Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Herr
Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vom 26. August bis 4. September findet im südafrikanischen Johannesburg der Weltgipfel für nachhaltige Entwicklung statt. Die
südafrikanischen Gastgeber sprechen, bezogen auf die erhofften Ergebnisse, von den „3 Ps“ - People, Planet, Prosperity. Das heißt, es geht um die nachhaltige Gestaltung
der globalen Entwicklung im Interesse der Menschen und
ihrer wirtschaftlichen Chancen und um den Schutz und
die Erhaltung unserer natürlichen Lebensgrundlagen.
Zur Erinnerung: In dem so genannten BrundtlandReport von 1987 heißt es: Nachhaltige Entwicklung
meint
eine Entwicklung, die die Bedürfnisse der heutigen
Generation befriedigt, ohne damit die Fähigkeit
künftiger Generationen zu beeinträchtigen, ihre eigenen Bedürfnisse zu befriedigen.
Das meint eine Politik, die die ökologischen Grenzen
respektiert, eine hoch effiziente Nutzung der natürlichen
Ressourcen verwirklicht, den Ländern des Südens die
volle Nutzung der Chancen der Globalisierung ermöglicht und soziale Gerechtigkeit verwirklicht.
Dass es um die nachhaltige Gestaltung der Globalisierung gehen muss, ist eindeutig. Wir erleben doch, dass es
selbst in den europäischen Ländern größere Bevölkerungsgruppen gibt, die Angst und Sorge haben, in der globalen Entwicklung die Orientierung und die Verankerung
zu verlieren. Wenn das schon in den Ländern so ist, die objektiv auf der Gewinnerseite der Globalisierung stehen,
Präsident Wolfgang Thierse
wie mag die Angst und die Furcht in den Ländern des
Südens sein, die objektiv bisher noch nicht auf der
Gewinnerseite der Globalisierung, sondern auf der Verliererseite stehen?
({0})
Doha, Monterrey, Johannesburg - dieser Dreiklang
großer internationaler Konferenzen soll für Tempo und
auch für Kohärenz, für Übereinstimmung in der nachhaltigen Gestaltung der Globalisierung sorgen, soll ein Leitmotiv für eine neue Partnerschaft zwischen Industrie- und
Entwicklungsländern sein. Es gibt im Nachgang des
Welternährungsgipfels durchaus Kritik an Gipfeln; aber
ich sage: Es kommt immer auf eine genaue Betrachtung
an. In Doha haben sich die Industrieländer auf die Entwicklungsländer zubewegt und zugesagt, dass sie zum
Beispiel ihre Exportsubventionen in Bezug auf Agrarprodukte auslaufen lassen und beenden wollen. Das ist ein
hervorragendes Ergebnis dieser Konferenz gewesen, an
dem wir dann auch festhalten müssen.
({1})
Im März hat sich die internationale Gemeinschaft bei
der Konferenz Financing for Development in Monterrey
auf den Konsens von Monterrey verpflichtet, der das
wechselseitige In-Verantwortung-Nehmen der Entwicklungsländer bei verantwortlicher Regierungsführung, Korruptionsbekämpfung und auf der Seite der Industrieländer
mehr finanzielle Mittel und besseren Zugang zu den
Märkten beinhaltet.
Auf diesen Verpflichtungen von Monterrey können
und müssen wir in Johannesburg beim Weltgipfel für
nachhaltige Entwicklung aufbauen. Das große Thema
dort heißt „Gestaltung der Globalisierung“. Es geht nicht
um gänzlich neue Ziele und Konzepte, es geht um die
kohärente Umsetzung der bisher festgelegten Konzeptionen und Ziele.
({2})
Denn die Ziele, die da festgelegt worden sind, sind gut.
Johannesburg muss zu einem Weltgipfel der Aktion werden und verbindliche Aktionspläne für gemeinsames
Handeln festlegen. Kofi Annan hat das für die Bereiche
Wasser, Energie, Gesundheit, Ernährung und Landwirtschaft sowie Biodiversität gefordert.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, das größte Hindernis
für eine ökologisch nachhaltige Gestaltung der Globalisierung ist die weltweite Armut. Denn arme Menschen
sind gezwungen, die Natur und die Ressourcen auszubeuten. Sie sind aber auch die ersten, die von Naturkatastrophen betroffen sind und darunter leiden. Deshalb müssen
wir vor Schmalspurdenken warnen. Wer die Umwelt und
die natürlichen Ressourcen der Welt schützen will, muss
die Armut bekämpfen.
({3})
Wer am liebsten mit erhobenem Zeigefinger an die Entwicklungsländer appelliert, dass sie sich doch aus globaler Verantwortung um den Schutz ihrer Urwälder, Flüsse
und Seen kümmern sollen, der darf sich nicht wundern,
wenn die Entwicklungsländer skeptisch reagieren und uns
Heuchelei vorwerfen. Sie werden daran erinnern, dass es
die Industrieländer waren, die im Zuge ihrer eigenen Entwicklung den Planeten verschmutzt und das Klima verändert haben. Die Entwicklungsländer werden den Verdacht
hegen, dass dieselben Industrieländer jetzt die Leiter hinter sich hochziehen und die Entwicklungsländer vom
wirtschaftlichen Wachstum ausschließen wollen. Diesen
Verdacht werden wir nur dadurch ausräumen können,
dass wir globale Armut mit mindestens der gleichen Entschlossenheit bekämpfen, wie wir die globale Umwelt
schützen wollen.
({4})
Wenn wir dazu beitragen wollen, dass bis zum Jahr
2015 der Anteil der Menschen, die in absoluter Armut leben, halbiert wird, müssen in den Entwicklungsländern
hohe Wachstumsraten erzeugt werden, und das auch angesichts des Tatbestandes, dass in den nächsten etwa
20 Jahren zu den heute 6 Milliarden Menschen weitere
2 Milliarden Menschen hinzukommen werden, vor allem
in den Entwicklungsländern.
Die Frage, mit welchen Technologien und mit welchem Energieansatz und Energieeinsatz in den Entwicklungsländern dieses Wachstum erzeugt wird, ist deshalb
zentral. Sind es die alten Technologien, dann sind der weitere Raubbau und die weitere Klimaveränderung vorprogrammiert. Deshalb liegt es in unserem ureigenen Interesse, im Verhältnis zu den Entwicklungsländern auf eine
Steigerung der Energieeffizienz, auf die Bereitstellung
von Energie aus sicheren und umweltschonenden Quellen, zum Beispiel Sonne und Wind, zu setzen.
({5})
Weil es um Nachhaltigkeit und Zukunftsorientierung
geht, darf ich an dieser Stelle sagen: Wer von den Parteien
zurück zur Atomenergie will, der will offensichtlich zu
der in unseren Ländern unsichersten und am wenigsten
zukunftsfähigen Energieart zurück.
({6})
Auch das muss gesagt werden: Wenn ein Land wie
China das kopierte, was die USA praktizieren, nämlich
energiebedingte CO2-Emissionen in Höhe von 20,2 Tonnen pro Kopf der Bevölkerung, dann ginge uns allen die
Luft aus. Zum Vergleich: Bezogen auf die Zahl, die ich
eben für die USA genannt habe, emittiert China rund ein
Zehntel pro Kopf der Bevölkerung.
Deutschland ist für diesen neuen Energieansatz prädestiniert; denn bei den Energiespartechniken und den umweltschonenden Energien sind wir führend auf der Welt.
Was ehedem unmöglich schien, die Entkoppelung des
Wirtschaftswachstums von dem Anstieg des Energieverbrauchs, haben wir geschafft. Im Sinne des Konsensus der
Entwicklungspartnerschaft, der in Monterrey vereinbart
worden ist, wollen wir diese Errungenschaft nicht für uns
behalten, sondern sie mit den Partnern in den Entwicklungs- und Transformationsländern teilen.
Einer unserer Schwerpunkte für Johannesburg ist, dass
wir für einen besseren Klimaschutz und für eine nachhaltige sowie effiziente Energieversorgung neue strategische
Partnerschaften mit der Industrie auf den Weg bringen
wollen. Es geht auch darum, eine Initiative für den Export
erneuerbarer Energien zu ermöglichen. Mit unseren entwicklungspolitischen Durchführungsorganisationen wollen wir dazu beitragen, dass das vor Ort auch praktisch
funktioniert und gute Ergebnisse bringt.
({7})
Im Hinblick auf den in Johannesburg zu vereinbarenden Aktionsplan gibt es zwei Bremser: die USA, die keine
Festlegung eines Anteils von erneuerbaren Energien wollen, und die Erdöl exportierenden Länder. Ich appelliere
deshalb an die Erdöl importierenden Entwicklungsländer,
die sich ja mit in der Gruppe der G-77 befinden, sich von
den OPEC-Ländern nicht bevormunden zu lassen, sondern mit den europäischen Ländern ein Bündnis zu
schließen. Schließlich sind die armen Erdöl importierenden Entwicklungsländer am stärksten von schwankenden
Energie- und Ölpreisen betroffen. Jeder Dollar, den sie
beim Import von Erdöl einsparen, können sie für Gesundheit, Bildung und Armutsbekämpfung in ihren Haushalten
einsetzen. Deshalb ist es so wichtig, dieses Bündnis zu
schließen.
({8})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, bezogen auf diese
strategische Partnerschaft wollen wir das Gleiche für den
Wassersektor verwirklichen. Weltweit ist der Zugang zu
sauberem Wasser immer noch über 1 Milliarde Menschen versagt. Die Konsequenz ist, dass Hunderttausende,
ja Millionen von Kindern an verschmutztem Wasser sterben. Wir werden vor allem den Entwicklungsländern in
Afrika eine Partnerschaft anbieten, die den Zugang der
Armen zu sauberem Wasser und zu Sanitäreinrichtungen
verbessern soll. Es geht darum, dass die notwendigen Investitionen - das sind im Jahr etwa 180 Milliarden
US-Dollar - in einer gemeinsamen Initiative zwischen
dem privaten Sektor, zwischen den Entwicklungs- und Industrieländern getätigt werden.
Wenn wir mit diesen beiden Initiativen dazu beitragen
können, dass mehr Menschen auf der Welt Zugang zu
sauberem Trinkwasser haben, dass weniger Kinder sterben müssen und dass sich Handwerk und Industrie entwickeln können, weil umweltgerechte Energie bereitgestellt wird, dann haben sich die Anstrengungen gelohnt.
Wenn durch die strategischen Partnerschaften im Energieund Wasserbereich deutsche Technik und deutsches
Know-how gefragt sind und dadurch Investitionen initiiert werden, wenn dadurch bei uns Arbeitsplätze gesichert
und neu geschaffen werden, dann ist uns dies ebenfalls
hochwillkommen. Bei dieser Initiative können alle Teile
gewinnen.
({9})
Es sind zwar viele unserer Forderungen bei der Vorbereitung für den Weltgipfel in Johannesburg akzeptiert
worden, zum Beispiel die des Vorrangs der Armutsbekämpfung. Aber es gibt auch ein neues Misstrauen zwischen Industrie- und Entwicklungsländern. Dies resultiert
bei den Entwicklungsländern vor allen Dingen daraus,
dass sie die große Sorge haben, die Industrieländer könnten ihre Zusagen, ihnen den Zugang zu ihren Märkten und
dem Welthandel zu ermöglichen, nicht einhalten.
Ich sage Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen: Die
Industrieländer sind und bleiben so lange unglaubwürdig,
wie sie den Partnerländern den Freihandel zwar predigen, ihnen aber, wenn es hart auf hart kommt, mit protektionistischen Maßnahmen begegnen und ihnen am Ende
auf den Weltmärkten mit subventionierten Produkten unfaire Konkurrenz machen, anstatt ihnen unsere Märkte zu
öffnen. Das ist das Gegenteil dessen, was in dieser Welt
notwendig ist, um nachhaltige Entwicklung zu ermöglichen.
({10})
Dass es in Bezug auf Johannesburg im Moment bei bestimmten Fragen zu den Aktionsplänen noch Schwierigkeiten gibt, hängt auch damit zusammen, dass durch die
Aktion der amerikanischen Regierung, die im letzten Monat massive Agrarsubventionen beschlossen hat, die staatliche Subventionierung des amerikanischen Agrarsektors
um 70 Prozent aufgestockt wurde. Das ist ein verheerendes Signal an die Adresse der Entwicklungsländer.
({11})
Das ist auch die Ursache dafür, dass bei der Vorbereitung
für den Gipfel in Johannesburg die Entwicklungsländer in
bestimmten Bereichen große Zurückhaltung zeigen.
Zum Schluss möchte ich deshalb die Gelegenheit nutzen, an die Bush-Administration zu appellieren, diese
auch letztlich für die US-Landwirtschaft langfristig
schädliche Entscheidung wieder rückgängig zu machen.
Das wäre wirkliche politische Stärke.
({12})
Bis zur Eröffnung des Weltgipfels für nachhaltige Entwicklung in Johannesburg sind es noch rund elf Wochen.
Ich habe nach dem in manchen Bereichen unbefriedigenden Verlauf der Vorbereitungskonferenz in Bali auf die
derzeitige Situation hingewiesen. Doch Resignation ist
keine politische Kategorie.
({13})
Wir unterstützen Kofi Annan und die Arbeit der EURatspräsidentschaft sowie das Engagement des südafrikanischen Umweltministers Valli Moosa in der weiteren
Vorbereitung, damit Johannesburg zu einem Erfolg werden kann und die nachhaltige Gestaltung der Globalisierung kein hehres Zukunftsziel bleibt. In Johannesburg
kann und muss - ein Jahr nach den entsetzlichen Terroranschlägen auf New York und Washington - ein Pakt zwischen Industrie- und Entwicklungsländern für eine gerechBundesministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul
tere Welt geschlossen werden. In diesem Sinne arbeiten wir
für einen Erfolg dieser Konferenz.
Ich danke Ihnen.
({14})
Ich erteile das Wort
dem Kollegen Paul Laufs, CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine
Damen und Herren! Die Nachhaltigkeit ist zu einem Begriff großer Beliebigkeit geworden. Der Sachverständigenrat für Umweltfragen merkt in seinem Umweltgutachten 2002 zur Nachhaltigkeitsstrategie der rot-grünen
Bundesregierung kritisch an, dass neue Unklarheit erzeugt und Themen angesprochen werden, deren Zusammenhang mit Nachhaltigkeit durchaus fraglich ist.
In der Regierungserklärung zur Zukunftssicherung
durch Nachhaltigkeit war von all dem die Rede, was aus
deutscher Binnensicht zukunftsrelevant erscheint: von der
Gefahr der Renationalisierung in Europa bis zum Bundeswehreinsatz in Kabul. Auch nach Ihrer Rede, Frau Ministerin, fragen wir uns: Welche konkreten Ziele wird die
Bundesregierung in Johannesburg verfolgen? Was ist Ihre
Konzeption für die Auseinandersetzung mit den Ländern,
die nicht so wie wir über nachhaltige Entwicklung denken?
({0})
Auch die internationalen Verhandlungen zur Vorbereitung des Weltgipfels für nachhaltige Entwicklung in Johannesburg waren thematisch diffus. Fragen des Handels,
der Marktzugänge, der Verschuldung und der Finanzen
standen im Mittelpunkt und nicht die nachhaltige Entwicklung. Johannesburg dürfe nicht zum Treffen der Beliebigkeit werden, hat der Bundesumweltminister dieser
Tage gesagt. Damit hat er völlig Recht. Aber sonst hört
man arg wenig von ihm.
({1})
Wir erinnern uns noch lebhaft an die Konferenzen in Rio
und Kioto, als die damaligen deutschen Umweltminister
Klaus Töpfer und Angela Merkel eine mitreißende und
prägende Rolle gespielt haben.
({2})
Auch auf diesen Konferenzen waren die USA gewiss
nicht die treibende Kraft beim Natur- und Klimaschutz.
Worum geht es eigentlich?
({3})
Das zentrale Anliegen einer nachhaltigen, zukunftsfähigen Entwicklung ist die haushälterische und schonende
Nutzung der Ressourcen unserer Erde; das heißt, dass dabei die Natur und Umwelt, aber auch die Interessen kommender Generationen geschützt und nicht unzumutbar beeinträchtigt werden. Jede Nachhaltigkeitsstrategie hat
zudem der globalen Verantwortung gerecht zu werden,
die ökonomischen, die ökologischen und die sozialen Ungleichgewichte in dieser Welt zu mindern und auszugleichen. Darum geht es in Johannesburg.
Bei der Vorbereitung des Weltgipfels für nachhaltige
Entwicklung in Johannesburg erleben wir schmerzlich,
dass die Industrieländer keine erfolgreiche globale Nachhaltigkeitspolitik betreiben können, ohne ihre in Rio 1992
und in Monterrey im März dieses Jahres eingegangenen
Verpflichtungen und Absichtserklärungen zur Entwicklungsfinanzierung und zur Öffnung der Märkte wirklich
einzulösen. Im Weltgipfelvorbereitungsausschuss in Bali
haben die Entwicklungsländer vergeblich auf ein klares
politisches Signal in dieser Richtung gewartet und dann,
als es ausblieb, weitere Verhandlungen über greifbare
Zielvereinbarungen und Programme verweigert. Die Ergebnisse von Bali sind ernüchternd und enttäuschend.
({4})
Dort, wo es konkret und hart zur Sache ging, konnten
sich die EU und Deutschland mit ihren Vorschlägen nicht
durchsetzen. Es gibt keine Fortschritte beim Schutz der
biologischen Vielfalt, kein Weiterkommen im Kampf um
die Beendigung der Waldzerstörung, keine konkreten Ziele
und Aktionsprogramme für eine nachhaltige Energie- und
Wasserpolitik, keine Fortschritte bei den streitigen Querschnittsthemen Menschenrechte, gute Regierungsführung,
Handel, Finanzen undVerbraucherinformation, integrierte
Produkt- und Produktionspolitik und internationales Chemikalienmanagement. Wohin man auch blickt: Man hat
nichts erreicht.
({5})
- Ja, darüber ist gestritten worden. - Die wichtigsten Fragen sind offen. Über sie muss auf dem Weltgipfel in Johannesburg insbesondere auf Ministerebene weiter verhandelt werden. Nun ist die Regierung gefordert, die Dinge zu
bewegen. Aber sie wirkt nach Bali eher kleinlaut und erschöpft.
({6})
Was wird sich langfristig als nachhaltig und zukunftsfähig erweisen? Wir wissen es nicht mit Sicherheit. Die
heute bestehenden Ungewissheiten über die Wirkung und
Größenordnung von Klimaveränderungen, über die Anpassungsfähigkeit biologischer, physischer und gesellschaftlicher Systeme, über Verbraucherpräferenzen sowie
über künftige technische Fortschritte und Marktentwicklungen werden uns lange und immer wieder aufs Neue begleiten. Nachhaltigkeitspolitik ist deshalb zuallererst dem
Vorsorgegrundsatz verpflichtet. Wir müssen mit Augenmaß handeln, schon bevor sich die Ungewissheiten aufgeklärt haben. Eine nachhaltige, zukunftsfähige Entwicklung
ist deshalb ein evolutionärer Prozess, der von regelmäßigen Überprüfungen des erreichten Entwicklungsstandes,
von ständigen Abwägungen zwischen den ökonomischen,
den ökologischen und den sozialen Belangen sowie von
neuen Richtungsentscheidungen begleitet ist.
Wir brauchen natürlich für jeden Schritt konkrete Zielsetzungen. Aber wir halten es prinzipiell für falsch, wenn
sich Rot-Grün schon heute auf langfristige technologiebezogene Vorgaben festlegt, etwa auf die Höhe des Anteils der erneuerbaren Energien an der Energieversorgung
im Jahr 2020 oder im Jahr 2050. Es wird bis dahin große
wissenschaftlich-technische Fortschritte auch in anderen
Bereichen geben.
({7})
Wer kann denn ausschließen, dass es in absehbarer Zeit kostengünstigere, gleichermaßen umweltverträgliche Alternativen wie etwa das CO2-freie fossile Kraftwerk mit CO2Abscheidung und -Endlagerung in geologischen Aquiferen
oder in bereits erschöpften Erdgaslagerstätten gibt?
Die Vorschläge der EU und der Bundesregierung im
Vorbereitungsausschuss zum Johannesburger Weltgipfel,
für den Einsatz erneuerbarer Energien weltweite Steigerungsziele festzuschreiben, sind jedenfalls auf den schärfsten Widerstand der Gruppe der 77, aber auch der USA, Japans und anderer Industriestaaten gestoßen.
Erneuerbare Energien - das stellt kein Mensch infrage - haben ihre sinnvollen und wichtigen Anwendungsbereiche. Aber es ist nicht im Interesse der Entwicklungsländer, wenn wir uns beim Technologietransfer
vorrangig auf kostenaufwendige regenerative Energietechniken konzentrieren, für die vor Ort auch keine preisgünstigen Speichermöglichkeiten vorhanden sind.
({8})
Beim Transfer von nachhaltigen Technologien, Knowhow und Kapital in die Entwicklungsländer sind die jeweiligen kulturellen, wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Gegebenheiten vor Ort zu berücksichtigen. Die
als Voraussetzung jeder nachhaltigen Entwicklung zu errichtenden effizienten und von den Kosten her tragbaren
sowie finanzierbaren Systeme zur Bereitstellung, Verteilung und Nutzung von Energie sind an diese Gegebenheiten anzupassen. Die private Wirtschaft muss dafür gewonnen und mobilisiert werden, am Strukturwandel mit
Bereitstellung von Kapital und Technologie mitzuwirken.
Anreize dazu könnten von einer Verzahnung mit der internationalen Klimaschutzpolitik durch Anwendung der
Kioto-Mechanismen ausgehen.
Auch öffentliche Entwicklungshilfe muss erheblich
ausgebaut und in den Dienst nachhaltiger Entwicklung
gestellt werden. Gekürzte Haushaltsmittel, Frau Entwicklungshilfeministerin, kann man nicht durch rhetorische
Emphase ersetzen.
({9})
Eine nachhaltig zukunftsfähige Entwicklung erfordert
gleichzeitiges Handeln in Industrie- und Entwicklungsländern, jede Seite in ihrer besonderen Verantwortung.
Wir wünschen uns für Johannesburg das Eine-Welt-Bewusstsein, das in Kioto und Rio herrschte.
Frau Ministerin Wieczorek-Zeul hat gerade wieder gegen die Atomenergienutzung gesprochen. Wir halten es
grundsätzlich für falsch, technische Optionen apodiktisch
auszuschließen und sie ganz allgemein als nicht nachhaltig zu bezeichnen, wie es von Rot-Grün mit der Kernenergie in allen ihren Nutzungsformen gemacht wird.
({10})
In vielen Ländern - das war auch in Bali zu sehen - wird
dies ganz anders eingeschätzt, zum Beispiel in Frankreich, in Finnland, in den USA, in Japan und in Südafrika.
Eines der zentralen Gegenargumente von Rot-Grün ist
die angeblich ungelöste Frage der Entsorgung radioaktiver Abfälle. Mit dem Planfeststellungsbeschluss zum
Endlager Konrad bei Salzgitter, der vor zwei Tagen im
Niedersächsischen Ministerialblatt und im Bundesanzeiger veröffentlicht wurde, bestätigt die Bundesregierung
nunmehr, dass die über sehr lange Zeiträume sichere Endlagerung und damit Entsorgung radioaktiver Abfälle in
tiefen geologischen Formationen auch in Deutschland
möglich ist.
({11})
Wir können nicht einsehen, warum der Zubau von
Kernkraftwerkssystemen mit neuesten Technologien, die
katastrophale Freisetzungen von Radioaktivität prinzipiell, aus physikalischen Gründen, ausschließen, verboten
bleiben soll. Es ist die Aufgabe des Staates, die strategischen Nachhaltigkeitsziele zu setzen, aber nicht seine
Aufgabe, die technischen Mittel zu ihrer Erreichung vorzuschreiben. Es gehört zu den eigentlichen staatlichen
Gestaltungsaufgaben, einen langfristig orientierten Ordnungsrahmen einzurichten und zu sichern, innerhalb dessen sich der Marktmechanismus mit seinen Such- und Optimierungsprozessen entfalten kann.
Regelungen für die In-Wert-Setzung von Umwelt und
Natur, also die Internalisierung externer Kosten, sind zu
finden und Forschung und Entwicklung sind zu intensivieren. Es gibt immer unterschiedliche Wege, auf denen
man Ziele erreichen kann. Nachhaltigkeitsziele werden
dann bestmöglich erreicht, wenn die langfristig entstehenden volkswirtschaftlichen Kosten am niedrigsten
sind. Es fällt schon auf, dass in den rot-grünen Anträgen
die Kosten nur beiläufig oder gar nicht untersucht werden.
Gerade in jüngster Vergangenheit sind gesetzliche Tatbestände für milliardenschwere Dauersubventionen im
Energiebereich begründet worden. Auch 200 000 zusätzliche Solardächer bedeuten noch keine nachhaltige Energieversorgung. Das wissen Sie so gut wie wir. Ihr Beitrag
zur Stromversorgung ist minimal, ihre Kosten aber sind
gigantisch. Dasselbe gilt für die Errichtung von immer
mehr Windanlagen an den besonders hoch subventionierten ungünstigen Standorten. Wir werden es erleben: Unkontrolliert anwachsende Subventionen führen rasch zu
sozialen und wirtschaftlichen Schieflagen und spürbaren
Ungerechtigkeiten.
({12})
Die gegenwärtige nationale Nachhaltigkeitspolitik bedarf einer Umsteuerung. Sie muss sich von ihrem interventionistischen, technologiebezogenen, überwiegend
aus der deutschen Binnensicht begründeten, einseitig auf
einzelne Belange ausgerichteten Vorgehen lösen. Die
ökologischen, ökonomischen und sozialen Ziele müssen
im Rahmen eines funktionierenden marktwirtschaftlichen
Systems und im internationalen Kontext gleichrangig und
mit derselben Intensität verfolgt werden.
Ich komme zum Schluss meiner letzten Rede im Deutschen Bundestag, dem ich seit 1976 angehöre. Ich möchte
allen meinen politischen Freunden und Gegnern, mit denen ich mich in der Umwelt- und Energiepolitik sachbezogen austauschen und auch streitig auseinander setzen
konnte, herzlich danken.
({13})
Ein Dilemma unserer Zeit ist sicherlich, dass die Sachfragen immer verwickelter werden und ihre Lösung immer schwieriger wird, während ihre öffentliche Vermittlung und Wahrnehmung immer weiter verflacht. Das
bringt uns Politiker, die wir für unser Handeln öffentliche
Zustimmung gewinnen müssen, in eine schwierige Lage.
Von Emotionen beherrschte Vorurteile dürfen das nüchterne, ernste und gewissenhafte Ringen um die Sache
nicht verdrängen.
({14})
Ich bin davon überzeugt, dass letztlich nur eine solide
Sacharbeit erfolgreich ist.
Ich wünsche Ihnen alles Gute, meine verehrten Kolleginnen und Kollegen.
({15})
Lieber Kollege
Laufs, ich möchte Ihnen nach Ihrer letzten Rede im Namen des ganzen Hauses unseren Dank und Respekt ausdrücken und Ihnen für Ihr weiteres Leben alles Gute
wünschen.
({0})
Ich erteile nun dem Bundesminister Jürgen Trittin das
Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte der Äußerung ausdrücklich
zustimmen, die Sie, Herr Laufs, zuletzt gemacht haben.
Nur eine engagierte Sachpolitik wird politisch erfolgreich
sein. Auch wenn wir in vielen Sachfragen unterschiedlicher Auffassung waren, will ich Ihnen gern konzedieren,
dass Sie sich dabei immer um eine sehr argumentative
Auseinandersetzung bemüht haben.
({0})
Wenn Ende August/Anfang September dieses Jahres
60 000 Menschen zu dem Weltgipfel für nachhaltige Entwicklung zusammenkommen, aber gleichzeitig viele
Menschen fragen, was Nachhaltigkeit eigentlich ist, dann
stehen wir sicherlich gemeinsam vor der Frage, was wir
vermitteln wollen. Ich meine, diese Debatte hat eines
deutlich gemacht: Nachhaltige Politik und nachhaltige
Entwicklung sind keine anderen Begriffe für Entwicklungshilfepolitik, aber auch nicht für Umweltpolitik.
Worum geht es bei der Nachhaltigkeit? Bei diesem Begriff geht es letztendlich um das, was wir gemeinsam als
globale Gerechtigkeit definieren würden, und zwar Gerechtigkeit zwischen den Generationen, innerhalb der Gesellschaften, aber auch zwischen den Ländern des Nordens
und des Südens sowie in den Lebenschancen und den Lebenserwartungen. Mit unserem Begriff von globaler Gerechtigkeit ist es nicht zu vereinbaren, wenn die Lebenschancen auf diesem Globus von Nord nach Süd völlig
unterschiedlich verteilt sind. Es ist mit dem Begriff von
globaler Gerechtigkeit nicht zu vereinbaren, wenn 20 Prozent der Weltbevölkerung 80 Prozent der Ressourcen verwenden oder gar, weil es sich häufig um endliche Ressourcen handelt, schlicht und ergreifend verschwenden.
Hier geht es darum, tatsächlich Veränderungen einzuleiten.
({1})
Globale Gerechtigkeit muss sich aber an zwei Bedingungen messen lassen. Indira Gandhi hat einmal gesagt:
Das größte Umweltgift ist die Armut. Sie hat Recht. Umgekehrt gilt aber auch: Es ist auf diesem Planeten, weil
seine Ressourcen endlich sind, keine Armutsbekämpfung möglich, ohne dass wir uns um den Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen kümmern.
({2})
Deswegen gehören Umwelt und Entwicklung zusammen.
Nachhaltige Entwicklung kann man nicht gönnerhaft
aus den reichen Gesellschaften des Nordens an den Süden
weiterreichen. Nachhaltige Entwicklung muss bei uns
hier im Norden beginnen, wo die meisten Ressourcen
verbraucht und verschwendet werden, wo übrigens auch
das meiste Wissen und das meiste Kapital zur Lösung der
globalen Probleme vorhanden ist. Das ist die Herausforderung gerade an die Gesellschaften des Nordens in Bezug auf nachhaltige Entwicklung.
({3})
Deswegen hat die Bundesrepublik Deutschland zusammen mit ihren Freunden in der Europäischen Union so darauf gedrängt, dass in den Vorbereitungen für Johannesburg konkrete Ziele im Aktionsprogramm festgeschrieben
werden. Hierbei handelt es sich nicht einfach nur um eine
instrumentelle oder akademische Frage.
Wir haben uns im Wesentlichen auf zwei Felder konzentriert, nämlich auf die Frage der Wasserpolitik und
auf die Frage der Energiepolitik. Beide sind für die Armutsbekämpfung und für die Entwicklung in den Ländern
des Südens die Schlüsselprobleme. Wenn 2 Milliarden
Menschen ohne Wasser oder ohne Entsorgung von Abwasser auf diesem Globus leben müssen, dann sind sie von
der Entwicklung abgeschnitten. Deswegen haben wir uns
das Ziel vorgenommen, bis 2015 die Hälfte dieser Menschen mit sauberem Wasser zu versorgen und bei ihnen
eine ordentliche Abwasserentsorgung zu installieren. Das
ist ein konkretes Ziel, für das wir in Johannesburg streiten
müssen.
({4})
Meine Damen und Herren, wenn auf diesem Globus
2 Milliarden Menschen ohne Anschluss an Elektrizität
leben, dann heißt das: Diese 2 Milliarden Menschen sind
von der Globalisierung, von den Chancen, die die Globalisierung bietet, ausgeschlossen. Daher ist es auch kein
akademisches Ziel, zu sagen: Wir wollen, dass die Menschen Zugang zur Elektrizität bekommen. Wir wissen
sehr genau, dass das nicht ausschließlich eine technische
Frage ist. Das ist auch eine Frage von politischen Entscheidungen. Wenn wir die Elektrizität nicht zu den Menschen bringen, werden die Menschen dorthin gehen, wo
es Energieversorgung gibt; sie werden weiterhin das Land
verlassen, in die großen Städte gehen und all die bestehenden Probleme verschärfen.
Deswegen wollen wir eine große Initiative für erneuerbare Energien. Diese haben zwar zugegebenermaßen,
Herr Laufs, ein Speicherproblem, haben aber gegenüber
unserer ziemlich zentralisierten Stromversorgung einen
entscheidenden Vorteil: Sie sind dezentral anwendbar und
bieten gerade in den Ländern des Südens ganz andere
Chancen als hier bei uns. Deswegen verfolgen wir das
Ziel, bis 2010 einen Anteil der erneuerbaren Energien von
15 Prozent zu erreichen.
({5})
Jetzt kommen wir zu einem anderen Punkt: Warum
waren diese politischen Ansätze auf der Vorbereitungskonferenz in Bali nicht durchsetzbar? Frau Kollegin
Wieczorek-Zeul hat dazu ja einiges gesagt. Ich will Ihnen
eine relativ einfache Antwort geben: Wenn man das
durchsetzen will, müssen die Industrieländer zu ihren Verpflichtungen stehen. Dann kann man nicht auf der einen
Seite langwierige Verhandlungen über die Erhöhung der
„global environment facility“ auf 2,7 Milliarden US-Dolllar führen, wozu die Bundesrepublik Deutschland und
auch die EU bereit sind, andererseits aber in der vorausgegangenen Verpflichtungsperiode die Beiträge nicht bezahlen, wie es leider die USA gemacht haben. Die betroffenen Länder sagen dann: Wir fühlen uns von euch nicht
ernst genommen. Es geht nicht an, dass man sagt: „Wir
wollen, dass ihr mehr Chancen für eine eigenständige
wirtschaftliche Entwicklung habt“, während man die Subventionen für die Landwirtschaft in den USA gleichzeitig
um 83 Prozent erhöht.
Ich möchte nicht, dass Sie mich hier missverstehen: Ich
könnte über die Unterschiede im Hinblick auf die Zahlung
von Entwicklungshilfe zwischen der EU und den USA
viel sagen. Die Zusagen der USA in Monterrey bedeuten,
dass der Entwicklungshilfeanteil der USAvon 0,1 Prozent
auf 0,11 Prozent des Bruttosozialprodukts ansteigt. Wir
Europäer haben uns verpflichtet, diesen Anteil bis 2006
auf 0,39 Prozent des Bruttosozialprodukts zu steigern.
({6})
Es geht aber um etwas anderes: Es geht darum, dass wir
unsere Verpflichtungen auch in anderer Hinsicht ernst
nehmen. Woran ist das Bündnis mit den Entwicklungsländern in Bali gescheitert? Ich will es Ihnen sagen: Es ist
daran gescheitert, dass sich Europa nicht darauf verständigen konnte, der Aussage, dass auch wettbewerbsverzerrende und nicht nur umweltschädliche Subventionen
abgebaut werden sollen, zuzustimmen.
Ich will Ihnen an einem einfachen Beispiel erläutern,
was das heißt.
({7})
- Nein wir, die Vertreter der Bundesrepublik Deutschland,
hatten in dieser Frage eine sehr eindeutige Position.
({8})
Wir haben ganz deutlich gesagt: Die Subventionen müssen gesenkt werden. Herr Kollege, wir sind nicht bereit,
eine Politik zu akzeptieren, die beispielsweise zehn Jahre
nach dem Sturz des Apartheidregimes in Südafrika dazu
geführt hat, dass einerseits südafrikanische Produkte auf
dem europäischen Markt angeboten werden durften, dass
andererseits die Südafrikaner ihren Markt für europäische
Produkte öffnen mussten und dass Europa dann Folgendes gemacht hat: Europa ist unter anderem mit Pfirsichen
auf den südafrikanischen Markt gegangen, deren Vertrieb
so stark subventioniert war, dass beispielsweise griechische Pfirsiche trotz der Transportkosten in Südafrika
10 Prozent billiger waren als die heimischen Pfirsiche. So
hat man eine funktionierende südafrikanische Pfirsichkonservenproduktion kaputtgemacht; 3 000 Menschen
sind arbeitslos geworden. Von diesen Erfahrungen sprechen die Entwicklungsländer.
Gerade im Hinblick auf unsere Kolleginnen und Kollegen in der Europäischen Union sage ich - wir werden
darüber in der übernächsten Woche im Umweltrat sehr
ernsthaft diskutieren müssen -: Wenn Europa das Ziel erreichen will, die Brücke zwischen den Industrieländern
und den Entwicklungsländern zu sein, dann muss es zu
seinen Verpflichtungen bei der Öffnung der Märkte und
beim Abbau von Subventionen stehen. Ob dieses Ziel erreicht wird oder nicht, ist die Schlüsselfrage. Die Beantwortung dieser Frage entscheidet darüber, ob Johannesburg ein Erfolg wird.
({9})
Lassen Sie mich zusammenfassend Folgendes sagen:
Sicherlich gab es in Bali erst einmal einen Rückschlag;
aber das ist bei internationalen Verhandlungen häufig so.
Ich glaube jedoch nicht, dass uns dies entmutigen sollte.
Die Bundesrepublik kann gemeinsam mit den anderen europäischen Staaten viel erreichen. Lassen Sie uns gemeinsame Anstrengungen unternehmen, damit Johannesburg
ein Erfolg wird. Der Weltgipfel für nachhaltige Entwicklung ist zwar noch nicht über den Berg; aber er ist
auch noch nicht den Bach runter. Deswegen lassen Sie
uns gemeinsam die notwendige Kraft investieren, damit
„nachhaltige Entwicklung“ nicht zu einer Leerformel
wird, sondern ein Schritt hin zu wirklicher globaler Gerechtigkeit.
({10})
Ich erteile der Kollegin Birgit Homburger, FDP-Fraktion, das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In wenigen Wochen findet der
Weltgipfel in Johannesburg statt. Zusammengeschlossen
unter dem Dach der Vereinten Nationen, werden sich die
Regierungen der internationalen Staatengemeinschaft daran messen lassen müssen, inwieweit sie dem Ziel der
Nachhaltigkeit gerecht werden.
Seit der Konferenz in Rio 1992 richten sich insbesondere auf Deutschland erwartungsvolle Blicke. Diese Erwartungen an Deutschland werden in Johannesburg wohl
aber bitter enttäuscht werden. Der Sachverständigenrat für
Umweltfragen hat sein jüngstes Gutachten mit der Überschrift versehen - sie ist sicherlich nicht zufällig gewählt,
Herr Trittin -: „Für eine neue Vorreiterrolle“. Es ist genau
diese Vorreiterrolle, die unter Rot-Grün verloren ging.
({0})
- Ja, Herr Kollege Hermann, sowohl bei der wirtschaftlichen Stabilität im europäischen Vergleich als auch im internationalen Rio-Prozess hat Deutschland seine Vorbildund Führungsfunktion eingebüßt; und das ausgerechnet
unter einem grünen Umweltminister. Herr Trittin, ich
muss Ihnen sagen: Das ist mehr als peinlich für Sie.
({1})
Vor diesem Hintergrund kann man nicht erwarten, dass
man viel bewegt. Wenn wir uns einmal an die Konferenz
in Rio erinnern, dann sehen wir, dass Deutschland damals
eine zentrale und wichtige Rolle gespielt hat
({2})
und den Durchbruch bei der internationalen Klimavereinbarung, die damals in Rio ihren Ausgang nahm, miterzielt
hat. In Johannesburg - das möchte ich Ihnen sehr deutlich
sagen - erwarten wir, dass die Bundesregierung dieselben
Anstrengungen unternimmt wie seinerzeit die alte Bundesregierung. Ich weiß, dass das nicht einfach und nicht
bequem ist, aber es muss sein, wenn dieser Prozess fortgesetzt werden soll.
({3})
Damit Johannesburg zu einem Erfolg für die nationale
und globale Entwicklung wird, ist mehr erforderlich als
wohlklingende Worte und politische Fensterreden, wie
wir sie gehört haben. Ja, es geht um die Verknüpfung von
ökonomischen, ökologischen und sozialen Fragestellungen. Aber um engagiert Verantwortung für nachfolgende
Generationen tragen zu können, müssen auch die Entwicklungsländer für den Umwelt- und Klimaschutz gewonnen werden. Wir alle wissen, dass die zentrale Frage
auf dieser Konferenz die von Reichtum und Armut ist. Die
Sorge der Entwicklungsländer um ihren wirtschaftlichen
Wohlstand und ihre Angst, der Umwelt- und Klimaschutz könnte sie in diesem Bereich behindern, darf nicht
dazu führen, dass in Johannesburg letzten Endes ausschließlich über Handel, Wirtschaft und Finanzen gesprochen wird.
({4})
Das halte ich für eine zentrale Herausforderung. Vor allem mit Blick auf die Entwicklungs- und Schwellenländer
liegen die Herausforderungen doch darin, eine dramatisch
wachsende Weltbevölkerung ausreichend mit sauberem
Wasser, mit Nahrung und auch mit Energie versorgen zu
können. Wir haben das heute Morgen schon in anderen
Worten gehört. Unter dem Eindruck der Empfehlungen
der Bonner Wasserkonferenz und der Ziele der Agenda 21
muss die Bundesregierung endlich aktiv werden. Wir wollen den Zugang zu sauberem Trinkwasser und vor allen
Dingen auch ein Gewässermanagement erreichen. Doch
wir wissen, dass diese Frage nach den Vorverhandlungen
noch offen ist. Es kommt darauf an, dass wir uns bei den
Konsultationen auf europäischer Ebene mit den europäischen Partnern, die sich gesperrt haben und die letztendlich in Bali einen Vorkompromiss verhindert haben, nämlich Frankreich und Irland, beraten und versuchen, sie
davon zu überzeugen, dass wenigstens die Europäer in die
richtige Richtung gehen. Herr Trittin und Frau Ministerin
Wieczorek-Zeul, wir erwarten von Ihnen, dass Sie durch informelle Konsultationen alle Anstrengungen unternehmen,
um die Europäer auf eine einheitliche Linie zu bringen. Wir
sollten uns für den Erfolg dieser Konferenz einsetzen.
({5})
Die Frage, wie in den Entwicklungsländern wieder
eine höhere Akzeptanz für den Umweltschutz geschaffen
werden könnte, ignoriert die Bundesregierung permanent.
Es handelt sich um die einmaligen ökologischen aber
auch ökonomischen Chancen, die ein moderner Klimaschutz auf der Grundlage der flexiblen Mechanismen des
Kioto-Protokolls auch für diese Länder bietet. Wir haben
vonseiten der FDP mehrfach darauf hingewiesen: Es gibt
gerade durch die Instrumente des Kioto-Protokolls eine
besondere Chance, dass den Entwicklungsländern die
Möglichkeit erschlossen wird, auf der einen Seite substanzielle Beiträge zum globalen Klimaschutz zu leisten,
aber gleichzeitig aktiv und in eigener Verantwortung am
Welthandel teilzunehmen. Das ist eine andere Dimension, weil man damit nicht mehr zum Hilfsempfänger
wird, sondern man selber Marktteilnehmer ist. In diesem
Zusammenhang muss ich ganz deutlich sagen: Obwohl
wir seit Jahren fordern, dass die Möglichkeiten, die das
Kioto-Protokoll hierzu bietet, genutzt werden, ermöglicht
die Bundesrepublik Deutschland es nicht. Sie, Herr Trittin,
sind derjenige, der dies in der Bundesrepublik Deutschland blockiert.
({6})
Die Ministerin Wieczorek-Zeul sagte hier heute Morgen: Gerade mit diesen Mechanismen hätten wir auch die
Chance, in regenerative Energien zu investieren. Aber Sie
lassen die Nutzung der Art. 6 und 12 im Augenblick nicht
zu. Es gibt deutsche Firmen, die bereit wären, hierzu Kooperationen einzugehen und bereits investieren, ohne im
Augenblick Geld zu erhalten. Sie verhindern das, indem
Sie die nötigen Übereinkommen mit den Ländern, die daran interessiert sind, nicht abschließen und damit diese
Chance für den Klimaschutz nicht nutzen.
({7})
Man müsste eine derartige Förderung mit dem entwicklungspolitischen Etat verknüpfen. Damit könnte man
auf Dauer etwas Substanzielles erreichen. Die Bundesregierung trat mit dem Versprechen an, künftig das 0,7-Prozent-Ziel bei der Entwicklungshilfe endlich zu erreichen
und den Beitrag Deutschlands zu verbessern. Das Verhältnis zwischen den Aufwendungen für die Entwicklungshilfe und dem Bruttosozialprodukt ist jedoch
schlechter geworden, als es früher war.
({8})
Angesichts eines solchen Bildes, mit dem Sie international und auf der bevorstehenden Konferenz antreten, muss
man sich nicht wundern, dass Sie nicht ernst genommen
werden. Bemühen Sie sich erst einmal darum, das durchzusetzen, was Sie angekündigt haben!
({9})
Herr Trittin, Sie sagten, bei den regenerativen Energien gebe es ein Speicherproblem. Es besteht tatsächlich.
Ich frage mich allerdings, warum die rot-grüne Koalition
diese Woche im Deutschen Bundestag den Antrag der
FDP-Fraktion abgelehnt hat, Geld für die Erforschung von
Speicherfunktionen bereitzustellen, mit deren Hilfe die regenerativen Energien gespeichert und damit langfristig genutzt werden könnten. Warum haben Sie diesen Antrag abgelehnt? Warum wollen Sie in dem Bereich nicht forschen?
Es ist doch völlig inkonsistent, was Sie hier machen.
({10})
Deswegen sage ich Ihnen sehr deutlich: Sie sind nicht daran interessiert, dass es weitergeht.
({11})
Das sieht man auch daran, dass Sie sich nicht einigen können. Wir haben vonseiten der FDP konstruktive Vorschläge hierzu gemacht, die seit Monaten vorliegen, aber
nicht beraten werden.
({12})
Sie wurden in dieser Woche wieder von der Tagesordnung
des Umweltausschusses abgesetzt, weil Sie nicht in der
Lage sind, sich zu einigen und Ihren eigenen Antrag vorzulegen. Es ist peinlich, was Ihnen hier passiert, und zeigt,
dass Sie überhaupt nicht in der Lage sind, in diesem Bereich etwas zu unternehmen. Wir fordern Sie auf, sich
endlich den Anträgen anzuschließen,
({13})
die Chancen zu nutzen und dazu beizutragen, dass Johannesburg ein Erfolg wird.
Vielen Dank.
({14})
Ich erteile der Kollegin Eva Bulling-Schröter, PDS-Fraktion, das Wort.
Herr Präsident! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Die Nachrichten, die wir über
die Vorbereitung des Weltgipfels in Johannesburg erhalten, sind alarmierend. Rio minus 10 statt Rio plus 10
könnte das Ergebnis im September werden, und zwar in
zweierlei Hinsicht: zum einen, was die reale Entwicklung
in der Zeit seit 1992 betrifft, zum anderen, was die wahrscheinliche Substanz der Konferenz angeht.
Die real messbaren Fortschritte in den vergangenen
zehn Jahren lassen sich schnell zusammenfassen: In den
Entwicklungsländern gibt es einen Rückgang der Todesursachen Lungenentzündung und Tuberkulose. Wir hatten
einen relativ raschen Ausstieg aus der Produktion ozonschädigender Stoffe in den Industriestaaten. Wenn aber in
den letzten zehn Jahren gleichzeitig die Armut nicht verringert werden konnte, die Kindersterblichkeit nur geringfügig abnahm, der Ausstoß von Klimagasen global
eben nicht sank, sondern um 7 Prozent stieg und auch die
Abholzungsrate der Urwälder weiter zunahm, können wir
kaum von Fortschritt sprechen.
({0})
Der Bericht des Worldwatch-Instituts von diesem Jahr
nennt drei wesentliche Gründe, die den Übergang zu einer
nachhaltigen Entwicklung und zu einer stabileren Welt
bisher verhinderten:
Zum einen habe Umweltpolitik weltweit eine zu geringe
Priorität. Die wachsende Zahl internationaler Umweltübereinkommen werde von unzureichenden Verpflichtungen,
vor allem von zu kärglicher Finanzierung, flankiert.
Während das UN-Umweltprogramm mit durchschnittlich
gerade einmal 100 Millionen Dollar pro Jahr auskommen
müsse, beliefen sich die Militärausgaben auf 2 Milliarden Dollar pro Tag.
({1})
Zum anderen bleibe die Entwicklungshilfe bei ihrem
ohnehin schon niedrigen Niveau weiter rückläufig.
Während das Weltsozialprodukt seit Rio 1992 um 30 Prozent stieg, seien die offiziellen Entwicklungstransfers von
Nord nach Süd um 69 Milliarden von 52 Milliarden Dollar im Jahre 2001 gefallen.
Drittens schließlich habe die Verschuldung der Dritten
Welt trotz anderer Verheißungen nicht ab-, sondern weiter
zugenommen. Sie erreichte 2001 mit rund 2,5 Billionen Dollar einen historischen Höchststand.
So weit zur Bilanz. Angesichts dieser Entwicklungen
sind die Erwartungen an den Weltgipfel zwiespältig. Er
könnte und müsste ein Signal setzen - das wollen wir
alle -, ein Signal, wie es damals von Rio ausging, indem
erstmals auf UN-Ebene der Zusammenhang von sich ausweitender Armut, Hungersnöten und Krankheiten, fortschreitender Zerstörung von Lebensgrundlagen und
Rückgang der Artenvielfalt festgestellt wurde.
Allerdings werden nicht nur Feststellungen erwartet,
sondern auch eine Verankerung international anerkannter
Ziele in den Dokumenten und die Vereinbarung konkreter
aktionsorientierter Schritte für eine nachhaltige Entwicklung.
({2})
Gerade in Bezug auf diesen Punkt sind inzwischen viele
Aktivistinnen und Aktivisten der Umwelt- und Entwicklungsorganisationen pessimistisch. Der Gipfel scheint ein
Flop bzw. mit seiner Partnerschaftsmesse eine Show von
Konzernen und Umweltbeamten zu werden.
Wie schon all die Jahre vorher sind es vor allem die
USA, Kanada und Neuseeland, die jegliche substanzielle
Vereinbarung torpedieren. Zudem ist es angesichts der
GATT- und GATS-Verhandlungen keine besondere Überraschung, wenn die G-77-Staaten, also die Entwicklungsländer, globale Umweltvereinbarungen überwiegend als
verdeckten Protektionismus zu ihren Lasten sehen. Sie
sollen alle Märkte öffnen, ihre Exportchancen sinken
aber. Umweltschutz bedeutet, ganz klar, erst einmal Kosten, die die ausgeplünderten Länder nur selten aufbringen
können. Dabei müssen wir ihnen helfen. Gerade hier zeigt
sich, wie die von den Industriestaaten vorangetriebene Liberalisierung aller Märkte Übereinkünfte über den Schutz
unserer natürlichen Lebensgrundlagen verhindert.
({3})
Die EU will nach Verhandlungsbeobachtern das Abschlussdokument für Johannesburg nach vorne bringen.
Gleichzeitig ist die Europäische Union Vorreiter bei der
Forderung, innerhalb des GATS-Abkommens den Wassersektor für die Liberalisierung zu öffnen. Was die
Kommerzialisierung der Wasserversorgung durch die
Global Player für Umwelt und Entwicklung aber für die
Entwicklungsländer bedeutet, konnte man in vielen südamerikanischen Länder feststellen: Die Preise steigen und
nur wer reich ist, kann sich dieses Wasser noch leisten.
Ich denke, das ist nicht in unserem Sinne. In diesem
Punkt muss sich in Europa etwas ändern. Diese Forderungen müssen zurückgezogen werden, denn sonst wird
auch bei uns Wasser privatisiert. Das hat Folgewirkungen.
({4})
Zum Schluss noch ganz kurz zum Zusammenhang von
Entwicklungshilfe und Bruttosozialprodukt. Gegenwärtig werden 0,23 Prozent des BSP an Entwicklungshilfe gezahlt. Sie wollen das auf 0,33 Prozent erhöhen.
Das ist immer noch zu wenig und muss weiterhin angemahnt werden.
Ich kann abschließend nur sagen: Ob Umweltschutz
oder globale Gerechtigkeit, jetzt sind Taten gefragt, geredet wurde lange genug.
({5})
Ich erteile das Wort
Kollegin Ulrike Mehl, SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In den nächsten Monaten werden sich
viele Menschen auf der Welt darüber Gedanken machen,
was bei der Weltkonferenz in Johannesburg wohl herauskommen wird. Es gibt sehr unterschiedliche Erwartungshaltungen und Ausgangslagen. Die Frage wird sein: Wird
nach dieser Konferenz tatsächlich gehandelt?
Zehn Jahre nach Rio lohnt es sich, einmal zurückzuschauen, um die Entwicklung nach dieser zweifellos sehr
erfolgreichen Konferenz zu betrachten. Es gibt positive
Aspekte, auch wegen der Auflösung der Blöcke. Die Welt
ist offener und erreichbarer geworden. Es gibt eine bessere Verwirklichung der Menschenrechte und mehr Demokratie.
Aber wenn man sich die Entwicklung des Zustandes
der Erde in den letzten zehn Jahren anschaut, könnten einem eher die Tränen kommen. Denn man hat den Eindruck, dass die Erde trotz guter Vorsätze, vieler Bemühungen und zahlreicher Konferenzen eher auf dem
Weg zu einer Intensivstation ist.
Ein wesentlicher Grund dafür ist die wachsende Armut und die Kluft zwischen den armen und den reichen
Ländern. Dieser Abstand ist nicht kleiner, sondern größer
geworden. Wir wissen, dass das ein wesentlicher Grund
dafür ist, dass es in den armen Ländern nicht mehr Wohlstand gibt. Wir als Industrieländer tragen dafür im Wesentlichen die Verantwortung.
Trotzdem ist festzuhalten: Der Weltgipfel in Johannesburg ist eine sehr wichtige Konferenz auf dem Weg zu einer nachhaltigen Entwicklung. Es nützt nichts, zu unken
und zu sagen: Wir haben im Vorfeld noch keine griffigen
Ergebnisse gefunden. - Es muss vielmehr weitergekämpft
und hartnäckig verhandelt werden. Wir müssen darauf
bauen, dass in der Summe auch kleine Schritte zum Gesamterfolg führen werden. Wir werden die Bundesregierung in diesen Bemühungen mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln unterstützen.
({0})
Das tun wir auch mit unserem Antrag. Ich glaube, dass
wir in Deutschland alle Gründe dafür haben. Denn wir
gehören innerhalb Europas zu den größten CO2-Emittenten. Auch in Deutschland werden noch immer 10 Tonnen
CO2 pro Kopf und Jahr emittiert und 120 Liter Wasser pro
Kopf und Tag verbraucht. Wir haben also Gründe, uns besonders zu engagieren und uns in diese Prozesse überdurchschnittlich einzubringen.
Das tun wir auch. Wir haben eine sehr erfolgreiche und
zukunftsweisende Klimaschutz- und Energiepolitik eingeleitet. Wir werden das fortsetzen. Wir werden das Übereinkommen über die biologische Vielfalt umsetzen sowie
das Cartagena-Protokoll und die Århus-Konvertion ratifizieren, um nur einige wenige Punkte zu nennen.
({1})
Nur wenn wir selbst zeigen, dass wir wirklich bereit
sind, uns zu einer nachhaltigen Gesellschaft zu entwickeln, können wir Forderungen an andere stellen. Die
Entwicklungsländer werden genau dies völlig zu Recht
einfordern; einige Beispiele sind genannt worden. Man
kann nicht Wasser predigen und Wein trinken. Deswegen
müssen wir die Programme, die wir in den letzten vier
Jahren aufgelegt haben, konsequent umsetzen. Dies geht
bis hin zu einem internationalen Engagement, das heißt
bis hin zu einem weiteren Abbau von Exportsubventionen
im Agrarbereich und zur Umsetzung der Forderung, die
WTO-Regeln mit den Zielen internationaler Umweltabkommen vereinbar zu machen.
Für einen Erfolg in Johannesburg wird es unabhängig
davon, dass man selber tun muss, was man von anderen verlangt, wichtig sein, dass die Europäer geschlossen an einem
Strang ziehen. Nicht nur der Blick über den Atlantik ist berechtigt. Ich finde es im Übrigen ziemlich unsäglich, dass
eine große Macht wie die USAzwar am Verhandlungstisch
sitzt und auf das Verhandlungsergebnis Einfluss nimmt,
aber gleichzeitig von vornherein sagt: Wir setzen es nicht
um. Das ist problematisch genug. Aber auch die Interessen
innerhalb Europas sind sehr unterschiedlich.
Deswegen unterstützen wir auch hier mit Nachdruck
die Bundesregierung, die massiv dazu beitragen soll, dass
sich die Europäer einig sind. Denn die Europäer haben in
den Verhandlungen die zentrale Funktion, darauf hinzuwirken, dass gezielt das umgesetzt wird, was bisher aufgelegt worden ist: Aktionsprogramme im Bereich Wasser
und für den Schutz der Wälder sowie die Schaffung einer
starken, weltweit tätigen Umweltorganisation. Denn man
sollte sich nicht nur auf Programme konzentrieren. UNEP
hat mit Sicherheit getan, was zu tun ist; die Tätigkeit von
Klaus Töpfer ist sicherlich lobend zu erwähnen. Aber das
reicht bei weitem nicht aus. Wir brauchen eine Weltorganisation, die stark ist und Umweltbelange gegenüber anderen Interessen durchsetzt.
({2})
Meine Redezeit ist leider abgelaufen. Ich komme daher zum Schluss: Ich wünsche der Bundesregierung bei
ihren Verhandlungen viel Erfolg. Unsere Unterstützung
hat sie.
({3})
Ich erteile das Wort
dem Kollegen Christian Ruck, CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident!
Meine Damen und Herren! Diese Debatte ist ein Spiegelbild unserer Auseinandersetzungen um eine nachhaltige
Politik in dieser Legislaturperiode. Rot-Grün stellt seine
Politik pauschal und verbal unter die Überschrift „Nachhaltigkeit“. Wir von der Union halten die rot-grüne Politik für gerade nicht nachhaltig.
({0})
Ich greife einige Punkte des SPD-Antrages auf: Es
kann wirklich nicht Ihr Ernst sein, bei 4 Millionen Arbeitslosen und steigender Jugendarbeitslosigkeit von
Nachhaltigkeit in der Wirtschaftspolitik zu sprechen.
({1})
Die Rede von Herrn Riester als „nachhaltig“ zu bezeichnen ist schwer zu verdauen.
({2})
Von einer erfolgreichen Nachhaltigkeit in Ihrer Agrarpolitik ist zurzeit nichts, aber auch gar nichts zu spüren.
({3})
In der Umweltpolitik - Herr Trittin und die Grünen sind
auf diesem Gebiet ja selbst ernannte Spezialisten - stellt
sich die Frage der Nachhaltigkeit besonders dringend.
Umweltpolitik ist nicht per se nachhaltig. Umweltschutz
mit den richtigen Zielen, aber falschen Instrumenten wird
zum Bumerang. Gerade das halten wir Ihnen vor. Das sind
Ihre politischen Fehler hinsichtlich der Nachhaltigkeit.
Mein Kollege Paul Laufs, den wir sehr vermissen werden, hat in seiner letzten Rede im Deutschen Bundestag
die Konsequenzen einer, vielleicht gut gemeinten, aber
politisch und ökonomisch unattraktiven Umweltpolitik
sehr gut herausgearbeitet: Aufgrund Ihres ökonomisch ineffizienten Instrumentariums, Ihrer technologischen Nabelschau, Ihres Konfrontationskurses im Naturschutz und
Ihres fehlenden entwicklungspolitischen Konzeptes hat
Deutschland an Einfluss verloren. Das zeigt sich vor allem
jetzt, im Vorfeld internationaler Weichenstellungen wie
den WTO-Runden und dem Weltgipfel in Johannesburg.
({4})
Ihnen ist es nicht gelungen, eine richtige Kombination
von Ökologie und Ökonomie als Modell aufzustellen.
