, aber auch ergänzt werden.
Im Übrigen muss sie an einer neuen, realistischen Bewertung der aktuellen Gefährdungslage ausgerichtet
werden. Sie haben so getan, als sei in dieser Hinsicht
früher gar nichts geschehen. Wenn in den 90er-Jahren
nicht die Krisenreaktionskräfte bei der Bundeswehr eingerichtet worden wären, würden wir bei den internationalen Einsätzen, die die Soldaten der Bundeswehr jetzt so
großartig leisten, ziemlich alt aussehen.
({19})
Wir stehen vor einer schwierigen Situation. Der 11. September hat das sehr deutlich gemacht. Die WeizsäckerKommission, auf die Sie eben verwiesen haben, hat das
Problem sehr realistisch beschrieben. Das Problem war
nur, dass der damalige Verteidigungsminister Scharping
die Empfehlungen am Tage nach der Vorstellung des Berichts der Weizsäcker-Kommission in den Papierkorb geworfen hat. Dann hat er den Generalinspekteur Kirchbach
mit einem Reformkonzept beauftragt; dessen Vorschläge
hat er auch beiseite gelegt. Anschließend hat er selbst Vorschläge ausgearbeitet. Jeden Tag gab es eine neue Reform,
was eine ständige Hektik verursachte. Das setzt sich in der
unendlichen Geschichte der letzten Tage um den Schützenpanzer fort.
Wir brauchen eine realistische Bedrohungsanalyse.
Daraus müssen Konsequenzen im Hinblick auf die Anforderungen an die Ausrüstung der Bundeswehr und an
die Ausbildung der Soldaten gezogen werden. Die Grenzen zwischen äußerer und innerer Sicherheit - das ist oft
gesagt worden - verschmelzen zunehmend. Daraus müssen die entsprechenden Schlussfolgerungen gezogen
werden. Die künftige Gestalt militärischer Einsätze ist
anders als in der Vergangenheit. Wir müssen überlegen,
was das für Rückwirkungen auf die Streitkräfte der Zukunft hat.
Wir brauchen also Strukturen für Teilstreitkräfte, die
bei teilstreitkräfteübergreifenden Einsätzen zum Einsatz
kommen können. Wir brauchen eine weltweite Verlegefähigkeit; deswegen ist das Transportflugzeug von einer
so großen Bedeutung. Wir brauchen entsprechende Konsequenzen im Hinblick auf die Informationsgewinnung
und auf die Steuerungsfähigkeit. Wir brauchen eine entsprechende Ausrüstung der Bundeswehr, um die Interoperabilität im Atlantischen Bündnis zu erhalten. Mit all diesem sind grundlegende Herausforderungen verbunden.
Was vor uns liegt, ist letzten Endes nur zu schaffen,
wenn der Umfang des Verteidigungshaushalts gesichert
ist. Ohne eine entsprechende Ausstattung des Verteidigungshaushalts sind alle Reformüberlegungen leeres Gerede und gehen an der Realität vorbei. Sie schaffen keine
verlässliche Grundlage. Sie werden unserem Auftrag und
unserer Verantwortung für die Soldaten nicht gerecht;
deswegen muss diese Politik geändert werden.
({20})
Ich sage noch einmal: Der Wortbruch des Bundeskanzlers, was die Ausstattung des Verteidigungshaushalts
betrifft, war der entscheidende sicherheitspolitische Fehler dieser Legislaturperiode. Wir werden das in der nächsten Legislaturperiode ändern.
({21})
Auch wir können das nicht über Nacht leisten.
({22})
Aber wir werden das ändern, Schritt für Schritt.
({23})
- Ich will Ihnen einmal etwas sagen: Eine so katastrophale
Steuerreform mit so verheerenden Auswirkungen - ({24})
- Ich bin sehr vorsichtig.
Wenn ich richtig informiert bin, dann hat der Bundesfinanzminister gerade über die Steuereinnahmen von
Bund und Ländern berichtet. Sie können sich von Ihren
Parteifreunden in München einmal sagen lassen, wie sich
die Steuerreform auf die Kommunen auswirkt. Dass das
Körperschaftsteueraufkommen total zusammengebrochen ist, ist eine Folge Ihrer katastrophalen Politik. Wir
werden eine andere Politik machen.
({25})
Sie sagen immer, sie machten zwar nicht so viel für die
Verteidigung; dafür sei ihre Politik mehr auf Prävention
ausgerichtet. Der Anteil der Haushalte des Auswärtigen
Amtes, des Ministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung und des Bundesministeriums der
Verteidigung am Bundeshaushalt lag 1990 noch bei rund
20 Prozent; in diesem Jahr liegt er bei unter 12 Prozent.
Darin zeigen sich Ihre Prioritäten, die wir für falsch halten.
({26})
Die Aufgabe politischer Führung ist die Setzung richtiger Prioritäten. Sowohl in der Europäischen Union als
auch im Atlantischen Bündnis wird von Deutschland eine
stärkere Wahrnehmung von Verantwortung und Partnerschaft eingefordert. Dazu passen die Äußerungen von
Rupert Neudeck, dem Vorsitzenden von Cap Anamur, in
einem Interview, das ich in diesen Tagen gelesen habe. Er
sagte, dass die Menschenrechtspolitik dieser Regierung
so schlecht wie niemals zuvor die Menschenrechtspolitik
einer Bundesregierung war. Man hat sich für Menschenrechte und für Entwicklungspolitik überhaupt nicht mehr
eingesetzt.
({27})
Es passt alles zusammen.
Sie leisten mit dieser Politik, die sich um unsere Verantwortung und um die Interessen gegenüber den anderen
Teilen Europas und der Welt nicht mehr kümmert, einer
Neigung zur Introvertiertheit Vorschub. Eine Gesellschaft, die immer mehr zu Introvertiertheit neigt, wird
sich immer mehr an Besitzstände klammern. Je mehr eine
solche Gesellschaft Besitzstände verteidigt, desto weniger wird sie in der Lage sein, notwendige Reformen zustande zu bringen. Deswegen besteht die Aufgabe politischer Führung darin, die entsprechenden Prioritäten
Schritt für Schritt durchzusetzen, und zwar im Rahmen
dessen, was finanziell möglich ist. Das heißt aber nicht,
dass man das Desaster Ihrer Politik als gottgewollt hinnehmen muss. Nein, das kann man ändern. Wir werden
das ändern. Wir werden eine Politik machen, die den Prioritäten politischer Führung und den Interessen unseres
Landes Rechnung trägt.
({28})
Die Wahrnehmung äußerer und innerer Sicherheit ist
die vornehmste Aufgabe eines freiheitlich-demokratisch
verfassten Staates. Dazu braucht man Polizei, dazu
braucht man Soldaten. Sie leisten eine großartige Arbeit
und verdienen unsere Unterstützung. Dazu brauchen wir
in der besonderen Situation Deutschlands auch weiterhin
die Wehrpflicht; deswegen halten wir daran fest.
({29})
Wenn wir aber an der Wehrpflicht festhalten wollen, müssen wir die entsprechenden Konsequenzen, auch in der
Haushaltspolitik des Bundes, tragen.
({30})
Die Kraft dazu muss man haben. Wir haben diese
Kraft. Wir werden diese Politik betreiben. Wir werden
dafür sorgen, dass die Soldaten der Bundeswehr bei ihrem
Einsatz auch wieder wissen, dass sie nicht nur von einer
breiten Zustimmung und Anerkennung in der Bevölkerung getragen werden, sondern auch von verantwortlicher
Entscheidungskraft der politischen Führung einer künftigen Bundesregierung.
({31})
Ich erteile das Wort
dem Kollegen Gernot Erler, SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte als Erstes im Namen der
SPD-Bundestagsfraktion Peter Struck zur Übernahme des
Bundesministeriums der Verteidigung herzlich gratulieren.
({0})
Mit der Eidesleistung ist diese Übernahme endgültig abgeschlossen. Wir wünschen ihm Glück und Erfolg bei seiner neuen Aufgabe.
({1})
Gleichzeitig möchte ich im Namen der SPD-Bundestagsfraktion aber auch einen herzlichen Dank an Rudolf
Scharping richten für all das, was er für die Bundeswehr
und für unser Land geleistet hat.
