Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Herr Präsident! Meine
Damen und Herren! Es ist selten, dass der Gesetzgeber so
wenige Worte macht. Über die heute zu beschließenden
drei neuen Worte im Grundgesetz haben wir viele Jahre
gestritten und debattiert. Wir Sozialdemokraten haben immer prophezeit, dass der Tag kommen wird, an dem der
Tierschutz als Staatsziel im Grundgesetz verankert sein
wird.
({0})
Heute ist es endlich so weit: Auch die CDU/CSU wird
dem vorliegenden Gesetzentwurf zustimmen, den sie
noch vor zwei Jahren - bis auf wenige Ausnahmen - leider abgelehnt hat.
Präsident Wolfgang Thierse
In Zukunft wird der Staat durch das Grundgesetz verpflichtet sein, neben den natürlichen Lebensgrundlagen
auch die Tiere zu schützen. Im Rahmen der verfassungsmäßigen Ordnung, wie es der zukünftige Art. 20 a des
Grundgesetzes zum Ausdruck bringt, soll der Schutz der
Tiere durch Gesetzgebung und nach Maßgabe von Gesetz
und Recht durch die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung gewährleistet werden. Das ist ein großer Fortschritt. Denn bislang wird der Tierschutz im Grundgesetz
nur am Rande erwähnt: bei den Gegenständen der konkurrierenden Gesetzgebung in Art. 74 am Ende der Ziffer 20. Beiläufiger ging es kaum! Das ist alles, was das
Grundgesetz bislang zum Tierschutz zu sagen hatte.
Obwohl wir immer stolz darauf waren, eines der modernsten und besten Tierschutzgesetze zu haben, konnte
sich das Parlament bis zum heutigen Tage nicht dazu
durchringen, dem Tierschutz mit der nötigen Zweidrittelmehrheit einen Platz in unserer verfassungsmäßigen Ordnung einzuräumen.
Die Gründe für die Ablehnung waren recht unterschiedlich. Eines der Gegenargumente möchte ich kurz
aufgreifen. Es folgt aus einer rein anthropozentrischen
Sicht auf das Grundgesetz. Maß und Mittelpunkt unserer
Verfassungsordnung ist danach der Mensch; Ausgangspunkt dieser Ordnung ist die Würde des Menschen. Es
entspricht aber durchaus der Würde des Menschen, wenn
er Tiere in ihrem Eigenwert respektiert und deshalb zu
dem Schluss kommt, dass Tiere unabhängig von menschlichen Interessen und Bedürfnissen einen eigenständigen
Schutz genießen.
({1})
Meine Damen und Herren, viele empfänden es als unter ihrer Würde, wenn sie in einer Gesellschaft leben
müssten, in der die Bedürfnisse und Empfindungen von
Tieren grundlos missachtet werden. Viele sind empört,
wenn sie sehen müssen, dass Tiere unter unzumutbaren
Bedingungen gehalten werden. Viele bekommen geradezu ein schlechtes Gewissen, wenn sie sehen, wie mancher Leckerbissen auf Kosten von Tieren „produziert“
wird, wie man so schön sagt.
Es entspricht nach meiner Überzeugung durchaus auch
der Würde des Menschen, dass er sich nicht als Maß aller
Dinge empfindet. Bisher blieb jedenfalls das Bekenntnis
in § 1 des Tierschutzgesetzes, die Tiere als Mitgeschöpfe
zu schützen und keinem Tier ohne vernünftigen Grund
Schmerzen, Leiden oder Schäden zuzufügen, in seiner
Wirksamkeit begrenzt, weil eben in der Verfassung der
entsprechende ausdrückliche Bezug fehlte und somit andere verfassungsrechtlich geschützte Werte wie zum Beispiel die Forschungsfreiheit oder das Eigentumsrecht ihre
Dominanz entfalten konnten.
Der Konflikt in der Sache zwischen diesen Grundrechten und dem neuen Staatsziel wird selbstverständlich auch
in Zukunft erhalten bleiben. Hier sollten wir uns keine
Illusionen machen. Bisher drohte der Tierschutz aber in
solchen Konfliktfällen allzu leicht unter die Räder zu kommen. Künftig haben auch die Belange des Tierschutzes
ihre - dies ist wichtig - verfassungsrechtliche Legitimation. Das hatten sie bisher in diesem Maße nicht. Ab jetzt
gehört auch der Schutz der Tiere zu der von der Verfassung gewollten Ordnung.
Mit der Aufnahme des Tierschutzes in das Grundgesetz
erfährt nicht nur das Tierschutzgesetz die zu seiner Wirksamkeit zwingend gebotene Aufwertung. Wir handeln uns
heute darüber hinaus auch einen ständigen Schutzauftrag
ein, der sich in erster Linie an den Gesetzgeber, aber auch
an alle anderen Träger der staatlichen Gewalt richtet.
In diesem Zusammenhang ist der Schutzauftrag an die
Regierung eine besondere Erwähnung wert. Denn vor allem die Regierung besitzt Möglichkeiten, im internationalen Bereich tätig zu werden. Sie kann nicht nur, sie
muss in Zukunft entsprechende Initiativen im Rahmen der
Europäischen Union ergreifen und unterstützen. Dieser
Auftrag wird zunehmend an Bedeutung gewinnen; denn
wir alle wissen, dass Tierschutz, der nur national betrieben wird, im wahrsten Sinne des Wortes sehr bald an
Grenzen stößt.
Dem Staatsziel Tierschutz gerecht werden müssen in
Zukunft alle staatlichen Organe, unabhängig davon, ob sie
sich politisch diesem Ziel verpflichtet fühlen oder nicht.
Manche subtilen Gegner dieses Staatszieles, die ja nicht
alle plötzlich zu heißen Befürwortern des Anliegens mutiert sind, könnten sich einer trügerischen Hoffnung hingeben. Sie könnten meinen, dass das Staatsziel Tierschutz
schon deshalb zur weit gehenden Wirkungslosigkeit verurteilt sei, weil es sich ja nur im Rahmen der bisherigen
verfassungsmäßigen Ordnung entfalten könne. Diese
Hoffnung geht mit Sicherheit fehl. Sie geht schon deshalb
fehl, weil in Zukunft der Tierschutz im Gegensatz zum
heute noch gültigen Text unserer Verfassung Teil ebendieser verfassungsmäßigen Ordnung sein wird. Dies ist
wichtig und dies wollten wir erreichen.
Meine Damen und Herren, wir alle, die wir uns der
Aufnahme des Tierschutzes als Staatsziel in das Grundgesetz verschrieben haben, werden immer wieder gefragt,
welche konkreten Folgen sich daraus denn ergeben. Zum
einen werden mit der Aufnahme des Staatszieles in das
Grundgesetz Hoffnungen und Erwartungen im Interesse
des Tierschutzes verbunden, denen dieses Staatsziel nicht
gerecht werden kann, zumindest nicht in diesem Maße.
Zum anderen aber werden Ängste und Schreckensszenarien artikuliert, die bisweilen in dem Satz gipfeln, dass der
Tierschutz alle anderen, konkurrierenden Grundwerte unserer Verfassung buchstäblich erschlagen könnte. Auch
diese Befürchtungen sind nicht berechtigt.
Richtig ist, dass wir dem Tierschutz mit dem Staatsziel
einen höheren, verfassungsrechtlich geschützten Stellenwert geben wollen, als dies heute der Fall ist. Es wird nunmehr Aufgabe des Gesetzgebers und der anderen staatlichen Organe sein, diesem neuen Rang des Tierschutzes
gerecht zu werden und ihn mit den anderen Wertentscheidungen unserer Verfassung in Einklang zu bringen,
oder, wie die Verfassungsjuristen zu sagen pflegen, in
Konkordanz zu bringen.
Wir Sozialdemokraten freuen uns jedenfalls, dass unser seit über einem Jahrzehnt hartnäckig betriebenes Anliegen endlich zum Erfolg geführt wird. Wir haben den
vielen Bürgerinnen und Bürgern zu danken, die uns Abgeordnete immer wieder bedrängt und sich in vielen
Schreiben persönlich für die Aufnahme des Tierschutzes
in das Grundgesetz eingesetzt haben.
({2})
Ich danke den Verbänden des Tierschutzes, der Bundesregierung und dem Justizministerium für die hilfreiche
Unterstützung bei der Abfassung des parteiübergreifenden
Gesetzentwurfs und vor allem auch - dies möchte ich hier
einmal nach langen Jahren sagen - Hans-Jochen Vogel,
unserem früheren Partei- und Fraktionsvorsitzenden, der
dieses Anliegen mit der ihm eigenen Hartnäckigkeit immer wieder auf die politische Tagesordnung gesetzt hat.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({3})
Ich erteile dem Kollegen Wolfgang von Stetten, CDU/CSU-Fraktion, das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren!
Wenn wir heute über einen gemeinsamen Gesetzentwurf
zur Änderung des Grundgesetzes abstimmen, um den
Tierschutz als Staatsziel in das Grundgesetz aufzunehmen, ist es das Ende einer langen Diskussion darüber, wie
man Tiere deutlicher in das Bewusstsein der Menschen
bringen kann.
Für die einen ist es die Erfüllung ihrer langjährigen Bestrebungen, für die anderen nur die verstärkte grundgesetzliche Verankerung bisheriger Bestimmungen. Für
die Dritten ist es das Ende einer vernünftigen Landwirtschaft, für die Vierten der Stopp medizinischer Forschung und für einige geht die Änderung nicht weit genug. Wenn wir alle Auffassungen zusammennehmen,
dann sind wir genau in der Mitte, nämlich bei einem vernünftigen Umgang mit Tieren, wie er im Übrigen in der
heutigen Praxis überwiegend durchgeführt wird. Wie so
häufig in der Politik ist es schlichtweg ein Kompromiss,
bei dem sich fast alle als Sieger fühlen können.
Es gab gute Gründe dafür, dass wir bisher eher abgeneigt waren und nicht zustimmen wollten. Wir waren der
Meinung, dass der Text im Grundgesetz: „Der Staat
schützt ... die natürlichen Lebensgrundlagen“ in Verbindung mit den weltweit besten Tierschutzgesetzen ausreiche; übrigens, Herr Bachmaier, dies meinten wir nicht im
Sinne von „obwohl“, sondern von „weil“.
Als Mitglied der Verfassungskommission sind mir die
Diskussionen und das Auf und Ab darüber, den Tierschutz
als Staatsziel in das Grundgesetz aufzunehmen, nur zu gut
in Erinnerung. Aber auch jetzt gibt es neben den vielen
Befürwortern sehr seriöse Warnungen vor der Aufnahme
des Tierschutzes als Staatsziel. So haben 48 Dekane von
namhaften Universitäten mit sehr ernst zu nehmenden Argumenten vor der Aufnahme gewarnt, weil sie in tiefer
Sorge sind, dass die medizinische Forschung durch drastische Einschränkungen oder Überbürokratie in Deutschland vor dem Aus steht.
Zehntausende von Landwirten befürchten, „Freiwild“
für militante Tierschützer zu werden. Andere fordern, wir
sollten uns mehr um den Schutz ungeborenen Lebens
kümmern, weil es nicht sein könne, dass das Tier besser
geschützt werde als Menschen.
({0})
In der Tat, die Aufnahme des Tierschutzes in das Grundgesetz ist nicht Prosa; vielmehr bekommt es eine andere
Qualität. Aber die obigen Bedenken sind meines Erachtens weit gehend nicht zutreffend.
Es ist auch kein Geheimnis, dass die Kollegen von der
CSU schon früher dazu neigten, den Tierschutz in das
Grundgesetz aufzunehmen. Es ist oder war auch keine
plötzliche Erleuchtung, die Aloisius vom Himmel gen
München oder Stuttgart brachte. Seit 50 Jahren regiert die
CSU erfolgreich in Bayern. In der bayerischen Verfassung steht: „Tiere werden als Lebewesen und Mitgeschöpfe geachtet und geschützt.“ Ebenso sieht es die nicht
minder erfolgreiche CDU-Regierung in Baden-Württemberg. Dort heißt es in der Verfassung: „Tiere werden als
Lebewesen und Mitgeschöpfe im Rahmen der verfassungsmäßigen Ordnung geachtet und geschützt.“ Dies ist
also kein Monopol von Rot-Grün.
Es gab bei uns in der Fraktion eine offene Diskussion.
Letztlich war es eine folgerichtige Entscheidung der überwiegenden Mehrheit, unter anderem auch - das soll nicht
verschwiegen werden - den Wünschen des bayerischen
Ministerpräsidenten und zukünftigen Bundeskanzlers
Edmund Stoiber zu folgen.
({1})
Die umfangreichen Berichterstattergespräche, die
auf unserer Seite insbesondere von den Kollegen
Dr. Röttgen und Professor Scholz geführt wurden, haben
zu der Einigung geführt, dass nur drei Worte eingefügt
werden. Der Satz heißt in Zukunft:
Der Staat schützt auch in Verantwortung für die künftigen Generationen die natürlichen Lebensgrundlagen und die Tiere
- das wurde eingefügt im Rahmen der verfassungsmäßigen Ordnung durch
die Gesetzgebung und nach Maßgabe von Gesetz
und Recht durch die vollziehende Gewalt und die
Rechtsprechung.
Mich, meine Damen und Herren von der Regierungskoalition, braucht man über Tierschutz nicht aufzuklären.
Ich bin auf dem Lande aufgewachsen. Für uns waren nicht
nur Hunde und Katzen Spielkameraden; auch Kühe,
Pferde, Schweine und Geflügel gehörten zum Alltag, ganz
natürlich, ohne Aufhebens. Dazu gehörte die Zeugung,
das Gebären und das Schlachten.
Das mit der Zeugung haben wir als Kinder nicht immer
begriffen. Ich erinnere mich gut, wie ich als Fünf- oder
Sechsjähriger mit meiner Zwillingsschwester aufgeregt
zu einer Bäuerin lief und rief: „Schnell, schnell, Sie müssen helfen, der Hahn hackt die Henne kaputt.“
({2})
Erst nachdem man uns etwas umständlich erklärte, dass
der Hahn die Henne nicht töte, sondern dass das nötig sei,
weil das Huhn sonst keine Eier lege, gaben wir uns, wenn
auch etwas ungläubig, zufrieden. Wir haben als Kinder
keine Tiere gequält; denn bei uns galt der strenge Satz:
„Quäle nie ein Tier zum Scherz, denn es fühlt wie du den
Schmerz.“ Danach haben wir gehandelt.
({3})
Ich bin auch seit über 40 Jahren Jäger und habe kein
Verständnis dafür, dass so genannte Tierschützer die Jäger
angreifen, weil sie Tiere schießen. Diese Leute verstehen
nicht, dass entweder entsprechende Raubtiere oder Jäger
das Gleichgewicht in der Tier- und Umwelt erhalten müssen, um Pflanzen und Bäume, unsere natürlichen Lebensgrundlagen, vor Verbiss und Zerstörung zu schützen. Ich
kann mir nicht vorstellen, dass irgendjemand will, dass
wir wieder Wölfe und Raubkatzen einführen oder dass wir
dem noch dümmeren Vorschlag, Rehe und Wildschweine
mit „Antibabypillen“ zu versorgen, folgen. Ich kann nur
jedem Tierschützer empfehlen, die strenge Jägerprüfung
abzulegen; dann wird er sehen, welch eine hervorragende
Ausbildung für Tiere und Pflanzen und natürlich auch
zum sicheren Schuss absolviert werden muss, nach der
obersten Devise - da sollten Sie zuhören - „den Schöpfer
im Geschöpfe ehren“. Jäger quälen keine Tiere und halten
verantwortlich das Gleichgewicht in der Natur.
({4})
Es soll Tierschützer geben, die das Reiten verbieten
wollen, da das Reiten nur dem Vergnügen diene. In der Tat:
Reiten ist ein Vergnügen. Es ist aber auch ein Sport, der
äußerste Disziplin verlangt. Einfühlungsvermögen des
Reiters beim Umgang mit seinem Pferd ist Voraussetzung.
Zwischen Reitern und Pferden besteht oft eine Kameradschaft, die für Reiter und Pferd beglückend ist, ähnlich wie
es Beziehungen zwischen Hunden und Menschen, Katzen
und Menschen in einer großen Vielzahl gibt.
({5})
Auf meinen Altersruhesitz in Künzelsau - Schloss
Stetten - dürfen Damen und Herren schon seit 20 Jahren
Tiere bis hin zum Pferd mitbringen. Das war damals revolutionär; heute wird es oft nachgeahmt. Das gilt selbst
für die Pflegestation; naturgemäß nicht für Pferde, aber
zum Beispiel für Katzen. Man kann eine solch beglückende Gemeinsamkeit für ältere Menschen aber
natürlich nur dann zulassen, wenn man - wie wir - hervorragende Mitarbeiter hat, die die zusätzliche Arbeit
übernehmen. Aber ältere Menschen und Tiere gehören zusammen.
