Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 6/12/2002

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Wer hat Fragen an die Bundesregierung? - Bitte sehr, Frau Kollegin.

Dr. Barbara Höll (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000921, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Staatssekretär, Ihre Finanzpolitik hat sich mit dem Wechsel der Finanzminister im Laufe der letzten vier Jahre geändert. Die PDS hat am 17. Dezember vergangenen Jahres eine Große Anfrage zur Verteilung und Verteilungswirkung von Steuern und Abgaben gestellt. Kann ich, da Sie heute hier Bilanz ziehen, davon ausgehen, dass unsere Große Anfrage bereits beantwortet ist, sodass wir die Möglichkeit haben werden, dieses Thema auf der Grundlage Ihrer Zahlen hier im Plenum ausführlich zu diskutieren?

Karl Diller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000391

Verehrte Frau Kollegin, es steht jeder Fraktion frei, Antworten auf Große Anfragen zum Gegenstand von Plenardebatten zu machen. Das liegt bei Ihnen.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Die Frage war, wann die Antwort auf die Große Anfrage dem Haus zugeleitet werden wird.

Karl Diller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000391

Die Antwort ist von uns unterschrieben und müsste Ihnen alsbald zugeleitet werden.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Dazu meldet sich Herr Staatsminister Schwanitz.

Not found (Gast)

Frau Kollegin, die Antwort auf die Große Anfrage der PDS zur Verteilung und Verteilungswirkung von Steuern und Abgaben war unter der TOP-1-Liste im Kabinett. Sie wird Ihnen also demnächst zugeleitet werden.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Das Wort hat Herr Kollege Wolfgang Dehnel.

Wolfgang Dehnel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000366, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, können Sie auch Angaben zu den im gleichen Zeitraum in den neuen Ländern erzielten Nettoeinkommen machen? Haben Sie dazu Zahlen in Ihrem Ministerium erarbeitet? Vor dem Hintergrund der hohen Arbeitslosigkeit und der stark angestiegenen Abwanderung gerade von jungen Familien aus den neuen Bundesländern in die alten Bundesländer ist doch zu erwarten, dass die Realeinkommen in den neuen Ländern nicht besonders gestiegen sein können.

Karl Diller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000391

Herr Kollege, die Zahlen, die ich Ihnen vorgetragen habe, sind Zahlen des Statistischen Bundesamtes. Tendenziell - darauf habe ich vorhin hingewiesen ist die relative Entlastung in den neuen Bundesländern größer, weil dort die tariflichen Löhne noch unter denen der alten Bundesländer liegen und wir die größten Entlastungen gerade in den unteren und mittleren Einkommensgruppen vorgenommen haben. Von daher ist die relative Entlastung in den neuen Ländern größer.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Eine Zusatzfrage, bitte sehr.

Wolfgang Dehnel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000366, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Wie erklären Sie sich dann die große Abwanderungsbewegung gerade unter diesen Menschen, wenn sie eigentlich seit 1998 in den neuen Ländern bessere Lebensbedingungen vorfinden?

Karl Diller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000391

Herr Kollege, das hängt nicht unbedingt nur mit den Steuern, die man auf Lohn und Gehalt zahlt, oder mit der Erhöhung des Kindergeldes zusammen, sondern das hängt auch mit der beruflichen Perspektive junger Menschen zusammen. In den neuen Ländern müssen im Moment beispielsweise die Ausbildungsmöglichkeiten noch mehr oder weniger staatlich unterstützt werden, weil es nicht genug private Ausbildungsplätze gibt. Wir haben den Drang, das zu ändern, und sind zuversichtlich, dass sich die Situation weiter verbessert. Sie hat sich schon verbessert; sie wird sich noch weiter verbessern.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Nun möchte der Kollege Dr. Ilja Seifert eine Frage stellen. Bitte sehr.

Dr. Ilja Seifert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002153, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Staatssekretär, Sie wollten eigentlich zur Einkommenssituation berichten. Wenn ich es richtig verstanden habe, haben Sie sich nur zur Einkommenssituation von abhängig Beschäftigten geäußert. Wie sieht es mit denen aus, die keinen Arbeitsplatz haben bzw. sich von ABM zu ABM oder von SAM zu ABM hangeln und zwischendurch immer wieder einmal arbeitslos sind? Ich denke insbesondere an die Situation im Osten Deutschlands. Wenn man über die Einkommenssituation in Deutschland spricht, dann muss man die Situation dieser Menschen ja wohl mit bedenken. Ich denke an Regionen, in denen seit Jahren eine Arbeitslosigkeit oberhalb von 20 Prozent besteht und die zudem noch mit Abwanderung zu tun haben.

Karl Diller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000391

Herr Kollege, ich darf darauf hinweisen, dass in der Amtszeit dieser Bundesregierung die Mittel für die Förderung von Familien mit Kindern von 40 Milliarden DM auf 53 Milliarden DM gestiegen sind, zum einen durch die kräftige Ausweitung des Kindergeldes, zum anderen aber auch durch Leistungen wie beispielsweise die deutliche Verbesserung des Erziehungsgeldes oder die Verbesserungen beim Wohngeld.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Herr Dr. Seifert hat noch eine Frage.

Dr. Ilja Seifert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002153, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Es kann ja sein, dass wir aneinander vorbei geredet haben. Vielleicht darf ich die Frage noch einmal anders stellen: Wir wissen, dass in den letzten 13 Jahren im Osten wesentlich weniger Kinder geboren worden sind, weniger als im Westen und weniger als früher in der DDR. Für Kinder, die nicht geboren werden, kann auch kein Kindergeld gezahlt werden, also bekommen viele Menschen vermutlich weniger oder gar kein Kindergeld. Das aber war nicht meine Frage. Die Frage ist: Wie geht es den Menschen, die keinen festen Arbeitsplatz haben, die immer mal wieder eine mehr oder weniger alimentierte Beschäftigung bekommen? Wie hat sich deren Einkommenssituation in den letzten Jahren entwickelt? Sind deren Einkommen tatsächlich gestiegen oder sind sie gesunken? Nach der täglichen Erfahrung in einem Wahlkreis in Ostsachsen kann ich nicht nachvollziehen, dass es den Menschen im Osten relativ besser geht als im Westen. ({0}) Vielleicht können Sie das so erläutern, dass auch ein schlichtes Gemüt wie ich es versteht.

Karl Diller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000391

Herr Kollege, ich möchte noch einmal deutlich darauf hinweisen, dass ich von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern und von der Entwicklung der realen Nettolöhne gesprochen habe. Diese ergeben sich nach Abzug der Lohnnebenkosten, also der Beiträge zur Sozialversicherung, und nach Abzug der zu zahlenden Steuern sowie unter Berücksichtigung der Preissteigerungsrate und sind in dieser Wahlperiode deutlich gestiegen, während sie in der letzten Wahlperiode leider Gottes kräftig gesunken waren.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Noch Fragen zur Einkommensentwicklung in Deutschland? - Das ist nicht der Fall. Dann danke ich Herrn Staatssekretär Diller. Mir ist gesagt worden, dass nun Kollege Meckelburg etwas zur Riester-Rente fragen möchte. Auch dieser Punkt hat heute im Kabinett eine Rolle gespielt. Ich freue mich, dass Frau Staatssekretärin Ulrike Mascher für Antworten zur Verfügung steht. Wollen wir zunächst einige Fragen sammeln? Vielleicht können wir so in eine möglichst gute Diskussion kommen. Herr Kollege Meckelburg, Sie beginnen.

Wolfgang Meckelburg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001452, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Staatssekretärin, es hat in der Wochenendpresse Berichte gegeben, wonach von den bislang 2 Millionen Deutschen, die einen Altersvorsorgevertrag unterzeichnet haben, rund 400 000 ihre Police inzwischen wieder storniert haben. Das scheint auch der Hintergrund für den Bericht heute Morgen im Kabinett gewesen zu sein. Darf ich Sie fragen, ob es Pläne gibt, die private Altersvorsorge in eine private Zwangsrente umzuwandeln, wofür der sozialpolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Klaus Brandner, laut „Focus“ vom 29. April plädiert hat? Stimmt des Weiteren die Aussage in der „Welt am Sonntag“, dass diese Pläne nicht den Gefallen des Bundeskanzlers gefunden haben und deshalb kassiert wurden?

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Frau Schwaetzer, bitte sehr.

Dr. Irmgard Adam-Schwaetzer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002120, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Staatssekretärin, nachdem der Bundesarbeitsminister heute im Kabinett berichtet hat, dass nur ein relativ geringer Anteil der eigentlich Anspruchsberechtigten überhaupt in Erwägung zieht, einen Vertrag für die so genannte Riester-Rente abzuschließen: Was will die Bundesregierung tun, um die Akzeptanz dieses Produkts zu erhöhen?

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Herr Kollege Schemken, geht Ihre Frage in die gleiche Richtung oder wollen wir erst eine Antwort hören? ({0}) - Frau Mascher, bitte sehr.

Ulrike Mascher (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001432

Herr Meckelburg, für die Zahl von 400 000 Stornierungen kenne ich keine Quelle; sie ist auch nicht belegt. Ich halte es nicht für unplausibel, dass es einige Stornierungen gibt, allerdings nicht in diesem Umfang. Dass es bei Verträgen, die bereits im letzten Jahr abgeschlossen worden sind, die nicht zertifizierte Produkte betrafen, möglicherweise Stornierungen gibt, kann ich nicht ganz ausschließen. Aber die Zahl von 400 000 ist nirgendwo belegt. Falls Sie die Quelle dafür nennen können, gehen wir der Sache noch einmal nach. Nach unseren Recherchen ist diese Zahl nicht belegt. Zur zweiten Frage: Aufgrund der Tatsache, dass jetzt schon für etwa 15 Millionen Arbeitnehmer in 156 Tarifbereichen entsprechende Tarifverträge abgeschlossen sind und eine ganze Reihe von Pensionsfonds und Pensionskassen neu genehmigt wurden - Pensionskassen hat es auch schon früher gegeben -, gehen wir davon aus, dass eine ausreichende Beteiligung von Berechtigten an der zusätzlichen Altersvorsorge erzielt wird. Wir haben immer gesagt, dass wir die Akzeptanz in einigen Jahren prüfen werden. Aber ich gehe davon aus, dass wir etwa 90 Prozent der Berechtigten mit beiden Teilen - betrieblicher Altersvorsorge und zusätzlicher privater Altersvorsorge - erreichen, sodass sich die Frage einer verbindlichen zusätzlichen Altersvorsorge, wie sie andere europäische Länder, zum Beispiel die Schweiz, kennen, für uns nicht stellt. Insofern entbehren Spekulationen, ob Gerhard Schröder irgendwelche Pläne kassiert hat, jeder Grundlage. Frau Dr. Schwaetzer hat gesagt, es gebe nur einen sehr geringen Anteil derjenigen, die zusätzliche Altersvorsorgeprodukte annähmen, und die Akzeptanz bleibe erheblich hinter den Erwartungen zurück. Mir ist eine Umfrage des DIW, eines seriösen wirtschaftswissenschaftlichen Instituts, bekannt, wonach 80 Prozent der Befragten erklärt haben, dass sie aufgrund der Möglichkeiten der Förderung, die alltagssprachlich Riester-Rente heißt, daran denken, zusätzliche Altersvorsorge zu betreiben. Ich weiß, dass das Deutsche Institut für Altersvorsorge, das nachdrücklich von der Deutschen Bank unterstützt wird, hier zu anderen Ergebnissen gekommen ist. Aber dann muss man sich auch die Fragestellung genau ansehen. Man muss vor allem sehen, welche Gruppen befragt worden sind: Es handelte sich nämlich vornehmlich um Ältere, für die sich in der Tat die Frage stellt, ob es sinnvoll ist, mit vielleicht 55 Jahren in dieser Form für das Alter vorzusorgen. Ob die Riester-Förderung in einem solchen Fall geeignet ist, kann sehr wohl mit einem Fragezeichen versehen werden. Dies muss man sich genau anschauen. Nach den Untersuchungen des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung hier in Berlin wollen 80 Prozent der Befragten zusätzlich für das Alter vorsorgen.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Herr Meckelburg hat eine weitere Frage. Danach kommen Herr Schemken und Frau Dr. Schwaetzer an die Reihe. Zuerst einmal Herr Meckelburg, bitte.

Wolfgang Meckelburg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001452, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Staatssekretärin, wenn ich das gerade richtig verstanden habe, haben Sie als Zielgröße genannt, dass Sie 90 Prozent der Bevölkerung in die private Altersvorsorge einbeziehen möchten. Steht dies nicht im Gegensatz zu dem, was Bundesarbeitsminister Riester gerade auf einer Pressekonferenz, die man auf Phoenix verfolgen konnte, gesagt hat, wonach man bis 2008 bzw. 2010, also über den Einführungsbereich hinaus, deutlich über 70 Prozent der Menschen und kurzfristig in drei bis fünf Jahren, zwei Drittel der Menschen erreicht haben möchte? Darf ich Sie einmal fragen, welches Ziel Sie sich denn für das Ende dieses Jahres gesetzt haben, also wie viele Menschen bis dahin private Altersvorsorge betreiben sollen?

Ulrike Mascher (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001432

Herr Meckelburg, ich glaube, dass es nicht besonders zielführend ist, wenn wir hier zwischen zusätzlicher privater Altersvorsorge und zusätzlicher betrieblicher Altersvorsorge trennen. Das ist ein gemeinsames Projekt: Wir wollen die zusätzliche Altersvorsorge fördern. Nach den Entwicklungen, die sich jetzt abzeichnen, und auch nach den Einschätzungen „der Branche“, wie dies so schön heißt, also der Finanzdienstleister, wird sich die zusätzliche Altersvorsorge zu zwei Dritteln im betrieblichen Bereich und zu etwa einem Drittel im privaten Bereich abspielen. Ich fände es spekulativ, jetzt Zahlen zu nennen, wie viele Menschen in dem einen und in dem anderen Bereich zu erreichen sind. Ich habe Ihnen die Zahl der nach den Tarifabschlüssen Berechtigten genannt. Wir haben noch weitere Tarifabschlüsse zu erwarten, die dieses Element aufgreifen. Zum Ende dieses Jahres bzw. zu Beginn des nächsten Jahres werden wir sehen, wie die Situation ist. Aber ich bin vorsichtig, hier und jetzt Zielvorgaben zu formulieren.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Herr Kollege Schemken, bitte.

Heinz Schemken (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001955, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Staatssekretärin, Sie verwiesen soeben auf die Studie des Deutschen Instituts für Altersvorsorge, in der ja unter anderem festgestellt wird, dass die Riester-Rente deshalb nicht so gut anläuft, weil den Menschen draußen die wahre Lage der Rente verschleiert werde. Ist es vor diesem Hintergrund nicht zu beklagen, dass die Renteninformationen erst im Jahre 2004 an alle Menschen herausgegeben sein werden und dass bis Ende 2002, das ja für den Abschluss der Verträge entscheidend ist, nur 50 Prozent der Menschen diese Informationen erhalten haben werden? Im Hinblick darauf, dass möglicherweise bei dem einen oder anderen Rentner Lücken vorhanden sind und diese verschleiert werden könnten, wäre es ja kontraproduktiv, wenn die übrigen 50 Prozent erst im Jahre 2004 über ihre wirkliche Lage in der gesetzlichen Rente Bescheid wüssten.

Ulrike Mascher (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001432

Herr Schemken, das sehe ich nicht so. Die sozialdemokratisch-grüne Bundesregierung hat als erste Regierung ganz klar gesagt: Die gesetzliche Rente wird in der Zukunft nicht mehr ausreichen, um das, was man sich im Alter als gutes Auskommen wünscht und vorstellt, tatsächlich auch zu realisieParl. Staatssekretärin Ulrike Mascher ren. Deswegen wollen wir für all diejenigen, die bisher noch keine oder vielleicht eine unzureichende zusätzliche Altersvorsorge haben, den Aufbau zusätzlicher Altersvorsorge ermöglichen, und zwar vor allen Dingen durch Zulagen für diejenigen, die ein geringes Einkommen haben oder die aus anderen Gründen, etwa weil sie mehrere Kinder haben, hinsichtlich ihrer Möglichkeit, zusätzliche Altersvorsorge zu betreiben, etwas eingeschränkt sind. Wir haben die Situation nicht verschleiert, sondern ganz klar gesagt: Wir raten jedem und jeder, die Möglichkeiten zu nutzen, die wir anbieten. Deswegen hat sich der Finanzminister bereit erklärt, eine beachtliche Menge Geld - 12,6 Milliarden Euro in der Endstufe - zur Verfügung zu stellen. Wir haben darüber hinaus gesagt: Um jedem klar zu machen, wie seine persönliche Situation ist, wollen wir - so rasch es möglich ist, was die technischen Voraussetzungen betrifft; das ist nach den Informationen der Rentenversicherungsträger im Jahr 2004 der Fall - jedem Versicherten jedes Jahr eine Renteninformation zukommen lassen. Bisher hatte man nur ab dem 55. Lebensjahr einen Anspruch auf diese Renteninformationen. Wir wollen all denjenigen, die älter als 27 sind, ab dem Jahr 2004 solche Renteninformationen zukommen lassen. Es ist ein Riesenpaket sowohl an technischen als auch an logistischen Problemen zu bewältigen. Nun haben die Rentenversicherungsträger schon in diesem Jahr begonnen, solche Renteninformationsbriefe zu verschicken. Es ist von Landesversicherungsanstalt zu Landesversicherungsanstalt unterschiedlich, welche Altersgruppen schon jetzt solche Informationen bekommen. Darüber haben wir hier schon diskutiert. Die BfA, die bundesweit Renteninformationen verschickt, informiert die 27- bis 45-Jährigen als Erste, damit sie die richtige Weichenstellung treffen. Von daher kann ich nicht sehen, dass wir uns den Vorwurf der Verschleierung der wahren Situation der Rente bei jedem Einzelnen zu Eigen machen müssten. Wir tun eine Menge dafür, individuell zu informieren und generell die notwendigen Weichenstellungen zu befördern.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Frau Dr. Schwaetzer.

Dr. Irmgard Adam-Schwaetzer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002120, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Staatssekretärin, ich habe von Ihnen Auskunft nicht über irgendwelche Umfragen erbeten, sondern darüber, wie hoch der Prozentsatz derer ist, die Anspruch auf eine Riester-Rente haben und bis Ende des Jahres einen entsprechenden Vertrag abschließen könnten, das aber offensichtlich nicht tun. Wenn ich das selber einmal hochrechne, komme ich auf maximal 7 Prozent der Anspruchsberechtigten, die schon einen Vertrag abgeschlossen haben. Nun weichen Sie immer darauf aus, im Bereich der Betriebsrente laufe es ganz toll. Im nächsten Satz sagen Sie aber, die Betriebsrente komme für etwa zwei Drittel der Berechtigten in Frage. Das bedeutet, dass immer noch ein Drittel - nicht 7 Prozent - eigentlich eine private Altersvorsorge abschließen müsste. Das sind diejenigen, die sonst im Alter besonders große Rentenlücken hätten. Deswegen kann ich Sie nur noch einmal fragen: Was will die Bundesregierung eigentlich tun, um die Akzeptanz dieses Produktes in der Öffentlichkeit zu fördern? Oder haben Sie diesen Teil Ihrer eigenen Reform schon abgeschrieben?

Ulrike Mascher (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001432

Frau Dr. Schwaetzer, natürlich haben wir diesen Teil unserer eigenen Reform nicht abgeschrieben. Wir gehen von etwa 30 Millionen Berechtigten aus. Wenn man die - wie gesagt nicht von uns erfundene, sondern von den Finanzdienstleistern stammende - Einschätzung zugrunde legt, dass etwa zwei Drittel ihre zusätzliche Altersvorsorge über betriebliche Angebote aufbauen werden, dann kommt man auf etwa 10 Millionen, die das im Bereich privater zusätzlicher Altersvorsorge tun werden. ({0}) Wir stellen jetzt, nach drei Monaten - Zahlen von Ende März sind die letzten, die mir zur Verfügung stehen -, fest, dass immerhin schon 2 Millionen Verträge abgeschlossen wurden. Wir haben jetzt noch drei Viertel des Jahres, neun Monate, nicht erfasst. ({1}) - Ich habe Ihnen gerade gesagt: Die Zahl 2 Millionen ist von Ende März. Das ist die Zahl, die mir zur Verfügung steht. Ich hätte gerne eine Zahl vom 10. Juni; aber leider habe ich sie nicht. Diese Zahl wird wesentlich höher sein; ich weiß nicht, wie viele Millionen. Ich bin deswegen ganz zuversichtlich, weil wir von Monat zu Monat mehr Verträge - auch im Bereich der privaten zusätzlichen Altersvorsorge - haben werden. ({2})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Nun hat der Kollege Peter Dreßen eine Frage.

Peter Dreßen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002642, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Staatssekretärin, trifft es zu, dass nach der Rentenreform der rot-grünen Koalition ein höheres Rentenniveau vorgesehen ist als nach der Reform der alten Regierung mit dem demographischen Faktor? Trifft es zu, dass wir trotzdem - im Gegensatz zur alten Regierung und zusätzlich zu den 67 oder 65 Prozent, die wir dann erreichen - eine betriebliche oder so genannte private Altersvorsorge vorsehen? Trifft es weiterhin zu, dass im Moment alles, was von Oppositionsabgeordneten kommt, nur im spekulativen Bereich ist? ({0}) Wir haben, wie gesagt, noch neun Monate vor uns. Wir waren es, die gesagt haben: Wartet in Ruhe ab, was auf euch zukommt; ihr könnt euch das beste Produkt aussuchen. - Das Modell einer zusätzlichen Altersvorsorge per Tarifvertrag, das die Gewerkschaften entwickelt haben, dürfte voraussichtlich wohl eines der besten Produkte sein, weil dabei die geringsten Verwaltungskosten anfallen.

Ulrike Mascher (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001432

Herr Dreßen, es ist richtig, dass wir, um eine Belastung von Arbeitnehmern und Arbeitgebern durch dramatisch steigende Rentenversicherungsbeiträge abzuwenden, entschieden haben, dass das Rentenniveau in den nächsten 10, 20, 30 Jahren bei einer angenommenen 45-jährigen durchschnittlichen Erwerbstätigkeit nicht mehr die bisherige Höhe von 70 Prozent erreicht; wir müssen hier eine moderate Absenkung vornehmen. Ich will mich auf den Streit über das Rentenniveau, das eine sehr abstrakte Rechengröße ist und eigentlich nichts darüber aussagt, welche Rente die Betroffenen tatsächlich bekommen, jetzt nicht einlassen. Wir könnten das stundenlang rauf- und runterdiskutieren. Richtig ist allerdings, dass wir gesagt haben: Wenn wir solche Steigerungen der Zahlbeträge in der Zukunft nicht mehr finanzieren können - es wird Steigerungen geben, aber die Steigerungen werden nicht mehr so groß sein -, dann müssen wir alle Anstrengungen unternehmen, die notwendig sind, damit die Menschen durch eine zusätzliche Altersvorsorge im betrieblichen oder im privaten Bereich ein gutes Auskommen im Alter haben. Die Menschen müssen vorsorgen können, damit dann beide zusammen, gesetzliche Rente und zusätzliche Altersvorsorge, ein schönes Alter, das wir uns alle wünschen, ermöglichen. Das ist der entscheidende Unterschied. Wir haben nicht gesagt, dass es erhebliche Belastungen in der Zukunft gibt, die wir mindern wollen, sondern wir haben gesagt: Wir helfen den Menschen, damit sie durch einen Aufbau zusätzlicher Altersvorsorge im Alter ein gutes Auskommen haben. Die Spekulationen über Zahlen halte ich nicht für besonders hilfreich.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Mir liegen noch drei Wortmeldungen vor, die auch noch beantwortet werden können; ich bitte aber, damit einverstanden zu sein, dass wir sie zusammenfassen, weil sonst die Zeit knapp wird. Jetzt hat die Kollegin Nolte das Wort.

Claudia Nolte (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001621, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Staatssekretärin, ein Blick in die neuen Länder zeigt, dass dort die meisten Unternehmen weniger als 20 Beschäftigte haben, dass die Löhne - schon seit langer Zeit - durchschnittlich niedriger sind als in den Altbundesländern, dass vor allen Dingen die Langzeitarbeitslosigkeit sehr hoch ist und dass die Zuschüsse für die Arbeitslosenhilfeempfänger in die Rentenkasse durch Ihre Regierung abgesenkt worden sind, sodass sich die Rentensituation für die Menschen in den neuen Bundesländern sehr dramatisch darstellen wird. Ist Ihre Erwartung, dass wir dort erhebliche betriebliche Altersvorsorge aufbauen können, angesichts der Betriebsstruktur realistisch und welche Maßnahmen sehen Sie vor, um gezielt in den neuen Bundesländern für private Altersvorsorge zu werben, weil die Situation dort etwas schwieriger ist?

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Die nächste Frage hat der Kollege Dr. Seifert.

Dr. Ilja Seifert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002153, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Meine Frage knüpft zum Teil direkt an das an, was Frau Nolte gerade fragte. Wenn ich Sie richtig verstanden habe, Frau Staatssekretärin, dann ist das, was Sie ein gutes Einkommen im Alter nennen, das, was einmal mit dem Stichwort „lebensstandardsichernde Rente“ bezeichnet wurde. Wie hoch ist die Zahl der Menschen mit verhältnismäßig geringen Einkommen, die bereits eine private Altersvorsorge abgeschlossen haben? Ich denke in erster Linie an Menschen aus Ostdeutschland, aber es gibt ja auch im Westen welche, die ein verhältnismäßig geringes Einkommen haben. Die so genannte Riester-Rente wurde von uns unter anderem kritisiert, weil wir befürchten, dass Menschen mit geringen Einkommen weniger geneigt sein werden, das auch noch für Altersvorsorge auszugeben. Können Sie anhand bereits abgeschlossener Verträge sagen, wie hoch der Anteil von Menschen mit geringen Einkommen ist - entsprechend den Altersgruppen -, die solche Verträge abgeschlossen haben, im Verhältnis zu Menschen mit höheren Einkommen?

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Nun folgt die Kollegin Erika Lotz. Danach fragt noch Frau Störr-Ritter.