({2})
Auf Dauer wird sich mit seinem Namen verbinden, dass
er die überfällige Reform der Bundeswehr erfolgreich auf
den Weg gebracht hat, und zwar unter den erschwerenden
Rahmenbedingungen einer unaufschiebbaren und unvermeidlichen Haushaltskonsolidierung - es ist Scheuklappenpolitik, Herr Schäuble, wenn Sie von diesen Rahmenbedingungen hier nichts wissen wollen ({3})
und in einer Legislaturperiode, die wie keine zuvor in der
Nachkriegsgeschichte Deutschland auf die Probe gestellt
hat, durch drei große sicherheitspolitische Herausforderungen mit den bisher umfangreichsten, gefährlichsten
und verantwortungsvollsten Auslandseinsätzen, die die
Bundeswehr je bewältigen musste.
Wenn sich der Pulverrauch über diesem Amtswechsel,
den Sie hier natürlich auszubreiten versuchen, etwas verzogen hat, dann wird der Blick frei werden auf das, was
hier zu leisten war.
({4})
Das war nicht wenig: denn was haben wir 1998, als RotGrün die Regierungsverantwortung übernommen hat,
vorgefunden: eine Bundeswehr, die acht Jahre nach dem
Ende des Kalten Krieges in keinster Weise auf die neuen
Aufgaben vorbereitet war, weder bei der Struktur noch bei
der Ausbildung noch bei der Ausrüstung,
({5})
eine Bundeswehr, die in diesem Zustand des verschleppten Umbaus auf Dauer nicht in der Lage gewesen wäre, die verschiedenen internationalen Verpflichtungen in der NATO, der EU, der OSZE und bei den
Vereinten Nationen zu erfüllen, und eine Bundeswehr,
die im Innern ungeduldig auf die Auflösung eines motivationshemmenden Beförderungs- und Verwendungsstaus und auf mehr Bildungs- und Qualifizierungschancen wartete.
Eine Erneuerung der Bundeswehr von Grund auf
war überfällig. Wir haben darüber nicht geredet, sondern
haben diese überfällige Erneuerung angepackt und auf
den Weg gebracht.
({6})
Meine Damen und Herren, nie gab es in so kurzer Zeit so
viele Entscheidungen, die Veränderungen zum Ziel hatten
bzw. haben. Dies zeigt nur, in welch fahrlässiger Weise
genau die Leute, die jetzt Kritik üben und sich an die Klagemauer stellen, damals eine Reformverweigerung für
zwei Legislaturperioden zum Programm gemacht haben,
was die Bundeswehr angeht.
Wer war es denn, der die Bundeswehr kleiner, zugleich
aber leistungsfähiger und einsatzfähiger gemacht hat mit
dem Ziel, insgesamt 285 000 Mann, aber 150 000 Mann
Einsatzkräfte zu haben? Wer war es denn, der trotz des
notwendigen Zwangs zur Reduzierung des Personals die
Sicherheit der Zivilbeschäftigten geschaffen hat? Wer hat
denn die Engpässe bei den Laufbahnen und bei der Besoldung so konsequent beseitigt, dass allein in diesem
Jahr bei 42 000 Stellen mit Beförderungen und Verbesserungen gerechnet werden kann?
Wer hat denn die Bundeswehr zu einer Startrampe ins
zivile Berufsleben verwandelt mit einer noch nicht da gewesenen Qualifzierungs- und Bildungsoffensive für
Unteroffiziere und für Mannschaften? Es war der bisherige Verteidigungsminister, der das zu seinem ureigensten
Anliegen gemacht hat. Gegen Ihren Spott hat er die Industrie und die Kammern einbezogen. Heute nehmen über
400 Unternehmen und über 100 Kammern daran teil. Zum
Glück hat er das gegen Ihren Widerstand durchgesetzt.
({7})
In welcher Regierungszeit wurde denn die Bundeswehr für Frauen geöffnet, und zwar für alle Laufbahnen
und Verwendungen? Vielleicht in Ihrer?
({8})
- Sie hatten ja lange genug Zeit, das zu machen.
Im Übrigen wissen Sie ganz genau, wie notwendig und
überfällig alle diese Veränderungen waren. Die Zeitverzögerungen, für die Sie die Verantwortung tragen, haben
sich dramatisch ausgewirkt. Ohne diese von Ihnen so
lange verweigerte Bundeswehrreform wäre Deutschland
weder europatauglich noch hätten wir als Partner auf
Dauer unsere Aufgaben erfüllen können. Weil Sie von
diesen Zusammenhängen ablenken wollen, haben Sie seit
Jahren nur ein einziges Thema, auf das Sie sich einschießen - Herr Schäuble hat ja eben wieder den Beweis
dafür gebracht -, die angebliche Finanzmisere der
Bundeswehr. Nun macht es durchaus Sinn, bei diesem
Thema konstruktiv und seriös zusammenzuarbeiten.
Dazu waren wir immer bereit und sind es auch heute, aber
Sie sind es nicht.
Eine Zusammenarbeit müsste aber schon mit dem Eingeständnis beginnen, dass wir 1998 eine katastrophale,
von Ihnen verantwortete Staatsverschuldung vorgefunden
haben
({9})
mit einer jährlichen Belastung von 82 Milliarden DM allein für Zinsen. Das ist das Doppelte des jährlichen Bundeshaushalts für Verteidigung.
({10})
Wie einfach wäre es, Lücken zu schließen, wenn wir nicht
diese Last übernommen hätten! Herr Schäuble, es ist einfach unredlich, wenn Sie so tun, als hätten diese von uns
vorgefundenen Bedingungen keinen Einfluss auf die Bundeswehr.
({11})
Wegen der internationalen Verpflichtungen zur Schuldenbegrenzung, die wir mit dem Stabilitätspakt gemeinsam
eingegangen sind, muss auch die Bundeswehr ihren Beitrag zur Konsolidierung des Staatshaushalts leisten. Das
geht nicht anders.
Es wäre auch ein zweites Eingeständnis nötig, nämlich
dass die Absenkung der Investitionsquote innerhalb des
Bundeshaushalts für Verteidigung - jene entscheidende
Fehlentwicklung, um nicht zu sagen: Sünde - nicht etwa
in den letzten vier Jahren erfolgt ist, sondern in der Zeit
davor. Die Lücken in der Beschaffung und in der Ausrüstung, die wir jetzt verzweifelt zu schließen versuchen,
sind doch unter Ihrer Verantwortung entstanden. Die Investitionsquote hat während der Kohl-Regierung im Jahr
1994 mit 21,1 Prozent einen historischen Tiefpunkt erreicht; so weit haben Sie die Quote heruntergefahren.
1997 waren es 21,6 Prozent. Wir haben es im letzten Jahr
geschafft, sie wieder auf 24,5 Prozent zu bringen. Dabei
sind wir uns alle einig: Das ist immer noch zu wenig. Ein
gesundes Verhältnis fängt bei etwa 30 Prozent an. Das
werden wir schaffen, dahin werden wir kommen, wenn
wir gemeinsam weitermachen.
({12})
Wie soll man Sie eigentlich ernst nehmen, wenn Sie
den Leuten weismachen wollen, dass Sie die Stärke der
Bundeswehr wieder auf 300 000 Mann erhöhen wollen,
was ja eine Steigerung der Betriebskosten bedeutet, und
gleichzeitig die Investitionsquote, die Sie heruntergefahren haben, wieder anheben wollen? Das glaubt Ihnen doch
kein Mensch.
({13})
Wie wollen Sie erreichen, dass Ihnen überhaupt noch
jemand zuhört, wenn Sie seit Jahren immer die gleiche
Platte von der Finanzmisere der Bundeswehr - diese haben wir auch gerade wieder gehört - auflegen, die die
Bundeswehr handlungsunfähig macht und sogar das Vertrauen unserer Verbündeten beschädigt? Wie wollen Sie
das den Leuten klar machen, wenn der Bundeswehr
gleichzeitig überall da, wo sie ihre internationalen Aufgaben wahrnimmt - ob in Mazedonien, in Afghanistan oder
am Horn von Afrika -, jedes Mal Führungsaufgaben angedient werden, und zwar mehr, als sie wahrnehmen
kann? Das passt doch nicht zusammen und das merken die
Leute auch.