({6})
Bei meiner Ausbildung als Landwirt vor über 40 Jahren war es selbstverständlich, dass man nachts im Stall
wachte, wenn eine Sau ferkelte, wenn ein Schwein warf
oder, für diejenigen, die auch das nicht verstehen, wenn
eine Muttersau kleine Schweinchen zur Welt brachte oder
wenn eine Kuh kalbte. Wenn man auch keine größeren
Hilfeleistungen erbringen musste, dann wurden die Ferkel
aber zumindest mit Stroh trockengerieben. Glauben Sie
mir: Dadurch bekommt man Beziehungen zum Tier.
Ich war als Pionier auch maßgeblich daran beteiligt,
Truthahnfleisch in Deutschland populär zu machen, und
habe immer sehr darauf geachtet, dass nicht zu eng aufgestallt wurde und dass die Tiere nicht auf Gittern, sondern auf natürlicher Streu, ausreichend belüftet aufwachsen konnten. Lassen Sie mich noch etwas sagen: Meine
Devise von damals „Die Pute, das Kalb der Zukunft“ ist
Wirklichkeit geworden.
Ich möchte noch ein Thema, das mir am Herzen liegt,
ansprechen. Wir reden viel über Tierschutz und wir tun
auch viel. So werden während der Laichzeit von Kröten zum Teil ganze Straßen gesperrt oder es werden
Schutzzäune gebaut. Dennoch wurden inzwischen, oft
von denselben Naturschützern, 11 000 Windkrafträder
- ohne Schutzvorrichtungen für die Vögel - mit viel
Enthusiasmus aufgestellt. Über den Sinn und Unsinn von
Windkrafträdern will ich heute nicht streiten; das ist nicht
das Thema. Sowohl der BUND als auch der NABU sagen
aber, dass es ein Widerspruch in sich ist, dass die natürlichen Lebensgrundlagen, die durch das Grundgesetz geschützt werden, zum Beispiel unsere schönsten Erholungsgegenden, durch diese riesigen Windkrafträder zerstört
werden und dass dabei nicht einmal auf Tiere, deren
Schutz wir heute ins Grundgesetz schreiben, Rücksicht
genommen wird.
Ich zitiere die „Welt am Sonntag“ vom 10. Februar
2002:
Für Vögel bedeuten die Windräder sogar Lebensgefahr.
({7})
„Vogelhäcksler“ werden sie von Naturschützern genannt: „Viele Zugvögel werden von Windrädern zerfetzt“, beklagt Ingo Ludwichowski, Geschäftsführer
des NABU Schleswig-Holstein.
- Ich war also nicht derjenige, der sich beklagt hat.
Erst letzte Woche wurde ein Seeadler bei Usedom
von Rotorblättern erschlagen. Jährlich trifft es in
Deutschland eine halbe Million Vögel.
Ganz aktuell gibt es eine Meldung vom 30. April 2002.
Im „Nordkurier“ stand - ich zitiere -:
„Operation rettet verletzten Adler“
Dieser Adler wurde von einer Windkraftanlage bei
Anklam verletzt, bei Wolgast war vier Wochen zuvor
ein Seeadler sofort getötet worden.
Dieser verletzte Adler ist in der Zwischenzeit übrigens
gestorben.
({8})
- Sie sagen: „Oh!“ Ich weiß nicht, ob die Zahl von
500 000 Vögeln pro Jahr stimmt. Wenn aber 50 000 bis
60 000 neue Windkraftanlagen hinzukommen, wie Sie
von der Regierungskoalition es wollen, wird es eine gigantisch hohe Zahl getöteter Vögel geben.
({9})
Deswegen fordere ich Sie auf, dass wir das gemeinsam
angehen. Zumindest nach der Aufnahme des Tierschutzes
in das Grundgesetz müssen Windkraftradbetreiber für die
Zukunft verpflichtet werden, Schutzgitter anzubringen.
Dies ist technisch möglich, kostet aber natürlich Geld.
Das sollten uns unsere Sing- und Zugvögel aber wert sein.
Ich erwarte insbesondere von den Grünen, aber auch von
Ihnen und den Tierschützern des NABU und des BUND,
dafür Unterstützung.
Ich möchte nochmals darauf hinweisen, dass die durch
Frau Ministerin Künast schon arg gebeutelte und geknebelte Landwirtschaft nicht noch weiter beschwert werden
darf. Unsere Land- und Forstwirte halten die natürlichen Lebensgrundlagen für die gesamte Bevölkerung aufrecht. Sie sind die wahren Naturschützer. Wir sollten ihnen dankbar sein und sie nicht weiter in der Ausübung
ihres Berufes einschränken.
({10})
Unsere Forschung darf nicht derart eingeschränkt werden,
dass die Firmen schlichtweg ins liberale Ausland auswandern.
({11})
Ich möchte das heikle Thema Schächten nicht ausklammern. Das Schächten wurde nicht erfunden, um
Tiere zu quälen, sondern es war die Lösung eines
ernährungshygienischen Problems in heißen Ländern, die
zur Durchsetzung religiös untermauert wurde. Lassen Sie
es mich vereinfacht ausdrücken: Bei der Betäubung, egal
durch welche Methode, verkrampfen sich Muskeln und
Blutbahnen. Das Tier blutet nach der Tötung nicht vollständig aus. Bei einer durch einen guten Fachmann ausgeführten Schächtung ist eine vollständige Ausblutung
möglich. Daher hält sich das Fleisch länger frisch. Das
Entscheidende ist der schmerzlose perfekte Schnitt.
1986 wurde das Tierschutzgesetz ergänzt und das
Schächten für die damals 50 000 Juden - heute sind es
90 000 - unter besonderen Auflagen erlaubt. Die Anträge
von Moslems wurden in der Regel abgelehnt. Das Bundesverfassungsgericht hat mit seiner Entscheidung vom 15. Januar 2002 beide Religionen hinsichtlich der Schlachtmethode gleichgestellt. Damit gilt Gleiches für die 3 Millionen
Bürger moslemischen Glaubens. Wer das Schächten in
Deutschland in Zukunft also verbieten will, muss sehr
gute Gründe haben und wird harte Fragen, vielleicht auf
Michel Friedmans „Foltercouch“, beantworten müssen.
Professor Scholz hat einen beachtenswerten Aufsatz
geschrieben. Ich darf die letzten beiden Sätze zitieren:
Auch die neue Fassung des Art. 20 a GG vermag dem
Tierschutz folglich keine rechtlich eigenständige
Qualität in dem Sinne zu vermitteln, wie dies von jenen postuliert wird, die aus der „Mitgeschöpflichkeit“ der Tiere bzw. aus ihrem Verständnis für Ethik
und Moral solche „Eigenrechte“ von Tier und Natur
zu begründen suchen.
Eine entsprechend ökozentrisch ausgerichtete oder
verstandene Staatszielbestimmung „Tierschutz“
würde den Gesamtrahmen des grundgesetzlichen
Menschenbildes und der damit für das gesamte
Rechtssystem maßgebenden Verpflichtung auf die
Ausschließlichkeit der Anthropozentrik sprengen,
wäre also mit Art. 1 Abs. 1 Grundgesetz unvereinbar.
Ich will es etwas vereinfacht übersetzen. Bei aller
Liebe zum Tier: Das Wohl und die Gesundheit der Menschen sind auch in Zukunft Maßstab aller Entscheidungen, aber - dies ist vielleicht neuer und besser - mit
besonderen Rücksichtnahmen auf die natürlichen Lebensgrundlagen der Tiere. In diesem Sinne wird eine
große Mehrheit der CDU/CSU-Fraktion diesem Gesetzentwurf zustimmen.
Danke schön.
({12})
Ich erteile Bundesministerin Renate Künast das Wort.
Sehr geehrter
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren
Abgeordnete! Lassen Sie mich vorab ein Wort an Herrn
von Stetten richten, um zumindest einen Irrtum aus seiner
Jugend aufzuklären. Das Huhn legt trotzdem Eier.
({0})
- Gut. Das wurde gerade nicht deutlich, als Sie erzählt haben, was Ihnen in Ihrer Jugend mitgeteilt wurde. Das
Huhn legt trotzdem Eier; aber es wird kein Küken daraus.
({1})
In Ihrer Rede haben Sie noch ein paar andere Irrtümer
genannt, Herr von Stetten. Um sie alle aufzuklären,
reicht meine Redezeit nicht aus. Ich will sie nicht gänzlich verbrauchen, um mit Ihnen zum Beispiel über die
Jagd zu reden. Bei der Jagd wissen wir: Wir haben von
manchen Tierarten in den Wäldern sehr viele Tiere, sodass man die Jagd unter diesem Gesichtspunkt diskutieren muss.
Kommen wir wieder zum Ernst der Dinge. Man kann
heute wohl sagen: Endlich sind wir so weit. Mehr als ein
Jahrzehnt hat es lange Debatten gegeben. Pro und Kontra
ist diskutiert worden. Jetzt stehen wir kurz vor dem Ziel.
Ich meine, dass die Verankerung des Tierschutzes als
Staatsziel im Grundgesetz vor allem eines bedeutet: Wenn
es in Zukunft um die Abwägung von Rechtsgütern geht,
dann bedarf es keiner Hilfskonstruktionen mehr, sondern
bei der Abwägung bekommt der festgeschriebene Tierschutz ein ganz neues Gewicht. Das heißt, das TierDr. Wolfgang Freiherr von Stetten
schutzgesetz wird nach oben hin im Grundgesetz abgesichert. Kein Verfassungsgericht muss in seiner Begründung irgendwelche Verrenkungen mehr machen.
Manche behaupten, es gehe nur um eine symbolische
Sache. Darum genau geht es aber nicht. Es geht allerdings
auch nicht darum, das Wertgefüge im Grundgesetz so zu
verändern, dass der Mensch hinter dem Tier steht. Es ist
weiterhin so, dass der Mensch im Wertgefüge des Grundgesetzes im Mittelpunkt steht. Die Rechte auf Freiheit von
Forschung und Lehre, Kunst und Religion bleiben weiterhin bestehen.
Daneben ist auch die Schöpfung zu beachten, wie wir
sie in unserem Kulturraum verstehen. Das bedeutet konkret, in Verantwortung für künftige Generationen sind die
natürlichen Lebensgrundlagen und die Tiere im Rahmen
der verfassungsgemäßen Ordnung zu achten. Der Schutz
der Schöpfung wäre nicht komplett, wenn wir uns nicht
auch für die Tiere einsetzten.
Es geht darum, Tiere nicht nur heute und morgen zu
schützen, sondern eine Politik zu machen, mit der sichergestellt wird, dass es bestimmte Gattungen von Tieren
auch in Zukunft geben wird.
({2})
Es wird größerer Anstrengungen als derjenigen bedürfen,
die Sie genannt haben. Nicht nur die Frage des Schächtens und der Nutztierhaltung muss beantwortet werden,
sondern die Frage ist: Welche Politik machen wir allgemein, damit es überhaupt einen Lebensraum für Tiere
gibt?
Ich weiß, unser Tierschutzgesetz hat bereits jetzt ein
sehr hohes Schutzniveau. Es findet große Akzeptanz.
Trotzdem gibt es in dieser Republik immer noch unzumutbare Haltungsbedingungen. Die Transporte von Tieren dauern viel zu lange und sind zu anstrengend. Viele
Tierversuche sind vermeidbar. Der Stellenwert hierfür
muss zusammen mit Forschung und Lehre neu definiert
werden und Alternativen müssen entwickelt werden. Machen wir uns nichts vor: In manchen Bereichen hätte man
längst Alternativen entwickeln können, statt weiterhin
Tierversuche durchzuführen. Wir müssen abgrenzen, welche Versuche überhaupt noch akzeptabel sind und wo wir
Druck machen wollen.
({3})
Es sollen unnötige Qualen vermieden werden - im Leben
wie auch beim Töten.
Ich freue mich, dass sich heute auch andere freuen, ob
es sich dabei um Abgeordnete hier im Hause handelt - aus
unserer Fraktion insbesondere Uli Höfken und Christian
Ströbele -, um Menschen draußen oder um den Deutschen
Tierschutzbund, „Vier Pfoten“ und viele andere Vereine,
die über viele Jahre hinweg aktiv waren. Sie alle
erhalten jetzt das Ergebnis ihrer jahre- oder jahrzehntelangen Bemühungen.
Was mich auch gefreut hat, ist, dass wir selbst es vor
dieser Grundgesetzänderung geschafft haben, in der Praxis etwas zu ändern. Wir haben gezeigt - dazu passt die
Grundgesetzänderung -, dass es eine Grenze des Profitstrebens gibt. Ich nenne zum Beispiel die Legehennenverordnung.
({4})
Es gibt eine Grenze, an der festgestellt wird: So dürfen wir
mit unseren Mitgeschöpfen nicht umgehen; dabei kann
man auch nicht mit dem Gewerbebetrieb argumentieren.
({5})
Weil sich einer meiner Vorredner und gestern auch
Frau Merkel dazu geäußert haben, muss ich auch noch etwas zur Abwanderung von Legehennenhaltern anmerken. Ich sage Ihnen ehrlich: Mir tut es nicht in der Seele
weh, wenn diejenigen abwandern, bei denen es üblich
war, Tiere mit Nikotin zu begasen. Diesen Unternehmern
weine ich keine Träne nach.
({6})
Ein weiterer Punkt, an die CDU/CSU gerichtet, ist: Ihnen ist bekannt, dass die Hühner schon vor vielen Jahren
die Bauernhöfe verlassen haben. Legehennen werden in
riesigen gewerblichen Betrieben mit mehr als
100 000 Tieren auf engstem Raum gehalten. Das ist die
Wahrheit und diese Situation gilt es zu beenden. Auch
dafür ist eine entsprechende Regelung im Grundgesetz erforderlich.
({7})
Mir ist bekannt, dass manche meinen, mit der Verankerung des Tierschutzes im Grundgesetz sei sozusagen
das Ende erreicht. Ich freue mich ausdrücklich darüber,
dass sich die CDU/CSU - auf welchen Druck hin auch
immer - in dieser Frage bewegt hat. Ein Wermutstropfen
ist aber, dass die Arbeit damit nicht aufhört, sondern erst
beginnt. Die Entwicklung beginnt immer im eigenen
Land. Ich bin immer für eine Harmonisierung auf
EU-Ebene zu haben, aber einer muss schließlich vorangehen.
({8})
Ich meine, es steht Deutschland gut an, an dieser Stelle zu
verkünden: Wir sind die Ersten, die es in die Verfassung
schreiben.
Wir werden die Grundgesetzänderung dazu nutzen,
zum Ausdruck zu bringen, dass Qualität Made in Germany auch bedeutet, dass wir auf den Tierschutz achten.
Mit den auf diese Weise erzeugten Produkten werden wir,
wie mit den Autos, Erfolg auf dem Markt haben.
({9})
Ich erteile dem Kollegen Rainer Funke von der FDP-Fraktion das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen
und Herren! Was lange währt, wird endlich gut - unter
dieses Motto könnte man auch die heutige abschließende
Debatte über die Verankerung des Tierschutzes im Grundgesetz stellen. Der Tierschutz im Grundgesetz war schon
in der Verfassungskommission, die nach der deutschen
Wiedervereinigung getagt hat, Gegenstand der Debatte.
({0})
Wir müssen ehrlicherweise sagen, dass kaum ein verfassungsrechtliches Thema die Bevölkerung stärker
berührt als der Tierschutz. Das ist zum Beispiel aus den
zahlreichen Petitionen, die den Tierschutz betreffen, ersichtlich.
Wenn man darüber nachdenkt, dem Tierschutz auch
eine verfassungsrechtliche Position einzuräumen, wird
man an dem Lebensgefühl und den Wertvorstellungen
der Bürger nicht vorbeikommen.
({1})
Wir sind als Juristen und als Verfassungsrechtler aufgerufen, diesen Wertvorstellungen unserer Bürger zu entsprechen. Deswegen ist es richtig, den Schutz der Tiere als
Staatsziel zu postulieren, sodass der Gesetzgeber, die Gerichte und die Verwaltung den Tierschutz bei der Abwägung mit anderen verfassungsrechtlichen Zielen mit einzubeziehen haben. Aus diesem Grund hat die FDP-Fraktion
als erste Fraktion - im Übrigen noch vor den Grünen, Frau
Ministerin Künast ({2})
am 14. Dezember 1998 im Deutschen Bundestag den Entwurf eines Gesetzes zur Verankerung des Tierschutzes im
Grundgesetz eingebracht.
Nun wird endlich - trotz der zwischenzeitlichen Ablehnung eines Kompromissvorschlags - das Staatsziel
Tierschutz im Grundgesetz verankert. Damals, im
Jahr 2000, ist der Kompromissvorschlag noch an der
CDU gescheitert. Es ist uns aber gelungen, den alten Antrag der FDP im Rechtsausschuss aufrechtzuerhalten und
so das Thema Tierschutz im Grundgesetz bis heute im Gespräch zu halten.
Wir freuen uns, dass die Bundesvorsitzende der CDU,
die leider wohl heute nicht hier ist, und der Kanzlerkandidat der CDU/CSU nunmehr darauf hingewirkt haben,
dass auch die CDU auf eine Kompromisslösung eingeschwenkt ist, die den alten Kompromissvorschlag aus
dem Jahre 2000 wieder aufnimmt. Manchmal helfen eben
auch bevorstehende Wahlen, auf das Lebensgefühl und
die Wertvorstellungen der Bevölkerung einzugehen.
