Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 6/14/2002

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Heidemarie Wieczorek-Zeul (Minister:in)

Politiker ID: 11002503

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vom 26. August bis 4. September findet im südafrikanischen Johannesburg der Weltgipfel für nachhaltige Entwicklung statt. Die südafrikanischen Gastgeber sprechen, bezogen auf die erhofften Ergebnisse, von den „3 Ps“ - People, Planet, Prosperity. Das heißt, es geht um die nachhaltige Gestaltung der globalen Entwicklung im Interesse der Menschen und ihrer wirtschaftlichen Chancen und um den Schutz und die Erhaltung unserer natürlichen Lebensgrundlagen. Zur Erinnerung: In dem so genannten BrundtlandReport von 1987 heißt es: Nachhaltige Entwicklung meint eine Entwicklung, die die Bedürfnisse der heutigen Generation befriedigt, ohne damit die Fähigkeit künftiger Generationen zu beeinträchtigen, ihre eigenen Bedürfnisse zu befriedigen. Das meint eine Politik, die die ökologischen Grenzen respektiert, eine hoch effiziente Nutzung der natürlichen Ressourcen verwirklicht, den Ländern des Südens die volle Nutzung der Chancen der Globalisierung ermöglicht und soziale Gerechtigkeit verwirklicht. Dass es um die nachhaltige Gestaltung der Globalisierung gehen muss, ist eindeutig. Wir erleben doch, dass es selbst in den europäischen Ländern größere Bevölkerungsgruppen gibt, die Angst und Sorge haben, in der globalen Entwicklung die Orientierung und die Verankerung zu verlieren. Wenn das schon in den Ländern so ist, die objektiv auf der Gewinnerseite der Globalisierung stehen, Präsident Wolfgang Thierse wie mag die Angst und die Furcht in den Ländern des Südens sein, die objektiv bisher noch nicht auf der Gewinnerseite der Globalisierung, sondern auf der Verliererseite stehen? ({0}) Doha, Monterrey, Johannesburg - dieser Dreiklang großer internationaler Konferenzen soll für Tempo und auch für Kohärenz, für Übereinstimmung in der nachhaltigen Gestaltung der Globalisierung sorgen, soll ein Leitmotiv für eine neue Partnerschaft zwischen Industrie- und Entwicklungsländern sein. Es gibt im Nachgang des Welternährungsgipfels durchaus Kritik an Gipfeln; aber ich sage: Es kommt immer auf eine genaue Betrachtung an. In Doha haben sich die Industrieländer auf die Entwicklungsländer zubewegt und zugesagt, dass sie zum Beispiel ihre Exportsubventionen in Bezug auf Agrarprodukte auslaufen lassen und beenden wollen. Das ist ein hervorragendes Ergebnis dieser Konferenz gewesen, an dem wir dann auch festhalten müssen. ({1}) Im März hat sich die internationale Gemeinschaft bei der Konferenz Financing for Development in Monterrey auf den Konsens von Monterrey verpflichtet, der das wechselseitige In-Verantwortung-Nehmen der Entwicklungsländer bei verantwortlicher Regierungsführung, Korruptionsbekämpfung und auf der Seite der Industrieländer mehr finanzielle Mittel und besseren Zugang zu den Märkten beinhaltet. Auf diesen Verpflichtungen von Monterrey können und müssen wir in Johannesburg beim Weltgipfel für nachhaltige Entwicklung aufbauen. Das große Thema dort heißt „Gestaltung der Globalisierung“. Es geht nicht um gänzlich neue Ziele und Konzepte, es geht um die kohärente Umsetzung der bisher festgelegten Konzeptionen und Ziele. ({2}) Denn die Ziele, die da festgelegt worden sind, sind gut. Johannesburg muss zu einem Weltgipfel der Aktion werden und verbindliche Aktionspläne für gemeinsames Handeln festlegen. Kofi Annan hat das für die Bereiche Wasser, Energie, Gesundheit, Ernährung und Landwirtschaft sowie Biodiversität gefordert. Liebe Kolleginnen und Kollegen, das größte Hindernis für eine ökologisch nachhaltige Gestaltung der Globalisierung ist die weltweite Armut. Denn arme Menschen sind gezwungen, die Natur und die Ressourcen auszubeuten. Sie sind aber auch die ersten, die von Naturkatastrophen betroffen sind und darunter leiden. Deshalb müssen wir vor Schmalspurdenken warnen. Wer die Umwelt und die natürlichen Ressourcen der Welt schützen will, muss die Armut bekämpfen. ({3}) Wer am liebsten mit erhobenem Zeigefinger an die Entwicklungsländer appelliert, dass sie sich doch aus globaler Verantwortung um den Schutz ihrer Urwälder, Flüsse und Seen kümmern sollen, der darf sich nicht wundern, wenn die Entwicklungsländer skeptisch reagieren und uns Heuchelei vorwerfen. Sie werden daran erinnern, dass es die Industrieländer waren, die im Zuge ihrer eigenen Entwicklung den Planeten verschmutzt und das Klima verändert haben. Die Entwicklungsländer werden den Verdacht hegen, dass dieselben Industrieländer jetzt die Leiter hinter sich hochziehen und die Entwicklungsländer vom wirtschaftlichen Wachstum ausschließen wollen. Diesen Verdacht werden wir nur dadurch ausräumen können, dass wir globale Armut mit mindestens der gleichen Entschlossenheit bekämpfen, wie wir die globale Umwelt schützen wollen. ({4}) Wenn wir dazu beitragen wollen, dass bis zum Jahr 2015 der Anteil der Menschen, die in absoluter Armut leben, halbiert wird, müssen in den Entwicklungsländern hohe Wachstumsraten erzeugt werden, und das auch angesichts des Tatbestandes, dass in den nächsten etwa 20 Jahren zu den heute 6 Milliarden Menschen weitere 2 Milliarden Menschen hinzukommen werden, vor allem in den Entwicklungsländern. Die Frage, mit welchen Technologien und mit welchem Energieansatz und Energieeinsatz in den Entwicklungsländern dieses Wachstum erzeugt wird, ist deshalb zentral. Sind es die alten Technologien, dann sind der weitere Raubbau und die weitere Klimaveränderung vorprogrammiert. Deshalb liegt es in unserem ureigenen Interesse, im Verhältnis zu den Entwicklungsländern auf eine Steigerung der Energieeffizienz, auf die Bereitstellung von Energie aus sicheren und umweltschonenden Quellen, zum Beispiel Sonne und Wind, zu setzen. ({5}) Weil es um Nachhaltigkeit und Zukunftsorientierung geht, darf ich an dieser Stelle sagen: Wer von den Parteien zurück zur Atomenergie will, der will offensichtlich zu der in unseren Ländern unsichersten und am wenigsten zukunftsfähigen Energieart zurück. ({6}) Auch das muss gesagt werden: Wenn ein Land wie China das kopierte, was die USA praktizieren, nämlich energiebedingte CO2-Emissionen in Höhe von 20,2 Tonnen pro Kopf der Bevölkerung, dann ginge uns allen die Luft aus. Zum Vergleich: Bezogen auf die Zahl, die ich eben für die USA genannt habe, emittiert China rund ein Zehntel pro Kopf der Bevölkerung. Deutschland ist für diesen neuen Energieansatz prädestiniert; denn bei den Energiespartechniken und den umweltschonenden Energien sind wir führend auf der Welt. Was ehedem unmöglich schien, die Entkoppelung des Wirtschaftswachstums von dem Anstieg des Energieverbrauchs, haben wir geschafft. Im Sinne des Konsensus der Entwicklungspartnerschaft, der in Monterrey vereinbart worden ist, wollen wir diese Errungenschaft nicht für uns behalten, sondern sie mit den Partnern in den Entwicklungs- und Transformationsländern teilen. Einer unserer Schwerpunkte für Johannesburg ist, dass wir für einen besseren Klimaschutz und für eine nachhaltige sowie effiziente Energieversorgung neue strategische Partnerschaften mit der Industrie auf den Weg bringen wollen. Es geht auch darum, eine Initiative für den Export erneuerbarer Energien zu ermöglichen. Mit unseren entwicklungspolitischen Durchführungsorganisationen wollen wir dazu beitragen, dass das vor Ort auch praktisch funktioniert und gute Ergebnisse bringt. ({7}) Im Hinblick auf den in Johannesburg zu vereinbarenden Aktionsplan gibt es zwei Bremser: die USA, die keine Festlegung eines Anteils von erneuerbaren Energien wollen, und die Erdöl exportierenden Länder. Ich appelliere deshalb an die Erdöl importierenden Entwicklungsländer, die sich ja mit in der Gruppe der G-77 befinden, sich von den OPEC-Ländern nicht bevormunden zu lassen, sondern mit den europäischen Ländern ein Bündnis zu schließen. Schließlich sind die armen Erdöl importierenden Entwicklungsländer am stärksten von schwankenden Energie- und Ölpreisen betroffen. Jeder Dollar, den sie beim Import von Erdöl einsparen, können sie für Gesundheit, Bildung und Armutsbekämpfung in ihren Haushalten einsetzen. Deshalb ist es so wichtig, dieses Bündnis zu schließen. ({8}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, bezogen auf diese strategische Partnerschaft wollen wir das Gleiche für den Wassersektor verwirklichen. Weltweit ist der Zugang zu sauberem Wasser immer noch über 1 Milliarde Menschen versagt. Die Konsequenz ist, dass Hunderttausende, ja Millionen von Kindern an verschmutztem Wasser sterben. Wir werden vor allem den Entwicklungsländern in Afrika eine Partnerschaft anbieten, die den Zugang der Armen zu sauberem Wasser und zu Sanitäreinrichtungen verbessern soll. Es geht darum, dass die notwendigen Investitionen - das sind im Jahr etwa 180 Milliarden US-Dollar - in einer gemeinsamen Initiative zwischen dem privaten Sektor, zwischen den Entwicklungs- und Industrieländern getätigt werden. Wenn wir mit diesen beiden Initiativen dazu beitragen können, dass mehr Menschen auf der Welt Zugang zu sauberem Trinkwasser haben, dass weniger Kinder sterben müssen und dass sich Handwerk und Industrie entwickeln können, weil umweltgerechte Energie bereitgestellt wird, dann haben sich die Anstrengungen gelohnt. Wenn durch die strategischen Partnerschaften im Energieund Wasserbereich deutsche Technik und deutsches Know-how gefragt sind und dadurch Investitionen initiiert werden, wenn dadurch bei uns Arbeitsplätze gesichert und neu geschaffen werden, dann ist uns dies ebenfalls hochwillkommen. Bei dieser Initiative können alle Teile gewinnen. ({9}) Es sind zwar viele unserer Forderungen bei der Vorbereitung für den Weltgipfel in Johannesburg akzeptiert worden, zum Beispiel die des Vorrangs der Armutsbekämpfung. Aber es gibt auch ein neues Misstrauen zwischen Industrie- und Entwicklungsländern. Dies resultiert bei den Entwicklungsländern vor allen Dingen daraus, dass sie die große Sorge haben, die Industrieländer könnten ihre Zusagen, ihnen den Zugang zu ihren Märkten und dem Welthandel zu ermöglichen, nicht einhalten. Ich sage Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen: Die Industrieländer sind und bleiben so lange unglaubwürdig, wie sie den Partnerländern den Freihandel zwar predigen, ihnen aber, wenn es hart auf hart kommt, mit protektionistischen Maßnahmen begegnen und ihnen am Ende auf den Weltmärkten mit subventionierten Produkten unfaire Konkurrenz machen, anstatt ihnen unsere Märkte zu öffnen. Das ist das Gegenteil dessen, was in dieser Welt notwendig ist, um nachhaltige Entwicklung zu ermöglichen. ({10}) Dass es in Bezug auf Johannesburg im Moment bei bestimmten Fragen zu den Aktionsplänen noch Schwierigkeiten gibt, hängt auch damit zusammen, dass durch die Aktion der amerikanischen Regierung, die im letzten Monat massive Agrarsubventionen beschlossen hat, die staatliche Subventionierung des amerikanischen Agrarsektors um 70 Prozent aufgestockt wurde. Das ist ein verheerendes Signal an die Adresse der Entwicklungsländer. ({11}) Das ist auch die Ursache dafür, dass bei der Vorbereitung für den Gipfel in Johannesburg die Entwicklungsländer in bestimmten Bereichen große Zurückhaltung zeigen. Zum Schluss möchte ich deshalb die Gelegenheit nutzen, an die Bush-Administration zu appellieren, diese auch letztlich für die US-Landwirtschaft langfristig schädliche Entscheidung wieder rückgängig zu machen. Das wäre wirkliche politische Stärke. ({12}) Bis zur Eröffnung des Weltgipfels für nachhaltige Entwicklung in Johannesburg sind es noch rund elf Wochen. Ich habe nach dem in manchen Bereichen unbefriedigenden Verlauf der Vorbereitungskonferenz in Bali auf die derzeitige Situation hingewiesen. Doch Resignation ist keine politische Kategorie. ({13}) Wir unterstützen Kofi Annan und die Arbeit der EURatspräsidentschaft sowie das Engagement des südafrikanischen Umweltministers Valli Moosa in der weiteren Vorbereitung, damit Johannesburg zu einem Erfolg werden kann und die nachhaltige Gestaltung der Globalisierung kein hehres Zukunftsziel bleibt. In Johannesburg kann und muss - ein Jahr nach den entsetzlichen Terroranschlägen auf New York und Washington - ein Pakt zwischen Industrie- und Entwicklungsländern für eine gerechBundesministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul tere Welt geschlossen werden. In diesem Sinne arbeiten wir für einen Erfolg dieser Konferenz. Ich danke Ihnen. ({14})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile das Wort dem Kollegen Paul Laufs, CDU/CSU-Fraktion.

Prof. Dr. Paul Laufs (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001293, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Nachhaltigkeit ist zu einem Begriff großer Beliebigkeit geworden. Der Sachverständigenrat für Umweltfragen merkt in seinem Umweltgutachten 2002 zur Nachhaltigkeitsstrategie der rot-grünen Bundesregierung kritisch an, dass neue Unklarheit erzeugt und Themen angesprochen werden, deren Zusammenhang mit Nachhaltigkeit durchaus fraglich ist. In der Regierungserklärung zur Zukunftssicherung durch Nachhaltigkeit war von all dem die Rede, was aus deutscher Binnensicht zukunftsrelevant erscheint: von der Gefahr der Renationalisierung in Europa bis zum Bundeswehreinsatz in Kabul. Auch nach Ihrer Rede, Frau Ministerin, fragen wir uns: Welche konkreten Ziele wird die Bundesregierung in Johannesburg verfolgen? Was ist Ihre Konzeption für die Auseinandersetzung mit den Ländern, die nicht so wie wir über nachhaltige Entwicklung denken? ({0}) Auch die internationalen Verhandlungen zur Vorbereitung des Weltgipfels für nachhaltige Entwicklung in Johannesburg waren thematisch diffus. Fragen des Handels, der Marktzugänge, der Verschuldung und der Finanzen standen im Mittelpunkt und nicht die nachhaltige Entwicklung. Johannesburg dürfe nicht zum Treffen der Beliebigkeit werden, hat der Bundesumweltminister dieser Tage gesagt. Damit hat er völlig Recht. Aber sonst hört man arg wenig von ihm. ({1}) Wir erinnern uns noch lebhaft an die Konferenzen in Rio und Kioto, als die damaligen deutschen Umweltminister Klaus Töpfer und Angela Merkel eine mitreißende und prägende Rolle gespielt haben. ({2}) Auch auf diesen Konferenzen waren die USA gewiss nicht die treibende Kraft beim Natur- und Klimaschutz. Worum geht es eigentlich? ({3}) Das zentrale Anliegen einer nachhaltigen, zukunftsfähigen Entwicklung ist die haushälterische und schonende Nutzung der Ressourcen unserer Erde; das heißt, dass dabei die Natur und Umwelt, aber auch die Interessen kommender Generationen geschützt und nicht unzumutbar beeinträchtigt werden. Jede Nachhaltigkeitsstrategie hat zudem der globalen Verantwortung gerecht zu werden, die ökonomischen, die ökologischen und die sozialen Ungleichgewichte in dieser Welt zu mindern und auszugleichen. Darum geht es in Johannesburg. Bei der Vorbereitung des Weltgipfels für nachhaltige Entwicklung in Johannesburg erleben wir schmerzlich, dass die Industrieländer keine erfolgreiche globale Nachhaltigkeitspolitik betreiben können, ohne ihre in Rio 1992 und in Monterrey im März dieses Jahres eingegangenen Verpflichtungen und Absichtserklärungen zur Entwicklungsfinanzierung und zur Öffnung der Märkte wirklich einzulösen. Im Weltgipfelvorbereitungsausschuss in Bali haben die Entwicklungsländer vergeblich auf ein klares politisches Signal in dieser Richtung gewartet und dann, als es ausblieb, weitere Verhandlungen über greifbare Zielvereinbarungen und Programme verweigert. Die Ergebnisse von Bali sind ernüchternd und enttäuschend. ({4}) Dort, wo es konkret und hart zur Sache ging, konnten sich die EU und Deutschland mit ihren Vorschlägen nicht durchsetzen. Es gibt keine Fortschritte beim Schutz der biologischen Vielfalt, kein Weiterkommen im Kampf um die Beendigung der Waldzerstörung, keine konkreten Ziele und Aktionsprogramme für eine nachhaltige Energie- und Wasserpolitik, keine Fortschritte bei den streitigen Querschnittsthemen Menschenrechte, gute Regierungsführung, Handel, Finanzen undVerbraucherinformation, integrierte Produkt- und Produktionspolitik und internationales Chemikalienmanagement. Wohin man auch blickt: Man hat nichts erreicht. ({5}) - Ja, darüber ist gestritten worden. - Die wichtigsten Fragen sind offen. Über sie muss auf dem Weltgipfel in Johannesburg insbesondere auf Ministerebene weiter verhandelt werden. Nun ist die Regierung gefordert, die Dinge zu bewegen. Aber sie wirkt nach Bali eher kleinlaut und erschöpft. ({6}) Was wird sich langfristig als nachhaltig und zukunftsfähig erweisen? Wir wissen es nicht mit Sicherheit. Die heute bestehenden Ungewissheiten über die Wirkung und Größenordnung von Klimaveränderungen, über die Anpassungsfähigkeit biologischer, physischer und gesellschaftlicher Systeme, über Verbraucherpräferenzen sowie über künftige technische Fortschritte und Marktentwicklungen werden uns lange und immer wieder aufs Neue begleiten. Nachhaltigkeitspolitik ist deshalb zuallererst dem Vorsorgegrundsatz verpflichtet. Wir müssen mit Augenmaß handeln, schon bevor sich die Ungewissheiten aufgeklärt haben. Eine nachhaltige, zukunftsfähige Entwicklung ist deshalb ein evolutionärer Prozess, der von regelmäßigen Überprüfungen des erreichten Entwicklungsstandes, von ständigen Abwägungen zwischen den ökonomischen, den ökologischen und den sozialen Belangen sowie von neuen Richtungsentscheidungen begleitet ist. Wir brauchen natürlich für jeden Schritt konkrete Zielsetzungen. Aber wir halten es prinzipiell für falsch, wenn sich Rot-Grün schon heute auf langfristige technologiebezogene Vorgaben festlegt, etwa auf die Höhe des Anteils der erneuerbaren Energien an der Energieversorgung im Jahr 2020 oder im Jahr 2050. Es wird bis dahin große wissenschaftlich-technische Fortschritte auch in anderen Bereichen geben. ({7}) Wer kann denn ausschließen, dass es in absehbarer Zeit kostengünstigere, gleichermaßen umweltverträgliche Alternativen wie etwa das CO2-freie fossile Kraftwerk mit CO2Abscheidung und -Endlagerung in geologischen Aquiferen oder in bereits erschöpften Erdgaslagerstätten gibt? Die Vorschläge der EU und der Bundesregierung im Vorbereitungsausschuss zum Johannesburger Weltgipfel, für den Einsatz erneuerbarer Energien weltweite Steigerungsziele festzuschreiben, sind jedenfalls auf den schärfsten Widerstand der Gruppe der 77, aber auch der USA, Japans und anderer Industriestaaten gestoßen. Erneuerbare Energien - das stellt kein Mensch infrage - haben ihre sinnvollen und wichtigen Anwendungsbereiche. Aber es ist nicht im Interesse der Entwicklungsländer, wenn wir uns beim Technologietransfer vorrangig auf kostenaufwendige regenerative Energietechniken konzentrieren, für die vor Ort auch keine preisgünstigen Speichermöglichkeiten vorhanden sind. ({8}) Beim Transfer von nachhaltigen Technologien, Knowhow und Kapital in die Entwicklungsländer sind die jeweiligen kulturellen, wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Gegebenheiten vor Ort zu berücksichtigen. Die als Voraussetzung jeder nachhaltigen Entwicklung zu errichtenden effizienten und von den Kosten her tragbaren sowie finanzierbaren Systeme zur Bereitstellung, Verteilung und Nutzung von Energie sind an diese Gegebenheiten anzupassen. Die private Wirtschaft muss dafür gewonnen und mobilisiert werden, am Strukturwandel mit Bereitstellung von Kapital und Technologie mitzuwirken. Anreize dazu könnten von einer Verzahnung mit der internationalen Klimaschutzpolitik durch Anwendung der Kioto-Mechanismen ausgehen. Auch öffentliche Entwicklungshilfe muss erheblich ausgebaut und in den Dienst nachhaltiger Entwicklung gestellt werden. Gekürzte Haushaltsmittel, Frau Entwicklungshilfeministerin, kann man nicht durch rhetorische Emphase ersetzen. ({9}) Eine nachhaltig zukunftsfähige Entwicklung erfordert gleichzeitiges Handeln in Industrie- und Entwicklungsländern, jede Seite in ihrer besonderen Verantwortung. Wir wünschen uns für Johannesburg das Eine-Welt-Bewusstsein, das in Kioto und Rio herrschte. Frau Ministerin Wieczorek-Zeul hat gerade wieder gegen die Atomenergienutzung gesprochen. Wir halten es grundsätzlich für falsch, technische Optionen apodiktisch auszuschließen und sie ganz allgemein als nicht nachhaltig zu bezeichnen, wie es von Rot-Grün mit der Kernenergie in allen ihren Nutzungsformen gemacht wird. ({10}) In vielen Ländern - das war auch in Bali zu sehen - wird dies ganz anders eingeschätzt, zum Beispiel in Frankreich, in Finnland, in den USA, in Japan und in Südafrika. Eines der zentralen Gegenargumente von Rot-Grün ist die angeblich ungelöste Frage der Entsorgung radioaktiver Abfälle. Mit dem Planfeststellungsbeschluss zum Endlager Konrad bei Salzgitter, der vor zwei Tagen im Niedersächsischen Ministerialblatt und im Bundesanzeiger veröffentlicht wurde, bestätigt die Bundesregierung nunmehr, dass die über sehr lange Zeiträume sichere Endlagerung und damit Entsorgung radioaktiver Abfälle in tiefen geologischen Formationen auch in Deutschland möglich ist. ({11}) Wir können nicht einsehen, warum der Zubau von Kernkraftwerkssystemen mit neuesten Technologien, die katastrophale Freisetzungen von Radioaktivität prinzipiell, aus physikalischen Gründen, ausschließen, verboten bleiben soll. Es ist die Aufgabe des Staates, die strategischen Nachhaltigkeitsziele zu setzen, aber nicht seine Aufgabe, die technischen Mittel zu ihrer Erreichung vorzuschreiben. Es gehört zu den eigentlichen staatlichen Gestaltungsaufgaben, einen langfristig orientierten Ordnungsrahmen einzurichten und zu sichern, innerhalb dessen sich der Marktmechanismus mit seinen Such- und Optimierungsprozessen entfalten kann. Regelungen für die In-Wert-Setzung von Umwelt und Natur, also die Internalisierung externer Kosten, sind zu finden und Forschung und Entwicklung sind zu intensivieren. Es gibt immer unterschiedliche Wege, auf denen man Ziele erreichen kann. Nachhaltigkeitsziele werden dann bestmöglich erreicht, wenn die langfristig entstehenden volkswirtschaftlichen Kosten am niedrigsten sind. Es fällt schon auf, dass in den rot-grünen Anträgen die Kosten nur beiläufig oder gar nicht untersucht werden. Gerade in jüngster Vergangenheit sind gesetzliche Tatbestände für milliardenschwere Dauersubventionen im Energiebereich begründet worden. Auch 200 000 zusätzliche Solardächer bedeuten noch keine nachhaltige Energieversorgung. Das wissen Sie so gut wie wir. Ihr Beitrag zur Stromversorgung ist minimal, ihre Kosten aber sind gigantisch. Dasselbe gilt für die Errichtung von immer mehr Windanlagen an den besonders hoch subventionierten ungünstigen Standorten. Wir werden es erleben: Unkontrolliert anwachsende Subventionen führen rasch zu sozialen und wirtschaftlichen Schieflagen und spürbaren Ungerechtigkeiten. ({12}) Die gegenwärtige nationale Nachhaltigkeitspolitik bedarf einer Umsteuerung. Sie muss sich von ihrem interventionistischen, technologiebezogenen, überwiegend aus der deutschen Binnensicht begründeten, einseitig auf einzelne Belange ausgerichteten Vorgehen lösen. Die ökologischen, ökonomischen und sozialen Ziele müssen im Rahmen eines funktionierenden marktwirtschaftlichen Systems und im internationalen Kontext gleichrangig und mit derselben Intensität verfolgt werden. Ich komme zum Schluss meiner letzten Rede im Deutschen Bundestag, dem ich seit 1976 angehöre. Ich möchte allen meinen politischen Freunden und Gegnern, mit denen ich mich in der Umwelt- und Energiepolitik sachbezogen austauschen und auch streitig auseinander setzen konnte, herzlich danken. ({13}) Ein Dilemma unserer Zeit ist sicherlich, dass die Sachfragen immer verwickelter werden und ihre Lösung immer schwieriger wird, während ihre öffentliche Vermittlung und Wahrnehmung immer weiter verflacht. Das bringt uns Politiker, die wir für unser Handeln öffentliche Zustimmung gewinnen müssen, in eine schwierige Lage. Von Emotionen beherrschte Vorurteile dürfen das nüchterne, ernste und gewissenhafte Ringen um die Sache nicht verdrängen. ({14}) Ich bin davon überzeugt, dass letztlich nur eine solide Sacharbeit erfolgreich ist. Ich wünsche Ihnen alles Gute, meine verehrten Kolleginnen und Kollegen. ({15})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Lieber Kollege Laufs, ich möchte Ihnen nach Ihrer letzten Rede im Namen des ganzen Hauses unseren Dank und Respekt ausdrücken und Ihnen für Ihr weiteres Leben alles Gute wünschen. ({0}) Ich erteile nun dem Bundesminister Jürgen Trittin das Wort.

Jürgen Trittin (Minister:in)

Politiker ID: 11003246

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte der Äußerung ausdrücklich zustimmen, die Sie, Herr Laufs, zuletzt gemacht haben. Nur eine engagierte Sachpolitik wird politisch erfolgreich sein. Auch wenn wir in vielen Sachfragen unterschiedlicher Auffassung waren, will ich Ihnen gern konzedieren, dass Sie sich dabei immer um eine sehr argumentative Auseinandersetzung bemüht haben. ({0}) Wenn Ende August/Anfang September dieses Jahres 60 000 Menschen zu dem Weltgipfel für nachhaltige Entwicklung zusammenkommen, aber gleichzeitig viele Menschen fragen, was Nachhaltigkeit eigentlich ist, dann stehen wir sicherlich gemeinsam vor der Frage, was wir vermitteln wollen. Ich meine, diese Debatte hat eines deutlich gemacht: Nachhaltige Politik und nachhaltige Entwicklung sind keine anderen Begriffe für Entwicklungshilfepolitik, aber auch nicht für Umweltpolitik. Worum geht es bei der Nachhaltigkeit? Bei diesem Begriff geht es letztendlich um das, was wir gemeinsam als globale Gerechtigkeit definieren würden, und zwar Gerechtigkeit zwischen den Generationen, innerhalb der Gesellschaften, aber auch zwischen den Ländern des Nordens und des Südens sowie in den Lebenschancen und den Lebenserwartungen. Mit unserem Begriff von globaler Gerechtigkeit ist es nicht zu vereinbaren, wenn die Lebenschancen auf diesem Globus von Nord nach Süd völlig unterschiedlich verteilt sind. Es ist mit dem Begriff von globaler Gerechtigkeit nicht zu vereinbaren, wenn 20 Prozent der Weltbevölkerung 80 Prozent der Ressourcen verwenden oder gar, weil es sich häufig um endliche Ressourcen handelt, schlicht und ergreifend verschwenden. Hier geht es darum, tatsächlich Veränderungen einzuleiten. ({1}) Globale Gerechtigkeit muss sich aber an zwei Bedingungen messen lassen. Indira Gandhi hat einmal gesagt: Das größte Umweltgift ist die Armut. Sie hat Recht. Umgekehrt gilt aber auch: Es ist auf diesem Planeten, weil seine Ressourcen endlich sind, keine Armutsbekämpfung möglich, ohne dass wir uns um den Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen kümmern. ({2}) Deswegen gehören Umwelt und Entwicklung zusammen. Nachhaltige Entwicklung kann man nicht gönnerhaft aus den reichen Gesellschaften des Nordens an den Süden weiterreichen. Nachhaltige Entwicklung muss bei uns hier im Norden beginnen, wo die meisten Ressourcen verbraucht und verschwendet werden, wo übrigens auch das meiste Wissen und das meiste Kapital zur Lösung der globalen Probleme vorhanden ist. Das ist die Herausforderung gerade an die Gesellschaften des Nordens in Bezug auf nachhaltige Entwicklung. ({3}) Deswegen hat die Bundesrepublik Deutschland zusammen mit ihren Freunden in der Europäischen Union so darauf gedrängt, dass in den Vorbereitungen für Johannesburg konkrete Ziele im Aktionsprogramm festgeschrieben werden. Hierbei handelt es sich nicht einfach nur um eine instrumentelle oder akademische Frage. Wir haben uns im Wesentlichen auf zwei Felder konzentriert, nämlich auf die Frage der Wasserpolitik und auf die Frage der Energiepolitik. Beide sind für die Armutsbekämpfung und für die Entwicklung in den Ländern des Südens die Schlüsselprobleme. Wenn 2 Milliarden Menschen ohne Wasser oder ohne Entsorgung von Abwasser auf diesem Globus leben müssen, dann sind sie von der Entwicklung abgeschnitten. Deswegen haben wir uns das Ziel vorgenommen, bis 2015 die Hälfte dieser Menschen mit sauberem Wasser zu versorgen und bei ihnen eine ordentliche Abwasserentsorgung zu installieren. Das ist ein konkretes Ziel, für das wir in Johannesburg streiten müssen. ({4}) Meine Damen und Herren, wenn auf diesem Globus 2 Milliarden Menschen ohne Anschluss an Elektrizität leben, dann heißt das: Diese 2 Milliarden Menschen sind von der Globalisierung, von den Chancen, die die Globalisierung bietet, ausgeschlossen. Daher ist es auch kein akademisches Ziel, zu sagen: Wir wollen, dass die Menschen Zugang zur Elektrizität bekommen. Wir wissen sehr genau, dass das nicht ausschließlich eine technische Frage ist. Das ist auch eine Frage von politischen Entscheidungen. Wenn wir die Elektrizität nicht zu den Menschen bringen, werden die Menschen dorthin gehen, wo es Energieversorgung gibt; sie werden weiterhin das Land verlassen, in die großen Städte gehen und all die bestehenden Probleme verschärfen. Deswegen wollen wir eine große Initiative für erneuerbare Energien. Diese haben zwar zugegebenermaßen, Herr Laufs, ein Speicherproblem, haben aber gegenüber unserer ziemlich zentralisierten Stromversorgung einen entscheidenden Vorteil: Sie sind dezentral anwendbar und bieten gerade in den Ländern des Südens ganz andere Chancen als hier bei uns. Deswegen verfolgen wir das Ziel, bis 2010 einen Anteil der erneuerbaren Energien von 15 Prozent zu erreichen. ({5}) Jetzt kommen wir zu einem anderen Punkt: Warum waren diese politischen Ansätze auf der Vorbereitungskonferenz in Bali nicht durchsetzbar? Frau Kollegin Wieczorek-Zeul hat dazu ja einiges gesagt. Ich will Ihnen eine relativ einfache Antwort geben: Wenn man das durchsetzen will, müssen die Industrieländer zu ihren Verpflichtungen stehen. Dann kann man nicht auf der einen Seite langwierige Verhandlungen über die Erhöhung der „global environment facility“ auf 2,7 Milliarden US-Dolllar führen, wozu die Bundesrepublik Deutschland und auch die EU bereit sind, andererseits aber in der vorausgegangenen Verpflichtungsperiode die Beiträge nicht bezahlen, wie es leider die USA gemacht haben. Die betroffenen Länder sagen dann: Wir fühlen uns von euch nicht ernst genommen. Es geht nicht an, dass man sagt: „Wir wollen, dass ihr mehr Chancen für eine eigenständige wirtschaftliche Entwicklung habt“, während man die Subventionen für die Landwirtschaft in den USA gleichzeitig um 83 Prozent erhöht. Ich möchte nicht, dass Sie mich hier missverstehen: Ich könnte über die Unterschiede im Hinblick auf die Zahlung von Entwicklungshilfe zwischen der EU und den USA viel sagen. Die Zusagen der USA in Monterrey bedeuten, dass der Entwicklungshilfeanteil der USAvon 0,1 Prozent auf 0,11 Prozent des Bruttosozialprodukts ansteigt. Wir Europäer haben uns verpflichtet, diesen Anteil bis 2006 auf 0,39 Prozent des Bruttosozialprodukts zu steigern. ({6}) Es geht aber um etwas anderes: Es geht darum, dass wir unsere Verpflichtungen auch in anderer Hinsicht ernst nehmen. Woran ist das Bündnis mit den Entwicklungsländern in Bali gescheitert? Ich will es Ihnen sagen: Es ist daran gescheitert, dass sich Europa nicht darauf verständigen konnte, der Aussage, dass auch wettbewerbsverzerrende und nicht nur umweltschädliche Subventionen abgebaut werden sollen, zuzustimmen. Ich will Ihnen an einem einfachen Beispiel erläutern, was das heißt. ({7}) - Nein wir, die Vertreter der Bundesrepublik Deutschland, hatten in dieser Frage eine sehr eindeutige Position. ({8}) Wir haben ganz deutlich gesagt: Die Subventionen müssen gesenkt werden. Herr Kollege, wir sind nicht bereit, eine Politik zu akzeptieren, die beispielsweise zehn Jahre nach dem Sturz des Apartheidregimes in Südafrika dazu geführt hat, dass einerseits südafrikanische Produkte auf dem europäischen Markt angeboten werden durften, dass andererseits die Südafrikaner ihren Markt für europäische Produkte öffnen mussten und dass Europa dann Folgendes gemacht hat: Europa ist unter anderem mit Pfirsichen auf den südafrikanischen Markt gegangen, deren Vertrieb so stark subventioniert war, dass beispielsweise griechische Pfirsiche trotz der Transportkosten in Südafrika 10 Prozent billiger waren als die heimischen Pfirsiche. So hat man eine funktionierende südafrikanische Pfirsichkonservenproduktion kaputtgemacht; 3 000 Menschen sind arbeitslos geworden. Von diesen Erfahrungen sprechen die Entwicklungsländer. Gerade im Hinblick auf unsere Kolleginnen und Kollegen in der Europäischen Union sage ich - wir werden darüber in der übernächsten Woche im Umweltrat sehr ernsthaft diskutieren müssen -: Wenn Europa das Ziel erreichen will, die Brücke zwischen den Industrieländern und den Entwicklungsländern zu sein, dann muss es zu seinen Verpflichtungen bei der Öffnung der Märkte und beim Abbau von Subventionen stehen. Ob dieses Ziel erreicht wird oder nicht, ist die Schlüsselfrage. Die Beantwortung dieser Frage entscheidet darüber, ob Johannesburg ein Erfolg wird. ({9}) Lassen Sie mich zusammenfassend Folgendes sagen: Sicherlich gab es in Bali erst einmal einen Rückschlag; aber das ist bei internationalen Verhandlungen häufig so. Ich glaube jedoch nicht, dass uns dies entmutigen sollte. Die Bundesrepublik kann gemeinsam mit den anderen europäischen Staaten viel erreichen. Lassen Sie uns gemeinsame Anstrengungen unternehmen, damit Johannesburg ein Erfolg wird. Der Weltgipfel für nachhaltige Entwicklung ist zwar noch nicht über den Berg; aber er ist auch noch nicht den Bach runter. Deswegen lassen Sie uns gemeinsam die notwendige Kraft investieren, damit „nachhaltige Entwicklung“ nicht zu einer Leerformel wird, sondern ein Schritt hin zu wirklicher globaler Gerechtigkeit. ({10})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile der Kollegin Birgit Homburger, FDP-Fraktion, das Wort.

Birgit Homburger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000952, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In wenigen Wochen findet der Weltgipfel in Johannesburg statt. Zusammengeschlossen unter dem Dach der Vereinten Nationen, werden sich die Regierungen der internationalen Staatengemeinschaft daran messen lassen müssen, inwieweit sie dem Ziel der Nachhaltigkeit gerecht werden. Seit der Konferenz in Rio 1992 richten sich insbesondere auf Deutschland erwartungsvolle Blicke. Diese Erwartungen an Deutschland werden in Johannesburg wohl aber bitter enttäuscht werden. Der Sachverständigenrat für Umweltfragen hat sein jüngstes Gutachten mit der Überschrift versehen - sie ist sicherlich nicht zufällig gewählt, Herr Trittin -: „Für eine neue Vorreiterrolle“. Es ist genau diese Vorreiterrolle, die unter Rot-Grün verloren ging. ({0}) - Ja, Herr Kollege Hermann, sowohl bei der wirtschaftlichen Stabilität im europäischen Vergleich als auch im internationalen Rio-Prozess hat Deutschland seine Vorbildund Führungsfunktion eingebüßt; und das ausgerechnet unter einem grünen Umweltminister. Herr Trittin, ich muss Ihnen sagen: Das ist mehr als peinlich für Sie. ({1}) Vor diesem Hintergrund kann man nicht erwarten, dass man viel bewegt. Wenn wir uns einmal an die Konferenz in Rio erinnern, dann sehen wir, dass Deutschland damals eine zentrale und wichtige Rolle gespielt hat ({2}) und den Durchbruch bei der internationalen Klimavereinbarung, die damals in Rio ihren Ausgang nahm, miterzielt hat. In Johannesburg - das möchte ich Ihnen sehr deutlich sagen - erwarten wir, dass die Bundesregierung dieselben Anstrengungen unternimmt wie seinerzeit die alte Bundesregierung. Ich weiß, dass das nicht einfach und nicht bequem ist, aber es muss sein, wenn dieser Prozess fortgesetzt werden soll. ({3}) Damit Johannesburg zu einem Erfolg für die nationale und globale Entwicklung wird, ist mehr erforderlich als wohlklingende Worte und politische Fensterreden, wie wir sie gehört haben. Ja, es geht um die Verknüpfung von ökonomischen, ökologischen und sozialen Fragestellungen. Aber um engagiert Verantwortung für nachfolgende Generationen tragen zu können, müssen auch die Entwicklungsländer für den Umwelt- und Klimaschutz gewonnen werden. Wir alle wissen, dass die zentrale Frage auf dieser Konferenz die von Reichtum und Armut ist. Die Sorge der Entwicklungsländer um ihren wirtschaftlichen Wohlstand und ihre Angst, der Umwelt- und Klimaschutz könnte sie in diesem Bereich behindern, darf nicht dazu führen, dass in Johannesburg letzten Endes ausschließlich über Handel, Wirtschaft und Finanzen gesprochen wird. ({4}) Das halte ich für eine zentrale Herausforderung. Vor allem mit Blick auf die Entwicklungs- und Schwellenländer liegen die Herausforderungen doch darin, eine dramatisch wachsende Weltbevölkerung ausreichend mit sauberem Wasser, mit Nahrung und auch mit Energie versorgen zu können. Wir haben das heute Morgen schon in anderen Worten gehört. Unter dem Eindruck der Empfehlungen der Bonner Wasserkonferenz und der Ziele der Agenda 21 muss die Bundesregierung endlich aktiv werden. Wir wollen den Zugang zu sauberem Trinkwasser und vor allen Dingen auch ein Gewässermanagement erreichen. Doch wir wissen, dass diese Frage nach den Vorverhandlungen noch offen ist. Es kommt darauf an, dass wir uns bei den Konsultationen auf europäischer Ebene mit den europäischen Partnern, die sich gesperrt haben und die letztendlich in Bali einen Vorkompromiss verhindert haben, nämlich Frankreich und Irland, beraten und versuchen, sie davon zu überzeugen, dass wenigstens die Europäer in die richtige Richtung gehen. Herr Trittin und Frau Ministerin Wieczorek-Zeul, wir erwarten von Ihnen, dass Sie durch informelle Konsultationen alle Anstrengungen unternehmen, um die Europäer auf eine einheitliche Linie zu bringen. Wir sollten uns für den Erfolg dieser Konferenz einsetzen. ({5}) Die Frage, wie in den Entwicklungsländern wieder eine höhere Akzeptanz für den Umweltschutz geschaffen werden könnte, ignoriert die Bundesregierung permanent. Es handelt sich um die einmaligen ökologischen aber auch ökonomischen Chancen, die ein moderner Klimaschutz auf der Grundlage der flexiblen Mechanismen des Kioto-Protokolls auch für diese Länder bietet. Wir haben vonseiten der FDP mehrfach darauf hingewiesen: Es gibt gerade durch die Instrumente des Kioto-Protokolls eine besondere Chance, dass den Entwicklungsländern die Möglichkeit erschlossen wird, auf der einen Seite substanzielle Beiträge zum globalen Klimaschutz zu leisten, aber gleichzeitig aktiv und in eigener Verantwortung am Welthandel teilzunehmen. Das ist eine andere Dimension, weil man damit nicht mehr zum Hilfsempfänger wird, sondern man selber Marktteilnehmer ist. In diesem Zusammenhang muss ich ganz deutlich sagen: Obwohl wir seit Jahren fordern, dass die Möglichkeiten, die das Kioto-Protokoll hierzu bietet, genutzt werden, ermöglicht die Bundesrepublik Deutschland es nicht. Sie, Herr Trittin, sind derjenige, der dies in der Bundesrepublik Deutschland blockiert. ({6}) Die Ministerin Wieczorek-Zeul sagte hier heute Morgen: Gerade mit diesen Mechanismen hätten wir auch die Chance, in regenerative Energien zu investieren. Aber Sie lassen die Nutzung der Art. 6 und 12 im Augenblick nicht zu. Es gibt deutsche Firmen, die bereit wären, hierzu Kooperationen einzugehen und bereits investieren, ohne im Augenblick Geld zu erhalten. Sie verhindern das, indem Sie die nötigen Übereinkommen mit den Ländern, die daran interessiert sind, nicht abschließen und damit diese Chance für den Klimaschutz nicht nutzen. ({7}) Man müsste eine derartige Förderung mit dem entwicklungspolitischen Etat verknüpfen. Damit könnte man auf Dauer etwas Substanzielles erreichen. Die Bundesregierung trat mit dem Versprechen an, künftig das 0,7-Prozent-Ziel bei der Entwicklungshilfe endlich zu erreichen und den Beitrag Deutschlands zu verbessern. Das Verhältnis zwischen den Aufwendungen für die Entwicklungshilfe und dem Bruttosozialprodukt ist jedoch schlechter geworden, als es früher war. ({8}) Angesichts eines solchen Bildes, mit dem Sie international und auf der bevorstehenden Konferenz antreten, muss man sich nicht wundern, dass Sie nicht ernst genommen werden. Bemühen Sie sich erst einmal darum, das durchzusetzen, was Sie angekündigt haben! ({9}) Herr Trittin, Sie sagten, bei den regenerativen Energien gebe es ein Speicherproblem. Es besteht tatsächlich. Ich frage mich allerdings, warum die rot-grüne Koalition diese Woche im Deutschen Bundestag den Antrag der FDP-Fraktion abgelehnt hat, Geld für die Erforschung von Speicherfunktionen bereitzustellen, mit deren Hilfe die regenerativen Energien gespeichert und damit langfristig genutzt werden könnten. Warum haben Sie diesen Antrag abgelehnt? Warum wollen Sie in dem Bereich nicht forschen? Es ist doch völlig inkonsistent, was Sie hier machen. ({10}) Deswegen sage ich Ihnen sehr deutlich: Sie sind nicht daran interessiert, dass es weitergeht. ({11}) Das sieht man auch daran, dass Sie sich nicht einigen können. Wir haben vonseiten der FDP konstruktive Vorschläge hierzu gemacht, die seit Monaten vorliegen, aber nicht beraten werden. ({12}) Sie wurden in dieser Woche wieder von der Tagesordnung des Umweltausschusses abgesetzt, weil Sie nicht in der Lage sind, sich zu einigen und Ihren eigenen Antrag vorzulegen. Es ist peinlich, was Ihnen hier passiert, und zeigt, dass Sie überhaupt nicht in der Lage sind, in diesem Bereich etwas zu unternehmen. Wir fordern Sie auf, sich endlich den Anträgen anzuschließen, ({13}) die Chancen zu nutzen und dazu beizutragen, dass Johannesburg ein Erfolg wird. Vielen Dank. ({14})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile der Kollegin Eva Bulling-Schröter, PDS-Fraktion, das Wort.

Eva Maria Bulling-Schröter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002636, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Nachrichten, die wir über die Vorbereitung des Weltgipfels in Johannesburg erhalten, sind alarmierend. Rio minus 10 statt Rio plus 10 könnte das Ergebnis im September werden, und zwar in zweierlei Hinsicht: zum einen, was die reale Entwicklung in der Zeit seit 1992 betrifft, zum anderen, was die wahrscheinliche Substanz der Konferenz angeht. Die real messbaren Fortschritte in den vergangenen zehn Jahren lassen sich schnell zusammenfassen: In den Entwicklungsländern gibt es einen Rückgang der Todesursachen Lungenentzündung und Tuberkulose. Wir hatten einen relativ raschen Ausstieg aus der Produktion ozonschädigender Stoffe in den Industriestaaten. Wenn aber in den letzten zehn Jahren gleichzeitig die Armut nicht verringert werden konnte, die Kindersterblichkeit nur geringfügig abnahm, der Ausstoß von Klimagasen global eben nicht sank, sondern um 7 Prozent stieg und auch die Abholzungsrate der Urwälder weiter zunahm, können wir kaum von Fortschritt sprechen. ({0}) Der Bericht des Worldwatch-Instituts von diesem Jahr nennt drei wesentliche Gründe, die den Übergang zu einer nachhaltigen Entwicklung und zu einer stabileren Welt bisher verhinderten: Zum einen habe Umweltpolitik weltweit eine zu geringe Priorität. Die wachsende Zahl internationaler Umweltübereinkommen werde von unzureichenden Verpflichtungen, vor allem von zu kärglicher Finanzierung, flankiert. Während das UN-Umweltprogramm mit durchschnittlich gerade einmal 100 Millionen Dollar pro Jahr auskommen müsse, beliefen sich die Militärausgaben auf 2 Milliarden Dollar pro Tag. ({1}) Zum anderen bleibe die Entwicklungshilfe bei ihrem ohnehin schon niedrigen Niveau weiter rückläufig. Während das Weltsozialprodukt seit Rio 1992 um 30 Prozent stieg, seien die offiziellen Entwicklungstransfers von Nord nach Süd um 69 Milliarden von 52 Milliarden Dollar im Jahre 2001 gefallen. Drittens schließlich habe die Verschuldung der Dritten Welt trotz anderer Verheißungen nicht ab-, sondern weiter zugenommen. Sie erreichte 2001 mit rund 2,5 Billionen Dollar einen historischen Höchststand. So weit zur Bilanz. Angesichts dieser Entwicklungen sind die Erwartungen an den Weltgipfel zwiespältig. Er könnte und müsste ein Signal setzen - das wollen wir alle -, ein Signal, wie es damals von Rio ausging, indem erstmals auf UN-Ebene der Zusammenhang von sich ausweitender Armut, Hungersnöten und Krankheiten, fortschreitender Zerstörung von Lebensgrundlagen und Rückgang der Artenvielfalt festgestellt wurde. Allerdings werden nicht nur Feststellungen erwartet, sondern auch eine Verankerung international anerkannter Ziele in den Dokumenten und die Vereinbarung konkreter aktionsorientierter Schritte für eine nachhaltige Entwicklung. ({2}) Gerade in Bezug auf diesen Punkt sind inzwischen viele Aktivistinnen und Aktivisten der Umwelt- und Entwicklungsorganisationen pessimistisch. Der Gipfel scheint ein Flop bzw. mit seiner Partnerschaftsmesse eine Show von Konzernen und Umweltbeamten zu werden. Wie schon all die Jahre vorher sind es vor allem die USA, Kanada und Neuseeland, die jegliche substanzielle Vereinbarung torpedieren. Zudem ist es angesichts der GATT- und GATS-Verhandlungen keine besondere Überraschung, wenn die G-77-Staaten, also die Entwicklungsländer, globale Umweltvereinbarungen überwiegend als verdeckten Protektionismus zu ihren Lasten sehen. Sie sollen alle Märkte öffnen, ihre Exportchancen sinken aber. Umweltschutz bedeutet, ganz klar, erst einmal Kosten, die die ausgeplünderten Länder nur selten aufbringen können. Dabei müssen wir ihnen helfen. Gerade hier zeigt sich, wie die von den Industriestaaten vorangetriebene Liberalisierung aller Märkte Übereinkünfte über den Schutz unserer natürlichen Lebensgrundlagen verhindert. ({3}) Die EU will nach Verhandlungsbeobachtern das Abschlussdokument für Johannesburg nach vorne bringen. Gleichzeitig ist die Europäische Union Vorreiter bei der Forderung, innerhalb des GATS-Abkommens den Wassersektor für die Liberalisierung zu öffnen. Was die Kommerzialisierung der Wasserversorgung durch die Global Player für Umwelt und Entwicklung aber für die Entwicklungsländer bedeutet, konnte man in vielen südamerikanischen Länder feststellen: Die Preise steigen und nur wer reich ist, kann sich dieses Wasser noch leisten. Ich denke, das ist nicht in unserem Sinne. In diesem Punkt muss sich in Europa etwas ändern. Diese Forderungen müssen zurückgezogen werden, denn sonst wird auch bei uns Wasser privatisiert. Das hat Folgewirkungen. ({4}) Zum Schluss noch ganz kurz zum Zusammenhang von Entwicklungshilfe und Bruttosozialprodukt. Gegenwärtig werden 0,23 Prozent des BSP an Entwicklungshilfe gezahlt. Sie wollen das auf 0,33 Prozent erhöhen. Das ist immer noch zu wenig und muss weiterhin angemahnt werden. Ich kann abschließend nur sagen: Ob Umweltschutz oder globale Gerechtigkeit, jetzt sind Taten gefragt, geredet wurde lange genug. ({5})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile das Wort Kollegin Ulrike Mehl, SPD-Fraktion.

Ulrike Mehl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001454, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In den nächsten Monaten werden sich viele Menschen auf der Welt darüber Gedanken machen, was bei der Weltkonferenz in Johannesburg wohl herauskommen wird. Es gibt sehr unterschiedliche Erwartungshaltungen und Ausgangslagen. Die Frage wird sein: Wird nach dieser Konferenz tatsächlich gehandelt? Zehn Jahre nach Rio lohnt es sich, einmal zurückzuschauen, um die Entwicklung nach dieser zweifellos sehr erfolgreichen Konferenz zu betrachten. Es gibt positive Aspekte, auch wegen der Auflösung der Blöcke. Die Welt ist offener und erreichbarer geworden. Es gibt eine bessere Verwirklichung der Menschenrechte und mehr Demokratie. Aber wenn man sich die Entwicklung des Zustandes der Erde in den letzten zehn Jahren anschaut, könnten einem eher die Tränen kommen. Denn man hat den Eindruck, dass die Erde trotz guter Vorsätze, vieler Bemühungen und zahlreicher Konferenzen eher auf dem Weg zu einer Intensivstation ist. Ein wesentlicher Grund dafür ist die wachsende Armut und die Kluft zwischen den armen und den reichen Ländern. Dieser Abstand ist nicht kleiner, sondern größer geworden. Wir wissen, dass das ein wesentlicher Grund dafür ist, dass es in den armen Ländern nicht mehr Wohlstand gibt. Wir als Industrieländer tragen dafür im Wesentlichen die Verantwortung. Trotzdem ist festzuhalten: Der Weltgipfel in Johannesburg ist eine sehr wichtige Konferenz auf dem Weg zu einer nachhaltigen Entwicklung. Es nützt nichts, zu unken und zu sagen: Wir haben im Vorfeld noch keine griffigen Ergebnisse gefunden. - Es muss vielmehr weitergekämpft und hartnäckig verhandelt werden. Wir müssen darauf bauen, dass in der Summe auch kleine Schritte zum Gesamterfolg führen werden. Wir werden die Bundesregierung in diesen Bemühungen mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln unterstützen. ({0}) Das tun wir auch mit unserem Antrag. Ich glaube, dass wir in Deutschland alle Gründe dafür haben. Denn wir gehören innerhalb Europas zu den größten CO2-Emittenten. Auch in Deutschland werden noch immer 10 Tonnen CO2 pro Kopf und Jahr emittiert und 120 Liter Wasser pro Kopf und Tag verbraucht. Wir haben also Gründe, uns besonders zu engagieren und uns in diese Prozesse überdurchschnittlich einzubringen. Das tun wir auch. Wir haben eine sehr erfolgreiche und zukunftsweisende Klimaschutz- und Energiepolitik eingeleitet. Wir werden das fortsetzen. Wir werden das Übereinkommen über die biologische Vielfalt umsetzen sowie das Cartagena-Protokoll und die Århus-Konvertion ratifizieren, um nur einige wenige Punkte zu nennen. ({1}) Nur wenn wir selbst zeigen, dass wir wirklich bereit sind, uns zu einer nachhaltigen Gesellschaft zu entwickeln, können wir Forderungen an andere stellen. Die Entwicklungsländer werden genau dies völlig zu Recht einfordern; einige Beispiele sind genannt worden. Man kann nicht Wasser predigen und Wein trinken. Deswegen müssen wir die Programme, die wir in den letzten vier Jahren aufgelegt haben, konsequent umsetzen. Dies geht bis hin zu einem internationalen Engagement, das heißt bis hin zu einem weiteren Abbau von Exportsubventionen im Agrarbereich und zur Umsetzung der Forderung, die WTO-Regeln mit den Zielen internationaler Umweltabkommen vereinbar zu machen. Für einen Erfolg in Johannesburg wird es unabhängig davon, dass man selber tun muss, was man von anderen verlangt, wichtig sein, dass die Europäer geschlossen an einem Strang ziehen. Nicht nur der Blick über den Atlantik ist berechtigt. Ich finde es im Übrigen ziemlich unsäglich, dass eine große Macht wie die USAzwar am Verhandlungstisch sitzt und auf das Verhandlungsergebnis Einfluss nimmt, aber gleichzeitig von vornherein sagt: Wir setzen es nicht um. Das ist problematisch genug. Aber auch die Interessen innerhalb Europas sind sehr unterschiedlich. Deswegen unterstützen wir auch hier mit Nachdruck die Bundesregierung, die massiv dazu beitragen soll, dass sich die Europäer einig sind. Denn die Europäer haben in den Verhandlungen die zentrale Funktion, darauf hinzuwirken, dass gezielt das umgesetzt wird, was bisher aufgelegt worden ist: Aktionsprogramme im Bereich Wasser und für den Schutz der Wälder sowie die Schaffung einer starken, weltweit tätigen Umweltorganisation. Denn man sollte sich nicht nur auf Programme konzentrieren. UNEP hat mit Sicherheit getan, was zu tun ist; die Tätigkeit von Klaus Töpfer ist sicherlich lobend zu erwähnen. Aber das reicht bei weitem nicht aus. Wir brauchen eine Weltorganisation, die stark ist und Umweltbelange gegenüber anderen Interessen durchsetzt. ({2}) Meine Redezeit ist leider abgelaufen. Ich komme daher zum Schluss: Ich wünsche der Bundesregierung bei ihren Verhandlungen viel Erfolg. Unsere Unterstützung hat sie. ({3})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile das Wort dem Kollegen Christian Ruck, CDU/CSU-Fraktion.