({14})
Hören Sie also auf, sich ständig an die Klagemauer zu
stellen! Tun Sie doch nicht so, als würde die Bundeswehr
eher heute als morgen wegen Blutarmut zusammenbrechen. Sie tut es nicht und sie wird es auch nicht tun. Hören
Sie auf, in billigster Weise auszunutzen, dass eine Haushaltskonsolidierung, so unbequem und schwierig sie
auch ist, eben notwendig ist und die Bundeswehr einen
Beitrag dazu leisten muss! Arbeiten Sie endlich daran mit,
den Weg der Rationalisierung, der Ausschöpfung und Erschließung von inneren Ressourcen zu bereiten - wir haben in den vergangenen vier Jahren erstmalig damit angefangen -, statt dauernd neue Steine in den Weg zu rollen!
({15})
Meine Damen und Herren, in den letzten vier Jahren ist
nicht nur die lange aufgeschobene Bundeswehrreform auf
den Weg gebracht worden, in den letzten vier Jahren haben wir auch zusammen mit den anderen europäischen
Ländern und mit unseren wichtigsten Partnern einen
schwierigen Lernprozess durchgemacht. Deutsche
Außenpolitik ist Friedenspolitik. Mit dieser Forderung an
uns selbst sind wir angetreten. Dabei mussten wir schwierige Aufgaben erfüllen. Wir mussten zum Beispiel lernen,
wie man auf schwerste Menschenrechtsverletzungen in
Europa oder auf die Drohung eines Bürgerkriegs reagiert,
und im September des letzten Jahres mussten wir uns ganz
neuen Herausforderungen stellen.
Ich will damit Folgendes sagen: Wir haben etwas geschafft, was für die Bundeswehr genauso wichtig ist wie
eine vernünftige Finanzausstattung und Ausrüstung. Wir
haben die Menschen an der neuen Definition der Rolle
der Bundeswehr in unserer Gesellschaft beteiligt. Uns ist
es gelungen, einen Rollenwechsel in der Bundeswehr
konsensfähig zu machen und das Einverständnis der Bevölkerung zu erreichen. Das ist die Kontinuität, von der
Peter Struck vorhin geredet hat. Diese Kontinuität gilt es
zu bewahren.
Bei dieser Frage geht es auch um den politischen
Grundkonsens. Ich habe den Eindruck, dass Sie nicht
gewillt sind, diesen Grundkonsens in der Außen- und Sicherheitspolitik zu wahren. Wie soll ich es sonst verstehen, dass der bayerische Ministerpräsident und Kanzlerkandidat der CDU/CSU vor kurzem vor einem
Kongress der Vertriebenen mit der Keule der Beitrittsverweigerung das deutsch-tschechische Verhältnis infrage
gestellt hat?
({16})
Hinterher wurde zwar gesagt, es handele sich um eine Fehlinterpretation. Wie kann ich dann aber verstehen, dass er
wenige Tage später beim Ostpreußentag die Polen angegriffen und gefordert hat, die so genannten Bierut-Dekrete
zurückzunehmen, die schon lange nicht mehr gelten?
({17})
Er hat das in einer solchen Form getan, dass Sie, Herr
Schäuble, in einer Nacht- und Nebelaktion schnellstens
nach Warschau fahren mussten, um die Scherben, die er
angerichtet hat, wieder zusammenzukitten.
Wie soll ich es eigentlich verstehen, dass sich Ihr Kanzlerkandidat jüngst in seiner Grundsatzrede anlässlich des
21. Franz-Josef-Strauß-Symposiums in München ausschließlich auf die NATO konzentriert hat? In seiner sicherheitspolitischen Grundsatzbotschaft führte er aus,
dass es darum gehe, die NATO zu einer globalen Allianz
mit militärischer Schlagkraft weiterzuentwickeln. Den
Weg in eine politische Allianz lehnte er schlichtweg ab,
obwohl dies die Realität ist.
({18})
Er bekannte sich ferner zu den amerikanischen Programmen der Raketenabwehr, zur Weiterentwicklung der
Atomwaffen und zu präventiven Militärschlägen im
Kampf gegen den Terrorismus. Dabei hat er die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik von Europa nicht mit
einem einzigen Wort erwähnt. Da kann ich nur sagen: Das
ist nicht nur eine Beschädigung des Grundkonsenses in
der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik, das ist eine
Beschädigung des europäischen Grundkonsenses in der
Außen- und Sicherheitspolitik.
({19})
Wer so etwas macht, bewegt sich aus der europäischen
Politik heraus und isoliert sich. Eine solche Politik ist
nicht europatauglich. Sie verdient keine Zustimmung und
sie schadet der Bundeswehr.
({20})
In der gleichen Zeit, in der diese unverantwortlichen
Auftritte stattgefunden haben, hat uns - das will ich noch
erwähnen - unser Außenminister Konzepte für die Vermittlung im Nahostkonflikt vorgelegt und hat es der Bundeskanzler in Kananaskis in Kanada erreicht, dass Russland in das wichtige G-8-Gremium, das im Grunde
Steuerungsfunktion für Friedens- und Sicherheitspolitik
auf der ganzen Welt hat, einbezogen wird.
({21})
Wir sind dankbar, dass es deutsche Initiativen waren, aufgrund deren es bei diesem G-8-Gipfel endlich einmal
auch eine Afrikastrategie gab.
Meine Damen und Herren, bewerten Sie einmal diese
Auftritte und die dabei erzielten Erfolge! Die Bundeswehr
braucht die Politik, die diese Bundesregierung macht. Sie
braucht keine Gefährdung von gutnachbarschaftlichen
Beziehungen. Diese präventive, globale Politik ist das
Beste, was wir für die Bundeswehr tun können. Die Bundesregierung mit Joschka Fischer, mit dem Bundeskanzler und jetzt mit Peter Struck wird sie weiterführen. Das
sind die besten Rahmenbedingungen für die Bundeswehr.
Das muss die Botschaft dieses Tages sein.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({22})
Das Wort hat der
Fraktionsvorsitzende der FDP, Dr. Wolfgang Gerhardt.
Frau Präsidentin!
Meine Damen und Herren! Bei dem letzten Beitrag meines Kollegen von der SPD beschleicht mich die Frage,
warum wir eigentlich hier sind.
({0})
Wir sind nicht hier, um die Zeit der Regierungstätigkeit
der früheren Regierung und jetzigen Opposition zu besprechen. Wir sind hier, weil die Bundesregierung ihr letztes Aufgebot bestellt hat.
({1})
Ich möchte, Herr Kollege Struck, meine Rede natürlich
mit guten Wünschen für Sie einleiten. Diese guten Wünschen gelten für Sie persönlich auch über den Wahltag
hinaus. Wir wollen den Wählerinnen und Wählern aber
nicht vorgreifen: Die Wünsche für Erfolg in Ihrem Amt
gelten bis zum 22. September. Dann entscheidet nämlich
der Wähler. Sie werden in der Zeit, die jetzt vor Ihnen
liegt, kaum Gelegenheit haben, die Dienstgrade der Bundeswehr kennen zu lernen.
({2})
Als ich, Herr Kollege Erler, Ihren Diskussionsbeitrag
verfolgt habe, habe ich mich gefragt, warum Herr
Scharping eigentlich entlassen worden ist. Die Finanzierung hat gestimmt; die Reformen sind auf den Weg gebracht worden. Es gab nichts zu beklagen: Die Bundeswehr sah der besten Zukunft entgegen, die sie je hatte.
Aber der Mann musste das Amt verlassen! Was ist denn
eigentlich passiert?
