Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 5/17/2002

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Hermann Bachmaier (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000072, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist selten, dass der Gesetzgeber so wenige Worte macht. Über die heute zu beschließenden drei neuen Worte im Grundgesetz haben wir viele Jahre gestritten und debattiert. Wir Sozialdemokraten haben immer prophezeit, dass der Tag kommen wird, an dem der Tierschutz als Staatsziel im Grundgesetz verankert sein wird. ({0}) Heute ist es endlich so weit: Auch die CDU/CSU wird dem vorliegenden Gesetzentwurf zustimmen, den sie noch vor zwei Jahren - bis auf wenige Ausnahmen - leider abgelehnt hat. Präsident Wolfgang Thierse In Zukunft wird der Staat durch das Grundgesetz verpflichtet sein, neben den natürlichen Lebensgrundlagen auch die Tiere zu schützen. Im Rahmen der verfassungsmäßigen Ordnung, wie es der zukünftige Art. 20 a des Grundgesetzes zum Ausdruck bringt, soll der Schutz der Tiere durch Gesetzgebung und nach Maßgabe von Gesetz und Recht durch die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung gewährleistet werden. Das ist ein großer Fortschritt. Denn bislang wird der Tierschutz im Grundgesetz nur am Rande erwähnt: bei den Gegenständen der konkurrierenden Gesetzgebung in Art. 74 am Ende der Ziffer 20. Beiläufiger ging es kaum! Das ist alles, was das Grundgesetz bislang zum Tierschutz zu sagen hatte. Obwohl wir immer stolz darauf waren, eines der modernsten und besten Tierschutzgesetze zu haben, konnte sich das Parlament bis zum heutigen Tage nicht dazu durchringen, dem Tierschutz mit der nötigen Zweidrittelmehrheit einen Platz in unserer verfassungsmäßigen Ordnung einzuräumen. Die Gründe für die Ablehnung waren recht unterschiedlich. Eines der Gegenargumente möchte ich kurz aufgreifen. Es folgt aus einer rein anthropozentrischen Sicht auf das Grundgesetz. Maß und Mittelpunkt unserer Verfassungsordnung ist danach der Mensch; Ausgangspunkt dieser Ordnung ist die Würde des Menschen. Es entspricht aber durchaus der Würde des Menschen, wenn er Tiere in ihrem Eigenwert respektiert und deshalb zu dem Schluss kommt, dass Tiere unabhängig von menschlichen Interessen und Bedürfnissen einen eigenständigen Schutz genießen. ({1}) Meine Damen und Herren, viele empfänden es als unter ihrer Würde, wenn sie in einer Gesellschaft leben müssten, in der die Bedürfnisse und Empfindungen von Tieren grundlos missachtet werden. Viele sind empört, wenn sie sehen müssen, dass Tiere unter unzumutbaren Bedingungen gehalten werden. Viele bekommen geradezu ein schlechtes Gewissen, wenn sie sehen, wie mancher Leckerbissen auf Kosten von Tieren „produziert“ wird, wie man so schön sagt. Es entspricht nach meiner Überzeugung durchaus auch der Würde des Menschen, dass er sich nicht als Maß aller Dinge empfindet. Bisher blieb jedenfalls das Bekenntnis in § 1 des Tierschutzgesetzes, die Tiere als Mitgeschöpfe zu schützen und keinem Tier ohne vernünftigen Grund Schmerzen, Leiden oder Schäden zuzufügen, in seiner Wirksamkeit begrenzt, weil eben in der Verfassung der entsprechende ausdrückliche Bezug fehlte und somit andere verfassungsrechtlich geschützte Werte wie zum Beispiel die Forschungsfreiheit oder das Eigentumsrecht ihre Dominanz entfalten konnten. Der Konflikt in der Sache zwischen diesen Grundrechten und dem neuen Staatsziel wird selbstverständlich auch in Zukunft erhalten bleiben. Hier sollten wir uns keine Illusionen machen. Bisher drohte der Tierschutz aber in solchen Konfliktfällen allzu leicht unter die Räder zu kommen. Künftig haben auch die Belange des Tierschutzes ihre - dies ist wichtig - verfassungsrechtliche Legitimation. Das hatten sie bisher in diesem Maße nicht. Ab jetzt gehört auch der Schutz der Tiere zu der von der Verfassung gewollten Ordnung. Mit der Aufnahme des Tierschutzes in das Grundgesetz erfährt nicht nur das Tierschutzgesetz die zu seiner Wirksamkeit zwingend gebotene Aufwertung. Wir handeln uns heute darüber hinaus auch einen ständigen Schutzauftrag ein, der sich in erster Linie an den Gesetzgeber, aber auch an alle anderen Träger der staatlichen Gewalt richtet. In diesem Zusammenhang ist der Schutzauftrag an die Regierung eine besondere Erwähnung wert. Denn vor allem die Regierung besitzt Möglichkeiten, im internationalen Bereich tätig zu werden. Sie kann nicht nur, sie muss in Zukunft entsprechende Initiativen im Rahmen der Europäischen Union ergreifen und unterstützen. Dieser Auftrag wird zunehmend an Bedeutung gewinnen; denn wir alle wissen, dass Tierschutz, der nur national betrieben wird, im wahrsten Sinne des Wortes sehr bald an Grenzen stößt. Dem Staatsziel Tierschutz gerecht werden müssen in Zukunft alle staatlichen Organe, unabhängig davon, ob sie sich politisch diesem Ziel verpflichtet fühlen oder nicht. Manche subtilen Gegner dieses Staatszieles, die ja nicht alle plötzlich zu heißen Befürwortern des Anliegens mutiert sind, könnten sich einer trügerischen Hoffnung hingeben. Sie könnten meinen, dass das Staatsziel Tierschutz schon deshalb zur weit gehenden Wirkungslosigkeit verurteilt sei, weil es sich ja nur im Rahmen der bisherigen verfassungsmäßigen Ordnung entfalten könne. Diese Hoffnung geht mit Sicherheit fehl. Sie geht schon deshalb fehl, weil in Zukunft der Tierschutz im Gegensatz zum heute noch gültigen Text unserer Verfassung Teil ebendieser verfassungsmäßigen Ordnung sein wird. Dies ist wichtig und dies wollten wir erreichen. Meine Damen und Herren, wir alle, die wir uns der Aufnahme des Tierschutzes als Staatsziel in das Grundgesetz verschrieben haben, werden immer wieder gefragt, welche konkreten Folgen sich daraus denn ergeben. Zum einen werden mit der Aufnahme des Staatszieles in das Grundgesetz Hoffnungen und Erwartungen im Interesse des Tierschutzes verbunden, denen dieses Staatsziel nicht gerecht werden kann, zumindest nicht in diesem Maße. Zum anderen aber werden Ängste und Schreckensszenarien artikuliert, die bisweilen in dem Satz gipfeln, dass der Tierschutz alle anderen, konkurrierenden Grundwerte unserer Verfassung buchstäblich erschlagen könnte. Auch diese Befürchtungen sind nicht berechtigt. Richtig ist, dass wir dem Tierschutz mit dem Staatsziel einen höheren, verfassungsrechtlich geschützten Stellenwert geben wollen, als dies heute der Fall ist. Es wird nunmehr Aufgabe des Gesetzgebers und der anderen staatlichen Organe sein, diesem neuen Rang des Tierschutzes gerecht zu werden und ihn mit den anderen Wertentscheidungen unserer Verfassung in Einklang zu bringen, oder, wie die Verfassungsjuristen zu sagen pflegen, in Konkordanz zu bringen. Wir Sozialdemokraten freuen uns jedenfalls, dass unser seit über einem Jahrzehnt hartnäckig betriebenes Anliegen endlich zum Erfolg geführt wird. Wir haben den vielen Bürgerinnen und Bürgern zu danken, die uns Abgeordnete immer wieder bedrängt und sich in vielen Schreiben persönlich für die Aufnahme des Tierschutzes in das Grundgesetz eingesetzt haben. ({2}) Ich danke den Verbänden des Tierschutzes, der Bundesregierung und dem Justizministerium für die hilfreiche Unterstützung bei der Abfassung des parteiübergreifenden Gesetzentwurfs und vor allem auch - dies möchte ich hier einmal nach langen Jahren sagen - Hans-Jochen Vogel, unserem früheren Partei- und Fraktionsvorsitzenden, der dieses Anliegen mit der ihm eigenen Hartnäckigkeit immer wieder auf die politische Tagesordnung gesetzt hat. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({3})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile dem Kollegen Wolfgang von Stetten, CDU/CSU-Fraktion, das Wort.

Dr. Wolfgang Stetten (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002247, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wenn wir heute über einen gemeinsamen Gesetzentwurf zur Änderung des Grundgesetzes abstimmen, um den Tierschutz als Staatsziel in das Grundgesetz aufzunehmen, ist es das Ende einer langen Diskussion darüber, wie man Tiere deutlicher in das Bewusstsein der Menschen bringen kann. Für die einen ist es die Erfüllung ihrer langjährigen Bestrebungen, für die anderen nur die verstärkte grundgesetzliche Verankerung bisheriger Bestimmungen. Für die Dritten ist es das Ende einer vernünftigen Landwirtschaft, für die Vierten der Stopp medizinischer Forschung und für einige geht die Änderung nicht weit genug. Wenn wir alle Auffassungen zusammennehmen, dann sind wir genau in der Mitte, nämlich bei einem vernünftigen Umgang mit Tieren, wie er im Übrigen in der heutigen Praxis überwiegend durchgeführt wird. Wie so häufig in der Politik ist es schlichtweg ein Kompromiss, bei dem sich fast alle als Sieger fühlen können. Es gab gute Gründe dafür, dass wir bisher eher abgeneigt waren und nicht zustimmen wollten. Wir waren der Meinung, dass der Text im Grundgesetz: „Der Staat schützt ... die natürlichen Lebensgrundlagen“ in Verbindung mit den weltweit besten Tierschutzgesetzen ausreiche; übrigens, Herr Bachmaier, dies meinten wir nicht im Sinne von „obwohl“, sondern von „weil“. Als Mitglied der Verfassungskommission sind mir die Diskussionen und das Auf und Ab darüber, den Tierschutz als Staatsziel in das Grundgesetz aufzunehmen, nur zu gut in Erinnerung. Aber auch jetzt gibt es neben den vielen Befürwortern sehr seriöse Warnungen vor der Aufnahme des Tierschutzes als Staatsziel. So haben 48 Dekane von namhaften Universitäten mit sehr ernst zu nehmenden Argumenten vor der Aufnahme gewarnt, weil sie in tiefer Sorge sind, dass die medizinische Forschung durch drastische Einschränkungen oder Überbürokratie in Deutschland vor dem Aus steht. Zehntausende von Landwirten befürchten, „Freiwild“ für militante Tierschützer zu werden. Andere fordern, wir sollten uns mehr um den Schutz ungeborenen Lebens kümmern, weil es nicht sein könne, dass das Tier besser geschützt werde als Menschen. ({0}) In der Tat, die Aufnahme des Tierschutzes in das Grundgesetz ist nicht Prosa; vielmehr bekommt es eine andere Qualität. Aber die obigen Bedenken sind meines Erachtens weit gehend nicht zutreffend. Es ist auch kein Geheimnis, dass die Kollegen von der CSU schon früher dazu neigten, den Tierschutz in das Grundgesetz aufzunehmen. Es ist oder war auch keine plötzliche Erleuchtung, die Aloisius vom Himmel gen München oder Stuttgart brachte. Seit 50 Jahren regiert die CSU erfolgreich in Bayern. In der bayerischen Verfassung steht: „Tiere werden als Lebewesen und Mitgeschöpfe geachtet und geschützt.“ Ebenso sieht es die nicht minder erfolgreiche CDU-Regierung in Baden-Württemberg. Dort heißt es in der Verfassung: „Tiere werden als Lebewesen und Mitgeschöpfe im Rahmen der verfassungsmäßigen Ordnung geachtet und geschützt.“ Dies ist also kein Monopol von Rot-Grün. Es gab bei uns in der Fraktion eine offene Diskussion. Letztlich war es eine folgerichtige Entscheidung der überwiegenden Mehrheit, unter anderem auch - das soll nicht verschwiegen werden - den Wünschen des bayerischen Ministerpräsidenten und zukünftigen Bundeskanzlers Edmund Stoiber zu folgen. ({1}) Die umfangreichen Berichterstattergespräche, die auf unserer Seite insbesondere von den Kollegen Dr. Röttgen und Professor Scholz geführt wurden, haben zu der Einigung geführt, dass nur drei Worte eingefügt werden. Der Satz heißt in Zukunft: Der Staat schützt auch in Verantwortung für die künftigen Generationen die natürlichen Lebensgrundlagen und die Tiere - das wurde eingefügt im Rahmen der verfassungsmäßigen Ordnung durch die Gesetzgebung und nach Maßgabe von Gesetz und Recht durch die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung. Mich, meine Damen und Herren von der Regierungskoalition, braucht man über Tierschutz nicht aufzuklären. Ich bin auf dem Lande aufgewachsen. Für uns waren nicht nur Hunde und Katzen Spielkameraden; auch Kühe, Pferde, Schweine und Geflügel gehörten zum Alltag, ganz natürlich, ohne Aufhebens. Dazu gehörte die Zeugung, das Gebären und das Schlachten. Das mit der Zeugung haben wir als Kinder nicht immer begriffen. Ich erinnere mich gut, wie ich als Fünf- oder Sechsjähriger mit meiner Zwillingsschwester aufgeregt zu einer Bäuerin lief und rief: „Schnell, schnell, Sie müssen helfen, der Hahn hackt die Henne kaputt.“ ({2}) Erst nachdem man uns etwas umständlich erklärte, dass der Hahn die Henne nicht töte, sondern dass das nötig sei, weil das Huhn sonst keine Eier lege, gaben wir uns, wenn auch etwas ungläubig, zufrieden. Wir haben als Kinder keine Tiere gequält; denn bei uns galt der strenge Satz: „Quäle nie ein Tier zum Scherz, denn es fühlt wie du den Schmerz.“ Danach haben wir gehandelt. ({3}) Ich bin auch seit über 40 Jahren Jäger und habe kein Verständnis dafür, dass so genannte Tierschützer die Jäger angreifen, weil sie Tiere schießen. Diese Leute verstehen nicht, dass entweder entsprechende Raubtiere oder Jäger das Gleichgewicht in der Tier- und Umwelt erhalten müssen, um Pflanzen und Bäume, unsere natürlichen Lebensgrundlagen, vor Verbiss und Zerstörung zu schützen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass irgendjemand will, dass wir wieder Wölfe und Raubkatzen einführen oder dass wir dem noch dümmeren Vorschlag, Rehe und Wildschweine mit „Antibabypillen“ zu versorgen, folgen. Ich kann nur jedem Tierschützer empfehlen, die strenge Jägerprüfung abzulegen; dann wird er sehen, welch eine hervorragende Ausbildung für Tiere und Pflanzen und natürlich auch zum sicheren Schuss absolviert werden muss, nach der obersten Devise - da sollten Sie zuhören - „den Schöpfer im Geschöpfe ehren“. Jäger quälen keine Tiere und halten verantwortlich das Gleichgewicht in der Natur. ({4}) Es soll Tierschützer geben, die das Reiten verbieten wollen, da das Reiten nur dem Vergnügen diene. In der Tat: Reiten ist ein Vergnügen. Es ist aber auch ein Sport, der äußerste Disziplin verlangt. Einfühlungsvermögen des Reiters beim Umgang mit seinem Pferd ist Voraussetzung. Zwischen Reitern und Pferden besteht oft eine Kameradschaft, die für Reiter und Pferd beglückend ist, ähnlich wie es Beziehungen zwischen Hunden und Menschen, Katzen und Menschen in einer großen Vielzahl gibt. ({5}) Auf meinen Altersruhesitz in Künzelsau - Schloss Stetten - dürfen Damen und Herren schon seit 20 Jahren Tiere bis hin zum Pferd mitbringen. Das war damals revolutionär; heute wird es oft nachgeahmt. Das gilt selbst für die Pflegestation; naturgemäß nicht für Pferde, aber zum Beispiel für Katzen. Man kann eine solch beglückende Gemeinsamkeit für ältere Menschen aber natürlich nur dann zulassen, wenn man - wie wir - hervorragende Mitarbeiter hat, die die zusätzliche Arbeit übernehmen. Aber ältere Menschen und Tiere gehören zusammen. ({6}) Bei meiner Ausbildung als Landwirt vor über 40 Jahren war es selbstverständlich, dass man nachts im Stall wachte, wenn eine Sau ferkelte, wenn ein Schwein warf oder, für diejenigen, die auch das nicht verstehen, wenn eine Muttersau kleine Schweinchen zur Welt brachte oder wenn eine Kuh kalbte. Wenn man auch keine größeren Hilfeleistungen erbringen musste, dann wurden die Ferkel aber zumindest mit Stroh trockengerieben. Glauben Sie mir: Dadurch bekommt man Beziehungen zum Tier. Ich war als Pionier auch maßgeblich daran beteiligt, Truthahnfleisch in Deutschland populär zu machen, und habe immer sehr darauf geachtet, dass nicht zu eng aufgestallt wurde und dass die Tiere nicht auf Gittern, sondern auf natürlicher Streu, ausreichend belüftet aufwachsen konnten. Lassen Sie mich noch etwas sagen: Meine Devise von damals „Die Pute, das Kalb der Zukunft“ ist Wirklichkeit geworden. Ich möchte noch ein Thema, das mir am Herzen liegt, ansprechen. Wir reden viel über Tierschutz und wir tun auch viel. So werden während der Laichzeit von Kröten zum Teil ganze Straßen gesperrt oder es werden Schutzzäune gebaut. Dennoch wurden inzwischen, oft von denselben Naturschützern, 11 000 Windkrafträder - ohne Schutzvorrichtungen für die Vögel - mit viel Enthusiasmus aufgestellt. Über den Sinn und Unsinn von Windkrafträdern will ich heute nicht streiten; das ist nicht das Thema. Sowohl der BUND als auch der NABU sagen aber, dass es ein Widerspruch in sich ist, dass die natürlichen Lebensgrundlagen, die durch das Grundgesetz geschützt werden, zum Beispiel unsere schönsten Erholungsgegenden, durch diese riesigen Windkrafträder zerstört werden und dass dabei nicht einmal auf Tiere, deren Schutz wir heute ins Grundgesetz schreiben, Rücksicht genommen wird. Ich zitiere die „Welt am Sonntag“ vom 10. Februar 2002: Für Vögel bedeuten die Windräder sogar Lebensgefahr. ({7}) „Vogelhäcksler“ werden sie von Naturschützern genannt: „Viele Zugvögel werden von Windrädern zerfetzt“, beklagt Ingo Ludwichowski, Geschäftsführer des NABU Schleswig-Holstein. - Ich war also nicht derjenige, der sich beklagt hat. Erst letzte Woche wurde ein Seeadler bei Usedom von Rotorblättern erschlagen. Jährlich trifft es in Deutschland eine halbe Million Vögel. Ganz aktuell gibt es eine Meldung vom 30. April 2002. Im „Nordkurier“ stand - ich zitiere -: „Operation rettet verletzten Adler“ Dieser Adler wurde von einer Windkraftanlage bei Anklam verletzt, bei Wolgast war vier Wochen zuvor ein Seeadler sofort getötet worden. Dieser verletzte Adler ist in der Zwischenzeit übrigens gestorben. ({8}) - Sie sagen: „Oh!“ Ich weiß nicht, ob die Zahl von 500 000 Vögeln pro Jahr stimmt. Wenn aber 50 000 bis 60 000 neue Windkraftanlagen hinzukommen, wie Sie von der Regierungskoalition es wollen, wird es eine gigantisch hohe Zahl getöteter Vögel geben. ({9}) Deswegen fordere ich Sie auf, dass wir das gemeinsam angehen. Zumindest nach der Aufnahme des Tierschutzes in das Grundgesetz müssen Windkraftradbetreiber für die Zukunft verpflichtet werden, Schutzgitter anzubringen. Dies ist technisch möglich, kostet aber natürlich Geld. Das sollten uns unsere Sing- und Zugvögel aber wert sein. Ich erwarte insbesondere von den Grünen, aber auch von Ihnen und den Tierschützern des NABU und des BUND, dafür Unterstützung. Ich möchte nochmals darauf hinweisen, dass die durch Frau Ministerin Künast schon arg gebeutelte und geknebelte Landwirtschaft nicht noch weiter beschwert werden darf. Unsere Land- und Forstwirte halten die natürlichen Lebensgrundlagen für die gesamte Bevölkerung aufrecht. Sie sind die wahren Naturschützer. Wir sollten ihnen dankbar sein und sie nicht weiter in der Ausübung ihres Berufes einschränken. ({10}) Unsere Forschung darf nicht derart eingeschränkt werden, dass die Firmen schlichtweg ins liberale Ausland auswandern. ({11}) Ich möchte das heikle Thema Schächten nicht ausklammern. Das Schächten wurde nicht erfunden, um Tiere zu quälen, sondern es war die Lösung eines ernährungshygienischen Problems in heißen Ländern, die zur Durchsetzung religiös untermauert wurde. Lassen Sie es mich vereinfacht ausdrücken: Bei der Betäubung, egal durch welche Methode, verkrampfen sich Muskeln und Blutbahnen. Das Tier blutet nach der Tötung nicht vollständig aus. Bei einer durch einen guten Fachmann ausgeführten Schächtung ist eine vollständige Ausblutung möglich. Daher hält sich das Fleisch länger frisch. Das Entscheidende ist der schmerzlose perfekte Schnitt. 1986 wurde das Tierschutzgesetz ergänzt und das Schächten für die damals 50 000 Juden - heute sind es 90 000 - unter besonderen Auflagen erlaubt. Die Anträge von Moslems wurden in der Regel abgelehnt. Das Bundesverfassungsgericht hat mit seiner Entscheidung vom 15. Januar 2002 beide Religionen hinsichtlich der Schlachtmethode gleichgestellt. Damit gilt Gleiches für die 3 Millionen Bürger moslemischen Glaubens. Wer das Schächten in Deutschland in Zukunft also verbieten will, muss sehr gute Gründe haben und wird harte Fragen, vielleicht auf Michel Friedmans „Foltercouch“, beantworten müssen. Professor Scholz hat einen beachtenswerten Aufsatz geschrieben. Ich darf die letzten beiden Sätze zitieren: Auch die neue Fassung des Art. 20 a GG vermag dem Tierschutz folglich keine rechtlich eigenständige Qualität in dem Sinne zu vermitteln, wie dies von jenen postuliert wird, die aus der „Mitgeschöpflichkeit“ der Tiere bzw. aus ihrem Verständnis für Ethik und Moral solche „Eigenrechte“ von Tier und Natur zu begründen suchen. Eine entsprechend ökozentrisch ausgerichtete oder verstandene Staatszielbestimmung „Tierschutz“ würde den Gesamtrahmen des grundgesetzlichen Menschenbildes und der damit für das gesamte Rechtssystem maßgebenden Verpflichtung auf die Ausschließlichkeit der Anthropozentrik sprengen, wäre also mit Art. 1 Abs. 1 Grundgesetz unvereinbar. Ich will es etwas vereinfacht übersetzen. Bei aller Liebe zum Tier: Das Wohl und die Gesundheit der Menschen sind auch in Zukunft Maßstab aller Entscheidungen, aber - dies ist vielleicht neuer und besser - mit besonderen Rücksichtnahmen auf die natürlichen Lebensgrundlagen der Tiere. In diesem Sinne wird eine große Mehrheit der CDU/CSU-Fraktion diesem Gesetzentwurf zustimmen. Danke schön. ({12})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile Bundesministerin Renate Künast das Wort.

Renate Künast (Minister:in)

Politiker ID: 11003576

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordnete! Lassen Sie mich vorab ein Wort an Herrn von Stetten richten, um zumindest einen Irrtum aus seiner Jugend aufzuklären. Das Huhn legt trotzdem Eier. ({0}) - Gut. Das wurde gerade nicht deutlich, als Sie erzählt haben, was Ihnen in Ihrer Jugend mitgeteilt wurde. Das Huhn legt trotzdem Eier; aber es wird kein Küken daraus. ({1}) In Ihrer Rede haben Sie noch ein paar andere Irrtümer genannt, Herr von Stetten. Um sie alle aufzuklären, reicht meine Redezeit nicht aus. Ich will sie nicht gänzlich verbrauchen, um mit Ihnen zum Beispiel über die Jagd zu reden. Bei der Jagd wissen wir: Wir haben von manchen Tierarten in den Wäldern sehr viele Tiere, sodass man die Jagd unter diesem Gesichtspunkt diskutieren muss. Kommen wir wieder zum Ernst der Dinge. Man kann heute wohl sagen: Endlich sind wir so weit. Mehr als ein Jahrzehnt hat es lange Debatten gegeben. Pro und Kontra ist diskutiert worden. Jetzt stehen wir kurz vor dem Ziel. Ich meine, dass die Verankerung des Tierschutzes als Staatsziel im Grundgesetz vor allem eines bedeutet: Wenn es in Zukunft um die Abwägung von Rechtsgütern geht, dann bedarf es keiner Hilfskonstruktionen mehr, sondern bei der Abwägung bekommt der festgeschriebene Tierschutz ein ganz neues Gewicht. Das heißt, das TierDr. Wolfgang Freiherr von Stetten schutzgesetz wird nach oben hin im Grundgesetz abgesichert. Kein Verfassungsgericht muss in seiner Begründung irgendwelche Verrenkungen mehr machen. Manche behaupten, es gehe nur um eine symbolische Sache. Darum genau geht es aber nicht. Es geht allerdings auch nicht darum, das Wertgefüge im Grundgesetz so zu verändern, dass der Mensch hinter dem Tier steht. Es ist weiterhin so, dass der Mensch im Wertgefüge des Grundgesetzes im Mittelpunkt steht. Die Rechte auf Freiheit von Forschung und Lehre, Kunst und Religion bleiben weiterhin bestehen. Daneben ist auch die Schöpfung zu beachten, wie wir sie in unserem Kulturraum verstehen. Das bedeutet konkret, in Verantwortung für künftige Generationen sind die natürlichen Lebensgrundlagen und die Tiere im Rahmen der verfassungsgemäßen Ordnung zu achten. Der Schutz der Schöpfung wäre nicht komplett, wenn wir uns nicht auch für die Tiere einsetzten. Es geht darum, Tiere nicht nur heute und morgen zu schützen, sondern eine Politik zu machen, mit der sichergestellt wird, dass es bestimmte Gattungen von Tieren auch in Zukunft geben wird. ({2}) Es wird größerer Anstrengungen als derjenigen bedürfen, die Sie genannt haben. Nicht nur die Frage des Schächtens und der Nutztierhaltung muss beantwortet werden, sondern die Frage ist: Welche Politik machen wir allgemein, damit es überhaupt einen Lebensraum für Tiere gibt? Ich weiß, unser Tierschutzgesetz hat bereits jetzt ein sehr hohes Schutzniveau. Es findet große Akzeptanz. Trotzdem gibt es in dieser Republik immer noch unzumutbare Haltungsbedingungen. Die Transporte von Tieren dauern viel zu lange und sind zu anstrengend. Viele Tierversuche sind vermeidbar. Der Stellenwert hierfür muss zusammen mit Forschung und Lehre neu definiert werden und Alternativen müssen entwickelt werden. Machen wir uns nichts vor: In manchen Bereichen hätte man längst Alternativen entwickeln können, statt weiterhin Tierversuche durchzuführen. Wir müssen abgrenzen, welche Versuche überhaupt noch akzeptabel sind und wo wir Druck machen wollen. ({3}) Es sollen unnötige Qualen vermieden werden - im Leben wie auch beim Töten. Ich freue mich, dass sich heute auch andere freuen, ob es sich dabei um Abgeordnete hier im Hause handelt - aus unserer Fraktion insbesondere Uli Höfken und Christian Ströbele -, um Menschen draußen oder um den Deutschen Tierschutzbund, „Vier Pfoten“ und viele andere Vereine, die über viele Jahre hinweg aktiv waren. Sie alle erhalten jetzt das Ergebnis ihrer jahre- oder jahrzehntelangen Bemühungen. Was mich auch gefreut hat, ist, dass wir selbst es vor dieser Grundgesetzänderung geschafft haben, in der Praxis etwas zu ändern. Wir haben gezeigt - dazu passt die Grundgesetzänderung -, dass es eine Grenze des Profitstrebens gibt. Ich nenne zum Beispiel die Legehennenverordnung. ({4}) Es gibt eine Grenze, an der festgestellt wird: So dürfen wir mit unseren Mitgeschöpfen nicht umgehen; dabei kann man auch nicht mit dem Gewerbebetrieb argumentieren. ({5}) Weil sich einer meiner Vorredner und gestern auch Frau Merkel dazu geäußert haben, muss ich auch noch etwas zur Abwanderung von Legehennenhaltern anmerken. Ich sage Ihnen ehrlich: Mir tut es nicht in der Seele weh, wenn diejenigen abwandern, bei denen es üblich war, Tiere mit Nikotin zu begasen. Diesen Unternehmern weine ich keine Träne nach. ({6}) Ein weiterer Punkt, an die CDU/CSU gerichtet, ist: Ihnen ist bekannt, dass die Hühner schon vor vielen Jahren die Bauernhöfe verlassen haben. Legehennen werden in riesigen gewerblichen Betrieben mit mehr als 100 000 Tieren auf engstem Raum gehalten. Das ist die Wahrheit und diese Situation gilt es zu beenden. Auch dafür ist eine entsprechende Regelung im Grundgesetz erforderlich. ({7}) Mir ist bekannt, dass manche meinen, mit der Verankerung des Tierschutzes im Grundgesetz sei sozusagen das Ende erreicht. Ich freue mich ausdrücklich darüber, dass sich die CDU/CSU - auf welchen Druck hin auch immer - in dieser Frage bewegt hat. Ein Wermutstropfen ist aber, dass die Arbeit damit nicht aufhört, sondern erst beginnt. Die Entwicklung beginnt immer im eigenen Land. Ich bin immer für eine Harmonisierung auf EU-Ebene zu haben, aber einer muss schließlich vorangehen. ({8}) Ich meine, es steht Deutschland gut an, an dieser Stelle zu verkünden: Wir sind die Ersten, die es in die Verfassung schreiben. Wir werden die Grundgesetzänderung dazu nutzen, zum Ausdruck zu bringen, dass Qualität Made in Germany auch bedeutet, dass wir auf den Tierschutz achten. Mit den auf diese Weise erzeugten Produkten werden wir, wie mit den Autos, Erfolg auf dem Markt haben. ({9})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile dem Kollegen Rainer Funke von der FDP-Fraktion das Wort.

Rainer Funke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000624, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Was lange währt, wird endlich gut - unter dieses Motto könnte man auch die heutige abschließende Debatte über die Verankerung des Tierschutzes im Grundgesetz stellen. Der Tierschutz im Grundgesetz war schon in der Verfassungskommission, die nach der deutschen Wiedervereinigung getagt hat, Gegenstand der Debatte. ({0}) Wir müssen ehrlicherweise sagen, dass kaum ein verfassungsrechtliches Thema die Bevölkerung stärker berührt als der Tierschutz. Das ist zum Beispiel aus den zahlreichen Petitionen, die den Tierschutz betreffen, ersichtlich. Wenn man darüber nachdenkt, dem Tierschutz auch eine verfassungsrechtliche Position einzuräumen, wird man an dem Lebensgefühl und den Wertvorstellungen der Bürger nicht vorbeikommen. ({1}) Wir sind als Juristen und als Verfassungsrechtler aufgerufen, diesen Wertvorstellungen unserer Bürger zu entsprechen. Deswegen ist es richtig, den Schutz der Tiere als Staatsziel zu postulieren, sodass der Gesetzgeber, die Gerichte und die Verwaltung den Tierschutz bei der Abwägung mit anderen verfassungsrechtlichen Zielen mit einzubeziehen haben. Aus diesem Grund hat die FDP-Fraktion als erste Fraktion - im Übrigen noch vor den Grünen, Frau Ministerin Künast ({2}) am 14. Dezember 1998 im Deutschen Bundestag den Entwurf eines Gesetzes zur Verankerung des Tierschutzes im Grundgesetz eingebracht. Nun wird endlich - trotz der zwischenzeitlichen Ablehnung eines Kompromissvorschlags - das Staatsziel Tierschutz im Grundgesetz verankert. Damals, im Jahr 2000, ist der Kompromissvorschlag noch an der CDU gescheitert. Es ist uns aber gelungen, den alten Antrag der FDP im Rechtsausschuss aufrechtzuerhalten und so das Thema Tierschutz im Grundgesetz bis heute im Gespräch zu halten. Wir freuen uns, dass die Bundesvorsitzende der CDU, die leider wohl heute nicht hier ist, und der Kanzlerkandidat der CDU/CSU nunmehr darauf hingewirkt haben, dass auch die CDU auf eine Kompromisslösung eingeschwenkt ist, die den alten Kompromissvorschlag aus dem Jahre 2000 wieder aufnimmt. Manchmal helfen eben auch bevorstehende Wahlen, auf das Lebensgefühl und die Wertvorstellungen der Bevölkerung einzugehen. ({3}) Ein solcher Schritt war auch im Hinblick auf die aktuelle Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts unbedingt notwendig, um bei der Abwägung verschiedener Rechtsgüter mit Verfassungsrang, wie zum Beispiel Berufs-, Religions-, Forschungs- oder auch Kunstfreiheit, dem Tierschutz eine faire Abwägungschance zuzuteilen. Nur durch die Integration des Tierschutzes ins Grundgesetz ist eine Abwägung unterschiedlicher, kollidierender Rechtsgüter mit dem Tierschutz überhaupt möglich. Es ist auch nicht ersichtlich, warum der Schutz der Tiere hinter dem bereits in Art. 20 a Grundgesetz enthaltenen Staatsziel des Schutzes der natürlichen Lebensgrundlagen zurückbleiben soll. Nach der herrschenden Meinung erfasst der bisherige Art. 20 a Grundgesetz zwar den Tierschutz in Teilbereichen, nämlich bei der Arterhaltung und der Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen. Ebenso gewichtige Bereiche wie die Stellung der Tiere selbst und die Tierhaltung sind jedoch nicht erfasst. Der nunmehr infrage stehende interfraktionelle Gesetzentwurf trägt zum grundsätzlichen Ziel der Stärkung des Tierschutzes bei. ({4}) Ich bin der Überzeugung, dass die Integration des Tierschutzes in das Grundgesetz als Staatszielbestimmung ein erster Schritt in die von uns schon seit langem vorgedachte Richtung der Verringerung von Schmerzen, Leiden oder Schäden durch Intensivtierhaltung, Tiertransporte, Tiertötung und Nutzung von Tieren zu Versuchszwecken ist. Die Staatszielbestimmung Tierschutz stellt eine verhältnismäßige Abwägung zwischen dem Schutz der Tiere und den Interessen und Bedürfnissen der Menschen sicher. ({5}) Dabei ist hinzuzufügen, dass die wissenschaftlich essenzielle Arbeit im Bereich der Grundlagenforschung, vor allem im medizinischen Bereich, im Sinne der Forschungsfreiheit gewährleistet ist. Es geht bei der Aufnahme des Tierschutzes ins Grundgesetz in erster Linie um eine Verringerung von Tierleiden und nicht um grundsätzliche Schlacht- oder Forschungsverbote. Mit dem Schutz der Tiere wird eine verbindliche Verfassungsnorm geschaffen, die sowohl eine Richtlinie für staatliches Handeln als auch eine Verpflichtung des Staates zur Erfüllung bestimmter Aufgaben darstellt. Es ist nunmehr in erster Linie die Aufgabe des Gesetzgebers, die in Art. 20 a Grundgesetz allgemein gehaltene Bestimmung des Tierschutzes auch umzusetzen. Dabei werden wir in der nächsten Legislaturperiode sicherlich weiterhin gefordert sein. Insoweit teile ich die Auffassung, Frau Ministerin, die Sie eben dargelegt haben. Heute ist ein guter Tag nicht nur für den Tierschutz, sondern auch für die Menschlichkeit. Denn die Art und Weise, wie wir Menschen mit Tieren umgehen, sagt auch etwas über die Einstellung der Menschen zum Leben aus. In diesem Sinne bitte ich um Zustimmung zu dieser Änderung. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({6})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile der Kollegin Eva Bulling-Schröter, PDS-Fraktion, das Wort.

Eva Maria Bulling-Schröter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002636, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Tierschutzvereine und die Tierrechtsbewegung können sich heute freuen. Das, worauf viele Menschen in dieser Republik hingearbeitet haben und was sie sich seit langer Zeit wünschen, soll heute beschlossen werden: die Verankerung des Tierschutzes im Grundgesetz. Endlich, nach vielen Jahren, gibt es eine Mehrheit im Bundestag, um den Tierschutz in der Verfassung zu verankern. Ich möchte an dieser Stelle allen Aktivistinnen und Aktivisten der Tierrechtsbewegung, ({0}) der Tierschutzverbände und der Tierschutzinitiativen meinen Dank für ihr gezeigtes Engagement aussprechen, ({1}) das letztendlich doch dazu geführt hat, dass über dieses wichtige Anliegen heute abgestimmt werden kann. Mit der Verankerung des Tierschutzes im Grundgesetz kann endlich eine Abwägung mit den Grundrechtsartikeln des Schutzes von Freiheit und Forschung, aber auch mit der Berufsfreiheit und der Freiheit der Kunst erfolgen. Ich erwarte, dass die Richter dann neu abwägen werden und dass auf diesem Weg das Leid vieler Tiere zu Ende gehen wird. Ich kann mich noch gut daran erinnern, wie wir in einer Anhörung des Rechtsausschusses über die Auswirkungen des Bundesverfassungsgerichtsurteils zu den Legehennenbatterien diskutiert haben und wie gerade hier die Berufsfreiheit eine große Rolle spielte, die angeblich dann eingeschränkt wird, wenn viele Menschen zum Beispiel fordern, dass Hennen nicht in einem Käfig dahinvegetieren müssen, der gerade die Größe eines DIN-A-4-Blattes besitzt. Ich kann mich auch noch gut daran erinnern, wie bei den ersten Anhörungen zur Verankerung des Tierschutzes im Grundgesetz argumentiert wurde, wie der Standort Deutschland beschworen wurde, wie der Teufel an die Wand gemalt wurde, ({2}) dass der Forschungsstandort Deutschland damit zugrunde gerichtet werde. Ansatzweise haben Sie so wieder argumentiert. All das wird nicht der Fall sein. Im Gegenteil: Der heutige Beschluss wird auch Zeichen für andere europäische Länder setzen, ihrerseits die Rechte und den Schutz der Tiere in ihre Verfassungen aufzunehmen. Das finde ich toll. ({3}) Die PDS-Fraktion im Bundestag hat sowohl in der letzten Legislaturperiode als auch in dieser einen eigenen, wesentlich weiter gehenden Antrag eingebracht. Wie wir wissen, wurden die Anträge in der letzten Legislaturperiode nicht behandelt. Auch der erste Anlauf in dieser Legislaturperiode scheiterte an der Weigerung der CDU/ CSU, diesem Anliegen zuzustimmen. Jetzt hat die Große Koalition von CDU/CSU bis Bündnis 90/Die Grünen einen Gesetzentwurf eingebracht, der leider die PDS ausschließt. ({4}) Ich kann hierzu nur sagen: Wie kleinkariert denken Sie eigentlich? Glauben Sie wirklich, wenn Sie uns in dieser Frage ausgrenzen, dass die Wählerinnen und Wähler Ihnen das danken? - Ich glaube das nicht. ({5}) Die PDS-Fraktion im Bundestag wird trotzdem mit großer Freude diesem Gesetzentwurf zustimmen, weil es uns hier nicht um Wahlkampf geht, sondern um das Leiden der Tiere, das in Zukunft - ich erwarte das jedenfalls - zumindest zu einem großen Teil gemindert werden kann. Zum Tierschutzbericht der Bundesregierung vom letzten Jahr: Hier gibt es noch viel zu tun. Der Tierschutzbericht für das Jahr 2001 weist eine Steigerung der Tierversuchszahlen von 1998 auf 1999 - neuere Zahlen liegen uns nicht vor - um 3,8 Prozent aus. Das sind 1,6 Millionen Tiere. In den vergangenen Jahren ist die Zahl der Tierversuche gesunken. Jetzt steigt sie wieder, und zwar vor allem bei Primaten. Ich fordere Sie auf, endlich etwas zu tun, dass die Zahl der Tierversuche wieder gesenkt wird, dass mehr in Alternativversuche investiert wird und dass diese gesetzlich vorgeschrieben werden. ({6}) Das heißt auch, mehr Geld in die ZEBET zu investieren. Darüber können wir bei den Haushaltsberatungen noch diskutieren. Auch das Leiden der Rinder bei den Tiertransporten muss endlich ein Ende haben. Hier bedarf es noch größerer Bemühungen vonseiten der Bundesregierung, die Subventionen bei der EU endlich zu stoppen; denn wenn diese Subventionen weiterfließen, wird es noch mehr Tiertransporte geben. Es gibt auch noch für die zukünftige Bundesregierung viel zu tun, egal, ob es um die Regelung der Haltung von 8,3 Millionen Truthühnern, 1,9 Millionen Enten und 400 000 Gänsen oder ob es um eine Schweinehaltungsverordnung geht, die nach wie vor aussteht. Auch mahnen Tierschutzverbände ein Heimtierschutzgesetz an. Wir wollen darüber hinaus ein Verbandsklagerecht für Tierschutzverbände. ({7}) - Mir ist klar, dass Sie das nicht wollen. Im Hinblick auf den Tierschutz im Grundgesetz kann ich nur sagen: Toll! Wir machen weiter! Zugabe! ({8})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile der Parlamentarischen Staatssekretärin Cornelie Sonntag-Wolgast das Wort.

Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002191

Herr Präsident! Liebe Kollegen und Kolleginnen! Wie lange es doch dauern kann, drei Worte im Grundgesetz zu verankern! Anfang der 90er-Jahre gab es im Zusammenhang mit den Beratungen der Gemeinsamen Verfassungskommission die erste größere Auseinandersetzung über dieses Thema. Allerdings scheiterte dann eine Empfehlung für die Aufnahme des Tierschutzes in das Grundgesetz am Erfordernis der Zweidrittelmehrheit. In den darauf folgenden Legislaturperioden gab es verschiedene Gesetzesinitiativen; keine wurde abgeschlossen. Diese Koalition hat gehandelt und in der Koalitionsvereinbarung festgeschrieben, dass eine Initiative zur Aufnahme des Tierschutzes in das Grundgesetz ergriffen werden sollte. Einen entsprechenden Entwurf haben die Koalitionsfraktionen eingebracht. Wenn ich Ihre warmen Worte, Herr von Stetten, zur Nähe zu Henne, Pferd, Sau und Vögeln höre, dann frage ich mich, warum sich die Union nicht längst bewegt hat. ({0}) Wir könnten das Thema zum Wohle der Tiere schon längst abgeschlossen haben. ({1}) Liebe Kollegen und Kolleginnen, warum brauchen wir ein Staatsziel Tierschutz? Mit der Vorlage soll der ethische Tierschutz im Grundgesetz verankert werden. Darunter ist der Schutz der Tiere als Individuen zu verstehen. ({2}) Sie werden als Wesen mit Empfindungen und Leidensfähigkeit anerkannt, denen durch unsere Rechtsordnung ein Schutz zuteil werden soll. Diese Vorstellung, Herr Kollege Geis, ist schon im Tierschutzgesetz enthalten, hat aber keinen verfassungsrechtlichen Ausdruck gefunden. Der Individualtierschutz geht über Art. 20 a unseres Grundgesetzes, der den Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen als Staatsziel festschreibt, wesentlich hinaus. Zwar sind auch in der derzeitigen Fassung des Art. 20 a einzelne Aspekte des Tierschutzes bereits erfasst, nämlich Tiere in ihrer Eigenschaft als Bestandteil der natürlichen Lebensgrundlagen. Das bedeutet: Geschützt sind Füchse im Wald als Art in ihrem natürlichen Lebensraum, nicht aber der einzelne Fuchs als Individuum. Nach den Erkenntnissen der modernen Verhaltensforschung sind Tiere Lebewesen mit physischen und psychischen Empfindungen. Diese Tatsache wird von überhaupt niemandem bestritten. Das Wissen um die Leidensfähigkeit der Tiere spiegelt sich aber in unserem Grundgesetz, das auch die Grundwerte unseres Zusammenlebens enthält, nicht ausdrücklich wider. Nun kann ein Bewusstseinswandel sicherlich nicht allein Grund für die Einführung eines entsprechenden Staatsziels sein. Daneben steht eine verfassungsrechtliche Notwendigkeit. Der Verfassungsrang des Tierschutzes ist in den Fällen von Bedeutung, in denen es gilt, den Tierschutz gegenüber dem Wortlaut nach vorbehaltlos gewährten Grundrechten durchzusetzen. Solche Grundrechte, zum Beispiel die Forschungsfreiheit, finden ihre Grenzen lediglich an anderen Bestimmungen des Grundgesetzes. Auch eine Staatszielbestimmung kann ohne nähere Konkretisierung Grundrechte nicht beschränken. Der Einfachgesetzgeber erhielte aber die Möglichkeit, für eine solche Konkretisierung zu sorgen. Die Möglichkeiten des Gesetzgebers sind um so vielfältiger, je offener die Staatszielbestimmung formuliert ist. Deswegen danke ich den Beamten unseres Ministeriums, aber ebenso denen des Bundesjustizministeriums ganz herzlich für die tatkräftige und sachkundige Hilfe bei der jetzigen Lösung. ({3}) Liebe Kollegen und Kolleginnen, ich halte es jetzt für die ureigene Aufgabe des Parlaments, den Inhalt der Verfassung zu bestimmen und damit die Güter zu benennen, denen Verfassungsrang zukommen soll. Den Ängstlichen, die nun befürchten, die Menschen kämen zu kurz, kann man sagen: Der Schutz der Tiere erfolgt im Rahmen der verfassungsmäßigen Ordnung. In jede Abwägung muss einbezogen werden, dass die Verfassung den Menschen und seine Würde an die höchste Stelle stellt. Daran will und kann auch ein Staatsziel Tierschutz nichts ändern. ({4}) Der Tierschutz wird auch nicht höher gestellt als der Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen. ({5}) Auch dem Vorwurf, der Gesetzgeber werde durch die Vorgabe von Staatszielen bevormundet, sieht sich die Dreiwortlösung nicht ausgesetzt. Sie verzichtet bewusst auf jede Konkretisierung und lässt die Möglichkeit offen, im einfachen Recht die Funktion von Tieren für den Menschen zu berücksichtigen und andererseits den Nutzen der Tiere für den Menschen nicht zum alleinigen Maßstab zu machen. Wer in der Forschung und in der Landwirtschaft, um hier zwei wichtige Bereiche zu nennen, die Achtung vor den Tieren und die ethischen Prinzipien wahrt, der hat von dieser Verfassungsänderung nichts zu befürchten, im Gegenteil. Der Gesetzgeber ist nun aufgerufen, selbst das Rangverhältnis der verschiedenen Verfassungsgüter zu bestimmen. So wird ein Ausgleich zwischen den berechtigten Interessen von Menschen und von Tieren erreicht. Vor allem aber beleben wir den gesellschaftlichen Dialog über eine Frage, die sehr viele Menschen beschäftigt und interessiert. Das tut auch unserem demokratischen Rechtsstaat gut. Es tut uns auch gut, dass wir im Augenblick im Hinblick auf diese Frage in Europa Vorreiter sind. Ich bedanke mich. ({6})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile dem Kollegen Norbert Geis, CDU/CSU-Fraktion, das Wort.

Norbert Geis (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000651, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die CDU/CSU-Fraktion wird diesem Gesetzentwurf zustimmen. Ich will versuchen, dies zu begründen. Es ist ja kein Geheimnis, dass wir uns lange Zeit gegen die Verankerung des Tierschutzes in unserer Verfassung gewehrt haben. Dies liegt aber nicht etwa darin begründet, dass wir die Tiere nicht genauso schützen wollten wie Sie alle. In dieser Hinsicht haben wir keinen Nachholbedarf. ({0}) Während unserer Regierungszeit ist das weltweit beste Tierschutzgesetz formuliert worden. Das ist anerkannt und völlig unbestritten. Vielmehr hatten wir immer deshalb Bedenken, weil wir erstens der Auffassung sind, dass der Tierschutz jetzt schon in unseren Verfassungsgrundsätzen verankert ist, und weil wir zweitens der Meinung sind, dass diese Regelung auch einfachgesetzlich gut getroffen werden kann; das Tierschutzgesetz ist der Beweis dafür. Drittens haben wir uns vor allem deshalb dagegen gewehrt - das ist heute schon von Herrn von Stetten im Hinblick auf die Diskussion in der Verfassungskommission erwähnt worden -, weil es immer Bestrebungen gab, unserer Verfassung von ihrer Grundausrichtung her eine andere, eine ökozentrische Richtung zu geben. Dagegen haben wir uns immer gewehrt. Das war der Grund, weshalb wir bei allen Überlegungen, Tierschutz in der Verfassung zu verankern, sehr vorsichtig waren. ({1}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich will kurz anreißen, worum es uns dabei geht. Nach unserer Auffassung - das ist hier übereinstimmende Meinung, jedenfalls auch Ihre Meinung, Frau Sonntag-Wolgast - ist der Mensch das alleinige Rechtssubjekt unserer Rechtsordnung. Ich habe aber schon darauf hingewiesen: Es gab immer schon den Versuch, daneben auch den Pflanzen, den Tieren und anderen Schöpfungselementen und der Natur insgesamt Rechte einzuräumen. Das aber ist nach unserer Auffassung gemäß der Grundanlage unserer Verfassung nicht möglich. Wir sind der Meinung - das hat Rupert Scholz wiederholt betont -, dass eine solche Änderung unserer verfassungsmäßigen Ordnung ein Verfassungsbruch wäre; entsprechende Gesetze wären verfassungswidriges Verfassungsrecht. Das heißt aber nicht, dass die Tiere nach diesem Verfassungsverständnis weniger Schutz hätten. Die Tiere sind keine Sachen, so wie Steine oder Pflanzen Sachen sind. Es gibt den Empfindungsaustausch zwischen Mensch und Tier. Die Menschen haben dies auch immer gewusst. Der Reiter hat zu seinem Pferd ein anderes Verhältnis als der Rennfahrer zu seinem Rennauto. Vom heiligen Franz von Assisi sagt man, dass er mit den Tieren gesprochen habe. Wir haben 1990 ausdrücklich in das Bürgerliche Gesetzbuch hineingeschrieben, dass die Tiere keine Sachen sind; die Tiere sind nach unserem Verständnis Mitgeschöpfe. ({2}) Das kommt auch in unserem Tierschutzgesetz zum Ausdruck. Das Schutzgut dieses Gesetzes ist nämlich nicht das Eigentum des Besitzers, sondern Schutzgut ist das Tier selbst. Insofern, Frau Sonntag-Wolgast, hat das Tier eine gewisse Art von Subjektivität. Es ist aber kein Rechtssubjekt. In diesem Sinne ist es kein Individuum. Wir wehren uns gegen eine solche Formulierung, weil sie zu Missdeutungen Anlass geben würde. Es gibt keine gegenseitigen Rechtsbeziehungen zwischen Mensch und Tier. ({3}) Das Tier hat keine Pflichten gegenüber dem Menschen. Deswegen hat es gegenüber dem Menschen auch keinen Anspruch auf artgemäße Haltung. Das heißt aber doch nicht, dass der Tierschutz deshalb geringer wäre; vielmehr hat der Mensch die Verpflichtung, das Tier zu schützen. Das haben Sie, Herr Bachmaier, ebenfalls ausdrücklich betont. Sie haben gesagt - ich tue das auch -, dass der Mensch deshalb die Verpflichtung hat, das Tier zu schützen, weil er selbst sonst seine Würde verletzen würde. Es ist in der Würde des Menschen begründet, dass er die Kreatur achtet. Von Augustinus bis Kant war man sich darüber einig, dass Tierquälerei die Würde des Menschen selbst verletzt. Die Selbstachtung des Menschen gebietet es also, Tiere zu schützen. Nicht deshalb, weil das Tier etwa Recht gegenüber dem Menschen hätte, sondern deshalb, weil der Mensch gegenüber seiner eigenen Würde eine Verpflichtung hat, hat er die Verpflichtung, Tiere zu schützen. Das ist der Grund dafür, dass man den Tierschutz unserer Meinung nach auch in die Verfassung aufnehmen kann. ({4}) Auch dann, wenn der Tierschutz nicht in der Verfassung verankert ist, ist unter diesem Blickwinkel auch bei Tierversuchen im Dienste der menschlichen Gesundheit darauf zu achten, ob solche Versuche auch wirklich notwendig sind. Bei der Entwicklung von Kosmetika jedenfalls ist dies in hohem Maße zweifelhaft. Auch ohne verfassungsrechtliche Verankerung des Tierschutzes reichen reine Erwägungen der Nützlichkeit und Wirtschaftlichkeit nicht als Rechtfertigung dafür aus, bei Tierversuchen Tiere massenhaft elend zugrunde gehen zu lassen. Alle diese Grundsätze können insgesamt im einfachen Gesetz geregelt werden; dazu brauchen wir eigentlich keine Verfassungsänderung. Aber es besteht überhaupt kein Zweifel daran, dass durch die Aufnahme in die Verfassung der Tierschutz ein stärkeres Gewicht erhält. Es ist ein Staatsziel. Dann ist der Tierschutz nicht mehr auf den guten Willen des Gesetzgebers angewiesen, sondern der Gesetzgeber ist aufgrund dieses Staatsziels verpflichtet, dafür zu sorgen, dass die Tiere entsprechend Schutz erhalten. Das gilt gleichermaßen für die Wirtschaft. Das gilt auch für die Forschung. Die Forschung wird künftig stärker darauf zu achten haben, ob nun einzelne Versuche notwendig sind oder nicht. Sie muss stärker rechtfertigen, weshalb Tierversuche notwendig sind. Das ist richtig so. Das sehen wir auch so. Das ist aber - ich wiederhole es nicht der Grund unserer Skepsis gewesen. Die möglichen Erschwernisse für Wirtschaft und Forschung waren nicht Grund unserer Zurückhaltung. Vielmehr war und ist es unser Anliegen, dass der Mensch Mittelpunkt der Verfassung bleibt. Wir wollen unsere Verfassung in ihrer Grundanlage so erhalten, wie sie jetzt ist. Wir sehen in der Formulierung, die jetzt über die Parteien hinweg, auch mit unseren Berichterstattern Dr. Röttgen und Rupert Scholz, ausgehandelt worden ist, den Verfassungsbruch, den ich vorhin erwähnt habe, nicht. Deswegen können wir bei allen Vorbehalten zustimmen. Ich danke Ihnen. ({5})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile Kollegin Marianne Klappert, SPD-Fraktion, das Wort.