Erika Lotz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002726, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Staatssekretärin, ich finde es schon sehr erstaunlich, dass vonseiten der Opposition jetzt Sorge über den Stand hinsichtlich der Verträge zur Riester-Rente geäußert wird; der zugrunde liegenden Gesetzgebung hat die Opposition ja nicht zugestimmt. ({0}) Sie haben dankenswerterweise schon auf die Möglichkeiten von Arbeitnehmern im Rahmen einer betrieblichen Altersvorsorge hingewiesen. Ich möchte hervorheben, dass mit unserer Gesetzgebung die betriebliche Altersversorgung eine Renaissance erfahren hat. Nun zu meiner Frage, Frau Staatssekretärin: Finden Sie es nicht erstaunlich, wenn die Opposition bezüglich des Zustandekommens von Verträgen Sorge äußert und gleichzeitig aus den Reihen der Opposition dazu aufgefordert wird, zurzeit noch keine Verträge abzuschließen, sondern damit bis nach der Bundestagswahl zu warten? ({1}) Finden Sie das nicht sehr widersprüchlich? Ich denke dabei auch daran, dass ein Mitglied eines angeblichen Kompetenzteams jetzt die Erhöhung der Rentenbeiträge angesprochen hat. Das alles ist meines Erachtens sehr scheinheilig.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Nun folgt die Kollegin Störr-Ritter.

Dorothea Störr-Ritter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003241, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Staatssekretärin, nach einer Umfrage des Marktforschungsinstituts Infratest haben nur 7 Prozent der Frauen und 15 Prozent der Männer geplant, einen so genannten Riester-VerPeter Dreßen trag abzuschließen. Könnte dies nicht doch mit der fehlenden Information über die Versorgungslücken zusammenhängen - die Menschen haben nicht so viel Geld zur Verfügung, dass sie es planlos ausgeben können -, und welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung dazu, dass der Anteil bei Frauen, die einen solchen Vertrag abzuschließen planen, weniger als die Hälfte des entsprechenden Anteils bei Männern beträgt?

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Nun hat die Frau Staatssekretärin das Schlusswort. Bitte sehr.

Ulrike Mascher (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001432

Vielen Dank. Frau Nolte hat die Sorge geäußert, dass sich wegen der Betriebsstruktur in den neuen Bundesländern die betriebliche Altersvorsorge vielleicht nicht so entwickeln kann wie in den alten Bundesländern. Man muss hierbei sehen, dass es bei der betrieblichen Altersvorsorge vier Durchführungswege gibt. Ein Durchführungsweg ist die Direktversicherung. Wir haben in unserem Gesetz den Rechtsanspruch jedes einzelnen Arbeitnehmers auf Entgeltumwandlung normiert. Auch diejenigen, die in einem Betrieb mit weniger als 20 Beschäftigten tätig sind, in einem Betrieb also, in dem es keine Pensionskasse gibt und in dem natürlich auch ein Pensionsfonds eher unwahrscheinlich ist, haben die Möglichkeit, diesen Rechtsanspruch auf Entgeltumwandlung zu realisieren, und haben damit die Möglichkeit, Beiträge sozialversicherungs- und steuerfrei - was eine erhebliche Förderung bedeutet - in der betrieblichen Altersvorsorge einzusetzen. Es gibt also Formen in der betrieblichen Altersvorsorge, die auch für Kleinbetriebe geeignet sind, für die es sonst überhaupt nichts gibt. Es gibt also auch dann Möglichkeiten, wenn sie sich nicht der Metallkasse anschließen oder dem Pensionsfonds der chemischen Industrie, unter dessen Dach auch kleine Betriebe etwas in dieser Beziehung machen können. Es gibt also Formen, die auch solchen Arbeitnehmern entsprechende Möglichkeiten geben. Auch für Arbeitslosengeld- und Arbeitslosenhilfeempfänger gibt es die Zulagenförderung. Ich bestreite nicht, dass es für jemanden, der Arbeitslosengeld oder Arbeitslosenhilfe bezieht, nicht einfach ist, dann auch die Mindestbeiträge aufzubringen. Aber die Möglichkeit, die Förderung für sich zu nutzen, ist vom Gesetz her gegeben. Herr Seifert hat gefragt, ob ich Zahlen dazu nennen kann, wie viele Abschlüsse es von Menschen mit geringem Einkommen und/oder Menschen aus Ostdeutschland gibt. Ich muss Sie enttäuschen. Wir haben derzeit keine Zahlen. Ich kann Ihnen dazu noch nichts sagen. Anfang des nächsten Jahres werden wir sicherlich Zahlen dazu haben. Frau Lotz hat darauf hingewiesen, dass es ein wenig an das Vergießen von Krokodilstränen erinnert, wenn eine Fraktion solche Sorgen äußert, deren sozialpolitischer Sprecher, Herr Laumann, dazu aufgefordert hat, keine Verträge abzuschließen, weil nach der Bundestagswahl, von der er annimmt, dass sie von der CDU/CSU gewonnen wird, ({0}) alles besser wird. Mich erinnert das, wie gesagt, an die Krokodilstränen: Es wird etwas beklagt, was offensichtlich selbst verursacht wurde, indem gesagt wird: „Schließt noch nicht ab!“, und dann jammert man, dass die Zahlen zu niedrig sind. Ich halte das für ziemlich unverantwortlich, weil ich trotz aller möglichen Schnelligkeit und allen Drucks, den ich mir in einem Gesetzgebungsverfahren inzwischen vorstellen kann, meine, dass eine grundlegende Änderung des Förderkonzepts in der zusätzlichen Altersvorsorge nicht so rechtzeitig beschlossen werden könnte - ich benutze wohlgemerkt den Irrealis „könnte“ -, dass sie auch in Anspruch genommen werden könnte. ({1}) Ich halte das, was der Kollege Laumann, den ich wegen seines sozialpolitischen Engagements sehr schätze, öffentlich erklärt hat, für unverantwortlich. Frau Störr-Ritter hat die Sorge geäußert, dass aufgrund der noch nicht flächendeckend vorhandenen Informationen über den Stand der Rentenanwartschaften die Bereitschaft, zusätzliche Altersvorsorge aufzubauen, unzulänglich ist. Frau Störr-Ritter, ich hätte mir gewünscht, dass die alte Bundesregierung schon 1996 den Rechtsanspruch auf jährliche Information beschlossen hätte. ({2}) Wir haben das gemacht; es geht aber nicht schneller. Sie können sich gern bei Herrn Professor Ruland, dem Geschäftsführer des Verbands Deutscher Rentenversicherungsträger, informieren. Es liegt nicht an der zögerlichen Haltung der Bundesregierung, dass es im Jahr 2002 noch keine flächendeckenden Informationen gibt, sondern an der Masse der Renteninformationen. Sie müssen erstellt und versandt werden. Ich habe mich vergewissert, dass es sich dabei um ein erhebliches praktisches Problem handelt. Wir werden das aber Zug um Zug in den Griff bekommen. Ich bedauere es sehr, dass es im Jahr 2002 noch keine flächendeckenden Informationen gibt. Aber uns das als Versäumnis anzurechnen, halte ich auch nicht für sehr redlich, weil Sie nichts dafür getan haben, solch eine ehrliche Renteninformation zu ermöglichen. Ich bin mir sicher, dass gerade Frauen, die ihre Rentenanwartschaft - leider - häufig dramatisch überschätzen, in stärkerem Maße als bisher von den - auch für nicht erwerbstätige und verheiratete Frauen - bestehenden Fördermöglichkeiten Gebrauch machen werden, wenn sie die Zahlen über ihre Rentenanwartschaften auf dem Papier sehen. Wir tun alles dafür, sie zu informieren. Wir haben eine sehr informative Broschüre über die zusätzliche Altersvorsorge von Frauen aufgelegt. Ich kann Sie nur auffordern, auch Ihrerseits dafür zu werben, dass Frauen entsprechende Verträge abschließen. ({3})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Ich bedanke mich bei der Staatssekretärin für die Beantwortung der Fragen. Ich rufe Tagesordnungspunkt 2 auf: Fragestunde - Drucksachen 14/9299, 14/9350 Ich rufe zunächst gemäß Nr. 10 der Richtlinien für die Fragestunde die dringlichen Fragen auf Drucksache 14/9350 auf. Wir kommen damit zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft. Zur Beantwortung der Fragen steht der Parlamentarische Staatssekretär Matthias Berninger zur Verfügung. Ich rufe die dringliche Frage 1 des Kollegen Ulrich Heinrich von der FDP-Fraktion auf: Auf welchen Beweisen basieren die Vermutungen der Bundesministerin für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft, Renate Künast, in ihrer Regierungserklärung vom 6. Juni 2002, wonach höchstwahrscheinlich der Nitrofen-Skandal im ökologischen Landbau auch die konventionelle Landwirtschaft erfasst hat? Herr Staatssekretär, ich bitte Sie, die Frage zu beantworten.

Matthias Berninger (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002627

Herr Abgeordneter Heinrich, ich beantworte die Frage für die Bundesregierung wie folgt: In dem besagten Lager in Malchin ist in den Jahren 1995 unter anderem Getreide eingelagert worden, das die Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung in die Intervention gegeben hat. Allein im Wirtschaftsjahr 1999/2000 handelte es sich dabei um 1500 Tonnen Getreide. Wir haben uns ferner die Lieferlisten der Firma NSP für das laufende Wirtschaftsjahr 2001/2002 angesehen. Diese Lieferliste enthält einen Befund, der uns große Probleme bereitet. Es ist dort nämlich Weizen in einer Größenordnung von 72 Tonnen eingelagert worden, der aus einem Umstellungsbetrieb stammt, das heißt, der noch nicht ökologisch vermarktet werden konnte. Diese 72 Tonnen sind im Dezember 2001 an ein konventionelles Futtermittelwerk in Malchin geliefert worden. Unmittelbar vor Beginn dieser Fragestunde haben wir das amtliche Untersuchungsergebnis von Rückstellproben dieser Lieferungen aus Mecklenburg-Vorpommern bekommen.Zumindest bei der ersten Untersuchung - das ist wirklich brandaktuell; insofern bitte ich um Verständnis, dass wir Sie vorher nicht informieren konnten - hat man in einer von zehn Rückstellproben 0,346 Milligramm Nitrofen je Kilogramm Weizen gefunden. Dieser Weizen ist zu konventionellem Futtermittel verarbeitet worden.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Erste Zusatzfrage.

Ulrich Heinrich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000851, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sie sagen gerade, dass der Weizen zu konventionellem Futtermittel verarbeitet wurde; er stammt dann voraussichtlich aus einem Umstellungsbetrieb, der konventionelle Ware und nicht Ökoware angeliefert hat. Matthias Berninger, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft: Bei diesem Weizen handelt es sich in der Tat um eine Lieferung aus einem Umstellungsbetrieb. Wo der Fehler gemacht worden ist und warum der Weizen zunächst als Ökoware eingelagert wurde, kann ich noch nicht sagen. In diesem Jahr wurden ja in der Halle etwa 500 Tonnen Getreide, deren Spuren wir im Moment nachfolgen, zusätzlich eingelagert. Dann wurde festgestellt, dass das besagte Getreide offensichtlich von einem Umstellungsbetrieb stammt. Das wurde dann konventionell vermarktet, wie es üblich ist, und ging an ein ortsansässiges Futtermittelwerk, das große Mengen Futter produziert.

Ulrich Heinrich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000851, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

In meiner Frage konnte ich nicht die Ergebnisse zugrunde legen, die Sie eben erst, wie Sie ausgeführt haben, bekommen haben. Die Aussagen der Frau Ministerin, dass hier die Vermutung nahe liegt, dass eventuell Ware durch Ware aus nicht ökologischen Betrieben verunreinigt sein könnte, wurden ja schon sehr viel früher geäußert. Meine Frage war: Auf welche Beweise hat Frau Künast damals ihre Aussage gestützt? Was Sie jetzt anführen, ist ja eine neue Entwicklung, die man nicht voraussehen konnte. Mir geht es darum, dass von Frau Ministerin Künast immer wieder auf konventionelle Ware hingewiesen wurde, aber nirgends Beweise dafür vorlagen. Wir wissen, dass im konventionellen Bereich über 190 Proben stattgefunden haben und nirgends auch nur das Geringste gefunden wurde. Ich möchte konkret wissen, auf welcher Grundlage solche Aussagen getätigt werden.

Matthias Berninger (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002627

Herr Abgeordneter, die Nachfrage beantworte ich Ihnen sehr gerne: Grundlage Nummer eins waren die konventionellen Getreidelieferungen, die in den Vorjahren in dieser Halle eingelagert waren. Wir vollziehen zurzeit nach, welche Lieferungen es in den Jahren 1995 bis 1999 gegeben hat. Allerdings ist diese Frage nicht mehr von aktueller Relevanz für die Verbraucher, weil das Getreide aus dieser Zeit in aller Regel schon verarbeitet und verbraucht sein dürfte. Darüber hinaus sind wir natürlich, weil es sich hierbei auch um ein Problem internationaler Dimension handelt, dabei, die Wege nachzuvollziehen, die das Interventionsgetreide genommen hat, das im Regelfall in Länder außerhalb der EU exportiert wurde. Neben dieser Erkenntnis haben bereits am Donnerstag, zum Zeitpunkt der Regierungserklärung - auf die bezieht sich ja Ihre Frage -, Lieferlisten vorgelegen und wir wussten bereits zu diesem Zeitpunkt, dass eine Getreidelieferung in den konventionellen Bereich gegangen ist. Wir haben allerdings zunächst das Ergebnis der Untersuchungen abgewartet, bevor wir diese Getreidelieferung thematisiert haben. Ich bitte um Verständnis, aber wir wollten Schaden von der betroffenen Firma abwenden.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Nun kommt die Frage 2. ({0}) Vizepräsidentin Anke Fuchs - Sie haben schon zwei gestellt, aber ich gebe Ihnen heute großzügigerweise noch eine dazu.

Ulrich Heinrich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000851, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Wenn konventionelles Getreide dort eingelagert war und man in dem keine Rückstände gefunden hat, stellt sich natürlich die Frage, wie dann die Verunreinigung tatsächlich zustande kommen konnte. Dazu hätte ich auch von Ihnen ganz gern noch eine Antwort. Die Lagerart - auf dem Boden als Schüttgut ausgebracht - hat sich ja nicht verändert. Dass vorher konventionelles Getreide nicht verunreinigt wurde, nachher ökologisch produziertes Getreide aber doch verunreinigt wurde, wirft ja erhebliche Fragen auf.

Matthias Berninger (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002627

Da uns bisher keine Ergebnisse von Untersuchungen des in den Vorjahren gelieferten Getreides vorliegen, kann ich die Ausgangshypothese Ihrer Frage, dass nämlich dieses Getreide bei der Lagerung in der Halle nicht belastet worden ist, nicht bestätigen. Ich werde bei der Beantwortung der folgenden Fragen darauf näher eingehen. Wir gehen vielmehr davon aus, dass bei der Lagerung in der Halle Belastungen möglich gewesen sind.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Wir sind noch bei der dringlichen Frage 1, in der es darum geht, ob auch die konventionelle Landwirtschaft betroffen ist. Danach behandeln wir Frage 2, in der es darum geht, was wir machen, wenn die konventionelle Landwirtschaft nicht betroffen ist, und ob es, falls dies der Fall ist, möglicherweise Schadenersatzprozesse gibt. Jetzt hat der Kollege Straubinger das Wort zu einer Zusatzfrage. Bitte sehr.

Max Straubinger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002812, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, ich möchte Folgendes fragen: Wurden in Malchin verschiedene Partien unterschiedlich gelagert? Kann aufgrund neuerer Erkenntnisse jetzt tatsächlich nachvollzogen werden, dass in Malchin sowohl Ökoware als auch offensichtlich nicht für den Ökobereich vorgesehene Ware eingelagert waren? Der Kollege Heinrich hat ja vorhin ausgeführt, dass die Lagerhaltung insgesamt Schüttgut betraf. Er hat auf Presseberichte hingewiesen, zum Beispiel auf den im „Focus“ - er liegt vor mir -, in denen es heißt: Getreide wurde eingelagert und mit einem Radlader umgekehrt, um eine Nachtrocknung des Getreides zu bewirken. Wie soll es jetzt möglich sein, eine einzelne Partie herauszufinden?

Matthias Berninger (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002627

Herr Abgeordneter, das ist dadurch möglich, dass diese Halle - sie ist sehr groß - in verschiedene Abteilungen unterteilt ist. Der größte Problembereich - auch darauf werde ich bei der Beantwortung der folgenden Fragen eingehen - ist in Abteilung vier zu finden. In dieser Abteilung ist das verseuchte Getreide gelagert worden. Es war ursprünglich für den ökologischen Landbau vorgesehen. Man hat dann offenbar - so kann ich jetzt nur spekulieren - den Fehler festgestellt und dieses Getreide ordnungsgemäß nicht mit dem Etikett „ökologisch“ verkauft, sondern einem ortsansässigen Futtermittelhersteller als konventionelles Getreide angedient. In Rückstellproben des Getreides, das, wie ich Ihnen eben gesagt habe, an der gleichen Stelle lagerte wie die anderen infrage stehenden Getreidepartien, hat man ebenfalls eine Nitrofen-Belastung gefunden. Ich sage noch einmal: Meine Aussage steht unter dem Vorbehalt, dass auch die zweite amtliche Probe positiv ist. Ich wollte Ihnen meine Information allerdings nicht vorenthalten.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Der Kollege Schindler hat das Wort zu einer weiteren Zusatzfrage. Bitte sehr.

Norbert Schindler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002776, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, wir hören solche Botschaften wirklich nicht gern; denn sie beunruhigen zusätzlich. Wie weit reichen die Erkenntnisse - schon letzten Samstag wurde stolz die frohe Botschaft verkündet, man habe alles im Griff - und können Sie darüber Auskunft geben, woher die Getreidepartien im Einzelnen herkommen? Jetzt ist von einem Umstellungsbetrieb die Rede. Anhand von Lieferbescheinigungen, von Wiegescheinen muss es möglich sein, die Vorgänge nachzuvollziehen. Tappen wir alle noch im Dunkeln, obwohl man rasch aufklären wollte?

Matthias Berninger (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002627

Herr Kollege Schindler, wir wissen sehr genau, wer Getreide angeliefert hat und welche Lieferwege dieses Getreide genommen hat. Es waren drei: Einmal die Lieferung in die Halle NSP Malchin, dann die Lieferung von dort an Dritte; Dritte können diese Lieferung weiterverteilt haben. Darüber hinaus ist ein sehr großer Teil der Lieferungen an einen Zwischenhändler, nämlich an das Unternehmen Busse, weitergegeben worden. Dieses Unternehmen hat wiederum andere beliefert. Am Ende ist der Löwenanteil zu dem besagten Hersteller, GS agri, gelangt, über den in der letzten Zeit viel geredet worden ist; denn bei ihm hat man zunächst - Ausgangspunkt war Hipp-Putenfleisch - Nitrofen gefunden. Wir vollziehen alle Lieferwege nach. Die Öffentlichkeit muss eindeutig darüber informiert werden, dass alle Nitrofen-Funde, über die wir jetzt reden, durch das Nachvollziehen der Lieferwege aufgedeckt worden sind. Analysen von Bereichen außerhalb dieser Lieferwege haben bisher - in Fragen, die hier gestellt worden sind, ist das schon angeklungen - zu keinen Ergebnissen geführt. Jeder Nitrofen-Fund in der Lebensmittelkette ist mit Getreide in Verbindung zu bringen, das in Malchin gelagert worden ist. Dieses Getreide ist von unterschiedlichen Landwirten angeliefert worden. Um eine Frage zu beantworten, die später gestellt werden wird: Das erhärtet den Ermittlungsstand der Staatsanwaltschaft, die die Auffassung vertritt, die Quelle der Kontamination sei diese Halle, vor allem besagte Abteilung vier dieser Halle, eindeutig. Auf diesen Punkt werde ich aber später noch zu sprechen kommen. Vizepräsidentin Anke Fuchs

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Jetzt hat der Kollege Carstensen das Wort.

Peter H. Carstensen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000323, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, gerade Ihre letzte Antwort veranlasst mich zu der Frage, ob Sie bestätigen können, dass diese 315 Tonnen Weizen aus der ökologischen Produktion nicht einmal 14 Tage in dieser Halle gelagert wurden, bevor sie am 2. November zur Verarbeitung an die Betriebe ausgeliefert wurden.

Matthias Berninger (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002627

Herr Abgeordneter, ich kann Ihnen nicht über jede einzelne Getreidelieferung Auskunft geben. Dazu müsste ich mir die Liste im Detail anschauen. Ich kann aber bestätigen, dass es Lieferungen über NSP zum Beispiel an GS agri ab dem 31. Juli gegeben hat und dass das Getreide zum Teil nur sehr kurze Zeit in dieser Halle gelagert worden ist. Die Halle ist in der Tat erst ab dem 1. August angemietet worden. Aber die Schlüsselübergabe hat schon einige Tage vorher stattgefunden. So erklärt sich, dass der 31. Juli in Lieferlisten aufgetaucht ist. Wir haben dieses Datum erst im Nachhinein dadurch herausfinden können, dass offensichtlich das Liefer- und Rechnungsdatum verwechselt worden ist. Nach Abgleich der verschiedenen Listen von GS agri, Zwischenhändler und NSP konnten wir diesen Umstand aufklären. Wir haben genauso gestutzt wie Sie. Wir haben aber dann herausbekommen, dass die Schlüsselübergabe vorher stattgefunden hat.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Nun der Kollege Deß.

Albert Deß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000376, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, sind die Erzeugerbetriebe, die dieses Getreide produziert haben, namentlich bekannt? Wenn ja: Liegen diese Betriebe ausschließlich in Deutschland oder sind auch Betriebe aus dem Ausland dabei?

Matthias Berninger (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002627

Die Erzeugerbetriebe sind namentlich bekannt. Leider ist ein Betrieb - das ist die Agrargenossenschaft in Stegelitz - ursprünglich verdächtigt worden, Quelle der Vergiftung zu sein. Dieser Betrieb ist aber in den Medien zu Unrecht dafür verantwortlich gemacht worden. Das zeigt, dass es die Biobauern und die bäuerlichen Betriebe sind - wie bei vielen anderen Lebensmittelkrisen auch -, die zunächst einmal für das Problem verantwortlich gemacht werden. Soweit mir bekannt ist, sind sämtliche Zulieferer Betriebe, die in Deutschland gewirtschaftet haben.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Nun die Kollegin Höfken.

Ulrike Höfken-Deipenbrock (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002680, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Staatssekretär, bestätigt sich damit die These, dass es sich hier um ein Problem handelt, das nicht in der Ökoproduktion und auf den Biobauernhöfen verursacht wurde und das nur aufgrund der vorhandenen doppelten Kontrollen im Ökobereich entdeckt wurde? Bestätigen Sie, dass wir leider davon ausgehen müssen, wie in den vergangenen Debatten schon des Öfteren zum Ausdruck gebracht, dass kontaminierte Ware auf den Markt für konventionelle Ware gelangen konnte, ohne entdeckt zu werden? Sind Sie ebenfalls der Ansicht, dass man die Probleme in beiden Bereichen angehen muss, da es unerheblich ist, ob die Gesundheit der Verbraucher durch konventionelle oder durch ökologische Waren beeinträchtigt wird?

Matthias Berninger (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002627

Frau Abgeordnete, ich teile Ihre Einschätzung. Es ist einer der wichtigsten Punkte in der agrarpolitischen Diskussion, dass wir im Falle einer Lebensmittelkrise dafür sorgen müssen, dass wir erst die Ursache des Problems herausfinden, bevor einzelne landwirtschaftliche Betriebe an den Pranger gestellt werden. Wir haben schon verschiedene Lebensmittelkrisen erlebt, bei denen die Verbraucher gemeinsam mit den bäuerlichen Betrieben die Leidtragenden waren. Ich habe die Hoffnung, dass man zu einem anderen Umgang mit den bäuerlichen Betrieben kommt. Es gibt aufgrund der Ermittlung in den letzten 14 Tagen keine Anhaltspunkte, dass die Kontamination bereits auf dem Acker erfolgt ist. Dagegen sprechen verschiedene Aspekte: die hohen Werte von Nitrofen, die Frage, ob man den Stoff in dieser Form anwenden kann, das Problem, dass ein mit Nitrofen in hoher Konzentration belastetes Getreide Geruchsspuren aufweisen kann. All diesen Fragen sind wir nachgegangen. Die Ermittlungen von Bund und Ländern lassen nur den Schluss zu, dass die Kontamination nicht in bäuerlichen Betrieben, sondern in Malchin stattgefunden hat. Dazu kann ich Ihnen bei der Beantwortung der anderen Fragen mehr sagen.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Wir kommen nun zu den weiteren dringlichen Fragen. Ich rufe jetzt die dringliche Frage 2 des Kollegen Ulrich Heinrich auf: Welche Auswirkungen für die konventionelle Landwirtschaft erwartet die Bundesregierung für den Fall, dass sich diese Vermutungen der Bundesministerin für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft, Renate Künast, als falsch erweisen sollten und die betroffene Wirtschaft gerichtliche Schritte gegen die Bundesministerin einleitet? Herr Staatssekretär, bitte. Matthias Berninger, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft: Die Frage 2 des Kollegen Heinrich geht davon aus, dass sich die Behauptung der Ministerin Künast, dieses Problem könne sich auf den konventionellen Landbau ausdehnen, als falsch erweist. In Anbetracht dessen, was ich Ihnen eben mitgeteilt habe, ist Ihrer Frage sozusagen die Grundlage entzogen. Es ist so, dass zumindest eine Lieferung in den konventionellen Bereich gegangen ist, eine gemessen an der Produktionsmenge des Futtermittelwerks zugegebenermaßen sehr kleine Lieferung. Besonders bedauerlich ist - da stimme ich dem zu, was der Abgeordnete Schindler vorhin zum Ausdruck gebracht hat -, dass dieses Problem nun auch auf den konventionellen Bereich übergegriffen hat.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Es gibt eine Zusatzfrage. Bitte, Herr Kollege.

