Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 6/7/2002

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile das Wort dem Kollegen Erwin Marschewski, CDU/CSU-Fraktion.

Erwin Marschewski (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001424, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Placebo statt Plebiszit, ({0}) das ist das, Herr Kollege Bachmaier, was mir zu Ihrer Rede eingefallen ist. Zwischen der Überschrift und dem Inhalt Ihres Gesetzentwurfs ergibt sich wieder einmal eine sehr große Differenz. ({1}) Herr Schlauch, das ist genauso wie bei der Zuwanderungsdebatte: Zwischen Überschrift und Inhalt besteht eine riesige Differenz. Sie missbrauchen eine populäre Forderung für ein populistisches Scheinangebot. Das ist das Problem. ({2}) - Jetzt hören Sie mal zu! - „So tun, als ob, ist kein Mehr an Demokratie“, ({3}) so wurde in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ zu Recht geschrieben. Ansonsten - das hat die Anhörung gezeigt - hat Ihr Entwurf schwere Mängel. Es geht um eine Verfassungsänderung. Diese Verfassungsänderung kann man nicht ein paar Tage vor der Bundestagswahl gewissermaßen als Hermann Bachmaier Geschenk an die Grünen, als Äquivalent für irgendetwas, durchziehen. ({4}) - Herr Kollege Bachmaier, hören Sie zu und schreien Sie nicht so viel! - Angst und Misstrauen, wie Sie es vorhin angesprochen haben, ({5}) hat das Volk nicht hinsichtlich seiner Rechte, sondern hinsichtlich der Politik von SPD und Grünen, Herr Kollege Schlauch. Das ist die Problematik. ({6}) Es kann doch nicht sein, dass ein Gesetzentwurf zustande kommt, weil 10 Prozent und ein Stimmberechtigter zustimmen, ({7}) oder dass eine Verfassungsänderung mit Zustimmung von 27 Prozent der Stimmberechtigten möglich ist. ({8}) Sie wollen kurz vor Toresschluss eine Verfassung ändern, die 50 Jahre lang Demokratie gewährleistet und die freiheitlich-demokratische Grundordnung bewahrt hat. Es ist überhaupt kein Grund ersichtlich, etwas zu ändern. Das will auch keiner außerhalb dieses Hauses. ({9}) - Herr Kollege Schlauch, kommen Sie gerade vom Fußballplatz? ({10}) Da gab es vorgestern wenig zu jubeln. Vielleicht können Sie übermorgen positivere Zurufe machen. Im parlamentarischen Verfahren haben wir uns - das ist die Erfahrung des Dritten Reiches - erhebliche Hürden gesetzt: Zwei Drittel der gesetzlich festgelegten Mitgliederzahl von Bundestag und Bundesrat müssen zustimmen, um das Grundgesetz zu ändern. Die Sachverständigen haben uns dies vor Augen geführt: Entweder sind die Quoren so niedrig, dass das Mehrheitsprinzip gefährdet ist, oder so hoch, dass durch Boykott der Gegner ein Erfolg von vornherein aussichtslos ist. Sie haben die Konsequenzen aus der Anhörung nicht gezogen. Was Sie vorschlagen, ist vielmehr ein Abschied von der Mehrheitsdemokratie; ({11}) es ist der Einstieg in eine zufällige „Minderheitsmehrheit“. ({12}) Ein weiterer Punkt: Trotz erheblicher Bedenken haben Sie an der Vorwegkontrolle durch das Bundesverfassungsgericht festgehalten. Ex-ante-Kontrolle heißt doch: Sie halten das Volk für dümmer als die Politik, also Volkes Meinung wohl eher für verfassungswidrig. Wer sollte denn sonst verstehen, dass Volksgesetze vor Einbringung durch das Bundesverfassungsgericht geprüft werden, ({13}) Gesetzentwürfe von Abgeordneten, meine Damen und Herren der Grünen, aber nicht? Ich sage Ihnen eines: Gäbe es eine Ex-ante-Kontrolle in Bezug auf dieses Gesetz, so hätte der rot-grüne Gesetzentwurf diese Ex-ante-Kontrolle durch das Bundesverfassungsgericht nicht überstanden, weil der Entwurf verfassungswidrig ist. Ihr Entwurf ist deswegen verfassungswidrig, weil er gegen Art. 79 Abs. 3 des Grundgesetzes verstößt, Herr Schlauch. ({14}) Die Ewigkeitsgarantie des Grundgesetzes umfasst nicht nur die Menschenwürde, das Demokratieprinzip und den sozialen Rechtsstaat; ({15}) die Ewigkeitsgarantie umfasst vielmehr auch die „grundsätzliche Mitwirkung der Bundesländer an der Gesetzgebung“. Dies verändern Sie hier. Bei den Einspruchsgesetzen - das hat die Anhörung doch klar gezeigt - berücksichtigen Sie dies in keiner Hinsicht. Ihr Entwurf - ich wiederhole es - verstößt eklatant - und das ist ein Mangel - gegen Art. 79 Abs. 3 des Grundgesetzes. Er ist daher verfassungswidrig. ({16}) Noch etwas politisch Wichtiges: Die Mitwirkung des Bundesrates bedeutet die Berücksichtigung der Vielfalt der Länder. Die Mitwirkung des Bundesrates ist lebendiger Ausdruck des Föderalismus. Die Mitwirkung des Bundesrates bedeutet eine geschichtlich begründete Begrenzung von Zentralismus in Deutschland. Meine Damen und Herren, das darf nicht angetastet werden. Deswegen sind wir auch politisch gegen Ihren Gesetzentwurf. ({17}) Erwin Marschewski ({18}) Völlig unverständlich - dazu können Sie sich melden, Herr Schlauch ({19}) ist Ihr ursprünglicher Ausnahmekatalog. Sie wollten um die Abgeordneten herum gewissermaßen einen Volksabstimmungszaun errichten. ({20}) Warum um Himmels willen wollten Sie eigentlich jene Gesetze ausklammern, ({21}) die uns Abgeordnete betreffen? Meine Damen und Herren von SPD und Grünen, Volksverbundenheit und Unabhängigkeit der Abgeordneten würden eben nicht geschwächt, wenn unsere Rechtsstellung direkt vom Volk bestimmt würde, so zum Beispiel in der Frage von Abgeordnetenmandat und oft bezahlter Interessenvertretung bei Gewerkschaften, Unternehmen und Verbänden. ({22}) Abgeordnete müssen unabhängiger werden und hierbei wird uns der Souverän mit Sicherheit unterstützen. Auch Ihr jetzt reduzierter Ausnahmekatalog ist so nicht nachvollziehbar. Das Volk soll zwar mehr Steuern zahlen; aber das Mitentscheiden über die Höhe und die Struktur der Steuern wollen Sie weiterhin verbieten. Fürchten Sie, Herr Struck oder Herr Schlauch, vielleicht, dass das Volk Ihre unsinnige Ökosteuer wieder abschafft? ({23}) Eines ist klar: Durch die Verankerung von Volksentscheiden im Grundgesetz - das schlagen Sie vor - kann das Vertrauen der Bevölkerung in die Politik nicht gestärkt werden. Politik- und Politikerverdrossenheit - hören Sie genau zu! - entstehen dadurch, dass sich die Regierenden - Herr Schlauch, auch Sie sind gemeint - vom deutschen Volk meilenweit entfernt haben, und dadurch, dass sie die Sorgen und Nöte der Menschen nicht mehr kennen. ({24}) Um es mit Oskar Lafontaine zu sagen - das wird Peter Struck besonders interessieren -: „Politikverdrossenheit ist eine direkte Folge gebrochener Wahlversprechen.“ ({25}) Wenn dann noch Klüngel und Korruption hinzukommen, sind ganz andere Konsequenzen zu ziehen. Die „Berliner Morgenpost“ hat Recht, wenn sie schreibt, dass Ihr Gesetz ein scheinheiliger Vorstoß sei. Es sei der Versuch, populistische Themen für den Wahlkampf zu besetzen. - Dies muss scheitern, weil sich die parlamentarisch-repräsentative Demokratie bewährt hat. ({26}) Herr Schlauch, wir ziehen daraus die Konsequenz, dass wir diese parlamentarisch-repräsentative Demokratie sichern und stärken müssen. Wir wollen sie nicht aufweichen. Plebiszite - das wissen Sie doch - verengen die Entscheidung selbst bei schwierigsten Problemen auf ein schlichtes Ja oder Nein. ({27}) Plebiszite erlauben eben nicht die Kompromisse, die Wesensinhalt der Demokratie sind. Sie blenden die Orientierung am Gemeinwohl sehr oft aus. Herr Bachmaier, leider geht es doch oft auch um die Durchsetzung egoistischer Interessen Einzelner. ({28}) Ihre Forderungen sind Wahlkampf. Sie bedeuten keine Stärkung der Demokratie. Sie nützen niemandem. Sie, meine Kollegen von der SPD und den Grünen, wissen aus den Ausschussberatungen, dass ich weder populistischer Befürworter noch fanatischer Neinsager bin. Dieser Gesetzentwurf ist allerdings nicht zustimmungsfähig, weil er trotz der Komplexität der Materie mit heißer Nadel gestrickt und verfassungswidrig ist sowie vor allem - das ist für mich der wesentliche Punkt - den Föderalismus, die demokratische und moderne Mitwirkungsform in unserer bundesstaatlichen Ordnung, aushebelt. Diese Mitwirkung - ich sage dies insbesondere in Richtung der Damen und Herren von SPD und Grünen auf Bundesebene zu schwächen bedeutet, die historische Erfahrung nicht zu kennen und gegenwärtig Erlebtes - schauen Sie sich doch um! - zu ignorieren. Der Föderalismus ist ein Segen für unser Land! Auch deswegen sagen wir zu Ihrem Gesetzentwurf Nein. ({29})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile dem Kollegen Gerald Häfner, Bündnis 90/Die Grünen, das Wort.

Gerald Häfner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000775, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Deutschland will mehr Demokratie wagen. Dieses Versprechen wurde diesem Land nicht erst seit den 70erJahren, sondern bereits mit dem Grundgesetz gegeben. Wir nehmen unser Grundgesetz ernst, in dem es heißt: Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt. Im Unterschied zu den Wahlen - wir Politiker brauchen diese Wahlen, um gewählt zu werden - sind die Erwin Marschewski ({0}) Abstimmungen bis heute nicht geregelt. Das wollen wir jetzt ändern. Herr Marschewski, Ihre Rede hat mich an den Amtsvorgänger von Herrn Stoiber - zu Herrn Stoiber selbst sage ich gleich auch noch etwas - erinnert. ({1}) - Herr Merz, hören Sie zu! - Herr Streibl, der damalige bayerische Ministerpräsident, hat, als das Bundesverfassungsgericht seine letzte Entscheidung zum Abtreibungsrecht gefällt hat, aschfahl und mit einem leeren Gesichtsausdruck vor den Kameras gestanden und gesagt: Es kann doch nicht sein, dass das Bundesverfassungsgericht heute nur aufgrund des Zeitablaufs anders entscheidet als vor 20 Jahren. Das ist Ihr Verständnis von Politik. In diesen 20 Jahren hat sich diese Republik doch verändert, und zwar ganz gewaltig. In diesen 20 Jahren hat sich aufgrund der Frauenbewegung, der Bürgerbewegung, der Demokratiebewegung usw. sehr viel getan. Das haben Sie anscheinend überhaupt nicht mitbekommen. ({2}) Das hat Ihr Verständnis von Politik überhaupt nicht berührt. Ich sehe schon Herrn Stoiber, der dann, wenn der Volksentscheid im Gesetzblatt steht, sagen wird, es könne nicht sein, dass das Parlament anders als vor 20 Jahren entschieden habe. Ich hoffe, dass wir in 20 Jahren anders als heute entscheiden werden. ({3}) Demokratie ist nie fertig, sondern immer etwas, was sich entwickeln muss. Ich kann gut verstehen, dass die Väter und Mütter des Grundgesetzes 1949 nach der Erfahrung mit dem Nationalsozialismus zwar das Grundprinzip der direkten Demokratie, „Wahlen und Abstimmungen“, im Grundgesetz verankert, zunächst aber nicht ausgestaltet haben, weil sie „bindende Verantwortung“ ausschließlich in den Parlamenten sichern wollten, da sie Bedenken hatten, einem Volk, das den Nationalsozialismus mitgemacht hatte, sofort plebiszitäre Rechte zu geben. Allerdings bestand damals die Auffassung - Sie können das in den Protokollen des Parlamentarischen Rates nachlesen -, dass der Begriff „Abstimmungen“ später durch den Gesetzgeber ausgefüllt werden müsse. Das tun wir nun, 53 Jahre nach Verabschiedung des Grundgesetzes. Das ist ein mehr als langer „Zeitablauf“, um diesen Auftrag endlich zu erfüllen. Nicht nur diese Koalition will das. 82,7 Prozent der Bevölkerung wollen dies ebenfalls, übrigens auch drei Viertel Ihrer Wählerinnen und Wähler, Herr Marschewski. ({4}) Sie sind schlechte Sachwalter der Interessen jener Menschen, die Sie gewählt haben, wenn Sie sich nicht für deren, sondern nur für Ihre eigenen Interessen einsetzen. ({5}) Herr Stoiber hat nicht zu irgendeiner Schimäre, sondern zu diesem Vorhaben der rot-grünen Koalition nach Erscheinen unserer Koalitionsvereinbarung in der Münchener „Abendzeitung“ wörtlich gesagt: Deshalb werde ich die Absicht der rot-grünen Koalition, ... einen Volksentscheid auch auf Bundesebene einzuführen, unterstützen. ({6}) Was ist das für ein Kanzlerkandidat und was ist von seinen Ankündigungen zu halten? ({7}) Herr Späth und andere - früher hat das Herr Merz gemacht - kassieren die Ankündigungen dieses Kandidaten vor laufenden Kameras ständig wieder ein. Was ist das für ein Kanzlerkandidat, der von den Menschen gewählt werden will und das Gegenteil dessen tut, was er zu tun versprochen hat? ({8}) Die Entscheidung, dass die Union unseren Gesetzentwurf nicht mitträgt, ist, wie Sie alle wissen, im Stoiber-Team, in Ihrem Headquarter, gefallen, nicht aber hier im Hause. Auch das ist ein schlechtes Zeichen für den Zustand unserer Demokratie und vor allem für den Zustand der rechten Seite dieses Hauses. Herr Marschewski, ich habe lange gewartet, ob bei Ihnen noch ein sachliches Argument kommt. Das war nicht der Fall. Deswegen kann ich es mir weitgehend ersparen, auf Ihre Rede einzugehen. Wir haben einen Gesetzentwurf vorgelegt, der die Frage der Bürgerbeteiligung außerordentlich ausgewogen und vernünftig regelt. Nach wie vor wird das Schwergewicht der politischen Verantwortung im Parlament liegen. Über 99 Prozent der Gesetze werden im Parlament entschieden werden. Aber es muss und wird die Möglichkeit geben, dass sich die Bürgerinnen und Bürger auch zwischen den Wahlen unmittelbar einmischen können. Ich sagte bereits, dass 82,7 Prozent der Bevölkerung dieses Vorhaben unterstützen. Unter den Jugendlichen in Deutschland sind es 93 Prozent. Auch das sollten wir ernst nehmen. Lassen Sie mich an dieser Stelle ein Wort zu der Jugend unseres Landes sagen, weil ich glaube, dass sie zu viel und oft auch zu Unrecht geschmäht wird. Unter ihnen sind sehr viele engagierte und interessierte Menschen. Aber wir müssen zur Kenntnis nehmen - das hat mit dem zu tun, was Herr Streibl „Zeitablauf“ nannte -, dass die vorhandenen Formen der politischen Beteiligung für viele junge Menschen heute nicht mehr die Attraktion haben, die sie früher hatten. Das hat auch damit zu tun, dass sich das Land und die Rolle der Parteien in der Gesellschaft verändert haben und Parteibindungen nicht mehr wie früher bestehen. Dennoch sind junge Menschen sehr gerne bereit, sich für ein Ziel zu engagieren, wenn sie wissen, dass sie real und in einer vernünftigen Zeit etwas verändern können, nicht aber dann, wenn sie den Eindruck haben, sie könnten nur zuschauen und sonst nichts machen, weil „die da oben“, wie es oft so unschön heißt, sowieso machen würden, was sie wollen. Deswegen müssen wir auch den jungen Menschen in diesem Land ein Angebot machen, wie sie sich stärker beteiligen können. ({9}) Die direkte Demokratie ist ein solches Angebot. Sie führt - das zeigen alle Forschungsarbeiten auf diesem Gebiet - erstens zu einer Versachlichung der Politik, die uns im Übrigen außerordentlich gut täte. Sie führt darüber hinaus zu einer „Entschleunigung“ der Politik. In meinen Augen ist es ein Problem der heutigen Politik, dass alle paar Wochen - lassen Sie es mich als Bayern so drastisch sagen - eine neue Sau durchs Dorf gejagt wird, dass also schon das nächste Thema kommt, bevor man eine Sache vernünftig diskutiert und sich ein Urteil gebildet hat. Daran sind wir nicht immer unschuldig. Weiterhin beobachten wir eine immer stärkere Personalisierung, die immer stärker von den Sachfragen ablenkt. Direkte Demokratie führt dazu, dass anders als bei den Wahlen, bei denen man nur Personen und Parteien wählen kann, eine Sachfrage im Mittelpunkt steht und sie ausführlich und gründlich in der Bevölkerung diskutiert und abgewogen wird. ({10}) Ich saß vor einiger Zeit - das ist ein Schicksal, das wir Abgeordnete häufig haben - zu noch recht nachtschlafender Zeit auf dem Weg zum Münchner Flughafen in der S-Bahn. Neben mir saßen sechs Männer im Anzug und mit Aktenkoffern und diskutierten hoch diffizile Fragen der Verfassung, Fragen des Ausbalancierens von Rechten verschiedener Organe usw. Ich habe sie schließlich gefragt, ob sie Politiker oder Juristen seien. Nein, sie waren Bürger, aber eben Bürger aus der Schweiz, und hatten als Bürger über eine Revision ihrer Verfassung abzustimmen. Machen Sie sich einmal bewusst, was es bedeutet, wenn die Menschen erleben, dass solche Entscheidungen nicht nur Sache der Politiker, sondern ihre eigene Sache sind, dass es um ihr Land, um ihre eigene Verfassung und um ihre Gesetze geht. ({11}) Das Wichtigste, um das es bei diesem Thema geht, ist, dass wir die Distanz zwischen Repräsentanten und Repräsentierten verringern müssen, dass wir die Bürger wieder mehr beteiligen und ihr Engagement stärken müssen. Die Bereitschaft dazu ist durchaus vorhanden. Wir müssen die Möglichkeit schaffen, dass sich die Bürger wieder mehr mit dem Gemeinweisen identifizieren. Manchmal diskutieren wir hier im Bundestag über kurzfristige Tagespolitik hinausreichende längerfristige Perspektiven. Zum Beispiel wurde für die Enquete-Kommission, die sich mit der Zukunft bürgerschaftlichen Engagements beschäftigte, viel Geld aufgewandt. Viele Wissenschaftler sind angereist, um uns einen Bericht vorzulegen. Ich frage mich, wer ihn überhaupt gelesen hat. In diesem Bericht, der ohne Gegenstimmen verabschiedet wurde ({12}) - ich weiß, mit einigen Enthaltungen; es gab auch aus der Union keine Gegenstimmen; in der Kommission saßen einige aus Ihren Reihen, die sich jahrelang mit diesem Thema beschäftigt haben -, steht klar und deutlich, dass wir die Bürgerbeteiligung auf Bundesebene, dass wir direktdemokratische Verfahren wie Volksbegehren und Volksentscheid einführen sollten, um die Bürger stärker an Entscheidungen über Sachfragen zu beteiligen. ({13}) Was hat es denn für einen Wert, wenn wir solche Kommissionen einrichten und dann deren Ergebnisse überhaupt nicht ernst nehmen? ({14}) Lassen Sie mich zum Schluss noch ein paar Sätze sagen, die ein klein wenig über den Horizont des eben Gesagten hinausgehen. Dies ist voraussichtlich meine letzte Rede im Deutschen Bundestag; ich werde nicht wieder kandidieren. Was ich jetzt sage, richtet sich an uns alle, inklusive meine Person. Ich habe die Sorge, dass mit der Übernahme politischer Ämter schleichend und oft fast unmerklich eine bestimmte Form der Gravität einhergeht, die sich immer mehr so auswirkt, dass der Wunsch immer wichtiger wird, die eigene Bedeutung einschließlich der Bedeutung der eigenen Fraktion und Partei zu mehren, während der Wunsch, die Bedeutung der Bürger unseres Landes zu mehren, demgegenüber in den Hintergrund tritt. Ich halte es für wichtig, dass wir über allem, was wir im Hinblick auf Einzelfragen in diesem Hause immer wieder zu entscheiden haben und worüber wir uns auch streiten, eines nicht aus dem Auge verlieren und uns darin wirklich einig sind: Wir sitzen nicht für uns hier, sondern für die Bürgerinnen und Bürger unseres Landes; wir haben einen Auftrag für sie zu erfüllen. Dieser Auftrag geht weit darüber hinaus, dieses und jenes gut zu regeln; er lautet vielmehr, dem Land eine Perspektive zu geben, mit der sich die Menschen identifizieren können. In einem unterscheidet sich unser Grundgesetz von allen Verfassungen dieser Welt. Es enthält zwei Grundsätze, die die so genannte Ewigkeitsgarantie besitzen. Dies sind Art. 1 und Art. 20. Ich will es hier noch einmal aussprechen, obwohl es jedem ohnedies bewusst sein könnte. Das ist zum einen der Grundsatz: Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt. Das ist die genaue Umkehrung dessen, was im Nationalsozialismus galt: Der Einzelne galt nichts, das Volk war alles. Oder: „Ein Volk, ein Reich, ein Führer“, hieß es damals. Das Grundgesetz aber sagt: Im Mittelpunkt all dessen, was der Staat tut, steht der einzelne Mensch, das freie Individuum. Damit korrespondiert Art. 20 des Grundgesetzes, denn dieses Freiheitsprinzip funktioniert nicht ohne das Demokratieprinzip, insbesondere den zweiten Absatz des Art. 20: Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen ... ausgeübt. Diese beiden Grundsätze, die Rechte des Einzelnen zu mehren und im gleichen Zug die Demokratie zu stärken, sind bedeutsam. Vieles von dem, was wir heute weltweit beklagen, die Ohnmachtsgefühle, die sich bei rechten Rattenfängern - dabei denke ich nicht nur an diejenigen, die gegenwärtig auch orographisch ganz rechts im Parlament sitzen, sondern auch an andere - breit machen, das, was dort aufgegriffen wird, und der Unmut, der sich vielfach zu Recht gegen die Globalisierung regt, ({15}) hat mit einem Mangel an eigenen Möglichkeiten, auf diese Entwicklungen Einfluss zu nehmen, mit einem Mangel an Demokratie zu tun. Wenn ich kurz etwas zu Ihnen, der FDP, sagen darf: ({16}) Ich war oft sehr begeistert von den Programmen der FDP. Ich war auch von dem Beschluss, den Sie vor zwei Jahren auf Ihrem Nürnberger Parteitag mit überwältigender Mehrheit gefasst haben, eingebracht von Ihrem Bundesvorsitzenden Guido Westerwelle, begeistert, in dem es heißt, dass ein notwendiger Schritt die Ausdehnung von Bürgerentscheiden, Bürgerbegehren und Bürgerbefragungen auch auf Landes- und Bundesebene sei. Ich habe gedacht, dies sei eine Ankündigung dessen, was die FDP zu tun gedenkt. Die FDP wird hier nicht ja, ja oder nein, nein sagen, sondern ein klares Jein sagen. Sie wird dem widersprechen, was sie immer gefordert hat, nämlich mehr direkter Demokratie auf Bundesebene. Ich finde es ausgesprochen schade, dass Sie sich auch in diesem Bereich von sinnvollen Forderungen verabschieden. Ich möchte mit einem Wort enden, das nun schon ziemlich alt und überhaupt kein Brüller ist. Es hat aber eine solche Tiefe, dass es sich lohnt, immer wieder darüber nachzudenken. Es stammt aus der Hochzeit des deutschen Geistes, dem deutschen Humanismus. In den „Maximen und Reflexionen“ von Goethe heißt es: Welche Regierung die beste sei? Diejenige, die uns lehrt, uns selbst zu regieren. Ich danke Ihnen. ({17})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile dem Kollegen Max Stadler, FDP-Fraktion, das Wort.

Dr. Max Stadler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002805, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Kollege Gerald Häfner hatte sich offensichtlich vorgenommen, eine dem Thema angemessene und tief schürfende Rede zu halten. Ich finde, Herr Häfner, dazu hat es nicht gepasst, dass Sie am Ende der Versuchung erlegen sind, hier noch mit kleinem Karo Wahlkampf gegen die FDP zu betreiben. ({0}) Dennoch möchte ich, Herr Kollege Häfner, den Leitgedanken, den Sie am Schluss formuliert haben, aufgreifen. Sie haben gesagt, die politischen Institutionen, die Parteien und diejenigen, die gewählt sind, haben die Neigung, wenn sie dann die Ämter und die Macht inne haben, die Bürgermacht zurückzudrängen und die Rechte des Einzelnen hintanzustellen. Genau dem wollen wir begegnen. Ein Leitsatz im Wahlprogramm der FDP lautet daher: Wir wollen die „Parteienmacht zugunsten von mehr Bürgermacht zurückdrängen“. Deswegen machen wir Ihnen, dem gesamten Hohen Haus, heute ein ganz konkretes Angebot. Wir als FDP haben einen Änderungsantrag für die zweite Lesung eingebracht, mit dem wir vorschlagen, dass wir hier und heute beschließen, das neue Institut der Volksinitiative in das Grundgesetz aufzunehmen. Ich appelliere an alle Fraktionen, dem zuzustimmen. Ich appelliere an die Regierungsfraktionen, weil Politik doch auch die Kunst des Möglichen ist. ({1}) Wir wissen alle ganz genau, dass mehr heute nicht erreichbar ist. Es ist eine Zweidrittelmehrheit erforderlich, um Volksbegehren und Volksentscheide auf Bundesebene einzuführen. Diese Zweidrittelmehrheit kann nur im Konsens mit der Union erlangt werden. Die Union hat aber klipp und klar erklärt, dass sie dem hier nicht zustimmen wird. Also folgen wir doch dem Rat, den uns Sachverständige wie etwa Hans-Jochen Vogel, der frühere SPD-Vorsitzende, in der Expertenanhörung gegeben haben. Lassen Sie uns dem Rat folgen, den wir auch aus der Publizistik erhalten, wie etwa von Sigrid Averesch in der gestrigen Ausgabe der „Berliner Zeitung“, und heute das beschließen, was zurzeit möglich und wofür Einvernehmen erreichbar ist! Lassen Sie uns heute durch das Instrument der Volksinitiative eine stärkere Bürgerbeteiligung und mehr Bürgerrechte schaffen! Das ist unser Vorschlag. ({2}) Wir appellieren auch an die Unionsfraktion, sich dem nicht zu verschließen. Ich möchte das aufgreifen, was zu Edmund Stoiber gesagt worden ist. Bayern ist doch ein Bundesland mit einer über 50-jährigen Tradition der Volksgesetzgebung. ({3}) Wir, die wir aus Bayern kommen, sind stolz auf die bayerische Verfassung, die wir in vielen Bereichen für moderner halten, obwohl sie älter ist als das Grundgesetz. Wir sollten uns daher gemeinsam - ich appelliere insbesondere an die CSU, weil sowohl Edmund Stoiber als auch Günther Beckstein dem gegenüber aufgeschlossen sind - diesen ersten Schritt in der bayerischen Verfassung zum Vorbild nehmen und heute die Volksinitiative einführen. Wenn unser Änderungsantrag abgelehnt wird, kommt es selbstverständlich zur Abstimmung über den weiter gehenden Gesetzentwurf der Koalition über die Einführung von Volksbegehren und Volksentscheid. Die FDP hat beschlossen, diese Abstimmung für ihre Mitglieder freizugeben. Das ist aber eigentlich eine unrichtige Formulierung; denn einen Fraktionszwang gibt es ohnehin nicht. In unserem eigenen Parteiprogramm, das kürzlich auf dem Bundesparteitag in Mannheim verabschiedet worden ist, heißt es: Die FDP lehnt daher, entsprechend ihrer eigenen Tradition, die Ausübung von Fraktionszwang und die Maßregelung von Abgeordneten aufgrund abweichender Auffassungen ... entschieden ab. ({4}) Das werden wir gleich praktizieren, indem jeder einzelne unserer Abgeordneten gemäß seiner eigenen Gewissensentscheidung über Ihren weiter gehenden Vorschlag zum Volksbegehren und Volksentscheid abstimmen wird. ({5}) Sie von der Koalition haben es allerdings den Befürwortern wahrlich nicht leicht gemacht. 1998 haben Sie im Koalitionsvertrag angekündigt, Volksbegehren und Volksentscheid auf Bundesebene einzuführen. Dreieinhalb Jahre haben Sie gebraucht, bis Sie sich intern auf einen Gesetzentwurf verständigt haben. Sie haben ihn erst in diesem Frühjahr vorgelegt. Es ist allgemein bekannt - ich wiederhole, was ich bereits in der ersten Lesung gesagt habe -, dass ohne die engagierten Kollegen Hermann Bachmaier und Gerald Häfner am Ende nicht einmal dieser Entwurf vorgelegt worden wäre. ({6}) Es ist diesem schwierigen Thema nicht angemessen, es am Ende einer Legislaturperiode noch in aller Eile abzuhandeln. ({7}) Ich verhehle aber nicht, dass es in unserer Fraktion auch Kolleginnen und Kollegen mit prinzipiellen Bedenken gegen die Einführung dieser Instrumente gibt, weil sie befürchten, dass damit die bewährte Balance von repräsentativer Demokratie und Volksbeteiligung ins Wanken geraten könnte. ({8}) Es wird auch Ja-Stimmen aus der FDP-Fraktion geben; ({9}) denn uns ist bekannt, dass in den Bundesländern gute Erfahrungen mit einer stärkeren Volksbeteiligung an der Gesetzgebung gemacht worden sind. Ich möchte denjenigen, die wie ich mit Ja stimmen werden, noch eine verblüffende Erkenntnis aus der Sachverständigenanhörung mitteilen. Der Schweizer Experte Professor Thürer hat dargelegt, dass eine größere Volksbeteiligung an der Gesetzgebung eher zu einer sparsameren Haushaltsführung führt, als wenn nur das Parlament - denn ein Oswald Metzger allein macht noch keinen Sommer über die Haushaltsgesetze entscheidet. Das gibt zu denken. Professor Thürer hat noch etwas ausgeführt, was ich Ihnen nicht vorenthalten will. Er hat sogar festgestellt, dass die Menschen dort, wo es Volksbegehren und Volksentscheide gibt, glücklicher leben. Das lässt sich natürlich nur schwer überprüfen; deswegen ist das vielleicht doch nicht das entscheidende Argument, um die Erfahrungen der Schweiz auf die Bundesrepublik zu übertragen. Alles in allem bleibt es dabei: Unabhängig davon, welche Entscheidung heute getroffen wird, wird uns dieses Thema - weil die Union nicht mitzieht - in der nächsten Legislaturperiode aufs Neue beschäftigen. ({10})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile das Wort dem Kollegen Roland Claus, PDS-Fraktion.

Roland Claus (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003065, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die PDS-Fraktion wird diesem Gesetzentwurf zustimmen. Wir tun dies nicht unkritisch. Es gibt für diese Kritik sachliche Gründe. Aber es ist endlich eine Grundgesetzänderung im Sinne von mehr und nicht von weniger Demokratie. ({0}) Allerdings muss man sich zuerst das Verhalten der CDU/CSU anschauen. Sie haben im Ausschuss zu Protokoll gegeben, Sie hätten keine grundsätzlichen Vorbehalte gegen die Volksgesetzgebung. Ihnen ginge es vornehmlich um den knappen Zeithorizont. Ich frage Sie: Was ist denn das für ein Parlaments- und Demokratieverständnis, wenn man die Losung ausgibt, dass am Ende der Legislaturperiode beschlossene Gesetze schlechter als solche sind, die am Anfang beschlossen worden sind? ({1}) Was Sie wirklich von Demokratie halten, meine Damen und Herren von der Union, lesen wir in einem amtlichen Papier aus Bayern. Ich zitiere: Die rechtspolitische Sprecherin der PDS-Fraktion Dr. Evelyn Kenzler ... plädierte für eine „neue Kombination aus repräsentativer und direkter Demokratie“. Das stimmt, das hat sie so gesagt, das geht in Ordnung. Trotzdem handelt es sich nicht um eine Werbeschrift aus Bayern für die PDS oder Evelyn Kenzler - beide hätten es wohl verdient -, sondern um ein Zitat aus dem Verfassungsschutzbericht des Landes Bayern vom ersten Halbjahr 2000. ({2}) Dort wird - das ist das, was mich so empört - eine Initiative für Volksgesetzgebung unter der Rubrik „Linksextremismus“ abgehandelt. Hier offenbaren Sie Ihre wahre Gesinnung! Das werden wir so nicht hinnehmen. Das ist ein Grund mehr gegen Edmund Stoiber. ({3}) Ich verstehe viele Bayerinnen und Bayern, dass sie den Ministerpräsidenten Stoiber loswerden wollen, aber bitte schieben Sie ihn nicht nach Berlin ab. ({4}) Zum Verhalten der FDP. Zu der Tatsache, dass Sie diesen Sachverhalt einmal so und einmal anders darstellen, fällt mir wirklich nur ein Spruch aus dem Wahlkampf in meiner Heimatstadt in Halle aus dem Jahre 1990 ein, der meines Erachtens heute aktueller denn je ist. Er heißt: Wie winden sich die Aale? - Wie Liberale! ({5}) Da lobe ich mir die PDS. Die PDS hat bereits 1999 in Bonn einen Gesetzentwurf zur Volksgesetzgebung eingebracht. Sie haben ihn damals, wie Sie es so oft mit unseren Vorschlägen machen, als populistisch abgetan. Die Vorteile dieses Gesetzentwurfes waren aber: Er lag in der Tat rechtzeitig auf dem Tisch. Er ging mit gesellschaftlichen Initiativen konform. Er hat eine vernünftige Unterschriftenzahl vorgeschlagen. Sie hingegen wollen jetzt für ein Volksbegehren 3 Millionen Unterschriften. Wir meinten und meinen noch immer, dass 1 Million Unterschriften reichen müssen. ({6}) Nun einige Worte an die Adresse der SPD. Wir hätten es für ein klareres Bekenntnis zur Volksgesetzgebung gehalten, wenn Sie sich für die Verankerung in Art. 20 des Grundgesetzes ausgesprochen hätten. Jetzt haben wir eine eher beiläufigere Verankerung. Wir finden, dass Sie bei den Unterschriftenzahlen sehr hohe Hürden errichtet haben. Meine Hauptkritik an die Adresse der Sozialdemokraten ist aber die: Ich werde beim Hinundherüberlegen den Eindruck nicht los, dass Sie die Grundgesetzänderung erst dann beantragt haben, als Sie sich völlig sicher waren, dass eine Grundgesetzänderung an der CDU/CSU scheitern wird. ({7}) Sie wissen genauso gut wie ich, dass ich nicht alleine diesen Eindruck habe. Trotz alledem ist ein spätes Gesetz besser als keines. Deshalb werden wir heute zustimmen. Vielen Dank. ({8})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile das Wort der Bundesministerin Herta Däubler-Gmelin.

Dr. Herta Däubler-Gmelin (Minister:in)

Politiker ID: 11000347

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Heute hat der Deutsche Bundestag wieder einmal die Chance, die Mitwirkungsrechte der Bürgerinnen und Bürger zu stärken und mit Zweidrittelmehrheit dafür einen klaren verfassungsrechtlichen Rahmen zu schaffen. Wir sollten diese Chance und damit die vielen guten Erfahrungen nutzen, die man mit stärkeren Mitwirkungsrechten, mit Bürgerbegehren, mit Volksbegehren und Volksentscheiden nicht nur in den Gemeinden und in den Ländern, sondern auch in anderen Demokratien Europas gemacht hat. ({0}) Wir alle wissen, dass das so ist. Der Entwurf der rot-grünen Koalition bringt noch einmal sehr klar zum Ausdruck, worum es geht. Es handelt sich im Wesentlichen um folgende beiden Schritte: Zum einen geht es darum, den Bürgerinnen und Bürgern das Recht zu geben, sich in Sachfragen unmittelbar an den Bundestag zu wenden und dort Gehör zu finden, wenn die entsprechenden Quoren erfüllt sind. Das will die Volksinitiative. Ich darf wiederholen, was hier gesagt wurde: Wer kann eigentlich etwas dagegen haben? Zum anderen wollen wir, dass die Bürgerinnen und Bürger das Recht bekommen, in Sachfragen über Volksbegehren und Volksentscheide mehr mitzuwirken. Das muss ebenfalls in einem klaren verfassungsrechtlichen Rahmen geschehen, der nicht manipuliert werden kann. Wir ergänzen damit die parlamentarisch-repräsentative Demokratie. Es ist also weder eine Revolution noch etwas anderes Dunkles oder Gefährliches. Es ist daher völlig unverständlich, dass die Union nach mehr als einem Jahrzehnt der Auseinandersetzung hier noch immer kategorisch Nein sagt. ({1}) Neu ist eigentlich nur, dass die alten Begründungen immer verändert wieder vorgebracht werden. Ich fand es heute außerordentlich originell, wie der Kollege Marschewski sein Nein vorgetragen hat. Das war deswegen so originell, weil seine Argumente so überaus widersprüchlich waren: Er hat auf der einen Seite erklärt, der Gesetzentwurf sei ein Placebo; das heißt auf Deutsch, er verändere nichts. Gleichzeitig hat er jegliches zur Ablehnung in der Sache dienende Geschütz aufgefahren, das ihm eingefallen ist. ({2}) Übrigens, alle diese Argumente sind - das ist ja bekannt - nicht haltbar. Unser Vorgehen ist weder politisch falsch noch verfassungswidrig. Es bedeutet auch nicht den Eintritt in eine Minderheitsdemokratie. Ein Verstoß gegen Art. 79 Abs. 3 des Grundgesetzes ist es schon gar nicht. Verehrter Herr Kollege Marschewski, das Einzige, was man heute wieder gesehen hat, ist: Sie wollen die zusätzlichen Mitwirkungsrechte der Bürgerinnen und Bürger nicht. Uns zeigt sich wieder: Herr Stoiber sagt in der Öffentlichkeit das eine, während Sie das andere machen. Uns drängt sich in der Tat der Eindruck auf, dass von Ihrer Seite wieder einmal Wahlkampf gemacht wird, so oder so! ({3}) Ich halte das für außerordentlich bedauerlich. Der Kollege Bachmaier hat völlig Recht: Das Thema „Mehr Mitwirkungsrechte für Bürgerinnen und Bürger“ wird auf der Tagesordnung dieses Parlaments bleiben. Es ist nicht schwer, das vorherzusehen: Der CDU/CSU wird es dabei so gehen wie bei den anderen Grundgesetzänderungen, denen Sie sich fälschlicherweise lange entgegengestemmt haben; Herr Bachmaier hat den Naturschutz, Umweltschutz und Tierschutz schon erwähnt. Ich will auch daran erinnern, wie lange es gedauert hat, Ihren, wie ich finde, sachlich nicht berechtigten Widerstand gegen die Integration und gegen das Verbot der Diskriminierung von Behinderten zu überwinden. ({4}) Neben den schon bekannten guten Gründen will ich einige herausgreifen, die die Einführung von mehr Mitwirkungsrechten gerade heute so wichtig erscheinen lassen. Gerade wir verantwortlichen Politikerinnen und Politiker machen in unseren Gesprächen jeden Tag die Erfahrung, dass die Unsicherheit bei vielen Menschen durch die Europäisierung, durch die Globalisierung und die Veränderungen, die wir in unserem Alltag erleben, ständig zunimmt; jeder weiß das. Die Aufgabe der gesamten Politik kann nur, muss aber auch sein, durch Sicherheit und durch Gerechtigkeit für jeden Einzelnen die notwendigen Innovationen und die Modernisierung vorzubereiten, die unsere Demokratie stärken, die mithelfen, unsere soziale und demokratische Rechtsstaatlichkeit in den Nationalstaaten Europas und darüber hinaus zu verankern und damit zum Aufbau einer friedensfähigen Gesellschaft beizutragen. ({5}) Das kann man, verehrte Damen und Herren von der CDU/CSU, den Menschen nicht verordnen, und man kann nicht so verfahren, wie Sie das tun, nämlich Sicherheit verringern und Rechte aushöhlen und dann meinen, man könne die Menschen für Innovationen und Modernisierung gewinnen. Das geht nicht. Dazu braucht man, und das wollen wir: mehr Sicherheit, mehr Gerechtigkeit, mehr Rechte. Damit komme ich auf die Stärkung der Mitwirkungsrechte zu sprechen. Mehr Mitwirkungsrechte für die Bürgerinnen und Bürger sind der richtige Weg, die Veränderungen, vor denen wir stehen, mitzugestalten. Deswegen ist es so fatal, dass Sie sich jeder Diskussion über die Stärkung der Mitwirkungsrechte der Bürgerinnen und Bürger verschließen. ({6}) Was sagen denn die Menschen in unserem Land, wenn man sie auf unsere Demokratie anspricht? - Sie sagen: Jawohl, wir dürfen alle vier Jahre wählen; das finden wir gut. Aber auch unsere Bürger stellen in ihrem täglichen Leben fest, dass es längst einen anderen Trend gibt als nur den zu der bekannten Verbändedemokratie oder - darauf hat der Kollege Scholz, dem ich an dieser Stelle nachträglich zu seinem 65. Geburtstag gratuliere, zu Recht hingewiesen - einer pluralen Demokratie. Unsere Demokratie ist besonders in den langen Jahren, in denen Sie regiert haben, gelegentlich zu einer Interessen- und Lobby-Demokratie degeneriert. Das hat bei den Bürgerinnen und Bürgern den Eindruck bestärkt, dass derjenige, der über Geld oder Medienmacht verfügt, seine Mitwirkungsrechte, sprich: seinen Einfluss, in ungeahnter Weise stärken kann. Die Gruppen, die das können, setzen durch die Forderung nach Besitzstandswahrung jeder Veränderung, jeder Innovation und jeder Form von Modernisierung Widerstand entgegen. Das trägt zu dem Frust, zu dem Desinteresse und zu dem Protest bei, den wir überall spüren. Das muss uns allen Sorge bereiten. Ich möchte an dieser Stelle noch Folgendes erwähnen: Wir alle haben in den letzten Wochen gesehen, wie schädlich es ist, wenn eine Partei auf den vorhandenen Frust, das Desinteresse und den Protest mit noch mehr unpolitischer Gaukelei oder sogar mit dem Verstärken von Vorurteilen - das ist ein gefährliches Spiel - reagiert. ({7}) Mag das als Reaktion auf den Frust, das Desinteresse und den Protest gemeint sein. Aber das versetzt der Demokratie einen schweren Schlag. Das schadet allen, auch der Friedensfähigkeit unserer Gesellschaft. Deswegen müssen Demokraten sagen: Ein solcher Weg darf nicht beschritten werden. Der Weg der Stärkung der Mitwirkungsrechte der Menschen durch Volksinitiativen, Volksbegehren und Volksentscheide hingegen ist richtig, weil er dazu beitragen kann, den Frust, das Desinteresse und den Protest in aktives Engagement für unsere soziale, freiheitliche und rechtsstaatliche Demokratie umzuwandeln. ({8}) Ich finde, dass Karl Jaspers völlig Recht hat, der heute in einer großen deutschen Tageszeitung mit dem Satz zitiert wird: „Ein Volk, dem das Referendum versagt ist“ er meint, dass das von den Staatsbürgern selber ausgehen muss -, „wird in seiner Unmündigkeit festgehalten.“ So ist es. Dieser Satz gehört natürlich gerade ihnen in der CDU/CSU ins Stammbuch geschrieben, die Sie sich seit Jahren beharrlich und - lassen Sie mich das auch sagen aus Eigeninteresse jeder inhaltlichen Diskussion versagen. ({9}) Übrigens, Kollege Stadler, ich habe gerne gehört, was Sie gesagt haben. Sie wissen aufgrund meiner zahlreichen Ausführungen dazu, dass ich den Weg, den Sie beschrieben haben, für denkbar gehalten hätte, wenn nicht klar wäre, dass auch er heute an dem kategorischen Nein der CDU/CSU-Opposition scheitern wird. Mir tut das Leid. Ich bitte die Kolleginnen und Kollegen von der Union auch darum, über ihren eigenen Schatten zu springen und sich ihre Einwände nochmals vor Augen zu führen. Wenn Sie das tun, dann werden Sie feststellen, dass Ihre Einwände unseren Argumenten nicht standhalten. In Deutschland besteht in der Tat die Neigung, dass jede gute Idee zunächst einmal auf mindestens 18 Bedenkenträger stößt. Das steht auch dem „Ruck durch Deutschland“ entgegen, den Altbundespräsident Herzog zu meiner großen Freude immer wieder einfordert und den diese Bundesregierung mit ihrer Politik der Modernisierung und Gerechtigkeit in den letzten vier Jahren auch begonnen hat. Sie aber, meine Damen und Herren von der CDU/CSU, mäkeln an Quoren, an Ausnahmevorschriften oder an anderen Details des Gesetzentwurfs herum, dessen inhaltlicher Beratung Sie sich entzogen haben. Wir hätten mit Ihnen gern über diese Einzelheiten auch sachlich geredet! Selbstverständlich ist dieser Gesetzentwurf keine Revolution, sondern ein erster Schritt, dem sicherlich noch weitere Überlegungen und ein breiter Konsens zu weiteren Fragen folgen müssen. Denn die Gefahr, dass Parteien Gaukelei statt Politik betreiben oder meinen, mit Vorurteilen gegen Minderheiten Vorteile zu erhalten, kann durch die modernen Medien und ihre Vermarktung auch größer werden. Auch das müssen wir in diesem Kontext berücksichtigen. Deswegen müssen wir gemeinsam für einen neuen Konsens in unserer Gesellschaft werben, dass es zur Ehrenpflicht von Medienunternehmen gehören muss, im demokratischen Sinne umfassend zu informieren, Verständnis zu fördern und damit die Grundlage für demokratische Abstimmungen zu legen. ({10}) Wir hätten das alles gern mit Ihnen durchdiskutiert. Wir halten es für außerordentlich bedauerlich, dass Sie von CDU und CSU sich jeder inhaltlichen Auseinandersetzung entzogen haben. Ich wage dennoch den Appell: Stimmen Sie heute in der Abstimmung unserem Gesetzentwurf zu! Es ist der richtige Weg und es ist ein erster guter Schritt. Herzlichen Dank. ({11})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile das Wort dem Kollegen Rupert Scholz, CDU/CSU-Fraktion.

Prof. Dr. Rupert Scholz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002063, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die antragstellenden Fraktionen SPD und Grüne vertreten mit viel Pathos die Meinung - und die Bundesjustizministerin hat es eben wieder sehr deutlich zum Ausdruck gebracht -, es ginge um mehr Mitwirkungsrechte für Bürger. Damit möchte ich beginnen, weil das der entscheidende Punkt ist. Meine Damen und Herren, niemand kann in einer Demokratie gegen mehr Mitwirkungsrechte von Bürgern sein. Aber das muss richtig organisiert sein und das muss wirklich demokratisch sein. ({0}) Das ist der entscheidende Punkt, der schon aus demokratiestaatlichen Gründen in entscheidender Weise gegen diese Initiative spricht. Demokratie heißt bekanntlich Mehrheitsprinzip, Demokratie heißt Fähigkeit zum Kompromiss und Demokratie basiert in entscheidender Weise auf der Gleichheit aller Staatsbürger. Das Recht auf gleiche Teilhabe findet seine Grenze im Recht des anderen auf ebenso gleiche Teilhabe. Wenn ich eine Regelung dieser Art schaffe, die in der Tat wie Erwin Marschewski es deutlich belegt hat, den Einstieg in die Minderheitendemokratie bedeutet - 10 Prozent plus eine Stimme schaffen ein Gesetz, 26,6 Prozent können eine Verfassungsänderung realisieren -, nehme ich die Privilegierung von Minderheiten und damit den Einstieg in eine verfassungsmäßige Ungleichheit in Kauf. ({1}) Schon aus diesem Grunde ist das nicht akzeptabel und ist das Pathos hohl und unglaubwürdig, mit dem hier der Anschein zu erwecken versucht wird, es ginge um die Gewährleistung von mehr Mitwirkungsrechten für den Bürger. Es geht nicht um die Gewährleistung von mehr Mitwirkungsrechten, es geht in Wahrheit - das sagen wir hier in aller Deutlichkeit - um den Einstieg in weniger Mitwirkungsrechte, weil um weniger Gleichheit der Bürger in der demokratischen Partizipation. Darüber hinaus wird - das ist der zweite entscheidende Punkt - von der Politikverdrossenheit und der Parteienverdrossenheit der Bürger gesprochen. In der Tat, es gibt Politikverdrossenheit in unserem Land, es gibt auch Parteienverdrossenheit in unserem Land. Aber die Feststellung dessen ist an die politischen Parteien zu adressieren - und das geht im Übrigen an alle. ({2}) Die politischen Parteien selbst sind aufgefordert. Das ist ihr Verfassungsauftrag in der parteienstaatlichen Demokratie: aus ihrer Verantwortung heraus mit ihrem Engagement Verdrossenheit und Frust zu überwinden. Ihre Initiative ist in dieser Frage wiederum kontraproduktiv. Wir wissen doch alle - das zeigen auch die Erfahrungen aus den Ländern -: Wenn ich ein Volksbegehren, das Verfahren einer Volksinitiative, einen Volksentscheid durchführen will, brauche ich natürlich eine bestimmte Organisation, die das Ganze gestaltet, präpariert, auf den Weg bringt, die dafür wirbt. Meine Damen und Herren, ich prophezeie Ihnen: Wenn das, was Sie hier vorhaben, Realität würde, wüchse die von Ihnen hier so beklagte Macht der politischen Parteien massiv an. Denn natürlich würden sich die politischen Parteien, dann legitimermaßen, dieses neuen Instruments bedienen. Sie würden es nutzen. Das würden Sie tun und das würden auch wir tun. Das liegt doch auf der Hand. Aber was bedeutet das für die parlamentarische Demokratie? - Dies bedeutet - auch das prophezeie ich in aller Deutlichkeit - den Wechsel von der verantwortlichen parlamentarischen Demokratie in die Schönwetterdemokratie. ({3}) Denn dann würden hier im Parlament nur noch die Dinge entschieden, bei denen man sagt: Ach, das können wir noch so machen. Aber wenn es schwierig wird - und an der Schwierigkeit hat sich eine Demokratie, hat sich ein Parlament zu bewähren -, würden wir sagen: Ach, das lassen wir da draußen entscheiden. Das wäre die Konsequenz. Meine Damen und Herren, Sie treiben ein leichtfertiges Spiel mit bewährten Institutionen, die uns zum ersten Mal in der Geschichte Deutschlands eine stabile Demokratie beschert haben. Mit einer solchen Errungenschaft, für die wir dankbar zu sein haben, spielt man nicht. Die mag man hier und dort fortentwickeln. Da mag man über Einzelheiten sprechen. Das ist immer möglich, aber im Übrigen nicht wenige Wochen vor einer Bundestagswahl; dann ist das Ganze äußerst durchsichtig. Ich will an dieser Stelle auf den FDP-Antrag eingehen. Ich habe schon in der ersten Lesung gesagt, dass ich persönlich mir durchaus vorstellen kann, dass ein richtig strukturiertes Verfahren einer Volksinitiative als eine sinnvolle Ergänzung der parlamentarischen Demokratie diskutabel sein kann. Aber das, was Sie jetzt vorschlagen, Herr Stadler, ist auch nicht ausgereift. Das sieht man schon daran sehr deutlich, dass 400 000 Stimmen für eine Volksinitiative genügen sollen. Ich halte das Quorum für zu niedrig; darüber kann man aber reden. Zusätzlich sehen Sie jedoch ein Anhörungsrecht vor. Wie soll denn das funktionieren? Das macht deutlich, dass die Gesamtproblematik nicht wirklich verfassungsrechtlich und verfassungspolitisch ausdiskutiert ist. Wir haben nämlich - auch darauf habe ich schon in der ersten Lesung hingewiesen - nicht nur demokratiestaatliche, sondern auch rechtsstaatliche Aspekte zu berücksichtigen. Das rechtsstaatliche Verfahren der Petition, hier möglicherweise der Massenpetition, muss man sehr deutlich in Relation setzen. Man muss fragen und kann ernsthaft darüber diskutieren, wie die Dinge zusammenpassen und wie sie gegebenenfalls weiterzuentwickeln sind. Aber so ist es leider zu unausgegoren, Herr Stadler, und es kommt zu sehr aus dem hohlen Bauch. Deshalb wird die Union auch diesem Vorschlag, obwohl er unvergleichlich verantwortlicher ist als das, was Rot-Grün vorschlägt, nicht zustimmen. Meine Damen und Herren, ein Letztes zum Demokratieprinzip in unserem Land. Aus gutem Grunde ist unsere Demokratie eine föderative Demokratie. Ein Volksentscheid und ein Volksbegehren in der Form, wie Sie sie hier vorschlagen, würden - auch unter dem Aspekt der Minderheitendemokratie; Erwin Marschewski hat mit Recht darauf hingewiesen - in der Tat in verfassungswidriger Weise - auch ich zitiere ausdrücklich Art. 79 Abs. 3 unseres Grundgesetzes - unser System der föderativen Gewaltenteilung und Demokratie aus den Angeln heben. Der Bundesrat wäre ausgeschaltet. Der Bundesrat hat im Übrigen nicht nur eine demokratiestaatliche Funktion. Er ist auch ein ganz eigentümliches, aber hochbewährtes Element der Gewaltenteilung zwischen den exekutiven und den legislativen Gewaltenträgern. Das alles wäre weg. Das können Sie auch nicht kompensieren, indem Sie nun erklären: Wir zählen die Stimmen etwas anders aus, je nachdem, wie groß die Einwohnerzahl der jeweils beteiligten Bundesländer, umgerechnet auf das Bundesvolk, ist. Das ist nicht mehr der Föderalismus unseres Grundgesetzes. Das ist der Einstieg - ich sage wieder das Wort vom Einstieg - in den Zentralstaat. Das ist der Abschied von unserem Bundesstaat. ({4}) Das werden Sie mit einer Fraktion wie der CDU/CSU, die entscheidend zum Aufbau und zur Entwicklung des funktionstüchtigen deutschen Föderalismus beigetragen hat, nicht machen können. Wir sind Föderalisten und wir werden unseren Föderalismus nicht durch hohle Manöver dieser Art aushöhlen oder zerstören lassen. ({5}) Das gilt im Übrigen auch für unseren Kanzlerkandidaten Edmund Stoiber, dessen Aussagen Sie hier mehrfach falsch und ungenau zitiert haben. Meine Damen und Herren, die föderative und repräsentative Demokratie dieser Republik ist das Fundament unseres Landes. ({6}) Darüber haben wir damals schon in der Verfassungskommission diskutiert, die Argumente gewogen und abgewogen und richtig entschieden. So werden wir auch heute richtig entscheiden, wenn wir mit Nein stimmen. Danke. ({7})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich schließe die Aus- sprache. Wir kommen zur Abstimmung über den von den Frak- tionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen ein- gebrachten Gesetzentwurf zur Einführung von Volks- initiative, Volksbegehren und Volksentscheid in das Grundgesetz, Drucksache 14/8503. Der Innenausschuss empfiehlt in seiner Beschlussemp- fehlung auf Drucksache 14/9260, den Gesetzentwurf in der Ausschussfassung anzunehmen. Es liegt ein Änderungsantrag der Fraktion der FDP vor, über den wir zuerst abstimmen. Wer stimmt für den Änderungsantrag der Fraktion der FDP auf Drucksa- che 14/9296? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist gegen die Stimmen der FDP- Fraktion abgelehnt. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Aus- schussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzent- wurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen, PDS und einigen Stimmen aus der FDP-Fraktion gegen die Stimmen der CDU/CSU- Fraktion und einer Reihe von Stimmen aus der FDP-Frak- tion angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich weise darauf hin, dass nach Art. 79 des Grundgesetzes ein Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes die Zustimmung von zwei Dritteln der Mit- glieder des Bundestages, das heißt mindestens 444 Stim- men, benötigt. Es ist namentliche Abstimmung verlangt. Bei der Stimmabgabe bitte ich alle Kolleginnen und Kollegen, sorgfältig darauf zu achten, dass die Stimmkarten, die Sie verwenden, Ihren Namen tragen. Zur Abstimmung liegt eine persönliche Erklärung des Kollegen Niebel vor.1) Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen. - Sind alle Urnen be- setzt, sodass wir mit der Abstimmung beginnen können? - Das ist der Fall. Ich eröffne die Abstimmung. Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine Stimme nicht abgegeben hat? - Das ist offensichtlich nicht der Fall. Ich schließe die Abstimmung. Ich bitte die Schrift- führerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu be- ginnen. Das Ergebnis der Abstimmung wird Ihnen später bekannt gegeben.2) Wir setzen die Beratungen fort. Ich rufe Tagesordnungspunkt 18 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Pia Maier, Monika Balt, Dr. Ruth Fuchs, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der PDS Einführung eines existenzsichernden gesetzlichen Mindestlohns - Drucksache 14/8921 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung ({0}) Innenausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Stunde vorgesehen, wobei die Fraktion der PDS zehn Minuten erhalten soll. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile Kollegin Pia Maier, PDS-Fraktion, das Wort.