Dr. Christian Ruck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001893, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Diese Debatte ist ein Spiegelbild unserer Auseinandersetzungen um eine nachhaltige Politik in dieser Legislaturperiode. Rot-Grün stellt seine Politik pauschal und verbal unter die Überschrift „Nachhaltigkeit“. Wir von der Union halten die rot-grüne Politik für gerade nicht nachhaltig. ({0}) Ich greife einige Punkte des SPD-Antrages auf: Es kann wirklich nicht Ihr Ernst sein, bei 4 Millionen Arbeitslosen und steigender Jugendarbeitslosigkeit von Nachhaltigkeit in der Wirtschaftspolitik zu sprechen. ({1}) Die Rede von Herrn Riester als „nachhaltig“ zu bezeichnen ist schwer zu verdauen. ({2}) Von einer erfolgreichen Nachhaltigkeit in Ihrer Agrarpolitik ist zurzeit nichts, aber auch gar nichts zu spüren. ({3}) In der Umweltpolitik - Herr Trittin und die Grünen sind auf diesem Gebiet ja selbst ernannte Spezialisten - stellt sich die Frage der Nachhaltigkeit besonders dringend. Umweltpolitik ist nicht per se nachhaltig. Umweltschutz mit den richtigen Zielen, aber falschen Instrumenten wird zum Bumerang. Gerade das halten wir Ihnen vor. Das sind Ihre politischen Fehler hinsichtlich der Nachhaltigkeit. Mein Kollege Paul Laufs, den wir sehr vermissen werden, hat in seiner letzten Rede im Deutschen Bundestag die Konsequenzen einer, vielleicht gut gemeinten, aber politisch und ökonomisch unattraktiven Umweltpolitik sehr gut herausgearbeitet: Aufgrund Ihres ökonomisch ineffizienten Instrumentariums, Ihrer technologischen Nabelschau, Ihres Konfrontationskurses im Naturschutz und Ihres fehlenden entwicklungspolitischen Konzeptes hat Deutschland an Einfluss verloren. Das zeigt sich vor allem jetzt, im Vorfeld internationaler Weichenstellungen wie den WTO-Runden und dem Weltgipfel in Johannesburg. ({4}) Ihnen ist es nicht gelungen, eine richtige Kombination von Ökologie und Ökonomie als Modell aufzustellen. Es gibt dieses Modell: ein Modell, das ein Land vom Agrarstaat zum Hochtechnologieland führt, mit der geringsten Arbeitslosigkeit, dem höchsten Wirtschaftswachstum, den mit Abstand höchsten Ausgaben für den Naturschutz ({5}) und einem um zwei Drittel niedrigeren CO2-Ausstoß pro Kopf. Minister Trittin wollte ich schon lange sagen: Er soll in diesem Land einmal Urlaub machen; es ist der Freistaat Bayern. ({6}) Die Vorbereitungskonferenz in Bali war kein Erfolg. Sie war vom Misstrauen zwischen Entwicklungsländern und Industrieländern geprägt. Die Fronten sind verhärtet; übrigens nicht nur zwischen Entwicklungs- und Industrieländern, sondern auch im Kreise der Industrieländer. Von einem Eine-Welt-Denken ist bisher keine Spur. Bei diesem Status quo wird die Konferenz in Johannesburg kein Erfolg werden. Das hat dramatische Konsequenzen: für den Klimaschutz, für die Erhaltung der Schöpfung, für die Bekämpfung von Hunger und Armut und letztendlich auch für die Schaffung einer dringend notwendigen größeren sozialen, ökologischen, ökonomischen und politischen Balance auf unserem Planeten. Ich glaube, dass das niemand in diesem Hause und auch niemand in der Bundesregierung will. Deswegen ist es wichtig, dass wir uns noch einmal mit voller Kraft für den Erfolg der Konferenz in Johannesburg konzeptionell und mit persönlichem Einsatz engagieren. Der Konferenzerfolg ist allerdings nicht nur durch verhärtete Fronten gefährdet, sondern auch durch eine Überlagerung von Themen. Wenn so viele Themen auf einer Konferenz behandelt werden, muss das schief gehen. Wir sind der Meinung, dass es entscheidend ist, sich auf folgende Schwerpunkte zu konzentrieren: Erstens. Wir brauchen eine neue Offensive zur Bewahrung von Schöpfung und Umwelt. An dieser Front gibt es keine Entwarnung. Im Gegenteil: Die Umweltzerstörung ist in dramatischem Ausmaß weitergegangen. Es wurde schon erwähnt, dass gleichzeitig immer mehr Milliarden Menschen mit sauberem Trinkwasser und mit Energie versorgt werden müssen. Das geht nur mit einem erheblich größeren Know-how-Transfer und einem erheblich größeren Kapitaltransfer. Das wiederum schaffen wir nur mit einer intensiveren Einbindung der Privatwirtschaft. Das wiederum geht nur - jetzt komme ich zu dem Punkt, den Frau Homburger bereits angesprochen hat -, wenn wir endlich die Clean Development Mechanism umsetzen. Bisher arbeiten Sie daran mit angezogener Handbremse. ({7}) Zweitens. Wir brauchen mehr Engagement in der Bevölkerungspolitik, sonst laufen viele mühsam erkämpfte Fortschritte ins Leere. Drittens. Wir müssen auch auf der Basis der Ergebnisse der Konferenz in Monterrey die Mittel für die Entwicklungszusammenarbeit tatsächlich und zuverlässig aufstocken. Hier zählen nicht leere Versprechungen, sondern Nägel mit Köpfen. Wir glauben Ihnen nur noch das, was wir an Zahlen im Haushalt vorfinden. Diese haben Sie uns für 2003 bis heute verweigert. Viertens. Wir brauchen mehr Effizienz und Koordination in internationalen Institutionen. Gerade im Entwicklungs- und Umweltbereich verpuffen gewaltige Summen, weil zu viele Organisationen um die Mittel raufen. Wir erteilen deswegen, Frau Ministerin, Ihrem nahezu blinden Glauben an internationale Organisationen eine klare Absage. Im Gegensatz zum SPD-Antrag, Herr von Weizsäcker, wollen wir deshalb nicht noch mehr Organisationen, sondern die vorhandenen sollten gestrafft, zurechtgestutzt und besser geführt werden. Deshalb verlangen wir auch, dass Deutschland seinen Einfluss für eine solche Reform geltend und die Vergabe von Steuergeldern von erfolgreichen Reformen abhängig macht. Fünftens. Wir wollen und müssen im Rahmen einer internationalen sozialen Marktwirtschaft mithelfen, dass die ärmeren Länder an der internationalen Arbeitsteilung und an der Globalisierung fair beteiligt werden. Hierin sind wir uns alle einig. Das heißt, wir brauchen eine stärkere Unterstützung regionaler Zusammenschlüsse, eine Reform des internationalen Finanzsystems, die Ertüchtigung eines möglichst korruptionsfreien und qualifizierten Verwaltungsapparates und vor allem - auch darüber sind wir uns, glaube ich, einig, zumindest verbal den Abbau von Protektionismus und Subventionitis in den Industrieländern. Aber auch hier ist Rot-Grün trotz großer Versprechen keinen Schritt weitergekommen. ({8}) Wenn wir dafür nicht zumindest eine schrittweise Lösung und einen zeitlichen Horizont zugunsten der Entwicklungs- und Schwellenländer präsentieren, werden die Gräben immer tiefer. Sechstens. Wir müssen umgekehrt auch darauf bestehen, dass die Entwicklungsländer ihre Hausaufgaben machen, das heißt gute Regierungsführung, „good governance“. Wir dürfen uns nämlich nicht einreden lassen - siehe Simbabwe -, dass aller Hunger, alle Armut und Umweltzerstörung nur aus der Unterdrückung aus dem Norden ({9}) oder der Globalisierung herrühren. ({10}) Entwicklung scheitert leider allzu oft auch an der Verantwortungslosigkeit und Korruption in den Entwicklungsländern. Wer deswegen einen Erfolg beim Weltgipfel in Johannesburg will, muss Hilfen an Konditionen knüpfen. ({11}) Wir müssen gerade nach dem 11. September entschlossen sein, dort, wo „bad governance“ herrscht, engagierter als bisher und mit längerem Atem Änderungen in die Wege zu leiten. Das bedeutet natürlich eine enge Abstimmung zwischen Auswärtigem Amt und Entwicklungshilfeministerium - bisher Fehlanzeige - und Rückendeckung durch den Kanzler, auch hier Fehlanzeige. ({12}) Angesichts der gewaltigen internationalen Herausforderungen und Probleme braucht der Rio-Prozess vor dem Johannesburg-Gipfel neue Kraft, neue Energie und konkrete Angebote. Vollmundige Ankündigungen und große Worte können nicht darüber hinwegtäuschen, dass das Entwicklungsbudget gesunken und der internationale Einfluss der deutschen Politik zurückgegangen ist. ({13}) Es ist ganz offenkundig, dass ein schlüssiges Energiekonzept fehlt, das Klimaschutz, Versorgungssicherheit und Wettbewerbsfähigkeit in Einklang bringt und damit auch auf internationale Gesprächspartner wie die USA einladend wirken könnte. Darüber hinaus steht der Modellstaat der sozialen Marktwirtschaft, Deutschland, aufgrund rot-grüner Wirtschafts- und Sozialpolitik eher als Abschreckung denn als attraktives Vorbild dar. Wenn wir als Deutsche eine ähnlich positive und entscheidende Rolle in Johannesburg spielen wollen, wie dies damals unter Helmut Kohl in Rio de Janeiro geschehen ist, dann muss die Bundesregierung die verbleibenden Monate nutzen, um überzeugende Konzeptionen zu präsentieren und auch dafür zu kämpfen. Helmut Kohl hat die Weichen für Rio auf dem G-7-Gipfel in Houston gestellt. Kanzler Schröder hat auf dem nächsten G-8-Gipfel eine ähnliche Chance; er muss sie wahrnehmen, er muss selber nach Johannesburg fahren, sonst versagt er auch auf diesem entscheidenden Zukunftsfeld. Vielen Dank. ({14})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile das Wort dem Kollegen Reinhard Loske, Bündnis 90/Die Grünen.

Dr. Reinhard Loske (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003176, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lassen wir die zehn Jahre zwischen der Rio-Konferenz und dem vor uns liegenden Gipfel in Johannesburg Revue passieren, kommen wir wohl zu einer gespaltenen Bilanz. Es gibt Licht und Schatten. Ich komme zunächst auf das Licht zu sprechen: Die beiden großen Kinder der Rio-Konferenz, die Klimarahmenkonvention und die Konvention zum Schutz der biologischen Vielfalt, sind in Kraft getreten. Das ist mehr als nichts; das ist ein wichtiger Schritt zur Erreichung eines internationalen Regelwerkes. ({0}) Jetzt geht es darum, dass diese beiden Kinder gewissermaßen Enkel gebären, nämlich das Kioto-Protokoll und das Cartagena-Protokoll zur biologischen Sicherheit. Beim Kioto-Protokoll sind wir auf einem guten Wege, auch wenn es wohl bis zum Johannesburg-Gipfel bedauerlicherweise nicht mehr in Kraft treten wird. Die Ratifizierung des Cartagena-Protokolls verläuft schleppender. Bei den Verhandlungen über diese beiden Protokolle konnte man deutlich erkennen, dass der Erfolg der Europäischen Union im Wesentlichen damit zusammenhing, dass sie den engen Kontakt mit der G 77 gesucht hat. Die Zusammenarbeit zwischen Europa und den Entwicklungsländern war ein Schlüssel zum Erfolg. ({1}) Auch beim Thema Agenda 21 gibt es nicht nur Schatten. Gerade die vielen lokalen Agenda-21-Initiativen in unserem Land haben gute Arbeit geleistet. Dafür sollten wir als Parlamentarier einmal Danke schön sagen. ({2}) Ich komme nun zum Schatten: Es ist ganz eindeutig - das wurde von Ulrike Mehl schon angesprochen -, dass die reale Umweltsituation sich weiter verschlechtert hat. In den 90er-Jahren hat es - das ist die politische Dimension - eine Überlagerung des Nachhaltigkeitsdiskurses durch die Globalisierungsdebatte gegeben. Diese Überlagerung ist gerade von Herrschaften aus diesen Reihen des Hauses forciert worden. Mitte der 90er-Jahre galt Umweltschutz im Prinzip nur noch als Wettbewerbshemmnis, Nord-Süd-Gerechtigkeit war nur noch ein Thema für irgendwelche Idealisten. Die Übermacht des Ökonomischen stellte alles andere in den Schatten. Diese Grundstimmung hat sich allerdings durch verschiedene Entwicklungen verändert. Man muss sie nicht alle gut finden - einige davon sind sogar ganz fürchterlich -; aber sie haben das Thema neu auf die Tagesordnung gesetzt. Zum einen ist es die Globalisierungskritik. Der ungezügelte Lauf der Ökonomie wird von immer weniger Menschen akzeptiert. Zum Zweiten hat die rabiate Absage der Bush-Administration an das Kioto-Protokoll viele Menschen erschüttert. Das Dritte betrifft alles, was mit den fürchterlichen Geschehnissen am 11. September zusammenhängt. Unabhängig von der Frage, welches die Ursachen sind, kann man doch sagen, dass der Boden für Fundamentalismus und Radikalismus dort am fruchtbarsten ist, wo die Verhältnisse besonders ungerecht sind oder als ungerecht empfunden werden. Das heißt, die Aussage, dass Umweltschutz und Gerechtigkeit beim Ressourcenzugang auch praktizierte Friedenspolitik sind, ist plötzlich nicht mehr Träumerei, sondern Teil der Lösung. Das ist unsere Linie. ({3}) Von Johannesburg muss ein klares Signal ausgehen. Wir brauchen - ich kann es jetzt nur allgemein sagen - eine wechselseitige Versicherung, einen globalen Sozialkontrakt: Der reiche Norden arbeitet an seinem Übergewicht, da sein Nutzungsdruck auf die Natur zu hoch ist. Die Hausaufgaben, die er zu erledigen hat, sind unter anderem durch die Stichworte Effizienz, Kreislaufwirtschaft und solare Zivilisation, aber auch durch die Frage nach dem rechten Maß gekennzeichnet. Auch muss der Norden bereit sein - darüber hat Jürgen Trittin ausführlich gesprochen -, in den internationalen Beziehungen durch mehr Wettbewerbsfairness im Welthandel, den Abbau umweltschädlicher Subventionen und auch durch die Aufstockung der Entwicklungshilfemittel zu mehr Nachhaltigkeit beizutragen. ({4}) Vom Süden erwarten wir, dass er im Gegenzug seine Naturschätze so schonend wie möglich nutzt - dabei wollen wir ihm helfen -, dass Rechtsstaatlichkeit sichergestellt wird, dass lokale Gemeinschaften gestärkt werden und dass er im internationalen Prozess insgesamt konstruktiv mitarbeitet. Lassen Sie mich zum Schluss einige konkrete Punkte nennen: Erstens. Wir müssen bei der globalen Wasserund Energiestrategie weiterkommen. Hier spielen, Herr Kollege Laufs, die erneuerbaren Energien natürlich eine ganz zentrale Rolle. Zweitens. Die internationalen Umweltorganisationen müssen institutionell aufgewertet werden. UNEP ist heute trotz des Engagements von Klaus Töpfer eine schwache Organisation. Die Umweltseite und übrigens auch die Sozialseite verhandeln in den internationalen Beziehungen mit der Wirtschaftsseite gegenwärtig nicht auf Augenhöhe. Es ist ganz wichtig, dass sich das ändert. ({5}) Drittens. Wir müssen neue globale Finanzierungsmechanismen entwickeln, wie sie beispielsweise der Wissenschaftliche Beirat „Globale Umweltveränderung“ vorgeschlagen hat. Hier wäre es vielleicht ganz vernünftig, nicht im Sinne einer neuen Kommission, aber im Sinne einer systematischen Bearbeitung eine der BrundtlandKommission ähnliche Weltkommission für Globalisierung und Nachhaltigkeit einzurichten, die den auf zwei bis drei Jahre begrenzten Auftrag hat, solche Mechanismen zu entwickeln und uns vorzuschlagen. Abschließend zum Kollegen Laufs: Auch von meiner Seite ganz herzlichen Dank für die Zusammenarbeit. Ich habe gern mit Ihnen diskutiert und oft auch gestritten. Wir sind manchmal nicht einer Meinung; das wird wohl auch so bleiben. Aber auch ich wünsche Ihnen alles Gute. In einem Punkt war der Dissens zwischen uns - das betrifft auch Frau Homburger - immer am größten, nämlich in der Frage, ob das früher unter Kohl goldene Zeiten waren und heute alles furchtbar ist. ({6}) Ich glaube, die Wahrheit sieht wohl so aus, dass es sich doch zum Guten gewendet hat, jedenfalls aus unserer Sicht. In den Bereichen erneuerbare Energien, Energieeffizienz, Naturschutz und bei vielen anderen Themen haben wir die Dinge gewendet und eine Vorreiterrolle übernommen. Die Stagnation ist überwunden. ({7}) Wir wollen an diesem Elan festhalten, auch nach dem 22. September. Danke schön. ({8})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile das Wort dem Kollegen Ernst Ulrich von Weizsäcker, SPD-Fraktion.

Dr. Ernst Ulrich Weizsäcker (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003257, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine verehrten Damen und Herren! „Nachhaltige Entwicklung“ - darauf hat Herr Minister Trittin schon hingewiesen - ist für viele immer noch ein Fremdwort. Das darf es nicht bleiben. Aber auch das Wort „Demokratie“ war irgendwann einmal in Deutschland ein Fremdwort und dasselbe gilt auch für das Wort „Computer“. Wir werden und wir müssen uns daran gewöhnen. Schließlich steht hinter der nachhaltigen Entwicklung ein uraltes Prinzip: Auch an die Enkel denken. Das steht in der Bibel als Goldene Regel und hat nichts mit dem Parteienstreit zu tun. ({0}) Unser Antrag zielt nicht auf Parteienstreit. Er ist natürlich vor Bali formuliert worden. Besonders nach Bali müssen wir uns die Frage stellen, woher diese Stagnation eigentlich kommt. In der Enquete-Kommission „Globalisierung der Weltwirtschaft“ sind wir der Idee auf der Spur, die Welt habe sich nach 1990 wesentlich in der Richtung verändert, dass die Anwälte der öffentlichen Aufgaben einschließlich Entwicklungshilfe und Umwelt eher ins Hintertreffen gekommen sind, während die Anwälte der privaten Anliegen, insbesondere die großen Konzerne, das Weltgeschehen dominieren. 51 der 100 größten Wirtschaftseinheiten der Welt sind heute nicht mehr Staaten, sondern Unternehmen, die nicht dem Gemeinwohl, sondern ihren Profitzielen verpflichtet sind. Das ist ein Zitat, und zwar nicht aus der „Kommunistischen Plattform“, sondern aus dem Antrag der CDU/CSU-Fraktion ({1}) Die Dominanz der Privatwirtschaft muss uns zu denken geben. Das von Professor Klaus Töpfer geleitete UNO-Umweltprogramm hat kürzlich einen Bericht mit dem Namen „GEO 3“ herausgegeben. In diesem Bericht werden vier verschiedene Szenarien betrachtet, darunter „Markets First“ und „Security First“, also Verlass auf die Märkte oder der absolute Vorrang für Sicherheit. Beide Optionen führen schnurstracks ins Verderben, ({2}) weil die Märkte blind und taub sind, was die Umwelt angeht, und weil die Illusion der totalen Sicherheit alle Kräfte bindet, die man eigentlich woanders nötiger braucht. Besser steht es um die Welt nach dem UNO-Bericht bei „Policy First“, das heißt Politik wieder machen, und „Sustainability First“, das heißt Nachhaltigkeit als Zivilisationsmerkmal. Die Nachhaltigkeitsstrategie der Bundesregierung ist ein guter Beginn. Den täglichen Flächenverbrauch auf ein Viertel zu reduzieren, das ist ein Wort! Fast noch wichtiger ist mir der erste der 21 Indikatoren: Wir müssen mehr Wohlstand aus einer Kilowattstunde oder einer Tonne Erz herausholen, das heißt, die Ressourcenproduktivität drastisch erhöhen, langfristig um einen Faktor vier. Daran führt kein Weg vorbei. Manches muss in Johannesburg erst einmal ohne die Amerikaner laufen, die nämlich in Bali selbst diese Effizienzstrategien torpediert und sabotiert haben. Wir wollen, wie Reinhard Loske gerade gesagt hat, endlich eine schlagkräftige UNO-Umweltorganisation. ({3}) Frau Homburger, ich habe vorhin mit großem Amüsement Ihren schönen, in vielen Dingen völlig richtigen Antrag zu Johannesburg gelesen. Darin schreiben Sie: Man muss die Institutionen stärken, die für Umwelt zuständig sind. Sie nennen namentlich die Welthandelsorganisation, die WTO. ({4}) Sic! Wir wollen eine zuverlässige und erhöhte Entwicklungshilfe. Wir wollen den Schutz der öffentlichen Güter sichern. Wir wollen, dass das Kioto-Protokoll, das Cartagena-Protokoll und die rhus-Konvention endlich in Kraft treten. Und, meine Damen und Herren, wir stellen uns vor, dass unsere Enkel und Urenkel in Johannesburg mit am Tisch sitzen. Politik für die Urenkel, das ist nachhaltige Entwicklung! Vielen Dank. ({5})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich schließe die Aus- sprache. Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlussemp- fehlung des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit auf Drucksache 14/9417 zu dem Antrag der Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grü- nen mit dem Titel „Weltgipfel für nachhaltige Entwicklung in Johannesburg 2002: Der nachhaltigen Entwicklung zum Durchbruch verhelfen“. Der Ausschuss empfiehlt, den An- trag auf Drucksache 14/9052 anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltun- gen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen von CDU/CSU, FDP und PDS angenommen. Tagesordnungspunkt 22 b: Abstimmung über die Be- schlussempfehlung des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung auf Drucksache 14/9420 zu dem Antrag der Fraktion der CDU/CSU mit dem Titel „Die Schöpfung bewahren, entwicklungsorien- tiert handeln: Weltgipfel in Johannesburg muss neue Im- pulse für globale nachhaltige Entwicklung setzen“. Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 14/9025 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschluss- empfehlung ist mit den Stimmen von SPD, Bündnis 90/ Die Grünen und PDS gegen die Stimmen von CDU/ CSU und FDP angenommen. Tagesordnungspunkt 22 c: Abstimmung über die Be- schlussempfehlung des Ausschusses für Umwelt, Natur- schutz und Reaktorsicherheit auf Drucksache 14/9380. Unter Nr. 1 seiner Beschlussempfehlung empfiehlt der Ausschuss die Annahme des Antrages der Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen auf Drucksache 14/9056 mit dem Titel „Nachhaltige Entwicklung - neuer Gestaltungsansatz für die Globalisierung“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen von CDU/CSU, FDP und PDS angenommen. Unter Nr. 2 seiner Beschlussempfehlung empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrages der Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache 14/9024 mit dem Titel „Initia- tive für eine nationale Nachhaltigkeitsstrategie“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt da- gegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und PDS gegen die Stimmen von CDU/CSU und FDP ange- nommen. Schließlich empfiehlt der Ausschuss unter Nr. 3 seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung eines Antrages der Fraktion der FDP auf Drucksache 14/9091 mit dem Titel „Liberale Akzente einer nationalen Nachhaltigkeitsstrate- gie“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussemp- fehlung ist mit den Stimmen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und PDS gegen die Stimmen von CDU/CSU und FDP angenommen. Tagesordnungspunkt 22 d: Abstimmung über die Be- schlussempfehlung des Ausschusses für Umwelt, Natur- schutz und Reaktorsicherheit auf Drucksache 14/6423 zur Unterrichtung der Bundesregierung über das sechste Um- weltaktionsprogramm der Europäischen Gemeinschaft. Der Ausschuss empfiehlt, in Kenntnis der Unterrichtung eine Entschließung anzunehmen. Wer stimmt für diese Be- schlussempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen von CDU/ CSU und FDP bei Enthaltung der PDS angenommen. Tagesordnungspunkt 22 e: Abstimmung über die Be- schlussempfehlung des Ausschusses für Umwelt, Natur- schutz und Reaktorsicherheit auf Drucksache 14/6922 zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung über die Mitteilung der Kommission mit dem Titel „Die Umwelt Europas: Orientierung für die Zukunft“. Der Ausschuss emp- fiehlt, in Kenntnis der Unterrichtung eine Entschließung an- zunehmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der SPD, des Bündnisses 90/ Die Grünen und der PDS gegen die Stimmen der CDU/ CSU und der FDP angenommen. Tagesordnungspunkte 22 f und 22 g: Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 14/8755 und 14/8792 an die in der Tagesordnung aufge- führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein- verstanden? - Das ist der Fall. Dann sind die Überwei- sungen so beschlossen. Tagesordnungspunkt 22 h: Abstimmung über die Be- schlussempfehlung des Innenausschusses auf Drucksache 14/6012 zu dem Antrag der Fraktion der PDS mit dem Ti- tel „Ressourcenverbrauch der Bundesrepublik Deutsch- land statistisch besser abbilden“. Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 14/2654 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt da- gegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen des Hauses gegen die Stimmen der PDS- Fraktion angenommen. Zusatzpunkt 17: Abstimmung über den Antrag der Fraktion der PDS auf Drucksache 14/9364 mit dem Titel „Vorbereitung auf den Gipfel der Vereinten Nationen zur nachhaltigen Entwicklung in Johannesburg“. Wer stimmt für diesen Antrag? - Wer stimmt dagegen? - Stimment- haltungen? - Der Antrag ist mit den Stimmen des Hauses gegen die Stimmen der PDS-Fraktion abgelehnt. Zusatzpunkt 18: Abstimmung über den Antrag der Fraktion der FDP auf Drucksache 14/9393 mit dem Titel „Liberale Impulse für eine globale nachhaltige Entwick- lung“. Wer stimmt für diesen Antrag? - Wer stimmt dage- gen? - Enthaltungen? - Der Antrag ist mit den Stimmen der SPD, des Bündnisses 90/Die Grünen und der PDS ge- gen die Stimmen der CDU/CSU und der FDP abgelehnt. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 27 a und 27 b auf: a) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung ({0}) zu dem Antrag der Abgeord- neten Karl-Josef Laumann, Horst Seehofer, Brigitte Baumeister, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU Arbeit statt Sozialhilfe - Hin zu einer Kultur von Geben und Nehmen - Drucksachen 14/7443, 14/8663 - Berichterstattung: Abgeordnete Brigitte Lange b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung ({1}) - zu dem Antrag der Abgeordneten Dirk Niebel, Dr. Irmgard Schwaetzer, Dr. Heinrich L. Kolb, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Für eine sinnvolle Zusammenfassung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe - zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Irmgard Schwaetzer, Dr. Heinrich L. Kolb, Dirk Niebel, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Für eine beschäftigungsorientierte und aktivierende Sozialpolitik - Sozialhilfe und Arbeitsmarktpolitik grundlegend reformieren - Drucksachen 14/5983, 14/6951, 14/8665 Berichterstattung: Abgeordnet Brigitte Lange Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Stunde vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Kollegen Karl-Josef Laumann, CDU/CSU-Fraktion, das Wort.

Karl Josef Laumann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001294, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! In den 60er-Jahren gab es bei uns in Deutschland rund eine halbe Million Sozialhilfeempfänger. Heute sind 2,7 Millionen Menschen auf Hilfe zum Lebensunterhalt angewiesen. Für die entsprechenden Leistungen haben wir alleine im letzten Jahr einen Betrag von 20 Milliarden DM aufgewendet. Von den 2,7 Millionen Sozialhilfeempfängern sind nach Schätzungen vieler Fachleute rund 1 Million grundsätzlich arbeitsfähig, weil sie weder Familienpflichten haben noch krank, behindert oder über 65 Jahre alt sind. Daneben gibt es rund 1,5 Millionen Menschen, die ebenfalls keine Arbeit haben, bedürftig sind und von der Bundesanstalt für Arbeit im Jahr 2000 25,7 Milliarden DM bezogen haben. Wenn wir über die Zusammenführung der Arbeitslosen- und der Sozialhilfe reden, finde ich es wichtiger, im Auge zu haben, dass wir über 3,5 Millionen Menschen sprechen, die durch diese Hilfesysteme ihre Existenz sichern, als sich die Zahlen anzuschauen. Im Mittelpunkt unserer Arbeit und Auseinandersetzung muss, bevor wir die Systeme zusammenführen, deshalb stehen, dass es uns nicht um eine Leistungsabsenkung, sondern vor allen Dingen darum geht, die beiden Systeme in ein neues System zusammenzuführen, mit dem es uns besser gelingt, den Menschen eine Hilfe zu geben, damit sie im ersten Arbeitsmarkt wieder Fuß fassen und ihre Bedürftigkeit durch Arbeit überwinden können. ({0}) Deswegen muss man zunächst einmal überlegen: Welche Gruppen gehören eigentlich in ein vorübergehend bedarfs- und bedürftigkeitsabhängiges System? Wir alle sind uns einig: Seit Jahren gibt es in Deutschland die Fehlentwicklung, dass rund 1 Million Kinder von der Sozialhilfe leben. Die erste Voraussetzung für staatliche Transferleistung muss sein - damit sind wir beim Thema Familienbzw. Kindergeld -, dass Kinder kein Grund sein dürfen, von der Sozialhilfe abhängig zu werden. Ich glaube, dass die Diskussion über das so genannte Lohnabstandsgebot nur dann geführt werden darf, wenn Kinder nicht mehr von der Sozialhilfe abhängig sind. Der Sozialhilfebedarf einer Familie mit mehreren Kindern hat zusammen mit einem anteiligen Mietzuschuss in vielen Fällen eine Höhe erreicht, bei der so manches Arbeitnehmer- und Facharbeitergehalt nicht mehr mithalten kann. Sie bekommen das Problem des Lohnabstandsgebotes nur dann in den Griff, wenn eine Familie mit mehreren Kindern für die Kinder nicht mehr Sozialhilfe, sondern ein Familiengeld bekommt. Für die Eltern lohnt es sich in dem Fall eher, einer Beschäftigung nachzugehen, weil sie dann die Möglichkeit haben, ihren Lebensstandard durch eigene Arbeit zu verbessern. ({1}) Ein weiterer Punkt sollte unstrittig sein. Zwei Drittel der Leistungen der Sozialhilfe gehen in die so genannte institutionelle Sozialhilfe, zum Beispiel in die Eingliederungshilfe. Gehört ein Mensch, der zum Beispiel geistig oder körperlich behindert ist und niemals in der Lage sein wird, seinen Lebensunterhalt durch Arbeit zu verdienen, in ein System wie die Sozialhilfe, die immer darauf angelegt war, eine kurzfristige bedarfs- und bedürftigkeitsabhängige Leistung zu sein? Bei der Zusammenführung der Präsident Wolfgang Thierse Arbeitslosen- und der Sozialhilfe müssen wir im Auge haben, dass wir - dazu gibt es viele Resolutionen des Parlamentes - die Behinderten durch ein Leistungsgesetz aus der Sozialhilfe herausnehmen. ({2}) Nach meiner tiefen Überzeugung gibt es noch einen weiteren Punkt, den wir in Angriff nehmen müssen, bevor wir die beiden Systeme zusammenführen. Wir müssen den Unterschied zwischen brutto und netto im Bereich von niedrigen Löhnen zugunsten von netto verringern. Die Hälfte der Menschen, die in Deutschland langzeitarbeitslos und auf diese beiden bedarfs- und bedürftigkeitsabhängigen Systeme angewiesen sind, hat keine abgeschlossene und qualifizierte Berufsausbildung. Ich bin sehr für Qualifizierung. Aber ich glaube, dass es zu einem realistischen Menschenbild gehört - das christliche Menschenbild ist ein sehr realistisches -, dass man nicht jeden so qualifizieren kann, wie es die jetzige wirtschaftliche und gesellschaftliche Situation erfordert. Deswegen brauchen wir Arbeitsplätze für gering Qualifizierte. Diese haben wir in der Geschichte im Übrigen immer gebraucht. Ich kann mich aus meiner Lehrzeit daran erinnern, dass es in unserer Firma viele Hilfsarbeiter gab. Diese Jobs sind in der Fertigung und in der Industrie sehr stark weggebrochen. Sie sind im Dienstleistungsbereich neu entstanden, aber mit einem Lohnniveau, das unter dem der Industrie liegt. Dieses liegt in vielen Bereichen leider Gottes unterhalb der Sozialhilfe. Dass bei Einkommen, die über 325 Euro liegen, ein Sozialversicherungsbeitrag von 20 Prozent erhoben wird, halte ich für unsozial. Wir müssen deswegen zu einem degressiven Aufbau des Sozialversicherungsbeitrages kommen. ({3}) Wenn wir so weit sind, dass wir für den Niedriglohnbereich eine Lösung gefunden haben, dass kein Kind mehr von Sozialhilfe leben muss, dass Behinderte außerhalb der Sozialhilfe zuverlässig abgesichert sind, dann kann man die Systeme zusammenführen. In dem Fall muss der Grundsatz gelten, dass nur Bedürftigkeit plus Eigenleistung, um aus dieser Situation herauszukommen, einen Anspruch auf die volle Höhe der Leistungen ergibt. Durch die Umkehr der Beweislast können wir den Grundsatz von Fördern und Fordern wieder enger zusammenführen. Was heißt das? In Deutschland darf es nicht so bleiben, dass junge Menschen, die zum Beispiel keinen Hauptschulabschluss haben, Sozialhilfe als staatliche Transferleistung beziehen, ohne zumindest an Maßnahmen zur Erreichung des Hauptschulabschlusses teilzunehmen. Ähnliches muss auch für unsere ausländischen Mitbürger, die an Sprachkursen teilnehmen, gelten, wenn sie Leistungen aus unseren Hilfesystemen beziehen. Das muss auch im Bereich der gemeinnützigen Arbeit gelten. Konkrete Angebote aus dem Bereich des Niedriglohnsektors müssen, wie gesagt, ebenfalls angenommen werden. Ich bin fest davon überzeugt, dass in den letzten Jahren das Unsozialste an der Sozialpolitik in Deutschland war, dass wir den Menschen, die wir nicht so sehr für die Arbeitswelt gebraucht haben, zwar staatliche Transferleistungen gezahlt haben, dass wir uns dann aber viele Jahre um diese Menschen nicht weiter gekümmert haben. Ich kann mich noch daran erinnern, dass Anfang der 90erJahre, als ich Mitglied dieses Parlaments wurde, alles, was man als gemeinnützige Arbeit bezeichnen konnte, insbesondere bei der SPD ziemlich verpönt war. ({4}) Wir wissen, dass es hier ein großes Umdenken in den Kommunen gegeben hat und dass die Kommunen heute - dafür sind wir alle ihnen sehr dankbar - sehr viele Hilfeangebote machen. Wenn man den betroffenen Menschen nur Geld gibt und sie ansonsten in ihrer Perspektivlosigkeit alleine lässt, dann führt dies zu schweren, fast nicht mehr zu reparierenden Schäden. Viele sind daran psychisch krank geworden. Das wissen wir alle doch durch unsere Wahlkreisarbeit. Andere wiederum sind in die Drogenabhängigkeit und in das Kneipenmilieu abgerutscht. Es ist ganz schwer, solche Menschen wieder für den Arbeitsmarkt zu reaktivieren. An der Volksweisheit „Müßiggang ist aller Laster Anfang“ ist etwas Wahres dran. Ich füge noch hinzu: Je jünger die Menschen sind, die davon betroffen sind, desto mehr stimmt diese Volksweisheit. Deswegen bin ich der festen Überzeugung, dass es sehr sozial ist, wenn wir in unserem Antrag fordern, dass die Menschen die konkreten Angebote, die ihnen gemacht werden, annehmen müssen, wenn sie die Transferleistungen, die sie bisher in Anspruch genommen haben, in vollem Umfang behalten wollen. Ich möchte gerne noch drei weitere Punkte kurz ansprechen. Wenn wir in der nächsten Wahlperiode die Arbeitslosen- und Sozialhilfe zusammenführen werden, dann wird die schwierigste Frage sein: Wie soll die Finanzierung durch Bund, Länder und Gemeinden aussehen? Die Gemeinden sind zurzeit diejenigen, die sich am meisten und am zielgenauesten um die Menschen kümmern, die Leistungen aus diesen Hilfesystemen beziehen. Die Gemeinden müssen - darin bin ich mir ganz sicher - eine Schlüsselrolle in dem neu zu schaffenden Hilfesystem übernehmen. Es wird daher sehr wichtig sein, dass wir für die Gemeinden eine verlässliche Grundlage zur Finanzierung der diesbezüglichen Aufgaben schaffen. Ziel muss es sein, zu vermeiden, dass die Gemeinden - es gibt viele Gemeinden, die in Gebieten liegen, in denen es einen großen Strukturwandel gibt - das Risiko der Finanzierung der Langzeitarbeitslosigkeit übernehmen. Wir müssen ein System schaffen, das auf der einen Seite den Gemeinden den Anreiz bietet, sich um die betroffenen Menschen zu kümmern und davon auch zu profitieren, und das auf der anderen Seite dafür sorgt, dass das Risiko der Finanzierung der Langzeitarbeitslosigkeit beim Bund bleibt, weil wir in diesem Parlament über die wichtigsten Instrumente der Steuer-, der Wirtschafts- und der Sozialpolitik und damit auch in starkem Maße über die wirtschaftliche Entwicklung in Deutschland entscheiden. Diese Möglichkeiten haben die Gemeinderäte nicht. Wie sieht es mit der Sozialversicherungspflicht in dem neu zu schaffenden Hilfesystem aus? Ich bin sehr dafür, dass die Menschen Mitglied in der gesetzlichen Krankenkasse sind. Das ist bislang immer daran gescheitert, dass sich Krankenkassen und Sozialhilfeträger nie über die Höhe des Krankenkassenbeitrages einig werden konnten. Unser konkreter Vorschlag ist, dass die gesetzlichen Krankenkassen zwar die Finanzierung der Gesundheitsversorgung übernehmen, dass sie aber ihre Leistungen mit den Sozialhilfeträgern spitz abrechnen. So können wir das Problem der Höhe des Beitragssatzes lösen. Ein allerletzter Punkt. Ich bin der Meinung, dass wir uns die Vermögensfreigrenzen genau anschauen müssen, bevor wir Veränderungen bei der Arbeitslosenhilfe und der Sozialhilfe vornehmen. Ich halte vor allen Dingen die Grenzen für die älteren Menschen für viel zu niedrig. Wir alle sind uns sicherlich darüber einig, dass ein Einfamilienhaus, das von einer Familie bewohnt wird und das eine bestimmte Größe nicht überschreitet, nicht eingebracht werden muss, wenn es um die Feststellung der Bedürftigkeit geht. Denken wir aber einmal an die Gebiete, in denen es nicht üblich ist, ein Einfamilienhaus zu besitzen, und an die Menschen, die vielleicht nie das Geld hatten, sich ein eigenes Haus kaufen zu können. Solche Menschen haben sich unter Umständen - weil sie viele Jahre sparsam gelebt haben - 30 000, 40 000 oder 50 000 DM erspart. Diese sollen nach Ihren Vorstellungen erst einen Großteil ihres Vermögens aufbrauchen, bevor sie Hilfeleistungen in Anspruch nehmen können. Bei den Hausbesitzern sehen Sie das anders. Ich bin dagegen der Meinung - das steht auch in unserem Antrag -, dass es insbesondere für die Menschen, die mit 50 oder 55 Jahren Hilfeleistungen in Anspruch nehmen, eine hohe Vermögensfreigrenze geben muss, damit nicht die Früchte ihres langen Arbeitslebens zerstört werden. Deswegen bin ich sehr dafür, den Unterschied zwischen der Behandlung von Immobilienbesitz und Geldvermögen zu verringern. ({5}) Wir haben sehr sorgfältige Vorschläge gemacht und einen für eine Oppositionsfraktion sehr ausgefeilten Antrag vorgelegt. Ich wäre Ihnen sehr dankbar, wenn Sie diesem Antrag heute zustimmen würden; denn dann hätte die Bundesregierung den Auftrag, in der nächsten Wahlperiode in ein Gesetzgebungsverfahren einzutreten. Dass die jetzigen Systeme in ihren Ergebnissen unbefriedigend sind - sowohl für den Staat als auch für die Betroffenen -, ist allen bekannt. Deswegen sollten wir einmal den Mut haben, ein neues System zu schaffen, das den Menschen vielleicht gerechter wird als das heutige. Schönen Dank. ({6})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile Kollegin Brigitte Lange, SPD-Fraktion, das Wort.

Brigitte Lange (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001282, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Laumann, Sie haben mich mit Ihrer Rede insofern überrascht, als Sie es im Gegensatz zu den letzten Debatten, die wir zu diesem Thema im Plenum, aber auch im Ausschuss hatten, weitgehend vermieden haben, polemisch zu argumentieren. ({0}) - Lesen Sie nach und hören Sie zu! - Herr Laumann, es gehört aber noch etwas dazu, was ich auf Ihrer Seite vermisse. Ich frage mich, ob Sie so viel Gelassenheit und Realitätssinn aufbringen können, um die Regelungen, die bereits Gesetz sind oder in Auftrag gegeben sind, einfach einmal zur Kenntnis zu nehmen. Sie sagen, wir möchten Ihren Antrag heute beschließen, damit die Bundesregierung einen Auftrag bekomme. Einen solchen Auftrag hat sie. Den haben wir hier beschlossen. ({1}) - Herr Laumann, wir haben nicht etwas anderes beschlossen, sondern wir haben etwas Umfassenderes beschlossen, nämlich die Gesamtreform der Sozialhilfe, und dabei ist die Überprüfung der beiden Systeme; der Sozialhilfe und der Arbeitslosenhilfe, ein Teilbereich, den wir angesprochen haben. Ich wäre dankbar, wenn in der fortschreitenden Diskussion Ihre Beispiele nicht wieder den Eindruck erweckten, als würden Sie sich Ohren, Augen und Gedächtnis verstopfen - so vermittelt es sich mir manchmal -, um keinen Vergleich zwischen der Ausgangslage 1998 und heute ziehen zu müssen. Wir haben eine Menge großer und kleiner Schritte zur Verbesserung getan, und zwar auch zur Verbesserung der Lebenssituation von Sozialhilfeempfängern in den vorgelagerten Bereichen. Wir werden sie zäh und beharrlich sowie mit Empathie für die Menschen fortsetzen. ({2}) Ihr Kanzlerkandidat meinte uns vor der BDA rügen zu müssen. Er sagte, Schröder wolle nur, dass es den Unternehmen gut gehe. Zur Erklärung: Zu Unternehmen gehören Arbeitgeber und Arbeitnehmer. Herr Stoiber stellte fest, ihm sei es wichtig, dass es den Unternehmern besser gehe. ({3}) Die Arbeitnehmer hat er dabei vergessen. ({4}) Voller Begeisterung hat er festgestellt, Herr Hinsken - wortwörtlich; ich habe zugehört -, dass das Maß aller Dinge das Wirtschaftswachstum sei. ({5}) Solche Aussagen bringen einen schon ins Grübeln, um es freundlich auszudrücken. Ich glaube, dass eine Politik dieser Art für unser Land nicht gut wäre. ({6}) Wir haben 1998 nicht den Jahrmarkt im Himmel versprochen. Wir waren sehr bescheiden. Schröder ist oft dafür gescholten und verhöhnt worden, dass er gesagt hat: Wir wollen nicht alles anders, aber vieles besser machen. ({7}) In dem „nicht alles anders“ drückt sich auch etwas aus, was ich Ihnen für einen seriösen Wahlkampf empfehle: etwas Bescheidenheit und auch Respekt und Anerkennung gegenüber dem, was gelungen ist. ({8}) Er hat aber auch gesagt, dass er nichts aussitzen wolle, und Sie haben sich sehr über seine Ankündigung aufgeregt, er wolle besonders in Situationen großer Schwierigkeiten und Aufgeregtheiten mit ruhiger Hand regieren. ({9}) Ich tröste Sie mit einem Zitat von Laotse: Durch Bewegung überwindet man Kälte. Durch Stillhalten überwindet man Hitze. Der Weise vermag es, durch seine Reinheit und Ruhe alle Dinge der Welt ins Gleichmaß zu bringen. ({10}) Auf diesem Weg sind wir seit 1998 gut vorangekommen. ({11}) - „Rückwärts“, es geht schon wieder los. Meine lieben Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU, Arbeitnehmerfamilien haben nicht weniger, sondern mehr Geld in der Tasche. Den Familien geht es nicht schlechter, sondern besser. Sie haben vorausgesagt, dass Minister Riester scheitern werde. Inzwischen gibt es die Riester-Rente, die zum Gütesiegel seiner Reform werden wird. ({12}) Im Vergleich mit 1998 ist die Arbeitslosigkeit im Durchschnitt gesunken. Es gibt 430 000 Arbeitslose weniger; es gibt auch weniger Langzeitarbeitslose und weniger arbeitslose Schwerbehinderte. ({13}) Ferner gibt es 1,2 Millionen Erwerbstätige mehr, darunter auch mehr Frauen, die aus der stillen Reserve herauskommen. Des Weiteren haben mit unserem JUMP-Programm 400 000 Jugendliche eine Chance bekommen. ({14}) Aufgrund unserer Steuerentlastungen, der Familienförderung und des Wohngeldes beziehen seit 1998 weniger Menschen Sozialhilfe bei sinkenden Ausgaben in der Sozialhilfe. Ich bitte die FDP, zur Kenntnis zu nehmen, dass der in ihrem Antrag genannte Betrag, nämlich angeblich 40 Milliarden DM im Jahr 1999 - ich warte eben, bis der Kollege von der FDP mir sein Gehör leiht -, ({15}) falsch ist. Sie haben in Ihrem Antrag eine falsche Zahl genannt, die aber wichtig ist. Sie haben angegeben, dass 1999 die Ausgaben für Hilfe zum Lebensunterhalt rund 40 Milliarden DM betragen hätten. Bei dieser Summe handelt es sich aber um die Gesamtausgaben für die Sozialhilfe, das heißt für HLU und Hilfe in besonderen Lebenslagen. Für die von Ihnen angesprochene Hilfe zum Lebensunterhalt sind im Jahr 1999 19 Milliarden DM verausgabt worden. Inzwischen sind die Ausgaben dafür auf netto 8,7 Milliarden Euro gesunken. ({16}) Ich möchte zudem nur erwähnen, dass die Ausgaben für Arbeitslosengeld und Arbeitslosenhilfe zurückgegangen sind. Wir behaupten nicht, dass wir alle Probleme hundertprozentig gelöst hätten. Wir behaupten auch nicht, dass wir sie gleich für das ganze Jahrhundert gelöst haben. - Diese Behauptung kenne ich noch aus der Vergangenheit. - Das können Sie kritisieren. Sie können für sich auch einen Wechsel aus der Opposition erhoffen, aber dafür benötigen Sie Konzepte, nicht nur ein Kompetenzteam. ({17}) Was das angeht, sieht es aber ziemlich mau aus. Ihre Konzepte sind widersprüchlich und manchmal furchtbar altbacken und von vorgestern. ({18}) Manchmal weiß man auch nicht, was Sie eigentlich meinen, weil sich in kurzer Folge die Widersprüche häufen. Wir haben erst gestern über einen dieser Widersprüche geredet. ({19}) Was ich aber für schlimm und den Wählerinnen und Wählern für nicht angemessen halte, ist, dass Sie auf Stimmungen setzen. Späth hat zwar festgestellt, dass Politik und Wirtschaft zu 70 Prozent aus Psychologie bestünden - er ist wenigstens noch ein Optimist -, aber unter Ihnen, lauter enthusiastischen Pessimisten, wird er kaum eine Chance haben. Dieser Pessimismus und diese Schwarzmalerei finden sich auch in Ihren Anträgen - trotz der Ansätze, die ich auch respektiere, Herr Laumann -, aber auch in denen der FDP, die wir heute beraten. Es geht dabei grundsätzlich um die Forderung, die Arbeitslosenhilfe und die Sozialhilfe zusammenzulegen. Was mir dabei besonderen Kummer bereitet, ist Folgendes: Sie negieren Regelungen, die bereits bestehen. Sie arbeiten mit Unterstellungen und beleben alte Vorurteile. Sie wollen weder die Unterschiede begreifen noch die Komplexität - das gilt besonders für die FDP - und ihnen nicht Rechnung tragen. ({20}) Aus einer falschen Diagnose wird aber auch keine richtige Therapie. Wer eine Vereinheitlichung fordert, muss zur Kenntnis nehmen, dass zwar beides steuerfinanzierte Leistungen sind, aber sehr unterschiedliche Systeme. Sozialhilfe soll ein menschenwürdiges Leben sichern. Diese Aufgabe hat Arbeitslosenhilfe nicht, sondern sie ist abgeleitet von dem, was man vorher verdient hat. Reicht das zur Existenzsicherung nicht aus, dann gibt es nur genau ergänzendes Geld. Weil sie unterschiedliche Zielsetzungen haben, sind sie unterschiedlich geregelt. Die Leistungen der Arbeitslosenhilfe sind in der Regel höher; sie können auch mal niedriger sein. ({21}) Zugleich sind alle Arbeitslosenhilfebezieher sozialversichert. ({22}) Haben Sie eigentlich so richtig umfänglich bedacht, welche Auswirkungen das hätte, wenn man das zusammenführt? ({23}) Der Bund finanziert die Arbeitslosenhilfe und entlastet damit die Kommunen und trägt auch zu einem Ausgleich bei, insbesondere für von Arbeitslosigkeit betroffene Kommunen. Haben Sie darüber nachgedacht, wie Sie das machen wollen? ({24}) - Den Antrag habe ich sehr genau gelesen. Sie zeigen dort sehr wenige Problemlösungen auf. Sie haben den schmalen Blick auf die Sache, die Sie wollen, gerichtet, aber nicht darauf, was damit verbunden ist. Dass man in einem Gesamtsozialsystem nicht an einem Baustein arbeiten kann, ohne die anderen auch zu treffen, müssten Sie als Sozialpolitiker eigentlich wissen. Bei Ihnen dominieren die Vorurteile; sie kommen trotz aller Ihrer Beteuerungen immer wieder stark durch. Ich frage mich, was Ihnen eigentlich Sozialhilfebezieher und Arbeitslose getan haben, dass Sie sie immer wieder unter den Generalverdacht stellen, dass sie nicht arbeiten wollten, sich in der sozialen Hängematte wohl fühlten und Leistungen zu Unrecht bekämen. ({25}) - Ich beantworte jetzt keine Zwischenfrage. - Außerdem verhinderten die hohen Transfers die Arbeitsaufnahme. Arbeitgeber stellen das ja gerne fest, um das Existenzminimum zu beseitigen, weil die Ausdifferenzierung der Löhne - ({26}) - Sie reden doch gleich noch; machen Sie es doch anschließend. Oder darf er heute nicht reden? ({27}) - Gut, ich werde Ihnen darauf antworten: Wenn er von einem Reporter gefragt wird, ob es möglich ist, zu Unrecht Sozialhilfe zu beziehen oder die Arbeitsaufnahme zu verweigern, dann muss er darauf antworten, dass das nicht geht. Damit hat er auch Recht. ({28}) Sie aber sind immer der Meinung, man müsse diesen Leuten erst auf die Füße treten oder sie an die Kandare nehmen. ({29}) Selbst wenn das so wäre, Herr Weiß, kommen Sie mit Ihren Methoden nicht weiter. Das ist wirklich eine pädagogische Auffassung aus dem vorletzten Jahrhundert. ({30}) Das DIW hat am 30. Mai 2002 eine Untersuchung veröffentlicht. Es ging darum festzustellen, ob Arbeitslose arbeitsunwillig sind. Das Ergebnis war, dass 80 Prozent der registrierten Arbeitslosen dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen, 60 Prozent sofort, davon 90 Prozent der jungen Arbeitslosen. 40 Prozent schaffen es, einen Arbeitsplatz innerhalb eines Jahres zu finden. So viel zu der Trägheit von Arbeitslosen. Daneben gibt es diejenigen, die resigniert haben, weil sie sich in einem Alter befinden, wo sie entgegen aller forschen Aussagen der Unternehmer nicht mehr eingestellt werden, oder weil sie zig Bewerbungen geschrieben haben, auf die ihnen jedes Mal geantwortet wurde, dass man sie nicht mehr wolle. Ich sage Ihnen: Nein, Ihre Vorstellungen von Anreizen sind keine Visionen, sondern die gibt es bereits alle. Ich könnte Ihnen dafür auch Stellen aus dem Sozialhilfegesetz zitieren.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Frau Kollegin Lange, kommen Sie bitte zum Schluss.

Brigitte Lange (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001282, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich komme gleich zum Schluss. Mit der Umkehr der Beweislast, mit Quartalsmeldepflichten und mit der Beschränkung der Leistungsdauer von Arbeitslosengeld kommen Sie überhaupt nicht weiter. Sie sollten uns folgen. Wir wollen die Situation von Arbeitslosenhilfe- und Sozialhilfebeziehern verbessern. Der Bezug von Sozialhilfe darf kein Dauerzustand sein. Wir werden mit unseren Reformen dazu beitragen, dass ein solcher Dauerzustand überwunden wird. Unsere Reformen sind eingeleitet worden. Ich fordere Sie auf, sich an unseren Reformen zu beteiligen. ({0})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt der Kollege Dirk Niebel von der FDP-Fraktion. ({0})

Dr. h. c. Dirk Niebel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003198, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Umgang mit dem Thema der Zusammenlegung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe ist ein Paradebeispiel für die Politik der ruhigen Hand sowie für Untätigkeit und Unfähigkeit dieser Regierung. Dieser Umgang steht im Gegensatz zu den blumigen Ankündigungen des Bundeskanzlers in seiner Regierungserklärung, bei der Reform der Sozialhilfe einen grundlegenden Schritt zu gehen. Frau Kollegin Lange, es ist mir unbegreiflich, warum Sie mit dieser Regierung noch irgendetwas zu tun haben, wenn Sie alles negieren, was diese Regierung sagt. ({0}) Der Bundesarbeitsminister hat in diesem Hause die Notwendigkeit der Zusammenlegung der beiden steuerfinanzierten Transferleistungen Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe vom Grundsatz her schon vielfach anerkannt. Vor der Bundestagswahl traut er sich bloß nicht, die ersten notwendigen Weichenstellungen vorzunehmen; denn er hat Angst, dass ihm gerade der Gewerkschaftsflügel der SPD massiv in die Parade fährt. ({1}) Eines ist selbstverständlich klar: Wir müssen auch in diesem Land dem Gerechtigkeitsprinzip „Keine Leistung ohne grundsätzliche Bereitschaft zur Gegenleistung“ wieder Geltung verschaffen. ({2}) Herr Gilges, an diesem Punkt widerspreche ich dem Bundeskanzler ausdrücklich: Selbstverständlich gibt es in einer liberalen Gesellschaft ein Recht auf Faulheit. Es gibt aber keinen Anspruch darauf, dass die Allgemeinheit sie finanziert. ({3}) Es gibt 2,7 Millionen Sozialhilfeempfänger. Ungefähr 800 000 davon sind grundsätzlich arbeitsfähig. Wir müssen Anreize schaffen, diesen Menschen die Rückkehr in den ersten Arbeitsmarkt zu erleichtern. ({4}) Das schaffen wir nicht, wenn es weiterhin möglich ist, dass jemandem, der hinzuverdient, fast alles von dem, was er verdient, wieder abgezogen wird. Jemand, der wirtschaftlich klar denkt, muss sich sagen: Es lohnt sich nicht, legal zu arbeiten. Er findet andere Wege. Deswegen müssen wir die Freibeträge im Rahmen der sozialen Transferleistungen langsam erhöhen. Wir müssen dafür sorgen, dass es sich wieder lohnt zu arbeiten. Wir müssen dafür sorgen, dass derjenige, der in den Arbeitsmarkt zurückkehrt, mehr in der Tasche hat als derjenige, der nicht zurückkehrt. ({5}) Das bedeutet in der Konsequenz natürlich auch, dass wir die im Moment vorgesehenen Sanktionsmechanismen besser anwenden müssen. Zurzeit ist es so, dass die Sozialbehörde nachweisen muss, dass jemand nicht arbeiten will. Wir sind der Ansicht: Wenn jemand Hilfe vom Staat, also von allen Steuerzahlerinnen und Steuerzahlern, haben möchte, dann ist es gegenüber dem Hilfeempfänger durchaus nicht zu viel verlangt, dass er nachweist, dass er nicht arbeiten kann. Wenn wir das erreichen, wird denjenigen, die unserer Hilfe bedürfen, ein Leben in Würde tatsächlich finanziert werden können. Allein die Doppelverwaltung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe kostet uns im Jahr 3,5 Milliarden Euro. Das ist doch hanebüchen. Wenn wir das Geld zur Verfügung hätten, um die Reintegration der Hilfeempfänger in den Arbeitsmarkt zu verbessern, dann wäre allen wesentlich mehr geholfen. ({6}) Von daher fordert die FDP mit einem ganz klaren Konzept, Kollegin Lange - offenkundig haben Sie die letzten Seiten unseres Antrags nicht bekommen oder nicht gelesen -, die Zusammenführung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe, ohne dass die Kommunen mehr belastet werden, als es jetzt der Fall ist. Das unterscheidet unseren Antrag von dem der Union sehr. Wir begrüßen diesen Antrag ansonsten durchaus, weil er ein Schritt in die richtige Richtung ist. Wir wollen den Ländern und Gemeinden, die die Sozialhilfekosten zu tragen haben, die Mittel, über die der Bund im Moment dafür aufwendet, in Form eines Budgets nach dem Schlüssel der Arbeitslosenhilfeempfänger zukommen lassen. Dieses Budget stärkt auch den Anreiz für die Kommunen, ihre Hilfeempfänger möglichst schnell in den Arbeitsprozess zurückzuführen. Dieses Budget bedeutet in der Konsequenz, dass diejenige Gemeinde oder diejenige Stadt, die ihren Hilfeempfänger schnell in Arbeit vermitteln kann, Geld übrig hat, das sie zur Verbesserung der Infrastruktur verwenden kann. Dadurch bekommt sie wirklich einen fiskalischen Anreiz, ihre Hilfeempfänger schnell zu vermitteln. ({7}) Das geht nur, wenn wir diese Hilfesysteme hinsichtlich des verwaltungstechnischen Ablaufs in ein neues Korsett bringen. Es soll nur noch einen Ansprechpartner geben. Außerdem schlagen wir ein Jobcenter vor, in dem die HilBrigitte Lange feempfänger umfassend betreut werden - von der staatlichen über die private Arbeitsvermittlung hin zu Zeitarbeitsfirmen und Bildungsträgern. Dazu gehören auch Qualifizierungsmaßnahmen, die im Haus am Computer oder mit welchen Hilfsmitteln auch immer durchgeführt werden können, und Umschulungsmaßnahmen. Dazu zählen weiterhin Schuldnerberatung und Therapieangebote aus einer Hand, damit all diejenigen, die Hilfe brauchen, sie sofort bekommen. Wir wollen mit unserem Konzept der Zusammenlegung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe die Teilhabemöglichkeiten der Menschen in dieser Gesellschaft verbessern. Wir wollen Chancen schaffen, dabei zu sein. Dabei zu sein bedeutet, mehr Freiheit zu haben. In 100 Tagen ist Freiheitszeit. Vielen Dank. ({8})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt die Kollegin Ekin Deligöz vom Bündnis 90/ Die Grünen.