Ulrich Heinrich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000851, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Das heißt, dass die Getreidelieferung durch Umwidmung von Bio- in konventionelle Ware in den konventionellen Strang gelangt ist. Stimmt das so? Matthias Berninger, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft: Nein, Herr Abgeordneter. Ich habe es eben dargestellt. Es ist so, dass Getreide aus einem Umstellungsbetrieb, das noch nicht als Bioprodukt vermarktet werden kann, als Partie eingelagert worden ist. Nachdem man festgestellt hat, dass es nicht für den ökologischen Landbau zugelassen ist, hat man es, wie in einem solchen Fall üblich, für den konventionellen Landbau zur Verfügung gestellt, indem man es diesem Futtermittelwerk angedient hat. ({0})

Ulrich Heinrich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000851, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Wie konnte man das dann in der Lagerhalle getrennt erfassen und ganz gezielt auslagern? Matthias Berninger, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft: Aufgrund der mir vorliegenden Lieferlisten gehe ich davon aus, dass die einzelnen Partien genau dokumentiert wurden. Ich muss ohnehin sagen, dass die sehr strengen Dokumentationspflichten bezüglich der Lieferwege, die im ökologischen Landbau Standard sind, es uns jetzt leichter machen, alle Wege nachzuverfolgen.

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Ich rufe die dringliche Frage 3 der Kollegin Annette Widmann-Mauz auf: Welche Mengen konnten bis heute an mit Nitrofen verseuchten Weizen, Futter- und Lebensmitteln sichergestellt werden - im Nachgang zu der Staatssekretärskonferenz am 9. Juni 2002 und den dort erworbenen Erkenntnissen? Matthias Berninger, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft: Frau Kollegin Widmann-Mauz, es ist so, dass wir, wie gesagt, die Lieferwege sehr genau kennen und in den letzten Tagen aktiv waren. Wir wissen, dass von NSP 18 Betriebe und von GS agri 73 Betriebe mit 90 Betriebsstätten beliefert worden sind. Wir wissen, dass es auch Lieferungen im zweistelligen Tonnenbereich von dem Futtermittelhändler Busse an Dritte gegeben hat. Wir verfolgen jetzt jeden dieser Wege weiter. Die Länder haben das, wie es auch in dem Bericht für die Europäische Kommission von dieser Woche angeklungen ist, konsequent umgesetzt. Betriebe, bei denen die Möglichkeit besteht, dass Nitrofen in die Nahrungsmittel gelangt ist, werden gesperrt. Es finden entsprechende Untersuchungen statt. Ergebnis dieser Untersuchungen sind die NitrofenFunde überall im Bundesgebiet, die es jetzt langsam gibt. Aber noch einmal: Diese Funde deuten nicht darauf hin, dass wir ein Problem mit der Frage haben, wo die Quelle ist, sondern sind ein Beleg dafür, dass wir mit der Ausgangsthese, dass Malchin die Quelle der Kontamination ist, richtig liegen. Sie sind insoweit beunruhigend für die einzelnen Hersteller, aber beruhigend in Bezug auf die Frage der Quelle der Kontamination und die Richtigkeit der Ausgangsüberlegung. Sie fragen nach den genauen Mengen. Ich bitte um Verständnis: Wir haben, auch bei den Ländern, versucht, diese Zahlen mit Blick auf diese Fragestunde zu ermitteln. Die zuständigen Behörden der Länder konnten uns jedoch nicht umfassend sagen, um welche Mengen es sich handelt. Aber an den eben beschriebenen Distributionswegen können Sie erkennen, dass es hier um größere Mengen geht, die allerdings aufgrund der Dokumentation klar überschaubar sind.

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Eine Zusatzfrage.

Annette Widmann-Mauz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003259, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, wenn die Dokumentation aufgrund des hervorragenden Kontrollsystems so lückenlos ist, wie Sie es darstellen, können Sie dann abschließend sagen, dass Sie alle Betriebe und auch alle Endabnahmestellen ausfindig gemacht haben, oder mit welchen Prozentwerten hinsichtlich noch nicht gefundenen Futtermittel- oder Lebensmittelvorkommen, die nitrofenbelastet sind, rechnen Sie noch? Matthias Berninger, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft: Frau Kollegin, ich könnte hier nur spekulieren. Wir haben die Länder sehr frühzeitig zusammengerufen, mit ihnen mehrere Sitzungen gehabt und eine gemeinsame Taskforce eingerichtet. Es ist deutlich geworden, dass es sich hier um ein bundesweites Problem und nicht um ein regional eingrenzbares Problem handelt. Vor diesem Hintergrund gehe ich davon aus, dass die zuständigen Behörden in den Ländern mit äußerster Sorgfalt vorgehen. Das haben wir auch in Brüssel so vorgetragen. Deswegen möchte ich an dieser Stelle nicht spekulieren, inwieweit hier durch Fehler Ungenauigkeiten entstehen können. Wir können nur feststellen, dass zurzeit in allen Bundesländern mit äußerster Sorgfalt an diesem Thema gearbeitet wird.

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Eine zweite Zusatzfrage.

Annette Widmann-Mauz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003259, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, wenn Sie hier nicht über prozentuale Zahlen in Bezug auf das, was noch nicht aufgeklärt ist, spekulieren wollen, wie kommt es dann, dass in dem entsprechenden Ausschuss des Europäischen Parlamentes vonseiten der Bundesrepublik genauere Zahlen genannt wurden und über diese auch spekuliert wird? Matthias Berninger, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft: Was meinen Sie mit „genaueren Zahlen“?

Annette Widmann-Mauz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003259, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich meine damit, dass etwa 6 Prozent des gesamten Bereiches noch nicht aufgeklärt sind. Matthias Berninger, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft: Das entzieht sich meiner Kenntnis. Ich war dort nicht anwesend. Ich kann Ihnen nur sagen, dass wir davon ausgehen, dass die Länder mit äußerster Sorgfalt vorgehen. Es ist völlig klar, dass jede Ungereimtheit ausgesprochen unerquicklich ist. Ich gehe nicht davon aus, dass wir in der Nachverfolgung ein größeres Problem haben. Aber es kann, wenn in der Lieferkette an Dritte, Vierte oder Fünfte weitergeliefert wurde, in der Tat zu Schwierigkeiten kommen. Das steht völlig außer Frage. Außerdem sind in den Behörden Menschen tätig. Leider ist es so, dass im Bereich der Lebensmittelsicherheit die personelle Ausstattung der Behörden ausgesprochen eingeschränkt ist. Soweit es den Verantwortungsbereich unseres Ministeriums betrifft, kann ich sagen, dass diese Angelegenheit seit dem Tag, an dem die entsprechende Nachricht bei uns eingetroffen ist, mit größter Sorgfalt und Ernsthaftigkeit behandelt wird. Auch für die Länderkollegen nehme ich in Anspruch, dass dort so vorgegangen wird.

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Eine Zusatzfrage des Kollegen Carstensen.

Peter H. Carstensen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000323, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, Sie haben in einer Ihrer vorherigen Antworten gesagt, dass es sich bei den jetzt gefundenen Mengen um größere Mengen handelt. Wir beide wissen, dass am 2. November 2001 aus der Halle in Malchin 315 Tonnen Bioweizen verkauft worden sind. Wir beide wissen auch, dass die Firma GS agri pro Monat ungefähr 1 700 Tonnen Biofuttermittel mit einem Anteil von 60 Prozent Getreide produziert. Das heißt, dass sie pro Monat 1 000 Tonnen Getreide verarbeitet. Wir können also davon ausgehen, dass diese 315 Tonnen bis Mitte November verarbeitet worden sind. Wie passt das jetzige Finden von größeren Mengen mit Ihrer These zusammen, dass das Lager in Malchin die alleinige Quelle für die erfolgte Kontamination sein kann? Getreide von dort dürfte doch heute überhaupt nicht mehr auf den Markt sein. Es sind sieben Monate vergangen. Matthias Berninger, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft: Ich verstehe Ihre Frage insoweit nicht, als dass wir jede Getreidepartie verfolgen. Interessanterweise finden wir immer dann, wenn Getreide, das in Malchin gelagert wurde, entweder über NSP und den Zwischenhändler GS agri oder über einen anderen Weg in den Verkehr gebracht wurde und wir diesen Weg nachverfolgen - sei es in Rheinland-Pfalz, sei es in SchleswigHolstein, sei es in Bayern -, positive Funde bei den Rückstellproben. Das bezieht sich nicht nur auf das Getreide, das an die GS agri geliefert worden ist, sondern auch auf das Getreide, das an die 17 - wenn man Busse einbezieht, sind es noch mehr - Betriebe bzw. Futtermittelhersteller geliefert worden ist. Daran sehen Sie: Wir können die Spur immer wieder bis nach Malchin zurückverfolgen. Insofern verstehe ich nicht, warum das nicht zu meiner Ausgangsthese passen soll.

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Eine Zusatzfrage des Kollegen Straubinger.

Max Straubinger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002812, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, die Bundesregierung geht davon aus, dass der Kontaminationspunkt das Lager Malchin ist. Wurden, um diese These zu untermauern, mittlerweile zusätzliche Proben von Ökogetreide in anderen Lagerstätten gezogen und zu welchem Ergebnis kam man, wenn Proben von anderen Lagerstätten gezogen wurden? Matthias Berninger, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft: Wir haben insbesondere in den landwirtschaftlichen Betrieben, aber auch in den vorgeschalteten Trockeneinrichtungen diverse Proben gezogen. Dort gab es, bevor das Getreide Malchin erreicht hat, keine positiven Funde. Eigentlich ist das, was ich im Folgenden aus einem Inspektionsbericht zitieren möchte, die Antwort auf eine spätere Frage. Aber ich möchte Ihnen schon jetzt vorlesen, was Mitarbeiter der Biologischen Bundesanstalt für Land- und Forstwirtschaft, die sich die Halle in Malchin genauer angesehen haben, in ihrer Stellungnahme zum Hallenzustand unter anderem festgestellt haben: Die Abteilung 4 der Halle befand sich in einem sehr sauberen Zustand. Ritzen waren freigelegt. In der Halle - jetzt kommt es sind zweifelsfrei Gerüche von Pflanzenschutzmitteln wahrnehmbar. Der Betonfußboden war im Bereich der Trizilinablagerung auskristallisiert. Im Außenbereich der Halle zeigten die Gräser typische NitrofenSymptome. Für diejenigen, die es nicht wissen: Trizilin ist ein Handelsname für eine Nitrofen-Emulsion. Das heißt, Nitrofen wird in organischen Lösungsmitteln gelöst. Worauf möchte ich hinaus? - Die Experten der BBA gehen fest davon aus, dass in dieser Halle größere Mengen Nitrofen vorhanden waren und diese größeren Mengen punktuell in das Getreide eingebracht wurden. Das erAnnette Widmann-Mauz klärt die manchmal sehr hohen und manchmal gar nicht vorhandenen, also keineswegs homogenen Belastungen des Getreides. Darüber hinaus hat es am vorletzten Wochenende eine erste Untersuchung gegeben, bei der man im Staub der Halle 2 Gramm Nitrofen pro Kilogramm festgestellt hat. Gestern wurde eine weitere Analyse des Bodens durchgeführt. Das Ergebnis waren 77,9 Gramm Nitrofen pro Kilogramm. Das ist mehr als das 77-Millionenfache des Grenzwertes. Alles deutet darauf hin - da sind wir mit den ermittelnden Behörden in Mecklenburg-Vorpommern, der Staatsanwaltschaft und dem Landeskriminalamt, einer Meinung -, dass diese Halle, die früher das zentrale Lager für Pflanzenschutzmittelreserven der drei Nordbezirke der ehemaligen DDR war, der Ort der Kontamination ist.

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Zu dieser Frage der Kollege Heinrich-Wilhelm Ronsöhr.

Heinrich Wilhelm Ronsöhr (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002766, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, Sie haben vorhin gesagt, es gebe eine Dokumentation, die Ihnen die Aufklärung erleichtere. Es ist ja gut, wenn dem so ist. Müssten Sie dann aber nicht, wenn Malchin die einzige Quelle ist, zum jetzigen Zeitpunkt lückenlos darüber Auskunft geben können - zumindest für den Ökolandbau -, wohin das Getreide gelangt ist? Das Gleiche gilt für die Mengen. Darauf haben Sie geantwortet, das könnten Sie nicht sagen. Wenn es eine Dokumentation gibt: Warum hat die Aufarbeitung doch verhältnismäßig lange gedauert? Denn wenn es Dokumente gibt, in die man schauen kann, müsste man im Grunde genommen schneller handeln können, als es geschehen ist. Die Lebensmittelkrisen dauern in Deutschland einfach zu lange. Matthias Berninger, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft: Herr Abgeordneter, die Ausgangsthese, dass die Aufklärung in diesem Fall zu lange gedauert hat, teile ich nicht. Im Gegenteil: Gerade aus den Reihen der Opposition gab es Vorwürfe, dass wir mit der kontaminierten Halle in Malchin das Problem zu schnell gelöst hätten. ({0}) - Lassen Sie uns gleich darüber reden! Es kommen noch entsprechende Fragen. Zu Ihrer Frage: Die zuständigen Mitarbeiter unseres Hauses und auch der Länder arbeiten mit Hochdruck daran, die Wege nachzuvollziehen. Zum Teil werden die Verfahren dadurch erschwert, dass einzelne Verursacher dieses Nitrofen-Skandals aufgrund der staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen bei der Herausgabe von Informationen mauern. Aber seit dem Zeitpunkt, als die Leitung des Bundesministeriums für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft in Gestalt meines Kollegen, des Staatssekretärs Müller, die Information erhalten hat, dass Nitrofen in Putenfleisch enthalten ist, wird mit Hochdruck an diesem Thema gearbeitet. Ich sage Ihnen: Ich bin erleichtert, dass wir relativ schnell die Quelle der Kontamination gefunden haben; denn das lässt eindeutig den Rückschluss zu, dass die bäuerlichen Betriebe nicht die Verursacher sind. Das sollte uns alle freuen, ich denke, auch Sie.

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Der Kollege Ronsöhr kann erst zu der nächsten Frage eine weitere Zusatzfrage stellen. Deswegen gebe ich zunächst das Wort der Kollegin Christine Ostrowski und dann dem Kollegen Schindler.

Christine Ostrowski (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001662, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Staatssekretär, können Sie erklären, warum eine Lagerhalle, die zur DDRZeit mit Nitrofen bestückt war, nach der Vereinigung quasi nahtlos zur Lagerung von Getreide verwendet wurde? Matthias Berninger, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft: Frau Kollegin, Sie wissen, dass die Zuständigkeit dafür nicht beim Bund liegt, sondern bei den entsprechenden Behörden vor Ort. Ich kann mir das nicht erklären.

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Kollege Schindler.

Norbert Schindler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002776, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, wie erklären Sie, nachdem Sie uns im Moment vorwerfen, wir hätten zu schnell kritisiert, die Aufklärung sei nicht ordnungsgemäß gewesen, dass auch der Minister Backhaus in der Öffentlichkeit Selbstzweifel geäußert hat? Das Gleiche gilt für Graefe zu Baringdorf. Dazu hätte ich gern Ihre Meinung gehört. Es gibt ja eine enge Abstimmung. Matthias Berninger, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft: Herr Abgeordneter, ich denke, es ist absolut angebracht und legitim - das ist in Ihr Benehmen gestellt -, die Frage zu stellen, ob Malchin tatsächlich die Quelle der Kontamination ist. Sie können davon ausgehen, dass wir in den letzten 14 Tagen nichts anderes getan haben, als uns immer wieder diese Frage zu stellen. Wir hatten am Mittwoch vorvergangener Woche eine Ausschusssitzung, in der wir ausführlich informiert haben. Auch dort wurde immer wieder die Frage gestellt, wie das Nitrofen in die Lebensmittel gelangt sein kann. Wir haben alle möglichen anderen Wege verfolgt. Aber aufgrund der Tatsache, dass in Malchin die Abteilung 4 hochgradig mit diesem Stoff kontaminiert war und jedes nitrofenbelastete Getreidekorn, das wir bisher gefunden haben, nur eines mit den anderen gemeinsam hatte, nämlich dass es dort gelegen hat, gehen wir davon aus, dass die Halle der Ort der Kontamination ist. Wir gehen aber auch allen anderen Spuren selbstverständlich mit dem gleichen Nachdruck nach. Man müsste aber andere konkrete Hypothesen für eine Belastung nachweisen und auch Anhaltspunkte haben. Es gab nur einen Anhaltspunkt aus einer Lieferung auf Basis einer Rückstellprobe im Bereich von Kochwürstchen. Bis zum vergangenen Wochenende ging man dabei davon aus, dass schon, bevor Futter mit dem Getreide aus Malchin hergestellt worden ist, Nitrofen-Funde im Fleisch feststellbar waren. Es hat sich aufgrund der amtlichen Proben abschließend herausgestellt, dass diese Wurstprobe nicht belastet war. Vor diesem Hintergrund können wir nach wie vor sagen: Malchin ist der Ort der Kontamination.

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Eine Zusatzfrage des Kollegen Meinolf Michels.

Meinolf Michels (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001502, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Die Halle in Malchin wurde vorher für die Lagerung von Pflanzenschutzmitteln genutzt. Kann es sein, dass es in Deutschland Hallen mit ähnlichen Verwendungszwecken gibt, die heute für die Getreidelagerung genutzt werden? Wenn ja, hat die Bundesregierung diesen Faden aufgenommen, um festzustellen, ob nicht auch an anderen Stellen, an denen heute Getreide gelagert wird, früher einmal Pflanzenschutzmittel gelagert wurden?

Matthias Berninger (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002627

Herr Abgeordneter, ich bin Ihnen für die Frage sehr dankbar; denn die ersten Fragen, die wir uns am Samstag, dem 1. Juni, gestellt haben, waren: Wenn es ein Zentrallager für die Pestizide für die drei Nordbezirke gegeben hat, was ist dann mit den übrigen Bezirken? Was ist mit anderen Altlasten? Sind die vielleicht in andere Nutzung gegangen? Wir haben daher die Länder noch am Samstag gebeten, dieser Frage nachzugehen. Der bisherige Stand der Ermittlungen sagt glücklicherweise, dass es keine ähnliche Nutzung, keine ähnlich kontaminierten Orte wie in Malchin gegeben hat.

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Eine Zusatzfrage der Kollegin Ulrike Höfken.

Ulrike Höfken-Deipenbrock (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002680, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Aufklärung ist wichtig und es wäre schön, wenn der Eifer der Opposition beispielsweise auch bei BSE so groß gewesen wäre. Was mich bei dieser Art von Aufklärungswillen befremdet, ist, dass sich neun von 20 Fragen, die wir vorgelegt bekommen haben, darauf beziehen, ob es nicht noch andere Quellen als diese Lagerhalle gibt. 90 Prozent der Zusatzfragen beziehen sich ebenfalls darauf. Ich stelle die Frage an den Staatssekretär: Denken Sie, dass das vielleicht eine Art Verdächtigungskampagne gegen den Ökolandbau ist? Denn die Fragen zielen offensichtlich ausschließlich darauf, Ökobetriebe zu verdächtigen. ({0}) Damit wird die Debatte zu meinem großen Bedauern dazu instrumentalisiert, einem sich positiv entwickelnden Wirtschaftsbereich Schaden zuzufügen.

Matthias Berninger (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002627

Frau Abgeordnete, ich gehe nicht davon aus, dass dies das Ansinnen der Opposition ist. Im Gegenteil: Ich gehe davon aus, dass wir alle ein Interesse haben, klar und zweifelsfrei festzustellen, wie es zu dieser Belastung gekommen ist. Es ist eine ernste Sache, ({0}) wenn ein verbotener Stoff in Lebensmitteln auftaucht. ({1}) Die anderen mit diesem Lebensmittelskandal in Verbindung zu bringenden Punkte, zum Beispiel die Unterlassung des Futtermittelherstellers GS agri, die Funde sofort zu melden - das Verschweigen hat auch an anderer Stelle stattgefunden -, finde ich schändlich. So wurde dieses Thema nicht als Gesundheitsrisiko, sondern als Versicherungsfall betrieben. Diese Aspekte sind das Hauptthema, das die Verbraucherinnen und Verbraucher neben der Frage, ob Malchin die Quelle der Kontamination ist, interessiert. Ich kann Ihnen sagen: Es war auch schon bei der Debatte um die Regierungserklärung so, dass die Opposition an dieser Frage weit weniger interessiert war als an der Frage, ob Malchin der Ort der Kontamination war. Wenn sie mit dem gleichen Eifer hierzu Fragen stellen würde, könnten wir sicher noch weitere Aspekte des NitrofenSkandals aufklären. ({2})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Der eine ist für die Frage, der andere ist für die Antwort verantwortlich. Jetzt hat das Wort der Kollege Albert Deß. ({0}) - Frau Kollegin Höfken, Sie können zur nächsten Frage eine Zusatzfrage stellen. Zwei Zusatzfragen stehen nur dem fragestellenden Abgeordneten zu. Jetzt fragt zunächst der Kollege Deß und dann der Kollege Heinrich.

Albert Deß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000376, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich hatte mich nach der Frage einer PDS-Kollegin zu Wort gemeldet. Herr Staatssekretär, sind Sie mit mir der Meinung, dass es von der ehemaligen DDR-Regierung unverantwortlich war, Nitrofen noch weitere zehn Jahre bis zum Ende der DDR einzusetzen, obwohl seit Anfang der 80er-Jahre bekannt war, dass dieses Mittel krebserregend ist?

Matthias Berninger (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002627

Herr Abgeordneter Deß, dazu muss man wissen, dass dieses Mittel auch in der alten Bundesrepublik noch bis 1988 in Verkehr gebracht werden konnte. Wenn Sie sich aber die Altlasten in Bitterfeld und anderswo anschauen, dann steht außer Zweifel, dass das Regime in der DDR mit solchen Giftstoffen anders umgegangen ist, als wir es in Westeuropa und in der Bundesrepublik zum Standard gemacht hatten. Dies nehmen wir zum Anlass, bei der Osterweiterung der Europäischen Union keinerlei Zugeständnisse in Fragen der Lebensmittelsicherheit und des Umgangs mit Schadstoffen zu machen. ({0})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Kollege Heinrich.

Ulrich Heinrich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000851, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Staatssekretär, Sie haben hier eben die mangelnde Bereitschaft der Industrie, von GS agri, sowie der R + V Versicherungen beklagt und zugleich uns, der Opposition, vorgeworfen, dass wir einseitig agierten. Waren Sie mit dieser Äußerung aber nicht selbst absolut einseitig, da Sie verschwiegen haben, dass die Bundesanstalt für Fleischforschung in Kulmbach - das ist eine Behörde in Ihrer Zuständigkeit - seit März davon wusste und sich bis zum 23. Mai, als es von einem Ökoverband bekannt gegeben worden ist, nicht gemeldet hat? Es ist auch ein offenes Geheimnis, dass bei der „Ökomesse“ in Nürnberg alle über die Nitrofen-Belastung sowohl des Futters als auch der Produkte gesprochen haben und nur das BMVEL nichts davon gehört hat. Wo ist hier die Einseitigkeit?

Matthias Berninger (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002627

Herr Abgeordneter, zunächst einmal bin ich Ihnen sehr dankbar, dass Sie mich hier widerlegt haben und sich auch für die Frage der Verursacher und die Fehler interessieren, die von ihnen begangen wurden. Bei dem von Ihnen angesprochenen Aspekt geht es um die Aufklärung. Insoweit muss man deutlich differenzieren: Diejenigen, die frühzeitig Kenntnis hatten, es aber entgegen dem Futtermittelrecht nicht meldeten, sondern dieses Futtermittel weiterhin einsetzten, um Putenfleisch und Eier zu produzieren, obwohl sie wussten, dass das Putenfleisch auch in den sensiblen Bereich der Babynahrungsherstellung gehen soll, und die Öffentlichkeit nicht warnten, sondern sich mit ihrer Versicherung an einen Tisch setzten, um das Problem still und heimlich auf dem kleinen Dienstweg zu lösen, stehen für mich im Kreise der Verursacher an erster Stelle. ({0}) - Herr Abgeordneter, ich möchte zunächst sehr gerne die von Ihnen gestellte Frage beantworten. Sie können dann noch eine stellen. Sie haben dann einen zweiten Problemkreis angesprochen: die Fehler in der Aufklärung. Sie wissen, dass wir hier weder etwas verheimlichen noch etwas beschönigen. Im Anschluss an die Regierungserklärung haben wir dieses Thema mehrere Stunden lang Punkt für Punkt debattiert. Die Fehler haben sich in der öffentlichen Verwaltung insbesondere dadurch ereignet, dass sich die zuständigen Mitarbeiter kein Bild von der Dimension des Problems gemacht haben und deswegen Informationen abgeheftet und nicht weitergegeben haben. Klar ist, dass hier die Bundesanstalt für Fleischforschung einen Fehler gemacht hat. Über dieses Versäumnis reden wir sehr offen. Klar ist aber auch, dass wir sofort gehandelt haben, nachdem die Spitze unseres Hauses von diesem Problem erfahren hat. Es gibt Versäumnisse bei den Ökokontrollstellen, es gibt stille Rückrufaktionen im Ökohandel. Das alles sind Fehler im Bereich der Aufklärung, die meiner Meinung nach nicht entschuldbar sind. Darüber hinaus gab es unmittelbar nach Bekanntwerden der Krise Anlaufschwierigkeiten bei der Koordinierung der Aktivitäten von Bund und Ländern. Dies klappt inzwischen glücklicherweise hervorragend. Das alles darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass es hier eine Gruppe von Verursachern gibt, die im Zentrum unserer Empörung stehen sollten. Hier handelt es sich um Leute, die sogar Kindergärten weiter mit Putenfleisch beliefert haben, obwohl sie wussten, dass dieses Putenfleisch belastet ist. ({1})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Ich rufe die dringliche Frage 4 der Kollegin Annette Widmann-Mauz auf: Kann die Bundesregierung weitere Quellen für die NitrofenVerseuchung ausschließen - im Nachgang zu der Staatssekretärskonferenz am 9. Juni 2002 und den dort erworbenen Erkenntnissen?