Pia Maier (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003449, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wissen Sie eigentlich, was eine Friseurin in Nordrhein-Westfalen verdient? - 1 114 Euro. In Sachsen bekommt eine Friseurin nach Tarif 637 Euro. Ist Ihnen bewusst, dass 150 000 Menschen Vollzeit arbeiten und trotzdem Anspruch auf ergänzende Sozialhilfe haben, weil der Lohn niedriger ist als die Sozialhilfe, die ja eigentlich das Existenzminimum darstellt? Diese 150 000 sind aber bestimmt noch nicht alle, die arbeiten und trotzdem arm sind; die Dunkelziffer ist hoch. Fragen Sie Arbeitslose, welche Jobs ihnen vom Arbeitsamt angeboten werden. Löhne unter 5 Euro sind die Regel. Haben Sie einmal einen der Fahrer, die uns Bundestagsabgeordnete fahren, gefragt, was er verdient? Mir hat neulich einer gesagt, er habe drei Jobs, einer würde nicht reichen. Weiter nachgefragt, sagte er - ich zitiere mit Ihrer Erlaubnis, Herr Präsident -: „Was ich hier verdiene, liegt unter der Kotzgrenze.“ Das ist leider die Realität in diesem Land. Das ist die alltägliche Erfahrung derer, die Arbeit suchen. Die Realität ist, dass Menschen arbeiten und trotzdem arm sind. Das wollen wir verändern. ({0}) Deswegen legt die PDS-Fraktion einen Antrag zur Ein- führung eines existenzsichernden gesetzlichen Mindest- lohnes vor. Wir fordern einen bundesweit einheitlichen branchenübergreifenden Mindestlohn in Höhe von 68 Prozent des nationalen Durchschnittslohnes. Das sind ungefähr 9,42 Euro pro Stunde und macht gut 1 500 Euro brutto im Monat bei einer vollen Stelle. Ein existenzsichernder Mindestlohn kann Armut ver- meiden, er kann die Wirtschaft ankurbeln und damit für mehr Arbeitsplätze sorgen. Wer davon nicht überzeugt ist, glaubt seit Jahren an die neoliberale Politik, die für die Massenarbeitslosigkeit verantwortlich ist, vor der wir jetzt stehen. Alle Fraktionen dieses Hauses außer der PDS machen seit Jahren eine Politik, die davon ausgeht, es brauche nur ein günstiges Angebot, dann würden die Leute schon kaufen, und die Arbeit müsse für die Arbeit- geber nur noch günstiger werden, dann würden schon Arbeitsplätze entstehen. Aber dieser Weg ist ein Irrweg. Wo sind denn die Arbeitsplätze? In den letzten Jahren ist die Arbeit billiger geworden; es sind aber keine Arbeits- plätze entstanden. Wo sind denn die vielen Arbeitsplätze im Osten, wo die Löhne schon so niedrig sind? Ihre neoliberale angebotsorientierte Wirtschaftspolitik hat viele Familien in die Armut gestürzt, obwohl sie Ar- beit haben. Sie haben zwar Arbeit, aber sie haben zu we- nig Geld, um sich viel zu leisten. Die Wirtschaft können sie mit ihrer Nachfrage jedenfalls nicht ankurbeln. Sie kurbeln auch den Dienstleistungsbereich nicht an, weil sie keinen Fensterputzer bezahlen können, auch wenn der schon für einen Hungerlohn arbeitet. Das Ergebnis Ihrer Politik - heute Morgen wurden die aktuellen Arbeitslosenzahlen veröffentlicht -: Es gibt im- mer noch knapp 4 Millionen Arbeitslose. Geschenkt, dass es ein paar weniger geworden sind! Von den 4 Millionen sind ein Drittel Langzeitarbeitslose. Geschenkt, dass es ein paar weniger geworden sind! Wirkliche Besserung ist nicht in Sicht. Liebe Kolleginnen und Kollegen, fraktionsübergrei- fend verkaufen Sie immer wieder das Instrument der Präsident Wolfgang Thierse 1) Anlage 2 2) Seite 24032 C Niedriglöhne als Ausweg aus der Beschäftigungskrise. Entsprechende Modelle hat Rot-Grün jüngst bundesweit eingerichtet. Ihre Kombilohnjobs will aber keiner haben. Wann geben Sie endlich zu, dass dies der falsche Weg ist, und wechseln zu einer anderen, zu einer nachfrageorientierten Politik? ({1}) Eine Politik, die auf Nachfrage setzt, braucht für den Konsum höhere Löhne. Mit einem gesetzlichen Mindestlohn, wie die PDS ihn fordert, kommt mehr Geld in die Taschen derer, die es richtig brauchen können. Dann hätten diejenigen mehr Geld in der Tasche, die zu Dumpinglöhnen arbeiten, die in den Niedriglohnbereichen im Osten arbeiten, wo selbst die geringsten Tariflöhne noch unterschritten werden, die sich mit zwei oder drei Jobs gerade über Wasser halten können. Genau diese Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen haben Nachholbedürfnisse. Sie wollen konsumieren, weil sie seit Jahren an der Butter auf dem Brot sparen mussten. An der fehlenden Butter auf dem Brot ändert sich nichts, nur weil etwas ein paar Euro billiger wird, wie die neoliberalen Angebotsstrategen schon seit Jahren predigen. Die Menschen konsumieren erst dann mehr, wenn sie mehr Geld zur Verfügung haben, das sie selbst verdient haben. Dann kaufen sie natürlich auch hierzulande ein und sorgen damit für mehr Beschäftigung. Diese Logik der Nachfrage funktioniert. Bei den öffentlichen Investitionen haben das auch die Wirtschaftsweisen mittlerweile erkannt, bei der privaten Nachfrage ist das nicht anders. Meine Damen und Herren, 9,42 Euro sind keine unanständige Größe. Im Gegenteil. Das macht brutto 1 500 Euro, netto bei Steuerklasse drei 1 250 Euro. Angenommen, wir Abgeordneten arbeiteten hier für unsere Diäten die gesetzliche Höchstarbeitszeit von 60 Stunden pro Woche - mehr dürfen wir ja eigentlich nicht -, dann bekommen Abgeordnete pro Stunde 26,35 Euro. Und da wollen Sie vielen, die schwer arbeiten, 9,42 Euro nicht gönnen? Wir schon. ({2}) Für uns gilt: Von Arbeit muss man leben können, Arbeit darf nicht arm machen. Arbeiter und Angestellte wurden in den letzten Jahren aber immer ärmer. Die Löhne stiegen kaum, mit dem Versprechen, es gebe dann mehr Arbeitsplätze. Die Gewerkschaften haben sich bis vor kurzem zurückgehalten. Erklärt wurde das unter anderem mit der Billigkonkurrenz, entweder der internationalen oder der aus dem Osten. Was ist passiert? - Nach Tarif bezahlte Arbeit wurde immer öfter durch Outsourcing, durch Ausgründungen, durch Auswege aus den Tarifverträgen in Billigarbeit umgewandelt, aber eben nur umgewandelt. Mit der Schaffung von Niedriglohnjobs in der Industrie entstehen keine zusätzlichen dauerhaften Arbeitsplätze. Billigjobs werden vorübergehend eingerichtet und schnell wieder abgebaut. Niedriglöhne helfen nur der Statistik und nicht den Arbeitslosen. Das ist für die PDS keine Lösung der Massenarbeitslosigkeit. ({3}) Auch in den Dienstleistungsbereichen, zum Beispiel bei den Gebäudereinigern, würden anständige Löhne zu mehr Arbeit führen. Zugegeben, die Angebote würden teurer. Aber erstens haben dann die Menschen mehr Geld, überhaupt Dienstleistungen einzukaufen, und zweitens führt ein ordentlicher Lohn dazu, dass der Ausweg, Sozialleistungen zu kassieren und schwarz zu arbeiten, seltener als bisher gegangen wird. Wer genug verdient, wird nicht mehr drei Jobs haben müssen, um genug Geld zur Verfügung zu haben. Der braucht auch nicht in die Schattenwirtschaft auszuweichen. Gerade Dienstleistungsunternehmen bekämen mehr Aufträge, weil Schummeln nichts mehr bringt. Sie würden Leute finden, die dort motiviert arbeiten würden. Vielleicht haben auch Sie diese T-Shirts beim IG-BauStreik gesehen: „Solange mein Chef so tut, als würde er mich richtig bezahlen, tue ich so, als würde ich richtig arbeiten.“ Ich finde, der Spruch trifft es: Arbeit muss sich wieder lohnen. ({4}) Verhältnisse wie in den USA mit Millionen Working Poors wollen wir hier nicht. Die Einführung eines Mindestlohnes könnte Armut verhindern. Niedrige Löhne führen viele in die Sozialhilfe. Darüber beklagen sich die Kommunen zu Recht. Niedrige Löhne führen in die Altersarmut. Wer schon heute zu wenig zum Leben hat, kann von einem Rentenniveau in Höhe von 64 Prozent erst recht nicht leben und auch keine private Vorsorge bezahlen. Meine Damen und Herren, für soziale Sicherheit brauchen wir gute Löhne. Nicht nur die Rentnerinnen und Rentner haben ein Problem, wenn sie von ihrer geringen Rente leben sollen. Auch die Rentenkassen haben ein Problem, wenn zu wenig verdient wird und die Löhne kaum steigen. Die Einnahmen der Sozialkassen hängen von der Zahl der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und von der Höhe der Entgelte ab. Ein höheres Niveau der Löhne kurbelt nicht nur die Nachfrage an und schafft nicht nur jetzt und später soziale Sicherheit, sondern sichert auch die Einnahmen der Renten- und Krankenkassen. Viele Spardiskussionen, die wir hier führen, weil die Kranken angeblich zu teuer und die Rentner angeblich zu zahlreich sind, bräuchte es dann nicht mehr. Es braucht die nötigen Einnahmen durch anständige Löhne. Das wäre eine gute Grundlage, um unser solidarisches Rentensystem zu erhalten und auszubauen. ({5}) Die PDS ist nicht nur davon überzeugt, dass Arbeit besser bezahlt werden muss. Was hätten die 4 Millionen Arbeitslosen davon? Wir haben gerade ein beschäftigungspolitisches Programm zum Abbau der Massenarbeitslosigkeit vorgelegt. Darin zeigen wir, wie man 1,3 Millionen Arbeitsplätze schaffen könnte. Wir schlagen eine öffentlich geförderte Beschäftigung, Investitionspauschalen und den Schutz vor unverschuldeter Insolvenz vor. Mit all diesen Maßnahmen könnten Arbeitsplätze geschaffen werden. Damit würden wir die Arbeitslosenstatistik wirklich verändern und nicht nur eine bessere Vermittlung versprechen, ohne gleichzeitig zu sagen, wohin man eigentlich vermitteln will, und ohne, wie die Union und die FDP es vorschlagen, die Arbeitslosen mit weniger Lohn und mehr Druck aus der Statistik zu drängen. Damit hier keine Missverständnisse aufkommen: Wir stehen zur Tarifautonomie. Kein Mindestlohn enthebt die Gewerkschaften davon, künftig für bessere Tarifverträge zu streiten. Das Ziel muss sein, mehr als das Mindeste zu bekommen. Für manche Branchen ist der von uns vorgeschlagene Mindestlohn ohnehin das untere Ende der Tariflohnskala. Der Mindestlohn sollte zudem künftig an die Lohnentwicklung angepasst werden. Die Gewerkschaft Nahrung - Genuss - Gaststätten fordert schon lange einen gesetzlichen Mindestlohn. Sie weiß, warum. Weitere Gewerkschaften griffen diese Forderung mittlerweile auf. Wir bringen sie hier ein, überzeugt davon, dass es politisch erforderlich ist, mit einem Mindestlohn für soziale Sicherheit und mehr Gerechtigkeit zu sorgen. Wir fordern bewusst einen branchenübergreifenden Mindestlohn, weil in den schlecht entlohnten Bereichen eine deutliche Steigerung nötig und eine Angleichung der Branchen überfällig ist. Wir fordern ebenso bewusst einen für Ost und West einheitlichen Mindestlohn. Mit dem gesetzlichen Mindestlohn wäre dann ein gutes Stück des Weges zur Angleichung der Löhne geschafft - und das gerade in den Bereichen, in denen man bestimmt nicht von unterschiedlicher Produktivität sprechen kann und in denen die Löhne sowieso sehr niedrig sind. Oder glauben Sie wirklich, einen Fensterputzer nach Ost und West unterscheiden zu können? Der Tarif von 11,25 Euro pro Stunde in Hessen und 8 Euro in Mecklenburg-Vorpommern macht aber einen deutlichen Unterschied. Das darf so nicht bleiben. ({6}) Ich komme zum Schluss. Heute findet der Aktionstag der Arbeitslosen statt. Er hat das Motto: Hände weg von der Arbeitslosenhilfe! Von den Arbeitslosen wird ein gesetzlicher Mindestlohn genauso gefordert, weil auch deren Probleme dann geringer würden. Das unterstützen wir an dieser Stelle voll und ganz. Insofern stehe ich zwar jetzt hier im Plenum, aber im Grunde genommen auch bei denjenigen, die heute auf den Straßen gegen die Arbeitslosigkeit und die Abschaffung der Arbeitslosenhilfe demonstrieren. Danke. ({7})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich komme zu Tagesordnungspunkt 17 zurück und gebe das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung über den Gesetzentwurf der Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen zur Einführung von Volksinitiative, Volksbegehren und Volksentscheid in das Grundgesetz bekannt: Abgegebene Stimmen 549. Mit Ja haben gestimmt 348, mit Nein haben gestimmt 199, Enthaltungen zwei. Der Gesetzentwurf ist damit, weil 444 Stimmen erforderlich waren, abgelehnt. ({0}) Endgültiges Ergebnis Abgegebene Stimmen: 549; davon ja: 348 nein: 199 enthalten: 2 Ja SPD Brigitte Adler Gerd Andres Ingrid Arndt-Brauer Rainer Arnold Hermann Bachmaier Ernst Bahr Doris Barnett Dr. Hans-Peter Bartels Eckhardt Barthel ({1}) Klaus Barthel ({2}) Ingrid Becker-Inglau Wolfgang Behrendt Dr. Axel Berg Hans-Werner Bertl Friedhelm Julius Beucher Petra Bierwirth Rudolf Bindig Lothar Binding ({3}) Kurt Bodewig Klaus Brandner Anni Brandt-Elsweier Willi Brase Rainer Brinkmann ({4}) Bernhard Brinkmann ({5}) Hans-Günter Bruckmann Edelgard Bulmahn Ulla Burchardt Dr. Michael Bürsch Hans Martin Bury Hans Büttner ({6}) Marion Caspers-Merk Wolf-Michael Catenhusen Dr. Peter Danckert Christel Deichmann Karl Diller Peter Dreßen Detlef Dzembritzki Dieter Dzewas Dr. Peter Eckardt Sebastian Edathy Ludwig Eich Marga Elser Peter Enders Petra Ernstberger Lothar Fischer ({7}) Gabriele Fograscher Iris Follak Norbert Formanski Rainer Fornahl Hans Forster Dagmar Freitag Lilo Friedrich ({8}) Harald Friese Anke Fuchs ({9}) Arne Fuhrmann Monika Ganseforth Konrad Gilges Iris Gleicke Günter Gloser Renate Gradistanac Günter Graf ({10}) Angelika Graf ({11}) Dieter Grasedieck Monika Griefahn Kerstin Griese Achim Großmann Wolfgang Grotthaus Hans-Joachim Hacker Klaus Hagemann Anke Hartnagel Klaus Hasenfratz Nina Hauer Hubertus Heil Reinhold Hemker Frank Hempel Rolf Hempelmann Gustav Herzog Monika Heubaum Reinhold Hiller ({12}) Stephan Hilsberg Gerd Höfer Jelena Hoffmann ({13}) Walter Hoffmann ({14}) Frank Hofmann ({15}) Ingrid Holzhüter Eike Hovermann Christel Humme Lothar Ibrügger Barbara Imhof Gabriele Iwersen Renate Jäger Jann-Peter Janssen Ilse Janz Dr. Uwe Jens Johannes Kahrs Ulrich Kasparick Sabine Kaspereit Susanne Kastner Ulrich Kelber Hans-Peter Kemper Marianne Klappert Siegrun Klemmer Walter Kolbow Fritz Rudolf Körper Präsident Wolfgang Thierse Karin Kortmann Nicolette Kressl Volker Kröning Angelika Krüger-Leißner Horst Kubatschka Ernst Küchler Ute Kumpf Konrad Kunick Dr. Uwe Küster Werner Labsch Christine Lambrecht Brigitte Lange Christian Lange ({16}) Detlev von Larcher Christine Lehder Eckhart Lewering Götz-Peter Lohmann ({17}) Gabriele Lösekrug-Möller Erika Lotz Dr. Christine Lucyga Dieter Maaß ({18}) Winfried Mante Dirk Manzewski Tobias Marhold Lothar Mark Ulrike Mascher Christoph Matschie Heide Mattischeck Markus Meckel Ulrike Mehl Ursula Mogg Christoph Moosbauer Michael Müller ({19}) Christian Müller ({20}) Franz Müntefering Andrea Nahles Volker Neumann ({21}) Dr. Edith Niehuis Dr. Rolf Niese Dietmar Nietan Günter Oesinghaus Eckhard Ohl Leyla Onur Manfred Opel Holger Ortel Adolf Ostertag Albrecht Papenroth Dr. Martin Pfaff Georg Pfannenstein Johannes Pflug Joachim Poß Karin Rehbock-Zureich Dr. Carola Reimann Margot von Renesse Bernd Reuter Christel RiemannHanewinckel Reinhold Robbe René Röspel Dr. Ernst Dieter Rossmann Michael Roth ({22}) Birgit Roth ({23}) Gerhard Rübenkönig Marlene Rupprecht Thomas Sauer Dr. Hansjörg Schäfer Gudrun Schaich-Walch Bernd Scheelen Dr. Hermann Scheer Siegfried Scheffler Horst Schild Dieter Schloten Horst Schmidbauer ({24}) Ulla Schmidt ({25}) Silvia Schmidt ({26}) Dagmar Schmidt ({27}) Wilhelm Schmidt ({28}) Dr. Frank Schmidt ({29}) Regina Schmidt-Zadel Heinz Schmitt ({30}) Carsten Schneider Dr. Emil Schnell Walter Schöler Karsten Schönfeld Fritz Schösser Ottmar Schreiner Gisela Schröter Dr. Mathias Schubert Brigitte Schulte ({31}) Reinhard Schultz ({32}) Volkmar Schultz ({33}) Ewald Schurer Dr. Angelica Schwall-Düren Rolf Schwanitz Bodo Seidenthal Erika Simm Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk Dr. Cornelie SonntagWolgast Wieland Sorge Wolfgang Spanier Dr. Margrit Spielmann Jörg-Otto Spiller Dr. Ditmar Staffelt Antje-Marie Steen Rolf Stöckel Rita Streb-Hesse Reinhold Strobl ({34}) Dr. Peter Struck Joachim Tappe Jörg Tauss Jella Teuchner Dr. Gerald Thalheim Franz Thönnes Adelheid Tröscher Hans-Eberhard Urbaniak Rüdiger Veit Simone Violka Ute Vogt ({35}) Hedi Wegener Dr. Konstanze Wegner Wolfgang Weiermann Reinhard Weis ({36}) Matthias Weisheit Gunter Weißgerber Dr. Ernst Ulrich von Weizsäcker Jochen Welt Dr. Rainer Wend Hildegard Wester Lydia Westrich Dr. Margrit Wetzel Dr. Norbert Wieczorek Jürgen Wieczorek ({37}) Heidemarie Wieczorek-Zeul Dieter Wiefelspütz Heino Wiese ({38}) Klaus Wiesehügel Brigitte Wimmer ({39}) Engelbert Wistuba Barbara Wittig Dr. Wolfgang Wodarg Verena Wohlleben Hanna Wolf ({40}) Waltraud Wolff ({41}) Heidemarie Wright Uta Zapf Dr. Christoph Zöpel Peter Zumkley CDU/CSU Dr. Christian SchwarzSchilling BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Gila Altmann ({42}) Volker Beck ({43}) Angelika Beer Matthias Berninger Annelie Buntenbach Amke Dietert-Scheuer Dr. Thea Dückert Franziska Eichstädt-Bohlig Dr. Uschi Eid Hans-Josef Fell Andrea Fischer ({44}) Rita Grießhaber Winfried Hermann Antje Hermenau Ulrike Höfken Michaele Hustedt Dr. Angelika Köster-Loßack Dr. Helmut Lippelt Dr. Reinhard Loske Oswald Metzger Winfried Nachtwei Christa Nickels Cem Özdemir Simone Probst Christine Scheel Irmingard Schewe-Gerigk Rezzo Schlauch Albert Schmidt ({45}) Werner Schulz ({46}) Christian Simmert Christian Sterzing Hans-Christian Ströbele Sylvia Voß Helmut Wilhelm ({47}) Margareta Wolf ({48}) FDP Ina Albowitz Ulrike Flach Dr. Wolfgang Gerhardt Klaus Haupt Gudrun Kopp Jürgen Koppelin Ina Lenke Sabine LeutheusserSchnarrenberger Dr. Irmgard Schwaetzer Dr. Max Stadler Jürgen Türk Dr. Guido Westerwelle PDS Monika Balt Wolfgang Bierstedt Petra Bläss Maritta Böttcher Roland Claus Heidemarie Ehlert Dr. Heinrich Fink Wolfgang Gehrcke Dr. Klaus Grehn Dr. Barbara Höll Carsten Hübner Ulla Jelpke Sabine Jünger Rolf Kutzmutz Heidemarie Lüth Angela Marquardt Manfred Müller ({49}) Kersten Naumann Petra Pau Dr. Uwe-Jens Rössel Christina Schenk Gustav-Adolf Schur Dr. Ilja Seifert Fraktionslose Abgeordnete Christa Lörcher Nein CDU/CSU Ulrich Adam Ilse Aigner Dietrich Austermann Norbert Barthle Günter Baumann Brigitte Baumeister Meinrad Belle Otto Bernhardt Dr. Joseph-Theodor Blank Dr. Heribert Blens Peter Bleser Dr. Norbert Blüm Präsident Wolfgang Thierse Antje Blumenthal Dr. Maria Böhmer Wolfgang Börnsen ({50}) Klaus Brähmig Dr. Ralf Brauksiepe Paul Breuer Hartmut Büttner ({51}) Dankward Buwitt Cajus Caesar Peter H. Carstensen ({52}) Leo Dautzenberg Wolfgang Dehnel Hubert Deittert Renate Diemers Thomas Dörflinger Dr. Hansjürgen Doss Marie-Luise Dött Maria Eichhorn Anke Eymer ({53}) Ilse Falk Dr. Hans Georg Faust Albrecht Feibel Ingrid Fischbach Dirk Fischer ({54}) Axel E. Fischer ({55}) Herbert Frankenhauser Dr. Gerhard Friedrich ({56}) Dr. Hans-Peter Friedrich ({57}) Erich G. Fritz Jochen-Konrad Fromme Hans-Joachim Fuchtel Norbert Geis Georg Girisch Dr. Reinhard Göhner Peter Götz Dr. Wolfgang Götzer Kurt-Dieter Grill Hermann Gröhe Manfred Grund Horst Günther ({58}) Carl-Detlev Freiherr von Hammerstein Gottfried Haschke ({59}) Gerda Hasselfeldt Klaus-Jürgen Hedrich Helmut Heiderich Manfred Heise Siegfried Helias Detlef Helling Hans Jochen Henke Ernst Hinsken Peter Hintze Klaus Hofbauer Martin Hohmann Josef Hollerith Dr. Karl-Heinz Hornhues Siegfried Hornung Joachim Hörster Hubert Hüppe Susanne Jaffke Georg Janovsky Dr.-Ing. Rainer Jork Dr. Harald Kahl Dr.-Ing. Dietmar Kansy Irmgard Karwatzki Eckart von Klaeden Ulrich Klinkert Norbert Königshofen Eva-Maria Kors Hartmut Koschyk Rudolf Kraus Dr. Hermann Kues Werner Kuhn Dr. Norbert Lammert Helmut Lamp Dr. Paul Laufs Werner Lensing Peter Letzgus Walter Link ({60}) Dr. Manfred Lischewski ({61}) Julius Louven Dr. Michael Luther ({62}) Dr. Martin Mayer ({63}) Wolfgang Meckelburg Dr. Michael Meister Friedrich Merz Hans Michelbach Meinolf Michels Bernward Müller ({64}) Elmar Müller ({65}) Günter Nooke Franz Obermeier Friedhelm Ost Norbert Otto ({66}) Dr. Peter Paziorek Anton Pfeifer Dr. Friedbert Pflüger Beatrix Philipp Ruprecht Polenz Marlies Pretzlaff Dr. Bernd Protzner Thomas Rachel Dr. Peter Ramsauer Peter Rauen Christa Reichard ({67}) Erika Reinhardt Hans-Peter Repnik Klaus Riegert Dr. Heinz Riesenhuber Franz Romer Dr. Klaus Rose Kurt J. Rossmanith Dr. Christian Ruck Volker Rühe Dr. Wolfgang Schäuble Hartmut Schauerte Heinz Schemken Karl-Heinz Scherhag Norbert Schindler Bernd Schmidbauer Christian Schmidt ({68}) Dr.-Ing. Joachim Schmidt ({69}) Andreas Schmidt ({70}) Dr. Andreas Schockenhoff Reinhard Freiherr von Schorlemer Gerhard Schulz Clemens Schwalbe Marion Seib Heinz Seiffert Werner Siemann Johannes Singhammer Bärbel Sothmann Margarete Späte Wolfgang Steiger Erika Steinbach Andreas Storm Dorothea Störr-Ritter Max Straubinger Matthäus Strebl Thomas Strobl ({71}) Michael Stübgen Dr. Susanne Tiemann Edeltraut Töpfer Dr. Hans-Peter Uhl Arnold Vaatz Andrea Voßhoff Peter Weiß ({72}) Gerald Weiß ({73}) Annette Widmann-Mauz Heinz Wiese ({74}) Hans-Otto Wilhelm ({75}) Klaus-Peter Willsch Bernd Wilz Willy Wimmer ({76}) Werner Wittlich Elke Wülfing Peter Kurt Würzbach Wolfgang Zeitlmann Wolfgang Zöller FDP Hildebrecht Braun ({77}) Ernst Burgbacher Paul K. Friedhoff Horst Friedrich ({78}) Joachim Günther ({79}) Dr. Karlheinz Guttmacher Dr. Helmut Haussmann Dr. Heinrich L. Kolb Dirk Niebel Hans-Joachim Otto ({80}) Dr. Edzard Schmidt-Jortzig Gerhard Schüßler Marita Sehn Gudrun Serowiecki Enthalten CDU/CSU Dr. Gerhard Scheu FDP Günther Friedrich Nolting Entschuldigt wegen Übernahme einer Verpflichtung im Rahmen ihrer Mitgliedschaft in den Parlamentarischen Versammlungen des Europarates und der WEU, der Parlamentarischen Versammlung der NATO, der OSZE oder der IPU Abgeordnete({81}) Lintner, Eduard Palis, Kurt Raidel, Hans Schmitz ({82}), Hans Peter CDU/CSU SPD CDU/CSU CDU/CSU von Schmude, Michael Dr. Süssmuth, Rita Zierer, Benno CDU/CSU CDU/CSU CDU/CSU Nun zurück zu unserer gegenwärtigen Debatte. Ich erteile der Kollegin Anette Kramme, SPD-Fraktion, das Wort.

Anette Kramme (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003162, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist einige Zeit her, da haben wir auf Antrag der FDP in einer Aktuellen Stunde über das Angebot von VW diskutiert, 5 000 Arbeitsplätze für 5 000 DM zu schaffen. Damals habe ich erklärt, dass staatliches Handeln dem Grundsatz „Schuster, bleib bei deinem Leisten!“ zu folgen hat. Als sich die Damen und Herren von der FDP in die Tarifpolitik der IG Metall einmischen wollten, habe ich ihnen gesagt: Bleiben Sie bei Ihrem Leisten! Ich sage auch Ihnen von der PDS: Lassen Sie die Finger von der Tarifpolitik! Art. 9 Abs. 3 des Grundgesetzes gewährt Tarifautonomie, ein Grundrecht soll dabei vor staatlichem Handeln schützen. Das Bundesverfassungsgericht hat Sinn und Zweck der Tarifautonomie sehr schön beschrieben: Mit der grundrechtlichen Garantie der Tarifautonomie wird ein staatlicher Freiraum gewährleistet, in dem die Arbeitnehmer und Arbeitgeber ihre Interessensgegensätze in eigener Verantwortung austragen können. Diese Freiheit findet ihren Grund in der historischen Erfahrung, dass auf diese Weise eher Ergebnisse erzielt werden, die den Interessen der widerstreitenden Gruppen und dem Gemeinwohl gerecht werden, als bei einer staatlichen Regelung. Das Bundesverfassungsgericht nimmt deshalb eine Normsetzungsprärogative zugunsten der Koalition an. Deshalb sage ich Ihnen von der PDS noch einmal: Lassen Sie die Finger von der Tarifautonomie! ({0}) Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir haben in der Bundesrepublik Deutschland in den letzten 50 Jahren exzellente Erfahrungen mit der Tarifpolitik der Gewerkschaften und der Arbeitgeberverbände gemacht. Das hängt auch damit zusammen, dass sich in Deutschland eine starke Gewerkschaftsbewegung entwickelte. Es ist eine relative Wohlstandssicherung auch zugunsten der Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen erreicht. ({1}) Gesetzliche Mindestlöhne sind demgegenüber in vielen Ländern, zum Beispiel in den USA, ein Ersatz für fehlende Tarifverträge. In Deutschland existieren demgegenüber 8 000 tarifvertragliche Abkommen, in denen für die verschiedenen Wirtschaftssektoren oder Branchen verbindliche Mindestlöhne festgehalten werden. ({2}) 1990 betrug nach OECD-Angaben der tarifvertragliche Abdeckungsgrad in Deutschland 90 Prozent. Dieser Anteil dürfte sich zwar in der Zwischenzeit nach unten verändert haben, ist aber durchaus noch erheblich. Eine schweizerische Studie aus dem Jahre 2000 untersuchte für den Zeitraum zwischen 1986 und 1991, wie viele Jahre Arbeitnehmer durchschnittlich auf einer Tieflohnstelle verbleiben. Für Dänemark ergab sich eine Verweildauer von 1,8 Jahren, für Deutschland von 2,8 Jahren; beide Länder kennen keinen gesetzlichen Mindestlohn. Beschäftigte in Großbritannien brauchten demgegenüber 3,8 Jahre, in den USAsogar 4 Jahre, bis sie ihren Verdienst merklich steigern konnten. Diese Länder haben Mindestlohnregelungen. Das ist ein Beleg für die Funktionsfähigkeit und die Flexibilität des deutschen Tarifsystems. Unter Umständen zementiert ein gesetzlicher Mindestlohn sogar das Niedriglohngefüge, so könnte eine Schlussfolgerung aus der Studie lauten. Hierfür spricht auch, dass in Ländern wie Frankreich und Luxemburg, in denen es relativ hohe Mindestlöhne gibt, ein relativ hoher Anteil der Arbeitnehmer - 13,6 Prozent der Beschäftigen bzw. 15,5 Prozent der Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen - beim Mindestlohn verbleiben. Ich meine sogar, ein gesetzlicher Mindestlohn könnte das Erfolgssystem der Bundesrepublik Deutschland einseitig zulasten der Gewerkschaften nicht unerheblich schwächen. ({3}) Zum einen dürfte das Interesse der Tarifvertragsparteien an autonomen Regelungen im Niedriglohnbereich abnehmen, zum anderen dürfte wohl das Organisationsinteresse der Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen vor allem in den unteren Lohngruppen, auf die die Mindestlohnregelung zielt, massiv nachlassen. Die Folge wäre eine allgemeine Lohnsenkungstendenz. Neben den tarifvertraglichen Regelungen sind die gesamten wirtschaftlichen, arbeitsmarktpolitischen und arbeitsrechtlichen Rahmenbedingungen in der Bundesrepublik Deutschland für die Verdienstsituation der Arbeitnehmer entscheidend. Das System der Tarifautonomie, das sich gerade im Bereich der Löhne bewährt hat, wird durch gesetzliche Sicherungssysteme lediglich ergänzt. Man braucht gar nicht so weit in die Vergangenheit zurückzuschauen, um auf die Einrichtung eines neuen gesetzlichen Mindestlohnes zu stoßen; gemeint ist der Mindestlohn am Bau. Mit dem Ziel, die Niedriglohnkonkurrenz aus dem Ausland, das Lohndumping und die illegale Beschäftigung zurückzudrängen, wurde für einen einzelnen Sektor des Arbeitsmarktes ein Entgeltschutz im Rahmen des Entsendegesetzes geschaffen. Die rot-grüne Koalition hat diese Regelung 1998 zu Recht ausgedehnt. Wenn es das öffentliche Interesse erfordert, können Tarifverträge für allgemein verbindlich erklärt werden. Das bedeutet, dass ein Tarifvertrag - wie ein Gesetz - unabhängig von der Tarifbindung des einzelnen Unternehmens für eine ganze Branche gilt. Alle Arbeitnehmer einer Branche können sich, auch wenn sie nicht tarifgebunden sind, auf den Tarifvertrag berufen. In der Praxis erfolgt die Allgemeinverbindlichkeitserklärung vor allen Dingen in den Bereichen, in denen die Arbeitnehmer eine schwache Stellung haben, insbesondere im Baubereich, im Hotel- und Gaststättengewerbe und im Reinigungsgewerbe. Eine Art Mindestlohnregelung existiert auch für die in Heimarbeit Beschäftigten. Die obersten Arbeitsbehörden Präsident Wolfgang Thierse der Länder können Entgelte festsetzen. Von dieser Regelung machen sie zuhauf Gebrauch. Auch Auszubildende haben gemäß § 10 des Berufsbildungsgesetzes Anspruch auf eine angemessene Vergütung. Genauso könnte das Tariftreuegesetz, dem Sie, meine Damen und Herren von der Union, im Bundesrat unangemessenerweise nicht zugestimmt haben, einen Beitrag für die Durchsetzung angemessener Lohnstandards leisten. ({4}) Es gibt zwei weitere wichtige rechtliche Schranken für eine unangemessen niedrige Entlohnung. Eine Unterschreitung des Tariflohnes um mehr als 20 Prozent führt - ebenfalls unabhängig von einer Tarifbindung - zur Nichtigkeit der Lohnvereinbarung gemäß § 138 BGB. Jeder Arbeitnehmer hat dann Anspruch auf die übliche Vergütung. Anknüpfungspunkt für die übliche Vergütung ist immer der Tarifvertrag. Die Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen können dann den Tariflohn einfordern. Eine solche Regelung greift viel weiter als ein gesetzlicher Mindestlohn: Es wird ein Berufsgruppen- und damit ein Qualifikationsschutz gewährt. Ein Arbeitgeber, der die tariflichen Mindestlöhne in der beschriebenen Weise unterschreitet, macht sich darüber hinaus nach § 302 a Abs. 1 Nr. 3 StGB strafbar. Die vorgesehene Strafe ist durchaus beachtlich. Sozialdemokratische Politik hat andere Aufgaben, als sich in die Tarifpolitik der Gewerkschaften einzumischen. Wir haben für die Tarifvertragsparteien allerdings funktionsfähige Arbeitsbedingungen zu schaffen. Deshalb wird es mit uns keine Politik geben, die durch die Aushöhlung des Günstigkeitsprinzips - das wollen FDP und CDU/CSU - Tarifverträge zu einer unverbindlichen Meinungsäußerung macht. ({5}) Wir wollen keine Erpressbarkeit der Betriebsräte vor Ort. Wir wollen, dass Betriebsräte nicht vor die Alternative Lohnreduzierung oder Arbeitsplatzabbau gestellt werden. Auch zum Zwecke der Wiederherstellung funktionsfähiger Arbeitsbedingungen für die Gewerkschaften haben wir das Kündigungsschutzgesetz und die Befristungsregelung wieder geändert sowie das Betriebsverfassungsgesetz modernisiert. ({6}) Staatliche Politik hat staatliche Aufgaben zu bewältigen. Sozialdemokratische Politik steht für soziale Gerechtigkeit und sozialen Schutz. ({7}) In den letzen dreieinhalb Jahren haben wir kontinuierlich und intensiv daran gearbeitet, Ihre Versäumnisse, meine Damen und Herren der FDP und der Union, aufzuholen. ({8}) Der Eingangssteuersatz betrug 1998 noch 25,9 Prozent; im Jahr 2005 wird er bei nur noch 15 Prozent liegen. Gleichzeitig wurde der Grundfreibetrag von 6 322 Euro auf 7 235 Euro in diesem Jahr angehoben. ({9}) Zum 1. Januar 2005 steigt er auf 7 664 Euro. Das Kindergeld liegt zurzeit um 42 Euro pro Monat höher als 1998. ({10}) - Hören Sie gut zu! - Eine Familie mit einem Jahreseinkommen von 30 000 Euro hat im Jahr 2002 rund 1 900 Euro mehr zur Verfügung als 1999. ({11}) - Hören Sie weiterhin gut zu, Sie können etwas lernen! ({12}) In der 13. Legislaturperiode, also unter der Regierungsverantwortung von Union und FDP, sanken die Nettoverdienste der Arbeitnehmer um 0,48 Prozent. Seit 1998 sind sie demgegenüber um 8,4 Prozent angestiegen. ({13}) Auch preisbereinigt hat sich das 5,3-prozentige Minus bei den Arbeitnehmerverdiensten, das in der 13. Wahlperiode zu verzeichnen war, in ein Plus von 1,5 Prozent umgekehrt. Andere unserer Maßnahmen haben sich ebenfalls auf den Geldbeutel der Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen ausgewirkt, so die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall und das Schlechtwettergeld am Bau. Etwa 420 000 Haushalte kommen zusätzlich in den Genuss von Wohngeld. In den alten Ländern hat sich das durchschnittliche Wohngeld von 283 DM auf 368 DM pro Monat erhöht. Statt 341 000 erhalten künftig 445 000 Schüler und Schülerinnen sowie Studenten und Studentinnen BAföG. Die beste Garantie einer existenzsichernden Entlohnung sind eine gute und solide Ausbildung und lebenslange Fortbildung. ({14}) Deshalb haben wir große Anstrengungen im Bereich von Bildung und Ausbildung unternommen. So haben mehr als 400 000 Jugendliche am JUMP-Programm teilgenommen. Das Job-AQTIV-Gesetz sieht eine frühzeitige Weiterbildung zur Reintegration in den Arbeitsmarkt vor. Liebe Kolleginnen und Kollegen, unter einer sozialdemokratisch-grünen Koalition existiert jedenfalls ein ausgewogenes und ausgeklügeltes System des staatlichen Nebeneinanders von gesetzlichen Regelungen und Tarifpolitik. Hieran werden wir auch in der nächsten Legislaturperiode weiterarbeiten. Durch ein System flächendeckender Ganztagsschulen wird es gerade Frauen möglich sein, Erwerbstätigkeit aufzunehmen bzw. fortzusetzen. Damit sichern wir Existenzen. Gestatten Sie mir einen allerletzten Satz, meine Damen und Herren von der PDS: Auch dieser Antrag zeugt wieder einmal von äußerstem Praxisbezug. Zur Klarstellung: Das ist ironisch gemeint. Sie wollen einen europaweit einzigartig hohen Mindestlohn. Selbst Frankreich setzt nur 55,5 Prozent des Durchschnittseinkommens als Mindestlohn an. Ihr Vorschlag sieht nicht einmal eine Übergangsregelung vor. Haben Sie sich einmal vorgestellt, was in einigen Betrieben passierte, wenn es von heute auf morgen rigorose Lohnsteigerungen gäbe, beispielsweise bei den Gebäudereinigern oder den Friseurinnen? Vielen Dank. ({15})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile dem Kollegen Karl-Josef Laumann, CDU/CSU-Fraktion, das Wort.

Karl Josef Laumann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001294, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Für meine Fraktion stelle ich gleich zu Beginn meiner Rede fest: Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion lehnt die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohnes ab. ({0}) Wir haben gerade gehört, dass die SPD dies auch tut. ({1}) Selbst die Gewerkschaften in Deutschland halten nichts von der Einführung eines gesetzlichen Mindestlohnes, weil sie dadurch ihre Tarifautonomie verletzt sehen. Dass die Arbeitgeber keinen gesetzlichen Mindestlohn wollen, brauche ich hier nicht näher zu erläutern. Sehr geehrte Frau Kollegin Maier, insofern sehe ich beim besten Willen keine gesellschaftliche Unterstützung für Ihren Wunsch, einen gesetzlichen Mindestlohn in Deutschland einzuführen. In Europa gibt es durchaus Länder, die in ihrer Rechtstradition Mindestlöhne kennen. Die OECD hat sich in vielen Untersuchungen mit den Auswirkungen von gesetzlichen Mindestlöhnen beschäftigt. Selbst dort, wo es gesetzliche Mindestlöhne gibt, sind sie nicht das Nonplusultra zur Bekämpfung der Armut. ({2}) Sie gehen logischerweise erst einmal an allen Menschen vorbei, die gar keine Beschäftigung haben. ({3}) Des Weiteren führen sie dazu, dass Menschen von ihnen profitieren, die gar nicht zu den Bedürftigen gehören. Gleichwohl ist man unter vernünftigen Menschen normalerweise der Meinung, dass man in einem Land ein bestimmtes Lohnniveau braucht, weil der Lebensunterhalt eine gewisse Summe Geldes kostet. Niemand hier im Bundestag hält es für gerecht, wenn Menschen nach einer dreijährigen handwerklichen Berufsausbildung und einem qualifizierten Berufsabschluss in einigen Regionen Deutschlands Löhne bekommen, die weit unter den Tariflöhnen liegen, weil mittlerweile keine Tarifbindungswirkung mehr vorhanden ist. Ich war vorgestern Abend auf einer Veranstaltung in Dresden. Dort sind noch 15 Prozent der Unternehmen Mitglied des Unternehmerverbandes. Jeder weiß, welche Auswirkungen das auf die Bindungskraft von Flächentarifen hat. Aber ich bin fest davon überzeugt, dass wir dieses Problem nur lösen können, wenn es uns gelingt, in Deutschland zu einem allgemeinen wirtschaftlichen Aufschwung und zu mehr Beschäftigung zu kommen. Wir streiten uns in diesem Haus schon seit längerer Zeit darüber, mit welchen politischen Rezepten man dazu einen Beitrag leisten kann. - Politik kann auch dazu nur einen Beitrag leisten; allein kann sie es mit Sicherheit nicht bewerkstelligen. Darüber gibt es hier im Hause zwei Auffassungen. Eine davon sieht vor, das Arbeitsrecht noch enger zu fassen. Das ist von der jetzigen Mehrheit hinsichtlich des Betriebsverfassungsgesetzes, der befristeten Arbeitsverträge und des Rechtsanspruchs auf Teilzeitarbeit gemacht worden. Auf der anderen Seite, bei CDU/CSU und FDP, besteht die Vorstellung, hinsichtlich solcher Fragen flexiblere Regelungen zu treffen. ({4}) Dazu haben wir Vorschläge gemacht, die Sie auch in unserem Regierungsprogramm nachlesen können und die von Ihnen auf das Heftigste kritisiert werden. Heute ist wieder einer der denkwürdigen Tage, an dem um 9 Uhr die Arbeitslosenzahlen veröffentlicht worden sind. Ich stelle ganz ruhig und gelassen fest, dass auf dem Arbeitsmarkt nach wie vor eine sehr schwierige Situation besteht und wir in Deutschland schlicht und ergreifend keine Erfolge auf dem Arbeitsmarkt zu vermelden haben. ({5}) Als der Bundesarbeitsminister in der letzten Woche zusammen mit Herrn Müller, dem Wirtschaftsminister, eine Pressekonferenz abgehalten hat, von der ich gelesen habe, und gesagt hat, die Arbeitslosigkeit sei in diesem Monat um 150 000 Personen zurückgegangen, ({6}) habe ich mich schon gefragt, wie er eigentlich zu diesen Zahlen kommt; denn ich weiß, wie die Zahlen über die Landesarbeitsämter ermittelt werden. Die traurige Tatsache ist, dass die Arbeitslosigkeit nur um 78 000 zurückgegangen ist. ({7}) Wie können zwei Bundesminister, die für diesen Bereich zuständig sind, noch vor einer Woche eine Pressekonferenz abhalten, bei der sie bei dem Zahlenmaterial um 100 Prozent daneben liegen? Das ist wirklich keine seriöse Politik mehr; daran sieht man, wie hier gearbeitet wird. ({8}) Nach den Zahlen, die heute veröffentlicht wurden, liegt die Arbeitslosigkeit um 225 000 höher als vor einem Jahr. Saisonbereinigt ist die Arbeitslosigkeit um 60 000 gestiegen. ({9}) Wir werden in diesem Jahr wahrscheinlich eine durchschnittliche Arbeitslosigkeit von 3,98 Millionen haben; im letzten Jahr lag sie bei 3,78 Millionen. ({10}) Eines macht mich aber vor allen Dingen sehr nachdenklich - ich habe es mir heute Morgen extra noch einmal angeschaut -: Vor genau drei Jahren, als das Job-AQTIVGesetz in Kraft trat, gab es in Deutschland 368 000 Jugendliche unter 25 Jahren, die arbeitslos waren. Heute sind es trotz Job-AQTIV-Gesetzes, trotz der 1 Milliarde Euro, die dafür jedes Jahr in die Hand genommen werden, 453 000 arbeitslose Jugendliche. ({11}) Dann höre ich von Ihnen, Frau Kramme, dass das JUMP-Programm Gott weiß was gebracht habe. Ich kann Ihnen nur sagen: Als wir das JUMP-Programm nicht hatten, war die Jugendarbeitslosigkeit niedriger als heute. ({12}) - Ich habe nicht gesagt, dass das JUMP-Programm an dieser Steigerung schuld ist. Aber tun Sie bitte nicht so, als hätten Sie das Problem der Jugendarbeitslosigkeit im Griff. Auch hier baut sich aufgrund der schlechten wirtschaftlichen Lage und der schlechten Arbeitsmarktzahlen eine immer problematischer werdende Situation auf. Ich glaube schon, Sie müssen auch sehen, dass mit der Art, wie Sie in den letzten Jahren Politik gemacht haben, zwar die Zahl der Erwerbstätigen zugenommen hat - das hat mit den 630-DM-Jobs und anderen Zählweisen zu tun -, aber das Entscheidende ist, dass die Zahl der Erwerbstätigenstunden, also das in diesem Land vorhandene Gesamtarbeitsvolumen, schlicht und ergreifend abgenommen hat. Das ist ein ganz schlechtes Beweismittel und zeigt, dass Ihre Arbeitsmarktpolitik schlicht und ergreifend völlig erfolglos war. Ich will Ihnen noch einmal sagen, worüber wir uns angesichts dieser Arbeitslosenzahlen noch mehr Sorgen machen müssen. Es ist völlig klar, dass bei der Entwicklung der Arbeitslosenzahlen von April auf Mai aufgrund der so genannten Sommerkonjunktur immer ein starker Rückgang der Arbeitslosigkeit zu verzeichnen ist. Von April auf Mai 1998 hat die Arbeitslosenzahl um 220 000 abgenommen, von April auf Mai 1999 um 145 000, von April auf Mai 2000 um 200 000, von April auf Mai 2001 um 140 000 und - jetzt kommt es - von April auf Mai 2002 waren es minus 78 000. ({13}) Meine sehr verehrten Damen und Herren vom Regierungslager, Sie haben nicht einmal mehr eine Sommerkonjunktur. Selbst diese, die wir traditionell immer gehabt haben, haben Sie in diesem Land erdrosselt und erstickt. ({14}) Es gibt noch einen weiteren Punkt: Zur Arbeitsmarktpolitik hört man von der Regierung eigentlich nie etwas Neues. Wenn man etwas hört, dann wird das JobAQTIV-Gesetz gelobt. ({15}) Wir haben im Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung - weil Sie dort Mitglied sind, waren Sie dabei - Herrn Gerster gefragt, welche Erfolge es denn mit diesem JobAQTIV-Gesetz gebe. Herr Gerster teilte uns im Ausschuss mit, dass von den 132 000 Menschen, die zwischen März und April 2002 nicht mehr in der Statistik geführt wurden, lediglich 30 000 eine ungeförderte Beschäftigung auf dem ersten Arbeitsmarkt aufgenommen haben. Noch einmal: Von März bis April 2002 gab es 132 000 weniger Arbeitslose, aber nur 30 000 haben eine ungeförderte reguläre Beschäftigung gefunden. ({16}) Die restlichen 100 000 Menschen sind schlicht und ergreifend aus dem Erwerbsleben ausgeschieden. Sie beziehen als über 58-Jährige unter erleichterten Voraussetzungen Arbeitslosengeld, sind in Altersteilzeit oder in anderen Maßnahmen des zweiten Arbeitsmarktes. Vor dem Hintergrund dieser Zahlen spricht das Bundesarbeitsministerium doch tatsächlich davon, dass die Talsohle auf dem Arbeitsmarkt durchschritten sei. Wenn angesichts dieser Zahlen, die Sie mir nicht widerlegen können, weil sie schlicht und ergreifend stimmen, und die auch nicht in irgendeiner CDU-Zentrale ausgerechnet worden sind, sondern im Bericht der Bundesanstalt für Arbeit stehen, unter Ihrem Parteifreund Herrn Gerster ermittelt und heute an die Öffentlichkeit gebracht, ({17}) der Bundesarbeitsminister sagt, die Talsohle auf dem Arbeitsmarkt sei durchschritten, ({18}) wenn er so etwas in einer solchen Situation sagt, dann lebt er nicht mehr in der Wirklichkeit, sondern unter einer Käseglocke. Ein solcher Mensch sollte in Deutschland nicht mehr in einer Bundesregierung für diesen sensiblen Bereich verantwortlich sein. ({19}) [CDU/CSU]: Er sollte lieber zurücktreten!) Deswegen werden wir natürlich in den kommenden Wochen und Monaten, in den gut 100 Tagen bis zur BunKarl-Josef Laumann destagswahl, mit den Menschen in diesem Land über diese unterschiedlichen Politikrezepte reden. ({20}) Sie - wie Sie dies heute in der Debatte gezeigt haben - stehen auf der einen Seite für mehr Staat, mehr Regulierung und für ein strengeres Arbeitsrecht, und wir stehen auf der anderen Seite für einen Weg, der Flexibilisierung und Sicherheit für die Menschen ermöglicht, der aber vor allen Dingen darauf abzielt, dass die Menschen einen besseren Arbeitsmarkt haben. ({21}) Nur dann, wenn wir einen besseren Arbeitsmarkt haben, werden wir auch wieder zu gerechteren und zu vernünftigen Löhnen für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in der Bundesrepublik Deutschland kommen. Dafür zu kämpfen ist eine wunderschöne Aufgabe. Sie können Gift darauf nehmen, dass wir, die CDU, mit allen uns zur Verfügung stehenden demokratischen Mitteln versuchen werden, dass wir die gestaltende Kraft werden, damit endlich den kleinen Leuten in unserem Land wieder geholfen wird. Schönen Dank. ({22})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile der Kollegin Ekin Deligöz, Bündnis 90/Die Grünen, das Wort.