Es gibt dieses Modell: ein Modell, das ein Land vom
Agrarstaat zum Hochtechnologieland führt, mit der geringsten Arbeitslosigkeit, dem höchsten Wirtschaftswachstum, den mit Abstand höchsten Ausgaben für den
Naturschutz
({5})
und einem um zwei Drittel niedrigeren CO2-Ausstoß pro
Kopf. Minister Trittin wollte ich schon lange sagen: Er
soll in diesem Land einmal Urlaub machen; es ist der Freistaat Bayern.
({6})
Die Vorbereitungskonferenz in Bali war kein Erfolg.
Sie war vom Misstrauen zwischen Entwicklungsländern
und Industrieländern geprägt. Die Fronten sind verhärtet;
übrigens nicht nur zwischen Entwicklungs- und Industrieländern, sondern auch im Kreise der Industrieländer. Von
einem Eine-Welt-Denken ist bisher keine Spur.
Bei diesem Status quo wird die Konferenz in Johannesburg kein Erfolg werden. Das hat dramatische Konsequenzen: für den Klimaschutz, für die Erhaltung der
Schöpfung, für die Bekämpfung von Hunger und Armut
und letztendlich auch für die Schaffung einer dringend
notwendigen größeren sozialen, ökologischen, ökonomischen und politischen Balance auf unserem Planeten. Ich
glaube, dass das niemand in diesem Hause und auch niemand in der Bundesregierung will. Deswegen ist es wichtig, dass wir uns noch einmal mit voller Kraft für den Erfolg der Konferenz in Johannesburg konzeptionell und
mit persönlichem Einsatz engagieren.
Der Konferenzerfolg ist allerdings nicht nur durch verhärtete Fronten gefährdet, sondern auch durch eine Überlagerung von Themen. Wenn so viele Themen auf einer
Konferenz behandelt werden, muss das schief gehen. Wir
sind der Meinung, dass es entscheidend ist, sich auf folgende Schwerpunkte zu konzentrieren:
Erstens. Wir brauchen eine neue Offensive zur Bewahrung von Schöpfung und Umwelt. An dieser Front
gibt es keine Entwarnung. Im Gegenteil: Die Umweltzerstörung ist in dramatischem Ausmaß weitergegangen. Es
wurde schon erwähnt, dass gleichzeitig immer mehr Milliarden Menschen mit sauberem Trinkwasser und mit
Energie versorgt werden müssen. Das geht nur mit einem
erheblich größeren Know-how-Transfer und einem erheblich größeren Kapitaltransfer. Das wiederum schaffen
wir nur mit einer intensiveren Einbindung der Privatwirtschaft. Das wiederum geht nur - jetzt komme ich zu dem
Punkt, den Frau Homburger bereits angesprochen hat -,
wenn wir endlich die Clean Development Mechanism
umsetzen. Bisher arbeiten Sie daran mit angezogener
Handbremse.
({7})
Zweitens. Wir brauchen mehr Engagement in der Bevölkerungspolitik, sonst laufen viele mühsam erkämpfte
Fortschritte ins Leere.
Drittens. Wir müssen auch auf der Basis der Ergebnisse
der Konferenz in Monterrey die Mittel für die Entwicklungszusammenarbeit tatsächlich und zuverlässig aufstocken. Hier zählen nicht leere Versprechungen, sondern
Nägel mit Köpfen. Wir glauben Ihnen nur noch das, was
wir an Zahlen im Haushalt vorfinden. Diese haben Sie uns
für 2003 bis heute verweigert.
Viertens. Wir brauchen mehr Effizienz und Koordination in internationalen Institutionen. Gerade im Entwicklungs- und Umweltbereich verpuffen gewaltige
Summen, weil zu viele Organisationen um die Mittel raufen. Wir erteilen deswegen, Frau Ministerin, Ihrem nahezu blinden Glauben an internationale Organisationen
eine klare Absage. Im Gegensatz zum SPD-Antrag, Herr
von Weizsäcker, wollen wir deshalb nicht noch mehr Organisationen, sondern die vorhandenen sollten gestrafft,
zurechtgestutzt und besser geführt werden. Deshalb verlangen wir auch, dass Deutschland seinen Einfluss für
eine solche Reform geltend und die Vergabe von Steuergeldern von erfolgreichen Reformen abhängig macht.
Fünftens. Wir wollen und müssen im Rahmen einer
internationalen sozialen Marktwirtschaft mithelfen,
dass die ärmeren Länder an der internationalen Arbeitsteilung und an der Globalisierung fair beteiligt werden.
Hierin sind wir uns alle einig. Das heißt, wir brauchen eine
stärkere Unterstützung regionaler Zusammenschlüsse,
eine Reform des internationalen Finanzsystems, die Ertüchtigung eines möglichst korruptionsfreien und qualifizierten Verwaltungsapparates und vor allem - auch darüber sind wir uns, glaube ich, einig, zumindest verbal den Abbau von Protektionismus und Subventionitis in den
Industrieländern. Aber auch hier ist Rot-Grün trotz großer
Versprechen keinen Schritt weitergekommen.
({8})
Wenn wir dafür nicht zumindest eine schrittweise Lösung
und einen zeitlichen Horizont zugunsten der Entwicklungs- und Schwellenländer präsentieren, werden die
Gräben immer tiefer.
Sechstens. Wir müssen umgekehrt auch darauf bestehen, dass die Entwicklungsländer ihre Hausaufgaben machen, das heißt gute Regierungsführung, „good governance“. Wir dürfen uns nämlich nicht einreden lassen
- siehe Simbabwe -, dass aller Hunger, alle Armut und Umweltzerstörung nur aus der Unterdrückung aus dem Norden
({9})
oder der Globalisierung herrühren.
({10})
Entwicklung scheitert leider allzu oft auch an der Verantwortungslosigkeit und Korruption in den Entwicklungsländern. Wer deswegen einen Erfolg beim Weltgipfel in Johannesburg will, muss Hilfen an Konditionen knüpfen.
({11})
Wir müssen gerade nach dem 11. September entschlossen
sein, dort, wo „bad governance“ herrscht, engagierter als
bisher und mit längerem Atem Änderungen in die Wege
zu leiten.
Das bedeutet natürlich eine enge Abstimmung zwischen Auswärtigem Amt und Entwicklungshilfeministerium - bisher Fehlanzeige - und Rückendeckung durch
den Kanzler, auch hier Fehlanzeige.
({12})
Angesichts der gewaltigen internationalen Herausforderungen und Probleme braucht der Rio-Prozess vor dem
Johannesburg-Gipfel neue Kraft, neue Energie und konkrete Angebote. Vollmundige Ankündigungen und große
Worte können nicht darüber hinwegtäuschen, dass das
Entwicklungsbudget gesunken und der internationale
Einfluss der deutschen Politik zurückgegangen ist.
({13})
Es ist ganz offenkundig, dass ein schlüssiges Energiekonzept fehlt, das Klimaschutz, Versorgungssicherheit
und Wettbewerbsfähigkeit in Einklang bringt und damit
auch auf internationale Gesprächspartner wie die USA
einladend wirken könnte.
Darüber hinaus steht der Modellstaat der sozialen
Marktwirtschaft, Deutschland, aufgrund rot-grüner Wirtschafts- und Sozialpolitik eher als Abschreckung denn als
attraktives Vorbild dar. Wenn wir als Deutsche eine ähnlich positive und entscheidende Rolle in Johannesburg
spielen wollen, wie dies damals unter Helmut Kohl in Rio
de Janeiro geschehen ist, dann muss die Bundesregierung
die verbleibenden Monate nutzen, um überzeugende Konzeptionen zu präsentieren und auch dafür zu kämpfen.
Helmut Kohl hat die Weichen für Rio auf dem G-7-Gipfel in Houston gestellt. Kanzler Schröder hat auf dem nächsten G-8-Gipfel eine ähnliche Chance; er muss sie wahrnehmen, er muss selber nach Johannesburg fahren, sonst
versagt er auch auf diesem entscheidenden Zukunftsfeld.
Vielen Dank.
({14})
Ich erteile das Wort
dem Kollegen Reinhard Loske, Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lassen
wir die zehn Jahre zwischen der Rio-Konferenz und dem
vor uns liegenden Gipfel in Johannesburg Revue passieren, kommen wir wohl zu einer gespaltenen Bilanz. Es
gibt Licht und Schatten.
Ich komme zunächst auf das Licht zu sprechen: Die
beiden großen Kinder der Rio-Konferenz, die Klimarahmenkonvention und die Konvention zum Schutz der
biologischen Vielfalt, sind in Kraft getreten. Das ist mehr
als nichts; das ist ein wichtiger Schritt zur Erreichung eines internationalen Regelwerkes.
({0})
Jetzt geht es darum, dass diese beiden Kinder gewissermaßen Enkel gebären, nämlich das Kioto-Protokoll
und das Cartagena-Protokoll zur biologischen Sicherheit. Beim Kioto-Protokoll sind wir auf einem guten
Wege, auch wenn es wohl bis zum Johannesburg-Gipfel
bedauerlicherweise nicht mehr in Kraft treten wird. Die
Ratifizierung des Cartagena-Protokolls verläuft schleppender. Bei den Verhandlungen über diese beiden Protokolle konnte man deutlich erkennen, dass der Erfolg der
Europäischen Union im Wesentlichen damit zusammenhing, dass sie den engen Kontakt mit der G 77 gesucht hat.
Die Zusammenarbeit zwischen Europa und den Entwicklungsländern war ein Schlüssel zum Erfolg.
({1})
Auch beim Thema Agenda 21 gibt es nicht nur Schatten. Gerade die vielen lokalen Agenda-21-Initiativen in
unserem Land haben gute Arbeit geleistet. Dafür sollten
wir als Parlamentarier einmal Danke schön sagen.
({2})
Ich komme nun zum Schatten: Es ist ganz eindeutig
- das wurde von Ulrike Mehl schon angesprochen -, dass
die reale Umweltsituation sich weiter verschlechtert hat.
In den 90er-Jahren hat es - das ist die politische Dimension - eine Überlagerung des Nachhaltigkeitsdiskurses
durch die Globalisierungsdebatte gegeben. Diese Überlagerung ist gerade von Herrschaften aus diesen Reihen des
Hauses forciert worden. Mitte der 90er-Jahre galt Umweltschutz im Prinzip nur noch als Wettbewerbshemmnis,
Nord-Süd-Gerechtigkeit war nur noch ein Thema für irgendwelche Idealisten. Die Übermacht des Ökonomischen stellte alles andere in den Schatten.
Diese Grundstimmung hat sich allerdings durch verschiedene Entwicklungen verändert. Man muss sie nicht
alle gut finden - einige davon sind sogar ganz fürchterlich -; aber sie haben das Thema neu auf die Tagesordnung gesetzt. Zum einen ist es die Globalisierungskritik.
Der ungezügelte Lauf der Ökonomie wird von immer weniger Menschen akzeptiert. Zum Zweiten hat die rabiate
Absage der Bush-Administration an das Kioto-Protokoll
viele Menschen erschüttert. Das Dritte betrifft alles, was
mit den fürchterlichen Geschehnissen am 11. September
zusammenhängt. Unabhängig von der Frage, welches die
Ursachen sind, kann man doch sagen, dass der Boden für
Fundamentalismus und Radikalismus dort am fruchtbarsten ist, wo die Verhältnisse besonders ungerecht sind oder
als ungerecht empfunden werden. Das heißt, die Aussage,
dass Umweltschutz und Gerechtigkeit beim Ressourcenzugang auch praktizierte Friedenspolitik sind, ist plötzlich
nicht mehr Träumerei, sondern Teil der Lösung. Das ist
unsere Linie.
({3})
Von Johannesburg muss ein klares Signal ausgehen. Wir
brauchen - ich kann es jetzt nur allgemein sagen - eine
wechselseitige Versicherung, einen globalen Sozialkontrakt: Der reiche Norden arbeitet an seinem Übergewicht,
da sein Nutzungsdruck auf die Natur zu hoch ist. Die Hausaufgaben, die er zu erledigen hat, sind unter anderem durch
die Stichworte Effizienz, Kreislaufwirtschaft und solare Zivilisation, aber auch durch die Frage nach dem rechten Maß
gekennzeichnet. Auch muss der Norden bereit sein - darüber hat Jürgen Trittin ausführlich gesprochen -, in den internationalen Beziehungen durch mehr Wettbewerbsfairness im Welthandel, den Abbau umweltschädlicher
Subventionen und auch durch die Aufstockung der Entwicklungshilfemittel zu mehr Nachhaltigkeit beizutragen.
({4})
Vom Süden erwarten wir, dass er im Gegenzug seine
Naturschätze so schonend wie möglich nutzt - dabei wollen wir ihm helfen -, dass Rechtsstaatlichkeit sichergestellt wird, dass lokale Gemeinschaften gestärkt werden
und dass er im internationalen Prozess insgesamt konstruktiv mitarbeitet.
Lassen Sie mich zum Schluss einige konkrete Punkte
nennen: Erstens. Wir müssen bei der globalen Wasserund Energiestrategie weiterkommen. Hier spielen, Herr
Kollege Laufs, die erneuerbaren Energien natürlich
eine ganz zentrale Rolle.
Zweitens. Die internationalen Umweltorganisationen müssen institutionell aufgewertet werden. UNEP ist
heute trotz des Engagements von Klaus Töpfer eine
schwache Organisation. Die Umweltseite und übrigens
auch die Sozialseite verhandeln in den internationalen Beziehungen mit der Wirtschaftsseite gegenwärtig nicht auf
Augenhöhe. Es ist ganz wichtig, dass sich das ändert.
({5})
Drittens. Wir müssen neue globale Finanzierungsmechanismen entwickeln, wie sie beispielsweise der
Wissenschaftliche Beirat „Globale Umweltveränderung“
vorgeschlagen hat. Hier wäre es vielleicht ganz vernünftig,
nicht im Sinne einer neuen Kommission, aber im Sinne einer systematischen Bearbeitung eine der BrundtlandKommission ähnliche Weltkommission für Globalisierung und Nachhaltigkeit einzurichten, die den auf zwei bis
drei Jahre begrenzten Auftrag hat, solche Mechanismen
zu entwickeln und uns vorzuschlagen.
Abschließend zum Kollegen Laufs: Auch von meiner
Seite ganz herzlichen Dank für die Zusammenarbeit. Ich
habe gern mit Ihnen diskutiert und oft auch gestritten. Wir
sind manchmal nicht einer Meinung; das wird wohl auch
so bleiben. Aber auch ich wünsche Ihnen alles Gute. In einem Punkt war der Dissens zwischen uns - das betrifft
auch Frau Homburger - immer am größten, nämlich in der
Frage, ob das früher unter Kohl goldene Zeiten waren und
heute alles furchtbar ist.
({6})
Ich glaube, die Wahrheit sieht wohl so aus, dass es sich
doch zum Guten gewendet hat, jedenfalls aus unserer
Sicht. In den Bereichen erneuerbare Energien, Energieeffizienz, Naturschutz und bei vielen anderen Themen haben wir die Dinge gewendet und eine Vorreiterrolle übernommen. Die Stagnation ist überwunden.
({7})
Wir wollen an diesem Elan festhalten, auch nach dem
22. September.
Danke schön.
({8})
Ich erteile das Wort
dem Kollegen Ernst Ulrich von Weizsäcker, SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Meine verehrten Damen und Herren! „Nachhaltige
Entwicklung“ - darauf hat Herr Minister Trittin schon
hingewiesen - ist für viele immer noch ein Fremdwort.
Das darf es nicht bleiben. Aber auch das Wort „Demokratie“ war irgendwann einmal in Deutschland ein Fremdwort und dasselbe gilt auch für das Wort „Computer“. Wir
werden und wir müssen uns daran gewöhnen. Schließlich
steht hinter der nachhaltigen Entwicklung ein uraltes
Prinzip: Auch an die Enkel denken. Das steht in der Bibel
als Goldene Regel und hat nichts mit dem Parteienstreit
zu tun.
({0})
Unser Antrag zielt nicht auf Parteienstreit. Er ist natürlich vor Bali formuliert worden. Besonders nach Bali
müssen wir uns die Frage stellen, woher diese Stagnation
eigentlich kommt. In der Enquete-Kommission „Globalisierung der Weltwirtschaft“ sind wir der Idee auf der Spur,
die Welt habe sich nach 1990 wesentlich in der Richtung
verändert, dass die Anwälte der öffentlichen Aufgaben
einschließlich Entwicklungshilfe und Umwelt eher ins
Hintertreffen gekommen sind, während die Anwälte der
privaten Anliegen, insbesondere die großen Konzerne,
das Weltgeschehen dominieren.
51 der 100 größten Wirtschaftseinheiten der Welt
sind heute nicht mehr Staaten, sondern Unternehmen, die nicht dem Gemeinwohl, sondern ihren Profitzielen verpflichtet sind.
Das ist ein Zitat, und zwar nicht aus der „Kommunistischen Plattform“, sondern aus dem Antrag der
CDU/CSU-Fraktion
({1})
Die Dominanz der Privatwirtschaft muss uns zu denken geben. Das von Professor Klaus Töpfer geleitete
UNO-Umweltprogramm hat kürzlich einen Bericht mit
dem Namen „GEO 3“ herausgegeben. In diesem Bericht
werden vier verschiedene Szenarien betrachtet, darunter
„Markets First“ und „Security First“, also Verlass auf die
Märkte oder der absolute Vorrang für Sicherheit. Beide
Optionen führen schnurstracks ins Verderben,
({2})
weil die Märkte blind und taub sind, was die Umwelt angeht, und weil die Illusion der totalen Sicherheit alle
Kräfte bindet, die man eigentlich woanders nötiger
braucht. Besser steht es um die Welt nach dem UNO-Bericht bei „Policy First“, das heißt Politik wieder machen,
und „Sustainability First“, das heißt Nachhaltigkeit als Zivilisationsmerkmal.
Die Nachhaltigkeitsstrategie der Bundesregierung ist
ein guter Beginn. Den täglichen Flächenverbrauch auf ein
Viertel zu reduzieren, das ist ein Wort! Fast noch wichtiger ist mir der erste der 21 Indikatoren: Wir müssen mehr
Wohlstand aus einer Kilowattstunde oder einer Tonne Erz
herausholen, das heißt, die Ressourcenproduktivität drastisch erhöhen, langfristig um einen Faktor vier. Daran
führt kein Weg vorbei.
Manches muss in Johannesburg erst einmal ohne die
Amerikaner laufen, die nämlich in Bali selbst diese Effizienzstrategien torpediert und sabotiert haben. Wir wollen, wie Reinhard Loske gerade gesagt hat, endlich eine
schlagkräftige UNO-Umweltorganisation.
({3})
Frau Homburger, ich habe vorhin mit großem Amüsement Ihren schönen, in vielen Dingen völlig richtigen Antrag zu Johannesburg gelesen. Darin schreiben Sie: Man
muss die Institutionen stärken, die für Umwelt zuständig
sind. Sie nennen namentlich die Welthandelsorganisation,
die WTO.
({4})
Sic! Wir wollen eine zuverlässige und erhöhte Entwicklungshilfe. Wir wollen den Schutz der öffentlichen Güter
sichern. Wir wollen, dass das Kioto-Protokoll, das Cartagena-Protokoll und die rhus-Konvention endlich in
Kraft treten. Und, meine Damen und Herren, wir stellen
uns vor, dass unsere Enkel und Urenkel in Johannesburg
mit am Tisch sitzen. Politik für die Urenkel, das ist nachhaltige Entwicklung!
Vielen Dank.
({5})
Ich schließe die Aus-
sprache.
Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlussemp-
fehlung des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und
Reaktorsicherheit auf Drucksache 14/9417 zu dem Antrag
der Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grü-
nen mit dem Titel „Weltgipfel für nachhaltige Entwicklung
in Johannesburg 2002: Der nachhaltigen Entwicklung zum
Durchbruch verhelfen“. Der Ausschuss empfiehlt, den An-
trag auf Drucksache 14/9052 anzunehmen. Wer stimmt für
diese Beschlussempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltun-
gen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen
von SPD und Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen
von CDU/CSU, FDP und PDS angenommen.
Tagesordnungspunkt 22 b: Abstimmung über die Be-
schlussempfehlung des Ausschusses für wirtschaftliche
Zusammenarbeit und Entwicklung auf Drucksache
14/9420 zu dem Antrag der Fraktion der CDU/CSU mit
dem Titel „Die Schöpfung bewahren, entwicklungsorien-
tiert handeln: Weltgipfel in Johannesburg muss neue Im-
pulse für globale nachhaltige Entwicklung setzen“. Der
Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 14/9025
abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? -
Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschluss-
empfehlung ist mit den Stimmen von SPD, Bündnis 90/
Die Grünen und PDS gegen die Stimmen von CDU/
CSU und FDP angenommen.
Tagesordnungspunkt 22 c: Abstimmung über die Be-
schlussempfehlung des Ausschusses für Umwelt, Natur-
schutz und Reaktorsicherheit auf Drucksache 14/9380.
Unter Nr. 1 seiner Beschlussempfehlung empfiehlt der
Ausschuss die Annahme des Antrages der Fraktionen der
SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen auf Drucksache
14/9056 mit dem Titel „Nachhaltige Entwicklung - neuer
Gestaltungsansatz für die Globalisierung“. Wer stimmt für
diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? -
Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den
Stimmen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen gegen die
Stimmen von CDU/CSU, FDP und PDS angenommen.
Unter Nr. 2 seiner Beschlussempfehlung empfiehlt der
Ausschuss die Ablehnung des Antrages der Fraktion der
CDU/CSU auf Drucksache 14/9024 mit dem Titel „Initia-
tive für eine nationale Nachhaltigkeitsstrategie“. Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt da-
gegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist
mit den Stimmen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und
PDS gegen die Stimmen von CDU/CSU und FDP ange-
nommen.
Schließlich empfiehlt der Ausschuss unter Nr. 3 seiner
Beschlussempfehlung die Ablehnung eines Antrages der
Fraktion der FDP auf Drucksache 14/9091 mit dem Titel
„Liberale Akzente einer nationalen Nachhaltigkeitsstrate-
gie“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer
stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussemp-
fehlung ist mit den Stimmen von SPD, Bündnis 90/Die
Grünen und PDS gegen die Stimmen von CDU/CSU und
FDP angenommen.
Tagesordnungspunkt 22 d: Abstimmung über die Be-
schlussempfehlung des Ausschusses für Umwelt, Natur-
schutz und Reaktorsicherheit auf Drucksache 14/6423 zur
Unterrichtung der Bundesregierung über das sechste Um-
weltaktionsprogramm der Europäischen Gemeinschaft.
Der Ausschuss empfiehlt, in Kenntnis der Unterrichtung
eine Entschließung anzunehmen. Wer stimmt für diese Be-
schlussempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die
Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen von SPD und
Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen von CDU/
CSU und FDP bei Enthaltung der PDS angenommen.
Tagesordnungspunkt 22 e: Abstimmung über die Be-
schlussempfehlung des Ausschusses für Umwelt, Natur-
schutz und Reaktorsicherheit auf Drucksache 14/6922 zu
der Unterrichtung durch die Bundesregierung über die
Mitteilung der Kommission mit dem Titel „Die Umwelt
Europas: Orientierung für die Zukunft“. Der Ausschuss emp-
fiehlt, in Kenntnis der Unterrichtung eine Entschließung an-
zunehmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? -
Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung
ist mit den Stimmen der SPD, des Bündnisses 90/
Die Grünen und der PDS gegen die Stimmen der CDU/
CSU und der FDP angenommen.
Tagesordnungspunkte 22 f und 22 g: Interfraktionell
wird Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen
14/8755 und 14/8792 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-
verstanden? - Das ist der Fall. Dann sind die Überwei-
sungen so beschlossen.
Tagesordnungspunkt 22 h: Abstimmung über die Be-
schlussempfehlung des Innenausschusses auf Drucksache
14/6012 zu dem Antrag der Fraktion der PDS mit dem Ti-
tel „Ressourcenverbrauch der Bundesrepublik Deutsch-
land statistisch besser abbilden“. Der Ausschuss empfiehlt,
den Antrag auf Drucksache 14/2654 abzulehnen. Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt da-
gegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist
mit den Stimmen des Hauses gegen die Stimmen der PDS-
Fraktion angenommen.
Zusatzpunkt 17: Abstimmung über den Antrag der
Fraktion der PDS auf Drucksache 14/9364 mit dem Titel
„Vorbereitung auf den Gipfel der Vereinten Nationen zur
nachhaltigen Entwicklung in Johannesburg“. Wer stimmt
für diesen Antrag? - Wer stimmt dagegen? - Stimment-
haltungen? - Der Antrag ist mit den Stimmen des Hauses
gegen die Stimmen der PDS-Fraktion abgelehnt.
Zusatzpunkt 18: Abstimmung über den Antrag der
Fraktion der FDP auf Drucksache 14/9393 mit dem Titel
„Liberale Impulse für eine globale nachhaltige Entwick-
lung“. Wer stimmt für diesen Antrag? - Wer stimmt dage-
gen? - Enthaltungen? - Der Antrag ist mit den Stimmen
der SPD, des Bündnisses 90/Die Grünen und der PDS ge-
gen die Stimmen der CDU/CSU und der FDP abgelehnt.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 27 a und 27 b auf:
a) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung ({0}) zu dem Antrag der Abgeord-
neten Karl-Josef Laumann, Horst Seehofer,
Brigitte Baumeister, weiterer Abgeordneter und
der Fraktion der CDU/CSU
Arbeit statt Sozialhilfe - Hin zu einer Kultur
von Geben und Nehmen
- Drucksachen 14/7443, 14/8663 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Brigitte Lange
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung ({1})
- zu dem Antrag der Abgeordneten Dirk Niebel,
Dr. Irmgard Schwaetzer, Dr. Heinrich L. Kolb,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der
FDP
Für eine sinnvolle Zusammenfassung von
Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe
- zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Irmgard
Schwaetzer, Dr. Heinrich L. Kolb, Dirk
Niebel, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Für eine beschäftigungsorientierte und aktivierende Sozialpolitik - Sozialhilfe und
Arbeitsmarktpolitik grundlegend reformieren
- Drucksachen 14/5983, 14/6951, 14/8665 Berichterstattung:
Abgeordnet Brigitte Lange
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Stunde vorgesehen. - Ich höre keinen
Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Kollegen
Karl-Josef Laumann, CDU/CSU-Fraktion, das Wort.
Sehr geehrter
Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen!
In den 60er-Jahren gab es bei uns in Deutschland rund
eine halbe Million Sozialhilfeempfänger. Heute sind
2,7 Millionen Menschen auf Hilfe zum Lebensunterhalt
angewiesen. Für die entsprechenden Leistungen haben
wir alleine im letzten Jahr einen Betrag von 20 Milliarden DM aufgewendet. Von den 2,7 Millionen Sozialhilfeempfängern sind nach Schätzungen vieler Fachleute rund
1 Million grundsätzlich arbeitsfähig, weil sie weder Familienpflichten haben noch krank, behindert oder über
65 Jahre alt sind. Daneben gibt es rund 1,5 Millionen
Menschen, die ebenfalls keine Arbeit haben, bedürftig
sind und von der Bundesanstalt für Arbeit im Jahr 2000
25,7 Milliarden DM bezogen haben.
Wenn wir über die Zusammenführung der Arbeitslosen- und der Sozialhilfe reden, finde ich es wichtiger,
im Auge zu haben, dass wir über 3,5 Millionen Menschen
sprechen, die durch diese Hilfesysteme ihre Existenz sichern, als sich die Zahlen anzuschauen. Im Mittelpunkt
unserer Arbeit und Auseinandersetzung muss, bevor wir
die Systeme zusammenführen, deshalb stehen, dass es uns
nicht um eine Leistungsabsenkung, sondern vor allen
Dingen darum geht, die beiden Systeme in ein neues System zusammenzuführen, mit dem es uns besser gelingt,
den Menschen eine Hilfe zu geben, damit sie im ersten Arbeitsmarkt wieder Fuß fassen und ihre Bedürftigkeit
durch Arbeit überwinden können.
({0})
Deswegen muss man zunächst einmal überlegen: Welche Gruppen gehören eigentlich in ein vorübergehend bedarfs- und bedürftigkeitsabhängiges System? Wir alle sind
uns einig: Seit Jahren gibt es in Deutschland die Fehlentwicklung, dass rund 1 Million Kinder von der Sozialhilfe
leben. Die erste Voraussetzung für staatliche Transferleistung muss sein - damit sind wir beim Thema Familienbzw. Kindergeld -, dass Kinder kein Grund sein dürfen,
von der Sozialhilfe abhängig zu werden.
Ich glaube, dass die Diskussion über das so genannte
Lohnabstandsgebot nur dann geführt werden darf, wenn
Kinder nicht mehr von der Sozialhilfe abhängig sind. Der
Sozialhilfebedarf einer Familie mit mehreren Kindern hat
zusammen mit einem anteiligen Mietzuschuss in vielen
Fällen eine Höhe erreicht, bei der so manches Arbeitnehmer- und Facharbeitergehalt nicht mehr mithalten kann.
Sie bekommen das Problem des Lohnabstandsgebotes nur
dann in den Griff, wenn eine Familie mit mehreren Kindern für die Kinder nicht mehr Sozialhilfe, sondern ein
Familiengeld bekommt. Für die Eltern lohnt es sich in
dem Fall eher, einer Beschäftigung nachzugehen, weil sie
dann die Möglichkeit haben, ihren Lebensstandard durch
eigene Arbeit zu verbessern.
({1})
Ein weiterer Punkt sollte unstrittig sein. Zwei Drittel
der Leistungen der Sozialhilfe gehen in die so genannte
institutionelle Sozialhilfe, zum Beispiel in die Eingliederungshilfe. Gehört ein Mensch, der zum Beispiel geistig
oder körperlich behindert ist und niemals in der Lage sein
wird, seinen Lebensunterhalt durch Arbeit zu verdienen, in
ein System wie die Sozialhilfe, die immer darauf angelegt
war, eine kurzfristige bedarfs- und bedürftigkeitsabhängige Leistung zu sein? Bei der Zusammenführung der
Präsident Wolfgang Thierse
Arbeitslosen- und der Sozialhilfe müssen wir im Auge haben, dass wir - dazu gibt es viele Resolutionen des Parlamentes - die Behinderten durch ein Leistungsgesetz aus
der Sozialhilfe herausnehmen.
({2})
Nach meiner tiefen Überzeugung gibt es noch einen
weiteren Punkt, den wir in Angriff nehmen müssen, bevor
wir die beiden Systeme zusammenführen. Wir müssen
den Unterschied zwischen brutto und netto im Bereich
von niedrigen Löhnen zugunsten von netto verringern.
Die Hälfte der Menschen, die in Deutschland langzeitarbeitslos und auf diese beiden bedarfs- und bedürftigkeitsabhängigen Systeme angewiesen sind, hat keine abgeschlossene und qualifizierte Berufsausbildung.
Ich bin sehr für Qualifizierung. Aber ich glaube, dass es
zu einem realistischen Menschenbild gehört - das christliche Menschenbild ist ein sehr realistisches -, dass man nicht
jeden so qualifizieren kann, wie es die jetzige wirtschaftliche und gesellschaftliche Situation erfordert. Deswegen
brauchen wir Arbeitsplätze für gering Qualifizierte.
Diese haben wir in der Geschichte im Übrigen immer gebraucht. Ich kann mich aus meiner Lehrzeit daran erinnern, dass es in unserer Firma viele Hilfsarbeiter gab.
Diese Jobs sind in der Fertigung und in der Industrie
sehr stark weggebrochen. Sie sind im Dienstleistungsbereich neu entstanden, aber mit einem Lohnniveau, das unter dem der Industrie liegt. Dieses liegt in vielen Bereichen leider Gottes unterhalb der Sozialhilfe. Dass bei
Einkommen, die über 325 Euro liegen, ein Sozialversicherungsbeitrag von 20 Prozent erhoben wird, halte ich
für unsozial. Wir müssen deswegen zu einem degressiven
Aufbau des Sozialversicherungsbeitrages kommen.
({3})
Wenn wir so weit sind, dass wir für den Niedriglohnbereich eine Lösung gefunden haben, dass kein Kind mehr
von Sozialhilfe leben muss, dass Behinderte außerhalb der
Sozialhilfe zuverlässig abgesichert sind, dann kann man die
Systeme zusammenführen. In dem Fall muss der Grundsatz
gelten, dass nur Bedürftigkeit plus Eigenleistung, um aus
dieser Situation herauszukommen, einen Anspruch auf die
volle Höhe der Leistungen ergibt. Durch die Umkehr der
Beweislast können wir den Grundsatz von Fördern und
Fordern wieder enger zusammenführen.
Was heißt das? In Deutschland darf es nicht so bleiben,
dass junge Menschen, die zum Beispiel keinen Hauptschulabschluss haben, Sozialhilfe als staatliche Transferleistung
beziehen, ohne zumindest an Maßnahmen zur Erreichung
des Hauptschulabschlusses teilzunehmen. Ähnliches muss
auch für unsere ausländischen Mitbürger, die an Sprachkursen teilnehmen, gelten, wenn sie Leistungen aus unseren Hilfesystemen beziehen. Das muss auch im Bereich
der gemeinnützigen Arbeit gelten. Konkrete Angebote aus
dem Bereich des Niedriglohnsektors müssen, wie gesagt,
ebenfalls angenommen werden.
Ich bin fest davon überzeugt, dass in den letzten Jahren
das Unsozialste an der Sozialpolitik in Deutschland war,
dass wir den Menschen, die wir nicht so sehr für die Arbeitswelt gebraucht haben, zwar staatliche Transferleistungen gezahlt haben, dass wir uns dann aber viele Jahre
um diese Menschen nicht weiter gekümmert haben. Ich
kann mich noch daran erinnern, dass Anfang der 90erJahre, als ich Mitglied dieses Parlaments wurde, alles, was
man als gemeinnützige Arbeit bezeichnen konnte, insbesondere bei der SPD ziemlich verpönt war.
({4})
Wir wissen, dass es hier ein großes Umdenken in den
Kommunen gegeben hat und dass die Kommunen heute
- dafür sind wir alle ihnen sehr dankbar - sehr viele Hilfeangebote machen.
Wenn man den betroffenen Menschen nur Geld
gibt und sie ansonsten in ihrer Perspektivlosigkeit alleine
lässt, dann führt dies zu schweren, fast nicht mehr zu reparierenden Schäden. Viele sind daran psychisch krank
geworden. Das wissen wir alle doch durch unsere Wahlkreisarbeit. Andere wiederum sind in die Drogenabhängigkeit und in das Kneipenmilieu abgerutscht. Es ist ganz
schwer, solche Menschen wieder für den Arbeitsmarkt zu
reaktivieren.
An der Volksweisheit „Müßiggang ist aller Laster Anfang“ ist etwas Wahres dran. Ich füge noch hinzu: Je jünger
die Menschen sind, die davon betroffen sind, desto mehr
stimmt diese Volksweisheit. Deswegen bin ich der festen
Überzeugung, dass es sehr sozial ist, wenn wir in unserem
Antrag fordern, dass die Menschen die konkreten Angebote, die ihnen gemacht werden, annehmen müssen, wenn
sie die Transferleistungen, die sie bisher in Anspruch genommen haben, in vollem Umfang behalten wollen.
Ich möchte gerne noch drei weitere Punkte kurz ansprechen. Wenn wir in der nächsten Wahlperiode die Arbeitslosen- und Sozialhilfe zusammenführen werden, dann wird
die schwierigste Frage sein: Wie soll die Finanzierung
durch Bund, Länder und Gemeinden aussehen? Die Gemeinden sind zurzeit diejenigen, die sich am meisten und
am zielgenauesten um die Menschen kümmern, die Leistungen aus diesen Hilfesystemen beziehen. Die Gemeinden
müssen - darin bin ich mir ganz sicher - eine Schlüsselrolle
in dem neu zu schaffenden Hilfesystem übernehmen. Es
wird daher sehr wichtig sein, dass wir für die Gemeinden
eine verlässliche Grundlage zur Finanzierung der diesbezüglichen Aufgaben schaffen. Ziel muss es sein, zu vermeiden, dass die Gemeinden - es gibt viele Gemeinden, die
in Gebieten liegen, in denen es einen großen Strukturwandel gibt - das Risiko der Finanzierung der Langzeitarbeitslosigkeit übernehmen. Wir müssen ein System schaffen, das auf der einen Seite den Gemeinden den Anreiz
bietet, sich um die betroffenen Menschen zu kümmern und
davon auch zu profitieren, und das auf der anderen Seite
dafür sorgt, dass das Risiko der Finanzierung der Langzeitarbeitslosigkeit beim Bund bleibt, weil wir in diesem
Parlament über die wichtigsten Instrumente der Steuer-,
der Wirtschafts- und der Sozialpolitik und damit auch in
starkem Maße über die wirtschaftliche Entwicklung in
Deutschland entscheiden. Diese Möglichkeiten haben die
Gemeinderäte nicht.
Wie sieht es mit der Sozialversicherungspflicht in
dem neu zu schaffenden Hilfesystem aus? Ich bin sehr
dafür, dass die Menschen Mitglied in der gesetzlichen
Krankenkasse sind. Das ist bislang immer daran gescheitert, dass sich Krankenkassen und Sozialhilfeträger nie
über die Höhe des Krankenkassenbeitrages einig werden
konnten. Unser konkreter Vorschlag ist, dass die gesetzlichen Krankenkassen zwar die Finanzierung der Gesundheitsversorgung übernehmen, dass sie aber ihre Leistungen mit den Sozialhilfeträgern spitz abrechnen. So können
wir das Problem der Höhe des Beitragssatzes lösen.
Ein allerletzter Punkt. Ich bin der Meinung, dass wir
uns die Vermögensfreigrenzen genau anschauen müssen, bevor wir Veränderungen bei der Arbeitslosenhilfe
und der Sozialhilfe vornehmen. Ich halte vor allen Dingen
die Grenzen für die älteren Menschen für viel zu niedrig.
Wir alle sind uns sicherlich darüber einig, dass ein Einfamilienhaus, das von einer Familie bewohnt wird und das
eine bestimmte Größe nicht überschreitet, nicht eingebracht werden muss, wenn es um die Feststellung der Bedürftigkeit geht. Denken wir aber einmal an die Gebiete,
in denen es nicht üblich ist, ein Einfamilienhaus zu besitzen, und an die Menschen, die vielleicht nie das Geld hatten, sich ein eigenes Haus kaufen zu können. Solche Menschen haben sich unter Umständen - weil sie viele Jahre
sparsam gelebt haben - 30 000, 40 000 oder 50 000 DM erspart. Diese sollen nach Ihren Vorstellungen erst einen
Großteil ihres Vermögens aufbrauchen, bevor sie Hilfeleistungen in Anspruch nehmen können. Bei den Hausbesitzern sehen Sie das anders. Ich bin dagegen der Meinung
- das steht auch in unserem Antrag -, dass es insbesondere
für die Menschen, die mit 50 oder 55 Jahren Hilfeleistungen in Anspruch nehmen, eine hohe Vermögensfreigrenze
geben muss, damit nicht die Früchte ihres langen Arbeitslebens zerstört werden. Deswegen bin ich sehr dafür, den
Unterschied zwischen der Behandlung von Immobilienbesitz und Geldvermögen zu verringern.
({5})
Wir haben sehr sorgfältige Vorschläge gemacht und einen für eine Oppositionsfraktion sehr ausgefeilten Antrag
vorgelegt. Ich wäre Ihnen sehr dankbar, wenn Sie diesem
Antrag heute zustimmen würden; denn dann hätte die
Bundesregierung den Auftrag, in der nächsten Wahlperiode in ein Gesetzgebungsverfahren einzutreten. Dass die
jetzigen Systeme in ihren Ergebnissen unbefriedigend
sind - sowohl für den Staat als auch für die Betroffenen -,
ist allen bekannt. Deswegen sollten wir einmal den Mut
haben, ein neues System zu schaffen, das den Menschen
vielleicht gerechter wird als das heutige.
Schönen Dank.
({6})
Ich erteile Kollegin
Brigitte Lange, SPD-Fraktion, das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Laumann, Sie haben mich mit
Ihrer Rede insofern überrascht, als Sie es im Gegensatz zu
den letzten Debatten, die wir zu diesem Thema im Plenum, aber auch im Ausschuss hatten, weitgehend vermieden haben, polemisch zu argumentieren.
({0})
- Lesen Sie nach und hören Sie zu! - Herr Laumann, es
gehört aber noch etwas dazu, was ich auf Ihrer Seite vermisse. Ich frage mich, ob Sie so viel Gelassenheit und
Realitätssinn aufbringen können, um die Regelungen, die
bereits Gesetz sind oder in Auftrag gegeben sind, einfach
einmal zur Kenntnis zu nehmen.
Sie sagen, wir möchten Ihren Antrag heute beschließen, damit die Bundesregierung einen Auftrag bekomme. Einen solchen Auftrag hat sie. Den haben wir hier
beschlossen.
({1})
- Herr Laumann, wir haben nicht etwas anderes beschlossen, sondern wir haben etwas Umfassenderes beschlossen, nämlich die Gesamtreform der Sozialhilfe,
und dabei ist die Überprüfung der beiden Systeme; der
Sozialhilfe und der Arbeitslosenhilfe, ein Teilbereich, den
wir angesprochen haben.
Ich wäre dankbar, wenn in der fortschreitenden Diskussion Ihre Beispiele nicht wieder den Eindruck erweckten, als würden Sie sich Ohren, Augen und Gedächtnis verstopfen - so vermittelt es sich mir manchmal -, um
keinen Vergleich zwischen der Ausgangslage 1998 und
heute ziehen zu müssen. Wir haben eine Menge großer
und kleiner Schritte zur Verbesserung getan, und zwar
auch zur Verbesserung der Lebenssituation von Sozialhilfeempfängern in den vorgelagerten Bereichen. Wir
werden sie zäh und beharrlich sowie mit Empathie für die
Menschen fortsetzen.
({2})
Ihr Kanzlerkandidat meinte uns vor der BDA rügen zu
müssen. Er sagte, Schröder wolle nur, dass es den Unternehmen gut gehe. Zur Erklärung: Zu Unternehmen
gehören Arbeitgeber und Arbeitnehmer. Herr Stoiber
stellte fest, ihm sei es wichtig, dass es den Unternehmern
besser gehe.
({3})
Die Arbeitnehmer hat er dabei vergessen.
({4})
Voller Begeisterung hat er festgestellt, Herr Hinsken
- wortwörtlich; ich habe zugehört -, dass das Maß aller
Dinge das Wirtschaftswachstum sei.
({5})
Solche Aussagen bringen einen schon ins Grübeln, um es
freundlich auszudrücken. Ich glaube, dass eine Politik
dieser Art für unser Land nicht gut wäre.
({6})
Wir haben 1998 nicht den Jahrmarkt im Himmel versprochen. Wir waren sehr bescheiden. Schröder ist oft
dafür gescholten und verhöhnt worden, dass er gesagt hat:
Wir wollen nicht alles anders, aber vieles besser machen.
({7})
In dem „nicht alles anders“ drückt sich auch etwas aus,
was ich Ihnen für einen seriösen Wahlkampf empfehle: etwas Bescheidenheit und auch Respekt und Anerkennung
gegenüber dem, was gelungen ist.
({8})
Er hat aber auch gesagt, dass er nichts aussitzen wolle,
und Sie haben sich sehr über seine Ankündigung aufgeregt, er wolle besonders in Situationen großer Schwierigkeiten und Aufgeregtheiten mit ruhiger Hand regieren.
({9})
Ich tröste Sie mit einem Zitat von Laotse:
Durch Bewegung überwindet man Kälte. Durch
Stillhalten überwindet man Hitze. Der Weise vermag
es, durch seine Reinheit und Ruhe alle Dinge der
Welt ins Gleichmaß zu bringen.
({10})
Auf diesem Weg sind wir seit 1998 gut vorangekommen.
({11})
- „Rückwärts“, es geht schon wieder los.
Meine lieben Kolleginnen und Kollegen von der
CDU/CSU, Arbeitnehmerfamilien haben nicht weniger,
sondern mehr Geld in der Tasche. Den Familien geht es
nicht schlechter, sondern besser. Sie haben vorausgesagt,
dass Minister Riester scheitern werde. Inzwischen gibt es
die Riester-Rente, die zum Gütesiegel seiner Reform werden wird.
({12})
Im Vergleich mit 1998 ist die Arbeitslosigkeit im
Durchschnitt gesunken. Es gibt 430 000 Arbeitslose weniger; es gibt auch weniger Langzeitarbeitslose und weniger arbeitslose Schwerbehinderte.
({13})
Ferner gibt es 1,2 Millionen Erwerbstätige mehr, darunter
auch mehr Frauen, die aus der stillen Reserve herauskommen. Des Weiteren haben mit unserem JUMP-Programm 400 000 Jugendliche eine Chance bekommen.
({14})
Aufgrund unserer Steuerentlastungen, der Familienförderung und des Wohngeldes beziehen seit 1998 weniger
Menschen Sozialhilfe bei sinkenden Ausgaben in der Sozialhilfe.
Ich bitte die FDP, zur Kenntnis zu nehmen, dass der in
ihrem Antrag genannte Betrag, nämlich angeblich 40 Milliarden DM im Jahr 1999 - ich warte eben, bis der Kollege von der FDP mir sein Gehör leiht -,
({15})
falsch ist. Sie haben in Ihrem Antrag eine falsche Zahl genannt, die aber wichtig ist. Sie haben angegeben, dass
1999 die Ausgaben für Hilfe zum Lebensunterhalt rund
40 Milliarden DM betragen hätten. Bei dieser Summe
handelt es sich aber um die Gesamtausgaben für die Sozialhilfe, das heißt für HLU und Hilfe in besonderen Lebenslagen. Für die von Ihnen angesprochene Hilfe zum
Lebensunterhalt sind im Jahr 1999 19 Milliarden DM
verausgabt worden. Inzwischen sind die Ausgaben dafür
auf netto 8,7 Milliarden Euro gesunken.
({16})
Ich möchte zudem nur erwähnen, dass die Ausgaben
für Arbeitslosengeld und Arbeitslosenhilfe zurückgegangen sind.
Wir behaupten nicht, dass wir alle Probleme hundertprozentig gelöst hätten. Wir behaupten auch nicht, dass wir sie
gleich für das ganze Jahrhundert gelöst haben. - Diese Behauptung kenne ich noch aus der Vergangenheit. - Das
können Sie kritisieren. Sie können für sich auch einen
Wechsel aus der Opposition erhoffen, aber dafür benötigen Sie Konzepte, nicht nur ein Kompetenzteam.
({17})
Was das angeht, sieht es aber ziemlich mau aus. Ihre Konzepte sind widersprüchlich und manchmal furchtbar altbacken und von vorgestern.
({18})
Manchmal weiß man auch nicht, was Sie eigentlich meinen, weil sich in kurzer Folge die Widersprüche häufen.
Wir haben erst gestern über einen dieser Widersprüche geredet.
({19})
Was ich aber für schlimm und den Wählerinnen und
Wählern für nicht angemessen halte, ist, dass Sie auf
Stimmungen setzen. Späth hat zwar festgestellt, dass Politik und Wirtschaft zu 70 Prozent aus Psychologie bestünden - er ist wenigstens noch ein Optimist -, aber unter Ihnen, lauter enthusiastischen Pessimisten, wird er
kaum eine Chance haben. Dieser Pessimismus und diese
Schwarzmalerei finden sich auch in Ihren Anträgen - trotz
der Ansätze, die ich auch respektiere, Herr Laumann -,
aber auch in denen der FDP, die wir heute beraten. Es geht
dabei grundsätzlich um die Forderung, die Arbeitslosenhilfe und die Sozialhilfe zusammenzulegen. Was mir dabei besonderen Kummer bereitet, ist Folgendes: Sie negieren Regelungen, die bereits bestehen. Sie arbeiten mit
Unterstellungen und beleben alte Vorurteile. Sie wollen
weder die Unterschiede begreifen noch die Komplexität
- das gilt besonders für die FDP - und ihnen nicht Rechnung tragen.
({20})
Aus einer falschen Diagnose wird aber auch keine richtige Therapie. Wer eine Vereinheitlichung fordert, muss
zur Kenntnis nehmen, dass zwar beides steuerfinanzierte
Leistungen sind, aber sehr unterschiedliche Systeme. Sozialhilfe soll ein menschenwürdiges Leben sichern. Diese
Aufgabe hat Arbeitslosenhilfe nicht, sondern sie ist abgeleitet von dem, was man vorher verdient hat. Reicht das
zur Existenzsicherung nicht aus, dann gibt es nur genau
ergänzendes Geld. Weil sie unterschiedliche Zielsetzungen haben, sind sie unterschiedlich geregelt. Die Leistungen der Arbeitslosenhilfe sind in der Regel höher; sie
können auch mal niedriger sein.
({21})
Zugleich sind alle Arbeitslosenhilfebezieher sozialversichert.
({22})
Haben Sie eigentlich so richtig umfänglich bedacht,
welche Auswirkungen das hätte, wenn man das zusammenführt?
({23})
Der Bund finanziert die Arbeitslosenhilfe und entlastet
damit die Kommunen und trägt auch zu einem Ausgleich
bei, insbesondere für von Arbeitslosigkeit betroffene
Kommunen. Haben Sie darüber nachgedacht, wie Sie das
machen wollen?
({24})
- Den Antrag habe ich sehr genau gelesen. Sie zeigen dort
sehr wenige Problemlösungen auf. Sie haben den schmalen Blick auf die Sache, die Sie wollen, gerichtet, aber
nicht darauf, was damit verbunden ist. Dass man in einem
Gesamtsozialsystem nicht an einem Baustein arbeiten
kann, ohne die anderen auch zu treffen, müssten Sie als
Sozialpolitiker eigentlich wissen.
Bei Ihnen dominieren die Vorurteile; sie kommen trotz
aller Ihrer Beteuerungen immer wieder stark durch. Ich
frage mich, was Ihnen eigentlich Sozialhilfebezieher und
Arbeitslose getan haben, dass Sie sie immer wieder unter
den Generalverdacht stellen, dass sie nicht arbeiten wollten, sich in der sozialen Hängematte wohl fühlten und
Leistungen zu Unrecht bekämen.
({25})
- Ich beantworte jetzt keine Zwischenfrage. - Außerdem
verhinderten die hohen Transfers die Arbeitsaufnahme.
Arbeitgeber stellen das ja gerne fest, um das Existenzminimum zu beseitigen, weil die Ausdifferenzierung der
Löhne - ({26})
- Sie reden doch gleich noch; machen Sie es doch anschließend. Oder darf er heute nicht reden?
({27})
- Gut, ich werde Ihnen darauf antworten: Wenn er von einem Reporter gefragt wird, ob es möglich ist, zu Unrecht
Sozialhilfe zu beziehen oder die Arbeitsaufnahme zu verweigern, dann muss er darauf antworten, dass das nicht
geht. Damit hat er auch Recht.
({28})
Sie aber sind immer der Meinung, man müsse diesen
Leuten erst auf die Füße treten oder sie an die Kandare
nehmen.
({29})
Selbst wenn das so wäre, Herr Weiß, kommen Sie mit
Ihren Methoden nicht weiter. Das ist wirklich eine pädagogische Auffassung aus dem vorletzten Jahrhundert.
({30})
Das DIW hat am 30. Mai 2002 eine Untersuchung veröffentlicht. Es ging darum festzustellen, ob Arbeitslose
arbeitsunwillig sind. Das Ergebnis war, dass 80 Prozent
der registrierten Arbeitslosen dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen, 60 Prozent sofort, davon 90 Prozent der
jungen Arbeitslosen. 40 Prozent schaffen es, einen Arbeitsplatz innerhalb eines Jahres zu finden. So viel zu der
Trägheit von Arbeitslosen. Daneben gibt es diejenigen,
die resigniert haben, weil sie sich in einem Alter befinden,
wo sie entgegen aller forschen Aussagen der Unternehmer
nicht mehr eingestellt werden, oder weil sie zig Bewerbungen geschrieben haben, auf die ihnen jedes Mal geantwortet wurde, dass man sie nicht mehr wolle.
Ich sage Ihnen: Nein, Ihre Vorstellungen von Anreizen
sind keine Visionen, sondern die gibt es bereits alle. Ich
könnte Ihnen dafür auch Stellen aus dem Sozialhilfegesetz zitieren.
Frau
Kollegin Lange, kommen Sie bitte zum Schluss.
Ich komme gleich zum
Schluss.
Mit der Umkehr der Beweislast, mit Quartalsmeldepflichten und mit der Beschränkung der Leistungsdauer
von Arbeitslosengeld kommen Sie überhaupt nicht weiter.
Sie sollten uns folgen. Wir wollen die Situation von Arbeitslosenhilfe- und Sozialhilfebeziehern verbessern. Der
Bezug von Sozialhilfe darf kein Dauerzustand sein. Wir
werden mit unseren Reformen dazu beitragen, dass ein
solcher Dauerzustand überwunden wird. Unsere Reformen sind eingeleitet worden. Ich fordere Sie auf, sich an
unseren Reformen zu beteiligen.
({0})
Das Wort
hat jetzt der Kollege Dirk Niebel von der FDP-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Umgang mit dem Thema
der Zusammenlegung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe ist ein Paradebeispiel für die Politik der ruhigen
Hand sowie für Untätigkeit und Unfähigkeit dieser Regierung. Dieser Umgang steht im Gegensatz zu den blumigen Ankündigungen des Bundeskanzlers in seiner Regierungserklärung, bei der Reform der Sozialhilfe einen
grundlegenden Schritt zu gehen. Frau Kollegin Lange, es
ist mir unbegreiflich, warum Sie mit dieser Regierung
noch irgendetwas zu tun haben, wenn Sie alles negieren,
was diese Regierung sagt.
({0})
Der Bundesarbeitsminister hat in diesem Hause die
Notwendigkeit der Zusammenlegung der beiden steuerfinanzierten Transferleistungen Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe vom Grundsatz her schon vielfach anerkannt. Vor
der Bundestagswahl traut er sich bloß nicht, die ersten
notwendigen Weichenstellungen vorzunehmen; denn er
hat Angst, dass ihm gerade der Gewerkschaftsflügel der
SPD massiv in die Parade fährt.
({1})
Eines ist selbstverständlich klar: Wir müssen auch in diesem Land dem Gerechtigkeitsprinzip „Keine Leistung
ohne grundsätzliche Bereitschaft zur Gegenleistung“ wieder Geltung verschaffen.
({2})
Herr Gilges, an diesem Punkt widerspreche ich dem
Bundeskanzler ausdrücklich: Selbstverständlich gibt es in
einer liberalen Gesellschaft ein Recht auf Faulheit. Es gibt
aber keinen Anspruch darauf, dass die Allgemeinheit sie
finanziert.
({3})
Es gibt 2,7 Millionen Sozialhilfeempfänger. Ungefähr
800 000 davon sind grundsätzlich arbeitsfähig. Wir müssen Anreize schaffen, diesen Menschen die Rückkehr in
den ersten Arbeitsmarkt zu erleichtern.
({4})
Das schaffen wir nicht, wenn es weiterhin möglich ist,
dass jemandem, der hinzuverdient, fast alles von dem,
was er verdient, wieder abgezogen wird. Jemand, der
wirtschaftlich klar denkt, muss sich sagen: Es lohnt sich
nicht, legal zu arbeiten. Er findet andere Wege. Deswegen
müssen wir die Freibeträge im Rahmen der sozialen
Transferleistungen langsam erhöhen. Wir müssen dafür
sorgen, dass es sich wieder lohnt zu arbeiten. Wir müssen
dafür sorgen, dass derjenige, der in den Arbeitsmarkt
zurückkehrt, mehr in der Tasche hat als derjenige, der
nicht zurückkehrt.
({5})
Das bedeutet in der Konsequenz natürlich auch, dass
wir die im Moment vorgesehenen Sanktionsmechanismen besser anwenden müssen. Zurzeit ist es so, dass die
Sozialbehörde nachweisen muss, dass jemand nicht arbeiten will. Wir sind der Ansicht: Wenn jemand Hilfe vom
Staat, also von allen Steuerzahlerinnen und Steuerzahlern,
haben möchte, dann ist es gegenüber dem Hilfeempfänger
durchaus nicht zu viel verlangt, dass er nachweist, dass er
nicht arbeiten kann. Wenn wir das erreichen, wird denjenigen, die unserer Hilfe bedürfen, ein Leben in Würde
tatsächlich finanziert werden können.
Allein die Doppelverwaltung von Arbeitslosenhilfe
und Sozialhilfe kostet uns im Jahr 3,5 Milliarden Euro.
Das ist doch hanebüchen. Wenn wir das Geld zur Verfügung hätten, um die Reintegration der Hilfeempfänger in
den Arbeitsmarkt zu verbessern, dann wäre allen wesentlich mehr geholfen.
({6})
Von daher fordert die FDP mit einem ganz klaren Konzept, Kollegin Lange - offenkundig haben Sie die letzten
Seiten unseres Antrags nicht bekommen oder nicht gelesen -, die Zusammenführung von Arbeitslosenhilfe und
Sozialhilfe, ohne dass die Kommunen mehr belastet werden, als es jetzt der Fall ist. Das unterscheidet unseren Antrag von dem der Union sehr. Wir begrüßen diesen Antrag
ansonsten durchaus, weil er ein Schritt in die richtige
Richtung ist.
Wir wollen den Ländern und Gemeinden, die die Sozialhilfekosten zu tragen haben, die Mittel, über die der
Bund im Moment dafür aufwendet, in Form eines Budgets
nach dem Schlüssel der Arbeitslosenhilfeempfänger zukommen lassen. Dieses Budget stärkt auch den Anreiz für
die Kommunen, ihre Hilfeempfänger möglichst schnell in
den Arbeitsprozess zurückzuführen. Dieses Budget bedeutet in der Konsequenz, dass diejenige Gemeinde oder
diejenige Stadt, die ihren Hilfeempfänger schnell in Arbeit vermitteln kann, Geld übrig hat, das sie zur Verbesserung der Infrastruktur verwenden kann. Dadurch bekommt sie wirklich einen fiskalischen Anreiz, ihre
Hilfeempfänger schnell zu vermitteln.
({7})
Das geht nur, wenn wir diese Hilfesysteme hinsichtlich
des verwaltungstechnischen Ablaufs in ein neues Korsett
bringen. Es soll nur noch einen Ansprechpartner geben.
Außerdem schlagen wir ein Jobcenter vor, in dem die HilBrigitte Lange
feempfänger umfassend betreut werden - von der staatlichen über die private Arbeitsvermittlung hin zu Zeitarbeitsfirmen und Bildungsträgern. Dazu gehören auch
Qualifizierungsmaßnahmen, die im Haus am Computer
oder mit welchen Hilfsmitteln auch immer durchgeführt
werden können, und Umschulungsmaßnahmen. Dazu
zählen weiterhin Schuldnerberatung und Therapieangebote aus einer Hand, damit all diejenigen, die Hilfe brauchen, sie sofort bekommen.
Wir wollen mit unserem Konzept der Zusammenlegung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe die Teilhabemöglichkeiten der Menschen in dieser Gesellschaft
verbessern. Wir wollen Chancen schaffen, dabei zu sein.
Dabei zu sein bedeutet, mehr Freiheit zu haben. In 100 Tagen ist Freiheitszeit.
Vielen Dank.
({8})
Das Wort
hat jetzt die Kollegin Ekin Deligöz vom Bündnis 90/
Die Grünen.
Herr
Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir reden
hier wieder einmal über die Sozialhilfe, über die letzte tragende Säule des Sozialstaates. Diese Säule dient dazu, das
soziokulturelle Existenzminimum in Deutschland sicherzustellen. Mit ihr wird dafür Sorge getragen, dass die Armut bekämpft wird, sodass wir sie in unserem reichen
Land nicht erleben müssen. Es geht aber auch um Verteilungsgerechtigkeit und Chancengleichheit.