Man kann sich die Frage stellen, ob der frühere Bundesminister Scharping das Amt überhaupt wollte. Darüber
hat es breite öffentliche Diskussionen gegeben. Er ist in
das Amt mit guter Absicht gestartet und hat - das will ich
gar nicht verhehlen - auch Ansehen genossen. Aber bei
der ersten Kernentscheidung - nämlich über die Frage,
welche Zukunft die Bundeswehr haben sollte -, hat er
zunächst mit allen Fraktionen Rücksprache gehalten, wen
man in eine gemeinsame Kommission bringen könnte. Er
hat erklärt, der Zustand der Bundeswehr müsse geändert
werden, die alte bipolare Welt sei zu Ende und so gehe es
nicht mehr weiter. Er wollte sich eines breiten öffentlichen Sachverstandes bedienen und mit einer neuen Kommission die zukünftige Gestaltung und die Finanzierung
der Bundeswehr erarbeiten. Er hat ausdrücklich erklärt,
das müsse über Parteigrenzen hinweg geschehen, weil er
wusste, dass die Bundeswehr von uns allen geschätzt
wird, und zwar nicht nur wegen der Auslandseinsätze. Sie
hat ihre Funktion schon in den Zeiten des Kalten Krieges
vorzüglich erfüllt, weil sie uns den Frieden bewahrt hat.
({3})
Dann wurde die Kommission eingesetzt. Das Papier,
auf dem die Kommission ihre Empfehlungen niedergeschrieben hatte, war noch nicht trocken, da hatte der Bundesverteidigungsminister Scharping bereits den damaligen Generalinspekteur Kirchbach beauftragt. Dann hat er
selber ein Papier vorgelegt, und dann hat er den Generalinspekteur entlassen. Heute wird die Behauptung aufgestellt, er hätte die Empfehlungen der Weizsäcker-Kommission befolgt! Mitnichten: weder in der Finanzierung
noch in der Gestalt der Bundeswehr. Hätte er es doch getan!
({4})
Deshalb rufe ich noch einmal in Erinnerung, was die
Weizsäcker-Kommission gesagt hat. Sie hat empfohlen,
die jetzige Wehrform zu ändern. Sie hat vorgeschlagen,
einen Auswahlwehrdienst zu konstituieren und einige Tausend Haushaltsstellen zur Verbreiterung der Führungsfähigkeit der Bundeswehr für nachwachsende Generationen zur Verfügung zu stellen. Sie wollte die Bundeswehr
verkleinern, aber hat klar gesagt: Ohne eine bessere
Finanzausstattung geht es nicht.
Hier sollte niemand aus der Koalition die Behauptung
aufstellen, Bundesverteidigungsminister Scharping habe
die Empfehlungen der Weizsäcker-Kommission umsetzen wollen. Gleiches gilt nun offenbar für den neuen Bundesverteidigungsminister Struck, der gesagt hat, er wolle
die alte Politik fortsetzen. Das Gegenteil ist geschehen.
({5})
Die Empfehlungen sind nicht befolgt worden und die
Bundeswehr ist nach wie vor unterfinanziert.
Auch aus Ihren Reihen - Herrn Metzger sehe ich heute
nicht ({6})
gibt es doch beredte Zeugen der Zeit, die uns einen öffentlichen Zirkus über die Unfähigkeit des Bundesverteidigungsministers Scharping geliefert haben, einen normalen
Haushaltsansatz zu pflegen und einfache Kriterien der
Haushaltsordnung zu beachten. Wir sind doch nicht aus
Spaß nach Karlsruhe gegangen oder um jemanden zu ärgern,
({7})
sondern haben lediglich Rechte des Parlaments in Anspruch genommen. Man sollte im Umgang doch ein Mindestmaß der Beachtung des Parlamentes wahren.
({8})
Sie haben doch bis heute nicht eine gewisse Klarheit in
die Aussage bekommen, wie es denn bei uns in der Frage
der Transportkapazität - einer Kernfrage für unsere
Bündnisfähigkeit innerhalb der europäischen Sicherheitsund Verteidigungspolitik - aussieht und was mit dem
A400M ist. Noch vor wenigen Wochen mussten wir beim
Thema Schützenpanzer ein Fiasko miterleben. Ohne
jede Vorwarnung oder Vorinformation sollte ein komplettes Programm, das bisher unstreitig war, gekippt werden.
Wir konnten doch förmlich spüren, wie man in Ihren Reihen
bei nahezu jeder Vorlage aus dem Bundesverteidigungsministerium die Hände über dem Kopf zusammen geschlagen
hat. Und kaum ist der neue Bundesverteidigungsminister
vereidigt, sagt er: Es gibt nur marginale Änderungen, er
will das alles fortsetzen. - Wenn das der Fall ist, Herr Bundesverteidigungsminister Struck, bitten wir den Wähler
dringend, dies am 22. September zu beenden. So kann es
doch nicht weitergehen!
({9})
Ein weiterer Gesichtspunkt: Es ist nicht nur eine Binsenweisheit, sondern einfach die Wahrheit und ein Bekenntnis unserer Politik, dass nichts an einem stabilen
Beitrag der deutschen Armee im transatlantischen
Bündnis, in der NATO, vorbeiführt. Das ist für uns nicht
nur ein Eckpfeiler deutscher Politik, das ist für uns Staatsräson.
({10})
Deshalb muss jeder, der dieses Amt antritt, wissen, dass
sich mit dem Gewicht, das er als Person in das Amt, aber
auch in das Kabinett - dort ist der Kernpunkt der Haushaltsberatungen - bringt, die Glaubwürdigkeit der deutschen Außenpolitik mit entscheidet. Wir werden kein gewichtiges Wort im Bündnis mitreden können, wenn
Bundesverteidigungsminister, wie wir sie in Abfolge in
dieser Legislaturperiode kennen lernen konnten, nicht in
der Lage sind, den Bundeskanzler daran zu erinnern, was
er ihnen versprochen hat. Es führt kein Weg daran vorbei,
dass hier nicht nur über zwei Persönlichkeiten im Amt des
Bundesverteidigungsministers gesprochen werden muss,
sondern über die zentrale Verantwortlichkeit des Bundeskanzlers zum Haushaltsansatz für die deutsche Bundeswehr selbst.
({11})
Bei allen Ungeschicklichkeiten, die der frühere Bundesverteidigungsminister Scharping in der deutschen Öffentlichkeit weit ausgebreitet hat, liegt der Hauptgrund für
den Nichterfolg seiner Politik in seinem eigenen Scheitern in seiner Koalition. Er ist gescheitert, und zwar am
Bundeskanzler und am Bundesfinanzminister.
({12})
Wenn dies auch in den letzten 60 Tagen dieser Wahlperiode so bleibt, dann hätten Sie, Herr Bundeskanzler, auch
darauf verzichten können, Herrn Scharping zu entlassen.
Diese 60 Tage hätte das deutsche Volk es auch noch ausgehalten. Dafür hätte es heute nicht einer Sondersitzung
bedurft.
({13})
Wenn Sie mit dieser Neuernennung einen Impuls setzen wollen, dann sollten Sie die nächsten Tage nicht
tatenlos verstreichen lassen. Wir haben vor der Bundestagswahl noch eine Haushaltsberatung, um entsprechende Signale zu setzen, dass es jetzt besser, entschiedener, klarer, konzeptioneller und verlässlicher gemacht
wird. Wenn Sie das tun, kann ich dem ganzen Vorgang
heute noch etwas Positives abgewinnen. Unterlassen Sie
es aber, dann hätten Sie darauf verzichten sollen, den
Herrn Bundestagspräsidenten zu bitten, uns zu einer Sondersitzung zusammenzurufen. Das muss klar festgestellt
werden.
({14})
Zum Abschluss möchte ich sagen: Ich habe selten eine
Ministervereidigung erlebt, bei der der dann vereidigte
Amtsinhaber so wenig Impetus gezeigt hat, etwas verändern zu wollen. Jeder, der ein Amt antritt, kommt mit einem Stück Veränderungswillen, eigenen Akzenten und
klarer Konfrontation mit den Problemen, die er auch benennt. Nur zu sagen: „Weiter so“, ist weder für den deutschen Steuerzahler noch für dieses Parlament akzeptabel.
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({15})
Ich erteile das Wort
der Kollegin Angelika Beer für Bündnis 90/Die Grünen.
Frau
Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Sehr
verehrter Herr Minister Struck, zuerst möchte ich Ihnen
für meine Fraktion zur Ernennung zum Verteidigungsminister herzlich gratulieren. Wir sind sicher, dass dieser
Glückwunsch nicht nur bis zum 22. September hält. Wir
wünschen uns, dass er weit darüber hinaus reicht.
({0})
Auch wenn Herr Scharping heute nicht hier ist, möchte
ich sehr wohl erwähnen, dass wir gerade in der ersten Zeit
unserer rot-grünen Koalition mit ausgesprochen schweren
Belastungen - den Entscheidungen zum Kosovo-Einsatz
und vielem anderen - eng und gut zusammengearbeitet
haben.