({3})
Ein solcher Schritt war auch im Hinblick auf die aktuelle Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts unbedingt notwendig, um bei der Abwägung verschiedener
Rechtsgüter mit Verfassungsrang, wie zum Beispiel Berufs-, Religions-, Forschungs- oder auch Kunstfreiheit,
dem Tierschutz eine faire Abwägungschance zuzuteilen.
Nur durch die Integration des Tierschutzes ins Grundgesetz ist eine Abwägung unterschiedlicher, kollidierender
Rechtsgüter mit dem Tierschutz überhaupt möglich.
Es ist auch nicht ersichtlich, warum der Schutz der
Tiere hinter dem bereits in Art. 20 a Grundgesetz enthaltenen Staatsziel des Schutzes der natürlichen Lebensgrundlagen zurückbleiben soll. Nach der herrschenden
Meinung erfasst der bisherige Art. 20 a Grundgesetz zwar
den Tierschutz in Teilbereichen, nämlich bei der Arterhaltung und der Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen. Ebenso gewichtige Bereiche wie die Stellung der
Tiere selbst und die Tierhaltung sind jedoch nicht erfasst.
Der nunmehr infrage stehende interfraktionelle Gesetzentwurf trägt zum grundsätzlichen Ziel der Stärkung
des Tierschutzes bei.
({4})
Ich bin der Überzeugung, dass die Integration des Tierschutzes in das Grundgesetz als Staatszielbestimmung ein
erster Schritt in die von uns schon seit langem vorgedachte
Richtung der Verringerung von Schmerzen, Leiden oder
Schäden durch Intensivtierhaltung, Tiertransporte, Tiertötung und Nutzung von Tieren zu Versuchszwecken ist.
Die Staatszielbestimmung Tierschutz stellt eine verhältnismäßige Abwägung zwischen dem Schutz der Tiere
und den Interessen und Bedürfnissen der Menschen sicher.
({5})
Dabei ist hinzuzufügen, dass die wissenschaftlich essenzielle Arbeit im Bereich der Grundlagenforschung, vor allem im medizinischen Bereich, im Sinne der Forschungsfreiheit gewährleistet ist. Es geht bei der Aufnahme des
Tierschutzes ins Grundgesetz in erster Linie um eine Verringerung von Tierleiden und nicht um grundsätzliche
Schlacht- oder Forschungsverbote.
Mit dem Schutz der Tiere wird eine verbindliche Verfassungsnorm geschaffen, die sowohl eine Richtlinie für
staatliches Handeln als auch eine Verpflichtung des Staates zur Erfüllung bestimmter Aufgaben darstellt.
Es ist nunmehr in erster Linie die Aufgabe des Gesetzgebers, die in Art. 20 a Grundgesetz allgemein gehaltene
Bestimmung des Tierschutzes auch umzusetzen. Dabei
werden wir in der nächsten Legislaturperiode sicherlich
weiterhin gefordert sein. Insoweit teile ich die Auffassung, Frau Ministerin, die Sie eben dargelegt haben.
Heute ist ein guter Tag nicht nur für den Tierschutz,
sondern auch für die Menschlichkeit. Denn die Art und
Weise, wie wir Menschen mit Tieren umgehen, sagt auch
etwas über die Einstellung der Menschen zum Leben aus.
In diesem Sinne bitte ich um Zustimmung zu dieser Änderung.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({6})
Ich erteile der Kollegin Eva Bulling-Schröter, PDS-Fraktion, das Wort.
Herr Präsident! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Die Tierschutzvereine und die
Tierrechtsbewegung können sich heute freuen. Das, worauf viele Menschen in dieser Republik hingearbeitet haben und was sie sich seit langer Zeit wünschen, soll heute
beschlossen werden: die Verankerung des Tierschutzes im
Grundgesetz. Endlich, nach vielen Jahren, gibt es eine
Mehrheit im Bundestag, um den Tierschutz in der Verfassung zu verankern.
Ich möchte an dieser Stelle allen Aktivistinnen und Aktivisten der Tierrechtsbewegung,
({0})
der Tierschutzverbände und der Tierschutzinitiativen meinen Dank für ihr gezeigtes Engagement aussprechen,
({1})
das letztendlich doch dazu geführt hat, dass über dieses
wichtige Anliegen heute abgestimmt werden kann.
Mit der Verankerung des Tierschutzes im Grundgesetz
kann endlich eine Abwägung mit den Grundrechtsartikeln
des Schutzes von Freiheit und Forschung, aber auch mit
der Berufsfreiheit und der Freiheit der Kunst erfolgen. Ich
erwarte, dass die Richter dann neu abwägen werden und
dass auf diesem Weg das Leid vieler Tiere zu Ende gehen
wird.
Ich kann mich noch gut daran erinnern, wie wir in einer Anhörung des Rechtsausschusses über die Auswirkungen des Bundesverfassungsgerichtsurteils zu den Legehennenbatterien diskutiert haben und wie gerade hier
die Berufsfreiheit eine große Rolle spielte, die angeblich
dann eingeschränkt wird, wenn viele Menschen zum Beispiel fordern, dass Hennen nicht in einem Käfig dahinvegetieren müssen, der gerade die Größe eines DIN-A-4-Blattes
besitzt. Ich kann mich auch noch gut daran erinnern, wie bei
den ersten Anhörungen zur Verankerung des Tierschutzes
im Grundgesetz argumentiert wurde, wie der Standort
Deutschland beschworen wurde, wie der Teufel an die
Wand gemalt wurde,
({2})
dass der Forschungsstandort Deutschland damit zugrunde
gerichtet werde. Ansatzweise haben Sie so wieder argumentiert. All das wird nicht der Fall sein. Im Gegenteil:
Der heutige Beschluss wird auch Zeichen für andere europäische Länder setzen, ihrerseits die Rechte und den
Schutz der Tiere in ihre Verfassungen aufzunehmen. Das
finde ich toll.
({3})
Die PDS-Fraktion im Bundestag hat sowohl in der letzten Legislaturperiode als auch in dieser einen eigenen,
wesentlich weiter gehenden Antrag eingebracht. Wie wir
wissen, wurden die Anträge in der letzten Legislaturperiode nicht behandelt. Auch der erste Anlauf in dieser Legislaturperiode scheiterte an der Weigerung der CDU/
CSU, diesem Anliegen zuzustimmen.
Jetzt hat die Große Koalition von CDU/CSU bis Bündnis 90/Die Grünen einen Gesetzentwurf eingebracht, der
leider die PDS ausschließt.
({4})
Ich kann hierzu nur sagen: Wie kleinkariert denken Sie eigentlich? Glauben Sie wirklich, wenn Sie uns in dieser
Frage ausgrenzen, dass die Wählerinnen und Wähler Ihnen das danken? - Ich glaube das nicht.
({5})
Die PDS-Fraktion im Bundestag wird trotzdem mit großer
Freude diesem Gesetzentwurf zustimmen, weil es uns hier
nicht um Wahlkampf geht, sondern um das Leiden der
Tiere, das in Zukunft - ich erwarte das jedenfalls - zumindest zu einem großen Teil gemindert werden kann.
Zum Tierschutzbericht der Bundesregierung vom
letzten Jahr: Hier gibt es noch viel zu tun. Der Tierschutzbericht für das Jahr 2001 weist eine Steigerung der
Tierversuchszahlen von 1998 auf 1999 - neuere Zahlen
liegen uns nicht vor - um 3,8 Prozent aus. Das sind
1,6 Millionen Tiere. In den vergangenen Jahren ist die
Zahl der Tierversuche gesunken. Jetzt steigt sie wieder,
und zwar vor allem bei Primaten. Ich fordere Sie auf, endlich etwas zu tun, dass die Zahl der Tierversuche wieder
gesenkt wird, dass mehr in Alternativversuche investiert
wird und dass diese gesetzlich vorgeschrieben werden.
({6})
Das heißt auch, mehr Geld in die ZEBET zu investieren.
Darüber können wir bei den Haushaltsberatungen noch
diskutieren.
Auch das Leiden der Rinder bei den Tiertransporten
muss endlich ein Ende haben. Hier bedarf es noch größerer Bemühungen vonseiten der Bundesregierung, die Subventionen bei der EU endlich zu stoppen; denn wenn diese
Subventionen weiterfließen, wird es noch mehr Tiertransporte geben. Es gibt auch noch für die zukünftige Bundesregierung viel zu tun, egal, ob es um die Regelung der
Haltung von 8,3 Millionen Truthühnern, 1,9 Millionen
Enten und 400 000 Gänsen oder ob es um eine Schweinehaltungsverordnung geht, die nach wie vor aussteht. Auch
mahnen Tierschutzverbände ein Heimtierschutzgesetz an.
Wir wollen darüber hinaus ein Verbandsklagerecht für
Tierschutzverbände.
({7})
- Mir ist klar, dass Sie das nicht wollen.
Im Hinblick auf den Tierschutz im Grundgesetz kann
ich nur sagen: Toll! Wir machen weiter! Zugabe!
({8})
Ich erteile der Parlamentarischen Staatssekretärin Cornelie Sonntag-Wolgast
das Wort.
Herr Präsident!
Liebe Kollegen und Kolleginnen! Wie lange es doch dauern kann, drei Worte im Grundgesetz zu verankern! Anfang der 90er-Jahre gab es im Zusammenhang mit den Beratungen der Gemeinsamen Verfassungskommission die
erste größere Auseinandersetzung über dieses Thema. Allerdings scheiterte dann eine Empfehlung für die Aufnahme des Tierschutzes in das Grundgesetz am Erfordernis der Zweidrittelmehrheit. In den darauf folgenden
Legislaturperioden gab es verschiedene Gesetzesinitiativen; keine wurde abgeschlossen.
Diese Koalition hat gehandelt und in der Koalitionsvereinbarung festgeschrieben, dass eine Initiative zur
Aufnahme des Tierschutzes in das Grundgesetz ergriffen
werden sollte. Einen entsprechenden Entwurf haben die
Koalitionsfraktionen eingebracht. Wenn ich Ihre warmen
Worte, Herr von Stetten, zur Nähe zu Henne, Pferd, Sau
und Vögeln höre, dann frage ich mich, warum sich die
Union nicht längst bewegt hat.
({0})
Wir könnten das Thema zum Wohle der Tiere schon längst
abgeschlossen haben.
({1})
Liebe Kollegen und Kolleginnen, warum brauchen wir
ein Staatsziel Tierschutz? Mit der Vorlage soll der ethische Tierschutz im Grundgesetz verankert werden. Darunter ist der Schutz der Tiere als Individuen zu verstehen.
({2})
Sie werden als Wesen mit Empfindungen und Leidensfähigkeit anerkannt, denen durch unsere Rechtsordnung
ein Schutz zuteil werden soll. Diese Vorstellung, Herr
Kollege Geis, ist schon im Tierschutzgesetz enthalten, hat
aber keinen verfassungsrechtlichen Ausdruck gefunden.
Der Individualtierschutz geht über Art. 20 a unseres
Grundgesetzes, der den Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen als Staatsziel festschreibt, wesentlich hinaus.
Zwar sind auch in der derzeitigen Fassung des Art. 20 a
einzelne Aspekte des Tierschutzes bereits erfasst, nämlich
Tiere in ihrer Eigenschaft als Bestandteil der natürlichen
Lebensgrundlagen. Das bedeutet: Geschützt sind Füchse
im Wald als Art in ihrem natürlichen Lebensraum, nicht
aber der einzelne Fuchs als Individuum. Nach den Erkenntnissen der modernen Verhaltensforschung sind Tiere
Lebewesen mit physischen und psychischen Empfindungen. Diese Tatsache wird von überhaupt niemandem bestritten. Das Wissen um die Leidensfähigkeit der Tiere
spiegelt sich aber in unserem Grundgesetz, das auch die
Grundwerte unseres Zusammenlebens enthält, nicht ausdrücklich wider.
Nun kann ein Bewusstseinswandel sicherlich nicht allein Grund für die Einführung eines entsprechenden
Staatsziels sein. Daneben steht eine verfassungsrechtliche
Notwendigkeit. Der Verfassungsrang des Tierschutzes ist
in den Fällen von Bedeutung, in denen es gilt, den Tierschutz gegenüber dem Wortlaut nach vorbehaltlos gewährten Grundrechten durchzusetzen. Solche Grundrechte, zum Beispiel die Forschungsfreiheit, finden ihre
Grenzen lediglich an anderen Bestimmungen des Grundgesetzes. Auch eine Staatszielbestimmung kann ohne
nähere Konkretisierung Grundrechte nicht beschränken.
Der Einfachgesetzgeber erhielte aber die Möglichkeit, für
eine solche Konkretisierung zu sorgen. Die Möglichkeiten des Gesetzgebers sind um so vielfältiger, je offener die
Staatszielbestimmung formuliert ist. Deswegen danke ich
den Beamten unseres Ministeriums, aber ebenso denen
des Bundesjustizministeriums ganz herzlich für die tatkräftige und sachkundige Hilfe bei der jetzigen Lösung.
({3})
Liebe Kollegen und Kolleginnen, ich halte es jetzt für
die ureigene Aufgabe des Parlaments, den Inhalt der Verfassung zu bestimmen und damit die Güter zu benennen,
denen Verfassungsrang zukommen soll. Den Ängstlichen,
die nun befürchten, die Menschen kämen zu kurz, kann
man sagen: Der Schutz der Tiere erfolgt im Rahmen der
verfassungsmäßigen Ordnung. In jede Abwägung muss
einbezogen werden, dass die Verfassung den Menschen
und seine Würde an die höchste Stelle stellt. Daran will
und kann auch ein Staatsziel Tierschutz nichts ändern.
({4})
Der Tierschutz wird auch nicht höher gestellt als der
Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen.
({5})
Auch dem Vorwurf, der Gesetzgeber werde durch die
Vorgabe von Staatszielen bevormundet, sieht sich die
Dreiwortlösung nicht ausgesetzt. Sie verzichtet bewusst
auf jede Konkretisierung und lässt die Möglichkeit offen,
im einfachen Recht die Funktion von Tieren für den Menschen zu berücksichtigen und andererseits den Nutzen der
Tiere für den Menschen nicht zum alleinigen Maßstab zu
machen.
Wer in der Forschung und in der Landwirtschaft, um
hier zwei wichtige Bereiche zu nennen, die Achtung vor
den Tieren und die ethischen Prinzipien wahrt, der hat von
dieser Verfassungsänderung nichts zu befürchten, im Gegenteil. Der Gesetzgeber ist nun aufgerufen, selbst das
Rangverhältnis der verschiedenen Verfassungsgüter zu
bestimmen. So wird ein Ausgleich zwischen den berechtigten Interessen von Menschen und von Tieren erreicht.
Vor allem aber beleben wir den gesellschaftlichen Dialog über eine Frage, die sehr viele Menschen beschäftigt
und interessiert. Das tut auch unserem demokratischen
Rechtsstaat gut. Es tut uns auch gut, dass wir im Augenblick im Hinblick auf diese Frage in Europa Vorreiter sind.
Ich bedanke mich.
({6})
Ich erteile dem Kollegen Norbert Geis, CDU/CSU-Fraktion, das Wort.
Herr Präsident! Meine
sehr verehrten Damen und Herren! Die CDU/CSU-Fraktion wird diesem Gesetzentwurf zustimmen. Ich will versuchen, dies zu begründen. Es ist ja kein Geheimnis, dass
wir uns lange Zeit gegen die Verankerung des Tierschutzes in unserer Verfassung gewehrt haben. Dies liegt
aber nicht etwa darin begründet, dass wir die Tiere nicht
genauso schützen wollten wie Sie alle. In dieser Hinsicht
haben wir keinen Nachholbedarf.
({0})
Während unserer Regierungszeit ist das weltweit beste
Tierschutzgesetz formuliert worden. Das ist anerkannt
und völlig unbestritten.
Vielmehr hatten wir immer deshalb Bedenken, weil
wir erstens der Auffassung sind, dass der Tierschutz jetzt
schon in unseren Verfassungsgrundsätzen verankert ist,
und weil wir zweitens der Meinung sind, dass diese Regelung auch einfachgesetzlich gut getroffen werden kann;
das Tierschutzgesetz ist der Beweis dafür. Drittens haben
wir uns vor allem deshalb dagegen gewehrt - das ist heute
schon von Herrn von Stetten im Hinblick auf die Diskussion in der Verfassungskommission erwähnt worden -,
weil es immer Bestrebungen gab, unserer Verfassung von
ihrer Grundausrichtung her eine andere, eine ökozentrische Richtung zu geben. Dagegen haben wir uns immer
gewehrt. Das war der Grund, weshalb wir bei allen Überlegungen, Tierschutz in der Verfassung zu verankern, sehr
vorsichtig waren.
