Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Ich rufe jetzt die
Frage 2 des Kollegen Michelbach auf:
Was gedenkt die Bundesregierung gegen die aktuelle Insolvenzwelle bei mittelständischen Unternehmen zu unternehmen,
und wie viele Unternehmen sind nach Kenntnis der Bundesregierung in Oberfranken von der Insolvenzwelle betroffen?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Herr Abgeordneter Michelbach, im Jahr 2001 gab es in Deutschland
rund 32 300 Unternehmensinsolvenzen. Im Vergleich
zum Jahr 2000 stieg damit die Zahl der Unternehmensinsolvenzen um 14,3 Prozent. Nach ersten Schätzungen, die
das Statistische Bundesamt für das erste Quartal 2002 auf
der Basis von Ergebnissen von mehr als der Hälfte der
Bundesländer vorgenommen hat, setzt sich der bereits seit
Anfang der 90er-Jahre zu beobachtende Aufwärtstrend
der Insolvenzzahlen auch im Jahr 2002 fort.
Die Zahl der Unternehmensinsolvenzen hat im ersten
Quartal des Jahres 2002 um circa 5 Prozent gegenüber
dem gleichen Vorjahreszeitraum zugenommen. Meldungen, wonach für das laufende Jahr mit einer nie da gewesenen Pleitewelle, mit Steigerungsraten um 25 Prozent
und mehr als 40 000 Unternehmensinsolvenzen zu rechnen sei, können vor diesem Hintergrund nicht nachvollzogen werden.
Für die Beurteilung der Unternehmensentwicklung in
einer Volkswirtschaft ist nicht allein die Zahl der Insolvenzen maßgeblich, sondern auch die Zahl der Neugründungen. Von entscheidender Bedeutung ist das Gründungsgeschehen insgesamt und damit der Saldo. Dieser
ist weiterhin deutlich positiv. Im Jahr 2001 standen in
Deutschland 545 000 Gründungen 470 000 Liquidationen
gegenüber. Damit der Saldo auch weiterhin positiv bleibt,
ist es die zentrale Aufgabe der Wirtschafts- und Finanzpolitik, Raum für private Initiative und insgesamt ein positives Klima für Investitionen und Unternehmensgründungen zu schaffen. Die Bundesregierung hat in dieser
Hinsicht in den vergangenen Jahren Beachtliches zuwege
gebracht. Mit den in mehreren Stufen realisierten Steuerreformmaßnahmen werden mittelständische Unternehmen im Jahr 2005 gegenüber 1998 per saldo um rund
16,7 Milliarden Euro pro Jahr entlastet. Die Steuerentlastungen ermöglichen den Unternehmen höhere Nettogewinne und erleichtern auf diesem Wege die notwendige
Bildung von Eigenkapital.
Die Finanzierung des Mittelstands ist und bleibt ein
zentraler Punkt der Mittelstandspolitik. In diesem Jahr stehen allein aus dem ERP-Sondervermögen des Bundes insgesamt 5,2 Milliarden Euro für zinsgünstige Förderkredite
zur Verfügung. Die beiden Förderinstitute des Bundes, die
KfW - Kreditanstalt für Wiederaufbau - und die Deutsche
Ausgleichsbank, werden zusätzlich rund 9 Milliarden
Euro für die Kreditfinanzierung des Mittelstands anbieten.
In der Region Oberfranken in Bayern gab es im
Jahr 2000 laut Bayerischem Landesamt für Statistik und
Datenverarbeitung 284 Unternehmensinsolvenzen. Im
Jahr 2001 stieg die Zahl um knapp 65 Prozent auf 468.
({0})
Die Zahlen zum ersten Quartal 2002 liegen aufgrund einer Modifizierung der Berechnungsmethode bei der Abgrenzung zwischen Verbrauchern und Kleingewerbetreibenden derzeit noch nicht vor.
Zu einer ersten Nachfrage hat der Kollege Michelbach das Wort.
Herr Staatssekretär,
vielen Dank für die Beantwortung der Frage, insbesondere im Hinblick auf den Regierungsbezirk Oberfranken.
Stellen Sie bei der Steigerung um 65 Prozent in nur einem
Jahr nicht fest, dass es ein Ausbluten der Grenzregionen
zwischen den alten und den neuen Bundesländern gibt?
Welche Maßnahmen treffen Sie, um den Grenzregionen,
die das Fördergefälle hin zu den neuen Bundesländern unmittelbar erleiden müssen, zu helfen?
Sie kennen die
Möglichkeiten, die die Bundesregierung im europäischen
Rahmen hat. Diese Möglichkeiten werden in vollem Umfang ausgeschöpft. Darüber gibt es in der politischen Debatte, soweit ich das sehe, keinen Dissens zwischen Opposition und Regierung.
Ich verweise allerdings auch auf die Verpflichtung des
Freistaats Bayern, sich um die dortigen Regionen eigenständig zu kümmern und den strukturschwachen Regionen gegebenenfalls mit eigenen Fördermaßnahmen zu
helfen. Ich darf allerdings unterstellen, dass es entsprechende Aktivitäten gibt.
Kollege Michelbach
hat noch eine zweite Nachfrage.
Herr Staatssekretär,
ist Ihnen nicht bewusst, dass das EU-Recht leider keine
eigenen Fördermöglichkeiten der Bundesländer zulässt
- ich verweise auf die Subventionskontrolle -, sodass wir
eine Veränderung der Fördermaßnahmen, insbesondere
eine eigene Förderkulisse für die Grenzregionen brauchen, damit in Berlin und in München über entsprechende
Maßnahmen entschieden werden kann? Sehen Sie nicht
die Notwendigkeit zur Änderung der Fördermaßnahmen
und der Wettbewerbskontrolle der EU?
Wir sind immer
gern bereit, uns auch bei der EU-Kommission und bei der
EU ganz generell für die Interessen der deutschen Wirtschaft und der deutschen Regionen stark zu machen. Ich
will auch gar keinen Dissens zwischen einer Landesregierung und der Bundesregierung herbeiführen. Es geht uns
um die Sache, nämlich um den Bestand unseres Mittelstandes, der für unsere Wirtschaft insgesamt wichtig genug ist.
Wir haben keine näheren Angaben über die Entwicklung in Oberfranken, aber insgesamt gesehen ist der Anteil der Insolvenzen im Baugewerbe relativ und auch absolut hoch. Auch in Ihrem Bereich wird wohl das
Baugewerbe eine nicht unerhebliche Rolle spielen. Die
Insolvenzen betreffen im Baugewerbe im Jahr 2001
2,8 Prozent der Unternehmen. Im Durchschnitt aller Unternehmen betreffen sie nur 1,1 Prozent.
Man muss außerdem sehen, dass mehr als 26 Prozent
der Insolvenzen im Jahr 2001 in den neuen Bundesländern
ohne Berlin - davon 40 Prozent im Baugewerbe - zu verzeichnen waren. Die Bundesländer mit der höchsten Insolvenzhäufigkeit - auch das ist interessant - waren im
Jahr 2001 ostdeutsche Länder, nämlich Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen-Anhalt, Sachsen und Brandenburg.
Es gibt eine weitere
Nachfrage, und zwar vom Kollegen Schauerte.
Herr Staatssekretär, gerade die letzte Aussage über die katastrophale Entwicklung in den neuen Ländern zeigt natürlich, wie sehr
die Chefsache Aufbau Ost misslungen ist.
Meine Frage lautet: Wissen Sie, wie viele Arbeitsplätze
in den 468 in Konkurs gegangenen Unternehmen in Oberfranken betroffen waren?
Diese Frage
kann ich Ihnen nicht beantworten. Das ist vom Ministerium nicht aufgearbeitet worden. Vermutlich ist die statistische Basis nicht vorhanden.
Weil Sie von der katastrophalen Situation gerade in der
Bauwirtschaft in Ostdeutschland sprechen, möchte ich an
dieser Stelle eines noch einmal sagen. Sie wissen sehr genau, dass ein erheblicher Teil der Insolvenzen - „Insolvenz“ ist nicht mit „Pleite“ oder „Konkurs“ gleichzusetzen; das sollte man in der Öffentlichkeit immer wieder
betonen; das Insolvenzrecht ist auch gerade verbessert
worden - vor dem Hintergrund der Politik, die Sie in den
90er-Jahren betrieben haben, zu sehen ist. Es ist daran zu
erinnern, dass Sie über Sonderabschreibungstatbestände
nicht nur für Investitionsruinen, sondern auch dafür gesorgt haben, dass sich in der Bauwirtschaft eine Blase hat
entwickeln können, die jetzt zum Platzen gekommen ist,
was viele Arbeitsplätze kostet. Das ist jedenfalls ein Teil
der Wahrheit, über die wir zu reden haben, wenn wir die
Bauwirtschaft in Ostdeutschland einer näheren Betrachtung unterziehen, Herr Schauerte.
Vielen Dank, Herr
Staatssekretär.
Wir kommen jetzt zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft. Zur Beantwortung steht Herr Parlamentarischer Staatssekretär Matthias Berninger zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 3 des Abgeordneten Helmut
Heiderich auf:
Sind der Bundesregierung die Untersuchungen des Landwirtschaftszentrums Haus Düsse bekannt, wonach es im ökologischen
Landbau 18,7 Prozent Ferkelverluste bis zum Absetzen gab, im
Vergleich zu 12,4 Prozent bei normaler Aufzucht, und hat die Bundesregierung Kenntnis über andere vergleichende Versuche über
die Tierhaltung im ökologischen Landbau und der herkömmlichen
Tierhaltung, besonders bei der Haltung von Legehennen, vor dem
Hintergrund von Meldungen, dass Futterzusammensetzungen
in Öko-Betrieben verstärkt das Federpicken von Legehennen auslösen?
Herr Kollege Heiderich, ich beantworte im
Namen der Bundesregierung Ihre Frage wie folgt: Der
Bundesregierung sind die vorgenannten Untersuchungen
bekannt. Eine angemessene ursachenorientierte Kommentierung der Untersuchungsergebnisse bedarf jedoch
einer genauen Analyse der Ausgestaltung des Verfahrens
der jeweiligen, vor allem tiergesundheitsrelevanten, Vorkommnisse in den einzelnen Durchgängen der Aufzuchtspartien. Darüber hinaus muss man klar sagen, dass
die Untersuchungen auf eineinhalbjährige Erfahrungen
zurückzuführen sind und daher noch keineswegs repräsentativ sein können.
Wir haben gerade im Ferkelaufzuchtbereich im ökologischen Landbau Vergleiche mit dem konventionellen
Landbau und kommen hier zu ähnlichen Ergebnissen. Es
sind vor allem zwei Dinge sehr wichtig: Zum einen ist es
sehr stark von den einzelnen Betriebsleitern abhängig,
wie hoch die Mortalität bei den Ferkeln ist, und zum anderen hängt sie sowohl in der konventionellen als auch in
der ökologischen Landwirtschaft sehr stark von der Qualität des eingesetzten Futters ab.
Herr Kollege
Heiderich zu einer ersten Nachfrage, bitte.
Herr Staatssekretär,
ich hatte auch zum Thema der Legehennen etwas gefragt;
darauf haben Sie leider keine Antwort gegeben. Deshalb
frage ich dazu noch einmal: Ist Ihnen bekannt, dass es
nach Untersuchungen offensichtlich insbesondere bei der
Freilandhaltung von Legehennen im ökologischen Bereich zu sehr starken Krankheitsbelastungen kommt und
dass gerade in diesem Bereich dann entweder entsprechende Medikamente eingesetzt werden müssen oder
eben mit erhöhten Mortalitätsraten gerechnet werden
muss?
Herr Abgeordneter, natürlich sind mir solche Untersuchungen bekannt. Im ökologischen Landbau
haben wir in den letzten Jahren die Forschungsintensität
erheblich erhöht. Die Bundesregierung hat mit der Gründung des Bundesinstituts für ökologischen Landbau in
Trenthorst, einer Außenstelle der Bundesforschungsanstalt
für Landwirtschaft, gerade einen Grundstein dafür gelegt,
in diesem Bereich zu seriösen Forschungsergebnissen zu
kommen.
Wir haben im Geflügelbereich auch wieder sehr unterschiedliche Ergebnisse. In der Tat ist aber richtig, dass insbesondere die essenzielle Aminosäure Methionin, die auch
für das von Ihnen genannte Federpicken relevant ist, in den
Futterkombinationen des ökologischen Landbaus durchaus optimierbar ist. Daran arbeiten wir. Ich bin auch sehr
erfreut darüber, dass es uns in den Haushaltsberatungen
innerhalb der Bundesregierung gelungen ist, das Bundesprogramm für den ökologischen Landbau, insbesondere
für den Bereich Forschung, nicht nur für zwei Jahre, sondern für sechs Jahre festzuschreiben, sodass wir hier zu
guten Ergebnissen kommen werden.
Erlauben Sie mir eine weitere Bemerkung. Die Frage,
welche Tierrassen hier zum Einsatz kommen, ist von
großer Relevanz. Die Betriebe haben gerade im Bereich
der Schweinezucht einen relativ langen Vorlauf. Hier werden alte, wesentlich robustere Haustierrassen vom ökologischen Landbau bevorzugt, die sich dann auch eher artgerecht halten lassen als solche Rassen, die nur auf
entsprechende Fleischproduktion oder andere Leistungen
hin hochgezüchtet worden sind und dann, wenn sie sich
im natürlichen Umfeld bewegen, anfälliger für Krankheiten sind.
Es gibt noch eine
zweite Nachfrage.
Ich muss zuerst noch
eine Bemerkung machen. Ich würde gern mit Ihnen auch
einmal erörtern, ob das Methionin, das heute in der Regel
ja aus gentechnischen Verfahren gewonnen wird, im ökologischen Landbau auch einsetzbar wäre.
Aber ich möchte gern noch zu einem zweiten Feld fragen: Wie beurteilen Sie Studien, die ja nicht nur aus
Deutschland, sondern auch aus anderen Ländern vorliegen - insbesondere aus der Schweiz kenne ich eine solche -, wonach die Produkte des ökologischen Landbaus
von der Hygiene, von den Inhaltsstoffen, von der Zusammensetzung und von ihrer ernährungswirtschaftlichen Wirkung her keineswegs besser und gesünder sind
als die aus gewachsener Landwirtschaft erzeugten Nahrungsmittel? Diese Frage stelle ich vor dem Hintergrund,
dass Ihre Frau Ministerin immer öffentlich erklärt, die
Produkte des ökologischen Landbaus seien eben besser
bzw. gesünder.
Herr Abgeordneter, zunächst zu Ihrer
Eingangsbemerkung: Methionin ist die essenzielle Aminosäure, die durch konventionelle Chemie hergestellt
wird. Nehmen Sie den größten Hersteller in Deutschland,
Degussa. Das ist Zyanidchemie, also ganz konventionell.
Ob es unbedingt immer mehr oder weniger giftig ist,
wenn man diese Verfahren oder Bioreaktoren wählt, lasse
ich dahingestellt sein.
Aber nun zu Ihrer zweiten Frage: Auch auf diesem Gebiet gibt es natürlich eine ganze Reihe von Untersuchungen, zum Beispiel solche, die insbesondere die Vorteile
ökologisch hergestellter Produkte, wie den geringen
Nitratgehalt bei Salaten, unterstreichen. Ich denke auch
an Untersuchungen der Europäischen Union, die deutlich
machen, wie groß heutzutage die Anzahl an Lebensmitteln ist, die Rückstände von Pflanzenschutzmitteln aufweisen, und dass es bei immerhin 4 Prozent der Lebensmittel in Deutschland erhebliche Überschreitungen der
Rückstandshöchstmengen gibt. Produkte aus dem ökologischen Landbau, bei deren Anbau es von vornherein keinen Kontakt mit den entsprechenden Chemikalien gab,
sind daher gesundheitlich von Vorteil. Auch auf diesem
Gebiet gibt es also noch erheblichen Forschungsbedarf.
Wir fördern den ökologischen Landbau, weil wir der
Auffassung sind, dass eine Kombination von positiven
Effekten - Gesundheitswirkung, ein erheblich besserer
Beitrag zum Tierschutz und zum Landschafts- und Gewässerschutz - zu unterstützen ist. Ich denke, dass das
Sinn macht. Angesichts der Tatsache, dass 68 Prozent der
Bundesbürger der Meinung sind, dass man in diesem Bereich eher noch zu wenig macht, glaube ich, dass wir auf
dem richtigen Weg sind, wenn wir diese Förderung intensivieren.
Vielen Dank, Herr
Staatssekretär.
Die Fragen zum Geschäftsbereich des Auswärtigen
Amtes - es handelt sich um die Fragen 4 und 5 - werden
schriftlich beantwortet.
Ich rufe jetzt den Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Arbeit und Sozialordnung auf. Zur Beantwortung der Fragen steht der Parlamentarische Staatssekretär
Gerd Andres zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 6 des Abgeordneten Dr. Klaus Grehn
auf:
Wie erklärt die Bundesregierung, dass trotz vermehrter Kirchenaustritte und der Stagnation bzw. einem Rückgang der absoluten Zahl der Erwerbstätigen in Deutschland immer noch ein
pauschalierter Betrag für die Kirchensteuer bei der Berechnung
von Lohnersatzleistungen berücksichtigt wird und damit die Leistungen gekürzt werden?
Frau Präsidentin, wenn
der Abgeordnete einverstanden ist, dann möchte ich die
Fragen 6 und 7 gemeinsam beantworten.
Wie ich sehe, ist der
Abgeordnete einverstanden. Beide Fragen behandeln den
gleichen Themenkomplex. Das geht also selbstverständlich. Daher rufe ich nun auch Frage 7 auf:
Welche Konsequenzen zieht die Bundesregierung angesichts
der im entsprechenden Urteil des Bundesverfassungsgerichts
- Az.: 1341-90 vom 24. April 1991 - der Durchschnittszahl der
Kirchenmitglieder unter den Erwerbstätigen beigemessenen hohen Bedeutung für die Berechtigung des pauschalierten KirchenParl. Staatssekretär Matthias Berninger
steuerabzuges aus der Tatsache, dass das Statistische Bundesamt
trotz seiner gesetzlichen Verpflichtung zu einer dreijährigen Periodizität für die Lohn- und Einkommensstatistik bis zum heutigen
Tag als aktuellste Zahlen die von 1995 und nicht die von 1998 vorlegen kann?
Ich beantworte die
Fragen wie folgt: Das Bundesverfassungsgericht hat mit
Beschluss vom 23. März 1994 festgestellt, dass die Berücksichtigung der Kirchensteuer beim Arbeitslosengeld
als Lohnabzug, der bei Arbeitnehmern gewöhnlich anfällt, so lange berechtigt ist, wie eine deutliche Mehrheit
von Arbeitnehmern einer Kirche angehört. Nach den vorliegenden Berechnungen gehörten zum Jahresende 2000
rund 57 Prozent der lohnsteuerpflichtigen Arbeitnehmer
einer die Kirchensteuer erhebenden Kirche an. Dies ist
nach wie vor eine deutliche Mehrheit der Arbeitnehmer.
Angaben zur Anzahl der Arbeitnehmer, die Mitglied einer Kirche sind, lassen sich aus der Lohn- und Einkommensteuerstatistik entnehmen, die in einem dreijährigen
Turnus erstellt wird. Es trifft zu, dass die letzte Sonderauswertung des Statistischen Bundesamtes auf den Daten
des Jahres 1995 basiert. Sie wurde Ende des Jahres 1999
erstellt. Danach betrug der Anteil der Arbeitnehmer, die
Kirchensteuer zahlen, an der Gesamtzahl der lohnsteuerpflichtigen Arbeitnehmer 60 Prozent.
Die große Zeitdifferenz zwischen dem Erfassungszeitrahmen und der Aufarbeitung der Bundesergebnisse ergibt sich aus den langen Steuererklärungsfristen. Hinzu
kommen die Bearbeitungszeiten der Finanzverwaltungen
und der statistischen Ämter. Mit den Ergebnissen für das
Jahr 1998 wird deshalb frühestens gegen Ende 2002 gerechnet.
Für die Jahre 1996 und folgende wird der Anteil der
kirchensteuerpflichtigen Arbeitnehmer in Anlehnung an
den Anteil der Kirchenmitglieder in der Bevölkerung anhand der Auskünfte der Evangelischen Kirche in Deutschland und des Verbandes der Diözesen Deutschlands ermittelt. Es wird für das Jahr, für das zuletzt Auswertungen
der Lohn- und Einkommensteuerstatistik vorliegen - wie
ich eben schon ausgeführt habe, ist dies derzeit das
Jahr 1995 -, die Differenz zwischen den Anteilen der Kirchenmitglieder an der Bevölkerung und der Zahl der lohnsteuerpflichtigen Arbeitnehmer ermittelt. Diese Differenz
wird näherungsweise als konstant betrachtet und auf den
aktuellen Wert des Anteils der Kirchenmitglieder in der
Bevölkerung bezogen.
Zum Jahresende 1995 waren 68 Prozent der Bevölkerung Mitglied der evangelischen oder der katholischen
Kirche. Der Anteil der lohnsteuerpflichtigen Arbeitnehmer, die Kirchensteuer zahlen, lag acht Prozentpunkte
niedriger. Zum Jahresende 2000 waren 64,9 Prozent der
Bevölkerung Mitglied der evangelischen oder der katholischen Kirche. Der Anteil der lohnsteuerpflichtigen Arbeitnehmer, die Kirchensteuer zahlen, ist daher mit
57 Prozent anzunehmen.
Der Kollege
Dr. Grehn hat die Chance, vier Nachfragen zu stellen.
Herr Grehn, Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage,
bitte.
Danke schön, Frau Präsidentin, ich werde diese Chance nutzen, und zwar vierfach.
({0})
Herr Staatssekretär, wie bewerten Sie angesichts Ihrer
Aussagen zu den aktuellen Prozentzahlen folgende mir
vom Statistischen Bundesamt mit Datum vom 27. März
2002 zugegangene Äußerung - ich zitiere -:
... wenn Sie in Übersicht 2, d. i. die für die sozialversicherungspflichtige Arbeitnehmerschaft relevante
Übersicht, eine Gesamtquote von knapp 60 %
- die hatten Sie genannt kirchenlohnsteuerpflichtigen Arbeitnehmern und Arbeitnehmerinnen finden, so relativiert sich diese
Quote doch beträchtlich angesichts der Streuung über
die Bundesländer: In Sachsen-Anhalt beträgt diese
Quote nur 14,0, im Saarland dagegen 85,1 %. Ein weiteres Problem wird ebenfalls in der Kommentierung
angesprochen: Zieht man anstelle der reinen Kirchensteuerpflicht die tatsächliche Belastung durch Kirchenlohnsteuer heran, so verringert sich diese Quote
um 8 Prozentpunkte und kommt der 50-%-Grenze
schon sehr nahe. Berücksichtigt man weiter den hohen Stand der Arbeitslosigkeit und die Tatsache, dass
im Gegensatz zu den jüngeren die älteren Mitbürger/
innen im Rentenalter in der Regel nicht aus der Kirche austreten - sie sind zwar weiterhin kirchensteuerpflichtig, jedoch nicht kirchenlohnsteuerpflichtig und
meist auch nicht mit Kircheneinkommensteuer belastet -, dass der Bevölkerungsanteil der Älteren einerseits immer größer wird und andererseits die Mitgliederbewegung in beiden großen Kirchen rückläufig
ist ..., so dürfte sich die Quote inzwischen noch weiter verringert haben.
Das heißt, sie liegt damit mit hoher Wahrscheinlichkeit
unter 50 Prozent.
Herr Abgeordneter, ich kann
Ihnen zunächst nur sagen, wovon die Bundesregierung ausgeht. Die Berechnungsgrundlagen habe ich Ihnen geschildert. Der Anteil derer, die lohn- und einkommensteuerpflichtig sind, liegt gegenwärtig, wie wir ermittelt haben, bei
etwa 57 Prozent. Dies ist nach unserer Auffassung eine
Mehrheit. Spekulationen, dass er deutlich unter 50 Prozent
liegen könnte, kann ich mich hier nicht anschließen. Ich
kann nur von dem ausgehen, was uns vorliegt.
Im Übrigen will ich darauf verweisen, dass uns unterschiedliche Quoten von Kirchenzugehörigkeit in den
einzelnen Bundesländern dabei nicht besonders interessieren, sondern nur der daraus ermittelte Bundesdurchschnitt. Wie der ermittelt wird, habe ich Ihnen geschildert.
Ich würde auch energisch davor warnen, hier Quoten auf
Länderebene herunterzubrechen. Wir nehmen ja auch
bundesweit einen einheitlichen Beitrag für die Arbeitslosenversicherung; niemand sagt, dass er in MecklenburgVorpommern höher und in Baden-Württemberg niedriger
sein müsste. Es gibt bestimmte Grundlagen, die bundesweit ermittelt werden. Die statistischen Grundlagen, die
wir haben, habe ich Ihnen dargestellt.
Vizepräsidentin Petra Bläss
Herr Dr. Grehn, Ihre
zweite Frage. Ich bitte Sie zuvor aber darum, möglichst
kurze und präzise Fragen zu stellen. Das ist hier so üblich.
Wie hoch, Herr Staatssekretär, sind die aufgrund dessen nicht ausgezahlten Lohnersatzleistungen? Ich bitte darum, hierbei auch Unterhaltsgelder etc., die auch bei der Kirchensteuer berücksichtigt
werden, miteinzubeziehen.
Herr Grehn, die Frage
kann ich Ihnen nicht beantworten, weil mir das entsprechende statistische Material nicht vorliegt.
Nummer drei, bitte.
Herr Staatssekretär, für wie
dringlich halten Sie eine schnelle Lösung des Problems
angesichts der Tatsache, dass sich die Zahl von 60 Prozent, die Sie genannt haben, auf die Gesamtbevölkerung
der Bundesrepublik Deutschland bezieht, nicht aber auf
die Arbeitnehmerschaft, wie es das Urteil des Bundesverfassungsgerichts 1994 gefordert hat?
Herr Grehn, das Problem ist, dass das Bundesverfassungsgericht in seinem
Urteil von 1994 nicht stärker ausgeführt hat, was es als
Mehrheit erachtet. Die Ermittlungsverfahren habe ich Ihnen dargestellt. Für uns ist nach wie vor der Anteil von
57 Prozent, der auf der Basis der Lohn- und Einkommensteuerstatistik ermittelt wurde, eine Mehrheit. Von daher
sind die Grundlagen des Urteils des Bundesverfassungsgerichts erfüllt.
Die letzte Frage, bitte,
Herr Dr. Grehn.
Herr Staatssekretär, zur Begründung des pauschalierten Abzuges wird immer darauf
verwiesen, dass der bürokratische Aufwand zu hoch wäre.
Für wie richtig halten Sie diese Aussage angesichts der
Tatsache, dass über die elektronische Datenverarbeitung
eine individuelle Berechnung mit wenig Zeit- und Kostenaufwand möglich ist?
Herr Grehn, Sie wissen
selbst, dass die Politik immer unter einem doppelten
Druck steht: Auf der einen Seite wird öffentlich gefordert,
man müsse alles so einfach wie möglich handhaben und
so schnell wie möglich machen, während auf der anderen
Seite - das kennen Sie ja sehr gut aus Gesetzgebungsverfahren, bei Verordnungen und Ähnlichem - der Gesetzgeber aufgrund vieler Einzeleinflüsse immer gehalten ist,
Einzelfallgerechtigkeit zu gewährleisten.
Ich halte das jetzige Verfahren für in Ordnung: Wir befinden uns auf dem Boden von Recht und Gesetz und beachten die Grundlagen, die durch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 1994 vorgegeben sind. Einen
Änderungsbedarf würde ich erst dann sehen, wenn weniger als 50 Prozent der Lohn- und Einkommensteuerpflichtigen Kirchenmitglieder wären.
Die Fragen 8 und 9
werden schriftlich beantwortet.
Ich rufe die Frage 10 des Abgeordneten Peter Rauen
auf:
Wie erklärt sich die Bundesregierung, dass die Zahl der älteren Arbeitslosen, das heißt derjenigen, die 55 Jahre oder älter sind,
von Mai 2001 bis Mai 2002 um 115 501, das heißt um 16 Prozent,
zurückgegangen ist, während die Zahl der jüngeren Arbeitslosen
unter 25 Jahren in demselben Zeitraum um 61 082, das heißt um
15,6 Prozent, gestiegen ist - Presse-Information Nr. 43 der Bundesanstalt für Arbeit vom 7. Juni 2002 -?
Zuvor möchte ich Sie beruhigen: Mir wurde zugesichert, dass ich informiert werde, sobald in dem Fußballspiel Brasilien gegen die Türkei ein Tor fällt.
Herr Abgeordneter, ich
möchte die Fragen 10 und 11 zusammen beantworten.
Sind Sie damit einverstanden?
({0})
Dann rufe ich die
Frage 11 ebenfalls auf:
In welchem Umfang sind die Abgänge bei den älteren Arbeitslosen darauf zurückzuführen, dass diese Personen neue Beschäftigungsverhältnisse gefunden haben, und in welchem Umfang sind sie auf andere Gründe zurückzuführen?
Hinsichtlich der Entwicklung der Anzahl der Arbeitslosen bei den unter 25Jährigen und den über 55-Jährigen besteht kein kausaler
Zusammenhang. Der in der Frage angesprochene Anstieg
der Jugendarbeitslosigkeit im Mai 2002 gegenüber dem
Vorjahr ist eine Folge der wirtschaftlichen Entwicklung.
Aufgrund der noch ungünstigen konjunkturellen Lage
sind insbesondere Jugendliche betroffen, die von der Ausbildung in ein Arbeitsverhältnis übergehen wollen, da die
Betriebe Jugendliche nach der Ausbildung in geringerem
Maße übernehmen. Gleichwohl lag auch im Mai 2002 die
Arbeitslosenquote - bezogen auf die abhängig zivilen Erwerbspersonen - der Jugendlichen unter 25 Jahren mit
8,7 Prozent deutlich unter der aller Altersgruppen, die bei
10,5 Prozent lag.