Marianne Klappert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001108, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich wollte genauso anfangen wie Herr Funke, nämlich mit den Worten: Was lange währt, wird endlich gut. - Wir können aber auch gemeinsam sagen: Gut Ding will Weile haben. - Heute erreichen wir das, wofür wir, viele in diesem Hause, jahrelang gestritten haben. Ich freue mich ganz besonders darüber, dass wir heute diesen Beschluss fassen, dass ein Ziel erreicht wird, für das ich in meiner Funktion als Tierschutzbeauftragte zehn Jahre lang gekämpft habe. ({0}) - Richtig, ich habe viel dafür getan. ({1}) Ich habe dieses Themenfeld sehr ruhig und sachlich bearbeitet. Das hat deutlich gemacht, glaube ich, dass man ohne viel Populismus sehr viel erreichen kann. ({2}) Ich bedanke mich ganz ausdrücklich bei all denjenigen, die immer mit gestritten haben. Ich habe mich gerade über die Rede vom Kollegen Geis wirklich gefreut. ({3}) Ich denke noch einmal an die letzte Diskussion, Herr Kollege. Damals gab es die gleiche Formulierung zur Aufnahme eines Staatsziels, nämlich die Ergänzung um die drei Worte. Ich erinnere mich nur ungern daran, wie Sie und andere Kollegen uns hier im Grunde genommen wirklich beschimpft haben ({4}) und getan haben, als stünde das Wohl dieser Republik auf dem Spiel. ({5}) - Ein bisschen doch. Lesen Sie es im Protokoll noch einmal nach! ({6}) Es hat wirklich ein Bewusstseinswandel stattgefunden und darüber freue ich mich. Ich mache keinen Hehl aus meiner Freude, dass die Koalition von Anfang an dieses Ziel gewollt hat. Auch die PDS hat es gewollt. Aber besonders freue ich mich darüber, dass wir dieses Ziel mit einer Zweidrittelmehrheit erreichen. Damit schaffen wir ein ausgesprochen gutes Fundament. Frau Kollegin Wöhrl hat dabei in sachlicher Weise geholfen. Sie hat viele Gespräche geführt. Man muss also ehrlicherweise sagen, dass wir alle gemeinsam heute etwas erreichen. Das ist wirklich gut für unser Land. ({7}) Ich will jetzt nicht noch einmal auf die Rechtsfragen eingehen, die mit dem Staatsziel Tierschutz verbunden sind. Darüber haben der Kollege Bachmaier und die anderen Kollegen sehr ausführlich gesprochen. Ich will nur noch einmal betonen: Wir haben viel erreicht. Ich will auf die Tatsache eingehen, dass sehr viele geglaubt haben - das wurde in vielen Zuschriften deutlich -, dass mit der Aufnahme des Staatsziels Tierschutz bei uns in der Republik Nachteile für die Forschung, für die Kunst und für die Landwirtschaft entstehen würden. Wir müssen deutlich machen, dass wir in der nächsten Legislaturperiode sehr intensiv daran arbeiten werden, damit es nicht zu diesen Nachteilen kommt. Wenn ich in den letzten Wochen gefragt worden bin, was dieses Staatsziel Tierschutz bewirken würde, dann habe ich immer ehrlich geantwortet: Es wird auch ab morgen in dieser Republik weiterhin Tierversuche geben. Wir müssen aber gemeinsam verstärkt an Alternativmethoden arbeiten. Darüber hat Frau Ministerin Künast eben schon gesprochen. Es gibt die ZEBET. Wir müssen Geld ausgeben, damit wir in diesem Bereich Fortschritte erzielen. ({8}) Es wurden heute Morgen schon die Tiertransporte angesprochen. Viele Bürgerinnen und Bürger haben uns jahrelang Briefe geschrieben und uns aufgefordert, endlich diesen Schritt zu gehen. Die Menschen wollen die schrecklichen Bilder von den Tiertransporten und der Intensivtierhaltung nicht mehr sehen. Darauf müssen wir den Schwerpunkt legen. Meine Fraktion hat sehr intensiv daran gearbeitet. Manchmal haben mir einige Kollegen gesagt: Sei doch nicht so penetrant. - Aber ich denke, es war richtig, dass wir es so gemacht haben. ({9}) Ich will noch auf die Frage eingehen, warum der Tierschutz Verfassungsrang haben soll. Wir können in unserer Gesellschaft teilweise eine schrankenlose Ausbeutung feststellen. Wir müssen uns immer wieder die Frage stellen, ob wir so weiterleben wollen. Das ist die Kernfrage. Wir müssen deutlich machen, dass wir eine andere Gesellschaft wollen. Das ist für uns ein ganz wichtiger Punkt. ({10}) Da ich aus dem Bundestag ausscheide, will ich die Gelegenheit nutzen, den vielen Tierschützerinnen und Tierschützern und auch den Tierschutzverbänden Dank zu sagen. Die Tierschutzverbände haben eine Leistung erbracht, die wir nicht hoch genug einschätzen können. Sie haben sehr beständig mit allen zusammengearbeitet. Ich habe mich sehr gefreut, dass sich in den letzten Jahren die Tierschutzverbände zusammengefunden haben. Sie haben ein Bündnis für den Tierschutz geschlossen und haben verbandsinterne Interessen zurückgestellt, weil sie erkannt hatten, dass man nur gemeinsam etwas erreichen kann. Genau das machen wir heute auch. Deswegen ein ganz besonderer Dank an alle Tierschützer dieser Republik. ({11}) Lieber Uli Heinrich, es ist schön, dass man am Ende seiner Tätigkeit einen Erfolg erringen kann, für den man jahrelang gekämpft hat. ({12}) Danke schön für die Zusammenarbeit. ({13})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Herzlichen Dank für Ihre vermutlich letzte Rede. Nun hat die Kollegin Ulrike Höfken, Bündnis 90/Die Grünen, das Wort.

Ulrike Höfken-Deipenbrock (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002680, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Egal, wie die Vorgeschichte dieser Grundgesetzänderung ist: Die Grundgesetzänderung, die wir heute beschließen werden, ist ein Meilenstein für den Tierschutz. Für diesen Erfolg haben wir Grünen jahrelang gekämpft. Es ist auch ein Erfolg des Parlaments; es ist insbesondere ein Erfolg meiner Kollegin Marianne Klappert. ({0}) Das Anliegen, den Tierschutz im Grundgesetz zu verankern, haben wir seit 1994 immer wieder in den Bundestag eingebracht. Die rot-grüne Bundesregierung hat es sich zum Ziel gemacht, dem Tierschutz durch eine Grundgesetzänderung endlich die notwendige Rechtsgrundlage zu geben. Bisher sind wir an dem Widerstand der Union gescheitert. Ich bin froh darüber, dass wir jetzt einen gemeinsamen Gesetzentwurf einbringen und dass die Union einen Wertewandel vollzogen hat. Ich appelliere an alle Unionsabgeordneten, dieser Grundgesetzänderung nun auch geschlossen zuzustimmen. ({1}) Der politische Druck spielt natürlich eine Rolle. Sie wissen genau, dass wir nicht aufgeben und diese Debatte fortführen würden. Die Öffentlichkeit unterstützt diese Grundgesetzänderung: 80 Prozent der Bevölkerung; die Tierschutzverbände, denen auch ich meinen herzlichsten Dank für ihre Aktivitäten aussprechen möchte; die Prominenten, die sich dafür einsetzen; die Bundesministerinnen Renate Künast und Herta Däubler-Gmelin; der Bauernverband; die Tierärztekammer und der FleischerVerband. Ich appelliere an Sie persönlich und möchte Sie davon überzeugen, dass Ihre Zustimmung wichtig ist. Es geht um die drei Worte „und die Tiere“. Mit diesen drei Worten werden wir erreichen, dass der Tierschutz so umgesetzt wird, wie es das Tierschutzgesetz seit 1998 vorsieht. Ich möchte etwas Verbindendes erwähnen: Dieses Tierschutzgesetz wurde von der alten Bundesregierung unter Mitarbeit der Opposition beschlossen. Auch Sie wollten den Schutz der Tiere schon 1994 in die Verfassung aufnehmen. Sie meinten, mit dem Zusatz „der Lebensgrundlagen“ sei dies erreicht worden. Es hat sich aber herausgestellt, dass genau das nicht der Fall war; denn die Grundrechte der Freiheit der Forschung, der Lehre, der Kunst, der Religion und die Gewerbefreiheit sprachen dagegen. Es war nicht möglich, dem Tierschutz in der Rechtsprechung eine faire Chance zu geben. Es kann nicht sein, dass Gerichte aufgrund eines Grundrechts oder der Forschungsfreiheit selbst gröbste Tierquälerei nicht verhindern können. Sie alle kennen die Beispiele der Affenversuche in Berlin. Dieses Parlament löst diesen rechtlichen Widerspruch heute auf. ({2}) Natürlich schaffen wir durch diese Änderung nicht alle tierquälerischen Tiertransporte in Europa ab. Wir retten nicht alle Igel, die von Autos überfahren werden, die Vögel, die mit Flugzeugen kollidieren ({3}) oder, Herr von Stetten, manchmal auch mit den Windanlagen. Übrigens stellen sich die Vögel auf diese Gefahr ein. Man hat in diesem Bereich schon viel verbessert. Es gibt noch viel zu tun. Darauf haben viele Vorrednerinnen und Vorredner, vor allem unsere Bundesministerin Renate Künast, hingewiesen. Es gibt einen Arbeitsauftrag für die weitere politische Arbeit in der nächsten Legislaturperiode. Vielleicht entwickelt sich, wenn all diese Argumente nicht helfen, aber auch ein gewisses Eigeninteresse; denn die Grenzen zwischen Mensch und Tier verschwimmen gerade aufgrund der Gentechnik immer mehr. Abschließend möchte ich auf „Die Entwicklung der Menschheit“ von Erich Kästner hinweisen. Er zeigte auf, dass die Grenzen zwischen Mensch und Tier vielleicht doch nicht so groß sind. Er schreibt: Einst haben die Kerls auf den Bäumen gehockt, behaart und mit böser Visage. Dann hat man sie aus dem Urwald gelockt und die Welt asphaltiert und aufgestockt bis zur dreißigsten Etage. ... Sie hören weit. Sie sehen fern. Sie sind mit dem Weltall in Fühlung. Sie putzen die Zähne. Sie atmen modern. Die Erde ist ein gebildeter Stern mit sehr viel Wasserspülung. ... So haben sie mit dem Kopf und dem Mund den Fortschritt der Menschheit geschaffen. Davon mal abgesehen und bei Lichte betrachtet sind sie im Grund noch immer die alten Affen. Auch deshalb wollen wir, in aller Bescheidenheit, den Schutz der Tiere ins Grundgesetz aufnehmen. Danke schön. ({4})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile das Wort dem Kollegen Heinz Schmitt, SPD-Fraktion.

Heinz Schmitt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002783, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Auch ich freue mich, wie viele meiner Vorrednerinnen und Vorredner, dass wir heute nach vielen Anläufen ein Gesetz beschließen, das die Unterstützung des ganzen Hauses finden wird. Tierschutz wird als Staatsziel im Grundgesetz verankert. Damit wird der Verantwortung des Menschen für das Mitgeschöpf Tier ein höherer Stellenwert eingeräumt, als das bisher der Fall ist. ({0}) Dies ist gut für den Tierschutz, aber es ist auch ein wichtiger Schritt für unsere Gesellschaft überhaupt. Wir alle kennen die Bilder von Tieren, denen auf unterschiedliche Weise Qualen zugefügt werden. Wir wissen um die Problematik von Nutztieren, die gegen ihre natürliche Lebensart gehalten und gezüchtet werden. Es gibt Tiertransporte, bei denen ein Großteil der Tiere bereits beim Transport qualvoll verendet. Wenn man sich die Bilder von gewissen Tierversuchen vor Augen führt, läuft einem ein Schauer über den Rücken. Aus all diesen Gründen ist es dringend geboten, dem Tierschutz einen höheren Stellenwert einzuräumen, damit im Einzelfall ein besserer Umgang mit dem Mitgeschöpf Tier möglich wird. In der Diskussion um die heutige Grundgesetzänderung wurden insbesondere vonseiten der Wissenschaft Bedenken geäußert. Es gibt Befürchtungen, das Staatsziel Tierschutz könne wichtige Forschungen massiv behindern und erschweren. Diese Einwände wurden im Bildungs- und Forschungsausschuss eingehend diskutiert. Ich meine, wir können die Wissenschaftler beruhigen. Es ist nicht davon auszugehen, dass mit der jetzt gefundenen Regelung unverantwortbare Einschränkungen von notwendigen Forschungstätigkeiten verbunden sind. Wir wollen aber dem Tierschutz dort einen höheren Stellenwert einräumen, wo im Einzelfall zwischen Forschungsfreiheit und Tierschutz abzuwägen ist. Wir wollen darauf hinwirken, Tierversuche durch andere Methoden zu ersetzen, wo immer dies möglich ist. Was das Verfahren bei der Überprüfung von Forschungsvorhaben angeht, gehen wir nicht von einer grundlegenden Änderung der bisherigen Regelungen aus. Diese Überprüfungen sind schon jetzt im Tierschutzgesetz hinreichend geregelt und werden mit der heutigen Grundgesetzänderung nicht verändert. Die Neuregelung unterstreicht aber nachdrücklich den Grundkonsens in unserer Gesellschaft, Forschungen mit Tierversuchen auf das unverzichtbare Maß zu reduzieren und zu begrenzen. So gesehen, ist die jetzt anstehende Einführung eines Staatszieles Tierschutz nicht als zusätzliche Hürde für die Forschung gedacht, wohl aber als Auftrag an die Forscher, einen größtmöglichen Beitrag zur Vermeidung von Tierversuchen zu erbringen. Ich möchte auch erwähnen, dass wir die Wissenschaftler mit dieser Aufgabe nicht allein lassen. Die Bundesregierung unterstützt mit einem weltweit einzigartigen Förderprogramm schon seit vielen Jahren die Entwicklung von Ersatzmethoden zu Tierversuchen. Dabei wurden bereits große Fortschritte erzielt. Ich denke, dass wir gerade in der Abwägung zwischen Tierschutz auf der einen und Forschungsfreiheit auf der anderen Seite eine gut vertretbare Lösung gefunden haben. Liebe Kolleginnen und Kollegen, mit der Aufnahme der drei Worte „und der Tiere“ in das Grundgesetz setzen wir ein deutliches Zeichen für einen humaneren Umgang mit Tieren. Das ist auch ein Ausweis für eine aufgeklärtere Gesellschaft. Ich danke allen, die mit langem Atem für dieses gute Ergebnis gesorgt und dafür gearbeitet haben. Vielen Dank. ({1})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich schließe die Aus- sprache. Wir kommen zur Abstimmung über den von den Frak- tionen der SPD, der CDU/CSU, des Bündnisses 90/Die Grünen und der FDP eingebrachten Gesetzentwurf auf Drucksache 14/8860 zur Änderung des Grundgesetzes, Staatsziel Tierschutz. Der Rechtsausschuss empfiehlt un- ter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf Druck- sache 14/9090, den Gesetzentwurf anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthal- tungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Be- ratung bei einigen Gegenstimmen und einigen Enthal- tungen angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich weise darauf hin, dass nach Art. 79 des Grundgesetzes ein Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes die Zustimmung von zwei Dritteln der Mitglieder des Bundestages, das heißt mindestens 444 Stimmen, erfordert. Es ist namentliche Abstimmung verlangt worden. Zu dieser Abstimmung liegen persön- liche Erklärungen der Kolleginnen und Kollegen Deittert, Diemers, Göhner, Lensing und Sothmann vor.1) Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen. - Sind die Plätze ein- genommen? - Das ist der Fall. Ich eröffne die Abstim- mung. Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine Stimme nicht abgegeben hat? - Das ist nicht der Fall. Ich schließe die Abstimmung und bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Das Er- gebnis der Abstimmung wird Ihnen später bekannt gege- ben.2) Wir setzen jetzt die Abstimmungen fort. Ich bitte Sie, dazu Platz zu nehmen. Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses auf Drucksache 14/9090 zu den von den Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen, von der Fraktion der FDP und von der Fraktion der PDS eingebrachten Gesetzentwürfen zur Änderung des Grundgesetzes. Der Ausschuss empfiehlt unter den Buchstaben b bis d seiner Beschlussempfehlung, die Gesetzentwürfe auf den Drucksachen 14/8360,14/207 und 14/279 für erledigt zu erklären. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist einstimmig angenommen. Abstimmung über den vom Bundesrat eingebrachten Gesetzentwurf auf Drucksache 14/758 zur Änderung des Grundgesetzes. Der Rechtsausschuss empfiehlt unter Buchstabe e seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 14/9090, den Gesetzentwurf abzulehnen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung mit den Stimmen des Hauses bei Enthaltung der PDS-Fraktion abgelehnt. Damit entfällt nach unserer Geschäftsordnung die weitere Beratung. Beschlussempfehlung des Ausschusses für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft auf Drucksache 14/8168. Unter Nr. 1 seiner Beschlussempfehlung empfiehlt der Ausschuss, in Kenntnis des Tierschutzberichtes 2001 der Bundesregierung den Antrag der Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen auf Drucksache 14/7180 mit dem Titel „Verbesserungen im Tierschutz national und europaweit vorantreiben“ anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und PDS gegen die Stimmen von CDU/CSU und FDP angenommen. Unter Nr. 2 seiner Beschlussempfehlung empfiehlt der Ausschuss, in Kenntnis des Tierschutzberichtes 2001 den Antrag der Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache 14/6047 mit dem Titel „Tierschutz auf nationaler und EU-Ebene fortentwickeln“ abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und PDS gegen die Stimmen von CDU/CSU und FDP angenommen. Ich rufe die Zusatzpunkte 26 bis 31 auf, also die Beschlussempfehlungen des Petitionsausschusses. Eine Aussprache ist nicht vorgesehen. Zusatzpunkt 26: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({0}) Sammelübersicht 387 zu Petitionen - Drucksache 14/9070 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht 387 ist mit den Stimmen des Hauses bei Enthaltung der PDS-Fraktion angenommen. Zusatzpunkt 27: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({1}) Sammelübersicht 388 zu Petitionen - Drucksache 14/9071 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht 388 ist mit den Stimmen des Hauses bei Enthaltung der PDS angenommen. Zusatzpunkt 28: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({2}) Sammelübersicht 389 zu Petitionen - Drucksache 14/9072 Wer stimmt dafür? - Dagegen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht 389 ist mit den Stimmen des Hauses bei Enthaltung der PDS angenommen. Zusatzpunkt 29: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({3}) Sammelübersicht 390 zu Petitionen - Drucksache 14/9073 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht 390 ist einstimmig angenommen. Zusatzpunkt 30: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({4}) Sammelübersicht 392 zu Petitionen - Drucksache 14/9075 - Präsident Wolfgang Thierse 1) Anlage 2 2) Seite 23669 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht 392 ist mit den Stimmen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und PDS gegen die Stimmen von CDU/CSU und FDP angenommen. Zusatzpunkt 31: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({5}) Sammelübersicht 395 zu Petitionen - Drucksache 14/9076 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht 395 ist mit den Stimmen des Hauses bei Gegenstimmen der PDS angenommen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich rufe Tagesordnungspunkt 22 sowie Zusatzpunkt 20 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Horst Seehofer, Wolfgang Lohmann ({6}), Dr. Wolf Bauer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU Gesundheitswesen patientenorientiert, freiheitlich und zukunftssicher gestalten - Drucksache 14/8595 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Gesundheit ({7}) Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Dieter Thomae, Detlef Parr, Dr. Irmgard Schwaetzer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Für eine leistungsfähige und bezahlbare Gesundheitsversorgung - Drucksache 14/9054 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Gesundheit Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Kollegen Wolfgang Lohmann, CDU/CSU-Fraktion, das Wort.

Wolfgang Lohmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001369, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Sie dankenswerterweise noch hier geblieben sind! „Gesundheitswesen patientenorientiert, freiheitlich und zukunftssicher gestalten“ - das ist die Überschrift unseres Antrages, der uns veranlasst, heute noch einmal über Gesundheitspolitik zu diskutieren. Rot-Grün ist 1998 angetreten, um eine - ich zitiere - „entschlossene Reformpolitik“ zu betreiben. Heute wissen wir, dass dies nichts als eine vollmundige Erklärung gewesen ist. ({0}) Reformbedarf allerorten: in der Steuerpolitik, in der Renten- und Arbeitsmarktpolitik und vor allem in der Gesundheitspolitik. Obwohl die rot-grüne Regierung inzwischen zwei Ministerinnen verschlissen hat, konnte sie dennoch nicht einmal ansatzweise die Probleme in der GKV lösen, im Gegenteil: Aus einem Überschuss der gesetzlichen Krankenversicherung in Höhe von 1 Milliarde Euro wurde ein Defizit von 2,8 Milliarden Euro. Kein Wunder also, dass der Bundeskanzler Frau Schmidt nicht erwähnt hat, als er jene Minister aufzählte, mit deren Arbeit er besonders zufrieden war und die er - wenn die Wähler ihm die Möglichkeit geben - ins nächste Kabinett berufen möchte. Deutlicher kann ein amtierender Bundeskanzler den Stab nicht über eine Ministerin brechen. Aber das ist ein internes Problem. ({1}) Nicht nur der Bundeskanzler hält die Politik von Frau Schmidt für misslungen, auch die Menschen in diesem Land. Nach der jüngsten Umfrage des Allensbach-Institutes sind drei Viertel der Bevölkerung mit der Gesundheitspolitik nicht zufrieden. 32 Prozent berichten inzwischen allgemein von Leistungseinschränkungen, die sie persönlich erfahren haben; vor allem chronisch Kranke sind davon betroffen. 43 Prozent von diesen kranken Menschen wiederum haben aufgrund Ihrer Gesundheitspolitik, Frau Ministerin, am eigenen Leib erfahren, was Rationierung bedeutet. ({2}) Es gibt keine größere soziale Ungerechtigkeit als die Vorenthaltung medizinisch notwendiger Leistungen. ({3}) Rot-Grün hat mit der Wiedereinführung der Budgetierung im Jahre 1998 den Weg in die Zweiklassenmedizin beschritten. Unter der Regierung Schröder ist Spitzenmedizin immer mehr zum Privileg von Besserverdienenden geworden. ({4}) Da wagen Sie es nun auch noch, sich das Mäntelchen der sozialen Gerechtigkeit umzuhängen. Sie haben vier Jahre lang die Interessen der Patienten und Versicherten aus den Augen verloren. Sie haben vier Jahre lang - Sie tun es noch immer - die Versorgungssituation schöngeredet und die Probleme der Patienten ignoriert. Sie haben in Ihrer Koalitionsvereinbarung eine Stärkung der Patientenrechte und des Patientenschutzes vorgesehen. Das wichtigste Recht, nämlich das Recht auf medizinisch notwendige Versorgung, haben Sie in Wirklichkeit geschädigt. ({5}) Versuchen Sie jetzt bitte nicht, sich als Bewahrer von Solidarität und sozialer Gerechtigkeit aufzuspielen. Noch unsozialer, noch ungerechter und noch unsolidarischer als jetzt kann Gesundheitspolitik kaum werden. ({6}) Die Versicherten zahlen die höchsten Beiträge, die es je gab - wenigstens das kann nicht bestritten werden -, und erhalten dennoch eine nicht ausreichende Versorgung. ({7}) Präsident Wolfgang Thierse Auch Herr Schmidbauer wird mich nicht daran hindern, diesen Gedanken zu Ende zu führen, Herr Präsident. ({8})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ist das schon eine Ablehnung?

Wolfgang Lohmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001369, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja. Das Ritual kennt man. - Menschen, die alt und pflegebedürftig sind, müssen erst wund gelegen sein - das muss er sich jetzt nämlich anhören -, bevor die Krankenkassen Leistungen der häuslichen Krankenpflege bezahlen. Prophylaxen, die auf das Verhindern eines Druckgeschwüres zielen, werden von den Kassen kategorisch abgelehnt. Wesentliche Leistungen der häuslichen Krankenpflege sind durch die Richtlinien zur häuslichen Krankenpflege nicht mehr im notwendigen Umfang verordnungsfähig. Andere medizinisch-pflegerisch erforderliche Krankenpflegemaßnahmen fehlen in den Richtlinien völlig. Statt sich nun dieser Probleme anzunehmen, schiebt Rot-Grün die Verantwortung auf die Länder. Dieses miese Schwarzer-Peter-Spiel in der Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage von uns ist beredtes Zeugnis für ihre Unfähigkeit. Statt höchst alarmiert zu fragen dazu wäre das die passende Gelegenheit gewesen -, ob die novellierten Richtlinien zur häuslichen Krankenpflege zu Defiziten in der Krankenpflege führen, ob in ihnen wichtige Leistungen der Krankenpflege fehlen, ob der Bundesausschuss Ärzte und Krankenkassen daher möglicherweise aufgefordert werden muss, die Richtlinien neu zu fassen, sagt die Regierung lapidar: Wir haben keine Erkenntnisse. - Das steht schwarz auf weiß in ihrer Antwort. Dabei könnte die Regierung aus der hohen Zahl an Widersprüchen und aus den zahlreichen Berichten in den Medien durchaus Informationen beziehen. Die Bundesregierung bemüht sich aber noch nicht einmal darum, Erkenntnisse zu erlangen und Nachforschungen anzustellen oder diese zumindest anzukündigen. Stattdessen wird darauf verwiesen, dass die Länder die Aufsicht über die Einhaltung der Richtlinien durch Ärzte und Pflegedienste hätten. Der Knackpunkt liegt aber nicht in der Einhaltung, sondern in der Ausgestaltung der Richtlinien. Dafür ist die Bundesregierung zuständig. ({0}) Diese Regierung, die das Wort „Qualität“ ständig im Munde führt, ist noch nicht einmal in der Lage, eine den Grundbedürfnissen entsprechende medizinische Versorgung sicherzustellen. Was nützen da auf Evidenz basierende Leitlinien und Behandlungsstandards? Diese helfen gar nichts. Um sich selbst und das Ansehen der rot-grünen Regierung zu retten, kündigt Ministerin Schmidt in dieser Woche an, die Wählerschaft mit Wahlgeschenken zu ködern. Aber Vorsicht! Ein Rattenfänger ist unterwegs. Chronisch Kranke sollen zukünftig - so heißt die Botschaft - von Zuzahlungen freigestellt werden. Chronisch Kranke sind aber bereits heute von Zuzahlungen befreit. ({1}) In Deutschland erbringt mittlerweile mehr als die Hälfte der Versicherten keine Zuzahlungen mehr. Das ist Tatsache. Frau Schmidt will die chronisch Kranken mit diesem Lockangebot offenbar für die so genannten Disease-Management-Programme gewinnen, die nach bisheriger Erkenntnis qualitativ minderwertig ausfallen werden - das ist zumindest der Stand - und offenbar unter dem Versorgungsniveau bereits bewährter Programme für chronisch Kranke liegen. Meine Damen und Herren, ich erspare es mir, weitere dieser hübschen Packungen ohne Inhalt auszupacken. Ich denke, Sie haben auch so einen Eindruck von der Mogelei erhalten. Diese Regierung mit dieser Gesundheitspolitik muss abgewählt werden - so war das Credo von Patienten, Ärzten, Psychotherapeuten, Arzthelferinnen und Krankenschwestern am Rande des gestrigen und vorgestrigen Hauptstadtkongresses. Recht haben sie. ({2}) Diese Regierung hat abgewirtschaftet. Die Bevölkerung wünscht den Wechsel. In der Gesundheitspolitik dürfen die Menschen darauf vertrauen, dass sie bei der Union wieder in den Mittelpunkt eines neu gestalteten Gesundheitswesens gestellt werden. Dabei dürfen sich die Menschen darauf verlassen, dass ihnen auch künftig alle medizinisch notwendigen Leistungen gewährt werden. Wir wollen dem Bedürfnis von Patienten und Versicherten entgegenkommen, dass sie auch in der GKV wie mündige Bürger behandelt werden und über den Umfang ihres Versicherungsschutzes bestimmen können. Die Versicherten sollen nämlich selbst entscheiden, ob sie den bisherigen Versicherungsschutz beibehalten, zusätzliche Leistungen erhalten oder bei gleichzeitiger Beitragsermäßigung Leistungen abwählen oder einen Selbstbehalt übernehmen wollen.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Herr Kollege Lohmann, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Schmidbauer?

Wolfgang Lohmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001369, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Nein, ich lasse keine Zwischenfrage zu. Das gilt für meine gesamte lange Rede, die ich hier zu halten habe. ({0}) Ich weiß, meine Damen und Herren, dass Sie Ihre Probleme mit diesen Vorschlägen haben. Sie haben nämlich Angst vor mündigen Bürgern, die von ihren Freiheitsrechten Gebrauch machen. ({1}) Ihnen sind Staats- und Listenmedizin, Bürokratismus und Dirigismus noch immer lieber. Man kann aber feststellen: Sie haben mit diesen Methoden das Gesundheitssystem an die Wand gefahren. Damit muss jetzt Schluss sein. Wir brauchen nicht mehr Vorschriften und Institute, die immer mehr Personal bei Ärzten, Pflegekräften, Krankenhäusern und Kassen binden. Wir brauchen endlich eine dem Patienten und Versicherten zugewandte Medizin. Ärzte und Pflegekräfte müssen wieder mehr Zeit für ihre eigentlichen Aufgaben bekommen und von Dokumentationspflichten Wolfgang Lohmann ({2}) und Ähnlichem entlastet werden. Die Patienten müssen über die Qualität der medizinischen Versorgung wie über die Leistungen und deren Abrechnung informiert werden. Unser Ziel ist es, das Vertrauen der Patienten und Versicherten in das System unserer vom Prinzip her bewährten gesetzlichen Krankenversicherung wieder herzustellen. Wir dürfen dank des Zuspruchs durch die Bevölkerung hoffen, dass wir nach dem 22. September damit beginnen können. Schönen Dank. ({3})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich komme zu Tagesordnungspunkt 21 a zurück und gebe das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung über den Gesetzentwurf der Fraktionen der SPD, der CDU/CSU, des Bündnisses 90/Die Grünen und der FDP zur Änderung des Grundgesetzes - Staatsziel Tierschutz - bekannt: Abgegebene Stimmen 577. Mit Ja haben gestimmt 543, mit Nein haben gestimmt 19, Enthaltungen 15. Der Gesetzentwurf ist damit angenommen. Wolfgang Lohmann ({0}) Endgültiges Ergebnis Abgegebene Stimmen: 576; davon ja: 542 nein: 19 enthalten: 15 Ja SPD Brigitte Adler Gerd Andres Ingrid Arndt-Brauer Rainer Arnold Ernst Bahr Doris Barnett Dr. Hans-Peter Bartels Eckhardt Barthel ({1}) Klaus Barthel ({2}) Ingrid Becker-Inglau Wolfgang Behrendt Dr. Axel Berg Hans-Werner Bertl Friedhelm Julius Beucher Petra Bierwirth Lothar Binding ({3}) Klaus Brandner Anni Brandt-Elsweier Willi Brase Rainer Brinkmann ({4}) Bernhard Brinkmann ({5}) Hans-Günter Bruckmann Edelgard Bulmahn Ulla Burchardt Dr. Michael Bürsch Hans Martin Bury Hans Büttner ({6}) Marion Caspers-Merk Wolf-Michael Catenhusen Dr. Herta Däubler-Gmelin Christel Deichmann Karl Diller Peter Dreßen Detlef Dzembritzki Dieter Dzewas Sebastian Edathy Ludwig Eich Marga Elser Peter Enders Gernot Erler Petra Ernstberger Annette Faße Lothar Fischer ({7}) Gabriele Fograscher Iris Follak Norbert Formanski Rainer Fornahl Hans Forster Lilo Friedrich ({8}) Harald Friese Anke Fuchs ({9}) Arne Fuhrmann Monika Ganseforth Günter Gloser Uwe Göllner Renate Gradistanac Günter Graf ({10}) Angelika Graf ({11}) Dieter Grasedieck Monika Griefahn Kerstin Griese Achim Großmann Wolfgang Grotthaus Karl-Hermann Haack ({12}) Hans-Joachim Hacker Klaus Hagemann Manfred Hampel Alfred Hartenbach Anke Hartnagel Klaus Hasenfratz Nina Hauer Hubertus Heil Reinhold Hemker Frank Hempel Rolf Hempelmann Dr. Barbara Hendricks Gustav Herzog Monika Heubaum Reinhold Hiller ({13}) Stephan Hilsberg Gerd Höfer Jelena Hoffmann ({14}) Walter Hoffmann ({15}) Iris Hoffmann ({16}) Frank Hofmann ({17}) Ingrid Holzhüter Eike Hovermann Christel Humme Lothar Ibrügger Barbara Imhof Brunhilde Irber Gabriele Iwersen Renate Jäger Jann-Peter Janssen Ilse Janz Dr. Uwe Jens Volker Jung ({18}) Johannes Kahrs Ulrich Kasparick Sabine Kaspereit Susanne Kastner Ulrich Kelber Hans-Peter Kemper Klaus Kirschner Siegrun Klemmer Hans-Ulrich Klose Fritz Rudolf Körper Karin Kortmann Anette Kramme Nicolette Kressl Volker Kröning Angelika Krüger-Leißner Horst Kubatschka Ernst Küchler Helga Kühn-Mengel Ute Kumpf Dr. Uwe Küster Werner Labsch Christine Lambrecht Brigitte Lange Christian Lange ({19}) Detlev von Larcher Christine Lehder Waltraud Lehn Klaus Lennartz Dr. Elke Leonhard Eckhart Lewering Götz-Peter Lohmann ({20}) Gabriele Lösekrug-Möller Erika Lotz Dr. Christine Lucyga Dieter Maaß ({21}) Winfried Mante Dirk Manzewski Tobias Marhold Lothar Mark Ulrike Mascher Christoph Matschie Heide Mattischeck Markus Meckel Ulrike Mehl Ulrike Merten Angelika Mertens Dr. Jürgen Meyer ({22}) Ursula Mogg Christoph Moosbauer Siegmar Mosdorf Michael Müller ({23}) Jutta Müller ({24}) Christian Müller ({25}) Franz Müntefering Andrea Nahles Volker Neumann ({26}) Dr. Edith Niehuis Dr. Rolf Niese Dietmar Nietan Günter Oesinghaus Leyla Onur Manfred Opel Holger Ortel Adolf Ostertag Kurt Palis Albrecht Papenroth Georg Pfannenstein Johannes Pflug Joachim Poß Dr. Carola Reimann Renate Rennebach Bernd Reuter Dr. Edelbert Richter Christel RiemannHanewinckel Reinhold Robbe René Röspel Dr. Ernst Dieter Rossmann Michael Roth ({27}) Gerhard Rübenkönig Marlene Rupprecht Dr. Hansjörg Schäfer Gudrun Schaich-Walch Bernd Scheelen Dr. Hermann Scheer Siegfried Scheffler Horst Schild Dieter Schloten ({28}) Ulla Schmidt ({29}) Präsident Wolfgang Thierse Silvia Schmidt ({30}) Dagmar Schmidt ({31}) Wilhelm Schmidt ({32}) Dr. Frank Schmidt ({33}) Heinz Schmitt ({34}) Carsten Schneider Dr. Emil Schnell Walter Schöler Karsten Schönfeld Fritz Schösser Ottmar Schreiner Dr. Mathias Schubert Richard Schuhmann ({35}) Brigitte Schulte ({36}) Volkmar Schultz ({37}) Ewald Schurer Dr. Angelica Schwall-Düren Rolf Schwanitz Bodo Seidenthal Erika Simm Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk Dr. Cornelie SonntagWolgast Wieland Sorge Wolfgang Spanier Jörg-Otto Spiller Dr. Ditmar Staffelt Antje-Marie Steen Ludwig Stiegler Rolf Stöckel Rita Streb-Hesse Reinhold Strobl ({38}) Dr. Peter Struck Joachim Stünker Jörg Tauss Jella Teuchner Dr. Gerald Thalheim Franz Thönnes Uta Titze-Stecher Adelheid Tröscher Hans-Eberhard Urbaniak Rüdiger Veit Simone Violka Ute Vogt ({39}) Hans Georg Wagner Dr. Konstanze Wegner Wolfgang Weiermann Reinhard Weis ({40}) Matthias Weisheit Gunter Weißgerber Gert Weisskirchen ({41}) Dr. Ernst Ulrich von Weizsäcker Jochen Welt Dr. Rainer Wend Hildegard Wester Lydia Westrich Dr. Norbert Wieczorek Jürgen Wieczorek ({42}) Heidemarie Wieczorek-Zeul Dieter Wiefelspütz Heino Wiese ({43}) Klaus Wiesehügel Brigitte Wimmer ({44}) Engelbert Wistuba Barbara Wittig Dr. Wolfgang Wodarg Verena Wohlleben Hanna Wolf ({45}) Waltraud Wolff ({46}) Heidemarie Wright Uta Zapf Dr. Christoph Zöpel Peter Zumkley CDU/CSU Ulrich Adam Ilse Aigner Peter Altmaier Norbert Barthle Günter Baumann Brigitte Baumeister Meinrad Belle Otto Bernhardt Hans-Dirk Bierling Peter Bleser Antje Blumenthal Dr. Maria Böhmer Sylvia Bonitz Jochen Borchert Wolfgang Börnsen ({47}) Wolfgang Bosbach Dr. Wolfgang Bötsch Klaus Brähmig Dr. Ralf Brauksiepe Paul Breuer Monika Brudlewsky Klaus Bühler ({48}) Hartmut Büttner ({49}) Cajus Caesar Manfred Carstens ({50}) Peter H. Carstensen ({51}) Leo Dautzenberg Wolfgang Dehnel Renate Diemers Thomas Dörflinger Dr. Hansjürgen Doss Marie-Luise Dött Rainer Eppelmann Anke Eymer ({52}) Ilse Falk Dr. Hans Georg Faust Albrecht Feibel Ulf Fink Ingrid Fischbach Dirk Fischer ({53}) Dr. Gerhard Friedrich ({54}) Dr. Hans-Peter Friedrich ({55}) Erich G. Fritz Jochen-Konrad Fromme Hans-Joachim Fuchtel Norbert Geis Dr. Heiner Geißler Georg Girisch Dr. Wolfgang Götzer Hermann Gröhe Manfred Grund Horst Günther ({56}) Gottfried Haschke ({57}) Gerda Hasselfeldt Hansgeorg Hauser ({58}) Helmut Heiderich Ursula Heinen Manfred Heise Siegfried Helias Hans Jochen Henke Ernst Hinsken Peter Hintze Klaus Hofbauer Martin Hohmann Josef Hollerith Dr. Karl-Heinz Hornhues Joachim Hörster Hubert Hüppe Georg Janovsky Dr. Harald Kahl Steffen Kampeter Dr.-Ing. Dietmar Kansy Irmgard Karwatzki Eckart von Klaeden Norbert Königshofen Eva-Maria Kors Rudolf Kraus Dr. Martina Krogmann Dr. Hermann Kues Karl Lamers Dr. Karl A. Lamers ({59}) Dr. Norbert Lammert Helmut Lamp Dr. Paul Laufs Peter Letzgus Walter Link ({60}) ({61}) Erich Maaß ({62}) Erwin Marschewski ({63}) Dr. Martin Mayer ({64}) Wolfgang Meckelburg Dr. Michael Meister Dr. Angela Merkel Friedrich Merz Hans Michelbach Dr. Gerd Müller Bernward Müller ({65}) Elmar Müller ({66}) Günter Nooke Franz Obermeier Friedhelm Ost Eduard Oswald Norbert Otto ({67}) Dr. Peter Paziorek Anton Pfeifer Beatrix Philipp Ronald Pofalla Ruprecht Polenz Thomas Rachel Hans Raidel Dr. Peter Ramsauer Peter Rauen Katherina Reiche Klaus Riegert Dr. Heinz Riesenhuber Franz Romer Dr. Klaus Rose Kurt J. Rossmanith Dr. Christian Ruck Anita Schäfer Dr. Wolfgang Schäuble Dr. Gerhard Scheu Norbert Schindler Bernd Schmidbauer Christian Schmidt ({68}) Andreas Schmidt ({69}) Dr. Erika Schuchardt Clemens Schwalbe Dr. Christian SchwarzSchilling Wilhelm Josef Sebastian Marion Seib Heinz Seiffert Dr. h. c. Rudolf Seiters Bernd Siebert Johannes Singhammer Wolfgang Steiger Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten Andreas Storm Dorothea Störr-Ritter Matthäus Strebl Michael Stübgen Dr. Rita Süssmuth Edeltraut Töpfer Dr. Hans-Peter Uhl Arnold Vaatz Angelika Volquartz Peter Weiß ({70}) Gerald Weiß ({71}) Annette Widmann-Mauz Heinz Wiese ({72}) Hans-Otto Wilhelm ({73}) Klaus-Peter Willsch Willy Wimmer ({74}) Matthias Wissmann Werner Wittlich Dagmar Wöhrl Aribert Wolf BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Marieluise Beck ({75}) Volker Beck ({76}) Angelika Beer Matthias Berninger Grietje Bettin Annelie Buntenbach Ekin Deligöz Amke Dietert-Scheuer Dr. Thea Dückert Franziska Eichstädt-Bohlig Präsident Wolfgang Thierse Hans-Josef Fell Andrea Fischer ({77}) Joseph Fischer ({78}) Rita Grießhaber Gerald Häfner Winfried Hermann Antje Hermenau Michaele Hustedt Monika Knoche Dr. Angelika Köster-Loßack Steffi Lemke Dr. Helmut Lippelt Dr. Reinhard Loske Kerstin Müller ({79}) Winfried Nachtwei Cem Özdemir Simone Probst Christine Scheel Rezzo Schlauch Albert Schmidt ({80}) Werner Schulz ({81}) Christian Simmert Christian Sterzing Hans-Christian Ströbele Jürgen Trittin Dr. Ludger Volmer Sylvia Voß Helmut Wilhelm ({82}) Margareta Wolf ({83}) FDP Ina Albowitz Hildebrecht Braun ({84}) Ernst Burgbacher Gisela Frick Paul K. Friedhoff Horst Friedrich ({85}) Hans-Michael Goldmann Joachim Günther ({86}) Dr. Karlheinz Guttmacher Klaus Haupt Dr. Helmut Haussmann Ulrich Heinrich Birgit Homburger Dr. Werner Hoyer Dr. Klaus Kinkel Gudrun Kopp Jürgen Koppelin Sabine LeutheusserSchnarrenberger Dirk Niebel Günther Friedrich Nolting Dr. Günter Rexrodt Gerhard Schüßler Dr. Irmgard Schwaetzer Marita Sehn Dr. Max Stadler Dr. Dieter Thomae Jürgen Türk Dr. Guido Westerwelle PDS Monika Balt Dr. Dietmar Bartsch Wolfgang Bierstedt Eva Bulling-Schröter Roland Claus Heidemarie Ehlert Dr. Heinrich Fink Wolfgang Gehrcke Dr. Klaus Grehn Dr. Bärbel Grygier Dr. Barbara Höll Carsten Hübner Ulla Jelpke Sabine Jünger Rolf Kutzmutz Ursula Lötzer Dr. Christa Luft Heidemarie Lüth Pia Maier Angela Marquardt Manfred Müller ({87}) Kersten Naumann Petra Pau Dr. Uwe-Jens Rössel Christina Schenk Gustav-Adolf Schur Dr. Ilja Seifert Fraktionslos Christa Lörcher Nein CDU/CSU Dr. Joseph-Theodor Blank Dr. Heribert Blens Hubert Deittert Dr. Reinhard Göhner Carl-Detlev Freiherr von Hammerstein Susanne Jaffke Karl-Josef Laumann Julius Louven Hannelore Rönsch ({88}) Heinz Schemken Michael von Schmude Reinhard Freiherr von Schorlemer Wolfgang Schulhoff Gerhard Schulz Bärbel Sothmann Elke Wülfing Peter Kurt Würzbach Wolfgang Zeitlmann FDP Dr. Edzard Schmidt-Jortzig Enthaltungen SPD CDU/CSU Dietrich Austermann Dr. Sabine Bergmann-Pohl Dankward Buwitt Dr.-Ing. Rainer Jork Vera Lengsfeld Werner Lensing Ursula Lietz Dr. Manfred Lischewski Marlies Pretzlaff Christa Reichard ({89}) Erika Reinhardt Dr.-Ing. Joachim Schmidt ({90}) Dr. Rupert Scholz Entschuldigt wegen Übernahme einer Verpflichtung im Rahmen ihrer Mitgliedschaft in den Parlamentarischen Versammlungen des Europarates und der WEU, der Parlamentarischen Versammlung der NATO, der OSZE oder der IPU Abgeordnete({91}) Bindig, Rudolf Lintner, Eduard Zierer, Benno SPD CDU/CSU CDU/CSU ({92}) Nun erteile ich dem Kollegen Martin Pfaff, SPD-Fraktion, das Wort. ({93})

Prof. Dr. Martin Pfaff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001701, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

- Das wäre Ihnen recht. Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Antrag der CDU/CSU und auch die Ausführungen des geschätzten Kollegen Lohmann ({0}) sind sicher stark an Behauptungen, aber schwach an Belegen und noch viel schwächer an Überzeugungskraft; ({1}) denn die finanzielle Lage ist weder desolat noch verliert die Versorgung der Patienten und Pflegebedürftigen generell an Qualität. Der Sachverständigenrat hat festgestellt, dass es bereits langfristig, also schon seit Jahrzehnten, eine Unter-, Über- und Fehlversorgung vor allem der chronisch Kranken gibt; das ist es. Die Ärztinnen und Ärzte sowie das Pflegepersonal sind vielfach überlastet. Auch dieses Problem kennen wir schon seit längerer Zeit. Wir wollen diese Probleme angehen und sie nicht, wie Sie es über lange Jahre hinweg getan haben, einfach so hinnehmen. Bezogen auf die Beschäftigten im Gesundheitswesen steht in unserem Regierungsprogramm wörtlich - ich zitiere -: Unzumutbare Belastungen müssen abgebaut, die geltenden Normen des Arbeitszeitrechts umgesetzt werden. Das ist eine klare Aussage. Diese schwierige Aufgabe werden wir angehen. ({2}) Richtig ist allerdings, dass die Krankenversicherungsbeiträge steigen. Auch das ist leider kein neues Phänomen. In zwölf der 16 Jahre Kohl-Regierung lagen die durchschnittlichen Beiträge eines Jahres höher als im jeweiligen Vorjahr. Innerhalb dieses Zeitraumes mussten Sie eine Beitragssatzanhebung um 2 Prozentpunkte hinnehmen. Ich sage: Wer im Glashaus sitzt, darf auf andere wahrlich nicht mit Steinen werfen. ({3}) Bei den von Ihnen auch angesprochenen Verschiebebahnhöfen haben Sie selber genügend - wir leider auch einige - Beispiele gegeben. Auch hier sind Sie wiederum in einer sehr schwachen Position. Richtig ist allerdings auch, dass der technische Fortschritt und vor allem auch die Alterung der Gesellschaft Auswirkungen auf die Beitragssätze haben werden. Nach seriösen Schätzungen, beispielsweise im Prognos-Gutachten oder auch der Enquete-Kommission, werden sich diese um zusätzliche 3,6 bis 4,1 Prozentpunkte erhöhen und eben nicht um zusätzliche 10 bis 20 Prozentpunkte. ({4}) Auch die Beiträge zur gesetzlichen Pflegeversicherung - das wissen wir angesichts der absehbaren Zahl an Pflegebedürftigen - werden langfristig angehoben werden müssen. Aufgrund seriöser Schätzungen wissen wir aber auch, dass diese bis zum Jahre 2015 nicht über 2 Prozent - momentan liegen sie bei 1,7 Prozent - hinausgehen werden. ({5}) Ich meine, das ist wirklich wichtig. Deshalb sage ich: Es ist einfach unverantwortlich, die gesetzliche Pflegeversicherung schlecht zu machen oder gar totzureden; denn sie hat einen wichtigen und konstruktiven Beitrag geleistet und muss dies auch weiterhin für viele Menschen tun. ({6}) Sie brüsten sich immer damit, dass Sie in den Jahren 1997 und 1998 Überschüsse erwirtschaftet haben. Sie gestehen niemals offen und ehrlich ein, dass Sie Zuzahlungen erhöht und Leistungen ausgegrenzt haben, aber trotzdem noch Beitragssatzsteigerungen hinzunehmen hatten. ({7}) Überschüsse auf diese Art zu erzielen ist wahrlich die Kunst der Primitiven. Sie haben die Bundesregierung kritisiert. Wir haben unsoziale Maßnahmen aus Ihrer Regierungszeit gleich am Anfang zurückgenommen. Der Zahnersatz für nach 1978 Geborene ist wieder eine Regelleistung. Die Zuzahlungen haben wir gesenkt. Es ist richtig, dass chronisch Kranke bereits befreit sind. Richtig ist, dass heute jeder Zweite keine Zuzahlungen zu den Arzneimitteln mehr leistet. Die Zahlen von gestern haben das auch wieder belegt. Es ist ebenso richtig, dass das Krankenhausnotopfer nicht von Ihnen, sondern von uns abgeschafft wurde. Die Privatisierung der Beitragsrückerstattung, die Kostenerstattung und den Selbstbehalt haben wir rückgängig gemacht. ({8}) Die zeitliche Befristung des gesamtdeutschen Risikostrukturausgleichs haben wir gleich zu Beginn der Legislaturperiode ebenfalls rückgängig gemacht. Sie fordern immer wieder eine Gesundheitsreform. Sie verschweigen dabei völlig, dass wir am Anfang dieser Legislaturperiode mit der GKV-Gesundheitsreform 2000 eine Vielzahl von Maßnahmen angegangen sind, die an Lahnstein anknüpfen und die Fehler der Umsetzung von Lahnstein korrigieren sollen. ({9}) Ich nenne die integrierte Versorgung und das leistungsbezogene Preissystem im Krankenhaus. Einige von Ihnen, Herr Lohmann, werden sich daran erinnern. Wir haben in Lahnstein im September 1992 ein leistungsbezogenes Entgelt gemeinsam beschlossen. ({10}) Wie hoch war der Prozentsatz der Leistungen im Krankenhaus, die dann über dieses System im Jahre 1998 abgerechnet wurden? - 25 Prozent und nicht mehr. Bei den Sonderentgelten waren es 5 Prozent. Das heißt, die Umsetzung ließ viel zu wünschen übrig. Ähnliches gilt für die Vergütung der Fallpauschalen, die Aufwertung der zahnerhaltenden und prophylaktischen Leistungen, die sprechende Medizin und die Stärkung der Qualitätssicherung. ({11}) Herr Lohmann, wir werden das Wort „Qualitätssicherung“ immer wieder in den Mund nehmen. Wir werden sie fordern und umsetzen, ob es Ihnen gefällt oder nicht. Das ist ein wesentlicher Beitrag unserer Politik in diesem Bereich. Wir haben die Patientenrechte und die Position des Hausarztes gestärkt. Darüber hinaus haben wir den Risikostrukturausgleich - das war eine schwierige Operation reformiert. ({12}) Ich nenne hier die Stichworte „morbiditätsorientierter RSA“ und „strukturierte Behandlungsprogramme“. Das war ein großer Schritt. Ich gestehe ein, dass für viele dieser politischen Ziele und Ansatzpunkte die Instrumente neu sind und dass wir beobachten müssen, ob die Instrumente ausreichen. Wir wissen beispielsweise heute, dass die Anreize für die integrierten Versorgungsformen nicht ausreichen. ({13}) - Das konnten wir nicht wissen. Wir konnten es aus keinem Buch zur Gesundheitspolitik oder Ökonomie abschreiben. Aber keiner von Ihnen kann an der politischen Zielsetzung, dem politischen Willen oder an der Richtung zweifeln. ({14}) Worüber es eine Debatte geben darf - das muss man offen sagen -, ({15}) ist über die Wirkung der Instrumente. Man muss auch den Mut haben, sie zu verändern. Das könnten wir zur Abwechslung einmal gemeinsam machen, wie wir es in Lahnstein begonnen hatten. Wir haben die Sozialmauer in Deutschland niedergerissen. Endlich ist Deutschland im Gesundheitswesen einig Vaterland. Darauf können wir - das sage ich in aller Deutlichkeit - ein wenig stolz sein. ({16}) Sie werfen uns vor, wir hätten kein Gesamtkonzept. ({17}) Die ganze Zeit, als Sie die Regierungsverantwortung hatten, haben Sie keine einzige Maßnahme durchgeführt, die nur annäherungsweise dem Umfang und der Komplexität der GKV-Gesundheitsreform 2000 entspricht. ({18}) Das vergessen Sie gerne. Auch vergessen Sie, dass viele dieser Maßnahmen Zeit brauchen. Wenn das gesamte leistungsbezogene Entgeltsystem im Krankenhaus endlich umgesetzt wird, dann werden seit Lahnstein 15 Jahre vergangen sein. Auch das muss man einmal sagen: Diese Reformmaßnahmen greifen nicht von heute auf morgen. Aber ein langer Weg beginnt bekanntlich mit den ersten Schritten. Eines ist sicher: Eine Gesundheitsreform, die alle anderen Reformen überflüssig macht, gibt es in keiner einzigen modernen Industrienation. Die Gesundheitspolitik in Deutschland war und ist eine lebhafte Baustelle und wird es auch bleiben. Das ist die Wahrheit. Jetzt vor der Wahl eine Reform aus einem Guss zu fordern ist unseriös. ({19}) Ich bitte Sie herzlich, bessere und stichhaltigere Argumente zu bringen, damit wir auch in der Gesundheitspolitik ein wenig auf unsere Opposition stolz sein können. Das wäre doch auch etwas. ({20}) In Ihrem Regierungsprogramm fordern Sie eine grundsätzliche Kehrtwende und einen Paradigmenwechsel in der Gesundheitspolitik. Ich frage die CDU, die große Volkspartei, die in ihrer Tradition der Nachkriegszeit wesentliche sozialpolitische Gesetze allein oder mit uns zusammen auf den Weg gebracht hat: Wollen Sie diesen Weg einer neoliberalen Politik wirklich gehen? ({21}) Sie bekennen sich zwar zu einer einkommensunabhängigen Inanspruchnahme von Leistungen und zum Leistungskatalog. Aber die Instrumente, die Sie einsetzen wollen, vermitteln einen anderen Eindruck. Die von Ihnen vorgeschlagene Beitragsrückgewähr hilft nur jungen und gesunden Menschen. Die geforderten Zuzahlungen treffen die Kranken. In dieser Weise könnte ich noch andere Beispiele nennen. Das heißt also, mit den Instrumenten Ihres Wahlprogramms konterkarieren Sie systematisch den Anspruch, den Sie hier erheben. Ich kann einfach nicht glauben, dass dies ein Rezept sein soll; ({22}) denn auch in der CDU gibt es nicht nur Junge, Gesunde, Besserverdienende und junge, unverheiratete Männer mit hohem Einkommen, sondern es gibt auch Kranke und Alte, Familien mit Kindern und Frauen. Ich appelliere an alle diese Gruppen: Lassen Sie nicht zu, dass diese Partei mit einer so langen Tradition einen solchen Weg beschreitet. Ich frage Sie: Für wie naiv halten Sie eigentlich die deutschen Bürgerinnen und Bürger? ({23}) Meinen Sie denn nicht, dass sie dies durchschauen? Zudem stellen Sie einen Smörg�sbord von Forderungen auf, ohne darzulegen, wie die Umsetzung finanziert werden soll. Sie fordern Regel- und Wahlleistungen. ({24}) - Ja, verklausuliert. Sie haben einen Passus aufgenommen. - Herr Seehofer weiß das übrigens besser. - Die Uhr läuft; ich habe noch 27 Sekunden. ({25}) Sie fordern mehr Wahlentscheidungen, sagen aber nicht, was passiert, wenn jemand eine wichtige Leistung abwählt, die er später doch braucht. ({26}) Ihre Vorschläge sind vielleicht etwas für die Jungen und Gesunden, vielleicht auch etwas für die Alleinstehenden, für die Männer eher als für die Frauen, aber schon für die Alleinerziehenden nicht mehr. Es handelt sich auch nur um Vorschläge auf Zeit. Deshalb meine ich, dass wir Reformen innerhalb des Systems brauchen; wir brauchen aber keinen Bruch mit dem bestehenden System. Wir müssen die solidarische Krankenversicherung nicht nur aufrechterhalten, sondern müssen sie ausbauen. Wir dürfen nicht Strategien zur Privatisierung oder Teilprivatisierung als Alternative für eine kreativere Lösung ausweisen; denn es hat sich im internationalen Vergleich über viele Jahre hinweg immer wieder gezeigt, dass solidarische Systeme sowohl kosteneffektiver als auch verteilungsgerechter sind. Es ist höchste Zeit, dass auch Sie das zur Kenntnis nehmen. ({27})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile dem Kollegen Detlef Parr von der FDP-Fraktion das Wort. ({0})

Detlef Parr (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001676, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sie müssen das ertragen, Herr Schmidbauer. Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lieber Herr Kollege Pfaff, das System steht auf dem Kopf. Es muss wieder auf die Füße gestellt werden. So sehen wir und auch viele Menschen draußen im Lande die Situation. ({0}) Sie haben offensichtlich den Herbst 1998 vergessen. Die Krankenkassen schrieben schwarze Zahlen; zarte Pflänzchen von Eigenverantwortung, Wettbewerb, Wahlmöglichkeiten der Versicherten und Transparenz begannen sich zu entwickeln und dann kam der Nicht-alles-anders-aber-vieles-besser-Macher. Aus Schwarz wurde Rot, in politischer Hinsicht und auch was die Zahlen betrifft. Sicherheitshalber wechselte der Bessermacher auch den Sachverständigenrat aus, offensichtlich mit dem Ziel der Gleichschaltung mit den Entscheidungen der Bundesregierung. Die erhoffte Willfährigkeit dieses Gremiums bröckelt aber zusehends ab. Ein Blick in die „Berliner Zeitung“ vom 11./12. Mai bringt Beachtliches zutage. ({1}) Professor Schwartz, der darin zitiert wird, fordert eine Gesundheitsreform, die weit über die Pläne der Bundesregierung hinausgeht. ({2}) Er fordert erstens eine Verschlankung der Rechtsvorschriften hin zu weniger Staat - ein eherner Grundsatz der FDP, Herr Professor Pfaff. Die Gesundheitsgesetze litten „auch für Fachleute in ihren Details und Wechselwirkungen an Nichttransparenz und Überregulation“. ({3}) Das schert die Bundesregierung wenig. Sie weitet den Risikostrukturausgleich aus - Sie loben das, Herr Kollege Pfaff -, verkompliziert ihn noch, gründet neue Institute und führt die Budgetierung im ambulanten und stationären Bereich fort. Planwirtschaft kann die Probleme nicht lösen, meine Damen und Herren. Mit diesen bürokratischen Spielereien muss endlich Schluss sein. ({4}) Zweitens fordert Professor Schwartz ein unteilbares Maßnahmenbündel mit beitragssenkenden Wirkungen. Hierzu zählt die FDPArgumente einer sozialverträglichen Ausdünnung des Leistungskatalogs der Krankenkassen und eine stärkere finanzielle Eigenbeteiligung der Versicherten - ich füge eine entscheidende Voraussetzung hinzu - nach einer durchgreifenden Steuerreform mit einem höheren Nettoeinkommen für den Einzelnen. ({5}) Der Kanzler dagegen hat vorgestern vor dem VdK ausgeführt: Mit uns wird es keine Grund- und Wahlleistungen geben. - Diese Basta-Mentalität muss ein Ende haben. ({6}) Ich zitiere Herrn Schwartz mit einer dritten Forderung: Den Versicherungen muss die Möglichkeit eingeräumt werden, Bonusregelungen analog der Zuzahlungsminderung beim Zahnersatz oder nach dem Beispiel bestimmter Privatversicherer begünstigte Präventionstarife anzubieten. Auch diesen Ausführungen kann zugestimmt werden. Vor allem die Orientierung an Angeboten und Vertragsgestaltungen der privaten Krankenversicherungen ist zukünftig von besonderer Bedeutung. Was aber tun Sie - Frau Ministerin hat mittlerweile den Saal verlassen -, Frau Staatssekretärin? Sie wenden sich ab und wollen sogar die Versicherungspflichtgrenze noch erhöhen. ({7}) Wir werden es nicht zulassen, dass auf diese Weise vielen Menschen in unserem Land zukünftig der Weg in eine private Krankenversicherung vom Staat durch willkürliche Grenzziehungen versperrt wird. ({8}) Weniger Staat, mehr privat - das ist die ordnungspolitische Devise, die uns in die Zukunft führt und für die wir streiten. Unser Antrag macht das noch einmal deutlich, deutlicher jedenfalls, als das in manchen Abschnitten des CDU/CSU-Antrages zum Ausdruck kommt. Der ist zwar sehr konkret in der Beschreibung der Versäumnisse der rot-grünen Bundesregierung, aber in dem Teil, der die eigenen gesundheitspolitischen Vorstellungen beschreibt, bleibt er in manchen Bereichen etwas vage. Ich möchte das an drei Punkten hinterfragen. Erstens. Heißt bessere Information über die Kosten der Leistungen, dass die CDU/CSU sich ebenfalls für die Kostenerstattung ausspricht? Wir treten konsequent für die Ablösung des Sachleistungsprinzips ein und vor dem Hintergrund Europa - feste Preise für ärztliche Leistungen - ist die Kostenerstattung unverzichtbar. Zweitens. Wie will die CDU/CSU der von ihr selbst als dramatisch dargestellten Beitragsentwicklung aufgrund von Demographie und medizinischem Fortschritt begegnen? Teilt sie die Auffassung der FDP, dass hierfür eine zweite Säule, die einer privaten kapitalgedeckten Absicherung, hochgezogen werden muss? ({9}) Ich hoffe, dass Sie dabei auf unserer Seite stehen. Drittens. Wie sollen die Arbeitskosten entlastet werden? Unterstützt die CDU/CSU die Absicht der FDP, dass eine Auszahlung, zumindest aber eine Festschreibung des Arbeitgeberbeitrages unumgänglich ist? Darauf bleiben Sie die Antwort noch schuldig. Aber ich hoffe, dass wir hier zukünftig auf einer Linie argumentieren können. Meine Damen und Herren, die gesetzlich Versicherten spüren immer stärker die schleichende Einschränkung zum Beispiel bei der Verordnung von Medikamenten, bei Leistungsausgrenzungen oder nicht akzeptablen Wartezeiten. Diese gehören längst zum Alltag. Sie finden manche Praxis geschlossen, „Budgeturlaub“ nennt man das. Aus dieser Zwangsjacke wollen wir die Versicherten befreien. Sie sollen über die Absicherung der großen Lebensrisiken hinaus über den Umfang ihres Versicherungsschutzes, über Selbstbehalte, über Beitragsrückerstattungsmöglichkeiten und Ähnliches selbst entscheiden dürfen. Wir müssen den Menschen mehr zutrauen und können das auch. ({10}) - Herr Kirschner, wir können den Menschen sehr viel mehr zutrauen. Wir müssen die Heilberufe wieder in die Freiberuflichkeit entlassen. Wenn mittlerweile über ein Drittel der Absolventen des Medizinstudiums nicht mehr den Arztberuf ergreift ({11}) und damit ein Ärztenotstand droht, ist das ein deutliches Alarmzeichen.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Kollege Parr, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Schmidbauer?