({0})
Am Anfang war ich angenehm überrascht, Herr
Laumann. Es schien so zu sein, dass wir eine grundsolide
Debatte darüber führen könnten, wie wir in diesem Bereich gemeinsam vorankommen können.
({1})
Nach der Rede von Herrn Niebel muss ich aber sagen: Sie
dürfen nicht so tun, als ob die Menschen, die Sozialhilfe
oder Arbeitslosenhilfe beziehen, ein Wahlrecht zwischen
Arbeitsaufnahme und Sozialhilfe oder ein Wahlrecht zwischen faul sein und arbeiten gehen hätten. Das ist de facto
nicht der Fall. Es gibt heute schon in beiden Systemen
Sanktionsmöglichkeiten.
Wir haben die Sanktionsmöglichkeit, beispielsweise
die Sozialhilfe um bis zu 25 Prozent zu kürzen oder auch
komplett zu streichen, wenn sich die betreffenden Menschen offenkundig weigern, eine Arbeit anzunehmen. Das
ist heute schon möglich. Sie reden über Jobcenter; einen
entsprechenden Vorschlag haben Sie gemacht. Aber die
gibt es doch schon heute. Entsprechende Regelungen haben wir gesetzlich verankert.
Sie reden über eine bessere Qualifizierung. Genau in
diesen Bereich investieren wir. Die Zahl der Qualifizierungsmaßnahmen ist gestiegen. Sie reden darüber, dass
man Sozialhilfeempfängern einen Zugang zum Arbeitsmarkt schaffen sollte, damit sie eine Arbeit aufnehmen
können. Das geht doch heute auch schon. Sie reden darüber, dass wir keine Weichen gestellt und dass wir nichts
getan hätten. Ich erinnere Sie an die vielen Modellprojekte, die zurzeit laufen, und nenne in diesem Zusammenhang das Modellprojekt MoZArT, in dem es um die
Zusammenlegung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe
sowie um Pauschalbeträge geht. Damit wird die Verantwortung des mündigen Bürgers herausgestellt.
Ich nenne ferner das Mainzer Modell, in dem es darum
geht, Anreize zu schaffen, damit die Menschen eine Arbeit aufnehmen können, ohne sich fragen zu müssen, ob
es sich rentiert, zu arbeiten. Genau das ist das Ziel des
Mainzer Modells. Nicht zuletzt haben wir das JobAQTIV-Gesetz verabschiedet, das sich auf die Langzeitarbeitslosen konzentriert. Kernpunkt dieses Gesetzes ist
das Konzept des Förderns und des Forderns.
({2})
- Sie sagen jetzt, es helfe nicht. Dieses Gesetz ist seit dem
1. Januar 2002 in Kraft. Wie können Sie erwarten, dass
man nach wenigen Monaten schon entscheiden kann, ob
dieses Gesetz hilft oder nicht? Selbstverständlich hilft
dieses Konzept.
({3})
Sie müssen nur genau hinschauen und dem Gesetz Zeit
geben, seine Wirkung zu entfalten.
({4})
Aber das tun Sie nicht. Bevor Sie unser Gesetz kritisieren,
sollten Sie sich besser informieren.
Sie reden zwar. Trotzdem muss man fragen: Wo sind
die Taten?
({5})
Die Taten werden von der anderen Seite des Hauses vollbracht. Diese Regierung hat gehandelt. Während Sie reden, setzen wir unsere Maßnahmen um.
({6})
Ich komme jetzt zu den Zahlen, die Sie so vollmundig
verkünden. Ich zitiere einmal aus dem Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung. Diese Bundesregierung hat als erste Regierung einen solchen Bericht erstellt.
Wir wollen Transparenz und Ehrlichkeit. Deshalb wollen
wir nicht nur über Armut, sondern auch über Reichtum in
diesem Land informiert werden. Wir wollen wissen, wie
die Zahlen sind und uns offen dazu bekennen.
({7})
Wir reden über die 2 879 000 Empfänger von Hilfe
zum laufenden Lebensunterhalt, nicht aber über die bedürftigen Menschen, wie es von der FDP immer wieder
verwechselt wird. Darunter sind Minderjährige, darunter
sind Personen über 60 Jahre, darunter sind wegen häuslicher Bindung nicht erwerbstätige Menschen - sie betreuen Pflegebedürftige oder haben Kinder unter drei Jahren -, darunter sind wegen Krankheit, Behinderung oder
Arbeitsunfähigkeit nicht erwerbstätige Menschen. Darunter sind auch Vollzeit- oder Teilzeiterwerbstätige, die ein
niedriges Einkommen haben. Darunter sind aufgrund von
Qualifikationsmaßnahmen, Weiterbildung oder Ausbildung nicht erwerbstätige Menschen. Darunter sind auch
Menschen, die nicht arbeiten können, weil sie zwei Kinder im Alter von über drei Jahren haben, aber Alleinerziehende sind und nicht wissen, wo die Kinder betreut werden sollen, wenn der Kindergarten um 12.30 Uhr schließt,
sich die Teilzeitarbeit aber bis 13 Uhr erstreckt.
Wir müssen uns zu diesen Menschen bekennen, die wir
nicht bestrafen wollen und auch nicht bestrafen sollten,
weil sie ein Teil dieser Gesellschaft sind; ihnen müssen
wir Rückendeckung geben. Wenn wir deren Zahl abziehen, dann reden wir über 400 000 Menschen.
({8})
Diesen Menschen wird vonseiten der FDP und teilweise
auch der CDU/CSU unterstellt, sie seien einfach nur faul
und wollten nicht arbeiten.
({9})
- Nein, das hat nicht der Kanzler gemacht.
In der weiteren Debatte sagen Sie, wir könnten die gesamten Mittel durch die Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe einsparen; es ginge noch viel besser,
wenn wir das Geld zugunsten von Familien einsparten
und es für das 600-Euro-Familiengeld-Konzept einsetzten. Ich finde schon die Rechnung seltsam, bei
400 000 Menschen 20 Milliarden Euro einzusparen; denn
das Gesamtbudget für das Sozialhilfesystem beträgt
21 Milliarden Euro.
Aus dem eingesparten Geld soll ein Familiengeld für
die Eltern von Kindern in den ersten drei Lebensjahren finanziert werden. Sie wollen die gesamte Sozialhilfe abschaffen und auch den sehr gut verdienenden Partner mit
dem 600-Euro-Konzept fördern. Sie schaffen damit eine
Herdprämie für Frauen, damit sie nicht erwerbstätig werden oder sind. Ich zitiere Herrn Friedrich Merz, der sagte:
Darin sehen wir die Lösung des Arbeitsmarktproblems.
({10})
Anschließend erklären Sie hier, wie toll Ihr Konzept ist. Ich
sage Ihnen: Ihr Konzept ist nichts anderes als eine Lüge.
({11})
Was müssen die Eckpunkte eines Sozialsystems sein?
Wir brauchen ein System, das unbürokratisch, transparent
und bürgergerecht ist, ein System, das für die Menschen
weniger entmündigend ist und mehr auf sie ausgerichtet
ist, das Anreize setzt, erwerbstätig zu sein, aber vor allem
ein System, bei dem die Menschen und nicht irgendwelche Vorurteile ihnen gegenüber im Mittelpunkt stehen. In
diesem System - das haben Sie in Ihren Konzepten überhaupt nicht vorgesehen - brauchen wir auch Infrastruktur.
40 Prozent der Sozialhilfeempfängerinnen sind allein
erziehende Frauen. Für diese Frauen brauchen wir Kinderbetreuungseinrichtungen, die ihnen Erwerbstätigkeit
erst grundsätzlich ermöglichen. Wir brauchen ein System,
das Familien aus der Sozialhilfe herausholt. Dazu brauchen wir aber nicht diese Faulheitsdebatte, sondern Hilfestellungen.
({12})
Unser Vorschlag einer Kindergrundsicherung ist eine
Lösung, die finanzierbar, systemkompatibel und sofort
umsetzbar ist,
({13})
mit der Familien aus dem Sozialhilfesystem herausgeholt
werden, die dafür sorgt, dass keine Familie sozialhilfebedürftig wird, weil Kinder da sind, eine Lösung, die vor allem Anreize zur Aufnahme einer Erwerbstätigkeit steigert, weil das Geld nicht wie im derzeitigen System eins
zu eins angerechnet wird.
Eine unserer wichtigsten Forderungen ist die Senkung der Lohnnebenkosten. Eine weitere Forderung
richtet sich auf eine sehr gute und intensive Arbeitsmarktpolitik, deren Eckpunkte wir nicht nur festgelegt,
sondern bereits umgesetzt haben. Ein ganz wichtiger
Punkt, über den derzeit debattiert wird, ist folgender:
Wir müssen auch Schwarzarbeit und illegale Beschäftigung aktiv bekämpfen. Dazu haben wir einen Gesetzentwurf vorgelegt, der noch immer im Bundesrat liegt.
Sie stimmen dagegen.
Wenn Sie das, was Sie in Bezug auf die Armutsbekämpfung und das Setzen von Anreizen für die Erwerbsarbeit sagen, ernst meinen, dann müssen wir auch
Schwarzarbeit und illegale Beschäftigung, die immer zulasten von Menschen gehen, bekämpfen. Sie haben jetzt
die einmalige Chance, dabei mitzumachen. Was hält Sie
davon ab? Machen Sie doch einfach mit!
({14})
Ich sage Ihnen, was unsere Konzepte im Wesentlichen
von Ihren Konzepten unterscheidet: Es ist das Menschenbild, das dahinter steht. Wir gehen noch immer vom
guten Menschen aus, der einen Anspruch auf Unterstützung durch den Staat hat, der nicht von Grund auf schlecht
ist.
({15})
Deshalb ist unser Leitmotto jetzt und auch in Zukunft,
vor allem aber in diesem Wahlkampf: Im Zweifelsfall sind
wir für den Menschen, mit den Armen und den BedürftiEkin Deligöz
gen sowie mit den Familien, egal ob allein erziehend oder
nicht, und nicht gegen sie.
({16})
Das ist unsere Antwort und daran werden wir festhalten.
({17})
Das Wort
hat jetzt die Kollegin Pia Maier von der PDS-Fraktion.
Herr Präsident! Sehr geehrte Damen
und Herren! Ich hoffe, dass sich die SPD und die Grünen
auch in der nächsten Legislaturperiode noch an diese Reden erinnern werden.
({0})
Sie reden von der Verzahnung der Arbeitslosenhilfe
und der Sozialhilfe. Die CDU/CSU und die FDP sprechen
etwas klarer von der Abschaffung der Arbeitslosenhilfe.
({1})
In dem Papier der SPD-regierten Länder steht aber auch,
dass sie Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe zu einem System zusammenlegen möchten. Das kann doch nicht anders aussehen, als dass die Arbeitslosenhilfe im Wesentlichen abgeschafft wird; denn die Sozialhilfe kann man
nicht abschaffen. Das würde ihrem Grundsatz widersprechen.
({2})
Wir werden sehen, was Sie in den nächsten Jahren machen. Ich weiß, was Sie in Ihr Wahlprogramm geschrieben haben. Ich hoffe, dass Sie das hinterher auch umsetzen werden. Aber die Signale, die von Herrn Gerster und
von Herrn Eichel kommen, widersprechen leider den Signalen, die von Herrn Riester kommen. Wir werden sehen,
ob er dann noch Arbeitsminister ist.
({3})
Von der CDU/CSU und der FDP haben wir die altbekannte Leier gehört. Sie sagen immer wieder, man müsse
den Leuten weniger geben, damit sie arbeiten.
({4})
Sie drohen damit, dass die Arbeitslosen gar nichts mehr
bekommen, wenn sie nicht ihren Arbeitswillen zu jeder
Bedingung nachweisen, also auch für einen Hungerlohn
arbeiten würden. Dann, versprechen Sie, werde es neue
Arbeitsplätze geben. Ich sage: Das ist alles Quatsch.
Zu der Behauptung, dass Arbeitslose nicht arbeiten
wollten, ist von Frau Lange schon die DIW-Studie zitiert
worden. Ich füge hinzu, dass es kein Wunder ist, dass die
Arbeitslosen keine Arbeitsstellen bekommen, solange wir
fast 4 Millionen Arbeitslose haben. Vermutlich fehlen sogar 7 Millionen Arbeitsplätze. Angeblich sind 1,5 Millionen Stellen offen. Gemeldet sind lang nicht so viele. Auf
jede gemeldete freie Stelle kommen im Augenblick 7,6 Arbeitslose. Bei einem solchen Verhältnis kann man es den Arbeitslosen nicht zum Vorwurf machen, wenn sie keine Stelle
finden. Sie wollen arbeiten, bekommen aber keine Arbeit.
({5})
Zu Ihrer zweiten Grundprämisse. Sie sagen immer
wieder, die Menschen, die Leistungen bezögen, bekämen
zu viel; der Anreiz zu arbeiten sei zu gering. Ich sage: Die
Sozialhilfe und die Arbeitslosenhilfe sind nicht so hoch.
Es lohnt sich für jeden zu arbeiten; der Lohnabstand ist
gewahrt, solange Tariflöhne gezahlt werden. Das ist auch
richtig so, denn Niedriglöhne sind der falsche Weg, die
Leute in Arbeit zu bringen. Damit verlagern Sie die Probleme und schicken die Leute in die Armut.
Sie schicken mit Ihrem Vorschlag, die Arbeitslosenhilfe abzuschaffen, fast 1,5 Millionen Menschen in die Armut. Ich möchte Ihnen an einem Beispiel vorrechnen, was
passiert, wenn die Arbeitslosenhilfe abgeschafft wird. Ich
nehme dafür das Beispiel einer Durchschnittsfamilie.
Der Ehemann, 42, verdient - so ist der bundesweite Durchschnitt - knapp 2 400 Euro. Die Ehefrau ist ebenfalls erwerbstätig; sie verdient zwei Drittel des Durchschnittsentgelts - so ist leider die Realität -, knapp 1 600 Euro. Beide
haben Steuerklasse IV, ein Kind; Warmmiete 465 Euro.
Im Falle der Arbeitslosigkeit würde sich das Haushaltseinkommen dieser Familie nach der Abschaffung der Arbeitslosenhilfe um 438 Euro verringern. Denn die Arbeitslosenhilfe, auf die der Ehemann einen Anspruch hätte, geht
vom ehemaligen Lohn aus. Das Haushaltseinkommen läge
bei knapp 2 000 Euro. Die Sozialhilfe geht vom Bedarf
der Familie aus. In der Sozialhilfe liegt der Bedarf dieser
Beispielfamilie bei 1 287 Euro. Diese 1 287 Euro blieben
für die Familie, wenn die Arbeitslosenhilfe abgeschafft
würde. Das Kindergeld käme nicht hinzu.
({6})
Das Einkommen der Ehefrau müsste hinzugerechnet werden. Eventuell bestehendes Vermögen müsste aufgebraucht werden. Eine Durchschnittsfamilie hätte438 Euro
weniger, wenn die Arbeitslosenhilfe abgeschafft würde.
Das sind Ihre Vorschläge.
({7})
- Ich habe das Wohngeld mit eingerechnet. Sie können
diese Beispiele nachlesen; ich habe sie mir nicht allein
ausgedacht. Sie stammen von Johannes Steffen von der
Arbeiterkammer Bremen und sind im Internet zu finden.
Der Vorschlag, die Arbeitslosenhilfe abzuschaffen, ist
ein Verarmungsprogramm für all diejenigen, die länger
als 12 Monate arbeitslos sind und nicht schon vorher arm
waren. Wir wollen die Arbeitslosenhilfe ganz bestimmt
nicht abschaffen. Wir wollen, dass diese Leistungen, das
Arbeitslosengeld und die Arbeitslosenhilfe, ausgebaut
werden. Denn die Menschen, die diese Leistungen bekommen, leben schon heute häufig in Armut.
Wir fordern eine Grundsicherung in der Arbeitslosenversicherung. Arbeitslosen sollen Leistungen in Höhe der
Sozialhilfe von Amts wegen garantiert werden. Wir fordern einen gesetzlichen Mindestlohn, das heißt einen
Stundenlohn von 9,42 Euro. Er soll dafür sorgen, dass
Menschen, die arbeiten, nicht arm sind.
Das sind zukunftsweisende Vorschläge. So lassen sich
die Prinzipien des Sozialsystems erhalten. Man sollte die
Menschen nicht mit Niedriglöhnen in die Armut treiben.
Denn wenn sie auf Lohnersatzleistungen angewiesen
sind, bekommen sie zu wenig. Davon können sie im Alter
garantiert nicht mehr leben; denn auch die Riester-Rente
hilft ihnen nicht.
Zu Ihren Vorstellungen bleibt mir zum Schluss nur zu
sagen: Hände weg von der Arbeitslosenhilfe! Richten Sie
eine Grundsicherung ein! Das wäre ein besserer Weg für
die Menschen, die Hilfe brauchen. Führen Sie einen Mindestlohn ein! Damit würden die Menschen, die Arbeit haben, ordentlich entlohnt.
Danke.
({8})
Das Wort
hat jetzt der Kollege Konrad Gilges von der SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Wir beschäftigen uns heute mit Anträgen der CDU/CSU
und der FDP.
({0})
Diese Anträge sind ein Ausdruck Ihrer 16-jährigen Versäumnisse.
({1})
Wenn man sie liest, fragt man sich: Warum haben die Damen und Herren, die schon vor unserer Regierungszeit im
Parlament waren und regiert haben - der Herr Kolb war
sogar Mitglied der Regierung; das war ein wichtiger
Mann in dieser Regierung -, das alles, was Sie in Ihre Anträge hineingeschrieben haben, nicht schon längst in diesen 16 Jahren umgesetzt?
({2})
- Sie kommen wahrscheinlich nicht mehr hinein. Das ist
kein Verlust für das Parlament, Herr Niebel.
({3})
In den 16 Jahren Ihrer Regierungszeit hat sich die Zahl
der Sozialhilfeempfänger - das muss man hier einmal
festhalten - verdreifacht. In keiner Regierungszeit nach
1945 sind diese Zahlen so stark gestiegen wie zu Ihrer Regierungszeit, zu der Zeit von Helmut Kohl.
({4})
Jetzt kommen Sie mit klugen Anträgen und klugen
Sprüchen. Sie hätten das schon längst tun können.
Die Bevölkerung kann nicht darauf vertrauen, dass Sie
in den nächsten Jahren die Probleme, die Sie 16 Jahre lang
nicht bewältigt haben - in diesen Jahren bestanden ja
schon die Probleme, über die wir heute sprechen -, lösen
werden. Sie haben es 16 Jahre lang nicht getan und werden es auch in Zukunft nicht tun.
({5})
Nun zu einem weiteren Punkt, zu den Anträgen und deren Menschenbild. Die Anträge sind - so möchte ich das
einmal bezeichnen - gefühllos.
({6})
In diesen Anträgen gibt es keine real existierenden Lebewesen. Vielmehr wird nur von irgendwelchen Empfängern oder was auch immer gesprochen.
({7})
Man hat den Eindruck, Sie unterstellen in Ihren Anträgen,
dass die Armen an ihrer Lebenssituation, an ihrem Schicksal schuld seien.
({8})
Ich sage: Das stimmt nicht. Das ist unrichtig.
({9})
Die Mehrheit derjenigen, die Sozialhilfe bzw. Arbeitslosenhilfe erhalten, sind unverschuldet in diese Lebenslage
geraten. Jeder, der zum Sozialamt bzw. Arbeitsamt geht,
kann das nachvollziehen.
({10})
Er braucht nur einmal mit den zuständigen Beamten zu
sprechen. Die können ihm die einzelnen Schicksale aufzeigen und erklären, wie die Situation ist.
Ich nenne ein Beispiel, Herr Laumann: Ein 50-jähriger
Mann arbeitet seit 35 Jahren in einer Bude,
({11})
als sie Pleite macht. - Das war in Ihrer Regierungszeit,
etwa im Jahr 1995. ({12})
Er geht zum Arbeitsamt und dort wird ihm mitgeteilt, er
sei nicht mehr vermittelbar. Dann treten folgende Stufen
ein: Zunächst bekommt er Arbeitslosengeld, bis das irgendwann ausläuft. Dann erhält er Arbeitslosenhilfe; das ist die
nächste Stufe. Wenn er Pech hat, wird er zum Sozialhilfeempfänger. Wenn er Glück hat, bekommt er mit 65 Jahren
endlich seine Rente. - Das ist das Leben eines 50-Jährigen,
der 35 Jahre in einem Betrieb gearbeitet und der dem
Schicksal unterworfen ist, dass sein Arbeitgeber - ich füge
hinzu: unverschuldet - Pleite gemacht hat. Es wäre gut,
wenn Sie sich dieser Lebensrealität einmal annehmen und
sich damit in Ihren Anträgen auseinander setzen würden.
Aber dazu sagen Sie kein Wort.
({13})
Ich nehme als zweites Beispiel die allein erziehende
Mutter. Sie verliert ihren Job spätestens nach dem dritten
Kind, weil der Arbeitgeber sagt: Das geht nicht mehr mit
dir. Diese Frau weiß nämlich nicht, wo sie ihre Kinder unterbringen soll, weil es in ihrer Gemeinde keine Krippe für
Kinder bis zu drei Jahren gibt, weil auch kein Kindergarten und kein Hort für Schüler vorhanden ist, weil es in dieser Bundesrepublik keine Ganztagsschulen gibt.
({14})
- Das trifft auf Bayern genauso wie auf Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen, Rheinland-Pfalz oder Hessen zu.
Ich will das gar nicht bewerten und jemandem die Schuld
zuweisen. Ich will Sie nur auf die Problemlage aufmerksam machen.
Diese Frau hat überhaupt keine Chance, ihren Lebensunterhalt durch Arbeit zu bestreiten, weil es ihr Schicksal
ist, allein erziehend zu sein und drei Kinder zu haben, und
wir als Gesellschaft nicht in der Lage sind, ihr die Bürde
der Erziehung in der Zeit abzunehmen, wenn sie arbeitet.
- Das sind Lebensschicksale. Ich habe Ihnen nur zwei
Beispiele genannt.
Herr Laumann, ich gehe davon aus, dass wir in unseren Grundwerten, auch was das Menschenbild angeht
- Sie sind Christ, ich bin Sozialdemokrat -, nicht so weit
auseinander liegen; anders ist es mit Herrn Niebel von der
FDP. Deshalb möchte ich insbesondere Sie ansprechen.
Herr Laumann, es ist nicht ungerecht, wenn jemand Sozialhilfe bekommt. Deshalb darf gegenüber den Menschen auch nicht der Eindruck erweckt werden, Sozialhilfe
sei etwas Ungerechtes bzw. - auf der anderen Seite - etwas Unanständiges, dass man, wenn man Sozialhilfe bekommt, von der Gesellschaft ausgegrenzt ist. Auch der
Sozialhilfeempfänger ist ein vollwertiges Mitglied unserer Gesellschaft.
({15})
Herr Kollege Gilges, erlauben Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Dr. Luft?
Sicher, wenn es sein muss.
Bitte
schön, Frau Kollegin Dr. Luft.
Herr Kollege Gilges, ich unterstreiche gerne all das, was Sie gerade zu den Auswirkungen einer Zusammenlegung von Arbeitslosenhilfe und
Sozialhilfe gesagt haben. Würden Sie mir aber bitte einmal erklären, was die SPD unter der „Verzahnung“ von
Sozialhilfe und Arbeitslosenhilfe versteht? Trifft nicht ein
Teil der Einwendungen, die Sie zu den Anträgen von
CDU/CSU und FDP vorgebracht haben, auch für die
„Verzahnung“ dieser beiden Leistungen zu?
Frau Kollegin, ich werde Ihnen gleich sagen, was wir darunter verstehen.
Wir reden heute, aus welchen Gründen auch immer,
über drei Anträge von CDU/CSU und FDP.
({0})
Wir haben hier bereits vor einigen Wochen über unsere
Vorstellungen bezüglich der Sozialhilfe einen Beschluss
gefasst. Ich werde gleich noch etwas dazu sagen und die
Kernpunkte nennen.
Ich will mich aber zunächst noch einmal der
CDU/CSU und der FDP zuwenden. Ich hätte mir gewünscht, dass in Ihren Anträgen auch einmal etwas über
den Reichtum in der Bundesrepublik und über die Verantwortung der Reichen den Armen gegenüber steht. Dazu
steht in den Anträgen kein Satz.
({1})
Der Armuts- und Reichtumsbericht, den die Bundesregierung im April des vergangenen Jahres vorgelegt
hatte, hat ausgesagt, dass es 1995 rund 13 000 Einkommensmillionäre in unserem Land gab, die durchschnittlich 3 Millionen DM pro Jahr bezogen haben.
({2})
Dabei ist von ihrem Vermögen noch gar nicht die Rede.
Es wäre also gut gewesen, dann, wenn man über SozialKonrad Gilges
hilfeempfänger und ihre Belastungen redet, auch einmal
etwas zu den Reichen und deren gesellschaftlicher Verantwortung zu sagen. Das hätte insbesondere einer christlichen Partei gut angestanden.
({3})
Herr Laumann, zu einem Ihrer Sätze möchte ich eine
Bemerkung machen. Sie sagten: Müßiggang ist aller Laster Anfang. Das ist christliche Ideologie. Die kenne ich,
weil ich katholisch wie Sie erzogen wurde. Wenn diese
Ideologie stimmen würde, Herr Laumann, dann gäbe es
unter den Millionären, den Vermögenden und Reichen in
diesem Land, die an jedem Tag der Woche Golf spielen
können, nur Alkoholiker und Drogenabhängige.
({4})
Für die Millionäre, die ich kenne,
({5})
trifft das nicht zu. Es stimmt schlicht und einfach nicht.
({6})
Ich möchte etwas zu dem Unterschied zwischen Sozialhilfe und Arbeitslosenhilfe anmerken. In Ihrem Antrag
sagen Sie: Das sind zwei Leistungen, die eigentlich identisch sind; und weil es sich um zwei Leistungen handelt,
kann man sie zusammenwerfen und daraus eine Leistung
machen. Das stimmt nicht. Es stimmt aufgrund der historischen Entwicklung und der Ideologie und Theorie der
beiden Leistungen nicht. Das wissen Sie auch.
Die Sozialhilfe gründet sich auf Art. 1 des Grundgesetzes: „Die Würde des Menschen ist unantastbar“. Das
heißt für einen demokratischen Rechtsstaat im Klartext,
dass wir jedem Menschen unabhängig von seiner Schuld
oder Unschuld die Menschenwürde garantieren müssen.
Das finde ich auch richtig so.
({7})
Dass wir dem gerecht werden müssen, unterscheidet uns
von anderen Staaten. Das müssen wir der Bevölkerung
auch sagen.
({8})
- Das kommt in Ihrem Antrag nicht so zum Ausdruck. Die Garantie der Menschenwürde ist die entscheidende
Frage für denjenigen, der über die Gewährung von Sozialhilfe entscheidet.
Die Arbeitslosenhilfe hat, wie Sie wissen, eine andere
Funktion. Man könnte es sich nach dem Grundgesetz einfach machen, man könnte die Arbeitslosenhilfe abschaffen und das Ganze den Kommunen überantworten. Das
wäre verfassungsrechtlich möglich. Ich will aber die Finanzierung beiseite lassen. Die Arbeitslosenhilfe hat die
Funktion, dass derjenige, der aus dem Arbeitslosengeld,
das richtigerweise - es setzt sich nämlich aus Beitragsmitteln der Arbeitgeber und Arbeitnehmer zusammen zeitlich begrenzt ist, herausfällt, wieder leichter in den Arbeitsmarkt integriert werden kann und dem Arbeitsmarkt
zur Verfügung steht. Das ist im Interesse des betroffenen
Menschen, aber insbesondere im Interesse der Unternehmen.
Deshalb haben sich die Unternehmer für die Schaffung
der Arbeitslosenhilfe ausgesprochen. Das war nie widersprüchlich, Herr Niebel. Da sind Sie in Ihrer Entwicklung
noch zu weit zurück, um etwas von der Theorie der Sozialhilfe zu kennen. Das sieht man ja auch in Ihrem Antrag, aber lassen wir das!
({9})
Deswegen hat die Arbeitslosenhilfe eine Funktion für
beide, für die Arbeitnehmer und die Unternehmen. Man
muss deshalb darüber nachdenken, ob man diese zerstören und aus dem sozialen Netz herausnehmen will.
Hinzu kommt ein zweiter Punkt: Fast 50 Prozent der
Ausgaben des Bundes für die Arbeitslosenhilfe sind Leistungen an die Renten- und Krankenkasse und an die Bundesanstalt für Arbeit. Ich kann das jetzt nicht im Detail,
sondern nur aus dem Kopf sagen: Die Kosten für die Arbeitslosenhilfe betragen rund 13 Milliarden Euro. Davon
fließen gut 5 Milliarden Euro an staatliche Institutionen:
damit die Rente der betroffenen Menschen - um die Menschen geht es - gesichert ist und
({10})
sie krankenversichert sind.
Aus diesem Grund ist die Frage der Zusammenlegung
nicht so einfach zu beantworten, wie Sie das hier darstellen. Es geht auch um Transferleistungen zwischen Ländern, Gemeinden und dem Bund. Deshalb muss das gut
überlegt sein; das kann man nicht locker vom Hocker, wie
das in Ihren Anträgen steht, entscheiden.
({11})
Weil Frau Luft danach gefragt hat, mache ich eine Bemerkung zu den Alternativen. Wir haben sie in unserem
Antrag dargestellt. Sie können unser Konzept dort nachlesen; es ist die Drucksache 14/7293.
Ich möchte nur die zwei Gründe anführen, weshalb wir
die Änderungen nicht in dieser Legislaturperiode vornehmen. Der erste Grund: Die alte Bundesregierung hat Modellprojekte im Hinblick auf ein zukünftiges System in
Auftrag geben, die erst in diesem Jahr endgültig abgeschlossen werden. Wir hielten es für nicht korrekt, ein
neues Konzept für Sozialhilfe und Arbeitslosenhilfe zu entwickeln, bevor die einschlägigen Modellprojekte abgeschlossen sind. Das wäre auch den Wissenschaftlern gegenüber nicht korrekt, die im Auftrag der Bundesregierung
daran arbeiten.
({12})
Der zweite Grund: Es ist auch eine Kapazitätsfrage.
Wir hatten andere Reformwerke im Bereich der SozialpoKonrad Gilges
litik zu organisieren, die Sie nicht geregelt bekommen haben.
({13})
- Bei der Rentenversicherung, Arbeitslosenversicherung
usw.
({14})
Wir mussten den Reformmüll, den Sie uns hinterlassen
haben, irgendwann einmal aufarbeiten. Das ging ja so
nicht weiter.
({15})
- Wer im Glashaus sitzt, soll nicht mit Steinen werfen.
({16})
Ich erinnere an den CDU-Fraktionsvorsitzenden aus
Bonn, Herr Meckelburg.
Herr Kollege Gilges, bitte achten Sie auf die Zeit!
Ich habe noch 36 Sekunden.
Nein, Sie
haben Ihre Redezeit schon um 36 Sekunden überschritten.
({0})
Ich dachte, ich hätte noch
36 Sekunden.
Dann komme ich sofort zu meiner Schlussbemerkung.
Ihr Kandidat hat dem „Focus“ ein Interview gegeben, das
uns alle irritiert, weil wir den Eindruck gewonnen haben,
dass sich Ihr Kandidat in der Sozialhilfe und der Arbeitslosenhilfe gar nicht auskennt.
({0})
Er ist ein Dilettant auf hohem Niveau.
({1})
Ich empfehle Ihnen, Herr Laumann, Ihrem Kandidaten
Nachhilfeunterricht zu geben und ihm zu erklären, wie es
mit der Sozialhilfe und der Arbeitslosenhilfe funktioniert.
Herr Kollege Gilges, kommen Sie bitte zum Schluss. Sie haben
Ihre Redezeit jetzt fast um zwei Minuten überschritten.
Noch ganz wenige Sekunden,
bitte.
Beispielsweise schlägt er Job-Center vor, die Sie bisher immer bekämpft haben und verhindern wollten. Sozialdemokraten haben sie durchgesetzt. Daher glaube ich,
dass wir bei der Sozial- und Arbeitslosenhilfe auf dem
richtigen Wege sind. Wenn Sie sich uns anschließen, wird
es eine gute und menschliche Reform werden, die im Interesse der Betroffenen liegt.
({0})
Als letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt hat jetzt der
Kollege Peter Weiß von der CDU/CSU-Fraktion das
Wort.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Was ist der Unterschied zwischen Miroslav Klose und Florian Gerster?
Antwort: Der neue deutsche Stürmerstar macht den Salto
vorwärts. Das war in der „Welt“ nachzulesen.
({0})
Bei Herrn Gerster erleben wir in Sachen ABM gerade im
Vergleich zu seinen Ankündigungen bei Amtsantritt einen
Salto rückwärts. Er scheint auch in ihrer Fraktion Mode
geworden zu sein: Nachdem der Bundesarbeitsminister
und die SPD-geführten Bundesländer angekündigt haben,
dass sie die Arbeitslosenhilfe und die Sozialhilfe zusammenführen wollen, haben wir in der heutigen Debatte erlebt, dass sämtliche Rednerinnen und Redner der Koalitionsfraktionen einen Salto rückwärts machten. Das, was
Sie vorgetragen haben, enthält nur eine Botschaft: Sie
wollen an dieses Thema nicht mehr herangehen.
({1})
Verehrte Frau Lange, Sie haben behauptet, Sie hätten es
eigentlich schon auf den Weg gebracht. Dazu muss ich Ihnen sagen: Diese vier Jahre rot-grüner Regierung sind in Sachen Sozialhilfe und Arbeitslosenhilfe nach dem Motto
„Wir vertagen, vertrösten und führen Modellprojekte
durch“ vorübergegangen. Ein Modellprojekt trägt den schönen Namen MoZArT, ist aber leider schlecht komponiert.
({2})
Sie haben in Sachen Bundessozialhilfegesetz nur eines
geschafft: Sie haben zweimal die Übergangsfristen verlängert. Wer an das Thema heran will, kann hier nicht erklären: Wir vertagen alles bis 2004; dann fangen wir neu
an zu überlegen. Wer das Zeug zum Regieren hat, der
handelt auch, wenn es notwendig ist. Und notwendig ist
es jetzt.
({3})
Der Rückwärtssalto von Herrn Gerster in Sachen ABM
zeigt mit aller Deutlichkeit: Sie sehen, dass es auf dem
Arbeitsmarkt brennt. Die Situation auf dem Arbeitsmarkt bezeichnet ja mittlerweile auch die eher Ihnen
nahe stehende „Frankfurter Rundschau“ als trostlos. Ich
will hier einfach noch einmal die Zahlen vortragen, die
Sie offensichtlich nicht zur Kenntnis nehmen: Im Mai dieses Jahres waren 3 946 400 Menschen arbeitslos.
({4})
Das sind 225 600 mehr als im Mai letzten Jahres.
({5})
Seit Dezember 2000 steigt die Zahl der Arbeitslosen saisonbereinigt kontinuierlich an.
({6})
Frau Lange, weil Sie von Jugendarbeitslosigkeit geredet
haben: Das Gegenteil von dem, was Sie hier vorgetragen
haben, ist der Fall. In den letzten zwölf Monaten ist die
Jugendarbeitslosigkeit um nahezu 16 Prozent angestiegen. Dass Sie den Jugendlichen in unserem Land eine derart trostlose Situation bereiten, ist doch ein Skandal.
({7})
- Das ist so. Das sind die Zahlen, Herr von Larcher.
({8})
Auch zur Zahl der Erwerbstätigen sagen Sie etwas
Falsches. Die Zahl der Erwerbstätigen sank im März saisonbereinigt um 13 000. Wir hatten 152 000 Beschäftigte
weniger als im Vorjahr. Das ist die Realität. Und was tut
die Bundesregierung?
({9})
Sie tut nichts. Das ist der Vorwurf, den wir Ihnen machen.
({10})
Zu diesem Nichtstun gesellt sich nun auch noch Ihre Perspektivlosigkeit in Sachen Langzeitarbeitslosigkeit.
({11})
Langzeitarbeitslosigkeit ist eines der zentralen Probleme
auf unserem Arbeitsmarkt. Heute gibt es mit 1,5 Millionen Menschen dreimal so viele Langzeitarbeitslose wie
vor zehn Jahren. Hinzu kommen 800 000 von insgesamt
2,7 Millionen Sozialhilfeempfängern, die arbeitsfähig
sind, darunter besonders viele gering Qualifizierte, die in
der Tat prinzipiell für eine Tätigkeit im Niedriglohnsektor
infrage kommen.
Bei der Reform der Arbeitslosen- und Sozialhilfe geht
es doch vor allem um einen Punkt: Langzeitarbeitslose
haben es nach aller Erfahrung besonders schwer, den Weg
zurück in den ersten Arbeitsmarkt zu finden. Sie brauchen
Hilfe und Beratung, sie brauchen auch finanzielle Anreize. Wir wollen den Langzeitarbeitslosen nicht den Vorwurf machen, dass sie in diese Situation gekommen sind,
nein, wir wollen ihnen ein Angebot unterbreiten, damit sie
wieder herauskommen. Die Faulenzerdebatte über Arbeitslose in Deutschland hat Ihr Bundeskanzler begonnen
und nicht wir.
({12})
Entscheidend ist - das wollen Sie nicht zur Kenntnis
nehmen -: Erstens. Wir sorgen dafür, dass niemand wegen
seiner Kinder in die Sozialhilfe fällt. Zweitens. Wir wollen, dass es ein eigenes Leistungsrecht für Behinderte gibt
und sie nicht mehr auf die Sozialhilfe angewiesen sind.
Drittens. Wir wollen, mit der Zusammenlegung von Sozialhilfe und Arbeitslosenhilfe, gerade auch für ältere Arbeitnehmer bessere Regelungen als heute schaffen.
({13})
Ihre Gegenargumente, die Sie vorgetragen haben, sind
demgegenüber Schall und Rauch.
Das von den Unionsparteien vorgelegte Drei-SäulenModell mit abgesenkten Sozialversicherungsbeiträgen
für Geringverdiener und mit Kombilöhnen wird abgestufte Anreize für eine Arbeitsaufnahme im Niedriglohnsektor setzen.
({14})
Wir wollen nicht, dass die Empfänger von Sozialhilfe und
Arbeitslosenhilfe in Zukunft weniger haben. Im Gegenteil, wenn sie eine Beschäftigung annehmen, sollen sie
mehr Geld als heute zur Verfügung haben.
({15})
Arbeit soll sich wieder lohnen, das ist unser Standpunkt.
Unser Angebot gilt nicht nur für Langzeitarbeitslose
und Sozialhilfeempfänger, sondern für alle Bezieher von
niedrigen Einkommen; denn so wird eine tragfähigere
Brücke in die Beschäftigung gebaut als mit den vielen der
bisherigen Instrumente so genannter aktiver Arbeitsmarktpolitik. Arbeitslose, die eine Arbeit annehmen, deren Nettolohn bisher bezogene soziale Leistungen nicht
erreicht, sollen als Anreiz zur Arbeitsaufnahme einen
Aufstockungsbeitrag erhalten. Nirgendwo ist von Kürzung die Rede.
Meine Damen und Herren, 12,7 Milliarden Euro
musste der Staat im Jahr 2001 für die 1,5 Millionen Bezieher von Arbeitslosenhilfe aufwenden. 2,7 Millionen
Menschen bezogen jahresdurchschnittlich 2001 laufende
Hilfe zum Lebensunterhalt, davon 1,2 Millionen im erwerbsfähigen Alter. 8,7 Millionen Euro mussten Stadtund Landkreise für Sozialhilfe aufwenden. Weil das so ist,
diskutieren alle Experten seit Jahren darüber, wie wir dieses System effizienzsteigernd zusammenführen können,
wie wir die Anreize für die Aufnahme einer Arbeit erhöhen und die Hilfen für eine Vermittlung in das Arbeitsleben für alle gleich gestalten können. Das ist der zentrale
Ansatz unseres Antrages.
Auch Florian Gerster gab, kaum berufen in sein neues
Amt als Vorstandsvorsitzender der Bundesanstalt für Arbeit, das Motto „Sozialhilfe und Arbeitslosenhilfe zusamPeter Weiß ({16})
menlegen“ aus. Der Deutsche Städtetag hat übrigens erst
in der vergangenen Woche beschlossen - ich zitiere -:
Arbeitslosen- und Sozialhilfe müssen dringend reformiert werden, damit Langzeitarbeitslose viel stärker als bisher in Arbeit vermittelt werden können.
Und was tun Sie? Sie schlagen einen Salto rückwärts;
Nichtstun ist Ihr Motto.
({17})
Meine Damen und Herren, mit dem Antrag der
CDU/CSU-Bundestagsfraktion liegt ein konkreter Vorschlag vor, wie Sozialhilfe und Arbeitslosenhilfe tatsächlich zu einem neuen Hilfesystem zusammengeführt werden können: gemeinsame Job-Center, gleiche Beratungsund Hilfemöglichkeiten, gleiche Zumutbarkeitsschranken, gleiche Förderinstrumentarien, gleiche Möglichkeiten, vor einer Arbeitsaufnahme mehr hinzuzuverdienen
als heute, und gleiche Möglichkeiten der Qualifizierung,
aber auch gleiche Sanktionsmöglichkeiten, wenn trotz eines Angebots Hilfe und Arbeitsgelegenheit abgelehnt
werden.
Ich möchte Sie daran erinnern, verehrte Kolleginnen
und Kollegen, dass es ein Spitzenergebnis der rot-grünen
Arbeitsmarktpolitik gibt. Das ist die Zunahme der
Schwarzarbeit. Die Schwarzarbeit ist in Deutschland
heute mit einem Anteil von 16,3 Prozent im Spitzenbereich der EU-Mitgliedstaaten.
({18})
Das tatsächliche Ergebnis Ihrer Arbeitsmarkt- und Wirtschaftspolitik ist: Die legale Wirtschaftstätigkeit schrumpft;
die Schwarzarbeit ist das Einzige, was in Deutschland noch
wächst.
({19})
Meine Damen und Herren, mit unserem konkreten
Vorschlag, den Niedriglohnsektor zu aktivieren, den Beziehern von Arbeitslosen- und Sozialhilfe zu helfen, in
Beschäftigung zu kommen und dafür eine zusätzliche
staatliche Förderung zu erhalten,
({20})
schaffen wir die Voraussetzungen dafür, dass aus illegaler
Arbeit legale Arbeit werden kann.
({21})
- Da sich die Kolleginnen und Kollegen der SPD-Fraktion bei diesen Ausführungen so aufregen,
({22})
möchte ich Ihnen gern vorhalten, was der neue sozialdemokratische Stern am Himmel der Bundesanstalt für Arbeit dazu gesagt hat. Florian Gerster - ich zitiere ihn - erklärte:
Ich bin überzeugt, dass wir nach diesem Prinzip eine
Vielzahl neuer Stellen, etwa im Handel, in der Landwirtschaft oder in der Gastronomie, schaffen können, Jobs, die heute allenfalls schwarz gemacht werden. Wir brauchen ein Gesamtkonzept, um mit
gezielten staatlichen Zuschüssen das riesige Beschäftigungsfeld gering qualifizierter Tätigkeiten,
etwa in Privathaushalten, zu erschließen.
Herr Kollege Weiß, kommen Sie bitte zum Schluss.
Ja. - Was
Gerster kapiert hat, fordern wir schon lange; Sie von RotGrün blockieren.
Herr Kollege Weiß, ich meinte es ernst. Kommen Sie bitte zum
Schluss.
({0})
Meine Damen und Herren von Rot-Grün, was Sie heute vorgetragen
haben, hat erneut bewiesen: Sie sind kopf- und konzeptionslos.
({0})
Es ist höchste Zeit, dass diese rot-grüne Mannschaft am
22. September hinausgeschickt wird.
Vielen Dank.
({1})
Zu einer
Kurzintervention erteile ich dem Kollegen Brandner das
Wort.
Der Abgeordnete Weiß hat
vor dem Deutschen Bundestag festgestellt, dass das Engagement der Parteien gegen illegale Beschäftigung und
Schwarzarbeit verbessert werden muss.
Die Regierungskoalition hat dazu einen Gesetzentwurf
eingebracht.
({0})
Wir wollen ein wirkungsvolles Gesetz verabschieden, damit diesem Übel in der Gesellschaft offensiv der Kampf
angesagt werden kann. Eine Arbeitsgruppe der Koalition
und eine Arbeitsgruppe des Vermittlungsausschusses haben dazu ein entsprechendes Ergebnis erarbeitet.
Meine konkrete Frage an den Abgeordneten Weiß lautet: Warum wurde dieser Kompromiss, nachdem die
CDU-regierten Länder auf Anweisung der Staatskanzlei
in Bayern zunächst zugestimmt hatten, widerrufen,
Peter Weiß ({1})
sodass illegale Beschäftigung und Schwarzarbeit nicht
wirksam und zeitnah bekämpft werden können?
({2})
Zur Erwiderung, Kollege Weiß.
Herr Kollege Brandner, mit Ihrer Kurzintervention haben Sie auf
den entscheidenden Dissens zwischen Ihnen und uns aufmerksam gemacht. Rot-Grün glaubt, dass man die
Schwarzarbeit mit immer mehr Kontrollen bekämpfen
kann. Kontrollen sind ohne Zweifel notwendig. Entscheidend ist aber: Schwarzarbeit nimmt dann ab, wenn es sich
für die Menschen lohnt, eine legale Beschäftigung aufzunehmen, statt illegal zu arbeiten. Das ist der Punkt.
({0})
Sie können hinter jeden Unternehmer und Arbeitnehmer in Deutschland zwei, drei oder vier Kontrolleure stellen.
({1})
Wenn sich die Arbeit für die Menschen in unserem Land
nicht wieder lohnt, werden sie intelligenter als alle Kontrolleure sein und einen Ausweg suchen.
({2})
Herr Gilges hat nach dem Menschenbild gefragt. Darin
eben unterscheidet sich unser Menschenbild: Wir vertrauen den Menschen, Sie vertrauen den Apparaten.
({3})
Sie setzen auf Kontrolle, wir setzen darauf, dass die Menschen mit legaler Arbeit das verdienen, was ihnen zusteht,
nämlich mehr als heute.
Vielen Dank.
({4})
Ich
schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung auf
Drucksache 14/8663 zu dem Antrag der Fraktion der
CDU/CSU mit dem Titel „Arbeit statt Sozialhilfe - Hin zu
einer Kultur von Geben und Nehmen“. Der Ausschuss
empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 14/7443 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer
stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und
der PDS bei Gegenstimmen der CDU/CSU und Enthaltung der FDP angenommen.
Beratung der Beschlussempfehlung des Ausschusses
für Arbeit und Sozialordnung auf Drucksache 14/8665.
Unter Nr. 1 seiner Beschlussempfehlung empfiehlt der
Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion der
FDP auf Drucksache 14/5983 mit dem Titel „Für eine
sinnvolle Zusammenfassung von Arbeitslosenhilfe und
Sozialhilfe“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die
Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der PDS gegen die Stimmen von
CDU/CSU und FDP angenommen.
Unter Nr. 2 seiner Beschlussempfehlung empfiehlt der
Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion der
FDP auf Drucksache 14/6951 mit dem Titel: „Für eine beschäftigungsorientierte und aktivierende Sozialpolitik Sozialhilfe und Arbeitsmarktpolitik grundlegend reformieren“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung?
- Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der PDS gegen die Stimmen von
CDU/CSU und FDP angenommen.
Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 24 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses ({0}) zu dem Antrag der Bundesregierung
Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an dem NATO-geführten
Einsatz auf mazedonischem Territorium zum
Schutz von Beobachtern internationaler Organisationen im Rahmen der weiteren Implementierung des politischen Rahmenabkommens
vom 13. August 2001 auf der Grundlage des Ersuchens der mazedonischen Regierung vom
28. April 2002 und der Resolution 1371 ({1})
des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen vom
26. September 2001
- Drucksachen 14/9179, 14/9436 Berichterstattung:
Abgeordnete Gert Weisskirchen ({2})
Rita Grießhaber
Dr. Helmut Haussmann
Bericht des Haushaltsausschusses ({3})
gemäß § 96 der Geschäftsordnung
- Drucksache 14/9446 Berichterstattung:
Abgeordnete Uta Titze-Stecher
Dietrich Austermann
Antje Hermenau
Dr. Werner Hoyer
Ich weise darauf hin, dass wir über die Beschlussempfehlung zu dem Antrag später namentlich abstimmen werden.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Als erster Redner spricht
der Bundesminister Rudolf Scharping.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Engagement der internationalen Gemeinschaft in Mazedonien ist ein mustergültiges
Beispiel für das kluge Zusammenwirken von Vereinten
Nationen, NATO, Europäischer Union und OSZE. Es ist
gelungen, militärische und zivile Instrumente mit dem gemeinsamen Ziel der Friedenssicherung zu verknüpfen
und ein gutes Beispiel für Prävention zu geben. Damit
wurden die Schlussfolgerungen aus den vier blutigen Balkankriegen mit ihren Millionen von Vertriebenen und den
ungezählten Toten gezogen.
Das umsichtige und auf Vertrauensbildung zielende
Engagement der internationalen Gemeinschaft alleine
wird allerdings nicht reichen. Es müssen auch von der mazedonischen Regierung und den Bevölkerungsgruppen
weiterhin Anstrengungen unternommen werden, das
Land auf dem Weg der Demokratie und der friedlichen
Entwicklung zu halten.
({0})
Auf diesem Weg gibt es Fortschritte. Aber es sind auch
noch einige Meilensteine zu bewältigen. Beispielsweise
darf der erreichte Fortschritt durch die Rückkehr von zurzeit etwa 16 000 Vertriebenen nicht gefährdet werden.
Beispielsweise müssen sich die öffentlichen Sicherheitsinstitutionen des mazedonischen Staates auf der Grundlage einer multiethnischen Zusammensetzung Vertrauen
erwerben und in die nordmazedonischen Gebiete zurückkehren. Beispielsweise ist die Normalisierung des öffentlichen Lebens noch nicht vollständig gelungen und muss
weiter vorangebracht werden.
Von zentraler Bedeutung wird sein, dass die demokratischen Wahlen in Mazedonien störungsfrei ablaufen und
ihre Ergebnisse von allen in Mazedonien akzeptiert werden.
({1})
Deshalb hat die OSZE beschlossen, die Wahlen durch
800 Beobachter begleiten zu lassen. Diese bedürfen ordentlicher Arbeitsbedingungen, aber auch des Schutzes. Ich
sage das deshalb, weil der Schutz dieser Wahlbeobachter
und der schon im Lande befindlichen Monitore der Europäischen Union und der Organisation für Sicherheit und
Zusammenarbeit in Europa weiter fortgeführt werden
muss. Das Land ist - das wollte ich mit den wenigen Bemerkungen deutlich machen - noch nicht so stabil, als dass
wir auf das internationale Engagement verzichten könnten.
Damit bin ich bei der Rolle der Bundeswehr. Ich will
auf frühere Debatten überhaupt nicht zurückkommen.
Aber ich will doch sagen, dass es eine besondere Auszeichnung unserer Soldatinnen und Soldaten war, die
Operation „Fox“ in Mazedonien über Monate hinweg zu
führen und maßgeblich zu gestalten.
({2})
Mit ihrer Leistungsfähigkeit, mit ihrer Professionalität,
aber auch mit ihrem unparteiischen, klaren und entschiedenen Auftreten sowie dem notwendigen Fingerspitzengefühl haben sich die Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr das Vertrauen der gesamten - das muss man sehr
deutlich sagen - Bevölkerung in Mazedonien erworben.
({3})
Ich finde - Sie, die Mitglieder des Deutschen Bundestages,
werden sicherlich auch dieser Meinung sein -, dass das eine
großartige Leistung ist. Sie wurde unter Hintanstellung persönlicher und familiärer Belange erbracht. Ich möchte deshalb namens der Bundesregierung den Angehörigen der
Bundeswehr und denjenigen, die die Operation „Fox“
durchgeführt haben, auch im Deutschen Bundestag ausdrücklich danken und meine Anerkennung aussprechen.
({4})
Wir werden uns - Voraussetzung ist natürlich ein positiver Beschluss des Bundestags - an dieser Operation weiter beteiligen. Allerdings werden am 27. Juni die niederländischen Streitkräfte die Führungsrolle übernehmen.
Das wird uns im Rahmen der Beschlüsse, die in der NATO
gefasst worden sind, ermöglichen, den Umfang unseres
derzeitigen Beitrags von 520 Soldaten um etwa 300 Soldaten zu verringern. Ich füge wie schon bei anderen Debatten hinzu: Das schafft den Spielraum, um die Soldaten
zu entlasten. Insbesondere das Führungspersonal und das
die Führung unterstützende Personal bedarf dringend der
Entlastung. Deswegen ist es gut, dass wir im Rahmen dieses gemeinsamen multinationalen Engagements die
Führung an die Niederlande abgeben können. Das sagt ja
auch etwas über die sehr enge Zusammenarbeit zwischen
Deutschland und den Niederlanden aus und ermöglicht der
Bundeswehr, zumindest in Mazedonien - ich denke, später
auch in Bosnien und im Kosovo - den Umfang ihres Engagements zu reduzieren und gleichzeitig zu gewährleisten,
dass die Aufgaben zuverlässig und dauerhaft wahrgenommen werden. Das zeichnet die Bundeswehr und - nebenbei
gesagt - auch die Politik der Bundesregierung aus.
Ich möchte aber jetzt nicht in die Terminologie und die
Lautstärke des Kollegen Weiß verfallen. Wenn das, was er
gesagt hat, stimmen würde, dann müsste ich mich fragen,
warum in Deutschland noch irgendjemand normal arbeitet und normal Steuern zahlt. Ich finde, dass seine Argumentation eine Beleidigung derjenigen ist, die wissen,
dass sie eine Verantwortung für die Gemeinschaft haben,
und ein Freisprechen derjenigen, die schwarzarbeiten und
die Gemeinschaft betrügen.
({5})
Das Wort
hat jetzt der Kollege Carl-Dieter Spranger von der
CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident!
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
Meine Damen und Herren! Manchmal beschleicht einen
schon das Gefühl, dass die Bundesregierung, nachdem die
Reporter und die Fernsehkameras nach Afghanistan und
Israel weitergewandert sind und sich das öffentliche Interesse auf die dortigen Konflikte gerichtet hat, meint, den
risikoreichen Konfliktherd, der direkt vor der Haustür der
EU liegt, vernachlässigen zu können. Das wäre eine kurzsichtige und auch eine gefährliche Einstellung.
({0})
Denn wir dürfen die Augen nicht davor verschließen, dass
das Konfliktpotenzial in Mazedonien und in der südosteuropäischen Region sowie die dort vorhandenen immensen politischen, wirtschaftlichen und sozialen Probleme
bislang nur ansatzweise bewältigt wurden. Hier kommt
auch noch in den nächsten Jahren eine gewaltige Herausforderung auf uns zu.
Umso wichtiger ist es, uns und vor allem den Menschen in der betroffenen Region klar zu machen, wie die
Zukunft gestaltet werden soll. Gerade weil wir hier vor
komplizierten und langwierigen Aufgaben stehen, müssen wir zuallererst einen schlüssigen strategischen Ansatz
für die betroffene Region entwickeln. Über eine solche
Strategie verfügt die Bundesregierung jedoch nicht. Das
zeigt der im März 2001 vorgelegte Bericht über eine Gesamtstrategie für Südosteuropa. Es wurden einfach verschiedene Initiativen addiert, die größtenteils während der
Kosovo-Kriege geboren wurden und nicht aufeinander abgestimmt sind. Statt analytischer Tiefe und strategischer
Schärfe gibt es ein beinahe hilflos wirkendes „Weiter so“.
({1})
Das halte ich für bedenklich. Ohne einen klaren Blick für
das Ganze, ohne eine realistische oder vor allem europäische Perspektive für die Region bleiben unsere Einsätze
in Mazedonien, Bosnien-Herzegowina oder im Kosovo
mehr auf das Prinzip Hoffnung als auf ein solides Fundament gebaut.
({2})
Es ist höchste Zeit, endlich die entscheidenden Fragen
anzugehen: Wie soll die politische Ordnung in dieser Region in Europa gestaltet sein? Wie lange müssen die internationale Gemeinschaft und die EU bereit sein, teure
militärische Missionen in der Region zu unterhalten und
umfassende Wiederaufbauleistungen zu finanzieren? Wie
lange noch dauert es, bis Bundesregierung und EU eine
Konzeption zu Papier bringen, die die einzelnen Problembereiche verknüpft und den Ländern und Menschen
der Region eine realistische und vor allem europäische
Perspektive gibt?
Deutschland hat seit Ende September des vergangenen
Jahres die NATO-Operation „Fox“ bravourös geführt und
wird ein wohl bestelltes Haus an die Niederlande übergeben.
({3})
Die Bundeswehr hat ihre Sache gut gemacht. Unsere Soldaten verdienen Lob und Anerkennung.
({4})
Sie tragen erheblich zur Stabilität im Lande bei und schaffen für die Bevölkerung Sicherheit.
Massiv zu kritisieren bleibt allerdings die Verteidigungspolitik der Bundesregierung.
({5})
Das Scheitern der Bundeswehrreform und die Unterfinanzierung unserer Streitkräfte bringen unsere Soldaten
im Einsatz beinahe täglich in prekäre Situationen.
({6})
Beständige Auftragserweiterungen ohne zusätzliche Mittelbereitstellung übersteigen die Fähigkeiten der Bundeswehr.
({7})
Bereits anlässlich der letzten Verlängerung dieses Einsatzes hat meine Fraktion darauf gedrängt, die Führung
der Mission baldmöglichst der Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik zu überantworten, wie
dies von der Bundesregierung und ihren EU-Partnern
beim Gipfel in Barcelona auch beschlossen worden war.
Wir fragen: Warum ist das bisher nicht geschehen? Wie
intensiv hat sich die Bundesregierung darum bemüht, dass
die EU ihre militärischen Fähigkeiten unter Beweis stellen kann? Was hat die Bundesregierung getan, damit die
Vereinbarungen der EU mit der NATO nicht länger
blockiert werden?
({8})
Die Bundesregierung bleibt deshalb aufgefordert, Versäumtes umgehend nachzuholen. Eine auch tatsächlich
einsatzfähige ESVP ist für Deutschland angesichts der
Verantwortung, die wir gemeinsam mit unseren Verbündeten in Europa und auch außerhalb Europas übernehmen
müssen, von allergrößter Wichtigkeit.
({9})
Schließlich ist beunruhigend, dass die Bundesregierung die umfassende Entwicklungszusammenarbeit,
die ab dem Jahr 1992 zwischen Deutschland und der südosteuropäischen Region aufgebaut wurde, immer mehr
einschlafen lässt, indem sie ihr nach und nach den Geldhahn zudreht. Die bilaterale Entwicklungszusammenarbeit Deutschlands mit der südosteuropäischen Region
hatte bis einschließlich 1999 einen Umfang von circa
1,5 Milliarden DM. Dazu kommen unsere Finanzanteile
an den Entwicklungsprogrammen von EU und internationalen Organisationen wie der Weltbank in der Region. Allein die EU-Programme zugunsten von Mazedonien haben zwischen 1992 und 2000 einen Finanzumfang von
475 Millionen Euro erreicht. Deutschland war hieran mit
einem Viertel beteiligt.
Aber nicht nur die Quantität, sondern vor allem auch
die Qualität unserer Entwicklungskooperation hat bei unseren internationalen Partnern hohe Anerkennung erhalten. Die Regierungen und Bevölkerungen in Südosteuropa haben hierdurch großes Vertrauen in Deutschlands
tatkräftige Unterstützung genommen. Das darf man nicht
aufs Spiel setzen. Mit dem Bundeshaushalt 2002 läuten
SPD und Grüne jedoch das Ende der deutschen Unterstützung für den Stabilitätspakt für Südosteuropa ein;
denn die Bundesregierung hat im Zusammenhang mit den
Sondermitteln für den Stabilitätspakt keine Verpflichtungsermächtigungen mehr im Haushalt ausgebracht.