Das Sofortprogramm zum Abbau der Jugendarbeitslosigkeit und die Maßnahmen der aktiven Arbeitsmarktpolitik der Bundesanstalt für Arbeit für jugendliche Teilnehmer haben einen noch stärkeren Anstieg der Jugendarbeitslosigkeit verhindert. Im Mai 2002 lag die Zahl der
Teilnehmer bei 537 000, im Mai 2001 waren es 515 000.
Im Mai 2002 gab es insgesamt rund 62 520 Abgänge
von Arbeitslosen im Alter von über 55 Jahren. Durch Aufschlüsselung der wichtigsten Abgangsgründe ergibt sich
folgendes Bild: Von diesen rund 62 000 Personen befinden sich 25,5 Prozent in Erwerbstätigkeit, 1,9 Prozent in
Ausbildung und 19,2 Prozent in Arbeitsunfähigkeit,
20,2 Prozent sind aus dem Erwerbsleben ausgeschieden,
für 9,4 Prozent gelten Sonderregelungen - Stichwort:
§ 428 SGB III -, 16,3 Prozent haben ihre Arbeitslosenmeldung nicht erneuert und in 5,5 Prozent der Fälle wurden sonstige Gründe angegeben bzw. keine Nachweise erbracht.
Aus diesen Zahlen lässt sich der Anteil der einzelnen
Kategorien am Abbau des Bestandes der Arbeitslosen
nicht errechnen. Abgänge wegen Arbeitsunfähigkeit
- beispielsweise nach sechswöchiger Krankheit - führen
nach Beendigung des Krankenstandes häufig wieder zu
Zugängen in Arbeitslosigkeit. Auf den Arbeitslosenbestand haben diese Personen - anders ist es bei Abgängen
in Erwerbstätigkeit - oftmals nur einen kurzfristigen Einfluss. Ähnliches gilt für Abgänge wegen Nichterneuerung
der Meldung.
Herr Kollege Rauen,
Sie haben das Wort zu einer ersten Nachfrage.
Schönen Dank für die von
Ihnen genannten Zahlen. Ich möchte aber auf den Kern
der Frage zurückkommen.
Im Mai 2002 waren 225 600 Personen mehr arbeitslos
als im Mai des vergangenen Jahres. Es fällt aber auf, dass
trotz dieser insgesamt schlechten Entwicklung bei den
über 55-Jährigen im Mai 115 501 Personen - das sind
16 Prozent - weniger erwerbslos waren als im Jahr zuvor,
während bei den unter 25-Jährigen 61 082 Personen - das
sind 15,6 Prozent - mehr arbeitslos gemeldet waren. Wie
erklären Sie sich das? Das ist ja von der allgemeinen Entwicklung völlig losgekoppelt.
Herr Rauen, ich will es
noch einmal sagen: Es gibt keinen kausalen Zusammenhang zwischen der Steigerung der Arbeitslosigkeit unter
25-Jährigen und dem Rückgang bei den über 55-Jährigen.
({0})
- Doch, danach ist in der ersten Frage gefragt. Schauen
Sie sie sich an, Herr Schauerte. Im Übrigen beantworte
ich die Frage von Herrn Rauen und nicht Ihre Zwischenrufe.
Es gibt keinen kausalen Zusammenhang. Wir können
feststellen, dass die Arbeitslosigkeit bei jungen Leuten
aus verschiedenen Gründen zunimmt; das bezieht sich
aber im Wesentlichen auf die zweite Stufe eines Übergangs in das Erwerbsleben.
Nun zu Ihrer Frage, was die Älteren angeht: Im Mai
1998 hatten wir 946 000 registrierte Arbeitslose über
55 Jahren. Wir haben jedes Jahr, also nicht nur im Vergleich von 2001 zu 2002, einen deutlichen Rückgang der
Arbeitslosigkeit Älterer festgestellt. Dafür gibt es verschiedene Gründe. Ein Grund ist, dass wir mit dem Zweiten
SGB-III-Änderungsgesetz im Jahre 1999 die arbeitsmarktlichen Instrumente stärker zugespitzt haben, beispielsweise
auf Langzeitarbeitslose und auf Ältere. Wir haben auch
deutliche Erfolge mit der Kampagne „50 plus - die können
es“ der Bundesanstalt für Arbeit - Sie kennen diese Kampagne vielleicht - erzielt. Diese Kampagne ist in den letzten Jahren sehr massiv vorangetrieben worden.
Es gibt also unterschiedliche Gründe dafür, dass die
Zahl der Arbeitslosen über 55 Jahren rückläufig ist. Natürlich spielt auch der demographische Effekt eine Rolle; das
ist überhaupt nicht zu bestreiten. Die Altersgruppe der über
55-Jährigen umfasst faktisch zehn Altersjahrgänge, sofern
sie dem Arbeitsmarkt noch zur Verfügung stehen. Ein Teil
derer sind Jahrgänge, die in den 90er-Jahren sozusagen
durch Anpassungsmaßnahmen in den neuen Bundesländern in großer Zahl in die Arbeitslosigkeit gegangen sind
- über verschiedene Instrumente - und jetzt durch Erreichung der Altersgrenzen den Arbeitsmarkt verlassen. Für
den Monat Mai habe ich Ihnen die über 62 000 Abgänge
nach den Abgangsgründen aufgeschlüsselt.
Es gibt eine weitere
Nachfrage des Kollegen Rauen.
Herr Staatssekretär, am
27. Februar 2002 gab es einen Artikel in der „Frankfurter
Rundschau“ unter der Überschrift „Nur wer verfügbar ist,
gilt als wirklich arbeitslos - Frankfurter Arbeitsamtschef
bereinigt die Statistik Projektstart ‚Arbeitsamt 2000‘ steht
auf der Kippe“. Dort heißt es:
Nach seiner Rückkehr aus Nürnberg, wo sich am
Montag in der Bundesanstalt für Arbeit alle 181 bundesdeutschen Arbeitsamtsdirektoren mit Arbeitsminister Walter Riester ... getroffen hatten, bekräftigte
Griesheimer im Gespräch mit der FR sein Vorhaben,
„die Arbeitslosenstatistik zu aktualisieren“. Der private Vermittler PEBG sei bereits beauftragt, 4 500 arbeitslos gemeldeten Frauen Teilzeitjobs anzubieten,
zugleich aber auch ihre Verfügbarkeit zu testen. Der
Arbeitsamtsdirektor ist überzeugt, dass sich dann
„ein beachtlicher Teil abmelden wird. 20 bis 30 Prozent im Bestand gehen runter“.
Hier werden noch weitere Gruppen genannt, nämlich die
Schwerbehinderten, die „Kindergeld-Arbeitslosen“ und
die über 57-Jährigen. Sie alle, so heißt es, würden massiv
angegangen, schriftlich zu erklären, dem Arbeitsmarkt
nicht mehr zur Verfügung zu stehen. Steht hier Methode
dahinter, statt zu vermitteln, mit aller Gewalt die Statistik
vor der Bundestagswahl zu bereinigen, oder wie erklären
Sie sich diese Aussagen eines Arbeitsamtschefs zwei Tage
nach einem Treffen mit Bundesarbeitsminister Riester?
Das, was da geschildert
wird, hat mit dem Treffen mit Bundesarbeitsminister
Riester überhaupt nichts zu tun. Den Zusammenhang entnehmen Sie möglicherweise der Zeitung oder Sie konstruieren ihn. Ich weise das zurück.
Was da beschrieben wird, ist die bestehende Rechtslage - das war schon zu Ihrer Regierungszeit Rechtslage;
das ist Rechtslage, zu unserer Regierungszeit -: Derjenige, der Leistungen nach dem SGB III bezieht, muss eine
Reihe von Voraussetzungen erfüllen. Eine der Voraussetzungen ist die Erfüllung der Versicherungszeiten. Eine
weitere Voraussetzung ist, dass er dem Arbeitsmarkt jederzeit für die Vermittlung zur Verfügung steht. Wenn einzelne Arbeitsämter mit bestimmten Programmen die Vermittlungsfähigkeit testen, ist das nur Recht und Gesetz
und keine Kampagne, die irgendetwas mit dem Besuch
von Walter Riester in Nürnberg zu tun hat. Im Übrigen
würde ich gern einmal bei dem Arbeitsamtsdirektor in
Frankfurt nachfragen, wie der dauerhafte Effekt ist.
Eines ist doch völlig klar: Wer eine angebotene Stelle
ablehnt, hat entweder mit Sperrzeiten zu rechnen oder er
wird, wenn er nicht verfügbar ist, aus der Arbeitslosenstatistik gestrichen, weil er dem Arbeitsmarkt nicht zur
Verfügung steht. Das ist doch korrekt, oder?
Eine weitere Nachfrage des Kollegen Rauen.
Herr Staatssekretär, Sie
sollten bei diesem Arbeitsamtschef in der Tat nachfragen;
denn es gibt aus der Arbeitsverwaltung selbst vermehrt
Aussagen, für die leider niemand seinen Namen hergibt,
dass die nach dem Job-AQTIV-Gesetz einzustellenden
3 000 Vermittler nicht mit Vermitteln, sondern ausschließlich mit der Bereinigung der Arbeitslosenstatistik beschäftigt sind, wobei vor allem abgehoben wird auf die älteren Arbeitnehmer, auf Jüngere und auf Frauen, die nach
einer Geburt einen Teilzeitjob suchen. Nach diesen Aussagen ist verstärkt die Vermutung angebracht, dass hier
zwar bestehende Rechtsgrundsätze angewandt werden,
dass aber mit aller Gewalt alles getan wird, um die Arbeitslosenstatistik vor der Bundestagswahl zu bereinigen.
Herr Abgeordneter
Rauen, ich will Ihnen das noch einmal sagen: Ich teile Ihre
Wertung überhaupt nicht. Wenn Sie der Meinung sind,
das, was da gemacht werde, sei unrecht und diene nur dem
unlauteren Ziel der Bundesregierung, die Arbeitsmarktstatistik zu bereinigen, dann weise ich das entschieden
zurück. Es gibt die Rechtsgrundlage, dass jemand, der
eine Leistung bezieht, dem Arbeitsmarkt zur Verfügung
stehen muss. Wenn Arbeitsämter das bei bestimmten
Gruppen oder in bestimmten Zusammenhängen überprüfen, tun sie nur das, was der Gesetzgeber in diesem Hause
beschlossen hat. Das halte ich für richtig und sozusagen
für selbstverständlich. Deswegen teile ich Ihre Interpretation des Ganzen überhaupt nicht.
Letzte Frage für Herrn
Rauen.
Herr Staatssekretär Andres,
gibt es Dienstanweisungen schriftlicher Art über dieses
Vorgehen der massierten Bereinigung der Statistiken oder
trifft es zu, dass, wie mir aus einem Arbeitsamt mitgeteilt
wurde, diese Anweisungen in der Regel mündlich über den
Weg der Dienstbesprechung gegeben werden?
Mir sind solche Dienstanweisungen nicht bekannt.
Jetzt hat der Kollege
Dr. Grehn eine Nachfrage hierzu.
Herr Staatssekretär, meine
Zusatzfrage bezieht sich auf die erste Frage des Kollegen
Rauen. Wie bewertet die Bundesregierung die unterschiedliche Situation der vom Kollegen Rauen genannten
beiden Gruppierungen - Ältere und Jüngere - im Bundesgebiet Ost und im Bundesgebiet West?
Ich kann Ihnen dazu
jetzt keine konkreten statistischen Angaben machen. Aber
die Problemlage ist für das ganze Bundesgebiet zunächst
einmal gleich. Als wir angetreten sind, haben wir gesagt,
dass wir die Arbeitslosigkeit bestimmter Zielgruppen
nachhaltig verändern wollen. Wir haben eine Reihe von
Dingen auf den Weg gebracht, mit denen wir insbesondere die Zielgruppe Jugend und die Zielgruppe Ältere
stärker in den Fokus genommen haben. Ich habe eben
schon auf das Zweite SGB-III-Änderungsgesetz hingewiesen, mit dem wir bestimmte Regelungen für Altersgrenzen über 50 Jahre, Einbeziehung in Maßnahmen und
Ähnliches, verändert haben. Wir haben das Jugendsofortprogramm auf den Weg gebracht und insbesondere mit
Blick auf die Arbeitslosigkeit Jugendlicher jungen Menschen mit einem bundesweiten Programm eine zweite,
dritte und vierte Chance geboten, weil wir es für unerträglich halten, dass wir, obwohl wir in einem der reichsten Länder der Erde leben, hinnehmen müssen, dass junge
Menschen nach der allgemein bildenden Schule Arbeitslosigkeit als erste Lebenserfahrung machen. Das wollten
wir nicht. Deswegen haben wir politisch gehandelt und
werden in diesem Bereich auch weiter handeln.
Ich sage es noch einmal: Einen kausalen Zusammenhang zwischen der Entwicklung von Jugendarbeitslosigkeit und Arbeitslosigkeit Älterer, wie er in der Frage des
Abgeordneten Rauen unterstellt wird, sehen wir nicht. Es
gibt in Ost und West gesonderte Probleme, die mir und
Ihnen bekannt sind. Wir haben in weiten Teilen der neuen
Bundesländer über eine öffentlich finanzierte Berufsausbildung durch ein Gemeinschaftsprogramm von Bund
und Ländern zusammen mit der Bildungsministerin
Edelgard Bulmahn flächendeckend 16 000 Ausbildungsplätze im dualen System finanziert. Hätten wir das nicht
getan, gäbe es in den neuen Bundesländern sehr viel mehr
junge Menschen ohne die Chance, eine Ausbildung im
dualen System zu machen.
Wir haben zum Zweiten das Problem, dass es für eine
bestimmte Zeit in den neuen Bundesländern - jenseits der
Problematik des Arbeitsmarktes - eine exorbitant hohe
Arbeitslosigkeit älterer Arbeitnehmer gegeben hat. Die
Gründe dafür kennen Sie. Es wurde das Instrument des
Altersübergangsgeldes eingeführt; denn bei der Transformation des Beschäftigungssystems waren es überwiegend
ältere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die ihre Beschäftigung verloren haben. Ich kann Ihnen sagen: In der
Zwischenzeit ist die Quote älterer Arbeitsloser in weiten
Teilen der neuen und der alten Länder vergleichbar hoch.
Es gibt eine weitere Nachfrage, und zwar von der Kollegin Christine
Ostrowski.
Herr Staatssekretär, zur
Vergleichbarkeit der Probleme habe ich eine Nachfrage.
Ist Ihnen bekannt, dass die Jugendarbeitslosigkeit in den
neuen Bundesländern deutlich über der in den alten Bundesländern liegt und dass sich trotz Ihrer Sondermaßnahmen, die Jugendarbeitslosigkeit einzudämmen - diese
Maßnahmen sind natürlich zu begrüßen -, der Abstand
zwischen der Jugendarbeitslosigkeit Ost und der Jugendarbeitslosigkeit West nicht verkleinert hat, seit Sie an der
Regierung sind?
Nein, das ist mir nicht
bekannt.
({0})
Sie haben gefragt, ob mir das bekannt sei. Dieser Tatbestand ist mir nicht bekannt und er trifft im Übrigen nicht
zu.
({1})
Ich rufe die Frage 12
des Kollegen Wolfgang Meckelburg auf:
Trifft es zu, dass die Dienststellen der Bundesanstalt für Arbeit
dazu übergegangen sind, ältere Arbeitslose, die die Voraussetzungen für den Bezug des vorgezogenen Altersruhegeldes erfüllen,
zur Abgabe der Erklärung zu veranlassen, dass sie dem Arbeitsmarkt nicht mehr zur Verfügung stehen - zum Beispiel dadurch,
dass diesen Personen Vermittlungsangebote unterbreitet werden,
mit deren Annahme von vornherein nicht zu rechnen ist -, und,
wenn ja, werden die betreffenden Arbeitslosen gegebenenfalls
über die mit der vorzeitigen Inanspruchnahme des Altersruhegeldes verbundenen rentenrechtlichen Nachteile aufgeklärt?
Auch hier äußere ich die
Bitte, beide Fragen des Kollegen Meckelburg gemeinsam
beantworten zu können, weil sie in einem inhaltlichen Zusammenhang stehen.
Ich rufe somit noch
die Frage 13 des Kollegen Wolfgang Meckelburg auf:
Wenn ja, hat die Bundesregierung das Vorgehen der Arbeitsverwaltung durch eine entsprechende Weisung veranlasst, oder
gedenkt sie, diesem Vorgehen entgegenzuwirken?
Das zum 1. Januar 2002
in Kraft getretene Job-AQTIV-Gesetz verpflichtet die
Arbeitsämter ausdrücklich zu einem Profiling und zur
Erarbeitung einer individuellen Eingliederungsstrategie.
Diese Vermittlungsoffensive macht aber nur dann Sinn,
wenn Klarheit darüber besteht, ob der einzelne Arbeitslose weiterhin am Erwerbsleben teilnehmen will. Die Arbeitsämter bieten vielfältige Hilfen zur Vermittlung und
Wiedereingliederung älterer Arbeitsloser an.
Wie Sie wissen, Herr Abgeordneter Meckelburg, können Arbeitslose, die das 58. Lebensjahr vollendet haben,
alternativ von der Sonderregelung des § 428 SGB III Gebrauch machen, Arbeitslosengeld und Arbeitslosenhilfe
unter erleichterten Voraussetzungen - das heißt: unter
Einschränkung ihrer Arbeitsbereitschaft - in Anspruch zu
nehmen, wenn sie im Gegenzug dazu bereit sind, zum
frühestmöglichen Zeitpunkt eine abschlagsfreie Altersrente in Anspruch zu nehmen.
Das Gesetz stellt es den Betroffenen damit frei, für
welchen Weg sie sich entscheiden. Im Rahmen des Profilings und der Eingliederungsvereinbarung kommen die
Arbeitsämter ihrer gesetzlichen Verpflichtung nach, über
beide Wege ausführlich zu informieren und zu beraten.
Dabei werden ältere Arbeitslose weder gezielt veranlasst,
von dieser Regelung des § 428 SGB III Gebrauch zu machen, noch werden sie unzureichend über die rentenrechtlichen Aspekte der Entscheidung informiert. Sowohl in
den Informationen für die Betroffenen als auch in besonderen Merkblättern, die mit dem Verband Deutscher Rentenversicherungsträger abgestimmt sind, werden die Betroffenen nachdrücklich darauf hingewiesen, sich über die
Auswirkungen ihrer Entscheidung beim zuständigen Rentenversicherungsträger zu erkundigen.
Im Übrigen darf ich auf Folgendes hinweisen: Bei der
Information der Arbeitsämter über die Regelung des § 428
SGB III geht es um die exakt gleiche Regelung, die bereits die frühere Bundesregierung zum 1. Januar 1986 mit
§ 105 c in das Arbeitsförderungsgesetz eingefügt und deren Geltungsdauer sie dreimal verlängert hat. Ältere Arbeitslose, die sich für eine Wiedereingliederung in das Erwerbsleben entscheiden, haben einen Anspruch darauf,
dass die Arbeitsämter sie unter Nutzung der speziell für
ältere Arbeitslose bestehenden Fördermöglichkeiten konsequent in die Vermittlungsbemühungen einbeziehen.
Mit der Abklärung des Vermittlungswunsches älterer
Arbeitsloser und der Information und Beratung der Betroffenen kommen die Arbeitsämter, wie ausgeführt, ihren
gesetzlichen Verpflichtungen nach. Ihre Frage, ob die
Bundesregierung gedenkt, diesem Vorgehen entgegenzuwirken, ist mir deshalb nicht verständlich.
Die erste Nachfrage
von Herrn Meckelburg. - Bitte.
Herr Staatssekretär, Sie haben gerade gesagt, dass nicht gezielt veranlasst werde, ältere Arbeitnehmer in den Vorruhestand zu
schicken. Können Sie mir bestätigen, dass seit Mitte letzten Jahres zumindest auf Arbeitsamtsdirektorenkonferenzen ständig - ohne darüber schriftlich etwas darzulegen darüber gesprochen wird, dass man in den einzelnen Arbeitsämtern dafür sorgen möge, dass die Zahl derjenigen,
die in hohem Alter vorzeitig aus dem Arbeitsleben ausscheiden, vergleichbar wird, dass also auf Arbeitsamtsdirektorenkonferenzen in dieser Hinsicht Druck gemacht
wird, der schriftlich nicht nachvollziehbar ist? Sind Sie
darüber informiert? Wenn dies so ist, befürworten Sie das
oder würden Sie dem entgegenwirken?
Ich wiederhole es - das
habe ich bereits in meiner vorherigen Antwort auf Ihre
Frage klargestellt -: Das, was die Arbeitsverwaltung hier
macht, nämlich festzustellen, ob jemand der Vermittlung
zur Verfügung steht oder nicht, die Betroffenen bezüglich
der rechtlichen Grundlagen, um die es geht, zu beraten
und ihnen darzustellen, dass sie sich aus dem Vermittlungsauftrag streichen lassen können, wenn sie sich im
Gegenzug dazu verpflichten, zu dem für sie nächstmöglichen Zeitpunkt eine abschlagsfreie Rente in Anspruch
zu nehmen, ist Recht und Gesetz. Ich weiß nicht, Herr Abgeordneter Meckelburg, welchen Bestrebungen ich entgegentreten soll.
Zweite Nachfrage.
Herr Staatssekretär, es geht mir nicht darum, sicherzustellen, dass Sie
nach Recht und Gesetz handeln, sondern darum, inwieweit Sie hier verstärkt Aktivitäten entfachen, um die Arbeitsmarktstatistik zu bereinigen, indem Sie gerade von
diesen Möglichkeiten mehr als vorher Gebrauch machen.
Es ist doch offensichtlich, dass, seitdem es das JobAQTIV-Gesetz gibt, die Zahl der Übergänge in die
Nichterwerbstätigkeit sehr stark gestiegen ist. Das muss
einen Grund haben; das ist kein Zufall. Die Frage ist daher, wie Sie das begründen. Um Recht und Gesetz geht es
dabei nicht.
Mir geht es um Folgendes: Wird hier verstärkt auf
Konferenzen der Arbeitsamtsdirektoren Druck dahin gehend ausgeübt, möglichst viele der Älteren über Profiling
oder auf andere Weise in den Vorruhestand zu schicken,
damit die Arbeitslosenstatistik bereinigt wird?
Herr Meckelburg, ich
verstehe eines nicht
({0})
- ich muss nicht alles verstehen; aber Hauptsache, ich begreife es -:
({1})
Wer auf der einen Seite für regelmäßige Meldekontrollen
eintritt - das ist ja ein häufiger Vorschlag aus Ihrer Partei; vorher haben Sie aber die Meldekontrollen, die im
SGB III verankert waren, auf eigene Initiative zurückgenommen -, wer also auf der einen Seite sagt, die Arbeitsverwaltung solle stärker kontrollieren, ob zum Beispiel
eine Vermittelbarkeit vorliegt und die Bereitschaft dazu
vorhanden ist, der darf doch auf der anderen Seite nicht
fragen, was die Bundesregierung dagegen zu tun gedenkt,
wenn die Arbeitsverwaltung das umsetzt.
Das Bundesarbeitsministerium hat die Rechtsaufsicht.
Die Geschäftspolitik wird durch den Vorstand der Bundesanstalt für Arbeit durchgeführt. Sie gibt sich bestimmte geschäftspolitische Ziele; das wissen Sie. Die
Bundesanstalt für Arbeit hat eine große Vermittlungsoffensive auf den Weg gebracht. Sie heißt: „50 plus - die
können es“. Über diese Offensive und die Erfolge, die mit
ihr erzielt worden sind, ist im Ausschuss, dem auch Sie
angehören, berichtet worden. Mit dem Job-AQTIV-Gesetz haben wir beispielsweise das Profiling - ich habe das
ausgeführt - als Regelinstrument vorgesehen. Das heißt,
mit den Arbeitslosen wird ein Profil entwickelt und eine
Eingliederungsvereinbarung unterzeichnet.
Ich sage es noch einmal: Ob jemand der Vermittlung
zur Verfügung steht, wenn er 58 Jahre und älter ist, oder
nicht, ist ausschließlich seine individuelle Entscheidung.
Die Arbeitsämter haben zu beraten. Sie haben dem betroffenen Menschen die Situation darstellen. Wenn sie das
tun, ist das nicht mehr, als Recht und Gesetz anzuwenden.
Hier habe ich an keiner Stelle einzuschreiten. Es ist auch
nicht Aufgabe der Bundesregierung, so etwas zu tun.
Bitte, Herr Kollege.
Damit es noch
einmal klar wird: Mir geht es nicht darum, dass dies nicht
Recht und Gesetz ist. Ich bestätige Ihnen ausdrücklich, dass
Sie im Job-AQTIV-Gesetz mehr Profilingmöglichkeiten
vorgesehen haben. Bei uns hieß das anders. Bei Ihnen heißt
es Profiling. Diesen Streit brauchen wir nicht zu führen.
Wir befinden uns in einem Wahljahr. Sie haben versprochen, dass Sie in diesem Jahr die Arbeitslosenstatistik
nicht ändern wollen. Ich frage daher ganz gezielt, ob Sie
nicht auf Arbeitsamtsdirektorenkonferenzen, wobei nicht
nachvollziehbar ist, worüber dort gesprochen wird, durch
die Hintertür, über Profiling oder sonstige Möglichkeiten,
Druck dahin gehend ausüben, möglichst viele ältere Arbeitnehmer aus der Statistik herauszubekommen. Das ist
die Frage, um die es uns hier geht. Können Sie also sicherstellen, dass weder bei Ihnen noch bei der Bundesanstalt für Arbeit eine solche Absicht besteht?
Punkt eins. Ich habe
bereits in Beantwortung einer Frage des Abgeordneten
Rauen darauf verwiesen, dass mir solche schriftlichen
Weisungen oder Ähnliches nicht bekannt sind.
Punkt zwei. Wenn das, was Sie hier beklagen, durch die
Arbeitsverwaltung gemacht wird, ist das nicht mehr als
die Anwendung von Recht und Gesetz. Die Arbeitsverwaltungen sind gehalten, dies zu tun. Von daher verstehe
ich den konstruierten Widerspruch nicht.
Punkt drei - darüber haben wir hier schon häufiger,
auch in Aktuellen Stunden, diskutiert -: Ich kann Ihnen
ausdrücklich bestätigen, dass die Bundesregierung nicht
die Absicht hat, in dieser Legislaturperiode irgendetwas
an der Arbeitslosenstatistik zu ändern, und dabei bleiben
wir auch. Was in der neuen Legislaturperiode geschehen
wird, werden wir sehen.
Eine letzte Nachfrage
des Kollegen Meckelburg. - Bitte.
Können Sie absolut sicherstellen, dass alle Personen, die im Rahmen des
Profiling getestet und gefragt werden, ob sie die Möglichkeit eines vorzeitigen Eintritts in den Vorruhestand wahrnehmen möchten, über die möglichen Nachteile informiert werden und dass sie nicht zu Dingen gedrängt
werden, die den Nachteil haben, dass sie am Ende Abschläge bei der Rente in Kauf nehmen müssen?
Ob ich das sicherstellen
kann, weiß ich nicht.
({0})
Mir sind die Tatbestände, die Sie unterstellen, nicht bekannt. Deswegen muss ich dazu auch keine Erklärung abgeben. Ich kann Ihnen nur sagen: Das, was ich hier angeführt habe, ist Recht und Gesetz. Ich stelle Ihnen gerne
Informationen der Bundesanstalt für Arbeit in Form von
Faltblättern und Ähnlichem zur Verfügung. Wir haben
überhaupt keine Veranlassung, die Arbeitsämter zu irgendetwas anzuhalten, da sie nur Recht und Gesetz anwenden.
Es gibt zwei weitere
Nachfragen. Zunächst ist der Kollege Peter Weiß an der
Reihe. - Bitte.
Herr
Staatssekretär, da die hier in Rede stehenden rechtlichen
Regelungen und deren Anwendung von niemandem bestritten werden und Sie zu Recht darauf hingewiesen haben, dass diese Regelungen schon seit vielen Jahren Gesetzeslage und Praxis sind, möchte ich Sie fragen: Muss
es nicht auch Ihnen merkwürdig, ja geradezu verdächtig
vorkommen, dass die Arbeitsämter ausgerechnet jetzt,
wenige Monate vor einer Bundestagswahl - und nicht
schon vor einem oder zwei Jahren, als die gleiche Gesetzeslage galt -, durch mündliche Anweisungen angehalten
werden, zum einen Regelungen anzuwenden, mit denen
man ältere Arbeitnehmer ab 58 Jahren aus der Arbeitslosenstatistik und der Vermittlung herausbekommt, und
dass zum Zweiten verstärkt jungen Menschen in den
neuen Bundesländern Angebote für Arbeitsplätze im Westen gemacht werden und diese, wenn sie sie ablehnen, aus
der Arbeitslosenstatistik gestrichen werden?
Mir sind diese mündlichen Anweisungen nicht bekannt. Mir ist auch nicht
bekannt, dass dies ausgerechnet jetzt, vor der Bundestagswahl, stattgefunden hat. Wenn ich richtig informiert
bin, ist es die Aufgabe der Arbeitsämter, arbeitslose Menschen zu beraten.
Hinsichtlich des Zungenschlages, den Sie bei einem
anderen Problem eingebracht haben, kann ich Ihnen
Folgendes sagen: Für den Fall, dass jemand ein zumutbares Arbeitsplatzangebot ablehnt, sieht das Gesetz bestimmte Sanktionen vor, die dann auch durchgeführt
werden müssen. Sonst sind Sie doch immer diejenigen,
die das fordern. Aber jetzt sagen Sie, man solle das nicht
machen? Ich verstehe die gesamte Diskussion überhaupt
nicht.