Ekin Deligöz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003068, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir reden hier wieder einmal über die Sozialhilfe, über die letzte tragende Säule des Sozialstaates. Diese Säule dient dazu, das soziokulturelle Existenzminimum in Deutschland sicherzustellen. Mit ihr wird dafür Sorge getragen, dass die Armut bekämpft wird, sodass wir sie in unserem reichen Land nicht erleben müssen. Es geht aber auch um Verteilungsgerechtigkeit und Chancengleichheit. ({0}) Am Anfang war ich angenehm überrascht, Herr Laumann. Es schien so zu sein, dass wir eine grundsolide Debatte darüber führen könnten, wie wir in diesem Bereich gemeinsam vorankommen können. ({1}) Nach der Rede von Herrn Niebel muss ich aber sagen: Sie dürfen nicht so tun, als ob die Menschen, die Sozialhilfe oder Arbeitslosenhilfe beziehen, ein Wahlrecht zwischen Arbeitsaufnahme und Sozialhilfe oder ein Wahlrecht zwischen faul sein und arbeiten gehen hätten. Das ist de facto nicht der Fall. Es gibt heute schon in beiden Systemen Sanktionsmöglichkeiten. Wir haben die Sanktionsmöglichkeit, beispielsweise die Sozialhilfe um bis zu 25 Prozent zu kürzen oder auch komplett zu streichen, wenn sich die betreffenden Menschen offenkundig weigern, eine Arbeit anzunehmen. Das ist heute schon möglich. Sie reden über Jobcenter; einen entsprechenden Vorschlag haben Sie gemacht. Aber die gibt es doch schon heute. Entsprechende Regelungen haben wir gesetzlich verankert. Sie reden über eine bessere Qualifizierung. Genau in diesen Bereich investieren wir. Die Zahl der Qualifizierungsmaßnahmen ist gestiegen. Sie reden darüber, dass man Sozialhilfeempfängern einen Zugang zum Arbeitsmarkt schaffen sollte, damit sie eine Arbeit aufnehmen können. Das geht doch heute auch schon. Sie reden darüber, dass wir keine Weichen gestellt und dass wir nichts getan hätten. Ich erinnere Sie an die vielen Modellprojekte, die zurzeit laufen, und nenne in diesem Zusammenhang das Modellprojekt MoZArT, in dem es um die Zusammenlegung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe sowie um Pauschalbeträge geht. Damit wird die Verantwortung des mündigen Bürgers herausgestellt. Ich nenne ferner das Mainzer Modell, in dem es darum geht, Anreize zu schaffen, damit die Menschen eine Arbeit aufnehmen können, ohne sich fragen zu müssen, ob es sich rentiert, zu arbeiten. Genau das ist das Ziel des Mainzer Modells. Nicht zuletzt haben wir das JobAQTIV-Gesetz verabschiedet, das sich auf die Langzeitarbeitslosen konzentriert. Kernpunkt dieses Gesetzes ist das Konzept des Förderns und des Forderns. ({2}) - Sie sagen jetzt, es helfe nicht. Dieses Gesetz ist seit dem 1. Januar 2002 in Kraft. Wie können Sie erwarten, dass man nach wenigen Monaten schon entscheiden kann, ob dieses Gesetz hilft oder nicht? Selbstverständlich hilft dieses Konzept. ({3}) Sie müssen nur genau hinschauen und dem Gesetz Zeit geben, seine Wirkung zu entfalten. ({4}) Aber das tun Sie nicht. Bevor Sie unser Gesetz kritisieren, sollten Sie sich besser informieren. Sie reden zwar. Trotzdem muss man fragen: Wo sind die Taten? ({5}) Die Taten werden von der anderen Seite des Hauses vollbracht. Diese Regierung hat gehandelt. Während Sie reden, setzen wir unsere Maßnahmen um. ({6}) Ich komme jetzt zu den Zahlen, die Sie so vollmundig verkünden. Ich zitiere einmal aus dem Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung. Diese Bundesregierung hat als erste Regierung einen solchen Bericht erstellt. Wir wollen Transparenz und Ehrlichkeit. Deshalb wollen wir nicht nur über Armut, sondern auch über Reichtum in diesem Land informiert werden. Wir wollen wissen, wie die Zahlen sind und uns offen dazu bekennen. ({7}) Wir reden über die 2 879 000 Empfänger von Hilfe zum laufenden Lebensunterhalt, nicht aber über die bedürftigen Menschen, wie es von der FDP immer wieder verwechselt wird. Darunter sind Minderjährige, darunter sind Personen über 60 Jahre, darunter sind wegen häuslicher Bindung nicht erwerbstätige Menschen - sie betreuen Pflegebedürftige oder haben Kinder unter drei Jahren -, darunter sind wegen Krankheit, Behinderung oder Arbeitsunfähigkeit nicht erwerbstätige Menschen. Darunter sind auch Vollzeit- oder Teilzeiterwerbstätige, die ein niedriges Einkommen haben. Darunter sind aufgrund von Qualifikationsmaßnahmen, Weiterbildung oder Ausbildung nicht erwerbstätige Menschen. Darunter sind auch Menschen, die nicht arbeiten können, weil sie zwei Kinder im Alter von über drei Jahren haben, aber Alleinerziehende sind und nicht wissen, wo die Kinder betreut werden sollen, wenn der Kindergarten um 12.30 Uhr schließt, sich die Teilzeitarbeit aber bis 13 Uhr erstreckt. Wir müssen uns zu diesen Menschen bekennen, die wir nicht bestrafen wollen und auch nicht bestrafen sollten, weil sie ein Teil dieser Gesellschaft sind; ihnen müssen wir Rückendeckung geben. Wenn wir deren Zahl abziehen, dann reden wir über 400 000 Menschen. ({8}) Diesen Menschen wird vonseiten der FDP und teilweise auch der CDU/CSU unterstellt, sie seien einfach nur faul und wollten nicht arbeiten. ({9}) - Nein, das hat nicht der Kanzler gemacht. In der weiteren Debatte sagen Sie, wir könnten die gesamten Mittel durch die Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe einsparen; es ginge noch viel besser, wenn wir das Geld zugunsten von Familien einsparten und es für das 600-Euro-Familiengeld-Konzept einsetzten. Ich finde schon die Rechnung seltsam, bei 400 000 Menschen 20 Milliarden Euro einzusparen; denn das Gesamtbudget für das Sozialhilfesystem beträgt 21 Milliarden Euro. Aus dem eingesparten Geld soll ein Familiengeld für die Eltern von Kindern in den ersten drei Lebensjahren finanziert werden. Sie wollen die gesamte Sozialhilfe abschaffen und auch den sehr gut verdienenden Partner mit dem 600-Euro-Konzept fördern. Sie schaffen damit eine Herdprämie für Frauen, damit sie nicht erwerbstätig werden oder sind. Ich zitiere Herrn Friedrich Merz, der sagte: Darin sehen wir die Lösung des Arbeitsmarktproblems. ({10}) Anschließend erklären Sie hier, wie toll Ihr Konzept ist. Ich sage Ihnen: Ihr Konzept ist nichts anderes als eine Lüge. ({11}) Was müssen die Eckpunkte eines Sozialsystems sein? Wir brauchen ein System, das unbürokratisch, transparent und bürgergerecht ist, ein System, das für die Menschen weniger entmündigend ist und mehr auf sie ausgerichtet ist, das Anreize setzt, erwerbstätig zu sein, aber vor allem ein System, bei dem die Menschen und nicht irgendwelche Vorurteile ihnen gegenüber im Mittelpunkt stehen. In diesem System - das haben Sie in Ihren Konzepten überhaupt nicht vorgesehen - brauchen wir auch Infrastruktur. 40 Prozent der Sozialhilfeempfängerinnen sind allein erziehende Frauen. Für diese Frauen brauchen wir Kinderbetreuungseinrichtungen, die ihnen Erwerbstätigkeit erst grundsätzlich ermöglichen. Wir brauchen ein System, das Familien aus der Sozialhilfe herausholt. Dazu brauchen wir aber nicht diese Faulheitsdebatte, sondern Hilfestellungen. ({12}) Unser Vorschlag einer Kindergrundsicherung ist eine Lösung, die finanzierbar, systemkompatibel und sofort umsetzbar ist, ({13}) mit der Familien aus dem Sozialhilfesystem herausgeholt werden, die dafür sorgt, dass keine Familie sozialhilfebedürftig wird, weil Kinder da sind, eine Lösung, die vor allem Anreize zur Aufnahme einer Erwerbstätigkeit steigert, weil das Geld nicht wie im derzeitigen System eins zu eins angerechnet wird. Eine unserer wichtigsten Forderungen ist die Senkung der Lohnnebenkosten. Eine weitere Forderung richtet sich auf eine sehr gute und intensive Arbeitsmarktpolitik, deren Eckpunkte wir nicht nur festgelegt, sondern bereits umgesetzt haben. Ein ganz wichtiger Punkt, über den derzeit debattiert wird, ist folgender: Wir müssen auch Schwarzarbeit und illegale Beschäftigung aktiv bekämpfen. Dazu haben wir einen Gesetzentwurf vorgelegt, der noch immer im Bundesrat liegt. Sie stimmen dagegen. Wenn Sie das, was Sie in Bezug auf die Armutsbekämpfung und das Setzen von Anreizen für die Erwerbsarbeit sagen, ernst meinen, dann müssen wir auch Schwarzarbeit und illegale Beschäftigung, die immer zulasten von Menschen gehen, bekämpfen. Sie haben jetzt die einmalige Chance, dabei mitzumachen. Was hält Sie davon ab? Machen Sie doch einfach mit! ({14}) Ich sage Ihnen, was unsere Konzepte im Wesentlichen von Ihren Konzepten unterscheidet: Es ist das Menschenbild, das dahinter steht. Wir gehen noch immer vom guten Menschen aus, der einen Anspruch auf Unterstützung durch den Staat hat, der nicht von Grund auf schlecht ist. ({15}) Deshalb ist unser Leitmotto jetzt und auch in Zukunft, vor allem aber in diesem Wahlkampf: Im Zweifelsfall sind wir für den Menschen, mit den Armen und den BedürftiEkin Deligöz gen sowie mit den Familien, egal ob allein erziehend oder nicht, und nicht gegen sie. ({16}) Das ist unsere Antwort und daran werden wir festhalten. ({17})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt die Kollegin Pia Maier von der PDS-Fraktion.

Pia Maier (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003449, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich hoffe, dass sich die SPD und die Grünen auch in der nächsten Legislaturperiode noch an diese Reden erinnern werden. ({0}) Sie reden von der Verzahnung der Arbeitslosenhilfe und der Sozialhilfe. Die CDU/CSU und die FDP sprechen etwas klarer von der Abschaffung der Arbeitslosenhilfe. ({1}) In dem Papier der SPD-regierten Länder steht aber auch, dass sie Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe zu einem System zusammenlegen möchten. Das kann doch nicht anders aussehen, als dass die Arbeitslosenhilfe im Wesentlichen abgeschafft wird; denn die Sozialhilfe kann man nicht abschaffen. Das würde ihrem Grundsatz widersprechen. ({2}) Wir werden sehen, was Sie in den nächsten Jahren machen. Ich weiß, was Sie in Ihr Wahlprogramm geschrieben haben. Ich hoffe, dass Sie das hinterher auch umsetzen werden. Aber die Signale, die von Herrn Gerster und von Herrn Eichel kommen, widersprechen leider den Signalen, die von Herrn Riester kommen. Wir werden sehen, ob er dann noch Arbeitsminister ist. ({3}) Von der CDU/CSU und der FDP haben wir die altbekannte Leier gehört. Sie sagen immer wieder, man müsse den Leuten weniger geben, damit sie arbeiten. ({4}) Sie drohen damit, dass die Arbeitslosen gar nichts mehr bekommen, wenn sie nicht ihren Arbeitswillen zu jeder Bedingung nachweisen, also auch für einen Hungerlohn arbeiten würden. Dann, versprechen Sie, werde es neue Arbeitsplätze geben. Ich sage: Das ist alles Quatsch. Zu der Behauptung, dass Arbeitslose nicht arbeiten wollten, ist von Frau Lange schon die DIW-Studie zitiert worden. Ich füge hinzu, dass es kein Wunder ist, dass die Arbeitslosen keine Arbeitsstellen bekommen, solange wir fast 4 Millionen Arbeitslose haben. Vermutlich fehlen sogar 7 Millionen Arbeitsplätze. Angeblich sind 1,5 Millionen Stellen offen. Gemeldet sind lang nicht so viele. Auf jede gemeldete freie Stelle kommen im Augenblick 7,6 Arbeitslose. Bei einem solchen Verhältnis kann man es den Arbeitslosen nicht zum Vorwurf machen, wenn sie keine Stelle finden. Sie wollen arbeiten, bekommen aber keine Arbeit. ({5}) Zu Ihrer zweiten Grundprämisse. Sie sagen immer wieder, die Menschen, die Leistungen bezögen, bekämen zu viel; der Anreiz zu arbeiten sei zu gering. Ich sage: Die Sozialhilfe und die Arbeitslosenhilfe sind nicht so hoch. Es lohnt sich für jeden zu arbeiten; der Lohnabstand ist gewahrt, solange Tariflöhne gezahlt werden. Das ist auch richtig so, denn Niedriglöhne sind der falsche Weg, die Leute in Arbeit zu bringen. Damit verlagern Sie die Probleme und schicken die Leute in die Armut. Sie schicken mit Ihrem Vorschlag, die Arbeitslosenhilfe abzuschaffen, fast 1,5 Millionen Menschen in die Armut. Ich möchte Ihnen an einem Beispiel vorrechnen, was passiert, wenn die Arbeitslosenhilfe abgeschafft wird. Ich nehme dafür das Beispiel einer Durchschnittsfamilie. Der Ehemann, 42, verdient - so ist der bundesweite Durchschnitt - knapp 2 400 Euro. Die Ehefrau ist ebenfalls erwerbstätig; sie verdient zwei Drittel des Durchschnittsentgelts - so ist leider die Realität -, knapp 1 600 Euro. Beide haben Steuerklasse IV, ein Kind; Warmmiete 465 Euro. Im Falle der Arbeitslosigkeit würde sich das Haushaltseinkommen dieser Familie nach der Abschaffung der Arbeitslosenhilfe um 438 Euro verringern. Denn die Arbeitslosenhilfe, auf die der Ehemann einen Anspruch hätte, geht vom ehemaligen Lohn aus. Das Haushaltseinkommen läge bei knapp 2 000 Euro. Die Sozialhilfe geht vom Bedarf der Familie aus. In der Sozialhilfe liegt der Bedarf dieser Beispielfamilie bei 1 287 Euro. Diese 1 287 Euro blieben für die Familie, wenn die Arbeitslosenhilfe abgeschafft würde. Das Kindergeld käme nicht hinzu. ({6}) Das Einkommen der Ehefrau müsste hinzugerechnet werden. Eventuell bestehendes Vermögen müsste aufgebraucht werden. Eine Durchschnittsfamilie hätte438 Euro weniger, wenn die Arbeitslosenhilfe abgeschafft würde. Das sind Ihre Vorschläge. ({7}) - Ich habe das Wohngeld mit eingerechnet. Sie können diese Beispiele nachlesen; ich habe sie mir nicht allein ausgedacht. Sie stammen von Johannes Steffen von der Arbeiterkammer Bremen und sind im Internet zu finden. Der Vorschlag, die Arbeitslosenhilfe abzuschaffen, ist ein Verarmungsprogramm für all diejenigen, die länger als 12 Monate arbeitslos sind und nicht schon vorher arm waren. Wir wollen die Arbeitslosenhilfe ganz bestimmt nicht abschaffen. Wir wollen, dass diese Leistungen, das Arbeitslosengeld und die Arbeitslosenhilfe, ausgebaut werden. Denn die Menschen, die diese Leistungen bekommen, leben schon heute häufig in Armut. Wir fordern eine Grundsicherung in der Arbeitslosenversicherung. Arbeitslosen sollen Leistungen in Höhe der Sozialhilfe von Amts wegen garantiert werden. Wir fordern einen gesetzlichen Mindestlohn, das heißt einen Stundenlohn von 9,42 Euro. Er soll dafür sorgen, dass Menschen, die arbeiten, nicht arm sind. Das sind zukunftsweisende Vorschläge. So lassen sich die Prinzipien des Sozialsystems erhalten. Man sollte die Menschen nicht mit Niedriglöhnen in die Armut treiben. Denn wenn sie auf Lohnersatzleistungen angewiesen sind, bekommen sie zu wenig. Davon können sie im Alter garantiert nicht mehr leben; denn auch die Riester-Rente hilft ihnen nicht. Zu Ihren Vorstellungen bleibt mir zum Schluss nur zu sagen: Hände weg von der Arbeitslosenhilfe! Richten Sie eine Grundsicherung ein! Das wäre ein besserer Weg für die Menschen, die Hilfe brauchen. Führen Sie einen Mindestlohn ein! Damit würden die Menschen, die Arbeit haben, ordentlich entlohnt. Danke. ({8})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt der Kollege Konrad Gilges von der SPD-Fraktion.

Konrad Gilges (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000680, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir beschäftigen uns heute mit Anträgen der CDU/CSU und der FDP. ({0}) Diese Anträge sind ein Ausdruck Ihrer 16-jährigen Versäumnisse. ({1}) Wenn man sie liest, fragt man sich: Warum haben die Damen und Herren, die schon vor unserer Regierungszeit im Parlament waren und regiert haben - der Herr Kolb war sogar Mitglied der Regierung; das war ein wichtiger Mann in dieser Regierung -, das alles, was Sie in Ihre Anträge hineingeschrieben haben, nicht schon längst in diesen 16 Jahren umgesetzt? ({2}) - Sie kommen wahrscheinlich nicht mehr hinein. Das ist kein Verlust für das Parlament, Herr Niebel. ({3}) In den 16 Jahren Ihrer Regierungszeit hat sich die Zahl der Sozialhilfeempfänger - das muss man hier einmal festhalten - verdreifacht. In keiner Regierungszeit nach 1945 sind diese Zahlen so stark gestiegen wie zu Ihrer Regierungszeit, zu der Zeit von Helmut Kohl. ({4}) Jetzt kommen Sie mit klugen Anträgen und klugen Sprüchen. Sie hätten das schon längst tun können. Die Bevölkerung kann nicht darauf vertrauen, dass Sie in den nächsten Jahren die Probleme, die Sie 16 Jahre lang nicht bewältigt haben - in diesen Jahren bestanden ja schon die Probleme, über die wir heute sprechen -, lösen werden. Sie haben es 16 Jahre lang nicht getan und werden es auch in Zukunft nicht tun. ({5}) Nun zu einem weiteren Punkt, zu den Anträgen und deren Menschenbild. Die Anträge sind - so möchte ich das einmal bezeichnen - gefühllos. ({6}) In diesen Anträgen gibt es keine real existierenden Lebewesen. Vielmehr wird nur von irgendwelchen Empfängern oder was auch immer gesprochen. ({7}) Man hat den Eindruck, Sie unterstellen in Ihren Anträgen, dass die Armen an ihrer Lebenssituation, an ihrem Schicksal schuld seien. ({8}) Ich sage: Das stimmt nicht. Das ist unrichtig. ({9}) Die Mehrheit derjenigen, die Sozialhilfe bzw. Arbeitslosenhilfe erhalten, sind unverschuldet in diese Lebenslage geraten. Jeder, der zum Sozialamt bzw. Arbeitsamt geht, kann das nachvollziehen. ({10}) Er braucht nur einmal mit den zuständigen Beamten zu sprechen. Die können ihm die einzelnen Schicksale aufzeigen und erklären, wie die Situation ist. Ich nenne ein Beispiel, Herr Laumann: Ein 50-jähriger Mann arbeitet seit 35 Jahren in einer Bude, ({11}) als sie Pleite macht. - Das war in Ihrer Regierungszeit, etwa im Jahr 1995. ({12}) Er geht zum Arbeitsamt und dort wird ihm mitgeteilt, er sei nicht mehr vermittelbar. Dann treten folgende Stufen ein: Zunächst bekommt er Arbeitslosengeld, bis das irgendwann ausläuft. Dann erhält er Arbeitslosenhilfe; das ist die nächste Stufe. Wenn er Pech hat, wird er zum Sozialhilfeempfänger. Wenn er Glück hat, bekommt er mit 65 Jahren endlich seine Rente. - Das ist das Leben eines 50-Jährigen, der 35 Jahre in einem Betrieb gearbeitet und der dem Schicksal unterworfen ist, dass sein Arbeitgeber - ich füge hinzu: unverschuldet - Pleite gemacht hat. Es wäre gut, wenn Sie sich dieser Lebensrealität einmal annehmen und sich damit in Ihren Anträgen auseinander setzen würden. Aber dazu sagen Sie kein Wort. ({13}) Ich nehme als zweites Beispiel die allein erziehende Mutter. Sie verliert ihren Job spätestens nach dem dritten Kind, weil der Arbeitgeber sagt: Das geht nicht mehr mit dir. Diese Frau weiß nämlich nicht, wo sie ihre Kinder unterbringen soll, weil es in ihrer Gemeinde keine Krippe für Kinder bis zu drei Jahren gibt, weil auch kein Kindergarten und kein Hort für Schüler vorhanden ist, weil es in dieser Bundesrepublik keine Ganztagsschulen gibt. ({14}) - Das trifft auf Bayern genauso wie auf Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen, Rheinland-Pfalz oder Hessen zu. Ich will das gar nicht bewerten und jemandem die Schuld zuweisen. Ich will Sie nur auf die Problemlage aufmerksam machen. Diese Frau hat überhaupt keine Chance, ihren Lebensunterhalt durch Arbeit zu bestreiten, weil es ihr Schicksal ist, allein erziehend zu sein und drei Kinder zu haben, und wir als Gesellschaft nicht in der Lage sind, ihr die Bürde der Erziehung in der Zeit abzunehmen, wenn sie arbeitet. - Das sind Lebensschicksale. Ich habe Ihnen nur zwei Beispiele genannt. Herr Laumann, ich gehe davon aus, dass wir in unseren Grundwerten, auch was das Menschenbild angeht - Sie sind Christ, ich bin Sozialdemokrat -, nicht so weit auseinander liegen; anders ist es mit Herrn Niebel von der FDP. Deshalb möchte ich insbesondere Sie ansprechen. Herr Laumann, es ist nicht ungerecht, wenn jemand Sozialhilfe bekommt. Deshalb darf gegenüber den Menschen auch nicht der Eindruck erweckt werden, Sozialhilfe sei etwas Ungerechtes bzw. - auf der anderen Seite - etwas Unanständiges, dass man, wenn man Sozialhilfe bekommt, von der Gesellschaft ausgegrenzt ist. Auch der Sozialhilfeempfänger ist ein vollwertiges Mitglied unserer Gesellschaft. ({15})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Kollege Gilges, erlauben Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Dr. Luft?

Konrad Gilges (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000680, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sicher, wenn es sein muss.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Bitte schön, Frau Kollegin Dr. Luft.

Prof. Dr. Christa Luft (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002728, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Kollege Gilges, ich unterstreiche gerne all das, was Sie gerade zu den Auswirkungen einer Zusammenlegung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe gesagt haben. Würden Sie mir aber bitte einmal erklären, was die SPD unter der „Verzahnung“ von Sozialhilfe und Arbeitslosenhilfe versteht? Trifft nicht ein Teil der Einwendungen, die Sie zu den Anträgen von CDU/CSU und FDP vorgebracht haben, auch für die „Verzahnung“ dieser beiden Leistungen zu?

Konrad Gilges (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000680, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Kollegin, ich werde Ihnen gleich sagen, was wir darunter verstehen. Wir reden heute, aus welchen Gründen auch immer, über drei Anträge von CDU/CSU und FDP. ({0}) Wir haben hier bereits vor einigen Wochen über unsere Vorstellungen bezüglich der Sozialhilfe einen Beschluss gefasst. Ich werde gleich noch etwas dazu sagen und die Kernpunkte nennen. Ich will mich aber zunächst noch einmal der CDU/CSU und der FDP zuwenden. Ich hätte mir gewünscht, dass in Ihren Anträgen auch einmal etwas über den Reichtum in der Bundesrepublik und über die Verantwortung der Reichen den Armen gegenüber steht. Dazu steht in den Anträgen kein Satz. ({1}) Der Armuts- und Reichtumsbericht, den die Bundesregierung im April des vergangenen Jahres vorgelegt hatte, hat ausgesagt, dass es 1995 rund 13 000 Einkommensmillionäre in unserem Land gab, die durchschnittlich 3 Millionen DM pro Jahr bezogen haben. ({2}) Dabei ist von ihrem Vermögen noch gar nicht die Rede. Es wäre also gut gewesen, dann, wenn man über SozialKonrad Gilges hilfeempfänger und ihre Belastungen redet, auch einmal etwas zu den Reichen und deren gesellschaftlicher Verantwortung zu sagen. Das hätte insbesondere einer christlichen Partei gut angestanden. ({3}) Herr Laumann, zu einem Ihrer Sätze möchte ich eine Bemerkung machen. Sie sagten: Müßiggang ist aller Laster Anfang. Das ist christliche Ideologie. Die kenne ich, weil ich katholisch wie Sie erzogen wurde. Wenn diese Ideologie stimmen würde, Herr Laumann, dann gäbe es unter den Millionären, den Vermögenden und Reichen in diesem Land, die an jedem Tag der Woche Golf spielen können, nur Alkoholiker und Drogenabhängige. ({4}) Für die Millionäre, die ich kenne, ({5}) trifft das nicht zu. Es stimmt schlicht und einfach nicht. ({6}) Ich möchte etwas zu dem Unterschied zwischen Sozialhilfe und Arbeitslosenhilfe anmerken. In Ihrem Antrag sagen Sie: Das sind zwei Leistungen, die eigentlich identisch sind; und weil es sich um zwei Leistungen handelt, kann man sie zusammenwerfen und daraus eine Leistung machen. Das stimmt nicht. Es stimmt aufgrund der historischen Entwicklung und der Ideologie und Theorie der beiden Leistungen nicht. Das wissen Sie auch. Die Sozialhilfe gründet sich auf Art. 1 des Grundgesetzes: „Die Würde des Menschen ist unantastbar“. Das heißt für einen demokratischen Rechtsstaat im Klartext, dass wir jedem Menschen unabhängig von seiner Schuld oder Unschuld die Menschenwürde garantieren müssen. Das finde ich auch richtig so. ({7}) Dass wir dem gerecht werden müssen, unterscheidet uns von anderen Staaten. Das müssen wir der Bevölkerung auch sagen. ({8}) - Das kommt in Ihrem Antrag nicht so zum Ausdruck. Die Garantie der Menschenwürde ist die entscheidende Frage für denjenigen, der über die Gewährung von Sozialhilfe entscheidet. Die Arbeitslosenhilfe hat, wie Sie wissen, eine andere Funktion. Man könnte es sich nach dem Grundgesetz einfach machen, man könnte die Arbeitslosenhilfe abschaffen und das Ganze den Kommunen überantworten. Das wäre verfassungsrechtlich möglich. Ich will aber die Finanzierung beiseite lassen. Die Arbeitslosenhilfe hat die Funktion, dass derjenige, der aus dem Arbeitslosengeld, das richtigerweise - es setzt sich nämlich aus Beitragsmitteln der Arbeitgeber und Arbeitnehmer zusammen zeitlich begrenzt ist, herausfällt, wieder leichter in den Arbeitsmarkt integriert werden kann und dem Arbeitsmarkt zur Verfügung steht. Das ist im Interesse des betroffenen Menschen, aber insbesondere im Interesse der Unternehmen. Deshalb haben sich die Unternehmer für die Schaffung der Arbeitslosenhilfe ausgesprochen. Das war nie widersprüchlich, Herr Niebel. Da sind Sie in Ihrer Entwicklung noch zu weit zurück, um etwas von der Theorie der Sozialhilfe zu kennen. Das sieht man ja auch in Ihrem Antrag, aber lassen wir das! ({9}) Deswegen hat die Arbeitslosenhilfe eine Funktion für beide, für die Arbeitnehmer und die Unternehmen. Man muss deshalb darüber nachdenken, ob man diese zerstören und aus dem sozialen Netz herausnehmen will. Hinzu kommt ein zweiter Punkt: Fast 50 Prozent der Ausgaben des Bundes für die Arbeitslosenhilfe sind Leistungen an die Renten- und Krankenkasse und an die Bundesanstalt für Arbeit. Ich kann das jetzt nicht im Detail, sondern nur aus dem Kopf sagen: Die Kosten für die Arbeitslosenhilfe betragen rund 13 Milliarden Euro. Davon fließen gut 5 Milliarden Euro an staatliche Institutionen: damit die Rente der betroffenen Menschen - um die Menschen geht es - gesichert ist und ({10}) sie krankenversichert sind. Aus diesem Grund ist die Frage der Zusammenlegung nicht so einfach zu beantworten, wie Sie das hier darstellen. Es geht auch um Transferleistungen zwischen Ländern, Gemeinden und dem Bund. Deshalb muss das gut überlegt sein; das kann man nicht locker vom Hocker, wie das in Ihren Anträgen steht, entscheiden. ({11}) Weil Frau Luft danach gefragt hat, mache ich eine Bemerkung zu den Alternativen. Wir haben sie in unserem Antrag dargestellt. Sie können unser Konzept dort nachlesen; es ist die Drucksache 14/7293. Ich möchte nur die zwei Gründe anführen, weshalb wir die Änderungen nicht in dieser Legislaturperiode vornehmen. Der erste Grund: Die alte Bundesregierung hat Modellprojekte im Hinblick auf ein zukünftiges System in Auftrag geben, die erst in diesem Jahr endgültig abgeschlossen werden. Wir hielten es für nicht korrekt, ein neues Konzept für Sozialhilfe und Arbeitslosenhilfe zu entwickeln, bevor die einschlägigen Modellprojekte abgeschlossen sind. Das wäre auch den Wissenschaftlern gegenüber nicht korrekt, die im Auftrag der Bundesregierung daran arbeiten. ({12}) Der zweite Grund: Es ist auch eine Kapazitätsfrage. Wir hatten andere Reformwerke im Bereich der SozialpoKonrad Gilges litik zu organisieren, die Sie nicht geregelt bekommen haben. ({13}) - Bei der Rentenversicherung, Arbeitslosenversicherung usw. ({14}) Wir mussten den Reformmüll, den Sie uns hinterlassen haben, irgendwann einmal aufarbeiten. Das ging ja so nicht weiter. ({15}) - Wer im Glashaus sitzt, soll nicht mit Steinen werfen. ({16}) Ich erinnere an den CDU-Fraktionsvorsitzenden aus Bonn, Herr Meckelburg.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Kollege Gilges, bitte achten Sie auf die Zeit!

Konrad Gilges (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000680, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich habe noch 36 Sekunden.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Nein, Sie haben Ihre Redezeit schon um 36 Sekunden überschritten. ({0})

Konrad Gilges (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000680, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich dachte, ich hätte noch 36 Sekunden. Dann komme ich sofort zu meiner Schlussbemerkung. Ihr Kandidat hat dem „Focus“ ein Interview gegeben, das uns alle irritiert, weil wir den Eindruck gewonnen haben, dass sich Ihr Kandidat in der Sozialhilfe und der Arbeitslosenhilfe gar nicht auskennt. ({0}) Er ist ein Dilettant auf hohem Niveau. ({1}) Ich empfehle Ihnen, Herr Laumann, Ihrem Kandidaten Nachhilfeunterricht zu geben und ihm zu erklären, wie es mit der Sozialhilfe und der Arbeitslosenhilfe funktioniert.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Kollege Gilges, kommen Sie bitte zum Schluss. Sie haben Ihre Redezeit jetzt fast um zwei Minuten überschritten.

Konrad Gilges (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000680, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Noch ganz wenige Sekunden, bitte. Beispielsweise schlägt er Job-Center vor, die Sie bisher immer bekämpft haben und verhindern wollten. Sozialdemokraten haben sie durchgesetzt. Daher glaube ich, dass wir bei der Sozial- und Arbeitslosenhilfe auf dem richtigen Wege sind. Wenn Sie sich uns anschließen, wird es eine gute und menschliche Reform werden, die im Interesse der Betroffenen liegt. ({0})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Als letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt hat jetzt der Kollege Peter Weiß von der CDU/CSU-Fraktion das Wort. ({0})

Peter Weiß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003255, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Was ist der Unterschied zwischen Miroslav Klose und Florian Gerster? Antwort: Der neue deutsche Stürmerstar macht den Salto vorwärts. Das war in der „Welt“ nachzulesen. ({0}) Bei Herrn Gerster erleben wir in Sachen ABM gerade im Vergleich zu seinen Ankündigungen bei Amtsantritt einen Salto rückwärts. Er scheint auch in ihrer Fraktion Mode geworden zu sein: Nachdem der Bundesarbeitsminister und die SPD-geführten Bundesländer angekündigt haben, dass sie die Arbeitslosenhilfe und die Sozialhilfe zusammenführen wollen, haben wir in der heutigen Debatte erlebt, dass sämtliche Rednerinnen und Redner der Koalitionsfraktionen einen Salto rückwärts machten. Das, was Sie vorgetragen haben, enthält nur eine Botschaft: Sie wollen an dieses Thema nicht mehr herangehen. ({1}) Verehrte Frau Lange, Sie haben behauptet, Sie hätten es eigentlich schon auf den Weg gebracht. Dazu muss ich Ihnen sagen: Diese vier Jahre rot-grüner Regierung sind in Sachen Sozialhilfe und Arbeitslosenhilfe nach dem Motto „Wir vertagen, vertrösten und führen Modellprojekte durch“ vorübergegangen. Ein Modellprojekt trägt den schönen Namen MoZArT, ist aber leider schlecht komponiert. ({2}) Sie haben in Sachen Bundessozialhilfegesetz nur eines geschafft: Sie haben zweimal die Übergangsfristen verlängert. Wer an das Thema heran will, kann hier nicht erklären: Wir vertagen alles bis 2004; dann fangen wir neu an zu überlegen. Wer das Zeug zum Regieren hat, der handelt auch, wenn es notwendig ist. Und notwendig ist es jetzt. ({3}) Der Rückwärtssalto von Herrn Gerster in Sachen ABM zeigt mit aller Deutlichkeit: Sie sehen, dass es auf dem Arbeitsmarkt brennt. Die Situation auf dem Arbeitsmarkt bezeichnet ja mittlerweile auch die eher Ihnen nahe stehende „Frankfurter Rundschau“ als trostlos. Ich will hier einfach noch einmal die Zahlen vortragen, die Sie offensichtlich nicht zur Kenntnis nehmen: Im Mai dieses Jahres waren 3 946 400 Menschen arbeitslos. ({4}) Das sind 225 600 mehr als im Mai letzten Jahres. ({5}) Seit Dezember 2000 steigt die Zahl der Arbeitslosen saisonbereinigt kontinuierlich an. ({6}) Frau Lange, weil Sie von Jugendarbeitslosigkeit geredet haben: Das Gegenteil von dem, was Sie hier vorgetragen haben, ist der Fall. In den letzten zwölf Monaten ist die Jugendarbeitslosigkeit um nahezu 16 Prozent angestiegen. Dass Sie den Jugendlichen in unserem Land eine derart trostlose Situation bereiten, ist doch ein Skandal. ({7}) - Das ist so. Das sind die Zahlen, Herr von Larcher. ({8}) Auch zur Zahl der Erwerbstätigen sagen Sie etwas Falsches. Die Zahl der Erwerbstätigen sank im März saisonbereinigt um 13 000. Wir hatten 152 000 Beschäftigte weniger als im Vorjahr. Das ist die Realität. Und was tut die Bundesregierung? ({9}) Sie tut nichts. Das ist der Vorwurf, den wir Ihnen machen. ({10}) Zu diesem Nichtstun gesellt sich nun auch noch Ihre Perspektivlosigkeit in Sachen Langzeitarbeitslosigkeit. ({11}) Langzeitarbeitslosigkeit ist eines der zentralen Probleme auf unserem Arbeitsmarkt. Heute gibt es mit 1,5 Millionen Menschen dreimal so viele Langzeitarbeitslose wie vor zehn Jahren. Hinzu kommen 800 000 von insgesamt 2,7 Millionen Sozialhilfeempfängern, die arbeitsfähig sind, darunter besonders viele gering Qualifizierte, die in der Tat prinzipiell für eine Tätigkeit im Niedriglohnsektor infrage kommen. Bei der Reform der Arbeitslosen- und Sozialhilfe geht es doch vor allem um einen Punkt: Langzeitarbeitslose haben es nach aller Erfahrung besonders schwer, den Weg zurück in den ersten Arbeitsmarkt zu finden. Sie brauchen Hilfe und Beratung, sie brauchen auch finanzielle Anreize. Wir wollen den Langzeitarbeitslosen nicht den Vorwurf machen, dass sie in diese Situation gekommen sind, nein, wir wollen ihnen ein Angebot unterbreiten, damit sie wieder herauskommen. Die Faulenzerdebatte über Arbeitslose in Deutschland hat Ihr Bundeskanzler begonnen und nicht wir. ({12}) Entscheidend ist - das wollen Sie nicht zur Kenntnis nehmen -: Erstens. Wir sorgen dafür, dass niemand wegen seiner Kinder in die Sozialhilfe fällt. Zweitens. Wir wollen, dass es ein eigenes Leistungsrecht für Behinderte gibt und sie nicht mehr auf die Sozialhilfe angewiesen sind. Drittens. Wir wollen, mit der Zusammenlegung von Sozialhilfe und Arbeitslosenhilfe, gerade auch für ältere Arbeitnehmer bessere Regelungen als heute schaffen. ({13}) Ihre Gegenargumente, die Sie vorgetragen haben, sind demgegenüber Schall und Rauch. Das von den Unionsparteien vorgelegte Drei-SäulenModell mit abgesenkten Sozialversicherungsbeiträgen für Geringverdiener und mit Kombilöhnen wird abgestufte Anreize für eine Arbeitsaufnahme im Niedriglohnsektor setzen. ({14}) Wir wollen nicht, dass die Empfänger von Sozialhilfe und Arbeitslosenhilfe in Zukunft weniger haben. Im Gegenteil, wenn sie eine Beschäftigung annehmen, sollen sie mehr Geld als heute zur Verfügung haben. ({15}) Arbeit soll sich wieder lohnen, das ist unser Standpunkt. Unser Angebot gilt nicht nur für Langzeitarbeitslose und Sozialhilfeempfänger, sondern für alle Bezieher von niedrigen Einkommen; denn so wird eine tragfähigere Brücke in die Beschäftigung gebaut als mit den vielen der bisherigen Instrumente so genannter aktiver Arbeitsmarktpolitik. Arbeitslose, die eine Arbeit annehmen, deren Nettolohn bisher bezogene soziale Leistungen nicht erreicht, sollen als Anreiz zur Arbeitsaufnahme einen Aufstockungsbeitrag erhalten. Nirgendwo ist von Kürzung die Rede. Meine Damen und Herren, 12,7 Milliarden Euro musste der Staat im Jahr 2001 für die 1,5 Millionen Bezieher von Arbeitslosenhilfe aufwenden. 2,7 Millionen Menschen bezogen jahresdurchschnittlich 2001 laufende Hilfe zum Lebensunterhalt, davon 1,2 Millionen im erwerbsfähigen Alter. 8,7 Millionen Euro mussten Stadtund Landkreise für Sozialhilfe aufwenden. Weil das so ist, diskutieren alle Experten seit Jahren darüber, wie wir dieses System effizienzsteigernd zusammenführen können, wie wir die Anreize für die Aufnahme einer Arbeit erhöhen und die Hilfen für eine Vermittlung in das Arbeitsleben für alle gleich gestalten können. Das ist der zentrale Ansatz unseres Antrages. Auch Florian Gerster gab, kaum berufen in sein neues Amt als Vorstandsvorsitzender der Bundesanstalt für Arbeit, das Motto „Sozialhilfe und Arbeitslosenhilfe zusamPeter Weiß ({16}) menlegen“ aus. Der Deutsche Städtetag hat übrigens erst in der vergangenen Woche beschlossen - ich zitiere -: Arbeitslosen- und Sozialhilfe müssen dringend reformiert werden, damit Langzeitarbeitslose viel stärker als bisher in Arbeit vermittelt werden können. Und was tun Sie? Sie schlagen einen Salto rückwärts; Nichtstun ist Ihr Motto. ({17}) Meine Damen und Herren, mit dem Antrag der CDU/CSU-Bundestagsfraktion liegt ein konkreter Vorschlag vor, wie Sozialhilfe und Arbeitslosenhilfe tatsächlich zu einem neuen Hilfesystem zusammengeführt werden können: gemeinsame Job-Center, gleiche Beratungsund Hilfemöglichkeiten, gleiche Zumutbarkeitsschranken, gleiche Förderinstrumentarien, gleiche Möglichkeiten, vor einer Arbeitsaufnahme mehr hinzuzuverdienen als heute, und gleiche Möglichkeiten der Qualifizierung, aber auch gleiche Sanktionsmöglichkeiten, wenn trotz eines Angebots Hilfe und Arbeitsgelegenheit abgelehnt werden. Ich möchte Sie daran erinnern, verehrte Kolleginnen und Kollegen, dass es ein Spitzenergebnis der rot-grünen Arbeitsmarktpolitik gibt. Das ist die Zunahme der Schwarzarbeit. Die Schwarzarbeit ist in Deutschland heute mit einem Anteil von 16,3 Prozent im Spitzenbereich der EU-Mitgliedstaaten. ({18}) Das tatsächliche Ergebnis Ihrer Arbeitsmarkt- und Wirtschaftspolitik ist: Die legale Wirtschaftstätigkeit schrumpft; die Schwarzarbeit ist das Einzige, was in Deutschland noch wächst. ({19}) Meine Damen und Herren, mit unserem konkreten Vorschlag, den Niedriglohnsektor zu aktivieren, den Beziehern von Arbeitslosen- und Sozialhilfe zu helfen, in Beschäftigung zu kommen und dafür eine zusätzliche staatliche Förderung zu erhalten, ({20}) schaffen wir die Voraussetzungen dafür, dass aus illegaler Arbeit legale Arbeit werden kann. ({21}) - Da sich die Kolleginnen und Kollegen der SPD-Fraktion bei diesen Ausführungen so aufregen, ({22}) möchte ich Ihnen gern vorhalten, was der neue sozialdemokratische Stern am Himmel der Bundesanstalt für Arbeit dazu gesagt hat. Florian Gerster - ich zitiere ihn - erklärte: Ich bin überzeugt, dass wir nach diesem Prinzip eine Vielzahl neuer Stellen, etwa im Handel, in der Landwirtschaft oder in der Gastronomie, schaffen können, Jobs, die heute allenfalls schwarz gemacht werden. Wir brauchen ein Gesamtkonzept, um mit gezielten staatlichen Zuschüssen das riesige Beschäftigungsfeld gering qualifizierter Tätigkeiten, etwa in Privathaushalten, zu erschließen.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Kollege Weiß, kommen Sie bitte zum Schluss.

Peter Weiß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003255, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja. - Was Gerster kapiert hat, fordern wir schon lange; Sie von RotGrün blockieren.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Kollege Weiß, ich meinte es ernst. Kommen Sie bitte zum Schluss. ({0})

Peter Weiß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003255, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Meine Damen und Herren von Rot-Grün, was Sie heute vorgetragen haben, hat erneut bewiesen: Sie sind kopf- und konzeptionslos. ({0}) Es ist höchste Zeit, dass diese rot-grüne Mannschaft am 22. September hinausgeschickt wird. Vielen Dank. ({1})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Zu einer Kurzintervention erteile ich dem Kollegen Brandner das Wort.

Klaus Brandner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003053, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Der Abgeordnete Weiß hat vor dem Deutschen Bundestag festgestellt, dass das Engagement der Parteien gegen illegale Beschäftigung und Schwarzarbeit verbessert werden muss. Die Regierungskoalition hat dazu einen Gesetzentwurf eingebracht. ({0}) Wir wollen ein wirkungsvolles Gesetz verabschieden, damit diesem Übel in der Gesellschaft offensiv der Kampf angesagt werden kann. Eine Arbeitsgruppe der Koalition und eine Arbeitsgruppe des Vermittlungsausschusses haben dazu ein entsprechendes Ergebnis erarbeitet. Meine konkrete Frage an den Abgeordneten Weiß lautet: Warum wurde dieser Kompromiss, nachdem die CDU-regierten Länder auf Anweisung der Staatskanzlei in Bayern zunächst zugestimmt hatten, widerrufen, Peter Weiß ({1}) sodass illegale Beschäftigung und Schwarzarbeit nicht wirksam und zeitnah bekämpft werden können? ({2})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Zur Erwiderung, Kollege Weiß.

Peter Weiß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003255, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Brandner, mit Ihrer Kurzintervention haben Sie auf den entscheidenden Dissens zwischen Ihnen und uns aufmerksam gemacht. Rot-Grün glaubt, dass man die Schwarzarbeit mit immer mehr Kontrollen bekämpfen kann. Kontrollen sind ohne Zweifel notwendig. Entscheidend ist aber: Schwarzarbeit nimmt dann ab, wenn es sich für die Menschen lohnt, eine legale Beschäftigung aufzunehmen, statt illegal zu arbeiten. Das ist der Punkt. ({0}) Sie können hinter jeden Unternehmer und Arbeitnehmer in Deutschland zwei, drei oder vier Kontrolleure stellen. ({1}) Wenn sich die Arbeit für die Menschen in unserem Land nicht wieder lohnt, werden sie intelligenter als alle Kontrolleure sein und einen Ausweg suchen. ({2}) Herr Gilges hat nach dem Menschenbild gefragt. Darin eben unterscheidet sich unser Menschenbild: Wir vertrauen den Menschen, Sie vertrauen den Apparaten. ({3}) Sie setzen auf Kontrolle, wir setzen darauf, dass die Menschen mit legaler Arbeit das verdienen, was ihnen zusteht, nämlich mehr als heute. Vielen Dank. ({4})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung auf Drucksache 14/8663 zu dem Antrag der Fraktion der CDU/CSU mit dem Titel „Arbeit statt Sozialhilfe - Hin zu einer Kultur von Geben und Nehmen“. Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 14/7443 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der PDS bei Gegenstimmen der CDU/CSU und Enthaltung der FDP angenommen. Beratung der Beschlussempfehlung des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung auf Drucksache 14/8665. Unter Nr. 1 seiner Beschlussempfehlung empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion der FDP auf Drucksache 14/5983 mit dem Titel „Für eine sinnvolle Zusammenfassung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der PDS gegen die Stimmen von CDU/CSU und FDP angenommen. Unter Nr. 2 seiner Beschlussempfehlung empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion der FDP auf Drucksache 14/6951 mit dem Titel: „Für eine beschäftigungsorientierte und aktivierende Sozialpolitik Sozialhilfe und Arbeitsmarktpolitik grundlegend reformieren“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der PDS gegen die Stimmen von CDU/CSU und FDP angenommen. Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 24 auf: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses ({0}) zu dem Antrag der Bundesregierung Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an dem NATO-geführten Einsatz auf mazedonischem Territorium zum Schutz von Beobachtern internationaler Organisationen im Rahmen der weiteren Implementierung des politischen Rahmenabkommens vom 13. August 2001 auf der Grundlage des Ersuchens der mazedonischen Regierung vom 28. April 2002 und der Resolution 1371 ({1}) des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen vom 26. September 2001 - Drucksachen 14/9179, 14/9436 Berichterstattung: Abgeordnete Gert Weisskirchen ({2}) Rita Grießhaber Dr. Helmut Haussmann Bericht des Haushaltsausschusses ({3}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung - Drucksache 14/9446 Berichterstattung: Abgeordnete Uta Titze-Stecher Dietrich Austermann Antje Hermenau Dr. Werner Hoyer Ich weise darauf hin, dass wir über die Beschlussempfehlung zu dem Antrag später namentlich abstimmen werden. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Als erster Redner spricht der Bundesminister Rudolf Scharping.

Rudolf Scharping (Minister:in)

Politiker ID: 11002769

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Engagement der internationalen Gemeinschaft in Mazedonien ist ein mustergültiges Beispiel für das kluge Zusammenwirken von Vereinten Nationen, NATO, Europäischer Union und OSZE. Es ist gelungen, militärische und zivile Instrumente mit dem gemeinsamen Ziel der Friedenssicherung zu verknüpfen und ein gutes Beispiel für Prävention zu geben. Damit wurden die Schlussfolgerungen aus den vier blutigen Balkankriegen mit ihren Millionen von Vertriebenen und den ungezählten Toten gezogen. Das umsichtige und auf Vertrauensbildung zielende Engagement der internationalen Gemeinschaft alleine wird allerdings nicht reichen. Es müssen auch von der mazedonischen Regierung und den Bevölkerungsgruppen weiterhin Anstrengungen unternommen werden, das Land auf dem Weg der Demokratie und der friedlichen Entwicklung zu halten. ({0}) Auf diesem Weg gibt es Fortschritte. Aber es sind auch noch einige Meilensteine zu bewältigen. Beispielsweise darf der erreichte Fortschritt durch die Rückkehr von zurzeit etwa 16 000 Vertriebenen nicht gefährdet werden. Beispielsweise müssen sich die öffentlichen Sicherheitsinstitutionen des mazedonischen Staates auf der Grundlage einer multiethnischen Zusammensetzung Vertrauen erwerben und in die nordmazedonischen Gebiete zurückkehren. Beispielsweise ist die Normalisierung des öffentlichen Lebens noch nicht vollständig gelungen und muss weiter vorangebracht werden. Von zentraler Bedeutung wird sein, dass die demokratischen Wahlen in Mazedonien störungsfrei ablaufen und ihre Ergebnisse von allen in Mazedonien akzeptiert werden. ({1}) Deshalb hat die OSZE beschlossen, die Wahlen durch 800 Beobachter begleiten zu lassen. Diese bedürfen ordentlicher Arbeitsbedingungen, aber auch des Schutzes. Ich sage das deshalb, weil der Schutz dieser Wahlbeobachter und der schon im Lande befindlichen Monitore der Europäischen Union und der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa weiter fortgeführt werden muss. Das Land ist - das wollte ich mit den wenigen Bemerkungen deutlich machen - noch nicht so stabil, als dass wir auf das internationale Engagement verzichten könnten. Damit bin ich bei der Rolle der Bundeswehr. Ich will auf frühere Debatten überhaupt nicht zurückkommen. Aber ich will doch sagen, dass es eine besondere Auszeichnung unserer Soldatinnen und Soldaten war, die Operation „Fox“ in Mazedonien über Monate hinweg zu führen und maßgeblich zu gestalten. ({2}) Mit ihrer Leistungsfähigkeit, mit ihrer Professionalität, aber auch mit ihrem unparteiischen, klaren und entschiedenen Auftreten sowie dem notwendigen Fingerspitzengefühl haben sich die Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr das Vertrauen der gesamten - das muss man sehr deutlich sagen - Bevölkerung in Mazedonien erworben. ({3}) Ich finde - Sie, die Mitglieder des Deutschen Bundestages, werden sicherlich auch dieser Meinung sein -, dass das eine großartige Leistung ist. Sie wurde unter Hintanstellung persönlicher und familiärer Belange erbracht. Ich möchte deshalb namens der Bundesregierung den Angehörigen der Bundeswehr und denjenigen, die die Operation „Fox“ durchgeführt haben, auch im Deutschen Bundestag ausdrücklich danken und meine Anerkennung aussprechen. ({4}) Wir werden uns - Voraussetzung ist natürlich ein positiver Beschluss des Bundestags - an dieser Operation weiter beteiligen. Allerdings werden am 27. Juni die niederländischen Streitkräfte die Führungsrolle übernehmen. Das wird uns im Rahmen der Beschlüsse, die in der NATO gefasst worden sind, ermöglichen, den Umfang unseres derzeitigen Beitrags von 520 Soldaten um etwa 300 Soldaten zu verringern. Ich füge wie schon bei anderen Debatten hinzu: Das schafft den Spielraum, um die Soldaten zu entlasten. Insbesondere das Führungspersonal und das die Führung unterstützende Personal bedarf dringend der Entlastung. Deswegen ist es gut, dass wir im Rahmen dieses gemeinsamen multinationalen Engagements die Führung an die Niederlande abgeben können. Das sagt ja auch etwas über die sehr enge Zusammenarbeit zwischen Deutschland und den Niederlanden aus und ermöglicht der Bundeswehr, zumindest in Mazedonien - ich denke, später auch in Bosnien und im Kosovo - den Umfang ihres Engagements zu reduzieren und gleichzeitig zu gewährleisten, dass die Aufgaben zuverlässig und dauerhaft wahrgenommen werden. Das zeichnet die Bundeswehr und - nebenbei gesagt - auch die Politik der Bundesregierung aus. Ich möchte aber jetzt nicht in die Terminologie und die Lautstärke des Kollegen Weiß verfallen. Wenn das, was er gesagt hat, stimmen würde, dann müsste ich mich fragen, warum in Deutschland noch irgendjemand normal arbeitet und normal Steuern zahlt. Ich finde, dass seine Argumentation eine Beleidigung derjenigen ist, die wissen, dass sie eine Verantwortung für die Gemeinschaft haben, und ein Freisprechen derjenigen, die schwarzarbeiten und die Gemeinschaft betrügen. ({5})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt der Kollege Carl-Dieter Spranger von der CDU/CSU-Fraktion.