Ekin Deligöz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003068, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir debattieren heute über die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohnes. ({0}) Das wichtigste Argument, das dagegen spricht, hat meine Vorrednerin von der SPD-Fraktion schon angeführt, nämlich die garantierte Tarifautonomie, die wir in Deutschland haben. Dies ist ein gut funktionierendes Tarifverhandlungssystem. Es ist ein System, in dem bereits über Mindestentgelte debattiert wird, die auch schon an vielen Stellen festgeschrieben sind. Dieses System hat sich bewährt. Es war schon immer und wird auch in Zukunft ein Erfolgsmodell für Deutschland sein. Davon wollen wir auf keinen Fall abrücken. ({1}) Lassen Sie mich zu sehr einfachen Fragen kommen, nämlich zu Fragen der Praktikabilität eines solchen Vorschlags. Sie wollen eine übergeordnete Festsetzung. Ich frage mich, wie Sie das machen wollen. Die Durchschnittslöhne in Deutschland unterscheiden sich je nach Branche. Es ist schließlich ein Unterschied, ob jemand als Arzt oder als Arbeiter eingestellt ist. ({2}) Sie können doch nicht alles über einen Kamm scheren und einen x-beliebigen Vertrag aufsetzen. Wie wollen Sie dabei die Lebenshaltungskosten einberechnen? Das sind doch die wesentlichen Fragen einer Lohndebatte. Wie wollen Sie das Ganze kontrollieren? Wer soll die Kontrollen durchführen? Soll das die BA machen? Das wäre dann noch eine versicherungsfremde Leistung mehr, obwohl wir doch gerade die versicherungsfremden Leistungen aus der BA herausholen wollen. Wollen Sie dafür neue Stellen und Institutionen schaffen? Und vor allem: Wer trägt die Kosten? Das sind einfache Fragen zur Praktikabilität, auf die Sie keine Antworten geliefert haben. Sie halten das auch nicht für nötig. Kommen wir zum dritten Punkt der Debatte. Welches Ziel wird mit einer solchen Forderung verfolgt? Was soll damit bezweckt und was soll damit erreicht werden? Ich behaupte, Sie wollen mit solch einem Mindestlohn für die Erreichung des Ziels der sozialen Sicherheit der Menschen kämpfen. In diesem Punkt hätte Ihre Forderung in einem anderen Sozialstaatssystem durchaus ihre Berechtigung. Wenn wir uns in einem Land der Dritten Welt befänden, in dem es keine sozialen Netze gäbe und auf das die Begriffe „Billiglohnland“ und „Lohndumping“ zuträfen - beispielsweise in Ländern in Südostasien oder Lateinamerika -, wäre eine solche Forderung berechtigt. Deutschland ist aber bekanntlich kein Entwicklungsland. ({3}) Deutschland ist ein Land, das auf mehreren sozialen Sicherungssystemen beruht. In Deutschland gibt es ein Netzwerk, das Menschen davor bewahrt, in Armut zu fallen. Sie bekommen Hilfestellung vom Staat und werden durch ein komplexes System der sozialen Sicherung aufgefangen. Deshalb hat eine solche Forderung mit dem Anspruch, soziale Sicherheit zu schaffen, in Deutschland keinen Platz. ({4}) Ein weiteres Anliegen, aus dem eine solche Forderung aufgestellt werden kann, ist die Armutsbekämpfung. Das ist in der Tat eine wesentliche Frage, über die wir immer wieder reden, für die jeder seine eigenen Lösungen und in Bezug auf die jeder seine eigene Herangehensweise hat. Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang eine Aussage aus Ihrem Antrag herausgreifen, nämlich die, dass Erwerbstätigkeit nicht vor Armut schützt. Ich aber meine, dass die Erwerbsarbeit nach wie vor die beste Form der Armutsbekämpfung ist. ({5}) Die beste Form der Armutsbekämpfung besteht darin, seine eigene Existenz zu sichern, für die Menschen Arbeit zu schaffen und die Rahmenbedingungen so zu setzen, dass Arbeit und Berufstätigkeit möglich werden. Wir haben Arbeit geschaffen. Wir haben in Deutschland neue Arbeitsplätze geschaffen. Vor allem im Bereich der neuen Technologien, der alternativen und der erneuerbaren Technologien, haben wir eine Reihe neuer Berufe, neuer Lehrberufe und Aktivitäten geschaffen. Bis zu 200 000 Arbeitsplätze wurden allein im Bereich der ökologischen Modernisierung in Deutschland geschaffen. ({6}) Was sind darüber hinaus unsere Antworten auf die Fragen der Lohnentwicklung? Dazu gehört zum Beispiel, den Menschen durch Senkung der Lohnnebenkosten mehr Geld zu verschaffen. Das war unser Ziel, das wir auch umgesetzt haben. Wir wollten in der Tat aus dem Niedriglohnsektor heraus. Die beste Form, den Menschen zu einer - auch sehr gut bezahlten - Erwerbsarbeit zu verhelfen, ist nach wie vor, sie zu qualifizieren und ihnen die Möglichkeit zu bieten, besser zu verdienen. Das haben wir getan, und zwar durch Maßnahmen der Weiterbildung, durch Jobrotation und die einzelnen Elemente von Job-AQTIV. Wir haben noch mehr getan. Wir haben Sozialhilfeempfängerinnen und -empfängern den Zugang zu Maßnahmen des Arbeitsamtes ermöglicht, um sie zu qualifizieren, um ihre Chancen zu steigern und um das zu erreichen, was sie eigentlich wollen, nämlich irgendwann einmal in eine besser qualifizierte Arbeit mit einem angemessenen Gehalt zu kommen. Das nenne ich eine aktive und individuelle Förderung, die bei den Menschen ankommt und von den Menschen gefordert wird. ({7}) Wir haben mehr als das getan. Ich will jetzt gar nicht all die Programme aufzählen, die schon mehrfach genannt worden sind, das JUMP-Programm, Programme für ältere Menschen oder Schwerbehinderte, um sie besser in Arbeit zu bringen. In diesem Bereich sehen die Zahlen sehr gut aus. Ich will einen anderen Punkt nennen, der mir sehr wichtig ist. Armut in Deutschland betrifft nach wie vor vor allem Familien und Alleinerziehende. Alleinerziehende sind nicht deshalb häufig in der Sozialhilfe, weil sie faul sind und nicht arbeiten wollen, sondern weil sie nicht wissen, wer sich um die Kinder kümmern soll, wenn der Kindergarten um 12 Uhr schließt, sie aber bis 12.30 Uhr arbeiten müssen. Sie wissen nicht, wie sie gleichzeitig die Kinder betreuen und einer Erwerbsarbeit nachgehen sollen. Ein Lösungsansatz hierfür ist eine gute Familienpolitik, wie wir sie bereits gemacht haben. Weiterhin haben wir Investitionen in Ganztagsschulen und Kinderbetreuungseinrichtungen angekündigt sowie Teilzeitmodelle gefördert. Herr Laumann, durch das Recht auf Teilzeit für Eltern oder Alleinerziehende können Beruf und Familie tatsächlich vereinbart werden. Damit bleibt dies in Deutschland nicht nur eine leere Hülse, sondern wird Realität. ({8}) Aber das darf nicht nur für die Mütter ein Thema bleiben. Wir haben ein Elternzeitmodell geschaffen, mit dem auch Väter angesprochen werden, zu Hause zu bleiben, um so eine Arbeitsteilung in der Familie zu ermöglichen. Nicht zuletzt möchten wir auch über die Sozialhilfereform debattieren. In diese Richtung hat sich übrigens auch die Sprecherin der PDS-Fraktion gestern in der Arbeitsmarktdebatte geäußert. Sie hat im Namen der PDS gesagt, man müsse im Sinne eines aktiven Sozialstaates auch über die Zusammenlegung von Sozialhilfe und Arbeitslosenhilfe debattieren. Wenn dies die Linie der PDS ist, dann sollte sie dabei bleiben. ({9}) Wir haben ein Modell zur Kindergrundsicherung vorgestellt, um Familien aus der Armut herauszuholen. Wir haben ein zweites Modell zum Durchbrechen der Teilzeitmauer entwickelt. Darüber hinaus haben wir ein weiteres Modell zur Grundsicherung durch Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe auf den Tisch gelegt, wobei dies nicht als Spar- oder Strafmaßnahme definiert werden soll, sondern als eine aktivierende Maßnahme gedacht ist, um Rahmenbedingungen zu schaffen, damit die Menschen in den Arbeitsmarkt zurückfinden. ({10}) In Deutschland wird ein Bündel von Maßnahmen in der Finanzpolitik, der Wirtschaftspolitik und der Sozialpolitik gebraucht, um diese Debatte zum Arbeitsmarkt führen zu können. Platte und einfache Antworten gibt es hier nicht. Das Ganze ist eine Herausforderung. Die Grünen stellen sich dieser Herausforderung und haben die richtigen Antworten. ({11})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Heinrich Kolb.

Dr. Heinrich L. Kolb (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001171, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die PDS beweist mit dem vorgelegten Antrag einmal mehr, dass sie ihre Ideen oft aus der ideologischen Mottenkiste holt. ({0}) Mit der Realität am Arbeitsmarkt, Frau Maier, hat Ihr Vorschlag eines Mindestlohnes jedenfalls nichts zu tun. ({1}) Ich frage mich wirklich, wie bei einem von der rot-grünen Bundesregierung zu verantwortenden aktuellen Stand von knapp 4 Millionen Arbeitslosen ein Mindestlohn mehr Menschen in Arbeit bringen soll. Nur darum kann es gehen. Ist eine Maßnahme geeignet, auch geringer qualifizierten Menschen eine Arbeitsstelle bieten zu können, ({2}) eine Arbeit, die sie ausfüllt und mit der sie zum eigenen Lebensunterhalt beitragen? Das hat letztendlich etwas mit der Würde des Menschen zu tun. ({3}) Der von Ihnen angestrebte gesetzliche Mindestlohn im produzierenden Gewerbe würde - ich habe das anhand der Zahlen des Statistischen Bundesamtes für das Jahr 2000 berechnet; Sie haben es bestätigt - für Arbeiter 1 452 Euro und für Angestellte 2 321 Euro betragen. Das sind jeweils 68 Prozent des durchschnittlichen Bruttoverdienstes. Betrachten wir einmal den Fall des Arbeiters, der 1 452 Euro verdient. Ich weiß nicht, welcher Arbeitgeber einem Arbeiter 1 452 Euro im Monat für Tätigkeiten bezahlen könnte, die nur eine geringe Qualifikation erfordern. Das muss man sehen. Es handelt sich ja nicht um eine Frage des Wollens, sondern des Könnens; denn - um es volkswirtschaftlich auszudrücken - die Faktorpreise setzen sich natürlich in Produktpreise um. Unternehmen drücken das oft einfacher aus: Nicht die Unternehmen, sondern die Kunden bezahlen die Löhne. Das heißt, nur dass, was man am Markt erzielen kann, ist auf Dauer als Lohn zu gewährleisten. ({4}) Es stellt sich nur die Frage: Wollen Sie zusätzlich zum gesetzlichen Mindestlohn noch eine gesetzliche Verpflichtung, Arbeitsplätze zu schaffen, sprich: Menschen einzustellen? ({5}) Ein entsprechendes Vorhaben haben wir in dieser Woche - Gott sei Dank in großer Gemeinsamkeit - bei der Überarbeitung der Gewerbeordnung im Ausschuss abgelehnt. Wir haben gesagt: Es bleibt bei der Abschlussfreiheit des Arbeitgebers; kein Unternehmen kann gezwungen werden. Damit ist eigentlich schon alles gesagt, was man zu dieser Forderung nach Einführung eines Mindestlohns sagen muss. Wir von der FDP lehnen diesen Vorschlag klar ab. Frau Maier, ich gebe Ihnen und der PDS in einigen Feststellungen, die Ihr Antrag enthält, Recht. ({6}) Den Menschen in Deutschland, Frau Lotz, bleibt von ihrem vergleichsweise hohen Bruttoeinkommen netto einfach zu wenig. Das muss man doch einmal sehen. Der internationale Vergleich zeigt: Die Bruttolöhne in Deutschland sind nicht so schlecht. ({7}) - Herr Schmidt, hören Sie zu! - Die ansehnlichen Bruttolöhne und Bruttogehälter in Deutschland verdunsten nämlich unter der alles versengenden rot-grünen Steuerund Abgabensonne; deswegen reicht es für die Menschen am Schluss nicht. ({8}) An diesem Punkt müssen wir ansetzen. Um im Bild zu bleiben: Die Menschen in Deutschland brauchen einfach einen wirksamen Sonnenschutz. Mit anderen Worten: Sie brauchen ein einfaches und gerechtes Steuersystem mit niedrigen Steuern. Steuersätze in Höhe von 15 Prozent, 25 Prozent und 35 Prozent werden dazu führen, dass die Menschen entlastet werden und dass solche Steuern wieder gezahlt werden, die dem Finanzamt heute vorenthalten werden. Es ist doch kein Zufall, dass dem Fiskus in Deutschland durch Schwarzarbeit pro Jahr 350 Milliarden Euro entgehen und dass gerade der Sektor der Schwarzarbeit der einzig noch boomende Sektor unserer Volkswirtschaft ist. Wir müssen die Steuern senken; aber wir müssen auch die Höhe der Sozialabgaben senken. Frau Rennebach, da brauchen Sie gar nicht den Kopf zu schütteln. Das in Ihrer Koalitionsvereinbarung enthaltene große Ziel, die Höhe der Sozialversicherungsbeiträge auf 40 Prozent zu senken, ist, wie eigentlich alle Ihre Ziele - ob das die Senkung der Zahl der Arbeitslosen auf 3,5 Millionen oder die Senkung der Zahl der arbeitslosen Schwerbehinderten um 50 000 ist - nicht erreicht worden. Man kann es auf die Formel bringen: Sie haben regelmäßig alle Messlatten gerissen, die Sie sich aufgelegt hatten. Nennen Sie mir ein Ziel, das Sie erreicht haben! Wir brauchen mehr Mut zu Reformen, mehr Wettbewerb und mehr Eigenverantwortung. Nur so lassen sich die Beiträge zu den Sozialversicherungen senken. Mich erschüttert immer wieder, dass Sie die umfangreichen Gutachten des Sachverständigenrates der rot-grünen Bundesregierung offensichtlich nicht zur Kenntnis nehmen. Herr Brandner, auf Seite 196 ff. des aktuellen Gutachtens steht das sehr deutlich geschrieben. Wenn Sie sich an die Ratschläge des Sachverständigenrats dieser Bundesregierung halten würden, dann hätten wir nicht die gewaltigen Probleme, mit denen wir auf dem Arbeitsmarkt gegenwärtig konfrontiert werden. ({9}) Damit mehr Menschen - auch im Niedriglohnbereich in Arbeit kommen, brauchen wir bessere Vermittlungsund Qualifizierungsinstrumente als bisher. Die Bundesregierung ist auf diesem Feld aktiv geworden, was wir in der Tendenz durchaus anerkennen; aber - Frau Rennebach, ich sage das auch im Hinblick auf Ihren nachfolgenden Redebeitrag - das ist nur die eine Seite der Medaille. Ich erinnere an die Demonstration der Mitarbeiter der Bundesanstalt für Arbeit in Nürnberg vor wenigen Wochen. Die Demonstranten haben gesagt: Was sollen wir denn vermitteln, wenn es keine Arbeitsstellen gibt? Aktivierende Sozialpolitik, „Fordern und Fördern“, reicht nicht, wenn es nicht gleichzeitig in den Unternehmen, insbesondere im Mittelstand, ein entsprechendes Angebot an Arbeitsplätzen gibt. Das wird aber nur funktionieren - leider blenden Sie das in Ihren Überlegungen vollkommen aus -, wenn man den ersten Arbeitsmarkt endlich flexibilisiert. Auch das steht übrigens in dem Sachverständigengutachten. Nun komme ich - ich werde Ihnen das so lange sagen, bis Sie es verstehen; vielleicht kapieren Sie das bis zum Ende Ihrer Regierungszeit überhaupt nicht mehr - auf das Gesetz zur Bekämpfung der Scheinselbstständigkeit zu sprechen. ({10}) Das Gesetz zur Regelung der Teilzeitarbeit und befristeter Arbeitsplätze muss flexibilisiert werden. Teilzeit kann man nicht verordnen. Auch ein befristeter Arbeitsplatz - das muss man immer wieder deutlich sagen - ist ein guter Arbeitsplatz für denjenigen, ({11}) der vorher arbeitslos war. Auch das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz muss dringend flexibilisiert werden. Unsere europäischen Nachbarn zeigen eindrucksvoll, wie man mit Zeitarbeit eine Brücke in den ersten Arbeitsmarkt hinein bauen kann. Auch das Betriebsverfassungsgesetz sollte ein Thema sein. Den Kündigungsschutz - das ist eine unangenehme Wahrheit; man muss sie aber aussprechen - müssen wir einer kritischen Betrachtung unterziehen. Wir wollen den Kündigungsschutz nicht abschaffen. Aber wir müssen uns überlegen, ob er nicht in zu vielen Fällen ein Einstellungshindernis darstellt und, wenn ja, wie wir es beseitigen können. Wir haben mit Interesse zur Kenntnis genommen, dass der niedersächsische Ministerpräsident Sigmar Gabriel in dieser Woche das ebenfalls erkannt hat und erstmals einen entsprechenden Vorschlag gemacht hat. Er ist immerhin auf dem richtigen Weg. ({12}) Auch wir erkennen, dass man mit dem Arbeitsentgelt aus einfachen Tätigkeiten seinen Lebensunterhalt nur sehr schwer oder gar nicht bestreiten kann. Aber ein gesetzlicher Mindestlohn hilft diesen Menschen nicht. Er führt nur dazu, dass diese Menschen nicht nur zum Teil, sondern vollständig von der Arbeitslosen- oder der Sozialhilfe leben müssen, weil bestimmte Arbeitsplätze in Zukunft nicht mehr angeboten werden. Die FDP-Fraktion hat wiederholt Vorschläge zur Reform des Niedriglohnsektors vorgelegt. Wir müssen die Anreize erhöhen, auch gering entlohnte Arbeitsplätze anzunehmen. Das ist der richtige Weg. Letztendlich ist das nach unseren Vorstellungen nur möglich, wenn der Staat lohnergänzende Leistungen etwa in Form eines Bürgergeldes erbringt.

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Herr Kollege, denken Sie bitte an Ihre Redezeit.

Dr. Heinrich L. Kolb (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001171, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ein Mindestlohn ist der falsche Weg. Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. ({0})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Er hat sofort auf meine Ermahnung reagiert. Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Renate Rennebach. ({0})

Renate Rennebach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001822, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Schwaetzer, Sie können sich wie immer verhalten. Sie müssen mich nicht schonen. ({0}) Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Kollege Kolb hat eben die PDS bezichtigt, in die Mottenkiste gegriffen zu haben. Ich möchte seinen Beitrag nicht weiter kommentieren. Aber ich hatte den Eindruck, dass hier eine Diskussion zwischen FDP und PDS über Vorschläge aus der Mottenkiste stattgefunden hat. ({1}) Die Opposition redet ständig von Deregulierung. Sie sprechen von desaströsen und dramatischen Verhältnissen. ({2}) Ich erinnere nur an die Zeit, als ein Bundeskanzler namens Helmut Kohl gesagt hat: Wir wollen die Arbeitslosigkeit halbieren. Damals lag sie schon über 4 Millionen. Was hat er, der sich das vorgenommen hat, bis zum Ende seiner Regierungszeit tatsächlich geschafft? Er hat die Arbeitslosigkeit verdoppelt. ({3}) - Herr Kolb, jetzt rede ich. Ich werde meine Rede so halten, wie ich mir das vorgenommen habe. ({4}) Ich habe mir lange genug Ihre Beschimpfungen und die des Kollegen Laumann angehört, der sich jetzt leider der Debatte entzieht, obwohl ich auf ihn eingehen möchte. ({5}) Der Kollege hat über die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit geredet. Ich sage Ihnen: Wir haben jetzt 450 000 Arbeitslose weniger als 1998, als Sie regiert haben. Wir haben 1,2 Millionen Arbeitsplätze mehr als Sie geschaffen. Ich erinnere noch einmal daran: Sie wollten die Arbeitslosigkeit halbieren. Tatsächlich haben Sie sie verdoppelt. ({6}) Sie haben 16 Jahre lang - glauben Sie, die Menschen haben ein so kurzes Gedächtnis? - die soziale Schraube immer weiter nach unten gedreht, bis den Menschen kaum noch etwas übrig blieb. ({7}) Während Ihrer Regierungszeit hatten die Menschen weniger Geld in der Tasche, mussten sie mehr Steuern und Abgaben zahlen und hat sich die Armut in unserem Land vergrößert. Wir haben die Schraube zuerst angehalten und sie dann langsam nach oben gedreht. Im Laufe meiner Rede werde ich noch darauf eingehen, was wir alles dafür getan haben, um die soziale Schraube langsam nach oben zu drehen. ({8}) Ich sage es Ihnen noch einmal: Glauben Sie nicht, dass die Leute ein so schlechtes Gedächtnis haben! ({9}) Wenn Sie hier schwarze Propaganda für eine Politik machen, die Sie nie gemacht haben, wir uns aber daran erinnern, was Sie in diesem Land angerichtet haben, dann glauben Sie doch nicht, dass die Menschen Ihnen das abnehmen werden. ({10}) - Das werden wir sehen, ja.

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Liebe Kollegen und Kolleginnen, wenn man nicht einen halben Satz ohne Zwischenrufe hinter sich bringen kann, ist es recht schwer zu reden. Ein bisschen weniger und dann konzentrierter wäre vielleicht gut.

Renate Rennebach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001822, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich bedanke mich aufrichtig, Frau Präsidentin, und werde jetzt fortsetzen. Ich werde mich gegen den Antrag eines existenzsichernden gesetzlichen Mindestlohnes als Gewerkschafterin und ehemalige Betriebsratsvorsitzende aussprechen, die sich immer gegen Lohn- und Sozialdumping in dieser Republik und auch in ihrem Betrieb eingesetzt hat, aber - und das muss ich der PDS sagen - nicht unter falschen Prämissen. Ihr Antrag hat zwei entscheidende Fehler. Er beinhaltet erstens die falsche Diagnose und damit zweitens die falschen Forderungen zur Umsetzung fairer Lohn- und Arbeitsbedingungen in Deutschland. Zuerst komme ich zur falschen Diagnose. Das Grundproblem ist: Sie beschreiben im Verhältnis zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer die Arbeitswelt des 19. Jahrhunderts, zugegebenermaßen so, wie sie Herrn Kolb gefallen würde: Unterteilung in Schwarz und Weiß, in „die da oben“ und „wir da unten“. Auf der einen Seite - O-Ton im Antrag - das Kapital, das - wieder O-Ton grundsätzlich die soziale Notlage der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zur Steigerung der Rendite ausnutzt, auf der anderen Seite völlig rechtlose, unorganisierte Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die sich Niedriglöhne diktieren lassen müssen. Woran liegt das wohl? Es liegt daran, dass immer mehr Arbeitgeber in den neuen Ländern aus der Tarifgemeinschaft austreten. ({0}) Es liegt daran, dass immer weniger Menschen in die Gewerkschaften eintreten, weil von ihnen nicht mit propagiert wird, dass nur ein gerechter Ausgleich zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern stattfinden kann, wenn Gewerkschaften und Arbeitgeber in Augenhöhe miteinander diskutieren können. ({1}) Da können Sie mithelfen, aber nicht mit einer Diskussion um Mindestlohn. Denn, zugegeben, die neuen Länder haben Probleme mit untertariflichen Löhnen, die neuen Länder sind ein Billiglohngebiet. Das stimmt. Aber wir können gemeinsam etwas an dieser rechtlosen Situation ändern. Hier wird doch gegen ein Gesetz verstoßen. Wenn wir das gemeinsam anprangern, haben wir eher Chancen als beim Bemühen des Gesetzgebers. Kolleginnen und Kollegen, wir befinden uns im 21. Jahrhundert mit einer rot-grünen Bundesregierung in einer pluralistischen Gesellschaft mit starken Gewerkschaften. Diese Bundesregierung hat mit dem sozialen Kahlschlag der Kohl-Ära Schluss gemacht. Statt neoliberaler Pferdeäpfeltheorie nach der Methode „Wenn ich die Großen füttere, kommt auch hinten mehr für die Kleinen raus“, haben wir eine soziale Marktwirtschaft, die ihren Namen auch verdient. ({2}) Nur einige Beispiele - stichwortartig -, wie für RotGrün faire Bedingungen auf dem Arbeitsmarkt aussehen: Arbeitnehmerentsendegesetz, gleicher Lohn für gleiche Arbeit, Bekämpfung von Lohn- und Sozialdumping auf deutschen Baustellen. Dies haben wir in die Wege geleitet. Sie haben illegale Beschäftigung auf Baustellen erst salonfähig gemacht. ({3}) Schwarzarbeit und illegale Beschäftigung auf Baustellen wurden von Ihnen zu einem Kavaliersdelikt erklärt. 16 Jahre lang haben Sie dieses Problem nicht gelöst; wir haben damit angefangen. ({4}) Wir haben die Sanktionen verschärft, wir haben die Scheinselbstständigkeit bekämpft, auch eine Methode von Ihnen, Menschen zu suggerieren, sie seien selbstständig, und sie in Abhängigkeit zu halten. ({5}) Wir haben das 325-Euro-Gesetz geschaffen und damit 4 Millionen Menschen, insbesondere Frauen, mehr sozialversichert, als Sie es geschafft haben. ({6}) Wir haben das Gesetz zur Förderung von Teilzeitarbeit geschaffen.

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Kolb?

Renate Rennebach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001822, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich würde gern im Zusammenhang reden, Herr Kolb. Ich habe Sie auch nicht unterbrochen, obwohl es mich mehrfach gejuckt hat. Wir haben das Gesetz zur Förderung - ({0}) - Frau Präsidentin, soll ich jetzt mit den Kollegen der Opposition im Chor singen oder darf ich allein weiterreden? ({1}) Wir haben das Gesetz zur Förderung der Teilzeitarbeit geschaffen. Wir haben die hundertprozentige Lohnfortzahlung im Krankheitsfall wieder eingeführt usw. usf. Ich spreche jetzt wieder die PDS an: Sie unterschätzen die wichtige Rolle der Tarifautonomie. Auch wenn Sie das Gegenteil behaupten: Das bisherige freie Tarifverhandlungssystem mit starken Gewerkschaften hat sich bewährt. Ein Gleichgewicht der Kräfte von Arbeitgeberverbänden und Gewerkschaften und ein allenfalls vermittelnder Staat bilden die Tarifautonomie. So muss sie erhalten werden. Löhne und Arbeitsbedingungen werden in Deutschland frei zwischen den Gewerkschaften und den Arbeitgebern vereinbart. Wir haben ein pluralistisches Verhandlungssystem und keine von oben nach unten organisierte Gesellschaft, in welcher der Staat die Bedingungen diktiert. Das ist auch gut so. Arbeitgeberverbände und Gewerkschaften übernehmen es, bei allen tarifvertraglichen Arbeitsverhältnissen Mindestentgelte und Mindestarbeitsbedingungen im Geltungsbereich des Tarifvertrages festzulegen, wie es das Grundgesetz vorschreibt. Der aktuelle Streit in der Bauwirtschaft zeigt doch die Folgen eines Mindestlohnes. Dieser Mindestlohn wird auch noch unterschritten und kein Mensch hält sich daran. ({2}) Der Mindestlohn ist ein Papiertiger. Da halte ich mich lieber an klare Vorschriften in Tarifverträgen, die zur Not auch für allgemein verbindlich erklärt werden können, sodass die Welt sich daran hält. Es muss auch mehr Kläger geben. Dazu könnten Sie die Leute auffordern, statt sich mit ihnen in die Ecke zu setzen und gemeinsam mit ihnen zu jammern. ({3}) Aus der falschen Diagnose ergibt sich auch die falsche Behandlungsmethode in Ihrem Antrag. Durch Einführung eines gesetzlichen Mindestlohnes von 68 Prozent der nationalen Durchschnittsentlohnung und der Forderung nach staatlichen Sanktionen bei Nichteinhaltung würde es vielen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern schlechter gehen als zuvor - ein Szenario, das auch Sie nicht wollen können. Ich komme auf Ihr Beispiel mit dem hessischen Fensterputzer, der 11 Euro verdient, und dem ostdeutschen Fensterputzer, der 8 Euro verdient. Mit Ihrem Mindestlohn wollen Sie doch, dass der Hesse weniger verdient; der Ostdeutsche hat nicht eine müde Mark mehr in der Tasche. ({4}) Das ist ein Beispiel, das auf jeden Fall hinkt. Staatlicher Mindestlohn müsste notgedrungen niedrig sein. Denn Tarifverträge mit ohnehin niedrigen Bruttolöhnen, teilweise unter 6 Euro, dürften nicht überboten werden. Auch das ist Gesetz in dieser Republik. Daraus folgt, dass Sie mit Ihrem Mindestlohn die Lohnspirale nach unten drehen würden. Tarifvertragsparteien versänken in Lethargie. Untere Einkommensgruppen sähen keinen Grund mehr, für höhere Löhne und bessere Arbeitsbedingungen zu kämpfen, sich gewerkschaftlich zu organisieren. Bezieher von mittleren und höheren Löhnen gerieten auch unter Hinweis auf den festgesetzten Mindestlohn in den Sog einer Niedriglohnspirale. Denn der Mindestlohn würde sich sicher als Standard durchsetzen. Gesamtwirtschaftliche Konsequenz: Rückgang der Binnennachfrage. Noch einmal: Wir wollen nicht Staatsdirigismus. Von oben diktierte Löhne sind nicht der richtige Weg. Für eine moderne, demokratische Gesellschaft ist diese Lösung keine Möglichkeit, den Arbeitsmarkt zu regeln. Das bewährte System, dass alle wichtigen gesellschaftspolitischen Vertreter an einem Tisch sitzen, muss erhalten bleiben. Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Deutschland sind gerade wegen der Gewerkschaften keine unorganisierte „industrielle Reservearmee“ mehr und wegen unseres Tarifsystems keine „working poor“ wie in den USA, jedenfalls nicht bei normalen Arbeitsverhältnissen, wo Tarifverträge eingehalten werden. Daher der Appell an die PDS: Nicht mit einer kapitalismuskritischen Grundsatzdebatte zum großen Wurf ausholen und damit genau das Gegenteil des Gewollten bewirken! ({5}) Nicht spalten, sondern gemeinsam darauf aufbauen, was in den letzten vier Jahren erreicht wurde! Jetzt komme ich zu meinem letzten Wort. Kolleginnen und Kollegen, dies wird meine letzte Rede im Deutschen Bundestag sein. Ich war zwölf Jahre Mitglied dieses Parlaments und der SPD-Fraktion. Ich habe diese zwölf Jahre sehr gerne gearbeitet, die letzten vier Jahre in der Regierung allerdings viel lieber als die ersten acht Jahre in der Opposition. ({6}) Die rot-grüne Bundesregierung hat wahrhaftig gestaltet und die erforderlichen Rahmenbedingungen für ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern und eine bessere wirtschaftliche Situation gesetzt oder angefangen zu setzen. Das zeigen die Zahlen. Sie gehen in unserer Regierungszeit deutlich nach oben. Den Menschen geht es besser. Wir werden diese vier Jahre als Beginn einer Wende in dieser Republik betrachten und in den nächsten vier Jahren einer rot-grünen Bundesregierung die Sachen, die wir in die Wege geleitet haben, vollenden. An die Adresse von Herrn Laumann - schön, dass er wieder da ist ({7}) möchte ich auch noch einen Satz sagen: Sie haben ja das Job-AQTIV-Gesetz mit dem JUMP-Programm verwechselt. ({8}) Das verzeihe ich Ihnen und trage ich Ihnen nicht nach. Das Job-AQTIV-Gesetz haben wir seit dem 1. Januar 2002. ({9}) Wir sind zugleich mit Umstellungen bei der Bundesanstalt für Arbeit beschäftigt. Ein bisschen Geduld - das muss ich Ihnen ehrlich sagen - ist erforderlich, wenn ein solch hervorragendes Gesetzeswerk in die Tat umgesetzt wird. ({10}) Kolleginnen und Kollegen, ich habe gesagt, wie lange ich hier gearbeitet habe. Ich wünsche dieser rot-grünen Bundesregierung, dass sie weitere vier Jahre und auch noch länger regieren kann. Ich glaube, dass sich die Menschen, da sie ja ein gutes Gedächtnis haben, die alten Zeiten nicht wieder zurückwünschen werden, sondern RotGrün unterstützen werden. Ich wünsche euch und Ihnen viel Erfolg bei der weiteren Arbeit. Ich bedanke mich. ({11})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Liebe Frau Kollegin Rennebach, da es, wie Sie sagten, Ihre letzte Rede war, möchte ich Ihnen auch im Namen des Hauses für Ihre Arbeit danken. Sie haben ja gesehen, dass es dann, wenn es um so schlichte menschliche Tatsachen wie einen Abschied geht, auch im Hause ruhig wird und Sie Beifall von allen Seiten bekommen. Aber man kann sich auch täuschen; denn vielleicht war es doch nicht Ihre letzte Rede. Jetzt bekommt nämlich das Wort zu einer Kurzintervention der Herr Kollege Kolb. Darauf könnten Sie dann noch einmal antworten.

Dr. Heinrich L. Kolb (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001171, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Liebe Kollegin Rennebach, ich muss mich auf diesem Weg an Sie wenden, weil Sie ja meine Zwischenfrage nicht zugelassen haben. ({0}) - Nein. Auch ich möchte vorweg eine persönliche Bemerkung machen. Wir haben in den letzten vier Jahren intensiv zusammengearbeitet; wir waren in der Summe selten einer Meinung, ({1}) aber trotzdem habe ich persönlich die Zusammenarbeit mit Ihnen als angenehm empfunden. Dafür bedanke ich mich. ({2}) Sie haben in Ihrer Rede gesagt, dass Sie offensichtlich sehr viel lieber regieren als Oppositionsarbeit machen. Von daher ist es nur konsequent, wenn Sie am 22. September aufhören. ({3})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Sehr charmant.

Dr. Heinrich L. Kolb (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001171, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ich wollte zu zwei Punkten in der Sache etwas sagen. Zum ersten Punkt sollten Sie, Frau Rennebach, vielleicht doch noch einmal das Wort ergreifen und das klarstellen. Sie haben an die Adresse der früheren CDU/CSUFDP-Koalition gesagt, wir hätten Schwarzarbeit in Deutschland salonfähig gemacht. ({0}) Das ist, wie ich finde, ein ungeheuerlicher Vorwurf. Ich möchte Sie wirklich bitten, das zurückzunehmen. Wir haben zu allen Zeiten deutlich gemacht, dass Schwarzarbeit kein Kavaliersdelikt ist, dass es aber zugleich nicht reicht, die Symptome zu kurieren. Vielmehr muss man an die Wurzel des Übels herangehen. ({1}) Wir müssen daher bei der Bekämpfung der Schwarzarbeit - wobei auch wir ja nicht besonders erfolgreich waren - darauf achten, Frau Rennebach, dass diejenigen Unternehmen, die legal arbeiten, am Schluss nicht über Gebühr durch neue, zusätzliche Bürokratie belastet werden. Das ist meine Kritik, die ich an Ihren Vorlagen zur Bauabzugsteuer und zur Nachunternehmerhaftung sowie an Ihrem Tarifvertragsgesetz übe. Hierbei sind diejenigen, die sich korrekt verhalten, am Schluss die Dummen und bleiben auf der Strecke, während dem Grundübel nicht wirksam abgeholfen wird. ({2}) Zweiter Punkt in der Sache, den ich ansprechen muss - dazu nur ein kurzer Satz -: Sie haben gesagt, es sei Ihr Verdienst, dass 4 Millionen Frauen jetzt sozialversicherungspflichtig seien. Man muss ehrlicherweise dazu sagen, dass sie nur insofern in der Sozialversicherung sind, als zwar Beiträge, aber nicht ad personam gezahlt werden. Sie erwerben persönlich keine Ansprüche, es sei denn, Frau Rennebach, sie würden noch selber Beiträge einzahlen. Aber davon machen weniger als 5 Prozent der Betroffenen Gebrauch. Im Klartext heißt das: Sie haben ein Problem gelöst, das aus Sicht der Betroffenen offensichtlich nicht bestand. Insbesondere zu dem ersten Punkt, dem ungeheuerlichen Vorwurf, wir hätten Schwarzarbeit salonfähig gemacht, möchte ich Sie doch noch einmal bitten - ich sehe, dass Sie das Mikrofon schon richten -, das Wort zu ergreifen. ({3})

Renate Rennebach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001822, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kolb, dass Sie meinen Abgang verlängern, finde ich sehr sympathisch. Wir haben im Laufe der letzten vier Jahre irgendwann einmal eine neue Höflichkeit zwischen uns beschlossen und sie hat in der Tat über weite Strecken funktioniert. Ihre letzte Bemerkung zu meinem Abgang war allerdings nicht der neuen Höflichkeit entsprechend. Das muss ich wirklich rügen. ({0}) Das, was ich zur Schwarzarbeit und zur illegalen Beschäftigung gesagt habe, Herr Kolb, habe ich bereits in der Oppositionszeit, in den letzten vier Jahren Ihrer Regierungszeit, gesagt. Damals ist von Ihnen nicht widersprochen worden. ({1}) Somit ist das heute eine Wiederholung. Außerdem ist es die Wahrheit: Die Schwarzarbeit beginnt zurückzugehen. ({2}) - Frau Schwaetzer bleiben Sie sitzen, keine künstliche Aufregung. - Wir sind die erste Bundesregierung, die in diesem Land etwas gegen Schwarzarbeit und illegale Beschäftigung unternimmt. ({3}) Sie haben die Schwarzarbeit ins Uferlose steigen lassen, und zwar durch Ihr Nichtstun. Ich erinnere mich an das Wort eines früheren Staatssekretärs aus dem Arbeitsministerium, als Blüm noch Minister war. Ich habe ihn gefragt: Warum sorgt ihr nicht für eine Generalunternehmerhaftung? Denn dieser Staatssekretär und ich, wir haben uns um Baustellenkontrollen gekümmert, wir sind auf die Baustellen gegangen und waren uns einig, dass die Generalunternehmerhaftung ein wirksames Mittel ist. Wissen Sie, was er mir daraufhin gesagt hat? - Beschweren Sie sich bei der FDP! Die FDP verhindert die Generalunternehmerhaftung seit Jahren. Danke. ({4})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Peter Weiß.

Peter Weiß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003255, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Was viel zu vielen Menschen in Deutschland zur eigenen Existenzsicherung und zur Existenzsicherung ihrer Familien fehlt, ist nicht ein per Gesetz vorgeschriebener Mindestlohn, sondern überhaupt eine Arbeit, mit der sich ein Lohn verdienen lässt. Diese Menschen erwarten von uns Abgeordneten nicht irgendeine Geisterdebatte über irgendwelche sozialistischen Hirngespinste, sondern sie erwarten, dass wir die Realitäten dieses Landes zur Kenntnis nehmen und ihnen eine Antwort auf die zentrale Frage geben: Wie schaffen wir Arbeit und Wohlstand für alle in Deutschland? Die heute in Deutschland herrschende Massenarbeitslosigkeit ist Folge zahlreicher Fehlentscheidungen der rot-grünen Bundesregierung. ({0}) Der hier von der PDS vorgelegte Gesetzentwurf ist kein Gesetzentwurf zur Korrektur der Fehlentscheidungen, sondern er setzt noch eine weitere obendrauf. ({1}) Es ist kein Gesetzentwurf zum Abbau der Arbeitslosigkeit, sondern ein Gesetzentwurf zur Steigerung der Arbeitslosigkeit. Ich finde es sehr gut, dass dieser Gesetzentwurf zu einer öffentlichkeitswirksamen Zeit in der Bundesregierung diskutiert wird, weil wenige Wochen vor der Bundestagswahl so für jeden in Deutschland klar und deutlich werden kann: ({2}) Wenn Rot-Rot oder Rot-Rot-Grün nach der Wahl regieren würde, dann würde der Karren in Deutschland erst recht an die Wand gefahren werden und die Arbeitslosen hätten erst recht keine Perspektive. ({3}) Arbeit schafft man nur durch die Ankurbelung der Wirtschaft und vor allem dann, wenn man dabei vor allem diejenigen nicht vergisst, die in Deutschland Arbeitsplätze und Ausbildungsplätze schaffen; das sind unsere kleinen und mittleren Unternehmen. ({4}) Zu den Hauptfehlern der Wirtschaftspolitik dieser rot-grünen Koalition gehört, dass sie die Großkonzerne faktisch von der Körperschaftsteuer befreit hat. ({5}) Das bringt dem Genossen der Bosse, Gerhard Schröder, vielleicht Applaus in seinen Zigarrenrunden, aber eben keine Arbeitsplätze für Deutschland. ({6}) Deutschland ist Schlusslicht beim Wirtschaftswachstum in Europa. Das Urteil der Wirtschaftsforschungsinstitute ist eindeutig: Die wirtschaftlichen Auftriebskräfte in Deutschland sind zu schwach und die wirtschaftspolitischen Rahmenbedingungen falsch gesetzt. ({7}) Karl-Josef Laumann hat es zu Eingang der Debatte schon vorgetragen: Die heute veröffentlichten Arbeitslosenzahlen sind eine Katastrophe. ({8}) Es ist beschämend, dass Sie von Rot-Grün in dieser Debatte versuchen, die Zahlen gesundzubeten, indem Sie Äpfel mit Birnen vergleichen. ({9}) Meine Damen und Herren, seit Monaten haben wir in Deutschland die Situation, dass jeden Monat mehr Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in den Ruhestand gehen als junge Leute in den Arbeitsmarkt nachkommen. Die Arbeitslosigkeit müsste „bei ruhiger Hand“ automatisch sinken. Das Gegenteil ist der Fall. Das zeigt die wahre Katastrophe, die Sie in der Arbeitsmarktpolitik in Deutschland verursacht haben. ({10}) Deswegen lassen sich die Deutschen nicht davon abhalten, Gerhard Schröder an seinem großspurigen Versprechen, die Arbeitslosigkeit auf 3,5 Millionen zu senken, wirklich zu messen. ({11}) Was man aber dreieinhalb Jahre versäumt hat, lässt sich kurz vor der Wahl nicht mehr reparieren und gesundbeten. ({12}) Das untauglichste Mittel zur Reparatur ist natürlich der vorliegende Vorschlag der PDS zur Einführung eines gesetzlichen Mindestlohnes. Verehrte Kolleginnen und Kollegen, es genügt schon ein Blick über den Rhein nach Frankreich, wo gerade dieser Mindestlohn jüngeren Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern den Zugang zum Arbeitsmarkt erschwert und versperrt. Es zeigt sich leider, wie wenig die in der PDS versammelten Postkommunisten nach wie vor ({13}) - so ist es - von einer freien Gewerkschaft halten, die autonom mit Arbeitgebern die Löhne aushandelt. Lieber setzen die Erben Erich Honeckers auf den ewig gestrigen Staatsdirigismus. ({14}) Mit gutem Grund verbietet in Deutschland die verfassungsmäßig garantierte Tarifautonomie dem Staat, Mindestlöhne festzusetzen. Es wundert nicht, dass die PDS nach 40 Jahren ihrer totalitären Alleinherrschaft im Osten Deutschlands Nachhilfeunterricht in Sachen demokratischer Grundregeln und freier Gewerkschaften und in Fragen der Tarifautonomie braucht. Ich will einen der angesehensten Grundgesetzkommentare unseres Landes zitieren, in dem es heißt: Der grundsätzliche Übergriff in das Regelungsfeld „Lohn“ ist mit der Tarifautonomie prinzipiell unvereinbar. ({15}) Übrigens zeigt die wirtschaftspolitische Totalignoranz der PDS ein weiteres Mal, warum die DDR ökonomisch und politisch untergehen musste und warum zum Beispiel jetzt in Sachsen-Anhalt nach Jahren rot-roten Regierens eine neue CDU-geführte Landesregierung die Trümmer einer gescheiterten Wirtschaftspolitik beseitigen muss. ({16}) Eine solche Katastrophe, wie sie die Bürgerinnen und Bürger in Sachsen-Anhalt erleben mussten, wollen wir Gesamtdeutschland ersparen. Meine Damen und Herren, unser Problem in Deutschland ist nicht der Mindestlohn. Unser Problem ist ({17}) Peter Weiß ({18}) das Versagen dieser Bundesregierung bei der Bekämpfung der Massenarbeitslosigkeit. ({19}) Die Bürgerinnen und Bürger haben mittlerweile genug davon, dass Sie ihnen - wie in dieser Debatte erneut - vorrechnen und vortragen, was Sie alles getan haben, was angeblich zu Entlastungen beispielsweise bei den Steuern führt. ({20}) Die Bürgerinnen und Bürger fragen sich: Was kommt bei der Politik, die Sie gemacht haben, unter dem Strich für mich heraus? ({21}) Entlastungen und Belastungen müssen saldiert werden, das ist der Punkt. Sie haben versprochen, die Steuern, die Rentenbeiträge und die Krankenversicherungsbeiträge zu senken. ({22}) Stattdessen haben wir Beitragserhöhungen und eine Ökosteuer, die eine Preisspirale sondergleichen nach oben ausgelöst hat. ({23}) Die meisten Bürgerinnen und Bürger in unserem Land haben durch Ihre Politik unter dem Strich weniger. Das ist Faktum. ({24}) Arbeitsplätze kann eben letztlich nicht der Staat schaffen. Arbeitsplätze können nur geschaffen werden, indem wir die brachliegenden Kräfte für mehr Wachstum in Deutschland endlich mobilisieren und frei werden lassen. ({25}) Die von Ihnen zu verantwortenden lähmenden Wirkungen übermäßiger Bürokratie und einer zu hohen Steuer- und Abgabenlast müssen beseitigt werden. Das ist der Punkt, auf den es ankommt. ({26}) Es muss Schluss damit sein, dass der Staat als Arbeitsplatzvernichter agiert. Mit Ihrem 630-Mark-Gesetz haben Sie ein neues Bürokratiemonster geschaffen, das in Deutschland keine neuen Arbeitsplätze bewirkt, sondern sie vernichtet hat. Das ist das Faktum. ({27}) Für viele Menschen stellt sich nicht nur die Frage „Finde ich eine Arbeit?“, sondern auch: Lohnt es sich für mich überhaupt zu arbeiten? ({28}) Für die meisten Menschen, die sich in den unteren Lohnsegmenten befinden, lohnt es sich nicht zu arbeiten, weil die Steuer- und vor allem die Abgabenlasten, die Sie erhöht haben, die Arbeitsaufnahme uninteressant machen. Das ist der Punkt. ({29}) Deshalb wird, wenn wir die Regierung übernehmen, Ihr 630-Mark-Gesetz keinen Bestand haben. ({30}) Wir werden für Geringverdiener eine Gesetzgebung schaffen, die abgestufte Sozialversicherungsbeiträge vorsieht, sodass es überhaupt erst wieder interessant wird, eine Beschäftigung als Arbeitnehmerin oder Arbeitnehmer anzunehmen. ({31})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Christa Luft? ({0})

Peter Weiß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003255, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Bitte schön.

Prof. Dr. Christa Luft (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002728, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Kollege Weiß, könnten Sie dem Hohen Hause und allen, die uns zuschauen, bitte erklären, wie das Lieblingsprojekt der Union, die Arbeitslosenhilfe und die Sozialhilfe zusammenzulegen mit dem Ziel, die Arbeitslosenhilfe abzuschaffen, arbeitslosen Menschen Anreize geben kann, einen Job anzunehmen, der sie in die Lage versetzen würde, die Abgabenlast, von der Sie soeben gesprochen haben, zu tragen? ({0})

Peter Weiß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003255, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Verehrte Frau Kollegin Luft, wir werden am Freitag der kommenPeter Weiß ({0}) den Woche die Gelegenheit haben, über diese Frage ausführlich zu diskutieren. ({1}) Ein gemeinsames, neues Hilfesystem für arbeitslose Menschen, die heute entweder Sozialhilfe oder Arbeitslosenhilfe erhalten, ist nur dann wirkungsvoll - das ist unser Vorschlag -, wenn ihnen zum einen geholfen wird, einen Job zu finden, und sie ein Angebot zur Qualifizierung erhalten und sie zum anderen dann, wenn sie einen Job gefunden haben - sei er noch so niedrig entlohnt -, von diesem Verdienst mehr behalten dürfen als heute. Genau das ist der Inhalt des Konzepts von CDU/CSU. ({2}) Wer eine Arbeit annimmt, soll mehr Geld zur Verfügung haben als heute, damit sich für ihn Arbeiten wieder lohnt. ({3})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Gestatten Sie noch eine Zwischenfrage der Kollegin Luft? ({0})

Peter Weiß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003255, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Bitte schön.

Prof. Dr. Christa Luft (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002728, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Wenn dann jener, der einen niedrigst bezahlten Job angenommen hat, wieder arbeitslos wird, wovon soll dieser dann leben? ({0})

Peter Weiß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003255, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Verehrte Frau Kollegin Luft, dann kommt er wieder in das Hilfesystem, das ihm das gleiche Angebot wie vor Annahme des Jobs macht. Die Erfahrung aber ist: Wenn ein Langzeitarbeitsloser, der Sozialhilfe oder Arbeitslosenhilfe bezieht, erneut den Einstieg in die Arbeit gefunden hat, hat er wesentlich bessere Aussichten als bisher, ({0}) im Beschäftigungsbereich wirklich wieder Fuß zu fassen. ({1}) Das ist der Sinn und das Ziel unseres Angebotes, das wir Sozialhilfe- und Arbeitslosenhilfeempfängern in Deutschland machen wollen. ({2}) Verehrte Kolleginnen und Kollegen, das Programm der Union ist: ({3}) Arbeit in Deutschland muss sich wieder lohnen. Mit diesem Programm werden wir das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger am 22. September erhalten und mit dem Chaos, das uns Rot-Grün hinterlassen hat, endlich aufräumen. Vielen Dank. ({4})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Ich schließe da- mit die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 14/8921 an die in der Tagesordnung aufgeführ- ten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 19 a und 19 b auf: a) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses ({0}) zu dem Antrag der Bundesregierung Fortsetzung der deutschen Beteiligung an der internationalen Sicherheitspräsenz im Kosovo zur Gewährleistung eines sicheren Umfeldes für die Flüchtlingsrückkehr und zur militärischen Absicherung der Friedensregelung für das Kosovo auf der Grundlage der Resolution 1244 ({1}) des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen vom 10. Juni 1999 und des militärisch-technischen Abkommens zwischen der internationalen Sicherheitspräsenz ({2}) und den Regierungen der Bundesrepublik Jugoslawien und der Republik Serbien vom 9. Juni 1999 - Drucksache 14/8991 - aa) Beschlussempfehlung und Bericht des Auswärtigen Ausschusses ({3}) - Drucksache 14/9248 Berichterstattung: Abgeordnete Gert Weisskirchen ({4}) Karl Lamers Dr. Helmut Haussmann bb) Bericht des Haushaltsausschusses ({5}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung - Drucksache 14/9253 Berichterstattung: Abgeordnete Uta Titze-Stecher Herbert Frankenhauser Antje Hermenau Dr. Werner Hoyer Dr. Uwe-Jens Rössel Peter Weiß ({6}) b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses ({7}) zu dem Antrag der Fraktion der PDS Bundeswehreinsätze beenden - Politische Lösungen auf dem Balkan durch UNO und OSZE durchsetzen - Drucksachen 14/5964, 14/6194 Berichterstattung: Abgeordnete Gert Weisskirchen ({8}) Karl Lamers Ulrich Irmer Über die Beschlussempfehlung zu dem Antrag der Bundesregierung werden wir, wie Sie wohl wissen, später namentlich abstimmen. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat zunächst die Abgeordnete Uta Titze-Stecher.