Ich halte noch einmal fest: Die Arbeitsverwaltung hält
sich an Recht und Gesetz; sie wendet bestehendes Gesetz
an. Hier ist überhaupt nichts herumzuinterpretieren,
zurückzuweisen oder durch die Bundesregierung zu stoppen. Wenn Sie sagen, an irgendeiner Stelle finde durch die
Arbeitsverwaltung ein Rechtsbruch statt, dann wird das
Bundesarbeitsministerium - es hat die Rechtsaufsicht einschreiten.
({0})
Jetzt gibt es eine weitere Nachfrage des Kollegen Dr. Grehn. - Bitte.
Herr Staatssekretär, wie bewerten Sie einerseits die Regelungen für ältere Arbeitslose, die hier zur Diskussion gestanden haben, also das
vorzeitige Eintreten in die Rente wegen Arbeitslosigkeit,
und auf der anderen Seite die Diskussion - sie macht auch
vor der Bundesregierung nicht Halt - um die Verlängerung der Lebensarbeitszeit auf 67 Jahre?
Herr Abgeordneter
Grehn, ich bin der Auffassung, dass das ein neues Thema
ist. Ich gebe Ihnen dennoch auf Ihre Frage eine Antwort.
Die Bundesregierung hat erklärt, dass sie keinerlei
Veranlassung sieht, die Renteneintrittsaltersgrenze zu
verändern.
Die Fragen 14 und 15
werden schriftlich beantwortet.
Deshalb rufe ich jetzt die Frage 16 des Kollegen
Hartmut Schauerte auf:
Wird in letzter Zeit in den Arbeitsämtern angestrebt, die Arbeitslosenzahl bei älteren Arbeitnehmern spürbar zurückzuführen,
und, wenn ja, mit welchen Mitteln?
Ich möchte gern beide
Fragen des Kollegen Schauerte zusammen beantworten.
Sind Sie damit einverstanden?
Ja.
Dann rufe ich zusätzlich die Frage 17 des Kollegen Schauerte auf:
Treffen Hinweise aus der Arbeitsverwaltung zu, dass die von der
Bundesregierung groß angekündigte Job-Vermittlungsoffensive in
den Arbeitsämtern derzeit nicht greift, weil die Vermittler vor Ort in
der Hauptsache damit beschäftigt sind, die Arbeitslosenstatistik zu
bereinigen ({0}), anstatt zu vermitteln?
Die Bundesanstalt für
Arbeit befasst sich vor dem Hintergrund der demographischen Entwicklung, nach der es in den nächsten Jahren
mehr ältere und weniger jüngere Erwerbstätige geben
wird, bereits seit einiger Zeit verstärkt mit der Beschäftigungssituation älterer Arbeitnehmer. Ich wiederhole: Sie
befasst sich seit einiger Zeit verstärkt mit der Beschäftigungssituation älterer Arbeitnehmer.
Sie hat 1999 mit einer Anzeigenkampagne und Informationsbroschüren auf die veränderte Situation hingewiesen. Ziel der Aktion war, die Arbeitgeber für die sich
abzeichnenden Veränderungen am Arbeitsmarkt zu sensibilisieren und sie dafür zu gewinnen, älteren Arbeitnehmern verstärkt die Chance einer Weiterbeschäftigung
bzw. Neueinstellung einzuräumen.
Auch die Partner des Bündnisses für Arbeit, Ausbildung und Wettbewerbsfähigkeit haben sich in ihrem Beschluss vom 4. März 2002 dafür ausgesprochen, die bisherige Politik gegenüber älteren Arbeitnehmern zu
verändern. Wurde insbesondere bis Ende der 90er-Jahre
versucht - auch durch den vorzeitigen Ruhestand älterer
Arbeitnehmer -, die Beschäftigungschancen der jüngeren
zu erhöhen, soll künftig die verstärkte Beschäftigung älterer Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer vorrangiges
Ziel arbeitsmarktpolitischer Maßnahmen sein.
Im Herbst 2000 startete die Bundesanstalt für Arbeit
die Vermittlungsaktion „50 plus - die können es“, die im
Herbst 2001 nochmals überarbeitet und erweitert wurde.
Im Rahmen dieser Aktion versucht die Bundesanstalt für
Arbeit, den im Bündnis für Arbeit beschlossenen Paradigmenwechsel zu unterstützen. Dies geschieht in erster
Linie durch zielgenaue Vermittlung und Überzeugungsarbeit bei den Arbeitgebern, durch Motivationshilfen und
Trainingsmaßnahmen für ältere Bewerber sowie durch
betriebliche Einstellungshilfen, zum Beispiel Eingliederungszuschüsse für Ältere.
Die Kampagne wurde von den Arbeitsämtern durch
vielfältige Aktivitäten wie beispielsweise Pressekonferenzen, Arbeitsmarktgespräche mit Arbeitgebern und Bewerbern, Vortrags- und Informationsveranstaltungen aufgegriffen und umgesetzt. All diese Maßnahmen haben
zur Verbesserung der Eingliederungschancen der Älteren
beigetragen. Im Bundesgebiet konnten im Jahr 2000
389 000 Ältere ab 50 Jahre in eine Erwerbstätigkeit einmünden. Das waren 4 Prozent mehr als im Jahr 1999.
Im Rahmen des Job-AQTIV-Gesetzes, das am 1. Januar 2002 in Kraft getreten ist, wurden im SGB III bereits
bestehende Regelungen erweitert und darüber hinaus weitere Regelungen geschaffen, die insbesondere der Verbesserung der Arbeitsmarktsituation älterer Arbeitnehmer
dienen sollen. Diese Neuregelungen werden den Trend
zur besseren Eingliederung Älterer noch verstärken. Auch
im Jahr 2001 konnten trotz allgemein verschlechterter
Arbeitsmarktlage immer noch 383 100 Ältere in eine Erwerbstätigkeit vermittelt werden.
Wie die Bundesanstalt für Arbeit dazu mitteilt, treffen
die von Ihnen geäußerten Hinweise - das ist die Antwort
auf die Frage 17, Herr Schauerte - nicht zu. Die Vermittlungsoffensive der Arbeitsämter, in deren Zusammenhang die Bundesanstalt für Arbeit ermächtigt wurde,
die Personalkapazitäten in der Vermittlung um insgesamt
3 000 Kräfte zu erhöhen, verfolgt das Ziel, individuelle
Arbeitslosigkeit zu vermeiden und zu beenden.
Die dafür notwendigen Aktivitäten der Arbeitsämter
orientieren sich an den Gegebenheiten und der Struktur des
jeweiligen Arbeitsmarktes und beziehen sich auf die vier
Handlungsfelder: Akquisition und laufende Aktualisierung von offenen Arbeitsstellen, Aktualisierung und Flexibilisierung der Bewerberprofile, Integrationsvereinbarungen mit Risikogruppen und assistierte Arbeitsvermittlung.
Die Arbeitsämter haben zur Umsetzung der Vermittlungsoffensive so genannte Amtskonzepte entwickelt, in
denen sie ihre Handlungsschwerpunkte benennen, die
sich am jeweiligen regionalen Bedarf ausrichten und der
Arbeitsmarktentwicklung angepasst werden. Dabei ist es
selbstverständlich, dass die Ergebnisse der Vermittlungsoffensive der Arbeitsämter auch in der Statistik ihren Niederschlag finden werden. Da die Vermittlungsoffensive
jedoch erst seit Anfang 2002 läuft, ist es für Ergebnisse
und deren Beurteilung noch zu früh.
Herr Kollege
Schauerte zur ersten Nachfrage.
Herr Staatssekretär,
basiert der Wert für die angesprochene Vermittlungstätigkeit
von - wenn ich das richtig mitbekommen habe - circa
390 000 im Jahr 2001 noch auf den Zahlen der alten Arbeitsamtsstatistik, bei der 70 Prozent eindeutig falsch waren?
Nein, er basiert nicht auf
einer falschen Statistik. Die Behauptung, 70 Prozent seien
eindeutig falsch, ist nicht richtig.
Zweite Nachfrage.
Dann muss ich
weiterfragen: Wurde denn bei den 390 000 die Vermittlungstätigkeit anders gezählt als bei der allgemeinen Arbeitslosigkeit?
Nein. Die Vermittlungsstatistik der Bundesanstalt für Arbeit, die im vergangenen Jahr galt, ist durch Untersuchungen des
Bundesrechnungshofes und durch Untersuchungen der eigenen Innenrevision überprüft worden. Sie galt also. Nur
ist Ihre Behauptung, 70 Prozent seien falsch, nicht richtig.
Ansonsten haben Sie das Problem schon richtig erkannt.
Es geht hier ja
nicht um die Frage, wer es richtig erkannt hat und wer
nicht, Vizepräsidentin Petra Bläss
Doch, es kommt immer
auf diese Frage an.
- sondern um
wahrheitsgemäße und weiterführende Antworten. Wir
machen hier ja kein Katz-und-Maus-Spiel. Ich frage deswegen noch einmal: Ist diese Zahl von 390 000, die Sie erwähnt haben, genauso stabil oder instabil wie die Vermittlungszahlen aus den Arbeitsämtern, die wir für das
Jahr 2001 kennen?
Sie ist sogar ein bisschen stabiler, weil die Bundesanstalt für Arbeit zu bestimmten Problembereichen auch Sondererhebungen
macht.
({0})
Die Bundesanstalt für Arbeit führt beispielsweise jeweils
im September eine umfassende Arbeitsmarktuntersuchung durch, die jährlich fortgeschrieben wird.
In der Diskussion war die allgemeine Vermittlungstätigkeit der Bundesanstalt für Arbeit. Da gab es eine
Reihe von Befunden. Diesen Befunden sind wir nachgegangen. Wir haben jetzt auch entsprechende Veränderungen veranlasst, damit wir wieder vernünftige statistische
Grundlagen bekommen. Die Bundesregierung hat ein Interesse an realer Vermittlung und nicht an irrealen Vermittlungsstatistiken.
Letzte Frage, bitte.
Ich habe die dritte
Frage nur deswegen gestellt, weil Sie zuvörderst erklärt
hatten, es gebe keine selbstständige Ermittlung dieser
Zahlen.
Nun meine vierte Frage. Jeder Vernünftige wird alle
Anstrengungen begrüßen, die Zahl der Arbeitslosen zu reduzieren. Das Ziel dabei muss jedoch sein, sie in Arbeit zu
vermitteln, Beschäftigung zu schaffen. Deswegen meine
Frage: Liegen Ihnen hinsichtlich der Reduzierung der
Zahl der älteren Arbeitslosen für die Monate des Jahres
2002 Erkenntnisse vor, wie viele aufgrund von Altersregelungen entlassen worden sind und wie viele tatsächlich
eine neue Beschäftigung bekommen haben?
Herr Schauerte, ich bitte um
Verständnis. Diese Frage habe ich eben schon Herrn Rauen
beantwortet, und zwar anhand der Daten für den Monat Mai.
Ich bitte Sie, diese einfach dem Protokoll zu entnehmen. Da
habe ich die Abgangsstatistik der über 55-Jährigen aufschlüsselt und genau dargelegt, wie viele in Beschäftigung und wie viele in Rente oder Ähnliches gingen.
Jetzt gibt es eine
Nachfrage des Kollegen Hinsken.
Herr Staatssekretär,
worauf ist zurückzuführen, dass sich in der Schweiz in der
Altersgruppe der 54- bis 65-Jährigen 70 Prozent noch in
Arbeit befinden und bei uns, in der Bundesrepublik
Deutschland, nur 39 Prozent? Liegt das an den Arbeitsämtern oder liegt das an falscher Bundespolitik?
Woran das in der
Schweiz liegt, kann ich Ihnen nicht beantworten. Woran
das in der Bundesrepublik Deutschland liegt, kann ich Ihnen in vielen Positionen beantworten. Das hat unter anderem etwas mit der Politik der Bundesregierung zu tun, der
Sie angehörten.
({0})
- Ja, das ist so. Das können Sie sich anschauen.
Wir haben im europäischen Vergleich ein Problem mit
der Beschäftigungsquote Älterer. Dieser Tatbestand ist
nicht neu, sondern schon länger bekannt. Deswegen gibt
es nach dem Europäischen Rat von Lissabon die Überlegung, dringend Strategien zu entwickeln, um die Beschäftigungsquoten von Frauen und von Älteren deutlich
zu erhöhen. Dies ist unser Ziel.
Man muss sich jedoch überlegen, mit welchen Instrumenten man dieses Ziel umsetzen kann. Ein Grundproblem
dabei ist: Sie können so viel vermitteln und anpreisen, wie
Sie wollen, aber damit ältere Arbeitslose beschäftigt werden können, sind zwei Dinge notwendig, einerseits jemand,
der bereit ist, sie zu beschäftigen, und andererseits muss alles getan werden, um ihre Qualifikation, ihre Beschäftigungsfähigkeit entweder zu erhalten oder zu verbessern.
Herr Kollege
Hinsken, Sie können leider nur eine Nachfrage stellen,
denn dies war nicht Ihre Frage.
({0})
- Dann dürfen Sie. Ring frei für Sie.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. Ich erhebe lediglich Anspruch auf mein Recht,
das ich als Parlamentarier habe.
Herr Staatssekretär, Sie haben sich auf Lissabon bezogen. Hat die Bundesregierung diese Erkenntnis erst in Lissabon gewonnen oder hat man sich schon früher Gedanken darüber gemacht, etwas in diese Richtung - sie ist
richtig - zu unternehmen? Wenn ja: Warum ist dies nicht
rübergekommen? Warum hat man keine entsprechenden
Schritte unternommen?
Herr Hinsken, diese Erkenntnisse sind uns schon früher gekommen. Wir haben
uns genau angesehen, welche Fehler die Vorgängerregierung, der Sie angehörten, gemacht hat. Die Vorgängerregierung hat schon selbst Teile revidiert. Ich will Sie nur
daran erinnern, dass Sie, also eine Bundesregierung unter
Ihrer Beteiligung, ein umfangreiches und nicht zu finanzierendes Vorruhestandsprogramm aufgelegt haben. Jetzt
aber stellen Sie sich hier hin, beklagen sich und fragen,
wann die Bundesregierung in dieser Beziehung etwas gemerkt hat.
Es gibt im Bündnis für Arbeit - dies habe ich eben zwar
nicht Ihnen, aber Ihren Kolleginnen und Kollegen im Zusammenhang mit einer anderen Frage beantwortet - eine
Verabredung, dass wir einen Paradigmenwechsel brauchen. Wir müssen mehr für die Beschäftigung älterer Arbeitnehmer tun. Dazu gehören sehr unterschiedliche
Dinge, so beispielsweise auch, Anstrengungen zu unternehmen, die Qualifikation älterer Arbeitnehmer zu erhalten und zu verbessern. Dies ist ein Problem, mit dem man
sich auseinander setzen muss. Hier hat die Bundesregierung eine Menge getan und darauf sind wir sehr stolz. Sie
hat auch die notwendigen Schlussfolgerungen aus den
Fehlern der Vorgängerregierung gezogen, der Sie angehörten, wie ich noch einmal betonen möchte.
({0})
- Nein, ich kann immer lachen. Ich kann so lachen wie
Sie. Sie glauben gar nicht, was für ein lebensfroher
Mensch ich bin.
Jetzt kommen wir zur
Frage 18 der Kollegin Claudia Nolte:
Wie viele der 132 000 Menschen, die im April 2002 gegenüber
März 2002 nicht mehr in der Arbeitslosenstatistik gezählt wurden,
haben tatsächlich einen ungeförderten bzw. einen geförderten Arbeitsplatz auf dem ersten Arbeitsmarkt erhalten und wie viele einen Arbeitsplatz im zweiten Arbeitsmarkt?
Frau Nolte, die Frage
lässt sich mit den zur Verfügung stehenden Daten nicht
beantworten. Die Differenz von rund 132 000 Menschen
im Arbeitslosenbestand ergibt sich aus Zugängen in bzw.
Abgängen aus Arbeitslosigkeit.
Sollte die Frage jedoch darauf abzielen, wie viele Arbeitslose in eine geförderte bzw. ungeförderte Erwerbstätigkeit auf dem ersten Arbeitsmarkt oder in den zweiten
Arbeitsmarkt abgegangen sind, sieht die Antwort wie folgt
aus: Nach der Abgangsstatistik der Bundesanstalt für Arbeit
gingen im April 2002 rund 282 000 bei den Arbeitsämtern
gemeldete Arbeitslose in eine ungeförderte Erwerbstätigkeit von über sieben Tagen und rund 21 800 Arbeitslose in
eine geförderte Erwerbstätigkeit von über sieben Tagen auf
dem ersten Arbeitsmarkt. Also: 282 000 ungefördert in den
ersten Arbeitsmarkt und 21 800 gefördert in den ersten Arbeitsmarkt. Denn auch bei Gewährung eines Lohnkostenzuschusses erfolgt die Beschäftigung auf dem ersten Arbeitsmarkt.
Rund 23 400 Arbeitslose gingen in eine Beschäftigung
auf dem zweiten Arbeitsmarkt, also in ABM, SAM usw.
Betrachtet man jedoch allein die Daten der Bundesanstalt,
so wird man sehen, dass die Zahl der Abgänge in eine ungeförderte Erwerbstätigkeit auf dem ersten Arbeitsmarkt
unterschätzt wird, weil beispielsweise auch Personen mit
dem statistischen Abgangsgrund „Nichterneuerung der
Meldung“ in eine ungeförderte Erwerbstätigkeit gegangen sein können, ohne dass die Arbeitsämter davon
Kenntnis erlangen.
Ich habe vorhin schon einmal - Frau Nolte, da waren
Sie nicht hier - die Abgangsstatistik aufgeschlüsselt.
({0})
Es gibt viele unterschiedliche Begründungen und auf
diese möchte ich noch einmal hinweisen.
Jetzt gibt es die erste
Nachfrage von Frau Nolte.
({0})
Also keine Nachfragen
dazu.
({0})
Sie sah aber so aus, als
ob sie fragen wollte.
Wir kommen damit zur Frage 19 der Abgeordneten
Nolte:
In wie vielen Fällen war zwischen März und April 2002 ein
Abgang in Nichterwerbstätigkeit zu verzeichnen und ist es richtig
- wie der Vorstandsvorsitzende der Bundesanstalt für Arbeit,
Florian Gerster, für den Berichtsmonat April 2002 beschrieben
hat -, dass das Job-AQTIV-Gesetz im Wesentlichen dazu geführt
hat, dass große Abgänge aus der Arbeitslosigkeit in Nichterwerbstätigkeit zu verzeichnen waren, und insoweit eine Bereinigung der
Statistik hieraus resultiert?
Eine einfache Erfassung
eines Abgangs in Nichterwerbstätigkeit gibt es bei der
Statistik der Bundesanstalt für Arbeit nicht. Die Abgangsgründe sind vielschichtig.
Sie setzen sich zahlenmäßig wie folgt zusammen - ich
will es noch einmal aufzählen -: Abgänge in Erwerbstätigkeit rund 342 000, Abgänge in Aus- und Weiterbildung rund
51 000, Abgänge in Krankheit rund 108 000, Nichterneuerung der Meldung rund 88 000 - wer sich nicht mehr meldet, kann einen Job gefunden haben -, Ausscheiden aus
dem Erwerbsleben rund 16 000, Wehr- und Zivildienst rund
15 000, Wohnortwechsel rund 13 000, Schule und Studium
rund 10 000.
Es ist nicht auszuschließen, dass das Job-AQTIV-Gesetz, wie von Herrn Gerster beschrieben, in einem gewissen Umfang zu Abgängen aus Arbeitslosigkeit in Nichterwerbstätigkeit beigetragen hat. Auch wenn Profiling
gemacht wird und Eingliederungsvereinbarungen getroffen werden, kann es natürlich passieren, dass die Menschen, die gemeldet sind und diese Maßnahmen in Anspruch nehmen, aus ganz unterschiedlichen Gründen
nicht mehr in der Statistik auftauchen.
Jetzt sieht es wirklich
so aus, als wollte die Kollegin Nolte eine Nachfrage stellen.
So ist es. Herr Staatssekretär, das ist in der Tat schwierig. Wie wollen Sie die
Wirkung des Job-AQTIV-Gesetzes überprüfen, wenn
man die Folgen dieses Gesetzes nicht zuordnen kann?
Wie kommt Herr Gerster zu der Annahme, dass aufgrund
des Job-AQTIV-Gesetzes eine deutliche Zahl von Abgängen in die Nichterwerbstätigkeit zu verzeichnen ist?
Das Problem ist
zunächst - das wissen Sie aus den Ausschussberatungen -,
dass erst mit In-Kraft-Setzen des Job-AQTIV-Gesetzes
stufenweise Maßnahmen wie Profiling und Eingliederungsvereinbarungen durchgeführt werden.
({0})
- Langsam. Über eine konkretere und genauere Beratung
des sich arbeitslos meldenden Menschen erhalten Sie ein
Bild von seinen Verhaltensweisen. Es wurde eben in anderen Fragen angemahnt, dass die Arbeitsverwaltung die
Vermittlungsfähigkeit der Arbeitslosen stärker überprüfen
soll. Das kann dazu führen, dass bestimmte Personengruppen aus der Statistik herausfallen oder freiwillig auf
eine Vermittlung verzichten.
Eine zweite Nachfrage.
Was auffallend ist und
auch in dem Bericht von Herrn Gerster auffällt, ist die
hohe Zahl der Abgänge in Wehr- und Zivildienst. Ich weiß
nicht, ob Ihnen Ihre Kollegin Frau Schulte Schützenhilfe
leisten und sagen kann, wie das in den anderen Monaten
aussah. Wie erklären Sie sich, dass Anfang dieses Jahres
plötzlich deutlich mehr Personen als in den Jahren vorher
eingezogen wurden?
Ob deutlich mehr eingezogen werden oder nicht, kann ich nicht beantworten.
({0})
Sie haben ganz konkret nach den Monaten März und April
gefragt. Die Arbeitsverwaltung hat mitgeteilt, dass es im
März und im April rund 15 000 Abgänge in Wehr- und Zivildienst gab. Nun wird Frau Staatssekretärin Schulte
sicherlich genauer wissen, wann die Einberufungstermine
sind. Aber ich halte das, was mir mitgeteilt worden ist, für
realistisch. - Sie nickt.
({1})
- Ich habe Ihnen aber doch für die Abmeldungen unterschiedliche Gründe genannt. Sie haben jetzt nach den Abgängen in Wehr- und Zivildienst gefragt. Ich nehme an,
dass die Bundeswehr und die Zivildienstträger einmal im
Frühjahr und einmal im Herbst einberufen. Ich weiß nicht,
wie das Verfahren ist.
({2})
Für die Monate März und April war es so, wie ich es Ihnen vorgelesen habe.
Die weitere Klärung
muss auf einen Briefwechsel oder Nachfragen im Ausschuss verschoben werden.
Ich rufe jetzt die Frage 20 des Abgeordneten
Dr. Hansjürgen Doss auf:
Welche Maßnahmen hat die Bundesanstalt für Arbeit im Rahmen der Initiative „50 plus - die können es“ ergriffen und wie
hoch sind die Mittel für diese Förderprogramme?
Herr Abgeordneter
Doss, ich habe eben etwas über die Aktion „50 plus“ ausgeführt. Bei der Kampagne „50 plus - die können es“ handelt es sich nicht um ein Förderprogramm der Bundesanstalt für Arbeit. Vielmehr handelt es sich dabei um eine
gezielte Vermittlungsaktion, in deren Rahmen die Bundesanstalt für Arbeit den im Bündnis für Arbeit, Ausbildung
und Wettbewerbsfähigkeit beschlossenen Paradigmenwechsel in der Politik gegenüber älteren Arbeitnehmern
mit den vorhandenen Instrumenten der aktiven Arbeitsmarktpolitik unterstützt und versucht, ältere Menschen
besser am Arbeitsmarkt zu positionieren. Dies geschieht
in erster Linie durch zielgenaue Vermittlung und Überzeugungsarbeit beim Arbeitgeber, ferner durch Motivationshilfen und Trainingsmaßnahmen für ältere Bewerber
sowie durch betriebliche Einstellungshilfen, zum Beispiel
Eingliederungszuschüsse für Ältere. Dazu wurde auch
das Faltblatt „Leistungen zur Eingliederung Älterer“ für
Arbeitgeber herausgegeben.
Darüber hinaus wurden von den Arbeitsämtern Pressekonferenzen, Arbeitsmarktgespräche mit Arbeitgebern
und Bewerbern sowie Vortrags- und Informationsveranstaltungen durchgeführt. Diese Initiativen fanden ein breites Echo in der Öffentlichkeit und bei den am Arbeitsmarkt Beteiligten.
Die Förderung älterer Arbeitnehmer durch Leistungen
der aktiven Arbeitsförderung nach dem SGB III erfolgt
nach Einzelfallprüfung aus dem Eingliederungstitel der
örtlichen Arbeitsämter, die darüber in eigener Verantwortung entscheiden. Es handelt sich dabei um Ermessensleistungen, für die die Aufwendungen nicht personenspezifisch erfasst werden. Da es sich bei der Kampagne
„50 plus - die können es“, wie bereits erwähnt, zudem
nicht um ein spezielles Förderprogramm mit einem festgelegten Mittelvolumen handelt, ist keine Aussage über
die Höhe der Aufwendungen möglich.
Herr Kollege Doss,
bitte Ihre erste Nachfrage.
Herr Staatssekretär, Sie haben mit Sicherheit festgestellt, dass eine
Reihe unserer Fragen durch einen roten Faden miteinander
verbunden sind. Es gibt etwas, das wir uns nicht erklären
können; vielleicht können Sie uns dabei weiterhelfen. Seit
Januar/Februar verändert sich die Arbeitslosenstatistik: Die
Zahl der älteren Arbeitnehmer nimmt ab und die der jüngeren nimmt zu, und zwar zeitgleich mit der Einstellung von
rund 3 000 neuen Vermittlern. Dabei handelt es sich doch
um eine Entwicklung, die erklärungsbedürftig ist.
Da Sie schon die ganze
Zeit über anwesend waren, Herr Doss, haben Sie sicherlich
auch die unterschiedlichen Gründe und Begründungszusammenhänge gehört, die ich für die Bundesregierung bereits vorgetragen habe. Sie haben nach der Aktion „50 plus“ gefragt. Ich habe es Ihnen erklärt: Sie läuft
faktisch seit 1999. Für die Entwicklung der Arbeitslosigkeit
Älterer gibt es sehr unterschiedliche Gründe. Einen Zusammenhang zwischen der Entwicklung der Arbeitslosigkeit älterer und der jüngerer Menschen gibt es nicht.
Herr Kollege Doss,
Ihre nächste Nachfrage?
({0})
Es gibt eine Nachfrage des Kollegen Dr. Klaus Grehn.
Herr Staatssekretär, Sie haben zu Recht ausgeführt, dass die Initiative „50 plus - die
können es“ im Bündnis für Arbeit, Ausbildung und Wettbewerbsfähigkeit entwickelt worden ist.
({0})
Ich gehe davon aus, dass in diesem Bündnis die Ergebnisse der Maßnahmen evaluiert worden sind. Können Sie
angesichts der Tatsache, dass es sich seit sehr langer Zeit
so verhält, dass sich Arbeitgeber eher von älteren Arbeitnehmern trennen und dafür entsprechende Maßnahmen
wie Abfindungen durchführen, eine Aussage dazu treffen,
wie wirksam diese Initiative - etwa in Bezug auf die Integration älterer Arbeitnehmer auf dem ersten Arbeitsmarkt - gewesen ist?
Herr Abgeordneter
Dr. Grehn, ich möchte betonen, dass die Aktion „50 plus die können es“ nicht im Bündnis für Arbeit entwickelt
worden ist, sondern von der Bundesanstalt für Arbeit. Ich
möchte in diesem Zusammenhang darauf hinweisen, dass
sie auch ein besonderes Anliegen von Präsident Jagoda
war, der sich sehr darum gekümmert und die damit verbundenen Aktivitäten stark vorangetrieben hat.
Dazu kam aber, dass es im Bündnis für Arbeit im
März 2000 eine Reihe von Beschlüssen gegeben hat, die
sich mit einem Paradigmenwechsel hinsichtlich der Beschäftigung Älterer befasst haben. Das Bündnis hat einvernehmlich festgehalten, dass es nicht sinnvoll ist, die
Älteren immer früher in Rente zu schicken. In einer demographisch sich verändernden Gesellschaft verstärken
sich der Zwang und die Notwendigkeit, auch Ältere mit
ihrer Arbeits- und Lebenserfahrung und ihren Qualifikationen stärker in der Beschäftigung zu halten. Dazu sind
unterschiedliche Maßnahmen auf den Weg gebracht worden, zum Beispiel die Änderung des SGB III. Wir haben
- übrigens auch durch eine Vereinbarung im Bündnis für
Arbeit - im Job-AQTIV-Gesetz festgelegt, dass ältere Arbeitnehmer über 50 in Betrieben mit weniger als 100 Beschäftigten durch Maßnahmen der Bundesanstalt qualifiziert und gefördert werden können. Es handelt sich also
um ein ganzes Bündel von Maßnahmen. Dass das nicht
von heute auf morgen wirkt, ist auch klar.
Was die Evaluation angeht: Wir begleiten das durch
entsprechende Untersuchungen, zum Beispiel des IAB.
Dazu liegen mir gegenwärtig aber keine Ergebnisse vor;
da bitte ich um Verständnis.
Ich rufe die Frage 21
des Kollegen Hansjürgen Doss auf.
Wie viele ältere Arbeitslose sind durch diese Maßnahmen in
Beschäftigung gekommen und wie viele Arbeitslose hätten auch
ohne die Vermittlung einen Arbeitsplatz gefunden?
Die in der Antwort auf
Ihre erste Frage dargestellten Maßnahmen haben zur Verbesserung der Eingliederungschancen der Älteren beigetragen. So konnten im Bundesgebiet im Jahr 2000
389 000 Ältere ab 50 Jahre in eine Erwerbstätigkeit einmünden. Das waren 4 Prozent mehr als im Vorjahr. Im Jahr
2001 konnten trotz allgemein schlechterer Arbeitsmarktlage 383 100 Ältere eine Erwerbstätigkeit aufnehmen.