({1})
Wir haben diese Zeit, wenn auch mit einigen Problemen,
produktiv genutzt und durch unser Konzept einer präventiven Außen- und Sicherheitspolitik geprägt. Wir hatten
immer den klaren Blick hin zu einer friedlichen Lösung
der schwierigen Auseinandersetzungen in anderen Ländern.
({2})
Lieber Herr Struck, es ist nicht nur eine schöne Aufgabe
- darauf komme ich nachher noch zu sprechen -, sondern
natürlich auch eine schwierige. Sie haben vorhin darauf
hingewiesen, dass Ihr erster Schritt - das finde ich gut - die
Reise nach Kabul ist. Danach werden Sie sicherlich auch
zu unserer Bundeswehr auf den Balkan reisen.
({3})
Denn eine Reform spüren unsere Soldaten und Soldatinnen; eine Reform bringt Unruhe und Schwierigkeiten.
Unsere Soldaten und Soldatinnen brauchen die Unterstützung der Politik und des Ministers. Es gilt, Vertrauen in
die Politik zu stabilisieren, Transparenz dort einzuführen,
wo sie möglich und notwendig ist, und vor allen Dingen
Ruhe in die Bundeswehr zu bringen.
Es gab bisher immer einen Konsens, dass die Bundeswehr in einem Bundestagswahlkampf oder einem anderen
Wahlkampf nicht instrumentalisiert wird. Ich hoffe, dass
sich die Opposition auf den bisherigen Konsens wieder
einlässt. Die Bundeswehr im Einsatz hat genügend positive Veränderungen der letzten Woche hinter sich. Wir haben einen neuen Generalinspekteur, Herrn Schneiderhan.
Auch Ihnen herzlichen Glückwunsch und den Wunsch für
eine ruhige Hand!
({4})
Ich freue mich, dass Sie, Herr Verteidigungsminister,
heute Morgen gegenüber den Obleuten deutlich gemacht
haben, dass wir eine Parlamentsarmee haben, dass das
Parlament auch weiterhin mit Sorgfalt über die Einsätze
entscheiden wird und wir in diesem Bereich weiter konstruktiv zusammenarbeiten können.
Ich möchte jetzt ein Stück weit Kritik der Opposition
aufgreifen, die gerade in den letzten Tagen formuliert
worden ist. Herr Schäuble - Herrn Stoiber kann ich jetzt
nicht ansprechen -, den neuen Verteidigungsminister
dafür formal zu tadeln, dass er das Gelöbnis am 20. Juli
durchgeführt hat, ist politisch eigentlich nur noch peinlich. Wer die Rede des polnischen Präsidenten gehört und
die Soldaten und die Rekruten gesehen hat, der weiß, dass
dieser historische Moment wieder ein Schritt der Versöhnung nach vorne ist. Als Teilnehmerin dieses öffentlichen
Gelöbnisses muss ich sagen, dass es ein Zeichen war. Ich
war stolz, an diesem Gelöbnis teilzunehmen. Dafür danke
ich Ihnen herzlich.
({5})
Ich kann es an dieser Stelle nicht unterlassen, die PDS
anzusprechen. Die PDS ist bei ihrem Spagat zusammengebrochen. Sie hatte versucht, mit ihren Aufrufen Gegendemonstranten für das Gelöbnis zu mobilisieren und hat
gleichzeitig im rot-roten Senat die Gelder für die Bereitstellung der Polizei für den Einsatz, dieses Gelöbnis vor
Störungen zu schützen, bereitgestellt.
({6})
Ich komme zu den Äußerungen von Herrn Schäuble.
Herr Schäuble, Sie fordern die Aufstockung der Bundeswehr auf 300 000 Mann sowie die Aufstockung des
Einzelplans 14; allerdings haben Sie noch keine konkreten Zahlen genannt. Sie nehmen hier einen Rückgriff in
die Klamottenkiste von Volker Rühe vor, der mit genau
diesen Planungen erbärmlich gescheitert ist. Das ist der
Beweis einer Realitätsresistenz, die sich inzwischen bei
der Opposition entwickelt hat. Sie wollen noch heute mit
Konzepten in die Zukunft gehen, die längst gescheitert
sind.
({7})
Herr Schäuble, es hat sich in den letzten vier Jahren doch
etwas getan, es ist nicht nur der Kalte Krieg endgültig zu
Ende gegangen. Unsere Soldaten sind heute an sechs internationalen Einsätzen beteiligt.
Ich darf nun kurz Herrn Breuer ansprechen. Herr
Breuer, Sie haben gesagt: Es bleibe nichts verborgen,
Struck habe keine sicherheits- oder verteidigungspolitische Erfahrung und habe in der Vergangenheit keine
eigenständigen Äußerungen zu seinem neuen Aufgabenbereich gemacht. Dabei gibt es doch niemand Besseren
als den ehemaligen Fraktionsvorsitzenden der SPD, der
sämtliche Krisen, sämtliche Probleme mit beraten und mit
zu deren Lösung beigetragen hat. Herr Kollege Breuer,
Sie haben zwar so genannte Erfahrungen - Sie sind inzwischen zwölf Jahre für die CDU/CSU im Verteidigungsausschuss; so lange sitzen wir dort schon zusammen -, aber kompetente Äußerungen haben Sie in der
gesamten Zeit nicht abgegeben. Was Sie heute fordern, ist
der Rückschritt in die Zeit des Kalten Krieges.
({8})
Ich möchte versuchen, den Spagat, den auch Sie versuchen, hier deutlich aufzuzeigen. Herr Schäuble, Sie haben durchaus konstruktive Ansätze vorgelegt, auch wenn
diese den Vorstellungen von Volker Rühe unterlegen sind.
Als ich Ihren Gastkommentar in der „Welt“ vom 18. Juli
gelesen habe, der mit der Überschrift „Europa muss in den
Sicherheitsrat“ versehen war, habe ich gedacht, Sie hätten
das Programm der Grünen gelesen. Sie äußern in diesem
Artikel sehr vernünftige Ansichten. Sie sagen zum Beispiel, wir bräuchten für unsere Glaubwürdigkeit die
Fähigkeit. Die Fähigkeit besteht aber nicht darin, Luftlöcher in Haushaltsbuchungen aufzubauen, sondern darin,
eine Reform konsequent zu Ende zu führen, den Bundeshaushalt weiter zu konsolidieren und damit - das ist wichtig - unseren Soldaten zu ihrem eigenen Schutz das bestmögliche Gerät mit auf den Weg zu geben. Wenn Sie diese
Fähigkeiten ansprechen, dann müssen Sie politische Konsequenzen daraus ziehen und nicht eine solche Rede wie
eben halten.
({9})
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, ich möchte jetzt
nicht näher auf das Thema der Konsolidierung des Bundeshaushaltes eingehen, begrüße es aber ausdrücklich,
dass sich Herr Verteidigungsminister Struck nicht vorgenommen hat, die Bundeswehr innerhalb der nächsten
neun Wochen auf den Kopf zu stellen. Er will vielmehr
unsere gemeinsamen Ziele erreichen.
({10})
Ich bin sicher, dass ihm das gelingen wird; denn im Gegensatz zu Ihnen, die Sie die Verteidigungspolitik isoliert
debattieren, haben wir ein Konzept der präventiven europäischen Außen- und Sicherheitspolitik entwickelt. Dies
ist ein Konzept aus einem Guss, das darauf abzielt, die
Bundeswehr im Rahmen der europäischen Veränderungen, nämlich der europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik, zusammenzuführen und unserer Bundeswehr einen bestimmten Stellenwert zu geben, das heißt sie
flexibel zu gestalten, da, wo es notwendig ist, nachzubessern, aber nicht nach den verlorenen Instrumenten der Regierung Kohl zu schreien.
Aussagen zum A400M, die Sie einfordern, können wir
uns hier sparen. Dazu gibt es einen Parlamentsbeschluss.
