Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 6/13/2002

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile das Wort der Kultusministerin des Landes Baden-Württemberg, Annette Schavan. ({0}) Dr. Annette Schavan, Ministerin ({1}) ({2}): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In Deutschland wimmelt es von pädagogisch wertvollen Sätzen und bildungspolitisch richtigen Einsichten. Der Bundeskanzler hat in seiner Regierungserklärung eine Menge dieser Einsichten und richtigen Sätze in Erinnerung gerufen, die in nahezu jedem bildungspolitischen Papier dieser Tage enthalten sind, ganz egal, wer es schreibt. Es ist ja wahr: Bildung begründet Wohlstand. Bildung sichert Teilhabe. Bildung ist der Schlüssel für Lebenschancen und der Motor gesellschaftlicher Entwicklung. Es ist ja wahr: Wer über Bildung redet, muss sich um Erziehung kümmern. Wer über Erziehung redet, muss sich um Werte kümmern. Das beginnt damit, dass Werte und Normen nicht als Sekundärtugenden diffamiert werden dürfen. Wer das macht, ist kein Vorbild für Kinder. ({3}) Es stimmt ja auch: Erziehung gedeiht nicht in einem Klima der Beliebigkeit. Bildung und Erziehung gedeihen nicht in einem Klima der Respektlosigkeit und Autoritätsverweigerung jenen gegenüber, die pädagogisch wirken. Das heißt, wer wirklich davon überzeugt ist, dass Bildung und Erziehung so sehr Schlüssel sind, wie wir es eben gehört haben, der muss etwas dafür tun. Wir brauchen in Deutschland nicht mehr Papiere und Sachverständige. Wir brauchen die Umsetzung der Einsichten in Taten. ({4}) Deshalb versuchen wir es doch lieber ganz konkret; Stichwort: Qualitätssicherung in unseren Schulen. Der Bundeskanzler hat die PISA-Studie erwähnt und die große Sorge zum Ausdruck gebracht, die für ihn aus dem Ergebnis der PISA-Studie erwächst. Ich kann Ihnen sagen: Jahrelang haben wir mit der SPD in der Kultusministerkonferenz gestritten, weil sie die Beteiligung deutscher Schulen an diesen internationalen Vergleichsstudien nicht wollte. ({5}) Bundeskanzler Gerhard Schröder Bis zur letzten Sitzung in Konstanz 1997 ist gesagt worden: Das brauchen wir nicht. Der damalige hessische Kultusminister Holzapfel ist vielen seiner Kollegen und Kolleginnen mit dem Satz in Erinnerung geblieben: Das Schwein wird vom Wiegen nicht fett. ({6}) Das war die Einstellung SPD-regierter Länder in der Kultusministerkonferenz zu internationalen Vergleichsstudien. Die Bundesbildungsministerin sagte in diesen Tagen in einem Interview: Wir brauchen in Deutschland vergleichbare Bildungsstandards. Wir brauchen nationale Bildungsvergleiche. Dazu kann ich nur sagen: Willkommen im Klub! ({7}) Unionsregierte Länder aber haben in der letzten Kultusministerkonferenz Vorschläge für vergleichbare Bildungsstandards vorgelegt. ({8}) Als wir, lieber Herr Tauss, in dieser Kultusministerkonferenz darüber diskutiert haben, dass es auch nationale Bildungsstandards und Bildungsvergleiche geben muss, hat die SPD am 24. Mai 2002 dazu Nein gesagt. ({9}) Des Weiteren haben Sie - zu Recht - gesagt, Bildung sei die soziale Frage am Beginn des 21. Jahrhunderts. ({10}) Auch das ist ein bekannter Satz. Vor zehn Jahren hat der damalige Bundesforschungsminister ihn gesagt. Ich glaube, es herrscht Konsens darüber, dass jedes Kind wichtig ist. Die Leistungsfähigkeit eines Bildungswesens erweist sich daran, dass niemand zum Modernisierungsverlierer werden darf und dass niemand seine Talente verstecken muss. Das sind zwei Seiten ein und derselben Medaille. ({11}) Benachteiligtenförderung und Begabtenförderung gehören zusammen. Es gilt aber in Deutschland die Faustregel: Wer das eine nicht kann, kann auch das andere nicht. Ich füge hinzu: Wer in das eine nicht investiert, investiert auch nicht in das andere. Das können Sie wunderbar bei einem Ländervergleich feststellen. Wenn Sie die Investitionen für die Sonderpädagogik, für die Sonderschulen sowie für die Programme zur Förderung von Benachteiligten und Hochbegabten miteinander vergleichen, dann stellen Sie fest, dass die SPD über viele Jahre hinweg - diese Zeit war viel zu lang - ein völlig gebrochenes Verhältnis zur Hochbegabtenförderung und Elitenförderung gehabt hat. ({12}) - Natürlich stimmt das. Sie haben auch gesagt, zu lange habe in Deutschland der Irrglaube vorgeherrscht, Schule zerstöre die Kindheit. Ich habe mich gefragt: Wer hat denn diesen Irrglauben über Jahre hinweg in Deutschland verbreitet? Wer hat denn den Eindruck erweckt, dass Schule gleichsam ein unsittlicher Anschlag auf die Kindheit ist? ({13}) - Zuhörenkönnen ist auch ein Hinweis auf Bildung. ({14}) Als ich vor fünf Jahren in Baden-Württemberg über neue Wege beim Schulbeginn gesprochen und vorgeschlagen habe, dass wir beim Beginn der Schulzeit beweglicher werden müssen, dass wir in Deutschland nicht jedes zehnte Kind von der Einschulung zurückstellen dürfen, dass wir es nicht zulassen dürfen, dass das durchschnittliche Einschulungsalter bei 6,7 Jahren liegt, hat die SPD-Opposition Kopf gestanden. Manche von Ihnen wissen sicherlich noch, was alles in den Zeitungen gestanden hat. Sie haben damals blockiert und Nein gesagt. Sie haben alle vorgeschlagenen Projekte nicht mitgetragen. Das gilt übrigens auch für das Thema Fremdsprachen in der Grundschule. Dazu kann ich nur sagen: Wohl wahr! Wo gibt es denn Fremdsprachen ab der ersten Klasse der Grundschule? - Doch nicht in Niedersachsen, in Schleswig-Holstein und in Nordrhein-Westfalen. Das gibt es nur in einem einzigen Bundesland, nämlich in Baden-Württemberg. ({15}) Es ist wahr: Bildungspolitik hat nicht nur mit Geld zu tun. Aber ohne Geld - darauf hat schon der Bundeskanzler hingewiesen - ist es auch schwierig. Deshalb sage ich: Wer in Deutschland über Bildungspolitik spricht, der muss über Fakten sprechen ({16}) und der muss sich die Entwicklung der letzten Jahre anschauen. Wenn Sie das tun, werden Sie feststellen: In dem Zeitraum von 1990 bis 1998 - in den 90er-Jahren mussten alle Bundesländer Einsparungen vornehmen - ist allein der Anteil der Bildungsausgaben am Landeshaushalt - alleine - für die Schulen in Bayern und Baden-Württemberg um rund 20 Prozent gestiegen. Schließlich sind auch die Schülerzahlen gestiegen. ({17}) Im gleichen Zeitraum - das ist bekanntlich die Zeit, in der Gerhard Schröder Ministerpräsident war - ist dieser AnMinisterin Dr. Annette Schavan ({18}) teil in Niedersachsen um 10 Prozent gesunken. Das sind die Unterschiede in Deutschland. ({19}) Entsprechend vernichtend ist das Urteil des ehemaligen niedersächsischen Ministerpräsidenten Glogowski, des Nachfolgers von Gerhard Schröder, ausgefallen. Resümee nach acht Jahren Bildungspolitik unter der Verantwortung von Gerhard Schröder - ich zitiere -: Zieht ein bayerisches Kind hierher, muss es sich erst einmal zwei Jahre hängen lassen, damit es das niedrige niedersächsische Niveau erreicht. ({20}) - Blödsinn? Das hat Glogowski als Urteil nach acht Jahren gesagt. ({21}) Zu den bildungspolitischen Aufgaben, die Bund und Länder gemeinsam zu bewerkstelligen haben, gehört die Berufsbildungspolitik. Zwei Drittel aller Jugendlichen durchlaufen eine Ausbildung in der beruflichen Bildung. Weltweit gilt die duale Ausbildung, die Partnerschaft von Schule und Betrieb, als die Stärke des deutschen Bildungswesens. ({22}) Wir wissen: Wer sehen will, wo anwendungsorientiertes, praxisorientiertes Lernen möglich ist, muss in die berufliche Bildung gehen. ({23}) Das ist der Bereich unseres Bildungswesens, in dem in besonderer Weise über Teilhabe, über Lebenschancen und über berufliche Beschäftigungsperspektiven junger Menschen entschieden wird. ({24}) Deshalb: Wer es mit Teilhabe an Lebenschancen ernst meint, wer es damit ernst meint, dass Bildung ein Schlüssel für Lebenschancen und für Selbstständigkeit ist, der muss diesen Bereich „duale Ausbildung, berufliche Bildung“ in besonderer Weise stärken. ({25}) Vor wenigen Tagen hat das Institut der deutschen Wirtschaft den neuesten Vergleich der 16 Bundesländer im Hinblick auf die Stärke der Berufsschulen und der dort erteilten Unterrichtsstunden veröffentlicht. ({26}) Niedersachsen ist auf Platz 16. Auf den Plätzen 15, 14 und 13 sind ausschließlich SPD-regierte Länder. ({27}) Das Institut der deutschen Wirtschaft stellt fest: In diesen Ländern reicht die Leistungsfähigkeit der Berufsschulen nicht mehr aus - wenn es so weitergeht -, um duale Ausbildung zu leisten. Diese Länder tragen wesentlich dazu bei, dass die Ausbildungsbereitschaft der Betriebe nicht wächst, sondern stagniert. ({28}) Sie haben in Ihrer Regierungserklärung davon gesprochen, dass die Bundesregierung im Bereich der Jugendarbeitslosigkeit und auch im Bereich der beruflichen Bildung große Erfolge erreicht hat. ({29}) Das ist schon erstaunlich, wenn man bedenkt, dass vor zwei Tagen, am Dienstag, der neue Chef der Bundesanstalt für Arbeit, Gerster, erstens darauf hingewiesen hat, dass die Jugendarbeitslosigkeit zwischen Mai 2001 und Mai 2002 um 15,6 Prozent gestiegen ist. Im Vergleich dazu ist die allgemeine Arbeitslosigkeit um 6,1 Prozent gestiegen. ({30}) Das ist also ein weit höherer Anstieg. ({31}) Zweitens hat Herr Gerster festgestellt, dass im Mai 485 000 Lehrstellen zur Verfügung stehen. Ihnen stehen 600 000 Bewerber gegenüber. Er kündigt an, dass zum Herbst ein Ausgleich zwischen Angebot und Nachfrage wohl nicht erreicht werden kann. Das sind Zahlen, die darüber entscheiden, ob junge Menschen Lebens- und Berufschancen erhalten oder nicht! ({32}) Das sind Zahlen, die eine Bankrotterklärung für die Berufsbildungspolitik in Deutschland bedeuten! ({33}) Der Bundeskanzler hat zu Recht gesagt: Es geht nicht nur um Geld, es geht um eine neue Kultur des Lehrens und Lernens. ({34}) Die neue Kultur des Lehrens und Lernens setzt voraus, dass man nicht öffentlich seine ganze Abneigung gegen Pädagogen, gegen Lehrerinnen und Lehrer, auf den Markt trägt. ({35}) Von PISA-Siegern, zum Beispiel in Skandinavien, wissen wir, dass die Voraussetzung für eine erfolgreiche Arbeit der Schulen die Akzeptanz pädagogischer Arbeit ist. Niemand hat der Autorität der Lehrerinnen und Lehrer und der Schule so sehr geschadet wie ein niedersächsicher Ministerpräsident, der der gesamten Republik erklärt hat, was er von den Lehrern hält. ({36}) Ministerin Dr. Annette Schavan ({37}) In der Regierungserklärung ist zu Recht gesagt worden, ({38}) dass - darüber besteht auch Konsens; dem wird in Deutschland niemand widersprechen - Schule, Studium, Bildung und Ausbildung nicht vom Geldbeutel der Eltern abhängig sein dürfen. Darüber besteht Konsens und das ist auch gut so. ({39}) Aber eigentlich wissen wir nicht, was in der SPD wirklich darüber gedacht wird. Die Bundesregierung legt eine Hochschulnovelle vor, ({40}) derzufolge nicht mehr über Studiengebühren gesprochen werden darf. Peter Glotz, der frühere Bundesgeschäftsführer der SPD, schrieb noch in diesen Tagen: Die Behauptung, dass Studiengebühren „unsozial“ seien, ist übrigens so verbreitet wie falsch. Unsozial ist es vielmehr, kleine Lohnsteuerzahler, die nie nur auch in die Nähe von Hochschulen kommen, immer stärker zu belasten, damit die Kinder der Mittelschichten gebührenfrei studieren können. ({41}) ... Die klassischen Argumente gegen Gebühren sind schwach, aber zäh. Die SPD muss sich jetzt entscheiden, wie es weitergehen soll. ({42}) - Ich erläutere Ihnen, was ich will. Warten Sie ab! - Zum gleichen Zeitpunkt, zu dem im Bundestag und im Bundesrat über das Thema Studiengebühren und soziale Gerechtigkeit im Hinblick auf Studierende gesprochen wird, ist erstens festzustellen, dass nur 8 Prozent der Studierenden in Deutschland aus einkommensschwachen Familien kommen. Das ist nicht sozial verträglich und damit nicht in Ordnung. ({43}) Zweitens ist festzustellen, dass Nordrhein-Westfalen eine Studentensteuer einführt. ({44}) Das heißt, Gebühren ohne Gegenleistung. Das ist unsozial und damit nicht in Ordnung. Dabei handelt es sich um eine Instrumentalisierung der Hochschulen für den Landeshaushalt. ({45}) Ihrem Einwand, dass es in Baden-Württemberg seit 1997 eine Langzeitstudiengebühr gibt, ist entgegenzuhalten, dass dabei ein Unterschied zu Nordrhein-Westfalen besteht: In Baden-Württemberg fließen die Mittel in die Hochschulen; in Nordrhein-Westfalen dagegen gehen sie an den Finanzminister. Das ist der Unterschied zwischen SPD und CDU. ({46}) Der Bundeskanzler hat davon gesprochen, dass in der Hochschulpolitik das bürokratische Korsett aus dem vorletzten Jahrhundert gefallen sei und dass die Hochschulen befreit seien. Ich höre zurzeit aber nur von jungen Nachwuchswissenschaftlern, die rausgeschmissen werden. Das ist eine eigentümliche Form der Befreiung. ({47}) Im Übrigen sind wir uns in den Zielen der Dienstrechtsreform einig. Wir sind uns darin einig, dass wissenschaftlicher Nachwuchs früher selbstständig werden muss. Wir sind uns auch darin einig, dass es möglich sein muss, dass Nachwuchswissenschaftler eigene Projekte anmelden können. Es ist richtig, die Juniorprofessur einzuführen, aber es ist falsch, die Habilitation abzuschaffen. ({48}) Wir wollen nicht immer mehr Verbote, sondern mehr Spielraum für die Hochschulen. Nur selbstständige Hochschulen sind international starke Hochschulen. ({49}) Über Ganztagsschulen streite ich mit Ihnen nicht. Ich habe erst gestern wieder drei neue Ganztagsschulen in Baden-Württemberg eröffnet. ({50}) Im Bundesvergleich haben Baden-Württemberg 6,8 Prozent Ganztagsschulen und Rheinland-Pfalz 3 Prozent. Bremen, Schleswig-Holstein und viele andere SPDregierte Länder haben weniger. ({51}) Deshalb fordere ich Sie auf: Kümmern Sie sich um Ihre Länder! Sorgen Sie dafür, dass das Bildungswesen in Ihren Ländern à jour wird, dass es modernisiert wird und dass die Hochschulen selbstständig werden können! ({52}) Geben Sie nicht Ländern gute Ratschläge, die längst dort sind, wo Sie noch hin wollen, sich aber immer noch nicht auf den Weg gemacht haben. ({53})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Frau Ministerin, Sie müssen zum Ende kommen. Sie haben Ihre Redezeit schon deutlich überschritten. Ministerin Dr. Annette Schavan ({0}) Dr. Annette Schavan, Ministerin ({1}): Ich komme zum Ende. In vielen Ländern in Deutschland sind die Voraussetzungen für eine Modernisierung des Bildungswesens und für nachhaltige Hochschulreformen geschaffen. ({2}) Wir als Union arbeiten an einem Bildungswesen, das den Blick auf Kinder und Jugendliche richtet. ({3}) Die unionsregierten Länder haben ihre Hausaufgaben zu einem Großteil gemacht und stecken mitten in der Modernisierung, in der Regel bei Ablehnung oder gar Empörung der jeweiligen Opposition. Der Bund hinkt hinterher, statt nachhaltiger Strukturen schafft er nur Aktionsprogramme. ({4}) Auch deshalb wird es Zeit für eine andere Bundesregierung, die zu einem verlässlichen Partner in Sachen Bildung, Ausbildung und Wissenschaft in Deutschland wird. ({5})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile das Wort dem Ministerpräsidenten des Landes Niedersachsen, Sigmar Gabriel. Sigmar Gabriel, Ministerpräsident ({0}) ({1}): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Kollegin Dr. Schavan, auf die letzte Bemerkung, die Sie eben gemacht haben - die mit der anderen Regierung -, möchte ich ein wenig eingehen, weil man dabei darauf hinweisen kann, wer von bestimmten Dingen redet und wer diese Dinge tut. ({2}) Eines steht doch fest - darauf hätte ich von Ihnen, Frau Dr. Schavan, gerne eine Antwort gehört -: Es ist diese Bundesregierung, die den Haushaltsansatz für Forschung und Bildung um mehr als 20 Prozent angehoben hat. ({3}) Weil wir ja bei der von Ihnen erwünschten neuen Regierung im Wesentlichen über das alte Personal reden, wie wir ja gerade feststellen ({4}) - Sie gehören nicht dazu; Sie sind da die löbliche Ausnahme; der Rest von denen, die bisher da waren, wird ja aufgetaut -, ({5}) wollen wir uns doch einmal anschauen, was die Täter von gestern in der Bildungspolitik gemacht haben. ({6}) - Zu Ihnen komme ich gleich noch, wenn ich über Werte rede, Herr Goldmann; da sind wir ja an der richtigen Adresse. ({7}) - Ja, ja, genau darüber reden wir ja; zum Beispiel darüber, dass die von Ihnen gestellte ehemalige Regierung zwischen 1993 und 1998 700 Millionen DM im Bildungshaushalt des Bundes eingespart hat. ({8}) Sie haben hier gerade angekündigt, Sie wollen eine neue Regierung. Da muss man doch angesichts der Taten derjenigen, die früher regiert haben, so etwas wie eine Gewinnwarnung an die Börse ausgeben: Vorsicht beim Kauf der Aktie, hier wird hinterher an der Bildung gespart. ({9}) Sie haben also nicht nur 700 Millionen DM eingespart, als Sie damals an der Regierung waren, sondern kommen jetzt auch noch mit einem Wahlprogramm, in dem Sie erklären, Sie wollen dreimal 40 Prozent erreichen, also auch 40 Prozent Staatsquote. ({10}) Das bedeutet - ich sage das nur, damit das die geschätzte Öffentlichkeit weiß - eine Verringerung des Bundeshaushaltes um 170 Milliarden Euro. Raten Sie einmal, wo da gespart werden wird: natürlich wieder bei Bildung und Forschung. Darum geht es doch. ({11}) Was man davon zu halten hat, wenn die CDU kurz vor Wahlen erklärt, sie wolle den Bildungshaushalt aufstocken, erleben die Hamburger Eltern gerade. Da ist das versprochen worden, aber das Gegenteil passiert. ({12}) Eigentlich wollte ich über die Vergangenheit nicht so sehr reden; aber es macht solchen Spaß, Frau Dr. Schavan. Ich bin immer der Meinung, dass man Ihnen eine Antwort geben muss. Man muss Sie in einer solchen Debatte stellen. Ich finde, Jugendarbeitslosigkeit ist ein schönes Thema. Sie haben 16 Jahre lang, Jahr um Jahr, Schülergeneration um Schülergeneration in die Jugendarbeitslosigkeit entlassen. Das ist das, was Sie auf diesem Gebiet gemacht haben. ({13}) - Glauben Sie nicht, dass ich Ihnen die Zahlen aus Niedersachsen nicht gleich nennen werde! Machen Sie sich da keine Sorge! Weil Sie darum so betteln, mache ich das gleich. Sie müssen davon ausgehen, dass ich mich in meinem Land ein bisschen auskenne. Diese Regierung mit Frau Bulmahn als Bundesministerin hat dafür gesorgt, dass diejenigen, die auf dem Ausbildungsmarkt keine Chance hatten, endlich eine qualifizierte Ausbildung bekommen haben. Sie haben diese Menschen der Arbeitslosigkeit überlassen. Das war die Politik in den 16 Jahren Ihrer Regierungszeit. ({14}) Wir haben in unserem Bundesland - falls das keiner weiß, das ist Niedersachsen - seit 1990, seit Gerhard Schröder zum Ministerpräsidenten gewählt wurde, die Jugendarbeitslosigkeit mehr als halbiert. Unter der Vorgängerregierung und unter Beteiligung der damaligen Bundesregierung lag die Jugendarbeitslosigkeit in Niedersachsen bei über 90 000 Menschen unter 25 Jahre. Sie alle haben keine Arbeit gefunden. Es gibt heute immer noch zu viele arbeitslose Jugendliche. Frau Dr. Schavan, Sie haben eben über Steigerungsquoten gesprochen: Sie müssen wissen, dass die Quote für die durchschnittliche Steigerung der Jugendarbeitslosigkeit in Westdeutschland zurzeit bei über 17 Prozent liegt; im Land Niedersachsen liegt diese Quote bei 1,7 Prozent. Im letzten Monat bei 1,5 Prozent und im vorletzten Monat lag sie wiederum bei 1,7 Prozent. Das ist die Realität. Kümmern Sie sich einmal um Ihre Jugendlichen und machen Sie sich keine Sorgen um unsere! ({15}) Das Land Niedersachsen gibt gegenüber dem Jahr 2000 für die niedersächsischen Schulen und für das niedersächsische Bildungssystem zurzeit 160 Millionen Euro mehr aus. Frau Dr. Schavan, wir würden diesen Betrag gerne erhöhen. Wir können das unter anderem deshalb nicht, weil wir bereits über die Maßen dafür sorgen, dass junge Leute bei uns einen guten Schulabschluss bekommen. Sie selbst haben in den letzten Tagen lesen können, dass die Abiturquote in Bayern bei 18,5 Prozent liegt und dass es deshalb notwendig ist, dass aus Nordrhein-Westfalen und aus Niedersachsen mehr als 4 350 Hochschulabsolventen nach Bayern gehen, damit der Fachkräftebedarf der bayerischen Industrie gedeckt werden kann. Das kostet 200 Millionen jährlich. Das zahlen nicht die Bayern. Das ist Wirtschaftsförderung aus den Ländern, die Sie hier gerade beschimpft haben. ({16}) - Kommen Sie her, halten Sie eine Rede und machen Sie nicht nur Zwischenrufe! ({17}) - Ich komme auf dieses Problem nachher zu sprechen. Wir haben ein Problem der Qualität und ein Problem der Quantität. Die deutsche Wirtschaft sagt, sie brauche, um ihren Fachkräftebedarf in zehn Jahren abzudecken, eine Hochschulabsolventenquote - mit Hochschule sind Universitäten, Fachhochschulen und Berufsakademien gemeint - von 40 Prozent. Sie müssen mir einmal erklären, wie Sie angesichts einer Abiturquote in Bayern von 18,5 Prozent die Zukunftsfähigkeit der deutschen Wirtschaft erreichen wollen. Sie sind doch das größte Investitionshindernis, das hier herumläuft. ({18}) Frau Dr. Schavan, Sie haben auf die Hochschulen hingewiesen. Die deutsche Wirtschaft hat gerade erklärt, dass das Hochschulgesetz, das das Land Niedersachsen verabschiedet, das modernste in Deutschland ist. Wir wissen das alles. Ich sähe es gern, dass Sie Ihren CDU-Kollegen in Niedersachsen einmal erklären, dass sie dem Hochschulgesetz morgen zustimmen sollten. Bisher haben sie immer dagegen gestimmt. Das nur zu dem Thema „Wie verhält sich die CDU in Reden und Handeln?“. ({19}) Wenn Sie über Studiengebühren reden, dann müssen Sie dem Haus sagen, dass Sie als Kultusministerin der Verabredung der Kultusminister zugestimmt haben, dass es in Deutschland keine Studiengebühren für das Erststudium geben soll und dass Sie sich aus formalen Gründen weigern, Rechtssicherheit für Studierende zu schaffen. Wir wollen doch, dass Studenten wechseln, dass sie auch andere Universitäten besuchen. Es kann doch nicht sein, dass die Studenten nur deshalb nicht an eine andere Hochschule wechseln, weil dort Studiengebühren erhoben werden. Sie haben früher anders geredet und gehandelt als heute. Machen Sie den Menschen an dieser Stelle nichts vor! Sie haben den Verzicht auf Studiengebühren für das Erststudium genauso gefordert wie die sozialdemokratischen Länder. Ich weiß also nicht, woher Ihr Sinneswandel kommt. ({20}) Sie haben den internationalen Vergleich angesprochen. Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie einmal vergleichen würden, wie viele Ganztagsschulen es in NordrheinWestfalen und Niedersachsen ({21}) Ministerpräsident Sigmar Gabriel ({22}) und wie viele es in Bayern und Baden-Württemberg gibt. ({23}) Darüber müssen wir einmal reden. ({24}) - Das sind die bildungspolitischen Experten, die Ganztagsschulen mit Gesamtschulen verwechseln. Alle Achtung! ({25}) Sie merken gar nicht, wie Sie sich selber entlarven. Wissen Sie, warum Sie die Ganztagsschulen verhindert haben? Sie haben zum einen zum Thema Kindererziehung - dazu komme ich später noch - offensichtlich eine völlig andere Auffassung als wir. Sie gehen zum anderen immer davon aus, dass es eine ideologische Debatte um Ganztagsschulen ist. Sie müssen aufhören, diese Debatten von gestern zu führen. ({26}) Wir brauchen nicht die Wiederholung der Debatten der 70er-Jahre. Wer Bildungspolitik betreibt, der erlebt jetzt, dass einem ständig die bildungspolitischen Kyffhäuserkameradschaften von gestern entgegenkommen: ({27}) immer mit den gleichen Marschordnungen, immer mit den gleichen Marschliedern. Das interessiert doch keinen Menschen mehr. Die PISA-Studie zeigt uns doch, dass es nicht um die Frage Dreigliedrigkeit oder Gesamtschule geht. Die PISA-Studie zeigt uns auch, dass es Länder gibt, die bessere Ergebnisse als wir haben, obwohl es dort größere Klassen gibt. Es geht nicht um das Herausgreifen von Einzelpunkten. Wir müssen uns vielmehr mit dem gesamten Bildungssystem auseinander setzen, aber nicht in der Art und Weise, Frau Dr. Schavan, wie Sie es getan haben. Noch eine Bemerkung zu dem internationalen Vergleich. Der damalige niedersächsische Kultusminister Rolf Wernstedt hat den internationalen PISA-Vergleich durchgesetzt. Zu diesem Zeitpunkt waren Sie noch gar nicht im Amt, Frau Dr. Schavan. Zuhören gehört zur Bildung und intellektuelle Redlichkeit gehört zur akademischen Ausbildung. Das sollte man beachten. ({28}) Wie man in den Wald hineinruft, so schallt es gelegentlich heraus. So ist das nun einmal im Leben. ({29}) - Wenn ich gewusst hätte, dass es hier so fröhlich zugeht, wäre ich schon früher gekommen. ({30}) Wenn Sie es möchten, komme ich gerne wieder. ({31}) - Keine Sorge. Das machen wir schon, Herr Goldmann. Sie sind ja nicht im niedersächsischen Landtag vertreten. ({32}) Das bleibt vermutlich auch so. ({33}) Diese parteipolitische Auseinandersetzung, die uns zugegebenermaßen Freude macht - bei der Rede von Frau Dr. Schavan gab es Beifall von der einen Seite des Hauses und bei meiner Rede gibt es Beifall von der anderen Seite des Hauses -, interessiert draußen im Lande niemanden. Das müssen wir ehrlicherweise zugeben. ({34}) PISA ist für uns so etwas wie der Sputnik-Schock gewesen. Wir mussten feststellen, dass wir alle unter Wasser schwimmen. Wir debattieren derzeit nur über die Frage, wer sozusagen 1 Meter, wer 2 Meter und wer 3 Meter unter Wasser schwimmt. Wir müssen aber aufpassen, dass wir dabei nicht alle ersaufen. ({35}) Es bringt überhaupt nichts, Frau Kollegin Schavan, wenn wir nur zur Freude der Abgeordneten in den Parlamenten Reden halten in der Art, wie Sie sie gehalten haben und - das wollte ich nur beweisen - wie ich sie halten kann. ({36}) Ich wollte nachweisen, dass wir in der parteipolitischen Auseinandersetzung die gleiche Fähigkeit wie Sie entwickeln können. Aber ich glaube, es geht um mehr. ({37}) Die Menschen in unserem Land brauchen nicht Fundamentalismus, sondern Pragmatismus. Wir müssen eine Politik für die Wirklichkeit und nicht für die parteipolitischen Wahlkampfauseinandersetzungen machen. Die Menschen interessieren sich nicht für denkbare Kompetenzstreitereien zwischen Bund und Ländern. Wer wie einige CDUgeführte Länder dagegen ist - ich habe das heute Morgen wieder gehört -, dass sich der Bund mit 4 Milliarden Euro an dem Ausbau von Ganztagsschulen beteiligt, der soll schlicht und ergreifend auf seine Zuschüsse verzichten. Den anderen Ländern würde dann mehr Geld zur Verfügung stehen. ({38}) Ministerpräsident Sigmar Gabriel ({39}) Kindergärten, Horte und Ganztagsschulen sind jedenfalls viel wichtiger als ein unbezahlbares Familiengeld für die Frau, die zu Hause bleibt. ({40}) Statt die klugen und jungen Frauen aus dem Beruf zu zwingen, wenn sie Kinder haben wollen, brauchen wir in Deutschland endlich familienfreundliche Strukturen. ({41}) Es müsste doch die konservativsten Wirtschaftspolitiker Deutschlands und der Union nachdenklich machen, dass wir wesentlich mehr Abiturientinnen als Abiturienten haben, sie aber in Forschung und Wissenschaft sowie in den Spitzenstellungen dieser Gesellschaft nicht wiederfinden. Das können wir uns in ökonomischer Hinsicht nicht leisten. Das ist nicht nur unsozial, sondern auch unwirtschaftlich. ({42}) Die PISA-Studie warnt uns vor schnellen Schlüssen. Ich habe es vorhin schon gesagt: Es geht nicht um das dreigliedrige Schulsystem oder die Gesamtschulen. Es gibt Länder mit deutlich größeren Schülerzahlen pro Klasse, die dennoch bessere Ergebnisse erreichen. Es geht übrigens auch nicht nur um die Frage, wie viel Unterricht ausfällt, denn es hilft uns nichts, wenn 28 statt 30 schlechte Wochenstunden erteilt werden. ({43}) - Haben Sie einmal versucht, die PISA-Studie zu lesen? ({44}) Das hat nichts mit Lehrerbeschimpfung zu tun, sondern mit der PISA-Studie. Darin steht, dass unsere Kinder im deutschen Bildungssystem das Lernen nicht ausreichend lernen. Das ist ein Problem unserer Lehreraus- und -weiterbildung. ({45}) Das ist doch wohl ein Thema, über das wir reden sollten. ({46}) Sie können doch hier nicht anders sprechen als unter vier Augen, nur weil jetzt Kameras laufen und Zuschauer da sind. Sie wollen immer die Vier-Augen-Gesellschaft, ({47}) in der wir uns sagen, wo die Probleme liegen, aber dann, wenn einer zuhört, nicht mehr öffentlich und ehrlich darüber sprechen. Das ist die Politik der Union. Ich kann das nicht mitmachen; das tut mir Leid. ({48}) PISA hat uns in der Tat gezeigt - darüber sind wir uns wirklich einig -: Wir fördern in Deutschland weder die Leistungsstarken noch die Leistungsschwachen gut genug. Wir geben viel Geld in das obere Segment des Bildungssystems und zu wenig in das untere Segment. Wir haben das alte deutsche Sprichwort „Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr“ missachtet; zumindest lernt Hans es schwieriger. Frau Dr. Schavan, im Hinblick auf das Thema berufliche Bildung und Politik der SPD bitte ich um intellektuelle Redlichkeit. Es war die Bildungspolitik der SPD in den 70er-Jahren, die dazu führte, dass Menschen, die vorher, weil der Vater Arbeiter war, nur zur Hauptschule durften und hinterher über einen schweren zweiten Bildungsweg ihre Leistungen - ({49}) - Dass Sie das nicht wissen, kann ich mir wirklich vorstellen. ({50}) Bei uns gibt es ein paar Leute, die damit ganz persönliche Erfahrungen haben. Auch ich gehöre dazu. Die Sozialdemokratie hat in den 70er-Jahren dafür gesorgt, dass diese Menschen ihre Abschlüsse im ersten Anlauf und nicht auf dem viel schwierigeren zweiten Bildungsweg erwerben konnten. Das ist auf der einen Seite sozialer, aber auf der anderen Seite auch ökonomisch effizienter. ({51}) Ich gehöre nicht zu denen, die der Überzeugung sind, dass die SPD-Bildungspolitik im Jahr 2002 die gleiche wie in den 70er-Jahren sein kann. Aber ich finde auch, Frau Dr. Schavan, dass wir es uns nicht so einfach machen können, die Bildungspolitik nach A- und B-Ländern, nach SPD- und CDU-regierten Ländern, zu differenzieren. Ich finde, das ist ein bisschen billig. Damit wiegt man zwar die Schweine, aber man treibt sie auch durchs Dorf. ({52}) PISA hat gezeigt: Wir haben in Deutschland seit 20 und mehr Jahren hinsichtlich der Integration massiv versagt, weil wir uns nicht zur Zuwanderung in unser Land bekannt haben, ({53}) weil wir uns bis heute nicht dazu bekennen, dass Menschen, die mit einem deutschen Pass aus Osteuropa kommen, überwiegend in einer anderen Kultur und anderen Sprachen sozialisiert sind als wir. Weil wir das immer ignorieren, haben wir Probleme in den Kindergärten und Grundschulen und inzwischen bis in die Berufsschulen hinein Analphabetismus. Das ist die Realität in Deutschland. Es ist schlimm, dass Sie das Thema Zuwanderung zum Wahlkampfthema machen wollen. Es ist unglaublich, was Sie da veranstalten! ({54}) Ministerpräsident Sigmar Gabriel ({55}) Sie blenden die Wirklichkeit aus. Deswegen können Sie in dieser Frage keine vernünftige Bildungspolitik auf den Weg bringen. Wir haben natürlich Schulen, die zu unselbstständig sind, denen wir alles haarklein erklären, jeden Erlass vorgeben und bei denen wir Rahmenrichtlinien und weiß Gott was nicht alles vorschreiben. All das müssen wir ändern. Wir brauchen daher nicht nur mehr Geld für Reformen, wir brauchen vor allen Dingen mehr Reformen fürs Geld. Wir müssen dafür sorgen, dass Kinder, die in die deutsche Grundschule kommen, auch die deutsche Sprache können. Mein Bundesland ist, wenn ich das richtig weiß, das erste, das Sprachförderung im Kindergarten und in der Grundschule systematisch für die organisiert, die diese Förderung benötigen. Ich würde mich freuen, Frau Dr. Schavan, wenn Sie neben der - möglicherweise berechtigten - Kritik ab und zu auch etwas zu dem sagten, was wir ganz gut auf die Beine bringen. Zweiter Punkt. Wir müssen aufhören - das richtet sich an die bildungspolitischen Traditionalisten in allen Bereichen -, um Schulformen zu kämpfen. Stattdessen müssen wir um Schüler kämpfen, ({56}) und zwar um die leistungsstarken wie um die leistungsschwachen. Fördern und fordern sind zwei Seiten derselben Medaille. Wir brauchen verlässliche Unterrichts- und Betreuungszeiten und in der Tat ein Netz von Ganztagsschulen. Wir brauchen in der Schule der Zukunft nach meiner festen Überzeugung den Achtstundentag für Schüler und für Lehrer. Wir brauchen mehr erzieherische Kompetenz und Unterstützung auch der Elternhäuser, Sozialpädagogen und Erzieher, die sich nicht nur um Kinder kümmern, sondern auch den Kontakt zu Elternhäusern suchen. Wir müssen auch für eine Werte- und Normenerziehung sorgen, Frau Dr. Schavan. Aber Vorsicht: Es ist nicht die SPD und es sind nicht die Grünen, die 1982 die geistig-moralische Wende gefordert haben, als deren Ergebnis wir die Ellbogengesellschaft bekommen haben. ({57}) Ich finde, wir alle haben Grund zur Selbstkritik in der Bildungspolitik der letzten Jahre, nicht nur immer der jeweils andere. Eltern wollen mehr Wahlrechte für ihre Kinder. Auch das finde ich vernünftig. Wir müssen ihre Mitbestimmung ausbauen, wir brauchen eine andere Lehrerausbildung und wir dürfen uns natürlich nicht vor dem Wettbewerb der Schulen untereinander scheuen, auch nicht, Frau Dr. Schavan, vor dem zwischen den Ländern, ganz im Gegenteil. Aber dazu brauchen die Schulen mehr Freiheiten und weniger KMK; da bin ich ganz sicher. ({58}) Wir haben in Deutschland eine merkwürdige Debatte. Wir tun immer so, als brauchten wir entweder bessere Abiturienten oder mehr Abiturienten. ({59}) Das ist eine unsinnige Alternative. Wir brauchen beides. Das Gleiche gilt auch für andere Schulformen. ({60}) - Ich kann ja verstehen, dass Sie den Unterschied zwischen 40 Prozent Hochschulbedarf in der Wirtschaft und 18,5 Prozent Abiturientenquote in Bayern nicht verstehen wollen. Das hat vielleicht etwas mit Ihrem Mathematikunterricht zu tun; daran kann ich nichts ändern. ({61}) - Ich finde es auch peinlich, wenn jemand den Unterschied nicht erkennt. Aus meiner Sicht werden wir am Ende vermutlich voneinander lernen müssen. Ich höre, in weiten Bereichen gibt es die Vermutung, dass die Leistungsniveaus in den süddeutschen Ländern höher liegen als in anderen Ländern. ({62}) Gleichzeitig stellen wir fest, dass eine Reihe dieser Länder, insbesondere Bayern, es nicht schaffen, auch genug Kinder zu dieser Leistung zu bringen. Was nützen uns höhere Leistungen, wenn wir nicht mehr Kinder dazu befähigen, sie auch zu erreichen? ({63}) Dann wird uns doch, trotz aller Wahlkämpfe, wohl nichts anderes übrig bleiben, als voneinander zu lernen: die einen von den Leistungsniveaus der anderen, die anderen von der Förderung der Kinder, damit möglichst viele diese Leistungen erreichen. Voneinander lernen, das ist das, was wir mit PISA erreichen sollten. Das ist etwas anderes als Bundestagswahlkampf. Es ist eigentlich genau das, was wir von unseren Kindern erwarten: nichts anderes, als voneinander zu lernen. Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({64})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile das Wort Kollegin Ulrike Flach, FDP-Fraktion.

Ulrike Flach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003119, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sie wissen, dass die FDP die Kultusministerkonferenz für die unbeweglichste, ineffizienteste und am parteipolitischsten agierende Institution unseres Gemeinwesens hält. Ohne Ihnen, Frau Dr. Schavan und Herr Gabriel, zu nahe treten zu wollen: Sie haben uns gerade ein Beispiel dafür gegeben, wie sehr Sie sich in diesem Ministerpräsident Sigmar Gabriel ({0}) Gremium gegenseitig blockieren und wie sehr es nötig ist, dass wir die Kultusministerkonferenz neu ordnen. ({1}) Individuelle Förderung für alle, Qualitätsverbesserung, Leistungsorientierung, Erziehung zu Werten, Engagement in unserer Gesellschaft sowie Freiheit für Forschung und Wissenschaft, das sind die liberalen Eckpunkte dieser Debatte. An diesen messen wir Ihre Bilanz und Ihre Behauptung, Herr Bundeskanzler, dieses Land modernisiert zu haben. Was haben Sie wirklich erreicht? Was haben Sie versprochen und was ist daraus geworden? Sie haben zwei große finanzielle Projekte angekündigt: die Verdoppelung der Investitionen für Bildung und Forschung und die Schaffung eines elternunabhängigen BAföG. Aus der Verdoppelung wurden 21,6 Prozent - eine erstaunliche Leistung; fast PISA-gerecht, muss ich sagen - und aus der BAföG-Reform wurde die größte Niederlage Ihrer Ministerin. ({2}) Sie haben die Studenten eben nicht finanziell unabhängig vom Elternhaus gemacht. Sie haben die soziale Ungleichheit der Familienverhältnisse eben nicht ausgeglichen. Die große Strukturreform, die Sie angekündigt haben, verkümmerte zu einer Anpassung der Bedarfssätze und zu sehr bemerkenswerten Auftritten von Frau Bulmahn mit Guildo Horn. Die Bildungslandschaft Deutschlands haben Sie damit nicht verändert. Gerade einmal 17 Prozent eines Jahrgangs schaffen den Hochschulabschluss. Das deutsche Bildungssystem bildet zu wenig Qualifizierte aus, und diese auch noch schlecht. Damit wären wir bei Ihrem Anspruch, Herr Schröder, das Land modernisiert zu haben. Erziehung beginnt bereits vor der Schule. Hier hat Deutschland erhebliche Defizite. Wo waren eigentlich in den letzten vier Jahren Ihre Vorschläge zur Vorschulerziehung? Wo war Frau Bulmahn bei der Novellierung der Ausbildung der Erzieherinnen? Wo war Frau Bergmann bei der Debatte über die vorschulische Förderung im Kindergarten? ({3}) Der Grundstein für die Bildung unserer Kinder wird in den ersten Lebensjahren gelegt. Sie haben das soeben vollmundig erklärt. Betreuung ist gut, aber zu wenig, wenn wir Bildungsanstrengungen wirklich ernst nehmen. Wie wahr das ist, sehen Sie, wenn Sie die Situation in den Grundschulen betrachten. Wir wissen, dass der Grundschulbereich in Deutschland deutlich unterfinanziert ist. Wir geben ungefähr 3 000 Euro pro Grundschüler und Jahr aus. Schauen Sie sich Frankreich und die Schweiz an - ich brauche in diesem Zusammenhang nicht in die unterschiedlichen Bundesländer zu schauen -: Dort werden 5 000 Euro ausgegeben. Angesichts der Defizite, mit denen die Kinder in unsere Schulen kommen und die wir alle erkennen, sind die Aufgaben wirklich enorm. Nur ein Beispiel: Die Berliner Schulbehörde testete fast 10 000 Schulanfänger. Ergebnis: Nur jeder dritte spricht ausreichend deutsch. Ich frage mich, ob das die Folge der von SPD und CDU/CSU eben so hoch gelobten Bildungspolitik ist. Wir brauchen nämlich Sprachförderung in den Kindertagesstätten, also vor der Einschulung, wenn die Bildungskarriere nicht schon in der ersten Klasse enden soll. ({4}) Qualität ist das Zauberwort. Wie wenig das in Deutschland gilt, hat die PISA-Studie gezeigt. Hochbegabte - da stimme ich Ihnen, Frau Schavan, ausdrücklich zu - werden nicht genug gefordert, Lernschwache nicht genug gefördert. Beide werden in den Schulen oft gar nicht erkannt. Selbst unsere guten Schüler sind im internationalen Vergleich nur Mittelmaß. Schule muss eine verlässliche Qualität von Bildung liefern. Deshalb haben wir Qualitätsagenturen vorgeschlagen. Wir wollen Vergleichstests durchführen, damit das Gehakele der Länder untereinander aufhört und wir wirklich nachprüfbare Ergebnisse bei einem Vergleich unserer Schulen haben. ({5}) Ich stelle mit Erstaunen fest, dass die Kultusminister zwar vehement miteinander streiten können, sich auf richtige Ergebnisse aber nur mit der Langsamkeit einer Schnecke zubewegen. Der Bundeskanzler hat eben noch einmal vollmundig von seinem Programm „4 Milliarden Euro für die Ganztagsschulen“ gesprochen. Ich hoffe sehr, Frau Bulmahn, dass dieses Versprechen langfristiger und fundierter ist als das Versprechen vom letzten Sommer bezüglich der Laptops, das auch in der Versenkung verschwunden sind, übrigens zur gleichen Jahreszeit. Auch wir wollen mehr Ganztagsschulen als flächendeckendes Angebot. In Rheinland-Pfalz setzen wir dies bereits um. Nur wäre es wesentlich seriöser, wenn Sie gleichzeitig die Gemeinden entlasteten; denn diese tragen die Folgekosten. 4 Milliarden Euro, das hört sich nach viel an. Geteilt durch 10 000 Schulen, an die dieses Geld fließen soll, ergibt dies gerade einmal 400 000 Euro. Das reicht vielleicht gerade einmal für die berühmten Suppenküchen in den Schulen. ({6}) Mit den Folgen lassen Sie die Gemeinden allein; ({7}) denn auch die Gemeindefinanzreform ist von Ihnen in dieser Legislaturperiode nicht in Angriff genommen worden. Wir werden ein Strohfeuer bekommen - da können Sie sich noch so sehr erregen -, das uns Investitionsruinen beschert, nicht aber die anspruchsvollere Schule, die sich die Menschen hier wünschen. Lassen Sie mich noch kurz etwas zum Thema Berufsbildung sagen. Ich habe gelesen, dass Sie, Herr Bundeskanzler, ursprünglich sagen wollten, dass das JUMP-Programm ein großer Erfolg war. ({8}) Gott sei Dank ist dieses in Ihrer Rede gar nicht mehr vorgekommen; denn dieses Programm war kein Erfolg. Wir alle wissen, dass es nicht gegriffen hat. Die im Vergleich zum Vorjahr um 15,6 Prozent gestiegene Arbeitslosigkeit - das hat Frau Schavan gerade angeführt - ist die traurige Wirklichkeit. Was Sie hier dargelegt haben, ist Schönfärberei; es gibt keine Erfolgsstatistik. ({9}) Sie haben nicht das getan, was notwendig gewesen wäre, Frau Bulmahn. Sie hätten das Berufsbildungsgesetz reformieren müssen. Wo ist diese Reform geblieben? Wann haben Sie sich in dieser Legislaturperiode mit der modernen Ausbildung, dem dualen System befasst? ({10}) - Lieber Herr Tauss, ich empfehle Ihnen, einmal in die Unterlagen des BMBF zu schauen. Dann hätten Sie Gelegenheit, festzustellen, dass hierin einer der Misserfolge dieser Bundesregierung liegt. ({11}) Im Hochschulbereich haben Sie sich bewegt; das ist richtig. Sie haben zwei HRG-Novellen auf den Weg gebracht und haben zweimal gepatzt. Ich habe selten zwei Novellen erlebt, von denen ich im Nachhinein sagen musste: Was sollte das Ganze eigentlich? Wir haben einen Aufstand des akademischen Mittelbaus an den Hochschulen. Es gibt keine Flexibilität. Wir haben keine autonomen Hochschulen und es ist nach wie vor kein Wissenschaftstarif für die Menschen vorhanden, die an den Universitäten arbeiten. Genau das ist doch der Grund, weshalb wir keine ausländischen Akademiker in dieses Land bekommen. Sprechen Sie doch einmal mit Vertretern von Universitäten und Wissenschaftsorganisationen! Dann wüssten Sie, was unter Ihrer Ägide aus diesem Standort geworden ist. ({12}) Lassen sie mich zum Schluss kurz und knapp auf Folgendes hinweisen: Wir Liberalen wollen eine wirkliche Schwerpunktsetzung bei der Bildung. ({13}) Wir wollen das Aufbrechen von Strukturen. Wir wollen mehr Autonomie. Wir wollen vor allen Dingen Qualität und das Bekenntnis zur Erziehung. Das ist mit vollmundigen Regierungserklärungen nicht zu erreichen. Es ist schade, dass der Bundeskanzler schon weg ist. Es wäre schön, wenn er einer Bildungsdebatte einmal bis zum Schluss folgen würde. ({14}) Reformen sind eben mehr als klingende Worte. ({15})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile das Wort dem Kollegen Reinhard Loske, Bündnis 90/Die Grünen.

Dr. Reinhard Loske (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003176, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Als Professor Baumert, der die PISA-Studie für Deutschland gemacht hat, in einem Interview vor wenigen Wochen gefragt wurde: „Wird PISA sinnvolle Veränderungen in Gang setzen?“, hat er folgende Antwort gegeben: Anfangs war ich optimistisch, aber mittlerweile bin ich skeptisch geworden. Zurzeit holen alle alte Rezepte heraus, - also die Kyffhäuser-Kameradschaften die sie schon immer hatten, und zwar die Lehrerverbände gleichermaßen wie die Landesfürsten. Die bevorstehenden Bundestagswahlen sind auch nicht hilfreich, weil Bildung zunehmend für den Wahlkampf instrumentalisiert wird. An dieser Stelle hatte ich mir vorgenommen - ich will es auch so halten -, zu sagen, wir sollten ihm beweisen, dass er zumindest in dieser Frage nicht ganz so pessimistisch sein muss, weil wir hier im Bundestag durchaus in der Lage sind, dazu qualifiziert zu diskutieren. Ich will jetzt auf einige Punkte eingehen, die so offenkundig wahlkampfmotiviert sind, dass man auf sie eingehen muss: Erstens. Frau Schavan, das betrifft zunächst einmal Sie. Wenn wir jetzt den Ländervergleich bekommen, dann sollten wir nicht darüber diskutieren - dies ist ein geflügeltes Wort -, wer in der zweiten Liga dritter oder achter wird, sondern wir sollten gemeinsam versuchen, in die erste Liga aufzusteigen. ({0}) Als ich Ihnen lauschte, gewann ich den Eindruck, dass bei Ihnen alles wunderbar ist und, wenn es alle so machen wie in Baden-Württemberg, alles gut wird. Wer es glaubt, wird selig, kann man da nur sagen. ({1}) Zur Lehrerbeschimpfung: Wer war denn der größte Pöbler gegen die Lehrer? Das war Herr Meyer-Vorfelder. Vergessen Sie das bitte nicht! ({2}) Zweitens. Wir brauchen keine alten Grabenkämpfe; Herr Gabriel hat es bereits angesprochen. Die entscheidende Frage ist nicht, ob wir 12 oder 13 Jahre bis zum Abitur brauchen, die entscheidende Frage ist auch nicht, ob wir eingliedrig oder dreigliedrig vorgehen, die entscheidende Frage lautet: Wie können wir besser werden und warum sind wir im Moment nicht gut genug? Dieser entscheidenden Frage müssen wir uns gemeinsam über Parteigrenzen hinweg stellen. Das halte ich für sehr wichtig. Drittens. Was wir ganz bestimmt nicht brauchen, sind die fürchterlichen Vereinfacher, die allen das Blaue vom Himmel versprechen. Frau Flach, hierbei muss ich leider die FDP ansprechen. Dabei beziehe ich mich auf einen Artikel aus der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ von gestern: „Admiral auf rauher See“. Die FDP hat im Bürgerschaftswahlkampf in Hamburg 750 neue Lehrerstellen versprochen. Im Koalitionsvertrag haben Sie 400 neue Lehrerstellen versprochen. Zuletzt sagten Sie, es ginge um 150 neue Lehrerstellen in dieser Legislaturperiode. Jetzt wurde nachgerechnet. Was kam dabei heraus? Berücksichtigt man die Pensionierungen, werden im Jahre 2005 in Hamburg weniger Lehrer beschäftigt sein als heute. Das ist die Realität in Hamburg. Jetzt wird versucht, dafür quasi einen Beamten verantwortlich zu machen. Sie versprechen viel und halten nichts. Das ist der gewaltige Unterschied zu uns. ({3}) Frau Schavan, natürlich sind die intellektuelle Redlichkeit und die Fähigkeit zum Zuhören sehr wichtig. Man sollte aber auch bei den Fakten und Zahlen bleiben. Da wir im Deutschen Bundestag sprechen, rekurriere ich darauf, dass wir auch über nationale Aufgaben sprechen: Erstens. Die Ausgaben für Bildung und Forschung wurden unter Ihrer Ägide zwischen 1993 und 1998 im Bundeshaushalt um 360 Millionen Euro gekürzt. Zwischen 1998 und 2002 wurden sie um 1,5 Milliarden Euro aufgestockt. Das ist ein Plus von 21 Prozent. Das ist ein gewaltiger Unterschied. ({4}) Zweitens. In den 80er-Jahren - das haben auch Sie zitiert - lag der Anteil von Arbeiterkindern oder - was für ein schreckliches Wort - der Kinder aus bildungsfernen Schichten an den Universitäten bei 17 Prozent, danach waren es 8 Prozent. Das heißt, während Ihrer Regierungszeit ist die Anzahl der Kinder aus bildungsfernen Schichten an unseren Universitäten halbiert worden. Sie haben die Türen, die an unseren Universitäten in den 70erJahren weit aufgestoßen worden sind, langsam wieder zugemacht und das wollen wir jetzt umkehren. ({5}) Drittens. Als wir an die Regierung kamen, gab es 28 Prozent Studienanfänger, jetzt sind es 33 Prozent. Das will ich nicht alles der Regierung zuschreiben, aber der Anstieg hat auch damit zu tun, dass wir das BAföG erhöht haben und jetzt weitere 80 000 Studierende BAföG beziehen können. Das ist nicht genug, aber auf jeden Fall ein Schritt in die richtige Richtung. Viertens. Die Mittel für den Austausch von Studierenden und Wissenschaftlern stagnierten bis 1998, also fast während der gesamten 90er-Jahre. Seit 1998 gibt es eine Steigerung um 52,3 Prozent. Wir reden eben nicht nur über Internationalisierung, sondern wir meinen es ernst und machen auch etwas zu diesem Thema. ({6}) Jetzt habe ich das, was ich einleitend sagen wollte, ausgeführt. Wir brauchen keine Debatte darüber, wie wunderbar es bei uns ist, sondern wir brauchen eine Debatte darüber, wie wir die Freude am Lernen - man kann ruhig sagen: die Liebe zum Lernen - und die Bildungseinrichtungen in unserem Land wieder stärken können. Das ist die entscheidende Frage. Für uns Grüne gibt es in diesem Prozess drei wichtige Leitorientierungen. Die erste ist die Zugangsgerechtigkeit. Wir wollen, dass in unserem Bildungssystem weniger selektiert und ausgegrenzt wird. Wir wollen weg von der Selektion hin zu einer Kultur der Ermutigung und der Zuwendung. Das macht unsere Bildungspolitik aus; denn wir glauben: Hoffnungslose Fälle können wir uns nicht leisten, jeder Mensch wird gebraucht. Das ist ganz wichtig. ({7}) Der zweite Punkt: Wir wollen, dass die Bildungseinrichtungen im umfassenden Sinne autonom sind. Das betrifft die Finanz- und Personalautonomie ebenso wie die Profilbildung. Wir wollen den Schulen ermöglichen, eigene Profile zu entwickeln: die eine eher musisch, die andere eher naturwissenschaftlich, die dritte eher fremdsprachlich. Ein wichtiges Vorbild für diese Schule der Zukunft sind die freien Schulen, die in vielerlei Hinsicht eine Schrittmacherfunktion übernommen und dem öffentlichen Schulwesen positive Impulse gegeben haben. Der dritte und entscheidende Punkt: Wir denken die Bildungspolitik vom einzelnen Menschen, vom Individuum her. Sie darf nicht mehr von der Institution, von der Bürokratie her gedacht werden: So wichtig der Schulrat sein mag, für uns sind die Kinder wichtiger; so wichtig die Kultusministerkonferenz sein mag, für uns sind die Lehrer wichtiger. ({8}) Bildung soll junge Menschen vor allen Dingen dazu befähigen, Orientierungen zu bekommen. Faktenwissen ist das eine, aber mindestens genauso wichtig ist das Orientierungswissen. Zukunftsfähige Bildung muss heute junge Menschen dazu befähigen, sich in einer rapide verändernden Welt zurechtzufinden, Wandel zu nutzen und zu gestalten und mit schwierigen Situationen umzugehen. Gerade weil im Wissenschaftsbetrieb und im Berufsleben Interdisziplinarität, also das Denken über Fachgrenzen hinaus, so wichtig ist, müssen wir diese Fähigkeiten fördern. Vor allen Dingen müssen wir den jungen Leuten das Gefühl geben, dass sie wichtig sind und selbst Wirksamkeit entfalten können. Der entscheidende Unterschied zwischen dem jetzt zu Ende gehenden Maschinenzeitalter und der Wissensgesellschaft ist, dass der Stellenwert des Individuums als Gestalter in der Gesellschaft enorm zunimmt. Dies beinhaltet eine riesige Chance und das wollen wir fördern. ({9}) Das betrifft vor allem die frühkindliche Bildung. In der Tat haben wir lange geglaubt, man müsse die Bildung möglichst aus dem Kindergarten heraushalten, da bis zum sechsten Lebensjahr eine heile Welt aufrechterhalten werden solle. Mittlerweile wissen wir sowohl aus der Hirnforschung als auch aus der Pädagogik, dass die drei, vier, fünf Jahre alten Kinder nachgerade wie Schwämme sind, die danach lechzen, etwas zu lernen. Wenn wir ihre kognitiven Fähigkeiten ansprechen wollen, bedeutet dies keine Verschulung des Kindergartens. Vielmehr soll er eine anregende, inspirierende Lernumgebung bieten. Deswegen dürfen unsere Kindergärten keine Verwahranstalten mehr sein, sondern wir müssen sie zunehmend zu pädagogischen Einrichtungen machen. ({10}) Aus Erfahrung mit meinen eigenen Kindern weiß ich, dass sie es satt haben, endlos lange Mandalas auszumalen; sie wollen im Kindergarten etwas erleben und etwas lernen. Deswegen brauchen wir Erzieherinnen und Erzieher, die pädagogisch befähigt sind, und unterstützen Modellversuche wie den an der Alice-Salomon-Fachhochschule in Berlin, wo der Abschluss eines Bachelor of Education möglich ist. Auch bei der frühkindlichen Erziehung im Kindergarten sind pädagogische Fähigkeiten unerlässlich. In vielen Reden klang bereits an, dass uns unterlassene Investitionen in die Bildung kleiner Kinder sehr teuer zu stehen kommen und später zwei- bis dreimal so viel kosten. Daher müssen wir mit der Erziehung früher beginnen. In einem weiteren Punkt unterscheiden wir uns fundamental von der CDU: Statt Transferleistungen wie das Kindergeld zu erhöhen oder ein unendlich teures Familiengeld, das utopisch ist, einzuführen, wollen wir die Infrastruktur verbessern: Wir wollen Ganztagsschulen und andere Angebote der Ganztagsbetreuung, damit die Kinder optimal ausgebildet werden können. Es geht nicht darum, die Kinder von zu Hause wegzubekommen, damit wir unser Leben nach den Bedürfnissen der Arbeitswelt ausrichten können, sondern darum, die Kindergärten und Grundschulen zu pädagogischen Einrichtungen mit einem Nachmittagsangebot weiterzuentwickeln. Wir denken hier also nicht an eine verlängerte Aufbewahrung, sondern daran, wie die Schulen wieder in die Nachbarschaft eingebunden und am Nachmittag die Sportvereine, die Jugendzentren und die Kulturzentren in die Schule hineingeholt werden können. Joseph Beuys hat schon vor 20 Jahren davon gesprochen, wir müssten die Welt in die Schule hineinholen. Es ist also ganz wichtig, die Schule der Realität gegenüber nicht abzuschotten. Beispielsweise könnte ein pensionierter Schreinermeister den Kindern beibringen, wie man schreinert, oder eine Mutter, die ausgebildete Biologin ist, Exkursionen anbieten. Hier ist noch unglaublich viel Kreativität möglich; die Ganztagsschulen können mit einem sehr anspruchsvollen pädagogischen Konzept verknüpft werden. ({11}) In der Tat sind wir der Meinung, dass der Bund das mit finanzieren muss. Normalerweise haben wir die saubere Scheidelinie zwischen Bund und Ländern, aber wir glauben in der Tat, dass sich der Bund bei der Ganztagsbetreuung, bei den Ganztagsschulen und auch bei den Kindertageseinrichtungen beteiligen muss. Wir wollen beim Ehegattensplitting einen Teil abschmelzen und 5 Milliarden Euro pro anno mobilisieren, die zur Förderung von Ganztagsschulen und Kindertageseinrichtungen eingesetzt werden. Das ist unser Konzept und wir werden sehen, ob wir das in der nächsten Legislaturperiode realisieren können. Wir hoffen darauf, weil es ein vernünftiger und ein guter Ansatz ist. Zu den Hochschulen und zu den Universitäten ist eine ganze Menge gesagt worden. Es ist klar, dass der Stellenwert der Fachhochschulen und der Universitäten in der Wissensgesellschaft enorm zunimmt. Leider sind wir international nicht attraktiv genug. Wir müssen besser werden. Mit der Dienstrechtsreform, der BAföG-Reform und der Internationalisierung der Hochschulen haben wir hier erste Schritte gemacht. Da müssen wir noch weiter gehen. Auch da gilt das Prinzip: Die Universitäten und Hochschulen müssen autonomer werden. Als letzten Punkt möchte ich einen Zustand ansprechen, den ich wirklich für untragbar halte. Er hat auch mit fehlenden Betreuungseinrichtungen zu tun. - Herr Präsident, ich komme gleich zum Schluss. - Im Wissenschaftsbetrieb haben wir folgende Relationen: bei den Studienabsolventen 50 Prozent Frauen, 50 Prozent Männer; bei den Promotionen 70 Prozent Männer, 30 Prozent Frauen; bei den Habilitationen 80 Prozent Männer, 20 Prozent Frauen und bei der Berufung auf eine Professur 92 Prozent Männer, 8 Prozent Frauen. Diese Asymmetrie, dieses Ungleichgewicht ist nicht gerechtfertigt. ({12}) Deswegen ist für uns in der Bildungspolitik Frauenförderung immer sehr wichtig. Sie ist ein ganz zentraler Punkt. Ein letzter Satz: Für uns Grüne heißt es, dass wir Nachhaltigkeit und Interdisziplinarität fördern, dass wir die vermeintlichen Gräben zwischen Naturwissenschaften und technischen Wissenschaften auf der einen Seite und Geistes-, Sozial- und Kulturwissenschaften auf der anderen Seite überwinden; denn das ist ein Scheinwiderspruch. Die Probleme, die wir lösen müssen, brauchen die Geisteswissenschaften und die Natur- und Technikwissenschaften. ({13}) Wenn wir einen Bereich ausblenden, sind wir einäugig und springen zu kurz. Danke für die Aufmerksamkeit. ({14})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile das Wort dem Kollegen Roland Claus, PDS-Fraktion.

Roland Claus (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003065, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich war gestern Nachmittag und gestern Abend bei einer Gewerkschaftsdemonstration hier in Berlin, ({0}) an der Lehrerinnen und Lehrer, Schülerinnen und Schüler teilgenommen haben. Die ganz klare und unmissverständliche Botschaft an die Politik hieß: So kann es nicht weitergehen im deutschen Bildungssystem. ({1}) Ich habe mich schon gefragt, warum so wenige oder fast keine Bundestagsabgeordneten bei dieser Veranstaltung waren. Man übernimmt durch die Teilnahme an einer Demonstration doch nicht alle Positionen. Auch ich musste mir natürlich Kritik an die Adresse meiner Partei anhören. Aber wir haben doch, verdammt noch mal, liebe Kolleginnen und Kollegen, nicht das Recht auf so viel Ignoranz, um einer solchen Demonstration fernbleiben zu können. ({2}) Schließlich fiel PISA ja nicht aus heiterem Himmel. Wenn ich in der Regierungserklärung den Satz finde, Zugang zu Bildung sei d i e soziale Frage des 21. Jahrhunderts, kann ich - wie andere auch - dazu nur sagen: Recht haben Sie, Herr Bundeskanzler, aber wo nur findet sich diese Erkenntnis in Ihrer Politik wieder? ({3}) Es muss Sie doch stutzig machen, dass, befragt nach der Zufriedenheit mit der Regierungspolitik gerade auf dem Sektor Bildungspolitik, nur 34 Prozent der Bevölkerung angeben, sie seien damit zufrieden. Das Problem für mich ist, seit die PISA-Studie auf dem politischen Markt ist, die Reaktion darauf. Nehmen Sie es mir nicht übel: Ich erlebe sie vorwiegend als eine versammelte, hoch kompetente Ratlosigkeit. Finnland ist zum Hauptreiseland von Bildungspolitikern geworden. Wenn die Kultusministerkonferenz jetzt erklärt, als ersten Schritt brauchten wir mehr Tests, kann ich nur sagen: Ein kaputtes Auto wird nicht dadurch heil, dass man es öfter zum TÜV schickt. ({4}) Selbstverständlich, meine Damen und Herren, muss der Staat nicht alles regeln. Aber Bildung, Zugang zu Bildung und Chancengleichheit in der Bildung, das sind nun einmal Kernbereiche staatlicher Verantwortung, die die Eigenverantwortung der Schule auch nicht infrage stellen. Wer Bildung zur Ware macht, spaltet die Gesellschaft. ({5}) Wenn die Freien Demokraten private Agenturen statt Kultusministerkonferenz in ihrem Wahlprogramm fordern, dann ist das nicht nur eine schlechthin populistische Forderung, sondern dann ist das schlicht und einfach verantwortungslos. Auch die von den Christdemokraten vorgesehene Festschreibung von noch mehr Gliederung im Schulwesen kann die Lösung nicht sein, denn diese Gliederung verfestigt soziale Ungerechtigkeit. ({6}) Dann haben wir die vorprogrammierte Situation, dass an den Gymnasien die künftigen Beamten, an den Realschulen die künftigen Facharbeiter und an den Hauptschulen die künftigen Arbeitslosen und Sozialhilfeempfänger ausgebildet werden. Eine solche Entwicklung wollen wir nicht. Wer den Ellenbogen bei den Jüngsten zum Prinzip erhebt, zerstört die Solidargemeinschaft, meine Damen und Herren. ({7}) Deshalb lassen Sie mich auf eine Tatsache hinweisen, die hier im Hause sicher nicht unwidersprochen bleibt. Aber einer der gravierenden Fehler im deutschen Vereinigungsprozess war, dass bei der notwendigen Reform des Bildungssystems in Deutschland in den 90er-Jahren eben nicht DDR-Erfahrungen im Bildungssystem positiv anund aufgenommen wurden. ({8}) Da gibt es eine ganze Reihe positiver Erfahrungen. Wenn ich mit Schülervertreterinnen und Schülervertretern in Köln oder im Westteil Berlins spreche und diese mir ihre Vorstellungen von einer zukunftsfähigen, modernen Schule, von einem modernen Bildungssystem beschreiben, sage ich: Das ist doch aber ein Großteil dessen, was wir in der DDR praktiziert haben. ({9}) Es wäre angebracht, positive Erfahrungen auch positiv anzunehmen, Erfahrungen mit Kindertagesstätten, mit gemeinsamem Lernen, mit polytechnischer Ausbildung. ({10}) - Das mag Sie empören. Sie machen es sich zu leicht, wenn Sie „mit Margot Honecker“ oder „mit Fahnenappell“ rufen. Da gibt es auch vieles Positive zu übernehmen. ({11}) Aber was in diesem Lande los ist, wie in diesem Lande mit Osterfahrungen umgegangen wird, das hat man heute Morgen im ZDF hören können, als ein Moderator folgende Frage gestellt hat: Kann es nicht sein, dass in Mecklenburg oder bei uns in Deutschland die rechte Hand nicht weiß, was die linke tut? - Das ist hier leider noch immer der Zustand von Spaltung. ({12}) Deshalb meinen wir, dass ein wichtiger Beitrag zur Lösung des Bildungsproblems tatsächlich darin bestehen könnte, ein einheitliches Bildungssystem zu schaffen, und zwar - auch das sei deutlich gesagt - einheitlich integriert und nicht einheitlich gegliedert, also: in der Regel von der ersten bis zur zehnten Klasse zusammen lernen plus individuelle Förderung. Denn integrative Schulsysteme sind den gegliederten überlegen. Natürlich bedarf das dann auch einer radikalen Reform der Bildungsinhalte. Wir wollen, dass diese reformierten Bildungsinhalte zusammen mit reformierten BildungsRoland Claus strukturen auch rahmenrechtliche Regelungen erfahren, die dann europatauglich sind. Es ist doch nicht hinzunehmen, dass Bildungsabschlüsse zwischen den Staaten in Europa eher anerkannt werden als zwischen den Bundesländern in Deutschland. Wir wissen auch: Rahmenrechtliche Regelungen zerstören nicht den Föderalismus. Meine Damen und Herren, der PISA-Ländervergleich, der jetzt in Aussicht steht, ist hier viel zitiert worden. Natürlich hat Ministerpräsident Gabriel Recht, wenn er sagt: Wir wollen jetzt nicht den Wettbewerb unter den Schwächsten aufnehmen. Ich muss aber feststellen: Der Versuchung, diesen Wettbewerb zwischen den Ländern auszurufen, konnte er in seiner Rede hier auch nicht widerstehen. Wer weit hinter der Spitze herrennt, sollte jetzt nicht um Platzierungen ganz hinten streiten. Das bringt nie nach vorn. Konkurrenz unter den Schwachen hat den Schwachen noch nie nach vorn geholfen, noch nie geholfen, stark zu werden. Meine Damen und Herren, momentan tagt der Bundeskanzler mit den Ministerpräsidenten. ({13}) - Das stört doch aber meine Rede nicht. Dass er das heute tun wird, wissen wir doch alle. Wir rufen Sie auf: Bringen Sie gemeinsam die Courage auf für eine Bildungsreform, die den Namen verdient! Daran und nicht nur an der Ansammlung von weiteren Allgemeinplätzen will die PDS gern mitwirken. Vielen Dank. ({14})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile Bundesministerin Edelgard Bulmahn das Wort.

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Minister:in)

Politiker ID: 11000305

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Debatte und insbesondere leider auch Ihre Rede, Frau Schavan, zeigen, dass Sie nicht begriffen haben, wie ernst die Situation ist. ({0}) Mit regionaler Kirchturmpolitik und mit dem ständigen Zeigen auf andere kommen wir nicht weiter. ({1}) Offensichtlich haben einige noch nicht begriffen, dass wir im unteren Mittelfeld gelandet sind bzw. rangieren. ({2}) Die Messlatte ist für mich nicht, ob das eine Bundesland eventuell besser als das andere ist. Sowohl in Ländern mit SPD-Kultusministern als auch in Ländern mit CDU/CSU- oder FDP-Kultusministern gibt es erhebliche Mängel im Schulsystem. ({3}) Deshalb brauchen wir eine nationale Kraftanstrengung und ({4}) es muss mit dem Zeigen auf den jeweils anderen Schluss sein. Wenn es der Bundesregierung - sie will es; das hat der Bundeskanzler heute deutlich gesagt -, den Ländern, den Städten und Gemeinden, den Schulen, den Eltern und den Lehrern nicht gelingt, unser Bildungssystem in den nächsten Jahren gemeinsam erheblich zu verbessern, dann versündigen wir uns an unseren Kindern und an unserer Jugend. ({5}) Wir brauchen in unserem Land mehr gut ausgebildete Menschen wie die Luft zum Atmen. Wir stehen heute am Scheideweg: Entweder greifen wir auf die alten Rezepte der vergangenen 16 Jahre zurück oder wir nutzen die Chance, nicht nur innezuhalten, sondern auch zu handeln, ({6}) weil wir eine wirklich erfolgreiche Reformpolitik wollen. ({7}) Ich sage Ihnen ganz klar: Diese Bundesregierung steht für eine neue Reformpolitik. Wir wollen Reformen in unserem Bildungswesen. ({8}) Es gehört zur intellektuellen Redlichkeit, dass man - wenn man wirklich ernsthaft will, dass das Bildungssystem besser wird - allerdings auch Fakten zur Kenntnis nimmt. Man muss zur Kenntnis nehmen, dass diese Bundesregierung, meine Herren und Damen von der Opposition, den Haushalt für Bildung und Forschung in den vergangenen Jahren um über 21 Prozent erhöht hat. ({9}) Damit haben wir es geschafft, die Bildungspolitik wieder in das Zentrum der politischen Debatte und des Regierungshandelns zu stellen. Ich kann es Ihnen nicht ersparen, Sie daran zu erinnern, dass dieser Haushalt von 1993 bis 1998 - während Ihrer Regierungsverantwortung - gekürzt worden ist. Er wurde zum Steinbruch für den Finanzminister gemacht. ({10}) Der Haushalt für Bildung und Forschung ist in diesem Haushaltsjahr so hoch wie niemals zuvor. Das ist gut so; denn das war notwendig. ({11}) Liebe Frau Schavan, zur intellektuellen Redlichkeit - man darf nicht nur über Werte reden, sondern man muss sie auch leben ({12}) gehört auch, dass zum Zeitpunkt unserer Regierungsübernahme über eine halbe Million junger Menschen unter 25 Jahren ohne Ausbildung und ohne Job waren und dass wir es mit einem wirklich ziemlich anstrengenden Kraftakt - mit dem Sofortprogramm gegen Jugendarbeitslosigkeit, dem JUMP-Programm - geschafft haben, rund 400 000 jungen Menschen die zweite und dritte Chance zu geben, die sie brauchten. ({13}) Wer hierbei, wie der Kanzlerkandidat Stoiber, von Aktionismus redet, ({14}) zeigt damit, wessen Geistes Kind er ist. Die jungen Leute, die die zweite und dritte Chance ergriffen haben, sind dankbar dafür und nutzen sie. ({15}) Wem es egal ist, ob diese jungen Leute auch mit 30 noch ohne Chance, Beruf und Beschäftigung sind, kann allerdings so weitermachen, wie Sie in den 90er-Jahren verfahren sind. ({16}) Da es nicht ausreicht, auf ein Sofortprogramm zu setzen, liebe Frau Flach - auch das muss man zur Kenntnis nehmen -, haben wir in den letzten vier Jahren parallel dazu 55 Berufe modernisiert und 18 Berufe neu geschaffen. Ich sage Ihnen ganz offen: Ein Gesetz zu verändern ist nicht der entscheidende Punkt, weil das alleine nichts nützt, sondern es kommt darauf an, dass wir unsere berufliche Ausbildung so verändern - das haben wir getan, das werden wir auch weiterhin tun -, dass die Jugendlichen eine hervorragende Ausbildung erhalten, mit der sie anschließend die besten Beschäftigungschancen haben. Wir haben die berufliche Ausbildung verbessert, damit die Betriebe ein Interesse haben auszubilden. Ich sage ganz klar: 70 000 Ausbildungsplätze in der IT-Branche sind ein Erfolg. Das zeigt, dass diese Maßnahmen wirken. ({17}) Ich darf daran erinnern, dass die Zahl bei 14 000 Plätzen lag, als ich dieses Amt übernommen habe. Sie haben viel zu lange zugelassen, dass Zigtausende von Jugendlichen aus der Schule in die Arbeitslosigkeit gerieten. Wir gewährleisten, dass jeder Jugendliche ein Ausbildungsplatzangebot bekommt. Dazu stehen wir; dazu werden wir auch in Zukunft stehen. ({18}) Wir wollen in einem Land mit der wirtschaftlichen Bedeutung Deutschlands für mehr exzellent ausgebildete Menschen sorgen. Deshalb haben wir das BAföG reformiert. Sie haben es in den Jahren vorher in Grund und Boden gewirtschaftet; das wissen Sie. Wir haben mit der Einführung von Bildungskrediten und dem Verbot von Studiengebühren für das Erststudium dafür Sorge getragen, dass junge Menschen wieder studieren können, auch wenn ihnen keine goldene Kreditkarte in die Wiege gelegt worden ist. ({19}) Dass jetzt nach vielen Jahren Stillstand und sogar Rückschritt endlich wieder mehr Jugendliche studieren, dass der Anteil der Studierenden um knapp 5 Prozent gestiegen ist, ist ein Erfolg. Das reicht mir aber noch nicht aus, um es klar zu sagen. Das ist allerdings ein gutes Zwischenergebnis. Wir müssen hier 40 Prozent erzielen. Deshalb müssen wir auf diesem Weg weitermachen. ({20}) Die Mittel für den wissenschaftlichen Nachwuchs haben wir seit 1999 um mehr als ein Drittel erhöht. Ich sage Ihnen ganz klar: Wir reden nicht nur über Begabtenförderung und über die Förderung der Exzellenten. Wir sind die Bundesregierung, die es tut, die handelt. ({21}) Vorher war davon nichts festzustellen. Über Jahre hinaus sind auch unter Beteiligung der FDP an der Regierung, liebe Frau Flach, die Mittel hierfür nicht aufgestockt worden. Zur Bildung gehört, dass man sich einen Haushalt nicht nur anschaut, sondern auch die Zahlen lesen kann. Wenn Sie das tun, dann werden Sie feststellen: Wir haben den Etat für die Begabtenförderung in unserem Land um 36 Prozent erhöht. Für mich ist das kein Widerspruch. Ich will, dass alle Kinder und Jugendlichen die besten Bildungschancen erhalten. Dazu gehört, dass ich mich genauso um die Benachteiligten wie um die besonders Begabten kümmere. Das ist das Kennzeichen unserer Politik. ({22}) Wir haben die Leistungsfähigkeit unserer Schulen und Hochschulen gesteigert, die Hochschulbauförderung aufgestockt, aber zum Beispiel auch Forschungszentren aufgebaut, die Studienbedingungen verbessert und für mehr Internationalität gesorgt, weil das eine der wichtigen Herausforderungen ist. Endlich kommen wieder mehr Studierende aus anderen Ländern zu uns. Auch in diesem Punkt bitte ich Sie, die Fakten und Zahlen zur Kenntnis zu nehmen. Bis zum Jahre 2001 ist der Anteil der echten ausländischen Studierenden um 20 Prozent gestiegen. Nach den neuesten Umfragen können dazu noch einmal 15 Prozent addiert werden. Das heißt, wir sind auch hier endlich einen Schritt weitergekommen. ({23}) Wenn ich dann höre, liebe Frau Flach, dass Sie einen Wissenschaftstarif fordern, dann kann ich nur sagen: Guten Morgen! Ich fordere diesen Wissenschaftstarif seit drei Jahren. ({24}) Leider muss ich feststellen, dass auch das von der FDPregierte Bundesland Baden-Württemberg, in dem Frau Schavan Bildungsministerin ist, genau dies bei der Ländertarifgemeinschaft blockiert. So ist das. ({25}) Wir haben eine ganze Menge erreicht. Aber es gibt noch ungeheuer viel zu tun. Pisa steht für uns in Deutschland nicht mehr nur für einen schiefen Turm, sondern für ein Bildungssystem mit schwerer Schlagseite. Dem Turm können wir seine Schieflage getrost überlassen. Aber in der Bildung müssen wir vieles wieder geraderücken. Unser Schulsystem produziert nicht nur schwache Leistungen. Es ist auch ungerechter als alle anderen Schulsysteme. In keinem vergleichbaren Land entscheidet die soziale Herkunft so sehr über den Schul- und den Bildungserfolg eines Menschen wie in unserem. Das darf nicht sein. Das müssen wir gemeinsam ändern. Angesichts dieses alarmierenden Befundes können wir nicht einfach zur Tagesordnung übergehen. Deutschland darf sich nicht mit einer Position im OECD-Mittelfeld zufrieden geben. Wir müssen wieder Spitzenwerte erreichen. Deutschland muss unter die ersten Fünf kommen. ({26}) Die Bundesregierung hat deshalb nicht lange nach Zuständigkeiten gefragt, sondern gehandelt, und zwar schon vor der PISA-Studie. Ich habe 1999 das Forum „Bildung“ geschaffen und die Vertreter der Länder, Wissenschaftler, die Sozialpartner und Eltern eingeladen. Nun liegen zwölf Empfehlungen auf dem Tisch, aus denen hervorgeht, was wir tun müssen. Jetzt kommt es darauf an, die Konsequenzen zu ziehen und zu handeln. Sie wissen, dass wir das nur gemeinsam tun können. ({27}) Der entscheidende Punkt ist dabei die Etablierung einer neuen Lehr- und Lernkultur. Wir sind dran und werden auch dranbleiben. ({28}) Wir werden das, was wir in den letzten vier Jahren erfolgreich auf den Weg gebracht haben, fortsetzen; denn ich will nicht, dass alles, was wir an Zwischenerfolgen und Erfolgen erreicht haben, wieder zerstört wird. ({29}) Wir brauchen Schulen, in denen unsere Kinder mit Freude und Neugier lernen, in denen ihr Wissensdurst, vor dem sie in einem bestimmten Alter nur so sprühen, am Leben gehalten wird und in denen eine persönliche Atmosphäre und keine Angst vor Selektion und Auslese herrscht. Kindergärten und Grundschulen bilden die Grundlage für eine gute Bildung und Ausbildung unserer Kinder. Ihnen müssen wir mehr Aufmerksamkeit widmen. Wir müssen deshalb auch stärker in unsere Grundschulen investieren. Wir brauchen Schulen, in die auch die Lehrer und Lehrerinnen gerne gehen und in denen sie mit Motivation bei der Sache sind. Dafür brauchen sie auch die notwendige gesellschaftliche Anerkennung, und zwar auch von denjenigen, die politische Verantwortung tragen. ({30}) Wir brauchen Schulen, in denen Lehrer, Eltern und Schüler vertrauensvoll zusammenarbeiten, in denen die Einhaltung von Werten und Normen nicht nur in Sonntagsreden gefordert, sondern auch gelebt wird. Wir brauchen Schulen, in denen Leistung gefordert und gefördert wird. Kinder wollen schließlich etwas leisten. Sie saugen das Wissen auf wie ein Schwamm das Wasser. Das Wasser müssen sie auch bekommen. Wir brauchen Schulen, in denen sie Orientierung erhalten, damit sie sich in unserer Welt, die immer komplexer und komplizierter wird, zurechtfinden. ({31}) Wir brauchen Schulen, in denen Lern- und Kreativphasen einander abwechseln, in denen sich Zeit für die Kinder genommen wird, in denen ihr Entwicklungsstand berücksichtigt wird und in denen sie nach ihren jeweiligen Begabungen und Fähigkeiten gefördert werden. Wir brauchen Schulen, in denen Lehrer und Eltern besser zusammenarbeiten, in denen Lehrer und Schüler aufeinander zugehen und in denen die Vermittlung von Werten und die richtige Einstellung zum Wissen ein ganz selbstverständlicher Bestandteil dieses Miteinanders sind. Wir brauchen Schulen, die mitten im Leben stehen und die mit Partnern, zum Beispiel mit örtlichen Unternehmen, mit Jugendverbänden und mit den Kirchen, zusammenarbeiten, also Schulen, in denen fachliches und soziales Wissen miteinander verknüpft sind, und zwar nicht nur in der Theorie, sondern auch in der Praxis. Das alles lässt sich in einer Ganztagsschule besser verwirklichen. Deshalb brauchen wir mehr Ganztagsschulen. Von diesen gibt es bisher noch viel zu wenige in unserem Land. ({32}) Liebe Frau Kollegin Schavan, gerade solche Aussagen wie Ihre Aussage, dass der Anteil der Ganztagsschulen in Baden-Württemberg bei 6 Prozent liege, verärgert viele Menschen, weil darin zum Beispiel die Zahl der Sonderschulen eingerechnet ist. Diese wird in keinem anderen Land eingerechnet. Wenn man die Zahl der Sonderschulen herausrechnet, dann stellt man fest, dass der Anteil der Ganztagsschulen im Bereich der allgemein bildenden Schulen in Baden-Württemberg nur bei 2 Prozent liegt. Das ist - ich sage es Ihnen ganz klar - viel zu wenig. ({33}) Deshalb hat die Bundesregierung gesagt: Wir machen den Ländern ein Angebot. Wir bieten den Ländern an, dass wir sie beim Aufbau von Ganztagsschulen unterstützen. Wir wissen, dass wir in Ganztagsschulen besser individuell fördern können - das ist genau das, was notwendig ist -, fachliches und soziales Wissen besser miteinander verknüpfen können, weil wir Kindern und Lehrern die Zeit geben, Erlerntes auch anzuwenden, selbst zu probieren, Sprachkompetenzen besser fördern und Sprachbarrieren abbauen können. Lernen braucht Zeit. Lernen braucht auch einen anderen Rhythmus als den 45-Minuten-Rhythmus, bei dem ein Fach auf das andere folgt. Wir brauchen eine Schule, in der auch musische Fächer unterrichtet werden, in der Kinder selbst musizieren und Theater spielen können, in der sich Phasen von Freizeitgestaltung und Lernen abwechseln. ({34}) Die Länder, die bei der PISA-Studie wirklich gut abgeschnitten haben - nicht nur Finnland, sondern auch zum Beispiel Kanada -, zeigen uns, wie wir es besser machen können. Ich weiß, dass der flächendeckende Aufbau von Ganztagsschulen eine enorme Herausforderung ist, die kein Bundesland allein bestehen kann. Deshalb haben wir gesagt: Wir unterstützen die Bundesländer dabei. Es ist völlig klar - ich sage es noch einmal ausdrücklich -, dass diese Schule mehr als ein Ort ist, an dem man sich aufhält und gemeinsam zu Mittag isst, dass sie mehr bedeutet als die Verlängerung der üblichen Schulzeit von fünf auf acht Stunden. Es ist die Chance, wirklich zu einer anderen Schule zu kommen, zu einer Schule, die Lehrenden und Schülerinnen und Schülern ein optimales Umfeld bietet. ({35}) Wir müssen dabei eines ganz bestimmt in stärkerem Maße erreichen, als es bisher geschehen ist: Unsere Kinder müssen lernen, wie man sich Wissen selbstständig erarbeitet und in Eigenregie anwendet. ({36}) Kinder mit Lernschwierigkeiten müssen die Möglichkeit haben, etwas nachzuholen, Schwächen auch zu Stärken werden zu lassen. Eine Schlüsselrolle spielen dabei ganz bestimmt Lehrerinnen und Lehrer. Deshalb brauchen sie die Unterstützung von uns allen. Deshalb brauchen sie auch Partner. Gute Leistung soll übrigens nicht nur in der Wirtschaft belohnt werden. Auch die Leistung der Lehrerinnen und Lehrer sollte honoriert werden. Das ist eine wichtige Entscheidung, die wir treffen müssen. Wir müssen unseren Schulen dazu auch erheblich mehr Verantwortung geben und sie vom bürokratischen Ballast befreien. Ich halte nichts davon, auf die 888. Vorschrift auch noch eine 889. Vorschrift draufzupacken. Das wird unsere Schulen nicht besser machen. Sie brauchen mehr Verantwortung, auch mehr Eigenständigkeit, um das zu leisten, was wir von ihnen erwarten. ({37}) - Lassen Sie mich das doch sagen. ({38}) Notwendig ist eine nationale Kraftanstrengung. Dabei geht es im Wesentlichen um vier Punkte: Erstens brauchen wir die bestmögliche Förderung unserer Kinder durch die flächendeckende Einführung der Ganztagsschule. ({39}) Unser Angebot steht. Ich wünsche mir, dass die CDU/CSU-regierten Länder ihre bisherige Blockadehaltung, die sie bei der Vorbereitung der Bund-Länder-Sitzung am Montag an den Tag gelegt haben, aufgeben und sagen: Ja, wir wollen mitmachen, wir wollen gemeinsam dafür sorgen, dass unsere Schulen und unser Bildungssystem besser werden. ({40}) Zweitens brauchen wir einen Kern an nationalen Bildungsstandards und eine regelmäßige Bildungsberichterstattung, also regelmäßige Bildungsvergleiche, und zwar über alle Jahrgänge in allen Schulstufen hinweg. Die Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen haben zur heutigen Sitzung einen Antrag vorgelegt, um genau dies zu schaffen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich hoffe, dass das, worüber wir heute diskutieren, nicht nur Schall und Rauch ist, sondern dass wir alle gemeinsam - auch Sie in der Opposition - diesem Antrag zustimmen, damit wir eben nicht nur diskutieren, sondern eine wichtige Entscheidung treffen, um zu gewährleisten, dass wir in Zukunft einen Kern an nationalen Bildungsstandards und regelmäßige nationale Bildungsvergleiche haben, damit wir nicht weiter auf internationale Untersuchungen angewiesen sind, um zu erfahren, wo unsere schwerwiegenden Mängel und Defizite liegen. ({41}) Lassen Sie mich noch eines sagen - Frau Schavan, auch das gehört zur intellektuellen Redlichkeit -: Den Antrag auf einen länderinternen PISA-Vergleich hat der Minister Zöllner gestellt, meiner Erinnerung nach SPDMitglied, auch jetzt noch. ({42}) - Ein guter Mann. Drittens müssen wir dringend die Bund-Länder-Förderung gezielt auf die Behebung der zentralen Defizite - das heißt, auf die Behebung der Leseschwäche und der Defizite in der Mathematik - und die Förderung von Benachteiligten fokussieren. Auch dabei üben sich CDU und CSU zurzeit in Blockade. Ich fordere Sie auf: Geben Sie diese Blockadehaltung auf! ({43}) Schließlich wollen wir mit der „Stiftung Bildung und Erziehung“, die der Bundeskanzler vorgeschlagen hat, gemeinsam mit allen Betroffenen die Neuorientierung unseres Bildungswesens vorantreiben. Entscheidend ist, dass jetzt gehandelt wird. ({44}) Was geschehen muss, muss rasch und zügig geschehen, wie es im „Forum Bildung“ bereits im vergangenen Jahr gefordert wurde. Wir müssen in zehn Jahren in der Bildung wieder innerhalb der ersten fünf Nationen rangieren. ({45}) Liebe Frau Flach, die Vorschläge der Bundesregierung liegen seit Februar vor. Wir müssen es schaffen, in zehn Jahren wieder auf einem der ersten Plätze zu liegen, am besten auf dem ersten Platz, aber mindestens auf dem fünften. Das muss unser gemeinsames Ziel sein. Deutschland gehört in die internationale Spitzengruppe und nicht in das untere Mittelfeld. Dafür müssen alle Beteiligten an einem Strang ziehen. Die Bundesregierung ist dazu bereit und wir werden sicherlich auch die treibende Kraft bleiben. Vielen Dank. ({46})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Ich erteile das Wort dem Kollegen, der schon am Rednerpult steht, Dr. Gerhard Friedrich von der CDU/CSU-Fraktion.