({1})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich will kurz
anreißen, worum es uns dabei geht. Nach unserer Auffassung - das ist hier übereinstimmende Meinung, jedenfalls
auch Ihre Meinung, Frau Sonntag-Wolgast - ist der
Mensch das alleinige Rechtssubjekt unserer Rechtsordnung. Ich habe aber schon darauf hingewiesen: Es gab
immer schon den Versuch, daneben auch den Pflanzen,
den Tieren und anderen Schöpfungselementen und der
Natur insgesamt Rechte einzuräumen. Das aber ist nach
unserer Auffassung gemäß der Grundanlage unserer Verfassung nicht möglich. Wir sind der Meinung - das hat
Rupert Scholz wiederholt betont -, dass eine solche Änderung unserer verfassungsmäßigen Ordnung ein Verfassungsbruch wäre; entsprechende Gesetze wären verfassungswidriges Verfassungsrecht.
Das heißt aber nicht, dass die Tiere nach diesem Verfassungsverständnis weniger Schutz hätten. Die Tiere
sind keine Sachen, so wie Steine oder Pflanzen Sachen
sind. Es gibt den Empfindungsaustausch zwischen
Mensch und Tier. Die Menschen haben dies auch immer
gewusst. Der Reiter hat zu seinem Pferd ein anderes Verhältnis als der Rennfahrer zu seinem Rennauto. Vom heiligen Franz von Assisi sagt man, dass er mit den Tieren gesprochen habe.
Wir haben 1990 ausdrücklich in das Bürgerliche Gesetzbuch hineingeschrieben, dass die Tiere keine Sachen sind;
die Tiere sind nach unserem Verständnis Mitgeschöpfe.
({2})
Das kommt auch in unserem Tierschutzgesetz zum Ausdruck. Das Schutzgut dieses Gesetzes ist nämlich nicht
das Eigentum des Besitzers, sondern Schutzgut ist das
Tier selbst. Insofern, Frau Sonntag-Wolgast, hat das Tier
eine gewisse Art von Subjektivität. Es ist aber kein
Rechtssubjekt. In diesem Sinne ist es kein Individuum.
Wir wehren uns gegen eine solche Formulierung, weil sie
zu Missdeutungen Anlass geben würde. Es gibt keine gegenseitigen Rechtsbeziehungen zwischen Mensch und
Tier.
({3})
Das Tier hat keine Pflichten gegenüber dem Menschen.
Deswegen hat es gegenüber dem Menschen auch keinen
Anspruch auf artgemäße Haltung. Das heißt aber doch
nicht, dass der Tierschutz deshalb geringer wäre; vielmehr
hat der Mensch die Verpflichtung, das Tier zu schützen.
Das haben Sie, Herr Bachmaier, ebenfalls ausdrücklich
betont. Sie haben gesagt - ich tue das auch -, dass der
Mensch deshalb die Verpflichtung hat, das Tier zu schützen, weil er selbst sonst seine Würde verletzen würde. Es
ist in der Würde des Menschen begründet, dass er die
Kreatur achtet. Von Augustinus bis Kant war man sich darüber einig, dass Tierquälerei die Würde des Menschen
selbst verletzt. Die Selbstachtung des Menschen gebietet
es also, Tiere zu schützen. Nicht deshalb, weil das Tier
etwa Recht gegenüber dem Menschen hätte, sondern deshalb, weil der Mensch gegenüber seiner eigenen Würde
eine Verpflichtung hat, hat er die Verpflichtung, Tiere zu
schützen. Das ist der Grund dafür, dass man den Tierschutz unserer Meinung nach auch in die Verfassung aufnehmen kann.
({4})
Auch dann, wenn der Tierschutz nicht in der Verfassung verankert ist, ist unter diesem Blickwinkel auch bei
Tierversuchen im Dienste der menschlichen Gesundheit
darauf zu achten, ob solche Versuche auch wirklich notwendig sind. Bei der Entwicklung von Kosmetika jedenfalls ist dies in hohem Maße zweifelhaft. Auch ohne verfassungsrechtliche Verankerung des Tierschutzes reichen
reine Erwägungen der Nützlichkeit und Wirtschaftlichkeit
nicht als Rechtfertigung dafür aus, bei Tierversuchen
Tiere massenhaft elend zugrunde gehen zu lassen.
Alle diese Grundsätze können insgesamt im einfachen
Gesetz geregelt werden; dazu brauchen wir eigentlich keine
Verfassungsänderung. Aber es besteht überhaupt kein
Zweifel daran, dass durch die Aufnahme in die Verfassung
der Tierschutz ein stärkeres Gewicht erhält. Es ist ein
Staatsziel. Dann ist der Tierschutz nicht mehr auf den guten
Willen des Gesetzgebers angewiesen, sondern der Gesetzgeber ist aufgrund dieses Staatsziels verpflichtet, dafür zu
sorgen, dass die Tiere entsprechend Schutz erhalten.
Das gilt gleichermaßen für die Wirtschaft. Das gilt
auch für die Forschung. Die Forschung wird künftig stärker darauf zu achten haben, ob nun einzelne Versuche notwendig sind oder nicht. Sie muss stärker rechtfertigen,
weshalb Tierversuche notwendig sind. Das ist richtig so.
Das sehen wir auch so. Das ist aber - ich wiederhole es nicht der Grund unserer Skepsis gewesen. Die möglichen
Erschwernisse für Wirtschaft und Forschung waren nicht
Grund unserer Zurückhaltung. Vielmehr war und ist es
unser Anliegen, dass der Mensch Mittelpunkt der Verfassung bleibt.
Wir wollen unsere Verfassung in ihrer Grundanlage so
erhalten, wie sie jetzt ist. Wir sehen in der Formulierung,
die jetzt über die Parteien hinweg, auch mit unseren Berichterstattern Dr. Röttgen und Rupert Scholz, ausgehandelt worden ist, den Verfassungsbruch, den ich vorhin erwähnt habe, nicht. Deswegen können wir bei allen
Vorbehalten zustimmen.
Ich danke Ihnen.
({5})
Ich erteile Kollegin
Marianne Klappert, SPD-Fraktion, das Wort.
Herr Präsident! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Ich wollte genauso anfangen
wie Herr Funke, nämlich mit den Worten: Was lange
währt, wird endlich gut. - Wir können aber auch gemeinsam sagen: Gut Ding will Weile haben. - Heute erreichen
wir das, wofür wir, viele in diesem Hause, jahrelang gestritten haben.
Ich freue mich ganz besonders darüber, dass wir heute
diesen Beschluss fassen, dass ein Ziel erreicht wird, für
das ich in meiner Funktion als Tierschutzbeauftragte zehn
Jahre lang gekämpft habe.
({0})
- Richtig, ich habe viel dafür getan.
({1})
Ich habe dieses Themenfeld sehr ruhig und sachlich bearbeitet. Das hat deutlich gemacht, glaube ich, dass man
ohne viel Populismus sehr viel erreichen kann.
({2})
Ich bedanke mich ganz ausdrücklich bei all denjenigen,
die immer mit gestritten haben.
Ich habe mich gerade über die Rede vom Kollegen
Geis wirklich gefreut.
({3})
Ich denke noch einmal an die letzte Diskussion, Herr Kollege. Damals gab es die gleiche Formulierung zur Aufnahme eines Staatsziels, nämlich die Ergänzung um die
drei Worte. Ich erinnere mich nur ungern daran, wie Sie
und andere Kollegen uns hier im Grunde genommen
wirklich beschimpft haben
({4})
und getan haben, als stünde das Wohl dieser Republik auf
dem Spiel.
({5})
- Ein bisschen doch. Lesen Sie es im Protokoll noch einmal nach!
({6})
Es hat wirklich ein Bewusstseinswandel stattgefunden
und darüber freue ich mich.
Ich mache keinen Hehl aus meiner Freude, dass die
Koalition von Anfang an dieses Ziel gewollt hat. Auch die
PDS hat es gewollt. Aber besonders freue ich mich darüber, dass wir dieses Ziel mit einer Zweidrittelmehrheit erreichen. Damit schaffen wir ein ausgesprochen gutes Fundament. Frau Kollegin Wöhrl hat dabei in sachlicher
Weise geholfen. Sie hat viele Gespräche geführt. Man
muss also ehrlicherweise sagen, dass wir alle gemeinsam
heute etwas erreichen. Das ist wirklich gut für unser Land.
({7})
Ich will jetzt nicht noch einmal auf die Rechtsfragen
eingehen, die mit dem Staatsziel Tierschutz verbunden
sind. Darüber haben der Kollege Bachmaier und die anderen Kollegen sehr ausführlich gesprochen. Ich will nur
noch einmal betonen: Wir haben viel erreicht.
Ich will auf die Tatsache eingehen, dass sehr viele geglaubt haben - das wurde in vielen Zuschriften deutlich -,
dass mit der Aufnahme des Staatsziels Tierschutz bei uns
in der Republik Nachteile für die Forschung, für die Kunst
und für die Landwirtschaft entstehen würden. Wir müssen
deutlich machen, dass wir in der nächsten Legislaturperiode sehr intensiv daran arbeiten werden, damit es nicht zu
diesen Nachteilen kommt.
Wenn ich in den letzten Wochen gefragt worden bin,
was dieses Staatsziel Tierschutz bewirken würde, dann
habe ich immer ehrlich geantwortet: Es wird auch ab morgen in dieser Republik weiterhin Tierversuche geben. Wir
müssen aber gemeinsam verstärkt an Alternativmethoden
arbeiten. Darüber hat Frau Ministerin Künast eben schon
gesprochen. Es gibt die ZEBET. Wir müssen Geld ausgeben, damit wir in diesem Bereich Fortschritte erzielen.
({8})
Es wurden heute Morgen schon die Tiertransporte angesprochen. Viele Bürgerinnen und Bürger haben uns
jahrelang Briefe geschrieben und uns aufgefordert, endlich diesen Schritt zu gehen. Die Menschen wollen die
schrecklichen Bilder von den Tiertransporten und der Intensivtierhaltung nicht mehr sehen. Darauf müssen wir den
Schwerpunkt legen. Meine Fraktion hat sehr intensiv daran
gearbeitet. Manchmal haben mir einige Kollegen gesagt:
Sei doch nicht so penetrant. - Aber ich denke, es war richtig, dass wir es so gemacht haben.
({9})
Ich will noch auf die Frage eingehen, warum der Tierschutz Verfassungsrang haben soll. Wir können in unserer Gesellschaft teilweise eine schrankenlose Ausbeutung
feststellen. Wir müssen uns immer wieder die Frage stellen, ob wir so weiterleben wollen. Das ist die Kernfrage.
Wir müssen deutlich machen, dass wir eine andere Gesellschaft wollen. Das ist für uns ein ganz wichtiger
Punkt.
({10})
Da ich aus dem Bundestag ausscheide, will ich die Gelegenheit nutzen, den vielen Tierschützerinnen und Tierschützern und auch den Tierschutzverbänden Dank zu sagen. Die Tierschutzverbände haben eine Leistung
erbracht, die wir nicht hoch genug einschätzen können.
Sie haben sehr beständig mit allen zusammengearbeitet.
Ich habe mich sehr gefreut, dass sich in den letzten Jahren
die Tierschutzverbände zusammengefunden haben. Sie
haben ein Bündnis für den Tierschutz geschlossen und haben verbandsinterne Interessen zurückgestellt, weil sie erkannt hatten, dass man nur gemeinsam etwas erreichen
kann. Genau das machen wir heute auch. Deswegen ein
ganz besonderer Dank an alle Tierschützer dieser Republik.
({11})
Lieber Uli Heinrich, es ist schön, dass man am Ende
seiner Tätigkeit einen Erfolg erringen kann, für den man
jahrelang gekämpft hat.
({12})
Danke schön für die Zusammenarbeit.
({13})
Herzlichen Dank für
Ihre vermutlich letzte Rede.
Nun hat die Kollegin Ulrike Höfken, Bündnis 90/Die
Grünen, das Wort.
Sehr
geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Egal, wie die Vorgeschichte dieser Grundgesetzänderung ist: Die Grundgesetzänderung, die wir heute beschließen werden, ist ein Meilenstein für den Tierschutz.
Für diesen Erfolg haben wir Grünen jahrelang gekämpft.
Es ist auch ein Erfolg des Parlaments; es ist insbesondere
ein Erfolg meiner Kollegin Marianne Klappert.
({0})
Das Anliegen, den Tierschutz im Grundgesetz zu
verankern, haben wir seit 1994 immer wieder in den Bundestag eingebracht. Die rot-grüne Bundesregierung hat es
sich zum Ziel gemacht, dem Tierschutz durch eine Grundgesetzänderung endlich die notwendige Rechtsgrundlage
zu geben. Bisher sind wir an dem Widerstand der Union
gescheitert. Ich bin froh darüber, dass wir jetzt einen gemeinsamen Gesetzentwurf einbringen und dass die Union
einen Wertewandel vollzogen hat. Ich appelliere an alle
Unionsabgeordneten, dieser Grundgesetzänderung nun
auch geschlossen zuzustimmen.
({1})
Der politische Druck spielt natürlich eine Rolle. Sie
wissen genau, dass wir nicht aufgeben und diese Debatte
fortführen würden. Die Öffentlichkeit unterstützt diese
Grundgesetzänderung: 80 Prozent der Bevölkerung; die
Tierschutzverbände, denen auch ich meinen herzlichsten
Dank für ihre Aktivitäten aussprechen möchte; die Prominenten, die sich dafür einsetzen; die Bundesministerinnen Renate Künast und Herta Däubler-Gmelin; der
Bauernverband; die Tierärztekammer und der FleischerVerband. Ich appelliere an Sie persönlich und möchte Sie
davon überzeugen, dass Ihre Zustimmung wichtig ist. Es
geht um die drei Worte „und die Tiere“. Mit diesen drei
Worten werden wir erreichen, dass der Tierschutz so umgesetzt wird, wie es das Tierschutzgesetz seit 1998 vorsieht.
Ich möchte etwas Verbindendes erwähnen: Dieses
Tierschutzgesetz wurde von der alten Bundesregierung
unter Mitarbeit der Opposition beschlossen. Auch Sie
wollten den Schutz der Tiere schon 1994 in die Verfassung aufnehmen. Sie meinten, mit dem Zusatz „der Lebensgrundlagen“ sei dies erreicht worden. Es hat sich aber
herausgestellt, dass genau das nicht der Fall war; denn die
Grundrechte der Freiheit der Forschung, der Lehre, der
Kunst, der Religion und die Gewerbefreiheit sprachen dagegen. Es war nicht möglich, dem Tierschutz in der
Rechtsprechung eine faire Chance zu geben. Es kann
nicht sein, dass Gerichte aufgrund eines Grundrechts oder
der Forschungsfreiheit selbst gröbste Tierquälerei nicht
verhindern können. Sie alle kennen die Beispiele der Affenversuche in Berlin. Dieses Parlament löst diesen rechtlichen Widerspruch heute auf.
({2})
Natürlich schaffen wir durch diese Änderung nicht alle
tierquälerischen Tiertransporte in Europa ab. Wir retten
nicht alle Igel, die von Autos überfahren werden, die Vögel, die mit Flugzeugen kollidieren
({3})
oder, Herr von Stetten, manchmal auch mit den Windanlagen. Übrigens stellen sich die Vögel auf diese Gefahr
ein. Man hat in diesem Bereich schon viel verbessert.
Es gibt noch viel zu tun. Darauf haben viele Vorrednerinnen und Vorredner, vor allem unsere Bundesministerin
Renate Künast, hingewiesen. Es gibt einen Arbeitsauftrag
für die weitere politische Arbeit in der nächsten Legislaturperiode. Vielleicht entwickelt sich, wenn all diese Argumente nicht helfen, aber auch ein gewisses Eigeninteresse;
denn die Grenzen zwischen Mensch und Tier verschwimmen gerade aufgrund der Gentechnik immer mehr.
Abschließend möchte ich auf „Die Entwicklung der
Menschheit“ von Erich Kästner hinweisen. Er zeigte auf,
dass die Grenzen zwischen Mensch und Tier vielleicht
doch nicht so groß sind. Er schreibt:
Einst haben die Kerls auf den Bäumen gehockt,
behaart und mit böser Visage.
Dann hat man sie aus dem Urwald gelockt
und die Welt asphaltiert und aufgestockt
bis zur dreißigsten Etage.
...
Sie hören weit. Sie sehen fern.
Sie sind mit dem Weltall in Fühlung.
Sie putzen die Zähne. Sie atmen modern.
Die Erde ist ein gebildeter Stern
mit sehr viel Wasserspülung.
...
So haben sie mit dem Kopf und dem Mund
den Fortschritt der Menschheit geschaffen.
Davon mal abgesehen und
bei Lichte betrachtet sind sie im Grund
noch immer die alten Affen.
Auch deshalb wollen wir, in aller Bescheidenheit, den
Schutz der Tiere ins Grundgesetz aufnehmen.
Danke schön.
({4})
Ich erteile das Wort
dem Kollegen Heinz Schmitt, SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Auch ich freue mich, wie
viele meiner Vorrednerinnen und Vorredner, dass wir
heute nach vielen Anläufen ein Gesetz beschließen, das
die Unterstützung des ganzen Hauses finden wird. Tierschutz wird als Staatsziel im Grundgesetz verankert. Damit wird der Verantwortung des Menschen für das Mitgeschöpf Tier ein höherer Stellenwert eingeräumt, als das
bisher der Fall ist.