Die Bundesregierung hält es im Übrigen für unseriös,
darüber zu spekulieren, wie viele ältere Arbeitslose auch
ohne die in der Antwort auf die Frage 20 aufgezeigten
Vermittlungshilfen einen Arbeitsplatz gefunden hätten.
Die Vermittlungshilfen werden gerade deshalb erbracht,
weil oftmals Schwierigkeiten bestehen, ältere Arbeitnehmer in das Erwerbsleben zu reintegrieren.
Jetzt hat der Kollege
Doss eine Nachfrage.
Dass man es als
unseriös bezeichnet, wenn nachgefragt wird, ob etwas effektiv ist, halte ich schon für bemerkenswert, Herr Staatssekretär.
Ich habe den Begriff
nicht auf die Nachfrage, sondern auf einen bestimmten
Gegenstand bezogen, der da unterstellt war.
({0})
Das war eher ein
Kommentar als eine Nachfrage. Deshalb können wir den
Vorgang abschließen.
Die Fragen 22 und 23 werden schriftlich beantwortet.
Wir kommen zur letzten Frage zu diesem Geschäftsbereich, nämlich der Frage 24 des Kollegen Wolfgang
Lohmann ({0}):
Schließt die Bundesregierung aus, dass sie zur Absicherung
der im Bundeshaushalt 2003 geplanten Ausgaben für Arbeitslosenhilfeempfänger die Beiträge, die der Bund für Arbeitslosenhilfebezieher nach § 232 a Fünftes Buch Sozialgesetzbuch,
SGB V, an die Krankenkassen zahlt, erneut absenken muss?
Herr Lohmann, die Antwort ist ganz einfach: Eine Absenkung der Krankenversicherungsbeiträge für Arbeitslosenhilfebezieher steht
zurzeit nicht zur Diskussion.
Erste Nachfrage von
Herrn Lohmann, bitte.
Kann ich nach dieser Aussage davon ausgehen, dass es
unabhängig davon, ob die Anzahl der Arbeitslosenhilfeempfänger steigt oder sinkt, keine Auswirkungen auf die
Einnahmesituation der gesetzlichen Krankenversicherung geben wird? Werden Sie dafür sorgen?
Herr Lohmann, ich wiederhole: Eine Absenkung der Krankenversicherungsbeiträge für Arbeitslosenhilfebezieher steht zurzeit nicht
zur Diskussion. Wovon Sie bei dieser Antwort ausgehen,
ist einzig und allein Ihre Angelegenheit.
Meine zweite Frage. Die Frage bezog sich auf den Haushalt
2003. Dass das in diesem Jahr keine Diskussion ist, ist mir
selbstverständlich bekannt. Es ging mir darum, zu erfahren,
ob solche Auswirkungen im Jahr 2003 zu erwarten sind.
Ich sage noch einmal:
Wir haben nicht die Absicht - eine solche Diskussion gibt
es gegenwärtig nicht -, die Krankenversicherungsbeiträge für Arbeitslosenhilfebezieher zu verändern. Wenn
ich richtig informiert bin, wird der Haushalt - er ist durch
das Kabinett bereits beschlossen worden - im September
hier in erster Lesung beraten. Dann ist der Haushalt in der
Hand des Parlaments. Darüber, was dabei herauskommt,
kann die Bundesregierung doch nicht spekulieren, Herr
Lohmann.
({0})
Jetzt gibt es noch eine
Nachfrage von Herrn Dr. Grehn. Bitte.
Herr Staatssekretär, ich darf
dann umgekehrt fragen: Besteht angesichts der Rentenabsenkung, die dadurch erfolgt ist, dass der Zahlbeitrag
abgeführt wird, die Absicht, den Krankenversicherungsbeitrag wieder zu erhöhen?
Ich habe doch schon gesagt: Es gibt gegenwärtig keine Diskussion darüber und
auch keine Absicht, zu einer Veränderung des Krankenversicherungsbeitrags, sei es nach oben oder nach unten,
zu kommen.
Damit ist die Beratung
zu diesem Geschäftsbereich abgeschlossen. Vielen Dank,
Herr Staatssekretär.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministeriums
der Verteidigung auf. Zur Beantwortung steht die Parlamentarische Staatssekretärin Brigitte Schulte zur Verfügung.
Die Fragen 25 und 26 werden schriftlich beantwortet.
Ich rufe die Frage 27 des Kollegen Dr. Gerd Müller auf:
Welche Investitions- und Umzugskosten setzt die Bundesregierung für den Umzug der Schule für Feldjäger und Stabsdienste in Sonthofen nach Hannover an?
Das Nutzungs- und Ausbaukonzept für die Emmich-Cambrai-Kaserne in Hannover
zur Nutzung durch die Schule für Feldjäger und Stabsdienste ist in Auftrag gegeben und wird zurzeit erarbeitet.
Erst nach Vorlage und Prüfung mit abschließender Genehmigung dieser Unterlagen können detaillierte Aussagen zu Investitionskosten in Hannover gemacht werden.
Ich möchte die folgende Frage auch gleich beantworten. Dann können Sie Ihre weiteren Fragen, auf die ich
mich schon freue, im Anschluss daran stellen.
Dann rufe ich auch die
Frage 28 des Abgeordneten Dr. Gerd Müller auf:
Ist die Bundesregierung bereit, einen Umzug der Schule für
Feldjäger und Stabsdienste von Sonthofen nach Hannover zu stoppen, wenn dies mit Mehrkosten am Standort Hannover im Vergleich zum Erhalt des Standortes Sonthofen führt?
Zurzeit besteht für die Bundesregierung keine Veranlassung, von der Entscheidung
abzuweichen, also die Schule aufzugeben. Die Verlagerung der Schule von Sonthofen nach Hannover ist weiterhin geplant.
Jetzt kann es losgehen
mit den schon mit Freude erwarteten Fragen. Bitte, Herr
Kollege.
Frau Staatssekretärin,
das freut uns in Sonthofen nicht. Dann müssen wir eben
die Wahl gewinnen. Das war aber nur eine Vorbemerkung.
Wir kämpfen bis zum letzten Soldaten.
Vizepräsidentin Petra Bläss
Die Frage an Sie ist: Sollte durch die laufenden Untersuchungen zur Investition in Hannover das Ergebnis bestätigt werden, dass der Erhalt der Schule für Feldjäger in
Sonthofen kostengünstiger bleibt, wie dies nach den derzeit vorliegenden Berechnungen der Fall ist, ist der Bund
dann bereit, auf der Basis dieser wirtschaftlichen Erhebungen die kostengünstigere Entscheidung zu treffen,
nämlich die Schule in Sonthofen zu belassen?
Herr Kollege Müller, es gibt realistische Zahlen, wonach eine Sanierung der ehemals
von den Nationalsozialisten errichteten Ordensschule in
Sonthofen mindestens 44 Millionen Euro kosten würde.
Demgegenüber stehen die Kosten für die Umsiedlung in
die in den 70er-Jahren fertig gewordene Offiziersschule
des Heeres in Hannover, welche die zentrale Einrichtung
für die Ausbildung der Offiziere war. Es war die Entscheidung der früheren Bundesregierung, diese Schule
nach Dresden zu verlegen.
Bei der Berechnung, die ich auch kenne, ist man von
einer Idealvorstellung für die Feldjägerausbildung ausgegangen und hat für eine Verlagerung nach Hannover all
das gefordert, was Sie weder in Sonthofen noch an irgendeiner anderen Stelle für die Feldjägerausbildung besitzen. Das hat eine merkwürdige Rechnung ergeben, die
aber absolut nicht stimmt. Ich nehme an, dass Sie auf die
Summe von 50 Millionen Euro anspielen. Interessanterweise ist diese Rechnung von Herren aus Sonthofen aufgestellt worden. Zugrunde gelegt wurde dabei ein Forderungskatalog, der nicht einmal für Sonthofen galt.
Es bleibt dabei: Der Umbau und die Organisation der
aus den 70er-Jahren stammenden Kasernenanlagen in
Hannover für die Nutzung durch die Feldjäger wird 15
Millionen Euro ausmachen.
Ihre zweite Frage,
bitte.
Frau Staatssekretärin,
die Mehrkosten für Hannover ergeben sich aus der Schätzung des Staatlichen Hochbauamtes. Ich frage Sie:
Warum bezieht der Bund das Kooperations- und Mitfinanzierungsangebot der Kommunen nicht ein? Sonthofen
hat ein weit gehendes Angebot gemacht. Warum geht man
darauf nicht ein?
Ich muss Ihnen ehrlich sagen:
Meine Sympathie gehört sehr Sonthofen, aber sie gehört
auch Hannover. Es geht nämlich darum, diese in Rede stehende, zentral gelegene Schule, die nach dem Kriege gebaut wurde und die im Rahmen der deutschen Einheit wofür ich allerdings auch Sympathie habe, obwohl es
Hannover trifft - nach Dresden verlagert und dort mit
Hunderten von Millionen umgebaut worden ist, nutzen zu
können.
Die Vorstellungen für diese 50 Millionen Euro teure
Ausbaumaßnahme sind nicht durch das Bundesverteidigungsministerium, sondern durch die Oberfinanzdirektion initiiert worden. Die Oberfinanzdirektion hat natürlich ausgerechnet - Sie kennen ja das System, dass wir
nicht selbst bauen, sondern die Länder für uns bauen -,
was es kosten würde, wenn jeder der genannten Wünsche umgesetzt würde. Die Kosten wurden einfach summiert, ungeachtet der Tatsache, dass all dies bei der Sanierungsmaßnahme in Sonthofen nicht vorgetragen
wurde. Es ist aber völlig unvorstellbar, dass man diese
Rechnung wird akzeptieren können. Im Übrigen wissen
Sie auch, dass wir in Sonthofen ja noch einiges belassen.
Ihre dritte Frage, bitte.
Ich stelle fest: Es gibt
keine militärische Begründung für diesen Umzug. Deshalb müssen die wirtschaftlichen Gründe ausschlaggebend sein: Der Bund muss sich wirtschaftlich verhalten.
Deshalb frage ich: Ist die Bundesregierung bereit, als
Grundlage dieser Entscheidung eine Gesamtkostenbewertung - Hannover versus Sonthofen, unter Einbeziehung sämtlicher möglicher Kosten und Erlöse bei Veräußerung bzw. Nichtveräußerung der Liegenschaft vorzunehmen? Man muss eine entsprechende Bewertung
für Sonthofen vornehmen, indem man die Fragen „Was ist
diese Liegenschaft wert?“ und „Welche Einnahmen kann
der Bund erzielen?“ beantwortet. Anschließend muss man
einen Vergleich mit Hannover anstellen. Dieses attraktive
Gelände liegt in der Nähe der Messe. Dort sind hohe Verwertungszuschläge zu erwarten.
Hannover hat sich im Rahmen
der Wiederherstellung der deutschen Einheit eindeutig bereit erklärt, zu akzeptieren, dass die Offiziersschule verlegt
wird. Wenn Sie sich die Landkarte ansehen, dann erkennen
Sie, dass Hannover sehr zentral liegt. Feldjäger brauchen
wir in der ganzen Bundesrepublik Deutschland. Übrigens
beträgt die Entfernung zwischen der Offiziersschule und
der Messe - daran sehe ich, dass Sie Hannover nicht kennen - einige Kilometer. Der Umzug nach Hannover hat
also nichts mit der „Nähe“ zur Messe zu tun.
Die Berechnungen, die man angestellt hat, um nachzuweisen, dass es besser ist, den Umzug der Schule für Feldjäger und Stabsdienste von Sonthofen nicht durchzuführen, waren von Anfang an falsch. Ich bin übrigens der
Meinung, dass man diese Liegenschaft niemals hätte
übernehmen sollen; denn eine Instandhaltung ist sehr aufwendig. Zudem bleibt die ABC-Abwehr- und Selbstschutzschule weiterhin in Sonthofen. Damit behält Sonthofen eine nennenswerte Einrichtung. Im Rahmen der
gleichmäßigen Verteilung von Ausbildungsstandorten
über das gesamte Bundesgebiet ist es sinnvoll und richtig,
die Schule für Feldjäger und Stabsdienste nach Hannover
zu verlagern. Ich sehe diesem Umzug mit großem Interesse und Freude entgegen.
Herr Dr. Müller, Sie
haben das Wort zu einer letzten Nachfrage.
Frau Staatssekretärin,
Sie halten daran fest, die Anzahl der in Sonthofen, in einer
wirtschaftlich peripheren Region, stationierten Soldaten,
inklusive Zivil- und Dienstposten, um 2 000 zu verringern. Dennoch behaupten Sie, dass Ihr Herz für Sonthofen
schlägt. Angesichts dessen frage ich Sie: Können Sonthofen
und sein Umland trotz der Verlagerung dieser Schule auf
Hilfen des Bundes zur Nutzung der verbleibenden Liegenschaft - sie ist zweifelsohne wirtschaftlich nicht einfach zu nutzen - aus Konversionsmitteln zählen?
Es ist ganz spannend, festzustellen, welche Anforderungen überall an die Bundeswehr
gestellt werden. Herr Kollege Müller, zunächst einmal
geht es darum, dass wir eine leistungsfähige Bundeswehr
haben. Wir müssen immer mehr Aufgaben mit einem begrenzten personellen Bestand bewältigen.
In der Vergangenheit, in der die Situation anders war,
haben wir uns von den Ländern zum Teil Liegenschaften
aufdrängen lassen - bekanntermaßen hatte die Bundesrepublik Deutschland 1949 keine Bundeswehr -, die die
Länder ganz gern loswerden wollten, weil sie die Kosten
dafür aufbringen mussten. Ich gehe davon aus, dass der
Bund und das Land Bayern der Gemeinde Sonthofen gemeinsam helfen, sofern das überhaupt notwendig ist, die
Liegenschaft weiterhin sinnvoll zu nutzen. Ich bin sehr
gespannt, was die Unterhaltskosten dieses Bauwerks - ich
kenne es ja - betrifft.
Ich sage Ihnen ausdrücklich: Konversion ist zunächst
einmal Aufgabe der Länder. Als Theo Waigel - in Klammern gesprochen: CSU - Finanzminister war, wurde die
Regelung getroffen, dass die Länder einen bestimmten
Anteil der Staatseinnahmen für Konversionsaufgaben bekommen, die ihnen zur Verfügung stehen.
Da ich hier gerade den Kollegen Brüderle sehe, fällt
mir ein: Während die einen etwas aus diesen Mitteln gemacht haben, haben die anderen nur das Geld eingestrichen. Ich hoffe nicht, dass das bei Bayern der Fall ist.
Bevor ich die nächste
Frage aufrufe, kann ich Sie erst einmal erlösen: In der
48. Spielminute ist Brasilien gegen die Türkei durch ein
Tor von Ronaldo mit eins zu null in Führung gegangen.
Sind Sie damit zufrieden?
({0})
- Als Präsidentin bewerte ich das nicht.
Ich rufe die Frage 29 des Kollegen Helmut Heiderich auf:
Welche Finanzmittel hat die Bundesregierung in den neuen
Bundeshaushalt 2003 und die nachfolgende Finanzplanung eingestellt, um die im „Ressort-Konzept Stationierung“ vom Bundesminister der Verteidigung, Rudolf Scharping, getroffene Aussage: „Das Kommando der Division Luftbewegliche Operationen,
DLO, wird zunächst in Veitshöchheim aufgestellt und dann nach
Rotenburg an der Fulda verlegt, sobald dort die erforderliche Infrastruktur geschaffen worden ist“ auch verwirklichen zu können,
und in welchen Jahresabschnitten ist die Finanzierung der Infrastrukturmaßnahmen vorgesehen?
Herr Kollege Heiderich, die
Kosten für die infrastrukturellen Anpassungsmaßnahmen
in der Alheimer-Kaserne in Rotenburg an der Fulda
werden nach den ersten Untersuchungen auf etwa
15,3 Millionen Euro geschätzt. Die dafür erforderlichen
Mittel werden im Rahmen der Infrastrukturdurchführungsplanung berücksichtigt. Es ist vorgesehen - die
Kaserne ist erst ab Ende 2003 frei -, dass im Rahmen des
Haushalts 2004 2,6 Millionen Euro, im Rahmen des Haushalts 2005 5,1 Millionen Euro, im Rahmen des Haushalts 2006 2,5 Millionen Euro sowie im Rahmen der Haushalte 2007 und 2008 jeweils rund 2,6 Millionen Euro
ausgegeben werden.
Herr Kollege
Heiderich, Sie haben das Wort zu einer Nachfrage, bitte.
Frau Staatssekretärin, wenn ich das richtig verstanden habe, erstreckt sich
Ihre Finanzplanung auf fünf oder sechs Jahre. Wie stellt
sich die Bundesregierung die Verwendung dieser Liegenschaft in den Jahren, in denen der Ausbau stattfinden soll,
vor? Ist es geplant bzw. vorgesehen, dass der Umzug der
DLO aus Veitshöchheim nach Rotenburg partiell stattfindet? Wenn ja, in welchen Jahren und in welchen Zeitabschnitten? Oder haben Sie geplant, den Umzug erst dann
insgesamt stattfinden zu lassen, wenn der Ausbau vollendet ist?
Ich gehe einmal davon aus,
dass die Bundeswehr insgesamt ein Interesse daran hat,
relativ schnell die neue Struktur zu verwirklichen. Da das
Panzergrenadierbataillon 52, das jetzt in Rotenburg an der
Fulda stationiert ist, erst zum 31. März 2004 aufgelöst ist,
kann natürlich die Aufnahme des Kommandos Division
Luftbewegliche Operationen - die wohnen ja jetzt auch
nicht gerade in Räumen, die nicht benutzbar sind - erst ab
dem Jahre 2004 beginnen und wird dann bis 2006 abgeschlossen sein. Ich denke, das ist in Ihrem Sinne.
Noch eine Nachfrage?
- Bitte, Herr Kollege.
Ich warte eigentlich
noch auf die Beantwortung meiner Frage. Eine Antwort
auf die Frage des Umzugs ist bis dato bei mir noch nicht
angekommen.
Wenn wir erst zum 31. März
2004 das Panzergrenadierbataillon 52, das dort stationiert
ist, auflösen, können die anderen vorher nicht in dessen
Räumlichkeiten. Dann habe ich gesagt, dass nach der derzeitigen Planung von 2004 an, also nach der Auflösung,
der Umzug des Kommandos dorthin erfolgen und bis zum
Jahre 2006 abgeschlossen sein soll.
Wenn ich Sie jetzt
richtig verstanden habe, soll der Umzug sukzessive, je
nach Fertigstellung der Bauten, erfolgen, sodass die Verlegung 2006 schon beendet wäre.
Ich darf in dem Zusammenhang noch anfügen, dass der
Umbau natürlich schon früher stattfinden könnte, weil das
sich zurzeit in der Alheimer-Kaserne befindende Kommando diese Kaserne schon teilweise räumt. Im Jahre
2003 geht nämlich ein großer Teil zum Einsatz in den Kosovo; 2004 muss da nur noch der dort verbliebene Restbestand aufgelöst werden. Man könnte also mit dem Ausbau schon im Jahre 2003 beginnen.
Herr Kollege, ich kann nicht
ganz nachvollziehen, dass wir hier über Baupläne reden.
Ich kann Ihnen nur in aller Deutlichkeit sagen, dass wir
für den Umbau 15,3 Millionen einplanen und dass nach
dem Abzug des Bataillons die Sanierung und auch der
Umzug erfolgen. Mehr kann man eigentlich für einen
Standort - ich erinnere mich an die Bedenken Ihres Vorredners - nicht tun.
Vielen Dank, Frau
Staatssekretärin.
Ich rufe jetzt den Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Gesundheit auf. Zur Beantwortung steht Frau
Parlamentarische Staatssekretärin Gudrun Schaich-Walch
zur Verfügung.
Die Fragen 30 und 31 werden schriftlich beantwortet, sodass ich jetzt die Frage 32 der Kollegin Annette WidmannMauz aufrufen kann:
Ist bezüglich der noch in dieser Legislaturperiode geplanten
Verabschiedung des Disease-Management-Programmes „Brustkrebs“ eine leitlinienkonforme Ausgestaltung ({0}) umfassend gesichert und teilt die
Bundesregierung die Ansicht, dass ohne diese Vorgaben eine Versorgungsverbesserung betroffener Frauen nicht zu erreichen ist?
Vielen Dank. - Frau Abgeordnete, die Bundesregierung ist wie Sie der Ansicht, dass
eine Verbesserung der Versorgung von Brustkrebspatientinnen nur durch eine Behandlung gemäß dem gesicherten aktuellen Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse zu erreichen ist. Sie begrüßt es daher ausdrücklich, dass es dem
Koordinierungsausschuss gelungen ist, dem Bundesministerium für Gesundheit auch für das Krankheitsbild Brustkrebs seine Empfehlung für die Anforderungen an strukturierte Behandlungsprogramme zu übermitteln. Auf der
Grundlage dieser einvernehmlichen Empfehlung werden
daher in der Vierten Verordnung zur Änderung der Risikostruktur-Ausgleichsverordnung neben den Anforderungen
an die Programme für Diabetes auch die Anforderungen
für Programme zum Brustkrebs festgelegt. Die Verordnung soll zum 1. Juli 2002 in Kraft treten. Sie ist dann
Grundlage für die Zulassung strukturierter Behandlungsprogramme durch das Bundesversicherungsamt und damit
auch für die Förderung der zugelassenen Programme
durch den Risikostrukturausgleich.
Bei der Erarbeitung der Anforderungen für Programme
zum Brustkrebs wurden vom Koordinierungsausschuss
infrage kommende internationale Leitlinien und zum Teil
zugrunde liegende Originalarbeiten herangezogen, da es
derzeit noch keine zertifizierte nationale Leitlinie zur
Therapie von Brustkrebs gibt. Bei der Erarbeitung der Anforderungen haben auch ausgewiesene Experten, insbesondere der Präsident der Deutschen Krebsgesellschaft,
der Direktor der Universitäts-Frauenklinik Ulm, Herr
Professor Kreienberg, mitgewirkt. Im Übrigen hatten alle
betroffenen Organisationen und Fachgesellschaften Gelegenheit, anlässlich der Anhörung am 17. Juni mündlich
oder schriftlich eine Stellungnahme abzugeben, die, soweit möglich, bei der Erarbeitung der Anforderungen
Berücksichtigung findet.
Es ist darauf hinzuweisen, dass im Rahmen der Vierten
Verordnung zur Änderung der Risikostruktur-Ausgleichsverordnung nur Anforderungen an strukturierte Behandlungsprogramme festgelegt werden. Es ist Aufgabe der
Krankenkassen, auf dieser Grundlage Programme zu entwickeln bzw. ihre Entwicklung zu veranlassen und dann
eine Zulassung beim Bundesversicherungsamt zu beantragen.
War das bereits die
Beantwortung auch der nächsten Frage? - Nein. Dann
rufe ich jetzt die Frage 33 auf:
Wie lauten die Leitlinien, nach denen die Bundesregierung das
Disease-Management-Programm „Brustkrebs“ noch in dieser Legislaturperiode verabschieden will und sind diese bereits öffentlich zugänglich?
Im Anschluss hat die Kollegin Widmann-Mauz die Gelegenheit, vier Zusatzfragen zu stellen.
Die Anlage 3 des
vorgelegten Entwurfs einer Vierten Verordnung zur Änderung der Risikostruktur-Ausgleichsverordnung enthält
die Anforderungen an strukturierte Behandlungsprogramme für Brustkrebs, die erfüllt sein müssen, damit die
Programme nach einer entsprechenden Prüfung durch das
Bundesversicherungsamt zugelassen werden können.
Diese Anforderungen basieren weitestgehend auf der einvernehmlichen Empfehlung des Koordinierungsausschusses vom 13. Juni, also auf den zur Bearbeitung der
Anforderungen herangezogenen Leitlinien.
Ich möchte Ihnen gerne den Hinweis geben, dass die
gesamten Ergebnisse der Beratungen auf den Internetseiten des BMG abrufbar sind. Dort finden Sie weitere Details zu den medizinischen Inhalten, zu den verschiedenen
Diagnose- und Therapieschritten.
Frau Widmann-Mauz,
Ihre erste Nachfrage.
Frau Staatssekretärin, Sie kennen bestimmt den offenen Brief, den
die Bundesministerin von der Deutschen Gesellschaft für
Gynäkologie und Geburtshilfe, von Herrn Professor
Dr. Klaus-Dieter Schulz, der gleichzeitig Leiter der KonHelmut Heiderich
zertierten Aktion Brustkrebsfrüherkennung in Deutschland ist, erhalten hat. Er schreibt der Bundesregierung klar
ins Stammbuch, dass die vom Koordinierungsausschuss
verabschiedeten und durch die Bundesregierung in Kraft
zu setzenden Rechtsvorschriften in keiner Weise zu einer
Verbesserung der Brustkrebsbehandlung beitragen. Wie
beurteilen Sie diese Äußerung? Gab es eine Einbeziehung
interdisziplinärer Fachgesellschaften bei der Erarbeitung
dieser Leitlinie?
Der Koordinierungsausschuss hat verschiedene Sektionen gebildet, die
sich mit den Teilbereichen der Erstellung befasst haben.
In den Bereichen, die sich mit der Frage der inhaltlichen
Ausgestaltung, also mit der Vorgabe einzelner Therapieund Diagnoseschritte, befasst haben, bildeten die Ausführungen des Präsidenten der Deutschen Krebsgesellschaft der Universitäts-Frauenklinik Ulm, Herrn Professor Kreienberg, eine wichtige Arbeitsgrundlage. Er hat
der Ministerin in einem Schreiben ausdrücklich versichert, dass die festgelegten Inhalte von allen Vertretern
als gut angesehen werden.
Der von Ihnen angesprochene Kritikpunkt wird von
uns aufgenommen. Dieser Brief ist mir persönlich nicht
bekannt. Ich werde mich aber natürlich darum kümmern.
Im Rahmen einer Anhörung - ich habe schon darauf hingewiesen - ist bereits deutlich geworden, dass im Rahmen
der endgültigen Ausgestaltung des Programms an der einen oder anderen Stelle noch etwas verändert werden
muss. Ich möchte hier auch ganz deutlich sagen, dass wir
gerade in gesonderten Gesprächen mit den Organisationen „Frauenselbsthilfe nach Krebs“, „Koalition Brustkrebs“ und „Women’s Health Coalition“ eine sehr breite
Zustimmung für die Schritte, die jetzt gegangen werden,
gefunden haben.
Wir arbeiten auf der Basis, dass es noch keine zertifizierte deutsche nationale Leitlinie in diesem Bereich gibt
und dass man auf verschiedene internationale Punkte
zurückgreifen muss. Ich glaube, auf einer solchen Basis ist
es nie auszuschließen, dass der eine oder andere Vertreter
sagt, er hätte diese oder jene Richtung präferiert. Wir haben
alle diese Programme, mit denen wir gesundheitspolitisches Neuland betreten, so angelegt, dass sie wissenschaftlich evaluiert werden, dass sie begleitet werden und dass sie
in einem Jahresrhythmus dem neuen wissenschaftlichen
Stand angepasst und überarbeitet werden. Man wird sehen,
welche Veränderungen noch notwendig sind.
Nächste Nachfrage
von Frau Widmann-Mauz.
Frau Staatssekretärin, ist Ihnen bekannt, dass es in der Bundesrepublik eine S3-Leitlinie zur Brustkrebsbehandlung und weitere nutzbare Fragmente hochwertiger Leitlinien gibt, und
können Sie uns bitte sagen, warum diese in der Bundesrepublik erarbeiteten Standards bei der Erarbeitung des
Disease-Management-Programms keine Berücksichtigung gefunden haben?
Der Vorsitzende
der Deutschen Krebsgesellschaft ist ein besonders ausgewiesener Wissenschaftler mit sehr großer praktischer und
klinischer Erfahrung. Was zur fachlichen Erarbeitung heranzuziehen und was als neuester wissenschaftlicher Standard zu werten ist, entscheidet in unserem Gesundheitswesen die Selbstverwaltung unter Einbeziehung der
entsprechenden ärztlichen Gruppierungen und Fachgesellschaften. Dies ist nicht Aufgabe der Politik, nicht Aufgabe des Bundesgesundheitsministeriums. Das entspricht
auch den Grundlagen und Richtlinien, nach denen unsere
Selbstverwaltung arbeitet. Ich denke, dass das auch gut so
ist; denn ich glaube, dass die notwendige Kompetenz bei
den Menschen versammelt war, die an diesem Projekt gearbeitet haben, und weniger hier.
Weitere Nachfrage,
bitte.
Frau Staatssekretärin, wie beurteilen Sie denn den Vorwurf der Konzertierten Aktion zur Brustkrebsfrüherkennung, dass eine
Einbindung der für die Funktionsfähigkeit der multidisziplinären Versorgungskette zuständigen Fachgesellschaften und Berufsverbände zur Prüfung der medizinischen
Inhalte eben nicht erfolgt ist und damit auch die Voraussetzung eines fachübergreifenden Konsenses nicht vorliegt?
Frau WidmannMauz, wenn ich Sie jetzt richtig verstehe, beziehen Sie
sich nicht mehr auf die Disease-Management-Programme, sondern die Vorsorge. Dies würde einen völlig
anderen Bereich betreffen. Die Früherkennung von Brustkrebs ist im Screening-Programm Mammographie angesiedelt. Diese Disease-Management-Programme beginnen demgegenüber erst an dem Punkt, an dem es bereits
einen Befund für eine Erkrankung gegeben hat. Im Bereich der Früherkennung arbeiten wir im Augenblick an
einem Screening-Programm. Dort laufen mehrere Modellvorhaben. Dazu gab es bereits eine Anhörung im Rahmen des Gesundheitsausschusses, bei der über den Stand
der Dinge und über die Beteiligung berichtet wurde. Das
ist ein von den Disease-Management-Programmen losgelöstes und getrenntes Programm und wurde sehr wohl
in gemeinsamer Zusammenarbeit mit den Fachgesellschaften und der Selbstverwaltung erstellt. Es wird jetzt
an verschiedenen Orten erprobt und wird dann im Jahre
2003 in das ganz normale Vorsorgeprogramm aufgenommen werden.