Uta Titze-Stecher (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002331, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Deutsche Bundestag berät und beschließt heute bereits zum vierten Mal über das Mandat der Bundeswehr im Kosovo. Es handelt sich dabei um die dritte Verlängerung des so genannten KFOR-Mandats über den 10. Juni des Jahres hinaus. Der Beratung liegt ein Antrag der Bundesregierung vom 8. Mai dieses Jahres zugrunde. Darin wird um die Fortsetzung der Beteiligung an der internationalen Sicherheitspräsenz im Kosovo gebeten. In der Begründung heißt es, die Verlängerung sei zum einen nötig, um ein sicheres Umfeld für die Flüchtlingsrückkehr zu gewährleisten, und zum anderen, um die Friedensregelung für das Kosovo militärisch abzusichern. Ich werde auf die beiden Punkte noch genauer eingehen. Für das verlängerte Mandat sollen die gleichen völkerrechtlichen und verfassungsmäßigen Voraussetzungen gelten wie für den von uns gemeinsam bereits gefällten Beschluss des Deutschen Bundestages vom 9. Mai letzten Jahres. Die einsatzbedingten Zusatzkosten sind mit der Haushaltslage des Bundes vereinbar, so sieht es der gesamte Haushaltsausschuss bis auf seine PDS-Mitglieder; denn in der geltenden Finanzplanung sind die dafür notwendigen Finanzen im Einzelplan 14 bereits im Rahmen des Stabilitätspaktes in Höhe von 1,023 Milliarden Euro pro Jahr etatisiert. Dieser Betrag bezieht sich allerdings auf beide Einsätze: auf das KFOR- und das SFOR-Mandat. - So weit zum Antrag der Bundesregierung; der Bundesverteidigungsminister wird ihn sicher noch präzisieren. Schauen wir uns die Realität im Kosovo an, dann wird deutlich, warum es bis auf weiteres keine Alternative zur Mandatsverlängerung gibt. ({0}) Niemand verkennt, dass das Kosovo auf dem schwierigen Weg in die demokratische Normalität Fortschritte gemacht hat. So waren die ersten demokratischen Wahlen vom 17. November letzten Jahres ein wichtiger Schritt hin zur Normalität. Dabei hat sich auch schon gezeigt, dass sich die im Kosovo vertretenen Parteien bewusst sind, dass letzten Endes die Verantwortung für einen erfolgreichen Wiederaufbau in der Region bei ihnen selbst liegt. Die internationale Unterstützung kann immer nur die Funktion von vorübergehender Hilfe haben, ähnlich der von Krücken nach einer Operation; irgendwann hat man sie nicht mehr nötig und stellt sie weg. Auch die am 4. März dieses Jahres erfolgte Wahl von Präsident Rugova und die Installierung des Kabinetts - Geburtshelfer dabei war der Sonderbeauftragte des VNGeneralsekretärs für das Kosovo, Michael Steiner; ihm möchte ich von hier aus für seinen Erfolg danken ({1}) schaffen die Voraussetzung dafür, dass die Kosovaren im Rahmen provisorischer Selbstverwaltungsorgane nun wesentliche Bereiche ihres Gemeinwesens selbst gestalten können. Allerdings muss man ehrlich sagen, dass die neue Regierung vor unendlich schwierigen und langwierigen Aufgaben steht: Rechtsstaatliche Strukturen müssen aufgebaut und Korruption und organisierte, vor allem grenzüberschreitende Kriminalität bekämpft werden. Neue wirtschaftliche Perspektiven müssen entwickelt werden, was angesichts einer Arbeitslosigkeit von 70 Prozent sehr schwierig ist. - Im Vergleich dazu leben wir hier im Paradies, möchte ich an die CDU/CSU gerichtet sagen. - Bewegungsfreiheit und öffentliche Sicherheit sind für alle Kosovaren zu verbessern. Darauf hoffen alle ethnischen Gruppierungen und diese Hoffnungen dürfen wir nicht enttäuschen. ({2}) Trotz wachsender Einsicht in die Notwendigkeit der Zusammenarbeit ist das Verhältnis zwischen den KosovoAlbanern und den ethnischen Minderheiten noch äußerst fragil. Das betrifft nicht nur die Lebensrealität der serbischen Minderheit - da gibt es besondere Schwierigkeiten -, sondern auch das Lebensumfeld aller anderen Minderheiten, der Roma, Ashkali, Ägypter, Bosniaken und Gorani. Es gibt zwei aktuelle Berichte vom April dieses Jahres zur Situation im Kosovo: einen von der Schweizerischen Flüchtlingshilfe mit dem Titel „Kosova - Situation der Minderheiten“ und einen aktualisierten UNHCR-Bericht zur fortdauernden Schutzbedürftigkeit von Personen aus dem Kosovo. Man sollte diese Berichte lesen. Wenn man die Situation von Deutschland aus betrachtet, könnte man - sofern man die Verhältnisse nicht kennt - zu der Meinung gelangen, dass die Flüchtlinge langsam alle zurückkehren könnten. Die überwiegende Mehrheit der KosovoAlbaner ist auch zurückgekehrt. Das ist in Ordnung und erfreulich. Dies gilt allerdings nur sehr bedingt bis gar nicht für Personen aus dem Kosovo, die nicht albanische Volksangehörige sind. Sie sind weiterhin ernsthaften Gefahren für ihre Freiheit, für Leib und Leben ausgesetzt, die oft genug Anlass sind, die Provinz zu verlassen. Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer Zur Begründung der Mandatsverlängerung sage ich: Trotz unbestrittener Verbesserungen der allgemeinen Situation im Kosovo wie der Wiederherstellung der zivilen Verwaltung und der Verbesserung des Polizei- und Justizwesens - das Auswärtige Amt unterstützt zurzeit den Aufbau der Justizvollzugsverwaltung - gibt die Lage der Minderheitengruppen Anlass zu größter Sorge. Die Gefahren für die persönliche Sicherheit dauern an. Es besteht für die Minderheitengruppen eine eingeschränkte Bewegungsfreiheit, weil Gefahr besteht, sobald sie sich aus ihren enklavenartigen Bezirken hinausbewegen. Dies ist nicht nur aus humanitären Gründen, sondern vor allem aufgrund der destabilisierenden sozialen Wirkung unakzeptabel. Die Situation eines Menschen, der nur begrenzten Zugang zu Grundleistungen hat und Aktivitäten, die zum Überleben notwendig sind, gar nicht durchführen kann, bezeichnen wir als unbefriedigend. Hinzu kommen Probleme bei der Ausübung von Sprache, Religion und Kultur. Akzeptable inländische Alternativen zur Flucht sind - so die Berichte - nicht vorhanden. Deswegen halte ich es für politisch absolut korrekt und richtig, dass der Menschenrechtsausschuss Rückführungen nur befürwortet, wenn sie auf freiwilliger Basis erfolgen, und an die Innenministerkonferenz appelliert hat, eine Aussetzung der Rückführung von Jugendlichen und Minderheiten aus dem Kosovo zu beschließen. ({3}) Ohne diese Rücksichtnahme würden alle bisher getätigten Initiativen und Maßnahmen konterkariert, weil die Rückkehr nicht nachhaltig wäre. ({4}) - Darüber muss man reden. Ich bin gespannt, was vonseiten der Regierung zu diesem Punkt gesagt wird. Die internationale Sicherheitspräsenz ist aber nicht nur wegen der von mir beschriebenen ethnisch begründeten Übergriffe, also wegen der Situation der Minderheiten, weiterhin erforderlich. Die Lage ist schlicht und einfach weder ruhig noch stabil. Nach wie vor werden enorme Mengen an Waffen und Munition sichergestellt. Illegale Aktivitäten albanischer Extremisten destabilisieren die Region. Um den grenzüberschreitenden Extremismus - organisierte Kriminalität, Drogenhandel, Menschenhandel, Schmuggel - in den Griff zu bekommen, hat die KFOR bereits im letzten Jahr im Rahmen ihrer Operation „Eagle“ den Schwerpunkt auf die Sicherung der Grenzen zu Mazedonien, Albanien und zur Bundesrepublik Jugoslawien gelegt. Zur Beherrschung dieser Gefahrensituation ist die militärische Präsenz unabdingbar. Sie ist aber auch erforderlich, um die demokratische Entwicklung voranzubringen. Insofern hängt - das sage ich in Richtung PDS - das eine mit dem anderen zusammen. Ich kann nicht das eine sein lassen und glauben, das andere tun zu können. ({5}) Sieht man von den militärischen Maßnahmen ab - sie funktionieren aufgrund der verbindenden Klammer durch die NATO recht gut -, stellt man fest, dass die vielfältigen Aktivitäten der Akteure diesseits und jenseits des Atlantiks im Rahmen des Stabilitätspaktes ohne Einbindung in ein Gesamtkonzept für den Balkan, geschweige denn mithilfe wirksamer Absprachen zur Vermeidung von Doppelstrukturen oder Mehrfachaktivitäten, erfolgen. Daher begrüßen wir das erste deutsch-amerikanische Südosteuropa-ExpertenTreffen im März dieses Jahres, das vom Auswärtigen Amt und der Südosteuropa-Gesellschaft initiiert wurde. Dabei wurde in aller Offenheit gesagt, dass der Weg zu einem gemeinsamen Konzept noch sehr weit ist. Es wurde aber auch darauf hingewiesen, dass sich das Koordinatensystem Amerikas seit dem 11. September letzten Jahres - Sie wissen, worauf ich hinweisen möchte - verschoben hat, mit dem Ergebnis, dass sich Amerika in Zukunft auf die Bekämpfung des Terrorismus und der organisierten Kriminalität konzentrieren wird. Demzufolge wird Europa mehr Verantwortung, sprich die Hauptverantwortung, für die Verhältnisse auf dem Balkan und in Südosteuropa übernehmen müssen. Ich halte das für absolut verständlich, da es sich schließlich um Probleme vor unserer Haustür handelt. Die schrittweise Übertragung der Zuständigkeiten der KFOR insbesondere im Bereich der inneren Sicherheit auf zivile lokale Stellen und zivile internationale Organisationen muss natürlich Rücksicht darauf nehmen, dass keine unkalkulierbaren Risiken für die Stabilität der Lage vor Ort entstehen, also keine Sicherheitslücke zurückgelassen wird. Praktisch muss dafür gesorgt werden, dass synchron zur Reduzierung die Implementierung der Restrukturierungs- und Flexibilisierungsmaßnahmen erfolgen wird. Zu diesem Komplex wird es zwei Konferenzen geben. Bei der einen, dem NATO-Herbsttreffen, soll die NATO einen bis dahin erarbeiteten Implementierungsplan vorlegen, der in drei Phasen die Voraussetzungen für die eben angesprochenen Reduzierungen beim SFOR- und KFORMandat schaffen soll. Die im Juni stattfindende Truppenstellerkonferenz wird sich mit dem gesamten Einsatzgebiet Balkan befassen. Beide Treffen werden ihre Entscheidungen entlang der bis dahin erzielten Fortschritte in den politischen Prozessen fassen. Ich komme zum Schluss. Auf der Grundlage der beiden Konferenzen und ihrer zu erwartenden Ergebnisse ist nach unserer Auffassung dem Antrag der Bundesregierung auf Verlängerung des KFOR-Mandats zuzustimmen - auch von Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen von der PDS; denn die von Ihnen geforderte politische Lösung für Südosteuropa kann am sichersten und am ehesten mit der eben beschriebenen Doppelstrategie erreicht werden. ({6})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete von Schorlemer.

Reinhard Schorlemer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002066, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die „Neue Zürcher Zeitung“ schrieb kürzlich: „Gefährlicher Stillstand im Kosovo. Internationaler Aktivismus - fehlende Perspektiven“. Diese fehlende Perspektive birgt die Gefahr, dass wir uns mit der Situation wie mit einem notwendigen Übel abfinden. Dies darf aber nicht sein, denn es würde den Menschen im Kosovo und in der Region nichts nutzen, sondern ihnen schaden. Außerdem wäre es eine große politische Niederlage für Europa. Seit 1999 ist die KFOR als ein unerlässliches Instrument der Friedenssicherung im Kosovo. Derzeit ist nicht absehbar, wie lange ihre Präsenz nötig ist. Der gegenwärtige Stand des Aufbaus eines Quasi-Staatswesens im Kosovo und dessen immer noch ungeklärter endgültiger Status in den Beziehungen zu Serbien und der Bundesrepublik Jugoslawien lassen eine Beendigung der militärischen wie auch der zivilen Mission der Vereinten Nationen im Kosovo auch für die nächsten Jahre unmöglich erscheinen. Weder der Stabilitätspakt noch die Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommen der EU können das ersetzen, was dringend nötig ist: ein umfassendes Konzept, das den Ländern und der Bevölkerung der Region eine realistische Perspektive bietet. Es muss eine europäische Perspektive sein, die das Mögliche und Nötige klar beim Namen nennt. ({0}) Das vor kurzem auf EU-Ebene vorgestellte Papier ist nach unserer Meinung schlecht abgestimmt und noch nicht der große Wurf. Gestern haben die Verteidigungsminister der NATO einen Fahrplan für die Truppenreduzierung auf dem Balken beschlossen. Wir würden schon gerne wissen, was dies ganz konkret für den Einsatz der Bundeswehr im Rahmen des KFOR-Kontingents im Kosovo bedeutet. ({1}) Wir sind es nämlich den Menschen in der Region ebenso wie der eigenen Bevölkerung schuldig, zu sagen, wie unser Ordnungskonzept für die Zukunft aussieht, wie lange wir noch Zehntausende von KFOR-Soldaten allein im Kosovo und daneben weitere Soldaten in BosnienHerzegowina und in Mazedonien stationieren wollen. Wir Europäer können es uns nicht leisten, unsere militärischen Fähigkeiten über Jahrzehnte hinweg zur Kontrolle überhitzter ethnischer und nationalistischer Umtriebe in einem Teil Europas zu binden. Ganz klar möchte ich sagen: Die Bundeswehr leistet im Kosovo eine vorzügliche Arbeit. ({2}) Zugleich bleibt sie jedoch sträflich unterfinanziert. Die Bundestagsfraktion der CDU/CSU hat sich stets zu ihrer Verantwortung für unsere Soldaten bekannt. Die Bundeswehr stellt bei ihren schwierigen und gefährlichen Einsätzen immer wieder ein großes Maß an Professionalität und Können unter Beweis. ({3}) Wir müssen aber auch darüber nachdenken, ob die Verweildauer im Interesse der Soldaten und ihrer Angehörigen verkürzt werden kann. Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion wird der Verlängerung des Kosovo-Einsatzes der Bundeswehr zustimmen. Sie tut dies, da es zur Präsenz einer starken KFOR derzeit keine Alternative gibt. Sie tut es aber auch verbunden mit der nochmaligen klaren Aufforderung an die Bundesregierung, dafür zu sorgen, dass diese Mission eine politische Perspektive bekommt und in ein politisches europäisches Gesamtkonzept für die Region eingebettet wird. ({4}) Während dieser Rede erinnere ich mich an das Jahr 1987 oder 1988, als ich mit dem damaligen Vorsitzenden der Deutsch-Jugoslawischen Parlamentariergruppe, Hans-Peter Repnik, nicht nur in Belgrad, sondern auch in Pristina war. Jugoslawien war damals noch eine Einheit. Die flehentlichen Hilferufe der Kosovaren wegen der kulturellen Unterdrückung in den Schulen und Hochschulen, im Zeitungswesen und bei der Religionsausübung sowie die Berichte über die Postenvorherrschaft der serbischen Minderheit und die polizeilichen Maßnahmen, die von Belgrad ausgeübt wurden, gaben damals schon Anlass zu großer Sorge. Als wir anschließend in Belgrad die große Arroganz der kommunistisch-nationalistisch geprägten serbischen Gesprächspartner erlebten, nahm diese Besorgnis bei uns nur noch weiter zu. Vielleicht haben wir im Westen die Menschen dort zu lange sich selbst überlassen. Der Schaden und auch unsere Kosten sind dadurch nicht geringer, sondern wahrscheinlich größer geworden. Meine sehr verehrten Damen und Herren, nach 22-jähriger Tätigkeit im Deutschen Bundestag ist dies heute meine letzte Rede im Parlament. ({5}) Ich habe übrigens in fünf Plenarsälen sprechen dürfen. Diese 22 Jahre waren für mich eine faszinierende Zeit: die Wiedervereinigung, die weitere europäische Integration, die Rückkehr unserer östlichen Nachbarn zur Demokratie sowie die völlig neue Rolle Russlands in Europa und im Verhältnis zu den USA. Wir leben mit all unseren Nachbarn in Freundschaft und enger Partnerschaft. In meiner außenpolitischen Arbeit waren für mich gerade die parlamentarischen Kontakte zu unseren östlichen Nachbarn - bei allen Problemen angesichts unserer wechselvollen und schmerzlichen Geschichte - immer ein großes Erlebnis. Über zehn Jahre war ich Vorsitzender der Deutsch-Ungarischen Parlamentariergruppe. Ich bin glücklich und dankbar, diese Aufgabe wahrgenommen zu haben. So wünsche ich Ungarn, das ein Nachbarland Serbiens ist - eine große ungarische Minderheit lebt in Serbien -, dass es den Platz in Europa einnimmt, der ihm zusteht, und dass es ein wichtiger Bestandteil der Europäischen Union werden möge, einer Union, in der jede Nation ihre Identität wahren soll. ({6}) Erlauben Sie mir zum Schluss noch einige persönliche Bemerkungen. Ich bin oft gefragt worden: Wie ist denn wirklich der Kontakt zwischen den Abgeordneten, gerade auch zwischen den Abgeordneten unterschiedlicher FrakReinhard Freiherr von Schorlemer tionen? Ich erwähne dies, weil ich als ehemaliger Präsident der Deutschen Parlamentarischen Gesellschaft und als deren jetziger Vizepräsident diese Gesellschaft immer als einen Ort gesehen habe, an dem die menschlichen Kontakte und Begegnungen zwischen den Kolleginnen und Kollegen der einzelnen Fraktionen ungetrübt stattfinden können, menschliche Begegnungen, ohne die eine parlamentarische Demokratie nicht leben kann und ohne die wir für unsere Mitmenschen nicht verantwortungsbewusst wirken können. ({7}) Das war mir neben der eigentlichen parlamentarischen Arbeit immer ein Anliegen, bei dem ich viel Freude, viel Freundschaft und viel Unterstützung erfahren habe. Vielen Dank. ({8})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Herr Kollege von Schorlemer, ich möchte mich bei Ihnen auch im Namen des Hauses und aller Kolleginnen und Kollegen, die Ihnen bereits applaudiert haben, für Ihre Arbeit, Ihre herzliche Kollegialität sowie die von Ihnen wahrgenommenen führenden Aufgaben bedanken. Eine 22-jährige Zugehörigkeit zum Parlament erreicht kaum ein Parlamentarier. Allen Respekt! Ich glaube, es gibt bald auch noch ein Fest der Deutschen Parlamentarischen Gesellschaft. ({0}) Auch der nächste Redner, Helmut Lippelt, dem ich jetzt das Wort erteile, hält - glaube ich - seine letzte Rede. ({1}) - Das ist nicht sicher, sie ist aber so angekündigt worden.

Dr. Helmut Lippelt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001352, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin, da bin ich nicht so ganz sicher. Jedenfalls habe ich mich nicht darauf vorbereitet, dass dies meine letzte Rede ist. ({0}) Ich habe auch nicht so oft in der Deutschen Parlamentarischen Gesellschaft getafelt, um hier etwas dazu sagen zu können, was für ein tolles Verhältnis wir haben. Aber eines kann ich sagen: Ich freue mich über die beiden Reden, die ich zuvor gehört habe. Ich freue mich sehr, dass wir in der Sache, also bezüglich dessen, was im Kosovo zu tun ist, übereinstimmen. ({1}) Ich weiß, dass eine Fraktion nicht zustimmen wird. Das ist nun einmal so. Ich habe aber immer mehr den Eindruck, lieber Kollege, dass das, was Sie hier vertreten, mehr eine Frage der Dogmatik und nicht des von Ihnen empfundenen Pazifismus ist. ({2}) - Nein, es genügt aber, Sie im Ausschuss zu hören und sich zu fragen, ob man sich immer wieder dieselben Argumente anhören muss. Wir sind davon überzeugt, dass es zum Verbleib der KFOR im Kosovo keine Alternative gibt. Wir sind auch überzeugt davon, dass es richtig ist, dass wir den Einsatz des deutschen Kontingents noch um ein weiteres Jahr verlängern. Wir wissen, dass die Lösung des Kosovo-Problems auf einem guten Weg ist. Im Gegensatz zu all den so oft betonten Problemen, die dort nach wie vor bestehen und die ich überhaupt nicht leugnen möchte - ich komme vielleicht noch auf das eine oder andere -, muss man sagen: Politisch sind wir vorangekommen. Unter dem letzten Kosovo-Beauftragten, unter Haekkerup, ist eine Rahmenverfassung verabschiedet worden. Entsprechend dieser Rahmenverfassung hat es Wahlen gegeben, vor denen schließlich nach einigem Zögern auch die serbische Regierung ihren Leuten gesagt hat: Macht mit! Ein großer Teil der Serben hat dann mitgemacht. Danach hat es die Bildung der provisorischen Selbstverwaltungsinstitutionen inklusive der Wahl eines Präsidenten und einer Regierung gegeben. Ich möchte hier ganz klar sagen: Dies ist auch deshalb so gut gelaufen, weil wir jetzt Herrn Steiner im Kosovo haben. Dies darf man vielleicht einmal sagen - trotz aller Hintergedanken, die man dabei auch haben mag. ({3}) Hier hat er aber wirklich ein Meisterstück abgelegt. Zu dieser politischen Entwicklung und der Frage nach den politischen Perspektiven muss man, Herr von Schorlemer, noch eines sagen: Nicht nur die vorletzte Deutsch-Jugoslawische Parlamentariergruppe, sondern auch die jetzige, wieder neu gegründete Parlamentariergruppe ist über Belgrad nach Pristina gefahren, aber nicht um zu sagen: Zu Belgrad gehört auch Pristina, sondern um den Serben zu sagen: Wir fahren auch zu einem Parlament, das jetzt im Kosovo gewählt ist. Ich glaube, wir haben uns gute Einblicke in das schwierige Verhältnis der beiden Völker zueinander verschafft. Ich glaube, dies wird auch weiterhin schwierig bleiben. Wir werden sehr daran arbeiten müssen, damit es eine Perspektive für eine Versöhnung gibt. Eines muss aber auch gesagt werden: Wenn man immer über die anhaltenden Gewaltsamkeiten klagt, muss man aber auch sehen, was der jetzige UNMIK-Chef vor dem UN-Sicherheitsrat ausgeführt hat, dass nämlich die Zahl der Morde von 500 in 1999 über 250 in 2000 und 156 in 2001 jetzt in der Zeit von Januar bis April 2002 auf 16 gesunken ist. Ich habe in den Statistiken geblättert und festgestellt, dass darin ja nicht zwischen ethnisch begründeten und kriminellen Handlungen - bei all dem Schmuggel im Grenzverkehr - unterschieden wird. Ich kann Ihnen sagen: Diese Zahlen unterscheiden sich nicht sehr von den Zahlen der Morde und Gewalttaten dieser Art in den anderen Ländern Europas. Vielleicht hat das Kosovo in dieser Beziehung die Zahlen für andere Länder schon unterschritten. Deshalb sprechen auch derzeit im Kosovo alle Seiten über die Rückkehr der serbischen Flüchtlinge. Dazu muss man wissen, dass es sich noch um 200 000 Flüchtlinge handelt. Selbst die Serben entwickeln Pläne zur Rückkehr. Aber auch die nationalistische Partei von Herrn Thaci hat eine Resolution verabschiedet, in der in idealistischen Worten vom Recht auf Heimat, Rückkehr und Eigentum die Rede ist. Man kann es sich zwar kaum vorstellen; aber es ist tatsächlich so. Es ist wohl realistisch, wenn die UNMIK zunächst in 14 oder 15 Dörfern eine langsame Rückkehr versuchen will. Ich meine, selbst das geht noch zu weit und wird nicht funktionieren. Denn das persönliche Gefühl der Bedrohung lässt sich nicht durch Verweis auf Statistiken überwinden. Da die Angelegenheit auf einem guten Weg und an diesem Punkt angelangt ist, ist festzustellen, dass die deutschen Innenminister aus diesem Grund der Situation in keiner Weise gewachsen sind. ({4}) Wie sieht denn die innenpolitische Lage aus? Es waren 200 000 Flüchtlinge aus dem Kosovo in Deutschland. Die Innenminister haben 1999 nach dem Ende des KosovoKriegs dankenswerterweise beschlossen, dass sie nicht zurückgeschickt werden. 85 000 Flüchtlinge sind längst freiwillig zurückgekehrt. Worüber sprechen wir eigentlich? - Wir sprechen über 120 000 Flüchtlinge. Ich meine, wenn der Weg der freiwilligen Rückkehr und der Unterstützung all derer, die freiwillig zurückgehen wollen, weiterverfolgt würde, dann würde es nicht zu einer Belastung des Kosovo kommen, zu der es derzeit leicht kommen kann. ({5}) Deswegen appelliere ich dringend, keine Abschiebungen durchzuführen, und zwar aus dem einfachen Grund, dass im Kosovo 50 Prozent der Menschen arbeitslos sind. Diejenigen, die Häuser besitzen, sind schließlich schon zurückgekehrt. Das heißt, diejenigen, die abgeschoben werden, haben dort weder Arbeit noch ein Haus oder ein Stück Land, auf dem sie ein Haus bauen könnten. Wohin werden sie denn abgeschoben? Statt einen Teil der Lösung des Problems darzustellen - indem sie nämlich hier bleiben und ihren Sippen auch weiterhin Geld schicken -, werden sie in massiver Weise zu einem Teil des Problems. ({6}) Das geschieht zudem zu einem Zeitpunkt, zu dem alle Parteien im Kosovo entschlossen sind, erst einmal Sorge für die Rückkehr der Flüchtlinge aus dem Nachbarland zu tragen. Lassen Sie mich mit folgender Bemerkung schließen: Als ich auf dem Landweg von Pristina nach Belgrad zurückgefahren bin, bin ich über die Brücke gefahren, auf der es damals durch einen Fehlschuss der NATO zu der Zerstörung eines Flüchtlingstrecks gekommen ist. Die Brücke war auf beiden Geländern über und über mit Blumen bedeckt. Ich meine, das macht sehr deutlich, dass es einige Zeit dauert, bis sich die Wunden schließen. Wir sollten nicht erneut Salz hineinstreuen. Die Wunden müssen sich schließen. Das dauert seine Zeit und dafür braucht man auch Geduld. Deshalb halte ich das, was die Bundesregierung in ihrem Antrag beabsichtigt, für richtig und bitte darum, dass die Innenminister künftig auch etwas mehr nachdenken. ({7})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Walter Hirche.

Walter Hirche (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002678, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich möchte den letzten Gedanken von Herrn Lippelt aufgreifen, weil in Debatten auch auf den Vorredner eingegangen werden sollte. Ich meine, dass der Faktor Zeit in der Tat wichtig ist, insbesondere in Prozessen, in denen wir es mit der Überwindung von Vorurteilen, Klischees, historischen Zerrissenheiten und aktuellen Konflikten zu tun haben. Von daher ist es sicherlich für niemanden in diesem Hause oder draußen in der Öffentlichkeit eine Überraschung, dass wir darüber debattieren, dass eine Verlängerung des Mandats angebracht ist. Wenn wir einmal zurückblicken, dann ist es vielen in diesem Hause seinerzeit sicherlich nicht leicht gefallen, sich für dieses Mandat zu entscheiden. Ich habe dafür nachträglich Respekt. Ich glaube allerdings, dass die Entwicklung, die wir im Kosovo erkennen können, deutlich macht: Es war richtig, sich in dieser Weise zu entscheiden und mitzuhelfen, dass dort zunächst einmal ein Stück mehr Befriedung möglich wird und dann parallel zu dem militärischen Einsatz ein Aufbau ziviler Strukturen vor sich geht. In der Medienberichterstattung der letzten Zeit ist es um den Kosovo etwas still geworden. Wenn Sie aber die Mediengesetzlichkeiten kennen - wir alle tun das -, dann wissen wir: Wenn es irgendwo still geworden ist, dann sind die Dinge meist besser geregelt, als wenn über eine Region lautstark und überhitzt berichtet wird. Von daher kann man sagen, dass zum Beispiel die Regierungsbildung im März zu spürbaren Fortschritten bei der Selbstverwaltung im Kosovo geführt hat, dass die Wiederaufbaubemühungen der internationalen Gemeinschaft insbesondere im Rahmen des Stabilitätspaktes zu einer Verbesserung der Lebensumstände geführt haben, dass sich die Infrastruktur verbessert hat, dass die Wiedereingliederung zurückkehrender Flüchtlinge und erste ausländische Investitionen Hoffnungen auf eine bessere Zukunft begründen. Ich stehe nicht an, dem Koordinator Steiner den Dank meiner Fraktion auszusprechen. Dort ist vorzügliche Arbeit geleistet worden. Das sollte man festhalten. ({0}) Wir alle wissen gleichzeitig, dass der Kosovo noch weit davon entfernt ist, ohne die Sicherheitskomponente der NATO zu einer eigenen selbsttragenden Stabilität zu finden. Insbesondere im Norden, an den Grenzen zu Serbien und Montenegro, bestehen die ethnischen SpanDr. Helmut Lippelt nungen fort. Während in vielen anderen Teilen des Amselfeldes der Wiederaufbau nach Kriegsende in Gang gekommen ist, gibt es in den so genannten Zonen des Vertrauens, in denen die wenigen übrig gebliebenen Albaner im ansonsten von Serben dominierten Nordteil Mitrovicas wohnen, noch ganz erhebliche Konfliktpotenziale. Aber auch in anderen Teilen des Kosovo ist die Stabilität durch grenzüberschreitende serbische und albanische Extremisten bedroht. Deshalb ist es unerlässlich, dass der durch UNMIK und KFOR garantierte Sicherheitsrahmen so lange aufrechterhalten wird, bis die Voraussetzungen für ein friedliches Zusammenleben einer multiethnischen Gesellschaft gegeben sind. Daher unterstützt die FDP-Bundestagsfraktion den von der Bundesregierung gestellten Antrag zur Fortsetzung der deutschen Beteiligung an der internationalen Sicherheitspräsenz um ein Jahr grundsätzlich und stimmt diesem Antrag zu. Es ist auch wichtig, dass die Bundeswehr - das sage ich, weil hier ein anders lautender Antrag vorliegt - im Rahmen der NATO ihre Aufgaben wahrnimmt. Wir haben uns für Bündnispolitik in der NATO und für europäische Integration entschieden. Wir sollten diesen Aspekt unserer Politik, die Einbettung in europäisches Handeln in allen Phasen, in denen Europa gefordert ist, durchhalten. ({1}) Nichtsdestoweniger geht es darum, zu überlegen, wie der Einsatz deutscher Streitkräfte im Rahmen des Mandats flexibel gestaltet werden kann. Wenn die Amerikaner eine weitere Reduzierung ihrer KFOR-Kräfte ankündigen, dann würden wir heute vom Bundesverteidigungsminister gerne wissen, was mit den 4 700 Mann, die die Bundeswehr im Kosovo stellt, passiert, wie weit die Zahl deutscher Streitkräfte im Rahmen einer allgemeinen Reduzierung reduziert wird. Das ist deswegen nötig, weil die Bundeswehr durch die vielfältigen Einsatzaufgaben in der Welt die Grenze ihrer Belastbarkeit erreicht hat und bei ihrem miserablen Ausrüstungsstandard jede Möglichkeit zu Einsparungen nutzen sollte. Ich sage das an dieser Stelle, weil wir höchsten Respekt vor der Leistung unserer Soldaten im Kosovo haben. ({2}) Es wird international anerkannt, wie professionell die Bundeswehr - ich sage das bewusst - als Wehrpflichtarmee in diesem Gebiet wirkt. Wir würden es begrüßen, Herr Verteidigungsminister, wenn Sie etwas zu den Standzeiten der Soldatinnen und Soldaten sagen würden. Wir denken, dass diese im Einsatzgebiet auf drei bis vier Monate reduziert werden sollten, weil Studien belegen, dass eine darüber hinausgehende Standzeit in Konfliktregionen zu erheblichen physischen und psychischen Beeinträchtigungen führen kann. Wir möchten ferner - ich knüpfe an einen vorhin geäußerten Gedanken an -, dass die EU im Rahmen des KFOR-Prozesses mehr Verantwortung übernimmt. Lassen Sie mich noch einmal betonen, dass parallel zu der militärischen die zivile Seite, also der Wiederaufbau im Kosovo, bedacht werden muss. Das betrifft insbesondere die Bemühungen um den Aufbau funktionierender staatlicher Institutionen in den Bereichen Justiz und Polizei, aber sicherlich auch - das ist eben schon angesprochen worden - im Bildungssektor: Schule, Kultur und anderes. Ich schließe mich den Vorrednern, die gesagt haben: „Behandelt das Problem der Rückkehrer, der in Deutschland verbliebenen Flüchtlinge sensibel!“ ausdrücklich an. Wir müssen die noch verbleibende Zeit nutzen, um über das Thema „zukünftiger Status des Kosovo“ zu reden. Dazu habe ich hier noch nicht so viel gehört. Wir müssen darüber weiter diskutieren. Wenn es im Anschluss an die Debatten der nächsten Zeit keine Lösung, keine Regelung gibt, dann werden wir auf diesem Gebiet nicht weiterkommen. Es muss ein Rahmen gefunden werden, der den legitimen Ansprüchen der Kosovo-Albaner auf Autonomie und Selbstbestimmung gerecht wird, ohne neue Konfliktherde entstehen zu lassen. Lassen Sie mich abschließend den Kollegen danken, die vor mir gesprochen haben. Auch ich werde am Ende dieser Legislaturperiode aus dem Deutschen Bundestag ausscheiden, allerdings mit der Absicht, auf der Bundesratsbank als Folge des Ergebnisses einer Landtagswahl Platz zu nehmen. ({3}) Ich kenne die Kollegen Lippelt und Schorlemer aus Niedersachsen seit den 70er-Jahren. Herr Lippelt gehörte früher einer anderen Partei an. Frau Titze-Stecher, er war damals - ich halte das für eine durchaus bemerkenswerte Laufbahn - in Ihren Reihen. Reinhard von Schorlemer bin ich als Abgeordnetem des Niedersächsischen Landtags begegnet. Auch ich schätze - Frau Präsidentin, das darf ich vielleicht als letzten Satz noch sagen -, dass insbesondere wir im Auswärtigen Ausschuss - ich war in einigen anderen Ausschüssen; es ist nicht überall das Gleiche - versuchen, in Ruhe Analysen unterschiedlicher Art zu erarbeiten und anschließend Meinungen auszutauschen. Die internationalen Probleme sind manchmal so kompliziert und so vielfältig, dass man es sich nicht so einfach machen darf, wie es manchmal bei tagespolitischen Fragen in der Innenpolitik geschieht. Wir stimmen der Verlängerung des Mandats zu und freuen uns, wenn das auch der Bundestag mit einer breiten Mehrheit tut. ({4})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Auch Ihnen im Namen des Hauses vielen Dank für das, was Sie selbst als Zwischenetappe bezeichnet haben. Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Wolfgang Gehrcke. ({0})

Wolfgang Gehrcke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003130, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Das ist ein hoher Leistungsdruck! - Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte zu Beginn meiner Rede den drei Kollegen, die vorher gesprochen haben, auch meinen herzlichen Dank für ihre Debattenbeiträge, für den Streit, für die Kameradschaft und für die Solidität ausdrücken. Das ist wahrscheinlich das einzig Versöhnliche, was ich in dieser Rede zu sagen habe. Es kommt aber von Herzen; die Betreffenden wissen das. ({0}) Wir kehren mit dieser Debatte am Ende dieser Legislaturperiode ({1}) faktisch an ihren Anfang zurück. Am Anfang der Legislaturperiode sah die Situation im ehemaligen Jugoslawien ohne Zweifel folgendermaßen aus: Terror, Nachfolgekriege, Bürgerkriege und Verzweiflung. Damals fiel die Entscheidung, gegen die Bundesrepublik Jugoslawien militärisch vorzugehen. Am Anfang stand der Bombenkrieg der NATO. ({2}) Am Anfang stand ein dreifacher Rechtsbruch: Bruch des Völkerrechts, Bruch des Verfassungsrechts, Bruch des internationalen Rechts. ({3}) Am Anfang standen die zivilen Opfer. Haben wir denn das Wort „Kollateralschäden“ vergessen? Am Anfang standen Vertreibungen verschiedener Art und Weise. Gerade deswegen kann ich heute über die Vertreibung von Serben und Roma aus dem Kosovo nicht schweigen. ({4}) Ich bitte die Bundesregierung sehr, insbesondere was die Roma angeht, von einer Abschiebung in den Kosovo abzusehen. Die Roma sagen selber, dass das, was sie erlebt haben, das größte Pogrom an ihnen seit dem Zweiten Weltkrieg gewesen sei. Man darf die Roma also nicht dorthin abschieben. ({5}) Am Anfang stand auch - das kann ich der Bundesregierung nicht ersparen; das weiß sie auch -: Die deutsche Bevölkerung ist über den Krieg im Kosovo nach Strich und Faden belogen worden, und zwar auch von Mitgliedern dieser Bundesregierung. ({6}) Wenn ich an den Anfang denke, dann stelle ich fest, dass Rot-Grün für viele Hoffnung und Aufbruch war und für das Versprechen stand, dass deutsche Außenpolitik Friedenspolitik ist. Der Kosovo-Krieg war aus meiner Sicht der Anfang vom Ende dieses Verständnisses. Mit diesem Krieg ist man auf die schiefe Bahn geraten. Auf diese haben und werden wir uns nicht zerren lassen. ({7}) Dieser Krieg war der Sündenfall der rot-grünen Regierung. Das ist nicht nur meine Auffassung. Ich möchte hier gern jemanden, der damals noch in der Regierung saß und Parteivorsitzender der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands war - das ist noch nicht so lange her -, zu Wort kommen lassen, indem ich ihn zitiere. In seinem neuen, sehr lesenswerten Buch schreibt Oskar Lafontaine: Der außenpolitische Sündenfall der Regierung Schröder war der Kosovo-Krieg, bei dem auch die NATO auf das Recht des Stärkeren setzte. Es war ein historischer Fehler, die USA darin zu bestärken, internationales Recht zu missachten. Das schreibt Ihr ehemaliger Parteivorsitzender und Finanzminister in seinem neuen Buch. ({8}) Zumindest darüber sollten Sie nachdenken und damit sollten Sie sich auseinander setzen. Nun sagt die Bundesregierung, dass der Erfolg ihr Recht gebe. Kein Zweifel, die Gewalt im Kosovo ist zurückgegangen. Es gibt einen gewissen Zuwachs an Stabilität. Das Leben verläuft in halbwegs gesicherten Bahnen. Das will ich überhaupt nicht bestreiten. Aber die Philosophie, die dem zugrunde liegt, ist, dass der Zweck bzw. der Erfolg die Mittel heiligt. Das kann nicht funktionieren. ({9}) Auch der beste Zweck, wenn es ihn denn gegeben haben sollte - ich bestreite das ja -, heiligt nicht die Mittel. Unheilige Mittel zerstören den Zweck selber. Lassen Sie mich das etwas volkstümlich formulieren: Auf den Ruinen eines Bordells kann man eben keine Kirche bauen. Das erleben wir immer wieder. ({10}) Deswegen brauchen wir politische Lösungen. Wir müssen endlich über den Status des Kosovo debattieren und darüber diskutieren, ob es nicht besser ist - das schlagen wir vor -, wenn sich die Bundesregierung um das Zustandekommen einer wirklichen UNO-Mission bemüht, an der die damals Krieg führenden Staaten nicht teilnehmen sollten. Darum hat sich die Bundesregierung nie bemüht. Dieser Frage ist sie immer aus dem Weg gegangen. ({11}) Dieser Weg wäre vielleicht eine Alternative, um Sicherheit, Stabilität und die Einhaltung des Völkerrechts zu gewährleisten. ({12}) Das alles konnte ich Ihnen nicht ersparen. Sie haben ja erwartet, dass ich das vortrage. Ich wollte Ihre Erwartungen nicht enttäuschen. Herzlichen Dank. ({13})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt der Herr Bundesverteidigungsminister, Rudolf Scharping.

Rudolf Scharping (Minister:in)

Politiker ID: 11002769

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Drei Jahre nach Beginn des internationalen Engagements im Kosovo kann man feststellen: Die militärische Mission der NATO und die zivile Mission der Vereinten Nationen haben gemeinsam mit der OSZE und der Europäischen Union viel erreicht. ({0}) Sie haben gemeinsam eine weitere Stabilisierung der Sicherheitslage erreicht und die Rückkehr eines Großteils der Flüchtlinge ermöglicht. Sie haben gemeinsam den Wiederaufbau eingeleitet und die Fundamente für ein normales öffentliches und wirtschaftliches Leben gelegt. Sie haben nicht zuletzt gemeinsam die staatsrechtlichen Grundlagen für ein demokratisch orientiertes Kosovo geschaffen. Zwei Entwicklungen der vergangenen zwölf Monate sind besonders bemerkenswert: die allgemeinen Wahlen im Kosovo vom 17. November 2001 und das in Belgrad verabschiedete Gesetz über die Zusammenarbeit mit dem Kriegsverbrechertribunal der Vereinten Nationen. Wir alle wissen, die Wahlen verliefen ordnungsgemäß und friedlich. Rund 1,2 Millionen Wähler, darunter circa 180 000 serbischer Abstammung, haben sich registrieren lassen und haben am demokratischen Prozess und an der Gestaltung ihrer Zukunft teilgenommen. Am 4. März, leider ziemlich spät, haben sich die Parteien auf eine Übergangsregierung verständigt. Das ist aber, selbst wenn es spät kam, ein substanzielles Zeichen von Autonomie auf der Grundlage der Beschlüsse des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen. ({1}) Ich erwähne diesen Umstand, weil es auch für die Zukunft wichtig sein wird, dass insbesondere die zivile Mission der Vereinten Nationen diese neue Regierung nicht allein lässt, sondern engagiert, geduldig und mit Fingerspitzengefühl sowie mithilfe der so genannten Principal International Officers sich weiter engagiert. Nur auf diese Weise kann sichergestellt werden, dass sich Hoffnungen verstärken, die Erwartungen der Bevölkerung erfüllt werden und die guten Erfahrungen ausgebaut werden können, die das Kosovo mit den allgemeinen Wahlen und mit der Entwicklung, die sich insgesamt aus heutiger Sicht als positiv darstellt, bisher gemacht hat. Im Zusammenhang mit dem Gesetz zur Zusammenarbeit mit dem VN-Kriegsverbrechertribunal will ich darauf aufmerksam machen, dass sechs der 23 noch gesuchten Angeklagten auf das Belgrader Ultimatum, das ja in diesem Gesetz steckt, reagiert und sich gestellt haben. Ein weiterer ist zwischenzeitlich verhaftet worden. Wir sollten uns vor der Illusion hüten, dass es damit getan sei. Der Prozess der Auseinandersetzung auch mit der eigenen Vergangenheit muss in der gesamten Region vorangebracht werden. ({2}) Ohne vollständige und schonungslose Aufdeckung der Wahrheit wird nämlich einer Legendenbildung und revisionistischen Tendenzen Vorschub geleistet, wichtiger noch, der Aussöhnungsprozess substanziell erschwert. Ich sage das vor dem Hintergrund, dass auch heute noch die Hälfte der serbischen Bevölkerung, wenn man Umfragen trauen darf, beispielsweise das Massaker von Srebrenica leugnet und viele auch das Gefühl haben, dass das serbische Volk in Den Haag auf der Anklagebank sitze, nicht aber Milosevic für Kriegsverbrechen, für die er verantwortlich gemacht wird. In diesem Rahmen vollzieht sich das Engagement der internationalen Staatengemeinschaft auch mit militärischen Fähigkeiten. Zurzeit sind 37 000 Soldaten aus 38 Nationen im Kosovo engagiert. Wir wissen um die besondere Rolle der Bundeswehr und der Bundesrepublik Deutschland. 4 700 Soldatinnen und Soldaten sind dort eingesetzt, übrigens gemeinsam mit Soldaten aus sieben weiteren Nationen im deutschen Verantwortungsbereich, Soldaten aus Aserbaidschan, Bulgarien, Georgien, Österreich, der Schweiz, der Slowakei und der Türkei. Wir machen damit auch im Kosovo deutlich, dass wir an multinationalem Handeln und an enger Integration in Europa und mit Partnernationen außerhalb der NATO oder der Europäischen Union interessiert sind. ({3}) Es ist hier bereits ganz zu Recht gesagt worden, dass unsere Soldatinnen und Soldaten persönliche Einschränkungen in Kauf nehmen, eine unverzichtbare Aufgabe leisten und im Übrigen auch Ansehen für unser Land erwerben. ({4}) Unsere Soldatinnen und Soldaten sind hoch angesehen. Das will ich hier ausdrücklich erwähnen und mit einem Dank verbinden, in den ich auch die zivilen Kräfte sowie die Nichtregierungsorganisationen und alle anderen einbeziehe. ({5}) Meine Damen und Herren, Sie alle wissen, dass die Bundeswehr zurzeit sechs größere internationale Einsätze zu bewältigen hat. Das bedeutet aber auch, dass wir Raum brauchen, nicht etwa für zusätzliches Engagement, sondern für die Entlastung der Angehörigen der Bundeswehr und übrigens auch ihrer Familien. In diesen Zusammenhang gehört, dass das Bündnis gestern beschlossen hat, sich bei einer weiteren Entspannung der Sicherheitslage nicht nur einer neuen Struktur von KFOR zuzuwenden, nicht nur mobile Reserven zur Verfügung zu stellen, sondern ebenso wie in Bosnien den Umfang des Engagements zu reduzieren. Genaue Zahlen dazu, Herr Kollege Hirche und andere, wird man nennen können, wenn die Abstimmung zwischen allen Truppen stellenden Nationen abgeschlossen ist. Man kann nicht Multinationalität einfordern und praktizieren und dann isolierte eigene Entscheidungen treffen wollen. ({6}) Ich glaube, es ist dennoch realistisch, davon auszugehen, dass der Gesamtumfang des Engagements der Bundeswehr in Bosnien, im Kosovo und Mazedonien um etwa 1 000 Mann reduziert werden kann. Man kann das noch nicht präzise sagen; aber in dieser Größenordnung wird es liegen. Dennoch müssen wir die Fähigkeit aufrecht erhalten, unseren Teil der Aufgabe bei der Gewährleistung von Sicherheit zu erfüllen. Das wird leichter werden, je stärker internationale Organisationen ihren Teil der Aufgabe, nämlich die zivilen Aufgaben, eigenverantwortlich übernehmen. Ich will dafür ein Beispiel nennen: die Polizei. Es sind immerhin 4 500 Beamte - ein großer Teil davon aus Deutschland - im Kosovo im Einsatz. Sie werden von dem neu aufgebauten Kosovo Police Service unterstützt. Das ist ein Beispiel dafür, dass das, was in der Vergangenheit zum Teil mithilfe von Soldaten geleistet wurde, jetzt zunehmend von zivilen Organisationen übernommen wird. ({7}) Meine Damen und Herren, Illusionen sind nicht angebracht. Es ist trotz enormer Fortschritte noch sehr viel zu tun, damit innere und äußere Sicherheit gewährleistet, selbsttragende Strukturen errichtet und übrigens auch das Problem der Flüchtlingsrückkehr verantwortlich gelöst werden können. Die Grundlage dafür ist mit der Resolution 1244 des Sicherheitsrates geschaffen. Unbeschadet dessen, was zum Beispiel der Kollege Lippelt gesagt hat, gibt es auch immer noch eine latente Gewaltbereitschaft zwischen den Ethnien. Sie wird leider durch eine doch beachtlich hohe Kriminalität - Drogenhandel, organisierte Kriminalität, Schmuggel und vieles andere - ergänzt. Das macht deutlich, dass die Präsenz von KFOR im Kosovo unverzichtbar bleibt. Im Zusammenhang und im Auftrag der Vereinten Nationen ist das nicht zuletzt eine Erfolgsbedingung für den Stabilitätspakt. ({8}) Die Verlängerung des KFOR-Mandats für die Bundeswehr ist eine absolut notwendige politische Entscheidung. Die Bundesregierung begrüßt ausdrücklich die sich abzeichnende sehr breite Mehrheit in diesem Hause und dankt Ihnen im Namen der Soldatinnen und Soldaten, die wir im Kosovo und andernorts einsetzen, für die Unterstützung. Vielen Dank. ({9})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Ursula Lietz.

Ursula Lietz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003172, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich denke, wir alle haben die Bilder von Flucht, von Vertreibung, von umherirrenden Menschen mit ihren Kindern aus dem Frühjahr 1999 noch vor Augen. Menschen wurden schlimmer als Tiere behandelt, nur weil sie einer anderen ethnischen Gruppe angehörten. Diese Zeiten sind - gottlob! - vorbei. Im Verbund mit unseren Freunden und Aliierten in der NATO haben wir es im Kosovo nicht zugelassen, dass ein so barbarischer Bürgerkrieg wie in Kroatien und in Bosnien-Herzegowina zu Beginn und in der Mitte der 90er-Jahre stattfand. ({0}) Auf der Grundlage der Resolution 1244 des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen und des MilitärischTechnischen Abkommens zwischen der KFOR und den Regierungen der Bundesrepublik Jugoslawien und der Republik Serbien haben wir in diesem Hause am 11. Juni 1999 zum ersten Mal die Entsendung von deutschen Soldaten in das Kosovo zur Friedenssicherung beschlossen. Diese Mission geht nun in ihr viertes Jahr. Zurzeit sind 4 661 Bundeswehrsoldaten im Kosovo stationiert, darunter - ich denke, auch das sollte man hier einmal erwähnen - 98 Frauen. Es waren schon einmal 8 500 Soldaten. Das zeigt sehr deutlich, dass dort unten etwas passiert ist, was sich zugunsten des Landes ausgewirkt hat. Zugunsten des Landes wird es sich auch auswirken, dass Slobodan Milosevic als Gefangener in Den Haag sitzt. Ich glaube fest daran, dass weitere Verantwortliche für Krieg und Vertreibung dorthin überstellt werden. Der Staatenbund Serbien und Montenegro ist an die Stelle der Bundesrepublik Jugoslawien getreten. Das serbische Volk hat die Chance, in den Kreis der freien Völker Europas einzutreten. Auch wenn wir noch lange nicht an diesem Punkt angekommen sind, unterstützen wir dies nachdrücklich. Nur wenn es dem größten Volk auf dem Balkan, nämlich den Serben, dauerhaft besser geht und gleichzeitig ein Ausgleich mit den Albanern hergestellt wird, kann auch diese Region als Ganze befriedet werden. Demilitarisierung und die Rückkehr zu zivilen Strukturen sind unser Hauptziel. Das Problem, wie man den Hass zwischen den Serben und Albanern in den Griff bekommen und letztendlich abbauen kann, haben wir noch lange nicht gelöst. Das ist vielleicht sogar ein Generationenproblem. Vor diesem Hintergrund sollten wir alle uns ehrlich eingestehen, dass unsere Mission da unten noch lange nicht zu Ende ist. Wir sollten das auch sehr viel ehrlicher gegenüber den Soldaten und Soldatinnen tun, die da unten stationiert sind. Die Einheiten der Nationen, die für den Friedensdienst gebraucht werden, können wir zum jetzigen Zeitpunkt nicht abziehen, weil neue Kriege entstehen würden, die niemand, weder Deutschland noch Europa noch die Vereinigten Staaten von Amerika, verantworten kann. Das heißt, wir müssen das Mandat für die KFOR-Mission erneut verlängern. Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Bau des Hauses der Freiheit, das gerade in Europa entsteht, ist es wert, weiterhin militärisch unterstützt zu werden. Das Fundament für dieses Haus, Herr Verteidigungsminister - dazu haben Sie eben überhaupt nichts gesagt -, muss allerdings auch durch eine solide Finanzierung gesichert werden. Wenn ich sehe, dass die insgesamt 2,3 Milliarden Euro, die wir für alle Auslandseinsätze benötigen, bis heute noch nicht gesichert sind, und wenn ich höre, was für ein Streit zwischen Ihnen und dem Finanzminister bei den Haushaltsvorbereitungen entstanden ist, dann kann ich dazu nur sagen, dass mir das ganz große Sorgen hinsichtlich der Zukunft unserer Bundeswehr macht. ({1}) Unsere Soldaten haben da unten eine schwierige Aufgabe; sie erfüllen sie gut. Ich möchte mich dem herzlichen Dank, der hier schon mehrfach ausgesprochen wurde, ausdrücklich anschließen. ({2}) Ich möchte hier aber auch einmal erwähnen, dass 20 Prozent der Soldaten, die dort unten im Moment aktiv für den Frieden arbeiten freiwillig länger Wehrdienst Leistende sind, die ihren Kameraden dorthin freiwillig gefolgt sind. Auch das bedarf einmal eines besonderen Lobes. ({3}) Die Bundeswehr hat sich dort unten ({4}) als ein Stabilitätsfaktor erwiesen. Ich habe das in vielen Besuchen im Kosovo feststellen können, ob im Gespräch mit Serben oder Albanern, mit Christen oder Moslems. Angesichts der Tatsache, dass man Menschen hilft, damit langsam, aber sicher wieder der Friede einkehrt, weiß man, dass unsere Entscheidung damals richtig war. Es geht darum, den Menschen in ihrer Heimat ein Stück Hoffnung auf ein zukünftiges Zusammenleben in Frieden zu geben. Ich gebe all denen Recht, die gesagt haben: Wir müssen uns genau überlegen, wie dieses Kosovo in Zukunft auszusehen hat und welchen Status es bekommen soll. Lassen Sie mich auch erwähnen, dass unsere deutsche Bundeswehr, weil sie eine Armee aus Wehrpflichtigen ist, dort unten ein besonderes Ansehen hat. Die Soldaten haben nämlich, bevor sie zur Bundeswehr gekommen sind, zum Teil zivile Berufe ausgeübt; sie waren Dachdecker oder Installateure, also Handwerker, die jetzt beim Wiederaufbau aktiv Hand anlegen und mithelfen. Das können Berufsarmeen nicht leisten; deshalb beteiligen sich die anderen dort stationierten Armeen nicht an diesen Aufgaben. Es muss jedoch auch an dieser Stelle deutlich gesagt werden: Die Leistungen im Kosovo erbringen die Soldaten der Bundeswehr nicht wegen, sondern trotz der Politik dieser Bundesregierung. ({5}) Hier zu Hause feiert der Verteidigungsminister die Bundeswehrreform als eine Jahrhundertreform. Herr Verteidigungsminister, die Soldaten im In- und Ausland nehmen Ihre Aussagen zu diesem Thema nicht mehr ernst. ({6}) Vor drei Wochen war ich mit einer Delegation in Afghanistan. Wir haben von Brigadegeneral von Butler sehr eindringlich nahe gelegt bekommen, dass die Politik den Soldaten gegenüber ehrlicher sein muss, nicht nur hinsichtlich der Gesamteinsatzzeiten, sondern auch in vielen anderen Beziehungen. Er hat sehr deutlich gesagt - darüber habe ich mich besonders gefreut -, dass er die sechsmonatige Stehzeit für Soldaten für falsch hält und dringend dazu rät, endlich zu Beratungen zu kommen, die eine flexible Einsatzzeit als Resultat haben. ({7}) Das hat mich deswegen besonders gefreut, weil ausgerechnet Frau Beer die entsprechende Frage gestellt hat und eine Antwort bekommen hat, die sie so eigentlich nicht erwartet hätte. Sie hat dann in Radio Andernach, dem dortigen Soldatensender, gesagt, sie sei schon immer für eine flexible Einsatzzeit gewesen. Ich denke, wir sollten sie bei einem unserer nächsten Anträge zu diesem Thema beim Wort nehmen. ({8})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Frau Kollegin, denken Sie bitte daran, dass Ihre Redezeit jetzt vorbei ist. ({0})

Ursula Lietz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003172, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Verteidigungsminister, Sie, der Finanzminister und letztendlich auch der Bundeskanzler haben die Verantwortung für diesen Einsatz. Sie haben diese Verantwortung nicht wahrgenommen. Sie wird Ihnen demnächst vom deutschen Volke per Wahl entzogen. ({0}) Wir stimmen der Verlängerung des KFOR-Einsatzes zu. ({1})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt der Herr Bundesaußenminister Joschka Fischer.