Auch beim „Panther“ möchte ich Ihre Vorstellung hinsichtlich Europas hinterfragen. Sie schreien nach dem
„Panther“ in der ursprünglichen Konzeption, also einem
Schützenpanzer, der tatsächlich noch zu Zeiten des Kalten Krieges erdacht und entwickelt wurde
({11})
und der nicht unbedingt dem entspricht, was wir heute
brauchen. Wir brauchen Panzer, die transportierbar sind
und die die Soldaten im Einsatz vor Minen schützen. Ich
bin zuversichtlich, dass der Verteidigungsminister in Kooperation mit dem Parlament die Entscheidungen in den
nächsten Sitzungen, in denen wir beraten, sehr zügig treffen wird.
Herr Kollege Struck, ich möchte mit einer persönlichen
Anmerkung schließen: Es ist mir eine ganz besondere
Freude, meine wohl letzte Rede als Abgeordnete und verteidigungspolitische Sprecherin zu diesem Anlass halten
zu dürfen.
({12})
Genauso wie viele Kollegen der SPD, der Grünen und
auch der anderen Fraktionen weiß ich von vielen Truppenbesuchen - uns hat kein Wendehals begleitet, sondern
dies zeigen die Erfahrungen in diesen schwierigen Zeiten -,
({13})
dass unsere Bundeswehrsoldaten vor Ort eine wertvolle
und ausgezeichnete Arbeit leisten; sie tun vieles über
ihren Auftrag hinaus.
Die Truppe vor Ort zu erleben, mit offenem Ohr zu
hören, wo es Sorgen gibt, und Lösungen zu finden, das
sind - das sage ich abschließend - schöne Teile Ihrer Arbeit. Ich wünsche Ihnen für die nächste Legislaturperiode
viel Glück. Vielleicht kann man dann ja sagen, dass statt
einer Wehrreform oder Wehrstrukturreform eine WehrStruck-Reform durchgeführt wurde. Dafür wünsche ich
Ihnen eine gute Hand.
Herzlichen Dank.
({14})
Weil wir doch noch
des Öfteren zusammenkommen, ist es mit der letzten
Rede so eine Sache.
Frau Kollegin Beer, ich danke Ihnen herzlich für Ihr
Engagement in den letzten zwölf Jahren und wünsche
Ihnen persönlich im Namen des ganzen Hauses alles Gute
für Ihre Zukunft.
({0})
Nun hat der Kollege Roland Claus für die PDS-Fraktion das Wort.
Frau Präsidentin! Meine sehr
verehrten Damen und Herren! Es mag andere, frühere und
gewichtigere Gründe für die Entlassung von Bundesminister Scharping gegeben haben als den, über den wir hier
reden.
({0})
Lassen Sie mich aber eines anfügen: Wir dürfen es uns
nicht bieten lassen, den Anlass dieser Entlassung, nämlich
die Hunzinger-Geschäfte, die auch Grund für diese Sondersitzung sind, herunterzuspielen, indem er hier überhaupt nicht mehr genannt wird.
({1})
In einer Situation, in der Sie durchaus, genauso wie
wir, wissen und spüren, dass damit erneut Vertrauen beschädigt und zerstört wird, wird in einer Regierungserklärung nichts dazu gesagt. Rudolf Scharping hat es in
Ihren Augen mit seiner Selbstgefälligkeit übertrieben.
Der Kanzler löst mit der Entlassung ein Problem. Mein
Problem ist ein ganz anderes: Nicht die unerwünschte
Übertretung von Rudolf Scharping, sondern die Regeln
der Verflechtung von Politik, Geschäft, Geld, Rüstung
und Beratung sind von Übel. Das ist das eigentliche Problem.
({2})
Erst vor wenigen Wochen haben wir uns im Zusammenhang mit dem Abschlussbericht des Untersuchungsausschusses über die Parteispenden hier in Betroffenheit
umgetan und Besserung gelobt. Offenbar geht es, mit
Ausnahme bei der PDS, bei allen anderen wissentlich und
munter sowie scheinbar legal mit Hunzinger and friends
weiter. Das ist nun einmal Fakt.
({3})
So entsteht in der Öffentlichkeit natürlich die Frage, die
die Demokratie in diesem Land insgesamt beschädigt: Ist
in diesem Land denn alles käuflich?
Sie können mir doch nicht erklären, dass diese Logik
Bestand haben kann. Öffentlichkeitsarbeit, PR, ist eine
Dienstleistung; eine Dienstleistung kostet Geld. PR kann
doch nicht als eine Einnahmequelle angesehen werden.
Sie halten bei solchen PR-Veranstaltungen Vorträge und
Reden, die bezahlt werden. Denken Sie, dass diese nur
aufgrund des Charmes Ihrer Rede bezahlt werden? Das
glaubt Ihnen in der Öffentlichkeit doch niemand. Das ist
das Problem, das wir damit haben.
({4})
Deshalb brauchen wir bei diesen Verflechtungen Aufklärung, Offenlegung und, wo es sein muss, auch staatliche Kontrollen.
Bundesminister Struck hat erwartungsgemäß - das haben alle Vorrednerinnen und Vorredner gesagt - nicht allzu
viel Neues zum Bundeswehrkonzept gesagt. Daher waren
die Erwartungen, wie ich denke, nicht überzogen. Trotzdem
hätte ich mir gewünscht, dass auf die Frage, die noch immer
offen ist, eine Antwort gegeben worden wäre, nämlich auf
die der Angleichung des Wehrsoldes in Ost und West. In dieser Sache müssen Schritte unternommen werden.
({5})
Natürlich ist es richtig, den Bezug zum 11. September
herzustellen. Aber es gibt auch Erkenntnisse nach dem
11. September. Diese Erkenntnis heißt unter anderem:
Kriegsbeteiligung ist die falsche Antwort auf Terror; denn
keines Ihrer Ziele wurde erreicht.
({6})
Der Verteidigungsausschuss war unlängst in Dschibuti.
Er hat sich dort angesehen, in welch schwieriger und
stressiger Situation Marinesoldaten sind, die polizeiliche
Aufgaben verrichten, aber Terroristen nicht wirklich beikommen können. Deshalb denken wir, dass die uneingeschränkte Gefolgschaft zu den USA, das Hinterherrüsten,
die Akzeptanz einer Dominanz des Militärischen, der
falsche Weg ist. Das ist keine Modernisierung von Sicherheitspolitik.
({7})
Ich finde es bedauerlich, dass Sie den Rat einer Ihrer
klügsten Köpfe - ich meine Egon Bahr - in Sachen Sicherheits- und Friedenspolitik in den Wind schlagen. Herr
Bundesminister, Sie haben vorhin den Eid auf die Verfassung geleistet. Meiner Meinung nach haben Sie zumindest mit einem Verfassungsartikel ein Problem, nämlich
mit Art. 87 a des Grundgesetzes. Dort heißt es:
Außer zur Verteidigung dürfen die Streitkräfte nur
eingesetzt werden, soweit dieses Grundgesetz es ausdrücklich zulässt.
Es gab andere Gründe für die Entlassung von Minister
Scharping. Wir vergessen nicht sein vehementes Eintreten
für einen völkerrechtswidrigen Krieg im Jahre 1999.
({8})
Es war Minister Scharping, der hier im Bundestag Bilder
von Racak und dem Hufeisenplan besonders eifrig präsentierte. Wir wissen, wie seriös diese Auskünfte waren.
Deshalb sollten wir es nicht beim Rückzug des Ministers
belassen, sondern von dieser Stelle fordern: Holt die deutschen Soldaten zurück! Vor allem: Keine Beteiligung an
einem neuen Irak-Krieg!
({9})
Es wäre uns in dieser Situation ausdrücklich geholfen,
Rüstungsexporte zu ächten. Das erspart uns möglicherweise Affären, aber noch mehr erspart es den Völkern
Kriege.
Vielen Dank.
({10})
Ich erteile dem Kollegen Peter Zumkley für die SPD-Fraktion das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich gratuliere jetzt nicht mehr - das ist
inzwischen ausreichend geschehen -, sondern möchte
mich direkt an den Bundesverteidigungsminister wenden.
Sie, Herr Minister, haben betont, dass Sie die eingeleiteten Reformvorhaben kontinuierlich fortsetzen wollen.
Diese Entscheidung wird von uns ausdrücklich begrüßt.