Trotz all dieser Vorbehalte und Bedenken wird meine
Fraktion der Verlängerung des Mazedonien-Einsatzes der
Bundeswehr zustimmen. Sie tut dies jedoch mit der Aufforderung an die Bundesregierung, endlich ein schlüssiges Gesamtkonzept für die politische Zukunft der Region
vorzulegen, das den Ländern und Menschen in der Region
eine ebenso realistische Perspektive bietet wie unseren
Soldaten und Steuerzahlern.
Unsere Zustimmung ist mit der Aufforderung an die
Bundesregierung verbunden, ihre Aktivitäten zum wirtschaftlichen Wiederaufbau in der Region sinnvoll den Bedürfnissen und Notwendigkeiten anzupassen. Unsere Zustimmung ist auch mit der Aufforderung verbunden, der
Bedeutung einer tatsächlichen Einsatzfähigkeit der ESVP
gemäß zu handeln, und mit der wiederholten Aufforderung
an die Bundesregierung, die Finanzausstattung der Bundeswehr umgehend zu verbessern und damit den Anforderungen anzupassen, die sich aus unseren außen- und sicherheitspolitischen Verpflichtungen und vor allem auch aus
unserer Fürsorgepflicht gegenüber den Soldaten ergeben.
Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen, gestatten Sie mir zum Schluss noch einige persönliche
Worte. Nach 30 Jahren Mitgliedschaft ist dies mein letzter Redebeitrag im Deutschen Bundestag. Ich möchte
mich natürlich gern von Ihnen verabschieden. Im Bundestag gibt es nur noch drei Mitglieder, die schon vor
1972 und nur weitere elf, die wie ich 1972 in jenen alten
Plenarsaal in Bonn eingezogen sind, in dem nach 1949 so
erfolgreich Demokratie in Deutschland gestaltet wurde.
Wir erlebten den Wechsel in das recht bescheidene
Wasserwerk und dort die Sternstunde des Parlaments am
9. November 1989, als die Öffnung der Mauer in Berlin
bekannt gegeben wurde und alle Fraktionen nach einer
bewegenden Debatte über dieses historische Ereignis
voller Freude und Dankbarkeit unsere Nationalhymne anstimmten.
({10})
Der neue Plenarsaal in Bonn war danach nur noch eine
Zwischenstation bis zum Umzug in den neu eröffneten
Reichstag 1999.
Welch bedeutende Debatten und Parlamentarier erlebten wir in diesen Jahrzehnten! Welch einen Weg haben
Deutschland und Europa seit 1972 zurückgelegt und wie
viel Glück und Segen hielt dieser Weg für uns bereit!
Wenn man, wie ich, die Chance hatte, bei der Wahrnehmung seiner parlamentarischen und regierungsamtlichen Aufgaben große Teile der Welt kennen zu lernen,
dann weiß man, wie dankbar die Deutschen angesichts
zahlloser Kriege, schrecklicher Katastrophen, grauenvollen Massenelends und schwerster Menschenrechtsverletzungen in vielen Teilen der Welt sein müssen.
({11})
Das Abschiednehmen von Menschen und Dingen, die
einem wichtig und wertvoll sind, erfolgt nicht ohne eine
gewisse Wehmut. Die Arbeit als Abgeordneter und Regierungsmitglied hat mein Leben geprägt, mir außerordentliche und vielfältige Erfahrungen ermöglicht und
viele menschlich wertvolle Begegnungen, Verbindungen
und Freundschaften vermittelt. Das gilt nicht nur für die
eigene Landesgruppe und Fraktion, die für mich eine Art
Heimat wurden, sondern auch für alle anderen Fraktionen
und deren Mitglieder.
Es gab natürlich auch Ärger und Verdruss, heftigen
Streit und massive Auseinandersetzungen, aber für ausscheidende Abgeordnete verklären sie sich im milden
Abendlicht.
({12})
Ich bin jedenfalls zuversichtlich, dass unsere Demokratie
und unser Bundestag trotz aller ungelösten Probleme, Defizite und Mängel in Deutschland die Herausforderungen
der Zukunft bestehen werden.
Mich erfüllt heute große Dankbarkeit dafür, dass mir
die Bürgerinnen und Bürger im Wahlkreis so lange ihr
Vertrauen entgegengebracht haben und dass ich mit so
vielen geschätzten Kollegen im Parlament erfolgreich arbeiten konnte. Ich danke allen, die mir gute Wegbegleiter,
Mitarbeiter und Kollegen waren, den Mitarbeiterinnen
und Mitarbeitern in der Bundestagsverwaltung, der CSULandesgruppe, meiner Fraktion und den Ministerien. Besonders den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern im BMI,
BMZ und im AA gilt mein herzlicher Dank. Ich wünsche
Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen, und den nach der
Bundestagswahl neu hinzukommenden Mitgliedern viel
Glück und Erfolg. Den Kolleginnen und Kollegen, die mit
mir ausscheiden, wünsche ich viele gesunde, gute und
friedliche Jahre.
({13})
Herr Kollege Spranger, ich danke Ihnen im Namen des Hauses für
die langen Jahre der guten, vertrauensvollen Zusammenarbeit hier im Bundestag, aber auch in Ihren Funktionen
als Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Innern und als Bundesminister für wirtschaftliche
Zusammenarbeit und Entwicklung. Ich wünsche Ihnen
für die nächsten Jahre alles Gute und interessante Beschäftigungen. Begleiten Sie uns mit Ihrem Wohlwollen.
Vielen Dank.
({0})
Das Wort hat jetzt der Kollege Winfried Nachtwei von
Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Genau
vor einem Jahr musste der Flughafen von Skopje geschlossen werden, weil er im Schussbereich albanischer
Extremisten lag. 76 000 Flüchtlinge wurden damals gezählt. In Mazedonien drohte damals ein Bürgerkrieg zu
explodieren, der eine Kettenreaktion zur Folge gehabt
hätte. Genau heute vor einem Jahr, am 14. Juni 2001, begann dank des Drucks der internationalen Gemeinschaft
ein intensiver interethnischer Dialog, der schließlich zum
Abkommen von Ohrid führte.
Heute ist in Mazedonien noch längst keine heile Friedenswelt ausgebrochen, aber der sichere Bürgerkrieg
wurde verhindert, verhindert wurde auch ein Wiederaufflammen der Kämpfe im vergangenen Frühjahr. Die Umsetzung des Friedensvertrages von Ohrid kommt, wenn
auch mit erheblichen Schwierigkeiten und Verzögerungen, voran.
({0})
Mazedonische Sicherheitskräfte konnten bisher in 112
von 136 Dörfern zurückkehren. Das ging nur mithilfe der
insgesamt 254 zivilen Beobachter von OSZE und Europäischer Union. Die Soldaten der Taskforce „Fox“ hielten
ihnen den Rücken frei und sorgten für ein einigermaßen
sicheres Umfeld dort, wo es weiterhin gewaltbereite und
hochgerüstete Extremisten auf beiden Seiten gibt. Den zivilen Beobachtern wie den Soldaten gebührt der Dank des
ganzen Hauses.
({1})
Die OSZE bildete inzwischen 250 Polizeischüler für die
multiethnische Polizei aus. Die „Süddeutsche Zeitung“
sprach in einem Kommentar vor wenigen Wochen von einem stillen Erfolg, wo erreicht wurde, was versprochen war:
Frieden zu sichern. Weiter heißt es: Die Operation „Fox“
hat den Vorwurf gegen die deutsche Außenpolitik namentlich auf dem Balkan widerlegt, sie setze zu sehr
auf militärische Krisenbereinigung statt auf politische Konfliktverhinderung. Die schiere Präsenz der
Truppen wirkt bis heute präventiv ...
({2})
Die PDS lehnt die Mandatsverlängerung ab, sie fordert
also im Klartext den Abzug der Bundeswehr aus Mazedonien wie auch, bei anderen Anlässen, aus Bosnien, aus
dem Kosovo und aus Kabul. Ich will hier ausdrücklich
nicht einem Konsenszwang das Wort reden. Gerade beim
Einsatz bewaffneter Streitkräfte ist äußerste Sorgfalt und
Zurückhaltung angesagt; dabei darf es keine Routine und
keine Normalität geben. Allerdings provozieren die Begründung der Position der PDS und der großmäulig dabei
erhobene Anspruch eine Entgegnung. Die PDS behauptet
nämlich, sie sei die einzige Antikriegs- und Friedenspartei. Alle anderen Parteien hier im Hause diffamiert sie als
Kriegsparteien. Sie begründet das mit der Ablehnung aller
Bundeswehreinsätze, auch der vielen - das ist eigentlich
die Masse -, die bekanntlich friedenserhaltender Art sind
und von den Vereinten Nationen mandatiert sind.
Auffällig ist, dass die PDS bisher notorisch der Kernfrage praktischer Friedenspolitik auswich,
({3})
nämlich was in konkreten Konfliktsituationen zur Eindämmung von Gewalt oder gar Krieg notwendig und
möglich ist. Sie weicht auch der schlichten Konsequenz
ihrer Ablehnungsposition aus: Mit dem Abzug durchsetzungsfähiger Peacekeeper würde örtlichen Extremisten,
Terroristen und Kriegstreibern das Feld überlassen, würde
dem Wiederaufflammen von Gewalt Vorschub geleistet.
Man muss deutlich feststellen: Das ist das Gegenteil von
Antikriegs- und Friedenspolitik; es ist Beihilfe zur Militarisierung und zum Krieg.
({4})
Redner der PDS zitieren immer wieder vorwurfsvoll
aus früheren Reden der Grünen. Das macht natürlich
Stimmung. Aus Ihrem Mund ist das allerdings kein Beleg
für Prinzipienfestigkeit, sondern für schlichte Lernverweigerung.
({5})
Die Erfahrungen aus zehn Jahren Krieg auf dem Balkan,
die Erfahrungen mit weltweiter Friedenssicherung im
UN-Rahmen, die Anforderungen der Vereinten Nationen
an ihre Mitglieder, gegebenenfalls gemäß Kap. VII der
UN-Charta mit militärischen Zwangsmaßnahmen gegen
Gefährdungen der internationalen Sicherheit und des
Weltfriedens vorzugehen, spielen für die angebliche Antikriegspartei PDS keine Rolle. Sie beweist damit eine
ausdrückliche UN-Unfähigkeit.
({6})
Das wäre konsequent und glaubwürdig, wenn es von
einer strikten Ablehnung militärischer Gewalt getragen
wäre. Davon kann bei der PDS allerdings bekanntlich
keine Rede sein. Ein wachsender Teil der PDS, gerade ihrer Führung, vertritt seine kategorische Ablehnungsposition wider besseres Wissen und ohne Gewissen.
({7})
Sie demonstrieren einzig und allein aus parteitaktischen
Motiven Geschlossenheit. Die Streitfrage von Auslandseinsätzen der Bundeswehr ist bei keiner Partei im Bundestag so wenig eine Gewissensfrage und so sehr eine
Frage der Linientreue wie bei der PDS.
({8})
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
Auch wenn das öffentliche Interesse am Balkan
zurückgegangen ist, betone ich, dass wir die europäische
Verantwortung für Frieden auf dem Balkan nicht nur sehen, sondern dass wir zu dieser Verantwortung auch stehen. Wir haben den notwendigen langen Atem. Um den
Friedensprozess in Mazedonien - wir befinden uns erst
am Anfang - fortsetzen zu können, unterstützen wir die
Verlängerung des Mandats für den Bundeswehreinsatz.
Dies ist eine notwendige Voraussetzung.
Ich danke Ihnen.
({9})
Das Wort
hat jetzt der Kollege Günther Nolting von der FDP-Fraktion.
Herr Präsident!
Meine Damen und Herren! Mehr als 500 Angehörige der
Bundeswehr sind in Mazedonien eingesetzt. Das Mandat
dauert bereits neun Monate. Wir werden es heute um ein
weiteres Vierteljahr verlängern. Ich denke, wir stimmen
alle darin überein, dass dieser Einsatz, nicht zuletzt aufgrund der deutschen Führungsrolle im Hauptquartier und
der vorbildlichen Leistung aller dort eingesetzten Soldaten, erfolgreich war und immer noch ist. Auch ich spreche
allen Angehörigen der Bundeswehr, die dort im Einsatz
sind, meine Anerkennung aus und bedanke mich für ihre
Arbeit.
({0})
Die Bundeswehr leistet Vorzügliches. Sie ist, trotz einer
unausgewogenen Reform und trotz unverantwortlicher
Einschnitte in den Verteidigungshaushalt, ein hoch angesehener und überaus geachteter Botschafter unseres Landes. Die FDP-Bundestagsfraktion stimmt der Verlängerung des Mandats heute zu.
Herr Minister, Sie haben die Übernahme der Führungsrolle durch die Niederlande angesprochen. Ich bin fest davon überzeugt, dass die Niederländer diese Arbeit gut bewältigen werden. Die FDP-Bundestagsfraktion bedauert
aber, dass diese Führungsrolle nicht an die Europäische
Union übertragen werden konnte.
({1})
Wäre es für die Europäische Union nicht ein erheblicher
Schritt nach vorn gewesen, wenn sie durch die Führungsübernahme ihre außen- und sicherheitspolitischen Fähigkeiten hätte unter Beweis stellen können?
({2})
Hätte sie dadurch nicht ihre Absicht deutlich unterstreichen können, den Weg in Richtung europäischer Streitkräfte ernsthaft gehen zu wollen?
({3})
Herr Kollege, ich hoffe, dass dies bei der nächsten Mandatsverlängerung gelingen wird.
({4})
Die schmerzlichen Erfahrungen des Kanzlers, die Vertrauensfrage stellen zu müssen, um zu Mehrheiten zu
kommen, mögen ihn dazu bewogen haben, die Notwendigkeit eines, wie er es bezeichnete, Entsendegesetzes
herauszustreichen. Es scheint das Ziel des Bundeskanzlers zu sein, die Rechte der Regierung zu stärken und somit die des Parlamentes zu schwächen. Hier macht die
FDP-Bundestagsfraktion nicht mit.
({5})
Die FDP-Bundestagsfraktion wird von dem Grundsatz
der Parlamentsarmee nicht abweichen. Ich erwarte dies
auch von allen anderen Fraktionen im Hause.
({6})
Die FDP-Bundestagsfraktion hat sich dieser wichtigen
Frage und dieser wichtigen Thematik angenommen. Wir
haben in dieser Woche einen entsprechenden Antrag eingebracht. Aber hier geht es um die Beteiligung des Deutschen Bundestages und nicht um die Streichung von weiteren Rechten. Auch wir sehen natürlich, dass es hier
Regelungsbedarf gibt. So hat das Bundesverfassungsgericht bewusst nicht definiert, was unter Einsatz oder unter Einsatz bewaffneter Streitkräfte zu verstehen ist. In
welcher Form ist der Deutsche Bundestag bei militärischen Planungen und Vorbereitungen auf den Einsatz bewaffneter Streitkräfte im Ausland wie auch bei den
Einsätzen selbst zu beteiligen? Auch dies muss geregelt
werden.
Die Erarbeitung eines vorsorglichen Operationsplanes oder die Durchführung spezieller Ausbildungsprogramme zur Vorbereitung auf einen eventuellen bewaffneten Einsatz ist schon von anderer Qualität als der
tatsächliche Einsatz bewaffneter Streitkräfte. Es besteht
also Regelungsbedarf. Deswegen fordert die FDP-Bundestagsfraktion die Bundesregierung auf, einen entsprechenden Gesetzentwurf vorzulegen.
({7})
Zukünftige Mandatserteilungen sollten auf sauberer gesetzlicher Grundlage getroffen werden. Ich hoffe, dass wir
hier die Unterstützung aller Fraktionen finden werden.
Herr Spranger, ich möchte an Sie noch ein persönliches
Wort richten. Ich wünsche Ihnen im Namen der FDPBundestagsfraktion alles Gute.
Vielen Dank.
({8})
Das Wort
hat jetzt der Kollege Wolfgang Gehrcke von der PDSFraktion.
Herr Präsident! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Als gewissenloser Geselle,
wie ich vom Kollegen Nachtwei hingestellt wurde, will
ich zunächst mein Gewissen entlasten und meinem Kollegen Carl Spranger meine herzlichen Wünsche sagen.
Lieber Carl Spranger, ich teile viel von dem, was Sie heute
an Kritik über die Einsätze in Mazedonien gesagt haben,
aber nicht die Schlussfolgerung. Ich persönlich habe
gerne mit Ihnen zusammengearbeitet. Es war vielleicht
auch ein Beweis dafür, dass Konservative und Sozialisten
trotz unterschiedlicher Positionen in der Gesellschaft fair
und korrekt miteinander umgehen können. Ich wünsche
Ihnen von Herzen alles Gute!
({0})
Nicht von Herzen will ich mich mit meinem Kollegen
Nachtwei auseinander setzen und dabei auf die Kerndifferenz zu sprechen kommen. Bundeskanzler Schröder
und Außenminister Fischer haben diese Woche auf einer
Pressekonferenz eine Bilanz derAußenpolitik vorgelegt.
Beide rechnen sich hoch an, den militärischen Bereich in
der Außenpolitik enttabuisiert zu haben. Das ist die Leistungsbilanz der rot-grünen Regierung, das Militär in der
Außenpolitik enttabuisiert zu haben! Das ist Schritt für
Schritt über mehr als acht Mandate - darunter auch Verlängerungsmandate - im Bundestag gelaufen: Kosovo, Osttimor - auch daran muss man erinnern -, Afghanistan, Mazedonien etc. Das war die Linie in der Außenpolitik.
Jemand, der sein Gewissen, das ihn früher dazu veranlasst hat, Nein zu einer solchen Politik zu sagen, beim Eintritt in die Regierung ablegt,
({1})
jemand, der bei Afghanistan einen Salto geschlagen hat
und der, wenn es darauf ankam, hier im Parlament Farbe
zu bekennen, immer wieder abgetaucht ist, soll anderen
nicht Gewissenlosigkeit vorwerfen.
({2})
Man kann auch an Prinzipien in der Politik festhalten,
wenn allgemein propagiert wird, dass Prinzipien in der
Politik eher hinderlich sind. Ich habe es immer damit gehalten, dass Prinzipien in der Politik auch in einer Zeit
eine Bedeutung haben, in der es Mode geworden ist, sich
so prinzipienlos zu verhalten, wie es die Fraktion der Grünen gegenüber ihren Wählerinnen und Wählern gerade an
den Tag gelegt hat.
({3})
Wenn Sie solche Töne anschlagen, dann müssen Sie solche Töne auch aushalten.
({4})
Die Politik und die Entscheidungen der Führung und
der Basis der PDS sind an ihrem Verhalten hier im Parlament nachzuvollziehen. Wir haben keinem Militäreinsatz
zugestimmt und wir werden auch im nächsten Deutschen
Bundestag keinem Militäreinsatz zustimmen. Damit können Sie rechnen.
({5})
Ich nenne Ihnen ein weiteres Argument: Mit dem jetzt
stattfindenden Probelauf in Mazedonien soll die vorgesehene europäische Sicherheitstruppe, eine Interventionstruppe mit 60 000 Personen, durchgesetzt werden.
Dieser Probelauf stellt den Übergang dazu und die Vorbereitung darauf dar. Das wollen Sie.
({6})
So sind Sie im Kosovo vorgegangen, als Sie über den
Jugoslawien-Krieg die neue NATO-Doktrin durchgesetzt
haben. Genauso operieren Sie jetzt in Mazedonien und
wollen damit die europäische Sicherheitstruppe durchsetzen, die keine Sicherheit bringt. Das ist das Ergebnis Ihrer Politik.
({7})
Darüber sollten Sie nicht hinwegtäuschen.
({8})
Bevor ich
das Wort weitergebe, nutze ich die Gelegenheit, unserem
Kollegen Hans-Ulrich Klose zu seinem heutigen 65. Geburtstag sehr herzlich zu gratulieren.
({0})
Als letzter Rednerin zu diesem Tagesordnungspunkt
erteile ich jetzt der Kollegin Monika Heubaum von der
SPD-Fraktion das Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Herren und Damen! Liebe Kollegen und Kolleginnen! Exakt eine Woche vor der Bundestagswahl werden auch die Mazedonier an die Wahlurnen
gerufen: Am 15. September sind dort Parlamentswahlen.
Damit steht das in der Vergangenheit von Kriegen und ethnischen Säuberungen so gebeutelte Land vor einem weiteren entscheidenden Schritt der demokratischen Stabilisierung.
Noch vor wenigen Monaten schien die Aussicht auf gewaltfreie und in demokratischem Klima ablaufende Parlamentswahlen blanke Utopie. Wir alle haben noch die
Bilder vom Frühjahr des vergangenen Jahres vor Augen,
als Morde und brutale Überfälle das Land erschütterten
und Mazedonien am Abgrund eines Bürgerkrieges stand.
Das Ohrid-Abkommen, das im vergangenen August
verabschiedet wurde, brachte die entscheidende Wende.
Es hat den Grundstein für die demokratische Entwicklung
und Stabilisierung Mazedoniens gelegt. Seither wächst
auch in diesem Teil Europas die Demokratie, wenn auch
zunächst nur als zartes Pflänzchen. Die Verabschiedung
eines Amnestiegesetzes und die ebenfalls vom Parlament
beschlossenen gesetzlichen Rahmenbedingungen für die
lokale Selbstverwaltung sind hoffnungsvolle Schritte
dazu. Gleiches gilt für die multiethnischen Sicherheitskräfte, die mittlerweile ihre Arbeit aufgenommen haben,
und für die zunehmende Privatisierung.
Wesentliche Garanten für diese äußerst positive Entwicklung waren und sind auch unsere Soldatinnen und
Soldaten.
({0})
Im Rahmen des NATO-Mandats sorgen sie gemeinsam
mit Soldaten der anderen beteiligten Nationen für ein
Klima, in dem Rechtsstaatlichkeit, die Wahrung der Menschenrechte, wirtschaftliche Stabilität und die so wichtige, aber auch so schwierige Aussöhnung der Bevölkerungsgruppen gedeihen können.
Wir alle wissen: Demokratie kann nur dort wachsen,
wo Vertrauen herrscht. Es sind gerade die deutschen Soldatinnen und Soldaten, die mit ihrer Anwesenheit Vertrauen schaffen - zum einen bei der mazedonischen Bevölkerung, zum anderen bei jenen, die den Vertrag von
Ohrid umsetzen, den Beobachtern der Europäischen
Union sowie der OSZE.
Man kann es nicht oft genug betonen: Unsere Soldatinnen und Soldaten leisten in Mazedonien einen unverzichtbaren Beitrag zur Absicherung genau dieses Friedensprozesses.
({1})
Ihr Engagement bei der Mitgestaltung der demokratischen Entwicklung verdient große Anerkennung und
großen Dank.
Natürlich dürfen wir uns keine Illusionen machen. Auch
wenn die Fundamente bereits gelegt sind und der demokratische Prozess damit Boden unter den Füßen hat, wird
der Weg Mazedoniens zu einem festen und stabilen Haus
innerhalb der Demokratien Europas sicher ein langer sein.
Aber die Tür zu Demokratisierung und Stabilisierung
der gesamten Region steht weit offen. Die Chance auf einen dauerhaften Aussöhnungsprozess und auf Frieden ist
zum Greifen nah. Mit einer Verlängerung des Mandats
schaffen wir hierzu die weiteren Voraussetzungen.
({2})
Denn was die Menschen in Mazedonien neben Geduld
und Verständnis in den kommenden Monaten am dringendsten brauchen, sind Verlässlichkeit und Vertrauen.
Dies weiterhin zu festigen, das ist die Hauptaufgabe des
Mandats. Niemand, der ernsthaft Interesse an der demokratischen Entwicklung Mazedoniens hat, wird an der
Notwendigkeit der Fortführung des erfolgreichen NATOEngagement zweifeln.
({3})
Der Verlängerung des Mandats nicht zuzustimmen hieße,
auf halbem Wege stehen zu bleiben. Die daraus erwachsenden Risiken wären unabsehbar, gerade im Hinblick auf die
bevorstehenden Parlamentswahlen im September.
In diesem Zusammenhang freue ich mich ganz besonders darüber, dass sich die Frauen für die Listenaufstellung zur Wahl über Partei- und ethnische Grenzen hinweg
sehr gut organisiert haben.
({4})
Lassen Sie mich an dieser Stelle noch einen weiteren
Baustein für die Stabilisierung der Region nennen: den
Stabilitätspakt für Südosteuropa. Er ist von großer Bedeutung für eine umfassende regionale Krisen- und Konfliktprävention. Deshalb ist, auch als Signal an unsere europäischen Partner für unser andauerndes Engagement,
eine rechtliche Entscheidung im Bundeshaushalt über
seine Fortführung über das Jahr 2003 hinaus erforderlich.
({5})
Gerade der Stabilitätspakt bleibt ein entscheidendes Instrument, um die regionale Zusammenarbeit dieser Länder, die für die langfristige Befriedung der Region unabdingbar ist, weiter fortzuführen.
Mazedonien ist auf einem hoffnungsvollen und guten
Weg. Die SPD-Bundestagsfraktion will diesen Weg weiter konstruktiv begleiten.
({6})
Wir wollen tatkräftig dazu beitragen, dass in Mazedonien
die viel versprechende Perspektive einer beständigen
Demokratie innerhalb Europas verwirklicht wird. Deshalb stimmt die Bundestagsfraktion der SPD einer Verlängerung des Mandats um vier Monate zu.
({7})
Ich
schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlussemp-
fehlung des Auswärtigen Ausschusses auf Drucksache
14/9436 zu dem Antrag der Bundesregierung zur Fortset-
zung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an
dem NATO-geführten Einsatz auf mazedonischem Territo-
rium. Der Ausschuss empfiehlt, dem Antrag auf Drucksa-
che 14/9179 zuzustimmen. Es ist namentliche Abstimmung
verlangt. Ich bitte Sie, zu beachten, dass Sie die richtigen,
mit Ihrem Namen bezeichneten Stimmkarten haben.
Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die
vorgesehenen Plätze einzunehmen. Ist das erfolgt? - Ich
eröffne die Abstimmung.
Sind alle Stimmkarten abgegeben? - Das ist der Fall.
Dann schließe ich die Abstimmung. Ich bitte die Schrift-
führerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu be-
ginnen. Das Ergebnis der namentlichen Abstimmung wird
Ihnen später bekannt gegeben.1)
1) Seite24466 C
Wir setzen die Beratungen fort. Ich rufe die Tagesord-
nungspunkte 25 a bis 25 d auf:
a) - Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses ({0})
zu dem Antrag der Bundesregierung
Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an dem Einsatz einer internationalen Sicherheitsunterstützungstruppe in
Afghanistan auf Grundlage der Resolutionen
1386 ({1}) vom 20. Dezember 2001 und 1413
({2}) vom 23. Mai 2002 des Sicherheitsrats der
Vereinten Nationen
- Drucksachen 14/9246, 14/94378 Berichterstattung:
Abgeordnete Gert Weisskirchen ({3})
Rita Grießhaber
Dr. Helmut Haussmann
- Bericht des Haushaltsausschusses ({4})
gemäß § 96 der Geschäftsordnung
- Drucksache 14/9447 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Uta Titze-Stecher
Dietrich Austermann
Antje Hermenau
Dr. Werner Hoyer
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des
Berichts des Auswärtigen Ausschusses ({5}) zu dem Antrag der Abgeordneten
Dr. Dietmar Bartsch, Petra Bläss, Carsten Hübner,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der PDS
Bundeswehreinheiten aus der Golfregion
zurückziehen
- Drucksachen 14/8270, 14/8834 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Christoph Moosbauer
Joachim Hörster
Dr. Helmut Haussmann
c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses ({6}) zu dem Antrag der Abgeordneten Petra
Bläss, Wolfgang Gehrcke, Carsten Hübner, weite-
rer Abgeordneter und der Fraktion der PDS
Bündnisfall aufheben
- Drucksachen 14/8664, 14/9435 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Markus Meckel
Rita Grießhaber
Dr. Helmut Haussmann
d) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses ({7})
zu dem Antrag der Fraktion der PDS
Den internationalen Terrorismus wirksam
bekämpfen - den Krieg in Afghanistan beenden
- Drucksachen 14/7500, 14/8234 Berichterstattung:
Abgeordnete Gert Weisskirchen ({8})
Christian Schmidt ({9})
Dr. Helmut Lippelt
Ulrich Irmer
Über die Beschlussempfehlung zu dem Antrag der Bundesregierung werden wir später namentlich abstimmen.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. - Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Bevor ich die Aussprache eröffne, bitte ich, die Plätze
einzunehmen bzw. die Gespräche außerhalb des Plenarsaals fortzusetzen.
Ich eröffne die Aussprache. Als erster Redner hat der
Bundesminister Rudolf Scharping das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Afghanistan
wird in wenigen Tagen eine legitimierte und politisch
handlungsfähige Übergangsregierung haben. Wer hätte
das vor sechs oder acht Monaten geglaubt?
({0})
Ich gratuliere dem gewählten Präsidenten Hamid
Karzai von diesem Hohen Hause aus namens der Bundesregierung ganz herzlich und wünsche ihm Glück,
Fortune und die nötige Unterstützung, damit sein Land
wieder auf einen guten Weg kommt.
({1})
Wir erleben zurzeit einen Meilenstein auf dem Weg
dieses Landes in eine Zukunft ohne Terror, ohne Krieg,
ohne Gewalt, eine Zukunft, die allen Menschen Grundrechte garantiert und ein Leben in Würde ermöglicht. In
diesem Land werden die Frauen, insbesondere die
Mädchen, wieder Zugang zum öffentlichen Leben, zu Bildung und Ausbildung und zu dem kulturellen Reichtum
des Landes und der gesamten Region haben. Das ist ein
unglaublich wichtiger Fortschritt.
({2})
Dieser Fortschritt ist aber ganz und gar ungesichert. Er
bedarf der Stabilisierung durch die Arbeit der Interimsadministration in Afghanistan und umfassender Unterstützung bei der Festigung der staatlichen Autorität und
ihrer Ausweitung auf das ganze Land.
Ich glaube, man kann im Deutschen Bundestag auch einmal sagen, dass wir nicht nur auf die Leistungen stolz sind,
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
die wir mithilfe unserer Soldatinnen und Soldaten im Rahmen der Sicherheitspräsenz in Afghanistan erbringen. Die
Bundesregierung, insbesondere der Bundeskanzler und der
Bundesaußenminister, hat mithilfe unter anderem der Vereinten Nationen Erhebliches dazu beigetragen, dass dieser
politische Weg überhaupt beschritten werden konnte:
({3})
Wir haben die Afghanistan-Konferenz auf dem Petersberg unterstützt und in gewisser Weise ermöglicht. Wir
haben mitgewirkt an einer umfassenden Strategie der politischen Stabilisierung. Wir haben unter dem Dach der
Europäischen Union und in der internationalen Staatengemeinschaft wirtschaftliche Beiträge zum Wiederaufbau
geleistet. Nicht zuletzt leisten wir auch einen substanziellen Beitrag beim Aufbau der Polizei und bei der Gewährleistung der Sicherheit in Kabul und seiner Umgebung. Das alles muss konsequent fortgesetzt werden.
Der Weg ist frei für eine verfassungsgebende Versammlung, für demokratische Wahlen innerhalb von zwei
Jahren. Der Weg des „nation building“, also der Entwicklung des Landes in einer Weise, die es den Menschen ermöglicht, das Schicksal ihres Landes in die Hände zu nehmen und selbst zu bestimmen, hat aber erst begonnen; er
ist noch nicht erfolgreich zurückgelegt. Damit diese Aufgabe bewältigt werden kann, muss es bei der politischen,
wirtschaftlichen, sozialen, kulturellen und auch sicherheitspolitischen Unterstützung eines der ärmsten Länder
der Erde bleiben.
({4})
Es gibt in Afghanistan noch viel zu tun, darüber hinaus
aber auch in der ganzen Region. Der Sicherheitsrat der
Vereinten Nationen hat am 23. Mai festgestellt, dass „die
Situation in Afghanistan weiterhin eine Bedrohung des
Weltfriedens und der internationalen Stabilität darstellt“.
Die umfassende Niederlage der Taliban und die vergleichsweise friedlichen Bilder aus Kabul dürfen über
eines nicht hinwegtäuschen: Marodierende Banden,
Überfälle, Widerstandsnester versprengter Taliban, untergetauchte al-Qaida-Kämpfer gehören zur afghanischen
Realität. Hinzu kommt, dass einzelne Stammesfürsten
Teile des Landes noch als Warlords kontrollieren. - Das
macht die Risiken deutlich, denen sich das Land und all
diejenigen gegenüber sehen, die das Land international zu
unterstützen versuchen.
Im Wissen darum, welch schlechte Erfahrungen das
afghanische Volk mit einer starken Präsenz ausländischer
Streitkräfte gemacht hat, und im Wissen darum, wie sehr
es sich dagegen gewehrt hat und dass dies das falsche politische Signal wäre, verzichten wir bewusst auf eine
starke militärische Präsenz, nicht aber auf einen militärischen Beitrag. Vor diesem Hintergrund ist es sinnvoll und
auch notwendig, das ISAF-Engagement in Kabul und seiner Umgebung fortzusetzen.
({5})
Mit dem Antrag der Bundesregierung bitten wir den
Bundestag um die Zustimmung, die Obergrenze von
1 200 Soldaten der Bundesrepublik Deutschland bedarfsund zeitweise auf bis zu 200 Soldaten erhöhen zu können,
um flexibler auf jeweils unterschiedliche Entwicklungen
der Lage reagieren und - das ist genauso wichtig - den
Schutz der eigenen eingesetzten Soldaten gut gewährleisten zu können.
Meine Damen und Herren, das Vertrauen der afghanischen Bevölkerung in Deutschland war auf der Grundlage
historischer Erfahrungen und guter Beziehungen von Anfang an groß. Es ist deshalb auch richtig, dieses umfassende Engagement fortzusetzen und den Einsatz der
Sicherheitspräsenz in das Engagement klug zu integrieren.
Ich füge hinzu: Auch das ist präventive Politik.
({6})
Es ist präventive Politik im eigentlichen Sinne des Wortes. Wir wollen nämlich verhindern, dass Afghanistan in
Zeiten der Unterdrückung und des Bürgerkriegs zurückfällt; wir wollen nicht, dass Afghanistan in Zeiten zurückfällt, in denen das Land als scheinbar sicherer Hafen für
terroristische Organisationen missbraucht wurde.
Wenn es gelingt, die gesellschaftliche, politische und
wirtschaftliche Situation in diesem Land zu verbessern,
wird das auch der gesamten Region zugute kommen, und
zwar schon deshalb, weil es ein glaubwürdiges Beispiel
dafür bietet.
Hier will ich darauf aufmerksam machen, dass ich zum
Beispiel Veränderungen in der amerikanischen Haltung
spüre. Die Amerikaner hatten am Anfang die Vorstellung,
dass sie gegen den Terrorismus kämpfen, ihn mit Stumpf
und Stiel ausrotten und dann Afghanistan verlassen. Auch
unsere Freunde verstehen inzwischen besser, dass militärische Mittel nur dann vertretbar sind, wenn sie letztes
Mittel bleiben und in einem umfassenden politisch verstandenen Prozess eine unterstützende und nicht die dominierende Rolle spielen. Dabei muss es auch bleiben.
({7})
Afghanistan könnte, wenn wir alle klug sind und entschlossen handeln, ein gutes Beispiel für die Region geben. Afghanistan könnte auch mit Blick auf andere Konflikte - Kaschmir, Naher Osten und andere Staaten hilfreich sein. Damit meine ich nicht, dass hier eine Lösung modelliert wird; aber in Bezug auf die Glaubwürdigkeit, die Konsequenz, die Langfristigkeit und die Entschlossenheit unseres Handelns wird es hilfreich sein.
Meine Damen und Herren, ich will auf internationale
sicherheitspolitische Probleme ansonsten nicht eingehen,
sondern nur noch hinzufügen, dass der bisherige Verlauf
der Loya Jirga, der Großen Ratsversammlung, Grund zur
Hoffnung gibt. Wir müssen diese Hoffnung allerdings weiterhin stärken. Ich bitte Sie, auch in Respekt vor der besonderen Leistung unserer Soldatinnen und Soldaten, angesichts des sehr substanziellen Beitrags, den sie erbringen,
um breite Unterstützung des Deutschen Bundestages für
das, was wir mit der Hilfe unserer Soldatinnen und Soldaden eingebettet in ein umfassendes Konzept in Afghanistan leisten.
Vielen Dank.
({8})
Ich
komme zum Tagesordnungspunkt 24 zurück und gebe
das von den Schriftführerinnen und Schriftführern
ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung
bekannt. Abgegebene Stimmen 556. Mit Ja haben
gestimmt 517, mit Nein haben gestimmt 34, Enthaltungen 5.
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 556;
davon
ja: 517
nein: 34
enthalten: 5
Ja
SPD
Brigitte Adler
Gerd Andres
Ingrid Arndt-Brauer
Rainer Arnold
Hermann Bachmaier
Ernst Bahr
Doris Barnett
Eckhardt Barthel ({0})
Klaus Barthel ({1})
Ingrid Becker-Inglau
Dr. Axel Berg
Hans-Werner Bertl
Petra Bierwirth
Kurt Bodewig
Anni Brandt-Elsweier
Willi Brase
Rainer Brinkmann ({2})
Bernhard Brinkmann
({3})
Hans-Günter Bruckmann
Ulla Burchardt
Dr. Michael Bürsch
Hans Büttner ({4})
Marion Caspers-Merk
Wolf-Michael Catenhusen
Dr. Herta Däubler-Gmelin
Christel Deichmann
Karl Diller
Peter Dreßen
Detlef Dzembritzki
Dieter Dzewas
Sebastian Edathy
Ludwig Eich
Marga Elser
Petra Ernstberger
Annette Faße
Lothar Fischer ({5})
Gabriele Fograscher
Iris Follak
Norbert Formanski
Rainer Fornahl
Hans Forster
Lilo Friedrich ({6})
Harald Friese
Anke Fuchs ({7})
Arne Fuhrmann
Monika Ganseforth
Iris Gleicke
Günter Gloser
Renate Gradistanac
Günter Graf ({8})
Angelika Graf ({9})
Dieter Grasedieck
Monika Griefahn
Kerstin Griese
Achim Großmann
Wolfgang Grotthaus
Hans-Joachim Hacker
Klaus Hagemann
Alfred Hartenbach
Klaus Hasenfratz
Nina Hauer
Hubertus Heil
Reinhold Hemker
Frank Hempel
Rolf Hempelmann
Dr. Barbara Hendricks
Gustav Herzog
Stephan Hilsberg
Gerd Höfer
Jelena Hoffmann ({10})
Walter Hoffmann
({11})
Frank Hofmann ({12})
Ingrid Holzhüter
Eike Hovermann
Christel Humme
Lothar Ibrügger
Barbara Imhof
Gabriele Iwersen
Renate Jäger
Jann-Peter Janssen
Ilse Janz
Dr. Uwe Jens
Johannes Kahrs
Ulrich Kasparick
Sabine Kaspereit
Ulrich Kelber
Hans-Peter Kemper
Klaus Kirschner
Marianne Klappert
Siegrun Klemmer
Hans-Ulrich Klose
Walter Kolbow
Fritz Rudolf Körper
Anette Kramme
Nicolette Kressl
Volker Kröning
Angelika Krüger-Leißner
Horst Kubatschka
Ernst Küchler
Helga Kühn-Mengel
Ute Kumpf
Konrad Kunick
Dr. Uwe Küster
Werner Labsch
Christine Lambrecht
Christian Lange ({13})
Detlev von Larcher
Christine Lehder
Waltraud Lehn
Robert Leidinger
Klaus Lennartz
Dr. Elke Leonhard
Eckhart Lewering
Götz-Peter Lohmann
({14})
Gabriele Lösekrug-Möller
Erika Lotz
Dr. Christine Lucyga
Dieter Maaß ({15})
Winfried Mante
Dirk Manzewski
Tobias Marhold
Lothar Mark
Ulrike Mascher
Christoph Matschie
Heide Mattischeck
Markus Meckel
Ulrike Merten
Angelika Mertens
Dr. Jürgen Meyer ({16})
Ursula Mogg
Christoph Moosbauer
Siegmar Mosdorf
Michael Müller ({17})
Jutta Müller ({18})
Christian Müller ({19})
Franz Müntefering
Andrea Nahles
Volker Neumann ({20})
Dr. Edith Niehuis
Dr. Rolf Niese
Dietmar Nietan
Günter Oesinghaus
Eckhard Ohl
Leyla Onur
Manfred Opel
Holger Ortel
Adolf Ostertag
Kurt Palis
Albrecht Papenroth
Dr. Martin Pfaff
Georg Pfannenstein
Johannes Pflug
Dr. Eckhart Pick
Karin Rehbock-Zureich
Dr. Carola Reimann
Margot von Renesse
Renate Rennebach
Bernd Reuter
Dr. Edelbert Richter
Christel RiemannHanewinckel
Reinhold Robbe
René Röspel
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Michael Roth ({21})
Birgit Roth ({22})
Gerhard Rübenkönig
Marlene Rupprecht
Thomas Sauer
Dr. Hansjörg Schäfer
Gudrun Schaich-Walch
Bernd Scheelen
Dr. Hermann Scheer
Siegfried Scheffler
Horst Schild
Otto Schily
Dieter Schloten
Horst Schmidbauer
({23})
Ulla Schmidt ({24})
Silvia Schmidt ({25})
Dagmar Schmidt ({26})
Wilhelm Schmidt ({27})
Dr. Frank Schmidt
({28})
Regina Schmidt-Zadel
Heinz Schmitt ({29})
Carsten Schneider
Dr. Emil Schnell
Walter Schöler
Karsten Schönfeld
Fritz Schösser
Ottmar Schreiner
Dr. Mathias Schubert
Richard Schuhmann
({30})
Brigitte Schulte ({31})
Reinhard Schultz
({32})
Volkmar Schultz ({33})
Ewald Schurer
Dr. Angelica Schwall-Düren
Rolf Schwanitz
Bodo Seidenthal
Erika Simm
Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk
Dr. Cornelie SonntagWolgast
Wieland Sorge
Wolfgang Spanier
Dr. Margrit Spielmann
Jörg-Otto Spiller
Dr. Ditmar Staffelt
Antje-Marie Steen
Ludwig Stiegler
Rolf Stöckel
Rita Streb-Hesse
Reinhold Strobl ({34})
Dr. Peter Struck
Joachim Stünker
Joachim Tappe
Jörg Tauss
Jella Teuchner
Dr. Gerald Thalheim
Franz Thönnes
Uta Titze-Stecher
Adelheid Tröscher
Hans-Eberhard Urbaniak
Rüdiger Veit
Simone Violka
Ute Vogt ({35})
Hans Georg Wagner
Hedi Wegener
Dr. Konstanze Wegner
Wolfgang Weiermann
Reinhard Weis ({36})
Matthias Weisheit
Gunter Weißgerber
Gert Weisskirchen
({37})
Dr. Ernst Ulrich von
Weizsäcker
Jochen Welt
Dr. Rainer Wend
Hildegard Wester
Lydia Westrich
Inge Wettig-Danielmeier
Dr. Margrit Wetzel
Dr. Norbert Wieczorek
Jürgen Wieczorek ({38})
Helmut Wieczorek
({39})
Dieter Wiefelspütz
Heino Wiese ({40})
Klaus Wiesehügel
Brigitte Wimmer ({41})
Engelbert Wistuba
Barbara Wittig
Dr. Wolfgang Wodarg
Verena Wohlleben
Hanna Wolf ({42})
Waltraud Wolff
({43})
Heidemarie Wright
Dr. Christoph Zöpel
CDU/CSU
Ulrich Adam
Peter Altmaier
Dietrich Austermann
Günter Baumann
Brigitte Baumeister
Meinrad Belle
Dr. Sabine Bergmann-Pohl
Otto Bernhardt
Hans-Dirk Bierling
Dr. Joseph-Theodor Blank
Renate Blank
Dr. Heribert Blens
Peter Bleser
Dr. Norbert Blüm
Sylvia Bonitz
Jochen Borchert
Dr. Ralf Brauksiepe
Paul Breuer
Georg Brunnhuber
Klaus Bühler ({44})
Hartmut Büttner
({45})
Dankward Buwitt
Cajus Caesar
Peter H. Carstensen
({46})
Leo Dautzenberg
Wolfgang Dehnel
Hubert Deittert
Albert Deß
Renate Diemers
Thomas Dörflinger
Dr. Hansjürgen Doss
Marie-Luise Dött
Rainer Eppelmann
Ilse Falk
Dr. Hans Georg Faust
Albrecht Feibel
Ingrid Fischbach
Dirk Fischer ({47})
Axel E. Fischer
({48})
Herbert Frankenhauser
Dr. Gerhard Friedrich
({49})
Dr. Hans-Peter Friedrich
({50})
Erich G. Fritz
Dr. Jürgen Gehb
Norbert Geis
Dr. Reinhard Göhner
Peter Götz
Dr. Wolfgang Götzer
Kurt-Dieter Grill
Manfred Grund
Horst Günther ({51})
Carl-Detlev Freiherr von
Hammerstein
Gottfried Haschke
({52})
Gerda Hasselfeldt
Hansgeorg Hauser
({53})
Helmut Heiderich
Ursula Heinen
Manfred Heise
Detlef Helling
Peter Hintze
Martin Hohmann
Josef Hollerith
Siegfried Hornung
Joachim Hörster
Hubert Hüppe
Susanne Jaffke
Georg Janovsky
Dr.-Ing. Rainer Jork
Dr. Harald Kahl
Bartholomäus Kalb
Dr.-Ing. Dietmar Kansy
Volker Kauder
Eckart von Klaeden
Ulrich Klinkert
Norbert Königshofen
Hartmut Koschyk
Thomas Kossendey
Rudolf Kraus
Dr. Martina Krogmann
Werner Kuhn
Dr. Karl A. Lamers
({54})
Dr. Norbert Lammert
Helmut Lamp
Karl-Josef Laumann
Vera Lengsfeld
Werner Lensing
Peter Letzgus
Ursula Lietz
Walter Link ({55})
Dr. Klaus W. Lippold
({56})
Dr. Manfred Lischewski
Wolfgang Lohmann
({57})
Dr. Michael Luther
Erich Maaß ({58})
Erwin Marschewski
({59})
Dr. Martin Mayer
({60})
Wolfgang Meckelburg
Dr. Michael Meister
Friedrich Merz
Bernward Müller ({61})
Elmar Müller ({62})
Günter Nooke
Franz Obermeier
Friedhelm Ost
Eduard Oswald
Dr. Peter Paziorek
Anton Pfeifer
Dr. Friedbert Pflüger
Beatrix Philipp
Ronald Pofalla
Marlies Pretzlaff
Dr. Bernd Protzner
Thomas Rachel
Hans Raidel
Dr. Peter Ramsauer
Helmut Rauber
Peter Rauen
Christa Reichard ({63})
Katherina Reiche
Erika Reinhardt
Hans-Peter Repnik
Dr. Heinz Riesenhuber
Franz Romer
Hannelore Rönsch
({64})
Kurt J. Rossmanith
Adolf Roth ({65})
Dr. Norbert Röttgen
Volker Rühe
Dr. Wolfgang Schäuble
Hartmut Schauerte
Karl-Heinz Scherhag
Dr. Gerhard Scheu
Norbert Schindler
Christian Schmidt ({66})
Dr.-Ing. Joachim Schmidt
({67})
Andreas Schmidt ({68})
Hans Peter Schmitz
({69})
Reinhard Freiherr von
Schorlemer
Dr. Erika Schuchardt
Gerhard Schulz
Clemens Schwalbe
Dr. Christian SchwarzSchilling
Wilhelm Josef Sebastian
Marion Seib
Heinz Seiffert
Johannes Singhammer
Bärbel Sothmann
Margarete Späte
Erika Steinbach
Dr. Wolfgang Freiherr von
Stetten
Andreas Storm
Dorothea Störr-Ritter
Max Straubinger
Matthäus Strebl
Thomas Strobl ({70})
Michael Stübgen
Edeltraut Töpfer
Dr. Hans-Peter Uhl
Arnold Vaatz
Angelika Volquartz
Andrea Voßhoff
Peter Weiß ({71})
Gerald Weiß ({72})
Annette Widmann-Mauz
Heinz Wiese ({73})
Hans-Otto Wilhelm ({74})
Bernd Wilz
Matthias Wissmann
Werner Wittlich
Dagmar Wöhrl
Elke Wülfing
Peter Kurt Würzbach
Wolfgang Zeitlmann
Wolfgang Zöller
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Gila Altmann ({75})
Volker Beck ({76})
Angelika Beer
Matthias Berninger
Grietje Bettin
Amke Dietert-Scheuer
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
Dr. Thea Dückert
Franziska Eichstädt-Bohlig
Dr. Uschi Eid
Hans-Josef Fell
Joseph Fischer ({77})
Katrin Göring-Eckardt
Gerald Häfner
Antje Hermenau
Ulrike Höfken
Michaele Hustedt
Dr. Angelika Köster-Loßack
Steffi Lemke
Kerstin Müller ({78})
Cem Özdemir
Simone Probst
Christine Scheel
Irmingard Schewe-Gerigk
Rezzo Schlauch
Albert Schmidt ({79})
Werner Schulz ({80})
Jürgen Trittin
Dr. Ludger Volmer
Helmut Wilhelm ({81})
Margareta Wolf ({82})
FDP
({83})
Jörg van Essen
Gisela Frick
Paul K. Friedhoff
Rainer Funke
Dr. Wolfgang Gerhardt
Hans-Michael Goldmann
Joachim Günther ({84})
Dr. Karlheinz Guttmacher
Klaus Haupt
Dr. Helmut Haussmann
Dr. Werner Hoyer
Dr. Heinrich L. Kolb
Gudrun Kopp
Jürgen Koppelin
Ina Lenke
Günther Friedrich Nolting
Hans-Joachim Otto
({85})
Detlef Parr
Dr. Günter Rexrodt
Gerhard Schüßler
Marita Sehn
Gudrun Serowiecki
Dr. Dieter Thomae
Jürgen Türk
Nein
CDU/CSU
Dr. Wolf Bauer
Wolfgang Börnsen
({86})
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Monika Knoche
PDS
Dr. Dietmar Bartsch
Wolfgang Bierstedt
Maritta Böttcher
Roland Claus
Heidemarie Ehlert
Dr. Ruth Fuchs
Dr. Klaus Grehn
Uwe Hiksch
Dr. Barbara Höll
Carsten Hübner
Gerhard Jüttemann
Dr. Evelyn Kenzler
Rolf Kutzmutz
Ursula Lötzer
Heidemarie Lüth
Angela Marquardt
Kersten Naumann
Rosel Neuhäuser
Christine Ostrowski
Petra Pau
Christina Schenk
Dr. Ilja Seifert
Dr. Winfried Wolf
Fraktionslose Abgeordnete
Christa Lörcher
Enthalten
CDU/CSU
Norbert Otto ({87})
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Annelie Buntenbach
Christian Simmert
Hans-Christian Ströbele
Entschuldigt wegen Übernahme einer Verpflichtung im Rahmen ihrer Mitgliedschaft in den Parlamentarischen Versammlungen des
Europarates und der WEU, der Parlamentarischen Versammlung der NATO, der OSZE oder der IPU
Abgeordnete({88})
Behrendt, Wolfgang Bindig, Rudolf Lintner, Eduard Dr. Lippelt, Helmut
SPD SPD CDU/CSU BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Müller ({89}), Manfred Zierer, Benno
PDS CDU/CSU
Der Antrag ist angenommen.
Als nächstem Redner gebe ich dem Kollegen Christian
Schwarz-Schilling von der CDU/CSU-Fraktion das Wort.
Herr
Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr
Kollege Scharping, durch Ihre Eingangsworte bin ich an
etwas erinnert worden. Sie können sich auf die Mitwirkung der Opposition bei diesem Einsatz voll verlassen.
Wir stimmen ihm zu.
({0})
Ich sage das mit einer gewissen Anspielung auf die Zeiten, als die CDU/CSU hier entsprechende Dinge - ich
denke an den Einsatz von zwei kleinen Schiffen auf der
Adria - vorgenommen hat.
({1})
Als Folge bekamen wir einen Verfassungsgerichtsprozess an den Hals und es hat sehr lange gedauert, bis die Opposition einer solchen Regierungspolitik zugestimmt hat.
({2})
Meine Damen und Herren, wenn man diesem Hause
26 Jahre angehört, darf man auch einmal an einige historische Dinge erinnern. Auch das gehört dazu.
Wir stimmen, wie ich eben bereits sagte, diesem Einsatz zu. In einem Moment, in dem militärische Aktionen
und diplomatische Aktionen in einer eigentlich erst im
21. Jahrhundert sichtbaren Weise parallel wirken, ist eine
solche Zustimmung umso mehr angebracht. Ich habe das
Wort „parallel“ gebraucht, weil ich immer noch den von
manchen für besonders klug gehaltenen Satz im Ohr habe,
Militäreinsätze seien nur das allerletzte Mittel, wobei man
aber nicht bedacht hatte, dass dieses Mittel zumindest als
Bedrohung, nicht unbedingt in der Ausführung am Anfang stehen muss, wenn man es mit Diktatoren oder Gewaltherrschern zu tun hat. Die Möglichkeit eines Einsatzes muss jederzeit gegeben sein, wenn man das Spiel
zwischen Diplomatie und Militär im 21. Jahrhundert
richtig versteht.
({3})
Herr Kollege Gehrcke, ich wiederhole das, was ich
vorgestern im Auswärtigen Ausschuss gesagt habe: Ihre
Politik ist von vorgestern und ohne jede Moral.
({4})
Sie hätten wohl weiter zugeschaut, wenn die Massaker in
Bosnien weitergegangen wären,
({5})
wenn alle Menschen im Kosovo vertrieben worden wären
({6})
und wenn die Dinge in Afghanistan weiter wie früher gelaufen wären.
({7})
Dann würden Sie immer noch sagen, Sie seien die einzig
Moralischen in diesem Hause.
({8})
Ich lasse Sie bei Ihrem Glauben, meine aber zu wissen,
dass Sie Ihren Worten selber nicht glauben.
({9})
Meine Damen und Herren, wir haben gestern die Nachricht gehört - es wurde schon darauf hingewiesen -, dass
die Loya Jirga Hamid Karzai mit über 80 Prozent der
Stimmen gewählt hat. Das ist wirklich ein Erfolg. Da ich
sonst auch sehr viele kritische Äußerungen mache, sage
ich dem Außenminister, dass er auf dem Petersberg maßgeblich einen Prozess in Gang gebracht hat, der zu diesem
Erfolg geführt hat.
({10})
Ich danke ihm dafür. Es ist ja nicht ganz selbstverständlich, dass diese Politik mit dem Einsatz von Diplomatie
und Militär von dieser Bundesregierung mit entsprechender Kraft vorangetrieben worden ist.
Die Zusammenarbeit zwischen Militär und Diplomatie
ist meines Erachtens von großer Bedeutung. Besonders
interessant ist aber, dass wir auch gelernt haben, dass die
Polizei ganz wichtig ist. Was habe ich mich in den vergangenen Jahren bemüht, die Polizei als eine der wichtigsten demokratischen Säulen in einem aufzubauenden Staat
auch uns präsent zu machen! Ich bin dankbar, dass gerade
die Bundesregierung diesen Teil sehr ernst nimmt und dabei eine maßgebliche Rolle spielt. Dies ist für die langfristige Befriedung dieses Landes von außerordentlicher
Bedeutung: mindestens von der Bedeutung des Aufbaus
einer afghanischen Armee, vielleicht sogar von größerer
Bedeutung.
({11})
Dass das Ganze kein Zuckerschlecken und kein Spaziergang ist, haben wir gestern und vorgestern ebenfalls in
den Nachrichten gehört. Auch deutsche Soldaten wurden
in tätliche Auseinandersetzungen verwickelt und bedroht.
Wir alle wissen nicht, welche Risiken hier noch auf uns
zukommen können. Deswegen müssen wir umso mehr
unsere Bundeswehr ermutigen, indem wir - bis auf die
Vorgestrigen hier im Hause - alle hinter ihr stehen und
voller Bewunderung darüber sind, mit welcher Professionalität diese Aufgabe erfüllt wird.
({12})
Das hat bei manchen, die nach 1989/90 meinten man
könne die ganze Bundeswehr abschaffen, wahrscheinlich
zu einem gewissen Umkehrprozess in der Achtung vor der
Bundeswehr geführt.
Ein großer Erfolg ist auch die Wiedereröffnung der
Schulen. Sie sehen Bilder mit Jungen und Mädchen, die
wieder in die Schule gehen können. Sie sehen auch die
Aktivität der Frauen.
({13})
Über 100 Frauen - das sind fast 5 Prozent - sind Mitglied
der Großen Ratsversammlung. Es hat sich sogar eine Kandidatin für die Präsidentschaft gefunden, eine 35-jährige
Ärztin, die zwar keine Chancen hatte,
({14})
die aber ein Zeichen gesetzt hat, in welche Richtung dieses Land geht.
({15})
Die Sicherheitslage hat weitere positive Konsequenzen. Wir haben über 900 000 Rückkehrer, bald werden es
1 Million sein. Damit stellt sich natürlich auch die Frage
nach der Sicherheit der zurückkehrenden Flüchtlinge.
Dazu möchte ich eine Anmerkung machen, weil immer
etwas schnell gesagt wird: Wir beschränken uns auf Kabul. Das ist im Moment sicher richtig. Langfristig gesehen werden wir Sicherheit aber nur im ganzen Land haben oder sie wird gar nicht kommen. Als nächstes Zeichen
muss auch in den Provinzhauptstädten Sicherheit einkehren. Wir können das nicht den Amerikanern überlassen
nach dem Motto „Jagt die Terroristen“, sondern das Ziel
muss eine kontinuierliche Erhöhung der Sicherheit auch
draußen im Lande sein, zumindest schon einmal in den
Metropolen der Provinzen, damit sich Sicherheit von dort
weiter ausbreitet. Sicherheit allein in der Hauptstadt wird
auf lange Sicht nicht ausreichen.
Lassen Sie mich noch zu einem anderen Punkt kommen, gerade auch vor dem Hintergrund der Diskussion
über den NATO-Einsatz auf dem Balkan. Es ist sehr merkwürdig, wie alle Dinge heute zusammenwirken; der Kollege Spranger hat auch schon darauf hingewiesen. Die
Frage, unter welchem Gesichtspunkt wir heute Interventionen durchführen dürfen, hat sich in den letzten zehn
Jahren unglaublich stark weiter entwickelt. Auf dem Millenniumsgipfel hatte der Generalsekretär der Vereinten
Nationen, Kofi Annan, die Frage gestellt: Wenn die humanitäre Intervention tatsächlich einen nicht hinnehmbaren Angriff auf die Souveränität darstellt, wie sollen wir
dann die Antwort auf ein Ruanda, auf ein Srebrenica finden, auf grobe und systematische Menschenrechtsverletzungen, die jeglichem universellen Gebot der Mitmenschlichkeit Hohn sprechen?
Die Kommission von Lloyd Axworthy, eine stark von
Kanada finanzierte Kommission, kam zu dem Ergebnis,
dass sich in Theorie und Praxis tatsächlich ein Grundsatz
der humanitären Intervention herauszubilden beginnt,
der die Doktrin der Staatensouveränität überlagern
könnte. In Gesprächen mit Menschen in aller Welt erfahren wir das Bild eines Übergangs von der Kultur der souveränen Straflosigkeit zu einer Kultur der nationalen und
internationalen Rechenschaftspflichtigkeit.
({16})
Ich glaube, damit ist der Weg sehr gut beschrieben.