Dr. Gerhard Friedrich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002657, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Ministerpräsident Gabriel hat einen neuen Stil eingeführt. Er hat erst zehn Minuten lang polemisiert ({0}) und dann erklärt, das sei ja das Schlimme; die Leute wollten diese Polemik nicht hören. ({1}) Ich erkläre für die CDU/CSU: Wir haben ihn nicht gezwungen, hier politischen Klamauk zu veranstalten. ({2}) Wir mögen es auch nicht, lieber Kollege Tauss, wenn Landesfürsten hier auftauchen, uns belehren und dann wieder verschwinden. Bestellen Sie ihm einen schönen Gruß. ({3}) Des Weiteren wurde gesagt, wir hätten zusammen mit der GEW demonstrieren sollen. Ich bin zwar kein grundsätzlicher Gegner von Demonstrationen, aber wir überlegen uns in der Regel, wofür wir demonstrieren. Ich habe einige Texte der GEW gelesen. Darin wird zum einen gefordert, die PISA-Studie zu lesen; die Ergebnisse seien schrecklich und peinlich. Zum anderen ist in den Texten der GEW nach wie vor zu lesen, dass sie sich gegen einen zu starken Leistungsdruck wehrt und gegen ständige Prüfungen sei. ({4}) Das heißt, da beruft sich jemand einerseits auf das Leistungsprinzip, der sich aber andererseits gegen das Leistungsprinzip ausspricht. ({5}) Mit denen können wir wirklich nicht demonstrieren. Das verwirrt doch die Menschen. ({6}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, man muss in der heutigen Debatte gut zuhören, sonst überhört man, dass der Konsens in der Bildungspolitik in den vergangenen Jahren eigentlich zugenommen hat. Ich darf das am Beispiel des Ministerpräsidenten Gabriel erläutern. Er hat uns zwar einiges vorgeworfen, aber gleichzeitig wird seit Monaten in der Presse darüber berichtet, dass er in Niedersachsen die Orientierungsstufe abschaffen will. ({7}) Er bewegt sich also in Richtung eines gegliederten Schulsystems. Darüber freuen wir uns. Ich möchte nicht kommentieren, wer sich auf wen zu bewegt, sondern stattdessen betonen, dass der Konsens in der Bildungspolitik zunimmt. Es hat wenig Sinn, wenn wir uns sozusagen gegenseitig Sonntagsreden vorhalten, während wir in der Praxis alle unsere Sünder haben. Unsere größten Sünder, die sich vielleicht noch durchsetzen werden, sind die Finanzminister der Länder. Diese haben alle festgestellt - auch die von der PDS mit regierten Länder -, dass die Schülerzahlen ab 2005 zurückgehen werden und im Schulbereich Kürzungen erfolgen sollen. Also lasst uns mit denen reden, jeder mit denen von seiner Partei, und uns die Dinge nicht gegenseitig vorwerfen. ({8}) Meine Damen und Herren, der Bundeskanzler hat in seiner Rede gesagt, dass er stolz darauf sei, was seine Bundesregierung und insbesondere die entsprechende Ministerin in Sachen Biotechnologie geschafft hätten. ({9}) - Herr Kollege Tauss, ich habe nie behauptet, dass Sie alles falsch machen. Da ist einiges in die richtige Richtung bewegt worden. Es ist aber unzulässig, immer nur auf das Geld zu verweisen. ({10}) Ich empfehle Ihnen, einmal in der „Zeit“ vom 29. Mai 2002 nachzulesen. Da steht drin: „Wir verjagen unsere Forscher“. Das hat kein Unionspolitiker, sondern der Präsident der Max-Planck-Gesellschaft gesagt. ({11}) Er gibt zu, Frau Bulmahn, dass Sie ihm Geld geben, zugleich beklagt er sich aber über die vielen Paragraphen. Deshalb ist die Stimmung in der Forschungslandschaft gar nicht gut. ({12}) Dann wundern Sie sich, dass Sie wegen der Steigerung der Ausgaben für Bildung und Forschung um 20 Prozent in den letzten vier Jahren nicht Tag und Nacht gelobt werden. ({13}) Das hängt damit zusammen, dass Sie vor der Wahl eine Verdoppelung der Ausgaben angekündigt haben. Nach der Wahl haben Sie von 1 Milliarde DM jährlich gesprochen. Jetzt kommt heraus: In vier Jahren stieg der Ansatz um 20 Prozent. Frau Bulmahn, in Bayern schafft keiner den Hauptschulabschluss, der behauptet, Verdoppelung sei plus 20 Prozent - wirklich nicht. ({14}) Darauf dürfen Sie doch nicht stolz sein. ({15}) Noch einmal eine Anmerkung zu den Ausführungen von Ministerpräsident Gabriel, der uns zu meiner Überraschung vorgeworfen hat - da das ja im Wahlkampf eine Rolle spielen könnte, sage ich dazu noch einmal etwas an dieser Stelle -, dass wir Studiengebühren einführen wollen. ({16}) Wir diskutieren darüber, Herr Kollege. Bevor aber der Herr Gabriel uns deswegen kritisiert, sollte er mit seinem Wissenschaftsminister reden. Wir wissen doch alle miteinander, dass sein Wissenschaftsminister ein eindeutiger Befürworter von Studiengebühren auch für das Erststudium ist. ({17}) Da sich Herr Gabriel intern nicht durchsetzen kann, beschimpft er lieber uns. Vielleicht wird er nach der Wahl verkünden, dass er sie in Niedersachsen einführt. ({18}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich sage Ihnen noch einmal: Erstens sind wir uns darüber überhaupt noch nicht einig und zweitens werden wir, solange die Finanzminister nicht zusagen, dass das Geld an die Hochschulen geht, keine Studiengebühren beschließen. Frau Ministerin Schavan, da sind wir uns einig. ({19}) Auch habe ich der Hochschulrektorenkonferenz geschrieben: Solange die Hochschulrektorenkonferenz keine Studiengebühren fordert, beschließen wir doch keine Zwangsbereicherung. Sonst demonstriert zum Schluss noch ein Rektor einer Hochschule gegen uns, weil wir ihm Geld zuweisen. Erst müssen die das fordern, dann denken wir ernsthaft darüber nach. ({20}) Dabei brauchen wir - das wissen wir alle - auch eine soziale Abfederung. Ich garantiere Ihnen - auch in Kenntnis der internen Diskussion -, dass ich absolut der Meinung von Frau Schavan und Ihres niedersächsischen Wissenschaftsministers bin, dass wir die Hochschulfinanzierung umfassend prüfen müssen. Das wird zwar nicht in den nächsten ein bis zwei Jahren zur Einführung von Studiengebühren führen, aber irgendwann werden wir uns entscheiden müssen. ({21}) Meine Damen und Herren, ich möchte auf die PISAStudie zurückkommen und ein paar Dinge dazu sagen, die hier noch nicht erwähnt wurden. Zunächst einmal sind wir uns einig - das wurde hier schon betont -, dass wir Probleme haben, Kinder aus sozial schwachen Familien ausreichend zu fördern. Damit nicht immer nur die Lehrer als Versager dastehen, möchte ich hier auch einmal festhalten, dass sich die Kinder zunächst einmal in ihrer Familie befinden. Das heißt, dass es als Erstes Probleme in den Familien gibt und die Lehrer es nicht schaffen, die in den Familien vorhandenen Defizite in der Grundschule wieder zu reparieren. ({22}) Wir alle sind doch Sünder. Ich bin berufstätig, meine Frau ist berufstätig. Wir haben kaum eine Chance, die Kinder zu kontrollieren, wenn sie stundenlang am Computer spielen oder fernsehen. Wenn wir sie dann in die Schule schicken, haben die Lehrer Probleme. Vor diesem Hintergrund dürfen wir doch nicht nur die Lehrer beschimpfen. Da ist doch einiges in den Familien nicht in Ordnung. ({23}) Herr Ministerpräsident Gabriel hat uns vorgeworfen - das passt gut zu dem, was ich noch sagen wollte -, dass wir im Wahlkampf eventuell - das ist nicht meine Entscheidung - über das Zuwanderungsrecht reden werden. Das hat insofern etwas mit PISA zu tun, als viele Migranten- und Flüchtlingsfamilien zu den einkommensschwachen, bildungsfernen Haushalten gehören. Ich kann mich noch daran erinnern, dass mein Freund Beckstein, der künftige Bundesinnenminister, ({24}) Dr. Gerhard Friedrich ({25}) einmal wüst beschimpft worden ist, als er in einer Einwanderungsdebatte gesagt hat: Wer eingebürgert werden will, der muss erst einmal Deutsch können. ({26}) Der Gedanke, dass Integration Teil des Ausländerrechts sein muss, ist inzwischen Allgemeingut; Sie haben diesen Gedanken übernommen. ({27}) Zur Integration gehört zumindest die Beherrschung der deutschen Sprache. Neulich war ich beim BDI. Dort musste ich über das Zuwanderungsrecht diskutieren. In § 45 Ihres Zuwanderungsgesetzes steht, dass sich, wer eine Verlängerung seiner Aufenthaltsgenehmigung erhalten möchte, entweder einfach in deutscher Sprache verständigen können oder an einem Integrationskurs teilnehmen muss. ({28}) Was ist, wenn eine Verwaltung feststellt, dass es einen Ausländer gibt, der weder freiwillig die deutsche Sprache lernt noch einen Integrationskurs besucht? Wissen Sie, worin die „schreckliche“ Sanktion besteht, die Sie und nicht wir beschlossen haben? Dieser Ausländer wird erst über die Folgen der Nichtteilnahme an einem Integrationskurs belehrt, dann wird er heimgeschickt und seine Aufenthaltsgenehmigung wird verlängert. Er wird weiterhin dafür sorgen, dass seine Familie, seine Frau und seine Kinder, von der westlichen Zivilisation abgeschirmt werden. ({29}) Es gibt Fundamentalisten, die über diesen Staat lachen, wenn Sie solche Vorschriften beschließen. ({30}) Sie erzwingen Integration nicht, sondern Sie betteln darum. Wenn Integration nicht stattfindet, wenn ein Ausländer also nicht an Sprachkursen teilnimmt, dann unternehmen Sie nichts außer einem Beratungsgespräch. Uns ist vorgeworfen worden - ich spreche jetzt einmal kurz als Bayer -, dass unsere Abiturientenquote zu niedrig ist. Dem stimme ich zu. ({31}) Bei mir in Erlangen ist die Abiturientenquote allerdings zu hoch; da will jeder seine Kinder aufs Gymnasium schicken. Aber es gibt einige Regionen - Niederbayern, Oberpfalz -, wo man - das könnte ich mir vorstellen - mit Bildungswerbung mehr junge Menschen zum Abitur führen könnte. ({32}) - Moment einmal. Wir stellen gemeinsam fest, dass die Anforderungen der Wirtschaft an die Arbeitskräfte steigen; deshalb brauchen wir eher mehr Abiturienten als weniger. Gleichwohl bin ich nicht bereit, dem Antrag der Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen in diesem Punkt zuzustimmen. Denn erstens hat Ministerpräsident Gabriel gesagt: Wir brauchen zweierlei, mehr Menge und mehr Qualität. In Ihrem Antrag ist aber nur von mehr Menge die Rede. ({33}) - Wenn Sie „mehr Qualität“ vergessen haben, dann schreiben Sie es einfach noch hinein! Zweitens. Sie geben das Ziel einer Abiturientenquote von mindestens 40 Prozent vor. Es gibt Länder, die auf eine Abiturientenquote von 44 Prozent oder 45 Prozent stolz sind. Ich möchte einmal wissen - eine Untersuchung darüber würde mich interessieren -, wie viele dieser Studenten ihr Studium abbrechen. ({34}) Die Abbrecherquote bei uns liegt bei bis zu 50 Prozent. Es hat also keinen Sinn, Abiturientinnen und Abiturienten zu produzieren, die das Studium nicht schaffen, Herr Kollege Tauss. ({35}) Noch einmal: Im Prinzip ist es besser, wenn es in Zukunft mehr Studierende als bisher gibt. Es sollte aber keine rein quantitativen Vorgaben geben. Wir sind nicht bereit, die Menge zulasten der Qualität zu steigern. ({36}) Wie kommen die hohen Abiturientenquoten zustande? Viele Länder, vor allem SPD-regierte Länder, haben noch nicht einmal eine zentrale Abiturprüfung eingeführt. Wissen Sie, was das im Bereich des Fußballs bedeuten würde? Der Trainer stellt am Ende des Fußballspiels fest, ob seine Mannschaft das Spiel gewonnen hat. ({37}) - Ja, sicher. - Die Lehrer sind die Trainer. Viele SPD-regierte Länder lassen es zu, dass diese Trainer entscheiden, ob der Schüler einen erfolgreichen Unterricht genossen hat. Natürlich kommen sie dann zu dem Ergebnis, dass sie einen guten Unterricht gemacht haben. Wir brauchen nicht nur internationale Tests. Als Erstes brauchen wir - Beispiel Nordrhein-Westfalen - ein zentrales Abitur. ({38}) Dann wollen wir einmal sehen, wie sich die Abiturientenquote und die Quote der Studienabbrecher entwickeln. Man darf es sich nicht zu einfach machen. Wir sind uns darin einig - ich finde die entsprechende Formulierung im Antrag der Koalitionsfraktionen gut -, dass wir im Hinblick auf die Defizite vor allem bei Kindern aus sozial schwachen Familien Nachmittagsunterricht - ich würde sagen: Ganztagsschulen - brauchen. Davon gibt es zu wenige. Auch in diesem Punkt sind wir Dr. Gerhard Friedrich ({39}) uns einig. Wenn Sie allerdings meine Söhne fragen würden, ob sie Ganztagsunterricht wollen, bekämen Sie wirklich Ärger, weil sie diesen Ganztagsunterricht nicht brauchen. Es gibt aber Familien, in denen die Frau und der Mann arbeiten und in denen die Kinder noch jünger sind. Für diese Kinder muss es eine Betreuung am Nachmittag geben. Deshalb brauchen wir neben Ganztagsschulen - wie es in Ihrem Antrag steht - auch Ganztagsbetreuung, die sich an der Nachfrage orientiert. Ich bin dafür, dass man sehr klar unterscheidet: Zum einen geht es um Bildungspolitik und zum anderen geht es um Familienpolitik. Wir sind uns aber nicht in dem Vorschlag des Bundeskanzlers einig, Frau Bulmahn, auf die Schnelle 4 Milliarden Euro lockerzumachen. ({40}) - Abwarten! - Ministerpräsident Gabriel hat hier gesagt, er verstehe nicht, dass einige unionsregierte Länder dieses Geld nicht annehmen wollen. ({41}) Es war aber gerade Ministerpräsident Gabriel, der in der Ministerpräsidentenkonferenz mit beschlossen hat, die Mischfinanzierung in Deutschland zu reduzieren und abzuschaffen. ({42}) Jetzt will er das Gegenteil. ({43}) Er will nämlich eine Mischfinanzierung, die außerhalb des Grundgesetzes angesiedelt ist. Das ist ja noch toller. Ich weiß, dass dieses Problem die Menschen nicht interessiert. Aber verfassungsrechtlich handelt es sich um eine höchst problematische Angelegenheit. Ich bin dagegen, ständig neue Tatbestände der Mischfinanzierung einzuführen. Zum Schluss wissen wir in Bayern nicht mehr, wessen Schuld es ist, wenn die Tests negativ ausfallen: ({44}) Frau Bulmahns oder Frau Hohlmeiers. Ich möchte, dass es, wie es in einer Demokratie üblich ist, eine klare Zuweisung von Verantwortung gibt. Dann haben die Wählerinnen und Wähler die Möglichkeit, denjenigen zu bestrafen, der Mist baut. Aber Sie verwischen mit Ihrem Vorschlag die Verantwortung. ({45}) Natürlich hat Frau Bulmahn einen Hintergedanken nach dem Motto „Wer zahlt, bestimmt auch, was angeschafft wird“. Frau Bulmahn, Sie sind nicht die Oberbildungsministerin und haben keine Aufsicht über die Länder. Jetzt wollen Sie sich Mitsprache durch Geld erkaufen. Die Länder müssen selber entscheiden - das ist nicht meine Sache -, ob Sie sich mit diesem Trick einkaufen können. Ich wüsste mehrere Möglichkeiten, wie der Bund anderweitig Geld sinnvoll ausgeben kann. Bei dem Thema Schule fällt mir ein, dass der Bund für Schulen im Ausland zuständig ist. Was machen aber der Bundesfinanzminister und der Bundesaußenminister? Sie kürzen die Mittel für die Auslandsschulen. ({46}) Trotzdem hält die Frau Ministerin eine Rede über die Internationalisierung des Bildungswesens und der Hochschulen. Machen Sie doch erst einmal Ihre Hausaufgaben! ({47}) Mir tut der Bundesfinanzminister Leid, weil er angesichts der Haushaltslöcher nicht mehr weiß, wo er zuerst kürzen soll. ({48}) Anschließend muss er für eine Wahlkampfaktion jährlich 1 Milliarde Euro bereitstellen. Das ist nicht solide. Die Länder müssen entscheiden, ob sie dieses Geld annehmen. In der Sache sind wir uns einig - das muss festgehalten werden -: Wir brauchen mehr Ganztagsschulen für die Leistungsschwachen, ({49}) deren Anteil bei uns leider 25 Prozent beträgt. Wir brauchen die Ganztagsbetreuung aus familienpolitischen Gründen. ({50}) Wir sind dafür, dass jeder seine Hausaufgaben macht. Für das, was ich gerade erwähnt habe, sind die Länder zuständig. Frau Bulmahn soll endlich mehr Geld für die Genomforschung, für Exzellenzzentren an den Hochschulen und für den Hochschulbau bereitstellen. ({51}) Auch auf diese Art und Weise würden die Länder entlastet. ({52}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich habe eine letzte Anmerkung zu einem Thema, von dem ich meine, dass darüber ernsthaft verhandelt werden muss, obwohl es in dieser Hinsicht auch wieder einige Hintergedanken gibt. Wenn ich versuche, mich über die Verhältnisse in den Ländern im Hinblick auf die Schulen zu unterrichten, dann habe ich erhebliche Probleme, an wirklich vernünftige vergleichende Statistiken heranzukommen. ({53}) Das müssen wir ändern. Wenn wir am 27. Juni die Ergebnisse der nationalen Ergänzungsstudie zu PISA erhalten, dann werden wir darüber diskutieren, welche Länder besser sind. In NordDr. Gerhard Friedrich ({54}) rhein-Westfalen gibt es sowohl Gymnasien als auch Gesamtschulen; wir werden feststellen, wer dort besser ist. ({55}) Um das zu untersuchen, benötigen wir Vergleichsdaten. Sie sind nicht ausreichend vorhanden. Ich meine nicht - gemeinsam mit Frau Ministerin Schavan -, dass wir dafür unbedingt einen Bundessachverständigenrat und einen Bundesbildungsbericht brauchen, in dem Frau Bulmahn die Länder wie ein Oberlehrer zensiert und darüber belehrt, was sie alles richtig und falsch machen. ({56}) Ich unterstütze den Koalitionsantrag, wenn auch mit einer großen Einschränkung: Die Kultusminister der Länder werden dringend gebeten, vergleichbare Daten zu besorgen und sie zusammenzuführen, auch mit den Daten des Bundes. Wir bitten die Kultusminister der Länder dringend - die unionsgeführten Länder machen das ohnehin -: Beteiligen Sie sich weiter an solchen Vergleichstests. Wir sind für den Wettbewerb der Schulsysteme der Länder. Wettbewerb hat aber nur einen Sinn, wenn im Ergebnis eine Qualitätskontrolle stattfindet. Eine solche Kontrolle haben wir seit wenigen Jahren. Es ist kein Wunder: Die Daten und die Unterlagen sind so eindeutig, dass der Konsens zunimmt. Wir bitten nicht nur um die Beibehaltung des Wettbewerbs, sondern auch um die Beibehaltung von Qualitätskontrolle, für die Sie sich einsetzen, Frau Schavan. Kultusminister, die dabei schlecht abschneiden, werden entweder zurücktreten oder ihre Schulpolitik ändern müssen. Vielen Dank. ({57})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht die Kollegin Katrin Göring-Eckardt.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003132, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Ich bin froh darüber, dass zum ersten Mal im Deutschen Bundestag eine Regierungserklärung zum Thema Bildung abgegeben wurde; ({0}) denn ich glaube, dabei geht es nicht, wie ein Ministerpräsident heute morgen gesagt hat, um eine Schauveranstaltung oder um Wahlgeschenke, sondern um eine Notwendigkeit. Herr Friedrich hat gerade davon gesprochen, der Konsens in der Bildungspolitik nehme zu. Angesichts der Auseinandersetzungen, die heute stattgefunden haben und stattfinden, glaube ich, dass der Streit im Sinne eines Wettbewerbs um die besten Vorschläge nicht das Schlechteste ist und wir nicht die Konsenssoße darüber kippen sollten. Ich will am Anfang meines Beitrages etwas ansprechen, worüber in dieser Debatte noch nicht geredet worden ist und was nicht nachkleckern bedeuten soll. Wenn wir über Bildung und lebenslanges Lernen sprechen, dann müssen wir zuallererst über die Familien und über Eltern sprechen - nicht deshalb, weil die Politik Eltern irgendetwas vorschreiben sollte, sondern weil Erziehung und Bildung zuerst in der Verantwortung der Eltern liegen. Die meisten Eltern wollen diese Verantwortung auch wahrnehmen. Ich sage das auch, weil ich finde, dass wir viel von dem, was in den Familien und in der Gesellschaft nicht funktioniert, auf Schule und Kindergarten abschieben. Ja, wir brauchen verantwortungsbewusste Eltern, denn die Vermittlung von Werten und vielleicht auch von Tugenden kann in Kindergarten und Schule zwar verstärkt werden, zuerst aber ist sie zu Hause gefragt. Ich halte es jedenfalls für dramatisch, wenn Kinder erst bei einer Klassenfahrt lernen, dass es vielleicht Sinn macht, gemeinsam mit dem Essen zu beginnen, und dass man sich nicht drei Stück Kuchen auflädt, wenn der Kuchen dann nicht für alle reicht. Ja, wir brauchen Eltern, die Kindern Märchen vorlesen, im Kreis der Familie reden, erklären und lachen, statt im Halbkreis vor dem Fernseher zu schweigen. Dafür, dass Eltern Zeit und Nerven dafür haben, ist dann aber auch die Politik verantwortlich; ({1}) denn den Familien wird Zeit geklaut, wo sie mühsam Kinderbetreuung, Nachhilfeunterricht oder die Fahrt zur Musikschule organisieren. Da sind wir dann, Frau Schavan, auch schon bei der wirklichen Situation im Ländle, die Sie hier ein bisschen zu bemänteln versucht haben. ({2}) Denn alles das, was Sie hier gesagt haben, klingt zwar ganz gut; was Sie in Baden-Württemberg tun, ist aber leider etwas anderes. Wenn man die Eltern dort fragt, dann erfährt man vor allem eines: dass Eltern das Gefühl haben, dass Sie die Situation der Familien im Land nicht verstanden haben, dass Sie nicht verstanden haben, wie es den Familien geht, wie es vor allem den Müttern geht. Ihre Statistik mit drei mehr von mehreren Tausend Schulen - Frau Bulmahn hat darauf hingewiesen - bezieht die Sonderschulen mit ein. Das ist eine Bilanz, die ich für eine Bildungsministerin, die mehr als eine Wahlperiode im Amt ist, wirklich nicht für besonders vorzeigbar halte. ({3}) Reden ja, kann man dazu sagen, Handlungskompetenz leider Fehlanzeige. Wenn Sie über die so genannte verlässliche Halbtagsgrundschule reden, dann meinen Sie Betreuung vor und nach der Schule, jedenfalls dort, wo die Kommunen zahlen oder zahlen können; nach Bedarf, sagen Sie. Sie können sich wohl nicht vorstellen, was es für Mütter heißt, wenn der Spross um 11 Uhr vor der Tür steht und nicht einmal ein Teilzeitjob drin ist. Das ist weder fortschrittliche Bildungspolitik noch ist es zeitgemäße Familienpolitik. Am Ende leiden vor allem die Kinder darunter, deren Eltern darauf angewiesen sind, dass beide arbeiten, und die sich dann selbst überlassen bleiben. ({4}) Dr. Gerhard Friedrich ({5}) Was die Kinderbetreuung vor der Schulzeit angeht, da müssen wir in der Tabelle schon ganz unten nachsehen, wenn wir Baden-Württemberg finden wollen. Bei der WM wären Sie mit dieser Bilanz wahrscheinlich schon in der Vorrunde ausgeschieden. ({6}) Im Gegensatz dazu sagen wir, die rot-grüne Bundesregierung, klar: Wir brauchen eine Initiative für mehr Kinderbetreuung, was nicht Zwangsbeglückung ist, sondern mit einem ganz zentralen Defizit unseres Bildungssystems zu tun hat. Die Tatsache, dass Kinder, Migrantenkinder, aber auch Kinder deutscher Herkunft, die deutsche Sprache nicht beherrschen, wenn sie in die Schule kommen, muss doch Folgen haben. Das kann nun wirklich nicht mit Kompetenzgerangel und Zuständigkeiten erklärt werden. Natürlich sind Bildung und Erziehung nationale Aufgaben. Das Defizit kann auch nicht mit einem Familiengeld behoben werden, das an dieser Situation überhaupt nichts ändert. Es gibt keine Chancengleichheit in diesem Land. Das müssen wir ändern und Rot-Grün wird das ändern. ({7}) Wir wollen, dass in Deutschland auch die Kinder eine Chance haben, die nicht in den heimischen Bücherschrank greifen können. Wir wollen, dass die Zukunft von Kindern nicht am Geldbeutel oder am Bildungsstand der Eltern hängt. Dazu gehört es, dass Schulen frei und kreativ sein können, Schulen, in denen man Lernen, Rechnen und Schreiben lernt und vielleicht auch, mit 24 anderen Kindern den gleichen Ton auf der Flöte zu finden. ({8}) Unsere Schulen müssen ihr Personal selbst aussuchen können und über ihre Mittel verfügen können. Schulautonomie in Baden-Württemberg - leider auch Fehlanzeige. Im Gegenteil, die Schulen, die wirklich autonom sind, die freien Schulen, haben trotz vieler Versprechen so wenig Unterstützung bekommen wie in keinem anderen westlichen Flächenland. Ich finde, auch das ist eine richtig schlechte Bilanz. In Berlin hat die PDS sogar dafür gesorgt, dass hier Kürzungen vorgenommen worden sind. ({9}) Das ist aus meiner Sicht sozialer Kahlschlag à la PDS, weil hier nämlich Eltern der Geldbeutel aufgemacht wird, die wirklich nichts zuzusetzen haben. ({10}) Gestern gab es in Berlin Demonstrationen von Lehrerinnen und Lehrern. Ich halte mich mit der Kritik an Lehrerinnen und Lehrern und dem Wunsch nach mehr Engagement, mehr Bereitschaft zur Fortbildung und zu neuen Ideen wirklich nicht zurück, gerade angesichts der Schulsituation in Ostdeutschland. Was aber nicht geht, ist, dass wir die Defizite der Politik auf dem Rücken der Lehrerinnen und Lehrer austragen, dass wir sie - das ist zum Teil im wortwörtlichen Sinn gemeint - im Regen stehen lassen, weil die Turnhalle undicht ist, die Landkarten veraltet sind, immer mehr Ausfallstunden zusammenkommen und Lehrermangel die Arbeit maßlos erschwert. ({11}) Wann sollen denn die Lehrerinnen und Lehrer ein Ohr für die Probleme und Nöte der Kinder und Zeit für die Zusammenarbeit mit den Eltern haben? In Thüringen haben Grundschüler häufig drei Klassenlehrerinnen, weil alle Teilzeit arbeiten. Ich weiß nicht, wie da ein Vertrauensverhältnis aufgebaut werden kann. Auch das ist Bildungspolitik der Union. Noch ein Wort zur FDP: Im Koalitionsvertrag von Sachsen-Anhalt ist zu lesen, dass man dafür sorgen sollte, dass in den Schulen sehr früh zensiert wird. Leistung heißt das dann. Prima! Das wird den Kindern richtig weiterhelfen. Dann wissen sie gleich, wer von Anfang an aussortiert wird, weil er nach Meinung der FDP nicht zu den Leistungsträgern gehört. ({12}) Ich glaube nicht, dass das der richtige Weg ist. Das, was Sie hier vorschlagen und was Ihre Frontfrau, Cornelia Pieper, die ja nun leider nicht Bildungsministerin werden wollte, auf den Weg gebracht hat, ({13}) ist nicht Steinzeit-, sondern sogar Eiszeitpolitik. ({14}) Machen wir uns doch einfach einmal die Mühe, keine Erwachsenenmaßstäbe anzulegen, sondern das zu tun, was Kindern wirklich gut tut und wichtig für sie ist. Jahrelang war die Bildungspolitik ein Stiefkind der Bundesregierung. Der Rotstift war nicht zum Korrigieren der Fehler, sondern zum Streichen der Mittel da. Wie keine andere Regierung vorher haben wir die Familien unterstützt. ({15}) Wir haben den Bildungsetat erhöht. Aber das ist nicht genug. Wir werden den größten Notstand, die fehlende Kinderbetreuung und die fehlenden Ganztagsschulen, beseitigen. Die Haushaltslage ist schwer. Trotzdem werden wir in den nächsten Jahren die dafür notwendigen 4 Milliarden Euro aufbringen. Es ist eben so, dass Kinder soziale Kompetenz nicht mehr allein in den Familien lernen. Denn es gibt keine Großfamilien und oft auch keine Geschwisterkinder mehr. Deswegen sind der Kindergarten und die Ganztagsschule kein Notnagel, sondern von ganz zentraler Bedeutung für die Entwicklung des Kindes. ({16}) Ich komme zum Schluss. Natürlich wünsche ich mir, dass Eltern sehr viel mehr Zeit für ihre Kinder haben. Ich möchte, dass die Kinder türkischer Migranten und ihre deutschen Banknachbarn beides kennen: die Märchen der Gebrüder Grimm und die von Nasreddin Hodscha, Rotkäppchen und Ali Baba. Ich bestehe darauf, dass Fünfjährige Reime kennen und nicht „Teletubbisprech“. Genau dafür - denn wir wissen, wie schön es ist, auf dem Sofa zu sitzen und „Nils Holgersson“ oder „Die Rote Zora“ vorzulesen - müssen wir als Politiker sorgen, indem wir Rahmenbedingungen schaffen, aufgrund deren das wirklich möglich ist, und indem wir Rahmenbedingungen für die Kinder schaffen, die diese Aufmerksamkeit zu Hause nicht bekommen. Dies sollten wir ihnen in qualitativ hochwertigen Kinderbetreuungseinrichtungen und Schulen ermöglichen. ({17}) Sie können zwar so tun, als ob Sie das nichts angehe. Aber die Bürgerinnen und Bürger werden am 22. September auch darüber entscheiden, ob sie in der Bildungspolitik einen Steinbruch bzw. einen Abbau ({18}) oder ob sie eine Politik der Zukunft wollen, womit diese Bundesregierung begonnen hat. Vielen Dank. ({19})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Für die FDP-Fraktion spricht der Kollege Dr. Wolfgang Gerhardt.

Dr. Wolfgang Gerhardt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002659, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In der letzten Runde dieser Debatte möchte ich drei Themen ansprechen. Nach der PISA-Studie haben wir uns gefragt: Was sollten wir eigentlich an unseren Schulen tun? Was leisten sie und was leisten sie nicht? Um es so zu beantworten: Es gibt keine Allmachtspädagogik. Die Kollegin von den Grünen hat mir freundlicherweise die Gelegenheit gegeben, meine Rede gut einzuleiten, indem sie auf Märchen verwiesen hat. Ich möchte meine Kolleginnen und Kollegen an eines erinnern: an das Märchen „Der Wolf und die sieben Geißlein“. Als man den sieben Geißlein beigebracht hatte, auf eine tiefe Stimme und eine schwarze Pfote zu achten, hat der Wolf Kreide gefressen und Mehl über die Pfote gestreut. Wir werden also an den Schulen mit „Stoffhuberei“, mit immer neuen Fächern, nichts zustande bekommen, wenn wir nicht zum Kern des Themas durchstoßen. ({0}) Der Journalist Konrad Adam hat das einmal sehr schön beschrieben: gegen die Verkehrsprobleme Verkehrskunde, gegen die übrigen Verkehrsprobleme Sexualkunde, gegen die Drogenmafia Drogenkunde, gegen die Versuche, die Verbraucher hinter die Fichte zu führen, Verbraucherkunde! - Eine solche „Stoffhuberei“ führt uns nicht weiter. Wir müssen im Deutschen Bundestag über den Kern der Erziehung sprechen und darauf will ich hinaus. ({1}) Ministerpräsident Gabriel hat einen Teil seiner Rede auf etwas verwendet, von dem er hinterher gesagt hat, das interessiere gar keinen. ({2}) Wo er Recht hat, hat er Recht. Im Übrigen sind es die Menschen leid, als Konsequenz aus der PISA-Studie in einer öffentlichen Debatte nur Vergleiche von Zahlen zwischen Ländern zu hören. Das hilft uns überhaupt nicht weiter, auch wenn es im legitimen politischen Interesse liegt, seine Leistungen darzustellen. ({3}) Mit diesen Zahlenvergleichen ist aber zugleich auf ein Problem im deutschen Bildungswesen hingewiesen worden: Es gibt keine Bildungslaufbahn, die so organisiert werden könnte, dass sie automatisch, mit Sicherheitsgarantie, in eine vorgezeichnete Berufslaufbahn mündet. Eine der Perversionen des deutschen Bildungswesens ist das Denken in Semesterwochenstunden, Lerneinheiten und Curricularrichtwerten. Die Verdienstrechtlichung des deutschen Schul- und Hochschulbetriebes, die fehlende Autonomie, ist das Übel in der Bundesrepublik Deutschland. ({4}) Der Bundeskanzler hat gesagt, Bildung umfasse Werte, Normen und Haltungen. Das ist völlig richtig; große Pädagogen haben schon immer gesagt, dass es an der Schule nicht nur um Wissen geht, sondern ebenso um Charakter und Haltung. Aber in der Geschichte der bildungspolitischen Diskussionen in Deutschland hat der Herr Bundeskanzler einen vergessen, nämlich den, der der ganzen Nation gesagt hat, das seien kleine Sekundärtugenden, so als ob man sie nicht bräuchte. Heute lernen wir aufgrund dramatischer Ereignisse, dass genau diese zivilen Tugenden den Kern von Bildung und Erziehung ausmachen. ({5}) Es geht hier im Übrigen nicht nur um die Schule. Meines Erachtens ist in dieser Debatte zu kurz gekommen, dass das Kind nicht erst in dem Moment beginnt, die Schlüsselqualifikationen im Bereich Bildung und Erziehung zu erwerben, nämlich Haltung, Bereitschaft zusammenzuarbeiten, der Versuch, etwas Großes zu erreichen und sich eine Lernkultur anzueignen, in dem es die Schultüte in der Hand hält und die Schule betritt. Die Haltung eines Menschen beginnt sich schon sehr früh in der Biographie abzuzeichnen, meist schon, bevor er einen Klassenraum betritt. Deshalb ist als Konsequenz aus der PISA-Studie nicht nur ein Qualitätsvergleich deutscher Schulen herzustellen. Es geht auch nicht nur um Veränderungen in der LehrerKatrin Göring-Eckardt bildung. Der Kern muss vielmehr die erzieherische Qualität deutscher Familien gegenüber ihren eigenen Kindern sein. ({6}) Wenn hier versagt wird, sind alle pädagogischen Bemühungen, auch alle späteren Management-Seminare und Hochschulstudiengänge zur Erfolglosigkeit verdammt. Wenn es eine nationale Anstrengung geben muss, Frau Bundesbildungsministerin, dann nicht nur in Bezug auf die Qualität der Schulen und nicht nur über eine bildungspolitische Debatte über Schlüsselqualifikationen. Wir brauchen vielmehr eine stärkere Haltung zum klaren erzieherischen Auftrag der Familie. Ich erinnere mich an bildungspolitische Diskussionen, bei denen erzieherische Aufträge nahezu als repressive Maßnahmen gegenüber Kindern verstanden worden sind. Das muss in einer solchen Debatte auch gesagt werden. ({7}) Ich komme zu dem dritten Kernpunkt: Alle haben gesagt, die Fülle der Begabungen müsse gefördert werden, schwächere wie stärkere. Wenn man die Fülle der Begabungen individuell fördern will, dann kommt man nicht umhin, nach Begabungen zu trennen, ({8}) neben anderen auch gegliederte Schulsysteme anzubieten und in allen Bundesländern den Eltern die Entscheidung zu überbelassen, welche Schulform sie für ihr Kind bevorzugen. Es muss Wahlmöglichkeiten geben. ({9}) Wenn man fördern will, dann muss eine Auswahl bestehen. ({10}) Der Charakter einer freiheitlichen Gesellschaft zeigt sich auch in der Fähigkeit, mit besonders Begabten umzugehen und es nicht zum sozialen Konfliktpunkt zu erklären, wenn man sich neben der Förderung von Lernschwächeren auch ihnen zuwendet. ({11}) Auch sie haben einen Anspruch darauf. Es ist gesagt worden, wir bräuchten eine nationale Kraftanstrengung. Ja, die Freie Demokratische Partei und die Fraktion sind dazu gern bereit. Aber wohin soll der Weg einer nationalen Kraftanstrengung gehen? ({12}) Er wird nicht weiter in eine Verdienstrechtlichung des Schul- und Hochschulbetriebes führen können, dieser Weg muss beendet werden. ({13}) Er wird zur Qualitätsverbesserung von Schulen führen müssen. Dabei darf die Fragestellung aber nicht nur auf die Lehrer ausgerichtet sein. Eine Schule kann nur so erfolgreich sein, wie es die familiären Erziehungskomponenten sind. ({14}) Deshalb ist auch das Ganztagsschulangebot nicht die Lösung aller Probleme. Aus meiner Sicht muss es eine Angebotsschule sein. Wenn sich Familien dafür entscheiden, ihr Kind in eine andere Schule zu schicken, weil sie sich im übrigen Tagesverlauf ihren Kindern selbst zuwenden wollen, muss auch dieses Lebensmodell möglich sein. ({15}) Deshalb ist die Ganztagsschule für uns ein Angebot. Sie kann einen Beitrag zur Lösung der Probleme leisten, die wir der PISA-Studie entnehmen. Ich habe aber schon wieder das Gefühl, dass die Bundesregierung den Ländern 4 Milliarden Euro zur Verfügung stellen will und damit meint, die gröbsten Konsequenzen aus der PISA-Studie gezogen zu haben. Das stimmt überhaupt nicht. Es kommt nicht auf die schulische Hülle an, sondern auf die Qualität derer, die Schulen besuchen und an Schulen unterrichten. Das wollte ich zu diesem Stand der Debatte sagen. ({16})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Ich gebe das Wort der Kollegin Maritta Böttcher. Sie spricht für die Fraktion der PDS.

Maritta Böttcher (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002631, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte drei Probleme aufgreifen. Erstens. Föderalismus wird in Deutschland wie ein Zauberwort gehandelt. Ich will aber deutlich sagen: Natürlich gibt es die Kulturhoheit der Länder, aber sie muss auch entsprechend wahrgenommen werden. Es muss endlich mit der provinziellen Bildungspolitik Schluss sein. Wer integrieren will, muss Benachteiligte und die Besten fördern. Beides ist ein Gebot von sozialer Gerechtigkeit. ({0}) Zweitens. Innovation im Bildungswesen ist ohne die Partizipation der am Bildungssystem Beteiligten nicht zu machen. Deshalb fordert die PDS eine wirksame Mitbestimmung von Lehrenden, Lernenden und Eltern über die Bildungsinhalte, die Organisation von Bildungsprozessen und über die Ziele und Instrumente von Bildungsreformen. Die Entwicklung eines Kindergartens, einer Schule, einer Universität oder meinetwegen auch einer Volkshochschule von unten ist ein Beitrag sowohl zur Optimierung des Bildungsprozesses als auch zur Demokratisierung der Gesellschaft. ({1}) Drittens. Die Gebührenfreiheit des Studiums ist eine wichtige sozialstaatliche Errungenschaft dieses Landes, die wir nicht leichtfertig aufs Spiel setzen sollten und dürfen. In Nordrhein-Westfalen und anderswo wehren sich Studierende gegen die Pläne, Studiengebühren einzuführen. Das ist eine klare Antwort nicht nur auf die Gebührenpläne der Landesregierungen, sondern auch auf die Politik der Bundesregierung. Warum sollen ausgerechnet die Studierenden die Haushaltslöcher füllen, die durch die falsche Steuerpolitik der Bundesregierung in den Landeskassen entstanden sind? ({2}) Wir wollen Chancengleichheit statt Haushaltsausgleich. Wer ein Haushaltsloch gräbt, soll selbst hineinfallen, stand auf den Plakaten. Dem kann ich nur zustimmen. ({3}) Wer im Bund die Gewinne großer Unternehmen und hohe private Vermögen von der Finanzierung gesellschaftlicher Zukunftsaufgaben befreit und dafür die Studierenden zur Kasse bittet, muss sich über die Reaktionen nicht wundern. Im Übrigen gibt es in diesem Haus eine ganze Reihe von Langzeitstudierenden, die keinen Pfennig Strafgebühr bezahlt haben, aber das nur am Rande. Soziale Gerechtigkeit gebietet die Wiedereinführung der Vermögensteuer und die Rücknahme der Unternehmensteuerreform. Der Hochschulzugang darf nicht wieder zum Privileg der Reichen werden. Die PDS bleibt dabei: Wir werden uns weiterhin für ein wasserdichtes Gebührenverbot stark machen, das keine Ausnahmen zulässt. ({4}) Wir sagen ja zur Innovation in Bildung und Wissenschaft und durch Bildung und Wissenschaft. Wir meinen aber ausdrücklich Innovation durch Chancengleichheit und Demokratie. Abschließend gestatten Sie mir eine kleine Anmerkung. In der heutigen „Berliner Morgenpost“ gab es einen kleinen Beweis dafür, wie gut polytechnische Bildung und Erziehung sein können: Die PDS sägt schneller als die CDU. Anders ausgedrückt: Pau war beim Sägen besser als Merz. Danke schön. ({5})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Zum Abschluss dieser Debatte erteile ich dem Kollegen Jörg Tauss von der SPD das Wort.

Jörg Tauss (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002813, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Recht herzlichen Dank, Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Frau Kollegin Böttcher, das mit dem Sägen wundert mich bei Herrn Merz nicht. Herr Gerhardt, ich muss Ihnen ehrlich sagen, Ihre Rede war die peinlichste bildungspolitische Rede, die ich in den letzten Jahren gehört habe. ({0}) Wenn wir aus den schlechten Ergebnissen der PISA-Studie nichts lernen wollen, dann müssen wir genau den Konzepten folgen, die Sie hier vorgetragen haben. Alle Länder, die vor uns liegen, haben erkannt, dass es nicht darauf ankommt, im frühen Kindesalter zu selektieren und nach sozialer Herkunft zu unterscheiden, ({1}) sondern darauf, alle Kinder gemeinsam zu fördern. Das, was Sie hier erzählt haben, ist wirklich von vorgestern. ({2}) Aus diesem Grund lohnt es sich auch nicht, weiter darauf einzugehen. Liebe Frau Schavan, ich habe Ihnen außerordentlich aufmerksam zugehört. ({3}) Gehört habe ich zur Bildungspolitik allerdings nichts Neues. Eigentlich habe ich gedacht, dass ein Mitglied des Kompetenzteams eine gewisse Aufbruchstimmung verbreitet, aber da hat sich nichts getan. ({4}) - Ich habe gut zugehört. Heute haben ein Bundeskanzler und eine Bundesbildungsministerin klar zum Ausdruck gebracht, dass Bildung eine nationale Aufgabe ist, wie wir dabei vorankommen wollen und was dabei konkret zu tun ist. Sie, Frau Schavan, haben nur ein bisschen herumgeeiert. Das war der Verlauf der heutigen Debatte, meine sehr verehrten Damen und Herren. ({5}) Im Moment diskutieren alle über Fußball. Das ist auch gut so; ich bin auch Fußballfan. Es wäre aber ganz gut, wenn wir in diesem Lande über Bildung ebenso intensiv wie über Mannschaftsaufstellungen diskutierten. Vielleicht könnten wir nach PISA als Ziel formulieren - die Bundesbildungsministerin hat es getan -, Bildungsweltmeister zu werden. Darüber sollten wir in diesem Lande debattieren! ({6}) Herr Friedrich, Sie erzählten hier etwas über Biomedizin und Biotechnologie. Die Ausgaben für die Genomforschung sind gegenüber 1998 um über 200 Prozent erhöht worden. Bayern profitiert davon in hohem Maße, womit Sie in Bayern gelegentlich angeben. Das ist aber vom Bund finanziert. Frau Flach hat kürzlich beim DIHK - das fand ich wirklich anständig; Respekt vor Ihnen, Frau Flach - eingeräumt, ({7}) dass es ein großer Fehler der alten Bundesregierung war, in ihrer Zeit bei Bildung und Forschung so zu kürzen, wie sie es getan hat. Das war einmal eine klare Aussage. Wer eine solche Aussage trifft und sich für seine Vergangenheit entschuldigen muss, sollte aber nicht so reden, wie Sie es heute hier getan haben. Das ist völlig unglaubwürdig. Offensichtlich fehlt es Ihnen an jeglicher Selbstkritik. ({8}) Nach der Rede auch von Frau Schavan ist deutlich geworden, dass man Demagogen und Ideologen nicht nur von Schulen fernhalten sollte, sondern auch in der Bildungspolitik nicht akzeptieren sollte. Dafür ist die Bildungspolitik zu schade. ({9}) Es ist übrigens auch schade, dass Herr Stoiber heute keine Zeit findet, an dieser Debatte teilzunehmen. Auch Herr Westerwelle hat die Zeit dafür nicht gefunden. Wo ist er eigentlich? Herrn Westerwelle habe ich in diesem Hause noch nie bei einer bildungspolitischen Debatte gesehen. In Talkshows aber redet er, als verstünde er etwas davon. Das halte ich nicht für korrekt, meine sehr verehrten Damen und Herren. ({10}) So kommt es dann auch zu Uninformiertheiten. In Ihrem Wahlprogramm fordern Sie 1 Milliarde Euro für den Hochschulbau. Wer dieses Programm liest, könnte erschauern. Wenn Sie in den Haushaltsplan blicken, werden Sie feststellen, dass wir diese Milliarde schon hineingeschrieben haben. ({11}) Es ist ja gut, wenn Sie in Ihrem Wahlprogramm das fordern, was wir schon machen; dann fordern Sie wenigstens keinen Unfug. Das ist in diesen Zeiten immerhin etwas. Meine sehr verehrten Damen und Herren, der Lieblingssatz von Frau Schavan lautet: „Alles hat seine Zeit.“ ({12}) Das bedeutet eben auch, dass Ihre bildungs- und forschungspolitischen Konzepte der Vergangenheit angehören. Das stoibersche Kompetenzteam kann vor diesem Hintergrund allenfalls als Küchenkabinett bezeichnet werden. Es geht Ihnen um uralte Konzepte mit einem altbackenen Familien- und Frauenbild. Ich denke hier nur an das so genannte Familiengeld, dessen Ziel eben nicht die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist. Liebe Frau Schavan, man wirft Ihnen in Baden-Württemberg völlig zu Recht vor, Politik von oben herunter zu machen, ohne die Beteiligten in Reformprozesse einzubinden. Sie haben manche Absicht, aber gute Absichten bedeuten noch lange nicht gute Politik. Sie haben Fremdsprachenunterricht an den Grundschulen angesprochen. ({13}) Ich glaube, dass Sie damit ein wirklich gutes politisches Ziel formuliert haben, wie in anderen Ländern auch. Nur haben Sie bei der Umsetzung dieser Reform weder die Eltern noch die Lehrer oder die Schüler gefragt. Ich schildere für die Kolleginnen und Kollegen aus anderen Landstrichen einmal die Situation: In Württemberg wird jetzt Englisch gelehrt, in Baden Französisch, aber dieses nicht durchgehend, sondern an der einen Schule so und an der anderen Schule so. Sie missachten den Elternwillen in Baden-Württemberg, Frau Schavan. Das ist das Problem Ihrer Politik. ({14}) - Eigentlich müsste jetzt Herr Fischer Beifall klatschen. Ich lese Ihnen einmal aus einem Leserbrief Ihres Kollegen Fischer an die Lokalpresse vor: „Frau Schavan missachtet den Elternwillen.“ Wenn schon die CDU-Kolleginnen und -Kollegen solche Dinge in der Lokalpresse schreiben, ({15}) kann ich Ihnen, Frau Schavan, nur sagen: Redet miteinander, aber machen Sie mir bitte nicht den Vorwurf, ich würde hier etwas erzählen, was nicht der Realität entspricht. Ich glaube, wenn der Stoiber-Edi zu uns auf die badischen Dörfer gekommen wäre und von dem Englischund Französisch-Unterricht gewusst hätte, Sie wären nie und nimmer ins Kompetenzteam gekommen, da bin ich mir absolut sicher. Bevor wir uns Ihr Chaos jetzt auch noch auf die Bundesebene holen - das werden die Wählerinnen und Wähler am 22. September verhindern -, möchte ich noch ein paar Punkte ansprechen, zunächst die Zuwanderung. Herr Kollege Friedrich, der uns leider verlassen musste, ({16}) hat wirklich tränenreich zu diesem Thema gesprochen. Sie haben nicht verstanden, um was es geht. ({17}) Bei Zuwanderungspolitik und Integrationspolitik geht es darum, auch die Begabungsreserven der Kinder ausländischer Herkunft für unser Land zu erschließen. ({18}) Es geht darum, die Attraktivität und Leistungsfähigkeit des Wissenschaftsstandorts Deutschland für ausländische Studierende und junge Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler weiter zu verbessern. Hierzu werden wir heute auch Anträge beschließen. Von Ihnen gibt es dazu zwar Lippenbekenntnisse, aber Sie tun das Gegenteil. Sie polemisieren gegen die Internationalisierung in diesem Bereich. Das ist von großem Schaden für den Standort Deutschland und auch für den Wissenschaftsstandort Deutschland. ({19}) Mit dieser Zündelei kommen wir nicht vorwärts. Jetzt kritisieren Sie die Tatsache, dass der Bundeskanzler die Verantwortung dafür übernimmt und gesagt hat: Wenn es schon nicht so klappt, wie wir es uns national vorgestellt haben, investieren wir Geld, beispielsweise 1 Milliarde pro Jahr in die Ganztagsschulen. Das ist doch ein Wort. Ich denke nicht, dass Hans Eichel, der dort sitzt, diese Milliarde mit frohem Herzen aus dem Etat geschnitten hat. Aber unsere Finanzpolitiker und Bildungspolitiker haben gemeinsam gesagt: Wir müssen etwas tun. Und wir tun es. Was haben Sie denn getan? Sie haben ein Kindergartengesetz verabschiedet, in dem Sie festgelegt haben, wie die Kindergärten im ganzen Land auszusehen haben, aber bei der Umsetzung dieses Konzeptes haben Sie die Länder und die Kommunen allein gelassen. So war doch die Situation in diesem Lande. ({20}) Wir reden nicht nur von der Ganztagsschule, so wie Sie von Kindergärten geredet und dann nichts getan haben; wir nehmen 1 Milliarde für die Ganztagsschule in die Hand. Apropos Schröder: Kennen Sie eigentlich ({21}) eine einzige Bildungsinitiative von Herrn Kohl in seiner 16-jährigen Amtszeit? ({22}) - Wer ist Kohl? Das war mal einer. Frau Schavan, Sie haben sich im März 2000 für einen Sachverständigenrat Bildung ausgesprochen. Das ist nachlesbar. ({23}) Das finde ich okay, das fordern auch wir mit unserem heutigen Antrag, dem Sie also zustimmen können. Stimmen Sie unserem Antrag für eine Bildungsberichterstattung und für einen Bildungssachverständigenrat zu. Folgen Sie der Dame aus Ihrem Kompetenzteam. Wenn Sie es nicht glauben, lesen Sie es nochmals nach. Kommen wir zurück zu dem, was Frau Schavan angesprochen hat, kommen wir noch einmal zu den Zahlen. In Bayern gibt es 0,4 Prozent Ganztagsschulen. Bayern bildet das Schlusslicht bundesweit. An 29 Schulen in Bayern - nicht an 29 Prozent der Schulen, sondern an 29 Schulen, davon 24 in privater Trägerschaft - wird Ganztagsunterricht angeboten. Zu dem Thema sollten Sie, lieber Kollege Friedrich, besser überhaupt nichts sagen. ({24}) Zu den Berufsschulen: Ich komme aus der Technologieregion Karlsruhe. Wir hatten an den dortigen Berufsschulen keine einzige Fachklasse für die modernen IT-Berufe. Der Bund musste 250 Millionen in die Hand nehmen, um in Ihrem Land Fachklassen für moderne IT-Ausbildungsberufe einzurichten. Sie sollten sich lieber für all das, was wir hier tun, bedanken. ({25}) Die ZVS wollen Sie abschaffen. Darüber kann man lange diskutieren. Meinetwegen machen Sie es. Die Länder sind dafür zuständig. Sie ganz allein können über einen Staatsvertrag die Sache mit der ZVS regeln. Sie brauchen nicht hierher zu kommen und eine Rede über die ZVS zu halten. Dafür sind wir wirklich nicht zuständig. Also auch hier nur Effekthascherei! ({26}) Zu Ihren Modellprojekten in Sachen Lehrerstunden: Ich empfehle den Journalistinnen und Journalisten in Baden-Württemberg, sich Ihre Modellprojekte nicht nur dann anzuschauen, wenn Sie dort sind und irgendetwas verkünden, sondern auch ein halbes Jahr später noch nachzusehen, was von diesen Modellprojekten übrig geblieben ist. Ihr Lack, Frau Schavan, wäre ab, noch bevor Sie überhaupt mit irgendjemandem ein weiteres Gespräch geführt haben. ({27}) Den Mathematikunterricht in Baden-Württemberg wollen Sie gerade vor die Hunde gehen lassen. Sie schaffen die Leistungskurse ab und reden hier über Leistung. Einheitsunterricht in Mathematik, egal ob einer gut oder schlecht ist - das ist die Leistungsbezogenheit des schavanschen Mathematikunterrichts, liebe Kolleginnen und Kollegen! ({28}) Bei der Forschungspolitik lernen Sie gerade; das mache ich Ihnen nicht zum Vorwurf. Dennoch zitiere ich den baden-württembergischen Technologierat, der gesagt hat, man müsse im Bereich der Forschung in Baden-Württemberg mehr tun, die Landesregierung solle nicht weiter bei der Forschung kürzen. Dafür ist nun wirklich nicht Rot-Grün verantwortlich. Sie machen in Baden-Württemberg das, was Sie bis 1998 auch auf Bundesebene getan haben: Sie kürzen bei Bildung und Forschung - hier ganz konkret bei Forschung - und stellen sich hinterher hin und sagen, Sie hätten die Lösung für die Zeit nach dem 22. September. Nein, Sie haben sie nicht. ({29}) - Etwas anderes fällt Ihnen immer nicht ein, Herr Kollege Rachel. Sie werden nur nicht fertig damit, wenn Ihnen jemand den Spiegel vorhält und Ihnen zeigt, was Sie eigentlich tun. Das ist der Widerspruch, den Sie hier haben. ({30}) Sie fordern Leistungsvergleiche über die Bundesländer. Herr Kollege Friedrich und Frau Volquartz, Sie haben gesagt, Daten für bundesweite Bildungsvergleiche - darum geht es - sollten nur im Konsens aller Beteiligten erhoben werden. Das ist ja großartig! Was dabei herauskommt, wenn Sie Leistungsdaten nur im Konsens aller Beteiligten erheben wollen, können Sie sich heute schon vorstellen. Nein, auch das ist es nicht. Frau Schavan, wenn Sie es geschafft haben, zwischen Graben und Neudorf den Französischunterricht zu organisieren, und ein paar von Ihren Modellprojektchen zum Erfolg geführt haben, können Sie wiederkommen und uns einen interessanten bildungspolitischen Vortrag halten. Im Moment mussten Sie vielleicht als Rettungsengel einer Bundesbildungspolitik einfliegen, die keinerlei Antworten hat, weil man nur auf Sie geschaut hat. Ich kann Ihnen nur sagen: Das war ein grober Missgriff, nicht nur wenn man in Ihr Land schaut, sondern auch nach dem, was Sie uns heute hier vorgetragen haben. Es war nicht ganz so peinlich wie die Rede von Herrn Kollegen Gerhardt, aber es ging an Peinlichkeit schon weit genug. ({31}) Aus diesem Grunde sehen wir der bildungspolitischen Debatte und der Auseinandersetzung im Wahlkampf frohen Herzens entgegen. Ich bedanke mich. ({32})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zu den Abstimmungen. Tagesordnungspunkt 3 a: Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion der PDS auf Drucksache 14/9398. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen des Hauses gegen die Stimmen der PDS abgelehnt. Tagesordnungspunkt 3 b: Beschlussempfehlung des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung auf Drucksache 14/9421. Der Ausschuss empfiehlt in Kenntnis des Berichts gemäß § 56 a der Geschäftsordnung mit dem Titel „Technikfolgenabschätzung, hier: ‚Forschungs- und Technologiepolitik für eine nachhaltige Entwicklung‘“ sowie des Berichts der Bundesregierung zur Bildung für eine nachhaltige Entwicklung die Annahme des Antrags der Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen mit dem Titel „Bildungsund Forschungspolitik für eine nachhaltige Entwicklung“ auf Drucksachen 14/571, 14/7971 und 14/8651. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen von CDU/CSU, FDP und PDS angenommen. Tagesordnungspunkt 3 c: Beschlussempfehlung des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung auf Drucksache 14/7337. Der Ausschuss empfiehlt unter Nr. 1 seiner Beschlussempfehlung die Annahme des Antrages der Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen auf Drucksache 14/6209 mit dem Titel: „Die internationale Attraktivität und Leistungsfähigkeit des Wissenschafts- und Forschungsstandortes Deutschland für ausländische Studierende und junge Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler stärken“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen gegen die Stimmen der CDU/CSU und der FDP bei Stimmenthaltung der PDS angenommen. Unter Nr. 2 seiner Beschlussempfehlung empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion der FDP auf Drucksache 14/3339 mit dem Titel „Verbesserung der internationalen Attraktivität und Wettbewerbsfähigkeit des Hochschulstandortes Deutschland“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der SPD, des Bündnisses 90/Die Grünen und der PDS gegen die Stimmen der CDU/CSU und der FDP angenommen. Unter Nr. 3 seiner Beschlussempfehlung empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion der FDP auf Drucksache 14/5250 mit dem Titel „Bessere Rahmenbedingungen für ausländische Studierende in Deutschland“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen gegen die Stimmen der CDU/CSU und der FDP bei Stimmenthaltung der PDS angenommen. Schließlich empfiehlt der Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung unter Nr. 4 seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 14/7337 die Ablehnung des Antrags der Fraktion der FDP auf Drucksache 14/6445 mit dem Titel „Sicherung des Wissenschafts-, Forschungs- und Wirtschaftsstandorts Deutschland durch Ausbildung hoch qualifizierter Fachkräfte“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der SPD, des Bündnisses 90/Die Grünen und der PDS bei Stimmenthaltung der CDU/CSU gegen die Stimmen der FDP angenommen. Tagesordnungspunkt 3 d: Beschlussempfehlung des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung auf Drucksache 14/7338 zu dem Antrag der Fraktion der FDP mit dem Titel „Bildungsschecks für mehr Qualität und Wettbewerb an Hochschulen in Deutschland“. Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 14/3518 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der SPD, des Bündnisses 90/Die Grünen und der PDS bei Stimmenthaltung der CDU/CSU gegen die Stimmen der FDP angenommen. Tagesordnungspunkt 3 e: Beschlussempfehlung des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung auf Drucksache 14/7880 zu dem Antrag der Fraktion der FDP mit dem Titel „Anforderungen an die Weiterbildung“. Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 14/7075 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? Die Beschlussempfehlung ist ebenfalls mit den Stimmen der SPD, des Bündnisses 90/Die Grünen und der PDS bei Stimmenthaltung der CDU/CSU gegen die Stimmen der FDP angenommen. Tagesordnungspunkt 3 f: Beschlussempfehlung des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung auf Drucksache 14/9138 zu dem Antrag der Fraktion der PDS mit dem Titel „Weltoffenheit als Chance für die Hochschulen“. Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 14/7425 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen des Hauses gegen die Stimmen der PDS angenommen. Tagesordnungspunkt 3 g: Beschlussempfehlung des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung auf Drucksache 14/8962. Der Ausschuss empfiehlt unter Nr. 1 seiner Beschlussempfehlung die Annahme des Antrags der Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen auf Drucksache 14/6442 mit dem Titel „Wissenschafts- und Hochschulkooperationen mit Entwicklungs- und Transformationsländern“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenprobe! Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der SPD, des Bündnisses 90/Die Grünen und der PDS bei Enthaltung der CDU/CSU und der FDP angenommen. Unter Nr. 2 seiner Beschlussempfehlung empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache 14/3376 mit dem Titel „Wissenschafts- und Hochschulzusammenarbeit mit den Entwicklungs- und Transformationsländern stärken“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenprobe! Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen von CDU/CSU und FDP bei Stimmenthaltung der PDS angenommen. Tagesordnungspunkt 3 h: Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf Drucksache 14/9215 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Tagesordnungspunkt 3 i: Abstimmung über den Antrag der Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache 14/9217 mit dem Titel „Deutsche Hochschulen zukunftsfähig gestalten“. Wer stimmt für diesen Antrag? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Antrag ist mit den Stimmen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und PDS gegen die Stimmen von CDU/CSU und FDP abgelehnt. Tagesordnungspunkte 3 j und 3 k sowie Zusatzpunkte 2 und 3: Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 14/9269, 14/9272, 14/9257 und 14/9392 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. - Das ist mit Zustimmung des Hauses so geschehen. Die Überweisungen sind so beschlossen. Ich rufe nunmehr den Tagesordnungspunkt 4 auf: Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten Gerda Hasselfeldt, Heinz Seiffert, Dr. Hansjürgen Doss, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU Behinderung und Erschwerung unternehmerischer Entfaltung durch hohe Bürokratiedichte - Drucksache 14/8945 Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache anderthalb Stunden vorgesehen. - Das Haus ist damit einverstanden. Es ist so beschlossen. ({0}) Bevor ich die Aussprache eröffne, möchte ich den Kolleginnen und Kollegen, die an der Beratung nicht teilnehmen möchten, Gelegenheit geben, den Saal zu verlassen. Alle übrigen Kolleginnen und Kollegen möchte ich bitten, die Gespräche einzustellen. Ich eröffne die Aussprache und gebe das Wort zunächst dem Kollegen Hansgeorg Hauser, CDU/CSU.

Hansgeorg Hauser (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000832, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Unternehmerisches Handeln orientiert sich in einer freien Marktwirtschaft an den Spielregeln und Bedürfnissen des Marktes. Recht und Gesetz sind dabei die wichtigsten Leitplanken. Der Staat sollte ein fördernder Katalysator sein, zumal er die Unternehmer immer an die Sozialorientierung und Verpflichtung des Eigentums erinnert. Ludwig Erhard, der Begründer der sozialen Marktwirtschaft, hat das Zusammenspiel von Unternehmern und Staat dementsprechend definiert. Ich, Unternehmer, will mich aus eigener Kraft bewähren, ich will das Risiko des Lebens selbst tragen und für mein Schicksal selbst verantwortlich sein; sorge du, Staat, dafür, dass ich dazu in der Lage bin! ({0}) Auch der derzeitige Bundeskanzler scheint Ähnliches im Sinn gehabt zu haben, als er in seiner Regierungserklärung am 10. November 1998 versprach: Wir eröffnen den Menschen die Perspektive der Selbstständigkeit. Vier Jahre später schaut die unternehmerische Welt ganz anders aus. Die Zusage der rot-grünen Regierung, moderne Mittelstandspolitik sei für sie weniger Bürokratie, gehört zu den vielen gebrochenen Versprechen. Unternehmerisches Engagement wurde in vielen Bereichen durch zahlreiche neue Vorschriften und Kontrollen erschwert. Die Bürokratie und die staatliche Überwachungsdichte drohen insbesondere den Mittelstand, der von allen als Jobmaschine gepriesen wird, zu ersticken. Ich zitiere nochmals aus der Regierungserklärung: Wir werden die Verwaltung schlanker und effizienter machen und wir werden hemmende Bürokratie rasch beseitigen. ... Dabei werden wir überflüssige Vorschriften streichen und auf diese Weise die Regelungsdichte vermindern. Am Ende dieser 14. Legislaturperiode und am Ende dieser rot-grünen Regierung zeichnet sich für Unternehmer wie Bürger ein völlig anderes Bild ab. ({1}) Zentralismus und Dirigismus prägen das Land. Der Staat hat sich vom Bürger weit entfernt. ({2}) Im Vorschriftendschungel finden sich weder die Unternehmer noch die Verwaltung zurecht. Ich möchte Ihnen eine Resolution der Leiter der südbayerischen Finanzämter zur Kenntnis bringen. Danach haben die Mitarbeiter in einer offiziellen landesweiten Umfrage dem Zustand des Steuerrechts miserable Noten gegeben. Sie sagen, sie sähen sich immer weniger in der Vizepräsident Dr. h. c. Rudolf Seiters Lage, die Masse der komplizierten Vorschriften, die durch häufige Änderungen ständig unübersichtlicher würden, so anzuwenden, dass eine gleichmäßige Besteuerung gewährleistet sei. Das sagen die Fachleute. ({3}) Kein Wunder, dass der Mut, sich selbstständig zu machen, nachgelassen hat. Die Zahl der Gewerbeanmeldungen ging seit dem Regierungswechsel 1998 von 811 000 auf 728 000 im Jahr 2001 zurück. ({4}) Andererseits wurde in den letzten Jahren die Entscheidung im erhardschen Sinn, nämlich für das eigene Schicksal selbst verantwortlich zu sein, für immer mehr Unternehmer zum Verhängnis. Mit circa 40 000 Insolvenzen wird 2002 eine neue traurige Rekordmarke erreicht. Das ist im Vergleich zu den Vorjahren - 1999 lag diese Zahl noch bei rund 26 000, 2000 bei ungefähr 28 000 und 2001 bei circa 32 000 - eine deutliche Steigerung. Zahlreiche Anmeldungs-, Anzeige-, Aufzeichnungs-, Berechnungs-, Erklärungs-, Nachweis- und Abführungsvorschriften stellen heute reine Hand- und Spanndienste für den Staat dar. Viele Unternehmer sehen sich zum Teil außerstande, diese Pflichten zu erfüllen und diese Belastungen zu tragen, die aus der staatlichen Regulierungswut resultieren. Von dieser Regulierungswut bleibt kein Bereich verschont. Egal ob es sich um das Arbeitsrecht, das Sozialversicherungsrecht, um Vorschriften im Behindertenrecht, aus dem Bereich des Umweltrechts, des Gewerbe- und Wohnungsbaus oder um Reglementierungen für das Kredit- und Finanzdienstleistungsgewerbe handelt, die Regulierungsdichte nimmt immer mehr zu. Die damit verbundenen Kostenbelastungen müssen die Betroffenen in der Regel selbst tragen. Für die Feststellung „Kosten: keine“, die man auf dem Deckblatt vieler Gesetzesvorlagen findet, wird deshalb selten Verständnis aufgebracht. Aufgrund unserer Großen Anfrage muss sich die Bundesregierung mit über 160 konkreten Fragen auseinander setzen. ({5}) Wir wollen wissen, inwieweit die Einführung bzw. die Änderung gesetzlicher Vorschriften in der 14. Legislaturperiode gerechtfertigt war. Es wird sich letztlich zeigen, dass die Regulierungswut von Rot-Grün die schon vorhandene kritische Situation - das möchte ich nicht verschweigen - drastisch verschärft hat. ({6}) Dabei könnte mit dem Bürokratieabbau sofort begonnen werden; denn der Abbau von Bürokratie kostet kein Geld und unterliegt keinem Haushaltszwang. Ein solcher Abbau kostet nur ein wenig guten Willen. Dieser gute Wille war offenbar nicht vorhanden, als es im Steuerrecht eine Inflation an neuen Kontrollrechten gab. So wurden der Finanzverwaltung neue Rechte beim Zugriff auf digitale Daten eingeräumt, die die Unternehmen zwingen, ihre Datenverarbeitung kostenträchtig neu zu organisieren. Durch das Instrument der Umsatzsteuernachschau wurden weitere Möglichkeiten geschaffen, vor Ort, also in den Betrieben, unangemeldete Kontrollprüfungen vorzunehmen, die relativ einfach zu einer vollen Prüfung ausgedehnt werden können. ({7}) Durch die Ausweitung von Geldbuße- und Steuerhinterziehungsvorschriften bei gleichzeitiger Einengung der Möglichkeit zur Selbstanzeige werden Steuerbürger kriminalisiert. Die Einführung der Bauabzugsteuer war zwar gut gemeint, endete aber im Chaos der Vorschriften. Durch die Ausweitung der Bescheinigungs- und Steuerabführungspflichten war selbst die Verwaltung völlig überfordert, sodass bereits in kürzester Zeit die Finanzgerichte bemüht werden mussten. Eine Flut von Klagen gab es auch bei den völlig missglückten Vorschriften zur Verlustverrechnung. Der erneute Vorschlag von Herrn Poß zur Einführung einer Mindestbesteuerung - dieser wird ausgerechnet von den Grünen massiv unterstützt, die sonst immer für die Abschaffung solcher Vorschriften eingetreten sind - wird genauso im Fiasko enden wie die ersten Versuche. Die Verpflichtung, ab 1. Juli 2002 die Steuernummer auf den Rechnungen anzugeben, bedeutet für die Unternehmer erhebliche Umstellungskosten und ist zudem überflüssig, da ab dem 1. Januar 2004 die Angabe der UmsatzsteuerIdentifikationsnummer EU-weit zwingend vorgeschrieben ist. Eine chaotische Veranstaltung und ein Musterbeispiel für Bürokratieauswüchse sind die Änderungen des früheren 630-DM- und jetzigen 325-Euro-Gesetzes. Unternehmer und Beschäftigte müssen allein 19 Fallkonstellationen für die steuer- und beitragsrechtliche Behandlung des Lohns unterscheiden. ({8}) - Lieber Herr Kollege Eich, ich empfehle Ihnen die Broschüre des Bundesarbeitsministers, ({9}) der darin 19 Fallkonstellationen aufführt und die Unternehmer und Steuerzahler aufklärt. Für private Haushalte ist es aufgrund der komplizierten rechtlichen Regelungen und des unzumutbar hohen administrativen Aufwands nahezu unmöglich geworden, überhaupt Arbeitnehmer auf 325-Euro-Basis zu beschäftigen. Nicht zuletzt deshalb sind viele Betroffene in die Schattenwirtschaft abgetaucht. Die Zahl der geringfügigen Beschäftigungsverhältnisse ist durch die Neuregelung jedenfalls deutlich zurückgegangen. Eine weitere Bürokratieorgie findet im Bereich der privaten Altersvorsorge statt. Die Förderung im Rahmen des Altersvermögensgesetzes ist kompliziert und selbst von Experten kaum zu durchschauen. Schon die Hansgeorg Hauser ({10}) Frage, ob jemand überhaupt förderungsberechtigt ist, ist in vielen Fällen nur schwer zu beantworten. Die meisten Menschen sind hoffnungslos überfordert und nicht ausreichend informiert. Banken und Versicherungen klagen über hohen Beratungsbedarf und hohen administrativen Aufwand. Dass zur Einführung der privaten und betrieblichen Altersvorsorge sogar eine zentrale Behörde mit rund 1 000 Beschäftigten notwendig ist, spricht Bände. ({11}) Eine weitere Superbehörde ist durch das neue Aufsichtsamt für Kreditwesen, Versicherungen und Wertpapierhandel entstanden, das ebenfalls Hunderte von neuen Beamten benötigt - getreu dem Motto von Parkinson: Bürokratie ist die Vervielfältigung von Problemen durch die Einstellung weiterer Beamter. ({12}) Gerade im Bereich der Kreditwirtschaft ist durch neue Kontrollvorschriften ein immenser administrativer Aufwand entstanden, der Milliarden kostet. Das zahlen nicht die Banken, sondern - das wissen Sie alle doch - die Bankkunden. Schon droht neues Unheil. Der Entwurf betreffend die Mindestanforderungen an das Kreditgeschäft, MaK, wurde in einer Anhörung ziemlich verrissen. ({13}) Da wurde kritisiert, dass die Regelungsdichte enorm ist und dass einige Maßnahmen selbst bei hohem bürokratischem Aufwand und hohen Kosten nicht umsetzbar sind. Verbesserungen sind angekündigt. Wir hoffen, dass es auch wirklich zu einer Verbesserung kommt. ({14}) Gerade an diesem Beispiel zeigt sich, dass wir bei Gesetzen und Erlassen einen Bürokratiecheck brauchen, bei dem geprüft werden muss, welche Auswirkungen auf Wachstum und Beschäftigung entstehen und in welchem Maße Unternehmen und Bürger mit Kosten und Arbeitsaufwand belastet werden. ({15}) - Das muss keine neue Behörde sein. Das müssen die Beamten leisten, die das ausarbeiten. Sie müssen sich überlegen, was sie anrichten. ({16}) Es wäre natürlich erfreulich, wenn auch Sie in den Beratungen ein bisschen darüber nachdenken und nicht nur alle Regierungsvorlagen abnicken würden, die uns so auf die Hoppla-Hopp-Tour auf den Tisch gelegt werden. ({17}) Das Vertrauen des Steuerbürgers in den Rechtsstaat wird durch immer schärfere Gesetze, ausufernde Kontrollrechte der Verwaltung und noch striktere Verwaltungs- und Überwachungsmaßnahmen nicht gerade gestärkt. Wenn dann noch eine unverhältnismäßig hohe Steuer- und Abgabenbelastung hinzukommt, besteht die große Gefahr, dass unternehmerisches Handeln immer mehr eingeschränkt wird. Der Staat, der seine Bürger mit Vorschriften überhäuft, sie an freier Gestaltung und kreativem Handeln hindert, wird auf Dauer selbst den größten Schaden davontragen. ({18}) Deshalb muss zu der erhardschen These zurückgekehrt werden, dass jeder Einzelne für sich selbst verantwortlich ist und der Staat die positiven Rahmenbedingungen für das Handeln zu schaffen hat. ({19}) Dazu gehört auch ein größeres Vertrauen in die Steuerehrlichkeit, die bei den Bürgerinnen und Bürgern sicherlich umso mehr zunehmen wird, je weniger sie belastet werden. ({20}) Niedrigere Steuern und Abgaben werden manchen wieder auf den Weg in die Legalität zurückbringen. ({21}) Mit diesem Appell schließe ich meine höchstwahrscheinlich letzte Rede im Bundestag. Ich bin froh und stolz, dass ich „Dem deutschen Volke“, wie es auf der Westseite des Reichstagsgebäudes heißt, zwölf Jahre als Abgeordneter dienen durfte. ({22}) - Ich beziehe mich darauf, dass ich „Dem deutschen Volke“ als Abgeordneter dienen durfte. ({23}) Meine Zeit als Abgeordneter war durch die Wiedervereinigung unseres Vaterlandes und das Zusammenwachsen in Europa geprägt. Meine Gefühle - wenn ich das so persönlich ausdrücken darf - sind immer noch dieselben wie bei meiner ersten Rede, die ich ebenfalls in diesem Saal halten durfte. Allerdings befand sich damals das Podium noch auf der anderen Seite und man konnte durch die Fenster gen Osten schauen. Ich habe damals mein Glücksgefühl - das ich auch heute noch empfinde - darüber zum Ausdruck gebracht, dass beim Blick nach draußen keine Mauer mehr zu sehen ist. Dafür haben sich alle Mühen für die Menschen und für unser Land gelohnt. Ich bedanke mich bei Ihnen und vor allem bei den Mitgliedern der Arbeitsgruppe Finanzen, aber ich bedanke mich auch bei allen politischen Mitstreitern für manche gute Diskussion. Ich hoffe, ich bin trotz mancher Attacken immer fair geblieben, ({24}) Hansgeorg Hauser ({25}) damit wir uns auch weiterhin in die Augen sehen können. ({26}) Ich wünsche Ihnen allen eine gute Zukunft und ich wünsche unserem Land eine neue Zeit für Taten. ({27})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir verabschieden uns zwar jetzt noch nicht von den Mitstreitern, die am Ende der Legislaturperiode aus dem Parlament ausscheiden; trotzdem darf ich nach Ihrer letzten Rede, Kollege Hauser, Ihnen sicherlich im Namen aller unseren herzlichen Dank für Ihre engagierte Arbeit im Parlament, dem Sie seit 1990 angehören, aussprechen. Ich wünsche Ihnen für Ihre weitere private und berufliche Zukunft alles Gute. ({0}) Nun erteile ich dem Bundesfinanzminister Hans Eichel für die Bundesregierung das Wort.

Hans Eichel (Minister:in)

Politiker ID: 11003522

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Auch ich möchte mich, unbeschadet manchen Streits, den wir hatten, zunächst herzlich bei Herrn Hauser bedanken. Wir haben schon seinerzeit an verschiedenen Fronten gekämpft, Sie damals als Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesfinanzministerium und ich als hessischer Ministerpräsident. ({0}) - Seien Sie vorsichtig; ich komme noch auf einige Beispiele zu sprechen. Das Problem stellt sich immer, wenn man schon hinter allen Büschen gesessen hat. Herr Hauser kennt das sicherlich auch. Es war also bei allem Streit eine angenehme Zusammenarbeit, Herr Hauser. Das möchte ich ausdrücklich festhalten und Ihnen insofern auch meinerseits herzlichen Dank aussprechen. Nun passt bei diesem Thema alles wunderbar zusammen: Herr Stoiber hat einige Vorträge gehalten, Sie stellen eine Große Anfrage und heute ist in der „Financial Times“ ein schöner Artikel mit der Überschrift „Die fragwürdigen Rezepte des Dr. S.“ erschienen. Darin heißt es: Dringend klären sollte Stoiber sein Konzept für mehr Wachstum: Erst sollten massive Steuersenkungen her. Als klar wurde, dass mit dieser Methode vor allem das Staatsdefizit wächst, stellte Stoiber die Lockerung des Kündigungsschutzes für ältere Arbeitnehmer und Korrekturen am Gesetz zur Scheinselbstständigkeit als Wachstumsmotor dar. Der neueste Trumpf des Kanzlerkandidaten heißt Bürokratieabbau. Dafür will er eine Idee von Hans-Olaf Henkel aufgreifen und einen Konvent für Deutschland einberufen. Nachdem Generationen von Wissenschaftlern, Sonderkomissionen und Regierungsbeauftragten penibel aufgelistet haben, wie der Staat zu verschlanken und die Bürokratie zu verringern ist, nun das. Bleibt nur noch die Frage, ob der Konvent paritätisch von den bekannt reformfreudigen Tarifparteien und dem Beamtenbund besetzt oder gleich als Bundesbehörde eingerichtet werden soll. Dazu passt Ihr heutiger Debattenbeitrag, lieber Herr Hauser. ({1}) Die Bayerische Staatsregierung und damit Ihr Kandidat haben sich auch nicht besonders dabei hervorgetan, wenn es darum ging, energisch Bürokratieabbau zu betreiben. Andererseits hat aber das Tariftreuegesetz, das Sie hier im Bundestag bekämpft haben, ein Vorbild in Bayern. Dort ist es beschlossen worden und in Kraft getreten. Es stellt zweifelsfrei eine Belastung für die Wirtschaft dar. Dennoch ist die Frage, ob sein Grundgedanke, dafür zu sorgen, dass ordnungsgemäßer und fairer Wettbewerb stattfinden kann, nicht richtig ist. ({2}) Mit dieser Auffassung hat Bayern nicht Unrecht; das Problem ist nur, dass das, was in Bayern richtig ist, plötzlich auf Bundesebene falsch sein soll, weil die Wirtschaftsverbände Ihnen jetzt in den Arm fallen. Bei der Bauabzugsteuer waren Sie ja schon vorsichtiger und haben gesagt, das sei ganz gut gemeint. Sie geht auf eine Initiative der CDU-geführten Landesregierungen von Hessen, Baden-Württemberg und wiederum der CSU-geführten Bayerischen Staatsregierung zurück. Der Hintergrund dafür war, dass man darüber geklagt hat - ich kenne das aus meiner Zeit als hessischer Ministerpräsident übrigens auch -, dass da, wo sehr viel investiert wird, ungeheuer viele Unternehmen aus ganz Europa tätig sind und manchmal schon längst wieder weg sind, wenn man versucht, die Steuern zu bekommen. Sie, Herr Hauser, wissen als alter Finanzpolitiker doch auch, dass man so etwas nicht hinnehmen kann. ({3}) - Verbrechensbekämpfung ist nicht dadurch möglich, dass man alle die Regeln, gegen die verstoßen werden könnte, abschafft. ({4}) An dieser Stelle geht es in der Tat um die Schaffung eines „level playing field“, wie das neudeutsch heißt, also um gleiche Wettbewerbsbedingungen für alle, und damit um den Schutz des ehrlichen Unternehmers. Das gelingt nur dann, wenn der Besteuerungsanspruch des Staates auch wirklich gleichmäßig durchgesetzt wird. ({5}) Ich habe darüber lange nachgedacht, Herr Kollege Hauser. In vielen Fällen macht es Sinn, zu sagen, das soll in die jeweilige betriebswirtschaftliche Kalkulation geHansgeorg Hauser ({6}) packt werden; dann braucht man es nicht zu kontrollieren. Dieser Gedanke steckt zum Beispiel hinter der Ökosteuer. Wenn man also den Umweltgedanken per Steuerrecht in die Kostenrechnung einbaut, braucht man keine Ordnungspolizei, die das kontrolliert. Das kann man aber im Steuerrecht nicht unbegrenzt machen: Dort Steuersparmöglichkeiten einzubauen, um sich damit jeden Vollzug zu ersparen, weil die Leute das dann schon von selbst machen würden, ist ein Widerspruch in sich. Die Wahrheit ist - das wissen Sie so gut wie ich und jeder Finanzminister -, dass wir zwar einfachere Gesetze, soweit das geht - darauf komme ich gleich -, brauchen, aber um den Vollzug und die Kontrolle des Vollzugs nicht herumkommen, weil sonst der Ehrliche der Dumme ist. Das wissen Sie so gut wie ich. ({7}) Im Übrigen ist auch die frühere Bundesregierung, der auch Sie ja angehört haben, nicht besonders eifrig dabei gewesen, die Gesetze zu verschlanken. Sie können uns vieles vorwerfen; aber den absoluten Rekord bei der Änderung des Einkommensteuergesetzes haben Sie während Ihrer Regierungszeit aufgestellt. ({8}) 1994 haben Sie es in fünf Monaten fertig gebracht, das Einkommensteuergesetz elfmal zu ändern. Ich habe nachgeforscht; es gab keinen häufigeren Wechsel; damit gehen Sie ins „Guinness-Buch der Rekorde“ ein. ({9}) Das heißt aber nicht, dass Sie, verehrter Herr Kollege Hauser, damit nicht ein sehr ernstes Thema berührt haben. Das möchte ich ausdrücklich sagen. Jetzt komme ich auf die Probleme bei der Umsetzung zu sprechen. Das fängt in Deutschland damit an, dass man staatlicherseits auf Bundesebene - das wissen Sie genauso gut wie ich - nichts ohne die Länder machen kann, weil das Grundgesetz eine Grundentscheidung getroffen hat. Diese ist übrigens ganz anders als in Amerika; ich will das hier gar nicht kritisieren, aber man müsste das einmal in die Föderalismusdebatte einbeziehen. Diese lautet: Die Gesetzgebung findet vorzugsweise auf der Bundesebene, der Verwaltungsvollzug aber auf Länderebene statt. Das bedeutet übrigens auch, dass wir die Anfrage, die Sie hier gestellt haben, größtenteils gar nicht beantworten können, weil die Finanzverwaltung Ländersache ist. Wir müssten dazu also die Länder fragen; diese haben sich aber in vielen Fällen bisher geweigert, uns solche Fragen zu beantworten. Dafür habe ich sogar ein gewisses Verständnis; denn die Anfragen, die sie jeden Tag auf den Tisch bekommen und beantworten sollen - das Statistikgesetz ist ja auch eines der hier zu behandelnden Themen -, stellt sie schon vor große Probleme. Wir haben hier übrigens eine Reihe von Vereinfachungen vorgenommen. Die Kehrseite der Medaille ist aber, dass aufgrund der europäischen Integration neue Anforderungen an die Länder gestellt werden. Wir achten schon sehr darauf, dass nur das, was statistisch wirklich notwendig ist, gefordert wird. Ich will Ihnen ein Beispiel für eine neue Anforderung nennen: Wer, wie die Europäische Zentralbank und die EU-Kommission, europäische Konjunkturpolitik machen will, der braucht - wir bekommen fast jeden Monat im Ecofin das entsprechende Monitum - verlässliche Daten, und zwar schnell. Wir streiten uns im Moment mit den Ländern über die Frage - da können Sie helfen -, ob wir diesen Anforderungen zu einem großen Teil durch das Aggregieren vorhandener Daten - das ist meine Position - nachkommen können. Herr Kollege Hauser, die Bundesländer sind an diesem Punkte unisono anderer Meinung und, so sehe ich das, sie bürden den Unternehmen neue Lasten auf. Aber bitte, die von Ihnen regierten Bundesländer sollen das machen; schließlich haben sie zurzeit die Mehrheit im Bundesrat. Sie könnten auch, was das Gesetz angeht, das ich auf den Weg gebracht habe, mit mir an einem Strang ziehen. Das ist aber nicht der Fall. Stattdessen verhindern die Bundesländer zurzeit, dass der von mir vorgelegte sehr schlanke Ansatz für die Statistik in die Tat umgesetzt wird. Damit will ich deutlich machen: So einfach ist das in Deutschland nicht. Dieses Thema ist in die Diskussion über eine Reform des Föderalismus einzubeziehen. ({10}) Ich sage ganz deutlich: Der Bund hat gehandelt. Das wird im Hinblick auf verschiedene Bereiche noch deutlich werden, wenn Frau Kollegin Wolf und Herr Kollege Andres dazu Stellung nehmen, an welchen Stellen etwas geschehen ist. Ich will nur auf Folgendes hinweisen: Dank der Arbeit der vom Bundesinnenminister eingesetzten Kommission „Moderner Staat - Moderne Verwaltung“ sind inzwischen 40 Projekte zur Reduzierung von Verwaltungsaufwand abgeschlossen. Zu diesen Projekten gehörten Dinge, die Sie hier, im Bundestag, bekämpft haben. Zu einer schlankeren Verwaltung gehört auch ein modernes öffentliches Dienstrecht. Sowohl in der Opposition, aber auch, wie früher, als Regierungspartei sind Sie plötzlich die Wahrer der Besitzstände derer, die mit einer Verschlankung des öffentlichen Dienstes ein Stück weit in ihren Besitzständen getroffen sind. Ihre Attacke ist wiederum nicht sonderlich glaubwürdig. ({11}) Der Bundeswirtschaftsminister hat eine Initiative zum Abbau von Bürokratie gestartet - Frau Kollegin Wolf wird darüber noch berichten -, durch die eine ganze Menge in Gang gesetzt worden ist. Nun will ich einmal auf das hinweisen, was in meinem Bereich geschieht. Übrigens, für meinen Geschmack haben Sie ein bisschen zu sehr auf den Finanzmarkt abgehoben. Als wir die Reform des Steuerrechts angegangen sind, hatten wir durchaus einen gemeinsamen Ansatz. Nur, als wir ihn dann verfolgt haben, wollten Sie von dieser Gemeinsamkeit nichts mehr wissen. Herr Kollege Hauser, eine Vereinfachung im Steuerrecht bedeutet zuallererst die Abschaffung von Steuerprivilegien, von Steuerfreistellungen, von steuerlichen Sondertatbeständen; denn diese zerstöre, im Gegenteil, das Steuerrecht. ({12}) Ihre Petersberger Beschlüsse enthalten zu Recht die Forderung nach einer solchen Abschaffung. Wir haben diese Forderung mit dem Steuerentlastungsgesetz 1999 umgesetzt. ({13}) - Jetzt wird es spannend; denn mit Ihrem Lachen beginnt etwas ganz anderes. Jetzt geht es nämlich nicht mehr um die Steuervereinfachung, sondern um Klientelpolitik. Es war hochspannend, zu sehen, welche Steuervergünstigungen Sie abschaffen und welche Sie beibehalten wollen. ({14}) - Oh, lieber Herr Hirche von der FDP, machen Sie bitte nicht so einen Zwischenruf; denn die FDP ist Weltmeister, wenn es darum geht, ein Maximum an Subventionen zu ergattern! Die FDP ist nämlich nicht dafür, Subventionen über Zulagen im Haushalt zu gewähren - dort sind sie offen ausgewiesen -; vielmehr steht ihre Politik für steuerliche Privilegierungen. Da fallen Subventionszahlungen nicht so auf. Vor diesem Hintergrund sind Sie ein Weltmeister in der Zerstörung des Steuerrechts. ({15}) Als wir das Steuerentlastungsgesetz 1999 verabschiedet haben, als wir 70 Steuerprivilegien abgeschafft haben, hat niemand von Ihnen von Steuervereinfachungen geredet; stattdessen haben Sie nur davon geredet, was für einen Tort wir der Wirtschaft antun. Als Beispiel nenne ich die Besteuerung bei der Rückstellung in Bezug auf Kernkraftwerke. ({16}) - Was heißt „unangenehm“? - Aus Ihrer Haltung lässt sich erkennen, welche Privilegien Sie verteidigen. Mit Blick auf den 22. September frage ich Sie: Welche Privilegien wollen Sie denn angreifen? Schauen wir uns doch einmal die Petersberger Beschlüsse an! Was Sie dort fordern, haben wir mit Absicht verhindert. Das ist wahr. Sie wollten doch die Steuerfreiheit bei Sonntags-, Feiertags- und Nachtzuschlägen abschaffen. Dazu sage ich Ihnen: Das wollen wir nicht! ({17}) Sie wollten doch den Arbeitnehmerpauschbetrag reduzieren. Das wäre übrigens nicht einmal eine Steuervereinfachung, sondern eine Steuerkomplizierung, sehr verehrter Herr Hauser, weil man dadurch nämlich mehr Steuerfälle schafft. Übrigens haben Sie sich das Urteil des Bundesverfassungsgerichts eingehandelt, dass das steuerfreie Existenzminimum zu niedrig angesetzt sei. Es ist eine Frage der Gerechtigkeit und der Steuervereinfachung, das steuerfreie Existenzminimum höher anzusetzen; dadurch gibt es weniger Steuerfälle und mehr Steuergerechtigkeit. Wer so wie Sie diskutiert, der muss auch einmal diesen Zusammenhang herstellen. Ihre Behauptung, es gehe um Vereinfachung, ist ein ganzes Stück weit vorgeschoben. Schaut man konkreter hin, erkennt man, dass über das Steuerrecht sehr konkrete Sozialpolitik gemacht wird. Maggie Thatcher hat ganz zu Beginn ihrer Amtszeit versucht, eine kommunale Kopfsteuer einzuführen. Diese Steuer gab es keine sechs Wochen, dann wurde sie wieder abgeschafft. Warum? - Das ist zwar im höchsten Maße einfach, aber zugleich extrem ungerecht. Diesen Zusammenhang müssen wir sehen, Herr Hauser. Deswegen spreche ich ihn an. Wenn wir einmal konkret hinschauen, dann können wir feststellen, dass Sie bei allen Punkten, bei denen wir gesagt haben, da müsse das Steuerprivileg weg, dagegengehalten haben. Wir haben ebenfalls erlebt - auch das wollen wir festhalten -, dass Sie fast in jeder Debatte ein neues Steuerprivileg fordern. ({18}) Deswegen ist diese Debatte leider nicht sehr redlich. Nächster Punkt. Es war eine gewaltige Steuervereinfachung, vom Vollanrechnungsverfahren zum Halbeinkünfteverfahren überzugehen. Diese Vereinfachung hat übrigens auch etwas mit Europarecht zu tun. Auch ich bin am Anfang in diese Thematik mit der Meinung eingestiegen, wir könnten mit wesentlich weniger Steuergesetzen auskommen. Aber in einer Welt, die sich schnell verändert und in der sich jedes Unternehmen auf neue Konkurrenzsituationen sehr schnell einstellen muss, kommt auch der Staat nicht umhin, im internationalen Wettbewerb der Standorte zu prüfen, ob seine Rahmenbedingungen noch zeitgemäß sind. In den 16 Jahren Ihrer Regierung - das war eines der Probleme, die Sie hinterlassen haben - haben Sie das Außensteuerrecht überhaupt nicht angepackt. Es ist ein schwerer Wettbewerbsnachteil für die deutschen Unternehmen, dass Sie es nicht getan haben. Für meinen Bereich sage ich weiterhin - ich stimme zu, dass es da noch viel zu tun gibt -, dass nicht nur gesetzliche Vereinfachungen notwendig sind. Sie haben Gott sei Dank nicht mehr die Legende belebt, das deutsche Steuerrecht sei mit Abstand das komplizierteste und 90 Prozent der Steuerrechtsliteratur in Deutschland seien unverständlich. Das alles ist nämlich falsch. Beispielsweise sind das amerikanische und das britische Steuerrecht weitaus komplizierter als das deutsche. ({19}) Das entlastet uns zwar nicht. Aber dennoch sollte man entsprechende Legenden gar nicht erst in die Welt setzen. ({20}) Ich will zu einem weiteren Punkt kommen. Verehrter Herr Hauser, im Bereich des Gesetzesvollzugs könnten Sie ein gutes Stück mithelfen. Wir versuchen im Bereich der Steuerverwaltung, die in der Zuständigkeit der Länder liegt, eine einheitliche Software zu installieren, damit die Prozesse beschleunigt werden. Wissen Sie, wer sich in diesem Punkt quer stellt? Alle Länder würden mitmachen; nur Bayern klinkt sich aus der fiskus GmbH aus. Man hat schon den Eindruck, dass es bei Ihnen beim Steuervollzug nicht Föderalismus, sondern Separatismus gibt. ({21}) Verehrter Herr Kollege Hauser, Sie könnten an dieser Stelle mithelfen, die Bayerische Staatsregierung auf einen anderen Weg zu führen. Die bayerische Finanzverwaltung musste erst durch das Bundesverfassungsgericht oder durch das Bundesverwaltungsgericht - ich habe es im Moment nicht genau im Kopf - gezwungen werden, den Bundesrechnungshof zur Prüfung in die Finanzverwaltung hineinzulassen. Das sind Probleme, die man nicht von der Hand weisen sollte. In diesem Punkt sind Sie näher dran als ich und könnten vielleicht helfen. Was Sie zum Finanzmarkt gesagt haben, kann ich leider nicht unterschreiben. ({22}) Die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht ist, wie Sie wissen, von der überwiegenden Zahl der Finanzinstitute sehr begrüßt worden. Sie wird und muss auch von ihnen finanziert werden. Nur strenge Regeln und eine straffe Aufsicht garantieren einen guten Finanzstandort. ({23}) An dieser Stelle werden wir mehr tun müssen. Darüber gibt es keinen Streit. Im Gegenteil: Der Bundesverband deutscher Banken verlangt von mir beispielsweise, in Brüssel eine neue eigene Einheit aufzubauen, um dort unsere Interessen wahrzunehmen. Recht hat er. Wir werden das auch tun. ({24}) Bei der Geldwäsche, verehrter Herr Kollege Hauser, wäre ich vorsichtig. Wir sind in der Gefahr, internationale Standards nicht zu erfüllen. Ich bitte Sie alle dringend, nicht zuzulassen, dass die „Financial Intelligence Unit“, also die deutsche Zentralstelle für Verdachtsanzeigen bei Geldwäsche, im Gestrüpp des Bundesrates - Sie haben dort die Mehrheit - hängen bleibt. Wir wären dann nämlich das einzige Land unter den G-7-Staaten, das keine Meldeeinheit hat. Weil wir die OECD-Standards nicht erfüllen würden, würde die Gefahr bestehen, dass wir von der OECD auf die Liste der nicht kooperierenden Jurisdiktionen wie Liechtenstein gesetzt werden. Da gehören wir nicht hin und wir dürfen auch in Zukunft dort nicht hingehören. Herr Hauser, in diesem Punkt haben Sie etwas zu tun. ({25}) Gelegentlich müssen Gesetze sein, damit wir eine ordnungsgemäße Handhabung durchsetzen können. Ein Problem liegt auch darin - damit will ich zum Schluss kommen -, dass viele Menschen und inzwischen auch viele Unternehmen - ich will das nicht kritisieren, aber festhalten - der Meinung sind: Was nicht verboten ist, ist erlaubt. Das ist der eigentliche Grund für die vielen Gesetze, die wir haben. Ich nenne Ihnen ein Beispiel aus der Biografie meiner Eltern. Mein Vater, der 1972 gestorben ist, war Architekt. Er hat in seinem ganzen Leben nicht einen einzigen Architektenvertrag abgeschlossen. Ein einziges Mal hat jemand versucht, einen solchen Vertrag mit ihm abzuschließen. Mein Vater hat ihm geantwortet, dass es eine Standesordnung und eine Gebührenordnung gebe. Entweder wolle er mit ihm bauen, dann bekomme er aber keinen Architektenvertrag, oder er wolle einen solchen Vertrag, dann müsse er sich aber einen anderen Architekten suchen. Heute können Sie in einem solchen Fall nichts mehr ohne Vertrag regeln. Ich sage ganz ernsthaft: Wir sind es gar nicht, die dauernd in einem Pingpongspiel Regeln erfinden, um die Leute zu kujonieren. Sehr vieles müssen wir vollziehen, weil uns die Richter ins Stammbuch schreiben, dass wir an dieser Stelle Gesetzeslücken haben oder weil Europa aufgebaut wird. Im Gegenzug müssen wir anstreben, dass wir Regelungen bei uns abbauen und nicht noch draufsetzen. Aber ich sage auch: Deswegen trifft der Satz von Ludwig Erhard nicht mehr die Wahrheit. Er ist auch im Unternehmerlager nicht mehr gültig. Dazu kann ich Ihnen gleich noch ein Beispiel erzählen. Aber was ist das für eine Gesellschaft, in der Leute in den Urlaub fahren und in ihrer Pension Behinderte antreffen und daraufhin vor Gericht klagen, ihr Urlaubsvergnügen sei gestört, weil dort behinderte Menschen gewesen seien? Darauf bezog sich ein berühmtes Urteil. Was ist es für eine Situation, wenn Leute aus dem Urlaub zurückkommen und ihre erste Überlegung ist, wie sie Geld zurückbekommen können und was im Urlaub nicht genauso, wie im Prospekt vorgesehen, war? ({26}) Bei dem Punkt Vollkaskomentalität habe ich dem Kollegen Gerhardt zugestimmt; sie bezieht sich inzwischen auf die gesamte Gesellschaft. ({27}) - Ja, richtig, genau so heißt es, Herr Hinsken. Ich könnte auch über Ihre Handwerksordnung reden. Die Bürokratie machen Sie doch selber. ({28}) Ich bin dafür, Bürokratie abzubauen. Ich will doch nur festhalten, dass gar nicht alle Bürokratie vom Staat stammt. Ich will Ihnen zum Abschluss zwei Beispiele geben. Als wir in Hessen die dortige Bauordnung geändert haben, um möglichst schnell zu Genehmigungen zu kommen, haben wir die Unternehmen gefragt: Hättet ihr es nicht lieber wie in Amerika, wo man ohne Baugenehmigung bauen kann? Dann könntet ihr schon einmal anfangen. Ihr könnt euch ja versichern. Wir reichen dann die Genehmigung nach; dabei habt ihr aber ein eigenes Risiko. - Wissen Sie, was die Antwort der Wirtschaft war? - Wir wollen lieber das deutsche System, wir wollen kein eigenes Risiko, wir wollen vom Staat vorher wissen, dass wir das dürfen; dann ist das in Ordnung und wir marschieren. Josef Paul Kleihues, einer der bekannten Berliner Architekten, hat einmal darüber geklagt, was er alles wegen der deutschen Bauvorschriften nicht gestalten könne. Er hätte so gern eine Treppe ohne Geländer gebaut. Er hat es dann in Amerika versucht. Die amerikanischen Baubehörden haben gesagt: Das darfst du. - Aber die Versicherungen sagten: Das darfst du zwar; aber das musst du versichern und bezahlen. Wenn du in einem solchem Gebäude eine Treppe ohne Geländer baust und einer hinunterfällt, dann bist du dran. - Was ist das Ergebnis? Die Treppe hat ein Geländer bekommen. Die Vorschrift kam nur nicht vom Staat, sondern von den Versicherungen. Die Wahrheit ist also etwas komplizierter. Wir haben es hier mit einem sehr komplexen Thema in einer ebenfalls immer komplexer werdenden Gesellschaft zu tun. Es ist eine mühselige Arbeit, die Gesetze zu vereinfachen. Es ist ein absurder Gedanke, Gesetze mit Verfallsdatum zu versehen. Das bedeutete einen Rechtsstaat mit Verfallsdatum. Was hieße das für diejenigen, die sich auf Gesetze verlassen sollen? Der einzig vernünftige Gedanke ist, eine Gruppe einzusetzen, die die bestehenden Gesetze - meinetwegen die älteren zuerst - permanent überprüft und feststellt, ob wir sie noch brauchen oder ob wir sie schlanker machen können. So habe ich das in der hessischen Staatskanzlei gehalten. Bei jedem neuen Gesetz - da haben Sie Recht - müssen wir beurteilen, ob wir die Regelungen wirklich brauchen. Dazu werden wir noch ein paar Beiträge leisten; das ist ganz sicher. Verehrter Herr Kollege Hauser, das Thema eignet sich zwar, um gelegentlich in öffentlichen Versammlungen Beifallsstürme auszulösen. Wenn wir aber ehrlich mit den Menschen reden und uns selber gegenüber redlich sind, dann wissen wir: Wir alle brauchen eine etwas andere Einstellung, die Bereitschaft, selber etwas mehr Risiko zu tragen. Anderenfalls bekommen wir eine durchbürokratisierte Gesellschaft, weil wir sie uns in Wirklichkeit selber erst erziehen. ({29})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Für die Fraktion der FDP spricht der Kollege Rainer Brüderle.

Rainer Brüderle (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003059, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe noch die Regierungserklärung des Bundeskanzlers in Erinnerung. Am 10. November 1998 hat er im Bundestag gesagt - ich zitiere: Wir werden die Verwaltung schlanker und effizienter machen. Wir werden hemmende Bürokratie rasch beseitigen. Wir werden überflüssige Vorschriften streichen und auf diese Weise die Regelungsdichte vermindern. ({0}) Das erinnert mich an einen anderen Satz des Kanzlers ich zitiere: Wenn wir die Arbeitslosigkeit nicht deutlich reduzieren, haben wir es nicht verdient, wiedergewählt zu werden. ({1}) - Hans-Peter Repnik [CDU/CSU]: Das geht weiter: „Wir werden auch nicht wiederge- wählt werden!“) Grün-Rot ist beim Abbau der Arbeitslosigkeit und ebenso kläglich beim Abbau der Bürokratie gescheitert. Beides hat leider miteinander zu tun. Gerade der Mittelstand, der Jobmotor Nummer eins, ächzt unter dem bürokratischen Joch. Die Bürokratiebelastungen sind beileibe nicht alle in den vergangenen drei Jahren entstanden; ({2}) aber sie sind durch die staatsgläubige und interventionistische Politik weiter verschärft worden. Dies trägt zum miesen Klima in der mittelständischen Wirtschaft bei. Sie fühlt sich von Grün-Rot zu Recht im Stich gelassen. ({3}) - Sie werden ja nachher noch reden, Herr Kollege; dann können Sie hier sagen, was Sie für richtig halten. Allein die modernen Hand- und Spanndienste belasten die Unternehmen in Deutschland jährlich mit über 30 Milliarden Euro. Kleine Unternehmen mit bis zu zehn Beschäftigten - das sind 80 Prozent des deutschen Mittelstands - tragen rund 3 500 Euro Bürokratiekosten pro Arbeitsplatz. Ein Großunternehmen hingegen muss im Durchschnitt nur 150 Euro pro Arbeitsplatz für Statistik, Steuererhebung, Berichts-, Auskunfts-, Berechnungs- und Aufbewahrungspflichten aufwenden. Hier besteht eine Schieflage zulasten des deutschen Mittelstands. ({4}) Besonders ärgerlich ist, dass viele dieser Bürokratiedienste überflüssig sind. Wir könnten zum Beispiel jedes Jahr 12 Millionen Umsatzsteuerveranlagungen sparen, wenn wir den Veranlagungsmeldezeitraum von einem auf drei Monate verlängern würden. ({5}) Das ist international üblich und verschafft sowohl den Unternehmen wie der Finanzverwaltung deutliche Erleichterung. Wir haben in diesen Bundestag einen Gesetzentwurf eingebracht. Aber wie argumentiert die Regierung zu dieBundesminister Hans Eichel sem konkreten Vorschlag? - Sie lehnt den Abbau von 12 Millionen Formularen und Steuererklärungen, die erarbeitet und bearbeitet werden müssen, ab, weil damit die Umsatzsteuer angeblich leichter hinterzogen werden kann. Genau das ist die Denke von Grün-Rot: Statt die Chance zur Entlastung zu nutzen, werden Unternehmer lieber kriminalisiert. Natürlich überziehen die Maßnahmen zur Bekämpfung des Umsatzsteuerbetrugs die Unternehmen mit weiterer Bürokratie. Sie reiht sich in andere Bürokratielasten ein: die Ökosteuer mit ihren Ausnahmen, die 630-MarkRegelung, die Bauabzugsteuer, das Scheinselbstständigengesetz, die Ausdehnung der Mitbestimmung, das Tariftreuegesetz. Das ist so, als wenn beim 100-Meter-Lauf einer Spikes anzieht, um schneller laufen zu können; aber weil einer mit Skischuhen laufen will, müssen alle Skischuhe anziehen, damit sie gleich langsam sind. Das ist die Ideologie, die hinter dem Tariftreuegesetz steckt. Absurd! ({6}) Durch den bürokratischen Wust, mit dem die Regierung unser Land und unsere Wirtschaft überzieht, wird klar: Man misstraut den Unternehmen und auch dem Markt. Der Arbeitsmarkt ist überreguliert. Alle Sachverständigen sagen das, der Bundesbankbericht, die OECD. Damit ist auch der Grund für eine zu hohe Arbeitslosigkeit gelegt. Was macht die Regierung? - Sie reguliert und bürokratisiert weiter, sie verregelt, sie verriestert, Tarifzwang, Teilzeitzwang, Arbeitnehmerüberlassungsgesetz, Verschärfung der Mitbestimmung. Auch das trifft wieder vornehmlich den Mittelstand. Selbst der niedersächsische Ministerpräsident Gabriel - kein Erzengel, eher ein Sünder - hat inzwischen gemerkt, dass der Kündigungsschutz bei Kleinunternehmen dazu führt, dass weniger eingestellt wird. - So der niedersächsische Ministerpräsident, meines Wissens immer noch SPD-Mitglied. ({7}) Deshalb will Herr Gabriel den Kündigungsschutz reformieren. Erstaunlich ist, dass ihm aus den eigenen Reihen von Grün-Rot nicht soziale Kälte vorgeworfen wird wie der FDP, wenn sie das Gleiche sagt. Das sind zweierlei Maß: Wenn es der Rote sagt, sagt man nichts, im anderen Fall schimpft man. ({8}) Aber davon abgesehen hat Herr Gabriel völlig Recht. Natürlich entlasten wir Kleinunternehmen gewaltig und schaffen Barrieren für die Neueinstellung ab, wenn wir die Kündigungsschutzrechte erst ab 20 Mitarbeiter zur Geltung kommen lassen. Das ist ein konkreter Beitrag. ({9}) Natürlich entstehen dadurch neue Jobs. Deshalb lassen Sie uns diesen Vorstoß des niedersächsischen Ministerpräsidenten bitte ohne Scheuklappen, ohne Ideologie aufnehmen und etwas Konkretes für mehr Arbeitsplätze, für den deutschen Mittelstand tun, wie es Herr Gabriel fordert. Wenn ich dann aber den Bundeswirtschaftsminister höre, geht mir der Hut hoch. Er denkt eben nur in seinen Monopolkategorien. Wahrscheinlich werden wir in Kürze wieder neue Beispiele erleben. Er kennt die Sorgen und Nöte kleiner und mittlerer Unternehmen nicht. Müller sagt doch tatsächlich, er wolle den Arbeitsmarkt nicht deregulieren, sondern höchstens entbürokratisieren. Das sind rhetorische Nebelkerzen; das ist typisch für grün-rotes Nichtstun. Solche Aussagen sind ärgerlich und haben mit verantwortungsvoller Wirtschaftspolitik, insbesondere für den Mittelstand, nichts zu tun. ({10}) Jeder weiß: Durch neue Regulierungen schaffe ich neue Bürokratie. Die Regierung hat den Arbeitsmarkt mit lähmender Bürokratie geradezu überzogen. Es bleibt dabei: Sie reden so, handeln aber anders. Die Bundesanstalt fürArbeit ist einer der größten Arbeitgeber in Deutschland. Deren Beschäftigtenzahlen sind höher als die der BASF weltweit. Wenn der neue Vorstandsvorsitzende, Florian Gerster, etwas gegen die überbordende Bürokratie seiner Behörde tun will, bekommt er sofort von der eigenen Regierung Knüppel zwischen die Beine geworfen. Typisch ist: Reformrhetorik ja, Reformen nein. Lasst doch Gerster tun, was er vorschlägt! Aber sofort wird er von Grün-Rot und den Gewerkschaften gestoppt. Es ist keine Bewegung möglich. ({11}) Es ist doch signifikant, dass Herr Eichel im Zusammenhang mit Reformen davon sprach, dass die Tarifparteien bekanntermaßen nicht reformfreudig seien. Selbst der Bundesfinanzminister räumt dies also ein. Lasst doch den Gerster etwas tun! Ihr habt ihn an diese Stelle nur gesetzt, um ein bisschen Kosmetik zu betreiben. Nach der Wahl wird er dann wieder mit Korsettstangen eingeschnürt. Lasst ihn doch das tun, was er vorschlägt! Nichts tut sich. Es genügt doch nicht, den Chef der Filiale auszuwechseln, wenn oben im Vorstand die Sache nicht stimmt. Das ist die Realität. ({12}) Grün-Rot muss endlich lernen: Der Arbeitsmarkt ist - auch wenn es die Gewerkschaften anders sehen - keine staatliche Veranstaltung. Er ist schon lange nicht mehr vom Klassenkampf geprägt. Man sollte sich endlich auch bei Grün-Rot von diesen antiquierten Vorstellungen verabschieden. Der Arbeitsmarkt ist ein Markt. Nur wenn die Marktmechanismen Geltung haben, wenn die Bürokratie konsequent abgebaut und die Regulierung auf das notwendige Maß beschränkt wird, werden neue Arbeitsplätze entstehen. Wir verhindern ja geradezu, dass sie entstehen, und beklagen dann, dass die Arbeitslosigkeit zu hoch ist. ({13}) Wenn wir die Einstellungshemmnisse nicht reduzieren, dann wird hier nichts Neues entstehen. Da kann man auch nicht mit dem Tabuargument, das alles sei soziale Kälte, kommen. Sozial kalt ist derjenige, der die Arbeitslosigkeit nicht abbaut. Die größte soziale Ungerechtigkeit ist die Massenarbeitslosigkeit. Dagegen tun Sie nichts. ({14}) - Herr Andres, reden Sie sich doch nicht immer mit der Vergangenheit heraus! Schön, dass Sie hier sind und unsere Debatte verfolgen! Sie wurden ja rechtzeitig von der Rednerliste gestrichen, damit Sie der Debatte nicht beizuwohnen brauchen. Willkommen in der Diskussion! Zu einem weiteren Punkt: zur Entbürokratisierung des Steuerrechts. Allein das Lohnsteuerabzugsverfahren erfordert jährlich Ausgaben von 5 Milliarden Euro. Ich möchte nicht wissen, zu welchen zusätzlichen Belastungen die Bauabzugsteuer führt. Herr Eichel, es ist einfach nicht redlich, dass Sie sagen, wir würden im Rahmen von Steuervereinfachungen Privilegien fordern. Keine Partei hat ein radikaleres Konzept für eine Steuerreform vorgeschlagen als die FDP: drei Steuersätze, 15, 25 und 35 Prozent, ({15}) sowie eine radikale Vereinfachung. Bei Ihnen ist die Vereinfachung völlig untergegangen. All das, was Sie geändert haben, ist komplizierter geworden. Das bezieht sich zum Beispiel auf die Gesetzgebung für die 630-Mark-Verträge. Frau Scheel und Herr Metzger - da durfte er noch etwas sagen; jetzt ist er ja abgeschossen worden - sind durch die Gegend gerannt und haben gesagt: Das ist ein schreckliches Monster. - Aber Sie haben die Hand gehoben und den Quatsch mit beschlossen. Die Wirtschaft bzw. der Mittelstand leiden unter diesen falschen Regelungen. Das ist die Realität. ({16}) Gerade für den Mittelstand ist es wichtig, dass das Steuerrecht konsequent und radikal vereinfacht wird. Der Mittelstand kann sich keine Spezialisten bzw. Steuerabteilungen erlauben, die jeden Winkel einer Grauzone ausloten, um über die Hürden zu kommen. Ein kompliziertes Steuerrecht ist immer ungerecht, weil es den Kleinen bzw. dem Mittelstand nicht die gleichen Chancen bietet wie den Großkonzernen. Die haben weltweit die besten Spezialisten. Die kennen sämtliche Strategien, wie man möglichst wenig Steuern zahlt. Das zeigt sich bei den Ergebnissen. Dass die Zahl der Selbstständigen bei Grün-Rot sinkt, hat natürlich damit zu tun, dass wir es ihnen unendlich schwer machen. ({17}) - Herr Eich, Sie sind nachher an der Reihe. Dann können Sie das alles erzählen. Das, was ich gesagt habe, ist absolut richtig. Sie sehen doch die Bilanz: Die Zahl der Selbstständigen geht runter und die Arbeitslosigkeit wird nicht abgebaut. ({18}) Sie haben die Arbeitsmarktstatistik geschönt, indem Sie die 630-Mark-Verträge einbezogen haben. Damit haben Sie sie optisch verbessert. ({19}) Sie haben es aber nicht geschafft, Ihr bescheidenes Ziel von 3,5 Millionen Arbeitslosen zu erreichen. Jetzt üben Sie sich in Rhetorik und Herumschreien, um Ihr elementares Versagen in der Arbeitsmarktpolitik zu vernebeln. Sie sollten sich schämen. Sie sollten nicht am 1. Mai demonstrieren und in der Woche danach das Gegenteil von dem tun, wofür Sie demonstriert haben. ({20}) Die Menschen verzweifeln daran, dass Sie ihnen keine Chance geben. Was hat Ihnen denn der deutsche Mittelstand getan, dass Sie ihn so mies behandeln und ihm nicht die Möglichkeit geben, etwas zu tun? ({21}) Stichwort Scheinselbstständigkeit. Die Menschen wollen keine Kriminalität begehen, sondern arbeiten bzw. andere einstellen. Lasst sie doch endlich! Behindert doch den deutschen Mittelstand nicht, damit er endlich etwas tun kann! ({22}) Sie machen das Gegenteil, verwenden eine unaufrichtige Rhetorik und vernebeln. Wir wollen und müssen die Weichen anders stellen, damit wir bei uns wieder Chancen entwickeln können. ({23}) - Herr Tauss, dass Sie schreien müssen, verstehe ich. Als IG-Metall-Funktionär sind Sie quasi verpflichtet zu schreien. Tun Sie es! Zwickel wird sich darüber freuen. Aber damit helfen Sie den Menschen nicht. Sie zementieren alles und deshalb laufen Ihnen die Mitglieder weg. ({24}) Jedes Jahr verliert der DGB Hunderttausende von Mitgliedern. Deshalb wurde ja auch aus ÖTV, HBV und weiteren Gewerkschaften Verdi. Vielleicht wird Verdi demnächst durch Fusion mit der IG Metall zu Puccini. Die Leute stimmen mit den Füßen ab. Sie machen Ihren arbeitsmarktpolitischen Unsinn nicht mit. Wir rufen den Menschen zu: Haltet durch! Am 22. September ist Freiheitstag, dann wird dieser Quatsch abgewählt. ({25})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Ich erteile das Wort der Parlamentarischen Staatssekretärin Margareta Wolf.