({0})
Die in den vergangenen drei Jahren getroffenen Reformentscheidungen wurden in der Tat von Rudolf
Scharping sorgfältig vorbereitet und auch begonnen.
Wichtige Weichenstellungen zur Zukunftssicherung der
Bundeswehr sind in der Umsetzung begriffen und gehen
zielstrebig voran. Die Anpassung der Bundeswehr an
die neuen Anforderungen im erweiterten Aufgabenspektrum, die Beseitigung der Ungleichgewichte in Struktur
und Besoldung sowie die Modernisierung der Materialausstattung bleiben mit sein Verdienst. Der Erneuerungsprozess der Bundeswehr wird trotz aller Häme und trotz
allen Nachtretens, die man in der jetzigen Zeit gelegentlich verspüren kann, mit dem Namen Rudolf Scharping
positiv verbunden bleiben.
({1})
An der politisch und militärfachlich richtigen Entscheidung zur beschlossenen Bundeswehrreform werden
wir, wie von dem neuen Verteidigungsminister Peter
Struck angekündigt, auch in Zukunft festhalten. Die Reform wurde durch Sie, meine Damen und Herren von der
Union, prinzipiell nicht mehr kritisiert. Das begrüßen wir.
So hat der Kollege Schäuble vor wenigen Wochen die
Richtigkeit der Reform herausgestellt, das hat er auch
heute getan. Umso unverständlicher und unglaubwürdiger ist die von ihm heute an dieser Stelle formulierte Kritik in verschiedenen Punkten.
Im Übrigen sollte die Auseinandersetzung auch in
Wahlkampfzeiten so geführt werden, dass die Bundeswehr keinen Schaden nimmt.
({2})
Es wird auch weiterhin darauf ankommen, einen breiten Konsens in der Sicherheits- und Verteidigungspolitik
anzustreben. Dies ist in diesen Tagen gewiss schwierig;
mein Kollege Erler hat dazu einige Bemerkungen gemacht.
Wir beabsichtigen, neben den bereits erreichten signifikanten Verbesserungen für die Angehörigen der Bundeswehr weitere soziale Fortschritte für die Menschen,
die in der Bundeswehr dienen und arbeiten, voranzubringen. Mit den von uns vorgenommenen Planstellenverbesserungen und zusätzlichen Beförderungsmöglichkeiten
werden wir den Beförderungsstau, der sich wegen der
mangelnden Initiative der jetzigen Opposition jahrelang
hat entwickeln können, in den nächsten Monaten spürbar
weiter abbauen.
({3})
Auch die berufliche Fort- und Weiterbildung werden
wir weiter aktiv angehen und so den Dienst in den Streitkräften attraktiver gestalten. Auf die eingeführte Fachunteroffizier- und Feldwebellaufbahn, die in Ihrer Regierungszeit jahrelang diskutiert, aber nicht umgesetzt worden
ist, sei an dieser Stelle hingewiesen.
({4})
Sie von der Opposition haben es versäumt, die dringend notwendige Bundeswehrreform in Ihrer Regierungszeit wirksam anzugehen. Wir haben mit der dringend notwendigen Modernisierung und Veränderung der
Ausrüstung begonnen und werden sie weiter vorantreiben. Dabei werden wir auch in einem Wahljahr den Angehörigen der Bundeswehr nichts versprechen, was nicht
auch gehalten werden könnte.
({5})
Im Übrigen wissen die Angehörigen der Bundeswehr sehr
genau, was Sie uns 1998 übergeben haben.
Bereits in diesem Jahr wurde der Verteidigungsetat
aus Antiterrormitteln um 767 Millionen Euro erhöht. Der
Regierungsentwurf für den Haushalt 2003 sieht einen Gesamtetat von circa 25 Milliarden Euro vor. Damit können
die laufenden Auslandseinsätze und die Bundeswehrreform finanziert werden, zwar knapp, aber auf einer angemessenen Zeitachse.
({6})
Das gilt auch für die vom Kollegen Schäuble genannten Beschaffungsvorhaben. Allerdings hat er dabei eines
vergessen - ich füge es hinzu -: IRIS-T. Es wird nicht einfach sein, aber das Ziel ist, noch bis zum September Entscheidungen hierüber herbeizuführen. Im Übrigen möchte
ich dem Herrn Kollegen Schäuble noch sagen: Ich kann
Ihnen, was den A400M angeht, eine konstruktive Opposition gewiss nicht bescheinigen.
({7})
Dem Kollegen Schäuble möchte ich außerdem sagen,
er möge bitte seine Zahlen überprüfen. Er hat dargelegt,
dass in unserer Regierungszeit der Anteil internationaler
Beteiligungen am Gesamthaushalt von 20 Prozent auf
12 Prozent heruntergefahren worden ist. Er möge bitte
überprüfen, wie es im Jahr 1998 ausgesehen hat. Unter Ihrer Regierung ist bereits die 12-Prozent-Marke erreicht
worden, weil Sie so viele Streichungen vorgenommen haben, besonders bei den Beschaffungen.
({8})
Mit den veranschlagten Haushaltsmitteln wird sowohl
der Reform und der Umstrukturierung der Bundeswehr
sowie den Auslandseinsätzen als auch der notwendigen
Haushaltskonsolidierung Rechnung getragen. Die derzeitige sicherheits- und verteidigungspolitische Lage erlaubt
einen derartigen Ansatz. Sie von der Opposition beschränken sich, wie gehabt, auf die Forderung nach mehr
Geld. Eine Gegenfinanzierung wird nicht aufgezeigt.
Wollen Sie mehr Schulden? Zulasten welcher Ressorts
wollen Sie den Verteidigungsetat erhöhen? Wollen Sie die
Steuern erhöhen?
Ich sage Ihnen: Auch die Angehörigen der Bundeswehr
sind für eine solide Finanzpolitik.
({9})
Sie haben teil, Herr Kollege Raidel, am öffentlichen Leben und den damit verbundenen sozialen Leistungen des
Staates. Die Kinder der Soldaten haben das Recht auf eine
gute Schul- und Berufsausbildung. Die Angehörigen der
Bundeswehr wollen eine gute Infrastruktur nutzen. Ihre
Familien wollen in einer intakten Umwelt leben. Am Ende
ihres Arbeitslebens haben sie Anspruch auf eine sichere
Rente oder Pension. Sagen Sie doch endlich, woher Sie
mehr Geld für die Bundeswehr nehmen wollen; darauf haben die Wählerinnen und Wähler gewiss einen Anspruch.
({10})
Wenn der Kollege Schäuble sagt - so wurde er heute
im Fernsehen zitiert -, das Niveau der Verteidigungsausgaben solle mittelfristig dem von Frankreich und Großbritannien angepasst werden, dann klingt das wohltuend
moderater als das Schreien nach kurzfristiger Erhöhung
der Mittel. Allerdings müssen wir uns, meine Damen und
Herren von der Opposition, über den Begriff „mittelfristig“ sowie darüber unterhalten, ob wir das Niveau Frankreichs auch an den nuklearen Komponenten in den französischen Streitkräften, die ja erhebliche Kosten
beinhalten, oder an der Gendarmerie messen wollen, die
bekanntlich zu den französischen Streitkräften gehört.
({11})
Meine Damen und Herren, an der Wehrpflicht werden
wir festhalten. Wir halten sie aus sicherheitspolitischen
Gründen und vom Bedarf der Streitkräfte her für weiterhin geboten. Eine reine Berufsarmee, die angesichts der
zu erfüllenden Aufgaben nicht wesentlich kleiner als eine
Wehrpflichtigenarmee sein dürfte, wäre deutlich teurer.
Eine Bundeswehr mit Berufs- und Zeitsoldaten sowie
Wehrpflichtigen ist in ihrer Qualität grundsätzlich jeder
Berufsarmee überlegen; davon sind wir überzeugt.
Auch die eingegangenen internationalen Verpflichtungen können und werden wir einhalten. Von den Vorrednern ist bereits auf den großen Beitrag Deutschlands
hingewiesen worden; ich muss das nicht wiederholen. Bei
weiterer Stabilisierung der Lage insbesondere auf dem
Balkan muss allerdings in Abstimmung mit unseren
Bündnispartnern stets geprüft werden, ob die Truppenstärke so bleiben muss oder ob wir sie reduzieren können.