Joseph Fischer (Minister:in)

Politiker ID: 11000552

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Gestatten Sie mir einige kurze Bemerkungen anlässlich der Verlängerung des KFOR-Mandats. Das KFOR-Mandat ist die Voraussetzung für den zivilen Wiederaufbau. Der Kosovo insgesamt hat die entscheidende Schlüsselrolle bei der Orientierung der gesamten Region des westlichen Balkans auf das Europa der Integration hin. Es ist demnach für Frieden und Stabilität unerlässlich. Insofern möchte ich mich bei allen Kolleginnen und Kollegen bedanken, dass sie diesem Mandat - hier greife ich der Abstimmung vor, ohne deswegen irgendetwas zu präjudizieren - zustimmen werden. Es ist sehr wichtig für Frieden und Stabilität in der gesamten Region. ({0}) All diejenigen, die meinen, wir könnten die Verlängerung dieses Mandats ablehnen, müssen sich über die Konsequenzen im Klaren sein. In der Tat, es geht hier nicht um einen Sündenfall durch den Einsatz der NATO. Dieser Sündenfall, wenn es ihn gegeben haben sollte, hat in den Jahren 1991/92 stattgefunden, indem nämlich zu spät eingegriffen wurde und es zu furchtbaren Menschenrechtsverletzungen kam. ({1}) Außerdem ist durch den Einsatz eine positive Entwicklung möglich, indem es keinen Rückfall in einen neuen Nationalismus gibt, sondern diese europäische Region den Weg nach Brüssel gehen kann, und zwar auf der Grundlage von Frieden und Demokratie. ({2}) Der Kosovo hat - ich habe es gerade angesprochen eine zentrale Bedeutung. Er ist gewissermaßen der archimedische Punkt für die Gesamtneuordnung dieser Region. Der Ansatz, den wir dort gewählt haben, ist, eine Renationalisierung zu vermeiden und diese Region Schritt für Schritt an das Europa der Integration heranzuführen. Es hat sich dort auch gezeigt, gerade im Zusammenhang mit dem Kosovo und später mit Mazedonien, dass das Verhältnis von NATO und Europäischer Union auf eine völlig neue Grundlage gestellt wurde. Ich denke, dies ist ebenfalls über den Tag hinaus von zentraler Bedeutung. Alles in allem entscheiden wir uns mit der heutigen Verlängerung des Mandats dafür, den Beitrag, den wir in militärischer Hinsicht geleistet haben, fortzusetzen. Dieser Beitrag in militärischer Hinsicht ist aber lediglich die Voraussetzung für den zivilen Beitrag. ({3}) Ich möchte allen Soldatinnen und Soldaten, aber auch den zivilen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Bundeswehr sowie den Nichtregierungsorganisationen recht herzlich danken, die dort eine unverzichtbare Aufbauarbeit leisten. ({4})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Ich schließe da- mit die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlussemp- fehlung des Auswärtigen Ausschusses auf Drucksache 14/9248 zu dem Antrag der Bundesregierung zur Fortset- zung der deutschen Beteiligung an der internationalen Si- cherheitspräsenz im Kosovo. Der Ausschuss empfiehlt, dem Antrag auf Drucksache 14/8991 zuzustimmen. Es ist namentliche Abstimmung verlangt. Ich bitte alle Kolle- ginnen und Kollegen, bei der Stimmabgabe sorgfältig da- rauf zu achten, dass die Stimmkarten, die sie verwenden, ihren Namen tragen. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen. - Sind alle Urnen be- setzt? - Dann eröffne ich die Abstimmung. Ist noch ein Mitglied des Hause anwesend, das seine Stimme nicht abgegeben hat? - Nein. Dann schließe ich jetzt die Abstimmung und bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Das Er- gebnis wird Ihnen später bekannt gegeben.1) Die Kollegin Amke Dietert-Scheuer hat eine persönliche Erklärung zur Abstimmung abgegeben, die wir zu Protokoll nehmen.2) Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Wir setzen die Abstimmungen fort. Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses auf Drucksache 14/6194 zu dem Antrag der Fraktion der PDS mit dem Titel „Bundeswehreinsätze beenden - Politische Lösungen auf dem Balkan durch UNO und OSZE durchsetzen“. Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 14/5964 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung des Ausschusses? - Gegenstimmen? Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen, von CDU/CSU und FDP gegen die Stimmen der PDS angenommen worden. Ich rufe Tagesordnungspunkt 20 sowie Zusatzpunkt 17 auf: 20. Beratung des Antrags der Abgeordneten Ulf Fink, Wolfgang Lohmann ({0}), Dr. Wolf Bauer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU Prävention umfassend stärken - Drucksache 14/9085 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Gesundheit ({1}) Innenausschuss Sportausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ZP 17 Beratung des Antrags der Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN Stärkung von Prävention und Gesundheitsförderung - Drucksache 14/9224 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Gesundheit ({2}) Innenausschuss Sportausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie 1) Seite 24063 C 2) Anlage 3 Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Es gibt keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat zunächst der Abgeordnete Ulf Fink.

Ulf Fink (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002651, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Gesundheitsreform wird eine der ganz wichtigen innenpolitischen Reformen der nächsten Legislaturperiode sein. Leider sind die vergangenen vier Jahre nicht genutzt worden, ({0}) um sich diesem großen Thema wirklich intensiv und zukunftsgerichtet zu widmen. Aus diesem Grund legt meine Fraktion heute einen Antrag vor mit dem Titel „Prävention umfassend stärken“. Wir alle wissen: Wenn nichts Entscheidendes geschieht, werden die Beitragssätze der gesetzlichen Krankenversicherung in den nächsten Jahren steigen. Im Jahre 2030 wird der Beitragssatz nach heutiger Schätzung bei 20 bis 25 Prozent liegen; heute beträgt er 14 Prozent. Dies ist eine wirklich dramatische Entwicklung. Deshalb ist es von allergrößter Bedeutung, dass man sich rechtzeitig mit dem Thema Gesundheitsreform beschäftigt. Bisher haben wir immer gesagt, dass die Zahl und die Schwere der Erkrankungen im Wesentlichen vorgegeben sind, und haben uns mehr oder weniger damit beschäftigt, wie wir die Kosten der Behandlung in den Griff bekommen. Ein Grundfehler des bundesdeutschen Gesundheitswesens ist es, im Wesentlichen auf die Heilung oder Linderung von Krankheiten orientiert zu sein, während das Thema, dass Krankheiten gar nicht oder zumindest nicht so schwer entstehen - dies ist mit dem Begriff „Prävention“ gemeint -, einen zu geringen Stellenwert hat. Mit unserem Antrag wollen wir erreichen, dass die Prävention im deutschen Gesundheitswesen endlich den Stellenwert bekommt, den sie verdient. ({1})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Ulf Fink (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002651, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja, gerne.

Klaus Kirschner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001102, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Fink, können Sie mir einmal sagen, warum Sie im Rahmen des Beitragsentlastungsgesetzes den § 20 SGB V, gemäß dem die Prävention vorgeschrieben war, zu einer Restgröße zusammenschrumpfen ließen? ({0})

Ulf Fink (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002651, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Kirschner, wir können uns über den § 20 sicherlich vertiefter unterhalten. ({0}) Auch ich frage mich, ob das, was an dieser Stelle geschehen ist, so weise gewesen ist. Ich teile die Meinung: Das hätte man auch anders machen können. ({1}) Aber Sie stimmen doch mit mir darin überein, dass der § 20 in keiner Weise dazu geeignet ist, das große Thema Prävention auch nur annähernd zu lösen. ({2}) Dieser Paragraph ist ein sehr kleiner Teil im Verhältnis zu dieser großen Aufgabe. Lieber Kollege Kirschner, nach dem üblichen parteipolitischen Spiel könnte ich auf Ihre Frage entgegnen: Wer hat denn den § 20 überhaupt eingeführt? ({3}) Dies war die CDU/CSU-Fraktion. Als Sie mit Schmidt und Brandt die Regierung gestellt haben, gab es gar keinen § 20. Wir haben den erst eingeführt. ({4})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Herr Kollege Fink, es besteht noch ein Wunsch nach einer Zwischenfrage.

Ulf Fink (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002651, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Selbstverständlich gerne. ({0})

Wolfgang Lohmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001369, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege, Stichwort § 20: Haben nicht auch Sie es für richtig gehalten, dass dieser seinerzeit von uns eingeführte Paragraph um gewisse Auswüchse, zum Beispiel Bauchtanzkurse, Taucherbrille und Partnerschaftsmassage, bereinigt wurde? ({0})

Ulf Fink (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002651, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Lohmann, man muss einräumen, dass mit dem § 20 nicht nur Gutes, sondern zum Teil auch Dinge gemacht worden sind, die nicht im Mittelpunkt der Präventionsaufgabe stehen. Lassen Sie mich nun zum wirklich großen Thema der Zukunft zurückkommen. In Deutschland gibt es pro Jahr allein 300 000 Herzinfarktfälle. Rund 6 Milliarden DM geben wir jährlich dafür aus, um mit den Folgen fertig zu werden. Wir haben eine sehr sorgfältige Studie des RobertKoch-Instituts vorliegen. Wenn nichts Entscheidendes geschieht, wird in den nächsten 30 Jahren die Zahl der Herzinfarkte in Deutschland um 120 000 bis 150 000 ansteigen. Das bedeutet - unabhängig von den menschlichen Schicksalen -, dass die Kosten von 6 auf 9 Milliarden DM ansteigen. Dabei wissen wir, dass die Zahl der Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer Herzinfarkte etwa halbiert werden könnte, wenn wir für mehr Bewegung und gesunde Ernährung sorgen und den Alkohol- und Nikotinmissbrauch eindämmen. Das ist auch nicht unmöglich. In Finnland wurde eine umfassend angelegte Präventionskampagne zur Senkung der Sterblichkeitsrate bei Herz-Kreislauf-Erkrankungen angelegt. Finnland belegte vor dieser Kampagne einen der letzten Plätze in der internationalen Skala. Inzwischen hat es einen der vorderen Plätze erreicht. Das zeigt doch, dass sehr viel möglich ist, wenn man sich mit der Aufgabe richtig beschäftigt. Ähnliches haben wir auch in Deutschland erlebt, als wir die Aidspräventionskampagne starteten. Auf diesem Feld haben wir sehr viel erreicht. Wäre diese Kampagne nicht durchgeführt worden, sähe es in Europa vielleicht genauso schlimm aus wie in Afrika. Das zeigt, dass die allgemeine Auffassung - Prävention ist ja etwas Gutes, aber die Leute werden es ja doch nicht machen, lassen wir es also, es hat keinen Sinn, das ist nur was für Sonntagsreden - falsch ist. Ich will an dieser Stelle mit allem Nachdruck sagen: Es ist gegenüber der Zukunft der Bundesrepublik Deutschland, unserem Gesundheitswesen und den Menschen unverantwortlich, die Prävention klein zu schreiben; stattdessen ist es notwendig, die Prävention ernst zu nehmen und zu einer zentralen Aufgabe zu machen. ({0}) Es gibt einiges, was man auf diesem Feld tun kann. Wir haben uns mit unseren Reformkommissionen, denen der CSU und der CDU, besonders darum gekümmert. Wir haben beispielsweise ein Gutachten bei Frau Dr. Walter und Professor Schwartz in Auftrag gegeben. Das ist eines der umfassenden, grundlegenden Werke für die Prävention. Es freut mich sehr, dass, wenngleich ohne Quellenangabe, die Spitzenverbände der gesetzlichen Krankenversicherungen ihre Stellungnahme zur Prävention mit einem Schaubild aus diesem Gutachten, das für die „Kommission Humane Dienste“ der Christlich Demokratischen Union erarbeitet worden ist, beginnen. Das finde ich gut. Ich finde es auch gut, dass der Runde Tisch, der sonst nicht so viel zustande bekommen hat, beeinflusst und beflügelt durch die Vorschläge, die wir zum Thema Prävention gemacht haben, wenigstens an dieser Stelle einige Themen und positive Gemeinsamkeiten zustande bekommen hat. Aber was muss in der nächsten Legislaturperiode gemacht werden? Wir brauchen ein umfassendes Aktionsprogramm, das sich nicht auf die gesetzliche Krankenversicherung beschränkt. Es wäre ein grundlegender Fehler, wenn man die Prävention lediglich einem Bereich, nämlich den durch Beiträge finanzierten gesetzlichen Krankenversicherungssystemen, überantworten würde. Die gesetzliche Krankenversicherung spielt dabei eine wichtige Rolle, aber sie allein kann das Problem nicht lösen. Es ist notwendig, dass Bund, Länder, Gemeinden und die Sozialversicherungseinrichtungen an der Prävention mitarbeiten, denn sonst wird es nichts werden. In den Studien steht, dass für die Verlängerung der Lebenserwartung vielleicht zu 30 bis 50 Prozent der Medizinbetrieb verantwortlich sei, aber zu 70 bis 50 Prozent sei eben nicht der Medizinbetrieb verantwortlich; stattdessen spielten das Bildungs- und Verkehrssystem, die Ernährung und andere Dinge dabei eine ganz wichtige Rolle. Deshalb ist es unabdingbar notwendig, das Aktionsprogramm nicht auf die gesetzliche Krankenversicherung zu beschränken, sondern die anderen Beteiligten mit ins Boot zu nehmen. ({1}) Das kann daher auch nicht nur eine Aufgabe des Bundesgesundheitsministers sein. Es muss eine Aufgabe des Bundeskanzlers sein, er muss sich dieses Thema zu Eigen machen und dafür sorgen, dass die Ministerpräsidenten der Länder und alle Beteiligten die Prävention zu einem zentralen Thema der deutschen Politik machen. ({2}) Dazu gehört auch Folgendes: Wir wissen doch, dass auf den öffentlichen Gesundheitsdienst, der eine wesentliche Rolle spielen und eine der großen Säulen des deutschen Gesundheitssystems sein sollte, mittlerweile nicht einmal mehr 1 Prozent der Gesundheitsausgaben in Deutschland entfällt. Das ist nicht in Ordnung und muss geändert werden. Man darf nicht nur auf die beitragsfinanzierten Systeme schauen; auch die steuerfinanzierten Systeme müssen ihren Beitrag dazu leisten. ({3}) Es gibt einen zweiten Punkt. Es ist selbstverständlich richtig, dass der Bund die Dinge tun muss, die in seiner Verantwortung liegen. Er ist für die gesetzliche Krankenversicherung, für das Bundessozialhilfegesetz, für die Unfallversicherung und für den Arbeitsschutz verantwortlich, um nur einige Beispiele zu nennen. Es ist dringend an der Zeit für ein Gesetz, das die verschiedenen, völlig unabgestimmten Begriffe der Prävention, die überall in diesen Bereichen auftauchen, einmal harmonisiert und dafür sorgt, dass die Systeme, für die der Bund verantwortlich zeichnet, wirklich gut zusammenarbeiten. Wir haben lange gebraucht, bis wir ein Rehabilitationsgesetz erreicht haben. Ich finde, wir sollten die nächste Legislaturperiode nutzen, um ein Präventionsgesetz auf die Beine zu stellen, das dafür sorgt, dass die völlig unabgestimmten Begriffe und Verantwortlichkeiten besser koordiniert werden. Dritter Punkt. Selbstverständlich muss die gesetzliche Krankenversicherung in diesem Zusammenhang einen ganz wesentlichen Beitrag leisten. Da fragt man sich nun sehr, ob man beim Thema Prävention immer nur auf Verhältnisprävention setzen sollte, also sagt, wir müssen die Verhältnisse so ändern, dass die Dinge gut laufen, oder ob man auch auf Verhaltensprävention setzen sollte, dass man sich also dafür einsetzt, dass die Menschen gesünder und bewusster mit ihrer Gesundheit umgehen. Das ist der grundlegende Fehler Ihrer Gesundheitspolitik, den ich Ihnen vorwerfe: Sie haben geringUlf Fink fügige Selbstbeteiligungselemente zurückgenommen. Es kommt darauf an, dass wir den Menschen, der sich gesundheitsbewusst verhält, belohnen müssen. ({4}) Es hat keinen Sinn, einfach zu sagen: Das geht alles irgendwie und ist von irgendjemanden vorbestimmt. - Nein, es handelt sich um mündige Menschen. In unserem System müssen wir denjenigen, der nicht alles tut, um seine Gesundheit zu ruinieren, sondern sich gesundheitsbewusst verhält, belohnen. ({5}) Das ist übrigens etwas, was man sehr gut durchführen kann. Zum Beispiel beim Zahnersatz haben wir einen richtigen Ansatz: Demjenigen, der sich um seine Zahngesundheit kümmert, wird für den Zahnersatz ein höherer Prozentsatz gezahlt. Das ist ein richtiger und guter Ansatz. ({6}) Aber es muss weitergehen, indem man beispielsweise Personen, die sich gesundheitsbewusst verhalten, von bestimmten Zuzahlungen ausnimmt. Das wäre ein Schritt in die richtige Richtung. Deshalb sage ich noch einmal: Wir werden der Prävention und dem deutschen Gesundheitswesen dann eine gute Chance geben, wenn wir darauf setzen, dass die Menschen auch selber in ihrer Verantwortung angesprochen werden und wir den mündigen Bürger erreichen. Dann haben wir eine gute Chance für mehr Prävention im deutschen Gesundheitswesen. ({7})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Bevor ich dem nächsten Redner das Wort gebe, möchte ich Ihnen zwei Mitteilungen machen. Erstens. Der Tagesordnungspunkt 25 - Geldwäschebekämpfungsgesetz - wird einvernehmlich von der Tagesordnung abgesetzt. - Ich sehe, es gibt keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Zweitens gebe ich Ihnen das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung über den Antrag der Bundesregierung „Fortsetzung der deutschen Beteiligung an der internationalen Sicherheitspräsenz im Kosovo“ bekannt. Abgegebene Stimmen 523. Mit Ja haben gestimmt 483, mit Nein haben gestimmt 36, Enthaltungen 4. Der Antrag ist angenommen. Endgültiges Ergebnis Abgegebene Stimmen: 523; davon ja: 483 nein: 36 enthalten: 4 Ja SPD Gerd Andres Ingrid Arndt-Brauer Rainer Arnold Hermann Bachmaier Ernst Bahr Doris Barnett Dr. Hans-Peter Bartels Eckhardt Barthel ({0}) Klaus Barthel ({1}) Ingrid Becker-Inglau Wolfgang Behrendt Dr. Axel Berg Hans-Werner Bertl Friedhelm Julius Beucher Petra Bierwirth Rudolf Bindig Lothar Binding ({2}) Kurt Bodewig Anni Brandt-Elsweier Willi Brase Rainer Brinkmann ({3}) Bernhard Brinkmann ({4}) Hans-Günter Bruckmann Edelgard Bulmahn Ulla Burchardt Dr. Michael Bürsch Hans Martin Bury Hans Büttner ({5}) Wolf-Michael Catenhusen Dr. Peter Danckert Christel Deichmann Karl Diller Peter Dreßen Detlef Dzembritzki Dieter Dzewas Dr. Peter Eckardt Sebastian Edathy Ludwig Eich Marga Elser Peter Enders Petra Ernstberger Lothar Fischer ({6}) Gabriele Fograscher Norbert Formanski Rainer Fornahl Hans Forster Dagmar Freitag Lilo Friedrich ({7}) Harald Friese Anke Fuchs ({8}) Arne Fuhrmann Monika Ganseforth Konrad Gilges Iris Gleicke Günter Gloser Renate Gradistanac Günter Graf ({9}) Angelika Graf ({10}) Dieter Grasedieck Monika Griefahn Kerstin Griese Achim Großmann Wolfgang Grotthaus Hans-Joachim Hacker Klaus Hagemann Anke Hartnagel Klaus Hasenfratz Nina Hauer Hubertus Heil Reinhold Hemker Frank Hempel Rolf Hempelmann Gustav Herzog Monika Heubaum Reinhold Hiller ({11}) Stephan Hilsberg Gerd Höfer Jelena Hoffmann ({12}) Walter Hoffmann ({13}) Frank Hofmann ({14}) Ingrid Holzhüter Eike Hovermann Christel Humme Lothar Ibrügger Barbara Imhof Gabriele Iwersen Renate Jäger Jann-Peter Janssen Ilse Janz Johannes Kahrs Ulrich Kasparick Sabine Kaspereit Hans-Peter Kemper Marianne Klappert Siegrun Klemmer Hans-Ulrich Klose Walter Kolbow Fritz Rudolf Körper Karin Kortmann Nicolette Kressl Volker Kröning Angelika Krüger-Leißner Horst Kubatschka Ernst Küchler Ute Kumpf Konrad Kunick Dr. Uwe Küster Werner Labsch Christine Lambrecht Brigitte Lange Christian Lange ({15}) Detlev von Larcher Christine Lehder Eckhart Lewering Götz-Peter Lohmann ({16}) Gabriele Lösekrug-Möller Erika Lotz Dieter Maaß ({17}) Winfried Mante Dirk Manzewski Tobias Marhold Lothar Mark Ulrike Mascher Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms Christoph Matschie Heide Mattischeck Markus Meckel Ulrike Mehl Ursula Mogg Christoph Moosbauer Michael Müller ({18}) Jutta Müller ({19}) Christian Müller ({20}) Franz Müntefering Andrea Nahles Volker Neumann ({21}) Dr. Edith Niehuis Dr. Rolf Niese Dietmar Nietan Günter Oesinghaus Eckhard Ohl Leyla Onur Manfred Opel Holger Ortel Adolf Ostertag Albrecht Papenroth Dr. Martin Pfaff Georg Pfannenstein Johannes Pflug Joachim Poß Dr. Carola Reimann Margot von Renesse Bernd Reuter Dr. Edelbert Richter Christel RiemannHanewinckel Reinhold Robbe René Röspel Dr. Ernst Dieter Rossmann Michael Roth ({22}) Gerhard Rübenkönig Marlene Rupprecht Thomas Sauer Dr. Hansjörg Schäfer Gudrun Schaich-Walch Bernd Scheelen Dr. Hermann Scheer Siegfried Scheffler Horst Schild Otto Schily Dieter Schloten Horst Schmidbauer ({23}) Ulla Schmidt ({24}) Silvia Schmidt ({25}) Dagmar Schmidt ({26}) Wilhelm Schmidt ({27}) Dr. Frank Schmidt ({28}) Regina Schmidt-Zadel Heinz Schmitt ({29}) Carsten Schneider Dr. Emil Schnell Karsten Schönfeld Fritz Schösser Ottmar Schreiner Gisela Schröter Dr. Mathias Schubert Brigitte Schulte ({30}) Reinhard Schultz ({31}) Volkmar Schultz ({32}) Ewald Schurer Dr. Angelica Schwall-Düren Rolf Schwanitz Bodo Seidenthal Erika Simm Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk Dr. Cornelie SonntagWolgast Wieland Sorge Wolfgang Spanier Dr. Margrit Spielmann Jörg-Otto Spiller Dr. Ditmar Staffelt Antje-Marie Steen Ludwig Stiegler Rolf Stöckel Rita Streb-Hesse Reinhold Strobl ({33}) Dr. Peter Struck Joachim Tappe Jörg Tauss Jella Teuchner Dr. Gerald Thalheim Franz Thönnes Adelheid Tröscher Hans-Eberhard Urbaniak Rüdiger Veit Simone Violka Ute Vogt ({34}) Hedi Wegener Dr. Konstanze Wegner Wolfgang Weiermann Reinhard Weis ({35}) Matthias Weisheit Gunter Weißgerber Gert Weisskirchen ({36}) Dr. Ernst Ulrich von Weizsäcker Jochen Welt Dr. Rainer Wend Hildegard Wester Lydia Westrich Dr. Margrit Wetzel Dr. Norbert Wieczorek Jürgen Wieczorek ({37}) Heidemarie Wieczorek-Zeul Dieter Wiefelspütz Heino Wiese ({38}) Klaus Wiesehügel Brigitte Wimmer ({39}) Engelbert Wistuba Barbara Wittig Dr. Wolfgang Wodarg Verena Wohlleben Hanna Wolf ({40}) Waltraud Wolff ({41}) Heidemarie Wright Uta Zapf Dr. Christoph Zöpel Peter Zumkley CDU/CSU Ulrich Adam Ilse Aigner Dietrich Austermann Norbert Barthle Günter Baumann Brigitte Baumeister Meinrad Belle Otto Bernhardt Dr. Heribert Blens Dr. Norbert Blüm Antje Blumenthal Wolfgang Bosbach Klaus Brähmig Dr. Ralf Brauksiepe Paul Breuer Hartmut Büttner ({42}) Dankward Buwitt Cajus Caesar Leo Dautzenberg Wolfgang Dehnel Hubert Deittert Renate Diemers Dr. Hansjürgen Doss Marie-Luise Dött Maria Eichhorn Anke Eymer ({43}) Ilse Falk Dr. Hans Georg Faust Ingrid Fischbach Axel E. Fischer ({44}) Herbert Frankenhauser Dr. Gerhard Friedrich ({45}) Dr. Hans-Peter Friedrich ({46}) Erich G. Fritz Jochen-Konrad Fromme Norbert Geis Dr. Reinhard Göhner Dr. Wolfgang Götzer Kurt-Dieter Grill Hermann Gröhe Manfred Grund Horst Günther ({47}) Carl-Detlev Freiherr von Hammerstein Gottfried Haschke ({48}) Gerda Hasselfeldt Helmut Heiderich Manfred Heise Siegfried Helias Detlef Helling Hans Jochen Henke Peter Hintze Klaus Hofbauer Martin Hohmann Josef Hollerith Dr. Karl-Heinz Hornhues Siegfried Hornung Susanne Jaffke Georg Janovsky Dr.-Ing. Rainer Jork Dr. Harald Kahl Dr.-Ing. Dietmar Kansy Irmgard Karwatzki Eckart von Klaeden Ulrich Klinkert Norbert Königshofen Eva-Maria Kors Hartmut Koschyk Dr. Hermann Kues Werner Kuhn Dr. Norbert Lammert Helmut Lamp Dr. Paul Laufs Vera Lengsfeld Werner Lensing Peter Letzgus Walter Link ({49}) Dr. Manfred Lischewski ({50}) Julius Louven Dr. Michael Luther Erich Maaß ({51}) Dr. Martin Mayer ({52}) Wolfgang Meckelburg Dr. Michael Meister Dr. Angela Merkel Friedrich Merz Hans Michelbach Meinolf Michels Bernward Müller ({53}) Elmar Müller ({54}) Franz Obermeier Friedhelm Ost Norbert Otto ({55}) Dr. Peter Paziorek Anton Pfeifer Dr. Friedbert Pflüger Beatrix Philipp Ruprecht Polenz Marlies Pretzlaff Dr. Bernd Protzner Thomas Rachel Dr. Peter Ramsauer Christa Reichard ({56}) Erika Reinhardt Hans-Peter Repnik Klaus Riegert Dr. Heinz Riesenhuber Franz Romer Kurt J. Rossmanith Dr. Christian Ruck Volker Rühe Dr. Wolfgang Schäuble Hartmut Schauerte Heinz Schemken Dr. Gerhard Scheu Bernd Schmidbauer Christian Schmidt ({57}) Dr.-Ing. Joachim Schmidt ({58}) Andreas Schmidt ({59}) Dr. Andreas Schockenhoff Reinhard Freiherr von Schorlemer Dr. Erika Schuchardt Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms Gerhard Schulz Clemens Schwalbe Dr. Christian SchwarzSchilling Marion Seib Heinz Seiffert Bernd Siebert Werner Siemann Bärbel Sothmann Margarete Späte Wolfgang Steiger Erika Steinbach Andreas Storm Dorothea Störr-Ritter Max Straubinger Matthäus Strebl Thomas Strobl ({60}) Michael Stübgen Dr. Rita Süssmuth Edeltraut Töpfer Dr. Hans-Peter Uhl Arnold Vaatz Andrea Voßhoff Peter Weiß ({61}) Gerald Weiß ({62}) Heinz Wiese ({63}) Hans-Otto Wilhelm ({64}) Klaus-Peter Willsch Bernd Wilz Elke Wülfing Wolfgang Zeitlmann Wolfgang Zöller BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Gila Altmann ({65}) Volker Beck ({66}) Angelika Beer Matthias Berninger Amke Dietert-Scheuer Dr. Thea Dückert Franziska Eichstädt-Bohlig Dr. Uschi Eid Hans-Josef Fell Andrea Fischer ({67}) Joseph Fischer ({68}) Rita Grießhaber Winfried Hermann Ulrike Höfken Michaele Hustedt Dr. Angelika Köster-Loßack Dr. Reinhard Loske Oswald Metzger Winfried Nachtwei Christa Nickels Cem Özdemir Simone Probst Christine Scheel Rezzo Schlauch Albert Schmidt ({69}) Werner Schulz ({70}) Christian Sterzing Sylvia Voß Helmut Wilhelm ({71}) Margareta Wolf ({72}) FDP Hildebrecht Braun ({73}) Ernst Burgbacher Ulrike Flach Paul K. Friedhoff Horst Friedrich ({74}) Dr. Wolfgang Gerhardt Dr. Karlheinz Guttmacher Dr. Helmut Haussmann Dr. Heinrich L. Kolb Gudrun Kopp Jürgen Koppelin Ina Lenke Sabine LeutheusserSchnarrenberger Günther Friedrich Nolting Hans-Joachim Otto ({75}) Dr. Edzard Schmidt-Jortzig Gerhard Schüßler Dr. Irmgard Schwaetzer Marita Sehn Gudrun Serowiecki Dr. Max Stadler Jürgen Türk Dr. Guido Westerwelle Nein CDU/CSU Wolfgang Börnsen ({76}) Willy Wimmer ({77}) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Monika Knoche Hans-Christian Ströbele PDS Monika Balt Wolfgang Bierstedt Petra Bläss Maritta Böttcher Roland Claus Heidemarie Ehlert Dr. Heinrich Fink Wolfgang Gehrcke Dr. Klaus Grehn Dr. Barbara Höll Carsten Hübner Ulla Jelpke Sabine Jünger Rolf Kutzmutz Heidi Lippmann Heidemarie Lüth Angela Marquardt Manfred Müller ({78}) Kersten Naumann Petra Pau Dr. Uwe-Jens Rössel Christina Schenk Gustav-Adolf Schur Dr. Ilja Seifert Dr. Winfried Wolf Fraktionslose Abgeordnete Christa Lörcher Enthalten BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Annelie Buntenbach Irmingard Schewe-Gerigk Christian Simmert Entschuldigt wegen Übernahme einer Verpflichtung im Rahmen ihrer Mitgliedschaft in den Parlamentarischen Versammlungen des Europarates und der WEU, der Parlamentarischen Versammlung der NATO, der OSZE oder der IPU Abgeordnete({79}) Lintner, Eduard Palis, Kurt Raidel, Hans Schmitz ({80}), Hans Peter CDU/CSU SPD CDU/CSU CDU/CSU von Schmude, Michael Zierer, Benno CDU/CSU CDU/CSU Wir setzen die Aussprache fort. Als nächster Redner hat der Kollege Eike Hovermann von der SPD-Fraktion das Wort.

Eike Hovermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002684, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Da eben Herr Lohmann die mehr oder minder vorbereitete oder aus dem großen Schatz der Erkenntnis gewonnene Frage an Herrn Fink stellte, ob es seinerzeit nicht um Bauchtanz gegangen sei ({0}) - ich versuche, es etwas zu verkürzen -, ({1}) und Herr Fink darauf antwortete, erinnere ich nur an die wirklichen Zusammenhänge. Herr Fink, mit Sätzen wie „Krankenkassen finanzieren Bauchtanz“ wurde ein populärer Angriff gegen die Kassen gestartet, um im Zusammenhang mit dem berühmten Beitragsentlastungsgesetz und insbesondere dem Gesetz für Arbeit und Beschäftigung Rückenschulung, Diabetikerberatung usw. plattzureden. ({2}) Ich erinnere an eine Sitzung in Bonn im Jahr 1998, als Sie noch die Regierung geführt haben, in der der Vorsitzende des Bayerischen Heilbäderverbandes, Herr Gnan, damals noch Mitglied der CSU, sagte, Seehofer habe mit seiner Politik nicht nur den Kurorten, sondern insbesondere der Rehabilitation und der Prävention geschadet. ({3}) Sie sollten sich also auch an das erinnern, was Sie in der Vergangenheit im Hinblick auf Prävention gemacht haben. Das war ein populärer Angriff, um Geld aus der Prävention herauszuziehen und in die Akutmedizin zu stecken. ({4}) Heute beklagen Sie das Ergebnis dessen, was Sie selbst verursacht haben. Die „SZ“ hat das sehr deutlich charakterisiert, als sie über Herrn Seehofer schrieb: Der CSU-Politiker kennt bestens die Fallgruben dieses Systems. Er hat das auch zunächst als ein solches geortet und ist immer äußerst flexibel in seinen Meinungen geblieben, - jetzt kommt das, was ich für richtig halte die er gerne nach dem öffentlichen Wind ausrichtete. Damals war es sehr populär, gegen Prävention zu sprechen, da Prävention seinerzeit häufig unter Bauchtanz subsumiert wurde. ({5}) Das ist es aber nicht gewesen. Wenn die Pflanze damals auch noch so zart war, so hätte sie doch gegossen werden müssen. Das ist aber nicht gemacht worden. ({6}) Gleichwohl gibt es zwischen uns einige Übereinstimmungen. Wir müssen nur sehen, ob wir diese Übereinstimmungen später in ein gemeinsames Konzept - vielleicht Lüdenscheid II - gießen. ({7}) - Jetzt lassen Sie mich erst einmal reden! Wenn Sie eine Frage stellen wollen, dann werde ich sie auch gerne beantworten. Unser Ziel muss es im Grunde sein, aus dem Reparaturbetrieb einen Gesunderhaltungsbetrieb zu machen. In diesem Punkt sind wir uns einig. Der überwiegende Teil der zur Verfügung stehenden Mittel in Höhe von 270 Milliarden wird in der Akutmedizin verbraten. Gleich wichtig ist aber, dass die Versicherten der Erhaltung ihrer Gesundheit größeren Wert als bisher beimessen. Wir können es uns nicht länger leisten, Gesundheit als ein selbstverständliches Gut zu betrachten, über das wir erst dann nachdenken, wenn es uns abhanden gekommen ist. Die beklagenswert geringe Inanspruchnahme von Vorsorge- und Früherkennungsmaßnahmen ist eine ganz wesentliche Ursache für viele Krankheiten. Hier wird auch der berühmte § 1 des Sozialgesetzbuches V von Patienten und Beitragszahlern nicht ernst genug genommen - oft zulasten der Solidarität und damit letztlich zum eigenen Schaden. Gerade im Hinblick auf die Behandlung von Krebs - Sie führten dies auch an -, Diabetes und Herz-Kreislauf-Erkrankungen könnten durch Prävention erhebliche Fortschritte erzielt werden. Das senkte langfristig die Behandlungskosten, sicherte die Produktivkraft der Beschäftigten und trüge unter anderem dazu bei, die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall zu senken, das verhinderte nicht zuletzt frühzeitige Berufs- und Erwerbsunfähigkeit und entlastete damit auch die Rentenkassen, die ebenfalls - das haben Sie bei diesen Bausteinen vergessen - verstärkt in präventive, integrierte Versorgungsabläufe einzubinden sind. Aber Sie alle kennen das besondere Verhältnis zwischen den Rentenkassen und den Krankenkassen; hier ist noch viel Arbeit zu leisten. In all diesen Politikfeldern hat die Bundesregierung neue Akzente gesetzt, die wir in den nächsten Jahren ausbauen werden. Trotzdem müssen wir heute leider feststellen, dass die Ausgaben der GKV für Prävention immer noch auf 4,5 Prozent der Gesamtausgaben beschränkt sind. Wir sind uns wohl alle einig, dass das viel zu wenig ist. Lassen Sie mich ein Beispiel aus dem Alltag referieren: Ein Unding in diesem Zusammenhang ist, dass sich die Krankenkassen gegenseitig blockieren, wenn es darum geht, Präventionsleistungen im Rahmen der betrieblichen Gesundheitsvorsorge zu leisten. So ist es bei Maßnahmen zur Hautkrebsvorsorge geschehen. Der Verband der Angestelltenkrankenkassen hatte hier die BKK beim Bundesversicherungsamt mit der Folge angeschwärzt, dass diese Präventionsleistung eingestellt worden ist. Dies nur einmal als kleines Aperçu zum Thema „Mehr Gestaltungsräume und mehr Wettbewerb der Kassen um mehr Qualität“. Meine sehr verehrten Damen und Herren, Sie sehen, es gibt noch viel zu tun. Ich lade deshalb alle hier versammelten Fraktionen ein ({8}) - Herr Lohmann, stellen Sie doch bitte eine Frage; dann kann ich sie gut beantworten -, gemeinsam mit uns die Empfehlungen der Arbeitsgruppe 5 des Runden Tisches zum Thema Prävention umzusetzen. Damit kommen wir dem Ziel ein Stück näher, die Prävention neben der Akutmedizin, der Rehabilitation und der Pflege zur gleichberechtigten Säule des Gesundheitssystems zu machen. Ich darf Sie erinnern, Herr Fink: Ich kenne Ihren Vaterschaftsanspruch, Sie hätten all das, was Prävention anbeEike Maria Hovermann trifft, schon längst gemacht. Wenn man aber Vater eines Kindes wird und ihm anschließend das Geld entzieht, wäre das nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch eine Klage wert. ({9}) Darüber muss man sich klar werden. Ich darf Sie an viele Aktionsbündnisse wie „Allergieprävention“ und „Umwelt und Gesundheit“ sowie an das Forschungsprojekt „Gesund Altern“ - Herr Lohmann, auch dieses Forschungsprojekt gehört dazu - bis hin zu den hervorragenden Leistungen im Bereich der Drogenund Suchtprävention erinnern. Jetzt kommen Sie, Herr Fink, drei Monate vor der Wahl mit einem Antrag zur Prävention. Erstens stehen darin Forderungen ({10}) - das ist keine alte Platte -, für deren Erfüllung Sie 16 Jahre Zeit hatten. Zweitens stellt sich natürlich die Frage, wie Sie denn zu dieser späten Einsicht gekommen sind und wie ernst es Ihnen diesmal ist; denn mit denselben Worten - ich habe die Rede von Herrn Fink aus dem Jahr 1994 nachgelesen - hatten Sie ursprünglich die Prävention als Leitbild für Ihre Gesundheitspolitik definiert. Das hinderte Sie allerdings nicht daran, die Prävention zwei Jahre später fast völlig aus dem Leistungskatalog des Sozialgesetzbuches V zu streichen, wie Kollege Kirschner aus Baden-Württemberg dankenswerterweise schon sagte. Das bedeutete damals faktisch das Aus für Prävention als Auftrag der gesetzlichen Krankenkassen. ({11}) - Ich weiß nicht, was ich von dieser transparenten Unterhaltung untereinander halten soll. Nachher sitzt mir der Präsident im Nacken. ({12}) Es musste erst eine neue, SPD-geführte Bundesregierung her, um diese gesundheitspolitisch und im Grunde auch ökonomisch völlig unsinnige Entscheidung zu revidieren. Fast mit Goethe sage ich: Herr Fink, Ihre Botschaft von der Prävention hör ich wohl, allein, mir fehlt der Glaube ({13}) - ich bin bei den Jesuiten aufgewachsen; ich weiß, was los ist -, insbesondere, da Sie nun unter dem Deckmantel von Freiheit und Selbstbestimmung versuchen, Instrumente der privaten Krankenversicherung wie Selbstbehalte und Beitragsrückerstattungen auf die GKV zu übertragen. Dass dies nicht ohne weiteres möglich ist, können Sie in einem sehr interessanten Aufsatz aus der „Ärzte Zeitung“ nachlesen: Denn wenn die Jungen und Gesunden mit Beitragsnachlässen belohnt werden, kommt insgesamt - so die Studie weniger Geld ins System. Die Studie fährt wie folgt fort: Für Alte und Kranke stehen solche Wahloptionen ohnehin nur auf dem Papier, sie blieben in den jeweils teuersten Volltarifen. Dies würde eine Spirale von Tarifwechseln in Gang setzen, an deren Ende womöglich ein Einheitstarif auf niedrigem Versorgungsniveau steht. ({14}) - Fragen Sie mich ruhig dazu! Ich bin bereit, Ihre Fragen in einem größeren Zusammenhang zu beantworten. ({15}) Wenn die Versicherten dann noch auf notwendige Leistungen verzichten würden, nur um Selbstbehalte zu sparen oder um Beitragsrückerstattungen nicht zu gefährden, hätten wir genau das, was wir nicht wollen, nämlich eine erneute Ausgrenzung von Prävention. Das ist im Grunde die Zielrichtung Ihrer Politik, die alle negativen gesundheitlichen und ökonomischen Folgen in Kauf nimmt. Wie sollten dagegen weitere, verantwortungsvolle Schritte hin zu mehr Prävention aussehen? - Um das herauszufinden, hat die SPD-geführte Bundesregierung genau das getan, was die ehemalige CDU-geführte Regierung - wenn ich nicht alle wichtigen Dokumente übersehen habe - 16 Jahre lang versäumt hat. Zum ersten Mal werden in Zusammenarbeit mit den beteiligten Akteuren im Gesundheitswesen Gesundheitsziele definiert, um eine ganz schlichte Frage beantworten zu können: Was können und was wollen wir in welchen Bereichen überhaupt erreichen? Erste Arbeitsergebnisse dazu liegen bereits vor. Auch der Runde Tisch hat in seiner Sitzung am 22. April konkrete Handlungsempfehlungen vorgestellt, die nun umgesetzt werden müssen. Die darin genannten Möglichkeiten sind geeignet, um Prävention tatsächlich zu einem Leitbild der Gesundheitspolitik werden zu lassen. Das wollen wir, aber nicht wie Sie nur drei Monate vor der Wahl. Wir haben seit 1998 Resultate und Aktionen. Wir haben unter anderem dafür gesorgt, dass die Prävention als Querschnittsaufgabe zum Beispiel in der Ausbildung von Pflegenden und Medizinern einen größeren Raum als bisher erhält. Deswegen haben wir sie in der neuen ärztlichen Approbationsordnung sowie im novellierten Krankenpflegegesetz verankert. Für beides war die Bundesregierung maßgeblich verantwortlich, denn auch die Prävention muss selbstverständlich in die Perspektive der integrierten Versorgung nach § 140 SGB V eingebaut werden. Wir haben nicht zuletzt dafür gesorgt, dass der Vorrang der Prävention vor Reha und Rente im neuen SGB IX verankert wird, übrigens ein Projekt, das die CDU-geführte Regierung nach der Verabschiedung der Ergänzung des Art. 3 Abs. 3 des Grundgesetzes 1992 in der Schublade verschwinden ließ, um auch hier den Vorrang der Prävention nicht durchzusetzen. All dies hat die jetzige Regierung nicht nur eingeleitet, sondern in großen Teilen bereits umgesetzt. Wir werden dies selbstverständlich nach dem 22. September weiter ausbauen. ({16}) Zusätzlich müssen wir auch die Krankenkassen mehr als bisher in die Pflicht nehmen, ihre Versicherten zu einer Gesundheitsvorsorge zu bewegen, so wie es § 25 SGB V vorsieht. Das, was hier gegenwärtig passiert, ist bei weitem noch nicht ausreichend, zumal die Kassen selbst noch - oftmals ohne Not - Gelder in die Kuration fließen lassen. Im Zusammenhang mit der Prävention ist es sicherlich richtig, Herr Fink, über Anreizsysteme nachzudenken, um die Eigenverantwortung der Versicherten im System zu stärken, zumal dies als Auftrag im berühmten § 1 SGB V steht. ({17}) Im Gegensatz zur Union bedeutet mehr Eigenverantwortung für die SPD nicht, den Beitragszahlern einfach tiefer in die Tasche zu greifen oder es allein dem Patienten zu überlassen, für seine Prävention und damit für seine Gesundheit zu sorgen. ({18}) - Bevor Sie lachen, lesen Sie sich einmal den Text Ihres Antrags durch! Er folgt nämlich genau den Intentionen von Professor Beske, was herauszunehmen ist und was nicht. Er war der Erste, der gesagt hat: Prävention gehört nicht zu den Pflichtleistungen der Kassen. ({19}) Mehr Eigenverantwortung zuzulassen muss also in Bezug auf die Prävention vor allem heißen, dass wir die Menschen erst einmal in die Lage versetzen, Verantwortung für ihre Gesundheit zu übernehmen. Hierfür sind Voraussetzungen zu schaffen, Herr Parr. ({20}) - Ihr macht mich völlig stumm. Ich habe einen ganzen Katalog von Dingen vorgestellt, wo wir den Patienten nicht nur mehr zutrauen, sondern auch abfordern. Dann sagen Sie erneut, wir müssten den Patienten mehr abfordern. Sie machen genau das Gegenteil. Sie geben ihm kein Geld, lassen ihn allein und sagen ihm: Sieh mal zu, was du mit der Prävention machst. ({21}) Wir wollen einen ganzheitlichen Ansatz von Prävention, wobei schrittweise die Zuständigkeiten geklärt und eine konstruktive Zusammenarbeit mit all den Gremien, die mit Prävention zu tun haben, ermöglicht werden muss. Dieser Präventionsgedanke muss dann unter anderem auch in den Schulunterricht einfließen. Denn eine AOKStudie aus Stuttgart - damit schließe ich ab - stellt fest, dass viele Schüler nicht mehr in der Lage sind, rückwärts zu laufen. Wiewohl es nicht zu den gepflegtesten Alltagsübungen gehört, rückwärts zu laufen, kann man daran erkennen, ob der Bewegungsapparat noch in Ordnung ist, Herr Zöller. ({22}) Ich komme zum Schluss, Herr Präsident. Diese Studie hat also festgestellt, dass viele Kinder nicht mehr rückwärts laufen können. Außerdem nehmen durch frühzeitiges Rauchen die obstruktiven Atemwegserkrankungen in katastrophaler Weise zu. Dies sind die chronisch Kranken von morgen, wenn wir nicht heute etwas tun. Ich möchte Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen, daher alle auffordern, mit Begeisterung für unseren Antrag zu stimmen. Herzlichen Dank fürs Zuhören. ({23})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt der Kollege Detlef Parr von der FDP-Fraktion.