Diesen Weg müssen wir weiter gehen. Das ist das Thema
des 21. Jahrhunderts. Das möchte ich hier deutlich sagen.
({17})
Gerade vor dem Hintergrund der Geschichte Europas,
wo wir Jahrhunderte gebraucht haben, um Menschenrechte, Rechtsstaatlichkeit und Gewaltenteilung zu entwickeln, wo wir etwas ungeduldig sind und in diesen
Staaten das alles in zwei, drei Jahren erreichen wollen,
({18})
möchte ich sagen: Bitte etwas mehr Geduld, auch in der
militärischen Präsenz. Wir sollten nicht immer im Sinne
einer Exit-Strategie die Frage stellen: Gehen wir in einem
Jahr oder in zwei Jahren? Das ist keine konstruktive Einstellung. Die Amerikaner haben 1945, als sie nach
Deutschland kamen, auch nicht gleich von einer Exit-Strategie gesprochen. Sie sind jahrzehntelang hiergeblieben,
bis heute, ohne uns in irgendeiner Weise zu behelligen.
Meine Damen und Herren, das ist ein Punkt, den ich
deutlich hervorheben wollte; denn es handelt sich hier um
einen Paradigmenwechsel innerhalb der Charta der Vereinten Nationen. Es ist auch die argumentative Antwort
auf diejenigen, die bei jeder Menschenrechtsfrage in ihrer
Abwehrhaltung auf die Souveränität ihres Staates pochen.
So kann es nicht bleiben. Menschenrechte sind unteilbar.
({19})
Ich möchte jetzt, zum Schluss meiner Rede, die höchstwahrscheinlich die allerletzte nach einer 26-jährigen
Tätigkeit in diesem Hohen Hause ist, einige Punkte ansprechen, die mir am Herzen liegen.
Erstens. Ich hatte die großartige Gelegenheit, in einer
Zeit, da die Informationstechnologie eine rasante Entwicklung nahm und die so genannte Globalisierung der
Politik und der Wirtschaft einleitete, an entscheidender
Stelle mitwirken zu dürfen. Ich möchte hier auch, gerade
weil ich ein sehr kritischer Weggenosse war, was die
Außen- und Menschenrechtspolitik auf dem Balkan betraf, unumwunden sagen, dass ich dem Altkanzler Helmut
Kohl immer dankbar dafür sein werde, dass ich die Gelegenheit und die Chance bekommen habe, dort zehn Jahre
lang an verantwortlicher Stelle mitwirken zu dürfen.
Herzlichen Dank!
({20})
Zweitens. Ich möchte auch denjenigen Kolleginnen
und Kollegen im Kabinett danken, die mir damals in der
Schlussphase meiner Tätigkeit inneren und manchmal
auch äußeren Beistand in der für mich plötzlich an Priorität gewinnenden Frage des Balkans geleistet haben. Es
war für mich furchtbar, dort zuzuschauen und gleichzeitig
zu hören, dass das, was vor 50 Jahren geschah, nie wieder
geschehen dürfe. Ich erinnere mich an die Eröffnung des
Holocaust-Museums, als Eli Wiesel plötzlich den Präsidenten der Vereinigten Staaten ansah und sagte: Ich war
gerade in Sarajevo, und ich kann Ihnen nur sagen: Tun Sie
etwas, Herr Präsident! Wir eröffnen gerade jetzt hier ein
Holocaust-Museum; wir wollen nicht bald ein neues
eröffnen müssen! - Die Doppelmoral, auf Vergangenheitsfeiern an die Befreiungstaten vor 50 Jahren zu erinnern, aber im Angesicht dieser Feierlichkeiten das Massaker 100 Kilometer von unseren Grenzen entfernt zu
ignorieren, hat mir nie eingeleuchtet. Das hat mich dann
auch sehr konsequent zu den Schritten geführt, die ich gegangen bin. Ich danke allen, die mich dabei unterstützt haben. Ich möchte auch all diejenigen, denen ich vielleicht
mit Härte entgegengetreten bin, um Nachsicht bitten.
Aber es gibt solche Paradigmenwechsel im Leben eines
Menschen.
({21})
Ich möchte drittens sagen: Diese Begleitung, die ich
dann auch in meiner Fraktion erfahren habe, hat mich mit
großer Freude erfüllt. Ich habe erfahren, dass man sich
auch im Dissens aufgehoben fühlen kann und dass es keineswegs so ist, wie immer gesagt wird, dass die Fraktionen einen riesigen Zwang ausübten. Ich habe eigentlich
immer nur erfahren, dass es am Mut einzelner Abgeordneter fehlt, nicht umgekehrt.
({22})
Ich möchte aus der Sicht dieser Zeit etwas für das
21. Jahrhundert sagen. Die Kommissarin für Menschenrechte hat in ihrer Rede am 6. Juni über die großen Chancen gesprochen, die wir durch das Zusammenwachsen der
humanitären Verpflichtungen des Rechtsstaates und der
Möglichkeiten der Diplomatie und des Militärs haben
werden. Ich glaube, das ist genau der Weg, den auch dieses Haus in der nächsten Legislaturperiode gehen muss.
Aber ich möchte noch um eines bitten. Ich freue mich,
dass gerade auch der Innenminister hier ist. Dieses Zusammenwachsen bedeutet auch Zusammenwachsen von
Außen- und Innenpolitik. Wir können nicht einfach sozusagen souverän Innenpolitik betreiben, ohne jeweils zu
wissen, welche Wirkungen dies auf unsere außenpolitischen Verpflichtungen hat.
({23})
Auch in diesem Punkt habe ich in Bosnien einiges erlebt, bei
dem ich mir eine stärkere Bewusstwerdung unserer Innenpolitiker gewünscht hätte, damit sie nicht zur Unzeit Dinge
tun, die die Zielsetzungen dort konterkarieren und nicht befördern. Auch das wollte ich hier noch einmal sagen.
({24})
Ich möchte mich bedanken, wünsche Ihnen alles Gute
für die Zukunft und hoffe, dass wir auch weiterhin in
gutem Kontakt bleiben; ich werde das Meinige dazu tun.
Ich hoffe, dass wir auf dem beschriebenen Wege die
Chance nutzen, dass das 21. Jahrhundert das Jahrhundert
der Menschenrechte wird, und dass wir insofern etwas aus
dem 19. und dem 20. Jahrhundert gelernt haben.
Ich danke Ihnen.
({25})
Herr Kollege
Schwarz-Schilling, Sie hören es am Beifall der Kolleginnen und Kollegen des Hauses: Wir danken Ihnen für Ihr
Wirken auf Bundesebene in den letzten drei Jahrzehnten.
Sie haben die Politik dieses Landes als Bundesminister
und - vor allem im vergangenen Jahrzehnt - als Menschensrechtspolitiker entscheidend mitgeprägt.
In Ihrer Rede haben Sie bereits darauf hingewiesen, dass
Sie uns als internationaler Streitschlichter für Bosnien-Herzegowina erhalten bleiben. Für eine produktive Zusammenarbeit mit den neu gewählten Parlamentarierinnen und
Parlamentariern und für Ihren neuen Lebens- und Arbeitsabschnitt wünsche ich Ihnen im Namen der Kolleginnen
und Kollegen des gesamten Hauses alles Gute.
({0})
Zu einer Kurzintervention erteile ich jetzt dem Kollegen Wolfgang Gehrcke das Wort.
({1})
Es dauert nur kurz, da es
ja eine Kurzintervention ist.
Sehr geehrter Herr Kollege Schwarz-Schilling, ich
hätte nach Ihrer letzten Rede hier mit Sicherheit keine
Kurzintervention angemeldet, wenn Sie mich nicht in drei
Punkten sehr direkt und persönlich angesprochen hätten,
zu denen ich mich kurz äußern möchte.
({0})
Es gibt noch andere Wege zwischen Tun und Nichttun,
zwischen Hinsehen und Nichthinsehen. Wir haben Sorge,
dass man immer mehr von Anfang an mit militärischen
Mitteln auf Menschenrechtsverletzungen reagiert und
dass mit dem Vorwurf der Menschenrechtsverletzung immer funktionaler umgegangen wird. Bei den Staaten, bei
denen man es für notwendig hält, es vielleicht sogar berechtigt ist, reagiert man. Bei anderen Staaten wird darüber hinweggesehen. Nehmen Sie uns und mir bitte ab,
dass wir die Militäreinsätze abgelehnt haben, weil man
die zivilen Mittel eben nicht vollständig ausnutzt. Das war
nicht ideologisch begründet und es war kein Wegschauen,
sondern es war unsere Art, Verantwortung wahrzunehmen.
({1})
Beim zweiten Punkt, den Sie, auch in der Auseinandersetzung mit der Regierung hier sehr klar benannt haben, haben Sie gesagt, dass in dem Zusammenspiel zwischen Diplomatie und Militär letzteres nicht am Ende,
sondern am Anfang stehen und eingeplant werden muss.
Ich finde es gut, dass das so ausgesprochen wurde. Krieg
beginnt nie mit dem Krieg selbst, aber ein Konflikt endet
beim Krieg, wenn er als Möglichkeit eingeplant worden ist.
({2})
Herr Schwarz-Schilling, Sie haben gesagt, dass die Möglichkeit des Krieges am Anfang mitbedacht werden muss.
Gerade hier liegt unsere große Sorge.
Ich komme zum dritten Punkt. Sie haben meiner Fraktion und mir persönlich vorgehalten, wir würden uns taktisch verhalten. Ich will Ihnen sagen: Ganz im Gegenteil,
wenn wir uns taktisch verhalten würden, wäre unser Weg
auf die Regierungsbank schon längst gebahnt.
({3})
Wir wussten ja, welchen Preis wir zahlen, wenn wir bei
unseren Positionen bleiben. Wir haben diesen Preis sehr
bewusst gezahlt. Um dort zu landen, müssten wir das tun,
was man von uns verlangt; das ist es uns nicht wert.
Entschuldigen Sie, das wollte ich Ihnen mit allem Respekt am Ende Ihrer Rede noch gesagt haben.
({4})
Die nächste Rednerin
in der Debatte ist die Kollegin Rita Grießhaber für die
Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Sehr verehrter Herr Kollege Schwarz-Schilling, Ihnen ein ganz
herzliches Dankeschön für die wunderbare Zusammenarbeit im Auswärtigen Ausschuss! Gerade Ihre Art zu debattieren und Ihr Stil waren sehr bereichernd. Das hat gezeigt, dass die parteiübergreifend gute Zusammenarbeit
im Auswärtigen Ausschuss nur durch Ihre Art und Weise,
Politik zu machen, möglich war.
({0})
Wenn man sieht, wie viele berüchtigte ehemalige
Kriegsherren in der afghanischen Großen Ratsversammlung sitzen, könnte man es eine Farce nennen, dass die gewählten Vertreter dieser Loya Jirga bei ihrer Bewerbung
eine Erklärung abgeben mussten, in der sie sich zu den
Beschlüssen der Petersberger Konferenz bekennen, und
versichern mussten, dass sie die Menschenrechte niemals
verletzt haben. Bedenkt man die Umstände, grenzt es an
ein Wunder, dass diese Versammlung nach 23 Jahren
Krieg und Bürgerkrieg - und sogar im Zeitplan - überhaupt zustande gekommen ist.
Die Auswahl der Delegierten verlief nicht nach westeuropäischem Vorbild. Aber die Verhältnisse einer kriegszerrütteten Stammesgesellschaft sind davon weit entfernt.
Man kann wirklich nur staunen, was in Afghanistan bisher alles erreicht worden ist.
({1})
Ich freue mich zum Beispiel auch darüber, dass zusätzlich zu den 160 garantierten Vertreterinnen 50 Frauen
direkt in die Loya Jirga gewählt wurden. Dies ist in einem
Land geschehen, über das mir einmal eine Entwicklungshelferin gesagt hat: Hier gibt es viele Gegenden, in denen
jede Ziege wertvoller als eine Frau ist. - Es ist ein Riesenerfolg, dass diese 50 Frauen in Direktwahl in die Loya
Jirga eingezogen sind.
({2})
Die Bundesregierung genießt für ihr Engagement in Afghanistan große Anerkennung. Der Vertreter der Vereinten
Nationen, Herr Brahimi, nannte Deutschland im Zusammenhang mit der internationalen Unterstützung für Frieden und Wiederaufbau in der Loya Jirga an erster Stelle.
Sogar die „Neue Zürcher Zeitung“ lobt die multinationale
Brigade in Kabul unter deutschem Kommando und
schreibt, dass sie ein Gefühl der Sicherheit im Land gebe.
Ich kann verstehen, dass deshalb viele nach einer Ausweitung des Mandats über Kabul und Umgebung hinaus
rufen. Das ist aber nicht die Lösung. Nicht umsonst hat
Präsident Karzai auf der Ratsversammlung betont, dass
das Land für seine Souveränität und seine territoriale Integrität selber eintreten muss. In keiner Frage einen sich
die zerstrittensten Afghanen schneller als bei der Gefahr
einer möglichen ausländischen Besatzung. Deshalb ist es
richtig, dass die Bundesregierung Afghanistan beim Aufbau einer eigenen Polizei unterstützt und die USA beim
Aufbau der Armee helfen, damit es, wie Kollege
Schwarz-Schilling gesagt hat, auch in den Provinzen Sicherheit geben wird.
Wichtig ist auch, dass die internationale Sicherheitsunterstützungstruppe und die Operation „Enduring Freedom“ weiterhin deutlich getrennt bleiben. Es ist eine Sache, die Regierung bei der Herstellung der Sicherheit zu
unterstützen. Aber es ist eine andere Sache, die verbliebenen al-Qaida- und Taliban-Terroristen zu bekämpfen.
({3})
Dass Letzteres immer noch nötig ist, daran besteht leider kein Zweifel. Das zeigt auch der soeben verübte Anschlag in Karachi. Im Übrigen müssen selbstverständlich
alle Vorwürfe über gezielte Massenmorde an Talibankämpfern Ende letzten Jahres unter Beteiligung von
US-Soldaten vollständig aufgeklärt und die Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen werden.
({4})
Keine Frage: Es gibt in Afghanistan noch zahlreiche
verfeindete Clans und jede Menge Kriegsherren, die um
territorialen Einfluss kämpfen. Allein auf der Strecke von
Kabul nach Herat - das sind knapp 600 Kilometer - soll
es über 100 Checkpoints geben. Jeder wird von einem anderen Kriegsfürsten kontrolliert.
Damit, was in der Sprache der Vereinten Nationen lapidar „nation building“ heißt, hat Afghanistan erst begonnen. Aber auch wenn der Weg lang ist: Mit der Wahl von
Präsident Karzai, dem Prozess der Loya Jirga und der verfassungsgebenden Versammlung sowie weiterer tatkräftiger internationaler Unterstützung sind die Weichen für
eine friedliche und stabile Entwicklung gestellt. Wir unterstützen die Verlängerung des Mandats für die Bundeswehr.
Danke.
({5})
Für die FDP-Fraktion
spricht jetzt der Kollege Hildebrecht Braun.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Lieber
Herr Schwarz-Schilling, ich möchte Ihnen den Dank der
FDP-Fraktion für Ihre Führungsrolle ausdrücken, die Sie
eingenommen haben, wenn es darum ging, unser Land in
den Kreis derer zu führen, die auch mit den Mitteln der
Macht eine aktive Rolle gegen die Macht des Terrors und
der Gegner der Menschenrechte spielen wollten. Herzlichen Dank! Ich möchte noch eine persönliche Bemerkung
hinzufügen: Ich bin stolz darauf, dass ich Anfang 1995
mit Ihnen und zwei Vertretern anderer Fraktionen einen
offenen Brief schreiben konnte, der vielleicht damals ein
bisschen zum Umdenken der NATO und auch unserer Regierung beigetragen hat, als es im Zusammenhang mit
dem Balkan um diese Grundsatzfrage ging.
Die FDP stimmt natürlich dem heutigen Antrag der
Bundesregierung zu. Die Friedensaktion der Bundeswehr
im Rahmen der ISAF muss fortgesetzt werden. Noch vor
sechs Monaten hatte die Bundesregierung keine eigene
Mehrheit. Mittlerweile hat sich für jedermann, auch für
diejenigen, die damals noch in der außen- und sicherheitspolitischen Lernphase waren, gezeigt, dass der Einsatz der
Bundeswehr der Sicherung des Friedens in Kabul dient.
({0})
Außer der PDS, die in diesem Punkt beratungs- und erfahrungsresistent ist, werden wohl alle aus gutem Grund
dem Antrag der Bundesregierung zustimmen. Frieden in
Kabul bedeutet ein Mehr an Sicherheit und Frieden weltweit; denn es gibt nur eine Welt des Terrors und auch nur
eine Welt des Friedens.
Die Bundeswehr genießt in Kabul hohes Ansehen, und
zwar zu Recht. Deutsche Soldaten zeichnen sich wieder,
wie schon im Kosovo, in Mazedonien und in Bosnien,
durch Verlässlichkeit, Hilfsbereitschaft, Pflichterfüllung,
aber auch durch Sensibilität gegenüber den Bewohnern
aus. Übergriffe auf Afghanen gibt es nicht. Deutsche werden als Helfer, als Schutztruppe gegen Chaos, aber auch
gegen Terror und Unfreiheit sowie als Wegbereiter für
eine positive Entwicklung sowohl der Stadt Kabul als
auch des gesamten Landes wahrgenommen.
Wir selbst konnten uns vor 14 Tagen vor Ort davon
überzeugen, dass unsere Soldaten unter wirklich schwierigen Bedingungen und in unsicherer Lage ihren Dienst
vorbildlich leisten. Großes Engagement ist auch erforderlich, um auf engstem Raum in Kabul sechs Monate auszuharren. Es ist ein Leben in Zelten unter unwirtlichen klimatischen Bedingungen, mit großer Hitze am Mittag und
oft mit großer Kälte in der Nacht, mit Staub ohne Ende
und gelegentlich auch mit Sandstürmen, ohne die Möglichkeit, sich an einen Ort der Privatheit zurückzuziehen,
viele Tausend Kilometer von der Familie, der Freundin
und von den eigenen Kindern entfernt. Das alles sind Opfer, die hingenommen werden, weil jeder weiß, dass sein
Aufenthalt in Afghanistan den dort lebenden Menschen
nützt. Würden die Truppen abziehen, hätten die Menschen
in Afghanistan nach 24 Jahren Krieg wieder keine
Chance. Dass Mädchen wieder in die Schule gehen können, dass Frauen wieder arbeiten dürfen, dass Meinungsfreiheit herrscht und dass demokratische Elemente immer mehr das öffentliche Leben prägen, das alles ist nur
wegen der Präsenz unserer Soldaten möglich.
Natürlich erinnern die jetzt in Afghanistan stattfindenden Prozesse an unser Mittelalter. Präsident Karzai sammelt die Stimmen der Warlords quasi wie damals der Kaiser die Stimmen der Kurfürsten, denen er für ihre
Unterstützung weit gehende Unabhängigkeit und Rechte
vor Ort zugestehen muss.
Von knapp 1 200 Soldaten sind nur 170 für die eigentliche Aufgabe frei, nämlich für Sicherheit in Kabul zu sorgen und insbesondere die neue, noch junge Übergangsregierung zu schützen, damit sie dauerhafte Strukturen im
Land schaffen kann. Mehr als 1 000 Soldaten werden also
gebraucht, um 170 in die Lage zu versetzen, ihren Auftrag
zu erfüllen. Das ist zwar ein unglückliches Verhältnis von
Versorgungs- und Einsatzkräften, aber angesichts der besonderen Gegebenheiten in diesem Land wohl hinnehmbar. Denken wir nur daran, dass die Versorgung über viele
Tausend Kilometer erfolgen muss, äußerst kompliziert
und natürlich auch teuer ist. Ich freue mich allerdings,
festzustellen, dass die Verantwortlichen in der Streitkräftebasis alles unternehmen, um die notwendigen Transporte von Deutschland nach Kabul billiger zu gestalten.
Dass wir unter Zuhilfenahme eines usbekischen Carriers
mit zwei Antonow-124-Flugzeugen den Großteil der Versorgung mit Material, zum Beispiel auch mit Fahrzeugen,
der Bewaffnung, Zelten, aber auch Lebensmitteln bewerkstelligen, ist sehr gut. Wir sollten allerdings versuchen, speziell die Lebensmittelversorgung in Zukunft
möglichst ortsnäher zu organisieren, damit Transportkosten gespart werden können.
Wir wissen von Problemen bei der elektronischen Aufklärung. Es ist wohl immer noch so, dass auch die internationalen Partner eines Einsatzes, der ein gemeinsames
Ziel, nämlich die Friedenssicherung, hat, ihre Aufklärungsergebnisse, die der Sicherheit nicht nur der örtlichen Bevölkerung, sondern auch unserer Soldaten selbst
dienen, nicht selbstverständlich austauschen. Hier müssen
Strukturen geändert werden. Das kann wohl nur auf höchster Ebene erörtert und geändert werden, da nationale Egoismen in diesem Bereich noch immer vorherrschen.
Lassen Sie mich zum Abschluss ein Thema ansprechen, mit dem wir Liberalen uns im Parlament bisher noch
nicht durchgesetzt haben. Wir sind immer und immer wieder darauf angesprochen worden, dass die sechsmonatige
Stehzeit ein Unding sei. Das ist richtig. Es ist an der Zeit,
dass der Minister einer Division für einen bestimmten
Zeitraum den Auftrag gibt, den Einsatz vor Ort zu organisieren. Dann kann der Divisionskommandeur für die
nötige Flexibilität sorgen, die den Soldaten und ihren Familien zugute kommen würde. Alle sagten, sie wären lieber jedes Jahr drei Monate im Ausland als alle zwei Jahre
sechs Monate.
({1})
Ein Aufenthalt von sechs Monaten ist für die Familie nicht
zumutbar. Ich hoffe, dass diese Botschaft endlich verstanden wird.
Vielen Dank.
({2})
Das Wort hat der Vorsitzende der PDS-Fraktion, Roland Claus.
Frau Präsidentin! Meine sehr
verehrten Damen und Herren! Die PDS-Fraktion lehnt die
Fortsetzung des Militäreinsatzes in Afghanistan ab, sowie
sie auch den Beginn dieses Einsatzes abgelehnt hat.
({0})
Mit Unterstützung der konservativen Opposition versucht
diese Bundesregierung seit dem 24. März 1999, die Öffentlichkeit und so auch uns im Parlament beharrlich davon zu überzeugen, dass kriegerische Mittel die Voraussetzung für humanitäre Hilfe sind. Sie tut das alles andere
als ungeschickt. Aber wir wollen und werden uns an diese
Logik nicht gewöhnen.
({1})
Hildebrecht Braun ({2})
Der Kampf gegen den Terror kann und muss gewonnen
werden; ein Krieg kann nicht gewonnen werden.
({3})
Meine Damen und Herren, die Sie jetzt der Verlängerung dieses Einsatzes zustimmen wollen, Sie nehmen die
Bilder und Berichte aus Kabul als Begründung für Ihre
Zustimmung. Wir haben Zweifel daran, dass diese Bilder
und Berichte die Lage in Afghanistan tatsächlich widerspiegeln. Wir haben diese Zweifel geäußert, als es zum ersten Mal um die Abstimmung zu diesem Mandat ging, und
wir haben sie auch heute noch. Wir zweifeln daran, dass
wir wirklich die authentische Lage in Afghanistan kennen.
Wann endet das Mandat? Diese Frage können Sie noch
immer nicht beantworten. Was machen deutsche KSKKräfte wo in Afghanistan? Das geht bis hin zu der Frage:
Wohin sind die Talibankämpfer verbracht worden? Bekanntlich sind nicht alle in Guantanamo. Diese Fragen
bleiben nach wie vor offen.
Sie nehmen für sich jetzt in Anspruch, dass über diese
Einsätze Frauenrechte gestärkt werden. So wünschenswert dies natürlich ist: Es ist unglaubwürdig, dass Sie dies
heute mit der Nordallianz erreichen können, so unglaubwürdig, wie es war, die Taliban erst mit amerikanischer
Hilfe aufzurüsten.
({4})
Wir haben zum Gegenstand dieser Debatte einen Antrag unserer Fraktion gemacht mit dem Ziel, den Bündnisfall, also den NATO-Bündnis- und -Beistandsfall, wieder aufzuheben; denn interessanterweise regelt der
NATO-Vertrag nur den Eintritt, aber nicht die Beendigung
des Falls. Auch darüber muss gesprochen werden.
Wir sind nicht die Einzigen, die Zweifel an der realen
Lage in Afghanistan haben. In der „Frankfurter Rundschau“ vom 10. Juni wird der Begriff „bleigraues Schweigen“ geprägt. Dieses „bleigraue Schweigen“ wird auch
belegt. Aus diesem Grunde hat sich unsere Fraktion entschieden, am Mittwoch dieser Woche einem britischen
Filmteam die Möglichkeit einzuräumen, Zeugenaussagen
über die Ermordung gefangener Taliban-Kämpfer zu präsentieren. Wer sich diesen Film anschaut, wird feststellen,
dass es darin nicht um tendenziöse Selbstbestätigung
geht, sondern um die Suche nach Authentizität. Deshalb
sind auch zu Recht Untersuchungen durch das Internationale Rote Kreuz und die Vereinten Nationen gefordert
worden.
Die PDS lehnt es auch weiterhin ab, militärische und
kriegerische Mittel als humanitäre Hilfe auszugeben.
Wer das als Beihilfe zur Militarisierung diffamiert, wie es
die Grünen heute getan haben, argumentiert nicht nur auf
absurde Art und Weise, sondern zeigt sein eigenes Versagen in der Friedenspolitik seit März 1999.
({5})
Deshalb bleiben wir dabei: Die Politik der uneingeschränkten Solidarität ist falsch. Es war gut, dass am
21. Mai in Berlin hunderttausend Menschen gegen diese
falsche Politik demonstriert haben. Auch die Unterstützung aus dem Bundestag war richtig und wichtig. Krieg
ist die falsche Antwort auf den Terror.
({6})
Ich erteile dem Bundesaußenminister Joseph Fischer das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es ist fast
nicht mehr möglich, auf den Vorredner einzugehen;
({0})
es nutzt ohnehin nichts.
Nehmen Sie allein die Tatsache, dass es gelungen ist
- wir haben das vorhin im Zusammenhang mit der Operation „Amber Fox“ gesehen -, einen Bürgerkrieg zu
verhindern, über dessen Verlauf man sich, ohne das
unnötig zu dramatisieren, keine Illusionen machen sollte.
Wenn er in Mazedonien ausgebrochen wäre, wäre es zu
ähnlich schlimmen Ereignissen gekommen, wie wir sie in
Bosnien erlebt haben. Wenn Sie eine Position als Friedenspolitik bezeichnen, die diesen Bürgerkrieg sehenden
Auges zugelassen hätte und die Zustimmung zum Eingreifen verweigert hat, muss ich dem entgegenhalten,
dass dies nichts mit Friedenspolitik zu tun hat, sondern
schlichtweg Blindheit beweist. Es stellt vielmehr das Gegenteil einer Friedenspolitik dar.
({1})
Diese Bundesregierung hat mit dem Stabilitätspakt
einen entscheidenden Beitrag dazu geleistet, dass die gesamte Region aus einem blutigen und kriegerischen Nationalismus heraus den Weg zu einem Europa der Integration findet. Das ist Friedenspolitik unter den konkret
gegebenen Bedingungen.
({2})
Dasselbe gilt für Afghanistan. Wer hätte es noch vor einem Jahr für möglich gehalten, dass wir heute die NotLoya Jirga haben und dass wir mit der Umsetzung des
Petersberger Abkommens so weit vorangekommen sind?
Das ist die gute Nachricht.
Die schlechte Nachricht ist, dass wir noch weit von
wirklich stabilen Verhältnissen entfernt sind. Insofern
kann ich allen nur darin zustimmen, dass wir uns an dieser Stelle auf Dauer weiter engagieren müssen.
All diejenigen, die meinen, wir könnten heute den
Rückzug der Bundeswehr beschließen, müssen wissen,
dass dies einen Rückfall in einen alles zerstörenden Bürgerkrieg mit großen humanitären Katastrophen nach sich
ziehen würde. Diese Erfahrungen wurden in der Vergangenheit bereits gemacht. Auch dabei handelt es sich nicht
um eine schwarze Prophezeiung, sondern das ergibt sich
schlicht und einfach durch eine konkrete Analyse aufRoland Claus
grund der vorhandenen Erfahrungen. Deswegen möchte
ich mich bei diesem Hause bedanken. Weil es schlechterdings keine verantwortbare Alternative zu der Verlängerung des Mandats gibt, möchte ich um Ihre Zustimmung
dafür werben.
({3})
Wir gehen einen schwierigen Weg. Es geht darum,
Sicherheit herzustellen. Sicherheit bedeutet vor allen
Dingen, dass die Kriegsherren unter Kontrolle gehalten
werden, dass auch der Einfluss von außen kontrolliert
wird und dass die Taliban, soweit sie noch zu militärischen Aktionen in der Lage sind, zurückgedrängt werden,
sodass es auf diese Weise wie auch durch den Aufbau einer Polizei und einer afghanischen Armee Schritt für
Schritt zu einer größeren Sicherheit kommt.
Die afghanische Armee ist auch deswegen von großer
Bedeutung, weil sie den Zusammenhalt des Landes garantieren muss. Das Land ist in einzelne Provinzen und
Herrschaftsgebiete von Kriegsherren zerfallen. Es ist von
allergrößter Bedeutung, dort eine afghanische Realität
- dazu gehört auch eine Sicherheitsrealität - zu schaffen.
Die Bundesregierung engagiert sich an dieser Stelle zusammen mit unseren Partnern in einem langfristigen Aufbauwerk.
Allerdings, Herr Kollege Schwarz-Schilling, eine Ausdehnung des ISAF-Mandates auf andere Regionen in Afghanistan würde dem Mandat eine völlig neue Qualität
geben. Deswegen hat sich die internationale Staatengemeinschaft entschieden, vor allen Dingen auf den Aufbau
eines eigenen afghanischen Militärs zu setzen.
Gegenwärtig sehen wir allerdings mit großer Sorge
- gestern habe ich in Kanada mit den Außenministern der
anderen G-8-Staaten darüber gesprochen -, dass es an
Mitteln in erheblicher Höhe fehlt, um die Gehälter zu
zahlen und die entsprechenden Besoldungen zu ermöglichen. Alle Ausbildung wird nichts nützen, wenn schließlich die Gehälter nicht gezahlt werden können. Deswegen
haben wir gemeinsam noch einmal an alle Geberstaaten
appelliert, die Mittel jetzt zu deblockieren, nicht nur die
Mittel für einzelne Projekte und die Mittel für den Wiederaufbau und die Ausbildung, sondern vor allen Dingen
auch die Mittel, die für die Bezahlung der dortigen Sicherheitsleute und der Lehrer sowie der gesamten zivilen
Administration notwendig sind.
({4})
Ganz entscheidend wird es sein, meine Damen und
Herren, dass wir jetzt bei der Umsetzung des PetersbergAbkommens vorankommen. Voraussetzung dafür ist die
Präsenz der internationalen Sicherheitskomponente in
Form der UN-Truppe. Ohne diese UN-Truppe wird es
keine Sicherheit geben und damit wird auch der Wiederaufbau nicht möglich sein. Bei der Umsetzung des Petersberg-Abkommens setzen wir auf diese zentrale Perspektive. Wir engagieren uns aber darüber hinaus - das
wurde vorhin schon angesprochen - in zwei zentralen
Punkten: erstens beim Polizeiaufbau, das heißt bei der
Polizeiausbildung. Das ist in der Tat ein ganz zentraler
Faktor. Zum Zweiten engagieren wir uns nachdrücklich
auch und gerade beim Wiederaufbau des Bildungssystems. Hier liegt unser Schwerpunkt darauf, Bildungsund Ausbildungsmöglichkeiten für Frauen und Mädchen
zu schaffen. Auch hier ist es uns, wie ich denke, gelungen,
bereits in den ersten Monaten entscheidende Fortschritte
zu erreichen.
Ich möchte hier allen Beteiligten aus der Bundesregierung, aber auch allen Beteiligten der Nichtregierungsorganisationen recht herzlich danken. Sie haben unter
schwierigsten Bedingungen eine sehr gute Arbeit geleistet.
({5})
Meine Damen und Herren, zu dem Kampf gegen den
Terror gibt es meines Erachtens keine ernsthafte Alternative. Wir sehen das gerade angesichts des Terroranschlages in Pakistan, der heute in Karatschi geschah und dort
einer größeren Anzahl unschuldiger Menschen das Leben
gekostet hat. Der internationale Terrorismus wird nicht
warten; er wird auch nicht mit gutem Zureden davon zu
überzeugen sein, von seinem mörderischen Tun zu lassen - leider, sonst wäre ich für gutes Zureden. Er wird
vielmehr nur durch entschlossenes Handeln bekämpft
werden können und bekämpft werden müssen.
({6})
Das hat unsere Politik auf dem Balkan gezeigt; das wird
sie auch in Afghanistan zeigen. Dank dieser Politik wird
sich meines Erachtens der Erfolg im Kampf gegen den
Terrorismus einstellen. Es reicht nicht, diesen Terrorismus nur zu bekämpfen, wir werden uns gleichzeitig mit
den Entstehungsursachen des Terrorismus auseinander
setzen müssen.
({7})
Es ist auch eine geistige Auseinandersetzung in Form
eines offenen Dialoges der Kulturen und ein umfassendes Engagement zum Aufbau von Nationen und Zivilgesellschaften sowie zur Durchsetzung der Menschenrechte
wesentliche Voraussetzung, um diese Auseinandersetzung mit dem Terrorismus bestehen zu können.
({8})
In Afghanistan hat, wie ich denke, die Bundesrepublik
Deutschland gemeinsam mit unseren Partnern wie schon
auf dem Balkan gezeigt, dass wir uns dieser Politik verpflichtet fühlen. Ich bitte Sie hier um Ihr Vertrauen.
({9})
Nächster Redner ist
der Kollege Werner Siemann für die Fraktion der CDU/
CSU.
Frau Präsidentin!
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Nach der erfolgreichen Bekämpfung der terroristischen Strukturen in
Afghanistan gilt es heute, dem Land eine Perspektive für
eine friedliche Zukunft zu eröffnen.
Mit der Mandatsverlängerung, die wir heute beschließen, kann der nationale Versöhnungsprozess in
Afghanistan tiefer implementiert werden. Dieser Prozess
bedarf jedoch einer militärischen Absicherung durch die
internationale Staatengemeinschaft. Der stabilisierende
Einfluss der ISAF ist sehr deutlich erkennbar. Ohne die
Präsenz bewaffneter Streitkräfte in Kabul hätte die Loya
Jirga nicht vorbereitet und durchgeführt werden können.
In diesem Zusammenhang möchte ich den zivilen Mitarbeitern der verschiedenen Hilfsorganisationen, den Soldaten im Inland, aber auch ganz besonders den deutschen
Soldaten im Einsatzland meinen Dank aussprechen.
({0})
Tag für Tag leisten sie unter widrigsten Bedingungen, teilweise unter Einsatz ihres Lebens, eine herausragende Arbeit für den Wiederaufbau und die Befriedung Afghanistans. Es gilt aber auch, einen Dank an die Türkei zu
richten, die Großbritannien am 20. Juni als Leitnation ablösen wird. Die Regierung wird sich in diesem Zusammenhang überlegen müssen, ob sie ihre Einstellung zu
Rüstungsexporten in die Türkei im Hinblick auf diese
Entwicklung nicht auf den Prüfstand stellt.
({1})
Die Destabilisierungsversuche im Vorfeld der Stammesversammlung sowie die Anschläge auf Mitglieder der
Übergangsregierung belegen die zerbrechliche Sicherheitslage im Einsatzland. Die Rahmenbedingungen, unter
denen die Demokratisierung fortgeführt wird, sind ausgesprochen schwierig: Der Einflussbereich des neu gewählten
Präsidenten ist noch auf den Großraum Kabul beschränkt.
Nach wie vor geht von den etwa 5 000 untergetauchten Talibankämpfern ein hohes Gefährdungspotenzial aus. Noch
immer bedrohen stammesorientierte Interessengegensätze
sowie Konflikte zwischen den verschiedenen ethnischen
Gruppierungen den Prozess des Wiederaufbaus staatlicher Strukturen in Afghanistan. Die Reintegration von
Hunderttausenden bewaffneter Kämpfer kann fast nur mit
ausländischer Hilfe gelingen. Von den rund 5 Millionen
afghanischen Flüchtlingen sind weit über 800 000 wieder
in ihre Heimat zurückgekehrt; sie müssen ebenfalls integriert und versorgt werden.
Erhebliche Bedeutung für eine Stabilisierung der Sicherheitslage besitzt die rasche Aufstellung gesamtafghanischer Streitkräfte. Nach Einschätzung von Experten werden die Sicherheitskräfte der Übergangsregierung
und der Folgeregierung bis zur Aufstellung afghanischer
Streitkräfte nicht in der Lage sein, Sicherheit im Land herzustellen und zu garantieren. Mit anderen Worten: Die Sicherheit muss durch die militärische Hilfe der internationalen Staatengemeinschaft gewährleistet werden.
Nach amerikanischen Berechnungen wird nicht vor
2005 eine erste flächendeckende Präsenz afghanischer
Streitkräfte erreicht werden. Zwei Jahre später, also 2007
- in diesen Kategorien müssen wir denken -, soll die Aufstellung der Armee abgeschlossen sein. Damit dürfte für
alle diejenigen, die hier heute entscheiden, klar sein, dass
sich der Deutsche Bundestag noch in diesem Jahr mit einer weiteren Verlängerung des Mandats wird beschäftigen müssen. Spätestens im Oktober ist auch die Frage zu
klären, wer die Türkei als Leitnation ablöst.
In der Debatte vom 22. Dezember über die Beteiligung
der Bundeswehr an ISAF haben Sie, Herr Verteidigungsminister Scharping, gesagt:
Wir haben auch hinsichtlich der Dauer des Einsatzes
nicht den Ehrgeiz, die Obergrenze auszuschöpfen.
Sie sprachen in diesem Zusammenhang auch von „politischer Glaubwürdigkeit“.
Im Anschluss an diese Debatte werden wir beschließen, die Obergrenze nicht nur auszuschöpfen, sondern um 200 Soldaten zu erhöhen. Dabei ist fraglich, ob
diese Erhöhung ausreichend ist und eine realistische Anpassung an die tatsächlichen Auftragserfordernisse in
Afghanistan darstellt. Wir sollten unseren Soldaten klar
und ganz deutlich sagen: Die Dauer des deutschen Engagements in Afghanistan ist nicht absehbar. Bereits heute
gibt es erste Anzeichen dafür, dass wir unser Kontingent
vor Ort in Zukunft personell verstärken müssen, um die
operative Flexibilität und Reaktionsfähigkeit zu erhöhen.
Uns allen sollte und muss klar sein, dass für uns der Einsatz am Hindukusch nicht im Dezember enden wird.
Leider - dies haben auch die Vorredner schon betont gibt es zur militärischen Absicherung des Friedensprozesses
keinerlei Alternative; daher wird die Union der Mandatsverlängerung zustimmen und somit einer gesamtstaatlichen Verantwortung gerecht werden.
Vielen Dank.
({2})
Herr Kollege
Siemann, auch für Sie war es die letzte Rede in diesem
Hohen Hause. Im Namen aller Kolleginnen und Kollegen
bedanke ich mich für Ihre Arbeit hier und wünsche Ihnen
auf dem kommenden Weg alles Gute.
({0})
Der letzte Redner in dieser Debatte ist der Kollege
Peter Zumkley für die SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Nach über 20 Jahren Krieg steht Afghanistan vor einem politischen und wirtschaftlichen Neuanfang. Dem neu gewählten Präsidenten Karzai wünschen
wir eine erfolgreiche Arbeit auf dem gewiss noch schwierigen Weg, den Afghanistan noch vor sich hat.
({0})
Nur eine radikale Abkehr von Strukturen der Vergangenheit, kriegerischen Verhaltensweisen und Hinwendung zu einem friedlichen Miteinander der verschiedenen
Volksgruppen und Stämme werden das Land aus seiner
derzeit noch bestehenden Armut und dem Elend herausbringen.
({1})
Jetzt geht es darum, dem Land beim Wiederaufbau zu
helfen und der Bevölkerung, das heißt allen ethnischen
Gruppen, eine Perspektive für eine friedliche Zukunft zu
geben. Der Neubeginn und der international unterstützte
Wiederaufbau Afghanistans wird von Deutschland maßgeblich mitgestaltet.
Der politische Weg, wie in der Petersberg-Konferenz
vereinbart und durch die Loya Jirga unterstützt, ist nur
möglich, wenn er durch militärische, wirtschaftliche und
humanitäre Unterstützung der internationalen Völkergemeinschaft abgesichert wird.
Zunächst muss es darum gehen, die zerstörte Infrastruktur aufzubauen, Minen zu räumen, in den Lehmhäusern der Ärmsten endlich Wasser und Elektrizität zu installieren sowie Fensterscheiben einzubauen.
({2})
Schulbildung und Berufsausbildung, gerade auch für die
bisher benachteiligten Mädchen und Frauen, müssen genauso entschlossen vorangebracht werden.
Darüber hinaus wird Deutschland im Rahmen der vereinbarten Koordinierungsverantwortlichkeiten speziell den
Aufbau der Polizei begleiten und mitgestalten. Dies wird
bei erfolgreicher Durchführung zur Stärkung der inneren
Sicherheit in Afghanistan führen. Der Aufbau afghanischer
Streitkräfte, die unter dem Primat der Politik stehen müssen, bietet die Chance auf zunehmende Stabilisierung der
Sicherheitslage des Landes. Taliban und al-Qaida sind noch
nicht endgültig überwunden. Sie stellen nach wie vor ein
Problem dar.
Wie wichtig der schnelle Aufbau afghanischer Sicherheitskräfte ist, zeigt die Tatsache, dass Vereinte Nationen
und Rotes Kreuz ihre Hilfskräfte aus Masar-i-Scharif und
Kandahar wegen der instabilen Sicherheitslage vorübergehend abgezogen haben. In anderen Landesteilen erbringen
deutsche Hilfsorganisationen auf den Gebieten Gesundheit, Instandsetzung von Schulen sowie Lebensmittelverteilung erhebliche Leistungen. Dafür danken wir
ihnen, auch anlässlich dieser Debatte, sehr herzlich.
({3})
Bisher haben bis zu 1 200 deutsche Soldaten zur Aufrechterhaltung der Sicherheit und somit zur Stabilisierung
der Übergangsregierung beigetragen. Sie leisten unter
schwierigen und gewiss nicht ohne Risiko verbundenen
Bedingungen einen unverzichtbaren Beitrag für den Frieden in dieser Region und für die Fortsetzung des eingeleiteten Reformprozesses. Herr Claus, dies hat mit kriegerischen Aktivitäten überhaupt nichts zu tun. Ihre
Argumentation in diesem Punkt ist wirklich absurd.
({4})
Ohne diese militärische Komponente wären wichtige
Hilfsleistungen nur schwer zu erbringen. Das eine bedingt
das andere. Beides ist notwendig.
({5})
Unsere Soldatinnen und Soldaten haben sich bei ihrem
Einsatz - dies gilt übrigens für alle Krisenregionen, wo
deutsche Soldaten eingesetzt werden - einen hervorragenden Ruf erworben. Sie erfüllen ihre Aufgaben professionell, diszipliniert, unparteiisch und unbestechlich. Sie
genießen in der Bevölkerung Afghanistans und bei unseren Partnerländern hohes Ansehen. Davon haben sich
viele Parlamentarier dieses Hauses bei ihren Besuchen in
Kabul, so auch ich, persönlich überzeugen können.
Unsere Soldatinnen und Soldaten sind hervorragend
ausgebildet, gut ausgerüstet und verfügen über den bestmöglichen persönlichen Schutz. Die dafür notwendige finanzielle Vorsorge ist sichergestellt. Wir danken unseren
Soldatinnen und Soldaten für ihren Einsatz.
({6})
Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen hat Ende
Mai die Verlängerung des Mandats beschlossen. Gleichzeitig hat der Sicherheitsrat festgestellt, dass die Situation
in Afghanistan weiterhin eine Bedrohung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit darstellt. Er fordert die Mitgliedstaaten erneut auf, Personal, Material
und andere Ressourcen für die internationale Sicherheitsunterstützungstruppe beizutragen. Auf dieser Grundlage
hat die Bundesregierung dem Deutschen Bundestag eine
Beschlussempfehlung zur Mandatsverlängerung vorgelegt. Der Einsatz deutscher Kräfte ist bis zum 20. Dezember 2002 befristet.
Zugleich mit der heutigen Entschließung wird der
Bundestag beschließen, dass weitere Kräfte vorübergehend zur Unterstützung herangezogen werden können.
Dies halten wir für notwendig, Herr Kollege Siemann; ich
sage das, weil Sie gerade eine kritische Bemerkung hierzu
gemacht haben.
Die dadurch mögliche Flexibilität wird von uns ausdrücklich unterstützt. Den erhöhten Sicherheitsrisiken
während der Loya Jirga und den damit verbundenen Notwendigkeiten zur Gewährleistung des politischen Stabilisierungsprozesses wird Rechnung getragen. Ein über den
Großraum Kabul hinausgehendes militärisches Engagement übersteigt unsere Möglichkeiten und erscheint auch
deshalb nicht sinnvoll, weil die afghanische Regierung die
Kontrolle über ihr Land letztlich selbst gewinnen muss.
({7})
Wir stimmen der Mandatsverlängerung zur „Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte
an dem Einsatz einer internationalen Sicherheitsunterstützungstruppe in Afghanistan“ auf Grundlage der UN-Resolutionen 1386 und 1413 zu.
Ich danke Ihnen.
({8})
Ich schließe die Aus-
sprache.
Wir kommen zur Abstimmung über die Beschluss-
empfehlung des Auswärtigen Ausschusses auf Druck-
sache 14/9437 zum Antrag der Bundesregierung zur
Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streit-
kräfte an dem Einsatz einer internationalen Sicherheits-
unterstützungstruppe in Afghanistan. Es gibt zwei schrift-
liche Erklärungen zur Abstimmung gemäß § 31 unserer
Geschäftsordnung, zum einen vom Kollegen Jürgen
Koppelin1) und zum anderen von den Kolleginnen und
Kollegen Buntenbach, Lemke und Simmert2). Der Aus-
schuss empfiehlt, dem Antrag auf Drucksache 14/9246
zuzustimmen. Es ist namentliche Abstimmung verlangt.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich mache Sie darauf
aufmerksam, dass im Anschluss an diese namentliche Ab-
stimmung eine Abstimmung stattfinden muss, bei der zur
Annahme eines Ergebnisses des Vermittlungsausschusses
die Mehrheit des gesamten Hauses erforderlich ist. Daher
bitte ich Sie alle, nach der namentlichen Abstimmung
wieder in den Saal zurückzukommen. Im Anschluss daran
findet eine weitere namentliche Abstimmung statt.
Ich bitte nun die Schriftführerinnen und Schriftführer,
die vorgesehenen Plätze einzunehmen. Sind alle Urnen
besetzt? - Das ist der Fall. Ich eröffne die Abstimmung.
Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine
Stimme nicht abgegeben hat? - Das ist offensichtlich
nicht der Fall. Ich schließe die Abstimmung und bitte jetzt
alle Kolleginnen und Kollegen, schnellstmöglich ihre
Plätze einzunehmen, damit wir zügig weitermachen kön-
nen. Die Schriftführerinnen und Schriftführer bitte ich,
mit der Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis der Ab-
stimmung wird Ihnen später bekannt gegeben.3)
Wir setzen die Abstimmungen fort.
Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses auf Drucksache
14/8834 zu dem Antrag der Fraktion der PDS mit dem Titel „Bundeswehreinheiten aus der Golfregion zurückziehen“. Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf Drucksache
14/8270 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist gegen die Stimmen der PDS-Fraktion
angenommen.
Wir kommen jetzt zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses auf Drucksache 14/9435 zu dem Antrag der Fraktion der PDS mit dem
Titel „Bündnisfall aufheben“. Der Ausschuss empfiehlt,
den Antrag auf Drucksache 14/8664 abzulehnen. Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenprobe! Enthaltungen? - Auch diese Beschlussempfehlung ist gegen die Stimmen der PDS-Fraktion angenommen.
Jetzt kommen wir zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses auf
Drucksache 14/8234 zu dem Antrag der Fraktion der PDS
mit dem Titel „Den internationalen Terrorismus wirksam
bekämpfen - den Krieg in Afghanistan beenden“. Der
Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 14/7500
abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist gegen die Stimmen der PDS-Fraktion angenommen.
Ich rufe den Zusatzpunkt 20 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung des Ausschusses nach Art. 77 des Grundgesetzes ({0}) zu dem Gesetz zur Neuregelung des
Zollfahndungsdienstes ({1})
- Drucksachen 14/8007 ({2}), 14/8515, 14/9332,
14/9430 Berichterstattung:
Abgeordneter Joachim Poß
Bericht erstattender Abgeordneter ist der Kollege
Joachim Poß. Wird das Wort zur Berichterstattung gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Wird das Wort zu Erklärungen gewünscht? - Auch das ist nicht der Fall. Deshalb kommen wir sofort zur Abstimmung. Ich weise
darauf hin, dass zur Annahme der Beschlussempfehlung
des Vermittlungsausschusses zur Änderung des nach
Art. 87 Abs. 3 des Grundgesetzes mit absoluter Mehrheit
angenommenen Gesetzentwurfs ebenfalls die absolute
Mehrheit, das sind 334 Stimmen, für erforderlich gehalten wird. Wer stimmt für die Beschlussempfehlung des
Vermittlungsausschusses auf Drucksache 14/9430? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung
ist gegen die Stimmen der PDS-Fraktion und einer
Stimme aus der FDP-Fraktion bei Enthaltung der übrigen
FDP-Fraktion mit der absoluten Mehrheit des Hauses angenommen.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 26 auf:
- Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines
Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes
({3})
- Drucksache 14/8994 ({4})
- Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines
Gesetzes zur Änderung des Gerichtsverfassungsgesetzes
- Drucksache 14/8978 ({5})
Beschlussempfehlung und Bericht des
Rechtsausschusses ({6})
- Drucksache 14/9425 Berichterstattung:
Abgeordneter Dr. Jürgen Meyer ({7})
Dr. Norbert Röttgen
Volker Beck ({8})
Rainer Funke
Dr. Evelyn Kenzler
1) Anlage 2
2) Anlage 3
3) Seite 24479
Über den Gesetzentwurf zur Änderung des Grundgesetzes werden wir gleich namentlich abstimmen. Es ist
vereinbart, dass keine Aussprache erfolgen soll. - Ich
sehe, Sie sind damit einverstanden.
Wir kommen damit zur Abstimmung über den von der
Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes
zur Änderung des Art. 96 des Grundgesetzes, Drucksache 14/8994. Der Rechtsausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 14/9425, den Gesetzentwurf anzunehmen. Ich bitte
diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen,
um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung einstimmig angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich weise darauf hin, dass nach
Art. 79 des Grundgesetzes ein Gesetz zur Änderung des
Grundgesetzes die Zustimmung von zwei Dritteln der
Mitglieder des Bundestages, das heißt mindestens
444 Stimmen, erfordert. Es ist namentliche Abstimmung
verlangt worden. Nochmals bitte ich Sie, Kolleginnen und
Kollegen, bei der Stimmabgabe sorgfältig darauf zu achten, dass die Stimmkarten, die Sie verwenden, Ihren Namen tragen.
Ich bitte jetzt die Schriftführerinnen und Schriftführer,
die vorgesehenen Plätze einzunehmen. Sind alle Urnen
besetzt? - Das ist der Fall. Ich eröffne die Abstimmung.
Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine
Stimme nicht abgegeben hat? - Das ist nicht der Fall. Ich
schließe die Abstimmung. Ich bitte alle Kolleginnen und
Kollegen, die der Sitzung noch beiwohnen wollen, recht
schnell ihre Plätze einzunehmen. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen.
Ich gebe jetzt das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung über den Antrag der Bundesregierung mit dem Titel
„Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an dem Einsatz einer internationalen Sicherheitsunterstützungstruppe in Afghanistan auf Grundlage der Resolutionen 1386 ({9}) vom 20. Dezember 2001 und
1413 ({10}) vom 23. Mai 2002 des Sicherheitsrats der
Vereinten Nationen“ bekannt - es handelte sich um die
Drucksachen 14/9246 und 14/9437 -: Abgegebene Stimmen 539. Mit Ja haben gestimmt 497 Kolleginnen und
Kollegen, mit Nein haben gestimmt 37 Abgeordnete.
Vizepräsidentin Petra Bläss
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 539;
davon
ja: 496
nein: 38
enthalten: 5
Ja
SPD
Brigitte Adler
Gerd Andres
Ingrid Arndt-Brauer
Rainer Arnold
Hermann Bachmaier
Ernst Bahr
Doris Barnett
Eckhardt Barthel ({11})
Klaus Barthel ({12})
Ingrid Becker-Inglau
Dr. Axel Berg
Hans-Werner Bertl
Petra Bierwirth
Kurt Bodewig
Anni Brandt-Elsweier
Willi Brase
Rainer Brinkmann ({13})
Bernhard Brinkmann
({14})
Hans-Günter Bruckmann
Ulla Burchardt
Dr. Michael Bürsch
Hans Büttner ({15})
Marion Caspers-Merk
Wolf-Michael Catenhusen
Dr. Herta Däubler-Gmelin
Christel Deichmann
Karl Diller
Peter Dreßen
Detlef Dzembritzki
Dieter Dzewas
Sebastian Edathy
Ludwig Eich
Marga Elser
Petra Ernstberger
Annette Faße
Lothar Fischer ({16})
Gabriele Fograscher
Iris Follak
Norbert Formanski
Rainer Fornahl
Hans Forster
Lilo Friedrich ({17})
Harald Friese
Anke Fuchs ({18})
Arne Fuhrmann
Monika Ganseforth
Iris Gleicke
Günter Gloser
Renate Gradistanac
Günter Graf ({19})
Angelika Graf ({20})
Dieter Grasedieck
Monika Griefahn
Kerstin Griese
Achim Großmann
Wolfgang Grotthaus
Hans-Joachim Hacker
Klaus Hagemann
Alfred Hartenbach
Klaus Hasenfratz
Nina Hauer
Hubertus Heil
Reinhold Hemker
Frank Hempel
Rolf Hempelmann
Dr. Barbara Hendricks
Gustav Herzog
Stephan Hilsberg
Gerd Höfer
Jelena Hoffmann ({21})
Walter Hoffmann
({22})
Frank Hofmann ({23})
Ingrid Holzhüter
Eike Hovermann
Christel Humme
Lothar Ibrügger
Barbara Imhof
Gabriele Iwersen
Renate Jäger
Jann-Peter Janssen
Ilse Janz
Johannes Kahrs
Ulrich Kasparick
Sabine Kaspereit
Ulrich Kelber
Hans-Peter Kemper
Klaus Kirschner
Marianne Klappert
Siegrun Klemmer
Hans-Ulrich Klose
Walter Kolbow
Fritz Rudolf Körper
Anette Kramme
Nicolette Kressl
Volker Kröning
Angelika Krüger-Leißner
Horst Kubatschka
Ernst Küchler
Helga Kühn-Mengel
Ute Kumpf
Konrad Kunick
Dr. Uwe Küster
Werner Labsch
Christine Lambrecht
Christian Lange ({24})
Detlev von Larcher
Christine Lehder
Waltraud Lehn
Robert Leidinger
Klaus Lennartz
Dr. Elke Leonhard
Eckhart Lewering
Götz-Peter Lohmann
({25})
Gabriele Lösekrug-Möller
Erika Lotz
Dr. Christine Lucyga
Dieter Maaß ({26})
Winfried Mante
Dirk Manzewski
Tobias Marhold
Lothar Mark
Ulrike Mascher
Christoph Matschie
Heide Mattischeck
Markus Meckel
Ulrike Merten
Angelika Mertens
Vizepräsidentin Petra Bläss
Dr. Jürgen Meyer ({27})
Ursula Mogg
Christoph Moosbauer
Siegmar Mosdorf
Michael Müller ({28})
Jutta Müller ({29})
Christian Müller ({30})
Franz Müntefering
Andrea Nahles
Volker Neumann ({31})
Dr. Edith Niehuis
Dr. Rolf Niese
Dietmar Nietan
Günter Oesinghaus
Eckhard Ohl
Leyla Onur
Manfred Opel
Holger Ortel
Adolf Ostertag
Kurt Palis
Albrecht Papenroth
Dr. Martin Pfaff
Georg Pfannenstein
Johannes Pflug
Dr. Eckhart Pick
Karin Rehbock-Zureich
Dr. Carola Reimann
Margot von Renesse
Renate Rennebach
Bernd Reuter
Dr. Edelbert Richter
Christel RiemannHanewinckel
Reinhold Robbe
René Röspel
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Michael Roth ({32})
Birgit Roth ({33})
Gerhard Rübenkönig
Marlene Rupprecht
Thomas Sauer
Dr. Hansjörg Schäfer
Gudrun Schaich-Walch
Bernd Scheelen
Dr. Hermann Scheer
Siegfried Scheffler
Horst Schild
Otto Schily
Dieter Schloten
Horst Schmidbauer
({34})
Ulla Schmidt ({35})
Silvia Schmidt ({36})
Dagmar Schmidt ({37})
Wilhelm Schmidt ({38})
Dr. Frank Schmidt
({39})
Regina Schmidt-Zadel
Heinz Schmitt ({40})
Carsten Schneider
Dr. Emil Schnell
Walter Schöler
Karsten Schönfeld
Fritz Schösser
Ottmar Schreiner
Dr. Mathias Schubert
Richard Schuhmann
({41})
Brigitte Schulte ({42})
Reinhard Schultz
({43})
Volkmar Schultz ({44})
Ewald Schurer
Dr. Angelica Schwall-Düren
Rolf Schwanitz
Bodo Seidenthal
Erika Simm
Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk
Dr. Cornelie SonntagWolgast
Wieland Sorge
Wolfgang Spanier
Dr. Margrit Spielmann
Jörg-Otto Spiller
Dr. Ditmar Staffelt
Antje-Marie Steen
Ludwig Stiegler
Rolf Stöckel
Rita Streb-Hesse
Reinhold Strobl ({45})
Dr. Peter Struck
Joachim Stünker
Joachim Tappe
Jörg Tauss
Jella Teuchner
Dr. Gerald Thalheim
Franz Thönnes
Adelheid Tröscher
Hans-Eberhard Urbaniak
Rüdiger Veit
Simone Violka
Ute Vogt ({46})
Hans Georg Wagner
Hedi Wegener
Dr. Konstanze Wegner
Wolfgang Weiermann
Reinhard Weis ({47})
Matthias Weisheit
Gunter Weißgerber
Gert Weisskirchen
({48})
Dr. Ernst Ulrich von
Weizsäcker
Jochen Welt
Dr. Rainer Wend
Hildegard Wester
Lydia Westrich
Inge Wettig-Danielmeier
Dr. Margrit Wetzel
Dr. Norbert Wieczorek
Jürgen Wieczorek ({49})
Helmut Wieczorek
({50})
Dieter Wiefelspütz
Heino Wiese ({51})
Klaus Wiesehügel
Brigitte Wimmer ({52})
Engelbert Wistuba
Dr. Wolfgang Wodarg
Verena Wohlleben
Hanna Wolf ({53})
Waltraud Wolff
({54})
Heidemarie Wright
Dr. Christoph Zöpel
CDU/CSU
Ulrich Adam
Peter Altmaier
Dietrich Austermann
Günter Baumann
Brigitte Baumeister
Meinrad Belle
Dr. Sabine Bergmann-Pohl
Otto Bernhardt
Hans-Dirk Bierling
Renate Blank
Dr. Heribert Blens
Peter Bleser
Dr. Norbert Blüm
Sylvia Bonitz
Jochen Borchert
Wolfgang Bosbach
Dr. Ralf Brauksiepe
Paul Breuer
Georg Brunnhuber
Klaus Bühler ({55})
Hartmut Büttner
({56})
Dankward Buwitt
Cajus Caesar
Peter H. Carstensen
({57})
Leo Dautzenberg
Wolfgang Dehnel
Hubert Deittert
Albert Deß
Renate Diemers
Thomas Dörflinger
Dr. Hansjürgen Doss
Marie-Luise Dött
Rainer Eppelmann
Ilse Falk
Dr. Hans Georg Faust
Albrecht Feibel
Ingrid Fischbach
Dirk Fischer ({58})
Axel E. Fischer
({59})
Dr. Gerhard Friedrich
({60})
Dr. Hans-Peter Friedrich
({61})
Erich G. Fritz
Dr. Jürgen Gehb
Dr. Reinhard Göhner
Peter Götz
Dr. Wolfgang Götzer
Kurt-Dieter Grill
Manfred Grund
Horst Günther ({62})
Carl-Detlev Freiherr von
Hammerstein
Gottfried Haschke
({63})
Gerda Hasselfeldt
Hansgeorg Hauser
({64})
Helmut Heiderich
Ursula Heinen
Manfred Heise
Detlef Helling
Peter Hintze
Martin Hohmann
Siegfried Hornung
Joachim Hörster
Hubert Hüppe
Susanne Jaffke
Georg Janovsky
Dr.-Ing. Rainer Jork
Dr. Harald Kahl
Dr.-Ing. Dietmar Kansy
Volker Kauder
Eckart von Klaeden
Ulrich Klinkert
Norbert Königshofen
Hartmut Koschyk
Thomas Kossendey
Rudolf Kraus
Dr. Martina Krogmann
Werner Kuhn
Dr. Karl A. Lamers
({65})
Dr. Norbert Lammert
Helmut Lamp
Karl-Josef Laumann
Vera Lengsfeld
Werner Lensing
Peter Letzgus
Ursula Lietz
Dr. Manfred Lischewski
Wolfgang Lohmann
({66})
Dr. Michael Luther
Erich Maaß ({67})
Erwin Marschewski
({68})
Dr. Martin Mayer
({69})
Wolfgang Meckelburg
Dr. Michael Meister
Friedrich Merz
Bernward Müller ({70})
Elmar Müller ({71})
Günter Nooke
Franz Obermeier
Friedhelm Ost
Eduard Oswald
Norbert Otto ({72})
Anton Pfeifer
Dr. Friedbert Pflüger
Beatrix Philipp
Ronald Pofalla
Marlies Pretzlaff
Hans Raidel
Dr. Peter Ramsauer
Helmut Rauber
Peter Rauen
Christa Reichard ({73})
Katherina Reiche
Erika Reinhardt
Hans-Peter Repnik
Dr. Heinz Riesenhuber
Franz Romer
Kurt J. Rossmanith
Volker Rühe
Dr. Wolfgang Schäuble
Vizepräsidentin Petra Bläss
Hartmut Schauerte
Karl-Heinz Scherhag
Dr. Gerhard Scheu
Norbert Schindler
Christian Schmidt ({74})
Dr.-Ing. Joachim Schmidt
({75})
Andreas Schmidt ({76})
Hans Peter Schmitz
({77})
Reinhard Freiherr von
Schorlemer
Dr. Erika Schuchardt
Gerhard Schulz
Dr. Christian SchwarzSchilling
Wilhelm Josef Sebastian
Marion Seib
Heinz Seiffert
Bärbel Sothmann
Margarete Späte
Erika Steinbach
Dr. Wolfgang Freiherr von
Stetten
Andreas Storm
Dorothea Störr-Ritter
Max Straubinger
Matthäus Strebl
Thomas Strobl ({78})
Michael Stübgen
Edeltraut Töpfer
Dr. Hans-Peter Uhl
Arnold Vaatz
Angelika Volquartz
Andrea Voßhoff
Peter Weiß ({79})
Gerald Weiß ({80})
Annette Widmann-Mauz
Heinz Wiese ({81})
Hans-Otto Wilhelm ({82})
Bernd Wilz
Matthias Wissmann
Werner Wittlich
Dagmar Wöhrl
Elke Wülfing
Peter Kurt Würzbach
Wolfgang Zeitlmann
Wolfgang Zöller
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Gila Altmann ({83})
Volker Beck ({84})
Angelika Beer
Matthias Berninger
Grietje Bettin
Amke Dietert-Scheuer
Dr. Thea Dückert
Franziska Eichstädt-Bohlig
Dr. Uschi Eid
Hans-Josef Fell
Joseph Fischer ({85})
Katrin Göring-Eckardt
Gerald Häfner
Antje Hermenau
Ulrike Höfken
Michaele Hustedt
Dr. Angelika Köster-Loßack
Kerstin Müller ({86})
Cem Özdemir
Simone Probst
Christine Scheel
Albert Schmidt ({87})
Werner Schulz ({88})
Hans-Christian Ströbele
Dr. Antje Vollmer
Helmut Wilhelm ({89})
Margareta Wolf ({90})
FDP
({91})
Jörg van Essen
Gisela Frick
Paul K. Friedhoff
Rainer Funke
Dr. Wolfgang Gerhardt
Hans-Michael Goldmann
Joachim Günther ({92})
Dr. Karlheinz Guttmacher
Klaus Haupt
Dr. Werner Hoyer
Gudrun Kopp
Ina Lenke
Günther Friedrich Nolting
Hans-Joachim Otto
({93})
Detlef Parr
Dr. Günter Rexrodt
Gerhard Schüßler
Marita Sehn
Gudrun Serowiecki
Dr. Dieter Thomae
Jürgen Türk
Nein
CDU/CSU
Dr. Wolf Bauer
Wolfgang Börnsen
({94})
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Annelie Buntenbach
Monika Knoche
Christian Simmert
FDP
Dr. Heinrich L. Kolb
Jürgen Koppelin
PDS
Dr. Dietmar Bartsch
Wolfgang Bierstedt
Maritta Böttcher
Roland Claus
Heidemarie Ehlert
Dr. Ruth Fuchs
Dr. Klaus Grehn
Uwe Hiksch
Carsten Hübner
Ulla Jelpke
Gerhard Jüttemann
Dr. Evelyn Kenzler
Rolf Kutzmutz
Ursula Lötzer
Heidemarie Lüth
Angela Marquardt
Kersten Naumann
Rosel Neuhäuser
Christine Ostrowski
Petra Pau
Christina Schenk
Dr. Ilja Seifert
Dr. Winfried Wolf
Fraktionslose Abgeordnete
Christa Lörcher
Enthalten
SPD
Dr. Uwe Jens
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Steffi Lemke
Irmingard Schewe-Gerigk
Entschuldigt wegen Übernahme einer Verpflichtung im Rahmen ihrer Mitgliedschaft in den Parlamentarischen Versammlungen des
Europarates und der WEU, der Parlamentarischen Versammlung der NATO, der OSZE oder der IPU
Abgeordnete({95})
Behrendt, Wolfgang Bindig, Rudolf Lintner, Eduard Dr. Lippelt, Helmut
SPD SPD CDU/CSU BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Müller ({96}), Manfred Zierer, Benno
PDS CDU/CSU
Es haben sich fünf Kolleginnen und Kollegen enthalten. Der Antrag ist damit angenommen.