Carl Dieter Spranger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002205, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms Meine Damen und Herren! Manchmal beschleicht einen schon das Gefühl, dass die Bundesregierung, nachdem die Reporter und die Fernsehkameras nach Afghanistan und Israel weitergewandert sind und sich das öffentliche Interesse auf die dortigen Konflikte gerichtet hat, meint, den risikoreichen Konfliktherd, der direkt vor der Haustür der EU liegt, vernachlässigen zu können. Das wäre eine kurzsichtige und auch eine gefährliche Einstellung. ({0}) Denn wir dürfen die Augen nicht davor verschließen, dass das Konfliktpotenzial in Mazedonien und in der südosteuropäischen Region sowie die dort vorhandenen immensen politischen, wirtschaftlichen und sozialen Probleme bislang nur ansatzweise bewältigt wurden. Hier kommt auch noch in den nächsten Jahren eine gewaltige Herausforderung auf uns zu. Umso wichtiger ist es, uns und vor allem den Menschen in der betroffenen Region klar zu machen, wie die Zukunft gestaltet werden soll. Gerade weil wir hier vor komplizierten und langwierigen Aufgaben stehen, müssen wir zuallererst einen schlüssigen strategischen Ansatz für die betroffene Region entwickeln. Über eine solche Strategie verfügt die Bundesregierung jedoch nicht. Das zeigt der im März 2001 vorgelegte Bericht über eine Gesamtstrategie für Südosteuropa. Es wurden einfach verschiedene Initiativen addiert, die größtenteils während der Kosovo-Kriege geboren wurden und nicht aufeinander abgestimmt sind. Statt analytischer Tiefe und strategischer Schärfe gibt es ein beinahe hilflos wirkendes „Weiter so“. ({1}) Das halte ich für bedenklich. Ohne einen klaren Blick für das Ganze, ohne eine realistische oder vor allem europäische Perspektive für die Region bleiben unsere Einsätze in Mazedonien, Bosnien-Herzegowina oder im Kosovo mehr auf das Prinzip Hoffnung als auf ein solides Fundament gebaut. ({2}) Es ist höchste Zeit, endlich die entscheidenden Fragen anzugehen: Wie soll die politische Ordnung in dieser Region in Europa gestaltet sein? Wie lange müssen die internationale Gemeinschaft und die EU bereit sein, teure militärische Missionen in der Region zu unterhalten und umfassende Wiederaufbauleistungen zu finanzieren? Wie lange noch dauert es, bis Bundesregierung und EU eine Konzeption zu Papier bringen, die die einzelnen Problembereiche verknüpft und den Ländern und Menschen der Region eine realistische und vor allem europäische Perspektive gibt? Deutschland hat seit Ende September des vergangenen Jahres die NATO-Operation „Fox“ bravourös geführt und wird ein wohl bestelltes Haus an die Niederlande übergeben. ({3}) Die Bundeswehr hat ihre Sache gut gemacht. Unsere Soldaten verdienen Lob und Anerkennung. ({4}) Sie tragen erheblich zur Stabilität im Lande bei und schaffen für die Bevölkerung Sicherheit. Massiv zu kritisieren bleibt allerdings die Verteidigungspolitik der Bundesregierung. ({5}) Das Scheitern der Bundeswehrreform und die Unterfinanzierung unserer Streitkräfte bringen unsere Soldaten im Einsatz beinahe täglich in prekäre Situationen. ({6}) Beständige Auftragserweiterungen ohne zusätzliche Mittelbereitstellung übersteigen die Fähigkeiten der Bundeswehr. ({7}) Bereits anlässlich der letzten Verlängerung dieses Einsatzes hat meine Fraktion darauf gedrängt, die Führung der Mission baldmöglichst der Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik zu überantworten, wie dies von der Bundesregierung und ihren EU-Partnern beim Gipfel in Barcelona auch beschlossen worden war. Wir fragen: Warum ist das bisher nicht geschehen? Wie intensiv hat sich die Bundesregierung darum bemüht, dass die EU ihre militärischen Fähigkeiten unter Beweis stellen kann? Was hat die Bundesregierung getan, damit die Vereinbarungen der EU mit der NATO nicht länger blockiert werden? ({8}) Die Bundesregierung bleibt deshalb aufgefordert, Versäumtes umgehend nachzuholen. Eine auch tatsächlich einsatzfähige ESVP ist für Deutschland angesichts der Verantwortung, die wir gemeinsam mit unseren Verbündeten in Europa und auch außerhalb Europas übernehmen müssen, von allergrößter Wichtigkeit. ({9}) Schließlich ist beunruhigend, dass die Bundesregierung die umfassende Entwicklungszusammenarbeit, die ab dem Jahr 1992 zwischen Deutschland und der südosteuropäischen Region aufgebaut wurde, immer mehr einschlafen lässt, indem sie ihr nach und nach den Geldhahn zudreht. Die bilaterale Entwicklungszusammenarbeit Deutschlands mit der südosteuropäischen Region hatte bis einschließlich 1999 einen Umfang von circa 1,5 Milliarden DM. Dazu kommen unsere Finanzanteile an den Entwicklungsprogrammen von EU und internationalen Organisationen wie der Weltbank in der Region. Allein die EU-Programme zugunsten von Mazedonien haben zwischen 1992 und 2000 einen Finanzumfang von 475 Millionen Euro erreicht. Deutschland war hieran mit einem Viertel beteiligt. Aber nicht nur die Quantität, sondern vor allem auch die Qualität unserer Entwicklungskooperation hat bei unseren internationalen Partnern hohe Anerkennung erhalten. Die Regierungen und Bevölkerungen in Südosteuropa haben hierdurch großes Vertrauen in Deutschlands tatkräftige Unterstützung genommen. Das darf man nicht aufs Spiel setzen. Mit dem Bundeshaushalt 2002 läuten SPD und Grüne jedoch das Ende der deutschen Unterstützung für den Stabilitätspakt für Südosteuropa ein; denn die Bundesregierung hat im Zusammenhang mit den Sondermitteln für den Stabilitätspakt keine Verpflichtungsermächtigungen mehr im Haushalt ausgebracht. Trotz all dieser Vorbehalte und Bedenken wird meine Fraktion der Verlängerung des Mazedonien-Einsatzes der Bundeswehr zustimmen. Sie tut dies jedoch mit der Aufforderung an die Bundesregierung, endlich ein schlüssiges Gesamtkonzept für die politische Zukunft der Region vorzulegen, das den Ländern und Menschen in der Region eine ebenso realistische Perspektive bietet wie unseren Soldaten und Steuerzahlern. Unsere Zustimmung ist mit der Aufforderung an die Bundesregierung verbunden, ihre Aktivitäten zum wirtschaftlichen Wiederaufbau in der Region sinnvoll den Bedürfnissen und Notwendigkeiten anzupassen. Unsere Zustimmung ist auch mit der Aufforderung verbunden, der Bedeutung einer tatsächlichen Einsatzfähigkeit der ESVP gemäß zu handeln, und mit der wiederholten Aufforderung an die Bundesregierung, die Finanzausstattung der Bundeswehr umgehend zu verbessern und damit den Anforderungen anzupassen, die sich aus unseren außen- und sicherheitspolitischen Verpflichtungen und vor allem auch aus unserer Fürsorgepflicht gegenüber den Soldaten ergeben. Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen, gestatten Sie mir zum Schluss noch einige persönliche Worte. Nach 30 Jahren Mitgliedschaft ist dies mein letzter Redebeitrag im Deutschen Bundestag. Ich möchte mich natürlich gern von Ihnen verabschieden. Im Bundestag gibt es nur noch drei Mitglieder, die schon vor 1972 und nur weitere elf, die wie ich 1972 in jenen alten Plenarsaal in Bonn eingezogen sind, in dem nach 1949 so erfolgreich Demokratie in Deutschland gestaltet wurde. Wir erlebten den Wechsel in das recht bescheidene Wasserwerk und dort die Sternstunde des Parlaments am 9. November 1989, als die Öffnung der Mauer in Berlin bekannt gegeben wurde und alle Fraktionen nach einer bewegenden Debatte über dieses historische Ereignis voller Freude und Dankbarkeit unsere Nationalhymne anstimmten. ({10}) Der neue Plenarsaal in Bonn war danach nur noch eine Zwischenstation bis zum Umzug in den neu eröffneten Reichstag 1999. Welch bedeutende Debatten und Parlamentarier erlebten wir in diesen Jahrzehnten! Welch einen Weg haben Deutschland und Europa seit 1972 zurückgelegt und wie viel Glück und Segen hielt dieser Weg für uns bereit! Wenn man, wie ich, die Chance hatte, bei der Wahrnehmung seiner parlamentarischen und regierungsamtlichen Aufgaben große Teile der Welt kennen zu lernen, dann weiß man, wie dankbar die Deutschen angesichts zahlloser Kriege, schrecklicher Katastrophen, grauenvollen Massenelends und schwerster Menschenrechtsverletzungen in vielen Teilen der Welt sein müssen. ({11}) Das Abschiednehmen von Menschen und Dingen, die einem wichtig und wertvoll sind, erfolgt nicht ohne eine gewisse Wehmut. Die Arbeit als Abgeordneter und Regierungsmitglied hat mein Leben geprägt, mir außerordentliche und vielfältige Erfahrungen ermöglicht und viele menschlich wertvolle Begegnungen, Verbindungen und Freundschaften vermittelt. Das gilt nicht nur für die eigene Landesgruppe und Fraktion, die für mich eine Art Heimat wurden, sondern auch für alle anderen Fraktionen und deren Mitglieder. Es gab natürlich auch Ärger und Verdruss, heftigen Streit und massive Auseinandersetzungen, aber für ausscheidende Abgeordnete verklären sie sich im milden Abendlicht. ({12}) Ich bin jedenfalls zuversichtlich, dass unsere Demokratie und unser Bundestag trotz aller ungelösten Probleme, Defizite und Mängel in Deutschland die Herausforderungen der Zukunft bestehen werden. Mich erfüllt heute große Dankbarkeit dafür, dass mir die Bürgerinnen und Bürger im Wahlkreis so lange ihr Vertrauen entgegengebracht haben und dass ich mit so vielen geschätzten Kollegen im Parlament erfolgreich arbeiten konnte. Ich danke allen, die mir gute Wegbegleiter, Mitarbeiter und Kollegen waren, den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in der Bundestagsverwaltung, der CSULandesgruppe, meiner Fraktion und den Ministerien. Besonders den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern im BMI, BMZ und im AA gilt mein herzlicher Dank. Ich wünsche Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen, und den nach der Bundestagswahl neu hinzukommenden Mitgliedern viel Glück und Erfolg. Den Kolleginnen und Kollegen, die mit mir ausscheiden, wünsche ich viele gesunde, gute und friedliche Jahre. ({13})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Kollege Spranger, ich danke Ihnen im Namen des Hauses für die langen Jahre der guten, vertrauensvollen Zusammenarbeit hier im Bundestag, aber auch in Ihren Funktionen als Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Innern und als Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung. Ich wünsche Ihnen für die nächsten Jahre alles Gute und interessante Beschäftigungen. Begleiten Sie uns mit Ihrem Wohlwollen. Vielen Dank. ({0}) Das Wort hat jetzt der Kollege Winfried Nachtwei von Bündnis 90/Die Grünen.

Winfried Nachtwei (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002743, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Genau vor einem Jahr musste der Flughafen von Skopje geschlossen werden, weil er im Schussbereich albanischer Extremisten lag. 76 000 Flüchtlinge wurden damals gezählt. In Mazedonien drohte damals ein Bürgerkrieg zu explodieren, der eine Kettenreaktion zur Folge gehabt hätte. Genau heute vor einem Jahr, am 14. Juni 2001, begann dank des Drucks der internationalen Gemeinschaft ein intensiver interethnischer Dialog, der schließlich zum Abkommen von Ohrid führte. Heute ist in Mazedonien noch längst keine heile Friedenswelt ausgebrochen, aber der sichere Bürgerkrieg wurde verhindert, verhindert wurde auch ein Wiederaufflammen der Kämpfe im vergangenen Frühjahr. Die Umsetzung des Friedensvertrages von Ohrid kommt, wenn auch mit erheblichen Schwierigkeiten und Verzögerungen, voran. ({0}) Mazedonische Sicherheitskräfte konnten bisher in 112 von 136 Dörfern zurückkehren. Das ging nur mithilfe der insgesamt 254 zivilen Beobachter von OSZE und Europäischer Union. Die Soldaten der Taskforce „Fox“ hielten ihnen den Rücken frei und sorgten für ein einigermaßen sicheres Umfeld dort, wo es weiterhin gewaltbereite und hochgerüstete Extremisten auf beiden Seiten gibt. Den zivilen Beobachtern wie den Soldaten gebührt der Dank des ganzen Hauses. ({1}) Die OSZE bildete inzwischen 250 Polizeischüler für die multiethnische Polizei aus. Die „Süddeutsche Zeitung“ sprach in einem Kommentar vor wenigen Wochen von einem stillen Erfolg, wo erreicht wurde, was versprochen war: Frieden zu sichern. Weiter heißt es: Die Operation „Fox“ hat den Vorwurf gegen die deutsche Außenpolitik namentlich auf dem Balkan widerlegt, sie setze zu sehr auf militärische Krisenbereinigung statt auf politische Konfliktverhinderung. Die schiere Präsenz der Truppen wirkt bis heute präventiv ... ({2}) Die PDS lehnt die Mandatsverlängerung ab, sie fordert also im Klartext den Abzug der Bundeswehr aus Mazedonien wie auch, bei anderen Anlässen, aus Bosnien, aus dem Kosovo und aus Kabul. Ich will hier ausdrücklich nicht einem Konsenszwang das Wort reden. Gerade beim Einsatz bewaffneter Streitkräfte ist äußerste Sorgfalt und Zurückhaltung angesagt; dabei darf es keine Routine und keine Normalität geben. Allerdings provozieren die Begründung der Position der PDS und der großmäulig dabei erhobene Anspruch eine Entgegnung. Die PDS behauptet nämlich, sie sei die einzige Antikriegs- und Friedenspartei. Alle anderen Parteien hier im Hause diffamiert sie als Kriegsparteien. Sie begründet das mit der Ablehnung aller Bundeswehreinsätze, auch der vielen - das ist eigentlich die Masse -, die bekanntlich friedenserhaltender Art sind und von den Vereinten Nationen mandatiert sind. Auffällig ist, dass die PDS bisher notorisch der Kernfrage praktischer Friedenspolitik auswich, ({3}) nämlich was in konkreten Konfliktsituationen zur Eindämmung von Gewalt oder gar Krieg notwendig und möglich ist. Sie weicht auch der schlichten Konsequenz ihrer Ablehnungsposition aus: Mit dem Abzug durchsetzungsfähiger Peacekeeper würde örtlichen Extremisten, Terroristen und Kriegstreibern das Feld überlassen, würde dem Wiederaufflammen von Gewalt Vorschub geleistet. Man muss deutlich feststellen: Das ist das Gegenteil von Antikriegs- und Friedenspolitik; es ist Beihilfe zur Militarisierung und zum Krieg. ({4}) Redner der PDS zitieren immer wieder vorwurfsvoll aus früheren Reden der Grünen. Das macht natürlich Stimmung. Aus Ihrem Mund ist das allerdings kein Beleg für Prinzipienfestigkeit, sondern für schlichte Lernverweigerung. ({5}) Die Erfahrungen aus zehn Jahren Krieg auf dem Balkan, die Erfahrungen mit weltweiter Friedenssicherung im UN-Rahmen, die Anforderungen der Vereinten Nationen an ihre Mitglieder, gegebenenfalls gemäß Kap. VII der UN-Charta mit militärischen Zwangsmaßnahmen gegen Gefährdungen der internationalen Sicherheit und des Weltfriedens vorzugehen, spielen für die angebliche Antikriegspartei PDS keine Rolle. Sie beweist damit eine ausdrückliche UN-Unfähigkeit. ({6}) Das wäre konsequent und glaubwürdig, wenn es von einer strikten Ablehnung militärischer Gewalt getragen wäre. Davon kann bei der PDS allerdings bekanntlich keine Rede sein. Ein wachsender Teil der PDS, gerade ihrer Führung, vertritt seine kategorische Ablehnungsposition wider besseres Wissen und ohne Gewissen. ({7}) Sie demonstrieren einzig und allein aus parteitaktischen Motiven Geschlossenheit. Die Streitfrage von Auslandseinsätzen der Bundeswehr ist bei keiner Partei im Bundestag so wenig eine Gewissensfrage und so sehr eine Frage der Linientreue wie bei der PDS. ({8}) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms Auch wenn das öffentliche Interesse am Balkan zurückgegangen ist, betone ich, dass wir die europäische Verantwortung für Frieden auf dem Balkan nicht nur sehen, sondern dass wir zu dieser Verantwortung auch stehen. Wir haben den notwendigen langen Atem. Um den Friedensprozess in Mazedonien - wir befinden uns erst am Anfang - fortsetzen zu können, unterstützen wir die Verlängerung des Mandats für den Bundeswehreinsatz. Dies ist eine notwendige Voraussetzung. Ich danke Ihnen. ({9})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt der Kollege Günther Nolting von der FDP-Fraktion.

Günther Friedrich Nolting (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001622, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mehr als 500 Angehörige der Bundeswehr sind in Mazedonien eingesetzt. Das Mandat dauert bereits neun Monate. Wir werden es heute um ein weiteres Vierteljahr verlängern. Ich denke, wir stimmen alle darin überein, dass dieser Einsatz, nicht zuletzt aufgrund der deutschen Führungsrolle im Hauptquartier und der vorbildlichen Leistung aller dort eingesetzten Soldaten, erfolgreich war und immer noch ist. Auch ich spreche allen Angehörigen der Bundeswehr, die dort im Einsatz sind, meine Anerkennung aus und bedanke mich für ihre Arbeit. ({0}) Die Bundeswehr leistet Vorzügliches. Sie ist, trotz einer unausgewogenen Reform und trotz unverantwortlicher Einschnitte in den Verteidigungshaushalt, ein hoch angesehener und überaus geachteter Botschafter unseres Landes. Die FDP-Bundestagsfraktion stimmt der Verlängerung des Mandats heute zu. Herr Minister, Sie haben die Übernahme der Führungsrolle durch die Niederlande angesprochen. Ich bin fest davon überzeugt, dass die Niederländer diese Arbeit gut bewältigen werden. Die FDP-Bundestagsfraktion bedauert aber, dass diese Führungsrolle nicht an die Europäische Union übertragen werden konnte. ({1}) Wäre es für die Europäische Union nicht ein erheblicher Schritt nach vorn gewesen, wenn sie durch die Führungsübernahme ihre außen- und sicherheitspolitischen Fähigkeiten hätte unter Beweis stellen können? ({2}) Hätte sie dadurch nicht ihre Absicht deutlich unterstreichen können, den Weg in Richtung europäischer Streitkräfte ernsthaft gehen zu wollen? ({3}) Herr Kollege, ich hoffe, dass dies bei der nächsten Mandatsverlängerung gelingen wird. ({4}) Die schmerzlichen Erfahrungen des Kanzlers, die Vertrauensfrage stellen zu müssen, um zu Mehrheiten zu kommen, mögen ihn dazu bewogen haben, die Notwendigkeit eines, wie er es bezeichnete, Entsendegesetzes herauszustreichen. Es scheint das Ziel des Bundeskanzlers zu sein, die Rechte der Regierung zu stärken und somit die des Parlamentes zu schwächen. Hier macht die FDP-Bundestagsfraktion nicht mit. ({5}) Die FDP-Bundestagsfraktion wird von dem Grundsatz der Parlamentsarmee nicht abweichen. Ich erwarte dies auch von allen anderen Fraktionen im Hause. ({6}) Die FDP-Bundestagsfraktion hat sich dieser wichtigen Frage und dieser wichtigen Thematik angenommen. Wir haben in dieser Woche einen entsprechenden Antrag eingebracht. Aber hier geht es um die Beteiligung des Deutschen Bundestages und nicht um die Streichung von weiteren Rechten. Auch wir sehen natürlich, dass es hier Regelungsbedarf gibt. So hat das Bundesverfassungsgericht bewusst nicht definiert, was unter Einsatz oder unter Einsatz bewaffneter Streitkräfte zu verstehen ist. In welcher Form ist der Deutsche Bundestag bei militärischen Planungen und Vorbereitungen auf den Einsatz bewaffneter Streitkräfte im Ausland wie auch bei den Einsätzen selbst zu beteiligen? Auch dies muss geregelt werden. Die Erarbeitung eines vorsorglichen Operationsplanes oder die Durchführung spezieller Ausbildungsprogramme zur Vorbereitung auf einen eventuellen bewaffneten Einsatz ist schon von anderer Qualität als der tatsächliche Einsatz bewaffneter Streitkräfte. Es besteht also Regelungsbedarf. Deswegen fordert die FDP-Bundestagsfraktion die Bundesregierung auf, einen entsprechenden Gesetzentwurf vorzulegen. ({7}) Zukünftige Mandatserteilungen sollten auf sauberer gesetzlicher Grundlage getroffen werden. Ich hoffe, dass wir hier die Unterstützung aller Fraktionen finden werden. Herr Spranger, ich möchte an Sie noch ein persönliches Wort richten. Ich wünsche Ihnen im Namen der FDPBundestagsfraktion alles Gute. Vielen Dank. ({8})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt der Kollege Wolfgang Gehrcke von der PDSFraktion.

Wolfgang Gehrcke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003130, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Als gewissenloser Geselle, wie ich vom Kollegen Nachtwei hingestellt wurde, will ich zunächst mein Gewissen entlasten und meinem Kollegen Carl Spranger meine herzlichen Wünsche sagen. Lieber Carl Spranger, ich teile viel von dem, was Sie heute an Kritik über die Einsätze in Mazedonien gesagt haben, aber nicht die Schlussfolgerung. Ich persönlich habe gerne mit Ihnen zusammengearbeitet. Es war vielleicht auch ein Beweis dafür, dass Konservative und Sozialisten trotz unterschiedlicher Positionen in der Gesellschaft fair und korrekt miteinander umgehen können. Ich wünsche Ihnen von Herzen alles Gute! ({0}) Nicht von Herzen will ich mich mit meinem Kollegen Nachtwei auseinander setzen und dabei auf die Kerndifferenz zu sprechen kommen. Bundeskanzler Schröder und Außenminister Fischer haben diese Woche auf einer Pressekonferenz eine Bilanz derAußenpolitik vorgelegt. Beide rechnen sich hoch an, den militärischen Bereich in der Außenpolitik enttabuisiert zu haben. Das ist die Leistungsbilanz der rot-grünen Regierung, das Militär in der Außenpolitik enttabuisiert zu haben! Das ist Schritt für Schritt über mehr als acht Mandate - darunter auch Verlängerungsmandate - im Bundestag gelaufen: Kosovo, Osttimor - auch daran muss man erinnern -, Afghanistan, Mazedonien etc. Das war die Linie in der Außenpolitik. Jemand, der sein Gewissen, das ihn früher dazu veranlasst hat, Nein zu einer solchen Politik zu sagen, beim Eintritt in die Regierung ablegt, ({1}) jemand, der bei Afghanistan einen Salto geschlagen hat und der, wenn es darauf ankam, hier im Parlament Farbe zu bekennen, immer wieder abgetaucht ist, soll anderen nicht Gewissenlosigkeit vorwerfen. ({2}) Man kann auch an Prinzipien in der Politik festhalten, wenn allgemein propagiert wird, dass Prinzipien in der Politik eher hinderlich sind. Ich habe es immer damit gehalten, dass Prinzipien in der Politik auch in einer Zeit eine Bedeutung haben, in der es Mode geworden ist, sich so prinzipienlos zu verhalten, wie es die Fraktion der Grünen gegenüber ihren Wählerinnen und Wählern gerade an den Tag gelegt hat. ({3}) Wenn Sie solche Töne anschlagen, dann müssen Sie solche Töne auch aushalten. ({4}) Die Politik und die Entscheidungen der Führung und der Basis der PDS sind an ihrem Verhalten hier im Parlament nachzuvollziehen. Wir haben keinem Militäreinsatz zugestimmt und wir werden auch im nächsten Deutschen Bundestag keinem Militäreinsatz zustimmen. Damit können Sie rechnen. ({5}) Ich nenne Ihnen ein weiteres Argument: Mit dem jetzt stattfindenden Probelauf in Mazedonien soll die vorgesehene europäische Sicherheitstruppe, eine Interventionstruppe mit 60 000 Personen, durchgesetzt werden. Dieser Probelauf stellt den Übergang dazu und die Vorbereitung darauf dar. Das wollen Sie. ({6}) So sind Sie im Kosovo vorgegangen, als Sie über den Jugoslawien-Krieg die neue NATO-Doktrin durchgesetzt haben. Genauso operieren Sie jetzt in Mazedonien und wollen damit die europäische Sicherheitstruppe durchsetzen, die keine Sicherheit bringt. Das ist das Ergebnis Ihrer Politik. ({7}) Darüber sollten Sie nicht hinwegtäuschen. ({8})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Bevor ich das Wort weitergebe, nutze ich die Gelegenheit, unserem Kollegen Hans-Ulrich Klose zu seinem heutigen 65. Geburtstag sehr herzlich zu gratulieren. ({0}) Als letzter Rednerin zu diesem Tagesordnungspunkt erteile ich jetzt der Kollegin Monika Heubaum von der SPD-Fraktion das Wort.

Monika Heubaum (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002674, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Herren und Damen! Liebe Kollegen und Kolleginnen! Exakt eine Woche vor der Bundestagswahl werden auch die Mazedonier an die Wahlurnen gerufen: Am 15. September sind dort Parlamentswahlen. Damit steht das in der Vergangenheit von Kriegen und ethnischen Säuberungen so gebeutelte Land vor einem weiteren entscheidenden Schritt der demokratischen Stabilisierung. Noch vor wenigen Monaten schien die Aussicht auf gewaltfreie und in demokratischem Klima ablaufende Parlamentswahlen blanke Utopie. Wir alle haben noch die Bilder vom Frühjahr des vergangenen Jahres vor Augen, als Morde und brutale Überfälle das Land erschütterten und Mazedonien am Abgrund eines Bürgerkrieges stand. Das Ohrid-Abkommen, das im vergangenen August verabschiedet wurde, brachte die entscheidende Wende. Es hat den Grundstein für die demokratische Entwicklung und Stabilisierung Mazedoniens gelegt. Seither wächst auch in diesem Teil Europas die Demokratie, wenn auch zunächst nur als zartes Pflänzchen. Die Verabschiedung eines Amnestiegesetzes und die ebenfalls vom Parlament beschlossenen gesetzlichen Rahmenbedingungen für die lokale Selbstverwaltung sind hoffnungsvolle Schritte dazu. Gleiches gilt für die multiethnischen Sicherheitskräfte, die mittlerweile ihre Arbeit aufgenommen haben, und für die zunehmende Privatisierung. Wesentliche Garanten für diese äußerst positive Entwicklung waren und sind auch unsere Soldatinnen und Soldaten. ({0}) Im Rahmen des NATO-Mandats sorgen sie gemeinsam mit Soldaten der anderen beteiligten Nationen für ein Klima, in dem Rechtsstaatlichkeit, die Wahrung der Menschenrechte, wirtschaftliche Stabilität und die so wichtige, aber auch so schwierige Aussöhnung der Bevölkerungsgruppen gedeihen können. Wir alle wissen: Demokratie kann nur dort wachsen, wo Vertrauen herrscht. Es sind gerade die deutschen Soldatinnen und Soldaten, die mit ihrer Anwesenheit Vertrauen schaffen - zum einen bei der mazedonischen Bevölkerung, zum anderen bei jenen, die den Vertrag von Ohrid umsetzen, den Beobachtern der Europäischen Union sowie der OSZE. Man kann es nicht oft genug betonen: Unsere Soldatinnen und Soldaten leisten in Mazedonien einen unverzichtbaren Beitrag zur Absicherung genau dieses Friedensprozesses. ({1}) Ihr Engagement bei der Mitgestaltung der demokratischen Entwicklung verdient große Anerkennung und großen Dank. Natürlich dürfen wir uns keine Illusionen machen. Auch wenn die Fundamente bereits gelegt sind und der demokratische Prozess damit Boden unter den Füßen hat, wird der Weg Mazedoniens zu einem festen und stabilen Haus innerhalb der Demokratien Europas sicher ein langer sein. Aber die Tür zu Demokratisierung und Stabilisierung der gesamten Region steht weit offen. Die Chance auf einen dauerhaften Aussöhnungsprozess und auf Frieden ist zum Greifen nah. Mit einer Verlängerung des Mandats schaffen wir hierzu die weiteren Voraussetzungen. ({2}) Denn was die Menschen in Mazedonien neben Geduld und Verständnis in den kommenden Monaten am dringendsten brauchen, sind Verlässlichkeit und Vertrauen. Dies weiterhin zu festigen, das ist die Hauptaufgabe des Mandats. Niemand, der ernsthaft Interesse an der demokratischen Entwicklung Mazedoniens hat, wird an der Notwendigkeit der Fortführung des erfolgreichen NATOEngagement zweifeln. ({3}) Der Verlängerung des Mandats nicht zuzustimmen hieße, auf halbem Wege stehen zu bleiben. Die daraus erwachsenden Risiken wären unabsehbar, gerade im Hinblick auf die bevorstehenden Parlamentswahlen im September. In diesem Zusammenhang freue ich mich ganz besonders darüber, dass sich die Frauen für die Listenaufstellung zur Wahl über Partei- und ethnische Grenzen hinweg sehr gut organisiert haben. ({4}) Lassen Sie mich an dieser Stelle noch einen weiteren Baustein für die Stabilisierung der Region nennen: den Stabilitätspakt für Südosteuropa. Er ist von großer Bedeutung für eine umfassende regionale Krisen- und Konfliktprävention. Deshalb ist, auch als Signal an unsere europäischen Partner für unser andauerndes Engagement, eine rechtliche Entscheidung im Bundeshaushalt über seine Fortführung über das Jahr 2003 hinaus erforderlich. ({5}) Gerade der Stabilitätspakt bleibt ein entscheidendes Instrument, um die regionale Zusammenarbeit dieser Länder, die für die langfristige Befriedung der Region unabdingbar ist, weiter fortzuführen. Mazedonien ist auf einem hoffnungsvollen und guten Weg. Die SPD-Bundestagsfraktion will diesen Weg weiter konstruktiv begleiten. ({6}) Wir wollen tatkräftig dazu beitragen, dass in Mazedonien die viel versprechende Perspektive einer beständigen Demokratie innerhalb Europas verwirklicht wird. Deshalb stimmt die Bundestagsfraktion der SPD einer Verlängerung des Mandats um vier Monate zu. ({7})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlussemp- fehlung des Auswärtigen Ausschusses auf Drucksache 14/9436 zu dem Antrag der Bundesregierung zur Fortset- zung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an dem NATO-geführten Einsatz auf mazedonischem Territo- rium. Der Ausschuss empfiehlt, dem Antrag auf Drucksa- che 14/9179 zuzustimmen. Es ist namentliche Abstimmung verlangt. Ich bitte Sie, zu beachten, dass Sie die richtigen, mit Ihrem Namen bezeichneten Stimmkarten haben. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen. Ist das erfolgt? - Ich eröffne die Abstimmung. Sind alle Stimmkarten abgegeben? - Das ist der Fall. Dann schließe ich die Abstimmung. Ich bitte die Schrift- führerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu be- ginnen. Das Ergebnis der namentlichen Abstimmung wird Ihnen später bekannt gegeben.1) 1) Seite24466 C Wir setzen die Beratungen fort. Ich rufe die Tagesord- nungspunkte 25 a bis 25 d auf: a) - Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses ({0}) zu dem Antrag der Bundesregierung Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an dem Einsatz einer internationalen Sicherheitsunterstützungstruppe in Afghanistan auf Grundlage der Resolutionen 1386 ({1}) vom 20. Dezember 2001 und 1413 ({2}) vom 23. Mai 2002 des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen - Drucksachen 14/9246, 14/94378 Berichterstattung: Abgeordnete Gert Weisskirchen ({3}) Rita Grießhaber Dr. Helmut Haussmann - Bericht des Haushaltsausschusses ({4}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung - Drucksache 14/9447 - Berichterstattung: Abgeordnete Uta Titze-Stecher Dietrich Austermann Antje Hermenau Dr. Werner Hoyer b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses ({5}) zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Dietmar Bartsch, Petra Bläss, Carsten Hübner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der PDS Bundeswehreinheiten aus der Golfregion zurückziehen - Drucksachen 14/8270, 14/8834 - Berichterstattung: Abgeordnete Christoph Moosbauer Joachim Hörster Dr. Helmut Haussmann c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses ({6}) zu dem Antrag der Abgeordneten Petra Bläss, Wolfgang Gehrcke, Carsten Hübner, weite- rer Abgeordneter und der Fraktion der PDS Bündnisfall aufheben - Drucksachen 14/8664, 14/9435 - Berichterstattung: Abgeordnete Markus Meckel Rita Grießhaber Dr. Helmut Haussmann d) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses ({7}) zu dem Antrag der Fraktion der PDS Den internationalen Terrorismus wirksam bekämpfen - den Krieg in Afghanistan beenden - Drucksachen 14/7500, 14/8234 Berichterstattung: Abgeordnete Gert Weisskirchen ({8}) Christian Schmidt ({9}) Dr. Helmut Lippelt Ulrich Irmer Über die Beschlussempfehlung zu dem Antrag der Bundesregierung werden wir später namentlich abstimmen. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Bevor ich die Aussprache eröffne, bitte ich, die Plätze einzunehmen bzw. die Gespräche außerhalb des Plenarsaals fortzusetzen. Ich eröffne die Aussprache. Als erster Redner hat der Bundesminister Rudolf Scharping das Wort.

Rudolf Scharping (Minister:in)

Politiker ID: 11002769

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Afghanistan wird in wenigen Tagen eine legitimierte und politisch handlungsfähige Übergangsregierung haben. Wer hätte das vor sechs oder acht Monaten geglaubt? ({0}) Ich gratuliere dem gewählten Präsidenten Hamid Karzai von diesem Hohen Hause aus namens der Bundesregierung ganz herzlich und wünsche ihm Glück, Fortune und die nötige Unterstützung, damit sein Land wieder auf einen guten Weg kommt. ({1}) Wir erleben zurzeit einen Meilenstein auf dem Weg dieses Landes in eine Zukunft ohne Terror, ohne Krieg, ohne Gewalt, eine Zukunft, die allen Menschen Grundrechte garantiert und ein Leben in Würde ermöglicht. In diesem Land werden die Frauen, insbesondere die Mädchen, wieder Zugang zum öffentlichen Leben, zu Bildung und Ausbildung und zu dem kulturellen Reichtum des Landes und der gesamten Region haben. Das ist ein unglaublich wichtiger Fortschritt. ({2}) Dieser Fortschritt ist aber ganz und gar ungesichert. Er bedarf der Stabilisierung durch die Arbeit der Interimsadministration in Afghanistan und umfassender Unterstützung bei der Festigung der staatlichen Autorität und ihrer Ausweitung auf das ganze Land. Ich glaube, man kann im Deutschen Bundestag auch einmal sagen, dass wir nicht nur auf die Leistungen stolz sind, Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms die wir mithilfe unserer Soldatinnen und Soldaten im Rahmen der Sicherheitspräsenz in Afghanistan erbringen. Die Bundesregierung, insbesondere der Bundeskanzler und der Bundesaußenminister, hat mithilfe unter anderem der Vereinten Nationen Erhebliches dazu beigetragen, dass dieser politische Weg überhaupt beschritten werden konnte: ({3}) Wir haben die Afghanistan-Konferenz auf dem Petersberg unterstützt und in gewisser Weise ermöglicht. Wir haben mitgewirkt an einer umfassenden Strategie der politischen Stabilisierung. Wir haben unter dem Dach der Europäischen Union und in der internationalen Staatengemeinschaft wirtschaftliche Beiträge zum Wiederaufbau geleistet. Nicht zuletzt leisten wir auch einen substanziellen Beitrag beim Aufbau der Polizei und bei der Gewährleistung der Sicherheit in Kabul und seiner Umgebung. Das alles muss konsequent fortgesetzt werden. Der Weg ist frei für eine verfassungsgebende Versammlung, für demokratische Wahlen innerhalb von zwei Jahren. Der Weg des „nation building“, also der Entwicklung des Landes in einer Weise, die es den Menschen ermöglicht, das Schicksal ihres Landes in die Hände zu nehmen und selbst zu bestimmen, hat aber erst begonnen; er ist noch nicht erfolgreich zurückgelegt. Damit diese Aufgabe bewältigt werden kann, muss es bei der politischen, wirtschaftlichen, sozialen, kulturellen und auch sicherheitspolitischen Unterstützung eines der ärmsten Länder der Erde bleiben. ({4}) Es gibt in Afghanistan noch viel zu tun, darüber hinaus aber auch in der ganzen Region. Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen hat am 23. Mai festgestellt, dass „die Situation in Afghanistan weiterhin eine Bedrohung des Weltfriedens und der internationalen Stabilität darstellt“. Die umfassende Niederlage der Taliban und die vergleichsweise friedlichen Bilder aus Kabul dürfen über eines nicht hinwegtäuschen: Marodierende Banden, Überfälle, Widerstandsnester versprengter Taliban, untergetauchte al-Qaida-Kämpfer gehören zur afghanischen Realität. Hinzu kommt, dass einzelne Stammesfürsten Teile des Landes noch als Warlords kontrollieren. - Das macht die Risiken deutlich, denen sich das Land und all diejenigen gegenüber sehen, die das Land international zu unterstützen versuchen. Im Wissen darum, welch schlechte Erfahrungen das afghanische Volk mit einer starken Präsenz ausländischer Streitkräfte gemacht hat, und im Wissen darum, wie sehr es sich dagegen gewehrt hat und dass dies das falsche politische Signal wäre, verzichten wir bewusst auf eine starke militärische Präsenz, nicht aber auf einen militärischen Beitrag. Vor diesem Hintergrund ist es sinnvoll und auch notwendig, das ISAF-Engagement in Kabul und seiner Umgebung fortzusetzen. ({5}) Mit dem Antrag der Bundesregierung bitten wir den Bundestag um die Zustimmung, die Obergrenze von 1 200 Soldaten der Bundesrepublik Deutschland bedarfsund zeitweise auf bis zu 200 Soldaten erhöhen zu können, um flexibler auf jeweils unterschiedliche Entwicklungen der Lage reagieren und - das ist genauso wichtig - den Schutz der eigenen eingesetzten Soldaten gut gewährleisten zu können. Meine Damen und Herren, das Vertrauen der afghanischen Bevölkerung in Deutschland war auf der Grundlage historischer Erfahrungen und guter Beziehungen von Anfang an groß. Es ist deshalb auch richtig, dieses umfassende Engagement fortzusetzen und den Einsatz der Sicherheitspräsenz in das Engagement klug zu integrieren. Ich füge hinzu: Auch das ist präventive Politik. ({6}) Es ist präventive Politik im eigentlichen Sinne des Wortes. Wir wollen nämlich verhindern, dass Afghanistan in Zeiten der Unterdrückung und des Bürgerkriegs zurückfällt; wir wollen nicht, dass Afghanistan in Zeiten zurückfällt, in denen das Land als scheinbar sicherer Hafen für terroristische Organisationen missbraucht wurde. Wenn es gelingt, die gesellschaftliche, politische und wirtschaftliche Situation in diesem Land zu verbessern, wird das auch der gesamten Region zugute kommen, und zwar schon deshalb, weil es ein glaubwürdiges Beispiel dafür bietet. Hier will ich darauf aufmerksam machen, dass ich zum Beispiel Veränderungen in der amerikanischen Haltung spüre. Die Amerikaner hatten am Anfang die Vorstellung, dass sie gegen den Terrorismus kämpfen, ihn mit Stumpf und Stiel ausrotten und dann Afghanistan verlassen. Auch unsere Freunde verstehen inzwischen besser, dass militärische Mittel nur dann vertretbar sind, wenn sie letztes Mittel bleiben und in einem umfassenden politisch verstandenen Prozess eine unterstützende und nicht die dominierende Rolle spielen. Dabei muss es auch bleiben. ({7}) Afghanistan könnte, wenn wir alle klug sind und entschlossen handeln, ein gutes Beispiel für die Region geben. Afghanistan könnte auch mit Blick auf andere Konflikte - Kaschmir, Naher Osten und andere Staaten hilfreich sein. Damit meine ich nicht, dass hier eine Lösung modelliert wird; aber in Bezug auf die Glaubwürdigkeit, die Konsequenz, die Langfristigkeit und die Entschlossenheit unseres Handelns wird es hilfreich sein. Meine Damen und Herren, ich will auf internationale sicherheitspolitische Probleme ansonsten nicht eingehen, sondern nur noch hinzufügen, dass der bisherige Verlauf der Loya Jirga, der Großen Ratsversammlung, Grund zur Hoffnung gibt. Wir müssen diese Hoffnung allerdings weiterhin stärken. Ich bitte Sie, auch in Respekt vor der besonderen Leistung unserer Soldatinnen und Soldaten, angesichts des sehr substanziellen Beitrags, den sie erbringen, um breite Unterstützung des Deutschen Bundestages für das, was wir mit der Hilfe unserer Soldatinnen und Soldaden eingebettet in ein umfassendes Konzept in Afghanistan leisten. Vielen Dank. ({8})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Ich komme zum Tagesordnungspunkt 24 zurück und gebe das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung bekannt. Abgegebene Stimmen 556. Mit Ja haben gestimmt 517, mit Nein haben gestimmt 34, Enthaltungen 5. Endgültiges Ergebnis Abgegebene Stimmen: 556; davon ja: 517 nein: 34 enthalten: 5 Ja SPD Brigitte Adler Gerd Andres Ingrid Arndt-Brauer Rainer Arnold Hermann Bachmaier Ernst Bahr Doris Barnett Eckhardt Barthel ({0}) Klaus Barthel ({1}) Ingrid Becker-Inglau Dr. Axel Berg Hans-Werner Bertl Petra Bierwirth Kurt Bodewig Anni Brandt-Elsweier Willi Brase Rainer Brinkmann ({2}) Bernhard Brinkmann ({3}) Hans-Günter Bruckmann Ulla Burchardt Dr. Michael Bürsch Hans Büttner ({4}) Marion Caspers-Merk Wolf-Michael Catenhusen Dr. Herta Däubler-Gmelin Christel Deichmann Karl Diller Peter Dreßen Detlef Dzembritzki Dieter Dzewas Sebastian Edathy Ludwig Eich Marga Elser Petra Ernstberger Annette Faße Lothar Fischer ({5}) Gabriele Fograscher Iris Follak Norbert Formanski Rainer Fornahl Hans Forster Lilo Friedrich ({6}) Harald Friese Anke Fuchs ({7}) Arne Fuhrmann Monika Ganseforth Iris Gleicke Günter Gloser Renate Gradistanac Günter Graf ({8}) Angelika Graf ({9}) Dieter Grasedieck Monika Griefahn Kerstin Griese Achim Großmann Wolfgang Grotthaus Hans-Joachim Hacker Klaus Hagemann Alfred Hartenbach Klaus Hasenfratz Nina Hauer Hubertus Heil Reinhold Hemker Frank Hempel Rolf Hempelmann Dr. Barbara Hendricks Gustav Herzog Stephan Hilsberg Gerd Höfer Jelena Hoffmann ({10}) Walter Hoffmann ({11}) Frank Hofmann ({12}) Ingrid Holzhüter Eike Hovermann Christel Humme Lothar Ibrügger Barbara Imhof Gabriele Iwersen Renate Jäger Jann-Peter Janssen Ilse Janz Dr. Uwe Jens Johannes Kahrs Ulrich Kasparick Sabine Kaspereit Ulrich Kelber Hans-Peter Kemper Klaus Kirschner Marianne Klappert Siegrun Klemmer Hans-Ulrich Klose Walter Kolbow Fritz Rudolf Körper Anette Kramme Nicolette Kressl Volker Kröning Angelika Krüger-Leißner Horst Kubatschka Ernst Küchler Helga Kühn-Mengel Ute Kumpf Konrad Kunick Dr. Uwe Küster Werner Labsch Christine Lambrecht Christian Lange ({13}) Detlev von Larcher Christine Lehder Waltraud Lehn Robert Leidinger Klaus Lennartz Dr. Elke Leonhard Eckhart Lewering Götz-Peter Lohmann ({14}) Gabriele Lösekrug-Möller Erika Lotz Dr. Christine Lucyga Dieter Maaß ({15}) Winfried Mante Dirk Manzewski Tobias Marhold Lothar Mark Ulrike Mascher Christoph Matschie Heide Mattischeck Markus Meckel Ulrike Merten Angelika Mertens Dr. Jürgen Meyer ({16}) Ursula Mogg Christoph Moosbauer Siegmar Mosdorf Michael Müller ({17}) Jutta Müller ({18}) Christian Müller ({19}) Franz Müntefering Andrea Nahles Volker Neumann ({20}) Dr. Edith Niehuis Dr. Rolf Niese Dietmar Nietan Günter Oesinghaus Eckhard Ohl Leyla Onur Manfred Opel Holger Ortel Adolf Ostertag Kurt Palis Albrecht Papenroth Dr. Martin Pfaff Georg Pfannenstein Johannes Pflug Dr. Eckhart Pick Karin Rehbock-Zureich Dr. Carola Reimann Margot von Renesse Renate Rennebach Bernd Reuter Dr. Edelbert Richter Christel RiemannHanewinckel Reinhold Robbe René Röspel Dr. Ernst Dieter Rossmann Michael Roth ({21}) Birgit Roth ({22}) Gerhard Rübenkönig Marlene Rupprecht Thomas Sauer Dr. Hansjörg Schäfer Gudrun Schaich-Walch Bernd Scheelen Dr. Hermann Scheer Siegfried Scheffler Horst Schild Otto Schily Dieter Schloten Horst Schmidbauer ({23}) Ulla Schmidt ({24}) Silvia Schmidt ({25}) Dagmar Schmidt ({26}) Wilhelm Schmidt ({27}) Dr. Frank Schmidt ({28}) Regina Schmidt-Zadel Heinz Schmitt ({29}) Carsten Schneider Dr. Emil Schnell Walter Schöler Karsten Schönfeld Fritz Schösser Ottmar Schreiner Dr. Mathias Schubert Richard Schuhmann ({30}) Brigitte Schulte ({31}) Reinhard Schultz ({32}) Volkmar Schultz ({33}) Ewald Schurer Dr. Angelica Schwall-Düren Rolf Schwanitz Bodo Seidenthal Erika Simm Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk Dr. Cornelie SonntagWolgast Wieland Sorge Wolfgang Spanier Dr. Margrit Spielmann Jörg-Otto Spiller Dr. Ditmar Staffelt Antje-Marie Steen Ludwig Stiegler Rolf Stöckel Rita Streb-Hesse Reinhold Strobl ({34}) Dr. Peter Struck Joachim Stünker Joachim Tappe Jörg Tauss Jella Teuchner Dr. Gerald Thalheim Franz Thönnes Uta Titze-Stecher Adelheid Tröscher Hans-Eberhard Urbaniak Rüdiger Veit Simone Violka Ute Vogt ({35}) Hans Georg Wagner Hedi Wegener Dr. Konstanze Wegner Wolfgang Weiermann Reinhard Weis ({36}) Matthias Weisheit Gunter Weißgerber Gert Weisskirchen ({37}) Dr. Ernst Ulrich von Weizsäcker Jochen Welt Dr. Rainer Wend Hildegard Wester Lydia Westrich Inge Wettig-Danielmeier Dr. Margrit Wetzel Dr. Norbert Wieczorek Jürgen Wieczorek ({38}) Helmut Wieczorek ({39}) Dieter Wiefelspütz Heino Wiese ({40}) Klaus Wiesehügel Brigitte Wimmer ({41}) Engelbert Wistuba Barbara Wittig Dr. Wolfgang Wodarg Verena Wohlleben Hanna Wolf ({42}) Waltraud Wolff ({43}) Heidemarie Wright Dr. Christoph Zöpel CDU/CSU Ulrich Adam Peter Altmaier Dietrich Austermann Günter Baumann Brigitte Baumeister Meinrad Belle Dr. Sabine Bergmann-Pohl Otto Bernhardt Hans-Dirk Bierling Dr. Joseph-Theodor Blank Renate Blank Dr. Heribert Blens Peter Bleser Dr. Norbert Blüm Sylvia Bonitz Jochen Borchert Dr. Ralf Brauksiepe Paul Breuer Georg Brunnhuber Klaus Bühler ({44}) Hartmut Büttner ({45}) Dankward Buwitt Cajus Caesar Peter H. Carstensen ({46}) Leo Dautzenberg Wolfgang Dehnel Hubert Deittert Albert Deß Renate Diemers Thomas Dörflinger Dr. Hansjürgen Doss Marie-Luise Dött Rainer Eppelmann Ilse Falk Dr. Hans Georg Faust Albrecht Feibel Ingrid Fischbach Dirk Fischer ({47}) Axel E. Fischer ({48}) Herbert Frankenhauser Dr. Gerhard Friedrich ({49}) Dr. Hans-Peter Friedrich ({50}) Erich G. Fritz Dr. Jürgen Gehb Norbert Geis Dr. Reinhard Göhner Peter Götz Dr. Wolfgang Götzer Kurt-Dieter Grill Manfred Grund Horst Günther ({51}) Carl-Detlev Freiherr von Hammerstein Gottfried Haschke ({52}) Gerda Hasselfeldt Hansgeorg Hauser ({53}) Helmut Heiderich Ursula Heinen Manfred Heise Detlef Helling Peter Hintze Martin Hohmann Josef Hollerith Siegfried Hornung Joachim Hörster Hubert Hüppe Susanne Jaffke Georg Janovsky Dr.-Ing. Rainer Jork Dr. Harald Kahl Bartholomäus Kalb Dr.-Ing. Dietmar Kansy Volker Kauder Eckart von Klaeden Ulrich Klinkert Norbert Königshofen Hartmut Koschyk Thomas Kossendey Rudolf Kraus Dr. Martina Krogmann Werner Kuhn Dr. Karl A. Lamers ({54}) Dr. Norbert Lammert Helmut Lamp Karl-Josef Laumann Vera Lengsfeld Werner Lensing Peter Letzgus Ursula Lietz Walter Link ({55}) Dr. Klaus W. Lippold ({56}) Dr. Manfred Lischewski Wolfgang Lohmann ({57}) Dr. Michael Luther Erich Maaß ({58}) Erwin Marschewski ({59}) Dr. Martin Mayer ({60}) Wolfgang Meckelburg Dr. Michael Meister Friedrich Merz Bernward Müller ({61}) Elmar Müller ({62}) Günter Nooke Franz Obermeier Friedhelm Ost Eduard Oswald Dr. Peter Paziorek Anton Pfeifer Dr. Friedbert Pflüger Beatrix Philipp Ronald Pofalla Marlies Pretzlaff Dr. Bernd Protzner Thomas Rachel Hans Raidel Dr. Peter Ramsauer Helmut Rauber Peter Rauen Christa Reichard ({63}) Katherina Reiche Erika Reinhardt Hans-Peter Repnik Dr. Heinz Riesenhuber Franz Romer Hannelore Rönsch ({64}) Kurt J. Rossmanith Adolf Roth ({65}) Dr. Norbert Röttgen Volker Rühe Dr. Wolfgang Schäuble Hartmut Schauerte Karl-Heinz Scherhag Dr. Gerhard Scheu Norbert Schindler Christian Schmidt ({66}) Dr.-Ing. Joachim Schmidt ({67}) Andreas Schmidt ({68}) Hans Peter Schmitz ({69}) Reinhard Freiherr von Schorlemer Dr. Erika Schuchardt Gerhard Schulz Clemens Schwalbe Dr. Christian SchwarzSchilling Wilhelm Josef Sebastian Marion Seib Heinz Seiffert Johannes Singhammer Bärbel Sothmann Margarete Späte Erika Steinbach Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten Andreas Storm Dorothea Störr-Ritter Max Straubinger Matthäus Strebl Thomas Strobl ({70}) Michael Stübgen Edeltraut Töpfer Dr. Hans-Peter Uhl Arnold Vaatz Angelika Volquartz Andrea Voßhoff Peter Weiß ({71}) Gerald Weiß ({72}) Annette Widmann-Mauz Heinz Wiese ({73}) Hans-Otto Wilhelm ({74}) Bernd Wilz Matthias Wissmann Werner Wittlich Dagmar Wöhrl Elke Wülfing Peter Kurt Würzbach Wolfgang Zeitlmann Wolfgang Zöller BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Gila Altmann ({75}) Volker Beck ({76}) Angelika Beer Matthias Berninger Grietje Bettin Amke Dietert-Scheuer Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms Dr. Thea Dückert Franziska Eichstädt-Bohlig Dr. Uschi Eid Hans-Josef Fell Joseph Fischer ({77}) Katrin Göring-Eckardt Gerald Häfner Antje Hermenau Ulrike Höfken Michaele Hustedt Dr. Angelika Köster-Loßack Steffi Lemke Kerstin Müller ({78}) Cem Özdemir Simone Probst Christine Scheel Irmingard Schewe-Gerigk Rezzo Schlauch Albert Schmidt ({79}) Werner Schulz ({80}) Jürgen Trittin Dr. Ludger Volmer Helmut Wilhelm ({81}) Margareta Wolf ({82}) FDP ({83}) Jörg van Essen Gisela Frick Paul K. Friedhoff Rainer Funke Dr. Wolfgang Gerhardt Hans-Michael Goldmann Joachim Günther ({84}) Dr. Karlheinz Guttmacher Klaus Haupt Dr. Helmut Haussmann Dr. Werner Hoyer Dr. Heinrich L. Kolb Gudrun Kopp Jürgen Koppelin Ina Lenke Günther Friedrich Nolting Hans-Joachim Otto ({85}) Detlef Parr Dr. Günter Rexrodt Gerhard Schüßler Marita Sehn Gudrun Serowiecki Dr. Dieter Thomae Jürgen Türk Nein CDU/CSU Dr. Wolf Bauer Wolfgang Börnsen ({86}) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Monika Knoche PDS Dr. Dietmar Bartsch Wolfgang Bierstedt Maritta Böttcher Roland Claus Heidemarie Ehlert Dr. Ruth Fuchs Dr. Klaus Grehn Uwe Hiksch Dr. Barbara Höll Carsten Hübner Gerhard Jüttemann Dr. Evelyn Kenzler Rolf Kutzmutz Ursula Lötzer Heidemarie Lüth Angela Marquardt Kersten Naumann Rosel Neuhäuser Christine Ostrowski Petra Pau Christina Schenk Dr. Ilja Seifert Dr. Winfried Wolf Fraktionslose Abgeordnete Christa Lörcher Enthalten CDU/CSU Norbert Otto ({87}) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Annelie Buntenbach Christian Simmert Hans-Christian Ströbele Entschuldigt wegen Übernahme einer Verpflichtung im Rahmen ihrer Mitgliedschaft in den Parlamentarischen Versammlungen des Europarates und der WEU, der Parlamentarischen Versammlung der NATO, der OSZE oder der IPU Abgeordnete({88}) Behrendt, Wolfgang Bindig, Rudolf Lintner, Eduard Dr. Lippelt, Helmut SPD SPD CDU/CSU BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Müller ({89}), Manfred Zierer, Benno PDS CDU/CSU Der Antrag ist angenommen. Als nächstem Redner gebe ich dem Kollegen Christian Schwarz-Schilling von der CDU/CSU-Fraktion das Wort.