Detlef Parr (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001676, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Hovermann, mit dem Rückwärtslaufen haben Sie ein schönes Bild dessen gezeichnet, was typisch für das ist, was sich hier seit dreieinhalb Jahren in der Gesundheitspolitik abspielt. ({0}) Ich würde mir dabei wenigstens das Tempo der Echternacher Springprozession wünschen, wo man zwei Schritte voraus und einen zurück macht. Dies ist aber ein anderes Thema. Prävention ist heute unser Thema. Prävention ist zu einem Zauberwort in der aktuellen gesundheitspolitischen Diskussion geworden. Ich frage mich allerdings: zu Recht oder zu Unrecht? Zu Recht, weil präventives Verhalten zu einer erheblichen Steigerung der Lebensqualität führen kann. Wer von uns verzichtet bei Geburtstagswünschen schon gern auf den Hinweis auf gute Gesundheit? Sie ist ein hohes Gut. Zu Unrecht, weil manche von uns vorgaukeln wollen - das kommt auch in den heute vorliegenden Anträgen gelegentlich zum Ausdruck -, es bedürfe nur einer nachhaltigen Präventionsstrategie und schon ließen sich die finanziellen Engpässe beheben, in die uns die falsche Gesundheitspolitik der letzten Jahre getrieben hat. So einfach ist das nicht. Das Krankheitsgeschehen in der Bevölkerung hat sich in den vergangenen Jahren deutlich verändert. Früher dominierten die akuten Infektionskrankheiten; heute bestimmen Zivilisationskrankheiten wie Diabetes, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, chronisch degenerative Erkrankungen des Stütz- und Bewegungsapparates und Suchterkrankungen das Bild. 90 Prozent der Todesfälle sind auf diese Erkrankungen zurückzuführen. In der Tat wären langfristig erhebliche Einsparungen zu erzielen, wenn es uns gelingen würde, diese Erkrankungen deutlich zu reduzieren. Darin sind wir uns einig. Dieses Ziel können wir aber nur erreichen, wenn diese Erkrankungen völlig vermieden statt nur auf einen späteren Zeitpunkt verschoben werden. Der Schlüssel zum Erfolg liegt - darin stimme ich Ihnen ausdrücklich zu, Herr Kollege Hovermann - bei jedem Einzelnen von uns selbst. Dabei müssen wir ihm mehr zutrauen. Es müssen positive Anreize für Verhaltensänderungen geschaffen werden. Gesunde Lebensführung - das kann ich nur unterstützen, Herr Kollege Fink - muss sich lohnen. Es muss die Aufgabe einer Aufklärungs- und Motivationsstrategie sein, die Einsicht in die Vorteile eines gesundheitsbewussten Lebensstils zu vermitteln. Wenn die FDP von Eigenverantwortung spricht, Frau Kollegin Schmidt-Zadel, wird uns immer unterstellt, es ginge um die Erhöhung der finanziellen Eigenbeteiligung. ({1}) Darauf reduzieren Sie das immer. In Wahrheit geht es für uns vorrangig um die Mitbestimmung und Eigenverantwortung des Einzelnen für seine Gesundheit durch sein Verhalten. Dazu gehören auch mehr Wahlfreiheiten in dem gesetzlichen Krankenversicherungssystem. ({2}) Die Autonomie des Einzelnen muss gestärkt werden. Auch müssen persönliche Kompetenzen entwickelt werden, um auf die eigene Gesundheit Einfluss zu nehmen. Das muss schon in den Kindergärten beginnen und in den Schulen gefestigt werden. Kindern können zumindest in den ersten Lebensjahren Gewohnheiten vermittelt werden, die dann auch in die Familien hineingetragen werden und lebenslang ihre Bedeutung behalten können. Das bezieht sich zum Beispiel auf die Fragen der Ernährung, der Bewegung und des Freizeitverhaltens. Gesundheitserziehung heißt zunächst Bewegungserziehung. Über den Sport- und Spielbereich hinaus müssen Gesundheitserziehung und Gesundheitsförderung zu einem integralen Bestandteil unserer Bildungseinrichtungen, des Lebens in unseren Gemeinden und des Arbeitens in unseren Betrieben und Unternehmen werden. Wir müssen den Einzelnen durch eine gesundheitsfördernde Gesamtpolitik und die Schaffung gesundheitserhaltender Lebensbedingungen unterstützen. Die Grundvoraussetzung dafür sind intakte und leistungsfähige Kommunen. Ich beobachte - wie Sie alle hoffentlich auch - mit Sorge die finanzielle Not. Ich habe gestern mit den Bürgermeistern meines Wahlkreises über die finanziellen Probleme, die Haushaltssicherungskonzepte und Ähnliches gesprochen, Frau Schmidt-Zadel. Musikschulen und Altentagesstätten werden geschlossen und die Förderung von Sportvereinen muss eingeschränkt werden. Angebote, die das Leben erst lebenswert machen, werden zurückgefahren. Ich meine, dass zu einer Präventionsstrategie auch gehören muss, die Finanzkraft unserer Städte und Gemeinden zu stärken, damit ein Umfeld geschaffen wird, das gesundheitsbewusstes Leben erst ermöglicht. Lassen Sie uns abschließend noch einen Blick auf die gesundheitliche Vorsorge werfen. Wir haben eine Anhörung zu der Problematik der Erfassung von Krebserkrankungen durchgeführt, in der wieder einmal deutlich geworden ist, wie wichtig Früherkennungsmaßnahmen und Vorsorgeuntersuchungen sind. Unsere Bevölkerung geht mit den Risiken von Brust-, Darm- oder Prostataerkrankungen, um nur einige Beispiele zu nennen, zu leichtfertig um. Es muss uns gelingen, im Rahmen einer umfassenden Präventionsstrategie auch dieses Verhalten zu ändern und Anreize dafür zu schaffen, Vorsorgeuntersuchungen rechtzeitig wahrzunehmen. Prävention löst die großen finanziellen Probleme der gesetzlichen Krankenversicherungen kurzfristig nicht, sie muss aber Teil einer Gesundheitsreform sein, die Eigenverantwortung, Selbstbestimmung und Wettbewerb stärkt sowie Wahlfreiheiten und Transparenz herstellt. Auf diesem Wege werden wir gern mitarbeiten, wenn die Anträge im Ausschuss diskutiert werden. Herzlichen Dank. ({3})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt die Kollegin Katrin Göring-Eckardt vom Bündnis 90/Die Grünen.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003132, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bei so viel Einigkeit geht es möglicherweise nur noch um die Ausführung. Manche sind eben eher und andere später so weit. ({0}) Es ist jedenfalls sehr erstaunlich, Herr Lohmann. Aus dem Antrag der Union wird ersichtlich, dass bei Ihnen Einsicht eingekehrt ist. Ich zitiere aus Ihrem Antrag: Eine entscheidende Voraussetzung, um die Herausforderung des Gesundheitswesens im 21. Jahrhundert zu bestehen, liegt in der Stärkung von Gesundheitsförderung und Prävention. Das ist wohl wahr. Das ist eine Erkenntnis, die Grüne und SPD schon während ihrer Regierungszeit nicht nur vor sich hergetragen, sondern eben auch umgesetzt haben. Mich verwundert deswegen, dass Sie auf diese Tatsache erst jetzt stoßen. Wenn man sich anschaut, wie das in anderen europäischen Ländern ist und was der Sachverständigenrat dazu gesagt hat, dann kann man nur feststellen, dass Ihr Antrag - aller Wahlkampf in Ehren - weiß Gott eher hätte kommen können. Auch hätten Sie im Rahmen der Gesundheitsreform 2000 den Regelungen zur Prävention zustimmen können. Das haben Sie nicht getan. ({1}) Ebenso hätten Sie es unterlassen können - das ist hier ebenfalls schon angesprochen worden -, die Präventionsleistungen aus dem Leistungskatalog zu streichen. Ich sage Ihnen jetzt, warum Sie meiner Meinung nach Ihren Antrag vorgelegt haben. Ich habe nach der Lektüre Ihres Antrags den Eindruck gewonnen, dass Sie erst die Umfrage des EMNID-Instituts gebraucht haben. Diese machte deutlich, dass Ihre Gesundheitspolitik an den Bedürfnissen der Bürgerinnen und Bürger weit vorbeigeht, ({2}) weil die Versicherten wirkliche Vorsorgemaßnahmen wollen. Wir haben gestern über die Frage der so genannten Eigenverantwortung debattiert, unter der Sie Zuzahlung verstehen. Eine DIW-Studie hat nachgewiesen, dass solche zusätzlichen Zuzahlungen von den Bürgerinnen und Bürgern nicht gewollt werden. Auch das können Sie in Ihrem Wahlprogramm umsetzen. Jetzt ist Ihnen zunächst einmal klar geworden, wie wichtig Prävention ist. Sie erwähnen zu Recht, dass für Prävention zurzeit nur 4,5 Prozent der Gesamtausgaben der GKV verwendet werden. Auch wir sind der Meinung, dass dies nicht dem tatsächlichen Bedarf entspricht. Was Sie dabei vergessen zu erwähnen, ist, dass in den letzten Jahren die Ausgaben für Prävention gestiegen sind, und zwar im ersten Quartal 2002 im Vergleich zum Vorjahreszeitraum im Bereich der Vorsorge- und Rehamaßnahmen um 2,7 Prozent und bei den sozialen Diensten sogar um 6,8 Prozent. Zumindest das hätte dazu gehört, wenn Sie einen solchen Antrag schreiben. Sie haben durchaus Recht mit Ihrer Feststellung, dass noch nicht genügend Präventionsmaßnahmen zur Verfügung stehen. Wir mussten die Präventionsmaßnahmen in § 20 SGB V gegen Ihren Widerstand durchsetzen. Die Debatte um den Bauchtanz - dieser wird in den Rückenschulen eher den Frauen angeboten; bei den Männern sind es die Besuche in Fitnessstudios für Bodybuilder, die sicherlich nicht gesundheitsfördernd sind - hat gezeigt, welchen Stellenwert die Prävention in Ihrer Regierungszeit tatsächlich hatte. Wenn Sie in Ihrem Antrag die Ergebnisse des von Ulla Schmidt einberufenen runden Tisches als Ihre Ideen verkaufen, dann machen Sie dies bitte nicht halbherzig; Herr Hovermann hat darauf hingewiesen. Dazu gehört, eine Antwort auf die Frage nach der Geldquelle zu geben. Das haben Sie nicht getan. Deswegen halte ich das insgesamt für nicht sehr seriös. Am Schluss möchte ich Ihnen ein weiteres Beispiel nennen, warum insbesondere wir Grünen Ihren Antrag ablehnen. Wir glauben, dass Patientinnen und Patienten unabhängige Beratung wollen, und zwar bevor das Kind in den Brunnen gefallen ist, also bevor ein Versicherter als Patient zum Arzt oder zur Ärztin gehen muss. Deswegen muss es eine unabhängige Beratung und Gesundheitstests geben, die ähnlich wie bei der Stiftung Warentest deutlich machen, worauf man sich bei der gesundheitlichen Versorgung verlassen kann und worauf nicht. Falls Sie es mit der Stärkung der Prävention doch ernst meinen, dann empfehle ich Ihnen, unserem Antrag zuzustimmen. Damit wäre den Bürgerinnen und Bürgern wirklich geholfen. Die Prävention sollte in der Tat auch außerhalb der GKV sehr früh anfangen. Sie haben zum Beispiel das Verbraucherinformationsgesetz im Bundesrat blockiert. Auch daran sieht man, dass das Reden über Prävention mit Ihren Taten offensichtlich nichts zu tun hat. Wenn es anders wäre, dann würden Sie den Gesetzentwürfen, die Prävention von Anfang an fördern, zustimmen. Vielen Dank. ({3})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Als letzte Rednerin zu diesem Tagesordnungspunkt hat das Wort die Kollegin Dr. Ruth Fuchs von der PDS-Fraktion.

Dr. Ruth Fuchs (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000615, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kollegin Göring-Eckardt, ich kann keinem Gesetzentwurf zustimmen, an dem vielleicht drei Zehntel gut sind, aber dessen restliche sieben Zehntel ich nicht teilen kann. Ich denke, wir sollten uns auf die vorliegenden Anträge konzentrieren. Letztendlich sind in beiden Anträgen für mich völlig neue Inhalte enthalten. Ich wäre sehr froh, wenn wir gemeinsam dafür sorgten, dass die in beiden Anträgen enthaltenen Forderungen in die Praxis umgesetzt würden und damit unserem Gesundheitswesen und den Patienten einen Vorteil brächten. ({0}) Beide Anträge enthalten das Ziel, der Prävention und der Gesundheitsförderung im Gesundheitssystem einen neuen Stellenwert zu verschaffen. Besonders hat mich verwundert, dass Sie erstmals von Gesundheitszielen reden. In den vergangenen zwölf Jahren, in denen ich Abgeordnete des Deutschen Bundestages bin, war es nicht möglich, Gesundheitsziele zu definieren. Ich glaube, dass eine solche Definition absolut notwendig ist. Forderungen nach einer solchen Definition sind richtig und begrüßenswert. Auch im Hinblick auf das Bekenntnis, dass Prävention niemals ausschließlich das Gesundheitswesen, also nur einen einzigen Bereich, betreffen sollte, sondern eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe ist, haben Sie unsere volle Unterstützung. Notwendig ist darüber hinaus eine Harmonisierung sämtlicher Strukturen. Dazu muss die einschlägige Gesetzgebung wirklich erweitert werden. An dieser Stelle hört mein Lob auf. ({1}) Meine Damen und Herren von Rot-Grün, die Behauptung, die Bundesregierung habe zum Beispiel durch die Novellierung von § 20 SGB V und die Einrichtung eines runden Tisches tatsächlich entscheidende Weichenstellungen in Richtung stärkerer Prävention getroffen, ist nicht nur übertrieben, sondern auch sehr kühn. ({2}) Wäre das tatsächlich so, würden für eine nachhaltige Prävention doch nicht, wie derzeit, nur weniger als 4,5 Prozent der gesamten Gesundheitsausgaben - diese Feststellung enthalten beide Anträge - zur Verfügung stehen. Es hat sich auf diesem Gebiet nicht viel getan. Die Tatsachen sprechen eine deutliche Sprache. Wir müssen - das habe ich schon gesagt - für die Zukunft wirklich eine grundlegende Neuausrichtung planen. Daran sollten wir alle arbeiten. ({3}) Meine Damen und Herren von der CDU/CSU, Ihr Antrag ist ohne Frage inhaltlich gut. Über die Selbstbeteiligung reden wir zu einer anderen Zeit. Man muss über die Finanzierung der Selbstbeteiligung klare, umfassende Aussagen machen. Richtig ist auch, dass nicht nur Verhaltensprävention, sondern auch Verhältnisprävention eine ganz wichtige Rolle spielen muss. ({4}) - Ich weiß, das Ihr Antrag diese Forderung enthält. Sie müssen es aber auch umsetzen! Lieber Kollege Fink - ich hoffe, dass ich Ihnen mit dem Wort „lieber“ nicht wehtue -: ({5}) Wenn Sie in Ihrer 16-jährigen Regierungszeit nur einen kleinen Teil Ihrer Forderungen umgesetzt hätten, dann müssten wir alle miteinander jetzt nicht einen solchen Rückstand in der Prävention und in der Gesundheitsförderung beklagen. Kollege Fink, Sie sagten, Sie bedauerten es, dass nur 1 Prozent der Mittel für den öffentlichen Gesundheitsdienst ausgegeben wird. Sie müssen sich die Fragen gefallen lassen: Wer ist denn dafür verantwortlich, dass der öffentliche Gesundheitsdienst in den Ländern immer mehr ausgedünnt worden ist? Wer hat den - ohnehin begrenzten - Versuch, die Gesundheitsförderung in der GKV zu verankern, im Keim erstickt? Kollege Fink, angesichts der Tatsache, dass Sie in der Vergangenheit politisch so versagt haben, ist es, ehrlich gesagt, ein bisschen unverfroren, die Behauptung aufzustellen - das steht in Ihrem Antrag -, dass der CDU/CSU die politische Urheberschaft für diesen Bereich zuzuschreiben ist. Ich komme zum Schluss.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Frau Kollegin Fuchs, erlauben Sie noch eine Zwischenfrage? Eigentlich ist Ihre Redezeit abgelaufen; aber wenn Sie die Zwischenfrage zulassen, dann lasse ich auch Ihre Antwort darauf zu.

Dr. Ruth Fuchs (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000615, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Gerne.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Frau Bergmann-Pohl, bitte.

Dr. Sabine Bergmann-Pohl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000155, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Kollegin Fuchs, stimmen Sie mir darin zu, dass ich in den acht Jahren meiner Zeit als Parlamentarische Staatssekretärin permanent darüber Klage geführt habe, dass die Länder den öffentlichen Gesundheitsdienst - sie sind es, die dafür zuständig sind - einschränken?

Dr. Ruth Fuchs (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000615, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Ich kann die Frage ganz einfach beantworten - das sage ich auch achtungsvoll -: Ich weiß, dass Sie sich als Staatssekretärin um diese Frage sehr viel gekümmert haben. Das tun Sie auch heute als Abgeordnete. Sie sind mit Vehemenz und Ehrlichkeit dafür eingetreten. Auch die Länder werden aber von politischen Parteien regiert. ({0}) Man muss deshalb sagen: Es gibt Zusammenhänge, die nicht nur ich, sondern auch Sie bedauern. Ich weiß, dass auch Ihr Einsatz für andere Einrichtungen auf Landesebene ein Kampf gegen Windmühlen war.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Kommen Sie bitte zum Schluss.

Dr. Ruth Fuchs (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000615, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Präsident, da meine Redezeit vorbei ist, möchte ich es ganz kurz machen: ({0})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Sehr kurz.

Dr. Ruth Fuchs (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000615, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Es bringt nichts, dem anderen immer nur vorzuhalten, was er in der Vergangenheit alles falsch gemacht hat. Die vorliegenden Anträge enthalten sowieso nur Ansätze. Keiner der Anträge zeigt einen Weg auf, wie man die Ziele erreichen kann. Lassen Sie uns in der nächsten Legislaturperiode diesbezüglich etwas Vernünftiges auf die Beine bringen - nicht zugunsten einer Partei, sondern zugunsten der Versicherten und der Menschen! Danke. ({0})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 14/9085 und 14/9224 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Die Vorlage auf Drucksache 14/9085 soll zusätzlich an den Sportausschuss überwiesen werden. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Bevor ich den nächsten Tagesordnungspunkt aufrufe, möchte ich Folgendes anmerken: In der Diskussion über den Tagesordnungspunkt 18 - zu dieser Zeit hat Frau Vizepräsidentin Vollmer präsidiert - hat ausweislich des Protokolls der Kollege Wilhelm Schmidt ({0}) mehrere Zwischenrufe gemacht. Darunter war folgender: Jetzt ist aber Schluss mit dem Lügen! Sie sind ein Lügner! Unglaublich! Meine Damen und Herren, ich darf Sie bitten, mit Ihren Formulierungen das Maß einzuhalten, das im Deutschen Bundestag üblich sein sollte, und sich insbesondere dann zurückzuhalten, wenn es um persönliche Kritik geht. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 21 auf: - Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Alfred Hartenbach, Joachim Stünker, Hermann Bachmaier, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der SPD sowie den Abgeordneten Volker Beck ({1}), Hans-Christian Ströbele, Grietje Bettin, weiteren Abgeordneten und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Einführung der vorbehaltenen Sicherungsverwahrung - Drucksache 14/8586 ({2}) - Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Einführung der vorbehaltenen Sicherungsverwahrung - Drucksache 14/9041 ({3}) Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses ({4}) - Drucksache 14/9264 Berichterstattung: Abgeordnete Joachim Stünker Volker Beck ({5}) Dr. Evelyn Kenzler Es liegt ein Änderungsantrag der Fraktion der CDU/ CSU vor. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Es gibt keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Als erster Redner hat das Wort der Kollege Joachim Stünker von der SPD-Fraktion.

Joachim Stünker (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003244, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist gut, dass wir heute die Neuregelung der Sicherungsverwahrung - man kann auch von einer Ergänzung sprechen - für besonders gefährliche Wiederholungsstraftäter - wir alle wissen ja, dass es sich dabei im Wesentlichen um Sexualstraftäter handelt - in zweiter und dritter Lesung zum Abschluss bringen. In der Tat war der Beratungsbedarf bezüglich des vorliegenden Gesetzentwurfs sehr groß. Ich glaube, wir haben im Rechtsausschuss insgesamt drei Sachverständigenanhörungen durchgeführt. Alle Sachverständigenanhörungen waren sehr gut, das heißt, wir haben immer etwas im Hinblick auf die Regelung dieser schwierigen Problematik dazugelernt. Das sehen Sie unter anderem auch daran, dass wir sogar noch in dieser Woche eine Änderung in unseren Gesetzentwurf aufgenommen haben. Angesichts der Bedeutung der Maßnahme, um die es hier geht, war es richtig, dass wir uns Zeit genommen und sehr gründlich diskutiert haben; denn die Anordnung der Sicherungsverwahrung ist eigentlich die schärfste Maßnahme, die der Staat bei der Durchsetzung seines strafrechtlichen Anspruchs überhaupt ergreifen kann. Diese Maßnahme ist nämlich das eigentliche „Lebenslänglich“. Ich hoffe, dass der Gesetzentwurf, den wir heute verabschieden werden, nicht im Bundesrat scheitern und dann in den Vermittlungsausschuss verwiesen wird. Daher appelliere ich schon an dieser Stelle an Sie, Herr van Essen, und Ihre Kollegen von der FDP - ich weiß ja, dass Sie den Gesetzentwurf mittragen wollen -, mit dafür Sorge zu tragen, dass wir damit nicht in den Vermittlungsausschuss müssen. Dort wäre er im Endeffekt nicht besonders gut aufgehoben. Wir haben in erster Lesung - lassen Sie mich das kurz rekapitulieren - über zwei gegensätzliche Gesetzentwürfe diskutiert. Die Union war die erste Fraktion, die hierzu einen Gesetzentwurf vorgelegt hat. Diesen habe ich im vorigen Jahr in zwei Reden als in verfassungsrechtlicher Hinsicht sehr problematisch bezeichnet. Diese verfassungsrechtlichen Bedenken, die ich nicht alle im Einzelnen wiederholen möchte - ich hatte sie damals alle genannt -, haben sich in den Anhörungen bestätigt. Heute liegt Ihnen in zweiter und dritter Lesung ein Gesetzentwurf der Koalitionsfraktionen vor, der auf eine Vorbehaltslösung hinausläuft. Das heißt, das erkennende Gericht muss sich bei der Beurteilung eines Straftäters mit der Frage auseinander setzen, ob er ein gefährlicher Wiederholungstäter ist, ob also zu erwarten ist, dass er nach seiner Haftentlassung wieder vergleichbare Straftaten begeht. Wir schaffen heute mit diesem Gesetz die Möglichkeit, dass das Gericht genau die Regelung, dass dann Sicherungsverwahrung anzuordnen ist, im Urteil vorbehalten kann. Was heißt „vorbehalten kann“? Das heißt, es wird im Urteilstenor der Ausspruch stehen müssen: „Die Sicherungsverwahrung bleibt vorbehalten.“ Dann muss im Laufe des Vollzuges, wenn sich weitere Erkenntnisse zu diesem Straftäter, zu diesem Menschen, zu dieser Persönlichkeit ergeben, geprüft werden, ob die Staatsanwaltschaft, die die antragstellende Behörde ist, Anhaltspunkte dafür hat, zu sagen: Jawohl, wenn wir den entlassen, geht er morgen los und macht das Gleiche in ähnlicher Art und Weise wieder. Das sind die schlimmen Fälle, die wir kennen und weshalb wir uns mit diesem Thema heute hier beschäftigen. Für diesen Fall - und das ist das Neue in der Änderung, die wir Ihnen vorgelegt haben - muss sich das erkennende Gericht, also das Gericht, das diesen Straftäter verurteilt und den Vorbehalt ausgesprochen hat, noch einmal in einer öffentlichen Hauptverhandlung mit entsprechenden Sachverständigengutachten mit dieser Person beschäftigen und muss sozusagen die endgültige Abwägung treffen, ob denn nun Sicherungsverwahrung anzuordnen ist. Das heißt, das erkennende Gericht prüft in einem zweiaktigen Erkenntnisprozess zunächst, ob es den Vorbehalt ausspricht, und dann, am Ende des Vollzuges bzw. zu dem Zeitpunkt, zu dem die Entlassung ansteht, ob er umgesetzt werden muss. Wir als Koalitionsfraktionen sind mit dieser Regelung, wie wir sie jetzt gefunden haben, sehr zufrieden; denn wir meinen, dass wir hiermit eine verfassungsrechtlich saubere Lösung vorgelegt haben, die Strafprozessordnung als Magna Charta des Beschuldigten - und das ist sie ja immer noch - wirklich ernst nehmen und die Prämissen und Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms Anforderungen der Strafprozessordnung an einen fairen Strafprozess erfüllen. Diese Punkte sind: mündliche öffentliche Hauptverhandlung, die Beteiligung von Schöffen, die Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme - es muss zu diesem Punkt noch einmal die Beweisaufnahme erfolgen und die Möglichkeit des Einlegens von Revision gegen das Urteil, und zwar in der ganzen Breite; der Bundesgerichtshof hat diese Entscheidung dann zu überprüfen. Natürlich muss dem Angeklagten, dem Beschuldigten in der Hauptverhandlung ein Pflichtverteidiger bestellt werden. Meine Damen und Herren, ich meine, das ist eine rechtsstaatlich wirklich vorzeigbare Lösung der Problematik dieser Sicherungsverwahrung. Wir wissen aus empirischen Erhebungen, dass es im Jahr drei bis sechs Fälle gibt, für die überhaupt derartige Regelungen in Betracht kommen. Aber das sind dann eben die Fälle, die wirklich schlimm sind und die wir aus den Medien kennen. Um solche Vorkommnisse auszuschließen, haben wir jetzt die entsprechenden Änderungen in der Strafprozessordnung vorgenommen. Ich finde, das ist ein guter Weg, weil er im Interesse des Opferschutzes liegt, zu mehr innerer Sicherheit führen wird und im Sinne derjenigen ist, die das Gesetz anzuwenden haben, nämlich Staatsanwaltschaft und Gerichte. Denn wir bewegen uns in den bekannten Gleisen und von daher wird man mit dieser Regelung auch sehr vernünftig umgehen können. Ich meine, diejenigen, die zustimmen wollen, haben in den Monaten der Beratung - es hat ja einige Zeit gedauert - eine wirklich gute Lösung gefunden. Dafür möchte ich mich bedanken. Schönen Dank. ({0})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Jürgen Gehb von der CDU/CSUFraktion.

Dr. Jürgen Gehb (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003129, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist nicht davon auszugehen, dass alle Zuschauer und alle Zuhörer Rechtsexperten sind, rechtskundig sind, den Unterschied zwischen Strafe, Maßregel und Besserung kennen. Deswegen erlaube ich mir, ein bisschen zur Genesis dieses Gesetzes und auch zur Unterscheidung darzulegen. Wer ein Verbrechen begeht, wird bestraft, wenn er eine rechtswidrige Tat schuldhaft begangen hat. Über die Verurteilung hinaus kommt eine Anordnung der Sicherungsverwahrung in Betracht, wenn es sich um einen Hangtäter handelt, der gemeingefährlich ist und vor dem die Bevölkerung geschützt werden muss. Nach geltendem Recht ist diese Sicherungsverwahrung gleichzeitig mit dem Urteil im Erkenntnisverfahren anzuordnen. Das heißt, es muss in diesem Zeitpunkt eine Gefährlichkeitsprognose getroffen werden. Sollte der Strafgefangene im Laufe seiner Strafhaft zeigen, dass er nicht mehr gefährlich ist - auch das gibt es; das sollte man ruhig einmal sagen -, weil er sich gebessert hat, weil ihm die Strafe als Warnung gedient hat, weil er, vielleicht auch aus Altersgründen oder wegen Gebrechlichkeit, nicht mehr als Sexualtäter in Betracht kommt, so muss er nicht in die Sicherungsverwahrung, obwohl sie angeordnet ist. In dem umgekehrten Fall, dass das Gericht bei der Verhängung der Strafe aus welchen Gründen auch immer - sei es wegen eines Justizirrtums, sei es, weil es im Zeitpunkt der Urteilsfällung die Gefährlichkeitsprognose nicht mit hinreichender Sicherheit hat geben können - die Anordnung der Sicherheitsverwahrung unterlassen hat, muss es doch möglich sein - insofern unterscheiden wir uns nicht von den Koalitionsparteien -, dass jemand nicht mehr freigelassen wird, also nachträglich die Sicherungsverwahrung angeordnet wird, wenn er sich als gefährlich für die Allgemeinheit herausstellt. Anträge mit diesem Ziel haben unionsgeführte Länder seit 1998 ständig gestellt. Sie sind immer wieder an SPD und Grünen gescheitert. Einen Entwurf mit diesem Ziel hat auch die CDU/CSU-Bundestagsfraktion eingebracht; die Drucksachennummer 14/6709 weiß ich noch auswendig. Aber auch dieses Gesetz zur Verbesserung des Schutzes vor Sexualverbrechen ist hier an Rot-Grün gescheitert, übrigens mit der Begründung, der Bundesgesetzgeber sei nicht zuständig, weil es sich dabei eher um ein präventives Gesetz zur Gefahrenabwehr handele. Deswegen haben einige Länder, unter anderem Bayern, ein Gesetz zur Unterbringung hochgradig rückfallgefährdeter, für die Allgemeinheit gefährlicher Täter als Landesgesetz verabschiedet. Allerdings wird damit dem Bedürfnis nach bundeseinheitlicher Regelung insbesondere auf dem Gebiet des Strafrechts nicht hinreichend Rechnung getragen. Es ist also eine Krücke, aber immerhin etwas. Nun passierte Folgendes: Der Bundeskanzler hat in einer bekannten Boulevardzeitung in seiner üblichen beifallsheischenden Art und Weise gesagt: Wer sich an kleinen Mädchen vergreift, muss weggeschlossen werden - „und zwar für immer!“ Wenn ich das gesagt hätte, dann hätte es wieder geheißen: Der Gehb will die Lufthoheit über den Stammtischen erobern. Bei Bundeskanzler Schröder hat es viel Applaus gegeben. Dann haben sich plötzlich auch die Rechtspolitiker beider Koalitionsfraktionen - übrigens auch nicht alle rechtskundig - dazu durchgerungen, einen Entwurf einzubringen: die so genannte Vorbehaltslösung, wie Herr Stünker sie genannt hat - eine Mogelpackung, ein Etikettenschwindel, wie er schlimmer nicht geht. Wir wollen die nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung schon kraft Gesetzes vorbehalten. Warum zum Kuckuck muss eigentlich der erkennende Richter diesen Vorbehalt noch einmal aussprechen, wenn wir im Anschluss daran ein mit allen rechtsstaatlichen Kautelen ausgestattetes Verfahren haben, mit staatsanwaltschaftlicher Prüfung, Gutachtern vorne und hinten, einem erstinstanzlichen Urteil, Revision und BGH? In erster Lesung hatten wir gedacht, die Vorbehaltslösung bleibe zwar hinter unserem Antrag zurück, sei aber gegenüber der jetzigen Gesetzeslage ein bisschen besser. Weit gefehlt! ({0}) - Frau von Renesse, solch ein Beitrag von Ihnen? Seit Sie wissen, dass Sie den Bundestag verlassen, kultivieren Sie sich in einer unglaublichen Art und Weise. Ich habe Sie immer geschätzt. Jetzt machen Sie solche dümmlichen Zwischenrufe. ({1}) In diesen Fällen bringt Ihr Entwurf sogar eine Verschlechterung gegenüber der jetzigen Rechtslage. Ich will Ihnen das erklären. ({2}) - Ja, hören Sie gut zu, Herr Stünker! Erstens werden alle, die jetzt einsitzen, von Ihrer Vorbehaltslösung nicht mehr erfasst. Deswegen kann ich nicht verstehen, wie die Frau Bundesjustizministerin gestern vollmundig sagen konnte: „Wer es mit dem Schutz von Kindern vor Sexualstraftätern ernst meint, darf das Gesetz nicht verzögern.“ Ich möchte einmal wissen, wie Sie den Opfern, den Hinterbliebenen oder den Angehörigen erklären, wo der Schutz bleibt, wenn das Gesetz mit der Vorbehaltslösung nicht greift. Denn Altfälle werden nicht gelöst. Zweitens ist es doch klar - Richter sind auch nur Menschen -: Wenn der Richter die Möglichkeit hat, die Sicherungsverwahrung direkt anzuordnen, wird er versucht sein, die weichere Variante zu wählen. Er wähnt sich damit auf der sicheren Seite, weil er, wenn er sich die Sicherungsverwahrung vorbehält, sehen kann, wie sich der Delinquent in Zukunft entwickelt. ({3}) - Das ist kein Misstrauen, sondern das muss man so sehen. Sonst könnte man doch gleich die Sicherungsverwahrung anordnen. Der Vorbehalt macht ja nur so Sinn. Schließlich mögen Sie, Herr Stünker, die Sicherungsverwahrung eigentlich gar nicht. Sie haben vorgestern in der Sitzung des Rechtsausschusses in entwaffnender Art und Weise gesagt: Also, unter Zurückstellung der Bedenken gegenüber der Notwendigkeit einer Sicherungsverwahrung überhaupt haben wir diese Lösung eingebracht. Hier möchte ich im Übrigen auch noch etwas zu den Grünen sagen: Deren einzige Sorge ist offenbar - das haben Sie, Herr Beck, auch in der Rechtsausschusssitzung gesagt -, wie man die armen Sicherungsverwahrten besser unterbringt. Sie haben nicht den Opferschutz, sondern immer nur den Täterschutz im Sinne. Auch das muss an dieser Stelle einmal gesagt werden. ({4}) Eine dritte latente Schwierigkeit ist auch ganz offensichtlich - diese ist in der Konzeption der Sicherungsverwahrung ja geradezu angelegt -: Durch die vorverlagerte Prüfung der Gefährlichkeitsprognose, nämlich sechs Monate vor dem Verbüßen von zwei Dritteln der Strafe, ist möglicherweise der empirische Datenbestand gar nicht groß genug, um eine hinreichende Gefährlichkeitsprognose zu stellen. Das hätte zur Konsequenz, dass man dann, wenn in einem Verfahren, in dem aufgrund des Vorbehalts von einer Anordnung der Sicherungsverwahrung abgesehen wurde, nach wenigen Monaten schon wieder prüfen muss, obwohl man gar nicht genügend Erkenntnisse darüber hat, ob der Täter sich zum Besseren gewandelt hat oder eine tickende Zeitbombe ist. Was passiert also? Die Sicherungsverwahrung wird überhaupt nicht angeordnet. Eine weitere, sehr schwere Schwäche beinhaltet der Gesetzentwurf von Rot-Grün: All diejenigen Täter, die mehrmals eine Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren bekommen haben, aber nie mehr als drei Jahre, können trotz erkannter Gemeingefährlichkeit nicht in Sicherungsverwahrung untergebracht werden. Das ist ein unmöglicher Zustand, meine Damen und Herren. ({5}) Alles in allem kann man nur sagen: Nach langem Bohren und einem Machtwort des Bundeskanzlers dazu, der Sie wiederum einmal zum Jagen getragen hat, weil Sie gemerkt haben, wie populär solche Forderungen sind - „Wegschließen, und zwar für immer!“; es gab noch ein paar andere Sprüche in dieser Richtung -, entspricht das Gesetz, nachdem es Akademiker in die Hand bekommen haben, plötzlich nicht mehr den Forderungen des Bundeskanzlers. Erst holen Sie sich den Beifall bei den Leuten, die in der Frühstückspause bei einem Brot mit Gehacktem und ein paar Gürkchen die „Bild“-Zeitung lesen; aber Ihre Akademiker machen dann jeglichen guten Ansatz an der Wurzel zunichte. ({6}) Deswegen kann ich dazu nur sagen: Die Vorbehaltslösung stellt gegenüber der gegenwärtigen Rechtslage eine eindeutige Verschlechterung dar. ({7}) Ein wirklicher Schutz der Opfer vor Hangtätern, insbesondere vor Sexualverbrechern, kann in Zukunft nur auf der Basis des Entwurfs, den die CDU/CSU früher einmal eingebracht hat, verwirklicht werden. Da dieser aber aufgrund des Wiederbefassungsverbotes in dieser Wahlperiode nicht mehr eingebracht werden kann, kann er erst wieder nach der Bundestagswahl beraten werden. Ich gehe davon aus, dass das nach dem 22. September der Fall sein wird. ({8}) Noch eines: Die Bundesjustizministerin hat ja gestern im Interview mit dem Deutschen Depeschen-Dienst voller Larmoyanz gesagt, dass im Bundesrat Gesetzesvorhaben verschleppt werden. Ich kann dazu nur sagen: Da wird nichts verzögert; dort liegen genügend Anträge, die in diese Richtung zielen, vor. Gleichzeitig hat sie aber mit keiner Silbe erwähnt, dass ein viel griffigeres Gesetz mit den Stimmen ihrer Partei abgelehnt worden ist. Sie muss wohl jeglichen Bezug zur Realität vollkommen verDr. Jürgen Gehb loren haben. Dass sie dieses dann auch noch mit Inbrunst und voller Überzeugung vertritt, zeugt von einer Beratungsresistenz - gestern Abend, als ich die Frau Ministerin bei Maybrit Illner gesehen habe, dachte ich, dass diese eigentlich gar nicht mehr zu überbieten sei -, die die Ministerin immer wieder aufs Neue bestätigt und dann sogar noch toppt. Vielen Dank, meine Damen und Herren. ({9})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Als nächster Redner hat der Kollege Volker Beck von Bündnis 90/Die Grünen das Wort.

Volker Beck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002625, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Sicherungsverwahrung ist der schwerwiegendste Eingriff in die Freiheitsrechte eines Menschen, den unser Strafgesetzbuch vorsieht. Sie ist das eigentliche Lebenslänglich. Möglich ist das Weggeschlossensein für immer und ewig. Deshalb ist die Verhängung dieser einschneidenden Maßnahme nur zu rechtfertigen, wenn sie zum Schutz der Bevölkerung vor schwerwiegenden Straftaten absolut unerlässlich ist. Sie ist auch nur zu rechtfertigen, wenn das Verfahren insgesamt auf verfassungsrechtlich solider Grundlage steht. Beides haben wir mit diesem Gesetzentwurf sichergestellt. Wir Grünen haben in den Beratungen Wert besonders darauf gelegt, dass der ursprüngliche Entwurf um einige Punkte angereichert wurde, die die rechtsstaatliche Qualität dieses Gesetzes deutlich erhöhen. Der Vorbehalt soll durch das erkennende Gericht - da waren wir uns mit den Kollegen in unserer Fraktion von Anfang an einig und nicht durch die Vollstreckungskammer verhängt werden. Dies ist vorzugswürdig, weil so die Einheit des gesamten Verfahrens gewahrt wird. Wir meinen, dass es so nicht zu einer inflationären Verhängung von Vorbehalten durch die Gerichte kommen wird. Denn auch, wenn wohl die personelle Besetzung der Kammer Jahre später nicht mehr dieselbe sein wird: Es gibt keinen Grund, daran zu zweifeln, dass die Richterinnen und Richter mit diesem scharfen Schwert verantwortungsvoll umgehen werden. Wir haben im Gesetz ebenfalls klargestellt, dass im Vorbehaltsverfahren immer auch ein medizinischer Gutachter sein Votum abgeben muss. Wir haben gewährleistet, dass, wenn die Sicherungsverwahrung später nicht verhängt wird, dieser Vorbehalt auch nicht in einem Führungszeugnis auftaucht. Welcher Arbeitgeber würde denn eine Person einstellen, die einmal mit dem Stempel „hochgefährlich“ belegt wurde? Wir schließen eine Gesetzeslücke, die, wenn auch nur in sehr wenigen Fällen, dazu führen könnte, dass Personen selbst dann aus der Strafhaft entlassen werden, wenn nahezu sicher feststeht, dass sie danach weitere schwere Straftaten begehen werden. Wir optimieren den Schutz der Bevölkerung vor schweren Straftaten, insbesondere vor schweren Sexualstraftaten. Die Menschen sind durch Einzelfälle bewegt worden, in denen man eine weitere Straftat vielleicht hätte verhindern können. Das muss uns jede Mühe wert sein. Aber auch die rechtsstaatlichen Gesichtspunkte müssen dabei Beachtung finden. Wir beschränken den Anwendungsbereich auf schwere Delikte, auf Straftaten gegen das Leben, die sexuelle Selbstbestimmung oder die körperliche Unversehrtheit. Die Entscheidung über die Sicherungsverwahrung muss spätestens ein halbes Jahr vor dem Zeitpunkt getroffen werden, zu dem über die Aussetzung des Strafrestes zur Bewährung entschieden werden kann. Dieser Entwurf ist unseres Erachtens der einzige Weg, um die Gesetzeslücke in rechtsstaatlich vertretbarer Weise zu füllen. Wären wir Ihnen, verehrte Kolleginnen und Kollegen von der Union, wirklich gefolgt, dann hätten wir mit Sicherheit Probleme in Karlsruhe bekommen. ({0}) Wer hat denn etwas von einem Gesetz, bei dem die Rechtsfolgen später von Karlsruhe aufgehoben werden, nicht, weil sie nicht sachgerecht wären, sondern weil die Rechtsgrundlage verfassungswidrig ist? ({1}) Deshalb haben die potenziellen Opfer mehr von einem Gesetz, das verfassungsrechtlich Bestand hat, weil dann auch die Sanktionen Bestand haben werden. ({2}) - Herr Schröder hat hier kein Modell vorgeschlagen. Er hat eine Linie vorgegeben und das ist auch die Aufgabe des Bundeskanzlers. ({3}) Um die Details müssen sich die Fachpolitiker und die Fachressorts kümmern und das hat das Fachressort in vorzüglicher Art und Weise mit den Rechtspolitikern der Koalition getan. Die Sachverständigen haben in der Anhörung ganz deutlich gemacht, dass der Weg, den Sie gehen, verfassungsrechtlich in keiner Weise zu halten ist. ({4}) Viele Sachverständige haben selbst bei diesem Gesetzentwurf ein mulmiges Gefühl, was unter rechtsstaatlichen Gesichtspunkten verständlich ist. Aber wir haben als Politiker beides abzuwägen und zu berücksichtigen: die rechtsstaatlichen Grundlagen und die Sicherheit der Bevölkerung. Deshalb mussten wir diesen Weg gehen. Herr Gehb, ich wundere mich: Ich denke, bei dieser Art von Sanktion, die keine Strafe ist, sondern die Hinzufügung eines Übels nach Verbüßung der Strafe, muss sich jeder Rechtspolitiker, auch wenn das draußen vielleicht nicht populär ist, dreimal fragen, ob es am Ende wirklich die trifft, bei denen das Ganze notwendig ist, um Sicherheit zu produzieren. Man kann damit nicht so leger umgehen. ({5}) Mir ist bei solch einem Gesetz nie wohl und ich finde es richtig, dass man sich immer fragt: Ist es gerechtfertigt? Ist es notwendig? Wir kommen zu dem Ergebnis: „Das ist es“, aber wir haben das hier mit allen Kautelen erwogen.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Kollege Beck, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Gehb? - Bitte schön, Herr Gehb.

Dr. Jürgen Gehb (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003129, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Beck, gibt es empirische Erkenntnisse, die den Schluss zulassen, dass ausgerechnet in der Bundesrepublik Deutschland, in der die Rechtsstaatlichkeit so ausgeprägt ist, dass sie für andere beispielhaft ist, sowohl Strafgefangene als auch Personen in Sicherungsverwahrung unmenschlich behandelt werden, eingekerkert werden oder sogar einen Eisenklumpen am Fuß haben, dass es bei uns, jedenfalls im Verhältnis zu anderen demokratischen Staaten, also unbedingten Nachholbedarf gibt, während wir die Frage, ob die Bevölkerung zu schützen ist, eher mit spitzen Fingern oder am besten gar nicht anfassen?

Volker Beck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002625, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Gehb, es stimmt einfach nicht, dass man das mit spitzen Fingern anfasst, ({0}) sondern man muss wirklich in Abwägung beider Problemstellungen - einerseits der Schutz gerade von Kindern vor Sexualstraftaten, anderseits aber auch die Zufügung eines Übels nur da, wo es unabdingbar ist - die Frage beantworten und zu einer ausgewogenen Entscheidung kommen. Ich möchte Ihnen aber gern noch etwas dazu sagen, wie Sicherungsverwahrung tatsächlich stattfindet. Es ist natürlich nicht so, wie Sie hier bildreich darstellen, dass die Leute mit einer Metallkugel am Fuß ihr Leben fristen müssen. Wenn Sie sich die Strafanstalten einmal von innen anschauen ({1}) und von der Strafabteilung zur Abteilung Sicherungsverwahrung gehen, werden sie den Wechsel nicht bemerken, wenn es Ihnen keiner sagt. Da sehe ich ein Problem. Der Strafgefangene muss die Eingriffe in seine Rechte erdulden, weil er eine Strafe zu verbüßen hat. Das ist recht und fair. Bei einem Sicherungsverwahrten ist die Strafe verbüßt; er bringt danach noch ein Opfer wegen seiner vermeintlichen oder tatsächlichen Gefährlichkeit für die Sicherheit der Bevölkerung. ({2}) Ich meine, Herr Gehb, dass wir an diesem Punkt wirklich in eine Debatte über die Grundlagen des Vollzugs der Sicherungsverwahrung eintreten müssen. Ich wünsche mir, dass wir in der nächsten Wahlperiode gemeinsam mit den Bundesländern, die hier nicht vertreten sind - vielleicht sagt ihnen jemand, dass es diesen Wunsch aus diesem Haus gibt -, zu einem Sicherungsverwahrungsvollzugsgesetz kommen, das versucht, nur die notwendigen Sicherungsmaßnahmen zu treffen, aber im Übrigen nicht notwendige Einschnitte in die Rechte der Verwahrten vermeidet. Ich wünsche mir diese Diskussion. Ich weiß, das ist nicht populär; aber ich finde, wir sind uns als Politiker solche Fragestellungen schuldig. Vielen Dank. ({3})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt der Kollege Jörg van Essen von der FDP-Fraktion.

Jörg Essen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000495, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Problem der nachträglichen Sicherungsverwahrung beschäftigt uns tatsächlich schon lange Zeit. Es hat bisher erheblichen Widerstand - Herr Gehb, Sie haben zu Recht darauf hingewiesen - seitens der rot-grünen Landesregierungen gegeben, die mit diesen Fragen befasst waren. Es hat übrigens auch in diesem Hause Widerstand gegeben. Ich erinnere mich noch sehr gut daran, welche Position hier vertreten wurde, beispielsweise an den Hinweis, dass das Ganze im Ordnungsrecht und nicht im Strafprozessrecht zu verankern sei. Wir als FDP haben uns, weil wir uns dem Opferschutz verpflichtet fühlen, immer dafür eingesetzt, hier zu einer Regelung zu kommen. Ich muss gestehen, dass ich am Anfang auch für eine offenere Gestaltung war, wie sie der Änderungsantrag der CDU/CSU vorsieht. Herr Stünker, Sie haben zu Recht auf mehrere Sachverständigenanhörungen hingewiesen. Ich bin nach diesen Sachverständigenanhörungen nachdenklich geworden und war nicht mehr sicher, ob das alles tatsächlich mit der Verfassung zu vereinbaren ist. Für diejenigen, die keine Rechtsspezialisten sind, ganz kurz der Hinweis: Es gibt den Grundsatz, dass man wegen einer Straftat nicht zweimal bestraft werden kann. Natürlich ist Sicherungsverwahrung keine Strafe; aber - auch das ist in der Debatte zu Recht schon gesagt worden - Sicherungsverwahrung ist das wahre Lebenslänglich, weil beim „richtigen“ Lebenslänglich nach 15 Jahren geprüft wird, ob eine weitere Vollstreckung notwendig ist oder nicht. Bei der Sicherungsverwahrung findet in aller Regel ein sehr viel längerer und intensiverer Vollzug statt. Ich habe einen Fall erlebt, in dem diese Sicherungsverwahrung mehr als 40 Jahre gedauert hat. Das macht deutlich, dass deshalb besondere Anforderungen an eine Regelung zu stellen sind. - Das ist der eine Gesichtspunkt, den man zu berücksichtigen hat. Auf der anderen Seite haben uns die Sachverständigen in der Anhörung deutlich gemacht - auch das ist in dieser Debatte zu Recht angesprochen worden -, dass es tatsächlich Fälle gibt, bei denen sich erst im Vollzug herausstellt, dass jemand gefährlich ist. Wir haben gegenüber der Bevölkerung bzw. gegenüber uns allen die Verantwortung, dass diese Täter nicht erneut schwerste Straftaten begehen können. Volker Beck ({0}) Ich glaube, dass das, was jetzt eingebracht worden ist, ein verfassungsfester Mittelweg ist. Die nachträgliche Sicherungsverwahrung - Herr Gehb, da bin ich anderer Meinung als Sie - wird nach meiner Auffassung nicht dazu führen, dass sich Gerichte vor der Verantwortung drücken ({1}) oder dass sie etwa weniger oft eine Sicherungsverwahrung verhängen. Das geschieht schon deshalb nicht, weil sie so ausgestaltet ist, dass eine spätere Entscheidung das Gericht natürlich belastet. Es muss neu in die Sache eingestiegen und es muss verhandelt werden. Deshalb wird derjenige, der sich Arbeit vom Hals schaffen will - ich glaube nicht, dass das bei Richtern der Fall ist; aber unterstellen wir einmal, dass diese theoretische Möglichkeit besteht -, gleich mitentscheiden. Im Übrigen habe ich das Gefühl, dass man eher häufiger entscheiden wird, sich die Sicherungsverwahrung vorzubehalten, wenn Anzeichen für deren Notwendigkeit vorhanden sind. Das ist genau das Ergebnis, das wir wollen. Durch das jetzt vorgesehene Verfahren wollen wir sicherstellen, dass in den Fällen, in denen es Anzeichen gibt - auch wenn es nur geringfügige sind -, hinterher Klarheit geschaffen werden kann. ({2}) Von daher ist es kein Rückschritt, sondern ein Fortschritt, den wir hiermit erzielen. ({3}) Eine Frage, bei deren Beantwortung ich durchaus anderer Auffassung bin als zu Beginn der Debatte, lautet: Wer soll die Sicherungsverwahrung anordnen? Zwei Möglichkeiten bestehen: zum einen die Strafvollstreckungskammer oder zum anderen das Gericht, das ursprünglich über die Tathandlung geurteilt hat. Auch da hat uns die Anhörung gezeigt, dass es viele Gründe dafür gibt, dem erkennenden Gericht die Zuständigkeit dafür zuzuweisen. Wir haben im Übrigen auf dem FDP-Bundesparteitag in Mannheim außerordentlich sorgfältig über die Regelungen diskutiert und sind zu dem Beschluss gekommen, dass das erkennende Gericht diese Entscheidung treffen soll. Das Ergebnis ist damit: Die FDP-Bundestagsfraktion wird heute diesem wichtigen Schritt, mehr Opferschutz zu erreichen, zustimmen. Vielen Dank. ({4})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Zu einer Kurzintervention erteile ich Ihnen, Herr Kollege Hartenbach, das Wort.

Alfred Hartenbach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002669, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Im Namen der SPD-Fraktion möchte ich Herrn van Essen, der als Praktiker für Praktiker gesprochen und den Nagel auf den Kopf getroffen hat, herzlich danken. ({0})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Möchte jemand entgegnen? - Nein. Dann erteile ich der Kollegin Evelyn Kenzler von der PDS-Fraktion das Wort.

Dr. Evelyn Kenzler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003159, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich habe selten erlebt, dass sich die Regierungskoalition bei einer ihrer Gesetzesinitiativen so gequält hat wie bei dem heute zu debattierenden Gesetzentwurf. ({0}) Nicht nur die Vertreter des Bündnisses 90/Die Grünen mussten sich wenden. Nein, auch die Kollegen der SPD haben sich aus guten Gründen schwer getan. Doch ein Kanzlerwort verpflichtet eben. So war die Quadratur des Kreises angesagt: nachträgliche Sicherungsverwahrung, aber bitte rechtsstaatlich. ({1}) - Wenn Sie das meinen. Natürlich ist auch meiner Fraktion der Schutz der Bürgerinnen und Bürger und insbesondere der der Kinder vor gefährlichen Gewaltverbrechern außerordentlich wichtig. Aber dabei dürfen der Schutz der Persönlichkeitsrechte und das Verfahren nicht auf der Strecke bleiben. ({2}) Diese schwierige Balance ist von uns ohne externen Sachverstand kaum zu leisten. Deshalb habe ich mit großem Interesse die Expertenanhörung verfolgt. Das Votum gegen die vorbehaltene Sicherungsverwahrung hat mich dann allerdings in seiner Eindeutigkeit überrascht. Viele meiner grundsätzlichen Bedenken aus der ersten Lesung wurden bestätigt. So lehnte Herr Pollähne vom Bremer Institut für Kriminalpolitik den Gesetzentwurf aus verfassungsrechtlichen und rechtspolitischen Gründen ab. Die in der Verfassung begründete Unschuldsvermutung „in dubio pro reo“ werde unterlaufen, wenn künftig „im Zweifel“ der Vorbehalt einer Sicherungsverwahrung angeordnet werde. Außerdem habe die Sicherungsverwahrung erhebliche Nebenwirkungen auf den Strafvollzug, da die Betroffenen von Freigang, Außenbeschäftigung und Ausgang ausgeschlossen würden. Ebenso gravierende Einwände hatte Herr Kinzig vom Max-Planck-Institut. So könne das Gesetzesvorhaben gegen das Rückwirkungsverbot sowie das Verbot der Doppelbestrafung verstoßen. Als sehr fragwürdig stufte auch Herr Professor Egg von der Kriminologischen Zentralstelle eine Gefährlichkeitsprognose ein, die zu einer deutlich ungünstigeren Bewertung des Straftäters komme und damit für eine nachträgliche Sicherungsverwahrung ausreichend sei. Auch die von der CDU/CSU benannten Experten waren gegen diese Gesetzesinitiative. Sie waren das allerdings deshalb, weil ihnen die Regelung nicht weit genug geht - Herr Gehb hat das hier ausgeführt - und sie eine nachträgliche Sicherungsverwahrung ohne Einschränkung wollen. Die Anhörung brachte also eine eindeutige Ablehnung des Gesetzentwurfs. ({3}) Den einen gehen die Regelungen nicht weit genug, den anderen gehen sie viel zu weit. Summa summarum lässt das doch wohl nur einen Schluss zu: den Gesetzentwurf nicht zu verabschieden. Wozu brauchen wir denn sonst Expertenanhörungen? ({4}) - Weiter diskutieren und darüber nachdenken, welche Alternativen es zur Sicherungsverwahrung gibt. ({5}) Die Nachbesserungen im Gesetzentwurf mögen eine sauberere Lösung für die StPO sein, wie Sie, Herr Kollege Stünker, es im Rechtsausschuss ausgeführt haben, doch sie sind in der Sache selbst keine bessere Lösung. Eine absolute Sicherheit vor gefährlichen Straftätern gibt es leider nicht, auch dann nicht, wenn dieser Gesetzentwurf geltendes Recht werden sollte. Wir sollten die Bevölkerung darauf hinweisen und ihr kein falsches Sicherheitsgefühl vorgaukeln. Im Rahmen dieser Relativität von Sicherheit gibt es selbstverständlich auch Alternativen zur Sicherungsverwahrung, die rechtsstaatlich unproblematischer sind und mit Persönlichkeitsrechten vorsichtiger umgehen. Für mich ist und bleibt die nachträgliche Sicherungsverwahrung deshalb, ob mit oder ohne Vorbehalt, nicht akzeptabel. ({6})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Für die Bundesregierung spricht jetzt der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Pick.