({0})
Dies ist gut für den Tierschutz, aber es ist auch ein
wichtiger Schritt für unsere Gesellschaft überhaupt. Wir
alle kennen die Bilder von Tieren, denen auf unterschiedliche Weise Qualen zugefügt werden. Wir wissen um die
Problematik von Nutztieren, die gegen ihre natürliche Lebensart gehalten und gezüchtet werden. Es gibt Tiertransporte, bei denen ein Großteil der Tiere bereits beim Transport qualvoll verendet. Wenn man sich die Bilder von
gewissen Tierversuchen vor Augen führt, läuft einem ein
Schauer über den Rücken. Aus all diesen Gründen ist es
dringend geboten, dem Tierschutz einen höheren Stellenwert einzuräumen, damit im Einzelfall ein besserer Umgang mit dem Mitgeschöpf Tier möglich wird.
In der Diskussion um die heutige Grundgesetzänderung wurden insbesondere vonseiten der Wissenschaft
Bedenken geäußert. Es gibt Befürchtungen, das Staatsziel
Tierschutz könne wichtige Forschungen massiv behindern und erschweren. Diese Einwände wurden im Bildungs- und Forschungsausschuss eingehend diskutiert.
Ich meine, wir können die Wissenschaftler beruhigen. Es
ist nicht davon auszugehen, dass mit der jetzt gefundenen
Regelung unverantwortbare Einschränkungen von notwendigen Forschungstätigkeiten verbunden sind.
Wir wollen aber dem Tierschutz dort einen höheren
Stellenwert einräumen, wo im Einzelfall zwischen Forschungsfreiheit und Tierschutz abzuwägen ist. Wir wollen darauf hinwirken, Tierversuche durch andere Methoden zu ersetzen, wo immer dies möglich ist.
Was das Verfahren bei der Überprüfung von Forschungsvorhaben angeht, gehen wir nicht von einer
grundlegenden Änderung der bisherigen Regelungen aus.
Diese Überprüfungen sind schon jetzt im Tierschutzgesetz hinreichend geregelt und werden mit der heutigen
Grundgesetzänderung nicht verändert. Die Neuregelung
unterstreicht aber nachdrücklich den Grundkonsens in unserer Gesellschaft, Forschungen mit Tierversuchen auf
das unverzichtbare Maß zu reduzieren und zu begrenzen.
So gesehen, ist die jetzt anstehende Einführung eines
Staatszieles Tierschutz nicht als zusätzliche Hürde für die
Forschung gedacht, wohl aber als Auftrag an die Forscher,
einen größtmöglichen Beitrag zur Vermeidung von Tierversuchen zu erbringen.
Ich möchte auch erwähnen, dass wir die Wissenschaftler mit dieser Aufgabe nicht allein lassen. Die Bundesregierung unterstützt mit einem weltweit einzigartigen Förderprogramm schon seit vielen Jahren die Entwicklung
von Ersatzmethoden zu Tierversuchen. Dabei wurden bereits große Fortschritte erzielt. Ich denke, dass wir gerade
in der Abwägung zwischen Tierschutz auf der einen und
Forschungsfreiheit auf der anderen Seite eine gut vertretbare Lösung gefunden haben.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, mit der Aufnahme
der drei Worte „und der Tiere“ in das Grundgesetz setzen
wir ein deutliches Zeichen für einen humaneren Umgang
mit Tieren. Das ist auch ein Ausweis für eine aufgeklärtere Gesellschaft. Ich danke allen, die mit langem Atem
für dieses gute Ergebnis gesorgt und dafür gearbeitet haben.
Vielen Dank.
({1})
Ich schließe die Aus-
sprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den von den Frak-
tionen der SPD, der CDU/CSU, des Bündnisses 90/Die
Grünen und der FDP eingebrachten Gesetzentwurf auf
Drucksache 14/8860 zur Änderung des Grundgesetzes,
Staatsziel Tierschutz. Der Rechtsausschuss empfiehlt un-
ter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf Druck-
sache 14/9090, den Gesetzentwurf anzunehmen. Ich bitte
diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen,
um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthal-
tungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Be-
ratung bei einigen Gegenstimmen und einigen Enthal-
tungen angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich weise darauf hin, dass nach
Art. 79 des Grundgesetzes ein Gesetz zur Änderung des
Grundgesetzes die Zustimmung von zwei Dritteln der
Mitglieder des Bundestages, das heißt mindestens
444 Stimmen, erfordert. Es ist namentliche Abstimmung
verlangt worden. Zu dieser Abstimmung liegen persön-
liche Erklärungen der Kolleginnen und Kollegen Deittert,
Diemers, Göhner, Lensing und Sothmann vor.1)
Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die
vorgesehenen Plätze einzunehmen. - Sind die Plätze ein-
genommen? - Das ist der Fall. Ich eröffne die Abstim-
mung.
Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine
Stimme nicht abgegeben hat? - Das ist nicht der Fall. Ich
schließe die Abstimmung und bitte die Schriftführerinnen
und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Das Er-
gebnis der Abstimmung wird Ihnen später bekannt gege-
ben.2)
Wir setzen jetzt die Abstimmungen fort. Ich bitte Sie,
dazu Platz zu nehmen.
Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses auf
Drucksache 14/9090 zu den von den Fraktionen der SPD
und des Bündnisses 90/Die Grünen, von der Fraktion der
FDP und von der Fraktion der PDS eingebrachten
Gesetzentwürfen zur Änderung des Grundgesetzes. Der
Ausschuss empfiehlt unter den Buchstaben b bis d seiner Beschlussempfehlung, die Gesetzentwürfe auf den
Drucksachen 14/8360,14/207 und 14/279 für erledigt zu
erklären. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung?
- Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist einstimmig angenommen.
Abstimmung über den vom Bundesrat eingebrachten
Gesetzentwurf auf Drucksache 14/758 zur Änderung des
Grundgesetzes. Der Rechtsausschuss empfiehlt unter
Buchstabe e seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache
14/9090, den Gesetzentwurf abzulehnen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das
Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung mit den Stimmen des Hauses bei Enthaltung der PDS-Fraktion abgelehnt. Damit entfällt nach unserer Geschäftsordnung die
weitere Beratung.
Beschlussempfehlung des Ausschusses für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft auf Drucksache 14/8168. Unter Nr. 1 seiner Beschlussempfehlung
empfiehlt der Ausschuss, in Kenntnis des Tierschutzberichtes 2001 der Bundesregierung den Antrag der
Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen
auf Drucksache 14/7180 mit dem Titel „Verbesserungen
im Tierschutz national und europaweit vorantreiben“
anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und PDS gegen die Stimmen von
CDU/CSU und FDP angenommen.
Unter Nr. 2 seiner Beschlussempfehlung empfiehlt der
Ausschuss, in Kenntnis des Tierschutzberichtes 2001
den Antrag der Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache 14/6047 mit dem Titel „Tierschutz auf nationaler
und EU-Ebene fortentwickeln“ abzulehnen. Wer stimmt
für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den
Stimmen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und PDS gegen die Stimmen von CDU/CSU und FDP angenommen.
Ich rufe die Zusatzpunkte 26 bis 31 auf, also die
Beschlussempfehlungen des Petitionsausschusses. Eine
Aussprache ist nicht vorgesehen.
Zusatzpunkt 26:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({0})
Sammelübersicht 387 zu Petitionen
- Drucksache 14/9070 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht 387 ist mit den Stimmen des
Hauses bei Enthaltung der PDS-Fraktion angenommen.
Zusatzpunkt 27:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({1})
Sammelübersicht 388 zu Petitionen
- Drucksache 14/9071 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht 388 ist mit den Stimmen
des Hauses bei Enthaltung der PDS angenommen.
Zusatzpunkt 28:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({2})
Sammelübersicht 389 zu Petitionen
- Drucksache 14/9072 Wer stimmt dafür? - Dagegen? - Enthaltungen? - Die
Sammelübersicht 389 ist mit den Stimmen des Hauses bei
Enthaltung der PDS angenommen.
Zusatzpunkt 29:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({3})
Sammelübersicht 390 zu Petitionen
- Drucksache 14/9073 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht 390 ist einstimmig angenommen.
Zusatzpunkt 30:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({4})
Sammelübersicht 392 zu Petitionen
- Drucksache 14/9075 -
Präsident Wolfgang Thierse
1) Anlage 2
2) Seite 23669
Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht 392 ist mit den Stimmen
von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und PDS gegen die
Stimmen von CDU/CSU und FDP angenommen.
Zusatzpunkt 31:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({5})
Sammelübersicht 395 zu Petitionen
- Drucksache 14/9076 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht 395 ist mit den Stimmen
des Hauses bei Gegenstimmen der PDS angenommen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich rufe Tagesordnungspunkt 22 sowie Zusatzpunkt 20 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Horst
Seehofer, Wolfgang Lohmann ({6}),
Dr. Wolf Bauer, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der CDU/CSU
Gesundheitswesen patientenorientiert, freiheitlich und zukunftssicher gestalten
- Drucksache 14/8595 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Gesundheit ({7})
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung
Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Dieter
Thomae, Detlef Parr, Dr. Irmgard Schwaetzer,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Für eine leistungsfähige und bezahlbare Gesundheitsversorgung
- Drucksache 14/9054 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Gesundheit
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. - Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Kollegen
Wolfgang Lohmann, CDU/CSU-Fraktion, das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren!
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Sie dankenswerterweise noch hier geblieben sind! „Gesundheitswesen
patientenorientiert, freiheitlich und zukunftssicher gestalten“ - das ist die Überschrift unseres Antrages, der uns
veranlasst, heute noch einmal über Gesundheitspolitik zu
diskutieren. Rot-Grün ist 1998 angetreten, um eine - ich
zitiere - „entschlossene Reformpolitik“ zu betreiben.
Heute wissen wir, dass dies nichts als eine vollmundige
Erklärung gewesen ist.
({0})
Reformbedarf allerorten: in der Steuerpolitik, in der
Renten- und Arbeitsmarktpolitik und vor allem in der Gesundheitspolitik. Obwohl die rot-grüne Regierung inzwischen zwei Ministerinnen verschlissen hat, konnte sie
dennoch nicht einmal ansatzweise die Probleme in der
GKV lösen, im Gegenteil: Aus einem Überschuss der
gesetzlichen Krankenversicherung in Höhe von 1 Milliarde Euro wurde ein Defizit von 2,8 Milliarden Euro.
Kein Wunder also, dass der Bundeskanzler Frau Schmidt
nicht erwähnt hat, als er jene Minister aufzählte, mit deren Arbeit er besonders zufrieden war und die er - wenn
die Wähler ihm die Möglichkeit geben - ins nächste Kabinett berufen möchte. Deutlicher kann ein amtierender
Bundeskanzler den Stab nicht über eine Ministerin brechen. Aber das ist ein internes Problem.
({1})
Nicht nur der Bundeskanzler hält die Politik von Frau
Schmidt für misslungen, auch die Menschen in diesem
Land. Nach der jüngsten Umfrage des Allensbach-Institutes sind drei Viertel der Bevölkerung mit der Gesundheitspolitik nicht zufrieden. 32 Prozent berichten inzwischen allgemein von Leistungseinschränkungen, die sie
persönlich erfahren haben; vor allem chronisch Kranke
sind davon betroffen. 43 Prozent von diesen kranken
Menschen wiederum haben aufgrund Ihrer Gesundheitspolitik, Frau Ministerin, am eigenen Leib erfahren, was
Rationierung bedeutet.
({2})
Es gibt keine größere soziale Ungerechtigkeit als die
Vorenthaltung medizinisch notwendiger Leistungen.
({3})
Rot-Grün hat mit der Wiedereinführung der Budgetierung im Jahre 1998 den Weg in die Zweiklassenmedizin
beschritten. Unter der Regierung Schröder ist Spitzenmedizin immer mehr zum Privileg von Besserverdienenden geworden.
({4})
Da wagen Sie es nun auch noch, sich das Mäntelchen der
sozialen Gerechtigkeit umzuhängen.
Sie haben vier Jahre lang die Interessen der Patienten
und Versicherten aus den Augen verloren. Sie haben vier
Jahre lang - Sie tun es noch immer - die Versorgungssituation schöngeredet und die Probleme der Patienten
ignoriert. Sie haben in Ihrer Koalitionsvereinbarung eine
Stärkung der Patientenrechte und des Patientenschutzes
vorgesehen. Das wichtigste Recht, nämlich das Recht auf
medizinisch notwendige Versorgung, haben Sie in Wirklichkeit geschädigt.
({5})
Versuchen Sie jetzt bitte nicht, sich als Bewahrer von
Solidarität und sozialer Gerechtigkeit aufzuspielen. Noch
unsozialer, noch ungerechter und noch unsolidarischer als
jetzt kann Gesundheitspolitik kaum werden.
({6})
Die Versicherten zahlen die höchsten Beiträge, die es je
gab - wenigstens das kann nicht bestritten werden -, und
erhalten dennoch eine nicht ausreichende Versorgung.
({7})
Präsident Wolfgang Thierse
Auch Herr Schmidbauer wird mich nicht daran hindern,
diesen Gedanken zu Ende zu führen, Herr Präsident.
({8})
Ist das schon eine Ablehnung?
Ja.
Das Ritual kennt man. - Menschen, die alt und pflegebedürftig sind, müssen erst wund gelegen sein - das muss
er sich jetzt nämlich anhören -, bevor die Krankenkassen
Leistungen der häuslichen Krankenpflege bezahlen. Prophylaxen, die auf das Verhindern eines Druckgeschwüres
zielen, werden von den Kassen kategorisch abgelehnt. Wesentliche Leistungen der häuslichen Krankenpflege sind
durch die Richtlinien zur häuslichen Krankenpflege nicht
mehr im notwendigen Umfang verordnungsfähig. Andere
medizinisch-pflegerisch erforderliche Krankenpflegemaßnahmen fehlen in den Richtlinien völlig.
Statt sich nun dieser Probleme anzunehmen, schiebt
Rot-Grün die Verantwortung auf die Länder. Dieses miese
Schwarzer-Peter-Spiel in der Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage von uns ist beredtes Zeugnis für ihre Unfähigkeit. Statt höchst alarmiert zu fragen dazu wäre das die passende Gelegenheit gewesen -, ob die
novellierten Richtlinien zur häuslichen Krankenpflege zu
Defiziten in der Krankenpflege führen, ob in ihnen wichtige Leistungen der Krankenpflege fehlen, ob der Bundesausschuss Ärzte und Krankenkassen daher möglicherweise aufgefordert werden muss, die Richtlinien neu zu
fassen, sagt die Regierung lapidar: Wir haben keine Erkenntnisse. - Das steht schwarz auf weiß in ihrer Antwort.
Dabei könnte die Regierung aus der hohen Zahl an Widersprüchen und aus den zahlreichen Berichten in den
Medien durchaus Informationen beziehen. Die Bundesregierung bemüht sich aber noch nicht einmal darum, Erkenntnisse zu erlangen und Nachforschungen anzustellen
oder diese zumindest anzukündigen. Stattdessen wird darauf verwiesen, dass die Länder die Aufsicht über die Einhaltung der Richtlinien durch Ärzte und Pflegedienste
hätten. Der Knackpunkt liegt aber nicht in der Einhaltung,
sondern in der Ausgestaltung der Richtlinien. Dafür ist die
Bundesregierung zuständig.
({0})
Diese Regierung, die das Wort „Qualität“ ständig im
Munde führt, ist noch nicht einmal in der Lage, eine den
Grundbedürfnissen entsprechende medizinische Versorgung sicherzustellen. Was nützen da auf Evidenz basierende Leitlinien und Behandlungsstandards? Diese helfen
gar nichts.
Um sich selbst und das Ansehen der rot-grünen Regierung zu retten, kündigt Ministerin Schmidt in dieser Woche an, die Wählerschaft mit Wahlgeschenken zu ködern.
Aber Vorsicht! Ein Rattenfänger ist unterwegs. Chronisch
Kranke sollen zukünftig - so heißt die Botschaft - von
Zuzahlungen freigestellt werden. Chronisch Kranke sind
aber bereits heute von Zuzahlungen befreit.
({1})
In Deutschland erbringt mittlerweile mehr als die Hälfte
der Versicherten keine Zuzahlungen mehr. Das ist Tatsache. Frau Schmidt will die chronisch Kranken mit diesem
Lockangebot offenbar für die so genannten Disease-Management-Programme gewinnen, die nach bisheriger Erkenntnis qualitativ minderwertig ausfallen werden - das
ist zumindest der Stand - und offenbar unter dem Versorgungsniveau bereits bewährter Programme für chronisch
Kranke liegen.
Meine Damen und Herren, ich erspare es mir, weitere
dieser hübschen Packungen ohne Inhalt auszupacken. Ich
denke, Sie haben auch so einen Eindruck von der Mogelei erhalten. Diese Regierung mit dieser Gesundheitspolitik muss abgewählt werden - so war das Credo von Patienten, Ärzten, Psychotherapeuten, Arzthelferinnen und
Krankenschwestern am Rande des gestrigen und vorgestrigen Hauptstadtkongresses. Recht haben sie.
({2})
Diese Regierung hat abgewirtschaftet.