Detlef Parr (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001676, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Wenn ich damit die Kollegen nicht verärgere, die einen Flieger gebucht haben, dann tun Sie das, was Sie nicht lassen können, Herr Schmidbauer.

Horst Schmidbauer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001996, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Parr, ich meine, man muss Klarheit in diese Fragen bringen. Sie sprechen davon, dass die Patientenfreiheit dadurch entstehen soll, dass die Versicherten Leistungen frei wählen oder abwählen können und dafür einen Bonus bekommen. Jetzt sagen Sie doch einmal: Welche Leistungen sind es denn, über die dann die Patientinnen und Patienten frei verfügen können? Oder wollen Sie die Geschichte in der Dunkelkammer bewahren und meinen Sie, Sie kommen damit über den 22. September? Der Korrektheit halber müssen Sie der Bevölkerung jetzt schon sagen, welche Wahlmöglichkeiten für was eigentlich geschaffen werden sollten.

Detlef Parr (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001676, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sie kennen die Vorstellungen zum Beispiel des NAV Virchowbundes, Sie kennen die Vorstellungen von Professor Beske. Auf dieser Grundlage kann man darüber nachdenken, wie man den Leistungskatalog zukünftig gestalten muss. Heute sind sehr viele Leistungen in diesem Katalog enthalten, die Geld kosten, das noch schlimmer erkrankte Menschen eher an anderer Stelle brauchen. Deswegen müssen wir darüber nachdenken, wie wir den Leistungskatalog ausdünnen können, und zwar mit dem Ziel der Beitragssenkung und mit dem Ziel des Schaffens von Spielräumen für den Einzelnen, einen Krankenversicherungsschutz zu wählen, der individuell passt. Wir wollen keine Zwangsjacke: 14 Prozent abführen und dann Leistungen in Anspruch nehmen, die längst nicht mehr in dem Umfang geboten werden können, wie Sie das der Bevölkerung vorgaukeln. ({0}) - Ja, wir sind noch in der Arbeit. Wir müssen die Attraktivität des Arztberufs verbessern, auch über eine verträgliche Arbeitszeitregelung im Krankenhaus, und wir müssen Wettbewerbsstrukturen schaffen, die die gesetzlichen Krankenkassen nicht in ein gemeinsames und einheitliches Korsett zwängen. Letzte Bemerkung, meine Kolleginnen und Kollegen: Der runde Tisch ist ein Beispiel für vertane Zeit auf dem Weg zu einer durchgreifenden Gesundheitsreform. Er ist weitgehend ergebnislos geblieben. Hier ist die Schönfärberei des Kanzlers unstrittig, die heute in einer anderen Sache vor Gericht zur Entscheidung ansteht. Statt solcher Tranquilizer brauchen wir kraftvolle Anstöße in einer Diskussion, die wir endlich zu dem Ziel führen müssen, wie es in den heute vorliegenden Anträgen der Opposition beschrieben wird. Ich danke Ihnen. ({1})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile das Wort Kollegin Katrin Göring-Eckardt, Bündnis 90/Die Grünen.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003132, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Herr Parr, man sollte einmal darüber nachdenken - dafür muss man nicht Gesundheitspolitiker sein; man braucht dafür nur den gesunden Menschenverstand -, wer aus der Zwangsjacke befreit werden soll und wem die Wahlfreiheit nutzt, die Sie beschworen haben. ({0}) Meiner Meinung nach sind das die mündigen Bürger, die so viel verdienen, dass sie sich alles leisten können. ({1}) Diejenigen, die das nicht können, weil sie nur über ein geringes Einkommen verfügen, werden sich für die Abwahl von Leistungen und damit für niedrigere Beiträge entscheiden müssen. Das werden am Ende diejenigen sein, die Krankheiten verschleppen und chronisch krank sind, weil sie die Leistungen des Gesundheitssystems nicht in Anspruch nehmen können. Ich sage Ihnen: Eine solche Entsolidarisierung wollen wir nicht und machen wir nicht mit. ({2}) Herr Parr, Sie wollen - das haben Sie gesagt - den Leistungskatalog ausdünnen. ({3}) Sie haben aber nicht gesagt, um wie viel. Vielleicht wollen Sie ihn um 18 Prozent ausdünnen. Sie haben auch nicht gesagt, wo Sie ihn ausdünnen wollen. Wenn Sie es wirklich ernst meinen, dann müssen Sie den Wählerinnen und Wählern genau sagen, was nicht mehr in den Leistungskatalog hineingehören soll. Ich habe den Verdacht, dass es sich bei dem, was nach Ihrer Meinung nicht mehr in den Leistungskatalog hineingehört, um notwendige Leistungen handelt. ({4}) Auch ich bin der Meinung - darin sind wir uns völlig einig -, dass man den Leistungskatalog daraufhin untersuchen muss, ob er Leistungen enthält, die durch neue Leistungen längst überholt sind und die man deswegen nicht mehr benötigt. Aber das ist nicht das, was Sie wollen. Sie wollen vielmehr über eine Ausdünnung des Leistungskatalogs die Beiträge senken und Geld sparen, um die Besserverdienenden zu entlasten. ({5}) Herr Lohmann, Sie haben gesagt, es gehe Ihnen um die Interessen der Versicherten und Patienten. Sie haben behauptet, dass alles viel besser wäre, wenn Sie an der Regierung geblieben wären. Ich möchte in diesem Zusammenhang Horst Seehofer zitieren, der 1998 wie folgt zitiert wurde: „Die Gesellschaft muss bereit sein, einen größeren Anteil des Einkommens für Gesundheit auszugeben“, sagt Bundesgesundheitsminister Horst Seehofer ({6}). Weitere Einschnitte in das Gesundheitswesen hält er ebenso wenig für möglich wie höhere Krankenkassenbeiträge. Nach seiner Auffassung lässt sich das Gesundheitssystem „auf Dauer nicht mehr allein aus Beschäftigungsverhältnissen finanzieren“. Seehofer und der FDP-Gesundheitsexperte Dieter Thomae fordern, den Arbeitgeberanteil am Kassenbeitrag einzufrieren. ({7}) In einem weiteren Reformschritt könne der Arbeitgeberbeitrag ausgezahlt und die Krankheitsvorsorge ganz in die Verantwortung der Versicherten übertragen werden. Das wäre geschehen, wenn Sie an der Regierung geblieben wären. Das hätte nicht etwa mehr Qualität gebracht und das Gesundheitssystem reformiert. Das hätte vielmehr zu höheren Belastungen für die Versicherten, also zu höheren Beiträgen und höheren Zuzahlungen, geführt. Das ist die Wahrheit, die Sie heute nicht mehr wahrhaben wollen. ({8}) Schauen wir uns einmal Ihre heutigen Vorschläge an. Frau Stewens, die bayerische Sozial- und Gesundheitsministerin, hat in der letzten Woche unter anderem vorgeschlagen, dass Raucherinnen und Raucher höhere Kassenbeiträge bezahlen sollten. ({9}) - Wenn Sie mich nicht unterbrochen hätten, hätte ich das schon getan. - Horst Seehofer musste ihr gleich eines auf den Deckel geben. Das zeigt: Die heutige gesundheitspolitische Debatte ist in der CSU offensichtlich noch nicht angekommen. Es scheint bei Ihnen nur wenige zu geben - auf diese werde ich gleich zu sprechen kommen -, die an der heutigen gesundheitspolitischen Debatte wirklich teilhaben und die richtigen Schlussfolgerungen ziehen. Die Vorschläge, die die bayerische Sozial- und Gesundheitsministerin gemacht hat, zwingen offensichtlich Sie dazu, sofort zu sagen: So war es nicht gemeint! Jetzt komme ich zu einem Vorschlag, den Sie ernst meinen und der auch in Ihrem Wahlprogramm steht: den Selbstbehalt. Ich versuche mir einfach einmal vorzustellen, worum es geht. ({10}) - Doch, das kann ich mir sehr gut vorstellen. Man kann einen niedrigeren Beitrag wählen. Davon machen diejenigen Gebrauch, die sagen können, 500 Euro Selbstbehalt im Jahr machten ihnen nichts aus, sie würden sie locker aufbringen. Außerdem werden Personen mit niedrigem Einkommen, auch Familien mit Kindern, davon Gebrauch machen. Was tun diese aber, wenn sie krank werden? - Sie überlegen sich, ob sie das Geld für den Arztbesuch haben oder nicht haben. ({11}) Genau das haben Sie in der letzten Legislaturperiode schon einmal gemacht, als Sie Leistungen wie den Zahnersatz gestrichen haben. Auch damals haben sich die Leute überlegt, ob sie es sich leisten können oder nicht. Eine solche Politik werden wir nicht mitmachen. Die Idee mit dem Selbstbehalt stimmt beim Auto, nicht aber bei Menschen, die krank werden können. Meine Damen und Herren, wenn man sich Ihre Vorschläge alles in allem anschaut, dann sieht man, dass es Ihnen nur darum geht, Lobbypolitik im Sinne von Ärzteverbänden sowie insbesondere der Pharmaindustrie und der Apothekerschaft zu betreiben. ({12}) Nehmen wir nur das Thema Arzneimittelversand. Sie machen Lobbypolitik in die eine Richtung. ({13}) Wir machen auch Lobbypolitik, allerdings im Sinne der Beitragszahler und der Patientinnen und Patienten. Das ist der Unterschied zwischen uns. Das werden die Wählerinnen und Wähler am 22. September auch honorieren. ({14})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Ich erteile der Kollegin Dr. Ruth Fuchs für die PDS-Fraktion das Wort.

Dr. Ruth Fuchs (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000615, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Bei den vorliegenden Anträgen fällt es kaum jemandem von uns schwer, das tatsächliche Ziel zu erkennen, das in dieser Zeit verfolgt wird. ({0}) Es ist Wahlkampf, lieber Kollege Parr, und die Auffassung, die Wahlkampfchancen seien umso größer, je polemischer die Inhalte formuliert würden, scheint bei Ihnen weit verbreitet. Diesbezüglich sind die Anträge von CDU/CSU und FDP Meisterstücke. ({1}) Das Raffinierte beider Anträge ist die Tatsache, dass der Hauptinhalt eine Bilanz der zurückliegenden Legislaturperiode darstellt. Am Ende werden - sozusagen als Alibi und populistisch formuliert - Forderungen an die Bundesregierung gerichtet. Nun ist es ja wahr, dass die Bilanz rot-grüner Gesundheitspolitik wahrlich nicht allzu rosig aussieht. ({2}) - Das ist so. Rot-Grün ist 1998 mit einer Vielzahl von Versprechungen angetreten, die sie leider nicht gehalten haben. Aber Rot-Grün hat, wenn auch für uns nicht umfangreich genug, einige unsoziale Regelungen von Schwarz-Gelb zurückgenommen. Das halten Sie nun für den Hauptfehler, wir nicht! Die Ursachen dafür, dass sich die Konflikte und Probleme im Gesundheitswesen auch unter Rot-Grün verhärtet haben, sind wesentlich vielfältiger und komplizierter, als Sie es darstellen. Spätestens nach dem Ministerwechsel hat auch Rot-Grün erkannt, dass ihre Gesundheitsreform 2000 in der und durch die Praxis gescheitert ist. Sie war als große Strukturreform gestartet, endete aber trotz guter Überschriften ({3}) und guter, neuer inhaltlicher Ansätze leider - das bedauern wir - nur als Kostendämpfungsgesetz. ({4}) Was mich aber schon sehr in Erstaunen versetzt, meine Damen und Herren von der CDU/CSU, ist die Tatsache, dass Sie in Ihrem Antrag ebenso wie in Ihrem Wahlprogramm tatsächlich den Eindruck vermitteln wollen, Sie hätten 1998 Rot-Grün ein „geordnetes Gesundheitswesen“ hinterlassen. Als Beispiel heben Sie die finanzielle Lage der gesetzlichen Krankenversicherung hervor: Bei Ihnen gab es Überschüsse, bei Rot-Grün Defizite. Natürlich ist dieser Fakt, für sich allein genommen, richtig. Aber zur Wahrheit gehört auch Folgendes: Ihre so genannten Gesundheitsreformen waren nie mehr als Kostendämpfungsgesetze. Wirtschaftlichkeitsreserven zu erschließen und Fehlentwicklungen durch Strukturreformen abzubauen haben auch Sie nie erreicht. Ihr Weg war, die Finanzprobleme der GKV durch Zuzahlungen, Leistungskürzungen und die Einführung von Elementen der privaten Krankenversicherung zu lösen. Dasselbe bieten Sie den Menschen jetzt als Ihr neues Konzept an. Die Versicherten, vor allem die chronisch Kranken und die Menschen mit Behinderungen, ({5}) haben aber nicht vergessen, was das für sie bedeutete. Lieber Kollege Lohmann, Sie scheinen vergessen zu haben, dass gerade die Gesundheitsreform unter dem Namen Seehofer sehr wesentlichen Anteil daran hatte, dass Sie abgewählt wurden. ({6}) - Das behaupte ich nicht nur. Genau so, wie die Ärzte und Patienten heute draußen streiken, ist vor der Wahl gegen die Seehofer-Reform gestreikt worden. Erinnern Sie sich bitte daran! ({7}) Ich wünsche mir, dass Sie sich einmal das Grundgesetz anschauen. Ich habe Ihnen schon in der letzten Debatte zu diesem Thema gesagt: Lesen Sie doch einmal das Buch Ihres Kollegen Geißler mit dem Titel „Zeit, das Visier aufzuklappen“. Dessen Lektüre wäre für Sie sehr hilfreich und würde Ihnen vielleicht mehr Wahlchancen verschaffen als ein solcher Antrag. ({8}) Darüber hinaus verschweigen Sie mit Absicht und aus gutem Grund eine Tatsache: Sie hatten die Idee, der Versichertengemeinschaft Gelder zugunsten des Bundeshaushaltes zu entziehen, das heißt, Sie haben die sozialpolitischen Verschiebebahnhöfe eingeführt und in der Praxis perfektioniert. ({9}) Wir bedauern es, dass Rot-Grün diese Praxis fortgesetzt und noch verstärkt hat. Ich empfinde es aber wirklich als heuchlerisch, dies jetzt Rot-Grün vorzuhalten, während Sie diesen „Milliardenbeitragsklau“ - es sind Milliarden, die der Versichertengemeinschaft entzogen wurden perfekt beherrschten. ({10}) Sie versuchen jetzt, unter anderen Überschriften wie Wettbewerb und Transparenz diese dritte Stufe der Gesundheitsreform der Bevölkerung als zukunftsweisende Reform anzubieten. ({11}) Zum FDP-Antrag sage ich Ihnen nur eines: Es war mir eine Genugtuung, gestern Zeit gehabt zu haben, um „Monitor“ zu sehen.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Frau Kollegin, Ihre Redezeit ist weit überschritten.

Dr. Ruth Fuchs (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000615, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Ich sage auch nur noch diesen Satz: Sie sollten besser die Überschrift „Lieber reich und gesund als arm und krank“ wählen, denn jeder muss sich heute sozusagen die Krankheit aussuchen, die er bezahlen kann. ({0}) Es ist ernsthaft notwendig, an anderer Stelle über den demographischen Wandel zu reden. Bezogen auf Ihre Anträge sage ich Ihnen: Ich würde an Ihrer Stelle nicht hoffen, dass die Menschen vergesslicher werden, weil sie älter werden. ({1}) Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. ({2})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Ich erteile der Kollegin Margrit Spielmann für die SPD-Fraktion das Wort. ({0})

Dr. Margrit Spielmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003238, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn man der CDU/ CSU oder auch Herrn Parr Glauben schenken darf, ({0}) wurden die Patienten bei Ihnen 16 Jahre lang hervorragend versorgt, ({1}) die Angehörigen der Gesundheitsberufe hatten eine leistungsgerechte Vergütung, Arbeitgeber und Arbeitnehmer frohlockten über niedrige Beitragssätze und die Kassen machten sogar Überschüsse. ({2}) Über-, Unter- und Fehlversorgung waren Fremdwörter, Kollege Parr. Wenn dieses Verklärungssyndrom weiter um sich greift, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Union, werden Sie sich noch weismachen müssen, Sie hätten Rot-Grün geordnete Staatsfinanzen hinterlassen. Das haben Sie nicht getan. Dazu wurden schon viele Argumente ausgetauscht. Ich wende mich der zentralen Behauptung zu, dass sich unter Rot-Grün die Qualität der Versorgung dramatisch verschlechtert habe. ({3}) Richtig ist, dass der Sachverständigenrat für die Konzertierte Aktion im Gesundheitswesen in seinem aktuellen Gutachten mit vielen Nachweisen belegt hat, dass das Preis-Leistungs-Verhältnis in unserem Gesundheitswesen nicht stimmt. Für das, was es leistet, kostet es zu viel, wie wir alle wissen. Dieses Defizit ist, wie wir alle ebenfalls nur zu gut wissen, nicht erst seit September 1998 entstanden; vielmehr haben sich die Qualitätsmängel unter Ihrer Regierung entwickelt und aufgebaut. ({4}) Rot-Grün hatte und hat, wie in der Haushalts- und Finanzpolitik so auch in der Gesundheitspolitik, die Aufgabe, die Defizite oder die Trümmer zu beseitigen, die Sie uns hinterlassen haben. Zur umfassenden Neuordnung des Gesundheitswesens ist eine Legislaturperiode einfach zu kurz. Auch hier passt der Vergleich mit der Haushaltsund Finanzpolitik, bei der wir Ihre Fehler und Versäumnisse wahrscheinlich erst in der nächsten Legislaturperiode beseitigen können. ({5}) Die Problemlösung ist insbesondere deshalb so schwierig, Herr Lohmann, weil Sie zwischen 1982 und 1998 die wahren Probleme unseres Gesundheitswesens beharrlich ausgeblendet haben. Wir hatten in Ihrer Wahrnehmung das beste Gesundheitswesen der Welt. Das hatte, wie wir alle wissen, nur einen Nachteil: Seine Ausgaben stiegen wieder schneller als seine Einnahmen. Auf diese Entwicklung haben Sie - das hat der Kollege Parr schon ausgeführt - zunächst immer wieder mit Kostensenkungsgesetzen reagiert, bis Sie zu der heutigen Erkenntnis kamen: Es muss mehr Geld ins System. ({6}) - Wir reden ständig darüber. Aber die wahren Probleme verdrängen Sie noch immer, zum Beispiel das wahre Problem einer massiven strukturellen Überkapazität. Auch haben wir - das kennen Sie ebenfalls - das Problem der Über-, Unter- und Fehlversorgung. Gerade die Versorgung bei besonders behandlungs- und kostenintensiven chronischen Volkserkrankungen ist da in besonderer Weise betroffen. ({7}) Unter diesen Versorgungsmängeln, Herr Lohmann, leidet insbesondere die Lebensqualität vieler betroffener Menschen. Über-, Unter- und Fehlversorgung führen aber auch zwangsläufig - das wissen wir alle - zur Ressourcenverschleuderung. Die Frage, auf die es wirklich ankommt, nämlich die Frage nach der Leistungsfähigkeit unseres Gesundheitswesens, haben Sie nie gestellt. ({8}) Sie haben nie ernsthaft den Mut gefunden, das Gesundheitssystem vom Patienten her zu bedenken. Sie haben sich vielmehr stets primär bemüht, die finanziellen Interessen von Leistungserbringern zu bedienen. Der Patient stand und steht bei Ihnen nur insoweit im Mittelpunkt der Betrachtung, als es darum geht, ihm in die Tasche zu greifen. ({9}) Im ungenierten Griff ins Portemonnaie des Patienten ({10}) liegt denn auch des Pudels Kern Ihres berühmten Paradigmenwechsels von 1997, Herr Lohmann. Ihr Ansatz, die finanziellen Aufwendungen der gesetzlichen Krankenversicherung sollten sich am medizinischen Bedarf orientieren, ({11}) klingt in diesem Kontext geradezu unbedacht; denn nach Ihrer Definition des medizinischen Bedarfs galt als objektiv notwendig, was Ärzte verordneten und selbst abrechneten. Von Über-, Unter- und Fehlversorgung war nie die Rede. Die Existenz von Wirtschaftlichkeitsreserven im Gesundheitswesen haben Sie fast unisono schlichtweg geleugnet. ({12}) Stattdessen haben Sie die Kranken mit Leistungsausgrenzung und Zuzahlungserhöhung „beschenkt“. ({13}) Den Begriff „Qualität in der medizinischen Versorgung“ haben Sie erst durch uns kennen gelernt. Es blieb Rot-Grün vorbehalten, Qualität zum Leitmotiv in der gesetzlichen Krankenversicherung zu erheben. ({14}) Mit Ihren Wahltarifmodellen verfolgen Sie ein altes Ziel, nämlich beträchtliche Teile des Krankheitsrisikos zu individualisieren. ({15}) Das Abwählen von Leistungspaketen, die Sie im Übrigen zunächst noch definieren müssen, können sich nämlich nur Gesunde leisten. ({16}) Kranke, zumal chronisch Kranke, haben, wie wir alle wissen, gar keine andere Wahl, als das gesamte Paket medizinisch notwendiger Leistungen einzukaufen. ({17}) Mit der Abwahl bestimmter Leistungen fließt, wie wir alle wissen, weniger Geld ins System, die Leistungsausgaben bleiben jedoch gleich oder steigen sogar. Fazit, liebe Kolleginnen und Kollegen der Opposition: ({18}) Die neuen Freiheiten, die Sie den Gesunden verheißen, gehen zulasten der Kranken und dann, Herr Dr. Thomae, haben wir in der Tat ein Chaos. ({19}) Sie wollen letztlich die Abkehr vom Solidarprinzip. Ihre Lippenbekenntnisse zur solidarischen Versicherung sollten Sie sich ehrlicherweise sparen. Ihr Solidarprinzip ist eine Mogelpackung. ({20}) Haben Sie den Mut, den Wählern zu sagen, was Sie wirklich wollen! ({21}) Ihr Fraktionsvorsitzender, Herr Merz, hat im „Handelsblatt“ angedeutet, dass das Wahltarifmodell nur die Spitze des Eisbergs beim Rückbau der solidarischen Krankenversicherung sei. ({22}) Rücken Sie mit der gesamten Wahrheit heraus und sagen Sie unseren Kranken, was Sie ihnen zukünftig finanziell zumuten wollen! ({23}) Ich greife einmal auf die Historie zurück. ({24}) Herr Lohmann, ich bin sicher, dass der erzkonservative Otto von Bismarck heute auf der Seite der Sozialdemokratie für die Erhaltung des Solidarprinzips streiten würde. ({25}) An die FDP gerichtet: Dasselbe könnte ich von Friedrich Naumann sagen. ({26}) Die SPD wird aus tiefster Überzeugung - ich sage es noch einmal ({27}) um die Erhaltung des Solidargedankens in der gesetzlichen Krankenversicherung kämpfen. ({28}) Wir wollen, dass auch in Zukunft die Jungen für die Alten, die Gesunden für die Kranken, die Besserverdienenden für die Schlechterverdienenden und die Singles für die Familien einstehen. ({29}) Vergessen wir dabei eines nicht: Solidarität ist der Kitt, der eine Gesellschaft zusammenhält. Danke. ({30})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Jetzt erteile ich dem Kollegen Wolfgang Zöller das Wort für die CDU/CSUFraktion.

Wolfgang Zöller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002603, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bundeskanzler Schröder hat vor zwei Tagen auf dem Kongress des VdK zur Gesundheitspolitik gesagt: Wir halten fest am Bewährten. - Nur muss man sich dann die Frage stellen, wie zurzeit dieses so genannte Bewährte nach dreieinhalb Jahren Rot-Grün aussieht. Sehr viele Leistungen für chronisch Kranke werden nicht mehr erbracht und bezahlt. ({0}) Die Beiträge für die Versicherten befinden sich auf einem historischen Höchststand. Trotzdem gibt es ein Kassendefizit. Die Unzufriedenheit bei den Patienten und bei den Leistungserbringern ist kaum zu überbieten. ({1}) Das deutsche Gesundheitswesen befindet sich in einer sehr schweren Krise und der Kanzler merkt es nicht einmal. ({2}) Wir haben hierzu eine klare Alternative aufzuzeigen. Herr Kollege Pfaff, ich kann mir eine Bemerkung nicht verkneifen: Wenn es so wäre, wie Sie gesagt haben, dann müssten die Bürger alle zufrieden sein. Wenn man sich mit den Bürgern draußen im Lande unterhält, dann merkt man aber, dass das nicht der Fall ist - im Gegenteil. ({3}) Ich möchte aus dem „Blickpunkt Bundestag“ zitieren - ich kann nur empfehlen, diese Stelle nachzulesen -: Eine umfassende Gesundheitsreform fordert die CDU/CSU-Fraktion ... Sie solle dazu dienen, die gesetzliche Krankenversicherung finanziell zu stabilisieren und die Prävention, Transparenz, Selbstbestimmung und den Wettbewerb in der gesetzlichen Krankenversicherung verbessern. Zentrales Ziel müsse es sein, eine „exzellente“ medizinische Versorgung aller Bürger sicherzustellen. Der Patient sei dabei in den Mittelpunkt zu stellen. ({4}) Jeder sagt, der Patient müsse im Mittelpunkt stehen. ({5}) - Kollege Lohmann bemerkt gerade richtigerweise, dass er jedem im Weg steht. ({6}) Wenn wir es mit dem Wohl des Patienten wirklich ernst meinen, dann müssen wir entsprechend handeln. Frau Kollegin Spielmann, was Sie sagen, klingt sehr gut. Ich kann das nur unterstreichen. Aber was Sie tun, ist das Gegenteil. Ich werde es nachher an ein paar Beispielen beweisen. Die Stärkung der Prävention ist für uns eine entscheidende Voraussetzung, um die altersbedingte Zunahme schwerer Volkskrankheiten zu verringern. Langfristig würde sich dadurch auch die Lebensqualität vieler Menschen verbessern, während die Gesundheitsausgaben dadurch mittelfristig gesenkt werden könnten. Die Patienten müssen auch künftig besser über die Kosten und die Qualität der medizinischen Leistungen informiert werden. Wir halten einen stärkeren Wettbewerb, in dem verschiedene Versorgungsangebote untereinander konkurrieren, für den richtigeren Weg, um eine optimale Versorgung der Patienten zu erreichen, die Strukturdefizite im Gesundheitswesen zu bekämpfen, die Qualität der Versorgung zu verbessern und auch die Wirtschaftlichkeit zu steigern. All dies ist in diesem Antrag nachzulesen. Dort ist auch das Ziel formuliert, die Entscheidungsfreiheit der Versicherten zu erweitern und ihnen mehr Wahlmöglichkeiten zu geben, sodass ihnen nicht alles vom Staat vorgeschrieben wird. Nicht jeder Mensch ist gleich. Lasst die Menschen etwas mehr selbst entscheiden! ({7}) Wie sieht die rot-grüne Alternative aus? Verbieten, kontrollieren, reglementieren - das ist die Philosophie von Rot-Grün. Durch ein Übermaß an Bürokratie wird jeglicher Leistungswille der im Gesundheitswesen Tätigen erstickt; sie werden dadurch von ihrer eigentlichen Aufgabe, nämlich mehr Zuwendung für die Patienten aufzubringen, abgehalten. ({8}) Das Ergebnis der Budgetierungen, die Sie zu verantworten haben, wird sein, dass ähnlich wie in Großbritannien in Deutschland demnächst verstärkt Wartelisten geführt werden. ({9}) Ich möchte ein weiteres konkretes Beispiel ansprechen. Mit Ihrer total missratenen Aut-idem-Regelung gefährden Sie die Qualität der Arzneimitteltherapie. Nach Ihrer Auffassung sollen die Patienten nicht mehr das beste, sondern einfach das billigste Arzneimittel bekommen. ({10}) Mit Ihrer Ankündigung, den Internet- und Versandhandel für Arzneimittel einzuführen, setzen Sie dem Ganzen die Krone auf. ({11}) Sie behaupten, durch diese Form des Handels die Kosten um ein paar Prozent zu verringern. Die Ursache für hohe Kosten liegt aber nicht im Arzneimittelpreis, sondern darin, dass man in Deutschland beim Kauf von Arzneimitteln 16 Prozent Mehrwertsteuer zahlt, während es in Nachbarländern 7 Prozent oder weniger sind. Wir müssen die Ursachen bekämpfen und nicht den Versandhandel einführen. ({12}) Wir haben den Versandhandel nicht eingeführt. Sie waren sogar so unverschämt - fast hätte ich das Wort „bescheuert“ benutzt -, Reimporte zur Pflicht zu machen. Was hat das zur Folge? - Im Ausland subventionierte Produkte werden in Deutschland ein weiteres Mal subventioniert, sodass sich im Preis eine doppelte Subventionierung niederschlägt. Sie erreichen dadurch nur eines: Arbeitsplätze werden von Deutschland ins Ausland verlagert und die gesetzliche Krankenversicherung spart keine Mark ein. ({13}) Ich möchte auf die von Ihnen geplanten Programme zur Behandlung von chronisch Kranken zu sprechen kommen. ({14}) Ich sehe in Ihrer Regulierungswut eine ganz große Gefahr; denn Sie vollziehen eine Abkehr von einer an der individuellen Situation der Patienten ausgerichteten Therapie. Die Ärzte sollen sich nur noch an Standards und Checklisten orientieren. ({15}) - „Jawohl“ sagen Sie. Vielen Dank! - Am Ende steht nicht mehr der Patient im Mittelpunkt, sondern es geht nur noch um das Erstellen von Strichlisten und nicht mehr um menschliche Zuwendung und individuelle Betreuung. Wenn man Ihr so genanntes Disease-ManagementProgramm genau anschaut, dann stellt man fest: Es wird zum Nachteil der chronisch Kranken gereichen. Warum? Dadurch, dass die Behandlung von vier chronischen Erkrankungen über dieses Programm finanziert wird, wird mehr Geld benötigt. Das heißt im Umkehrschluss, dass für die Behandlung derjenigen chronisch Kranken, die keine dieser vier Erkrankungen haben, wesentlich weniger Geld übrig bleibt. ({16}) Man wird für die Therapie chronisch Kranker in Zukunft weniger Geld haben und das ist nicht im Sinne der bedarfsorientierten Versorgung von chronisch Kranken. ({17}) Trotz all der von Ihnen praktizierten Regulierungswut - ich erinnere auch an die zahlreichen Datenfriedhöfe, die Sie mit zu verantworten haben - sind die Kosten gestiegen. Sowohl das Defizit als auch der Beitragssatz haben eine Rekordhöhe erreicht. Das Ergebnis ist ganz klar: Der Verlierer dieser verkorksten Gesundheitspolitik ist eindeutig der Patient. Nicht die im Gesundheitswesen Beschäftigten, sondern die politischen Rahmenbedingungen müssen reformiert werden. ({18}) Da Rot-Grün dazu eben nicht in der Lage ist, weil man in den letzten dreieinhalb Jahren konzeptionslos und ohne sinnvolle Ideen agiert hat, ({19}) gibt es nur eine Lösung: Wir sind bereit, Sie von Ihren Leiden zu befreien. ({20})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Ich schließe die Aus- sprache. Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 14/8595 und 14/9054 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. - Damit sind Sie einverstanden. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Nun rufe ich die Tagesordnungspunkte 23 a bis 23 i auf: 23. a) - Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Neuregelung des Energiewirtschaftsrechts - Drucksache 14/5969 ({0}) - Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Rolf Kutzmutz, Eva Bulling-Schröter, Uwe Hiksch, Gerhard Jüttemann und der Fraktion der PDS eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Energiewirtschaftsgesetzes ({1}) - Drucksache 14/6796 ({2}) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie ({3}) - Drucksache 14/9081 Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie ({4}) Berichterstattung: Abgeordneter Volker Jung ({5}) d) zu dem Antrag der Abgeordneten Hartmut Schauerte, Dagmar Wöhrl, Kurt-Dieter Grill, wei- terer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/ CSU Fairer Wettbewerb im Strom- und Gasmarkt effektiv und effizient sichern c) zu dem Antrag der Abgeordneten Rolf Kutzmutz, Eva Bulling-Schröter, Uwe Hiksch, Gerhard Jüttemann und der Fraktion der PDS Zugangsverordnung für Stromnetze erlassen - Drucksachen 14/7614, 14/6795, 14/9081 Berichterstattung: Abgeordneter Volker Jung ({6}) b) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über Energiestatistiken ({7}) - Drucksache 14/8388 ({8}) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie ({9}) - Drucksache 14/9080 - Berichterstattung: Abgeordnete Gudrun Kopp e) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie ({10}) zu dem Antrag der Abgeordneten Walter Hirche, Rainer Brüderle, Paul K. Friedhoff, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Energiebericht für eine energiepolitische Grundsatzdebatte nutzen - Drucksachen 14/7814, 14/8183 - Berichterstattung: Abgeordneter Kurt-Dieter Grill f) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie ({11}) zu dem Antrag der Abgeordneten Walter Hirche, Birgit Homburger, Ulrike Flach, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Marktwirtschaftliche Förderung des Einsatzes erneuerbarer Energieträger - Drucksachen 14/5328, 14/7139 Berichterstattung: Abgeordneter Volker Jung ({12}) g) Beratung des Antrags der Abgeordneten Walter Hirche, Rainer Brüderle, Paul K. Friedhoff, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Marktwirtschaftliche Orientierung statt staatlicher Preislenkung im Stromsektor - Drucksache 14/8279 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Technologie ({13}) Finanzausschuss Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Haushaltsausschuss h) Beratung des Antrags der Abgeordneten Rainer Brüderle, Paul K. Friedhoff, Gudrun Kopp, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Stromrechnungen transparent gestalten - Drucksache 14/5465 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Technologie ({14}) Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Haushaltsausschuss i) Erste Beratung des von den Abgeordneten Walter Hirche, Rainer Funke, Rainer Brüderle, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen - Drucksache 14/6968 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Zu dem von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung des Gesetzes zur Neuregelung des Energiewirtschaftsrechts - Tagesordnungspunkt 23 a liegt ein Änderungsantrag der Fraktion der FDP vor. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. - Damit sind Sie einverstanden. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat Bundeswirtschaftsminister Werner Müller.

Werner Müller (Minister:in)

Politiker ID: 11005300

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich habe gestern schon im Rahmen der Wirtschaftsdebatte gesagt, dass Deutschland 2002 gesamtwirtschaftlich deutlich besser dasteht als Ende 1998. Das gilt auch für den Energiebereich. Wir haben den Anteil der regenerativen Energien in den letzten drei Jahren gewaltig gesteigert. Wir sind die erste Bundesregierung, die die Verträge mit der deutschen Steinkohle einhält. ({0}) Wir haben den Streit beim Thema Kernenergie beigelegt und wir haben beispielsweise die ostdeutsche Stromerzeugung und die ostdeutsche Braunkohlegewinnung auf solide Fundamente gestellt, die langfristig tragen. Wir geben den ostdeutschen Stromverbrauchern nunmehr dieselben Rechte, die die westdeutschen Stromverbraucher schon seit Jahren haben. Wenn ich demgegenüber das werte, was ich aus den Reihen von CDU und CSU zum Thema Energiepolitik in den letzten Monaten gelesen habe, ist auf der Basis Ihrer Aussagen Folgendes zu befürchten: Die Förderung regenerativer Energien soll beispielsweise wieder deutlich zurückgefahren werden, die deutsche Bergbauproduktion soll stillgelegt werden, und - das ist besonders interessant - in Deutschland sollen wieder neue Kernkraftwerke gebaut werden. ({1}) Der Präsident des Deutschen Atomforums hat vor wenigen Tagen angekündigt, dass der Vertrag zwischen den Kernenergiebetreibern und der Bundesregierung im Falle des Wahlsieges von Herrn Stoiber revidiert werden soll. ({2}) Dazu sage ich bewusst an die Kernenergiebetreiber: Wenn Sie solche Parolen verbreiten lassen, dann geht die Bundesregierung davon aus, dass die Kernenergiebetreiber heute ansonsten keine aktuellen Probleme haben. Ich darf Ihnen versichern: Wir werden nach der Bundestagswahl unsere Energiepolitik konsequent fortsetzen. ({3}) Das heißt konkret: Im nächsten Jahr bekommt der deutsche Bergbau einen neuen Vertrag, der seine Zukunft nach 2005 vernünftig regelt, sodass er seine langfristige Lebensfähigkeit gesichert weiß. Oder einfach gesagt: Die Bergleute brauchen keine Existenzsorgen zu haben. ({4}) Wir werden den Ausbau der regenerativen Energien garantieren. Wir werden dazu im Deutschen Bundestag im Juni einen Bericht vorlegen, der den Erfolg des Gesetzes zu den regenerativen Energien deutlich belegen wird. Ich will in diesem Zusammenhang gern sagen, dass wir bereit sind, den begrenzten 350-Megawatt-Sockel photovoltaischer Energie aufzuheben. Ich kann hier auch gern versprechen, dass ich jederzeit zur Verfügung stehe, um mit den entsprechenden Verbänden der Solarwirtschaft ein verbindliches Abkommen darüber zu treffen. ({5}) Wir werden uns, auch im Rahmen der Europäischen Union, für eine Kennzeichnung des Stroms einsetzen. ({6}) Ganz salopp gesagt: Das „Mix it, baby!“ der Eon-Werbung werden wir für jedermann so nutzbar machen, dass jeder Stromkunde weiß, welchen Strommix er persönlich kauft. ({7}) Wir werden die Wettbewerbsregeln weiter verbessern, also die Verbändevereinbarungen für Strom und Gas im Lichte der Erfahrungen, die wir in der nächsten Zeit gewinnen, fortschreiben. ({8}) Vizepräsidentin Anke Fuchs Aber zunächst einmal geht es um die aktuelle Verbesserung des Energierechtes, die heute zur Abstimmung steht. Die vorliegende Novelle zum Energierecht stellt einen weiteren Meilenstein bei der Liberalisierung des Energiemarktes dar. Nach der Öffnung des Energiemarktes im Jahre 1998 geht es in dem heutigen Gesetzentwurf darum, einen Ordnungsrahmen für einen effektiven Wettbewerb auf dem Gasmarkt zu schaffen. Herzstück der Novelle ist das Recht auf einen diskriminierungsfreien Zugang zum Netz für Dritte. Ergänzt wird dieses Netzzugangsrecht durch eine klare Netzdefinition, durch umfassende Veröffentlichungspflichten des Netzbetreibers sowie durch Regeln zur Trennung der Rechnungslegung. Mit diesem Gesetzentwurf kommen wir unserer Verpflichtung gegenüber Brüssel zur vollständigen Umsetzung der EU-Gasrichtlinie nach. Damit wird sich das von der Kommission eingeleitete Vertragsverletzungsverfahren erledigen. Meine Damen und Herren, mit dieser Novelle setzen wir den Weg des verhandelten Netzzugangs fort. Der Weg der Selbstregulierung ist auf der einen Seite sicherlich kein einfacher Weg. Aber auf der anderen Seite darf ich sagen: Es wäre für mich kaum vorstellbar gewesen, angesichts der Vielzahl deutscher Unternehmen im Strom- und Gasmarkt eine Regulierungsbehörde für beide Märkte zu etablieren. Ich bin absolut sicher, dass wir mit staatlicher Regulierung - sie wäre zu langsam gewesen - die Erfolge der letzten drei Jahre beispielsweise für den Stromverbraucher nicht erreicht hätten, und zwar Preissenkungen für die Industriekundschaft um bis zu 50 Prozent und einen Preisrückgang für die privaten Verbraucher um bis zu 20 Prozent. Ich darf insgesamt hinzufügen, dass wir nun im Gasbereich vor einer vergleichbaren Entwicklung stehen, wenngleich ich nicht so dramatische Rückgänge wie auf dem Strommarkt erwarte. Aber der Wettbewerb wird auch im Gasmarkt zu einer Reduzierung der Preise führen. ({9}) Das System des verhandelten Netzzuganges bewegt sich keineswegs in einem rechtsfreien Raum, sondern in einem staatlichen Ordnungsrahmen. Dieser wird maßgeblich durch unser ausgefeiltes, modernes Kartellrecht geprägt, das die missbräuchliche Nutzung des Leitungseigentums verbietet. Diesen bewährten Rechtsrahmen wollen wir mit dieser Novelle weiter verbessern. Wir schlagen daher vor, das Kartellrecht dort zu verschärfen, wo es notwendig ist. Die Entscheidungen der Kartellbehörden zur Durchleitung und zur Höhe der Netzentgelte werden mit sofortiger Wirkung ausgestattet. Neue Wettbewerber sollen nicht mehr monatelang auf die Wirksamkeit von Entscheidungen der Kartellbehörden warten müssen. Der Bedarf für eine wirksame Missbrauchsaufsicht wird sich allerdings nicht in einigen Jahren erledigen. Eine Befristung des Sofortvollzuges, wie Sie seitens der CDU/CSU-Fraktion es vorschlagen, bringt uns nicht die dauerhafte Lösung, die wir für die Kontrolle der Netzbetreiber brauchen. Es war der Wunsch der Verbände, das Instrumentarium der Verbändevereinbarung im Energiewirtschaftsgesetz zu verankern, um ein Stück mehr Verbindlichkeit zu erreichen. Im Klartext: Diejenigen, die sich an die mühsam ausgehandelte Verbändevereinbarung halten, sollen auch etwas davon haben. Ich habe Verständnis für dieses Anliegen, klarstellen muss ich allerdings, dass mit der vorgeschlagenen Formulierung keine grundlegenden Eingriffe in kartellbehördliche Zuständigkeiten verbunden sein sollten. Das Instrument der Missbrauchsaufsicht hat sich bewährt und soll weiterhin die schwarzen von den weißen Schafen trennen. Die begrenzte Laufzeit der Verrechtlichung bis Ende 2003 ermöglicht es uns darüber hinaus, praktische Erfahrungen mit diesem Instrument zu sammeln und gegebenenfalls rasch nachzusteuern. Die Liberalisierung ist ein dynamischer Prozess, der von allen Beteiligten die Bereitschaft zu ständiger Weiterarbeit und Veränderung abverlangt. Das Ziel, eine funktionstüchtige wettbewerbliche Ordnung für den Energiemarkt zu schaffen, rechtfertigt diese Anstrengungen, die alle Beteiligten zu erbringen haben. Die Errichtung eines europaweiten Energiemarktes ist weiterhin ein lohnenswertes und, wie ich meine, alternativloses Endziel, an dem wir in der nächsten Legislaturperiode konsequent weiterarbeiten werden. Zum Ende meiner Ausführungen möchte ich den Fraktionen ausdrücklich danken. Bei der Erarbeitung dieses Entwurfes hatten wir viele Diskussionen. Sie sind insgesamt mit dem Ziel, zu einer sachlich guten Lösung zu kommen, geführt worden. Sie waren nicht immer einfach, aber unter dem Strich konstruktiv. Daher, wie gesagt, ein herzliches Danke meines Hauses und meiner selbst an die Fraktionen. Nun bitte ich darum, diesen Gesetzentwurf zu unterstützen. Vielen Dank. ({10})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Ich erteile das Wort dem Kollegen Hartmut Schauerte für die CDU/CSUFraktion.

Hartmut Schauerte (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002770, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Minister, Sie haben gestern gesagt, gesamtwirtschaftlich stünden wir heute besser da als 1998. Das war gestern falsch und ist auch heute falsch. Ich nenne nur eine Zahl - dass die Konkurse steigen, dass die Arbeitslosigkeit zunimmt, all das lasse ich weg -: Die Nettoneuverschuldung betrug 1998 noch 1,7 Prozent; heute beträgt sie 2,7 bis 2,8 Prozent. Wir haben heute eine Diskussion über blaue Briefe und nicht 1998. Wir hatten 1998 eine sehr schön anziehende Konjunktur, die 1999 noch richtig gut getan hat. Der damalige Bundeskanzlerkandidat Schröder konnte erklären: Das ist mein Aufschwung. Da war er noch gar nicht im Amt. Davon redet heute keiner. ({0}) Denn heute wissen wir, dass wir ganz schwierige Zeiten vor uns haben. Sie werden keinen Aufschwung herbeireden können. ({1}) Aber nun zur Sache. Sie haben gesagt: Genauso gut sind wir jetzt bei der Energiewirtschaft. Herr Minister, bei allem Respekt - so viele Debatten werden wir ja wohl nicht mehr gemeinsam in diesem Haus führen; ({2}) deswegen will ich auch keine unnötige Schärfe hineinbringen -: Das können Sie doch nicht wirklich ernsthaft sagen. Sie haben die Liberalisierungsfortschritte zum Teil verspielt. Die Preise sind gestiegen. Die Chancen sind verbaut worden. Heute zahlt ein Stromkunde etwa 41 Prozent der Kosten staatlich bedingt. 1998 waren es 25 Prozent. Wir haben eine konsequente, brutale Preistreiberei zulasten der Verbraucher, auch zulasten der Industrie, allerdings unterschiedlich. Das ist ja immer interessant bei der SPD. ({3}) - Doch, steuerlich bedingt. Wenn der Steueranteil an den Strompreisen von 25 Prozent auf 41 Prozent steigt, dann war das die Politik. Wer denn sonst? Sie haben eine Politik gemacht, die die Chancen, die mit der Liberalisierung verbunden waren, verspielt hat. Sie haben die Chancen durch staatliche und sonstwie gestaltete Ordnungsvorschläge wieder aufgefressen. Es sind nicht einmal mehr 10 bis 20 Prozent des Vorteils für die Verbraucher übrig geblieben, den wir mit der Liberalisierung erarbeitet hatten. Sie haben dieses tolle Thema für den Standort Deutschland verrissen. Sie haben es verwackelt. Sie haben andere Ziele draufgepfropft, aber die Chancen, die drin waren, leider kaputtgemacht. Ich will noch eine Zahl nennen, die das verdeutlicht. Wir hatten insgesamt 10 Milliarden DM Preissenkungen. Davon sind heute etwa 8 Milliarden DM wieder gewendet worden. 8 Milliarden DM haben wir den Verbrauchern, den Stromeinsetzern wieder oben drauf gerechnet. Herr Minister, wie Sie ernsthaft sagen können, Sie hätten die Chancen genutzt und wir stünden heute in der Energiewirtschaft besser da als 1998, das kann ich nicht nachvollziehen. Das ist nicht seriös. Das wird Ihnen von niemandem bestätigt. ({4}) Sie haben mit diesem Gesetzentwurf einige Aspekte aufgenommen und angepackt. Es gab ja auch Vorgaben aus Brüssel. Es musste ja sein. Das ist keine Erfindung von Ihnen. Aber Sie haben auch wieder schwere Fehler eingebaut, sodass wir diesem Gesetzentwurf leider nicht zustimmen können. Wir haben in der Frühphase viele gemeinsame Anregungen gehabt, wo wir gesagt haben: Das und das würde doch passen und wäre ganz gut. - Sie haben einige Elemente von uns aufgenommen. Ich will die Beweislastumkehr und die sofortige Vollziehung nennen. Das waren Ideen von uns, die wir sehr früh in den Prozess eingebracht haben. Wir wollten sie befristen, weil wir glauben, dass man so scharfe Mittel nur während der Markteinführung einsetzen sollte. ({5}) Wenn sich die Märkte dann geöffnet haben, dann sollte wieder das normale Zivilrecht gelten. Darüber kann man streiten. Was jetzt aber dabei herausgekommen ist, ist schon erstaunlich. Wir wollten zum Beispiel die Beweislastumkehr haben, sodass das Unternehmen, das die Durchleitung verhindern oder erschweren wollte, seine Gründe präsentieren muss, dass man ihm also nicht das Gegenteil nachweisen muss, sondern dass es aus sich selbst heraus argumentieren muss. Herausgekommen ist jetzt, dass die Unternehmen das nach der Verbändevereinbarung nicht mehr müssen; vielmehr muss jetzt das Kartellamt beweisen, dass sein Ansatz, die Dinge zu sehen, richtig ist. Wir haben also eine Beweislastumkehr nicht zulasten der Marktteilnehmer, die wir zwingen wollten, sich der Liberalisierung zu stellen, sondern wir haben jetzt eine Beweislastumkehr zulasten des Kartellamts, wenn es eingreifen will. Das ist ordnungspolitisch ein unglaublicher Vorgang. Deswegen kann ich Ihnen hier schon sagen: Dieses Gesetz wird nicht alt. Es wird diese Regierung etwas überdauern, das ist klar. Es wird aber im Jahr 2003 in die Werkstatt kommen. Wir werden solche Entwicklungen wieder korrigieren. Wir begrüßen in diesem Zusammenhang den Antrag der FDP. Hier so etwas wie rechtsfreie Räume zu schaffen, indem man die Verbändevereinbarung so wichtig macht, dass das Kartellamt Verstöße gegen Wettbewerbsregeln nicht mehr ahnden kann und praktisch aus diesem Prozess herausoperiert wird, ({6}) das kann man nicht zulassen. Das ist eine korporatistische Verfassungslage; die können wir nicht verstehen, nicht nachvollziehen. Das ist eine Verschlechterung der Lage. Deswegen muss so etwas wieder geändert werden. Auch wir waren für die Verbändevereinbarung. Das ist ohne Frage der richtige Weg. Wir sind gegen eine Regulierungsbehörde. Wir werden alles tun, was nötig ist, um eine Regulierungsbehörde zu verhindern, weil wir glauben, es geht auch ohne. Das ist nicht unser Ansatz. Wir sagen aber auch: Wenn sich Brüssel wider Erwarten mit einer Regulierungsbehörde durchsetzen will, dann kann das unserer Vorstellung nach nur das Bundeskartellamt sein und nicht eine neue, zusätzliche Regulierungsbehörde. ({7}) Da sind wir absolut festgelegt. Das würde dann auch die Antwort sein. Wir glauben, dass das der richtige Ansatz ist. Wir haben am Montag noch einmal eine Anhörung gehabt. DIHK, VIK, Verbraucherverbände - alle haben noch einmal vor dieser Verrechtlichung gewarnt, die Sie jetzt einführen. Sie ist ein Übermaß. Ich sage es noch einmal: Das ist eine Vereinbarung zulasten Dritter. Das kann nicht gut sein. Das Kartellamt muss auch in solchen Verbändevereinbarungen wirksam bleiben. Zumindest müsste es vorher die Verbändevereinbarung auf Wettbewerbsfreundlichkeit überprüfen können. Es müsste also ein notwendiger Beteiligter bei der Vereinbarung einer Verbändevereinbarung sein. Hier setzen sich aber Verbände zusammen und beschließen etwas. Das Kartellamt kann es von außen begucken, das war es dann. Wenn unterwegs Missbrauch passiert, dann darf es nicht eingreifen. Wir glauben, dass mit diesem Gesetz der freie und faire Wettbewerb nicht genügend gefördert wird. Es gibt ganz erhebliche Bedenken, auch von wirklichen Fachleuten in diesem Bereich, die sagen: Hier werden die Chancen zur Senkung der Preise nicht wirklich wahrgenommen. Ich will in diesem Zusammenhang noch einmal eine Frage an Sie stellen. Der Gesetzeswortlaut des § 1 ist ja ganz eindeutig. Da heißt es ausdrücklich: Zweck des Gesetzes ist eine möglichst sichere, preisgünstige und umweltverträgliche leitungsgebundene Versorgung mit Elektrizität und Gas ... Die ersten beiden Ansätze, sicher und preisgünstig - insbesondere preisgünstig -, erreichen Sie mit diesem Gesetz an keiner Stelle mehr. Im Grunde verstoßen Sie mit dem, was Sie nach § 1 schreiben, gegen die Zielvorgabe in § 1. Schon deswegen kann dieses Gesetz keinen Bestand haben. Ich denke, Sie selber wissen, dass die Verbändevereinbarung nur bis zum Ende des Jahres 2002 reicht. Danach muss eine neue auf den Tisch. Das wird auch der Anlass sein, das Energiewirtschaftsgesetz insgesamt zu überprüfen und neu zu fassen. Ihr Gesetz ist kein guter Weg für die Liberalisierung der Gas- und Elektrizitätsmärkte. Es ist ein stümperhafter Ansatz, der dabei herausgekommen ist. Wir können ihn nur deswegen ertragen, weil er von so kurzer Lebensdauer sein wird. Ansonsten müsste man sich große Sorgen machen. Herzlichen Dank. ({8})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Herr Kollege Schauerte, mein Bemühen war es, Ihnen die Aufmerksamkeit des Ministers zu ermöglichen. Das ist allerdings etwas schwierig, wenn auf der Regierungsbank geklönt wird. Wenn es Rede und Gegenrede gibt, wäre es gut, wenn alle Beteiligten zuhörten. Nun erteile ich der Kollegin Michaele Hustedt für Bündnis 90/Die Grünen das Wort.