Letzte Nachfrage,
bitte.
Ich darf
zunächst einmal zusammenfassen, dass Sie der Meinung
sind, dass Früherkennung und Therapie des Brustkrebses
hier getrennt behandelt werden und nichts miteinander zu
tun haben. Meine Frage bezieht sich noch einmal darauf:
Sie haben angesprochen, dass Sie bereit sind, die jetzt
vom Koordinierungsausschuss vorgelegten Leitlinien zu
überarbeiten. Ich zitiere Herrn Professor Schulz, der sagt:
In der derzeitigen Form ist der Entwurf zu einem
Disease-Management-Programm unbrauchbar und
verschlechtert die Versorgung an Brustkrebs erkrankter Frauen.
Darf ich Sie fragen, ob Sie in diesem Sinne die Leitlinien
bzw. das Disease-Management-Programm überarbeiten
werden, ob Sie dabei zum Beispiel mit berücksichtigen
werden, wie die Zusammenarbeit zwischen Praxis und
Klinik besser geregelt werden kann, und ob auch Fragen,
die zivil- und strafrechtliche Konsequenzen haben - wie
bei Folgen von Fehlbehandlungen, die im Rahmen dieses
Management-Programmes von Ärzten verursacht werden -, abgedeckt und geregelt werden?
Frau Abgeordnete,
ich weise noch einmal deutlich darauf hin, dass es darum
geht, im so genannten kurativen Bereich eine notwendige
qualitative Verbesserung zu erreichen. Der kurative Bereich beginnt dort, wo es bereits einen Befund gibt, zum
Beispiel wenn die Frauen selbst etwas getastet haben. Für
diesen Fall ist in dem Programm vorgegeben, wie die einzelnen Diagnoseschritte aussehen müssen, um eine zweifelsfreie, gut abgesicherte Diagnostik zu erzielen, die über
Umfang und Schwere der Erkrankung Auskunft gibt. Darüber hinaus werden in diesem Programm die verschiedensten Maßnahmen und Möglichkeiten von operativen
Eingriffen, strahlentherapeutischen Maßnahmen bis hin
zu psychosozialen Hilfen für den kurativen Bereich beschrieben.
Andere Anforderungen sind an Programme der Früherkennung zu stellen. Das sind die so genannten ScreeningProgramme. Damit wollen wir Frauen, die davon ausgehen, dass sie gesund sind - das sind die Frauen, die von
den Disease-Management-Programmen erfasst werden,
nicht mehr; sie haben einen Erstbefund -, zu Untersuchungen motivieren. Die Voraussetzungen dafür sind völlig andere als im Bereich der Disease-Management-Programme. Wir mussten zum Beispiel Grenzen für die
Strahlenbelastung festlegen. Deshalb haben wir uns zum
Beispiel auf das Alter von 50 Jahren als Beginn der regelmäßigen Mammographie geeinigt.
Man muss die beiden Bereiche immer zusammen sehen. Man darf sie vor allem nicht trennen, wenn jemand
durch einen Befund in den Bereich der Therapie übergeht,
unabhängig davon, ob dann kurz- oder langfristige Maßnahmen der Rehabilitation notwendig werden.
Zu dem, was Sie gerade hier vorgetragen haben, kann
ich nur sagen: Das ist eine sehr undifferenzierte und pauschale Kritik. Ich habe nicht gesagt, dass wir jetzt die Leitlinien überarbeiten, sondern ich habe Ihnen gesagt, dass
es genereller Bestandteil der Leitlinien ist, dass sie wissenschaftlich begleitet und beständig dem Stand der Wissenschaft angepasst werden.
Vielen Dank, Frau
Staatssekretärin.
Ich rufe jetzt den letzten Geschäftsbereich, den des
Bundesministeriums für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen, auf. Zur Beantwortung steht Herr Parlamentarischer Staatssekretär Achim Großmann zur Verfügung.
Ich rufe die Fragen 34 und 35 des Kollegen Dr. HansPeter Uhl gemeinsam auf:
Ist die Bundesregierung bereit, die Finanzierung für den Autobahnring der Bundesautobahn A 99 bis zum Anschluss an die
Lindauer Autobahn sicherzustellen, sodass dieser rechtzeitig vor
der Fußballweltmeisterschaft 2006 fertig gestellt werden kann?
Ist die Bundesregierung bereit, die Einstellung der laufenden
Bauarbeiten dadurch abzuwenden, dass sie die erforderlichen Verpflichtungsermächtigungen für die Jahre 2003 ff. bis spätestens
August 2002 erteilt, um den Auftrag für den Tunnel Aubing rechtzeitig vergeben zu können?
Ich bitte um Kürze, dann hat auch die Kollegin
Ostrowski die Chance, dass ihre Fragen noch beantwortet
werden.
An mir
soll es nicht liegen, Frau Präsidentin. Herr Kollege Uhl,
ja, die Bundesregierung ist bereit, die Finanzierung des
Westringes München, also der Bundesautobahn A 99, sicherzustellen, sodass er bis zu Beginn der Fußballweltmeisterschaft 2006 fertig gestellt werden kann.
Die zweite Frage beantworte ich gleich mit, weil es einen Zusammenhang zwischen beiden Fragen gibt: Die
Bundesregierung ist, in Abstimmung mit der Bayerischen
Staatsregierung, ebenfalls bereit, die zur zeitgerechten
Vergabe des Tunnels Aubing benötigten Verpflichtungsermächtigungen zur Verfügung zu stellen. Einzelheiten
dazu werden im Rahmen der bevorstehenden Vergabe geregelt werden.
Bitte, Herr Kollege
Uhl.
Herr Staatssekretär,
ist Ihnen von Ihrem Hause mitgeteilt worden, dass die
zeitgerechte Zur-Verfügung-Stellung der Finanzmittel in
den Monaten Juli und August, also in den nächsten beiden
Monaten, erfolgen muss, weil sonst der nötige Bau des
Tunnels innerhalb dieser kritischen Phase nicht mehr
möglich ist? Sind Sie in der Lage, diese Finanzmittel per
Verpflichtungsermächtigung tatsächlich in den nächsten
zwei Monaten, also Juli, spätestens August 2002, zur Verfügung zu stellen?
Ja, Kollege Uhl, uns ist bekannt, dass in Kürze mit der Vergabe
der auf dem kritischen Weg liegenden Einhausung bei Aubing begonnen werden muss. Wir kennen den Terminplan
und wir werden sicherstellen, dass die Arbeiten entsprechend fortgeführt werden können.
Zweite Nachfrage,
bitte.
Dann ist Ihnen sicher auch mitgeteilt worden, dass die derzeitig vorgesehene Vergabe dieses Tunnelprojektes zu außergewöhnlich
günstigen Konditionen erfolgen kann. Wenn die Mittel
nicht zur Verfügung gestellt würden, müsste eine Neuausschreibung mit erheblichen Nachbesserungen erfolgen.
Es würde sich also ein erheblicher finanzieller Schaden
für die öffentliche Hand ergeben. Ich nehme an, dass Sie
auch dieses wissen.
Das ist
mir nicht bekannt - wie Sie wissen, verläuft das Vergabeverfahren auf einer anderen Ebene -, da ich die Ergebnisse der Ausschreibungen nicht auf den Tisch bekomme.
Im Rahmen des Vergabeverfahrens stellen wir aber sicher,
dass der Bund die Mittel im Rahmen einer Verpflichtigungsermächtigung bereitstellt.
Ich rufe die Frage 36
der Kollegin Christine Ostrowski auf:
Warum geht gemäß der Antwort des Parlamentarischen Staatssekretärs im Bundesministerium für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen, Stephan Hilsberg, auf die mündliche Frage 15
der Abgeordneten Heidemarie Ehlert in der Fragestunde am
12. Juni 2002 ({0}) das Programmvolumen für den Stadtumbau Ost weit über die Vorschläge
der Expertenkommission hinaus, die in ihrem Abschlussbericht
rund 700 Millionen Euro jährlich, also nahezu das Doppelte der
jetzt eingestellten Summen, kalkulierte?
Frau
Kollegin Ostrowski, in den Empfehlungen der Kommission, die Sie angesprochen haben, heißt es wörtlich:
Die Kommission empfiehlt, den Abriss von leerstehenden Wohnungen dort, wo er für den Stadtumbau
nützlich und für das Marktgleichgewicht erforderlich ist, mit bis zu 140 DM pro Quadratmeter Wohnfläche zu fördern. Dazu wären über 10 Jahre circa
300 Millionen DM jährlich aufzuwenden, die je zu
einem Drittel vom Bund, den Ländern und den jeweiligen Kommunen aufzubringen wären.
Allein der Bund stellt im Jahre 2002 153 Millionen Euro bereit. Die gleiche Summe ist für 2003 vorgesehen. Hinzu kommen die Mittel der Länder in gleicher
Höhe sowie die Mittel der Kommunen in halber Höhe. Da
allein die Mittel des Bundes für den Stadtumbau Ost den
Empfehlungen der Kommission entsprechen, trifft die
Aussage der Bundesregierung zu, dass das Programmvolumen weit über die Vorschläge der Kommission hinausgeht.
Frau Ostrowski zu einer kurzen Nachfrage.
Herr Staatssekretär,
können Sie mir bestätigen, dass in der Tabelle 17 auf der
letzten Seite des Abschlussberichts der Expertenkommission alle Vorschläge der Kommission, auf die ich mich in
der Frage beziehe, zusammengefasst sind? Können Sie
mir ferner bestätigen, dass die jährliche Summe 1,39 Milliarden DM, also rund 700 Millionen Euro, beträgt?
Ich möchte eine weitere Frage anschließen: Können
Sie mir weiterhin bestätigen, dass die rund 150 Millionen Euro, die der Bund in den ersten Jahren bereitstellt,
nicht ausschließlich für den Abriss bereitstehen, sondern
dass diese Summe hälftig für Abriss und Rückbau eingesetzt werden soll? Beim Abriss ist also der Anteil des Bundes unter dem Anteil, den die Expertenkommission vorgeschlagen hat. Letztendlich muss man sagen, dass die
Vorschläge der Expertenkommission ein Volumen umfassen - ich habe es in meiner Frage genannt -, das weit über
die Summe hinausgeht, die Sie angeboten haben.
Frau
Ostrowski, ich bin nicht Ihrer Meinung.
({0})
Ich will Ihnen noch einmal die Zahlen nennen: Die Expertenkommission hat allein für den Abriss 140 DM pro Quadratmeter Wohnfläche gefordert. Das ergibt eine Summe
von insgesamt 300 Millionen DM. Davon entfallen
100 Millionen DM auf den Bund. Der Bund stellt
aber 153 Millionen Euro zur Verfügung; das sind 300 Millionen DM. Davon steht die Hälfte, also 75 Millionen Euro,
für den Abriss zur Verfügung. Das sind nach meiner Rechnung 50 Millionen DM mehr, als die Kommission gefordert hat.
Zu den Gesamtmitteln, die wir für den Stadtumbau Ost
zur Verfügung stellen, müssen die steuerliche Abschreibung und die Investionszulage hinzugerechnet werden.
Hinzu kommen die Förderung des selbst genutzten
Wohneigentums und die Förderung aufgrund des § 6 a
des Altschuldenhilfe-Gesetzes. Damit ergibt sich eine
Summe, die weit über 5 Milliarden Euro liegt.
Angesichts der fortgeschrittenen Zeit rufe ich jetzt die Frage 37 der Kollegin
Ostrowski auf, wobei ich um eine kurze Nachfrage bitte:
Wie lässt sich erklären, dass - obwohl für 25 Antragsteller auf
Altschuldenhilfe nach § 6 a des Altschuldenhilfe-Gesetzes bereits
218 Millionen Euro von insgesamt vorgesehenen 358 Millionen
Euro bewilligt sind und weitere 65 Anträge auf Entlastung bereits
vorliegen - die Bundesregierung keine Notwendigkeit für Überlegungen zu einer Aufstockung des Programmvolumens sieht?
Frau
Ostrowski, das Verhältnis der bisher bewilligten Anträge
zu dem bewilligten Mittelvolumen lässt sich nicht hochrechnen. Insofern kann aus der Zahl der vorliegenden Anträge nicht auf das erforderliche Mittelvolumen geschlossen werden.
Frau Kollegin
Ostrowski, bitte.
Herr Staatssekretär, Sie
bestätigen also, dass bisher 25 Anträge bewilligt wurden,
die einen Umfang von 218 Millionen Euro haben, wobei
das Gesamtvolumen nur 358 Millionen Euro beträgt. Es
liegen aber 65 weitere Anträge vor. Halten Sie es für realistisch, dass die noch verbleibenden Mittel in Höhe von
140 Millionen Euro für die noch vorliegenden 65 Anträge
ausreichen?
Die
Frage ist nicht, ob ich das für realistisch halte. Wir bearbeiten diese Anträge. Aus den ersten 25 bearbeiteten Anträgen kann man nichts hochrechnen. Denn - das wissen
auch Sie - Anträge kommen von großen Wohnungsunternehmen - diese wollen hohe Beträge und die müssen bewilligt werden - und von kleinen Wohnungsunternehmen,
die geringe Beträge anfordern, die wir zur Verfügung stellen müssen. Wir haben das Problem im Auge. Sie wissen
- darüber habe ich bereits im Ausschuss berichtet -, dass
wir mit den neuen Bundesländern auf Staatssekretärsebene
in Gesprächen sind. Ich gehe davon aus, dass wir im Rahmen des § 6 a des Altschuldenhilfe-Gesetzes eine für alle
Wohnungsunternehmen gerechte Lösung finden werden.
Vielen Dank, Herr
Staatssekretär, vor allem auch für das Tempo Ihrer Beantwortung.
Die Fragestunde ist damit beendet.
Ich rufe Zusatzpunkt 1 auf:
Aktuelle Stunde
auf Verlangen der Fraktionen der SPD und des
BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Weitere Maßnahmen der Bundesregierung zur
Förderung des Mittelstandes
Ich eröffne die Aussprache. Erster Redner für die SPDFraktion ist der Kollege Rainer Wend.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr
geehrten Damen und Herren! Wir reden nicht das erste
Mal über das Thema Mittelstand. Es lohnt sich, über dieses Thema zu sprechen, weil jeder von uns unabhängig
davon, welcher Fraktion er angehört, weiß, dass der Mittelstand das Rückgrat der deutschen Wirtschaft bildet,
({0})
was Beschäftigung, Innovationen und Ausbildung angeht.
Deshalb war es kein Zufall, dass die Bundesregierung
dem Mittelstand in besonderer Weise Aufmerksamkeit
gewidmet hat.
Zunächst möchte ich mich ausdrücklich für die Initiativen bedanken, die der Bundeswirtschaftsminister zu Beginn
dieser Woche auf einer Pressekonferenz angekündigt hat.
({1})
Wir alle wissen, dass die aktuellen Finanzierungsprobleme des Mittelstandes besonders gravierend sind. Dabei
geht es darum, dass sich die Privatbanken insgesamt weitgehend aus der Finanzierung zurückgezogen haben. Aber
auch Sparkassen und Volksbanken sagen, dass es zunehmend unattraktiv werde, kleinere Kredite an Existenzgründer und den unteren Mittelstand zu vergeben, weil
Aufwand und Ertrag in keinem vernünftigen Verhältnis
mehr zueinander stünden. Deshalb ist die Reaktion des
Bundeswirtschaftsministers richtig, wenn er sagt: Wir
wollen Kleinstkredite bis 25 000 Euro ohne Sicherheiten
und unbürokratisch vergeben. Dies ist praktische Politik
für den deutschen Mittelstand.
In der „Berliner Morgenpost“ von heute heißt es wörtlich:
Der Sparkassenverband hat die Pläne von Bundeswirtschaftsminister Werner Müller ... für Kleinstdarlehen an kleine und mittlere Firmen begrüßt. Angesichts der schwierigen Situation vieler kleiner
Unternehmen sei die schnelle und unbürokratische
Vergabe von Krediten von bis zu 25 000 Euro ein
richtiger Weg, erklärte der Präsident des Deutschen
Sparkassen- und Giroverbandes ...
Dies ist in der Tat der richtige Weg.
({2})
Lassen Sie mich dennoch auf die von Ihnen in diesem
Zusammenhang regelmäßig angesprochenen Themen
eingehen, wobei ich verstehe, dass sie dem Mittelstand
Sorgen machen. Stichwort: 630-Mark-Gesetz. Ich bin
nicht sicher - dieses Gefühl hatte ich in den Gesprächen,
die ich gerade in den letzten Wochen geführt habe -, ob
wir mit diesem Gesetz, was die Bürokratie angeht, alle
Möglichkeiten ausgeschöpft haben, es möglichst einfach
zu gestalten.
({3})
Diejenigen, die jetzt ihre Backen aufblasen, sollten
sich allerdings Folgendes gefallen lassen: Als wir 1998
die Regierung übernommen haben, gab es etwa 5,6 Millionen geringfügige Beschäftigungsverhältnisse. In den letzten zehn Jahren Ihrer Regierung hat sich diese Zahl insgesamt sogar verdoppelt. Gleichzeitig haben Sie in den
16 Jahren Ihrer Regierungszeit die Lohnnebenkosten von
34 auf 42,3 Prozent steigen lassen. Es kam also zu einer
Steigerung der Lohnnebenkosten und gleichzeitig haben
Sie einen immensen Druck auf die Sozialversicherungssysteme ausgeübt, indem Sie 630-Mark-Jobs in einem
Umfang von 5,6 Millionen zugelassen haben.
Eine Regierung, die diesem Treiben zugeschaut und
damit den Druck auf die Sozialversicherungssysteme
noch einmal erhöht hätte, hätte verantwortungslos gehandelt, und zwar nicht nur für die Beschäftigten, sondern
auch für den deutschen Mittelstand. Denn zu Recht wird
immer wieder gesagt, dass geringe Lohnnebenkosten ein
Standortvorteil seien. Nur diese Regierung hat es geschafft, die Lohnnebenkosten stabil zu halten. Nachdem
sie während Ihrer Regierungszeit um acht Prozentpunkte
gestiegen sind, sind sie in unserer Regierungszeit um einen Prozentpunkt gesunken. Meine Damen und Herren,
das ist eine gute Zahl.
({4})
Deshalb möchte ich noch ein Wort zu einem anderen
Thema, das auch immer eine Rolle spielt, sagen, nämlich
zum Betriebsverfassungsrecht. Auch hier verstehe ich,
dass gerade ein kleinerer Unternehmer im Mittelstand in
seinem Betrieb am liebsten allein entscheiden würde, was
wie geschieht. Das verstehe ich.
({5})
Ich sage aber auch: Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer
in Entscheidungen einzubinden, ihnen Mitverantwortung
zu geben
({6})
und damit auch ihre Identifikation mit dem Unternehmen
zu erreichen ist ein wirtschaftlicher Standortvorteil, den
Sie nicht vernachlässigen sollten und zu dem unser neues
Betriebsverfassungsgesetz entscheidend beiträgt.
({7})
Deshalb möchte ich zum Abschluss einen Satz an den
Mittelstand richten: Vertrauen Sie nicht unbedingt nur
denjenigen, die Ihnen jederzeit nach dem Mund reden,
sondern überlegen Sie auch, was für den Standort
Deutschland, für seine Solidität, für die Sozialversicherungssysteme und auch für die sozialen Standortvorteile
dieses Landes am besten ist. Dann werden Sie zu dem Ergebnis kommen, dass Sie mit dieser rot-grünen Bundesregierung nicht so schlecht gefahren sind.
Vielen Dank.
({8})
Das Wort
hat jetzt der Kollege Hansjürgen Doss von der
CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident!
Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Kollege Wend,
Sie sind der Pflichtverteidiger dieser Bundesregierung.
Ihre Rede war nicht ganz so giftig wie sonst, sondern eher
moderat.
({0})
Vielen Dank für diese Ihre Rede, die uns aber nicht weitergebracht hat, weil die Lage des Mittelstandes entgegen
dem, was Sie hier vorgetragen haben, doch relativ verzweifelt ist. Das merkt man, wenn man auf Veranstaltungen ist. Das liest man in den Zeitungen. Die Fakten und
Daten weisen dies nach. Auch die Anrufe, die wir bekommen, belegen das.
Deswegen sage ich: Die Mittelständler haben längst
gemerkt, dass sie für diese Regierungskoalition im Jahre
1998 nichts anderes waren als Stimmvieh. Die Umverteilungspolitik ist in der Zwischenzeit immer weiter betrieben worden, und zwar dreieinhalb Jahre lang und zu
Lasten der kleinen, fleißigen Unternehmen und der Mittelständler.
({1})
Das ist unser eigentlich zentrales Problem.
Der sozialdemokratische Regulierungswahn mit immer mehr Bürokratie und immer mehr Kosten sowie immer höheren Steuern und Abgaben hat zu dem Ergebnis
geführt, das wir heute sehen: Pleitenrekorde und Resignation.
({2})
Die Menschen sind im Grunde genommen verzweifelt.
Sie sehen keine Zukunft. Das ist das Ergebnis Ihrer Politik.
({3})
Lesen Sie im „Handelsblatt“ von heute nach - uns scheinen Sie ja nicht zu glauben -, dort steht geschrieben: Der
von Ihnen seit längerer Zeit beschworene Aufschwung
schwächelt schon wieder.
({4})
Schröders Aufschwung schwächelt bereits, bevor er überhaupt angefangen hat. Das sind doch Tatsachen, die Sie
nicht einfach verdrängen können. Sie können nicht so tun,
als sei gar nichts.
({5})
Erst war es die weltwirtschaftliche Entwicklung, die an
allem schuld war. Dann waren es die Auswirkungen der
Terroranschläge. Ich denke, in Kürze werden Sie den Eurokurs entdecken. All dies tun Sie nur, um von Ihrem eigenen Versagen in der Wirtschafts- und Mittelstandspolitik abzulenken.
Sie lesen offensichtlich nicht, was Ihnen der Mittelstand mit seinen Verbänden mitteilt. Unter anderem sage
ich Ihnen: Schauen Sie sich einmal dieses Schwarzbuch
an, das die ASU herausgegeben hat. Herr Wirtschaftsminister, das ist eine Ohrfeige für Sie. Es beinhaltet im
Grunde genommen die Bilanz einer parteipolitisch unverdächtigen Gruppierung von Unternehmen.
({6})
- Ihre fröhliche Unbekümmertheit bei ernsten Dingen ist
ja Ihr Markenzeichen.
({7})
- Wenn Sie die Lage des Mittelstandes wirklich so erheitert, ist das ein sehr guter Hinweis für Ihre Verfassung.
({8})
Die Bauwirtschaft steht am Abgrund. Im ersten Quartal 2002 gab es noch weniger Aufträge, es gab 8 Prozent
weniger Umsatz und 7 Prozent weniger Beschäftigte. Die
Bundesregierung tut nichts von Bedeutung für die Bauwirtschaft.
({9})
Im Gegenteil: Die Investitionsquote im Bundeshaushalt
befindet sich im Jahr 2002 auf einem Rekordtief von
10,1 Prozent, 1998 lag sie bei 12,5 Prozent.
Die Situation im Handel ist zum Verzweifeln. Die
Menschen haben schlichtweg das Vertrauen in die Zukunft verloren. Sie machen sich Sorgen um ihren Arbeitsplatz und deswegen werden auch Kaufentscheidungen
zurückgestellt. Wer Angst hat vor der Zukunft, investiert
nicht.
({10})
Das schlägt sich in den Einzelhandelsumsätzen nieder, ab
2001 real minus 0,7 Prozent. Was macht die Bundesregierung? - Sie hetzt die Menschen mit einem Antiteurogipfel auf. Hier werden ganz Branchen wegen einzelner schwarzer Schafe in Sippenhaft genommen.
({11})
- Vielen Dank für den berechtigten Applaus.
Im Handwerk ist die Stimmung so schlecht wie seit
zehn Jahren nicht mehr. Aufträge, Investitionen und Umsätze nehmen ab. Allein in diesem Jahr werden mindestens 60 000 Arbeitsplätze verloren gehen.
Vielleicht kommt jetzt wieder bei Ihnen die fröhlich
unbekümmerte Heiterkeit auf, wenn Sie von 60 000 Arbeitsplätzen weniger hören.
({12})
Jetzt rückt die Bundestagswahl näher und plötzlich entdeckt der Bundeskanzler mit seinen Mannen den Mittelstand. Er war das Stimmvieh beim letzten Mal und wird
jetzt wieder als Stimmvieh benötigt. Plötzlich soll eine
Mittelstandsbank geschaffen werden. Nicht neue Staatsbanken braucht der Mittelstand, sondern eine vernünftige
Wirtschafts- und Finanzpolitik.
({13})
Der Mittelstand braucht mehr Eigenkapital. Hier tut die
Bundesregierung alles, damit das vorhandene Eigenkapital aufgezehrt wird.
Jetzt hat die Bundesregierung vollmundig eine Mittelstandsoffensive angekündigt. Offensichtlich herrscht bei
ihnen eine Art rot-grüner Torschlusspanik. Die ganze rotgrüne Verzweiflung wird an der Absicht deutlich, Mikrokredite bis zu 25 000 Euro durch die Deutsche Ausgleichsbank ohne Sicherheiten zu vergeben. Herr Wend, Sie hatten
bereits darauf aufmerksam gemacht. Bei aller Notwendigkeit einer stetigen und ausreichenden Kreditversorgung des
Mittelstands: Mit einer solchen staatlichen Kreditvergabepolitik sind Pleiten nahezu vorprogrammiert.
Die CDU/CSU ist in der Lage, die Probleme anzupacken.
Wir haben das durch unser Regierungsprogramm deutlich
gemacht. Das ist das, was dem Mittelstand Hoffnung auf
verbesserte Rahmenbedingungen für seine Zukunft macht.
Kommen
Sie bitte zum Schluss.
({0})
Jetzt soll Wirtschaftsminister Müller aus seinem Schattendasein heraustreten.
({0})
Dazu aus der „FAZ“ von heute:
({1})
43 Prozent ziehen Lothar Späth als Wirtschaftsminister vor, nur 10 Prozent Müller. Der gegenwärtige
Wirtschaftsminister ist auch am Ende dieser Legislaturperiode noch 42 Prozent der Bevölkerung völlig
unbekannt.
Ich schlage deswegen ein Denkmal für unseren Wirtschaftsminister vor, das Denkmal für den unbekannten
Minister.
({2})
Als
nächste Rednerin hat die Parlamentarische Staatssekretärin Margareta Wolf das Wort.
Herr Kollege
Doss, Sie haben hier das Papier von der Arbeitsgemeinschaft Schwarzer Unternehmer liegen lassen.
Sehr geehrte Damen und Herren! Sehr geehrter Herr
Präsident! Herr Doss, es gibt die wunderschönen Worte
eines französischen Schriftstellers:
Das Falsche ... überrascht und verblüfft, aber das
Wahre überzeugt und herrscht.
Das gilt auch für das, was Sie uns heute erzählt haben.
Ich habe gestern einen Blick in Ihr Wahlprogramm geworfen - ich habe es schon ein paar Mal gelesen -, darin
ist kein einziges Wort zur Finanzierung zu lesen. Wir finden dazu auch kein einziges Wort über Basel II. Da Sie gerade wieder einmal die Legende von den Nettoeinkommen erzählt haben, möchte ich Ihnen zwei Zahlen nennen.
Vielleicht hören Sie dann endlich damit auf, hier ständig
Märchen zu erzählen. Die Nettoeinkommen waren im
Jahr 1998 preisbereinigt niedriger als im Jahr 1994. Das
sagt sehr viel über Ihre Regierungsfähigkeit aus. Sie waren nämlich um 920 Euro niedriger als im Jahr 1994. Wir
haben eine klare Umkehr erreicht. Von 1998 bis 2001 stiegen die Nettoreallöhne um 7,1 Prozent.
({0})
Das sind netto 534 Euro. Lassen wir doch einmal die Fakten sprechen!
Herr Doss, weil Sie immer über die Bürokratie reden,
möchte ich Ihnen sagen: Eine neue Studie der EU-Kommission weist aus, dass für Existenzgründer heute die
Gründung an einem Tag möglich ist; der Durchschnitt in
Europa liegt bei zwölf Tagen. Die Mindestkosten von
20 Euro sind gering; europäischer Durchschnitt: 90 Euro.
Die Anzahl der notwendigen Verfahren wird auf vier geschätzt; damit liegt Deutschland absolut im Benchmark.
({1})
Wir liegen bei den Förderprogrammen - so die OECD auf Platz 1, wenngleich wir alle wissen, dass Finanzierung
heute das Hauptproblem der kleinen und mittleren Unternehmen ist. Deshalb steht Finanzierung für uns ganz oben
auf der Agenda.
Herr Kollege Rauen, Sie verlassen bald dieses Parlament. Ich fände es wirklich schön, wenn Sie bei der letzten Rede, bei der ich Ihnen noch antworten kann,
({2})
zumindest zuhören würden. Vor zwei Wochen haben wir
hier über Bürokratieabbau diskutiert. Da haben Sie noch
behauptet, das Hauptproblem, das wir in diesem Land hätten, seien das Steuerrecht, das Arbeitsrecht, das Sozialrecht und das Umweltrecht. Sie haben vielleicht bei den
gerade vorgetragenen Zahlen - für eine Gründung braucht
man in Deutschland einen Tag - gesehen, dass das nicht
das Problem ist.