Margareta Wolf-Mayer (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002831

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich habe mir eigentlich vorgenommen, auf Herrn Brüderle überhaupt nicht mehr zu reagieren. Eines möchte ich Ihnen aber doch noch mit auf den Weg geben: Ihnen steht es aus Gründen der intellektuellen Redlichkeit nicht zu, sich auf Ludwig Erhard zu beziehen; denn Sie kündigen die soziale Marktwirtschaft in unserem Lande auf, und das in jeder Rede, die Sie halten, mehr. ({0}) Wir wissen ja, dass die Verdrängung der eigenen Geschichte vonseiten der FDP eine spezielle Note hat. Vielleicht haben Sie vergessen, Herr Kollege, dass Ihre Fraktion bis zu unserem Amtsantritt seit 1974 jeden Wirtschaftsminister gestellt hat. Trotzdem stellen Sie sich hier hin und werfen Nebelkerzen. Sie waren erfolgreich, aber nur im Aufbau von Bürokratie. Ansonsten haben Sie sich nicht durchgesetzt. Wir haben einen unvergleichlichen Bürokratiewust vorgefunden. Das haben Sie mit zu verantworten und dazu sollten Sie auch stehen. ({1}) Herr Hauser, ich habe gerne mit Ihnen zusammengearbeitet. Aber die Beamtenschelte, die Sie hier losgelassen haben, finde ich unverhältnismäßig. ({2}) Sie hätten nur eine Woche zu warten brauchen. Dann wäre Ihre umfangreiche Große Anfrage beantwortet gewesen und wir hätten eine sachliche Grundlage für diese Diskussion gehabt, eine Diskussion über ein Thema, das uns allen, natürlich auch mir als Mittelstandsbeauftragter, sehr am Herzen liegt und bei dem wir etwas getan haben. Sie hätten sich Ihre Polemik sparen können; das hätten Sie dann auch gemerkt. Dieser Bundesregierung geht es darum, die Belastungen für den Mittelstand zurückzufahren. Das haben wir uns auf die Fahnen geschrieben. Wenn Sie in den letzten vier Jahren nicht nur körperlich anwesend gewesen wären, hätten Sie gewusst, dass wir hier schon sehr viel erreicht haben. ({3}) - Herr Hinsken, glauben Sie denn wirklich, dass Ihre Große Anfrage mit 172 Fragen - Herr Eichel hat schon gesagt, dass viele dieser Fragen die Zuständigkeit der Kommunen betreffen und nur dort zu klären sind - eine Hilfe ist beim Abbau von Bürokratie für den Mittelstand? Das ist doch wohl eher nicht der Fall. ({4}) Sie hätten Ihre Landesminister fragen oder in den Kommunen tätig werden sollen. Dann hätten wir gemeinsam an der Initiative für den Abbau von Bürokratie in Deutschland arbeiten können. ({5}) Verehrter Herr Hauser und Herr Brüderle, mich würde wirklich einmal interessieren, wo Sie in den letzten Jahren etwas getan haben, um Bürokratie abzubauen. In allen Regierungen seit Gründung der Bundesrepublik Deutschland waren Ihre Parteien, in welcher Form auch immer, beteiligt. Nirgendwo haben Sie etwas getan. Nehmen Sie nur die zahlreichen Initiativen des Bundesrates als Beispiel! Herr Eichel hat schon auf einige hingewiesen. Ich möchte hier nur einmal auf die Bauabzugsteuer zu sprechen kommen. Woher stammt denn diese Idee? - Sie stammt aus Bayern. ({6}) Man kann mir nicht erzählen, dass Gesetze in Bayern und Baden-Württemberg, aber auch in Hessen und im Saarland keine Bürokratie nach sich ziehen. Ich finde den Vorgang unmöglich: Die Bundesregierung hat gemeinsam mit dem ZDH einen Vorschlag erarbeitet und wir haben uns mit der Bauabzugsteuer einverstanden erklärt. Aber jetzt laufen Sie mit Herrn Philipp übers Land und erzählen jedem, der es nicht hören will, die Bauabzugsteuer bringe vor allen Dingen Bürokratie. Das haben wir, das hat das Wirtschaftsministerium Ihnen vorher gesagt, aber wir wollten gemeinsam die Schwarzarbeit bekämpfen. - Ihre Argumentation ist unredlich und das können wir nicht hinnehmen. ({7}) Ich möchte auch noch das Tariftreuegesetz anführen; denn man kann es nicht oft genug sagen: Auch dieses Vorhaben stammt aus Bayern. Wir haben es unterstützt. Ich bin einmal gespannt, was am 21. Juni im Bundesrat geschieht. Vielleicht ist Bayern ja in der Lage, zusammen mit den anderen Ländern ein Tariftreuegesetz zu schaffen, das gar keine Bürokratie nach sich zieht. Bleiben Sie ehrlich, betrachten Sie, was Sie tatsächlich gemacht haben. ({8}) Sie fokussieren Ihre Fragen vielfach auf das Abgabenund Steuerrecht. Ich kann Ihnen nur empfehlen: Sprechen Sie einmal mit Ihren Länderfinanzministern über den Sinn und Zweck so mancher Regelung! Wenn Sie das täten, dann müssten Sie so manche Frage nicht mehr stellen. Vielleicht wäre es auch hilfreich, wenn Sie die Vereinfachungen, die Herr Eichel in der Unternehmensteuerreform durchgesetzt hat, tatsächlich honorierten. ({9}) Ein Weiteres kann ich Ihnen nicht ersparen: Sie sagen in Ihrer Großen Anfrage, Bürokratie führt dazu, dass unternehmerische Entfaltung erschwert wird. Jeden Morgen werden wir, wenn wir die Zeitung aufschlagen, von neuen Dingen überrascht, von denen ich meine, dass sie die unternehmerische Entfaltung erheblich erschweren. An einem Tag spricht Herr Stoiber von einer Staatsquote unter 40 Prozent. ({10}) - Ja, das machen Sie auch. Die Lichtgestalt - das ist ein bekannter Fernsehmoderator und von mir sehr geschätzter ehemaliger Ministerpräsident - sagt: Das ist alles Quatsch, das ist überhaupt nicht zu erreichen, maximal in zwölf Jahren. - Die FDP - die Wissenschaftler sagen, sie kann überhaupt nicht rechnen, sie macht nur unseriöse Programme - toppt das Ganze mit 35 Prozent oder 30 Prozent. Wunderbar. Was lernen wir daraus? - Wir sind verwirrt. Herr Seehofer sagt: Die Rentenversicherungsbeiträge werden nach der Wahl um 0,5 Prozent steigen. - Am nächsten Tag lesen wir in der Zeitung, dass Stoiber sagt, die Rentenversicherungsbeiträge werden nicht steigen. Am übernächsten Tag sagt das dann auch wieder Herr Seehofer. Zur Freistellung der Veräußerungsgewinne sagt Herr Stoiber: Das müssen wir überprüfen. - Früher hat er einmal gesagt, sie muss weg. Herr Späth sagt, das ist eine Gefährdung für den Standort Deutschland. Was sollen die Leute überhaupt noch glauben? ({11}) Die letzte schöne Geschichte handelt von den Krankenversicherungsbeiträgen. Sollen sie steigen oder sollen sie sinken? Das ist eine Kakophonie, die dazu führt, dass es in Bezug auf Investitionen in diesem Land, gerade die von Ausländern, einen gewissen Attentismus gibt. Das haben Sie zu verantworten. ({12}) Lassen Sie mich einen letzten Punkt ansprechen. Sie haben in Ihrer Großen Anfrage viel von Steuern gesprochen. Ich möchte gern wissen, ob Herr Merz wieder zum Vollanrechnungsverfahren zurück will. ({13}) Gestern habe ich gelesen, dass Herr Glos nicht wieder zum Vollanrechnungsverfahren zurück will. Vorgestern habe ich von Herrn Merz gehört, dass er zurück will. Wir alle wissen: Das Vollanrechnungsverfahren hat zu erheblicher Bürokratie geführt, die von den Unternehmen und den Finanzämtern kaum zu bewältigen war. ({14}) Werden Sie endlich einmal deutlich. Vielleicht gewinnen wir dann wieder den Eindruck, dass Sie wissen, wovon Sie sprechen. Wir haben ein Gutachten über den Abbau von bürokratischen Hemmnissen bei Existenzgründungen erstellen lassen. Dieses lässt sich uneingeschränkt auf bestehende Unternehmen übertragen. Wenn Sie schon nicht abwarten können, bis wir Große Anfragen beantworten, dann sollten Sie zumindest in der Lage sein, Studien zu lesen, die allen zugänglich sind und jedem Abgeordneten zugesandt werden. Eine solche Studie ist zum Beispiel vom IfM in Bonn. Darin kann man zum verwaltungsbedingten Zeitaufwand für die Umsetzung von Gründungsvorhaben lesen - ich zitiere aus der Zusammenfassung -, dass Deutschland, wenn man den tatsächlichen Zeitbedarf bei Existenzgründungen zugrunde legt, knapp hinter den Niederlanden den zweiten Rang belegt. Ein weiteres Zitat: Trotz der größeren Anzahl der zu absolvierenden Verfahren in Deutschland ist der Zeitaufwand im Vergleich zu anderen Ländern mit Ausnahme der Niederlande in Deutschland geringer. ({15}) Das zu der Studie. Damit möchte ich aber nicht sagen, dass wir am Ende des Weges angekommen sind. Wir sind jedoch auf einem sehr guten Weg. Ich möchte Ihnen jetzt sagen, welche Hemmnisse im verarbeitenden Gewerbe die Studie, die wir in Auftrag gegeben haben, am häufigsten genannt hat. Ganz oben stand die Pflichtmitgliedschaft in den Industrie- und Handelskammern. Hier würde mich vor allem interessieren, was Herr Hinsken dazu sagt. Unter unserer Regierung haben wir zumindest einen Prüfauftrag erfüllt und die Beiträge zu den Industrie- und Handelskammern sind heute so niedrig wie seit 1957 nicht mehr. Wenn Sie Bürokratie konsequent abbauen wollen, dann schleichen Sie nicht immer daran vorbei. ({16}) Wir wollen die Industrie- und Handelskammern nicht auflösen, aber wir wollen sie überprüfen ({17}) - seien Sie einmal ruhig, gleich sind Sie noch einmal dran, Herr Hinsken - und alles dafür tun, dass sie wirklich dienstleistungsorientiert arbeiten. Da sind wir im ständigen Gespräch. Das Zweite, was im Hinblick auf Bürokratieabbau ganz oben auf der Skala rangiert, ist die Handwerksordnung. ({18}) Sagen Sie einmal etwas dazu, sehr geehrter Herr Hinsken, woran alle Modernisierungsschritte in Sachen Handwerksordnung scheitern. Ich erinnere nur an die Leipziger Beschlüsse. Wie lange haben wir über Ausnahmeregelungen in Zusammenhang mit § 8 des betreffenden Gesetzes verhandelt! Sie mussten immer erst mit Herrn Schleyer Rücksprache halten, ehe wir weiterverhandeln konnten. Das alles hat ziemlich lange gedauert. ({19}) - Der Wirtschaftsminister hat zusammen mit den Fraktionen die Handwerksordnung modernisiert. Wir werden sie auch nach dem 22. September weiter modernisieren. ({20}) - Vielleicht sollten Sie in der nächsten Legislaturperiode Herrn Scherhag als Berater nehmen; dann brauchen Sie auch nicht mehr mit einer roten Laterne herumzulaufen, sehr geehrter Herr Kollege Hinsken. ({21}) Die Bürokratie im Steuer-, Arbeits-, Sozial- und Umweltrecht spielt demgegenüber tatsächlich eine untergeordnete Rolle. Sie sollten hierüber nicht nur mit den ideologisch festgefahrenen Berufsfunktionären, sondern auch einmal mit dem Mittelstand in unserem Land reden. ({22}) Die Studie zeigt ganz klar auf - ich erwarte von der Opposition, dass sie auch in Wahlkampfzeiten Studien liest -, dass wir dort ansetzen sollten, wo wir auf Bundesebene etwas bewirken können, zum Beispiel bei der Mittelstandsfinanzierung. Hier könnten auch Sie als Repräsentant der Commerzbank tätig werden, Herr Kollege Hauser. ({23}) Nur 8 Prozent der Befragten klagten über das Steuerrecht, weitere 8 Prozent über Bauvorschriften, aber 31 Prozent über die Schwierigkeiten bei der Finanzierung ihrer betrieblichen Existenz. Mit diesem Thema beschäftigt sich die Bundesregierung, das Wirtschaftsministerium, in der Tat seit 1998. Wir haben viel erreicht. Das gilt insbesondere für die Verbreiterung der Basis für eine neue Finanzierungskultur. Wir haben Haftungsfreistellungen ermöglicht, Beteiligungskapital evoziert und Bürgschaften als Instrument eingesetzt. Auch sitzen wir mit den Verbänden der öffentlichen und privaten Wirtschaft an runden Tischen zusammen. Anstatt hier herumzukrakeelen, täten Sie gut daran, in Ihren Wahlkreisen darüber zu informieren, was Basel II bedeutet, und die Sparkassen dazu zu bewegen, die Menschen aufzuklären. Wir haben dazu eine Hotline eingerichtet; bei uns berät ein Stab von Leuten täglich etwa 20 kleine und mittlere Unternehmen, die von ihren Sparkassen, Raiffeisenbanken und privaten Banken kein Geld mehr bekommen. Anstatt hier herumzulamentieren, sollten Sie vor Ort tätig werden. Anstatt 172 merkwürdige Fragen zu stellen, wäre es besser, wenn Sie mit uns endlich einmal an einem Strang zögen. ({24}) Das wäre sicherlich eher im Interesse des deutschen Mittelstandes und der dort Beschäftigten, meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen. ({25}) Das Bundeswirtschaftsministerium verfolgt mit der Arbeitsgruppe „Bürokratieabbau“ den Ansatz, durch konkrete Maßnahmen Verwaltungsabläufe für Unternehmen zu optimieren. Sie haben in Ihrer Großen Anfrage danach gefragt, wie viele Referenten damit beschäftigt seien. Die Antwort: Einer koordiniert die Arbeit und 1 800 sind mit dem Problem befasst. Damit ist eine Ihrer Fragen hier beantwortet. ({26}) Ganz zu Anfang haben wir alle Verbände angeschrieben und sie nach konkreten Vorschlägen gefragt. Darauf haben wir kaum einen Rücklauf erhalten. Dann sind wir zu den Verbänden gegangen, haben aber immer noch kaum Rücklauf bekommen. Inzwischen haben wir durch die Einrichtung einer Mailbox einen durchaus repräsentativen Rücklauf von Unternehmen, die sich mit ihren Anliegen unmittelbar an die Projektgruppe wenden. Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir führen keine akademischen Diskussionen, wir setzen auch keine Schlichterkommission und keine Deregulierungskommission ein, um hinterher Ergebnisse zu dokumentieren. Vielmehr ist uns an einer ganz pragmatischen Lösung gelegen. So haben wir schon 80 konkrete Maßnahmen zum Abbau bürokratischer Hemmnisse vorgestellt. ({27}) - Im Wirtschaftsausschuss haben wir darüber diskutiert. Sie haben alle Unterlagen. ({28}) - Herr Hinsken, Sie müssen sich nicht jetzt schon warm reden. Sie haben noch ein bisschen Zeit. Durch das Gesetz zur Erprobung einer bundeseinheitlichen Wirtschaftsnummer haben wir die Voraussetzungen geschaffen, die bestehende Normenvielfalt in Deutschland zu reduzieren und die Verwaltungsabläufe zu vereinfachen und effizienter zu gestalten. Das Gesetzgebungsverfahren ist abgeschlossen; mit der Erprobung wird am 1. Juli begonnen werden. Darauf sind wir stolz. Dies kann die Voraussetzung für die bundesweite Einführung einer einheitlichen Wirtschaftsnummer sein. Des Weiteren haben wir die Kommunikation zwischen Unternehmen und Krankenkassen bei den Meldungen vereinfacht und beschleunigt. Das diesbezügliche Projekt ist abgeschlossen und entlastet die Unternehmen ganz erheblich, da alle für die Meldung zur Sozialversicherung relevanten Daten per E-Mail ({29}) - nix Bürokratisierung - an eine einzige Sammelstelle gesendet werden. Wichtig ist ferner - das wissen wir inzwischen ja, durch diese Debatte auch Sie -, dass die bestehenden gesetzlichen Möglichkeiten durch die Entscheider vor Ort in den Kommunen auch tatsächlich genutzt werden müssen. Deshalb haben wir durch das Forschungsvorhaben „Good Practice“ ({30}) genau an der Schnittstelle zwischen Kommune und Unternehmen gute Beispiele unternehmerfreundlichen Handelns in Kommunen herausgestellt. Das stärkt die Wettbewerbsfähigkeit der Kommunen. Wir arbeiten hier mit dem Städtetag und mit dem Landkreistag ganz eng zusammen. Es wird auch schon deutlich, dass zum Beispiel im Baurecht intelligentere Regelungen angewendet werden und der von Ihnen reklamierte „one stop shop“ in vielen Kommunen tatsächlich schon existiert. Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen, ich komme zum Schluss. Jeder kennt jemanden, der auf eine Baugenehmigung mehr als ein Jahr gewartet hat und für die Gründung seines Unternehmens 20 Genehmigungen brauchte. Aber das ist nicht repräsentativ. Ich werfe Ihnen vor, dass Sie in den Debatten ein großes Buhei machen - es ist Wahlkampf ({31}) und den Investitionsstandort Deutschland aus Wahlkampfgründen schlecht reden. ({32}) Das hat unser Land nicht verdient, das hat der deutsche Mittelstand nicht verdient. Ich bitte Sie wirklich, auch in diesen schwierigen Monaten vor der Wahl eine sachlich orientierte Debatte zu führen, weil wir alle wissen, dass die Situation nicht einfach ist. Wir möchten einen Konjunkturaufschwung und wir werden ihn schon in diesem Jahr bekommen, im nächsten Jahr einen noch größeren. Dafür tragen wir alle gemeinsam eine Verantwortung. Es darf nicht sein, dass man aufgrund billiger Wahlkampfrhetorik, oder weil man sich auf kein Konzept einigen kann, hier den Mittelstand schlecht redet. Danke schön. ({33})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Nun erteile ich das Wort der Kollegin Dr. Barbara Höll für die PDS-Fraktion.

Dr. Barbara Höll (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000921, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Man muss leider konstatieren: Den Kleinst-, Kleinunternehmen und dem Mittelstand geht es heute nicht besser als vor vier Jahren. Die Zahlen belegen das Gegenteil. Gerade in Bezug auf Betriebsaufgaben wurden neue Höchstmarken erreicht. Herr Hauser, ich hätte Ihnen gewünscht, dass Sie Ihre letzte Rede aus einem besseren Anlass gehalten hätten ({0}) als zu diesem doch plumpen Wahlkampfthema. Gerade Sie mit Ihrer zwölfjährigen Erfahrung im Bundestag wissen, dass eine am 24. April gestellte Anfrage mit 172 Fragen in dieser Wahlperiode nicht mehr beantwortet werden kann. ({1}) Wenn Sie über das Thema diskutieren wollen, hätten Sie besser gleich einen Antrag mit Ihren Vorschlägen vorgelegt. ({2}) Auch mich hätten einige Antworten interessiert, da bin ich ehrlich. Ich habe jetzt erfahren, dass es ein Referat für Bürokratieabbau im Bundeswirtschaftsministerium gibt. ({3}) Das finde ich toll. Das wusste ich vorher nicht. ({4}) Mich würde schon interessieren, wie dieses Referat arbeitet, wie die Bürokratie zum Bürokratieabbau tatsächlich funktioniert. Diese Anfrage ist natürlich plumper Wahlkampf und ordnet sich ein in Ihre Versuche, Ihren Kanzlerkandidaten Stoiber als denjenigen zu präsentieren, der Wirtschaftskompetenz für sich gepachtet hat. Nun hat die Praxis gerade in Bayern das wirklich widerlegt. Diese Legende wird nicht funktionieren. Ich nenne nur einige Stichworte: Neue Maxhütte, Insolvenz der Kirch-Gruppe. In diesen Fällen wurden unter dem Kanzlerkandidaten Stoiber Steuergelder in Milliardenhöhe verschleudert. ({5}) Letztlich war es auch hier wieder eine Umverteilung von unten nach oben. Das ist einfach die Realität. Ihre Große Anfrage ist zudem populistisch und äußerst tendenziös. ({6}) Sie ist deshalb populistisch, weil Sie versuchen, eine betriebswirtschaftliche Aufrechnung der Kosten der Bürokratie vorzunehmen. Mir fehlt in Ihrer Anfrage zumindest vom Ansatz her das Anerkenntnis, dass man in einer hochspezialisierten Wirtschaft natürlich ein Regelwerk braucht. Das ist einfach notwendig. Sie haben mit konkreten Beispiele begründet, warum Sie das ablehnen. Ich nenne Ihnen jetzt die Frage 31. Da sagen Sie, dass die Sicherheitsbeauftragten deutscher Unternehmen jährlich 2,75 Milliarden Euro kosten. Die Zahl kann ich jetzt nicht überprüfen; sie mag so hoch sein. Was wäre aber, wenn die Unternehmen keine Sicherheitsbeauftragten hätten? Wie sähe es dann aus mit den Kosten durch Unfälle am Arbeitsplatz, die die Gesamtgesellschaft zu tragen hätte? Wie sähe es aus mit den Kosten für Krankenversicherung? ({7}) Und wie sähe es aus mit Abläufen innerhalb der Unternehmen, wenn Pannen passieren würden und dann der normale Betriebsablauf gestört wäre? ({8}) Es ist doch einfach kurzsichtig und populistisch, eine solche Frage zu stellen. In der Frage 156 fragen Sie nach der Regulierungsdichte im Behindertenrecht. Sie fragen nach den Kosten der Rehabilitation und der Teilhabe behinderter Menschen in den Unternehmen. Im Grundgesetz gibt es die Aussage: Die Würde des Menschen ist unantastbar. - Wir haben gesellschaftlichen Konsens dahingehend, dass die Gleichstellung behinderter Menschen in allen Lebensbereichen Ziel sein sollte. Das kostet natürlich Geld und ich finde es normal, dass sich die Unternehmen an diesen Kosten beteiligen. Darum geht es doch. ({9}) Was wäre denn, wenn es nicht so wäre, wenn behinderte Menschen, die heute schon schlechtere Möglichkeiten auf dem Arbeitsmarkt haben, völlig ausgegrenzt wären? Dann müsste doch wieder die Gesellschaft, die Solidargemeinschaft insgesamt, eintreten müssen. Wir wissen, dass die Beiträge zu den Sozialversicherungen wesentlich stärker von der arbeitenden Bevölkerung erbracht werden als von denen, die wirklich viel Geld haben, und von den Konzernen. Die gesellschaftlichen Kosten der Ausgrenzung wären dann ungleich höher, wenn man den Menschen die Möglichkeit nähme, selbst für ihren Lebensunterhalt zu sorgen. ({10}) Es ist also äußerst unsozial, was Sie in Ihren Fragen implizieren. Es ist auch tendenziös. Sie fragen nur nach den bürokratischen Belastungen und Pflichten der Unternehmen und beklagen, dass die Unternehmen Mitwirkungspflichten zu tragen haben, die natürlich auch Kosten verursachen. Ich frage mich: Was ist daran so schlimm? Haben Sie bei der Erstellung Ihrer Großen Anfrage vielleicht einmal auch mit nur einem Auge in das Sozialrecht geguckt? Jeder Bürger in Deutschland, der sich in einer Notsituation befindet, hat Anspruch auf Sozialhilfe. Aber er muss den Antrag erst einmal stellen. Dass das oftmals in einer Art so geschieht, dass sich die Menschen zu Recht gedemütigt fühlen, ist noch eine ganz andere Frage. Aber natürlich muss man auch dann den Antrag stellen. ({11}) Dazu Unterlagen beizubringen bedeutet für eine Sozialhilfeempfängerin oder einen Sozialhilfeempfänger wesentlich mehr Aufwand im Vergleich mit dem, was Unternehmen leisten müssen. Ein Rentenantrag hat heute sechs Seiten, die Erläuterung dazu zwölf Seiten. Das ist schon katastrophal. Dann kann man aber nicht so tun, als ob bürokratische Belastungen nur den Unternehmen entstünden. Ich muss allerdings sagen: Das, was Sie vonseiten der Regierungskoalition in den letzten vier Jahren in Richtung eines Abbaus von Bürokratie geleistet haben, tendiert meines Erachtens stark gegen null. Etwas anderes zu behaupten entspräche nicht der Wahrheit. Ich nehme nur einmal meinen Spezialbereich, die Steuer- und Finanzpolitik. Der Finanzausschuss hat gestern seine 136. Sitzung absolviert. Damit dürften wir etwa im Spitzenbereich der Arbeit der Ausschüsse des Bundestages liegen. Ich arbeite sehr gern dort, es macht Spaß; allerdings würde ich mir wünschen, dass wir uns nicht laufend damit beschäftigen würden oder hätten beschäftigen müssen, bestehende Gesetze nachzubessern. Wir hatten ein Steuerentlastungsgesetz 1999/2000/2002. Kurz danach gab es ein Korrekturgesetz, das Gesetz zur Bereinigung steuerlicher Vorschriften. Kurz vor diesem Entlastungsgesetz hatten wir noch zwei Vorschaltgesetze zu beraten. Dann kam das Steuersenkungsgesetz von Herrn Eichel, danach kamen das Unternehmensteuerfortentwicklungsgesetz, das Gesetz zur Änderung steuerlicher Vorschriften, das Gesetz zur Änderung des Steuerbeamten-Ausbildungsgesetzes, also eine Vielzahl von Gesetzen. Es ist wahrlich so, dass selbst die Steuerberater heute keinen Überblick mehr haben und eigentlich unter die Steuererklärungen ihrer Mandantinnen und Mandanten ihre Unterschrift nicht guten Gewissens setzen können. Das ist leider einfach Fakt. Ich würde mir wünschen, dass wir gemeinsam den Mut aufbrächten, eine tatsächliche Änderung vorzunehmen, den Paragraphendschungel zu lichten und überschaubar zu machen, und dass die Steuerpolitik, die chaotisch ist und unter anderem auch zu historischen Steuerausfällen geführt hat, wieder vom Kopf auf die Füße gestellt wird. Letztendlich hat die Steuerpolitik von Rot-Grün zu immensen Steuerausfällen geführt, sodass Bund, Länder und Kommunen kaum mehr Geld für Investitionen haben. Auch das ist eine Ursache dafür, dass es den Kleinst-, Kleinunternehmen und dem Mittelstand sehr schlecht geht. Da öffentliche Aufträge nicht erteilt werden, können sich kleine Unternehmen auch nicht mehr an der Ausschreibung und Durchführung solcher Aufträge beteiligten. ({12}) Wir als PDS haben eine Reihe von Vorschlägen auf den Tisch gelegt, wie man gerade im Steuerrecht einiges bewirken könnte. Dazu nenne ich ein einfaches und sehr verständliches Beispiel, nämlich die Individualbesteuerung; es gäbe nur noch eine Steuerklasse. Wir hätten dann auch die Möglichkeit, Geld einzunehmen, das zielgerichtet für die Zahlung des Kindergeldes und für das Leben mit Kindern ausgegeben werden könnte. Ich habe mich gefreut, als ich heute in der „Süddeutschen Zeitung“ gelesen habe, dass auch Herr Poß als stellvertretender Fraktionsvorsitzender erkannt hat, dass die Konzerne unter der Regierungskoalition über Gebühr - das ist noch milde ausgedrückt - entlastet wurden, ({13}) dass er unseren Vorschlag der Mindestbesteuerung aufgreift und dass er es für notwendig hält, dass gerade diejenigen, die viel Geld haben, sich endlich an der Finanzierung des Gemeinwesens beteiligen. ({14}) Wir haben die Steuerbefreiung für Existenzgründungen, die Einführung einer Ist-Besteuerung bei der Umsatzsteuer, den ermäßigten Mehrwertsteuersatz für Handwerksdienstleistungen und die Förderung von Unternehmen nicht nur in der Gründungs-, sondern auch in der Konsolidierungsphase vorgeschlagen.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Frau Kollegin, Sie müssen bitte zum Schluss kommen.

Dr. Barbara Höll (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000921, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Ich denke, diese Dinge würden in der konkreten Umsetzung wirklich zu einer Vereinfachung führen. Menschen würden ermutigt werden, eigene Betriebe zu gründen, und sie hätten die Chance, diese auch am Leben zu halten. Ich danke Ihnen. ({0})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Ich erteile jetzt dem Kollegen Wolfgang Schulhoff für die CDU/CSU-Fraktion das Wort.

Prof. Wolfgang Schulhoff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002098, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Eines der größten Übel für unternehmerische Gestaltungs- und Entfaltungsmöglichkeiten ist eine überbordende Bürokratie. Wir haben das eben bereits von vielen Rednern gehört; darin sind wir uns einig. Kein Wirtschaftszweig begrüßt den staatlichen Bürokratieabbau deshalb mehr als das so stark betroffene Handwerk und der Mittelstand insgesamt. Von einer modischen Richtung in der Ökonomie, der Publizistik und der Politik werden aber leider ausgerechnet die Bedingungen, die den Wettbewerb schaffen, als Regulierung betrachtet und unter der Flagge der Deregulierung bekämpft. Die Gründerväter der sozialen Marktwirtschaft wussten zum Beispiel, dass die Ordnung des Wettbewerbs eine rechtsschöpferische Leistung erfordert. Wettbewerb ist ohne Spielregeln unmöglich. So ist es, um ein aktuelles Beispiel anzuführen, auch im Fußball. Wer die Spielregeln im Fußball abschaffen wollte, weil sie beide Mannschaften an der Entfaltung ihrer freien Kräfte hindern, wäre kein erfolgreicher Deregulierer, sondern würde das Fußballspiel vermutlich ruinieren. ({0}) Auch zu viel Regulierung ist natürlich nicht gut, wie das Fußballspiel Kamerun gegen Deutschland - man denke an die gelben Karten - offensichtlich gezeigt hat. Es geht also um zu viel Bürokratie und - ich will es ganz deutlich sagen - um Bürokratie, die die unternehmerische Freiheit systemwidrig einengt. Diese staatlichen Eingriffe wirken nämlich wettbewerbsverzerrend und innovationshemmend und sind letztlich demokratiefeindlich. ({1}) Liebe Frau Wolf, ich darf Sie in dem Kontext einmal ansprechen und Sie bitten, mir ihr Gehör zu leihen. - Sie hört einfach nicht zu, ich mache trotzdem weiter: Was Sie hier eben gesagt haben, war handwerksfeindlich. ({2}) Es war eine Kampfansage an einen der wichtigsten Wirtschaftszweige der Bundesrepublik Deutschland. ({3}) Sie haben es ohne jegliche Sachkenntnis vorgetragen. ({4}) Es war dürftig, aber zum Glück wird dieser Spuk am 22. September beendet sein. ({5}) Wenn Gesetze und Anordnungen nicht einsichtig und intellektuell nicht nachvollziehbar sind, wirken sie wie ein Geßler-Hut auf die Menschen und lassen ihre Verfasser als Popanz erscheinen. Sie führen zur Staatsverdrossenheit mit dem Ergebnis, dass sich der Einzelne nicht mehr mit seinem Staat identifizieren kann. Diese Tendenzen spürt man in Deutschland und in vielen westlichen Demokratien leider schon überdeutlich. Nicht ohne Grund hat deshalb Bundeskanzler Schröder in seiner Regierungserklärung angekündigt - wir wiederholen das -: Wir werden die Verwaltung schlanker und effizienter machen, und wir werden hemmende Bürokratie rasch beseitigen. Dies hat besonders der Mittelstand gerne gehört. Es gab viele, die ihm das damals zutrauten. Er hatte eine ausDr. Barbara Höll reichende Mehrheit, parlamentarisch vieles durchzusetzen. ({6}) Hier wäre ihm in weiten Teilen - das darf ich für meine Kollegen sagen - die Opposition gerne gefolgt. ({7}) Auch wollte der Bundeskanzler nicht alles anders, aber vieles besser machen. ({8}) Das hört sich gut an: eine gewisse Bescheidenheit, gepaart mit Tatendrang. Das ist ein sehr schönes Kanzlerbild; das muss ich zugeben. Aber was ist danach geschehen? Nichts ist besser, aber vieles schlechter geworden, und zwar nachweisbar. ({9}) Darüber, liebe Kolleginnen und Kollegen, werden wir noch reden. ({10}) Wir werden es immer wiederholen. Daran werden wir auch Herrn Eichel messen, der ebenfalls nicht mehr da ist. Deutschland befindet sich in einer tiefen wirtschaftlichen Krise, die in vielen Bereichen selbst verschuldet ist. ({11}) - Ich weiß nicht, warum Sie darüber lächeln. - Statt Bürokratie abzubauen, ist die Belastung der Wirtschaft durch zusätzliche Aufgaben unerträglich angestiegen. Ich möchte diese Aussage wachsender Bürokratiebelastung an dem konkreten Beispiel eines mittelständischen Unternehmers erläutern. Es handelt sich um einen Metallbaubetrieb aus Düsseldorf. Der Betrieb beschäftigt 28 Mitarbeiter. Die Frau des Betriebsinhabers ist für Büro und Personal zuständig. So, wie es im Handwerk üblich ist, müssen die Ehefrauen im Betrieb mitarbeiten, damit er über die Runden kommt. ({12}) - Das ist eine Wahrheit. - Der Betriebsinhaber hat seit 1998 alle zusätzlichen staatlichen Aufgaben aufgelistet und bewertet. Diese administrativen Mehraufwendungen schlagen in diesem Unternehmen mit zusätzlich 10 000 Euro zu Buche. Er hat diese Zahlen detailliert aufgeführt. Ich kann Ihnen die Beispiele geben. So weit also zum Bürokratieabbau. Dieser enorme Kostenanstieg und natürlich weitere administrative Hemmnisse sind für die Strukturschwäche der deutschen Wirtschaft mitverantwortlich. Nicht ohne Grund haben wir die schwächsten Wachstumsraten in der EU. Das haben wir eben schon von Vorrednern gehört. ({13}) - Dafür gibt es viele Gründe. - Dagegen hilft kein Gesundbeten, keine abenteuerliche Dateninterpretation und auch keine Reformrhetorik, wie wir sie eben von Herrn Eichel wieder gehört haben, sondern nur schnelles und entschlossenes Handeln; denn der Abwärtstrend setzt sich leider fort. ({14}) Ich will hier nichts schlecht reden, wie uns auch eben wieder von Frau Wolf vorgeworfen wurde. Im Gegenteil: Ich will, dass es der deutschen Wirtschaft besser geht; denn ich selber bin mittelständischer Unternehmer und weiß, wovon ich rede. Deshalb spreche ich ohne jegliche Gehässigkeit und ohne jegliche Häme. Inzwischen leiden Millionen meiner Kolleginnen und Kollegen unter der jetzigen Situation. Dies gilt selbstverständlich auch für unsere Mitarbeiter, für die wir uns verantwortlich fühlen. Für uns gibt es das „hire and fire“, das in den Großbetrieben und Banken üblich ist, nicht. Wir halten unsere Mitarbeiter so lange, wie es eben möglich ist. ({15}) Frau Wolf, Sie sollten sich mit dem Handwerk und dem Mittelstand beschäftigen, bevor Sie eine solche Rede wie vorhin halten. ({16}) Als die Schröder-Regierung von Mittelstandspolitik und Bürokratieabbau sprach, waren das leider nur Worthülsen, wie sie eben auch wieder von Herrn Eichel benutzt wurden. Bedauerlicherweise gilt das auch für den an sich sympathischen Wirtschaftsminister. Vielleicht liegt es bei ihm, der an sich aus der Praxis kommt, daran, dass er nur Großbetriebserfahrung hat. ({17}) - Herr Brüderle, wir denken kongruent. - Diese Erfahrungen konnte er nur bei einem Monopolisten sammeln. Lenken wir unseren Blick einmal auf die Finanzpolitik. Niemals wurde Steuerpolitik - das hat Herr Hauser eben deutlich gemacht; er weiß, wovon er redet - so dilettantisch und einseitig wie unter Hans Eichel angegangen. Niemals wurde sie so bürokratiebeladen, so wettbewerbsfeindlich und so ungerecht betrieben. Viele unserer aufgelisteten Fragen machen das überdeutlich. Deswegen sind diese Fragen auch so unangenehm. Das haben wir gehört. Man hat uns eben vorgeworfen, weshalb wir überhaupt fragen. Was ist das für ein Verständnis gegenüber einer Opposition? ({18}) Eines kann aber - das ist noch viel wichtiger - zusammenfassend festgestellt werden: Die Großen wurden entlastet und die Kleinen belastet. So sieht also sozialdemokratische Politik in Wahrheit aus. ({19}) An dieser Feststellung ändert aus mittelständischer Sicht auch die Gewerbesteuerentlastung nichts. Sie war ohnehin nur ein Tropfen auf den heißen Stein. ({20}) Ich wiederhole: Die Koalition favorisiert eindeutig Großbetriebe, die im Übrigen durch ihre Strukturen mit bürokratischen Belastungen besser umzugehen verstehen als die Kleinbetriebe. Darauf hat Herr Brüderle eben hingewiesen. Ich möchte hier keinen Gegensatz zwischen Groß- und Kleinbetrieben herbeireden. Ich plädiere nur für mehr Gerechtigkeit und Waffengleichheit im Wettbewerb; denn nach vier Jahren rot-grüner Politik steht der Mittelstand mit dem Rücken zur Wand. Bei fast jeder Reform der Bundesregierung stand er auf der Verliererseite. Trotz aller gegenteiligen Versprechungen hat er mit höheren Belastungen und höheren bürokratischen Hürden als jemals zuvor zu kämpfen. Das sind Tatsachen. ({21}) Gerade jetzt muss der Mittelstand wirksam unterstützt werden; denn zu all den Mehrbelastungen, die er schon jetzt zu tragen hat, kommt mit Basel II eine fast apokalyptische Gefahr auf ihn zu. Das, was hier von den mittelständischen Firmen verlangt wird - wir haben schon Erfahrungen in den entsprechenden Kammern sammeln können -, ist kaum zu leisten. ({22}) Die Banken handeln leider schon im vorauseilenden Gehorsam. Wo bleiben die vollmundigen Ankündigungen des Kanzlers? - Er schweigt bzw. er will eine Mittelstandsbank gründen. ({23}) Das bedeutet noch mehr Bürokratie. So können wir die Probleme nicht lösen. Gerät ein Großbetrieb in Schwierigkeiten, dann kümmert sich der Kanzler selbst um ihn, und das natürlich im vollen Licht der Scheinwerfer. Wirtschaftliche Vernunft spielt dann keine Rolle mehr, sondern nur noch die Schlagzeilen. Holzmann war dafür ein abschreckendes Beispiel. Wenn die Regierung offensichtlich Großbetriebe favorisiert, dann ist das wahrscheinlich auch im Selbstverständnis der Sozialdemokraten begründet. Sie vertrauen offensichtlich mehr dem Staat als der unternehmerischen Freiheit des Einzelnen. Die Großen sind nämlich der staatlichen Bürokratie ähnlich. Man unterhält sich sozusagen von Gleich zu Gleich. Dabei wird man natürlich von den Gewerkschaften kräftig unterstützt, weil diese auf beiden Seiten sitzen. Strukturveränderungen sind bei dieser Rollenverteilung nur hinderlich. Allen notwendigen Veränderungen gegenüber verhält man sich reaktionär. Das ist auch systemimmanent. Zurück zum Thema. Ehrlicherweise muss man zugeben: Keiner Regierung ist es bisher gelungen, der metastasierenden Krebsgeschwulst Bürokratie Herr zu werden. Um es einmal selbstkritisch zu sagen: Die eine Regierung hat es nur besser verstanden als die andere, den Anstieg zu verlangsamen und die Lasten gerechter zu verteilen. Wir kennen den Mechanismus. Jeder gute Beamte - wir haben ja nur gute - will einen Nachweis seiner Produktivität erbringen. Einen solchen Nachweis erbringt der Ministerialrat zum Beispiel dadurch, dass er ein neues Gesetz entwirft oder ein altes verändert. Der Unterabteilungsleiter muss natürlich seine Produktivität und Qualifikation gegenüber dem Abteilungsleiter auch nachweisen. Deshalb ist er für jeden Vorschlag des Referenten, ein neues Gesetz auf den Tisch zu legen oder ein altes zu ändern, zutiefst dankbar. Der Abteilungsleiter befindet sich im Verhältnis zum Staatssekretär natürlich in derselben Interessenlage. Ebenso verhält es sich im Verhältnis von Staatssekretär zum Minister. Auch der Minister ist in einer schwierigen Situation. Er muss sich in der Öffentlichkeit darstellen. Wie glänzt man am besten? - Natürlich mit einem neuen Gesetz und mit der Verbesserung der alten Gesetze. Jetzt wäre an sich die Stunde der Volksvertreter gekommen, dem Gesetzeswust Einhalt zu gebieten. Leider ist dem nicht so; denn die jeweiligen Sprecher müssen ja der Fraktion gegenüber auch ihre Wichtigkeit beweisen. Insbesondere brauchen sie in ihren Wahlkreisen Beachtung und Anerkennung. Und wie schafft man das? Den Rest kennen Sie schon. Ich weiß, dass ich vereinfache. In einer Beurteilung dürften wir uns jedoch einig sein: Wir befinden uns in einem Teufelskreis. Aber wir dürfen uns damit nicht abfinden. Die Bürokratiedichte zu verringern ist eine der wichtigsten Zukunftsaufgaben. Ich hoffe - lassen Sie mich das in meiner wohl letzten Rede vor dem Deutschen Bundestag als Wunsch äußern -, dass es den politisch Handelnden zukünftig gelingen wird, auf diesem Feld mehr Erfolge zu erzielen als bisher. Dies gilt für alle. Dass es grundsätzlich möglich ist, belegen ermutigende Beispiele aus einigen Ländern, zum Beispiel Hessen. Zu der dadurch zu gewinnenden Freiheit gibt es keine Alternative. Ich wünsche Ihnen in diesem Bemühen viel Glück und alles Gute und danke Ihnen herzlich. ({24})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Herr Schulhoff, Sie haben zum Ausdruck gebracht, dass dies Ihre letzte Rede vor dem Deutschen Bundestag war. Wir alle danken Ihnen für Ihr Engagement und für die Begleitung in unserem demokratischen Geschäft. Wir wünschen Ihnen alles Gute! ({0}) Nun erteile ich dem Kollegen Dr. Uwe Jens für die SPD-Fraktion das Wort.

Prof. Dr. Uwe Jens (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001026, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das Streben des Kollegen Schulhoff nach immer mehr Gerechtigkeit ist sehr ehrenwert. Ich plädiere in erster Linie für etwas mehr Redlichkeit, für das Bemühen um etwas mehr Wahrheit und Wahrhaftigkeit. Es täte dem Haus insgesamt gut, wenn wir den platten Wahlkampf ein bisschen an die Seite stellten. ({0}) Für die wuchernde Bürokratie gibt es aus meiner Sicht eine Fülle von Ursachen - ich gebe gern zu: wir können sie gar nicht alle diskutieren -: Erstens muss man feststellen, dass unsere Gesellschaft so kompliziert geworden ist, dass der technische und soziale Wandel so rapide voranschreitet, dass man das mit einfachen Lösungen häufig gar nicht mehr in den Griff bekommen kann. Zweitens gibt es die EU-Kommission. Von dort kommt eine Fülle von neuen Vorschriften auf dieses Haus zu, die bearbeitet werden müssen und die zur Ausweitung der Bürokratie beitragen. Die meisten Wünsche nach neuen Gesetzen kommen jedoch nicht von einzelnen Abgeordneten, sondern aus der Wirtschaft oder ihren Verbänden direkt, die gern dieses oder jenes geregelt haben möchten. ({1}) Sehr häufig kommen wir solchen Wünschen nach und widersetzen uns ihnen leider viel zu wenig. ({2}) Ich erinnere in diesem Zusammenhang an Franz Werfel, der einmal gesagt hat: Die absolute Freiheit schafft einen undurchdringlichen Urwald. Die absolute Gerechtigkeit und Gleichheit schafft eine leblose Wüste. - Wir müssen versuchen, unser Staatsschiff zwischen diesen beiden Polen hindurchzusteuern. Das Streben nach immer mehr Gerechtigkeit führt sicherlich auch dazu, dass es immer mehr Bürokratie und immer mehr Vorschriften gibt, vor allem, Herr Hauser, im Steuerrecht. Es gibt da also Grenzen, die wir erkennen müssen. Wir haben in den letzten vier Jahren das eine oder andere - ich sage sogar: relativ viel - getan, um das zu verwirklichen, was der Bundeskanzler in der Regierungserklärung, die von der Opposition jetzt schon zweimal zitiert worden ist, gesagt hat. Ganz wichtig war für mich zum Beispiel die Abschaffung des Rabattgesetzes und der Zugabeverordnung. ({3}) Das ist ein großer Schritt in die richtige Richtung gewesen. Jetzt steht noch eine Novellierung des UWG an, durch die wir zum Beispiel erreichen müssen, dass solche Aktionen, wie sie C & A Brenninkmeyer praktiziert hat, auch ohne Gerichtsverfahren möglich sind. Auch dies scheint mir ein Schritt in die wirklich richtige Richtung zu sein. Wir haben die Gewerbeordnung, insbesondere für Schausteller, vereinfacht. ({4}) Auch das war wirklich notwendig und das kann man nicht einfach unter den Tisch kehren. Auch das muss die Öffentlichkeit erfahren. Wir haben sogar etwas getan, um die recht restriktive Handwerksordnung, Herr Kollege Schulhoff, ein bisschen aufzulockern. Mit den so genannten Leipziger Beschlüssen haben wir es ermöglicht, dass Altgesellen insbesondere im Übernahmefall die Möglichkeit geboten wird, einen Betrieb zu übernehmen, ohne den großen Befähigungsnachweis zu erbringen. Ich meine, auch das ist ein Schritt in die richtige Richtung. Manchen Altgesellen ist diese Möglichkeit noch nicht bekannt. Ich meine aber, dass sie sie auch nutzen sollen. ({5}) Es gibt in der Bundesrepublik Deutschland mittlerweile 52 Existenzgründungslehrstühle. ({6}) An den Universitäten wird versucht, jungen Menschen beizubringen, wie und vor allem warum es sinnvoll ist, diesen Sprung in die Selbstständigkeit zu versuchen. Über Jahre - wir waren nicht immer an der Regierung - hat sich eine Mentalität entwickelt, nach der junge Leute lieber Beamte geworden sind, als den Sprung in die Selbstständigkeit zu wagen. Wir sind dabei, diese Mentalität umzukehren. Das ist ein vernünftiger Schritt, der endlich erfolgen musste. ({7}) Wir fangen damit sogar schon in den Schulen an. Mit unserem Projekt „Junior“ versuchen wir, Schüler zu animieren, sich damit auseinander zu setzen, ob es nicht sinnvoller ist, die Selbstständigkeit - möglicherweise nach Abschluss eines Studiums - anzustreben. Aus meiner Sicht muss schon in den Schulen angesetzt werden. Das muss vielleicht weiter verstärkt werden - dabei könnten die Länder mithelfen -, aber wir bewegen uns auf alle Fälle in die richtige Richtung. Im Übrigen bedeutet nicht jedes Gesetz auch mehr Bürokratie. Wir haben dennoch - das gebe ich gerne zu, Herr Poß - in den nächsten vier Jahren sehr viel zu tun. Unsere Steuerreform geht in die richtige Richtung. Auch sie hat dazu beigetragen, die Situation etwas zu erleichtern. Im vergangenen Jahr sind übrigens 69 000 Neugründungen erfolgt. ({8}) Dabei handelt es sich um die Differenz zwischen denjenigen, die Liquidation angemeldet haben, und denjenigen, die neu hinzugekommen sind. 69 000 Neugründungen reichen mir noch nicht aus, aber es ist sehr lobenswert und muss hervorgehoben werden. ({9}) Ich plädiere dafür und gebe das meinen Kollegen mit auf den Weg - ich habe auch bereits mit den Vertretern der IHK darüber gesprochen -, dass zum Beispiel Existenzgründern in den ersten fünf Jahren die Kammerbeiträge erlassen werden könnten. Das wäre ein kleiner Schritt. Ich plädiere auch dafür, dass wir die Buchführungspflicht, die im Steuerrecht festgelegt wird, etwas später einführen, als es zurzeit kodifiziert ist. Ich plädiere dafür, die Statistiken, die von kleinen und mittleren Unternehmen erstellt werden müssen, zu überprüfen, um festzustellen, ob alle auf diese Weise anfallenden Statistiken wirklich gebraucht werden. Im Allgemeinen sind es die Verbände, die sie brauchen; es ist nicht der Gesetzgeber. Mir ist bekannt, dass im Wirtschaftsministerium daran gearbeitet wird und ich wünsche Ihnen dabei viel Erfolg. Besondere Sorge bereitet mir die Finanzierung der kleinen und mittleren Unternehmen; das ist bereits dargestellt worden. Die Risikoscheu der Banken ist größer geworden. Die Auflockerung des öffentlich-rechtlichen Systems hat dazu geführt, dass es im Kreditwesen nicht mehr so viel Wettbewerb gibt, wie es früher der Fall war. Das Streben nach Shareholder Value führt zweifellos dazu, möglichst viel hereinzuholen und wenig an die Zukunft zu denken. Der Bundeskanzler hat das Problem erkannt. Basel II ist noch nicht aktuell, sondern kommt erst in fünf Jahren, aber darüber muss bereits jetzt nachgedacht werden. Es gibt eine Fülle von Ursachen, die uns darüber nachdenken lassen, ob für die Finanzierung der kleinen und mittleren Unternehmen nicht etwas getan werden muss. ({10}) Ich bin sehr dafür, die Deutsche Ausgleichsbank in eine deutsche Mittelstandsbank zu überführen ({11}) und ihr auch mehr Kompetenzen einzuräumen, damit die kleinen und mittleren Unternehmen eine Anlaufstelle bekommen. Auch ich werde wahrscheinlich zum letzten Mal in diesem Hohen Hause gesprochen haben. Erlauben Sie mir noch einmal einige Anmerkungen über den Tag hinaus. Meine große Sorge ist, dass unsere Marktwirtschaft und der mit ihr verbundene starke Wettbewerb, wofür ich eigentlich immer gekämpft habe, langsam aber sicher in eine Art Machtwirtschaft entarten. Die großen Konzerne sind zweifellos auf dem Vormarsch. Deshalb ist das, was wir heute hier tun, auch so wichtig. Wir müssen uns um kleine und mittlere Unternehmen kümmern ({12}) und dafür sorgen, dass nicht nur der Wettbewerb erhalten bleibt, sondern auch junge Leute, die hellen Köpfe, die nachwachsen, eine Chance bekommen, in dem offenen System, in dem wir leben, voranzukommen. Ich mache mir auch Sorgen, dass unser demokratisches System und unsere politische Ordnung so, wie sie gestaltet ist - um einen modernen Begriff zu gebrauchen -, nicht nachhaltig ist. Wir taktieren aus meiner Sicht zu viel. Wir agieren zu kurzfristig, immer nur auf den nächsten Wahltermin ausgerichtet. Wir hören zu viel auf die Interessenvertretungen. Wir müssten mehr grundsätzliche und langfristige Überlegungen anstellen, sodass von diesem Haus eine eigenständige Entwicklung ausgeht. Sie kommt mir manchmal im hektischen Kampf des Wahlgeschehens viel zu kurz. Meine Damen und Herren, ich gehe ohne Trauer und auch ohne Wehmut. Ich halte es mit Hermann Hesse: Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne, Der uns beschützt und der uns hilft, zu leben. Ich bedanke mich bei Ihnen allen und wünsche Ihnen alles Gute. ({13})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Lieber Kollege Jens, auch Ihnen gelten Dank und Anerkennung des gesamten Hauses und alle guten Wünsche für den neuen, freieren Lebensweg. Ich weiß, wovon ich rede. ({0}) Nun erteile ich das Wort dem Kollegen Ernst Hinsken.

Ernst Hinsken (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000906, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Werte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Zunächst möchte ich den Vorrednern herzlich danken, die gerade in ihren Abschlussreden Richtungsweisendes gesagt haben. Herr Kollege Hauser, das betrifft Sie genauso wie den Kollegen Schulhoff; auch das, was Professor Jens zuletzt gesagt hat, kann in größten Teilen von mir mitgetragen werden. Sie haben den Deutschen Bundestag mitgeprägt und haben sich insbesondere auch auf steuerpolitischem und wirtschaftspolitischem Gebiet hier eingebracht. Ich möchte zum Thema Folgendes ausführen: ({0}) Bürokratie ist die Geißel des Mittelstandes. Sie liegt wie ein Mehltau über unserem Land und erstickt jede Initiative. Die Wirtschaft zählt die Bürokratie zu den Top Five der Investitionshemmnisse. ({1}) Für kleine und mittlere Betriebe ist gerade die Bürokratie eine besondere Belastung. Betriebe mit bis zu neun Beschäftigten geben pro Mitarbeiter jährlich rund 3 500 Euro dafür aus und müssen zudem 62 Stunden dafür arbeiten. Ein etwas größerer, mittelständischer Betrieb wendet zur Bewältigung der bürokratischen Auflagen 92 Arbeitstage auf, das entspricht 731 Stunden. Großunternehmen - das ist von einigen Vorrednern schon gesagt worden - mit über 500 Mitarbeitern haben dagegen nur eine Belastung durch die Bürokratie von 150 Euro bzw. 5,5 Stunden pro Mitarbeiter zu tragen. Mir ist auch wichtig zu sagen, weil gerade von den Vorrednern zum Teil Unrichtiges gesagt wurde, dass ein Vergleich mit anderen Ländern zeigt: Länder mit hoher Regelungsdichte haben einen geringeren Beschäftigungsstand als Staaten, die nicht alles zu regeln versuchen. Eine OECD-Untersuchung in 21 führenden Industriestaaten beweist: Deutschland liegt, was die Bürokratiebelastung angeht, leider auf Platz 16. Ich bedauere, dass Herr Minister Eichel nicht mehr da ist. Es wäre nämlich wichtig gewesen, dass er das hört; denn er hat hier eine andere Meinung vertreten. Diese Ergebnisse zeigen eines ganz klar: Es wird nur dann ein höheres Wachstum geben, wenn der Bürokratie zu Leibe gerückt wird. ({2}) Anders als versprochen, haben Sie von Rot-Grün in dieser Legislaturperiode zusätzliche bürokratische Monster auf Unternehmer losgelassen. Geringfügige Beschäftigungsverhältnisse, Scheinselbstständigkeit, Novellierung des Betriebsverfassungsgesetzes, Ökosteuer usw. sprechen hier Bände. Eine vor kurzem durchgeführte Umfrage des Deutschen Industrie- und Handelskammertags hat ergeben, dass allein der Rechtsanspruch auf Teilzeitarbeit die Schaffung von 250 000 neuen Arbeitsplätzen in der Bundesrepublik Deutschland verhindert hat. Das sollte Ihnen zu denken geben. ({3}) Darum ist es höchste Zeit, dass sich etwas ändert. Ab morgen sind es nur noch 100 Tage, bis der Spuk von links zu Ende geht. Herr Staatssekretär Staffelt, ich bedauere, dass Ihre Kollegin Wolf nicht mehr da ist. Sie ist als Mittelstandsbeauftragte der Bundesregierung angetreten. Sie sagte, es werde ihre Hauptaufgabe sein, Bürokratie abzubauen. Außer heißer Luft hat sie aber nichts produziert. Sie sollte sich ein Beispiel an dem nehmen, was wir in unserer Regierungszeit gemacht haben. Ich selbst durfte einmal in einer Deregulierungskommission des Wirtschaftsministeriums mitarbeiten. Wir haben damals 96 Vorschläge gemacht und innerhalb eines Dreivierteljahres wurden 62 dieser Vorschläge umgesetzt. Wir haben nicht nur geprüft, wie uns von Ihrer Seite immer wieder gesagt wird, sondern wir haben gehandelt; denn das war zum Wohle der Wirtschaft dringend erforderlich. Ich möchte allerdings hinzufügen: Das war noch viel zu wenig. Wir müssen uns natürlich an die eigene Brust schlagen: In nur drei Jahren sind 30 Steuergesetze und 20 Arbeitsmarktgesetze in Kraft getreten. Es ist unglaublich: Bei der Gründung einer Firma in der Bundesrepublik Deutschland muss man 58 Paragraphen der Arbeitsstättenverordnung und darüber hinaus, falls es sich um einen kleineren Betrieb handelt, 8 490 Einzelvorschriften beachten. Davor kapitulieren immer mehr potenzielle Unternehmer. Während es 1998 noch über 810 000 Gewerbeanmeldungen gab, so waren es im Jahr 2001 nur noch etwas mehr als 728 000. Das ist ein Minus von 10 Prozent. Ich meine, dass deshalb das Gebot der Stunde lauten muss: Rotstift ansetzen, um Vorschriften, Regelungen, Ausführungsbestimmungen, Verordnungen, Gesetze und was es sonst noch gibt rigoros zusammenzustreichen. Das Saarland zeigt hierbei den richtigen Weg.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Herr Kollege, Ihre Redezeit ist abgelaufen.

Ernst Hinsken (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000906, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich bin gleich fertig, Frau Präsidentin. - Ministerpräsident Müller hat seit seinem Amtsantritt 1 365 Verwaltungsvorschriften gekürzt oder gestrichen und niemand hat es gemerkt. Wir brauchen ein Gesetz, das überflüssige Gesetze abschafft. Wir brauchen einen Bürokratie-TÜV. Das ist erforderlich, damit unsere Wirtschaft wieder so richtig in Gang kommt. Dafür zu sorgen, waren Sie in den letzten vier Jahren nicht in der Lage. Wir werden das in der nächsten Zeit nachholen, damit die Wirtschaft und der Mittelstand Luft zum Atmen haben und Arbeitsplätze geschaffen und gesichert werden können. Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. ({0})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Nun erteile ich dem Kollegen Ludwig Eich für die SPD-Fraktion das Wort.

Ludwig Eich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000446, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Natürlich ist der Abbau von Bürokratie ein wichtiges Ziel. Dennoch gibt es keinen Grund, in blinden Aktionismus zu verfallen. Es gibt auch keinen Grund für Krokodilstränen. Herr Kollege Hinsken, ich muss schon sagen: Gesetze, deren Abschaffung man nicht merkt, sind nicht diejenigen Gesetze, die uns Probleme machen. ({0}) Ich möchte auf folgenden Punkt hinweisen: Hinter dem negativ belegten Wort „Bürokratie“ steht doch das Wort „Ordnungspolitik“. ({1}) Politik, die Ordnung in Abläufe bringen will, die gewährleisten soll, dass es gerecht zugeht, die die Umwelt schützen oder wichtige politischen Ziele durchsetzen soll, kann doch nicht ohne bürokratischen Aufwand, also ohne das Mittel von Bürokratie, in Gang gesetzt werden. Natürlich besteht die Neigung - das ist klar -, des Guten zu viel zu tun. Deswegen ist es eine ständige Aufgabe von Politik, das bürokratische Mittel so klein wie möglich zu halten. Die hier diskutierte Große Anfrage der CDU/CSU erfüllt diesen Anspruch noch nicht einmal im Ansatz. Die Union stellt 172 Fragen. Bei einigen Fragen kann man wirklich nur den Kopf schütteln. Da wird beispielsweise gefragt, wie hoch die Zahl der derzeit gültigen Gesetze, Rechtsverordnungen und Einzelvorschriften auf Bundesebene sei. Warum fragen Sie nicht, wie viele Kilogramm Akten jeden Tag über den Schreibtisch gehen? Was soll die Antwort auf eine solche Frage bewirken, außer dass sie Heerscharen von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in Bewegung setzt? ({2}) Was soll die Frage, wie viele neue Gesetze und Rechtsverordnungen in der laufenden Legislaturperiode verabschiedet und in Kraft gesetzt worden sind? Warum fragen Sie eigentlich nicht, wie viele neue Gesetze und Verordnungen zurzeit der Unionsregierung in Kraft getreten sind? ({3}) Das waren doch sicherlich Gesetze, die Sie für wichtig hielten. Wer eine solche Anfrage in einem Wahlkampfjahr stellt, verfolgt eben nicht die Absicht, Bürokratie abzubauen. Ganz im Gegenteil: Sie beschäftigen den Regierungsapparat über jedes vernünftige Maß hinaus und verursachen einen gewaltigen bürokratischen Aufwand. ({4}) Sie wollen darüber hinaus den Mittelstand Glauben machen, die gesamte staatliche Bürokratie sei in den letzten dreieinhalb Jahren entstanden. ({5}) Natürlich will ich nicht bestreiten, dass auch durch rotgrüne Politik, Herr Kollege Hinsken, Bürokratie entstanden ist. Leider sind davon auch mittelständische Unternehmen betroffen. Das ist doch völlig klar. Aber die Regierung Schröder hat vor allem den Mittelstand unterstützt. ({6}) Sie hat auch Erfolge beim Abbau von Bürokratie. Wenn ich Ihre Fragen lese, verehrte Damen und Herren von der CDU/CSU, komme ich aus dem Staunen nicht mehr heraus. Sie fragen beispielsweise nach den Kosten der Bauabzugsteuer. Davon war schon mehrfach die Rede. Irre ich mich oder ist die Bauabzugsteuer auch eine Initiative von Bayern und Baden-Württemberg im Bundesrat gewesen? ({7}) Hat diese Steuer nicht auch das Bauhauptgewerbe gefordert? Ist sie nicht ein Schutz vor illegalen Praktiken? ({8}) Ich frage mich weiter: Wie sollen anständige Unternehmer ohne jeglichen bürokratischen Aufwand geschützt werden? ({9}) Wie soll beispielsweise der Schutz vor Schwarzarbeit ohne ordnungspolitische Maßnahmen funktionieren? Wie sollen wir illegale Beschäftigung eindämmen sowie Korruption und Steuerhinterziehung zurückdrängen? Wie sollen wir die Geldwäsche bekämpfen, ohne dass wir nicht auch das Mittel der Bürokratie dafür einsetzen? ({10}) Aber es geht Ihnen nicht darum, eine differenzierte Betrachtung anzustellen. Sie wollen Wahlkampf machen und machen dabei von diesen Mitteln Gebrauch. Ihre Anfrage soll aber auch von den Leistungen der Regierung Schröder für den Mittelstand ablenken. Ich nenne zum Beispiel die Steuerpolitik. Wann hat es jemals eine solche Steuersenkung für den Mittelstand gegeben, Herr Kollege Hinsken? ({11}) Die Gewerbesteuer ist für Personengesellschaften praktisch abgeschafft. ({12}) Ich weiß nicht, wie lange bereits die Gewerbesteuer erhoben wird. Aber ist es wirklich übertrieben, zu sagen, dass die praktische Abschaffung der Gewerbesteuer für die Personengesellschaften ein historisches Verdienst der Regierung Schröder ist? ({13}) Durch die Erhöhung des Grundfreibetrages und die Senkung des Spitzensteuersatzes wurden auch die Personengesellschaften von der Einkommensteuer stark entlastet. Im Übrigen: Tun Sie nicht so, als gäbe es im Bereich des Mittelstandes keine GmbHs. Lieber Kollege Schulhoff, es ist natürlich ein breiter Spagat, als Gesellschafter einer GmbH hier die Krokodilstränen des Handwerks zu weinen. Aber ist es nicht richtig, zu sagen, dass wir durch die Senkung des Körperschaftsteuersatzes von 45 bzw. 40 auf 25 Prozent auch den Mittelstand in erheblichem Umfang von Steuern entlastet haben? ({14}) Die Regierung Schröder hat den Mittelstand nach Kräften gefördert. Ich frage mich, warum Sie nicht die Souveränität haben, dies einfach anzuerkennen. ({15}) - Ich weiß, dass Sie das nicht hören wollen. ({16}) Warum erkennen Sie nicht an, dass Rot-Grün mit vielen Maßnahmen Existenzgründungen gefördert hat, Herr Kollege Brüderle? Durch Finanzhilfen mit den verschiedenen Programmen der Förderbanken werden Neugründungen von Unternehmen beträchtlich gefördert. Warum erkennen Sie nicht an, dass das MeisterBAföG eine wichtige Maßnahme ist, die es verdient, hier erwähnt zu werden? ({17}) Warum verschweigen Sie eigentlich, dass kleinere und mittlere Betriebe bei Investitionen und bei der Schaffung von Arbeitsplätzen mit den verschiedenen Programmen nach Kräften unterstützt werden? Ein Teil Ihrer Fragen, verehrte Damen und Herren der Union, befasst sich mit dem bürokratischen Aufwand für Betriebsräte. Insbesondere hinterfragen Sie die letzte Reform des Betriebsverfassungsgesetzes. ({18}) Im Prinzip wollen Sie damit die Botschaft verbinden: Betriebsräte behindern und erschweren die unternehmerische Entfaltung. ({19}) Sie suggerieren der Öffentlichkeit, dass die Arbeitnehmervertreter in den Betrieben überflüssig sind und nicht im Interesse der Unternehmen arbeiten. Mich ärgert weniger, dass Ihnen diese Teilhabe an der Demokratie offenbar keinen bürokratischen Aufwand wert ist, sondern mehr die Verkennung der Tatsache, dass es in der Praxis gerade die Betriebsräte sind, die in schwierigen Zeiten absolut solidarisch hinter ihren Unternehmen stehen. ({20}) Sind es nicht die Betriebsräte, die bereit sind, auch Lohnverzicht zu leisten, wenn eine Notlage entstanden ist? ({21}) Mobilisieren nicht gerade die Betriebsräte - und die Gewerkschaften, Herr Kollege Brüderle - die Politik und die Öffentlichkeit? Warum erkennen Sie nicht an, dass gerade die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, ihre Gewerkschaften und ihre Vertreter die solidarischsten und treuesten Verbündeten ihrer Unternehmen sind? Das verstehe ich nicht, meine Damen und Herren. ({22})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Hinsken? - Bitte sehr.

Ernst Hinsken (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000906, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Eich, Sie haben vorhin dem Mittelstand das Wort geredet. Das kann ich im Großen und Ganzen teilen. Sie haben eben insbesondere das Betriebsverfassungsgesetz angesprochen und unsere Forderung nach einer Entbürokratisierung speziell beim Betriebsverfassungsgesetz zurückgewiesen. Deshalb frage ich Sie, ob Ihnen bekannt und bewusst ist, dass in Unternehmen ab 200 Beschäftigten ein zusätzlicher Betriebsrat, der freigestellt werden muss, 170 000 bis 200 000 DM oder etwa 100 000 Euro kostet und dass der kleine Betrieb mit etwa zehn Beschäftigten, dem Sie das Wort geredet haben, zusätzlich mit Kosten von etwa 9 000 bis 10 000 DM bzw. 5 000 Euro belastet wird, falls er einen Betriebsrat bekommt, dieses Geld aber nicht ohne weiteres als Manna vom Himmel fällt? ({0})

Ludwig Eich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000446, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Hinsken, ich frage mich, welchen Anteil diese 10 000 DM im Verhältnis zur Lohnkostensumme bei einem Betrieb mit 200 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern darstellen mögen. ({0}) Sie diskutieren darüber, was zwei Betriebsräte mehr in diesem berühmten Betrieb mit 200 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern bedeuten. Ich muss Ihnen ehrlich sagen: Ich empfinde das als lächerlich. Warum können Sie einfach nicht akzeptieren, dass es hier um eine Erweiterung von Mitbestimmung geht? Warum können Sie nicht akzeptieren, dass Betriebsräte den Betrieben auch viel Arbeit abnehmen? ({1}) Ich halte es für einen verhängnisvollen Fehler, wenn Sie diese Diskussion führen. Ich bitte Sie, damit aufzuhören, in der Öffentlichkeit die Arbeit der Betriebsräte als lästig oder als irgendwie überflüssig darzustellen. ({2}) Eine besondere Zielscheibe Ihrer Fragen ist die Ökosteuer. Hatte nicht Ihr Kanzlerkandidat verlautbart, er wolle diese Steuer abschaffen? Jetzt ist zu hören, es gehe nur noch um die Stufe, die am 1. Januar 2003 in Kraft treten soll. ({3}) Mich interessiert nun, warum Sie dieses nach Ihrer Auffassung so bürokratische Regelwerk beibehalten wollen. Mich wundert im Übrigen auch, dass Sie in Ihrer Anfrage keine Auskunft über die Auswirkung des Dosenpfands haben wollen. Könnte es sein, dass Sie lieber nicht darüber reden wollen, dass das Dosenpfand ein Ergebnis der von Ihnen kreierten Verpackungsverordnung ist? ({4}) Ist es nicht so, dass diese Bürokratie, die ja auch den Mittelstand belastet, aus Ihrer christlich-sozialen Feder stammt? Im Übrigen wäre es ein spannendes Thema, zu diskutieren, warum die freiwillige Selbstverpflichtung des Mittelstandes und der Industrie in diesem wie auch in anderen Fällen nicht funktioniert hat. Wir erleben ja derzeit noch ein anderes Beispiel, nämlich die Diskussion über den so genannten Teuro. Fest steht, dass die Regierung Schröder bei der Einführung des Eurobargeldes auf gesetzliche Vorschriften weitgehend verzichtet hat. Rot-Grün wollte dem Mittelstand und dem Handel diesen bürokratischen Aufwand nicht zumuten. Das Ergebnis kennen wir. Ich muss sagen: Es ist nicht in allen Fällen zufrieden stellend. Es ist keine Ermunterung der Politik, auf ordnungspolitische Maßnahmen ganz zu verzichten. Das sind schlicht die Erfahrungen. ({5}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, auch für mich war dies höchstwahrscheinlich die letzte Rede. ({6}) Ich bedanke mich für so manches schöne Gespräch. Ich habe mich hier sehr wohl gefühlt, verspüre jetzt aber keine Wehmut. Ich muss offen sagen: Ich bin froh, in meinem nächsten Lebensabschnitt zu Hause mehr Zeit für körperliche Arbeit zu haben. Vielen Dank. ({7})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Auch Ihnen, Herr Kollege Eich, gilt der Dank des ganzen Hauses. Alle guten Wünsche begleiten Sie. ({0}) Ich schließe die Aussprache. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 40 a bis 40 d sowie die Zusatzpunkte 4 a bis 4 c auf: 40. Überweisungen im vereinfachten Verfahren a) Erste Beratung des von den Abgeordneten Dr. Heinrich L. Kolb, Dr. Irmgard Schwaetzer, Dirk Niebel, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Reform der Arbeitnehmerüberlassung - Drucksache 14/8545 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung ({1}) Rechtsausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen Ausschuss für Angelegenheiten der neuen Länder b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Christian Müller ({2}), Dr. Rainer Wend, Dr. Axel Berg, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Werner Schulz ({3}), Ulrike Höfken, Kerstin Müller ({4}), Rezzo Schlauch und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN Die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“ als regelgebundenes Fördersystem erhalten - Drucksache 14/9242 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Technologie ({5}) Finanzausschuss Ausschuss für Angelegenheiten der neuen Länder Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Haushaltsausschuss c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Ursula Lötzer, Pia Maier, Christa Luft, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der PDS Sozialbindung des Eigentums in beschäftigungspolitische Verantwortung umsetzen - Drucksache 14/8552 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Technologie ({6}) Finanzausschuss Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung Ausschuss für Angelegenheiten der neuen Länder Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union d) Beratung des Antrags der Abgeordneten Christina Schenk, Pia Maier, Monika Balt, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der PDS Eigenständige Existenzsicherung durch Rückkehr in den Beruf statt nachehelicher Unterhaltsabhängigkeit - Drucksache 14/9185 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ({7}) Finanzausschuss Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung ZP 4 Weitere Überweisungen im vereinfachten Ver- fahren a) Beratung des Antrags der Abgeordneten JörgOtto Spiller, Adelheid Tröscher, Dr. Ernst Ulrich von Weizsäcker, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Angelika Beer, Andrea Fischer ({8}), Rita Grießhaber, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN Reform der internationalen Finanzarchitektur - Drucksache 14/9359 Überweisungsvorschlag: Finanzausschuss ({9}) Auswärtiger Ausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Brunhilde Irber, Annette Faße, Renate Gradistanac, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Sylvia Voß, Albert Schmidt ({10}), Franziska Eichstädt-Bohlig, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN Aktionsplan zum Kinder- und Jugendtourismus in Deutschland - Drucksache 14/9363 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Tourismus ({11}) Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Wolfgang Börnsen ({12}), Matthias Wissmann, Ulrich Adam, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU Zukunft Meer - Für eine verantwortungsbewusste Nutzung der Meerestechnologie - Drucksache 14/9352 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Technologie ({13}) Finanzausschuss Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. - Damit sind Sie einverstanden. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 41 a bis 41 e und 41 g bis 41 w sowie die Zusatzpunkte 5 a und 5 b auf. Es handelt sich um die Beschlussfassung zu Vorlagen, zu denen keine Aussprache vorgesehen ist. Tagesordnungspunkt 41 a: Zweite Beratung und Schlussabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu den Änderungen vom 15. Juni 1999 des Übereinkommens zum Schutz des Menschen bei der automatischen Verarbeitung personenbezogener Daten und zu dem Zusatzprotokoll vom 8. November 2001 zu diesem Übereinkommen - Drucksache 14/9193 Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses ({14}) - Drucksache 14/9407 Berichterstattung: Abgeordnete Gisela Schröter Beatrix Philipp Grietje Bettin Petra Pau Zweite Beratung und Schlussabstimmung. Der Innenausschuss empfiehlt auf Drucksache 14/9407, den Gesetzentwurf anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Es haben sich alle erhoben. Damit ist dieser Gesetzentwurf einstimmig angenommen. Tagesordnungspunkt 41 b: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Neunten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über das Branntweinmonopol - Drucksachen 14/9005, 14/9042 ({15}) aa) Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses ({16}) - Drucksache 14/9409 Berichterstattung: Abgeordneter Reinhard Schultz ({17}) bb) Bericht des Haushaltsausschusses ({18}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung - Drucksache 14/9450 Berichterstattung: Abgeordnete Susanne Jaffke Hans-Eberhard Urbaniak Oswald Metzger Dr. Werner Hoyer Dr. Uwe-Jens Rössel Der Finanzausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 14/9409, den Gesetzentwurf in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Auch dieser Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Das sind alle, also ist der Gesetzentwurf einstimmig angenommen. Tagesordnungspunkt 41 c: Zweite Beratung und Schlussabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu den Änderungen vom 17. November 2000 des Übereinkommens vom 20. August 1971 über die Internationale Fernmeldesatellitenorganisation INTELSAT - Drucksache 14/8983 ({19}) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie ({20}) - Drucksache 14/9412 Berichterstattung: Abgeordneter Elmar Müller ({21}) Zweite Beratung und Schlussabstimmung. Der Ausschuss für Wirtschaft und Technologie empfiehlt auf Drucksache 14/9412, den Gesetzentwurf anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Bei Enthaltung der PDSFraktion ist der Gesetzentwurf angenommen. Tagesordnungspunkt 41 d: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur Änderung verwaltungsverfahrensrechtlicher Vorschriften - Drucksachen 14/9000, 14/9259 ({22}) Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses ({23}) - Drucksache 14/9418 Berichterstattung: Abgeordnete Gisela Schröter Sylvia Bonitz Grietje Bettin Petra Pau Der Innenausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 14/9418, den Gesetzentwurf in Vizepräsidentin Anke Fuchs der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Gegen die Stimmen der PDS ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Die Gegenprobe! - Der Gesetzentwurf ist gegen die Stimmen der PDS angenommen. Tagesordnungspunkt 41 e: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Sechsten Gesetzes zur Änderung des Strafvollzugsgesetzes - Drucksachen 14/9197, 14/9235 ({24}) Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses ({25}) - Drucksache 14/9423 Berichterstattung: Abgeordnete Erika Simm Dr. Wolfgang Götzer Volker Beck ({26}) Jörg van Essen Dr. Evelyn Kenzler Der Rechtsausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 14/9423, den Gesetzentwurf in seiner Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Die Gegenprobe! Enthaltungen? - Bei Enthaltung der FDP ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Dagegen? - Enthaltungen? - Bei Enthaltung der FDP-Fraktion ist der Gesetzentwurf angenommen. Tagesordnungspunkt 41 g: Zweite Beratung und Schlussabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Internationalen Übereinkommen vom 15. Dezember 1997 zur Bekämpfung terroristischer Bombenanschläge - Drucksache 14/9198 Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses ({27}) - Drucksache 14/9424 Berichterstattung: Abgeordnete Joachim Stünker Norbert Geis Volker Beck ({28}) Jörg van Essen Dr. Evelyn Kenzler Zweite Beratung und Schlussabstimmung. Der Rechtsausschuss empfiehlt auf Drucksache 14/9424, den Gesetzentwurf anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Es haben sich alle erhoben. Insofern ist der Gesetzentwurf einstimmig angenommen. Tagesordnungspunkt 41 h: - Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ausführung des Zweiten Protokolls vom 19. Juni 1997 zum Übereinkommen über den Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften, der gemeinsamen Maßnahme betreffend die Bestechung im privaten Sektor vom 22. Dezember 1998 und des Rahmenbeschlusses vom 29. Mai 2000 über die Verstärkung des mit strafrechtlichen und anderen Sanktionen bewehrten Schutzes gegen Geldfälschung im Hinblick auf die Einführung des Euro - Drucksachen 14/8998, 14/9258 ({29}) - Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Übereinkommen vom 26. Mai 1997 über die Bekämpfung der Bestechung, an der Beamte der Europäischen Gemeinschaften oder der Mitgliedstaaten der Europäischen Union beteiligt sind - Drucksachen 14/8999, 14/9208 ({30}) - Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Zweiten Protokoll vom 19. Juni 1997 zum Übereinkommen über den Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften - Drucksachen 14/9002, 14/9207 ({31}) Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses ({32}) - Drucksache 14/9413 Berichterstattung: Abgeordnete Dr. Jürgen Meyer ({33}) Christine Lambrecht Dr. Wolfgang Götzer Hans-Christian Ströbele Rainer Funke Dr. Evelyn Kenzler Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Ausführung des Zweiten Protokolls zum Übereinkommen über den Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften, der gemeinsamen Maßnahme betreffend Vizepräsidentin Anke Fuchs die Bestechung im privaten Sektor und des Rahmenbeschlusses über die Verstärkung des Schutzes gegen Geldfälschung im Hinblick auf die Einführung des Euro auf den Drucksachen 14/8998 und 14/9258. Der Rechtsausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 14/9413, den Gesetzentwurf anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Eine Gegenprobe ist nicht nötig. - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Es haben sich alle erhoben. Der Gesetzentwurf ist einstimmig angenommen. Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zu dem Übereinkommen über die Bekämpfung der Bestechung, an der Beamte der Europäischen Gemeinschaften oder der Mitgliedstaaten der Europäischen Union beteiligt sind, auf den Drucksachen 14/8999 und 14/9208. Der Rechtsausschussempfiehlt unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 14/9413, den Gesetzentwurf anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Eine Gegenprobe ist nicht nötig. Es haben alle zugestimmt. Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Es haben sich alle erhoben. Der Gesetzentwurf ist einstimmig angenommen. Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zu dem Zweiten Protokoll zum Übereinkommen über den Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften auf den Drucksachen 14/9002 und 14/9207. Der Rechtsausschuss empfiehlt unter Buchstabe c seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 14/9413, den Gesetzentwurf anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Gegenprobe! Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung einstimmig angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Alle haben sich erhoben. Der Gesetzentwurf ist einstimmig angenommen. Tagesordnungspunkt 41 i: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Ordnungswidrigkeitenverfahrensrechts - Drucksachen 14/9001, 14/9238 ({34}) Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses ({35}) - Drucksache 14/9426 Berichterstattung: Abgeordnete Alfred Hartenbach Ronald Pofalla Volker Beck ({36}) Jörg van Essen Dr. Evelyn Kenzler Der Rechtsausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 14/9426, den Gesetzentwurf in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Die Gegenprobe! Enthaltungen? - Gegen die Stimmen der PDS ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Gegenprobe! - Gegen die Stimmen der PDS ist der Gesetzentwurf angenommen. Tagesordnungspunkt 41 j: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 13. Dezember 2000 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Australien über soziale Sicherheit - Drucksache 14/8984 ({37}) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung ({38}) - Drucksache 14/9234 Berichterstattung: Abgeordnete Pia Maier Der Ausschuss für Arbeit- und Sozialordnung empfiehlt auf Drucksache 14/9234, den Gesetzentwurf anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Gegenprobe! Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Gegenstimmen? - Der Gesetzentwurf ist einstimmig angenommen. Nun komme ich zu Tagesordnungspunkt 41 k: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Europäischen Charta der Regional- oder Minderheitensprachen des Europarates vom 5. November 1992 - Drucksache 14/7545 ({39}) Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses ({40}) - Drucksache 14/9408 Vizepräsidentin Anke Fuchs Berichterstattung: Abgeordnete Eckhardt Barthel ({41}) Dr. Hans-Peter Uhl Cem Özdemir Dr. Max Stadler Ulla Jelpke Der Innenausschuss empfiehlt auf Drucksache 14/9408, den Gesetzentwurf anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Bei Enthaltung der PDS-Fraktion ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Bei Enthaltung der PDS ist der Gesetzentwurf angenommen. Nun rufe ich Tagesordnungspunkt 41 l auf: Zweite Beratung und Schlussabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Revisionsprotokoll vom 12. März 2002 zu dem Abkommen vom 11. August 1971 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Schweizerischen Eidgenossenschaft zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiete der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen - Drucksache 14/9201 ({42}) a) Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses ({43}) - Drucksache 14/9381 Berichterstattung: Abgeordnete Nicolette Kressl Hansgeorg Hauser ({44}) b) Bericht des Haushaltsausschusses ({45}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung - Drucksache 14/9441 Berichterstattung: Abgeordnete Hans Jochen Henke Hans Georg Wagner Oswald Metzger Dr. Günter Rexrodt Dr. Uwe-Jens Rössel Zweite Beratung und Schlussabstimmung. Der Finanzausschuss empfiehlt auf Drucksache 14/9381, den Gesetzentwurf anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Es haben sich alle erhoben. Der Gesetzentwurf ist damit einstimmig angenommen. Nun komme ich zu Tagesordnungspunkt 41 m: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Internationalen Kaffee-Übereinkommen von 2001 - Drucksache 14/9202 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie ({46}) - Drucksache 14/9411 Berichterstattung: Abgeordnete Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk Der Ausschuss für Wirtschaft und Technologie empfiehlt auf Drucksache 14/9411, den Gesetzentwurf anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Gegenprobe! Enthaltungen? - Bei Enthaltung der PDS ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Bei Enthaltung der PDS ist der Gesetzentwurf angenommen. Nun rufe ich Tagesordnungspunkt 41 n auf: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Anpassung von Rechtsvorschriften an veränderte Zuständigkeiten oder Behördenbezeichnungen innerhalb der Bundesregierung ({47}) - Drucksache 14/8977 ({48}) Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses ({49}) - Drucksache 14/9353 Berichterstattung: Abgeordnete Christine Lambrecht Bernd Wilz Volker Beck ({50}) Rainer Funke Dr. Evelyn Kenzler Der Rechtsausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 14/9353, den Gesetzentwurf in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Dann ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Der Gesetzentwurf ist einstimmig angenommen. Nun rufe ich Tagesordnungspunkt 41 o auf: Beratung der Beschussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung ({51}) zu dem Antrag der Fraktionen der SPD, der CDU/CSU, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP Nutzung satellitengestützter Erdbeobachtungsinformationen Vizepräsidentin Anke Fuchs - Drucksachen 14/8034, 14/8514 Berichterstattung: Abgeordnete Ulrike Flach Lothar Fischer ({52}) Hans-Josef Fell Angela Marquardt Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 14/8034 anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? Gegen die Stimmen der PDS ist die Beschlussempfehlung angenommen. Tagesordnungspunkt 41 p: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung ({53}) zu dem Antrag der Abgeordneten Roland Claus, Dr. Gregor Gysi und der Fraktion der PDS Änderung der Gemeinsamen Geschäftsordnung des Bundestages und des Bundesrates für den Ausschuss nach Art. 77 des Grundgesetzes ({54}) - Drucksachen 14/119, 14/9123 - Berichterstattung: Abgeordneter Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf Drucksa- che 14/119 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschluss- empfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Gegen die Stimmen der PDS ist die Beschlussempfehlung angenom- men. Dazu gibt es eine Erklärung der Kollegin Dr. Evelyn Kenzler. Diese nehmen wir zu Protokoll.1) Wir kommen jetzt zu den Beschlussempfehlungen des Petitionsauschusses. Tagesordnungspunkt 41 q: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({55}) Sammelübersicht 397 zu Petitionen - Drucksache 14/9229 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Bei Enthaltung der PDS ist die Sammelübersicht 397 angenommen. Tagesordnungspunkt 41 r: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({56}) Sammelübersicht 398 zu Petitionen - Drucksache 14/9230 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Diese Sammelübersicht ist einstimmig angenommen. Tagesordnungspunkt 41 s: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({57}) Sammelübersicht 399 zu Petitionen - Drucksache 14/9231 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Gegen die Stimmen von CDU/CSU und PDS bei Enthaltung der FDP ist die Sammelübersicht angenommen. Tagesordnungspunkt 41 t: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({58}) Sammelübersicht 400 zu Petitionen - Drucksache 14/9232 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Gegen die Stimmen von CDU/CSU bei Enthaltung der FDP ist die Sammelübersicht 400 angenommen. Tagesordnungspunkt 41 u: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({59}) Sammelübersicht 401 zu Petitionen - Drucksache 14/9233 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Gegen die Stimmen der PDS ist diese Sammelübersicht angenommen. Tagesordnungspunkt 41 v: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie ({60}) zu der Verordnung der Bundesregierung Einhundertste Verordnung zur Änderung der Ausfuhrliste - Anlage AL zur Außenwirtschaftsverordnung - Drucksachen 14/8740, 14/8829 Nr. 2.2, 14/9303 Berichterstattung: Abgeordneter Erich G. Fritz Der Ausschuss empfiehlt, die Aufhebung der Verordnung auf Drucksache 14/8740 nicht zu verlangen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenprobe! Enthaltungen? - Bei Enthaltung der PDS ist die Beschlussempfehlung angenommen. Tagesordnungspunkt 41 w: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie ({61}) zu der Verordnung der Bun- desregierung Sechsundfünfzigste Verordnung zur Änderung der Außenwirtschaftsverordnung - Drucksachen 14/8712, 14/8829 Nr. 2.1, 14/9304 - Berichterstattung: Abgeordneter Rolf Hempelmann Vizepräsidentin Anke Fuchs 1) Anlage 10 Der Ausschuss empfiehlt, die Aufhebung der Verordnung auf Drucksache 14/8712 nicht zu verlangen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenprobe! Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist einstimmig angenommen. Wir kommen zu Zusatzpunkt 5 a: Zweite Beratung und Schlussabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu den Protokollen zum Übereinkommen vom 7. November 1991 zum Schutz der Alpen ({62}) - Drucksache 14/8980 ({63}) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({64}) - Drucksache 14/9457 Berichterstattung: Abgeordnete Horst Kubatschka Dr. Paul Laufs Winfried Hermann Birgit Homburger Eva Bulling-Schröter Zweite Beratung und Schlussabstimmung. Der Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 14/9457, den Gesetzentwurf anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist angenommen. Wir kommen zu Zusatzpunkt 5 b: Zweite Beratung und Schlussabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommen vom 29. Oktober 2001 zwischen den Europäischen Gemeinschaften und ihren Mitgliedstaaten einerseits und der Republik Kroatien andererseits - Drucksache 14/8981 ({65}) Beschlussempfehlung und Bericht des Auswärtigen Ausschusses ({66}) - Drucksache 14/9271 Berichterstattung: Abgeordnete Monika Heubaum Karl Lamers Christian Sterzing Dr. Helmut Haussmann Wolfgang Gehrcke Zweite Beratung und Schlussabstimmung. Der Auswärtige Ausschuss empfiehlt auf der Drucksache 14/9271, den Gesetzentwurf anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Es haben sich alle erhoben, damit ist der Gesetzentwurf einstimmig angenommen. Nun rufe ich Zusatzpunkt 6 auf: Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN Haltung der Bundesregierung zu den Auswirkungen aktueller Vorschläge zum Umbau der Sozialversicherungssysteme auf die Höhe der Rentenbeiträge und die Gesundheitsversorgung der Bürger Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Parlamentarische Staatssekretärin Gudrun Schaich-Walch.

Gudrun Schaich-Walch (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001939

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In einer Zeitung von heute sagt Herr Seehofer: Wir wollen die Abgabenlast verringern. Gleichzeitig will er - durch Selbstbehalte den Krankenkassen Mittel entziehen. Daneben wird in dem Artikel gesagt, dass es keine Belastungen für Kranke geben soll. Da frage ich mich ernsthaft: Glauben Sie wirklich, dass die Menschen schon alles vergessen haben? Glauben Sie ernsthaft, dass die Leute vergessen haben, dass Sie in Ihrer Regierungszeit vor der Wahl von 1998 das Zuzahlungsvolumen von 1,2 Milliarden DM auf 5,4 Milliarden DM allein im Arzneimittelbereich erhöht haben? Glauben Sie, die Leute haben vergessen, dass Sie die Zuzahlungen insgesamt auf ein Volumen von 10 Milliarden Euro heraufgesetzt haben, die nur die Kranken erbringen müssen, niemand sonst? Das Zweite, was die Menschen sicherlich nicht vergessen haben, auch wenn Sie ihnen versprechen, alles werde prima werden, sind die Leistungsausgrenzungen. Im Augenblick beschäftigen wir uns im Bundestag damit, was mit den Mütterkuren und in den Kurorten passiert ist. Wir sind doch gerade dabei, all dies zu reparieren. Dies schließt auch die Streichungen beim Krankengeld ein. ({0}) Schauen wir uns einmal an, was Sie jetzt anbieten. ({1}) Sie bieten Wahltarife und Selbstbehalte an und legen damit letztendlich die Axt an das Solidarsystem. ({2}) Sie wissen sehr genau - das werfe ich vielen, die hier sitzen, vor -, dass dies ein Angebot für Junge, Gesunde und Singles ist. Nur wenn jemand gesund und jung ist und keine Familie mit Kindern hat, wird er Leistungen abwählen oder sich für einen Selbstbehalt entscheiden können. Vizepräsidentin Anke Fuchs Was wird dabei herauskommen? Untersuchungen belegen, dass circa ein Drittel der Versicherten so gut wie keine Leistungen in Anspruch nimmt. An diese Gruppe richtet sich Ihr Angebot. Man kann davon ausgehen, dass die Menschen nur dann einen Selbstbehalt wählen, wenn es sich im Hinblick auf die zu zahlenden Gesamtbeiträge lohnt. Man geht davon aus, dass ein Monatsbeitrag von schätzungsweise 1 100 Euro erstattet oder gleich einbehalten wird. Wissen Sie, was das bei einer Gruppe dieser Größe bedeutet? Den Krankenversicherungen werden circa 6 Milliarden Euro fehlen, mit denen sie bisher chronisch Kranke, Alte und Familien versorgen konnten. ({3}) Mit dieser Abwahl steigen sie aus. Wenn wir Sie dann fragen - in diesem Fall hat das ein Journalist für uns gemacht -, ob sie dann, wenn sie älter oder krank werden, wieder einsteigen dürfen - möglicherweise sind sie eines Tages Diabetiker -, dann sagt Herr Seehofer: Die Optionen müssten begrenzt werden, sonst gibt es Verwerfungen. Wie sollen sie denn begrenzt werden? Am Ende bleibt die Botschaft: Einmal abgewählt, Pech gehabt. Oder zahlt dann doch die Gemeinschaft, der man vorher die Solidarität vorenthalten hat? Wie sieht es mit Ihren weiteren Vorschlägen aus? Sie schlagen vor, die versicherungspflichtigen 630-MarkJobs wieder aufzugeben. Dies bedeutet, dass zu den 6 Milliarden Euro, die ich eben aufgezeigt habe, nochmals 1,5 Milliarden Euro fehlen werden. ({4}) Der nächste Vorschlag lautet, 1 Milliarde Euro mehr für neue Ärzte im Krankenhaus. Das ist alles ganz wunderbar und löblich. Wir sind hier bereits mit 100 Millionen jährlich gestartet. Das ist verkraftbar. Aber Sie sprechen von 1 Milliarde. Wenn dann gefragt wird, wie diese Milliarde finanziert werden soll, heißt es: Das kann man durch Einsparungen bei unwirtschaftlichen Ausgaben machen. Ich frage Sie ernsthaft, wo solche Einsparungen vorgenommen werden sollen, da Sie in den letzten Wochen und Monaten ständig behauptet haben, dieses Gesundheitssystem sei ausgepresst wie eine Zitrone. Haben wir nun Unwirtschaftlichkeit und Einsparpotenziale oder nicht? ({5}) Bevor Sie mit einem Wahlprogramm auftreten, sollten Sie erst einmal für sich selbst abklären, was Sache ist. ({6}) - Das sage ich Ihnen jetzt. Niemand in diesem Land will den Ausstieg aus der solidarischen Krankenversicherung. ({7}) Niemand in diesem Land braucht den Ausstieg aus der sozialen Krankenversicherung. ({8}) Wir brauchen aber mehr Prävention. ({9}) Sie haben sie 1997 abgeschafft. ({10}) Wir haben sie 1998 wieder installiert. ({11}) Wir brauchen weiterhin mehr Qualität. Wir werden am 1. Juli mit strukturierten, qualitätsgesicherten Behandlungsprogrammen für Diabetiker starten und im Jahr 2003 auch mit Vorsorgeuntersuchungen von hoher Qualität und mit einem Brustkrebsscreening für Frauen. Gleichzeitig werden wir auch bei der Behandlung von Brustkrebs für eine Qualität nach internationalem Standard sorgen. Wir brauchen mehr Transparenz. ({12}) In Rheinhessen läuft zurzeit ein Modellversuch. Patienten bekommen eine Quittung und können sehen, was passiert ist. Wir werden am Ende sehen können, wie wir das zu bewerten haben. ({13}) Wir werden die Patientenkarte bekommen; die Vorbereitungen dazu sind nahezu abgeschlossen. Dann können alle Patienten, wenn sie es möchten, ihre Daten sehen. Sie können sehen, was passiert ist, was geleistet und was abgerechnet wurde. Man kann auch sehen, welche Behandlungsschritte durchgeführt und welche Arzneimittel verordnet wurden. Das verstehe ich unter Qualitätssicherheit und Transparenz. Was brauchen wir sonst? Brauchen wir das, was Sie unter Wettbewerb verstehen? Brauchen wir Wettbewerb um den niedrigsten Beitragssatz? Brauchen wir Wettbewerb, damit sich einer, der es sich leisten kann, weil er jung und gesund ist, aus dem System verabschiedet? Diese Form des Wettbewerbs hatten wir in den letzten zwei Jahren massiv. Dadurch haben uns jährlich Milliardenbeträge gefehlt, die wir zur Versorgung von chronisch Kranken benötigt hätten. ({14}) Was haben Sie jetzt anzubieten? Sie bieten im Prinzip in einer etwas veränderten Form das Gleiche an, was wir mühsam repariert haben. Was wir brauchen, ist Wettbewerb um Qualität; das sichern wir mit den strukturierten Behandlungsprogrammen für Chroniker. Wir brauchen weiterhin Wettbewerb bei der Leistungserbringung. Das werden wir dort, wo es möglich und verantwortbar ist, einheitlich und gemeinsam den Krankenkassen aufgeben. ({15}) Wir brauchen weiterhin Wettbewerb mit mehr Qualität durch eine bessere Abstimmung zwischen ambulanter und stationärer Behandlung. Das heißt, es wird neben den Kollektivverträgen auch Einzel- und Gruppenverträge geben. Wenn wir diese Punkte - Prävention, Qualität, Transparenz, Wettbewerb um Qualität - aufgreifen, werden wir auch mehr Effizienz erzielen. Im Krankenhausbereich haben wir damit bereits begonnen. Wir haben dort ein Preisund Leistungssystem gesetzlich vorbereitet, in dem auch kleine Krankenhäuser berücksichtigt werden. Sie versprechen die Besitzstandwahrung für alle kleinen Krankenhäuser. Das ist das nächste unredliche Versprechen. Dazu muss ich fragen: Was ist mit manchem kleinen Krankenhaus, bei dem einfach die Qualität gar nicht mehr gegeben ist, weil die Leistung so selten vorkommt? ({16}) Ich frage aber auch: Was ist mit kleinen Krankenhäusern, die wir für eine Notfallversorgung in der ländlichen Fläche brauchen? ({17}) Für diesen Bereich haben wir Sonderzahlungen vorgesehen, damit sie bleiben. Ich kann aber nicht einfach die Garantie geben: Es bleibt alles immerzu und ewig. Ich muss mich an verschiedenen Punkten orientieren. Wenn man Stabilität erreichen will, geht das letztendlich nur über mehr Qualität. ({18})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Bevor ich dem Kollegen Dr. Wolf Bauer für die CDU/CSU-Fraktion das Wort erteile, möchte ich der Gesundheitsministerin zu ihrem heutigen Geburtstag gratulieren. ({0}) Wir wünschen Ihnen Glück und Erfolg, aber natürlich auch Gesundheit. Herr Dr. Bauer, Sie haben das Wort.

Dr. Wolf Bauer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000108, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen! Meine Herren! Ich möchte natürlich auch Geburtstagsgrüße überbringen und Ihnen vor allem gute Besserung wünschen. Ich glaube, Sie haben im Moment ein paar Probleme. Alles Gute, damit Sie bald wieder mit voller Schaffenskraft unter uns sein können. Für mich als Gesundheitspolitiker ist schon äußerst interessant, dass die Koalitionsfraktionen das Thema ihrer Aktuellen Stunde kurzfristig geändert haben. Ganz offensichtlich haben sie in letzter Minute eingesehen, dass eine Diskussion über „aktuelle Vorschläge, die im Ergebnis zur Einführung einer Zweiklassenmedizin führen“, ein Eigentor geworden wäre. Denn nicht aktuelle Vorschläge, sondern eine verfehlte Gesundheitspolitik der rot-grünen Bundesregierung hat es bereits geschafft, dass nicht mehr viel bis zum Erreichen einer Zweiklassenmedizin fehlt. ({0}) Mit Recht empört sich der Vizepräsident des Sozialverbandes Deutschlands, Sven Picker, darüber, dass - ich zitiere diese Zweiklassenmedizin nicht mehr länger hinnehmbar ist. Es ist ein Unding, dass die Billigmedikamentpflicht nur für Kassenpatienten gelten solle. Leider muss man Sven Picker Recht geben; denn Ihre Gesundheitspolitik muss nahezu zwangsläufig zu einer Zweiklassenmedizin führen. Dank Ihrer Gesetzgebung ist die Gesundheitsversorgung der Bevölkerung - sprich: speziell der GKV-Versicherten - heute geprägt durch Vorenthalten von Leistungen, Verschieben von Operationen, Verschreiben nur noch des Billigsten, und das alles bei steigenden Beitragssätzen. ({1}) - Sie können so viel dazwischenreden, wie Sie wollen, es ist nun einmal so. Sie können auch gern einmal nach draußen gehen und die Menschen fragen. ({2}) - Ich sage Ihnen gleich, was durch Wiederholen nicht wahrer wird. Das ist das Ergebnis von nur vier Jahren rot-grüner Gesundheitsreformpolitik. Sie ist gescheitert. Und was weitere Jahre einer solchen konzeptlosen Politik bringen würden - um noch einmal auf das Thema der Aktuellen Stunde einzugehen -, hat die Bundesgesundheitsministerin selbst gesagt. Sie will die Leistungen der GKV an ihre Mitglieder weiter zusammenstreichen. Auf dem Weltgesundheitstag in Leipzig erklärte sie - ich zitiere -, dass besondere Leistungen wie Mutterschaftsgeld, Sterilisation, künstliche Befruchtung, Krankengeld bei Erkrankung des Kindes und Sterbegeld künftig nicht mehr von der Kasse gezahlt werden sollten. Das ist der Weg in die Zweiklassenmedizin. Mittlerweile pfeifen die Spatzen von den Dächern, dass bisher alle Reformvorhaben der Bundesgesundheitsministerin erfolglos geblieben sind. So wundert es nicht, dass sich Nervosität im Regierungslager breit macht. Dass allerdings allein schon das Ende der krankheitsbedingten Abwesenheit von Horst Seehofer ausreicht, die BundesParl. Staatssekretärin Gudrun Schaich-Walch gesundheitsministerin kopflos werden zu lassen, ist bemerkenswert. ({3}) Man muss sich überlegen, was in der Pressemitteilung vom 10. Juni alles verkündet wurde. Auf nur drei Seiten Ministerinpapier standen sechs Unwahrheiten. Diese Unwahrheiten sind heute wiederholt worden. Sie werden aber durch permanentes Wiederholen nicht wahrer. ({4}) So weiß ich zum Beispiel nicht, woher die Gesundheitsministerin die Erkenntnis hat, dass bei der Union - ich zitiere - „fast alles zur Disposition stehen“ solle. Für Leistungsbereiche wie Krankenhausbehandlung, ambulante ärztliche Versorgung und Arzneimitteltherapie wird es mit uns keine Abwahlmöglichkeit geben. Was wir wollen - und das ist richtig; das wollen auch die Versicherten -, ist, mehr Eigenverantwortung in das System zu bringen. ({5}) Wir wollen, dass die Versicherten über den Umfang ihres Versicherungsschutzes mitbestimmen können. Es war eine Bestätigung unserer Politik - das fand ich prima -, dass die Staatssekretärin vorhin gesagt hat, niemand im Land wolle den Ausstieg aus der Solidargemeinschaft. Also kann man uns das letztlich nicht vorwerfen; noch sind wir auch Bürger dieses Landes. ({6}) Ich wäre jetzt gern noch auf die Arzneimittelversorgung und ähnliche Probleme eingegangen. Es ließe sich viel sagen. Da die Redezeit aber zu Ende geht, möchte ich nur feststellen, dass wir, die CDU/CSU, im Gegensatz zur rot-grünen Bundesregierung und zu den sie tragenden Koalitionsfraktionen ein in sich schlüssiges Gesamtkonzept für die Gesundheitspolitik haben. So wie es in unserem Regierungsprogramm 2002/2006 steht, wollen wir - ich zitiere ein Gesundheitswesen, das dem medizinischen Fortschritt verpflichtet bleibt und das allen Versicherten unabhängig von deren Einkommen, Alter, Art der Krankheit oder Familienstand zugute kommt. Das ist unser Ziel. Und, meine Damen, meine Herren, wir werden es erreichen, auch wenn noch öfter alle Roten und alle Grünen zusammen mit Falschdarstellungen und Verleumdungen versuchen, uns daran zu hindern. ({7})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht jetzt die Kollegin Katrin Göring-Eckardt.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003132, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Nachdem ich der Ministerin - sie ist noch da - herzlich gratuliert habe - alles Gute, liebe Ulla Schmidt -, will ich am Anfang meiner Rede sehr deutlich sagen, dass nicht die Rückkehr von Horst Seehofer Ausschlag zu irgendetwas gegeben hat. Ich freue mich von ganzem Herzen über seine Rückkehr und bin froh, dass er wieder gesund ist. Das will ich an dieser Stelle ausdrücklich sagen. Die Äußerungen, die Horst Seehofer nicht allein in die Welt gesetzt hat, sondern auch Friedrich Merz und andere, sind Anlass dieser Debatte. Es geht dabei nicht um Kopflosigkeit unsererseits. ({0}) Ich bin froh darüber, dass ich jetzt verstanden habe, was es mit dem Kompetenzteam auf sich hat. Im Kompetenzteam sind Leute, die das, was im Wahlprogramm der Union steht, in irgendeiner Weise revidieren müssen. Erst war es Lothar Späth, jetzt ist es Horst Seehofer. Wolfgang Schäuble ist, wenn man an seine Vorschläge zur Bundeswehr denkt, auch in dem Team. Wenn man sich das einmal genau anschaut, erkennt man, dass es eine Art Wiederkehr der Kohl-Köpfe auf niedrigem Niveau ist. ({1}) Es ist so, weil sich nichts geändert hat. In der „Süddeutschen Zeitung“ lese ich: „Seehofer im Zick-ZackKurs“. Wahrscheinlich haben Sie alle das nicht gelesen, weil es nicht in der Zeitung von heute, sondern in der vom 24. Februar 1997 steht. ({2}) Ich zitiere: Seehofer ist unter Druck geraten, er steuert einen unbegreiflichen Zick-Zack-Kurs. Eine Flut von neuen Gesetzen hat in den letzten Monaten Verwirrung gestiftet, einiges im System aus dem Lot gebracht und die Patienten über Gebühr belastet. Die zunächst favorisierte Positivliste ({3}) wurde gestrichen, die Verzahnung zwischen ambulanter und stationärer Behandlung fehlt nach wie vor. Den Ärzten drohte Seehofer mit der Peitsche, jetzt lockt er sie mit Zuckerbrot: Er lockert die Zulassungsbeschränkung und hebt die Ausgabenbegrenzung für Arzneimittel auf, obwohl die Defizite der Kassen genauso hoch sind wie 1992. Meine Damen und Herren, das ist 1997 unter der Überschrift „Seehofer im Zick-Zack-Kurs“ sozusagen zu Protokoll gegeben worden. Ich habe den Eindruck, dass sich daran wirklich nicht viel geändert hat. Das, was Sie wirklich vorhaben, haben Sie uns ja präsentiert. Das müssen Sie den Wählerinnen und Wählern dann aber auch klar sagen. ({4}) Jemand, der die Erhöhung der Rentenbeiträge erst fordert und diese Forderung dann wieder dementiert, muss schon erklären, wie er das Defizit, das dann, wenn die letzte Stufe der Ökosteuer nicht in Kraft gesetzt wird, entsteht, ausgleichen will. Die Verbesserung der Konjunktur soll wie Manna vom Himmel fallen. In Ihrem Programm wird alles damit begründet, dass sich die wirtschaftliche Entwicklung schon verbessern werde und dass man damit alles finanzieren könne. ({5}) Sie wollen die Einstellung von Klinikärzten, den Wegfall der Ökosteuereinnahmen und offensichtlich auch noch das Wohl der ganzen Welt damit finanzieren. Ich bin davon überzeugt, dass die Wählerinnen und Wähler auf solche Dinge nicht mehr hereinfallen. Dazu kennen Sie euch noch zu genau. ({6}) Was haben Sie noch vor? Sie wollen den Einstieg in das Optionsmodell. Ich habe versucht, mir das vorzustellen. ({7}) Sie sagen selbst, dass das so ähnlich wie bei der Kraftfahrzeugversicherung laufen soll. Ich finde - das habe ich hier schon einmal gesagt -, dass Patienten bzw. - allgemein - Menschen keine Autos sind. Bleiben wir aber in diesem Bild: Jemand, der nicht viel Geld hat, wird den billigeren Beitrag auswählen. Er versichert also nur einen Teil. Viele Studenten fahren mit einer alten Kutsche durch die Gegend. Wenn sie irgendwann einen Unfall bauen, fahren sie eben eine Weile mit Beulen durch die Gegend. Ich möchte nicht, dass Patientinnen und Patienten, also Kranke, in diesem Land mit Beulen durch die Gegend laufen, weil sie sich die Gesundheit nicht leisten können. ({8}) Das ist der Unterschied zwischen Ihnen und uns. Das werden die Wählerinnen und Wähler merken und dann auch entsprechend entscheiden. ({9}) Horst Seehofer hat gesagt, er brauche einen Beirat aus Ärzten. Ich sagen Ihnen: Jemand, der den runden Tisch von Ulla Schmidt auf eine Art und Weise, die aus meiner Sicht schon nicht mehr redlich war, kritisiert hat und jetzt sagt, man brauche einen Beirat aus Ärzten, betreibt Lobbypolitik. ({10}) Es geht im Gesundheitswesen nämlich darum, dass nicht eine Gruppe irgendetwas bestimmt. Das hatten wir in den letzten Jahren der Kohl-Regierung. Mit starker Unterstützung der FDP haben Sie damals genau diese Lobbypolitik betrieben. Die Apotheker dürften dann wahrscheinlich auch noch mitberaten. ({11}) Wir wollen - das haben wir auch erreicht -, dass alle, nämlich die Ärzteschaft, die Apothekerschaft, die Krankenkassen und vor allem die Versicherten und die Patientinnen und Patienten, von deren Blickwinkel aus wir die Gesundheitspolitik betrachten, an einem Tisch sitzen. Das ist der Unterschied zwischen Ihnen und uns. Das werden die Wählerinnen und Wähler am 22. September merken. ({12}) Ich bin froh, dass hinsichtlich der Beitragserhöhungen und der Verschlechterung der Versorgung die Katze aus dem Sack ist. Jetzt wissen wenigstens alle, zwischen welchen Optionen sie sich zu entscheiden haben. Vielen Dank. ({13})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Für die FDP-Fraktion erteile ich das Wort der Kollegin Dr. Irmgard Schwaetzer.