Michaele Hustedt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002685, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Verehrte Präsidentin! Meine Damen! Meine Herren! Mit der vorliegenden Novelle setzen wir die EU-Richtlinie Gas um. Wir schaffen damit die Möglichkeiten dafür, dass es neben dem Wettbewerb auf dem Strommarkt nun auch einen auf dem Gasmarkt geben kann. Es ist noch einiges zu tun, damit dieser Wettbewerb in Gang kommt. Dazu gehört, dass der Zugang zu den Erdgasspeichern geregelt wird. Das ist ein bedeutsamer Punkt, weil kein Anbieter Versorgungssicherheit garantieren kann, wenn er keinen Zugang zu den Erdgasspeichern hat. Es war die einhellige Meinung der beiden Regierungsfraktionen, dass die Definition des Speicherzuganges den kommerziellen Zugang zu allen freien Speicherkapazitäten einschließen muss. Das wurde auch in dem ersten Nachtrag zur Verbändevereinigung Erdgas am 15. März 2001 vorgesehen. ({0}) Positiv zu vermerken ist, dass die Braunkohleschutzklausel endlich aufgehoben wird. Dadurch haben wir nun keinen zweigeteilten Markt mehr, der bedeutete, dass es im Westen Wettbewerb gab, während es im Osten keinen Wettbewerb gab. Das hat die ostdeutsche Industrie mit deutlich höheren Preisen bezahlen müssen. Das war einer der grundlegenden Fehler Ihres Gesetzes. ({1}) Im Strombereich gibt es ebenso wie im Gasbereich viel zu tun. Herr Schauerte, Sie haben völlig Recht: Die Preise steigen wieder. Die Industriepreise liegen im Augenblick höher als vor der Liberalisierung. Die Preise für die Haushaltskunden sind im Jahr 2002 um 5 Prozent gestiegen. Sie behaupten, das sei auf die von uns eingeführte Ökosteuer, die KWK und das EEG zurückzuführen. Das ist mitnichten so. Wenn man die Ertragsentwicklung und die Gewinnentwicklung der Konzerne parallel betrachtet, stellt man fest, dass sich die Preiserhöhung in den höheren Gewinnen widerspiegelt. ({2}) Ich nenne Ihnen zwei Beispiele: Bei RWE stieg das Ergebnis im Strombereich im ersten Quartal um 50 Prozent, bei Eon stieg das Ergebnis um 4,6 Prozent auf 1,3 Milliarden Euro. Die steigenden Preise haben also ihren Grund. Das kann man gut oder schlecht finden. Man kann sagen: Die haben auf dem Höhepunkt des Wettbewerbs zu wenig Gewinne gemacht. Man kann aber deutlich sagen: Die Preise steigen, weil die Stromkonzerne im Energiebereich steigende Gewinne einfahren. Das ist darauf zurückzuführen, dass Ihr Gesetz unzureichend war. Es hat nicht dafür gesorgt, für die Dauer des Verfahrens eine ausreichende Wettbewerbsintensität zu garantieren. Es gab nur einen kurzen Push; jetzt rutschen wir langsam in eine ähnliche Struktur zurück. Den neuen Anbietern auf dem Markt geht es sehr schlecht. Viele sind inzwischen in Konkurs gegangen: Abos Energie AG, Posnet, Zeus, Tick-Energie. Im Gegensatz zu RWE, Eon, EnBW und Thüga schreiben Firmen wie die Naturstrom AG und Naturstromenergie tiefrote Zahlen. Deswegen war es notwendig, das Gesetz zu ändern. Wir haben einen kleinen Schritt getan. In der nächsten Legislaturperiode werden wir in der Tat weitere Schritte machen müssen. Ein wichtiger Punkt ist, dass wir dem Kartellamt ein Recht auf Sofortvollzug an die Hand gegeben haben. Dadurch können schwarze Schafe unter den Unternehmen sehr schnell vom Markt genommen werden. Die Unternehmen werden verpflichtet, die Verbändevereinigung ab sofort einzuhalten. Es gibt Bedenken, ob die Verrechtlichung den Innovationsdruck verringert, weil das Kartellamt über die Verbändevereinbarung hinaus nicht agieren kann. Ich aber glaube, dass man berücksichtigen muss, dass es sich um eine Zwischenetappe handelt. Es ist ein dynamischer Prozess. Die Position der CDU ist ein wenig widersprüchlich, wenn sie einerseits den verhandelten Netzzugang auf der Basis einer Verbändevereinbarung für heilig erklärt und auf der anderen Seite genau weiß, dass diese Verbändevereinbarung nur aus zwei Gründen zustande gekommen ist: weil Minister Müller mit der Einrichtung einer Regulierungsbehörde scharf gedroht hat und weil die Verrechtlichung die Bedingung dafür war, dass manche Verbände überhaupt unterschrieben haben. Sonst hätte es gar keine Verbändevereinbarung gegeben und wir wären bei einer Regulierungsbehörde gelandet. Diese wollen Sie wie der Teufel das Weihwasser meiden. ({3}) Deswegen haben wir einen Zwischenweg gefunden. Ich gehe davon aus, dass mit der Richtlinie der Europäischen Union noch Anstöße gegeben werden. Insbesondere für die großen Unternehmen gilt, dass es zu einer Diskussion über ein stärkeres Unbundling kommen wird. Ich denke, dass man bei den kleinen Unternehmen darüber diskutieren kann. Holland und Italien sind schon dabei, ihre Gaskonzerne entsprechend aufzuteilen. Eine Warnung zum Abschluss: Wenn wir bei der Entwicklung des Wettbewerbs kleine Schritte vorangehen, müssen wir aufpassen, dass es durch andere Prozesse nicht dazu kommt, dass wir mangels Wettbewerber keinen Wettbewerb mehr haben. Man kann sich natürlich fragen, was der Fortschritt nützt, wenn es keine Akteure mehr gibt, die tatsächlich miteinander in Wettbewerb treten. Die Fusion von Eon und Ruhrgas steht an. Das Kartellamt hat diesbezüglich eindeutig gesagt, dass sowohl bei der Strom- als auch bei der Gasversorgung eine marktbeherrschende Stellung entstehen würde. Von daher gehe ich davon aus, dass das Wirtschaftsministerium - ich nenne Herrn Tacke - dies sehr ernsthaft prüfen und die Argumente der Monopolkommission, die jetzt zu erwarten sind, sehr genau abwägen wird. Ich persönlich hoffe, dass die Ministererlaubnis in diesem Fall nicht erteilt wird. Ich fasse zusammen: Wir gehen hier einen kleinen Schritt in der Entwicklung des Wettbewerbs auf dem deutschen Markt voran. Es wird noch ein langer Weg sein. Es ist eine große Aufgabe der Politik, hier eine aktive Rolle zu spielen und sich nicht, wie es die FDP immer wieder verlangt, zurückzuziehen. ({4}) In der Tat haben wir es in dieser Legislaturperiode geschafft, den Umweltschutz auf dem liberalisierten Markt durch Rahmenbedingungen, eine aktive Rolle des Staates, das KWK-Gesetz, das EEG-Gesetz, die Einsparverordnung und die Altbausanierung voranzubringen. Wir sind auf dem Weg zu einer nachhaltigen Energiewirtschaft tatsächlich weitergekommen. ({5}) Gleichzeitig haben wir den Wettbewerb weiterentwickelt. Die Devise lautet: Umweltschutz und Wettbewerb. Dabei sind wir tatsächlich ein ordentliches Stück vorangekommen. ({6})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Das Wort hat jetzt der Kollege Walter Hirche für die FDP-Fraktion.

Walter Hirche (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002678, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Mit der Umsetzung der Gasrichtlinie, die mit der heute vorgestellten Novelle des Energiewirtschaftsgesetzes erfolgt, schafft die Bundesregierung quasi in letzter Minute Strafzahlungen in Höhe von 500 000 Euro pro Tag aus der Welt. Nur bis Juni hätten wir noch Zeit gehabt. Dann hätte das Vertragsverletzungsverfahren der EU-Kommission eine neue Stufe erreicht. Sie haben immerhin fast zwei Jahre über den Termin hinaus gebraucht, um die Dinge zurande zu bringen. Dennoch ist es gut, dass die Gesetzesnovelle jetzt endlich fertig ist. Diesem Teil der Gesetzesänderung, durch den sich die Bundesrepublik unnötige Kosten spart, stimmen wir zu; denn er war dringend erforderlich. ({0}) Allerdings koppelt die Bundesregierung diese Neuregelung mit einer völlig überflüssigen und sachwidrigen Einschränkung des Wettbewerbs. Mit der Form, mit der Sie die Verbändevereinbarung im Gesetz verankern, schränken Sie zugleich die Rechte des Bundeskartellamtes ein. Das hat die Anhörung am Montag dieser Woche eindeutig ergeben. ({1}) Durch diese Gesetzesnovelle kommt es zu Wettbewerbsbeschränkungen. Damit erweisen Sie den neuen Anbietern eine Bärendienst, Sie schaden den Verbrauchern und setzen die Marktliberalisierung wieder einmal aufs Spiel. Ich habe für die FDP einen Kompromissvorschlag gemacht, den Sie auch heute noch akzeptieren können. Statt der Vermutungsregelung - so haben es die Juristen abgekürzt dargestellt - soll eine BerücksichtigungsregeMichaele Hustedt lung eingeführt werden. Das Kartellamt hat in seiner Interpretation gesagt, dass genau das der Weg ist, um die Rechte des Kartellamtes erhalten und trotzdem die Verbändevereinbarung im Gesetz ein Stück verrechtlichen zu können. ({2}) Ich hätte mir das gewünscht, weil wir mit der Verrechtlichung einerseits und der Erhaltung der Kompetenzen des Bundeskartellamtes andererseits die Diskussion um eine Regulierungsbehörde - diese kann uns von Brüssel aufgedrückt werden - hätten vermeiden können. ({3}) Das ist leider nicht der Fall. Ich begrüße es, dass der Sofortvollzug im Gesetzentwurf geregelt ist. Das ist immerhin etwas, aber leider hebt es den Nachteil im Zusammenhang mit Wettbewerbsbeschränkungen nicht auf. Wir haben dazu schon vor einem Jahr einen Antrag vorgelegt, bevor die Novelle überhaupt auf den Tisch kam. Das Verhalten der Koalition, dass man Wettbewerbsbeschränkungen macht, die letzten Endes zulasten der Verbraucher gehen, weil keine ausreichende Kontrolle stattfindet, reiht sich nahtlos in die Kette von Subventionsbeschlüssen ein, die Sie an anderer Stelle getroffen haben, bei denen das Thema CO2-Senkung nur als Vorwand im Raum stand, in Wirklichkeit aber etwas ganz anderes erreicht wurde. Sie haben kein Interesse, auf die Verbraucher wirklich zuzugehen. Das hat mit dem so genannten KWK-Rettungsgesetz begonnen. Es war der Wirtschaftsminister und nicht die Opposition, der damals von „Pennerprämien“ gesprochen hat. Dafür sind Hunderte von Millionen ausgeschüttet worden. Letztlich hat dieses Gesetz wegen seiner falschen Konstruktion mehr CO2-Ausstoß bewirkt, als wir vorher hatten. Sie haben dann den Grundfehler dieses Gesetzes auch in das Nachfolgegesetz hineingenommen. Sie haben nämlich nur die kommunalen - ich kürze das ein wenig ab und nicht die industriellen Anlagen berücksichtigt. ({4}) Die interessante Begründung dafür wurde auch hier im Plenum - das möchte ich der Öffentlichkeit noch einmal vortragen - genannt: In der Industrie wird KWK so günstig erzeugt, dass wir es nicht zu fördern brauchen. Wir fördern dort, wo es ungünstig erzeugt wird. Was ist denn das für ein Umgang mit Steuergeldern bzw. mit dem Geld des Verbrauchers? Das erinnert mich an die Schulpolitik: Die guten Schüler braucht man nicht zu fördern. Um etwas für die schlechten Schüler zu tun, gibt man ihnen gute Noten. ({5}) Das ist die Übertragung des PISA-Konzepts auf die Energiepolitik. Das haben Sie leider beim EEG fortgesetzt. Sie fördern die Windenergie stärker an den Standorten, an denen die Voraussetzungen schlechter sind. Das bringt der Leistungsfähigkeit der deutschen Volkswirtschaft gar nichts. Man muss bei Innovationen dort ansetzen, wo man sie am wirkungsvollsten, am effizientesten und unter Berücksichtigung des Sozialen am besten für die Menschen in diesem Lande machen kann. Nein, Sie sagen: Diejenigen, die gut sind, brauchen keine Förderung. Anstatt die Guten zu unterstützen, sollen die Schlechteren mehr bekommen. ({6}) Ich sage Ihnen: Auf diese Weise haben Sie die durch die Liberalisierung und die Marktöffnung - eine Marktöffnung, um den Verbrauchern zu helfen, ist ein Ziel der FDP-Politik - gewonnene Entlastung von mehr als 10 Milliarden DM zunichte gemacht. Durch die Liberalisierung der Telekommunikation ist eine erneute Entlastung von 15 Milliarden DM für die Bürger erreicht worden. Sie versuchen, das wieder zu verfrühstücken. Es war in diesem Fall wieder Wirtschaftsminister Müller, der sich heute so großartig für die Zusammenarbeit bedankt hat. Er hat gesagt: Ein Arbeitsplatz in der Windenergie kostet 175 000 Euro. Ich frage mich, was man mit so viel Geld alles machen könnte, um Arbeitsplätze im Zusammenhang mit Infrastruktur zu schaffen. Ich mache mir diese Zahl nicht zu Eigen, damit Sie mich nicht missverstehen. Aber es war der Wirtschaftsminister, der bei Ihrer Politik von „Pennerprämien“ gesprochen hat. Der Wirtschaftsminister war es, der die Zahl von 175 000 Euro pro Arbeitsplatz in diesem Bereich genannt hat. Ich sage Ihnen: Wir brauchen eine Energiepolitik, die die erneuerbaren Energien dort fördert, wo sie am effizientesten eingesetzt werden können, nicht dort, wo wir die meisten Subventionen benötigen. Energiepolitik muss volkswirtschaftlich orientiert sein. Der Kollege Schauerte hat darauf hingewiesen, man müsse dort ansetzen, wo es besonders preisgünstig ist. Eine Energiepolitik, die den Sozialaspekt der Preisgünstigkeit im Sinne der Verbraucher vernachlässigt, ist unsozial bis dort hinaus. ({7}) Das ist nur eine neue Begründung für Subventionen an der falschen Stelle. Wir wissen aus dem Kuhhandel um die Steinkohle, dass das Tausende von Arbeitsplätzen in der deutschen Verkehrswirtschaft kostet. Das ist keine gute Energiepolitik. Das ist eine unsoziale Subventionspolitik, die Sie hier unterstützen. Deswegen lehnen wir dieses Energiewirtschaftsgesetz ab. ({8})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Jetzt hat das Wort der Kollege Rolf Kutzmutz für die PDS-Fraktion.

Rolf Kutzmutz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002713, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vielleicht entspricht es einer Regel im Leben, sich von Grundsätzen zu verabschieden oder sie wenigstens aufzuweichen. Ich meine, dass die rot-grüne Bundesregierung und die Koalitionsfraktionen mit der heute auf der Tagesordnung stehenden Gesetzesnovelle zum Energiewirtschaftsrecht einen Schlusspunkt unter die systematische Aufweichung ihrer eigenen Grundsätze in der Energiepolitik setzen. Am Anfang stand das Zauberwort „Ökologischer Umbau“. Der Start mit dem Erneuerbare-Energien-Gesetz war verheißungsvoll. Aber dann kam - zunächst schleichend und dann immer offener - eine Wende. Zuerst kam das jahrelange Gewürge um den vernünftigen Umgang mit der Kraft-Wärme-Kopplung, zu dem es letztlich nicht kam, dann das Atomverstromungsgarantiegesetz. Sie nennen es bekanntlich „Ausstieg“. Zunehmend haben sich SPD und Bündnis 90/Die Grünen als Schutzschild weniger etablierter Monopole entpuppt, die sie zu Recht einst vehement bekämpft haben. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Koalition, ich will Ihnen gar nicht Ihre starken Worte aus Oppositionszeiten vorhalten. Damals wollten Sie gegen dieses Energiewirtschaftsgesetz sogar nach Karlsruhe ziehen. Aber das, was Sie heute vorhaben, hätte ich bis gestern weder der CDU/CSU noch der FDP zugetraut. Noch gestern haben Sie die Kartellämter als allein möglichen Regulator monopolisierter Märkte gefeiert. Heute knebeln Sie die Kartellämter mit der so genannten Verrechtlichung privater Verbändevereinbarungen. Aber das ist noch nicht das Entscheidende. Vielmehr setzen Sie sogar noch eins drauf. Sie erklären im Gassektor eine Regelung zur guten fachlichen Praxis, die dies bis heute gar nicht sein kann und nach Ansicht aller Experten - außer denen von Ruhrgas und anderen alteingesessenen Gasversorgern - auch nie zu einer guten wettbewerblichen Praxis werden kann. Ich erinnere den Kollegen Jung nur an seine letzte suggestive Frage in der Anhörung am Montag ({0}) und an die Antwort des Präsidenten des Kartellamts, des Anwalts und des Vertreters der Industrie. Es ist nicht nur so, dass Sie die Erde zur Scheibe erklären, sondern Sie wollen auch noch dafür haften. Ein Kartell weniger unter Ausschluss der Masse der Energieverbraucher und potenziellen Erzeuger darf Gesetze machen, für die Sie von der Koalition Ihren Namen hergeben. Diese Gesetze gehen nicht nur zulasten des Wettbewerbs, also neuer Händler, sondern - das ist der PDS besonders wichtig auch auf Kosten der kleinen Haushalte. Die Gesetze gehen auch auf Kosten einer wirklichen Energiewende. Neue Anbieter, vom Biogas bis zum Erzeuger solaren Stroms, werden nun endgültig schutzlos der Willkür der Netzbetreiber ausgeliefert ({1}) und so allzu leicht vom Markt ferngehalten. Denn die Netzbesitzer bestimmen qua Gesetz die Spielregeln, nach denen die Wettbewerbswächter und Gerichte künftig das Treiben beurteilen müssen. ({2}) Eine solche Gesetzgebung ist nicht nur fachlich, sondern auch in verfassungsrechtlicher Hinsicht zu kritisieren. ({3}) Letztlich entscheidet nicht die vom Volk ausgehende Staatsgewalt, sondern so genannte Konsensrunden, das heißt, eine Diktatur der Verbände. ({4}) Die PDS hat zu diesem Irrweg mit ihren Anträgen eine klare Alternative vorgelegt: die Errichtung eines bundesweiten Regulators, in dem das mittlerweile in den Kartellbehörden entstandene Know-how personell zusammengefasst wird. Dieser Regulator soll aufgrund echter, von Parlament und Länderkammer bestätigter Verordnungen agieren. Dass diese Verordnungen auf vernünftige Lösungen aus Verbändevereinbarungen zurückgreifen können, versteht sich von selbst. Sie müssen aber Resultat gesellschaftlicher Diskussion und nicht einfach ein Verweis auf Verbandskompromisse sein. Am Vorschlag der CDU/CSU, die Kartellämter direkt zum faktischen Regulator zu machen, ohne sie als solchen zu bezeichnen, stört uns vor allem eines: Damit wird die bisherige Arbeitsweise und die dabei erreichte Reputation der Wettbewerbswächter aufgeweicht. Das kann aber im Hinblick auf deren sonstige Aufgaben eigentlich nicht erwünscht sein. Da aber dieser Vorschlag der momentanen Lage im Energiesektor noch angemessener ist als der Weg der Koalition, werden wir in der Abstimmung zwischen beidem differenzieren. An Rot-Grün gewandt kann ich jedoch nur sagen: Wäre dieses Gesetz der Maßstab Ihrer Energiepolitik, hätten Sie es nicht verdient, diese Politik nach dem 22. September fortsetzen zu können. Danke schön. ({5})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Jetzt hat der Kollege Volker Jung für die SPD-Fraktion das Wort. ({0})

Volker Jung (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001040, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Verehrter Kollege Hirche, was Sie zu unserer Fördersystematik - auch im ErneuerbareEnergien-Gesetz - ausgeführt haben, verdeutlicht, dass Sie das überhaupt nicht verstanden haben. ({0}) Eine alternative Interpretation wäre: Sie haben es verstanden, aber Sie aktzeptieren es grundsätzlich nicht, dass wir natürlich die Technologieversionen am stärksten förRolf Kutzmutz dern, die es am ehesten benötigen, das liegt doch auf der Hand - immer unter dem Gesichtspunkt, dass sie marktfähig werden können. So haben wir auch die Degression gestaltet. ({1}) Das als völlig abwegig hinzustellen, finde ich unmöglich.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Herr Kollege Jung, der Kollege Hirche möchte eine Frage stellen. Wollen Sie die zulassen?

Volker Jung (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001040, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja, gern.

Walter Hirche (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002678, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege Jung, ich habe mich in meiner Argumentation wesentlich auf Zitate des Bundeswirtschaftsministers gestützt. Halten Sie das, was der Bundeswirtschaftsminister sagt, auch für ganz abwegig? ({0})

Volker Jung (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001040, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich empfehle Ihnen, Herr Hirche: Besinnen Sie sich doch auf Ihre eigenen Argumente, dann wird das Ganze vielleicht etwas plausibler werden. ({0}) Da wir gerade bei Ihnen sind, würde ich gerne noch einmal auf den Kohleantrag eingehen, den Sie vorgelegt haben und den ich unerhört finde. Der geht auf keine Kuhhaut. ({1}) Oder vielleicht sollte man jetzt mit einem aktuellen Bezug sagen: Der passt auf keine Schuhsohle. Sie fordern die Halbierung der Förderung in den Jahren 2002 bis 2005. Dabei schließen Sie jetzt auch nicht mehr betriebsbedingte Kündigungen im Bergbau aus. Ich kann Ihnen dazu nur sagen: Die Vereinbarung, die 1997 geschlossen worden ist, haben Sie mit einem liberalen Wirtschaftsminister geschlossen. Wenn Sie das heute infrage stellen, brechen Sie diese Vereinbarung. Ich finde, das ist unerhört. Im Grunde kann man aber dankbar sein, dass Sie das der Öffentlichkeit so deutlich vor Augen führen. ({2}) Das ist eine Politik, die nur entschieden zurückgewiesen werden kann. Ich glaube, dass wir auch in Zukunft einen Kohlesockel brauchen. Wenn man sich vor Augen hält, dass in der Zukunft der erhöhte Strombedarf, den wir weltweit zu erwarten haben, in erster Linie durch fossile Energieträger gedeckt wird und die Steinkohle dabei eine erhebliche Rolle spielen wird, ({3}) müssen wir heute alle Anstrengungen unternehmen, sie effizienter einzusetzen, eine Strategie der Clean Cold Technology zu verfolgen, ({4}) wie es heute schon in den Vereinigten Staaten und Japan gemacht wird, wo es einen erheblichen technologischen Vorsprung gibt. Hier müssen wir in Zukunft sehr aktiv werden. ({5}) Ich komme zum Kern der heutigen Debatte zurück, zur ersten Novelle zum Energiewirtschaftsgesetz, zu dieser schon nach vier Jahren notwendigen Novelle. Wir verfolgen damit zwei wesentliche Ziele. Das erste Ziel ist die Umsetzung der europäischen Gasrichtlinie, die erst europäisches Recht geworden ist, nachdem unser Energiewirtschaftsgesetz hier verabschiedet worden ist, und die vollständig umgesetzt werden muss. Ich bin der Auffassung, dass das relativ unproblematisch hätte geschehen können; denn die Kontroversen haben sich in Grenzen gehalten. Wir hatten ein Problem mit der Nutzung der Speicherkapazitäten. Aber ich meine, dass wir in diesem Bereich jetzt eine Lösung gefunden haben: Immer dann, wenn technisch die Notwendigkeit besteht, den Netzzugang zu erreichen, sollte dies auch gesetzlich festgelegt werden. Das ist sozusagen der weniger problematische Bereich gewesen. Problematischer hat sich die Diskussion über die wettbewerbsrechtlichen Aspekte dargestellt. Es ist schon deutlich geworden, dass hier sehr vieles an unserem Gesetzentwurf, wie ich finde, falsch interpretiert wird. Es ging darum - ich möchte unterstreichen, was der Bundeswirtschaftsminister ausgeführt hat; ich glaube auch, dass das Konsens im Wirtschaftsausschuss gewesen ist -, den verhandelten Netzzugang zu verteidigen. Diese Konsenslinie haben wir eigentlich immer festgestellt. Ich möchte das an dieser Stelle noch einmal unterstreichen. Aber wenn Sie sich zu diesem verhandelten Netzzugang bekennen, brauchen Sie auch ein Regime der Verbändevereinbarungen. Wenn Sie an diesem Pult jetzt sagen, dass die Verrechtlichung der Verbändevereinbarung überflüssig sei ({6}) oder in der Sache falsch angelegt sei, ({7}) dann schütten Sie das Kind mit dem Bade aus. Der Punkt an der ganzen Sache ist doch: Ein Sofortvollzug von Kartellamtsentscheidungen ist eigentlich nur dann akzeptabel, wenn man auch klare rechtliche Rahmenbedingungen vorgibt. ({8}) Volker Jung ({9}) Das kann man entweder durch die Netzzugangsverordnung machen - das hat lange Zeit in der Diskussion eine ganz wichtige Rolle gespielt - oder aber man kann das machen, indem man Verbändevereinbarungen verrechtlicht oder ihnen eine höhere rechtliche Verbindlichkeit verleiht, damit nicht das Bundeskartellamt oder die Kartellsenate der Gerichte sozusagen aus der Tiefe ihres Gemüts die Kriterien schöpfen. Sie müssen vielmehr rechtlich klar vorgegeben sein. Das ist der eigentliche Zweck der Verrechtlichung der Verbändevereinbarungen. ({10}) Das hat auch etwas mit der differenzierten Struktur der Netze in Deutschland zu tun; denn es ging immer darum, den Netzbetreibern zu ermöglichen, ihre Kosten bei den Durchleitungsentgelten zu berücksichtigen. Wenn das durch das Vergleichsmarktprinzip, das die Kartellbehörden bei ihren Entscheidungen berücksichtigen, verhindert würde, dann wären in Zukunft Investitionen in den Erhalt und den Ausbau der Netze gefährdet. Das ist nicht Sinn der Sache. Das heißt also, das Kostenprinzip muss an irgendeiner Stelle zum Tragen kommen. Deshalb sind wir mit der Verrechtlichung der Verbändevereinbarungen auf dem richtigen Weg; denn nur so ist ein Sofortvollzug von Kartellamtsentscheidungen möglich. ({11}) Ich bin übrigens der Auffassung - damit bin ich von der Position des Kollegen Schauerte gar nicht so weit entfernt -, dass dies eine Momentaufnahme ist, dass entsprechend der Marktentwicklung auch das rechtliche Instrumentarium weiterentwickelt werden muss. Die Verbändevereinbarungen sind ja bis zum Ende des Jahres 2003 befristet. Wir vermuten aufgrund der Diskussionen, die sowohl auf der nationalen Ebene als auch in der Europäischen Union geführt werden, dass die endgültige Entscheidung über unser Wettbewerbsmodell in der Zukunft fallen wird. Ich bin der Auffassung, dass sich die Qualität des Wettbewerbs in Zukunft ohnehin an der faktischen Marktentwicklung orientieren wird. Wir müssen heute feststellen, dass der Strom- und auch der Gasmarkt durch eine erhebliche Konzentrationswelle gekennzeichnet ist, was wir übrigens bei der Beratung des Energiewirtschaftsgesetzes vorausgesagt haben. Die Entwicklung geht nach der Marktöffnung von Monopolen im geschützten Markt hin zu Oligopolen. Das Bundeskartellamt spricht sogar von einem Duopol im Strommarkt und von einer marktbeherrschenden Stellung im Gasmarkt. ({12}) Ich möchte an dieser Stelle gerne zum Ausdruck bringen, dass wir uns immer - davon werden wir uns auch in Zukunft leiten lassen - für den Erhalt einer differenzierten, pluralen und dezentralen Energieversorgungsstruktur ausgesprochen haben. Diese sollten wir auch zukünftig stärken; ({13}) denn eine solche Struktur bietet die größten Chancen, in der Unternehmenspolitik auch Umweltschutzgesichtspunkte zu berücksichtigen. So können wir Wertschöpfung und Beschäftigung in unserem Land auf einem hohen Niveau halten. Insofern ordnet sich die Novelle zum Energiewirtschaftsgesetz in unsere Politik ein, die darauf abzielt, eine Energiewende einzuleiten. Damit haben wir noch in dieser Legislaturperiode einen gewissen Abschluss erreicht. Uns ging es in erster Linie darum, den durch eine unkontrollierte Liberalisierung in Unordnung geratenen Markt durch Korsettstangen wieder in Ordnung zu bringen. Das gilt für das Erneuerbare-Energien-Gesetz und das KraftWärme-Kopplungsgesetz, aber auch für die jetzt vorliegende Novelle zum Energiewirtschaftsgesetz. All das gehört zu unserem Energieschutzprogramm. Wir sind mit dieser Politik auf einem guten Weg. ({14}) Da dies voraussichtlich meine letzte Rede im Deutschen Bundestag ist, möchte ich gerne die letzte Minute meiner Redezeit nutzen, um mich bei meinen Kollegen, insbesondere bei den energiepolitischen Sprechern der Fraktionen, zu bedanken. Herr Hirche, trotz aller Kontroversen danke ich für die gute Zusammenarbeit, ({15}) die gerade durch die Kontroversen fruchtbare Ergebnisse gezeitigt hat. Ich bedanke mich bei Herrn Grill, auch wenn er nicht immer den Titel eines energiepolitischen Sprechers getragen hat, bei Herrn Kutzmutz und besonders herzlich bei meiner Kollegin und Mitstreiterin Michaele Hustedt, die ich sehr schätzen gelernt habe. Ich wünsche Ihnen alles Gute für die Zukunft. ({16})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Herr Kollege Jung, ich drücke Ihnen im Namen des ganzen Hauses für Ihr nachhaltiges Engagement auf dem Energiesektor und bei sonstigen politischen Themen meinen Respekt und meine Anerkennung aus. Wir wünschen Ihnen für den nächsten Lebensabschnitt alles Gute. ({0}) Zum Abschluss der Debatte hat jetzt der Kollege KurtDieter Grill für die CDU/CSU-Fraktion das Wort.

Kurt Dieter Grill (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002665, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wenn man die Rede des Bundeswirtschaftsministers, aber auch der Kollegen aus der Koalition gehört hat, dann muss man sich daran erinnern, dass dieses Gesetz einige Zeit liegen geblieben ist. Insofern ist das, was hier heute vorgetragen wurde, gar nicht so selbstverständlich. Interessant ist auch, worüber im Laufe der Zeit alles diskutiert worden ist und was in einem Artikelgesetz ebenfalls hätte geregelt werden sollen, heute aber nicht vorliegt, etwa die Fragen des EEG und der Absenkung der Vergütungen für Strom aus WindenerVolker Jung ({0}) gie. Ich werde auf die Themen, die hier gar nicht mehr auftauchen, zurückkommen. Herr Minister, wenn Sie hier schon die Politik dieser Bundesregierung zum Besten erklären, was es in Deutschland jemals gegeben habe, ({1}) dann erinnere ich Sie nur daran, dass Sie zusammen mit Herrn Breuer ein Jahr lang einen Energiedialog geleitet haben, der aber bis heute nicht in ein Energiekonzept der Bundesregierung umgesetzt worden ist. ({2}) Würde man Sie nach den Perspektiven bis 2020 fragen, könnten Sie keine Antwort geben. Einer der entscheidenden Sätze, über die Sie heute und auch gestern schon hinweggegangen sind, ist für mich der folgende: Die klimapolitischen Fragen, die durch den Ausstieg aus der Kernenergie aufgeworfen werden, sind nicht beantwortet. ({3}) Ich widerspreche Ihnen ausdrücklich, wenn Sie hier sagen, wir seien diejenigen, die die Steinkohle in Deutschland stilllegen wollten. Genauso wie in anderen Parteien gibt es auch bei uns Kollegen, die bei der Steinkohlesubvention anders denken, als Sie es hier vorgetragen haben. Aber die Mehrheit der CDU/CSU-Bundestagsfraktion - ich erinnere an das, was Helmut Kohl 1997 gemacht hat ist für die Steinkohle und für die Kumpel in einer Art und Weise verantwortlich tätig geworden, die Sie nicht berechtigt, heute davon zu sprechen, die CDU/CSU sei nicht an der Seite der Steinkohle. ({4}) Herr Minister, Sie hätten heute Morgen einmal vortragen können, wie die Steinkohlesubventionsfolgeregelung nach Auslaufen des EGKS-Vertrages aussehen wird. Nach dem, was wir bis jetzt hören, sind Sie damit noch nicht fertig, obwohl Sie seit zwei Jahren verhandeln. Sie haben für den Herbst 2000 eine Lösung angekündigt. Dies ist also auch kein Glanzstück Ihrer Regierungspolitik. Sie zahlen nicht nur im Verkehrssektor - diese Frage hat Walter Hirche hier schon aufgegriffen -, sondern Sie haben auch die Öffnung der Märkte in Frankreich und Spanien nicht einfordern können, weil Sie deren Zustimmung für die Steinkohlesubventionen brauchten. Das ist die Realität. ({5}) Ich komme zu dem, was Sie zur ostdeutschen Braunkohle gesagt haben, und erinnere die Sozialdemokraten daran, dass sie die Braunkohleschutzklausel, die wir 1998 in das Gesetz eingefügt haben, für zu schwach gehalten haben. ({6}) Angesichts dessen dürfen Sie heute nicht davon sprechen, Sie hätten hier im Interesse der Kunden etwas regulieren müssen. Damals haben wir es im Interesse der ostdeutschen Kumpel und der ostdeutschen Kraftwerkswirtschaft getan. Sie wollten seinerzeit mehr, weil Sie es für unzureichend gehalten haben. ({7}) Herr Kollege Jung, hinsichtlich der Kohletechnologie sind wir uns völlig einig. Das müssen Sie mit den Mitgliedern Ihrer Fraktion in der Enquete-Kommission klären, die den Vorschlag der IG BCE zur Kohle schlicht und einfach abgelehnt haben. ({8}) Den Wahlkampf 1998 haben Sie mit der Verfassungsklage zur Wiedereinführung des kommunalen Monopols geführt. Sie hätten jetzt eine Chance gehabt, das hier zu regeln. Die Verfassungsklage schmort in Karlsruhe. Das, womit Sie 1998 Wahlkampf gemacht haben - ({9}) - Du hast es zwar nicht gefordert, bist aber mit in Haft. Sie haben gesagt, die Preise seien gesenkt worden. Hartmut Schauerte hat verdeutlicht, dass dagegen Steuererhöhungen wie die Stromsteuer wirksam wurden. ({10}) - Lieber Herr Müller, die Vertreter der Aluminiumindustrie waren bei mir und haben gefragt, ob Sie den Weg mitgehen würden, den Herr Jung im Hinblick auf KWK stolz verkündet hat. Wir kappen die Belastungen bei der stromintensiven Industrie und verteilen sie auf den Mittelstand und die Tarifkunden. Diese Politik haben Sie im Zusammenhang mit dem KWK-Nachfolgegesetz vorgetragen. Dann kommt noch eine wunderschöne Geschichte. Sie hätten jetzt die Gelegenheit gehabt, die Verwerfungen in Bezug auf Steuern oder Abgaben aus EEG und KWK mit einer Gesetzesnovelle zu beseitigen. Die Rechtsprechung der Gerichte ist unterschiedlich. Also hätte es an dieser Stelle einer juristischen Klarstellung seitens der Politik bedurft. Stattdessen ist es möglich, dass sich der nordrhein-westfälische Landesminister weigert, die Rechnung aus EEG und KWK zu bezahlen. Das verlangen Sie aber von der Industrie, vom Mittelstand und vom Tarifkunden. Da, wo Sie selber Verantwortung haben, zahlt ein grüner Landesminister die Rechnung nicht. Sie sollten sich schämen, wenn Sie mit dem Finger auf uns zeigen. ({11}) Sie zahlen nicht, obwohl Sie im Grunde genommen die Rechnung bestellt haben. ({12}) Trotz all dieser rechtlichen Novellierungen bleibt die Wirtschaft in der Pflicht, nachzuweisen, dass sie mit dem verhandelten Netzzugang die im Vergleich zur Regulierung bessere Politik macht. Sie haben die Klimaziele gestrichen. Herr Bundeswirtschaftsminister, ich erinnere Sie an Ihren Energiebericht und an die Kosten in Höhe von 250 Milliarden Euro, um die die Politik, die Sie verkündet haben, die Klimapolitik teurer macht. ({13}) Dann will ich noch einen Satz sagen, Herr Kollege Jung. Ich finde es immer unheimlich gut, dass diejenigen, die früher die Monopole kritisiert haben, heute den Wettbewerb kritisieren. Aber wenn Sie schon über Eon, Ruhrgas und diese Dinge sprechen, dann sollten Sie - ({14}) - Na ja, das haben Sie schon gemeint.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Herr Kollege, das wird aber ein langer Satz. Ihre Redezeit ist weit überschritten.

Kurt Dieter Grill (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002665, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Dazu will ich Ihnen einen letzten Satz sagen. ({0}) Der Bundeskanzler hat zu einer Zeit, zu der das Kartellamt noch gar nicht entschieden hatte, Eon und Ruhrgas signalisiert: Ihr habt meine politische Unterstützung. ({1}) Er hat es auf einer Betriebsversammlung gesagt.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Herr Kollege, würden Sie bitte zum Schluss kommen.

Kurt Dieter Grill (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002665, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Dies war ein frühzeitiges Signal der Politik für das, was Sie heute kritisieren. ({0}) Sie kritisieren nicht uns und auch nicht die Wirtschaft, sondern Ihren eigenen Bundeskanzler, wenn Sie dies heute vortragen. Herzlichen Dank. ({1})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Neuregelung des Energiewirtschaftsrechts, Drucksache 14/5969. Dazu liegen mir persönliche Erklärungen von den Kollegen Fell und Scheer vor. Der Ausschuss für Wirtschaft und Technologie empfiehlt unter Nr. 1 seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 14/9081, den Gesetzentwurf in der Ausschussfassung anzunehmen. Hierzu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion der FDP auf Drucksache 14/9115 vor, über den wir zuerst abstimmen. Wer stimmt für diesen Änderungsantrag? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Damit ist der Änderungsantrag gegen die Stimmen von CDU/CSU und FDP abgelehnt. ({0}) Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Aus- schussfassung zustimmen, um das Handzeichen. - Ge- genprobe! - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung gegen die Stimmen von CDU/CSU, FDP und PDS angenommen. Wir kommen zur dritten Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist ange- nommen. Wir stimmen nun über den von der Fraktion der PDS eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung des Energie- wirtschaftsgesetzes ab, Drucksache 14/6796. Der Aus- schuss für Wirtschaft und Technologie empfiehlt unter Nr. 2 seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 14/9081, den Gesetzentwurf abzulehnen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen, um das Handzeichen. - Ge- genprobe! - Enthaltungen? - Keine. Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung abgelehnt. Damit entfällt nach un- serer Geschäftsordnung die weitere Beratung. Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Aus- schusses für Wirtschaft und Technologie, Drucksache 14/9081, zu dem Antrag der Fraktion der CDU/CSU mit dem Titel „Fairen Wettbewerb im Strom- und Gasmarkt effektiv und effizient sichern“. Der Ausschuss empfiehlt unter Nr. 3 seiner Beschlussempfehlung, den Antrag auf Drucksache 14/7614 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Gegen die Stimmen von CDU/CSU und FDP bei Enthal- tung der PDS ist die Beschlussempfehlung angenommen. Unter Nr. 4 seiner Beschlussempfehlung auf Druck- sache 14/9081 empfiehlt der Ausschuss für Wirtschaft und Technologie die Ablehnung des Antrags der Fraktion der PDS auf Drucksache 14/6795 mit dem Titel „Zu- gangsverordnung für Stromnetze erlassen“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenprobe! - Enthal- tungen? - Gegen die Stimmen der PDS ist die Beschluss- empfehlung angenommen. Abstimmung über den von der Bundesregierung ein- gebrachten Gesetzentwurf über Energiestatistiken, Drucksache 14/8388. Der Ausschuss für Wirtschaft und Technologie empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 14/9080, den Gesetzentwurf in der Aus- schussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wol- len, um das Handzeichen. - Offensichtlich sind das alle. Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Keine. Der Ge- setzentwurf ist damit in zweiter Beratung angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Of- fensichtlich sind das alle. Dann ist der Gesetzentwurf ein- stimmig angenommen. Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Aus- schusses für Wirtschaft und Technologie auf Drucksache 14/8183 zu dem Antrag der Fraktion der FDP mit dem Ti- tel „Energiebericht für eine energiepolitische Grundsatz- debatte nutzen“. Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 14/7814 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Gegen die Stimmen von CDU/CSU und FDP ist die Be- schlussempfehlung angenommen. Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Aus- schusses für Wirtschaft und Technologie auf Drucksache 14/7139 zu dem Antrag der Fraktion der FDP mit dem Ti- tel „Marktwirtschaftliche Förderung des Einsatzes erneu- erbarer Energieträger“. Der Ausschuss empfiehlt, den An- trag auf Drucksache 14/5328 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Gegen die Stimmen der FDP bei Ent- haltung der CDU/CSU ist die Beschlussempfehlung an- genommen. Tagesordnungspunkte 23 g bis 23 i. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 14/8279, 14/5465 und 14/6968 an die in der Tagesord- nung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. - Damit sind Sie einverstanden. Dann ist die Überweisung so be- schlossen. Ich rufe nun die Tagesordnungspunkte 24 a und 24 b auf: a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Maria Böhmer, Wolfgang Bosbach, Maria Eichhorn, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/ CSU Vermeidung von Spätabtreibungen - Hilfen für Eltern und Kinder - Drucksache 14/6635 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ({1}) Rechtsausschuss Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung Ausschuss für Gesundheit b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Christel Riemann-Hanewinckel, Dr. Hans-Peter Bartels, Anni Brandt-Elsweier, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Irmingard Schewe-Gerigk, Kerstin Müller ({2}), Rezzo Schlauch und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN Rechtsanspruch auf Beratung im Mutterpass zusätzlich festschreiben - Drucksache 14/9030 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ({3}) Ausschuss für Gesundheit Ich wünsche denjenigen, die uns jetzt leider verlassen wollen, ein fröhliches Pfingstfest. ({4}) Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Das ist dann so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Kollegin Christel Riemann-Hanewinckel für die SPD-Fraktion.

Christel Hanewinckel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000802, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben jetzt zwei Anträge zu behandeln, die dann noch in den Ausschüssen weiter beraten werden, Anträge, die eigentlich - zu der Erkenntnis kommen wir, wenn wir uns die Geschichte ansehen - überflüssig sind; denn das, was in den Anträgen gefordert wird - zum Teil stimmt das überein, zum Teil differiert das sehr -, ist seit sieben Jahren als geltendes Recht festgeschrieben. 1992 und 1995 wurde im Schwangeren- und Familienhilfegesetz bzw. im Schwangerschaftskonfliktgesetz der Rechtsanspruch auf Beratung im Zusammenhang mit allen eine Schwangerschaft mittelbar und unmittelbar betreffenden Fragen festgeschrieben. Die Erfahrung der Beratungspraxis der vergangenen sieben Jahre zeigt aber, dass ein Großteil der schwangeren Frauen zwar medizinisch beraten wird, aber über die Möglichkeiten und Grenzen der pränatal-diagnostischen Untersuchungen nicht ausreichend informiert wird. Die betroffenen Frauen werden in der Regel nicht darauf hingewiesen, dass sie einen Anspruch - jenseits humangenetischer bzw. medizinischer Angebote - auf psychosoziale Beratung haben. Medizinisch steht immer wieder das Angebot bzw. die Erwartung vonseiten der Medizin im Vordergrund, dass sich die schwangeren Frauen dem gesamten Paket der pränatalen Diagnostik unterziehen sollen. Vonseiten der Medizin wird im Gespräch meistens nicht deutlich gemacht, dass qualifizierte Schwangerenberatung und -vorsorge noch etwas anderes ist als eine Vielzahl von pränatal-diagnostischen Untersuchungen. Es wird auch nicht deutlich gemacht, dass die Frau im Vorfeld ein Recht hat, zu entscheiden, ob sie solche Untersuchungen will oder nicht. Sie hat außerdem ein Recht auf Nichtwissen in Bezug auf das, was im Zuge der pränatalen Diagnostik herauskommt. Das Problem ist, dass Schwangerschaft oft genug als Risiko bzw. als Krankheit behandelt wird und dass Frauen und Paare oft allein gelassen werden, wenn sie bei einer fortgeschrittenen Schwangerschaft erfahren, dass ihr mit Freuden erwartetes Kind eventuell Behinderungen haben könnte. Ich sage das deshalb so vorsichtig, weil auch die pränatale Diagnostik - bis auf ganz wenige Ausnahmen in der Regel nicht abschließend sagen kann, ob dieses Kind eine Schädigung haben wird oder nicht. Deshalb wollen die Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen eine Änderung im Mutterpass Vizepräsidentin Anke Fuchs erreichen. Der Mutterpass ist das Dokument, das den Frauen zu Beginn der Schwangerschaft übergeben wird. Wenn man sich diesen Pass anschaut, dann erkennt man, dass alle Informationen, die aus medizinischer Sicht für eine Vorsorge nötig sind, dort enthalten sind. Es ist sogar noch die eine oder andere darüber hinaus gehende Information enthalten. Was aber nicht im Mutterpass verzeichnet ist, ist, dass jede Frau einen Rechtsanspruch auf psychosoziale Beratung hat. Diesen Anspruch wollen wir im Mutterpass festschreiben. Deshalb fordern wir die Bundesregierung auf, mit den entsprechenden Stellen zu verhandeln, dass der Mutterpass entsprechend erweitert wird. Es sollen auch geschulte Beraterinnen in Anspruch genommen werden können. Darüber hinaus ist eine Vernetzung der unterschiedlichsten Beratungszweige notwendig, die wir in Deutschland haben und die zum Teil schon gut miteinander arbeiten. Damit ist sichergestellt, dass betroffene Eltern darüber informiert werden, welche Hilfen und welche Unterstützung es vonseiten der Gesellschaft und der Institutionen gibt, wenn sie sich für ein behindertes Kind entscheiden. Die Bundesarbeitsgemeinschaft für Rehabilitation hat ein umfangreiches Angebot aufgeführt. Aber auch darüber wird so gut wie nicht von den entsprechenden Stellen informiert. Eltern haben berichtet, dass sie sehr schnell einen Termin für eine Abtreibung nach der 12. Schwangerschaftswoche bekommen. In der Regel erhalten sie aber nicht die Information, wo sie sich kundig machen können, wo sie ähnlich Betroffene beispielsweise in Selbsthilfegruppen finden können und von welchen Stellen in ihrer Kommune Hilfe zu erwarten ist, wenn sie Mühe haben, mit einem behinderten Kind zu leben. Darüber hinaus geht es vor allen Dingen darum, Frauen und Eltern so zu unterstützen, dass sie das Leben in all seinen Formen als lebenswert akzeptieren können. Es geht aber auch darum, zu akzeptieren, dass sich Frauen im Einzelfall ganz anders entscheiden. Alle Optionen müssen aus unserer Sicht offen gehalten werden, nicht nur die Option auf Wissen und Nichtwissen, ob ein Kind eine mögliche Schädigung hat, sondern auch die Option für die Frau, entscheiden zu können, ob sie einen Schwangerschaftsabbruch nach der 12. Woche vornehmen lassen will. Wir gehen davon aus, dass eine Frau und ihr Partner nach einer mindestens zwölfwöchigen Schwangerschaft möchten, dass ihr Kind geboren wird, und dass die künftigen Eltern deshalb mit der Schwangerschaft, also mit ihrem Kind, verantwortlich umgehen wollen. Wir nehmen an, dass sich eine Frau und ihr Partner für die Geburt ihres Kindes entscheiden, wenn entsprechende Beratungsangebote da sind. Wir in der SPD können uns nicht vorstellen, dass es eine Beratungspflicht gibt; schließlich gilt es zu respektieren und zu akzeptieren, dass es die Eltern sind, die nicht nur mit dem Kind, sondern auch für das Kind leben müssen. Die im Antrag der CDU/CSU aufgestellte Forderung nach Erstellung einer Statistik unterstützen wir nicht. Mit einer solchen Statistik wäre der Datenschutz nicht mehr gewährleistet. Durch eine solche Statistik würde überall kundgetan, welche Familie, welche Frau, welche Eltern betroffen sind. Deshalb haben wir uns in unserem Antrag eindeutig darauf beschränkt, es bei der Forderung zu belassen, einen Rechtsanspruch auf Beratung im Mutterpass zusätzlich festzuschreiben. Vielen Dank. ({0})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Für die CDU/CSUFraktion spricht jetzt die Kollegin Maria Eichhorn.