({3})
Unser Problem ist die Finanzierung. Durch Probleme
bei der Finanzierung droht tatsächlich das junge Pflänzchen einer neuen Unternehmenskultur, das sich in diesem
Land entwickelt hat, langsam, aber sicher zu verdorren.
Weil das so ist, hat der Bundeswirtschaftsminister bereits
im Jahr 1999 eine Arbeitsgruppe „Finanzierung“ eingerichtet. In ihr sind die Verbände vertreten - nicht Ihre
ASU, sondern der ZDH, der DIHK, der BDH, der BDI
und alle Bankenverbände. Mit ihnen gemeinsam haben
wir eine Erklärung unterzeichnet. Ich diskutiere mit ihnen
seit 2000 über Beteiligungskapital, über Basel II, über
VC-Fonds.
({4})
- Venture-Capital-Fonds heißt das. - Wir sind auf einem
relativ guten Wege.
Aufgrund einer Studie der KfW aus diesem Monat, die
sie in Zusammenarbeit mit den angesprochenen Verbänden der Kreditwirtschaft gemacht hat - 7 000 Unternehmen hat sie als Grundlage für diese Studie befragt -, wissen wir, dass es vor allen Dingen für kleine und mittlere
Unternehmen in den letzten Monaten immer schwieriger
geworden ist, Kredite zu erhalten. Die Hauptgründe für
die Ablehnung von Krediten waren neben der Eigenkapitalquote die unzureichenden Sicherheiten und natürlich
auch die Geschäftspolitik der Banken.
Meine Damen und Herren, es kann doch wohl auch
nicht sein, dass alle in der Vergangenheit entstandenen
Strukturprobleme sich innerhalb kurzer Zeit in nichts auflösen. Ich hätte es schön gefunden, wenn Sie dazu einmal
etwas gesagt hätten.
({5})
Da können wir so viel machen, wie wir wollen: In nichts
lösen sie sich nicht auf. Die Steuerreform hat die Unternehmen entlastet. Erstmals sind sie tatsächlich in der
Lage, Rücklagen zu bilden.
Die Rolle, die das Beteiligungskapital spielt, ist in der
Vergangenheit nicht ernst genug genommen worden. Selbige KfW-Studie weist nach, dass weniger als 15 Prozent
der kleinen und mittleren Unternehmen Beteiligungskapital für wichtig und notwendig hielten. Dieser Anteil hat
sich in den letzten dreieinhalb Jahren verdoppelt. Ich
glaube, dass dieser Punkt perspektivisch einen Paradigmenwechsel in der Unternehmensfinanzierung und in der
Unternehmenskultur in Deutschland darstellt. Diese werden wir weiter verstärken. Somit werden wir die Finanzierungsspielräume beim Fremdkapital wieder verbreitern.
Im Hinblick auf die fehlenden Sicherheiten haben wir
in den letzten Jahren mit Haftungsfreistellungsvermerken, Garantien und Bürgschaften gearbeitet. Gerade das
von Rainer Wend angesprochene Beispiel der Ausgestaltung der Mikrodarlehen zeigt doch, dass die Adjektive der
Mittelstandsfinanzierung zukünftig „schnell“ und „unbürokratisch“ heißen müssen und nicht „unkonkret“, verehrter Herr Kollege Doss.
({6})
Nur so kann dem Mittelstand wirklich perspektivisch geholfen werden.
Wie Sie sich denken können, rufen auch mich Leute
an. Ich sage auf jeder Veranstaltung meine Büronummer.
Wir haben im Büro am Tag 20, 30 Anrufe von Unternehmern, die sagen: Meine Privatbank, meine Sparkasse
- das nimmt sich inzwischen nicht mehr viel - gibt mir
keinen Kredit. Wissen Sie, womit ich mich seit Monaten
beschäftige? - Ich fahre zu Bankangestellten und entwickle Business-Pläne für KMUler weiter. Damit beschäftige ich mich. Dies ist das zentrale Problem und an
der Lösung desselben sollten wir alle Interesse haben.
Hier helfen weder Populismus noch irgendwelche irrealen Forderungen weiter, die wir hier allenthalben präsentiert kriegen.
Heute stand in der „Financial Times Deutschland“ ein
- wie ich fand - sehr spannender Artikel. Er beginnt - ich
möchte einige Sätze zitieren - mit:
Die zurückhaltende Kreditpolitik vieler Banken
bremst nach Ansicht von Ökonomen den Aufschwung in Deutschland. ... Nach Berechnung von
Thomas Mayer, Euro-Chefvolkswirt der Investmentbank Goldman Sachs,
({7})
ist das reale Kreditwachstum zuletzt auf den tiefsten
Stand seit ... Anfang der 80er-Jahre gesunken. „Das
passt eigentlich nicht zur aktuellen Lage. Es spricht
einiges dafür, dass wir strukturelle Veränderungen
auf Seiten der Kreditgeber erleben“, so Mayer.
Dies ist auch meine Wahrnehmung.
In Ihrer Fraktion - so höre ich immer - gibt es Lobbyisten für die privaten Banken in Deutschland. Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie uns darin unterstützen würden,
dass der Attentismus, den wir seit Jahren bei den Privatbanken beobachten, endlich aufhört und diese Verantwortung für unseren Mittelstand übernehmen.
({8})
Was erzählen Ihnen denn die Unternehmer, womit begründet wird, dass sie keine Kredite mehr bekommen respektive die Förderanträge nicht durchgeleitet werden? Sie begründen es mit Basel II. Ich möchte Ihnen eines
sagen: Ich plädiere sehr dafür, dass wir die Debatte um
Basel II hier in diesem Hause, Sie diese dann aber auch
mit dem Mittelstand endlich rational führen, weil Basel II,
nachdem wir dort vieles durchgesetzt haben, eine Stärkung des Mittelstandes bedeuten könnte.
({9})
- Sie müssen dies auch einmal zur Kenntnis nehmen. Die
Schimären, die hier immer aufgebaut werden und jeglicher Grundlage entbehren, bringen uns überhaupt nicht
weiter.
({10})
- Den Antrag haben wir alle unterstützt. Ich habe ihn auch
mitformuliert, verehrter Herr Kollege.
Wir haben in Basel ein Retail-Portfolio bis zu Krediten
von 1 Million Euro durchgesetzt.
({11})
- Herr Schauerte, wir haben ihn alle zusammen erarbeitet.
Er war die Grundlage für unsere Verhandlungen in Basel.
({12})
Wir haben uns in ganz wesentlichen Punkten durchgesetzt. Das heißt, dass die Kredite, die die kleinen und mittleren Unternehmen bekommen, in Zukunft zu 95 Prozent
überhaupt nicht unter das Rating von Basel II fallen. Dies
sollte man erst einmal zur Kenntnis nehmen.
({13})
Ich finde gleichzeitig aber auch, dass unser Mittelstand professioneller werden muss. Aber auch die Banken müssen eine transparentere Geschäftspolitik machen. Dies werden wir aber nur erreichen, indem wir die
Beziehung zwischen dem Bankangestellten und dem
Unternehmer - Herr Schauerte, dies ist kein lustiges
Thema - wieder aufbauen, und nicht, indem wir durchs
Land reisen und irgendwelche Märchen erzählen, die
überhaupt nicht stimmen, dem Mittelstand nicht weiterhelfen und im Übrigen auch der Kreditvergabe in
Deutschland keinen Schub geben. Insofern sollten wir
wahrnehmen, dass wir bei dem Thema Finanzierung alle
in einem Boot sitzen.
({14})
Dieses Thema eignet sich überhaupt nicht für einen parteipolitischen Schlagabtausch.
Danke schön.
({15})
Das Wort
hat jetzt der Kollege Rainer Brüderle von der FDP-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es stinkt irgendwie zum Himmel: Drei
Monate vor der Bundestagswahl werden von der HartzKommission Vorschläge gemacht, wie man am Arbeitsmarkt etwas verändern könnte. Monopolminister Müller
kommt nach vier Jahren erfolgloser Tätigkeit für den Mittelstand plötzlich mit einem Mittelstandsprogrämmchen.
Zufall - wer nichts Arges dabei denkt.
Natürlich gibt es bezüglich des Arbeitsmarktes eine
Strategie: Man geht davon aus, dass man dann, wenn man
am 16. August einen Kommissionsbericht vorlegt, nichts
mehr zu machen braucht.
Ich biete Ihnen ausdrücklich an - die FDP-Fraktion ist
jederzeit zu Sondersitzungen des Bundestages bereit -,
({0})
dass wir sofort die Empfehlungen der Hartz-Kommission
umsetzen.
({1})
Es fehlt zwar noch einiges, so etwa im Tarifvertragsrecht,
({2})
aber machen Sie es endlich! Ihr Verhalten ist oberfaul. Sie
tun vier Jahre lang nichts anderes, als den Arbeitsmarkt zu
verregeln und zu verriestern. Kurz vor der Bundestagswahl kommen Sie dann mit Gutachtenvorschlägen - zufällig von dem VW-Personalchef -, finden diese ganz toll,
sagen: Wir müssen darüber reden, es muss vertieft werden
wegen sozialer Gerechtigkeit. Nach der Bundestagswahl
ist die Wundertüte zu. Nichts ändert sich. Das ist typisch
für Ihre Politik.
Hier machen Sie es genauso. Sie haben den Mittelstand
vier Jahre lang drangsaliert. Herr Müller fühlt sich bei
Post, Telekom, Eon und Holzmann zu Hause, der Mittelstand ist für ihn ein Fremdwort. Mir hingegen wirft er vor,
ich sollte mich um den Weinbau kümmern. Sie sollten
sich einmal um den Weinbau kümmern. Er ist nämlich
mittelständisch strukturiert.
({3})
Sie würden dann nämlich mit den wahren Problemen des
deutschen Mittelstandes in Berührung kommen. Sie dürfen nicht nur im Sinne von Konzernen denken. Ihr wirtschaftspolitisches Monopoly ist eben der falsche Weg.
Die Konsequenz ist, dass sich am Arbeitsmarkt nichts tut.
({4})
- Sie als Metallfunktionär können ruhig schreien.
Sie haben jetzt eine neue Wunderwaffe entdeckt. Sie
bieten jetzt das Mikrodarlehen bis zu 25 000 Euro an. Das
ist eine tolle Sache. Damit die Banken mitmachen, gewähren Sie 80 Prozent Haftungsfreistellung. Das heißt,
das Haftungsrisiko bei der Bank beträgt als Obergrenze
5 000 Euro. Die Banken werden sich alle um diese Darlehen reißen. Herr Müller, das wird ein großer Hit. Zudem
erhalten die Banken dafür eine zusätzliche Prämie. Wenn
sie 1 Prozent bekommen - in der Regel ist bei den Banken die Marge bei der Vermittlung von Bundes- oder Landesdarlehen niedriger -, haben sie im Jahr einen Anreiz
von 50 Euro als Prämie. Die Banken in Deutschland werden die Arbeiten in den anderen Kreditbereichen sofort
einstellen und alles tun, um Müllers Wunderdarlehen für
50 Euro im Jahr zu vermitteln. Das ist eine wahre Heldentat.
({5})
Das passt zu der Monopolystrategie von Grün-Rot.
Aber der deutsche Mittelstand lässt sich nicht auf den Arm
nehmen. Es nützt nichts, drei Monate vor der Wahl ein Pipifaxprogramm aufzulegen. Das ist Augenwischerei. Sie
haben den Mittelstand vier Jahre lang drangsaliert. Der
Mittelstand will kein Pseudodarlehen mit einem Anreiz
von 50 Euro für die Banken. Er will vielmehr faire Rahmenbedingungen. Sie haben den Mittelstand bei der Steuerpolitik nicht anständig und fair behandelt. Was Sie gemacht haben, war eine Steuerpolitik primär für die
Großkonzerne, was für den Mittelstand eine Behinderung
bedeutet.
Wenn die Deutsche Bank ihre Anteile veräußert, dann
ist das steuerfrei. Wenn das ein Mittelständler macht, dann
ist das etwas anderes. Wir brauchen eine Reform der Reform, um dem Mittelstand aus der Misere zu helfen.
({6})
- Uns das zum Vorwurf zu machen, ist wirklich eine
schändliche Vorgehensweise. Herr Staffelt, statt die
Klappe so weit aufzureißen, sollten Sie sich schämen. Damit helfen Sie dem Mittelstand überhaupt nicht.
({7})
Kurz vor der Bundestagswahl wollen Sie die Bürokratie abbauen. Wir haben konkret vorgeschlagen, die Umsatzsteuervoranmeldung um 12 Millionen Formulare zu
reduzieren ohne eine Mark Mindereinnahme für den
Staat. Es soll - das ist international üblich - nicht monatlich, sondern vierteljährlich eine Umsatzsteuererklärung
gemacht werden.
Daraufhin hat Frau Scheel von den Grünen erklärt: Das
kann man nicht machen. Wenn die Umsatzsteuererklärung vierteljährlich gemacht wird, können die Mittelständler in der Zwischenzeit schummeln. - Ich weiß nicht,
welchen Umgang Frau Scheel hat. Für den Fall müssten
die Grünen eigentlich die tägliche Umsatzsteuererklärung
einführen, weil auch in vier Wochen geschummelt werden
kann. Das, was Sie vorführen, ist absurdes Theater.
({8})
Sie können bei Ihren Aktuellen Stündchen noch nicht
einmal die Reihenfolge der Redner aufstellen. Die Frage
war, ob Herr Müller die Aktuelle Stunde eröffnen soll
oder nicht. Sie werfen lauter Nebelkerzen. Sie können
sich nicht vorbeimogeln. Sie haben vier Jahre lang versagt. Der Arbeitsmarkt und das Wachstum zeigen das
eindeutig. Die Bilanz im Mittelstand ist klar negativ.
Dafür kommen Sie mit diesem Witzprogramm. Herr
Müller, schämen Sie sich nicht, den deutschen Mittelstand mit einem solchen Pseudoprogramm abspeisen zu
wollen?
Was Sie machen müssten, sind faire Rahmenbedingungen, Entbürokratisierung, die Sicherung der sozialen Sicherungssysteme, damit das Ganze berechenbar ist und
sich die Betroffenen darauf einstellen können. Alles andere ist Augenwischerei. Sie geben dem Mittelstand keine
faire Chance. Deshalb kommen Sie auf dem Arbeitsmarkt
nicht voran. Er bleibt Ihre einzige Hoffnung.
({9})
- Herr Geschäftsführer, Sie haben eine tolle Reihenfolge
der Redner aufgestellt. So schlecht, wie Sie die Reihenfolge aufstellen, so blamabel ist auch Ihr Verfahren.
Sie können es einfach nicht. Opfer ist der Mittelstand.
Es zeigt sich: Die Arbeitslosen in Deutschland haben
keine Gewerkschaft. Es wird Insiderpolitik betrieben.
Aber wir werden Ihnen das nicht durchgehen lassen. Wir
werden das im Wahlkampf allen sagen. Ihre Politik ist gegen den Mittelstand und gegen die Arbeitslosen gerichtet.
Es hilft nichts, mit Nebelkerzen zu werfen, nachdem man
vier Jahre lang in der Politik versagt hat.
({10})
Das Wort
hat jetzt der Kollege Rolf Kutzmutz von der PDS-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Bundeswirtschaftsminister hat
bei der Vorstellung seiner mittelstandspolitischen Ziele
für die nächste Wahlperiode ausgeführt:
Meine Vorstellungen kommen früh und konkret und
nicht spät
- „spät“ übrigens ohne h und schwammig.
Was den Begriff „früh“ angeht, ist das allerdings nach vier
Amtsjahren so eine Sache. So hat sich Minister Müller am
Montag zu den geräuschvollen und aus seiner Sicht unsinnigen Debatten mit den Koalitionsfraktionen geäußert;
wobei ich für die PDS zumindest hinsichtlich der Energiepolitik feststellen möchte: Wir sind froh, dass die Koalitionsfraktionen gelegentlich für Geräusche sorgten und
Sand in das Getriebe des ministerialen Treibens gossen;
sonst wäre dort noch weniger Mittelstandsfreundliches
herausgekommen, als wir auch so schon konstatieren
müssen. Aber man soll schließlich bei niemandem, auch
bei Minister Müller nicht, die Hoffnung auf Besserung
aufgeben.
Wenn allerdings, Herr Kollege Brüderle, der Europaverband der Selbstständigen - um einen weiteren Interessenverband zu zitieren - heute schreibt, dass er schon seit
Jahrzehnten fordert, den Unternehmen bis zu zehn
Beschäftigten größere Aufmerksamkeit zu schenken,
zeigt das auch, dass dies bei früheren Wirtschaftsministern nicht der Fall gewesen ist.
({0})
Gespannt bin ich auf das Verwaltungsdatengesetz, das
zum Abbau der Bürokratie beitragen soll. Auch die Generationswechselprämie verdient aus meiner Sicht Beachtung. Das ist zweifellos ein interessantes Modell zur Darstellung von Eigenkapital. Denn so haben beide Seiten,
sowohl der Jung- als auch der Seniorunternehmer, noch
fünf Jahre lang ein gemeinsames Interesse am Florieren
des Betriebes.
Natürlich wird das Ganze schwierig - ich meine sogar,
fast unmöglich -, wenn der Weg zum dazu versprochenen
Darlehen der Deutschen Ausgleichsbank über eine Hausbank führen muss. Das wäre die beste Gewähr dafür, dass
sich auch dieser gute Ansatz als Totgeburt erweist. Dieses
Schicksal droht, so fürchte ich, dem seit Wochenbeginn
überall zitierten Mikrodarlehen. Den Wirbel darum kann
ich beim besten Willen nicht verstehen. Betrachtet man
nämlich das Konzept im Detail, so ist es faktisch nichts
anderes als das seit Jahren praktizierte Startgeld der Deutschen Ausgleichsbank, nur dass es nicht mehr auf Existenzgründungen beschränkt ist, sondern auf alle Kleinund Kleinstbetriebe in den ersten drei Jahren ihrer Existenz ausgedehnt werden soll.
Dieser Fortschritt läuft aber ins Leere. Was nützt dem
Interessenten das eine unbürokratische Antragsformular,
wenn er keine Hausbank findet, die es für ihn bei der Ausgleichsbank einreicht? Denn den versprochenen Verzicht
auf Sicherheiten gibt es nicht, solange die Hausbank nur
zu 80 Prozent von der Haftung freigestellt ist. Sie sucht
dann immer noch für die übrigen 20 Prozent nach Sicherheiten. Ich behaupte, dass die Blockadewand damit genauso hoch sein wird wie zum gegenwärtigen Zeitpunkt,
weil es für einen Banker letztlich derselbe Aufwand ist,
ob er für den Förderkredit in Höhe von 5 000 Euro oder
für ein Darlehen des eigenen Hauses in Höhe von
50 000 Euro im Unternehmen nach Pfändbarem fahnden
muss. Da bleibt im Zweifel die Tür zu, so wie wir es schon
seit Monaten beim erwähnten Startgeld erleben.
Zu dem Aprilscherz des SPD-Vorsitzenden zur Gründung einer Mittelstandsbank will ich mich heute nicht
äußern.
Wenn die bestehende Förderbank eigene, direkte Vertriebskanäle nutzen würde, wäre das schon eher hilfreich.
Man braucht keine neuen Filialen aufzubauen, sondern
kann die der Industriekreditbank, der jüngsten KfWTochter, nutzen. Die Prüfung der eingereichten Unternehmenskonzepte könnte gewiss locker aus den erhöhten
Margen bezahlt werden, die der Bund heute vergeblich
den Banken hinterherzutragen versucht. Die interessieren
sich für Unternehmensfinanzierungen frühestens dann
wieder, wenn sie echte öffentliche Konkurrenz bekommen haben. Denn bekanntlich belebt nur die Konkurrenz
und nicht irgendein Informationsforum Basel II das Geschäft. Die Wurzel des Problems liegt in der handfesten
Verweigerung der Banken.
Ähnlich kurzsichtig reagiert der Minister aus meiner
Sicht auf das zweite dramatische Problem neben der
Unternehmensfinanzierung. Ich meine die miserable Zahlungsmoral, über die wir heute nicht zum ersten Mal sprechen. Es ist ein Unding, wenn sie auf die Zahlungssäumigkeit der Kommunen reduziert wird, wie es am Montag
geschehen ist. Diese Frage kann nicht auf die öffentliche
Hand reduziert werden.
Vergangenen Freitag hat der Bundesrat eine Gesetzesinitiative zur Forderungssicherung beschlossen. Sie ist
zwar auch noch nicht der Weisheit letzter Schluss, dürfte
aber über das - seinem Titel hohnsprechende - Zahlungsbeschleunigungsgesetz hinausführen, das es dank RotGrün zurzeit gibt.
Wenn man schon über die Kommunen nachdenkt, dann
besteht die Lösung des Problems nicht in Beschwerdestellen in Berlin, sondern in einer besseren kommunalen
Finanzausstattung vor Ort. Echte Mittelstandspolitik
wäre, sich in dieser Frage mit dem Finanzminister anzulegen.
Sehr geehrter Herr Präsident, meine Damen und Herren, ich gehöre diesem Haus jetzt fast acht Jahre an und
bin seit zwölf Jahren Bürger dieser Republik. Minister
Müller ist das Beste an Wirtschaftsminister, was mir in
dieser Zeit begegnet ist.
({1})
Das heißt aber noch lange nicht, dass er schon ein guter
ist.
Danke schön.
({2})
Das Wort
hat jetzt Bundesminister Werner Müller.
({0})
Dr. Werner Müller, Bundesminister für Wirtschaft
und Technologie ({1}): Herr Präsident! Meine
Damen und Herren! Gestatten Sie mir, zunächst einmal
darauf hinzuweisen, dass wir durchaus Mittelstandspolitik mit Erfolg gemacht haben.
({2})
Ich könnte Ihnen viele einzelne Dinge nennen. Ich könnte
darauf hinweisen, dass wir 150 000 Arbeitsplätze in der
mittelständischen Wirtschaft dadurch neu geschaffen haben, dass wir die regenerativen Energien fördern.
({3})
Ich könnte darauf hinweisen, dass wir das Meister-BAföG
völlig neu belebt haben, sodass es sich wieder lohnt,
Meister zu werden.
({4})
Ich könnte darauf hinweisen, dass wir ein gutes Dutzend
überbetrieblicher Ausbildungsstätten neu errichtet haben.
Ich könnte darauf hinweisen, dass wir 24 Kompetenzzentren für elektronischen Geschäftsverkehr für den Mittelstand gebildet haben. Ich könnte darauf hinweisen, dass
wir 40 Existenzgründerlehrstühle an den Hochschulen
neu etabliert haben. Ich könnte darauf hinweisen, dass wir
mittels meiner Förderung etliche Tausend neuer Betriebsgründungen im Hochtechnologiebereich in Ostdeutschland zuwege gebracht haben.
Ich könnte jetzt eine ganze Zeit lang weiter aus dem Ihnen im März vorgelegten Bericht zitieren, den Sie geflissentlich nicht zur Kenntnis nehmen wollen.
({5})
Nur, was uns insgesamt beschäftigt, ist doch, nüchtern betrachtet, nicht die Frage: Sind die Rahmendaten für den
Mittelstand heute schlechter oder besser als Ende 1998?
Ich habe noch in keiner einzigen Veranstaltung einen Mittelständler erlebt, der gesagt hat: Gebt mir die Rahmendaten von Ende 1998 wieder!
({6})
Allein die Tatsache, dass Sie die für den Mittelstand so
wichtigen Steuersätze unverändert gelassen haben - 53 Prozent in der Spitze - und den Eingangssteuersatz in den
90er-Jahren sogar noch laufend erhöht haben, spottet
doch jeder Beschreibung dessen, was man Mittelstandspolitik nennt.
({7})
Die Problematik, vor der der Mittelstand heute steht,
hat nicht diese Bundesregierung und auch nicht die Opposition geschaffen. Das Problem besteht tatsächlich
darin, dass die Finanzierung des Mittelstandes nicht mehr
eine Aufgabe des privaten Bankensektors zu sein scheint.
Jedenfalls drückt dem Mittelstand dort der Schuh am allermeisten.
Nun leben wir in einer Marktwirtschaft. Wir können
also nicht so ohne weiteres die Banken zwingen, Kredite
an den Mittelstand zu geben.
({8})
Auf der anderen Seite können wir aber auch nicht die Augen vor dem Problem verschließen, das sich in den letzten zwölf Monaten in dramatischer Weise aufgebaut hat.
Zunächst einmal will ich der Klarheit halber etwas zu
dem Mikrokredit sagen, den ich vorgeschlagen habe. Das
ist weniger ein Kredit, um - wie soll ich sagen? - den Mittelstand am Leben zu erhalten; das ist vor allem ein Gründerkleinkredit. Wir brauchen Gründungen. Gründungen im
Dienstleistungssektor erfordern nun einmal nicht viel Kapital. Da hat jemand eine Idee. Er braucht dann ein Büro,
einen PC und vor allem muss er Werbung machen. Dafür
braucht er nicht viel Geld, aber er braucht doch einen Kredit. Solche Kredite werden heute in aller Regel nicht mehr
gegeben, weil man eine Idee schlecht beleihen kann.
Der Lösung dieses Problems haben wir uns angenommen. Vor diesem Hintergrund gibt es für solche Gründungen nun bis zu 25 000 Euro Kredit - und das relativ formlos. Damit das Ganze besser funktioniert als bisherige
Gründerkredite, ist das ausgestattet mit einer hohen Haftungsfreistellung und mit einer insgesamt attraktiven
Marge. Wir sind mit dem Sparkassen- und Giroverband
im Gespräch über die Zusage, dass das auch aktiv vertrieben wird.
Ein ganz anderes Problem, das wir seit den letzten
zwei, drei Jahren zunehmend sehen, ist, dass die Unternehmensübergabe aus Altersgründen nicht mehr so funktioniert, wie wir das brauchen, damit wir die Arbeitsplätze
nicht verlieren. Deswegen wollen wir in einem begrenzten
Wirtschaftsraum, nämlich in Ostdeutschland, wo heute
schon Betriebe aus Altersgründen übergeben werden müssen - wiewohl diese Betriebe in aller Regel maximal erst
an die zwölf Jahre existieren -, einen Versuch machen.
Wir sagen: Solange der Alteigentümer 20 000 Euro im Betrieb belässt, legt der Staat 20 000 Euro hinzu. Dann hat
der Betrieb 40 000 Euro Eigenkapital und kann sich bei
der DtA bis zu 120 000 Euro Kredit beschaffen. Das ist
etwa die Summe, die notwendig ist, um die Betriebsübergabe abzusichern. Ferner hat das den Vorteil, dass der Alteigentümer auch noch mit Rat und Tat zur Seite steht.
Ein anderes Thema ist die Bürokratiebelastung. Wir
haben das übernommen. Ich will zugeben, man hätte sich
dieses Themas vielleicht etwas früher und umfänglicher
annehmen müssen. Es ist aber nicht einzusehen, dass man
die deutschen Unternehmen unverändert mit 230 statistischen Meldepflichten belastet.
({9})
Deswegen habe ich mir ein einfaches Ziel gesetzt: Wir
werden die Statistikbelastung der deutschen Wirtschaft
schlicht halbieren. Das wird möglich durch Überprüfung
der Meldepflicht, durch Streckung der Erhebungszeiträume
({10})
und insbesondere auch durch den Übergang auf mehr
Stichprobenerhebungen.
Es ist hochinteressant, dass die Vorarbeiten zu diesem
Thema bei den Ländern, aber vor allem bei den Wirtschaftsverbänden auf Kritik stoßen. Dazu will ich deutlich
sagen: Die Kritik der Wirtschaftsverbände wird mich
nicht beeindrucken. Wir erheben Statistiken oft auf gesetzlicher Basis, aber nicht einzig und allein, um irgendwelche Wirtschaftsverbände zu befriedigen. Wenn die
Verbände irgendwelche Statistiken brauchen, können sie
sie auch selber erheben.
Weiterhin wollen und müssen wir konkrete Hilfe bei
Finanzierungsfragen geben. Mein Haus bekommt heute
schon jeden Tag zwischen 10 und 20 Briefe
({11})
mit der Bitte, bei Finanzierungsfragen irgendwie zu vermitteln. Wir werden diese Finanzierungshilfen künftig in
Zusammenarbeit mit dem Sparkassen- und Giroverband
und den Genossenschaften systematisch aufbauen. In relativ kurzer Zeit werden wir überall dort, wo Vermittlungsprobleme bei Krediten bestehen, anbieten, vermittelnd tätig zu werden und in aller Regel sind wir dann auch
erfolgreich bei der Vermittlung. Es kann nicht sein, dass
wir den Mittelstand in diesem Punkt im Regen stehen lassen. Das verstehe ich - um es deutlich zu sagen - unter
konkreter Mittelstandspolitik.
Ich kann Ihnen einiges durchaus zugestehen. Ich habe
beispielsweise Texte zum Mittelstand in den Wahlprogrammen von FDP und CDU gelesen. Ich kann mit allen
Überschriften übereinstimmen darin steht überhaupt
nichts Falsches. Nur finde ich in Ihren Programmen keinen einzigen Satz dazu, wie das realisiert werden soll.
({12})
Der große Unterschied, Herr Doss, ist ja wohl der: Sie sagen, ich sei nicht furchtbar bekannt. Mich persönlich stört
das nicht so furchtbar. Mir ist wichtig, dass ich im Büro
am Schreibtisch sitze und arbeite. Ich muss nicht jeden
Tag ins Fernsehen rennen und Überschriften verkünden.
({13})
Ich arbeite konkret daran, dass die Situation des Mittelstandes von Tag zu Tag irgendwo immer ein Stückchen
besser wird.
({14})
Das ist das, was mir am Herzen liegt.
Herr Brüderle, eines muss ich zurückweisen. Sie haben
am Anfang gesagt, wir machten immer wieder Programme und nach der Wahl würde sich nichts ändern. Das
ist falsch; denn Sie kommen ja nicht dran, sondern wir
werden nach der Wahl das umsetzen, was wir vor der
Wahl konkret sagen.