Dr. Irmgard Adam-Schwaetzer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002120, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Antrag auf Durchführung dieser Aktuellen Stunde vonseiten der rot-grünen Koalition zeugt von ihrer wachsenden Nervosität. ({0}) Dazu hat sie angesichts der miserablen sozialpolitischen Bilanz, die sie nach den letzten vier Jahren vorzulegen hat, allen Grund. ({1}) Eines kann ich Ihnen sagen: Sie argumentieren immer nur rückwärts gewandt. Die Wähler werden am 22. September über die vier Jahre Ihrer Politik entscheiden. ({2}) Nicht die Zeit vor 1998, sondern 2002 steht die rot-grüne Koalition zur Wahl. Ich will Ihnen einfach nur ein paar Zahlen aus dieser Bilanz nennen. Die gesetzlichen Krankenkassen hatten 1998 einen Überschuss von ungefähr 1,2 Milliarden Euro. ({3}) Sie haben 2001 ein Defizit von 2,8 Milliarden Euro. Das heißt, Sie haben innerhalb der letzten vier Jahre durch Ihre Beschlüsse schlicht und ergreifend 4 Milliarden Euro verspielt. ({4}) Sie müssen mit einer Zahl von 4 Millionen Arbeitslosen in diesen Wahlkampf gehen, obwohl Ihr Kanzler 3,5 Millionen Arbeitslose angekündigt hatte. Was noch schlimmer ist: Im Gegensatz zu 1998, als ab Mai die Zahl der Arbeitslosen unter die Zahl des Vorjahres sank, steigt bei Ihnen im Vergleich zum Vorjahr die Zahl der Arbeitslosen. Das heißt, Ihre Wirtschaftspolitik hat außer Kostensteigerungen und Arbeitslosen nichts bewirkt. ({5}) Das werden Ihnen die Wählerinnen und Wähler nicht durchgehen lassen. ({6}) Keiner redet mehr darüber, dass Sie im Jahr 2002 die Rentenversicherungsbeiträge eigentlich auf 18,9 Prozent senken wollten. Das konnten Sie nicht, weil Ihre Rentenreform einfach nicht vernünftig und tief greifend genug war. Statt den Rentenbeitragssatz zu senken, mussten Sie ihn bei 19,1 Prozent halten, was im Endeffekt eine Erhöhung des Beitragssatzes gegenüber der Prognose darstellt. Ihre Wirtschaftspolitik bewirkt darüber hinaus, dass nach dem 22. September niemand auch nur im Ansatz so schnell daran denken kann, das wieder gutzumachen, was Sie alles in den Sand gesetzt haben, sodass eine Anhebung der Rentenbeiträge vorübergehend nicht ausgeschlossen werden kann. Aber was wichtig ist: Die Strukturreformen, die Sie vier Jahre lang nicht durchgeführt haben, müssen jetzt nicht nur in der Rente, sondern selbstverständlich auch in der Gesundheitspolitik angepackt werden. Die Frau Parlamentarische Staatssekretärin hat sich hier über zehn Minuten lang nur mit dem beschäftigt, was die Union vorschlägt. ({7}) - Meinetwegen waren es neun Minuten. Dann hat sie sich acht Minuten mit dem beschäftigt, was die Union vorschlägt, und eine Minute mit dem, was Sie selber machen wollen. ({8}) Dabei sind gerade in den letzten Monaten Ihrer Regierungszeit die durchschnittlichen Beitragssätze in der gesetzlichen Krankenversicherung von 13,5 auf 14 Prozent gestiegen. Sie versuchen, die Wählerinnen und Wähler über Ihre Absichten zu täuschen, indem Sie einfach Schlagworte in die Welt setzen und dies als ein Konzept verkaufen. Sie sagen aber nicht konkret, was Sie tun wollen. Zu dem einzigen Punkt, den Sie konkret genannt haben, nämlich die strukturierten Behandlungsprogramme für chronisch Kranke ({9}) - das muss man machen; das sehen wir genauso -, sagen die Ärzte, die das machen sollen, dass das so viel Bürokratie verursachen wird, dass dies vom Ansatz her verfehlt ist. ({10}) Das ist ein Kennzeichen Ihrer Gesundheitspolitik: Sie denken nicht wirklich daran, wie Sie die Selbstverantwortung der Menschen stärken können, sondern Sie wollen neue Institutionen mit mehr Bürokratie. Das ist das Einzige, worüber Sie nachdenken. Die FDP will in der Tat einen völlig anderen Weg gehen, ({11}) der übrigens Zustimmung bei den Patienten findet. ({12}) Wettbewerb muss im gesamten Gesundheitssystem konsequent durchdekliniert werden. Wenn man das nicht macht, dann wird es besonders teuer. Deswegen ist der wettbewerbsorientierte Weg auf jeden Fall richtig. Warum sollen denn die Menschen den Umfang ihrer Versorgung nicht selber bestimmen? ({13}) Sie wollen sie bevormunden. Wir wollen dagegen die Selbstverantwortung stärken. Sie werden sehen: Die Menschen wollen Selbstverantwortung haben. ({14}) - Ich komme sofort zum Schluss. - Das ist der Weg aus der Zweiklassenmedizin, den Sie - und nicht irgendjemand anders - mit der Budgetierung gegangen sind. Sie müssen aus Kostengründen letztlich den Patienten Leistungen vorenthalten, weil die Budgets ausgeschöpft sind. Das ist ein Irrweg. Wir werden das ändern. ({15})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Für die PDS-Fraktion spricht jetzt die Kollegin Dr. Ruth Fuchs.

Dr. Ruth Fuchs (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000615, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich denke, wer uns heute zuhört, hat sehr schnell erkannt und begriffen, welches der tatsächliche Anlass der heutigen Aktuellen Stunde ist. Es ist Wahlkampf und Horst Seehofer hat zum falschen Zeitpunkt unvorsichtiger- und unbedachterweise die Wahrheit über die zukünftige Entwicklung der Rentenbeiträge und über einige sensible Bereiche der Gesundheitspolitik gesagt. Mit der Wahrheit ist es aber so eine Sache: Jeder hat seine und vor allem in Wahlkampfzeiten scheint sie für diejenigen, die an die Macht wollen, das bestgehütete Geheimnis zu sein. So gesehen bin ich Herrn Seehofer für seine Meinungsäußerung sehr dankbar. Auch wenn er auf höheren Befehl hin seine Aussagen korrigieren musste, ist trotzdem eines erreicht worden - das finde ich sehr gut -: Die Öffentlichkeit ist durch die Medien lange nicht mehr so gut und ausführlich über die Wahlversprechen der Parteien und das, was hinter ihnen steckt, informiert worden wie durch die so genannten unvorsichtigen Worte des Sozial- und Gesundheitsexperten Seehofer. Seine Einschätzung, dass die Sozialversicherungssysteme zunehmend in Finanznot gerieten, wenn die Massenarbeitslosigkeit nicht konsequent zurückgedrängt werden könne, ist richtig. Er hat nur vergessen, Folgendes zu sagen: Mit den Vorschlägen der Union, auf die letzte Stufe der Ökosteuer ersatzlos zu verzichten und den Niedriglohnsektor massiv auszubauen, kommt kein Geld in die Rentenkassen. Im Gegenteil: Dem Rentensystem werden Einnahmen entzogen. Wenn Stoiber dann noch verkündet, die Ruhestandsgehälter ungeschmälert zu lassen, dann würde das automatisch zu höheren Rentenbeiträgen führen. Der Kollege Blüm hat in der Debatte am letzten Donnerstag, in der es um die Zukunft der Sozialversicherungssysteme ging, eigentlich klare und deutliche Worte dazu gesagt. Schade ist nur, dass in der Union anscheinend niemand mehr auf ihn hört. Ich weiß, dass die PDS damals dem demographischen Faktor in Blüms Rentenkonzept sehr kritisch gegenüberstand. Aber im Vergleich zu dem, was die Union für die Zukunft der Rentenversicherung anzubieten hat und was Rot-Grün als RiesterRente verkauft, war Blüms Rentenkonzept das kleinere Übel. Nun ein paar Worte zu dem Problem in der gesetzlichen Krankenversicherung. Diesbezüglich hat Kollege Seehofer, als er gesund in die Politik zurückgekehrt ist, durchaus einige Wahrheiten ausgesprochen. Wenn er sagt - ich zitiere aus der Ausgabe der „Welt“ vom 10. Juni -: „Viel zu sehr haben wir uns als Politiker um die finanziellen Probleme des Systems gekümmert und zu wenig um das medizinisch Notwendige“, dann kann ich daran nichts Falsches finden. ({0}) Natürlich ist es wahr, dass in den zurückliegenden Jahren, schon weit vor Rot-Grün, die Bürokratie im Gesundheitswesen unerträgliche Ausmaße angenommen hat. Sie ist für Ärzte und andere Beschäftigte im Gesundheitswesen zu einer regelrechten Qual geworden. Hier etwas zu verändern sollte unser aller Anliegen sein. Nur, das Problem ist Folgendes: Die Einsichten von Herrn Seehofer bewirkten nicht, auch andere grundlegende Fehlvorstellungen der Union in der Gesundheitspolitik kritisch zu bewerten. Im Gegenteil: Auch er will den Patienten „mehr Gestaltungsspielraum geben“. Das hört sich gut an, um nicht zu sagen: Es ist sogar verführerisch. - Zur Wahrheit gehört dann aber auch, zu erklären, was sich tatsächlich dahinter verbirgt. In der Realität heißt das für die Versicherten: Die Union will erneut steigende Zuzahlungen und Selbstbeteiligungen einführen. Allerdings werden sie jetzt unter dem schönen Begriff einer größeren Wahlfreiheit der Versicherten angeboten: Versicherte sollen über den Umfang ihres Versicherungsschutzes eigenverantwortlich entscheiden können. Was das bedeutet, ist von der Parlamentarischen Staatssekretärin gesagt worden; ich brauche das nicht zu wiederholen. Ich bekräftige nur noch eine Feststellung von ihr: Junge und gesunde Versicherte werden dies vielleicht gut finden, aber das Solidarsystem setzen Sie damit aufs Spiel. - Da können Sie, lieber Kollege Bauer, das Gegenteil behaupten. In der Praxis ist es so. Ich nenne Ihnen noch ein Beispiel dafür, dass Sie das Solidarsystem infrage stellen. Mit dem Ansinnen, Versicherten ein Wahlrecht zwischen Sachleistungs- und Kostenerstattungsprinzip einzuräumen, zerstören Sie - da beißt die Maus keinen Faden ab; das ist so - die Solidargemeinschaft. ({1}) Wie sagte Ihr Kollege Norbert Blüm in der Debatte am letzten Donnerstag von diesem Platz aus? Ich zitiere: Der Sozialstaat muss verteidigt werden. Er ist ein kultureller und wirtschaftlicher Stabilisator... ({2}) Marktwirtschaft ist ohne Sozialstaat überhaupt nicht möglich. ({3}) Meine Damen und Herren von der Union, wo er Recht hat, hat er Recht. Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. ({4})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Regina Schmidt-Zadel.

Regina Schmidt-Zadel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002026, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Botschaften der letzten Tage - einige sind heute aus allen möglichen Presseorganen zitiert worden - haben uns gezeigt, dass alte gesundheitspolitische Zöpfe wieder aus der Versenkung geholt werden. Wir, aber auch die Wählerinnen und Wähler würden mittlerweile allzu gern wissen, wohin in Ihrer Partei gesundheitspolitisch der Hase wirklich läuft. ({0}) Sie überbieten sich mittlerweile in Bekenntnissen zum Solidarprinzip. Die Botschaft hör ich wohl, allein mir - nicht nur mir allein - fehlt der Glaube. ({1}) In Wahrheit reden Sie nämlich der Entsolidarisierung das Wort. Wer Wahltarife propagiert, weiß ganz genau, dass er kranken Menschen mehr Geld aus der Tasche holt. ({2}) Das wollen Sie tun. Das entspricht nicht dem Solidarprinzip. Oberflächlich betrachtet mag die Begründung für das Wahltarifmodell ohne weiteres einleuchten. Der mündige und souveräne Krankenversicherte soll selbst entscheiden - so sagen Sie ja -, ob er den standardisierten Versicherungsschutz von der Stange haben will oder eine maßgeschneiderte individuelle Vorsorge betreiben will. Wer von uns tritt nicht für möglichst viel Freiheit ein? Aber die Zeche für die Freiheiten, die Sie in Ihrem Wahlprogramm propagieren, meine Damen und Herren, zahlen die Kranken, zumal die chronisch Kranken, die bitter dafür büßen müssen. ({3}) Anders als das Alter ist Krankheit eben nicht planbar. Das ist der große Unterschied, den Sie nach all den vielen Jahren immer noch nicht begriffen haben. Nur Junge und Gesunde können es riskieren, Wahloptionen auszuüben. Sie dürfen dafür, wie Sie sagen, mit Beitragsnachlässen belohnt werden. ({4}) Dann käme weniger Geld ins System, die Gesundheitskosten sänken jedoch nicht, sie stiegen und das Ende vom Lied wäre: Die Kranken müssen zwangsläufig eine größere Last schultern, wiederum vor allem die chronisch kranken Menschen. Wahltarife - darauf will ich besonders hinweisen - sind auch frauen- und familienfeindlich. ({5}) Weiter sagen Sie, dass Sie den jungen, gesunden und gut verdienenden Versicherten mehr geben wollen. Sie sollten ihnen aber reinen Wein darüber einschenken, dass eine Abwahl von Leistungen sie teuer zu stehen kommen kann. Wer im vorgerückten Lebensalter die abgewählten Leistungen in der privaten Versicherung haben will, wird dafür viel Geld lockermachen müssen. Das Äquivalenzprinzip enthält nun mal keine sozialen Komponenten. ({6}) Mit Ihrem Wahlprogramm leiten Sie den Einstieg in den Ausstieg aus dem Solidarprinzip ein. Sie legen mit der Beschwörung des Solidarprinzips ständig nur Lippenbekenntnisse ab. Das ist Ihr Programm. ({7}) Ihr Fraktionsvorsitzender, Herr Merz, ist in diesem Punkt weitaus offener. Er will den GKV-Versicherten zwei Monatsbeiträge erstatten lassen, wenn sie ein Jahr lang keine Leistungen in Anspruch nehmen. ({8}) Davon, was das bedeutet, können viele sicherlich aus eigener Erfahrung ein Lied singen. ({9}) Allzu oft kehren Krankheiten, die nicht rechtzeitig behandelt werden, mit voller Härte zurück; ({10}) das wirkt sich auch auf das Solidarprinzip aus. ({11}) - Ich würde nicht darüber lachen, Frau Schwaetzer. Über das, was Sie den Versicherten heute geboten haben, sollten viele einmal nachdenken. ({12}) Das Geld wird aber gebraucht, um die Gesundheitsausgaben zu bezahlen. Wer wird wohl sein Scherflein beisteuern müssen, damit die Krankenkassen ihre Aufgaben erfüllen können? Die Antwort kennen wir alle: die Kranken. 20 Prozent der Versicherten verursachen 80 Prozent der Gesundheitskosten. Sagen Sie doch den mehr als 14 Millionen Betroffenen - vor allem den chronisch kranken Menschen, darunter viele Rentnerinnen und Rentner -, dass die CDU/CSU ihnen nicht nur für ihre Krankenversicherung, sondern auch für ihre Gesundheit mehr Geld aus der Tasche ziehen will. Das ist nämlich das, was Sie wollen. ({13}) Sie diskreditieren das Solidarprinzip, das aber - darauf weise ich ausdrücklich hin - kranken Menschen noch immer ohne Rücksicht auf ihren Geldbeutel den Zugang zu den medizinisch notwendigen Leistungen öffnet. Wir werden weder eine Zweiklassenmedizin noch eine Zuzahlungs- und Wartelistenmedizin dulden. Dabei soll es bleiben und dabei wird es auch nach dem 22. September bleiben. ({14})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Ulf Fink.

Ulf Fink (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002651, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! ({0}) Die SPD unternimmt den untauglichen Versuch, etwas für ihren Wahlkampf zu erreichen, indem sie ein Bild von Vorschlägen der Union malt, wie sie von der Union in keiner Weise gemacht worden sind, bei dem es sich also um ein reines Zerrbild handelt. ({1}) Dieser Versuch wird jedoch scheitern. ({2}) Es ist deutlich erkennbar, dass es die Union war, die das System der solidaren Sicherung in der Bundesrepublik Deutschland geschaffen hat. Nicht Sie, sondern wir waren das. ({3}) Ich muss Ihnen nun vorwerfen, ({4}) dass Sie in den vier Jahren, in denen Sie Regierungsverantwortung getragen haben, mit dem Sozialsystem, das wir Ihnen überlassen haben, Schindluder getrieben haben. ({5}) Das kann ich Ihnen auch beweisen. Dass zum ersten Mal in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland die Menschen die Erfahrung gemacht haben, wie eine Zweiklassenmedizin aussieht, ist ein Menetekel für Ihre Politik. Lassen Sie mich die Zahlen nennen: Mehr als ein Drittel der gesetzlich krankenversicherten Patienten haben die notwendigen Medikamente nicht erhalten, weil Sie das System der Budgetierung der Arzneimittel eingeführt haben. ({6}) Nehmen wir einmal das Gebiet der Alzheimer-Erkrankungen als Beispiel. Entsprechende Studien liegen vor. In diesem Bereich gibt es die modernen AChE-Hemmer, die ermöglichen, dass an Alzheimer Erkrankte länger selbstständig bleiben. Damit kann die Einweisung in Pflegeheime um mindestens ein Jahr hinausgezögert werden. 18 Prozent der gesetzlich Krankenversicherten mit einer entsprechenden Erkrankung bekamen im Jahr 1999 diese Medikamente. Bei den privat Krankenversicherten hingegen hat mehr als ein Drittel diese modernen Medikamente bekommen. Nehmen wir weiter das Gebiet der an Schizophrenie Erkrankten. Bekanntlich sind die modernen atypischen Neuroleptika für die Behandlung von Schizophrenen sehr viel besser geeignet als die der alten Generation. ({7}) Wie sieht es mit der Anwendung aus? Der Einsatz moderner Neuroleptika macht in Spanien 20 Prozent aus, in Italien 40 Prozent, in den USA 60 Prozent und in der Bundesrepublik Deutschland bei den gesetzlich Krankenversicherten 10 Prozent. Das nenne ich eine Zweiklassenmedizin. ({8}) Friedrich Merz hat völlig Recht: Unter Ihrer Regierungsverantwortung ist es dazu gekommen, dass nur noch Sozialhilfeempfänger und privat Krankenversicherte eine erstklassige medizinische Versorgung erhalten, während für die anderen eine Zweiklassenmedizin gilt. Das ist Ihre Politik. ({9}) Ich hätte nie geglaubt, dass so etwas unter der Regierungsverantwortung von Sozialdemokraten in Deutschland passiert. Aber es ist wahr; es ist geschehen: Sie haben eine Zweiklassenmedizin bei uns eingeführt. ({10}) Ich nenne ein Gebiet, auf dem es keine Lobby gibt: die Pflegebedürftigen. Sie haben sich an der Kasse der Pflegeversicherung vergriffen - ich hätte es nicht für möglich gehalten, dass so etwas geschieht - und 400 Millionen DM der Pflegeversicherung entzogen, ({11}) damit der Herr Eichel seinen Etat sanieren kann. Sie haben das Geld den Pflegeversicherten geklaut. ({12}) Außerdem sind seit 1995 die Leistungen der Pflegeversicherung um keinen Pfennig angehoben worden. Sie haben nicht einmal Anstalten gemacht, diese Leistungen anzuheben. Stellen Sie sich einmal vor, es wäre bei Tarifverhandlungen oder bei den Renten passiert, dass den Menschen über Jahre hinweg kein Pfennig mehr gegeben wird. Sie aber haben das hier so laufen lassen, obwohl die Menschen wirklich dieser Leistungen bedürfen. Dann haben Sie in der Regierungserklärung groß angekündigt, Sie wollten etwas für die Demenzkranken tun. ({13}) Was haben Sie gemacht? Sie haben tatsächlich gewagt, es als Verbesserung darzustellen, dass Sie den Menschen pro Tag 1,31 Euro für die Betreuung von Alzheimerpatienten geben. Das nennen Sie Verbesserung? Was Sie da machen, ist ein Witz. ({14}) Nehmen wir einen dritten Punkt, die Versorgung in Krankenhäusern und die Urteile zur Arbeitszeit. Jeder weiß, es fehlen 10 000 bis 15 000 Stellen. Weil Sie es bisher nicht ermöglicht haben, diese Stellen zu besetzen, müssen Ärzte in der Konsequenz Überstunden bis zum Geht-nicht-Mehr leisten. Ärzte operieren noch, nachdem sie 30 Stunden im Dienst gewesen sind. Ursache dafür ist Ihre Politik. ({15}) Nehmen wir ein Weiteres, die Versorgung mit niedergelassenen Ärzten. Wir haben dafür gesorgt, dass die Menschen in Ostdeutschland nach dem Fall der Mauer endlich Zugang zu einer besseren medizinischen Versorgung bekommen haben. Sie haben es zugelassen, dass mittlerweile die Versorgung mit Hausärzten in Brandenburg, in Mecklenburg-Vorpommern und in Sachsen-Anhalt nicht mehr sichergestellt werden kann. ({16}) Treten Sie am 22. September ab! Es wird höchste Zeit. ({17})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Thea Dückert.

Dr. Thea Dückert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003071, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lassen Sie mich zu dieser Aktuellen Stunde zwei Vorbemerkungen machen, eine an Herrn Fink, eine an Frau Schwaetzer. Herr Fink, Kinder brauchen Märchen. Darüber haben wir heute Morgen in der Bildungsdebatte diskutiert. Diesem Parlament müssen aber keine Märchen, erst recht nicht Ihre, über den Zustand des Gesundheitssystems erzählt werden. ({0}) Frau Schwaetzer, Sie haben gesagt, Sie wollten hier keine Debatte, in der zum Beispiel über die Resultate Ihrer 24-jährigen Regierungstätigkeit diskutiert wird, denn diese Resultate würden hier gar nicht mehr zur Diskussion stehen. ({1}) Das ist ganz sicher richtig. Gucken wir uns dann doch einmal an, was Sie hier und heute vorgetragen haben, Frau Schwaetzer. ({2}) Sie haben zum Beispiel gesagt, dass der heutige Beitrag von 19,1 Prozent zur gesetzlichen Rentenversicherung eine Steigerung der Beiträge bedeuten würde. Dann haben Sie ganz leise hinzugefügt: gegenüber den Prognosen. ({3}) Wenn Sie hier redlich über die Situation unseres Sozialversicherungssystems sprechen würden, hätten Sie, Frau Schwaetzer, darauf hingewiesen, ({4}) dass wir im Jahre 1998 einen Rentenbeitrag von 20,3 Prozent übernommen haben und dieser heute bei 19,1 Prozent liegt. ({5}) Das ist keine Steigerung, es sei denn, man macht eine Milchmädchenrechnung auf, sondern eine Senkung der Rentenversicherungsbeiträge. ({6}) Gerade was die Zukunft der Sozialversicherungssysteme anbelangt, führen Sie hier also eine unredliche Debatte; deswegen werde ich zu den weiteren Punkten, die Sie hier vorgetragen haben, nicht mehr viel sagen. Am Anfang dieser Woche wurde das Kompetenzteam von Herrn Stoiber, das so genannte S-Team, um Herrn Seehofer - zuständig für den Bereich der Sozialversicherung - erweitert. Dies ist eine neue Variante des Wahlkampfspiels. Das Spiel heißt: Heute verspreche ich das eine, morgen nehme ich es wieder zurück. Wir kennen die Beispiele: Im Hinblick auf die Steuerreform wurde erst gesagt, man werde sie vorziehen. Dann sagte Herr Merz, das gehe so nicht. In der Debatte über die Sozialversicherungsbeiträge wurden wie bei der Staatsquote und beim Spitzensteuersatz 40 Prozent versprochen. ({7}) Dann ruderte Herr Späth zurück und sagte: Schauen wir erst einmal, wie es so läuft; Wahlprogramme sind sowieso nicht so wichtig. Heute gibt es eine Neuauflage durch Herrn Seehofer, der allerdings nichts versprochen, sondern sich versprochen hat. ({8}) Er hat nämlich versehentlich die Wahrheit gesagt. Er hat deutlich gemacht, dass die sozial- und rentenpolitischen Konzepte der CDU zu nichts anderem als zu Beitragserhöhungen führen können. Das sind Ihre Konzepte. Ich will Ihnen zeigen, an welcher Stelle die Beiträge steigen werden. ({9}) - Ich habe nichts falsch verstanden, sondern ich zitiere nur, Frau Schwaetzer. Schauen Sie einfach in die Zeitungen! Am Montag konnten wir lesen, dass Herr Seehofer der Meinung ist, eine Erhöhung der Rentenbeiträge sei unvermeidlich. ({10}) Am Dienstag konnten wir lesen: Die Union wird die Rentenbeiträge nicht erhöhen; das könne er eindeutig ausschließen. Heute erklärte Herr Seehofer, wie man das Ziel erreichen will, nämlich indem man die richtige Wirtschafts- und Finanzpolitik machen werde. Mehr sagte er dazu nicht. ({11}) - Sie fragen: „Was ist daran falsch?“ Redlicherweise sollten Sie sagen, was Sie wirklich versprechen: Die Stabilität der Beiträge? Sagen Sie, was Sie dem Beitragssystem antun wollen! Aus Ihren Programmen ist ersichtlich, dass Sie die Ökosteuer aussetzen wollen. Das bedeutet einen jährlichen Einnahmeverlust von 3 Milliarden Euro. Da fragt man sich, wie Sie das gegenfinanzieren wollen. Sie verraten das nicht. Wie wollen Sie den Druck auf die Beiträge, der durch das Aussetzen der Ökosteuer ausgelöst wird, ausgleichen? Zweiter Vorschlag: Herr Seehofer hat am Anfang dieser Woche darauf hingewiesen, dass die Schwankungsreserve wieder erhöht werden müsse. Zurzeit ist sie höher als zum Zeitpunkt unserer Regierungsübernahme. Eine solche Erhöhung führt - das gibt er selbst zu - zu einer Beitragssteigerung in der Rentenversicherung um noch einmal 0,4 Prozent. Dritter Vorschlag: Sie wollen durch eine Heraufsetzung der Grenze bei geringfügigen Beschäftigungsverhältnissen die Wirtschaftsdynamik entfalten. Die FDP möchte diese Grenze im Übrigen noch höher ansetzen. Außerdem wollen Sie eine Pauschalbesteuerung einführen. Im Klartext bedeutet das, dass Sie die soziale Sicherung der geringfügig Beschäftigten aushöhlen wollen. Diese Menschen hätten dann keinen Anspruch mehr auf diese Versicherungsleistungen. Den Sozialversicherungskassen werden außerdem die Beitragszahlungen fehlen. Wie wollen Sie das ausgleichen? - Sie geben keine Antwort. Was bleibt dem ratlosen Leser und der ratlosen Leserin der Presse in dieser Woche? Sie erinnern sich an alte Konzepte, die im Laufe der 90er-Jahre zu einer eklatanten Steigerung der Sozialversicherungsbeiträge geführt haben. Diese Konzepte führten in ganz erheblichem Maße zu der hohen Arbeitslosigkeit, die zum Zeitpunkt unserer Regierungsübernahme herrschte.

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Denken Sie bitte an die Zeit.

Dr. Thea Dückert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003071, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich komme zum Schluss. - Wir müssen die Sozialabgaben senken, und zwar mit redlichen Konzepten, die den sozialen Schutz der Versicherten nicht aushöhlen, sondern die sozialen Sicherungssysteme stabilisieren. Davon haben Sie in dieser Woche nichts gesagt. Sie haben verschleiert.

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Frau Kollegin, bitte.

Dr. Thea Dückert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003071, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sie haben „verstoibert“. Sie nehmen alles zurück. So kann man das Ziel, die Sozialversicherungsbeiträge zu senken, nicht erreichen. ({0})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Klaus Kirschner.

Klaus Kirschner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001102, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Die Debatte hat es gezeigt: Bei der Bundestagswahl geht es auch in der Gesundheitspolitik um eine Richtungsentscheidung. Es geht nämlich darum, ob der umfassende Leistungskatalog von der Prävention über die Akutbehandlung bis zur Reha auch in Zukunft noch gilt. Frau Schwaetzer hat gesagt, sie wolle diesen Katalog abschaffen. Die Volkspartei CDU/CSU schreibt zwar in ihrem Wahlprogramm, dass den Versicherten auch weiterhin alle medizinisch notwendigen Leistungen in der GKV gewährt werden. ({0}) Aber gleichzeitig sollen Leistungen abgewählt werden können. Das ist doch ein Widerspruch in sich. Es geht Ihnen im Kern darum, die medizinisch umfassende Behandlungskette auszuhebeln. Das haben Sie bereits während Ihrer Regierungszeit mit dem Vorschlag der Einführung von Gestaltungsleistungen versucht, beispielsweise bei Heilmitteln oder häuslicher Krankenpflege und mit der Ausgliederung von Zahnersatz aus der vertragszahnärztlichen Versorgung. Die Folge Ihres Abwahlkonzeptes wäre, dass die Versicherten im Krankheitsfall die abgewählten Leistungen privat zuzahlen müssen. Ihr Fraktionsvorsitzender, Herr Merz, hat es in der „Bild am Sonntag“ vom 21. April mit den Worten verdeutlicht: Auch in der gesetzlichen Krankenversicherung soll es, wie bei den privaten, mehr Wahlfreiheit geben. Deshalb schlagen wir vor, den Arbeitgeberanteil zur Krankenversicherung festzuschreiben. ({1}) Der Arbeitnehmer kann dann über die Höhe seines Beitrages selbst entscheiden - je nachdem, ob er weiter eine Vollversicherung wünscht oder bereit ist, einen Teil seiner Krankheitskosten - etwa bis zu 500 Euro im Jahr - selber zu tragen. ({2}) - Frau Schwaetzer, das mag aus Ihrer Sicht vernünftig sein. Ich halte es nicht nur für unvernünftig, sondern für unverschämt. ({3}) Meine Damen und Herren, mit solchen Vorschlägen verschieben Sie das Koordinatensystem der solidarischen Krankenversicherung. ({4}) Sie verschweigen die Folgen, da Ihnen die Wähler bereits bei der letzten Bundestagswahl dafür die rote Karte gezeigt haben. Deshalb werden wir den Menschen sagen: Für diejenigen, die auf die solidarische Krankenversicherung im Krankheitsfall angewiesen sind, nämlich für die Schwerkranken ({5}) - das trifft vor allen Dingen die Älteren und die Rentner, die in der Regel kränker sind als die Jungen -, steigen dann die Finanzierungsanteile in dem Umfang, wie Sie sie auf der anderen Seite durch Boni an Gesunde verteilen wollen. Sie stellen damit - das müssen Sie sich vorhalten lassen - den Gesellschaftsvertrag zwischen Jung und Alt, Gesunden und Kranken, gut Verdienenden und weniger gut Verdienenden, Alleinversicherten und Familienversicherten infrage. ({6}) Sie legen die Axt an die Wurzeln der solidarischen Krankenversicherung. Deshalb werden Sie beispielsweise auf die folgenden Fragen eine Antwort geben müssen: Was geschieht mit den Versicherten, die als junge Menschen nicht an chronische oder lebensbedrohliche Krankheiten denken und die Leistungen wie Heil- und Hilfsmittel, häusliche Krankenpflege und Reha in jungen Jahren abwählen, aber im späteren Leben einen Schlaganfall erleiden und dringend auf Krankengymnastik, Logopädie und häusliche Krankenpflege angewiesen sind? Was wird dann aus deren Behandlung? Welchen Stellenwert hat die Reha in der Gesundheitsversorgung à la CDU/CSU, wenn sie abwählbar ist, wenn Krankengymnastik und Sprachheilkunde nicht mehr zum Pflichtleistungskatalog der GKV gehören sollen? Was ist mit demjenigen, der einen Rollstuhl benötigt, aber die Hilfsmittel abgewählt hat? Was passiert mit einer Patientin, wenn nach einer Brustkrebsoperation die Lymphdrainage nicht mehr von der GKV gewährt wird, weil sie in jungen Jahren abgewählt wurde? Lieber Kollege Fink, Sie haben sich vorhin wegen der Sozialhilfeempfänger sehr echauffiert. Bekommt dann der Pflichtversicherte nicht die gleiche Behandlung wie der Sozialhilfeempfänger, für den das zuständige Sozialamt weiterhin die medizinisch notwendige Vollversorgung zu übernehmen hat? Glauben Sie, dass dies rechtlich haltbar ist? Erklären Sie dies einmal den Bürgerinnen und Bürgern. ({7}) - Liebe Frau Schwaetzer, weil Sie dies als Blödsinn bezeichnen, möchte ich Ihnen raten, ein bisschen genauer hinzuschauen. 1989 hat die Bundesregierung die St.Vinzenz-Deklaration unterschrieben ({8}) - hören Sie einmal genau zu! -, die vorsah, dass wir in der Bundesrepublik Deutschland die Zahl der durch Diabetes bedingten Neuerblindungen um mindestens ein Drittel reduzieren, die Zahl der durch Diabetes bedingten Niereninsuffizienzen um mindestens ein Drittel senken und die Zahl der Gliederamputationen mindestens halbieren. Was haben Sie denn erreicht? Jetzt, da wir Disease-Management-Programme machen, diffamieren Sie dies und sagen, man könne eine solches Wort nicht aussprechen. Haben Sie eigentlich nicht begriffen, was in der Gesundheitspolitik dieser Republik notwendig ist? ({9}) Meine Damen und Herren, ich will Ihnen zum Schluss nur noch eines vorhalten. ({10}) Weil Sie immer sagen, wenn nichts in Richtung Ihrer Politik der Abwahl von Leistungen geschehe, breche das System zusammen, möchte ich etwas zitieren: Grundsätzlich stehen mit insgesamt jährlich 250 Milliarden DM Ausgaben für Medizin so viele Mittel zur Verfügung, dass damit auch heute ein qualitativ hoch stehendes Versorgungssystem für alle medizinischen Bereiche finanziert werden könnte. Aber: Die Geldströme stimmen nicht, die ökonomischen Anreize sind falsch und führen zu oft unsinnigem wirtschaftlichem, aber auch medizinischem Verhalten. Die Vergütungssysteme sind nicht an der Qualität medizinisch notwendiger Leistungen orientiert, überbewerten die Technik und schützen Erbhöfe, die in Zeiten wirtschaftlicher Prosperität erworben wurden. Wissen Sie, von wem das stammt? - Dieses Zitat stammt vom ehemaligen Vorsitzenden der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, von Herrn Dr. Schorre, einem Intimkenner dieses Bereiches. Das können Sie alles nachlesen.

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Herr Kollege, Sie wollten schon vor dem Zitat zum Schluss kommen.

Klaus Kirschner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001102, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Meine Damen und Herren, ich ziehe das Fazit: Weichen Sie von diesem Weg ab. Wahltarife und Selbstbehalte sind Sargnägel für die solidarische Krankenversicherung. ({0})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Wolfgang Zöller.

Wolfgang Zöller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002603, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Kirschner, Sie haben Recht: Am 22. September wird es eine Richtungswahl geben. Die Leute werden entscheiden müssen, ob sie Staatsmedizin oder ein freiheitliches Gesundheitssystem wollen. ({0}) Die Leute werden zu entscheiden haben, ob sie Listenmedizin oder Therapiefreiheit wollen, und sie werden darüber entscheiden. ({1}) Von Ihnen kommt immer der Zwischenruf, wie so etwas finanziert werden soll. Auch die Sozis sollten endlich begreifen: Der Schlüssel zur Finanzierung unserer Sozialsysteme ist eine vernünftige Wirtschaftspolitik. Auf diesem Gebiet haben Sie voll und ganz versagt. Sozial ist, was Arbeitsplätze schafft. ({2}) Wenn wir alle uns dies zu eigen machen, haben wir Chancen, auch unsere Sozialsysteme auf Dauer finanzieren zu können. ({3}) Auch wenn die Ministerin heute Geburtstag hat, kann ich ihr das, was sie die letzten zwei, drei Tage an falschen Aussagen und an Halbwahrheiten losgelassen hat, nicht durchgehen lassen. Das kann einfach nicht im Raum stehen bleiben. Ich will Ihnen nur ein Beispiel nennen. Da stellt sich die Ministerin hin und behauptet, die Union wolle „keine bessere Versorgung für Chroniker“. ({4}) - Hier kommt auch ein Zwischenruf, der diese Behauptung bestätigt. Sie ist aber unwahr. Die Union und die FDP waren die ersten, die im Neuordnungsgesetz die Härtefallregelungen für chronisch Kranke verbessert und die Zuzahlungen halbiert haben. ({5}) Das war die erste Maßnahme. Für chronisch Kranke ist aber noch viel wichtiger, dass man mit der Abschaffung der Budgets endlich dafür Sorge trägt, dass die zentrale Voraussetzung für eine verbesserte medizinische Versorgung dieser kranken Menschen gegeben ist, denn Budgets führen unweigerlich zu Rationierung. Dies trifft besonders chronisch Kranke. ({6}) Ich komme jetzt zu den von Ihnen eingeführten Behandlungsprogrammen für chronisch Kranke. ({7}) Wir sind gegen die Art und Weise, wie Sie es einführen, weil es zu bürokratisch, zu teuer und zu wenig effizient ist. Sie wollen eine Standardisierung der medizinischen Versorgung; ({8}) nicht mehr die individuellen Bedürfnisse stehen bei Ihnen im Vordergrund, sondern die Erfüllung von vorgegebenen Leitlinien. Meine sehr geehrten Damen und Herren, Sie haben vier chronische Krankheiten herausgegriffen, für deren Behandlung Sie mehr Geld ausgeben wollen. Das begrüßen wir alle. Aber Sie müssen den Leuten gleichzeitig sagen: Bei den von Ihnen vorgegebenen Budgets werden die übrigen chronisch Kranken weniger Mittel bekommen. Wie wollen Sie den Rheumakranken oder den Krebskranken klar machen, dass Sie ein Programm nur für bestimmte chronisch Kranke machen, während Sie für andere chronisch Kranke weniger ausgeben? Das müssen Sie ihnen erklären. ({9}) Wissen Sie, was der Unterschied zwischen Rot-Grün und der Union ist? Sie werfen uns zu Unrecht vor, wir wollten eine Zweiklassenmedizin einführen. Tatsächlich hat Rot-Grün die Zweiklassenmedizin durch die Hintertür schon längst eingeführt. ({10}) Chronisch Kranke erhalten kaum noch innovative Arzneimittel, es sei denn, sie zahlen sie privat. Für bestimmte Operationen gibt es in Deutschland schon Wartelisten, es sei denn, sie werden privat gezahlt. Das nennen Sie nicht Zweiklassenmedizin? Und wozu hat Ihre Zahnersatzregelung geführt? Sie haben einen prozentualen Zuschuss eingeführt. Das bedeutet, einen besonders aufwendigen Zahnersatz können sich nur noch zwei Personengruppen leisten: diejenigen, die ein hohes Einkommen haben, und die Sozialhilfeempfänger. Zahlen müssen das dann all diejenigen, die im mittleren Einkommensbereich sind. Auch das ist eine Zweiklassenmedizin. Sie haben die Zweiklassenmedizin in Deutschland nicht nur hoffähig gemacht, sondern durch Ihre verfehlte Politik noch mehr Unmenschlichkeit in dieses System gebracht. Aufgrund Ihrer Politik kommt es nämlich zum Beispiel dazu, dass sich Dekubituskranke erst großflächig wund liegen müssen, bevor ihre Behandlung bezahlt wird. Durch Ihre verfehlte Politik ist es zum Beispiel auch dazu gekommen, dass Osteoporosekranke sich erst die Knochen brechen müssen, bevor die Behandlung bezahlt wird. Das können Sie doch nicht menschlich nennen! Was Rot-Grün hier praktiziert, ist weder sozial noch gerecht. ({11})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Fritz Schösser.

Fritz Schösser (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003230, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Erst einmal freue ich mich, dass Herr Seehofer seine Krankheit wohl weitgehend überwunden hat und wieder in der Lage ist, sich als sozialpolitischer Solotänzer der Union wenigstens in den Redaktionsstuben aufzuhalten. Schöner wäre es noch, wenn er an der heutigen Debatte teilnehmen würde. Aber ich habe den Eindruck, er fühlt sich in den Redaktionsstuben in seiner Funktion wohler als in Ihrer Fraktion. ({0}) Auf der politischen Bühne ist Seehofer allerdings eher als Quax der Bruchpilot wieder aufgetreten. Die ersten Botschaften von Seehofer sind zwar wenig originell, dafür aber ausreichend widersprüchlich. Ich glaube, das kann man ganz klar und deutlich sagen. Ich frage mich wirklich, wie man noch vor wenigen Tagen sagen konnte, dass man die Rentenversicherungsbeiträge erhöhen muss, wie man davon sprechen kann, dass man Wahlleistungen einführen will, wenn man dann nach einer gemeinsamen Pressekonferenz seine eigene Landesarbeitsministerin zurückpfeift, die sagt, dass die Skifahrer, Jumpingspringer usw. höhere Beiträge bezahlen sollen. ({1}) Herr Seehofer musste vom Krankenbett aus agieren, um das alles wieder ins Lot zu bringen. Das ist schon sehr kurios. Besonders traurig an der Angelegenheit ist das, was er heute in der „Süddeutschen Zeitung“ sagt. Das ist nun wirklich spannend. Ich greife einmal wenigstens zwei Passagen heraus. Die eine ist folgende. Er sagt: Zunächst, wie ich jetzt selbst erfahren habe, brauchen wir eine bessere Vorsorge, besonders gegen die Volkskrankheiten Herz-Kreislauf-Beschwerden, Krebs und Diabetes. Ich frage mich: Erinnert sich Herr Seehofer nicht mehr daran, dass er 1997 das Beitragsentlastungsgesetz gemacht hat und im Grunde die Gesundheitsförderung, die Prävention und vieles andere total abgeschafft hat? ({2}) Erinnert er sich nicht mehr daran, dass das allein im AOK-System bei Gymnasiasten, Sportlehrern und vielen anderen bundesweit 1 400 Arbeitsplätze gekostet hat? Erinnert er sich nicht mehr daran, dass die ganzen Infrastrukturen verschwunden sind und erst durch uns mühsam wieder aufgebaut werden mussten? Es ist ja hervorragend, wenn man zur späten Erkenntnis kommt. Aber in diesem Fall kann ich nur sagen: Sie kommt sehr spät und ist, wie ich glaube, wahltaktisch motiviert. Zum Zweiten. Seehofer sagt: Wir wollen Beiträge und Kosten senken durch mehr Wahlmöglichkeiten. Ein Stück weiter heißt es: Und um es gleich ganz klar zu sagen: Es geht dabei nicht um Regel- und Wahlleistungen. Ich frage mich: Um was geht es denn dann? Dazu hat - es ist noch gar nicht lange her - am 31. August 2001 eine Pressekonferenz mit Frau Stewens und den Herren Seehofer und Zöller stattgefunden. Ich habe mir die entsprechenden Texte mitgenommen. Sie alle müssten das eigentlich gut bezeugen können. Herr Zöller, da steht Folgendes: Der Versicherte sollte ... künftig wählen können, welche Leistungen er in der gesetzlichen Krankenversicherung beanspruchen will. ({3}) Da eine diagnosebezogene Trennung von so genannten Kernleistungen gegenüber anderen Leistungen nicht möglich ist, wird vorgeschlagen, die Leistungsblöcke Krankenhausbehandlung, Arzneimittel und ärztliche Behandlung sowie Krankengeld für die Wahlmöglichkeit des Versicherten unangetastet zu lassen. ({4}) - Jetzt kommt es aber. Jedoch kann der übrige Block, der circa 16 Prozent der Leistungsausgaben ausmacht, insgesamt oder teilweise vom Versicherten abgewählt werden. ({5}) Herr Zöller, Sie waren gestern in unserem Ausschuss bei der Anhörung zu Mutter-Kind-Kuren und der anschließenden Debatte anwesend. Was heißt das denn nun? Zählt die Mutter-Kind-Kur zu dem Bereich von 16 Prozent oder nicht? Sagen Sie den Müttern, dass das eine Wahlleistung ist und dass diejenigen, die sich für diese Wahlleistung entscheiden, eine solche Kur machen können, während die anderen, die sich nicht für diese Wahlleistung entscheiden, eine solche Kur nicht machen können? ({6}) Wer sind denn die anderen? Diejenige, die keine Mutter ist, die kein Kind hat, entscheidet sich natürlich nicht für diese Wahlleistung - und Männer tun dies natürlich auch nicht. Wissen Sie, was Sie tun? Sie empfehlen den Menschen eine Krankenversicherung für Kranke. Dies wird schlicht und einfach nicht funktionieren. ({7}) Die Krankenversicherung braucht den Starken, der dem Schwachen hilft. Jede Wahlleistung, die Sie einführen, schröpft das Solidarsystem und bringt demjenigen, der sich der Solidarität entzieht, Vorteile. Das ist die Situation. ({8}) Am Ende meiner Rede komme ich noch einmal ganz kurz auf Herrn Seehofer zu sprechen. ({9}) Ich empfehle Herrn Seehofer, den Rat des ehemaligen Präsidenten der Bundesärztekammer, des Herrn Vilmar, zu befolgen, der sagte: Vor allem muss er die Mahnungen seiner Ärzte befolgen und muss sich schonen. Bei dem sozialpolitischen Flohzirkus, den Sie und er in den letzten acht Tagen betrieben haben, ({10}) wäre er wirklich gut beraten, sich zu schonen und sich nicht zu früh wieder auf die politische Bühne vorzuwagen. Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. ({11})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Johannes Singhammer.

Johannes Singhammer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002800, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es ist grundsätzlich richtig, dass jeder Bemerkung von Horst Seehofer mehr Gewicht beigemessen wird als den langatmigen Erklärungen der Regierungsmitglieder. Denn hinter den Aussagen von Horst Seehofer steckt Substanz. ({0}) Herr Kollege Schösser, nicht richtig ist dagegen, sich hier derart über seinen Gesundheitszustand auszulassen. Ich bin froh, dass es Horst Seehofer wieder besser geht und dass er bald wieder bei uns sein wird. ({1}) Tatsache ist: Nach vier Jahren ist Rot-Grün auch im Hinblick auf die Rentenversicherung am Ende. Die Probleme sind Ihnen über den Kopf gewachsen. Sie sind ausgebrannt; Sie sind ideen- und konzeptionslos. Deshalb sollten Sie zuhören, wenn die Opposition spricht und Vorschläge macht. Sie sollten sie aber auch richtig verstehen. Niemand, weder der Kollege Seehofer noch andere, arbeiten darauf hin, die Rentenversicherungsbeiträge zu erhöhen. Diese Aussage war bösartig. ({2}) Aber richtig ist, dass wir in großer Sorge darüber sind, dass Ihnen die Rentenversicherung und die Beiträge zunehmend entgleiten. ({3}) Sie haben in den vergangenen Jahren eine Vielzahl von Ankündigungen und Versprechen gemacht, die Sie nicht eingehalten bzw. gebrochen haben. Sie hatten angekündigt, die Rentenversicherungsbeiträge in diesem Jahr unter 19 Prozent zu drücken. Tatsache ist, dass Sie das nicht erreicht haben, dass wir einen Beitrag von 19,1 haben. Sie hatten angekündigt, ab 2003 weitere Schritte zur Senkung einzuleiten. Tatsache ist: Prognosen der Rentenversicherungsträger besagen, sie würden auf mindestens 19,3 Prozent steigen. Sie hatten angekündigt, die Rentenversicherung transparenter und sicherer zu machen. Tatsache ist, dass Sie die Schwankungsreserve der Rentenversicherung auf 0,8 Prozent der Monatsausgaben verringert haben. Durch diese Vielzahl von Korrekturen, die Sie vornehmen mussten, haben Sie das Vertrauen der Rentner und Beitragszahler massiv beschädigt. ({4}) Deshalb bedarf es einer anderen Politik. Was Sie als Ausgleich für die Niveausenkung angeboten haben - nichts anderes stellt die so genannte RiesterRente dar -, die neue private Säule der Rentenversicherung, kommt nicht richtig in Schwung. Die Zahlen, die uns vorliegen, sind ernüchternd: Von den 30 Millionen Versicherten, die diese Rente in Anspruch nehmen könnten, haben bis zur Stunde nur wenige, nämlich 2 Millionen, entsprechende Verträge unterschrieben. Uns erreichen Meldungen aus den Medien, dass mehrere Hunderttausend diese Verträge storniert haben bzw. beabsichtigen, sie zu stornieren. Damit zerbröselt dieser Eckpfeiler der Rentenversicherung. Es ist richtig, dass Sie sich nun mehr mit unseren Vorschlägen beschäftigen. Aber machen Sie es richtig! Das private Standbein der Rentenversicherung ist so, wie Sie es konzipiert haben, viel zu kompliziert. Deshalb wird dies nicht angenommen. Zudem nimmt die Bürokratie überhand. Das sagen im Übrigen nicht nur wir, sondern nahezu alle Sozialverbände, die Banken, die Sparkassen und andere, die auf diesem Gebiet Fachleute sind. Worum geht es eigentlich? Wir haben vor vier Jahren eine Rentenreform nicht nur entworfen, sondern auch beschlossen, die die große Herausforderung, vor der das Rentensystem steht, nämlich die Herstellung einer Balance zwischen den Generationen, berücksichtigt hat, und zwar durch den demographischen Faktor. Dieser Faktor sollte das Ungleichgewicht wieder in ein Gleichgewicht bringen. - Dies haben Sie verhindert und deshalb wachsen Ihnen jetzt die Probleme über den Kopf. Ich sage Ihnen: Die vier Jahre rot-grüner Regierung waren verlorene Jahre für die Rentenversicherung. Es waren verlorene Jahre, hier wieder auf einen guten Weg zu kommen. Wir werden diesen falschen Weg nicht mitmachen. Wir werden reparieren und eine Rentenreform vorlegen, die diesen Namen verdient und die den Menschen das Vertrauen gibt, dass die Alterssicherung in Zukunft wieder sicher ist. ({5})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Erika Lotz.

Erika Lotz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002726, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Ich möchte von dieser Stelle aus, auch wenn es der eine oder andere vielleicht nicht glauben mag, Herrn Seehofer weiterhin gute Besserung wünschen. Es wäre schön, wenn er bald wieder unter uns wäre. ({0}) Er hat aber, wie ich finde, durch seine jüngste Pressemitteilung die Katze aus dem Sack gelassen. Wenn er sagt, eine Beitragserhöhung zwischen 0,4 und 0,5 Prozent sei unvermeidlich, dann steht das in eklatantem Widerspruch zu dem Wahlprogramm der Union; darüber muss man hier schon einmal diskutieren. ({1}) Seine Ankündigung ist ernst zu nehmen, da die Krankenversicherungsbeiträge in der letzten Legislaturperiode unter seiner Führung von 12,3 auf 13,6 Prozent angestiegen sind. Ich kann ja verstehen, dass nun versucht wird, zurückzurudern; denn diese Aussage passt nun einmal nicht zum Wahlprogramm. Darin wird die Senkung des Spitzensteuersatzes, der Sozialversicherungsbeiträge und der Staatsquote, jeweils unter 40 Prozent - „dreimal vierzig“ -, angekündigt. Deshalb wird die Äußerung von Herrn Seehofer jetzt dementiert. Das glaubt Ihnen aber niemand mehr. Nun wissen die Wähler auch, was mit Ihrem Wahlslogan „Zeit für Taten“ gemeint ist: Den Arbeitnehmern in die Tasche zu greifen ist wirklich eine Tat, jedoch keine große, und Mitglied bei den Pfadfindern kann man damit nicht werden. ({2}) Was bisher vom südlastigen so genannten Kompetenzteam des Kanzlerkandidaten zu hören war, ist an Widersprüchlichkeit nicht zu überbieten. So fordert die Union - auch hier in einem Antrag -, zu gewährleisten, dass der Gesamtsozialversicherungsbeitrag langfristig auf unter 40 Prozent gesenkt werden kann. Da besteht doch ein Widerspruch, schließlich spricht Seehofer davon, den Rentenversicherungsbeitrag um 0,5 Prozent zu erhöhen. Es ist ein Widerspruch, wenn man die Sozialversicherungsbeiträge senken will, gleichzeitig aber verspricht, den Rentenversicherungsbeitrag stabil halten und die Ökosteuer abschaffen zu wollen. Schließlich handelt es sich bei Letzterem um die Einnahme bei der Rentenversicherung, die von allen, nicht nur von Arbeitern und Angestellten, getragen wird, also eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe ist. Sie streuen den Wählern doch Sand in die Augen. Man kann den Eindruck gewinnen, die Union wisse in der Sozialpolitik überhaupt nicht mehr, was sie machen soll. Sie verfahren nach dem Hühnerhofprinzip, Sie picken mal hier und mal dort, aber immer nehmen Sie es den Arbeitnehmern fort. Sie zeigen: Sie haben keine Alternative zu unserer Politik und wollen dort weitermachen, wo Sie 1998 aufgehört haben, bevor die Wählerinnen und Wähler Sie auf die Oppositionsbank schickten. Dort werden Sie auch bleiben. ({3}) Rot-Grün hat den Rentenversicherungsbeitrag in drei Stufen von 20,3 Prozent auf 19,1 Prozent gesenkt. Wir helfen den Menschen beim Aufbau einer zusätzlichen Säule der Altersversorgung. Sie hatten dazu keine Kraft. Wir haben die soziale Grundsicherung beschlossen, die ab dem nächsten Jahr besonders den älteren Frauen helfen wird. Wir wollen keine verschämte Altersarmut - im Gegensatz zur Union. Oder wie ist es sonst zu werten, dass Sie die Grundsicherung wieder abschaffen wollen? Der Aufbau der neuen Säule ist auf einem guten Weg, Herr Singhammer: Mehr als 16 Millionen von den 30 Millionen förderberechtigten Arbeitnehmern werden von Tarifverträgen über die betriebliche Altersversorgung erfasst. Ich halte es für verantwortungslos, wenn CDUPolitiker wie Herr Laumann die Arbeitnehmer auffordern, mit dem Abschluss von Verträgen bis nach der Bundestagswahl zu warten. Sie werden zwar nicht dazu kommen, aber es ist doch auch vermessen, den Eindruck zu erwecken, als könne man innerhalb von drei Monaten etwas anderes auf den Weg bringen. Herr Singhammer, Sie haben hier beklagt, dass 100 000 Verträge wieder geändert worden sind. Denken Sie doch einmal darüber nach, ob diese Verträge nicht unter vollkommen falschen Voraussetzungen zustande gekommen sind, weil die Verträge noch nicht zertifiziert waren und die Menschen durch die betriebliche Altersversorgung ganz andere rentierliche Möglichkeiten haben. Die Wählerinnen und Wähler wissen, was sie an unserer Politik haben und auch weiter haben werden. Sie werden dafür sorgen, dass Sie auf der Oppositionsbank bleiben. Danke schön. ({4})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Peter Dreßen.

Peter Dreßen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002642, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Selbst der Opposition Wohlgesinnte müssen erkennen, dass sich die Opposition auf der rechten Seite dieses Hauses wie ein Hühnerhaufen benimmt. Jeder scharrt in eine andere Richtung und macht seinen eigenen Mist. Da ich der Opposition jedoch nicht wohlgesonnen bin - Sie werden das verstehen -, behaupte ich, dass die Opposition im bevorstehenden Wahlkampf den größten Wählerbetrug aller Zeiten begehen möchte. Ich will Ihnen das an ein paar Beispielen deutlich machen. Sie wollen die Staatsquote auf 40 Prozent senken, so steht es im Entwurf Ihres Wahlprogramms, das Sie mit Zustimmung Ihres bayerischen Hofhahnes aus Wolfratshausen vorgelegt haben. Bei der Verwirklichung droht eine Einschränkung der Ausgaben von Bund, Ländern und Gemeinden von 170 Milliarden Euro, mit allen negativen Folgen für öffentliche Investitionen, Arbeit und Infrastruktur. Wir werden dafür sorgen, dass Deutschland davor bewahrt wird. ({0}) Gleichzeitig fordern CDU/CSU-Familienpolitiker, dass für Familiengeld 24 Milliarden Euro mehr ausgegeben werden sollen. Der verteidigungspolitische Sprecher der Opposition will natürlich auch, dass jedes Jahr 2 bis 3 Milliarden Euro mehr für die Bundeswehr ausgegeben werden. Obwohl die Regierung Schröder für notwendige Straßeninfrastrukturverbesserungen mehr investiert, als Sie in Ihrer Regierungszeit je in der Lage waren, wollen Sie auch hier locker vom Hocker einige Milliarden für den Straßenbau mehr ausgeben. Das verkünden jedenfalls Ihre Abgeordneten vor Ort. Auf Grundlage Ihrer widersprüchlichen Haushaltsreden der vergangenen Jahre könnte man diese Beispiele für jedes Ministerium problemlos fortsetzen. Damit wird jedem, der zwei und zwei zusammenzählen kann, deutlich, dass hier der größte Wählerbetrug der Nachkriegsgeschichte vorbereitet wird. Einigen Herren wie Herrn Späth und jetzt auch Herrn Seehofer wurde angesichts dieser Strategie offenbar klar, dass Sie den Bürgerinnen und Bürger hier etwas weismachen wollen, was wohl nicht aufgehen kann. Die Wählerinnen und Wähler sind nämlich nicht so dumm, wie Sie glauben. Sie durchschauen Ihre wirren Versprechungen. Das haben sie 1998 gemacht und das wird auch am 22. September wieder der Fall sein. Ihre Politik ist ein Rückschritt in die letzten Jahrzehnte. Erinnern wir uns: 1995 bis 1998 waren Sie nicht fähig, auch nur eine Reform durchzusetzen. Das, was Sie als Reform verkauften, hat beim Bürger dazu geführt, dass er am liebsten seinen Geldbeutel zugenäht hätte, so ungeniert haben Sie immer hineingelangt. Wirkliche Reformen, die den Menschen etwas gebracht hätten, blieben bei Ihnen auf der Strecke. Das Wort des letzten Jahres Ihrer Regierung war Reformstau, Frau Schwaetzer. Nun sind Sie auch noch so dreist und werfen der Bundesregierung, die es immerhin geschafft hat, Arbeit auf mehr Schultern zu verteilen, vor, keine Erfolge vorweisen zu können. ({1}) Ich erinnere daran, dass es 1998 37,6 Millionen Arbeitsplätze gab. 2002 sind es 38,7 Millionen Arbeitsplätze. Das ist ein Plus von 1,1 Millionen Beschäftigten, Frau Schwaetzer, falls Sie nicht rechnen können. ({2}) - Es ist auch ein Erfolg, Frau Schwaetzer, wenn man Arbeit auf mehr Schultern verteilt. Oder wollen Sie noch mehr Überstunden und solches Zeug zulassen? Die Arbeitslosigkeit ist gesunken: im Jahresdurchschnitt 2001 im Vergleich zu 1998 um gut 400 000. Im Vergleich des Monats Mai 2002 zum Mai 1998 sind es 225 000 Arbeitslose weniger. Das reicht uns nicht; das macht uns auch nicht zufrieden. Aber die Richtung des von uns eingeschlagenen Weges stimmt. Das zeigt auch der Rückgang bei den Langzeitarbeitslosen um fast 240 000. Wir haben im Wahlkampf 1998 versprochen, die sozialpolitischen Notwendigkeiten, also die so genannten Fremdleistungen, mit allgemeinen Steuermitteln zu finanzieren. Dieses Versprechen haben wir mit der Ökosteuer eingelöst; denn die Ökosteuer bezahlen auch Abgeordnete, Unternehmer und Beamte. Das ist ökologisch vernünftig und sozialpolitisch gerecht. ({3}) Sie wollen die Ökosteuer einfrieren und dafür den Rentenversicherungsbeitrag um, wie man hört, 0,5 Prozent in die Höhe schnellen lassen. Folgte man Ihren Vorstellungen, was Sie noch alles in die Pflegeversicherung hineinpacken wollen - Herr Zöller hat dafür wieder ein glänzendes Beispiel gegeben -, würden den Bürgerinnen und Bürgern auch hier noch Beitragserhöhungen zugemutet werden. Wie Sie so auf eine Lohnnebenkostenquote von 40 Prozent kommen wollen, wie Sie es im Entwurf Ihres Wahlprogramms festgeschrieben haben, ist mir schleierhaft. In Ihrer Regierungszeit sind doch die Lohnnebenkosten von 34 Prozent auf über 42 Prozent gestiegen. Die Menschen haben nicht vergessen: Hier sitzt die Lohnnebenkostenerhöhungskoalition von CDU/CSU und FDP. Erst die SPD-geführte Bundesregierung hat hier eine Trendwende erreicht. Sie haben nichts, aber auch gar nichts zu dieser Trendwende beigetragen. ({4}) Die Bürgerinnen und Bürger wollen jedoch nicht von einem Hühnerhaufen regiert werden, der in alle Richtungen scharrt und der goldene Eier verspricht, die sich für den Bürger nach der Wahl als faule Eier entpuppen. ({5})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Die Aktuelle Stunde ist damit beendet. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 5 auf: Beratung des Berichts der Enquete-Kommission „Zukunft des Bürgerschaftlichen Engagements“ Bürgerschaftliches Engagement: auf dem Weg in eine zukunftsfähige Bürgergesellschaft - Drucksache 14/8900 Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Stunde vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist es so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat zunächst der Abgeordnete Dr. Michael Bürsch.

Dr. Michael Bürsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003018, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es ist vollbracht! Vermutlich enden fast alle Enquete-Kommissionen mit diesem Stoßseufzer, wenn man über Jahre zusammengesessen und manche Sisyphusarbeit hinter sich gebracht hat. Wir haben einen Bericht vorgelegt, in dem die Arbeit von zweieinhalb Jahren steckt, und unseren Auftrag erfüllt, eine Bestandsaufnahme und Handlungsempfehlung zum bürgerschaftlichen Engagement vorzulegen. Der umfängliche Bericht hat, wie sich jetzt schon zeigt, eine gute Resonanz gefunden. Um nur ein Beispiel vorzutragen, zitiere ich aus einer Stellungnahme: Die Enquete-Kommission hat in ihrer zweijährigen Arbeit die gesellschaftliche Diskussion um bürgerschaftliches Engagement und ehrenamtliche Arbeit weit vorangebracht und wichtige Handlungsempfehlungen vorgelegt. Wir unterstützen die Forderungen und Anregungen der Enquete-Kommission, die die Förderung und Ermöglichung des bürgerschaftlichen Engagements als Querschnittsaufgabe der Politik begreift und damit eine Stärkung der Beteiligungsrechte von Bürgern auf allen Ebenen der Politik befürwortet. Das ist nicht das einzige Lob, das die Enquete-Kommission erreicht hat. Was sind, auf einen kurzen Nenner gebracht, die Markierungen unseres Berichts? Ich möchte drei Eckpunkte benennen: erstens die Vielfalt des Engagements; zweitens das Leitbild, an dem sich die Kommission orientiert hat, nämlich die Bürgergesellschaft; drittens die Anerkennungskultur als wesentliches Ziel der Förderung des Engagements. Vielfalt des Engagements. Was verstehen wir unter bürgerschaftlichem Engagement? Neben Tätigkeiten in Vereinen und Verbänden, in Kirchen und karitativen Organisationen, in Freiwilligenorganisationen, in Hospizbewegungen oder Tafeln umfasst es die Mitarbeit unter anderem in Selbsthilfegruppen, in Nachbarschaftsinitiativen, in Tauschringen. Auch politisches Engagement ist damit gemeint; es umfasst die Mitarbeit in Bürgerinitiativen, bei Volksbegehren oder in anderen Formen von direkt-demokratischer Bürgerbeteiligung, in Parteien und Gewerkschaften sowie den Einsatz in Freiwilligendiensten. Schließlich zählen auch gemeinwohlorientierte Aktivitäten von Unternehmen und Stiftungen dazu. Bürgerschaftliches Engagement bedeutet Vielfalt. Es schließt das Ehrenamt mit ein, aber seine Bedeutung reicht deutlich darüber hinaus. Anders ausgedrückt bedeutet bürgerschaftliches Engagement „Ehrenamt in der Demokratie“, wie es Rita Süssmuth richtig ausgedrückt hat. Ich bin überzeugt: Den gesellschaftlichen Zusammenhalt zu stärken ist eine Überlebensfrage der Demokratie. ({0}) Die Förderung bürgerschaftlichen Engagements ist eine eminent wichtige politische Aufgabe für die nächsten Jahre. Die Debatte in Deutschland war lange Zeit bestimmt von einer Perspektive, die die individuelle Motivation der 22 Millionen engagierten Bürgerinnen und Bürger in den Mittelpunkt rückt und Engagement als einen bunten Markt der Möglichkeiten versteht. Auch die EnqueteKommission hat nach Rahmenbedingungen gesucht, die geeignet sind, die persönliche Bereitschaft zum Engagement zu fördern. Zu unseren Empfehlungen für die Praxis gehören der Abbau von Bürokratie ebenso wie der verbesserte Schutz von Engagierten und eine allgemeine Aufwandspauschale von 300 Euro pro Jahr. ({1}) Wir haben uns sehr ausführlich und sehr intensiv mit den rechtlichen Rahmenbedingungen bürgerschaftlichen Engagements befasst. Wir machen eine Reihe von Vorschlägen dazu, wie wir auf Bundes-, Landes- und Kommunalebene, aber auch bei Organisationen und Verbänden bürgerschaftliches Engagement fördern können. Von besonderer Bedeutung ist aus unserer Sicht der Strukturwandel in den Motiven der engagierten Bürgerinnen und Bürger. Die klassischen Ehrenamtlichen kennen wir alle: Vom Jugendalter an ehrenamtlich tätig bei der Feuerwehr, beim Rettungsdienst, im Sport oder in einer karitativen Einrichtung bekleidet er oder sie womöglich heute ein Vorstandsamt, verpflichtet sich auf jeden Fall langfristig einer bestimmten Organisation und bleibt dem eigenen Verein viele Jahrzehnte treu. Zum Glück gibt es diese Ehrenamtlichen immer noch. Auf ihre dauerhafte und verlässliche Motivation können die Vereine gar nicht verzichten. Aber gerade die Jüngeren engagieren sich heute immer häufiger auf kürzere Zeit und eher in Projekten. Engagement muss dann zur jeweiligen Lebenssituation passen. Noch bedeutsamer ist vielleicht die Beobachtung, dass bürgerschaftliches Engagement mit den damit verbundenen Aktivitäten auch das Bedürfnis nach Eigenverantwortung und Selbstbestimmung einbezieht. Daraus resultieren erhöhte Anforderungen an Mitbestimmung, Gestaltung und Eigenverantwortung im Engagement. ({2}) Ein Beispiel: „Schüler Helfen Leben“ ist eine Graswurzelinitiative, eine Jugendbewegung, mittlerweile übrigens die erste Schülerstiftung Deutschlands. Bei „Schüler Helfen Leben“ engagieren sich junge Leute projektorientiert, selbst organisiert, eigenverantwortlich. An Interessierten herrscht kein Mangel. In diesem Jahr wollen sich 170 000 Schülerinnen und Schüler aus Schleswig-Holstein, Hamburg und Niedersachsen am „Sozialen Tag“ beteiligen. Von dem Erlös werden Schulen und Jugendeinrichtungen auf dem Balkan gebaut. „Schüler Helfen Leben“ ist eine Erfolgsgeschichte. ({3}) „Schüler Helfen Leben“ zeigt auch beispielhaft, dass Jugendliche nach wie vor bereit sind, sich zu engagieren, wenn, ja wenn die Rahmenbedingungen stimmen. Noch ein nachdenkliches Wort zu dem individuellen Engagement. Für die zukünftige Entwicklung des bürgerschaftlichen Engagements scheint mir auch die demographische Entwicklung in Deutschland eine wichtige Rolle zu spielen. Ich glaube, wir müssen auf diesen Faktor, die Entwicklung der Bevölkerung, auch die Zahl an Migranten, an Ausländern, die bei uns sind, stärker als bisher Rücksicht nehmen. Der zweite Eckpunkt, das Leitbild Bürgergesellschaft: Die Förderung des bürgerschaftlichen Engagements betrifft aus meiner Sicht eines der wichtigsten gesellschaftspolitischen Reformprojekte unserer Zeit. Die Bürgergesellschaft bildet sozusagen ein Tätigkeitsfeld eigener Art zwischen Staat, Wirtschaft und Familie, ein Netzwerk von selbst organisierten, freiwilligen Assoziationen, von Vereinen und Verbänden, von NGOs, Bürgerinitiativen und Selbsthilfegruppen, von Stiftungen, Freiwilligendiensten, aber auch von politischen Parteien und Gewerkschaften. Bürgergesellschaft als Leitbild richtet sich insofern an alle Bürgerinnen und Bürger, Verantwortung in der Gesellschaft zu übernehmen, sich an der Res publica, an den öffentlichen Dingen, stärker als bisher zu beteiligen, mit ihren Fähigkeiten, mit ihren Ideen, mit ihren Erfahrungen. Bürgergesellschaft als Reformperspektive erfordert vonseiten der Wirtschaft Unternehmen, die sich dem Gemeinwesen gegenüber verantwortlich verhalten und in diesem Sinne auch Teile der Bürgergesellschaft sind. ({4}) Vonseiten des Staates erfordert Bürgergesellschaft ein verändertes Bewusstsein und eine veränderte Politik. Wir gebrauchen den Begriff des ermöglichenden Staates, der bürgerschaftliches Engagement erleichtert, schützt und unterstützt. Das bedeutet nicht, dass sich der Staat aus der Bürgergesellschaft zurückzieht und nur zuschaut, wie sich der frei werdende Raum notgedrungen mit bürgerschaftlicher Eigeninitiative füllt. Bürgerschaftliches Engagement als Feigenblatt für den Abbau des Sozialstaates - das ist ein großes Missverständnis, das uns in der Zeit der Enquete-Kommission häufiger begegnet ist. In aller Deutlichkeit gesagt: Bürgerschaftliches Engagement kann niemals ein Lückenbüßer für die sozialen Verpflichtungen des Staates sein. ({5}) Unser Verständnis ist ein anderes. Der ermöglichende Staat wird bei der Förderung und Unterstützung bürgerschaftlicher Initiative selbst aktiv. Er wird, wenn nötig, auch aktivierender Staat in einer sozialen Bürgergesellschaft, zum Beispiel wenn es darum geht, Menschen mit geringer Bildung und Ausbildung erst zu befähigen, sich auch engagieren zu können. Drittes Stichwort: Anerkennungskultur. Von entscheidender Bedeutung für die weitere Entwicklung unserer Gesellschaft wird sein, dass bürgerschaftliches Engagement anerkannt und gewürdigt wird. Die Engagierten sind, wie wir aus vielen Befragungen wissen, vor allem daran interessiert, dass ihre Tätigkeiten auch sichtbar werden und dass sie Wertschätzung erfahren. Zu einer umfassenden Anerkennungskultur für bürgerschaftliches Engagement gehören nicht nur Auszeichnungen und Ehrennadeln, obwohl man diese Formen der Anerkennung nicht unterschätzen darf und sie durchaus auch zeitgemäß gestalten kann. Aber Anerkennungskultur zeigt sich vor allem im Alltag von Organisationen, in Arbeitsabläufen, in der Wertschätzung seitens der Hauptamtlichen sowie in der Schule, im Beruf, in der Familie. Zur Anerkennungskultur gehören zum Beispiel auch Qualifizierungsangebote. Wenn wir von der Wissensgesellschaft, vom lebenslangen Lernen reden, so gehören Kompetenzen aus dem bürgerschaftlichen Engagement aus meiner Sicht unbedingt dazu. Wer sich engagiert, wird dabei eine ganze Menge lernen. Aber es gilt auch: Bürgerschaftliches Engagement muss gelernt werden. Bürgergesellschaft ist kein Selbstläufer. Die Bereitschaft, aktiv mitzuwirken, können wir nicht als selbstverständlich gegeben hinnehmen. Diese Bereitschaft wird vermittelt. Sie wird vorgelebt in der Familie, im Freundeskreis, in der Schule. Soziales Lernen, das Lernen von Gemeinschaftsfähigkeit und sozialer Kompetenz, gehört zum Fundament bürgerschaftlichen Engagements und muss entsprechend gefördert werden. ({6}) Anerkennungskultur umfasst selbstverständlich auch die Politik, die politische Ebene und das schließt den Kreis unserer heutigen Debatte. Was wäre die Vorlage des Berichts einer Enquete-Kommission ohne eine entsprechende Würdigung gegenüber den beteiligten Akteuren? Eine Enquete-Kommission ist aus meiner Sicht ein sehr wertvolles Instrument der Politikberatung, das in mancherlei Hinsicht Maßstäbe setzt. Die Zusammensetzung aus Abgeordneten und Sachverständigen von außerhalb des Parlaments und die längerfristige Kontinuität eines Diskussions- und Arbeitszusammenhangs leisten einen Brückenschlag zwischen ganz unterschiedlichen Denkwelten und Handlungsweisen. Ich möchte mich bei den Mitgliedern der EnqueteKommission für zwei Jahre engagierter und ausgesprochen intensiver Zusammenarbeit bedanken. In dieser Zeit haben wir durchaus auch Meinungsverschiedenheiten und Konflikte austragen müssen. Interessanterweise verliefen die Fronten nicht nur zwischen den Fraktionen, sondern häufig auch quer durch die Reihen der Kommissionsmitglieder. Die Arbeit in der Kommission und die dabei entwickelte Streitkultur waren im Großen und Ganzen aber an der Sache orientiert und von gegenseitigem Respekt getragen. Ich denke, wir Abgeordneten haben von den sachverständigen Mitgliedern und auch von den Kolleginnen und Kollegen aus den jeweils anderen Fraktionen viel lernen können. Mein zusätzlicher Dank gilt Wilhelm Schmidt, der unsere Arbeit in der Kommission von Anfang an mit Rat und Tat - vor und hinter den Kulissen - sehr intensiv und persönlich begleitet hat. Ohne ihn wäre die Kommission überhaupt nicht eingesetzt worden. ({7}) Der herzliche Dank schließt die Mitarbeiter im Sekretariat ein und nicht zuletzt alle Engagierten, Organisationen, Vereine und Verbände, die der Enquete-Kommission ihre Erfahrungen und Anliegen vorgetragen haben. Wir konnten nicht alles berücksichtigen. Das was uns vorgetragen worden ist, hat den Bericht aber entscheidend geprägt. Sie haben uns davon überzeugt, dass die Vernetzung und Verstetigung der Förderung bürgerschaftlichen Engagements eine der wichtigsten Zukunftsaufgaben in Deutschland ist. Ich meine, wir haben Grund zu der Annahme, dass die Zukunft des bürgerschaftlichen Engagements positiv aussieht. Wenn wir einen langen Atem, Nachhaltigkeit, AusDr. Michael Bürsch dauer und Beharrlichkeit bei unseren Bemühungen haben, ist mir um die Zukunft des Engagements nicht bange. Danke schön. ({8})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Ilse Aigner.

Ilse Aigner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003028, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin und stellvertretendes Mitglied der Enquete-Kommission! Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen! Zweieinhalb Jahre harter Arbeit sind vollbracht. Ich kann mich mit diesen Worten dem Herrn Vorsitzenden nur anschließen. Elf Sachverständige und 22 ordentliche und stellvertretende Mitglieder der Kommission haben sich über zweieinhalb Jahre intensiv mit dem Thema „bürgerschaftliches Engagement“ auseinander gesetzt. 37 Sitzungen und acht Anhörungen mit Verbänden, Vereinen, Gruppen, Initiativen, Unternehmen, Gewerkschaften und Kirchen sowie fünf Klausurtagungen, vier Workshops und zahllose Gespräche auf Veranstaltungen oder bei Podiumsdiskussionen mit Ehrenamtlichen bzw. bürgerschaftlich Engagierten haben uns eine Fülle von Erkenntnissen gebracht, die zu einem guten Teil in den Bericht eingeflossen ist. Dass wir heute hier stehen und den Bericht einer Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages mit einer Reihe guter Handlungsvorschläge debattieren können, ist aber nicht zuletzt auch ein Mitverdienst von wackeren Streitern der CDU/CSU aus der letzten Legislaturperiode. Unter der Federführung von Klaus Riegert stellten sie eine Große Anfrage an die damalige Bundesregierung zur Bedeutung ehrenamtlicher Tätigkeit für unsere Gesellschaft. ({0}) Zusammen mit den nachfolgenden sieben Anhörungen sorgte die Beantwortung der Anfrage für eine breite Außenwirkung. Einer unserer Sachverständigen in der Kommission, der Geschäftsführer des Deutschen Kulturrates, Olaf Zimmermann, sieht in den Initiativen und der Großen Anfrage der CDU/CSU-Bundestagsfraktion zu Recht die Initialzündung für eine weitere intensive Befassung des Parlaments mit dieser Frage. Dass es dann so schnell zur Einrichtung einer Enquete-Kommission gekommen ist, ist sehr erfreulich und zeigt, dass das bürgerschaftliche Engagement in allen Fraktionen dieses Hauses starke Befürworterinnen und Befürworter hat. Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, die Arbeit in dieser Enquete-Kommission war trotz einiger erfreulicher Erfolge nicht immer einfach. ({1}) Oft war es ein zähes Ringen um einzelne Punkte und Formulierungen, aber auch um Formalien und Fragen der Geschäftsordnung. Es gab auch Streitigkeiten um die Einhaltung der Minderheitenrechte. Manch ein Mitglied hat sich vielleicht gefragt: Warum tue ich mir das eigentlich die ganze Zeit an? ({2}) Dennoch bin ich froh, dass wir immerhin einiges an Gemeinsamkeiten festhalten und eine Reihe von Handlungsempfehlungen an den Bundestag richten konnten, von denen wir überzeugt sind, dass sie die Rahmenbedingungen der Engagierten spürbar verbessern können. Bei allen Gemeinsamkeiten wurden jedoch schon nach kurzer Zeit Unterschiede in mehreren Bereichen klar. Bereits auf unserer ersten Klausurtagung habe ich den Vorschlag gemacht, dass wir uns über die verschiedenen gesellschaftspolitischen Vorstellungen, über unterschiedliche Schwerpunktsetzungen und mögliche Streitpunkte schon frühzeitig unterhalten, damit wir ausreichend Gelegenheit haben, darüber zu sprechen. Gleichzeitig hätte eine frühzeitige Diskussion für mehr Verständnis gegenüber der anderen Position und so zu einer größeren Akzeptanz geführt. Dies ist im kleinen Kreis der Berichterstattergruppen gelungen, in vielen Fällen aber nicht in den Kommissionssitzungen, die letztendlich über die Vorschläge der Berichterstattergruppen zu befinden hatten. Leider wurde mein Vorschlag nicht aufgegriffen, da die Auffassung vorherrschte, man solle zunächst einmal nach Gemeinsamkeiten suchen und die Streitpunkte am Ende erörtern. Am Schluss fehlte aber schlichtweg die Zeit, sich über Themen von zentraler Bedeutung zu unterhalten. Über hoch komplexe Themen wurde nach Aufruf ohne Diskussion abgestimmt. Auf diese Weise war es in einigen wichtigen Bereichen unmöglich, Gegensätze zu überbrücken und von der Abstimmungsmehrheit abweichende Meinungen dementsprechend einfließen zu lassen. Ein Bericht, der die Verschiedenheit von Meinungen zu zentralen Punkten nicht ausreichend wiedergibt, ist etwas, was keiner der Beteiligten will. Zu viel Arbeit, Kompetenz und Idealismus sind dafür in diesen Bericht eingeflossen. Die Abgeordneten der CDU/CSU-Bundestagsfraktion sowie die Sachverständigen Professor Dr. André Habisch und Professor Dr. Peter Maser haben sich daher bei der Abstimmung über den Bericht enthalten, ihm also nicht zugestimmt, und sich dafür entschieden, den Bericht mit einem Sondervotum zu ergänzen. Wir haben die Unterschiede in der Schwerpunktsetzung deutlich gemacht, einiges etwas kritischer hinterfragt und wichtigen Punkten den Stellenwert eingeräumt, der ihnen gebührt. Hierzu gehört zum Beispiel die Rolle der Familie bei der Erziehung zum gemeinnützigen Engagement, die im Bericht nur eine sehr untergeordnete Rolle gespielt hat. Meine Kollegin Marie-Luise Dött wird nachher sicherlich noch ein paar Worte zu diesem Thema sagen. Einer der grundlegenden Unterschiede zwischen CDU/CSU und SPD war und bleibt auch weiterhin das Verständnis in Bezug auf das Verhältnis vom engagierten Bürger zum Staat. Während ich manchmal Gemeinsamkeiten mit dem Kollegen von den Grünen, Herrn Simmert, in Bezug auf das Menschenbild feststellen konnte, ({3}) können sich manche Teile der Sozialdemokraten bis heute nicht von der gefährlichen Illusion lösen, dass der Staat möglichst viel regeln muss. Richtig ist, dass wir uns im Laufe der Jahrzehnte daran gewöhnt haben, unsere Erwartungen mehr auf den Staat und weniger aufeinander auszurichten. Statt Aufgaben in Selbstorganisation zu lösen, wurde der Staat in Anspruch genommen. Richtig ist aber auch, dass immer mehr Menschen allzu große staatliche Einflussnahme eher als Belastung denn als Segen empfinden. Die Tendenz muss weg von staatlicher Bevormundung und ganz eindeutig hin zu mehr Gestaltungsmöglichkeiten von Bürgerinnen und Bürgern sowie zu gemeinnützigen Organisationen. Es kann einfach nicht sein, dass sich der Staat anmaßt, überall mitmischen zu wollen, und zwar auch dort, wo er unsinnig und unerwünscht ist. Ich will Ihnen hierzu ein aktuelles Beispiel nennen. Die großen gemeinnützigen Verbände haben sich dazu entschieden, ein bundesweites Netzwerk zur Förderung des bürgerschaftlichen Engagements zu gründen. Die großen Verbände wollten damit eine bessere Zusammenarbeit untereinander ermöglichen, Erfahrungen austauschen, gestärkt gegenüber staatlichen Ansprechpartnern auftreten sowie Ideen und Anstöße aus dem Internationalen Jahr der Freiwilligen aufgreifen und weiterführen. Während die Verbände ursprünglich davon ausgegangen sind, als unabhängige Gesprächspartner mit der Politik in einen Diskurs zum Wohle des bürgerschaftlichen Engagements treten zu können, zeigt sich nun, dass das Familienministerium hierzu ganz andere Vorstellungen hat. Ein Drittel der Sitze im Interimsvorstand des Netzwerkes sind durch politisch verlässliche Staatsvertreter besetzt worden. Der Staat soll und muss bei einem solchen Netzwerk Gesprächspartner sein. Er darf aber die Geschicke eines Netzwerkes für bürgerschaftliches Engagement auf keinen Fall durch eigene Vertreter mitgestalten. Auf der anderen Seite fehlen wichtige gesellschaftliche Gruppen wie die Kirchen oder der Deutsche Kulturrat. Dies scheint mir ziemlich unverständlich zu sein. Man könnte vermuten, dass der Vertreter des Deutschen Kulturrates, Herr Zimmermann, den ich vorher schon zitiert habe, vielleicht deshalb herausgefallen ist, weil er ab und zu den Mut gehabt hat, manche Vorschläge der Opposition gutzuheißen. Die nachhaltigste und effektivste Möglichkeit für staatliche Institutionen, bürgerschaftliches Engagement zu fördern, ohne die Bürgerinnen und Bürger ständig zu bevormunden, ist, bei gesetzgeberischen Maßnahmen die Auswirkungen auf das bürgerschaftliche Engagement zu beachten. Deshalb schlagen wir eine so genannte Ehrenamtsfreundlichkeitsprüfung vor, die Gesetzgebungsvorhaben von Anfang an auf ihre Freundlichkeit hinsichtlich des Ehrenamtes überprüft. Wir hatten einen erstmals so formulierten Passus im Einsetzungsbeschluss der Enquete-Kommission vorgesehen. Danach sollten alle laufenden Gesetzgebungsvorhaben auf ihre „Ehrenamtsfreundlichkeit“ hin von der Enquete-Kommission überprüft werden. Das hat aber leider nur bei den Themen funktioniert, die nach Meinung der Mehrheitsfraktionen sinnvoll waren. ({4}) - Herr Vorsitzender, Sie wissen ganz genau, dass wir einen Antrag zu dem Thema „Sozialversicherungspflicht von geringfügig Beschäftigten“ gestellt haben. Da dieser abgebügelt wurde, konnten wir leider nie darüber diskutieren. Es wurde bei öffentlichen Veranstaltungen zwar immer wieder darauf verwiesen, dass sich die EnqueteKommission mit diesem Thema beschäftigen werde. Dies ist uns aber leider nicht gelungen. Damit wir uns nicht falsch verstehen: Eine Kultur der Freiwilligkeit, des Helfens und des Engagements der Bürgerinnen und Bürger wird nicht mit finanziellen Anreizen geschaffen. Eine solche Kultur wird nur dann entstehen, wenn den engagierten Bürgerinnen und Bürgern Dank, Anerkennung und Wertschätzung aus der unmittelbaren Umgebung zuteil werden. Sie sind die wichtigsten Motive für bürgerschaftliches Engagement. Sie bestärken engagierte Bürgerinnen und Bürger, sich für ein gemeinwohlorientiertes Ziel einzusetzen, und ermutigen auch Außenstehende, sich für gemeinwohlorientierte Aufgaben zu interessieren. Dank, Anerkennung und Wertschätzung aus dem unmittelbaren Umfeld können nicht angeordnet und nicht durch formalisierte Dankesbekundungen, Anreize und Gratifikationen ersetzt werden. Sie können nur in einem Klima gegenseitiger Achtung und Anerkennung sowie bei entsprechendem Verantwortungsbewusstsein entstehen. In diesem Sinne möchte auch ich mich ganz herzlich bei allen Mitgliedern der Enquete-Kommission und insbesondere den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Sekretariats bedanken. Insgesamt haben wir trotz aller unterschiedlichen Auffassungen über das bürgerschaftliche Engagement einen deutlichen Schritt vorwärts gemacht. Herzlichen Dank. ({5})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Christian Simmert.

Christian Simmert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003237, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Durch die Arbeit der Enquete-Kommission „Zukunft des bürgerschaftlichen Engagements“ ist es in dieser Legislaturperiode gelungen, dem freiwilligen Engagement einen umfassenden Raum im Parlament zu geben. Auch ich möchte mich zu Beginn meiner Rede bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Enquete-Kommission, aber auch bei allen Sachverständigen, insbesondere bei dem Sachverständigen der Grünen, Adalbert Evers, für die hervorragende Zusammenarbeit bedanken, auch wenn sie an manchen Punkten nicht sehr einfach war. In unserer Arbeit und im Bericht der Kommission wird deutlich, dass es das Engagement vieler Bürgerinnen und Bürger in den unterschiedlichsten Bereichen ist, das die Gesellschaft zusammenhält und neue Impulse für Veränderungen gibt. ({0}) Das zivile, das bürgerschaftliche Engagement macht den sozialen Kitt in unserer Gesellschaft aus. Gerade die vielen kleinen, kreativen, neuen Initiativen und Netzwerke, die meistens selbst organisiert sind, aber auch die uns wohlbekannten größeren Verbände und NGOs machen unsere zivile Gesellschaft erst zur Zivilgesellschaft. Die kleinen innovativen Netzwerke sind es aber, die bislang kaum direkten Zugang zur Politik gefunden haben oder - besser gesagt - deren politische Anliegen kaum berücksichtigt wurden. Dieser Zugang war und wird von den Großen bestimmt. Dies gilt leider zu oft auch für die Entscheidungen des Bundestages. In Zukunft müssen kleine und große Netzwerke sowie die NGOs auch bei parlamentarischen Debatten und Entscheidungen ein stärkeres Gewicht bekommen. ({1}) Deshalb gilt es, die Zivilgesellschaft zu stärken und auch - das richte ich an die Adresse aller Abgeordneten einen selbstkritischen Blick auf das Parlament zu werfen. Der Abschlussbericht der Enquete-Kommission macht deutlich, dass es vielfältiges Engagement gibt und dass wir keineswegs in einer Gesellschaft leben, in der der eine dem anderen egal ist. Dennoch muss man feststellen: Es gibt Hindernisse für das zivilgesellschaftliche Engagement und Herausforderungen. Der Bericht benennt sie. Der Vorsitzende Bürsch hat über sie gerade referiert. Ich denke, eine der wichtigsten Feststellungen in dem vorliegenden Bericht ist, dass freiwilliges Engagement und Erwerbsarbeit - hier meine ich auch potenzielle Erwerbsarbeitsfelder - voneinander abgegrenzt werden müssen. Nehmen wir einmal als hypothetischen Fall - den mögen meine Kolleginnen und Kollegen von der SPD immer besonders; er könnte in den nächsten Jahren tatsächlich eintreten - die Abschaffung des Zivildienstes. Hier nur darauf zu setzen, die durch den Zivildienstleistenden abgedeckte Arbeit könne schon irgendwie durch freiwilliges Engagement ersetzt werden, ist falsch. ({2}) Es geht hierbei um mehr Arbeitsplätze im Gesundheitswesen, um mehr Geld für das Gesundheitswesen und nicht einfach nur um mehr Engagement. Um nicht missverstanden zu werden: Engagement ist auch hier wichtig. Aber bürgerschaftliches Engagement darf nicht zur Spardose werden. Leider haben wir es beim Beispiel Zivildienst nur bis zu einem Sondervotum im Bericht geschafft. Freiwilliges bürgerschaftliches Engagement ist kein Ausfallbürge für sozialstaatliche Reformen oder in toto Ausfallbürge für den Rückzug des Staates oder den Abbau von Sozialleistungen. ({3}) Es gibt noch einen anderen Aspekt, den ich ansprechen möchte; meine Kollegin Antje Vollmer wird nachher auf weitere, den Grünen wichtige Punkte eingehen. Mir ist wichtig, in dieser Diskussion festzustellen, dass wir uns für eine Zivilgesellschaft einsetzen - das habe ich in der Diskussion in der Enquete-Kommission von allen Seiten des Hauses auch immer so verstanden -, die Rassismus, Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus nicht hinnimmt. ({4}) Dies gilt vor allem dann, wenn es darum geht, diese unzivilen Ressentiments salonfähig zu machen. Gerade viele kleine Initiativen, vor allem von jungen Menschen, von Jugendlichen, sind es, die zum Beispiel in den neuen Bundesländern mit ihrem Engagement dem Unzivilen, dem Rechsradikalismus etwas Ziviles entgegensetzen. Das ist wichtig und das bedarf unserer Unterstützung. ({5}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, was nützt diese Unterstützung, wenn es Politiker gibt, die mit ihren Äußerungen den Glauben an einen zivilgesellschaftlichen Grundkonsens mutwillig zerstören? Die gelbe „Mölle-Welle“ hat uns in den vergangenen Wochen gezeigt, wie es funktioniert, das Unzivile salonfähig zu machen, und hat damit die übergroße Mehrheit in diesem Land, die sich gegen Antisemitismus einsetzt, vor den Kopf gestoßen. Das, meine Damen und Herren, dürfen wir nicht hinnehmen. ({6}) Ich bin sehr froh - das möchte ich zum Schluss erwähnen -, wenn wir heute den Abschlussbericht der EnqueteKommission zur Kenntnis nehmen. Ich möchte an dieser Stelle jedoch noch einen Teil der Bundestagsrede von Herrn Werner Bornheim zitieren: Meine Damen und Herren, Politik bedeutet, und davon sollte man ausgehen, das ist doch - ohne darum herumzureden - in Anbetracht der Situation, in der wir uns befinden. Ich kann meinen politischen Standpunkt in wenige Worte zusammenfassen: Erstens das Selbstverständnis unter der Voraussetzung, zweitens und das ist es, was wir unseren Wählern schuldig sind, drittens, die konzentrierte Beinhaltung als Kernstück eines zukunftsweisenden Parteiprogramms. Mit diesen Worten von Werner Bornheim alias Victor von Bülow - besser bekannt als Loriot - möchte ich schließen - mit der Erkenntnis, dass Engagement von Bürgerinnen und Bürgern gehaltvoll ist und nicht durch politische Floskeln, sondern durch konkretes politisches Handeln und politische Transparenz unterstützt wird. Der Bericht wurde zwar in dieser Legislaturperiode geschrieben, doch in der nächsten muss er umgesetzt werden. Vielen Dank. ({7})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Gerhard Schüßler.

Gerhard Schüßler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003232, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Beschluss des Bundestags zur Einsetzung der Enquete-Kommission hat bestimmt allen Mitgliedern, Abgeordneten wie Sachverständigen, so viele Reaktionen in Form von Papier ins Haus gebracht, wie das in ihrem Leben noch nie der Fall gewesen ist. ({0}) - Sie waren ja nicht der Verursacher, Herr Kollege Bürsch. - Damit kommt zum Ausdruck, dass sich in Deutschland 22 Millionen Bürgerinnen und Bürger engagieren. Das ist ein großes Geschenk. Das hat die Politik mit großem Dank zur Kenntnis zu nehmen. Denn diese Menschen formen eine große Zivilgesellschaft. ({1}) Diese ist aber noch in starkem Maße staatlich reguliert und wird von ständigem Misstrauen begleitet, wie uns in vielen Gesprächen nahe gebracht wurde. Es ist hohe Zeit, sich ernsthaft dieser dritten Säule eines modernen liberalen Gemeinwesens zuzuwenden. Der Selbstermächtigung, Selbstorganisation und Selbstverantwortung der Bürgerinnen und Bürger muss sehr viel mehr Raum zugestanden werden. In der Enquete-Kommission sind meines Erachtens viel zu viele Anhörungen, vor allem Verbandsanhörungen, durchgeführt worden, in denen vielfach ein bestimmter roter Faden hin zu mehr Staatsnähe und staatlicher Verankerung gesucht wurde. Diejenigen, die tatsächlich ehrenamtliche Arbeit leisten, sind kaum und viel zu selten zu Wort gekommen. ({2}) - Wir haben diese Vorschläge gemacht, verehrte Frau Kollegin Kortmann, haben uns aber nicht damit durchgesetzt. Bekanntlich hat die FDP-Fraktion daraufhin eine eigene Anhörung mit vielen Jugendlichen aus dem gesamten Bundesgebiet, die selber ehrenamtliche Arbeit leisten, durchgeführt. Auch einige Mitglieder der Enquete-Kommission haben daran teilgenommen. In dieser Anhörung hat sich ein völlig anderes Bild ergeben als das, das uns von den Vertretern der Verbänden als roter Faden präsentiert worden ist. Ich beklage das nicht; aber es war eine sehr interessante Feststellung. Die Enquete-Kommission hat in der Analyse und mit guten Ansätzen für eine zukunftsorientierte Politik gute Arbeit geleistet. Ich meine, wir haben allen Grund, ausnahmslos allen Sachverständigen, aber auch den vielen Mitarbeitern aus der Wissenschaft, die uns hilfreich beraten haben, herzlich zu danken. ({3}) Ich bin gespannt, ob es der Bundesregierung, der bisher die Kraft gefehlt hat, zukunftsweisende Ideen politisch umzusetzen, gelingen wird, dieses Anliegen aufrechtzuerhalten. Bürgerschaftliches Engagement findet nicht im luftleeren Raum statt. Durch die Änderung des 325-Euro-Gesetzes sind zum Beispiel viele Vereine, die Aufwandsentschädigungen an Mitglieder gezahlt haben, in die Lage gekommen, plötzlich wie ein Lohnbüro Sozialversicherungsbeiträge ausrechnen und abführen zu müssen. Das können die meisten Vereine gar nicht. Wir sollten uns klar machen, dass nur durch diese Belastung der Vereine Druck auf die Politik entstanden ist, die Nachteile wenigstens durch steuerliche Freibeträge zu kompensieren. Die Organisation des Engagements vor Ort ist eine kommunale Aufgabe. Auch dabei kann vieles nicht geleistet werden, weil den Gemeinden ständig neue Aufgaben aufgebürdet werden. So ist es fast skurril, dass die Enquete-Kommission Musterbeispiele für kommunales Handeln hervorhebt, wie zum Beispiel im Fall Nürtingen. Für Städte und Gemeinden, die nicht einmal ihren staatlichen Pflichtaufgaben nachkommen können, ist das verständlicherweise schwierig. Dem Staat, der alle Bereiche menschlichen Lebens gestalten, regeln und organisieren möchte, setzt die Enquete-Kommission das liberale Ideal eines ermöglichenden Staates entgegen. Der Staat soll nur noch ein Akteur unter mehreren sein und die zivilgesellschaftliche Eigenverantwortung seiner Bürger respektieren. Die Kommission hat damit die Vorstellung eines aktivierenden Staates abgelehnt, der Engagement stimulieren und in bestimmte Felder dirigieren will. Diese Übereinstimmungen sind in vielen Diskussionen einvernehmlich erarbeitet worden. Leider, Herr Kollege Bürsch, entnehme ich Ihrer Pressemitteilung von heute Mittag, Sperrfrist 12 Uhr, dass genau an diesen beiden Punkten Hintertürchen geöffnet werden und Sie in gewisser Weise davon abrücken. ({4}) Das halte ich nicht für in Ordnung; das gebe ich zur Kenntnis. ({5}) - Das hat mit „anderen Impulsen“ nichts zu tun, sondern das sind grundsätzliche Entscheidungen. Es ist außerordentlich traurig, dass es so ist. Ich bedaure das sehr. Traurig stimmen mich auch die statistischen Rückfälle, zu denen es gegenwärtig bei der Gründung des Netzwerks zur Förderung des bürgerschaftlichen Engagements kommt. Unter der Regie des Familienministeriums werden - das hat die Kollegin Aigner schon erChristian Simmert wähnt - etwa zu einem Drittel Staatsvertreter in den Vorstand des Netzwerks entsandt. Man muss sich klar machen, welches mangelnde Verständnis hier besteht. Das sind wirkliche Defizite. Für die Engagierten hat materielles Entgelt kaum Bedeutung. Das ist vor allen Dingen in unserer öffentlichen Anhörung mit den Jugendlichen klar geworden. ({6}) Die Kommission hat daher vielen Vorschlägen für materielle Anreize, wie sie von Funktionären vorgetragen wurden, eine klare Absage erteilt. Neben der Suche nach Sinnerfüllung und der persönlichen Entwicklung stehen Dabeisein und Mitmachendürfen ganz oben. Zu wenige dieser immateriellen Anreize stehen Jugendlichen zur Verfügung. Der Raum, um sich in eigener Verantwortung engagieren zu können, fehlt. Hier müssen sich insbesondere die Schulen öffnen. Auch das ist bei Anhörungen mit jungen Menschen, sogar noch bei der, die wir gestern durchgeführt haben, deutlich geworden. ({7}) Nur wenn Kinder und Jugendliche sich im Engagement erfahren können und Verantwortung zu übernehmen lernen, können sie diese Erfahrungen in eine künftige Gesellschaft hineintragen. Der zukunftsorientierte Ansatz der Kommission schlägt sich leider nur teilweise in den Handlungsempfehlungen nieder. Zu viel Raum nimmt Geschiebe im Regelungsdschungel des Steuer- und Verwaltungsrechts ein. Darüber haben wir uns ja auch viel zu lange unterhalten. Die FDP fordert stattdessen eine Umsetzung der Gleichwertigkeit der Engagementformen. Es darf in Zukunft keinen Unterschied machen, wie und in welcher Form sich die Bürgerinnen und Bürger engagieren. Dazu muss insbesondere das Gemeinnützigkeitsrecht grundlegend reformiert werden. Weitere Einzelstatuierungen - wie im Bericht vorgeschlagen - greifen zu kurz. Wir haben mehrere Punkte als Sondervoten in dem Bericht platzieren können. Es besteht die große Gefahr, dass nicht allzu viel Notiz von dieser Debatte genommen wird, sowohl aufgrund des Wahlkampfes als auch dadurch, dass diese wieder nur von einer Minderheit des Hauses wahrgenommen wird. Es gibt darum nur dann eine Chance das müssen wir, die Mitglieder der Kommission, die Mitarbeiter und die Sachverständigen vermitteln -, dass Bürgerinnen und Bürgern Engagement ermöglicht wird, wenn diese das Thema genauso ernst nehmen, dranbleiben und ihren Willen einfordern. Lassen Sie mich abschließend allen Mitarbeitern des Sekretariats, den Kolleginnen und Kollegen der Kommission und den Sachverständigen herzlich danken. Es hat Spaß gemacht, auch wenn es eine ziemlich mühevolle Arbeit war. Herzlichen Dank. ({8})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Klaus Grehn.