Matthias Berninger (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002627

Frau Kollegin Widmann-Mauz fragt nach einem Punkt, der in der Diskussion bereits eine Rolle gespielt hat: Können wir andere Nitrofen-Belastungen ausschließen? Natürlich kann man das nie ausschließen. Man kann aber aufgrund der bisherigen Ergebnisse, das heißt der Analysen alter gaschromatographischer Untersuchungen sowohl im Lebensmittel- als auch im Futtermittelbereich, wo man keine Nitrofen-Funde hatte, und aufgrund der Tatsache, dass das Pflanzenschutzmittel Nitrofen in Osteuropa eben nicht mehr weit verbreitet ist, sondern im Gegenteil nur noch an einer Stelle, in der Bundesrepublik Jugoslawien, zum Einsatz kommt, sowie aufgrund der Tatsache, dass wir seit vielen Jahren, nämlich seit dem Nitrofen-Verbot, hier keinerlei Probleme hatten, davon ausgehen, dass dieser Skandal und die daraus entstandenen Probleme auf eine eindeutige Kausalkette zurückzuführen sind.

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Eine Zusatzfrage.

Annette Widmann-Mauz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003259, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, wie stellen Sie sich zu der Aussage des Leiters des Neuform-Labors, Peter Dräger, der in der „FAZ“ zitiert wird: „Der mit Nitrofen verunreinigte Wegestaub hätte hüfthoch liegen müssen“, um überhaupt zu einer solchen Kontamination zu kommen? Wie bewerten Sie diese Aussage, auch vor dem Hintergrund, dass dieses Labor zum Beispiel alle Lebensmittel der Reformhäuser prüft und auch in der Vergangenheit schon auf Nitrofen geprüft hat?

Matthias Berninger (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002627

Dieser Experte, Herr Dräger, geht zunächst einmal davon aus, dass es zu einer homogenen Kontamination des Getreides gekommen ist. Wenn Sie meinen bisherigen Antworten gelauscht haben, werden Sie mitbekommen haben, dass alle Ermittlungen von einer punktuellen Belastung ausgehen. Insofern ist die Ausgangshypothese, es sei zu einer homogenen Belastung gekommen, falsch. Die zweite Ausgangshypothese, die Belastung sei über den Staub in der Halle gekommen, halte ich ebenfalls für falsch. Aus der Tatsache, dass wir zunächst eine positive Staubprobe hatten, hat der Experte offensichtlich geschlossen, der Staub in der Halle sei das Problem. Wie bereits gesagt wurde, ist in dieser Halle mit Radladern gearbeitet worden. Ich zitiere hier noch einmal aus dem BBA-Bericht über die Besichtigung der Halle in Malchin: „Der Betonfußboden war im Bereich der Trizilin-Altlagerung auskristallisiert.“ Das heißt, sie haben diesen Stoff einfach auf dem Boden gehabt. Deshalb erklärt es sich relativ leicht, dass es beim Umgang mit dem Getreide, beispielsweise beim Verladen, beim Wenden oder wobei auch immer, zu punktuellen Kontaminationen gekommen sein kann. Wie wir erleichtert feststellen können, ist nicht jedes Getreidekorn aus dieser Halle belastet, sondern nur ganz bestimmte Partien, was das Krisenmanagement jetzt sicherlich leichter macht.

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Eine zweite Zusatzfrage.

Annette Widmann-Mauz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003259, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, Sie sprechen gerade vom Krisenmanagement. Nachdem wir in der letzten Woche über die Regierungserklärung diskutiert haben und vor zwei Wochen die Sondersitzung des Ausschusses hatten, würde mich interessieren, wie die konkreten Maßnamen aussehen. Sie haben vorher gesagt, mit der Leitung der Bundesanstalt für Fleischforschung sei offen geredet worden. Wie sehen denn die konkreten Maßnahmen aus, um dieses Missverhalten, nämlich das Nichtweiterleiten einer wirklich wichtigen Information, zu sanktionieren bzw. zu ahnden?

Matthias Berninger (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002627

Zunächst einmal möchte ich darauf hinweisen, dass das Ministerium, als der Chloramphenicol-Skandal bekannt wurde, alle Beamten, auch im nachgeordneten Bereich - zu dem zählt auch diese Bundesforschungsanstalt -, am 23. Januar mit einem entsprechenden Erlass aufgefordert hat, Informationen mit einer solchen Tragweite an die entsprechenden Verantwortlichen im Bundesministerium für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft weiterzuleiten. Mit Schreiben vom 30. Januar hat der Chef der Bundesanstalt für Fleischforschung uns bestätigt, dass der Erlass den Mitarbeitern zur Kenntnis gegeben worden ist. Ich bedauere wie wir alle, dass er dort nicht zur Kenntnis genommen wurde und die Mitarbeiter nicht entsprechend vorgegangen sind. Darüber hinaus hat die Bundesanstalt für Fleischforschung bisher den Standpunkt vertreten, sie habe im Rahmen des Drittmittelbereichs eine privatwirtschaftliche Analyse gemacht, das heißt, sie habe wie jedes andere private Labor auch ihre Labors genutzt, um Analysen für die Wirtschaft zu machen, und daher keinen Grund gesehen, uns zu informieren. Diese Frage wird mit den Mitarbeitern erörtert. Unsere Prioritäten sind ganz klar gesetzt: Wir wollen zunächst alle Spuren des Getreides nachvollziehen. Wir wollen den Fall aufklären. Wir wollen so gut es eben geht dafür sorgen, dass die Verbraucher nicht mit diesem Gift in Kontakt kommen. Wenn wir das in vernünftiger Form gemacht haben, werden wir uns danach auch um die Fehler kümmern, die bei uns gemacht worden sind. Bei uns und auch in den Ländern ist die Strategie eindeutig: Jetzt konzentrieren wir uns auf die Aufklärung, und wenn der Fall gelöst ist und wir den Verbleib sämtlichen Getreides nachvollzogen haben, werden wir uns mit den übrigen Fragen beschäftigen. Ich denke, auch die Verbraucher haben ein Anrecht darauf, dass der Schwerpunkt genau so gelegt wird.

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Es liegen Anmeldungen für Zusatzfragen von dem Kollegen Ronsöhr, der Kollegin Ostrowski, der Kollegin Höfken, dem Kollegen Carstensen und dem Kollegen Straubinger vor. Wir beginnen mit dem Kollegen Ronsöhr.

Heinrich Wilhelm Ronsöhr (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002766, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, weil es immer wieder um die Halle in Malchin geht: Ich möchte feststellen, dass ich Ihre Aussagen dazu nie kritisiert habe. Natürlich kann man fragen, ob es außer der Halle in Malchin noch andere Ursachen gibt. Diese Halle als einzige Ursache ist auch von anderen in Zweifel gezogen worden. Können Sie bestätigen, dass der Parlamentarische Staatssekretär Thalheim in einer sächsischen Zeitung bezweifelt hat, dass die Halle in Malchin die einzige Ursache ist, weil er hier ein Diskreditierungspotenzial für die ostdeutsche Landwirtschaft vermutet?

Matthias Berninger (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002627

Herr Abgeordneter, ich kann bestätigen, dass der Parlamentarische Staatssekretär Thalheim wie auch der niedersächsische Landwirtschaftsminister Bartels, der Landwirtschaftsminister von MecklenburgVorpommern, Backhaus, und die Bundesministerin Künast am vergangenen Donnerstag, nachdem bekannt geworden war, dass angeblich Würstchen belastet seien, die vor der Lieferung hergestellt worden waren, zunächst gesagt haben, es sei nicht auszuschließen, dass es weitere Kontaminationsquellen gebe. Dies war von Anfang an eher unwahrscheinlich. Den von Ihnen vermuteten Hintergrund der Äußerungen des Kollegen Thalheim würde ich als hoch spekulativ zurückweisen. Worum es uns von Anfang an ging und auch jetzt noch geht, ist, entsprechende Offenheit zu demonstrieren. Wir gehen jeder Vermutung, auch jeder Expertenmeinung nach, und sei sie noch so abwegig. Niemand konnte damit rechnen, dass in einer solchen Halle Getreide eingelagert wird. Daran kann man schon erkennen, dass solche Probleme in aller Regel mit dem gesunden Menschenverstand zunächst einmal nicht erklärbar sind, rationale Ursachen nicht zu erkennen sind, sondern dass man bei Lebensmittelkrisen dieser Art immer wieder das Unmögliche denken muss.

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Frau Kollegin Ostrowski, bitte.

Christine Ostrowski (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001662, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Kollege Deß, Sie haben mich angeregt, mich jetzt ein zweites Mal zu melden. Herr Staatssekretär, in der Halle in Malchin wurden zu DDR-Zeiten Pflanzenschutzmittel gelagert. Nach der Vereinigung wurde darin Getreide gelagert. Sehen Sie denn einen Zusammenhang zwischen diesen beiden Nutzungsmöglichkeiten und der Privatisierungspolitik der Treuhand? ({0})

Matthias Berninger (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002627

Frau Kollegin Ostrowski, das ist sicher auch eine der wichtigen Fragen, denen man jetzt in Mecklenburg-Vorpommern nachgeht, um festzustellen, wo Fehler gemacht worden sind. Es ist zweifellos so, dass auch Versäumnisse in diesem Bereich zu suchen sind, wobei ich Ihnen eines klar sagen will: Weder die Frage, was in der DDR geschah, noch die Frage, was die Treuhand gemacht hat, steht für mich im Mittelpunkt, sondern für mich steht im Mittelpunkt, nachdem klar ist, dass man das Gift im Essen hat, wie sich die Leute danach verhalten haben. Darauf sollten wir uns in erster Linie konzentrieren. Die Staatsanwaltschaft wird ja nun ermitteln, ob schuldhaftes Verhalten vorgelegen hat. Es werden sicherlich verschiedene Akteure Rechenschaft ablegen müssen. Ich möchte aber auch ergänzen, dass wir nach der Wiederherstellung der deutschen Einheit insgesamt doch eine sehr erfolgreiche Politik der Altlastensanierung in den neuen Ländern betrieben haben. Die alte Regierung hat sicherlich richtig gehandelt, im Einigungsvertrag festzulegen, dass hierfür in erster Linie der Bund aufkommen muss. Das hat sichergestellt, dass die Kommunen mit großer Sorgfalt Altlasten ausfindig gemacht haben, die dann auch beseitigt wurden, sodass wir nicht davon ausgehen können, permanent in den neuen Ländern mit diesen Problemen konfrontiert zu werden.

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Frau Kollegin Höfken, bitte.

Ulrike Höfken-Deipenbrock (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002680, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Staatssekretär, Sie haben meine Vermutung zurückgewiesen, dass es sich hier um einen Angriff auf die Ökolandwirtschaft handeln könnte. Auch die Opposition hat bestätigt, dass dies nicht der Fall ist. Wären Sie insofern nicht der Auffassung, dass die Fragen 4, 5, 7, 8, 9, 13, 14, 15, 17 und die Zusatzfragen eigentlich bereits beantwortet sind ({0}) und wir uns weiteren Fragen dieser interessanten Diskussion zuwenden könnten? ({1})

Matthias Berninger (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002627

Frau Abgeordnete, es würde mir eine Rüge des Parlamentspräsidenten einbringen, wenn ich diese Frage wahrheitsgemäß beantworten würde. ({0})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Kein Kommentar. - Herr Kollege Carstensen, bitte.

Peter H. Carstensen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000323, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, ich habe das Gefühl, dass Sie sich genauso wie ich über einige Äußerungen von Frau Kollegin Höfken, die sonst so tough ist und nicht so viel Angst vor Fragen hat, wundern. ({0}) Deshalb sage ich und versuche, das in Frageform zu kleiden: Können Sie sich vorstellen, sind Sie mit mir der Meinung und sind Sie bereit zur Kenntnis zu nehmen, dass auch die Opposition ein Interesse daran hat, diese Geschichte aufzuklären? Sind Sie ebenfalls bereit, zur Kenntnis zu nehmen, dass auch diejenigen - zu denen gehörte auch ich -, die bis gestern bzw. vorgestern noch der Meinung waren ({1}) - hören Sie doch einmal einen Augenblick zu! -, dass dieses Mittel auf dem Ökobetrieb, der den Weizen nach Malchin geliefert hat, appliziert worden sein könnte - zum Beispiel als Erntehilfe -, inzwischen die Erkenntnis haben, dass dieses nicht stimmt, weil es dort Rückstandsproben gibt? Können Sie sich auch vorstellen, dass wir Ihre These, dass es sich bei der Halle in Malchin um die alleinige Quelle handelt, deswegen für sehr unwahrscheinlich ansehen, weil von dort 550 Tonnen Getreide - davon waren 315 Tonnen Weizen - geliefert worden sind? Ich habe Ihnen schon eben meine Bedenken mitgeteilt. Oder stehen im Moment größere Mengen Getreide aus Malchin in dem Verdacht, belastet gewesen und ins Futtermittel gelangt zu sein? Matthias Berninger Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft: Wir reden in der Tat noch immer über die 550 Tonnen. Sie haben die Zahl genannt; ich bitte um Entschuldigung, dass ich nicht genau weiß, welche exakte Menge in den Lieferlisten festgelegt wurde. Ich habe es mehrfach gesagt: Wann immer man diese Spuren zurückverfolgt und Nitrofen im Getreide oder aber auch in anderen Lebensmitteln gefunden hat, gab es eine eindeutige Verbindung zwischen dem positiven Befund und der Lagerhalle in Malchin. Wenn man dazu noch betrachtet, in welchem Zustand sich diese Halle befindet, lässt das für die Staatsanwaltschaft und die ermittelnden Behörden von Bund und Ländern nur den Schluss zu, dass Malchin der Ort der Kontamination ist.

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Kollege Straubinger, bitte.

Max Straubinger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002812, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, wenn man von der These ausgeht, dass das nur über Malchin gekommen sein kann, dann muss man natürlich auch davon ausgehen, dass hier mehrere Einlagerungs- und Auslagerungsvorgänge stattgefunden haben. Ich nehme an, dass, wenn alles richtig gehandhabt wird, das Lager im Anschluss an diese Einlagerungs- und Auslagerungsvorgänge gereinigt wird. Müsste es bei den einzelnen Proben dann nicht eine abfallende Konzentration der Nitrofen-Belastung geben? Um es etwas salopp auszudrücken: Durch die ständigen Einlagerungs- und Auslagerungsvorgänge müssten hier gewisse Reinigungsprozesse stattgefunden haben, sodass die Verunreinigung geringer wurde. Matthias Berninger Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft: Herr Abgeordneter, zunächst einmal verstehe ich unter einem solchen Reinigungsprozess nichts anderes als eine illegale Entsorgung von Giftmüll, die dadurch vorgenommen wurde, dass Getreide in dieser Halle gelagert und dann woandershin transportiert wurde. Es gibt höchst unterschiedliche Konzentrationen. Diese deuten darauf hin, dass größere mit Nitrofen hoch belastete Partikel beim Wende-, Lade- oder sonstigem Vorgang in das Getreide hineingekommen sind und im Rahmen der Futtermittelherstellung so homogenisiert wurden, dass sie von den Tieren aufgenommen wurden. Das Problem ist, dass Nitrofen ein fettlöslicher Stoff ist, der sich in den Tieren anreichert und akkumuliert. Je mehr kontaminiertes Getreide die Tiere zu sich nehmen, desto höher ist die Anreicherung. Um es deutlich zu sagen: Wir gehen davon aus, dass die Belastung in den Hallen Stück für Stück sank. Das ist sehr erschreckend, weil wir daher davon ausgehen müssen, dass das bereits in den Vorjahren dort eingelagerte konventionelle Getreide nitrofenbelastet war. ({0}) Warum hat man das erst jetzt herausgefunden? Die Antwort auf diese Frage ist sehr wichtig, weil der Biolandbau häufig kritisiert wird. Dies wurde herausgefunden, weil es bei einem Hersteller für Babynahrung hervorragende Endkontrollen bei der ökologischen Lebensmittelerzeugung gegeben hat. Früher ist das offensichtlich an allen Kontrollinstitutionen vorbeigegangen.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Der Kollege von Klaeden hatte sich zur Geschäftsordnung gemeldet. Bitte schön.

Eckart Klaeden (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002698, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident, ich glaube, bei diesem Punkt drehen wir uns in der Fragestunde im Kreis. Deshalb beantrage ich im Namen meiner Fraktion eine Aktuelle Stunde zu dem Thema: Haltung der Bundesregierung zum aktuellen NitrofenSkandal. ({0})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Es ist eine Aktuelle Stunde zu dem hier angesprochenen Thema beantragt worden. Die Aktuelle Stunde werden wir nach Ablauf der Fragestunde aufrufen. Wir setzen die Fragestunde fort. Wir kommen zur dringlichen Frage 5 des Kollegen Hans-Michael Goldmann. ({0}) - Also, die dringlichen Fragen 5 bis 20 werden schriftlich beantwortet.1) Wir kommen dann zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. Die gestellten Fragen, die Fragen 1 und 2, sollen schriftlich beantwortet werden. Das Gleiche gilt für den Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit. Auch hier sollen die Fragen 3 und 4 schriftlich beantwortet werden. Das gilt wiederum für den Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie. Auch die Fragen 5 und 6 sollen schriftlich beantwortet werden. Damit kommen wir zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Verteidigung. Zur Beantwortung steht die Parlamentarische Staatssekretärin Brigitte Schulte zur Verfügung. Ich rufe die Frage 7 des Kollegen Günther Friedrich Nolting auf: Peter H. Carstensen ({1}) 1) Abdruck als Anlage zum Plenarprotokoll der 242. Sitzung Zu welchen Ergebnissen kommt der deutsch-britische Bericht zu den Umständen im Zusammenhang mit dem fatalen Seeschiffsunglück, das sich am 6. März 2002 neben der HMS „Cumberland“ ereignete, und warum wurde dieser Bericht dem Verteidigungsausschuss des Deutschen Bundestages bisher nicht zugeleitet? Frau Staatssekretärin.

Brigitte Traupe (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002099

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Kollege Nolting, das Kentern eines Beibootes der britischen Fregatte „Cumberland“ am 6. März 2002 überlebten zwei britische und ein deutscher Soldat. Zwei Soldaten der deutschen Fregatte „Mecklenburg-Vorpommern“ konnten nur noch tot geborgen werden. Die gemeinsam durchgeführte britisch-deutsche Untersuchung über die von der „Cumberland“ geführte Rettungsaktion kommt zu dem Ergebnis, dass die beiden deutschen Soldaten nicht, wie anfangs vermutet wurde, an Unterkühlung gestorben, sondern ertrunken sind. Beide Toten hatten ihre Rettungsschwimmwesten nicht korrekt angelegt und die Spritzwasserschutzhauben nicht übergezogen. Im Fall des Oberbootmaaten dürfte dies unmittelbar zum Tode geführt haben, da sein Kopf unter die Schwimmkörper seiner Rettungsweste geriet. Der Hauptgefreite ertrank durch ständiges Einatmen von Spritzwasser. Auch die Staatsanwaltschaft Oldenburg hat in beiden Fällen als Todesursache Ertrinken festgestellt. Ihren Ermittlungen lagen unter anderem das Ergebnis der britischdeutschen Untersuchung zugrunde. Der Havarieausschuss der Marine hat den Unfall in Bezug auf das Verhalten der „Mecklenburg-Vorpommern“ untersucht und dem Befehlshaber der Flotte seinen Bericht zur Entscheidung und damit zum förmlichen Abschluss des Verfahrens vorgelegt. Er ist im Wesentlichen zu dem Ergebnis gekommen, dass die Bergungsaktion zwar durch die „Cumberland“ geleitet und durchgeführt worden sei, es die Fregatte „Mecklenburg-Vorpommern“ jedoch unterlassen habe, ihren Motorkutter als zusätzliches Rettungsmittel unverzüglich zu Wasser zu bringen. Dies wäre nach den Umständen möglich, zumutbar und geboten gewesen. Die Staatsanwaltschaft hat im Hinblick auf die Todesursache kein Ermittlungsverfahren eingeleitet. Inzwischen hat sie die Havarieakten, die der britisch-deutsche Untersuchungsbericht umfasst, angefordert, da sich in dem marineinternen Havarieverfahren Sachverhalte ergeben haben, die zu einer Abgabe an die Staatsanwaltschaft wegen unterlassener Hilfeleistung geführt haben. In diesem neuen Verfahren geht es nicht mehr um die Feststellung der Todesursache, sondern um ein mögliches schuldhaftes Verhalten eines der Beteiligten auf der „Mecklenburg-Vorpommern“. Daher ist größte Zurückhaltung geboten, um eine Vorverurteilung und Einflussnahme von außen zu vermeiden. Aus diesen erkennbaren Gründen, Herr Kollege, hat es noch keinen abschließenden Bericht an den Verteidigungsausschuss gegeben.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Zusatzfrage des Kollegen Nolting, bitte schön.

Günther Friedrich Nolting (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001622, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Staatssekretärin, Sie haben dieses tragische Unglück angesprochen. Ich will dieses Thema mit Zurückhaltung behandeln. Aber es hätte dieser Frage nicht bedurft, wenn es im Verteidigungsausschuss eine umfassende Information gegeben hätte. Deshalb meine Frage:Warum sind die Informationen, die Sie uns heute hier geben, und der Bericht der deutsch-britischen Kommission - diese Frage steht noch immer im Raum - nicht dem Verteidigungsausschuss zugeleitet worden?

Brigitte Traupe (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002099

Herr Kollege Nolting, das habe ich mit meiner ausführlichen Antwort auf Ihre schriftlich eingereichte Frage zu erklären versucht. In der Tat ist es für einen verantwortlichen Truppenführer - in diesem Fall für den zuständigen Admiral - eine schwere Entscheidung, ein solches Verfahren förmlich nicht zu beenden und die Staatsanwaltschaft ermitteln zu lassen; die Frage hinsichtlich der Todesursache ist ja erledigt. Das haben Sie, wie ich dem Protokoll über die Sitzung des Verteidigungsausschusses, an der ich nicht teilnehmen konnte, entnommen habe, mehrfach erfahren. Die Frage, ob unterlassene Hilfeleistung und ob ein Fehlverhalten eines Beteiligten, der auf der „Mecklenburg-Vorpommern“ Dienst hatte, vorliegt, hat zu der von Ihnen angesprochenen Zurückhaltung geführt, Herr Kollege. Wir hatten in den letzten Wochen Grund, zu sagen: Nein, es ist notwendig, diesen Fall an die Staatsanwaltschaft abzugeben.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Eine weitere Zusatzfrage, Kollege Nolting.

Günther Friedrich Nolting (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001622, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Staatssekretärin, hätten wir uns nicht vieles auch an öffentlicher Diskussion ersparen können, wenn der Bericht, der jetzt mehrfach angesprochen wurde und der eine Tatsachenfeststellung beinhaltet, den Ausschussmitgliedern zugestellt worden wäre?

Brigitte Traupe (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002099

Herr Kollege Nolting, wie Sie ja wissen, habe ich mich - auch das wiederhole ich - mit dieser Frage intensiv in Neustadt beschäftigt. Ich habe mir dort zeigen lassen, wie die Rettungswesten angelegt werden, und sagen lassen, dass alle Zeitsoldaten - die ertrunkenen Männer waren Zeitsoldaten - wissen, wie wichtig es ist, das Anlegen dieser Westen zu beherrschen. Alle möglichen Vermutungen wurden öffentlich geäußert. Unter anderem wurde behauptet, wir hätten die falsche Schutzkleidung, die falschen Westen. Dies alles trifft nicht zu. Das wurde sorgfältig überprüft. Bis zum Mai dieses Jahres wurde ermittelt, wie ein solcher Unfall passieren konnte. Weil ich mich informieren wollte, wie ein solches Unglück passieren konnte, habe ich sogar in Kauf genommen, der historischen Rede von Herrn Bush am 23. Mai nicht beiwohnen zu können, was ich bedaure. Es ist ein tragisches Unglück, dass beide Männer ihre Westen nicht richtig angelegt haben. Wir haben dann eine Auswertung vorgenommen. Danach hat sich die Frage gestellt, ob es möglich gewesen Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms wäre, diese Männer zu retten, wenn man sie schneller erreicht hätte. Dies hat dazu geführt - dafür habe ich sehr viel Verständnis -, dass der zuständige Befehlshaber der Flotte mit dem Abschluss des Verfahrens gewartet und die Sache an die Staatsanwaltschaft abgegeben hat. Noch einmal: Die Staatsanwaltschaft hat noch nicht endgültig entschieden. Sie hat eigene Ermittlungen in diesem Fall angestellt. Deswegen konnte es weder zu dem Zeitpunkt, den Sie angesprochen haben, noch kann es heute einen abschließenden Bericht geben. Es ist völlig klar, dass Sie später einen solchen Bericht erhalten werden. Das Unglück ist eine große Tragödie.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Die Frage 8 des Abgeordneten Gehrcke wird schriftlich beantwortet. - Vielen Dank, Frau Staatssekretärin. Wir kommen jetzt zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen. Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär Stephan Hilsberg zur Verfügung. Die Frage 9 des Kollegen Peter Weiß wird schriftlich beantwortet. Ich rufe die Frage 10 des Abgeordneten Paul Breuer - er ist anwesend - auf: Sind die Vorarbeiten der Bundesregierung zur Aufstellung des Bundesverkehrswegeplanes bereits so fortgeschritten, dass nunmehr eine definitive Aussage über die Aufnahme des Weiterbaus der Hüttentalstraße, Bundesstraße B 62, von Siegen-Süd in Nordrhein-Westfalen bis Niederscheiderhütte in Rheinland-Pfalz in den vordringlichen Bedarf getroffen werden kann? Bitte schön, Herr Staatssekretär.

Stephan Hilsberg (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000904

Sehr geehrter Herr Abgeordneter Breuer, der Weiterbau der Hüttentalstraße von Siegen-Süd bis Niederscheiderhütte ist nach Auffassung der Bundesregierung im Rahmen der laufenden Überarbeitung des Bundesverkehrswegeplans als indisponibel zu betrachten. Die Bundesregierung wird vorschlagen, sie in den vordringlichen Bedarf aufzunehmen.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Breuer hat keine Zusatzfrage. Ich rufe die Frage 11 des Abgeordneten Werner Wittlich auf: In welchem Zeitraum kann der Weiterbau der Hüttentalstraße, Bundesstraße B 62, von Siegen-Süd in Nordrhein-Westfalen bis Niederscheiderhütte in Rheinland-Pfalz nach Einschätzung der Bundesregierung verwirklicht werden? Ist Herr Wittlich anwesend? - Das ist der Fall. Bitte schön, Herr Staatssekretär.