({15})
Wenn ich Ihre Überschriften betrachte, kann ich in der
Tat die Vermutung äußern: Außer Luft ist sonst nichts.
({16})
Herr Brüderle, wir treten ganz ruhig und nicht aufgeregt,
eben mit Sachprogrammen an und werden ganz am
Schluss sehen, was der Bürger will: irgendwelche schönen Überschriften oder ganz konkrete Mittelstandspolitik.
({17})
Das Wort
hat jetzt der Kollege Peter Rauen von der CDU/CSUFraktion.
Herr Präsident! Meine
sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Herr Müller,
Sie haben eben Ihre erfolgreiche Mittelstandspolitik gepriesen. Die Wirklichkeit ist: Wir haben in Deutschland
ein Mittelstandssterben, wie es dies seit dem Zweiten
Weltkrieg nicht mehr gegeben hat.
({0})
Im letzten Jahr haben 33 000 mittelständische Unternehmen Konkurs angemeldet; für dieses Jahr erwarten
wir den Konkurs von 40 000. Wohin auch immer ich als
Bundesvorsitzender der Mittelstandsvereinigung komme, ob nach Hamburg oder nach München, ob nach Trier
oder nach Leipzig, überall muss ich mich der grauenBundesminister Dr. Werner Müller
haften Erkenntnis stellen, dass zurzeit viele mittelständische Unternehmen Insolvenz anmelden müssen. Daher muss man sich schon fragen: Was ist da eigentlich
falsch gelaufen?
Herr Müller, es ist gut, dass Sie mittlerweile, 88 Tage
vor der Wahl, die Mittelstandspolitik entdeckt haben. Ich
frage mich nur, wo Sie selbst als Minister der rot-grünen
Bundesregierung die letzten fast vier Jahre gewesen sind.
({1})
In Ihrer Presseerklärung von gestern haben Sie angekündigt, Bürokratie abzubauen, zum Beispiel durch
die Verringerung der Zahl der Meldepflichten. Außerdem haben Sie eingeräumt, dass die Neuregelung der
630-Mark-Jobs Probleme aufgeworfen hat. Herr
Müller, warum haben Sie in diesem Bereich nichts gemacht? Wir werden die alte Regelung, jetzt auf der Basis von 400 Euro, ohne Wenn und Aber wieder einführen. Auf dieses Geld sind 20 Prozent Lohnsteuer zu
zahlen und Feierabend! Für den fleißigen Arbeitnehmer, der einen Nebenjob ausübt, ist brutto dann wieder
gleich netto.
({2})
Herr Müller, mir fällt auf, dass ich mit dem, was Sie an
Grundsätzlichem sagen, immer sehr einverstanden sein
kann. Das irritiert mich ein bisschen. In Ihnen sehe ich
dann immer jemanden, der von Unternehmen Ahnung hat.
Ich frage mich allerdings ständig: Wo bleiben Sie eigentlich, wenn es ans Eingemachte geht? Im Wirtschaftsbericht 1999 Ihres Hauses hieß es: Wenn wir die Zukunft gewinnen wollen, dann müssen wir die Staatsquote auf
40 Prozent reduzieren. Das fand ich großartig. Sie haben
damals festgestellt, dass das mit Sozialabbau nichts zu tun
hat. Sie haben damit völlig Recht. Wo waren Sie, ein
Minister dieser Regierung und damit jemand, der in diesem Land Verantwortung trägt, als Ihr Kabinettschef auf
dem Bundesparteitag der SPD unser Ziel, die Staatsquote
auf 40 Prozent zu senken, mit Verarmung des Staates und
mit sozialem Kahlschlag gleichgesetzt hat? Wo waren Sie,
Herr Müller? Bei Ihnen klaffen Worte und Taten meilenweit auseinander.
Ich habe noch in guter Erinnerung, was Sie damals zum
Betriebsverfassungsgesetz geschrieben haben. Wenn ich
mir anschaue, was nachher herauskam, dann muss ich
feststellen: Müller fand im Ergebnis nicht statt. Ich finde
es sehr schade, dass ein Mann wie Sie in keiner Weise in
der Lage ist, sich durchzusetzen, obwohl er es eigentlich
könnte.
Das, was Sie nun im Zusammenhang mit einem Mikrodarlehen planen, ist doch alles nur heiße Luft. Es ist
fast eine Beleidigung des Mittelstands, so etwas 88 Tage
vor der Wahl anzubieten.
({3})
Herr Müller, der Mittelstand ist ausgeblutet.
Frau Wolf hat zu Recht gesagt: Das Problem ist die Eigenkapitalsituation im Mittelstand. Auch ich beobachte,
dass sich die Geschäftsbanken aus der Finanzierung des
Mittelstandes verabschiedet haben. Viele Unternehmer,
die vor Jahren noch froh waren, Partner einer Geschäftsbank zu sein, freuen sich, wenn sie bei den öffentlichrechtlichen Banken oder bei Genossenschaftsbanken unterkommen.
Ich nehme zum Beispiel eine Analyse des Mittelstands
sehr ernst, die der Sparkassen- und Giroverband erstellt
hat. Auf der Basis von 150 000 Bilanzen und von Daten
aller 530 Sparkassen wird deutlich, dass in den letzten
zwei Jahren 40 Prozent der mittelständischen Unternehmer keine Gewinne erzielt haben. Ein weiteres Ergebnis
dieser Analyse ist, dass 37 Prozent dieser Unternehmer
kein Eigenkapital mehr haben; sie haben vielmehr „Kapital auf der falschen Seite“.
Frau Wolf, angesichts dessen reicht es nicht, auf die
Segnungen durch Basel II zu verweisen. Basel II hebt auf
die Eigenkapitalsituation ab. Wenn wir diese Situation
verändern wollen, dann müssen wir dafür sorgen, dass den
Menschen nach Steuern mehr bleibt. Es gibt keine Alternative dazu, dass der Staat von dem, was wir alle erarbeiten, weniger verbraucht, damit die Menschen mehr in der
Tasche haben.
({4})
Das gilt sowohl für den Arbeitnehmer als auch für den Unternehmer, der Geld für Investitionen und dergleichen
braucht.
Wie ich sehe, läuft meine Redezeit unheimlich schnell
ab. Ich möchte noch auf die aktuelle Situation eingehen.
Unternehmer sind gar nicht da, um Arbeitsplätze zu schaffen. Unternehmer sind da, um die Wünsche ihrer Kunden
zu bezahlbaren Preisen zu erfüllen. Wenn sie das können,
dann bekommen sie Aufträge, und wenn sie Aufträge haben, dann können sie Menschen beschäftigen. Sie haben
in den letzten drei Jahren wahrheitswidrig behauptet, der
Mittelstand sei entlastet worden. Das ist nicht wahr. Mittelstand und Arbeitnehmer sind belastet und nicht entlastet worden.
({5})
Arbeitnehmer und Unternehmer haben den gleichen Einkommensteuertarif.
({6})
Die Forderungen der Gewerkschaften gehen darauf
zurück, dass die Arbeitnehmer Verluste der realen Kaufkraft gehabt haben. Um wie viel mehr gilt dies für
den Mittelständler, der noch Verschlechterungen bei den
Abschreibungsmöglichkeiten hinnehmen musste, der
energieintensiv produziert oder energieintensive Dienstleistungen erbringt. Aufgrund dessen haben wir die Situation, die wir jetzt haben.
Die Lohnerhöhung von 3,2 Prozent, auf die man sich
jetzt im Baugewerbe geeinigt hat, bedeutet, dass ein Facharbeiter bei mir 76,05 Euro brutto mehr bekommt. Netto
verbleiben ihm davon 32,57 Euro in der Tasche. Als Unternehmer muss ich 113,06 Euro aufwenden, um diese
Lohnerhöhung zu finanzieren. Das heißt, damit der
Mitarbeiter lächerliche 32,57 Euro mehr bekommt, verschwinden 80,49 Euro in öffentlichen Kassen.
Meine Damen und Herren, es gibt keine Alternative,
Eine Steuerreform, die den Arbeitnehmer nicht in die
Nähe des Spitzensteuersatzes bringt, ist ebenso dringend
nötig wie eine Deregulierung des Arbeitsmarktes, die wieder Luft durch ganz Deutschland bläst, damit hier wieder
mehr geleistet wird, mehr Wirtschaftswachstum kommt
und damit auch Reformen finanziert werden können. Mit
dem, was Sie gemacht haben, haben Sie den Mittelstand
in den Ruin und in den Dreck geführt.
Schönen Dank.
({7})
Das Wort
hat jetzt der Kollege Werner Schulz vom Bündnis 90/Die
Grünen.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Kollege Rauen, Kollege Doss, Kollege Brüderle, meine Vorredner der Opposition, man gewinnt wirklich den
Eindruck, als hätten Sie den Mittelstandsbericht der Regierung, der im März dieses Jahres, also vor knapp drei
Monaten, vorgelegt wurde, nicht gelesen und nicht zur
Kenntnis genommen.
({0})
Ich unterstelle das aber nicht, weil ich glaube, dass Ihre
Wahlkampfstrategie eher darauf hinausläuft, Halb- und
Unwahrheiten zu verbreiten. Das ist im Moment Ihre Strategie.
({1})
Kollege Rauen, es ist doch absurd, dass der Mittelstand, wie Sie hier behaupten, nicht entlastet wurde:
9 Milliarden Euro im vergangenen Jahr, 16,7 Milliarden
Euro im Jahr 2005! Diese Steuerreform ist in ihrer Auswirkung berechnet worden. 30 Prozent der Entlastung
kommen allein dem Mittelstand zugute, da wir den Eingangssteuersatz und den Spitzensteuersatz gesenkt, den
Grundfreibetrag angehoben und die Möglichkeit geschaffen haben, dass die Gewerbesteuer auf die Einkommensteuer angerechnet werden kann. Das hat doch Wirkung
hinterlassen.
({2})
Sie fragen, wo der Wirtschaftsminister ist. Ich bin erstaunt, wo Sie sind. Ich habe mir das gestern angeschaut.
Der Kollege Michelbach, der heute hier sitzt, und Kollege
Nooke haben mit der PDS am Brandenburger Tor den
trauten Schulterschluss geübt, um die verzweifelte Lage,
Kollege Doss, im Mittelstand auszunutzen und diese Situation mit Unwahrheiten anzuheizen. Da sind frustrierten und verärgerten Handwerkerfrauen vergiftete Zuckerstücke von Ihnen herübergereicht worden. Es ist unglaublich, was Sie dort getan haben.
({3})
- Nein, Sie machen böse Politik, Kollege Doss. Das regt
mich auf. Ich habe mir das eine Stunde lang angesehen
und noch nie eine solch üble Hetze erlebt.
({4})
Da sagt doch der Kollege Michelbach: Ja, zu den
Großen wie Holzmann kommt der Bundeskanzler, zu den
Kleinen kommt der Gerichtsvollzieher.
({5})
Sie müssten dann aber auch dazu sagen: Wenn man
Holzmann nicht gerettet hätte ({6})
von der Oberbürgermeisterin von Frankfurt, Petra Roth,
über Koch bis zum Bundeskanzler haben das übrigens alle
versucht; allein der Bundeskanzler hat es geschafft ({7})
und den Konkurs etwas hinausgezögert hätte, wäre doch
vielen kleinen und mittelständischen Betrieben gar nicht
klar geworden, dass sie da aussteigen müssen. Ansonsten
wären die, die in dem Moment als Subunternehmer tätig
waren, mit in den Konkurs gerissen worden. So sind sie
doch gerettet worden. Das ist die Wahrheit. Daran hingen
doch ganz viele Arbeitsplätze im Baunebengewerbe.
({8})
Sie sprechen jetzt auch noch von Zahlungsmoral und
vergessen dabei, dass der Bundestag ein Gesetz zur Beschleunigung fälliger Zahlungen verabschiedet hat. Aber
das Wissen darum ist im Mittelstand nicht verbreitet. Die
Leute wissen nicht Bescheid.
({9})
- Es ist eine Information des Zentralverbands des Deutschen Handwerks, dass 90 Prozent der mittelständischen
Betriebe das gar nicht kennen. - Nun frage ich Sie:
Warum stellen Sie sich nicht hin und verbreiten ein paar
Informationen, anstatt immer nur Lügen unter die Leute
zu bringen? Das ist unsäglich.
({10})
Ich habe ja viel Verständnis dafür, Kollege Brüderle,
dass der Weingeist belebt. Er scheint aber offensichtlich
auch die Wahrnehmungsfähigkeit enorm zu trüben. Zu
Ihrem Angriff, bei dem Sie Minister Müller als Monopolminister bezeichnet haben, sage ich: Die Entscheidung
zur Fusion von Eon und Ruhrgas ist noch nicht gefallen.
Ich kenne momentan nur einen großen Lobbyisten, der
dazu deutlich Ja und Hurra schreit: Das ist der ehemalige
Wirtschaftsminister, der Kollege Rexrodt; der ist nämlich
Vorstand einer Lobbyfirma, die den Mineralölkonzern BP
vertritt, der wiederum der Eigner von Ruhrgas ist. Es geht
also um ein sehr handfestes Geschäftsinteresse, wenn man
diese Fusion befürwortet. Das ist die Position des Herrn
Kollegen Rexrodt. Ich nehme an, dass das die FDP-Wirtschaftspolitik widerspiegelt.
Sie sprechen von Mittelstandspolitik. Was machen Sie
denn? Sie verwirren die Leute. Ihre Wirtschaftspolitik beruht im Moment zu 50 Prozent auf Psychologie und zu
50 Prozent auf Zweckpessimismus. Momentan ist das
Ihre Mittelstandspolitik.
({11})
- Wasser ist sehr gut und ernüchternd. Ohne Wasser käme
auch der Weinbau nicht aus. In der Wasserwirtschaft haben wir einiges zu bieten. Sie berührt auch die Umweltschutztechnik, Herr Kollege Brüderle. Dort gibt es etwa
1,3 Millionen Arbeitsplätze, und zwar überwiegend im
Mittelstand. Was wir auf diesem Gebiet geleistet haben,
ist eine Erfolgsgeschichte.
({12})
Ich habe die gestrige Pressekonferenz von Wirtschaftsminister Müller verfolgt und seine Rede nachgelesen. Ich
lese solche Dinge auch nach. Offensichtlich kommen Sie
nicht zum Lesen dieser Materialien, weil Sie so viele
Demagogieveranstaltungen besuchen müssen.
({13})
- Ich möchte nur ein bisschen zurückgeben und ein wenig
Staub zu Ihnen zurückschicken. - Allein für die Exportförderung der Umweltschutztechnik, die auf dem Gebiet
der erneuerbaren Energien, der Photovoltaik usw. in den
letzten Jahren einen Boom erfahren hat, werden demnächst zusätzlich 20 Millionen ausgegeben. Das ist ein
enormer Beitrag für die Mittelstandspolitik, die wir in den
letzten Jahren sehr wohl gefördert haben.
({14})
Das Wort
hat jetzt der Kollege Klaus Lennartz von der SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr
verehrten Damen und Herren! Herr Kollege, ich weiß
nicht, ob Sie etwas von Rugby verstehen. Rugby ist ein
harter, aber fairer Sport. In Ihrer Rede habe ich die Fairness vermisst. Sie sollten mit dem Kollegen Niebel sprechen; der kann Ihnen etwas über Fairplay erzählen.
({0})
- Ich will auf diese Ausführungen nicht eingehen.
Lassen Sie mich eine Bemerkung zu Herrn Rauen machen. Herr Rauen, während Ihrer Rede habe ich mich gefragt, ob es sich bei Ihnen um einen Verdrängungsprozess
handelt. Was haben Sie uns - darüber haben wir hier im
Parlament schon öfter gesprochen - vor vier Jahren eigentlich hinterlassen? - 1 500 Milliarden Verschuldung,
die höchste Verschuldung, die wir in diesem Staat jemals
hatten!
({1}) [SPD]: Endlich sagt einer
einmal die Wahrheit!)
Sie haben uns die höchste Arbeitslosigkeit hinterlassen:
fast 5 Millionen. Wir haben im Schnitt über 500 000 neue
Arbeitsplätze geschaffen. Herr Rauen - ich schätze Ihren
Sachverstand, den man erkennt, wenn man sich mit Ihnen
privat unterhält -, wer hat uns denn die höchste Abgabenund Steuerlast hinterlassen? - Das war im Jahre 1998
doch Ihre Regierung! Es darf nicht wahr sein, dass Sie
sich jetzt hier hinstellen und so tun, als hätten die Menschen das alles vergessen. Seien Sie sich selbst und uns
gegenüber einmal ehrlich und ziehen Sie Bilanz. Das kann
ich Ihnen nur raten.
({2})
Ich will den Sachverhalt in meine Worte fassen. Wenn
man am Samstag und Sonntag im Wahlkreis unterwegs
ist, spricht man mit Leuten aus dem Mittelstand. Ich will
hier deutlich machen: Der Mittelstand in Deutschland ist
ein starker und verlässlicher Partner. Über 3,3 Millionen
kleine und mittelständische Unternehmen stellen fast
70 Prozent aller Arbeitsplätze,
({3})
rund 80 Prozent der Ausbildungsplätze und tragen 57 Prozent zur Bruttowertschöpfung bei.
({4})
Lieber Herr Rauen, wir sind die zweitgrößte Exportnation
der Welt, auch dank des Mittelstandes. Wie können wir
die zweitgrößte Exportnation der Welt sein, wenn wir so
schlecht wären, wie Sie es hier darzustellen versuchen?
Akzeptieren Sie diese Datenlage doch einmal!
({5})
- Das ist nicht wahr. Unter Ihrer Regie waren wir die drittgrößte Exportnation der Welt, mittlerweile sind wir die
zweitgrößte Exportnation der Welt. Das ist das Ergebnis
unserer Politik.
Meine Damen und Herren, auf den Mittelstand können
wir zu Recht stolz sein, auf das hohe Ausbildungsniveau
Werner Schulz ({6})
ebenso wie auf die hervorragend ausgebildeten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Wir können stolz sein
auf das vom Mittelstand Erreichte. Wir sind stolz auf die
Kreativität und Innovationskraft der Unternehmerinnen
und Unternehmer.
Der Mittelstand in Deutschland hat eine solide und verlässliche Politik, Herr Rauen, mehr als verdient.
({7})
16 Jahre Regierungsuntätigkeit unter Kohl, meine Damen
und Herren von der Opposition, waren Sand im Getriebe
des Mittelstandes. Diese Bundesregierung hat notwendige Reparaturen durchgeführt, damit der Motor Mittelstand wieder anspringt. Wir gehen da einen geraden und
aufrichtigen Weg: Zukunftsinvestitionen statt Zinszahlungen und Entschuldung statt Neuverschuldung.
({8})
Es liegt im Interesse des Mittelstandes, wenn wir die Neuverschuldung bis zum Jahre 2006 auf null zurückfahren
und den Schuldenberg kontinuierlich abbauen;
({9})
denn unser Konsolidierungskurs schützt den Mittelstand
nicht nur vor Steuererhöhungen, sondern wir haben dadurch sogar den Spielraum für erhebliche Steuersenkungen
geschaffen, die wir dann auch durchgeführt haben. Eine
Politik auf Pump, wie sie in Stoibers bzw. Ihrem Wahlprogramm nachzulesen ist, wird zwangsläufig Steuererhöhungen zur Folge haben. Ihre milliardenschweren Wahlversprechen sind unfinanzierbare Luftschlösser. Sie wären
schon pleite, bevor Sie den ersten Spatenstich setzen.
({10})
- Sie werden Gott sei Dank nicht in die Lage kommen, das
zu beweisen. Sie haben 16 Jahre lang bewiesen, dass Sie
unfähig sind, dieses Land zu führen. Sehen Sie sich doch
Ihre Bilanz nach 16 Jahren an!
({11})
Durch unsere Steuerpolitik werden Bürgerinnen und
Bürger und die Wirtschaft im Jahr 2005 im Vergleich zu
1998 rund 41 Milliarden Euro weniger an Steuern zahlen.
Allein Mittelstand, Handel, Handwerk und Gewerbe werden in diesem Zeitraum um 16,7 Milliarden Euro entlastet. Auch die faktische Freistellung von der Gewerbesteuer führt zu einer zusätzlichen Entlastung von
Personenunternehmen. All dies hätten Sie machen können. Warum haben Sie es nicht getan? Warum haben Sie
nicht geleistet, was wir unter Wirtschaftsminister Müller
in diesen Jahren geleistet haben? Sie, Herr Brüderle, waren doch von Anfang an mit dabei. An solchen Daten können Sie doch nicht vorbeigehen.
Der Mittelstand erwartet von der Politik zu Recht auch
eine Stärkung der Innovationsfähigkeit. Mit der steuerlichen Entlastung des Mittelstandes sind die finanziellen
Freiräume für Forschung und Entwicklung geschaffen
worden. Wir erhöhen auch weiterhin, wie in den letzten
vier Jahren, konsequent die Ausgaben für Bildung und
Forschung auf 8,6 Milliarden Euro im Jahre 2003. Das ist
gegenüber 1998 ein Anstieg um rund 18 Prozent. Wir investieren in Hochschulen. Wir investieren in den Wissenschaftsstandort. Wir investieren allein in die Infrastruktur
12 Milliarden, fast 27 Prozent mehr als im Jahre 1998. Das
ist konkrete Mittelstandspolitik. Das sind Aufträge für Arbeitgeber, für den Mittelstand. Das sind Sekundäraufträge.
({12})
Das hätten Sie alles machen können. Sie haben es nicht
getan.
({13})
Hier wird so viel darüber gesprochen, wer hier alles unterwegs ist. Lassen Sie mich dazu noch zwei oder drei
Bemerkungen machen.
Nein,
Herr Kollege.
Dann mache ich zwei Bemerkungen.
Zwei,
okay.
Herr Müller, Sie haben das
Programm Mikrodarlehen angesprochen. Wir kennen
doch wirklich die Probleme bei Existenzgründungen vor
Ort, zum Beispiel im Falle von bis zu zehn Beschäftigten.
Da Sie das eben eingehend erläutert haben, möchte ich auf
diesen Punkt nicht eingehen. Dafür gehe ich etwas ausführlicher auf den zweiten Punkt ein: Basel II.
Wenn wir unterwegs sind, was hören wir dann zu Basel II? Wir wissen doch, was wir als Politiker im Deutschen Bundestag in Basel zu erreichen versucht haben.
Stimmt das oder stimmt das nicht?
({0})
- Warum gehen Sie dann in der Woche zu den Betrieben und
versuchen, Basel demagogisch als Würgegriff für den Unternehmer darzustellen? Es kommt noch ein Punkt hinzu.
Sie müssten einmal Ihre Kolleginnen und Kollegen reden
hören, wie sie den Mittelstand informieren: Da ist Basel II
das große Gespenst, das den Mittelstand vernichtet.
Nur, eines muss ich mittlerweile auch zur Kenntnis
nehmen, Frau Kollegin - das sage ich sehr offen -: Obwohl Basel II wahrscheinlich erst mit Wirkung vom 1. Januar 2006 oder 2007 in Kraft tritt, handeln manche Banken bereits so, als ob Basel II bereits in Kraft sei: Ich
nehme es gern zur Kenntnis, Herr Rauen, dass Sie sagen:
Das ist so. Dann seien Sie doch diesem Bundeswirtschaftsminister mehr als dankbar, dass er gemeinsam mit
der Kreditwirtschaft ein Informationsbüro zu Basel II einrichten will, damit Informationspolitik betrieben wird und
sich der Mittelstand keine Sorgen zu machen braucht. Darum geht es doch. Dies hat der Minister gestern in seiner
Pressekonferenz vorgestellt. Lesen Sie doch auch bitte
das, was Ihnen unangenehm ist!
Zum Wahlkampf gehört, dass man sachlich und ordentlich miteinander umgeht. Wir reden nicht, wir handeln. Wir bauen keine Luftschlösser, wir schaffen eine solide Grundlage für die Zukunftsfähigkeit unseres
Mittelstands. Das sind die Rahmenbedingungen, die ein
leistungsstarker Mittelstand braucht. Finanzierbar, machbar und umsetzbar - das ist die Politik von Wirtschaftsminister Müller.
({1})
Herr Kollege Lennartz, wie ich erfahren habe - Ihr Geschäftsführer hat mir das signalisiert -, war das Ihre letzte Rede im
Deutschen Bundestag.
({0})
Deswegen war ich hinsichtlich der Redezeit auch extrem
großzügig.
({1})
Ich danke Ihnen jedenfalls für Ihre letzte Rede und wünsche Ihnen für die Zukunft alles Gute und viel Erfolg. Ich
bedanke mich im Namen des Hauses für die kollegiale
Zusammenarbeit.
({2})
Die nächste Rednerin ist die Kollegin Dagmar Wöhrl
von der CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe
Kolleginnen! Liebe Kollegen! Ich hätte gern etwas auf die
Rede des Kollegen Lennartz erwidert, aber mit Rücksicht
darauf, dass es seine letzte Rede war, komme ich zur Mittelstandspolitik zurück.
Man hat wirklich das Gefühl, dass kurz vor der Wahl
der Mittelstand von Ihnen wieder entdeckt wird. Aber ich
bin mir sicher, dass die Liebe, die Sie herüberzubringen
versuchen, nicht in der Form erwidert wird, wie Sie sich
das vielleicht wünschen. Plötzlich reden Sie hier von einer Mittelstandsfinanzierung. Das zeigt erstens, es ist
kurz vor der Wahl, und zweitens, Sie haben ein schlechtes
Gewissen. Das ist gut so. Sie haben ein verdammt
schlechtes Gewissen und das kann ich auch verstehen.
({0})
Vier Jahre lang haben Sie den Mittelstand stranguliert,
jetzt machen Sie halbherzige Beatmungsversuche. Sie
zimmern hektisch einen Maßnahmenkatalog zusammen,
ein notdürftiges Carepaket, könnte man sagen, von dem
niemand satt wird. Außerdem kommt es viel zu spät.
({1})
Zudem reden Sie plötzlich von Bürokratieabbau durch
Reduzierung von Meldepflichten - toll! Aber denken Sie
auch einmal darüber nach: Wer hat eigentlich dazu beigetragen, dass die Bürokratie noch mehr aufgebläht worden
ist? Schauen Sie sich einmal an, wie die Verwaltungskosten der Betriebe bei uns in Deutschland inzwischen aussehen. 30 Milliarden Euro im Jahr werden nur für Bürokratie ausgegeben. Wer ist am meisten davon betroffen,
liebe Kollegen von der Koalition? - Die Kleinen sind es.
Betriebe mit bis zu neun Beschäftigten haben Bürokratiekosten von 3 500 Euro im Jahr. Größere Betriebe mit über
500 Beschäftigten haben dagegen Bürokratiekosten von
150 Euro im Jahr. Diese Zahl müsste Ihnen zu denken geben. Was haben Sie gemacht, statt das bürokratische
Dickicht zu lichten? - Sie haben dem Mittelstand immer
mehr die Luft zum Atmen genommen.
Ich will jetzt gar nicht näher auf die 630-Mark-Jobs
eingehen. Das Gesetz ist inzwischen ein Schwarzarbeitförderungsgesetz geworden.
({2})
Das Scheinselbstständigengesetz ist ein Existenzgründungsverhinderungsgesetz geworden und Ihr Anspruch
auf Teilzeit heißt für alle Unternehmer inzwischen: Um
Himmels willen, bloß keine Frau einstellen! - Das haben
Sie mit Ihren Gesetzen bewirkt.
Was wollen Sie jetzt machen? Das neue Zauberwort
des Herrn Ministers heißt Mikrodarlehen. Das ist sicher
schön für manchen Existenzgründer, der gute Ideen und
eine schlechte Finanzlage hat. Aber das ist doch nur ein
Tropfen auf den heißen Stein. Damit packt man nicht das
Übel an der Wurzel.
Ich habe mir extra die Pressekonferenz des Ministers
angesehen. Er konnte auf die vielen Nachfragen der Journalisten, wie es mit der Haftung aussieht, nicht antworten.
Dieses Geld soll nämlich ohne Risikofaktor und ohne Prüfung der unternehmerischen Erfolgsaussichten ausgegeben werden. Das heißt, alles wird auf dem Prinzip Hoffnung aufgebaut. Das erinnert stark an die ganze
Wirtschaftspolitik dieser Regierung in den letzten vier
Jahren: Es wird versprochen, versprochen, versprochen,
ohne dass irgendeine Sache zu Ende gedacht worden ist.
Im Endeffekt heißt es: versprochen und gebrochen, weil
Sie nicht erfüllen können, was Sie versprechen.
({3})
Warum werden wir denn dieses Jahr über 40 000 Pleiten haben? Über 600 000 Arbeitsplätze werden davon betroffen sein. Das Verhältnis von Eigenkapital zur Bilanzsumme beträgt bei deutschen Unternehmen nur
18 Prozent. In Holland und Belgien sind es 45 Prozent,
ganz zu schweigen von den USA. Warum hat der Mittelstand eine so hauchdünne Eigenkapitalquote, die ihn in
Krisenzeiten so anfällig macht? Ich sage Ihnen, warum:
Durch die Abgaben- und Steuerpolitik, die Sie auf den Weg
gebracht haben, haben Sie den Mittelstand stranguliert.
({4})
Sie müssen endlich aufhören, nur Almosen zu verteilen
und eine Klein-klein-Politik zu machen. Sie müssen vielmehr Reformen für den Mittelstand auf den Weg bringen.
Sie führen eine Generationswechselprämie im Osten
ein. Damit wird ein neuer Subventionstopf aufgemacht.
Es wird aber nicht gesagt, wie man die Mitnahmeeffekte,
die sich jetzt schon abzeichnen, und wie man den Missbrauch in diesem Bereich verhindern will.