Prof. Dr. Eckhart Pick (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001715

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Erlauben Sie mir eine Vorbemerkung. Es ist ein Lob für die Gremien dieses Hauses, wenn festgestellt wird, dass man durch Anhörungen und die Erfahrungen anderer klüger geworden ist. ({0}) Das ist nicht die Regel, egal wer die Regierung stellt. Insofern stimmt das, was Herr van Essen gesagt hat. Die unterschiedlichen Auffassungen, übrigens auch die Diskussion mit dem Bundesrat, Herr Gehb, haben uns in der Tat zu einer Lösung gebracht, die wir unter allen Gesichtspunkten für die beste halten. Ich fand es aber nicht sehr glücklich, Herr Gehb, dass Sie Kollegen aus dem Rechtsausschuss zitiert oder so getan haben, als zitierten Sie sie. Zumindest war das mein Eindruck. Ich denke aber, dass es in einem nicht öffentlichen Gremium möglich sein muss, etwas zu sagen, was man hinterher in der Debatte etwas anders formulieren würde. ({1}) Ich hatte zumindest den Eindruck, dass Sie den Kollegen Stünker zitiert haben. Meine Damen und Herren, wenn wir heute über die vorbehaltene Sicherungsverwahrung diskutieren, haben wir aufwühlende Berichte von Sexualverbrechen, vor allem an Kindern, vor Augen. Gemeinsam tragen wir die Verantwortung dafür, unsere Kinder so gut wie möglich zu schützen, damit ihr Leben nicht auf eine brutale Weise zerstört wird. Hier sind sicherlich Vorbeugung und Behandlung der Täter gefragt; aber das ist ganz gewiss nicht alles. Selbstverständlich muss es möglich sein, die Gesellschaft vor anhaltend gefährlichen Straftätern zu schützen, und zwar, wenn nötig, für immer. Die Gerichte haben heute schon eine Reihe von Möglichkeiten, solche Taten streng zu bestrafen und dafür zu sorgen, dass die Täter - wenn nötig - in Sicherungsverwahrung gelangen, also ihre entsetzlichen Taten nicht wiederholen können. Der Gesetzentwurf, der Ihnen jetzt vorliegt, verbessert über die bestehenden Regelungen hinaus den Schutz der Bevölkerung vor besonders gefährlichen Straftätern, vor Gewalt- und Sexualverbrechen, vor allem an Kindern. Der Gesetzentwurf wird eine mögliche Regelungslücke - da die Bundesministerin der Justiz schon mehrfach angesprochen wurde, darf ich in Klammern hinzufügen, dass sie schon Mitte der 90er-Jahre in schriftlicher Form auf diese Regelungslücke hingewiesen hat - für die Fälle schließen, in denen hochgefährliche Straftäter entlassen werden könnten, deren Gefährlichkeit zum Zeitpunkt des Urteils noch nicht sicher festgestellt werden konnte, ({2}) deren Gefährlichkeit aber bei der Entlassung feststeht. Wir wollen den Gerichten die Möglichkeit geben, in Zweifelsfällen abzuwarten, welche Erfahrungen man im Strafvollzug mit dem Täter macht, damit sie dann in Zweifelsfällen zutreffende Prognosen stellen können. Insofern, Herr Gehb, ist es natürlich eine andere Regelung, als die, die wir bisher haben. In Fällen, in denen sich die Gerichte heute mit der Frage schwertun, Sicherungsverwahrung zu beschließen oder nicht, können sie eine Vorbehaltslösung finden. Ich denke, dass die Gerichte von dieser zusätzlichen Möglichkeit verantwortungsvoll Gebrauch machen werden. ({3}) Der Entwurf sieht vor, dass das erkennende Gericht in seinem Urteil die Unterbringung in der SicherungsverDr. Evelyn Kenzler wahrung vorbehalten kann und die endgültige Anordnung später erfolgt, wenn nach Teilverbüßung der Strafe die Gefährlichkeit des Verurteilten feststeht. Diese Regelung ermöglicht es, bei der Gefährlichkeitsprognose nicht allein die Umstände der Tat und ihre Vorgeschichte, sondern auch die Erkenntnisse und Erfahrungen aus dem Strafvollzug Eingang finden zu lassen. Die neue Möglichkeit gibt den Gerichten gerade bei schwersten Straftaten mehr Beurteilungssicherheit in den Fällen, in denen die Grundlage für eine Kriminalprognose bisher nicht ausreichte, in denen also das Gericht bisher zu wenig sicher vorhersagen konnte, ob der Straftäter auch weiterhin eine Gefahr für die Bevölkerung darstellt. Dieses Vorbehaltsmodell hat - dies ist bereits gesagt worden - gegenüber der nachträglichen Sicherungsverwahrung entscheidende Vorteile und unterliegt im Gegensatz zur nachträglichen Sicherungsverwahrung auch keinen rechtsstaatlichen Bedenken. Insbesondere hat der Bundesgesetzgeber lediglich für die vorbehaltene, nicht aber für die nachträgliche Sicherungsverwahrung Gesetzgebungskompetenzen. Es ist nach wie vor die Auffassung der Bundesregierung, dass Prävention Sache der Länder ist und typisches Gefilde des Polizeirechts. Auf diesem Gebiet hat der Bund - selbst wenn er dies wollte - keine Gesetzgebungskompetenz. ({4}) Die Regelungskompetenz des Bundes folgt aus dem Titel „Strafrecht“, während für die isoliert angeordnete nachträgliche Sicherungsverwahrung die Gesetzgebungskompetenz bei den Ländern liegt. Die Vorbehaltslösung hat auch den Vorteil, dass die spätere Anordnung der Sicherungsverwahrung nicht die Rechtskraft des Urteils durchbricht und nicht die Gefahr besteht, dass die neue Regelung zur Korrektur des Urteils benutzt wird. Wir haben uns hinsichtlich der vorbehaltenen Sicherungsverwahrung für ein zweiaktiges Verfahren entschieden; das hat Herr Stünker bereits ausgeführt. Wir behalten dem erkennenden Gericht die Entscheidung über die endgültige Sicherungsverwahrung, ja oder nein, vor. Ich denke, dass das eine rechtsstaatlich einwandfreie Lösung ist. Hinsichtlich des erkennenden Gerichts haben wir uns davon überzeugen lassen, dass das die angemessenere Lösung ist. Die Möglichkeit der einheitlichen Rechtsprechung wird hier befördert und es bestehen die gleichen verfahrensrechtlichen Rechte zugunsten des Verurteilten. Es handelt sich also insgesamt um eine zweckmäßige und rechtsstaatliche Lösung. Vielen Dank. ({5})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung, und zwar zunächst über den von den Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/ Die Grünen eingebrachten Gesetzentwurf zur Einführung der vorbehaltenen Sicherungsverwahrung, Drucksache 14/8586. Der Rechtsausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 14/9264, den Gesetzentwurf in der Ausschussfassung anzunehmen. Dazu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache 14/9298 vor, über den wir zuerst abstimmen. Wer stimmt für diesen Änderungsantrag? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Änderungsantrag ist bei Zustimmung der CDU/CSU-Fraktion mit den Stimmen des Hauses im Übrigen abgelehnt. Ich bitte nun diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen mit Ausnahme einer Stimme aus der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen, die dagegen war, und der FDP-Fraktion bei Gegenstimmen von CDU/CSU und PDS angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist mit gleichem Stimmenverhältnis angenommen. ({0}) Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses auf Drucksache 14/9264 zu dem von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Einführung der vorbehaltenen Sicherungsverwahrung. Der Rechtsausschuss empfiehlt unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung, den Gesetzentwurf auf Drucksa- che 14/9041 für erledigt zu erklären. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer ent- hält sich? - Die Beschlussempfehlung ist bei Enthaltung der FDP-Fraktion mit den Stimmen des Hauses im Übri- gen angenommen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 22 a und b auf: 22. a) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen ({1}) - zu dem Antrag der Abgeordneten Annette Faße, Reinhard Weis ({2}), Hermann Bachmaier, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Albert Schmidt ({3}), Helmut Wilhelm ({4}), Ekin Deligöz, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN Für einen sanften Ausbau der Donau zwischen Straubing und Vilshofen - zu dem Antrag der Abgeordneten Renate Blank, Dirk Fischer ({5}), Eduard Oswald, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU Verbesserung der Schifffahrtsverhältnisse im Donauabschnitt zwischen Straubing und Vilshofen - zu dem Antrag der Abgeordneten HansMichael Goldmann, Horst Friedrich ({6}), Dr. Karlheinz Guttmacher, weiterer Abgeord- neter und der Fraktion der FDP Ausbau der Donau zwischen Straubing und Vilshofen - zu dem Antrag der Abgeordneten Eva Bulling- Schröter, Dr. Winfried Wolf, Uwe Hiksch und der Fraktion der PDS Ausbau der Donau zwischen Straubing und Vilshofen ökologisch gestalten - Drucksachen 14/8589, 14/8484, 14/8497, 14/7196, 14/9251 - Berichterstattung: Abgeordnete Annette Faße b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen ({7}) zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Michael Meister, Dirk Fischer ({8}), Eduard Oswald, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU Notwendigkeit des Saaleausbaus - Drucksachen 14/8485, 14/9247 Berichterstattung: Abgeordnete Annette Faße Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist es so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Als erste Rednerin spricht für die Bundesregierung die Parlamentarische Staatssekretärin Angelika Mertens.

Angelika Mertens (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002734

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Am 17. Oktober 1996 erklärten der damalige Verkehrsminister Wissmann und der derzeitige Kanzlerkandidat von CDU und CSU, Stoiber, zum geplanten Donauausbau: Bund und Bayern vereinbaren daher in Abwägung der finanzpolitischen Situation der öffentlichen Hand, der verkehrswirtschaftlichen Situation und ökologischen Ziele einen Ausbau in zwei Schritten: Zunächst werden in den Jahren 1998 und 1999 Optimierungsmaßnahmen mit einem Investitionsvolumen von 24 Millionen DM durchgeführt, die bereits eine beachtliche Transportkostensenkung erreichen. ... Die Entscheidung über die Art des zweiten Ausbauschrittes soll im Jahre 2000 unter Berücksichtigung der weiteren verkehrlichen Entwicklung auf der Donau erfolgen. Die „Süddeutsche Zeitung“ stellte gestern treffend fest: Und ein Verkehrsminister der CDU, Matthias Wissmann, war es, der in der vorhergehenden Legislaturperiode alle Ausbaupläne auf Eis legte. Einziger Grund: Geldmangel. Sie wollen heute die Maximallösung mit drei Staustufen, für die fast 800 Millionen Euro veranschlagt werden müssen. Ich erinnere nur daran, dass sich der Bayerische Rechnungshof wegen dieser Summen schon einmal kritisch über allzu große Pläne geäußert hat. ({0}) Immerhin wurde 1996 ein umfangreiches Untersuchungsprogramm auf den Weg gebracht, durch das insbesondere dargestellt werden sollte, welche Ergebnisse sich mit flussregelnden Varianten erzielen lassen. Wie wir alle wissen, sind diese Untersuchungen abgeschlossen und von uns intensiv fachlich und juristisch geprüft worden. Nach Abschluss dieser Prüfung ist der Bund davon überzeugt, dass es richtig ist, ausschließlich die Ausbauvariante A in ein Raumordnungsverfahren zu bringen. Die vertieften Untersuchungen zeigen, dass nur die sensible Variante A wesentliche Verbesserungen in einem angemessenen Zeitraum ermöglicht. Hier gilt sicherlich ein Satz, der von allen verstanden wird: Zeit ist Geld. ({1}) Vor dem Hintergrund der deutlich veränderten europäischen Rechtslage im Umweltschutz würde die Forderung nach Staustufen möglicherweise jahrelange Verzögerungen bedeuten. Die Nachteile einer Staustufenlösung liegen auf der Hand: erhebliche Umweltnachteile, wesentlich höhere Ausbaukosten und die beschriebenen rechtlichen Risiken, die einem zügigen Ausbau entgegenstehen. Die Kosten für die Ausbauvariante A liegen bei etwa 125 Millionen Euro zuzüglich der Kosten für den Hochwasserschutz in Höhe von knapp 300 Millionen Euro. Damit ist diese Variante günstiger als alle anderen. Sie hat obendrein das beste Nutzen-Kosten-Verhältnis; das heißt, sie ist auch volkswirtschaftlich besonders sinnvoll. ({2}) Naturschutz und Verbesserungen für die Binnenschifffahrt stehen also nicht im Widerspruch zueinander, sondern ergänzen sich. Eine Blockade der Bayerischen Staatsregierung wäre also zum Schaden für die Binnenschifffahrt, aber auch für Mensch und Natur. Ich hoffe daher, dass sich auch Bayern zum Wohle des Vorhabens einbringt. ({3}) Der Schifffahrt ist mit einer schnelleren und durchsetzbaren Lösung wesentlich mehr gedient. Bayern sollte deshalb nicht aus Wahlkampftaktik Verbesserungen für die Schifffahrt blockieren. Unser Ziel ist es jetzt, das Raumordnungsverfahren für die Variante A möglichst schnell einzuleiten, denn nur das bringt die notwendigen Verbesserungen für die Schifffahrt. Die Bayerische Staatsregierung kann uns nicht zwingen, auch die Staustufenvarianten untersuchen zu lassen. Allerdings kann sie ein Raumordnungsverfahren Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms zur Variante A blockieren. Das würde einen erheblichen Schaden für die Binnenschifffahrt bedeuten. ({4}) Ich hoffe deshalb auf Einsicht und Vernunft in München. ({5}) Es ist unumstritten, dass der Ausbau der Donau zwischen Straubing und Vilshofen notwendig ist. ({6}) Diese Strecke stellt einen qualitativen und quantitativen Engpass im nationalen und internationalen Verkehrsnetz dar. ({7}) Der Donausaubau ist eine verkehrspolitische Voraussetzung für eine konkurrenzfähige Binnenschifffahrt. Ich gehe deshalb davon aus, dass der Deutsche Bundestag heute die Bundesregierung beauftragt, nunmehr das Raumordnungsverfahren und weitere Planungen für den Ausbau der Donau zwischen Straubing und Vilshofen einzuleiten und dabei ausschließlich die Ausbauvariante A, also flussregelnde Maßnahmen, zugrunde zu legen. ({8}) Um die planungsrechtlichen Voraussetzungen für den Ausbau der Donau zu schaffen, wird das Bayerische Staatsministerium für Wirtschaft, Verkehr und Technologie zeitnah darüber unterrichtet werden, dass die Wasserund Schifffahrtsverwaltung des Bundes bei der zuständigen Landesplanungsbehörde einen Antrag auf Einleitung eines Raumordnungsverfahrens stellt. ({9}) Der von den Koalitionsfraktionen vorgeschlagene Beschluss für den Ausbau ohne Staustufen eröffnet ein neues Kapitel in der Geschichte der Donau. Ich bin sicher, dass damit ein zukunftsweisender Kompromiss gefunden wird, der sowohl die deutschen und europäischen Interessen an einem Lückenschluss als auch die wirtschaftlichen und ökologischen Belange der Region berücksichtigen wird. Der Bayerischen Staatsregierung empfehle ich in diesem Zusammenhang die Lektüre der „Süddeutschen Zeitung“ vom 6. Juni. Darin heißt es: Eine realistische Annahme geht dahin, dass es entweder einen sanften Ausbau ohne Staustufen oder - jedenfalls für lange Zeit - gar keinen Ausbau geben wird. ({10}) Bayerns Regierung muss es sich gut überlegen, ob sie juristisch gegen die Entscheidung des Bundestages ... vorgehen soll. Die Sache wird bis zur letzten Instanz ausgefochten werden und für die Schifffahrt auf der Donau wäre in all diesen Jahren nichts gewonnen. ({11}) ... Ob es hingegen ein Erfolgskonzept ist, mit der Forderung nach Staustufen in den Bundestagswahlkampf zu ziehen, das ist sehr zweifelhaft. Gut möglich, dass der Unionskandidat Edmund Stoiber dieses Risiko dann doch lieber nicht eingeht. Dem ist nichts hinzuzufügen. ({12})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt die Kollegin Renate Blank von der CDU/CSUFraktion.

Renate Blank (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000194, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Staatssekretärin, die Binnenschifffahrt sieht Ihre Aussage allerdings etwas anders; ({0}) denn aus unserer Sicht wird der Verkehrsminister - er hat gut daran getan, nicht da zu sein - heute wieder einmal von der Regierungskoalition brüskiert und bloßgestellt. ({1}) Noch im letzten Oktober hat er, nachdem alle Gutachten vorgelegt worden waren, in Aussicht gestellt, in das Raumordnungsverfahren zum Ausbau der Donau zwischen Straubing und Vilshofen drei mögliche Ausbauvarianten einzubeziehen. Nun muss er eine verkehrspolitische Wende vollziehen. ({2}) Diese Kehrtwende macht er in erster Linie auf Druck der Grünen, ({3}) die sonst laut Zeitungsmeldungen richtig Ärger gemacht hätten. Kollege Schmidt, Ihre Haltung wird den Grünen in Niederbayern keinen einzigen zusätzlichen Wähler bringen, auch wenn Sie noch so viele Lagerfeuer wie an Pfingsten veranstalten. Wie mager der Besuch war, konnte man den Fernsehbildern entnehmen. Auch die SPD wird davon bei der Bundestagswahl nicht profitieren. Das haben schon die Kommunalwahlen im März gezeigt, als das Ergebnis der SPD einen Tiefstand erreichte. Kollegin Irber, Sie mussten das bei dieser Wahl schmerzlich erfahren. ({4}) Zum Ausbau der Donau zwischen Straubing und Vilshofen wurde in den letzten 20 Jahren nun wirklich alles untersucht, was zu untersuchen war. Nahezu 30 Gutachten wurden erstellt; eine umfangreiche Expertenanhörung wurde noch im Februar dieses Jahres durchgeführt. In dieser Anhörung haben sich die Sachverständigen mehrheitlich für eine Staustufenlösung ausgesprochen. Rot-Grün missachtet die Ergebnisse dieser Anhörung jedoch in eklatanter Weise. Angesichts dessen frage ich mich schon, wozu Anhörungen überhaupt durchgeführt werden, wenn die daraus gewonnenen Erkenntnisse einfach so vom Tisch gewischt werden. ({5}) Die Sachverständigen müssen sich ja auf dem Arm genommen fühlen. Eine drastischere Ausdrucksweise vermeide ich. Damit kein Irrtum aufkommt: Auch wir wollen, dass die Verbesserung der Schifffahrtsverhältnisse unter Berücksichtigung ökologischer Belange erfolgt, ({6}) weshalb wir nichts gegen die Einleitung der Raumordnungsverfahren für drei Varianten, nämlich die Varianten C, D2 und A, eingewandt hätten. Nur vergleichende Raumordnungsverfahren führen zu einem überzeugenden Ergebnis und zu einem ordentlichen Planfeststellungsverfahren. Diese Chance eines vergleichenden Raumordnungsverfahrens vertun Sie, wenn Sie ausschließlich zur Variante A, also nur zu flussbaulichen Maßnahmen ein Raumordnungsverfahren einleiten wollen. ({7}) Ich frage mich allerdings, warum Sie bei nur einer Variante nicht gleich in ein Planfeststellungsverfahren gehen. Vielleicht können Sie mir darauf eine Antwort geben. ({8}) Kollege Schmidt, Sie werden ja nach mir sprechen und sicher wieder Ihre juristischen Fähigkeiten unter Beweis stellen, indem Sie erklären, dass gegen Staustufen geklagt und dann jeder Prozess - bis hin zum Europäischen Gerichtshof - zugunsten der frei fließenden Donau verloren werden wird. Wer sagt denn, dass bei einem Planfeststellungsverfahren zur Variante A mit flussbaulichen Maßnahmen keine Klagen eingehen werden? ({9}) Flussbauliche Maßnahmen allein bringen für die Binnenschifffahrt nichts, sondern sind eine Verschwendung von Steuergeldern. Denn mit der Variante A kann über die Hälfte des Jahres eine sinnvolle Abladetiefe nicht erreicht werden. So wird die Binnenschifffahrt auch weiterhin nicht in der Lage sein, verlässliche Logistikketten aufzubauen, die notwendig wären, um mehr Verkehr auf das Binnenschiff zu verlagern. Sie sind die Totengräber der Binnenschifffahrt! ({10}) Man kann nicht ständig scheinheilig von der Verlagerung des Güterverkehrs auf den umweltfreundlichen Verkehrsträger Binnenschifffahrt reden und dann den notwendigen Ausbau mit ideologischen Scheuklappen blockieren. Sie werden mit Ihrer Politik immer unglaubwürdiger, vor allem wenn Sie in Ihrem Antrag davon reden, dass der Verkehrsträger Binnenschifffahrt eine besondere Förderung verdient, Sie aber mit Ihrer Verweigerungshaltung der Binnenschifffahrt das Wasser abgraben. Den Donauausbau zwischen Straubing und Vilshofen kann man nicht isoliert betrachten. Es geht um die Binnenschifffahrtsverbindung zwischen Nordsee und Schwarzem Meer. Die Donau ist die Verkehrsalternative der Zukunft, insbesondere im Hinblick auf die Staaten Mittel- und Osteuropas, und deshalb volkswirtschaftlich unverzichtbar. Die EU-Kommission hat dies auch erkannt und die Donau in die transeuropäischen Netze und in die Prioritätenliste des Weißbuchs der EU-Kommission aufgenommen. Die Bundesregierung muss jetzt mit dem Freistaat Bayern reden. Ich gehe davon aus, dass beim Donauausbau noch nicht das letzte Wort gesprochen wurde. Schließlich gibt es Verträge zwischen dem Freistaat Bayern und dem Bund, die - das wurde auch von den Sachverständigen in der Anhörung bestätigt - einzuhalten sind. Unser Ziel ist es, mehr Verkehr auf das umweltfreundliche Binnenschiff zu verlagern. Sie jedoch opfern die Binnenschifffahrt auf dem Altar der Koalition und tragen dazu bei, dass mehr Verkehr auf der Straße stattfinden wird. ({11}) Auf der Tagesordnung steht auch noch der Saaleausbau. Wir wollen diesen Ausbau - die Frau Staatssekretärin hat kein Wort dazu gesagt -, denn er hat erhebliche Auswirkungen auf das Wirtschaftswachstum und die Arbeitsplätze in der Region. Es ist schon sehr verwunderlich, wenn die Abgeordneten von Rot-Grün, die für die Binnenschifffahrt zuständig sind, vor Ort den Eindruck erwecken, als ob sie für den Ausbau sind, und dann hier im Plenum unseren Antrag ablehnen. Mit Ihrer Ablehnung dokumentieren Sie, dass Sie nicht für einen Aufschwung Ost, sondern für den Abstieg Ost sind. ({12}) Deshalb wurden Sie in Sachsen-Anhalt abgewählt. Die neue Landesregierung wird sich für den Ausbau der Saale einsetzen. ({13}) Zu Ihrer völlig unverständlichen Haltung zum Ausbau der Wasserstraßeninfrastruktur fällt mir, nachdem der Ausbau der Main-Donau-Wasserstraße bereits seit 1921 festgelegt ist, nur noch ein Witz ein: Ein amerikanischer und ein deutscher Wasserbauer wetten darauf, wer mit seinem Projekt, dem Ausbau einer Wasserstraße, zuerst fertig ist. Nach einem Jahr fragt der Amerikaner bei seinem deutschen Kollegen nach: Noch 30 Tage und die Schiffe können ganzjährig fahren. Darauf der Deutsche: Noch 30 Gutachten und wir können im nächsten Jahrhundert anfangen. So lange muss die Binnenschifffahrt nicht warten; denn mit dem 22. September wird sich der Wind zugunsten des umweltfreundlichen Verkehrsträgers Binnenschiff wenden. ({14})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Ich erteile dem Kollegen Albert Schmidt vom Bündnis 90/Die Grünen das Wort. ({0})

Albert Schmidt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002779, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wer in diesen Tagen im Mündungsgebiet der Isar entlang der Donau spazieren geht, erlebt eine wilde Auenlandschaft, wie sie in Deutschland, vielleicht sogar in Europa einmalig ist. Probieren Sie das einmal aus, Frau Kollegin Blank! Ich lade Sie ein. ({0}) Orchideen, Knabenkraut, Schwertlilien und Frauenschuh blühen auf; Pirol, Blaukehlchen und Silberreiher tummeln sich dort. ({1}) Hunderte - das ist keine Übertreibung - von Tier- und Pflanzenarten, die auf der Roten Liste stehen und vom Aussterben bedroht sind, haben in dem 2 800 Hektar großen Mündungsgebiet der Isar ihre Heimat. Dabei handelt es sich um ein Paradies, das zu Recht als der niederbayerische Dschungel bezeichnet wird. ({2}) Die Natur feiert dort zurzeit ein Fest. Es ist ein Fest, das jeden, der dafür offen ist, Ehrfurcht empfinden lässt Ehrfurcht vor dem lebendigen Reichtum dieser Landschaft und der Schöpfung. Wir dürfen dieses Fest heute mitfeiern, liebe Kolleginnen und Kollegen. Denn mit unserer heutigen Entscheidung für einen sanften Ausbau der Donau entscheiden wir auch, dass dieser Reichtum erhalten wird, ({3}) dass wir ihn achten und zu schätzen wissen und ihn an die Generationen nach uns weitergeben wollen. Das ist das eigentlich Historische an diesem Beschluss. Ich würde mich nicht darüber lustig machen, wie es aufseiten der CDU/CSU in diesem Hause geschieht. Denn wenn Sie sich darüber lustig machen, liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU, zeigt das nur, wie kalt und egoistisch eine Politik ist, die von sich behauptet, christlich und konservativ zu sein, in Wahrheit aber respektlos, gefühllos und zerstörerisch mit unserer Heimat umgeht. ({4}) Der Abschnitt der Donau zwischen Straubing und Vilshofen steht zu Recht unter dem besonderen Schutz der Vogelschutz- und der Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie der EU. In zahllosen Untersuchungen wurde die ökologische Einzigartigkeit dieser letzten 70 Kilometer frei fließender Donau nachgewiesen. Deshalb fördert das Bundesamt für Naturschutz seit Jahren mit erheblichen Mitteln Maßnahmen und Gebietsankäufe im Isar-Mündungsgebiet an der Donau. Deshalb hat übrigens auch die Europäische Kommission in ihrem Weißbuch zur Verkehrspolitik am 12. September vergangenen Jahres den Ausbau der Donau in die Liste der Transeuropäischen Netze aufgenommen, liebe Kollegin Blank, mit der Maßgabe der „Beachtung gemeinschaftlicher Rechtsvorschriften zum Umweltschutz“. ({5}) Das Europäische Parlament hat dies vor wenigen Tagen in einem eigenen Beschluss noch einmal bekräftigt. Das bedeutet, dass die europäischen Richtlinien nur die flussregulierende Ausbauvariante zulassen. Ein vernichtender Eingriff durch Staustufen wäre nur dann zulässig, wenn es keine zumutbare Alternative gäbe. Aber es gibt sie: Die Variante A ist nicht nur zumutbar, sondern auch ökologisch verträglich und zugleich ökonomisch überlegen. ({6}) Das haben die zusammenfassenden Gutachten der Wasser- und Schifffahrtsdirektion Süd gezeigt: Die Variante A ist nicht nur die umweltverträglichste, sondern zugleich auch die kostengünstigste Variante und weist mit 8,3 den mit Abstand besten Kosten-Nutzen-Faktor auf. Sie erbringt mit 11 Millionen Jahrestonnen 90 Prozent der Verkehrsleistung einer Staustufenlösung. ({7}) Das heißt, diese Lösung ist nicht nur ökologisch sinnvoll, sondern auch ökonomisch angebracht. ({8}) Der sanfte Ausbau ist auch gerichtsfest; ({9}) denn keiner der Verträge zwischen dem Bund und Bayern - wir haben genau zugehört - verlangt eine Staustufenlösung mit Kanal. Deshalb bedanke ich mich ausdrücklich bei Ihnen, Frau Staatssekretärin, und bei dem Minister selbst für die klaren Worte in diesen Tagen, dass die rechtliche Prüfung abgeschlossen ist und ergeben hat, dass die sanfte Variante A nicht nur mit den Verträgen kompatibel ist, sondern auch die einzige Variante darstellt, die einen jahre- oder jahrzehntelangen Rechtsstreit mit den Umweltverbänden bis hinauf zum EuGH vermeidet, den die Staustufenlobby letztlich verlieren würde. ({10}) Nur die Variante A beendet die jahrelange Investitionsblockade und führt schnell zu einer verbesserten Schifffahrt. ({11}) - Frau Kollegin Blank, ich appelliere an Sie - richten Sie das Ihrem Parteivorsitzenden aus - und an die Bayerische Staatsregierung: Die Betonstrategie der CSU hat mit dem heutigen Tag auf der Donau Schiffbruch erlitten. ({12}) Respektieren Sie doch endlich den Willen der niederbayerischen Bevölkerung und der Bundestagsmehrheit! Drohen Sie nicht länger mit Rechtsmitteln gegen diesen Ausbau! Die juristischen Gefälligkeitsgutachten, die Herr Badura vorgelegt hat, sind völlig wertlos. ({13}) Sie haben gegen das europäische Umweltrecht keine Chance. Ebenso wenig haben Sie gegen eine ganz große Koalition, die von Naturschützern und Grünen über Sozialdemokraten bis zum Altabt der Abtei Niederaltaich, Emmanuel Jungclaussen, reicht, eine politische Chance. Er hat dieser Tage erklärt, dass er unsere heutige Entscheidung mit tiefer Dankbarkeit zur Kenntnis nimmt, und spricht von einem Erfolg für sein Beten, Frau Kollegin Blank. Was lernen wir daraus? Dass gegen den lieben Gott noch nicht einmal die Bayerische Staatsregierung eine Chance hat. ({14}) Hören Sie also auf, weiterhin die Zerstörung dieses wunderbaren Teils unserer Heimat zu betreiben! Liebe Kolleginnen und Kollegen, die heutige Entscheidung ist ein Sieg für die Umwelt. Sie ist gleichzeitig ein positives Signal an die Binnenschifffahrt. Naturschutz und Interessen der Schifffahrt können miteinander in Einklang gebracht werden. Die Botschaft des heutigen Tages ist: Die Donau bleibt ein Fluss. Nachdem nun meine Redezeit zu Ende ist, Herr Präsident, sehe ich mich gezwungen, die letzten vier Zeilen zu singen: Für uns in Bayern gibt’s heit was zum Feiern, nämlich unsere Donau bleibt ein freier Fluss. Und des zoagt uns: Die Vernunft wird siegen und dass Rot und Grün Regierung bleiben muss. ({15})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt der Kollege Michael Goldmann von der FDPFraktion. ({0})

Hans Michael Goldmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003133, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Schmidt, das haben Sie wirklich hübsch gemacht. Aber nicht alles, was hübsch ist, ist richtig. Lesen Sie noch einmal im Protokoll nach, was Sie zum Teil an blumigen Bildern gebracht haben. Ich bin sehr dafür, dass die Natur Feste feiert. Als Biologe habe ich davon ein bisschen Ahnung. Dass Sie das aber mit den maßlosen Angriffen gegen die Christdemokraten verbinden, fand ich nicht sehr geglückt. ({0}) Ich bin als Liberaler in dieser Woche gegenüber Worten vielleicht besonders sensibel. ({1}) Ich will Ihnen ganz ehrlich sagen: Ich glaube nicht, dass der Abt mit dem, was Sie eben gemacht haben, einverstanden ist. ({2}) Herr Schmidt, wir sollten uns einmal miteinander unterhalten. Ich weiß nicht, in welchem Maße Sie praktizierender Katholik sind. Ich jedenfalls bin es. ({3}) Ich möchte diese Verbindung nicht herstellen. ({4}) Hier hat jemand gebetet und der liebe Gott hat ihn erhört. Deswegen reagiert die Bayerische Staatsregierung Albert Schmidt ({5}) eventuell in der einen oder anderen Form. - Das hat mir nicht gefallen. Das, was Sie gemacht haben, ist mir zu platt und zu populistisch. ({6}) - Wenn Sie das genauso sehen, dann freut mich das. Ich möchte Ihnen in diesem Fall empfehlen, darauf nicht zurückzugreifen. Lassen Sie mich zur Sache kommen. In der Sache liegen Sie schlicht und ergreifend falsch, Herr Schmidt. Sie behaupten, dass die Binnenschiffer mit dieser Lösung einverstanden sind. Sie sind es nicht. Sie sagen bei jeder Gelegenheit - Sie machen das sehr engagiert und qualifiziert -, dass Sie eine Abladetiefe von 2,50 Meter brauchen. Sie erreichen diese Abladetiefe nicht. ({7}) Deswegen ist Ihre Ausbauvariante ungeeignet, um den Interessen der Binnenschiffer Rechnung zu tragen. Sie sagen, die Variante D2, die mit einer Abladetiefe von 2,50 Meter unserer Favorit ist, sei ökologisch nicht akzeptabel. Diese Aussage ist falsch. Sie haben anscheinend Angst davor, diese Variante zu prüfen; sonst würden Sie in das sicherlich notwendige Raumordnungsverfahren eine solche Variante aufnehmen. Sie behaupten schlicht und falsch, dass die Variante A die einzig vernünftige ökologische und die richtige ökonomische ist. Herr Schmidt und liebe Frau Kollegin Faße, auch das ist falsch. Lesen bildet. Lesen Sie die „DonauNachrichten“. In der Ausgabe 14 steht unter der Überschrift „Volkswirtschaftlicher Nutzen - richtig gerechnet“, dass die Variante D2 wirtschaftlicher als die Variante A ist. Es geht eben nicht nur um den Nutzen-Kosten-Faktor, sondern auch um die Differenz aus den Nutzen- und den Kostenbarwerten. Dabei errechnet man einen Quotienten von 4,36 für die Variante D2. Jeder, der sich mit ökonomischen Fragestellungen beschäftigt, weiß, dass das der echte Bezugswert und die Grundlage für die Feststellung der Notwendigkeit eines Ausbaus ist. Nebenbei bemerkt: Die Donau ist ein Fluss, den ich relativ gut kenne und an dem ich mich sehr gerne aufhalte; ich bin an seinem Ufer möglicherweise schon öfter spazieren gegangen als Herr Schmidt. ({8}) - Herr Kollege Schmidt, ich war vor Ort und habe mich nach Ihren Aktivitäten dort erkundigt. Sie sind zwar aus der Presse bekannt, nicht aber aufgrund konkreter Aktivitäten vor Ort. Das Wahlverhalten der Bürgerinnen und Bürger bei der letzten Kommunalwahl und bei den letzten Landtagswahlen hat das auch widergespiegelt. Ihre Position wird vor Ort überhaupt nicht verstanden. Das zu glauben ist Ihrerseits ein großer Irrtum. ({9}) Die Wahlergebnisse belegen, dass die Parteien, die für einen vernünftigen, sachgerechten und zukunftsfähigen Ausbau eintreten, besonders erfolgreich sind. Gerade die Kollegen, die in der Parlamentariergruppe „Binnenschifffahrt“ sind, reden immer wieder darüber, dass es notwendig ist, für verbesserte Rahmenbedingungen auf dem Gebiet der Binnenschifffahrt zu sorgen. Sobald vonseiten der Binnenschiffer Wünsche geäußert werden, etwas für sie, beispielsweise an der Donau, an der Saale, beim Jade-Weser-Port, an der Elbe oder an anderen Flüssen, zu tun, sagen die Grünen: Auf keinen Fall, das kann überhaupt nicht sein, das ist rechtlich überhaupt nicht möglich, das ist auf europäischer Ebene nicht umsetzbar. Das ist falsch. Ich habe schon im Ausschuss versucht, Ihnen klar zu machen, dass es nicht von vornherein ausgeschlossen ist, Eingriffe in ein FFH-Gebiet oder ein Naturschutzgebiet vorzunehmen; vielmehr muss man diese Eingriffe ausgleichen. Fachleute sagen eindeutig, dass man diese Eingriffe ausgleichen kann. ({10}) Es gibt eine sehr genaue Untersuchung über die Auenwälder. Ich komme von der Ems; dort gibt es auch Auenwälder. Es gibt genaue Untersuchungen, die belegen, dass es keine Beeinträchtigung der Auenwälder gibt, wenn man auf 2,50 Meter geht und - das sieht die Variante D2 vor - Ausgleichsmaßnahmen vornimmt. Wir sollten hier ehrlicherweise sagen: Heute verlieren die Binnenschiffer in Deutschland wieder einmal; heute verlieren auch die Menschen in den östlichen Nachbarländern. ({11}) Fahren Sie einmal nach Ungarn und unterhalten Sie sich mit den Schiffern darüber, wie sehr sie auf einen Ausbau der Donau warten, der der Binnenschifffahrt bessere Chancen einräumt! Der Ausbau auf 2,50 Meter - Variante D2 - ist ökologisch verträglich. Das hat die Anhörung all derer, die bereit waren, wirklich zuzuhören, ergeben. In diesem Sinne bedauere ich sehr, dass die Bundesregierung und auch die sozialdemokratischen Vertreter im Plenum heute eine grüne Kröte schlucken, die ich persönlich für überhaupt nicht akzeptabel halte; schließlich müsste es darum gehen, der Binnenschifffahrt eine Zukunft zu geben. ({12})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Zu einer Kurzintervention erteile ich der Kollegin Steffi Lemke vom Bündnis 90/Die Grünen das Wort.

Steffi Lemke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002720, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Verehrter Herr Kollege Goldmann, in Ihrer Rede haben Sie das Thema Saaleausbau angesprochen. Die Opposition hat dazu heute einen Antrag eingebracht. Ich möchte Sie darauf hinweisen, dass Sie hinsichtlich der Debatte um den Donauausbau eben argumentiert haben, es gebe keine ökologische Benachteiligung, wenn die Maßnahme entsprechend ausgeglichen werde. Ich möchte Sie weiter darauf aufmerksam machen, dass es zum Saaleausbau Gutachten gibt, die eindeutig belegen, dass die von Ihnen geplante Staustufe am letzten frei fließenden Abschnitt der Saale gravierende ökologische Auswirkungen auf die Flussmündung der Saale hätte. Ihnen ist es bisher in keiner Weise gelungen, auf der Grundlage realer Schifffahrtsprognosen einen auch nur geringen ökologischen Nutzen dieser Maßnahme nachzuweisen. Frau Blank, die Landesregierung von Sachsen-Anhalt - FDP und CDU - beabsichtigt, diese Maßnahme durchzuführen, obwohl dadurch ökologische Schäden eintreten werden und ein ökonomischer Nutzen ausbleiben wird. Sie will diese Maßnahme realisieren, ohne ein Raumordnungsverfahren durchzuführen. Von der Bundesregierung wurden Untersuchungen zu der Frage der ökologischen Verträglichkeit in Auftrag gegeben. Die Landesregierung will die Ergebnisse aber nicht abwarten. Mit dieser Maßnahme werfen Sie das Tafelsilber der deutschen Einheit in den Mülleimer. Ich erwarte von der Landesregierung Sachsen-Anhalt - von Ihnen, Herr Goldmann, erwarte ich, dass Sie entsprechend Einfluss nehmen -, dass sie sich wenigstens an geltendes Planungsrecht hält, ein Raumordnungsverfahren durchführt und nicht gegen die geltende FFH-Richtlinie verstößt, zumal sicher ist - das haben Bürgerinitiativen und Umweltverbände angekündigt -, dass gegen den Bau der jetzt zur Diskussion stehenden Staustufe geklagt werden wird. Sie riskieren zum Schaden des Landes Sachsen-Anhalt, dass keine Strukturfondsgelder mehr fließen. Mit diesem Vorhaben werden Sie keine positive Entwicklung in Sachsen-Anhalt in Gang setzen. ({0})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Zur Erwiderung Herr Goldmann.

Hans Michael Goldmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003133, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Liebe Kollegin Lemke, wir haben im Ausschuss über den Saaleausbau diskutiert. Wir, die Parlamentariergruppe „Binnenschifffahrt“, haben uns das vor Ort angeschaut. Die geschätzte Kollegin Faße und unser lieber Freund Wilhelm waren auch dabei. Die Lösung, die uns vor Ort präsentiert wurde, haben wir in ökologischer Hinsicht beeindruckend gefunden. Es ist ja an dieser letzten Staustufe sehr lange „herumgedoktert“ worden. ({0}) - Das mag ja sein, liebe Frau Lemke. Das kann ich nicht beurteilen. Ich habe doch gesagt, dass ich nicht beurteilen kann, welche Informationen Sie haben. Ich kann nur das wiedergeben, was damals alle, die an Bord waren - es waren Vertreter der Wirtschaftsverbände, der betroffenen Gemeinden und der Umweltverbände sowie Fachleute dabei, die sich mit der Binnenschifffahrt befassen -, gesagt haben. Frau Lemke, Sie hätten ja mitfahren können. Das wäre doch kein Problem gewesen. Auch Sie sollten solche Termine wahrnehmen. Wir, die Parlamentariergruppe „Binnenschifffahrt“, sind jedenfalls angeschrieben und gefragt worden, ob wir etwas für die wirtschaftliche Entwicklung der Schifffahrt auf der Saale und damit auch für Sachsen-Anhalt tun können, also für ein Land, in dem - darauf haben Sie zu Recht hingewiesen - die Entwicklung nicht gerade positiv verläuft. Wir sind dorthin gefahren, haben uns das vor Ort angeschaut und die Vorschläge aufgegriffen, die man uns gemacht hat. Wir arbeiten daran. Die Stadt Halle und die Industrie- und Handelskammern haben uns geschrieben und Varianten für die dort zu entwickelnde so genannte Brunnengalerie vorgeschlagen, die dazu beitragen soll, dass der Wasserstand nicht abfällt. Ich muss Ihnen ganz ehrlich sagen: Ich fand es faszinierend, welche Lösung die Wasserbauer vorgeschlagen haben, um der dortigen ökologischen Situation - das ist notwendig - Rechnung zu tragen. Wenn wir uns aber Ihre Haltung zu Eigen machen - die Sie gerade wieder vorgetragen haben, nämlich im Grunde genommen von vornherein dagegen zu sein -, dann werden wir den von uns allen in ökologischer Hinsicht geschätzten Verkehrsträger Wasserweg nicht so nutzen können, wie ich das für notwendig erachte. Deswegen bemühen wir uns um Kompromisse und um einen Ausgleich zwischen Ökologie und Ökonomie. Ich meine, an dieser Stelle sollten wir Ihrer Position nicht folgen. Wir sollten vielmehr darauf hinwirken, dass an der Saale mehr passiert, natürlich unter Berücksichtigung ökologischer Gesichtspunkte. Letzteres ist für mich überhaupt kein Thema. Jemand, der wie ich von der Küste kommt, weiß sehr wohl, dass die ökologischen Belange einer Region geschützt werden müssen. Sonst könnten wir in den Küstenregionen gar nicht mehr leben. ({1})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Als nächste Rednerin hat das Wort die Kollegin BullingSchröter von der PDS-Fraktion.

Eva Maria Bulling-Schröter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002636, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Radikalausbau der Donau zwischen Straubing und Vilshofen scheint jetzt vorerst vom Tisch zu sein. Die Koalition hat sich endlich zu einem Antrag durchgerungen, der belegt, dass sie die jahrelangen Proteste von Bürgerinitiativen und Fachleuten gegen die Staustufenprojekte ernst nimmt. Den Bürgerinitiativen und den Fachleuten muss endlich einmal Dank ausgesprochen werden. ({0}) - Ich war bei der Anhörung dabei, auch wenn Sie mich nicht gesehen haben. Unklar bleibt allerdings, warum sich Rot-Grün noch nicht einmal dazu durchringen konnte, sich bei der Abstimmung über unseren Antrag, der als erster vorlag, zu enthalten. Ich verstehe das erst recht nicht, wenn man uns dann unterstellt, wir hätten ihn nur abgeschrieben. Egal, im Kern ist der Antrag, den Sie vorgelegt haben, mit unserem vergleichbar. Auf jeden Fall hat die Vernunft gesiegt. Die letzten naturnahen Donauabschnitte - das muss man feststellen - werden jetzt so ausgebaut, dass nur ein minimaler Schaden für die Umwelt und ein großer Nutzen für einen umweltfreundlichen Güterverkehr auf dem Wasser entsteht. Mit den vorgesehenen strombaulichen Maßnahmen können 92 Prozent - ich betone: 92 Prozent - des Ausbauziels erreicht werden. Ihre Variante des Staustufenausbaus wäre um eine halbe Milliarde Euro teurer gewesen. Man muss den Wählerinnen und Wählern, auch den bayerischen, einmal sagen, wie Sie mit deren Geld herumwerfen. ({1}) Sie sagen immer, dass die öffentlichen Kassen leer sind und dass Sie sparen wollen. Hier kann ökologisch gespart werden. Das muss man den Leuten sagen. Darum, meine ich, ist der heutige Beschluss ein Glücksfall für Bayern. ({2}) Allein die CSU-Staatsregierung will sich nicht beglücken lassen. Mit erstaunlicher Ignoranz hat sie sich gegenüber ihren eigenen Bürgermeistern und auch dem umweltpolitischen Sprecher der CSU, der hier schon öfter eine Rolle gespielt hat - vielleicht kommt er in den Bundestag und es verändert sich etwas -, durchgesetzt. ({3}) - Gut, das werden wir sehen. - Sie setzen bis heute auf Beton; das hat sich immer wieder gezeigt. Glücklicherweise - das kann man in diesem Fall einmal sagen - ist die Donau eine Bundeswasserstraße. Da können meine Kollegen von der CSU hier und auch der Stoiber Edi in Bayern wie im Übrigen auch Ihre Bauspezies im Kreis hüpfen: Diesmal ist nichts zu holen, auch am 22. September nicht, obgleich Sie das immer meinen. ({4}) Wir sind ja mit 7 Prozent zufrieden. ({5}) Jetzt zu Saale und Elbe. Hier ist die Kuh noch nicht vom Eis. Die Union spielt ihr übliches Spiel und die SPD mit gezinkten Karten. ({6}) Es wird nicht ausgebaut, so hört man von den Sozialdemokraten im Verkehrsministerium, das seien alles nur Unterhaltungsmaßnahmen. Dabei werden uralte Pläne aus den 30er-Jahren aus den Schubladen gezogen. Dass sich der Fluss in diesen 70 Jahren verändert hat und damit die so genannte Unterhaltung einem Ausbau gleichkommt, dürfte klar sein. Deshalb haben wir etwas dagegen. Im Unionsantrag zum Saaleausbau stehen so viele Märchen, dass man schon mitleidig wird. Der so genannte Flaschenhals, von dem Sie schreiben, besteht nicht nur an der unteren Saale, sondern auf der gesamten Elbe mit ihrer Tauchtiefe von 1,40 Metern. Ein Ausbau der Saale hat also nur Sinn, wenn die Elbe dran glauben muss. Für solche Dinge stehen wir nicht zur Verfügung. ({7})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Annette Faße.

Annette Faße (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002650, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir stehen zum Ausbau der Donau und wir stehen zur Variante A. ({0}) Dies ist keine Kröte, die wir hier schlucken müssen. Man konnte in den letzten Wochen und auch heute wieder feststellen, dass suggeriert wird, damit passiere für die Binnenschifffahrt gar nichts. Dies ist aber völliger Unsinn; das wissen Sie. Um das eindeutig zu sagen: Die Binnenschifffahrt wird gewinnen, wenn auch nicht so, wie sie es sich vorgestellt hat. ({1}) Wofür streiten wir heute? Wir streiten über den Umfang des Ausbaus. Wir streiten über den Nutzen der verschiedenen Ausbauvarianten für die Schifffahrt und die wirtschaftliche Entwicklung der Region. Wir streiten über die Folgen des Donauausbaus für die Natur und für die Menschen. Wir streiten über das künftige Erscheinungsbild einer alten Kulturlandschaft und die Folgen für den Tourismus. ({2}) Wir streiten über den effizienten Einsatz von Bundesmitteln im Wasserstraßenbau. Die Antworten, die Sie geben, sind sehr schlicht und sehr einseitig. Die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Binnenschifffahrt hängt nämlich nicht allein davon ab, wie die Donau zwischen Straubing und Vilshofen ausgebaut wird. ({3}) Wir haben uns die Entscheidung für die Variante A sicherlich nicht einfach gemacht. Die Anhörung hat dazu geführt, dass wir die Entscheidung so schnell treffen konnten. Wir haben diese Anhörung sehr wohl ernst genommen; das müssten Sie allmählich einmal zur Kenntnis nehmen. ({4}) Die Variante A ist die einzige Variante, bei der die Chance besteht, dass sie überhaupt realisiert wird. Sie ist die einzige Variante, bei der nicht die Gefahr besteht, dass sie irgendwo auf dem langen Instanzenweg der Verwaltungsgerichte auf der Strecke bleibt. - Sie ist die einzige Variante, die sich rasch realisieren lässt. ({5}) Um es noch einmal deutlich zu sagen: Wir stehen sicherlich vor der Schwierigkeit, dass wir nicht wissen, was die EU-Kommission zu den Ausbauvarianten in der Vielfalt, wie Sie sie gerne hätten untersuchen lassen, sagen würde. Bei den Varianten C, D1 und D2 würden wir auf jeden Fall vor einem Gericht landen. ({6}) Ob wir dort mit der Variante A landen werden, wage ich zu bezweifeln. Warum sollten wir parallel Varianten untersuchen, mit denen wir eindeutig scheitern werden? Die Variante A hat die größte Chance. Den Zeitfaktor sollten wir nicht unterschätzen. ({7}) Herr Goldmann, da kann man zehnmal hin und her rechnen: Der Kosten-Nutzen-Faktor ist bei Variante A mit 8,3 der beste. Das heißt, wir haben hier auch die geringsten Kosten. ({8}) Die Varianten, die Sie fordern, kosten das Doppelte. Gleichzeitig stellen Sie sich hier in Berlin munter hin und sagen: Wir wollen die Staatsquote senken. ({9}) Die CDU/CSU will sie auf 40 Prozent, die FDP sogar auf ein Drittel senken. ({10}) Im Ergebnis bedeutete das, dass die Verkehrsinvestitionen von derzeit 11,5 Milliarden Euro auf 7,5 Milliarden Euro sinken würden. ({11}) Diesen Betrag hätten wir nicht mehr für die Finanzierung von Verkehrsprojekten. ({12}) Es wäre überhaupt kein neues Verkehrsprojekt möglich. ({13}) Sie fordern hier und wollen auf der anderen Seite das Geld nicht geben ({14}) nicht einmal für die Variante A; für die Variante D kriegen Sie es schon gar nicht gebacken, um es deutlich zu sagen. Dies ist für mich unglaubwürdig. ({15}) Ich möchte noch einmal auf den Vorwurf eingehen, der auch im Ausschuss immer wieder vorgebracht wurde, wir würden hier vertragsbrüchig. Ich sage ganz klar: Man muss irgendwann einmal anerkennen, dass die Verträge von 1921 und 1976 im EU-Recht ein Stück weiterentwickelt wurden. ({16}) Auch Bayern muss einmal anerkennen, dass wir ein europäisches Planungs- und Umweltrecht haben, das anzuwenden ist. In der Anhörung wurde deutlich, dass diese Verwaltungsabkommen uns als Parlament sehr wohl das Recht zur Entscheidung lassen. ({17}) Wir, die frei gewählten Abgeordneten des Deutschen Bundestages, treffen die letzte Entscheidung über das Wie des Donauausbaus ({18}) und auch über die Mittel, die wir dafür zur Verfügung stellen. Das ist rechtlich korrekt. Diese Entscheidung sollten wir uns auch nicht nehmen lassen. ({19}) Darüber entscheidet Gott sei Dank nicht die Bayerische Landesregierung ({20}) und auch nicht der Herr Stoiber, sondern wir hier in Berlin. Liebe Kolleginnen und Kollegen, noch ein Wort zur Saale. Es ist richtig, dass wir die Bereisung dort vorgenommen haben. Aber es ist auch richtig und wichtig, dass wir zu den Vereinbarungen, die wir mit Sachsen-Anhalt getroffen haben, stehen. Das heißt, im Rahmen des BunAnnette Faße desverkehrswegeplans findet eine Überprüfung statt. Danach werden wir mit diesem Thema weiter umgehen, wie es vereinbart ist, und zwar ökologisch und ökonomisch sinnvoll. ({21}) Wir haben hier nach über 20 Jahren Diskussion, nach vielen Anhörungen vor Ort, nach vielen Gutachten eine Entscheidung zu treffen. Mein Kompliment an die Kolleginnen und Kollegen, die das über Jahre oder Jahrzehnte mitverfolgt haben! Für sie ist es heute ein schöner Tag. Aber ich meine, auch für die Donau ist es heute ein schöner Tag. Danke. ({22})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Bartholomäus Kalb.

Bartholomäus Kalb (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001055, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lieber Herr Kollege Schmidt, wie ernst Sie ein solches Thema nehmen, haben Sie mit Ihrer Schlusspassage mit dem Gstanzel gezeigt, das Sie hier gesungen haben. ({0}) Ich hatte gedacht, hier würde ernsthaft diskutiert und wir befänden uns hier nicht in einem Komödienstadel. ({1}) Zweitens halte ich es für infam, wie Sie gegen den Donauausbau agitieren. Sie erwecken hier den Eindruck, als würde durch den Donauausbau das für den Gesamtstaat repräsentative Gebiet an der Isarmündung oder etwa auch die Sammerner Heide geschädigt oder sogar beseitigt. ({2}) Das ist nicht der Fall. Als langjähriger Vorsitzender der Mehrheitsfraktion im Kreistag von Deggendorf und als Mitinitiator dieses Projektes weiß ich, wie sehr uns daran gelegen ist. Der Landkreis, der Freistaat Bayern und der Bund engagieren sich seit vielen Jahren mit erheblichen Beträgen für das Projekt Isarmündung. ({3}) Sie schlagen sich an der Donau in die Büsche und erzählen hier Märchen. Das ist der wahre Sachverhalt. ({4}) Meine sehr verehrten Damen und Herren von der SPD, der Antrag, den Sie heute durchbringen wollen, ist voll von Widersprüchen. In den Vorbemerkungen weisen Sie nach, wie wichtig die Wasserstraßen für die Bewältigung der Verkehrsprobleme in Deutschland sind und wie wichtig es ist, dass die Engpässe beseitigt werden. ({5}) Wörtlich heißt es hier: Hierbei spielen Abladetiefe und Fahrrinnenbreite der Wasserstraßen, aber auch die Höhe der Brücken über die Wasserstraßen eine wichtige Rolle. Weiterhin weisen Sie dann für den Bereich zwischen Straubing und Vilshofen darauf hin: ... dieser Abschnitt wird im Bericht des Bundesministeriums für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen ({6}) an den Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen des Deutschen Bundestages vom Dezember 2001 als einer der wesentlichsten Engpässe im bundesdeutschen Wasserstraßennetz qualifiziert. Dessen zügige Beseitigung ist Voraussetzung dafür, Verlagerungspotenziale von der Straße auf die Wasserstraße zu realisieren. ({7}) Auch die Europäische Kommission hat in ihrem Weißbuch über die „europäische Verkehrspolitik bis 2010“ vom 12. September 2001 ({8}) eine Verbesserung der Befahrbarkeit der Donau zwischen Straubing und Vilshofen als eines der vorrangigen Verkehrsprojekte beschrieben. ({9}) So weit das Zitat aus Ihrem eigenen Antrag. ({10}) Bei der Beschlussempfehlung steht dann das Gegenteil. Hintergrund dafür ist doch, dass Sie sich selber, wie der Herr Kollege Schmidt ja schon früher zum Ausdruck gebracht hat, im Krieg befinden. ({11}) - Ja, er selber hat den Begriff „im Krieg befinden“ gebraucht. ({12}) Die Grünen hatten der SPD den Krieg erklärt und dann kapituliert. Das ist umso leichter gefallen, als man auch vor Ort mit Blick auf die Landratswahlen eingeknickt ist, die man noch mithilfe eines Frühstücksgesprächs zwischen Struck und Schlauch günstig beeinflussen wollte. ({13}) - Wenn man sich anschaut, dass Sie vorher mit 70 Prozent bei der Landratswahl rechneten und dann 37 Prozent bekamen, kann man das nicht als ein besonders gutes Ergebnis qualifizieren. ({14}) Aber die örtlichen Dinge können wir hier beiseite lassen. Ich bedauere sehr, dass man in einem so hohen Maße verantwortungslos mit wichtigen Fragen umgeht. ({15}) Erst führt man vertiefende Untersuchungen, die zweistellige Millionenbeträge an Kosten verursachen, und Expertenanhörungen durch und beteuert dabei immer, auch von Ihrer Seite, Frau Irber und Herr Schmidt, dass man die Ergebnisse ganz sorgfältig auswerten wolle. ({16}) Man hat sogar angekündigt, dass es vor der Sommerpause gar nicht mehr möglich sein werde, sachlich und fachlich fundierte Entscheidungen zu treffen. Aber all diese Erkenntnisse wischt man dann einfach so vom Tisch. ({17}) Wenn ein Funken von Verantwortungsbereitschaft vorhanden wäre und man diese Erkenntnisse in die weiteren Prozesse hätte einfließen lassen wollen, dann hätte man zumindest dem Vorschlag, ein vergleichendes Raumordnungsverfahren für die Varianten A, C und D einzuleiten, zugestimmt. Darüber bestand ja schon weitestgehend zwischen den Fachministerien in Bayern und Berlin Konsens. Auf der Grundlage der daraus gewonnenen Ergebnisse und Erkenntnisse hätte man dann wirklich eine fachlich und sachlich saubere Entscheidung treffen können. Sie wissen ganz genau, dass der Beschluss, den Sie jetzt fassen wollen - deshalb haben Sie die Beratung des Antrages um weitere vier Monate verzögert, damit er erst jetzt, in den letzten Wochen dieser Legislaturperiode, behandelt wird -, so nicht vollzogen werden kann, weil er gegen geltende Verträge verstößt. ({18}) Mit einer solchen Vorgehensweise können die von Ihnen selbst geforderten Ausbauziele nicht erreicht werden. Danke. ({19})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Ich wundere mich, dass so spät am Freitagnachmittag noch so viel Aufregung ist. Herr Kalb, ich kann Ihnen leider nicht mehr das Wort geben, weil Ihre Redezeit vorbei ist. Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Brunhilde Irber.