Stephan Hilsberg (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000904

Sehr geehrter Herr Wittlich, man befindet sich zurzeit - es geht ja um das gleiche Projekt - im Planfeststellungsverfahren. Erst nach Vorliegen des Baurechts kann die Bundesregierung nach Abstimmung mit den Auftragsverwaltungen der Länder Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz Aussagen zu einer Finanzierung der Maßnahme treffen.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Zusatzfrage, Kollege Wittlich, bitte schön.

Werner Wittlich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003268, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, wann kann das Baurecht erlangt werden? Man hört vor Ort die unterschiedlichsten Aussagen.

Stephan Hilsberg (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000904

Aufgrund der Tatsache, dass das ein Projekt ist, das vor Ort - ich will nicht sagen: umstritten ist - beklagt wird, rechnen wir nicht damit, dass das Baurecht vor Ende des Jahres 2003 erlangt wird.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Weitere Zusatzfrage.

Werner Wittlich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003268, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Wie wäre es dann, wenn das Baurecht im Jahr 2003 erlangt wird, mit der Finanzierung? Wäre die gesichert? Wird das eingeplant?

Stephan Hilsberg (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000904

Das wird eine Frage der Aufstellung der nächsten Verkehrsund Verkehrsfinanzierungsprogramme sein.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Vielen Dank. - Eine Zusatzfrage vom Kollegen Breuer.

Paul Breuer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000265, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, halten Sie es für möglich, dass im Vorfeld der Schritte, die Sie eben beschrieben haben, Maßnahmen für den Geländeerwerb bzw. den Erwerb von Immobilien, die heute noch auf der Trasse stehen, getroffen werden?

Stephan Hilsberg (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000904

Prinzipiell ist so etwas möglich. Allerdings ist es ja bis zum Ende des Jahres 2003 noch ein gewisser Zeitraum. Es ist allgemein nicht üblich, dass solches Gelände bereits so frühzeitig erworben wird. Außerdem ist das eine Frage der Abstimmungsgespräche unseres Hauses mit den Landesauftragsverwaltungen. Ich glaube, dass darüber im gegenseitigen Interesse Einvernehmen erzielt werden kann, zumal das Projekt indisponibel gestellt worden ist.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Die Fragen 12 und 13 der Kollegin Ostrowski sollen schriftlich beantwortet werden. Ebenfalls sollen die beiden Fragen der Kollegin Ehlert - das sind die Fragen 14 und 15 - schriftlich beantwortet werden. Dann kommen wir zur Frage 16 des Abgeordneten Hans Michelbach: Hält die Bundesregierung die Planungen zur ICE-Neubaustreckenverbindung Nürnberg-Berlin mit Anbindung der Region Oberfranken vor dem Hintergrund der Ablehnung durch die SPD-Landtagsfraktion in Bayern - vergleiche „Coburger Tageblatt vom 3. Juni 2002“ - weiterhin aufrecht und, wenn ja, wann wird eine endgültige Finanzierungsvereinbarung mit der Deutschen Bahn AG, DB AG, abgeschlossen? Herr Michelbach ist anwesend. Bitte schön, Herr Staatssekretär.

Stephan Hilsberg (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000904

Sehr geehrter Herr Michelbach, die Bundesregierung hat entschieden, die Realisierung der Verkehrsprojekte „Deutsche Einheit“ Nr. 8.1 und Nr. 8.2 im Zuge der ICE-Verbindung Nürnberg-Berlin fortzusetzen. Hierin eingeschlossen ist die Anbindung der Region Oberfranken in Coburg. Für den Abschnitt Nürnberg-Ebensfeld, der im Zusammenhang mit dem Ausbau der S-Bahn nach Forchheim realisiert wird, befinden sich entsprechende Finanzierungsvereinbarungen in Vorbereitung. Für den Abschnitt Ebensfeld-Erfurt besteht bereits eine Finanzierungsvereinbarung, die einem geänderten Bauablauf, der sich nach Aussetzung des Weiterbaus im Sommer 1999 ergeben hatte, angepasst wird. Die bereits bestehende Finanzierungsvereinbarung aus dem Jahr 1999 für die Neubaustrecke Ebensfeld-Erfurt wird hinsichtlich der Kosten und des geänderten Bauablaufs derzeit fortgeschrieben. Zurzeit befindet sich die Finanzierungsvereinbarung für den Neubauabschnitt Erfurt-Gröbers bei der DB AG in der Vorbereitung. Für den Neubauabschnitt Gröbers-Leipzig, der seit Oktober 1996 im Bau ist, besteht bereits eine Finanzierungsvereinbarung. Das Bundesministerium für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen hat der DB AG mitgeteilt, dass für vordringliche Teilmaßnahmen des VDE 8.2 Anträge auf Finanzierung von vorzeitigem Grunderwerb und von unumgänglichen bauvorbereitenden Maßnahmen im Rahmen der betreffenden Vereinbarung beim Eisenbahn-Bundesamt gestellt werden können.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Zusatzfrage, Kollege Michelbach.

Hans Michelbach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002738, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, vielen Dank für die klare Antwort. Meine Zusatzfrage lautet: Warum hat die SPD-Landtagsfraktion in Bayern bei dieser Klarheit zusätzliche Studien und zusätzliche Veränderungswünsche vorgetragen und würde dies in Bezug auf Ihre Position, dass nämlich die ICE-Neubaustrecke Nürnberg-Coburg-Berlin in dieser Form gebaut wird, Wirkung zeigen?

Stephan Hilsberg (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000904

Herr Michelbach, erstens ist es nicht unsere Aufgabe, hier über die Motivation von Dritten zu spekulieren, und zweitens hat die SPD-Landtagsfraktion in Bayern keine zusätzlichen Informationswünsche geäußert, sondern Informationen über den Hintergrund dieser Bauentscheidung erbeten. Diese Informationen werden wir ihr - wie allen anderen Fraktionen auch - selbstverständlich zur Verfügung stellen.

Hans Michelbach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002738, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, sehen Sie durch diese neue Initiative der SPD-Landtagsfraktion - es heißt darin, es solle alles neu geprüft werden neue Hemmnisse für die notwendige Ausbaumaßnahme, die Sie hier doch bejaht haben? ({0}) Ist in Verbindung mit der A 73 in jedem Fall die Durchführung der Maßnahmen gewährleistet?

Stephan Hilsberg (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000904

Herr Michelbach, die Haltung der Bundesregierung zur Frage der Realisierung der VDE Nr. 8.1 und 8.2 hatte ich Ihnen in der Antwort auf die von Ihnen gestellte Frage dargestellt. Dem ist nichts hinzuzufügen. ({0})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Wir kommen zur Frage 17 des Kollegen Albrecht Feibel: In welchem Umfang sind seit der Privatisierung der Bahn Zuschüsse des Bundes an die DB AG geflossen ({0})? Herr Staatssekretär, bitte.

Stephan Hilsberg (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000904

Herr Feibel, die Deutsche Bahn AG hat in den Jahren 1998 bis 2001 nachstehende Zuschüsse erhalten. - Ich habe jetzt ein Problem. Mir liegt eine Tabelle mit etwa 30 Zahlen vor - Sie haben umfangreiche Zahlenangaben gewünscht -, bei denen es sich jeweils um Millionenbeträge handelt. Ich kann sie Ihnen im Einzelnen vortragen, aber dann haben Sie wahrscheinlich wenig davon. Ich kann sie Ihnen kursiv oder summarisch vortragen, aber ich kann sie Ihnen auch schriftlich übergeben; dann könnten wir die Frage auf dieser Grundlage weiter erörtern. Darüber hinaus möchte ich Ihnen noch mitteilen, dass der Bund Investitionsmittel für den Aus- und Neubau und für Ersatzinvestitionen der Schienenwege der Eisenbahnen des Bundes zur Verfügung stellt. Die Mittel erhält die DB Netz AG sowohl für den Bereich Fahrweg als auch für den Bereich Station und Service. Eine Aufgliederung über die beiden Bereiche liegt der Bundesregierung nicht vor. Die Mittel zum Ausgleich des technisch-betrieblichen Rückstands im Bereich der früheren Deutschen Reichsbahn - dabei handelt es sich um nicht investive Altlasten - erhält das Unternehmen DB AG Holding. Auf die konkrete Verwendung der Mittel nimmt der Bund keinen Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms Einfluss. Ich möchte noch die Zahlen für das zurückliegende Jahr 2001 nennen. In dem Jahr sind an investiven Mitteln für zinslose Darlehen, für das Bundesschienenwegeausbaugesetz, das Zukunftsinvestitionsprogramm, für Baukostenzuschüsse, für das Programm für investive Altlasten nach dem Deutsche-Bahn-Gründungsgesetz und für Lärmsanierung insgesamt 7,6 Milliarden ausgegeben worden. Wir haben im GVFG-Bundesprogramm und im Programm für den Hauptstadtvertrag weitere 251 Millionen zusätzlich ausgegeben. Wir haben für den Bedarf im Bereich der Altlasten der Deutschen Reichsbahn, das heißt dem Material- und Personalaufwand, knapp 1,7 Milliarden ausgegeben. Das ergibt einen Gesamtbetrag in Höhe von 9,518 Milliarden im vergangenen Jahr. ({0}) - Das sind alles D-Mark-Beträge, weil im Jahr 2001 noch in D-Mark gerechnet wurde. - Etwa auf demselben Niveau liegen auch die Ausgaben der Vorjahre.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Kollege Feibel, sind Sie damit einverstanden, dass Ihnen die schriftliche Aufstellung der Zahlen übergeben und dass sie gleichzeitig zu Protokoll gegeben wird?

Albrecht Feibel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003433, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident, ich bin mit der Übergabe dieser Daten einverstanden.1) Darüber hinaus möchte ich, ohne die Liste zu kennen, noch zwei Zusatzfragen stellen. Sind in dieser Liste auch Rückflüsse bzw. Beträge aufgeführt, die die Deutsche Bahn nicht in Anspruch genommen hat, wie es im Jahr 2001 der Fall war?

Stephan Hilsberg (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000904

Diese Liste enthält nur Ist-Zahlen, das heißt nur tatsächlich an die DB AG geflossene Beträge.

Albrecht Feibel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003433, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Das heißt, die genehmigten Beträge sind nicht aufgeführt?

Stephan Hilsberg (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000904

Sie enthält nicht die Soll-Zahlen, sondern die abgerufenen, geflossenen und verbauten Mittel.

Albrecht Feibel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003433, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Meine zweite Zusatzfrage lautet: Können Sie davon ausgehen, dass die der Bahn zur Verfügung gestellten Mittel ausschließlich in Investitionen des Netzbetriebs und nicht des Fahrbetriebs geflossen sind?

Stephan Hilsberg (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000904

Die Liste enthält auch Beträge zur Finanzierung von nicht investiven Altlasten. Da dazu auch der Material- und Personalaufwand der Altlasten bei der Deutschen Reichsbahn gehört, kann ich nicht davon ausgehen, dass das alles Investitionen sind.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Zu einer weiteren Frage erteile ich dem Kollegen Schmidt das Wort.

Albert Schmidt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002779, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Staatssekretär, können Sie in diesem Zusammenhang bestätigen, dass die Bundesregierung über die von Ihnen genannten Zahlen hinaus durch Son- derzuwendungen für den Aufbau von Ingenieurkapazitä- ten im Unternehmen Deutsche Bahn AG in Höhe von rund 460 Millionen DM sichergestellt hat, dass die im laufen- den und im nächsten Haushaltsjahr vorgesehenen Haus- haltsmittel, die nochmals Steigerungen gegenüber dem Vorjahr enthalten, auch tatsächlich fristgemäß und sach- gerecht verbaut werden können?

Stephan Hilsberg (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000904

Herr Ab- geordneter, davon kann man ausgehen. Das kann ich be- stätigen.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Vielen Dank, Herr Staatssekretär. Wir kommen jetzt zum Geschäftsbereich des Bundes- ministeriums für Bildung und Forschung. Zur Beantwor- tung der Fragen steht der Parlamentarische Staatssekretär Wolf-Michael Catenhusen zur Verfügung. Frage 18 der Kollegin Maritta Böttcher: Wären nach Auffassung der Bundesregierung Einschreibge- bühren und Studiengebühren für so genannte Langzeitstudie- rende, deren Einführung die Landesregierung in Nordrhein-West- falen plant, im Falle eines In-Kraft-Tretens der vom Deutschen Bundestag beschlossenen sechsten Novelle des Hochschulrah- mengesetzes zulässig?

Wolf Michael Catenhusen (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000326

Frau Kollegin Böttcher, auf Ihre Frage möchte ich Ihnen ant- worten: Mit der Novelle des Hochschulrahmengesetzes wird die Einführung von Studiengebühren bis zum ersten berufsqualifizierenden Studienabschluss in allen Bundes- ländern grundsätzlich ausgeschlossen. Das Gesetz garan- tiert den Studienwilligen und ihren Familien damit, dass ein Studium bis zum Bachelor bzw. bis zum konsekutiven Masterabschluss, bis zum Diplom, Magister oder bis zum Staatsexamen auch künftig studiengebührenfrei bleibt. Der Bund hat für den Hochschulbereich eine Rahmen- gesetzgebungskompetenz und muss den Ländern Spiel- räume für Ausnahmeregelungen einräumen. Grundsätz- lich lässt das vom Bundestag beschlossene Sechste Gesetz zur Änderung des Hochschulrahmengesetzes daher zu, dass das Landesrecht in besonderen Fällen Ausnahmen von der Studiengebührenfreiheit vorsieht. Die Regelung unterstützt dabei insbesondere die Einführung neuer nachfrageorientierter Studienfinanzierungsmodelle wie 1) Anlage 2 Studienkonten und Bildungsgutscheine. Das Landesrecht regelt, welchen Umfang das Studienkonto bzw. die Bildungsgutscheine für ein gebührenfreies Studium haben und wann die Regelstudienzeit als deutlich überschritten gilt und damit Studiengebühren erhoben werden können. Hierbei sind differenzierte Regelungen möglich und sinnvoll, etwa zur Berücksichtigung von Gremientätigkeiten, Kindererziehungszeiten und Auslandsstudienzeiten sowie zur Ermöglichung eines Teilzeitstudiums. Erst die konkrete Ausgestaltung der Gebührenregelung im Landeshochschulrecht lässt demnach die Überprüfung zu, ob es sich noch um eine rahmenrechtlich zulässige Ausnahmebestimmung handelt, die der im Hochschulrahmengesetz neu verankerten Studiengebührenfreiheit entspricht.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Zusatzfrage, Kollegin Böttcher?

Maritta Böttcher (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002631, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Ja. - Herr Staatssekretär, ich möchte zusätzlich nachfragen, wie die Bundesregierung politisch den Sachverhalt beurteilt, dass das bevölkerungsreichste Bundesland, in dem rund ein Drittel aller Studentinnen und Studenten bundesweit studieren, die Gebührenfreiheit des Hochschulstudiums infrage stellt, und zwar nur wenige Wochen nach der Verabschiedung eines Studiengebührenverbots für das Erststudium durch den Deutschen Bundestag.

Wolf Michael Catenhusen (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000326

Darauf möchte ich Folgendes antworten: Bei dieser Diskussion muss man berücksichtigen, dass durch noch so strikte Regelungen im Hochschulrahmengesetz die Erhebung von Verwaltungsgebühren durch ein Bundesland nicht generell ausgeschlossen werden kann. Meine Ministerin, Frau Bulmahn, hat ja in den letzten Tagen deutlich gemacht, dass wir über die Pläne von NordrheinWestfalen nicht glücklich sind. Bei Entscheidungen auf Landesebene muss auch in die Überlegungen einbezogen werden, ob damit das Signal verbunden sein könnte, dass neue Hürden für den Studienzugang - vielleicht nicht so sehr geldmäßige, sondern eher bewusstseinsmäßige - aufgebaut werden. Ich denke, die Landesregierungen sind gut beraten, dieses auch dann in ihre Abwägungen einzubeziehen, wenn sie vor großen finanziellen Problemen, was die Konsolidierung des eigenen Haushaltes angeht, stehen. ({0})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Noch eine weitere Frage, Frau Böttcher?

Maritta Böttcher (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002631, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Ja. - Kann ich also davon ausgehen, dass die Bundesregierung die studentische Kritik teilt, dass es mit der sechsten Novelle des Hochschulrahmengesetzes bisher weder rechtlich noch politisch gelungen ist, die anhaltende Debatte um die Einführung von Studiengebühren zu beenden?

Wolf Michael Catenhusen (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000326

Die sechste Novelle schreibt den Konsens, den die Wissenschaftsminister aller Bundesländer in Meiningen im letzten Jahr gefunden hatten, rechtlich fest und schränkt damit den Spielraum auch landesgesetzlicher Regelungen im Kontext des Hochschulrahmengesetzes ein. Ich mache aber noch einmal deutlich, dass jedes Hochschulrahmengesetz auf diesem Gebiet nur eine Rahmengesetzgebung darstellt und Handlungsspielräume für die Länder nicht, wie manche glauben, völlig ausschließen kann.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Damit kommen wir zur Frage 19 der Kollegin Böttcher: Sieht die Bundesregierung die Notwendigkeit, das vom Deutschen Bundestag in der sechsten Novelle des Hochschulrahmengesetzes beschlossene Studiengebührenverbot dahin gehend nachzubessern, dass zumindest für das gesamte Erststudium ausnahmslos Studiengebühren ausgeschlossen werden?

Wolf Michael Catenhusen (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000326

Ich antworte auf diese Frage mit Nein.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das war es? - Gut. Dann kommen wir zur Frage 20 des Kollegen Dr. Heinrich Fink: Wäre nach Auffassung der Bundesregierung die Realisierung des im Rahmen einer durch Pressemeldungen bekannt gewordenen Kooperationsvereinbarung zwischen der Technischen Universität München und dem Centrum für Hochschulentwicklung ({0}) entwickelten Modells zur Einführung von Studiengebühren ab dem ersten Semester im Falle eines In-Kraft-Tretens der vom Deutschen Bundestag beschlossenen sechsten Novelle des Hochschulrahmengesetzes zulässig?

Wolf Michael Catenhusen (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000326

Herr Kollege Fink, auf Frage 20 möchte ich zunächst mit der Feststellung Nein antworten. Das vom CHE und der Hochschulrektorenkonferenz gemeinsam veröffentliche Eckpunktepapier „Studiengebühren als Optionen für autonome Hochschulen“ stellt von seinem Ansatz her einen Gegenentwurf zur Gebührenfreiheit für ein erstes berufsqualifizierendes Studium dar, die die Bundesregierung mit dem vom Deutschen Bundestag beschlossenen sechsten Gesetz zur Änderung des Hochschulrahmengesetzes verbindlich festschreiben will. Der mit dem Modell verfolgten Absicht, in Kooperation mit einzelnen Hochschulen Möglichkeiten auszuloten, um den Hochschulen die autonome Entscheidung zur generellen Erhebung von Studiengebühren ab dem ersten Semester zu überlassen, wird hinsichtlich der staatlichen Hochschulen mit In-Kraft-Treten des sechsten HRG-Änderungsgesetzes der Boden entzogen.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Eine Zusatzfrage des Kollegen Fink.

Prof. Dr. Heinrich Fink (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003116, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Wie wird die Bundesregierung darauf reagieren, wenn es trotzdem dazu kommt?

Wolf Michael Catenhusen (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000326

Darüber müsste zunächst die zuständige Landesregierung entscheiden. Dass sie diese Regelung als problematisch ansieht, kann man auch den öffentlichen Äußerungen des zuständigen Ressortministers des Freistaates Bayern unschwer entnehmen.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Eine weitere Zusatzfrage des Abgeordneten Fink.

Prof. Dr. Heinrich Fink (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003116, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Gesetzt den Fall, der Freistaat Bayern stimmt dem zu: Wird die Bundesregierung dem Freistaat Bayern zustimmen oder wird sie dem Freistaat Bayern zumindest ihre Missbilligung zu verstehen geben?

Wolf Michael Catenhusen (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000326

Diese Bundesregierung setzt sich in der Regel nicht mit hypothetischen Fällen auseinander. Herr Kollege Fink, was die rechtliche Bewertung, dass eine solche Regelung nicht mit der vom Bundestag beschlossenen sechsten Novelle des Hochschulrahmengesetzes vereinbar ist, angeht: Dieser Bewertung habe ich nichts hinzuzufügen.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Wir kommen zur Frage 21 des Kollegen Dr. Fink: Ist der Bundesregierung bekannt, welche weiteren Hochschulen das im Oktober 2001 vom CHE unterbreitete Kooperationsangebot „Studiengebühren als Optionen für autonome Hochschulen“ angenommen und Kooperationsvereinbarungen zur Entwicklung von Modellen zur Einführung von Studiengebühren abgeschlossen haben?

Wolf Michael Catenhusen (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000326

Ich kann auf die Frage, ob uns bekannt ist, dass weitere Hochschulen dieses Kooperationsangebot angenommen haben, nur antworten: Uns ist diesbezüglich nichts bekannt.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Kollege Fink, möchten Sie eine Zusatzfrage stellen?

Prof. Dr. Heinrich Fink (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003116, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Nein.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Vielen Dank, Herr Staatssekretär. Alle übrigen Fragen zu diesem Geschäftsbereich - es handelt sich um die Fragen 22 bis 25 - werden schriftlich beantwortet. Das Gleiche gilt für die Fragen des Geschäftsbereichs des Auswärtigen Amtes - es handelt sich um die Fragen 26 bis 29 - und des Bundesministeriums des Innern; es handelt sich um die Fragen 30 bis 32. Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Finanzen, zur Frage 33. - Ich stelle fest, dass der Kollege Michelbach nicht mehr anwesend ist. Es wird verfahren, wie in der Geschäftsordnung vorgesehen. Die Fragen 34 und 35 des Kollegen Dr. Kolb sollen schriftlich beantwortet werden. Damit sind wir am Ende der Fragestunde. Die von der CDU/CSU beantragte Aktuelle Stunde soll um 15.30 Uhr beginnen. Ich unterbreche die Sitzung bis zu diesem Zeitpunkt. ({0})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Die unterbrochene Sitzung ist wieder eröffnet. Die CDU/CSU-Fraktion hat zu den Antworten der Bundesregierung auf die dringlichen Fragen 1 bis 4 eine Aktuelle Stunde verlangt. Ich rufe daher auf: Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion der CDU/CSU Haltung der Bundesregierung zum NitrofenSkandal Ich eröffne die Aussprache. Als Erster hat der Kollege Heinrich-Wilhelm Ronsöhr das Wort.

Heinrich Wilhelm Ronsöhr (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002766, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Was mir und auch vielen anderen im Zusammenhang mit dem Nitrofen-Skandal missfällt, ist die Tatsache, dass man so außerordentlich viel Zeit zur Aufarbeitung dieses Skandals benötigt. ({0}) Wenn sich unsere Feuerwehren beim Löschen von Bränden genauso viel Zeit lassen würden, wie man in Deutschland für die Aufarbeitung von Lebensmittelskandalen braucht, dann wären Teile von Deutschland schon abgebrannt. Es muss einfach schneller gehandelt werden. Der Herr Staatssekretär hat in der Fragestunde betont, es sei alles dokumentiert. Darauf kann ich nur erwidern, dass man dann nur in die Dokumente hineinschauen müsste, um zu erfahren, wohin das mit Nitrofen verseuchte Getreide gelangt ist. ({1}) - Der Staatssekretär hat hier davon gesprochen, dass eine lückenlose Dokumentation vorliegt. Man müsste also in der Lage sein, schneller zu handeln. Das gilt allerdings nicht nur für das Bundesverbraucherschutzministerium, sondern auch für einige Landwirtschaftsministerien der Länder. ({2}) Es darf nicht so lange dauern, wie das hier der Fall gewesen ist. ({3}) Herr Staatssekretär, die CDU/CSU-Fraktion stimmt mit Ihnen darin überein, dass es skandalös ist, wenn Firmen, die Erkenntnisse über Nitrofen-Belastungen haben, diese den Behörden nicht melden. ({4}) Es ist schlimm, dass Firmen weiter Getreide ausgeliefert haben, obwohl sie von Nitrofen-Belastungen in diesem Getreide wussten. Aber es ist genauso schlimm, wenn auch Ökoverbände keine Meldungen über derartige Belastungen machen. Dieser Punkt geht nach meiner Ansicht in der Diskussion unter. All das muss als skandalös bezeichnet werden. Wie sieht es mit der Bundesanstalt für Fleischforschung in Kulmbach aus? Sie hat schon im Januar von den Nitrofen-Belastungen erfahren. Sie musste aber erst einmal Vorkehrungen treffen, um genaue Messungen zum Nachweis von Nitrofen durchführen zu können. Experten sagen heute, dass es schneller möglich gewesen wäre und dass das nicht unbedingt zwei Monate hätte dauern müssen. Im März kam Putenfleisch auf den Markt, das in einem hohen Maße mit Nitrofen belastet war, aber auch das wurde nicht gemeldet. Nun sagt mir die Bundesanstalt für Fleischforschung in Kulmbach - ich halte es für blödsinnig, dass man sich so herausredet -, der Grund sei, dass die Erlasslage des Ministeriums das nicht hergegeben habe. Sie haben am 6. Juni, also in diesem Monat, den Erlass vom Januar korrigieren müssen. ({5}) - So hat mir das die Bundesanstalt für Fleischforschung in Kulmbach berichtet. Man hat den Erlass, den man im Januar herausgegeben hat, korrigieren müssen. Dazu kann ich nur fragen, Herr Staatssekretär: Wie viele Lebensmittelkrisen müssen in Deutschland eigentlich stattfinden, bevor wir zu einer wirklichen Erneuerung des Verbraucherschutzes kommen? ({6}) Wir haben in diesem Hause - da widerspreche ich dem, was Ulrike Höfken immer sagt - viele Beschlüsse zur Aufarbeitung der BSE-Krise gemeinsam gefasst. Wir haben gemeinsam Konsequenzen aus der Krise gezogen. Ich glaube auch, dass ich mich als Oppositionspolitiker hier mit der entsprechenden Sorgfalt eingelassen habe. Aber das Schlimme ist: Jetzt, anderthalb Jahre nach der BSE-Krise, sagt Frau Künast, an und für sich sei alles beim Alten geblieben. Im Grunde genommen hat sie also in den anderthalb Jahren nach dem Ausbruch der BSE-Krise nichts zur Erneuerung des Verbraucherschutzes getan. ({7}) Das ist das Problem. Wir hatten im vergangenen Winter einen Fischmehlskandal. Ich dachte, dass zumindest daraus Konsequenzen gezogen worden sind. Aber es sind wieder keine Konsequenzen gezogen worden. Im Grunde genommen ist das dem Ministerium vorzuhalten. Ich fordere Sie im Namen meiner Fraktion jetzt wirklich auf, die entsprechenden Schritte für einen ganz konsequenten Verbraucherschutz einzuleiten. Sonst sind Sie als Parlamentarischer Staatssekretär Ihr Geld und ist die Ministerin ihr Ministergehalt nicht wert. ({8})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Als nächster Redner hat die Kollegin Jella Teuchner von der SPDFraktion das Wort.