Dr. Christian Schwarz-Schilling (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002128, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Scharping, durch Ihre Eingangsworte bin ich an etwas erinnert worden. Sie können sich auf die Mitwirkung der Opposition bei diesem Einsatz voll verlassen. Wir stimmen ihm zu. ({0}) Ich sage das mit einer gewissen Anspielung auf die Zeiten, als die CDU/CSU hier entsprechende Dinge - ich denke an den Einsatz von zwei kleinen Schiffen auf der Adria - vorgenommen hat. ({1}) Als Folge bekamen wir einen Verfassungsgerichtsprozess an den Hals und es hat sehr lange gedauert, bis die Opposition einer solchen Regierungspolitik zugestimmt hat. ({2}) Meine Damen und Herren, wenn man diesem Hause 26 Jahre angehört, darf man auch einmal an einige historische Dinge erinnern. Auch das gehört dazu. Wir stimmen, wie ich eben bereits sagte, diesem Einsatz zu. In einem Moment, in dem militärische Aktionen und diplomatische Aktionen in einer eigentlich erst im 21. Jahrhundert sichtbaren Weise parallel wirken, ist eine solche Zustimmung umso mehr angebracht. Ich habe das Wort „parallel“ gebraucht, weil ich immer noch den von manchen für besonders klug gehaltenen Satz im Ohr habe, Militäreinsätze seien nur das allerletzte Mittel, wobei man aber nicht bedacht hatte, dass dieses Mittel zumindest als Bedrohung, nicht unbedingt in der Ausführung am Anfang stehen muss, wenn man es mit Diktatoren oder Gewaltherrschern zu tun hat. Die Möglichkeit eines Einsatzes muss jederzeit gegeben sein, wenn man das Spiel zwischen Diplomatie und Militär im 21. Jahrhundert richtig versteht. ({3}) Herr Kollege Gehrcke, ich wiederhole das, was ich vorgestern im Auswärtigen Ausschuss gesagt habe: Ihre Politik ist von vorgestern und ohne jede Moral. ({4}) Sie hätten wohl weiter zugeschaut, wenn die Massaker in Bosnien weitergegangen wären, ({5}) wenn alle Menschen im Kosovo vertrieben worden wären ({6}) und wenn die Dinge in Afghanistan weiter wie früher gelaufen wären. ({7}) Dann würden Sie immer noch sagen, Sie seien die einzig Moralischen in diesem Hause. ({8}) Ich lasse Sie bei Ihrem Glauben, meine aber zu wissen, dass Sie Ihren Worten selber nicht glauben. ({9}) Meine Damen und Herren, wir haben gestern die Nachricht gehört - es wurde schon darauf hingewiesen -, dass die Loya Jirga Hamid Karzai mit über 80 Prozent der Stimmen gewählt hat. Das ist wirklich ein Erfolg. Da ich sonst auch sehr viele kritische Äußerungen mache, sage ich dem Außenminister, dass er auf dem Petersberg maßgeblich einen Prozess in Gang gebracht hat, der zu diesem Erfolg geführt hat. ({10}) Ich danke ihm dafür. Es ist ja nicht ganz selbstverständlich, dass diese Politik mit dem Einsatz von Diplomatie und Militär von dieser Bundesregierung mit entsprechender Kraft vorangetrieben worden ist. Die Zusammenarbeit zwischen Militär und Diplomatie ist meines Erachtens von großer Bedeutung. Besonders interessant ist aber, dass wir auch gelernt haben, dass die Polizei ganz wichtig ist. Was habe ich mich in den vergangenen Jahren bemüht, die Polizei als eine der wichtigsten demokratischen Säulen in einem aufzubauenden Staat auch uns präsent zu machen! Ich bin dankbar, dass gerade die Bundesregierung diesen Teil sehr ernst nimmt und dabei eine maßgebliche Rolle spielt. Dies ist für die langfristige Befriedung dieses Landes von außerordentlicher Bedeutung: mindestens von der Bedeutung des Aufbaus einer afghanischen Armee, vielleicht sogar von größerer Bedeutung. ({11}) Dass das Ganze kein Zuckerschlecken und kein Spaziergang ist, haben wir gestern und vorgestern ebenfalls in den Nachrichten gehört. Auch deutsche Soldaten wurden in tätliche Auseinandersetzungen verwickelt und bedroht. Wir alle wissen nicht, welche Risiken hier noch auf uns zukommen können. Deswegen müssen wir umso mehr unsere Bundeswehr ermutigen, indem wir - bis auf die Vorgestrigen hier im Hause - alle hinter ihr stehen und voller Bewunderung darüber sind, mit welcher Professionalität diese Aufgabe erfüllt wird. ({12}) Das hat bei manchen, die nach 1989/90 meinten man könne die ganze Bundeswehr abschaffen, wahrscheinlich zu einem gewissen Umkehrprozess in der Achtung vor der Bundeswehr geführt. Ein großer Erfolg ist auch die Wiedereröffnung der Schulen. Sie sehen Bilder mit Jungen und Mädchen, die wieder in die Schule gehen können. Sie sehen auch die Aktivität der Frauen. ({13}) Über 100 Frauen - das sind fast 5 Prozent - sind Mitglied der Großen Ratsversammlung. Es hat sich sogar eine Kandidatin für die Präsidentschaft gefunden, eine 35-jährige Ärztin, die zwar keine Chancen hatte, ({14}) die aber ein Zeichen gesetzt hat, in welche Richtung dieses Land geht. ({15}) Die Sicherheitslage hat weitere positive Konsequenzen. Wir haben über 900 000 Rückkehrer, bald werden es 1 Million sein. Damit stellt sich natürlich auch die Frage nach der Sicherheit der zurückkehrenden Flüchtlinge. Dazu möchte ich eine Anmerkung machen, weil immer etwas schnell gesagt wird: Wir beschränken uns auf Kabul. Das ist im Moment sicher richtig. Langfristig gesehen werden wir Sicherheit aber nur im ganzen Land haben oder sie wird gar nicht kommen. Als nächstes Zeichen muss auch in den Provinzhauptstädten Sicherheit einkehren. Wir können das nicht den Amerikanern überlassen nach dem Motto „Jagt die Terroristen“, sondern das Ziel muss eine kontinuierliche Erhöhung der Sicherheit auch draußen im Lande sein, zumindest schon einmal in den Metropolen der Provinzen, damit sich Sicherheit von dort weiter ausbreitet. Sicherheit allein in der Hauptstadt wird auf lange Sicht nicht ausreichen. Lassen Sie mich noch zu einem anderen Punkt kommen, gerade auch vor dem Hintergrund der Diskussion über den NATO-Einsatz auf dem Balkan. Es ist sehr merkwürdig, wie alle Dinge heute zusammenwirken; der Kollege Spranger hat auch schon darauf hingewiesen. Die Frage, unter welchem Gesichtspunkt wir heute Interventionen durchführen dürfen, hat sich in den letzten zehn Jahren unglaublich stark weiter entwickelt. Auf dem Millenniumsgipfel hatte der Generalsekretär der Vereinten Nationen, Kofi Annan, die Frage gestellt: Wenn die humanitäre Intervention tatsächlich einen nicht hinnehmbaren Angriff auf die Souveränität darstellt, wie sollen wir dann die Antwort auf ein Ruanda, auf ein Srebrenica finden, auf grobe und systematische Menschenrechtsverletzungen, die jeglichem universellen Gebot der Mitmenschlichkeit Hohn sprechen? Die Kommission von Lloyd Axworthy, eine stark von Kanada finanzierte Kommission, kam zu dem Ergebnis, dass sich in Theorie und Praxis tatsächlich ein Grundsatz der humanitären Intervention herauszubilden beginnt, der die Doktrin der Staatensouveränität überlagern könnte. In Gesprächen mit Menschen in aller Welt erfahren wir das Bild eines Übergangs von der Kultur der souveränen Straflosigkeit zu einer Kultur der nationalen und internationalen Rechenschaftspflichtigkeit. ({16}) Ich glaube, damit ist der Weg sehr gut beschrieben. Diesen Weg müssen wir weiter gehen. Das ist das Thema des 21. Jahrhunderts. Das möchte ich hier deutlich sagen. ({17}) Gerade vor dem Hintergrund der Geschichte Europas, wo wir Jahrhunderte gebraucht haben, um Menschenrechte, Rechtsstaatlichkeit und Gewaltenteilung zu entwickeln, wo wir etwas ungeduldig sind und in diesen Staaten das alles in zwei, drei Jahren erreichen wollen, ({18}) möchte ich sagen: Bitte etwas mehr Geduld, auch in der militärischen Präsenz. Wir sollten nicht immer im Sinne einer Exit-Strategie die Frage stellen: Gehen wir in einem Jahr oder in zwei Jahren? Das ist keine konstruktive Einstellung. Die Amerikaner haben 1945, als sie nach Deutschland kamen, auch nicht gleich von einer Exit-Strategie gesprochen. Sie sind jahrzehntelang hiergeblieben, bis heute, ohne uns in irgendeiner Weise zu behelligen. Meine Damen und Herren, das ist ein Punkt, den ich deutlich hervorheben wollte; denn es handelt sich hier um einen Paradigmenwechsel innerhalb der Charta der Vereinten Nationen. Es ist auch die argumentative Antwort auf diejenigen, die bei jeder Menschenrechtsfrage in ihrer Abwehrhaltung auf die Souveränität ihres Staates pochen. So kann es nicht bleiben. Menschenrechte sind unteilbar. ({19}) Ich möchte jetzt, zum Schluss meiner Rede, die höchstwahrscheinlich die allerletzte nach einer 26-jährigen Tätigkeit in diesem Hohen Hause ist, einige Punkte ansprechen, die mir am Herzen liegen. Erstens. Ich hatte die großartige Gelegenheit, in einer Zeit, da die Informationstechnologie eine rasante Entwicklung nahm und die so genannte Globalisierung der Politik und der Wirtschaft einleitete, an entscheidender Stelle mitwirken zu dürfen. Ich möchte hier auch, gerade weil ich ein sehr kritischer Weggenosse war, was die Außen- und Menschenrechtspolitik auf dem Balkan betraf, unumwunden sagen, dass ich dem Altkanzler Helmut Kohl immer dankbar dafür sein werde, dass ich die Gelegenheit und die Chance bekommen habe, dort zehn Jahre lang an verantwortlicher Stelle mitwirken zu dürfen. Herzlichen Dank! ({20}) Zweitens. Ich möchte auch denjenigen Kolleginnen und Kollegen im Kabinett danken, die mir damals in der Schlussphase meiner Tätigkeit inneren und manchmal auch äußeren Beistand in der für mich plötzlich an Priorität gewinnenden Frage des Balkans geleistet haben. Es war für mich furchtbar, dort zuzuschauen und gleichzeitig zu hören, dass das, was vor 50 Jahren geschah, nie wieder geschehen dürfe. Ich erinnere mich an die Eröffnung des Holocaust-Museums, als Eli Wiesel plötzlich den Präsidenten der Vereinigten Staaten ansah und sagte: Ich war gerade in Sarajevo, und ich kann Ihnen nur sagen: Tun Sie etwas, Herr Präsident! Wir eröffnen gerade jetzt hier ein Holocaust-Museum; wir wollen nicht bald ein neues eröffnen müssen! - Die Doppelmoral, auf Vergangenheitsfeiern an die Befreiungstaten vor 50 Jahren zu erinnern, aber im Angesicht dieser Feierlichkeiten das Massaker 100 Kilometer von unseren Grenzen entfernt zu ignorieren, hat mir nie eingeleuchtet. Das hat mich dann auch sehr konsequent zu den Schritten geführt, die ich gegangen bin. Ich danke allen, die mich dabei unterstützt haben. Ich möchte auch all diejenigen, denen ich vielleicht mit Härte entgegengetreten bin, um Nachsicht bitten. Aber es gibt solche Paradigmenwechsel im Leben eines Menschen. ({21}) Ich möchte drittens sagen: Diese Begleitung, die ich dann auch in meiner Fraktion erfahren habe, hat mich mit großer Freude erfüllt. Ich habe erfahren, dass man sich auch im Dissens aufgehoben fühlen kann und dass es keineswegs so ist, wie immer gesagt wird, dass die Fraktionen einen riesigen Zwang ausübten. Ich habe eigentlich immer nur erfahren, dass es am Mut einzelner Abgeordneter fehlt, nicht umgekehrt. ({22}) Ich möchte aus der Sicht dieser Zeit etwas für das 21. Jahrhundert sagen. Die Kommissarin für Menschenrechte hat in ihrer Rede am 6. Juni über die großen Chancen gesprochen, die wir durch das Zusammenwachsen der humanitären Verpflichtungen des Rechtsstaates und der Möglichkeiten der Diplomatie und des Militärs haben werden. Ich glaube, das ist genau der Weg, den auch dieses Haus in der nächsten Legislaturperiode gehen muss. Aber ich möchte noch um eines bitten. Ich freue mich, dass gerade auch der Innenminister hier ist. Dieses Zusammenwachsen bedeutet auch Zusammenwachsen von Außen- und Innenpolitik. Wir können nicht einfach sozusagen souverän Innenpolitik betreiben, ohne jeweils zu wissen, welche Wirkungen dies auf unsere außenpolitischen Verpflichtungen hat. ({23}) Auch in diesem Punkt habe ich in Bosnien einiges erlebt, bei dem ich mir eine stärkere Bewusstwerdung unserer Innenpolitiker gewünscht hätte, damit sie nicht zur Unzeit Dinge tun, die die Zielsetzungen dort konterkarieren und nicht befördern. Auch das wollte ich hier noch einmal sagen. ({24}) Ich möchte mich bedanken, wünsche Ihnen alles Gute für die Zukunft und hoffe, dass wir auch weiterhin in gutem Kontakt bleiben; ich werde das Meinige dazu tun. Ich hoffe, dass wir auf dem beschriebenen Wege die Chance nutzen, dass das 21. Jahrhundert das Jahrhundert der Menschenrechte wird, und dass wir insofern etwas aus dem 19. und dem 20. Jahrhundert gelernt haben. Ich danke Ihnen. ({25})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Herr Kollege Schwarz-Schilling, Sie hören es am Beifall der Kolleginnen und Kollegen des Hauses: Wir danken Ihnen für Ihr Wirken auf Bundesebene in den letzten drei Jahrzehnten. Sie haben die Politik dieses Landes als Bundesminister und - vor allem im vergangenen Jahrzehnt - als Menschensrechtspolitiker entscheidend mitgeprägt. In Ihrer Rede haben Sie bereits darauf hingewiesen, dass Sie uns als internationaler Streitschlichter für Bosnien-Herzegowina erhalten bleiben. Für eine produktive Zusammenarbeit mit den neu gewählten Parlamentarierinnen und Parlamentariern und für Ihren neuen Lebens- und Arbeitsabschnitt wünsche ich Ihnen im Namen der Kolleginnen und Kollegen des gesamten Hauses alles Gute. ({0}) Zu einer Kurzintervention erteile ich jetzt dem Kollegen Wolfgang Gehrcke das Wort. ({1})

Wolfgang Gehrcke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003130, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Es dauert nur kurz, da es ja eine Kurzintervention ist. Sehr geehrter Herr Kollege Schwarz-Schilling, ich hätte nach Ihrer letzten Rede hier mit Sicherheit keine Kurzintervention angemeldet, wenn Sie mich nicht in drei Punkten sehr direkt und persönlich angesprochen hätten, zu denen ich mich kurz äußern möchte. ({0}) Es gibt noch andere Wege zwischen Tun und Nichttun, zwischen Hinsehen und Nichthinsehen. Wir haben Sorge, dass man immer mehr von Anfang an mit militärischen Mitteln auf Menschenrechtsverletzungen reagiert und dass mit dem Vorwurf der Menschenrechtsverletzung immer funktionaler umgegangen wird. Bei den Staaten, bei denen man es für notwendig hält, es vielleicht sogar berechtigt ist, reagiert man. Bei anderen Staaten wird darüber hinweggesehen. Nehmen Sie uns und mir bitte ab, dass wir die Militäreinsätze abgelehnt haben, weil man die zivilen Mittel eben nicht vollständig ausnutzt. Das war nicht ideologisch begründet und es war kein Wegschauen, sondern es war unsere Art, Verantwortung wahrzunehmen. ({1}) Beim zweiten Punkt, den Sie, auch in der Auseinandersetzung mit der Regierung hier sehr klar benannt haben, haben Sie gesagt, dass in dem Zusammenspiel zwischen Diplomatie und Militär letzteres nicht am Ende, sondern am Anfang stehen und eingeplant werden muss. Ich finde es gut, dass das so ausgesprochen wurde. Krieg beginnt nie mit dem Krieg selbst, aber ein Konflikt endet beim Krieg, wenn er als Möglichkeit eingeplant worden ist. ({2}) Herr Schwarz-Schilling, Sie haben gesagt, dass die Möglichkeit des Krieges am Anfang mitbedacht werden muss. Gerade hier liegt unsere große Sorge. Ich komme zum dritten Punkt. Sie haben meiner Fraktion und mir persönlich vorgehalten, wir würden uns taktisch verhalten. Ich will Ihnen sagen: Ganz im Gegenteil, wenn wir uns taktisch verhalten würden, wäre unser Weg auf die Regierungsbank schon längst gebahnt. ({3}) Wir wussten ja, welchen Preis wir zahlen, wenn wir bei unseren Positionen bleiben. Wir haben diesen Preis sehr bewusst gezahlt. Um dort zu landen, müssten wir das tun, was man von uns verlangt; das ist es uns nicht wert. Entschuldigen Sie, das wollte ich Ihnen mit allem Respekt am Ende Ihrer Rede noch gesagt haben. ({4})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Die nächste Rednerin in der Debatte ist die Kollegin Rita Grießhaber für die Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen.

Rita Grießhaber (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002664, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Sehr verehrter Herr Kollege Schwarz-Schilling, Ihnen ein ganz herzliches Dankeschön für die wunderbare Zusammenarbeit im Auswärtigen Ausschuss! Gerade Ihre Art zu debattieren und Ihr Stil waren sehr bereichernd. Das hat gezeigt, dass die parteiübergreifend gute Zusammenarbeit im Auswärtigen Ausschuss nur durch Ihre Art und Weise, Politik zu machen, möglich war. ({0}) Wenn man sieht, wie viele berüchtigte ehemalige Kriegsherren in der afghanischen Großen Ratsversammlung sitzen, könnte man es eine Farce nennen, dass die gewählten Vertreter dieser Loya Jirga bei ihrer Bewerbung eine Erklärung abgeben mussten, in der sie sich zu den Beschlüssen der Petersberger Konferenz bekennen, und versichern mussten, dass sie die Menschenrechte niemals verletzt haben. Bedenkt man die Umstände, grenzt es an ein Wunder, dass diese Versammlung nach 23 Jahren Krieg und Bürgerkrieg - und sogar im Zeitplan - überhaupt zustande gekommen ist. Die Auswahl der Delegierten verlief nicht nach westeuropäischem Vorbild. Aber die Verhältnisse einer kriegszerrütteten Stammesgesellschaft sind davon weit entfernt. Man kann wirklich nur staunen, was in Afghanistan bisher alles erreicht worden ist. ({1}) Ich freue mich zum Beispiel auch darüber, dass zusätzlich zu den 160 garantierten Vertreterinnen 50 Frauen direkt in die Loya Jirga gewählt wurden. Dies ist in einem Land geschehen, über das mir einmal eine Entwicklungshelferin gesagt hat: Hier gibt es viele Gegenden, in denen jede Ziege wertvoller als eine Frau ist. - Es ist ein Riesenerfolg, dass diese 50 Frauen in Direktwahl in die Loya Jirga eingezogen sind. ({2}) Die Bundesregierung genießt für ihr Engagement in Afghanistan große Anerkennung. Der Vertreter der Vereinten Nationen, Herr Brahimi, nannte Deutschland im Zusammenhang mit der internationalen Unterstützung für Frieden und Wiederaufbau in der Loya Jirga an erster Stelle. Sogar die „Neue Zürcher Zeitung“ lobt die multinationale Brigade in Kabul unter deutschem Kommando und schreibt, dass sie ein Gefühl der Sicherheit im Land gebe. Ich kann verstehen, dass deshalb viele nach einer Ausweitung des Mandats über Kabul und Umgebung hinaus rufen. Das ist aber nicht die Lösung. Nicht umsonst hat Präsident Karzai auf der Ratsversammlung betont, dass das Land für seine Souveränität und seine territoriale Integrität selber eintreten muss. In keiner Frage einen sich die zerstrittensten Afghanen schneller als bei der Gefahr einer möglichen ausländischen Besatzung. Deshalb ist es richtig, dass die Bundesregierung Afghanistan beim Aufbau einer eigenen Polizei unterstützt und die USA beim Aufbau der Armee helfen, damit es, wie Kollege Schwarz-Schilling gesagt hat, auch in den Provinzen Sicherheit geben wird. Wichtig ist auch, dass die internationale Sicherheitsunterstützungstruppe und die Operation „Enduring Freedom“ weiterhin deutlich getrennt bleiben. Es ist eine Sache, die Regierung bei der Herstellung der Sicherheit zu unterstützen. Aber es ist eine andere Sache, die verbliebenen al-Qaida- und Taliban-Terroristen zu bekämpfen. ({3}) Dass Letzteres immer noch nötig ist, daran besteht leider kein Zweifel. Das zeigt auch der soeben verübte Anschlag in Karachi. Im Übrigen müssen selbstverständlich alle Vorwürfe über gezielte Massenmorde an Talibankämpfern Ende letzten Jahres unter Beteiligung von US-Soldaten vollständig aufgeklärt und die Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen werden. ({4}) Keine Frage: Es gibt in Afghanistan noch zahlreiche verfeindete Clans und jede Menge Kriegsherren, die um territorialen Einfluss kämpfen. Allein auf der Strecke von Kabul nach Herat - das sind knapp 600 Kilometer - soll es über 100 Checkpoints geben. Jeder wird von einem anderen Kriegsfürsten kontrolliert. Damit, was in der Sprache der Vereinten Nationen lapidar „nation building“ heißt, hat Afghanistan erst begonnen. Aber auch wenn der Weg lang ist: Mit der Wahl von Präsident Karzai, dem Prozess der Loya Jirga und der verfassungsgebenden Versammlung sowie weiterer tatkräftiger internationaler Unterstützung sind die Weichen für eine friedliche und stabile Entwicklung gestellt. Wir unterstützen die Verlängerung des Mandats für die Bundeswehr. Danke. ({5})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Für die FDP-Fraktion spricht jetzt der Kollege Hildebrecht Braun.

Hildebrecht Braun (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002634, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Lieber Herr Schwarz-Schilling, ich möchte Ihnen den Dank der FDP-Fraktion für Ihre Führungsrolle ausdrücken, die Sie eingenommen haben, wenn es darum ging, unser Land in den Kreis derer zu führen, die auch mit den Mitteln der Macht eine aktive Rolle gegen die Macht des Terrors und der Gegner der Menschenrechte spielen wollten. Herzlichen Dank! Ich möchte noch eine persönliche Bemerkung hinzufügen: Ich bin stolz darauf, dass ich Anfang 1995 mit Ihnen und zwei Vertretern anderer Fraktionen einen offenen Brief schreiben konnte, der vielleicht damals ein bisschen zum Umdenken der NATO und auch unserer Regierung beigetragen hat, als es im Zusammenhang mit dem Balkan um diese Grundsatzfrage ging. Die FDP stimmt natürlich dem heutigen Antrag der Bundesregierung zu. Die Friedensaktion der Bundeswehr im Rahmen der ISAF muss fortgesetzt werden. Noch vor sechs Monaten hatte die Bundesregierung keine eigene Mehrheit. Mittlerweile hat sich für jedermann, auch für diejenigen, die damals noch in der außen- und sicherheitspolitischen Lernphase waren, gezeigt, dass der Einsatz der Bundeswehr der Sicherung des Friedens in Kabul dient. ({0}) Außer der PDS, die in diesem Punkt beratungs- und erfahrungsresistent ist, werden wohl alle aus gutem Grund dem Antrag der Bundesregierung zustimmen. Frieden in Kabul bedeutet ein Mehr an Sicherheit und Frieden weltweit; denn es gibt nur eine Welt des Terrors und auch nur eine Welt des Friedens. Die Bundeswehr genießt in Kabul hohes Ansehen, und zwar zu Recht. Deutsche Soldaten zeichnen sich wieder, wie schon im Kosovo, in Mazedonien und in Bosnien, durch Verlässlichkeit, Hilfsbereitschaft, Pflichterfüllung, aber auch durch Sensibilität gegenüber den Bewohnern aus. Übergriffe auf Afghanen gibt es nicht. Deutsche werden als Helfer, als Schutztruppe gegen Chaos, aber auch gegen Terror und Unfreiheit sowie als Wegbereiter für eine positive Entwicklung sowohl der Stadt Kabul als auch des gesamten Landes wahrgenommen. Wir selbst konnten uns vor 14 Tagen vor Ort davon überzeugen, dass unsere Soldaten unter wirklich schwierigen Bedingungen und in unsicherer Lage ihren Dienst vorbildlich leisten. Großes Engagement ist auch erforderlich, um auf engstem Raum in Kabul sechs Monate auszuharren. Es ist ein Leben in Zelten unter unwirtlichen klimatischen Bedingungen, mit großer Hitze am Mittag und oft mit großer Kälte in der Nacht, mit Staub ohne Ende und gelegentlich auch mit Sandstürmen, ohne die Möglichkeit, sich an einen Ort der Privatheit zurückzuziehen, viele Tausend Kilometer von der Familie, der Freundin und von den eigenen Kindern entfernt. Das alles sind Opfer, die hingenommen werden, weil jeder weiß, dass sein Aufenthalt in Afghanistan den dort lebenden Menschen nützt. Würden die Truppen abziehen, hätten die Menschen in Afghanistan nach 24 Jahren Krieg wieder keine Chance. Dass Mädchen wieder in die Schule gehen können, dass Frauen wieder arbeiten dürfen, dass Meinungsfreiheit herrscht und dass demokratische Elemente immer mehr das öffentliche Leben prägen, das alles ist nur wegen der Präsenz unserer Soldaten möglich. Natürlich erinnern die jetzt in Afghanistan stattfindenden Prozesse an unser Mittelalter. Präsident Karzai sammelt die Stimmen der Warlords quasi wie damals der Kaiser die Stimmen der Kurfürsten, denen er für ihre Unterstützung weit gehende Unabhängigkeit und Rechte vor Ort zugestehen muss. Von knapp 1 200 Soldaten sind nur 170 für die eigentliche Aufgabe frei, nämlich für Sicherheit in Kabul zu sorgen und insbesondere die neue, noch junge Übergangsregierung zu schützen, damit sie dauerhafte Strukturen im Land schaffen kann. Mehr als 1 000 Soldaten werden also gebraucht, um 170 in die Lage zu versetzen, ihren Auftrag zu erfüllen. Das ist zwar ein unglückliches Verhältnis von Versorgungs- und Einsatzkräften, aber angesichts der besonderen Gegebenheiten in diesem Land wohl hinnehmbar. Denken wir nur daran, dass die Versorgung über viele Tausend Kilometer erfolgen muss, äußerst kompliziert und natürlich auch teuer ist. Ich freue mich allerdings, festzustellen, dass die Verantwortlichen in der Streitkräftebasis alles unternehmen, um die notwendigen Transporte von Deutschland nach Kabul billiger zu gestalten. Dass wir unter Zuhilfenahme eines usbekischen Carriers mit zwei Antonow-124-Flugzeugen den Großteil der Versorgung mit Material, zum Beispiel auch mit Fahrzeugen, der Bewaffnung, Zelten, aber auch Lebensmitteln bewerkstelligen, ist sehr gut. Wir sollten allerdings versuchen, speziell die Lebensmittelversorgung in Zukunft möglichst ortsnäher zu organisieren, damit Transportkosten gespart werden können. Wir wissen von Problemen bei der elektronischen Aufklärung. Es ist wohl immer noch so, dass auch die internationalen Partner eines Einsatzes, der ein gemeinsames Ziel, nämlich die Friedenssicherung, hat, ihre Aufklärungsergebnisse, die der Sicherheit nicht nur der örtlichen Bevölkerung, sondern auch unserer Soldaten selbst dienen, nicht selbstverständlich austauschen. Hier müssen Strukturen geändert werden. Das kann wohl nur auf höchster Ebene erörtert und geändert werden, da nationale Egoismen in diesem Bereich noch immer vorherrschen. Lassen Sie mich zum Abschluss ein Thema ansprechen, mit dem wir Liberalen uns im Parlament bisher noch nicht durchgesetzt haben. Wir sind immer und immer wieder darauf angesprochen worden, dass die sechsmonatige Stehzeit ein Unding sei. Das ist richtig. Es ist an der Zeit, dass der Minister einer Division für einen bestimmten Zeitraum den Auftrag gibt, den Einsatz vor Ort zu organisieren. Dann kann der Divisionskommandeur für die nötige Flexibilität sorgen, die den Soldaten und ihren Familien zugute kommen würde. Alle sagten, sie wären lieber jedes Jahr drei Monate im Ausland als alle zwei Jahre sechs Monate. ({1}) Ein Aufenthalt von sechs Monaten ist für die Familie nicht zumutbar. Ich hoffe, dass diese Botschaft endlich verstanden wird. Vielen Dank. ({2})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Das Wort hat der Vorsitzende der PDS-Fraktion, Roland Claus.

Roland Claus (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003065, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die PDS-Fraktion lehnt die Fortsetzung des Militäreinsatzes in Afghanistan ab, sowie sie auch den Beginn dieses Einsatzes abgelehnt hat. ({0}) Mit Unterstützung der konservativen Opposition versucht diese Bundesregierung seit dem 24. März 1999, die Öffentlichkeit und so auch uns im Parlament beharrlich davon zu überzeugen, dass kriegerische Mittel die Voraussetzung für humanitäre Hilfe sind. Sie tut das alles andere als ungeschickt. Aber wir wollen und werden uns an diese Logik nicht gewöhnen. ({1}) Hildebrecht Braun ({2}) Der Kampf gegen den Terror kann und muss gewonnen werden; ein Krieg kann nicht gewonnen werden. ({3}) Meine Damen und Herren, die Sie jetzt der Verlängerung dieses Einsatzes zustimmen wollen, Sie nehmen die Bilder und Berichte aus Kabul als Begründung für Ihre Zustimmung. Wir haben Zweifel daran, dass diese Bilder und Berichte die Lage in Afghanistan tatsächlich widerspiegeln. Wir haben diese Zweifel geäußert, als es zum ersten Mal um die Abstimmung zu diesem Mandat ging, und wir haben sie auch heute noch. Wir zweifeln daran, dass wir wirklich die authentische Lage in Afghanistan kennen. Wann endet das Mandat? Diese Frage können Sie noch immer nicht beantworten. Was machen deutsche KSKKräfte wo in Afghanistan? Das geht bis hin zu der Frage: Wohin sind die Talibankämpfer verbracht worden? Bekanntlich sind nicht alle in Guantanamo. Diese Fragen bleiben nach wie vor offen. Sie nehmen für sich jetzt in Anspruch, dass über diese Einsätze Frauenrechte gestärkt werden. So wünschenswert dies natürlich ist: Es ist unglaubwürdig, dass Sie dies heute mit der Nordallianz erreichen können, so unglaubwürdig, wie es war, die Taliban erst mit amerikanischer Hilfe aufzurüsten. ({4}) Wir haben zum Gegenstand dieser Debatte einen Antrag unserer Fraktion gemacht mit dem Ziel, den Bündnisfall, also den NATO-Bündnis- und -Beistandsfall, wieder aufzuheben; denn interessanterweise regelt der NATO-Vertrag nur den Eintritt, aber nicht die Beendigung des Falls. Auch darüber muss gesprochen werden. Wir sind nicht die Einzigen, die Zweifel an der realen Lage in Afghanistan haben. In der „Frankfurter Rundschau“ vom 10. Juni wird der Begriff „bleigraues Schweigen“ geprägt. Dieses „bleigraue Schweigen“ wird auch belegt. Aus diesem Grunde hat sich unsere Fraktion entschieden, am Mittwoch dieser Woche einem britischen Filmteam die Möglichkeit einzuräumen, Zeugenaussagen über die Ermordung gefangener Taliban-Kämpfer zu präsentieren. Wer sich diesen Film anschaut, wird feststellen, dass es darin nicht um tendenziöse Selbstbestätigung geht, sondern um die Suche nach Authentizität. Deshalb sind auch zu Recht Untersuchungen durch das Internationale Rote Kreuz und die Vereinten Nationen gefordert worden. Die PDS lehnt es auch weiterhin ab, militärische und kriegerische Mittel als humanitäre Hilfe auszugeben. Wer das als Beihilfe zur Militarisierung diffamiert, wie es die Grünen heute getan haben, argumentiert nicht nur auf absurde Art und Weise, sondern zeigt sein eigenes Versagen in der Friedenspolitik seit März 1999. ({5}) Deshalb bleiben wir dabei: Die Politik der uneingeschränkten Solidarität ist falsch. Es war gut, dass am 21. Mai in Berlin hunderttausend Menschen gegen diese falsche Politik demonstriert haben. Auch die Unterstützung aus dem Bundestag war richtig und wichtig. Krieg ist die falsche Antwort auf den Terror. ({6})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Ich erteile dem Bundesaußenminister Joseph Fischer das Wort.

Joseph Fischer (Minister:in)

Politiker ID: 11000552

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es ist fast nicht mehr möglich, auf den Vorredner einzugehen; ({0}) es nutzt ohnehin nichts. Nehmen Sie allein die Tatsache, dass es gelungen ist - wir haben das vorhin im Zusammenhang mit der Operation „Amber Fox“ gesehen -, einen Bürgerkrieg zu verhindern, über dessen Verlauf man sich, ohne das unnötig zu dramatisieren, keine Illusionen machen sollte. Wenn er in Mazedonien ausgebrochen wäre, wäre es zu ähnlich schlimmen Ereignissen gekommen, wie wir sie in Bosnien erlebt haben. Wenn Sie eine Position als Friedenspolitik bezeichnen, die diesen Bürgerkrieg sehenden Auges zugelassen hätte und die Zustimmung zum Eingreifen verweigert hat, muss ich dem entgegenhalten, dass dies nichts mit Friedenspolitik zu tun hat, sondern schlichtweg Blindheit beweist. Es stellt vielmehr das Gegenteil einer Friedenspolitik dar. ({1}) Diese Bundesregierung hat mit dem Stabilitätspakt einen entscheidenden Beitrag dazu geleistet, dass die gesamte Region aus einem blutigen und kriegerischen Nationalismus heraus den Weg zu einem Europa der Integration findet. Das ist Friedenspolitik unter den konkret gegebenen Bedingungen. ({2}) Dasselbe gilt für Afghanistan. Wer hätte es noch vor einem Jahr für möglich gehalten, dass wir heute die NotLoya Jirga haben und dass wir mit der Umsetzung des Petersberger Abkommens so weit vorangekommen sind? Das ist die gute Nachricht. Die schlechte Nachricht ist, dass wir noch weit von wirklich stabilen Verhältnissen entfernt sind. Insofern kann ich allen nur darin zustimmen, dass wir uns an dieser Stelle auf Dauer weiter engagieren müssen. All diejenigen, die meinen, wir könnten heute den Rückzug der Bundeswehr beschließen, müssen wissen, dass dies einen Rückfall in einen alles zerstörenden Bürgerkrieg mit großen humanitären Katastrophen nach sich ziehen würde. Diese Erfahrungen wurden in der Vergangenheit bereits gemacht. Auch dabei handelt es sich nicht um eine schwarze Prophezeiung, sondern das ergibt sich schlicht und einfach durch eine konkrete Analyse aufRoland Claus grund der vorhandenen Erfahrungen. Deswegen möchte ich mich bei diesem Hause bedanken. Weil es schlechterdings keine verantwortbare Alternative zu der Verlängerung des Mandats gibt, möchte ich um Ihre Zustimmung dafür werben. ({3}) Wir gehen einen schwierigen Weg. Es geht darum, Sicherheit herzustellen. Sicherheit bedeutet vor allen Dingen, dass die Kriegsherren unter Kontrolle gehalten werden, dass auch der Einfluss von außen kontrolliert wird und dass die Taliban, soweit sie noch zu militärischen Aktionen in der Lage sind, zurückgedrängt werden, sodass es auf diese Weise wie auch durch den Aufbau einer Polizei und einer afghanischen Armee Schritt für Schritt zu einer größeren Sicherheit kommt. Die afghanische Armee ist auch deswegen von großer Bedeutung, weil sie den Zusammenhalt des Landes garantieren muss. Das Land ist in einzelne Provinzen und Herrschaftsgebiete von Kriegsherren zerfallen. Es ist von allergrößter Bedeutung, dort eine afghanische Realität - dazu gehört auch eine Sicherheitsrealität - zu schaffen. Die Bundesregierung engagiert sich an dieser Stelle zusammen mit unseren Partnern in einem langfristigen Aufbauwerk. Allerdings, Herr Kollege Schwarz-Schilling, eine Ausdehnung des ISAF-Mandates auf andere Regionen in Afghanistan würde dem Mandat eine völlig neue Qualität geben. Deswegen hat sich die internationale Staatengemeinschaft entschieden, vor allen Dingen auf den Aufbau eines eigenen afghanischen Militärs zu setzen. Gegenwärtig sehen wir allerdings mit großer Sorge - gestern habe ich in Kanada mit den Außenministern der anderen G-8-Staaten darüber gesprochen -, dass es an Mitteln in erheblicher Höhe fehlt, um die Gehälter zu zahlen und die entsprechenden Besoldungen zu ermöglichen. Alle Ausbildung wird nichts nützen, wenn schließlich die Gehälter nicht gezahlt werden können. Deswegen haben wir gemeinsam noch einmal an alle Geberstaaten appelliert, die Mittel jetzt zu deblockieren, nicht nur die Mittel für einzelne Projekte und die Mittel für den Wiederaufbau und die Ausbildung, sondern vor allen Dingen auch die Mittel, die für die Bezahlung der dortigen Sicherheitsleute und der Lehrer sowie der gesamten zivilen Administration notwendig sind. ({4}) Ganz entscheidend wird es sein, meine Damen und Herren, dass wir jetzt bei der Umsetzung des PetersbergAbkommens vorankommen. Voraussetzung dafür ist die Präsenz der internationalen Sicherheitskomponente in Form der UN-Truppe. Ohne diese UN-Truppe wird es keine Sicherheit geben und damit wird auch der Wiederaufbau nicht möglich sein. Bei der Umsetzung des Petersberg-Abkommens setzen wir auf diese zentrale Perspektive. Wir engagieren uns aber darüber hinaus - das wurde vorhin schon angesprochen - in zwei zentralen Punkten: erstens beim Polizeiaufbau, das heißt bei der Polizeiausbildung. Das ist in der Tat ein ganz zentraler Faktor. Zum Zweiten engagieren wir uns nachdrücklich auch und gerade beim Wiederaufbau des Bildungssystems. Hier liegt unser Schwerpunkt darauf, Bildungsund Ausbildungsmöglichkeiten für Frauen und Mädchen zu schaffen. Auch hier ist es uns, wie ich denke, gelungen, bereits in den ersten Monaten entscheidende Fortschritte zu erreichen. Ich möchte hier allen Beteiligten aus der Bundesregierung, aber auch allen Beteiligten der Nichtregierungsorganisationen recht herzlich danken. Sie haben unter schwierigsten Bedingungen eine sehr gute Arbeit geleistet. ({5}) Meine Damen und Herren, zu dem Kampf gegen den Terror gibt es meines Erachtens keine ernsthafte Alternative. Wir sehen das gerade angesichts des Terroranschlages in Pakistan, der heute in Karatschi geschah und dort einer größeren Anzahl unschuldiger Menschen das Leben gekostet hat. Der internationale Terrorismus wird nicht warten; er wird auch nicht mit gutem Zureden davon zu überzeugen sein, von seinem mörderischen Tun zu lassen - leider, sonst wäre ich für gutes Zureden. Er wird vielmehr nur durch entschlossenes Handeln bekämpft werden können und bekämpft werden müssen. ({6}) Das hat unsere Politik auf dem Balkan gezeigt; das wird sie auch in Afghanistan zeigen. Dank dieser Politik wird sich meines Erachtens der Erfolg im Kampf gegen den Terrorismus einstellen. Es reicht nicht, diesen Terrorismus nur zu bekämpfen, wir werden uns gleichzeitig mit den Entstehungsursachen des Terrorismus auseinander setzen müssen. ({7}) Es ist auch eine geistige Auseinandersetzung in Form eines offenen Dialoges der Kulturen und ein umfassendes Engagement zum Aufbau von Nationen und Zivilgesellschaften sowie zur Durchsetzung der Menschenrechte wesentliche Voraussetzung, um diese Auseinandersetzung mit dem Terrorismus bestehen zu können. ({8}) In Afghanistan hat, wie ich denke, die Bundesrepublik Deutschland gemeinsam mit unseren Partnern wie schon auf dem Balkan gezeigt, dass wir uns dieser Politik verpflichtet fühlen. Ich bitte Sie hier um Ihr Vertrauen. ({9})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Nächster Redner ist der Kollege Werner Siemann für die Fraktion der CDU/ CSU.

Werner Siemann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003236, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Nach der erfolgreichen Bekämpfung der terroristischen Strukturen in Afghanistan gilt es heute, dem Land eine Perspektive für eine friedliche Zukunft zu eröffnen. Mit der Mandatsverlängerung, die wir heute beschließen, kann der nationale Versöhnungsprozess in Afghanistan tiefer implementiert werden. Dieser Prozess bedarf jedoch einer militärischen Absicherung durch die internationale Staatengemeinschaft. Der stabilisierende Einfluss der ISAF ist sehr deutlich erkennbar. Ohne die Präsenz bewaffneter Streitkräfte in Kabul hätte die Loya Jirga nicht vorbereitet und durchgeführt werden können. In diesem Zusammenhang möchte ich den zivilen Mitarbeitern der verschiedenen Hilfsorganisationen, den Soldaten im Inland, aber auch ganz besonders den deutschen Soldaten im Einsatzland meinen Dank aussprechen. ({0}) Tag für Tag leisten sie unter widrigsten Bedingungen, teilweise unter Einsatz ihres Lebens, eine herausragende Arbeit für den Wiederaufbau und die Befriedung Afghanistans. Es gilt aber auch, einen Dank an die Türkei zu richten, die Großbritannien am 20. Juni als Leitnation ablösen wird. Die Regierung wird sich in diesem Zusammenhang überlegen müssen, ob sie ihre Einstellung zu Rüstungsexporten in die Türkei im Hinblick auf diese Entwicklung nicht auf den Prüfstand stellt. ({1}) Die Destabilisierungsversuche im Vorfeld der Stammesversammlung sowie die Anschläge auf Mitglieder der Übergangsregierung belegen die zerbrechliche Sicherheitslage im Einsatzland. Die Rahmenbedingungen, unter denen die Demokratisierung fortgeführt wird, sind ausgesprochen schwierig: Der Einflussbereich des neu gewählten Präsidenten ist noch auf den Großraum Kabul beschränkt. Nach wie vor geht von den etwa 5 000 untergetauchten Talibankämpfern ein hohes Gefährdungspotenzial aus. Noch immer bedrohen stammesorientierte Interessengegensätze sowie Konflikte zwischen den verschiedenen ethnischen Gruppierungen den Prozess des Wiederaufbaus staatlicher Strukturen in Afghanistan. Die Reintegration von Hunderttausenden bewaffneter Kämpfer kann fast nur mit ausländischer Hilfe gelingen. Von den rund 5 Millionen afghanischen Flüchtlingen sind weit über 800 000 wieder in ihre Heimat zurückgekehrt; sie müssen ebenfalls integriert und versorgt werden. Erhebliche Bedeutung für eine Stabilisierung der Sicherheitslage besitzt die rasche Aufstellung gesamtafghanischer Streitkräfte. Nach Einschätzung von Experten werden die Sicherheitskräfte der Übergangsregierung und der Folgeregierung bis zur Aufstellung afghanischer Streitkräfte nicht in der Lage sein, Sicherheit im Land herzustellen und zu garantieren. Mit anderen Worten: Die Sicherheit muss durch die militärische Hilfe der internationalen Staatengemeinschaft gewährleistet werden. Nach amerikanischen Berechnungen wird nicht vor 2005 eine erste flächendeckende Präsenz afghanischer Streitkräfte erreicht werden. Zwei Jahre später, also 2007 - in diesen Kategorien müssen wir denken -, soll die Aufstellung der Armee abgeschlossen sein. Damit dürfte für alle diejenigen, die hier heute entscheiden, klar sein, dass sich der Deutsche Bundestag noch in diesem Jahr mit einer weiteren Verlängerung des Mandats wird beschäftigen müssen. Spätestens im Oktober ist auch die Frage zu klären, wer die Türkei als Leitnation ablöst. In der Debatte vom 22. Dezember über die Beteiligung der Bundeswehr an ISAF haben Sie, Herr Verteidigungsminister Scharping, gesagt: Wir haben auch hinsichtlich der Dauer des Einsatzes nicht den Ehrgeiz, die Obergrenze auszuschöpfen. Sie sprachen in diesem Zusammenhang auch von „politischer Glaubwürdigkeit“. Im Anschluss an diese Debatte werden wir beschließen, die Obergrenze nicht nur auszuschöpfen, sondern um 200 Soldaten zu erhöhen. Dabei ist fraglich, ob diese Erhöhung ausreichend ist und eine realistische Anpassung an die tatsächlichen Auftragserfordernisse in Afghanistan darstellt. Wir sollten unseren Soldaten klar und ganz deutlich sagen: Die Dauer des deutschen Engagements in Afghanistan ist nicht absehbar. Bereits heute gibt es erste Anzeichen dafür, dass wir unser Kontingent vor Ort in Zukunft personell verstärken müssen, um die operative Flexibilität und Reaktionsfähigkeit zu erhöhen. Uns allen sollte und muss klar sein, dass für uns der Einsatz am Hindukusch nicht im Dezember enden wird. Leider - dies haben auch die Vorredner schon betont gibt es zur militärischen Absicherung des Friedensprozesses keinerlei Alternative; daher wird die Union der Mandatsverlängerung zustimmen und somit einer gesamtstaatlichen Verantwortung gerecht werden. Vielen Dank. ({2})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Herr Kollege Siemann, auch für Sie war es die letzte Rede in diesem Hohen Hause. Im Namen aller Kolleginnen und Kollegen bedanke ich mich für Ihre Arbeit hier und wünsche Ihnen auf dem kommenden Weg alles Gute. ({0}) Der letzte Redner in dieser Debatte ist der Kollege Peter Zumkley für die SPD-Fraktion.