Dieser Aufgabe haben wir uns zu stellen.
Bei den Auslandseinsätzen zeigt sich, dass unsere
Soldaten hervorragend ausgebildet und gut ausgerüstet
sind. Ich freue mich, dass darüber in diesem Hause Konsens besteht.
({12})
Unsere Soldaten haben es auch verdient, dass sie einhellig
so beurteilt werden. Diesem Konsens entzieht sich lediglich die PDS, die in dieser Frage völlig isoliert ist und in keiner Weise den Anforderungen gerecht wird, die man an eine
vernünftige Außen- und Sicherheitspolitik stellen muss.
({13})
Wir freuen uns auch darüber, dass die Aufgaben der
Bundeswehr professionell, diszipliniert und hoch motiviert erledigt werden. Dafür muss man den Soldatinnen
und Soldaten und den zivilen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern unserer Bundeswehr sowie ihren Angehörigen
sehr danken.
({14})
Die Angehörigen der Bundeswehr haben in den letzten
Jahren hervorragende Leistungen vollbracht, die wir auch
in Zukunft benötigen. Mit Engagement haben sie sich der
gewiss nicht leichten Doppelbelastung aus Umstrukturierung und Reform der Bundeswehr bei gleichzeitig zu leistenden Auslandseinsätzen gestellt. Ich bin sicher, dass
hoch motivierte Kräfte innerhalb und außerhalb der Bundeswehr für diese neuen Wege aufgeschlossen sind und
mithelfen, die Bundeswehr zukunftsfähig zu gestalten.
({15})
Nun erteile ich das
Wort dem Kollegen Christian Schmidt, CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine Kolleginnen und Kollegen! Natürlich wünschen wir dem neuen Verteidigungsminister Glück für
seine Amtsführung. Das sind wir den Soldaten schuldig,
({0})
die nach Vertrauen in ihre Führung suchen, das sie verloren haben.
({1})
Gleichwohl wissen wir, dass das Vertrauen von diesem
Verteidigungsminister nicht in die Bundeswehr zurückgebracht werden kann; denn mit seinen ersten Äußerungen
zur Zukunft der Bundeswehr und deren Finanzierung hat
er eigentlich schon alles verspielt.
({2})
Wir haben mit Herrn Scharping einen harten Strauß
ausgefochten. Nach den Erfolgsbilanzen, die Herr Erler
und Herr Zumkley aufgezeigt haben, fragt man sich heute,
ob Scharping jemals etwas falsch gemacht hat und ob
noch der Satz von
Von
Rudolf lernen heißt Siegen lernen. Dem müsste sich die
Frage anschließen, warum Scharping jetzt nicht mehr im
Amt ist.
Herr Kollege Zumkley, zum Thema Häme und Nachtreten gegenüber Scharping - vielleicht sind wir uns da
sogar einig; ich möchte Sie aber nicht in Anspruch nehmen - möchte ich doch noch eines sagen: Wir befinden
uns alle im Wahlkampf und sprechen mit vielen Menschen. Am meisten hat die Menschen bewegt, dass jemand, der Vorsitzender Ihrer Partei war und die Uhr von
August Bebel getragen hat,
({0})
der Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz und Bundesverteidigungsminister war, um des Wahlkampfes und der
Prozentanteile willen ohne ein Dankeschön in 37 Sekunden aus dem Kabinett hinauskomplimentiert, ja hinausgeworfen wird. Dieser Hinauswurf war nun wirklich stillos.
({1})
Angesichts dessen brauchen Sie sich nicht zu wundern,
dass darüber spekuliert wird, ob Herr Scharping überhaupt noch einen Zapfenstreich zugebilligt bekommt.
Dies wirft ein deutlicheres Licht auf die Verfasstheit dieser Regierung als manches Geplänkel darum herum.
({2})
Über Ihre Antworten auf die Frage, wer wann was und
wie gemacht hat, wundere ich mich schon. Sie behaupten
heute, im Hinblick auf Interventionsarmee und Einsatzstreitkräfte habe sich vor Ihrer Reform nichts getan. Erstens stimmt das nicht. Zweitens frage ich Sie: Habe ich die
Reden noch richtig in Erinnerung, die vom damaligen
Fraktionsvorsitzenden Scharping, von Herrn Verheugen
und anderen gehalten wurden, als wir 1994 nach Karlsruhe gehen mussten, um die Frage zu klären, ob die Bundeswehr überhaupt im Ausland tätig sein dürfe? Erinnern
Sie sich noch daran? Wie verhielt es sich denn in jenen
Jahren mit den Kürzungsanträgen zum Verteidigungshaushalt? Haben Sie Anträge gestellt, um den Verteidigungshaushalt besser auszustatten? Nein, überhaupt
nicht; es waren 13 Milliarden weniger.
({3})
- Er war ein Steinbruch, weil die Prioritätensetzung falsch
war.
Sehr verehrte Frau Beer, ich wollte Ihnen eigentlich
Dank sagen. Das tue ich auch, weil ich meine, wir sollten
in diesem Haus zwischen den Aspekten des Menschlichen
und des Politischen unterscheiden. Das, was Sie gerade
gegenüber dem Kollegen Paul Breuer geäußert haben,
war aber für eine Abschiedsrede nicht gut.
({4})
Ich weise noch einmal sehr deutlich auf Folgendes
hin: Fingen wir an, die in dieser Koalition bestehenden
Unterschiede zwischen Rot und Grün im Hinblick auf die
Wehrpflicht und auf die Frage, welche Form der Bundeswehr Sie wollen, wirklich auszudiskutieren, kämen wir
zu nicht nur für den Wähler hochinteressanten Ergebnissen.
({5})
- Wir sprechen uns anschließend noch aus.
General Kujat, der nicht unserer Partei angehört, der
der erste militärische Berater des Verteidigungsministers
Scharping war, ein guter Soldat, ein guter Offizier, der
heute als Vorsitzender des Militärausschusses der höchstrangige deutsche NATO-Offizier ist - wir wünschen ihm
von dieser Stelle aus viel Glück und Erfolg für seine Arbeit -, wird heute in der „Rheinpfalz“ zitiert.
({6})
- Er ist nicht in meiner Partei, völlig richtig. - In der
„Rheinpfalz“ ist zu lesen:
Harald Kujat hat die Bundesregierung aufgefordert,
mehr Geld für die Bundeswehr auszugeben.
Aus dem berechtigten Anspruch Berlins auf außenpolitischen Gestaltungsspielraum „ergeben sich Verpflichtungen, denen Deutschland gerecht werden
sollte“ ... Dies gelte „aus Solidarität gegenüber den
Verbündeten, vor allem aber auf Grund eigener Sicherheitsinteressen“, unterstrich der frühere Generalinspekteur der Bundeswehr ...
Die NATO müsse sich mit Investitionen in neue Waffensysteme auf die neuen Sicherheitsbedingungen einstellen und könne ihre Aufgabe nur erfüllen, wenn jedes
Land seinen Beitrag leiste. Das sind Probleme, die Sie mit
noch so schönen Worten und Blumensträußen nicht wegdiskutieren können.
({7})
Gott sei Dank, Herr Struck, dass Sie beim NATOGipfel im November in Prag nicht mehr im Amt sein werden.
({8})
Anderenfalls müssten Sie dort aufgrund Ihrer eigenen
Äußerungen einen Offenbarungseid leisten, weil die
NATO in Prag mehr als nur allgemeine Zusagen und laute
Verkündungen des Bundeskanzlers verlangen wird, man
werde etwas ändern. Dort wollen sie Butter bei die Fische
sehen. Die NATO wird verpflichtende Vereinbarungen
verlangen, weil sie weiß, mit welchen Pappenheimern sie
es hier zu tun hat. Sie wird verlangen, dass die Bundeswehr
an den Bedürfnissen ausgerichtet wird. Das haben Sie versäumt; das werden wir nach dem 22. September tun.
({9})
Ich schließe die Aussprache.
Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Donnerstag, den 12. September 2002, 10 Uhr,
ein.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich wünsche uns allen viel Erfolg bei unserem gemeinsamen Bemühen, die
Menschen davon zu überzeugen, dass sie von ihrem
Wahlrecht Gebrauch machen.
Die Sitzung ist geschlossen.