Maria Eichhorn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000449, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Jede Schwangerschaft und jede Geburt ist mit vielen Hoffnungen und Erwartungen verknüpft. Sie birgt gleichzeitig aber auch Risiken, Gefährdungen und Ungewissheiten. Die Diskussion über den uneingeschränkten Schutz des menschlichen Lebens in all seinen Phasen hat uns in den letzten Jahren - auch hier, im Parlament - immer wieder herausgefordert. Der Schutz des ungeborenen Lebens ist mir persönlich ein sehr wichtiges Anliegen. Schon lange bevor ich Abgeordnete des Bundestages geworden bin, habe ich dafür gekämpft. Das Bundesverfassungsgericht hat uns in seinem Urteil vom 28. Mai 1993 unter anderem beauftragt, menschliches Leben, auch das ungeborene, zu schützen sowie ausreichende Maßnahmen zu ergreifen, damit ein angemessener und als solcher wirksamer Schutz erreicht wird. Als Verhandlungsführerin der CDU/CSU habe ich erlebt, wie schwierig es war, nach jahrelangem Streit über die Abtreibungsregelung einen parteiübergreifenden Kompromiss zu schließen. Je intensiver ich mich mit dem Thema beschäftigt habe, umso klarer wurde mir, dass es nicht einfach sein würde, eine Antwort zu finden. Der Schutz der ungeborenen Kinder hat für mich oberste Priorität. Gleichzeitig sehe ich es aber auch als Verpflichtung und Auftrag, Frauen in Konfliktsituationen nicht allein zu lassen und Hilfen anzubieten. ({0}) Mit der Verabschiedung des Schwangeren- und Familienhilfeänderungsgesetzes wurde im Juni 1995 die so genannte embryopathische Indikation als eigener Tatbestand abgeschafft und in die medizinische Indikation aufgenommen. Wir, die Mitglieder der Unionsfraktion, hatten lange mit der Frage gerungen, ob wir dies verantworten können. Insbesondere die Behindertenverbände, aber auch die Kirchen haben uns in zahlreichen Gesprächen und Anhörungen immer wieder aufgefordert, auf eine embryopathische Indikation zu verzichten. Sie sahen in dieser Indikation eine Diskriminierung behinderter Menschen. Je tiefer wir in dieses Thema eingestiegen sind, umso mehr kamen wir zu der Überzeugung: Wir können dem berechtigten Anliegen der Behindertenverbände nur dann Rechnung tragen, wenn wir keine Sonderregelungen schaffen. In der Begründung zur medizinischen Indikation haben wir dann 1995 klargestellt, dass eine Behinderung in keiChristel Riemann-Hanewinckel nem Fall zu einer Minderung des Lebensschutzes führen kann. Damit haben wir nochmals unmissverständlich deutlich gemacht, dass die Behinderung als solche niemals ein Grund zum Schwangerschaftsabbruch sein kann. Dies setzt natürlich auch voraus, dass wir Rahmenbedingungen schaffen, die ein Leben mit behinderten Menschen ermöglichen. Hier ist die Familienpolitik, aber auch jeder Einzelne gefordert. Es kommt darauf an, wie wir mit Behinderten umgehen und wie wir uns gegenüber Müttern verhalten, die ein behindertes Kind zur Welt bringen. Darüber hinaus übernehmen auch die Ärzte eine ganz besondere Verantwortung. Sie sind es in der Regel, die den Schwangeren mitteilen, dass sie ein behindertes Kind erwarten. Um diesen Schwangeren jeden möglichen Rat und jede mögliche Hilfe anbieten zu können, haben wir das Schwangerenkonfliktgesetz in wichtigen Punkten ergänzt. Die bisherigen Erfahrungen zeigen leider - das hat Frau Hanewinckel auch schon angesprochen -, dass der Schutz behinderten ungeborenen Lebens den verfassungsrechtlichen Anforderungen nicht genügt. Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes wurden in der Bundesrepublik Deutschland im letzten Jahr insgesamt 134 964 Schwangerschaftsabbrüche gemeldet. In 177 der gemeldeten Fälle kam es zu einem Schwangerschaftsabbruch nach der 23. Woche. Im Vergleich zum Jahr 2000 mit 154 Fällen war dies eine Zunahme um 15 Prozent. Die Dunkelziffer liegt nach Angaben von Fachleuten weitaus höher, da in der Bundesrepublik Deutschland nicht alle Schwangerschaftsabbrüche gemeldet und statistisch erfasst werden. Frank Ulrich Montgomery, Vorsitzender des Marburger Bundes, schätzt die Zahl der Spätabtreibungen auf über 800. Entgegen der gesetzgeberischen Erwartung aus dem Jahre 1995 zeigt sich jetzt, dass Schwangerschaftsabbrüche allein wegen der Behinderung eines Kindes erfolgen. Da es sich um eine medizinische Indikation handelt, findet weder eine psychosoziale Beratung statt, noch gilt eine Frist für die Vornahme des Schwangerschaftsabbruchs. Wir müssen daher davon ausgehen - es gibt solche nachweisbaren Fälle -, dass es auch in einer sehr späten Phase der Schwangerschaft, in der das ungeborene Kind außerhalb des Mutterleibs bereits lebensfähig wäre, noch zum Abbruch der Schwangerschaft kommt. Da es darüber keine Statistiken gibt, verfügen wir nicht über genaue und differenzierte Erkenntnisse. Seit Anfang 1999 hat die CDU/CSU-Fraktion in zahlreichen Gesprächen mit Vertreterinnen und Vertretern der Wissenschaft, der Kirchen und der Wohlfahrtsverbände nach Lösungen gesucht, um Spätabtreibungen nach Möglichkeit zu vermeiden. Der Antrag, den wir heute hier einbringen und in erster Lesung beraten, ist das Ergebnis zahlreicher Gespräche und Anhörungen. Die Zunahme der pränatalen Diagnostik hat inzwischen dazu geführt, dass mittlerweile - man höre - 70 bis 80 Prozent der Schwangerschaften als Risikoschwangerschaften diskutiert werden. Diese Entwicklung ist sowohl unter frauenpolitischen als auch unter gesundheitsökonomischen Aspekten fatal. ({1}) Eine umfassende Beratung vor und nach pränataler Diagnose ist ein Kernpunkt unseres Antrages. Die pränatale Diagnose muss mit einer vorausgehenden umfassenden Beratung durch einen fachkundigen Arzt verbunden sein. Wir wollen, dass Eltern frühzeitig besser über die möglichen medizinischen Erkenntnisse und die damit oft verbundenen Konfliktsituationen dieser pränatalen Diagnostik aufgeklärt werden. Deshalb soll die medizinische Beratung um eine psychosoziale Beratung erweitert werden. Zusätzlich wollen wir einen Hinweis in den Mutterpass aufnehmen, um dieses Beratungsrecht zu verankern. Doch dieses allein genügt nach unserer Überzeugung nicht. Durch all diese Maßnahmen können wir bereits im Vorfeld die Konfliktsituationen für Eltern vermindern und Spätabtreibungen entgegenwirken. Nach einer pränatalen Diagnose mit pathologischem Befund muss nach unserer Meinung sowohl eine Beratung durch einen fachkundigen Arzt als auch eine psychosoziale Beratung erfolgen. ({2}) Wir werden oftmals gefragt, warum wir eine Beratungspflicht einführen wollen. Wir sind nach zahlreichen Gesprächen mit Fachleuten zu diesem Ergebnis gekommen. In den Anhörungen wurde deutlich, dass Frauen in bestimmten Bereichen der Medizin nicht ausreichend aufgeklärt werden. Die Praxis zeigt, dass Frauen, denen in einem Pränatalzentrum eine pathologische Diagnose gestellt wurde, der Abbruch gleich mit angeboten wird. Diese Frauen stehen unter großem Druck und nehmen sich oft nicht mehr genug Zeit zur Überlegung, weil die Lösung so nahe liegt. Eine sofortige Abtreibung bietet sich nicht nur räumlich an, sondern ist auch praktikabel, weil sich zunächst in der Schocksituation gar kein anderer Lösungsweg anbietet. Mit der Beratungspflicht nach einer pränatalen Diagnose mit positivem Befund wollen wir Frauen in ihrer Entscheidung unterstützen. Unser Ansatz ist, neben einer medizinischen Beratung alle Möglichkeiten und Hilfen aufzuzeigen, die es Eltern ermöglichen, auch Kinder mit einer Behinderung anzunehmen. ({3}) Auf der Grundlage möglichst umfassender Informationen, die alle Aspekte einbeziehen, kann sich eine Frau überlegen, ob sie es schafft, auf Dauer mit einem behinderten Kind zu leben, und kann sich dann für oder gegen die Fortsetzung der Schwangerschaft entscheiden. Wenn eine medizinische Indikation vorliegt, halten wir es für notwendig, dass Ärzte verschiedener Disziplinen das Ergebnis bestätigen. Dadurch kann die Prognoseentscheidung auf eine breitere Basis gestellt werden und es trägt nicht ein Arzt allein die Verantwortung. Die Bundesärztekammer selbst hat auf diese Notwendigkeit hingewiesen. Da aus unserer Sicht die statistische Erfassung von Abtreibungen bislang unzureichend ist, fordern wir eine verbesserte Erfassung aller Spätabtreibungen, zum Beispiel die Erfassung der Art der jeweiligen Behinderung oder eine genaue Beschreibung des Befunds. Bundesjustizministerin Herta Däubler-Gmelin äußerte sich dazu in einem „Spiegel“-Interview im Jahr 1999 wie folgt: Wir kennen die schrecklichen Einzelfälle nur aus den Medien. Wir wissen zu wenig, was sich wirklich tut und warum. Das müssen wir zuerst ändern. Das ist richtig. Deshalb setzen wir uns für eine differenzierte und genauere Erfassung der Spätabtreibungen ein. Leider haben wir in den interfraktionellen Gesprächsrunden keine Einigung erzielen können. Dies ist umso bedauerlicher, als in dem gerade vorgelegten Abschlussbericht der Enquete-Kommission „Recht und Ethik der modernen Medizin“ einstimmig eine gesetzliche Regelung bezüglich der Spätabtreibungen empfohlen wird. Vor diesem Hintergrund appellieren wir an alle Abgeordneten, unserem Antrag zuzustimmen. ({4}) Wir, die wir damals die Verhandlungen geführt haben, sind uns einig, dass alles getan werden muss, um Spätabtreibungen zu vermeiden. Als Gesetzgeber müssen wir handeln, weil uns nicht nur das Bundesverfassungsgericht, sondern auch unser Gewissen dazu verpflichtet. ({5})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Ich erteile der Kollegin Irmingard Schewe-Gerigk für die Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen das Wort.

Irmingard Schewe-Gerigk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002774, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Seit Rot-Grün die Regierungsverantwortung übernommen hat, ist es guter Brauch, dass bei besonderen - meist bei frauenpolitischen - Themen fraktionsübergreifende Initiativen gebildet werden. Meist waren sie von Erfolg gekrönt, wie zuletzt das Beispiel der „anonymen Geburten“ zeigt. Beim Thema Spätabtreibung, über das wir heute sprechen, ist es leider trotz einer zweieinhalbjährigen Beratung nicht gelungen, eine einvernehmliche Position zu finden. Ich bedauere das sehr, weil ich davon überzeugt bin, dass dies kein Thema für den Wahlkampf sein darf. 1995 wurde mit der Neuregelung des § 218 StGB die embryopathische Indikation für Schwangerschaftsabbrüche bis zur 22. Woche gestrichen. Das war eine richtige Entscheidung. Aufgenommen wurde in den novellierten Strafrechtsparagraphen eine medizinische Indikation, die sachgerecht, ohne Befristung und ohne Pflicht zur Beratung zu erfolgen hat. Genau an dieser Stelle beginnt der politische Konflikt. Die CDU/CSU geht davon aus, dass Abtreibungen aufgrund einer medizinischen Indikation allein wegen eventueller Behinderung des Embryos erfolgen würden, und fordert darum eine Klarstellung des Gesetzes. Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU, es gibt nichts klarzustellen. Der § 218 a Abs. 2 sieht vor, dass eine absehbare Behinderung des Ungeborenen allein kein Grund für einen Abbruch ist. Vielmehr muss damit die Abwendung einer Gefahr für Gesundheit oder Leben der Schwangeren verbunden sein. Dass im Einzelfall eine andere ärztliche Entscheidung getroffen wird, ist nicht vom Wortlaut des Gesetzes gedeckt. Diese Regelung des § 218 a ist eindeutig. Daran ist mit den Grünen nicht zu rütteln. ({0}) - Mit der SPD auch nicht. Auch Ihre Idee, die schwangere Frau, die sich ja in einer extrem schwierigen Situation befindet, solle sich einem „interdisziplinär besetztem Kollegium“ stellen, halten wir für unangemessen. Wir wollen demgegenüber, dass sich die behandelnde Ärztin oder der behandelnde Arzt von Kolleginnen und Kollegen eine zweite Meinung einholt. So kann das notwendige Fachwissen erworben und gute Betreuung der Schwangeren gewährleistet werden. Sie fordern außerdem eine Haftungsfreistellung der behandelnden Ärzte und Ärztinnen. Dies ist bei einer medizinischen Indikation eine äußerst merkwürdige Forderung. Sie würde zudem zu Rechtsunsicherheit zulasten der Frauen führen. Auch das lehnen wir ab. Zu Ihrem Wunsch nach einer statistischen Erfassung der Spätabtreibungen nach Art der Behinderung, Befundbeschreibung, Art des Eingriffs und Komplikationen verweisen wir auf die Äußerung des Bundesbeauftragten für den Datenschutz. Er warnte angesichts der geringen Zahlen - wir gehen von 150 Abbrüchen nach der 23. Woche aus - ausdrücklich vor einer weiteren statistischen Aufschlüsselung, da dadurch Rückschlüsse auf den Einzelfall möglich wären. Liebe Kolleginnen und Kollegen, für werdende Eltern, die sich verantwortungsvoll auch für ein behindertes Kind entscheiden wollen, spielen Aufklärung und Beratung eine wichtige Rolle. Darum brauchen wir eine verbesserte psychosoziale Beratung. Sie muss aber freiwillig sein. ({1}) Damit die Schwangeren wissen, dass ihnen neben der medizinischen und humangenetischen Beratung auch das Recht auf eine kostenfreie psychosoziale Beratung zusteht, wollen SPD und Grüne dies im Mutterpass festschreiben. Unser Ziel muss eine verbesserte Beratung sein, die in allen Bundesländern nach einheitlichen Kriterien erfolgt. Auch darum begrüße ich insbesondere das bundesweite Modellprojekt der Bundesregierung „Entwicklung von Beratungskriterien für die Beratung Schwangerer bei zu erwartender Behinderung des Kindes“. Liebe Kolleginnen und auch Kollegen - es sind ja nur noch wenige da -, lassen Sie mich zum Schluss noch eines sagen: Nach dem Fall des so genannten Oldenburger Babys, das beim Abbruch der Schwangerschaft bereits lebensfähig war, wurde von Ärzten - auch wegen drohender Schadensersatzklagen - die Forderung erhoben, Schwangerschaftsabbrüche nach vorgeburtlicher Diagnostik zu befristen. Sie sollen nur möglich sein, solange die Kinder außerhalb des Mutterleibes noch nicht lebensfähig sind. Die Befristung einer medizinischen Indikation - ich habe vorhin gesagt, was das bedeutet - lehnen wir ab. Hier wissen wir uns auch aufgrund einer Anhörung im Bundesjustizministerium mit namhaften Medizinern und Juristen und Juristinnen einig. Neben der von diesen gesehenen Gefahr von Panikabbrüchen vor Ablauf der Frist und der Wiedereinführung der embryopathischen Indikation durch die Hintertür würde auch der Konsens aufgekündigt, dass Spätabtreibungen sich nicht verbieten lassen, wenn das Leben der Schwangeren in Gefahr ist. Das sollte uns wichtig sein. ({2}) Meine Damen und Herren, schwangere Frauen brauchen Hilfe, Unterstützung und Beratung, gerade wenn sie ein Kind mit einer Behinderung erwarten. Was sie aber nicht brauchen, sind Misstrauen und Unterstellungen, sie würden leichtfertig das Leben ihres Kindes aufs Spiel setzen. Vielen Dank. ({3})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Jetzt hat die Kollegin Ina Lenke für die FDP-Fraktion das Wort.

Ina Lenke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003170, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Liebe Kollegen und Kolleginnen! Mit ihrem Antrag „Vermeidung von Spätabtreibungen - Hilfen für Eltern und Kinder“ macht die Fraktion der CDU/CSU zu Recht auf ein Thema aufmerksam, dem sich die Politik jetzt widmen sollte: auf den seit Verabschiedung des Schwangeren- und Familienhilfeänderungsgesetzes im Jahr 1995 neu gestalteten Tatbestand der so genannten medizinischen Indikation für einen Schwangerschaftsabbruch nach § 218 a Abs. 2. Diese medizinische Indikation soll „eine Gefahr für das Leben oder die Gefahr einer schwerwiegenden Beeinträchtigung des körperlichen oder seelischen Gesundheitszustandes der Schwangeren“ abwenden. In diesem neuen Tatbestand ist aber auch die frühere so genannte embryopathische Indikation - das heißt die Abwendung der dringenden Gefahr einer schwerwiegenden, nicht behebbaren Schädigung des Gesundheitszustandes des Kindes - aufgegangen und als eigener Tatbestand abgeschafft worden. Ein Schwangerschaftsabbruch ist nach medizinischer Indikation zeitlich unbegrenzt möglich und setzt auch keine Schwangerenberatung voraus. Es gibt nicht nur bei der CDU/CSU-Fraktion Bedenken gegen diese Regelung. Genaue empirische Daten zur Praxis der Anwendung werden allerdings nach geltendem Recht nicht erhoben. Insofern ist es schwierig, festzustellen, ob der Schutz des menschlichen Lebens bei Schwangerschaftsabbrüchen nach medizinischer Indikation mit dieser Regelung adäquat verwirklicht wird oder nicht und welche Maßnahmen Verbesserungen bringen. Der CDU/CSU-Forderung, dass die empirische Datenbasis verbessert werden sollte und dass die Schwangeren auch im Fall der medizinischen Indikation eine qualifizierte nicht nur medizinische, sondern auch psychosoziale Beratung erhalten sollen, kann ich zustimmen. ({0}) Wichtig ist bei dieser Beratung nach meiner Auffassung, dass sie nicht durch die Person erfolgt, die gegebenenfalls den späteren Schwangerschaftsabbruch vornimmt. ({1}) Ein entsprechendes Beratungskonzept, so meint die FDP, sollte bereits an die Pränataldiagnostik geknüpft werden. Auch sollte hier der behandelnde Arzt bzw. die behandelnde Ärztin nicht der bzw. die Beratende sein und zusätzlich eine psychosoziale Beratung erfolgen. Insofern, liebe Kollegen und Kolleginnen, ist die Zielsetzung des zusätzlichen Antrages der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zu begrüßen, die den schon bestehenden Rechtsanspruch auf Beratung im Mutterpass verankern und damit auch bekannter machen will. Ob allerdings, liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU, Forderungen wie die nach einem Leistungsgesetz für Behinderte und nach einem vielköpfigen interdisziplinären Gremium, dem die Schwangere sich stellen soll, der richtige Lösungsweg sind, bezweifele ich sehr. Wir werden deshalb diese Anträge in den Ausschüssen sorgfältig prüfen. Ich denke auch, wir sollten gemeinsam eine öffentliche Anhörung fordern und Experten einladen, um uns weitere Kenntnisse anzueignen. Ich würde mich freuen, wenn wir im Ergebnis vielleicht gemeinsam angemessene und wirklich zielführende Forderungen formulieren könnten. Wir haben ja - das hat Frau Schewe-Gerigk vorhin gesagt - sehr lange über die anonyme Geburt beraten, die hoffentlich noch in dieser Legislaturperiode zur Abstimmung steht. Ich habe festgestellt, dass wir bei frauenspezifischen Anträgen und bei Änderungen, die für Frauen und für Kinder wichtig sind, oftmals eine gemeinsame Basis finden, um etwas für Frauen und Mütter in dieser Republik zu tun. Ich finde, das ist eine sehr vertrauensvolle Zusammenarbeit. Wenn es unterschiedliche Meinungen in einer Sache gibt, dann ist das eben so. Der gute Wille ist aber da. Deshalb freue ich mich auch, dass wir diese beiden Anträge im Ausschuss und dann in der Anhörung gemeinsam beraten werden. ({2})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Für die PDS-Fraktion spricht jetzt die Kollegin Petra Bläss.

Not found (Mitglied des Bundestages)

, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Auch ich bedauere das Aufbrechen des interfraktionellen Konsenses in der Frage der Regelung von Spätabtreibungen sehr. Ich finde es sehr schade, dass das Ergebnis jahrelanger fraktionsübergreifender Gespräche nun zwei grundsätzlich verschiedene Anträge sind. Kernpunkt des Vorschlages der Koalition ist, wie Frauen in Schwangerschaftskonfliktsituationen geholfen werden kann. Das findet unsere uneingeschränkte Unterstützung. Kernpunkt des Vorschlages der CDU/CSU dagegen ist, wie das ohnehin viel zu restriktive Selbstbestimmungsrecht von Schwangeren noch mehr eingeschränkt werden kann. Das kann nur unsere entschiedene Ablehnung finden. ({0}) Anstatt schwangeren Frauen ein uneingeschränktes Selbstbestimmungsrecht zuzusichern und - das sollte man auch in einer solchen Debatte noch einmal betonen den § 218 ersatzlos zu streichen, soll nach Ihren Wünschen der unsägliche § 218 auch noch verschärft werden. Anstatt schwangeren Frauen ein uneingeschränktes Selbstbestimmungsrecht zuzusichern und ihnen eine qualifizierte psychosoziale Beratung einfach nur anzubieten, wollen Sie eine Beratungspflicht einführen und den unsäglichen § 218 StGB verschärfen; er sollte vielmehr ersatzlos gestrichen werden. Anstatt die pränatale Diagnose kostenfrei zu halten, fordern Sie, dass die Kosten nur übernommen werden, wenn eine vorherige Beratung erfolgt ist. Wir haben also zwischen zwei Alternativen zu entscheiden: Einerseits wird ein konstruktives Hilfsangebot und andererseits eine destruktive staatliche Bevormundung vorgeschlagen. Es ist richtig, in diesem Zusammenhang noch einmal daran zu erinnern, dass es für behinderte Kinder und ihre Eltern hierzulande nach wie vor nur unzureichende Hilfen gibt. Deutschland ist noch immer kein behindertenfreundliches Land. Wer will, dass sich Eltern für behinderte Kinder entscheiden, muss auch dafür sorgen, dass behinderte Kinder im Alltag nicht benachteiligt werden. Der Koalitionsantrag greift zu Recht die Frage auf, wie Eltern während der Schwangerschaft bei schwerwiegenden Entscheidungen geholfen werden kann, ohne dass sie vom Staat gegängelt werden. Ein ausgeweitetes Recht auf kostenlose Beratung im Mutterpass festzuschreiben, ist richtig. Das wird von uns unterstützt. Die Entscheidung für oder gegen Beratung muss Sache der Schwangeren selbst bleiben. Das qualifizierte Angebot muss vorhanden sein; aber es darf nie - genauso wenig wie die Entscheidung gegen einen Abbruch der Schwangerschaft zur Pflicht gemacht werden. Dieses fundamentale Entscheidungsrecht der Frauen darf nicht angetastet werden. Außerdem soll und muss gewährleistet bleiben, dass das Beratungsangebot freiwillig genutzt werden kann und sämtliche Kosten von der Krankenkasse zu übernehmen sind. Danke. ({1}) ({2})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Als nächste Rednerin erhält die Abgeordnete Inge Wettig-Danielmeier das Wort.

Inge Wettig-Danielmeier (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002491, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es gab einige tragische Fälle von Spätabtreibungen, die in der Öffentlichkeit zu Auseinandersetzungen geführt haben. Gleichwohl ist die Zahl von Schwangerschaftsabbrüchen, die nach der 22. Schwangerschaftswoche unter der Voraussetzung einer medizinischen Indikation durchgeführt wurden, gering geblieben. Im Jahr 2001 sind 177 Fälle erfasst worden; im Jahr davor waren es weniger. Alle Beteiligten wollen die Zahl der Spätabtreibungen auf ein unvermeidbares Minimum beschränken. Frau Schewe-Gerigk und Frau Eichhorn haben darauf hingewiesen, dass wir in einer interfraktionellen Arbeitsgruppe seit Jahren darüber diskutiert haben. Dabei waren wir uns der besonderen Problematik von Spätabbrüchen nach pränataler Diagnostik bewusst. Ich möchte daran erinnern, dass wir uns bei der Neufassung des § 218 StGB im Jahr 1995 darüber einig waren, dass es bei der Indikationsstellung auf die Belastbarkeit und die Lebensperspektive der Frau und nicht auf die mögliche Behinderung des Kindes ankommt. ({0}) Die Möglichkeit einer embryopathischen Indikation haben wir damals gemeinsam gestrichen, um klarzustellen: Die gesundheitliche Schädigung des Embryos begründet nicht automatisch einen Schwangerschaftsabbruch. Im Übrigen war ein Abbruch zwischen der 22. Woche und dem Ende der Schwangerschaft schon vor der Neufassung des § 218 im Jahre 1995 zulässig, wenn die Voraussetzungen der medizinischen Indikation vorgelegen haben. Im Rahmen der Arbeitsgruppe der Fraktionen haben wir viele Gespräche mit Expertinnen und Experten, Ärztinnen und Ärzten, erfahrenen Beraterinnen aus Schwangerschaftsberatungsstellen und mit Juristen geführt. Wir haben auch den Wissenschaftlichen Dienst des Deutschen Bundestags um Stellungnahme gebeten. Das Fazit von juristischer Seite war klar: Der Gesetzestext des § 218 StGB ist eindeutig; eine gesetzliche Änderung ist nicht notwendig. ({1}) Die mögliche Behinderung eines ungeborenen Kindes ist nach der gegebenen Rechtslage keine eigenständige Indikation für einen Schwangerschaftsabbruch nach § 218 a Abs. 2 des Strafgesetzbuches. Das heißt, dass der Abbruch der Schwangerschaft nur dann zulässig ist, wenn nach ärztlicher Erkenntnis unter Berücksichtigung der gegenwärtigen und zukünftigen Lebensverhältnisse der Schwangeren eine Gefahr für ihr Leben oder die Gefahr einer schweren Beeinträchtigung des körperlichen oder seelischen Gesundheitszustandes der Schwangeren, die damit abgewendet werden soll, besteht. Allein diese gesetzlich vorgeschriebenen Voraussetzungen begründen eine medizinische Indikation und müssen vom Arzt im konkreten Fall abgewogen werden. Wir sind uns alle darüber im Klaren, dass eine solche Beurteilung, insbesondere in einem späten Stadium der Schwangerschaft, schwierig ist. Der Arzt muss die Folgen eines pathologischen Befundes sorgfältig abwägen - selbstverständlich auch unter Einbeziehung des Rates von Fachkollegen -, gemeinsam mit der Schwangeren erörtern und dann entscheiden. Einen Oktroi für die Frauen darf es aber nicht geben. ({2}) Die Forderung der CDU/CSU-Fraktion nach einer Klarstellung des gesetzgeberischen Willens durch Änderung des Gesetzes ist deshalb überflüssig und würde zudem zu keiner Änderung führen. Allenfalls wäre es weiße Salbe für das innerparteiliche Leben oder - das kann man auch sagen - die dort auftretenden Konflikte. Die Berichte aus der Praxis zeigten, dass umfassende Beratungsangebote für werdende Eltern wichtig sind. Vor allem gilt dies - auch darin sind wir uns alle einig - für eine psychosoziale Beratung und Aufklärung im Zusammenhang mit der pränatalen Diagnostik. Wir sind uns ebenfalls darin einig, dass der Anspruch auf Beratung nach § 2 des Schwangerschaftskonfliktgesetzes durch einen Eintrag im Mutterpass bekannter wird und damit häufiger angenommen wird. Die Geister scheiden sich bei der Frage der Freiwilligkeit und des Zwangs. Deshalb sind wir leider nicht zu einer Einigung gekommen. Als Sozialdemokratin glaube ich daran, dass das Notwendige auch freiwillig getan wird. Welcher Druck wird aufgebaut, wenn Frauen, die sich in der Regel bewusst für die Schwangerschaft entschieden haben, gezwungen werden, sich einer Beratung zu unterziehen! Der Vorschlag, die Kostenübernahme der Krankenkassen für pränatale Diagnostik an die Beratung zu knüpfen, ist eine Gängelung der Betroffenen. Wir lehnen ihn ab. ({3}) Die Methoden der pränatalen Diagnostik sollen der Gesundheit von Mutter und Kind sowie der Verbesserung der gesundheitlichen Perspektiven für das Kind dienen. Sie dürfen keine Selektionsmittel für Föten mit pathologischem Befund sein. Den werdenden Eltern sollte der bewusste und verantwortungsvolle Umgang mit pränataldiagnostischen Methoden und ihren Folgen erleichtert werden, und zwar nicht nur durch Beratung, sondern auch - ich glaube, das ist vor allem wichtig - durch ein gesellschaftliches Klima, das keinen Druck auf Frauen und Familien ausübt. ({4}) Der Datenschutzbeauftragte hat uns darüber informiert, dass eine detaillierte Datenerfassung von Spätabbrüchen bei der gegenwärtigen Rechtslage möglich ist. Allerdings darf die Identität der Betroffenen bei der begrenzten Anzahl von Fällen nicht entschlüsselt werden können. Auch sollte der gesellschaftliche Nutzen erkennbar sein. Ich bedauere, dass wir uns nicht einigen konnten, sodass der notwendige Konsens zum Schwangerschaftsabbruch infrage gestellt wird, wenn auch glücklicherweise nicht grundsätzlich. Ich hoffe, wir finden zum Konsens zurück. Danke schön. ({5})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Danke schön. - Ich schließe damit die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf Drucksachen 14/6635 und 14/9030 an die in der Tages- ordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 25 a bis 25 d auf: a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Verbraucherinformationsgesetzes ({0}) - Drucksachen 14/8738, 14/8992 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft ({1}) - Drucksache 14/9065 - Berichterstattung: Abgeordnete Gudrun Kopp b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft ({2}) - zu dem Antrag der Fraktion der CDU/CSU Verbraucherinformationsgesetz effektiv gestalten - zu dem Entschließungsantrag der Abgeordneten Gudrun Kopp, Rainer Funke, Hildebrecht Braun ({3}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP zu der Abgabe einer Erklärung durch die Bundesregierung Auf dem Weg in eine verbraucherorientierte Marktwirtschaft - Drucksachen 14/8784, 14/8520, 14/9065 - Berichterstattung: Abgeordnete Gudrun Kopp c) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neuorganisation des gesundheitlichen Verbraucherschutzes und der Lebensmittelsicherheit - Drucksachen 14/8747, 14/9008 ({4}) aa) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft ({5}) - Drucksache 14/9064 - Berichterstattung: Abgeordneter Franz Obermeier bb) Bericht des Haushaltsausschusses ({6}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung - Drucksache 14/9078 Berichterstattung: Abgeordnete Dr. Uwe-Jens Rössel Iris Hoffmann ({7}) Josef Hollerith Franziska Eichstädt-Bohlig Jürgen Koppelin d) Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Absatzfondsgesetzes - Drucksache 14/8585 ({8}) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft ({9}) - Drucksache 14/9062 - Berichterstattung: Abgeordneter Siegfried Hornung Bundesministerin Künast und die Kolleginnen und Kollegen Widmann-Mauz, Teuchner, Kopp, Lüth, Kumpf und Deß haben darum gebeten, die Reden zu Protokoll ge- ben zu dürfen.1) Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann können wir so verfahren. Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf eines Verbraucherinformationsgesetzes. Der Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft empfiehlt unter Nr. 1 seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 14/9065, den Gesetzentwurf in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der PDS gegen die Stimmen von CDU/CSU und FDP angenommen worden. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte Sie, sich zu erheben, wenn Sie dem Gesetzentwurf zustimmen wollen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist auch in der dritten Lesung mit dem eben festgestellten Stimmenverhältnis angenommen worden. ({10}) Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion der FDP auf Drucksache 14/9111. Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der PDS gegen die Stimmen der FDP und der CDU/CSU abgelehnt worden. Zurück zur Beschlussempfehlung des Ausschusses für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft auf Drucksache 14/9065: Der Ausschuss empfiehlt unter Nr. 2 dieser Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache 14/8784 mit dem Titel: „Verbraucherinformationsgesetz effektiv gestalten“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung des Ausschusses? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der CDU/CSU und zwei Stimmen aus der FDP bei Enthaltung von drei Stimmen aus der FDP angenommen worden. Unter Nr. 3 seiner Beschlussempfehlung empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Entschließungsantrags der Fraktion der FDP auf Drucksache 14/8520 zu der Abgabe einer Erklärung durch die Bundesregierung mit dem Titel: „Auf dem Weg in eine verbraucherorientierte Marktwirtschaft“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der PDS gegen die Stimmen von CDU/CSU und FDP angenommen worden. Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Neuorganisation des gesundheitlichen Verbraucherschutzes und der Lebensmittelsicherheit. Der Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 14/9064, den Gesetzentwurf in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte Sie um das Handzeichen, wenn Sie dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der PDS gegen die Stimmen von CDU/CSU und FDP angenommen worden. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Bitte erheben Sie sich, wenn Sie zustimmen wollen. - Wer stimmt dagegen? - Gibt es Enthaltungen? - Das ist nicht der Fall. Der Gesetzentwurf ist in dritter Lesung mit dem eben festgestellten Stimmenverhältnis angenommen worden. Abstimmung über den von den Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung des Absatzfondsgesetzes, Drucksache 14/8585. Der Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung, den Gesetzentwurf anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der PDS gegen die Stimmen von CDU/CSU und FDP angenommen worden. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte Sie, sich zu erheben, wenn Sie zustimmen wollen. - Wer stimmt dagegen? - Gibt es Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit auch in dritter Lesung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der PDS gegen die Stimmen von CDU/CSU und FDP angenommen worden. Es liegt eine Erklärung des Abgeordneten Günter Graf ({11}) zu seinem Abstimmungsverhalten zum Ge- setzentwurf zur Änderung des Absatzfondsgesetzes vor. Sie wird zu Protokoll genommen.2) Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer 1) Anlage 5 2) Anlage 3 Ich rufe den Tagesordnungspunkt 26 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Peter Götz, Gerda Hasselfeldt, Heinz Seiffert, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU Erschwernis von Erschließungsmaßnahmen durch Doppelbesteuerung verhindern - Drucksache 14/8593 Überweisungsvorschlag: Finanzausschuss({12}) Innenausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen Die Reden der Abgeordneten Eichstädt-Bohlig, Schüßler und Höll sollen zu Protokoll gegeben werden.1) Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. ({13}) - Die Rede des Abgeordneten Schild wird auch zu Protokoll gegeben. Dann würde nur noch der Kollege Peter Götz reden. Ist das richtig? - Wenn Sie reden möchten, haben Sie das Wort.

Peter Götz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000705, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich habe ja Verständnis dafür, dass Sie nicht zu diesem Thema reden wollen, weil Sie vermutlich auch nichts dazu zu sagen haben. ({0}) Wir beschäftigen uns heute mit einem scheinbar kleinen Problem, nämlich der doppelten Besteuerung bei der Baulanderschließung. Das Problem ist aber, wie gesagt, nur scheinbar klein; denn der Schaden, der bei diesem Thema durch Ihre Regierung angerichtet wurde, ist groß. Er ist für die Gemeinden groß, die ohnehin zu den Hauptgeschädigten durch diese Bundesregierung gehören, und auch für die Bauwirtschaft. Auch sie gehört zu den Leidtragenden rot-grüner Politik. Er ist aber auch für die Häuslebauer groß, bei denen es sich bekanntlich sehr häufig um Familien mit Kindern handelt. Mit der Doppelbesteuerungsregelung wurden die Baulanderschließung und damit das Bauen in Deutschland in unangemessener Weise verteuert. Lassen Sie mich das kurz begründen. ({1}) Die Regierung Schröder hat in ihrer Sehnsucht nach neuen Steuerquellen den abstrusen Einfall gehabt, die Erschließung von Bauland durch gewerbliche Erschließungsträger zweimal mit Umsatzsteuer zu belegen. Umgesetzt wurde dies mit einem einfachen Steuererlass im Dezember 2000. ({2}) - Wenn Sie reden wollen, gehen Sie doch ans Mikrofon. Sie haben die Gelegenheit dazu. ({3}) Seitdem kämpfen Bürgermeister und Bauwirtschaft, die kommunalen Spitzenverbände und die Wohnungswirtschaft erfolglos gegen diese Doppelbesteuerung. Seit Monaten hören wir, dass das Problem nun bald gelöst sein wird. Geändert hat sich aber bis heute nichts. ({4}) Nun soll es angeblich bei der nächsten Zusammenkunft der Steuerreferatsleiter aus den Finanzministerien von Bund und Ländern zu einer Lösung kommen. Hoffen wir es! Wir haben nichts dagegen, dass es zu einer vernünftigen Lösung kommt. Wenn unser Antrag einen Beitrag dazu leistet, dann hat sich die Initiative gelohnt. Ich frage mich allerdings, warum die Bundesregierung für die Rücknahme einer Fehlentscheidung die Steuerreferatsleiter braucht. Es ist eine Posse, eine Baumaßnahme zweimal mit derselben Steuer zu belegen. Sie ist aber symptomatisch für die Politik der rot-grünen Bundesregierung. Es ist überall das gleiche Bild: Mit großen Worten wird von Steuerentlastungen für Bürger und Wirtschaft geredet, aber die Wirklichkeit beweist genau das Gegenteil. ({5}) Ständig werden neue Steuern erfunden. Eine als Jahrhundertwerk verkaufte minimale Entlastung auf der einen Seite wird auf der anderen Seite sofort wieder kassiert, ob über die Ökosteuer, die Versicherungssteuer oder die Tabaksteuer; wir kennen das alle. Der einzelne Bürger hat nicht mehr Geld in der Tasche, sondern weniger. Die größte Kreativität hat die Bundesregierung stets beim Erfinden neuer Griffe in die Taschen der Bürger entwickelt. Unser Antrag beschäftigt sich mit einem besonders spitzfindigen Einfall. Bekanntlich haben die Gemeinden die Aufgabe, Bauland bereitzustellen und zu erschließen. So ist es in § 123 des Baugesetzbuches geregelt. Darin heißt es auch: Die Erschließungsanlagen sollen ... kostengünstig hergestellt werden. Mit dem Investitionserleichterungs- und Wohnbaulandgesetz hat die CDU/CSU-geführte Bundesregierung bereits 1993 dafür gesorgt, dass die Städte und Gemeinden Erschließungsmaßnahmen an private Unternehmen übertragen können, wenn sie dies wollen. Diese Regelung hat sich bewährt; denn dadurch werden kommunale Haushalte entlastet und Bauland kann beschleunigt erschlossen werden. Bauwillige Familien kommen so schneller und kostengünstiger zum Eigenheim. Allen Beteiligten war damit geholfen. 1997 haben wir diese von allen gelobte Erleichterung unverändert in das novellierte Baugesetzbuch übernommen. Ich meine, das war ein großer Erfolg der CDU/CSU-Baupolitik in der letzten Legislaturperiode. ({6}) Seitdem haben immer mehr Gemeinden von der Mög- lichkeit Gebrauch gemacht, private Erschließungsträger mit der Baulandmobilisierung zu beauftragen. Mit dem Erlass von Dezember 2000 hat Rot-Grün die seinerzeit erzielten Vorteile zerstört. Denn seither wird die Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer 1) Anlage 6 Mehrwertsteuer von 16 Prozent gleich zweimal abkassiert. Das erste Mal fällt sie an, wenn die Gemeinden einen Erschließungsvertrag abschließen. Bei Erschließungskosten von einer Million Euro muss auf die Rechnung die Mehrwertsteuer von 16 Prozent, also 0,16 Millionen Euro, aufgeschlagen werden. Diese Kosten werden auf die Grundstückseigentümer umgelegt. Nach Fertigstellung der Erschließungsanlage werden die Flächen in der Regel den Gemeinden unentgeltlich übertragen. Sobald der Vertrag dafür abgeschlossen ist, fallen für den gleichen Vorgang noch einmal Umsatzsteuern an, wieder 16 Prozent, und die müssen jetzt die Kommunen bezahlen. Die Folgen dieser Neuregelung aus dem Jahr 2000 sind katastrophal. Der Abschluss von Erschließungsverträgen ging seither drastisch zurück, weil die Gemeinden aus verständlichen Gründen diese doppelte Mehrwehrsteuer nicht bezahlen wollen. Die Vorteile für Bauherren und Gemeinden, schneller Bauland zu mobilisieren, die Idee des seinerzeitigen Gesetzes, sind damit zunichte gemacht. Ein Zweites kommt hinzu: Die Gemeinden haben nicht mehr das Geld, die Erschließung über ihren Haushalt zu finanzieren. Das wäre die normale Alternative, denn da fällt die Mehrwertsteuer nicht doppelt an. Aber diese Bundesregierung hat die kommunalen Haushalte in den letzten Jahren systematisch geplündert. „Die Gemeinden in Not“, titelt heute die „Süddeutsche Zeitung“. Sie sollten einmal nachlesen, was dort alles über Ihre Politik geschrieben steht. ({7}) Den Gemeinden fehlt schlicht das Geld, selber wieder Bauland zu erschließen. Also geht überhaupt nichts mehr voran. Das Bauland liegt brach und die Folge ist: Die gewünschten zusätzlichen Steuereinnahmen, die der Finanzminister offensichtlich im Kopf hat, bleiben aus. Dafür steigt die Arbeitslosigkeit in der Bauwirtschaft und erreicht inzwischen einen historischen Höchststand. Denn es fehlen nicht nur die Tiefbaumaßnahmen in der Gemeinde, sondern logischerweise findet der Hochbau ohne Erschließung ebenfalls nicht statt. Die Konsequenzen kennen wir. Die Insolvenzrate in der Bauwirtschaft ist die höchste aller großen Branchen. Bauinteressenten werden vertröstet und müssen ihre Pläne verschieben. Das ist aus unserer Sicht ein unerträglicher Zustand, der riesige Auswirkungen hat, und das alles auf der Grundlage eines ganz einfachen Erlasses dieser rot-grünen Regierung. ({8}) Bürgermeister und Bauunternehmer laufen dagegen gleichermaßen Sturm. Bisher bleibt die Regierung stur. Eineinhalb Jahre lang geht das nun schon. Mein Kollege Michael Meister hat im Jahre 2001 sowohl an Finanzminister Eichel als auch an den Bauminister geschrieben und beide zum Handeln aufgefordert. „Eine Rücknahme kann nicht in Aussicht gestellt werden“, war die Antwort aus dem Finanzministerium. Aus dem Bauministerium klang es im August 2001 etwas diffuser: „Das unzuträgliche Ergebnis“, heißt es dort, „sollte durch steuerunschädliche Gestaltung von Erschließungsverträgen vermieden werden.“ Hierzu würden intensive Gespräche zwischen allen Beteiligten geführt. Ich frage mich: Was soll das eigentlich? Inzwischen ist ein Jahr vergangen. Es wird immer noch intensiv geredet, und das mit der bekannt „ruhigen Hand“. Getan hat sich nichts. Ich fordere Sie deshalb auf: Handeln Sie endlich, sorgen Sie dafür, dass diese unglaubliche Situation endlich wieder in Ordnung gebracht wird! Der Schaden, den Sie angerichtet haben, ist groß genug. ({9}) - Warum reden Sie nicht hier am Rednerpult und sagen all das, was Sie sagen wollen? Ein Erschließungsträger sagte mir, allein bei ihm sei ein Bauvolumen von 5 Millionen Euro auf die lange Bank geschoben worden. Vergleichbare Fälle gibt es genug. Dadurch wird aus unserer Sicht ein großer volkswirtschaftlicher Schaden angerichtet. Und deshalb: Die Baulanderschließung muss wieder in Gang kommen. Oder wollen Sie noch mehr in diesem Lande lahm legen? Sie haben in den wenigen Jahren Regierungsverantwortung genug Politik zulasten der Kommunen, der Wirtschaft und der Menschen in unserem Land gemacht. ({10}) Hören Sie endlich auf, an jeder Stellschraube, die Sie finden, zulasten der Bürgerinnen und Bürger herumzudrehen! Sie haben durch Ihre kommunalfeindliche Politik die Kommunen an den Rand des Ruins getrieben. Wenn der Deutsche Städtetag in dieser Woche berichtet, dass die Hälfte seiner Mitgliedsgemeinden keinen ausgeglichenen Haushalt mehr aufstellen kann, dann hat das zwei Namen, die lauten: Schröder und Eichel. ({11}) Sie haben den Wohnungsbau durch Ihre verfehlte Politik herunterregiert. Warum nehmen Sie den Gemeinden die Möglichkeit, beschleunigt Bauland zu erschließen? - Sie wollen entweder die Kommunen oder die Grundbesitzer abkassieren. Darum geht es Ihnen. Ihrer Politik liegt eine falsche Ideologie zugrunde. Die nächsten Folterinstrumente schlummern schon in Ihren Schubladen und warten darauf, aufgeweckt zu werden: von der Bodenwertbesteuerung über die Erhöhung der Erbschaftsteuer bis hin zum noch immer nicht ausgeträumten Traum der Vermögensteuer. Die scheinbar kleine Problematik der Doppelbesteuerung von Baulanderschließungsmaßnahmen fügt sich in einen ganzen Horizont kommunalfeindlicher Entscheidungen dieser rot-grünen Bundesregierung ein. Sie haben durch Ihre Politik in den wenigen Jahren Ihrer Regierungsverantwortung die Kommunen in ihrer Substanz systematisch geschwächt und an den Rand des finanziellen Ruins getrieben. Ständig höhlen Sie die kommunale Selbstverwaltung aus. ({12}) - Die Höhe der Staatsquote hängt auch von den Kommunen und Ländern ab. Es macht wenig Sinn, die staatlichen Gelder zwischen den unterschiedlichen Ebenen hin- und herzuschieben und sie den Kommunen wegzunehmen. Eine Aushöhlung der kommunalen Selbstverwaltung findet statt. ({13}) CDU und CSU wollen starke und handlungsfähige Städte und Gemeinden. Wir wollen eine starke kommunale Selbstverwaltung. Wir wollen auch eine Bundesregierung, die handelt. Dafür werden wir nach dem 22. September sorgen. Herzlichen Dank. ({14})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Ich schließe da- mit die Aussprache. Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf Drucksache 14/8593 an die in der Tagesordnung aufge- führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein- verstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 27 a bis 27 h sowie die Zusatzpunkte 21 und 22 auf: 27. a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Errichtung einer Verkehrsinfrastrukturfinanzierungsgesellschaft zur Finanzierung von Bundesverkehrswegen ({0}) - Drucksache 14/8449 ({1}) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen ({2}) - Drucksache 14/9084 - Berichterstattung: Abgeordneter Georg Brunnhuber b) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Fernstraßenbauprivatfinanzierungsgesetzes und straßenverkehrsrechtlicher Vorschriften ({3}) - Drucksache 14/8447 ({4}) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen ({5}) - Drucksache 14/9066 Berichterstattung: Abgeordneter Horst Friedrich ({6}) c) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Fünften Gesetzes zur Änderung des Bundesfernstraßengesetzes ({7}) - Drucksache 14/8448 ({8}) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen ({9}) - Drucksache 14/8911 - Berichterstattung: Abgeordneter Georg Brunnhuber d) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Straßenverkehrsgesetzes und anderer straßenverkehrsrechtlicher Vorschriften ({10}) - Drucksache 14/8766 ({11}) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen ({12}) - Drucksache 14/9059 Berichterstattung: Abgeordneter Wolfgang Börnsen ({13}) e) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 18. Oktober 2001 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Schweizerischen Eidgenossenschaft über die Durchführung der Flugverkehrskontrolle durch die Schweizerische Eidgenossenschaft über deutschem Hoheitsgebiet und über Auswirkungen des Betriebes des Flughafens Zürich auf das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland ({14}) - Drucksache 14/8731 ({15}) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen ({16}) - Drucksache 14/9057 Berichterstattung: Abgeordneter Horst Friedrich ({17}) f) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eigebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Erleichterung des Marktzugangs im Luftverkehr - Drucksache 14/8730 ({18}) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen ({19}) - Drucksache 14/9058 Berichterstattung: Abgeordneter Horst Friedrich ({20}) g) Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Regionalisierungsgesetzes - Drucksache 14/8781 ({21}) aa) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen ({22}) - Drucksache 14/9053 - Berichterstattung: Abgeordneter Peter Letzgus bb) Bericht des Haushaltsausschusses ({23}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung - Drucksache 14/9087 - Berichterstattung: Abgeordnete Bartholomäus Kalb Gerhard Rübenkönig Oswald Metzger Jürgen Koppelin Dr. Uwe-Jens Rössel h) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen ({24}) zu dem Antrag der Abgeordneten Wolfgang Dehnel, Günter Nooke, Klaus Brähmig, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU Finanzierungssicherheit für den Bundesfernstraßenbau über das Jahr 2002 hinaus - Drucksachen 14/7146, 14/8820 Berichterstattung: Abgeordneter Reinhard Weis ({25}) ZP 21 Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen ({26}) zu dem Antrag der Abgeordneten Horst Friedrich ({27}), HansMichael Goldmann, Dr. Karlheinz Guttmacher, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Fairen Wettbewerb im Luftverkehr bewahren Sicherheit erhöhen - Drucksachen 14/7157, 14/9082 Berichterstattung: Abgeordneter Hans-Günter Bruckmann ZP 22 Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen ({28}) zu dem Antrag der Abgeordneten Horst Friedrich, Hans-Michael Goldmann, Dr. Karlheinz Guttmacher, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Anti-Stau-Programm für Europas Luftverkehr - Drucksachen 14/3188, 14/9083 Berichterstattung: Abgeordneter Hans-Günter Bruckmann Zum Entwurf eines Verkehrsinfrastrukturfinanzierungsgesellschaftsgesetzes sowie zum Entwurf eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Regionalisierungsgesetzes liegt je ein Entschließungsantrag der Fraktion der FDP vor. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Stunde vorgesehen. Die FDP soll 8,5 Minuten erhalten. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Als Erster hat Herr Bundesverkehrsminister Kurt Bodewig das Wort.

Kurt Bodewig (Minister:in)

Politiker ID: 11003051

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich freue mich, dass Sie an einem Freitag so zahlreich erschienen sind, um über verkehrspolitische Themen zu diskutieren. Ich glaube, dass wir heute eine ganze Reihe guter und wichtiger Entscheidungen treffen werden. ({0}) Lassen Sie mich diese Gelegenheit nutzen, um vier wichtige verkehrspolitische Punkte aufzuzählen, die die Bundesregierung und die sie tragenden Koalitionsfraktionen durchgesetzt haben: Erstens. Aus dem Gegeneinander der Verkehrsträger wurde ein Miteinander. Ich glaube, die Gleichberechtigung aller Verkehrsträger - das hat die Verkehrswirtschaft auch gewürdigt - ist gelungen. Wir haben die Verkehrsträger nicht gegeneinander ausgespielt. Die Mobilitätsoffensive des Bundeskanzlers hat dies noch einmal ausdrücklich unterstrichen. ({1}) Zweitens. Während die alte Bundesregierung die Investitionen in die Verkehrsinfrastruktur, vor allem im Schienenbereich, systematisch heruntergefahren hat, haben wir die Ausgaben für Straße und Schiene auf Rekordniveau gebracht. Das war angesichts der Prognosen eine wichtige Entscheidung. ({2}) Drittens. Die Politik der alten Regierung hat wegen ihrer Furcht vor Reformen zum verkehrspolitischen Stillstand geführt. Wir haben die notwendigen Reformen offensiv angepackt. Das beweisen das Gesetz über die LKW-Maut und das Gesetz zur Änderung des Regionalisierungsgesetzes, über das wir heute diskutieren. Unsere Ergebnisse können sich unter dem Aspekt einer zukunftsgewandten Mobilität sehen lassen. ({3}) Viertens. Wir haben die Probleme gelöst, die die alte Bundesregierung nicht angepackt hat. Ein Beispiel dafür ist der Staatsvertrag mit der Schweiz, den wir heute ratifizieren werden. Er wird dazu führen, die beim Anflug auf den Flughafen Zürich-Kloten entstehende Lärmbelastung zwischen der deutschen und der schweizerischen Bevölkerung gerecht zu verteilen. Ich kann der Schweiz nur Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer empfehlen, diesen Vertrag ebenfalls zu ratifizieren. Anderenfalls würden wir mit einer Rechtsverordnung auf einem ganz anderen Niveau reagieren. Es ist jedenfalls sinnvoll, dass wir heute diesen Vertrag ratifizieren. ({4}) Dieses Thema ist von der alten Regierung 16 Jahre lang nicht angepackt worden. Es gibt in meinem Haus kein einziges Schreiben des Ministerpräsidenten Teufel aus der Zeit der christlich-liberalen Koalition, in dem dieses Thema aufgegriffen worden wäre, obwohl die Belastung der Bevölkerung immer sehr hoch war. Wir haben den Vertrag mit der Schweiz gekündigt und einen neuen ausgehandelt, der sich sehen lässt. ({5}) Meine Damen und Herren, heute werden wir ein weiteres wichtiges Element unserer Reformpolitik verabschieden. Nachdem bereits das LKW-Maut-Gesetz den Wechsel von einer ausschließlichen Steuerfinanzierung zu einer Nutzerfinanzierung im Schwerlastverkehr herbeigeführt hat, werden wir nun mit der Finanzierungsgesellschaft die Zweckbindung der Ausgaben festlegen. Das ist ebenso richtig wie die Tatsache, dass wir die Mittel so verwenden wollen, wie es einem integrierten Verkehrssystem entspricht. Daher sollten wir den vorliegenden Gesetzentwurf gemeinsam beschließen. ({6}) In der Regierung Kohl sind alle Bemühungen gescheitert, eine Nutzerfinanzierung für den Schwerlastverkehr einzuführen. Die Herren Warnke, Krause und Wissmann sind nicht deswegen gescheitert, weil sie den Konflikt gescheut hätten, sondern deswegen, weil es in der damaligen Koalition keine Einigung gab. ({7}) Wir dagegen haben ein schlüssiges Konzept, das wir Zug um Zug durchsetzen werden. Das heute zu verabschiedende Gesetz wird dazu beitragen. ({8}) An dieser Stelle möchte ich auf das Thema Unabhängigkeit von Netz und Betrieb eingehen. Ich erinnere mich noch an die Worte von Herrn Fischer, Herrn Lippold und Herrn Merz, die heute alle nicht anwesend sind. Sie haben das Ergebnis der Task Force kritisiert und etwas völlig anderes verlangt. ({9}) - Herr Fischer ist gerade gekommen. Ich freue mich, Sie zu sehen, Herr Fischer. Ihr Kandidat hat genau das Gegenteil dessen erklärt, was Sie hier immer laut tönend verbreitet haben; ({10}) er hält die Ergebnisse der Task Force für richtig und verlangt auch nicht mehr. Dies ist ein weiterer Beleg dafür, dass die Union uneinig ist. Das ist vielleicht gar nicht so schlecht. Lassen Sie mich bilanzieren: Das, was Sie in der Vergangenheit nicht geschafft haben, haben wir geschafft: Wir haben Reformen auf den Weg gebracht. Ich bin fest davon überzeugt, dass unser Weg vor dem Hintergrund der prognostizierten großen Zuwachsraten im Verkehr richtig war, die Investitionen auf einen angemessenen Stand zu bringen, ohne einzelne Verkehrsträger zu bevorzugen oder zu benachteiligen. Wir haben in einem Viertel der Zeit, die Sie bei Ihrer Regierungsverantwortung zur Verfügung hatten, das Erforderliche getan. Die Verkehrswirtschaft, aber auch die Menschen, die Mobilität am Wirtschaftsstandort Deutschland brauchen, wissen dies zu würdigen. ({11}) Ihre Politik in der Vergangenheit beinhaltete, dass Sie die Verkehrsprojekte „Deutsche Einheit“ auf Pump und zulasten des Erhaltungsaufwandes in den alten Bundesländern, vor allem den Ländern im Westen, gebaut haben. ({12})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Fischer?

Kurt Bodewig (Minister:in)

Politiker ID: 11003051

Nein. Ich bin immer für Zwischenfragen zu haben, aber nicht an einem Freitagnachmittag. Ich glaube, dies ist im Interesse des Hohen Hauses. ({0}) - Sie haben damals den Westen systematisch vernachlässigt. Wir machen das ganz anders: Wir betreiben den Aufbau Ost auf hohem Niveau und bauen die Verkehrsinfrastruktur zur richtigen Zeit, im richtigen Maß und mit der richtigen Entschlossenheit auf, erhöhen aber zugleich die Investitionen für den Erhalt und den Ausbau im Westen. Beides ist gleichberechtigt zu sehen, beides ist für gleiche Lebensbedingungen in Deutschland wichtig. Ich komme auf Ihre politischen Vorstellungen zurück. Als Herr Stoiber etwas konkreter geworden ist, hat er - das war sehr interessant - zum Ausdruck gebracht, er wolle die Staatsquote auf 40 Prozent senken. ({1}) Was heißt das für die Mobilität in Deutschland? - Die klare Antwort: Investitionen in Höhe von 170 Milliarden Euro werden in den Haushalten von Bund, Ländern und Kommunen gestrichen werden müssen. Bei dieser Staatsquote müsste der Bundeshaushalt um ein Drittel reduziert werden. Das würde für den Investitionsetat meines Hauses bedeuten, dass statt 13 Milliarden Euro nur noch 8,5 Milliarden Euro zur Verfügung stünden. Für den Verkehrsbereich stünden statt 11,5 Milliarden Euro nur noch 7,5 Milliarden Euro, also 4 Milliarden Euro weniger, zur Verfügung. ({2}) Diese Zahlen gelten aber nur dann, wenn man gleichzeitig die Sach- und Personalkosten ebenfalls um ein Drittel reduzierte. Anderenfalls müssten 8 Milliarden Euro eingespart werden. Ihr Kandidat kommt bekanntlich aus Bayern. Daher sollte man auch einmal den Bayern sagen, was eine Staatsquote von 40 Prozent für ihr Land bedeutet. ({3}) Bayern erhält zurzeit 15 Prozent der Verkehrsinvestitionen des Bundes. Kürzungen um 4 Milliarden Euro würden Bayern jährlich mit 600 Millionen Euro belasten. ({4}) Das bedeutete konkret, dass in den nächsten zehn Jahren kein einziger Neubeginn von Investitionen im Straßenbau mehr stattfände und wir einen Baustopp für laufende Projekte verhängen müssten. Das hieße, das Schienenprojekt Nürnberg-Berlin, das 7 Milliarden Euro kostet, und der Ausbau der A 8 zwischen Günzburg und Augsburg, der 300 Millionen Euro kostet, fänden nicht mehr statt. ({5}) Das bedeutete, der Lückenschluss A 7 von Nesselwang nach Füssen, der 125 Millionen Euro kostet, fände nicht mehr statt. ({6}) Sie können diese Beispiele durchdeklinieren. Ich verstehe, dass Ihnen das nahe geht. Das wäre ein Todesstoß für Mobilität in Süddeutschland. Das sollten wir nicht machen. Deswegen ist es gut, dass wir die Staatsquote thematisieren. Ein anderer Punkt ist ebenso wichtig und genauso ernsthaft zu erörtern. Wir wissen, dass wir mit der Kürzung von Investitionen die Beschäftigungswirksamkeit der Wirtschaft ganz massiv beeinträchtigten. Diese um 4 Milliarden Euro verminderten Investitionen bedeuten jedes Jahr 110 000 Arbeitsplätze weniger. Das wäre - allein auf mein Haus bezogen - die Konsequenz eines solchen Haushalts. Ein insgesamt von der Bundesregierung einzusparendes Investitionsvolumen von 80 Milliarden Euro bedeutete ein Vielfaches dieser Auswirkungen. Deswegen tun wir gut daran, mit hohen öffentlichen Investitionen und mit privaten Betreibermodellen Kurs zu halten. Dies trifft auf Bayern genauso zu. Wir wissen, dass wir mit Betreibermodellen mehr erreichen können. Aber das heißt nicht, dass wir auf Steuerfinanzierung verzichten können. Deswegen werden die Menschen am 22. September sehr bewusst entscheiden können. Eine solche Politik wird nicht gewählt. ({7}) Wer das Blaue vom Himmel verspricht, der steht nicht mit den Füßen auf der Erde. Ich glaube, wir schaffen ein gutes Fundament. Darauf werden wir dann auch aufbauen. Die heute zu beschließenden Gesetze werden dazu beitragen. Vielen Dank. ({8}) - Eine kleine Empfehlung am Freitag Nachmittag: Übermut tut selten gut. ({9})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Georg Brunnhuber.