Jella Teuchner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002816, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sowohl die Union als auch die FDP haben heute an die Bundesregierung viele dringliche Fragen zum Thema Nitrofen in Futtermitteln gestellt. Im Mittelpunkt ihrer Fragen steht einmal mehr die Aufklärungsarbeit des Bundesministeriums für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft und nicht die Verantwortung der Futtermittelhersteller und der Wirtschaft. Die Antworten auf die meisten Fragen wurden gestern von der EU-Kommission gegeben: Es wird keine Ausfuhrbeschränkungen für deutsche Bioprodukte geben und über die von der Bundesregierung ergriffenen Maßnahmen hinaus sind keine Sofortmaßnahmen erforderlich. Die Veterinärexperten der EU-Staaten zeigten sich zufrieden mit der Schadensanalyse der deutschen Behörden und den bisher getroffenen Maßnahmen. So schreibt die „Süddeutsche Zeitung“ heute. Das Problem, so die Kommission, liege in der föderalen Organisation, die für Probleme bei Kontrollen immer wieder verantwortlich sei. Die Europäische Kommission bestätigt damit, was wir schon letzte Woche hier gesagt haben: Renate Künast hat schnell und richtig gehandelt. Die Kommission bestätigt damit auch, dass es wichtig ist, die Koordination zwischen dem Bund und den Ländern zu verbessern. Sie wissen, dass wir hier ebenfalls erste Maßnahmen ergriffen haben. Sie wissen aber auch, dass wir dabei ohne die Mitwirkung der Länder keine Fortschritte machen können. ({0}) Mit Ihren Fragen haben Sie wieder einmal versucht, dem Bundesministerium für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft die Schuld an dem NitrofenSkandal in die Schuhe zu schieben. ({1}) Ich finde das mittlerweile unerträglich, weil Sie in Ihrer Rhetorik den großen Verbraucherschützer mimen, in Ihrem Handeln aber weiterhin die Täter schützen. ({2}) Haben Sie eigentlich gemerkt, dass am letzten Donnerstag sechs Redner von der Union und der FDP und 33 Seiten des Plenarprotokolls erforderlich waren, bis von Ihnen zum ersten Mal darauf hingewiesen wurde, dass Futtermittelhändler und Lebensmittelhersteller eine gravierende Verantwortung tragen? ({3}) Es bleibt festzuhalten: Es war das Bundesministerium für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft, das die Nitrofen-Funde öffentlich gemacht und die Aufklärung vorangetrieben hat. ({4}) Wenn Sie nun versuchen, Renate Künast daraus einen Strick zu drehen, dann verhindern Sie die Aufklärung. Sie schützen nicht die Verbraucher, sondern die Täter. ({5})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Kollege Küster, könnten Sie bitte etwas maßvoller sein. ({0}) - Das Wort hat die Kollegin und nicht Sie, Herr Küster!

Jella Teuchner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002816, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich meine aber auch, dass wir in diesem Zusammenhang nicht von „Blasenkopf“ sprechen sollten. Wir werden Ihnen Ihre durchsichtigen Wahlkampfmanöver - denn mehr ist es nicht - nicht durchgehen lassen. Mit Ihrem Vorgehen werden Sie auch in der Öffentlichkeit nicht punkten können. ({0}) Ihr Spiel ist voll und ganz durchschaut. Ich bin der Meinung, Sie sollten darauf aufpassen, dass Ihnen die Öffentlichkeit für Ihr Verhalten und Ihre Vorgehensweise nicht die rote Karte zeigt. ({1})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat der Kollege Ulrich Heinrich von der FDP-Fraktion.

Ulrich Heinrich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000851, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Letzten Donnerstag habe ich Frau Ministerin Künast vorgeworfen, sie betreibe eine chaotische Informationspolitik. Offensichtlich war die Europäische Kommission der gleichen Meinung. ({0}) Anscheinend war die Angelegenheit so gravierend, dass wir kurz davor standen, dass ein generelles Verbot des Exports von Bionahrungsmitteln aus der Bundesrepublik Deutschland verhängt wird. Wenn das nicht Zeugnis genug für die Dramatik und Ernsthaftigkeit ist, in der wir hier verhandeln, dann weiß ich nicht, was alles noch passieren muss, damit das klar wird. Herr Staatssekretär Berninger, Sie geben sich viel Mühe; das gebe ich zu. Aber trotz allem sind wir in der Sondersitzung des Ausschusses vom 30. Mai 2002 belogen worden - nicht von Ihnen, Herr Staatssekretär -, als ich gefragt hatte, wie die Informationen an die Behörden weitergegeben worden sind. Uns wurde gesagt, dass alle Behörden am 23. Januar benachrichtigt worden seien und weiterhin alle Unregelmäßigkeiten sofort gemeldet werden müssten. Jetzt stellen wir fest, dass diese Informationen nicht weitergegeben worden sind und dass nicht das geschehen ist, was wir erwarten, nämlich dass unverzüglich informiert wird. Ich bin in meinen schlimmsten Befürchtungen bestätigt worden. Denn wir mussten leider Gottes erleben, dass die Dinge erst durch das Tätigwerden der Kommission und das Zusammentreffen der Vertreter von Bund und Ländern im Rahmen der Sondersitzung des vergangenen Sonntags einigermaßen zurechtgerückt werden konnten. Ich stelle ganz deutlich fest: Die Koordination zwischen Bund und Ländern stimmt nicht und hat mit einem vorsorgenden Verbraucherschutz überhaupt nichts zu tun. ({1}) Bei den verseuchten Shrimps bestand das gleiche Problem: ({2}) Wenn etwas passiert, ({3}) dann wird immer gesagt: Wir sind die Starken und klären Millimeter für Millimeter auf. - Sie blasen sich auf und wir stellen bei der nächsten Problemstellung fest, dass man dem Thema wieder hinterherläuft und die Dinge nicht vorsorgend im Griff hat. Ich sage Ihnen eines: Das nächste Thema wird kommen; es werden die Nitrofurane sein. Ich warne Sie heute erneut davor, dieses Thema zu leicht zu nehmen. Sie sind von dem Zentralverband der Deutschen Geflügelwirtschaft entsprechend unterrichtet worden. In Ihrer Antwort darauf haben Sie gesagt, Sie meldeten die Vorfälle an die Kommission und hätten dann zwei Wochen Zeit, um selber zu handeln. Vergangene Woche ist die Zweiwochenfrist abgelaufen, Herr Staatssekretär Berninger. Wo sind Ihre Handlungen? Haben Sie uns heute etwas darüber zu sagen, was in Zukunft bei Importen von Geflügelfleisch zum Beispiel aus Brasilien, Thailand und China geschieht? Es gibt Befürchtungen, dass es im vorsorgenden Verbraucherschutz Mängel gibt. Man kann es sich nicht so einfach machen, immer wieder zu sagen, dass man aufkläre, die eigentlichen Probleme, die sich stellen, aber beiseite schiebt. Ich möchte einmal deutlich auf das hinweisen, was Prinz Charles heute in Deutschland gesagt hat. ({4}) - Ja, bei ihm war Frau Künast. Die FAO war ihr nicht ganz so wichtig. Ich habe am Donnerstag schon nach einem Prinzen für die Frau Ministerin gerufen. Offensichtlich ist er heute gekommen; ich freue mich für sie. Was er gesagt hat, ist richtig: Man darf aufgrund eines Skandals nicht eine ganze Branche niedermachen. Hätte sie sich doch nur daran gehalten! ({5}) Dieses Vorgehen ist doch typisch. Wie war es denn bei BSE? Was hat nicht alles diese Diskussion in den letzten anderthalb Jahren beherrscht! Man hat immer einen Schuldigen gehabt ({6}) und ihn als Sündenbock hingestellt. Übrig geblieben ist nichts davon. ({7}) Auf der Basis dieser Ideologie, in die Sie sich hineingesteigert haben, werden Sie mit Ihrer Politik scheitern. Ich bedanke mich. ({8})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Kollege Carstensen, Sie haben, wie ich es eben bestätigt gefunden habe, den Kollegen Küster als Blasenkopf bezeichnet. Das ist kein parlamentarischer Sprachgebrauch. Ich bitte Sie, dies in Zukunft zu unterlassen. ({0}) - Sie haben nicht das Recht, dazu Stellung zu nehmen. ({1}) Als nächste Rednerin hat das Wort die Kollegin Ulrike Höfken.

Ulrike Höfken-Deipenbrock (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002680, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Carstensen hat mit sich selber gesprochen, sagt er gerade. ({0}) Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Herr Heinrich, ich finde, Sie müssen sich entschuldigen; denn Sie verwechseln den ersten Erlass der Ministerin vom Januar, in dem sie festgelegt hat, dass Vorkommnisse im Hinblick auf die Lebensmittelsicherheit an das Bundesministerium zu melden sind, mit dem zweiten Erlass, in dem diese Meldepflicht auf privatrechtliche Verträge ausgedehnt wird. Insofern ist Ihnen absolut nichts Falsches erzählt worden. Sie sind mitnichten belogen worden. ({1}) Ich möchte mich bei der Bundesministerin Renate Künast, bei den Staatssekretären, insbesondere den Staatssekretären Müller und Berninger, und allen Mitarbeitern des Ministeriums für die rasche und energische Aufklärungsarbeit bedanken. ({2}) Wir sind nicht die Staatsanwaltschaft. Das Ergebnis der Untersuchung ist, dass es sich in zwei Fällen, bei den Betrieben NSP und GS agri, um Fahrlässigkeit und Kriminalität handelt und alle Spuren in diese Halle nach Malchin führen. Es ist aber doch schwer zu verstehen, dass diese Untersuchungsergebnisse nun ständig angezweifelt werden. Sie sollten jedenfalls nicht instrumentalisiert werden - das weisen Sie von sich; ich hoffe, das stimmt - gegen die Betriebe des ökologischen Landbaus, die überhaupt nichts dazu können, übrigens ebenso wie die Betriebe des konventionellen Landbaus. ({3}) Wir wollen den Verbraucherschutz verbessern und das haben die Ministerin Renate Künast und die Koalition mit großen Anstrengungen getan. Besonders nach der Übernahme des Verbraucherschutzministeriums wurde eine ganze Reihe von Verordnungen und Gesetzen erlassen. Ich möchte daran erinnern, dass heute zeitgleich der Vermittlungsausschuss zum Verbraucherinformationsgesetz tagt. Da zeigt sich doch die ganze Heuchelei der Opposition, gerade die der FDP. ({4}) Diese so genannte Freiheitspartei verweigert den Verbrauchern und der Öffentlichkeit die Informationsansprüche. Das muss man sich auf der Zunge zergehen lassen. ({5}) Das ist das schlechte Gewissen derjenigen, die sich auf die Seite derer stellen, die die Verschwiegenheit tatsächlich befürworten, und nicht auf der Seite derer sind, die nichts zu befürchten haben. ({6}) Wir haben bei der Vorbesprechung im Bundesrat in der letzten Woche überhaupt keinen eigenständigen Vorschlag der Unionsfraktion und der FDP zu hören bekommen. ({7}) Es ist ganz klar: Man will die Informationsansprüche verhindern und begründet das damit, dass dadurch Kriminalität nicht zu verhindern sei. Das wissen auch wir. Aber alle diese Maßnahmen, alle Verordnungen zum Verbraucherschutz tragen dazu bei, dass das Netz des Verbraucherschutzes immer engmaschiger wird und es zu mehr Fortschritt in Sachen Verbraucherschutz kommt. Das trägt auch zum Schutz der seriösen Unternehmen und Betriebe bei, die jetzt durch den Nitrofen-Skandal in Mithaftung genommen werden. Durch das Verbraucherinformationsgesetz können Ross und Reiter genannt werden und die Behörden erhalten die Möglichkeit aufzuklären. Das gilt auch für die Täuschungsfälle, so zum Beispiel ({8}) bei als „rindfleischfrei“ deklarierten Würstchen, beim berühmten Wasser im Schinken oder bei der unterlassenen Information - hier geht es um vorsorgenden Verbraucherschutz - im Bereich der Babynahrung. Sie versuchen, eine Situation aufrechtzuerhalten, in der es Informationen nur auf der Grundlage des Polizeirechts gibt. Sie wissen ganz genau, wie defizitär dieses Recht in diesem Bereich ist. Wir wollen die Informationsmöglichkeiten jedoch auf ein hohes Niveau bringen. ({9}) Ihr Verhalten entlarvt Sie endgültig als Parteien, die mit dem Verbraucherschutz nichts zu tun haben wollen, wenn es ernst wird. ({10}) Wir haben - ich komme noch einmal auf die Vielzahl der beschlossenen Gesetze und Maßnahmen aus der letzten Zeit zurück - verbesserte Kontrollen im Futtermittelgesetz festgelegt. Daneben ist ein Futtermittelkontrollplan aufgelegt worden. Ziel sind bundeseinheitliche Regelungen, ein Sachkundenachweis für die Futtermittelkontrolle. Es gibt verbesserte Kontrollen im Ökolandbau, die Ökokontrollstellen haben strengere Meldepflichten auferlegt bekommen. Stille Rückrufaktionen sollen nicht mehr möglich sein. Das ist, Frau Widman-Mauz, wie Sie anmerken werden, ein Gesetz, zu dem auch Sie einen Vorschlag gemacht haben. Sie haben ihn allerdings zu einem Zeitpunkt gemacht, als das schon längst im Gesetz verankert war, das heißt zu spät. ({11}) Außerdem müssen Bundesbehörden - das habe ich bereits angesprochen - in Zukunft auch bei Privataufträgen ihre Informationen an die zuständigen Behörden weitergeben.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Frau Kollegin, Ihre Redezeit ist abgelaufen.

Ulrike Höfken-Deipenbrock (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002680, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Wir haben das Tierarzneimittelneuordnungsgesetz tatsächlich noch verabschiedet und damit zum verbesserten Verbraucherschutz in diesem Bereich beigetragen.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Frau Kollegin, Ihre Redezeit ist längst zu Ende.

Ulrike Höfken-Deipenbrock (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002680, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich erwarte, dass Sie uns bei diesen Maßnahmen in Zukunft unterstützen. Danke schön. ({0})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Als nächste Rednerin hat die Kollegin Eva Bulling-Schröter von der PDS-Fraktion das Wort.

Eva Maria Bulling-Schröter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002636, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Dieser Futtermittelskandal bestätigt wieder einmal: Die Kontroll- und Schutzmechanismen, die die Versorgung der Bevölkerung mit gesunden Nahrungsmitteln und der Tierbestände mit schadstofffreien Futtermitteln gewährleisten sollen, sind offensichtlich unzureichend. Das ist auch in Bayern so, liebe Kolleginnen und Kollegen von CDU/CSU. Dort sind nach der „Süddeutschen Zeitung“ von heute 45 Biobauern betroffen. Da Sie immer von Selbstverpflichtung und Selbstkontrolle der Wirtschaft reden, kann ich Ihnen nur sagen: Diese Mittel sind ungeeignet; sie haben versagt, ausreichende Sicherheiten zu bieten. Wir sollten diese Instrumentarien endlich aus dem Verkehr ziehen. ({0}) Inzwischen hat sich bestätigt, dass auf Ökohöfen sowohl Schweine- als auch Geflügelfleisch nitrofenbelastet ist. Entgegen ersten Äußerungen sind doch belastete Fleisch- und Wurstwaren in den Handel gelangt. Schweine hatten auf einem Hof bereits seit dem 10. Mai Futter bekommen, dessen Nitrofen-Belastung inzwischen sicher ist. Ursprünglich und spontan waren die Bauern von einer Fütterung von nur einer Woche ausgegangen. Das war eine Fehleinschätzung. Der Hof hatte sich zu sicher gefühlt, weil das Futtergetreide, das er bezogen hatte, nicht in dem betroffenen Lager in Malchin gelagert worden war. Damit ist klar, dass die sehr verzweigten Handelskanäle bei einem Skandal nicht schnell genug rückverfolgt werden können. Das muss auch Ihnen zu denken geben; hier muss etwas getan werden. In diesem Fall ist sogar ein DemeterHof betroffen, dessen Wirtschaftsgrundlage eigene betriebsinterne Kreisläufe sind, die Zukäufe von außen mit Ausnahme witterungsbedingt schlechter eigener Ernte nicht zulassen. Damit können sogar Ökohöfe mit den strengsten Auflagen ihrer Verbände in solche Skandale geraten. Für die Ökobranche müssen daraus folgende Konsequenzen gezogen werden: Regionale Strukturen müssen gestärkt werden, um die Anonymität der Handelswege zu überwinden. Die lasche Ökoverordnung auf EU-Ebene muss novelliert werden. Ökoanbauverbänden, aber auch konventionellen Anbietern darf nur noch zertifiziertes Futter zur Verfügung gestellt werden. Die Adressaten sind also nicht nur die Ökobauern. Der Fall diskreditiert nicht die Ökobranche, sondern er bestätigt sie in ihrer Ausrichtung auf geschlossene Betriebsorganismen, in denen Futterzukäufe, aber auch Pflanzenschutzund Düngemittelzukäufe von außen nur in Ausnahmefällen vorgesehen sind. Wenn sich eine gefährliche Abweichung für Umwelt und Gesundheit zeigt, kann diese in solchen Fällen schneller lokalisiert und minimiert werden. Die Achillesferse ist bei Nitrofen gerade nicht die Philosophie der Ökobauern, sondern deren Verbindung zum offenen konventionellen Handelssystem. Da Ökohöfe nicht auf einer Insel leben, wird es solche Verbindungen aber auch weiterhin geben. Einmal mehr bestätigt sich also, dass die konventionelle Landwirtschaft mit ihren Zulieferern und Händlern sowie die entsprechenden Kontrollen Schwerpunkt einer ökologischen Agrarwende sein müssen. Das sind wir den Verbraucherinnen und Verbrauchern aufgrund dieses Skandals wirklich schuldig. ({1}) Konkret ist notwendig, bundeseinheitliche Regelungen zu schaffen, die das mit Futtermittel handelnde Unternehmen verpflichten, jede gehandelte Futtermittelcharge mit einer Garantieerklärung zu versehen. ({2}) Für die Landwirte muss daraus nicht nur die Herkunft des Futtermittels bzw. der Zusatzstoffe und die Korrektheit der Rezeptur hervorgehen, sondern vor allem eine Versicherung, dass das betreffende Futtermittel frei von einer Kontaminierung mit Schadstoffen ist. Hier sind jetzt die Landesregierungen gefordert. Unternehmen bzw. Handelsfirmen, die eine solche Garantieerklärung abgeben, sind den Landwirten und der Öffentlichkeit in einer Liste zugänglich zu machen; denn nach Änderung der Gewährleistungshaftung in der Bundesrepublik Deutschland verlangt auch die Landwirtschaft als Verbraucher bzw. Nutzer von Futtermitteln eine Positivliste von den Futtermittelherstellern und vom Futtermittelhandel. Lieber Kollege Deß, Sie haben sich in der Fragestunde zur Chemikalienpolitik der DDR geäußert. In der Bundesrepublik werden jährlich rund 1 000 Tonnen Nitrofen hergestellt. Die Herstellerfirma behauptet, es sei nur ein Zwischenprodukt. Mich interessiert - das muss gegebenenfalls noch recherchiert werden -, ob dies stimmt und ob die Betriebswege überprüft worden sind. Zum Schluss noch eine Anmerkung zu Ihren Äußerungen in der Fragestunde, meine Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU: Der Landwirtschaftsminister aus Bayern, Herr Miller - Sie kennen ihn sicherlich besser als ich -, hat gestern beantragt, dass nitrofenverseuchtes Biofleisch, dessen Kontamination unterhalb der Grenzwerte liegt, als konventionelles Produkt verkauft werden darf. Dem wurde Einhalt geboten. Aber wie ernst Sie es mit dieser Problematik nehmen, sieht man bei solchen Äußerungen aus Bayern immer wieder. ({3})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Als nächste Rednerin hat die Kollegin Christel Deichmann von der SPD-Fraktion das Wort.

Christel Deichmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002638, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich habe ein Stück weit Verständnis dafür, dass die Opposition versucht, aus solch einer Situation Honig zu saugen. Ich denke aber, das Interesse an der Sache, die wir gemeinsam verfolgen sollten, sollte Vorrang vor dieser Profilierungssucht haben. Das, was Sie von CDU/CSU und FDP zu dem Thema geboten haben, ist fernab von Gut und Böse. ({0}) Ich will es ganz deutlich sagen: Der Berufsstand ist der Leidtragende in dieser Situation. ({1}) Die Versäumnisse, die im Umfeld passiert sind, müssen deutlich herausgestellt werden und dann gilt es, ihnen Einhalt zu gebieten. Ich kann mich nur dem anschließen, was Frau Höfken gesagt hat: Die Bundesregierung hat intensiv und zügig aufgeklärt. Ich schließe hier auch die Landesregierung von Mecklenburg-Vorpommern ein. ({2}) Obwohl wir schon eine ganze Menge zusammengetragen haben, was uns erheblich weiter bringt, sind wir allerdings noch nicht am Ende des Erkenntnisstandes. In diesem Fall ist besonders schwierig, dass die Unternehmen und auch die Verbände schon seit Wochen von der Verunreinigung wussten, sie aber den Behörden nicht gemeldet haben. Sie haben die Futtermittel weiter verkauft und in die Nahrungskette einfließen lassen, sogar in Nahrungsmittel für Kinder. ({3}) Eine stille Rückrufaktion der Produkte wurde veranlasst. ({4}) Das ist im Moment nicht zu verurteilen, aber es hilft in der Sache überhaupt nicht weiter. Das Vertrauen der Verbraucher wurde schändlich untergraben, und der Schaden ist nicht wieder gutzumachen. Da beziehe ich auch den Raiffeisenverband mit ein. Hier wird wieder Raffgier über Fairness und die Verbraucherinteressen gestellt. Wir haben das hier deutlich zu machen und in dieser Richtung für unsere Bürgerinnen und Bürger hier zu arbeiten. Der Nitrofen-Skandal hätte erheblich eingegrenzt werden können, wären die Informationen schneller geflossen. ({5}) - Ich habe es eben deutlich gesagt: Es geht um die Verbände, es geht auch um die entsprechenden Unternehmen, die mit diesem Produkt gehandelt haben. ({6}) Hier können wir Lücken schließen - die Bundesregierung hat entsprechende Regelungen auch schon auf den Weg gebracht -, aber gegen Schlamperei und Kriminalität, die in diesem Skandal ganz deutlich geworden sind, helfen eben auch keine Gesetze. Da hilft nur, die Dinge öffentlich zu benennen. Wir brauchen ein Schnellwarnsystem. Warum melden die Prüfeinrichtungen nicht Befunde, die weit über den gesetzlich zulässigen Grenzen liegen? Das wäre erste Bürgerpflicht; dafür muss man nicht erst ein Gesetz schaffen. Wir brauchen einfach eine stärkere Ausrichtung hin zur gläsernen Produktion. In dem Zusammenhang sage ich aber gleichzeitig deutlich: Das bringt weitere Kosten mit sich. Wir müssen uns dann auch darüber unterhalten, wer die Kosten für die zusätzlichen Zertifizierungen und Prüfungen trägt. Das gehört einfach mit zur Debatte. Es hilft nicht, wenn wir hier Schuldzuweisungen hin und her schieben. Wir müssen vielmehr gemeinsam dafür sorgen, dass unsere Verbraucher auch wirklich das bekommen, was auf dem Etikett steht. Da fordere ich Sie zur aktiven Mitarbeit auf. ({7})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt der Kollege Albert Deß von der CDU/CSU-Fraktion.