Dr. Klaus Grehn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003135, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Sehr verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Bericht der Enquete-Kommission, der vorgelegt wurde, ist das Ergebnis umfangreicher Arbeit. Je mehr Menschen in die Arbeit der Enquete-Kommission einbezogen wurden, desto deutlicher wurde die Dringlichkeit von Veränderungen der Grundlagen und der Regelungen in diesem Bereich. Aber wie das eben so ist: Je mehr Leute einbezogen wurden, desto mehr Papier wurde produziert. Ich gebe zu, dass ich jedes Mal ängstlich ins Büro schaute, wie viel Meter Papier von der der Enquete-Kommission wieder eingetroffen sind. ({0}) - Ja, wer viel schreibt, der schreibt manchen etwas. So enthalten die Papiere sicherlich auch etwas. Die Frage ist nur, wie wir das Notwendige herausfiltern. Aber das war eigentlich nicht mein Anliegen, sondern mir ging es vielmehr um die sinnvollen Vorschläge, die nicht in die Papiere aufgenommen wurden, und auch darum, dass für die Umsetzung der sinnvollen Vorschläge und Anregungen, die darin enthalten sind - dem möchte ich Ausdruck verleihen -, nicht allzu viel Zeit verbleibt. Bei der Bewertung darf nicht allzu vieles unter den Tisch gekehrt werden, sondern in erster Linie muss die Arbeit der Engagierten erleichtert werden. Vor diesem Hintergrund begrüße ich ganz besonders die Engagierten auf den Tribünen von Bayern bis nach Thüringen. Herzlich willkommen und herzlichen Dank insbesondere für Ihre Arbeit! ({1}) Ich möchte diesen Dank natürlich insbesondere an die Vertreter der Verbände, der Vereine, der Graswurzelbewegung und der Selbsthilfegruppen richten, durch deren Arbeit wir viel Boden unter die Füße bekommen haben. Die PDS hat dem Bericht zugestimmt. Sie macht davon auch jetzt keinerlei Abstriche. Wir danken auch dem von uns in die Enquete-Kommission entsandten Sachverständigen, Herrn Professor Roth. Ich glaube, er hat nicht nur für uns, sondern für die Enquete-Kommission insgesamt sehr Nützliches geleistet. Er hat in seinem Sondervotum auf die Bereiche hingewiesen, wo wir ein bisschen mehr Handlungsbedarf sehen. Dazu möchte ich später ein paar Dinge sagen. Zunächst möchte ich allerdings, Kollege Bürsch, etwas zum aktivierenden Staat sagen. In dem Sondervotum des Kollegen Roth kommt sehr deutlich zum Ausdruck, dass unter „aktivierender Staat“ in dem Bereich, in dem ich freiwillig besonders engagiert bin, in der Arbeitslosenbewegung, etwas ganz anderes verstanden wird, nämlich dass der aktivierende Staat die angeblich nicht Arbeitswilligen „fördern und fordern“ soll, auf dass sie wieder arbeiten. ({2}) - Okay. Aber insgesamt gibt es diesen Blickwinkel. Ich will auch Folgendes deutlich sagen: Angesichts der Tatsache, dass es 22 Millionen Engagierte gibt, kann das Wort von der natürlichen Faulheit der Menschen nicht ganz stimmen. Das sage ich in eine ganz bestimmte Richtung. ({3}) Uns geht es vor allen Dingen darum, dass das bürgerschaftliche Engagement gestärkt wird und dass es mehr als eine gelegentliche Ergänzung der repräsentativen Politik, sozusagen ein schmückendes, aber eigentlich unnötiges Beiwerk, ist. Wer sich die verschiedenen Ebenen der öffentlichen Hand genau anschaut, der weiß, dass das bisher der Fall ist. Die Stärkung des bürgerschaftlichen Engagements erfordert mehr politischen Gestaltungsspielraum. Bisher war es Lückenbüßer, wenn öffentliche Leistungen gestrichen wurden. Es war quasi ein Ausfallbürge, der dann zum Einsatz kam, wenn es darum ging, Personen für nicht mehr bezahlbare Tätigkeiten zu finden. Wir wissen, dass die Kassen allerorten leer sind. Die Stärkung des bürgerlichen Engagements erfordert zugleich die Abgabe von Macht der öffentlichen Hand, der Parlamente und der Parteien. Außerdem erfordert es eine weitaus stärkere politische, ökonomische und soziale Unterstützung des Engagements der Bürger. Ich glaube, es ist in den Anhörungen immer wieder deutlich geworden, dass es auf diesem Gebiet wirklich Nachholbedarf gibt. Dabei hängt die Stärkung des bürgerschaftlichen Engagements wesentlich von der Stärkung der kommunalen Ebene ab - auch das ist deutlich geworden -, weil auf dieser Ebene am meisten bürgerschaftliches Engagement stattfindet. Dort sind die Handlungskompetenzen am größten, während die Finanzausstattung am geringsten ist. Die Stärkung des bürgerschaftlichen Engagements hat zur Bedingung, dass seine sozial-ökonomischen Voraussetzungen für alle Bürgerinnen und Bürger geschaffen werden. Damit bürgerschaftliches Engagement keine Sache derer bleibt, die es sich leisten können, bzw. derer, die ihrem Anliegen anders kein Gehör verschaffen können, bedarf es einer sozialen Grundsicherung. In einem ersten Schritt sollten angemessene soziale Garantien insbesondere für benachteiligte Gruppen geschaffen bzw. gestärkt werden. Wenn zum Beispiel ein Sozialhilfeempfänger in Berlin heute zu einem Ort fahren will, wo er sich engagieren möchte, dann muss er 1,5 Prozent bis 2 Prozent des Eckregelsatzes der Sozialhilfe auf den Tisch legen, um an diesen Ort zu gelangen. Das kann so nicht funktionieren. Da ist etwas zu verändern. Die besondere Lebenslage von Arbeitslosen, Sozialhilfeempfängern, Alleinerziehenden, Behinderten und Senioren muss eine angemessene Berücksichtigung finden, damit sie in dieses Engagement einbezogen werden können. ({4}) Dies ist auch im Bereich des Niedriglohnsektors vonnöten. ({5}) Sie wissen, was auf diesem Gebiet passiert. Lassen Sie mich zum Schluss auf das hinweisen, worauf wir keine Antwort gefunden haben - daran müssen wir sicherlich noch arbeiten -: Es ist das Problem der Flexibilität und der Mobilität der Menschen, die nicht mehr so gebunden sind. Dieses Problem hat auf das bürgerschaftliche Engagement Auswirkungen. Die Auswirkungen auf die Arbeitnehmerschaft sind größer als die auf die Arbeitgeberschaft. Das sage ich auch in Richtung der CDU, die so sehr darauf gedrungen hat, auf das Engagement der Arbeitgeber zu setzen. Ich meine, dass der große Teil der Engagierten der Arbeitnehmerschaft angehört. Diese Menschen sind durch die von mir hier genannten Fakten am meisten belastet. Es gibt also noch Handlungsbedarf. Ich hoffe, dass wir durch die Gesetze und Regelungen, die wir schaffen werden, Veränderungen herbeiführen können. ({6})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Für die SPD-Fraktion erteile ich jetzt dem Kollegen Wilhelm Schmidt das Wort.

Wilhelm Schmidt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002022, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich sage ganz offen, dass ich heute voller Freude das Ergebnis der Enquete-Kommission präsentiere. Ich danke für das Lob, das mir Herr Bürsch hat zuteil werden lassen. Ich will es gern weitergeben. Ich kann mich sehr gut daran erinnern, dass am Anfang dieser Legislaturperiode, also zu Beginn der Arbeit der Koalition, Antje Vollmer und ich über dieses Thema gesprochen haben. Wir sind dann aufgrund der Arbeit, die in der SPD-Fraktion schon in der vorherigen Wahlperiode geleistet worden ist, gemeinsam zu der Überzeugung gekommen, diese Enquete-Kommission einzurichten. Ich glaube, Antje Vollmer, wir können heute sagen, dass es sich gelohnt hat. Wir, die wir nicht immer an der intensiven und harten Arbeit in der Enquete-Kommission mitwirken konnten, wollen ganz besonders denjenigen Dankeschön sagen, die die Arbeit und die praktische Umsetzung geleistet haben. Ich nenne Michael Bürsch und Karin Kortmann auf unserer Seite, aber auch die anderen hier anwesenden Mitglieder wie auch die Sachverständigen und die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Ich glaube, die Öffentlichkeit kann gar nicht richtig einschätzen, welcher Berg an Arbeit bei Enquete-Kommissionen im Allgemeinen, aber bei dieser im ganz besonderen Maße anfällt, bevor man zu einem solchen Ergebnis kommt. Deswegen will ich an dieser Stelle meinen Dank aussprechen. Wir stehen vor einem unglaublich großen Kompendium von Wissen, das hier über das ehrenamtliche und freiwillige Engagement und über das, was wir mit „bürgerschaftlichem Engagement“ neu beschreiben, zusammengetragen worden ist. Mit diesem Begriff wird ein neuer Beitrag für die Zivilgesellschaft beschrieben, der in gewisser Hinsicht auch Tradition hat. Wir alle wissen, dass ohne den Einsatz der Gesellschaft der Aufruf, sich zu engagieren, nicht diese Resonanz finden würde. Die MenDr. Klaus Grehn schen in dieser Gesellschaft würden nicht diesen Reichtum an bürgerschaftlichem Engagement vorfinden, wenn es nicht die gewachsenen Strukturen geben würde, die wir schon seit Jahrzehnten kennen. Wir unterschätzen immer wieder, welche Arbeit hinter den Kulissen in den Vereinen und Verbänden sowie in den Organisationen geleistet wird. Darum hat sich meine Fraktion insbesondere der Praktiker aus den Organisationen und Verbänden als Sachverständiger versichert, damit das Engagement, das Herr Schüßler und andere mit Recht angemahnt haben, gefördert werden kann. Das ist dankenswerterweise gelungen. Wir haben darüber hinaus nicht nur Funktionärswissen abgerufen, sondern wir haben durch sehr viele Kontakte und durch die vielen Möglichkeiten der direkten Auseinandersetzung und der Ansprache der Beteiligten die gesamte Erfahrung abgerufen. Daher liegt diese Fülle von Wissen und Erfahrungen und von Erkenntnissen vor, die hier eine Rolle gespielt haben. Wir haben dadurch Handlungsempfehlungen für die Politik bekommen. Wir haben auf der anderen Seite aber auch Handlungsempfehlungen für die gesellschaftlichen Gruppen aufgestellt, auf die ich nun eingehen möchte, weil sie in unseren Überlegungen eine besondere Rolle gespielt haben. Diese Gruppen werden sich umstellen müssen. Das haben ihre Vertreter in der Enquete-Kommission, aber auch alle darüber hinaus Beteiligten immer wieder erfahren müssen. Das herkömmliche Engagement allein - Herr Bürsch hat es schon mit Recht angesprochen - reicht nicht mehr aus; denn damit können die Anforderungen nicht mehr erfüllt werden. Man muss sich mit neuen und modernen Formen, die jungen, aber auch älteren Menschen angemessen sind, beschäftigen. Man muss daneben eine Aufgeschlossenheit an den Tag legen, die wir in dem Bericht der Enquete-Kommission als notwendig darstellen. Ich will aber auch ein Wort an die Unternehmen richten. Es war zum Beispiel völlig richtig, dass die SPDFraktion im November 2000 mit dem großen Kongress „Unternehmen und Bürgerschaftliches Engagement“ im Vorfeld des Internationalen Jahres der Freiwilligen eingefordert hat, dass sich die Unternehmen mehr, als es bis dahin der Fall war und als es bisher diskutiert worden war, bürgerschaftlich engagieren. ({0}) Wir lassen nicht nach, dieses Engagement einzufordern. Wir haben eine gute Steuerreform gemacht. Dadurch sind viele Unternehmen erheblich entlastet worden, die mittelständischen wie auch die großen Unternehmen. ({1}) Darum fordern wir im Gegenzug: Engagieren Sie sich mehr als bisher! Sorgen Sie dafür, dass Ihren Mitarbeiterinnen und Ihren Mitarbeitern die richtigen Signale gegeben werden, um beispielsweise das Zusammengehörigkeitsgefühl im Unternehmen, aber auch das Zusammengehörigkeitsgefühl in der Standortgemeinde des Unternehmens zu stärken! Engagieren Sie sich in Bürgerstiftungen, in den Vereinen und Verbänden sowie bei Projekten, die Ihnen möglicherweise zusätzlichen Imagegewinn für das Unternehmen bringen können! Ich glaube, damit haben wir eine ganze Reihe Möglichkeiten eröffnet, über die auch berichtet worden ist. Ich will noch einen Satz zur Opposition sagen, nicht nur wegen des Sondervotums und wegen der Enthaltung bei der Abstimmung über den Bericht. Es war Ihre Entscheidung, dass Sie während der Zeit, in der die EnqueteKommission getagt hat, mit manchen unbezahlbaren Forderungen an die Öffentlichkeit getreten sind. Darüber wollen wir nicht weiter richten; das gehört manchmal zum Spiel zwischen Opposition und Regierung. Dass Sie aber in der vorigen Woche die Spitze der Möglichkeiten bürgerschaftlichen Engagements niedergestimmt haben, nämlich Volksbegehren und Volksentscheid in unser Grundgesetz auzunehmen, nehme ich Ihnen übel. ({2}) Von daher ist Ihre Glaubwürdigkeit ziemlich belastet. Sie sollten noch einmal in sich gehen, wenn auch nicht mehr jetzt, weil die Legislaturperiode zu Ende geht. Ich danke allen Beteiligten für ihren Einsatz. Das war die Spitze bürgerschaftlichen Engagements. Viele Millionen Menschen danken es ihnen allen mit Recht, so auch ich. ({3})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Für die CDU/CSUFraktion erteile ich jetzt dem Kollegen Norbert Barthle das Wort.

Norbert Barthle (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003033, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Alles Große in unserer Welt geschieht, weil jemand mehr tut, als er muss. Die Enquete-Kommission hat sich genau mit den Menschen beschäftigt, die mehr tun, die sich ehrenamtlich und freiwillig für unsere Gesellschaft engagieren. Diesen Menschen gilt mein erster, mein herzlichster Dank. Da der Dank die stärkste Form der Bitte ist, möchte ich ihn unterstreichen. Ich bin überzeugt, auch auf der Zuschauertribüne sitzen viele, die sich draußen tagtäglich ehrenamtlich engagieren. Ich kann sie nur ermuntern, dabei zu bleiben. ({0}) Bedanken möchte ich mich ebenso bei meinen Kolleginnen und Kollegen für die gute Zusammenarbeit, aber auch bei den sachverständigen Mitgliedern für ihre zumindest meistens erhellenden Beiträge. ({1}) Wilhelm Schmidt ({2}) Mein Dank gilt ebenfalls dem Sekretariat der EnqueteKommission. Hierbei sage ich vor allem Herrn Josef Kestler herzlichen Dank, der mich bei der Leitung der Arbeitsgruppe „Rechtsbezogene Vorschläge“ sehr tatkräftig unterstützt hat. ({3}) Meine Damen und Herren, wir wissen: Das bürgerschaftliche Engagement braucht eine Zukunft und hat eine Zukunft. Wir müssen alles tun, um die Bedingungen für bürgerschaftliches Engagement zu verbessern. Unsere Bürgerinnen und Bürger wollen sich engagieren; wir müssen sie dabei unterstützen. Das ist zumindest die Auffassung der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, die meint, dass sich der Staat auf das Beseitigen von Hindernissen konzentrieren sollte, denn die Menschen wissen selbst am besten, wo und wie ihr Engagement gefordert ist. Daher haben wir einige Probleme mit dem Bild des aktivierenden Staates, das in der Diskussion immer wieder eine zentrale Rolle spielte. In diesem Begriff zeigt sich ein zentralistisch orientiertes Staatsverständnis, bei dem der Staat Inhalt und Organisation bürgerschaftlichen Engagements beeinflusst oder beeinflussen will. ({4}) - Nein. Darauf komme ich gleich zurück. An dieser Stelle, liebe Kolleginnen und Kollegen von Rot-Grün, kann ich Ihnen eine leise Kritik nicht ersparen. In dieser schönen Nachmittagsdebatte, in der so viel Lob und Dank ausgesprochen wird und so viel Konsens aufscheint, muss man doch festhalten, dass Sie es leider nicht immer geschafft haben, dieses für uns alle so bedeutende Thema von einer parteipolitisch orientierten Ideologisierung frei zu halten. Das wollen die 22 Millionen Engagierten draußen nicht, im Gegenteil. Wer sich in Vereinen, in Hilfsorganisationen, bei den Kirchengemeinden, in der Kommune, in Schule und Kindergarten, bei den Selbsthilfegruppen oder wo auch immer ehrenamtlich engagiert, will primär der Sache dienen. Diese Menschen wollen weder Teil eines gesellschaftlichen Veränderungsmodells nach dem Leitbild des aktivierenden Staates sein, noch wollen sie sich in irgendeiner Weise einer staatlichen Zielsetzung - bei der SPD heißt das meist „Demokratisierung der Gesellschaft“ - unterordnen oder sich gar für sie instrumentalisieren lassen. Im Gegenteil, diese Menschen erwarten von uns, dass wir ihren Einsatz erleichtern, würdigen und respektieren und dass wir Hindernisse aus dem Weg räumen. ({5}) Deshalb meinen wir, die CDU/CSU-Bundestagsfraktion, dass der Staat sich zurücknehmen sollte, wenn es um bürgerschaftliches Engagement geht. Er soll den Rahmen vorgeben, in dem sich Engagement frei entfalten kann. Wir haben Vertrauen in die Kreativität und die Problemlösungsfähigkeit der Bürger. Gerade die Tatsache - um auf Baden-Württemberg zurückzukommen; denn das ist ein Beispiel für das, was wir unter einem „ermöglichenden Staat“ verstehen -, dass sich in Baden-Württemberg 40 Prozent aller Menschen bürgerschaftlich engagieren - das sind 6 Prozent mehr als der Bundesdurchschnitt -, zeigt doch, dass diese These richtig ist. ({6}) Bezeichnend hierfür war auch die Tatsache, dass das eigentlich nicht von uns berufene sachverständige Mitglied der Kommission in dieser Woche in einer Pressemitteilung hat verlauten lassen, dass immer dann, wenn der Unterschied zwischen Staat und ehrenamtlich Aktiven verwischt wird, der Idee der Bürgergesellschaft eher geschadet als genützt wird. Ich meine, dem ist nichts hinzuzufügen. Ein Großteil meiner Arbeit in der Enquete-Kommission war den rechtlichen Rahmenbedingungen gewidmet. Ich bin überzeugt, dass insbesondere die Ergebnisse in diesem Bereich uns nachhaltig in Erinnerung bleiben werden. Mit dem Gutachten der Professoren Igl, Jachmann und Eichenhofer ist es gelungen, den Ist-Zustand im Stiftungs-, Steuer-, Vereins- und Gemeinnützigkeitsrecht umfassend zu beschreiben. Auf dieser Basis konnten Handlungsempfehlungen für staatliche Maßnahmen erarbeitet werden. Ich bedauere allerdings, dass die Kommission gerade bei diesen Handlungsempfehlungen keine einheitlichen Standpunkte finden konnte und dass dadurch auch das Sondervotum der Union notwendig wurde. Ich hätte mir an dieser Stelle manchmal etwas mehr Mut seitens der Regierungskoalition gewünscht. Lassen Sie mich, um an diesem Nachmittag noch etwas konkreter zu werden, einige Punkte benennen, die uns besonders wichtig waren und die nicht in den Bericht aufgenommen wurden. Die nachhaltigste, effektivste Möglichkeit des Gesetzgebers, Bürgerengagement zu fördern - das hat meine Kollegin Ilse Aigner schon angesprochen -, ist, eine Ehrenamtsfreundlichkeitsprüfung bei der Gesetzgebung einzuführen. Das zweite wichtige Stichwort lautet Entbürokratisierung. Denn die bürgerschaftlich Engagierten klagen immer wieder darüber, dass sie mehr Zeit für Formulare und Anträge brauchen als für die eigentliche Arbeit. Da muss sich der Staat noch mehr zurücknehmen. Wir müssen alle staatlichen Vorgaben streng daraufhin überprüfen, ob sie dem Geist der Subsidiarität dienen. In den Bereichen Haftung und Versicherung sowie Stärkung der wirtschaftlichen Kraft dagegen ist keine Zurücknahme, sondern gesetzgeberisches Handeln gefordert. Wir müssen vor Haftungsrisiken schützen und die Wirtschaftskraft unserer Vereine stärken. Deshalb plädieren wir zum Beispiel dafür, die Neuregelung der 325-Euro-Jobs und der Scheinselbstständigkeit so vorzunehmen, dass unsere Vereine und Verbände von den wirtschaftlichen und bürokratischen Benachteiligungen wieder befreit werden. ({7}) Wir empfehlen zum Beispiel auch, die Besteuerungsfreigrenze nicht nur auf 40 000, sondern auf 50 000 Euro heraufzusetzen. Damit ginge Entbürokratisierung einher. ({8}) Ich will nicht auf die weiteren Details dieser Maßnahmen eingehen. Nur ein uns wichtiger Punkt soll noch erwähnt werden: die so genannte Übungsleiterpauschale. Wir meinen, der Bezugskreis sollte unbedingt auf ehrenamtlich tätige Mitglieder im geschäftsführenden Vorstand, zum Beispiel auch auf die Organisationsleiter und die Kampfrichter, ausgeweitet werden. ({9}) Das ist notwendig, um Hilfestellung leisten zu können. Es würde, wie gesagt, zu weit gehen, jetzt die einzelnen Punkte aufzuführen. Diese Handlungsempfehlungen sind der Konsens der CDU/CSU-Bundestagsfraktion. Ich versichere Ihnen, dass wir uns engagiert dafür einsetzen werden, dieses in der kommenden Legislaturperiode umzusetzen. Am besten geht das natürlich mit Regierungsverantwortung. Aber darüber wird erst später entschieden. Vielen herzlichen Dank. ({10})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Nun erteile ich das Wort der Kollegin Dr. Antje Vollmer für Bündnis 90/Die Grünen.

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002391, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In dieser Debatte ist schon viel Dank ausgesprochen worden, aber noch nicht von allen. Deshalb will ich mich diesem wirklich berechtigten Dank an alle anschließen. Nun komme ich in der Kürze der Zeit zu drei Punkten, die ich noch anmerken möchte. Erst einmal vorweg: Die Kommission hat etwas sehr Erfreuliches herausgefunden, nämlich dass die Bürgergesellschaft tatsächlich lebt und dass ausgerechnet in einer Singlegesellschaft, der man die Fähigkeit zum sozialen Miteinander so oft abspricht, viel neues und interessantes Engagement entsteht. Das begrüßen wir alle. Bei diesem positiven Ergebnis liegt es ein bisschen an uns und manchmal auch an den Ländern, dass wir etwas stärker in die Debatte über die Veränderungen der Bedingungen unseres Gemeinwesens einsteigen. Es liegt an uns allen, Hindernisse zu beseitigen, um ein engagementfreundliches gesellschaftliches Klima zu schaffen. ({0}) Lassen Sie mich kurz auf drei Themen zu sprechen kommen. Wir haben in dieser Legislaturperiode eigentlich den zweiten Schritt, die Reform des Stiftungsrechts, zuerst getan. Damit wollten wir auch an die vermögenderen Bürger appellieren: Tut erst einmal ihr etwas - je nach eurem Vermögen - für das Gemeinwesen! - Das Freiwilligenengagement ist der Appell an den kleinen Mann oder die kleine Frau, der oder die sagt: Ich habe zwar kein großes Vermögen; aber ich habe meine Zeit, meine Kenntnisse und meine Lebensfreude anzubieten und die will ich für das Gemeinwesen einsetzen. Dabei fehlt mir etwas - es freut mich, dass es in der Enquete-Kommission auch diese Forderung gegeben hat -: Wenn man für Stiftungen und für das kleine Engagement werben will, dann braucht man Transparenz bzw. sehr viel Öffentlichkeit. Ich freue mich, dass wir in unserem Bericht in Bezug auf das Stiftungsrecht geschrieben haben, dass wir ein Stiftungsregister wollen. Das heißt, wir wollen Transparenz in Bezug auf das, was in diesem Bereich passiert, damit noch mehr für das Gute, das da geleistet werden soll, geworben werden kann. Neben der großen Vorgabe, die der Staat macht, nämlich dass er in diesem Zusammenhang steuerliche Vorteile schafft, kann jeder Bürger dadurch entlohnt werden, dass er sieht, für welchen guten Zweck das Geld eingesetzt wird. ({1}) Darum wünschte ich mir, dass bei diesen Debatten auch die Bundesratsbank besetzt wäre. ({2}) Die Reform des Stiftungsregisters ist nämlich bis jetzt im Bundesrat gescheitert. Vielleicht wird das ja in Zukunft anders. Transparenz ist aber auch dann nötig, wenn man es den Bürgern, die sich für ein Freiwilligenengagement neuen Typs entscheiden, erleichtern will, dahin zu kommen, wo sie hinwollen, und ihnen die Möglichkeit gibt, zu wählen und zu entscheiden. Wir haben immer wieder festgestellt, dass es hier folgendes Problem gibt: Wenn sich jemand engagieren will, dann hat er bei den großen Organisationen häufig das Gefühl, man packe ihn lebenslänglich. Er möchte sich aber vielleicht nur eine Zeit lang engagieren und nach einer gewissen Zeit wieder ein bisschen Abstand haben bzw. die Freiheit haben, ein anderes Engagement einzugehen oder andere Dinge zu tun. Gerade hier sind die Freiwilligenagenturen eine ganz wichtige Innovation, die diesem Bedürfnis entgegenkommt. Das heißt, dass demjenigen, der sich engagieren möchte, erst einmal ein Angebot gemacht wird und ihm eine Garantie gegeben wird, dass vorher geprüft wurde, zu welchen Bedingungen er arbeiten wird. Ihm wird so die Möglichkeit eingeräumt, zu sagen: Ich mache das eine Zeit lang. Ich habe euch als Berater und kann mir später etwas anderes suchen. Diese Freiwilligenagenturen, die mit großem Engagement arbeiten, sind bisher noch nicht genug gefördert worden. In der nächsten Legislaturperiode möchte ich weiter darum werben, dass wir uns dieser innovativen Institution annehmen und eine entsprechende Grundversorgung schaffen, damit diese Institution arbeiten kann. Wir sollten in diesem Zusammenhang über die Idee, pro Bürger 1 Euro für das Freiwilligenengagement zu zahlen, nachdenken und diese nach Möglichkeit auch unterstützen. ({3}) Noch dringlicher und nach Ansicht der Kommission auch kurzfristig umsetzbar ist die Erleichterung des Zugangs zum Gemeinnützigkeitsstatus für Freiwilligenagenturen und Selbsthilfegruppen. Es besteht das große Problem, dass wir aus steuerrechtlichen und finanztechnischen Gründen keine Möglichkeit haben, ihnen diesen Zugang zum Gemeinnützigkeitsstatus zu erleichtern. Eine solche Erleichterung brauchen sie und darüber sollten wir nachdenken. Meine erste Anmerkung betraf das Stiftungsrecht und der zweite Punkt die Themen aus der Enquete-Kommission, die wir noch umsetzen müssen. Vor uns allen liegt aber eine gewaltige dritte Aufgabe, nämlich das Gemeinnützigkeitsrecht insgesamt neu zu definieren. Viel zu häufig haben wir Gemeinnützigkeit so formuliert, wie es im 19. Jahrhundert verstanden worden ist. Vieles von dem würden wir heute als Freizeittätigkeit bezeichnen, die nicht unbedingt diesen starken gemeinnützigen Charakter hat. Um darüber umfassend diskutieren zu können, müsste eine neue Enquete-Kommission eingerichtet werden. ({4}) Ich möchte hiermit alle Kolleginnen und Kollegen, die mit für diese dritte große Stufe streiten wollen, auffordern, dafür zu kämpfen, dass in der nächsten Legislaturperiode eine neue Enquete-Kommission gebildet wird, die sich die Reform des Gemeinnützigkeitsrechts - das ist übrigens das Allerschwerste - vornimmt. Wie die Dinge nun einmal sind, muss man dies zu Beginn der nächsten Legislaturperiode machen; denn so dicht vor den Wahlen wäre das für jede Konstellation zu schwierig. Das wissen alle, die sich in dieser Sache auskennen. Danke schön. ({5})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Nun hat das Wort die Kollegin Marie-Luise Dött für die CDU/CSU-Fraktion.

Marie Luise Dött (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003070, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Vorweg möchte ich mich ganz herzlich bei allen bedanken, die in der Enquete-Kommission mitgearbeitet haben, und auch bei den vielen beteiligten Initiativen. Worum geht es heute? Es geht um die Bürgergesellschaft und deren Zukunft. Es geht um die Chancen der Menschen, ihre Fähigkeiten und Talente in unsere Gesellschaft einzubringen. Kurz: Es geht darum, sich einzumischen. Die Sondervoten spiegeln die unterschiedlichen Auffassungen der Fraktionen über die Bedeutung des bürgerschaftlichen Engagements und über das Verhältnis zwischen Bürger und Staat wider. Offensichtlich wurde das in der immer wiederkehrenden Diskussion um den Begriff „aktivierender Staat“. Wir von der CDU/CSU wollen keinen Staat, der von oben nach unten denkt. ({0}) Wir wollen eine aktive Bürgergesellschaft, die sich von unten nach oben engagiert. ({1}) Wir wollen unser Gemeinwesen weiterentwickeln, das vom Grundsatz her auf die Kräfte der freiwilligen Zusammenschlüsse, der Vereine und Verbände setzt. Vertrauen in die Kräfte der Bürger zu haben bedeutet, diesen mehr Entfaltungs- und Entscheidungsmöglichkeiten zu überlassen und deren kreative Herangehensweise zu stärken. Diese Sichtweise von Staat und Bürgergesellschaft entspricht unserem Werteverständnis. Ich nenne als Beispiel die Familie. Die Familie ist Lernraum für bürgerschaftliches Engagement. Wie Kinder und junge Menschen ihre soziale Umwelt wahrnehmen, ob sie sich mit politischen und gesellschaftlichen Entwicklungen auseinander setzen, ob sie sich mit ihrer Region und ihrem Land identifizieren und sich von Problemen auch persönlich herausgefordert fühlen, wird in der Familie gelernt. Übt ein Familienmitglied ein Ehrenamt aus, so wachsen Kinder bereits durch das gelebte Vorbild in bürgerschaftliches Engagement hinein. ({2}) Die Schauspielerin Ida Ehre hat einmal gesagt, Kinder könne man nicht erziehen, die machten sowieso alles nach. - Es stellt einen wesentlichen Mangel des Abschlussberichtes dar, dies nicht ausreichend zum Ausdruck zu bringen. Auch die Bedeutung, die Unternehmen und Unternehmer für das Engagement spielen, kommt im Abschlussbericht der Enquete-Kommission zu kurz. Bürgerschaftlich Engagierte verfolgen ihre Ziele nämlich nicht nur in Vereinen, Verbänden, Umwelt- und Nachbarschaftsinitiativen oder anderen Netzwerken. Sie erreichen ihre Ziele auch durch eine verstärkte Zusammenarbeit mit Wirtschaftsunternehmen, zum Beispiel durch Sponsoring. ({3}) Unternehmer engagieren sich aber auch in Kammern und Bildungseinrichtungen, in der Arbeitsverwaltung und im Gesundheitswesen ehrenamtlich. Gerade weil die Mehrzahl der Betriebe in Deutschland klein und mittelständisch strukturiert ist, müssen die gesetzlichen Rahmenbedingungen Handwerker und Kleinunternehmer entlasten, anstatt sie mit zusätzlichen bürokratischen Arbeiten zu belasten. Diese Unternehmer sind es nämlich, die sich engagieren, indem sie ihre Kenntnisse und Fähigkeiten in Sportvereinen und Schulen, in Kirchengemeinden und Umweltgruppen oder in sozialen Initiativen einbringen. Lassen Sie mich als Mittelständler sagen: Ich kenne keinen Mittelständler, der sich nicht engagiert. ({4}) Damit stellt das bürgerschaftliche Engagement gerade von Unternehmen und Unternehmern einen wichtigen und oft unterschätzten Standortfaktor in einer Region dar - die Bürgermeister wissen davon zu berichten -, den es zu erhalten, zu fördern und zu würdigen gilt. Unternehmerisches Engagement oder Corporate Citizenship sind Kooperationsformen, die im Sozial- und Bildungswesen, im Kulturbetrieb und im Gesundheitssektor des 21. Jahrhunderts unverzichtbar sind. Dies sind einige der Gründe, die uns von der CDU/CSU-Fraktion bewogen haben, einen eigenen Bericht vorzulegen, der unserer unterschiedlichen Auffassung und Schwerpunktsetzung Rechnung trägt. Meine Damen und Herren, wir befinden uns heute an der Grenze staatlicher Leistungs- und Steuerungsfähigkeit. Bürokratische Überregulierungen lähmen immer mehr die Aktivitäten des Bürgers. Die wachsende Anspruchshaltung der Bürger einerseits und der immer stärker zentralisierende und bürokratische Betreuungsstaat andererseits haben Werte wie Eigeninitiative, Mitverantwortung und Gemeinsinn verdrängt. Diese Werte müssen wieder belebt werden. Die Zukunft des bürgerschaftlichen Engagements wird entscheidend von der Lösung der folgenden Fragen abhängen: Wie viel Verantwortung ist der Bürger bereit und in der Lage zu übernehmen? Welche Gestaltungsräume kann der Staat den Bürgern öffnen oder neu eröffnen? Was können die Bürger auf Dauer in Eigenverantwortung übernehmen? Wie können sich kooperative und unterstützende Netzwerke der Gesellschaft bilden und welcher Ordnungsrahmen kann dies gewährleisten? Welche Aufgaben soll der Staat wahrnehmen? Die Antworten auf diese Fragen sind unterschiedlich ausgefallen, je nachdem, von welchem Menschenbild wir ausgegangen sind. Gehen wir vom unmündigen Bürger aus, so muss ihm von oben gesagt werden, was gut für ihn ist, da er das nicht selbst entscheiden kann. Gehen wir aber vom mündigen Bürger aus, so weiß dieser Bürger selbst, was gut für ihn ist. Der mündige Bürger ist Teil unserer christlich geprägten Kultur. Wir gehen von einem Menschenbild aus, dessen Prinzipien Subsidiarität und Solidarität sind. Subsidarität geht davon aus, dass jeder Bürger oder jede Einheit der Gesellschaft die Chance und die Pflicht hat, seinen bzw. ihren Beitrag zur Selbsthilfe zu leisten. Erst wenn die Eigeninitiative nicht möglich ist oder deren Mittel erschöpft sind, kommt die Solidarität zum Tragen. ({5}) Ein solches Gesellschaftsverständnis trägt dazu bei, dass jeder Einzelne für die Gesellschaft wichtig ist und aktiv an deren Gestaltung mitwirkt. Das meinte unser erster

Not found (Gast)

„Die Demokratie lebt vom Ehrenamt.“ Da die Kollegen der SPD aber von einem bevormundenden Staat ausgehen, ({0}) die Rolle von Familie und Unternehmen vernachlässigen, dafür aber die Rolle von Gewerkschaften besonders hervorheben, ({1}) besteht folglich Uneinigkeit darüber, wie die Ergebnisse der Enquete-Kommission umgesetzt werden sollen. Während die Damen und Herren der SPD es vorziehen, eine Kommission zu beauftragen, die sich darum kümmern soll, die erarbeiteten Vorschläge des Abschlussberichtes umzusetzen, schlagen wir von der CDU/CSU-Fraktion vor, jedes einzelne Gesetz, bevor es in Kraft tritt, daraufhin zu überprüfen, ob es das Engagement fördert oder behindert. ({2}) Das ist unser Vorschlag zu weniger Bürokratie, schlankem Staat und Kosteneffizienz. ({3})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Nun hat die Kollegin Karin Kortmann für die SPD-Fraktion das Wort.

Karin Kortmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003161, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe anwesenden Engagementswilligen und -unterstützenden! Liebe Kolleginnen und Kollegen aus der Enquete-Kommission! Nachdem ich hier so manche Trauerrede, auch Ihre, Frau Dött, gehört habe, frage ich mich: Haben zwei Jahre Fortbildung für Sie nicht gereicht, um endlich zu verstehen, auf was es uns beim bürgerschaftlichen Engagement ankommt? Es geht nicht darum, an einzelnen Stellschrauben zu drehen oder Ehrenamtstauglichkeitsprüfungen durchzuführen, sondern es geht um ein gesamtgesellschaftliches Konzept, das Sie scheinbar immer noch nicht verstanden haben. ({0}) Zu Beginn unserer Arbeit in der Enquete-Kommission haben wir gefragt, von welcher Grundlage wir auszugehen haben und was von uns vorangebracht werden soll. Die Mitglieder der SPD-Fraktion haben zwei Fragen gestellt, die für uns von grundsätzlicher Bedeutung waren. Die erste Frage lautete: Was hält diese Gesellschaft zusammen, wie können Staat, Markt und Zivilgesellschaft zu einer neuen verlässlichen Verantwortungsteilung kommen und mit ihren spezifischen Aufträgen und aus ihrem jeweiligen Selbstverständnis heraus zu mehr Gemeinwohlorientierung beitragen? Seinerzeit hat uns der Typus des bzw. der Freiwilligen etwas überrascht: Nach allen Untersuchungen ist er bzw. sie erwerbstätig und hat damit ein materielles Einkommen, ist kein Pendler und keine Pendlerin, hat einen festen Wohnort und ist sozial integriert. Aus dieser Definition fallen viele Menschen heraus, die wir gerne an diesem bürgerschaftlichen Engagement beteiligt sähen und denen wir mit den Rahmenbedingungen Möglichkeiten für eine Beteiligung schaffen. Die zweite zentrale Frage wurde in den Zeiten, als Sie an der Regierung waren, überhaupt nicht zur Kenntnis genommen: Seit 1989/90 hat sich die Bundesrepublik Deutschland verändert. Der Beitritt der DDR zur Bundesrepublik hat uns im Hinblick auf die Frage des Engagements in den alten und in den neuen Bundesländern vor neue Herausforderungen gestellt. Was ist denn aus der staatlich verordneten Solidarität der DDR geworden? Was ist aus der privaten, unabdingbar notwendigen Nachbarschaftshilfe in der DDR geworden? Was hat sich aus den demokratischen Bürgerinnen- und Bürgerbewegungen der 80er-Jahre entwickelt und wo sind sie in der heutigen Gesellschaft zu Hause? Für uns ist bürgerschaftliches Engagement, also die Strukturierung und Unterstützung der Zivilgesellschaft, ein Prozess gesellschaftlicher Verantwortung, der Integrationslotsen und -lotsinnen braucht, damit wir zu mehr Gemeinwohlorientierung kommen. Von der Union ist bis heute kein wesentlicher Beitrag geleistet worden, wie wir bei der Gestaltung von Zuwanderung und Einwanderung dazu kommen wollen, dass sich Menschen, die in unsere Republik ziehen, integriert fühlen. Für uns ist das bürgerschaftliche Engagement hier eine der wichtigsten Grundvoraussetzungen. Uns geht es darum, was sich in den Vereinigungen von Menschen ausländischer Herkunft tut und welchen Beitrag sie leisten können, damit sich die Menschen hier zu Hause fühlen und ihre Kultur und Sprache pflegen können, sodass es zu einem gedeihlichen Miteinander kommt. ({1}) Ich kann es bald nicht mehr hören, wenn Sie bei uns von einem Staatsverständnis ausgehen, das Sie nur im Horoskop nachgelesen haben können, aber nicht beweisen können. ({2}) Sie glauben doch, dass wir einen regulierenden Staat wollten. Ich zeige Ihnen anhand einiger Beispiele, was Sie gemacht haben. Sie haben 1989/90 in den neuen Bundesländern sämtliche Jugendklubs geschlossen, weil Sie glaubten, dass sie SED-gefärbt gewesen seien, und damit den jungen Menschen wichtige Anlaufstellen genommen und Integrationsmöglichkeiten verwehrt. Ihre Ministerin Nolte hat dafür gesorgt, dass ohne bürgerschaftliche Beteiligung - noch nicht einmal das Bundesjugendkuratorium wurde dazu gehört - eine Stiftung „Bürger für Bürger“ gegründet wurde, deren Erfolgsaussichten bereits nach einem Jahr so jämmerlich waren, dass wir froh waren, dem ein Ende bereiten zu können. In der letzten Woche haben Sie dafür gesorgt, dass mehr Bürgerbeteiligung in Form von Volksentscheiden und Volksbefragungen auf Bundesebene nicht möglich wird. Hier ist die Frage, wer regulieren und wer etwas zulassen will. ({3}) Ich komme nun zu einigen Eckpunkten unseres Reformkonzepts, das in der Enquete-Kommission mehrheitlich verabschiedet worden ist. Dazu haben wir - die Sachverständigen Roland Roth, Thomas Olk sowie Adalbert Evers und ich - heute in einer gemeinsamen Pressekonferenz deutlich gemacht, wohin es gehen soll. Dies zeigt, wie viele Gemeinsamkeiten es jenseits der parteipolitischen Mitgliedschaften von Bundestagsabgeordneten gibt. Wir haben erklärt, die Aufwertung bürgerschaftlichen Engagements in der öffentlichen Debatte sei Ausdruck neuer Erwartungen an die Bürgerinnen und Bürger als Mitgestalter eines lebendigen demokratischen Gemeinwesens. Für die Zukunftsfähigkeit einer demokratischen Gesellschaft ist das bürgerschaftliche Engagement eine wesentliche Voraussetzung. Deshalb wollen wir auch die Rahmenbedingungen für eine lebendige Zivilgesellschaft verfolgen. Zu dem, was wir als SPD wollen, ein paar wichtige Punkte: Erstens. Wir wollen allen Freiwilligen, egal in welcher Vereinigung sie sich engagieren, Unfall- und Haftpflichtversicherungsschutz gewähren. ({4}) Versicherungsschutz darf nicht davon abhängen, ob die Organisation, in der jemand mitarbeitet, materiell in der Lage ist, diesen Schutz für ihre Freiwilligen zu gewähren. Deswegen ist das für uns das Wichtigste, was der Staat allen garantieren muss. ({5}) Zweitens: Nachteilsausgleich. Es ist wunderbar, Sie, Herr Barthle, über die Übungsleiterpauschale reden zu hören. ({6}) Ich glaube, auch hier noch sagen zu müssen: Die Übungsleiterpauschale wurde unter dem ersten sozialdemokratischen Bundeskanzler Willy Brandt eingeführt. ({7}) Er hat gesagt: Das, was der Sport in den Bereichen Gesundheitsprävention und Integration leistet, ist uns so wichtig, dass für die freiwillig geleistete Mehrarbeit 100 DM pro Monat in der Übungsleiterkasse steuerfrei bleiben. Der zweite sozialdemokratische

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Dieser Gedanke ist weiter zu verfolgen; das gefällt uns. Er hat die Übungsleiterpauschale auf 200 DM erhöht. Der dritte sozialdemokratische Bundeskanzler, der auch nach dem 22. September weiterhin hier stehen wird, ({0}) hat gesagt: Dieser Gedanke ist uns weiterhin wichtig. Deswegen haben wir die Übungsleiterpauschale auf 300 DM erhöht. Sie haben zu diesem gesamten Bereich nicht eine müde Mark dazu gegeben und sollten sich schämen, hier Forderungen zu stellen, die Sie gar nicht erfüllen können. ({1}) Drittens. Damit hier einmal klar wird, worüber wir überhaupt reden: Auf der Zuschauertribüne sitzen hoch verdiente Feuerwehrleute. Wie wir alle wissen, sind die kommunalen Haushalte dermaßen eng, dass eine flächendeckende Einführung einer Berufsfeuerwehr gar nicht möglich ist und wir auf Menschen angewiesen sind, die in ihrer Freizeit helfen, schützen, bergen und löschen. Deswegen war es so wichtig, dass der Bundeskanzler beim Feuerwehrtag in Augsburg das Versprechen gegeben hat: Wir werden Regelungen schaffen. ({2}) - Sie müssen es hören, egal wie lange. - Seit dem 1. Januar dieses Jahres sind für diese Menschen, die Aufwandsentschädigungen aus öffentlichen Kassen bekommen, 300 DM sozialversicherungs- und steuerfrei. ({3}) Ein vierter Punkt. Die Frage ist: Was kann und was muss der Staat tun? Es ist doch eine Schizophrenie sondergleichen, dass Sie es in Ihrer 16-jährigen Regierungszeit ({4}) nicht geschafft haben, den sozialintegrativen Aspekt des bürgerschaftlichen Engagements auch für Arbeit suchende Menschen zu eröffnen. ({5}) Sie haben die Deckelungsregelung in der Sozialgesetzgebung beibehalten, nach der Arbeit suchende Menschen, die Hilfe aus öffentlichen Kassen bekommen, sich nur 15 Stunden wöchentlich engagieren dürfen, weil sie sonst dem Arbeitsmarkt nicht zur Verfügung stehen würden. Welch eine Idiotie! Gerade dadurch würde dafür gesorgt, dass sie weiterhin sozial integriert bleiben. Einen letzten Punkt möchte ich noch ansprechen, damit klar ist, dass es sich nicht um Stellschrauben handelt: Wir wollen zu einer Verstetigung des Engagements beitragen und haben dazu vier wichtige Punkte.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Vier Punkte sind zu viel, Frau Kollegin. So viel Zeit haben Sie nicht mehr. ({0})

Karin Kortmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003161, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Nur zwei Sätze zur Verstetigung: Wir haben dazu beigetragen, dass die Mittel zum Internationalen Freiwilligenjahr im vergangenen Jahr beim BMFSFJ ressortiert waren. Sie sind folgerichtig auch für dieses Jahr und für die kommenden Jahre gesichert, damit bürgerschaftliches Engagement eine finanzielle Grundlage hat. Zweitens danke ich dem BMFSFJ, dass es als Ergebnis des Internationalen Jahres der Freiwilligen das Bundesnetzwerk von Vereinen und Verbänden unterstützt und ihnen Möglichkeiten gibt, sich auch in der gemeinsamen Interessenvertretung zu vernetzen. Drittens fordern wir in jeder Legislaturperiode einen Engagementbericht und viertens - das können Sie uns überhaupt nicht streitig und madig machen - wollen wir ab der 15. Legislaturperiode hier im Bundestag eine Kommission für bürgerschaftliches Engagement einrichten, weil wir nichts dem Zufall überlassen wollen. Wir brauchen eine Struktur, die weiterhin das umsetzt, was wir dem Bericht der Enquete-Kommission zugrunde gelegt haben. Sie können sicher sein: Wir machen das gern ab dem 23. September. ({0})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Ich schließe die Aus- sprache und gehe davon aus, liebe Kolleginnen und Kol- legen, dass Sie den Bericht auf Drucksache 14/8900 zur Kenntnis genommen haben. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 6 a bis e sowie Zu- satzpunkt 7 auf: 6. a) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen ({0}) zu dem Antrag der Abgeordneten Dr.-Ing. Dietmar Kansy, Dirk Fischer ({1}), Eduard Oswald, weiterer Ab- geordneter und der Fraktion der CDU/CSU Für eine vorausschauende Wohnungs- und Städtebaupolitik - Drucksachen 14/6048, 14/9344 - Berichterstattung: Abgeordneter Wolfgang Spanier b) Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten Dr.-Ing. Dietmar Kansy, Dirk Fischer ({2}), Eduard Oswald, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU Die Talfahrt der Wohneigentumsbildung und politische Konzepte - Drucksachen 14/7124, 14/8297 - c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Finanzausschusses ({3}) zu dem Antrag der Abgeordneten Gerda Hasselfeldt, Eduard Oswald, Heinz Seiffert, weiterer Abgeord- neter und der Fraktion der CDU/CSU Bessere steuerliche Rahmenbedingungen für den Wohnungsbau - Drucksachen 14/6637, 14/9141 - Berichterstattung: Abgeordnete Dieter Grasedieck Elke Wülfing d) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung wohnungsrechtlicher Vorschriften - Drucksache 14/8993 ({4}) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen ({5}) - Drucksache 14/9347 - Berichterstattung: Abgeordner Hans-Michael Goldmann e) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung Bericht der Bundesregierung - Initiative Architektur und Baukultur - Drucksache 14/8966 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen ({6}) Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Ausschuss für Kultur und Medien ZP 7 Beratung des Antrags der Abgeordneten Wolfgang Spanier, Hans-Günter Bruckmann, Dr. Peter Danckert, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Franziska Eichstädt-Bohlig, Albert Schmidt ({7}), Helmut Wilhelm ({8}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN Die nachhaltige Stadt- und Wohnungspolitik weiter vorantreiben - Drucksache 14/9355 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen ({9}) Finanzausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Die Fraktion der CDU/CSU hat zu ihrer Großen Anfrage einen Entschließungsantrag vorgelegt, über den wir am Ende abstimmen werden. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache anderthalb Stunden vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Ich eröffne die Aussprache. Als erster hat der Kollege Wolfgang Spanier für die SPD-Fraktion das Wort.

Wolfgang Spanier (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002803, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich beginne mit einem knappen, aber zutreffenden Satz: Die Bilanz unserer Städtebau- und Wohnungspolitik ist rundum positiv. ({0}) Die Opposition in diesen vier Jahren war schwach, zumindest konzeptionell. Ich meine damit niemanden persönlich und schon gar nicht Herrn Dr. Kansy, weil ich weiß, dass er heute in diesem Haus zu unserem gemeinsamen politischen Feld seine „Abschiedsrede“ halten wird. ({1}) Bevor Sie sprechen, möchte ich Ihnen doch noch einmal in allem Ernst bescheinigen: Wir haben Sie in all den Jahren als einen erfahrenen, sachkundigen und fairen Kollegen kennen gelernt. Ich glaube, Ihr Ausscheiden aus dem Parlament ist ein Verlust für unseren Ausschuss und für unser politisches Feld. ({2}) Zunächst war unser wichtigstes politisches Ziel, den Reformstau, der sich nach 16 Jahren Regierung Kohl ergeben hatte, aufzulösen. Wir haben die wichtigsten Aufgaben gelöst. Wir haben nach 26 Jahren endlich das Mietrecht reformiert. ({3}) Wir haben das Wohngeld nach 10 Jahren endlich angehoben, und wir haben nach langjährigen Diskussionen endlich die Reform des sozialen Wohnungsbaus hin zur sozialen Wohnraumförderung geschafft. ({4}) Aber das Wesentliche ist: Wir haben insgesamt Städtebauund Wohnungspolitik enger verzahnt und eine Neuorientierung der Städtebau- und Wohnungspolitik mit dem Leitbild der Nachhaltigkeit eingeleitet, am deutlichsten zu erkennen bei der Städtebauförderung - die Mittel dafür haben wir übrigens in diesen vier Jahren verdoppelt - und bei den beiden innovativen Programmen „Soziale Stadt“ und „Stadtumbau Ost“. Beide sind richtungweisend für die Städtebau- und Wohnungspolitik auch der 15. Legislaturperiode. ({5}) Ich möchte auch auf eine Besonderheit des heutigen Tages hinweisen. Zum ersten Mal diskutieren wir heute über Baukultur. Der Präsident der Bundesarchitektenkammer hat wohl nicht nur mir geschrieben. Es ist in der Tat ein historischer Schritt, dass wir hier heute den ersten Bericht der Initiative Architektur und Baukultur diskutieren. ({6}) Ich glaube, dass wir auch dies zu den positiven Ergebnissen dieser Legislaturperiode zählen können. Meine Kollegin Gabriele Iwersen wird sicher gleich näher darauf eingehen. Vizepräsidentin Anke Fuchs Ich weiß - Sie, Herr Dr. Kansy, werden es sicher gleich wiederholen -, dass Sie die Zusammenlegung der beiden Ministerien immer kritisch begleitet haben. ({7}) Dennoch meine ich, dass sich diese Zusammenlegung durchaus bewährt hat. Die Bilanz dessen, was wir in diesen vier Jahren tatsächlich geschafft haben, ist entscheidend. Ich glaube, dass sich diese Bilanz im Vergleich zu den Bilanzen der vorherigen Legislaturperioden mehr als sehen lassen kann. ({8}) Ich sage aus meiner ganz persönlichen Sicht, dass man durchaus darüber nachdenken könnte und sollte, ob es richtig war, die beiden Ausschüsse zusammenzulegen. ({9}) Darüber wird man sicherlich noch einmal reden können, ({10}) weil es selbstverständlich auch bei einem zusammengelegten Ministerium zwei neben- und miteinander arbeitende selbstständige Ausschüsse geben kann. ({11}) Aber, Herr Dr. Kansy, ich muss Ihnen heute doch einmal in aller Deutlichkeit sagen: ({12}) Auf der einen Seite müssen wir uns seit vier Jahren das große Klagelied und die massive Kritik gegen die Zusammenlegung der beiden Ministerien anhören, während auf der anderen Seite ein, wie ich finde, sehr aufschlussreicher Artikel in der „Deutschen Verkehrs-Zeitung“ vom 7. Juni 2002 veröffentlicht wurde. Dort heißt es: Wenn die CDU die Bundestagswahl gewinnt, - „gewönne“, also Konjunktiv II, Irrealis, müsste es eigentlich sein, dann kommt es zu weit reichenden Veränderungen im Bundesministerium für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen. Überlegungen der gegenwärtigen Opposition gehen nämlich dahin, die erfolgte Zusammenlegung wieder aufzuheben. Jetzt kommt es: Die allgemeinen Bau- und Wohnungsbereiche sollen in das Bundeswirtschaftsministerium verlagert, die Wohnungsbauförderung einschließlich aller steuerlichen Regelungen beim Bundesfinanzministerium angesiedelt werden. ({13}) Was bleibt dann von einem Bauministerium überhaupt noch übrig? ({14}) Es ist so platzsparend, dass Sie es bald in einer Imbissbude unterbringen können. Ich bitte Sie, hierzu gleich doch noch ein paar deutliche Worte zu sagen. Es steht unwidersprochen auf der ersten Seite der „Deutschen Verkehrs-Zeitung“ und ist so der Öffentlichkeit mitgeteilt worden. ({15}) - Es kam, wie es heißt, aus Fraktionskreisen. ({16}) Sie können es klarstellen. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Opposition, es gehört auch zum Ritual, dass Sie den Rückgang der Fertigstellungszahlen beklagen. Sie übersehen dabei schlicht und einfach, dass die Baugenehmigungen und Fertigstellungen von der Nachfrage abhängen. Die Nachfrage ist nach Anfang der 90er-Jahre deutlich zurückgegangen. In weiten Teilen gibt es einen gesättigten Wohnungsmarkt und nur in einigen Ballungszentren gibt es noch Wohnungsnachfrage. Dort ist die Zahl der Baugenehmigungen und Fertigstellungen dementsprechend deutlich höher. Wenn ich das letzte Jahr betrachte, stelle ich fest, dass die Mieten, inklusive der Mietnebenkosten, um 1,4 Prozent gestiegen sind. Ich glaube, das ist ein sehr günstiger Wert. Ich möchte auf eine weitere Zahl eingehen, die in der öffentlichen Debatte selten eine Rolle spielt. 1998 betrug die Zahl der Wohnungslosen in unserem Land 680 000. Sie ist auf deutlich unter 500 000 zurückgegangen. Ich glaube, wir stimmen alle miteinander überein, dass das eine sehr erfreuliche Entwicklung ist. ({17}) Die Durchführungsverordnung zu § 72 BSHG, für die Sie, Herr Dr. Kansy - ich spreche Sie noch einmal ganz persönlich an; Sie werden heute verabschiedet - und natürlich auch andere, sich immer sehr stark eingesetzt haben, mag dabei eine große Rolle gespielt haben. ({18}) Die Union schlägt natürlich wieder neue steuerliche Subventionen vor. Das heißt, so neu sind sie gar nicht. Sie kommen in Ihrem Antrag wieder mit dem Vorkostenabzug, obwohl Sie damals in Ihrem Petersberger Programm - ich hätte beinahe „Petersburger Schlittenfahrt“ gesagt - selbst die Abschaffung dieses Vorkostenabzugs festgelegt haben. Sie kommen ({19}) mit der Abschaffung der Verlängerung der Spekulationsfrist und der Abschaffung der Absenkung der AfA, obwohl Sie 1996 selbst die Weichen dafür gestellt haben. Auch bei der Eigenheimzulage wollen Sie natürlich Verbesserungen. ({20}) Insgesamt - ich habe es durchgerechnet - fordern Sie schlicht und einfach 2 Milliarden DM jährlich zusätzlich, ohne irgendeinen Hinweis zu geben, wie das finanziert werden könnte. ({21}) Bestenfalls taucht irgendwann das schöne Wort „umschichten“ auf. Sie sagen immer nur, wohin Sie schichten, Sie sagen aber nie, wo Sie es wegnehmen wollen. Hier werden wir in den kommenden Monaten sicherlich kräftig nachhaken bzw. nachfragen. ({22}) Ihr Entschließungsantrag zeigt, dass Sie auf eines geradezu manisch fixiert sind, nämlich auf die Eigenheimzulage. Auch hierzu will ich Ihnen schlicht und einfach die Zahlen nennen. 1998 haben wir in diesem Bereich insgesamt 7 Milliarden DM und im Jahre 2001 15,7 Milliarden DM ausgegeben. ({23}) Es ist richtig, zu sagen, dass die Eigenheimzulage allein durch diese Verdopplung des finanziellen Volumens bei uns einen sehr hohen Stellenwert hat. Eines noch als Anmerkung: 50 Prozent fließen in den Bestandserwerb und 50 Prozent in den Neubau. ({24}) Sie werfen uns in Ihrem Entschließungsantrag vor, wir seien diejenigen, die die Bauwilligen verunsichern. Sie setzen noch einen obendrauf. Sie werfen der Bauministerkonferenz vor, dass sie eine Wirkungsanalyse in Auftrag gegeben hat, obwohl Ihre eigenen Länder, die B-Länder - Bayern allen voran -, maßgeblich daran beteiligt waren, diese Wirkungsanalyse auf den Weg zu bringen, die gegen Ende dieses Jahres vorliegen wird. Herr Beckstein ist also offensichtlich mitschuldig und muss dafür mithaften, dass die Zahl der Eigenheime rückläufig ist. ({25}) Wollen Sie eigentlich nicht wissen, ob das Geld effektiv und bedarfsgerecht ausgegeben wird? Sie wollen hier eine Denkblockade verhängen. Von daher ist dieser Vorwurf geradezu lächerlich. Einer Ihrer eigenen Leute, Herr de Maizière, Minister der CDU, nicht der SPD, in Sachsen, hat auf einem Kongress des GdW an der Förderung der Eigenheimzulage genau das Verhältnis von Bestand und Neubau kritisiert. ({26}) Der geheime Eichkater der Wohnungs- und Städtebaupolitik, Herr Nooke, hat dazu ebenfalls seinen Senf abgegeben. Bleiben Sie also ganz ruhig. Ich glaube, Sie bauen einen Popanz auf. Denkverbote wird es für uns nicht geben. Selbstverständlich sagen wir Ja zur Eigenheimzulage. Wir haben das Gesetz damals gemeinsam auf den Weg gebracht. Aber es kann nicht sein, die Effektivität dieses Instruments zu überprüfen, ohne dann möglicherweise Konsequenzen zu ziehen. Ebenfalls einen Popanz wollen Sie beim Thema einer höheren Erbschaft- und Grundsteuer aufbauen. Sie wissen ganz genau, dass die Bewertungsregeln für Immobilien bis 2006 verlängert worden sind. ({27}) Sie selbst und Ihre Länder haben Vorschläge zur Reform der Grundsteuer gemacht. Das finden wir richtig so, weil die Reform der Grundsteuer in dem Programm der nächsten vier Jahre steht. Eines muss man Ihnen offensichtlich immer wieder sagen: Die Initiative zur Veränderung - es muss etwas verändert werden - muss von den Ländern ausgehen. Auch hier, Herr Dr. Kansy und liebe Kolleginnen und Kollegen von der Opposition, bitte keine Denkverbote! Ich glaube, darüber werden wir in der kommenden Legislaturperiode sehr sachlich und sehr vernünftig reden können. ({28}) Drei Ziele haben wir uns für die kommende Legislaturperiode gesteckt: Erstens. Wir müssen die Neuorientierung in der Städtebau- und Wohnungspolitik konsequent weiterführen, Antworten auf die Stadtflucht suchen, die unsere Städte nach wie vor bedroht, Lösungen für das Problem der Zersiedlung und für die ganz unterschiedlichen regionalen Entwicklungen finden. Vergleichen Sie nur Frankfurt an der Oder mit Frankfurt am Main. Das können wir so nicht weiter hinnehmen. Auch deswegen gehören alle Förderinstrumente auf den Prüfstand, um sie treffsicherer zu gestalten. Wir brauchen eine Antwort auf das Ausbluten der Innenstädte. Deshalb begrüßen wir ausdrücklich die City21-Initiative unseres Ministeriums. Das ist der richtige Ansatz; das ist der richtige Weg. ({29}) Zweitens. Wir brauchen eine Reform des Bauplanungsrechts. ({30}) Dabei sind sicherlich neue wichtige Aspekte hinzugekommen, die die Novellierung notwendig machen. In diesem Zusammenhang sehe ich auch - das habe ich schon angesprochen - die dringend notwendige Reform der Grundsteuer. Drittens. Wohnen zur Miete, Wohnen im Eigentum und das genossenschaftliche Wohnen sind für uns gleichwertig. ({31}) Deshalb haben wir das Mietrecht novelliert und das Wohngeld erhöht. Ich sage frank und frei: Es kann nicht noch einmal zehn Jahre dauern, bis wir die nächste Wohngeldanhebung in diesem Hause beschließen. Dass wir mit der letzten so lange gewartet haben, war, glaube ich, ein schwerer Fehler und hat viele kleine Leute ganz entscheidend benachteiligt. Die Eigentumsförderung bleibt selbstverständlich erhalten. Aber auch sie gehört - hier gibt es kein Denkverbot - auf den Prüfstand. Wenn die Wirkungsanalyse vorliegt, werden wir die Gestaltung dieses Instruments gemeinsam mit den Bundesländern anpacken, gleich wie die Mehrheitshältnisse im Bundesrat sind. ({32}) Ein Letztes, was mir persönlich ganz besonders am Herzen liegt: Ich glaube, dass das genossenschaftliche Wohnen keine Traditionsform ist. Nach meiner Einschätzung ist das genossenschaftliche Wohnen in ganz besonderer Weise zukunftsweisend. ({33}) Unter Berücksichtigung all dessen, was in der Diskussion über die Zivilgesellschaft über das Wohnen gesagt worden ist, hat das genossenschaftliche Wohnen einen hohen Stellenwert. ({34}) Deshalb werden wir - das ist das dritte Ziel - in der kommenden Legislaturperiode unter Einbeziehung dessen, was in der entsprechenden Fachkommission vorbereitet wird und was wir bereits auf Kongressen vorbereitet haben - wir haben ja gemerkt, dass daran nicht nur bei den Wohnungsgenossenschaften ein großes Interesse besteht -, die Grundlagen für eine Renaissance des genossenschaftlichen Wohnungswesens in unserem Land legen. Ich bedanke mich ausdrücklich für die Zusammenarbeit. Natürlich gab es Differenzen und sind scharfe Worte gefallen. Das gehört selbstverständlich dazu. Schließlich müssen nicht nur die Gemeinsamkeiten, sondern auch die Unterschiede klar werden. Ich glaube, dafür werden auch die nachfolgenden Redner sorgen. Herzlichen Dank. ({35})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Nun hat das Wort der Kollege Dr. Dietmar Kansy für die CDU/CSU-Fraktion.

Dr. - Ing. Dietmar Kansy (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001064, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zuerst vielen Dank, Herr Spanier. Die persönliche Zusammenarbeit im Ausschuss war über viele Jahre hinweg hervorragend. Ich teile Ihre Bewertung dieser Zusammenarbeit. Es wird Sie aber sicherlich nicht wundern, dass ich der Bilanz, die Sie hinsichtlich der Wohnungspolitik, die Sie in dieser Legislaturperiode gemacht haben, gezogen haben, nicht zustimmen kann. Ich sehe das völlig anders. Ich gehe in das Jahr 1998 zurück und frage: Wie stellte sich die Lage auf dem Wohnungsmarkt damals, als Sie die Regierung übernommen haben, eigentlich dar? Damit wir nicht in Wahlkampfatmosphäre Verdächtigungen aussprechen, möchte ich einfach die Zahlen und die Sachverständigen sprechen lassen, die am 24. April in der großen Anhörung unseres Ausschusses ihre fachliche Bewertung - wohlgemerkt nicht die Bewertung Ihrer Politik, verehrter Herr Kollege Maaß - vorgetragen haben. Zuerst die Zahlen: 1998 wurden in Deutschland 432 000 Wohnungen gebaut und 408 000 Baugenehmigungen erteilt. Heute erwarten alle Fachleute, dass im Jahr 2002 insgesamt 250 000 Wohnungen gebaut werden und dass die Zahl der Baugenehmigungen bei 230 000 liegen wird. Frau Kollegin, das ist weit unter der unbestrittenen Ersatzbaurate. Ich bin nicht auf die Superzahlen aus den 90er-Jahren fixiert, als - zu Recht - über 600 000 Wohnungen gebaut wurden. ({0}) Die gleiche Entwicklung zeichnet sich auch im Bereich des Eigenheimbaus ab. 1998 wurden 221 000 Eigenheime gebaut, während es dieses Jahr höchstens 170 000 sein werden. Bei dieser Gelegenheit darf man wohl auch sagen - der Kollege Wiesehügel ist ja schließlich nicht nur ein wortgewaltiger Gewerkschafter, sondern auch Abgeordneter -, dass in den letzten vier Jahren 200 000 Jobs auf dem Bau durch Ihre Politik verloren gegangen sind. ({1}) - Nein, es ist völlig richtig: Ich teile die Auffassung von Herrn Spanier insoweit, dass Arbeitsplätze allein kein Grund dafür sein können, um Geld zu investieren und Wohnungen zu bauen. ({2}) - Frau Eichstädt-Bohlig, Sie brauchen gar nicht „Aha“ zu sagen. Ihre Argumente kennen wir ja: Über 1 Million Wohnungen stehen in Deutschland leer; ({3}) die Bevölkerung geht zurück. ({4}) Es ist wahr: In diesem Land stehen mehr als 1 Million Wohnungen leer. In diesem Zusammenhang stellt sich für diesen hoch verschuldeten Staat eine Frage. Das reicht jetzt weit über unsere heutige Debatte hinaus, Herr Minister, wobei ich hoffe, dass Sie nicht mehr so lange Minister sind. Für die nächste Legislaturperiode müssen wir uns fragen: Müssen wir 57 Jahre nach Kriegsende und Vertreibung und zwölf Jahre nach der deutschen Einheit noch diese Milliardensummen in den Wohnungsbau stecken und, wenn ja, muss der Bund das tun? Es ist schon angesprochen worden, dass dies wahrscheinlich meine letzte Rede im Deutschen Bundestag ist, zumindest als Abgeordneter. Ich habe fast 22 Jahre dem Ausschuss für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau bzw. dem heutigen Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen angehört. Das erste Resümee, das ich heute, insbesondere auch in Anbetracht der Sachverständigenanhörung, ziehen möchte, ist: Es ist dringender denn je, für die Wohnungs- und zwischenzeitlich auch für die Städtebaupolitik eine längerfristige Marktbeobachtung und Gesellschaftsbeobachtung durchzuführen und vor allem eine Verstetigung hineinzubringen, statt eine Politik des Schweinezyklus zu betreiben, wie das in den letzten vier Jahren passiert ist. ({5}) Sie beschwören die Tatsache, dass mehr als 1 Million Wohnungen leer stehen. ({6}) Wenn in Frankfurt/Oder Wohnungen leer stehen, dann nutzt das denen, die in Frankfurt am Main eine Wohnung suchen, nichts. Das ist das Problem. ({7}) - Wenn die Einwohnerzahl zurückgeht, dann - dieser Zwischenruf ist richtig - geht noch längst nicht die Zahl der Haushalte in diesem Land zurück. Wir werden in ganzen Regionen Deutschlands noch dekadenlang einen Anstieg der Zahl der Haushalte zu verzeichnen haben. Deswegen ist das Motto „Ruhige Hand im Wohnungsbau“ falsch. ({8}) In den neuen Bundesländern - auch das ist angesprochen worden - gibt es einen dramatischen Wohnungsleerstand, aus unterschiedlichen Gründen; die interpretiert jeder natürlich nach seiner Façon. Viele Wohnungsunternehmen sind zwischenzeitlich am Rande der Existenzgefährdung. Es wird auch städtebauliche Auswirkungen haben, wenn wir so weitermachen; da teile ich Ihre Bewertung, Herr Kollege Spanier. Wir sind hier - wir gemeinsam, Bund, Länder, Union, SPD und die anderen Parteien - auf dem richtigen Weg. Aber gehen Sie einmal in die neuen Länder! Wir tun das ja: Wir ziehen von Kongress zu Kongress. Da sind noch viele Probleme zu lösen. Wenn sie nicht gelöst werden, wird einiges schiefgehen. Ich nenne zum Beispiel die Grunderwerbsteuer. Ich weiß: Das ist Länderzuständigkeit, aber es bedarf der Zustimmung des Bundes. Die Grunderwerbsteuer behindert oft die dringend notwendige Fusion von Unternehmen. Ungelöst! ({9}) Der Altschuldenerlass müsste eigentlich für alle Wohnungen gelten, die leer stehen; denn sonst kriegen viele Unternehmen die Kurve nicht. Das KfW-Programm, Herr Minister, läuft nicht so, wie wir alle uns das vorgestellt haben. In den einzelnen Ländern gibt es sagenhafte Miet- und Belegungsbindungen, die eine vernünftige Reformpolitik in diesen Städten unmöglich machen. ({10}) Die Möglichkeit der Verwertungskündigung bei Beständen mit nur noch wenigen Mietern, die verhindern, dass da eine städtebauliche Bereinigung stattfindet, hätten wir im Mietrecht verankern müssen. Da haben Sie sich verweigert. Kurzum: Die Probleme - das muss einfach einmal festgestellt werden - entwickeln sich trotz dieses Programms zurzeit schneller, als die Lösungen greifen. Ich frage Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von beiden Regierungsparteien: Welche Bilanz müssen wir nach Ihren vier Jahren denn nun tatsächlich ziehen? - Nicht die geschönte Bilanz vom liebenswerten Kollegen Spanier! ({11}) - Moment! - Jetzt kommt die Bilanz des auch liebenswerten Kollegen Dietmar Kansy: Wohngeldnovelle - okay. Warum okay? - Weil wir den von Ihnen im Bundestag gefassten Beschluss, durch den die Länder und Gemeinden mit 2,5 Milliarden zur Kasse gebeten worden wären, im Bundesrat zunichte gemacht haben. ({12}) - Natürlich! Das war der Gesetzentwurf! Das war ein weiterer Anschlag auf die Kommunen, die wegen der Belastungen durch den Bund ohnehin nicht vor und zurück wissen. ({13}) - Eigentlich, Herr Staatssekretär, ist die Häufung der Zwischenrufe von der Regierungsbank ungewöhnlich. ({14}) - Nein, sie ist eigentlich ungewöhnlich. Aber es sei Ihnen konzediert. Wir haben schließlich viele Jahre zusammengearbeitet. Das Programm „Die soziale Stadt“ - dort sitzt der letzte Bauminister; er sollte mir zuhören, wenn ich ihn anspreche, aber er hört nicht zu - ist nämlich schon unter der alten Bundesregierung in der ARGEBAU angestoßen und umgesetzt worden. Wir unterstützen das Programm voll. Es ist auch jahrelang vorbereitet worden. Das ist völlig richtig; ich sage auch nichts dagegen. Wir von der CDU/CSU-Fraktion haben auch immer die Reform des sozialen Wohnungsbaus begrüßt. Wir hatten aber in Teilbereichen eine andere Meinung und haben Ihnen schon damals gesagt: Wer so viele Hoffnungen in diese Gesetzgebung setzt, muss wenigstens andeutungsweise eine entsprechende Dotierung vorsehen. Die von Ihnen vorgenommene Dotierung aber ist eine Luftnummer. ({15}) Deswegen komme ich nun tatsächlich - wie Sie es schon vorhergesehen haben - auf das Thema eines selbstständigen Bauministeriums sowie auf die Folgen zu sprechen, die sich daraus ergeben, dass es ein solches Ministerium nicht mehr gibt. Erst kam es zur Abschaffung des Ministeriums, dann zur Verschlechterung der steuerlichen Rahmenbedingungen im Wohnungsbau. Dann folgten die Reform des Mietrechts zulasten der Investitionen im Wohnungsbau, die mehrmalige Verschlechterung der Eigenheimzulage, ({16}) eine radikale Kürzung der Mittel im sozialen Wohnungsbau auf ein Drittel des Ansatzes und die verunsichernde Diskussion über die Vermögen- und Erbschaftsteuer, die die Bürgerinnen und Bürger davon abgehalten hat, noch in den Wohnungsbau zu investieren, und die De-factoAusklammerung der Wohnung in der Riester-Rente, die der Minister als sehr gute Lösung bezeichnet hat. Und Sie wundern sich, warum nur noch halb so viele Wohnungen gebaut werden wie in unserer Regierungszeit! - Wir wundern uns nicht, meine Damen und Herren. ({17}) Übrigens ist der Wohnungsmarkt 1987 das letzte Mal so stark eingebrochen, Herr Bauminister. Bedauerlicherweise musste der damalige Bauminister kurzfristig gehen und es wurde eine neue Ministerin ernannt. Mehr möchte ich dazu nicht sagen. ({18}) Wenn bei den öffentlichen Finanzen - ich gehe dabei nicht von Eichels Zusagen gegenüber Brüssel aus, sonst könnten wir unsere Arbeit im Bundestag gleich einstellen - in Zukunft der Gürtel noch enger geschnallt werden muss, ist es zulässig - ich unterstreiche alle Zwischenrufe in dieser Richtung -, über die staatliche Dotierung des Wohnungs- und Städtebaus zu diskutieren. Wenn wir aber nicht über zusätzliche Mittel verfügen, brauchen wir dringender denn je eine steuernde Hand. Dann brauchen wir eine Wohnungspolitik des Bundes, die alles mit einbezieht, was ohne zusätzliche staatliche Mittel getan werden kann, damit in diesem Land wieder Wohnungen gebaut werden. ({19}) Das zweite Ergebnis der Anhörung war: Die unmissverständliche vorherrschende Meinung der Experten war, dass es ein großer Fehler war, die beim Bund liegenden Kompetenzen - solange es diese Kompetenzen gibt; er hat sie schließlich nicht abgegeben - nicht in einem selbstständigen Ministerium zu bündeln. Hinter dem Begriff „gut informierte Kreise“ kann sich alles verbergen, Herr Kollege Spanier. Die CDU/CSUBundestagsfraktion und insbesondere Dietmar Kansy vertreten die Meinung: Solange es hinsichtlich der Aufgabenteilung in Deutschland keine Bereinigung gibt, brauchen wir auf Bundesebene ein Bauministerium. ({20}) Aber die steuernde Hand, von der ich sprach, gibt es nicht mehr. Herr Spanier, Sie haben zu Recht gesagt - ich habe Ihnen auch Beifall geklatscht; hoffentlich ist das im Protokoll vermerkt -, dass wir uns als Parlament fragen müssen, ob wir nicht einen Fehler gemacht haben, dass wir, wenn wir schon nicht die Abschaffung des Ministeriums verhindern konnten - das sage ich aus der Sicht der Opposition -, nicht zumindest den Wohnungs- und Städtebauausschuss behalten haben. Wir sollten uns, wer auch immer die nächste Regierung bildet, vornehmen, zu versuchen, wenigstens diesen Ausschuss wieder einzurichten. Ich meine, wenn wir das gemeinsam machen, kommen wir schon ein Stück weiter. Steuergesetze werden nun einmal im Finanzministerium und im Finanzausschuss entworfen. Sie betreffen den Wohnungsbau elementar. Das Mietrecht entsteht im Justizministerium und im Rechtsausschuss. Das betrifft uns unmittelbar. Die Riester-Rente und die Frage der Einbeziehung des Wohnens wird im Arbeitsministerium und im Arbeitsausschuss behandelt. Auch das betrifft uns unmittelbar. An der Eigenheimzulage wird im Finanzministerium und im Finanzausschuss gearbeitet. Die Kette könnte fortgesetzt werden: Wohngeld wieder bei uns, HOAI im Wirtschaftsministerium. Wenn es, Frau Eichstädt-Bohlig, keine ordnende Hand gibt ({21}) und wenn es keinen Bauminister gibt - wir hatten ja schon drei in dieser Legislaturperiode, die sich zwar so nannten, aber selbst in der Öffentlichkeit nur noch als Verkehrsminister bezeichnet wurden; das wundert keinen, der Ihre Baupolitik kennt -, ({22}) der diese Sachen zusammenführt und notfalls einmal mit der Faust auf den Kabinettstisch haut, damit selbst dann, wenn kein Geld da ist, eine vernünftige Wohnungs- und Städtebaupolitik gemacht wird, können wir uns als Bund von dieser Aufgabe verabschieden. ({23}) Zur Bildung von Wohneigentum will ich nichts sagen, weil dazu der Kollege Dr. Meister einiges für unsere Fraktion sagen wird. Unsere Aussagen für die Zukunft wird gleich der Kollege Oswald tätigen. Eines sage ich Ihnen aber noch, Frau Eichstädt-Bohlig - der Frosch, den ich jetzt im Hals habe, ist kein grüner Frosch -: Ihnen wird es nicht gelingen - ich freue mich, dass fast alle Wohnungsund Bauverbände, die kirchlichen Siedlungswerke und der Familienbund Seite an Seite mit der CDU/CSU stehen -, mit allen möglichen Tricks und Vorbehalten die Taktik durchzuhalten, die Frage der Eigentumsbildung insbesondere durch Neubau vor der Wahl aus der Diskussion zu lassen. Den Zahn der Hoffnung, da nach dem Wahltag abkassieren zu können, will ich Ihnen auf zweifache Weise ziehen: Erstens werden Sie die Öffentlichkeit in dieser Frage nicht vereinnahmen können und zweitens werden Sie nach der Wahl keine Gestaltungsmöglichkeit mehr haben. ({24}) Meine Damen und Herren, die CDU/CSU unterstützt die „Initiative Architektur und Baukultur“ in Deutschland. Das erste Jahr, Herr Minister, war ermutigend. Es kann aber bestenfalls der Anfang sein. Wenn man unter Baukultur mehr versteht als die Herstellung von bebauter Umwelt, also beispielsweise auch den Umgang mit dieser Umwelt, dann darf es hier nicht nur um Planen und Bauen gehen, sondern beispielsweise auch um Qualitätssicherung und Instandhaltung. Das beschränkt sich dann nicht nur auf Architektur, sondern muss alle Ingenieurbereiche umfassen: also auch die Stadt- und Regionalplanung. Sie haben hier keineswegs schon den Durchbruch geschafft. Zum Abschluss möchte ich als Vorsitzender der Baukommission, der ich im Parlament auch viele Jahre gewesen bin, an folgende Sache erinnern: Man muss sich einmal vorstellen, dass der Bundesrechnungshof kritisiert hat, Frau Kollegin Iwersen, dass wir für den Umbau des Reichstagsgebäudes einen Wettbewerb ausgeschrieben haben. Das ist eine Anmaßung der dortigen Damen und Herren. ({25}) Der frühere Kollege Peter Conradi hat zu Recht von Rechnungshofarchitektur gesprochen; das ist auf jeden Fall alles andere als Baukultur, wenn wir in diesem Lande nach diesen Maßstäben verfahren. Ebenso wenig ist es ein Weg zu mehr Baukultur, wenn ein junger Stadtbaurat, der den Mut hat, ein Angebot eines Unternehmers, der unter drittem Namen nach zwei Pleiten wieder mit einem neuen Angebot auftaucht, das auf dem Papier in Ordnung ist, abzulehnen, weil so nichts Nachhaltiges geschaffen werden kann, dafür vom Bund der Steuerzahler in die Pfanne gehauen wird. So praktisch stellt sich die Frage Baukultur in dieser Gesellschaft dar. Diese Punkte werden Sie im Ausschuss mit Ausnahme von uns wenigen, die ausscheiden, in der nächsten Legislaturperiode gestalten können. Ich wünsche Ihnen viel Glück dabei. Danke schön. ({26})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Herr Kollege Kansy, ich spreche Ihnen im Namen des ganzen Hauses unseren Dank für Ihr Engagement aus und wünsche Ihnen alles Gute für den neuen Lebensabschnitt. Herzlichen Dank! ({0}) Nun hat das Wort die Kollegin Franziska EichstädtBohlig für Bündnis 90/Die Grünen.

Franziska Eichstädt-Bohlig (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002643, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ganz besonders spreche ich Sie, liebe Kollegin Gabriele Iwersen und lieber Kollege Kansy, an. Ich finde es schon ein wenig schade, dass Sie ausscheiden. Wenn man einmal von den Hahnenkämpfen hier im Plenum absieht, sind die Gemeinsamkeiten in der Baupolitik eigentlich sehr groß. Allerdings hatte ich eben das Gefühl, dass Sie mehr eine Bewerbungsrede gehalten haben, um in Stoibers Schattenriege aufgenommen zu werden, als ernst zu nehmende Kritik an der Baupolitik von Rot-Grün geübt haben. ({0}) Die Fachleute müssen prüfen, ob das wirklich sinnvoll ist oder ob die Baupolitik nicht doch lieber in rot-grünen Händen bleiben sollte. Ich glaube, Sie haben mit Ihrer Rede fast dafür gesorgt, dass die Öffentlichkeit von Letzterem eigentlich sehr viel eher überzeugt wird. ({1}) Wenn Sie ehrlich sind, dann müssen Sie zugeben: Sie sind neidisch, dass wir es geschafft haben, die Reform von Wohngeld, sozialem Wohnungsbau sowie Mietrecht durchzuführen und dass wir das zukunftsweisende Programm „Die soziale Stadt“ ins Leben gerufen haben. Da Sie darauf verwiesen haben, dass sich die ARGEBAU um dieses Programm schon lange bemüht hat, sage ich Ihnen: Auch Sie hätten dafür sorgen können, dass diese Angelegenheit endlich unter Dach und Fach ist. Darüber hinaus verweise ich auf den Stadtumbau Ost - auch das haben wir auf den Weg gebracht -, auf die Energiesparverordnung und auf ein umfassendes Altbausanierungsprogramm. Es ist wirklich eine riesige Leistung, ein so umfangreiches bau- und wohnungspolitisches Programm aufzulegen, das soziale Gerechtigkeit und ökologische Innovation voranbringt. Diese Leistung lassen wir uns von niemandem mies machen. Wenn Sie ehrlich sind, dann müssen Sie mir zustimmen: Eigentlich können Sie uns dieses Programm gar nicht mies machen. ({2}) Ich bedanke mich bei dem Ministerium, bei Minister Bodewig, bei Staatssekretär Großmann. Ich bedanke mich bei den Kolleginnen und Kollegen von der SPD-Fraktion, bei Iris Gleicke - sie ist heute nicht da -, bei Wolfgang Spanier, beim Kollegen Weis, bei Gabriele Iwersen, dafür, dass wir wirklich so gut und so konstruktiv zusammengearbeitet haben. Ich finde, wir waren ein tolles Team und, wie gesagt, manchmal für die Opposition unausstehlich. Aus meiner Sicht drückt sich darin ein Stück Qualität aus. ({3}) Ich bedanke mich aber auch bei der Opposition, bei Ihnen, Kollege Kansy, bei der heute fehlenden Kollegin Ostrowski und beim Kollegen Goldmann, für die Oppositionsarbeit. Manchmal haben Sie durch Ihr Drängen bewirkt, dass wir vorankamen. Das hat unserer Politik gut getan. Ihre inhaltlichen Konzepte sind aber bis zur Stunde nicht die besseren; deswegen möchte ich ein deutliches Wort zur Sache sagen: Kollege Kansy und Kollege Goldmann, es tut mir Leid, sagen zu müssen, dass Sie eigentlich noch immer das Bild der Baupolitik der 80er-Jahre im Kopf haben. Erstens nehmen Sie den Bevölkerungsrückgang nicht ernst, zweitens ignorieren Sie, dass die Wohnungsmärkte in weiten Teilen Deutschlands inzwischen ausgeglichen sind. Aus Gründen der Marktentwicklung können wir nicht einfach wieder Wohnungsüberschüsse produzieren - darauf hat der Kollege Spanier eben schon hingewiesen -, sondern wir müssen uns die verschiedenen regionalen Märkte sehr ernsthaft, sehr differenziert anschauen. Ich bitte Sie, den Unterschied zwischen Frankfurt/Oder und Frankfurt/Main oder zwischen München und Berlin endlich ernst zu nehmen. Das ist mir so wichtig, weil wir die Immobilien derjenigen Bürger entwerten, die bis heute in Immobilien investiert haben - egal ob in Eigenheime oder in Mietwohnungen -, wenn wir die Bauwirtschaft so stimulieren, dass es zu einem Überangebot an Wohnungen kommt. Eine Politik, die dazu beiträgt, dass durch Wohnungsüberschüsse die Objekte, die bereits bestehen, genutzt werden, finanziert sind und sich refinanzieren müssen, entwertet werden, wäre unverantwortlich. ({4}) Ich fordere Sie deshalb auf, keine Wohnungsüberschusspolitik zu machen. Sie forcieren eine Politik - dieses Problem kommt hinzu -, deren Maxime lautet: Eigenheimbau, Eigenheimbau, Eigenheimbau. Mit einer steigenden Anzahl an Eigenheimen ist nicht nur das ökologische Problem der Zersiedelung verbunden - darauf will ich heute gar nicht eingehen, obwohl mir als Grüne das besonders am Herzen liegt -, sondern auch das Problem einer immer größeren sozialen und ökonomischen Schwächung der Städte. Ich bitte Sie, endlich zur Kenntnis zu nehmen, dass man nicht einfach immer nur „Mehr Markt, mehr Markt, mehr Wohnungen, mehr Wohnungen“ rufen kann - Sie haben das eben wieder in einer perfekten Form gemacht -; vielmehr müssen wir sehen, dass die von Ihnen angestrebte Politik zum sozialen Auseinanderdriften der Städte führt, weil die Schicht der Besserverdienenden und insbesondere die Familien mit Kindern ins Umland abwandern, während in den Städten, vor allem in den alten Arbeitervierteln, die sozialen Probleme zurückbleiben. Sosehr wir uns für das Programm „Die soziale Stadt“ auch engagiert haben: Durch das Programm „Die soziale Stadt“ kann nicht all das aufgefangen werden, was passieren wird, wenn immer nur die Zersiedelung gefördert wird, so wie Sie es gerne wollen. Auch heute haben Sie entsprechende Pläne wieder dargestellt. Ihr Antrag propagiert diesen Ansatz ebenfalls. ({5}) Lassen Sie mich auch ein Wort zur Bauwirtschaft sagen. Sie haben darauf hingewiesen, dass die Bauwirtschaft von der Zahl der Baugenehmigungen und von der Ersatzbaurate abhängt. Das stimmt nicht. Wenn man mehr in den Wohnungsbestand investiert - wir alle haben unsere verschiedenen Instrumente dahin gehend orientiert -, dann braucht man nicht so viele Ersatzwohnungsneubauten; vielmehr qualifiziert und fördert man dadurch die Gebäude und die Wohnungen derjenigen, die bereits eine Immobilie besitzen, also Immobilieneigentümer sind. Gegenüber diesen Menschen handelt man dann verantwortlich. Es ist eine solide und richtige Politik, dass wir die Eigentümer nicht unnötig einer Konkurrenzsituation aussetzen, sondern dass wir nur an den Orten den Neubau fördern, an denen er gebraucht wird. An den anderen Orten müssen wir sehr viel vorsichtiger agieren und unser Vorgehen am Bestand ausrichten. ({6}) Das hilft der Umwelt, den Städten sowie der Bauwirtschaft und trägt außerdem dazu bei, den sozialen Zusammenhalt zu fördern. Ich möchte nach wie vor bei Ihnen dafür werben - ich habe es vier Jahre lang vergeblich getan -, endlich die Realitäten zur Kenntnis zu nehmen. Lassen Sie mich jetzt ein paar ernste Worte zu den Aufgaben sagen, die als Nächstes auf uns zukommen. Wir haben zwar sehr viel geschafft, aber wir haben noch sehr viel vor. Rot-Grün wird diese Ziele in der nächsten Legislaturperiode angehen - selbstbewusst und in Zusammenarbeit mit den Kommunen, Ländern und der Wohnungswirtschaft. Wir müssen die demographischen und sozialen Veränderungen, aber auch die neuen Lebensweisen und Formen des Zusammenlebens, die sich in unserer Gesellschaft abzeichnen, endlich ernst nehmen. Zum einen gibt es einen Bevölkerungsrückgang. Die Einwohnerzahl wird von 82 Millionen auf 70 Millionen im Jahr 2050 sinken, gegebenenfalls sogar noch darunter. Einige Prognosen sagen sogar eine Einwohnerzahl von 60 Millionen voraus. Das ist eine dramatische Entwicklung. Zum anderen gibt es noch den traditionellen Kleinfamilienhaushalt, auf den der Wohnungsbau, die städtische Infrastruktur und die von den Konservativen gewünschte Bauförderung noch immer ausgerichtet ist, der sich aber verändert hat und der sich noch weiterhin verändern wird. Wir haben längst eine individualisierte und sehr differenzierte Gesellschaft, die ganz unterschiedliche Wohnund Lebensformen hervorbringt. Darauf müssen wir die Politik ausrichten. Wir müssen vor allem Tatsachen wie die Überalterung der Gesellschaft, die Kinderlosigkeit, das räumliche Auseinanderdriften wie das Wegziehen der Familien mit Kindern in das Umland und auch den Aspekt der altershomogenen Siedlung berücksichtigen. All diesen Themen müssen wir uns stellen. Wir werden uns ihnen insbesondere mit dem Ziel stellen, die Bedeutung der Städte und des vorhandenen Siedlungsbestandes zu stärken. Das heißt aber nicht, dass wir gegen den Neubau sind. Wir sind jedoch der Meinung, dass der Neubau überwiegend in Verbindung mit der Erhaltung des Siedlungsbestandes, mit der Sanierung von vorhandenen Wohnungsbeständen und mit dem Ausbau der vorhandenen Infrastruktur erfolgen sollte. ({7}) Das ist unser wesentliches Ziel. Wir werben daher dafür, dass sich die Städte, aber auch die Wohnungs- und Immobilienwirtschaft sowie die Bausparkassen bis hin zu den Architekten daran aktiv beteiligen. Alle sind aufgefordert, an der Umsetzung des Leitbildes „Wohnen in den Städten“ konstruktiv mitzuwirken, damit wir den sozialen Zusammenhalt in unseren Städten und in unserer Gesellschaft nicht gefährden. Wir werben mit großem Nachdruck für eine kinderund familienfreundliche Stadt, aber gleichzeitig auch für eine altersgerechte Stadt. Wir müssen nämlich damit rechnen, dass im Jahre 2015 35 Prozent der Menschen in unserer Gesellschaft - in Ost wie in West - zu den Senioren zählen, sprich: über 60 Jahre alt sind. Auch diese Tatsache spricht ein wenig gegen das Bild, das Sie mit Ihrer Politik propagieren. Es besteht folgende Gefahr: Wenn wir die Weichen jetzt nicht richtig stellen - in der Wohnungspolitik kann man nicht in Vierjahresabschnitten denken; sie muss langfristige Zyklen in den Blick nehmen -, ({8}) dann kann die Gesellschaft für die Jahre 2015 bis 2050 nicht vernünftig planen, fördern und bauen. Wir wollen nicht, dass im Jahre 2050 die Wohnungen, die wir jetzt fördern, leer stehen. Aufgrund Ihrer Politik besteht aber die Gefahr, dass die Wohnungen schon im Jahre 2015 leer stehen. Wir haben im Osten gesehen, wie schnell der Wechsel von Wohnungsbedarf und Wohnungsnot zu Wohnungsüberhängen erfolgen kann. Wir möchten nicht, dass heute der Bau und morgen der Abriss gefördert wird. Es ist schon schlimm genug, dass wir die Abrisse in Ostdeutschland fördern müssen. Wir tun dies nicht zum Vergnügen, sondern weil wir wissen, dass ohne diese Wohnungsmarktbereinigung die Grundlage für lebenswerte Städte nicht geschaffen werden kann. Darum handeln wir auf diese Weise. Wir wünschen dem Westen nicht - dafür werden wir mit unserer Politik sorgen -, dass in einzelnen Städten Verhältnisse eintreten, wie sie jetzt im Osten zu finden sind. Das darf nicht sein. Deswegen bekämpfen wir die politische Strategie, ({9}) die Sie und auch die FDP so vehement propagieren. Abschließend möchte ich noch auf das eingehen, was bundespolitisch zu tun ist, aber zunächst noch Folgendes anmerken: Es geht eben nicht nur darum, die eigentumsorientierte Politik gegen die mieterorientierte Politik auszuspielen. Das halten wir für völlig falsch, denn wir wollen sowohl Mieter als auch Eigentümer im Siedlungsbestand und in gestärkten Städten und Siedlungsregionen haben. Wir sollten also nicht so tun, als ginge es um die Rechtsform. Vielmehr geht es um die sich verändernden Wohnansprüche, um differenzierte Lebensformen, aber vor allem auch um das Wohnumfeld, um das soziale Milieu, um die Qualität von Schulen und Kitas, um Sport, Spiel und Grün. Wegen dieser Aufgaben sind die künftige Wohnungspolitik und die Bauförderung nicht nur auf das Ziel auszurichten, die Städte zu stärken. Vielmehr stellt sich die Frage, wie es mit der Steuerpolitik und der Stärkung der Gemeindefinanzen weitergeht. Von daher ist es für uns ein ganz zentrales, entscheidendes Ziel, die Gemeindefinanzen wieder zu stabilisieren, damit die Gemeinden in Infrastruktur, in Grün, in Sport- und Erholungsmöglichkeiten investieren können - für die Kinder, für die Familien, für die Zukunft unserer Gesellschaft. Das ist unser politisches Leitbild. ({10}) Lassen Sie mich noch etwas zur Förderung der Wohneigentumsbildung sagen. Wir sind nicht gegen das Wohneigentum. Ich habe eben bewusst gesagt: Wir wollen keine der beiden Formen gegeneinander ausspielen. Wir sind aber dafür, dass auch die Eigentumsförderung konstruktiv mit städtebaulichen, sozialen und ökologischen Zielen verknüpft wird. Wir sind dafür - an dieser Stelle gab es auch einige Dissense in der Koalition -, ({11}) dass das Wohneigentum als wichtige Säule der Altersvorsorge gestärkt wird. Wir werden uns in der nächsten Legislaturperiode aktiv dafür einsetzen, dass der Erwerb von Wohneigentum weiter erleichtert wird. Ich sage es an dieser Stelle ganz deutlich: Wir meinen, die Eigenheimzulage muss mit dem Ziel reformiert werden, die Wohneigentumsförderung dort zu stärken, wo sie städtebaulich wirklich sinnvoll und nötig ist. Mit ihr muss der Erwerb von Wohneigentum im Bestand und in den Städten mehr als bisher unterstützt werden. Deshalb sind wir für zwei Bausteine der Wohneigentumsförderung. Der erste besteht in der Stärkung der Bestandsförderung und der zweite in einer regionalen Differenzierung, die wir für nötig halten, um den regionalen Marktunterschieden besser gerecht zu werden. Sie haben Recht: Wir haben es in dieser Legislaturperiode nicht geschafft, die Förderung von Wohnungsgenossenschaften neu zu regeln. Aber wenn Sie unsere Bilanz sehen und ernst nehmen, dann müssen Sie zugeben: Wir haben wirklich viel auf den Weg gebracht. Aber wir wollen in der nächsten Legislaturperiode natürlich auch noch ein paar Aufgaben haben. ({12}) - Nein, nach dem 22. September 2002 machen wir mit Vergnügen weiter. Wir werden die Wohnungsbaugenossenschaften weiter fördern. Wir wollen sie auch im Rahmen der Eigenheimzulage weiter stärken, weil sie erstens eine sehr wichtige Alternative zum individuellen Eigentum sind; denn genossenschaftliche Wohnungen stehen zwischen Mietwohnung und Eigentumswohnung und sind insofern auch für Haushalte mit kleinem Portemonnaie die geeignete Wohnform. Zweitens sind sie sehr wichtige Akteure, um Nachbarschaft und sozialen Zusammenhalt in den Stadtteilen und Siedlungen zu stärken. Daher haben wir ein besonderes Interesse an genau dieser Wohn- und Rechtsform. Wir werden uns in der nächsten Legislaturperiode verstärkt aber auch dem Thema Grundsteuer zuwenden. Die Gemeindefinanzreform habe ich schon genannt. Wir glauben, dass es im Steuerrecht nicht darum geht, mehr Erleichterung und mehr Steuervorteile für den Wohnungsbau in der Annahme zu gewähren, dann werde wieder mehr gebaut und die Welt sei wieder in Ordnung. So ungefähr lauten Ihre Anträge. Wir wollen vielmehr mit den Instrumenten des Steuerrechts und der Gemeindefinanzreform die Städte und die bestehenden Siedlungsregionen stärken und auch die Grundsteuer in diesem Sinne reformieren, um der Entsolidarisierung und dem räumlichen Auseinanderdriften nicht weiter Raum zu geben. ({13}) - Das heißt nicht, die Grundsteuer zu erhöhen; vielmehr soll sie genau ausdifferenziert werden. Dafür gibt es das Modell der Bodenwertsteuer. Die Diskussionen reichen bis zu einer reinen Flächensteuer. Lassen Sie uns in der nächsten Legislaturperiode differenziert über die sinnvollste Vorgehensweise diskutieren. ({14}) Aber wir werden das auch als Instrument nutzen, um die Flächenpotenziale im Bestand, die Brachen, die wir seit dem Freiwerden der großen Industriestätten, Militärstätten, Infrastrukturstätten, zum Beispiel der Bahn und der Post, haben, aktiv nutzbar zu machen. Ich hoffe, dass das ebenfalls ein gemeinsames Ziel ist. Ich komme zum Schluss. Ich möchte mich, weil die Differenzen zwischen Opposition und Koalition außerhalb des Plenums, wenn man ehrlich ist, so groß gar nicht waren, bei allen ganz herzlich bedanken und insbesondere Kollegin Gabriele Iwersen und dem Kollegen Kansy alles Gute für die nächsten Jahre wünschen. ({15})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Das Wort hat jetzt der Kollege Hans-Michael Goldmann für die FDP-Fraktion.

Hans Michael Goldmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003133, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich habe mich auf die heutige Debatte gefreut, auch deshalb, weil sie Gelegenheit gibt, Dank für überwiegend gute Zusammenarbeit zu sagen. Das gilt vor allem für den Kollegen Maaß, den ich herausheben möchte; der „kleine Trompeter“ wird mir in besonders guter Erinnerung bleiben. Diese Debatte ist notwendig - auch deshalb habe ich mich gefreut -, weil es Sinn macht, die Unterschiede herauszuarbeiten, die zwischen Ihren wohnungspolitischen Konzepten und denen einer liberalen Partei bestehen. Ich will gleich als Erstes betonen, dass es für uns keine Diskussion darüber gibt, welchen Stellenwert Eigentum - ob als Eigenheim oder als Eigentumswohnung - hat. Wir halten ganz entschieden daran fest, alle Wege zu gehen, damit möglichst viele Menschen in Deutschland Eigentum haben, ({0}) damit sie sich in ihrem Eigentum wohl fühlen, damit sie soziale Sicherheit haben ({1}) - auch mit der Genossenschaftsform bin ich einverstanden, Dieter Maaß - und damit dieses Eigentum von dem Einzelnen genutzt werden kann, um dem Rechnung zu tragen, was notwendig ist. Frau Eichstädt-Bohlig, ich glaube, Sie haben vorhin einen falschen Schluss gezogen, als Sie sagten, mehr Markt bedeute mehr Wohnungen. Es geht nicht um mehr Wohnungen, sondern um sachgerechte Wohnungen. Es geht genau um das, was auch Sie ansprechen, aber was Sie sozusagen von oben überstülpen wollen: Es geht um die Ausgestaltung unserer Innenstädte, damit sie den individuellen Bedürfnissen der Menschen genügen, deren Sozialisation in unserer Gesellschaft sich deutlich verändert hat. Wir haben wesentlich mehr Singles und wesentlich mehr kleine Familien als früher. Es geht darum, den Markt in die Freiheit zu entlassen, denn dann gestaltet sich dieser Markt aus. ({2}) Genau diese Freiheit haben Sie dem Markt ein Stück genommen. Deswegen stehen Sie auch vor einigen Trümmern im Bereich der Wohnungsbaupolitik. ({3}) Sie haben einen riesigen Verlust an Arbeitsplätzen, einen Verlust an Gestaltungsmöglichkeiten und einen Einbruch im Bereich der Eigentumsbildung. Das halten wir für schlecht. Sie haben die Reformchancen verpasst, die Investoren verschreckt und das Wohneigentum geschwächt. Das ist ein Fazit Ihrer Arbeit und steht in krassem Widerspruch zu dem, was heute aus der Pressemitteilung des Ministeriums hervorgeht, nämlich hier sei es zu mehr Ordnung und Gerechtigkeit gekommen. Nein, das ist nicht der Fall. Es gab erhebliche Eingriffe, die nachteilig waren. Ich will sie aufzählen: Die Energieeinsparverordnung ist ein bürokratisches Monstrum. Die Reform des Mietrechts ist ein Gesetzeswerk der Unausgewogenheit. Die Schritte der Liberalisierung im sozialen Wohnungsbau sind viel zu schwach ausgeprägt. Im Grunde genommen halten Sie an Regelungen fest, die aus der Nachkriegszeit stammen. Ihre Wohngeldreform ist in der Summe in Ordnung, aber sie hat einen ganz großen Makel: Sie ist aus der Kürzung der Eigenheimförderung finanziert worden. Das ist keine gute Politik für Menschen. Die Riester-Rente ist in die Altersvorsorge der Menschen nicht so einbezogen, dass sie dadurch wirklich Vorteile hätten. Wir werden diesen Bereich aufgreifen und ihn verändern müssen. Ich glaube, da sind wir uns einig. Es wird relativ viel Geld für den Stadtumbau Ost in Aussicht gestellt, aber das Ganze ist nicht koordiniert. Wir stehen in den neuen Ländern bis jetzt vor riesigen Problemen. Sie haben beim Altschuldenhilfe-Gesetz dramatische Fehler gemacht ({4}) und wenn wir Anträge gestellt haben, die darauf abzielten, der Wohnungswirtschaft aufzuhelfen, haben Sie diese abgelehnt. ({5}) - Nein, die waren nicht dramatisch schlecht. Die waren besser als Ihre Vorschläge, Frau Iwersen, und kamen frühzeitiger. Wir haben zum Beispiel Anträge dazu gestellt, wie man den Wohnungsbaugesellschaften oder Wohnungsbaugenossenschaften in den neuen Ländern bei Zusammenkünften helfen kann. Wir haben ein Programm mit Mitteln in Höhe von 1 Milliarde DM schon zu einem Zeitpunkt aufgelegt, an dem Sie noch gar nicht an solche Programme gedacht haben. ({6}) Wir haben zum Altschuldenhilfe-Gesetz einen Vorschlag gemacht, dem die Wohnungsbaugenossenschaften in den neuen Ländern hinterhertrauern, weil er nicht umgesetzt worden ist.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin EichstädtBohlig?