Die Bevölkerung wünscht den Wechsel. In der Gesundheitspolitik dürfen die Menschen darauf vertrauen,
dass sie bei der Union wieder in den Mittelpunkt eines neu
gestalteten Gesundheitswesens gestellt werden. Dabei
dürfen sich die Menschen darauf verlassen, dass ihnen
auch künftig alle medizinisch notwendigen Leistungen
gewährt werden. Wir wollen dem Bedürfnis von Patienten und Versicherten entgegenkommen, dass sie auch in
der GKV wie mündige Bürger behandelt werden und über
den Umfang ihres Versicherungsschutzes bestimmen
können. Die Versicherten sollen nämlich selbst entscheiden, ob sie den bisherigen Versicherungsschutz beibehalten, zusätzliche Leistungen erhalten oder bei gleichzeitiger Beitragsermäßigung Leistungen abwählen oder einen
Selbstbehalt übernehmen wollen.
Herr Kollege
Lohmann, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen
Schmidbauer?
Nein, ich lasse keine Zwischenfrage zu. Das gilt für meine
gesamte lange Rede, die ich hier zu halten habe.
({0})
Ich weiß, meine Damen und Herren, dass Sie Ihre Probleme mit diesen Vorschlägen haben. Sie haben nämlich
Angst vor mündigen Bürgern, die von ihren Freiheitsrechten Gebrauch machen.
({1})
Ihnen sind Staats- und Listenmedizin, Bürokratismus und
Dirigismus noch immer lieber. Man kann aber feststellen:
Sie haben mit diesen Methoden das Gesundheitssystem
an die Wand gefahren. Damit muss jetzt Schluss sein. Wir
brauchen nicht mehr Vorschriften und Institute, die immer
mehr Personal bei Ärzten, Pflegekräften, Krankenhäusern
und Kassen binden. Wir brauchen endlich eine dem Patienten und Versicherten zugewandte Medizin. Ärzte und Pflegekräfte müssen wieder mehr Zeit für ihre eigentlichen
Aufgaben bekommen und von Dokumentationspflichten
Wolfgang Lohmann ({2})
und Ähnlichem entlastet werden. Die Patienten müssen
über die Qualität der medizinischen Versorgung wie über
die Leistungen und deren Abrechnung informiert werden.
Unser Ziel ist es, das Vertrauen der Patienten und Versicherten in das System unserer vom Prinzip her bewährten
gesetzlichen Krankenversicherung wieder herzustellen. Wir
dürfen dank des Zuspruchs durch die Bevölkerung hoffen,
dass wir nach dem 22. September damit beginnen können.
Schönen Dank.
({3})
Liebe Kolleginnen
und Kollegen, ich komme zu Tagesordnungspunkt 21 a
zurück und gebe das von den Schriftführerinnen und
Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen
Abstimmung über den Gesetzentwurf der Fraktionen
der SPD, der CDU/CSU, des Bündnisses 90/Die Grünen
und der FDP zur Änderung des Grundgesetzes - Staatsziel Tierschutz - bekannt: Abgegebene Stimmen 577.
Mit Ja haben gestimmt 543, mit Nein haben gestimmt
19, Enthaltungen 15. Der Gesetzentwurf ist damit angenommen.
Wolfgang Lohmann ({0})
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 576;
davon
ja: 542
nein: 19
enthalten: 15
Ja
SPD
Brigitte Adler
Gerd Andres
Ingrid Arndt-Brauer
Rainer Arnold
Ernst Bahr
Doris Barnett
Dr. Hans-Peter Bartels
Eckhardt Barthel ({1})
Klaus Barthel ({2})
Ingrid Becker-Inglau
Wolfgang Behrendt
Dr. Axel Berg
Hans-Werner Bertl
Friedhelm Julius Beucher
Petra Bierwirth
Lothar Binding ({3})
Klaus Brandner
Anni Brandt-Elsweier
Willi Brase
Rainer Brinkmann ({4})
Bernhard Brinkmann
({5})
Hans-Günter Bruckmann
Edelgard Bulmahn
Ulla Burchardt
Dr. Michael Bürsch
Hans Martin Bury
Hans Büttner ({6})
Marion Caspers-Merk
Wolf-Michael Catenhusen
Dr. Herta Däubler-Gmelin
Christel Deichmann
Karl Diller
Peter Dreßen
Detlef Dzembritzki
Dieter Dzewas
Sebastian Edathy
Ludwig Eich
Marga Elser
Peter Enders
Gernot Erler
Petra Ernstberger
Annette Faße
Lothar Fischer ({7})
Gabriele Fograscher
Iris Follak
Norbert Formanski
Rainer Fornahl
Hans Forster
Lilo Friedrich ({8})
Harald Friese
Anke Fuchs ({9})
Arne Fuhrmann
Monika Ganseforth
Günter Gloser
Uwe Göllner
Renate Gradistanac
Günter Graf ({10})
Angelika Graf ({11})
Dieter Grasedieck
Monika Griefahn
Kerstin Griese
Achim Großmann
Wolfgang Grotthaus
Karl-Hermann Haack
({12})
Hans-Joachim Hacker
Klaus Hagemann
Manfred Hampel
Alfred Hartenbach
Anke Hartnagel
Klaus Hasenfratz
Nina Hauer
Hubertus Heil
Reinhold Hemker
Frank Hempel
Rolf Hempelmann
Dr. Barbara Hendricks
Gustav Herzog
Monika Heubaum
Reinhold Hiller ({13})
Stephan Hilsberg
Gerd Höfer
Jelena Hoffmann ({14})
Walter Hoffmann
({15})
Iris Hoffmann ({16})
Frank Hofmann ({17})
Ingrid Holzhüter
Eike Hovermann
Christel Humme
Lothar Ibrügger
Barbara Imhof
Brunhilde Irber
Gabriele Iwersen
Renate Jäger
Jann-Peter Janssen
Ilse Janz
Dr. Uwe Jens
Volker Jung ({18})
Johannes Kahrs
Ulrich Kasparick
Sabine Kaspereit
Susanne Kastner
Ulrich Kelber
Hans-Peter Kemper
Klaus Kirschner
Siegrun Klemmer
Hans-Ulrich Klose
Fritz Rudolf Körper
Karin Kortmann
Anette Kramme
Nicolette Kressl
Volker Kröning
Angelika Krüger-Leißner
Horst Kubatschka
Ernst Küchler
Helga Kühn-Mengel
Ute Kumpf
Dr. Uwe Küster
Werner Labsch
Christine Lambrecht
Brigitte Lange
Christian Lange ({19})
Detlev von Larcher
Christine Lehder
Waltraud Lehn
Klaus Lennartz
Dr. Elke Leonhard
Eckhart Lewering
Götz-Peter Lohmann
({20})
Gabriele Lösekrug-Möller
Erika Lotz
Dr. Christine Lucyga
Dieter Maaß ({21})
Winfried Mante
Dirk Manzewski
Tobias Marhold
Lothar Mark
Ulrike Mascher
Christoph Matschie
Heide Mattischeck
Markus Meckel
Ulrike Mehl
Ulrike Merten
Angelika Mertens
Dr. Jürgen Meyer ({22})
Ursula Mogg
Christoph Moosbauer
Siegmar Mosdorf
Michael Müller ({23})
Jutta Müller ({24})
Christian Müller ({25})
Franz Müntefering
Andrea Nahles
Volker Neumann ({26})
Dr. Edith Niehuis
Dr. Rolf Niese
Dietmar Nietan
Günter Oesinghaus
Leyla Onur
Manfred Opel
Holger Ortel
Adolf Ostertag
Kurt Palis
Albrecht Papenroth
Georg Pfannenstein
Johannes Pflug
Joachim Poß
Dr. Carola Reimann
Renate Rennebach
Bernd Reuter
Dr. Edelbert Richter
Christel RiemannHanewinckel
Reinhold Robbe
René Röspel
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Michael Roth ({27})
Gerhard Rübenkönig
Marlene Rupprecht
Dr. Hansjörg Schäfer
Gudrun Schaich-Walch
Bernd Scheelen
Dr. Hermann Scheer
Siegfried Scheffler
Horst Schild
Dieter Schloten
({28})
Ulla Schmidt ({29})
Präsident Wolfgang Thierse
Silvia Schmidt ({30})
Dagmar Schmidt ({31})
Wilhelm Schmidt ({32})
Dr. Frank Schmidt
({33})
Heinz Schmitt ({34})
Carsten Schneider
Dr. Emil Schnell
Walter Schöler
Karsten Schönfeld
Fritz Schösser
Ottmar Schreiner
Dr. Mathias Schubert
Richard Schuhmann
({35})
Brigitte Schulte ({36})
Volkmar Schultz ({37})
Ewald Schurer
Dr. Angelica Schwall-Düren
Rolf Schwanitz
Bodo Seidenthal
Erika Simm
Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk
Dr. Cornelie SonntagWolgast
Wieland Sorge
Wolfgang Spanier
Jörg-Otto Spiller
Dr. Ditmar Staffelt
Antje-Marie Steen
Ludwig Stiegler
Rolf Stöckel
Rita Streb-Hesse
Reinhold Strobl ({38})
Dr. Peter Struck
Joachim Stünker
Jörg Tauss
Jella Teuchner
Dr. Gerald Thalheim
Franz Thönnes
Uta Titze-Stecher
Adelheid Tröscher
Hans-Eberhard Urbaniak
Rüdiger Veit
Simone Violka
Ute Vogt ({39})
Hans Georg Wagner
Dr. Konstanze Wegner
Wolfgang Weiermann
Reinhard Weis ({40})
Matthias Weisheit
Gunter Weißgerber
Gert Weisskirchen
({41})
Dr. Ernst Ulrich von
Weizsäcker
Jochen Welt
Dr. Rainer Wend
Hildegard Wester
Lydia Westrich
Dr. Norbert Wieczorek
Jürgen Wieczorek ({42})
Heidemarie Wieczorek-Zeul
Dieter Wiefelspütz
Heino Wiese ({43})
Klaus Wiesehügel
Brigitte Wimmer ({44})
Engelbert Wistuba
Barbara Wittig
Dr. Wolfgang Wodarg
Verena Wohlleben
Hanna Wolf ({45})
Waltraud Wolff
({46})
Heidemarie Wright
Uta Zapf
Dr. Christoph Zöpel
Peter Zumkley
CDU/CSU
Ulrich Adam
Ilse Aigner
Peter Altmaier
Norbert Barthle
Günter Baumann
Brigitte Baumeister
Meinrad Belle
Otto Bernhardt
Hans-Dirk Bierling
Peter Bleser
Antje Blumenthal
Dr. Maria Böhmer
Sylvia Bonitz
Jochen Borchert
Wolfgang Börnsen
({47})
Wolfgang Bosbach
Dr. Wolfgang Bötsch
Klaus Brähmig
Dr. Ralf Brauksiepe
Paul Breuer
Monika Brudlewsky
Klaus Bühler ({48})
Hartmut Büttner
({49})
Cajus Caesar
Manfred Carstens ({50})
Peter H. Carstensen
({51})
Leo Dautzenberg
Wolfgang Dehnel
Renate Diemers
Thomas Dörflinger
Dr. Hansjürgen Doss
Marie-Luise Dött
Rainer Eppelmann
Anke Eymer ({52})
Ilse Falk
Dr. Hans Georg Faust
Albrecht Feibel
Ulf Fink
Ingrid Fischbach
Dirk Fischer ({53})
Dr. Gerhard Friedrich
({54})
Dr. Hans-Peter Friedrich
({55})
Erich G. Fritz
Jochen-Konrad Fromme
Hans-Joachim Fuchtel
Norbert Geis
Dr. Heiner Geißler
Georg Girisch
Dr. Wolfgang Götzer
Hermann Gröhe
Manfred Grund
Horst Günther ({56})
Gottfried Haschke
({57})
Gerda Hasselfeldt
Hansgeorg Hauser
({58})
Helmut Heiderich
Ursula Heinen
Manfred Heise
Siegfried Helias
Hans Jochen Henke
Ernst Hinsken
Peter Hintze
Klaus Hofbauer
Martin Hohmann
Josef Hollerith
Dr. Karl-Heinz Hornhues
Joachim Hörster
Hubert Hüppe
Georg Janovsky
Dr. Harald Kahl
Steffen Kampeter
Dr.-Ing. Dietmar Kansy
Irmgard Karwatzki
Eckart von Klaeden
Norbert Königshofen
Eva-Maria Kors
Rudolf Kraus
Dr. Martina Krogmann
Dr. Hermann Kues
Karl Lamers
Dr. Karl A. Lamers
({59})
Dr. Norbert Lammert
Helmut Lamp
Dr. Paul Laufs
Peter Letzgus
Walter Link ({60})
({61})
Erich Maaß ({62})
Erwin Marschewski
({63})
Dr. Martin Mayer
({64})
Wolfgang Meckelburg
Dr. Michael Meister
Dr. Angela Merkel
Friedrich Merz
Hans Michelbach
Dr. Gerd Müller
Bernward Müller ({65})
Elmar Müller ({66})
Günter Nooke
Franz Obermeier
Friedhelm Ost
Eduard Oswald
Norbert Otto ({67})
Dr. Peter Paziorek
Anton Pfeifer
Beatrix Philipp
Ronald Pofalla
Ruprecht Polenz
Thomas Rachel
Hans Raidel
Dr. Peter Ramsauer
Peter Rauen
Katherina Reiche
Klaus Riegert
Dr. Heinz Riesenhuber
Franz Romer
Dr. Klaus Rose
Kurt J. Rossmanith
Dr. Christian Ruck
Anita Schäfer
Dr. Wolfgang Schäuble
Dr. Gerhard Scheu
Norbert Schindler
Bernd Schmidbauer
Christian Schmidt ({68})
Andreas Schmidt ({69})
Dr. Erika Schuchardt
Clemens Schwalbe
Dr. Christian SchwarzSchilling
Wilhelm Josef Sebastian
Marion Seib
Heinz Seiffert
Dr. h. c. Rudolf Seiters
Bernd Siebert
Johannes Singhammer
Wolfgang Steiger
Dr. Wolfgang Freiherr von
Stetten
Andreas Storm
Dorothea Störr-Ritter
Matthäus Strebl
Michael Stübgen
Dr. Rita Süssmuth
Edeltraut Töpfer
Dr. Hans-Peter Uhl
Arnold Vaatz
Angelika Volquartz
Peter Weiß ({70})
Gerald Weiß ({71})
Annette Widmann-Mauz
Heinz Wiese ({72})
Hans-Otto Wilhelm ({73})
Klaus-Peter Willsch
Willy Wimmer ({74})
Matthias Wissmann
Werner Wittlich
Dagmar Wöhrl
Aribert Wolf
BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN
Marieluise Beck ({75})
Volker Beck ({76})
Angelika Beer
Matthias Berninger
Grietje Bettin
Annelie Buntenbach
Ekin Deligöz
Amke Dietert-Scheuer
Dr. Thea Dückert
Franziska Eichstädt-Bohlig
Präsident Wolfgang Thierse
Hans-Josef Fell
Andrea Fischer ({77})
Joseph Fischer ({78})
Rita Grießhaber
Gerald Häfner
Winfried Hermann
Antje Hermenau
Michaele Hustedt
Monika Knoche
Dr. Angelika Köster-Loßack
Steffi Lemke
Dr. Helmut Lippelt
Dr. Reinhard Loske
Kerstin Müller ({79})
Winfried Nachtwei
Cem Özdemir
Simone Probst
Christine Scheel
Rezzo Schlauch
Albert Schmidt ({80})
Werner Schulz ({81})
Christian Simmert
Christian Sterzing
Hans-Christian Ströbele
Jürgen Trittin
Dr. Ludger Volmer
Sylvia Voß
Helmut Wilhelm ({82})
Margareta Wolf ({83})
FDP
Ina Albowitz
Hildebrecht Braun
({84})
Ernst Burgbacher
Gisela Frick
Paul K. Friedhoff
Horst Friedrich ({85})
Hans-Michael Goldmann
Joachim Günther ({86})
Dr. Karlheinz Guttmacher
Klaus Haupt
Dr. Helmut Haussmann
Ulrich Heinrich
Birgit Homburger
Dr. Werner Hoyer
Dr. Klaus Kinkel
Gudrun Kopp
Jürgen Koppelin
Sabine LeutheusserSchnarrenberger
Dirk Niebel
Günther Friedrich Nolting
Dr. Günter Rexrodt
Gerhard Schüßler
Dr. Irmgard Schwaetzer
Marita Sehn
Dr. Max Stadler
Dr. Dieter Thomae
Jürgen Türk
Dr. Guido Westerwelle
PDS
Monika Balt
Dr. Dietmar Bartsch
Wolfgang Bierstedt
Eva Bulling-Schröter
Roland Claus
Heidemarie Ehlert
Dr. Heinrich Fink
Wolfgang Gehrcke
Dr. Klaus Grehn
Dr. Bärbel Grygier
Dr. Barbara Höll
Carsten Hübner
Ulla Jelpke
Sabine Jünger
Rolf Kutzmutz
Ursula Lötzer
Dr. Christa Luft
Heidemarie Lüth
Pia Maier
Angela Marquardt
Manfred Müller ({87})
Kersten Naumann
Petra Pau
Dr. Uwe-Jens Rössel
Christina Schenk
Gustav-Adolf Schur
Dr. Ilja Seifert
Fraktionslos
Christa Lörcher
Nein
CDU/CSU
Dr. Joseph-Theodor Blank
Dr. Heribert Blens
Hubert Deittert
Dr. Reinhard Göhner
Carl-Detlev Freiherr von
Hammerstein
Susanne Jaffke
Karl-Josef Laumann
Julius Louven
Hannelore Rönsch
({88})
Heinz Schemken
Michael von Schmude
Reinhard Freiherr von
Schorlemer
Wolfgang Schulhoff
Gerhard Schulz
Bärbel Sothmann
Elke Wülfing
Peter Kurt Würzbach
Wolfgang Zeitlmann
FDP
Dr. Edzard Schmidt-Jortzig
Enthaltungen
SPD
CDU/CSU
Dietrich Austermann
Dr. Sabine Bergmann-Pohl
Dankward Buwitt
Dr.-Ing. Rainer Jork
Vera Lengsfeld
Werner Lensing
Ursula Lietz
Dr. Manfred Lischewski
Marlies Pretzlaff
Christa Reichard ({89})
Erika Reinhardt
Dr.-Ing. Joachim Schmidt
({90})
Dr. Rupert Scholz
Entschuldigt wegen Übernahme einer Verpflichtung im Rahmen ihrer Mitgliedschaft in den Parlamentarischen Versammlungen des
Europarates und der WEU, der Parlamentarischen Versammlung der NATO, der OSZE oder der IPU
Abgeordnete({91})
Bindig, Rudolf Lintner, Eduard Zierer, Benno
SPD CDU/CSU CDU/CSU
({92})
Nun erteile ich dem Kollegen Martin Pfaff, SPD-Fraktion, das Wort.