Albert Deß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000376, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Eines stelle ich vorneweg fest: Leidtragende des Nitrofen-Skandals sind bis jetzt vor allem die betroffenen Ökolandwirte, die im guten Glauben Futter eingekauft haben und der Meinung waren, das Getreide sei in Ordnung. Leidtragende sind aber auch die Verbraucher, die durch diesen Nitrofen-Skandal wieder einmal verunsichert wurden. Leidtragende sind auch die gesamte Landwirtschaft und die gesamte Agrarbranche, die - durch wen auch immer verursacht - wieder in der öffentlichen Diskussion stehen. ({0}) Im „Spiegel“ vom 10. Juni 2002 heißt es: Künasts Kapriolen, Renate Künast hat sich ihre erste große Panne als Verbraucherschutzministerin geleistet: Die Entwarnung im Nitrofen-Skandal kam zu früh, inzwischen zweifeln Ermittler sogar, ob die Pflanzenschutzhalle in Malchin wirklich die Hauptquelle des Gifts war. Es war und ist ein Trauerspiel, was hier abgelaufen ist. Frau Künast erklärte zunächst zusammen mit den SPDLandwirtschaftsministern Backhaus und Bartels, dass die Halle die einzige Quelle der Verunreinigung gewesen sei. Einige Tage später lief die Meldung: Minister Backhaus erklärt, die Halle kann nicht die einzige Ursache sein. ({1}) Ein Wissenschaftler erklärt mit Zahlen, dass die Halle allein nicht die Ursache für die hohe Kontaminierung sein kann. Dann erklärt man Brüssel gegenüber: Es war doch die Halle. Es war also ein regelrechter Zickzackkurs, der hier eingeschlagen wurde. Ich hatte in meiner jüngsten Rede hier gefragt: Was nun, Frau Künast? Es gibt eine Reihe von Widersprüchlichkeiten in der Aufklärung dieses Skandals. Und heute frage ich wieder: Was nun, Frau Künast? Warum war es möglich, dass die Ministerin nach dem ChloramphenicolSkandal wieder fast ein halbes Jahr lang anscheinend nichts von diesen Nitrofen-Rückständen gewusst hat, obwohl eine Bundesbehörde darüber informiert war? Statt schnell aufzuklären haben Frau Künast und der Bundeskanzler den Bauernverband und den Raiffeisenverband pauschal angeklagt, als ob die Verbände für die Ökogetreidelagerung in Malchin zuständig gewesen wären. Es ist unerträglich, wie Frau Künast von eigenen Versäumnissen ablenkt und mit Pauschalvorwürfen andere an den Pranger stellt. ({2}) Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, ich habe einigen von Ihnen heute das Protokoll der Agrarausschusssitzung vom 7. November 2001 gezeigt. Ich habe in der Sitzung aus anderen Gründen gefordert, dass Ökoprodukte stärker kontrolliert werden sollten. Heute stelle ich die Frage: Wie viel staatliche Kontrollen hat es in diesem Bereich seit dem 7. November 2001 gegeben? Auch diese Frage muss die Bundesregierung beantworten. Wäre nämlich das Problem früher erkannt worden, wäre der Schaden vor allem für die betroffenen Ökobauern wesentlich geringer. Eine Feststellung kann ich Ihnen nicht vorenthalten. Wie hätte Frau Künast reagiert, wenn dieser Skandal im konventionellen Bereich genauso abgelaufen wäre, wie er jetzt im Ökobereich abgelaufen ist und dazu noch in unionsregierten Ländern wie zum Beispiel Baden-Württemberg? - Frau Künast hätte den rhetorischen Kriegszustand gegen die konventionelle Landwirtschaft ausgerufen. ({3}) Heute würde sie hier stehen und ein Verbot der konventionellen Landwirtschaft fordern. ({4}) Die Ministerin hat die jetzt betroffenen Ökobauern mit Recht in Schutz genommen. Bloß, Gleiches hätte ich für die übrige Landwirtschaft auch bei der BSE-Krise und beim so genannten Antibiotika-Skandal erwartet. ({5}) Hier hat die Ministerin flotte Sprüche losgelassen, die ganze Landwirtschaft an den Pranger gestellt ({6}) und die Verbraucher verunsichert. Niemand von dieser Seite hat sich bis heute für die Vorwürfe beim so genannten Antibiotika-Skandal entschuldigt, bei dem der Staatsanwalt festgestellt hat, dass nicht in einer einzigen Untersuchungsprobe Antibiotika gefunden wurden. Ich stelle die Forderung, dass die Frau Ministerin die konventionelle oder - wie ich es besser ausdrücke - die moderne, nachhaltige Landwirtschaft in der Öffentlichkeit genauso behandelt wie die Ökolandwirtschaft. ({7}) Ich mache der Ökolandwirtschaft keine Vorwürfe. Das sage ich hier in aller Öffentlichkeit. Wir müssen dafür sorgen, dass das Vertrauen in die landwirtschaftlichen Produkte wieder hergestellt wird. Wir haben größtes Interesse daran, dass die Verbraucherinnen und Verbraucher gesunde Nahrungsmittel erhalten. Ob es sich um Ökoprodukte oder um Produkte der konventionellen Landwirtschaft handelt, ist zweitrangig. In diesem Sinne müssen wir arbeiten. Dann können wir für unsere Landwirtschaft etwas erreichen. Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. ({8})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Für die Bundesregierung hat jetzt der Parlamentarische Staatssekretär Matthias Berninger das Wort. Matthias Berninger, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zunächst einmal muss man eines ganz deutlich sagen: Der Nitrofen-Skandal ist nach wie vor unter Kontrolle. Jeder Nitrofen-Fund, den wir jetzt machen, ist auf ein und dieselbe Quelle, nämlich das Lager in Malchin, zurückzuführen. Auch die Nachricht vom heutigen Tage, dass 72 Tonnen Getreide aus dieser Halle in Malchin an einen konventionellen Futterbetrieb gelangt sind, darf nicht dazu führen, dass man sich pauschale Überschriften wie „Nun ist auch die konventionelle Landwirtschaft betroffen“ oder „Nun hat sich das auch auf die konventionelle Landwirtschaft ausgeweitet“ ausdenkt. ({0}) Es ist für die Bürgerinnen und Bürger als Verbraucherinnen und Verbraucher in diesem Land wichtig, zu erkennen, dass jeder Nitrofen-Fund, von dem wir jetzt reden, nichts anderes als das Ergebnis der Rückverfolgung sämtlicher Spuren ist, die das Getreide seit der Einlieferung in die Halle in Malchin hinterlassen hat. In der Fragestunde haben wir in größerem Umfang darüber diskutiert, ob Malchin der Ort der Kontamination ist oder nicht. Wir gehen vonseiten der Bundesregierung fest davon aus und sind damit einer Meinung mit den Ermittlungsbehörden der Länder und insbesondere auch mit der Staatsanwaltschaft. Lassen Sie mich aus einem Bericht zitieren, der, so glaube ich, einiges deutlich macht. Dort steht: Die o. a. Teilnehmer besichtigten gemeinsam den entsprechenden Teil der Halle, wobei als erster Eindruck eine markante Geruchsbelästigung festgestellt wurde, die auch jetzt noch einen eindeutigen Hinweis auf die frühere Nutzung gab. Der visuelle Eindruck zeigte trotz der inzwischen sorgfältigen feuchten und mechanischen Reinigungsversuche deutlich Chemikalienspuren im Hallenboden und dem unteren Bereich der Hallenwände. Dabei gab es deutliche Verkrustungen und farbliche Penetrationen. Ein lädierter und zwischenzeitlich niemals reparierter Boden bzw. mit organischem Material gefüllter Heizungsschacht sind als Schadstoffsenken anzusehen - siehe nachstehende Abbildung. Diese erspare ich Ihnen jetzt. Um Sicherheit in das Verfahren zu bringen, ist es wichtig, dass wir den Ermittlungsstand eindeutig zur Kenntnis nehmen. Die Informationspolitik der Bundesregierung wurde hier kritisiert. Interessanterweise hat die Kommission in beiden Sitzungen, nämlich sowohl in der am letzten Mittwoch als auch in der am gestrigen Dienstag, die Informationspolitik der Bundesregierung ausdrücklich gelobt. ({1}) Insofern ist dieser Vorwurf zurückzuweisen. ({2}) Die Kommission hat es zu Recht stutzig gemacht, dass eine Würstchenprobe zwischenzeitlich als nitrofenbelastet angesehen wurde, was nicht in dieses Bild gepasst hätte. Es gibt eine amtliche Untersuchung, nach der abschließend erklärt wurde, dass diese Probe nicht belastet war, sodass die Kommission davon abgesehen hat, irgendwelche Sanktionsmaßnahmen gegen die Bundesrepublik Deutschland zu ergreifen. Ich gehe davon aus, dass sie, solange wir die Spuren konsequent weiterverfolgen, davon auch weiterhin absehen wird. Für Bund und Länder kann ich hier erklären, dass genau das jetzt unsere Aufgabe ist. Nur so können wir verhindern, dass der Verbraucher durch weiteres Nitrofen zusätzlich belastet wird. Meine Damen und Herren, hier wurde gesagt, dass das alles nicht schnell genug geht. Zur gleichen Stunde - insofern ist das wirklich eine Aktuelle Stunde - tagt der Vermittlungsausschuss. Das Verbraucherinformationsgesetz steht im Vermittlungsausschuss auf der Tagesordnung. Dieses Gesetz soll eine neue Rolle des Bundes im Bereich der Lebensmittelsicherheit regeln. Ich habe mit Ihnen von der Opposition eineinhalb Jahre über dieses Thema diskutiert. Sie haben daran nur herumgenörgelt und herumgemeckert. ({3}) Am letzten Donnerstag saß der Minister Sinner des Landes Bayern hier, der ebenfalls eine stärkere Kontrollfunktion des Bundes abgelehnt hat. Ich kann Ihnen eines sagen: Wenn Sie wollen, dass der Bund eine bessere und koordinierende Rolle einnehmen kann, sollten Sie vonseiten der Länder Ihre Blockadehaltung gegen das Verbraucherschutzgesetz aufgeben. ({4}) Darüber hinaus können Sie mit dem Verbraucherinformationsgesetz den Behörden ein wichtiges Werkzeug an die Hand geben, das dort zu einer neuen Informationskultur führt. ({5}) Warum ist das ein wichtiges Werkzeug? - In dem Maße, in dem wir den Bürgerinnen und Bürgern signalisieren, dass das Behördenwissen im Bereich der Lebensmittelsicherheit nicht geheim, sondern öffentlich zugänglich ist, ({6}) schaffen wir eine neue Informationskultur, die auch dazu führen wird, dass die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der öffentlichen Verwaltung - ({7}) - Meine Damen und Herren von der Opposition, das alles scheint Ihnen offensichtlich nicht zu gefallen. ({8}) Ich denke aber, es ist angemessen, dass Sie mir während meiner Rede zuhören. Jedenfalls halte ich von diesem Dazwischengeblöke überhaupt nichts. ({9}) Das Verbraucherinformationsgesetz soll in den Behörden eine neue Informationskultur schaffen. Wir können nicht einfach von oben nach unten mit Erlassen dafür sorgen, dass die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der öffentlichen Verwaltung für dieses Thema sensibilisiert werden. ({10}) Das schaffen wir nicht, wenn die Opposition in dieser Debatte nur kleinkariert an uns herumkrittelt. Vielmehr müssen wir alle gemeinsam die Mitarbeiter in den Landkreisverwaltungen, ob sie nun in Bayern oder in Schleswig-Holstein sitzen, auffordern und ermahnen, ({11}) solche Informationen weiterzugeben. Sie, meine Damen und Herren, haben die Chance, für diese neue Informationskultur Ihren Beitrag zu leisten, indem Sie Ihre kleinkarierte Wahlkampfblockade im Vermittlungsausschuss aufgeben. ({12}) Eine ganze Reihe weiterer Themen sind angesprochen worden. Ich will auf zwei Vorredner eingehen. Die Kollegin Bulling-Schröter hat angesprochen, dass Nitrofen im Rahmen der Herstellung von Chemikalien in Deutschland nach wie vor vorkommt. Das ist richtig. Im Rahmen eines geschlossenen Produktionskreislaufes passiert das. Wir sind natürlich auch dieser Spur nachgegangen. Ich kann Ihnen aber zur Beruhigung sagen, dass dieses Nitrofen nicht freigesetzt wird, sondern ein Zwischenprodukt im Rahmen der Herstellung eines Stoffes mit dem Markennamen Iloxan ist. Von dort geht für die Verbraucher also keine Gefahr aus. Das sollte man hier auch sagen, damit nicht jede Nachricht und jede Spur zu erneuter hektischer Betriebsamkeit führt. Der Kollege Heinrich hat etwas gemacht, was ich im höchsten Maße unverantwortlich finde. Er hat nämlich der Bundesregierung bei einem anderen wichtigen Verbraucherschutzthema Untätigkeit vorgeworfen. Ich führe das aus, um deutlich zu machen, dass wir bei diesem Thema Ihre Nachhilfestunden überhaupt nicht brauchen. ({13}) Wir haben in Brüssel durchgesetzt, dass nach dem Antibiotikum Chloramphenicol gesucht wird. ({14}) - Überhaupt nicht. Der Skandal ist dadurch entstanden, dass wir nach dem Stoff haben suchen lassen, sonst hätte man diese Shrimps damals gar nicht gefunden und sie wären ins Futtermittel und damit in die Nahrungsmittelkette gelangt. In dem Punkt sind Sie völlig falsch informiert. ({15}) - Ihnen gefällt das, was wir machen, nicht. ({16}) Dabei sollte Sie die Tatsache beruhigen, dass wir uns des Themas Verbraucherschutz ernsthaft annehmen. Jetzt komme ich zum zweiten Beispiel, dem Nitrofuran, das mit Nitrofen nichts zu tun hat. Seit 1995 ist die Menge des importierten Geflügels von 31 Tonnen sprunghaft auf inzwischen 191 000 Tonnen in Europa gestiegen. Wir alle miteinander haben ein gemeinsames Interesse daran, dass dieses importierte Geflügel bei den Tierschutzstandards, aber vor allem auch bei den Lebensmittelstandards nach den gleichen Kriterien produziert wird, wie das in Deutschland der Fall ist. Die Bundesregierung ist deswegen in dieser Frage sehr frühzeitig aktiv geworden und hat die Kommission, nachdem sie erste Kenntnisse davon hatte, dass möglicherweise verbotene Stoffe - in dem Fall ein verbotenes Antibiotikum - zum Einsatz kommen, aufgefordert, den Einsatz dieser Stoffe zu untersagen. Wir haben dies in Brüssel durchgesetzt. Ich will Ihnen einfach nur die Ergebnisse der letzten Meldungen vorlesen. 31. Mai 2002: Nachweis von Nitrofuran aus Thailand - Sendung unschädlich beseitigt. 31. Mai 2002: erneuter Nachweis bei der nächsten Lieferung - ebenfalls unschädlich beseitigt. Eine dritte Sendung ebenfalls vom 31. Mai 2002 wurde wiederum unschädlich beseitigt. Auch aus Brasilien wurden entsprechende Lieferungen gefunden und unschädlich beseitigt. Ich will damit deutlich machen: Während Sie Forderungen an uns stellen, handeln Bund und Länder schon lange verantwortlich und sorgen dafür, dass diese Stoffe nicht in die Nahrungsmittelkette kommen. Es ist mir wichtig, dies hier zu nennen, weil Lebensmittelsicherheit ein Thema ist, das uns alle gleichermaßen betrifft. Dieses Thema ist sehr wichtig und taugt nicht dazu, so billigen Wahlkampf zu machen, wie das heute einige versucht haben, obwohl Ihnen jede Frage zufrieden stellend beantwortet worden ist. Danke. ({17})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt der Kollege Norbert Schindler von der CDU/CSUFraktion.

Norbert Schindler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002776, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Schlimm genug, was derzeit passiert! Aufgrund der großen politischen Vorwürfe geht das tägliche Geschäft unter. Ich möchte hier anführen: Die siebte Änderungsverordnung steht an. Sie kommt aber wegen des europäischen Streits mit Spanien um Obst und Gemüse nicht zustande. Dieses Problem wird durch die aktuelle Auseinandersetzung über den Nitrofen-Skandal überlagert. Hoffentlich - ich sage das aus tiefer Sorge um die betroffenen Landwirte und im Hinblick auf die Angst aller Verbraucherinnen und Verbraucher in dieser Republik - weitet sich dieser Skandal nicht aus, egal in welchem Bereich. Die Biohöfe sind diesmal zuerst betroffen. Es wird genau untersucht und geforscht. Die Bundesregierung unterstellt uns, wir, die Opposition, verfolgten das mit Häme. Ich möchte mit aller Deutlichkeit klarstellen: Wir machen uns genauso große Sorgen um die Existenzen da wie dort. Niemand von uns hat die Gewähr, dass wir morgen oder übermorgen nicht mit einer entsprechenden Meldung konfrontiert werden. Herr Staatssekretär Berninger, Sie haben vorhin gesagt, dass 72 Tonnen irgendwohin unterwegs seien. Man könnte doch einmal nachfragen, wohin diese 72 Tonnen gelangt sind. Was soll eigentlich passieren, wenn diese 72 Tonnen irgendwo untergemischt worden sind? Jetzt kommt natürlich der politische Drive. Wenn man mit dem Thema Bio so umgeht, wie Sie es tun - in einer Zeitung ist eine Karikatur erschienen, die Frau Renate Künast als Witwe Bolte darstellt, die neben einem Baum steht, in dem Hähnchen hängen; darunter steht: Und ihres Lebens bester Traum hängt an diesem Apfelbaum -, dann zeigt das, wie gefährlich es ist, wenn man sich in der Politik einseitig festlegt ({0}) und unterstellt: Nur bestimmte Kinder bekommen die Masern. Jetzt sind wir in einer Situation, in der Sie, ideologisch festgelegt, selbst betroffen sind. Es komm hinzu, dass Kanzler Schröder auf dem SPDParteitag, der vor wenigen Tagen in Berlin stattgefunden hat, von überkommenen oder verkommenen - ich habe es nicht genau verstanden - Strukturen gesprochen hat. Es ist auch in der hier stattfindenden Debatte gesagt worden, dass die eigentlich Verantwortlichen bei den Versicherungen und im Bereich der Agraraufsicht zu suchen seien. Das ist genauso, als ob der Innenminister sofort in Kenntnis gesetzt werden soll, wenn ein Kripobeamter feststellt, dass irgendwo etwas Schlimmes passiert ist. In Kenntnis der Vorgänge vor Ort machen wir uns wirklich leichtsinnig Vorhaltungen. In diesem Zusammenhang muss ich leider Gottes auch den Kanzler erwähnen. Was sind nicht alles für Relativierungen auf dem SPD-Agrarkongress, der vor einigen Monaten in Magdeburg stattgefunden hat, im Vergleich zu den Aussagen von vor 18 Monaten vorgenommen worden, als noch von Agrarfabriken geredet wurde! Jetzt haben Sie Ihre Meinung innerhalb kürzester Zeit geändert. Das ist angesichts dieses schwierigen Themas keine vertrauensbildende Maßnahme. Frau Ministerin Künast, natürlich hat der Staat die politische Verantwortung zu tragen. Aber, Herr Berninger, man kann den Präsidenten des Deutschen Bauernverbandes in der ARD nicht vorführen und sagen, der solle bloß ruhig sein, weil der gefordert habe, Gift bei der Bekämpfung von Obst- und Gemüsekrankheiten zuzulassen. Da ist ein zu lockerer Umgang mit der Verantwortung, die man gemeinsam hat. Das dient wirklich nicht der Sache. ({1}) Wir stehen jetzt zum Teil vor einem Scherbenhaufen. Rot-Grün ist seit fast vier Jahren und Frau Ministerin Künast seit eineinhalb Jahren in der Verantwortung. Die Menschen - das zeigen ernst gemeinte Umfragen - nehmen Ihnen nicht mehr ab, wenn Sie von durchgreifenden Kontrollen und von überkommenen Strukturen, die aus der Vergangenheit herrühren, reden und behaupten, dass es im eigenen Hause keine Versäumnisse gegeben habe. Sie hatten nicht 18, sondern fast 44 Monate Zeit zu handeln, schieben aber immer nur anderen die Verantwortung in die Schuhe. Deswegen bitte ich Sie, Ihre ideologischen Schuldzuweisungen in die eine oder andere Richtung zu relativieren; denn solche Schuldzuweisungen dienen der Sache wirklich nicht. ({2}) Wir, die in der politischen Verantwortung sind, sollten in Zukunft mit dem jetzt zur Diskussion stehenden Thema kühl umgehen, auch wenn die Sorge um die schwangeren Frauen - sie sind die Ersten, die betroffen sind; darin ist die Angst begründet - noch so groß ist. Wir sollten genau darlegen, welche Rückstände gesundheitsgefährdend sind und welche nicht. In diesem Zusammenhang muss ich noch eines sagen: Sie haben in den 16 Jahren, in denen wir regiert haben und in denen Sie in der Opposition waren - das betrifft vor allem die Partei der Grünen -, Themen mit Emotionen belegt, die Sie jetzt, so Sie in der Regierungsverantwortung sind, selber zu spüren bekommen. Jetzt hat Sie die eigene Lehre eingeholt. Ich appelliere im Interesse aller Betroffenen an uns alle: Gehen wir in Zukunft kühl mit diesem Thema um und lassen wir auch die spitzen Vorwürfe! Wir in der Opposition haben das gleiche Recht und die gleiche Sorgfaltspflicht, im Interesse aller Staatsbürger nach den Ursachen zu forschen. Hoffentlich bleibt es bei dieser Halle. Hoffentlich kann die Verteilung in der Konsequenz wirklich so eingegrenzt und beherrscht werden, wie das heute noch der Fall zu sein scheint. Im Hinblick auf schlimmere Befürchtungen möchte ich weitere Schuldzuweisungen überhaupt nicht machen. Abschließend noch eine Bemerkung.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Kollege Schindler, Sie haben Ihre Redezeit um eine Minute überzogen. Bitte keine Bemerkung mehr.

Norbert Schindler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002776, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Danke schön für den Hinweis. - Jedem ist bewusst geworden: „Bio“ findet nicht mit auf dem Misthaufen kratzenden Hühnern statt. In das Bewusstsein aller Verbraucherinnen und Verbraucher sind mittlerweile andere Größenordnungen gekommen. Der schnelle Antritt, auf einen Anteil von 20 Prozent zu kommen, war deshalb nicht nur leichtsinnig, ({0}) sondern für manche Bereiche lebensgefährdend. Gut Ding will Weile haben! Was man erreichen wollte, ist leider Gottes so nicht eingetreten. Danke schön. ({1})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Als nächster Redner hat der Kollege Gustav Herzog von der SPD-Fraktion das Wort.

Gustav Herzog (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003148, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Opposition hat aus der Fragestunde diese Aktuelle Stunde entwickelt. Ich will zu Beginn zwei Fragen stellen: Erstens. Konnten das Parlament und die Öffentlichkeit durch die Fragen der Opposition neue Erkenntnisse gewinnen? - Ich sage: Ja. Die Antworten der Regierung haben uns einige neue, leider auch unerfreuliche Erkenntnisse gebracht. Zweitens. Wurde durch die dringlichen Fragen der Opposition und durch diese Aktuelle Stunde bis jetzt - es folgen ja noch ein paar Redner - das Problem einer Lösung ein Stückchen näher gebracht? - Da habe ich große Zweifel. Ich will eine erste Vorbemerkung machen. Bei allen diesen Diskussionen wird mir deutlich, dass wir uns zum Thema Föderalismus in diesem Bereich ernsthaft Gedanken machen müssen - nicht in dieser, aber in der nächsten Wahlperiode -, weil es nicht sein kann - der Kollege Ronsöhr hat es durch seine Zwischenfragen nach den Dokumenten provoziert -, dass man in einem solchen Fall durch 16 Bundesländer rennen muss, um irgendwelche Unterlagen zusammenzuholen. ({0}) Das ist nicht nach Europa vermittelbar. Das ist auch nicht den Verbrauchern vermittelbar. Darüber müssen wir uns über Parteigrenzen hinweg ernsthaft Gedanken machen. ({1}) Die zweite Vorbemerkung: Wird diese Debatte irgendetwas zur Einkommenssicherung der deutschen Landwirtschaft beitragen? - Mit vollster Überzeugung sage ich: Nein. Diese Debatte wird sicherlich nicht dazu beitragen. Wir haben am Donnerstag dreieinhalb Stunden diskutiert, haben uns beschäftigt mit den Verursachern, den Vertuschern, den Aufklärern und den gesetzlichen Verbesserungen, die wir in die Wege geleitet haben. Wir haben uns auch mit der Frage beschäftigt, wer seriös mit dieser Angelegenheit umgeht. ({2}) Ich muss feststellen, dass die Opposition ein klein wenig auf dem Weg der Besserung ist. Am Donnerstag haben Sie von der Opposition sich nämlich nur damit beschäftigt, welche Probleme möglicherweise bei der Regierung liegen. Heute haben Sie auch versucht, einige Fragen zur Sache zu stellen. Hat sich vom letzten Donnerstag bis heute einiges geändert? - Bei den Verursachern eher nein, denke ich. Mich hat noch einmal sehr, sehr nachdenklich gemacht, dass der Herr Staatssekretär hier aus einem Untersuchungsbericht zitieren konnte, in dem steht, in einer Halle, in der Getreide gelagert worden sei, seien offensichtlich Gerüche nach Pflanzenschutzmitteln feststellbar. Ich wiederhole meine Frage vom letzten Donnerstag: Was denken sich eigentlich die Leute dabei, dort Getreide oder Lebensmittel einzulagern? ({3}) Hierbei müssen wir auch nach der Verantwortung der Unternehmen fragen. ({4}) Fragen der Opposition zielen darauf: Kontrolliert der Staat denn nun auch wirklich jeden Import? Ich gehe immer noch davon aus, dass die Verantwortung für die Produkte, die in dieses Land eingeführt, verarbeitet und den Verbrauchern angeboten werden, bei den Unternehmen liegt. Sie müssen doch dafür sorgen, dass die Produkte gesundheitlich unbedenklich sind und den gesetzlichen Anforderungen entsprechen. Man muss also fragen: Kontrollieren die Unternehmen genug oder wird hier auf Verdacht eingekauft und eingeführt nach dem Motto „Wenn irgendetwas drin ist, wird der Staat es ja schon finden“? Ich sage noch einmal: Auch über die Verantwortung der Unternehmen für die Produktsicherheit müssen wir ernsthafter diskutieren. ({5}) Hat sich bei denjenigen, die bei GS agri, NSP und - ich erwähne das der Vollständigkeit halber, die Opposition fragte bereits danach - auch bei den Ökokontrollstellen, den Verbänden und der Raiffeisen-Versicherung versuchen, sich ihrer Verantwortung zu entziehen, etwas geändert? - Nein, auch bei ihnen gibt es nichts Neues. Auch die Aufklärer sind noch immer mit Volldampf damit beschäftigt, Informationen einzuholen. Es gibt allerdings immer noch - auch daran hat sich nichts geändert - kritische Nachfrager, aber auch Nebelwerfer in dieser Angelegenheit. Dabei handelt es sich um Wissenschaftler, die, ohne genau zu wissen, worum es geht, ihre Positionen in der Öffentlichkeit vertreten, und Medien, die das auch noch transportieren. ({6}) Es gibt auch solche Informationen wie heute morgen, als um 10.42 Uhr eine Meldung vor Fleisch aus einem nitrofenbelasteten Betrieb in Hamburger Bioläden warnte. Eine Stunde später hieß es in einer weiteren Meldung: Ob das betroffene Fleisch tatsächlich mit Nitrofen belastet sei, könne noch nicht abschließend beurteilt werden. Auch hierbei stellt sich die Frage, wie wir in Zukunft mit solchen Informationen umgehen. Ich meine, wir sollten uns langsam bemühen, davon wegzukommen, dass immer neue Spekulationen in die Welt gesetzt werden. Das Vertrauen unserer Verbraucher in die Lebensmittel ist wieder einmal erschüttert worden. Diesmal betrifft es die Ökoprodukte, was aber offenbar durch konventionelle oder kriminelle Schlampereien verursacht worden ist. Statt aber einen öffentlichen Hickhack zu veranstalten, sollten wir alle daran mitarbeiten, das Vertrauen der Verbraucher wiederzuerlangen und den betroffenen Bauern gemeinsam zu helfen. ({7}) Vielen Dank. ({8})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt der Kollege Max Straubinger von der CDU/CSUFraktion.