Hans Michael Goldmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003133, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Nein, das tue ich nicht. ({0}) - Frau Eichstädt-Bohlig, wir haben uns vier Jahre lang darüber ausgetauscht. Wir können das auch weiterhin tun. Nun lassen Sie mich aber in Ruhe meine Sicht der Dinge darlegen. Regen Sie sich nicht auf! Das ist doch sonst gar nicht Ihre Art. Ich möchte noch etwas zur Eigenheimförderung sagen. Ich will es nicht dramatisieren, aber Sie auffordern, Klarheit zu schaffen. Lieber Herr Spanier, wenn Sie in Ihrem Antrag sagen, Sie messen der Eigenheimzulage einen hohen Stellenwert bei, dann müssen Sie auch sagen, wie hoch er für Sie ist. ({1}) Oder folgen Sie der Position der Grünen? Jeder weiß, dass sie diesem Bereich nicht mehr den Stellenwert zubilligen, wie wir das meiner Meinung nach bis jetzt in einem großen Konsens getan haben. An dieser Stelle will ich deutlich sagen: Fummeln Sie nicht an der Eigenheimzulage herum! ({2}) Dies würde den Menschen, den Arbeitsplätzen und Ihrer politischen Arbeit sehr schlecht bekommen. ({3}) Frau Eichstädt-Bohlig, Sie können zwar sagen, dass unsere Vorstellungen nicht die Ihren waren; das will ich auch hoffen. Aber Sie können nicht sagen, dass wir Ihnen nicht die Chance gegeben hätten, bessere Gesetze auf den Weg zu bringen. Wir haben ein eigenständiges Mietrecht eingebracht. Sie wissen ganz genau, dass die asymmetrischen Kündigungsrechte in Ihrem Mietrecht ein riesiges Problem sind. Sie wissen ganz genau, dass das dazu führt, dass Menschen, die Geld haben, nichts mehr investieren. Sie bedauern es vielleicht, dass manche Menschen Geld haben. Wir freuen uns darüber. Wir wollen, dass diese ihr Geld in die Umgestaltung der Stadt bzw. in Eigentum investieren. Wenn Sie aber die investiven Bedingungen zum Nachteil des Vermieters verändern, dann brauchen Sie sich nicht darüber zu wundern, dass kein Vermieter mehr bereit ist, in diesen Markt zu investieren. ({4}) Damit provozieren Sie im Grunde genommen den Frust der Vermieter und schaffen erhebliche Nachteile für den Mieter. ({5}) Wir haben Ihnen klare Konzepte für den sozialen Wohnungsbau vorgelegt. Ich bin nach wie vor davon überHans-Michael Goldmann zeugt, dass der Verwaltungsaufwand, der auf Bundesebene betrieben wird, in einem krassen Missverhältnis zu dem steht, was bei den Ländern ankommt, um vor Ort einen sozialen Wohnungsbau zu gestalten. Das ist eine rückwärts gerichtete Politik. ({6}) Wir haben Vorschläge zur privaten Altersvorsorge gemacht. Schade war das damals: Herr Eichel wollte das nicht und Herr Bodewig hat sich zum Schluss bemüht. Aber wir mussten ihn zum Jagen tragen. Insgesamt ist eine Lösung zustande gekommen, die absolut unbefriedigend ist. ({7}) Ihre Hilfe für Ostdeutschland ist bis jetzt keine Hilfe. Die ständige Diskussion über die Erhöhung der Erbschaftsteuer schadet einem Markt natürlich gewaltig, der weitgehend davon bestimmt ist, dass man Freude am Eigentum hat. Wir wollen eine markt- und angebotsorientierte Politik. Wir wollen mehr Markt. Ich glaube, dass ich in diesem Fall sehr genau weiß, wovon ich spreche. ({8}) Ich bin ständig in den Niederlanden unterwegs. ({9}) Es gibt Fachliteratur, Herr Schmidt, die sagt: Wenn wir die Rahmenbedingungen der Engländer und der Niederländer bei der Förderung von Eigenheimen, also mehr Orientierung am Markt und an Angeboten hätten, hätten wir in Deutschland 5 Millionen mehr Eigenheime. Ich denke, Sie sollten sich schon die Frage stellen, ob es richtig ist, was Sie auf den Weg gebracht haben. Sie sollten hier nicht zu selbstherrlich sein. Ich bin davon überzeugt, dass wir am 22. September im Gegensatz zu Ihnen, liebe Kollegen von den Regierungsparteien, in die Lage versetzt werden, eine gute liberale Wohnungsbaupolitik zu gestalten. Wir werden nicht so viel von oben regeln, sondern dem Einzelnen die Möglichkeit geben, das auszugestalten, was er für notwendig erachtet. Wir wollen das Wohneigentum stärken. Wir wollen Investoren auf diesen Markt locken und die Reformchancen nutzen. Wir wollen an der Eigenheimförderung festhalten. ({10}) Wir lehnen eine Erhöhung der Erbschaftsteuer entschieden ab. Wir wollen mehr für junge Familien tun. Wir wollen das Mietrecht wieder vernünftig ausgestalten, es entbürokratisieren ({11}) - Herr Schmidt, das ist keine Kahlschlagpolitik; Sie kennen sich anscheinend in der Sache nicht aus und sollten ein bisschen nachlesen - und dafür sorgen, dass zwischen dem Vermieter und dem Mieter wieder eine Begegnung auf Augenhöhe möglich ist. ({12}) Wir wollen dafür sorgen, dass das Subjekt wieder mehr im Zentrum steht. Wir wollen auch dafür sorgen, dass wir die Innenstädte ausgestalten können. Ich war gestern Abend am Alexanderplatz und habe mir erklären lassen, was man für Umbauvorstellungen für den Alexanderplatz hat. Ich habe dabei hochinteressante Gesichtspunkte kennen gelernt. Deswegen möchte ich auch, dass sich Architekten, Raumordner und Stadtplaner mehr in die Politik einbringen. Was Sie auf den Weg gebracht haben, ist sicherlich ein gutes Moment im Bereich von Architektur und Baukultur. Ich bin aber entschieden dagegen, wieder eine Trennung zwischen Bauministerium und Verkehrsministerium vorzunehmen. Wer die Städte entwickeln will, wer den ländlichen Raum ordnen will, muss die Einheit zwischen Wohnen, Arbeiten und sonstigen Umfeldbedingungen herstellen. Ich denke, das geht mit einem engagierten Ministerium. Da liegen die Mängel. Herr Minister Bodewig hat sich um den Wohnungsbaubereich viel zu wenig gekümmert. Das konnte auch durch einen engagierten Staatssekretär nicht kompensiert werden. ({13}) - Ich finde es sehr schön, dass ich Ihnen einen Blumenstrauß überreiche. ({14}) Es ist aber bedauerlich, dass Sie anscheinend auch in diesem Bereich über keine Kenntnis verfügen. Als Biologe muss ich Ihnen das sagen. Wir wollen die liberale Bürgerstadt auf den Weg bringen - „City 21“ ist nicht schlecht, aber „soziale Stadt“ ist zu eng -, auch unter den Gesichtspunkten, die Sie, Herr Spanier, ansprachen, damit es zu einer Durchmischung der Nutzungsmöglichkeiten kommt. Wir müssen ans Baugesetzbuch heran, überhaupt keine Frage. Wir müssen dafür sorgen, dass Arbeit, Wohnen, Leben, Freizeit, Kultur und Sport mehr miteinander in Einklang sind. Ich glaube, dass wir in diesem Bereich mit unserem Konzept der liberalen Bürgerstadt, bei dem wir betonen, dass die Investitionsbereitschaft, die Beteiligungsbereitschaft des Bürgers mehr im Zentrum stehen muss, die richtige Antwort geben. Ich denke, dass wir in diesem Bereich arbeiten müssen. Wir werden die Riester-Rente vereinfachen. ({15}) Die Menschen sind nicht in der Lage, dieses Modell zu nutzen. Das liegt nicht nur daran, dass es selbst mir schwer fällt, es zu erklären ({16}) - das kann auch Herr Maaß nicht besser; da bin ich mir ziemlich sicher -, sondern das liegt schlicht und ergreifend daran, dass eine hochkomplizierte, nicht greifende Regelung auf den Markt gebracht worden ist. ({17}) Das müssen wir einfach einmal zur Kenntnis nehmen. Wir können nicht so tun, als ob hier Interessenvertretungen sozusagen gegen die Regierung schießen. Wenn von allen Seiten Meldungen kommen, dass dieses Modell ungeeignet ist - obwohl wir alle davon überzeugt sind, dass man neben die Säule der Solidarität aus Arbeitgeber- und Arbeitnehmerbeiträgen eine private Säule stellen muss -, dann müssen wir hier einen Weg gehen, der dazu führt, dass sich ein Modell entwickelt, das wirklich zukunftsfähig ist.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Herr Kollege, Ihre Redezeit ist weit überschritten.

Hans Michael Goldmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003133, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin, herzlichen Dank für Ihre Geduld. Wir werden ab dem 22. September eine gute Wohnungsbaupolitik machen. Ich bedanke mich nochmals dafür, dass wir in vielen Dingen gut miteinander klargekommen sind. Die Unterschiede musste ich aber deutlich machen. ({0})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Für die PDS-Fraktion spricht jetzt die Kollegin Heidemarie Ehlert.

Heidemarie Ehlert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003112, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Alles, was wir bis jetzt gehört haben, ist das übliche Ritual vor der Wahl. Die Opposition von CDU/CSU rügt die Regierung wegen mangelhafter Wohnungspolitik. ({0}) Die Regierungsparteien loben sich über den grünen Klee. Das ist alles nichts Neues. Was aber sind die Konzepte, die Sie anbieten? Die CDU/CSU fordert in einem der hier vorliegenden Anträge eine „vorausschauende Wohnungs- und Städtebaupolitik“, die Nachfrage und Bedarf in Zukunft angemessen berücksichtigen soll. Da haben Sie Recht. Das fordern wir auch. Mit Ihrem zweiten Antrag allerdings widersprechen Sie dem ersten Anliegen. ({1}) Die Lösungen, die Sie anbieten, sind nicht für die Zukunft, sondern von vorgestern. ({2}) Sie haben lediglich die Konzepte aus Ihrer Regierungszeit bis 1998 wieder aufgelegt. Die Zeiten und die Verhältnisse haben sich seither aber gravierend geändert. Wenn man anerkennt, dass Wohnungswirtschaft und Kommunen in Regionen und Ländern angesichts 15- bis 50-prozentiger Leerstände vor völlig neuen Herausforderungen stehen, dann muss einem klar werden, dass steuerliche Rahmenbedingungen nicht auf flächendeckendes Wachstum oder gar weitere „stadtnahe Baulandmobilisierung“, wie Sie sie fordern, sondern am aktuellen Bedarf und an der Prognose künftiger Entwicklungen auszurichten sind. ({3}) Ich komme aus Sachsen-Anhalt und weiß, wovon ich spreche. ({4}) Wir haben in unserem Land im Durchschnitt 19 Prozent Wohnungsleerstand. Wir brauchen keine weitere undifferenzierte Neubauförderung, sondern eher die Verlagerung der Eigenheimzulage von Neubau auf Bestand ({5}) oder die Einführung regionaler Komponenten. Der Rückgang des Eigenheimbaus liegt doch nicht an der Senkung der Einkommensgrenzen, sondern daran, dass der Nachholbedarf gedeckt ist und es zumindest im Osten viele Familien gibt, deren Einkommen weit weniger als 80 000 Euro im Jahr beträgt, deren Mitglieder arbeitslos sind oder in unsicheren Beschäftigungsverhältnissen stehen. Wenn Sie reformieren wollen, dann werfen Sie bitte nicht mit der Wurst nach der Speckseite, ({6}) sondern greifen einkommensabhängig gerade denjenigen stärker unter die Arme, die geringere Einkommen beziehen. ({7}) Was die CDU/CSU hier fordert, ist kein Reagieren auf neue Herausforderungen, sondern neuer Wein in alten Schläuchen. Deshalb werden wir Ihre Vorschläge ablehnen. ({8}) - Ich weiß schon, wo Sie sitzen, Herr Kansy. Ich habe Ihnen zugehört. Was uns die Koalitionsfraktionen dagegen in ihrem Antrag präsentieren, bleibt im Allgemeinen und merkwürdig verschwommen. Das muss ich schon sagen. Die Bemühungen zur Bündelung und Vernetzung der Aktivitäten von Bund, Ländern und Gemeinden sollen verstärkt werden. Warum werden Sie nicht konkret? Die PDS hat dazu schon im Jahr 2000 während der Haushaltsberatungen im Bundestag konkrete Vorschläge unterbreitet: Alle Förderprogramme für Stadtentwicklung, Städtebauförderung und die soziale Stadt sollten gebündelt und den Ländern und Gemeinden mehr Eigenverantwortung und Flexibilität bei deren Umsetzung eingeräumt werden. Seien Sie doch einmal mutig und schlagen Sie eine Schneise aus dem lang gewohnten, aber bürokratischen Förderdschungel! Der Vorsitzende des Verbandes der Wohnungswirtschaft Sachsen-Anhalts, Jost Riecke, hat gerade vorgestern geäußert, es sei wünschenswert, die Förderungen zu bündeln, damit ein großer Topf entstehe, über den die Kommunen mit Pauschbeträgen frei verfügen könnten. Sie wollen den „Stadtumbau Ost im Dialog mit Ländern und Kommunen problemgerecht fortsetzen“, heißt es in Ihrem Antrag. Aber um die Zukunft der ostdeutschen Städte und der in ihnen lebenden Menschen zu sichern, ist schnelles und entschlossenes Handeln erforderlich. ({9}) Ich zitiere wieder Verbandsvorsitzenden Riecke: Wir haben 250 große Wohnungsunternehmen in unserem Land. 60 von ihnen sind nicht zu retten und gehen in die Insolvenz, wenn jetzt keine wirksamen Maßnahmen greifen. Damit der Stadtumbau wirklich gelingt, müssen die Probleme, die ihn weiter behindern, sofort beseitigt werden. Dazu gehört erstens: Die Wohnungsunternehmen müssen endlich und endgültig von den Altschulden befreit werden. ({10}) Die nach der Teilentlastung verbliebenen Altschulden belaufen sich selbst unter Berücksichtigung bereits erfolgter Tilgungen noch immer auf durchschnittlich 70 Euro pro Quadratmeter. Das bedeutet allein für den Leerstand bei kommunalen und genossenschaftlichen Wohnungen einen jährlichen Kapitaldienst von fast 150 Millionen Euro. Das ist genauso viel, wie der Bund an Verpflichtungsermächtigung für den Stadtumbau Ost pro Jahr eingegangen ist. Daran zeigt sich, dass die Mittel nicht einmal ausreichen, um den Schuldendienst an die Banken zu decken, von Umbaumaßnahmen ganz zu schweigen. Wenn die Wohnungsunternehmen nicht von den Altschulden entlastet werden, haben sie trotz der Zuschüsse für den Rückbau keine Chance, einen sozial verträglichen Stadtumbau zu erreichen. Im Gegenteil: Es bleibt die Gefahr, dass immer mehr von ihnen zwangsläufig in die Insolvenz getrieben werden. Das GEWOS-Institut, das das Konzept für den Stadtumbau in Stendal erarbeitet, hat errechnet, dass die Gesamtschuld des städtischen Wohnungsunternehmens von heute 112 Millionen Euro bis zum Jahr 2025 auf über 256 Millionen Euro ansteigen wird. Die Experten haben festgestellt, dass die bisher im Rahmen des Programms „Stadtumbau Ost“ vorgesehene staatliche Unterstützung nicht ausreicht. Das Fazit von GEWOS: Um den Wohnungsmarkt in Stendal langfristig und nachhaltig zu stabilisieren, müssen kurzfristig konkrete Schritte eingeleitet werden, sonst werden alle Beteiligten, sowohl die öffentliche Hand als auch die privaten Vermieter, dauerhafte Verluste erleiden. Zweitens. Sie haben jetzt selbst feststellen müssen, dass von den eingeplanten rund 350 Millionen Euro zur Altschuldenentlastung bereits 218 Millionen Euro, also mehr als die Hälfte, für 25 bewilligte Anträge von Wohnungsunternehmen verbraucht werden. Aber bereits weitere 65 Unternehmen haben Antrag auf Entlastung gestellt. Der Mittelansatz muss deshalb erhöht werden. Doch davon steht nichts in Ihrem Antrag. Jahre sind ins Land gegangen und Sie wollen noch immer den Krebsschaden des Altschuldenhilfe-Gesetzes mit einer Schmerztablette lindern. Die PDS hatte bereits im Oktober 2000 den Einsatz von UMTS-Milliarden für Altschuldenentlastung und Stadtumbau angeregt. Wären Sie für die Realitäten nicht blind und taub gewesen, hätten wir längst die Weichen gestellt; denn es geht um mehr als um die Rettung von Wohnungsunternehmen: Es geht um die Zukunftsfähigkeit von ganzen Städten und ganzen Regionen. Ich erinnere Sie nur daran, wie oft und wie konsequent wir Ihnen das in diesem Hause bereits vorgeschlagen haben. Zwölf Anträge und Gesetzentwürfe zum Thema Altschulden und Stadtumbau hat meine Fraktion allein in den letzten beiden Jahren vorgelegt. Die Gebietskulisse für die erhöhte Investitionszulage muss auf den Anwendungsbereich des Stadtumbauprogramms und über das Jahr 2004 hinaus bis 2009 ausgedehnt werden. Auch hatten wir bereits in den Jahren 2000 und 2001 einen Grundsteuererlass und die Grunderwerbsteuerbefreiung bei Fusionen von Wohnungsgesellschaften vorgeschlagen, wovon auch Herr Kansy vorhin gesprochen hat.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Frau Kollegin, Sie müssen bitte zum Schluss kommen.

Heidemarie Ehlert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003112, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Ich komme zum Schluss. Sie hätten sich und den Wohnungsunternehmen wie den Kommunen viel Zeit und Arbeit ersparen können, wenn Sie unsere Entwürfe und Vorschläge ernst genommen hätten. Ihre Kollegen von der CDU in Sachsen-Anhalt haben schon begriffen, wie gut unsere Anträge sind, und sie übernommen. Übernehmen also auch Sie unsere Anträge und berücksichtigen Sie sie bei Ihrer Regierungsarbeit. ({0})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Ich erteile dem Bundesbauminister Kurt Bodewig das Wort.

Kurt Bodewig (Minister:in)

Politiker ID: 11003051

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich beginne mit einem Dank für die gute Zusammenarbeit an die Kolleginnen und Kollegen, die aus dem wohnungspolitischen Bereich des Ausschusses ausscheiden: Herrn Dr. Kansy, Herrn Otto, Frau Iwersen und Herrn Maaß. Auch am Ton dieser Debatte können wir schon feststellen, dass Wohnungspolitik etwas ist, was alle Menschen berührt und bei dem wir zusammenarbeiten wollen. Hier ist nur der eine oder andere Missgriff erfolgt. Herr Goldmann, Sie sprachen von Trümmern. Ich stelle noch einmal klar: Der Leerstand im Osten, eine Gerechtigkeitslücke im Wohnungsbau und Fehlentwicklungen durch eine bestimmte Steuerpolitik kennzeichneten das Desaster, das Sie 1998 hinterlassen haben. Deswegen sind es Ihre Trümmer, die wir wegräumen mussten. ({0}) Meine Damen und Herren, da ich gerade dabei bin, etwas richtig zu stellen, komme ich gleich auf die Eigenheimzulage zu sprechen. Für diese Zulage waren wir alle; sie war nicht Ihr Produkt. Die SPD-Bundestagsfraktion und Herr Staatssekretär Großmann haben sie vorangetrieben. Ich bin froh, dass wir sie gemeinsam beschlossen haben. Das ist das Entscheidende daran. ({1}) Wir haben in der Wohnungspolitik wie in der Städtebaupolitik ganz schnell die richtigen und guten Entscheidungen getroffen. Es ist wichtig, dass wir Reformen vorangetrieben haben. Gerechtigkeit und Ordnung auf dem Wohnungsmarkt sind etwas für die Menschen besonders Wichtiges. Ich glaube, das Ministerium, das Verkehrspolitik und Mobilität mit städtebaulichen Funktionen und mit erfolgreicher Wohnungspolitik verbindet, ist eine gut funktionierende Konstruktion. Das zeigt sich beim Bundesverkehrswegeplan auf der einen Seite, in der Raumordnung auf der anderen Seite und nicht zuletzt an funktionsfähigen Städten. Auch diesen Punkt sollten wir uns noch einmal zu Gemüte führen. ({2}) Ich will ein paar Elemente dieser integrierten Politik beschreiben: Erstens: Leerstand. Der Leerstand ist doch keine neue Entwicklung, sondern hat sich in den Jahren seit 1991 aufgebaut. Das wissen wir doch. ({3}) Sie wissen auch, dass der Leerstand in den neuen Bundesländern spezifisch ist. Übrigens haben Sie die Fehlentwicklungen ja steuerlich gefördert. Was Sie gemacht haben, war eine steuerliche Abschreibungspolitik bei Luxusobjekten, ({4}) für die es keinen Bedarf gab. ({5}) Dafür wurden jede Menge Gelder von Steuerzahlern verwandt und heute müssen diejenigen, die dort investiert haben, ordentlich draufzahlen. Sie haben Geld verbrannt; das muss man wissen. ({6}) - Hören Sie ruhig zu. Schauen Sie sich doch die leer stehenden Wohnungen in Leipzig an. ({7}) Wir wollen einmal über die Scherben reden, die wir weggeräumt haben, und zwar mit einer klugen Politik, gerade für die neuen Bundesländer. ({8}) Das Stadtumbauprogramm Ost ist immerhin 2,7 Milliarden Euro schwer und läuft bis 2009. Das ist langfristig, wie Sie, Herr Kansy, es gefordert haben. Vor allem ist es wirksam. Wer den städtebaulichen Entwicklungsprozess und den Wettbewerb sieht, erkennt, dass hier etwas richtig in Schwung gekommen ist, dass die Städte und Gemeinden ihre eigene Zukunft planen und entwickeln wollen. Das ist wegweisende Politik, nicht Abschreibungsmodelle à la Waigel. ({9}) Ich will noch weiter gehen: Wir werden sogar die Übertragung dieses Programms von den neuen Bundesländern auf bestimmte Regionen in den alten Bundesländern testen. ({10}) Ich glaube, dass das richtig ist, da Stadtumbau etwas mit Struktur zu tun hat. Da unterscheidet sich Chemnitz nicht so sehr von Völklingen. Deswegen können wir aus diesem Prozess lernen und Erfahrungen übertragen. Ich bin fest davon überzeugt, dass der Stadtumbauprozess für die Städte etwas bringen wird. Sie werden Erfahrungen daraus ziehen. Stadtentwicklung - wir haben sie nicht in allen Städten; ich glaube sogar, wir haben sie nur in den wenigsten - wird ein Strukturmerkmal dieser Politik sein. Deswegen werden Sie uns nach dem 22. September bei dieser Politik begleiten dürfen, aber wir werden sie machen. ({11}) Wir sollten nichts schlecht reden. Das ist eine Gefahr. Ich glaube, die Menschen werden es Ihnen am 22. September nicht gut anrechnen, wenn Sie immer alles herunterreden und Deutschland als Wirtschaftsstandort madig machen. Wir sprachen gerade über das Programm „Soziale Stadt“. Die FDP hat dagegen gestimmt, das muss man wissen. Das ist ein Programm - der letzte Kongress hier in Berlin mit über 1 000 Vertretern aus den Kommunen hat es deutlich gemacht -, bei dem die Menschen einsteigen, mit dem sie ihre eigene Stadt entwickeln wollen, wo sie etwas voranbringen wollen. Auch dieses Programm haben wir nicht nur konzeptionell, sondern auch materiell unterlegt. ({12}) Wir haben die Städtebauförderung seit 1998 verdoppelt. Machen Sie das erst einmal nach. Sie werden allerdings keine Gelegenheit dazu haben; denn wir werden es tun. ({13}) - Seien Sie nicht so übermütig. Die angebliche schwarzgelbe Mehrheit ist bei Forsa weg. Das wird sich in den nächsten Tagen noch fortsetzen. Übermut tut selten gut. Wir warten auf die Wähler und die Wähler werden richtig entscheiden. ({14}) - Stören Sie nicht. Qualifizierte Zwischenrufe ja, aber den Rest ersparen wir uns. Sie haben unsere Initiative „Architektur und Baukultur“ angesprochen. Dazu hätten Sie 16 Jahre Zeit gehabt. Wir haben doch die Architektur und die Baukultur wieder in den Vordergrund gerückt. Wir machen doch die Kongresse. Wir sorgen doch dafür, dass deutsche Ingenieure und Architekten auch im Ausland wieder Chancen haben. Diesen Prozess sollten wir gemeinsam tragen. Lernen Sie dazu! ({15}) Deswegen werden wir diesen Bericht dem Parlament vorlegen und ihn dann gemeinsam - ich hoffe, auch konstruktiv - hier diskutieren. Mein zweiter Punkt: Wir haben die Rahmenbedingungen für Investitionen neu geregelt. Es war richtig, dass wir ein Programm zur Verringerung von CO2-Emmissionen aufgelegt haben. 5 Milliarden Euro KfW-Darlehen werden über fünf Jahre mit 1 Milliarde Euro von uns gefördert. Sie haben Rio und Kioto unterzeichnet, nicht wir, ({16}) aber wir müssen das, was Sie überhaupt nicht angepackt haben, jetzt lösen. Das tun wir, unter anderem mit solchen Programmen, aber auch mit der Energieeinsparverordnung. ({17}) Denn das heißt Investitionen in Umweltschutz, in Nachhaltigkeit, und wir schonen dabei gleichzeitig das Portemonnaie der Menschen. Ich glaube, besser kann man es nicht machen. Deswegen ist dies ein gutes Projekt, und ich glaube, Ihre kleinkarierte Kritik ist nicht angebracht. ({18}) Kommen wir zum nächsten Punkt: Gerechtigkeit auf dem Wohnungsmarkt. Zunächst zur Eigenheimzulage. Sie unterstellen uns immer, wir wollten sie kürzen. Ich lese da etwas anderes; der CDU-Wirtschaftsrat sprach in der vergangenen Woche vom Abschaffen. Weiß denn bei Ihnen die eine Hand nicht, was die andere macht? Das ist ja wie Späth und Stoiber; der eine sagt hü, der andere sagt hott. ({19}) Wir haben die Eigenheimzulage gemacht, und wir wissen mit dieser Eigenheimzulage auch in Zukunft Politik zu machen. Nicht umsonst haben wir einen Anstieg der Eigentumsquote im Wohnungsbau seit 1998 zu verzeichnen. Wir beseitigen also die Fehler, die Sie uns hinterlassen haben. ({20}) Schauen Sie in die BBR-Prognose, darin steht das alles schwarz auf weiß. ({21}) Ich komme zum sozialen Wohnungsbau. Wir haben eine Reform des sozialen Wohnungsbaus vorangetrieben. Sie enthält ein ganz wichtiges Element: Sie gibt den Ländern und Kommunen mehr Spielräume, sie ist flexibel. Wir haben über 200 Paragraphen abgeschafft. Das ist Entbürokratisierung im Sinne von mehr Bezug auf regionale Wohnungsmärkte. Das haben Sie nie geschafft. Sie haben lange darüber lamentiert. Wir haben es gemacht. Ich finde es wichtig, dass das so ist. Das haben wir auch beim Wohngeld gemacht. 10 Jahre lang haben Sie darüber geredet. Wir haben das Wohngeld erhöht. Jetzt haben 3,2 Millionen Haushalte Anspruch darauf, 400 000 mehr als davor. Für eine durchschnittliche Familie ist das Wohngeld von 110 auf 160 Euro im Monat gestiegen. Das ist etwas, was sich sehen lassen kann. Darauf sind wir auch stolz. ({22}) Jetzt kommen wir zu Ihrer Politik. Sie tun immer so, als ob das, was Sie in einem Wahlprogramm verkünden, keine Rolle spielt. Wir müssen das vom Kopf auf die Füße stellen. Die Absenkung der Staatsquote auf 40 Prozent bedeutet ein Drittel weniger investive Mittel. Wissen Sie, was das für den Wohnungsbau, für den sozialen Wohnungsbau heißt? Wissen Sie, was das für den konsumtiven Bereich heißt? Sie beseitigen die Strukturen, die wir in Deutschland haben, und zwar die, die soziales Funktionieren ermöglichen. Nur der wirklich Reiche kann sich einen armen Staat erlauben - das ist Ihr Konzept, das ist ein falsches Konzept. Ich muss Ihnen sagen, die von der FDP vorgesehene Staatsquote von 35 Prozent ist ein Witz, leider ein schlechter. ({23}) Ich glaube aber, Sie haben mit Herrn Möllemann gelernt, dass die Zeit der Spaßpartei vorbei ist. Politik ist eine ernste Angelegenheit. ({24}) Ich hoffe, Sie werden sich langsam daran gewöhnen. Ihre Ankündigungen sind immer interessant: Erhöhung der Einkommensgrenze bei der Eigentumsförderung, also höhere Einkommen fördern, Erhöhung der Mittel für den sozialen Wohnungsbau, also mehr Geld zur Verfügung stellen, neue Abschreibungsmöglichkeiten, so ein liberales Spezialitätenwerk - das alles kostet Geld. Sie wollen das Gegenteil, Sie wollen Steuern senken, Sie wollen die Staatsquote senken. Sie wollen das, was Sie hier beschreiben, gar nicht. Aber ich meine, Politik muss ehrlich sein. Ehrliche Politik heißt, dass man das, was man den Menschen erklärt, was man ihnen im Wahlprogramm vorschlägt, einhalten muss. Wir tun das. Deswegen, glaube ich, wird sich am 22. September der Wähler richtig entscheiden. Er wird es tun für eine langfristige Wohnungspolitik im Sinne der Menschen, und zwar für die Bedürfnisse der Menschen im Verkehrs-, Bau- und Wohnungswesen. Vielen Dank. ({25})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Jetzt hat das Wort Kollege Eduard Oswald für die CDU/CSU-Fraktion.

Eduard Oswald (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001663, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben hier eine Präsidentin, die sich heute diesem Thema auch verbunden fühlt. ({0}) - Insgesamt natürlich. Insofern ist es vielleicht ganz interessant, auch von dieser Warte aus die Debatte zu verfolgen. Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, Wohnungsbaupolitik ist eine gemeinsame Aufgabe von Bund, Ländern und Kommunen. Das kommt mir in dieser Debatte etwas zu kurz. Die Ziele sind klar. Benötigt werden ausreichend viele Wohnungen in den Städten und Kommunen mit Lebensqualität für alle. Es geht um Qualität und um Quantität; denn Wohnungspolitik bestimmt ganz entscheidend die Zukunft unseres Landes mit. Die bisherige Debatte hat gezeigt, dass es viel Gemeinsames gibt: gemeinsame Wege und Ziele, aber auch Unterschiede. Ich würde sagen, eine solche Debatte soll vieles darlegen, aber die Entscheidung des Wählers sollen und können wir in diesem Hause schon gar nicht vorwegnehmen. ({1}) Die amtierende Bundesregierung hat - den Vorwurf, Herr Bundesminister und alle Redner der Koalition, müssen Sie sich anhören - die rechtlichen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen für den Wohnungsbau fortlaufend verschlechtert. ({2}) Die „Süddeutsche Zeitung“ beschrieb kürzlich das, was nach einer Untersuchung des Instituts für Städtebau, Wohnungswirtschaft und Bausparwesen veröffentlicht wurde, als „PISA-Studie für den Wohnungsbau“. ({3}) Im europäischen Vergleich sind wir zurückgefallen. Ich verstehe sehr wohl, dass Sie Ihre Bilanz schönreden wollen; Sie haben aber die Chancen, die Sie in dieser Legislaturperiode hatten, ({4}) verpasst. ({5}) Die Zahlen sind eindeutig und Sie sollten sich auch diese anhören: Von den in Westeuropa im letzten Jahr insgesamt knapp 2 Millionen gebauten Wohnungen entfielen mit 340 000 Einheiten nur noch 18 Prozent auf Deutschland. 1997 waren es noch rund 30 Prozent. Die so genannte Wohneigentumsquote in Deutschland ist nun die niedrigste aller EU-Staaten. Diese Zahlen sind Fakten. ({6}) Für dieses Jahr wird mit einem weiteren Rückgang gerechnet, obwohl übereinstimmende Prognosen für die nächsten zehn Jahre - jetzt kommt der Bedarf - von einem Neubaubedarf in einer Größenordnung von 400 000 Einheiten pro Jahr ausgehen. ({7}) In der öffentlichen Anhörung unseres Ausschusses wurde deutlich, dass die Wohnungsbaupolitik in unserem Land neue Impulse benötigt. ({8}) Herr Bundesminister, es gilt immer das, was in unserem Regierungsprogramm steht. Unser Regierungsprogramm 2002 bis 2006 ist darauf ausgerichtet, zu einem geordneten Wohnungsmarkt in Deutschland zurückzufinden. Vor allem werden wir die Schaffung von Wohneigentum wieder stärker fördern. ({9}) Die Gründe dafür liegen auf der Hand: Wohneigentum ist ein wichtiger Bestandteil der Vermögensbildung, Wohneigentum trägt entscheidend zur wirtschaftlichen Unabhängigkeit bei, Wohneigentum entlastet den Markt für Mietwohnungen und Wohneigentum ist ein wichtiger Beitrag zur privaten Vorsorge für das Alter. Wenn drei Viertel unserer Bürgerinnen und Bürger in den eigenen vier Wänden wohnen wollen, aber noch nicht einmal die Hälfte der Bevölkerung, nämlich gerade einmal 42 Prozent, es geschafft haben, besteht ein erheblicher Nachholbedarf. ({10}) Wir dürfen dies nicht nur zur Kenntnis nehmen, wir müssen darauf auch reagieren. Wir haben sehr genaue Vorstellungen von den Notwendigkeiten: Erstens. Wir wollen die Förderung des selbst genutzten Wohneigentums in Neubau und Bestand stärken. Vor allem wollen wir im steuerlichen Bereich neue Akzente setzen. Zweitens. Wir wollen die Eigenheimförderung familienfreundlicher gestalten. Drittens. Wir wollen das Wohneigentum wirksam in die Förderung der privaten Altersvorsorge einbinden. Liebe Kolleginnen und Kollegen, für mich - ich glaube, darin sind wir uns einig - beschränkt sich Wohnen nicht allein auf den Wohnraum. Zur Wohnung gehört das Wohnumfeld. Wohnen ist nicht allein das Ausfüllen eines Raumes von einigen Quadratmetern; es hat vielmehr etwas mit Wohlfühlen und Zufriedenheit und mit etwas ganz Emotionalem, nämlich mit nachbarschaftlichen Kontakten und dem Zusammenleben der Menschen, zu tun. ({11}) Ich sage das, weil der Wohnungs- und Städtebau gesamtgesellschaftlich mehr Beachtung finden muss. Ich kritisiere, dass diese Themen durch die Zusammenlegung im Ministerium zu kurz gekommen sind. Das genau ist das Problem. ({12}) Folgendes ist unsere Zielsetzung: Erstens. Wir wollen die Schaffung eines sozialen Wohnungsbaus, der auch in Zukunft Bestand hat. Zweitens. Wir wollen die Förderung eines individuellen Wohneigentums insbesondere für Familien mit Kindern und die Vorsorge für das Alter. Drittens. Wir wollen Hilfe für junge Ehepaare in der Familiengründungsphase bei der Suche nach Wohnraum. Es geht um eine familienfreundliche Wohnungsbaupolitik. Viertens. Wir wollen eine stärkere Förderung des Erwerbs von vorhandenem Wohnraum und von Belegungsrechten im Wohnungsbestand. Fünftens. Wir wollen die Gewährleistung ausgewogener Bewohnerstrukturen im Interesse der Bewahrung des sozialen Friedens. Sechstens. Wir wollen eine ausreichende Flexibilisierung wohnungspolitischer Regelungen für eine effiziente Wohnungspolitik in den Ländern, den Regionen und dem örtlichen Bereich, weil dies eine gemeinsame Aufgabe des Bundes, der Länder und der Kommunen ist. ({13}) Siebtens. Wir wollen eine Unterstützung und Förderung ökologischer Belange und Bauweisen, auch im Sinne einer Vorreiterfunktion für Innovation und Entwicklung inner- und außerhalb der Wohnraumförderung. ({14}) Wohnungsbaupolitik hat also nicht nur eine hohe soziale, sondern vor allem auch eine gesamtgesellschaftliche Bedeutung. Der Wohnungsbau ist übrigens die traditionell bedeutendste Auftragssparte für die Bauwirtschaft. Die Bauwirtschaft darf in einer solchen Debatte natürlich nicht zu kurz kommen. 90 Prozent der Wohnungsbauleistungen werden durch Handwerksbetriebe erbracht. Herr Bundesminister, wer den Wohnungsbauinvestoren Steuervorteile nimmt, spart immer am falschen Ende. ({15}) Wir haben in unserem Regierungsprogramm klare Aussagen gemacht, dass wir die Talfahrt in der Wohnungsbaupolitik beenden und die Rahmenbedingungen für den Wohnungsbau verbessern werden. Wir wollen als eine wichtige gesamtwirtschaftliche Maßnahme die Investitionsbereitschaft im Wohnungsbau wieder herstellen. Dazu nennen wir vier Punkte: Erstens. Wir werden die Beschränkungen der Verlustrechnung für den Mietwohnungsbau wieder aufheben. Zweitens. Wir werden die Abschreibungsbedingungen verbessern. Drittens. Wir werden die so genannte Spekulationsfrist spürbar verkürzen. Viertens. Wir werden dafür sorgen, dass ein größerer Erhaltungsaufwand bei vermieteten Objekten steuerlich wieder auf mehrere Jahre verteilt werden kann. Nur wenn wir in dieser Weise Investitionsanreize schaffen und der Wohnungsbau damit für Vermieter wirtschaftlich wieder interessant wird, werden wir zu einem vernünftigen Wohnungsmarkt zurückkommen können. Wir alle sollten immer daran denken: Wenn Vermieten uninteressant wird, dann unterbleiben Investitionen und die Mieten steigen. Nur ein investitionsfreundliches Steuerrecht und ein ausgewogenes Mietrecht garantieren die notwendigen Investitionen im Wohnungsbau. ({16}) Es ist heute schon viel davon gesprochen worden, dass dies die letzte wohnungsbaupolitische Debatte dieser Legislaturperiode ist. Als Ausschussvorsitzender möchte ich mich auch im Plenum bei allen Mitgliedern im Ausschuss für die Zusammenarbeit herzlich bedanken. ({17}) Wir sind ein Fachausschuss. Wir haben bei aller politischen Kontroverse in vielen Bereichen einen hohen Grad an Gemeinsamkeiten. Wenn man diese Debatte genau verfolgt, kann man dies durchaus feststellen. Ich möchte allen Kolleginnen und Kollegen aus unserem Ausschuss, die ausscheiden und nicht mehr für den Deutschen Bundestag kandidieren, ein herzliches Wort des Dankes und der Anerkennung sagen. Dies gilt für die Redner des heutigen Tages Dr. Dietmar Kansy, Dieter Maaß, Gabriele Iwersen ebenso wie für meinen Stellvertreter und Freund Klaus Hasenfratz, den ich stellvertretend für alle nenne, die nicht wieder kandidieren. ({18}) Sie werden verstehen, dass ich für meine Fraktion, die Fraktion der CDU/CSU, in besonderer Weise Dr. Dietmar Kansy nenne. Der Name und die Persönlichkeit von Dr. Dietmar Kansy sind mit der deutschen Wohnungs- und Baupolitik aufs Engste verbunden. Dr. Dietmar Kansy hat nie einfachen und populistischen Patentrezepten das Wort geredet. Er ist einer Handlungsrichtschnur immer treu geblieben. Ich kann dies beurteilen, weil wir uns sehr früh kennen gelernt haben. Ich sage sehr herzlich und freundschaftlich: Auch ich habe viel von ihm gelernt. Er hat immer wieder als Leitschnur formuliert: Eine angemessene Wohnungsversorgung lässt sich nur im Bündnis mit den privaten Investoren sicherstellen. Ein größeres Wohnraumangebot wird den Erwartungen an eine soziale Wohnungspolitik eher gerecht als Zwangsbewirtschaftung und staatlicher Dirigismus. Dietmar Kansy hat in der Regierungsfraktion wie auch als Oppositionsabgeordneter für unsere Parlamentsbauten insgesamt viel erreicht. Die Eigenheimzulage und das Bundesbaugesetz wären ohne seine Initiative und seine parlamentarische Mitwirkung so nicht zustande gekommen. Herzlichen Dank, Dietmar Kansy, für deinen Einsatz für die Wohnungs- und Baupolitik in Deutschland! ({19}) Wohnungspolitische Verantwortung zu übernehmen heißt, sich den jeweils aktuellen Problemen zu stellen, auch im Parlament ausführlich und detailliert über sie zu reden und Lösungen - auch dies möchte ich anmahnen und einfordern - nicht nur für heute, sondern auch für kommende Generationen zu entwickeln und umzusetzen. Das muss unser gemeinsames Ziel sein. Für das Erreichen dieses Ziels sollten wir arbeiten. ({20})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Nun erteile ich das Wort dem Kollegen Dieter Maaß für die SPD-Fraktion.

Dieter Maaß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001401, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die heutige Debatte über den Wohnungsbau und dessen Auswirkungen auf die Bauwirtschaft gibt mir Gelegenheit, einige Schwerpunkte unserer erfolgreichen Regierungszeit darzulegen. Vorgefunden haben wir Sozialdemokraten und Bündnis 90/Die Grünen einen Bundeshaushalt, der einen Schuldenstand von 1 500 Milliarden DM auswies. ({0}) Deshalb musste die Haushaltssanierung oberste Priorität haben. Trotzdem ist es uns gelungen, das Wohngeld - das war eine der ersten Maßnahmen - kräftig zu erhöhen. ({1}) Das bedeutet gerade für Familien eine soziale Verbesserung. Das Wohngeld haben wir dabei in Ost und West angeglichen. Außerdem musste ein neues Wohnungsbaurecht geschaffen werden. Mit unserer Mehrheit wurde es im September 2001 Gesetz. Die Verabschiedung des sozialen Mietrechts im Jahre 2001, das Mietern und Vermietern mehr Rechtssicherheit gibt, gehört ebenfalls zu unserer erfolgreichen Politik. ({2}) Seit einigen Jahren bin ich Berichterstatter für Bau- und Wohnungswesen im Einzelplan 12 des Bundeshaushaltes. Deshalb kann ich einiges zu den Investitionen des Bundes für diesen Bereich sagen. Allein für das laufende Haushaltsjahr 2002 stehen für Investitionen des Bundes fast 2 Milliarden Euro bereit. Um die wichtigsten zu nennen: Für den sozialen Wohnungsbau stehen 230 Millionen Euro, für das CO2-Programm circa 205 Millionen Euro, für die Städtebauförderung 476 Millionen Euro und für unser Erfolgsmodell „Soziale Stadt“ 75 Millionen Euro zur Verfügung. Im Mai 2002 veranstaltete das Ministerium für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen einen zweitägigen Kongress zu diesem Thema, auf dem Praktiker zu Worte kamen. Alle Fachleute begrüßten die finanziellen Hilfen, aber auch das Konzept für Stadtteile mit besonderem Erneuerungsbedarf. Wohnungsleerstände und Stadtflucht im Osten unserer Republik bekämpfen die Bundesregierung und die Koalitionsfraktionen mit dem Programm „Stadtumbau Ost“, für das bis 2005 1,5 Millionen Euro an Bundesmitteln pro Jahr zur Verfügung stehen. - So weit zu den Investitionen und den Programmen, die wir in der nächsten Legislaturperiode fortsetzen werden. ({3}) In der ausgehenden Legislaturperiode war ich Berichterstatter unserer Arbeitsgruppe Verkehr, Bau- und Wohnungswesen für Gesetzentwürfe, die die soziale Sicherheit der am Bau tätigen Menschen betreffen. Begonnen haben wir mit dem Winterbaugeld. Damit schützen wir die Bauarbeiter vor Einkommensverlusten, die ihnen allein wegen Witterungsverhältnissen entstanden wären. Das haben wir im Wahlprogramm den Bauarbeitern versprochen und das haben wir auch gehalten, ({4}) während Sie, meine Damen und Herren von CDU/CSU und FDP, das ehemalige Schlechtwettergeld gestrichen haben. ({5}) Die Arbeitnehmer am Bau werden durch uns auch stärker vor illegaler Beschäftigung geschützt. Das Gesetz zur Erleichterung der Bekämpfung von illegaler Beschäftigung und Schwarzarbeit regelt diesen Schutz. Diese Aufzählung ließe sich fortführen - vom Arbeitnehmer-Entsendegesetz bis hin zum Tariftreuegesetz. ({6}) Union und FDP haben das Tariftreuegesetz im Bundesrat blockiert. Diese Ablehnung durch eine christlich orientierte Partei, ({7}) mit der Lohnausbeutung der ostdeutschen Bauarbeiter gerechtfertigt wird, finde ich als Gewerkschafter, ehrlich gesagt, schlimm; von der FDP war ohnehin nichts anderes zu erwarten. ({8}) Meine Damen und Herren, dies ist meine letzte Rede hier im Plenum. Meine zwölfjährige Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag endet nach der Wahl im September. Schwerpunkt meiner Arbeit in dieser Zeit war der Bereich Städtebau und Wohnungswesen. Heute stelle ich zufrieden fest: Die Wohnungsnot, die wir 1990 in unserem Land noch hatten, ist beseitigt. ({9}) Allerdings ist es mir und anderen nicht gelungen, zu erreichen, dass das Eigentum der Mitglieder von Wohnungsgenossenschaften die gleiche steuerliche Förderung erhält wie das private Wohneigentum. In § 17 Eigenheimzulagengesetz und in § 12 des Gesetzes zur Reform des Wohnungsbaurechts gibt es bescheidene Ansätze. Eines Tages, so hoffe ich, wird der Genossenschaftsgedanke in unserer Gesellschaft wieder eine wichtige Rolle spielen und in gesetzlichen Maßnahmen zum Ausdruck kommen. ({10}) Kolleginnen und Kollegen, ich danke allen für die gute Zusammenarbeit während meiner Tätigkeit hier. Denen, die bleiben, wünsche ich persönlich alles Gute; Gleiches auch für die, die wieder in den Beruf zurückgehen. Meinen sozialdemokratischen Genossinnen und Genossen wünsche ich darüber hinaus einen politischen Erfolg am 22. September. ({11}) Denen, die wie ich in den Ruhestand gehen, wünsche ich, dass Wilhelm Busch mit seiner Erkenntnis Recht hat: Der Ruhestand ist ein Genuss, wenn man noch kann und nicht mehr muss. ({12})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Herr Kollege Maaß, Sie hören den Applaus. Im Namen aller Kolleginnen und Kollegen wünsche ich Ihnen für diesen neuen Lebensabschnitt alles Gute. Nächster Debattenredner ist der Kollege Dr. Michael Meister für die Fraktion der CDU/CSU. ({0})

Dr. Michael Meister (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002733, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Minister Bodewig, Sie haben davon gesprochen, Sie hätten für den sozialen Wohnungsbau mehr Spielraum geschaffen. Ich will Ihnen jetzt einfach einmal die Haushaltszahlen von vier Jahren rot-grüner Politik im Bereich des sozialen Wohnungsbaus vortragen: Sie haben im Jahr 1999 mit 1,1 Milliarden DM angefangen. Es ging weiter im Jahr 2000 mit 600 Millionen DM, im Jahr 2001 mit 450 Millionen DM und im Jahr 2002 mit 230 Millionen Euro. Sie haben uns im Jahr 1998 - da gab es 1,347 Milliarden DM für den sozialen Wohnungsbau - vorgeworfen, das sei die Abschaffung des sozialen Wohnungsbaus. ({0}) Sie haben die Mittel um den Faktor vier reduziert. Ich frage Sie schlicht und ergreifend: Was haben Sie getan? Haben Sie mehr Spielraum für den sozialen Wohnungsbau geschaffen? Nein, Sie haben ihn beerdigt. Sie haben ihn abgeschafft. Sie haben ihn beseitigt. Das ist Ihre Politik. ({1}) Frau Eichstädt-Bohlig, Sie haben zu Recht erwähnt - auch der Kollege Oswald hat es treffend gesagt -: Wohnungsbaupolitik ist nicht nur eine Bundesaufgabe, sondern auch eine Aufgabe von Ländern und Kommunen. Nur muss man den Ländern und Kommunen dann natürlich auch die Freiheit und die Kraft geben, sich dieser Aufgabe zu stellen. Schauen Sie sich die Mai-Steuerschätzung an! Denken Sie an das Thema UMTS-Gelder! Denken Sie an das Thema „Mindestsicherung in der Riester-Rente“! Überall haben Sie dafür gesorgt, dass die Kommunen überhaupt nicht mehr den finanziellen Spielraum haben, um diesen Aufgaben gerecht werden zu können. ({2}) Sie kündigen seit vier Jahren eine Kommission an, die sich der Gemeindefinanzreform annehmen soll. ({3}) Ankündigung, Ankündigung, Ankündigung! Sie entziehen das Geld und fordern die Kommunen auf, in diesem Bereich tätig zu werden. ({4}) Was Sie an dieser Stelle tun, Frau Eichstädt-Bohlig, ist unsolide und unseriös. ({5}) Jetzt zum Thema Eigenheimzulage. Die Eigenheimzulage ist von 1996 bis 1999 in der deutschen Wohnungsbaupolitik eine Erfolgsgeschichte gewesen. In diesem Zeitraum gab es eine Steigerung der Zahl von selbst genutzten Eigenheimen und Wohnungen um 25 Prozent pro Jahr. Eine Steigerung um 25 Prozent durch die Einführung der Eigenheimzulage! ({6}) Damit - der Kollege Oswald hat es erwähnt - sind wir dem Wunsch der Menschen nachgekommen: Drei Viertel der Bevölkerung wollen in selbst genutztem Wohneigentum leben. Wir haben die Rahmenbedingungen dafür geschaffen. ({7}) Das hatte auch einen Nebeneffekt: Wir sind damit nicht nur dem Wunsch der Menschen nachkommen, sondern haben auch etwas für den Arbeitsmarkt getan. Denn jede Wohnung, die gebaut wurde, hat auch Arbeitsplätze gesichert. ({8}) Was haben Sie an dieser Stelle getan? Schauen Sie sich einmal die Entwicklung beim Wohneigentum nach 1999 an! Sie haben gesagt, Herr Bodewig, die Kurve sei aufwärts verlaufen. Nach 1999 sind zwar die Ausgaben gestiegen, aber nicht die Zahl der Fertigstellungen beim privaten Wohneigentum. Seit 1999 ist die Zahl der Fertigstellungen in diesem Bereich Jahr für Jahr rückläufig. Das liegt an den Maßnahmen, die Sie durchgeführt haben. In Ihrem Antrag, Frau Eichstädt-Bohlig, heißt es so schön, es müsse etwas für den Bestand getan werden. Das ist auch durchaus richtig. Das haben Sie bereits vor vier Jahren in Ihre Koalitionsvereinbarung aufgenommen. Was aber tun Sie? Sie beseitigen den Vorkostenabzug. Das war ein Schlag gegen den Bestand. ({9}) Das, was Sie schriftlich ankündigen oder in Sonntagsreden an die Öffentlichkeit bringen, ist das Gegenteil von dem, was Sie hier beschließen. Das müssen die Menschen begreifen. Ihr Reden und Ihr Handeln klafft auseinander. ({10}) Was kommt noch hinzu? Sie haben in den vergangenen vier Jahren den zentralen Fehler gemacht, dafür zu sorgen, dass die gesamte Bauwirtschaft verunsichert wurde. Statt zur Sicherheit beizutragen, schürten Sie Verunsicherung an allen Enden. Zum Beispiel haben Sie neben der Abschaffung des Vorkostenabzuges die Spekulationsfrist verlängert. Wer will denn angesichts dessen noch investieren? Sie haben die steuerwirksame Verteilung des Erhaltungsaufwands auf mehrere Jahre zurückgenommen und so ins Steuerrecht eingegriffen. Der Kollege Goldmann hat das Mietrecht erwähnt. Überall haben Sie dafür gesorgt, dass die Rahmenbedingungen für Investitionen verschlechtert werden. Deshalb ist die Philosophie, dass sich die Nachfrageentwicklung verändert habe, nicht richtig. ({11}) Das ist nur ein Teil der Wahrheit. Der andere Teil der Wahrheit ist, dass Ihre Politik zu einer Verschlechterung der Rahmenbedingungen für Investoren geführt hat. ({12}) Das muss zur Kenntnis genommen und korrigiert werden. Ich möchte noch einen weiteren Punkt ansprechen. Leider mussten wir - der Kollege Kansy hat das zu Recht festgestellt -, fast über die gesamten vier Jahre die Baupolitik vermissen. ({13}) - Die Politik in diesem Bereich hat der Bundesfinanzminister gemacht, Frau Eichstädt-Bohlig. Er hat diktiert, wie die Gesetze aussehen sollen. Wenn eine Gesetzesänderung vorgenommen wurde, dann hat nicht das Bundesbauministerium entschieden, wie diese aussehen soll, sondern das Bundesfinanzministerium - aus fiskalpolitischen Gründen. Wir müssen in der Wirtschafts- und in der Baupolitik endlich dazu zurückkommen, dass Sachpolitik und nicht Fiskalpolitik betrieben wird. Ein Blick auf die Eigenheimzulage zeigt, dass Sie nur eines im Sinn haben: Ihren Finanzminister, Ihre Finanzpolitik, Ihre Budgetpolitik. Sie nutzen diesen Bereich als Sparschwein, um andere Aufgaben zu retten. Das versuchen Sie aber zu verschleiern. ({14}) Wir als Union dagegen sind Garant für das selbstgenutzte Wohneigentum. Wir werden das, was der Kollege Oswald vorgetragen hat, Punkt für Punkt erfüllen. ({15}) Lieber Herr Spanier, Sie haben eingangs in dieser Debatte vorgetragen, die Bilanz der Politik dieser Bundesregierung sei rundum positiv. ({16}) Damit haben Sie aus Ihrem Antrag zitiert. Lassen Sie mich einige Zahlen nennen. Die Entwicklung im Eigenheimbau ist - das habe ich bereits erwähnt seit zweieinhalb Jahren rückläufig. Auch die Zahl der Baugenehmigungen - der Kollege Kansy hat das angesprochen - ist rückläufig. Für dieses Jahr ist ein Rückgang um 8,5 Prozent prognostiziert. Auch der Personalabbau im Baugewerbe ist bereits angesprochen worden: Mehr als 200 000 Arbeitsplätze sind verloren gegangen. Für dieses Jahr ist der Verlust von weiteren 50 000 Arbeitsplätzen im Baugewerbe angekündigt worden. Das ist die „rundum positive Bilanz“ dieser Bundesregierung. Im vergangenen Jahr gab es mehr als 30 000 Insolvenzen, ein großer Teil davon in der Bauwirtschaft. Für dieses Jahr wird eine weitere Steigerung, auf rund 40 000 Insolvenzen, prognostiziert. Das ist die „rundum positive Bilanz“ dieser Bundesregierung. Das sind Spitzenzahlen, nur mit dem falschen Vorzeichen. Deshalb ist eine Änderung nötig. Das Vorzeichen muss geändert und Ihre Politik dringend beendet werden. ({17}) Ich möchte noch kurz auf das Thema Zersiedlung eingehen, das Sie, Frau Eichstädt-Bohlig, immer so gerne ansprechen. Wir sind zwar der Meinung, dass vorrangig eine bundesweit einheitliche Eigenheimzulage notwendig ist. Aber natürlich muss darauf geachtet werden, dass dies mit anderen Bereichen, zum Beispiel mit einer sinnvollen Stadt- und Raumordnungspolitik, vernetzt wird. Wer glaubt, dass dies allein mit dem Instrument der Eigenheimzulage möglich ist, ist auf dem falschen Weg. Wir müssen die Eigenheimzulage als bundesweites Instrument belassen und sie durch andere Instrumente flankieren. Dann sind wir auf dem richtigen Weg. Wenn wir das zur Abstimmung stellen, sind wir auf einem guten Weg. Dann werden auch die Kollegen, die uns verlassen, Herr Maaß, Herr Kollege Kansy und andere, die uns leider nicht mehr auf diesem Weg begleiten können, von außen sagen: Ab dem 22. September 2002 wird im Bauausschuss des Deutschen Bundestages doch wieder eine gute Sach- und Fachpolitik betrieben. Herzlichen Dank. ({18})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Die letzte Rednerin in dieser Debatte ist die Kollegin Gabriele Iwersen für die SPD-Fraktion.

Gabriele Iwersen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000998, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! 1998 ist die alte Regierung wegen absoluter Reformunfähigkeit abgewählt worden. Was Sie heute geliefert haben, zeigt, dass Sie wieder in die Zeit vor 1998 zurück wollen. ({0}) Sie haben von der gesamten Entwicklung nichts verstanden. Sie verstehen nicht, dass sich aufgrund von Überkapazitäten Insolvenzen entwickelt haben. Sie verstehen auch nicht, dass die Zahl der Eigenheimbauten zurückgegangen ist, weil der Bedarf gedeckt war. In diesem Punkt sind ja die Beiträge der PDS noch besser. Das will schon etwas heißen. Sie sollten sich das einmal zu Herzen nehmen. ({1}) Ich will mich deshalb lieber einem friedlichen Thema zuwenden und es noch einmal mit der Baukultur versuchen. Baukultur - für diejenigen, die es noch nicht wissen - beschreibt den Umgang der Gesellschaft mit der gebauten Umwelt, mit Städten und Dörfern, mit dem öffentlichen Raum und dem privaten Raum. Der Begriff Kultur allein ist natürlich noch kein Qualitätsnachweis. Er weist aber darauf hin, dass es sich um eine gesellschaftliche Gesamtleistung handelt, die Auskunft gibt über die Art des Zusammenlebens unterschiedlicher sozialer Gruppen und Generationen, über staatliche Ordnungen, Stellenwert von Geschichte und Tradition und Umgang mit dem kulturellen Erbe eines Volkes. Das sind allgemeine Beschreibungen, die noch lange nachwirken. Dieses alles zusammen verdient die Bezeichnung Baukultur. Eine wachsende Gesellschaft kann zu einem explosionsartigen Wachstum der Städte und Siedlungen führen. Als Beispiele nenne ich die Gründerzeit, aber auch die Zeit nach der Öffnung der Mauer und des Eisernen Vorhangs. Es gibt aber auch Phasen der Stagnation oder sogar des Verfalls durch Kriege, Katastrophen, Seuchen, Wanderungsverluste oder drastischen Geburtenrückgang. Auf all diese Ereignisse gibt es Antworten, die ihren Ausdruck in der Baukultur einer Gesellschaft finden, welche immer eine Mischung aus persönlicher Entscheidung und Gestaltungskraft des Einzelnen und einem Ordnungswillen der Gemeinschaft oder früher der Obrigkeit verkörpert. In unserer Gesellschaft haben wir als Deutscher Bundestag zusammen mit den Parlamenten der Länder übergeordnete Entwicklungsleitlinien zu entwerfen. Dabei gibt es verschiedene Instrumente: Das Baugesetzbuch ist unsere Bibel und der Bundeshaushalt das Steuerungsinstrument, mit dem Entwicklungen durch Programme initiiert oder bewusst oder mangels Masse auch verzögert werden können. Leider sind nicht alle persönlichen Wünsche der Bürger mit den Interessen der Gemeinschaft in Einklang zu bringen. Da aber jeder Mensch in dem Spannungsfeld zwischen seiner individuellen privaten Lebenswelt, also seiner Wohnküche, und dem identitätsstiftenden öffentlichen Raum seiner Stadt oder seines Dorfes lebt, muss es unsere wichtigste Aufgabe sein, diesen übergeordneten Stadt- oder Siedlungsraum zu entwickeln, um ihn der sich ständig verändernden Gesellschaft anzupassen. Vor 30 Jahren - das wissen Sie alle - prägte das Ideal der autogerechten Stadt die Planungen, heute steht zum Beispiel der Gedanke der Barrierefreiheit oder des sozialen Zusammenhalts im Vordergrund, insbesondere bei der rotgrünen Wohnungs- und Städtebaupolitik. Im Grunde genommen würden Sie das aber auch nicht ablehnen. ({2}) Unsere Gesellschaft altert rapide - das weiß nun schon jeder -, die Zahl der Einwohner wird innerhalb der nächsten Jahrzehnte vielleicht tatsächlich um bis zu 20 Millionen sinken. Das heißt, je mehr jetzt gebaut wird, umso mehr wird auch von dem jetzt Vorhandenen abgebrochen werden müssen, wenn unsere Kinder und Enkel nicht gerade in Geisterstädten leben sollen. Dieser Prozess der Erneuerung muss mit Weitsicht geplant werden, damit es nicht zu einer Auflösung der Städte und der städtischen Gesellschaft kommt. ({3}) Der Statusbericht „Baukultur in Deutschland“ - ein sehr lesenswertes Papier - weist darauf hin, dass der Bestand an verdichteter Innenstadtbebauung wesentlich zur Identität jeder Stadt beiträgt und sich diese nicht über die größte Vorstadt oder das größte Einkaufszentrum definiert. Behutsame Stadterneuerung bedeutet deshalb in erster Linie Pflege und weitere Nutzung des Bestandes, Schutz der historisch wertvollen Bausubstanz, Reaktivierung von brachliegenden Flächen - die wird es zunehmend geben - und Verhinderung der Gettobildung. ({4}) Die sozialen Aspekte der Stadtentwicklung gewinnen immer mehr an Bedeutung; denn die soziale Polarisierung in unserer Gesellschaft schlägt sich auch in der räumlichen Struktur der Stadt nieder. Die rot-grüne Regierung hat diesen Strukturproblemen deshalb einen Schwerpunkt ihrer Städtebaupolitik gewidmet. Die Programme „Die soziale Stadt“, „Stadtumbau Ost“ und „Stadtumbau West“ sind so unheimlich wichtig, weil sie dazu beitragen, den Organismus Stadt als eine Einheit der gebauten Umwelt und ihrer Bewohner zu betrachten. Erst wenn das geschieht, kann man Problembereiche verändern. Auch hierbei erfahren wir, dass der öffentliche Raum zur Lebensqualität eines Quartiers wesentlich beiträgt. Er dient eben nicht nur zur Erschließung, sondern er ist auch Lebensraum, der eine eigene Gestalt hat. Der Vorgang des Gestaltens ist der kulturelle Beitrag aller an der Planung und Ausführung Beteiligten. Alle, das heißt Fachleute sowie Bürger; denn Baukultur ist Ausdruck eines Gemeinschaftsergebnisses. Sie bleibt der Nachwelt als Zeugnis der Lebensform unserer Gesellschaft, die auf Bürgerbeteiligung setzt, erhalten. ({5}) Baukultur findet ihren Ausdruck andererseits in Massenware, die unter dem Stichwort „Wohneigentum“ nach staatlicher Förderung verlangt. Nicht die Zahl der Baugenehmigungen ist für die Beurteilung der Eigenheimzulage und ihrer Wirkung wichtig, wie Dr. Kansy oder Dr. Meister glauben, sondern die Frage, wo diese Häuser gebaut werden. Leider entstehen sie oftmals dort, wo der Bauplatz billig ist und die Städte eher durch Leerstand als durch einen engen Wohnungsmarkt, der unbedingt des zusätzlichen Bauens bedarf, gekennzeichnet sind. ({6}) - Nein, Sie haben bei der Anhörung nicht zugehört; sonst wüssten Sie, was wir da zu hören bekommen haben. ({7}) Zwischen der Befriedigung eines Anspruchs - den haben diejenigen, die nach einer Wohnungsbauförderung fragen - und einem Bedarf besteht nämlich ein Unterschied: Der Bedarf steht bei der Städtebauförderung im Vordergrund. Deshalb halte ich die Städtebauförderung für den besseren Weg, um gesamtgesellschaftliche Probleme zu lösen. ({8}) Auf jeden Fall war der Bundesbauminister wirklich gut beraten, als er die „Initiative Architektur und Baukultur“ ergriff. In der Tat muss in der Öffentlichkeit wesentlich stärker darauf hingewiesen werden, bei wem die Verantwortung liegt, nämlich bei Bauherren, Planern und Politikern. Das gilt besonders dann, wenn sie sich daranmachen, zusätzliche Baurechte auszuweisen und Eingriffe in unsere Siedlungsgeschichte in die Wege zu leiten. Zum Schluss möchte ich ein Wort zu dem öffentlichen Bauherrn sagen. Natürlich hat die öffentliche Hand als Bauherr die Pflicht, Vorbildliches zu leisten. Das gilt sowohl für Neubauten wie auch für den Umgang mit Ererbtem. Wettbewerbe sind deshalb der beste Weg, sich einer Gestaltung zu versichern, die aus einer Vielzahl von Lösungen herausgefiltert worden ist. Das sollte auch für die historische Mitte Berlins gelten; denn jede Zeit hinterlässt durch ihre wichtigsten öffentlichen Bauten Zeugnisse ihrer gestalterischen Kraft. Es gab allerdings auch Epochen, die auf Nachahmung der Vergangenheit setzten, um neue Inhalte hinter alten Fassaden zu verstecken. Wollen wir tatsächlich Neobarock in Berlin einführen? - Ich jedenfalls nicht! ({9}) Baukultur ist ein weites Feld, über das wir noch lange reden könnten. Ich kann Ihnen nur noch sagen: Meine Zeit in diesem Hohen Hause ist um. Ich bedanke mich bei allen, die einigermaßen seriös diskutiert haben, um die Probleme unserer Städte und unserer Bevölkerung zu lösen. Bei denen, die nur aus Prinzip Gegenargumente suchen, bedanke ich mich vorsichtshalber nicht. ({10})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Frau Kollegin Iwersen, auch für Sie war es die letzte Rede hier im Hohen Hause. Vielen Dank für Ihr Engagement und alles Gute auf Ihrem weiteren Lebensweg! ({0}) Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zu den Abstimmungen. Beschlussempfehlung des Ausschusses für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen auf Drucksache 14/9344 zu dem Antrag der Fraktion der CDU/CSU mit dem Titel „Für eine vorausschauende Wohnungs- und Städtebaupolitik“: Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 14/6048 abzulehnen. ({1}) Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist gegen die Stimmen der CDU/CSU-Fraktion angenommen. Kann ich noch einmal fragen, wie das Abstimmungsverhalten der FDP-Fraktion war? ({2}) - Dann machen wir das Ganze noch einmal. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Damit ist diese Beschlussempfehlung gegen die Stimmen von CDU/CSU und FDP angenommen. Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion der CDU/CSU zu ihrer Großen Anfrage auf Drucksache 14/7124: Wer stimmt für den Entschließungsantrag auf Drucksache 14/9397? - Gegenprobe! - Enthaltungen? Jetzt klappt es im ersten Anlauf. Der Entschließungsantrag ist gegen die Stimmen von CDU/CSU und FDP abgelehnt. Beschlussempfehlung des Finanzausschusses auf Drucksache 14/9141 zu dem Antrag der Fraktion der CDU/CSU mit dem Titel „Bessere steuerliche Rahmenbedingungen für den Wohnungsbau“: Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 14/6637 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist gegen die Stimmen der CDU/CSU-Fraktion bei Enthaltung der FDP-Fraktion angenommen. Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung wohnungsrechtlicher Vorschriften, Drucksache 14/8993: Der Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 14/9347, den Gesetzentwurf in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte jetzt diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung gegen die Stimmen der FDPFraktion angenommen. Wir kommen jetzt zur dritten Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen gibt es keine. Der Gesetzentwurf ist damit gegen die Stimmen der FDP-Fraktion angenommen. Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 14/8966 und 14/9355 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 7 auf: Beratung des Schlussberichts der Enquete-Kommission „Recht und Ethik der modernen Medizin“ - Drucksache 14/9020 Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Stunde vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Erster Redner für die SPDFraktion ist der Kollege Dr. Wolfgang Wodarg.

Dr. Wolfgang Wodarg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002828, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Ich freue mich, dass wir heute einen kleinen Rückblick und eine kleine Zusammenfassung der Arbeit der Enquete-Kommission haben. Ich möchte einige Worte zur Entwicklung sagen. Wie ist es dazu gekommen, dass sich der Deutsche Bundestag so intensiv mit bioethischen Themen befasst hat? Wir hatten in der Vergangenheit in diesem Hause bereits mehrfach Themen diskutiert, die eine starke ethische Relevanz hatten und die zeigten, dass Medizin immer wieder an Grenzen stößt, die mit unserem Grundgesetz zu tun haben, nämlich mit der Menschenwürde. Wir haben vor über zehn Jahren das Embryonenschutzgesetz diskutiert. Wir haben die Debatte um die Abtreibung gehabt. Wir haben in der letzten Legislaturperiode das Transplantationsgesetz verabschiedet. Wir haben dann in der letzten Legislaturperiode - wenn auch nicht hier im Plenum, so doch in verschiedenen Gremien im Deutschen Bundestag - debattiert, ob Deutschland die Bioethikkonvention des Europarates unterzeichnen soll oder nicht. Aus dieser Debatte, die überfraktionell unter Abgeordneten stattgefunden hat, wurde die Idee geboren, diese Diskussion zu strukturieren, die Lücken in der Bioethikkonvention herauszufinden und sie für Deutschland zu schließen, bevor Deutschland diese Konvention zeichnet. Das war der Anlass und wurde dann so auch in den Koalitionsverhandlungen besprochen. Es gab dazu zwar keine schriftliche Vereinbarung, aber eine Absprache. Es war nicht einfach, diese Absprache anschließend in den einzelnen Fraktionen umzusetzen. Es gab Widerstände gegen die Einrichtung einer Enquete-Kommission. Diese Widerstände sind überwunden worden - wenn auch leider etwas spät, sodass wir erst im Frühjahr des Jahres 2000 mit der Arbeit beginnen konnten. Weil wir also nur noch wenig Zeit hatten, mussten wir uns auf wenige Themen konzentrieren. Eine Voraussetzung unserer Arbeit war, die in Gesetzgebungsprozessen anstehenden Entscheidungen nicht durch lange theoretische Überlegungen zu behindern. Das nämlich befürchteten die Praktiker in der Regierung wie in den Fraktionen. Wir haben versprochen, entscheidungsbegleitend arbeiten zu wollen. Das konnten wir in drei Fällen tun. Vizepräsidentin Petra Bläss Erstens begleiteten wir den Diskussionsprozess um die Europäische Grundrechte-Charta. Ich bin sehr froh darüber, dass wir dabei erreichen konnten, einen Diskriminierungsschutz im Hinblick auf die genetische Prädisposition der Menschen in die Grundrechte-Charta einfließen zu lassen. Früher konnte man Menschen zum Beispiel wegen ihrer Hautfarbe, wegen ihres Geschlechts und wegen ihrer Herkunft diskriminieren. Das sind genetische Merkmale, aber die Möglichkeiten der Diskriminierung steigen mit dem Wissen um die genetische Prädisposition der Menschen. Dem haben wir Rechnung getragen. Das ist direkt in unsere Vorschläge eingeflossen. Zweitens behandelten wir die Frage des Stammzellimportes. Die mehrfach geführten Debatten darüber nahmen in diesem Haus großen Raum ein. Drittens debattierten wir - ebenfalls entscheidungsbegleitend - über die Umsetzung der Biopatentrichtlinie der Europäischen Union. Wir haben hierzu Empfehlungen ausgesprochen, die das Parlament auffordern, diese Problematik noch einmal umfassend zu betrachten und die möglichen Auswirkungen auf die Entwicklung der Medizin und der Forschung gründlicher zu bedenken. Ich bin froh, dass diese Bedenkzeit angenommen wurde und die Fraktionen bisher davon Abstand genommen haben, eine Entscheidung darüber durch das Parlament zu peitschen. ({0}) Zum Zwecke der systematischen Bearbeitung haben wir uns für einige Themenfelder in Arbeitsgruppen aufgeteilt: Fortpflanzungsmedizin, Organersatztechnologien und Schutz der genetischen Daten. Die Arbeitsgruppen haben Berichte erstellt, die wir anschließend zusammengeführt haben. Das war möglich, weil wir engen Kontakt gesucht haben, einerseits mit der Bevölkerung und andererseits mit Fachleuten, mit Sachverständigen und Wissenschaftlern, wie das bei einer Enquete-Kommission üblich ist. So konnten wir eine Menge Material aufarbeiten, das zum Beispiel auf dem Gebiet der Fortpflanzungsmedizin eine Entscheidungsgrundlage hinsichtlich der Präimplantationsdiagnostik bildet: Soll es erlaubt sein, Embryonen auszusortieren, weil sie bestimmte Merkmale haben? Darf der Mensch das tun? Zu diesen Fragen haben wir ein deutliches Votum erarbeitet, in dem wir uns gegen die Einführung der Präimplantationsdiagnostik in Deutschland aussprechen. Wir haben parallel dazu über die Pränataldiagnostik debattiert, weil wir meinten, dass dieses Thema dazugehört. Auch auf diesem Gebiet hat eine Entwicklung stattgefunden, die das Parlament nicht einfach tolerieren kann. Auch hierzu haben wir Empfehlungen entwickelt. Wir haben darüber hinaus sehr intensiv über den Bereich der Stammzellforschung debattiert. Neben der Diskussion über die embryonale Stammzellenforschung haben wir akribisch die Chancen der alternativen Forschung, der Forschung an adulten Stammzellen und der Forschung zu Nabelschnurblutstammzellen herausgearbeitet. Wir haben die Möglichkeiten der einzelnen Alternativen nebeneinander gestellt, um sie dem Parlament nahe zu bringen und Entscheidungen darüber zu ermöglichen. Ich hebe hervor, dass wir uns im Hinblick sowohl auf die Stammzellforschung als auch auf die Biopatentrichtlinie gestritten haben. Dazu gab es keine einheitlichen Voten, sondern es kam zur Gabelung von Voten. Es gab Voten, die nebeneinander standen, sowie Minderheitenvoten. Das alles kann man dem Bericht entnehmen. Aber es gibt auch Bereiche, in denen wir einer Meinung waren und zu einem einheitlichen Beschluss gekommen sind, so zum Beispiel im Bereich der genetischen Daten. Wir sind hier alle der Meinung, dass eine Regelung erforderlich ist, und haben die Bedingungen für eine Regelung aufgelistet. Die CDU/CSU hat dann gleich, weil sie das aus der Opposition heraus so bequem kann, einen Antrag daraus geschmiedet. Es ist aber zum Ende der Legislaturperiode hin schwierig, einen solchen Antrag umzusetzen; das wissen Sie selbst. Wir haben uns bescheidener gebärdet. Wir haben Eckpunkte formuliert, die wir aus diesen Empfehlungen abgeleitet haben, und werden diese in der nächsten Legislaturperiode umsetzen. Das ist unsere Herangehensweise. Ich erwähne diesen Bereich deshalb noch einmal, weil er auch in der Öffentlichkeit nicht genügend wahrgenommen wird. Wer den Film „Gattaca“ gesehen hat, dem ist eine Vision vermittelt worden, die von der Wirklichkeit gar nicht so weit entfernt ist. Darin geht es um einen jungen Mann, dessen Bildungschancen nach seiner genetischen Prädisposition abgeschätzt werden. Ihm wird gesagt: Du hast bestimmte Risiken und bestimmte Anlagen. Für dich kommt nur dieser Bildungsweg infrage, sonst haben wir eine Fehlinvestition getätigt. Hier wird uns gezeigt, was daraus werden kann, wenn aufgrund von genetischen Anlagen diskriminiert wird. Ich denke, dass wir die Medien, die uns das anschaulich machen, brauchen und dass solche Filme in Schulen und in der Öffentlichkeit gezeigt und diskutiert werden sollten, damit wir eine Ahnung von dem bekommen, was auf uns zukommen kann und was wir regeln müssen, damit kein Missbrauch geschieht. Die Medizin war immer ein Grenzgebiet. Die ArztPatienten-Beziehung war etwas Heiliges, bei dem keiner dazwischenfunken durfte. Die Dyade Arzt/Patient war etwas, bei dem das Interesse Dritter nichts zu suchen hatte. Das hat sich geändert, zum Beispiel als die Transplantationsmedizin hinzukam, als die Organe von Patienten für andere genutzt werden sollten. Das hat sich jetzt auch in Bezug auf den Lebensanfang geändert, nämlich wenn es darum geht, Embryonen, die, wie man sagt, überzählig seien, zu verwerten, um daraus Medikamente zu machen. Hier ist ein besonderer Schutz nötig und hier brauchen wir gesetzliche Regelungen.

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Herr Kollege Wodarg, ich muss Sie jetzt doch ein bisschen bremsen, weil Ihre Redezeit weit überschritten ist.

Dr. Wolfgang Wodarg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002828, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

In Ordnung. Wir haben leider nur sehr kurze Redezeiten. Meine Kollegen werden auf die einzelnen Punkte wahrscheinlich noch eingehen. Ich möchte zum Schluss all denen Dank sagen, die mitgearbeitet haben: den Sachverständigen, den Mitarbeitern im Büro der Enquete-Kommission, aber auch den Mitarbeitern in den Abgeordnetenbüros und in den Fraktionsbüros. Ich glaube, wir haben auch durch die Zusammenarbeit mit der Öffentlichkeit gezeigt, wie gut es ist, dass man sich über diese Themen streitet. Der Nationale Ethikrat, der von der Bundesregierung als Antwort auf die Enquete-Kommission eingerichtet wurde, hat die Aufmerksamkeit in der Bevölkerung gesteigert. Ich bin dem Kanzler also ausdrücklich dankbar, dass er sich hier gewappnet und einen Ethikrat eingesetzt hat, was die Medien dazu gebracht hat, diesem Thema die nötige Aufmerksamkeit zu widmen. Diese Aufmerksamkeit brauchen wir für eine breite Debatte. Ich denke, wir haben gemeinsam viel geleistet. Ich bedanke mich bei allen Kolleginnen und Kollegen für die Zusammenarbeit. ({0})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Das Wort hat der Kollege Hubert Hüppe für die Fraktion der CDU/CSU.

Hubert Hüppe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000975, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir, die Mitglieder der Enquete-Kommission „Recht und Ethik der modernen Medizin“, sind natürlich einerseits sehr zufrieden, dass wir heute unseren Schlussbericht vorstellen können. Auf der anderen Seite - ich glaube, hier kann ich für alle Mitglieder der Enquete-Kommission sprechen - sind wir auch ein wenig unzufrieden, vor allem deswegen, weil wir noch viele andere Themen hätten behandeln wollen, für die die Zeit einfach nicht ausreichte. ({0}) Ein Grund dafür war, dass wir unsere Arbeit als EnqueteKommission erst vor zwei Jahren aufnehmen konnten. Dass unsere Enquete-Kommission zuletzt eingesetzt worden ist, lag auch daran, dass es maßgebliche Leute gab, die eine öffentliche und demokratische Diskussion über die Biotechnologie beim Menschen verhindern wollten. ({1}) Es ist letztendlich aber gerade diese öffentliche Diskussion, die es dazu kommen ließ, dass über alle Parteigrenzen hinweg die Einsicht wuchs, dass das Thema Bioethik in der Gesellschaft und im Parlament diskutiert werden muss. Ein weiterer Grund, warum wir unser Pensum nicht so leisten konnten, wie wir es wollten, war, dass wir mit immer neuen Themen konfrontiert wurden: mit der Biopatent-Richtlinie, den embryonalen und adulten Stammzellen, dem so genannten therapeutischen Klonen, dem reproduktiven Klonen, mit Gentests, Keimbahninterventionen, mit der Präimplantationsdiagnostik und der Europäischen Grundrechte-Charta; um nur einige Themen zu nennen. Im Verlauf der zweijährigen Beratungen stießen wir immer wieder auf ganz grundsätzliche Fragen: Wann beginnt der Mensch? Wann ist er Träger der Menschenwürde? Und vielleicht noch viel schwieriger zu beantworten: Wann ist der Mensch tot? Dabei haben wir uns nicht nur mit neuen Themen in Forschung und Medizin beschäftigt, sondern auch neue Fragen zu alten Themen gestellt. Wir haben nicht nur gefragt, ob man viele Schritte nach vorne machen soll oder nicht, ob wir Grenzen und, wenn ja, welche wir setzen sollen und was wir fördern oder was wir nicht fördern sollten. Wir haben auch gefragt, ob wir nicht in manchen Bereichen, ohne darüber zu diskutieren und ohne dass es uns aufgefallen wäre, schon viel zu weit gegangen sind. Ein Beispiel dafür ist die Pränataldiagnostik, zum Beispiel der vorgeburtliche Gentest. Nirgendwo zeigt sich deutlicher als bei der jetzigen Praxis der Pränataldiagnostik, wie diese Technik unser Leben verändert hat. Die Schwangerschaft ist in den letzten 30 Jahren Schritt für Schritt von einem natürlichen Ereignis zu einem total kontrollierten, überwachten und technisierten Vorgang geworden. Um zwei Zahlen zu nennen: 1970 gab es in Deutschland sechs Fruchtwasseranalysen. 1995 - das steht in dem Bericht des Technikfolgenabschätzungsbüros des Deutschen Bundestages - gab es allein in den alten Ländern 61 794 Amniozentesen, also Fruchtwasseranalysen. Hatte man am Anfang behauptet, diese Tests sollten nur in extremen und seltenen Fällen durchgeführt werden, gelten heute 70 bis 80 Prozent der Schwangerschaften als Risikoschwangerschaft. Immer neue Tests kommen auf den Markt. Das Fahndungsnetz nach krankem und behindertem Leben wird immer dichter. Sogar Schadensersatzklagen kommen vor, weil ein behindertes Kind geboren worden ist. ({2}) Nicht, weil man einen Pränataltest verpasst hätte, mit dem man dem Kind hätte helfen können! Nein, es gibt Schadensersatzklagen, weil dieses Kind nicht im Mutterleib getötet worden ist. Ich denke, dass dies - auch wenn es alt ist und wir uns damit vielleicht sogar schon abgefunden hatten - ein ganz wichtiger Punkt ist, über den im neu gewählten Deutschen Bundestag unbedingt noch einmal diskutiert werden muss. ({3}) Meine Damen und Herren, ich als Abgeordneter habe noch kein parlamentarisches Gremium erlebt - das muss ich wirklich sagen -, in dem die Parteizugehörigkeit der Mitglieder so unwichtig war. ({4}) - Ja, es stimmt: Ich habe es genossen. Das gebe ich zu. ({5}) - Auch die Genossen; auch das gebe ich zu. Es war mal so und mal so, wie das eben so ist. Entscheidend waren stattdessen ethische Überzeugungen, die Einsicht in das Notwendige und Sachkenntnisse, die wir als Abgeordnete den Sachverständigen in unseren Anhörungen zu verdanken haben. Selten hat eine Enquete-Kommission so viel Beachtung in den Medien und in der Bevölkerung gefunden. Ich gebe zu: Das war nicht nur so, weil sich Abgeordnete gerne im Fernsehen oder in der Zeitung wiedererkennen. Das war so gewollt. ({6}) Wir haben von Anfang an Wert auf die Beteiligung der Öffentlichkeit und auf Transparenz gelegt. Neben öffentlichen Anhörungen und Dialogveranstaltungen haben wir uns auch Diskussionen im Internet gestellt. Mein Dank - da darf ich mich Wolfgang Wodarg anschließen - gilt nicht nur den Sachverständigen, von denen ich einige auf der Zuschauertribüne begrüßen darf. Herzlich willkommen! ({7}) Sie haben mit enormem Engagement einen Großteil der Arbeit geleistet. Mein Dank gilt auch den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Enquete-Büros - ich gebe zu, dass sie es nicht immer ganz leicht mit uns hatten ({8}) und natürlich der Fraktion und allen beteiligten Bundestagsabgeordneten. Auch wenn wir heute über unseren Schlussbericht diskutieren, wissen wir alle: Wir stehen nicht am Ende der Debatte, sondern an deren Anfang. Wir sind uns einig - ich hoffe, auch das kann ich für alle sagen -, dass die Bio- und die Gentechnik für unsere Zukunft eine Schlüsselrolle spielen werden. Sie bieten enorme Chancen und kein vernünftiger Mensch will Forschung und Fortschritt verhindern. Wir sehen aber auch Gefahren und Risiken: Kommt der Mensch nach Maß? Ist die Präimplantationsdiagnostik, also die genetische Selektion im Reagenzglas, nicht der nächste Schritt zu einer eugenischen Selektion? Schon gibt es einen Gentest, der die Embryos auf Lernbehinderung testet. Einige träumen inzwischen von der völlig kontrollierten Zeugung. Der Nobelpreisträger James Watson will die Gesellschaft zu einer, wie er sagt, genetischen Weltsicht bringen und die Geburt erblich belasteter Kinder durch PID und Abtreibung verhindern. Was heute wie Science-Fiction klingen mag, kann morgen Realität sein; schließlich ist heute schon Realität, was vor zehn Jahren noch als Science-Fiction abgetan wurde. Wer hätte vor zehn Jahren geglaubt, dass wir heute darüber reden, durch das Klonen den eigenen genetischen Zwilling zu produzieren, um ihn als Ersatzteillager zu nutzen? Hätten wir uns damals vorstellen können, dass ein Privatunternehmen die genetischen Daten und Krankenakten eines ganzen Volkes kauft, um sich Patente zu sichern? In Island ist das passiert. Hätten wir geglaubt, dass sich eine über 60-jährige Frau von ihrer Tochter Eizellen spenden lässt, um dann ihren eigenen genetischen Enkel auszutragen? Oder hätten wir geglaubt, dass es Wissenschaftler gibt wie ein Forscherteam der University of Bath, dem es gelungen ist, Frösche ohne Kopf zu produzieren, unter anderem mit der Begründung, wenn dies auch beim Menschen gelänge, hätte man die idealen Ersatzteillager. Sicher sind dies alles Extrembeispiele. Sie zeigen aber, dass es, wenn man keine gesetzlichen Grenzen setzt, keine Grenzen geben wird. Wir als Parlament müssen diese Diskussion führen und gegebenenfalls auch die Grenzen setzen. ({9}) Wir dürfen diese Fragen nicht allein den Fachzirkeln der Wissenschaft überlassen und sie auch nicht an irgendwelche Ethikräte delegieren. Ab und zu wurde der Mehrheit der Enquete-Kommission vorgeworfen - das konnte man in der Presse lesen -, sie sei zu restriktiv und - auch das sind Worte, die gefallen sind - es gebe eine Inflation des Menschenwürdebegriffes. Außerdem - auch das nehmen wir zur Kenntnis würde im Ausland, vor allem in der EU, sowieso alles gemacht, was man machen könne. Angesichts einiger Entwicklungen, die ich gerade dargestellt habe, glaube ich nicht, dass es gefährlich wird, wenn wir den Begriff der Menschenwürde zu breit fassen. Ich glaube eher, es wird gefährlich, wenn wir ihn zu eng fassen. In unserem Grundgesetz steht nicht ohne Grund an erster Stelle, auch aufgrund der Erfahrungen, die wir vor 1945 bei der Nazimedizin und der Nazieugenik gemacht haben: „Die Würde des Menschen ist unantastbar.“ Es gibt hinter diesem Art. 1 im Grundgesetz keine Klammerbemerkung, in der es heißt, „es sei denn, im Ausland wird die Menschenwürde auch angetastet“ oder „es sei denn, unser Wirtschaftsstandort ist gefährdet“. Nein, meine Damen und Herren, es ist unsere Pflicht, diesen Artikel zu schützen. Es ist unsere Pflicht, die Menschenwürde für jeden Menschen durchzusetzen, egal ob behindert oder nicht behindert, ob krank oder gesund, ob alt oder jung, ob geboren oder ungeboren. Dass wir die Chancen des Fortschritts nutzen, die Risiken und Gefahren abwehren, dass wir das eine von dem anderen unterscheiden und als Gesetzgeber unsere Pflicht tun, gehört auch zukünftig zu unserer eigenen, ursprünglichen Verantwortung als Parlament. Vielen Dank. ({10})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Das Wort hat die Kollegin Monika Knoche für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Monika Knoche (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002701, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Herren und Damen! Als eine Initiatorin der Enquete-Kommission kann ich sagen: Die Einsetzung war ein parlamentarischer Selbstbehauptungsakt, aber auch ein Erfolg. Die Bildung des Nationalen Ethikrates als Konkurrenzgremium konnte ihrem Ansehen nichts anhaben. Die Enquete-Kommission hat die vorausschauende Erfassung der zentralen Menschenrechtsfragen der Moderne, die immer nur der Souverän als erster Verfassungsinterpret beantworten kann, thematisiert und zukunftsweisende Antworten zur Wahrung der Werte gegeben. Das Niveau, den Maßstab für die inhaltliche Befassung mit der Menschenwürde im Zeitalter unübersehbarer Gefährdungen haben alle Mitglieder gemeinsam gesetzt. Menschheitsgeschichtlich neu ist die Erzeugung - nicht die Zeugung - eines Menschen. Darum ranken die Überlegungen zum Leiblichkeitskonzept der Menschenwürde. Wenn es der Frau als Schwangeren und Gebärenden nicht mehr bedarf, um einen Menschen in die Welt zu bringen, dann sind die wirklich großen Unfreiheiten, ja Fremdbestimmungen künftiger Generationen und Individuen in der gentechnischen Manipulation am Embryo in vitro zu sehen. Wenn er von der Zugehörigkeit der Gattung Mensch ausgeschlossen wird, weil er als Zellgebilde vorführbar, handhabbar geworden ist und sich bei manchen deshalb keine moralischen Skrupel regen, dann ist das kein Argument für die Vernutzung. Wenn er kein Eigenrecht haben soll, dann wäre der weiteren Verzweckung des Menschen nicht mehr prinzipiell, sondern höchstens noch graduell etwas entgegenzusetzen. Um nichts weniger geht es. ({0}) Ich meine, die Etablierung des utilitaristischen Menschenrechtskonzeptes findet bereits statt; denn der Forschungszweig „Stammzellforschung“ basiert auf der In-Dienst-Setzung des Embryos für fremdnützige Interessen. Aus ihm ist schon ein Produkt geworden. Damit ist meiner Auffassung nach das Embryonenschutzgesetz in diesem Feld praktisch und faktisch umgangen worden. Die nächsten Aufweichungen und Gesetzesänderungen werden schon für die Zeit nach der nächsten Bundestagswahl angekündigt. Ich sage es noch einmal: Egal wie die Akzeptanzrhetorik auch lauten wird, die PID ist Eugenik ohne Schwangerschaft und hat mit der Selbstbestimmung der Frau und reproduktiver Autonomie nichts zu tun. ({1}) Sie ist Selektion und bietet den Einstieg in die Erzeugung überzähliger Embryonen. Deshalb hat die deutsche Ärzteschaft letzte Woche ein eindeutiges Nein dazu gesagt. Dafür möchte ich mich bedanken. ({2}) Als ein wohlfeiles Instrument für eine schleichende Kommerzialisierung des frühmenschlichen Lebens und die eigentumsrechtliche Aneignung des Phänomens des Lebendigen, der Gene, hat sich die EU-Harmonisierung erwiesen. Die Enquete-Kommission hat aufgezeigt, dass das Stoffpatent prinzipiell untauglich ist, um auf dem Feld biotechnologischer Erfindungen Patentschutz zu gewähren. Es kann nur Verfahrenspatente geben. Gene und Gensequenzen sind Erfindungen der Natur, nicht des Menschen; er hat sie lediglich entdeckt. Das reduktionistische Verständnis von der Funktion der Gene als der Bibel des Lebens ist widerlegt. Die Phänomene des Lebendigen sind eben nicht in Funktionspatente zu pressen. Ja, ich konnte und wollte mit den mir zur Verfügung stehenden politischen Mitteln das Patent auf Leben verhindern. Dank einer außerordentlich präsenten Öffentlichkeit ist es auch gelungen. Die EU-Biopatentierungsrichtlinie wird nicht umgesetzt. ({3}) Jetzt muss erreicht werden, dass die EU-Richtlinie zur Arzneimittelzulassung verändert wird, da sich sonst ein konzertiertes Verwertungsmonopol für einzelne weltweit agierende Pharmakonzerne manifestieren könnte. Auf der gesamten EU-Ebene zeigt sich: Mit der Bioethikkonvention, der Biopatentierungsrichtlinie und der Europäischen Grundrechte-Charta wird auf das angelsächsische Menschenrechtsverständnis Bezug genommen. Aufgrund der Grundrechtsrelevanz aller biopolitischen Entscheidungen und wegen des Supranationalisierungsprozesses, der sich im Verfassungskonvent widerspiegelt, ist es unverzichtbar, auf der universellen Gültigkeit des Art. 1 unseres Grundgesetzes zu bestehen, keine biologistische Menschenrechtsdogmatik und kein gestuftes Lebensschutzkonzept für den Embryo in vitro zu akzeptieren und keine Spaltung in Mensch und Person hinzunehmen. Dies dürfen wir weder am Anfang noch am Ende des Lebens tun. ({4}) Mit diesen neuen Menschenrechtsfragen, die wir in der Enquete-Kommission mehrheitlich so beantwortet haben, wie Sie es kennen, sind wir in Deutschland nicht allein. Unser fundamentales Werteverständnis steht im Gegensatz zu dem nützlichkeitsethischen Ansatz manch anderer Staaten. Deshalb tauchen im Prozess der Europäisierung immer wieder Differenzen von großer Brisanz auf. Mitunter wird vorgegeben, dass wir bei den Entscheidungen, die wir in dieser Legislaturperiode getroffen haben, die Grundsatzfragen entschieden hätten. Ich bin der Meinung, dass die Wertedebatte in der nächsten Legislaturperiode an Schärfe zunehmen wird, gerade weil die Ethik der Interessen immer populärer wird. Mitunter wird auch vorgegeben, dass der Embryonenschutz Bestand haben könnte, wenn Präimplantationsdiagnosik und Klonen für therapeutische Zwecke erlaubt würden. Als Parlamentarier dürfen wir nicht so tun, als wäre mit dem Import embryonaler Stammzellen nicht bereits eine Werteentscheidung gegen das universelle Menschenwürdekonzept gefällt worden. Ich betone nochmals: In Grundrechtsfragen gibt es keinen Kompromiss. Es gibt kein Sowohlals-auch, sondern nur ein Entweder-oder. Ich bedaure, dass es nicht mehr zur Verabschiedung des notwendigen Gentestgesetzes gekommen ist. Die Vorarbeiten liegen vor. Auch dies wird in der nächsten Legislaturperiode anstehen. Wie alle Vorredner und alle Mitglieder der EnqueteKommission unterstreiche auch ich, dass Deutschland spezifische Vorteile hat und unsere Debatten ein spezifisches Nachdenken auszeichnet, das auf den Erkenntnissen gegründet ist, die wir aus den Menschenrechtsverbrechen im Nationalsozialismus gezogen haben. Wir sind es der historischen Verantwortung und der Verantwortung gegenüber künftigen Generationen schuldig, die Menschenrechtsfragen der Moderne in der Intensität zu diskutieren, wie wir es getan haben. Dem nächsten Bundestag bleibt vorbehalten, die parlamentarische Initiative für ein generelles völkerrechtliches Verbot des Klonens menschlicher Embryonen zu ergreifen und ein Verbot des „Patents auf Leben“ als Erbe der Menschheit zu erreichen. Das sind in der Tat Globalisierungsthemen von herausragender Qualität. In meinem Sondervotum habe ich noch einmal eindringlich darauf abgehoben, dass durch die Herausnahme der Fruchtbarkeit der Frau aus ihrer Leiblichkeit die Menschenrechtsfrage überhaupt erst aufgekommen ist. Den philosophisch-feministischen Diskurs müssen die Öffentlichkeit und das Parlament fortführen, sollen Gewissensentscheidungen nicht unterhalb des Standes besten Wissens herbeigeführt werden. Frau Präsidentin, hier leuchtet schon das rote Licht. Erlauben Sie mir zum Schluss meiner Rede dennoch eine persönliche Anmerkung: Auch ich habe heute voraussichtlich meine letzte Rede im Deutschen Bundestag gehalten. Ich danke all den unabhängig denkenden und handelnden Abgeordneten anderer Parteien, die mit großer Emphase und Aufgeschlossenheit die emanzipatorischen Werte in diesen Zukunftsfragen der Menschheit gemeinsam mit mir verteidigt haben. Mit diesem Engagement konnte das Parlament als der Ort erfahren werden, an dem in angemessener Tiefe entschieden wird. Ethik geht alle an; sie kann nirgendwohin delegiert werden. Sie wurde hier als Gewissensfrage betrachtet und das war richtig so. Ich hoffe, dass sich auch in der nächsten Legislaturperiode das Parlament in all dem als Souverän versteht. Ich habe die Unverfügbarkeit des Menschen am Beginn und am Ende des Lebens als kulturelle Leitidee und Basis meiner politischen Identität und meiner Arbeit unter Ausübung meines freien Mandates verstanden. Da ich meine menschenrechtsphilosphischen Überlegungen wie auch meine antimilitaristischen im konkreten Entscheidungsfall immer einer gewissenhaften Prüfung unterstellte, habe ich die Kraft gefunden, mich im Konflikt für die Verteidigung dieser zivilisatorischen Werte zu entscheiden. Wenn Parteien auf die Repräsentanz dieser Positionen im Parlament verzichten und die Personen, die diese Positionen entwickeln und vertreten, für verzichtbar oder austauschbar halten, wird der Parlamentarismus mit Sicherheit nicht gewinnen. ({5}) Ich bedanke mich für die Wertschätzung und das Vertrauen, das mir viele geschätzte Abgeordnete im Haus entgegengebracht haben. Wir konnten vieles, was wir mit unseren eigenen Fraktionen nicht hätten durchsetzen können, durch Gruppenanträge leisten. Ich weiß, dass genau das in der Bevölkerung an uns Abgeordneten so sehr geschätzt wurde. Wir konnten dies nur leisten, weil wir den Mut hatten, unsichere Wege zu gehen. Wir stützten uns nicht auf Funktionsmacht, sondern wir setzten auf die Kraft unserer Argumente. In vielen Entscheidungen haben wir verloren. Ich bin dankbar, wenn ich mit meiner Arbeit der Bevölkerung und dem Parlamentarismus etwas geben konnte. Danke. ({6})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Frau Kollegin Knoche, Sie haben darauf verwiesen, dass das Ihre letzte Rede im Hohen Hause war. Sie haben als Abgeordnete in den letzten Jahren den bioethischen Diskurs in diesem Hause entscheidend mit geprägt und frakionsübergreifend dafür Respekt bekommen. Für Ihren neuen Lebens- und Arbeitsabschnitt wünsche ich Ihnen im Namen des gesamten Hauses und aller Kolleginnen und Kollegen alles, alles Gute. ({0}) Nächster Redner ist für die Fraktion der FDP der Kollege Dr. Edzard Schmidt-Jortzig.

Prof. Dr. Edzard Schmidt-Jortzig (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002781, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren Kollegen! Ich werde den Versuchen einer Wertung nicht viel Neues hinzufügen können, möchte es aber mit meinen Worten ausdrücken. Ich habe die Formel gefunden, die beides, was hier zur Sprache kam, zusammenfasst: Die Arbeit hat sich vollauf gelohnt, aber es bleibt noch viel zu tun. Dies jedenfalls ergibt sich für mich eindrucksvoll aus dem vorliegenden Schlussbericht, über den wir heute debattieren. Aufgabe einer Enquete-Kommission ist es, ein schwieriges und komplexes Themenfeld umfassend aufzuarbeiten, Lösungsvorschläge zu erarbeiten und so dem Parlament eine Grundlage für seine allfälligen Entscheidungen zu geben. Wenn ich es richtig sehe, hat die Enquete-Kommission „Recht und Ethik der modernen Medizin“ diese Aufgabe vollauf erfüllt. Dass man dieses Resümee ziehen kann, liegt zum einen daran, dass die Arbeit der Kommission mit der Einsetzung autonom beratender Themengruppen und einer übergreifenden Obleuterunde bestens organisiert war. Auch verfügte die Kommission - der Kollege Wodarg hat schon darauf hingewiesen - über einen höchst fachkundigen, engagierten und immer auch überobligatorisch einsatzbereiten Helferstab. Ich will ausdrücklich hervorheben - ich glaube, es ist noch nicht hervorgehoben worden -: Die zielführende, feste, aber bei allem Brennen für die einzelnen Sachfragen immer um Objektivität bemühte Lenkung des Geschehens tat ein Übriges. Deshalb möchte ich an dieser Stelle der Vorsitzenden, der Frau Kollegin von Renesse, herzlich danken. ({0}) Ohne Ihre Arbeit, Ihr Wirken, Ihr Herzblut in der Sache und ohne im Übrigen die Hilfe der Mitarbeiter wäre diese Kommission nicht so erfolgreich und fruchtbar gewesen, wie wir es heute feststellen können. Dafür herzlichen Dank. ({1}) Zum anderen hat sich als überaus hilfreich erwiesen - auch das im Übrigen eine Frucht Ihrer Tätigkeit, liebe Frau von Renesse -, dass die Kommission nach einem gewissen Lernprozess weitgehend darauf verzichtet hat, mit Mehrheit eine offizielle Meinung zu beschließen und die Dissentierenden damit in ein Minderheitenvotum zu treiben. Stattdessen wurden die verschiedenen Auffassungsvarianten jeweils sorgsam und ausführlich dargestellt und die betreffende Stimmenverteilung in der Kommission fand nur als Information Erwähnung. Diese Vorgehensweise ermöglichte eine umfassende, offene Sachinformation über alle Argumentationslinien, die man dazu haben konnte, und sie setzte den Leser in die Lage, sich auf diesem Raster eine eigene Meinung zu bilden. Es sei deshalb durchaus auch angemerkt, dass in den wenigen Fragen, bei denen es zum parlamentarischen Schwur gekommen ist, die Mehrheiten in Plenum und Kommission durchaus nicht parallel liefen. Weite Teile des Abschlussberichts und auch der eine Zwischenbericht harren aber noch ihrer parlamentarischen Umsetzung bzw. Entscheidung. Das gilt etwa für die Aktualisierung des Biopatentrechts ebenso wie für die Fragen der Präimplantationsdiagnostik oder des genetischen Datenschutzes. Hier hat die Enquete-Kommission gewissermaßen vorgearbeitet und Parlament oder Bundesregierung liefen bisher den Entscheidungserwartungen hinterher. Zu den Biopatenten hatte schon die Debatte des einschlägigen Zwischenberichts Nachbesserungsbedarf beim Entwurf erbracht, dem indessen bisher noch nicht nachgekommen wurde oder nachgekommen werden konnte. Für PID bzw. genetischen Datenschutz ist die gesetzgeberische Handlungsnotwendigkeit zwar hinreichend artikuliert worden - egal, ob eröffnend oder verhindernd -, die Mehrheit des Hauses fürchtete aber offenbar im Vorfeld des Wahlkampfes eine emotionale und kontroverse Debatte. Alsdann: Dass noch viel zu tun übrig bleibt an enquetemäßiger Aufarbeitung in diesem Feld, ist schon vielfach gesagt worden. Das bringt der Schlussbericht der Enquete-Kommission in seinem Teil E auch deutlich zum Ausdruck. Hier werden verschiedene Themen aufgelistet, zu denen das Parlament eine verbindliche Stellungnahme abgeben sollte. Zuvor aber müsste der Problemkreis so gründlich wie auch die bisherigen Fragen von einer Enquete-Kommission aufgearbeitet werden. Das gilt etwa - der Bericht hat dem einen eigenen Unterabschnitt gewidmet - für die Bedingungen einer akzeptierbaren Forschung an einwilligungsunfähigen Personen. Hier drückt sich die Bundesrepublik immer noch um eine verbindliche Positionierung zu den Regelungen der Biomedizin-Konvention des Europarates von 1997. ({2}) Die Konvention ist mittlerweile ohne Deutschland in Kraft getreten. ({3}) Verschiedene ihrer Normierungen, auch in den Zusatzprotokollen übrigens, wären für uns im Grunde außerordentlich hilfreich und die vielleicht kritisch erscheinenden Festlegungen zur Forschung an einwilligungsunfähigen Personen könnte man durch Interpretations- oder Vorbehaltserklärungen bei der Unterzeichnung begradigen. Das müsste dann im Ratifikationsprozess entsprechend umgesetzt werden. ({4}) Versuche in dieser Richtung sind in der auslaufenden Legislaturperiode von den Mehrheitsfraktionen leider nicht aufgegriffen worden. Der betreffende Handlungsauftrag wartet nun auf Erfüllung durch das neu gewählte Parlament. Auch zu Sterbehilfe und Sterbebegleitung - auch hierzu ein eigener Unterabschnitt bei den Desideraten müsste, nachdem die europäischen Nachbarstaaten eigenwillige neue Regelungen geschaffen haben und die deutsche Rechtsprechung unsicher zu werden beginnt, der Bundestag die Kraft finden, verbindlich Stellung zu nehmen. ({5}) Wenn es nach mir ginge, sollte diese Positionierung deutlich abschlägig erfolgen. Zuvor müsste der Problembereich sozialpolitisch, medizinisch, ethisch und rechtlich aber erst einmal umfassend aufgefächert und diskutiert werden. Auch dafür scheint die Neueinsetzung einer Enquete-Kommission in der 15. Wahlperiode höchst erwünscht. Jedenfalls nach Auffassung der FDP kann die im jetzigen Schlussbericht bilanzierte Arbeit der Kommission insgesamt nur als gelungen und hilfreich bezeichnet werden. Ich meine, sie hat uns vor allem viele Anregungen für eine angemessene Beantwortung der noch ausstehenden Entscheidungsfragen gegeben. Wir werden in der nächsten Legislaturperiode daran weiterzuarbeiten haben. Vielen Dank. ({6})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Nächster Redner ist der Kollege Dr. Ilja Seifert für die Fraktion der PDS.