Ich unterbreche nun kurz die Sitzung.
({97})
Die Sitzung ist wieder
eröffnet.
Ich gebe das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten
Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes,
Art. 96, auf den Drucksachen 14/8994 und 14/9425 bekannt: Abgegebene Stimmen 533. Mit Ja haben gestimmt
532 Abgeordnete, eine Kollegin bzw. ein Kollege hat sich
enthalten. Der Gesetzentwurf ist angenommen, da bekanntlich 444 Stimmen erforderlich waren.
Vizepräsidentin Petra Bläss
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 532;
davon
ja: 531
enthalten: 1
Ja
SPD
Brigitte Adler
Gerd Andres
Ingrid Arndt-Brauer
Rainer Arnold
Ernst Bahr
Doris Barnett
Eckhardt Barthel ({0})
Klaus Barthel ({1})
Ingrid Becker-Inglau
Dr. Axel Berg
Hans-Werner Bertl
Petra Bierwirth
Kurt Bodewig
Anni Brandt-Elsweier
Willi Brase
Rainer Brinkmann ({2})
Bernhard Brinkmann
({3})
Hans-Günter Bruckmann
Ulla Burchardt
Dr. Michael Bürsch
Hans Büttner ({4})
Marion Caspers-Merk
Wolf-Michael Catenhusen
Dr. Herta Däubler-Gmelin
Christel Deichmann
Karl Diller
Peter Dreßen
Detlef Dzembritzki
Dieter Dzewas
Sebastian Edathy
Ludwig Eich
Marga Elser
Petra Ernstberger
Annette Faße
Lothar Fischer ({5})
Gabriele Fograscher
Iris Follak
Norbert Formanski
Rainer Fornahl
Hans Forster
Lilo Friedrich ({6})
Harald Friese
Anke Fuchs ({7})
Arne Fuhrmann
Monika Ganseforth
Iris Gleicke
Günter Gloser
Renate Gradistanac
Günter Graf ({8})
Angelika Graf ({9})
Dieter Grasedieck
Monika Griefahn
Kerstin Griese
Achim Großmann
Wolfgang Grotthaus
Hans-Joachim Hacker
Klaus Hagemann
Alfred Hartenbach
Klaus Hasenfratz
Nina Hauer
Hubertus Heil
Reinhold Hemker
Frank Hempel
Rolf Hempelmann
Dr. Barbara Hendricks
Gustav Herzog
Stephan Hilsberg
Gerd Höfer
Jelena Hoffmann ({10})
Walter Hoffmann
({11})
Frank Hofmann ({12})
Ingrid Holzhüter
Eike Hovermann
Christel Humme
Lothar Ibrügger
Barbara Imhof
Gabriele Iwersen
Renate Jäger
Jann-Peter Janssen
Ilse Janz
Dr. Uwe Jens
Johannes Kahrs
Ulrich Kasparick
Sabine Kaspereit
Ulrich Kelber
Hans-Peter Kemper
Klaus Kirschner
Marianne Klappert
Siegrun Klemmer
Hans-Ulrich Klose
Walter Kolbow
Fritz Rudolf Körper
Anette Kramme
Nicolette Kressl
Volker Kröning
Angelika Krüger-Leißner
Horst Kubatschka
Ernst Küchler
Helga Kühn-Mengel
Ute Kumpf
Konrad Kunick
Dr. Uwe Küster
Werner Labsch
Christine Lambrecht
Christian Lange ({13})
Detlev von Larcher
Christine Lehder
Waltraud Lehn
Robert Leidinger
Klaus Lennartz
Dr. Elke Leonhard
Eckhart Lewering
Götz-Peter Lohmann
({14})
Gabriele Lösekrug-Möller
Erika Lotz
Dr. Christine Lucyga
Dieter Maaß ({15})
Winfried Mante
Dirk Manzewski
Tobias Marhold
Lothar Mark
Ulrike Mascher
Christoph Matschie
Heide Mattischeck
Markus Meckel
Ulrike Merten
Angelika Mertens
Dr. Jürgen Meyer ({16})
Ursula Mogg
Christoph Moosbauer
Siegmar Mosdorf
Michael Müller ({17})
Jutta Müller ({18})
Christian Müller ({19})
Franz Müntefering
Andrea Nahles
Volker Neumann ({20})
Dr. Edith Niehuis
Dr. Rolf Niese
Dietmar Nietan
Günter Oesinghaus
Eckhard Ohl
Leyla Onur
Manfred Opel
Holger Ortel
Adolf Ostertag
Kurt Palis
Albrecht Papenroth
Dr. Martin Pfaff
Georg Pfannenstein
Johannes Pflug
Dr. Eckhart Pick
Karin Rehbock-Zureich
Dr. Carola Reimann
Margot von Renesse
Renate Rennebach
Bernd Reuter
Dr. Edelbert Richter
Christel RiemannHanewinckel
Reinhold Robbe
René Röspel
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Michael Roth ({21})
Birgit Roth ({22})
Gerhard Rübenkönig
Marlene Rupprecht
Thomas Sauer
Dr. Hansjörg Schäfer
Gudrun Schaich-Walch
Bernd Scheelen
Dr. Hermann Scheer
Siegfried Scheffler
Horst Schild
Otto Schily
Dieter Schloten
Horst Schmidbauer
({23})
Ulla Schmidt ({24})
Silvia Schmidt ({25})
Dagmar Schmidt ({26})
Wilhelm Schmidt ({27})
Dr. Frank Schmidt
({28})
Regina Schmidt-Zadel
Heinz Schmitt ({29})
Carsten Schneider
Dr. Emil Schnell
Walter Schöler
Karsten Schönfeld
Fritz Schösser
Ottmar Schreiner
Dr. Mathias Schubert
Richard Schuhmann
({30})
Brigitte Schulte ({31})
Reinhard Schultz
({32})
Volkmar Schultz ({33})
Ewald Schurer
Vizepräsidentin Petra Bläss
Dr. Angelica Schwall-Düren
Rolf Schwanitz
Bodo Seidenthal
Erika Simm
Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk
Dr. Cornelie SonntagWolgast
Wieland Sorge
Wolfgang Spanier
Dr. Margrit Spielmann
Jörg-Otto Spiller
Dr. Ditmar Staffelt
Antje-Marie Steen
Ludwig Stiegler
Rolf Stöckel
Rita Streb-Hesse
Reinhold Strobl ({34})
Dr. Peter Struck
Joachim Stünker
Joachim Tappe
Jörg Tauss
Jella Teuchner
Dr. Gerald Thalheim
Franz Thönnes
Adelheid Tröscher
Hans-Eberhard Urbaniak
Rüdiger Veit
Simone Violka
Ute Vogt ({35})
Hans Georg Wagner
Hedi Wegener
Dr. Konstanze Wegner
Wolfgang Weiermann
Reinhard Weis ({36})
Matthias Weisheit
Gunter Weißgerber
Gert Weisskirchen
({37})
Dr. Ernst Ulrich von
Weizsäcker
Jochen Welt
Dr. Rainer Wend
Hildegard Wester
Lydia Westrich
Inge Wettig-Danielmeier
Dr. Margrit Wetzel
Dr. Norbert Wieczorek
Jürgen Wieczorek ({38})
Helmut Wieczorek
({39})
Dieter Wiefelspütz
Heino Wiese ({40})
Klaus Wiesehügel
Brigitte Wimmer ({41})
Engelbert Wistuba
Dr. Wolfgang Wodarg
Verena Wohlleben
Hanna Wolf ({42})
Waltraud Wolff
({43})
Heidemarie Wright
Dr. Christoph Zöpel
CDU/CSU
Ulrich Adam
Peter Altmaier
Dietrich Austermann
Dr. Wolf Bauer
Günter Baumann
Brigitte Baumeister
Meinrad Belle
Dr. Sabine Bergmann-Pohl
Otto Bernhardt
Hans-Dirk Bierling
Renate Blank
Dr. Heribert Blens
Peter Bleser
Dr. Norbert Blüm
Sylvia Bonitz
Jochen Borchert
Wolfgang Börnsen
({44})
Wolfgang Bosbach
Dr. Ralf Brauksiepe
Paul Breuer
Georg Brunnhuber
Klaus Bühler ({45})
Hartmut Büttner
({46})
Dankward Buwitt
Cajus Caesar
Peter H. Carstensen
({47})
Leo Dautzenberg
Wolfgang Dehnel
Hubert Deittert
Albert Deß
Renate Diemers
Thomas Dörflinger
Dr. Hansjürgen Doss
Marie-Luise Dött
Rainer Eppelmann
Ilse Falk
Dr. Hans Georg Faust
Albrecht Feibel
Ingrid Fischbach
Dirk Fischer ({48})
Axel E. Fischer
({49})
Dr. Gerhard Friedrich
({50})
Dr. Hans-Peter Friedrich
({51})
Erich G. Fritz
Dr. Jürgen Gehb
Dr. Reinhard Göhner
Peter Götz
Dr. Wolfgang Götzer
Kurt-Dieter Grill
Manfred Grund
Horst Günther ({52})
Carl-Detlev Freiherr von
Hammerstein
Gottfried Haschke
({53})
Gerda Hasselfeldt
Hansgeorg Hauser
({54})
Helmut Heiderich
Ursula Heinen
Manfred Heise
Detlef Helling
Peter Hintze
Martin Hohmann
Siegfried Hornung
Joachim Hörster
Hubert Hüppe
Georg Janovsky
Dr.-Ing. Rainer Jork
Dr. Harald Kahl
Dr.-Ing. Dietmar Kansy
Volker Kauder
Eckart von Klaeden
Ulrich Klinkert
Norbert Königshofen
Hartmut Koschyk
Thomas Kossendey
Rudolf Kraus
Dr. Martina Krogmann
Werner Kuhn
Dr. Karl A. Lamers
({55})
Dr. Norbert Lammert
Helmut Lamp
Karl-Josef Laumann
Vera Lengsfeld
Werner Lensing
Peter Letzgus
Ursula Lietz
Dr. Manfred Lischewski
Wolfgang Lohmann
({56})
Dr. Michael Luther
Erich Maaß ({57})
Erwin Marschewski
({58})
Dr. Martin Mayer
({59})
Wolfgang Meckelburg
Dr. Michael Meister
Friedrich Merz
Bernward Müller ({60})
Elmar Müller ({61})
Günter Nooke
Franz Obermeier
Friedhelm Ost
Eduard Oswald
Norbert Otto ({62})
Anton Pfeifer
Dr. Friedbert Pflüger
Beatrix Philipp
Ronald Pofalla
Marlies Pretzlaff
Hans Raidel
Dr. Peter Ramsauer
Helmut Rauber
Peter Rauen
Christa Reichard ({63})
Katherina Reiche
Erika Reinhardt
Hans-Peter Repnik
Dr. Heinz Riesenhuber
Franz Romer
Kurt J. Rossmanith
Volker Rühe
Dr. Wolfgang Schäuble
Hartmut Schauerte
Karl-Heinz Scherhag
Dr. Gerhard Scheu
Norbert Schindler
Christian Schmidt ({64})
Dr.-Ing. Joachim Schmidt
({65})
Andreas Schmidt ({66})
Hans Peter Schmitz
({67})
Reinhard Freiherr von
Schorlemer
Dr. Erika Schuchardt
Gerhard Schulz
Dr. Christian SchwarzSchilling
Wilhelm Josef Sebastian
Marion Seib
Heinz Seiffert
Bärbel Sothmann
Margarete Späte
Erika Steinbach
Dr. Wolfgang Freiherr von
Stetten
Andreas Storm
Dorothea Störr-Ritter
Max Straubinger
Matthäus Strebl
Thomas Strobl ({68})
Michael Stübgen
Edeltraut Töpfer
Dr. Hans-Peter Uhl
Arnold Vaatz
Angelika Volquartz
Andrea Voßhoff
Peter Weiß ({69})
Gerald Weiß ({70})
Annette Widmann-Mauz
Heinz Wiese ({71})
Hans-Otto Wilhelm ({72})
Bernd Wilz
Matthias Wissmann
Werner Wittlich
Dagmar Wöhrl
Elke Wülfing
Peter Kurt Würzbach
Wolfgang Zeitlmann
Wolfgang Zöller
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Gila Altmann ({73})
Volker Beck ({74})
Angelika Beer
Matthias Berninger
Grietje Bettin
Annelie Buntenbach
Amke Dietert-Scheuer
Franziska Eichstädt-Bohlig
Hans-Josef Fell
Joseph Fischer ({75})
Katrin Göring-Eckardt
Gerald Häfner
Antje Hermenau
Ulrike Höfken
Vizepräsidentin Petra Bläss
Michaele Hustedt
Dr. Angelika Köster-Loßack
Steffi Lemke
Kerstin Müller ({76})
Cem Özdemir
Simone Probst
Christine Scheel
Irmingard Schewe-Gerigk
Albert Schmidt ({77})
Werner Schulz ({78})
Christian Simmert
Hans-Christian Ströbele
Dr. Ludger Volmer
Helmut Wilhelm ({79})
Margareta Wolf ({80})
FDP
({81})
Jörg van Essen
Gisela Frick
Paul K. Friedhoff
Rainer Funke
Dr. Wolfgang Gerhardt
Hans-Michael Goldmann
Joachim Günther ({82})
Dr. Karlheinz Guttmacher
Klaus Haupt
Dr. Werner Hoyer
Dr. Heinrich L. Kolb
Gudrun Kopp
Jürgen Koppelin
Ina Lenke
Günther Friedrich Nolting
Hans-Joachim Otto
({83})
Detlef Parr
Dr. Günter Rexrodt
Gerhard Schüßler
Marita Sehn
Gudrun Serowiecki
Dr. Dieter Thomae
Jürgen Türk
PDS
Dr. Dietmar Bartsch
Wolfgang Bierstedt
Maritta Böttcher
Roland Claus
Heidemarie Ehlert
Dr. Ruth Fuchs
Dr. Klaus Grehn
Uwe Hiksch
Carsten Hübner
Ulla Jelpke
Gerhard Jüttemann
Dr. Evelyn Kenzler
Rolf Kutzmutz
Ursula Lötzer
Heidemarie Lüth
Angela Marquardt
Kersten Naumann
Rosel Neuhäuser
Christine Ostrowski
Petra Pau
Christina Schenk
Dr. Ilja Seifert
Dr. Winfried Wolf
Fraktionslose Abgeordnete
Christa Lörcher
Enthalten
CDU/CSU
Susanne Jaffke
Entschuldigt wegen Übernahme einer Verpflichtung im Rahmen ihrer Mitgliedschaft in den Parlamentarischen Versammlungen des
Europarates und der WEU, der Parlamentarischen Versammlung der NATO, der OSZE oder der IPU
Abgeordnete({84})
Behrendt, Wolfgang Bindig, Rudolf Lintner, Eduard Dr. Lippelt, Helmut
SPD SPD CDU/CSU BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Müller ({85}), Manfred Zierer, Benno
PDS CDU/CSU
Wir kommen nun zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung
des Gerichtsverfassungsgesetzes, Drucksache 14/8978. Der
Rechtsausschuss empfiehlt unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 14/9425, den Gesetzentwurf anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung einstimmig angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist mit
den Stimmen des gesamten Hauses angenommen.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 28 auf:
- Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen
der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur
Steuerfreistellung von Arbeitnehmertrinkgeldern
- Drucksache 14/9029 ({86})
- Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Ernst Burgbacher, Gerhard Schüßler,
Dr. Hermann Otto Solms, weiteren Abgeordneten
und der Fraktion der FDP eingebrachten Entwurfs
eines Gesetzes zur Änderung des Einkommensteuergesetzes ({87})
- Drucksache 14/9061 ({88})
a) Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses ({89})
- Drucksache 14/9428 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Jörg-Otto Spiller
Heinz Seiffert
Carl-Ludwig Thiele
Dr. Barbara Höll
b) Berichte des Haushaltsausschusses ({90})
gemäß § 96 der Geschäftsordnung
- Drucksachen 14/9444, 14/9443 Berichterstattung:
Abgeordnete Hans Jochen Henke
Hans Georg Wagner
Oswald Metzger
Dr. Günter Rexrodt
Dr. Uwe-Jens Rössel
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Debatte eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich höre keinen
Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Erste Rednerin für die
SPD-Fraktion ist die Kollegin Susanne Kastner.
Frau Präsidentin! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Ich denke, manchmal sollte
man vor Beginn einer Debatte ein paar Sachverhalte klarstellen. Man sollte das, wenn es um die Abschaffung der
Trinkgeldbesteuerung geht, zum einen für diejenigen
tun, die sich nicht jeden Tag mit diesem Thema beschäftigen, und zum anderen für die werten Kolleginnen und Kollegen, die in den letzten Wochen einiges durcheinander gebracht haben. Manche versuchten dabei, die berühmten
Hundehaare zu streuen.
({0})
- Herr Brähmig, um was geht es hier eigentlich? Es geht
um ein Gesetz aus dem Jahre 1920. Es stammt aus einer
Zeit, als das Trinkgeld die eigentliche Entlohnung des
Kellners war. Mittlerweile - da werden Sie mir sicher
Recht geben - sind einige Jahre ins Land gegangen, in denen verschiedene Regierungen in unterschiedlichen Konstellationen Verantwortung getragen haben.
Von 1982 bis 1998 haben die Damen und Herren von
der rechten Seite des Hohen Hauses die Regierungsverantwortung getragen
({1})
- ja, Herr Brähmig, ich betone das deshalb, weil in den
letzten Tagen ein wenig der Eindruck entstanden ist, dass
gerade in der Frage der Trinkgeldbesteuerung während
dieser Zeit ein Vakuum geherrscht habe - und es ist rein
gar nichts in Sachen Abschaffung der Trinkgeldbesteuerung in dieser Zeit von dort gekommen.
Der damalige Finanzminister - ich glaube, wir alle
erinnern uns noch -, Herr Waigel, hat dankend die Hand
aufgehalten und die Steuern aus den Händen der Kellnerinnen und Kellner angenommen. Auf der anderen
Seite haben die Abgeordneten bei den entsprechenden
Zusammenkünften mit Touristikerinnen und Touristikern immer wieder vollmundige Versprechungen abgegeben.
({2})
Auch in den drei Jahren ihrer Oppositionstätigkeit ist
vonseiten der CDU/CSU dabei nur ein halbherziger Versuch herausgekommen.
({3})
- So war es, Herr Repnik, ganz genau so!
Frau Kollegin
Kastner, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen
Hinsken?
Aber klar.
Verehrte Frau Kollegin
Kastner, mich interessiert, warum Sie, Ihre Fraktion und
die Fraktion der Grünen, vor acht Wochen, als der gleiche
Antrag im Deutschen Bundestag zur Abstimmung anstand, gegen die Abschaffung der Trinkgeldbesteuerung
waren. Jetzt sind Sie plötzlich dafür? Worauf ist dieser
Sinneswandel zurückzuführen?
({0})
Herr Eichel ist nach wie vor nicht begeistert, seine
Staatssekretärin hat mir das heute noch einmal bestätigt.
Ich finde die vorgesehene Regelung gut. Lassen Sie doch
denjenigen, die sie so weit gebracht haben, die Freude darüber, dass man so weit gekommen ist.
({1})
- Ich habe gefragt. Ich möchte gerne wissen, woher der
Sinneswandel kommt.
Herr Kollege Hinsken, wir
haben in dieser Frage überhaupt keinen Sinneswandel
durchgemacht.
({0})
Vor acht Wochen haben Sie vonseiten der CDU/CSU eine
Erhöhung des Freibetrags und vonseiten der FDP einen
Vorschlag zur Abschaffung eingebracht. Dieser war aber
so formuliert, dass er vor dem Verfassungsgericht nicht
standgehalten hätte.
({1})
Deshalb haben wir einen eigenen Antrag eingebracht, der
vor dem Verfassungsgericht standhält und mit der Freibetragsregelung überhaupt nichts zu tun hat. So und kein
bisschen anders ist die Wahrheit.
({2})
Ich komme nun auf die FDP zu sprechen. Die FDP war
in dieser Frage ein Stück weit fleißig. Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, ich muss es wiederholen - das tue
ich natürlich auch gern -, man kann es sich wahrscheinlich nur als Spaßpartei erlauben, einen Gesetzentwurf einzubringen, der einer verfassungsmäßigen Überprüfung
nicht standgehalten hätte.
({3})
Einmal mehr stand hier Effekthascherei im Vordergrund,
anstatt wirklich seriöse Politik für die Menschen zu machen.
Vizepräsidentin Petra Bläss
Damit sind wir bei unserer Initiative angekommen,
Herr Kollege Hinsken. Wir haben in unseren tourismuspolitischen Leitlinien - das wissen Sie so gut wie ich bereits im Jahre 1998 festgelegt, die Trinkgeldbesteuerung abzuschaffen. Dieses Vorhaben setzen wir jetzt um.
Verehrte Kolleginnen und Kollegen von der Opposition,
das hat bei uns bereits nach einer Legislaturperiode zum
Erfolg geführt. Wir haben nicht wie Sie vier Legislaturperioden lang heiße Luft produziert.
({4})
Herr Kollege Brähmig, anstatt sich jetzt mit den Beschäftigten des Hotel- und Gaststättengewerbes zu freuen,
verhalten Sie sich nach dem Motto Wilhelm Buschs:
„Kaum hat mal einer ein bissel was, gleich gibt es welche,
die ärgert das.“
({5})
Hätte sich die SPD nicht so intensiv mit der Thematik auseinander gesetzt, um eine einwandfreie gesetzliche Regelung zu finden, und dabei politische Geradlinigkeit und
Konsequenz gezeigt, könnten wir wohl nochmals 82 Jahre
warten, ohne dass etwas geschähe.
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, die bisherige Situation des Servicepersonals gestaltete sich folgendermaßen: Ein Kellner musste beim Finanzamt eine Erklärung über die erhaltenen Trinkgelder abgeben. Lag
diese Summe über dem entsprechenden Freibetrag von
ehemals 2 400 DM, den die Union dankenswerterweise erhöhen wollte, waren neben der üblichen Lohnsteuer auch
Beiträge für die Sozialversicherungen zu zahlen. Als
wäre das Ganze noch nicht kompliziert genug gewesen,
musste der Arbeitgeber anteilig ebenfalls Sozialversicherungsleistungen erbringen. Erschien dem Finanzamt
diese Summe nicht glaubhaft, wurden unangemeldete
Prüfungen in den Betrieben durchgeführt, um die Umsätze zu überprüfen.
Die Gewerkschaft NGG und der Deutsche Hotel- und
Gaststättenverband, DEHOGA, legen Zahlen von lediglich 10 Prozent steuerpflichtigen Arbeitnehmerinnen und
Arbeitnehmern mit einem tatsächlichen Steueraufkommen von 6 Millionen Euro zugrunde. Die Frage, inwieweit sich der zeitliche, personelle, bürokratische und damit auch finanzielle Aufwand lohnt, ist schnell zu
beantworten: Die Trinkgeldsteuer gehört abgeschafft.
({6})
Für diese schlichte Erkenntnis haben die Union und die
Spaßpartei ganze 19 Jahre gebraucht.
({7})
Jetzt ärgern sie sich über die politische Konsequenz der
Regierungsparteien.
({8})
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, wenn ich dann
auch noch etwas von Wahlkampfmanövern höre, kann ich
nur sagen - ({9})
- Damit habe ich keine Probleme. Besonders dem Kandidaten aus Bayern wünsche ich eine gute Reise, wenn er
diese Gesetzesinitiative im Bundesrat blockiert.
({10})
Ich kann nur sagen: Wer jahrzehntelang nichts getan
hat, sollte sich jetzt schön zurückhalten, gute Trinkgelder
geben und sich über unsere Schaffenskraft freuen.
Herzlichen Dank.
({11})
Das Wort hat der Kollege Klaus Brähmig für die Fraktion der CDU/CSU.
Frau Präsidentin!
Meine Damen und Herren! Die heutige zweite und dritte
Lesung des Entwurfs eines Gesetzes zur Steuerfreistellung von Arbeitnehmertrinkgeldern ist angesichts des jahrelangen Kampfes um die Aufwertung und Anerkennung
von Dienstleistungen und Dienstleistungsbereitschaft in
unserem Lande wie ein glücklicher Zieleinlauf beim Marathon. Dies ist auch bitter notwendig. Hierbei geht es
nicht nur um das Berufsbild der Kellner in den Gaststätten und Biergärten, sondern auch um das der Friseure, Taxifahrer, Möbelpacker, Postboten, Pannenhelfer von Automobilvereinen, Verkaufsfahrer, des Pflegepersonals in
Krankenhäusern und Altenheimen und auch unserer Fahrdienstmitarbeiter. Außerdem gehören Leistungen im Rahmen der Nachbarschaftshilfe dazu.
Für unsere Fraktion erkläre ich, dass wir mit dem Ergebnis der Ausschussberatungen in dieser Woche zufrieden sind, da auch die SPD im Ziel angekommen ist.
Änderungen bei der Trinkgeldbesteuerung waren vor
Beginn dieser Legislaturperiode ein Anliegen fast aller
Parteien.
({0})
So heißt es in Punkt 19 der „Tourismuspolitischen Leitlinien“ der Union vom September 1998:
Der Bundesfinanzminister hat bei der Trinkgeldbesteuerung die Freibeträge dankenswerterweise verdoppelt. Wir setzen uns ein für weitere steuerliche
Erleichterungen.
({1})
In den „Tourismuspolitischen Leitlinien der SPD“ vom
Mai 1998 steht auf Seite 44 - Frau Kastner, hören Sie bitte
zu -:
({2})
Eine Form der Anerkennung für Beschäftigte im
Gastgewerbe stellt Trinkgeld dar, mit dem Gäste ihre
Zufriedenheit ausdrücken.
Als Maßnahme wird dort die Abschaffung der Trinkgeldbesteuerung empfohlen.
({3})
- Jawohl, ich lese auch die Leitlinien der SPD.
Ich möchte auch darauf hinweisen, dass ich persönlich
der Erhöhung des Steuerfreibetrages bei Trinkgeldern von
2 400 DM auf 4 200 DM am Anfang der Legislaturperiode höhere Priorität eingeräumt habe, nicht zuletzt deshalb, weil vor allem die SPD-Länderfinanzminister noch
im April 2000 einer Änderung des Einkommensteuergesetzes eine klare Absage erteilt haben.
({4})
Ich möchte hier den niedersächsischen Finanzminister
Heinrich Aller aus einem an mich gerichteten Schreiben
vom 19. April 2000 zitieren:
Ein über die Freibetragsregelung hinausgehender
Verzicht auf die Besteuerung von freiwilligen Trinkgeldern wäre meines Erachtens mit dem Grundsatz
der steuerlichen Gleichbehandlung aller Arbeitnehmer nicht zu vereinbaren.
({5})
Da ich auch davon ausgehe, dass die niedersächsischen Finanzämter das geltende Recht mit Augenmaß anwenden, sehe ich gegenwärtig keinen Handlungsbedarf bei der Besteuerung von Trinkgeldern.
Im Gegensatz zur SPD haben wir im Übrigen nicht gegen
unsere eigenen Wahlkampfversprechen gestimmt.
({6})
Meine Damen und Herren, heute kann unser Kollege
Ernst Burgbacher eine Flasche Sekt öffnen.
({7})
Es ist vollbracht. Seiner unerschütterlichen Beharrlichkeit
ist es zu verdanken, den Stein vor einigen Wochen endgültig ins Rollen gebracht zu haben.
({8})
Das verdient meinen persönlichen Respekt.
({9})
Lieber Ernst, mit Max Weber gesagt: Politik ist das Bohren dicker Bretter.
({10})
Mein Dank gilt auch meinen Kollegen von der Arbeitsgruppe Finanzen der CDU/CSU-Fraktion. Stellvertretend
seien hier Gerda Hasselfeldt, Klaus-Peter Willsch und
Heinz Seiffert genannt, denen es gemeinsam mit den Tourismuspolitikern gelungen ist, das Totschlagargument der
Finanzbürokratie, die Steuersystematik werde geändert,
zu überwinden.
({11})
Ein Wort zur SPD und zu den Grünen: Nachdem Sie
sich in den letzten Jahren immer wieder - zuletzt noch vor
wenigen Wochen - vehement gegen Änderungen bei der
Trinkgeldbesteuerung ausgesprochen haben,
({12})
ist bei Ihnen kurz vor Toresschluss der 14. Legislaturperiode endlich der Groschen gefallen.
({13})
Ich glaube, dies geschah allerdings nicht aus der Erkenntnis, dass die Position der FDP und der Union richtig ist,
sondern weil offensichtlich erstens Panik bei SPD-Genossen in den Wahlkreisen aufgekommen ist
({14})
sowie die vielen fleißigen Mitarbeiter in Gastronomie und
Handwerk eine Macht darstellen und über ein gutes Gespür für soziale Gerechtigkeit verfügen,
({15})
weil man zweitens zu der Erkenntnis gekommen ist, dass
die rot-grüne Wirtschafts- und Steuerpolitik seit Oktober
1998 den Mittelstand in eine Sackgasse geführt hat, und
weil drittens - hören Sie ruhig zu, Frau Kastner! -,
({16})
die Situation unter anderem im Gastgewerbe schwieriger
ist, als es die Genossen in ihren Sonntagsreden den Menschen vorgaukeln.
({17})
An dieser Stelle möchte ich auf die Konsumzurückhaltung der Bürger hinweisen. Im ersten Quartal 2002 lag
der Umsatz im Gastgewerbe 2,1 Prozent unter dem Vorjahreswert; preisbereinigt ergibt sich sogar ein Rückgang
um 5,7 Prozent.
Die Reaktion der Bundesregierung war wieder einmal
typisch für Rot-Grün: Es wurde ein so genannter Teurogipfel einberufen. Die Wahrheit ist aber: Mit der Erhöhung der Versicherungsteuer, der Tabaksteuer und der
Ökosteuer
({18})
sorgt die Bundesregierung selber für Preisauftrieb und
klagt nachher über die Betriebe, die Steuererhöhungen an
die Kundschaft weitergeben.
({19})
Vier Jahre belasten Sie den Mittelstand und dann erfolgt
der Ruf: „Haltet den Dieb!“ Das ist rot-grüne Regierungspolitik.
({20})
Es war und ist die Politik der gebrochenen Versprechen
der SPD sowie eine Politik, die sich gegen den arbeitsplatzintensiven Mittelstand, das Handwerk und die
Dienstleistungsbranche richtet
({21})
und somit auch gegen die 3,46 Millionen Selbstständiger
in der Bundesrepublik Deutschland.
Einige Stichworte dieser mittelstandsfeindlichen Politik und ihrer Folterwerkzeuge, erfunden von Rot-Grün:
Ökosteuer, 630-DM-Gesetz, Betriebsverfassungsgesetz,
Arbeitsmarktstrangulierungen wie das Gesetz zur Verhinderung der Scheinselbstständigkeit und die Rücknahme
der Unionsreformen von 1996.
({22})
Die Folgen einer solchen Politik sieht man am Syndrom
der Schwarzarbeit in unserem Lande.
Zwei Sektoren der Wirtschaft können nach vier Jahren rot-grüner Bundesregierung ein klares Wachstum
verzeichnen: die Arbeitslosigkeit und die Schwarzarbeit.
({23})
Auf dieses Wachstum können Sie aber nicht stolz sein.
({24})
Schwarzarbeit entsteht ja nicht bei Siemens, VW oder
der Deutschen Bank, sondern in der deutschen Tourismus-, Handwerks- und Dienstleistungswirtschaft. Bei einem Volumen von 350 Milliarden Euro Jahresumsatz
wird deutlich, wo ein Teil unserer aktuellen Probleme
liegt.
({25})
Wenn wir dieses Gesamtvolumen ins Verhältnis setzen zu
einem durchschnittlichen Jahreslohn von 40 000 Euro im
Dienstleistungs- und Tourismusbereich, wären bei einer
völligen Reduzierung der Schwarzarbeit und der Schattenwirtschaft in unserer Volkswirtschaft mehrere Millionen
sozialversicherungs- und steuerpflichtige Arbeitsplätze zu
schaffen.
({26})
Ich bin der festen Überzeugung, hier liegt die zentrale
Herausforderung der Politik in der 15. Legislaturperiode.
Packen wir sie an! Die Union wird am 22. September zupacken.
({27})
Mit der heutigen Gesetzesänderung zur Steuerbefreiung
von Trinkgeldern im Handwerk, im Tourismus, bei den
Dienstleistungen und in der Gastronomie werden die vielen Millionen fleißiger Mitbürger belohnt, die arbeiten
wollen und auch gutes Geld für gute und aufmerksame
Dienstleistungen erwarten.
({28})
Auch wird ein tatsächlicher Beitrag zur Entbürokratisierung geleistet und werden Staatsschikanen bei der Eintreibung von so genannten geschätzten Überschüssen zu
den Freibeträgen abgeschafft. Unsere Finanzbehörden haben jetzt wieder mehr Zeit für ihre eigentlichen Aufgaben.
Die Union wird heute im Bundestag der Beschlussvorlage und dem Bericht des Finanzausschusses zustimmen,
({29})
obwohl wir uns schon eine interfraktionelle Initiative gewünscht hätten. Dies wurde leider von den Genossen abgelehnt. Man schmückt sich eben gern mit fremden Federn,
({30})
vor allem mit der Initiative von Herrn Burgbacher und der
FDP, aber auch von der Union.
Die Bundesregierung bleibt nach wie vor die Nennung
der Quellen der angeblich durch die heutige gesetzliche
Abschaffung der Trinkgeldbesteuerung in Deutschland
plötzlich entstehenden 6 Millionen Euro Steuermindereinnahmen schuldig. Ich bin gespannt, wo das Kaninchen
aus dem Hut gezaubert wird, liebe Frau Kastner.
({31})
Ich habe auf alle Fälle darum gebeten, diese Fragen noch
im Ausschuss schriftlich beantwortet zu bekommen.
Meine Damen und Herren, mein Wunsch und meine
Bitte an den Bundesrat lauten nun, sich der heutigen Entscheidung des Deutschen Bundestages zur Stärkung des
Tourismus- und Dienstleistungsstandorts Deutschland anzuschließen.
({32})
Nächste Rednerin ist
die Kollegin Voß für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Herr Brähmig, Sie haben es immer mit dem Zaubern. Das
war im Ausschuss auch schon so. Ich sage Ihnen: Wir können es wenigstens und wir zaubern den schwarzen Hasen
lieber in den Hut, als dass wir ein weißes Häschen herausholen.
({0})
Zur Besteuerung des Trinkgelds: Es gibt eine schöne
Schweizer Werbung, in der es heißt: „Wer hat’s erfunden?“ Wer hat es denn überhaupt erfunden, das Trinkgeld
und die Trinkgeldbesteuerung? Ich freue mich, dass die
Abschaffung der Trinkgeldsteuer heute beschlossene Sache ist. Es ist wirklich ein schöner Tag für alle diejenigen,
die uns in Pensionen, Hotels, Restaurants, Biergärten oder
anderen Bereichen verwöhnen und denen wir unseren
persönlichen Dank dadurch sagen, dass wir ihnen ein so
genanntes Trinkgeld überlassen, das selbstverständlich
nicht vertrunken werden muss.
Dass sich die Opposition auf der rechten Seite des Hauses diesen rot-grünen Erfolg gern selbst auf die Fahnen
schreiben möchte, kann man menschlich nachvollziehen.
Aber man kann es auch politisch nachvollziehen, wenn
man sich die wirklich dürre tourismuspolitische Bilanz
von CDU/CSU und FDP in dieser Legislaturperiode ansieht. Fakt ist nämlich, dass gerade diese beiden Fraktionen in ihrer Regierungszeit nie den Mut gefunden haben,
irgendetwas zu korrigieren und die Trinkgeldsteuer zurückzunehmen.
({1})
Nur weil Sie diesen Mut nicht gefunden haben, konnten
Sie jetzt in der Opposition so furchtlos dafür streiten.
({2})
So möchte ich in Richtung dieser beiden Fraktionen mit
dem Korintherbrief antworten: „Aber nicht darum ist einer
tüchtig, dass er sich selbst lobt.“ Tüchtig, Herr Brähmig
und Herr Burgbacher, ist einer, der Dinge tatsächlich zum
Besseren wendet. Das hat Rot-Grün getan.
({3})
Gerhard Schröder und Joschka Fischer haben im Wahlkampf 1998 die Abschaffung der Trinkgeldsteuer in Aussicht gestellt.
({4})
Heute setzen wir das nach gründlicher Prüfung und langer
Diskussion um. Wollen Sie das etwa bestreiten?
({5})
Dass Ihnen das nicht schmeckt, merkte man daran, dass
Sie nach dieser Entscheidung in den Sitzungen der Ausschüsse ziemlich beleidigt herumgenörgelt haben.
({6})
- Das haben Sie heute nach dem Motto „Wieso haben Sie
sich denn so plötzlich entschieden?“ wieder getan. Ihnen war doch genau bekannt, dass wir an der Lösung
dieses Problems ganz grundlegend gearbeitet haben.
Natürlich haben - das muss man auch zugeben - einige
Finanzexperten insofern Recht, als sie anmerken, dass
Trinkgelder steuersystematisch Bestandteil des Einkommens sind und somit der Besteuerung unterliegen müssten. Natürlich sollten hierzu auch alle Einkommen erfasst
werden. An diesem Punkt muss ich aber fragen, ob eine
solche Steuersystematik nicht obsolet ist; denn die Umsetzung dieses Rechts ist tatsächlich problematisch.
({7})
- Das habt ihr erfunden. - Es gibt keine Aufzeichnungspflicht und es kann sie auch nicht geben. Denn wie sollte
man sie kontrollieren?
Das Finanzamt ist auf die Aussage des Steuerpflichtigen angewiesen. Macht der Steuerpflichtige keine Aussage, muss das Finanzamt prüfen. Macht er eine Aussage,
muss das Finanzamt ebenfalls prüfen. Frau Kastner hat
eben bereits sehr lebendig geschildert, wie diese Prüfung
aussieht: Es ist einfach eine Schätzung. Die Faktoren, die
bei einer solchen Schätzung berücksichtigt werden müssen, sind schlicht und einfach nicht objektivierbar. Es
kommt auf die spezielle Lage des Betriebes, die finanzielle Situation der Kunden und deren typische Eigenheiten
an.
Zu Letzterem zählt auch, dass es in Deutschland im
Gegensatz zu vielen anderen Ländern keinen relativ
festen Prozentsatz für das Trinkgeld gibt, an dem man sich
mehr oder weniger verbindlich orientiert. Die notwendigen Daten für eine seriöse und gerechte Schätzung kann
kein Finanzamt verlässlich erheben und bewerten. Deswegen haben die Finanz- und Tourismuspolitiker der Koalition diese Sachverhalte so lange genauestens geprüft,
bevor diese Entscheidung fiel.
Schließlich haben der erhebliche Verwaltungsaufwand,
fehlende steuerstatistische Unterlagen über die genaue
Höhe des Steueraufkommens und die eben genannten
nicht objektivierbaren Erhebungsmaßstäbe zur Entscheidung für den vorliegenden Gesetzentwurf geführt. Die
Trinkgelder werden rückwirkend zum Januar dieses Jahres
in voller Höhe beim Trinkgeldempfänger verbleiben.
({8})
Ich möchte mich noch einmal ganz ausdrücklich und
herzlich bei den Finanzpolitikern der Koalition dafür bedanken, dass sie hier über ihren steuersystematischen
Schatten gesprungen sind.
({9})
Das Gerechtigkeitsgefühl, das durch die Praxis der Erhebung der Trinkgeldsteuer verletzt wurde, ist jetzt wieder
hergestellt. Es wurde dadurch verletzt, dass die Finanzämter, wie gesagt, regelmäßig davon ausgingen, dass
Kellnerinnen und Kellner den bislang geltenden Freibetrag überschritten haben und dass das bei anderen Berufsgruppen eben nicht der Fall war.
Unsere wohl überlegte Entscheidung - für mich als tourismuspolitische Sprecherin war das maßgeblich - wird
schließlich auch dazu beitragen, dass der arbeitsintensive
und anstrengende Beruf des Kellners und der Kellnerin
wieder an Attraktivität gewinnen wird. Es weiß jetzt nämlich wirklich jeder, dass sich Freundlichkeit für ihn persönlich auch lohnt.
({10})
„Ein jeder gebe, wie er es sich im Herzen vorgenommen hat ... denn einen fröhlichen Geber hat Gott lieb.“ Ich
füge hinzu: den Kellner und die Kellnerin auch. Die Entscheidung wurde also im Sinne aller Beteiligten - auch im
Sinne der Opposition - getroffen. Deshalb möchte ich
jetzt schließen, um den Dankesreden der Opposition an
Rot-Grün zu lauschen.
({11})
Jetzt hat der Kollege
Ernst Burgbacher für die FDP-Fraktion das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Meine
sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Frau Kastner,
ich muss Ihnen sagen, es macht Spaß, hier zu stehen und
festzustellen, dass es uns als Opposition gelungen ist, das
durchzusetzen, was heute mit großer Mehrheit beschlossen werden wird.
({0})
Ich erinnere daran, dass wir am 6. Oktober 1999 den
ersten Gesetzentwurf eingebracht haben; ein zweiter
folgte.
({1})
Rot-Grün hat beide Gesetzentwürfe in allen Ausschüssen
und im Plenum abgelehnt; den letzten vor ein paar Wochen.
({2})
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Union, ich
muss allerdings auch sagen, dass es unredlich ist, dass
Herr Ramsauer über die Koalition sagt - das habe ich in
einer Tickermeldung gelesen -, dass sie die Abstrafung
durch den Wähler fürchtet und nun endlich den Vorschlag
der Union, die Trinkgelder von der Steuer zu befreien,
übernimmt.
({3})
Die Union hat den ersten Gesetzentwurf in allen Ausschüssen abgelehnt. Sie hat sich dann im Plenum enthalten. Bei der Abstimmung über den zweiten Gesetzentwurf, liebe Kollegen Hinsken und Brähmig, gab es ein
paar Jastimmen. Aber jetzt davon zu reden, - wie es am
Schluss gesagt wurde -, die Union habe sich durchgesetzt,
ist wahrlich vermessen.
({4})
Tatsächlich ist es ganz anders gelaufen. Die Union hat
sich bisher mehrheitlich dagegen gesperrt; das muss man
dazusagen.
({5})
Liebe Frau Kastner, wir wollten über diese Regelung
hinausgehen; das ist richtig. Wir wollten, dass freiwillig
gezahlte Trinkgelder nicht zu den Einkünften aus unselbstständiger Arbeit gehören. Das wäre klarer als das gewesen, was Sie machen. Frau Kastner, Sie haben gesagt,
unsere Forderung sei verfassungswidrig. Es gibt keinerlei
Hinweise für Ihre Behauptung. Würden Sie unserem Gesetzentwurf zustimmen, würde die Lage für die Betroffenen viel klarer, als das bei Ihrem Entwurf der Fall ist.
({6})
Wir haben mit Ihnen im Ausschuss gerungen. Wir hatten eine gemeinsame Arbeitsgruppe gebildet und ein gemeinsames Ergebnis erarbeitet. Darüber, dass Sie das als
Ihren Entwurf einbringen, sollte sich jeder sein eigenes
Urteil bilden.
({7})
Wir halten unseren Entwurf in der Systematik für besser. Aber da wir die Abschaffung der Trinkgeldbesteuerung durchsetzen wollen, werden wir um der Sache willen zustimmen. Uns geht es um den Erfolg in der Sache
und nicht um Rechthaberei an irgendeiner Stelle.
({8})
Wir werden mit dem heutigen Beschluss bei uns einiges
wirklich verändern. Der Tourismusstandort Deutschland wird mit anderen Orten nie über den Preis konkurrieren können. Wir müssen das bei uns über die Qualität erreichen. Hierzu gehören zuallererst guter Service und
Dienstleistungsbereitschaft. Der heutige Beschluss, die
Trinkgeldbesteuerung abzuschaffen, wird ein ganz wesentlicher Schritt dazu sein, die Servicebereitschaft zu erSylvia Voß
höhen und besseren Service in Deutschland zu garantieren. Deshalb ist dieser Schritt für den Tourismusstandort
Deutschland ganz wichtig.
({9})
Frau Kollegin Kastner, Sie haben vorher die CDU/
CSU mit Blick auf den Bundesrat angesprochen. Ich lese
Ihnen eine Meldung aus der „Berliner Zeitung“ vom gestrigen Donnerstag vor:
Der nordrhein-westfälische Finanzminister Peer
Steinbrück ({10}) kündigte an, sein Land werde die
Steuerbefreiung im Bundesrat ablehnen.
({11})
Meine Damen und Herren von der Regierung, falls Sie
hier ein doppeltes Spiel vorhaben, diesen Beschluss im
Parlament durchzusetzen und ihn im Bundesrat zu boykottieren -, dann prophezeie ich Ihnen: Damit werden Sie
nicht froh werden. Es kann nicht sein, dass Sie diese
Regelung durch die Hintertür Bundesrat blockieren.
({12})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, es sei uns vergönnt,
stolz darauf zu sein, dass es uns aus der Opposition heraus
gelungen ist, zu diesem Ergebnis zu kommen. Ich behaupte: Ohne die Gesetzentwürfe der FDP, ohne das ständige Drängeln und ohne die ständigen Initiativen der FDP
wären wir heute nicht so weit gekommen.
({13})
Wir freuen uns, dass wir diesen Gesetzentwurf mit
großer Mehrheit beschließen werden. Das ist für unseren
Standort ein gutes Zeichen. Übrigens unterstreicht es die
Politik der FDP: weg mit unsinnigen Regelungen, die sowieso nicht durchsetzbar sind, runter mit den Steuern. Das
muss das Signal sein. In dieser Richtung werden wir weitermachen.
Herzlichen Dank.
({14})
Da die Kollegin
Dr. Barbara Höll ihre Rede zu Protokoll gegeben hat, ist
jetzt schon die letzte Rednerin in dieser Debatte an der
Reihe, die Kollegin Brunhilde Irber.1)
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Letzten Freitag habe ich an
diesem Rednerpult vor Freude gesungen.
({0})
Dabei ging es um den wunderbaren Beschluss für die
Donau. Heute singe ich nicht. Das erspare ich Ihnen. Aber
ich könnte es wieder tun;
({1})
denn heute ist ein Freudentag für alle Kellnerinnen und
Kellner, Bedienungen und Servicekräfte, die nicht nur,
aber hauptsächlich in der Gastronomie tätig sind. Wir
schaffen heute die ungerechte Trinkgeldbesteuerung ab.
Wenn man in einer Gaststätte Trinkgeld gibt, dann ist
dies ein Zeichen, dass man mit dem Essen und dem Service zufrieden war. Bisher hat der Fiskus als stiller Zecher
immer mit kassiert. Natürlich hat der Staat das Recht, alle
Einkommen seiner Bürger einer Besteuerung zu unterwerfen. Aber muss ein moderner Staat denn wirklich in
das individuelle Verhältnis zwischen dem Dienstleister
und dem Gast eingreifen und hier das Netz seiner Steuerinteressen auswerfen?
Unserem Verständnis eines gerechten, aber nicht raffgierigen Staates steht die bisherige Besteuerung von
Trinkgeldern entgegen. Deshalb setzen wir heute auch ein
Stück mehr Gerechtigkeit für diejenigen Arbeitnehmer
und Arbeitnehmerinnen durch, deren Trinkgelder bisher
per Schätzung durch das Finanzamt besteuert wurden.
Wenn man Gerichtsurteile über streitige Steuerfälle auswertet, dann erschrickt man über den Dschungel der
Bürokratie. Die Abschaffung der Trinkgeldbesteuerung
ist ein Beitrag zum Abbau von Bürokratie.
({2})
Lieber Kollege Burgbacher, wir reden nicht nur darüber, sondern tun es auch. Die Abschaffung der Trinkgeldbesteuerung ist auch ein Beitrag zur Stärkung des Dienstleistungs- und des Tourismusstandortes Deutschland
sowie ein Zeichen für einen modernen Staat.
({3})
Wir haben lange auf den heutigen Tag hingearbeitet.
Bereits 1995 haben wir in unserem Antrag „Die Arbeitsplatz- und Ausbildungssituation in der Fremdenverkehrswirtschaft“ die Abschaffung der Trinkgeldbesteuerung
gefordert. Die damalige Regierung aus CDU/CSU und
FDP
({4})
hat dieses Begehren glattweg abgeschmettert. Zwar ist
uns in Erinnerung geblieben, dass der Vertreter der FDP
bei der Abstimmung im Ausschuss immer gerade dann
den Saal verließ, wenn dieser Punkt auf der Tagesordnung
stand. Aber im Plenum hat die FDP tapfer zur Steuerfront
von Waigel gehalten. Ein entsprechender Beschluss zur
damaligen Zeit hätte den heutigen Tag bereits vor sieben
Jahren wahr werden lassen können und hätte vielen die Be-
steuerung ihrer Trinkgelder erspart. Deshalb, lieber Kol-
lege Ernst Burgbacher, ist es unredlich, wenn die FDP jetzt
behauptet, die Abschaffung der Trinkgeldbesteuerung sei
1) Anlage 5
einzig und allein ihren Aktivitäten zuzuschreiben. Das ist
unredlich.
({5})
Ich bin enttäuscht, dass heute nur in wenigen Punkten
Konsens herrscht.
({6})
- Das gilt vor allem für die CDU/CSU. Die hat doch überhaupt nichts zustande gebracht. Ihr habt nicht einen einzigen Antrag zu diesem Thema gestellt.
({7})
In der letzten Woche habt ihr das noch torpediert und ein
Störmanöver durchgeführt. So schaut es aus.
({8})
Der Durchbruch in dieser Steuersache ist uns nur dadurch gelungen - das muss man nicht beweisen, wenn
man in der Opposition ist; deshalb haben Sie es so leicht -,
dass unzweifelhaft nachgewiesen werden konnte, dass der
Vollzug - ich will besser sagen: das Eintreiben - der
Steuer den Staat mehr Geld kostet, als die Besteuerung
einbringt.
({9})
Da der öffentlichen Hand somit unter dem Strich keine
Einnahmen aus der Trinkgeldbesteuerung verbleiben,
darf diese Steuer nach einem Steuergrundsatz auch nicht
erhoben werden.
({10})
Genau dies stellen Sie in Ihrem Antrag anders dar.
Sie sehen nämlich Trinkgelder als Geschenk und nicht
als einen Teil des Arbeitslohnes an. Sie haben es versäumt, die in Ihrem Antrag erhobenen Forderungen auf
Verfassungsmäßigkeit hin zu prüfen.
({11})
Das haben wir herausgearbeitet. Dafür haben wir natürlich
ein bisschen Zeit benötigt. Leider haben Sie sich mit unseren Argumenten nicht auseinander gesetzt. Kein verantwortungsvoller Minister hätte während Ihrer Regierungszeit die
beiden Gesetzentwürfe der FDP unterzeichnet.
({12})
Ich verweise nochmals auf den von uns bereits 1995
gestellten Antrag, der den Prüfauftrag enthielt, die Höhe
der vereinnahmten Steuern zu beziffern. Nicht einmal
dazu waren Sie bereit. Ich bitte Sie deshalb: Seien Sie ehrlich und erkennen Sie an, dass die Tourismuspolitik der
Regierungskoalition einen bahnbrechenden Erfolg gegen
die angestammte Steuersystematik durchsetzen konnte.
({13})
Erkennen Sie auch an, dass die Regierung und die sie
tragenden Koalitionsfraktionen das Wahlversprechen, das
sie vor der letzten Bundestagswahl gegeben haben, in der
ersten Legislaturperiode ihrer Amtszeit eingehalten haben.
({14})
Hören Sie auf, sich nach draußen selbst zum Autor dieser
Abschaffung zu erklären! Das wird vom Kollegen
Ramsauer von der CSU sogar in Pressemitteilungen verbreitet. Das ist das Dreisteste, was ich mir vorstellen kann.
Er macht sich jetzt zum Vater der Abschaffung der Trinkgeldbesteuerung.
({15})
- Herr Ramsauer hat nie was gefordert. Hören Sie also auf,
sich zum Autor dieser Abschaffung zu erklären! Erzählen
Sie so etwas auch nicht auf Ihren Wahlveranstaltungen;
denn sonst sehe ich mich genötigt, dem Herrn Kollegen
Brähmig mal eins zwischen die Hörner zu geben.
({16})
Zum Abschluss möchte ich denen danken, die diesen
Durchbruch möglich gemacht haben. Mein Dank geht an
die Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten; denn sie
hat belastbare Berechnungsgrundlagen geliefert, die eine
Entscheidung ermöglicht haben. Mein Dank geht auch an
den Deutschen Hotel- und Gaststättenverband, vor allem
aber an Peter Struck und Susanne Kastner sowie die Finanzpolitiker unserer Fraktion, die sich überzeugen ließen.