Georg Brunnhuber (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000284, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! ({0}) Herr Minister! Wir haben in dieser Legislaturperiode sicherlich schon viele Gesetze verabschiedet. Einige davon waren wichtig, andere weniger wichtig. Das Verkehrsinfrastrukturfinanzierungsgesellschaftsgesetz, das wir heute verabschieden werden, ist nicht nur unnütz, sondern überhaupt nicht brauchbar. Diese Aussage stammt nicht von der CDU/CSU oder der Opposition, ({1}) sondern vom Bundesrechnungshof. Wenn ich Minister wäre, ({2}) was ja noch kommen kann, Herr Schmidt, ({3}) dann würde ich diejenigen in meinem Hause, die mir ein solches Gesetz vorlegen, vielleicht ins Archiv verdonnern. Ich würde sie auf jeden Fall aus wichtigen Positionen entfernen, denn sie haben Ihnen persönlich und der gesamten deutschen Verkehrspolitik weiteren Schaden zugefügt. ({4}) Gesetze, die nichts taugen, die für den Zweck, zu dem man sie eigentlich benötigt, nicht anwendbar sind, sind nicht nur für die deutsche Gesamtgesellschaft ohne Nutzen, sondern dienen nur dazu, irgendetwas zu kaschieren. ({5}) Jetzt fragen wir uns, was Sie kaschieren wollen, Herr Minister. Zu Ihrer Aufzählung von Vorhaben der Verkehrspolitik halten wir zunächst einmal fest: Sie sind in dreieinhalb Jahren immerhin schon der dritte Verkehrsminister. Auch das ist schon eine starke Leistung einer Regierung. ({6}) Ihre Aufzählung dessen, was man gemacht hat oder was man noch hätte machen können, zeigt nur eines: Die Vermutung, dass Sie heute Ihre Abschiedsrede gehalten haben, ist begründet, denn Sie sind ja auch schon von Ihrem Kanzler nicht mehr besonders erwähnt worden. ({7}) Sie sagen selbst, dass sich am 22. September der Bürger entscheiden wird. Wir gehen davon aus, dass er sich auch anguckt, was Sie entschieden haben. Sie haben die LKW-Maut beschlossen und wollen die Mittel über die Verkehrsinfrastrukurfinanzierungsgesellschaft verteilen. ({8}) - Da merkt man, dass auch der Herr Weis - er ist immerhin der verkehrspolitische Sprecher ({9}) nicht verstanden hat, um was es geht. Sie bekommen dadurch keine zusätzlichen Mittel und das ist die Krux dieses Gesetzes. ({10}) Sie machen ja Folgendes: Eine Gesellschaft wird vor das Ministerium geschaltet. Die Mittel, die hereinkommen, stammen - so erklären Sie - nicht direkt aus der LKW-Maut; der Finanzminister kassiert alles und er entscheidet auch, was diese Gesellschaft bekommt. Der Verkehrsminister darf vielleicht noch mit entscheiden, was damit gemacht wird - das jährlich und nach Gusto. ({11}) Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen aus den Koalitionsfraktionen, Sie sollten sich nochmals die Protokolle der Anhörung durchlesen. ({12}) Ich bin der FDP ausdrücklich dankbar dafür, dass sie damals diese Anhörung gefordert hat. In der Anhörung kam zum Beispiel von Professor Aberle und anderen Kapazitäten der Hinweis, dass die GmbH, die Sie vorgesehen haben, eventuell gar nicht eingetragen werden kann. Sie hat zwar einen Geschäftsführer, der sehr viel Geld bekommt - noch weiß man nicht, ob er aus dem Haus kommt, ob er sogar im Ministerium bleibt und nur Geschäftsführer wird -, aber keinerlei Kompetenz hat. Er hat keine gesicherten Einnahmen, sondern ist auf Dritte angewiesen. Eine GmbH, die keinen eigenen direkten Einfluss auf die Einnahmen hat, ist gar nicht geschäftsfähig. Deshalb sollten Sie, Herr Minister Bodewig und Ihr Haus, sich ganz genau überlegen, ob man diesen kapitalen Fehler wirklich machen will. Es kommt ein Zweites hinzu. Sie gründen eine Verkehrsinfrastrukturfinanzierungsgesellschaft und haben mit der Verteilung der Mittel aus der LKW-Maut nachweislich ein erhebliches Problem, weil weniger Mittel, als an Gebühren anfallen, in die Straße - dort werden sie ja eingenommen - zurückfließen. ({13}) Dass das verfassungsrechtlich einwandfrei ist, ist bei der Anhörung ebenfalls sehr in Zweifel gezogen worden. ({14}) - Darüber würde ich nicht lachen; ({15}) denn wenn es eine Klage gibt, funktioniert es nicht. ({16}) Wir sehen, dass diese Regierung wirklich nicht imstande ist, auch nur die normalsten Verwaltungsaufgaben zu erfüllen. Da vergibt man vor einem halben Jahr den Auftrag für die Technik zur LKW-Maut, jetzt ist es Mai und man hat immer noch keine Entscheidung getroffen, weil ein Oberlandesgericht die offensichtlich schlampig verwaltete Vergabe rückgängig gemacht hat. Jetzt ist Mai und man sagt: Am 1. Januar können wir das natürlich noch nicht einführen; wir brauchen wahrscheinlich bis zum Sommer. - Die ersten Stimmen sagen auch schon: Wahrscheinlich wird es das ganze nächste Jahr nichts. - Da fragt man sich doch allen Ernstes - das müssen Sie sich doch auch fragen -: Wie wollen Sie denn das Anti-StauProgramm und viele andere Dinge finanzieren, wenn Sie für das ganze Jahr keine Einnahmen haben? ({17}) Entweder haben Sie innerlich schon aufgegeben und sagen sich: „Es wird nach dem 22. September eh nicht mehr von uns umzusetzen sein“ ({18}) oder Sie verstehen die Zusammenhänge nicht. Noch ein Allerletztes; da stört mich etwas wirklich. Wir als Opposition haben Sie, Herr Minister, in den ersten eineinhalb Jahren gut begleitet, weil wir sahen: Bei der Schiene wollen Sie die klare Trennung von Netz und Betrieb. Sie haben dies auch auf dem Parteitag der Grünen deutlich gemacht. Dafür hatten Sie unsere Unterstützung. ({19}) Sie sind zurückgepfiffen worden. Sie sind eingebrochen. Sie haben im Grunde genommen nichts mehr zu sagen. Nur Ihr Bundeskanzler hat die Sache im Griff. ({20}) Sie haben auf den verschiedenen Tagungen der Verbände des Güterkraftverkehrs gesagt: Entweder fällt die Dieselsubvention in den anderen Ländern der EU weg oder wir steigen in die Subvention ein. Wir wollen größtmögliche Harmonisierung für das Gewerbe. - Nichts von alledem ist geschehen. Ganz im Gegenteil: Sie mussten klein beigeben. Weil der Finanzminister eine Kungelei in Bezug auf die Bergleute und die Subvention für den Kohleabbau gemacht hat, mussten Sie auch noch akzeptieren, dass die anderen Länder in Europa weiterhin den Diesel subventionieren. Damit nehmen Sie in Kauf, dass circa 100 000 Arbeitsplätze für LKW-Fahrer in Deutschland wegfallen. Sie sind damit nicht nur mit der Verkehrspolitik gescheitert, sondern auch mit Ihrer Wirtschaftspolitik gescheitert. ({21}) Sie sind vor allem dabei gescheitert, den Menschen in Deutschland die Hoffnung zu geben, dass es mit der Verkehrspolitik wieder besser wird. Sie sind gegen Mobilität. Ein Verkehrsministerium müsste für mehr Mobilität sein, damit die Menschen mehr Möglichkeiten haben, zueinander zu kommen. Was Sie heute gesagt haben, war eine Offenbarung. Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, wir gehen davon aus, dass nach dem 22. September die Dinge wieder in Ordnung gebracht werden. ({22})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Jetzt hat der Abgeordnete Ali Schmidt das Wort.

Albert Schmidt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002779, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Kritik des Bundesrechnungshofes im Hinblick auf die Verkehrsinfrastrukturfinanzierungsgesellschaft hat im Wesentlichen zum Gegenstand - anders, als es der von mir sehr geschätzte Kollege Brunnhuber eben dargestellt hat -, ({0}) dass hier eine Parallelstruktur entstehen könnte, die sich im Verwaltungsprozess als ineffizient erweisen könnte. Dieser Kritik sollte man sich sehr ernsthaft stellen. Wir haben das getan. Deshalb gibt es von beiden Koalitionsfraktionen Änderungsanträge zu dem vorliegenden Gesetzentwurf der Bundesregierung, über die wir heute ebenfalls abstimmen werden. Worum es bei der Verkehrsinfrastrukturfinanzierungsgesellschaft geht, ist kein Verwaltungsproblem. Es ist etwas ganz anderes. Es kann niemand bestreiten, dass mit der Einführung der LKW-Maut für die transportierende und für die verladende Wirtschaft erhebliche zusätzliche Kosten verbunden sind. Die Akzeptanz der LKW-Maut hängt sehr davon ab, dass garantiert werden kann, dass die Nettoeinnahmen aus dieser Maut wieder in das Verkehrsnetz reinvestiert werden. Um das sicherzustellen und um diesen Prozess transparent und umsetzbar zu machen, brauchen wir die Verkehrsinfrastrukturfinanzierungsgesellschaft. Die Reinvestition in das integrierte Verkehrssystem, Herr Kollege Brunnhuber, ist keine deutsche Marotte und auch keine rot-grüne Ideologie. Damit wird 1 : 1 umgesetzt, was als verkehrspolitische Vorgabe der Europäischen Union aus Brüssel kommt. Ich erinnere in diesem Zusammenhang an das Weißbuch zur Verkehrspolitik vom September des letzten Jahres, in dem ausdrücklich festgehalten wird, dass die Reinvestition der LKW-Maut in das gesamte Verkehrssystem und in alle Verkehrsträger gemäß ihren Stärken sowie in die Vernetzung der zielführende und richtige Weg für ein zukunftsfähiges Verkehrssystem ist. Infolgedessen sind wir mit der Verwendung der LKW-Maut gemäß dem vorliegenden Gesetzentwurf genau auf dem richtigen Weg. ({1}) Die Einrichtung der Verkehrsinfrastrukturfinanzierungsgesellschaft liefert außerdem den stichhaltigen Beweis dafür, dass es eine Zweckbindung dieser Einnahmen gibt, die nicht jedes Jahr - ich sage das deutlich - je nach Haushaltslage vom Bundesfinanzminister beliebig zur Disposition gestellt werden kann und neu verhandelt werden muss. Mit den dieser Gesellschaft zugewiesenen Mitteln kann zuverlässig in die Verkehrswege investiert werden. Darüber hinaus wird diese Gesellschaft auch ein Kompetenzzentrum werden. Es ist nämlich eine weitere Aufgabe dieser Gesellschaft, die privat finanzierten Projekte nach dem Betreibermodell zu entwickeln, zu verhandeln und durchzuführen. Ich möchte aber nicht verhehlen, dass sich die Koalitionsfraktionen viele Gedanken über Änderungen des vorliegenden Gesetzentwurfes gemacht haben. Ich will Ihnen dies im Folgenden kurz skizzieren. Um die Gefahr des Entstehens eines Schattenhaushaltes abzuwenden, haben wir vorgeschlagen - auch darüber werden wir heute abstimmen -, dass diese Gesellschaft nicht eigenmächtig Anleihen oder Kredite aufnehmen kann. Wir haben weiterhin festgelegt, dass als Anlage zum künftigen Bundeshaushaltsplan im Rahmen einer besonderen Titelgruppe sämtliche mautfinanzierten Projekte aufgelistet und damit vom Bundestag beraten und beschlossen werden können. Das sichert uns als Gesetzgeber die Hoheit, gegebenenfalls zu entscheiden, was gebaut wird und was nicht. Wir wollen erreichen - dazu gibt es einen Änderungsantrag bezüglich § 2 Abs. 2 Verkehrsinfrastrukturfinanzierungsgesellschaftsgesetz -, dass das starre Prinzip der kameralistischen Haushaltsführung, wonach Mittel, die bis zum Jahresende für einen bestimmten Zweck noch nicht ausgegeben worden sind, automatisch an den Finanzminister zurückgehen, an dieser Stelle künftig flexibler gehandhabt wird. Diese Mittel können also im Folgejahr für denselben Zweck erneut, also zusätzlich, zur Verfügung gestellt werden. Das ist nicht nur eine Modernisierung hinsichtlich der Verwaltung, sondern auch hinsichtlich des politischen Vorgehens im Hinblick auf die Investitionen. Ich halte das für einen großen Fortschritt. Die von uns heute ebenfalls beantragte Berichtspflicht, nämlich dass diese Gesellschaft dem Parlament gegenüber jedes Jahr Rechenschaft über Investitionen und Ausgaben ablegen muss, bedeutet das Gegenteil von Kaschieren, wie Sie, Herr Kollege Brunnhuber, hier behauptet haben, vielmehr ist es Transparenz pur. ({2}) Ich möchte hier kurz zu einem zweiten Komplex Stellung nehmen. Heute kommt eine nahezu unendliche Geschichte zum Abschluss - das gilt jedenfalls für dieses Haus; ich bin überzeugt, dass das in wenigen Tagen oder Wochen auch generell der Fall sein wird -: Es ist die lange Auseinandersetzung um das Regionalisierungsgesetz, also um die Höhe der Beträge, die der Bund an die Bundesländer insbesondere zur Bestellung von Materialien für den Schienenpersonennahverkehr überweist. Ich bin sehr stolz darauf - das sage ich hier auch als grüner Verkehrspolitiker -, dass es uns heute gemeinsam gelingt, Nahverkehrsmittel in Rekordhöhe zur Verfügung zu stellen. Was wir heute bewilligen werden, sind Rekordsummen, die es in diesem Land für den Nahverkehr noch niemals gegeben hat. ({3}) Der Bund verzichtet mit dem vorliegenden Gesetzentwurf auf Rückforderungen an die Länder in Höhe von über 750 Millionen Euro, die ihm zustehen. Die Länder bekommen allein für das letzte Jahr 13,4 Milliarden DM statt 12,8 Milliarden DM, die ihnen nach geltendem Recht eigentlich zustehen. Doch nicht nur das: Wir heben nicht nur den Sockelbetrag auf ein Rekordniveau, sondern wir garantieren gleichzeitig eine jährliche Dynamisierung in Höhe von 1,5 Prozent, festgeschrieben bis zum Jahr 2007. Ich kann nur noch an den Bundesrat appellieren: Um Himmels willen, stimmt Ende Mai zu, grüner wird es nimmer! ({4}) Man muss jetzt zugreifen. Lassen Sie uns diesem Gesetz heute mit großer Mehrheit zustimmen! Auch die Kollegen der CDU in Thüringen haben vorgestern im Verkehrsausschuss des Bundesrates zugestimmt bzw. auf die Anrufung des Vermittlungsausschusses verzichtet. Sie wissen, was sie mit diesem Gesetz angeboten bekommen. ({5}) Für mich persönlich ist sehr wichtig, dass durch die Verabschiedung dieses Gesetzes auch das Thema Interregio entschärft würde; denn durch dieses Gesetz bekommen die Länder genügend finanziellen Spielraum, um gegebenenfalls über die Bezuschussung von interregionalen Verkehren, über den Ersatz von interregionalen Verkehren und über Bestellungen bei anderen Verkehrsunternehmen zu verhandeln. Das alles liegt nun im Ermessen der Länder; aber wir geben ihnen das nötige Geld, und zwar so großzügig wie noch niemals vorher. ({6}) Drittens. Im Hinblick auf die anstehende Abstimmung über den Staatsvertrag mit der Schweiz möchte ich den Flughafen Zürich-Kloten ansprechen. Ich möchte von hier aus die Kolleginnen und Kollegen aus der Schweiz, die mir schon aus rein geographischen Gründen sehr am Herzen liegen, inständig bitten, sich keinen falschen und illusionären Erwartungen hinzugeben. Manche in der Schweiz, zum Beispiel die Mitglieder des Verkehrsausschusses des Nationalrates, meinen, ein Nichtratifizieren des Vertrages durch die Schweiz habe zur Folge, dass hier, in Deutschland, nachgiebiger agiert werde. Dazu kann ich nur sagen: Diese Erwartung ist illusionär. Neuverhandlungen würden die Angelegenheit im Sinne der Schweiz nicht besser machen, sondern die Situation würde eher schwieriger werden. Auch die Menschen in der Region, in der Karin Rehbock-Zureich zu Hause ist, haben an diesem Kompromiss zu schlucken. Es handelt sich um einen fairen Interessenausgleich, der auch der deutschen Seite eine ganze Menge abverlangt. Sie muss nämlich akzeptieren, dass eben nicht alle Wünsche nach Schutz vor Fluglärm erfüllt werden. Dennoch wissen wir, dass die mittlerweile ausgehandelte Regelung erhebliche Verbesserungen bringt. Nicht nur die stufenweise Reduzierung auf 100 000 Flugbewegungen, sondern auch die Vereinbarungen über die Nachtruhe und die Sonntagsruhe sind wichtige Elemente dieser Regelung. Ich möchte auch an die Kolleginnen und Kollegen der CDU/CSU appellieren, keine falschen Erwartungen zu wecken. Herr Kollege Repnik, Sie haben in einer Pressemitteilung die Auffassung vertreten, dass der Deutsche Bundestag um Himmels willen nicht ratifizieren solle. Dazu möchte ich erst einmal sagen: Ich habe Verständnis für diese Position; denn dahinter steht die Absicht, durch weitere Verhandlungen bessere Ergebnisse zu erzielen. Wer wollte das nicht gern? Jeder von uns würde gern noch bessere Konditionen für die deutsche Seite aushandeln. Sie wissen, dass der Effekt wahrscheinlich gegenteilig wäre. Wenn wir heute nicht ratifizieren, dann wecken wir in der Schweiz falsche Hoffnungen. Umgekehrt wird also ein Schuh daraus! Wir müssen heute ratifizieren. Damit Albert Schmidt ({7}) machen wir klar: Wenn sich die Schweiz nicht auf diese Regelung einlässt, dann wird die vom Bundesverkehrsminister angesprochene Rechtsverordnung kommen und dann wird das Programm ganz andere Zahlen enthalten. Aus der Sicht der Schweiz wird es dann eher belastender als entlastender. Deshalb lassen Sie uns heute gemeinsam ein klares Signal für das Zustandekommen dieses Staatsvertrages setzen. ({8}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie mich abschließend - wir wollen alle ins verdiente Pfingstwochenende fahren - sagen: Mit der heutigen Verkehrsdebatte kommen einige wichtige verkehrspolitische Projekte zum Abschluss; sie erreichen damit das Bundesgesetzblatt: Es ist zunächst einmal das Verkehrsinfrastrukturfinanzierungsgesellschaftsgesetz, das den Komplex der LKW-Maut abschließt und die rechtlichen Voraussetzungen dafür schafft, dass es nächstes Jahr losgehen kann. Weiter sind es die Bestimmungen über die Regionalisierungsmittel und Nahverkehrsmittel. Über Investitionen ist bereits in der Aktuellen Stunde diskutiert worden. Lassen Sie mich abschließend außerdem sagen: Wir haben nicht nur bei den konsumtiven Mitteln, also bei den Nahverkehrsmitteln, Rekordsummen zur Verfügung gestellt, sondern auch bei den Investitionen. Ich bitte Sie als Partei, die das Wort „christlich“ in ihrem Namen führt, in diesem Punkt bei der Wahrheit zu bleiben. Diese Bundesregierung und dieses Parlament mit seiner Mehrheit stellen in diesem Jahr 11,5 Milliarden Euro für Verkehrsinvestitionen zur Verfügung. ({9}) Das sind 2 Milliarden Euro oder 4 Milliarden DM mehr als 1998, als wir die Verantwortung übernommen haben. ({10}) Wenn Sie jemals auch nur einen Bruchteil dieser Steigerungen hinbekommen hätten, verehrte Frau Kollegin Blank, hätten Sie sich die Finger geleckt. ({11}) Wir haben das trotz Haushaltskonsolidierung, trotz Steuerreform, trotz Schuldentilgung und trotz Rückführung der Neuverschuldung erreicht. Die eigentliche Leistung dieser Regierung ist, dass sie bei den Investitionen und bei den Nahverkehrsmitteln Rekordsummen zur Verfügung stellt, obwohl sie gleichzeitig Enormes für die Konsolidierung des Haushalts erreicht hat. Ich bitte Sie, das fairerweise anzuerkennen. ({12})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Horst Friedrich.

Horst Friedrich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000593, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Herr Verkehrsminister, ich muss zugeben: Ich bin nach wie vor tief beeindruckt von Ihrer fulminanten, flammenden Abschiedsrede, die Sie heute im Deutschen Bundestag gehalten haben. ({0}) Wenn das die Verkehrspolitik ist, mit der Sie sich am 22. September dem Verkehrsgewerbe als Alternative präsentieren wollen, kann ich nur sagen: Davor haben wir tatsächlich keine Angst. ({1}) Das, was Sie heute hier geboten haben, ist ein klassisches Spiegelbild Ihrer Verkehrspolitik der abgelaufenen Legislaturperiode. Zu Beginn der Amtszeit der ganzen neuen Regierung hat eine große deutsche Zeitung mit vier Buchstaben die Kunst Ihrer Regierungsfähigkeit beschrieben mit dem Ausdruck „Avanti dilettanti“. ({2}) Sie bieten heute hier ein Paket wichtiger Gesetze, die wir im Schweinsgalopp durch die parlamentarischen Beratungen geprügelt haben. Sie haben sich zunächst einmal gegen Anhörungen gewehrt. Die Anhörungen, die wir mit unserem Oppositionsrecht durchgesetzt haben, weil wir der Meinung waren, sie seien notwendig, haben gezeigt, dass Ihre Gesetzentwürfe nach wie vor vor Fehlern strotzen. Sie sind aber nach wie vor beratungsresistent. Die Ausschussberatungen in der letzten Woche haben gezeigt, dass Sie Beratungen entweder nicht ernst nehmen, wie beim Donau-Ausbau, oder dass Sie nicht willens sind, Kritik tatsächlich umzusetzen. ({3}) Die entscheidenden Fehler sind nämlich nach wie vor nicht beseitigt. ({4}) Beginnen wir mit dem Verkehrsinfrastrukturfinanzierungsgesellschaftsgesetz. Sie schaffen eine neue Gesellschaft, deren Aufgaben auch eine Abteilung in Ihrem Hause übernehmen könnte; denn das Geld für die Gesellschaft kommt aus dem Bundeshaushalt. Sie hat kein originäres Einnahmerecht. Sie macht genau das, was eine Abteilung Ihres Hauses auch macht: Sie gibt nach Anweisungen des Finanzministers Geld an die entsprechenden Projekte weiter. ({5}) Sie hängen das Ganze am so genannten A-Modell auf und lassen dabei offensichtlich die Probleme des Mittelstands in der Bauwirtschaft vollkommen außer Acht. Ein Podiumsgespräch im bedeutendsten Wahlkreis DeutschAlbert Schmidt ({6}) lands, dem des Vorsitzenden des Verkehrsausschusses des Deutschen Bundestages, hat ergeben: Die mittelständische Bauindustrie hat einfach Angst. Ich sage: zu Recht. ({7}) In Ihren Vorschlägen hinsichtlich Übertragung werden die Probleme des Mittelstandes im Hinblick auf Basel II, auf Eigenkapitalausstattung, auf Finanzierungspakete unter den Tisch gekehrt und nur die großen Bauunternehmen sind überhaupt in der Lage, Angebote abzugeben. Das ist das Gegenteil der von Ihnen behaupteten Mittelstandspolitik. ({8}) Herr Minister Bodewig, Sie haben gesagt, wir hätten keinen Mut gehabt, Privatfinanzierung anzupacken. Wenn ich alles richtig begriffen habe, wollen Sie jetzt ein Fernstraßenbauprivatfinanzierungsgesetz ändern, das aus dem Jahr 1994 stammt. ({9}) Anhand der Handbücher des Deutschen Bundestages stelle ich fest, dass im Jahr 1994 offensichtlich eine andere Mehrheit als die jetzige dieses Gesetz beschlossen hat. Insofern fällt Ihr Vorwurf auf Sie zurück. Das Problem ist: Sie sind noch nicht einmal in der Lage, ein Änderungsgesetz so zu gestalten, dass die beiden Projekte, die bereits aufgrund des bestehenden Gesetzes angegangen worden sind, fortgeführt werden können. ({10}) Im Übrigen, dieses bestehende Gesetz haben Sie, Herr Kollege Weis, abgelehnt. - Als an Ihrer Stelle noch die Kollegin Ferner saß, hat die Sozialdemokratie die Privatfinanzierung als Werk des Teufels bezeichnet. ({11}) Denn für Sie war die Infrastrukturfinanzierung ausschließlich eine staatliche Daseinsvorsorge. Jetzt hier zu erklären, Sie seien die Erfinder der Privatfinanzierung, ist eine Lachnummer auf hohem Niveau, Herr Kollege Weis. ({12}) Sie sind ja noch nicht einmal in der Lage, die berechtigten Bedenken der beiden Konsortien, die die zwei Privatfinanzierungen in Rostock und in Lübeck vorantreiben, in einer entsprechende Übergangsregelung aufzunehmen, weil es eine Umstellung bei der Konzessionsverteilung gibt. Die bestehenden Rechte müssen aus meiner Sicht gewahrt bleiben. Das ist eine gute Gesetzestechnik. Aber diesen Pfad - ich habe es Ihnen schon einmal gesagt - haben Sie verlassen. Herr Kollege Schmidt, das gilt im Übrigen auch für das Regionalisierungsgesetz. Es ist ja wunderschön, dass Ihr Finanzminister an die Wurzeln dieses Gesetzes, das im Übrigen im Jahre 1996 von uns beschlossen worden ist, die Axt gelegt hat, indem er öffentlich erklärt hat, er wolle die Ausgaben nicht steigern. ({13}) In Ihrer Regierungszeit ist es jetzt auf Druck der Länder ({14}) - selbstverständlich! - auf einem Pfad, den wir vorgegeben hatten, umgesetzt worden und die damit verbundenen Ausgaben sind erhöht worden. Folgendes packen Sie allerdings nicht an - diesen Vorwurf sollten Sie sich schon gefallen lassen -: Warum fangen Sie, Herr Schmidt, wenn Sie schon so sehr für Wettbewerb sind, nicht an, die Gewährung der Regionalisierungsmittel an den Wettbewerb zu binden? ({15}) - Selbstverständlich machen sie das. ({16}) Es kann doch nicht sein, dass sich Länder im Rahmen von Zehnjahresverträgen an die Deutsche Bahn binden, gleichzeitig den Wettbewerb in Bezug auf diese Mittel ausschließen und sie deswegen die zielgerichtete Verwendung der staatlichen Gelder bzw. eine bessere Einkaufssituation verhindern. Wir werden Ihre Gesetzentwürfe ablehnen, und zwar nicht, weil wir der Meinung sind, das sei die falsche Richtung, sondern deswegen, weil wir die Qualität der Gesetzentwürfe verändern wollen. Herr Kollege Schmidt, Sie haben richtigerweise gesagt, Änderungen würden noch im Gesetzblatt aufgenommen. Gott sei Dank - so muss ich sagen - hat der Wähler mittlerweile im Bundesrat die Situation geschaffen, über dieses Verfassungsorgan sinnvolle Änderungen durchsetzen zu können. ({17}) Da im Bundestag derzeit andere Mehrheiten herrschen, werden wir das, was Sie offensichtlich verweigern, dort einbringen. Danke schön. ({18})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Kollege Wolf hat gebeten, seine Rede zu Protokoll geben zu dürfen.1 ({0}) Horst Friedrich ({1}) 1 Anlage 7 Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann hat jetzt die Abgeordnete Margrit Wetzel das Wort.

Dr. Margrit Wetzel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002494, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Herr Brunnhuber, Ihre Rede reizt zum Widerspruch. Sie haben soeben behauptet, unsere Wirtschaftspolitik und unsere Verkehrspolitik seien gescheitert. Vielleicht darf ich Sie einmal darauf aufmerksam machen, dass während Ihrer Regierungszeit überhaupt keine Wirtschaftspolitik stattgefunden hat. ({0}) Wir haben nur Scherben vorgefunden. Sie hätten einmal vorgestern im Plenum bei der Aktuellen Stunde anwesend sein sollen. Dann hätten Sie sich überzeugen können, wie die Daten sind. Wir haben sie vorgetragen. In allen Einzelkriterien haben wir deutlich bessere Daten aufzuweisen gehabt als zu Ihrer Regierungszeit. ({1}) Das Gleiche gilt für die Verkehrsinfrastruktur. Die Tour der 1 000 Spatenstiche von Herrn Wissmann ist vorbei. Der drastisch unterfinanzierte Bundesverkehrswegeplan, den Sie uns hinterlassen haben, ist während der kurzen Zeit, die wir zur Verfügung hatten, auf solide, überschaubare Einzelprogramme umgestellt worden, ({2}) die es ermöglichen, dass vernünftig weitergebaut wird. ({3}) Wir haben Projekte initiiert und sie werden fortgeführt. Die Zeit der Spatenstiche für Projekte, die dann doch nicht weitergeführt werden, ist vorbei. Genau die gleiche Situation besteht beim Einstieg in die Nutzerfinanzierung. Sie haben eine diesbezügliche Anhörung durchgesetzt. Wir hielten sie zunächst für nicht nötig, weil wir der Meinung waren, wir hätten einen guten Gesetzentwurf eingebracht. Das ist letztlich in der Anhörung bestätigt worden. Dass im Detail durchaus unterschiedliche Meinungen bestehen können, mag etwas anderes sein. Nichtsdestotrotz haben nahezu alle Experten übereinstimmend gesagt: Die Verkehrsinfrastrukturfinanzierungsgesellschaft ist ein richtiger Schritt in die richtige Richtung. Er ist jetzt notwendig. ({4}) Dann haben Sie behauptet, das Ganze werde nichts werden können, weil der Finanzminister über die Ausgaben zu entscheiden habe. Das ist schlicht und einfach falsch. Sie scheinen sich selbst nicht ernst zu nehmen. Die Entscheidungen sowohl über die Haushaltsmittel wie auch über die zu bauenden Projekte fallen hier im Parlament. ({5}) Offensichtlich ist Ihnen das überhaupt nicht bewusst: Das Parlament trifft diese Entscheidungen. Das sind wir und das sind auch Sie. Wir wollen keinen Schattenhaushalt aufbauen, sondern eine vernünftige, solide Finanzierung. Deshalb ist die Verkehrsinfrastrukturfinanzierung so, wie sie im Gesetz aufgebaut ist, richtig. Das ist wirklich eine Organisationsprivatisierung; das wissen Sie ganz genau. Sie gibt uns die Möglichkeit, auf eine deutlich flexiblere und konkretere Weise die Projekte umzusetzen. ({6}) Herr Bodewig hat schon darauf hingewiesen, welche Folgen „dreimal 40“ hätte. Ich darf hier zitieren aus einer neuen Presseerklärung des designierten Wirtschaftsministers unter Ihrer Regierung - die Sie erhoffen; ich denke, das wird nichts -, Lothar Späth. ({7}) Er hat den Zeitplan für massive Steuersenkungen im Wahlprogramm der Union infrage gestellt. Er sagt: Wir schauen uns die Konjunktur an und sehen dann schnell, was überhaupt umgesetzt werden kann und was nicht. Damit hat der Mann Recht. Wo er Recht hat, hat er Recht. Das muss man ihm zugestehen. Er hat weiter gesagt: Wir sind doch keine Weihnachtsmänner, die mit allen möglichen Geschenken daherkommen. Ich glaube, das sollten Sie sich einmal überlegen. Das war nämlich die Politik von gestern: Da sind Sie beim Bundesverkehrswegeplan als Weihnachtsmänner herumgelaufen und haben Versprechungen gemacht, die an keiner Stelle umgesetzt werden konnten. Herr Friedrich hat eben für sich in Anspruch genommen, dass unter Ihrer Regierung der Einstieg in die Privatfinanzierung vorgenommen wurde. Auch das ist im Grunde eine Scheindebatte. Sie haben damit völlig Recht: Wir haben 1994 das Fernstraßenprivatfinanzierungsgesetz abgelehnt - und das mit guten Gründen. Es gab nämlich überhaupt keine Informationen. Es gab keine Rechtssicherheit über die Projekte, keine Rechtssicherheit für die Betreiber und die Nutzer. Wir haben damals gesagt: Da wird kein einziger Betreiber kommen. - Da haben wir uns geirrt; das ist gut so. Der Leidensdruck in Lübeck und Rostock war so groß, dass sich dort Betreiber gefunden haben, die die Projekte angefangen haben. Nichtsdestotrotz müssen jetzt die Schwächen Ihres Gesetzes behoben werden. Deshalb nahmen wir eine Novellierung vor, gegen die Sie sich schon wieder wehren, was überhaupt nicht zu verstehen ist. ({8}) Das Gesetz ändert strukturell überhaupt nichts an dem, was Sie seinerzeit beschlossen haben. Vielmehr beseitigt es operationelle Defizite. Das ist dringend notwendig. Die Modalitäten für die Mautgebühren - für die Erhebung und für die berücksichtigungsfähigen Kosten - legen wir Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer grundsätzlich im Gesetz fest und regeln sie dann im Einzelnen bedarfsgerecht und zeitnah über Rechtsverordnungen. Bei Ihrer Kritik haben Sie verlangt, dass die Privatfinanzierung auf weitere Autobahnstrecken übertragen wird. Sie wissen ganz genau, dass das zurzeit europarechtlich nicht möglich ist, weil Doppelbemautung nicht zulässig ist. Zumindest wir haben nicht geplant, in absehbarer Zeit eine PKW-Maut einzuführen. Wenn Sie das wollen, dann sollten Sie das den Bürgern rechtzeitig sagen, am besten vor der Wahl. Insofern zeigen Sie selbst ganz deutlich, dass Ihre Argumentation eine reine Verzögerungstaktik ist. ({9}) Sie geht zulasten der Betreiber der Warnowquerung in Rostock und des Herrentunnels in Lübeck. ({10}) Das akzeptieren wir nicht. Weil wir das nicht akzeptieren, werden wir die Gesetze auch so beschließen, wie sie jetzt vorliegen. Sie haben noch einen dritten Streitpunkt angesprochen. Sie haben gesagt, wir hätten nicht einmal auf die Bedenken der Betreiber Rücksicht genommen. Das ist überhaupt nicht wahr. Die Bedenken sind ausgeräumt. Sie wissen ganz genau, dass der Streit darum ging, ob privates Entgelt mit Tarifgenehmigung oder eine Rechtsverordnung gewählt wird. Dieser Streit ist gegenstandslos, weil nämlich alle beiden Regelungen auf dem Gebührenrecht basieren würden. Das eine wie das andere öffnet keine weiteren Spielräume. Es macht auch keinen Unterschied, ob die dynamische oder die statische Mautkalkulation gewählt wird. Wir haben unsere Bereitschaft erklärt, nach den ersten Erfahrungen mit den Rechtsverordnungen das Thema noch einmal aufzugreifen und langfristig zu prüfen, so wie wir auch weiter prüfen, ob wir mit der Privatfinanzierung voranschreiten können. Jetzt geht es erst einmal darum, Rechtssicherheit für die in Betrieb gehenden Projekte zu schaffen. Deshalb sollten Sie im Sinne der entsprechenden Betreiber diesen Gesetzen zustimmen. Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit. ({11})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Hans-Peter Repnik.

Hans Peter Repnik (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001825, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Den Kennern der Szene wird bei der jetzigen Rednerreihenfolge vermutlich dämmern, dass es nicht um ein Thema geht, das Deutschland insgesamt bewegt. Es geht aber um ein Thema, das für eine der schönsten Regionen in Deutschland von elementarer Bedeutung ist. ({0}) - Verehrter Kollege Schmidt, wir alle haben schöne Wahlkreise. ({1}) Ich nehme für mich in Anspruch: Konstanz und der Bodensee gehören zu den schönsten. ({2}) Politik, meine Damen und Herren, muss man für die Menschen machen; Politik sollte man nicht gegen die Menschen machen. Die von der rot-grünen Mehrheit für heute geplante Ratifizierung des Staatsvertrags über ein bilaterales Luftverkehrsabkommen zwischen Deutschland und der Schweiz verletzt nach unserer Überzeugung grob die schutzwürdigen Interessen der Bürger im Schwarzwald und am Bodensee. ({3}) Für die von Fluglärm betroffenen Landkreise Waldshut, Konstanz und Schwarzwald-Baar, deren Landräte Bernhard Wütz, Frank Hämmerle und Karl Heim sich mit einer Petition im Namen fast aller Menschen dieser Region, im Namen der dortigen Bürgerinitiativen an alle Mitglieder des Deutschen Bundestages gewandt haben, ist diese heutige Ratifizierung eine schallende Ohrfeige. ({4}) Ich halte es, Herr Bundesminister Bodewig, für einen großen Fehler, den deutsch-schweizerischen Staatsvertrag heute im Deutschen Bundestag ratifizieren zu wollen. Ich habe auch, wie Sie wissen, im Vorfeld alles versucht, um die Entscheidung zu vertagen. Ich will dies begründen. Erstens. Das von der Bundesregierung mit der Schweiz - wie ich behaupte: dilettantisch - ausgehandelte Luftverkehrsabkommen belastet einseitig die Bodenseeregion und den Südschwarzwald ({5}) - Herr Kollege Schmidt, ich komme gleich noch auf Sie zu sprechen - und muss nachgebessert werden. Die Bevölkerung in den betroffenen drei Landkreisen leidet unter dem Lärm und unter den Umweltbelastungen durch den An- und Abflugverkehr des Flughafens Zürich. Die notwendige Reduzierung der Flugbewegungen über das deutsche Gebiet wird mit dem vorliegenden Staatsvertrag nicht erreicht. ({6}) - Verehrte Frau Kollegin Rehbock-Zureich, Sie wissen ganz genau, dass wir zwischenzeitlich einen neuen Sachverhalt haben: Wir haben neue Warteräume. Dieser neue Sachverhalt führt natürlich auch zu einem veränderten Verhalten. Deshalb hätten wir erwartet, dass dieser Vertrag besser ausgehandelt wird. ({7}) Ich füge ein Weiteres hinzu - Herr Kollege Schmidt, auch da darf ich auf Sie eingehen -: Es waren Schweizer Journalisten, es waren Schweizer Publikationen, die selbst die Frage aufgeworfen haben, warum die so genannte Goldküste am Züricher See geschont wird und warum die Warteräume ausschließlich auf deutschem Gebiet eingerichtet werden. ({8}) Selbst aus der Schweiz gibt es entsprechende Einsichten. Ein zweiter Grund spricht dafür, dass wir heute nicht ratifizieren sollten: Die für den Luftverkehr zuständige Kommission des schweizerischen Nationalrats hat im vergangenen Monat die Ablehnung des Staatsvertrages empfohlen. ({9}) - Sie haben gleich das Wort; Sie können gern darauf eingehen. - Ich will noch auf Folgendes hinweisen: Vorangegangen waren Forderungen des Flughafens Zürich, des Kantons Zürich und der neuen Swiss Airline mit dem Ziel, noch mehr Lärm und Umweltbelastungen, als nach dem Staatsvertrag ohnehin schon zulässig ist, in den Südschwarzwald und den Bodenseeraum zu exportieren. Eine abschließende Entscheidung des Nationalrats gibt es möglicherweise im nächsten Monat. Die Entscheidung des Ständerats ist frühestens im Herbst zu erwarten. Ich frage uns: Warum haben wir die Notwendigkeit, uns vor der Schweiz - die als Demonteur in dieser Frage auftritt und die von uns ein Entgegenkommen erwartet heute durch die Ratifizierung zu binden? ({10}) Warum warten wir nicht die schweizerische Ratifizierung ab? Dann können wir immer noch handeln. ({11}) Drittens. Ratifizieren die Schweizer Parlamente den Staatsvertrag nicht - danach sieht es fast aus -, muss dieser zwischen den Regierungen neu verhandelt werden. ({12}) - Herr Kollege Schmidt, Sie wissen ganz genau, dass diese Rechtsverordnung auf Dauer, gerade auch im bilateralen Bereich, keinen Bestand hat. Es muss doch neu verhandelt werden. Wenn wir aber heute den Staatsvertrag ratifizieren, dann verschlechtern wir die deutsche Verhandlungsposition bei den Nachverhandlungen; denn die Bundesregierung wird an einen Vertrag gebunden sein, der bereits vom deutschen Parlament ratifiziert worden ist. Das Parlament würde damit der deutschen Bundesregierung, wenn es darum geht, mehr für uns herauszuhandeln, in den Rücken fallen. Deshalb muss der Vertrag abgelehnt werden. ({13}) - Nein. Ich erinnere in diesem Zusammenhang an einen anderen Punkt: Die Übertragung der hoheitlichen Rechte an die Schweiz ist nach unserer Überzeugung ein großer Fehler; denn Deutschland überlässt in Art. 1 des Vertrags der Schweiz die Durchführung der Flugverkehrskontrolle in einem Großteil Süddeutschlands. Bis vor die Grenzen von Stuttgart wird in der Zukunft der Luftraum - die Schweiz hat dieses Recht an eine private Firma übertragen - von der Schweiz aus kontrolliert. Wir übertragen Hoheitsrechte nicht an einen anderen zwischenstaatlichen Bereich, sondern an eine private Firma. Dies widerspricht nach unserer Überzeugung den Art. 24 und 87 des Grundgesetzes. Diese Regelung ist fragwürdig, und es gibt namhafte Verfassungsrechtler, die diese Übertragung als verfassungswidrig bezeichnen. ({14}) War dies nötig? Wir sind da anderer Meinung. Meine Damen und Herren, lassen Sie mich auf eines hinweisen.

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Hans Peter Repnik (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001825, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sie wird ja nicht auf meine Redezeit angerechnet, gern.

Dr. Peter Danckert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003066, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Repnik, Sie tragen hier sehr temperamentvoll Ihre Bedenken vor. Sind Sie bereit, sich mit demselben Engagement gegen den Standort Schönefeld und für die dort Betroffenen einzusetzen?

Hans Peter Repnik (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001825, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr verehrter Herr Kollege Danckert, ich vertrete die Argumente deshalb mit einem so großen Engagement, weil viele Menschen bei uns im Süden Deutschlands davon negativ betroffen sind. ({0}) Ich nehme die Argumente der Menschen in unserer Region ernst. Mich beeindruckt schon die Sorge der Menschen davor, dass sie in der Nacht keine Ruhe mehr finden. Es beeindruckt mich schon, wenn ein Fremdenverkehrsgebiet wie der Hochschwarzwald oder die Bodenseeregion mit vielen Übernachtungsgästen dadurch nachhaltig beeinträchtigt wird. Lieber Herr Kollege Danckert, mich beeindruckt, wenn - so in meinem Wahlkreis - davon wichtige Rehabilitationskliniken negativ betroffen sind. Ich muss mich doch mit einem entsprechenden Engagement und entsprechender Verve einbringen. ({1}) Ich kann mir nur wünschen und kann nur hoffen, dass sich andere Kollegen, die in ihrem Wahlkreis möglicherweise ähnliche Probleme haben, genauso um die Sorgen der Menschen kümmern, wie Birgit Homburger, ich und andere dies tun. ({2})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Gestatten Sie auch eine Zwischenfrage des Kollegen Schmidt?

Hans Peter Repnik (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001825, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Vorhin wurde auf das bevorstehende Pfingstfest aufmerksam gemacht. Ich möchte die Kolleginnen und Kollegen nicht daran hindern, noch rechtzeitig in ihre Wahlkreise und zum Pfingstfest zu kommen. ({0}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich möchte zum Abschluss auf Folgendes hinweisen: Ich weiß sehr wohl - auch ich bin ein Begünstigter -, was der Flughafen Zürich-Kloten für die südliche Region Deutschlands bedeutet. Er ist für uns ein ganz eindeutiger Standortvorteil. Deswegen wissen wir auch, dass wir bestimmte Lasten auf uns nehmen müssen. Was wir erwarten, nicht mehr und nicht weniger - dieser Erwartung wurden Sie, Herr Bundesminister, nicht gerecht -, ist, dass es eine gerechte Lastenverteilung auf die Bürger in Deutschland und in der Schweiz gibt. Diese Gerechtigkeit in der Lastenverteilung wurde in den Verhandlungen nicht erreicht. ({1}) Nicht zuletzt aus diesen Gründen lehnen wir diesen Vertrag ab. ({2}) Ich muss Ihnen, Herr Bundesminister, noch einmal sagen: Sie haben die große Chance - ich habe gehört, dass Sie darauf bestanden haben, den Vertrag jetzt zu ratifizieren - vergeben, noch einmal im Sinne der Rechte der deutschen Bevölkerung im Süden Baden-Württembergs tätig zu werden. ({3})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Ich erteile dem Kollegen Schmidt das Wort zu einer Kurzintervention, weil er direkt angesprochen wurde.

Albert Schmidt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002779, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Kollege Repnik, Sie haben mich persönlich angesprochen. Gestatten Sie mir folgenden Hinweis, denn es ist schwer erträglich, hier zu hören, wie Sie sich als der Retter der vor Lärm zu schützenden Bevölkerung aufspielen: Die Verwaltungsvereinbarung mit der Schweiz, die jetzt durch den neuen Staatsvertrag abgelöst werden soll, datiert aus dem Jahre 1984. Ich frage Sie: Warum haben frühere Minister dieses Landes - Minister Wissmann und seine Vorgänger - all die Jahre, als das Problem schon existierte und die Klagen laut wurden, nicht versucht, einen neuen Staatsvertrag auszuhandeln? Warum haben Sie keine Rechtsverordnung angekündigt oder sogar erlassen? Sie haben es immer nur bei folgenlosen Protestbriefen belassen. Die jetzige Regierung hat im Mai 2000 die Verwaltungsvereinbarung gekündigt und sie hat den Staatsvertrag ausgehandelt. Es wird auch diese Regierung und diese Parlamentsmehrheit sein, die den Staatsvertrag heute ratifizieren. Sie treten hier als der Retter der lärmgeplagten Bevölkerung auf. Dazu muss ich Ihnen sagen: Sie sind unglaubwürdig, um nicht zu sagen, scheinheilig. ({0})

Hans Peter Repnik (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001825, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Kollege Schmidt, ich glaube, ich habe die Argumente in ausreichender Weise vorgetragen. Ich will nur noch ein Argument nachschieben. ({0}) Ich habe es zwar bereits angesprochen, aber aufgrund der Intervention des Kollegen Schmidt sei mir gestattet, nochmals darauf hinzuweisen, dass es wegen der neuen und veränderten Warteräume bzw. -schleifen auch ein verändertes Anflugverhalten gibt. Diese Situation hat sich erst in den letzten Jahren in dieser Dramatik gezeigt. Ich bin der Bundesregierung dankbar dafür - auf dem Weg haben wir sie ja auch positiv begleitet -, ({1}) dass ein neuer Vertrag geschlossen wird. Ich bin aber nicht dankbar dafür, dass man - dies ist nicht nur mein, sondern auch das Gefühl der gesamten Bevölkerung in dieser Region - die süddeutsche Bevölkerung zugunsten der Schweizer Bevölkerung belastet hat. Das müssen wir angreifen. Deswegen sind wir dagegen. ({2})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Karin Rehbock-Zureich.

Karin Rehbock-Zureich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002756, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Repnik, es ist schon mehr als erstaunlich und eigentlich unverschämt, dass Sie sich hierhin stellen und sich zum Retter der Region Südbaden aufspielen. Sie sagen, dass Sie Politik für die Menschen machen. Ich muss einfach fragen: Wo waren Sie in den letzten elf Jahren? ({0}) Sie haben keine Politik für die Menschen gemacht. Die jetzige Situation ist für den Wahlkreis Waldshut und den Hochschwarzwald absolut nicht neu. Die bestehenden Verträge wurden 1984 mit der Anflugstrecke, die über den Kreis Hochschwarzwald und über Waldshut führte, von der alten Bundesregierung geschlossen. Bereits vor 1990 war klar, dass diese nie eingehalten werden würden. Ich finde es eine Unverfrorenheit, dass Sie sich hierhin stellen und sagen, dass Sie Politik für die Menschen machen, während Sie gleichzeitig eine Vertagung beantragen, weil Sie warten wollen, bis die Schweiz ratifiziert oder nicht. ({1}) Was wollen Sie mit einer Vertagung eigentlich erreichen? Sie wissen ganz genau, dass wir die Vorgaben setzen. Das heißt, wenn die Schweiz nicht ratifiziert, greift die Verordnung. Wir werden es nicht zulassen, dass hier ein rechtsfreier Raum entsteht, sodass die Verantwortlichen des Flughafens Kloten an den Flugplänen nichts ändern müssen. Dieser rechtsfreie Raum wird durch eine Verordnung ausgefüllt. Mit einer Vertagung würden Sie der Schweiz das Signal geben, dass wir gesprächsbereit sind. Die Schweiz würde in neuen Verhandlungen versuchen, die Verträge zu ändern, sodass sich ihre Lage verbessern würde. Was glauben Sie eigentlich, zu wessen Lasten sie dies gern tun würde? Das ginge natürlich zulasten von Südbaden und der Menschen in dieser deutschen Region. ({2}) Wenn hier davon gesprochen wird, dass man etwas übers Knie bricht, belügt man die Menschen vor Ort. In dreijährigen Verhandlungen haben wir Folgendes erreicht: Erstens. Die Flugbewegungen in der Region werden in Zukunft auf 100 000 Anflüge gedeckelt. Zweitens. Es wurde eine Nachtruhe von 22 bis 6 Uhr vereinbart. An den Kollegen gerichtet, der sich zu Wort gemeldet hat, sage ich: Die Menschen in der dortigen Region würden sich die Finger danach lecken, eine solche Nachtruhe zu haben. ({3}) Drittens. Wir haben weiterhin zustande gebracht, dass eine besonders ausgedehnte Sonn- und Feiertagsruhe von 20 Uhr bis morgens 9 Uhr herrscht. Auch dies zeigt, dass wir dafür sorgen, mit diesem Staatsvertrag zu einer Entlastung von Südbaden beizutragen. Wir werden nicht auf Ihr Spiel eingehen, das die alte Regierungskoalition in den letzten Jahren getrieben hat. Sie haben immer alles auf den Sankt-Nimmerleins-Tag geschoben. Diesen Eindruck habe ich wieder gewonnen. Warum wollen Sie immer alles verschieben? Sie werden keine verbesserten Bedingungen mit dem Gesprächspartner zustande bringen, ({4}) der die Lasten zu unseren Ungunsten verschieben will. Hören Sie sich doch die Diskussion in der Schweiz an. Wir sind der Meinung, dass wir seit der Vereinbarung von 1984 das erste Mal zu einer Entlastung in der Region kommen werden. Sie bauen einen Popanz hinsichtlich der Verfassungsmäßigkeit dieses Vertrages auf. Dazu kann man nur sagen: Dieser Vertrag ist vom Justizministerium und vom Innenministerium geprüft. Keine Frage ist offen geblieben, weil keinerlei Hoheitsrechte abgegeben werden. Das ist übrigens in Gesamteuropa Usus. Die Deutsche Flugsicherung hat die Flugaufsicht über den gesamten Raum von München bis Mailand. Auch hier werden keine Hoheitsrechte verletzt. Die Schweizer und wir richten uns bei der Flugaufsicht nach deutschem Recht. ({5}) Am schlimmsten finde ich, dass Sie den Eindruck vermitteln, Sie nähmen die Interessen dieser Region wahr. Diese Region ist von Ihnen bisher ignoriert und überhaupt nicht zur Kenntnis genommen worden. Wir werden heute über diesen Vertrag abstimmen und damit ein Signal in Richtung Schweiz senden, dass nach dreijährigen Verhandlungen zumindest einer der Vertragspartner ratifizieren wird. ({6}) Wir werden über diesen Vertrag im Parlament abstimmen, damit diese Region eine Entlastung erfährt, von der sie in den letzten Jahren nur träumen konnte. Ich hätte mir gewünscht, zu der Zeit, als Sie die Regierung hatten, wäre der Punkt einer Entlastung der südbadischen Region durch einen deutsch-schweizerischen Staatsvertrag auf die Tagesordnung gesetzt worden. ({7}) Fehlanzeige! Heute sind wir endlich so weit, über diesen Vertrag abzustimmen und diese Entlastung herbeizuführen. ({8}) Ich möchte noch kurz auf den Entwurf der Koalition zum Regionalisierungsgesetz eingehen. Auch in diesem Bereich sorgen wir uns um die Regionen. Wir haben mit unserem Koalitionsentwurf ein Zukunftsprogramm für die Weiterentwicklung des regionalen Verkehrs auf den Weg gebracht. ({9}) Wir haben seit dem Regionalisierungsgesetz mit der Weiterentwicklung des Verkehrs im Bereich des Personenverkehrs eine Steigerung von 20 Prozent zu erwarten. Deswegen war es uns als Koalitionsfraktionen ein Anliegen, die Regionen ausreichend auszustatten, um den Verkehr in den Regionen optimal zu organisieren. Die Länder haben jetzt die Chance, mit einem Aufkommen von über 6,7 Milliarden Euro und einer Entlastung von 750 Millionen Euro, weil der Bund auf die ihm zustehende Rückzahlung verzichtet, sowie einer Erhöhung dieser Mittel um pro Jahr 1,5 Prozent im Jahr 2007 auf eine Größenordnung von 7,2 Milliarden Euro zu gelangen. ({10}) Aus diesem Grund können wir solch einem mit heißer Nadel gestrickten Antrag nicht zustimmen, Herr Friedrich. ({11}) Wir haben den Ländern die Chance gegeben, den Wettbewerb und die Qualität im Regionalverkehr zu verbessern. Sie können nur davon träumen, so etwas zustande zu bringen. Die Union hat ohnehin keinen Vorschlag eingebracht. Ich kann verstehen, dass Bayern und Baden-Württemberg diesem Vorschlag im Bundesrat nicht folgen können; denn in ihrem Antrag ist nicht einmal geregelt, wie es mit den Nachzahlungen an den Bund weitergehen soll. Insofern fordere ich Sie auf, diesem herausragenden Gesetz und dem Staatsvertrag für die Regionen in Deutschland zuzustimmen. Vielen Dank. ({12})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt die Kollegin Birgit Homburger von der FDPFraktion.