Denken Sie einmal über Folgendes nach: Wäre es nicht
viel sinnvoller, einem Unternehmer, der den Betrieb vom
Vater oder von der Mutter übernimmt, die Erbschaftsteuer
für zehn Jahre zu stunden? Wenn er dann den Betrieb weiterführt und auch noch Arbeitsplätze schafft, sollte man ihm
die Erbschaftsteuer erlassen. Das wäre ein echter Anreiz.
({5})
Damit wäre der Volkswirtschaft mehr geholfen als mit
vielen anderen Maßnahmen. Stattdessen denken Sie hinter verschlossener Tür darüber nach, die Erbschaftsteuer
zu erhöhen. Damit würden aber viele potenzielle Betriebsnachfolger vergrault werden.
Sie haben ein Flickwerk von unausgegorenen Einzelmaßnahmen auf den Tisch gelegt. Es wurde kein geschlossenes Mittelstandskonzept präsentiert.
({6})
Ich sage Ihnen: Verteilen Sie nicht Pflaster und Placebo! Fangen Sie mit der richtigen Therapie an! Ich kann
nur einen positiven Punkt in dieser Debatte sehen, nämlich den, dass Sie endlich erkannt haben, dass es vor allem
der Mittelstand ist, der in diesem Land Beschäftigung
schafft. Auf Ihre Alibiveranstaltung, die Sie am Montag
auf der Pressekonferenz inszeniert haben, kann man wirklich verzichten. Der Mittelstand in Deutschland weiß genau, dass er bei uns offene - und nicht wie bei Ihnen: geschlossene - Türen findet.
Vielen Dank.
({7})
Das Wort
hat jetzt die Kollegin Jelena Hoffmann von der SPD-Fraktion.
({0})
Herr Präsident!
Liebe Oppositionskollegen, Frau Wöhrl, Herr Doss und
Herr Brüderle! Ihre Mittelstandspolitik hat zum Ziel, die
mittelständischen Verbände gegen die rot-grüne Regierung aufzubringen und Arbeitgeber gegen Arbeitnehmer
auszuspielen.
({0})
Es ist nicht die Betriebsverfassung, die - wie Sie überall
erzählen - dem Mittelstand das Leben schwer macht. Sie
wissen doch, dass nur 4 Prozent aller Unternehmen, die bis
zu 100 Mitarbeiter beschäftigen, einen Betriebsrat haben.
Der Mittelstand hat ganz andere Sorgen; ich nenne zum
Beispiel Bürokratie und Finanzierung. Diese Probleme
des Mittelstandes sind aber nicht in den letzten vier Jahren der rot-grünen Bundesregierung entstanden.
({1})
Wenn ich Ihnen zuhöre, dann muss ich mich jedes Mal
fragen, wo Ihre guten Vorschläge vor vier Jahren waren.
Warum haben Sie damals nicht gehandelt? Die Probleme
sind in den letzten Jahren der kohlschen Regierung sukzessive gewachsen, man kann sagen: aufgebaut worden.
Wegen der Kürze der Zeit gehe ich heute nur auf ein
Problem ein: auf bürokratische Hemmnisse in der Wirtschaft, die besonders KMUs belasten. Ich möchte die Opposition heute auf ihre eigene Broschüre aus dem Jahre
1994 hinweisen, auf die Empfehlungen der so genannten
Waffenschmidt-Kommission. Bevor Sie uns Bürokratismus vorwerfen, möchte ich Sie fragen: Wie viele Empfehlungen aus dieser Broschüre haben Sie während Ihrer
Regierungszeit umgesetzt? Schließlich hatten Sie bis
1998 immerhin noch vier Jahre Zeit, entsprechend zu handeln. Sie hätten in dieser Zeit einige Vorschläge schnell
umsetzen können. Sie haben aber nicht auch nur einen
kleinen Schritt zur Entbürokratisierung des Mittelstandes
gemacht. Unsere Mittelstandspolitik unterscheidet sich
von der Ihren auch in diesem Punkt gravierend.
In drei Bereichen beklagen sich die Unternehmen über
bürokratische Belastungen ganz besonders: Das sind
Steuern und Abgaben, Arbeit und Soziales sowie Statistik
und Umwelt. Natürlich gebe ich zu, dass die bürokratischen Belastungen bei den 630-DM-Jobs und der Scheinselbstständigkeit nicht kleiner geworden sind.
({2})
Doch ich muss zum einen unterstreichen, Herr Brüderle,
dass die hierzu eingeführten Regelungen notwendig waren, und zum anderen, dass deren Umsetzung schon vereinfacht wurde und weiterhin vereinfacht wird.
({3})
Auf der Pressekonferenz vom 24. Juni 2002 hat Wirtschaftsminister Werner Müller zugesagt, in der nächsten
Legislaturperiode gemeinsam mit Arbeitsminister Walter
Riester die Handhabung dieser Regelungen zu überprüfen, ohne die entsprechenden Gesetze inhaltlich infrage
zu stellen.
({4})
Lassen Sie mich auf einige ganz konkrete Schritte zur
Entbürokratisierung der Wirtschaft eingehen, die die im
Bundesministerium für Wirtschaft bestehende Projektgruppe „Abbau von Bürokratie“ gemacht hat. Hiervon
profitieren vor allem Mittelständler und Existenzgründer.
Dazu gehören die Erprobung einer bundeseinheitlichen
Wirtschaftsnummer oder die Verbesserung der Kommunikation zwischen Unternehmen und Krankenkassen, die
oft beklagt worden ist. Diese ist vereinfacht und beschleunigt worden. Das steht in der entsprechenden Broschüre. Warum haben Sie das eigentlich nicht umgesetzt?
Immer wieder wird vorgetragen, dass eine Existenzgründung in Deutschland mit großen bürokratischen HürDagmar Wöhrl
den verbunden sei. Das stimmt so nicht. Die Gründer beschweren sich nicht in erster Linie über die Gesetze, sondern darüber, dass ihnen Informationen fehlen oder dass
Informationen falsch sind.
Das Problem wird gelöst. Noch in diesem Jahr wird
den Kammern und Beratern in den Kommunen ein entsprechendes Internetinformationssystem zur Verfügung
gestellt. Als nächste Schritte sollen die Verbesserung des
Umgangs mit Verdienstbescheinigungen und die Entlastung im Bereich der Steuervoranmeldungen folgen. Das
alles sind Vorschläge von Ihnen von vor 1994.
Lassen Sie mich abschließend auf ein Thema eingehen,
welches in der öffentlichen Diskussion immer wieder als
Beispiel für bürokratische Hemmnisse genannt wird. Es
geht um die Meldepflichten im Bereich der amtlichen
Statistik. Wirtschaftsminister Müller ist bereits darauf
eingegangen; auch ich möchte dazu etwas sagen. Der
Wirtschaftsminister hat hierzu festgestellt, dass eine Entlastung der Unternehmen von den Meldepflichten im Bereich der amtlichen Statistik um 50 Prozent für erreichbar
gehalten wird. Hier stehen neben dem Bund auch die Verbände und die Länder in der Pflicht.
Man kann übrigens mit uns über bürokratische Hemmnisse und viele Vorschläge trefflich streiten. Doch eines ist
mit uns nicht machbar: Einschnitte in das soziale Netz.
Was wir nicht sagen und nicht hören, sind die positiven
Dinge; auch darauf möchte ich kurz eingehen. Über
schnelles und unbürokratisches Handeln der Verwaltung
wird zu wenig oder gar nicht gesprochen.
Frau Kollegin Hoffmann, kommen Sie bitte zum Schluss.
Noch zwei
Sätze. - Denn eines ist uns allen klar: Regulierung und
Regelungen, zum Beispiel solche zur Förderung des Mittelstandes, sind wichtig. Alles wollen wir nicht abschaffen. Deshalb sage ich hier: Es ist nicht alles Gold, was
glänzt; aber vieles ist besser, als die Opposition es im
Wahlkampf darstellen will.
Vielen Dank.
({0})
Das Wort
hat jetzt der Kollege Hartmut Schauerte von der
CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident!
Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Dem
Mittelstand geht es wirklich schlecht. Darüber besteht
hier ja wohl kein Streit. Denn nicht umsonst hat die SPD
zum ersten Mal in den letzten vier Jahren eine Aktuelle
Stunde zur Lage des Mittelstandes beantragt.
({0})
Dies geschah vor dem Hintergrund einer Erklärung des
zuständigen Ministers. Wir begrüßen es, dass Sie glauben,
dass wir über die Sorgen des Mittelstandes wirklich ernsthaft sprechen müssen.
Nun schauen wir uns einmal an, was an den Vorschlägen, die Gegenstand dieser Aktuellen Stunde sind, wirklich dran ist. Ich möchte nur wenige Punkte ansprechen,
zum Beispiel die Frage der Mikrodarlehen. Schon der
Begriff ist interessant. Normalerweise stellt man die Vorsilbe „mikro“ einer Sache voran, die man mit dem Mikroskop suchen muss. Es könnte sein, dass das auch hier
der Fall ist. Es sind also ausgesprochen kleine Beträge.
Ich behaupte: Deswegen wäre kein einziger Insolvenzfall
vermieden worden. Aber so, wie sie angelegt sind, sind
sie auch nichts Neues. Auch bisher gab es bei öffentlichen Fördermitteln Haftungsfreistellungen. Ich weiß,
wovon ich rede. Hier nimmt man sie bei Kleinstbeträgen
vor, belässt einen erheblichen Prozentsatz des Risikos bei
der Bank und erklärt draußen - das ist das eigentlich Erstaunliche -, dass diese Kredite überhaupt nicht geprüft
würden.
Mein erster Punkt. Können Sie sich vorstellen, dass irgendeine Ortsbank - ich weiß, wovon ich rede - einen
Kredit vergibt, aber nicht - selbst wenn sie nur mit 20 Prozent beteiligt ist - überprüft, ob die Sache gut geht? Also
vermeiden Sie doch den Eindruck, das würde überhaupt
nicht mehr geprüft.
({1})
Dann würde nämlich am Ende jeder sagen: Hallo, hier bin
ich. Ich beabsichtige eine Existenzgründung und hätte
gerne 50 000 DM bzw. 25 000 Euro. Was soll das?
Mein zweiter Punkt. Sie wollen prüfen lassen, ob es eine
Generationswechselprämie im Großversuch geben könne.
({2})
Das möchten Sie nach der Wahl prüfen lassen. Eine Generationswechselprämie bzw. Übergangsprämie in Höhe
von 20 000 Euro - eine tolle Sache? Herr Müller wenn Sie
Ihrem Finanzminister beigebracht hätten, die Besteuerung der Übergabe von selbstständigen mittelständischen
Handwerksunternehmen
({3})
auf die nächste Generation wieder auf den vernünftigen
Stand zurückzuführen, den wir hatten, nämlich auf den
halben Steuersatz,
({4})
dann hätten Sie den Menschen ungleich mehr geholfen als
jetzt im Nachhinein mit der Gewährung einer so genannten Übergangsprämie, die Sie dann natürlich zunächst
auch mit dem Finanzminister besprechen müssten. Denn
sie ist vermögensmäßig dem Übergebenden zugewachsen. Dieser zahlt auf das, was er in dem Betrieb stehen
lässt, zunächst einmal Steuern.
({5})
All das ist nicht durchdacht, sondern hektisch.
Mein dritter Punkt. Ich möchte gerne die KfW/DtA ansprechen. Herr Minister Müller, das „Handelsblatt“, das ja
für seine präzise Berichterstattung aus dem Leben der
Jelena Hoffmann ({6})
Wirtschaft bekannt ist, überschreibt die Meldung über Ihr
Mittelstandsgespräch wie folgt: Müller kündigt neuen
Fusionsversuch von KfW und Ausgleichsbank an. - Herr
Müller kündigt also den neuen Versuch eines Gesprächs
mit seinem Nachbarn, Herrn Eichel, an.
({7})
Das ist ein wesentlicher Kern Ihres Mittelstandsförderungsprogramms. Ja, wo leben wir? Das Haus brennt lichterloh und Sie können nicht einmal die einfachsten Dinge
regeln. Das ist unerträglich!
({8})
Ein letzter Punkt. Ja, Herr Wend, die ehemaligen
5,6 Millionen 630-DM-Beschäftigten zahlten damals
pauschal 20 Prozent Steuern. Von diesen sind heute
1,2 Millionen wieder aufgetaucht, die 22 Prozent Versicherungsbeiträge zahlen. Der Rest ist in die Schwarzarbeit oder in die Untätigkeit gegangen. Die Abschaffung
der 630-DM-Beschäftigungsverhältnisse war ein miserables Geschäft für die Kassen des Staates.
({9})
Wir empfehlen, den Steuersatz von 20 Prozent wieder
einzuführen und 5 Millionen fleißigen Menschen wieder
eine Chance zu geben, zusätzliches Geld zu verdienen. Dieses Geld würde in den Konsum fließen und der Staat könnte
20 Prozent Steuern einnehmen. Dann könnte der Finanzminister den Überschuss gerne an den Sozialminister abgeben. Das wäre gar kein Problem. Es ist besser, der Finanzminister übergibt zwölfmal im Jahr einen Monatsscheck,
als dass Millionen Menschen Abrechnungssysteme zu beachten haben, die überhaupt nicht funktionieren, Arbeit lähmen und den Mittelstand gefährden bzw. kaputtmachen.
({10})
Ich komme zum Schluss. Nachdem der Bundeskanzler
mit seinem Slogan von der „Neuen Mitte“ gewählt worden ist, hat er ihn im Laufe der Legislaturperiode zum alten Eisen getan. Dieses alte Eisen ist nun rostig geworden
und soll 80 Tage vor der Wahl - ich wiederhole es: 80 Tage
vor der Wahl - wieder blank poliert werden. Auf diesen
Trick fällt niemand herein. Da hilft es auch nicht, wenn
Sie, Herr Müller, zum ersten Mal im Kranz Ihrer gesamten Staatssekretäre hier bei einer Mittelstandsdebatte dabei sind. Alle sind da; selbst der ehemalige, den ich herzlich begrüße, ist da. Eine solche Aufmerksamkeit gab es
seitens der SPD-Regierung noch nie, wenn es um eine
Mittelstandsdebatte ging.
({11})
Ich komme zu meiner letzten Bemerkung. Aus der ruhigen Hand des Bundeskanzlers in der Frage der Reformpolitik ist die flatterhafte Hand des Wirtschaftsministers
geworden. Es ist zu spät für diese Regierung. Aber es ist
früh genug für Lothar Späth.
Ich bedanke mich.
({12})
Das Wort
hat jetzt der Parlamentarische Staatssekretär Ditmar
Staffelt.
Herr Präsident!
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Leider Gottes
ist diese Debatte auch durch die Äußerungen von Herrn
Schauerte nicht sehr viel sachlicher geworden. Ich kann
Ihnen zunächst einmal zum Thema Finanzierung Folgendes sagen: Ich weiß aus sehr vielen Gesprächen landauf,
landab mit Gewerbetreibenden, Handwerkern und denjenigen, die in Dienstleistungsunternehmen tätig sind, dass
gerade die Kleinsten in besonderer Weise Probleme bei
der Ausstattung mit Bankkrediten haben.
Gerade für diesen Kreis ist das, was Minister Müller
({0})
am Montag in seiner Pressekonferenz vorgestellt hat,
({1})
ein ganz wichtiger Schritt, um sich überhaupt am Markt
weiter zu halten. Das sollten Sie loben und nicht kritisieren, Herr Schauerte.
({2})
Ihnen geht es gar nicht um die Sache, Ihnen geht es ausschließlich um Polemik, wie wir alle wissen.
Wir haben in dieser Wahlperiode eine Vielzahl von
Maßnahmen - das können Sie nicht einfach wegdiskutieren - für den Mittelstand ergriffen. Wir haben in
Deutschland eine hervorragende Förderkulisse, und zwar
sowohl beim Bund über KfW und Deutsche Ausgleichsbank als auch bei vielen Landesinvestitionsbanken. Wir
haben die Existenzgründungen, die Innovationen und die
erneuerbaren Energien unterstützt und Darlehen in Milliardenhöhe an kleine und mittelständische Unternehmen
vergeben.
Die Banken, die als Förderbanken des Bundes tätig
sind, können von sich sagen, dass sie alles Erdenkliche
getan und sich weit aus dem Fenster gelehnt haben, um
die innovativen Impulse der New Economy aufzunehmen
und mitzuhelfen, dass ein Bereich wie die Informationsund Kommunikationstechnik endlich in die Weltspitze
geführt wird.
({3})
Zu Ihrer Regierungszeit lagen wir im europäischen und
im weltweiten Vergleich im unteren Mittelfeld.
({4})
Heute befinden wir uns in einer Situation, die insbesondere für den Mittelstand von Bedeutung ist: Die Informations- und Kommunikationsbranche liegt im Branchenvergleich nach Umsatz- und Beschäftigungszahlen
auf Platz drei. 89 Prozent der deutschen Betriebe haben
Zugang zum Internet. Damit liegen wir vor den USA und
Großbritannien. 44 Prozent der deutschen Betriebe nutzen das Intranet. 62 Prozent der deutschen Betriebe sind
im Internet präsent. Damit liegen wir nach Finnland, aber
vor den USA an der Spitze. Das alles wollen Sie nicht
hören.
Deutschland ist Weltspitze beim B2B-E-Commerce.
Wir haben gerade den Bereich des elektronischen Handels
nachhaltig ausgebaut. Wir haben mit dem Wegfall des Rabattgesetzes und der Zugabeverordnung neue Rahmenbedingungen geschaffen. Sie diskutieren das alles weg, Sie
interessiert das alles nicht. Aber gerade der Mittelständler,
der mittelständische Industriebetrieb profitiert davon,
dass er sich heute beim Einkauf über die Region hinaus
über das Internet hervorragende Lieferanten aussuchen
und seine Produkte über die Landesgrenzen hinaus anbieten kann.
Auch bezüglich des Exports ist der Mittelstand von uns
nachhaltig gefördert worden, Herr Schauerte. Auch das
interessiert Sie nicht. Sie machen Ihre Witzchen mit Ihren
Fraktionskollegen und sind gar nicht an einer seriösen
Debatte interessiert.
({5})
- Ja, das kennen wir von Ihnen. Glücklicherweise werden
Sie von Ihrer eigenen Fraktion nur bedingt ernst genommen.
Wir haben im Bereich erneuerbare Energien exportwirtschaftliche Voraussetzungen geschaffen, die sich sehen lassen können. Der Minister hat darauf verwiesen. Es
sind 100 000 neue Arbeitsplätze entstanden. Viele Unternehmen haben eine große Zukunftsperspektive in der
Windenergie oder in der Photovoltaik.
({6})
- Ja, das sind Leistungen, die sich sehen lassen können.
({7})
Wir haben die Deregulierungspolitik angemessen fortgesetzt.
({8})
Wir haben allerdings auch unsere deutschen Unternehmen vor Wettbewerbsverzerrungen gegenüber anderen
europäischen Ländern geschützt.
({9})
Vergessen Sie auch nicht: Wir haben eine Reihe von Gesetzen, beispielsweise das Tariftreuegesetz, gemacht, was
Sie uns jetzt vorwerfen.
({10})
Wir haben die Bauabzugssteuer und das Korruptionsregister - dazu müssen Sie sich noch verhalten - eingeführt, weil wir nicht wollen - so ist es zu Ihrer Regierungszeit immer mehr Usus geworden -, dass jene, die
sich nicht mehr an Recht, Gesetz und an die Spielregeln
und Vorgaben des Marktes halten, den ehrlichen Kaufmann und den ehrlichen Handwerker aus dem Markt
werfen. Wenn wir dagegen etwas tun, ist das Ordnungspolitik zugunsten des Mittelstandes, lieber Herr
Schauerte.
({11})
Sie betreiben im Grunde die Verstetigung vieler Vorurteile, die es im Lande gibt. Sie setzen immer wieder
Behauptungen in die Welt, die längst nicht mehr der
Wahrheit und dem aktuellen Stand der Debatte entsprechen.
({12})
Kommen wir noch einmal auf die Steuerreform zu
sprechen! Als sie beschlossen wurde, hat es in diesem
Lande eine leise Kritik gegeben: Sie sei vielleicht nicht
optimal, aber die Richtung stimme.
({13})
DIHT, BDI und wie sie alle heißen haben diese Steuerreform für richtig gehalten. Sie ist ein riesiger Reformschritt
für dieses Land und entlastet die Mittelständler genauso
wie die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer.
({14})
Das können Sie gar nicht kleinreden, weil der Lohnzettel
das an jedem Monatsende dem Einzelnen deutlich macht.
({15})
- Nein, das ist so. - Deshalb, Herr Schauerte, sollten Sie
sich mäßigen
({16})
und nicht in diesem Lande dauerhaft die Unwahrheit über
Punkte verbreiten, die auch vom Sachverständigenrat
ganz in diesem Sinne beantwortet sind.
({17})
Er hat noch einmal klargestellt: Saldiert hat jeder Bürger,
jede Bürgerin in diesem Lande durch die Steuerreform
mehr im Portemonnaie als jemals bis 1998 unter Ihrer
Ägide.
({18})
- Bei der Stimmung im Mittelstand müssen Sie sehr differenzieren.
({19})
Wir wissen sehr genau, dass es in der Bauwirtschaft große
Probleme gibt. Wir wissen sehr genau, dass es in der Bauwirtschaft Ostdeutschlands große Probleme gibt.
({20})
- Auch dazu will ich Ihnen einen Punkt sagen. Das ist
ja immer wieder Ihr Hauptthema. Ich habe vorhin in
der Fragestunde Herrn Michelbach diese Frage beantwortet.
({21})
Worum geht es hier eigentlich: um die Zahl der Insolvenzen oder um den Saldo zwischen Unternehmensneugründungen und Insolvenzen? Wir haben im Jahre 2001 in
Deutschland 545 000 Gründungen gehabt. Denen standen
470 000 Liquidationen gegenüber. Saldiert heißt das: Wir
haben 75 000 Firmen zusätzlich für dieses Land gewonnen. Vergessen Sie das bitte nicht!
({22})
Wenn Sie einigermaßen objektiv sind, schauen Sie sich
heute einmal den Neuen Markt an! Schauen Sie sich an,
wie in den Jahren 1999 und 2000 auch mit unserer Hilfe
- mit Venture-Capital, privat und öffentlich - viele innovative Unternehmen entstanden sind, die sich allerdings
nicht alle haben halten können.
({23})
- Aber, lieber Herr Schauerte, früher haben Sie uns hier
immer erzählt, wir müssten mit Liquidationen ganz anders umgehen: wie in den Vereinigten Staaten, wo es gar
kein Makel ist, wenn ein Selbstständiger drei-, vier-, fünfmal in seinem Leben ein Unternehmen gründet.
({24})
Jetzt drehen Sie das wieder um. Sie machen es genau so,
wie es Ihnen gerade in das politisch-taktische Konzept
passt. Diese Politik wird kurze Beine haben. Dessen können Sie sicher sein, Herr Schauerte.
({25})
Als letz-
ter Redner in der Aktuellen Stunde hat der Kollege
Christian Lange von der SPD das Wort.
Dr. Uwe Küster [SPD]: Jetzt noch einmal
schön Gas geben!)
Herr Präsident!
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Verehrte Kollegen von der Opposition, wissen Sie, was mich an dieser
Aktuellen Stunde stört? - Kein Wort der Alternative aus
Ihrer Richtung, sondern nur Miesmacherei, eine ganze
Stunde lang!
({0})
Nicht einmal die letzte Aussage des Herrn Staatssekretärs
nehmen Sie zur Kenntnis: 75 000 Firmen mehr sind da.
Nein, da kommt bei Ihnen nur Hohngelächter.
Es gibt auch Gründe, warum es 75 000 Firmen mehr
gibt.
({1})
Das kommt nämlich nicht von ungefähr. Deutschland verzeichnete in den letzten drei Jahren den geringsten Anstieg der Lohnstückkosten in der Europäischen Union.
Auch das ist ein Grund zur Freude, auf den man einmal
hinweisen sollte, anstatt ständig mieszureden.
({2})
Genau das Gleiche gilt für deutsche Waren und Dienstleistungen. Sie sind im Ausland gefragter denn je; das ist
erwähnt worden. Deutschland ist Vizeweltmeister.
Das Volumen der ausländischen Direktinvestitionen
hat sich von 1998 bis 2000 mehr als verzehnfacht. Liebe
Kollegen von der Opposition, das müssen Sie sich einmal
vorstellen. Dies ist das Ergebnis dieser Politik und ein
Grund zur Freude. Angesichts der schwierigen Weltwirtschaftslage profitiert der Mittelstand davon. Dies entspricht einem Pfund, mit dem wir zu wuchern haben. Wir
dürfen nicht ständig denjenigen, die einen Arbeitsplatz
haben, fleißig sind und arbeiten, mit Hohn und Spott begegnen. Vielmehr müssen wir sie ermutigen, dass sie auf
diesem Weg weiter fortschreiten.
({3})
Ich möchte einen zweiten Punkt nennen. Wir brauchen
zuverlässige Rahmenbedingungen. Schauen wir uns doch
einmal an, von wo wir bei der Steuerpolitik gekommen
sind: 1998 lag der Spitzensteuersatz bei 53 Prozent. Dies
war das Ergebnis von 16 Jahren schwarz-gelber Regierung. Wo sind wir heute? - Bei 48,5 Prozent! Wo werden
wir am Ende dieser Steuerreform sein? - Bei 42 Prozent!
Davon profitiert der Mittelstand. Der Eingangssteuersatz
lag nach 16 Jahren Ihrer Politik bei 23,9 Prozent. Wo sind
wir heute? - Bei 19,9 Prozent! Wo werden wir am Ende
dieser Steuerreform sein? - Bei 15 Prozent.
({4})
Das ist das Ergebnis unserer Steuerreform: solide Rahmenbedingungen für den Mittelstand. Nehmen Sie dies
endlich einmal zur Kenntnis.
({5})
Ich will Ihnen noch eines sagen. Gerade der Mittelstand hat über Jahre und Jahrzehnte dafür gekämpft, dass
die Gewerbesteuer abgeschafft wird. Wir haben dafür gesorgt, sodass sie gegen die Einkommensteuerschuld aufParl. Staatssekretär Dr. Ditmar Staffelt
gerechnet werden kann, dass der Gewerbetreibende sie
eben nicht mehr zahlen muss. Dies haben wir in vier Jahren geschafft. Sie haben es in 16 Jahren nicht hinbekommen. Auch das ist die Wahrheit.
({6})
Auch bei der Steuer- und Abgabenquote müssen
Sie die Wirklichkeit zur Kenntnis nehmen. Ich habe mir
den OECD-Vergleich genau angesehen: Schweden hatte
1999 eine Steuer- und Abgabenquote von 52,2 Prozent.
Wissen Sie, wo wir 1999 lagen? - Bei 37,7 Prozent. Wir
gehen aber noch weiter herunter. Wir werden unter dem
OECD-Schnitt liegen. Dieser liegt nämlich nur bei
37,3 Prozent. Wir liegen heute bereits darunter.
Auch dies gehört zu den soliden Rahmenbedingungen
durch die Steuerpolitik dieser Bundesregierung. Dafür gilt es - gerade für den Mittelstand - der Bundesregierung noch einmal ein herzliches Dankeschön zu
sagen.
({7})
Dafür, dass dies so bleibt, werden die Weichen gestellt.
Dem Herrn Minister bin ich außerordentlich dankbar
dafür,
({8})
dass er endlich das Thema „Rückzug der privaten Banken
aus der Finanzierung“ angesprochen hat. Im Zentrum der
Offensive steht deshalb die Forderung nach einer Mittelstandsbank des Bundes mit dem Ziel der Förderung aus
einer Hand. Dies ist doch das, was wir überall von kleinen
Unternehmern hören, die nicht die Zeit bzw. ganze Abteilungen oder Personenscharen haben, um sich damit zu beschäftigen, welche Programme es gibt. Nein, sie wollen
alles aus einer Hand. Genau dieser Weg wird jetzt beschritten. Programme und Instrumente für Existenzgründer und kleine Unternehmen werden bei der Mittelstandsbank zentriert.
Die Geschäftsfelder zwischen der Kreditanstalt für
Wiederaufbau und der Deutschen Ausgleichsbank werden
abgegrenzt.
({9})
Es gibt weniger Bürokratie und mehr Transparenz. Deshalb sind auch die Kleinkredite von bis zu 25 000 Euro
über fünf Jahre so dringend notwendig. Mit denen werden
wir sehr schnell und unbürokratisch an Existenzgründer
im Dienstleistungsbereich herangehen.
({10})
Damit werden wir Motor von Existenzgründungen in
Deutschland sein. Auch dies ist ein Grund zur Freude,
statt es mieszureden.
({11})
Wenn es um die Bereitstellung von Fremdkapital für
mittelständische Unternehmen geht, ist die effiziente
Durchleitung von Förderkrediten ein weiterer wichtiger
Faktor. Bislang lässt das Interesse der Hausbanken an der
Durchleitung von Förderdarlehen zu wünschen übrig. Wir
wissen das. Dies müssen wir ändern. Ich könnte mir beispielsweise eine Erhöhung der Bankmargen
({12})
oder eine höhere Haftungsfreistellung für die Hausbanken
vorstellen. Wir gehen also genau in diese Richtung und
müssen diesen Weg weiter fortschreiten.
Hören Sie also endlich auf, das, was in Deutschland geschaffen wurde, mieszureden, denn die meisten Menschen, auch junge Leute, finden ihre Ausbildungsplätze
im Mittelstand. Die wollen nicht, dass ihre Arbeit schlecht
und miesgeredet wird.
({13})
Sie wollen endlich hören, dass das Ergebnis, das ich Ihnen vorgetragen habe, auch zur Kenntnis genommen
wird, und zwar auch von denjenigen, die eine Stunde lang
keine Alternative zu bieten hatten.
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Damit können Sie Deutschland nicht erneuern, meine Damen und Herren!
({15})
Die Aktuelle Stunde ist beendet. Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Donnerstag, den 27. Juni 2002, 9 Uhr, ein.
Die Sitzung ist geschlossen.