({17})
Heute ist ein guter Tag für die Arbeitnehmerinnen und
Arbeitnehmer im Dienstleistungsgewerbe,
({18})
aber auch ein guter Tag für den Tourismusstandort
Deutschland. Meine sehr verehrten Damen und Herren,
geben Sie reichlich Trinkgeld! Die Kellnerinnen und
Kellner werden sich freuen, weil sie es jetzt ganz behalten dürfen.
Herzlichen Dank.
({19})
Ich schließe die Aussprache.
Wir packen hier nicht irgendwelche Kollegen, sondern
den Stier bei den Hörnern und kommen zur Abstimmung
über den von den Fraktionen der SPD und des BündnisBrunhilde Irber
ses 90/Die Grünen eingebrachten Gesetzentwurf zur Steuerfreistellung von Arbeitnehmertrinkgeldern, auf Drucksache 14/9029. Der Finanzausschuss empfiehlt unter
Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache
14/9428, den Gesetzentwurf in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf
zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Gegenprobe! Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter
Beratung einstimmig angenommen.
Wir kommen zur
dritten Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit mit
den Stimmen des gesamten Hauses angenommen.
Wir kommen zur Abstimmung über den von der Fraktion der FDP eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung
des Einkommensteuergesetzes ({0}), Drucksache 14/9061. Unter Buchstabe b
seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 14/9428
empfiehlt der Finanzausschuss, den Gesetzentwurf abzu-
lehnen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zu-
stimmen wollen, um das Handzeichen. - Gegenprobe! -
Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter
Beratung gegen die Stimmen der FDP-, CDU/CSU- und
PDS-Fraktion abgelehnt. Damit entfällt nach unserer Ge-
schäftsordnung die weitere Beratung.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 29 a und 29 b auf:
a) Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten Dr.
Irmgard Schwaetzer, Dirk Niebel, Dr. Heinrich L.
Kolb, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der
FDP
Entwicklung und Stand der Arbeitszeitflexibili-
sierung in Deutschland
- Drucksachen 14/7870, 14/9177 -
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts
des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung ({1}) zu dem Antrag der Abgeordneten Dr.
Maria Böhmer, Horst Seehofer, Peter Rauen, weite-
rer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU
Teilzeitbeschäftigung wirtschaftsverträglich und
familiengerecht fördern
- Drucksachen 14/4526, 14/9414 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Renate Rennebach
Die Kolleginnen und Kollegen Klaus Brandner,
Walter Hoffmann, Brigitte Baumeister, Dr. Thea Dückert,
Dr. Heinrich L. Kolb und Dr. Klaus Grehn haben ihre Re-
den zu Protokoll gegeben1) - Ich höre keinen Wider-
spruch dagegen, dass das so geschehen ist.
Dann kommen wir zur Abstimmung über die Be-
schlussempfehlung des Ausschusses für Arbeit- und So-
zialordnung auf Drucksache 14/9414 zu dem Antrag der
Fraktion der CDU/CSU mit dem Titel „Teilzeitbeschäfti-
gung wirtschaftsverträglich und familiengerecht fördern“.
Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf Drucksache
14/4526 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussemp-
fehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Be-
schlussempfehlung ist gegen die Stimmen der CDU/CSU-
Fraktion angenommen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 32 a bis 32 c auf:
a) - Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen
der SPD und des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Jugendschutzgesetzes ({2})
- Drucksache 14/9013 ({3})
- Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Uta Titze-Stecher, Werner Lensing, Sylvia
Voß, Hildebrecht Braun ({4}) und weiteren
Abgeordneten eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zum Schutze der Jugend in der Öffentlichkeit ({5})
- Drucksache 14/8956 ({6})
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
({7})
- Drucksache 14/9410 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Kerstin Griese
Thomas Dörflinger
Christian Simmert
Klaus Haupt
Monika Balt
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Familie, Senioren,
Frauen und Jugend ({8}) zu dem Antrag
der Abgeordneten Dr. Maria Böhmer, Maria
Eichhorn, Ilse Aigner, weiterer Abgeordneter und
der Fraktion der CDU/CSU
Jugendschutz stärken
- Drucksachen 14/9027, 14/9410 -
Berichterstattung:
Kerstin Griese
Thomas Dörflinger
Christian Simmert
Klaus Haupt
Monika Balt
c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Familie, Senioren,
Frauen und Jugend ({9})
- zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Bericht der Bundesregierung über die Auswirkungen der jetzigen Fassung des § 3 des Gesetzes über die Verbreitung jugendgefährdender
Schriften und Medieninhalte ({10})
Vizepräsidentin Petra Bläss
1) Anlage 6
- zu dem Dritten Zwischenbericht der EnqueteKommission „Zukunft der Medien in Wirtschaft
und Gesellschaft - Deutschlands Weg in die Informationsgesellschaft“
zum Thema
Kinder- und Jugendschutz im Multimediazeitalter
- Drucksachen 14/1105, 14/1187 Nr. 1.4, 13/11001,
14/6675 Berichterstattung:
Abgeordnete Kerstin Griese
Maria Eichhorn
Klaus Haupt
Christian Simmert
Christina Schenk
Es liegt je ein Entschließungsantrag der Fraktionen der
SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen sowie der Fraktion der FDP zum Entwurf eines Jugendschutzgesetzes
vor.
Die Kolleginnen und Kollegen Kerstin Griese, Thomas
Dörflinger, Christian Simmert, Klaus Haupt, Angela
Marquardt, Dr. Christine Bergmann und Ingrid Fischbach
haben ihre Reden zu Protokoll gegeben.1 Das wird ohne
Widerspruch zur Kenntnis genommen.
Wir kommen zur Abstimmung über den von den Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen eingebrachten Entwurf eines Jugendschutzgesetzes auf
Drucksache 14/9013. Unter Nr. 1 seiner Beschlussempfehlung empfiehlt der Ausschuss für Familie, Senioren,
Frauen und Jugend auf Drucksache 14/9410, den Gesetzentwurf in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte
diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen,
um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung gegen die Stimmen der PDS-Fraktion bei Enthaltung
der CDU/CSU- und der FDP-Fraktion angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Wer
stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf
ist damit mit denselben Mehrheitsverhältnissen angenommen.
Wir kommen nun zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen auf Drucksache 14/9458. Wer
stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Gegenprobe! Enthaltungen? - Der Entschließungsantrag ist gegen die
Stimmen der Fraktionen der CDU/CSU und der PDS angenommen.
Wir kommen zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion der FDP auf Drucksache
14/9395. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Entschließungsantrag ist gegen die Stimmen der FDP-Fraktion bei Enthaltung der Fraktionen der CDU/CSU und der PDS abgelehnt.
Wir kommen zur Abstimmung über den von den Abgeordneten Uta Titze-Stecher, Werner Lensing, Sylvia
Voß, Hildebrecht Braun und weiteren Abgeordneten eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung des Gesetzes
zum Schutze der Jugend in der Öffentlichkeit, Drucksache 14/8956. Der Ausschuss für Familie, Senioren,
Frauen und Jugend empfiehlt unter Nr. 2 seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 14/9410, den Gesetzentwurf abzulehnen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung gegen die Stimmen der PDSFraktion abgelehnt. Damit entfällt nach unserer Geschäftsordnung die weitere Beratung.
Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen
und Jugend auf 14/9410 zu dem Antrag der Fraktion der
CDU/CSU mit dem Titel „Jugendschutz stärken“. Der
Ausschuss empfiehlt unter Nr. 3 seiner Beschlussempfehlung, den Antrag auf Drucksache 14/9027 abzulehnen.
Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist
gegen die Stimmen der Fraktionen der CDU/CSU und der
FDP angenommen.
Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend auf Drucksache 14/6675. Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe a
seiner Beschlussempfehlung, den Bericht der Bundesregierung über die Auswirkungen der jetzigen Fassung
des § 3 des Gesetzes über die Verbreitung jugendgefährdender Schriften und Medieninhalte auf Drucksache
14/1105 zur Kenntnis zu nehmen. Wer stimmt für diese
Beschlussempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? Die Beschlussempfehlung ist bei Enthaltung der FDPFraktion angenommen.
Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe b seiner
Beschlussempfehlung die Kenntnisnahme des Dritten
Zwischenberichts der Enquete-Kommission auf Drucksache 13/11001 zum Thema Kinder- und Jugendschutz im
Multimediazeitalter. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist einstimmig angenommen.
Der Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
empfiehlt unter Buchstabe c seiner Beschlussempfehlung
auf Drucksache 14/6675, einen Entschließungsantrag anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Die
Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung
ist gegen die Stimmen von CDU/CSU bei Enthaltung von
FDP und PDS angenommen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 34 auf:
- Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Regelung der Preisbindung bei Verlagserzeugnissen
- Drucksache 6, 14/9239 ({11})
Vizepräsidentin Petra Bläss
1) Anlage 7
- Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Monika Griefahn, Hermann Bachmaier,
Eckhardt Barthel ({12}), weiteren Abgeordneten
und der Fraktion der SPD sowie den Abgeordneten
Dr. Antje Vollmer, Kerstin Müller ({13}), Rezzo
Schlauch und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs
eines Gesetzes zur Regelung der Preisbindung
bei Verlagserzeugnissen
- Drucksache 14/8854 ({14})
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Kultur und Medien ({15})
- Drucksache 14/9422 Berichterstattung:
Abgeordnete Monika Griefahn
Anton Pfeifer
Hans-Joachim Otto ({16})
Auch zu diesem Tagesordnungspunkt haben alle Kol-
leginnen und Kollegen ihre Reden zu Protokoll gegeben.1)
Wir kommen deshalb zur Abstimmung über den von
der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf. Der
Ausschuss für Kultur und Medien empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache
14/9422, den Gesetzentwurf in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in
der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der
Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung einstimmig
angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist mit
den Stimmen des gesamten Hauses angenommen.
Wir kommen zur Abstimmung über den von den Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen eingebrachten Gesetzentwurf zur Regelung der Preisbindung bei
Verlagserzeugnissen, Drucksache 14/8854. Der Ausschuss
für Kultur und Medien empfiehlt unter Buchstabe b seiner
Beschlussempfehlung auf Drucksache 14/9422, den Gesetzentwurf für erledigt zu erklären. Wer stimmt für diese
Beschlussempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? Die Beschlussempfehlung ist einstimmig angenommen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 35 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verbraucherschutz,
Ernährung und Landwirtschaft ({17})
- zu dem Bericht des Ausschusses für Bildung,
Forschung und Technikfolgenabschätzung
({18}) gemäß § 56 a der Geschäftsordnung
Technikfolgenabschätzung
hier: Monitoring „Risikoabschätzung und
Nachzulassungs-Monitoring transgener Pflanzen“
- zu dem Antrag der Abgeordneten Helmut
Heiderich, Dr. Maria Böhmer, Peter Bleser, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/
CSU
Zukunft für die „grüne“ Gentechnik
- Drucksachen 14/5492, 14/6616, 14/8091 Berichterstattung:
Abgeordnete Helmut Heiderich
Heino Wiese ({19})
Auch hier haben alle Kolleginnen und Kollegen ihre
Reden zu Protokoll gegeben.2) - Ich sehe Freude darüber
im gesamten Haus.
Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlussemp-
fehlung des Ausschusses für Verbraucherschutz, Ernäh-
rung und Landwirtschaft auf Drucksache 14/8091 zu dem
Bericht gemäß § 56 a der Geschäftsordnung zu dem
Thema „Risikoabschätzung und Nachzulassungs-Moni-
toring transgener Pflanzen“.
Der Ausschuss empfiehlt unter Nr. 1seiner Beschluss-
empfehlung, den Bericht gemäß § 56 a der Geschäftsord-
nung auf Drucksache 14/5492 zur Kenntnis zu nehmen.
Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegen-
probe! - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist
einstimmig angenommen.
Unter Nr. 2 seiner Beschlussempfehlung empfiehlt der
Ausschuss die Annahme einer Entschließung. Wer stimmt
für diese Beschlussempfehlung? - Gegenprobe! - Enthal-
tungen? - Die Beschlussempfehlung ist gegen die Stim-
men von CDU/CSU und FDP bei Enthaltung der PDS-
Fraktion angenommen.
Unter Nr. 3 seiner Beschlussempfehlung auf Drucksa-
che 14/8091 empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des
Antrags der Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache
14/6616 zur Zukunft für die „grüne“ Gentechnik. Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenprobe! -
Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist gegen die
Stimmen der Fraktionen von CDU/CSU und FDP ange-
nommen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 36 a und 36 b auf:
a) - Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE
GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über eine finanzielle Hilfe für Dopingopfer
der DDR ({20})
- Drucksache 14/9028 ({21})
- Zweite und dritte Beratung des von den Abge-
ordneten Klaus Riegert, Friedrich Bohl, Peter
Vizepräsidentin Petra Bläss
1) Anlage 8 2) Anlage 9
Letzgus, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der CDU/CSU sowie dem Abgeordneten
Dr. Klaus Kinkel und der Fraktion der FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über eine
finanzielle Hilfe für Dopingopfer der DDR
({22})
- Drucksache 14/9022 ({23})
Beschlussempfehlung und Bericht des Sportausschusses ({24})
- Drucksache 14/9440 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Dagmar Freitag
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Sportausschusses ({25}) zu dem
Antrag der Abgeordneten Klaus Riegert, Norbert
Barthle, Friedrich Bohl, weiterer Abgeordneter
und der Fraktion der CDU/CSU
Errichtung eines Fonds zur Unterstützung der
Doping-Opfer der DDR
- Drucksachen 14/5674, 14/9440 Berichterstattung:
Abgeordnete Dagmar Freitag
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Erster Redner für die SPDFraktion ist der Kollege Friedhelm Julius Beucher.
Frau Präsidentin!
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir verabschieden heute das Dopingopfer-Hilfegesetz. Nach diesem Gesetz werden wir den Opfern des staatlich verordneten Dopings in der ehemaligen DDR finanzielle Hilfen gewähren.
Voraussetzung hierfür ist, dass ihnen ohne ihr Wissen oder
gegen ihren Willen Dopingsubstanzen verabreicht wurden
und es wahrscheinlich ist, dass sie deshalb erhebliche Gesundheitsschäden erlitten haben. Wir kommen mit der
Verabschiedung dieses Gesetzes zum vorläufigen Ende
eines Prozesses, der die Sportpolitik und die Öffentlichkeit insbesondere seit drei Jahren beschäftigt.
({0})
Zuvor hatte ich bereits als Mitglied des Untersuchungsausschusses „Kommerzielle Koordinierung“ - SchalckGolodkowski - anhand entsprechender Gutachten und Papiere Anfang der 90er-Jahre erfahren können, dass vor
1990 die ehemalige DDR offensichtlich versucht hatte,
wirkungsvolle, aber in der DDR nicht erhältliche Dopingsubstanzen im Westen zu kaufen. Herr Schalck-Golodkowski sollte seinerzeit dabei behilflich sein. Das ist
ein Indiz für uns, dass es ein staatliches Interesse daran
gab, flächendeckend zu dopen. Es gab aber, wie Sporthistoriker bewiesen haben, nicht nur ein staatliches Interesse,
sondern auch ein staatlich organisiertes Doping mit dem
Ziel, in der Systemkonkurrenz zwischen Ost und West zu
gewinnen.
Natürlich ist auch in der alten Bundesrepublik gedopt
worden. Der Tod von Birgit Dressel sei hier als sicherlich
traurigstes Beispiel genannt. Das Doping war aber nicht
staatlich verordnet, es war Ergebnis der Gewissenlosigkeit von Managern, Trainern und oft auch der Blauäugigkeit der Sportler selbst. Die Schadenersatzansprüche
konnten hier - im Gegensatz zur ehemaligen DDR - auf
zivilrechtlichem Wege geltend gemacht werden. Nach der
Wiedervereinigung wurde in einer Reihe von Prozessen,
vor allem in dem des Gewichthebers Roland Schmidt,
deutlich, dass eine große Anzahl ehemaliger Sportlerinnen und Sportler der DDR teilweise sogar gravierende gesundheitliche Schäden durch die Einnahme von Dopingmitteln erlitten haben. Diese Prozesse haben jedoch auch
zu dem für die Dopingopfer beklagenswertem Ergebnis
geführt, dass Ansprüche gegen die Bundesrepublik
Deutschland wegen der nicht gegebenen Rechtsnachfolgerschaft nicht bestehen. Insofern war es nach 1998 geboten, zu überlegen, ob den Dopingopfern auf andere
Weise geholfen werden kann.
1999 wurde der Doping-Opfer-Hilfe-Verein in Weinheim gegründet. Leider war und ist die finanzielle Situation dieses Vereins alles andere als rosig. Deshalb hat der
Sportausschuss den Vorsitzenden dieses Vereins, Herrn
Dr. Zöllig, zu einer Ausschusssitzung im Oktober 2000
eingeladen. Gemeinsam wollten wir überlegen, wie den
berechtigten Interessen der Dopingopfer besser Geltung
verschafft werden kann. Leider blieben die Bemühungen
der Sportpolitiker, die Finanzausstattung dieses Vereins
nachhaltig zu verbessern, ohne größeren Erfolg. Insofern
war es nachvollziehbar, dass ein Antrag in den Bundestag
eingebracht wurde, mit dem die Bundesregierung aufgefordert werden sollte, den Doping-Opfer-Hilfe-Verein
durch Einrichtung eines Fonds in die Lage zu versetzen,
den durch Dopingsubstanzen geschädigten Sportlerinnen
und Sportlern der ehemaligen DDR eine angemessene
Hilfe zu geben.
In der Debatte über diesen Antrag ist dann deutlich geworden, dass die Fraktionen der SPD, des Bündnisses 90/
Die Grünen, der CDU/CSU und der FDP eine gemeinsame
Lösung in dieser Frage anstreben. Eine öffentliche Anhörung des Sportausschusses im Oktober 2001 hat die Diskussion über die finanziellen Hilfen vor allem in medizinischer und juristischer Sicht entscheidend vorangebracht.
Die Aussagen und Hinweise der Sachverständigen flossen
somit in die vorliegenden Gesetzentwürfe ein.
Leider steckt der Teufel aber oft im Detail oder, anders
gesagt, im Geld. Der von der Regierungskoalition eingebrachte Gesetzentwurf und der Gesetzentwurf der
CDU/CSU und der FDP unterscheiden sich nämlich nur
in einem Punkt, und zwar in der Frage, ob den Opfern ein
Festbetrag in Höhe von 5 000 Euro gezahlt werden soll
oder nicht. Die Regierungskoalition hält auch nach den
über den Gesetzentwurf geführten Diskussionen an ihrer
Auffassung fest, keinen Festbetrag im Gesetz vorzusehen. Das bedeutet jedoch nicht, dass sich die SPD-Fraktion im Falle von möglicherweise rund 1 000 AnspruchsVizepräsidentin Petra Bläss
berechtigten nicht dafür einsetzt, die vom Bund bereitgestellte Summe in Höhe von 2 Millionen Euro zu erhöhen.
Bevor der Bund jedoch weitere Mittel bereitstellt, sind
die Sportorganisationen und die Wirtschaft, allen voran
die Pharmaindustrie, gefordert, finanzielle Beiträge zu
dem Fonds zu leisten. Für die Sportorganisationen und die
Industrie gilt leider, dass sich die viel versprechenden
Ankündigungen bisher nicht in klingender Münze niedergeschlagen haben.
Ich halte es nicht für verantwortbar, den Dopingopfern
einen Festbetrag in Höhe von 5 000 Euro zu zahlen, um
nach den Anträgen von 400 Anspruchsberechtigten möglicherweise festzustellen, dass das Geld nicht reicht. Man
kann immer nur das verteilen, was man hat. Leider hat
sich diese Auffassung von verantwortlicher Haushaltspolitik noch nicht in allen Köpfen festgesetzt.
Als Vorsitzender des Sportausschusses begrüße ich jedoch, dass sich vier Fraktionen auf eine gemeinsame Entschließung verständigen konnten. Wir halten es für erforderlich, uns von der künftigen Bundesregierung über die
Erfahrungen mit dem Gesetzesvollzug berichten zu lassen, um auf der Grundlage dieses Berichtes prüfen zu können, ob weitere Hilfen noch erforderlich sind.
Ich stelle an diesem Punkt der Debatte mit Zufriedenheit fest: Der Doping-Opfer-Hilfe-Verein begrüßt, dass es
gelungen ist, in verhältnismäßig kurzer Zeit ein Gesetz
auf den Weg zu bringen, das die gesundheitlichen Schäden anerkennt. Von Professor Dr. Franke, einem Wissenschaftler, der im Westen dafür bekannt ist, dass er für Dopingopfer eintritt, stammt ausweislich der „FAZ“ die
Aussage:
Wo ist in irgendeinem Land der Welt je ein Dopingopfer entschädigt worden?
Dennoch gilt, dass man mit Geld körperliches Leid und
seelischen Schaden sowieso nicht wieder gutmachen
kann. An die Adresse der Opfer sage ich an dieser Stelle:
Nehmen Sie das als einen Versuch an, Ihnen gegenüber
mit den uns zur Verfügung stehenden Mitteln zum Ausdruck zu bringen, dass wir Ihnen helfen wollen.
Zum Abschluss des gesamten Verfahrens sage ich allen
Mitarbeitern des Bundesinnenministeriums, ohne deren
Hilfe wir das Gesetz nicht so schnell hätten zur Abstimmung vorlegen können, einen sehr herzlichen Dank für
die hervorragende Unterstützung. Ich denke, in diesem
Punkt stimmen die vier Fraktionen, die das bereits im
Sportausschuss so geäußert haben, auch hier im Hause
überein.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
({1})
Danke schön.
Das Wort hat der Abgeordnete Klaus Riegert.
Frau Präsidentin! Meine
Damen und Herren! Heute Nachmittag scheint der Nachmittag der Opposition zu sein. Die zur abschließenden Beratung anstehenden Gesetzentwürfe von CDU/CSU und
FDP auf der einen Seite und der Koalitionsfraktionen auf
der anderen Seite haben das gemeinsame Anliegen, Sportlerinnen und Sportlern zu helfen, die durch staatliches
Zwangsdoping der ehemaligen DDR geschädigt wurden.
Außerhalb jeglicher Rechtspflicht - der Vorsitzende des
Sportausschusses hat es schon erklärt - wird aus humanitären, sozialen und moralischen Gründen anerkannt, dass
Sportlerinnen und Sportler durch staatlich verordnetes Doping physisch und psychisch Schaden genommen haben.
Die geschädigten Sportlerinnen und Sportler sind Opfer
eines Systems, das durch sportliche Höchstleistungen internationales Ansehen erwerben wollte, das sozialistische
Fehlleistungen durch sportliche Höchstleistungen vergessen machen wollte. Dafür war den in der ehemaligen DDR
politisch Verantwortlichen jedes Mittel recht.
({0})
Spätestens seit der strafrechtlichen Aufarbeitung wissen wir, dass junge, talentierte Sportlerinnen und Sportler
schon im Alter von zwölf oder 13 Jahren mit Dopingsubstanzen manipuliert wurden - ohne Rücksicht auf spätere
Folgen. Wir wissen von der Kooperation des staatlich organisierten Sports mit der Pharmaindustrie, dass Substanzen zur Leistungssteigerung am Sportler direkt getestet
wurden. Wir wissen wenig darüber, wie es um die Bereitschaft von Sportlerinnen und Sportlern stand, leistungsfördernde Substanzen wissentlich einzunehmen.
Wir können heute nicht mit Sicherheit sagen, wer was
wann mit oder ohne Wissen, gegen den Willen oder mit
stillschweigendem Einverständnis eingenommen hat. Wir
werden nicht mit absoluter Sicherheit den Nachweis des
wissentlichen Dopings führen können. Es wäre aber
grundsätzlich falsch, daraus zu folgern, dass daher keine
Entschädigungen gezahlt werden dürften. Hier sind mit
Sicherheit Menschen vorsätzlich manipuliert worden.
({1})
Ich möchte an dieser Stelle auch dem Bundesministerium des Innern für die zügige Erarbeitung der Formulierungshilfen danken. Diese Formulierungshilfen ermöglichen unbürokratische Lösungen und berücksichtigen
die damalige und heutige Situation der Sportler angemessen. Die geschädigten Sportlerinnen und Sportler sind
Mahnung und Aufforderung zugleich, Doping jeglicher
Art im Spitzen-, Breiten- und Freizeitsport massiv zu
bekämpfen.
({2})
Es ist eine Mahnung, weil sichtbar wird, welche Schäden durch Manipulationen hervorgerufen werden können.
Es ist eine Mahnung, dass sportliche Höchstleistungen
nicht um jeden Preis erstrebenswert sind - weder zur persönlichen Reputation oder zum Gewinnstreben noch zur
staatlichen Repräsentation.
Es ist eine Aufforderung, in dem Kampf nicht nachzulassen, die Prävention zu verstärken, die Kontrollen zu
verbessern und Vergehen stärker und einheitlich zu sanktionieren. Wer in diesem Zusammenhang die Forderung
nach Legalisierung so genannter weicher Drogen stellt,
der verharmlost die Gefahren und ebnet den Weg für Drogen- und Dopingmissbrauch.
({3})
Die vorliegenden Gesetzentwürfe von CDU/CSU und
FDP und der Koalition unterscheiden sich in einem ganz
entscheidendem Punkt: CDU/CSU und FDP wollen eine
schnelle Hilfe und zügige Auszahlung der Entschädigungen. Wir wollen, dass die anerkannten Opfer eine Einmalzahlung von 5 000 Euro erhalten, unabhängig von der
Fondshöhe. Das gibt Sicherheit. Sport und Wirtschaft,
insbesondere die pharmazeutische Industrie, müssen sich
Gedanken machen, wie sie ihrer moralischen Verpflichtung und Verantwortung gerecht werden. Mit Freude haben wir registriert, dass der Deutsche Sportbund eine Benefizgala zugunsten der Opfer durchführen will.
Meine Damen und Herren, den von den Koalitionsfraktionen vorgesehenen Weg halten wir für unangemessen für die Betroffenen. Es ist nicht gut, die Höhe der Entschädigung von der Anzahl der Opfer abhängig zu
machen. Im Klartext bedeutete dies: Melden sich wenige
Opfer, erhält der Einzelne mehr; melden sich viele, bekommt der Einzelne weniger. Soll dies die Opfer animieren, ihr Wissen nicht an andere Opfer weiterzugeben?
({4})
Sie wollen zunächst einen Abschlag zahlen. Dieser kann
nur gering sein, da Sie die Anzahl der Betroffenen nicht
kennen. Die Restzahlungen können Sie erst vornehmen,
wenn nach einem möglichen Klageweg die endgültige
Zahl der Opfer feststeht. Soll es dann eine zweite Abschlagszahlung und eine dritte, endgültige Zahlung geben? Halten Sie dieses Verfahren für würdig? - Nein,
liebe Kolleginnen und Kollegen, dies können und wollen
wir den Opfern nicht zumuten.
({5})
Deshalb fordere ich Sie noch einmal auf: Stimmen Sie unserem Gesetzentwurf zu, jedem anerkannten Dopingopfer
sofort 5 000 Euro zu zahlen!
Unsere Positionen in den Beratungen lagen in der Tat
dicht beieinander. Sportpolitiker und Haushaltspolitiker
von Bündnis 90/Die Grünen gaben klar zu verstehen, dass
sie unseren Gesetzentwurf präferieren. Selbst Sportpolitiker der SPD sehen in unserem Gesetzentwurf die bessere
Alternative.
({6})
Wir bedauern, wenn die Koalition nur die für die Betroffenen zweitbeste Lösung zulässt.
Das Dopingopfer-Hilfegesetz eignet sich nicht für parteipolitische Scharmützel. Bundestagspräsident Thierse
sieht das offensichtlich anders. Angesprochen auf die Dopingopferhilfe, war seine erste Reaktion in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ im Mai 2002: Nicht die Regierung Kohl, sondern die SPD habe sich der Sache
angenommen. Der Herr Bundestagspräsident irrt. Ist Herr
Thierse falsch informiert?
({7})
Es wäre wirklich beschämend, wenn er die Opfer für parteipolitische Auseinandersetzungen instrumentalisierte.
Das Ausmaß des systematischen Zwangsdopings ist
insbesondere bei der strafrechtlichen Aufarbeitung
Ende der 90er-Jahre offenkundig geworden. Die CDU/
CSU-Bundestagsfraktion war die einzige, die aktiv geworden ist.
({8})
Ich kann Ihnen sagen, was die SPD von 1990 bis 1998
in der Opposition für die Dopingopfer getan hat: nichts.
Was hat die SPD in der Regierungsverantwortung ab 1998
getan? - Nichts. Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion war
es, die dieses Thema in der laufenden Legislaturperiode
aufgegriffen hat, nicht die Koalition. Die SPD hat diesen
Antrag unserer Fraktion in allen Ausschüssen abgelehnt.
Erst im Haushaltsausschuss haben Sie die Notbremse gezogen und den von uns geforderten Fonds eingerichtet. So
sind die Tatsachen. Diesen Erfolg im Haushaltsausschuss
reklamiert der Kollege Hermann für sich. Wenn es so war,
gebührt ihm Dank und Anerkennung, dass er unserer Initiative letztendlich zum Erfolg verholfen hat.
({9})
Meine Damen und Herren, der Gesetzentwurf und dessen Umsetzung bedeuten keinen Schlussstrich unter die
Behandlung dieses Themas. Unser gemeinsamer Entschließungsantrag macht deutlich: Wir werden uns auch
in der kommenden Legislaturperiode mit dem Thema
auseinander setzen. Wir müssen prüfen, inwieweit es so
schwere gesundheitliche Schädigungen gibt, dass mehr
als die jetzt vorgesehene Entschädigung geleistet werden
muss, und welche Hilfeleistungen dann erforderlich sind.
Ich betone ausdrücklich: Nicht nur der Staat, sondern
auch der Sport und die Wirtschaft sind gefordert.
({10})
Forschung und Wissenschaft müssen sich dieses Themas
verstärkt annehmen. Wir müssen mehr wissen, um
zukünftig Manipulationen im Ansatz ersticken zu können.
Wir begrüßen, dass in der Sache fraktionsübergreifend
Übereinstimmung besteht. Sie sollte sich zugunsten der
Opfer auswirken. Auf die Hilfe für die Opfer kommt es
letztlich an.
({11})
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Winfried Hermann.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Auch ich möchte meine Rede damit beginnen, einen
kurzen Rückblick auf das System der Sportpraxis in der
ehemaligen DDR zu halten.
Das System erscheint im Rückblick erschreckend ambivalent, weil es in der DDR auf der einen Seite sportliche Höchstleistungen gab, die durch den heute vorliegenden Gesetzentwurf auch nicht in jedem Fall infrage
gestellt werden, aber auf der anderen Seite deutlich geworden ist, dass viele dieser Erfolge nur möglich waren,
weil es ein ganz konsequent geplantes Dopingsystem zur
Förderung von Höchstleistungen gab, nicht bei allen und
auch nicht in jeder Entwicklungsphase, aber in einer bestimmten Phase sehr wohl.
Es war ein systematisches Dopen von ganzen Generationen von Sportlern, zum Teil von lokalen Funktionären
unterstützt, wissentlich betrieben von Ärzten, Wissenschaftlern und Trainern. Auch manche Sportler waren beteiligt, aber eben nur manche; die überwiegend große Zahl
vor allem der jugendlichen Sportlerinnen und Sportler
waren wohl unwissentliche Opfer.
Um diese Opfer geht es heute. Ich glaube, dass dieses
System des DDR-Sports in seiner Ausprägung in besonderer Weise inhuman war, weil es die Zukunft der Jugendlichen und ihren möglichen Werdegang überhaupt
nicht bedacht hat, weil es keine Rücksicht auf Mensch und
Gesundheit genommen hat. Eigentlich ist das zutiefst unsportlich, denn mit diesem Dopingsystem werden Grundwerte des Sports, nämlich Fairness und Gesundheit,
bekämpft und untergraben. Das ist eine verheerende, fatale Geschichte.
({0})
Die Ambivalenz der Geschichte des Sports finden wir
bei der Aufklärung des Dopingsystems wieder. Heute sind
wir - auch das ist fatal - bei der Aufklärung dessen, wie
das alles funktioniert hat und wer wie viel bekommen hat,
auf die Quellen der Stasi angewiesen, die damals dazu
beigetragen hat, dass dieses System lange Zeit, über viele
Jahre, geheim geblieben ist, dass es überhaupt funktioniert hat. Heute reklamieren gerade die Opfer zu Recht
den Zugang zu diesen Akten, weil sie nicht ein zweites
Mal um ihr Wissen gebracht werden dürfen; nur diese Akten helfen ihnen weiter, herauszufinden, was mit ihren jugendlichen Körpern geschehen ist, um nachvollziehen zu
können, welche Schäden von heute auf was zurückzuführen sind.
Hinsichtlich der Aufklärung der Auswirkungen dieses
Systems haben wir einigen Menschen zu danken. Aus
meiner Sicht haben Brigitte Berendonk und Klaus
Franke - sie waren nicht die Einzigen - mutig gehandelt.
Sie haben Akten gesichtet und wesentlich dazu beigetragen, dass dieses System aufgedeckt wurde. Danken
möchte ich auch den Journalisten, die immer wieder
nachgebohrt haben, und nicht zuletzt den betroffenen
Sportlerinnen und Sportlern, die in Prozessen mutig aufgestanden sind, über ihr Leid gesprochen und Dinge ausgesprochen haben, mit denen sie sich vielleicht selber geschadet haben. Nur dadurch war es überhaupt möglich,
über das sprechen zu können, worüber heute mit diesem
Gesetz zu befinden ist.
Im System der DDR wurden Sportler sozusagen zielgerichtet zu Siegern ausgebildet. Oftmals sind dadurch
Opfer „produziert“ worden. Viele Sportlerinnen und
Sportler und zum Teil auch deren Kinder wissen ein trauriges Lied davon zu singen.
Wir haben mit diesem Gesetzentwurf diesen lange verdrängten Vorgang aufgegriffen und werden ihn jetzt einer
Lösung zuführen. Ich will ganz deutlich sagen: Es wäre
nicht notwendig gewesen, dass die Bundesrepublik
Deutschland hierzu ein Gesetz verabschiedet; denn juristisch ist völlig klar, dass die Bundesrepublik Deutschland
nicht Rechtsnachfolger des DDR-Sportsystems ist. Es
gibt also keine Verpflichtung zu einem Gesetz. Wir hätten sagen können: Das ist zwar schade, aber wir müssen
da nichts tun, denn wir sind dafür nicht verantwortlich.
Wir haben nicht so gedacht, sondern bewusst Verantwortung übernommen und nun einen Gesetzentwurf vorgelegt, der heute glücklicherweise verabschiedet werden
kann. Dieser Gesetzentwurf stellt eine unbürokratische
Hilfe dar, keine wirkliche Entschädigung. Es kann nicht
wirklich angemessen entschädigt werden, was da geschehen ist. Der Gesetzentwurf bedeutet ein Stück weit die
Übernahme von Verantwortung aus humanen Gründen
durch die Bundesrepublik Deutschland. Es ist eine gewisse Anerkennung der Folgen des Dopings, mehr nicht.
Ich würde micht freuen, wenn aus der Wirtschaft und von
den Organisationen des Sports eine entsprechende Anerkennung käme, die sich auch in finanzieller Beteiligung
niederschlägt.
Es gab den Versuch einer einheitlichen Lösung; der
Kollege Riegert hat es angesprochen. Ich selber habe, wie
Sie wissen, lange dafür gekämpft, dass wir einen gemeinsamen Gesetzentwurf zustande bekommen. Jetzt gibt es
zwar zwei; aber sie sind fast identisch. Nur in einem Punkt
konnten wir uns nicht verständigen. Herr Kollege Riegert,
ich möchte an dieser Stelle nicht mehr auf den Verlauf der
Entscheidung eingehen, darauf, wer was geleistet hat.
Lassen Sie mich aber salomonisch sagen: Manchmal wird
man erst in der Opposition einsichtig und weise
({1})
und manchmal ist es in Koalitionen so, dass das größere
Gewicht des Partners und nicht die besseren Argumente
des kleineren Partners ausschlaggebend sind.
Mit diesem Gesetz geben wir keine endgültige Antwort
auf die bestehenden Probleme. Ich bin froh, dass wir zusätzlich einen Antrag aller Fraktionen verabschiedet haben, in dem wir deutlich machen: Der nächste Bundestag
muss sich mit dieser Angelegenheit nochmals beschäftigen. Er muss prüfen, ob das Gesetz das erreicht hat, was
wir wollten, und ob es nicht noch andere Opfer gibt, die
keine Hilfe finden und vielleicht Hilfe benötigen. Das
sollte eine Verpflichtung für den neuen Bundestag sein.
Gestatten Sie mir noch ein Wort an die Betroffenen, an
die Opfer: Manche haben sich zunächst sehr kritisch
geäußert, als der Gesetzentwurf vorgelegt wurde. Jetzt
hört man versöhnliche Töne, weil sie erkannt haben, dass
gemessen an dem, was vorher nicht geschehen ist, und an
der Tatsache, dass die Einhaltung von Versprechungen
ziemlich unsicher ist, eine sehr vernünftige Lösung zustande gekommen ist. Viele sehen, dass dies eine zumindest akzeptable, wenn auch nicht vollkommen befriedigende Lösung für die Probleme der Dopingopfer ist.
Lassen Sie mich zum Schluss feststellen: Dieser Gesetzentwurf ist für uns Sportpolitiker die Verpflichtung,
dafür zu sorgen, dass es nie wieder solche Opfer gibt und
wir nie wieder solche Gesetze machen müssen.
Vielen Dank.
({2})
Das Wort hat
jetzt der Herr Abgeordnete Klaus Kinkel.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das systematische staatliche Doping - ich würde es eigentlich Zwangsdoping nennen gehört zu den schlimmen Hinterlassenschaften der früheren DDR; da besteht kein Zweifel. Mehr als ein Jahrzehnt
nach dem Fall der Mauer ist es höchste Zeit, dass sich das
wiedervereinigte Deutschland dem Schicksal der Dopingopfer annimmt.
Im Übrigen habe ich, was die Rechtsfrage anbelangt,
eine etwas andere Meinung als die nicht absolut höchstrichterliche Entscheidung, die in diesem Zusammenhang
getroffen worden ist; das habe ich im Ausschuss immer
wieder gesagt. Ich glaube schon, dass der Staat eine Verpflichtung hat.
Das Unrecht, das den Betroffenen von ihrem Staat angetan wurde, das Leid, das ihnen physisch und psychisch
zugefügt wurde, die Schäden, die sie davon getragen haben, das alles kann im Grunde nur schwer - wenn überhaupt - wieder gutgemacht werden. Dafür kann im engeren Sinne des Wortes kaum eine Entschädigung geleistet
werden.
({0})
Die meist schon im Kindesalter - das ist besonders
schlimm - zwangsgedopten DDR-Leistungssportler können und müssen rehabilitiert werden. Ihnen wurde Unrecht
getan und sie sind im Übrigen keine Dopingtäter, sondern
Dopingopfer. Das muss anerkannt werden und den Opfern
muss geholfen werden; da waren wir uns einig.
Darauf zielt das Gesetz, das wir heute endlich zustande
bringen werden. Mit diesem Gesetz werden vom Bund
2 Millionen Euro für einen Dopingopferhilfefonds zur
Verfügung gestellt. Das ist zwar weiß Gott nicht viel; darüber haben wir lange gestritten. Denn die Zahl der potenziell anspruchsberechtigten Dopingopfer wird auf bis zu
1 000 geschätzt. Aber es ist ein wichtiger Schritt in Richtung Rehabilitation, Anerkennung geschehenen Unrechts
und konkrete Hilfe.
({1})
Es wäre natürlich wichtig - das ist bereits angedeutet
worden - dass der Hilfsfonds, der eingerichtet werden soll,
zusätzlich durch Sportverbände und die Wirtschaft unterstützt wird. Ich freue mich, dass hier offensichtlich, wie es
Herr Riegert sagte, ein erster Ansatz besteht. Dies ist aber
zu wenig. Denn sie alle haben mächtig mitgetönt und angedeutet, dass Unterstützung komme. Bisher ist nichts geschehen. Ich appelliere von diesem Pult aus an die Betroffenen, zu versuchen, etwas Konkretes beizutragen.
({2})
Die Dopingopfer haben im Vorfeld das, was jetzt gesetzlich festgelegt wird, nicht begrüßt und es zum Teil heftig kritisiert. Ich teile die Meinung von Herrn Hermann,
dass jetzt in dieser Hinsicht eine Gott sei Dank etwas
versöhnlichere Stimmung besteht. Man hatte uns vorgeworfen - ich sage bewusst: uns -, da finde eine Art Freikauf statt. Ich glaube, so kann man das nicht nennen. Auch
deshalb ist der fraktionsübergreifende Entschließungsantrag so wichtig; denn er belegt, dass wir hier keinen absoluten Schlussstrich ziehen, sondern uns darüber durchaus
noch unterhalten wollen.
Es ist gut, dass der Deutsche Bundestag heute dieses
Gesetz und den Entschließungsantrag verabschieden
wird. Es bleibt aber ein Wermutstropfen; das ist bereits
mehrfach angedeutet worden: Die FDP war gemeinsam
mit der Union der Meinung, das ein Festbetrag von
5 000 Euro pro Opfer in den Gesetzentwurf aufgenommen
werden sollte. Auch wenn die genaue Zahl der Anspruchsberechtigten noch nicht feststeht, wäre jeder Betrag unterhalb dieser ohnehin mehr symbolischen Summe
lächerlich. Das will ich einmal so deutlich sagen. Lächerlich erscheint mir auch, dass wir um den Betrag feilschen
mussten. Die Knute des Finanzministers war offensichtlich so massiv, dass seitens der SPD-Fraktion Bedenken
bestanden, sich unserem Vorschlag anzuschließen. Ich
halte das für ein bisschen kleinlich und dem Problem nicht
angemessen.
({3})
Wenn man sich vorstellt, für welche Dinge 2 Millionen Euro im Bundeshaushalt ausgegeben werden, kann
man darüber ein wenig lachen.
Die Grünen haben bis zum Schluss mächtig gekämpft.
Herr Hermann, Sie sind ein großer Kämpfer vor dem
Herrn; das will ich Ihnen gerne bescheinigen. Aber leider
Gottes - man muss es so sagen - mussten Sie zum Schluss
nachgeben. Das tut mir Leid für Sie, weil Sie in dieser Angelegenheit immer sehr engagiert waren. Sie haben in der
Sache geholfen und dazu beigetragen, den Gesetzentwurf
vorwärts zu bringen.
Die FDP-Fraktion begrüßt dieses Gesetz. Im Grunde
sind wir mit dem Tenor und den Formulierungen einverstanden - das habe ich immer wieder gesagt -, bis auf einen, für uns allerdings sehr wichtigen Punkt: Wir wollen
einen Festbetrag. Deshalb werden wir dem Gesetzentwurf
nicht zustimmen, sondern uns der Stimme enthalten. Wir
werden aber dem Entschließungsantrag zustimmen in der
Hoffnung, dass das, was wir uns gemeinsam vorgenommen haben, in der nächsten Legislaturperiode in die Praxis umgesetzt wird.
Vielen Dank.
({4})
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Täve Schur.
Frau Präsidentin! Werte
Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte zu dieser Thematik eigentlich ein bisschen mehr sagen, als es mir in den
drei Minuten - ich habe die kürzeste Redezeit erhalten möglich ist. Mir bleibt also nichts weiter übrig, als mich
kurz zu fassen.
Die uns vorliegenden Gesetzentwürfe sind hinreichend bekannt, die öffentliche Debatte wurde ausgiebig
geführt. Im Sportausschuss haben wir das Für und Wider
sachlich erörtert. Die Planungszeit für diesen Gesetzentwurf reicht beim besten Willen nicht aus, bisher ungeklärte Fragen heute und hier zu klären. Ich beschränke
mich daher auf einige Feststellungen, die mir belangvoll
erscheinen.
Die PDS war vom ersten Tag an für diesen Gesetzentwurf, wenn er denn vom Bodensee bis zum Stralsunder
Bodden gilt.
({0})
Das Argument, dass man im Rechtsstaat der alten Bundesrepublik Deutschland alle Möglichkeiten hatte, sich
gegen Dopingschäden zur Wehr zu setzen, ist lückenhaft.
Wer sich dafür interessiert, sollte die Akten - Herr
Beucher hat das schon angeführt - der durch Doping auf
schlimme Weise zu Tode gekommenen Siebenkämpferin
Birgit Dressel lesen! Dann wird man wohl darauf verzichten, die Gesetzentwürfe logisch zu nennen.
Jeder weiß, dass in West und Ost und in Nord und Süd
gedopt wurde und auch heute noch gedopt wird, weil wir
es einfach nicht in den Griff kriegen. Wem das entfallen
oder nicht mehr gegenwärtig sein sollte, empfehle ich
nachdrücklich die Lektüre des Protokolls zur Befragung
des Herrn Parlamentarischen Staatssekretärs von
Schoeler am 17. März 1977 im Deutschen Bundestag
bzw. der öffentlichen Anhörung im Sportausschuss vom
28. September 1977. Nun der untergegangenen DDR die
Alleinschuld aufbürden zu wollen beruhigt vielleicht einige Gemüter, ist aber mit gutem Gewissen nicht zu vertreten. Obendrein: In diesem Hohen Hause wird pausenlos und mit vollem Recht dafür plädiert, die Gräben
zwischen Ost und West nicht zu vertiefen. Die Gesetzentwürfe in vorliegender Form könnten den Verdacht aufkommen lassen, dass diese Sorge nicht beschworen wird,
wenn es darum geht, Plädoyers gegen die DDR und ihre
Athleten zu halten. Ein renommierter Sportjournalist
warnte im Zusammenhang mit den Gesetzentwürfen vor
den Trittbrettfahrern. Man kann ihm nur zustimmen.
Abschließend möchte ich sagen: Wir sind für ein Dopingopfer-Hilfegesetz entsprechend der Grundgesetzforderung, dass vor dem Gesetz alle Menschen gleich sein
sollen. Wir wollen ein Dopingopfer-Hilfegesetz, das nachweislich geschädigten Sportlerinnen und Sportlern aus
ganz Deutschland Entschädigungen sichern wird.
Mit den vorliegenden Gesetzentwürfen wird das ausgeschlossen. Deshalb stimme ich dagegen. Meines Wissens nach werden sich viele aus meiner Fraktion der
Stimme enthalten.
Kürzlich gab es eine Anhörung im Sportausschuss. Experten haben uns gesagt, dass in Deutschland gegenwärtig etwa zwischen 150 000 und 200 000 Jugendliche in
Fitnesscentern Anabolika zu sich nehmen. Es ist schon betrüblich, dass wir diese Sache nicht in Angriff nehmen.
Wir werden sie wahrscheinlich auch nicht in den Griff bekommen. Ich wollte nur darauf aufmerksam machen, wie
stark diese schlimme Sache in unserer Gesellschaft Fuß
gefasst hat. Wirken wir dem entgegen!
Ich bedanke mich.
({1})
Eine Kurzintervention des Kollegen Riegert.
Lieber Sportfreund Täve
Schur, ich habe es bereits im Sportausschuss erklärt: Der
Unterschied ergibt sich einfach daraus, dass es im Osten
ein staatlich verordnetes Doping und einen Staat gab, der
im juristischen Sinne keinen Rechtsnachfolger hat,
während Dopingopfer im Westen auch heute noch gegen
ihren Verband, ihren Trainer, ihre Eltern und jeden, der sie
geschädigt hat, klagen und ihre Rechte juristisch durchsetzen können. Genau das ist der Unterschied.
Deshalb muss der Bundestag ein Gesetz vorlegen, auf
das sich alle Dopingopfer berufen können. Den Dopingopfern im Westen stehen bereits heute sämtliche juristischen Möglichkeiten offen und sie können mit Schadensersatzklagen reagieren.
({0})
Herr Schur,
bitte.
Kollege Riegert, das
sehe ich ein. Es geht aber um die Menschen. Wenn wir die
Zahlen von Sportlerinnen und Sportlern wüssten, die
durch Doping argen Schaden erlitten haben, dann würden
wir uns überlegen, ob wir ein solches auf Moral begründetes Gesetz machen sollen.
Wissen Sie: Einer der Experten, Professor Rietbrock,
hat ausgeführt, dass ein Schaden aus den damals gebräuchlichen Dosierungen kaum abzuleiten ist. Deswegen meine ich: Wir gehen hier nicht nach Recht und Gesetz vor. Ich bin nun einmal für Recht und Gesetz und
deswegen dagegen, dass wir so verfahren. Wir müssen
jetzt für alle Menschen in Deutschland Sorge tragen.
Deshalb habe ich auch kurz zum Ausdruck bringen
wollen, was gegenwärtig mit unseren Jugendlichen in den
Fitnesscentern geschieht. Wollen wir sie sitzen lassen?
Das ist die gleiche Situation. Hier müssten wir sofort ein
Gesetz beschließen, um denjenigen zu helfen, die sich mit
Anabolika dopen. Es fällt doch auf uns selbst zurück: Unsere Pharmaindustrie produziert pro Jahr 6 Tonnen davon;
das wissen Sie auch. Zu medizinischen Zwecken brauchen wir in Deutschland jedoch nur 400 bis 500 Kilogramm. Wo bleibt der Rest? Wo sind die Löcher?
Es wäre schon angezeigt, dass wir uns auch um die anderen kümmern und nicht im Sinne von Siegerjustiz
verfahren. So empfinde ich jedenfalls das, was wir heute
tun. Entschuldigen Sie, aber so sehe ich die Situation.
Vielen Dank.
({0})
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Peter Danckert.
Frau Präsidentin! Meine
Damen und Herren! Mit dem heutigen Gesetzentwurf
über eine finanzielle Hilfe für die Dopingopfer wird ein
weiteres Kapitel geschrieben. Nachdem die strafrechtliche Seite abgeschlossen ist und die Täter verurteilt worden sind - jedenfalls weitgehend, die Beweislage war
nicht immer ganz einfach -, nachdem die gesellschaftliche Diskussion geführt worden ist, wenden wir uns, wie
leider so oft, erst sehr spät den Opfern zu.
Herr Kollege Riegert, es macht überhaupt keinen Sinn,
sich darüber zu streiten, wer das Erstgeburtsrecht an dieser Initiative hat.
({0})
Es macht überhaupt keinen Sinn, sich vorzurechnen, wer
was bis 1998 hätte machen können und nicht getan hat.
Fakt ist - darüber bin ich ganz froh -, dass wir heute fraktionsübergreifend ähnliche Gesetzentwürfe auf den Tisch
gelegt haben.
Auch wir sind daran interessiert, dass dieses Thema in
einem ersten Schritt geregelt wird, damit wir hier ein Zeichen setzen und die Opfer nicht so lange warten lassen,
dass sie von dieser Hilfe möglicherweise gar nichts mehr
haben. Deshalb sind diese beiden Initiativen, die sich nur
in Nuancen, in der Frage des Festbetrages, unterscheiden,
ein wichtiger Schritt. Hinsichtlich des Festbetrages kann
man unterschiedlicher Meinung sein, das gebe ich Ihnen
zu. Die SPD-Fraktion hat sich nun einmal für einen Pauschalbetrag ausgesprochen. Wir werden sehen, wie viele
Opfer Ansprüche stellen und welcher Betrag am Schluss
herauskommt, wobei auch ich meine, dass es kein Bagatellbetrag sein darf. Sollte der Betrag weit unter dem liegen, was Ihnen als Festbetrag vorschwebt, dann müssen
wir sehen, ob wir in dieser Frage einen weiteren Schritt
gehen.
Auch mich haben die öffentliche Diskussion sowie die
Art und Weise beunruhigt - das ist hier schon zum Ausdruck gebracht worden -, wie einige der Opfer auf diese
Initiative des Parlaments reagiert hatten. Das Parlament
hat sich hier fraktionenübergreifend durchgesetzt - mehr
möchte ich an dieser Stelle dazu nicht sagen - und einen
ersten wichtigen Schritt gemacht. Die Hilfe, die hier angeboten werden soll, als Schweigegeld oder als Wurststulle zu bezeichnen, empfinde ich als wirklich peinlich.
Nun ist die öffentliche Reaktion allerdings etwas moderater geworden; aber sie trägt der Problematik immer noch
nicht Rechnung.
Wir bewegen uns hier in einer sehr komplizierten
rechtlichen Materie. Wir erwarten von den Opfern keinen
Nachweis bis ins letzte Detail, sondern begnügen uns mit
einer Wahrscheinlichkeit. Lassen wir die Entschädigungszahlungen auf Wahrscheinlichkeiten basieren, dann
kann man an dieser Stelle eben nicht sehr viel mehr tun.
Ansonsten wäre ein sehr mühsamer Prozess notwendig.
Lebenslängliche Rentenzahlungen erfordern einen ganz
anderen Nachweis.
({1})
Auf diesen Nachweis wollen wir im Interesse der Opfer
und ihrer Angehörigen verzichten.
Das Gesetz sieht eine Öffnung des Hilfsfonds für andere Beteiligte vor. Ich wünsche mir sehr, dass sich Sportorganisationen wie NOK und DSB ebenfalls an diesem
Fonds beteiligen. Sie sind herzlich eingeladen. Bedauerlicherweise sind sie bisher in dieser Frage aber sehr zurückhaltend.
({2})
Die Wirtschaft ist hier genauso gefragt. In der Nachfolge der früheren Dopingmittelhersteller stehen heute
zum Teil große Konzerne, die wenn nicht eine rechtliche
Verantwortung, so doch eine moralische Verantwortung in
dieser Frage haben. Meine herzliche Bitte ist, dass sie sich
hier ebenfalls beteiligen. Auf diesem Wege wäre sichergestellt, dass der Entschädigungsbetrag höher werden kann.
({3})
Ich fordere also von dieser Stelle aus öffentlich dazu auf,
sich zu beteiligen.
Als positiv empfinde ich es, dass wir in einem gemeinsamen Entschließungsantrag den Willen des Parlaments
deutlich machen, dass es sich hier um einen ersten Schritt
handelt und dass wir abwarten wollen, wie sich diese erste
Maßnahme zugunsten der Opfer auswirkt.
Noch ein Wort an unseren Sportsfreund Täve Schur:
Der Versuch, eine gesamtdeutsche Lösung zu finden, geht
an der zentralen Frage vorbei. Im Westen gab es zwar
auch Sportler, die gedopt waren; sie haben es aber in der
Regel selber zu verantworten gehabt. Ich kenne kaum jemanden, der gegen seinen Willen oder ohne sein Wissen
gedopt worden ist. Das ist doch das Entscheidende. In der
DDR waren die Opfer zum großen Teil minderjährige
Kindern, die im Interesse des Sports schwerst missbraucht
wurden.
({4})
Lieber Sportsfreund Täve Schur, ich hätte es sehr begrüßt, wenn auch Ihre Fraktion sich an dieser Stelle zu ihrer Verantwortung bekannt hätte und nicht versucht hätte,
auszuweichen und eine gesamtdeutsche Lösung herbeizuführen, die aus sachlichen Gründen überhaupt nicht gerechtfertigt ist.
({5})
Aber wir lernen ja. Da wir uns sonst sehr schätzen, will
ich das hier nicht über Gebühr geißeln.
Es wäre schön gewesen, wenn das Parlament sich insgesamt zumindest in dem Entschließungsantrag zusammengefunden hätte. So sind wir uns in der Sache, wie ich
meine, sehr nahe gewesen. Ich denke, das war ein erster
Schritt, und ich vermute, dass wir in der 15. Legislaturperiode dieses Thema wieder behandeln werden und dann
vielleicht noch einen weiteren Schritt zugunsten der Opfer tun können.
Vielen Dank.
({6})
Ich schließe damit die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den von den Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen eingebrachten Gesetzentwurf über eine finanzielle Hilfe für
die Dopingopfer der DDR. Der Sportausschuss empfiehlt
unter Nr. 1 seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache
14/9440, den Gesetzentwurf in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem zustimmen wollen,
um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung angenommen worden mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen drei Stimmen aus der PDS bei Enthaltung der
übrigen Abgeordneten der PDS, von CDU/CSU und FDP.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Wer
stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf
ist damit in dritter Lesung mit dem eben festgestellten
Stimmenverhältnis angenommen worden.
Abstimmung über den von den Fraktionen der
CDU/CSU und der FDP eingebrachten Gesetzentwurf
über eine finanzielle Hilfe für Dopingopfer der DDR. Unter Nr. 2 seiner Beschlussempfehlung empfiehlt der Sportausschuss, den Gesetzentwurf abzulehnen. Ich bitte diejenigen, die diesem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um
das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung abgelehnt
worden mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und
der PDS gegen die Stimmen von CDU/CSU und FDP. Damit entfällt nach unserer Geschäftsordnung die weitere
Beratung.
Abstimmung über die Beschlussempfehlung des
Sportausschusses auf Drucksache 14/9440 zu dem Antrag
der Fraktion der CDU/CSU mit dem Titel „Errichtung eines Fonds zur Unterstützung der Doping-Opfer der
DDR“. Der Ausschuss empfiehlt unter Nr. 3 seiner Beschlussempfehlung, den Antrag für erledigt zu erklären.
Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung
ist einstimmig angenommen worden.
Der Sportausschuss empfiehlt unter Nr. 4 seiner Beschlussempfehlung, eine Entschließung anzunehmen.
Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung
ist angenommen worden mit den Stimmen des ganzen
Hauses gegen drei Stimmen aus der PDS bei Enthaltung
der übrigen Abgeordneten der PDS.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 38 auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Einführung einer kapitalgedeckten Hüttenknappschaftlichen Zusatzversicherung und zur
Änderung anderer Gesetze ({0})
- Drucksache 14/9007 ({1})
a) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung
({2})
- Drucksache 14/9442 -
Berichterstattung:
Abgeordneter Wolfgang Meckelburg
b) Bericht des Haushaltsausschusses ({3}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung
- Drucksache 14/9445 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Konstanze Wegner
Susanne Jaffke
Antje Hermenau
Dr. Günter Rexrodt
Die Abgeordneten Lotz, Laumann, Dückert, Kolb und
Maier bitten darum, ihre Reden zu Protokoll geben zu dür-
fen1). Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall.
Wir kommen deshalb gleich zur Abstimmung. Der
Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung empfiehlt in sei-
ner Beschlussempfehlung auf Drucksache 14/9442, den
Gesetzentwurf in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich
bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschuss-
fassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Ge-
genstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist
damit in zweiter Beratung angenommen worden mit den
Stimmen des ganzen Hauses gegen die Stimmen der FDP.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die zustim-
men wollen, sich zu erheben. - Gegenstimmen? - Gibt es
Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in dritter
Beratung mit dem gleichen Stimmverhältnis wie eben an-
genommen worden.
Ich rufe den Zusatzpunkt 21 auf:
Aktuelle Stunde
auf Verlangen der Fraktion der PDS
Haltung der Bundesregierung zu dem am
6. Juni 2002 vorgestellten Friedensgutachten
der fünf führenden Friedensforschungsinsti-
tute
1) Anlage 10
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat zunächst der
Abgeordnete Wolfgang Gehrcke.
Frau Präsidentin! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Das am 6. Juni 2002 vorgestellte Friedensgutachten der fünf führenden Friedensforschungsinstitute sollte meines Erachtens im Bundestag
eine ebensolche Bedeutung bekommen wie das jährliche
Gutachten der Wirtschaftsweisen. Deshalb diese Aktuelle
Stunde. Irgendwann muss man damit beginnen: Warum
nicht heute? Künftig, so meine ich, sollten wir uns jährlich mit diesem Friedensgutachten auseinander setzen.
Das vorliegende Friedensgutachten ist bestechend
überparteilich und streitbar in seinen Analysen. Viele,
vielleicht die Mehrheit der Positionen teile ich, zu einigen
habe ich erheblichen Widerspruch. Gerade das macht die
Debatte interessant.