({93})
- Das wäre Ihnen recht.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der
Antrag der CDU/CSU und auch die Ausführungen des geschätzten Kollegen Lohmann
({0})
sind sicher stark an Behauptungen, aber schwach an Belegen und noch viel schwächer an Überzeugungskraft;
({1})
denn die finanzielle Lage ist weder desolat noch verliert
die Versorgung der Patienten und Pflegebedürftigen generell an Qualität.
Der Sachverständigenrat hat festgestellt, dass es bereits langfristig, also schon seit Jahrzehnten, eine Unter-,
Über- und Fehlversorgung vor allem der chronisch Kranken gibt; das ist es. Die Ärztinnen und Ärzte sowie das
Pflegepersonal sind vielfach überlastet. Auch dieses Problem kennen wir schon seit längerer Zeit. Wir wollen
diese Probleme angehen und sie nicht, wie Sie es über
lange Jahre hinweg getan haben, einfach so hinnehmen.
Bezogen auf die Beschäftigten im Gesundheitswesen
steht in unserem Regierungsprogramm wörtlich - ich zitiere -:
Unzumutbare Belastungen müssen abgebaut, die geltenden Normen des Arbeitszeitrechts umgesetzt werden.
Das ist eine klare Aussage. Diese schwierige Aufgabe
werden wir angehen.
({2})
Richtig ist allerdings, dass die Krankenversicherungsbeiträge steigen. Auch das ist leider kein neues
Phänomen. In zwölf der 16 Jahre Kohl-Regierung lagen
die durchschnittlichen Beiträge eines Jahres höher als im
jeweiligen Vorjahr. Innerhalb dieses Zeitraumes mussten
Sie eine Beitragssatzanhebung um 2 Prozentpunkte hinnehmen. Ich sage: Wer im Glashaus sitzt, darf auf andere
wahrlich nicht mit Steinen werfen.
({3})
Bei den von Ihnen auch angesprochenen Verschiebebahnhöfen haben Sie selber genügend - wir leider auch einige
- Beispiele gegeben. Auch hier sind Sie wiederum in einer sehr schwachen Position.
Richtig ist allerdings auch, dass der technische Fortschritt und vor allem auch die Alterung der Gesellschaft
Auswirkungen auf die Beitragssätze haben werden. Nach
seriösen Schätzungen, beispielsweise im Prognos-Gutachten oder auch der Enquete-Kommission, werden sich
diese um zusätzliche 3,6 bis 4,1 Prozentpunkte erhöhen
und eben nicht um zusätzliche 10 bis 20 Prozentpunkte.
({4})
Auch die Beiträge zur gesetzlichen Pflegeversicherung
- das wissen wir angesichts der absehbaren Zahl an Pflegebedürftigen - werden langfristig angehoben werden
müssen. Aufgrund seriöser Schätzungen wissen wir aber
auch, dass diese bis zum Jahre 2015 nicht über 2 Prozent
- momentan liegen sie bei 1,7 Prozent - hinausgehen werden.
({5})
Ich meine, das ist wirklich wichtig. Deshalb sage ich:
Es ist einfach unverantwortlich, die gesetzliche Pflegeversicherung schlecht zu machen oder gar totzureden;
denn sie hat einen wichtigen und konstruktiven Beitrag
geleistet und muss dies auch weiterhin für viele Menschen
tun.
({6})
Sie brüsten sich immer damit, dass Sie in den Jahren
1997 und 1998 Überschüsse erwirtschaftet haben. Sie gestehen niemals offen und ehrlich ein, dass Sie Zuzahlungen erhöht und Leistungen ausgegrenzt haben, aber trotzdem noch Beitragssatzsteigerungen hinzunehmen hatten.
({7})
Überschüsse auf diese Art zu erzielen ist wahrlich die
Kunst der Primitiven.
Sie haben die Bundesregierung kritisiert. Wir haben
unsoziale Maßnahmen aus Ihrer Regierungszeit gleich am
Anfang zurückgenommen. Der Zahnersatz für nach 1978
Geborene ist wieder eine Regelleistung. Die Zuzahlungen
haben wir gesenkt. Es ist richtig, dass chronisch Kranke
bereits befreit sind. Richtig ist, dass heute jeder Zweite
keine Zuzahlungen zu den Arzneimitteln mehr leistet. Die
Zahlen von gestern haben das auch wieder belegt. Es ist
ebenso richtig, dass das Krankenhausnotopfer nicht von
Ihnen, sondern von uns abgeschafft wurde. Die Privatisierung der Beitragsrückerstattung, die Kostenerstattung
und den Selbstbehalt haben wir rückgängig gemacht.
({8})
Die zeitliche Befristung des gesamtdeutschen Risikostrukturausgleichs haben wir gleich zu Beginn der Legislaturperiode ebenfalls rückgängig gemacht.
Sie fordern immer wieder eine Gesundheitsreform. Sie
verschweigen dabei völlig, dass wir am Anfang dieser Legislaturperiode mit der GKV-Gesundheitsreform 2000
eine Vielzahl von Maßnahmen angegangen sind, die an
Lahnstein anknüpfen und die Fehler der Umsetzung von
Lahnstein korrigieren sollen.
({9})
Ich nenne die integrierte Versorgung und das leistungsbezogene Preissystem im Krankenhaus. Einige von Ihnen,
Herr Lohmann, werden sich daran erinnern.
Wir haben in Lahnstein im September 1992 ein leistungsbezogenes Entgelt gemeinsam beschlossen.
({10})
Wie hoch war der Prozentsatz der Leistungen im Krankenhaus, die dann über dieses System im Jahre 1998 abgerechnet wurden? - 25 Prozent und nicht mehr. Bei den
Sonderentgelten waren es 5 Prozent. Das heißt, die Umsetzung ließ viel zu wünschen übrig. Ähnliches gilt für die
Vergütung der Fallpauschalen, die Aufwertung der
zahnerhaltenden und prophylaktischen Leistungen, die
sprechende Medizin und die Stärkung der Qualitätssicherung.
({11})
Herr Lohmann, wir werden das Wort „Qualitätssicherung“ immer wieder in den Mund nehmen. Wir werden sie
fordern und umsetzen, ob es Ihnen gefällt oder nicht. Das
ist ein wesentlicher Beitrag unserer Politik in diesem Bereich.
Wir haben die Patientenrechte und die Position des
Hausarztes gestärkt. Darüber hinaus haben wir den Risikostrukturausgleich - das war eine schwierige Operation reformiert.
({12})
Ich nenne hier die Stichworte „morbiditätsorientierter
RSA“ und „strukturierte Behandlungsprogramme“. Das
war ein großer Schritt. Ich gestehe ein, dass für viele dieser politischen Ziele und Ansatzpunkte die Instrumente
neu sind und dass wir beobachten müssen, ob die Instrumente ausreichen. Wir wissen beispielsweise heute, dass
die Anreize für die integrierten Versorgungsformen nicht
ausreichen.
({13})
- Das konnten wir nicht wissen. Wir konnten es aus keinem Buch zur Gesundheitspolitik oder Ökonomie abschreiben. Aber keiner von Ihnen kann an der politischen
Zielsetzung, dem politischen Willen oder an der Richtung
zweifeln.
({14})
Worüber es eine Debatte geben darf - das muss man offen sagen -,
({15})
ist über die Wirkung der Instrumente. Man muss auch
den Mut haben, sie zu verändern. Das könnten wir zur Abwechslung einmal gemeinsam machen, wie wir es in
Lahnstein begonnen hatten.
Wir haben die Sozialmauer in Deutschland niedergerissen. Endlich ist Deutschland im Gesundheitswesen einig Vaterland. Darauf können wir - das sage ich in aller
Deutlichkeit - ein wenig stolz sein.
({16})
Sie werfen uns vor, wir hätten kein Gesamtkonzept.
({17})
Die ganze Zeit, als Sie die Regierungsverantwortung hatten, haben Sie keine einzige Maßnahme durchgeführt, die
nur annäherungsweise dem Umfang und der Komplexität
der GKV-Gesundheitsreform 2000 entspricht.
({18})
Das vergessen Sie gerne. Auch vergessen Sie, dass viele
dieser Maßnahmen Zeit brauchen. Wenn das gesamte leistungsbezogene Entgeltsystem im Krankenhaus endlich
umgesetzt wird, dann werden seit Lahnstein 15 Jahre vergangen sein. Auch das muss man einmal sagen: Diese Reformmaßnahmen greifen nicht von heute auf morgen.
Aber ein langer Weg beginnt bekanntlich mit den ersten
Schritten.
Eines ist sicher: Eine Gesundheitsreform, die alle anderen Reformen überflüssig macht, gibt es in keiner einzigen modernen Industrienation. Die Gesundheitspolitik
in Deutschland war und ist eine lebhafte Baustelle und
wird es auch bleiben. Das ist die Wahrheit. Jetzt vor der
Wahl eine Reform aus einem Guss zu fordern ist unseriös.
({19})
Ich bitte Sie herzlich, bessere und stichhaltigere Argumente zu bringen, damit wir auch in der Gesundheitspolitik ein wenig auf unsere Opposition stolz sein können.
Das wäre doch auch etwas.
({20})
In Ihrem Regierungsprogramm fordern Sie eine
grundsätzliche Kehrtwende und einen Paradigmenwechsel in der Gesundheitspolitik. Ich frage die CDU, die
große Volkspartei, die in ihrer Tradition der Nachkriegszeit wesentliche sozialpolitische Gesetze allein oder mit
uns zusammen auf den Weg gebracht hat: Wollen Sie diesen Weg einer neoliberalen Politik wirklich gehen?
({21})
Sie bekennen sich zwar zu einer einkommensunabhängigen Inanspruchnahme von Leistungen und zum Leistungskatalog. Aber die Instrumente, die Sie einsetzen
wollen, vermitteln einen anderen Eindruck. Die von Ihnen
vorgeschlagene Beitragsrückgewähr hilft nur jungen und
gesunden Menschen. Die geforderten Zuzahlungen treffen die Kranken. In dieser Weise könnte ich noch andere
Beispiele nennen. Das heißt also, mit den Instrumenten
Ihres Wahlprogramms konterkarieren Sie systematisch
den Anspruch, den Sie hier erheben. Ich kann einfach nicht
glauben, dass dies ein Rezept sein soll;
({22})
denn auch in der CDU gibt es nicht nur Junge, Gesunde,
Besserverdienende und junge, unverheiratete Männer mit
hohem Einkommen, sondern es gibt auch Kranke und
Alte, Familien mit Kindern und Frauen. Ich appelliere an
alle diese Gruppen: Lassen Sie nicht zu, dass diese Partei
mit einer so langen Tradition einen solchen Weg beschreitet.
Ich frage Sie: Für wie naiv halten Sie eigentlich die
deutschen Bürgerinnen und Bürger?
({23})
Meinen Sie denn nicht, dass sie dies durchschauen? Zudem stellen Sie einen Smörg�sbord von Forderungen auf,
ohne darzulegen, wie die Umsetzung finanziert werden
soll. Sie fordern Regel- und Wahlleistungen.
({24})
- Ja, verklausuliert. Sie haben einen Passus aufgenommen. - Herr Seehofer weiß das übrigens besser. - Die Uhr
läuft; ich habe noch 27 Sekunden.
({25})
Sie fordern mehr Wahlentscheidungen, sagen aber
nicht, was passiert, wenn jemand eine wichtige Leistung
abwählt, die er später doch braucht.
({26})
Ihre Vorschläge sind vielleicht etwas für die Jungen und
Gesunden, vielleicht auch etwas für die Alleinstehenden,
für die Männer eher als für die Frauen, aber schon für die
Alleinerziehenden nicht mehr. Es handelt sich auch nur
um Vorschläge auf Zeit. Deshalb meine ich, dass wir Reformen innerhalb des Systems brauchen; wir brauchen
aber keinen Bruch mit dem bestehenden System.
Wir müssen die solidarische Krankenversicherung
nicht nur aufrechterhalten, sondern müssen sie ausbauen.
Wir dürfen nicht Strategien zur Privatisierung oder Teilprivatisierung als Alternative für eine kreativere Lösung
ausweisen; denn es hat sich im internationalen Vergleich
über viele Jahre hinweg immer wieder gezeigt, dass solidarische Systeme sowohl kosteneffektiver als auch verteilungsgerechter sind. Es ist höchste Zeit, dass auch Sie
das zur Kenntnis nehmen.
({27})
Ich erteile dem Kollegen Detlef Parr von der FDP-Fraktion das Wort.
({0})
Sie müssen das ertragen, Herr
Schmidbauer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lieber Herr
Kollege Pfaff, das System steht auf dem Kopf. Es muss
wieder auf die Füße gestellt werden. So sehen wir und
auch viele Menschen draußen im Lande die Situation.
({0})
Sie haben offensichtlich den Herbst 1998 vergessen.
Die Krankenkassen schrieben schwarze Zahlen; zarte
Pflänzchen von Eigenverantwortung, Wettbewerb, Wahlmöglichkeiten der Versicherten und Transparenz begannen sich zu entwickeln und dann kam der Nicht-alles-anders-aber-vieles-besser-Macher. Aus Schwarz wurde Rot,
in politischer Hinsicht und auch was die Zahlen betrifft.
Sicherheitshalber wechselte der Bessermacher auch den
Sachverständigenrat aus, offensichtlich mit dem Ziel der
Gleichschaltung mit den Entscheidungen der Bundesregierung. Die erhoffte Willfährigkeit dieses Gremiums
bröckelt aber zusehends ab. Ein Blick in die „Berliner Zeitung“ vom 11./12. Mai bringt Beachtliches zutage.
({1})
Professor Schwartz, der darin zitiert wird, fordert eine
Gesundheitsreform, die weit über die Pläne der Bundesregierung hinausgeht.
({2})
Er fordert erstens eine Verschlankung der Rechtsvorschriften hin zu weniger Staat - ein eherner Grundsatz der
FDP, Herr Professor Pfaff. Die Gesundheitsgesetze litten
„auch für Fachleute in ihren Details und Wechselwirkungen an Nichttransparenz und Überregulation“.
({3})
Das schert die Bundesregierung wenig. Sie weitet den
Risikostrukturausgleich aus - Sie loben das, Herr Kollege Pfaff -, verkompliziert ihn noch, gründet neue Institute und führt die Budgetierung im ambulanten und
stationären Bereich fort. Planwirtschaft kann die Probleme nicht lösen, meine Damen und Herren. Mit diesen bürokratischen Spielereien muss endlich Schluss
sein.
({4})
Zweitens fordert Professor Schwartz ein unteilbares
Maßnahmenbündel mit beitragssenkenden Wirkungen.
Hierzu zählt die FDPArgumente einer sozialverträglichen
Ausdünnung des Leistungskatalogs der Krankenkassen
und eine stärkere finanzielle Eigenbeteiligung der Versicherten - ich füge eine entscheidende Voraussetzung
hinzu - nach einer durchgreifenden Steuerreform mit einem höheren Nettoeinkommen für den Einzelnen.
({5})
Der Kanzler dagegen hat vorgestern vor dem VdK ausgeführt: Mit uns wird es keine Grund- und Wahlleistungen
geben. - Diese Basta-Mentalität muss ein Ende haben.