Max Straubinger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002812, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich meine, die Debatte zeigt deutlich - auch die heutige Aktuelle Stunde wird es offenbaren -, dass die Bundesregierung bei der Bewältigung der Nitrofen-Krise versagt hat. Wir werfen der Bundesregierung vor, dass sie bei der Aufklärung viel zu lange Wege gegangen ist und meinem Eindruck nach bei der Aufklärung geradezu Scheuklappen trägt. ({0}) Wer nur einseitig auf die Kontaminationsstelle Malchin eingeht, geht mit der Bewältigung der Krise sicherlich nicht sachgerecht um. ({1}) Das geht aber nicht an. Es gibt verschiedenste Hinweise darauf - und es ist in der Fragestunde deutlich geworden, dass die Bundesregierung die entsprechenden Fragen nicht beantwortet hat -, dass es möglicherweise auch andere Quellen gibt. ({2}) - Nein, sie wurden eben nicht beantwortet, sondern der Herr Staatssekretär hat auf meine Frage geantwortet, dass kein anderes Ökogetreide auf Rückstände untersucht wurde. Meines Erachtens ist es aber notwendig, unabhängig von Malchin auch bei anderen Stellen aufs Geratewohl Untersuchungen anzusetzen, damit die notwendige Aufklärung betrieben werden kann. Ich meine, dass es insgesamt mit entscheidend ist, sachgerecht mit der Bewältigung umzugehen. Dies wurde viele Wochen lang verschleppt. Das Versagen der Bundesbehörden wurde schon vielfach angesprochen, aber es liegt auch ein Versagen der Produzenten, der Futtermittelmischer und anderer vor. Es ist dies keine Frage eines Verbraucherschutzgesetzes, Frau Höfken, oder anderer neuer gesetzlicher Regelungen. Die Futtermittelhersteller wären aufgrund der Gesetzeslage verpflichtet gewesen, die Information über die Belastungen weiterzugeben. Dann wäre dies auch offenkundig geworden. Hier ist ein Gesetzesverstoß begangen worden, den wir verurteilen. Es geht nicht um die Frage eines Verbraucherschutzgesetzes; ({3}) denn die notwendigen gesetzlichen Regelungen sind vorhanden. Lassen Sie mich noch eine weitere Bemerkung machen: Es handelt sich auch um das Versagen einer Bundesbehörde, wenn am 19. März Nitrofen im Putenfleisch festgestellt wird und dies nicht an das zuständige Ministerium weitergegeben wird. Wenn dann gesagt wird, wie am 30. Mai bei einer außerordentlichen Sitzung des Ausschusses für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft vonseiten des zuständigen Staatssekretärs Müller, dass die Bundesanstalt gemäß der vorgeschriebenen Vorgehensweise richtig gehandelt hat, so war offensichtlich der Erlass der Bundesregierung, so wie er im Januar ergangen ist, einfach unvollständig; er wurde ja jetzt erst durch die Bundesregierung nachgebessert. Hier wird ja offensichtlich, dass eine Teilschuld für das Versagen auch bei der Bundesregierung liegt. ({4}) Deshalb kritisieren wir die Bundesregierung. Die Leidtragenden sind aber die Verbraucherinnen und Verbraucher, weil sie wiederum bezüglich der Lebensmittelversorgung in Deutschland verunsichert werden. Darüber hinaus sind natürlich die Leidtragenden auch alle Landwirte, egal ob sie Lebensmittel bzw. Grundlagen dafür konventionell oder wie die Ökobaubetriebe produzieren; insbesondere betrifft das natürlich die in der Ökolandwirtschaft Tätigen. Das kommt aber auch daher, dass Rot-Grün öffentlich ein verklärtes und zum Teil sehr falsches Bild der Ökolandwirtschaft vermittelt hat, sehr einseitig für die Produktionsweise der Ökolandwirtschaftsbetriebe eingetreten ist und die konventionell produzierenden Betriebe bei jeder sich bietenden Möglichkeit an den Pranger gestellt hat. ({5}) Das ist natürlich auch dazu angetan, dass die Verbraucher entsprechend verunsichert wurden. ({6}) - Doch. Wer ständig jeglichen Einsatz von Dünge- und Pflanzenschutzmitteln bekämpft, vergisst, dass Pflanzenschutzmittel notwendig sind, um qualitativ hochwertige Produkte herzustellen. Es ist hier eben auch festzuhalten, dass beim Getreideanbau in der Natur Fusarien und Mykotoxine, also Pilze, entstehen und das Getreide damit behaftet ist. Sachgerechter Einsatz von Pflanzenschutzmitteln bedeutet auch Verbraucherschutz, werte Damen und Herren. Ich glaube, dass wir das auch einmal zum Ausdruck bringen müssen. ({7}) Hier wird eben die ideologische Scheuklappe von RotGrün besonders deutlich. Es gibt eine Menge von Versagern in dieser Kette. Das beginnt bei der Zertifizierung der Halle, was ja, wie dargelegt, durch einen Ökoverband geschah.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Kollege Straubinger, kommen Sie bitte zum Schluss.

Max Straubinger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002812, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja, ich komme sofort zum Schluss. - Es sind dann natürlich auch entsprechende Weichenstellungen notwendig. ({0}) Ich glaube, dass die Bundesregierung dazu nicht die Kraft hat. ({1})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt der Kollege Albert Schmidt vom Bündnis 90/Die Grünen. ({0})

Albert Schmidt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002779, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Man muss kein Agrarexperte sein, um hier in einer Debatte zum Ausdruck zu bringen, dass wir die konsequent am Verbraucherschutz ausgerichtete Politik unserer Landwirtschafts- und Verbraucherschutzministerin ausdrücklich unterstützen. ({0}) Die beste und wichtigste Nachricht des heutigen Tages, liebe Kolleginnen und Kollegen, lautet: Die deutschen Biobauern bleiben im europäischen Geschäft. Und das ist gut so. ({1}) Das ist nicht nur gut so, sondern das ist auch wohl begründet. Ich möchte hier noch einmal mit aller Klarheit sagen: An diesem ganzen Skandal trifft die Biobauern gerade keine Schuld. Der Nitrofen-Skandal ist kein Skandal des ökologischen Landbaus, ({2}) sondern der Skandal geht, wie wir jetzt zunehmend begreifen müssen, auf skrupellose Leute in der Futtermittelwirtschaft zurück. ({3}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, nehmen Sie bitte ganz nüchtern und unaufgeregt zur Kenntnis: Ohne Biohersteller in der Lebensmittelwirtschaft wäre der ganze Skandal überhaupt nicht aufgedeckt worden. Es war doch ein Hersteller von ökologischer Babynahrung aus Bayern, der quasi am Eingangstor seines Werkes auf Nitrofen gestoßen ist. Es ist doch ein Wunder, dass dort überhaupt noch die Produkte daraufhin untersucht wurden, obwohl das Pestizid überhaupt nicht mehr zugelassen ist. Das war ein Biohersteller, der diese Kontrolle durchgeführt hat! ({4}) Er hat das Futtermittel an den Hersteller zurückgeschickt und gesagt: nicht mit mir. ({5}) Daraufhin kam die Kette der Ereignisse ins Rollen. Wir sind zwar der Meinung, dass das viel zu lange gedauert hat und der Weg viel zu umständlich war. Dies ist aber nicht den Bio-Herstellern vorzuwerfen, ({6}) weil es ein Bio-Hersteller war, der kontrolliert hat, was woanders überhaupt nicht kontrolliert worden wäre. ({7}) Es ist also unbestreitbar, dass in diesem Fall die BioHersteller die Initialzündung für die Aufdeckung des Skandals gegeben haben. Dennoch wollen wir festhalten, dass Ökobetriebe im Bereich der Landwirtschaft letztlich keine Pestizide brauchen: Im ökologischen Landbau werden keine Pestizide eingesetzt, es müssen dafür keine Pestizide produziert werden, es müssen keine gelagert werden und es müssen keine geliefert werden. ({8}) Aus der Sicht der Verbraucher müssen wir heute eine Schlussfolgerung ziehen: Die Agrarwende ist nötiger denn je, und zwar für die gesamte Produktionskette von der Futtermittelerzeugung über die Tierhaltung bis hin zur Nahrungsmittelherstellung. ({9}) Sie haben diese Aktuelle Stunde heute aber nicht beantragt, um die Agrarwende zu befördern; ({10}) Sie unternehmen hier vielmehr den untauglichen Versuch, den Ruf von Renate Künast zu erschüttern. ({11}) Fragen Sie die Menschen auf der Straße nach Renate Künast. Sie werden Ihnen sagen: Verbraucherschutz in Deutschland hat einen Namen, und zwar Renate Künast. Sie ist die Anwältin der Verbraucherinnen und Verbraucher. ({12}) Sie hat öffentlich und umgehend informiert. Sie hat die Quellen aufgespürt und benannt. Sie hat das gesamte Geflecht möglicher Verursacher aufgezeigt. Das ist ihre Leistung. Es wird - ohne Ansehen der Person - Punkt für Punkt aufgeklärt. Wir müssen aber nicht nur von den Verursachern, sondern auch von den Vertuschern reden. Es geht auch um gewisse verhängnisvolle Strukturen in einem „Verschweigerkartell“ der Futtermittelwirtschaft, um höchst eigenartige personelle Verflechtungen, die in der Tat fragwürdig sind. Ich will Ihnen einmal sagen, wie an den Stammtischen ({13}) in Bayern Raiffeisen dekliniert wird: Raiffeisen, Greifeisen, Bescheißeisen. ({14}) Ich will hier nichts darüber aussagen, ob diese Beurteilung angemessen ist, zumal ich selbst bei der Raiffeisenbank in Augsburg ein Konto habe; aber auf eines möchte ich hinweisen: Wenn genossenschaftlich gebundene Versicherungen glauben, man könne stille Aktionen zur Rückholung von durch Gifte verseuchten Nahrungs- oder Futtermitteln durch verschwiegene Abwicklungen vertuschen, dann ist dies eine mit krimineller Energie betriebene Gemeinheit zum Schaden der Bauern sowie der Verbraucherinnen und Verbraucher. ({15}) Die Verantwortung dafür liegt in dem Bereich, der der Landwirtschaft eigentlich vorgelagert ist. Wen trifft aber nachher die Krise? - Die Bauern, und zwar die Ökolandwirte genauso wie die konventionellen. Sie haben in diesem Bereich deckungsgleiche Interessen. Deshalb müssen wir Punkt für Punkt aufklären und die Konsequenzen ziehen. Lassen Sie mich darauf hinweisen, dass die EU die Linie von Renate Künast „Aufdecken - Informieren - Zur Rechenschaft ziehen - Kontrollieren“ voll bestätigt. Ich erwarte allerdings auch, dass die Länder an der Umsetzung nun konsequent mitwirken, um eine Debatte über föderale Strukturen zu vermeiden. An die Adresse der CDU/CSU sage ich: Solange Sie im Bundesrat den Weg für ein Verbraucherinformationsgesetz, das den Menschen erlaubt, alles zu erfahren, was den Behörden über die Inhaltsstoffe der Nahrung bekannt ist, nicht frei machen, haben Sie überhaupt keine Glaubwürdigkeit in Sachen Verbraucherschutz. ({16}) Sie können nach außen nicht vermitteln, warum Informationen in den Aktenschränken der Behörden verschlossen bleiben sollen und warum Sie den Menschen auf der Straße dieses Wissen nicht zubilligen. Das versteht kein Mensch. Damit werden Sie nicht punkten. Sie werden unangenehme Rückfragen erhalten. Wir werden Sie an dieser Stelle nicht aus der Verantwortung entlassen. Jetzt ist der Zeitpunkt gekommen, für mehr Verbraucherschutz, auch für mehr Information zu sorgen, indem Albert Schmidt ({17}) man den Menschen das Wissen, das die Behörden haben, weitergibt. ({18}) Wenn Sie das weiterhin verweigern, melden Sie sich aus der ernsthaften Verbraucherschutzdebatte ab. ({19})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat die Kollegin Annette Widmann-Mauz von der CDU/CSU-Fraktion.

Annette Widmann-Mauz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003259, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Lieber Herr Kollege Schmidt, Ihre Ausführungen zeigen, dass Sie sich in dieser Debatte wirklich nicht auskennen. ({0}) Die Vorwürfe, die Sie uns machen, sind schlicht falsch. Erster Punkt. Von uns hat niemand der Firma Hipp einen Vorwurf gemacht, dass sie so stark geprüft und dann auch etwas gefunden hat. Im Gegenteil: Was macht uns stutzig? - Uns macht stutzig, dass nur die Firma Hipp entsprechende Funde gemeldet und verfolgt hat, wo doch so viele Verarbeiter von Bioprodukten in dieser Kette von den verseuchten Futtermittelprodukten betroffen sind. Das muss uns zu denken geben! ({1}) Es muss uns auch zu denken geben, dass zum Beispiel ein Ökoverband wie „Naturland“ schon längst Bescheid weiß, aber nicht handelt. Dem müssen wir nachgehen und darum müssen wir uns kümmern, ({2}) und zwar unabhängig davon, ob es ein Bioverband oder ein konventioneller Verband ist. Wir müssen im Interesse der Verbraucherinnen und Verbraucher schauen, wo die Lücken sind. ({3}) Die Lücken sind sowohl in diesem Bereich als auch innerhalb der Bundesregierung zu finden. ({4}) Ich fand es schon sehr mutig von Ihnen, Herr Schmidt, dass Sie davon gesprochen haben, dass die Europäische Kommission mit dem, was in unserem Land passiert, vollkommen zufrieden sei. Ich muss diese Woche anscheinend auf einem anderen Stern gelebt haben. ({5}) Denn was sich diese Woche abgespielt hat, belegt doch das glatte Gegenteil. Byrne spricht von einer vollkommen verfehlten Informationspolitik. Vor zwei Wochen wurde nämlich noch gesagt, der Skandal sei beendet. Jetzt heißt es, dass wieder etwas gefunden wurde und dass der Skandal doch noch nicht beendet sei. Der Agrarminister von MecklenburgVorpommern sagt, dass wir erst am Anfang stünden, was die Aufklärung betrifft. Selbst Ihr Parteifreund im Europaparlament Graefe zu Baringdorf ist der Meinung, dass man den Mund nicht so voll hätte nehmen dürfen, wie es Frau Künast getan hat. Von einer klugen Informationspolitik, durch die die Verbraucherinnen und Verbraucher seriös informiert werden, kann überhaupt keine Rede sein. Da das Vertrauen angeblich so groß sein soll, muss ich Sie fragen: Würde die Europäische Kommission die irischen Prüfer aus Dublin nach Deutschland schicken, wenn man nicht vermuten würde, dass hier etwas zu finden sei? ({6}) Ich sage deshalb ganz klar: Mit dem, was Sie hier auf den Weg gebracht haben, kann doch etwas nicht stimmen. Was ebenfalls erstaunlich war und was auch Herr Byrne ausdrücklich kritisiert hat, hat mit der Frage zu tun, wie in Deutschland Informationen von Stellen, die prüfen und kontrollieren, weitergeleitet werden. Ich muss mich schon wundern: Es gab in der Fragestunde heute Nachmittag keine einzige Antwort auf die Frage, wie man mit der Bundesanstalt für Fleischforschung in Kulmbach verfahren will. Wir hören nichts darüber, ob dieses Fehlverhalten, das dort an den Tag gelegt wurde, sanktioniert werden soll. Die Bundesregierung scheint ein solches Verhalten durchgehen zu lassen. Mir ist nichts davon bekannt - ich habe den Herrn Staatssekretär ausdrücklich dazu befragt -, ob hier in irgendeiner Weise gehandelt wird. Wir sind jetzt seit drei Wochen damit beschäftigt, den Skandal einzugrenzen und zurückzuverfolgen, woher das Getreide kommt und welche Bereiche insgesamt betroffen sind. Sie haben immer wieder den Eindruck erweckt, dass in dem geschlossenen System der Biokreislaufwirtschaft die Rückverfolgbarkeit hundertprozentig gegeben sei. Im Fachausschuss des Europäischen Parlamentes heißt es dagegen, dass man noch nicht so weit sei und dass der Skandal noch nicht hundertprozentig eingegrenzt werden könne. Nur eines kann stimmen: Entweder handelt es sich um einen geschlossenen Kreislauf und wir können sehr schnell lückenlos dokumentieren ({7}) oder wir können es nicht. Es ist kein Wunder, wenn die zweite Möglichkeit zutrifft. ({8}) Denn Sie haben ein Biosiegel eingeführt, das den Zusatz von konventionellen Produkten in Bioprodukten erlaubt. ({9}) - Herr Herzog, schauen Sie sich bitte die entsprechende EU-Verordnung an. Darin ist festgelegt, dass Bio-BabyAlbert Schmidt ({10}) nahrungsmittel bis zu 30 Prozent aus konventionellen Bestandteilen bestehen dürfen. ({11}) Ich möchte zitieren, was beispielsweise der Pressesprecher des Öko-Landbau-Verbandes Demeter, Renée Herrnkind, sagt. Ihre Politik, im Biobereich ganz schnell auf Masse zu setzen, ohne dass die Strukturen der Landwirtschaft, auch die Kontrollstrukturen, nachwachsen können, hat folgende Auswirkungen - ich zitiere aus einer Reuters-Meldung -: „Wir sehen Risiken in dieser Industrialisierung“, sagt Renée Herrnkind, Pressesprecher des Öko-LandbauVerbands Demeter. Weiter heißt es in der Meldung von Reuters: Die Supermarktketten haben das Potenzial von Ökoprodukten erkannt und drängen daher die Produzenten, immer mehr zu liefern. „Wenn der Druck erhöht wird, ist es für die Erzeuger schwieriger, die Qualitätserfordernisse einzuhalten“, sagt Uli Zerger von der Stiftung Ökologie und Landbau. Die Nachfrage nach Bioprodukten sei in den vergangenen Jahren jedoch so stark und so schnell angestiegen, dass sich die ökologischen Betriebe nicht so schnell auf den erhöhten Bedarf hätten umstellen können. Es heißt weiter, dass vielfach Ware aus dem Ausland importiert werde, dort potenzielle Schwachstellen zumindest zu vermuten seien und dass die veränderten Logistikanforderungen durch diese Branche gar nicht in dem notwendigen Umfang zu erfüllen seien.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Frau Kollegin Widmann-Mauz, kommen Sie bitte zum Schluss.

Annette Widmann-Mauz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003259, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich komme zum Schluss. - Es kommt doch darauf an, dass wir eine Verbraucherschutzpolitik betreiben, die vier Gesichtspunkten gerecht wird: mehr Transparenz, Eigenverantwortung stärken, Kontrollen so gestalten, dass sie wirken können, und nachhaltig handeln. Deshalb ist der Verweis - dieser Satz sei mir noch gestattet, Herr Präsident - auf eine vermeintliche Blockadehaltung nicht gerechtfertigt. Ich zitiere die bereits in der letzten Woche vorgelegte Ausschussdrucksache 14/748. Damit hätten die Koalitionsfraktionen die Möglichkeit gehabt, die Information der Verbraucherinnen und Verbraucher bei solchen Skandalen zu verbessern. Sie haben dagegen gestimmt und das blockiert. ({0}) - Nein, das ist nicht blanker Unsinn.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Frau Kollegin, bitte!

Annette Widmann-Mauz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003259, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sie hatten die Möglichkeit dazu, haben sich dieser Verbesserung aber verweigert. Ich danke Ihnen. ({0})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Als letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt hat der Kollege Dr. Gerald Thalheim das Wort.

Dr. Gerald Thalheim (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002311, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich finde es gut, dass sich der Deutsche Bundestag erneut ausführlich mit diesem Thema beschäftigt. Nicht gut finde ich den Versuch, aus diesem Thema politisch Funken zu schlagen. Hinter dem Nitrofen-Skandal steht kein Versagen der Bundesregierung, schon gar nicht von Bundesministerin Künast. Im Gegenteil, die entschlossene Aufklärung, die das Bundesministerium betrieben hat, findet allgemein Anerkennung, auch bei der EU-Kommission. ({0}) - Zu dir komme ich gleich. Es ist auch kein Versagen der ökologischen Landwirtschaft. ({1}) Wir wissen heute, dass es eher Zufall war, dass das Ökogetreide in diesem am stärksten verseuchten Teil der Halle in Malchin gelagert wurde. Es ist auch kein vordergründiges Versagen der Kontrollinstitutionen, ({2}) wenn, dann der Biokontrollstelle. Es ist ein Versagen von Menschen, insbesondere der Menschen in der Futtermittelbranche, von den Beschäftigten bis in die Chefetage. ({3}) - Da können Sie lachen. Das eigentliche Problem ist die Katastrophe für die gesamte Branche, wenn in der Öffentlichkeit der Eindruck entstanden ist: Was sich in Malchin abgespielt hat, könnte sich auch anderswo abspielen; wie dort mit den Informationen umgegangen worden ist - da sind auch die Ökolandbauverbände zu kritisieren -, könnte auch woanders passieren. Das ist die Katastrophe. Deshalb ist dieses Thema nicht für gegenseitige Schuldzuweisungen geeignet. Damit sind wir bei dem eigentlichen Punkt, dem Unglaublichen, das sich in Malchin abgespielt hat. Auch ich bin nach einigen Informationen, die dargelegt worden sind, mit der Meinung in die Öffentlichkeit gegangen, dass es sich so nicht abgespielt haben kann. Ich bin eines Besseren belehrt worden. Ich habe erst heute früh mit jemandem telefoniert, der dort war. Wenn man in einer Halle Pflanzenschutzmittel findet und darauf Getreide lagert, dann ist das ein Skandal - und doch die Erklärung. Jedem Azubi in der Landwirtschaft wird im ersten Lehrjahr eingebläut, Futtermittel nicht gemeinsam mit Pflanzenschutzmitteln zu lagern bzw. sie nicht hintereinander Albert Schmidt ({4}) an derselben Stelle zu lagern. Wir dürfen als Parlament nicht die Illusion erwecken, dass wir ein solch eklatantes Fehlverhalten durch Beschlüsse verhindern könnten. Hier muss sich das Bewusstsein der Betroffenen ändern. Hinter diesem Skandal steht eine unglaubliche Ignoranz, was das Vorgehen, die Informationspolitik, aber nach wie vor auch das Geschäftsgebaren des Futtermittelhandels und der Futtermittelindustrie anbelangt. ({5}) Da sind wir bei der Antwort auf Ihre Frage, Kollege Schindler, warum wir nicht schneller und besser informieren konnten: weil die Futtermittelindustrie nach wie vor nicht in der Lage ist, Herkünfte anzugeben und darzulegen, welche Partien in welches Mischfuttermittel geraten sind. Das ist der entscheidende Punkt. ({6}) - Da können Sie schreien, wie Sie wollen, die entscheidende Frage lautet: Woher kommt die Ignoranz in dieser Branche? - Ich kann Ihnen die Antwort geben: Der Grund ist, dass diese Branche gewohnt war, dass sich die Politik schützend vor sie stellt. ({7}) Das ist die Antwort auf die Frage, die hier rhetorisch gestellt worden ist. Es ist reine Höflichkeit, wenn ich von diesem Pult aus nicht darüber spreche, welche Parolen die Vorgänger in unserem Haus im Hinblick auf BSE und ähnliche Bereiche ausgegeben haben. Da wurden Denkverbote ausgesprochen. Die Wirkung ist bis heute zu sehen, auch in der Bundesanstalt für Fleischforschung in Kulmbach. ({8}) Wann ist denn Herr Honikel eingestellt worden? Ich hatte die große Ehre, gemeinsam mit Herrn Stoiber die Bundesanstalt in Kulmbach zu besuchen. Ich kann mich noch gut daran erinnern, wie Herrn Honikel auf die Schulter geklopft und er zu privaten Untersuchungen motiviert wurde. Auch aus dieser Hinsicht, aufgrund des Verhaltens von Herrn Honikel, lassen sich keine Funken schlagen, auch wenn Sie das immer wieder versuchen. ({9}) Meine letzte Botschaft. Wie viele andere habe ich geglaubt, dass alle in der Branche Beteiligten Schlussfolgerungen aus der BSE-Krise gezogen haben. Die große Enttäuschung ist: Was die Informationspolitik und die Tatsache anbelangt, dass wirtschaftliche Interessen nach wie vor höher gestellt werden als der Verbraucherschutz, sind keine Schlussfolgerungen gezogen worden. ({10}) Ich kann uns alle nur ermahnen, daraus die nötigen Schlussfolgerungen zu ziehen. Sie lauten: Erstens. Wer Qualität will - das hat wieder keiner angesprochen -, muss auch einen entsprechenden Preis zahlen. ({11}) Die Motivation für das Anmieten der Halle in Malchin war vermutlich, dass es sich dabei um das günstigste Angebot, was die Kosten anbelangt, handelte. Zweitens. Wir müssen die Kontrollen verstärken. Aber da besteht wiederum eine Illusion: Wir können nicht jedes Lebensmittel auf 10 000 chemische Stoffe, die produziert werden, prüfen. Wir müssen zu Regelungen kommen, dass ein solcher Eintrag von Anfang an vermieden wird. Drittens. Wir müssen dafür sorgen, dass sich das Bewusstsein ein Stück weit ändert. Das ist ein entscheidender Punkt. Falsche Haltungen haben wieder zu diesem Skandal geführt. Hier ist viel zu tun. Wir sollten uns gemeinsam anstrengen. Die Branche hat es nicht verdient, wegen der schwarzen Schafe in der aktuellen Krise an den Pranger gestellt zu werden. Daran sollten wir gemeinsam arbeiten. Vielen Dank. ({12})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Die Aktuelle Stunde ist beendet. Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Donnerstag, den 13. Juni 2002, 9 Uhr, ein. Die Sitzung ist geschlossen.