Birgit Homburger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000952, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Entscheidung, die heute hier über den Staatsvertrag mit der Schweiz zur Regelung des Luftverkehrs getroffen wird, ist aus unserer Sicht falsch. Sie haben das Thema eben noch einmal erörtert, Frau Rehbock-Zureich. Dass wir diese Entscheidung am heutigen Tag treffen, ist deshalb ein großer strategischer Fehler, weil zwischenzeitlich die zuständige Kommission des schweizerischen Nationalrats den Staatsvertrag abgelehnt hat. ({0}) - Regen Sie sich doch nicht so auf. - Sie machen insofern einen großen Fehler, als Sie ankündigen: Wenn die Schweiz den Staatsvertrag ablehnt, ({1}) dann werden wir mit einer Verordnung eine eigene Regelung treffen. ({2}) - Ja, das hat der Minister auch gesagt. Das ist ja prima. ({3}) - Auf einem anderen Niveau? Das möchte ich einmal sehen, dass irgendetwas von Ihnen Niveau hat, Herr Schmidt. ({4}) Mit der von Ihnen angekündigten Verordnung verhält es sich so, dass es im Falle einer Ablehnung durch die Schweiz für die deutsche Seite nur schwer möglich sein wird, weiter gehende, und zwar an den Interessen der Region orientierte, deutsche Interessen durchzusetzen. ({5}) - Ich bin nicht falsch informiert, sondern es ist der Zwang des Faktischen, der dann greift. Wenn Sie erst einmal das, was Sie hier beschließen, akzeptiert haben, wie wollen Sie dann glaubhaft vermitteln, dass Sie anschließend mehr bewirken können? Das wird doch nicht gehen, Frau Rehbock-Zureich. ({6}) Sie haben angeführt, dass Nachverhandlungen zulasten der Menschen gegangen wären und man nicht mehr habe herausholen können. Wenn aber etwas nicht erreicht werden kann, wäre es vielleicht besser, keinen Staatsvertrag abzuschließen. Sie haben gesagt, Sie seien die Ersten und Einzigen, die das Thema angegangen seien. Aber es ist doch keine Leistung, das Thema anzugehen, wenn für die Bevölkerung in der betroffenen Region schließlich etwas Schlechteres dabei herauskommt! ({7}) Deswegen ist das nicht akzeptabel. Die Gründe sind hier bereits genannt worden. Dazu gehört zum einen die Lastenverteilung in der Region nach diesem Staatsvertrag, die nicht stimmig ist und sich zulasten der deutschen Seite auswirkt, insbesondere was die Warteschleifen angeht. Das wurde bereits im Detail erläutert. Zum anderen ist im Staatsvertrag geregelt, dass die Warteverfahren über deutschem Hoheitsgebiet in der Regel nur für Anflüge auf die Pisten 14 und 16 genutzt werden. Das hätte eigentlich präzisiert werden müssen. Außerdem bedarf es einer strengen Kontrolle. Wenn Sie allerdings die Luftverkehrskontrolle über weite Teile Süddeutschlands der schweizerischen Seite übergeben, dann frage ich mich, wie Sie das eigentlich kontrollieren wollen. ({8}) Sie werden es nicht kontrollieren können. Deswegen ist auch dies ein Punkt, der so nicht akzeptabel ist. ({9}) Der dritte Punkt: Frau Rehbock-Zureich, Sie haben gesagt, mit diesem Staatsvertrag würden die Anflüge auf 100 000 beschränkt. Darauf kann ich Ihnen nur sagen: In Art. 17 dieses Vertrages steht ausdrücklich, dass dem sektoriellen Abkommen zwischen der Schweizer Eidgenossenschaft und der Europäischen Gemeinschaft Vorrang eingeräumt wird. Grund dafür ist natürlich, dass nach Schweizer Erwartungen die Kontingentierung der Anflüge dadurch hinfällig werden könnte. Damit hat sich die Schweizer Seite wieder einmal durchgesetzt. Deswegen fragt man sich, Herr Bodewig, für wen Sie da eigentlich verhandelt haben. ({10})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Frau Kollegin Homburger, erlauben Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Rehbock-Zureich?

Birgit Homburger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000952, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident, ich bin beim letzten Satz und will die Kollegen nicht unnötig durch eine weitere Zwischenfrage aufhalten.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Gut, dann kommen Sie bitte zum Ende.

Birgit Homburger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000952, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ich bin am Ende meiner Redezeit. Ich habe in Kürze die Argumente vorgetragen; ausführlicher sind sie hier schon genannt worden. Zusammenfassend stelle ich für die FDP-Bundestagsfraktion fest, dass mit dem Staatsvertrag das Ziel verfolgt werden sollte, die betroffene deutsche Bevölkerung besser zu stellen. Diesem Ziel wird dieser Staatsvertrag nicht gerecht und deswegen werden wir ihn ablehnen. ({0})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat die Kollegin Renate Blank von der CDU/CSU-Fraktion.

Renate Blank (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000194, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zum Flugverkehr in Baden-Württemberg ist, glaube ich, alles gesagt worden. Der Kollege Repnik hat das ausführlich dargelegt. ({0}) Deshalb komme ich zurück zur Novellierung des Fernstraßenbauprivatfinanzierungsgesetzes. Die Novellierung wäre aus unserer Sicht zwar notwendig, jedoch hat die Anhörung gezeigt, dass der Gesetzentwurf unzureichend und mangelhaft ist - wie halt alles, was von dieser Bundesregierung kommt. ({1}) Sachverständige hätten mehr gehört werden sollen; aber nein, man paukt das Gesetz ganz schnell durch. Eigentlich sollte die Änderung des Gesetzes eine Verbesserung der Rahmenbedingungen für private Investitionen in die Verkehrsinfrastruktur bringen. Das wird leider nicht der Fall sein. Völlig unzureichend sind nach Meinung aller Sachverständigen unter anderem die Festlegungen über die Ausrichtung der Mautgebühr an den Kosten für Bau, Erhaltung und Betrieb und für den weiteren Ausbau der Strecken, die Berücksichtigung der Eigenkapitalverzinsung und die Laufzeit der Konzessionen, um die Gebühren solide kalkulieren zu können. Natürlich ist es auch ein Unterschied, ob eine Kommune oder das Land Konzessionsgeber ist. Ein weiterer, aber für Parlamentarier wichtiger Kritikpunkt: Durch die Festlegung privat zu finanzierender Projekte durch eine separat von der Bundesregierung zu erlassende Rechtsverordnung nur im Einvernehmen mit der betroffenen Landesregierung ist die Beteiligung des Parlaments abgeschafft. Sie, meine Damen und Herren von Rot-Grün, können sich die Ausschaltung des Parlaments ja gefallen lassen. Unser Politikstil und unser Verständnis von Demokratie ist dies auf keinen Fall. Wenn Sie mir nicht glauben, verweise ich auf die Aussagen des Bundes Naturschutz und des Verkehrsclubs Deutschland in der Anhörung - bestimmt keine Verbände, die uns besonders nahe stehen. Beide sagten übereinstimBirgit Homburger mend - Sie können das im Wortprotokoll nachlesen -, dass dem Deutschen Bundestag die Entscheidungshoheit und Kontrolle darüber entzogen wird, wie die Verkehrsinfrastruktur weiterentwickelt werden soll. Meine Damen und Herren, nun zu unserem Antrag zur Finanzierungssicherheit für den Bundesfernstraßenbau über das Jahr 2002 hinaus. Es nützt überhaupt nichts, wenn Verkehrsminister Bodewig - vom Bundeskanzler nicht mehr erwähnt, was Bände über Ihre Qualität spricht, Herr Minister - sagt, dass die Bundesregierung in den nächsten zehn Jahren rund 90 Milliarden Euro in die Verkehrswege investieren wird. ({2}) Das klingt zunächst ganz schön, doch pro Jahr ist dies weniger als in den Jahren bis 1998. Sie wollten doch alles besser machen, aber es ist alles schlechter geworden, meine Damen und Herren von Rot-Grün. ({3}) Zum Beispiel der Bundesverkehrswegeplan ist ein wahres Trauerspiel. ({4}) Vollmundig versprachen Sie, Sie wollten ihn im Jahr 1999, spätestens im Jahr 2000 vorlegen. Es hat zwar etwas gedauert, bis Sie gemerkt haben, dass die Projekte der Länder, auch der rot-grün regierten Länder, eine Riesensumme erfordern und Sie sich nicht dem Vorwurf der von Ihnen ständig gepredigten Unterfinanzierung - heute wieder von der Kollegin Wetzel - des Bundesverkehrswegeplans aussetzen wollten. ({5}) Flugs verschiebt man die Vorlage auf das Jahr 2003. Es ist wirklich eine Lachnummer, wenn Minister Bodewig am vergangenen Mittwoch - die Kollegin Wetzel hat das heute auch getan - von einer Unterfinanzierung spricht. Wann begreifen Sie endlich, dass es sich um einen Bedarfsplan und nicht um einen Finanzplan handelt? ({6}) Minister Bodewig, Sie müssen sich auch nicht mehr anstrengen, dies zu lernen; denn nach dem 22. September werden Sie nicht mehr im Amt sein. ({7}) Der Minister sprach auch von neuen Raumordnungskriterien, die neu zur Bewertung von Projekten herangezogen würden. Es wurde schon immer unter raumordnerischen Gesichtspunkten geplant. Auch zu unserer Zeit wurde nicht im luftleeren Raum geplant. Der Minister sprach auch davon, dass 15 Prozent der Mittel aus dem Anti-Stau-Programm nach Bayern gingen. Herr Minister Bodewig, mit der Aufteilung der Mittel aus Ihrem Anti-Stau-Programm auf die Bundesländer - das gilt auch für andere Programme - sind Sie vom ursprünglichen Schlüssel abgewichen; denn Bayern - daran muss ich Sie offenbar erinnern - stehen eigentlich 19,2 Prozent und Nordrhein-Westfalen - aus diesem Bundesland stammen Sie - 26,5 Prozent der Mittel zu. Sie haben den Schlüssel willkürlich verändert und die Mittel aus Ihrem Anti-Stau-Programm so aufgeteilt, dass Bayern nur noch 15 Prozent und Nordrhein-Westfalen 32,2 Prozent erhält. Sie sind also vom ursprünglichen Aufteilungsschlüssel radikal abgewichen. Da man uns keinen neuen Bundesverkehrswegeplan und im Jahr 2000 auch kein Fünfjahresprogramm vorlegen konnte, begannen die Verkehrsminister Müntefering, Klimmt und Bodewig mit ihren großen Verwirrspielen, bei denen so ganz nebenbei die Mittel für den Straßenbauhaushalt gekürzt wurden. Zuerst wurde ein Investitionsprogramm vorgelegt, das Klarheit bringen sollte. Es war aber nur ein Programm zur Fortführung der von uns bereits begonnenen Maßnahmen. Es gab keine müde Mark mehr. Im Gegenteil: Es erfolgte eine Kürzung um 5 Milliarden DM. Dann kam das Zukunftsinvestitionsprogramm, das aus den UMTS-Lizenzerlösen gespeist wurde. Dass Sie damit die Straßenbaumittel um 2,7 Milliarden DM erhöhen konnten, war nicht Ihr Verdienst, sondern ist auf unsere Vorarbeiten zurückzuführen. ({8}) Es fehlen bis Ende 2002 - rechnen Sie ruhig nach - aber noch immer 2,2 Milliarden DM. Der dritte Akt im Verwirrspiel war das Anti-Stau-Programm. Es war ein reines Täuschungsmanöver; denn das Anti-Stau-Programm kann ja erst mit der Einführung der LKW-Maut in Kraft treten. Das wird frühestens Mitte 2003 sein, wenn überhaupt. Im vierten Akt des Verwirrspiels dürfen wir ein Maßnahmenpaket mit dem neuen Namen „Bauen jetzt - Investitionen beschleunigen“ bestaunen. ({9}) Jetzt werden plötzlich weitere private Konzessionsmodelle aus dem Hut gezaubert, die man nun Betreibermodelle nennt. Konzessionsmodelle dürfen sie natürlich nicht heißen; denn diese wurden ja noch bis kurz vor Erscheinen des Maßnahmenpakets abgelehnt. Es ist also nur ein neuer Name. Mehr Geld für den Straßenbau gibt es nicht. ({10}) Am vergangenen Mittwoch hat der Verkehrsminister mit großem Getöse einen Sachstandsbericht zu den Verkehrsprojekten „Deutsche Einheit“ vorgestellt. Er müsste der Regierung Kohl eigentlich sehr dankbar sein, dass sie so vorausschauend war, die 17 Verkehrsprojekte „Deutsche Einheit“ mit einem Volumen von rund 60 Milliarden in die Wege zu leiten. ({11}) Das war hervorragende Politik für die Menschen, für das Zusammenwachsen der alten und neuen Bundesländer sowie für das Wirtschaftswachstum und die Arbeitsplätze. Herr Minister, Sie haben also etwas verkündet, was im Grunde genommen die alte Bundesregierung auf den Weg gebracht hat. Auf das Trauerspiel beim Verkehrsprojekt „Deutsche Einheit“ Nr. 8 möchte ich gar nicht eingehen. Das haben wir ja bereits am vergangenen Mittwoch abgehandelt. Meine Damen und Herren von Rot-Grün, Täuschen, Tricksen und leere Versprechungen sind die Markenzeichen Ihrer Politik. Nach dem 22. September bringen wir wieder Wahrheit und Klarheit und damit auch Finanzierungssicherheit in die Verkehrspolitik zurück. ({12})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Ich schließe die Aussprache. Bevor wir zu den Abstimmungen kommen, möchte ich bekannt geben, dass eine Erklärung des Kollegen Thomas Dörflinger zur Abstimmung nach § 31 der Geschäftsordnung vorliegt1, die wir zu Protokoll nehmen, Ihr Einverständnis vorausgesetzt. Wir kommen zunächst zu Tagesordnungspunkt 27 a: Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Errichtung einer Verkehrsinfrastrukturfinanzierungsgesellschaft zur Finanzierung von Bundesverkehrswegen, Drucksache 14/8449. Der Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 14/9084, den Gesetzentwurf in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um ihr Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der anderen Fraktionen angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung: Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist bei gleichen Mehrheitsverhältnissen angenommen. Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion der FDP auf Drucksache 14/9112. Wer stimmt dafür? Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der PDS bei Zustimmung von FDP und CDU/CSU abgelehnt. Tagesordnungspunkt 27 b: Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung des Fernstraßenbauprivatfinanzierungsgesetzes und straßenverkehrsrechtlicher Vorschriften, Drucksache 14/8447. Der Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 14/9066, den Gesetzentwurf in der Ausschussfassung anzunehmen. Diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, bitte ich um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der anderen Fraktionen angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung: Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist bei gleichen Mehrheitsverhältnissen angenommen. Tagesordnungspunkt 27 c: Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung des Bundesfernstraßengesetzes, Drucksache 14/8448. Der Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 14/8911, den Gesetzentwurf anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen, der FDP und der PDS bei Gegenstimmen der CDU/CSU-Fraktion angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung: Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist bei gleichen Mehrheitsverhältnissen angenommen. Tagesordnungspunkt 27 d: Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung des Straßenverkehrsgesetzes und anderer straßenverkehrsrechtlicher Vorschriften, Drucksache 14/8766. Der Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 14/9059, den Gesetzentwurf in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung einstimmig angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung: Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist einstimmig angenommen. Tagesordnungspunkt 27 e: Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zu dem Vertrag vom 18. Oktober 2001 mit der Schweiz über die Durchführung der Flugverkehrskontrolle über deutschem Hoheitsgebiet und über Auswirkungen des Betriebes des Flughafens Zürich auf das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland, Drucksache 14/8731. Der Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf DruckRenate Blank 1 Anlage 4 sache 14/9057, den Gesetzentwurf anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der PDS angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung: Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist bei gleichen Mehrheitsverhältnissen angenommen. Tagesordnungspunkt 27 f: Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Erleichterung des Marktzugangs im Luftverkehr, Drucksache 14/8730. Der Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 14/9058, den Gesetzentwurf in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen, der CDU/CSU und der FDP gegen die Stimmen der PDS angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung: Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist bei gleichen Mehrheitsverhältnissen angenommen. Tagesordnungspunkt 27 g: Abstimmung über den von den Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung des Regionalisierungsgesetzes, Drucksache 14/8781. Der Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 14/9053, den Gesetzentwurf anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der PDS gegen die Stimmen von CDU/CSU und FDP angenommen. ({0}) Dritte Beratung und Schlussabstimmung: Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist bei gleichen Mehrheitsverhältnissen angenommen. ({1}) Wir kommen nun zum Entschließungsantrag der Fraktion der FDP auf Drucksache 14/9113. Die Fraktion der FDP hat beantragt, den Entschließungsantrag zur federführenden Beratung an den Ausschuss für Verkehr, Bauund Wohnungswesen und zur Mitberatung an den Ausschuss für Wirtschaft und Technologie sowie an den Haushaltsausschuss zu überweisen. Die Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen verlangen hingegen sofortige Abstimmung. Nach ständiger Übung geht die Abstimmung über einen Überweisungsvorschlag vor. Ich bitte diejenigen, die dem Überweisungsvorschlag der Fraktion der FDP zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Gegenstimmen? Enthaltungen? - Der Überweisungsvorschlag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen bei Zustimmung von CDU/CSU, FDP und PDS abgelehnt. Damit stimmen wir jetzt über den Entschließungsantrag in der Sache ab. Wer stimmt dafür? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen bei Zustimmung der anderen Fraktionen abgelehnt. Tagesordnungspunkt 27 h: Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Verkehr, Bauund Wohnungswesen auf Drucksache 14/8820 zu dem Antrag der Fraktion der CDU/CSU mit dem Titel „Finanzierungssicherheit für den Bundesfernstraßenbau über das Jahr 2002 hinaus“. Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 14/7146 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? Wer enthält sich? - Die Beschlussempfehlung ist bei Gegenstimmen der CDU/CSU-Fraktion mit den Stimmen aller anderen Fraktionen angenommen. Zusatzpunkt 21: Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen auf Drucksache 14/9082 zu dem Antrag der Fraktion der FDP mit dem Titel „Fairen Wettbewerb im Luftverkehr bewahren - Sicherheit erhöhen“. Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 14/7157 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der PDS-Fraktion bei Gegenstimmen der Fraktionen der CDU/CSU und der FDP angenommen. Zusatzpunkt 22: Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen auf Drucksache 14/9083 zu dem Antrag der Fraktion der FDP mit dem Titel „Anti-Stau-Programm für Europas Luftverkehr“. ({2}) Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 14/3188 abzulehnen. ({3}) - Wir sind in der Abstimmung, meine Damen und Herren. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die Beschlussemp- fehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der PDS-Fraktion bei Gegenstimmen von CDU/CSU und FDP angenommen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 28 a und 28 b auf: a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Jörg van Essen, Rainer Funke, Dr. Edzard Schmidt-Jortzig, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Opferrechte stärken und verbessern Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms - Drucksache 14/7832 Überweisungsvorschlag: Rechtsausschuss ({4}) Auswärtiger Ausschuss Innenausschuss Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe b) Erste Beratung des von den Abgeordneten Norbert Geis, Volker Kauder, Dr. Jürgen Gehb, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der CDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Jugendgerichtsgesetzes - Drucksache 14/8788 Überweisungsvorschlag: Rechtsausschuss ({5}) Innenausschuss Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen, wobei die Fraktion der FDP sieben Minuten erhalten soll. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Als erster Redner hat für den Antragsteller der Kollege Jörg van Essen das Wort.

Jörg Essen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000495, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist wirklich an der Zeit, dass wir im Plenum des Deutschen Bundestages wieder eine Debatte über die Stärkung der Opferrechte führen. Wir beschäftigen uns sehr oft mit Tätern. Wir machen uns Gedanken darüber, wie es in den Strafvollzugseinrichtungen des Landes aussieht. Das und viele andere Dinge sind mit Tätern verbunden. Viel zu wenig beschäftigen wir uns mit den Opfern. Das hat sich zuletzt beispielsweise bei der Debatte über die Konsequenzen aus dem Anschlag in Djerba gezeigt. In dem Zusammenhang wurde ein berechtigter Antrag mit dem Ziel, die Möglichkeiten der Verfolgung von Tätern zu verbessern, eingebracht. Meine Fraktion hatte als einzige einen Antrag eingebracht, der sich auch mit den Opfern beschäftigt hat. Die Opfer versuchen im Augenblick durch eine Klage gegen den tunesischen Staat, Schadenersatz zu bekommen. Experten haben in den Medien mitgeteilt, dass die Aussichten dafür eher gering sind. Das macht deutlich, dass wir in einer Verpflichtung sind, insbesondere die Rechte von Opfern zu stärken, beispielsweise durch eine Erweiterung des Opferentschädigungsgesetzes, wie wir es in diesem Zusammenhang vorgeschlagen haben. ({0}) Damit bin ich bei meinem ersten Thema. Das Opferentschädigungsgesetz ist viel zu wenig bekannt. Die Möglichkeiten, die das Opferentschädigungsgesetz bietet, könnten viel intensiver genutzt werden. Deshalb ist die Forderung, die Menschen über die rechtlichen Möglichkeiten besser zu unterrichten, ein Bestandteil unseres Antrags. Baden-Württemberg hat nach meiner Auffassung etwas ganz Hervorragendes getan, was ich in diesem Zusammenhang ansprechen möchte, weil es nicht nur um gesetzgeberische Maßnahmen geht, sondern beispielsweise auch um das, was mein Parteifreund, der baden-württembergische Justizminister Goll, getan hat. Er hat dafür gesorgt, dass Referendare, die eine Ausbildung zum Juristen machen, eine Zeit lang im Gericht Opfern beistehen, sie über die Möglichkeiten unterrichten, die sie haben, und sie auf die Hauptverhandlung vorbereiten. Damit wird das Bild, das viele Opfer haben, nämlich dass sie im gerichtlichen Verfahren nicht ernst genommen werden, ein bisschen zu korrigieren versucht. Ich glaube, dass das ein ganz hervorragender Ansatz ist. ({1}) Was das Ziel angeht, dass die Opfer im Verfahren ernst genommen werden, sehen wir weiteren gesetzgeberischen Handlungsbedarf bei der Möglichkeit des Opferanwalts im Jugendgerichtsverfahren. Das ist etwas, was auch die CDU/CSU in ihrem Antrag fordert. Ich glaube, dass die Begründungen dafür, dass wir das bisher ausschließen, nicht wirklich überzeugen; denn das Jugendgerichtsverfahren ist bewusst pädagogisch angelegt. Ich finde es richtig, dass es so ist. Was die richterlichen Maßnahmen anbelangt, so gibt es dort eine Klaviatur, auf der gespielt werden kann. Sie ist sehr viel breiter, als das bei Verfahren für Erwachsene der Fall ist, und kann damit auch punktgenauer sein. Es tut Jugendlichen doch gerade gut, wenn sie viel intensiver merken, welche Auswirkungen ihre Tat hat. Wenn dem Opfer ein Opferanwalt zur Seite steht, der dafür sorgt, dass die Interessen des Opfers, beispielsweise aber auch die Folgen, die beim Opfer eingetreten sind, im Verfahren besser deutlich werden, dann ist das ein Gewinn. Ein Jugendlicher bekommt so mit, was er angerichtet hat. Das ist ein Teil der pädagogischen Bemühungen im Jugendgerichtsverfahren. Von daher würde ich mich sehr freuen, wenn wir dabei zu Verbesserungen kommen könnten. Ein weiterer, auch für mich wichtiger Punkt ist, dass eine Tat häufig Auswirkungen hat, die nicht nur das eigentliche Opfer betreffen, sondern weit darüber hinausgehen. Wer einmal, wie ich es in meiner dienstlichen Tätigkeit als Oberstaatsanwalt erlebt habe, eine Todesnachricht überbringen musste, weil ein Familienmitglied, beispielsweise ein Mädchen, ermordet worden ist, der weiß, dass das Leben der Familie, deren Mitglied ermordet worden ist, nie wieder so sein wird wie vorher. Viele Familienangehörige brauchen noch jahrelang fachkundige Betreuung durch Psychologen und Psychiater. Wir wollen, dass diese Betreuung in Zukunft finanziert werden kann, wenn eine Notwendigkeit dazu besteht. Denn diese Familienangehörigen sind mittelbare Opfer dieser Tat. Sie haben deshalb Anspruch auf unsere Unterstützung. ({2}) Ich bitte, dass wir auch in diesem Punkt in eine offene Diskussion eintreten. Wir haben nämlich auch hier eine Verpflichtung. Wir haben mit unserem Antrag viele der Anregungen, die die Opferschutzorganisation „Weißer Ring“ aufgeVizepräsident Dr. Hermann Otto Solms stellt hat, aufgegriffen. Wir müssen zu einer neuen und stärkeren Berücksichtigung der Anliegen der Opfer kommen, wie es in der vergangenen Legislaturperiode unter dem liberalen Justizminister Edzard Schmidt-Jortzig möglich war. Wir haben in dieser Zeit erhebliche Verbesserungen der Opferrechte geschaffen. Ich denke beispielsweise an die Möglichkeit einer Videoaufnahme der Vernehmung von Kindern, sodass Kinder nur einmal aussagen müssen und nicht immer wieder die Erinnerung an die schwere Tat hochkommt. Ich denke ferner an die Möglichkeit, Vernehmungen aus dem Nachbarzimmer zu übertragen, was insbesondere den Frauen hilft, die Opfer einer Sexualstraftat geworden sind und die deshalb häufig die unmittelbare Nähe des Täters bei der Zeugenvernehmung nicht ertragen können, wofür ich viel Verständnis habe. Leider werden diese Möglichkeiten viel zu wenig angewandt. Deshalb will ich die heutige Debatte nutzen, an meine Kollegen in der Justiz zu appellieren, von diesen gesetzlichen Möglichkeiten mehr Gebrauch zu machen, als das bisher der Fall ist, um die Opfer in einem höheren Maße zu schonen. Die gesetzlichen Möglichkeiten dazu haben wir geschaffen. ({3}) Die Debatte zeigt, dass ein Teil der Maßnahmen außerhalb des Gesetzgebungsverfahrens liegt. Als eine denkbare organisatorische Maßnahme nenne ich beispielsweise die Einschaltung von Referendaren bei der Opferbetreuung. Es besteht aber auch die Notwendigkeit, gesetzliche Schritte einzuleiten. Unser Antrag soll dazu ein Anstoß sein. Wir freuen uns auf die Diskussion zu diesem Thema mit den anderen Fraktionen. Vielen Dank. ({4})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt die Kollegin Margot von Renesse von der SPDFraktion.

Margot Renesse (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001820, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die außergerichtlichen Vorschläge, die Sie gemacht haben, sind durchaus diskutabel. Sie haben aber selber gesagt, dass in manchen Fällen nicht unbedingt eine Gesetzes-, sondern eine Praxisänderung erforderlich ist. Dazu gehört selbstverständlich auch mehr Sensibilität im Umgang mit Opfern und ihren Angehörigen. Ein Richter oder eine Richterin, die wissen, was angebracht ist, werden auf bestehende Ansprüche hinweisen, auch wenn das nicht zu ihrem Verfahren gehört. Sie haben aber völlig Recht, dass man effektiver dafür eintreten kann, von dieser Möglichkeit Gebrauch zu machen. Ich will mich jetzt mit dem befassen, was an Gesetzesänderungen von Ihnen, Herr Kollege van Essen, und von der CDU/CSU hinsichtlich der Nebenklage im Jugendgerichtsverfahren vorgeschlagen worden ist. Ich denke, dass wir alle der Auffassung sind - das haben Sie betont, Herr van Essen -, dass das Jugendgerichtsverfahren - wir reden von den 14- bis einschließlich 17-Jährigen - in der Tat ein pädagogisches Verfahren sein muss und sein soll. Wenn wir uns anschauen, welchen Sinn die Nebenklage für sich genommen hat - ihr Sinn im Jugendgerichtsverfahren wird gesondert zu prüfen sein -, und wenn man sich fragt, welchem Interesse sie dient, dann muss man sagen, dass sie nicht dem Schutz vor kriminellen Handlungen - so sieht es die CDU/CSU; das wird in ihrem Gesetzentwurf deutlich -, sondern der Durchsetzung eines Genugtuungsinteresses dient. Der Nebenkläger kann mit seinen Beiträgen sicher zur Aufklärung verhelfen. Er hat aber in erster Linie Antragsrechte und Verfahrensrechte, die ihm die Möglichkeit geben, eigene Strafanträge zu stellen. Das aber ist ein Problem im Jugendgerichtsverfahren. Ich kenne keinen erfahrenen Jugendrichter und keine erfahrene Jugendrichterin, die das Instrument der Nebenklage im Jugendgerichtsverfahren für sinnvoll halten, und zwar gerade deswegen, weil der Nebenkläger eben nicht ein pädagogisches Interesse hat. Abgesehen von dem von der CDU/CSU vorgeschlagenen Adhäsionsverfahren geht es ihm im Wesentlichen darum, dass sein verletztes Rechtsgefühl durch die Bestrafung wieder hergestellt wird. Herr van Essen, das können Sie in jedem Strafrechtsbuch nachlesen. Das ist aber nicht der Sinn des Jugendgerichtsverfahrens. Der Jugendrichter ist sozusagen der Erzieher in Robe. Nachdem sich das unmittelbare soziale Umfeld eines Jugendlichen - mitunter aufgrund von Gleichgültigkeit oder Überforderung - nicht hat durchsetzen können, ist es der Richter, der dem Heranwachsenden deutlich zu machen hat, wo die Grenzen sind und dass diese Grenzen ernst zu nehmen sind. Das heißt, der Richter muss in der Hauptverhandlung - sie muss ein Teil des Prozesses sein, in dem der richtige Weg gefunden und der falsche Weg verlassen werden soll - an den jungen Menschen herankommen. Das geschieht bei jungen Menschen - darin sind wir uns sicher einig - einerseits durch Konsequenz. Viele kriminelle Karrieren junger Menschen verdanken wir der Tatsache, dass manche Jugendrichter und -richterinnen glauben, jungen Menschen durch allzu große Nachsicht helfen zu können. ({0}) Es kommt zu einer Immunisierung: erste Verwarnung, erster Wochenendarrest, Dauerarrest; das endet dann bei ernsthaften Strafen. Das ist fast so, als würde man die Jugendlichen durch Impfungen immunisieren. ({1}) Rechtzeitig klar zu machen, dass, wer einen anderen schädigt, eigenen Schaden riskiert, ist ungeheuer wichtig. Aber: Konsequenz kommt bei jungen Menschen - Frau Falk, Sie wissen das bestimmt - nur an, wenn sie mit Zuwendung kombiniert ist. Ich rede nicht von der weichen Welle, sondern davon, dass der junge Mensch während der Zeit der Hauptverhandlung das Gefühl haben muss, der wichtigste Mensch auf der Welt zu sein; denn alles, was als Drohgebärde ankommt, wird als Vernichtungswille und Rachsucht verstanden. In diesem Alter weckt das insbesondere bei Jungen Trotz, Ablehnung und mitunter sogar Rachsucht. Wir klagen mit Recht darüber, dass wir bei jungen Menschen Gewaltbereitschaft, emotionslose Kälte und fehlende Empathie feststellen. Sie sagen mit Recht: Die Tatsache, dass der Verletzte bei der Hauptverhandlung dabei ist, kann pädagogisch sinnvoll sein. Nach geltendem Recht ist das bereits jetzt möglich. Er kann lediglich nicht seinerseits als Nebenkläger ein Verfolgungsinteresse markieren, jedenfalls nicht durch Verfahrensanträge. Der Richter kann etwas ausbremsen, wenn es überhand nimmt. Der Empathielosigkeit, die in vielen Fällen das große Problem ist - nicht Brutalität, sondern Herzlosigkeit sowie das Fehlen von Mitgefühl und sozialer Fantasie -, können wir nur durch eine Änderung unseres eigenen Verhaltens entgegentreten. Jugendliche werden nur in der Lage sein, Empathie zu empfinden, wenn sie sie erlebt haben. Ich halte viel davon, den Waffenbesitz junger Leute einzuschränken. Ich halte viel davon, dass wir auch etwas gegen die „Computerballerspiele“ unternehmen. Wir wissen aber, dass diese Spiele auf den einen so und auf den anderen so wirken. Entscheidend ist, ob die Persönlichkeit defizitär oder geglückt ist. Defizitär ist die Persönlichkeit dann, wenn junge Menschen keine Empathie erfahren haben, wenn sie nicht erlebt haben, dass sie - so wie sie sind - die wichtigsten Menschen der Welt sind, zunächst für ihre Eltern und später für ihr weiteres soziales Umfeld. Wie viel Brutalität erleben die Jugendlichen eigentlich von den Erwachsenen? An dieser Stelle will ich ein Wort zu dem herzlosen Thüringer Schulrecht sagen. Ich habe bereits vor einigen Jahren davon gehört. Schon damals war ich erschüttert. Ich dachte: Um Gottes willen, was geht in einem Schulversager angesichts eines solchen Rechts vor? Wir wissen, dass das Thüringer Schulrecht nicht die einzige Ursache der Schreckensereignisse von Erfurt war. Es gibt eine Kette von Ursachen; aber in diese Kette gehört sicher auch das hinein. Die Brutalität, die die Jugendlichen erfahren, geschieht vonseiten der Erwachsenen häufig aus Gedankenlosigkeit und Gleichgültigkeit. Sie ist aber äußerst gefährlich. Erlauben Sie, dass ich daran erinnere, dass im Zusammenhang mit der Diskussion um eine mögliche Abschaffung der Wehrpflicht beklagt wurde, dass uns dann die Zivis fehlen würden. Sofort sprachen Politiker, auch Bundestags- und Landtagsabgeordnete, von einer Dienstpflicht für junge Leute, und zwar nach dem Motto: Wir haben es ja. Wir gehen davon aus, dass uns junge Leute wie eine Verfügungsmasse zur Verfügung stehen, und wir gehen über ihre Interessen gedankenlos hinweg. Wir denken nicht daran, dass gerade die Zeit der Jugend das Kostbarste ist, was junge Menschen haben, weil sie sich auf den internationalen Konkurrenzkampf vorbereiten müssen, in den sie, da sie aus Deutschland kommen, sowieso verspätet eintreten. Ich kündige an, dass ich gemeinsam mit Rita Süssmuth eine Initiative ergreifen werde, die deutlich machen wird, dass wir die Menschen während ihrer Jugendzeit schonen wollen. Zurück zum Jugendgericht: Nein, die Nebenklage hat dort nichts verloren. Der Verletzte ja, aber das bedarf keiner Rechtsänderung. Jugendrichter müssen konsequent und zugewandt sein. Nur dann vermitteln sie, was rechtens ist. Nur dann kann ein junger Mensch das Recht lernen nach dem alten Grundsatz, den Goethe schon aufgestellt hat: „Man lernt nur kennen, was man liebt.“ Man lernt nicht kennen, was mit Abweisung und kalter Zurückweisung daher kommt. Jugendrichter haben eine schwierige Aufgabe. Weit über das Juristische hinaus brauchen sie menschliches Geschick, Einfühlungsvermögen und soziale Fantasie. Das ist ein außerordentlich schwieriger Job, wenn man an die Verantwortung denkt, die damit verbunden ist. Sie sind im Leben eines jungen Menschen in der Regel selten vorkommende Ereignisse und von daher weichenstellend. Dass ihnen das gelingt, ist unser, wie ich hoffe, gemeinsames Anliegen. Es kann nicht sein, dass wir nur mit einer Verwandlung des Jugendgerichtsverfahrens und einer ständig weiter gezogenen Annäherung an das Erwachsenenverfahren darauf reagieren. Das Jugendgerichtsverfahren ist pädagogisch und soll es bleiben. Danke sehr. ({2})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat der Kollege Volker Kauder von der CDU/CSU-Fraktion.

Volker Kauder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001074, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege van Essen hat zu Recht darauf hingewiesen, dass es gut ist, dass wir uns hier im Deutschen Bundestag wieder einmal über den Opferschutz unterhalten, wenngleich auch an einem späten Termin, an einem Freitagnachmittag vor Pfingsten. Trotzdem wird von dieser Debatte das Signal in die Öffentlichkeit gehen, dass wir uns mit den Interessen der Opfer beschäftigen. Die Opfer haben im Strafprozess eine leidvolle Geschichte erfahren. Zunächst einmal war das Opfer lediglich Beweismittel im staatlichen Strafprozess. Insbesondere in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts beschäftigten sich Forschung und Lehre intensiv mit dem Täter. Ihn schuldangemessen zu bestrafen und zu resozialisieren, waren die zentralen Diskussionsfelder in der Strafrechtsdiskussion. Ich will nicht behaupten, dass dadurch das Opfer total aus dem Blick verschwunden ist; aber es ist nicht zu leugnen, dass sich die Berücksichtigung der Opferinteressen nur zaghaft und, Frau von Renesse, nur gegen massiven Widerstand in Praxis und Lehre hat durchsetzen können. Den Strafrechtlern war die angemessene Behandlung und Bestrafung des Täters immer wichtiger als das Interesse des Opfers. So war der Strafprozess angelegt. ({0}) Die Rechtsstellung des Tatopfers im Strafrecht ist in den letzten Jahren endlich Stück für Stück verbessert worden. Ich möchte hier insbesondere an das Opferschutzgesetz von 1986 erinnern, welches wesentlich dazu beigetragen hat, dass dieser wichtige und lange vernachlässigte Aspekt des Strafverfahrens deutlicher ans Licht getreten ist. Bis 1998 hat es weitere Gesetzesänderungen gegeben, mit denen die rechtliche Position der Opfer verbessert wurde. Heute scheint es nun gesellschaftlicher Konsens zu sein, dass das Recht des Opfers stärker betont und das Opfer zum aktiven Teilnehmer im Strafverfahren aufgewertet werden muss. Das ist eine ausgesprochen erfreuliche Entwicklung und ich danke allen - dieser Dank geht auch an Justizminister aus der FDP, Herr Kollege van Essen -, die daran mitgewirkt haben. Ich freue mich, dass diese Tendenz dem Vorwort der Opferfibel des Bundesministeriums der Justiz vom Herbst 2001 ebenfalls zu entnehmen ist. Frau Professor Dr. Däubler-Gmelin hat sich an dieser Stelle explizit dafür ausgesprochen, die Interessen der Opfer stärker in das Zentrum des Strafverfahrens zu rücken. Leider ist diese Aussage, ist diese Broschüre das einzig greifbare Ergebnis der Bemühungen der Bundesjustizministerin zum Opferschutz gewesen. ({1}) Außer über den Opferschutz zu reden, ist nichts passiert. ({2}) - Es ist ein Element der ganzen Rechtspolitik, die wir erlebt haben: Es ist viel geredet ({3}) und viel angekündigt worden und wenig, vor allem wenig Gutes und Erfreuliches, ist dann herausgekommen. ({4}) Ich warne aber davor, den Schwung im Opferschutz zu verlieren. Die Aufgabe ist nämlich noch nicht abgeschlossen. Noch viele Details im Strafverfahren sind zu überarbeiten und auf einen effektiven Opferschutz hin auszurichten. Ich möchte hier nun auf einige offenkundige Lücken im Opferschutz hinweisen, die wir nicht aus den Augen verlieren dürfen. Da sind zum einen die Mitteilungs- und Informationsrechte von Tatopfern. Sie sind völlig unzulänglich ausgestattet. Ich gehe davon aus, dass es unstrittig ist, dass ein Tatopfer berechtigte Interessen haben kann, spezielle Informationen zu erhalten, beispielsweise wenn ein Opfer einer Sexualstraftat erfahren möchte, ob der Täter inhaftiert ist, ob der Haftbefehl außer Vollzug gesetzt wurde oder wann der Täter Hafturlaub erhält. Für solche Fälle muss es einen Auskunftsanspruch geben, der eindeutig Vorrang vor dem Datenschutz des Täters hat. Auf europäischer Ebene sind Probleme bei der Betreuung von Menschen zu klären, die im Ausland Opfer einer Straftat geworden sind. Darauf wurde heute schon hingewiesen. Es ist notwendig, dass Deutschland gemeinsam mit seinen Partnern in der EU rasch wirksame Regelungen erlässt, in denen alle offenen Fragen der Opferentschädigung, der Prozessvertretung im Ausland, der Erstattung von Reisekosten und der Verpflichtung zum Erscheinen vor ausländischen Gerichten geklärt werden. Wir haben also wahrlich keinen Anlass, die Hände in den Schoß zu legen. Es gilt, das Recht weiterzuentwickeln. Im Strafprozess müssen die bewährten Normen zur Überführung und angemessenen Bestrafung von Straftätern beibehalten werden. Gleichzeitig aber müssen die noch immer bestehenden Defizite beim Opferschutz abgebaut werden. Wir haben einen Gesetzentwurf vorgelegt, mit dem wir einen weiteren Schritt in diese Richtung unternehmen wollen. Ein erhebliches Defizit beim Opferschutz besteht nach unserer Auffassung im Jugendstrafverfahren. Hier ist die Opferposition bislang nicht ausreichend berücksichtigt worden. Beim Jugendgerichtsgesetz, Frau von Renesse, besteht Handlungsbedarf. Es handelt sich zwar, wie Sie mit Recht sagen, um einen sensiblen Bereich der Strafrechtspflege; geht es doch um die Bestrafung straffällig gewordener Jugendlicher und Heranwachsender. Wir müssen also die schwierige Verbindung von Bestrafung und Erziehung unter dem Gesichtspunkt des Opferschutzes neu überdenken. Gerade weil der Gedanke der Erziehung bei der Bestrafung jugendlicher Straftäter in den Mittelpunkt gerückt ist, ist dieses Gebiet hinsichtlich des Opferschutzes noch massiv unterentwickelt. Dass der Täter im Vordergrund steht, erscheint mir nicht falsch zu sein. Andererseits darf der Schutz des Täters nicht so weit gehen, dass das Opfer im Abseits steht. Gerade in einer Zeit, in der die Straftäter immer jünger werden und die Gefahr, Opfer von Straftätern zu werden, die noch Jugendliche oder Heranwachsende sind, ständig steigt, müssen wir uns dieses Problems annehmen. Bisher ist nicht hinreichend deutlich geregelt, dass es im Prozess gegen jugendliche Straftäter, die durch ihr kriminelles Verhalten einen anderen Menschen zum Opfer einer Straftat gemacht haben, neben der eigentlichen Bestrafung um die Belange des Opfers gehen muss. Auch wenn wir es hier mit jugendlichen Straftätern zu tun haben, so muss doch ebenso nach den Anliegen des Opfers gefragt werden. Modifikationen im Jugendgerichtsgesetz sind nötig. Wir haben einen Entwurf für zwei Änderungen vorgelegt, wobei wir uns ausdrücklich - Frau von Renesse, das muss man betonen - an Vorschlägen des Weißen Ringes orientieren, der dankenswerterweise unermüdlich auf Fälle eklatanter Ungleichbehandlung von Tatopfern und Tätern hinweist. Der erste Punkt betrifft die aktive Rolle des Opfers im Prozess. Nach dem Jugendgerichtsgesetz steht einem Verletzten bisher zwar ein Anwesenheitsrecht in der nicht öffentlichen Verhandlung gegen den jugendlichen Straftäter zu. Das Tatopfer ist aber nicht mit eigenen Rechten ausgestattet. Seine Interessen und Ansprüche kann es nicht geltend machen. Das ist nicht angemessen. Im Verfahren gegen Erwachsene und Heranwachsende kann das Tatopfer bei Straftaten von Gewicht als Nebenkläger zugelassen werden. Das Opfer kann dann aktiv in den Geschehensablauf der Hauptverhandlung eingreifen. Dem Tatopfer stehen unter bestimmten Voraussetzungen eine Prozesskostenhilfe und ein Opferanwalt auf Staatskosten zu. Dies ist in Strafverfahren gegen Jugendliche bisher nicht möglich. Auch eine sinnvolle anwaltliche Vertretung des Tatopfers in der Hauptverhandlung des Jugendgerichtsverfahrens ist bisher nicht möglich, da der Opferanwalt nach § 406 g StPO nicht zugelassen ist. Möglich ist lediglich die Begleitung des Opferzeugen als Zeugenbeistand nach § 406 f StPO, der beraten und Fragen beanstanden darf, weitere Aktivrechte aber nicht beanspruchen kann. Eine solche Benachteiligung des Tatopfers ist mit einem modernen Verständnis des Strafprozesses nicht vereinbar. Es wäre unangemessen, dem vom Erziehungsgedanken abgeleiteten Schutz des jugendlichen Straftäters eine solche Benachteiligung zu entnehmen. Im Gegenteil: Gerade einem jugendlichen Straftäter muss durch eine Verbesserung der Rechtsposition des Opfers die Auswirkung seiner Tat mit deutlicher Schärfe vor Augen geführt werden. Jugendlichen Tätern muss unmissverständlich klar gemacht werden, dass das Opfer den besonderen Schutz des Staates genießt. Gerade jugendliche Täter müssen erkennen, dass der Staat den Opfern effektiv beisteht. Dort, wo es dem Staat trotz gebotener Anstrengung nicht gelingt, die Menschen vor Straftaten zu schützen, ist der Staat dem Opfer gegenüber in besonderer Pflicht. Es darf nicht sein, dass Opferaspekte in Deutschland hinter einem veralteten Verständnis von Täterschutz zurückstehen. Eine Nebenklage hat für das Opfer unbestritten eine Genugtuungsfunktion. Gerade deswegen scheint sie mir das geeignete Mittel zu sein, um jugendlichen Straftätern angemessen deutlich zu machen: Das Opfer wird nicht im Stich gelassen. Die zurzeit vorhandenen prozessualen Mittel des Jugendstrafverfahrens - die Verhängung von Auflagen und Weisungen - haben ursprünglich auch die Würdigung der Opferinteressen zum Ziel gehabt. Sie haben sich aber als zu schwach und untauglich erwiesen, um die berechtigten Interessen der Opfer zu vertreten. Die Einführung der Nebenklage mit der Möglichkeit des Opfers, auf das Verfahren Einfluss zu nehmen, ist aber nur der eine Teil unseres Änderungsvorschlages. Der andere betrifft das insgesamt noch immer viel zu selten genutzte Instrument des so genannten Adhäsionsverfahrens. In Strafverfahren gegen Erwachsene und bestimmte Heranwachsende besteht für die Opfer die Möglichkeit, ihre Ansprüche auf Schadenersatz oder Schmerzensgeld im Strafverfahren geltend zu machen. Auch wenn dieses Verfahren selten in Anspruch genommen wird, gibt es Fälle, wo es geradezu hilfreich und dienlich ist. Ich komme gleich darauf. Damit können die zivilrechtlichen Ansprüche im Rahmen des Strafverfahrens schnell mitentschieden werden. Außerdem sollen die Opfer vor der erniedrigenden Führung eines gesonderten Zivilprozesses geschützt werden, in dem das an ihnen begangene Unrecht erneut aufgerollt werden müsste, um die zivilrechtlichen Ansprüche zu begründen. Bei Jugendlichen und Heranwachsenden, bei denen Jugendstrafrecht zur Anwendung kommt, ist das Adhäsionsverfahren bisher ausgeschlossen. Doch was macht es für das Opfer für einen Unterschied, ob der Täter Erwachsener war oder nicht? Gar keinen. Ich nenne Ihnen ein bedauerlicherweise realistisches Beispiel, einen tatsächlichen Fall: Eine 40-jährige, in einer Stadt bekannte Unternehmerin wird an einem Abend von drei Jugendlichen im Alter von 17 Jahren vergewaltigt. Sie zeigt die Tat an. Die Täter werden ermittelt und festgenommen. Der Vorgang ist ihr verständlicherweise peinlich; sie sagt: Es sind alles noch Kinder; ich will nicht, dass das in der Stadt bekannt wird. Weil es ein Jugendstrafverfahren ist, hat sie das Glück, dass - nicht zum Schutz des Opfers, sondern zum Schutz des Täters - das Verfahren nicht öffentlich ist. Einen berechtigten Schmerzensgeldanspruch kann sie jetzt aber im Jugendstrafverfahren nicht durchsetzen. Vielmehr wird sie in die Situation gebracht, ein zivilrechtliches Verfahren durchführen zu müssen, in dem noch einmal die ganze Geschichte der Vergewaltigung vorgeführt werden muss. Der Frau kann diese peinliche Situation nicht erspart werden. In diesem Fall zeigt sich deutlich, dass es - wenn auch wenige - ganz konkrete Einzelfälle gibt, in denen die Beteiligten ein massives Interesse daran haben, dass das Adhäsionsverfahren durchgeführt wird, dass der Schadenersatzanspruch im gleichen Verfahren geltend gemacht werden kann. Es ist nicht einzusehen, dass ein Opfer in einer solchen Situation schlechter gestellt bleibt, nur weil der Täter noch nicht volljährig ist. Darüber hinaus wäre es auch sehr wünschenswert, dass jugendliche Straftäter durch ein Adhäsionsverfahren in unmittelbarem Zusammenhang mit der strafrechtlichen Würdigung ihres Fehlverhaltens auch die materiellen Folgen der Tat zu spüren bekämen. Dass die Gerichte dem Adhäsionsverfahren gerne ausweichen, ist allen, die damit befasst sind, hinlänglich bekannt. Ich möchte auch nicht bestreiten, dass wohl weitere Gesetzesänderungen notwendig sein werden, um das Adhäsionsverfahren im Strafverfahren mehr zur Regel machen zu können. Dies muss aber unser Ziel sein. Denn die Vorteile, nicht nur für den Opferschutz, liegen auf der Hand. Die Zusammenführung aller straf- und zivilrechtlichen Aspekte einer Straftat in einem Verfahren begrenzt die traumatische Belastung des Opfers. Die Abhandlung der Materie in nur einem Verfahren erfordert keine erneute Beweisaufnahme. Überdies entsteht ein Spareffekt bei der Prozesskostenhilfe. Ein schnellerer Zugriff auf das Tätervermögen ist ebenfalls möglich. ({5}) Eine stärkere Akzeptanz dieses sinnvollen Verfahrens können wir erreichen, wenn wir die Schlupflöcher schließen. Hier liegt noch Arbeit vor uns. Einen umfassenden Opferschutz gibt es bis heute nicht. Wir wollen mit unserem Antrag einen Beitrag dazu leisten, die Situation von Opfern in Deutschland zu verbessern. ({6})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Als nächster Redner hat der Kollege Volker Beck vom Bündnis 90/Die Grünen das Wort.

Volker Beck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002625, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Kurz vor Ende der Wahlperiode entdecken hier manche die Diskussion um den Opferschutz. ({0}) Wir als Koalition mussten nicht auf dieses Thema gestoßen werden. Wir haben in dieser Wahlperiode ein umfangreiches Maßnahmenbündel auf den Weg und ins Gesetzblatt gebracht, das die Situation von Opfern von Straftaten maßgeblich verbessert hat. ({1}) - Die Beispiele werde ich Ihnen jetzt nennen, Herr Kauder. Ganz zu Beginn der Wahlperiode haben wir dem Täter-Opfer-Ausgleich im Strafverfahren einen breiteren Anwendungsbereich verschafft. ({2}) - Herr Geis, überwiegend habe ich jetzt das Wort. Zwischenrufe sind okay, aber nicht fortwährend. ({3}) Wir haben für geschlagene Frauen und auch für Kinder, die Opfer von Gewalt oder sexuellem Missbrauch in der Familie geworden sind, den Opferschutz massiv verbessert. Ich nenne hier das Gewaltschutzgesetz, das wirklich einen Paradigmenwechsel in diesem Bereich bedeutet. Das ist echter Schutz von Betroffenen. ({4}) - Ich glaube, Sie haben sogar zugestimmt. Wenn Sie sagen, es bringe gar nichts, sollten Sie einmal mit Ihrem Berichterstatter Pofalla reden. Der hat dazu vernünftige Ansichten und ist etwas kundiger als Sie mit Ihren auf Nichts fußenden Zwischenrufen. ({5}) Wir haben das Kinderrechteverbesserungsgesetz geschaffen. Wir haben die Ächtung der Gewalt in der Erziehung durchgesetzt. Natürlich haben wir auch im Hinblick auf eine komplette Reform des Strafverfahrens in opferrechtlicher Hinsicht wichtige Vorarbeiten geleistet. Wir werden die Reform in der nächsten Wahlperiode als rotgrüne Koalition auch auf den Weg bringen und durchsetzen. ({6}) - Herr van Essen, selbst Ihrer Koalition ist nicht alles in vier Jahren geglückt und gelungen. Man braucht eine Reform nach der anderen. Man muss das ja auch vernünftig machen. Sie wissen genau, dass wir in dieser Wahlperiode die Zivilprozessordnung reformiert haben. In der nächsten Wahlperiode nehmen wir uns die Strafprozessordnung vor. Sie können das Eckpunktepapier der Koalition ja einsehen. Darin finden Sie Stichpunkte wie den verstärkten Einsatz der Videotechnik im Strafverfahren, ({7}) um den Opferschutz bei Mehrfachvernehmungen noch zu verbessern. Wir wollen auch den Interessen der Nebenkläger durch mehr Informationspflichten besser Rechnung tragen. Zur Nebenklage berechtigte Zeuginnen und Zeugen finden das Verfahren weniger belastend, wenn sie wissen, was auf sie zukommt und welche Rechte sie haben. Verehrte Kolleginnen und Kollegen von der FDP, Ihr heutiger Antrag ist für die Opfer von Verbrechen nicht wirklich hilfreich. Würden wir ihn beschließen, würde sich auch nichts ändern. ({8}) Ihr Antrag ist noch nicht einmal ein Gesetzentwurf. Er ist eine Spiegelstrichsammlung, in der Sie eine Anzahl von Problemen auf den Tisch des Hauses gelegt haben. Wir wüssten schon gern genau, wie Sie die Probleme angehen wollen. Sie wollen zum Beispiel das Adhäsionsverfahren ändern. ({9}) Das gibt es ja schon; künftig soll es aber häufiger im Strafverfahren angewandt werden. Wir sind wahrscheinlich alle einer Meinung, dass das sinnvoll ist. Aber wie Sie das machen wollen, haben Sie nicht beschrieben. Wo ist Ihr Umsetzungsvorschlag in dem Antrag? ({10}) Das Gute zu wollen reicht nicht aus, man muss sich auch präzise entscheiden. ({11}) - Ich habe den Antrag gelesen. ({12}) Es tut mir Leid, er ist leider nicht sehr konkret. Sollen Strafgerichte künftig auch langwierige Zivilprozesse führen, oder sollen sie nur entscheiden, was der Grundtatbestand ist, um daraus dann den Opfern bessere Zugriffsmöglichkeiten zu verschaffen? Was ist hier Ihr Vorschlag? Dazu finde ich nichts. Was mich erstaunt - das ist allerdings ein schwieriges Thema -, ist, dass ich in Ihrem Antrag auch nichts zu dem zentralen Problem beim Opferentschädigungsgesetz gefunden habe: Berechtigtenkreis und Schadensdefinition. Wenn man schon alle Probleme aufschreibt, dann muss man auch das Opferentschädigungsgesetz ansprechen. Da haben wir ein Problem mit den Ländern bezüglich der Finanzierung, sowohl was den Berechtigtenkreis angeht als auch, was den Schadensbegriff angeht. Die ganzen psychischen Schäden, die Traumaschäden, sind alle nicht Gegenstand im Opferentschädigungsgesetz. Und beispielsweise manche Gruppen von Ausländern erhalten als Opfer von Straftaten in Deutschland keine Leistungen. ({13}) - Ich habe ihn gelesen, Herr Geis. ({14}) Sie haben ihn gewiss nicht gelesen. Sie lesen noch nicht einmal unsere Gesetze, die wir hier verabschieden; das haben Sie ja gerade bewiesen. ({15}) Zweites Themengebiet - dazu liegt uns auch ein Antrag der Unionsfraktionen vor - ist das Jugendgerichtsverfahren. Ich muss sagen, da haben wir sehr grundsätzliche Differenzen zu dem Lösungsweg, den Sie vorschlagen. Das Jugendgerichtsgesetz hat gerade im Kern den Erziehungsgedanken, die Jugendlichen wieder auf den Pfad der Tugend zurückzuführen, indem man mit erzieherischen Maßnahmen, mit Weisungen und Auflagen versucht, den Jugendlichen das Unrecht der Tat vor Augen zu führen und durch bestimmte Maßnahmen auch wieder Empathie zu entwickeln - gerade auch im Bereich des Täter-Opfer-Ausgleichs - und dann ihr Verhalten für die Zukunft zu korrigieren. ({16}) - Der Sinn der Nebenklage ist ja gerade, den Strafgedanken, den Sühnegedanken, den Genugtuungsgedanken in das Strafverfahren einzuführen. Das ist im Erwachsenenrecht - im Heranwachsendenrecht haben wir das auch durchaus angemessen. Das läuft aber dem Grundgedanken des Jugendgerichtsgesetzes mit dem Erziehungsgedanken als zentraler Linie zuwider. ({17}) Es wundert mich nicht, dass es von Ihnen kommt, weil Sie seit Jahr und Tag über Altersgrenzen schwadronieren. An sich ist Ihnen der Erziehungsgedanke im Jugendgerichtsgesetz ein Gräuel. ({18}) Nun kommen Sie mit diesem repressiven Gedanken und verkaufen ihn uns und der Öffentlichkeit als Opferschutz. Das ist eine Mogelpackung. Ihnen geht es um Repression statt um Erziehung. Das wird uns aber im Strafverfahren nicht weiterbringen. ({19}) Das wird den Jugendlichen nicht helfen. ({20})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Kollege Beck, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Kauder?