Das Gutachten ist toleranter gegenüber der Bundesregierung, als ich es für angemessen halte. Vielleicht macht
es dies ja der Regierung leichter, die Ratschläge des Gutachtens anzunehmen. Wir werden es sehen, Herr Staatsminister.
Beschäftigen wir uns mit einigen Grundzügen des Gutachtens. Die Friedensforschungsinstitute analysieren,
dass die „Koalition gegen den Terror“ der politischen
Rückendeckung für eine primär militärische Vorgehensweise dient, und warnen davor, dass die Rückkehr des
Krieges als Handlungsoption eine gefährliche Eigendynamik der Vergeltung in Gang setzt und damit das Kriegsverbot der UNO aushöhlt. Genau diese Sorgen bewegen
die PDS und genau die haben wir beschrieben.
Die Friedensforscher machen darauf aufmerksam, dass
die USA dabei sind, von einer Strategie der Selbstverteidigung zu einer Offensivstrategie überzugehen, und benennen die massive Aufstockung des Rüstungshaushalts,
die Raketenabwehr, die Planung von Mini-Atomwaffen.
US-Präsident Bush entwickelte in seiner West-PointRede die Strategie des Präventivkrieges. Drohungen sollten bekämpft werden - ich zitiere -, „bevor sie auftauchen“. US-Verteidigungsminister Rumsfeld führt in
seinem Interview mit der Zeitschrift „Foreign Affairs“ die
US-Strategie in Afghanistan auf die Erfahrungen der faschistischen deutschen Wehrmacht im Zweiten Weltkrieg
zurück und spricht von „Blitzkrieg“ und „Blitzschlägen“.
Eindeutiger und, wie ich finde, unappetitlicher geht es
kaum. Wenn man jetzt das Verhalten der USA zum Internationalen Strafgerichtshof in den Niederlanden betrachtet, bemerkt man, was hier abläuft.
Unüberhörbar ist die Warnung der Friedensforscher
vor einem Krieg gegen den Irak - dieser droht und dieser
wird vorbereitet -, auch wenn Präsident Bush und der
deutsche Bundeskanzler davon ablenken wollen. Die Friedensforscher sagen, ein solcher Krieg - ich zitiere sie „wäre ein Akt der Willkür“. Ich zitiere weiter:
Jede Regierung, die daran mitwirkt, sei es durch militärischen Beistand, durch materielle Hilfe oder
durch politische Unterstützung, übernimmt Mitverantwortung - für die Folgen, für die Opfer, für die
Toten.
Die Friedensforscher sagen: „Mitmachen muss man
nicht.“ Nicht mitmachen, sondern gegenhalten, das fordert die PDS-Fraktion von der Bundesregierung, wenn sie
die Friedensforschung in Deutschland ernst nimmt.
Skeptisch und differenzierter sehe ich - das will ich
überhaupt nicht verschweigen - die positive Bewertung
der Friedensgutachter für die Einsätze von SFOR, KFOR
und in Mazedonien. Darüber haben wir uns vorhin gestritten, deshalb brauche ich hier nicht weiter zu argumentieren.
Ein anderer Punkt liegt mir aber genauso am Herzen.
Eine deutliche Differenz habe ich zu den Erwägungen der
Friedensforscher, in der Europäischen Sicherheits- und
Verteidigungspolitik, in europäischen Einsatztruppen eine
Alternative zur NATO und zur Dominanz der USA zu sehen. Aus meiner Sicht haben wir es mit einer ganz anderen Entwicklung zu tun:
Erstens. Die Europäische Union, die als Gemeinschaft
bisher militärfrei war, erhält einen militärischen Arm und
militärische Aufgaben. Das wird ihren Charakter weiter
verändern. Europäische Staaten, die der EU und nicht der
NATO angehören, finden sich so plötzlich in einem Militärbündnis wieder.
Zweitens. Die sich bei der Europäischen Union in Aufstellung befindlichen Eingreiftruppen haben keine Verteidigungsaufgaben, sondern sind vom Aufbau, von der Bewaffnung und von der Ausbildung her auf weltweite
Einsätze spezialisiert. Das wird sie zum bevorzugten Partner der USA machen. Während die NATO durch die politisch gewollte Erweiterung und die Kooperation mit Russland politisch wichtiger, möglicherweise militärisch aber
unbeweglicher wird, wächst eine neue Arbeitsteilung.
Überlegungen der USA deuten in diese Richtung. Die
Hoffnung, dass sich Europa gegenüber den Forderungen
der USA dann besser verweigern könnte, ist, so meine ich,
zumindest derzeitig auf Sand gebaut.
Drittens. Diese europäische Militärorganisation im
Rahmen der EU ist mit der NATO durch vieles verbandelt
- auch vertraglich -, sodass die NATO faktisch am Tisch
der Europäischen Union Platz nimmt. Was wäre damit gewonnen, wenn man die NATO in Europa nicht will?
Ich glaube, es lohnt sich, über die im Gutachten aufgeworfenen Fragen weiter zu diskutieren und die Kontroverse auszutragen. Es wäre wünschenswert, wenn die Regierung den Friedensforschern mehr Raum gäbe und ihre
Ratschläge annehmen würde, statt weiterhin wie bisher
nach dem Motto „Wir wissen nicht nur alles, sondern auch
alles besser!“ zu verfahren. Wir sollten das Gutachten der
Friedensforscher gemeinsam ernst nehmen.
Danke sehr.
({0})
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Hans-Peter Bartels.
Frau Präsidentin!
Meine Damen und Herren! In dem vorliegenden GutachVizepräsidentin Dr. Antje Vollmer
ten der deutschen Friedensforschungsinstitute wird eine
Bilanz der internationalen Lage nach dem 11. September
gezogen. Manche Einschätzungen teilen wir, manche
nicht.
Der PDS, die diese Aktuelle Stunde beantragt hat, sind
vor allem die kritischen Anmerkungen zu den militärischen Aspekten der internationalen Terrorbekämpfung
willkommen. Sie wertet das Gutachten als Beleg für ihre
fundamentalistische Ablehnung jeglicher Beteiligung des
Militärs am Kampf gegen den Terrorismus.
({0})
Die PDS lehnt aber auch die Bundeswehrbeteiligung an
der internationalen Sicherheitspräsenz in Bosnien-Herzegowina, im Kosovo und in Mazedonien ab. Dafür haben
Sie, meine Damen und Herren von der PDS, allerdings
keinerlei Argumentationshilfe durch die Friedensforschungsinstitute erhalten.
Im Gegenteil: Unsere Balkanpolitik wird von den Gutachtern ausdrücklich begrüßt. Man erhofft sich, dass unser zivil-militärisches Engagement geradezu Modellcharakter für andere Regionen bekommt; das hoffe auch ich.
Unsere Balkanpolitik ist erfolgreich. Die Bundeswehr
leistet dazu einen ausgezeichneten Beitrag.
Interessanterweise machen die Gutachter darauf aufmerksam, dass die Behauptung, Terrorismus könne nicht
militärisch bekämpft werden, nach ihrer Auffassung zugleich richtig und falsch sei. Sie ist richtig, weil sich
Selbstmordattentäter, die zivile Flugzeuge entführen und
zu Anschlägen missbrauchen, nicht durch einen Militäreinsatz stoppen lassen. Die Gutachter schreiben aber
an gleicher Stelle - ich zitiere -:
Zugleich genoss ... Bin Ladens grenzüberschreitendes Netzwerk staatliche Protektion von unterschiedlichen Seiten und errang nach dem Sieg der Taliban
in Afghanistan einen quasi-staatlichen Status. Das
immerhin hat der Krieg zerschlagen.
„Immerhin!“
Der Gedanke, dass das Militär gegen Terroraktionen
und -organisationen sowie ihre staatlichen Herbergsväter
nichts ausrichten kann, ist falsch. Bruno Schoch von der
Hessischen Stiftung für Friedens- und Konfliktforschung
sprach in der vergangenen Woche bei der Vorstellung des
Gutachtens deshalb von einer gemischten Bilanz des
Krieges in Afghanistan.
Auf der Habenseite sah er das Ende der Taliban-Diktatur und die Zerstörung der terroristischen Infrastruktur im
Land. Das sei die Voraussetzung dafür, dass Afghanistan
nach 22 Jahren Krieg und Bürgerkrieg zu einem geregelten Staatswesen zurückkehren und schrittweise das staatliche Gewaltmonopol wieder herstellen könne.
Auf der anderen Seite fürchten die Friedensforscher
eine Enttabuisierung militärischer Gewalt. Sie solle wohl,
so die Wissenschaftler, in das Arsenal der gewöhnlichen
außenpolitischen Instrumente zurückgeholt werden. Nein, ich sage: Der Einsatz und auch schon die Androhung von militärischer Gewalt sind niemals etwas Normales und Alltägliches. Gerade deshalb muss der Deutsche Bundestag dem Einsatz der Bundeswehr in jedem
einzelnen Fall mit Mehrheit zustimmen. Das ist gut so und
soll so bleiben.
({1})
Im Übrigen zeigt das Beispiel Afghanistan wie auch
die Entwicklung auf dem Balkan, dass es meist eben nicht
um zwei klar trennbare Alternativen geht: militärisches
oder nicht militärisches Eingreifen. Ohne die militärische
Operation Amerikas und seiner Verbündeten hätte sich für
Afghanistan nicht die Möglichkeit eröffnet, dem Land
eine politische Perspektive zu geben. Die Politik der USA
in diesem Zusammenhang als „neues Beispiel von Staatsterrorismus“ zu bezeichnen, wie es der Kollege Gehrcke
von der PDS in einer Pressemitteilung vom 27. Oktober
des vergangenen Jahres getan hat, ist absurd und verantwortungslos.
Dass Deutschland überhaupt nicht einseitig auf militärische Mittel setzt, belegt die Bilanz unserer Afghanistanpolitik. Deutschland war Gastgeber der PetersbergKonferenz und hilft beim Aufbau von Schulen, Polizei
und Infrastruktur. All dies ist nur möglich, weil die ISAFSoldaten, unter denen auch Deutsche sind, den politischen
Prozess absichern.
Die Maßstäbe unserer Außen- und Sicherheitspolitik
sind klar. Ethnische Verfolgung, Völkermord, Vertreibung, Terror und das Faustrecht des Stärkeren können
nicht neutral und bequem hingenommen werden. Entgegen dem altklugen Merksatz, mit Gewalt könne man keine
Probleme lösen, ist militärische Intervention dann legitim
und geboten, wenn der Mangel an Sicherheit das allen anderen zugrunde liegende Problem darstellt. Solange geschossen wird, sind alle anderen Probleme nicht lösbar.
Ich will noch einmal daran erinnern, dass die PDS die
Beteiligung der Bundeswehr an der Politik zur Stabilisierung des ehemaligen Jugoslawiens stets abgelehnt hat.
Vor jeder Mandatsverlängerung, sei es in Bosnien, im Kosovo oder in Mazedonien, haben Sie das Scheitern der
Mission vorhergesagt. Ein Jahr ist es gerade her, als die
PDS-Bundestagsfraktion in einem Antrag die Beendigung
der Bundeswehreinsätze auf dem Balkan forderte. In dieser Drucksache hieß es:
Die vom militärischen Interventionismus geprägte
Balkanpolitik der NATO-Staaten ist vollständig gescheitert.
Das ist wirklich dummes Zeug. Wo leben Sie eigentlich?
({2})
Die Autoren des Friedensgutachtens teilen Ihre Auffassung jedenfalls nicht.
Schönen Dank.
({3})
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Karl Lamers.
Frau Präsidentin! Verehrte
Kolleginnen und Kollegen! Der Kollege Gehrcke hat
eben ausgeführt, der Sinn dieser Aktuellen Stunde sei es,
dem Friedensgutachten die notwendige Aufmerksamkeit
zu schenken. Kollege Gehrcke, ich bezweifle, dass dies
- erstens - am Freitagnachmittag um 16.02 Uhr möglich
ist und dass dies vor allen Dingen - zweitens - Sinn einer
Aktuellen Stunde ist.
Ich muss Ihnen wirklich sagen, das Thema ist viel zu
ernst, als es für offensichtlich begrenzte parteipolitische
Zwecke zu nutzen. Sie selber tun sich in Bezug auf all diejenigen keinen Gefallen, die Ihre sonst differenzierte Darstellungsweise sehr wohl zu schätzen wissen. Das Gutachten enthält nichts Neues und nichts Aktuelles. Es gibt
nichts darin, was bei der parlamentarischen Behandlung
keines Aufschubs bedurft hätte. Es sind ungewöhnlich
wichtige Dinge; aber das Gutachten enthält nichts, was
eine Aktuelle Stunde erfordert hätte.
Frau Präsidentin, ich meine im Ernst, dass man sich
einmal eingehend im Präsidium damit befassen müsste,
ob das nicht ein Missbrauch des Instruments der Aktuellen
Stunde ist. Sie können als Argument anführen, dass etwa
die Berichte der Bundesanstalt für Arbeit häufig Themen
Aktueller Stunden sind. Aber bei diesem Thema gibt es
leider dauernd etwas Neues, und zwar schlechte Nachrichten. Das wird so lange so gehen, wie diese Koalition
an der Regierung ist. Aber in diesem Bericht ist kein einziger neuer Gedanke. Alles, was darin steht, wird tagtäglich in allen möglichen Gazetten in diesem Lande und jenseits des großen Teiches diskutiert. Es ist kein Thema für
eine Aktuelle Stunde.
Ich habe offen gestanden wenig Lust, mich mit dem
Thema sachlich auseinander zu setzen. Ich stimme all
dem, was Sie gesagt haben, Herr Kollege, zu. Das haben
wir aber alles schon x-mal miteinander ausgetauscht. Darüber haben wir früher leidenschaftlich gestritten. Heute
sind wir, abgesehen von Ihnen, meine Damen und Herren
von der PDS - Herr Schwarz-Schilling hat heute Morgen
zu Recht von „vorgestrig“ gesprochen -, in den prinzipiellen Fragen gottlob einer Meinung. Wir setzen zwar die
Akzente anders. Aber auch wir wissen selbstverständlich - eine solche Selbstverständlichkeit steht auch in dem
Friedensgutachten -, dass allein mit militärischen Mitteln
der Frieden nicht zu gewährleisten und der Terrorismus
nicht zu bekämpfen ist. Wer bezweifelt das denn?
Die Tatsache, dass der militärische Faktor in dem vorliegenden Friedensgutachten mit keinem einzigen Wort
erwähnt wird, dokumentiert die ideologische Blindheit
der Herausgeber genauso wie die der PDS.
({0})
- Frau Kollegin, mit Verlaub, wenn Sie unsere Debatten
etwa im Auswärtigen Ausschuss verfolgt hätten, hätten
Sie diesen Zuruf nicht gemacht. Er ist nämlich vollkommen neben der Sache.
({1})
Wir reden so oft darüber, was man alles tun müsste,
aber nicht tun kann. Wir wissen sehr wohl, dass der Einsatz militärischer Mittel Konflikte nicht löst, sondern
zunächst sogar zusätzliche Probleme schafft. Das zuzugeben fällt mir nicht schwer. Auch wir wissen - darauf
haben Sie eben hingewiesen -, dass es überhaupt keine
Lösung geben wird, solange geschossen wird, und dass
man deswegen das Schießen beenden muss. Es ist aber in
der Weltgeschichte leider noch nie gelungen, das
Schießen durch gutes Zureden zu beenden.
Wir sind - Gott sei Dank - in diesem Land zu der Erkenntnis gelangt, dass auch militärische Mittel ein Mittel
der Friedens- und der Außenpolitik sind, ohne auch nur
den leisesten Anschein der Militarisierung unserer
Außenpolitik zu erwecken. Trotzdem versuchen Sie, mithilfe eines so schwachen Friedensgutachtens Ihren Überzeugungen ein bisschen Auftrieb zu geben. Kollege
Gehrcke, das ist von der Sache und von der Methode her
gleichermaßen verfehlt.
Vielen Dank.
({2})
Herr Kollege
Lamers, da Sie mich vorhin direkt angesprochen haben,
möchte ich in eigener Sache Folgendes sagen: Es gab
einmal eine Zeit, in der das Präsidium darüber befunden
hat, ob das Thema einer Aktuellen Stunde aktuell ist oder
nicht. Das ist lange vorbei. Nach einem Beschluss des Ältestenrates entscheiden jetzt die Parlamentarischen Geschäftsführer darüber. Das ist quasi zum Gewohnheitsrecht geworden. Wie gesagt, das Präsidium entscheidet
- vielleicht kann man sagen: leider - nicht mehr darüber.
Ihr Vorschlag ist aber vielleicht eine Anregung, das wieder zu ändern.
({0})
Jetzt hat das Wort der Staatsminister Dr. Ludger
Volmer für die Bundesregierung.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Es freut mich, dass mir die heutige Aktuelle Stunde
Gelegenheit gibt, die Arbeit der fünf Friedensforschungsinstitute, die im Friedensgutachten 2002 ihren Ausdruck findet, hier zu würdigen, auch wenn diese Arbeit sicherlich
eine ausführlichere Debatte in den Ausschüssen verdient
hätte.
Das jährliche Gutachten widmet sich immer einem bestimmten Schwerpunkt. In diesem Jahr hat es das Ziel
- ich zitiere aus dem Vorwort des Gutachtens -, „die weit
reichenden Folgen des 11. September und des Krieges in
Afghanistan für die sich abzeichnenden Machtverschiebungen in der internationalen Politik aufzuspüren und zu
bewerten“. Das Gutachten setzt sich in 27 Beiträgen auf
mehr als 300 Seiten mit der Politik internationaler Organisationen und einzelner Staaten auseinander. Auf verschiedenen Feldern wird auch die Politik der Bundesregierung einer kritischen Analyse unterzogen. Das
Auswärtige Amt wird das Gutachten durch den Planungsstab und durch einzelne Fachabteilungen wie schon in den
letzten Jahren auch diesmal sorgfältig auswerten.
Die Bundesregierung und insbesondere das Auswärtige Amt sahen es von Anfang an als eine Aufgabe an, mit
den Friedensforschungsinstituten und den Wissenschaftlern, die sich mit den internationalen Beziehungen befassen, einen kontinuierlichen Diskussionsprozess zu eröffnen. „Praktiker treffen sich mit Wissenschaftlern und
lernen voneinander“ ist das Motto dieser nicht immer einfachen Übung. Sie findet zum Beispiel im Forum „Globale Fragen“ und in einer Reihe von Fachkonferenzen
statt. Auf Einladung des Leiters des Planungsstabes und
von Professor Harald Müller, des Direktors der Hessischen Stiftung Friedens- und Konfliktforschung, gibt es
zudem seit Frühjahr 1999 einen festen Arbeitszusammenhang zwischen dem Auswärtigen Amt und den Friedensforschern. Der nutzbringende Effekt für beide Seiten liegt
in der Regelmäßigkeit und der Kontinuität der Diskussionen. Ich möchte zudem darauf hinweisen, dass es diese
Bundesregierung war, die die von der Vorgängerregierung
eingestellte Förderung der Friedensforschung wieder aufgenommen hat.
({0})
Es zeigt sich, dass sich die außenpolitischen Praktiker
und die Friedensforscher in ihren Wertmaßstäben und Beurteilungskriterien kaum unterscheiden, dass sie jedoch
unter sehr unterschiedlichen Bedingungen agieren. Forscher fällen Urteile; in der politischen Praxis müssen Entscheidungen getroffen werden. Forscher werfen einen oft
pauschalen Blick auf die Politik als Ganzes; Politiker
müssen oft diesseits des eigentlich Wünschbaren zwischen verschiedenen real existierenden Alternativen entscheiden. Berufsbedingte Erkenntnis- und Erfahrungsdefizite können nur durch einen gegenseitigen Meinungsaustausch klein gehalten werden. Daran, dass das geschieht, ist das Auswärtige Amt sehr interessiert.
Die Friedensforscher kommen in ihrer einleitenden gemeinsamen Stellungnahme zu einem durchaus positiven
Urteil über Regierungsentscheidungen und Regierungshandlungen, dies übrigens genau auf den Feldern, Herr
Gehrcke - das muss man hier ganz deutlich aussprechen -, auf denen die PDS die Regierungspolitik erbittert
bekämpft hat. So heißt es in dem Gutachten - ich zitiere -:
Die deutsche Außenpolitik, die 1999 den Stabilitätspakt für Südosteuropa aus der Taufe gehoben hat,
muss ihn weiterentwickeln und dafür sorgen, dass
Interesse und Hilfe der EU für den Balkan nicht erlahmen. Wenn das gelingt, könnte der Stabilitätspakt
Modellcharakter auch für andere Krisenregionen gewinnen.
Modellcharakter, meine Damen und Herren!
({1})
Aber - so frage ich die PDS - hätte der Stabilitätspakt
je in Kraft treten können - inzwischen ist übrigens auch
die Republik Serbien Teilnehmer -, wenn die Bundesrepublik nicht 1999 zusammen mit ihren Bündnispartnern
der Aggression im Kosovo entschieden entgegengetreten
wäre? Nur so konnte ein neuer Flächenbrand auf dem Balkan in letzter Minute verhindert werden. Stabilität wurde
wieder denkbar. Diese Politik ist von der PDS damals erbittert bekämpft worden.
Werfen wir noch einmal einen Blick auf die Ereignisse
im ehemaligen Jugoslawien. Es ist der PDS-Ortsverband
Berlin-Friedrichshain, der sich nun daran beteiligt hat, ein
Milosevic-Solidaritätskomitee ins Leben zu rufen. Das ist
eine Ungeheuerlichkeit und wirft ein bezeichnendes Licht
auf die Politik der PDS.
({2})
Zu Mazedonien wird in der gemeinsamen Stellungnahme der Herausgeber festgestellt - ich zitiere wieder -:
Zwar ist Mazedonien noch längst nicht befriedet, das
Zusammenleben zwischen Mehrheit und Minderheit
ist weiterhin gespannt. Doch die konzertierte Aktion
zwischen EU und NATO hat die Gewalteskalation
unterbunden.
Weiter heißt es in der gemeinsamen Stellungnahme, dass
die Forscher schon früher hervorgehoben haben, „dass wir
die Präsenz von SFOR und KFOR für den Frieden dienlich
halten. Dasselbe gilt für den Einsatz in Mazedonien.“
Mussten diese Einsätze der PDS nicht als Beispiele einer
angeblichen Kriegslüsternheit der rot-grünen Regierung
dienen, wie wir es auch heute Morgen wieder erfahren haben? Das war doch der Tenor Ihrer heutigen Beiträge.
Nehmen wir einmal an, der Bundestag wäre den Vorschlägen der PDS in Sachen Mazedonien gefolgt. Dann
hätten wir heute nicht einen sich selbst tragenden Friedensprozess, sondern wir stünden hilflos vor einem grauenhaften Bürgerkrieg. Man muss die Konsequenzen der
Politik zu Ende denken. Wenn Sie meinen, unsere Politik
habe in der Konsequenz negative Folgen, dann denken Sie
auch einmal Ihre Politik zu Ende! Dabei haben wir vielleicht einige Probleme; Sie haben ganz grauenhafte Szenarien vor sich, für die Sie dann überhaupt keine Lösung
haben.
({3})
Der Konflikt im Kosovo hat diese Bundesregierung in
einer Phase der rasanten Konflikteskalation getroffen. Die
Bundesregierung hat das Problem nicht gemacht. Sie hat
das Problem geerbt und vieles zu seiner Lösung beigetragen. Eine Schlussfolgerung daraus war, die Mittel zur
frühzeitigen zivilen Konfliktbearbeitung, die die Regierung eben nicht vorgefunden hatte, zu stärken. Dazu heißt
es in diesem Gutachten - ich zitiere -:
Positiv beurteilen wir, dass die Bundesrepublik ... die
Instrumente für zivile Konfliktbearbeitung auszubauen und zu erproben begonnen hat.
({4})
Genauso wenig wie sich die Bundesregierung an den
Terrorismus gewöhnen wird, wird sie den Einsatz von
Militär jemals als normal betrachten. Für uns haben die
Krisenprävention und die zivile Konfliktbearbeitung absolute Priorität. Wir haben aber erkannt, dass in bestimmten Fällen ein integrierter Einsatz ziviler Kräfte flankiert
von militärischen Kräften sinnvoll und notwendig ist.
Die PDS hätte sich und den Mitgliedern dieses Hauses
die Zeit einräumen sollen, das gesamte Gutachten gründlich zu lesen, statt auf die in der FR veröffentlichte Einzelmeinung des Herrn Mutzlin in agitatorische Hektik zu
verfallen.
({5})
Der Versuch, die Friedens- und Konfliktforschung vor
den Karren der PDS zu spannen, wird schiefgehen.
Wenn man die Außenpolitik der PDS genau analysiert,
wird man herausfinden, dass die PDS nicht die Partei einer Friedensbewegung, sondern eines hochgefährlichen
Nationalneutralismus ist. Wer, außer vielleicht der PDS,
will widersprechen, wenn in dem Gutachten festgestellt
wird: „Gerade nach dem 11. September ist die EU als
kooperative Gestaltungsmacht in der Weltpolitik nötiger
den je“? - Wir sehen das genauso.
({6})
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Hildebrecht Braun.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Lassen
Sie mich zunächst einmal kurz erklären, warum wir vor
nahezu leeren Rängen über ein so wichtiges Thema wie
den Frieden sprechen. Es sind sehr viele Zuhörer anwesend, die sich diese Frage sicherlich stellen. Dafür gibt es
zwei Gründe. Zum einen hatten wir am Donnerstag eine
sehr lange Tagesordnung; die Sitzung sollte eigentlich bis
4.30 Uhr heute früh dauern. Jetzt sitzen wir auch schon
wieder seit 9 Uhr zusammen.
Aber zum anderen hat es damit zu tun, dass der Antrag,
eine Diskussion über den Frieden zu führen, ausgerechnet
von der PDS eingebracht wurde. Wenn die PDS über den
Frieden diskutiert, handelt es sich um eine Veranstaltung
der besonderen Art. Darauf komme ich noch zu sprechen.
In einem Punkt muss den Friedensforschern Recht gegeben werden: Die rot-grüne Bundesregierung hat die im
Koalitionsvertrag versprochenen Fortschritte in der Friedens-, Sicherheits- und Abrüstungspolitik zumindest
nicht vollständig erreichen können. In manchen Teilen ist
sogar das Gegenteil der Fall. Aus der zum Bündnis 90/Die
Grünen mutierten ehemaligen deutschen Friedensbewegung ist inzwischen eine Entsendebewegung geworden.
({0})
Das stelle ich nicht kritisch fest, sondern ich meine, dass
diese Entwicklung notwendig und richtig war. Es ist festzustellen, dass unter rot-grüner Verantwortung circa
10 000 Männer und Frauen in zehn Krisenregionen der
Welt stationiert sind. In der Abrüstungs-, Rüstungs- und
Friedenspolitik ist die Bilanz, gemessen an den Vorgaben
des Koalitionsvertrags, zumindest dünn. Deutschland
spielt in der Weltliga der Rüstungsexporteure unverändert
auf einem der vordersten Plätze.
({1})
Da nützt auch die durch gezielte Indiskretionen im Bundessicherheitsrat noch so kunstvoll applizierte weiße
Salbe auf die grüne Seele nichts.
Auch der mit viel Pomp inszenierte zivile Friedensdienst ist bei näherer Betrachtung nichts als Augenwischerei. Knapp 10 Millionen Euro stellt die Bundesregierung in diesem Jahr insgesamt für den zivilen
Friedensdienst zur Verfügung. Angesichts der präzedenzlosen Kürzungen der deutschen Entwicklungshilfeleistungen, insbesondere auch der freiwilligen Leistungen für die
humanitären UNO-Organisationen, muss die Frage erlaubt
sein, ob durch diesen puren Aktionismus nicht in erster
Linie erneut die grüne Basis besänftigt werden soll.
Selten ist das Dilemma zwischen Anspruch und Wirklichkeit grüner Politik deutlicher geworden als beim
jüngsten Besuch des US-Präsidenten Bush in Berlin.
Während sich der grüne Außenminister zwar sorgenzerfurcht, aber staatsmännisch der Verantwortung für die
Lösung globaler Sachzwänge stellt, buhlen seine Mitstreiter heftig um die Gunst des verbliebenen harten Kerns
der ehemaligen Friedensbewegung und werden dafür heftig ausgepfiffen.
Die PDS indes - das belegt die heutige Aktuelle Stunde
erneut - versucht, die von den Grünen hinterlassene
Marktlücke zu besetzen. Diese selbst ernannten politischen Erben derjenigen, die 1968 das Einrücken sowjetischer Truppen in die Tschechoslowakei als sozialistische
Bruderhilfe willkommen geheißen und Pol Pot, einen der
größten Schlächter der Neuzeit, Solidaritätsadressen übersandt haben,
({2})
ganz zu schweigen von der brüderlichen Unterstützung
des sowjetischen Vernichtungskrieges in Afghanistan,
bieten sich jetzt als politisches Auffangbecken für frustrierte deutsche Friedensbewegte an.
({3})
Niemand hier im Hohen Hause und schon gar nicht die
Freien Demokraten wollen eine Militarisierung der Außenpolitik. Doch es führt einfach kein Weg an der Feststellung
vorbei, dass durch Militäreinsätze sowohl die politschen
Verhandlungsergebnisse auf dem Balkan erfolgreich abgesichert als auch die Voraussetzungen für politische Verhandlungen in Afghanistan geschaffen worden sind. All
diese Einsätze waren Ultima Ratio; sie haben Schlimmeres
verhindert. Das weiß auch die PDS. Sie bleibt aber aus taktischen Erwägungen bei ihrer Ablehnung.
Es ist bezeichnend, dass bei der aktuellen Debatte über
die Verlängerung der Mandate für die deutschen Streitkräfte die PDS zwar in den Ausschüssen erklärt, man sehe
sehr wohl die Erfolge der Aktionen, sich aber im Parlament dennoch gezwungen sieht, die Anträge abzulehnen.
Das ist keine Art, Politik zu machen.
({4})
Es darf nicht zugelassen werden, dass sie sich dabei auch
noch auf das Friedensgutachten 2002 beruft.
Für Liberale ist es ganz selbstverständlich, dass der
11. September nicht, wie im Friedensgutachten behauptet,
Gewalteskalation als Mittel der Konfliktlösung legitimiert und dass eine Verallgemeinerung bzw. Eskalation
der Logik des Krieges nicht zugelassen werden darf. Angesichts der umfassenden und erfolgreichen Bemühungen
der USA um internationale Abstimmung kann aus unserer
Sicht der Bush-Administration nicht pauschal vorgeworfen werden, sie setze einseitig auf das Militär. Immerhin
kommt die Studie zu dem Ergebnis, dass die so genannten
robusten Verhandlungen in Mazedonien letztlich erfolgreich waren und die Bilanz bezüglich Afghanistan gemischt sei.
Es kann überhaupt kein Zweifel daran bestehen, dass
die Strategie friedenspolitischer Prävention auch in Zukunft absolute Priorität haben muss. Aber gerade die internationalen Einsätze aus jüngerer Zeit belegen, dass
eine solche Strategie ohne Sicherheitskomponente zum
Scheitern verurteilt ist. Dabei muss den friedensbewahrenden und friedensschaffenden Einsätzen der Vereinten
Nationen absolute Priorität eingeräumt werden. Das in
jüngerer Zeit vereinzelt infrage gestellte Gewaltmonopol
der Vereinten Nationen darf nicht angetastet werden.
Vielen Dank.
({5})
Die Abgeordne-
ten Polenz, Schmidt und Fritz haben gebeten, ihre Reden
zu Protokoll geben zu dürfen.1) Sind Sie damit einverstanden? - Dann verfahren wir so.
Als Nächste hat jetzt die Abgeordnete Angelika Graf
das Wort.
Frau Präsidentin!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lassen Sie mich
zunächst eine Dankesadresse an die akademische Fachwelt richten, die nun kontinuierlich seit 15 Jahren ein solches Friedensgutachten erstellt und uns Politikern, wie ich
meine, aktuelle Themen aufbereitet und sie mit einer umfangreichen, vor allen Dingen verständlichen Abhandlung
begleitet, an der wir uns auch orientieren können. Wir von
der AG Menschenrechte der SPD-Bundestagsfraktion
danken den Autoren des Gutachtens.
Es ist gut, dass die unterschiedlichen Auffassungen von
circa 26 Experten in diesem Gutachten zutage treten. Ich
möchte mich aber auf die Kernaussagen der Herausgeber
beziehen, auf die sich ja offensichtlich die fünf beteiligten
Forschungsinstitute geeinigt haben. Ich meine, dass man
damit der Qualität des Gutachtens eher gerecht wird als
mit der Rosinenpickerei, die Sie von der PDS ja in vielen
Politikbereichen betreiben.
Unbestritten sollten meines Erachtens zwei wichtige
Sätze im Vorwort des Gutachtens sein. Hier steht auf der
einen Seite: „Der 11. September hat die internationale
Politik verändert.“ - Das ist eine erfreuliche Richtigstellung des falschen, aber populären Satzes, dieser Tag habe
die Welt verändert. Der zweite wichtige Satz heißt:
Dass man Terrorismus nicht manu militari - also mit
militärischer Gewalt - bekämpfen könne, ist richtig
und falsch zugleich.
Der Kollege Bartels hat diesen Satz auch schon zitiert.
Gerade dieser zweite Satz beinhaltet meiner Meinung
nach eine interessante Feststellung, über deren ambivalente Aussage die PDS, die ja diese Aktuelle Stunde, die
so aktuell nicht ist, beantragt hat, tiefer nachdenken sollte.
Die Gutachten weisen einerseits auf die Chancen auf
Stabilisierung in Asien nach dem Afghanistankrieg und
auf die erfreuliche Einigkeit im Kampf gegen den Terrorismus in weiten Teilen der Welt hin; andererseits - auch
das wird im Vorwort festgestellt - wird natürlich die
prekäre Balance zwischen bürgerlichen Freiheitsrechten
sowie den Sicherheitsbedürfnissen des Staates und des
einzelnen Bürgers zurzeit zu Recht als gefährdet angesehen. Im Menschenrechtsausschuss fand zu dem Spannungsfeld „Terrorismus und seine Auswirkungen auf die
Menschenrechte“ erst in dieser Woche eine hochinteressante Anhörung statt. Man darf in diesem Zusammenhang
nicht vergessen: Terrorismus verletzt Menschenrechte zuallererst.
({0})
Ich komme auf die Einschätzung zurück, die Behauptung, der Terrorismus könne nicht manu militari, also mit
militärischer Gewalt, bekämpft werden, sei wahr und
falsch zugleich. Jedem denkenden Menschen muss klar
sein, dass der Militäreinsatz in Afghanistan den internationalen Terrorismus nicht ausrotten wird. Er war eine Reaktion auf ein die Welt erschütterndes Ereignis und hatte
mehrere Effekte: Einer davon war, dass ein verbrecherisches Regime - ich habe es selbst erlebt -, welches aus
kulturstürmerischem Fanatismus heraus die Bevölkerung
ins Mittelalter zurückgestoßen hat, gestürzt wurde. In der
Folge können Mädchen nun wieder beschult werden,
Frauen einer Berufsausbildung nachgehen und Ärztinnen
wieder für die Gesundheit von Frauen sorgen.
Die Loya Jirga ist trotz aller Vorbehalte gegenüber Vorkommnissen im Vorfeld - auch darüber sollte man nicht
hinwegsehen - ein wichtiger Schritt hin zu einer zivilen
Gesellschaft, die der Region Stabilität geben kann. Wir
müssen alles tun, damit diese Chance nicht vertan wird.
Es ist gut, dass sich die Bundesregierung im militärischen
und im zivilen Bereich an dem Prozess der Befriedung der
Region aktiv beteiligt. Wir haben das Mandat heute Vormittag verlängert. Ich meine, dass das richtig war; denn
Sicherheit ist die notwendige Voraussetzung für zivile
Entwicklung in Afghanistan.
Zu den Quellen des Terrorismus und den Feldern, auf
denen Terroristen rekrutiert werden, zählen - ich zitiere
Hildebrecht Braun ({1})
1) Anlage 13
aus der Zusammenfassung eines Aufsatzes -, „eine Atmosphäre der Hoffnungslosigkeit, ungelöste Regionalkonflikte mit besonderer Symbolkraft, ein dramatisches Auseinanderklaffen zwischen politischen Legitimationen und
gesellschaftlichen Realitäten sowie die Blockade friedlicher Oppositionsformen durch repressive Systeme“.
Dem Terrorismus diese Wurzeln nachhaltig zu entziehen ist für uns alle wichtiger als militärische Aktion. Die
Bundesregierung hat dies von Anfang an erkannt und sich
an der Lösung von Konflikten in Krisengebieten aktiv beteiligt. Ich erinnere an das Engagement des Außenministers im Nahen Osten.
Unsere Politik der Entwicklungszusammenarbeit zielt
in dieselbe Richtung. Ich glaube, es ist dringend notwendig, dass wir diese Richtung der Politik über den 22. September hinaus verfolgen können. Ich bin sicher, es wird
klappen. Ich sehe viele Chancen für den Frieden in der
Welt.
({2})
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Winfried Nachtwei.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir
begrüßen ausdrücklich das Friedensgutachten, das soeben
zum 16. Mal erschienen ist und an dem sich das Bonner
Internationale Konversionszentrum und das Institut für
Entwicklung und Frieden erstmals beteiligt haben. Das
Gutachten enthält die Stellungnahme einiger unabhängiger und kritischer Friedensforscher, die sich mit den friedens- und sicherheitspolitischen Herausforderungen in
voller Breite auseinander setzen. Das ist in der öffentlichen und auch in der parlamentarischen Diskussion - ich
schaue in Richtung PDS - in keiner Weise selbstverständlich.
Bemerkenswert ist, dass die fünf Friedensforschungsinstitute zu einer in wesentlichen Fragen gemeinsamen
Position finden. Für eine Außenpolitik, die Friedenspolitik sein will, bietet das Friedensgutachten Anlass zu kritischer Überprüfung und konstruktive Vorschläge. Die Aktuelle Stunde - das ist vorhin schon deutlich betont
worden - kann nur ein erster Schritt zur Auseinandersetzung mit dem Friedensgutachten sein.
Zu Recht, so meine ich, warnt das Friedensgutachten
vor einer Enttabuisierung des Krieges und vor einer Unterhöhlung des Kriegsverbotes der UN-Charta. Wo militärische Bekämpfung des Terrorismus schrankenlos
wird, wo Selbstverteidigung in Offensivstrategien umschlägt, wo Präventionsangriffe gegen terroristische Bedrohung zu jeder Zeit und an jedem Ort in Aussicht gestellt werden, da wird der Willkür in den internationalen
Beziehungen Tür und Tor geöffnet. Dies wäre - wenn
auch auf einer anderen Ebene - eine Form der Privatisierung von Gewalt. Die Bundesrepublik und die Europäer
sind gefordert, demgegenüber die Stärkung des internationalen Rechts zu fördern. Das taten die Europäer und die
Bundesrepublik bisher und das werden sie auch weiterhin
tun.
Das Friedensgutachten warnt darüber hinaus vor einer
so genannten Normalisierung des Instruments Bundeswehr in der deutschen Außenpolitik. In der Differenziertheit, wie sie im Friedensgutachten enthalten ist, stimme
ich dieser Feststellung zu. Einerseits befürwortet das Friedensgutachten die Einsätze von SFOR, KFOR, in Mazedonien und Kabul und nennt diese Einsätze ausdrücklich
friedensförderlich. Andererseits bleibt für uns das Instrument Militär ein besonders kostspieliges und riskantes
Mittel. Im Rahmen von so genannter Friedenserzwingung
wäre es immer auch ein tückisches Mittel, so wie es zum
Beispiel die katholischen Bischöfe in ihrem Friedenswort
festgestellt haben.
Weil die Bundeswehr für uns kein normales Politikinstrument neben anderen ist, haben wir den Parlamentsvorbehalt und halten daran auch eindeutig fest. Deshalb
befleißigen wir uns einer Zurückhaltung und eines besonders hohen Verantwortungsbewusstseins bei Entscheidungen bezüglich Entsendungen der Bundeswehr.
({0})
Das Friedensgutachten betont völlig richtig die Notwendigkeit umfassender Friedensstrategien, in denen die
Fähigkeiten der zivilen Vorbeugung Vorrang haben und
deshalb ganz anders gefördert werden müssen. Die deutsche Balkanpolitik - aus dem Gutachten sind die entsprechenden Stellen schon mehrfach zitiert worden - kann
hier inzwischen als vorbildlich gelten.
Ich freue mich aber außerordentlich, dass die Bundesregierung und die Koalition auf diesem Feld der vorbeugenden Friedenspolitik inzwischen sogar schon einiges
mehr auf den Weg gebracht haben, als in diesem Gutachten zum Ausdruck kommt. Es werden zum Beispiel inzwischen systematisch die Fähigkeiten entwickelt, von
deutscher Seite aus an der zivilen Komponente von internationalen Friedensmissionen teilzunehmen. In dem Zusammenhang möchte ich erwähnen, dass in der übernächsten Woche, am 24. Juni, das Zentrum für internationale
Friedensmissionen in Berlin eröffnet werden wird.
Was vorher schon angesprochen wurde: Die Bundesförderung der deutschen Friedens- und Konfliktforschung
wurde mit der Gründung der Deutschen Stiftung Friedensforschung wieder aufgenommen. Damit wurde die
unabhängige Friedensforschung auf eine bessere Grundlage gestellt.
Insgesamt gesehen, muss dieses Gutachten für uns Anlass zur Selbstprüfung sein. Es ist für meine Fraktion und
wie ich glaube, für Rot-Grün insgesamt zugleich eine Ermutigung, uns weiterhin um eine praktische Friedenspolitik zu bemühen, die neue sicherheits- und friedenspolitische Herausforderungen annimmt und die sich mit aller
Kraft für die Verhütung und Eindämmung von Krieg und
Gewalt sowie für die gemeinsame Sicherheit und für einen gerechten Frieden einsetzt.
Danke schön.
({1})
Angelika Graf ({2})
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Heinrich Fink.
Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Warum musste es zu dieser Aktuellen Stunde kommen?
({0})
Warum wird die Debatte über Krieg und Frieden im Jahr
2002 nicht in der Kernzeit geführt, also zu einer Zeit, in
der die Diskussion von öffentlichem Interesse ist? Wir
nutzen die uns gebotene Möglichkeit der Aktuellen
Stunde, um genau die Fragen, die Ihnen offenbar nicht behagen, einmal zu thematisieren.
Das Friedensgutachten erscheint in diesem Jahr zum
16. Mal. An ihm arbeiten jetzt fünf renommierte wissenschaftliche Institute, was nicht nur eine wirklich komplexe Analyse ermöglicht, sondern auch die Qualität erheblich verbessert hat. Da Sie nur das gelten lassen, was
Sie bestätigt, empfehle ich differenziertes Lesen dieses
Gutachtens, um daraus Konsequenzen für politisches
Handeln ziehen zu können.
Das jetzt vorliegende Gutachten konzentriert sich darauf, die weit reichenden Folgen des 11. September und
des Krieges in Afghanistan für die sich gegenwärtig in der
internationalen Politik vollziehenden Machtverschiebungen zu analysieren und zu bewerten. Ich verweise nur auf
den zunehmenden Unilateralismus der USA, die sich verändernde internationale Rolle Russlands oder den Funktionswandel der NATO. Das ist neu in diesem Gutachten;
darüber sollten wir wirklich nachdenken.
Aber auch in den bundesrepublikanischen Verhältnissen gibt es beträchtliche Veränderungen. So wurde der
weltweite Einsatz der Bundeswehr zu einem normalen Instrument deutscher Außenpolitik erhoben. Die komplizierte Balance zwischen Bürgerrechten und Sicherheitsbedürfnissen wird unter dem Ruf nach innerer Sicherheit
gefährdet. Allein die Komplexität dieser Prozesse zeigt,
dass die Politik in zunehmendem Maße qualifizierter Beratung bedarf.
In Zeiten, in denen die Führungsnation dieser Welt
nicht mehr nur die atomare Erstschlagsoption aufrechterhält, sondern für die nächste Zukunft den Übergang zu
atomaren Präventivschlägen diskutiert, in Zeiten, in denen dieses Haus ungefähr vierteljährlich auf Regierungsantrag den Einsatz deutscher Soldaten im Ausland bis hin
zum Kriegseinsatz beschließt - dies geschieht seit Beginn
dieser Legislaturperiode -, ist die Beschäftigung mit Friedenspolitik mehr als geboten, und zwar nicht nur dann,
wenn es einmal mehr darum geht, den nächsten Einsatz zu
beschließen, sondern gerade auch unabhängig von dem
dann immer wieder gesetzten Zustimmungszwang, der
gelegentlich den freien Blick auf die Dinge zu vernebeln
vermag.
({1})
Die Bundesregierung betont seit ihrem Sündenfall
- das sage ich sehr bewusst -, seit der Beteiligung am
Krieg gegen Jugoslawien im Jahre 1999, ihre Politik der
militärischen Krisenintervention sei alternativlos, sie sei
zwar nicht das alleinige, aber letztlich das einzige erfolgversprechende Mittel internationaler Konfliktbearbeitung. Konsequente Folgen dieser Haltung sind die nicht
enden wollenden und immer neuen Militärinterventionen.
Dass diese Politik eben nicht alternativlos ist, dass erfolgversprechende Wege unabhängig von diesen Interventionen gesucht und gefunden werden, können wir in diesem
Friedensgutachten deutlich sehen. Mir geht es darum,
dass Erkenntnisse für politische Entscheidungen in Parlament und Regierung genutzt werden.
In anderen Politikbereichen ist es eine gute Tradition,
dass sich die Bundesregierung aus dem Kreis von Expertinnen und Experten Vorschläge für ihre Politik unterbreiten lässt. Diese Gutachten finden in aller Regel auch einen Widerhall in der Öffentlichkeit. Bestes Beispiel dafür
ist das Jahresgutachten des Rates der fünf Weisen, bezogen auf die in der Wirtschaftspolitik einzuschlagenden
Wege. Aber auch in anderen Fällen greift die Exekutive
gerne auf Ratschläge aus der Wissenschaft zurück, an die
sie sich ja nicht halten muss, aber die sie kennen sollte.
Es ist für mich wichtig, dass Friedensforschung
Präventivforschung ist. Es ist an der Zeit, dass das Gutachten, das die führenden Friedens- und Konfliktforschungseinrichtungen jährlich vorlegen, auch von der Regierung
beachtet und in den parlamentarischen Willensbildungsprozess einbezogen wird.
Die Bundesregierung hat mit der Schaffung der Stiftung Deutsche Friedensforschung Grundlagen geschaffen, um zu einer stetigen Ausbildung und Forschungsförderung in diesem Bereich zu kommen. Ob die dafür
vorgesehenen Mittel ausreichend sind, braucht an dieser
Stelle nicht diskutiert zu werden. Aber die Etablierung der
Friedensforschung als eines wichtigen Wissenschaftszweigs, der auch der Politikberatung dienen soll, wird ad
absurdum geführt, wenn man dieser Disziplin nur ein Nischendasein zuweist. Friedenspolitik soll die Grundlage
deutscher Außenpolitik sein. Dafür dürfte in diesem
Hause doch eine überwältigende Mehrheit zu gewinnen
sein.
({2})
Dann sollte man das Friedensgutachten als eine Herausforderung annehmen, um intensiver über friedenspolitische Optionen deutscher Politik zu sprechen. Wir sehen diese Aktuelle Stunde also nicht als einmaligen Akt,
der sich eventuell im Wahljahr gut macht. Uns geht es
nicht darum, immer wieder die Hintergründe von Kriegen
deutlich zu machen. Uns geht es um Grundsätzliches: Die
Erkenntnisse und Vorschläge der Friedens- und Konfliktforschung sollen in unseren außenpolitischen Debatten
und Entscheidungen endlich den Rang einnehmen, der ihnen nach unserer Überzeugung zukommt.
Herr Kollege,
denken Sie bitte an die Redezeit.
Die Fraktion der demokratischen Sozialisten hat das diesjährige Friedensgutachten
zum Gegenstand dieser Aktuellen Stunde gemacht, weil
wir meinen, dass dieses Gutachten, wie übrigens auch die
Gutachten aus den vorhergehenden Jahren, nicht allein
eine möglichst große Öffentlichkeit und eine parlamentarische Behandlung, sondern auch eine fortgesetzte Befassung der Bundesregierung verdient hat.
({0})
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Christian Sterzing.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Man
fragt sich am Ende dieser Aktuellen Stunde, ob die PDS
sie auch beantragt hätte, wenn sie das Gutachten gelesen
hätte. In der Kürze der Zeit seit Erscheinen war das ja
kaum möglich. Ich glaube, dass die vielen Zitate gezeigt
haben, dass dieses Gutachten eine wesentlich differenziertere, problemorientiertere Auseinandersetzung verdient, als das hier in einer Aktuellen Stunde möglich ist.
Dieses Gutachten eignet sich wirklich nicht als Munitionskiste, um die Bundesregierung vorzuführen. Die
Friedensgutachten waren in den letzten Jahren immer
durchaus wertvolle Beiträge. Es waren Analysen und problemorientierte Auseinandersetzungen auch mit den Strategien der Politik der jeweiligen Regierung. Wir müssen
uns immer wieder den Vorwurf anhören, diese Regierung
betreibe eine Politik der Militarisierung und blicke nur auf
das Militär als möglichen Problemlöser. Dieses Gutachten
zeigt jedoch sehr deutlich, dass das nicht der Fall ist. In
ihm wird differenziert das Instrumentarium ausgebreitet,
mit dem den verschiedenen Bedrohungslagen heute begegnet werden muss.
Wenn wir die Politik der Bundesregierung genauso differenziert betrachten, dann stellen wir fest, dass dieses
breite Instrumentarium auch genutzt wird. Lassen Sie
mich nur kurz die zivile Polizei erwähnen. Deutschland
- wir haben heute darüber gesprochen - hat in besonderer
Weise die Verantwortung für die Ausbildung der Polizei
in Afghanistan übernommen, weil wir gelernt haben, welche entscheidende Rolle die Polizei in einem solchen zerfallenden Staatssystem und dann wieder bei der Staatsbildung, dem „nation building“, spielt.
Wir haben im Rahmen der Gemeinsamen Außen- und
Sicherheitspolitik und der europäischen Sicherheits- und
Verteidigungspolitik eben nicht nur eine Eingreiftruppe
von 60 000 Mann in den Blick genommen, sondern auch
die Herausbildung eines Potenzials von 5 000 Polizisten.
Auch hier wird der nicht militärische, zivile Sektor des
Konfliktmanagements deutlich, dem die Bundesregierung die notwendige Aufmerksamkeit widmet.
In dem Gutachten wird auch auf den Zusammenhang
zwischen Frieden und Demokratie hingewiesen. Natürlich haben wir auch in dieser Beziehung gelernt. In dem
Plan des Außenministers Fischer für den Frieden im Nahen Osten wird zum Beispiel auf genau dieses Problem
hingewiesen. Es wird gesagt: Gerade auf palästinensischer Seite müssen wir - das ist eine Lehre aus den Versäumnissen in der Vergangenheit - der Herausbildung zivilgesellschaftlicher Elemente mehr Aufmerksamkeit
widmen. Wir müssen hier einen Verfassungsprozess und
die Entwicklung von Demokratie fördern.
Auch hier wird also deutlich sichtbar: Wir nehmen die
Anregungen und Ideen von Friedensforschungsinstituten
durchaus ernst. Sie aufzunehmen ist die Politik der Bundesregierung.
Insofern eignet sich das Friedensgutachten nicht dazu,
die Bundesregierung vorzuführen.
({0})
Sie sollten dieses Gutachten als Maßstab nutzen, Ihre eigene Politik zu überprüfen. Dann wird es bis zur Beantragung einer nächsten Aktuellen Stunde zu diesem Thema
wahrscheinlich noch lange Zeit dauern.
Vielen Dank.
({1})
Ich schließe da-
mit die Aktuelle Stunde.
Ich rufe Zusatzpunkt 22 auf:
Erste Beratung des von den Fraktionen der SPD
und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN einge-
brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verbesse-
rung des Zuschusses zu ambulanten medizini-
schen Vorsorgeleistungen
- Drucksache 14/9357 -
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Gesundheit
Die Kolleginnen und Kollegen Schmidbauer, Faust,
Göring-Eckardt, Thomae und Fuchs haben gebeten, ihre
Reden zu Protokoll geben zu dürfen. Sind Sie damit ein-
verstanden1)? - Das ist der Fall.
Interfraktionell ist die Überweisung des Gesetzentwur-
fes auf Drucksache 14/9357 an den Ausschuss für Ge-
sundheit vorgeschlagen worden. Sind Sie damit einver-
standen? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so
beschlossen.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 39 a bis 39 f sowie Zu-
satzpunkt 23 auf:
39. a) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen ({0}) zu dem Antrag der
Abgeordneten Dr. Winfried Wolf, Eva Bulling-
Schröter, Christine Ostrowski, weiterer Abgeord-
neter und der Fraktion der PDS
Bahnpreissystem für Fahrgäste attraktiv ge-
stalten
- Drucksachen 14/7768, 14/8557 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Karin Rehbock-Zureich
1) Anlage 12
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr, Bau- und
Wohnungswesen ({1}) zu dem Antrag
der Abgeordneten Dr. Winfried Wolf, Eva Bulling-
Schröter, Heidi Lippmann, weiterer Abgeordneter
und der Fraktion der PDS
Interregio für die Regionen erhalten
- Drucksachen 14/4543, 14/8575 -
Berichterstattung:
Abgeordneter Klaus Hasenfratz
c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen ({2})
- zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Peter
Danckert, Siegfried Scheffler, Reinhard Weis
({3}), weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten
Albert Schmidt ({4}), Franziska
Eichstädt-Bohlig, Helmut Wilhelm ({5}),
weiterer Abgeordneter und der Fraktion des
BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Option für eine Fernbahnanbindung des
Bahnhofs Berlin-Lichtenberg offen halten
- zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Winfried
Wolf, Gerhard Jüttemann, Rolf Kutzmutz, wei-
terer Abgeordneter und der Fraktion der PDS
Realisierung einer direkten Fernbahnver-
bindung zwischen den Bahnhöfen Berlin
Ostbahnhof und Berlin-Lichtenberg beim
Ausbau des Eisenbahnknotens Berlin
- Drucksachen 14/9270, 14/3783, 14/9403 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Peter Danckert
Renate Blank
d) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr. Winfried Wolf, Eva Bulling-Schröter, Rosel
Neuhäuser und der Fraktion der PDS
Innerdeutschen Luftverkehr auf die Bahn verlagern
- Drucksache 14/9255 Überweisungsvorschlag
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen ({6})
Ausschuss für Tourismus
e) Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Dr. Winfried Wolf, Eva Bulling-Schröter,
Wolfgang Bierstedt, weiteren Abgeordneten und
der Fraktion der PDS eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Aufhebung des Magnetschwebebahnplanungsgesetzes
- Drucksache 14/8300 ({7})
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
({8})
- Drucksache 14/9345 Berichterstattung:
Abgeordneter Reinhard Weis ({9})
f) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen ({10})
- zu dem Antrag der Abgeordneten Georg
Brunnhuber, Dirk Fischer ({11}),
Dr.-Ing. Dietmar Kansy, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU
Mitwirkungsrechte des Deutschen Bundestages bei Transrapid-Entscheidungen sichern
- zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Winfried
Wolf, Eva Bulling-Schröter, Wolfgang
Bierstedt, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der PDS
Keine Entscheidung über den Bau einer
Magnetschwebebahnstrecke in der Bundesrepublik Deutschland ohne Einstellung
der entsprechenden Bundesmittel in den
Bundeshaushalt
- Drucksachen 14/8590, 14/8296, 14/9345 Berichterstattung:
Abgeordneter Reinhard Weis ({12})
ZP 23 Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr. Winfried Wolf, Dr. Ilja Seifert, Monika Balt,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der PDS
Erhalt der Bahnwerke - behindertengerechte
Umrüstung des Wagenparks der DB AG
- Drucksache 14/9365 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
Hier haben die Abgeordneten Danckert, Brunnhuber,
Blank, Schmidt ({13}), Friedrich ({14}) und
Wolf gebeten, die Reden zu Protokoll geben zu dürfen. -
Auch damit sind Sie, wie ich sehe, einverstanden.1)
Wir kommen also gleich zur Abstimmung über die Be-
schlussempfehlung des Ausschusses für Verkehr, Bau-
und Wohnungswesen auf Drucksache 14/8557 zu dem
Antrag der Fraktion der PDS mit dem Titel „Bahnpreis-
system für Fahrgäste attraktiv gestalten“. Der Ausschuss
empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 14/7768 abzuleh-
nen. Wer stimmt für die Beschlussempfehlung? - Gegen-
stimmen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung
ist gegen die Stimmen der PDS mit den Stimmen des übri-
gen Hauses angenommen worden.
Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Aus-
schusses für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen auf
Drucksache 14/8575 zu dem Antrag der Fraktion der PDS
mit dem Titel „Interregio für die Regionen erhalten“. Der
Ausschuss empfiehlt, den Antrag abzulehnen. Wer stimmt
für die Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? - Ent-
haltungen? - Die Beschlussempfehlung ist gegen die
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer
1) Anlage 11
Stimmen der PDS mit den Stimmen des übrigen Hauses
angenommen worden.
Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen, Drucksache 14/9403. Der Ausschuss empfiehlt unter Nr. 1 seiner Beschlussempfehlung die Annahme des Antrags der
Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen
mit dem Titel „Option für eine Fernbahnanbindung des
Bahnhofs Berlin-Lichtenberg offen halten“. Wer stimmt
für diese Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist bei Enthaltung der PDS mit den Stimmen des übrigen Hauses angenommen worden.
Unter Nr. 2 seiner Beschlussempfehlung empfiehlt der
Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion der
PDS mit dem Titel „Realisierung einer direkten Fernbahnverbindung zwischen den Bahnhöfen Berlin Ostbahnhof und Berlin-Lichtenberg beim Ausbau des Eisenbahnknotens Berlin“. Wer stimmt für diese
Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist gegen die Stimmen
der PDS mit den Stimmen des übrigen Hauses angenommen worden.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 14/9255 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Abstimmung über den von der Fraktion der PDS
eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Aufhebung
des Magnetschwebebahnplanungsgesetzes, Drucksache 14/8300. Der Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen empfiehlt unter Nr. 1 seiner Beschlussempfehlung, den Gesetzentwurf abzulehnen. Ich bitte
diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen,
um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung gegen
die Stimmen der PDS mit den Stimmen des übrigen Hauses abgelehnt worden. Damit entfällt nach unserer Geschäftsordnung die weitere Beratung.
Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen, Drucksache 14/9345. Unter Nr. 2 seiner Beschlussempfehlung
empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der
Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache 14/8590 mit dem
Titel „Mitwirkungsrechte des Deutschen Bundestages bei
Transrapid-Entscheidungen sichern“. Wer stimmt für
diese Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen
der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen von
CDU/CSU, FDP und PDS angenommen.
Unter Nr. 3 seiner Beschlussempfehlung empfiehlt der
Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion der
PDS auf Drucksache 14/8296 mit dem Titel „Keine Entscheidung über den Bau einer Magnetschwebebahnstrecke in der Bundesrepublik Deutschland ohne Einstellung der entsprechenden Bundesmittel in den
Bundeshaushalt“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen, CDU/CSU und FDP gegen die
Stimmen der PDS angenommen.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 14/9365 an den Ausschuss für Verkehr, Bauund Wohnungswesen vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung
so beschlossen.
Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesordnung, die, wie wir alle wissen, sehr reichhaltig war.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Mittwoch, den 26. Juni 2002, 13 Uhr, ein.
Die Sitzung ist geschlossen.