Dr. Ilja Seifert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002153, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Am Ende einer solchen gemeinsamen Arbeit in einer Enquete-Kommission ist es allgemein üblich, Dank zu sagen. Ich möchte das auch tun. Mein allergrößter Dank gilt den Damen und Herren Sachverständigen, die in unserer Enquete-Kommission eine ganz gewaltige Arbeit geleistet haben. Inhaltlich ging es häufig bis oberhalb der Grenze, die man jemandem zumuten darf. ({0}) Diese Sachverständigen, von denen viele oben auf der Tribüne sitzen, und eine kritisch engagierte Öffentlichkeit haben es uns, dem Parlament, überhaupt erst ermöglicht, die Meinungsführerschaft in der sehr dringenden und am Ende auch sehr tiefen Debatte über die Biopolitik zu übernehmen. Frau Knoche wies bereits darauf hin, dass es ein vornehmes Recht und eine Pflicht des Parlaments - des Souveräns, wie sie sich ausdrückte - ist, diese Aufgabe wahrzunehmen. Dennoch: Wer sich den Bericht ansieht, wird feststellen, dass die wichtigsten Punkte, die wir benannt haben, diejenigen sind, die wir nicht bearbeiten konnten, nämlich die so genannten Desiderate. Das liegt nicht nur, aber unter anderem daran, dass die Enquete-Kommission nur gegen den sehr harten Widerstand innerhalb der Regierung und vieler Fraktionen durchzusetzen war. Ich denke, dass auch die PDS mit ihrem Antrag zur Einsetzung einer solchen Enquete-Kommission dazu einen gewichtigen Beitrag geleistet hat, der, gepaart mit der Aufforderung der Öffentlichkeit an das Parlament, diese Enquete-Kommission einzurichten, am Ende zum Erfolg führte. Ich gebe zu, dass es mich schmerzt, dass wir es zum Beispiel nicht geschafft haben - es ist eine der offenen Fragen -, zu sagen, was in diesem Zusammenhang eigentlich Gesundheit, Krankheit und Behinderung sind. Wir konnten uns als Mitglieder der Enquete-Kommission in diesem Punkt nicht verständigen. Diese Aufgabe bleibt zukünftigen ähnlichen Gremien vorbehalten; sie muss gelöst werden. Es konnten aber auch Fragen nach dem Erhalt des solidarischen Gesundheitssystems, nach dem Umgang mit erblichen und chronischen Krankheiten und nach dem Beginn und dem Ende des Lebens - es geht in einer Gesellschaft, deren Leitbild scheinbar immer mehr der perfekte Mensch zu werden droht, um ein selbstbestimmtes Leben mit Behinderungen - nicht beantwortet werden. Das sind hoch ethische Fragen, die klarer politischer Aussagen und klarer rechtlicher Regelungen bedürfen. Daran muss weiter gearbeitet werden. Dennoch haben wir neben den Punkten, die offen geblieben sind, natürlich etliches erreicht. Ich denke, wir alle haben Anlass, darauf stolz zu sein. Eines der wichtigsten Ergebnisse ist: Inzwischen ist allen in der Gesellschaft klar, dass es um eine Weichenstellung geht und dass man die Weichen zurzeit in manchen Bereichen noch stellen kann. Die Frage ist, ob die genetische Vermarktung oder das solidarische Miteinander von Menschen in informationeller Selbstbestimmung die Zukunft sein wird. Noch ist beides möglich. Ich hoffe, dass Letzteres erreicht wird und dass wir dazu die entsprechenden gesetzlichen und anderen Regelungen finden. Da wir in verschiedenen Themengruppen gearbeitet haben, erlaube ich mir, zum Schluss auf drei Schlussfolgerungen der Themengruppe zu verweisen, die sich mit den genetischen Daten befasst. Die erste Schlussfolgerung kann man wie folgt zusammenfassen: Wer immer sich mit den genetischen Dispositionen von Menschen befasst, muss dies in großer Sachkenntnis tun. Dilettantismus und die Einstellung, jeder könne ein Labor aufmachen, dürfen nicht gelten. Die zweite Schlussfolgerung lautet: Genetische Dispositionen von Menschen sind weder patentierbar noch sollten sie vermarktbar werden. Auch das ist noch nicht entschieden, im Gegenteil: Es gibt starke Tendenzen, diese genetischen Dispositionen zu vermarkten. Aber wir haben es noch in der Hand. Ich bitte Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen, die Sie jetzt Abgeordnete sind, und die zukünftigen Abgeordneten, dies in einer Richtung zu entscheiden, die dem Grundsatz der Würde, wie er im Grundgesetz niedergelegt ist, Rechnung trägt. Schließlich gibt es die klare Aufforderung an den Bundestag, den Schutz vor Diskriminierungen wegen genetischer Dispositionen in Art. 3 des Grundgesetzes aufzunehmen. Diese Möglichkeit haben wir und können dann entsprechende einfachgesetzliche Regelungen schaffen. Insofern lautet der Appell, der von der Enquete-Kommission ausgeht: Das Parlament muss die Debatte und die Entscheidung in der Hand behalten und darf sie nicht an andere Gremien delegieren. Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit und hoffe auf weitere gute Zusammenarbeit. ({1})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Die nächste Rednerin ist die Kollegin Dr. Herta Däubler-Gmelin für die SPDFraktion.

Dr. Herta Däubler-Gmelin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000347, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Mitglieder der Enquete-Kommission! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich glaube, ich bin heute in dieser Debatte die einzige Rednerin, die nicht Mitglied der Enquete-Kommission ist. Gerade das nehme ich jetzt zum Anlass, um Ihnen für all diejenigen, die nicht Mitglied der Enquete-Kommission sind, aber den Bericht mit großem Interesse zur Kenntnis genommen haben, Dank zu sagen und Sie - lassen Sie mich das hinzufügen - ausdrücklich zu loben. ({0}) Dieses Lob haben Sie nicht nur für den Bericht verdient, der gut, gründlich und lesbar ist. Ich darf darüber hinaus noch anmerken: Er ist nach zwei Jahren intensiver Arbeit sogar rechtzeitig erschienen. Dieser Dank und dieses Lob beziehen sich auch auf die Arbeit und die Arbeitsweise dieser Enquete-Kommission. Ich fand es außerordentlich klug, dass Sie in den vergangenen zwei Jahren nicht alle Probleme, die besprochen werden mussten, sofort und gleichzeitig aufgenommen haben, sondern sie gesichtet und dann die Punkte herausgegriffen haben, die Sie gründlich und verantwortungsvoll bearbeiten konnten. Ich fand die Diskussion und den Umgang zwischen Sachverständigen und Mitgliedern, die Abgeordnete waren, in der Enquete-Kommission sehr erfreulich. Ich kann das ein wenig beurteilen, weil Sie mich einmal eingeladen haben. Ich habe die Diskussion mit Ihnen als außerordentlich reichhaltig in Erinnerung. Es war auch so, dass jemand, der glaubte, sich mit diesen Fragen intensiv beschäftigt zu haben, bei Ihnen immer noch etwas lernen konnte. Das fand ich sehr gut. Insgesamt gesehen kann man sagen, dass Sie Fakten aus allen Bereichen auf den Tisch gelegt haben. Diese finden wir in dem vorliegenden Bericht wieder. Ich fand es besonders bemerkenswert, dass Sie auch über die Art und Weise, wie man denn eigentlich mit Neuem umgehen sollte, und über die Frage, welche Aufgabe das Parlament bei der Beantwortung der zur Diskussion stehenden Fragen hat, diskutiert haben. Ich meine, dass es keinen Sinn machen kann, sich neuen Fragen nur mit der Projektion der eigenen Ängste oder Unsicherheiten in die Zukunft zu stellen. Wir alle wissen zwar, dass Ängste und Sorgen wichtige Indikatoren und Signale sind. Aber sie sind eben nicht alles. Sie haben durch Ihre Methodendiskussion auch deutlich gemacht, dass es unverantwortlich wäre, mit der manchmal von Technokraten verinnerlichten Hybris zu sagen: Warum eigentlich nicht? Lass es uns doch jetzt machen! - Sie haben sich stattdessen gefragt: Was wollen wir eigentlich? Was können wir wollen? Was dürfen wir wollen? Wie sieht unsere Werteskala aus? Was wissen wir? Was können wir beurteilen? Mir hat es auch sehr imponiert, dass Sie Mahnungen zur Bescheidenheit, zur Sorgfalt und zur Behutsamkeit, wie sie Hans Jonas allen, die sich mit solchen Fragen verantwortlich befassen, auf den Weg gegeben hat, sehr wohl beherzigt haben. Sie haben auch die Prinzipien, von denen Sie ausgehen, sehr deutlich gemacht. Auf die Menschenwürde ist schon mehrfach hingewiesen worden. Jeder hat Sorge, dass dieser Begriff so inflationär gebraucht wird, dass man nicht mehr weiß, worum es bei ihm eigentlich geht. Aber ich finde es bemerkenswert, dass Sie in Ihrem Bericht herausgestellt haben, was Menschenwürde ist und was sie sein soll. Deswegen möchte ich die entsprechende Stelle, die ich für so wichtig halte, zitieren: Die Menschenwürde und die aus ihr folgenden Grund- und Menschenrechte bilden den grundlegenden Maßstab zur ethischen und rechtlichen Bewertung der modernen Medizin. Genauso ist es. Lassen Sie mich noch eines hinzufügen: Ich fand es ebenfalls bemerkenswert, dass Sie bei der Bewertung der gemeinsam ermittelten Fakten nichts verkleistert haben. Natürlich gibt es Unterschiede in der Bewertung bestimmter Tatsachen. Das ist so. Nach meiner Auffassung wäre es falsch gewesen, wenn man so lange formuliert hätte, bis die Formulierungen eigentlich alles getragen und nicht mehr deutlich gemacht hätten, was die einen und was die anderen meinen. Man hätte aus einem solchen Bericht nicht mehr herauslesen können, „was eigentlich Sache ist“. Mit all dem, was Sie geleistet haben, haben Sie, glaube ich, dem Parlament nicht nur eine gute Vorlage, sondern auch ein Vorbild dafür gegeben, wie eine demokratische Institution wie der Bundestag mit neuen Fragen umgehen sollte. Für mich ist es wichtig, dass Sie genau hingeschaut haben, was eigentlich los ist. Auf der einen Seite steht die Unsicherheit in der Bevölkerung. Auf der anderen Seite steht das enorme Forschungsinteresse, das wir jeden Tag und in vielen Fällen immer wieder aufs Neue feststellen. Alles, die Hoffnungen und die Chancen auf der einen Seite und die Sorgen und die Ängste vor den Risiken auf der anderen Seite, lässt sich in dem vorliegenden Bericht wiederfinden. Weil Sie die zur Diskussion stehenden Fragen ernst genommen haben und weil Sie über sie mit Fairness und Transparenz diskutiert haben, haben Sie, glaube ich, Vertrauen geschaffen und - das ist für mich in einer Zeit des Umbruchs, in der man sich mit neuen Fragen auseinander setzen muss, besonders entscheidend - einen wichtigen Beitrag zur Findung eines Konsenses über wichtige Grundfragen in unserer Gesellschaft geleistet. Aus Ihrem Bericht geht hervor, dass die neuen Formen der Medizin zum Heilen und Helfen und nicht zum Klonen und zur Selektion eingesetzt werden sollen und dass die Kommerzialisierung auf keinen Fall Eingang in diesen Bereich finden darf. ({1}) Mehr konnte man in diesen zwei Jahren nicht tun. Dass Sie die Arbeit in der einen oder anderen Form fortsetzen müssen, ist klar. Der Bericht und Ihre Arbeit müssen Folgen haben. Die Öffentlichkeit kann den Bericht und die Fakten darin zur Kenntnis nehmen, um sich darauf zu berufen, um auch auf die Überlegungen und die Feststellungen über die Prinzipien immer wieder zurückzugreifen. Der Bundestag wird das tun müssen. Das gilt für den Teil, in dem Sie über die Erfahrungen berichten, die es mit der Reproduktionsmedizin und mit der pränatalen Diagnostik gegeben hat, und auch für den Teil, in dem Sie Folgerungen zur Präimplantationsdiagnostik ziehen. Die sind wirklich wichtig und es wert, gewürdigt und auch akzeptiert zu werden. Ich halte es für völlig richtig, dass Sie gesagt haben, liebe Kolleginnen und Kollegen: In zwei Bereichen müssen wir gesetzlich tätig werden, einmal im Bereich der Fortpflanzungsmedizin - ich teile die präzisen Forderungen, die Sie aufgestellt haben - und zum anderen im Bereich der Gentests; ({2}) da können wir mit den Eckpunkten, die wir aufgestellt haben, aber auch mit den sehr viel präziseren und weiterführenden Überlegungen im Bericht der Enquete-Kommission eine Menge tun. Ich teile auch die Auffassung, dass die Enquete-Kommission ein wichtiger Diskussionspartner nicht nur für den Nationalen Ethikrat, sondern auch für Enquete-Kommissionen und vergleichbare Gremien der anderen europäischen Staaten war und ist. Da ist das Parlament vorbildlich. Auch dafür möchte ich danken. Sie haben eine gute Arbeit geleistet und eine Grundlage gelegt, auf der wir in der nächsten Legislaturperiode sehr gut weiterarbeiten können. Herzlichen Dank. ({3})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Nächster Redner in der Debatte ist der Kollege Werner Lensing für die Fraktion der CDU/CSU.

Werner Lensing (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002722, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Wir alle - ein jeder in seiner unverwechselbaren Verantwortung, sei es als Mediziner oder Philosoph, als Molekularbiologe, Jurist, Wirtschaftsmanager oder Politiker - tragen höchst individuell Verantwortung dafür, dass heute nach der weitgehenden Entzifferung des menschlichen Genoms ein Taumel wachsender Übertreibungen, unerfüllbarer Hoffnungen und atemberaubender Visionen die Menschen erfasst hat. ({0}) Die Gemengelage drohte uns alle in den Strudel zu ziehen. Wir haben darauf zu achten, dass sie uns auch zukünftig nicht aus der Kontrolle gerät. In dieser schwierigen Situation, in diesem Spannungsfeld von Politik, Naturwissenschaft und Ethik, hat unsere Kommission europaweit - so darf ich sagen - Maßstäbe gesetzt. ({1}) Das gilt für die Form der Berichte ebenso wie für die vorbildliche Streitkultur und die gründliche Abwägung der Empfehlungen zu den heute schon angesprochenen Themen. Insofern hätte gerade dieses Thema heute noch mehr Aufmerksamkeit verdient, als derzeit wahrnehmbar ist. ({2}) Umso mehr erfreut uns alle das Lob der Bundesjustizminsterin. Frau Dr. Däubler-Gmelin, ich darf Ihnen sagen, und zwar ganz objektiv: Was Sie vorgetragen haben, war objektiv. ({3}) Wir alle haben es begriffen, meine Damen und Herren: Die moderne Medizin stellt die Gesellschaft und damit gerade auch uns Parlamentarier als Gesetzgeber vor völlig neue Herausforderungen und damit vor schier unlösbare Probleme. Hierbei hatten wir eine Vielfalt von medizinischen, ethischen, verfassungsrechtlichen, sozialen und politischen Aspekten zu betrachten, völlig neue Dimensionen zu eröffnen, die aktuelle Forschungspraxis zu berücksichtigen und gleichzeitig bei der gebotenen Güterabwägung eigene Kriterien für klare Grenzen vor dem Hintergrund der Wahrung von Menschenwürde und Menschenrechten zu kreieren. Wir haben auch dies begriffen: Die Gentechnik erfordert von uns eine Ethik, die nicht nur auf die Werte der Aufklärung baut, das heißt auf die Autonomie der Menschen und die kühle Beherrschung der Natur, sondern die zugleich eine Erkenntnis benötigt, nach der wir uns nicht zuletzt in unserer leider völlig säkularisierten Welt auf ein verbindliches Menschenbild zu verständigen haben, das wiederum von einer verlässlichen Hierarchie der Werte geprägt ist und fürderhin bestimmt sein muss. ({4}) Ich frage Sie gerade auch in diesem Kontext: Ist man eigentlich schon dann ein Fundamentalist, wenn man Fundamente der Moral verteidigt? Dabei ist die Moral keine Frage von Experten oder Fachgremien, vielmehr ist die Unterscheidung zwischen Gut und Böse einem jeden individuell zuzumuten. Ansonsten würden wir Gefahr laufen, die Moral kurzerhand den Erfolgen der Forschung anzupassen. Im Übrigen haben wir schließlich auch noch dieses begriffen: Viele der Politiker, die auf der Hut sein müssen, schlimmstenfalls nur wenig verhindern und kaum noch etwas verändern zu können, finden bei ihrem schwierigen Entscheidungsprozess Orientierung in der Präambel unseres Grundgesetzes, nach der wir in „Verantwortung vor Gott und den Menschen“ zu handeln haben. ({5}) Schließlich hat Gott den Himmel für die Erde geöffnet und wir wiederum haben den Auftrag, die Erde für diesen Himmel offen zu halten. Freilich muss man nicht unbedingt Christ sein, um in dieser Welt verantwortlich handeln zu können, doch als Christ erkennt man vermutlich besser den Zusammenhang von vernünftigem Handeln und christlichem Gebot. Unbestritten war in unserer Enquete-Kommission von Anfang an, dass die Menschenwürde im Bereich der Bioethik, vor allem in Fragen von Leben und Tod des Menschen, eine ausschlaggebende Rolle spielt. Auch wenn ich persönlich fest zu den christlichen Wurzeln des Menschenwürdeprinzips stehe, habe ich die Einsicht gewonnen, dass das Institut der Menschenwürde zu seiner Begründung nicht zwingend ausschließlich einer christlichen Grundüberzeugung bedarf. Auch so genannte humanistische Ethiken halten an einer entsprechenden Begründbarkeit ihrer Moral fest. ({6}) Zuweilen gewinnt man allerdings den Eindruck, es könnte zu einer Überstrapazierung der Menschenwürde kommen, wenn alle menschlichen Aspekte und Bedürfnisse - von der karitativen Hilfe bis zur Euthanasie, von der Verkürzung der Arbeitszeit bis hin zur Abtreibung als Verfügungsrecht über den eigenen Leib - in einen unmittelbaren Zusammenhang mit der Menschenwürde gebracht werden. Daher warne ich vor dem Hintergrund dieser Erfahrung ausdrücklich davor, sich allein schon aufgrund des täglich zu vernehmenden Hinweises, die Forschung würde selbstverständlich durch Wahrung der Menschenwürde ihre natürliche Begrenzung erfahren, in irgendeiner Weise vordergründig beruhigen zu lassen. ({7}) Gestatten Sie mir, meine lieben Kolleginnen und Kollegen, noch drei aus meiner Sicht eminent wichtige Problemfelder in der gebotenen Kürze aufzuzeigen: Hierbei geht es mir als Christdemokraten zum einen um die Einflussmöglichkeiten der Kirchen auf politische Entscheidungen und zum anderen um eine grundsätzliche, wenn auch kurze Bewertung der Präimplantationsdiagnostik - auf die Sie auch sehr deutlich abgehoben haben, Frau Kollegin Knoche - und um einen knappen Hinweis auf das verabschiedete Stammzellengesetz. Zunächst zu den Kirchen: Im Gegensatz zur Politik hat die Kirche bekanntlich den berechtigten Anspruch, ihren Gläubigen eine geistig-moralische Grundlage für die Gestaltung ihres Lebens und die Entscheidung in Problemlagen anzubieten. Da sie aber nicht der Gesetzgeber für alle Menschen in Deutschland ist, kann sie von ihren Mitgliedern durchaus die Berücksichtigung der von ihr vorgegebenen Regeln verlangen. Ganz anders ist die Ausgangslage beim Staat und damit auch für uns, den Gesetzgeber: Wenngleich sich christliche Politiker natürlich den Kirchen in besonderem Maße verbunden fühlen, sind sie jedoch all ihren Wählerinnen und Wählern - dazu gehören eben auch die von den Kirchen nicht mehr erreichbaren Bürgerinnen und Bürger - insgesamt verpflichtet. Darüber hinaus ist es auch schwierig, wenn die Kirchen mitunter bei Politikern die Einhaltung einer Linie einfordern, die von einer nicht unerheblichen Zahl der Kirchenmitglieder gar nicht mehr unterstützt wird. Ich denke in diesem Zusammenhang unter anderem auch an deren Positionen zur Fortpflanzungsmedizin oder zur Verhütung. Nun ein Gedanke zur Präimplantationsdiagnostik: Ausgehend von der Beurteilung, dass die PID nach der aktuellen deutschen Rechtslage verboten ist, bedarf es in der Tat gewichtiger Gründe, um eine Zulassung der PID selbst in sehr engen Grenzen rechtfertigen zu können, wobei es freilich gleichzeitig gilt, die denkbaren Folgen einer möglichen Zulassung zu berücksichtigen. Doch stellt sich mir die Frage, warum man es einem Embryo zumuten darf, sich über seine frühesten Stadien fortzuentwickeln, um gegebenenfalls zu einem späteren Zeitpunkt im Rahmen der Pränataldiagnostik abgetrieben zu werden. Gerade hier scheint mir der Hinweis auf die Menschenwürde besonders wichtig zu sein. So habe ich trotz aller ernsten Diskussionen immer noch nicht begriffen, weshalb insbesondere ein künstlich erzeugter Embryo der Pränataldiagnostik unterzogen werden und unter bestimmten Umständen sogar abgetrieben werden darf, ohne dass dies angeblich seiner Menschenwürde widerspricht, wohingegen es allein durch ein anderes diagnostisches Verfahren, also die PID, zu einem Verstoß gegen die Menschenwürde kommen soll. ({8}) Meine tiefen Zweifel richten sich allerdings gegen die Ansicht derer, die meinen, diesen Widerspruch verantwortungsvoll auf der Basis eines so genannten Kriterienkatalogs durch eine bedingte Zulassung der PID auflösen zu dürfen und somit verbindlich regeln zu können. Meine Damen und Herren, wir haben sehr um die Frage eines Imports embryonaler pluripotenter Stammzellen welcher Art auch immer gerungen. Es wäre zumindest aus meiner subjektiven Sicht zu einem großen Wertungswiderspruch gekommen, wenn wir den Embryonenschutz auch auf diejenigen ausgedehnt hätten, die wir ohnehin nicht mehr retten können. Zudem hätten wir dann, nur um einen verlockend einfachen Weg zu wählen, sämtliche entsprechenden Forschungsansätze in Deutschland vereitelt, die letztlich auf die Förderung von Gesundheit und Leben von Menschen gerichtet sind. Gerade dieser Wertungswiderspruch konnte durch das kürzlich verabschiedete Stammzellgesetz verantwortlich vermieden werden. ({9}) Meine Damen und Herren, ich fasse das bisher Gesagte in sechs Punkten zusammen: Erstens. Die gesamte bioethische und genpolitische Diskussion und alle in diesem Zusammenhang gebotenen Entscheidungen wurden von unserer Enquete-Kommission und nicht etwa vom Nationalen Ethikrat bestimmt. Das ist zugleich ein überzeugendes Bekenntnis zur lebendigen Demokratie und damit zu einer parlamentarischen Legitimation. ({10}) Zweitens. Wie unter anderem von meinen Kollegen Schmidt-Jortzig und Hüppe bereits erwähnt, werden in der 15. Legislaturperiode Themen wie Stammzellforschung, Klontechnik, Keimbahnintervention, Präimplantationsdiagnostik ebenso wie die Problemfelder der Forschung an nicht einwilligungsfähigen Menschen und Fragen der Sterbebegleitung und Sterbehilfe im Fokus unserer Auseinandersetzungen stehen. Deswegen bedürfen wir baldmöglichst nach der Bundestagswahl einer parlamentarischen Institution - ich schließe mich meinen Kolleginnen und Kollegen, die Ähnliches formuliert haben, ausdrücklich an -, in der Abgeordnete und Wissenschaftler vertreten sind. Drittens. Mit der heutigen Lesung übergibt die Enquete-Kommission nunmehr nicht nur die schriftlichen Ergebnisse ihrer Tätigkeit, sondern sie vermittelt zugleich Methoden, wie vor dem Hintergrund ethischer Kontroversen Konsenssuche stattfinden kann. Viertens. Ich wiederhole das, was wir bereits zu Recht gehört haben: Wir haben der lieben und verehrten Vorsitzenden, Frau von Renesse, allen Sachverständigen sowie allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern für einen immensen Arbeitseinsatz und, was für mich noch viel wichtiger ist, für eine überzeugende Redlichkeit in allem Bemühen zu danken. ({11}) Fünftens. Uns bleibt über den heutigen Tag hinaus der Spagat zwischen Ethik und Wirtschaftsinteresse, zwischen Forschungsfreiheit und Gewissen, zwischen dem Wunsch nach Heilung und dem Recht auf Leben. Sechstens. Dabei sollten wir uns - hierbei folge ich unserem Sachverständigen Professor Dr. Johannes Reiter ganz bewusst - von der trügerischen Vision frei machen, allein mit Wissenschaft und Gentechnik könne man ein Paradies auf Erden schaffen und jede Lebensnot bewältigen. Eine von Krankheit und jeglichem Leid befreite Menschheit bleibt - bei aller Offenheit und Aufgeschlossenheit gegenüber hoffnungsvoll erwarteten Ergebnissen der Medizin - leider oder vielleicht auch Gott sei Dank eine Utopie. Ich danke Ihnen. ({12})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Das Wort hat die Kollegin Ulrike Höfken für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Ulrike Höfken-Deipenbrock (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002680, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich freue mich sehr darüber, dass der ausführliche Bericht der Enquete-Kommission „Recht und Ethik der modernen Medizin“ jetzt vorliegt. Viele Arbeitsstunden sind in diesen Bericht investiert worden. Wie meine Vorredner möchte ich mich bei Ihnen, Frau von Renesse, ganz herzlich bedanken. Sie werden uns und mir im nächsten Bundestag fehlen. Ich möchte mich bei all den Sachverständigen und bei dem Sekretariat, ohne deren maßgebliche Arbeit dieser Bericht gar nicht zustande gekommen wäre, ebenfalls bedanken. Ich bedanke mich darüber hinaus bei meiner Kollegin Monika Knoche. Auch von dieser Stelle aus wünsche ich ihr auf ihren weiteren Tätigkeitsfeldern alles Gute. ({0}) Wichtig ist, dass diese Enquete-Kommission es geschafft hat, Strukturen und Leitfäden für die ethische Bewertung hochsensibler Fragen in ganz unterschiedlicher Form herauszuarbeiten. Ich möchte mehrere Bereiche herausheben und dabei die Gelegenheit nutzen, mich dem Mehrheitsurteil der Enquete-Kommission, an dem Verbot der Präimplantationsdiagnostik festzuhalten, anzuschließen. Eines hat mir die Diskussion in der Enquete-Kommission ganz deutlich gezeigt: Bei der Präimplantationsdiagnostik sind Grenzen zu setzen; es muss verboten bleiben, dass menschliche Embryonen in vitro unter dem Vorbehalt gezeugt werden, vernichtet zu werden, wenn eine Behinderung bzw. ungewollte genetische Disposition vorliegt. Da sind - auf jeden Fall für mich - die Grenzen gesetzt. Ich sehe, dass damit gegen das Grundgesetz, gegen die Menschenwürde, gegen das Recht auf Leben sowie gegen das Diskriminierungsverbot verstoßen würde. Anders als am Anfang, als ich noch glaubte, es könne eine Indikationslösung geben, glaube ich das nun nicht mehr. Ich glaube, dass die Enquete-Kommission große Verdienste im Bereich der Stammzellforschung und des Imports embryonaler Stammzellen hat. Ohne die EnqueteKommission wäre die besonnene Entscheidung des Bundestages nicht zustande gekommen. Die wichtigste Grundlage zur Entscheidungsfindung der Abgeordneten war die Diskussion in der Enquete-Kommission und damit in der Öffentlichkeit. ({1}) In der Frage der Biopatentierung waren wir uns trotz Differenzen in einem wesentlichen Punkt einig. Wir alle haben die Auffassung vertreten, dass das heutige Stoffpatent zum Schutz des geistigen Eigentums belebter Materie nicht geeignet ist. Ich bin inzwischen überzeugt, dass es eines guten Umsetzungsgesetzes bedarf. Ich bedauere es ausdrücklich, dass es uns nicht gelungen ist, eine optimale Lösung zu entwickeln. Eine Aussage von Professor Dr. Wolfrum hat in der Debatte zwar keine besondere Rolle gespielt, war aber für die Bewertung von großer Bedeutung. Professor Dr. Wolfrum sagt: Aber auch die verfassungsrechtliche Dimension ist mir wichtig, weil nach meinem Eindruck bisher zu wenig deutlich wird, dass man nicht übersehen darf, dass dem wichtigen Recht am geistigen Eigentum und seinem grundrechtlichen Schutz durchaus Grundrechtspositionen Dritter auf Forschungsfreiheit und freie wirtschaftliche Betätigung gegenüberstehen. Hier und im Bereich der Gendiagnostik haben die Enquete-Kommission und übrigens auch die Fraktionen erheblich vorgearbeitet. Ich bin zuversichtlich, dass wir im Verlaufe der nächsten Legislaturperiode diese Arbeit nutzen können, um hier zu Lösungen zu kommen. Gleichermaßen wie meine Kolleginnen und Kollegen bin ich der Auffassung, dass wir die weitere Arbeit der Enquete-Kommission in diesem wichtigen Bereich brauchen und diese Arbeit fortführen sollten. Vielen Dank. ({2})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Das war eine minutiöse Punktlandung, Frau Kollegin. Nächster Redner ist der Kollege René Röspel für die SPD-Fraktion.

René Röspel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003210, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Keine Angst, ich werde jetzt nicht die Berichte der Enquete-Kommission vorlesen. Aber wir haben uns in den letzten beiden Jahren mit viel Zeit und auf vielen Seiten Papier mit einem Gegenstand befasst, der auf einem der winzigen i-Punkte in dieWerner Lensing sem Bericht viel Platz fände, nämlich mit dem menschlichen Embryo in seinen frühesten Phasen. Wir haben uns mit folgenden Fragen befasst: Woher kommt dieser Embryo? Was ist er? Wohin geht er? Was kann man mit ihm machen? Was darf man mit ihm machen? Was darf man nicht mit ihm machen? Die erste Frage - „Woher kommt der Embryo?“ - haben wir relativ schnell und einfach beantworten können: Er ist entstanden aus der Verschmelzung von Ei und Samenzelle. Es bestand überwiegende Einigkeit in der Enquete-Kommission, dass das der einzige Weg ist, auf dem ein Embryo hergestellt werden darf. Das reproduktive oder das therapeutische Klonen ist - so meint es zumindest die überwiegende Mehrheit in der Enquete-Kommission - ein Tabu, das nicht gebrochen werden darf, weder in Deutschland noch in der Welt. ({0}) Die Frage „Was ist der Embryo?“ war schon etwas schwieriger. Aber wir haben gesehen: Er ist von Anfang an menschliches Leben; er ist von Anfang an Mensch. Schwierig und kontrovers wurde es bei der dritten Frage: Wohin geht der Embryo? Was kann man mit ihm machen? Was darf man mit ihm machen? Wir haben zwei Beispiele gehabt, nämlich auf der einen Seite den Embryo als Lieferanten für Stammzellen und auf der anderen Seite den Embryo als Objekt einer Präimplantationsdiagnostik, also einer Untersuchung auf mögliche Schäden. Zu der Frage „Wohin geht der Embryo als Stammzellenlieferant?“ haben wir unter großem Zeitdruck unseren Bericht verfasst, der dem Bundestag zum 30. Januar vorlag, als dieser eine grundsätzliche Entscheidung traf und sich für den Import embryonaler Stammzellen aussprach, obwohl sich die Enquete-Kommission mit einer Mehrheit dagegen ausgesprochen hatte. Zu dem zweiten Thema - der Embryo als Objekt einer Präimplantationsdiagnostik - gibt es ebenfalls einen fundierten Bericht. Anders als bei den Stammzellen wird dieser Bericht Grundlage für eine sehr umfassende Diskussion in der nächsten Legislaturperiode sein können. Viele Kollegen haben schon gesagt: Es wird zu diskutieren sein, ob die Präimplantationsdiagnostik zugelassen werden kann oder nicht. Ich hoffe, dass der Bundestag dann der überwiegenden Mehrheit der Enquete-Kommission folgt und die Präimplantationsdiagnostik nicht zulassen wird. ({1}) Es sind viele Fragen offen geblieben. Sie sind schon genannt worden: Welches Bild von Behinderung gibt es in dieser Gesellschaft? Wie geht man mit Behinderung um? Was ist überhaupt Behinderung, Krankheit, Gesundheit? Wie sieht das Gesundheitssystem der Zukunft aus? Diese Fragen müssen in der nächsten Legislaturperiode diskutiert werden. Wir werden in der nächsten Legislaturperiode auch diskutieren müssen, in welcher Form dies geschieht: in Form einer Enquete-Kommission oder in Form eines Ethikforums. Diese Vorschläge gibt es. Wichtig aber ist mir: Die Zusammensetzung der Enquete-Kommission hat sich bewährt. Die Nobelpreisträgerin Christiane NüssleinVolhard hat am 29.April in der „Mitteldeutschen Zeitung“ die Enquete-Kommission kritisiert, weil sie nicht unabhängig sei, weil sie nur aus Politikern bestehe. Ich sage dazu: Das ist grundlegend falsch. Die Enquete hat sich gleichermaßen aus Politikern und Sachverständigen zusammengesetzt. Genau das war und ist ihre Stärke. ({2}) Sie ist nicht neutral, aber sie ist eben unabhängig. Keiner der Beteiligten hatte Interesse daran, bestimmte Entscheidungen zu treffen oder einen Vorteil aus ihnen zu ziehen. Wir haben den menschlichen Embryo aus unterschiedlichsten Perspektiven betrachtet: aus naturwissenschaftlicher, aus medizinischer, aus politikwissenschaftlicher Sicht. Wir hatten Psychologinnen, Volkswirtinnen, Theologen und Philosophen dabei; viele der Politiker hatten einen dieser Berufe. Das war eine faszinierende Arbeit. Erlauben Sie mir abschließend eine persönliche Bemerkung: Ich habe in dieser Enquete eben durch diese unterschiedlichen Sichtweisen sehr viel gelernt. Mein herzlicher Dank dafür, dass ich habe lernen können, und für die verrichtete Arbeit gilt nicht nur den Kolleginnen und Kollegen aus allen Fraktionen, sondern vor allem den Sachverständigen - sie sitzen auf der Tribüne -, die ich herzlich begrüße, ({3}) und den Mitarbeitern des Sekretariats, die häufig genug unter uns gelitten haben. Das darf man an dieser Stelle sagen. Trotzdem herrschte eine sehr gute Atmosphäre. Auch dafür gilt mein besonderer Dank der Vorsitzenden Margot von Renesse. Es ist gut, wenn Politik in einer solchen Atmosphäre gemacht werden kann. Vielen Dank. ({4})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Die letzte Rednerin in dieser Debatte ist die Vorsitzende der Enquete-Kommission „Recht und Ethik der modernen Medizin“, Margot von Renesse.

Margot Renesse (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001820, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Die gewesene Vorsitzende der gewesenen Enquete-Kommission. Verehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Als letzte Rednerin in meiner letzten Rede will auch ich betrachten, was die Enquete meiner Meinung nach für mich, für das Parlament und für sich selbst gewesen ist. Als wir anfingen, war klar, dass wir den riesigen Sack von Aufgaben, der in dem Einsetzungsbeschluss stand, nicht würden erledigen können. Ich glaube auch, dass neben den - inzwischen auch von Fachleuten sehr gelobten - Fachberichten die Arbeitsmethode, die Art und Weise, wie wir Probleme bewältigt haben, ein ganz wesentlicher Teil dessen ist, was wir getan haben und womit wir, wie ich glaube, dem Parlament gedient haben. Als wir anfingen, war die Atmosphäre vergiftet und sie drohte zusätzlich vergiftet zu werden. Zwischen den verschiedenen Fronten gab es keine Brücken. Die Kontrahenten beschimpften oder bezichtigten sich wechselseitig entweder des Fundamentalismus und der Forschungsblockade oder der Verachtung und Missachtung der Menschenwürde und der heiligsten Güter der Nation. Wenn die Scheiterhaufen nicht loderten, so wurden sie zumindest aufgestapelt, um bald lodern zu können, Ketzerverbrennung überall. Ich hatte Sorge, ob wir damit fertig werden würden, denn, so fürchtete ich, die Konstellation in der Enquete war gerade ihrer Geschichte wegen nicht dazu angetan, einen Weg aus dieser Situation zu finden. Es gab am Anfang - Herr Schmidt-Jortzig hat es angedeutet - entsprechende Schwierigkeiten. Ich will es nicht verhehlen: Nicht nur die quergestrickte Vorsitzende, die immer die Minderheit war, hatte ihre liebe Mühe und Not mit der Enquete; die Enquete hatte auch ihre liebe Mühe und Not mit ihr. ({0}) Aber genau das waren der Trick und das Geheimnis, denn ich glaube, das Wesentliche, was wir getan haben, bestand darin, zumindest in Etlichem nicht nur einen Weg zu finden, einander zu tolerieren und zu respektieren, sondern auch, einander mit Neugier wirklich zu begegnen. Ich habe neulich den Vortrag eines Professors der Jurisprudenz, jung an Jahren und gescheit von grauen Gehirnzellen, gehört, der wunderbar logisch stringent ableitete - schön, das zu hören -, dass der Embryo eben keine Rechtspersönlichkeit sei und dass die gesetzgeberischen Spielräume groß seien. Darauf habe ich gesagt - das habe ich gar nicht kränkend gemeint, aber es drängte sich mir auf -, dieser Vortrag erreiche meine Seele nicht; damit könne man nur Studenten überzeugen. Das meinte ich nicht abwertend. Vielmehr gibt es eine Art, über Letztes, über wirklich Tiefgreifendes zu reden - dabei geht es nicht um die Straßenverkehrsordnung -, die sich in Scheinrationalität erschöpft, ({1}) bei der in Wirklichkeit keine Begegnung stattfindet, sondern wo genau derselbe Gegenstand von dem jeweiligen Gegner genauso logisch mit anderem Ergebnis dargestellt werden kann, bei der man sich aber nicht überzeugt und einander nicht näher kommt. Wenn man versucht, die wirklichen Motive aufzudecken, aufgrund deren man selber zu bestimmten Wünschen kommt - denen der Verstand selbstverständlich folgt -, dann wird es spannend - und auch schmerzhaft. Wir scheuen in einer Gesellschaft, in der der Religionsunterricht uns nicht mehr die Sprache der Kommunikation mit dem jeweils anderen beibringt, offensichtlich das Gespräch über letzte Fragen, obgleich letzte Fragen - das haben die Enquete und die Debatte im Bundestag gezeigt - von gemeinschaftsstiftender, aber auch gemeinschaftsspaltender Qualität sein können. Wir müssen es wieder lernen, einander so zu begegnen, dass wir wissen: Die Wahrheit, die wir sehen, ist Wahrheit; leidenschaftlicher Kampf dafür, leidenschaftlicher Streit darum ist angesagt. Aber auch die Wahrheit, die der andere sieht, ist Wahrheit. ({2}) Wir sind keine Eulen, die ihren Kopf um 360 Grad drehen können, sondern wir sehen immer nur Sektoren. Das sage ich auch im Hinblick auf den Wahlkampf, an dem ich mich nur noch begrenzt beteiligen werde. Die Wahrheit des anderen wirklich wissen zu wollen bedeutet - deswegen ist es so schmerzhaft -, dass man seine eigene Wahrheit auch der Korrektur, der Ergänzung und der Veränderung wirklich aussetzt. Man streitet nicht nur dafür, dass man gewinnt oder siegt, sondern auch, weil man auf diese Weise - insoweit ist der Streit der Vater aller Dinge - tatsächlich einander näher kommt. Ich denke, für diese Dinge ist das Parlament der richtige Ort, nicht nur wegen der verfassungsrechtlichen Stellung, die es hat, sondern weil es die Agora ist, der öffentliche Ort, wo jedes Argument gewogen und geprüft wird, sodass die Bevölkerung sieht, dass man das, was sie denkt, in allen Einzelheiten ernst nimmt, wie wir das, wie ich finde, am 30. Januar entsprechend Art. 38 des Grundgesetzes getan haben. ({3}) Mögen wir das weiter so tun! Wir bleiben in Widersprüchen. Wir werden Widersprüche nicht endgültig auflösen können, auch nicht zu anderen Ländern, die ebenfalls nicht alle immer nur die Menschenwürde verletzen, Herr Hüppe. Wir sind nicht der Maßstab aller Dinge. Auch darin ist unsere Wahrheit nicht endgültig und vollständig. Entscheidend ist, dass wir versuchen, einander auf die Pelle zu rücken, im Streit, im Versuch, zu überzeugen, aber in dem gleichzeitigen Bewusstsein, dass auch wir überzeugt werden könnten. Wenn wir das schaffen, sind wir ein Stück weiter; denn dann kann Gesetzgebung erfolgen, ohne dass es Sieger und Verlierer gibt. Das Parlament entscheidet nie letzte Fragen. Man muss einfach wissen, dass hier im Reichstag mit 51-prozentiger Mehrheit nicht entschieden werden kann, wann - was die Menschheit seit Aristoteles beschäftigt - das Leben anfängt. Wir können nur als Gesetzgeber sagen, was wir ab wann wie schützen. Die Frage des Vorkerns, lieber Herr Hüppe, lösen Sie auch nicht. Es gibt Widersprüche, in denen wir bleiben. Einer davon ist zum Beispiel der Beschluss der Ärzteschaft, den ich genau wie Sie mit Verwunderung gelesen habe. Die Ärzteschaft lehnt PID aus zwei Gründen ab: erstens weil frühes menschliches Leben dabei draufgehen könne und zweitens weil es Selektion sei. Im letzten Absatz verweist die Ärzteschaft die Frauen auf die Möglichkeit der PND; denn dann könne sich die Frau nach der Feststellung einer Behinderung gegen das kranke zukünftige Leben entscheiden. Wir bleiben in Widersprüchen. ({4}) Aber diese Widersprüche in einem Beschluss so nebeneinander zu stellen, das ist schon gekonnt. ({5}) Auch das, was wir, Frau Schuchardt, gemeinsam überlegt haben, nämlich die Biomedizinkonvention mit einer Interpretationserklärung erträglicher, verträglicher zu machen, bleibt in Widersprüchen. Der Versuch ist sehr ehrenhaft; man muss ihm weiter nachgehen. Aber wir sollten uns nicht vormachen, wir könnten die Probleme dieser Welt lösen. Weil wir dafür bezahlt werden, es für die Menschen leichter zu machen, dürfen wir es uns nicht leicht machen und sagen: Wir waschen unsere Hände in Unschuld, wir sind es nicht gewesen, wir haben damit nichts zu tun, während wir rings um uns herum, und zwar in Deutschland, die Probleme den Leuten überlassen. Wir werden dafür bezahlt, Probleme zu lösen und sie auf uns zu nehmen, und nicht dafür, andere mit dem fertig werden zu lassen, mit dem wir nicht fertig werden. ({6}) Ich denke, dass wir ein Stück weitergekommen sind, wenn wir - wie wir das beim Stammzellgesetz versuchsweise getan haben, wie schlecht und recht auch immer Wege finden, Gegenwart und Zukunft zu ermöglichen, ohne letzte Fragen zu entscheiden. Vieles von dem, was wir entscheiden, ist nur scheinbar prinzipiell. Viel von unseren Erfahrungen, Einschätzungen, Sorgen und Ängsten kommt hinzu. Ich denke, das alles gehört mit zur Realität. Wir sind aber seit Anbeginn der Menschheit dazu verurteilt, dass wir, die wir Mangelwesen sind, versuchen, Herr und Herrinnen der Natur zu werden, indem wir sie analysieren und sie für uns einsetzen. Wir können nicht schnell laufen. Unsere Körperkraft ist begrenzt. Unsere Augen sind nicht besonders gut im Verhältnis zu dem, was wir brauchen würden. Unsere Krallen sind auch nicht das, was man braucht, um Beute zu schlagen. Das Einzige, was wir haben, ist unser Spieltrieb - hier agieren wir mit unseren grauen Gehirnzellen -, Wiederholbares bzw. Gesetzmäßiges zu finden und daraus für uns eine neue Welt zu bauen. Dagegen hilft nicht, dass wir uns selbst beschränken, jedenfalls nicht im Wege eines Gesetzes. Dagegen hilft, dass wir immer mehr über die Natur wissen, sodass wir wissen, was uns dient und was uns nicht dient. Denn in allem, was wir tun, ist eine tragische Dialektik angelegt. Es gibt nichts, was man nur zum Guten nutzen kann. ({7}) Man kann das Wissen immer auch für gigantische Irrtümer und Massenverbrechen benutzen. Unsere Geschichte lehrt uns das. Wir sind wie Kolumbus auf hoher See. Zurück nach Spanien geht es nicht. Viele Leute warnen, dass er, wenn er weiterfährt, von der Erde in einen Strudel hinunterkippt, den keiner kennt. Er hofft auf den Seeweg nach Indien und findet die Amerika vorgelagerten Inseln. Das Einzige, was wir tun können - das muss das Parlament auch in Zukunft tun -, ist: Die Seekarten prüfen, sie mit den Sternen vergleichen und den richtigen Steuermann einsetzen. Vielen Dank. ({8})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Liebe Kollegin Frau von Renesse, nicht nur, aber vor allem als Vorsitzende der Enquete-Kommission haben Sie in der letzten Dekade den rechts- und biopolitischen Debatten eine ganz besondere Qualität verliehen. Ich füge hinzu: Allen Kolleginnen und Kollegen in diesem Hause, aber ganz besonders uns jungen Abgeordneten haben Sie wichtige Impulse gegeben. Ihnen ist es zu verdanken, dass die Arbeit der Enquete-Kommission ein großes Ansehen genießt. Dafür herzlichen Dank, Frau Kollegin! ({0}) Einige Rednerinnen und Redner in dieser Debatte haben es schon deutlich gemacht: Wir werden Ihre Stimme vermissen. Aber ich bin mir ganz sicher, dass wir Ihre Stimme weiter hören werden, und zwar als unsere Beraterin bei den Debatten nach der Bundestagswahl. Ich wünsche Ihnen, Frau von Renesse, alles Gute und viel Gesundheit. ({1}) Ich schließe damit die Aussprache und möchte die Gelegenheit nutzen, mich bei allen Mitgliedern und vor allem bei allen Sachverständigen der Enquete-Kommission „Recht und Ethik der modernen Medizin“ für ihre Arbeit zu bedanken. Ich denke, sie hat tatsächlich Maßstäbe gesetzt, was zum einen die Qualität der Debatte betrifft und zum anderen den fraktionsübergreifenden Dialog angeht. Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen, haben damit ein gutes, wichtiges Stück Parlamentsgeschichte geschrieben. ({2}) Ich rufe Tagesordnungspunkt 8 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Annette Widmann-Mauz, Karl-Josef Laumann, Dr. Maria Böhmer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU Wiedereinstieg in den Beruf für Frauen erleichtern - Frauenarbeitslosigkeit in Deutschland bekämpfen - Drucksache 14/8786 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung ({3}) Finanzausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Debatte eine Dreiviertelstunde vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Erste Rednerin für die Fraktion der CDU/CSU ist die Kollegin Renate Diemers.

Renate Diemers (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000388, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frauen sind anscheinend seltsame Wesen. Sie stellen die Mehrheit der Bevölkerung. Sie haben Unvergleichliches geleistet. Sie haben die Bundesrepublik Deutschland mit aufgebaut - ohne sie gäbe es das deutsche Wirtschaftswunder nicht - und sie haben fast immer die Mehrfachbelastung von Familie und Beruf allein zu tragen. Außerdem sind Frauen in der Regel belastbarer als Männer. Trotzdem sind Frauen stärker von Arbeitslosigkeit betroffen als Männer. Darüber hinaus werden Frauen, ihre Leistungen und ihre Probleme auch heute noch immer nicht richtig ernst genommen. Selbst der jetzige Bundeskanzler spricht im Rahmen der Familien- und Frauenpolitik nur von „Gedöns“. ({0}) Diese Aussage war für uns Frauen wenig hilfreich, ja sogar schädlich. ({1}) Oft finden frauenpolitische Debatten im Bundestag erst statt - fast so wie heute -, wenn es draußen bereits ziemlich dunkel ist. ({2}) - Ich habe gesagt: ziemlich dunkel. - Dunkel im wahrsten Sinne des Wortes sieht es auch aus, wenn es um Erfolgsberichte bei der Bekämpfung von Frauenarbeitslosigkeit geht. Es geht nämlich bei Weitem nicht um marginale Verbesserungen in der Statistik. Es geht nicht darum, ein kleines Pflänzchen „Sonderprogramme für Frauen“ liebevoll in die Sonne zu stellen und mit den Resten aus der Finanzgießkanne zu beträufeln. Es geht auch nicht darum, immer wieder zu Weltfrauenkonferenzen zu pilgern, um dann die dort verabschiedeten Ziele nur für andere Länder gelten zu lassen. Es geht darum, dass alle Frauen die ihnen zustehenden Rechte einsetzen, sie nutzen können. ({3}) Die Probleme der erwerbstätigen Frauen und der Frauen, die erwerbstätig sein möchten, sind vielschichtig. Hier liegt der Knackpunkt. Frauen haben unterschiedliche Lebensentwürfe und somit unterschiedliche Ziele, und sie haben unterschiedliche Ansprüche. Es gibt Arbeitnehmerinnen und Unternehmerinnen, die ohne jegliche Unterstützung Karriere gemacht haben. Leider aber sprechen viele dieser Frauen den anderen Frauen die Notwendigkeit einer Unterstützung, zum Beispiel mittels einer Quote, ab. Dies ist genauso falsch, wie allen Frauen prinzipiell zu unterstellen, sie wollten und müssten unbedingt Karriere machen. Denn es gibt auch erwerbstätige Frauen, die nicht darunter leiden, dass sie keine Karriere machen. Sie identifizieren sich auch ohne Karrierewunsch vollauf mit ihrem Unternehmen. Diese Frauen sind glücklich in ihrem Beruf. Er sichert ihr Einkommen und dient ihrer sozialen Sicherheit. Viele Frauen wollen die Familien- und Erwerbstätigkeit kombinieren, zum Beispiel mit Elternzeit - oder ohne. Allerdings muss uns allen auch klar sein, dass eine große Zahl von Frauen, die auf Elternzeit verzichten, dies tun müssen, weil sie zum Beispiel allein erziehend sind und bzw. oder das Familieneinkommen nicht ausreicht. Von Karriere können diese Frauen nur träumen. Dann gibt es auch Frauen, liebe Kolleginnen und Kollegen von Rot-Grün, insbesondere junge Frauen, die beabsichtigen, nach der Geburt ihres Kindes erst einmal ganz auf den Beruf zu verzichten. Ich habe diesen Wunsch schon oft in Gesprächen in Schulen und in Betrieben gehört. Diese jungen Frauen beabsichtigen eben nicht, unmittelbar nach der Geburt ihr Kind in die außerhäusliche Betreuung zu geben. Diese Frauen wollen sich ganz intensiv ihren Kindern widmen und fühlen sich als Familienfrauen sehr wohl. Dies wird von Ihnen aber nicht akzeptiert. Sie und Ihr Kanzler zementieren gerade ein neues Frauenleitbild, nämlich ausschließlich das der erwerbstätigen Frau. ({4}) Unser Ziel, das Ziel der CDU/CSU, ist die Wahlfreiheit. ({5}) Ein Hauptschwerpunkt unseres Programmes ist die Vereinbarkeit von Beruf und Familie, und zwar für Mütter und Väter. ({6}) Der Gesetzgeber ist verpflichtet, die Rahmenbedingungen für die notwendigen Wahlmöglichkeiten zu schaffen. Ich denke da an eine aktive Umsetzung und natürlich auch Fortschreibung der bereits beschlossenen Maßnahmen im Hinblick auf die Chancengleichheit von Frauen und Männern, an die Übereinstimmung von Arbeitszeiterfordernis und Kinderbetreuungszeit, an unterschiedliche Teilzeitmodelle oder an die Schaffung von alternierenden Telearbeitsplätzen. Eine große Hilfe ist auch unser geplantes Familiengeld. ({7}) Im Sinne einer echten Wahlfreiheit ist allerdings, liebe Kolleginnen und Kollegen, von uns allen die freie Entscheidung der Eltern, zugunsten der Kindererziehung ganz, teilweise oder zeitweise auf Erwerbsarbeit zu verzichten, zu respektieren. Ich betone noch einmal: Die Wahlfreiheit gilt für Mütter und Väter. Daher fordern wir Vizepräsidentin Petra Bläss die Männer auf, ihrer Verantwortung für die Familie gerecht zu werden. ({8}) Wenn auch die Väter von den Möglichkeiten, Familienzeit zu nehmen, mehr Gebrauch machen würden, hätten es die Frauen im Arbeitsleben und beim Wiedereinstieg entsprechend leichter. ({9}) Wenn allerdings die Rahmenbedingungen weiterhin so schlecht sind - ich nenne beispielhaft die unterschiedliche Einkommenssituation von Frauen und Männern ({10}) oder die gesellschaftliche Akzeptanz von Elternzeit -, wird sich weder in der Mentalität der Unternehmer noch der Väter Gravierendes ändern. Manche Arbeitgeber lassen unterschwellig, andere leider sogar ganz offen durchblicken, wie sie Frauen in Betrieben und Unternehmen einschätzen. Sie fürchten die jederzeit mögliche Schwangerschaft, die offenbar ein ganz schreckliches Übel in unserer Gesellschaft ist, und die prinzipiell unterqualifizierte Mitarbeiterin, die irgendwie durchgeschleppt werden muss; daneben sind Gleichstellungsbeauftragte für viele Arbeitgeber ein rotes Tuch. Die vielen familienfreundlichen Betriebe, die es Gott sei Dank bereits gibt, beweisen, dass andere Wege möglich sind, und zwar nicht zum Nachteil der Betriebe. Es reicht allerdings nicht aus, ein Gesetz über Teilzeit auf den Weg zu bringen, wenn dies zu einer Blockade der Unternehmer führt, Frauen einzustellen. ({11}) Es reicht auf der anderen Seite nicht aus, den Frauen den Anspruch auf Teilzeit mitzuteilen, ohne klarzustellen, dass das für Frauen zum Beispiel auch heißt, unbeliebte Arbeitszeiten in Kauf zu nehmen. Frauen haben das Recht auf Teilzeit, aber selbstverständlich nicht das Recht auf die Filetzeiten von 9 bis 13 Uhr. Der Wiedereinstieg nach einer Pause muss Frauen und - ich sage das bewusst - auch Männern erleichtert werden. Dabei ist es außerordentlich wichtig, während der Pause, sei es Elternzeit oder Arbeitslosigkeit, in irgendeiner Form den Anschluss an den Betrieb zu halten. Dies kann über soziale Kontakte laufen, die übrigens während der Elternzeit auch für die Psyche der Eltern wichtig sein können. Besondere Bedeutung müssen zum Beispiel Weiterbildungsmaßnahmen während der Elternzeit haben. Wir sollten ebenfalls darüber nachdenken, ob nicht auch arbeitslose Frauen in ihrem alten Betrieb Weiterbildungsmaßnahmen in Anspruch nehmen können. Dies zu koordinieren und zu finanzieren sollte eigentlich nicht das Problem sein. Im vergangenen Jahrhundert und erst recht in der Zeit davor, lautete die Devise: Die Familien müssen sich an der Arbeitswelt orientieren. Die Union kämpft für die neue Devise: Die Arbeitswelt muss sich auch an den Familien orientieren. ({12}) Wenn wir gemeinsam für neue Ideen und die Anliegen der Frauen offen sind, bin ich sicher, dass wir den Lösungen etwas näher kommen. Aber eines, liebe Kolleginnen und Kollegen, müssen wir auf jeden Fall verhindern: die soziale Ausgrenzung der Frauen, die kein oder nur ein geringes eigenes Einkommen haben und somit im Alter nicht abgesichert sind. ({13}) Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, es ist heute das letzte Mal, dass ich hier am Rednerpult stehen darf. Darum möchte ich zum Schluss ganz herzlich und besonders eindringlich an alle Kolleginnen und Kollegen in den verschiedenen Ausschüssen, an die Finanzminister im Bund und in den Ländern und an alle politisch Verantwortlichen appellieren: Vernachlässigen Sie die Frauen- und Familienpolitik nicht! ({14}) Räumen Sie der Kinder-, der Jugend- und auch der Politik für ältere Mitmenschen nicht nur auf dem Papier oder in Wahlprogrammen, sondern auch in der Umsetzung einen höheren Stellenwert ein. ({15}) Fehler und Versäumnisse, die in der Familienpolitik gemacht werden, haben dramatische Auswirkungen auf unser gesellschaftliches Miteinander, auf die Arbeitswelt, aber auch auf die Wirtschaft bzw. auf wirtschaftliche Erfolge. Ich wünsche Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen, viel Kraft bei Ihrer Arbeit, aber auch: Vergessen Sie die Freude nicht! ({16})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Liebe Kollegin Renate Diemers, im Namen des Hauses danke ich Ihnen für Ihre letze Rede und Ihre langjährige Mitarbeit in diesem Hause. Wir wünschen Ihnen für die Zukunft alles Gute, Gesundheit und Spaß. Sie werden feststellen, dass es auch ein Leben nach der Politik gibt. ({0}) Als nächste Rednerin hat die Kollegin Renate Jäger von der SPD-Fraktion das Wort.

Renate Jäger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001003, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Kollegin Renate Diemers, ich kann Ihrem Antrag leider nicht so viel Positives abgewinnen wie Sie und sage Ihnen auch gleich, warum. In der Einleitung des Antrages wird deutlich gemacht, dass Frauen deutlich weniger als Männer verdienten, was darauf zurückzuführen sei, „dass Frauen häufiger ... mit weniger anspruchsvollen und deswegen geringer entlohnten Arbeiten beschäftigt werden, die oft unter ihrem Qualifikationsniveau liegen“. Nun würde man ja erwarten, dass die CDU/CSU diese Misere mit ihrem Antrag zu ändern versucht, zumal sie in einem anderen Punkt von der Bundesregierung fordert, „gemeinsam mit den Unternehmen ... auf eine Angleichung der Frauen- an die Männerverdienste hinzuarbeiten“. Das scheint für meine Begriffe aber nicht ganz ehrlich gemeint zu sein, da die CDU/CSU den Niedriglohnbereich insbesondere für Frauen ausbauen will. Damit Sie mir das auch glauben, zitiere ich aus dem Antrag weiter. Es heißt dort, „im Niedriglohnbereich ... Anreize zur Aufnahme von niedrig entlohnter Arbeit zu geben und Arbeitgeber durch Deregulierung zu motivieren, Arbeitsplätze in diesem Bereich zu schaffen“. An anderer Stelle ist davon die Rede, „der Aktivierung der Beschäftigungspotenziale im Niedriglohnbereich umfassend nachzukommen“. ({0}) Dieser Widerspruch entlarvt das wahre frauenpolitische Zielfeld der CDU/CSU. ({1}) Den Wiedereinstieg für Frauen in den Beruf zu erleichtern, war in den letzten vier Jahren unser Ziel und wird es auch in Zukunft bleiben. Allerdings diskriminieren unsere Maßnahmen nicht, sondern sie machen die wahren Potenziale der Frauen für sie selbst und für die Gesellschaft nutzbar. ({2}) Ich räume gern ein, dass auch Sie Forderungen stellen, die man vom Grunde her gutheißen kann, wenn sie nicht schon durch die von uns geschaffene Realität obsolet geworden wären. ({3}) Wir haben die Beauftragten für Chancengleichheit am Arbeitsmarkt in den Arbeitsämtern installiert. Sie sagen natürlich, diese Unterstützung sei noch nicht ausreichend. Doch zu Ihrer Zeit hat es diese Unterstützung überhaupt nicht gegeben. Wir haben damit begonnen - jeder Anfänger ist nun einmal noch kein Meister - und werden die Arbeit unter Mitwirkung der Beauftragten weiter effektivieren. ({4}) Mit dem Profiling im Job-AQTIV-Gesetz ist längst in Kraft, was Sie mit den Vermittlungsagenturen wollen: auf die individuelle Situation von Frauen, insbesondere von Frauen mit Kindern und Alleinerziehenden, einzugehen. Auch die von Ihnen geforderten Eingliederungsvereinbarungen sind längst beschlossene Sache. Nur eines habe ich in diesem Zusammenhang in Ihrem Antrag nicht verstanden: Sie fordern Sanktionen für den Fall der Arbeitsverweigerung, wenn für Kinder unter drei Jahren - ich betone: für Kinder unter drei Jahren - die Betreuung gesichert ist. Heißt das, dass Sie auch Müttern mit Kindern unter drei Jahren, also auch zwischen null und einem Jahr, keine Wahlfreiheit mehr erlauben wollen? Frau Diemers sprach aber von Wahlfreiheit. ({5}) Wir haben im Job-AQTIV-Gesetz die Erziehungszeiten des Kindes sowie Zeiten des Mutterschutzes in die Arbeitslosenversicherung einbezogen ({6}) und die Kindererziehungszeiten bei den Rentenanwartschaften aufgewertet. ({7}) Wir haben es ermöglicht, dass Frauen und Männer Elternzeit nehmen können, während Sie allein bei den Frauen geblieben sind. ({8}) Sie fordern des Weiteren eine bessere Qualifizierung für den Wiedereinstieg in das Berufsleben. Das ist auch okay. Aber wir haben bereits einen Anspruch auf Unterhaltsgeld geschaffen, wenn ein Elternteil die Berufstätigkeit für die Betreuung eines Kindes unterbricht und sich in dieser Zeit weiterbildet. Wir haben für beide Elternteile zum Zweck der Erziehung von Kindern einen Rechtsanspruch auf Teilzeit geschaffen und selbst Qualifizierung in Teilzeit möglich und förderfähig gemacht. Wir haben ermöglicht, dass die Kosten für Trainings- und Qualifizierungsmaßnahmen auch dann übernommen werden, wenn weder Arbeitslosengeld noch Arbeitslosenhilfe bezogen wurde und bezogen wird. ({9}) Für Frauen in Qualifizierungsmaßnahmen haben wir die zu erstattenden Kinderbetreuungskosten auf 130 Euro erhöht. So viel zur Qualifizierung. Wir haben für die nach dem Mainzer Modell möglichen Kombilöhne, ({10}) die gering verdienende Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer entlasten, einen Zuschlag zum Kindergeld zwischen 25 und 75 Euro pro Kind geschaffen. Auch wenn Ihnen die Vergleiche langsam peinlich werden: Die von Ihnen geforderte Förderung von Existenzgründungen für Frauen wird zum Beispiel mit dem Kreditprogramm „Startgeld“ längst erfolgreich praktiziert. Die Zahl der Gründungsvorhaben ist allein von 1999 bis 2000 von 4390 auf über 7 000 gestiegen. Mit der Gemeinschaftsinitiative „Change/Chance“ haben wir ein Programm aufgelegt, mit dem Frauen besser als zu Ihrer Zeit für die Unternehmensnachfolge in Klein- und Mittelbetrieben gefördert werden. ({11}) Im Zusammenhang mit der von Ihnen geforderten besseren Kooperation mit Unternehmen nehmen Sie zwar die Vereinbarung zwischen der Regierung und den Spitzenverbänden der deutschen Wirtschaft zur Kenntnis, aber nicht den vollen Inhalt. ({12}) Da geht es nämlich bereits um die Punkte, die Sie fordern. Da geht es um Chancengleichheit und Familienfreundlichkeit, um die Vereinbarkeit von Familie und Beruf als Aufgabe für Leitungsverantwortliche. Da geht es um die Erhöhung des Anteils von Frauen in Führungspositionen. Da geht es auch bereits um die Verbindlichkeit dieser Zielsetzungen innerhalb der Unternehmen, um das, was Sie ja eigentlich wollen. Ich kann abschließend nur sagen: Wir brauchen uns nicht zu verstecken. Wir haben eine erfolgreiche Politik auf diesem Feld aufzuweisen ({13}) und wir werden diese Politik auch weiterführen. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({14})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt die Kollegin Ina Lenke von der FDP-Fraktion.

Ina Lenke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003170, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Situationsanalyse der CDU/CSU zu ihrem Antrag „Wiedereinstieg in den Beruf für Frauen erleichtern - Frauenarbeitslosigkeit in Deutschland bekämpfen“ stimme ich voll zu. ({0}) Im internationalen Vergleich ist die Erwerbsquote von Frauen in Deutschland gering. Wir Frauen wissen das, aber wir können es hier im Bundestag auch noch einmal ganz deutlich sagen: Nur 62 Prozent der Frauen im erwerbsfähigen Alter sind in Deutschland berufstätig, bei Müttern, die in Paarhaushalten leben, nur 51 Prozent und bei Alleinerziehenden knapp 50 Prozent. Wir wissen, das hat seine Ursachen. Nach aktuellen Studien wollen Mütter sogar kleiner Kinder erwerbstätig sein. Wir sollten gar nicht fragen, warum, sondern müssen das als Fakt sehen. ({1}) Sie wollen verstärkt Vollzeit und nicht nur Teilzeit arbeiten. Sie wollen an Qualifizierungs- und Wiedereingliederungsmaßnahmen auch nach der Elternzeit teilnehmen. Der Haupthinderungsgrund - liebe Kollegen, das wissen wir - ist das mangelhafte Angebot an Kinderbetreuungsmöglichkeiten. ({2}) Da haben wir - das muss man hier ganz deutlich aussprechen - auch nach 1998 noch einen enormen Handlungsbedarf. Ich meine, gerade wir Frauen müssen diese berechtigten Forderungen der Bürgerinnen und Bürger parteiübergreifend aufnehmen und uns in den Kommunen, in den Ländern und hier auf Bundesebene für mehr Kinderbetreuung einsetzen. ({3}) Dabei geht es nicht nur um die Subventionierung kommunaler, sondern auch um die Finanzierung privater Kindergärten sowie um ordentliche Rahmenbedingungen für Tagesmütter. Da haben wir noch eine Menge zu tun. ({4}) Meine Damen und Herren, die Integration von Frauen in den Arbeitsmarkt - das wissen wir alle - ist auch aufgrund der demographischen Entwicklung wirtschaftlich zunehmend erforderlich. Sowohl aus Familiensicht als auch aus volkswirtschaftlicher Sicht ist es wünschenswert, dass die vielen qualifiziert ausgebildeten Frauen Rahmenbedingungen vorfinden, die ihnen die Entscheidung für Kinder erleichtern. Ich will auf Frankreich zu sprechen kommen. Ich finde es erstaunlich und ganz toll, was unser Nachbarland macht. Warum sind in Frankreich 80 Prozent der Frauen berufstätig und haben mehr Kinder? Eine Frau in Frankreich, die Kinder hat, überlegt erst ab dem dritten Kind, ob sie ihre Berufstätigkeit für einige Zeit einstellt. Wir wissen, auch in Frankreich sind nicht alle Frauen Rabenmütter. Sie bekommen das alles einfach besser unter einen Hut, natürlich auch, weil in Frankreich mehr Möglichkeiten der Kinderbetreuung bestehen. Die höhere Ausschöpfung des Beschäftigungspotenzials von Frauen erfordert also eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Handlungsbedarf bei der Kinderbetreuung hat natürlich auch unser Kanzler festgestellt. Am 18. April - ich kann es mir so genau merken, weil ich da Geburtstag hatte -, ({5}) also vor zwei Monaten, versprach er in einer Regierungserklärung wieder einmal mehr Ganztagsbetreuung. 1998 hat er das auch versprochen, O-Ton: Ein ausreichendes Angebot an Kitaplätzen und Ganztagsbetreuung ist zu gewährleisten. Meine Damen und Herren, seien wir doch einmal ganz ehrlich: Was hat sich denn an der Betreuungslandschaft in der Bundesrepublik geändert? Es hat sich nichts geändert. Und wenn der Bundeskanzler das 1998 versprochen hat, dann muss er jetzt, im Jahr 2002, verdammt noch mal sagen, was er geleistet hat. Diese Leistungsbilanz im Betreuungsbereich kann er nicht vorlegen; das sagen alle Zahlen. ({6}) Wenn man etwas auf Bundesebene verspricht, kann man nicht wie Frau Bergmann sagen, die Länder und die Kommunen müssten das umsetzen. Das geht mir langsam - ganz allgemein, nichts gegen eine Person - gegen den Strich. Sie haben in der Betreuungslandschaft nichts getan, um die Vereinbarkeit von Familie und Beruf in dieser Legislaturperiode zu verbessern. Frauen wollen einfach nicht mehr mit Versprechen abgespeist werden. Sie wollen, dass Politik endlich handelt. Die geringe Erwerbsbeteiligung von Frauen hat natürlich nicht nur mit der Vereinbarkeitsproblematik zu tun, sondern auch mit der schlechten Arbeitsmarktlage. Damit kommen wir zu den Rahmenbedingungen, die es Frauen schwer machen, berufstätig zu sein. Frauen werden aus dem Erwerbsleben angesichts des Überangebots an Arbeitskräften nicht nur zurückgedrängt, sie geben zum Teil schon vorher auf und bemühen sich gar nicht darum, einen Arbeitsplatz zu bekommen, weil sie keine Hoffnung mehr haben, und verbleiben in ihrer Familienrolle. Ich erkenne vollständig an, dass, wie die CDU sagt, die Hausarbeit eine anstrengende, sehr qualifizierte Arbeit ist. Frauen- und Männerarbeit im Haushalt sollten wir wesentlich mehr anerkennen. Das könnten einmal einige Männer mehr versuchen. Meine Damen und Herren, die Bundesregierung hat im Bereich der Arbeitsmarktpolitik versagt. Es sind ganz besonders Frauen, die davon betroffen sind. Die Bundesregierung wird in diesem Antrag von der CDU/CSU zum Handeln aufgefordert. Meine Damen und Herren von der CDU/CSU, es ist ja fast zu spät; wir müssen jetzt den 22. September abwarten. Diese Ihre Forderungen sind CDU/CSU-Forderungen; wir haben andere Forderungen. Sie wissen, dass wir sehr viele Initiativen in Bezug auf Arbeitsmarktpolitik, auf die Rahmenbedingungen, die wir dazu setzen können, ergriffen haben. Das sind ganz andere Konzepte als die von der SPD, das sind andere Konzepte als die von der CDU. Deshalb zeigt sich auch ganz deutlich, dass die FDP eine sehr eigenständige Rolle in diesem Parlament spielt ({7}) und dass wir zugegebenermaßen - das hören wir auch von anderen - gute Konzepte haben. Die Vorstellungen der FDP sind liberale Forderungen für Reformen des Arbeitsmarktes, für Reformen bei der Tarifordnung sowie für eine durchgreifende Steuerreform. Das alles ist bei uns konsequenter und weitreichender. Meine Damen und Herren, ohne substanzielle Reformen gibt es keinen wirklichen Fortschritt auf dem Arbeitsmarkt. Gerade für Frauen wollen wir etwas tun. Dazu müssen wir die Rahmenbedingungen ändern. Ich meine, wir sollten am 23. September damit beginnen, anders als es in den letzten vier Jahren geschehen ist. ({8})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt die Kollegin Dr. Thea Dückert von Bündnis 90/ Die Grünen .

Dr. Thea Dückert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003071, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Verehrte Frau Kollegin Diemers, ich finde es ehrenwert, die Männer hier aufzufordern, sich für die Gleichberechtigung einzusetzen. Ich denke, das ist sicherlich hilfreich. Wir haben allerdings ein noch schärferes Schwert, nämlich das Grundgesetz, in dem die Gleichberechtigung zwischen Frauen und Männern verbrieft ist. Obwohl es dieses gibt, ist die Gleichberechtigung in der Realität des Alltags in diesem Lande noch immer nicht erreicht. Auf vielen Gebieten, gerade im Bereich der Erwerbsarbeit, feiert die Diskriminierung noch fröhliche Urstände. ({0}) Ich glaube, dass es deswegen nicht ausreicht, diese Aufforderung hier zu unterstreichen. Wir müssen das tun, womit wir als rot-grüne Koalition sehr ernsthaft und konzentriert angefangen haben, nämlich Gesetze erlassen, die den Frauen helfen, in den Arbeitsmarkt zu kommen. ({1}) Beispielsweise haben wir die Elternteilzeit und den Rechtsanspruch auf Teilzeitarbeit, den Sie bekämpfen, längst eingeführt und ({2}) wir haben die Frauenrechte in den Betrieben durch ein verbessertes Betriebsverfassungsgesetz gestärkt. Auch dieses haben Sie bekämpft. Ich finde es sehr wichtig - es lohnt sich in der Tat -, sich hier immer wieder ernsthaft über verbesserte Wiedereingliederungs- und Ersteinstiegsmöglichkeiten von Frauen in den Arbeitsmarkt zu unterhalten, weil - das sprach ich schon an - die Diskriminierungen wirklich augenscheinlich sind. Mädchen sind besser in den Schulen; sie haben die besseren Notendurchschnitte. Frau Kollegin Diemers, Sie haben hier schon angeführt, dass Frauen auf dem Arbeitsmarkt trotzdem vergleichsweise schlechter entlohnt werden. Sie haben aber auch darauf hingewiesen, dass das hauptsächlich eigen- bzw. selbstverschuldet ist, weil Frauen gerne Tätigkeiten übernehmen, für die nur ein niedriger Lohn bezahlt wird. ({3}) Das ist solch ein absoluter Quatsch. Schauen Sie sich einmal an, wie Tarifverträge zustande kommen ({4}) und wie die Arbeitsplatzbewertungen aussehen, die vielen Tarifverträgen und tariflichen Einordnungen zugrunde liegen. Dort ist es systematisch so. ({5}) Es ist übrigens auch wissenschaftlich nachgewiesen, dass spezifische Frauenqualifikationen in der Regel niedriger bewertet werden und dass deswegen in den Bereichen, in denen hauptsächlich Frauen arbeiten, tendenziell niedrigere Durchschnittslöhne gezahlt werden. Hieran müssen wir arbeiten. Allerdings sind dazu insbesondere auch die Tarifvertragsparteien aufgefordert. Ich komme zu einem anderen Punkt: Frauen arbeiten seltener in Führungsjobs. Auch hierfür gibt es ein Beispiel aus der Realität, über das ich berichten kann; denn ich habe als wissenschaftliche Assistentin an der Universität gearbeitet. Wenn man sich die Hierarchieleiter bei den Hochschullehrern anschaut und sieht, wie die Präsenz von Frauen ausgedünnt wird - es sind nur 9 Prozent Hochschullehrerinnen vertreten -, dann muss man bedenken, dass das auch viel mit der Struktur der Berufungs- und Besetzungskommissionen zu tun hat. Männerseilschaften funktionieren eben gut. ({6}) Frau Lenke, Sie hatten Recht, als Sie eben gesagt haben, dass Frauen nicht nur Teilzeit, sondern auch Vollzeit arbeiten wollen. 87 Prozent der Teilzeitarbeit werden heute allerdings von Frauen ausgeführt. Nur 5 Prozent der Männer arbeiten Teilzeit, während es 38 Prozent der Frauen sind. Häufig ergibt sich für Frauen auch heute noch immer nur dann die Möglichkeit, eine Vollzeitbeschäftigung aufzunehmen, wenn der Partner Teilzeit arbeiten kann. Das ist beispielsweise einer der Gründe, weshalb der Rechtsanspruch auf Teilzeit für Männer und Frauen gleichermaßen durchgesetzt werden musste; wir haben ihn durchgesetzt. Ich sage Ihnen auch: Wir werden ihn gegen das verteidigen, was Sie vorhaben, nämlich genau diesen Fortschritt für eine bessere Arbeitsteilung von Frauen und Männern wieder abzuschaffen. ({7}) Meine Damen und Herren von der CDU/CSU, Sie haben hier davon gesprochen, dass Sie die Wahlfreiheit für Frauen herstellen wollen. Gleichzeitig plädieren Sie für die stoibersche Herdprämie. ({8}) Welche Frau, die Kinder erziehen und gleichzeitig arbeiten will, hat die Möglichkeit, in den Beruf zu gehen, wenn die Kinderbetreuung nicht sichergestellt ist? Gehen Sie nach Bayern. Dort gibt es gerade für kleine Kinder die wenigsten Betreuungsmöglichkeiten. Hier haben wir noch viel zu tun, von der Krippenbetreuung für Kleinkinder über die Ganztagsschule, die Sie heute Morgen wieder abgelehnt haben, bis hin zur Hortbetreuung. Solche Angebote brauchen wir, wenn wir den Frauen die Wahlfreiheit geben wollen, Familie und Beruf miteinander zu vereinbaren. ({9}) Wir brauchen noch etwas anderes - das fordern Sie in Ihrem Antrag zu Recht -: Wir brauchen für Frauen Brücken in den Arbeitsmarkt. Sie aber haben in den letzten Jahren offenbar ein wenig geschlafen; denn wir haben - das hat meine Kollegin schon vorgetragen - im JobAQTIV-Gesetz vieles von dem verankert, was Sie in Ihrem Antrag fordern. ({10}) - Sie rufen „Um Gottes willen“. Wir haben im JobAQTIV-Gesetz beispielsweise im Zusammenhang mit der Arbeitsförderung festgelegt, dass die Frauenförderung eine Querschnittsaufgabe ist. Wir haben die gesetzlichen Voraussetzungen dafür geschaffen, dass Frauen so lange überproportional gefördert werden können, bis Gleichberechtigung erreicht ist. Wenn Frauen Qualifizierungsmaßnahmen wahrnehmen, werden die Kosten für die Betreuung übernommen, deren Höhe wir mehr als verdoppelt haben. Wir haben das Teilzeitunterhaltsgeld eingeführt. Wir haben Eingliederungsvereinbarungen für Frauen möglich gemacht, die keinen Leistungsanspruch haben. Ich nenne als Beispiel die Frauen, die keine Arbeitslosenhilfe bekommen, weil ihre Männer zu viel verdienen. Sie haben uns die absurde gesetzliche Regelung hinterlassen, dass Frauen keinen Anspruch auf Qualifizierungsmaßnahmen oder ABM haben, wenn ihre Männer ein zu hohes Einkommen haben. Das haben wir im Job-AQTIVGesetz geändert. ({11}) Die Quote derjenigen, die bisher keinen Leistungsanspruch auf Qualifizierungsmaßnahmen und ABM hatten, liegt nun doppelt so hoch wie vorher. Das wird diesen Frauen helfen. Wir haben eine weitere grobe Ungerechtigkeit abgeschafft. Sie haben das eben ein bisschen lächerlich gemacht. Wir haben endlich dafür gesorgt, dass Frauen, die durch Berufstätigkeit einen Anspruch auf Arbeitslosengeld erworben haben, diesen Anspruch während der Kindererziehungszeiten nicht verlieren. Es war in hohem Maße ungerecht, dass Frauen, die während ihrer Erwerbstätigkeit in die Arbeitslosenversicherung eingezahlt haben, diesen Anspruch während der Erziehung ihrer Kinder verloren. Diesem Anspruch haben wir im JobAQTIV-Gesetz Rechnung getragen. ({12}) Ich komme zum Schluss. Was Sie vorschlagen, ist nicht sehr zukunftsweisend. Manche Forderungen in Ihrem Antrag stellen für die Frauen sogar eine Verschlechterung dar, zum Beispiel die zu den geringfügigen Beschäftigungsverhältnissen. Ich kann das hier nicht alles vortragen. ({13}) Wir haben noch viel zu tun. Wir müssen noch sehr viel mehr erreichen, weil die Gleichberechtigung noch lange nicht erreicht ist. Aber wir sind auf dem richtigen Weg. Schönen Dank. ({14})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt die Kollegin Petra Bläss von der PDS-Fraktion.

Not found (Mitglied des Bundestages)

, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Dass Frauen wesentlich mehr von Erwerbslosigkeit und Diskriminierung auf dem Arbeitsmarkt betroffen sind, dürfte in diesem Hohen Hause wohl Konsens sein. Die Fakten sprechen für sich. Frau Kollegin Lenke hat schon über die erschreckend niedrige Erwerbstätigenquote bei Frauen in der Bundesrepublik gesprochen. Sie hat auch zum Ausdruck gebracht, dass die Ursache dieser Quote nicht die freiwillige Entscheidung der Frauen war. ({0}) Frauen sind deutlich häufiger als Männer in unsicheren Beschäftigungsverhältnissen. Frauen stellen nach wie vor über 85 Prozent aller sozialversicherungspflichtigen Teilzeitbeschäftigten in diesem Lande. Nicht zuletzt ist der Frauenanteil bei den IT-Ausbildungsberufen trotz aller PR- und Fördermaßnahmen erschreckend gering. Der Anteil stagniert bei 14 Prozent. Gleiches gilt für den Frauenanteil bei Führungskräften in der Wirtschaft. Er liegt nach wie vor bei nur 11 Prozent. Nicht vergessen sollten wir bei einer solchen Debatte den Unterschied zwischen Ost und West, der nach wie vor besteht. Mit einem Anteil von 19 Prozent sind im Osten doppelt so viele Frauen arbeitslos gemeldet wie im Westen des Landes. In Ostdeutschland sind Frauen erschreckenderweise in wesentlich stärkerem Maße mit Langzeitarbeitslosigkeit konfrontiert als in Westdeutschland. Begrüßenswert ist, dass sich die CDU/CSU-Fraktion mit ihrem Antrag dieses Missstandes annimmt. Er enthält auch Forderungen, die gewiss die Unterstützung des ganzen Hauses finden können. Ich nenne nur die Stichworte flächendeckende Kinderbetreuung, finanzielle Gerechtigkeit für Erziehende, die Angleichung der Löhne von Frauen und Männern und flexible Arbeitszeitmodelle. So weit, so gut. Nur leider sind in Ihrem Antrag vor allem unsoziale Forderungen zu finden, die an den wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Realitäten vorbeigehen. Diese können wir nur strikt ablehnen. Es gibt zwei zentrale Kritikpunkte. Der erste Kritikpunkt ist Ihre Forderung nach Zusammenlegung der Sozial- und der Arbeitslosenhilfe. De facto läuft das auf eine Streichung der Arbeitslosenhilfe hinaus. Das ist unumstritten eine Armutsfalle. Die Fragen nach Möglichkeiten zur Integration in den Arbeitsmarkt und nach der Inanspruchnahme arbeitsmarktpolitischer Instrumente bleiben auf der Strecke. Unser zweiter Kritikpunkt ist Ihre Forderung nach Ausbau des Niedriglohnsektors. Das ist eine falsche Strategie. Statt Armut zu vermeiden, setzen Sie auf „working poor“, das heißt arbeitende Arme. Das, was Frauen in diesem Land brauchen, ist ein eigenständiges existenzsicherndes Einkommen mit ausreichender Absicherung durch die Sozialversicherungen. Nicht der Ausbau der Billigjobs, sondern die Einführung eines existenzsichernden Mindestlohnes ist vonnöten. Um die Armut arbeitender Frauen zu verhindern, sollte das Motto heißen: Mindestlohn statt Niedriglohn. ({1}) Gestatten Sie mir noch vier kurze Anmerkungen. Erstens. Gute Absichtserklärungen haben uns nicht weitergebracht. Der letzte Beweis ist die Vereinbarung der Spitzenverbände der Wirtschaft mit der Bundesregierung zur Förderung der Frauenbeschäftigung vom Juli letzten Jahres. Seither ist so gut wie nichts geschehen. Ohne verbindliche gesetzliche Regelungen wird sich nichts tun. Deshalb brauchen wir Quotierungen, Sanktionen, ein Verbandsklagerecht und auch ein Gleichstellungsgesetz für die Privatwirtschaft. Zweitens. Erziehungs- und Pflegezeiten dürfen nicht zum Ausschluss von Frauen aus dem Arbeitsmarkt führen und nicht zur Armutsfalle werden. Stattdessen müssen Erziehung und Pflege einer versicherungspflichtigen Beschäftigung gleichgestellt werden und Ansprüche auf Lohnersatzleistungen begründen. Drittens. Hausfrauen muss die Rückkehr in den Beruf, der Erwerb eines eigenen Einkommens erleichtert werden. Das ist nur durch die Öffnung der Arbeitslosenversicherung und durch den Zugang zu Leistungen nach SGB III möglich. Dadurch könnte langfristig die nacheheliche Unterhaltsverpflichtung wegfallen. Das wäre ein wichtiger Beitrag zum Aufbau einer eigenständigen Existenzsicherung. Viertens. Die alte Forderung „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit“ hat an Aktualität nichts, aber auch gar nichts eingebüßt; denn hier beginnt die geschlechtsspezifische Diskriminierung von Frauen auf dem Arbeitsmarkt. Um diese abzubauen sowie Frauen und Männer im Erwerbsleben tatsächlich gleichzustellen, bedarf es des Eingreifens der Politik durch gesetzliche Regelungen. Sonst bleibt alles bei den berühmt-berüchtigten Good-will-Aktionen. Ich danke. ({2})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt die Kollegin Doris Barnett von der SPD-Fraktion.

Doris Barnett (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002621, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist schon erstaunlich: Nach 16 Jahren in der Regierung ({0}) und vier Jahren in der Opposition entdeckt die CDU/CSU immerhin, dass Frauen, auch wenn sie Familie haben, arbeiten, Geld verdienen, ein eigenes Auskommen haben und im Alter finanziell abgesichert sein wollen. Während Ihrer Regierungszeit haben Sie dafür nicht allzu viel getan. Oder fällt Ihnen irgendeine Großtat ein? Mir fällt jedenfalls keine ein. ({1}) Die CDU/CSU hat die Entwicklung verschlafen oder vorsätzlich missachtet. Beides ist politisch gesehen gleich schlimm. Vieles von dem, was Sie jetzt fordern - Ihr Antrag enthält 19 Forderungen -, haben Sie doch auf dem Gewissen. Sie haben zum Beispiel die ganzen Betreuungsstrukturen im Osten zuerst als sozialistischen Klimbim abgetan und dann abgeschafft. Jetzt beginnen wir mühsam, diese dort wieder einzuführen. ({2}) Es gibt tatsächlich ein Problem mit der Vereinbarkeit von Familie und Beruf. 1998 - es wurde schon darauf hingewiesen - war bei Familien mit Kindern unter sechs Jahren in 42,3 Prozent der Fälle nur der Mann erwerbstätig; da konnte die Frau gar nicht arbeiten. Viele Frauen hätten aber gern gearbeitet und wären gern in den Beruf zurückgegangen. An die Lösung dieses Problems sind wir nach Regierungsübernahme sofort herangegangen. Das verschweigen Sie. Sie haben sogar Verbesserungen abgelehnt, die wir eingeführt haben. Jetzt fordern Sie plötzlich Verbesserungen, als hätten Sie etwas Neues entdeckt. ({3}) Ich darf einmal Folgendes aufzählen: 1999 hat unsere Ministerin das Programm „Frau und Familie“ aufgelegt. Wir arbeiten es systematisch ab. Wir haben die Neufassung des Bundeserziehungsgeldgesetzes durchgesetzt. ({4}) Wir haben das Gesetz über Teilzeitarbeit und befristete Arbeitsverhältnisse, das den Frauen ebenfalls nützt, gegen Sie durchgesetzt. Wir haben familienpolitisch relevante Maßnahmen im Job-AQTIV-Gesetz verankert; das hat die Kollegin Dückert gerade vorgetragen. Die Bundesregierung hat mit den Spitzenverbänden der deutschen Wirtschaft Vereinbarungen getroffen, die Sie jetzt plötzlich auch einfordern. ({5}) - Was heißt „Da ist nichts herausgekommen!“? Machen Sie doch einmal etwas vor! Sie kriegen nichts auf die Reihe! ({6}) Wir haben einen Beschluss des Bündnisses von Arbeit zur Chancengleichheit von Frauen und Männern auf dem Arbeitsmarkt erreicht. Wir setzen 4 Milliarden für Betreuung ein usw. Ich könnte die Liste fortsetzen. All das hat den Frauen geholfen. Viele konnten wieder aus der stillen Reserve in den Arbeitsmarkt kommen. Deswegen haben wir ja auch den Aufwuchs in unserer Beschäftigungsbilanz. ({7}) Wir haben das Problem erkannt und zu großen Teilen schon gelöst. Die CDU/CSU hat nach 16 Jahren Regierung und vier Jahren Opposition nicht viel herzuzeigen. Aber doch, ein neues Plakat haben Sie! Darauf steht: „Zeit für Taten“. Dann fangen wir einmal mit den Taten an. Gehen wir einmal nach Bayern! Sie fordern zum Beispiel ein qualitativ hochwertiges Angebot für die Betreuung von Kindern von 12 bis 14 Jahren. Wie sieht es da in Bayern aus? Für 115 000 Gymnasiasten stehen immerhin ganze 100 Plätze in Ganztagsschulen zur Verfügung. Das sind etwa 0,1 Prozent. Da wollen Sie uns was erzählen! Gehen Sie mal nach Rheinland-Pfalz, woher ich komme! ({8}) Da wird das jetzt sukzessive flächendeckend eingeführt. ({9}) Das ist eine Sache der Länder. Die von uns regierten Länder haben verstanden, was sie zu tun haben, die von Ihnen regierten Länder noch lange nicht. ({10}) Frau Lenke hat vorhin gesagt, dass der Bund Geld zur Verfügung stellen muss, damit die Länder und die Kommunen die Aufgaben, die sie eigentlich leisten müssen, auch erfüllen können. ({11}) Wer hat denn seinerzeit im Bundestag den Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz für jedes Kind ab dem dritten Lebensjahr beschlossen? Das war doch Ihre Bank. ({12}) Haben Sie einen Pfennig an die Kommunen gegeben? Ich wüßte nicht, dass das geschehen ist. Die Kommunen in meiner Region leiden noch heute darunter. ({13})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Frau Kollegin Barnett, erlauben Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Albowitz? ({0})

Doris Barnett (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002621, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Nein, ich möchte gern im Zusammenhang vortragen. ({0}) - Nicht der Wahrheit wegen. ({1}) Es gibt einen Rechtsanspruch für Kinder bis zum dritten Lebensjahr, ohne dass ein Pfennig vom Bund an die Länder geflossen ist. ({2}) Außerdem fordern Sie jetzt auch ganz groß, den Niedriglohnbereich für Frauen attraktiv zu machen. ({3}) - Sie fordern, den Niedriglohnbereich für Frauen attraktiv zu machen. Da frage ich mich: Was für ein Frauenbild hat diese Partei? ({4}) Offensichtlich wollen Sie schon, dass Frauen etwas lernen, aber sie sollen den Männern bitte schön nicht die Arbeit wegnehmen. Sie sollen im Niedriglohnbereich, am besten im Bereich zwischen 325 Euro und 800 Euro, bleiben, weil sie dann nichts in die Sozialversicherung einzahlen müssen. Hinten in Ihrem Antrag fordern Sie aber plötzlich wieder eine eigenständige Alterssicherung der Frauen. Da bin ich wirklich auf Ihre Erklärung dazu gespannt, wie das zusammenpasst. ({5}) Wenn Sie immer mehr Frauen in den Niedriglohnbereich drängen, weil Sie sagen, sie sollten keine Sozialversicherung zahlen müssen oder beitragsfrei sein, dann müssen Sie sich überlegen, welche Auswirkungen das auf die Sozialversicherungen hat. Die Männer, die dann die Vollzeitarbeitsplätze haben, müssen von daher natürlich höhere Beiträge zahlen. ({6}) Wie Sie vor diesem Hintergrund dann die Lohnnebenkosten senken wollen, ist für mich - das muss ich Ihnen ehrlich sagen - bisher ein Geheimnis geblieben. Darüber werden Sie uns gleich, nehme ich an, aufklären. Sie fordern Qualifizierung für Tätigkeiten durch Training on the job. Das ist ja ganz was Neues. Heißt das, dass Frauen zukünftig keine dreijährige Ausbildung mehr bekommen sollen? Sie blockieren ja auch das Gesetz über die Ausbildung in der Altenpflege. Am besten sollen sie Arbeitskräfte werden, die in zwei Jahren angelernt werden, weil das dann wieder mit dem Niedriglohnbereich zusammenpasst. Denn wenn sie nicht ordentlich ausgebildet sind, müssen ihnen wohl die entsprechenden Löhne nicht gezahlt werden. Tatsächlich ist Ihr Frauenbild völlig antiquiert. Sie wollen die Frauen lieber zu Hause halten und sie mit dem Familiengeld alimentieren. Damit meinen Sie, eine große Tat vollbracht zu haben. Leider bin ich schon am Ende meiner Redezeit angelangt. Deswegen kann ich Ihnen nur versichern: Ihr Antrag ist nicht frauenfreundlich und deshalb noch nicht einmal wahlkampftauglich. Denn so blöd sind die Frauen nicht, dass sie das nicht merken. Er ist nicht umsetzbar und sollte deswegen - den guten Rat darf ich Ihnen geben - so schnell wie möglich zurückgezogen werden. ({7})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Zu einer Kurzintervention erteile ich der Kollegin Ina Albowitz das Wort.

Ina Albowitz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000022, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Kollegin Barnett, ich möchte Sie nur gerne schnell über einen Vorgang aufklären, der Ihnen offensichtlich nicht bekannt ist. Als wir Anfang der 90er-Jahre das Gesetz zum § 218 beraten haben, ist es vom Bundesverfassungsgericht zur Nachbesserung zu uns zurückgekommen. Einer der wesentlichen Punkte war, dass wir einen Rechtsanspruch auf Kindergartenplätze und eine entsprechende Finanzausstattung einplanen und dass wir uns auch an der finanziellen Ausstattung der Länder beteiligen mussten. Das war ein Bestandteil des Urteils. Das sollten Sie vielleicht einmal nachlesen, damit Ihnen diese Informationen künftig nicht mehr fehlen. Ich formuliere das bewusst so vorsichtig. Ich war damals an den Verhandlungen zum Finanzteil des Gesetzes mit beteiligt. Bei Ihnen war Frau WettigDanielmeier Verhandlungspartnerin. Es gab eine große Koalition dieses Hauses zu § 218, zu § 219, zu allen Begleitgesetzen und zum Finanzteil. Das Gesetzesvorhaben ist damals nicht nur von dieser Seite, sondern vom ganzen Haus verhandelt und mitgetragen worden. ({0}) Wir haben den Ländern über drei Jahre aus dem Länderfinanzausgleich Finanzmittel eingeräumt mit dem ausdrücklichen Auftrag, einen Teil der Mittel an die Kommunen weiterzugeben. Das nur zur Wahrheitsfindung. ({1})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Frau Kollegin Barnett zur Erwiderung, bitte schön.

Doris Barnett (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002621, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich kann Ihnen allerdings versichern, dass mich mein Sozialdezernent immer wieder darauf hinweist, dass dies eben nicht der Fall ist, dass nämlich bei den Kommunen nichts ankommt. ({0}) Sie können deshalb hundertmal wiederholen, dass es so gewesen sein soll. Auf jeden Fall haben die KommuDoris Barnett nen nach wie vor sehr darunter zu leiden. Das läuft noch längst nicht nach dem Motto „Wer bestellt, zahlt“. Nehmen Sie sich bitte ein Beispiel an unserer sozialen Grundsicherung. Wir haben sie sogar in das Gesetz aufgenommen. ({1})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Als nächste Rednerin hat die Kollegin Annette WidmannMauz das Wort. Ich nutze die Gelegenheit, um der Kollegin zu ihrem heutigen Geburtstag zu gratulieren. Herzlichen Glückwunsch! ({0})

Annette Widmann-Mauz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003259, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident, herzlichen Dank für die Glückwünsche. Meine Damen! Meine Herren! Wir Frauen in der Unionsfraktion haben gemeinsam mit den arbeits- und sozialpolitischen Experten unserer Fraktion den Antrag „Wiedereinstieg in den Beruf für Frauen erleichtern Frauenarbeitslosigkeit in Deutschland bekämpfen“ eingebracht. Wir machen damit deutlich, dass die verfehlte Arbeitsmarktpolitik dieser Bundesregierung gravierende Auswirkungen hat, und zwar nicht zuletzt für die Frauen. Im Sinne des Gender Mainstreaming bildet eine sinnvolle Arbeitsmarktpolitik die Grundlage seriöser Frauenpolitik und umgekehrt. Hierbei hapert es aber bei Ihnen, meine Damen und Herren der Regierungsfraktionen, gewaltig. Die Arbeitsmarktzahlen sprechen eine deutliche Sprache. Der Maitrend ist besorgniserregend: Saisonbereinigt stieg die Arbeitslosenzahl um 60 000 weiter auf mehr als 4 Millionen. Das ist der höchste Wert seit November 1999. Knapp 2 Millionen der Arbeitslosen sind Frauen. Das nennen Sie „Aufwuchs der Beschäftigungsentwicklung“, Frau Barnett. Das klingt für die arbeitslosen Frauen wie Hohn. ({0}) Frauenarbeitslosigkeit zu beseitigen ist unser gemeinsames Ziel. Das will ich Ihnen nicht absprechen. Doch unsere Wege dorthin sind grundverschieden und die erschreckend hohen Arbeitslosenzahlen attestieren Ihnen: Sie sind auf dem Weg zum Ziel in eine Sackgasse eingebogen. Während Sie glauben, mit Ihrem Programm „Frau und Beruf“ den großen Coup gelandet zu haben, liefern Sie nichts als Phrasen und Ankündigungen. Wir sind Ihnen mit unserem heute vorliegenden Antrag und unseren arbeitsmarktpolitischen Konzepten ein großes Stück voraus. Das wissen Sie auch. Es wiegt sehr schwer, dass Sie in Ihren Regierungsjahren am laufenden Band Gesetze produziert haben, die die Zukunftschancen von Frauen aufs Gröbste beschnitten haben. Bei Frauen, die tatsächlich Arbeit haben oder anderen Frauen Arbeit bieten, wirken Ihre Gesetze nämlich kontraproduktiv. Schauen wir uns doch nur die gravierenden Versäumnisse bei der Verbesserung der Vereinbarkeit von Erwerbstätigkeit und Familie an. Wer ein bedarfsgerechtes, flexibles, qualitativ hochwertiges Angebot an Kinderbetreuungseinrichtungen gewährleisten will, der muss die Länder und Gemeinden dazu auch finanziell in die Lage versetzen. Mit Ihrer Steuerreform, meine lieben Kolleginnen und Kollegen der Regierungsfraktionen, haben Sie die Kommunen an den Rand einer finanziellen Katastrophe gebracht. Das ist Ihr Verschulden. ({1}) Wir können gleich fortfahren: Mit Ihrem Teilzeitgesetz haben Sie das Gegenteil des Gewünschten erreicht. Es wirkt gerade für Frauen beschäftigungshemmend. Unterhalten Sie sich doch einmal mit den Unternehmerinnen und Unternehmern vor Ort! ({2}) Das neue Betriebsverfassungsgesetz belastet die Unternehmen, ohne für die Beschäftigten greifbare Vorteile zu bringen. ({3}) - Da ist nichts lachhaft. Sie können Wahrheiten nicht ertragen, lieber Kollege Dreßen. ({4}) Machen wir einmal weiter: Die Maßnahmen Ihres so genannten Job-AQTIV-Gesetzes bleiben doch wirkungslos. Sie verpuffen und sind insgesamt sogar kontraproduktiv. Das JUMP-Programm floppt. Sage und schreibe nur 16,8 Prozent der Frauen, die an entsprechenden Maßnahmen teilgenommen haben, finden nach deren Abschluss überhaupt eine Arbeit. Das nennen Sie erfolgreiche Beschäftigungspolitik für Frauen! ({5}) Im Job-AQTIV-Gesetz tritt die verfehlte Politik ja ganz besonders deutlich zutage. Dieses Gesetz greift nämlich nicht. Die als Wunderwaffen gepriesenen neuen Instrumente werden, wenn überhaupt, nur vereinzelt eingesetzt. Die neu festgelegten Förderquoten - Sie haben es schon erwähnt - können sich bei strikter Anwendung Ihres Gesetzes sogar nachteilig für Frauen auswirken. 53 Arbeitsämter müssten nach Ihrem Gesetz weniger Frauenförderung als bisher betreiben. Das betrifft zum Beispiel Arbeitsmarktregionen wie Hamburg, die strukturell eine niedrige Frauenarbeitslosigkeit vorweisen. Ich kann Ihnen nur sagen: Es bleibt zu hoffen - da bin ich ganz zuversichtlich -, dass diejenigen, die vor Ort Sachverstand in den Arbeitsämtern besitzen, solche unsinnigen Regelungen erst gar nicht umsetzen werden. ({6}) Die Liste Ihrer Versäumnisse ließe sich beliebig weiterführen. Besonders das Thema Wiedereinstieg in den Beruf zeigt beispielhaft Ihre ideologischen Scheuklappen. ({7}) Die Diskussion heute hat es ja wieder einmal bestätigt. Uns ist es wichtig, dass Frauen und Männer, die sich für eine gewisse Zeit - durchaus auch ausschließlich - der Familienarbeit gewidmet haben, einen erfolgreichen Wiedereinstieg in den Beruf schaffen können. Aber dieser Lebenslauf kommt ja in Ihrem Leitbild, das ausschließlich auf die durchgängige Erwerbstätigkeit beider Elternteile baut, überhaupt nicht vor. ({8}) Wir werden eine umfassende Reform der Arbeitsmarktpolitik in Angriff nehmen. Diese soll die Anreize zur Aufnahme von Arbeit durchgehend verbessern und die Wirksamkeit der einzelnen Maßnahmen entscheidend erhöhen. ({9}) Meine Damen und Herren, unser Offensiv-Gesetz bietet Perspektiven, vor allen Dingen für Frauen. Wir müssen auch Neues wagen, um überhaupt mehr erreichen zu können. Für uns steht im Vordergrund, die Erwerbstätigkeit des Einzelnen gezielt zu fördern und nicht seine Arbeitslosigkeit zu finanzieren, wie Sie das anscheinend lieber tun. ({10}) Dabei wird der Zusammenführung von Betreuung, Qualifizierung, Vermittlung und Leistungsgewährung in der Hand von Vermittlungsagenturen eine zentrale Bedeutung zukommen. Mit solchen Job-Centern wird nämlich stärker als bislang gewährleistet werden, dass bei der Arbeitsvermittlung auch auf die individuelle Situation von Frauen mit Kindern eingegangen wird, insbesondere auf die von Alleinerziehenden. Machen wir uns doch nichts vor: Arbeit muss sich wieder lohnen, auch für Frauen. ({11}) Es müssen Anreize geschaffen werden, damit der so genannte Niedriglohnbereich für Frauen und Männer wieder attraktiver wird. ({12}) Sonst entwickelt sich die Sozialhilfe zu einem Lebensstil. Dies darf und kann nicht sein, vor allem nicht bei Frauen. Viele Frauen erhoffen sich trotz dieser schwierigen Situation auf dem Arbeitsmarkt einen Neuanfang. Diesen Neuanfang erhoffen sich Frauen in Deutschland mit der Union. Es ist Zeit für Taten. Herzlichen Dank. ({13})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Als letzte Rednerin zu diesem Tagesordnungspunkt hat jetzt die Kollegin Marlene Rupprecht von der SPD-Fraktion das Wort.