Volker Beck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002625, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich glaube, ich erspare uns das heute angesichts der Zeit und der Tatsache, dass wir noch eine Runde vor uns haben. Sonst bin ich da ja nicht so. ({0}) Ihr Entwurf läuft auch einem wichtigen Gedanken zuwider, den wir immer wieder im Zusammenhang mit Jugendkriminalität äußern - darin sind wir uns einig -: Die Strafe muss auf dem Fuße folgen, damit der Jugendliche sein Unrecht einsieht. Mit der Einführung der Nebenklage und neuer Diskussionen im Verfahren - so kann im Zusammenhang mit der Nebenklage noch einmal in die Berufung und Revision gegangen werden - ermöglichen Sie es, dass sich das Verfahren lange hinzieht und dem Jugendlichen nicht mehr verständlich ist, dass die Sanktionen noch irgendetwas mit seiner Tat, die ein, zwei oder drei Jahre zurückliegt, zu tun hat. ({1}) - Wir wissen doch, dass dies, wenn es zur Anwendung kommt, zu Verzögerungen führt und Zeit kostet. Opferschutz ja. Wir müssen im Ausschuss auch weiterhin darüber reden, wie wir ihn verbessern können. Hier ist jede Mühe gerechtfertigt. Wir haben eine Menge getan, aber es kann nie genug getan werden. Wenn es uns gelänge, eine überparteiliche Einigung auch mit dem Bundesrat hinzubekommen, ({2}) was wir uns im Opferentschädigungsgesetz zusammen mit den Ländern leisten wollen, fände ich das gut. Wir als Koalition sind sofort dabei, wenn Sie uns sagen, die Mehrheit des Bundesrates macht mit. Wir machen das dann meinetwegen auch noch in den letzten vier Sitzungswochen, die vor uns liegen. Wir wollen als Koalition in der nächsten Wahlperiode - vielleicht gelingt es uns noch in den nächsten Wochen im Rahmen einer Reform des Sanktionenrechtes den Opfergedanken in den Mittelpunkt der Überlegungen stellen. Dabei würde es mich sehr freuen, wenn Sie sagen könnten, da machen auch die B-Länder, die CDU- und FDP-regierten Länder mit. Wir wollen, dass 10 Prozent der Geldstrafen in Zukunft nicht in den Landeshaushalten Volker Beck ({3}) verschwinden, sondern für Einrichtungen der Opferhilfe, die traumatisierte Opfer von Straftaten betreuen, zur Verfügung gestellt werden, damit in diesem Bereich in Deutschland endlich eine vernünftige Infrastruktur entstehen kann. Das wäre zukunftsweisend. Wenn Sie dabei mitmachen und uns unterstützen wollen, können wir das noch in dieser Wahlperiode hinbekommen. Vielen Dank. ({4})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Die Kol- leginnen Sabine Jünger von der PDS und Erika Simm von der SPD haben ihre Reden zu Protokoll gegeben.1) Ich denke, Sie sind damit einverstanden, dass wir sie zu Protokoll nehmen. Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 14/7832 und 14/8788 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist so beschlossen. Ich rufe Zusatzpunkt 23 auf: - Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Gentechnikgesetzes - Drucksachen 14/8230, 14/8767 ({0}) - Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines ... Gesetzes zur Änderung des Gentechnikgesetzes - Drucksache 14/5929 ({1}) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Gesundheit ({2}) - Drucksache 14/9089 - Berichterstattung: Abgeordnete Dr. Carola Reimann Zum Gesetzentwurf der Bundesregierung liegt ein Ent- schließungsantrag der Fraktion der CDU/CSU vor. Alle Reden zu diesem Tagesordnungspunkt sind zu Protokoll gegeben worden. Sind Sie damit einverstan- den?2) - Das ist der Fall. Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun- desregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung des Gentechnikgesetzes auf den Drucksachen 14/8230 und 14/8767. Der Ausschuss für Gesundheit empfiehlt un- ter Nr. 1 seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 14/9089, den Gesetzentwurf in der Ausschussfassung an- zunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Hand- zeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Ge- setzentwurf ist in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der übrigen Fraktionen angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Ge- genstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist mit dem gleichen Mehrheitsverhältnis angenommen. Abstimmung über den Entschließungsantrag der CDU/ CSU auf Drucksache 14/9114. Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Entschlie- ßungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der PDS bei Gegenstimmen der CDU/CSU und der FDP abgelehnt. Abstimmung über den vom Bundesrat eingebrachten Gesetzentwurf auf Drucksache 14/5929 zur Änderung des Gentechnikgesetzes. Unter Nr. 2 seiner Beschlussemp- fehlung auf Drucksache 14/9089 empfiehlt der Ausschuss für Gesundheit, den Gesetzentwurf abzulehnen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung mit den Stim- men aller Fraktionen mit Ausnahme der Unionsfraktion, die sich enthalten hat, abgelehnt. Damit entfällt nach un- serer Geschäftsordnung die weitere Beratung. Ich rufe jetzt die Tagesordnungspunkte 31 a und b auf: a) Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Alfred Hartenbach, Margot von Renesse, Hermann Bachmaier, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der SPD sowie den Abgeordneten Volker Beck ({3}), Hans-Christian Ströbele, Kerstin Müller ({4}), Rezzo Schlauch und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Aufhebung nationalsozialistischer Unrechtsurteile in der Strafrechtspflege ({5}) - Drucksache 14/8276 ({6}) Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses ({7}) - Drucksache 14/9092 Berichterstattung: Abgeordnete Margot von Renesse Volker Beck ({8}) Dr. Evelyn Kenzler b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Rechtsausschusses ({9}) zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Evelyn Kenzler, Ulla Jelpke, Sabine Jünger, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der PDS Volker Beck ({10}) 1) Anlage 8 2) Anlage 9 Aufhebung der nationalsozialistischen Unrechtsurteile gegen Deserteure - Drucksachen 14/5612, 14/8114, 14/9092 Berichterstattung: Abgeordnete Margot von Renesse Volker Beck ({11}) Dr. Evelyn Kenzler Zu dem Gesetzentwurf der Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen liegt ein Änderungsantrag der PDS vor. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist es so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Als erste Rednerin hat die Kollegen Margot von Renesse von der SPD-Fraktion das Wort.

Margot Renesse (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001820, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit Ihrem Einverständnis - auch wenn Sie gegen den Gesetzentwurf stimmen werden ({0}) wollen wir die Urteile gegen die Homosexuellen, gegen die Wehrdienstverweigerer, gegen die Befehlsverweigerer - so hieß das damals - und gegen die aufgrund einer Reihe von Wehrstraftaten nach dem damaligen Wehrstrafgesetzbuch Verurteilten pauschal aufheben. Warum wollen wir das tun? Im Rechtsausschuss haben wir das Wort „kontaminiert“ verwendet. Dies haben wir nicht etwa getan, weil alle Wehrdienstverweigerer Helden waren; denn das waren sie nur zum Teil, vielleicht auch nur zu einem kleineren. Wie Sie wissen, gab es bei den Preußen die gute Tradition der Befehlsverweigerung. Diese führte dazu, dass sich die preußischen Offiziere, Unteroffiziere und sogar auch die Soldaten aufgerufen fühlten - wie Bürger in Uniform nach den ScharnhorstGneisenauschen Reformen -, mit ihren eigenen Gedanken loyal und kritisch über das nachzudenken, was ihre Befehlshaber von sich gaben, und sich ein eigenes Urteil zu bilden. Insofern stand der berühmte General Paulus - er war eher berüchtigt als berühmt - vor Stalingrad nicht in der preußischen Tradition. Nein, die Helden suchen wir nicht. Wir verwenden auch nicht das häufig genutzte Argument, dass der Zweite Weltkrieg insgesamt ein Verbrechen war, was natürlich richtig ist. Darauf können sich nämlich nur diejenigen berufen, die den entsprechenden Durchblick hatten und aus diesem Grund gehandelt haben. Das waren bei weitem nicht 100 Prozent der Verurteilten von damals. Wir wollen das Desertieren, Befehlsverweigern und alle anderen Handlungen, die nach dem damaligen Strafgesetzbuch strafbar waren, nicht auch pauschal für etwas Gutes halten. Es gab damals nämlich eine Reihe von Taten, die auch heute, und zwar in jeder Armee der Welt, strafbar sind. Schließlich wollen wir auch nicht, dass aus denen, die diese Taten nicht begangen haben, ebenso pauschal Verbrecher werden. Unsere Väter und Großväter, die eventuell nicht verweigert haben, sollen deswegen nicht pauschal - in welcher Weise auch immer - verdammt werden. Es geht uns um ein Urteil über die damalige Strafrechtspflege. Mein Beispiel ist immer Waldheim. Jedes Verfahren, jede Prozessgestaltung, jedes einzelne Urteil und jede einzelne Urteilsbegründung dort war kontaminiert. ({1}) Dies war so rechtswidrig und verstieß so sehr gegen die minimalen Vorstellungen eines richtigen Verfahrens, dass wir die Urteile pauschal zu Nichturteilen erklärt haben, wohl wissend, dass unter ihnen auch manche bösen Buben waren. Aber die Urteile waren Nichturteile. Das haben wir damals gemeinsam ausgesprochen. Allein die Anzahl der damaligen Urteile im Verhältnis zu der Anzahl der Alliierten ist schon erschreckend. Sie erinnern sich, dass der von Ihnen benannte Sachverständige bei der Anhörung die von ihm heruntergespielte, aber immer noch exorbitant hohe Zahl von Verurteilungen, unter denen eine Unzahl von Todesurteilen waren, etwas widerwillig zugegeben hatte. Allein diese Tatsache spricht dafür, dass die damalige Wehrstrafgerichtsbarkeit eben keine richterliche Instanz war. Die Sachverhalte wurden nicht ermittelt. Den Betreffenden wurde so gut wie kein rechtliches Gehör gegeben. ({2}) Sie wurden während des Verfahrens gequält. Auch dazu haben wir in der Sachverständigenanhörung ein lebendiges Beispiel gehört. Ich denke, dass wir gut daran tun, diese Menschen nicht darauf zu verweisen, im Einzelfall nachweisen zu müssen, dass sie zu Unrecht verurteilt worden sind. Vielmehr kann unser Urteil über diese Gerichte, diese Urteile und diese Verfahren nur lauten: Dazu stehen wir nicht. Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. ({3})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Jürgen Gehb von der CDU/CSUFraktion.

Dr. Jürgen Gehb (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003129, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bereits in der ersten Lesung des vorliegenden Gesetzentwurfes habe ich von diesem Platz aus deutlich gemacht, was unsere Fraktion mittragen kann und an welcher Stelle wir uns von der Auffassung der Regierungskoalition klar unterscheiden. Diese Unterscheidung bleibt auch heute glasklar bestehen. Der Streit entzündet sich an der pauschalen Aufhebung von Urteilen, die sich auf Straftatbestände des Militärstrafgesetzbuches beziehen. Es geht also - ich will an dieser Stelle nur den griffigsten Punkt nennen - um die pauschale Rehabilitierung aller Deserteure. Um dies gleich deutlich zu sagen: Wir halten die Pauschalaufhebung dieser Urteile für nicht gerechtfertigt. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms Damit gar nicht erst irgendwelche Mythen entstehen und auch keine bösartigen Fehlinterpretationen vorgenommen werden, will ich an ein paar wichtige Ausgangspunkte unserer Debatte erinnern. In der letzten Legislaturperiode ist unter der christlich-liberalen Koalition das Gesetz zur Aufhebung nationalsozialistischer Unrechtsurteile und im Übrigen auch das Gesetz zur Aufhebung der Entscheidungen der Erbgesundheitsgerichte als NS-Unrecht teils pauschal, teils nach Einzelfallprüfung für null und nichtig erklärt worden. Alle Urteile, die unter Verstoß gegen elementare Gedanken der Gerechtigkeit nach dem 30. Januar 1933 zur Durchsetzung und Aufrechterhaltung des nationalsozialistischen Unrechtsregimes aus politischen, militärischen, rassischen, religiösen oder weltanschaulichen Gründen ergangen sind, sind aufgehoben worden. Wir haben eine Generalklausel, die in Verbindung mit einem Kanon eine Generalaufhebung vorsieht. Daneben haben wir Fälle, wo die Einzelfallgerechtigkeit Platz greift. Wir haben damals dieses Gesetz verabschiedet, damit nicht einmal der Hauch eines Anscheins einer Fortgeltung von NS-Unrecht besteht. Dabei war uns allen klar - mein Kollege Norbert Geis hat damals darauf hingewiesen, dass es unterschiedliche Kategorien gibt -: Es gab typisch nationalsozialistisches Gesetzesunrecht. Die hierauf basierenden Urteile waren von vornherein und für jeden ersichtlich Unrechtsurteile. Dann gab es Gesetze, die nicht von den damaligen Machthabern geschaffen worden sind, aber durch die Rechtsanwendung - Frau von Renesse, Sie haben es eben gesagt: infizierte Nichturteile - während der NS-Zeit zu Unrechtsurteilen führten. Und es gab in diesen Jahren - auch das muss man einmal sagen - ebenfalls rechtmäßige Urteile; sonst hätten sie doch die Alliierten bereits 1945 aufgehoben. ({0}) Das bestehende Gesetz zur Aufhebung von NS-Unrechtsurteilen hätte dann doch nicht die jetzige Form. Dieses Gesetz hält, wie ich meine, eine wohlausgewogene Balance zwischen Pauschalaufhebung und Einzelfallprüfung. Ich habe diesen Exkurs unternommen, weil ich die Befürchtung habe, dass der eine oder andere, egal ob innerhalb oder außerhalb dieses Hauses, verleitet sein könnte, die Fraktionen, die dem vorliegenden Gesetzentwurf nicht zustimmen, moralisch abzuqualifizieren oder ihnen gar zu unterstellen, sie würden NS-Unrecht verteidigen. Dass diese Befürchtung nicht aus der Luft gegriffen ist - auch wenn Sie sich nicht beherrschen können, pausenlos dazwischenzureden -, kann inzwischen schwarz auf weiß nachgelesen werden. So heißt es in der Stellungnahme des Sachverständigen Bruns, der von den Grünen für die Anhörung zu diesem Gesetzentwurf benannt wurde, wörtlich: Ich habe der Presse entnommen, dass der rechtspolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion Norbert Geis die generelle Aufhebung der Urteile für verfehlt hält. Da Herr Geis Jurist ist, muss ich daraus schließen, dass er meint, Deutschland habe keinen verbrecherischen Krieg geführt. Nur dann ist eine Einzelfallprüfung der Urteile sinnvoll. Meine Damen und Herren, angesichts der Chuzpe und Unverfrorenheit, mit der der Sachverständige meinte, unseren Kollegen Norbert Geis in Misskredit bringen zu müssen, darf man schon tief durchatmen. Ich will mich nicht damit beschäftigen, ob Herr Bruns - ein ehemaliger Bundesanwalt - selbst das juristische Einmaleins sicher beherrscht. Immerhin ist ihm auch während der Anhörung der Unterschied zwischen dem so genannten ius ad bellum und dem ius in bello und den hieraus resultierenden Konsequenzen offenbar verschlossen geblieben. Diese Unverfrorenheit hat aber auch ihr Gutes; denn sie führt zum Kern der Debatte und kann damit auch zur Verdeutlichung der Positionen beitragen. Wenn der Sachverständige meint, in seiner Stellungnahme sozusagen einen Dreisatz postulieren zu müssen, der lautete, erstens hat Hitler einen verbrecherischen Krieg geführt, zweitens darf an einem verbrecherischem Krieg niemand teilnehmen und daraus folgt drittens, dass Deserteure objektiv rechtmäßig gehandelt haben, ist hieraus der Schluss zu ziehen: Wenn erstens allein Deserteure im Zweiten Weltkrieg rechtmäßig und damit moralisch korrekt gehandelt haben, dann haben zweitens Soldaten, die nicht desertierten, objektiv unrechtmäßig und damit auch objektiv unmoralisch gehandelt. ({1}) Drittens treten damit alle, die nicht das Hohelied auf die moralisch höher stehende Desertion anstimmen, automatisch für Hitlers verbrecherischen Krieg ein. ({2}) Dieser Duktus soll damit erzeugt werden. Genau diese Einlassungen, die nicht mehr den einzelnen Deserteur im Blick haben, sich im Grunde auch nicht mehr für das Schicksal des Einzelnen interessieren und nicht danach gehen, ob jemand aus - wie Sie ausgeführt haben - nachvollziehbaren Gründen, manchmal sogar ehrenwerten, hehren Motiven oder aus Gewissensgründen desertierte ({3}) oder ob er die Truppe aus Motiven verließ, die vielleicht ganz und gar nicht ehrenwert waren, empfinden wir als skandalös. Wir widersprechen diesen Einlassungen darin eindeutig. ({4}) Mit diesem Widerspruch stehen wir auch nicht alleine da. Der Vorsitzende des Deutschen Bundeswehr-Verbands, Oberst Gertz, hat alle Fraktionen dieses Hauses aufgefordert, bei der Rehabilitierung von Deserteuren des Zweiten Weltkriegs weiter an dem Erfordernis einer Einzelfallprüfung festzuhalten. Ich darf ihn zitieren: Es spricht manches dafür, dass ein nicht geringer Teil der Urteile der Militärjustiz rechtsstaatlichen Maßstäben nicht standhält. Ihre pauschale Beseitigung durch Annullierung als „Unrechtsurteile“ ohne Einzelfallprüfung ist jedoch das falsche Mittel. Wer Fahnenflucht im Zweiten Weltkrieg jedoch durch Annullierung nachträglich zu einer „Kardinaltugend“ erhebe, verkenne allerdings, dass zu den Verurteilten auch nicht wenige echte Kriminelle gezählt hätten, bei denen politische Motive nicht vorlagen. Genau dieser Verklärung der Fahnenflucht widersetzen wir uns. Das Perfide an einer solchen Position ist, dass die Fahnenflucht nicht nur fix zur Tugend erhoben wird, sondern als ein moralisch einzuforderndes Verhalten den Millionen von Soldaten, die gehorcht haben, entgegengehalten wird. ({5}) Damit wird natürlich jeder Soldat, der nicht desertierte, moralisch abqualifiziert, ({6}) selbst wenn das vom Gesetzgeber nicht intendiert wird. Es kommt aber auf den Empfängerhorizont an. Jeder Jurist lernt in den ersten Semestern, dass es bei Willenserklärungen auf den Empfängerhorizont ankommt. Genauso fühlen sich diejenigen, die heute Veteranen sind, an den Pranger gestellt, und zwar pauschal, meine Damen und Herren. ({7}) Gerade weil wir das nicht wollen und weil man - wenn man redlich ist - das ehrenwerte und nachvollziehbare Verhalten einzelner Deserteure nicht auf die Gesamtheit übertragen kann, haben wir die Rehabilitation der Deserteure bereits 1998 auf der Basis der Einzelfallprüfungen vollzogen. Das gilt auch für die Einzelbewertung der Richter der Militärjustiz. Selbstverständlich gab es Blutrichter. Aber es gab auch Richter, die nach bestem Wissen und Gewissen handelten, Richter, die sich nichts vorzuwerfen haben und für die wir uns auch heute nicht zu schämen brauchen. Eine pauschale Verdammung ist nicht angebracht. Schuld wie Unschuld können immer nur individuell festgestellt werden. Deswegen wollen wir bei den Urteilen aus dem Bereich der NS-Militärjustiz auch nicht die bewährte Form der Rehabilitierung verlassen. Bei diesem Befund ist es sachlich falsch und geradezu geschichtsklitternd, wenn Herr Hartenbach - auch noch mein Kollege aus der Kasseler Gegend - für die SPDFraktion in seiner gestrigen Presseerklärung den Eindruck erweckt hat, erst mit diesem Änderungsgesetz werde Gerechtigkeit für NS-Verfolgte geschaffen, diese würden jetzt erst rehabilitiert, und das auch noch gegen den Widerstand unserer Fraktion. Hier muss ich, allein um unsere Fraktionsehre zu retten, doch einmal die sozialdemokratische Kollegin von Renesse zitieren. Ich weiß, dass Sie das nicht gern hören; so war es schon bei der ersten Lesung. Im letzten Jahr haben Sie gesagt: Nach einem in der Tat quälend langen Beratungsprozess hat der Bundestag in der letzten Legislaturperiode alles nachgeliefert, was den Wehrdienstverweigerern, Fahnenflüchtigen und „Wehrkraftzersetzern“ des Zweiten Weltkrieges schon lange zugestanden hätte: volle Rehabilitierung und Anspruch auf Entschädigungsleistung. ({8}) Der Antrag der PDS ist daher, wie man bei Gericht sagt, in der Hauptsache erledigt. Dem ist eigentlich nichts mehr hinzuzufügen. ({9}) Ich kann mir aber auch eine weitere Kommentierung nicht ersparen, und zwar zur gestrigen Presseerklärung des Kollegen Beck. Auch dort wird in der Überschrift mal eben die - freilich falsche - Behauptung erhoben, CDU/CSU und FDP seien gegen die Rehabilitierung von Homosexuellen und Deserteuren. Dies ist sachlich falsch. ({10}) Die gewählte Überschrift, Herr Beck, zeigt die Schwäche einer jeden Pauschalierung, auch bei Überschriften in Presseerklärungen. Doch nicht nur diese Geschichtsklitterung ärgert mich. Richtig ärgert mich, wenn uns vorgehalten wird, wir hätten bereits unser gegebenes Wort vom 7. Dezember 2000 gebrochen. Herr Beck, davon kann überhaupt nicht die Rede sein. Ich frage: Wer hat denn die verabredete pauschale Aufhebung der Urteile gegen Homosexuelle eigenmächtig verknüpft mit den über 40 Straftatbeständen aus dem Militärstrafgesetzbuch, ohne dass es auch nur einen Hauch von Konsultation im Vorfeld mit uns gegeben hätte? ({11}) Ich erinnere mich auch nicht daran, dass wir als Bundestag einstimmig die SPD und die Grünen beauftragt hätten, einen Gesetzentwurf vorzulegen. Adressat, Herr Pick, war die Bundesregierung. Ich kann mir nur vorstellen, dass Sie sich mit ganz spitzen Fingern daran gemacht und es dann lieber gelassen haben. Wenn der Kollege Beck den alten Konsens beschwört, muss er sich auch entsprechend verhalten. Hiervon war aber in diesem Verfahren überhaupt nichts zu spüren. ({12}) Sie erwarten doch nicht allen Ernstes, dass ohne Mitwirkungsmöglichkeit die Opposition Ihre Gesetzentwürfe abnickt. Ich kann Ihnen nur sagen: Der Ball liegt bei Ihnen. Wir hätten auch gern erfahren, welche weiteren Entschädigungsleistungen eventuell geplant sind für diejeniDr. Jürgen Gehb gen Personen - etwa 250 000 -, deren Urteile Rot-Grün jetzt pauschal aufheben will. Plant der Finanzminister eine Veränderung des Erlasses vom 17. Dezember 1997, der Zahlungen für Opfer der NS-Justiz konstituierte? Zur Klärung der aufgeworfenen Fragen hatten wir beantragt, den Haushaltsausschuss zu befassen. Dies ist abgelehnt worden. Aus all dem folgt, dass wir diesem Gesetzesvorhaben unsere Zustimmung verweigern müssen. Vielen Dank. ({13})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat der Kollege Volker Beck vom Bündnis 90/Die Grünen.

Volker Beck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002625, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Kollege Gehb, zunächst zu den Entschädigungsleistungen: Nach dem NS-Unrechtsaufhebungsgesetz, so wie es Ihre Koalition - damals nach schweren Geburtswehen und übrigens erst nachdem Rot und Grün zwei Gesetzentwürfe mit ähnlichem Inhalt eingebracht haben - in der letzten Wahlperiode beschlossen hat, ({0}) gibt es grundsätzlich keine zusätzlichen Entschädigungsleistungen aufgrund dieses Gesetzes. ({1}) Ob man für weitere Gruppen oder insgesamt für andere vergessene Gruppen des nationalsozialistischen Unrechts hier versucht, noch etwas zu verbessern, darüber ist unabhängig von diesem Gesetz zu diskutieren. ({2}) Wir diskutieren auch unabhängig davon darüber. Es gibt lediglich eine Fallgruppe, bei der sich etwas verändert. Wenn bei konkreten Entschädigungsanträgen der Ablehnungsgrund für die Entschädigungsleistung allein war, dass man das Unrechtsurteil für rechtsmäßig gehalten hat, kann dieser Entschädigungsfall neu aufgenommen werden. Es gibt einige Fälle gerade bei Homosexuellen, wo man gesagt hat: Du bist ja nicht ins KZ gekommen, deshalb war es Recht. In diesen Fällen kann es sein, dass die Leute ab jetzt Leistungen bekommen. Ich finde das auch gut so. ({3}) Herr Gehb, das ursprüngliche Anliegen des Gesetzes zur Aufhebung nationalsozialistischer Unrechtsurteile war die pauschale Aufhebung dieser Urteile. Ich möchte an die Genese der Debatte erinnern: 1996 hatte sich auf Antrag der Evangelischen Hochschule Hannover eine Initiative um die Aufhebung des Urteils gegen Pastor Dietrich Bonhoeffer bemüht. Danach hatte die Staatsanwaltschaft Berlin das gleiche Begehren. ({4}) Nachdem man zwei Jahre rechtswissenschaflichen und juristischen Sachverstand bemüht hat, hat das Landgericht Berlin festgestellt, dass das Urteil gegen Bonhoeffer schon längst aufgehoben worden ist. Niemand wusste das, weil die Regelungen so unübersichtlich sind. Wir als Gesetzgeber wollen mit dem vorliegenden Gesetzentwurf die NS-Unrechtsurteile pauschal aufheben und so die Betroffenen von diesem ihnen quasi auf die Stirn geschriebenen Makel befreien. Wir machen das aber auch für uns; denn mit diesem Gesetz distanzieren wir uns ein für alle Mal von den unrechtsstaatlichen Verfahren und den rechtswidrigen Rechtsnormen des NS-Staates. Das ist einfach eine Frage der gesetzlichen Hygiene. Das muss sie uns wert sein. ({5}) Da Sie uns immer Pauschalierung vorwerfen, möchte ich Ihnen - wir sollten uns nämlich nicht nur über die Urteile gegen Deserteure streiten; das tun wir schon zum zehnten Mal; wir müssen auch einmal an die Urteile gegen Homosexuelle denken - ein Beispiel geben. Ich zitiere mit Erlaubnis des Präsidenten aus dem Buch „Ein erfülltes Leben“ von Lutz van Dyke: Trotzdem ein Fall: Stefan K. ist Pole. Er lebt in Torun und verliebt sich dort 1941 als 17-Jähriger in Willi, einen 20-jährigen Besatzungssoldaten aus dem Deutschen Reich. Die Liebe wird erwidert. Einige Monate können sie ihre Beziehung geheim halten. Dann wird der deutsche Freund an die Ostfront versetzt. Stefan K. wartet jeden Tag auf Post. In seiner Verzweiflung schreibt er schließlich selbst an die Front. Er erhält keine Antwort, dafür eine Vorladung der Gestapo. Er wird verhört, zwölf Tage lang schrecklich gefoltert, bis er ein Geständnis unterschreibt. Im Dezember 1942 wird Stefan K. vom deutschen Gericht in Torun zu fünf Jahren Zuchthaus wegen § 175 verurteilt. Erst zum Kriegsende kommt er wieder frei. Soll ein deutscher Staatsanwalt heute noch einmal untersuchen, ob Stefan K. damals wegen der ersten Liebe seines Lebens - möglicherweise - rechtmäßig verurteilt wurde? ({6}) Meine Damen und Herren von Union und FDP, das kann doch nicht Ihr Ernst sein. ({7}) Allein die Frage, ob solche Urteile rechtmäßig waren oder nicht, finde ich pervers; denn bei den Verurteilungen nach § 175 wurde kein Recht, sondern nur Unrecht gesprochen. Deshalb gehören diese Urteile pauschal aufgehoben. ({8}) - Stellen Sie mir eine Zwischenfrage, dann kann ich Ihnen das erklären. Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf heben wir ein für alle Mal alle Urteile gegen Homosexuelle auf, sodass diese nicht noch einmal vor Gericht müssen, um die Unrechtmäßigkeit der gegen sie verhängten Urteile feststellen zu lassen. Das haben die Verurteilten zu Recht nicht gemacht - sie hätten die Möglichkeit durchaus gehabt -, weil es unwürdig gewesen wäre. Wir als Gesetzgeber haben mit Hinweis auf die Causa Bonhoeffer gesagt: Wir wollen nicht, dass sich die Betroffenen selber um die Aufhebung der Urteile bemühen müssen. Wir wollen die NSUnrechtsurteile ein für alle Mal aufheben. Ich finde es schade, dass wir uns darüber heute noch streiten müssen. ({9}) Herr Kollege Gehb, Sie haben vorhin einen Sachverständigen zitiert. Auch ich möchte einen Sachverständigen zitieren und damit einen Wunsch an die Bundesregierung verbinden. Der Sachverständige der Union, Herr Professor Seidler, hat in der Ausschussanhörung gesagt, dass das Verhängen der Todesstrafe bei Desertion zur Durchsetzung der Manneszucht in der Truppe notwendig gewesen sei. ({10}) Dieser Sachverständige ist Professor an der Bundeswehrhochschule in München. ({11}) Ich finde, die Bundesregierung sollte überlegen, ob das, was dieser Mann für die Bundeswehrhochschule erklärt, noch mit der Wissenschafts- und Forschungsfreiheit vereinbar ist. ({12}) Eines möchte ich noch klarstellen: Mit der Rehabilitierung der Deserteure im Dritten Reich sagen wir nichts über die Soldaten aus, die ihren Dienst getan haben. ({13}) Wir sagen schon gar nichts darüber aus, dass Desertion in der demokratischen Armee Deutschlands, der Bundeswehr, bestraft wird. Wir distanzieren uns von all denjenigen, die die Bundeswehr auch nur in einem Atemzug mit Hitlers Krieg führender Armee nennen. ({14}) Das ist eine Beleidigung unserer Soldatinnen und Soldaten, die einem demokratischen Parlament verpflichtet sind. Sie sind nach unserem Recht dazu verpflichtet, nur rechtmäßige Befehle zu befolgen und sich anderen Befehlen zu widersetzen. Das ist unsere verfassungsrechtliche Lage. Wer das mit diesem Unrechtsregime zusammenrührt, ist einfach unanständig. ({15}) Wir geben heute nach einer kontroversen Debatte den Opfern der Militärjustiz und den Homosexuellen ihre Ehre zurück. Ich hätte mir gewünscht, dass wir dies in diesem Haus gemeinsam tun könnten, und finde es sehr bedauerlich, dass das nicht möglich ist. Hätten Sie an dieser Debatte ein ernsthaftes Interesse gehabt, ({16}) hätten Sie sich hier mit einem Antrag eingemischt und deutlich gemacht, was Ihre Ansichten im Positiven sind. Vielen Dank. ({17})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt der Kollege Jörg van Essen von der FDP-Fraktion. ({0})

Jörg Essen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000495, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bitte darum, dass ich jetzt der Redner sein darf, weil die Sache es erfordert, der sich in Ruhe mit den Argumenten auseinander setzt. ({0}) Zunächst zum Kollegen Beck, der uns hier einen Fall vorgetragen hat, der nach dem NS-Aufhebungsgesetz von 1998 ganz selbstverständlich unter die Generalklausel fällt. Wer hier den Eindruck erweckt, dass ein solches Urteil, mit dem ein junger Mann zu fünf Jahren Haft verurteilt worden ist, weil er sich mit einem Freund getroffen hat, noch immer nicht aufgehoben ist, der interpretiert das NS-Aufhebungsgesetz in einer Weise, die mich wirklich erschüttert. ({1}) Wir haben zu Recht immer wieder die Auffassung vertreten, dass alle Urteile, die im Nationalsozialismus gegen Volker Beck ({2}) homosexuelle Mitbürger ergangen waren, „kontaminiert“ waren. Das ist ein Begriff, den Sie geprägt haben. Es wird kein Urteil geben, das nicht von dem Vernichtungswillen der Nationalsozialisten durchdrungen war. Unsere Position ist deshalb klar und eindeutig: Bereits das Gesetz von 1998 hat diese Aufhebung bewirkt. ({3}) Ich bin Ihnen sehr dankbar, Frau von Renesse, dass auch Sie in der ersten Debatte genau diese Auffassung vertreten haben.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr van Essen, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Jörg Essen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000495, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Nein, von Herrn Beck natürlich nicht. ({0}) Für uns als Liberale ist es selbstverständlich, dass all diese Urteile bereits 1998 aufgehoben worden sind. Im Übrigen tun Sie all den Menschen, die sich dadurch rehabilitiert gefühlt haben, einen Tort an, weil Sie den Eindruck erwecken, dass das erst jetzt geschehe und dass diese Menschen weitere Jahre lang nicht rehabilitiert gewesen seien. Das ist etwas, was wir nicht ertragen können. ({1}) Was die Deserteure anbelangt, berichtet uns die Bundesregierung selbst, dass alle Anträge, die gestellt worden sind, einen positiven Erfolg hatten. Es gibt deshalb keinen Regelungsbedarf. Alle, die Wert darauf gelegt haben, haben es amtlich bestätigt bekommen, dass ihnen Unrecht geschehen ist. Ich war selbst dienstlich damit befasst, Urteile zu prüfen, die in der DDR ergangen sind. Die Betroffenen haben mir immer wieder gesagt, wie wichtig es für sie sei, dass es eine Prüfung gegeben hat und dass sie mit Brief und Siegel bestätigt bekommen haben, dass ihnen Unrecht geschehen ist. ({2}) Genau das ist in all diesen Fällen geschehen. Eine Prüfung durch die heutige Justiz hat ergeben, dass hier Unrecht gesprochen worden ist. Eine bessere Rehabilitation kann ich mir gar nicht vorstellen. Von daher sehe ich keinen Regelungsbedarf. Wer sich ohne Zorn und Eifer mit der Fragestellung befasst - wir haben das 1998 getan -, muss feststellen, dass wir den vielen verschiedenen Situationen gerecht geworden sind. Wir haben alles sorgfältig miteinander abgewogen. Das war auch der Grund, warum beispielsweise die SPD damals zugestimmt hat. Die Beratungen waren ganz außerordentlich sachkundig und von Verantwortung geprägt. Daher sehe ich heute keinerlei Bedarf für eine Neuregelung. Von daher ist das nicht ein Nichternstnehmen der Opfer, sondern ganz im Gegenteil ein Ernstnehmen der Opfer, wenn wir im Bereich der Homosexuellen sagen, sie sind rehabilitiert, und wenn wir im Bereich der Unrechtsurteile im militärischen Bereich zur Desertion feststellen, dass sich die Regelung bewährt hat und wir zu einer Lösung gekommen sind, die gerade den Opfern genützt hat. Das ist unsere Position. Von daher lehnen wir den Gesetzentwurf nicht deshalb ab, weil wir infrage stellen, dass es Unrecht gegeben hat, sondern im Gegenteil: weil wir die Richtigkeit der Regelung von 1998 unterstrichen sehen. Lassen Sie mich zum Schluss eine weitere Bemerkung machen. Mir macht große Sorge, dass das, was wir uns am 7. Dezember 2000 vorgenommen haben, etwa die Magnus-Stiftung, immer noch nicht vorangebracht worden ist. Das soll jetzt durch solche meiner Ansicht nach symbolischen Handlungen ersetzt werden. Das werden wir nicht zulassen. Vielen Dank. ({3})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt die Kollegin Dr. Evelyn Kenzler von der PDSFraktion.

Dr. Evelyn Kenzler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003159, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Fraktion stimmt dem Gesetzentwurf zu. Er bringt endlich Gerechtigkeit und Rechtsklarheit für zwei Opfergruppen der Nazi-Justiz: die Deserteure und die Homosexuellen. Beide waren den anderen Opfern bisher nicht vollständig gleichgestellt; für beide hat sich die PDS seit langem eingesetzt. Es ist kein Ruhmesblatt für Deutschland, dass dies erst jetzt geschieht. Die grausamen Urteile gegen homosexuelle Männer nach §§ 175 und 175 a Reichsstrafgesetzbuch aus der Zeit des Faschismus werden zu Recht aufgehoben. Sie waren Teil der faschistischen Barbarei. Es besteht jedoch noch Handlungsbedarf im Hinblick auf Urteile nach 1945 und auch hinsichtlich der Entschädigung der Opfer. Hier müssen wir noch tätig werden. Die Unrechtsurteile gegen Deserteure und andere Opfer werden nun per Gesetz aufgehoben. Die unzumutbare und diskriminierende Einzelfallprüfung entfällt damit. Das ist nur recht und billig. Es ist vor allem das Ergebnis des beharrlichen Wirkens eines unmittelbar Betroffenen, des zum Tode verurteilten Deserteurs Ludwig Baumann. Er hat als Vorsitzender der Bundesvereinigung Opfer der NS-Militärjustiz nicht locker gelassen. Ihm und seinen Mitstreitern gebühren hierfür Dank und Anerkennung. ({0}) Leider haben sich die Koalitionsfraktionen nicht dazu durchgerungen, auch die Urteile wegen Kriegsverrats aufzuheben. Hier waren ausschließlich Todesurteile vorgesehen. Die Regierung ist uns eine plausible Erklärung hierfür bislang schuldig geblieben. Damit werden alle diejenigen weiter diskriminiert, die nach ihrer gelungenen „Fahnenflucht“ auf der Seite der Anti-Hitler-Koalition, bei den Partisanen oder in der Résistance aktiv gegen den Faschismus gekämpft haben. In meinen Augen war „der Verrat“ von Hitlers Krieg eine juristisch gerechtfertigte und moralisch ehrenwerte Tat, denn er bedeutete einen Seitenwechsel vom Aggressor zu den Verteidigern und Befreiern. Ich bitte deshalb um Zustimmung zu unserem Änderungsantrag. Die Deserteure haben einem völkerrechtswidrigen Aggressionskrieg den Rücken gekehrt. Sie haben sich an diesem Verbrechen nicht mehr beteiligt. Ihr Handeln hat dazu beigetragen, das Verbrechen gegen den Frieden, gegen die Menschlichkeit; Völkermord und Kriegsverbrechen zu beenden. Das ist der objektive Tatbestand und genügt, um diese Urteile aufzuheben. Für mich steht darüber hinaus außer Frage, dass die Deserteure auch subjektiv lautere und ehrenwerte Gründe dafür hatten. Unter Todesgefahr zu einem verbrecherischen Krieg Nein zu sagen erfordert viel Mut und hat nichts mit Feigheit und Verrat zu tun. Die Militärjustiz des Dritten Reiches war in meinen Augen das juristische Instrument zur Absicherung der hitlerschen Aggressionsmaschine. Etwa 30 000 Todesurteile wurden gefällt und zum großen Teil vollzogen. Das war Terror und verdient nicht die Bezeichnung Gerichtsbarkeit. Übrigens wurde keiner der Militärrichter dafür jemals zur Verantwortung gezogen. Eine letzte Bemerkung: Der Gesetzentwurf wird weitgehend dem gerecht, was meine Fraktion mit ihrem Antrag vom März 2001 erreichen wollte. Ein Punkt dieses Antrags bleibt jedoch offen. Es ist zwar gut, dass die überlebenden Opfer eine einmalige Leistung erhalten; unverständlich ist aber, dass die Ehegatten und Kinder der Hingerichteten leer ausgehen. Für kleinliche Sparmaßnahmen ist an dieser Stelle wirklich kein Platz. ({1})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt für die Bundesregierung der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Eckhart Pick.

Prof. Dr. Eckhart Pick (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001715

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Gestatten Sie mir zunächst eine persönliche Bemerkung. Ich finde es angesichts des Themas schade, dass wir zum Teil in dieser Weise diskutiert haben. Ich unterstelle allen hier im Raum, dass sie davon ausgehen, dass der Krieg, den Hitler angezettelt hat, völkerrechtswidrig war. Darin sind wir uns alle einig. ({0}) Ich unterstelle also niemandem, dass er da anderer Meinung ist. Man kann allerdings unterschiedliche Konsequenzen ziehen. Einige von uns, denke ich, haben in dieser Frage durchaus auch einen Prozess durchgemacht und sind vielleicht zu einer anderen Auffassung gekommen, als sie sie früher hatten. Ich darf Sie zum Zweiten an den - einstimmig gefassten - Beschluss des Bundestags vom 7. Dezember 2000 erinnern, ({1}) der die Bundesregierung aufgefordert hat - ich zitiere einen Entwurf zur Ergänzung des Gesetzes zur Aufhebung nationalsozialistischer Unrechtsurteile in der Strafrechtspflege ({2}) vorzulegen, um so ein der Unrechtserfahrung Homosexueller angemessenes Verfahren zur gesetzlichen Rehabilitierung der Opfer der §§ 175, 175 a Nr. 4 RStGB aus den Jahren 1935 bis 1945 sicherzustellen. ({3}) Wir haben damals in Aussicht gestellt, dass auch noch die weiterhin offenen Fragen der Rehabilitierung der Opfer der Militärjustiz angegangen werden sollten. Der heute zur abschließenden Beratung vorliegende Gesetzentwurf der Koalitionsfraktionen tut genau das. Er wurde vom Bundesministerium der Justiz vorbereitet - das will ich hier offen und deutlich sagen - und ist das Ergebnis der Prüfungen, die sich dem Auftrag des Deutschen Bundestages angeschlossen haben. Der Gesetzentwurf sieht vor, dass die Verurteilungen homosexueller Männer nach den §§ 175 und 175 a Nr. 4 Reichsstrafgesetzbuch aus der Zeit der NS-Diktatur insgesamt und ohne Einzelfallprüfung aufgehoben werden. Wer aus ideologischen oder rassistischen Gründen verurteilt wurde, soll nicht länger mit dem Makel, Verurteilter zu sein, leben müssen. Das ist längst überfällig. Ich bitte Sie alle, diesen Ergänzungen zuzustimmen. ({4}) Ich möchte deutlich hervorheben, dass im zweiten Teil des Gesetzentwurfs - dabei geht es um die Menschen, die in der Nazizeit durch Gerichte der NS-Militärjustiz verurteilt wurden - durchaus differenziert wird. Für die Opfer, die wegen Desertion bzw. Fahnenflucht oder Wehrkraftzersetzung verurteilt wurden, setzen wir die vollständige Rehabilitierung durch. In der Tat konnten sich diese Menschen durch die Entschließung des Deutschen Bundestags vom 15. Mai 1997 und durch das Gesetz zur Aufhebung nationalsozialistischer Unrechtsurteile in der Strafrechtspflege bisher nicht uneingeschränkt rehabilitiert fühlen. Sie waren immerhin mit einer Einzelfallprüfung und der damit verbundenen Beweisführung belastet, nämlich mit der Beweisführung darüber, dass eine entsprechende Verurteilung erfolgt ist. Wie wir auch in der Anhörung gehört haben, haben das viele als unzumutbar empfunden. Das ist verständlich, finde ich. Denn mehr als 50 Jahre nach Kriegsende kann nur in Ausnahmefällen eine Urteilsabschrift vorgelegt werden. Wir alle wissen, dass Urkunden oder Entscheidungsabschriften in den letzten Kriegsmonaten ohnehin nur selten ausgehändigt wurden. Zwar ist Glaubhaftmachung möglich, aber auch diese stößt so lange Zeit nach dem Ende des Unrechtsregimes an Grenzen. Denn sie erfordert eine präzise Erinnerung an die so genannte Tat sowie an die Namen der damals Beteiligten, etwa der Richter, der Vorgesetzten und anderer Personen. Wir tragen diesen Umständen Rechnung und berücksichtigen zugleich, dass dies für die Opfer gerade wegen der langen Zeit immer schwieriger wird und auch als entDr. Evelyn Kenzler würdigend empfunden wird. Deswegen wollen wir auf den Nachweis im Einzelfall verzichten. Gleiches muss gelten, wenn eine Verurteilung nach anderen Vorschriften des Militärstrafgesetzbuches erfolgte; denn auch hier ist viel Unrecht geschehen. Das wissen wir alle. Wir kennen die Fälle: Da wurde jemand wegen eines Verstoßes gegen § 63, - Übergabe an den Feind -, wegen einer Dienstpflichtverletzung aus Furcht, § 84, wegen Feigheit, § 85, oder gar wegen einer Heirat ohne Erlaubnis, § 150, verurteilt und trägt, obwohl es eigentlich nicht sein dürfte, noch heute den Makel des Vorbestraften mit sich herum. Das ist falsch; denn wir wissen, dass diese damaligen Entscheidungen eben nicht von einer rechtsstaatlichen Justiz getroffen worden sind. ({5}) Ich finde es gerecht, dass diese Gruppe von Opfern gegenüber anderen Betroffenen, deren Urteile durch das NS-Aufhebungsgesetz ausdrücklich aufgehoben wurden, jetzt entsprechend behandelt wird. Vor allem stellen wir mit dem heutigen Gesetz klar, dass diese Menschen damals weder kriminell noch unehrenhaft gehandelt haben. Es ist vorhin gesagt worden, dass der Zweite Weltkrieg ein vom nationalsozialistischen Deutschland verschuldeter Angriffs- und Vernichtungskrieg war. Die Soldaten waren deshalb an den auf den so genannten „Führer“ geleisteten Eid nicht in der Weise gebunden, wie dies heute in einem demokratischen Rechtsstaat im Verteidigungsfall der Fall wäre. Auch dieser Tatsache trägt die heute vorgeschlagene Regelung Rechnung. Ich möchte noch ein Wort zur der Differenzierung sagen, die wir vorsehen. Es hat auch damals eine ganze Reihe von Straftatbeständen gegeben, bei denen heute die Aufhebung des Urteils ohne Einzelfallprüfung nicht verantwortbar wäre. Dies gilt zum Beispiel für Fälle der Plünderung, der Fledderei oder etwa der Misshandlung von Untergebenen. Hier gibt auch die Tatsache, dass sie während eines völkerrechtswidrigen Angriffskrieges begangen wurden, keinen Anlass zur Rehabilitierung. Deshalb tun wir das auch nicht. Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, wir alle wissen: Unsere heutigen Beschlüsse kommen eigentlich mehr als 50 Jahre zu spät. Nötig sind sie dennoch. Lassen Sie uns deshalb heute gemeinsam dafür sorgen, dass wenigstens der kleine Teil gut und vernünftig und vor allem angemessen für die Betroffenen geregelt wird, mit dem wir helfen können. Ich denke, das sind wir den Opfern der NS-Unrechtsjustiz schuldig. Vielen Dank. ({6})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Zu einer Kurzintervention erteile ich dem Kollegen Norbert Geis das Wort.

Norbert Geis (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000651, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es war uns vonseiten der CDU/CSU-Fraktion immer klar - wir haben mit Ihnen darin übereingestimmt -, dass wir die Urteile von Militärgerichten gegen Homosexuelle aufheben wollen. Das entsprach dem Beschluss dieses Parlamentes vom Dezember 2000, der mit den Stimmen der CDU/CSU-Fraktion gefasst worden ist. Dass dies heute nicht geschehen kann, hängt damit zusammen, dass Sie beide Tatbestände zusammenfassen. Wir können deshalb diesem Gesetzentwurf nicht zustimmen. Es ist notwendig, dieses klarzustellen, weil es eben - um es gelinde zu sagen - nur undeutlich dargetan worden ist. Zum Zweiten möchte ich Herrn Pick sagen: Durch die in Ihr Gesetz aufgenommenen Straftatbestände setzen Sie die Richter, die die entsprechenden Urteile gesprochen haben, pauschal ins Unrecht. Das ist eine neue Ungerechtigkeit. Bedenken Sie bitte, dass der oberste Militärrichter der damaligen Zeit, Herr Dr. Sack, zusammen mit Bonhoeffer in den letzten Tagen des Krieges auf Hitlers Befehl in Flossenbürg hingerichtet worden ist. Ich glaube, wir sollten Respekt auch vor diesen Leuten haben, die in einer ganz schwierigen Zeit den Versuch unternommen haben, gerecht zu handeln und gerecht zu urteilen.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Ich schließe die Aussprache. Tagesordnungspunkt 31 a: Wir kommen zur Abstimmung über den von den Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung des Gesetzes zur Aufhebung nationalsozialistischer Unrechtsurteile in der Strafrechtspflege, Drucksache 14/8276. Der Rechtsausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 14/9092, den Gesetzentwurf anzunehmen. Hierzu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion der PDS auf Drucksache 14/9116 vor, über den wir zuerst abstimmen. Wer stimmt für den Änderungsantrag der PDS-Fraktion? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen aller Fraktionen bei Zustimmung der PDSFraktion abgelehnt. Ich bitte nun diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der PDS-Fraktion bei Gegenstimmen von CDU/CSU und FDP angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist mit dem gleichen Mehrheitsverhältnis wie zuvor angenommen. Tagesordnungspunkt 31 b: Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses auf Drucksache 14/9092 zu dem Antrag der Fraktion der PDS mit dem Titel „Aufhebung der nationalsozialistischen Unrechtsurteile gegen Deserteure“. Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung, den Antrag auf Drucksache 14/5612 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die Beschlussempfehlung ist damit mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen, der CDU/CSU und der FDP bei Gegenstimmen der PDS angenommen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 32 auf: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur weiteren Reform des Aktien- und Bilanzrechts, zu Transparenz und Publizität ({0}) - Drucksache 14/8769 ({1}) Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses ({2}) - Drucksache 14/9079 Berichterstattung: Abgeordnete Gabriele Lösekrug-Möller Dr. Susanne Tiemann Volker Beck ({3}) Sabine Jünger Es liegt ein Änderungsantrag der Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen vor. Die Reden zu diesem Tagesordnungspunkt sind zu Pro- tokoll gegeben worden1). Ich gehe davon aus, dass Sie damit einverstanden sind. Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur weiteren Reform des Aktien- und Bilanzrechts, zu Transparenz und Publizität, Drucksache 14/8769. Der Rechtsausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 14/9079, den Gesetzentwurf in der Ausschussfassung anzunehmen. Es liegt ein Änderungsantrag der Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen vor, über den wir zuerst abstimmen. Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Drucksache 14/9134? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Änderungsantrag ist einstimmig angenommen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung mit den soeben beschlossenen Änderungen zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung angenommen. Interfraktionell ist vereinbart, trotz der Annahme des Änderungsantrags in der zweiten Beratung jetzt unmittelbar in die dritte Beratung einzutreten. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Wir kommen zur dritten Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist einstimmig angenommen. Ich rufe Tagesordnungspunkt 33 auf: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Pflichtversicherungsgesetzes und anderer versicherungsrechtlicher Vorschriften - Drucksache 14/8770 ({4}) Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses ({5}) - Drucksache 14/9067 Berichterstattung: Abgeordnete Christine Lambrecht Dr. Susanne Tiemann Volker Beck ({6}) Sabine Jünger Auch die Reden zu diesem Tagesordnungspunkt sollen zu Protokoll genommen werden2). - Sie sind damit einverstanden. Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung des Pflichtversicherungsgesetzes und anderer versicherungsrechtlicher Vorschriften, Drucksache 14/8770. Der Rechtsausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 14/9067, den Gesetzentwurf in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um ihr Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung einstimmig angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist einstimmig angenommen. Ich rufe Tagesordnungspunkt 35 auf: - Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung der Strafprozessordnung - Drucksache 14/7562 ({7}) - Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Regelung der Zuständigkeit für die Anordnung einer DNA-Untersuchung bei Spuren - Drucksache 14/5264 ({8}) Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses ({9}) - Drucksache 14/9088 - Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms 1) Anlage 10 2) Anlage 11 Berichterstattung: Abgeordnete Dr. Jürgen Meyer ({10}) Ronald Pofalla Volker Beck ({11}) Dr. Evelyn Kenzler Zum Gesetzentwurf der Bundesregierung liegt ein Än- derungsantrag der Fraktion der CDU/CSU vor. Auch die Reden zu diesem Tagesordnungspunkt sollen zu Protokoll genommen werden1). - Ich sehe, Sie sind einverstanden. Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung der Strafprozessordnung auf Drucksache 14/7562. Der Rechtsausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 14/9088, den Gesetzentwurf in der Ausschussfassung anzunehmen. Dazu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache 14/9117 vor, über den wir zuerst abstimmen. Wer stimmt für diesen Änderungsantrag? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist bei Zustimmung der CDU/CSU mit den Stimmen aller anderen Fraktionen abgelehnt. Ich bitte nun diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der FDP bei Gegenstimmen von CDU/CSU und PDS angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist mit dem gleichen Stimmenverhältnis angenommen. Abstimmung über den Gesetzentwurf des Bundesrates zur Regelung der Zuständigkeit für die Anordnung einer DNA-Untersuchung bei Spuren, Drucksache 14/5264. Der Rechtsausschuss empfiehlt unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 14/9088, den Gesetzentwurf abzulehnen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung einstimmig abgelehnt. Damit entfällt nach unserer Geschäftsordnung die weitere Beratung. Ich rufe Tagesordnungspunkt 36 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Rolf Kutzmutz, Wolfgang Bierstedt, Uwe Hiksch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der PDS Ökologisch-sozialen Ausbau der regionalen Infrastruktur mit einer Verstetigung von Beschäftigung verbinden - Drucksache 14/8640 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Technologie ({12}) Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Ausschuss für Angelegenheiten der neuen Länder Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgen- abschätzung Auch hier sollen die Reden zu Protokoll genommen werden2). - Ich sehe, Sie sind einverstanden. Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf Drucksache 14/8640 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie auch damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Mittwoch, den 5. Juni 2002, 13 Uhr, ein. Ich wünsche Ihnen schöne Pfingstferien und gute Erholung! ({13}) Die Sitzung ist geschlossen.