Brunhilde Irber (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002688, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Heute ist ein schöner Tag für die Donau. ({0}) Das hat die Kollegin Faße gesagt und ich kann ihr nur zustimmen. Ich bin die Heimatabgeordnete aus der Donauregion in Niederbayern, aus Osterhofen, wo die Ausbaumaßnahme am meisten greift. Seit 24 Jahren kämpfe ich im Kreistag von Deggendorf für einen sanften Ausbau der Donau, der Natur und Schifffahrt in Einklang bringt und die Belange der Bevölkerung berücksichtigt. ({1}) Heute ist mein schönster Tag im Deutschen Bundestag, dem ich nun seit zwei Wahlperioden angehöre, weil mein großes Anliegen, das mich in den Deutschen Bundestag getrieben hat, heute zu einem glücklichen Abschluss kommt. ({2}) - Ich bleibe auch, Herr Goldmann; das bleibt Ihnen nicht erspart. - Auch die Widersprüche, die heute noch einmal bei der CDU/CSU und der FDP zutage getreten sind, können mir die gute Laune nicht verderben. ({3}) Aber interessieren würde mich schon, Herr Goldmann, wieso Ihre Kollegen von der bayerischen FDP inklusive des Herrn Kollegen Stadler, der Mitglied dieses Hauses ist, sich bei allen Donaukongressen für einen sanften Ausbau der Donau ausgesprochen haben ({4}) - öffentlich, das ist dokumentiert -, aber Sie hier im Bundestag anderer Auffassung sind. Der Herr Kollege Friedrich, Ihr verkehrspolitischer Sprecher, ist nicht einmal hier. Das lässt tief blicken. ({5}) Jetzt zum Herrn Kollegen Kalb. Herr Kollege Kalb, Sie fordern einen zügigen Ausbau der Donau, um die Schifffahrt zu befördern. Das machen wir, denn mit der heutigen Entscheidung kann in das Raumordnungsverfahren eingetreten und dann zügig das PlanfeststellungsverfahBartholomäus Kalb ren durchgeführt werden. Die Variante A erfüllt 92 Prozent der Zielvorgabe. ({6}) und ist am schnellsten zu realisieren. Damit hat sich die Vernunft durchgesetzt. ({7}) Ich möchte heute zum Abschluss wirklich allen herzlich danken, die sich dafür eingesetzt haben, dass die Donau ein Fluss bleiben kann. In diesen Dank möchte ich die Kollegin Annette Faße einschließen - sie hat sich sehr bemüht -, ({8}) den Kollegen Müller und vor allem den Kollegen Horst Kubatschka, ({9}) denn er hat dieses Anliegen hier schon in der 12. Legislaturperiode vertreten. Wir haben leider so wenig Redezeit, dass wir sie nicht mehr teilen konnten, sonst hätte er heute auch noch etwas gesagt. Ich möchte mich ebenso bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, bei der Bundesregierung, bei dem Koalitionspartner, den Grünen, und vor allem bei den vielen Bürgerinitiativen und bei den beiden Kirchen bedanken, die dieses Anliegen über eine breite Bevölkerungsschicht vertreten haben. Ich glaube, dass die CSU gut beraten wäre, wenn sie ihre Haltung hier ändern würde. Einerseits betreibt sie die Renaturierung der Isar in Niederbayern und im Münchener Raum, andererseits will sie die Donau in ein neues Betonkorsett zwängen. Das passt nicht zusammen. ({10}) - Natürlich war ich da, Herr Goldmann. ({11}) Die Frau Präsidentin klingelt schon, ich muss jetzt aufhören. Ich möchte mich aber bei allen herzlich bedanken, auch bei Iris Gleicke, unserer stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden, die nicht unmaßgeblich am Zustandekommen beteiligt war, sowie bei Reinhard Weis. Herzlichen Dank allen, die dazu beigetragen haben, dass die Donau weiter fließt. Auch ich könnte jetzt singen: „Oh Donau, so blau, so blau, so blau ...“ ({12})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Ich schließe damit die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen auf Drucksache 14/9251. Unter Nr. 1 seiner Beschlussempfehlung empfiehlt der Ausschuss die Annahme des Antrags der Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen auf Drucksache 14/8589 mit dem Titel „Für einen sanften Ausbau der Donau zwischen Straubing und Vilshofen“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und PDS gegen die Stimmen von CDU/CSU und FDP angenommen worden. Unter Nr. 2 seiner Beschlussempfehlung empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache 14/8484 mit dem Titel „Verbesserung der Schifffahrtsverhältnisse im Donauabschnitt zwischen Straubing und Vilshofen“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Empfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der PDS gegen die Stimmen von CDU/CSU und FDP angenommen worden. Unter Nr. 3 seiner Beschlussempfehlung empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion der FDP mit dem Titel „Ausbau der Donau zwischen Straubing und Vilshofen“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit demselben eben festgestellten Stimmenverhältnis angenommen worden. Schließlich empfiehlt der Ausschuss in seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion der PDS auf Drucksache 14/7196 mit dem Titel „Ausbau der Donau zwischen Straubing und Vilshofen ökologisch gestalten“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen des ganzen Hauses gegen die Stimmen der PDS angenommen worden. Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen, Drucksache 14/9247, zu dem Antrag der Fraktion der CDU/CSU mit dem Titel „Notwendigkeit des Saaleausbaus“. Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der PDS gegen die Stimmen von CDU/CSU und FDP angenommen worden. Ich rufe Tagesordnungspunkt 23 auf: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Rechts der Vertretung durch Rechtsanwälte vor den Oberlandesgerichten - Drucksache 14/8763 ({0}) Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses ({1}) - Drucksache 14/9266 Berichterstattung: Abgeordnete Alfred Hartenbach Volker Beck ({2}) Dr. Evelyn Kenzler Es liegt ein Änderungsantrag der Fraktion der PDS vor. Nach interfraktioneller Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und gebe zunächst das Wort dem Herrn Parlamentarischen Staatssekretär Eckhart Pick. ({3})

Prof. Dr. Eckhart Pick (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001715

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Mir ist auf die Schnelle nicht eingefallen, welches Lied sich auf den jetzt vorliegenden Gesetzentwurf beziehen könnte, weil es sich doch um sehr unterschiedliche Materien handelt, wie wir alle wissen. ({0}) Meine Damen und Herren, mit dem vorliegenden Gesetzentwurf wird der Lokalisationszwang vor den Oberlandesgerichten aufgehoben. Dies ist ein weiterer Schritt zur Modernisierung und auch zur Deregulierung der Justiz. Längst gibt es keinen einleuchtenden Grund mehr für die Beschränkung, dass ein Rechtsanwalt in Zivilprozessen nur vor dem Oberlandesgericht auftreten darf, bei dem er auch zugelassen ist. ({1}) Auf der Ebene der Landgerichte haben wir diesen Grundsatz bekanntlich schon zum 1. Januar 2000 abgeschafft. Nach Ablauf der vom Bundesverfassungsgericht zugestandenen Übergangsfrist bis zum 30. Juni 2002 können wir diesen Schritt nun auch auf der Ebene der Oberlandesgerichte vollziehen. Die Rechtsuchenden sind dadurch nicht länger gezwungen, für das Berufungsverfahren den Anwalt zu wechseln. Der erstinstanzlich tätige Anwalt ihres Vertrauens kann nunmehr auch vor dem Oberlandesgericht auftreten, wenn er nur überhaupt bei einem Oberlandesgericht zugelassen ist. Diese Vereinfachung führt zu Einsparungen für den Rechtsuchenden und auch für die Haushalte der Länder, die von zusätzlichen Prozesskostenhilfeausgaben entlastet werden. Möglich wurde diese Deregulierung erst durch den Wegfall der verfassungswidrigen Singularzulassung zum 1. Juli dieses Jahres. Die vom Bundesverfassungsgericht insoweit formulierte Übergangsregelung ist eindeutig. Ich habe deswegen kein Verständnis für das Ansinnen, die verfassungswidrige Singularzulassung für einen längeren Übergangszeitraum aufrechtzuerhalten. ({2}) Ein Gesetz mit einer solchen Regelung könnte im Übrigen vom Bundesverfassungsgericht sofort per einstweiliger Anordnung wieder gestoppt werden. ({3}) Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf wollen wir Regelungen auch zu anderen Bereichen treffen. Wichtig ist mir insbesondere, dass wir durch Vorschriften im Zivilund Verfahrensrecht die Rechte behinderter Menschen weiter stärken. So werden in Zukunft blinde, sehbehinderte sowie hör- und sprachbehinderte Menschen vor Gericht Dokumente in einer für sie wahrnehmbaren Form, zum Beispiel in Brailleschrift oder auf Tonträgern, erhalten. Weiterhin wird eine Vorschrift in das BGB aufgenommen, die erwachsene Geschäftsunfähige in die Lage versetzt, Geschäfte des täglichen Lebens mit den ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln zu bewirken. Behinderte sollen im Rahmen ihrer individuellen Möglichkeiten, zum Beispiel beim Kaufmann um die Ecke, Gegenstände des täglichen Bedarfs rechtlich wirksam kaufen können. Auch dies entspricht übrigens einer langjährigen Forderung der Behindertenverbände. Ein weiterer wesentlicher Regelungskomplex des vorliegenden Gesetzentwurfes betrifft die Verbraucherrechte bei Darlehensverträgen zur Finanzierung von Immobilien. Der Europäische Gerichtshof hat am 13. Dezember des vergangenen Jahres in der Sache Heininger. /.Hypo-Vereinsbank entschieden, dass dem Verbraucher jedenfalls dann ein gesetzliches Widerrufsrecht eingeräumt werden muss, wenn der Immobiliardarlehensvertrag ein Haustürgeschäft ist. Er hat weiterhin entschieden, dass die Ausübung dieses Widerrufsrechts nicht befristet werden darf, wenn der Verbraucher nicht ordnungsgemäß über sein Widerrufsrecht belehrt worden ist. Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf passen wir das deutsche Recht nicht nur an diese Vorgaben an, sondern verbessern darüber hinausgehend den Verbraucherschutz auf diesem Gebiet. Das betrifft die folgenden Änderungen des Widerrufsund Beurkundungsrechts: Zum einen soll es künftig auch für Immobiliardarlehensverträge ein generelles Widerrufsrecht des Verbrauchers innerhalb von zwei Wochen geben, das unabhängig davon besteht, ob der Vertrag in einer Haustürsituation geschlossen worden ist oder nicht. Verbraucherdarlehensverträge sind bereits heute grundsätzlich innerhalb von zwei Wochen widerruflich. Dieses Widerrufsrecht hat der Gesetzgeber vorgesehen, weil es bei Verbraucherdarlehensverträgen aller Art auf die Einzelheiten der Bedingungen und der Konditionen ankommt und der Verbraucher die Möglichkeit haben soll, diese sorgfältig zu prüfen. Ausgerechnet für den wichtigsten Darlehensvertrag eines Verbrauchers, den Immobiliardarlehensvertrag für das eigene Haus bzw. die eigene Wohnung, gilt diese Regelung bislang nicht. Dies wollen wir ändern. Zum anderen soll wie bei allen anderen Darlehensverträgen der Widerruf des Darlehensvertrages auch die Rückabwicklung des finanzierten Geschäfts zur Folge haben, wenn Darlehensvertrag und finanziertes Geschäft eine wirtschaftliche Einheit darstellen. Denn es ist niemandem zu vermitteln, weshalb bei einem Immobiliardarlehensvertrag das ausgeschlossen sein soll, was bei jedem anderen Darlehensvertrag gilt. Wenn der Verkäufer und der Darlehensgeber wirtschaftlich eng zusammenarbeiten, dann müssen beide die Konsequenzen eines Widerrufs tragen. Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer Die zweiwöchige Widerrufsfrist beginnt nach diesem Vorschlag erst mit einer ordnungsgemäßen Belehrung über das Widerrufsrecht. Wenn der Unternehmer den Verbraucher nicht ordnungsgemäß über sein Widerrufsrecht belehrt, dann soll diese Widerrufsfrist nicht laufen und vor allem das Widerrufsrecht nicht mehr wie bisher nach Ablauf von sechs Monaten erlöschen. Ich glaube, dass wir mit diesen Maßnahmen einen großen Schritt zur Verbesserung des Verbraucherschutzes tun. Ich bitte um Ihre Unterstützung. Vielen Dank. ({4})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Jetzt hat der Kollege Norbert Röttgen das Wort.

Dr. Norbert Röttgen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002765, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Unter dem harmlosen Titel „Gesetz zur Änderung des Rechts der Vertretung durch Rechtsanwälte vor den Oberlandesgerichten“ verbergen sich völlig unterschiedliche Gesetzgebungsmaterien, die im Verfahren draufgesattelt worden sind, die ohne inneren Zusammenhang und in der Sache völlig unterschiedlich zu bewerten sind. Wir stimmen etwa den Regelungen zur Verbesserung der Rechtsstellung von behinderten Menschen ausdrücklich zu. Bei anderen Regelungen gilt aber das Gegenteil. Bevor ich zum Inhalt komme, will ich eine an alle Fraktionen gerichtete Bitte äußern - wir reden in diesen Tagen und auch bei diesem Gesetz viel über den Verbraucherschutz -: Vielleicht wäre es eine sinnvolle Maßnahme des Verbraucherschutzes, Titel und Inhalt von Gesetzen wieder mehr in Übereinstimmung zu bringen. Der Titel dieses Gesetzes sagt über seinen Inhalt gar nichts aus. ({0}) Was uns allerdings viel mehr beschwert, ist die Tatsache, dass wir es erneut mit einem parlamentarischen Schnellverfahren zu tun haben. Am Montag gab es die Sachverständigenanhörung zu ganz unterschiedlichen - das will ich noch einmal betonen -, jeweils sehr komplexen und komplizierten Materien, am Dienstag wurden die Gesetzentwürfe substanziell geändert, sodass am Mittwoch über 100 Seiten an Änderungsanträgen in den Rechtsausschuss kamen. Es gab kaum Gelegenheit zur Kenntnisnahme. Und heute, Freitagnachmittag, finden die zweite und dritte Lesung statt. Meine Damen und Herren, ich bedauere es sehr, feststellen zu müssen, dass es nach meiner festen Überzeugung noch nie eine Mehrheit im Bundestag gegeben hat, die an der Entparlamentarisierung der Gesetzgebung so mitgewirkt hat wie die jetzige rot-grüne Mehrheit. ({1}) Das hat über dieses Gesetz hinaus Bedeutung; denn es ist leider kein Einzelfall. Es ist im Grunde die Dauermethode Ihrer Rechtspolitik in wichtigen Bereichen. ({2}) - Sie werden doch auch nicht konsultiert. Es ist exekutive Gesetzgebung. Ihre Fraktion und die Fraktion der Grünen sind genauso wenig an der Gesetzgebung beteiligt, wie es die Oppositionsfraktionen sind. Wir jedenfalls beanstanden das, während Sie diesen Prozess noch unterstützen. ({3}) Das geht das gesamte Parlament etwas an. Es sind auch Ihre Rechte betroffen. Wir haben ein Ausmaß an exekutiver Gesetzgebung erreicht, das nicht gut ist. ({4}) Dieser Trend ergreift nun auch das Verhältnis von Bundestag zu Bundesrat. Die Bundesregierung hat beim Bundesrat beantragt, der Fristverkürzung zuzustimmen. Sie können diesen Gesetzentwurf dem Bundesrat nicht mehr unter Einhaltung der vorgeschriebenen Fristen zuleiten. Der Bundesrat hat dem Antrag auf Fristverkürzung nicht zugestimmt. Ich fordere Sie heute auf, sich zu erklären, ob Sie bereit und entschlossen sind, unter Verletzung der Frist, die für das Zuleitungsverfahren an den Bundesrat vorgesehen ist, dieses Gesetzesvorhaben dem Bundesrat kampfweise zuzuleiten. Ich bitte Sie, sich dazu heute im Bundestag zu erklären. Das wäre erneut eine Verletzung der Verfahrensrechte des Bundesrates. Sie sollten heute darüber Auskunft geben, ob Sie dazu bereit sind oder nicht. Es gibt einen sachlichen Grund, um einen ganz bestimmten Teil dieses Gesetzes eilig zu beschließen. Es drohen nämlich Staatshaftungsansprüche gegen die Bundesrepublik Deutschland, auf Deutsch gesprochen: Schadensersatzansprüche gegen den Staat wegen legislativen Fehlverhaltens. Dieses legislative Fehlverhalten fand in jüngster Zeit statt. Es entstammt einem anderen parlamentarischen Schnellverfahren, nämlich der Schuldrechtsreform. In dem Schuldrechtsreformgesetz hat die rot-grüne Mehrheit, die in ihren Überschriften sehr viel vom Verbraucherschutz redet, den Verbrauchen die Rechte, die ihnen nach einer europäischen Richtlinie, der Haustürgeschäfterichtlinie, zustehen, beschnitten. Es wurde auch nicht übersehen, dass hier noch etwas umzusetzen war. Vielmehr ist das, was Herr Professor Pick, der Parlamentarische Staatssekretär, als den jetzigen Regelungsgehalt dargestellt hat, Inhalt der europäischen Richtlinie, die das Ziel hat, die Verbraucher zu schützen. ({5}) Das war bekannt; darüber wurde diskutiert. Ihre politische Auffassung war, den Verbrauchern diese Rechte zu beschneiden, obwohl diese Rechte dem Wortlaut wie dem Zweck nach eindeutig in der entsprechenden Richtlinie ausgeführt worden sind. Die Folge war: Der Europäische Gerichtshof hat Ihnen mitgeteilt, dass dieses Gesetz europarechtswidrig ist und Sie es ändern müssen. Das hat der Europäische Gerichtshof allerdings schon im Dezember 2001 getan. Ich möchte fragen, was das für eine enorme Reaktionsgeschwindigkeit des Bundesjustizministeriums ist. Sie haben ein halbes Jahr für die Korrektur zweier relativ marginaler Regelungsbereiche benötigt. Ich kann das nicht verstehen. Das ist eine Schneckenhaftigkeit, die ich für erklärungsbedürftig halte. ({6}) Vielleicht kann man heute darüber Auskunft erlangen. ({7}) Wir jedenfalls haben immer deutlich gesagt, dass wir uns dieser notwendigen Korrektur Ihres eigenen Gesetzes nicht verschließen werden. Wir sind für diese europäische Richtlinie und auch für Verbraucherschutz auf diesem Gebiet und auch in anderen Bereichen. Unfair ist aber, dass Sie diesen Regelungsbereich, die Notwendigkeit dieser Korrektur, als Vehikel benutzen, um andere - hochproblematische, hochsensible und komplexe - Regelungsmaterien, die in der Beratung und nun auch in der Vorlage unausgereift sind, durch das Parlament zu bringen. Ich spreche insbesondere von dem hochproblematischen und ebenso komplexen wie sensiblen Thema der so genannten verbundenen Geschäfte. Wir haben es hier mit einer Fallkonstellation zu tun, in der sich Hunderttausende von Menschen bzw. Verbrauchern geschädigt und um ihre Rechte betrogen fühlen. Ich sage das bewusst so subjektiv, um deutlich zu machen, wie die subjektive Wahrnehmung bei unbestritten Hunderttausenden von Menschen ist. Rechtlich-technisch gesprochen geht es um die Frage: Wann bilden ein Verbraucherkreditvertrag und ein Grundstückskaufvertrag - der Kreditvertrag ist abgeschlossen worden, um den Grundstückskauf zu finanzieren - ein so genanntes verbundenes Geschäft? Wann bilden sie eine wirtschaftliche Einheit, sodass beide Verträge nicht als rechtlich selbstständig anzusehen sind, sondern der Mangel des einen auch auf den anderen Vertrag durchschlägt? Die Antwort auf diese Frage, also wie dies gesetzlich bewertet wird, ist entscheidend für die Effektivität der Verbraucherrechte. Sie ist genauso entscheidend für die Kalkulierbarkeit des wirtschaftlichen Risikos auf der Anbieterseite, nämlich bei den Banken und der Bauwirtschaft. Wir haben nicht über das Ob einer Regelung gestritten; eine Regelung ist nötig. Wir haben über die Methode gesprochen. Sollen wir das der Rechtsprechung vorbehalten? Sollte man sich von Fall zu Fall hangeln? Ist das besser so oder soll das der Gesetzgeber machen? Ich meine, der Gesetzgeber sollte es machen. Die Schwierigkeiten liegen jedoch nicht im Ob, sondern im Wie. Das, was Sie nun in der Schnelligkeit und der Hektik dieses Gesetzgebungsverfahrens vorgelegt haben, ist untauglich. Ich bedauere, das hier sagen zu müssen. Es wird ganz sicher Rechtsunsicherheit für beide Seiten nach sich ziehen. Sie haben ins Subjektive gehende Formulierungen gewählt, die ungenau sind. Sie haben nur die bisherige Rechtsprechung rezipiert und dann eine allgemeine Öffnungsklausel formuliert. Für beide Seiten bedeutet dies Rechtsunsicherheit. Die Banken werden möglicherweise rechtsunsicher. Vielleicht werden die Geschäfte teurer und vielleicht wird es solche Geschäfte in Zukunft nicht mehr geben. Aber mindestens so schwer und in den Auswirkungen vielleicht noch schwerer wiegt, dass diese Rechtsunsicherheit natürlich die Bürger bzw. die Verbraucher betrifft. Durch Rechtsunsicherheit bei solchen Prozessen, bei denen es um Immobilienkäufe geht und die natürlich einen sehr hohen Streitwert haben, belasten Sie die Verbraucher, die sich geschädigt fühlen und möglicherweise in ihrer Existenz getroffen sind, weil sie sich voll mit dem, was sie haben, und sogar mit mehr wirtschaftlich engagiert haben. Sie bürden ihnen durch die gesetzliche Formulierung, für die Sie sich entschieden haben, im Grunde ein untragbares Prozessrisiko in Form eines Kostenrisikos auf. Es ist nicht so einfach, alles hinzukriegen. Die Hektik des Gesetzgebungsverfahrens hat die schlechte Qualität der Gesetze bewirkt. Das muss hier so deutlich angesprochen werden. Ich möchte ein zweites Thema ansprechen. Das hat Herr Pick in seinem Beitrag auch thematisiert, nämlich die Frage einer Übergangsregelung für das Auslaufen der Singularzulassungen, die verfassungsgerichtlich angeordnet worden ist. Wir haben nun die besondere Konstellation, dass sich der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte auf eine Beschwerde von betroffenen Bürgern und Anwälten hin mit dieser Sache befasst. Er ist in die Sachprüfung eingetreten und die Fragen, die er an die Bundesrepublik Deutschland gestellt hat, lassen es - um es zurückhaltend zu formulieren - nicht ausgeschlossen erscheinen, dass der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte zu dem Ergebnis kommen kann, dass das praktische Fehlen einer Übergangsfrist oder jedenfalls einer maximal halbjährlichen Übergangsfrist konventionswidrig ist, nämlich eine rechtswidrige entschädigungslose Enteignung darstellt. Das kann passieren. Wir wissen es nicht; denn der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat noch nicht entschieden. Darum haben wir vorgeschlagen, den Rechtszustand, der seit 50 Jahren gilt, noch um ein paar Monate zu verlängern und die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte abzuwarten, um im Lichte dieser Entscheidung über eine gesetzliche Regelung befinden zu können. Was wäre denn die Folge, wenn der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte entscheiden sollte, diese Maßnahme sei konventionswidrig gewesen? Dann hätten wir die sehr unerfreuliche Kollision einer Entscheidung des höchsten deutschen Gerichtes, des Bundesverfassungsgerichts, mit einer Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte. Wir sind nicht mehr allein für uns, auch nicht in der Rechtsordnung und in der Rechtsprechung. Die Rechtsprechung ist in die europäische und die internationale Gerichtsbarkeit eingebettet. Wir sollten versuchen, Kollisionen unvermittelt nebeneinander stehender Entscheidungen, die die Autorität und Glaubwürdigkeit der Rechtsprechung beeinträchtigen, aufzulösen. Eine weitere Folge einer solchen EntscheiDr. Norbert Röttgen dung des Europäischen Gerichtshofes wäre nicht die Kassation der staatlichen Maßnahme, sondern wahrscheinlich die Auslösung erheblicher Schadensersatzansprüche gegen die Bundesrepublik Deutschland. Auch das sollten wir verhindern. Darum lautet unser praktischer Vorschlag: Lasst es uns noch ein paar Monate lang so machen, wie wir es 50 Jahre lang gemacht haben. Dann könnten wir auf Basis der Kenntnis der neuen Sach- und Rechtslage entscheiden. Da es wahrscheinlich ein Vermittlungsverfahren geben wird, appelliere ich an Sie, dass wir darüber wie auch über andere Punkte noch einmal reden. Wir bedauern ausdrücklich - um es noch einmal zu sagen - dass hier in einem Schnellverfahren entscheidende Probleme, die für die betroffenen Bürger von hoher Relevanz sind, nur unzureichend geklärt worden sind. Darum können wir diesem Gesetzentwurf nicht zustimmen, obwohl wir in Teilpunkten mit ihm einverstanden sind. Ich danke sehr für Ihre Aufmerksamkeit. ({8})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Volker Beck.

Volker Beck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002625, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Das heutige Gesetz ist eine durch und durch gelungene Mischung: ({0}) ein leistungsstarker, topmoderner Omnibus. Mit den neuen Regelungen über das Widerrufsrecht bei Immobiliardarlehensverträgen stärken wir den Verbraucherschutz. Mit dem Wegfall der Singularzulassung für die Anwälte bei den Oberlandesgerichten stärken wir die Berufsfreiheit und beenden einen verfassungswidrigen Zustand. Mit den Vorschriften im GVG und den diversen Prozessordnungen stärken wir die Rechte behinderter Menschen. Wir komplettieren damit das Bundesgleichstellungsgesetz, das wir vor kurzem bereits verabschiedet haben. Meine Damen und Herren von der Opposition, es gibt überhaupt keinen Grund, sich über dieses Omnibus-Gesetz so aufzuregen, wie Sie es tun. Im Gegenteil, Grund zur Aufregung haben allenfalls wir, und zwar über Sie; denn Sie scheren sich offensichtlich einen Dreck um das, was das Bundesverfassungsgericht dem Gesetzgeber bei der OLG-Zulassung aufgetragen hat. Sie wollen allen Ernstes zugunsten einer kleinen Gruppe von OLG-Anwälten, deren Anliegen ich im Übrigen in Straßburg keine großen Chancen einräume, den Karlsruher Richterspruch ignorieren. Sie wollen eine Fristverlängerung, obwohl Karlsruhe uns klare Vorgaben gemacht hat. Das ist ein echter Skandal, wenn auch bei Ihnen nicht wirklich neu. In den vergangenen Wahlperioden haben Sie die Umsetzungsfristen von EU-Richtlinien regelmäßig nicht so eng gesehen. Jetzt nehmen Sie offensichtlich nicht einmal mehr das Bundesverfassungsgericht ernst. Wir stärken heute mit der Beendigung des Verbotes der Simultanzulassung von Anwälten bei Oberlandesgerichten die Berufsfreiheit und machen zugunsten des gesamten Berufstandes der Anwälte Schluss mit den Privilegien einiger weniger. Eine Verlängerung der Übergangsfrist ist auch von der Sache her nicht gerechtfertigt. Das Urteil ist den OLG-Anwälten seit dem 13. Dezember 2000 bekannt; es gab also hinreichend Zeit, sich darauf einzustellen. Seitdem können sich die OLG-Anwälte auch an den Landgerichten zulassen, um unnötigen Konkurrenzdruck zu vermeiden. Meine Damen und Herren, die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes vom 13. Dezember 2001 in der Sache Heininger ./. Hypo- und Vereinsbank war ein großer Sieg für die Verbraucherinnen und Verbraucher. Hunderttausende geprellter Kunden, denen unter zweifelhaften Bedingungen Schrottimmobilien angedreht wurden, können jetzt hoffen. Die Möglichkeit, solche kreditfinanzierten Immobiliengeschäfte per Widerruf rückgängig zu machen, wird jetzt geschaffen. Das ist gut so. Deshalb sage ich Ihnen auch hier, sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen von Union und FDP: Es gibt überhaupt keinen Grund, diese europäischen Vorgaben nicht so schnell wie möglich in unser Recht umzusetzen. Ihnen ist aber am Verbraucherschutz offensichtlich nicht viel gelegen; das haben wir auch in der Landwirtschaftsdebatte immer wieder hören müssen. Sie wollen, dass die Praxis unseriöser Geschäftemacher zulasten der kleinen Leute fortgesetzt wird. Wir erteilen dem eine klare Absage. Unsere Lösung ist bis ins letzte Detail ausgewogen und tragfähig. Gemeinsam mit der Bundesnotarkammer haben wir eine Lösung erarbeitet, die künftig die Pflichten der Notare bei der Beurkundung von Verbraucherverträgen klar umreißt. Verbraucher werden künftig frühzeitig und umfassend über diese Art von Geschäften informiert. Zusammen mit diesem Omnibus-Gesetz geben wir auch einige Verbesserungen für sehbehinderte und blinde ebenso wie für hör- und sprachbehinderte Menschen in das Gesetzgebungsverfahren: im Prozessrecht, im Recht der Geschäftsfähigkeit und beim Errichten von Testamenten. Diese Vorschriften folgen der Linie des am 1. Mai in Kraft getretenen Gleichstellungsgesetzes. Sie fördern Selbstbestimmung und stärken die Rechte von behinderten Menschen. Diese Regelungen runden die großen Reformprojekte für behinderte Menschen für diese Wahlperiode ab. Wir gehen einen weiteren Schritt in eine im umfassenden Sinne barrierefreie Gesellschaft. Gleichwohl ersetzen diese Bestimmungen nicht ein zivilrechtliches Antidiskriminierungsgesetz für Behinderte. Ein wirksames und rechtsstaatliches, zielgenaues Gesetz zur Verhinderung von Diskriminierungen im Zivilrecht bleibt eine wichtige Aufgabe für die nächste Wahlperiode. Wir werden dafür sorgen, dass es dann auch kommt. Vielen Dank. ({1})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Rainer Funke.

Rainer Funke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000624, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Unter dem harmlos klingenden Titel „Gesetz zur Änderung des Rechts der Vertretung durch Rechtsanwälte vor den Oberlandesgerichten“ soll heute ein Gesetz verabschiedet werden, das immerhin 34 Artikel umfasst und zum Teil gravierende Veränderungen unserer Rechtsordnung vorsieht. Ich räume ein, dass es leider in diesem Parlament insbesondere am Ende einer Legislaturperiode nicht unüblich ist - sogar unabhängig von der jeweiligen Koalition -, dass solche Artikelgesetze häufig auch als Reparaturgesetze der vergangenen Beschlüsse vorgelegt werden. Bei dem schlecht formulierten Schuldrechtsmodernisierungsgesetz ({0}) ist es kein Wunder, dass mit dem heute vorliegenden Reparaturgesetz auch einige schuldrechtliche Bestimmungen geändert werden müssen. ({1}) Ungewöhnlich ist jedoch, dass nach Einbringung eines Gesetzes durch so genannte Formulierungshilfen wesentliche Änderungen und Ergänzungen des Bürgerlichen Gesetzbuches insbesondere hinsichtlich der so genannten Verbundverträge hineingemogelt werden, ohne dass sie in erster Lesung beraten werden. Dies ist auch nicht mit der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs oder des Europäischen Gerichtshofs zu rechtfertigen. Der Anlass für die Rechtsprechung dieser Gerichte war die Verkaufspolitik einiger Banken und Sparkassen insbesondere zu Beginn der 90er-Jahre. Es ist in der Tat einzuräumen, dass damals Anleger geschädigt worden sind. Diese Mängel der Gesetzgebung sind inzwischen schon längst behoben, nicht zuletzt durch die Rechtsprechung und durch die Arbeit dieses Parlamentes; denn wir haben die Steuervergünstigungen, die bei diesen Steuermodellen üblich waren, beseitigt. Die jetzt gefundene Formulierung in § 358 Abs. 3 BGB wird der Rechtsprechung leider mehr Steine als Brot geben. Die Formulierungen sind schwammig und auslegungsbedürftig. Dadurch besteht die Gefahr, dass sowohl bei den Banken und bei den Bauträgern als auch bei den Kreditnehmern, also den Käufern von Eigentumswohnungen, ganz erhebliche Unsicherheiten entstehen. Dies birgt natürlich große Risiken, im Übrigen auch für die Verbraucher. Dies wird immer wieder verkannt. - Herr Beck ist leider schon wieder nicht mehr da. Gerade die Verbraucher, die er schützen möchte, werden hier unter Umständen geschädigt, weil sie höhere Zinsen für den höheren Aufwand der Banken in Kauf nehmen müssen. ({2}) Man hätte schon die unterschiedlichen Interessen genau abwägen müssen. Dies war aber angesichts der Kürze dieser Beratung und der Hetze, die wiederum von dem Bundesjustizministerium ausgelöst worden ist, gar nicht möglich. ({3}) - Ja, auch das ist richtig, Herr Koppelin. Wir müssen dies aber eigentlich nicht immer hinnehmen. Aber leider haben die Koalitionsfraktionen dies mit ihrer Mehrheit hingenommen. Dies wird zu erheblichen Schäden für die Gesamtwirtschaft führen, ({4}) sowohl bei der Bauindustrie als auch bei den Banken und natürlich auch den Kunden. Dasselbe gilt für den eigentlichen Anlass dieses Gesetzes, nämlich die Vertretung von Rechtsanwälten vor Oberlandesgerichten. Hier kann ich nur Herrn Röttgen folgen: Es hätte überhaupt nichts geschadet, wenn wir noch ein halbes Jahr abgewartet hätten, bis der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte entschieden hätte. Auch das Bundesverfassungsgericht hätte die neue Sachund Rechtslage sicherlich akzeptiert ({5}) und die Drohung, die Sie, Herr Pick, ausgesprochen haben, wäre sicherlich nicht Wirklichkeit geworden. ({6}) Lassen Sie mich abschließend sagen, dass auch in diesem Artikelgesetz eine Reihe von guten Regelungen enthalten ist, zum Beispiel zu den Rechten der Behinderten. Die von mir aufgezeigten Mängel sind jedoch so gravierend und das Verfahren ist wieder einmal so angreifbar, dass wir dieses Gesetz insgesamt ablehnen müssen. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({7})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Christine Ostrowski.

Christine Ostrowski (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001662, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es klingelt an Ihrer Haustür, ein seriös aussehender Herr bietet Ihnen eine Immobilie als Altersvorsorge zum Kauf an: bankgeprüft, in bester Lage, steuersparend, mit Mietgarantie. Und wie schön: Der Herr hat auch die Finanzierung gleich in der Tasche, denn da die Immobilie bankgeprüft ist, gibt die Bank selbstverständlich sofort den Kredit. Alles rechnet sich von selbst. Es gibt Fälle, bei denen eine monatliche Belastung von 104 DM ausgerechnet worden ist. So viel Autorität überzeugt Sie. Ehe Sie sich versehen, haben Sie den Kaufvertrag und den Darlehensvertrag unterschrieben. Nach drei oder vier Jahren kommt das böse Erwachen. Erst dann merken Sie, dass das eingespielte Team zwischen Bank, Vermittler, womöglich noch Treuhänder und Notar Sie über den Tisch gezogen hat, weil die Mietgarantie futsch ist, weil die Immobilie Schrott ist, weil sie überbewertet war, eine Provision in Höhe von 30, 40 oder 50 Prozent im Kaufpreis enthalten war, weil Sie keine Einnahmen mehr haben, sondern nur noch Kosten über Kosten. Zusätzlich zu diesen Kosten müssen Sie die Zinsen für das Darlehen an die Bank zahlen. Nichts rechnet sich mehr von selbst. Sie sind finanziell am Ende. Es gibt mindestens 300 000 solcher Fälle. Damit Sie wissen, worüber ich rede: Ich rede hier nicht über Boris Becker oder solche Leute, sondern über Menschen, die keineswegs ein hohes Einkommen, sondern ein normales bis niedriges Einkommen haben und denen es ganz dreckig geht. Diese mindestens 300 000 Menschen kommen nach jetzigem Recht aus dieser Situation nahezu überhaupt nicht heraus. Sie haben im Moment kein Widerrufsrecht. Das ist bereits gesagt worden. Wenn sie sich dann den Mut nehmen, einen Rechtsanwalt finden und vor Gericht ziehen, sind sie nach heutigem Recht Beweislastschuldner gegenüber der Bank. Nun haben Sie unter dem Druck dieser 300 000 Immobiliengeschädigten, ihrer Rechtsanwälte und der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes und nicht aus eigenem Antrieb nach langer Zeit und natürlich in letzter Minute im Eiltempo einen Verbraucherschutzartikel in ein Gesetz aufgenommen, das eigentlich gar nicht so viel damit zu tun hat. Es beruhte also nicht auf Ihrem eigenen Antrieb. ({0}) Sie haben gesagt, Sie hätten das Problem zugunsten der Verbraucher gelöst; natürlich für die Zukunft, denn rückwirkend hilft dies nicht. Ich versichere Ihnen: Sie haben es eben nicht gelöst. Sie haben die Definition eines verbundenen Geschäfts - das eingespielte Team zwischen Bank, Vermittler usw., das die Leute über den Tisch zieht verschnörkelt, aber nicht wirklich etwas zugunsten der Verbraucher geregelt. Denn - das ist das Entscheidende die Beweislast liegt auch in Zukunft immer nur bei dem kleinen Mann, der gegenüber einer Bank hilflos dasteht, weil die Bank nicht verpflichtet ist, ihre Dokumente offen zu legen und Aufklärung zu leisten. Sie haben auch hinsichtlich des Widerrufsrechts einen Trick angewandt. Sie führen das Widerrufsrecht zwar wieder ein, aber einige Paragraphen später - nämlich im § 506 - haben Sie eine Hintertür eingebaut; damit kann es wieder ausgehebelt werden. Wir haben einen Änderungsantrag vorgelegt, der die Knackpunkte beseitigen würde. Ein Widerrufsrecht muss unbefristet gelten, das heißt, grundsätzlich und dauerhaft, und zwar ohne Hintertür. Wenn es zu Streitigkeiten kommt, muss die Beweislast bei den Banken liegen. Deshalb ist nach unserer Definition bei einem bankfinanzierten Immobilienerwerb im Normalfall immer davon auszugehen, dass es sich um ein verbundenes Geschäft handelt und die Bank notfalls beweisen muss, dass dies nicht der Fall ist. Nur so ist ein Ausweg aus dieser gesamten Dramatik möglich. ({1}) Im Übrigen ist Ihr Artikelgesetz zum Verbraucherschutz reine Kosmetik. Ich bin entsetzt darüber, dass Sie zwar - wenn auch zu Recht - im Rahmen einer Regierungserklärung gestern stundenlang den Nitrofen-Skandal diskutiert haben, dass Sie aber in dieser Debatte, in der es um die finanziell und sozial brenzlige Situation von Hunderttausenden geht, den Verbraucherschutz derart stiefmütterlich behandeln. Damit auch das klar ist, Herr Dr. Röttgen: Es hat mich schon ein bisschen gewundert, dass in der Expertenanhörung am Montag dreimal so viele Experten wie Abgeordnete anwesend waren. Sie haben sich vorhin in Richtung Verbraucherschutz aufgespielt, aber am Montag haben Sie dazu kein Wort gesagt; Ihre Fragen gingen in eine andere Richtung. Ich war im Rechtsausschuss und auch im Bauausschuss und habe dort miterlebt, wie CDU/CSU und FDP den in Rede stehenden Artikel zum Verbraucherschutz in dem Gesetzentwurf heruntergemacht haben. Das bezieht sich auf den Gesetzentwurf der Bundesregierung, für unseren gilt das sowieso; wir sind ja daran gewöhnt, dass unsere Gesetzentwürfe abgelehnt werden.

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Frau Kollegin!

Christine Ostrowski (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001662, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Ich komme zum Schluss. - Selbst die kosmetischen Änderungen, die die SPD und die Grünen vorhaben, haben Sie in den Ausschüssen mit großer Entschiedenheit vom Tisch gewischt, sodass Sie hier nicht so tun können, als hätten Sie sich wie verrückt für die Verbraucher eingesetzt. ({0})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Alfred Hartenbach.

Alfred Hartenbach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002669, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Ich freue mich, dass ich die Gelegenheit habe, am Ende unserer gemeinsamen Parlamentarierzeit gemeinsam mit meinem alten Weggefährten Joachim Tappe am Rednerpult stehen zu dürfen. Das ist das erste Mal, Achim. Darüber freue ich mich sehr. Die Kollegen Röttgen und Funke haben sich heute in Scheinheiligkeit überschlagen. ({0}) Wissen Sie, Herr Kollege Röttgen und auch Herr Kollege Funke, die Richtlinie, von der Sie gesprochen haben und die den Widerruf von Haustürgeschäften regelt, stammt aus dem Jahr 1985 und ist damals von Ihrer Regierung nicht ordnungsgemäß umgesetzt worden. ({1}) Erst das Urteil des Europäischen Gerichtshofs hat uns dazu gezwungen zu reagieren. Wir müssen in der Tat reagieren, um keine Staatshaftung auf uns zukommen zu lassen. Daraus ergibt sich auch die Eilbedürftigkeit des Gesetzes. Aber das ist Ihre Art, nämlich etwas zu behaupten und darzustellen, von dem sich später herausstellt: Alles heiße Luft. Sie haben Glück, dass Sie hier geblieben sind; sonst wäre ich jetzt noch etwas lauter geworden, Herr Röttgen. ({2}) Ihr Vorhaben, die Singularzulassung bei den Oberlandesgerichten zu verlängern, zeigt, meiner lieber Herr Röttgen und auch mein lieber Herr Funke - Sie wollen das schließlich auch -, dass ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts nicht beachtet wird. Ich gehe so weit, zu sagen: Das zeigt Ihr Verfassungsverständnis. ({3}) - Sie mögen darüber lachen. Aber die Bevölkerung wird es schon richtig zu werten wissen, dass Herr Röttgen von der CDU/CSU-Fraktion höhnisch grinst, wenn man ihm vorwirft, er begehe sehenden Auges einen Verfassungsbruch und missachte ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts. ({4}) - Sehen Sie, so machen Sie Politik. ({5}) Eben hat Herr Stünker gesagt, der Wähler möge uns vor Ihnen als Regierungspartei bewahren. Ich kann das nur wiederholen. ({6}) Wir möchten mit diesem Gesetz so viel Gutes erreichen. Wir werden es endlich schaffen, dass - wie bei den Geschäften der Hypo-Vereinsbank, bei denen wir nicht wissen, in welcher Weise Herr Stoiber dabei seine Finger im Spiel hat - nicht wieder 300 000 Immobiliengeschädigte auf der Matte stehen. Das sind Menschen, die durch diese Machenschaften, die meine Vorredner angeprangert haben, teilweise ihrer Existenz beraubt worden sind. Wir schaffen ein klares Verbraucherrecht, mit dem der Verbraucher endlich die Sicherheit hat, dass diejenigen, die solche Geschäfte abwickeln, dafür geradestehen müssen. Das Wichtigste an diesem Gesetzentwurf ist für mich die Tatsache, dass wir nun auch beim Beurkundungsrecht klare Richtlinien geschaffen haben und die vielen tausend rechtschaffenden Notare, die dieses Recht beachten, unterstützen, damit es nicht mehr zu Überrumpelungsbeurkundungen kommen kann, wie dies bei Immobiliengeschäften dieser Art oft der Fall gewesen ist. Wir wissen: Die Notarkammern in Deutschland sind uns für diese gesetzliche Richtigstellung dankbar. Letztlich werden wir mit diesem Gesetzentwurf auch die Rechte von Menschen mit Behinderung stärken. Es war lange überfällig, dass nach dem öffentlich-rechtlichen Gleichstellungsgesetz nun die Menschen mit Behinderung, die ihre Geschäfte nicht so abwickeln konnten, wie das von ihnen erwartet wurde, zum Beispiel auch Verträge in Behindertenwerkstätten abschließen können. Wenn Sie das wollen, dann stimmen Sie dem Gesetz zu, Herr Funke. ({7}) - Herr Funke, Sie sollten vielleicht Justizminister der Sahelzone werden. ({8}) Das, was Sie an Inhalten vortragen, entspricht der Dürre in der dortigen Region. Ihre Ankündigungen sind genauso schillernd wie die dortigen Fata Morganen. Wir stärken die Rechte der Menschen mit Behinderungen. Dies ist einer der wichtigsten Teile in diesem Gesetzentwurf. Deswegen bitte ich Sie: Stimmen Sie diesem Gesetzentwurf zu. An dieser Stelle bitte ich insbesondere den Bundesrat, diesen Gesetzentwurf nicht abzulehnen; denn Sie würden damit den Verbrauchern einen Bärendienst erweisen. ({9}) Sie würden darüber hinaus den Menschen mit Behinderungen einen Bärendienst erweisen. Auch würden Sie der ganz großen Masse der Anwälte, die auf ihre Zulassungen zum Oberlandesgericht warten, einen Bärendienst erweisen. Vielen Dank. ({10})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Ich schließe da- mit die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun- desregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung des Rechts der Vertretung durch Rechtsanwälte vor den Oberlandesgerichten. Der Rechtsausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 14/9266, den Gesetzentwurf in der Ausschussfassung anzunehmen. Es liegt ein Änderungsantrag der Fraktion der PDS vor, über den wir zuerst abstimmen. Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen des ganzen Hauses gegen die Stim- men der PDS abgelehnt worden. Ich bitte jetzt diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Hand- zeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Ge- setzentwurf ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und einer Stimme aus der PDS gegen die Stimmen von CDU/CSU und FDP bei Enthaltung der Kollegin Ostrowski in zweiter Beratung angenommen worden. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist so, wie ich es eben in der zweiten Beratung festgestellt habe, angenommen worden. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 24 a und 24 b auf: a) Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Rainer Brüderle, Dr. Hermann Otto Solms, Hildebrecht Braun ({0}), weiteren Abgeordneten und der Fraktion der FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Umsatzsteuergesetzes - Drucksache 14/5331 ({1}) Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses ({2}) - Drucksache 14/8314 Berichterstattung: Abgeordnete Dieter Grasedieck Hansgeorg Hauser ({3}) Carl-Ludwig Thiele Heidemarie Ehlert b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Hermann Otto Solms, Carl-Ludwig Thiele, Ina Albowitz, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Steuerrecht vereinfachen - illegale Betätigung im Baugewerbe sinnvoll bekämpfen - Drucksache 14/7541 Überweisungsvorschlag: Finanzausschuss ({4}) Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen Sind Sie damit einverstanden, dass die Reden der Ab- geordneten Grasedieck, Fromme, Scheel, Schüßler und Ehlert zu Protokoll gegeben werden?1) - Das ist der Fall. Dann verfahren wir so. Wir kommen zur Abstimmung über den Gesetzentwurf der Fraktion der FDP zur Änderung des Umsatzsteuergesetzes. Der Finanzausschuss empfiehlt auf Drucksache 14/8314, den Gesetzentwurf abzulehnen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der PDS gegen die Stimmen von CDU/CSU und FDP abgelehnt worden. Nach unserer Geschäftsordnung entfällt damit die weitere Beratung. Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf Drucksache 14/7541 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 26 auf: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Wirtschaftsplans des ERP-Sondervermögens für das Jahr 2003 ({5}) - Drucksache 14/8985 ({6}) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie ({7}) - Drucksache 14/9250 - Berichterstattung: Abgeordnete Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk Es liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion der PDS vor. Sind Sie damit einverstanden, dass die Reden der Kol- legen Skarpelis-Sperk, Bernhardt, Fell, Kopp, Kutzmutz und der Parlamentarischen Staatssekretärin Wolf zu Pro- tokoll gegeben werden?2) - Das ist der Fall. Dann verfahren wir so. Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf über die Feststellung des Wirtschaftsplans des ERP-Sondervermögens. Der Ausschuss für Wirtschaft und Technologie empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 14/9250, den Gesetzentwurf in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung mit den Stimmen von SPD, CDU/CSU, Bündnis 90/Die Grünen und FDP bei Enthaltung der PDS angenommen worden. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist mit dem gleichen Stimmenverhältnis wie zuvor angenommen worden. Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion der PDS auf Drucksache 14/9290. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen von SPD, CDU/CSU, Bündnis 90/Die Grünen und FDP gegen die Stimmen der PDS abgelehnt worden. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 27 auf: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur Änderung der Gewerbeordnung und sonstiger gewerberechtlicher Vorschriften - Drucksache 14/8796 ({8}) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie ({9}) - Drucksache 14/9254 Berichterstattung: Abgeordneter Werner Schulz ({10}) Sind Sie damit einverstanden, dass die Reden der Kol- legen Lange, Schauerte, Kopp, Kutzmutz und der Parla- mentarischen Staatssekretärin Wolf zu Protokoll gegeben werden?3) - Das ist der Fall. Dann verfahren wir so. Wir kommen zur Abstimmung. Der Ausschuss für Wirt- schaft und Technologie empfiehlt in seiner Beschlussemp- fehlung auf Drucksache 14/9254, den Gesetzentwurf in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Hand- zeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetz- entwurf ist damit in zweiter Beratung einstimmig ange- nommen worden. Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer 1) Anlage 4 2) Anlage 5 3) Anlage 6 Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit einstimmig angenommen. Tagesordnungspunkt 28: Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung tierarzneimittelrechtlicher Vorschriften - Drucksache 14/8613 ({11}) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft ({12}) - Drucksache 14/9252 - Berichterstattung: Abgeordneter Peter Bleser Sind Sie damit einverstanden, dass die Reden der Kol- legen Teuchner, Lamp, Höfken, Sehn und Laumann zu Protokoll gegeben werden?1) - Das ist der Fall. Dann verfahren wir so. Wir kommen zur Abstimmung. Der Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft empfiehlt auf Drucksache 14/9252, den Gesetzentwurf in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der PDS gegen die Stimmen von CDU/CSU und FDP angenommen worden. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist in dritter Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der PDS gegen die Stimmen der CDU/CSU und der FDP angenommen worden. Ich rufe Tagesordnungspunkt 29 auf: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Mineralölsteuergesetzes - Drucksache 14/8711 ({13}) Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses ({14}) - Drucksache 14/9265 Berichterstattung: Abgeordnete Reinhard Schultz ({15}) Heinz Seiffert Dr. Reinhard Loske Carl-Luwig Thiele Dr. Barbara Höll Sind Sie damit einverstanden, dass die Kollegen Schultz, Schindler, Loske und Schüßler sowie die Kolle- gin Höll ihre Reden zu Protokoll geben?2) - Das ist der Fall. Dann verfahren wir so. Wir kommen zur Abstimmung. Der Finanzausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 14/9265, den Gesetzentwurf in der Ausschussfassung anzunehmen. Es liegt ein Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU, Drucksache 14/9302, vor, über den wir zuerst abstimmen. Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der PDS gegen die Stimmen von CDU/CSU und FDP abgelehnt. Ich bitte nun diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung mit den Stimmen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen, CDU/CSU und PDS gegen die Stimmen der FDP angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte Sie, sich zu erheben, wenn Sie dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist in dritter Lesung mit dem gleichen Stimmenverhältnis wie zuvor angenommen. Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Mittwoch, den 12. Juni 2002, 13 Uhr, ein. Ich wünsche allen Kolleginnen und Kollegen, die hier so lange gearbeitet haben, und natürlich auch allen anderen sowie den Besuchern ein schönes Wochenende.