Marlene Rupprecht (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003000, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Der Antrag, den wir heute Abend beraten, fügt sich in das, was die Union in letzter Zeit vorgelegt hat, nämlich lauter Bausteine für eine Zweiklassengesellschaft, nahtlos ein. ({0}) Nichts anderes als ein solcher Baustein ist es. Ich nehme an, dass Sie im Hinblick auf die PISA-Studie repräsentativ sind: Sie haben weder rechnen noch lesen gelernt; ({1}) Sie haben einen Antrag verfasst, aus dem offensichtlich hervorgeht, was Sie wollen. Eigentlich müsste Ihr Antrag nicht heißen „Wiedereinstieg in den Beruf für Frauen erleichtern ...“, sondern: Wiedereinstieg in den Beruf für eine bestimmte Gruppe - Nichtqualifizierte, Sozialhilfeempfängerinnen - von Frauen erleichtern. Nichtqualifizierte und Sozialhilfeempfängerinnen wollen Sie mit allen Mitteln in Arbeit bringen, unabhängig davon, ob das möglich ist oder nicht. ({2}) Ich nehme nicht an, dass Sie sich mit dem Großteil der Frauen in der Bundesrepublik anlegen wollen. Wenn Sie ihnen das, was Sie in diesem Antrag geschrieben haben, dass sie nämlich nicht qualifiziert sind, erzählen, dann werden Ihnen diese Frauen den Antrag um die Ohren hauen. Wenn Sie die Statistiken über die Anzahl der Abiturientinnen und Abiturienten sowie über die Anzahl der männlichen und weiblichen Hochschulabsolventen lesen könnten, dann kämen Sie nicht auf die Idee, zu behaupten, dass Frauen nicht qualifiziert sind. Unsere jungen Frauen und unsere jungen Mütter sind qualifiziert. Für deren Qualifikation müssen Sie nicht sorgen. Oder zielt Ihr Antrag etwa gar nicht auf diese Frauen ab? Das vermute ich stark. ({3}) Ihr zweites Vorhaben ist die Subventionierung mit 600 Euro pro Monat und Kind. Das kann nur auf eine Subventionierung der gut Verdienenden hinauslaufen; denn eine Frau mit einem normalen, durchschnittlichen Einkommen kann mit diesem Geld keine Kinderbetreuung bezahlen. ({4}) Verraten Sie mir bitte, wie das funktionieren soll! Ich halte nichts von Ihrem Angebot von 600 Euro pro Kind und Monat. Vorher haben Sie davon gesprochen, dass Frauen unabhängig von der Anzahl ihrer Kinder drei Jahre lang denselben Betrag bekommen sollen. Jetzt ist nur noch von einem Kind und von einer einjährigen Bezugsdauer die Rede. ({5}) Diese Geschichte haben Sie sich doch nur für die gut Verdienenden ausgedacht, die Sie auch in der Steuerpolitik durch die Absenkung des Spitzensteuersatzes bevorzugen wollen. Sie zielen mit diesem Antrag auf nichts anderes als auf die Schaffung einer Zweiklassengesellschaft, wie Sie sie auch im Gesundheitswesen wollen. ({6}) Auch dort propagieren Sie, dass die Bezieher unterer und mittlerer Einkommen mehr Eigenverantwortung übernehmen sollen, schließlich können sich die Bezieher der höheren Einkommen dank Ihrer Alimentierung mehr Eigenverantwortung problemlos leisten. Ich muss Ihnen sagen: 90 Prozent der Beiträge zur Sozialversicherung werden von den Beziehern unterer und mittlerer Einkommen erbracht. Die Leute sind nicht so blöd, dass sie nicht merken, was Sie mit Ihrem Wahlprogramm eigentlich vorhaben. ({7}) Nicht alle haben in der Schule nicht aufgepasst und das Rechnen nicht gelernt; denn sonst würden sie diese Veröffentlichung des Statistischen Bundesamts nicht anders als Sie interpretieren. Sie beherrschen noch nicht einmal die vier Grundrechenarten. ({8}) Ich muss Ihnen sagen: Wenn Sie einen Wiedereinstieg der Frauen tatsächlich wollten, dann würden Sie alle Frauen berücksichtigen und nicht nur diejenigen, die Sie dadurch beglücken wollen, dass sie ihnen einen Zugang zum unteren Lohnsektor verschaffen. Im Hinblick auf diese Frauen gehen Sie von einem Familienbild aus, das im 19. Jahrhundert angesiedelt ist. Wahlfreiheit gewähren Sie ihnen nämlich nicht, wenn Sie sie in Arbeit zwingen wollen, obwohl keine Kinderbetreuung vorhanden ist. Mit diesem Antrag haben Sie wirklich eine Bruchlandung hingelegt. Mit unserer Steuerreform und unserer Kindergelderhöhung haben wir Familien besser gestellt, was Sie jahrelang nicht getan haben. ({9}) Ich komme aus Bayern. Die CSU hat den Familien dort nicht die Chance gegeben, dass ihre Kinder betreut werden. ({10}) Nachdem Sie nichts getan haben, hat der Kanzler gesagt - das sagen auch wir -: Wir nehmen in den nächsten vier Jahren 4 Milliarden Euro in die Hand, damit etwas initiiert werden kann, wenn die Länder schon selber nicht in die Gänge kommen. ({11}) Wir tun das nicht, weil wir etwas staatlich verordnen wollten, sondern weil in unserem Familienbild alle Platz haben und nicht nur eine ganz bestimmte Klientel. Mit Ihrer Klientel gewinnen Sie übrigens keine Wahl. Sie macht einen viel zu kleinen Teil der Bevölkerung aus. Die Mehrheit der Bevölkerung ist nicht Ihrer Ansicht. Das werden Sie am 22. September erleben. Wir werden unsere Reformpolitik für Familien und Frauen fortsetzen. Ich werde Ihnen erhalten bleiben. Ich habe nicht meine Abschiedsrede gehalten. Gute Nacht. ({12})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Ich schlie- ße die Aussprache. Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf Drucksache 14/8786 an die in der Tagesordnung aufge- führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein- verstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 9 sowie die Zusatz- punkte 8 und 9 auf: 9. a) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung ({0}) zu dem Entschließungsantrag der Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Elfter Bericht zur Entwicklungspolitik der Bundesregierung - Drucksachen 14/6496, 14/8493, 14/9324 Berichterstattung: Abgeordnete Adelheid Tröscher Dr. Angelika Köster-Loßack Joachim Günther ({1}) b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung ({2}) zu dem Antrag der Abgeordneten Brigitte Adler, Adelheid Tröscher, Ingrid Becker-Inglau, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Dr. Angelika Köster-Loßack, HansChristian Ströbele, Kerstin Müller ({3}), Rezzo Schlauch und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN Reformprozess der internationalen Agrarforschung vorantreiben - Drucksachen 14/8000, 14/8973 Berichterstattung: Abgeordnete Brigitte Adler Marlies Pretzlaff Dr. Angelika Köster-Loßack Joachim Günther ({4}) c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung ({5}) zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. R. Werner Schuster, Reinhold Hemker, Horst Kubatschka, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Dr. Angelika KösterLoßack, Hans-Christian Ströbele, Kerstin Müller ({6}), Rezzo Schlauch und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN Sonderprogramm zur breitenwirksamen Nut- zung angepasster, erneuerbarer Energien in den Entwicklungsländern - Drucksachen 14/5486, 14/9307 - Berichterstattung: Abgeordnete Reinhold Hemker Dr. Christian Ruck Dr. Angelika Köster-Loßack Carsten Hübner d) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung ({7}) zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. R. Werner Schuster, Brigitte Adler, Ingrid Becker-Inglau, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Dr. Angelika KösterLoßack, Hans-Christian Ströbele, Antje Hermenau, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN Förderung der Zivilgesellschaft im Norden und im Süden - eine Herausforderung für die Entwicklungszusammenarbeit - Drucksachen 14/5789, 14/9308 Berichterstattung: Abgeordnete Dagmar Schmidt ({8}) Peter Weiß ({9}) Dr. Angelika Köster-Loßack Joachim Günther ({10}) e) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung ({11}) zu dem Antrag der Abgeordneten Dagmar Schmidt ({12}), Adelheid Tröscher, Brigitte Adler, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Dr. Angelika KösterLoßack, Hans-Christian Ströbele, Kerstin Müller ({13}), Rezzo Schlauch und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN Wasser als öffentliches Gut und die Bedeutung von Wasser in der deutschen Entwicklungszusammenarbeit - Drucksachen 14/7484, 14/9310 Berichterstattung: Abgeordnete Dagmar Schmidt ({14}) Dr. Christian Ruck Dr. Angelika Köster-Loßack Carsten Hübner f) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung ({15}) zu dem Antrag der Abgeordneten Reinhold Hemker, Adelheid Tröscher, Brigitte Adler, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Monika Knoche, Dr. Angelika Köster-Loßack, Hans-Christian Ströbele, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN Afrikas neues Denken unterstützen - Drucksachen 14/8859, 14/9311 Berichterstattung: Abgeordnete Reinhold Hemker Dr. Angelika Köster-Loßack Joachim Günther ({16}) g) Zweite und dritte Beratung des von der Fraktion der PDS eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Sicherung der öffentlichen Entwicklungshilfe des Bundes ({17}) - Drucksache 14/8338 ({18}) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung ({19}) - Drucksache 14/9312 Berichterstattung: Abgeordnete Detlef Dzembritzki Dr. Angelika Köster-Loßack Carsten Hübner ZP 8 Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung ({20}) zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Helmut Haussmann, Ulrich Irmer, Joachim Günther ({21}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms Informationstechnologie in den Mittelpunkt der Entwicklungszusammenarbeit stellen - Drucksachen 14/5578, 14/9314 Berichterstattung: Abgeordnete Tobias Marhold Marlies Pretzlaff Dr. Angelika Köster-Loßack Joachim Günther ({22}) ZP 9 Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung ({23}) zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Helmut Haussmann, Ina Albowitz, Hildebrecht Braun ({24}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Umsetzung der von Deutschland beim Millenniumsgipfel übernommenen Verpflichtungen - Drucksachen 14/9055, 14/9419 Berichterstattung: Abgeordnete Adelheid Tröscher Dr. Angelika Köster-Loßack Carsten Hübner Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Stunde vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist es so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Als erste Rednerin hat die Kollegin Adelheid Tröscher von der SPD-Fraktion das Wort.

Adelheid Tröscher (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002822, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist doch schön, zu so später Stunde über Entwicklungspolitik zu sprechen. ({0}) Dass so viele da sind, finde ich ganz besonders gut. ({1}) Wir können uns sehr darüber freuen, dass dieses Thema uns alle so begeistert. Die heutige Debatte bietet eine gute Gelegenheit, über Bilanz und Perspektive der deutschen Entwicklungspolitik zu reden. ({2}) Das Ende des Ost-West-Konfliktes, der in den letzten Jahren beschleunigt voranschreitende Globalisierungsprozess und nicht zuletzt der 11. September haben die Rahmenbedingungen für Entwicklungspolitik entscheidend verändert. Daher muss Entwicklungspolitik für das 21. Jahrhundert als Teil globaler Struktur- und Friedenspolitik verstanden und in enger Zusammenarbeit mit Gesellschaft und Wirtschaft gestaltet werden. Wir haben dies seit 1998 konsequent umgesetzt und können nun zu Recht behaupten, dass sich unsere Politik an den Zielsetzungen von sozialer Gerechtigkeit, wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit, politischer Stabilität und ökologischem Gleichgewicht orientiert. ({3}) - Es ist doch auch so. ({4}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, was wir bei unserer Regierungsübernahme 1998 vorgefunden haben, sah jedoch anders aus. Die Entwicklungspolitik war zu einem Nischenbereich der Politik in Deutschland geraten. ({5}) Der Anteil der öffentlichen Entwicklungshilfe war von 0,48 Prozent im Jahre 1982 - hören Sie gut zu! - auf 0,26 Prozent im Jahre 1998 gefallen, also fast um die Hälfte. Reformen der nationalen wie internationalen Entwicklungszusammenarbeit wurden jahrelang blockiert. Vorhandene Kräfte wurden nicht zielgerichtet eingesetzt und konzentriert. Konfliktprävention und die aktive Gestaltung globaler Strukturen waren Randthemen. Verbesserte Entschuldungsmöglichkeiten der ärmsten Entwicklungsländer waren nicht vorgesehen. ({6}) Die Politik unserer Vorgängerregierung verzettelte sich in zahllosen Einzelprojekten und unzusammenhängenden Sektoren und war geprägt von Perspektivlosigkeit und leider Gottes - ich muss es sagen - auch von Ideenarmut. ({7}) Dies darf sich natürlich nicht wiederholen. Deshalb ist es gut so, dass wir über den 22. September hinaus globale Struktur- und Friedenspolitik gestalten werden - mit klaren inhaltlichen und organisatorischen Reformen und mit mehr Mitteln. Liebe Kolleginnen und Kollegen, da wir heute auch über den Elften Bericht zur Entwicklungspolitik reden, ist es wichtig, das noch einmal darzustellen, was wir in den letzten Jahren erreicht haben, und zwar - dies füge ich ausdrücklich und lobend hinzu - in Zusammenarbeit mit den Nichtregierungsorganisationen, mit den Stiftungen, mit den Kirchen und auch mit der Zivilgesellschaft und der Wirtschaft. Als ich das alles noch einmal durchlas, war ich richtig stolz darauf, was wir in diesen letzten Jahren alles gemacht haben. ({8}) - Ich bitte Sie, jetzt gut zuzuhören. Wie von Bundeskanzler Gerhard Schröder auf dem Millenniumsgipfel angekündigt, haben wir ein nationales Aktionsprogramm zur Halbierung der weltweiten Armut Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms erarbeitet und beschlossen, in dem festgelegt wird, dass die Politik der Bundesregierung der Armutsbekämpfung verpflichtet ist. ({9}) Wir haben auf dem Kölner G-8-Gipfel eine Entschuldungsinitiative angestoßen, mit der es gelungen ist, erweiterte und an das Ziel der Armutsbekämpfung gekoppelte Entschuldungsmöglichkeiten für die ärmsten, hoch verschuldeten Entwicklungsländer zu finden und eine auf die Armutsbekämpfung orientierte Kooperationspolitik von IWF und Weltbank durchzusetzen. Wir haben unser Engagement und die Mobilisierung von Mitteln bei der internationalen Bekämpfung von HIV/Aids verstärkt - und dies nicht nur unter dem Dach der Vereinten Nationen, sondern in Zusammenarbeit mit anderen Partner- und Geberländern wie auch im Rahmen der Kooperation mit der privaten Wirtschaft. ({10}) Wir haben ein Gesamtkonzept erarbeitet, in dem Krisenprävention, Konfliktlösung und Friedenskonsolidierung im Kontext eines erweiterten Sicherheitsbegriffs verstanden werden. Dabei kommt der Entwicklungspolitik und ihrem Beitrag zu politischer, ökonomischer, ökologischer und sozialer Stabilität eine tragende Rolle zu. Wir haben uns für eine gerechte, sozial und ökologisch orientierte Welthandelsordnung eingesetzt, die auch die Interessen der Entwicklungsländer berücksichtigt, etwa bei der „Everything But Arms“-Initiative der Europäischen Union. Wir haben den zivilen Friedensdienst als friedenspolitisches Instrument gestärkt, das den gewaltfreien Umgang mit Konflikten unterstützt. Wir haben uns besonders für einen erfolgreichen Abschluss des Cotonou-Abkommens eingesetzt. Wir haben neue Initiativen für Klimaschutz, für die Bekämpfung der Wüstenbildung, für biologische Sicherheit sowie für die Entschärfung von Konflikten um Wasserressourcen auf den Weg gebracht. Über all diese Punkte hinaus haben wir zahlreiche Maßnahmen ergriffen, die das Ziel haben, Frauenrechte zu stärken, die Menschenrechte zu achten und die zunehmende Spaltung der Welt in Arm und Reich zu verhindern. ({11}) Ich meine, das ist eine exzellente Bilanz für die ersten vier Jahre unserer Entwicklungspolitik. An dieser Stelle danke ich dem Ministerium und der Ministerin, die das Thema Entwicklungspolitik unermüdlich in den Kontext der Politik der Bundesregierung gestellt hat. Sie hat Überzeugungsarbeit geleistet und ist auch Konflikten nicht aus dem Weg gegangen, sondern hat sich aktiv um deren Lösung bemüht. ({12}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, Bilanz bedeutet zugleich Perspektive. Deshalb sagen wir den Menschen auch klar, was wir wollen, was machbar ist und wie wir Zukunft gestalten werden. Denn eines ist klar: Die Globalisierung wird sich weiter beschleunigen; sie wird immer weitere Bereiche erfassen. Ihre Auswirkungen werden für immer mehr Menschen spürbar. Aber wenn sich schon in den Industrieländern, die immerhin auf der Gewinnerseite der Globalisierung stehen, Angst und Unmut breit machen: Wie muss es dann erst den Menschen in den Entwicklungsländern gehen, die Globalisierung eher als Bedrohung empfinden? Johannes Rau sagte in seiner Berliner Rede am 13. Mai 2002: Die Globalisierung fordert uns heraus. Wir müssen und wir können sie politisch gestalten. Das erfordert viel, aber nicht mehr, als wir leisten können. Das müssen wir dann eben auch tun. ({13}) Wir müssen und wollen Armut und Hunger weltweit mindern und durch eine gerechte und solidarische Entwicklung Frieden sichern. Nur so können Krieg, Armutswanderungen und internationaler Terrorismus langfristig und effektiv bekämpft werden. ({14}) Wir setzen uns für die Schaffung einer sozial gerechten Weltwirtschaftsordnung und ihre Umsetzung in den Partnerländern ein, damit die soziale und ökologische Gestaltung der Globalisierung gelingen kann. Die Länder des Südens und des Ostens brauchen eine faire Integration in den Welthandel. Durch eine bessere Beteiligung an den WTO-Strukturen müssen ihre Interessen im Welthandelssystem stärker berücksichtigt werden. Darin werden wir sie unterstützen. ({15}) Die Europäische Union ist für viele dieser Länder der wichtigste Handelspartner. Deshalb muss sie für die ärmsten Entwicklungsländer den freien Zugang zu ihren Märkten sicherstellen. Die von der EU beschlossene Marktöffnung für die 48 ärmsten Entwicklungsländer ist ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung. Im Rahmen der WTO müssen Zölle und Handelsbarrieren für weiter zu verarbeitende Produkte zurückgeführt und gleichzeitig soziale und ökologische Mindeststandards im Welthandel stärker verankert werden. ({16}) Das internationale Ziel, 0,7 Prozent des Bruttosozialproduktes jedes Landes für die Entwicklungszusammenarbeit einzusetzen, gilt nach wie vor. Dieses Ziel werden wir stufenweise umsetzen. Wir werden, wie auf dem EUGipfel in Barcelona verabredet, in Deutschland unseren Beitrag dazu leisten und unseren Anteil bis zum Jahr 2006 auf 0,33 Prozent des Bruttosozialproduktes steigern. ({17}) Wir brauchen Fortschritte bei den globalen Umweltzielen wie der Verminderung des CO2-Ausstoßes und der Sicherung der globalen natürlichen Lebensgrundlagen. Die Reform der internationalen Finanzarchitektur liegt mir sehr am Herzen. Sie ist eine aktuelle Aufgabe der Politik. Auch wegen der ungelösten Verschuldungskrisen vieler Länder muss das internationale Finanzsystem weiterentwickelt werden. Hierzu gehört auch, dass in einem breiten Ansatz alle Instrumente zur Erreichung stabiler und nachhaltig funktionierender internationaler Finanzmärkte geprüft werden. Auch neue Finanzierungsinstrumente müssen wir in die Prüfung einbeziehen. Hierzu gehört für mich die Tobin-Tax. Sie ist sinnvoll für die Finanzmärkte, machbar auf unterschiedlichen Ebenen und erstrebenswert für die Finanzierung von Umwelt und Entwicklung. ({18}) Das Ministerium ist da schon einen sehr guten Weg gegangen, indem es ein Gutachten erarbeitet hat, das so genannte Spahn-Gutachten, das die Einführung einer solchen Steuer als machbar ansieht. ({19}) Nichtregierungsorganisationen, Kirchen und Stiftungen leisten eine wichtige Arbeit. Mit ihren Fähigkeiten und Kenntnissen sind sie unsere wichtigsten Partner bei der Gestaltung der Globalisierung, bei der Bekämpfung von Armut und bei der Friedenssicherung. In enger Kooperation mit diesen Organisationen werden wir das Ziel der einen Welt weiter verfolgen. ({20}) Dabei ist unser entwicklungspolitischer Ansatz von dem Bewusstsein und der Notwendigkeit der sozialen und ökologischen Gestaltung geprägt. Ziel unserer Politik ist es, zur Schaffung menschenwürdiger Lebensverhältnisse aller Menschen beizutragen. Das bedeutet für uns Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten: Wir treten ein für soziale Gerechtigkeit, wirtschaftliche Leistungsfähigkeit, Frieden und Menschenrechte sowie für den Erhalt natürlicher Ressourcen. Die Armutsbekämpfung selbst bleibt überwölbendes Ziel unserer Politik. ({21}) Am 22. September wird auch die Entscheidung getroffen, wie es mit unserer Entwicklungspolitik weitergeht. Die CDU/CSU hat die Mittel für die Entwicklungszusammenarbeit, wie gesagt, in der Zeit von 1982 bis 1998 fast halbiert - ich will nicht sagen: heruntergewirtschaftet; das wäre ein sehr starkes Wort. Dies darf sich nicht wiederholen. Statt mit der Gießkanne zu arbeiten, brauchen wir eine effiziente und zielgenaue Verwendung der uns zur Verfügung stehenden Mittel. Und die FDP? Sie will das BMZ abschaffen. ({22}) So wird man den globalen Herausforderungen in der einen Welt nicht gerecht. ({23}) Deshalb sagen wir mit aller Deutlichkeit: Mit einer Politik von gestern und einem Personal aus der Vergangenheit kann man Zukunft nicht gestalten. ({24}) Wir halten an der Neuausrichtung der deutschen Entwicklungspolitik fest, die in den letzten vier Jahren so erfolgreich war. Sie ist Baustein der globalen Struktur- und Friedenspolitik. ({25}) - Ich glaube alles, was ich sage, und darüber hinaus noch viel mehr, auch das, was ich nicht aufgeschrieben habe. ({26}) Wir werden mit unserer Politik der globalen Verantwortung auch in den nächsten Jahren fortfahren. Dies bedeutet: Wir werden Armut bekämpfen, Frieden sichern und die Globalisierung sozial gerecht und ökologisch gestalten - mit einem starken BMZ und einer zukunftsorientierten, ideenreichen Politik, Frau Albowitz. ({27})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt der Kollege Klaus-Jürgen Hedrich von der CDU/CSU-Fraktion.

Klaus Jürgen Hedrich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000840, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die heute von der Regierungskoalition initiierte entwicklungspolitische Debatte will einen neuen Weltrekord in Oberflächlichkeit und Beliebigkeit aufstellen. Acht wichtige politische Themenstellungen von der Armutsbekämpfung über Agrarforschung, Energie und Wasser bis hin zu Afrika möchte Rot-Grün innerhalb einer Debattenstunde herunterspulen. Aber Ihnen ist das wohl selbst aufgefallen, da Sie einen Debattenpunkt zurückgezogen haben. Diese Vorgehensweise ermöglicht keine seriöse Behandlung dieser so wichtigen Themenstellungen und würdigt diese für Millionen Menschen in den Entwicklungsländern lebensentscheidenden Fragen zu einer minutenweise abzuhakenden Strichliste herab. ({0}) Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion hat sich aus diesem Grunde geweigert, der ohnehin völlig überladenen Tagesordnung eigene Initiativen hinzuzufügen. Wir werden bei anderer Gelegenheit darüber diskutieren. Die Strukturierung der Debatte durch die Regierungskoalition ist geradezu typisch für die vergangenen vier Jahre rot-grüner Entwicklungspolitik. Themen werden völlig willkürlich bzw. je nach dem, worauf sich gerade tagesaktuell das Medien- und Öffentlichkeitsinteresse richtet, ausgewählt und zusammengewürfelt. Die Administration des Ministeriums verkommt zu einem Bürokratisierungsdschungel immer neuer Sonderprgramme, Sonderstäbe und Sonderbeauftragter. Aber Hauptsache, die Ministerin kann sich damit das Interesse einiger Journalisten erhaschen! ({1}) Fernsehkameras und Talkshows ziehen die Leitungsmitglieder des BMZ an wie das Licht die Motten. Wen wundert es, dass immer mehr Beobachter auch aus dem Lager der Nichtregierungsorganisationen und der Kirchen der Ministerin vorwerfen, eine zielgerichtete Entwicklungspolitik sei PR-strategischer Beliebigkeit gewichen und medienwirksames Geklappere genieße Priorität vor konstruktiver Sacharbeit? ({2}) Wen wundert es dann, dass nun sogar in der aktuellen Ausgabe des BMZ-Hofblättchen „E+Z“ ein renommierter Autor für die Abschaffung eines unabhängigen Entwicklungsministeriums und für dessen Integrierung in das Auswärtige Amt plädiert? ({3}) Die Lektüre schmerzt einen umso mehr, wenn man in Rechnung stellt, dass der Autor der ehemalige Parlamentarische Staatssekretär im BMZ, Volkmar Köhler, ist, und wenn man weiß, wie schwer es ihm gefallen sein dürfte, sich angesichts der frustrierenden rot-grünen Entwicklungsrealität zu dieser Konsequenz durchzuringen. ({4}) Die Realität ist wahrlich bedrückend. Zentrales Thema ist sicherlich die mangelnde Mittelausstattung des BMZ. Während im Regierungsprogramm von RotGrün - Frau Tröscher, darauf sind Sie überhaupt nicht eingegangen - noch von einem Stopp und dem Umkehr des Abwärtstrends die Rede war, heißt es nun kleinlaut, der Abwärtstrend solle gestoppt werden. ({5}) Faktisch wurde er aber beschleunigt. Noch nie ist der Etat des BMZ so stark prozentual beschnitten worden wie von dieser rot-grünen Bundesregierung. Im aktuellen Wahljahr wird dies zwar teilweise durch Antiterror- und Armutbekämpfungsmittel kaschiert. Diese werden allerdings nur ausnahmsweise, nämlich nur 2002, zur Verfügung stehen. ({6}) Der Kernetat ist jedoch weiter deutlich reduziert worden und droht auch im nächsten Jahr unter die Räder zu geraten. Es verdichten sich die Anzeichen dafür, dass Finanzminister Eichel beim Entwicklungsetat 2003 wieder kräftig den Rotstift tanzen lassen wird. Wenn dies so sein sollte, wäre dies in der langen Kette von Rot-Grün gebrochenen Versprechen ein neuer negativer Höhepunkt. Die Glaubwürdigkeit Deutschlands wäre kurz nach den finanziellen Zusagen auf der Konferenz in Monterrey und kurz vor dem wegweisenden Weltgipfel für nachhaltige Entwicklung in Johannesburg, Rio + 10, völlig beschädigt. Angesichts der sich andeutenden Kürzungsentscheidung warne ich die rot-grüne Bundesregierung davor, aus dem internationalen Konsens hinsichtlich unserer Verantwortung für eine globale, nachhaltige Entwicklung auszuscheren und hiermit das Ansehen unseres Landes gravierend zu beschädigen. ({7}) Frau Staatssekretärin, da Sie die nächste Rednerin sind, möchte ich Sie hiermit ganz offiziell auffordern, dem Hause heute Abend zu erklären, dass es im Entwicklungsetat keine Kürzungen geben wird. Heute sollten Sie es eigentlich wissen. ({8}) Wenn Sie sich heute weigern, zu erklären, dass der Entwicklungsetat nicht gekürzt wird, dann werden wir selbstverständlich von einer solchen Kürzung ausgehen. Sie können es jetzt und nicht irgendwann später korrigieren. ({9}) Hinzu kommt, dass die reduzierten Mittel immer schlechter verwaltet werden. Trotz sinkender Mitarbeiterzahlen werden die Gelder ständig auf neue, zusätzliche Töpfe und auf Sonderprogramme verteilt, was einen hohen koordinatorischen Aufwand und eine Abnahme der Flexibilität bei der Programmdurchführung nach sich zieht. Betrachten wir beispielsweise die Antiterrormittel, die Afghanistansondermittel oder die Sondermittel für Armutsbekämpfung: Diese Zersplitterung ist teilweise hausgemacht. Teilweise beruht sie auch auf mangelndem Widerstand gegen den auf internationaler Ebene zu verzeichnenden Sondertopfaktionismus. Wie oft war uns doch nun von der Ministeriumsleitung angekündigt worden, man würde sich auf internationaler Ebene konsequent für mehr Koordinierung, Straffung und Reform der multilateralen EZ einsetzen! Was ist davon übrig geblieben? - Nichts dergleichen. Hinzu kommt nämlich ein völlig zerrüttetes Verhältnis zwischen AA- und BMZ-Leitung, mit der Konsequenz mangelnder gegenseitiger Unterstützung bei Intervention auf supra- und multilateraler Ebene. ({10}) Übrigens muss ich hier die Leitung des BMZ sogar etwas in Schutz nehmen. Anscheinend ist es so, dass die Leitung des Auswärtigen Amtes Angst vor einer gewissen InKlaus-Jürgen Hedrich ternationalisierung mehrerer Politikbereiche als der klassischen Diplomatie hat. Man hat Angst um seine eigenen Pfründe. Aber das kann nicht im Interesse der Außenvertretung Deutschlands liegen. Hier geht es darum, eine kohärente Politik zu machen. Die findet nicht statt. Ich möchte Ihnen aber auch noch ein paar Punkte vortragen, bei denen man feststellen kann, dass Ankündigung und Umsetzung ziemlich auseinander klaffen. Ich nenne am Anfang das harmloseste Beispiel. Das Paradeprojekt am Anfang dieser Legislaturperiode war der zivile Friedensdienst. Es ist geradezu auffällig - ich bedanke mich bei Frau Kollegin Tröscher, dass das überhaupt noch erwähnt wurde -, dass das völlig aus dem Blickpunkt der eigenen Regierung verschwunden ist. Aber wie sieht dieser Dienst zum Beispiel für ein Land wie Indonesien mit über 200 Millionen Einwohnern aus? Da schickt man einen so genannten Friedensdienstler hin. Man kann sich durchaus über das Instrument unterhalten. Sie haben doch immer von Konzentration geredet. Hier wäre es wirklich angebracht, konzentriert Kräfte einzusetzen, um zur Krisenprävention und Krisenvorsorge beizutragen. Sie streuen aber sozusagen die 60 Mitarbeiter, die es heute gibt, nur über die ganze Welt. Ein zweites Beispiel. Ich nenne nur das Stichwort Kuba: Mit großer Show wurde ein Beitrag zur Öffnung des Systems angekündigt. Meine sehr verehrten Damen und Herren, haben Sie von der Bundesregierung und von der Leitung des BMZ in den letzten Wochen und Monaten überhaupt einmal wieder etwas über Kuba gehört? Bis heute ist nicht eine einzige Programmvereinbarung zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Kuba unterzeichnet worden, (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sind Sie dafür? und zwar schlicht und ergreifend deshalb, weil das System nicht willig ist, zu einer solchen Vereinbarung zu kommen. Ich nenne auch noch ein drittes Beispiel; das ist ein besonders eklatanter Fall. Die Ministerin hat - ebenfalls mit großem Aufwand - ein so genanntes Konzentrationspapier vorgelegt. Die Entwicklungszusammenarbeit sollte auf 70 Entwicklungsländer begrenzt werden. Heute ist von diesem Vorhaben nichts übrig geblieben: Es sind 102 Länder; die Zahl ist immer weiter erhöht worden. Damit das aber nicht so auffällt, hat man zum Beispiel ein Entwicklungsland namens Zentralasien erfunden. Dabei wird nicht erwähnt, dass es sich um 5 Länder handelt; das würde die Zahl möglicherweise noch problematischer erscheinen lassen. Manche Partnerländer tauchen in der Liste gar nicht auf; dafür stehen sie aber in der Fußnote. Das wird schlicht und ergreifend übersehen. Ich kann nur sagen: Herr Minister Spranger hatte 86 Prozent seiner Mittel für die Entwicklungshilfe auf 40 Länder konzentriert. Das wurde diplomatisch geschickt und sensibel gehandhabt und nicht nach Klassifizierung von Ländern, die außenpolitisch gesehen nur Schaden angerichtet hat. Wir können heute nur feststellen: Dieses Konzept ist gescheitert. Wir fordern die Bundesregierung auf, es zurückzuziehen. Es ist aber eigentlich nicht mehr notwendig, dass das geschieht, da wir das nach dem 22. September schon entsprechend erledigen werden. ({11}) Dann das letzte Beispiel. Es gehört schon ein bisschen Mut von der Kollegin Tröscher dazu, hier ausgerechnet noch das Aktionsprogramm 2015 zu erwähnen, das mit großer Show angekündigt wurde. Dazu wurden alle möglichen Punkte aufgelistet, über die man sich unterhalten kann, die aber nichts Neues enthalten. Am Textende steht lapidar der Satz, dass das Ganze durch einen Umsetzungsplan verwirklicht wird. Das war vor eineinhalb Jahren. Der Umsetzungsplan sollte nach drei Monaten vorliegen; aber bis heute hat das Ministerium ihn nicht vorgelegt. Auch hier zeigt sich wieder: Es gab Ankündigungen und Shows, aber keine Umsetzungen. Ich möchte deshalb zum Schluss noch bemerken: Ich bin durchaus der Auffassung, dass wir auch andere Politikbereiche in die Aufgabenstellung des BMZ integrieren müssen. Aber die Bundesregierung muss sich darauf verständigen, wie und wo sie ankündigt, was sie will. So fährt Frau Künast zur FAO nach Rom und sagt: Wir konditionieren; nur wer den Hunger bekämpft, erhält Unterstützung. In der EU setzten die Deutschen durch - das ist wenig genug -, dass diejenigen, die korrupt sind, kein Geld erhalten. Im Konzept des BMZ heißt es: Nur wer die Armut bekämpft, bekommt Geld. Dass diese grundsätzlichen Aspekte alle einen inneren Zusammenhang haben, ({12}) wird zumindest in der Politik der Bundesregierung nicht deutlich. Das ist ein entscheidendes Problem. Die Frage, wer eigentlich noch Geld bekommt, ist in der Tat berechtigt. ({13}) Deshalb möchte ich noch einen Punkt aufgreifen. Sehr verehrte, geliebte Kollegin Frau Tröscher, ({14}) selbst die Ministerin war in der letzten Ausschusssitzung bereit, einzuräumen, dass es seit 1979 Entschuldungen gibt. Schuldenerlasse gab es schon unter der Regierung Schmidt ({15}) und zogen sich bis zur heutigen Regierung durch. Das ist völlig unstrittig. Was wir Ihnen vorwerfen, ist die Tatsache, dass Sie mit Showeffekten durch die Welt ziehen, ein Land wie Uganda als Beispiel nehmen und sagen, es habe eine positive Bilanz, weil es 35 Millionen in den offiziellen Haushalt zur Armutsbekämpfung eingesetzt hat. Nur wenige machen sich wirklich darüber Gedanken, dass Herr Museveni, der Präsident dieses Landes, gleichzeitig durch die Ausplünderung von Rohstoffreserven im Ostkongo sein Militär finanziert, das in keinem Haushalt auftaucht. Solange wir solche Länder unterstützen oder zumindest die Dinge nicht beim Namen nennen, sollten wir uns davor hüten, ein Land wie Uganda als ein besonders positives Beispiel für die Entschuldungspolitik zu nennen. Darüber sollten wir uns wenigstens einig sein. Herzlichen Dank. ({16})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Frau Kollegin Tröscher, mir ist soeben erst signalisiert worden, dass Ihre vorhin gehaltene Rede Ihre letzte Rede in diesem Hause war. Ich möchte mich daher auch bei Ihnen im Namen der Mitglieder des Hauses für die gute Zusammenarbeit herzlich bedanken und Ihnen alles Gute für die Zukunft wünschen. ({0}) Für die Bundesregierung spricht jetzt die Parlamentarische Staatssekretärin Dr. Uschi Eid.

Ursula Eid-Simon (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000454

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vorweg, Herr Kollege Hedrich: Sie brauchen nicht aufgeregt zu sein; denn diese Bundesregierung setzt den Trend, den Sie begonnen haben, nicht fort. Wir werden den Trend vielmehr umkehren und den Einzelplan 23 nicht kürzen, sondern aufstocken. ({0}) Weil wir vor dem G-8-Gipfel stehen, möchte ich zu einem anderen Thema sprechen und darauf hinweisen, dass ich heute auf einer ARD-Videotexttafel über das G-8Außenministertreffen zur Vorbereitung des Gipfels in Kanada folgende Meldung gelesen habe: „Im Mittelpunkt der zweitägigen Konferenz steht unter anderem eine neue Hilfsinitiative für Afrika.“ Ich dachte, ich traue meinen Augen nicht! Denn wir haben im letzten Dreivierteljahr versucht, die Öffentlichkeit systematisch über Charakter und Ziel des Afrika-Aktionsplans zu informieren, den wir am 27. Juni in Kanada beschließen werden. Gleich zu Beginn dieser Debatte stelle ich klar, dass wir keine neue Hilfsinitiative für Afrika vorbereiten, sondern einen Afrika-Aktionsplan, der eine neue Partnerschaft mit dem afrikanischen Kontinent begründen will. Das ist etwas völlig anderes. ({1}) Mit dieser neuen Partnerschaft wollen wir Anstrengungen afrikanischer Politiker unterstützen, dass Afrika gleichberechtigter Akteur auf der weltpolitischen Bühne wird, dass Afrika von internationaler Hilfe unabhängig wird und sich eigenständig ökonomisch entwickeln kann und dass Afrika mit seinen traditionellen Wurzeln Anschluss an die Moderne findet und die Globalisierung zum Vorteil der Menschen auf unserem Nachbarkontinent mitgestaltet. Es muss mit einer Politik Schluss sein, die im Wesentlichen postkoloniale Interessenssphären absteckt. Es muss Schluss sein mit einer Politik, deren gemeinsame Anstrengungen sich hauptsächlich in Hilfsprogrammen erschöpfen und die Afrika immer nur als Opfer und damit schwaches Objekt betrachtet. ({2}) Es muss auch Schluss mit einer Politik sein, die immer erst dann eingreift, wenn die Fernsehbilder die Schreckensnachrichten in die Wohnzimmer tragen. ({3}) Unsere Afrikapolitik muss mehr sein und ist mehr als eine Kombination aus humanitärer Hilfe, Konfliktlösungsbemühungen und Forderungen nach dem Ende der Armut und des Hungers. Deswegen ist es richtig und wichtig, dass die wichtigsten Industriestaaten mit dem Weltwirtschaftsgipfel in Genua im letzten Jahr damit begonnen haben, unsere Afrikapolitik zu koordinieren, unsere Anstrengungen zu bündeln und unsere Ziele gemeinsam zu formulieren. Ebenso wichtig ist, dass die Europäisierung der Afrikapolitik fortschreitet, wie wir es bei der letzten Ratstagung im Hinblick auf den Rio-plus-Zehn-Gipfel in Johannesburg beschlossen haben. Afrika wird auch bei diesem Gipfel in Johannesburg eine wichtige Rolle spielen. Die großen afrikanischen Wälder sind öffentliche Güter, an deren Erhalt wir ein großes Interesse haben. ({4}) Sie werden zum Beispiel durch den Raubbau an Holz oder an Rohstoffen wie Gold, Diamanten und Coltan bedroht. Diese schrankenlose Ausbeutung, die die letzten afrikanischen Urwälder bedroht, muss in unserem eigenen Interesse beendet werden. ({5}) Wir stehen bislang nicht untätig daneben; aber unsere Anstrengungen müssen sich vervielfältigen. Meine Fraktion Bündnis 90/Die Grünen stimmt mit Greenpeace überein, dass wir eine internationale Initiative für den afrikanischen Wald brauchen. ({6}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, zum ersten Mal ist Afrika offizielles Thema eines G-8-Wirtschaftsgipfels. Die Staats- und Regierungschefs der wichtigsten Industriestaaten unterstützen damit eine Initiative reformorientierter afrikanischer Politiker, die Afrikas Entwicklung vorantreiben wollen, die Eigenverantwortung übernehmen, die eine klare Fehleranalyse afrikanischer Politik auf den Tisch legen, die aber auch bereit sind, sich einem gegenseitigen Beurteilungsverfahren zu unterwerfen, um die eigenen Fehler und Schwächen zu identifizieren und selber zu korrigieren. Wenn es die Regierungen Afrikas mit dieser neuen Partnerschaft ernst meinen - abgekürzt NEPAD, New Partnership for Africa’s Development -, dann werden wir dies auch unterstützen. ({7}) Die Voraussetzungen dafür sind klar: verantwortungsvolle Regierungspolitik, Rechtsstaatlichkeit, Respektierung der Menschenrechte und bürgerliche Freiheiten. Denn nur die Beteiligung der Menschen an den politischen Entscheidungen, die Verteilung politischer und wirtschaftlicher Macht auf vielen Schultern sowie freie Meinungsäußerung und Organisationsfreiheit beseitigen Korruption und Klientelwirtschaft und bringen Eigeninitiative hervor, die für die gesellschaftliche und wirtschaftliche Entwicklung eines Landes notwendig ist. ({8}) Ich begrüße deshalb sehr, dass gute Regierungsführung an oberster Stelle der afrikanischen Entwicklungsinitiative steht. Die Initiative von Nichtregierungsorganisationen und des bekannten Unternehmers George Soros zur Bekämpfung der Korruption in Afrika passt haargenau in dieses neue afrikanische Denken. Unternehmen wie Bergbau- und Erdölgesellschaften, die am Abbau von Bodenschätzen beteiligt sind, sollen die Höhe ihrer Zahlungen an nationale Regierungen offen legen, damit die Bürgerinnen und Bürger sowie die Parlamente ihre Regierungen kontrollieren können. Nur so kann garantiert werden, dass der Reichtum eines Landes auch gerecht verteilt wird. ({9}) Wir wollen und brauchen ein starkes Afrika. Ich bin überzeugt: Afrika kann stark werden. Voraussetzungen sind, dass Frieden und Stabilität hergestellt werden, dass Afrika sein riesiges wirtschaftliches und kulturelles Potenzial ausschöpft, dass die Menschen ihre Kreativität freiheitlich entfalten können und dass Rahmenbedingungen für eine ökologische und soziale Marktwirtschaft geschaffen werden. In der Juni-Ausgabe der „Kunstzeitung“ las ich heute, dass der afrikanische Kontinent mit der Documenta 11 unter der Leitung des Nigerianers Okwui Enwezor in eine neue Phase kultureller Bewusstwerdung eintritt. Mit der neuen Partnerschaft für Afrikas Entwicklung hat der Kontinent eine weitere Chance, nämlich die, in eine neue Phase politischer Selbstbestimmung und Eigenverantwortung sowie in unabhängige ökonomische Entwicklung einzutreten. Wir, die G-8-Staaten, unterstützen mit unserem Afrika-Aktionsplan die Reformkräfte Afrikas bei diesem Unterfangen. Ich danke Ihnen. ({10})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Als nächste Rednerin hat das Wort die Kollegin Ina Albowitz von der FDP-Fraktion.

Ina Albowitz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000022, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! In diesem Hause sind in den letzten vier Jahren viele Reden gehalten und viele Versprechungen zur Entwicklungspolitik abgegeben worden. ({0}) Es wurde damit der Eindruck erweckt, als sei die entwicklungspolitische Zusammenarbeit das zentrale Anliegen dieser Regierung. Doch wie sieht die Bilanz nach vier Jahren rot-grüner Entwicklungspolitik tatsächlich aus? ({1}) Erinnern wir uns an die erste Ausschusssitzung, in der die Ministerin ausführlich ihre Vorhaben der entwicklungspolitischen Zusammenarbeit und der deutschen Entwicklungspolitik insgesamt vortrug. Es ging um eine Bündelung der Aufgaben, also von der Federführung für Lomé beim BMZ bis hin zum gesamten Bereich der Transformationsprogramme für Osteuropa. Auch Teilbereiche, die verstreut in anderen Ministerien angesiedelt waren, sollten in ihr Haus zurückkehren. Entwicklungspolitik sollte dadurch, so der Koalitionsvertrag, eine Aufwertung und Erweiterung zu einer globalen Strukturpolitik erfahren. Gemessen an diesen Ankündigungen ist das Ergebnis mager und die Entwicklungspolitik hat nicht nur an Substanz, sondern auch an Glaubwürdigkeit verloren. ({2}) Nach wie vor müssen 1,2 Milliarden Menschen in den Entwicklungsländern, ein Viertel der Weltbevölkerung, mit weniger als einem Dollar pro Tag auskommen. Das reicht häufig nicht einmal zur persönlichen Ernährung, geschweige denn zur Ernährung einer ganzen Familie aus. Hunger und Armut sind die traurigen Folgen. Weltweit hungern täglich 800 Millionen Menschen. Dieses Schicksal, meine Kollegen, darf uns nicht egal sein. ({3}) Um diese Zahl deutlich zu reduzieren, müssen bis zum Jahr 2015 jährlich 20 Millionen Menschen mehr ausreichend ernährt werden. Deshalb will die UN-Organisation für Ernährung und Landwirtschaft ihre Mitgliedsländer in Rom noch einmal auf dieses Ziel verpflichten. Nach Ansicht der FAO kann dies jedoch nicht erreicht werden, sollte die Entwicklung in der Landwirtschaft und in der Welternährung so weiterlaufen wie bisher. Hunger und Unterernährung erzeugen weitere Probleme, die zusammen einen scheinbar nicht zu durchbrechenden Teufelskreis ergeben. Absolute Armut und steigende Bevölkerungszahlen auf voraussichtlich 7 Milliarden Menschen bis zum Jahr 2015 bedrohen den Frieden und die Sicherheit, verursachen weltweite Flüchtlingsströme, belasten die Umwelt und beeinträchtigen den Aufbau rechtsstaatlicher und marktwirtschaftlicher Strukturen in den Entwicklungsländern. Der weltweite Kampf gegen den Terror hat den hohen politischen Stellenwert der wirtschaftlichen Zusammenarbeit besonders deutlich gemacht. In diesem Zusammenhang muss sich auch Entwicklungspolitik strategisch erneuern und einen maßgeblichen Beitrag zur Beseitigung von sozialen, wirtschaftlichen und politischen Missständen leisten. Dies bedeutet im Übrigen neben zusätzlichen finanziellen Leistungen eine Zusammenführung der politischen Verantwortung für die Außen- und die Entwicklungspolitik, Frau Ministerin, eine strukturelle Neuausrichtung auf effiziente multilaterale Zusammenarbeit, aber auch eine an der Armutsbekämpfung orientierte Schwerpunktsetzung. Diese Kombination führt auf der einen Seite zu einer Strategie der Krisenprävention, auf der anderen Seite hilft sie dort, wo Hilfe wirklich benötigt wird. Lassen Sie mich anhand einiger Beispiele kurz schildern, wie die Bundesregierung ihre entwicklungspolitischen Vorhaben umgesetzt hat; der Kollege Hedrich ist eben auch schon darauf eingegangen. Auf dem Millenniumsgipfel der Vereinten Nationen im September 2000 in New York haben sich 146 Staats- und Regierungschefs darauf geeinigt, die extreme Armut dieser Welt bis 2015 zu halbieren. Gerhard Schröder, der noch amtierende deutsche Bundeskanzler ({4}) - ich kann auch sagen: der noch kurz amtierende Bundeskanzler -, ({5}) hat sich dieser Initiative mit großen Worten angeschlossen. Im April 2001 folgte das „Aktionsprogramm 2015“, der Beitrag der Bundesregierung zur weltweiten Halbierung extremer Armut. In diesem Programm verpflichtete sich die Bundesregierung unter anderem dazu, mehr Mittel für die Armutsbekämpfung zu mobilisieren, die Finanzsysteme in den Entwicklungsländern verstärkt zu unterstützen und die wirtschaftliche Dynamik in den betroffenen Ländern zu erhöhen. Die Liste dieser guten Vorsätze, bei denen wir mit vielen von Ihnen einig sind, ließe sich um weitere 72 Aufzählungen fortsetzen. Das erspare ich Ihnen allerdings hier. Wichtig ist, dass alle diese Maßnahmen anhand eines „Umsetzungsplanes“ realisiert werden sollten. Doch damit nicht genug: Neben den konkreten Schritten sollten sogar die jeweiligen Verantwortlichen benannt werden. Klingt, meine Damen und Herren, sehr nach „Chefsache“. Und tatsächlich zeigen sich hier einige Parallelen zu anderen Vorgängen der Bundesregierung. Denn bis heute liegt ein derartiger Umsetzungsplan mit konkreten Angaben unter anderem über die Finanzierung nicht vor; die OECD mahnt das in dem heute vorgelegten Bericht auch deutlich an. Große Worte, denen leider keine Taten folgten! ({6}) Deshalb fordere ich Sie jetzt nachdrücklich von hier aus noch einmal auf, umgehend einen Finanzierungs- und Umsetzungsplan vorzulegen. Ein weiteres Beispiel ist der Global Aids and Health Fund, eine große Initiative von Kofi Annan aus dem Jahre 2000. Der Bundeskanzler hat wieder einmal versprochen, eine erhebliche Summe, rund 150 Millionen Euro, in diesen Fonds einzuzahlen. Doch bis heute ist diese Summe nicht in den Haushaltsplan 23 eingestellt. Wie war das mit den Versprechen, meine Damen und Herren, vor vier Jahren? In diese traurige Tradition von nicht gehaltenen Zusagen reiht sich die Entwicklung der zur Verfügung stehenden Mittel für Entwicklungshilfe nahtlos ein: Entgegen den während des Millenniumsgipfels übernommenen Verpflichtungen, die Mittel für die entwicklungspolitische Zusammenarbeit zu erhöhen, ist das Haushaltsvolumen gesunken. Ungeachtet der Sonderzuweisungen für die Aufbauhilfe in Afghanistan und für die Terrorismusbekämpfung belaufen sich die Kürzungen in diesem Jahr auf 5,3 Prozent. Deutschland liegt mit einer ODA-Quote von 0,27 Prozent erheblich unter dem von der Europäischen Union mittelfristig angestrebten Durchschnittswert von 0,33 Prozent. Auch hier wäre wohl ein blauer Brief angebracht. Zum Glück für die amtierende Regierung ist diese Vereinbarung auf EU-Ebene nicht vertraglich bindend. Frau Ministerin, wenn es stimmt, was heute in der „Berliner Zeitung“ verkündet wurde, nämlich dass aus Ihrer Fraktion gegenüber Herrn Eichel geäußert wird, nirgendwo sei festgeschrieben, dass der Entwicklungsetat schon 2003 steigen müsse, kann ich nur sagen: Wahrscheinlich haben Sie in der Opposition mehr Freunde als in Ihrer eigenen Partei. ({7}) Meine Damen und Herren, Steuererhöhungen oder gar das Einführen neuer Steuern, wodurch sich die Bundesregierung zur Abwechslung einmal auszeichnet, können hier auch keine Abhilfe schaffen. Frau Wieczorek-Zeul, die von Ihnen wieder angestoßene Debatte über die Tobin-Tax ist ein solches Beispiel. Aber mit solchen Entlastungsmodellen wird den leidgeprüften Menschen in den Entwicklungsländern in keiner Weise geholfen. ({8}) Vielmehr dienen sie nur zur Ablenkung von den eigentlichen Problemen: der Unfähigkeit der Bundesregierung, sinnvolle Programme und Initiativen umzusetzen. ({9}) Meine Damen und Herren, ich würde gern einen Punkt ansprechen, an dem wir alle gemeinsam beteiligt sind, nämlich die Aneinanderreihung von Debatten und Gipfeln: WTO-Konferenz in Doha, VN-Konferenz in Monterrey, jetzt die Konferenz in Rom und im September die in Johannesburg - um nur die großen Gipfel zu nennen. Der Nutzen dieses Konferenztourismus steht leider in keinem Verhältnis zum Aufwand. ({10}) Immer wieder werden den Entwicklungsländern Hoffnungen gemacht, gute Absichten bekundet und Initiativen versprochen, allerdings nur in der Theorie; denn praktisch sind so gut wie keine Fortschritte zu verzeichnen. Manchmal wäre weniger mehr. Die Ärmsten auf dieser Welt brauchen weder Endloskonferenzen mit gut gemeinten Deklarationen noch die Ankündigung von neuen Steuern. Sie brauchen Chancengleichheit und unsere Unterstützung. Vielen Dank. ({11})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt der Kollege Carsten Hübner von der PDS-Fraktion.

Carsten Hübner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003154, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Dass der Haushalt die in Zahlen gegossene Politik ist, war eines der ersten Dinge, die ich gelernt habe, als ich im Bundestag anfing. Sie werden es mir deswegen nachsehen, dass ich mich heute im Wesentlichen auf die Finanzierung der öffentlichen Entwicklungszusammenarbeit beziehen werde, zumal dies einer der wenigen Punkte in der Koalitionsvereinbarung war, zu denen eine deutliche Aussage seitens der Bundesregierung und der sie tragenden Fraktionen getroffen wurde: Nicht zuletzt weil die Entwicklungszusammenarbeit ein wesentliches Element der globalen Strukturpolitik sei, werde es zu einer deutlichen Trendwende kommen, die finanziell untersetzt werden müsse. Es ist schwer zu beschreiben, mit welcher Stimmung man ans Rednerpult geht, wenn man zu diesem Thema spricht. Denn auch mit Blick auf die internationalen Konferenzen weiß man eigentlich nur von Rückschlägen zu berichten: Die Finanzierungskonferenz in Monterrey ist im Wesentlichen in die Hose gegangen und der Welternährungsgipfel, der heute in Rom zu Ende gegangen ist, wird allseits als Niederlage eines zukunftsfähigen Entwicklungsmodells für alle Menschen charakterisiert und entsprechend kommentiert. Wir ziehen heute Bilanz und können insbesondere dann, wenn man es an den blanken Zahlen misst, eben nicht feststellen, dass die versprochenen Ankündigungen auch nur im Ansatz wahr gemacht wurden. International gesehen - die Bundesrepublik macht dabei keine Ausnahme - ist die Finazierung der Entwicklungszusammenarbeit auf einem historischen Tiefststand. Am besten lässt sich das durch die Angabe charakterisieren, dass in den entwickelten Staaten zehnmal mehr für Rüstung als für Entwicklung ausgegeben wird. Geredet wird natürlich viel: über die Wichtigkeit der Entwicklung, die Notwendigkeit einer friedlichen Gestaltung der Welt und Ähnliches. Sobald es aber daran geht, diese Worte in Zahlen zu gießen, mangelt es an Taten und konkreten Umsetzungen. Es ist wahr: 1998 betrug der Anteil des Entwicklungsetats am Bruttosozialprodukt 0,26 Prozent. Die Trendumkehr, die hier beschrieben worden ist, hat dazu geführt, dass er nach vier Jahren auf genau 0,27 Prozent - das sind 0,01 Prozent mehr - angewachsen ist. Bereinigt um das, was in den Haushalt transferiert worden ist, inklusive der zu erfüllenden Aufgaben, nämlich zum Beispiel im Zusammenhang mit dem Transformprogramm für die GUSStaaten und der Hilfe für Südosteuropa, liegt der Etat deutlich unter dem des letzten Haushalts der Kohl-Regierung. ({0}) Das muss man, weil es wahr ist, hier einfach sagen. ({1}) Das Trauerspiel setzt sich fort: Die Ankündigung, die Entwicklungsleistungen der öffentlichen Hand bis 2006 auf 0,33 Prozent zu erhöhen, bedeutet zunächst einmal nichts anderes, als immer noch 0,06 Prozent unter dem zu bleiben, was die EU insgesamt vereinbart hat. Das heißt, diese Erhöhung, die minimale Schritte beinhaltet, bleibt noch um 0,06 Prozent hinter der Ankündigung und den Verpflichtungen der anderen EU-Staaten zurück. Ich habe es des Öfteren vorgerechnet und bereits in der letzten Sitzung gesagt, muss es Ihnen aber auch dieses Mal wieder vorhalten: Eine gleichbleibende Steigerungsrate vorausgesetzt, bedeutete dies, dass wir die vor 30 Jahren international vereinbarte Verpflichtung von 0,7 Prozent genau in weiteren 30 Jahren umgesetzt haben werden. Das heißt, als eines der reichsten Länder hätten wir trotz Massenarmut und Elend überall in der Welt - das bestreitet ja niemand - 60 Jahre gebraucht, um dieser Verpflichtung nachzukommen. Ich habe noch ein zweites Bedenken bezüglich dieser 0,33 Prozent. Ich gehe nämlich davon aus, dass es tatsächlich keine zusätzlichen Mittel sind, ({2}) sondern dass umgerechnet wird: Mittel und Leistungen, die von der Bundeswehr in Auslandseinsätzen aufgewendet und erbracht werden, werden auf Entwicklungshilfeleistungen angerechnet. ({3}) Das tun andere Länder ungerechtfertigterweise auch. Auf eine Nachfrage im Ausschuss ist mir geantwortet worden, dass das international durchaus nichts Neues ist. Ich befürchte, dass auch die Bundesregierung diesem Modell nacheifern wird. Ich habe nicht gehört, dass bei Finanzminister Eichel in den letzten Monaten ein entwicklungspolitisches Umdenken oder generell eine besondere Milde eingekehrt wäre. Ich gehe davon aus, dass solche Rechentricks stattfinden werden. Liebe Kolleginnen und Kollegen, das ist meine letzte Rede zur Entwicklungspolitik in diesem Hohen Haus. Einige mag dies freuen. Ich jedenfalls möchte deutlich machen, dass mir die Zusammenarbeit mit den allermeisten Kollegen ziemlich gut gefallen hat und ich viel habe lernen können. Ich sage es einmal so: Ich möchte euch allen für die letzten vier Jahre danken. Ich bin sicher, dass wir uns wiedersehen. Danke schön. ({4})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Kollege Hübner, ich danke auch Ihnen im Namen des Hauses für Ihre Mitarbeit in diesem Hohen Hause und wünsche Ihnen für die Zukunft alles Gute. ({0}) Das Wort hat jetzt die Kollegin Dagmar Schmidt von der SPD-Fraktion.

Dagmar Schmidt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002780, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Herr Hedrich, ich will auf Ihre Tiraden nicht groß eingehen, sondern dazu nur so viel sagen: Ich habe das Heft, aus dem Sie zitiert haben, anders gelesen. Ich denke, ich liege mit meiner Beurteilung, dass Sie eine selektive Wahrnehmung haben, richtig. Hoffentlich heißt dies nicht, dass Sie das Buch, das ich Ihnen gleich empfehle, gleichfalls selektiv lesen. Ich will zitieren: „Die deutsche Entwicklungspolitik muss weg von der kurzatmigen Beschreibung einer Fülle von Projekten.“ - Das waren die Worte Winfried Pingers am Ende der Ära Kohl. Damit fand der damalige entwicklungspolitische Sprecher der CDU/CSU ebenso wenig Gehör wie die zahlreichen Klagen von Fachleuten über Inkohärenzen in der Entwicklungspolitik. Deshalb empfehle ich Ihnen, die Ausgabe der „E+Z“ noch einmal zu lesen. Sie werden dann mit mir übereinstimmen, dass die Bilanz nach vier Jahren rot-grüner Entwicklungspolitik mehr Effizienz, mehr Kompetenz und vor allem mehr Kohärenz - im Sinne von globaler Struktur- und Friedenspolitik - aufweist. Das ist für uns kein hohler Begriff, sondern ein holistischer Ansatz, der sich durch unsere vorliegenden Anträge zieht. ({0}) Die systematische Förderung der Zivilgesellschaften hat neue Potenziale für die wirtschaftliche Zusammenarbeit erschlossen: Aufbau des zivilen Friedensdienstes, Einrichtung der Servicestelle für kommunale Entwicklungszusammenarbeit, bessere Zusammenarbeit zwischen staatlicher und nichtstaatlicher Ebene durch die Arbeitskreise Krisenprävention und Armutsbekämpfung. Wir beachten den frauenspezifischen Aspekt; denn Frauen halten den Schlüssel für die nachhaltige Entwicklung in ihren Händen. ({1}) Rund 700 Millionen Euro zusätzlich haben wir in Kooperation mit der Wirtschaft mobilisiert. Durch das Engagement unserer Ministerin bei den letzten WTO-Verhandlungen dürfen wir endlich eine Sensibilisierung für die Belange der Entwicklungsländer konstatieren: gerechterer Marktzugang sowie differenzierte Liberalisierung, die sich am Nachhaltigkeitsprinzip und am Entwicklungsstand der jeweiligen Länder orientiert. Globale Verantwortung heißt für uns nachhaltige Ressourcennutzung und Erhalt der natürlichen Lebensgrundlagen. Ohne Zugang zu sauberem Trinkwasser und fruchtbarem Boden gibt es weder Entwicklung noch politische Stabilität. Durch die vernetzte Zusammenarbeit der unterschiedlichen Ressorts sind wir für den Rio-plus-Zehn-Gipfel gut vorbereitet. In Monterrey haben die Länder des Südens ihre eigene Verantwortung anerkannt, die, auf eine kurze Formel gebracht, heißt: Ohne Demokratie und Rechtsstaatlichkeit gibt es keine Entwicklung. Wir haben die Instrumente der Konfliktbewältigung ausgebaut, mehrere institutionelle Schritte für eine bessere Vernetzung und mehr Einflussnahme unternommen und durch Präsenz in den Enquete-Kommissionen und dem Ausschuss für Menschenrechte unser Politikfeld endlich als Querschnittsaufgabe manifestiert - und das in vier Jahren! ({2}) Vier Jahre sind ein überschaubarer Zeitraum. Aber Entwicklungspolitik muss in größeren Zusammenhängen denken. Bis 2015 wollen wir die Zahl der Menschen halbieren, die weltweit in extremer Armut leben und keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser haben. Wir werden die Entwicklungspolitik weiterhin konsequent als Krisenprävention nutzen. Was die Finanzen angeht: Wir haben uns auf eine ODA-Quote von 0,33 Prozent bis 2006 verpflichtet. Wir halten an dem Weg fest, zusätzliche öffentliche und private Mittel für eine nachhaltige Entwicklung und die Sicherung globaler Güter zu mobilisieren. Das alles ist insgesamt ein verantwortungsvolles, strategisches Programm. Sie dagegen, meine Damen und Herren von der Opposition, reiten lediglich auf den haushaltspolitische Ansätzen herum. ({3}) Hätten Sie das doch ab 1982 getan und schon damals, in wirtschaftlich weit besseren Zeiten, die ODA-Quote von seinerzeit 0,48 Prozent konsequent verteidigt und ausgebaut! Wir haben trotz knapper Kassen das Instrumentarium der Entwicklungspolitik als unverzichtbar in das öffentliche Bewusstsein gerückt. Hat jemals ein Kanzler von Ihrer Seite eine Regierungserklärung zur Entwicklungspolitik abgegeben? ({4}) Wir haben bereits in Nürnberg unsere Vorstellung für eine gerechte Gestaltung der Globalisierung konkretisiert: Globalisierung ist kein Naturereignis. Sie ist von Menschen gewollt und gemacht. Darum können Menschen sie auch verändern, gestalten und in gute Bahnen lenken. Ich kann diese Worte des Bundespräsidenten nur unterstreichen. ({5}) Eine Globalisierung, die den Zusammenhalt und die Solidarität in der Gesellschaft zerstört, wird es mit Sozialdemokraten nicht geben. Ihre blinde Markteuphorie, meine Damen und Herren von der Opposition, ist kein wirksames Rezept. ({6}) Im Gegenteil: Das heißt Abdankung der Politik und Zurückweichen vor den Aufgaben der Globalisierung. Die digitale Kluft beispielsweise - darauf zielen zwei Ihrer Anträge ab, meine Damen und Herren von der FDP Carsten Hübner muss sicherlich überwunden werden. Aber einmal ernsthaft: Bedienen Sie mit Ihrer Setzung von Schwerpunkten im IT-Bereich wirklich die vordringlichen Bedürfnisse der Partnerländer, in denen Wasser fehlt und die Nahrung knapp ist? Ein Punkt ist mir noch wichtig. Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, haben deutlich gemacht, dass Sie die Entwicklungspolitik zu einem Appendix der Außenpolitik degradieren wollen. Nicht mit uns! ({7}) Eine Entwicklungspolitik, wie wir sie verstehen, nämlich als präventive Friedenspolitik, als Mittel zur Armutsbekämpfung und als Hilfe zur Selbsthilfe, ist nur mit einem eigenständigen, selbstbewussten Ministerium zu verwirklichen. Das haben wir und daran halten wir fest, auch nach dem 22. September. Schönen Dank. ({8})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt der Kollege Peter Weiß von der CDU/CSU-Fraktion.

Peter Weiß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003255, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Verehrte Frau Kollegin Schmidt, meines Wissens waren in dieser Legislaturperiode neben der FDP ausgerechnet der Staatssekretär des Auswärtigen Amtes, Herr Pleuger, und der Staatsminister im Auswärtigen Amt, Herr Volmer, diejenigen, die die Existenz des BMZ infrage gestellt haben. Es war nicht die CDU/CSU. Das, was Sie hier vorgetragen haben, zeigt erneut: Die laufende Legislaturperiode ist für die Entwicklungszusammenarbeit eine in jeder Hinsicht verhunzte Legislaturperiode gewesen. ({0}) Sie können Zahlenspiele vorwärts und rückwärts machen. Der entscheidende Punkt ist: Sie haben es geschafft, den Anteil des Entwicklungsetats am Bundeshaushalt auf die historische Tiefstmarke von nur noch 1,49 Prozent herunterzuwirtschaften. Das können Sie auch mit den kurzfristig angelegten Sonderprogrammen für Südosteuropa oder für die Terrorismusbekämpfung nur schlecht kaschieren. Deswegen wird es, wenn uns die Wählerinnen und Wähler am 22. September das Mandat zur Regierungsbildung geben, unsere Aufgabe sein, die deutsche Entwicklungszusammenarbeit wieder auf verlässliche und kalkulierbare Finanzgrundlagen zu stellen. Das dramatischere Problem, das Sie uns hinterlassen, ist allerdings die entwicklungspolitische Konzeptionslosigkeit der rot-grünen Bundesregierung. ({1}) Ich muss wiederholen, was schon gesagt worden ist: Ihr Konzept zur Schwerpunktsetzung wurde von Ihnen selbst zur Makulatur gemacht. Wir werden die diskriminierenden Eingruppierungsraster für Entwicklungsländer wieder abschaffen. ({2}) Ihr Aktionsprogramm, das nur leeres Stroh drischt, weil es kein Umsetzungsprogramm gibt, und Ihre Erklärung, dass Sie sich nun stärker in multilateralen Organisationen engagieren wollen und dass Sie sich in der europäischen Entwicklungspolitik stärker positionieren wollen, stehen in krassem Widerspruch zu dem, was tatsächlich erreicht wurde. Wir reden über Armutsorientierung. Realität der EU-Entwicklungszusammenarbeit ist, dass sie immer weniger für die armen und ärmsten Länder tut. Für uns ist die Frage, ob wir das Geld der deutschen Steuerzahler mehr den internationalen Organisationen und der EU zur Verfügung stellen oder ob wir es stärker für die eigene deutsche Entwicklungszusammenarbeit nutzen, nicht eine quasi ideologische Frage wie für RotGrün, sondern ausschließlich eine Frage des effizienten Mitteleinsatzes in den Empfängerländern. ({3}) Entwicklungszusammenarbeit ist vor allem auf langfristige Wirkungen und auf verlässliche Rahmenbedingungen angewiesen. Dagegen hat Rot-Grün Kurzatmigkeit und Schnelllebigkeit zum negativen Markenzeichen deutscher Entwicklungszusammenarbeit gemacht. ({4}) Das kommt insbesondere bei der Kurzatmigkeit des entwicklungspolitischen Engagements in Krisenregionen zum Ausdruck. Seit dem 11. September ist Zentralasien in. Dafür gehen die Ansätze für Südosteuropa oder für problematische Gebiete in Afrika zurück. Hier wird Politik ohne jede Weitsicht gemacht, allein nach tagesaktuellen Schlagzeilen ausgerichtet. ({5}) Deswegen werden wir dafür sorgen müssen, dass die deutsche Entwicklungszusammenarbeit wieder eine realistische und auf langfristige Wirkungen abzielende Perspektive erhält. ({6}) Nachhaltige Entwicklung bedarf des Engagements aktiver Zivilgesellschaften sowohl bei uns im Norden als auch im Süden. ({7}) Dagmar Schmidt ({8}) Nichtregierungsorganisationen und Stiftungen sind für uns selbstständige und autonome Partner in der Entwicklungszusammenarbeit, deren Bedeutung in den kommenden Jahren noch zunehmen wird; denn nur über deren Partnerstrukturen können der Aufbau und die Förderung aktiver Zivilgesellschaften in den Ländern des Südens gelingen. ({9}) Dazu bedürfen sie aber auch einer stetig steigenden Unterstützung. Doch Rot-Grün macht genau das Gegenteil. Sie von Rot-Grün kürzen den Kirchen und Nichtregierungsorganisationen die Mittel für ihre Arbeit in Osteuropa und in Südosteuropa und schreiben ihnen: Falls Sie sich auf unserem Kontinent noch engagieren wollen, sollten Sie sich die Mittel dadurch besorgen, dass Sie Ihre Arbeit in den ärmsten Ländern des Südens kürzen. - Das finde ich mehr als schäbig. ({10}) Meine Damen und Herren, man kann eine entwicklungspolitische Debatte am heutigen Abend kurz nach 23 Uhr nicht führen, ohne den stummen Aufschrei der 13 Millionen Menschen im südlichen Afrika zur Kenntnis zu nehmen, deren Leben aktuell durch eine neue Hungerkatastrophe bedroht ist. ({11}) Diese neue Hungersnot macht überdeutlich, dass nicht die Natureinflüsse die eigentliche Ursache sind. Die Ursache ist vielmehr die politische Misswirtschaft. FAO-Vizedirektor de Haen hat Recht, wenn er erklärt, die Hauptverantwortung liege bei den Regierenden der Hungerländer. Es ist für mich schockierend, dass einer der Hauptverantwortlichen für diese Hungerkatastrophe, nämlich der simbabwische Präsident Robert Mugabe, in dieser Woche ausgerechnet bei der Tagung der Welternährungsorganisation in Rom ein Podium für seine absurden Thesen bekommen hat. Mugabe hat sein Volk und ebenso die Nachbarländer in den Hunger getrieben, indem er mit seiner Landreform dafür gesorgt hat, dass binnen eines Jahres die Maisproduktion um 77 Prozent abgesackt ist. ({12}) Das zeigt, dass der Schlüssel für eine nachhaltige Entwicklung und den Erfolg entwicklungspolitischer Bemühungen in den Ländern des Süden selbst liegt. Unsere Politik muss deshalb dazu beitragen, dass die oftmals unter despotischen Regimen leidende Bevölkerung diesen Schlüssel zur eigenen Entwicklung in die Hand bekommt. Vor Heidemarie Wieczorek-Zeul gab es einen Entwicklungsminister, der weniger auf PR setzte oder irgendwelchen Modethemen hinterherrannte, aber nicht weniger als eine Neuausrichtung der deutschen Entwicklungspolitik durchgesetzt hat. ({13}) Fünf Kriterien sind seit Carl-Dietrich Spranger Bedingungen für die deutsche Entwicklungszusammenarbeit: Achtung der Menschenrechte, Rechtsstaatlichkeit und Rechtssicherheit, Beteiligung der Bevölkerung am politischen Prozess, Schaffung einer marktfreundlichen und sozialorientierten Wirtschaftsordnung und Entwicklungsorientierung des staatlichen Handelns. ({14}) Wir werden nach dem 22. September dafür sorgen, dass diese fünf Kriterien wieder mit aller Stringenz Leitlinien einer verlässlichen deutschen Entwicklungszusammenarbeit werden. ({15}) Vielen Dank. ({16})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Als letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt hat jetzt der Kollege Reinhold Hemker von der SPD-Fraktion das Wort. Reinhold Hemker ({0}) ({1}): Keine Angst, ich werde am 22. September wahrscheinlich wiedergewählt und deswegen sowohl Peter Weiß als auch Klaus-Jürgen Hedrich erhalten bleiben. ({2}) Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich wundere mich schon, lieber Peter Weiß und lieber KlausJürgen Hedrich, wie man uns in einer solchen Debatte auch angesichts der Situation wie wir sie zurzeit in Afghanistan erleben - ich könnte noch andere Länder nennen -, den Vorwurf der Oberflächlichkeit bzw. Tagesaktualität machen kann, ({3}) obwohl die Bundesregierung und die Bündnispartner und Konzepte im internationalen Antiterrorismus-Kampf entwickeln. ({4}) Ich finde das ein bisschen bedauerlich. ({5}) Hinzu kommt, dass für diese Debatte eine Reihe von Ideen, in Anträgen formuliert, vorgelegt worden sind, die im Grunde bereits in vielfältiger Art und Weise in dem Aktionsprogramm 2015 zur Armutsbekämpfung verankert sind. Es ist doch gut - wir können froh darüber sein -, dass wir über ein solches Konzept und dessen Umsetzung in den nächsten Jahren sprechen können, auch im Dialog mit jenen, die in der Fachdebatte kritische Gedanken für ein Buch der Stiftung Entwicklung und Frieden und in eiPeter Weiß ({6}) ner Fachzeitschrift formulieren, wie es Volkmar Köhler getan hat. Einen einzigen Satz herauszugreifen, KlausJürgen Hedrich, der aus einem bestimmten Gedankengebäude abgeleitet ist, stellt eine starke Verkürzung dar und zeigt eine Oberflächlichkeit, die wir bei entwicklungspolitischen Debatten nicht brauchen. ({7}) Rufen wir uns doch einmal in Erinnerung, worüber wir bereits diskutiert haben und was die Kollegin Uschi Eid, unsere Afrika-Beauftragte, heute noch einmal vorgetragen hat. Mit dem Antrag und der Debatte, die wir zum Thema Afrika führen, ist bei unseren Partnern - nicht nur in den fünf Ländern, von denen die Initiative ausgegangen ist, sondern insgesamt - so etwas wie eine Veränderung eingetreten. Man sucht die Gründe nämlich nicht mehr nur im Kolonialismus und in der Zeit danach oder in der falschen Politik des Westens, sondern richtet einen genauen Blick nach innen und fragt sich, welche Grundlagen für „good governance“ bestehen und wie man sich an solchen Prozessen beteiligen kann, um Systeme des „global governance“ weiterentwickeln zu können. Das ist das eigentlich Neue. Dass die G-7- bzw. G-8-Staaten darauf so reagieren, wie sie es getan haben, und hochkarätige Mitglieder - bis auf Italien - zugesagt haben, diesen Prozess zu begleiten und auch mit finanziellen Konzepten zu unterstützen, ist doch zu begrüßen. Wir haben daraufhin unserer Regierung einen Ideen-Katalog vorgetragen, über den bereits mit der Mehrheit der Koalition beschlossen wurde. ({8}) Dieses Vorgehen ist doch nicht oberflächlich oder konzeptionslos, sondern zeigt, dass sich die Parlamentarier in Partnerschaft mit der Regierung Gedanken machen. Ein zweites Beispiel: Ich weiß noch, wie ich mit dem leider zu früh verstorbenen Kollegen Werner Schuster zusammengesessen habe und wir nachgedacht und aufgeschrieben haben, was im Nachfolgeprozess zur Konferenz für Umwelt und Entwicklung vor zehn Jahren zum Themenbereich „erneuerbare Energien“ gemacht werden müsste. Das hat dann auch im letzten Bericht der Bundesregierung zur Entwicklungspolitik Niederschlag gefunden. Vor diesem Hintergrund passt der Vorwurf der Oberflächlichkeit oder Tagesaktualität nun überhaupt nicht mehr. ({9}) Die Kolleginnen und Kollegen aus dem Wirtschaftsausschuss sind diesen Gedanken gefolgt und haben einen neuen Antrag, für den sie selber verantwortlich zeichnen, formuliert. Der eine Antrag sagt, dass ein Sektorschwerpunkt im Bereich erneuerbarer Energien gesetzt werden soll. Zur Umsetzung dessen wurden Programme vonseiten des BMZ auf den Weg gebracht. Wer ein wenig die Interna der Arbeit der GTZ kennt, weiß, dass da natürlich auch, lieber Kollege Hedrich, teilweise das weiter verfolgt wird, was schon die frühere Regierung angestoßen hat, aber nunmehr mit einer anderen Schwerpunktsetzung. Der Antrag zur Markterschließung für deutsche Produkte im Bereich der Wind- und Solarenergie und zur Nutzung von Biomasse zeigt, dass wir auch da auf dem richtigen Weg sind. ({10}) Dadurch werden nun - ich sage das ganz bewusst auch in Richtung derjenigen, die für die Union gesprochen haben gewisse Schwerpunkte gesetzt, die wir in Zukunft weiterentwickeln können. Ich kann Ihnen nach meinen Fachgesprächen mit den Vertretern draußen nur sagen, dass sie mehr erneuerbare Energie einsetzen, mehr im Bereich Landreform tun und eine Agrarforschung stärken wollen, die als Anwendungsforschung die heutigen wissenschaftlichen Ergebnisse schon umsetzt. In diesem Zusammenhang möchte ich auch der Kollegin Brigitte Adler noch einmal dafür danken, dass sie sich für unseren Antrag stark gemacht und in vielfältiger Art und Weise mit den Fachinstituten zusammengearbeitet hat. ({11}) All diese Punkte zeigen, dass wir in dieser Legislaturperiode im manchmal auch schwierigen kritischen Dialog und Diskurs mit denjenigen, die draußen in Nichtregierungsorganisationen arbeiten, einiges nach vorne gebracht haben. Ich möchte, dass das Duo, das auf der Regierungsbank sitzt, weitermacht, nicht nur im Sinne Afrikas, ({12}) sondern auch im Hinblick auf die wichtigen Bereiche, die morgen früh hier im Parlament diskutiert werden. Ich weiß, dass die Ministerin morgen in der Debatte, die vorwiegend von den Umweltpolitikern bestritten wird, sprechen wird. Ich wünsche Ihnen, Frau Ministerin, nicht nur für den Rio-Nachfolgeprozess, ein Prozess, der leider häufig nur unter dem Aspekt des Klimas diskutiert wird, sondern auch für die weiteren Punkte viel Erfolg. Es geht darum, dass wir begreifen, dass nachhaltige Entwicklung nur im Dreiklang zwischen ökonomischer, ökologischer und sozialer Orientierung möglich ist. Ich hoffe, dass die Debatte morgen Signale setzt. Nach langen und schwierigen Abstimmungen haben wir ja einen entsprechenden Antrag vorgelegt. Ich hoffe, dass das, was wir heute Abend hier besprochen haben, und das, was morgen früh noch kommt, wirklich neue Akzente für die deutsche Entwicklungspolitik setzt. Herzlichen Dank. ({13})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Ich schließe die Aussprache. Reinhold Hemker Ich freue mich über die rege Beteiligung der SPDFraktion ({0}) und hoffe, dass die Beteiligung morgen genauso rege sein wird. Wir kommen jetzt zur Abstimmung über die Be- schlussempfehlung des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung auf Drucksache 14/9324 zu dem Entschließungsantrag der Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen zum Elften Bericht zur Entwicklungspolitik der Bundesregierung. Der Aus- schuss empfiehlt, den Entschließungsantrag auf Drucksa- che 14/8493 anzunehmen. Wer stimmt für diese Be- schlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen bei Gegenstimmen von CDU/CSU und FDP und Enthaltung der PDS angenom- men. Tagesordnungspunkt 9 b: Beschlussempfehlung des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung auf Drucksache 14/8973 zu dem Antrag der Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen mit dem Titel „Reformprozess der Internationalen Agrar- forschung vorantreiben“. Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 14/8000 anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dage- gen? - Wer enthält sich? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der PDS bei Enthaltung von CDU/CSU und FDP angenommen. Tagesordnungspunkt 9 c: Beschlussempfehlung des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung auf Drucksache 14/9307 zu dem Antrag der Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen mit dem Titel „Sonderprogramm zur breitenwirksamen Nutzung angepasster, erneuerbarer Energien in den Ent- wicklungsländern“. Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 14/5486 anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen bei Gegenstimmen von CDU/CSU und FDP und Enthaltung der PDS angenom- men. Tagesordnungspunkt 9 d: Beschlussempfehlung des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung auf Drucksache 14/9308 zu dem Antrag der Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen mit dem Titel „Förderung der Zivilgesellschaft im Norden und im Süden - eine Herausforderung für die Entwick- lungszusammenarbeit“. Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 14/5789 anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dage- gen? - Wer enthält sich? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der PDS bei Enthaltung von CDU/CSU und FDP angenommen. Tagesordnungspunkt 9 e: Beschlussempfehlung des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung auf Drucksache 14/9310 zu dem Antrag der Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen mit dem Titel „Wasser als öffentliches Gut und die Be- deutung von Wasser in der deutschen Entwicklungszu- sammenarbeit“. Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 14/7484 anzunehmen. Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die Be- schlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitions- fraktionen und der PDS bei Enthaltung von CDU/CSU und FDP angenommen. Tagesordnungspunkt 9 f: Beschlussempfehlung des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung auf Drucksache 14/9311 zu dem Antrag der Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen mit dem Titel „Afrikas neues Denken unterstützen“. Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 14/8859 anzunehmen. Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dage- gen? - Wer enthält sich? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen bei Gegen- stimmen von CDU/CSU und FDP und Enthaltung der PDS angenommen. Tagesordnungspunkt 9 g: Abstimmung über den Ge- setzentwurf der Fraktion der PDS auf Drucksache 14/8338 zur Sicherung der öffentlichen Entwicklungshilfe des Bun- des. Der Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 14/9312, den Gesetzentwurf abzulehnen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist in zweiter Bera- tung mit den Stimmen der SPD, der CDU/CSU, des Bündnisses 90/Die Grünen und der FDP bei Zustimmung der PDS-Fraktion abgelehnt. Damit entfällt nach unserer Geschäftsordnung die weitere Beratung. Zusatzpunkt 8: Beschlussempfehlung des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung auf Drucksache 14/9314 zu dem Antrag der Fraktion der FDP mit dem Titel „Informationstechnologie in den Mittel- punkt der Entwicklungszusammenarbeit stellen“. Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 14/5578 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfeh- lung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koaliti- onsfraktionen und der PDS bei Gegenstimmen von CDU/CSU und FDP angenommen. Zusatzpunkt 9: Beschlussempfehlung des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung auf Drucksache 14/9419 zu dem Antrag der Fraktion der FDP mit dem Titel „Umsetzung der von Deutschland beim Millenniumgipfel übernommenen Verpflichtungen“. Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 14/9055 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfeh- lung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koaliti- onsfraktionen bei Gegenstimmen der FDP-Fraktion und bei Enthaltung von CDU/CSU und PDS angenommen. Jetzt rufe ich Tagesordnungspunkte auf, zu denen die Reden - mit Ausnahme des Punktes 18, zu dem eine Red- nerin der PDS sprechen wird - zu Protokoll gegeben wor- den sind1). Ich darf zunächst fragen, ob Sie mit diesem Verfahren einverstanden sind. - Das ist der Fall. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms 1) Anlagen 14 bis 25 Ich bitte aber trotzdem noch um Aufmerksamkeit, weil wir die entsprechenden Entscheidungen treffen bzw. Überweisungen feststellen müssen. Es handelt sich eine ganze Reihe von Tagesordnungspunkten. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 10 a und 10 b auf: a) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses ({1}) zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Klaus Kinkel, Dr. Helmut Haussmann, Günther Friedrich Nolting, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP sowie der Abgeordneten Hans-Dirk Bierling, Dr. Wolfgang Bötsch, Monika Brudlewsky, weiterer Abgeordneter und der Frak- tion der CDU/CSU Landminen ohne integrierte Selbstneutralisie- rungs- oder Selbstzerstörungsmechanismen ächten - Minenräum- und Minenopferhilfe deutlich erhöhen - Drucksachen 14/8654, 14/9439 - Berichterstattung: Abgeordnete Petra Ernstberger Ruprecht Polenz Christian Sterzing Dr. Helmut Haussmann Wolfgang Gehrcke b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses ({2}) zu dem Antrag der Abgeordneten Petra Ernstberger, Uta Zapf, Rainer Arnold, weiterer Ab- geordneter und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Angelika Beer, Rita Grießhaber, Dr. Helmut Lippelt, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN Für eine Weiterentwicklung der humanitären Rüstungskontrolle bei Landminen - Drucksachen 14/8858, 14/9438 - Berichterstattung: Abgeordnete Uta Zapf Ruprecht Polenz Christian Sterzing Dr. Helmut Haussmann Wolfgang Gehrcke Tagesordnungspunkt 10 a. Wir kommen zur Be- schlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses auf Drucksache 14/9439 zu dem Antrag der Fraktionen der FDP und der CDU/CSU mit dem Titel „Landminen ohne integrierte Selbstneutralisierungs- oder Selbstzer- störungsmechanismen ächten - Minenräum- und Minen- opferhilfe deutlich erhöhen“. Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 14/8654 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt da- gegen? - Wer enthält sich? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen aller anderen Fraktionen angenommen. Tagesordnungspunkt 10 b: Beschlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses auf Drucksache 14/9438 zu dem Antrag der Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/ Die Grünen mit dem Titel „Für eine Weiterentwicklung der humanitären Rüstungskontrolle bei Landminen“. Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 14/8858 in der Ausschussfassung anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der PDS bei Ent- haltung von CDU/CSU und FDP angenommen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 11 a bis 11 d auf: a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Jörg Tauss, Monika Griefahn, Eckhardt Barthel ({3}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Grietje Bettin, Dr. Antje Vollmer, Kerstin Müller ({4}), Rezzo Schlauch und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN Reform der Medien- und Kommunikationsordnung für die Wissens- und Informationsgesellschaft verwirklichen - Drucksache 14/8649 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Kultur und Medien ({5}) Innenausschuss Rechtsausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Forschung und Technikfolgenabschätzung b) Beratung des Berichts des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung ({6}) gemäß § 56 a der Geschäftsordnung Technikfolgenabschätzung hier: Neue Medien und Kultur Bisherige und zukünftige Auswirkungen der Entwicklung neuer Medien auf den Kulturbegriff, die Kulturpolitik, die Kulturwirtschaft und den Kulturbetrieb - Drucksache 14/8434 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Kultur und Medien ({7}) Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgen- abschätzung c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Kultur und Medien ({8}) zu dem Antrag der Abgeordneten Monika Griefahn, Jörg Tauss, Doris Barnett, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Grietje Bettin, Kerstin Müller ({9}), Rezzo Schlauch und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN Digitale Spaltung der Gesellschaft überwinden Eine Informationsgesellschaft für alle schaffen - Drucksachen 14/6374, 14/8151 Berichterstattung: Abgeordnete Jörg Tauss Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms Bernd Neumann ({10}) Grietje Bettin Hans-Joachim Otto ({11}) Angela Marquardt d) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Kultur und Medien ({12}) zu dem Antrag der Abgeordneten Angela Marquardt, Maritta Böttcher, Dr. Heinrich Fink, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der PDS Zensur im Internet verhindern - Kein Einsatz von Filtern an öffentlichen Terminals - Für eine Kennzeichnungspflicht beim Einsatz von Filtertechnologien - Drucksachen 14/6128, 14/9406 Berichterstattung: Abgeordnete Jörg Tauss Bernd Neumann Grietje Bettin Hans-Joachim Otto ({13}) Angela Marquardt Zunächst zu den Tagesordnungspunkten 11 a und b. In- terfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 14/8649 und 14/8434 an die in der Tages- ordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Tagesordnungspunkt 11 c. Wir kommen zur Be- schlussempfehlung des Ausschusses für Kultur und Me- dien auf Drucksache 14/8151 zu dem Antrag der Fraktio- nen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen mit dem Titel „Digitale Spaltung der Gesellschaft überwinden - Eine Informationsgesellschaft für alle schaffen“. Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 14/6374 anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfeh- lung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koali- tionsfraktionen bei Gegenstimmen von CDU/CSU und FDP Enthaltung der PDS angenommen. Tagesordnungspunkt 11 d: Beschlussempfehlung des Ausschusses für Kultur und Medien auf Drucksa- che 14/9406 zu dem Antrag der Fraktion der PDS mit dem Titel „Zensur im Internet verhindern - Kein Einsatz von Filtern an öffentlichen Terminals - Für eine Kennzeich- nungspflicht beim Einsatz von Filtertechnologien“. Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 14/6128 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die Be- schlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitions- fraktionen, der CDU/CSU und der FDP bei Gegenstim- men der PDS angenommen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 12 a und 12 b auf: a) - Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Norbert Geis, Erwin Marschewski ({14}), Wolfgang Bosbach, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der CDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verbesserung des Schutzes der Bevölkerung vor angedrohten und vorgetäuschten Straftaten - Drucksache 14/7616 ({15}) - Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum verbesserten Schutz der Öffentlichkeit vor angedrohten und vorgetäuschten Straftaten ({16}) - Drucksache 14/8201 ({17}) Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses ({18}) - Drucksache 14/9328 Berichterstattung: Abgeordnete Joachim Stünker Dr. Jürgen Gehb Volker Beck ({19}) Jörg van Essen Dr. Evelyn Kenzler b) Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung der Strafprozessordnung ({20}) - Drucksache 14/2444 ({21}) Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses ({22}) - Drucksache 14/4089 Berichterstattung: Abgeordnete Hermann Bachmaier Joachim Stünker Norbert Geis Ronald Pofalla Volker Beck ({23}) Jörg van Essen Dr. Evelyn Kenzler Wir kommen zur Abstimmung über den von der Fraktion der CDU/CSU eingebrachten Gesetzentwurf zur Verbesserung des Schutzes der Bevölkerung vor angedrohten und vorgetäuschten Straftaten, Drucksache 14/7616. Der Rechtsausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 14/9328, den Gesetzentwurf abzulehnen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung mit den Stimmen der SPD, des Bündnisses 90/Die Grünen, der FDP und der PDS bei Zustimmung der CDU/CSU-Fraktion abgelehnt. Damit entfällt nach unserer Geschäftsordnung die weitere Beratung. Wir kommen zur Abstimmung über den vom Bundesrat eingebrachten Gesetzentwurf zum verbesserten Schutz der Öffentlichkeit vor angedrohten und vorgetäuschten Straftaten, Drucksache 14/8201. Der Rechtsausschuss empfiehlt unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms auf Drucksache 14/9328, den Gesetzentwurf abzulehnen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung mit den Stimmen der SPD, des Bündnisses 90/Die Grünen, der FDP und der PDS bei Zustimmung der CDU/CSU-Fraktion abgelehnt. Damit entfällt die weitere Beratung. Tagesordnungspunkt 12 b: Abstimmung über den vom Bundesrat eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung der Strafgesetzordnung, Drucksache 14/2444. Der Rechtsausschuss empfiehlt auf Drucksache 14/4089, den Gesetzentwurf abzulehnen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen bei Gegenstimmen der übrigen Fraktionen abgelehnt. Damit entfällt die weitere Beratung. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 13 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Katherina Reiche, Helmut Heiderich, Dr. Gerhard Friedrich ({24}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU Weiterentwicklung einer Biotechnologiestrategie für den Forschungs- und Wirtschaftsstandort Deutschland - Drucksache 14/9102 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung ({25}) Rechtsausschuss Finanzausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft Ausschuss für Gesundheit Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Haushaltsausschuss Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 14/9102 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe den Zusatzpunkt 10 auf: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verbesserung der Bekämpfung der Geldwäsche und der Bekämpfung der Finanzierung des Terrorismus ({26}) - Drucksachen 14/8739, 14/9043 ({27}) Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses ({28}) - Drucksache 14/9263 Berichterstattung: Abgeordnete Hans-Peter Kemper Erwin Marschewski ({29}) Cem Özdemir Dr. Max Stadler Ulla Jelpke Es liegt ein Änderungsantrag des Abgeordneten Ströbele vor, der darüber hinaus eine persönliche Er- klärung nach § 31 unserer Geschäftsordnung zu Protokoll gegeben hat.1) Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun- desregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Verbesse- rung der Bekämpfung der Geldwäsche und der Bekämp- fung der Finanzierung des Terrorismus, Drucksachen 14/8739 und 14/9043. Der Innenausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 14/9263, den Gesetzentwurf in der Ausschussfassung anzunehmen. Es liegt ein Änderungsantrag des Abgeordneten Ströbele vor, über den wir zuerst abstimmen. Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Drucksache 14/9326? Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Wir haben ein in- teressantes Abstimmungsverhalten: Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen der SPD-Fraktion, eines Teils der Grünen und der FDP-Fraktion bei Gegenstimmen eines Teils der Grünen, der FDP-Fraktion und der PDS-Frak- tion abgelehnt.2) ({30}) - Es würde viele Kolleginnen und Kollegen von Ihnen einiges an Zeit kosten, wenn ich das jetzt machte. Ich bitte nun diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der CDU/CSU bei Gegenstimmen von FDP und PDS sowie bei Enthaltung von Herrn Kollegen Ströbele und einer weiteren Enthaltung aus den Reihen der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist mit dem gleichen Stimmenverhältnis angenommen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 15 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Gerda Hasselfeldt, Heinz Seiffert, Dietrich Austermann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU Keine Vorzugsbehandlung der Deutschen Post AG bei der Umsatzsteuer - Drucksache 14/9101 Überweisungsvorschlag: Finanzausschuss ({31}) Rechtsausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Haushaltsausschuss Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms 1) Anlage 11 2) Anlage 12 Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 14/9101 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 16 sowie Zusatzpunkt 11 auf: 16. Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Kultur und Medien ({32}) zu dem Antrag der Abgeordneten Günter Nooke, Dr. Norbert Lammert, Ulrich Adam, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU Gesamtkonzeption für Berliner Gedenkstätten für die Opfer der SED-Diktatur notwendig - Drucksachen 14/4641, 14/7014 Berichterstattung: Abgeordnete Angelika Krüger-Leißner Margarete Späte Hans-Joachim Otto ({33}) Dr. Heinrich Fink ZP 11 Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Kultur und Medien ({34}) zu dem Antrag der Abgeordneten Ina Albowitz, Dr. Günter Rexrodt, Hans-Joachim Otto ({35}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Stasi-Untersuchungshaftanstalt Hohenschönhausen als Gedenkstätte erhalten und ausbauen - Drucksachen 14/7110, 14/9318 Berichterstattung: Abgeordnete Angelika Krüger-Leißner Margarete Späte Hans-Joachim Otto ({36}) Dr. Heinrich Fink Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Kultur und Medien auf Drucksache 14/7014 zu dem Antrag der Fraktion der CDU/CSU mit dem Titel „Gesamtkonzeption für Berliner Gedenkstätten für die Opfer der SED-Diktatur notwendig“. Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 14/4641 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen bei Gegenstimmen von CDU/CSU und FDP und bei Enthaltung der PDS-Fraktion angenommen. Zusatzpunkt 11: Beschlussempfehlung des Ausschusses für Kultur und Medien auf Drucksache 14/9318 zu dem Antrag der Fraktion der FDP mit dem Titel „StasiUntersuchungshaftanstalt Hohenschönhausen als Gedenkstätte erhalten und ausbauen“. Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 14/7110 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen bei Gegenstimmen von CDU/CSU, FDP und PDS und zwei Enthaltungen aus der SPD-Fraktion angenommen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 17 auf: Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten Dr.-Ing. Rainer Jork, Dr. Gerhard Friedrich ({37}), Norbert Hauser ({38}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU Situation und Perspektiven der Ingenieurinnen und Ingenieure in Deutschland - Drucksachen 14/6506, 14/7999 Es liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion der CDU/CSU vor. Wir kommen zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache 14/9396. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der PDS bei Gegenstimmen von CDU/CSU und FDP abgelehnt. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 18 auf: - Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Heidemarie Lüth, Heidemarie Ehlert, Monika Balt, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der PDS eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Behandlung von Petitionen und über die Aufgaben und Befugnisse des Petitionsausschusses des Deutschen Bundestages - Petitionsgesetz - ({39}) - Drucksache 14/5762 ({40}) - Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Heidemarie Lüth, Heidemarie Ehlert, Monika Balt, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der PDS eingebrachten Entwurfs eines ... Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes ({41}) - Drucksache 14/5763 ({42}) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung ({43}) - Drucksache 14/8576 Berichterstattung: Abgeordnete Anni Brandt-Elsweier Meinrad Belle Jörg van Essen Dr. Evelyn Kenzler Es sollen alle Reden zu Protokoll genommen werden, mit Ausnahme der Rede des Antragstellers, der PDSFraktion. Die Rede soll die Kollegin Heidemarie Lüth halten. Bitte schön. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms

Heidemarie Lüth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002727, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Niemand sollte sich so ernst nehmen, wie man das manchmal für sich persönlich in Anspruch nimmt, auch wir Parlamentarier nicht. Aber ich denke, die Anliegen der Bürgerinnen und Bürger sollten wir schon ernst nehmen. Darum kann ich Ihnen meinen Debattenbeitrag zu unserem Gesetzentwurf heute nicht ersparen. In dieser Zeit, in der angeblich alle die große Politikverdrossenheit der Bürgerinnen und Bürger beklagen, können wir im Parlament eigentlich ein positives Zeichen konstatieren; denn wir haben gegenwärtig jährlich etwa 20 000 Petitionen von Bürgerinnen und Bürgern, die sich in ihrem eigenen Interesse, dem Interesse anderer, aber auch dem Interesse der Gemeinschaft an uns, die Parlamentarier, wenden. Diese Petitionen sind häufig noch einmal durch mehr als 100 000 Zuschriften bestätigt worden. Das muss ich als Vorsitzende des Petitionsausschusses an dieser Stelle ganz besonders konstatieren. Ich frage mich, ob wir mit dem Gesetz von 1975 noch in der Lage sind, all diese Anfragen der Bürgerinnen und Bürger intensiv und kompetent zu beantworten. Meine Fraktion hat sich die Mühe gemacht - denn wir sind der Meinung, dass dies nicht mehr der Fall ist -, ein Petitionsgesetz zu formulieren, das den Anforderungen einer demokratischen Informationsgesellschaft entspricht. Wir sind insbesondere von vier Punkten ausgegangen: Erstens. Es geht uns um mehr Transparenz und um ein Mehr an demokratischer Öffentlichkeit. Zweitens. Wir wollen die Informationsrechte und den politischen Einfluss des Parlaments gegenüber der Exekutive stärken. ({0}) Drittens. Wir wollen der Aushöhlung der parlamentarischen Kontrolle durch die Privatisierung der Daseinsvorsorge Einhalt gebieten. Viertens. Wir wollen die demokratisierenden Chancen neuer Informations- und Kommunikationstechniken nicht ungenutzt lassen und wollen sie für unser Petitionsrecht, das wir Ihnen vorgestellt haben, nutzen. Zu diesen und anderen Fragen bei der Bearbeitung der Petitionen haben wir Vorschläge gemacht. Ich darf Ihnen sagen: Wir sind zwar, wie in der ersten Lesung deutlich wurde, nicht kritiklos geblieben, aber konkurrenzlos. Nicht einmal zu einer Einzelfrage wurde von den anderen Fraktionen dieses Parlaments ein Vorschlag gemacht, obwohl der Kollege Scholz von der CDU/CSU in der vergangenen Woche konstatiert hat, dass es zwar nicht unbedingt Volksbegehren oder Volksentscheide geben müsse, dass aber die Behandlung von Massenpetitionen vernünftig geregelt werden müsse. Bisher hat die Fraktion der CDU/CSU aber keinen Antrag vorgelegt. Bei der SPD kann man das Gleiche konstatieren. Ihr Generalsekretär hat im Januar 2002 unter der Überschrift „Die Politik der Mitte in Deutschland“ angekündigt: Die Bürgerbeteiligung soll ausgeweitet und das Petitionsrecht effektiver gestaltet werden. Man muss sich natürlich fragen, wo, wenn solch vollmundige Versprechen gemacht werden, die Umsetzung in eine parlamentarische Vorlage geblieben ist. Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen, und auch ich können beobachten, mit welcher Hast und Hektik die großen Fraktionen noch in den letzten Sitzungswochen Gesetzgebungsprojekte einbringen und mit welch heißer Nadel sie gestrickt sind. Dabei wissen wir genau, dass uns diese gesetzestechnischen, aber auch inhaltlichen Fragen demnächst wieder auf die Füße fallen und sie dem Petitionsausschuss in Bezug auf die Gesetzesfolgenabschätzung und die Legislativpetitionen wieder Arbeit machen werden. Deshalb ist es nicht zu verstehen, dass die anderen Fraktionen trotz der herausragenden Vorarbeiten der PDS-Fraktion nicht gefolgt sind und hier keinen entsprechenden Entwurf vorgelegt haben. ({1}) Im Beschluss des 1. Ausschusses hierzu heißt es: Die Fraktion der SPD hat grundsätzlich Initiativen zur Reform des Petitionsrechts begrüßt und in diesem Zusammenhang beispielhaft auch den Vorschlag zur Einführung einer Massenpetition als bedenkenswert bezeichnet. Die Kolleginnen und Kollegen der CDU/CSU-Fraktion gaben in diesem Ausschuss zur Kenntnis: Unabhängig von der Beratung und Beschlussfassung zu den vorliegenden Entwürfen sollte in der nächsten Wahlperiode interfraktionell über mögliche Änderungen zum Petitionsrecht ... beraten werden. Diese Zustimmung ist auch vonseiten der Kollegen der FDP-Fraktion erfolgt. Die Bündnisgrünen hatten leider keine Zeit, sich zu diesem Thema zu äußern. Sie haben wohl mehr mit dem Regieren als mit Regelungen hinsichtlich der Bürgerrechte zu tun. Wenn es so ist, dass zumindest in der nächsten Wahlperiode die Bemühungen der PDS, die Reform des Petitionsrechtes auf den Weg zu bringen, Erfolg haben, dann haben wir einen Teil unserer Arbeit erfüllt. Aber das Hinausschieben in die neue Wahlperiode - das wissen Sie selber - ist immer fragwürdig. Wenn es darum geht, Wahlversprechen einzulösen, liegt man manchmal weit zurück. Die PDS-Fraktion jedenfalls wird in der nächsten Wahlperiode - da wir davon ausgehen, dass Sie heute unserem Entwurf leider noch nicht zustimmen können wieder einen Entwurf einbringen. Wir werden hierbei insbesondere die Kriterien und Mechanismen einer Gesetzesfolgenabschätzung, die die Wissenschaft und auch die Politik gegenwärtig entwickeln, in das Petitionsrecht mit einbeziehen, damit auch unser Petitionsausschuss die Gesetzesfolgenabschätzung bei der Behandlung von Legislativpetitionen leisten kann. ({2}) Wir, die PDS-Fraktion, werden unserem Antrag zustimmen. Wir werden auch in der kommenden Wahlperiode unser Wort halten; denn auf uns ist in diesen Fragen Verlass. Danke. ({3})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den von der Fraktion der PDS eingebrachten Entwurf eines Petitionsgesetzes, Drucksache 14/5762. Der Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 14/8576, den Gesetzentwurf abzulehnen. Ich bitte diejenigen, die den Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung abgelehnt mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der CDU/CSU bei Gegenstimmen der PDS und Enthaltung der FDP. Damit entfällt die weitere Beratung. Wir kommen zur Abstimmung über den Gesetzentwurf der Fraktion der PDS zur Änderung des Grundgesetzes, Art. 45 c, auf Drucksache 14/5763. Der Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung empfiehlt unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 14/8576, den Gesetzentwurf abzulehnen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung abgelehnt mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der CDU/CSU bei Gegenstimmen der PDS und Enthaltung der FDP. Damit entfällt die weitere Beratung. Ich rufe Tagesordnungspunkt 19 auf: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({0}) zu der Verordnung der Bundesregierung Verordnung über die Entsorgung von gewerblichen Siedlungsabfällen und von bestimmten Bau- und Abbruchabfällen - Drucksachen 14/9107, 14/9133 Nr. 2.1, 14/9351 Berichterstattung: Abgeordnete Rainer Brinkmann ({1}) Georg Girisch Michaele Hustedt Birgit Homburger Eva Bulling-Schröter Es liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion der FDP vor. Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit zu der Verordnung der Bundesregierung über die Entsorgung von gewerblichen Siedlungsabfällen und von bestimmten Bau- und Abbruchabfällen, Drucksache 14/9351. Der Ausschuss empfiehlt, der Verordnung auf Drucksache 14/9107 zuzustimmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die Beschlussempfehlung ist angenommen mit den Stimmen aller Fraktionen bei Gegenstimmen der FDP-Fraktion. Abstimmung über den Entschließungsantrag der FDP auf Drucksache 14/9394. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Entschließungsantrag ist abgelehnt mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der PDS bei Gegenstimmen von CDU/CSU und FDP. Ich rufe Tagesordnungspunkt 20 auf: - Zweite Beratung und Schlussabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Zusatzprotokoll vom 18. Dezember 1997 zum Übereinkommen über die Überstellung verurteilter Personen - Drucksache 14/8995 ({2}) - Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ausführung des Zusatzprotokolls vom 18. Dezember 1997 zum Übereinkommen über die Überstellung verurteilter Personen - Drucksache 14/8996 ({3}) Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses ({4}) - Drucksache 14/9354 Berichterstattung: Abgeordnete Erika Simm Dr. Wolfgang Götzer Volker Beck ({5}) Jörg van Essen Dr. Evelyn Kenzler Zum Gesetzentwurf zur Ausführung des Zusatzproto- kolls liegt ein Änderungsantrag der Fraktion der CDU/ CSU vor. Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun- desregierung eingebrachten Gesetzentwurf zu dem Zu- satzprotokoll vom 18. Dezember 1997 zum Übereinkom- men über die Überstellung verurteilter Personen, Drucksache 14/8995. Der Rechtsausschuss empfiehlt un- ter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf Druck- sache 14/9354, den Gesetzentwurf anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die den Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Gegenstimmen? - Enthaltun- gen? - Der Gesetzentwurf ist angenommen mit den Stim- men der Koalitionsfraktionen und der FDP bei Gegen- stimmen der CDU/CSU und der PDS. Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun- desregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Aus- führung des Zusatzprotokolls vom 18. Dezember 1997 zum Übereinkommen über die Überstellung verurteilter Personen; das ist die Drucksache 14/8996. Der Rechts- ausschuss empfiehlt unter Buchstabe b seiner Beschluss- empfehlung auf Drucksache 14/9354, den Gesetzentwurf anzunehmen. Es liegt ein Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU auf der Drucksache 14/9367 vor, über den wir zuerst abstimmen. Wer stimmt für diesen Änderungsan- trag der CDU/CSU-Fraktion? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Änderungsantrag ist mit den Stim- men aller Fraktionen bei Zustimmung der CDU/CSU- Fraktion abgelehnt. Ich bitte nun diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustim- men wollen, um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist in zweiter Bera- tung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der FDP-Fraktion bei Gegenstimmen der CDU/CSU-Frak- tion und Enthaltung der PDS-Fraktion angenommen.1) Wir kommen zur dritten Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist mit gleichem Stimmenverhältnis angenommen. Ich rufe Tagesordnungspunkt 21 auf: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Postgesetzes - Drucksachen 14/9195, 14/9236 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie ({6}) - Drucksache 14/9427 Berichterstattung: Abgeordneter Rolf Kutzmutz Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Postgesetzes; das sind die Drucksachen 14/9195 und 14/9236. Der Ausschuss für Wirtschaft und Technologie empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf der Drucksache 14/9427, den Gesetzentwurf anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen bei Gegenstimmen aller anderen Fraktionen angenommen. Wir kommen zur dritten Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen angenommen. Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesordnung. ({7}) Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Freitag, den 14. Juni 2002, 9 Uhr, ein. Die Sitzung ist geschlossen.