Peter Zumkley (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002608, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Nach über 20 Jahren Krieg steht Afghanistan vor einem politischen und wirtschaftlichen Neuanfang. Dem neu gewählten Präsidenten Karzai wünschen wir eine erfolgreiche Arbeit auf dem gewiss noch schwierigen Weg, den Afghanistan noch vor sich hat. ({0}) Nur eine radikale Abkehr von Strukturen der Vergangenheit, kriegerischen Verhaltensweisen und Hinwendung zu einem friedlichen Miteinander der verschiedenen Volksgruppen und Stämme werden das Land aus seiner derzeit noch bestehenden Armut und dem Elend herausbringen. ({1}) Jetzt geht es darum, dem Land beim Wiederaufbau zu helfen und der Bevölkerung, das heißt allen ethnischen Gruppen, eine Perspektive für eine friedliche Zukunft zu geben. Der Neubeginn und der international unterstützte Wiederaufbau Afghanistans wird von Deutschland maßgeblich mitgestaltet. Der politische Weg, wie in der Petersberg-Konferenz vereinbart und durch die Loya Jirga unterstützt, ist nur möglich, wenn er durch militärische, wirtschaftliche und humanitäre Unterstützung der internationalen Völkergemeinschaft abgesichert wird. Zunächst muss es darum gehen, die zerstörte Infrastruktur aufzubauen, Minen zu räumen, in den Lehmhäusern der Ärmsten endlich Wasser und Elektrizität zu installieren sowie Fensterscheiben einzubauen. ({2}) Schulbildung und Berufsausbildung, gerade auch für die bisher benachteiligten Mädchen und Frauen, müssen genauso entschlossen vorangebracht werden. Darüber hinaus wird Deutschland im Rahmen der vereinbarten Koordinierungsverantwortlichkeiten speziell den Aufbau der Polizei begleiten und mitgestalten. Dies wird bei erfolgreicher Durchführung zur Stärkung der inneren Sicherheit in Afghanistan führen. Der Aufbau afghanischer Streitkräfte, die unter dem Primat der Politik stehen müssen, bietet die Chance auf zunehmende Stabilisierung der Sicherheitslage des Landes. Taliban und al-Qaida sind noch nicht endgültig überwunden. Sie stellen nach wie vor ein Problem dar. Wie wichtig der schnelle Aufbau afghanischer Sicherheitskräfte ist, zeigt die Tatsache, dass Vereinte Nationen und Rotes Kreuz ihre Hilfskräfte aus Masar-i-Scharif und Kandahar wegen der instabilen Sicherheitslage vorübergehend abgezogen haben. In anderen Landesteilen erbringen deutsche Hilfsorganisationen auf den Gebieten Gesundheit, Instandsetzung von Schulen sowie Lebensmittelverteilung erhebliche Leistungen. Dafür danken wir ihnen, auch anlässlich dieser Debatte, sehr herzlich. ({3}) Bisher haben bis zu 1 200 deutsche Soldaten zur Aufrechterhaltung der Sicherheit und somit zur Stabilisierung der Übergangsregierung beigetragen. Sie leisten unter schwierigen und gewiss nicht ohne Risiko verbundenen Bedingungen einen unverzichtbaren Beitrag für den Frieden in dieser Region und für die Fortsetzung des eingeleiteten Reformprozesses. Herr Claus, dies hat mit kriegerischen Aktivitäten überhaupt nichts zu tun. Ihre Argumentation in diesem Punkt ist wirklich absurd. ({4}) Ohne diese militärische Komponente wären wichtige Hilfsleistungen nur schwer zu erbringen. Das eine bedingt das andere. Beides ist notwendig. ({5}) Unsere Soldatinnen und Soldaten haben sich bei ihrem Einsatz - dies gilt übrigens für alle Krisenregionen, wo deutsche Soldaten eingesetzt werden - einen hervorragenden Ruf erworben. Sie erfüllen ihre Aufgaben professionell, diszipliniert, unparteiisch und unbestechlich. Sie genießen in der Bevölkerung Afghanistans und bei unseren Partnerländern hohes Ansehen. Davon haben sich viele Parlamentarier dieses Hauses bei ihren Besuchen in Kabul, so auch ich, persönlich überzeugen können. Unsere Soldatinnen und Soldaten sind hervorragend ausgebildet, gut ausgerüstet und verfügen über den bestmöglichen persönlichen Schutz. Die dafür notwendige finanzielle Vorsorge ist sichergestellt. Wir danken unseren Soldatinnen und Soldaten für ihren Einsatz. ({6}) Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen hat Ende Mai die Verlängerung des Mandats beschlossen. Gleichzeitig hat der Sicherheitsrat festgestellt, dass die Situation in Afghanistan weiterhin eine Bedrohung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit darstellt. Er fordert die Mitgliedstaaten erneut auf, Personal, Material und andere Ressourcen für die internationale Sicherheitsunterstützungstruppe beizutragen. Auf dieser Grundlage hat die Bundesregierung dem Deutschen Bundestag eine Beschlussempfehlung zur Mandatsverlängerung vorgelegt. Der Einsatz deutscher Kräfte ist bis zum 20. Dezember 2002 befristet. Zugleich mit der heutigen Entschließung wird der Bundestag beschließen, dass weitere Kräfte vorübergehend zur Unterstützung herangezogen werden können. Dies halten wir für notwendig, Herr Kollege Siemann; ich sage das, weil Sie gerade eine kritische Bemerkung hierzu gemacht haben. Die dadurch mögliche Flexibilität wird von uns ausdrücklich unterstützt. Den erhöhten Sicherheitsrisiken während der Loya Jirga und den damit verbundenen Notwendigkeiten zur Gewährleistung des politischen Stabilisierungsprozesses wird Rechnung getragen. Ein über den Großraum Kabul hinausgehendes militärisches Engagement übersteigt unsere Möglichkeiten und erscheint auch deshalb nicht sinnvoll, weil die afghanische Regierung die Kontrolle über ihr Land letztlich selbst gewinnen muss. ({7}) Wir stimmen der Mandatsverlängerung zur „Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an dem Einsatz einer internationalen Sicherheitsunterstützungstruppe in Afghanistan“ auf Grundlage der UN-Resolutionen 1386 und 1413 zu. Ich danke Ihnen. ({8})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Ich schließe die Aus- sprache. Wir kommen zur Abstimmung über die Beschluss- empfehlung des Auswärtigen Ausschusses auf Druck- sache 14/9437 zum Antrag der Bundesregierung zur Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streit- kräfte an dem Einsatz einer internationalen Sicherheits- unterstützungstruppe in Afghanistan. Es gibt zwei schrift- liche Erklärungen zur Abstimmung gemäß § 31 unserer Geschäftsordnung, zum einen vom Kollegen Jürgen Koppelin1) und zum anderen von den Kolleginnen und Kollegen Buntenbach, Lemke und Simmert2). Der Aus- schuss empfiehlt, dem Antrag auf Drucksache 14/9246 zuzustimmen. Es ist namentliche Abstimmung verlangt. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich mache Sie darauf aufmerksam, dass im Anschluss an diese namentliche Ab- stimmung eine Abstimmung stattfinden muss, bei der zur Annahme eines Ergebnisses des Vermittlungsausschusses die Mehrheit des gesamten Hauses erforderlich ist. Daher bitte ich Sie alle, nach der namentlichen Abstimmung wieder in den Saal zurückzukommen. Im Anschluss daran findet eine weitere namentliche Abstimmung statt. Ich bitte nun die Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen. Sind alle Urnen besetzt? - Das ist der Fall. Ich eröffne die Abstimmung. Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine Stimme nicht abgegeben hat? - Das ist offensichtlich nicht der Fall. Ich schließe die Abstimmung und bitte jetzt alle Kolleginnen und Kollegen, schnellstmöglich ihre Plätze einzunehmen, damit wir zügig weitermachen kön- nen. Die Schriftführerinnen und Schriftführer bitte ich, mit der Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis der Ab- stimmung wird Ihnen später bekannt gegeben.3) Wir setzen die Abstimmungen fort. Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses auf Drucksache 14/8834 zu dem Antrag der Fraktion der PDS mit dem Titel „Bundeswehreinheiten aus der Golfregion zurückziehen“. Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 14/8270 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist gegen die Stimmen der PDS-Fraktion angenommen. Wir kommen jetzt zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses auf Drucksache 14/9435 zu dem Antrag der Fraktion der PDS mit dem Titel „Bündnisfall aufheben“. Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 14/8664 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenprobe! Enthaltungen? - Auch diese Beschlussempfehlung ist gegen die Stimmen der PDS-Fraktion angenommen. Jetzt kommen wir zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses auf Drucksache 14/8234 zu dem Antrag der Fraktion der PDS mit dem Titel „Den internationalen Terrorismus wirksam bekämpfen - den Krieg in Afghanistan beenden“. Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 14/7500 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist gegen die Stimmen der PDS-Fraktion angenommen. Ich rufe den Zusatzpunkt 20 auf: Beratung der Beschlussempfehlung des Ausschusses nach Art. 77 des Grundgesetzes ({0}) zu dem Gesetz zur Neuregelung des Zollfahndungsdienstes ({1}) - Drucksachen 14/8007 ({2}), 14/8515, 14/9332, 14/9430 Berichterstattung: Abgeordneter Joachim Poß Bericht erstattender Abgeordneter ist der Kollege Joachim Poß. Wird das Wort zur Berichterstattung gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Wird das Wort zu Erklärungen gewünscht? - Auch das ist nicht der Fall. Deshalb kommen wir sofort zur Abstimmung. Ich weise darauf hin, dass zur Annahme der Beschlussempfehlung des Vermittlungsausschusses zur Änderung des nach Art. 87 Abs. 3 des Grundgesetzes mit absoluter Mehrheit angenommenen Gesetzentwurfs ebenfalls die absolute Mehrheit, das sind 334 Stimmen, für erforderlich gehalten wird. Wer stimmt für die Beschlussempfehlung des Vermittlungsausschusses auf Drucksache 14/9430? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist gegen die Stimmen der PDS-Fraktion und einer Stimme aus der FDP-Fraktion bei Enthaltung der übrigen FDP-Fraktion mit der absoluten Mehrheit des Hauses angenommen. Ich rufe Tagesordnungspunkt 26 auf: - Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes ({3}) - Drucksache 14/8994 ({4}) - Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gerichtsverfassungsgesetzes - Drucksache 14/8978 ({5}) Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses ({6}) - Drucksache 14/9425 Berichterstattung: Abgeordneter Dr. Jürgen Meyer ({7}) Dr. Norbert Röttgen Volker Beck ({8}) Rainer Funke Dr. Evelyn Kenzler 1) Anlage 2 2) Anlage 3 3) Seite 24479 Über den Gesetzentwurf zur Änderung des Grundgesetzes werden wir gleich namentlich abstimmen. Es ist vereinbart, dass keine Aussprache erfolgen soll. - Ich sehe, Sie sind damit einverstanden. Wir kommen damit zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Art. 96 des Grundgesetzes, Drucksache 14/8994. Der Rechtsausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 14/9425, den Gesetzentwurf anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung einstimmig angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich weise darauf hin, dass nach Art. 79 des Grundgesetzes ein Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes die Zustimmung von zwei Dritteln der Mitglieder des Bundestages, das heißt mindestens 444 Stimmen, erfordert. Es ist namentliche Abstimmung verlangt worden. Nochmals bitte ich Sie, Kolleginnen und Kollegen, bei der Stimmabgabe sorgfältig darauf zu achten, dass die Stimmkarten, die Sie verwenden, Ihren Namen tragen. Ich bitte jetzt die Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen. Sind alle Urnen besetzt? - Das ist der Fall. Ich eröffne die Abstimmung. Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine Stimme nicht abgegeben hat? - Das ist nicht der Fall. Ich schließe die Abstimmung. Ich bitte alle Kolleginnen und Kollegen, die der Sitzung noch beiwohnen wollen, recht schnell ihre Plätze einzunehmen. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Ich gebe jetzt das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung über den Antrag der Bundesregierung mit dem Titel „Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an dem Einsatz einer internationalen Sicherheitsunterstützungstruppe in Afghanistan auf Grundlage der Resolutionen 1386 ({9}) vom 20. Dezember 2001 und 1413 ({10}) vom 23. Mai 2002 des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen“ bekannt - es handelte sich um die Drucksachen 14/9246 und 14/9437 -: Abgegebene Stimmen 539. Mit Ja haben gestimmt 497 Kolleginnen und Kollegen, mit Nein haben gestimmt 37 Abgeordnete. Vizepräsidentin Petra Bläss Endgültiges Ergebnis Abgegebene Stimmen: 539; davon ja: 496 nein: 38 enthalten: 5 Ja SPD Brigitte Adler Gerd Andres Ingrid Arndt-Brauer Rainer Arnold Hermann Bachmaier Ernst Bahr Doris Barnett Eckhardt Barthel ({11}) Klaus Barthel ({12}) Ingrid Becker-Inglau Dr. Axel Berg Hans-Werner Bertl Petra Bierwirth Kurt Bodewig Anni Brandt-Elsweier Willi Brase Rainer Brinkmann ({13}) Bernhard Brinkmann ({14}) Hans-Günter Bruckmann Ulla Burchardt Dr. Michael Bürsch Hans Büttner ({15}) Marion Caspers-Merk Wolf-Michael Catenhusen Dr. Herta Däubler-Gmelin Christel Deichmann Karl Diller Peter Dreßen Detlef Dzembritzki Dieter Dzewas Sebastian Edathy Ludwig Eich Marga Elser Petra Ernstberger Annette Faße Lothar Fischer ({16}) Gabriele Fograscher Iris Follak Norbert Formanski Rainer Fornahl Hans Forster Lilo Friedrich ({17}) Harald Friese Anke Fuchs ({18}) Arne Fuhrmann Monika Ganseforth Iris Gleicke Günter Gloser Renate Gradistanac Günter Graf ({19}) Angelika Graf ({20}) Dieter Grasedieck Monika Griefahn Kerstin Griese Achim Großmann Wolfgang Grotthaus Hans-Joachim Hacker Klaus Hagemann Alfred Hartenbach Klaus Hasenfratz Nina Hauer Hubertus Heil Reinhold Hemker Frank Hempel Rolf Hempelmann Dr. Barbara Hendricks Gustav Herzog Stephan Hilsberg Gerd Höfer Jelena Hoffmann ({21}) Walter Hoffmann ({22}) Frank Hofmann ({23}) Ingrid Holzhüter Eike Hovermann Christel Humme Lothar Ibrügger Barbara Imhof Gabriele Iwersen Renate Jäger Jann-Peter Janssen Ilse Janz Johannes Kahrs Ulrich Kasparick Sabine Kaspereit Ulrich Kelber Hans-Peter Kemper Klaus Kirschner Marianne Klappert Siegrun Klemmer Hans-Ulrich Klose Walter Kolbow Fritz Rudolf Körper Anette Kramme Nicolette Kressl Volker Kröning Angelika Krüger-Leißner Horst Kubatschka Ernst Küchler Helga Kühn-Mengel Ute Kumpf Konrad Kunick Dr. Uwe Küster Werner Labsch Christine Lambrecht Christian Lange ({24}) Detlev von Larcher Christine Lehder Waltraud Lehn Robert Leidinger Klaus Lennartz Dr. Elke Leonhard Eckhart Lewering Götz-Peter Lohmann ({25}) Gabriele Lösekrug-Möller Erika Lotz Dr. Christine Lucyga Dieter Maaß ({26}) Winfried Mante Dirk Manzewski Tobias Marhold Lothar Mark Ulrike Mascher Christoph Matschie Heide Mattischeck Markus Meckel Ulrike Merten Angelika Mertens Vizepräsidentin Petra Bläss Dr. Jürgen Meyer ({27}) Ursula Mogg Christoph Moosbauer Siegmar Mosdorf Michael Müller ({28}) Jutta Müller ({29}) Christian Müller ({30}) Franz Müntefering Andrea Nahles Volker Neumann ({31}) Dr. Edith Niehuis Dr. Rolf Niese Dietmar Nietan Günter Oesinghaus Eckhard Ohl Leyla Onur Manfred Opel Holger Ortel Adolf Ostertag Kurt Palis Albrecht Papenroth Dr. Martin Pfaff Georg Pfannenstein Johannes Pflug Dr. Eckhart Pick Karin Rehbock-Zureich Dr. Carola Reimann Margot von Renesse Renate Rennebach Bernd Reuter Dr. Edelbert Richter Christel RiemannHanewinckel Reinhold Robbe René Röspel Dr. Ernst Dieter Rossmann Michael Roth ({32}) Birgit Roth ({33}) Gerhard Rübenkönig Marlene Rupprecht Thomas Sauer Dr. Hansjörg Schäfer Gudrun Schaich-Walch Bernd Scheelen Dr. Hermann Scheer Siegfried Scheffler Horst Schild Otto Schily Dieter Schloten Horst Schmidbauer ({34}) Ulla Schmidt ({35}) Silvia Schmidt ({36}) Dagmar Schmidt ({37}) Wilhelm Schmidt ({38}) Dr. Frank Schmidt ({39}) Regina Schmidt-Zadel Heinz Schmitt ({40}) Carsten Schneider Dr. Emil Schnell Walter Schöler Karsten Schönfeld Fritz Schösser Ottmar Schreiner Dr. Mathias Schubert Richard Schuhmann ({41}) Brigitte Schulte ({42}) Reinhard Schultz ({43}) Volkmar Schultz ({44}) Ewald Schurer Dr. Angelica Schwall-Düren Rolf Schwanitz Bodo Seidenthal Erika Simm Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk Dr. Cornelie SonntagWolgast Wieland Sorge Wolfgang Spanier Dr. Margrit Spielmann Jörg-Otto Spiller Dr. Ditmar Staffelt Antje-Marie Steen Ludwig Stiegler Rolf Stöckel Rita Streb-Hesse Reinhold Strobl ({45}) Dr. Peter Struck Joachim Stünker Joachim Tappe Jörg Tauss Jella Teuchner Dr. Gerald Thalheim Franz Thönnes Adelheid Tröscher Hans-Eberhard Urbaniak Rüdiger Veit Simone Violka Ute Vogt ({46}) Hans Georg Wagner Hedi Wegener Dr. Konstanze Wegner Wolfgang Weiermann Reinhard Weis ({47}) Matthias Weisheit Gunter Weißgerber Gert Weisskirchen ({48}) Dr. Ernst Ulrich von Weizsäcker Jochen Welt Dr. Rainer Wend Hildegard Wester Lydia Westrich Inge Wettig-Danielmeier Dr. Margrit Wetzel Dr. Norbert Wieczorek Jürgen Wieczorek ({49}) Helmut Wieczorek ({50}) Dieter Wiefelspütz Heino Wiese ({51}) Klaus Wiesehügel Brigitte Wimmer ({52}) Engelbert Wistuba Dr. Wolfgang Wodarg Verena Wohlleben Hanna Wolf ({53}) Waltraud Wolff ({54}) Heidemarie Wright Dr. Christoph Zöpel CDU/CSU Ulrich Adam Peter Altmaier Dietrich Austermann Günter Baumann Brigitte Baumeister Meinrad Belle Dr. Sabine Bergmann-Pohl Otto Bernhardt Hans-Dirk Bierling Renate Blank Dr. Heribert Blens Peter Bleser Dr. Norbert Blüm Sylvia Bonitz Jochen Borchert Wolfgang Bosbach Dr. Ralf Brauksiepe Paul Breuer Georg Brunnhuber Klaus Bühler ({55}) Hartmut Büttner ({56}) Dankward Buwitt Cajus Caesar Peter H. Carstensen ({57}) Leo Dautzenberg Wolfgang Dehnel Hubert Deittert Albert Deß Renate Diemers Thomas Dörflinger Dr. Hansjürgen Doss Marie-Luise Dött Rainer Eppelmann Ilse Falk Dr. Hans Georg Faust Albrecht Feibel Ingrid Fischbach Dirk Fischer ({58}) Axel E. Fischer ({59}) Dr. Gerhard Friedrich ({60}) Dr. Hans-Peter Friedrich ({61}) Erich G. Fritz Dr. Jürgen Gehb Dr. Reinhard Göhner Peter Götz Dr. Wolfgang Götzer Kurt-Dieter Grill Manfred Grund Horst Günther ({62}) Carl-Detlev Freiherr von Hammerstein Gottfried Haschke ({63}) Gerda Hasselfeldt Hansgeorg Hauser ({64}) Helmut Heiderich Ursula Heinen Manfred Heise Detlef Helling Peter Hintze Martin Hohmann Siegfried Hornung Joachim Hörster Hubert Hüppe Susanne Jaffke Georg Janovsky Dr.-Ing. Rainer Jork Dr. Harald Kahl Dr.-Ing. Dietmar Kansy Volker Kauder Eckart von Klaeden Ulrich Klinkert Norbert Königshofen Hartmut Koschyk Thomas Kossendey Rudolf Kraus Dr. Martina Krogmann Werner Kuhn Dr. Karl A. Lamers ({65}) Dr. Norbert Lammert Helmut Lamp Karl-Josef Laumann Vera Lengsfeld Werner Lensing Peter Letzgus Ursula Lietz Dr. Manfred Lischewski Wolfgang Lohmann ({66}) Dr. Michael Luther Erich Maaß ({67}) Erwin Marschewski ({68}) Dr. Martin Mayer ({69}) Wolfgang Meckelburg Dr. Michael Meister Friedrich Merz Bernward Müller ({70}) Elmar Müller ({71}) Günter Nooke Franz Obermeier Friedhelm Ost Eduard Oswald Norbert Otto ({72}) Anton Pfeifer Dr. Friedbert Pflüger Beatrix Philipp Ronald Pofalla Marlies Pretzlaff Hans Raidel Dr. Peter Ramsauer Helmut Rauber Peter Rauen Christa Reichard ({73}) Katherina Reiche Erika Reinhardt Hans-Peter Repnik Dr. Heinz Riesenhuber Franz Romer Kurt J. Rossmanith Volker Rühe Dr. Wolfgang Schäuble Vizepräsidentin Petra Bläss Hartmut Schauerte Karl-Heinz Scherhag Dr. Gerhard Scheu Norbert Schindler Christian Schmidt ({74}) Dr.-Ing. Joachim Schmidt ({75}) Andreas Schmidt ({76}) Hans Peter Schmitz ({77}) Reinhard Freiherr von Schorlemer Dr. Erika Schuchardt Gerhard Schulz Dr. Christian SchwarzSchilling Wilhelm Josef Sebastian Marion Seib Heinz Seiffert Bärbel Sothmann Margarete Späte Erika Steinbach Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten Andreas Storm Dorothea Störr-Ritter Max Straubinger Matthäus Strebl Thomas Strobl ({78}) Michael Stübgen Edeltraut Töpfer Dr. Hans-Peter Uhl Arnold Vaatz Angelika Volquartz Andrea Voßhoff Peter Weiß ({79}) Gerald Weiß ({80}) Annette Widmann-Mauz Heinz Wiese ({81}) Hans-Otto Wilhelm ({82}) Bernd Wilz Matthias Wissmann Werner Wittlich Dagmar Wöhrl Elke Wülfing Peter Kurt Würzbach Wolfgang Zeitlmann Wolfgang Zöller BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Gila Altmann ({83}) Volker Beck ({84}) Angelika Beer Matthias Berninger Grietje Bettin Amke Dietert-Scheuer Dr. Thea Dückert Franziska Eichstädt-Bohlig Dr. Uschi Eid Hans-Josef Fell Joseph Fischer ({85}) Katrin Göring-Eckardt Gerald Häfner Antje Hermenau Ulrike Höfken Michaele Hustedt Dr. Angelika Köster-Loßack Kerstin Müller ({86}) Cem Özdemir Simone Probst Christine Scheel Albert Schmidt ({87}) Werner Schulz ({88}) Hans-Christian Ströbele Dr. Antje Vollmer Helmut Wilhelm ({89}) Margareta Wolf ({90}) FDP ({91}) Jörg van Essen Gisela Frick Paul K. Friedhoff Rainer Funke Dr. Wolfgang Gerhardt Hans-Michael Goldmann Joachim Günther ({92}) Dr. Karlheinz Guttmacher Klaus Haupt Dr. Werner Hoyer Gudrun Kopp Ina Lenke Günther Friedrich Nolting Hans-Joachim Otto ({93}) Detlef Parr Dr. Günter Rexrodt Gerhard Schüßler Marita Sehn Gudrun Serowiecki Dr. Dieter Thomae Jürgen Türk Nein CDU/CSU Dr. Wolf Bauer Wolfgang Börnsen ({94}) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Annelie Buntenbach Monika Knoche Christian Simmert FDP Dr. Heinrich L. Kolb Jürgen Koppelin PDS Dr. Dietmar Bartsch Wolfgang Bierstedt Maritta Böttcher Roland Claus Heidemarie Ehlert Dr. Ruth Fuchs Dr. Klaus Grehn Uwe Hiksch Carsten Hübner Ulla Jelpke Gerhard Jüttemann Dr. Evelyn Kenzler Rolf Kutzmutz Ursula Lötzer Heidemarie Lüth Angela Marquardt Kersten Naumann Rosel Neuhäuser Christine Ostrowski Petra Pau Christina Schenk Dr. Ilja Seifert Dr. Winfried Wolf Fraktionslose Abgeordnete Christa Lörcher Enthalten SPD Dr. Uwe Jens BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Steffi Lemke Irmingard Schewe-Gerigk Entschuldigt wegen Übernahme einer Verpflichtung im Rahmen ihrer Mitgliedschaft in den Parlamentarischen Versammlungen des Europarates und der WEU, der Parlamentarischen Versammlung der NATO, der OSZE oder der IPU Abgeordnete({95}) Behrendt, Wolfgang Bindig, Rudolf Lintner, Eduard Dr. Lippelt, Helmut SPD SPD CDU/CSU BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Müller ({96}), Manfred Zierer, Benno PDS CDU/CSU Es haben sich fünf Kolleginnen und Kollegen enthalten. Der Antrag ist damit angenommen. Ich unterbreche nun kurz die Sitzung. ({97})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Die Sitzung ist wieder eröffnet. Ich gebe das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes, Art. 96, auf den Drucksachen 14/8994 und 14/9425 bekannt: Abgegebene Stimmen 533. Mit Ja haben gestimmt 532 Abgeordnete, eine Kollegin bzw. ein Kollege hat sich enthalten. Der Gesetzentwurf ist angenommen, da bekanntlich 444 Stimmen erforderlich waren. Vizepräsidentin Petra Bläss Endgültiges Ergebnis Abgegebene Stimmen: 532; davon ja: 531 enthalten: 1 Ja SPD Brigitte Adler Gerd Andres Ingrid Arndt-Brauer Rainer Arnold Ernst Bahr Doris Barnett Eckhardt Barthel ({0}) Klaus Barthel ({1}) Ingrid Becker-Inglau Dr. Axel Berg Hans-Werner Bertl Petra Bierwirth Kurt Bodewig Anni Brandt-Elsweier Willi Brase Rainer Brinkmann ({2}) Bernhard Brinkmann ({3}) Hans-Günter Bruckmann Ulla Burchardt Dr. Michael Bürsch Hans Büttner ({4}) Marion Caspers-Merk Wolf-Michael Catenhusen Dr. Herta Däubler-Gmelin Christel Deichmann Karl Diller Peter Dreßen Detlef Dzembritzki Dieter Dzewas Sebastian Edathy Ludwig Eich Marga Elser Petra Ernstberger Annette Faße Lothar Fischer ({5}) Gabriele Fograscher Iris Follak Norbert Formanski Rainer Fornahl Hans Forster Lilo Friedrich ({6}) Harald Friese Anke Fuchs ({7}) Arne Fuhrmann Monika Ganseforth Iris Gleicke Günter Gloser Renate Gradistanac Günter Graf ({8}) Angelika Graf ({9}) Dieter Grasedieck Monika Griefahn Kerstin Griese Achim Großmann Wolfgang Grotthaus Hans-Joachim Hacker Klaus Hagemann Alfred Hartenbach Klaus Hasenfratz Nina Hauer Hubertus Heil Reinhold Hemker Frank Hempel Rolf Hempelmann Dr. Barbara Hendricks Gustav Herzog Stephan Hilsberg Gerd Höfer Jelena Hoffmann ({10}) Walter Hoffmann ({11}) Frank Hofmann ({12}) Ingrid Holzhüter Eike Hovermann Christel Humme Lothar Ibrügger Barbara Imhof Gabriele Iwersen Renate Jäger Jann-Peter Janssen Ilse Janz Dr. Uwe Jens Johannes Kahrs Ulrich Kasparick Sabine Kaspereit Ulrich Kelber Hans-Peter Kemper Klaus Kirschner Marianne Klappert Siegrun Klemmer Hans-Ulrich Klose Walter Kolbow Fritz Rudolf Körper Anette Kramme Nicolette Kressl Volker Kröning Angelika Krüger-Leißner Horst Kubatschka Ernst Küchler Helga Kühn-Mengel Ute Kumpf Konrad Kunick Dr. Uwe Küster Werner Labsch Christine Lambrecht Christian Lange ({13}) Detlev von Larcher Christine Lehder Waltraud Lehn Robert Leidinger Klaus Lennartz Dr. Elke Leonhard Eckhart Lewering Götz-Peter Lohmann ({14}) Gabriele Lösekrug-Möller Erika Lotz Dr. Christine Lucyga Dieter Maaß ({15}) Winfried Mante Dirk Manzewski Tobias Marhold Lothar Mark Ulrike Mascher Christoph Matschie Heide Mattischeck Markus Meckel Ulrike Merten Angelika Mertens Dr. Jürgen Meyer ({16}) Ursula Mogg Christoph Moosbauer Siegmar Mosdorf Michael Müller ({17}) Jutta Müller ({18}) Christian Müller ({19}) Franz Müntefering Andrea Nahles Volker Neumann ({20}) Dr. Edith Niehuis Dr. Rolf Niese Dietmar Nietan Günter Oesinghaus Eckhard Ohl Leyla Onur Manfred Opel Holger Ortel Adolf Ostertag Kurt Palis Albrecht Papenroth Dr. Martin Pfaff Georg Pfannenstein Johannes Pflug Dr. Eckhart Pick Karin Rehbock-Zureich Dr. Carola Reimann Margot von Renesse Renate Rennebach Bernd Reuter Dr. Edelbert Richter Christel RiemannHanewinckel Reinhold Robbe René Röspel Dr. Ernst Dieter Rossmann Michael Roth ({21}) Birgit Roth ({22}) Gerhard Rübenkönig Marlene Rupprecht Thomas Sauer Dr. Hansjörg Schäfer Gudrun Schaich-Walch Bernd Scheelen Dr. Hermann Scheer Siegfried Scheffler Horst Schild Otto Schily Dieter Schloten Horst Schmidbauer ({23}) Ulla Schmidt ({24}) Silvia Schmidt ({25}) Dagmar Schmidt ({26}) Wilhelm Schmidt ({27}) Dr. Frank Schmidt ({28}) Regina Schmidt-Zadel Heinz Schmitt ({29}) Carsten Schneider Dr. Emil Schnell Walter Schöler Karsten Schönfeld Fritz Schösser Ottmar Schreiner Dr. Mathias Schubert Richard Schuhmann ({30}) Brigitte Schulte ({31}) Reinhard Schultz ({32}) Volkmar Schultz ({33}) Ewald Schurer Vizepräsidentin Petra Bläss Dr. Angelica Schwall-Düren Rolf Schwanitz Bodo Seidenthal Erika Simm Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk Dr. Cornelie SonntagWolgast Wieland Sorge Wolfgang Spanier Dr. Margrit Spielmann Jörg-Otto Spiller Dr. Ditmar Staffelt Antje-Marie Steen Ludwig Stiegler Rolf Stöckel Rita Streb-Hesse Reinhold Strobl ({34}) Dr. Peter Struck Joachim Stünker Joachim Tappe Jörg Tauss Jella Teuchner Dr. Gerald Thalheim Franz Thönnes Adelheid Tröscher Hans-Eberhard Urbaniak Rüdiger Veit Simone Violka Ute Vogt ({35}) Hans Georg Wagner Hedi Wegener Dr. Konstanze Wegner Wolfgang Weiermann Reinhard Weis ({36}) Matthias Weisheit Gunter Weißgerber Gert Weisskirchen ({37}) Dr. Ernst Ulrich von Weizsäcker Jochen Welt Dr. Rainer Wend Hildegard Wester Lydia Westrich Inge Wettig-Danielmeier Dr. Margrit Wetzel Dr. Norbert Wieczorek Jürgen Wieczorek ({38}) Helmut Wieczorek ({39}) Dieter Wiefelspütz Heino Wiese ({40}) Klaus Wiesehügel Brigitte Wimmer ({41}) Engelbert Wistuba Dr. Wolfgang Wodarg Verena Wohlleben Hanna Wolf ({42}) Waltraud Wolff ({43}) Heidemarie Wright Dr. Christoph Zöpel CDU/CSU Ulrich Adam Peter Altmaier Dietrich Austermann Dr. Wolf Bauer Günter Baumann Brigitte Baumeister Meinrad Belle Dr. Sabine Bergmann-Pohl Otto Bernhardt Hans-Dirk Bierling Renate Blank Dr. Heribert Blens Peter Bleser Dr. Norbert Blüm Sylvia Bonitz Jochen Borchert Wolfgang Börnsen ({44}) Wolfgang Bosbach Dr. Ralf Brauksiepe Paul Breuer Georg Brunnhuber Klaus Bühler ({45}) Hartmut Büttner ({46}) Dankward Buwitt Cajus Caesar Peter H. Carstensen ({47}) Leo Dautzenberg Wolfgang Dehnel Hubert Deittert Albert Deß Renate Diemers Thomas Dörflinger Dr. Hansjürgen Doss Marie-Luise Dött Rainer Eppelmann Ilse Falk Dr. Hans Georg Faust Albrecht Feibel Ingrid Fischbach Dirk Fischer ({48}) Axel E. Fischer ({49}) Dr. Gerhard Friedrich ({50}) Dr. Hans-Peter Friedrich ({51}) Erich G. Fritz Dr. Jürgen Gehb Dr. Reinhard Göhner Peter Götz Dr. Wolfgang Götzer Kurt-Dieter Grill Manfred Grund Horst Günther ({52}) Carl-Detlev Freiherr von Hammerstein Gottfried Haschke ({53}) Gerda Hasselfeldt Hansgeorg Hauser ({54}) Helmut Heiderich Ursula Heinen Manfred Heise Detlef Helling Peter Hintze Martin Hohmann Siegfried Hornung Joachim Hörster Hubert Hüppe Georg Janovsky Dr.-Ing. Rainer Jork Dr. Harald Kahl Dr.-Ing. Dietmar Kansy Volker Kauder Eckart von Klaeden Ulrich Klinkert Norbert Königshofen Hartmut Koschyk Thomas Kossendey Rudolf Kraus Dr. Martina Krogmann Werner Kuhn Dr. Karl A. Lamers ({55}) Dr. Norbert Lammert Helmut Lamp Karl-Josef Laumann Vera Lengsfeld Werner Lensing Peter Letzgus Ursula Lietz Dr. Manfred Lischewski Wolfgang Lohmann ({56}) Dr. Michael Luther Erich Maaß ({57}) Erwin Marschewski ({58}) Dr. Martin Mayer ({59}) Wolfgang Meckelburg Dr. Michael Meister Friedrich Merz Bernward Müller ({60}) Elmar Müller ({61}) Günter Nooke Franz Obermeier Friedhelm Ost Eduard Oswald Norbert Otto ({62}) Anton Pfeifer Dr. Friedbert Pflüger Beatrix Philipp Ronald Pofalla Marlies Pretzlaff Hans Raidel Dr. Peter Ramsauer Helmut Rauber Peter Rauen Christa Reichard ({63}) Katherina Reiche Erika Reinhardt Hans-Peter Repnik Dr. Heinz Riesenhuber Franz Romer Kurt J. Rossmanith Volker Rühe Dr. Wolfgang Schäuble Hartmut Schauerte Karl-Heinz Scherhag Dr. Gerhard Scheu Norbert Schindler Christian Schmidt ({64}) Dr.-Ing. Joachim Schmidt ({65}) Andreas Schmidt ({66}) Hans Peter Schmitz ({67}) Reinhard Freiherr von Schorlemer Dr. Erika Schuchardt Gerhard Schulz Dr. Christian SchwarzSchilling Wilhelm Josef Sebastian Marion Seib Heinz Seiffert Bärbel Sothmann Margarete Späte Erika Steinbach Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten Andreas Storm Dorothea Störr-Ritter Max Straubinger Matthäus Strebl Thomas Strobl ({68}) Michael Stübgen Edeltraut Töpfer Dr. Hans-Peter Uhl Arnold Vaatz Angelika Volquartz Andrea Voßhoff Peter Weiß ({69}) Gerald Weiß ({70}) Annette Widmann-Mauz Heinz Wiese ({71}) Hans-Otto Wilhelm ({72}) Bernd Wilz Matthias Wissmann Werner Wittlich Dagmar Wöhrl Elke Wülfing Peter Kurt Würzbach Wolfgang Zeitlmann Wolfgang Zöller BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Gila Altmann ({73}) Volker Beck ({74}) Angelika Beer Matthias Berninger Grietje Bettin Annelie Buntenbach Amke Dietert-Scheuer Franziska Eichstädt-Bohlig Hans-Josef Fell Joseph Fischer ({75}) Katrin Göring-Eckardt Gerald Häfner Antje Hermenau Ulrike Höfken Vizepräsidentin Petra Bläss Michaele Hustedt Dr. Angelika Köster-Loßack Steffi Lemke Kerstin Müller ({76}) Cem Özdemir Simone Probst Christine Scheel Irmingard Schewe-Gerigk Albert Schmidt ({77}) Werner Schulz ({78}) Christian Simmert Hans-Christian Ströbele Dr. Ludger Volmer Helmut Wilhelm ({79}) Margareta Wolf ({80}) FDP ({81}) Jörg van Essen Gisela Frick Paul K. Friedhoff Rainer Funke Dr. Wolfgang Gerhardt Hans-Michael Goldmann Joachim Günther ({82}) Dr. Karlheinz Guttmacher Klaus Haupt Dr. Werner Hoyer Dr. Heinrich L. Kolb Gudrun Kopp Jürgen Koppelin Ina Lenke Günther Friedrich Nolting Hans-Joachim Otto ({83}) Detlef Parr Dr. Günter Rexrodt Gerhard Schüßler Marita Sehn Gudrun Serowiecki Dr. Dieter Thomae Jürgen Türk PDS Dr. Dietmar Bartsch Wolfgang Bierstedt Maritta Böttcher Roland Claus Heidemarie Ehlert Dr. Ruth Fuchs Dr. Klaus Grehn Uwe Hiksch Carsten Hübner Ulla Jelpke Gerhard Jüttemann Dr. Evelyn Kenzler Rolf Kutzmutz Ursula Lötzer Heidemarie Lüth Angela Marquardt Kersten Naumann Rosel Neuhäuser Christine Ostrowski Petra Pau Christina Schenk Dr. Ilja Seifert Dr. Winfried Wolf Fraktionslose Abgeordnete Christa Lörcher Enthalten CDU/CSU Susanne Jaffke Entschuldigt wegen Übernahme einer Verpflichtung im Rahmen ihrer Mitgliedschaft in den Parlamentarischen Versammlungen des Europarates und der WEU, der Parlamentarischen Versammlung der NATO, der OSZE oder der IPU Abgeordnete({84}) Behrendt, Wolfgang Bindig, Rudolf Lintner, Eduard Dr. Lippelt, Helmut SPD SPD CDU/CSU BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Müller ({85}), Manfred Zierer, Benno PDS CDU/CSU Wir kommen nun zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung des Gerichtsverfassungsgesetzes, Drucksache 14/8978. Der Rechtsausschuss empfiehlt unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 14/9425, den Gesetzentwurf anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung einstimmig angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist mit den Stimmen des gesamten Hauses angenommen. Ich rufe Tagesordnungspunkt 28 auf: - Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Steuerfreistellung von Arbeitnehmertrinkgeldern - Drucksache 14/9029 ({86}) - Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Ernst Burgbacher, Gerhard Schüßler, Dr. Hermann Otto Solms, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Einkommensteuergesetzes ({87}) - Drucksache 14/9061 ({88}) a) Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses ({89}) - Drucksache 14/9428 - Berichterstattung: Abgeordnete Jörg-Otto Spiller Heinz Seiffert Carl-Ludwig Thiele Dr. Barbara Höll b) Berichte des Haushaltsausschusses ({90}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung - Drucksachen 14/9444, 14/9443 Berichterstattung: Abgeordnete Hans Jochen Henke Hans Georg Wagner Oswald Metzger Dr. Günter Rexrodt Dr. Uwe-Jens Rössel Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Debatte eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Erste Rednerin für die SPD-Fraktion ist die Kollegin Susanne Kastner.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001069, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich denke, manchmal sollte man vor Beginn einer Debatte ein paar Sachverhalte klarstellen. Man sollte das, wenn es um die Abschaffung der Trinkgeldbesteuerung geht, zum einen für diejenigen tun, die sich nicht jeden Tag mit diesem Thema beschäftigen, und zum anderen für die werten Kolleginnen und Kollegen, die in den letzten Wochen einiges durcheinander gebracht haben. Manche versuchten dabei, die berühmten Hundehaare zu streuen. ({0}) - Herr Brähmig, um was geht es hier eigentlich? Es geht um ein Gesetz aus dem Jahre 1920. Es stammt aus einer Zeit, als das Trinkgeld die eigentliche Entlohnung des Kellners war. Mittlerweile - da werden Sie mir sicher Recht geben - sind einige Jahre ins Land gegangen, in denen verschiedene Regierungen in unterschiedlichen Konstellationen Verantwortung getragen haben. Von 1982 bis 1998 haben die Damen und Herren von der rechten Seite des Hohen Hauses die Regierungsverantwortung getragen ({1}) - ja, Herr Brähmig, ich betone das deshalb, weil in den letzten Tagen ein wenig der Eindruck entstanden ist, dass gerade in der Frage der Trinkgeldbesteuerung während dieser Zeit ein Vakuum geherrscht habe - und es ist rein gar nichts in Sachen Abschaffung der Trinkgeldbesteuerung in dieser Zeit von dort gekommen. Der damalige Finanzminister - ich glaube, wir alle erinnern uns noch -, Herr Waigel, hat dankend die Hand aufgehalten und die Steuern aus den Händen der Kellnerinnen und Kellner angenommen. Auf der anderen Seite haben die Abgeordneten bei den entsprechenden Zusammenkünften mit Touristikerinnen und Touristikern immer wieder vollmundige Versprechungen abgegeben. ({2}) Auch in den drei Jahren ihrer Oppositionstätigkeit ist vonseiten der CDU/CSU dabei nur ein halbherziger Versuch herausgekommen. ({3}) - So war es, Herr Repnik, ganz genau so!

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Frau Kollegin Kastner, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Hinsken?

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001069, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Aber klar.

Ernst Hinsken (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000906, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Verehrte Frau Kollegin Kastner, mich interessiert, warum Sie, Ihre Fraktion und die Fraktion der Grünen, vor acht Wochen, als der gleiche Antrag im Deutschen Bundestag zur Abstimmung anstand, gegen die Abschaffung der Trinkgeldbesteuerung waren. Jetzt sind Sie plötzlich dafür? Worauf ist dieser Sinneswandel zurückzuführen? ({0}) Herr Eichel ist nach wie vor nicht begeistert, seine Staatssekretärin hat mir das heute noch einmal bestätigt. Ich finde die vorgesehene Regelung gut. Lassen Sie doch denjenigen, die sie so weit gebracht haben, die Freude darüber, dass man so weit gekommen ist. ({1}) - Ich habe gefragt. Ich möchte gerne wissen, woher der Sinneswandel kommt.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001069, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Hinsken, wir haben in dieser Frage überhaupt keinen Sinneswandel durchgemacht. ({0}) Vor acht Wochen haben Sie vonseiten der CDU/CSU eine Erhöhung des Freibetrags und vonseiten der FDP einen Vorschlag zur Abschaffung eingebracht. Dieser war aber so formuliert, dass er vor dem Verfassungsgericht nicht standgehalten hätte. ({1}) Deshalb haben wir einen eigenen Antrag eingebracht, der vor dem Verfassungsgericht standhält und mit der Freibetragsregelung überhaupt nichts zu tun hat. So und kein bisschen anders ist die Wahrheit. ({2}) Ich komme nun auf die FDP zu sprechen. Die FDP war in dieser Frage ein Stück weit fleißig. Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, ich muss es wiederholen - das tue ich natürlich auch gern -, man kann es sich wahrscheinlich nur als Spaßpartei erlauben, einen Gesetzentwurf einzubringen, der einer verfassungsmäßigen Überprüfung nicht standgehalten hätte. ({3}) Einmal mehr stand hier Effekthascherei im Vordergrund, anstatt wirklich seriöse Politik für die Menschen zu machen. Vizepräsidentin Petra Bläss Damit sind wir bei unserer Initiative angekommen, Herr Kollege Hinsken. Wir haben in unseren tourismuspolitischen Leitlinien - das wissen Sie so gut wie ich bereits im Jahre 1998 festgelegt, die Trinkgeldbesteuerung abzuschaffen. Dieses Vorhaben setzen wir jetzt um. Verehrte Kolleginnen und Kollegen von der Opposition, das hat bei uns bereits nach einer Legislaturperiode zum Erfolg geführt. Wir haben nicht wie Sie vier Legislaturperioden lang heiße Luft produziert. ({4}) Herr Kollege Brähmig, anstatt sich jetzt mit den Beschäftigten des Hotel- und Gaststättengewerbes zu freuen, verhalten Sie sich nach dem Motto Wilhelm Buschs: „Kaum hat mal einer ein bissel was, gleich gibt es welche, die ärgert das.“ ({5}) Hätte sich die SPD nicht so intensiv mit der Thematik auseinander gesetzt, um eine einwandfreie gesetzliche Regelung zu finden, und dabei politische Geradlinigkeit und Konsequenz gezeigt, könnten wir wohl nochmals 82 Jahre warten, ohne dass etwas geschähe. Verehrte Kolleginnen und Kollegen, die bisherige Situation des Servicepersonals gestaltete sich folgendermaßen: Ein Kellner musste beim Finanzamt eine Erklärung über die erhaltenen Trinkgelder abgeben. Lag diese Summe über dem entsprechenden Freibetrag von ehemals 2 400 DM, den die Union dankenswerterweise erhöhen wollte, waren neben der üblichen Lohnsteuer auch Beiträge für die Sozialversicherungen zu zahlen. Als wäre das Ganze noch nicht kompliziert genug gewesen, musste der Arbeitgeber anteilig ebenfalls Sozialversicherungsleistungen erbringen. Erschien dem Finanzamt diese Summe nicht glaubhaft, wurden unangemeldete Prüfungen in den Betrieben durchgeführt, um die Umsätze zu überprüfen. Die Gewerkschaft NGG und der Deutsche Hotel- und Gaststättenverband, DEHOGA, legen Zahlen von lediglich 10 Prozent steuerpflichtigen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern mit einem tatsächlichen Steueraufkommen von 6 Millionen Euro zugrunde. Die Frage, inwieweit sich der zeitliche, personelle, bürokratische und damit auch finanzielle Aufwand lohnt, ist schnell zu beantworten: Die Trinkgeldsteuer gehört abgeschafft. ({6}) Für diese schlichte Erkenntnis haben die Union und die Spaßpartei ganze 19 Jahre gebraucht. ({7}) Jetzt ärgern sie sich über die politische Konsequenz der Regierungsparteien. ({8}) Verehrte Kolleginnen und Kollegen, wenn ich dann auch noch etwas von Wahlkampfmanövern höre, kann ich nur sagen - ({9}) - Damit habe ich keine Probleme. Besonders dem Kandidaten aus Bayern wünsche ich eine gute Reise, wenn er diese Gesetzesinitiative im Bundesrat blockiert. ({10}) Ich kann nur sagen: Wer jahrzehntelang nichts getan hat, sollte sich jetzt schön zurückhalten, gute Trinkgelder geben und sich über unsere Schaffenskraft freuen. Herzlichen Dank. ({11})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Das Wort hat der Kollege Klaus Brähmig für die Fraktion der CDU/CSU.

Klaus Brähmig (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000240, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die heutige zweite und dritte Lesung des Entwurfs eines Gesetzes zur Steuerfreistellung von Arbeitnehmertrinkgeldern ist angesichts des jahrelangen Kampfes um die Aufwertung und Anerkennung von Dienstleistungen und Dienstleistungsbereitschaft in unserem Lande wie ein glücklicher Zieleinlauf beim Marathon. Dies ist auch bitter notwendig. Hierbei geht es nicht nur um das Berufsbild der Kellner in den Gaststätten und Biergärten, sondern auch um das der Friseure, Taxifahrer, Möbelpacker, Postboten, Pannenhelfer von Automobilvereinen, Verkaufsfahrer, des Pflegepersonals in Krankenhäusern und Altenheimen und auch unserer Fahrdienstmitarbeiter. Außerdem gehören Leistungen im Rahmen der Nachbarschaftshilfe dazu. Für unsere Fraktion erkläre ich, dass wir mit dem Ergebnis der Ausschussberatungen in dieser Woche zufrieden sind, da auch die SPD im Ziel angekommen ist. Änderungen bei der Trinkgeldbesteuerung waren vor Beginn dieser Legislaturperiode ein Anliegen fast aller Parteien. ({0}) So heißt es in Punkt 19 der „Tourismuspolitischen Leitlinien“ der Union vom September 1998: Der Bundesfinanzminister hat bei der Trinkgeldbesteuerung die Freibeträge dankenswerterweise verdoppelt. Wir setzen uns ein für weitere steuerliche Erleichterungen. ({1}) In den „Tourismuspolitischen Leitlinien der SPD“ vom Mai 1998 steht auf Seite 44 - Frau Kastner, hören Sie bitte zu -: ({2}) Eine Form der Anerkennung für Beschäftigte im Gastgewerbe stellt Trinkgeld dar, mit dem Gäste ihre Zufriedenheit ausdrücken. Als Maßnahme wird dort die Abschaffung der Trinkgeldbesteuerung empfohlen. ({3}) - Jawohl, ich lese auch die Leitlinien der SPD. Ich möchte auch darauf hinweisen, dass ich persönlich der Erhöhung des Steuerfreibetrages bei Trinkgeldern von 2 400 DM auf 4 200 DM am Anfang der Legislaturperiode höhere Priorität eingeräumt habe, nicht zuletzt deshalb, weil vor allem die SPD-Länderfinanzminister noch im April 2000 einer Änderung des Einkommensteuergesetzes eine klare Absage erteilt haben. ({4}) Ich möchte hier den niedersächsischen Finanzminister Heinrich Aller aus einem an mich gerichteten Schreiben vom 19. April 2000 zitieren: Ein über die Freibetragsregelung hinausgehender Verzicht auf die Besteuerung von freiwilligen Trinkgeldern wäre meines Erachtens mit dem Grundsatz der steuerlichen Gleichbehandlung aller Arbeitnehmer nicht zu vereinbaren. ({5}) Da ich auch davon ausgehe, dass die niedersächsischen Finanzämter das geltende Recht mit Augenmaß anwenden, sehe ich gegenwärtig keinen Handlungsbedarf bei der Besteuerung von Trinkgeldern. Im Gegensatz zur SPD haben wir im Übrigen nicht gegen unsere eigenen Wahlkampfversprechen gestimmt. ({6}) Meine Damen und Herren, heute kann unser Kollege Ernst Burgbacher eine Flasche Sekt öffnen. ({7}) Es ist vollbracht. Seiner unerschütterlichen Beharrlichkeit ist es zu verdanken, den Stein vor einigen Wochen endgültig ins Rollen gebracht zu haben. ({8}) Das verdient meinen persönlichen Respekt. ({9}) Lieber Ernst, mit Max Weber gesagt: Politik ist das Bohren dicker Bretter. ({10}) Mein Dank gilt auch meinen Kollegen von der Arbeitsgruppe Finanzen der CDU/CSU-Fraktion. Stellvertretend seien hier Gerda Hasselfeldt, Klaus-Peter Willsch und Heinz Seiffert genannt, denen es gemeinsam mit den Tourismuspolitikern gelungen ist, das Totschlagargument der Finanzbürokratie, die Steuersystematik werde geändert, zu überwinden. ({11}) Ein Wort zur SPD und zu den Grünen: Nachdem Sie sich in den letzten Jahren immer wieder - zuletzt noch vor wenigen Wochen - vehement gegen Änderungen bei der Trinkgeldbesteuerung ausgesprochen haben, ({12}) ist bei Ihnen kurz vor Toresschluss der 14. Legislaturperiode endlich der Groschen gefallen. ({13}) Ich glaube, dies geschah allerdings nicht aus der Erkenntnis, dass die Position der FDP und der Union richtig ist, sondern weil offensichtlich erstens Panik bei SPD-Genossen in den Wahlkreisen aufgekommen ist ({14}) sowie die vielen fleißigen Mitarbeiter in Gastronomie und Handwerk eine Macht darstellen und über ein gutes Gespür für soziale Gerechtigkeit verfügen, ({15}) weil man zweitens zu der Erkenntnis gekommen ist, dass die rot-grüne Wirtschafts- und Steuerpolitik seit Oktober 1998 den Mittelstand in eine Sackgasse geführt hat, und weil drittens - hören Sie ruhig zu, Frau Kastner! -, ({16}) die Situation unter anderem im Gastgewerbe schwieriger ist, als es die Genossen in ihren Sonntagsreden den Menschen vorgaukeln. ({17}) An dieser Stelle möchte ich auf die Konsumzurückhaltung der Bürger hinweisen. Im ersten Quartal 2002 lag der Umsatz im Gastgewerbe 2,1 Prozent unter dem Vorjahreswert; preisbereinigt ergibt sich sogar ein Rückgang um 5,7 Prozent. Die Reaktion der Bundesregierung war wieder einmal typisch für Rot-Grün: Es wurde ein so genannter Teurogipfel einberufen. Die Wahrheit ist aber: Mit der Erhöhung der Versicherungsteuer, der Tabaksteuer und der Ökosteuer ({18}) sorgt die Bundesregierung selber für Preisauftrieb und klagt nachher über die Betriebe, die Steuererhöhungen an die Kundschaft weitergeben. ({19}) Vier Jahre belasten Sie den Mittelstand und dann erfolgt der Ruf: „Haltet den Dieb!“ Das ist rot-grüne Regierungspolitik. ({20}) Es war und ist die Politik der gebrochenen Versprechen der SPD sowie eine Politik, die sich gegen den arbeitsplatzintensiven Mittelstand, das Handwerk und die Dienstleistungsbranche richtet ({21}) und somit auch gegen die 3,46 Millionen Selbstständiger in der Bundesrepublik Deutschland. Einige Stichworte dieser mittelstandsfeindlichen Politik und ihrer Folterwerkzeuge, erfunden von Rot-Grün: Ökosteuer, 630-DM-Gesetz, Betriebsverfassungsgesetz, Arbeitsmarktstrangulierungen wie das Gesetz zur Verhinderung der Scheinselbstständigkeit und die Rücknahme der Unionsreformen von 1996. ({22}) Die Folgen einer solchen Politik sieht man am Syndrom der Schwarzarbeit in unserem Lande. Zwei Sektoren der Wirtschaft können nach vier Jahren rot-grüner Bundesregierung ein klares Wachstum verzeichnen: die Arbeitslosigkeit und die Schwarzarbeit. ({23}) Auf dieses Wachstum können Sie aber nicht stolz sein. ({24}) Schwarzarbeit entsteht ja nicht bei Siemens, VW oder der Deutschen Bank, sondern in der deutschen Tourismus-, Handwerks- und Dienstleistungswirtschaft. Bei einem Volumen von 350 Milliarden Euro Jahresumsatz wird deutlich, wo ein Teil unserer aktuellen Probleme liegt. ({25}) Wenn wir dieses Gesamtvolumen ins Verhältnis setzen zu einem durchschnittlichen Jahreslohn von 40 000 Euro im Dienstleistungs- und Tourismusbereich, wären bei einer völligen Reduzierung der Schwarzarbeit und der Schattenwirtschaft in unserer Volkswirtschaft mehrere Millionen sozialversicherungs- und steuerpflichtige Arbeitsplätze zu schaffen. ({26}) Ich bin der festen Überzeugung, hier liegt die zentrale Herausforderung der Politik in der 15. Legislaturperiode. Packen wir sie an! Die Union wird am 22. September zupacken. ({27}) Mit der heutigen Gesetzesänderung zur Steuerbefreiung von Trinkgeldern im Handwerk, im Tourismus, bei den Dienstleistungen und in der Gastronomie werden die vielen Millionen fleißiger Mitbürger belohnt, die arbeiten wollen und auch gutes Geld für gute und aufmerksame Dienstleistungen erwarten. ({28}) Auch wird ein tatsächlicher Beitrag zur Entbürokratisierung geleistet und werden Staatsschikanen bei der Eintreibung von so genannten geschätzten Überschüssen zu den Freibeträgen abgeschafft. Unsere Finanzbehörden haben jetzt wieder mehr Zeit für ihre eigentlichen Aufgaben. Die Union wird heute im Bundestag der Beschlussvorlage und dem Bericht des Finanzausschusses zustimmen, ({29}) obwohl wir uns schon eine interfraktionelle Initiative gewünscht hätten. Dies wurde leider von den Genossen abgelehnt. Man schmückt sich eben gern mit fremden Federn, ({30}) vor allem mit der Initiative von Herrn Burgbacher und der FDP, aber auch von der Union. Die Bundesregierung bleibt nach wie vor die Nennung der Quellen der angeblich durch die heutige gesetzliche Abschaffung der Trinkgeldbesteuerung in Deutschland plötzlich entstehenden 6 Millionen Euro Steuermindereinnahmen schuldig. Ich bin gespannt, wo das Kaninchen aus dem Hut gezaubert wird, liebe Frau Kastner. ({31}) Ich habe auf alle Fälle darum gebeten, diese Fragen noch im Ausschuss schriftlich beantwortet zu bekommen. Meine Damen und Herren, mein Wunsch und meine Bitte an den Bundesrat lauten nun, sich der heutigen Entscheidung des Deutschen Bundestages zur Stärkung des Tourismus- und Dienstleistungsstandorts Deutschland anzuschließen. ({32})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Nächste Rednerin ist die Kollegin Voß für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Sylvia Voß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003252, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Brähmig, Sie haben es immer mit dem Zaubern. Das war im Ausschuss auch schon so. Ich sage Ihnen: Wir können es wenigstens und wir zaubern den schwarzen Hasen lieber in den Hut, als dass wir ein weißes Häschen herausholen. ({0}) Zur Besteuerung des Trinkgelds: Es gibt eine schöne Schweizer Werbung, in der es heißt: „Wer hat’s erfunden?“ Wer hat es denn überhaupt erfunden, das Trinkgeld und die Trinkgeldbesteuerung? Ich freue mich, dass die Abschaffung der Trinkgeldsteuer heute beschlossene Sache ist. Es ist wirklich ein schöner Tag für alle diejenigen, die uns in Pensionen, Hotels, Restaurants, Biergärten oder anderen Bereichen verwöhnen und denen wir unseren persönlichen Dank dadurch sagen, dass wir ihnen ein so genanntes Trinkgeld überlassen, das selbstverständlich nicht vertrunken werden muss. Dass sich die Opposition auf der rechten Seite des Hauses diesen rot-grünen Erfolg gern selbst auf die Fahnen schreiben möchte, kann man menschlich nachvollziehen. Aber man kann es auch politisch nachvollziehen, wenn man sich die wirklich dürre tourismuspolitische Bilanz von CDU/CSU und FDP in dieser Legislaturperiode ansieht. Fakt ist nämlich, dass gerade diese beiden Fraktionen in ihrer Regierungszeit nie den Mut gefunden haben, irgendetwas zu korrigieren und die Trinkgeldsteuer zurückzunehmen. ({1}) Nur weil Sie diesen Mut nicht gefunden haben, konnten Sie jetzt in der Opposition so furchtlos dafür streiten. ({2}) So möchte ich in Richtung dieser beiden Fraktionen mit dem Korintherbrief antworten: „Aber nicht darum ist einer tüchtig, dass er sich selbst lobt.“ Tüchtig, Herr Brähmig und Herr Burgbacher, ist einer, der Dinge tatsächlich zum Besseren wendet. Das hat Rot-Grün getan. ({3}) Gerhard Schröder und Joschka Fischer haben im Wahlkampf 1998 die Abschaffung der Trinkgeldsteuer in Aussicht gestellt. ({4}) Heute setzen wir das nach gründlicher Prüfung und langer Diskussion um. Wollen Sie das etwa bestreiten? ({5}) Dass Ihnen das nicht schmeckt, merkte man daran, dass Sie nach dieser Entscheidung in den Sitzungen der Ausschüsse ziemlich beleidigt herumgenörgelt haben. ({6}) - Das haben Sie heute nach dem Motto „Wieso haben Sie sich denn so plötzlich entschieden?“ wieder getan. Ihnen war doch genau bekannt, dass wir an der Lösung dieses Problems ganz grundlegend gearbeitet haben. Natürlich haben - das muss man auch zugeben - einige Finanzexperten insofern Recht, als sie anmerken, dass Trinkgelder steuersystematisch Bestandteil des Einkommens sind und somit der Besteuerung unterliegen müssten. Natürlich sollten hierzu auch alle Einkommen erfasst werden. An diesem Punkt muss ich aber fragen, ob eine solche Steuersystematik nicht obsolet ist; denn die Umsetzung dieses Rechts ist tatsächlich problematisch. ({7}) - Das habt ihr erfunden. - Es gibt keine Aufzeichnungspflicht und es kann sie auch nicht geben. Denn wie sollte man sie kontrollieren? Das Finanzamt ist auf die Aussage des Steuerpflichtigen angewiesen. Macht der Steuerpflichtige keine Aussage, muss das Finanzamt prüfen. Macht er eine Aussage, muss das Finanzamt ebenfalls prüfen. Frau Kastner hat eben bereits sehr lebendig geschildert, wie diese Prüfung aussieht: Es ist einfach eine Schätzung. Die Faktoren, die bei einer solchen Schätzung berücksichtigt werden müssen, sind schlicht und einfach nicht objektivierbar. Es kommt auf die spezielle Lage des Betriebes, die finanzielle Situation der Kunden und deren typische Eigenheiten an. Zu Letzterem zählt auch, dass es in Deutschland im Gegensatz zu vielen anderen Ländern keinen relativ festen Prozentsatz für das Trinkgeld gibt, an dem man sich mehr oder weniger verbindlich orientiert. Die notwendigen Daten für eine seriöse und gerechte Schätzung kann kein Finanzamt verlässlich erheben und bewerten. Deswegen haben die Finanz- und Tourismuspolitiker der Koalition diese Sachverhalte so lange genauestens geprüft, bevor diese Entscheidung fiel. Schließlich haben der erhebliche Verwaltungsaufwand, fehlende steuerstatistische Unterlagen über die genaue Höhe des Steueraufkommens und die eben genannten nicht objektivierbaren Erhebungsmaßstäbe zur Entscheidung für den vorliegenden Gesetzentwurf geführt. Die Trinkgelder werden rückwirkend zum Januar dieses Jahres in voller Höhe beim Trinkgeldempfänger verbleiben. ({8}) Ich möchte mich noch einmal ganz ausdrücklich und herzlich bei den Finanzpolitikern der Koalition dafür bedanken, dass sie hier über ihren steuersystematischen Schatten gesprungen sind. ({9}) Das Gerechtigkeitsgefühl, das durch die Praxis der Erhebung der Trinkgeldsteuer verletzt wurde, ist jetzt wieder hergestellt. Es wurde dadurch verletzt, dass die Finanzämter, wie gesagt, regelmäßig davon ausgingen, dass Kellnerinnen und Kellner den bislang geltenden Freibetrag überschritten haben und dass das bei anderen Berufsgruppen eben nicht der Fall war. Unsere wohl überlegte Entscheidung - für mich als tourismuspolitische Sprecherin war das maßgeblich - wird schließlich auch dazu beitragen, dass der arbeitsintensive und anstrengende Beruf des Kellners und der Kellnerin wieder an Attraktivität gewinnen wird. Es weiß jetzt nämlich wirklich jeder, dass sich Freundlichkeit für ihn persönlich auch lohnt. ({10}) „Ein jeder gebe, wie er es sich im Herzen vorgenommen hat ... denn einen fröhlichen Geber hat Gott lieb.“ Ich füge hinzu: den Kellner und die Kellnerin auch. Die Entscheidung wurde also im Sinne aller Beteiligten - auch im Sinne der Opposition - getroffen. Deshalb möchte ich jetzt schließen, um den Dankesreden der Opposition an Rot-Grün zu lauschen. ({11})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Jetzt hat der Kollege Ernst Burgbacher für die FDP-Fraktion das Wort. ({0})

Ernst Burgbacher (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003063, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Frau Kastner, ich muss Ihnen sagen, es macht Spaß, hier zu stehen und festzustellen, dass es uns als Opposition gelungen ist, das durchzusetzen, was heute mit großer Mehrheit beschlossen werden wird. ({0}) Ich erinnere daran, dass wir am 6. Oktober 1999 den ersten Gesetzentwurf eingebracht haben; ein zweiter folgte. ({1}) Rot-Grün hat beide Gesetzentwürfe in allen Ausschüssen und im Plenum abgelehnt; den letzten vor ein paar Wochen. ({2}) Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Union, ich muss allerdings auch sagen, dass es unredlich ist, dass Herr Ramsauer über die Koalition sagt - das habe ich in einer Tickermeldung gelesen -, dass sie die Abstrafung durch den Wähler fürchtet und nun endlich den Vorschlag der Union, die Trinkgelder von der Steuer zu befreien, übernimmt. ({3}) Die Union hat den ersten Gesetzentwurf in allen Ausschüssen abgelehnt. Sie hat sich dann im Plenum enthalten. Bei der Abstimmung über den zweiten Gesetzentwurf, liebe Kollegen Hinsken und Brähmig, gab es ein paar Jastimmen. Aber jetzt davon zu reden, - wie es am Schluss gesagt wurde -, die Union habe sich durchgesetzt, ist wahrlich vermessen. ({4}) Tatsächlich ist es ganz anders gelaufen. Die Union hat sich bisher mehrheitlich dagegen gesperrt; das muss man dazusagen. ({5}) Liebe Frau Kastner, wir wollten über diese Regelung hinausgehen; das ist richtig. Wir wollten, dass freiwillig gezahlte Trinkgelder nicht zu den Einkünften aus unselbstständiger Arbeit gehören. Das wäre klarer als das gewesen, was Sie machen. Frau Kastner, Sie haben gesagt, unsere Forderung sei verfassungswidrig. Es gibt keinerlei Hinweise für Ihre Behauptung. Würden Sie unserem Gesetzentwurf zustimmen, würde die Lage für die Betroffenen viel klarer, als das bei Ihrem Entwurf der Fall ist. ({6}) Wir haben mit Ihnen im Ausschuss gerungen. Wir hatten eine gemeinsame Arbeitsgruppe gebildet und ein gemeinsames Ergebnis erarbeitet. Darüber, dass Sie das als Ihren Entwurf einbringen, sollte sich jeder sein eigenes Urteil bilden. ({7}) Wir halten unseren Entwurf in der Systematik für besser. Aber da wir die Abschaffung der Trinkgeldbesteuerung durchsetzen wollen, werden wir um der Sache willen zustimmen. Uns geht es um den Erfolg in der Sache und nicht um Rechthaberei an irgendeiner Stelle. ({8}) Wir werden mit dem heutigen Beschluss bei uns einiges wirklich verändern. Der Tourismusstandort Deutschland wird mit anderen Orten nie über den Preis konkurrieren können. Wir müssen das bei uns über die Qualität erreichen. Hierzu gehören zuallererst guter Service und Dienstleistungsbereitschaft. Der heutige Beschluss, die Trinkgeldbesteuerung abzuschaffen, wird ein ganz wesentlicher Schritt dazu sein, die Servicebereitschaft zu erSylvia Voß höhen und besseren Service in Deutschland zu garantieren. Deshalb ist dieser Schritt für den Tourismusstandort Deutschland ganz wichtig. ({9}) Frau Kollegin Kastner, Sie haben vorher die CDU/ CSU mit Blick auf den Bundesrat angesprochen. Ich lese Ihnen eine Meldung aus der „Berliner Zeitung“ vom gestrigen Donnerstag vor: Der nordrhein-westfälische Finanzminister Peer Steinbrück ({10}) kündigte an, sein Land werde die Steuerbefreiung im Bundesrat ablehnen. ({11}) Meine Damen und Herren von der Regierung, falls Sie hier ein doppeltes Spiel vorhaben, diesen Beschluss im Parlament durchzusetzen und ihn im Bundesrat zu boykottieren -, dann prophezeie ich Ihnen: Damit werden Sie nicht froh werden. Es kann nicht sein, dass Sie diese Regelung durch die Hintertür Bundesrat blockieren. ({12}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, es sei uns vergönnt, stolz darauf zu sein, dass es uns aus der Opposition heraus gelungen ist, zu diesem Ergebnis zu kommen. Ich behaupte: Ohne die Gesetzentwürfe der FDP, ohne das ständige Drängeln und ohne die ständigen Initiativen der FDP wären wir heute nicht so weit gekommen. ({13}) Wir freuen uns, dass wir diesen Gesetzentwurf mit großer Mehrheit beschließen werden. Das ist für unseren Standort ein gutes Zeichen. Übrigens unterstreicht es die Politik der FDP: weg mit unsinnigen Regelungen, die sowieso nicht durchsetzbar sind, runter mit den Steuern. Das muss das Signal sein. In dieser Richtung werden wir weitermachen. Herzlichen Dank. ({14})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Da die Kollegin Dr. Barbara Höll ihre Rede zu Protokoll gegeben hat, ist jetzt schon die letzte Rednerin in dieser Debatte an der Reihe, die Kollegin Brunhilde Irber.1)

Brunhilde Irber (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002688, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Letzten Freitag habe ich an diesem Rednerpult vor Freude gesungen. ({0}) Dabei ging es um den wunderbaren Beschluss für die Donau. Heute singe ich nicht. Das erspare ich Ihnen. Aber ich könnte es wieder tun; ({1}) denn heute ist ein Freudentag für alle Kellnerinnen und Kellner, Bedienungen und Servicekräfte, die nicht nur, aber hauptsächlich in der Gastronomie tätig sind. Wir schaffen heute die ungerechte Trinkgeldbesteuerung ab. Wenn man in einer Gaststätte Trinkgeld gibt, dann ist dies ein Zeichen, dass man mit dem Essen und dem Service zufrieden war. Bisher hat der Fiskus als stiller Zecher immer mit kassiert. Natürlich hat der Staat das Recht, alle Einkommen seiner Bürger einer Besteuerung zu unterwerfen. Aber muss ein moderner Staat denn wirklich in das individuelle Verhältnis zwischen dem Dienstleister und dem Gast eingreifen und hier das Netz seiner Steuerinteressen auswerfen? Unserem Verständnis eines gerechten, aber nicht raffgierigen Staates steht die bisherige Besteuerung von Trinkgeldern entgegen. Deshalb setzen wir heute auch ein Stück mehr Gerechtigkeit für diejenigen Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen durch, deren Trinkgelder bisher per Schätzung durch das Finanzamt besteuert wurden. Wenn man Gerichtsurteile über streitige Steuerfälle auswertet, dann erschrickt man über den Dschungel der Bürokratie. Die Abschaffung der Trinkgeldbesteuerung ist ein Beitrag zum Abbau von Bürokratie. ({2}) Lieber Kollege Burgbacher, wir reden nicht nur darüber, sondern tun es auch. Die Abschaffung der Trinkgeldbesteuerung ist auch ein Beitrag zur Stärkung des Dienstleistungs- und des Tourismusstandortes Deutschland sowie ein Zeichen für einen modernen Staat. ({3}) Wir haben lange auf den heutigen Tag hingearbeitet. Bereits 1995 haben wir in unserem Antrag „Die Arbeitsplatz- und Ausbildungssituation in der Fremdenverkehrswirtschaft“ die Abschaffung der Trinkgeldbesteuerung gefordert. Die damalige Regierung aus CDU/CSU und FDP ({4}) hat dieses Begehren glattweg abgeschmettert. Zwar ist uns in Erinnerung geblieben, dass der Vertreter der FDP bei der Abstimmung im Ausschuss immer gerade dann den Saal verließ, wenn dieser Punkt auf der Tagesordnung stand. Aber im Plenum hat die FDP tapfer zur Steuerfront von Waigel gehalten. Ein entsprechender Beschluss zur damaligen Zeit hätte den heutigen Tag bereits vor sieben Jahren wahr werden lassen können und hätte vielen die Be- steuerung ihrer Trinkgelder erspart. Deshalb, lieber Kol- lege Ernst Burgbacher, ist es unredlich, wenn die FDP jetzt behauptet, die Abschaffung der Trinkgeldbesteuerung sei 1) Anlage 5 einzig und allein ihren Aktivitäten zuzuschreiben. Das ist unredlich. ({5}) Ich bin enttäuscht, dass heute nur in wenigen Punkten Konsens herrscht. ({6}) - Das gilt vor allem für die CDU/CSU. Die hat doch überhaupt nichts zustande gebracht. Ihr habt nicht einen einzigen Antrag zu diesem Thema gestellt. ({7}) In der letzten Woche habt ihr das noch torpediert und ein Störmanöver durchgeführt. So schaut es aus. ({8}) Der Durchbruch in dieser Steuersache ist uns nur dadurch gelungen - das muss man nicht beweisen, wenn man in der Opposition ist; deshalb haben Sie es so leicht -, dass unzweifelhaft nachgewiesen werden konnte, dass der Vollzug - ich will besser sagen: das Eintreiben - der Steuer den Staat mehr Geld kostet, als die Besteuerung einbringt. ({9}) Da der öffentlichen Hand somit unter dem Strich keine Einnahmen aus der Trinkgeldbesteuerung verbleiben, darf diese Steuer nach einem Steuergrundsatz auch nicht erhoben werden. ({10}) Genau dies stellen Sie in Ihrem Antrag anders dar. Sie sehen nämlich Trinkgelder als Geschenk und nicht als einen Teil des Arbeitslohnes an. Sie haben es versäumt, die in Ihrem Antrag erhobenen Forderungen auf Verfassungsmäßigkeit hin zu prüfen. ({11}) Das haben wir herausgearbeitet. Dafür haben wir natürlich ein bisschen Zeit benötigt. Leider haben Sie sich mit unseren Argumenten nicht auseinander gesetzt. Kein verantwortungsvoller Minister hätte während Ihrer Regierungszeit die beiden Gesetzentwürfe der FDP unterzeichnet. ({12}) Ich verweise nochmals auf den von uns bereits 1995 gestellten Antrag, der den Prüfauftrag enthielt, die Höhe der vereinnahmten Steuern zu beziffern. Nicht einmal dazu waren Sie bereit. Ich bitte Sie deshalb: Seien Sie ehrlich und erkennen Sie an, dass die Tourismuspolitik der Regierungskoalition einen bahnbrechenden Erfolg gegen die angestammte Steuersystematik durchsetzen konnte. ({13}) Erkennen Sie auch an, dass die Regierung und die sie tragenden Koalitionsfraktionen das Wahlversprechen, das sie vor der letzten Bundestagswahl gegeben haben, in der ersten Legislaturperiode ihrer Amtszeit eingehalten haben. ({14}) Hören Sie auf, sich nach draußen selbst zum Autor dieser Abschaffung zu erklären! Das wird vom Kollegen Ramsauer von der CSU sogar in Pressemitteilungen verbreitet. Das ist das Dreisteste, was ich mir vorstellen kann. Er macht sich jetzt zum Vater der Abschaffung der Trinkgeldbesteuerung. ({15}) - Herr Ramsauer hat nie was gefordert. Hören Sie also auf, sich zum Autor dieser Abschaffung zu erklären! Erzählen Sie so etwas auch nicht auf Ihren Wahlveranstaltungen; denn sonst sehe ich mich genötigt, dem Herrn Kollegen Brähmig mal eins zwischen die Hörner zu geben. ({16}) Zum Abschluss möchte ich denen danken, die diesen Durchbruch möglich gemacht haben. Mein Dank geht an die Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten; denn sie hat belastbare Berechnungsgrundlagen geliefert, die eine Entscheidung ermöglicht haben. Mein Dank geht auch an den Deutschen Hotel- und Gaststättenverband, vor allem aber an Peter Struck und Susanne Kastner sowie die Finanzpolitiker unserer Fraktion, die sich überzeugen ließen. ({17}) Heute ist ein guter Tag für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer im Dienstleistungsgewerbe, ({18}) aber auch ein guter Tag für den Tourismusstandort Deutschland. Meine sehr verehrten Damen und Herren, geben Sie reichlich Trinkgeld! Die Kellnerinnen und Kellner werden sich freuen, weil sie es jetzt ganz behalten dürfen. Herzlichen Dank. ({19})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Ich schließe die Aussprache. Wir packen hier nicht irgendwelche Kollegen, sondern den Stier bei den Hörnern und kommen zur Abstimmung über den von den Fraktionen der SPD und des BündnisBrunhilde Irber ses 90/Die Grünen eingebrachten Gesetzentwurf zur Steuerfreistellung von Arbeitnehmertrinkgeldern, auf Drucksache 14/9029. Der Finanzausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 14/9428, den Gesetzentwurf in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Gegenprobe! Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung einstimmig angenommen. Wir kommen zur dritten Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit mit den Stimmen des gesamten Hauses angenommen. Wir kommen zur Abstimmung über den von der Fraktion der FDP eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung des Einkommensteuergesetzes ({0}), Drucksache 14/9061. Unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 14/9428 empfiehlt der Finanzausschuss, den Gesetzentwurf abzu- lehnen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zu- stimmen wollen, um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung gegen die Stimmen der FDP-, CDU/CSU- und PDS-Fraktion abgelehnt. Damit entfällt nach unserer Ge- schäftsordnung die weitere Beratung. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 29 a und 29 b auf: a) Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten Dr. Irmgard Schwaetzer, Dirk Niebel, Dr. Heinrich L. Kolb, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Entwicklung und Stand der Arbeitszeitflexibili- sierung in Deutschland - Drucksachen 14/7870, 14/9177 - b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung ({1}) zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Maria Böhmer, Horst Seehofer, Peter Rauen, weite- rer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU Teilzeitbeschäftigung wirtschaftsverträglich und familiengerecht fördern - Drucksachen 14/4526, 14/9414 - Berichterstattung: Abgeordnete Renate Rennebach Die Kolleginnen und Kollegen Klaus Brandner, Walter Hoffmann, Brigitte Baumeister, Dr. Thea Dückert, Dr. Heinrich L. Kolb und Dr. Klaus Grehn haben ihre Re- den zu Protokoll gegeben1) - Ich höre keinen Wider- spruch dagegen, dass das so geschehen ist. Dann kommen wir zur Abstimmung über die Be- schlussempfehlung des Ausschusses für Arbeit- und So- zialordnung auf Drucksache 14/9414 zu dem Antrag der Fraktion der CDU/CSU mit dem Titel „Teilzeitbeschäfti- gung wirtschaftsverträglich und familiengerecht fördern“. Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 14/4526 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussemp- fehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Be- schlussempfehlung ist gegen die Stimmen der CDU/CSU- Fraktion angenommen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 32 a bis 32 c auf: a) - Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Jugendschutzgesetzes ({2}) - Drucksache 14/9013 ({3}) - Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Uta Titze-Stecher, Werner Lensing, Sylvia Voß, Hildebrecht Braun ({4}) und weiteren Abgeordneten eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zum Schutze der Jugend in der Öffentlichkeit ({5}) - Drucksache 14/8956 ({6}) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ({7}) - Drucksache 14/9410 - Berichterstattung: Abgeordnete Kerstin Griese Thomas Dörflinger Christian Simmert Klaus Haupt Monika Balt b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ({8}) zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Maria Böhmer, Maria Eichhorn, Ilse Aigner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU Jugendschutz stärken - Drucksachen 14/9027, 14/9410 - Berichterstattung: Kerstin Griese Thomas Dörflinger Christian Simmert Klaus Haupt Monika Balt c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ({9}) - zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Bericht der Bundesregierung über die Auswirkungen der jetzigen Fassung des § 3 des Gesetzes über die Verbreitung jugendgefährdender Schriften und Medieninhalte ({10}) Vizepräsidentin Petra Bläss 1) Anlage 6 - zu dem Dritten Zwischenbericht der EnqueteKommission „Zukunft der Medien in Wirtschaft und Gesellschaft - Deutschlands Weg in die Informationsgesellschaft“ zum Thema Kinder- und Jugendschutz im Multimediazeitalter - Drucksachen 14/1105, 14/1187 Nr. 1.4, 13/11001, 14/6675 Berichterstattung: Abgeordnete Kerstin Griese Maria Eichhorn Klaus Haupt Christian Simmert Christina Schenk Es liegt je ein Entschließungsantrag der Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen sowie der Fraktion der FDP zum Entwurf eines Jugendschutzgesetzes vor. Die Kolleginnen und Kollegen Kerstin Griese, Thomas Dörflinger, Christian Simmert, Klaus Haupt, Angela Marquardt, Dr. Christine Bergmann und Ingrid Fischbach haben ihre Reden zu Protokoll gegeben.1 Das wird ohne Widerspruch zur Kenntnis genommen. Wir kommen zur Abstimmung über den von den Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen eingebrachten Entwurf eines Jugendschutzgesetzes auf Drucksache 14/9013. Unter Nr. 1 seiner Beschlussempfehlung empfiehlt der Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend auf Drucksache 14/9410, den Gesetzentwurf in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung gegen die Stimmen der PDS-Fraktion bei Enthaltung der CDU/CSU- und der FDP-Fraktion angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit mit denselben Mehrheitsverhältnissen angenommen. Wir kommen nun zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen auf Drucksache 14/9458. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Gegenprobe! Enthaltungen? - Der Entschließungsantrag ist gegen die Stimmen der Fraktionen der CDU/CSU und der PDS angenommen. Wir kommen zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion der FDP auf Drucksache 14/9395. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Entschließungsantrag ist gegen die Stimmen der FDP-Fraktion bei Enthaltung der Fraktionen der CDU/CSU und der PDS abgelehnt. Wir kommen zur Abstimmung über den von den Abgeordneten Uta Titze-Stecher, Werner Lensing, Sylvia Voß, Hildebrecht Braun und weiteren Abgeordneten eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung des Gesetzes zum Schutze der Jugend in der Öffentlichkeit, Drucksache 14/8956. Der Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend empfiehlt unter Nr. 2 seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 14/9410, den Gesetzentwurf abzulehnen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung gegen die Stimmen der PDSFraktion abgelehnt. Damit entfällt nach unserer Geschäftsordnung die weitere Beratung. Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend auf 14/9410 zu dem Antrag der Fraktion der CDU/CSU mit dem Titel „Jugendschutz stärken“. Der Ausschuss empfiehlt unter Nr. 3 seiner Beschlussempfehlung, den Antrag auf Drucksache 14/9027 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist gegen die Stimmen der Fraktionen der CDU/CSU und der FDP angenommen. Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend auf Drucksache 14/6675. Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung, den Bericht der Bundesregierung über die Auswirkungen der jetzigen Fassung des § 3 des Gesetzes über die Verbreitung jugendgefährdender Schriften und Medieninhalte auf Drucksache 14/1105 zur Kenntnis zu nehmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? Die Beschlussempfehlung ist bei Enthaltung der FDPFraktion angenommen. Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung die Kenntnisnahme des Dritten Zwischenberichts der Enquete-Kommission auf Drucksache 13/11001 zum Thema Kinder- und Jugendschutz im Multimediazeitalter. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist einstimmig angenommen. Der Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend empfiehlt unter Buchstabe c seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 14/6675, einen Entschließungsantrag anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist gegen die Stimmen von CDU/CSU bei Enthaltung von FDP und PDS angenommen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 34 auf: - Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Regelung der Preisbindung bei Verlagserzeugnissen - Drucksache 6, 14/9239 ({11}) Vizepräsidentin Petra Bläss 1) Anlage 7 - Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Monika Griefahn, Hermann Bachmaier, Eckhardt Barthel ({12}), weiteren Abgeordneten und der Fraktion der SPD sowie den Abgeordneten Dr. Antje Vollmer, Kerstin Müller ({13}), Rezzo Schlauch und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Regelung der Preisbindung bei Verlagserzeugnissen - Drucksache 14/8854 ({14}) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Kultur und Medien ({15}) - Drucksache 14/9422 Berichterstattung: Abgeordnete Monika Griefahn Anton Pfeifer Hans-Joachim Otto ({16}) Auch zu diesem Tagesordnungspunkt haben alle Kol- leginnen und Kollegen ihre Reden zu Protokoll gegeben.1) Wir kommen deshalb zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf. Der Ausschuss für Kultur und Medien empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 14/9422, den Gesetzentwurf in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung einstimmig angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist mit den Stimmen des gesamten Hauses angenommen. Wir kommen zur Abstimmung über den von den Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen eingebrachten Gesetzentwurf zur Regelung der Preisbindung bei Verlagserzeugnissen, Drucksache 14/8854. Der Ausschuss für Kultur und Medien empfiehlt unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 14/9422, den Gesetzentwurf für erledigt zu erklären. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? Die Beschlussempfehlung ist einstimmig angenommen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 35 auf: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft ({17}) - zu dem Bericht des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung ({18}) gemäß § 56 a der Geschäftsordnung Technikfolgenabschätzung hier: Monitoring „Risikoabschätzung und Nachzulassungs-Monitoring transgener Pflanzen“ - zu dem Antrag der Abgeordneten Helmut Heiderich, Dr. Maria Böhmer, Peter Bleser, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/ CSU Zukunft für die „grüne“ Gentechnik - Drucksachen 14/5492, 14/6616, 14/8091 Berichterstattung: Abgeordnete Helmut Heiderich Heino Wiese ({19}) Auch hier haben alle Kolleginnen und Kollegen ihre Reden zu Protokoll gegeben.2) - Ich sehe Freude darüber im gesamten Haus. Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlussemp- fehlung des Ausschusses für Verbraucherschutz, Ernäh- rung und Landwirtschaft auf Drucksache 14/8091 zu dem Bericht gemäß § 56 a der Geschäftsordnung zu dem Thema „Risikoabschätzung und Nachzulassungs-Moni- toring transgener Pflanzen“. Der Ausschuss empfiehlt unter Nr. 1seiner Beschluss- empfehlung, den Bericht gemäß § 56 a der Geschäftsord- nung auf Drucksache 14/5492 zur Kenntnis zu nehmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegen- probe! - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist einstimmig angenommen. Unter Nr. 2 seiner Beschlussempfehlung empfiehlt der Ausschuss die Annahme einer Entschließung. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenprobe! - Enthal- tungen? - Die Beschlussempfehlung ist gegen die Stim- men von CDU/CSU und FDP bei Enthaltung der PDS- Fraktion angenommen. Unter Nr. 3 seiner Beschlussempfehlung auf Drucksa- che 14/8091 empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache 14/6616 zur Zukunft für die „grüne“ Gentechnik. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist gegen die Stimmen der Fraktionen von CDU/CSU und FDP ange- nommen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 36 a und 36 b auf: a) - Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über eine finanzielle Hilfe für Dopingopfer der DDR ({20}) - Drucksache 14/9028 ({21}) - Zweite und dritte Beratung des von den Abge- ordneten Klaus Riegert, Friedrich Bohl, Peter Vizepräsidentin Petra Bläss 1) Anlage 8 2) Anlage 9 Letzgus, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der CDU/CSU sowie dem Abgeordneten Dr. Klaus Kinkel und der Fraktion der FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über eine finanzielle Hilfe für Dopingopfer der DDR ({22}) - Drucksache 14/9022 ({23}) Beschlussempfehlung und Bericht des Sportausschusses ({24}) - Drucksache 14/9440 - Berichterstattung: Abgeordnete Dagmar Freitag b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Sportausschusses ({25}) zu dem Antrag der Abgeordneten Klaus Riegert, Norbert Barthle, Friedrich Bohl, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU Errichtung eines Fonds zur Unterstützung der Doping-Opfer der DDR - Drucksachen 14/5674, 14/9440 Berichterstattung: Abgeordnete Dagmar Freitag Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Erster Redner für die SPDFraktion ist der Kollege Friedhelm Julius Beucher.

Friedhelm Julius Beucher (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000168, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir verabschieden heute das Dopingopfer-Hilfegesetz. Nach diesem Gesetz werden wir den Opfern des staatlich verordneten Dopings in der ehemaligen DDR finanzielle Hilfen gewähren. Voraussetzung hierfür ist, dass ihnen ohne ihr Wissen oder gegen ihren Willen Dopingsubstanzen verabreicht wurden und es wahrscheinlich ist, dass sie deshalb erhebliche Gesundheitsschäden erlitten haben. Wir kommen mit der Verabschiedung dieses Gesetzes zum vorläufigen Ende eines Prozesses, der die Sportpolitik und die Öffentlichkeit insbesondere seit drei Jahren beschäftigt. ({0}) Zuvor hatte ich bereits als Mitglied des Untersuchungsausschusses „Kommerzielle Koordinierung“ - SchalckGolodkowski - anhand entsprechender Gutachten und Papiere Anfang der 90er-Jahre erfahren können, dass vor 1990 die ehemalige DDR offensichtlich versucht hatte, wirkungsvolle, aber in der DDR nicht erhältliche Dopingsubstanzen im Westen zu kaufen. Herr Schalck-Golodkowski sollte seinerzeit dabei behilflich sein. Das ist ein Indiz für uns, dass es ein staatliches Interesse daran gab, flächendeckend zu dopen. Es gab aber, wie Sporthistoriker bewiesen haben, nicht nur ein staatliches Interesse, sondern auch ein staatlich organisiertes Doping mit dem Ziel, in der Systemkonkurrenz zwischen Ost und West zu gewinnen. Natürlich ist auch in der alten Bundesrepublik gedopt worden. Der Tod von Birgit Dressel sei hier als sicherlich traurigstes Beispiel genannt. Das Doping war aber nicht staatlich verordnet, es war Ergebnis der Gewissenlosigkeit von Managern, Trainern und oft auch der Blauäugigkeit der Sportler selbst. Die Schadenersatzansprüche konnten hier - im Gegensatz zur ehemaligen DDR - auf zivilrechtlichem Wege geltend gemacht werden. Nach der Wiedervereinigung wurde in einer Reihe von Prozessen, vor allem in dem des Gewichthebers Roland Schmidt, deutlich, dass eine große Anzahl ehemaliger Sportlerinnen und Sportler der DDR teilweise sogar gravierende gesundheitliche Schäden durch die Einnahme von Dopingmitteln erlitten haben. Diese Prozesse haben jedoch auch zu dem für die Dopingopfer beklagenswertem Ergebnis geführt, dass Ansprüche gegen die Bundesrepublik Deutschland wegen der nicht gegebenen Rechtsnachfolgerschaft nicht bestehen. Insofern war es nach 1998 geboten, zu überlegen, ob den Dopingopfern auf andere Weise geholfen werden kann. 1999 wurde der Doping-Opfer-Hilfe-Verein in Weinheim gegründet. Leider war und ist die finanzielle Situation dieses Vereins alles andere als rosig. Deshalb hat der Sportausschuss den Vorsitzenden dieses Vereins, Herrn Dr. Zöllig, zu einer Ausschusssitzung im Oktober 2000 eingeladen. Gemeinsam wollten wir überlegen, wie den berechtigten Interessen der Dopingopfer besser Geltung verschafft werden kann. Leider blieben die Bemühungen der Sportpolitiker, die Finanzausstattung dieses Vereins nachhaltig zu verbessern, ohne größeren Erfolg. Insofern war es nachvollziehbar, dass ein Antrag in den Bundestag eingebracht wurde, mit dem die Bundesregierung aufgefordert werden sollte, den Doping-Opfer-Hilfe-Verein durch Einrichtung eines Fonds in die Lage zu versetzen, den durch Dopingsubstanzen geschädigten Sportlerinnen und Sportlern der ehemaligen DDR eine angemessene Hilfe zu geben. In der Debatte über diesen Antrag ist dann deutlich geworden, dass die Fraktionen der SPD, des Bündnisses 90/ Die Grünen, der CDU/CSU und der FDP eine gemeinsame Lösung in dieser Frage anstreben. Eine öffentliche Anhörung des Sportausschusses im Oktober 2001 hat die Diskussion über die finanziellen Hilfen vor allem in medizinischer und juristischer Sicht entscheidend vorangebracht. Die Aussagen und Hinweise der Sachverständigen flossen somit in die vorliegenden Gesetzentwürfe ein. Leider steckt der Teufel aber oft im Detail oder, anders gesagt, im Geld. Der von der Regierungskoalition eingebrachte Gesetzentwurf und der Gesetzentwurf der CDU/CSU und der FDP unterscheiden sich nämlich nur in einem Punkt, und zwar in der Frage, ob den Opfern ein Festbetrag in Höhe von 5 000 Euro gezahlt werden soll oder nicht. Die Regierungskoalition hält auch nach den über den Gesetzentwurf geführten Diskussionen an ihrer Auffassung fest, keinen Festbetrag im Gesetz vorzusehen. Das bedeutet jedoch nicht, dass sich die SPD-Fraktion im Falle von möglicherweise rund 1 000 AnspruchsVizepräsidentin Petra Bläss berechtigten nicht dafür einsetzt, die vom Bund bereitgestellte Summe in Höhe von 2 Millionen Euro zu erhöhen. Bevor der Bund jedoch weitere Mittel bereitstellt, sind die Sportorganisationen und die Wirtschaft, allen voran die Pharmaindustrie, gefordert, finanzielle Beiträge zu dem Fonds zu leisten. Für die Sportorganisationen und die Industrie gilt leider, dass sich die viel versprechenden Ankündigungen bisher nicht in klingender Münze niedergeschlagen haben. Ich halte es nicht für verantwortbar, den Dopingopfern einen Festbetrag in Höhe von 5 000 Euro zu zahlen, um nach den Anträgen von 400 Anspruchsberechtigten möglicherweise festzustellen, dass das Geld nicht reicht. Man kann immer nur das verteilen, was man hat. Leider hat sich diese Auffassung von verantwortlicher Haushaltspolitik noch nicht in allen Köpfen festgesetzt. Als Vorsitzender des Sportausschusses begrüße ich jedoch, dass sich vier Fraktionen auf eine gemeinsame Entschließung verständigen konnten. Wir halten es für erforderlich, uns von der künftigen Bundesregierung über die Erfahrungen mit dem Gesetzesvollzug berichten zu lassen, um auf der Grundlage dieses Berichtes prüfen zu können, ob weitere Hilfen noch erforderlich sind. Ich stelle an diesem Punkt der Debatte mit Zufriedenheit fest: Der Doping-Opfer-Hilfe-Verein begrüßt, dass es gelungen ist, in verhältnismäßig kurzer Zeit ein Gesetz auf den Weg zu bringen, das die gesundheitlichen Schäden anerkennt. Von Professor Dr. Franke, einem Wissenschaftler, der im Westen dafür bekannt ist, dass er für Dopingopfer eintritt, stammt ausweislich der „FAZ“ die Aussage: Wo ist in irgendeinem Land der Welt je ein Dopingopfer entschädigt worden? Dennoch gilt, dass man mit Geld körperliches Leid und seelischen Schaden sowieso nicht wieder gutmachen kann. An die Adresse der Opfer sage ich an dieser Stelle: Nehmen Sie das als einen Versuch an, Ihnen gegenüber mit den uns zur Verfügung stehenden Mitteln zum Ausdruck zu bringen, dass wir Ihnen helfen wollen. Zum Abschluss des gesamten Verfahrens sage ich allen Mitarbeitern des Bundesinnenministeriums, ohne deren Hilfe wir das Gesetz nicht so schnell hätten zur Abstimmung vorlegen können, einen sehr herzlichen Dank für die hervorragende Unterstützung. Ich denke, in diesem Punkt stimmen die vier Fraktionen, die das bereits im Sportausschuss so geäußert haben, auch hier im Hause überein. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. ({1})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Danke schön. Das Wort hat der Abgeordnete Klaus Riegert.

Klaus Riegert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001847, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Heute Nachmittag scheint der Nachmittag der Opposition zu sein. Die zur abschließenden Beratung anstehenden Gesetzentwürfe von CDU/CSU und FDP auf der einen Seite und der Koalitionsfraktionen auf der anderen Seite haben das gemeinsame Anliegen, Sportlerinnen und Sportlern zu helfen, die durch staatliches Zwangsdoping der ehemaligen DDR geschädigt wurden. Außerhalb jeglicher Rechtspflicht - der Vorsitzende des Sportausschusses hat es schon erklärt - wird aus humanitären, sozialen und moralischen Gründen anerkannt, dass Sportlerinnen und Sportler durch staatlich verordnetes Doping physisch und psychisch Schaden genommen haben. Die geschädigten Sportlerinnen und Sportler sind Opfer eines Systems, das durch sportliche Höchstleistungen internationales Ansehen erwerben wollte, das sozialistische Fehlleistungen durch sportliche Höchstleistungen vergessen machen wollte. Dafür war den in der ehemaligen DDR politisch Verantwortlichen jedes Mittel recht. ({0}) Spätestens seit der strafrechtlichen Aufarbeitung wissen wir, dass junge, talentierte Sportlerinnen und Sportler schon im Alter von zwölf oder 13 Jahren mit Dopingsubstanzen manipuliert wurden - ohne Rücksicht auf spätere Folgen. Wir wissen von der Kooperation des staatlich organisierten Sports mit der Pharmaindustrie, dass Substanzen zur Leistungssteigerung am Sportler direkt getestet wurden. Wir wissen wenig darüber, wie es um die Bereitschaft von Sportlerinnen und Sportlern stand, leistungsfördernde Substanzen wissentlich einzunehmen. Wir können heute nicht mit Sicherheit sagen, wer was wann mit oder ohne Wissen, gegen den Willen oder mit stillschweigendem Einverständnis eingenommen hat. Wir werden nicht mit absoluter Sicherheit den Nachweis des wissentlichen Dopings führen können. Es wäre aber grundsätzlich falsch, daraus zu folgern, dass daher keine Entschädigungen gezahlt werden dürften. Hier sind mit Sicherheit Menschen vorsätzlich manipuliert worden. ({1}) Ich möchte an dieser Stelle auch dem Bundesministerium des Innern für die zügige Erarbeitung der Formulierungshilfen danken. Diese Formulierungshilfen ermöglichen unbürokratische Lösungen und berücksichtigen die damalige und heutige Situation der Sportler angemessen. Die geschädigten Sportlerinnen und Sportler sind Mahnung und Aufforderung zugleich, Doping jeglicher Art im Spitzen-, Breiten- und Freizeitsport massiv zu bekämpfen. ({2}) Es ist eine Mahnung, weil sichtbar wird, welche Schäden durch Manipulationen hervorgerufen werden können. Es ist eine Mahnung, dass sportliche Höchstleistungen nicht um jeden Preis erstrebenswert sind - weder zur persönlichen Reputation oder zum Gewinnstreben noch zur staatlichen Repräsentation. Es ist eine Aufforderung, in dem Kampf nicht nachzulassen, die Prävention zu verstärken, die Kontrollen zu verbessern und Vergehen stärker und einheitlich zu sanktionieren. Wer in diesem Zusammenhang die Forderung nach Legalisierung so genannter weicher Drogen stellt, der verharmlost die Gefahren und ebnet den Weg für Drogen- und Dopingmissbrauch. ({3}) Die vorliegenden Gesetzentwürfe von CDU/CSU und FDP und der Koalition unterscheiden sich in einem ganz entscheidendem Punkt: CDU/CSU und FDP wollen eine schnelle Hilfe und zügige Auszahlung der Entschädigungen. Wir wollen, dass die anerkannten Opfer eine Einmalzahlung von 5 000 Euro erhalten, unabhängig von der Fondshöhe. Das gibt Sicherheit. Sport und Wirtschaft, insbesondere die pharmazeutische Industrie, müssen sich Gedanken machen, wie sie ihrer moralischen Verpflichtung und Verantwortung gerecht werden. Mit Freude haben wir registriert, dass der Deutsche Sportbund eine Benefizgala zugunsten der Opfer durchführen will. Meine Damen und Herren, den von den Koalitionsfraktionen vorgesehenen Weg halten wir für unangemessen für die Betroffenen. Es ist nicht gut, die Höhe der Entschädigung von der Anzahl der Opfer abhängig zu machen. Im Klartext bedeutete dies: Melden sich wenige Opfer, erhält der Einzelne mehr; melden sich viele, bekommt der Einzelne weniger. Soll dies die Opfer animieren, ihr Wissen nicht an andere Opfer weiterzugeben? ({4}) Sie wollen zunächst einen Abschlag zahlen. Dieser kann nur gering sein, da Sie die Anzahl der Betroffenen nicht kennen. Die Restzahlungen können Sie erst vornehmen, wenn nach einem möglichen Klageweg die endgültige Zahl der Opfer feststeht. Soll es dann eine zweite Abschlagszahlung und eine dritte, endgültige Zahlung geben? Halten Sie dieses Verfahren für würdig? - Nein, liebe Kolleginnen und Kollegen, dies können und wollen wir den Opfern nicht zumuten. ({5}) Deshalb fordere ich Sie noch einmal auf: Stimmen Sie unserem Gesetzentwurf zu, jedem anerkannten Dopingopfer sofort 5 000 Euro zu zahlen! Unsere Positionen in den Beratungen lagen in der Tat dicht beieinander. Sportpolitiker und Haushaltspolitiker von Bündnis 90/Die Grünen gaben klar zu verstehen, dass sie unseren Gesetzentwurf präferieren. Selbst Sportpolitiker der SPD sehen in unserem Gesetzentwurf die bessere Alternative. ({6}) Wir bedauern, wenn die Koalition nur die für die Betroffenen zweitbeste Lösung zulässt. Das Dopingopfer-Hilfegesetz eignet sich nicht für parteipolitische Scharmützel. Bundestagspräsident Thierse sieht das offensichtlich anders. Angesprochen auf die Dopingopferhilfe, war seine erste Reaktion in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ im Mai 2002: Nicht die Regierung Kohl, sondern die SPD habe sich der Sache angenommen. Der Herr Bundestagspräsident irrt. Ist Herr Thierse falsch informiert? ({7}) Es wäre wirklich beschämend, wenn er die Opfer für parteipolitische Auseinandersetzungen instrumentalisierte. Das Ausmaß des systematischen Zwangsdopings ist insbesondere bei der strafrechtlichen Aufarbeitung Ende der 90er-Jahre offenkundig geworden. Die CDU/ CSU-Bundestagsfraktion war die einzige, die aktiv geworden ist. ({8}) Ich kann Ihnen sagen, was die SPD von 1990 bis 1998 in der Opposition für die Dopingopfer getan hat: nichts. Was hat die SPD in der Regierungsverantwortung ab 1998 getan? - Nichts. Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion war es, die dieses Thema in der laufenden Legislaturperiode aufgegriffen hat, nicht die Koalition. Die SPD hat diesen Antrag unserer Fraktion in allen Ausschüssen abgelehnt. Erst im Haushaltsausschuss haben Sie die Notbremse gezogen und den von uns geforderten Fonds eingerichtet. So sind die Tatsachen. Diesen Erfolg im Haushaltsausschuss reklamiert der Kollege Hermann für sich. Wenn es so war, gebührt ihm Dank und Anerkennung, dass er unserer Initiative letztendlich zum Erfolg verholfen hat. ({9}) Meine Damen und Herren, der Gesetzentwurf und dessen Umsetzung bedeuten keinen Schlussstrich unter die Behandlung dieses Themas. Unser gemeinsamer Entschließungsantrag macht deutlich: Wir werden uns auch in der kommenden Legislaturperiode mit dem Thema auseinander setzen. Wir müssen prüfen, inwieweit es so schwere gesundheitliche Schädigungen gibt, dass mehr als die jetzt vorgesehene Entschädigung geleistet werden muss, und welche Hilfeleistungen dann erforderlich sind. Ich betone ausdrücklich: Nicht nur der Staat, sondern auch der Sport und die Wirtschaft sind gefordert. ({10}) Forschung und Wissenschaft müssen sich dieses Themas verstärkt annehmen. Wir müssen mehr wissen, um zukünftig Manipulationen im Ansatz ersticken zu können. Wir begrüßen, dass in der Sache fraktionsübergreifend Übereinstimmung besteht. Sie sollte sich zugunsten der Opfer auswirken. Auf die Hilfe für die Opfer kommt es letztlich an. ({11})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Winfried Hermann.

Winfried Hermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003147, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Auch ich möchte meine Rede damit beginnen, einen kurzen Rückblick auf das System der Sportpraxis in der ehemaligen DDR zu halten. Das System erscheint im Rückblick erschreckend ambivalent, weil es in der DDR auf der einen Seite sportliche Höchstleistungen gab, die durch den heute vorliegenden Gesetzentwurf auch nicht in jedem Fall infrage gestellt werden, aber auf der anderen Seite deutlich geworden ist, dass viele dieser Erfolge nur möglich waren, weil es ein ganz konsequent geplantes Dopingsystem zur Förderung von Höchstleistungen gab, nicht bei allen und auch nicht in jeder Entwicklungsphase, aber in einer bestimmten Phase sehr wohl. Es war ein systematisches Dopen von ganzen Generationen von Sportlern, zum Teil von lokalen Funktionären unterstützt, wissentlich betrieben von Ärzten, Wissenschaftlern und Trainern. Auch manche Sportler waren beteiligt, aber eben nur manche; die überwiegend große Zahl vor allem der jugendlichen Sportlerinnen und Sportler waren wohl unwissentliche Opfer. Um diese Opfer geht es heute. Ich glaube, dass dieses System des DDR-Sports in seiner Ausprägung in besonderer Weise inhuman war, weil es die Zukunft der Jugendlichen und ihren möglichen Werdegang überhaupt nicht bedacht hat, weil es keine Rücksicht auf Mensch und Gesundheit genommen hat. Eigentlich ist das zutiefst unsportlich, denn mit diesem Dopingsystem werden Grundwerte des Sports, nämlich Fairness und Gesundheit, bekämpft und untergraben. Das ist eine verheerende, fatale Geschichte. ({0}) Die Ambivalenz der Geschichte des Sports finden wir bei der Aufklärung des Dopingsystems wieder. Heute sind wir - auch das ist fatal - bei der Aufklärung dessen, wie das alles funktioniert hat und wer wie viel bekommen hat, auf die Quellen der Stasi angewiesen, die damals dazu beigetragen hat, dass dieses System lange Zeit, über viele Jahre, geheim geblieben ist, dass es überhaupt funktioniert hat. Heute reklamieren gerade die Opfer zu Recht den Zugang zu diesen Akten, weil sie nicht ein zweites Mal um ihr Wissen gebracht werden dürfen; nur diese Akten helfen ihnen weiter, herauszufinden, was mit ihren jugendlichen Körpern geschehen ist, um nachvollziehen zu können, welche Schäden von heute auf was zurückzuführen sind. Hinsichtlich der Aufklärung der Auswirkungen dieses Systems haben wir einigen Menschen zu danken. Aus meiner Sicht haben Brigitte Berendonk und Klaus Franke - sie waren nicht die Einzigen - mutig gehandelt. Sie haben Akten gesichtet und wesentlich dazu beigetragen, dass dieses System aufgedeckt wurde. Danken möchte ich auch den Journalisten, die immer wieder nachgebohrt haben, und nicht zuletzt den betroffenen Sportlerinnen und Sportlern, die in Prozessen mutig aufgestanden sind, über ihr Leid gesprochen und Dinge ausgesprochen haben, mit denen sie sich vielleicht selber geschadet haben. Nur dadurch war es überhaupt möglich, über das sprechen zu können, worüber heute mit diesem Gesetz zu befinden ist. Im System der DDR wurden Sportler sozusagen zielgerichtet zu Siegern ausgebildet. Oftmals sind dadurch Opfer „produziert“ worden. Viele Sportlerinnen und Sportler und zum Teil auch deren Kinder wissen ein trauriges Lied davon zu singen. Wir haben mit diesem Gesetzentwurf diesen lange verdrängten Vorgang aufgegriffen und werden ihn jetzt einer Lösung zuführen. Ich will ganz deutlich sagen: Es wäre nicht notwendig gewesen, dass die Bundesrepublik Deutschland hierzu ein Gesetz verabschiedet; denn juristisch ist völlig klar, dass die Bundesrepublik Deutschland nicht Rechtsnachfolger des DDR-Sportsystems ist. Es gibt also keine Verpflichtung zu einem Gesetz. Wir hätten sagen können: Das ist zwar schade, aber wir müssen da nichts tun, denn wir sind dafür nicht verantwortlich. Wir haben nicht so gedacht, sondern bewusst Verantwortung übernommen und nun einen Gesetzentwurf vorgelegt, der heute glücklicherweise verabschiedet werden kann. Dieser Gesetzentwurf stellt eine unbürokratische Hilfe dar, keine wirkliche Entschädigung. Es kann nicht wirklich angemessen entschädigt werden, was da geschehen ist. Der Gesetzentwurf bedeutet ein Stück weit die Übernahme von Verantwortung aus humanen Gründen durch die Bundesrepublik Deutschland. Es ist eine gewisse Anerkennung der Folgen des Dopings, mehr nicht. Ich würde micht freuen, wenn aus der Wirtschaft und von den Organisationen des Sports eine entsprechende Anerkennung käme, die sich auch in finanzieller Beteiligung niederschlägt. Es gab den Versuch einer einheitlichen Lösung; der Kollege Riegert hat es angesprochen. Ich selber habe, wie Sie wissen, lange dafür gekämpft, dass wir einen gemeinsamen Gesetzentwurf zustande bekommen. Jetzt gibt es zwar zwei; aber sie sind fast identisch. Nur in einem Punkt konnten wir uns nicht verständigen. Herr Kollege Riegert, ich möchte an dieser Stelle nicht mehr auf den Verlauf der Entscheidung eingehen, darauf, wer was geleistet hat. Lassen Sie mich aber salomonisch sagen: Manchmal wird man erst in der Opposition einsichtig und weise ({1}) und manchmal ist es in Koalitionen so, dass das größere Gewicht des Partners und nicht die besseren Argumente des kleineren Partners ausschlaggebend sind. Mit diesem Gesetz geben wir keine endgültige Antwort auf die bestehenden Probleme. Ich bin froh, dass wir zusätzlich einen Antrag aller Fraktionen verabschiedet haben, in dem wir deutlich machen: Der nächste Bundestag muss sich mit dieser Angelegenheit nochmals beschäftigen. Er muss prüfen, ob das Gesetz das erreicht hat, was wir wollten, und ob es nicht noch andere Opfer gibt, die keine Hilfe finden und vielleicht Hilfe benötigen. Das sollte eine Verpflichtung für den neuen Bundestag sein. Gestatten Sie mir noch ein Wort an die Betroffenen, an die Opfer: Manche haben sich zunächst sehr kritisch geäußert, als der Gesetzentwurf vorgelegt wurde. Jetzt hört man versöhnliche Töne, weil sie erkannt haben, dass gemessen an dem, was vorher nicht geschehen ist, und an der Tatsache, dass die Einhaltung von Versprechungen ziemlich unsicher ist, eine sehr vernünftige Lösung zustande gekommen ist. Viele sehen, dass dies eine zumindest akzeptable, wenn auch nicht vollkommen befriedigende Lösung für die Probleme der Dopingopfer ist. Lassen Sie mich zum Schluss feststellen: Dieser Gesetzentwurf ist für uns Sportpolitiker die Verpflichtung, dafür zu sorgen, dass es nie wieder solche Opfer gibt und wir nie wieder solche Gesetze machen müssen. Vielen Dank. ({2})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt der Herr Abgeordnete Klaus Kinkel.

Dr. Klaus Kinkel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002696, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das systematische staatliche Doping - ich würde es eigentlich Zwangsdoping nennen gehört zu den schlimmen Hinterlassenschaften der früheren DDR; da besteht kein Zweifel. Mehr als ein Jahrzehnt nach dem Fall der Mauer ist es höchste Zeit, dass sich das wiedervereinigte Deutschland dem Schicksal der Dopingopfer annimmt. Im Übrigen habe ich, was die Rechtsfrage anbelangt, eine etwas andere Meinung als die nicht absolut höchstrichterliche Entscheidung, die in diesem Zusammenhang getroffen worden ist; das habe ich im Ausschuss immer wieder gesagt. Ich glaube schon, dass der Staat eine Verpflichtung hat. Das Unrecht, das den Betroffenen von ihrem Staat angetan wurde, das Leid, das ihnen physisch und psychisch zugefügt wurde, die Schäden, die sie davon getragen haben, das alles kann im Grunde nur schwer - wenn überhaupt - wieder gutgemacht werden. Dafür kann im engeren Sinne des Wortes kaum eine Entschädigung geleistet werden. ({0}) Die meist schon im Kindesalter - das ist besonders schlimm - zwangsgedopten DDR-Leistungssportler können und müssen rehabilitiert werden. Ihnen wurde Unrecht getan und sie sind im Übrigen keine Dopingtäter, sondern Dopingopfer. Das muss anerkannt werden und den Opfern muss geholfen werden; da waren wir uns einig. Darauf zielt das Gesetz, das wir heute endlich zustande bringen werden. Mit diesem Gesetz werden vom Bund 2 Millionen Euro für einen Dopingopferhilfefonds zur Verfügung gestellt. Das ist zwar weiß Gott nicht viel; darüber haben wir lange gestritten. Denn die Zahl der potenziell anspruchsberechtigten Dopingopfer wird auf bis zu 1 000 geschätzt. Aber es ist ein wichtiger Schritt in Richtung Rehabilitation, Anerkennung geschehenen Unrechts und konkrete Hilfe. ({1}) Es wäre natürlich wichtig - das ist bereits angedeutet worden - dass der Hilfsfonds, der eingerichtet werden soll, zusätzlich durch Sportverbände und die Wirtschaft unterstützt wird. Ich freue mich, dass hier offensichtlich, wie es Herr Riegert sagte, ein erster Ansatz besteht. Dies ist aber zu wenig. Denn sie alle haben mächtig mitgetönt und angedeutet, dass Unterstützung komme. Bisher ist nichts geschehen. Ich appelliere von diesem Pult aus an die Betroffenen, zu versuchen, etwas Konkretes beizutragen. ({2}) Die Dopingopfer haben im Vorfeld das, was jetzt gesetzlich festgelegt wird, nicht begrüßt und es zum Teil heftig kritisiert. Ich teile die Meinung von Herrn Hermann, dass jetzt in dieser Hinsicht eine Gott sei Dank etwas versöhnlichere Stimmung besteht. Man hatte uns vorgeworfen - ich sage bewusst: uns -, da finde eine Art Freikauf statt. Ich glaube, so kann man das nicht nennen. Auch deshalb ist der fraktionsübergreifende Entschließungsantrag so wichtig; denn er belegt, dass wir hier keinen absoluten Schlussstrich ziehen, sondern uns darüber durchaus noch unterhalten wollen. Es ist gut, dass der Deutsche Bundestag heute dieses Gesetz und den Entschließungsantrag verabschieden wird. Es bleibt aber ein Wermutstropfen; das ist bereits mehrfach angedeutet worden: Die FDP war gemeinsam mit der Union der Meinung, das ein Festbetrag von 5 000 Euro pro Opfer in den Gesetzentwurf aufgenommen werden sollte. Auch wenn die genaue Zahl der Anspruchsberechtigten noch nicht feststeht, wäre jeder Betrag unterhalb dieser ohnehin mehr symbolischen Summe lächerlich. Das will ich einmal so deutlich sagen. Lächerlich erscheint mir auch, dass wir um den Betrag feilschen mussten. Die Knute des Finanzministers war offensichtlich so massiv, dass seitens der SPD-Fraktion Bedenken bestanden, sich unserem Vorschlag anzuschließen. Ich halte das für ein bisschen kleinlich und dem Problem nicht angemessen. ({3}) Wenn man sich vorstellt, für welche Dinge 2 Millionen Euro im Bundeshaushalt ausgegeben werden, kann man darüber ein wenig lachen. Die Grünen haben bis zum Schluss mächtig gekämpft. Herr Hermann, Sie sind ein großer Kämpfer vor dem Herrn; das will ich Ihnen gerne bescheinigen. Aber leider Gottes - man muss es so sagen - mussten Sie zum Schluss nachgeben. Das tut mir Leid für Sie, weil Sie in dieser Angelegenheit immer sehr engagiert waren. Sie haben in der Sache geholfen und dazu beigetragen, den Gesetzentwurf vorwärts zu bringen. Die FDP-Fraktion begrüßt dieses Gesetz. Im Grunde sind wir mit dem Tenor und den Formulierungen einverstanden - das habe ich immer wieder gesagt -, bis auf einen, für uns allerdings sehr wichtigen Punkt: Wir wollen einen Festbetrag. Deshalb werden wir dem Gesetzentwurf nicht zustimmen, sondern uns der Stimme enthalten. Wir werden aber dem Entschließungsantrag zustimmen in der Hoffnung, dass das, was wir uns gemeinsam vorgenommen haben, in der nächsten Legislaturperiode in die Praxis umgesetzt wird. Vielen Dank. ({4})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Täve Schur.

Gustav Adolf Schur (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003233, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte zu dieser Thematik eigentlich ein bisschen mehr sagen, als es mir in den drei Minuten - ich habe die kürzeste Redezeit erhalten möglich ist. Mir bleibt also nichts weiter übrig, als mich kurz zu fassen. Die uns vorliegenden Gesetzentwürfe sind hinreichend bekannt, die öffentliche Debatte wurde ausgiebig geführt. Im Sportausschuss haben wir das Für und Wider sachlich erörtert. Die Planungszeit für diesen Gesetzentwurf reicht beim besten Willen nicht aus, bisher ungeklärte Fragen heute und hier zu klären. Ich beschränke mich daher auf einige Feststellungen, die mir belangvoll erscheinen. Die PDS war vom ersten Tag an für diesen Gesetzentwurf, wenn er denn vom Bodensee bis zum Stralsunder Bodden gilt. ({0}) Das Argument, dass man im Rechtsstaat der alten Bundesrepublik Deutschland alle Möglichkeiten hatte, sich gegen Dopingschäden zur Wehr zu setzen, ist lückenhaft. Wer sich dafür interessiert, sollte die Akten - Herr Beucher hat das schon angeführt - der durch Doping auf schlimme Weise zu Tode gekommenen Siebenkämpferin Birgit Dressel lesen! Dann wird man wohl darauf verzichten, die Gesetzentwürfe logisch zu nennen. Jeder weiß, dass in West und Ost und in Nord und Süd gedopt wurde und auch heute noch gedopt wird, weil wir es einfach nicht in den Griff kriegen. Wem das entfallen oder nicht mehr gegenwärtig sein sollte, empfehle ich nachdrücklich die Lektüre des Protokolls zur Befragung des Herrn Parlamentarischen Staatssekretärs von Schoeler am 17. März 1977 im Deutschen Bundestag bzw. der öffentlichen Anhörung im Sportausschuss vom 28. September 1977. Nun der untergegangenen DDR die Alleinschuld aufbürden zu wollen beruhigt vielleicht einige Gemüter, ist aber mit gutem Gewissen nicht zu vertreten. Obendrein: In diesem Hohen Hause wird pausenlos und mit vollem Recht dafür plädiert, die Gräben zwischen Ost und West nicht zu vertiefen. Die Gesetzentwürfe in vorliegender Form könnten den Verdacht aufkommen lassen, dass diese Sorge nicht beschworen wird, wenn es darum geht, Plädoyers gegen die DDR und ihre Athleten zu halten. Ein renommierter Sportjournalist warnte im Zusammenhang mit den Gesetzentwürfen vor den Trittbrettfahrern. Man kann ihm nur zustimmen. Abschließend möchte ich sagen: Wir sind für ein Dopingopfer-Hilfegesetz entsprechend der Grundgesetzforderung, dass vor dem Gesetz alle Menschen gleich sein sollen. Wir wollen ein Dopingopfer-Hilfegesetz, das nachweislich geschädigten Sportlerinnen und Sportlern aus ganz Deutschland Entschädigungen sichern wird. Mit den vorliegenden Gesetzentwürfen wird das ausgeschlossen. Deshalb stimme ich dagegen. Meines Wissens nach werden sich viele aus meiner Fraktion der Stimme enthalten. Kürzlich gab es eine Anhörung im Sportausschuss. Experten haben uns gesagt, dass in Deutschland gegenwärtig etwa zwischen 150 000 und 200 000 Jugendliche in Fitnesscentern Anabolika zu sich nehmen. Es ist schon betrüblich, dass wir diese Sache nicht in Angriff nehmen. Wir werden sie wahrscheinlich auch nicht in den Griff bekommen. Ich wollte nur darauf aufmerksam machen, wie stark diese schlimme Sache in unserer Gesellschaft Fuß gefasst hat. Wirken wir dem entgegen! Ich bedanke mich. ({1})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Eine Kurzintervention des Kollegen Riegert.

Klaus Riegert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001847, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Lieber Sportfreund Täve Schur, ich habe es bereits im Sportausschuss erklärt: Der Unterschied ergibt sich einfach daraus, dass es im Osten ein staatlich verordnetes Doping und einen Staat gab, der im juristischen Sinne keinen Rechtsnachfolger hat, während Dopingopfer im Westen auch heute noch gegen ihren Verband, ihren Trainer, ihre Eltern und jeden, der sie geschädigt hat, klagen und ihre Rechte juristisch durchsetzen können. Genau das ist der Unterschied. Deshalb muss der Bundestag ein Gesetz vorlegen, auf das sich alle Dopingopfer berufen können. Den Dopingopfern im Westen stehen bereits heute sämtliche juristischen Möglichkeiten offen und sie können mit Schadensersatzklagen reagieren. ({0})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Herr Schur, bitte.

Gustav Adolf Schur (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003233, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Kollege Riegert, das sehe ich ein. Es geht aber um die Menschen. Wenn wir die Zahlen von Sportlerinnen und Sportlern wüssten, die durch Doping argen Schaden erlitten haben, dann würden wir uns überlegen, ob wir ein solches auf Moral begründetes Gesetz machen sollen. Wissen Sie: Einer der Experten, Professor Rietbrock, hat ausgeführt, dass ein Schaden aus den damals gebräuchlichen Dosierungen kaum abzuleiten ist. Deswegen meine ich: Wir gehen hier nicht nach Recht und Gesetz vor. Ich bin nun einmal für Recht und Gesetz und deswegen dagegen, dass wir so verfahren. Wir müssen jetzt für alle Menschen in Deutschland Sorge tragen. Deshalb habe ich auch kurz zum Ausdruck bringen wollen, was gegenwärtig mit unseren Jugendlichen in den Fitnesscentern geschieht. Wollen wir sie sitzen lassen? Das ist die gleiche Situation. Hier müssten wir sofort ein Gesetz beschließen, um denjenigen zu helfen, die sich mit Anabolika dopen. Es fällt doch auf uns selbst zurück: Unsere Pharmaindustrie produziert pro Jahr 6 Tonnen davon; das wissen Sie auch. Zu medizinischen Zwecken brauchen wir in Deutschland jedoch nur 400 bis 500 Kilogramm. Wo bleibt der Rest? Wo sind die Löcher? Es wäre schon angezeigt, dass wir uns auch um die anderen kümmern und nicht im Sinne von Siegerjustiz verfahren. So empfinde ich jedenfalls das, was wir heute tun. Entschuldigen Sie, aber so sehe ich die Situation. Vielen Dank. ({0})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Peter Danckert.

Dr. Peter Danckert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003066, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Mit dem heutigen Gesetzentwurf über eine finanzielle Hilfe für die Dopingopfer wird ein weiteres Kapitel geschrieben. Nachdem die strafrechtliche Seite abgeschlossen ist und die Täter verurteilt worden sind - jedenfalls weitgehend, die Beweislage war nicht immer ganz einfach -, nachdem die gesellschaftliche Diskussion geführt worden ist, wenden wir uns, wie leider so oft, erst sehr spät den Opfern zu. Herr Kollege Riegert, es macht überhaupt keinen Sinn, sich darüber zu streiten, wer das Erstgeburtsrecht an dieser Initiative hat. ({0}) Es macht überhaupt keinen Sinn, sich vorzurechnen, wer was bis 1998 hätte machen können und nicht getan hat. Fakt ist - darüber bin ich ganz froh -, dass wir heute fraktionsübergreifend ähnliche Gesetzentwürfe auf den Tisch gelegt haben. Auch wir sind daran interessiert, dass dieses Thema in einem ersten Schritt geregelt wird, damit wir hier ein Zeichen setzen und die Opfer nicht so lange warten lassen, dass sie von dieser Hilfe möglicherweise gar nichts mehr haben. Deshalb sind diese beiden Initiativen, die sich nur in Nuancen, in der Frage des Festbetrages, unterscheiden, ein wichtiger Schritt. Hinsichtlich des Festbetrages kann man unterschiedlicher Meinung sein, das gebe ich Ihnen zu. Die SPD-Fraktion hat sich nun einmal für einen Pauschalbetrag ausgesprochen. Wir werden sehen, wie viele Opfer Ansprüche stellen und welcher Betrag am Schluss herauskommt, wobei auch ich meine, dass es kein Bagatellbetrag sein darf. Sollte der Betrag weit unter dem liegen, was Ihnen als Festbetrag vorschwebt, dann müssen wir sehen, ob wir in dieser Frage einen weiteren Schritt gehen. Auch mich haben die öffentliche Diskussion sowie die Art und Weise beunruhigt - das ist hier schon zum Ausdruck gebracht worden -, wie einige der Opfer auf diese Initiative des Parlaments reagiert hatten. Das Parlament hat sich hier fraktionenübergreifend durchgesetzt - mehr möchte ich an dieser Stelle dazu nicht sagen - und einen ersten wichtigen Schritt gemacht. Die Hilfe, die hier angeboten werden soll, als Schweigegeld oder als Wurststulle zu bezeichnen, empfinde ich als wirklich peinlich. Nun ist die öffentliche Reaktion allerdings etwas moderater geworden; aber sie trägt der Problematik immer noch nicht Rechnung. Wir bewegen uns hier in einer sehr komplizierten rechtlichen Materie. Wir erwarten von den Opfern keinen Nachweis bis ins letzte Detail, sondern begnügen uns mit einer Wahrscheinlichkeit. Lassen wir die Entschädigungszahlungen auf Wahrscheinlichkeiten basieren, dann kann man an dieser Stelle eben nicht sehr viel mehr tun. Ansonsten wäre ein sehr mühsamer Prozess notwendig. Lebenslängliche Rentenzahlungen erfordern einen ganz anderen Nachweis. ({1}) Auf diesen Nachweis wollen wir im Interesse der Opfer und ihrer Angehörigen verzichten. Das Gesetz sieht eine Öffnung des Hilfsfonds für andere Beteiligte vor. Ich wünsche mir sehr, dass sich Sportorganisationen wie NOK und DSB ebenfalls an diesem Fonds beteiligen. Sie sind herzlich eingeladen. Bedauerlicherweise sind sie bisher in dieser Frage aber sehr zurückhaltend. ({2}) Die Wirtschaft ist hier genauso gefragt. In der Nachfolge der früheren Dopingmittelhersteller stehen heute zum Teil große Konzerne, die wenn nicht eine rechtliche Verantwortung, so doch eine moralische Verantwortung in dieser Frage haben. Meine herzliche Bitte ist, dass sie sich hier ebenfalls beteiligen. Auf diesem Wege wäre sichergestellt, dass der Entschädigungsbetrag höher werden kann. ({3}) Ich fordere also von dieser Stelle aus öffentlich dazu auf, sich zu beteiligen. Als positiv empfinde ich es, dass wir in einem gemeinsamen Entschließungsantrag den Willen des Parlaments deutlich machen, dass es sich hier um einen ersten Schritt handelt und dass wir abwarten wollen, wie sich diese erste Maßnahme zugunsten der Opfer auswirkt. Noch ein Wort an unseren Sportsfreund Täve Schur: Der Versuch, eine gesamtdeutsche Lösung zu finden, geht an der zentralen Frage vorbei. Im Westen gab es zwar auch Sportler, die gedopt waren; sie haben es aber in der Regel selber zu verantworten gehabt. Ich kenne kaum jemanden, der gegen seinen Willen oder ohne sein Wissen gedopt worden ist. Das ist doch das Entscheidende. In der DDR waren die Opfer zum großen Teil minderjährige Kindern, die im Interesse des Sports schwerst missbraucht wurden. ({4}) Lieber Sportsfreund Täve Schur, ich hätte es sehr begrüßt, wenn auch Ihre Fraktion sich an dieser Stelle zu ihrer Verantwortung bekannt hätte und nicht versucht hätte, auszuweichen und eine gesamtdeutsche Lösung herbeizuführen, die aus sachlichen Gründen überhaupt nicht gerechtfertigt ist. ({5}) Aber wir lernen ja. Da wir uns sonst sehr schätzen, will ich das hier nicht über Gebühr geißeln. Es wäre schön gewesen, wenn das Parlament sich insgesamt zumindest in dem Entschließungsantrag zusammengefunden hätte. So sind wir uns in der Sache, wie ich meine, sehr nahe gewesen. Ich denke, das war ein erster Schritt, und ich vermute, dass wir in der 15. Legislaturperiode dieses Thema wieder behandeln werden und dann vielleicht noch einen weiteren Schritt zugunsten der Opfer tun können. Vielen Dank. ({6})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Ich schließe damit die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den von den Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen eingebrachten Gesetzentwurf über eine finanzielle Hilfe für die Dopingopfer der DDR. Der Sportausschuss empfiehlt unter Nr. 1 seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 14/9440, den Gesetzentwurf in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung angenommen worden mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen drei Stimmen aus der PDS bei Enthaltung der übrigen Abgeordneten der PDS, von CDU/CSU und FDP. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in dritter Lesung mit dem eben festgestellten Stimmenverhältnis angenommen worden. Abstimmung über den von den Fraktionen der CDU/CSU und der FDP eingebrachten Gesetzentwurf über eine finanzielle Hilfe für Dopingopfer der DDR. Unter Nr. 2 seiner Beschlussempfehlung empfiehlt der Sportausschuss, den Gesetzentwurf abzulehnen. Ich bitte diejenigen, die diesem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung abgelehnt worden mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der PDS gegen die Stimmen von CDU/CSU und FDP. Damit entfällt nach unserer Geschäftsordnung die weitere Beratung. Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Sportausschusses auf Drucksache 14/9440 zu dem Antrag der Fraktion der CDU/CSU mit dem Titel „Errichtung eines Fonds zur Unterstützung der Doping-Opfer der DDR“. Der Ausschuss empfiehlt unter Nr. 3 seiner Beschlussempfehlung, den Antrag für erledigt zu erklären. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist einstimmig angenommen worden. Der Sportausschuss empfiehlt unter Nr. 4 seiner Beschlussempfehlung, eine Entschließung anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist angenommen worden mit den Stimmen des ganzen Hauses gegen drei Stimmen aus der PDS bei Enthaltung der übrigen Abgeordneten der PDS. Ich rufe Tagesordnungspunkt 38 auf: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Einführung einer kapitalgedeckten Hüttenknappschaftlichen Zusatzversicherung und zur Änderung anderer Gesetze ({0}) - Drucksache 14/9007 ({1}) a) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung ({2}) - Drucksache 14/9442 - Berichterstattung: Abgeordneter Wolfgang Meckelburg b) Bericht des Haushaltsausschusses ({3}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung - Drucksache 14/9445 - Berichterstattung: Abgeordnete Dr. Konstanze Wegner Susanne Jaffke Antje Hermenau Dr. Günter Rexrodt Die Abgeordneten Lotz, Laumann, Dückert, Kolb und Maier bitten darum, ihre Reden zu Protokoll geben zu dür- fen1). Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Wir kommen deshalb gleich zur Abstimmung. Der Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung empfiehlt in sei- ner Beschlussempfehlung auf Drucksache 14/9442, den Gesetzentwurf in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschuss- fassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Ge- genstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung angenommen worden mit den Stimmen des ganzen Hauses gegen die Stimmen der FDP. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die zustim- men wollen, sich zu erheben. - Gegenstimmen? - Gibt es Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in dritter Beratung mit dem gleichen Stimmverhältnis wie eben an- genommen worden. Ich rufe den Zusatzpunkt 21 auf: Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion der PDS Haltung der Bundesregierung zu dem am 6. Juni 2002 vorgestellten Friedensgutachten der fünf führenden Friedensforschungsinsti- tute 1) Anlage 10 Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat zunächst der Abgeordnete Wolfgang Gehrcke.

Wolfgang Gehrcke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003130, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das am 6. Juni 2002 vorgestellte Friedensgutachten der fünf führenden Friedensforschungsinstitute sollte meines Erachtens im Bundestag eine ebensolche Bedeutung bekommen wie das jährliche Gutachten der Wirtschaftsweisen. Deshalb diese Aktuelle Stunde. Irgendwann muss man damit beginnen: Warum nicht heute? Künftig, so meine ich, sollten wir uns jährlich mit diesem Friedensgutachten auseinander setzen. Das vorliegende Friedensgutachten ist bestechend überparteilich und streitbar in seinen Analysen. Viele, vielleicht die Mehrheit der Positionen teile ich, zu einigen habe ich erheblichen Widerspruch. Gerade das macht die Debatte interessant. Das Gutachten ist toleranter gegenüber der Bundesregierung, als ich es für angemessen halte. Vielleicht macht es dies ja der Regierung leichter, die Ratschläge des Gutachtens anzunehmen. Wir werden es sehen, Herr Staatsminister. Beschäftigen wir uns mit einigen Grundzügen des Gutachtens. Die Friedensforschungsinstitute analysieren, dass die „Koalition gegen den Terror“ der politischen Rückendeckung für eine primär militärische Vorgehensweise dient, und warnen davor, dass die Rückkehr des Krieges als Handlungsoption eine gefährliche Eigendynamik der Vergeltung in Gang setzt und damit das Kriegsverbot der UNO aushöhlt. Genau diese Sorgen bewegen die PDS und genau die haben wir beschrieben. Die Friedensforscher machen darauf aufmerksam, dass die USA dabei sind, von einer Strategie der Selbstverteidigung zu einer Offensivstrategie überzugehen, und benennen die massive Aufstockung des Rüstungshaushalts, die Raketenabwehr, die Planung von Mini-Atomwaffen. US-Präsident Bush entwickelte in seiner West-PointRede die Strategie des Präventivkrieges. Drohungen sollten bekämpft werden - ich zitiere -, „bevor sie auftauchen“. US-Verteidigungsminister Rumsfeld führt in seinem Interview mit der Zeitschrift „Foreign Affairs“ die US-Strategie in Afghanistan auf die Erfahrungen der faschistischen deutschen Wehrmacht im Zweiten Weltkrieg zurück und spricht von „Blitzkrieg“ und „Blitzschlägen“. Eindeutiger und, wie ich finde, unappetitlicher geht es kaum. Wenn man jetzt das Verhalten der USA zum Internationalen Strafgerichtshof in den Niederlanden betrachtet, bemerkt man, was hier abläuft. Unüberhörbar ist die Warnung der Friedensforscher vor einem Krieg gegen den Irak - dieser droht und dieser wird vorbereitet -, auch wenn Präsident Bush und der deutsche Bundeskanzler davon ablenken wollen. Die Friedensforscher sagen, ein solcher Krieg - ich zitiere sie „wäre ein Akt der Willkür“. Ich zitiere weiter: Jede Regierung, die daran mitwirkt, sei es durch militärischen Beistand, durch materielle Hilfe oder durch politische Unterstützung, übernimmt Mitverantwortung - für die Folgen, für die Opfer, für die Toten. Die Friedensforscher sagen: „Mitmachen muss man nicht.“ Nicht mitmachen, sondern gegenhalten, das fordert die PDS-Fraktion von der Bundesregierung, wenn sie die Friedensforschung in Deutschland ernst nimmt. Skeptisch und differenzierter sehe ich - das will ich überhaupt nicht verschweigen - die positive Bewertung der Friedensgutachter für die Einsätze von SFOR, KFOR und in Mazedonien. Darüber haben wir uns vorhin gestritten, deshalb brauche ich hier nicht weiter zu argumentieren. Ein anderer Punkt liegt mir aber genauso am Herzen. Eine deutliche Differenz habe ich zu den Erwägungen der Friedensforscher, in der Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik, in europäischen Einsatztruppen eine Alternative zur NATO und zur Dominanz der USA zu sehen. Aus meiner Sicht haben wir es mit einer ganz anderen Entwicklung zu tun: Erstens. Die Europäische Union, die als Gemeinschaft bisher militärfrei war, erhält einen militärischen Arm und militärische Aufgaben. Das wird ihren Charakter weiter verändern. Europäische Staaten, die der EU und nicht der NATO angehören, finden sich so plötzlich in einem Militärbündnis wieder. Zweitens. Die sich bei der Europäischen Union in Aufstellung befindlichen Eingreiftruppen haben keine Verteidigungsaufgaben, sondern sind vom Aufbau, von der Bewaffnung und von der Ausbildung her auf weltweite Einsätze spezialisiert. Das wird sie zum bevorzugten Partner der USA machen. Während die NATO durch die politisch gewollte Erweiterung und die Kooperation mit Russland politisch wichtiger, möglicherweise militärisch aber unbeweglicher wird, wächst eine neue Arbeitsteilung. Überlegungen der USA deuten in diese Richtung. Die Hoffnung, dass sich Europa gegenüber den Forderungen der USA dann besser verweigern könnte, ist, so meine ich, zumindest derzeitig auf Sand gebaut. Drittens. Diese europäische Militärorganisation im Rahmen der EU ist mit der NATO durch vieles verbandelt - auch vertraglich -, sodass die NATO faktisch am Tisch der Europäischen Union Platz nimmt. Was wäre damit gewonnen, wenn man die NATO in Europa nicht will? Ich glaube, es lohnt sich, über die im Gutachten aufgeworfenen Fragen weiter zu diskutieren und die Kontroverse auszutragen. Es wäre wünschenswert, wenn die Regierung den Friedensforschern mehr Raum gäbe und ihre Ratschläge annehmen würde, statt weiterhin wie bisher nach dem Motto „Wir wissen nicht nur alles, sondern auch alles besser!“ zu verfahren. Wir sollten das Gutachten der Friedensforscher gemeinsam ernst nehmen. Danke sehr. ({0})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Hans-Peter Bartels.

Dr. Hans Peter Bartels (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003031, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! In dem vorliegenden GutachVizepräsidentin Dr. Antje Vollmer ten der deutschen Friedensforschungsinstitute wird eine Bilanz der internationalen Lage nach dem 11. September gezogen. Manche Einschätzungen teilen wir, manche nicht. Der PDS, die diese Aktuelle Stunde beantragt hat, sind vor allem die kritischen Anmerkungen zu den militärischen Aspekten der internationalen Terrorbekämpfung willkommen. Sie wertet das Gutachten als Beleg für ihre fundamentalistische Ablehnung jeglicher Beteiligung des Militärs am Kampf gegen den Terrorismus. ({0}) Die PDS lehnt aber auch die Bundeswehrbeteiligung an der internationalen Sicherheitspräsenz in Bosnien-Herzegowina, im Kosovo und in Mazedonien ab. Dafür haben Sie, meine Damen und Herren von der PDS, allerdings keinerlei Argumentationshilfe durch die Friedensforschungsinstitute erhalten. Im Gegenteil: Unsere Balkanpolitik wird von den Gutachtern ausdrücklich begrüßt. Man erhofft sich, dass unser zivil-militärisches Engagement geradezu Modellcharakter für andere Regionen bekommt; das hoffe auch ich. Unsere Balkanpolitik ist erfolgreich. Die Bundeswehr leistet dazu einen ausgezeichneten Beitrag. Interessanterweise machen die Gutachter darauf aufmerksam, dass die Behauptung, Terrorismus könne nicht militärisch bekämpft werden, nach ihrer Auffassung zugleich richtig und falsch sei. Sie ist richtig, weil sich Selbstmordattentäter, die zivile Flugzeuge entführen und zu Anschlägen missbrauchen, nicht durch einen Militäreinsatz stoppen lassen. Die Gutachter schreiben aber an gleicher Stelle - ich zitiere -: Zugleich genoss ... Bin Ladens grenzüberschreitendes Netzwerk staatliche Protektion von unterschiedlichen Seiten und errang nach dem Sieg der Taliban in Afghanistan einen quasi-staatlichen Status. Das immerhin hat der Krieg zerschlagen. „Immerhin!“ Der Gedanke, dass das Militär gegen Terroraktionen und -organisationen sowie ihre staatlichen Herbergsväter nichts ausrichten kann, ist falsch. Bruno Schoch von der Hessischen Stiftung für Friedens- und Konfliktforschung sprach in der vergangenen Woche bei der Vorstellung des Gutachtens deshalb von einer gemischten Bilanz des Krieges in Afghanistan. Auf der Habenseite sah er das Ende der Taliban-Diktatur und die Zerstörung der terroristischen Infrastruktur im Land. Das sei die Voraussetzung dafür, dass Afghanistan nach 22 Jahren Krieg und Bürgerkrieg zu einem geregelten Staatswesen zurückkehren und schrittweise das staatliche Gewaltmonopol wieder herstellen könne. Auf der anderen Seite fürchten die Friedensforscher eine Enttabuisierung militärischer Gewalt. Sie solle wohl, so die Wissenschaftler, in das Arsenal der gewöhnlichen außenpolitischen Instrumente zurückgeholt werden. Nein, ich sage: Der Einsatz und auch schon die Androhung von militärischer Gewalt sind niemals etwas Normales und Alltägliches. Gerade deshalb muss der Deutsche Bundestag dem Einsatz der Bundeswehr in jedem einzelnen Fall mit Mehrheit zustimmen. Das ist gut so und soll so bleiben. ({1}) Im Übrigen zeigt das Beispiel Afghanistan wie auch die Entwicklung auf dem Balkan, dass es meist eben nicht um zwei klar trennbare Alternativen geht: militärisches oder nicht militärisches Eingreifen. Ohne die militärische Operation Amerikas und seiner Verbündeten hätte sich für Afghanistan nicht die Möglichkeit eröffnet, dem Land eine politische Perspektive zu geben. Die Politik der USA in diesem Zusammenhang als „neues Beispiel von Staatsterrorismus“ zu bezeichnen, wie es der Kollege Gehrcke von der PDS in einer Pressemitteilung vom 27. Oktober des vergangenen Jahres getan hat, ist absurd und verantwortungslos. Dass Deutschland überhaupt nicht einseitig auf militärische Mittel setzt, belegt die Bilanz unserer Afghanistanpolitik. Deutschland war Gastgeber der PetersbergKonferenz und hilft beim Aufbau von Schulen, Polizei und Infrastruktur. All dies ist nur möglich, weil die ISAFSoldaten, unter denen auch Deutsche sind, den politischen Prozess absichern. Die Maßstäbe unserer Außen- und Sicherheitspolitik sind klar. Ethnische Verfolgung, Völkermord, Vertreibung, Terror und das Faustrecht des Stärkeren können nicht neutral und bequem hingenommen werden. Entgegen dem altklugen Merksatz, mit Gewalt könne man keine Probleme lösen, ist militärische Intervention dann legitim und geboten, wenn der Mangel an Sicherheit das allen anderen zugrunde liegende Problem darstellt. Solange geschossen wird, sind alle anderen Probleme nicht lösbar. Ich will noch einmal daran erinnern, dass die PDS die Beteiligung der Bundeswehr an der Politik zur Stabilisierung des ehemaligen Jugoslawiens stets abgelehnt hat. Vor jeder Mandatsverlängerung, sei es in Bosnien, im Kosovo oder in Mazedonien, haben Sie das Scheitern der Mission vorhergesagt. Ein Jahr ist es gerade her, als die PDS-Bundestagsfraktion in einem Antrag die Beendigung der Bundeswehreinsätze auf dem Balkan forderte. In dieser Drucksache hieß es: Die vom militärischen Interventionismus geprägte Balkanpolitik der NATO-Staaten ist vollständig gescheitert. Das ist wirklich dummes Zeug. Wo leben Sie eigentlich? ({2}) Die Autoren des Friedensgutachtens teilen Ihre Auffassung jedenfalls nicht. Schönen Dank. ({3})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Karl Lamers.

Not found (Mitglied des Bundestages)

, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Der Kollege Gehrcke hat eben ausgeführt, der Sinn dieser Aktuellen Stunde sei es, dem Friedensgutachten die notwendige Aufmerksamkeit zu schenken. Kollege Gehrcke, ich bezweifle, dass dies - erstens - am Freitagnachmittag um 16.02 Uhr möglich ist und dass dies vor allen Dingen - zweitens - Sinn einer Aktuellen Stunde ist. Ich muss Ihnen wirklich sagen, das Thema ist viel zu ernst, als es für offensichtlich begrenzte parteipolitische Zwecke zu nutzen. Sie selber tun sich in Bezug auf all diejenigen keinen Gefallen, die Ihre sonst differenzierte Darstellungsweise sehr wohl zu schätzen wissen. Das Gutachten enthält nichts Neues und nichts Aktuelles. Es gibt nichts darin, was bei der parlamentarischen Behandlung keines Aufschubs bedurft hätte. Es sind ungewöhnlich wichtige Dinge; aber das Gutachten enthält nichts, was eine Aktuelle Stunde erfordert hätte. Frau Präsidentin, ich meine im Ernst, dass man sich einmal eingehend im Präsidium damit befassen müsste, ob das nicht ein Missbrauch des Instruments der Aktuellen Stunde ist. Sie können als Argument anführen, dass etwa die Berichte der Bundesanstalt für Arbeit häufig Themen Aktueller Stunden sind. Aber bei diesem Thema gibt es leider dauernd etwas Neues, und zwar schlechte Nachrichten. Das wird so lange so gehen, wie diese Koalition an der Regierung ist. Aber in diesem Bericht ist kein einziger neuer Gedanke. Alles, was darin steht, wird tagtäglich in allen möglichen Gazetten in diesem Lande und jenseits des großen Teiches diskutiert. Es ist kein Thema für eine Aktuelle Stunde. Ich habe offen gestanden wenig Lust, mich mit dem Thema sachlich auseinander zu setzen. Ich stimme all dem, was Sie gesagt haben, Herr Kollege, zu. Das haben wir aber alles schon x-mal miteinander ausgetauscht. Darüber haben wir früher leidenschaftlich gestritten. Heute sind wir, abgesehen von Ihnen, meine Damen und Herren von der PDS - Herr Schwarz-Schilling hat heute Morgen zu Recht von „vorgestrig“ gesprochen -, in den prinzipiellen Fragen gottlob einer Meinung. Wir setzen zwar die Akzente anders. Aber auch wir wissen selbstverständlich - eine solche Selbstverständlichkeit steht auch in dem Friedensgutachten -, dass allein mit militärischen Mitteln der Frieden nicht zu gewährleisten und der Terrorismus nicht zu bekämpfen ist. Wer bezweifelt das denn? Die Tatsache, dass der militärische Faktor in dem vorliegenden Friedensgutachten mit keinem einzigen Wort erwähnt wird, dokumentiert die ideologische Blindheit der Herausgeber genauso wie die der PDS. ({0}) - Frau Kollegin, mit Verlaub, wenn Sie unsere Debatten etwa im Auswärtigen Ausschuss verfolgt hätten, hätten Sie diesen Zuruf nicht gemacht. Er ist nämlich vollkommen neben der Sache. ({1}) Wir reden so oft darüber, was man alles tun müsste, aber nicht tun kann. Wir wissen sehr wohl, dass der Einsatz militärischer Mittel Konflikte nicht löst, sondern zunächst sogar zusätzliche Probleme schafft. Das zuzugeben fällt mir nicht schwer. Auch wir wissen - darauf haben Sie eben hingewiesen -, dass es überhaupt keine Lösung geben wird, solange geschossen wird, und dass man deswegen das Schießen beenden muss. Es ist aber in der Weltgeschichte leider noch nie gelungen, das Schießen durch gutes Zureden zu beenden. Wir sind - Gott sei Dank - in diesem Land zu der Erkenntnis gelangt, dass auch militärische Mittel ein Mittel der Friedens- und der Außenpolitik sind, ohne auch nur den leisesten Anschein der Militarisierung unserer Außenpolitik zu erwecken. Trotzdem versuchen Sie, mithilfe eines so schwachen Friedensgutachtens Ihren Überzeugungen ein bisschen Auftrieb zu geben. Kollege Gehrcke, das ist von der Sache und von der Methode her gleichermaßen verfehlt. Vielen Dank. ({2})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Herr Kollege Lamers, da Sie mich vorhin direkt angesprochen haben, möchte ich in eigener Sache Folgendes sagen: Es gab einmal eine Zeit, in der das Präsidium darüber befunden hat, ob das Thema einer Aktuellen Stunde aktuell ist oder nicht. Das ist lange vorbei. Nach einem Beschluss des Ältestenrates entscheiden jetzt die Parlamentarischen Geschäftsführer darüber. Das ist quasi zum Gewohnheitsrecht geworden. Wie gesagt, das Präsidium entscheidet - vielleicht kann man sagen: leider - nicht mehr darüber. Ihr Vorschlag ist aber vielleicht eine Anregung, das wieder zu ändern. ({0}) Jetzt hat das Wort der Staatsminister Dr. Ludger Volmer für die Bundesregierung.

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Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es freut mich, dass mir die heutige Aktuelle Stunde Gelegenheit gibt, die Arbeit der fünf Friedensforschungsinstitute, die im Friedensgutachten 2002 ihren Ausdruck findet, hier zu würdigen, auch wenn diese Arbeit sicherlich eine ausführlichere Debatte in den Ausschüssen verdient hätte. Das jährliche Gutachten widmet sich immer einem bestimmten Schwerpunkt. In diesem Jahr hat es das Ziel - ich zitiere aus dem Vorwort des Gutachtens -, „die weit reichenden Folgen des 11. September und des Krieges in Afghanistan für die sich abzeichnenden Machtverschiebungen in der internationalen Politik aufzuspüren und zu bewerten“. Das Gutachten setzt sich in 27 Beiträgen auf mehr als 300 Seiten mit der Politik internationaler Organisationen und einzelner Staaten auseinander. Auf verschiedenen Feldern wird auch die Politik der Bundesregierung einer kritischen Analyse unterzogen. Das Auswärtige Amt wird das Gutachten durch den Planungsstab und durch einzelne Fachabteilungen wie schon in den letzten Jahren auch diesmal sorgfältig auswerten. Die Bundesregierung und insbesondere das Auswärtige Amt sahen es von Anfang an als eine Aufgabe an, mit den Friedensforschungsinstituten und den Wissenschaftlern, die sich mit den internationalen Beziehungen befassen, einen kontinuierlichen Diskussionsprozess zu eröffnen. „Praktiker treffen sich mit Wissenschaftlern und lernen voneinander“ ist das Motto dieser nicht immer einfachen Übung. Sie findet zum Beispiel im Forum „Globale Fragen“ und in einer Reihe von Fachkonferenzen statt. Auf Einladung des Leiters des Planungsstabes und von Professor Harald Müller, des Direktors der Hessischen Stiftung Friedens- und Konfliktforschung, gibt es zudem seit Frühjahr 1999 einen festen Arbeitszusammenhang zwischen dem Auswärtigen Amt und den Friedensforschern. Der nutzbringende Effekt für beide Seiten liegt in der Regelmäßigkeit und der Kontinuität der Diskussionen. Ich möchte zudem darauf hinweisen, dass es diese Bundesregierung war, die die von der Vorgängerregierung eingestellte Förderung der Friedensforschung wieder aufgenommen hat. ({0}) Es zeigt sich, dass sich die außenpolitischen Praktiker und die Friedensforscher in ihren Wertmaßstäben und Beurteilungskriterien kaum unterscheiden, dass sie jedoch unter sehr unterschiedlichen Bedingungen agieren. Forscher fällen Urteile; in der politischen Praxis müssen Entscheidungen getroffen werden. Forscher werfen einen oft pauschalen Blick auf die Politik als Ganzes; Politiker müssen oft diesseits des eigentlich Wünschbaren zwischen verschiedenen real existierenden Alternativen entscheiden. Berufsbedingte Erkenntnis- und Erfahrungsdefizite können nur durch einen gegenseitigen Meinungsaustausch klein gehalten werden. Daran, dass das geschieht, ist das Auswärtige Amt sehr interessiert. Die Friedensforscher kommen in ihrer einleitenden gemeinsamen Stellungnahme zu einem durchaus positiven Urteil über Regierungsentscheidungen und Regierungshandlungen, dies übrigens genau auf den Feldern, Herr Gehrcke - das muss man hier ganz deutlich aussprechen -, auf denen die PDS die Regierungspolitik erbittert bekämpft hat. So heißt es in dem Gutachten - ich zitiere -: Die deutsche Außenpolitik, die 1999 den Stabilitätspakt für Südosteuropa aus der Taufe gehoben hat, muss ihn weiterentwickeln und dafür sorgen, dass Interesse und Hilfe der EU für den Balkan nicht erlahmen. Wenn das gelingt, könnte der Stabilitätspakt Modellcharakter auch für andere Krisenregionen gewinnen. Modellcharakter, meine Damen und Herren! ({1}) Aber - so frage ich die PDS - hätte der Stabilitätspakt je in Kraft treten können - inzwischen ist übrigens auch die Republik Serbien Teilnehmer -, wenn die Bundesrepublik nicht 1999 zusammen mit ihren Bündnispartnern der Aggression im Kosovo entschieden entgegengetreten wäre? Nur so konnte ein neuer Flächenbrand auf dem Balkan in letzter Minute verhindert werden. Stabilität wurde wieder denkbar. Diese Politik ist von der PDS damals erbittert bekämpft worden. Werfen wir noch einmal einen Blick auf die Ereignisse im ehemaligen Jugoslawien. Es ist der PDS-Ortsverband Berlin-Friedrichshain, der sich nun daran beteiligt hat, ein Milosevic-Solidaritätskomitee ins Leben zu rufen. Das ist eine Ungeheuerlichkeit und wirft ein bezeichnendes Licht auf die Politik der PDS. ({2}) Zu Mazedonien wird in der gemeinsamen Stellungnahme der Herausgeber festgestellt - ich zitiere wieder -: Zwar ist Mazedonien noch längst nicht befriedet, das Zusammenleben zwischen Mehrheit und Minderheit ist weiterhin gespannt. Doch die konzertierte Aktion zwischen EU und NATO hat die Gewalteskalation unterbunden. Weiter heißt es in der gemeinsamen Stellungnahme, dass die Forscher schon früher hervorgehoben haben, „dass wir die Präsenz von SFOR und KFOR für den Frieden dienlich halten. Dasselbe gilt für den Einsatz in Mazedonien.“ Mussten diese Einsätze der PDS nicht als Beispiele einer angeblichen Kriegslüsternheit der rot-grünen Regierung dienen, wie wir es auch heute Morgen wieder erfahren haben? Das war doch der Tenor Ihrer heutigen Beiträge. Nehmen wir einmal an, der Bundestag wäre den Vorschlägen der PDS in Sachen Mazedonien gefolgt. Dann hätten wir heute nicht einen sich selbst tragenden Friedensprozess, sondern wir stünden hilflos vor einem grauenhaften Bürgerkrieg. Man muss die Konsequenzen der Politik zu Ende denken. Wenn Sie meinen, unsere Politik habe in der Konsequenz negative Folgen, dann denken Sie auch einmal Ihre Politik zu Ende! Dabei haben wir vielleicht einige Probleme; Sie haben ganz grauenhafte Szenarien vor sich, für die Sie dann überhaupt keine Lösung haben. ({3}) Der Konflikt im Kosovo hat diese Bundesregierung in einer Phase der rasanten Konflikteskalation getroffen. Die Bundesregierung hat das Problem nicht gemacht. Sie hat das Problem geerbt und vieles zu seiner Lösung beigetragen. Eine Schlussfolgerung daraus war, die Mittel zur frühzeitigen zivilen Konfliktbearbeitung, die die Regierung eben nicht vorgefunden hatte, zu stärken. Dazu heißt es in diesem Gutachten - ich zitiere -: Positiv beurteilen wir, dass die Bundesrepublik ... die Instrumente für zivile Konfliktbearbeitung auszubauen und zu erproben begonnen hat. ({4}) Genauso wenig wie sich die Bundesregierung an den Terrorismus gewöhnen wird, wird sie den Einsatz von Militär jemals als normal betrachten. Für uns haben die Krisenprävention und die zivile Konfliktbearbeitung absolute Priorität. Wir haben aber erkannt, dass in bestimmten Fällen ein integrierter Einsatz ziviler Kräfte flankiert von militärischen Kräften sinnvoll und notwendig ist. Die PDS hätte sich und den Mitgliedern dieses Hauses die Zeit einräumen sollen, das gesamte Gutachten gründlich zu lesen, statt auf die in der FR veröffentlichte Einzelmeinung des Herrn Mutzlin in agitatorische Hektik zu verfallen. ({5}) Der Versuch, die Friedens- und Konfliktforschung vor den Karren der PDS zu spannen, wird schiefgehen. Wenn man die Außenpolitik der PDS genau analysiert, wird man herausfinden, dass die PDS nicht die Partei einer Friedensbewegung, sondern eines hochgefährlichen Nationalneutralismus ist. Wer, außer vielleicht der PDS, will widersprechen, wenn in dem Gutachten festgestellt wird: „Gerade nach dem 11. September ist die EU als kooperative Gestaltungsmacht in der Weltpolitik nötiger den je“? - Wir sehen das genauso. ({6})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Hildebrecht Braun.

Hildebrecht Braun (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002634, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Lassen Sie mich zunächst einmal kurz erklären, warum wir vor nahezu leeren Rängen über ein so wichtiges Thema wie den Frieden sprechen. Es sind sehr viele Zuhörer anwesend, die sich diese Frage sicherlich stellen. Dafür gibt es zwei Gründe. Zum einen hatten wir am Donnerstag eine sehr lange Tagesordnung; die Sitzung sollte eigentlich bis 4.30 Uhr heute früh dauern. Jetzt sitzen wir auch schon wieder seit 9 Uhr zusammen. Aber zum anderen hat es damit zu tun, dass der Antrag, eine Diskussion über den Frieden zu führen, ausgerechnet von der PDS eingebracht wurde. Wenn die PDS über den Frieden diskutiert, handelt es sich um eine Veranstaltung der besonderen Art. Darauf komme ich noch zu sprechen. In einem Punkt muss den Friedensforschern Recht gegeben werden: Die rot-grüne Bundesregierung hat die im Koalitionsvertrag versprochenen Fortschritte in der Friedens-, Sicherheits- und Abrüstungspolitik zumindest nicht vollständig erreichen können. In manchen Teilen ist sogar das Gegenteil der Fall. Aus der zum Bündnis 90/Die Grünen mutierten ehemaligen deutschen Friedensbewegung ist inzwischen eine Entsendebewegung geworden. ({0}) Das stelle ich nicht kritisch fest, sondern ich meine, dass diese Entwicklung notwendig und richtig war. Es ist festzustellen, dass unter rot-grüner Verantwortung circa 10 000 Männer und Frauen in zehn Krisenregionen der Welt stationiert sind. In der Abrüstungs-, Rüstungs- und Friedenspolitik ist die Bilanz, gemessen an den Vorgaben des Koalitionsvertrags, zumindest dünn. Deutschland spielt in der Weltliga der Rüstungsexporteure unverändert auf einem der vordersten Plätze. ({1}) Da nützt auch die durch gezielte Indiskretionen im Bundessicherheitsrat noch so kunstvoll applizierte weiße Salbe auf die grüne Seele nichts. Auch der mit viel Pomp inszenierte zivile Friedensdienst ist bei näherer Betrachtung nichts als Augenwischerei. Knapp 10 Millionen Euro stellt die Bundesregierung in diesem Jahr insgesamt für den zivilen Friedensdienst zur Verfügung. Angesichts der präzedenzlosen Kürzungen der deutschen Entwicklungshilfeleistungen, insbesondere auch der freiwilligen Leistungen für die humanitären UNO-Organisationen, muss die Frage erlaubt sein, ob durch diesen puren Aktionismus nicht in erster Linie erneut die grüne Basis besänftigt werden soll. Selten ist das Dilemma zwischen Anspruch und Wirklichkeit grüner Politik deutlicher geworden als beim jüngsten Besuch des US-Präsidenten Bush in Berlin. Während sich der grüne Außenminister zwar sorgenzerfurcht, aber staatsmännisch der Verantwortung für die Lösung globaler Sachzwänge stellt, buhlen seine Mitstreiter heftig um die Gunst des verbliebenen harten Kerns der ehemaligen Friedensbewegung und werden dafür heftig ausgepfiffen. Die PDS indes - das belegt die heutige Aktuelle Stunde erneut - versucht, die von den Grünen hinterlassene Marktlücke zu besetzen. Diese selbst ernannten politischen Erben derjenigen, die 1968 das Einrücken sowjetischer Truppen in die Tschechoslowakei als sozialistische Bruderhilfe willkommen geheißen und Pol Pot, einen der größten Schlächter der Neuzeit, Solidaritätsadressen übersandt haben, ({2}) ganz zu schweigen von der brüderlichen Unterstützung des sowjetischen Vernichtungskrieges in Afghanistan, bieten sich jetzt als politisches Auffangbecken für frustrierte deutsche Friedensbewegte an. ({3}) Niemand hier im Hohen Hause und schon gar nicht die Freien Demokraten wollen eine Militarisierung der Außenpolitik. Doch es führt einfach kein Weg an der Feststellung vorbei, dass durch Militäreinsätze sowohl die politschen Verhandlungsergebnisse auf dem Balkan erfolgreich abgesichert als auch die Voraussetzungen für politische Verhandlungen in Afghanistan geschaffen worden sind. All diese Einsätze waren Ultima Ratio; sie haben Schlimmeres verhindert. Das weiß auch die PDS. Sie bleibt aber aus taktischen Erwägungen bei ihrer Ablehnung. Es ist bezeichnend, dass bei der aktuellen Debatte über die Verlängerung der Mandate für die deutschen Streitkräfte die PDS zwar in den Ausschüssen erklärt, man sehe sehr wohl die Erfolge der Aktionen, sich aber im Parlament dennoch gezwungen sieht, die Anträge abzulehnen. Das ist keine Art, Politik zu machen. ({4}) Es darf nicht zugelassen werden, dass sie sich dabei auch noch auf das Friedensgutachten 2002 beruft. Für Liberale ist es ganz selbstverständlich, dass der 11. September nicht, wie im Friedensgutachten behauptet, Gewalteskalation als Mittel der Konfliktlösung legitimiert und dass eine Verallgemeinerung bzw. Eskalation der Logik des Krieges nicht zugelassen werden darf. Angesichts der umfassenden und erfolgreichen Bemühungen der USA um internationale Abstimmung kann aus unserer Sicht der Bush-Administration nicht pauschal vorgeworfen werden, sie setze einseitig auf das Militär. Immerhin kommt die Studie zu dem Ergebnis, dass die so genannten robusten Verhandlungen in Mazedonien letztlich erfolgreich waren und die Bilanz bezüglich Afghanistan gemischt sei. Es kann überhaupt kein Zweifel daran bestehen, dass die Strategie friedenspolitischer Prävention auch in Zukunft absolute Priorität haben muss. Aber gerade die internationalen Einsätze aus jüngerer Zeit belegen, dass eine solche Strategie ohne Sicherheitskomponente zum Scheitern verurteilt ist. Dabei muss den friedensbewahrenden und friedensschaffenden Einsätzen der Vereinten Nationen absolute Priorität eingeräumt werden. Das in jüngerer Zeit vereinzelt infrage gestellte Gewaltmonopol der Vereinten Nationen darf nicht angetastet werden. Vielen Dank. ({5})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Die Abgeordne- ten Polenz, Schmidt und Fritz haben gebeten, ihre Reden zu Protokoll geben zu dürfen.1) Sind Sie damit einverstanden? - Dann verfahren wir so. Als Nächste hat jetzt die Abgeordnete Angelika Graf das Wort.

Angelika Graf (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002662, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lassen Sie mich zunächst eine Dankesadresse an die akademische Fachwelt richten, die nun kontinuierlich seit 15 Jahren ein solches Friedensgutachten erstellt und uns Politikern, wie ich meine, aktuelle Themen aufbereitet und sie mit einer umfangreichen, vor allen Dingen verständlichen Abhandlung begleitet, an der wir uns auch orientieren können. Wir von der AG Menschenrechte der SPD-Bundestagsfraktion danken den Autoren des Gutachtens. Es ist gut, dass die unterschiedlichen Auffassungen von circa 26 Experten in diesem Gutachten zutage treten. Ich möchte mich aber auf die Kernaussagen der Herausgeber beziehen, auf die sich ja offensichtlich die fünf beteiligten Forschungsinstitute geeinigt haben. Ich meine, dass man damit der Qualität des Gutachtens eher gerecht wird als mit der Rosinenpickerei, die Sie von der PDS ja in vielen Politikbereichen betreiben. Unbestritten sollten meines Erachtens zwei wichtige Sätze im Vorwort des Gutachtens sein. Hier steht auf der einen Seite: „Der 11. September hat die internationale Politik verändert.“ - Das ist eine erfreuliche Richtigstellung des falschen, aber populären Satzes, dieser Tag habe die Welt verändert. Der zweite wichtige Satz heißt: Dass man Terrorismus nicht manu militari - also mit militärischer Gewalt - bekämpfen könne, ist richtig und falsch zugleich. Der Kollege Bartels hat diesen Satz auch schon zitiert. Gerade dieser zweite Satz beinhaltet meiner Meinung nach eine interessante Feststellung, über deren ambivalente Aussage die PDS, die ja diese Aktuelle Stunde, die so aktuell nicht ist, beantragt hat, tiefer nachdenken sollte. Die Gutachten weisen einerseits auf die Chancen auf Stabilisierung in Asien nach dem Afghanistankrieg und auf die erfreuliche Einigkeit im Kampf gegen den Terrorismus in weiten Teilen der Welt hin; andererseits - auch das wird im Vorwort festgestellt - wird natürlich die prekäre Balance zwischen bürgerlichen Freiheitsrechten sowie den Sicherheitsbedürfnissen des Staates und des einzelnen Bürgers zurzeit zu Recht als gefährdet angesehen. Im Menschenrechtsausschuss fand zu dem Spannungsfeld „Terrorismus und seine Auswirkungen auf die Menschenrechte“ erst in dieser Woche eine hochinteressante Anhörung statt. Man darf in diesem Zusammenhang nicht vergessen: Terrorismus verletzt Menschenrechte zuallererst. ({0}) Ich komme auf die Einschätzung zurück, die Behauptung, der Terrorismus könne nicht manu militari, also mit militärischer Gewalt, bekämpft werden, sei wahr und falsch zugleich. Jedem denkenden Menschen muss klar sein, dass der Militäreinsatz in Afghanistan den internationalen Terrorismus nicht ausrotten wird. Er war eine Reaktion auf ein die Welt erschütterndes Ereignis und hatte mehrere Effekte: Einer davon war, dass ein verbrecherisches Regime - ich habe es selbst erlebt -, welches aus kulturstürmerischem Fanatismus heraus die Bevölkerung ins Mittelalter zurückgestoßen hat, gestürzt wurde. In der Folge können Mädchen nun wieder beschult werden, Frauen einer Berufsausbildung nachgehen und Ärztinnen wieder für die Gesundheit von Frauen sorgen. Die Loya Jirga ist trotz aller Vorbehalte gegenüber Vorkommnissen im Vorfeld - auch darüber sollte man nicht hinwegsehen - ein wichtiger Schritt hin zu einer zivilen Gesellschaft, die der Region Stabilität geben kann. Wir müssen alles tun, damit diese Chance nicht vertan wird. Es ist gut, dass sich die Bundesregierung im militärischen und im zivilen Bereich an dem Prozess der Befriedung der Region aktiv beteiligt. Wir haben das Mandat heute Vormittag verlängert. Ich meine, dass das richtig war; denn Sicherheit ist die notwendige Voraussetzung für zivile Entwicklung in Afghanistan. Zu den Quellen des Terrorismus und den Feldern, auf denen Terroristen rekrutiert werden, zählen - ich zitiere Hildebrecht Braun ({1}) 1) Anlage 13 aus der Zusammenfassung eines Aufsatzes -, „eine Atmosphäre der Hoffnungslosigkeit, ungelöste Regionalkonflikte mit besonderer Symbolkraft, ein dramatisches Auseinanderklaffen zwischen politischen Legitimationen und gesellschaftlichen Realitäten sowie die Blockade friedlicher Oppositionsformen durch repressive Systeme“. Dem Terrorismus diese Wurzeln nachhaltig zu entziehen ist für uns alle wichtiger als militärische Aktion. Die Bundesregierung hat dies von Anfang an erkannt und sich an der Lösung von Konflikten in Krisengebieten aktiv beteiligt. Ich erinnere an das Engagement des Außenministers im Nahen Osten. Unsere Politik der Entwicklungszusammenarbeit zielt in dieselbe Richtung. Ich glaube, es ist dringend notwendig, dass wir diese Richtung der Politik über den 22. September hinaus verfolgen können. Ich bin sicher, es wird klappen. Ich sehe viele Chancen für den Frieden in der Welt. ({2})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Winfried Nachtwei.

Winfried Nachtwei (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002743, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir begrüßen ausdrücklich das Friedensgutachten, das soeben zum 16. Mal erschienen ist und an dem sich das Bonner Internationale Konversionszentrum und das Institut für Entwicklung und Frieden erstmals beteiligt haben. Das Gutachten enthält die Stellungnahme einiger unabhängiger und kritischer Friedensforscher, die sich mit den friedens- und sicherheitspolitischen Herausforderungen in voller Breite auseinander setzen. Das ist in der öffentlichen und auch in der parlamentarischen Diskussion - ich schaue in Richtung PDS - in keiner Weise selbstverständlich. Bemerkenswert ist, dass die fünf Friedensforschungsinstitute zu einer in wesentlichen Fragen gemeinsamen Position finden. Für eine Außenpolitik, die Friedenspolitik sein will, bietet das Friedensgutachten Anlass zu kritischer Überprüfung und konstruktive Vorschläge. Die Aktuelle Stunde - das ist vorhin schon deutlich betont worden - kann nur ein erster Schritt zur Auseinandersetzung mit dem Friedensgutachten sein. Zu Recht, so meine ich, warnt das Friedensgutachten vor einer Enttabuisierung des Krieges und vor einer Unterhöhlung des Kriegsverbotes der UN-Charta. Wo militärische Bekämpfung des Terrorismus schrankenlos wird, wo Selbstverteidigung in Offensivstrategien umschlägt, wo Präventionsangriffe gegen terroristische Bedrohung zu jeder Zeit und an jedem Ort in Aussicht gestellt werden, da wird der Willkür in den internationalen Beziehungen Tür und Tor geöffnet. Dies wäre - wenn auch auf einer anderen Ebene - eine Form der Privatisierung von Gewalt. Die Bundesrepublik und die Europäer sind gefordert, demgegenüber die Stärkung des internationalen Rechts zu fördern. Das taten die Europäer und die Bundesrepublik bisher und das werden sie auch weiterhin tun. Das Friedensgutachten warnt darüber hinaus vor einer so genannten Normalisierung des Instruments Bundeswehr in der deutschen Außenpolitik. In der Differenziertheit, wie sie im Friedensgutachten enthalten ist, stimme ich dieser Feststellung zu. Einerseits befürwortet das Friedensgutachten die Einsätze von SFOR, KFOR, in Mazedonien und Kabul und nennt diese Einsätze ausdrücklich friedensförderlich. Andererseits bleibt für uns das Instrument Militär ein besonders kostspieliges und riskantes Mittel. Im Rahmen von so genannter Friedenserzwingung wäre es immer auch ein tückisches Mittel, so wie es zum Beispiel die katholischen Bischöfe in ihrem Friedenswort festgestellt haben. Weil die Bundeswehr für uns kein normales Politikinstrument neben anderen ist, haben wir den Parlamentsvorbehalt und halten daran auch eindeutig fest. Deshalb befleißigen wir uns einer Zurückhaltung und eines besonders hohen Verantwortungsbewusstseins bei Entscheidungen bezüglich Entsendungen der Bundeswehr. ({0}) Das Friedensgutachten betont völlig richtig die Notwendigkeit umfassender Friedensstrategien, in denen die Fähigkeiten der zivilen Vorbeugung Vorrang haben und deshalb ganz anders gefördert werden müssen. Die deutsche Balkanpolitik - aus dem Gutachten sind die entsprechenden Stellen schon mehrfach zitiert worden - kann hier inzwischen als vorbildlich gelten. Ich freue mich aber außerordentlich, dass die Bundesregierung und die Koalition auf diesem Feld der vorbeugenden Friedenspolitik inzwischen sogar schon einiges mehr auf den Weg gebracht haben, als in diesem Gutachten zum Ausdruck kommt. Es werden zum Beispiel inzwischen systematisch die Fähigkeiten entwickelt, von deutscher Seite aus an der zivilen Komponente von internationalen Friedensmissionen teilzunehmen. In dem Zusammenhang möchte ich erwähnen, dass in der übernächsten Woche, am 24. Juni, das Zentrum für internationale Friedensmissionen in Berlin eröffnet werden wird. Was vorher schon angesprochen wurde: Die Bundesförderung der deutschen Friedens- und Konfliktforschung wurde mit der Gründung der Deutschen Stiftung Friedensforschung wieder aufgenommen. Damit wurde die unabhängige Friedensforschung auf eine bessere Grundlage gestellt. Insgesamt gesehen, muss dieses Gutachten für uns Anlass zur Selbstprüfung sein. Es ist für meine Fraktion und wie ich glaube, für Rot-Grün insgesamt zugleich eine Ermutigung, uns weiterhin um eine praktische Friedenspolitik zu bemühen, die neue sicherheits- und friedenspolitische Herausforderungen annimmt und die sich mit aller Kraft für die Verhütung und Eindämmung von Krieg und Gewalt sowie für die gemeinsame Sicherheit und für einen gerechten Frieden einsetzt. Danke schön. ({1}) Angelika Graf ({2})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Heinrich Fink.

Prof. Dr. Heinrich Fink (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003116, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Warum musste es zu dieser Aktuellen Stunde kommen? ({0}) Warum wird die Debatte über Krieg und Frieden im Jahr 2002 nicht in der Kernzeit geführt, also zu einer Zeit, in der die Diskussion von öffentlichem Interesse ist? Wir nutzen die uns gebotene Möglichkeit der Aktuellen Stunde, um genau die Fragen, die Ihnen offenbar nicht behagen, einmal zu thematisieren. Das Friedensgutachten erscheint in diesem Jahr zum 16. Mal. An ihm arbeiten jetzt fünf renommierte wissenschaftliche Institute, was nicht nur eine wirklich komplexe Analyse ermöglicht, sondern auch die Qualität erheblich verbessert hat. Da Sie nur das gelten lassen, was Sie bestätigt, empfehle ich differenziertes Lesen dieses Gutachtens, um daraus Konsequenzen für politisches Handeln ziehen zu können. Das jetzt vorliegende Gutachten konzentriert sich darauf, die weit reichenden Folgen des 11. September und des Krieges in Afghanistan für die sich gegenwärtig in der internationalen Politik vollziehenden Machtverschiebungen zu analysieren und zu bewerten. Ich verweise nur auf den zunehmenden Unilateralismus der USA, die sich verändernde internationale Rolle Russlands oder den Funktionswandel der NATO. Das ist neu in diesem Gutachten; darüber sollten wir wirklich nachdenken. Aber auch in den bundesrepublikanischen Verhältnissen gibt es beträchtliche Veränderungen. So wurde der weltweite Einsatz der Bundeswehr zu einem normalen Instrument deutscher Außenpolitik erhoben. Die komplizierte Balance zwischen Bürgerrechten und Sicherheitsbedürfnissen wird unter dem Ruf nach innerer Sicherheit gefährdet. Allein die Komplexität dieser Prozesse zeigt, dass die Politik in zunehmendem Maße qualifizierter Beratung bedarf. In Zeiten, in denen die Führungsnation dieser Welt nicht mehr nur die atomare Erstschlagsoption aufrechterhält, sondern für die nächste Zukunft den Übergang zu atomaren Präventivschlägen diskutiert, in Zeiten, in denen dieses Haus ungefähr vierteljährlich auf Regierungsantrag den Einsatz deutscher Soldaten im Ausland bis hin zum Kriegseinsatz beschließt - dies geschieht seit Beginn dieser Legislaturperiode -, ist die Beschäftigung mit Friedenspolitik mehr als geboten, und zwar nicht nur dann, wenn es einmal mehr darum geht, den nächsten Einsatz zu beschließen, sondern gerade auch unabhängig von dem dann immer wieder gesetzten Zustimmungszwang, der gelegentlich den freien Blick auf die Dinge zu vernebeln vermag. ({1}) Die Bundesregierung betont seit ihrem Sündenfall - das sage ich sehr bewusst -, seit der Beteiligung am Krieg gegen Jugoslawien im Jahre 1999, ihre Politik der militärischen Krisenintervention sei alternativlos, sie sei zwar nicht das alleinige, aber letztlich das einzige erfolgversprechende Mittel internationaler Konfliktbearbeitung. Konsequente Folgen dieser Haltung sind die nicht enden wollenden und immer neuen Militärinterventionen. Dass diese Politik eben nicht alternativlos ist, dass erfolgversprechende Wege unabhängig von diesen Interventionen gesucht und gefunden werden, können wir in diesem Friedensgutachten deutlich sehen. Mir geht es darum, dass Erkenntnisse für politische Entscheidungen in Parlament und Regierung genutzt werden. In anderen Politikbereichen ist es eine gute Tradition, dass sich die Bundesregierung aus dem Kreis von Expertinnen und Experten Vorschläge für ihre Politik unterbreiten lässt. Diese Gutachten finden in aller Regel auch einen Widerhall in der Öffentlichkeit. Bestes Beispiel dafür ist das Jahresgutachten des Rates der fünf Weisen, bezogen auf die in der Wirtschaftspolitik einzuschlagenden Wege. Aber auch in anderen Fällen greift die Exekutive gerne auf Ratschläge aus der Wissenschaft zurück, an die sie sich ja nicht halten muss, aber die sie kennen sollte. Es ist für mich wichtig, dass Friedensforschung Präventivforschung ist. Es ist an der Zeit, dass das Gutachten, das die führenden Friedens- und Konfliktforschungseinrichtungen jährlich vorlegen, auch von der Regierung beachtet und in den parlamentarischen Willensbildungsprozess einbezogen wird. Die Bundesregierung hat mit der Schaffung der Stiftung Deutsche Friedensforschung Grundlagen geschaffen, um zu einer stetigen Ausbildung und Forschungsförderung in diesem Bereich zu kommen. Ob die dafür vorgesehenen Mittel ausreichend sind, braucht an dieser Stelle nicht diskutiert zu werden. Aber die Etablierung der Friedensforschung als eines wichtigen Wissenschaftszweigs, der auch der Politikberatung dienen soll, wird ad absurdum geführt, wenn man dieser Disziplin nur ein Nischendasein zuweist. Friedenspolitik soll die Grundlage deutscher Außenpolitik sein. Dafür dürfte in diesem Hause doch eine überwältigende Mehrheit zu gewinnen sein. ({2}) Dann sollte man das Friedensgutachten als eine Herausforderung annehmen, um intensiver über friedenspolitische Optionen deutscher Politik zu sprechen. Wir sehen diese Aktuelle Stunde also nicht als einmaligen Akt, der sich eventuell im Wahljahr gut macht. Uns geht es nicht darum, immer wieder die Hintergründe von Kriegen deutlich zu machen. Uns geht es um Grundsätzliches: Die Erkenntnisse und Vorschläge der Friedens- und Konfliktforschung sollen in unseren außenpolitischen Debatten und Entscheidungen endlich den Rang einnehmen, der ihnen nach unserer Überzeugung zukommt.

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Herr Kollege, denken Sie bitte an die Redezeit.

Prof. Dr. Heinrich Fink (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003116, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Die Fraktion der demokratischen Sozialisten hat das diesjährige Friedensgutachten zum Gegenstand dieser Aktuellen Stunde gemacht, weil wir meinen, dass dieses Gutachten, wie übrigens auch die Gutachten aus den vorhergehenden Jahren, nicht allein eine möglichst große Öffentlichkeit und eine parlamentarische Behandlung, sondern auch eine fortgesetzte Befassung der Bundesregierung verdient hat. ({0})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Christian Sterzing.

Christian Sterzing (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002810, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Man fragt sich am Ende dieser Aktuellen Stunde, ob die PDS sie auch beantragt hätte, wenn sie das Gutachten gelesen hätte. In der Kürze der Zeit seit Erscheinen war das ja kaum möglich. Ich glaube, dass die vielen Zitate gezeigt haben, dass dieses Gutachten eine wesentlich differenziertere, problemorientiertere Auseinandersetzung verdient, als das hier in einer Aktuellen Stunde möglich ist. Dieses Gutachten eignet sich wirklich nicht als Munitionskiste, um die Bundesregierung vorzuführen. Die Friedensgutachten waren in den letzten Jahren immer durchaus wertvolle Beiträge. Es waren Analysen und problemorientierte Auseinandersetzungen auch mit den Strategien der Politik der jeweiligen Regierung. Wir müssen uns immer wieder den Vorwurf anhören, diese Regierung betreibe eine Politik der Militarisierung und blicke nur auf das Militär als möglichen Problemlöser. Dieses Gutachten zeigt jedoch sehr deutlich, dass das nicht der Fall ist. In ihm wird differenziert das Instrumentarium ausgebreitet, mit dem den verschiedenen Bedrohungslagen heute begegnet werden muss. Wenn wir die Politik der Bundesregierung genauso differenziert betrachten, dann stellen wir fest, dass dieses breite Instrumentarium auch genutzt wird. Lassen Sie mich nur kurz die zivile Polizei erwähnen. Deutschland - wir haben heute darüber gesprochen - hat in besonderer Weise die Verantwortung für die Ausbildung der Polizei in Afghanistan übernommen, weil wir gelernt haben, welche entscheidende Rolle die Polizei in einem solchen zerfallenden Staatssystem und dann wieder bei der Staatsbildung, dem „nation building“, spielt. Wir haben im Rahmen der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik und der europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik eben nicht nur eine Eingreiftruppe von 60 000 Mann in den Blick genommen, sondern auch die Herausbildung eines Potenzials von 5 000 Polizisten. Auch hier wird der nicht militärische, zivile Sektor des Konfliktmanagements deutlich, dem die Bundesregierung die notwendige Aufmerksamkeit widmet. In dem Gutachten wird auch auf den Zusammenhang zwischen Frieden und Demokratie hingewiesen. Natürlich haben wir auch in dieser Beziehung gelernt. In dem Plan des Außenministers Fischer für den Frieden im Nahen Osten wird zum Beispiel auf genau dieses Problem hingewiesen. Es wird gesagt: Gerade auf palästinensischer Seite müssen wir - das ist eine Lehre aus den Versäumnissen in der Vergangenheit - der Herausbildung zivilgesellschaftlicher Elemente mehr Aufmerksamkeit widmen. Wir müssen hier einen Verfassungsprozess und die Entwicklung von Demokratie fördern. Auch hier wird also deutlich sichtbar: Wir nehmen die Anregungen und Ideen von Friedensforschungsinstituten durchaus ernst. Sie aufzunehmen ist die Politik der Bundesregierung. Insofern eignet sich das Friedensgutachten nicht dazu, die Bundesregierung vorzuführen. ({0}) Sie sollten dieses Gutachten als Maßstab nutzen, Ihre eigene Politik zu überprüfen. Dann wird es bis zur Beantragung einer nächsten Aktuellen Stunde zu diesem Thema wahrscheinlich noch lange Zeit dauern. Vielen Dank. ({1})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Ich schließe da- mit die Aktuelle Stunde. Ich rufe Zusatzpunkt 22 auf: Erste Beratung des von den Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN einge- brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verbesse- rung des Zuschusses zu ambulanten medizini- schen Vorsorgeleistungen - Drucksache 14/9357 - Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Gesundheit Die Kolleginnen und Kollegen Schmidbauer, Faust, Göring-Eckardt, Thomae und Fuchs haben gebeten, ihre Reden zu Protokoll geben zu dürfen. Sind Sie damit ein- verstanden1)? - Das ist der Fall. Interfraktionell ist die Überweisung des Gesetzentwur- fes auf Drucksache 14/9357 an den Ausschuss für Ge- sundheit vorgeschlagen worden. Sind Sie damit einver- standen? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe Tagesordnungspunkt 39 a bis 39 f sowie Zu- satzpunkt 23 auf: 39. a) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen ({0}) zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Winfried Wolf, Eva Bulling- Schröter, Christine Ostrowski, weiterer Abgeord- neter und der Fraktion der PDS Bahnpreissystem für Fahrgäste attraktiv ge- stalten - Drucksachen 14/7768, 14/8557 - Berichterstattung: Abgeordnete Karin Rehbock-Zureich 1) Anlage 12 b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen ({1}) zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Winfried Wolf, Eva Bulling- Schröter, Heidi Lippmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der PDS Interregio für die Regionen erhalten - Drucksachen 14/4543, 14/8575 - Berichterstattung: Abgeordneter Klaus Hasenfratz c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen ({2}) - zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Peter Danckert, Siegfried Scheffler, Reinhard Weis ({3}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Albert Schmidt ({4}), Franziska Eichstädt-Bohlig, Helmut Wilhelm ({5}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN Option für eine Fernbahnanbindung des Bahnhofs Berlin-Lichtenberg offen halten - zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Winfried Wolf, Gerhard Jüttemann, Rolf Kutzmutz, wei- terer Abgeordneter und der Fraktion der PDS Realisierung einer direkten Fernbahnver- bindung zwischen den Bahnhöfen Berlin Ostbahnhof und Berlin-Lichtenberg beim Ausbau des Eisenbahnknotens Berlin - Drucksachen 14/9270, 14/3783, 14/9403 - Berichterstattung: Abgeordnete Dr. Peter Danckert Renate Blank d) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Winfried Wolf, Eva Bulling-Schröter, Rosel Neuhäuser und der Fraktion der PDS Innerdeutschen Luftverkehr auf die Bahn verlagern - Drucksache 14/9255 Überweisungsvorschlag Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen ({6}) Ausschuss für Tourismus e) Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Dr. Winfried Wolf, Eva Bulling-Schröter, Wolfgang Bierstedt, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der PDS eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Aufhebung des Magnetschwebebahnplanungsgesetzes - Drucksache 14/8300 ({7}) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen ({8}) - Drucksache 14/9345 Berichterstattung: Abgeordneter Reinhard Weis ({9}) f) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen ({10}) - zu dem Antrag der Abgeordneten Georg Brunnhuber, Dirk Fischer ({11}), Dr.-Ing. Dietmar Kansy, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU Mitwirkungsrechte des Deutschen Bundestages bei Transrapid-Entscheidungen sichern - zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Winfried Wolf, Eva Bulling-Schröter, Wolfgang Bierstedt, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der PDS Keine Entscheidung über den Bau einer Magnetschwebebahnstrecke in der Bundesrepublik Deutschland ohne Einstellung der entsprechenden Bundesmittel in den Bundeshaushalt - Drucksachen 14/8590, 14/8296, 14/9345 Berichterstattung: Abgeordneter Reinhard Weis ({12}) ZP 23 Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Winfried Wolf, Dr. Ilja Seifert, Monika Balt, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der PDS Erhalt der Bahnwerke - behindertengerechte Umrüstung des Wagenparks der DB AG - Drucksache 14/9365 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen Hier haben die Abgeordneten Danckert, Brunnhuber, Blank, Schmidt ({13}), Friedrich ({14}) und Wolf gebeten, die Reden zu Protokoll geben zu dürfen. - Auch damit sind Sie, wie ich sehe, einverstanden.1) Wir kommen also gleich zur Abstimmung über die Be- schlussempfehlung des Ausschusses für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen auf Drucksache 14/8557 zu dem Antrag der Fraktion der PDS mit dem Titel „Bahnpreis- system für Fahrgäste attraktiv gestalten“. Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 14/7768 abzuleh- nen. Wer stimmt für die Beschlussempfehlung? - Gegen- stimmen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist gegen die Stimmen der PDS mit den Stimmen des übri- gen Hauses angenommen worden. Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Aus- schusses für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen auf Drucksache 14/8575 zu dem Antrag der Fraktion der PDS mit dem Titel „Interregio für die Regionen erhalten“. Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag abzulehnen. Wer stimmt für die Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? - Ent- haltungen? - Die Beschlussempfehlung ist gegen die Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer 1) Anlage 11 Stimmen der PDS mit den Stimmen des übrigen Hauses angenommen worden. Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen, Drucksache 14/9403. Der Ausschuss empfiehlt unter Nr. 1 seiner Beschlussempfehlung die Annahme des Antrags der Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen mit dem Titel „Option für eine Fernbahnanbindung des Bahnhofs Berlin-Lichtenberg offen halten“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist bei Enthaltung der PDS mit den Stimmen des übrigen Hauses angenommen worden. Unter Nr. 2 seiner Beschlussempfehlung empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion der PDS mit dem Titel „Realisierung einer direkten Fernbahnverbindung zwischen den Bahnhöfen Berlin Ostbahnhof und Berlin-Lichtenberg beim Ausbau des Eisenbahnknotens Berlin“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist gegen die Stimmen der PDS mit den Stimmen des übrigen Hauses angenommen worden. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 14/9255 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Abstimmung über den von der Fraktion der PDS eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Aufhebung des Magnetschwebebahnplanungsgesetzes, Drucksache 14/8300. Der Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen empfiehlt unter Nr. 1 seiner Beschlussempfehlung, den Gesetzentwurf abzulehnen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung gegen die Stimmen der PDS mit den Stimmen des übrigen Hauses abgelehnt worden. Damit entfällt nach unserer Geschäftsordnung die weitere Beratung. Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen, Drucksache 14/9345. Unter Nr. 2 seiner Beschlussempfehlung empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache 14/8590 mit dem Titel „Mitwirkungsrechte des Deutschen Bundestages bei Transrapid-Entscheidungen sichern“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen von CDU/CSU, FDP und PDS angenommen. Unter Nr. 3 seiner Beschlussempfehlung empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion der PDS auf Drucksache 14/8296 mit dem Titel „Keine Entscheidung über den Bau einer Magnetschwebebahnstrecke in der Bundesrepublik Deutschland ohne Einstellung der entsprechenden Bundesmittel in den Bundeshaushalt“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen, CDU/CSU und FDP gegen die Stimmen der PDS angenommen. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 14/9365 an den Ausschuss für Verkehr, Bauund Wohnungswesen vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesordnung, die, wie wir alle wissen, sehr reichhaltig war. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Mittwoch, den 26. Juni 2002, 13 Uhr, ein. Die Sitzung ist geschlossen.