({6})
Ich zitiere Herrn Schwartz mit einer dritten Forderung:
Den Versicherungen muss die Möglichkeit eingeräumt
werden, Bonusregelungen analog der Zuzahlungsminderung beim Zahnersatz oder nach dem Beispiel bestimmter Privatversicherer begünstigte Präventionstarife anzubieten.
Auch diesen Ausführungen kann zugestimmt werden.
Vor allem die Orientierung an Angeboten und Vertragsgestaltungen der privaten Krankenversicherungen ist
zukünftig von besonderer Bedeutung.
Was aber tun Sie - Frau Ministerin hat mittlerweile den
Saal verlassen -, Frau Staatssekretärin? Sie wenden sich
ab und wollen sogar die Versicherungspflichtgrenze noch
erhöhen.
({7})
Wir werden es nicht zulassen, dass auf diese Weise vielen
Menschen in unserem Land zukünftig der Weg in eine
private Krankenversicherung vom Staat durch willkürliche Grenzziehungen versperrt wird.
({8})
Weniger Staat, mehr privat - das ist die ordnungspolitische Devise, die uns in die Zukunft führt und für die wir
streiten. Unser Antrag macht das noch einmal deutlich,
deutlicher jedenfalls, als das in manchen Abschnitten des
CDU/CSU-Antrages zum Ausdruck kommt. Der ist zwar
sehr konkret in der Beschreibung der Versäumnisse der
rot-grünen Bundesregierung, aber in dem Teil, der die eigenen gesundheitspolitischen Vorstellungen beschreibt,
bleibt er in manchen Bereichen etwas vage. Ich möchte
das an drei Punkten hinterfragen.
Erstens. Heißt bessere Information über die Kosten der
Leistungen, dass die CDU/CSU sich ebenfalls für die
Kostenerstattung ausspricht? Wir treten konsequent für
die Ablösung des Sachleistungsprinzips ein und vor dem
Hintergrund Europa - feste Preise für ärztliche Leistungen - ist die Kostenerstattung unverzichtbar.
Zweitens. Wie will die CDU/CSU der von ihr selbst als
dramatisch dargestellten Beitragsentwicklung aufgrund
von Demographie und medizinischem Fortschritt begegnen? Teilt sie die Auffassung der FDP, dass hierfür eine
zweite Säule, die einer privaten kapitalgedeckten Absicherung, hochgezogen werden muss?
({9})
Ich hoffe, dass Sie dabei auf unserer Seite stehen.
Drittens. Wie sollen die Arbeitskosten entlastet werden? Unterstützt die CDU/CSU die Absicht der FDP, dass
eine Auszahlung, zumindest aber eine Festschreibung des
Arbeitgeberbeitrages unumgänglich ist? Darauf bleiben
Sie die Antwort noch schuldig. Aber ich hoffe, dass wir
hier zukünftig auf einer Linie argumentieren können.
Meine Damen und Herren, die gesetzlich Versicherten
spüren immer stärker die schleichende Einschränkung
zum Beispiel bei der Verordnung von Medikamenten, bei
Leistungsausgrenzungen oder nicht akzeptablen Wartezeiten. Diese gehören längst zum Alltag. Sie finden manche Praxis geschlossen, „Budgeturlaub“ nennt man das.
Aus dieser Zwangsjacke wollen wir die Versicherten
befreien. Sie sollen über die Absicherung der großen Lebensrisiken hinaus über den Umfang ihres Versicherungsschutzes, über Selbstbehalte, über Beitragsrückerstattungsmöglichkeiten und Ähnliches selbst entscheiden dürfen.
Wir müssen den Menschen mehr zutrauen und können das
auch.
({10})
- Herr Kirschner, wir können den Menschen sehr viel
mehr zutrauen.
Wir müssen die Heilberufe wieder in die Freiberuflichkeit entlassen. Wenn mittlerweile über ein Drittel der
Absolventen des Medizinstudiums nicht mehr den Arztberuf ergreift
({11})
und damit ein Ärztenotstand droht, ist das ein deutliches
Alarmzeichen.
Kollege Parr, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Schmidbauer?
Wenn ich damit die Kollegen nicht
verärgere, die einen Flieger gebucht haben, dann tun Sie
das, was Sie nicht lassen können, Herr Schmidbauer.
Herr Kollege
Parr, ich meine, man muss Klarheit in diese Fragen bringen. Sie sprechen davon, dass die Patientenfreiheit dadurch entstehen soll, dass die Versicherten Leistungen frei
wählen oder abwählen können und dafür einen Bonus bekommen. Jetzt sagen Sie doch einmal: Welche Leistungen
sind es denn, über die dann die Patientinnen und Patienten frei verfügen können? Oder wollen Sie die Geschichte
in der Dunkelkammer bewahren und meinen Sie, Sie
kommen damit über den 22. September? Der Korrektheit
halber müssen Sie der Bevölkerung jetzt schon sagen,
welche Wahlmöglichkeiten für was eigentlich geschaffen
werden sollten.
Sie kennen die Vorstellungen zum
Beispiel des NAV Virchowbundes, Sie kennen die Vorstellungen von Professor Beske. Auf dieser Grundlage
kann man darüber nachdenken, wie man den Leistungskatalog zukünftig gestalten muss. Heute sind sehr viele
Leistungen in diesem Katalog enthalten, die Geld kosten,
das noch schlimmer erkrankte Menschen eher an anderer
Stelle brauchen. Deswegen müssen wir darüber nachdenken, wie wir den Leistungskatalog ausdünnen können,
und zwar mit dem Ziel der Beitragssenkung und mit dem
Ziel des Schaffens von Spielräumen für den Einzelnen, einen Krankenversicherungsschutz zu wählen, der individuell passt. Wir wollen keine Zwangsjacke: 14 Prozent
abführen und dann Leistungen in Anspruch nehmen, die
längst nicht mehr in dem Umfang geboten werden können, wie Sie das der Bevölkerung vorgaukeln.
({0})
- Ja, wir sind noch in der Arbeit.
Wir müssen die Attraktivität des Arztberufs verbessern, auch über eine verträgliche Arbeitszeitregelung im
Krankenhaus, und wir müssen Wettbewerbsstrukturen
schaffen, die die gesetzlichen Krankenkassen nicht in ein
gemeinsames und einheitliches Korsett zwängen.
Letzte Bemerkung, meine Kolleginnen und Kollegen:
Der runde Tisch ist ein Beispiel für vertane Zeit auf dem
Weg zu einer durchgreifenden Gesundheitsreform. Er ist
weitgehend ergebnislos geblieben. Hier ist die Schönfärberei des Kanzlers unstrittig, die heute in einer anderen
Sache vor Gericht zur Entscheidung ansteht. Statt solcher
Tranquilizer brauchen wir kraftvolle Anstöße in einer
Diskussion, die wir endlich zu dem Ziel führen müssen,
wie es in den heute vorliegenden Anträgen der Opposition
beschrieben wird.
Ich danke Ihnen.
({1})
Ich erteile das Wort
Kollegin Katrin Göring-Eckardt, Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Herr Parr, man sollte einmal darüber nachdenken
- dafür muss man nicht Gesundheitspolitiker sein; man
braucht dafür nur den gesunden Menschenverstand -, wer
aus der Zwangsjacke befreit werden soll und wem die
Wahlfreiheit nutzt, die Sie beschworen haben.
({0})
Meiner Meinung nach sind das die mündigen Bürger, die
so viel verdienen, dass sie sich alles leisten können.
({1})
Diejenigen, die das nicht können, weil sie nur über ein geringes Einkommen verfügen, werden sich für die Abwahl
von Leistungen und damit für niedrigere Beiträge entscheiden müssen. Das werden am Ende diejenigen sein, die
Krankheiten verschleppen und chronisch krank sind, weil
sie die Leistungen des Gesundheitssystems nicht in Anspruch nehmen können. Ich sage Ihnen: Eine solche Entsolidarisierung wollen wir nicht und machen wir nicht mit.
({2})
Herr Parr, Sie wollen - das haben Sie gesagt - den
Leistungskatalog ausdünnen.
({3})
Sie haben aber nicht gesagt, um wie viel. Vielleicht wollen Sie ihn um 18 Prozent ausdünnen. Sie haben auch
nicht gesagt, wo Sie ihn ausdünnen wollen. Wenn Sie es
wirklich ernst meinen, dann müssen Sie den Wählerinnen
und Wählern genau sagen, was nicht mehr in den Leistungskatalog hineingehören soll. Ich habe den Verdacht,
dass es sich bei dem, was nach Ihrer Meinung nicht mehr
in den Leistungskatalog hineingehört, um notwendige
Leistungen handelt.
({4})
Auch ich bin der Meinung - darin sind wir uns völlig einig -, dass man den Leistungskatalog daraufhin untersuchen muss, ob er Leistungen enthält, die durch neue Leistungen längst überholt sind und die man deswegen nicht
mehr benötigt. Aber das ist nicht das, was Sie wollen. Sie
wollen vielmehr über eine Ausdünnung des Leistungskatalogs die Beiträge senken und Geld sparen, um die
Besserverdienenden zu entlasten.
({5})
Herr Lohmann, Sie haben gesagt, es gehe Ihnen um die
Interessen der Versicherten und Patienten. Sie haben behauptet, dass alles viel besser wäre, wenn Sie an der Regierung geblieben wären. Ich möchte in diesem Zusammenhang Horst Seehofer zitieren, der 1998 wie folgt
zitiert wurde:
„Die Gesellschaft muss bereit sein, einen größeren Anteil des Einkommens für Gesundheit auszugeben“, sagt Bundesgesundheitsminister Horst
Seehofer ({6}). Weitere Einschnitte in das Gesundheitswesen hält er ebenso wenig für möglich wie
höhere Krankenkassenbeiträge. Nach seiner Auffassung lässt sich das Gesundheitssystem „auf Dauer
nicht mehr allein aus Beschäftigungsverhältnissen
finanzieren“. Seehofer und der FDP-Gesundheitsexperte Dieter Thomae fordern, den Arbeitgeberanteil
am Kassenbeitrag einzufrieren.
({7})
In einem weiteren Reformschritt könne der Arbeitgeberbeitrag ausgezahlt und die Krankheitsvorsorge ganz in die Verantwortung der Versicherten
übertragen werden.
Das wäre geschehen, wenn Sie an der Regierung geblieben wären. Das hätte nicht etwa mehr Qualität gebracht und das Gesundheitssystem reformiert. Das hätte
vielmehr zu höheren Belastungen für die Versicherten,
also zu höheren Beiträgen und höheren Zuzahlungen, geführt. Das ist die Wahrheit, die Sie heute nicht mehr wahrhaben wollen.
({8})
Schauen wir uns einmal Ihre heutigen Vorschläge an.
Frau Stewens, die bayerische Sozial- und Gesundheitsministerin, hat in der letzten Woche unter anderem vorgeschlagen, dass Raucherinnen und Raucher höhere Kassenbeiträge bezahlen sollten.
({9})
- Wenn Sie mich nicht unterbrochen hätten, hätte ich das
schon getan. - Horst Seehofer musste ihr gleich eines auf
den Deckel geben. Das zeigt: Die heutige gesundheitspolitische Debatte ist in der CSU offensichtlich noch
nicht angekommen. Es scheint bei Ihnen nur wenige zu
geben - auf diese werde ich gleich zu sprechen kommen
-, die an der heutigen gesundheitspolitischen Debatte
wirklich teilhaben und die richtigen Schlussfolgerungen
ziehen. Die Vorschläge, die die bayerische Sozial- und
Gesundheitsministerin gemacht hat, zwingen offensichtlich Sie dazu, sofort zu sagen: So war es nicht gemeint!
Jetzt komme ich zu einem Vorschlag, den Sie ernst
meinen und der auch in Ihrem Wahlprogramm steht: den
Selbstbehalt. Ich versuche mir einfach einmal vorzustellen, worum es geht.
({10})
- Doch, das kann ich mir sehr gut vorstellen.
Man kann einen niedrigeren Beitrag wählen. Davon
machen diejenigen Gebrauch, die sagen können,
500 Euro Selbstbehalt im Jahr machten ihnen nichts aus,
sie würden sie locker aufbringen. Außerdem werden Personen mit niedrigem Einkommen, auch Familien mit Kindern, davon Gebrauch machen. Was tun diese aber, wenn
sie krank werden? - Sie überlegen sich, ob sie das Geld
für den Arztbesuch haben oder nicht haben.
({11})
Genau das haben Sie in der letzten Legislaturperiode
schon einmal gemacht, als Sie Leistungen wie den Zahnersatz gestrichen haben. Auch damals haben sich die
Leute überlegt, ob sie es sich leisten können oder nicht.
Eine solche Politik werden wir nicht mitmachen. Die Idee
mit dem Selbstbehalt stimmt beim Auto, nicht aber bei
Menschen, die krank werden können.
Meine Damen und Herren, wenn man sich Ihre Vorschläge alles in allem anschaut, dann sieht man, dass es
Ihnen nur darum geht, Lobbypolitik im Sinne von Ärzteverbänden sowie insbesondere der Pharmaindustrie und
der Apothekerschaft zu betreiben.
({12})
Nehmen wir nur das Thema Arzneimittelversand. Sie
machen Lobbypolitik in die eine Richtung.
({13})
Wir machen auch Lobbypolitik, allerdings im Sinne der
Beitragszahler und der Patientinnen und Patienten. Das ist
der Unterschied zwischen uns. Das werden die Wählerinnen und Wähler am 22. September auch honorieren.
({14})
Ich erteile der Kollegin Dr. Ruth Fuchs für die PDS-Fraktion das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Bei den vorliegenden Anträgen fällt es
kaum jemandem von uns schwer, das tatsächliche Ziel zu
erkennen, das in dieser Zeit verfolgt wird.
({0})
Es ist Wahlkampf, lieber Kollege Parr, und die Auffassung, die Wahlkampfchancen seien umso größer, je polemischer die Inhalte formuliert würden, scheint bei Ihnen
weit verbreitet. Diesbezüglich sind die Anträge von
CDU/CSU und FDP Meisterstücke.
({1})
Das Raffinierte beider Anträge ist die Tatsache, dass
der Hauptinhalt eine Bilanz der zurückliegenden Legislaturperiode darstellt. Am Ende werden - sozusagen als
Alibi und populistisch formuliert - Forderungen an die
Bundesregierung gerichtet. Nun ist es ja wahr, dass die Bilanz rot-grüner Gesundheitspolitik wahrlich nicht allzu
rosig aussieht.
({2})
- Das ist so. Rot-Grün ist 1998 mit einer Vielzahl von Versprechungen angetreten, die sie leider nicht gehalten haben. Aber Rot-Grün hat, wenn auch für uns nicht umfangreich genug, einige unsoziale Regelungen von
Schwarz-Gelb zurückgenommen. Das halten Sie nun für
den Hauptfehler, wir nicht!
Die Ursachen dafür, dass sich die Konflikte und Probleme im Gesundheitswesen auch unter Rot-Grün verhärtet haben, sind wesentlich vielfältiger und komplizierter,
als Sie es darstellen. Spätestens nach dem Ministerwechsel hat auch Rot-Grün erkannt, dass ihre Gesundheitsreform 2000 in der und durch die Praxis gescheitert ist. Sie
war als große Strukturreform gestartet, endete aber trotz
guter Überschriften
({3})
und guter, neuer inhaltlicher Ansätze leider - das bedauern wir - nur als Kostendämpfungsgesetz.
({4})
Was mich aber schon sehr in Erstaunen versetzt, meine
Damen und Herren von der CDU/CSU, ist die Tatsache,
dass Sie in Ihrem Antrag ebenso wie in Ihrem Wahlprogramm tatsächlich den Eindruck vermitteln wollen, Sie
hätten 1998 Rot-Grün ein „geordnetes Gesundheitswesen“ hinterlassen. Als Beispiel heben Sie die finanzielle Lage der gesetzlichen Krankenversicherung hervor:
Bei Ihnen gab es Überschüsse, bei Rot-Grün Defizite.
Natürlich ist dieser Fakt, für sich allein genommen, richtig. Aber zur Wahrheit gehört auch Folgendes: Ihre so
genannten Gesundheitsreformen waren nie mehr als
Kostendämpfungsgesetze. Wirtschaftlichkeitsreserven
zu erschließen und Fehlentwicklungen durch Strukturreformen abzubauen haben auch Sie nie erreicht. Ihr Weg
war, die Finanzprobleme der GKV durch Zuzahlungen,
Leistungskürzungen und die Einführung von Elementen
der privaten Krankenversicherung zu lösen. Dasselbe bieten Sie den Menschen jetzt als Ihr neues Konzept an. Die
Versicherten, vor allem die chronisch Kranken und die
Menschen mit Behinderungen,
({5})
haben aber nicht vergessen, was das für sie bedeutete.
Lieber Kollege Lohmann, Sie scheinen vergessen zu
haben, dass gerade die Gesundheitsreform unter dem Namen Seehofer sehr wesentlichen Anteil daran hatte, dass
Sie abgewählt wurden.
({6})
- Das behaupte ich nicht nur. Genau so, wie die Ärzte und
Patienten heute draußen streiken, ist vor der Wahl gegen
die Seehofer-Reform gestreikt worden. Erinnern Sie sich
bitte daran!
({7})
Ich wünsche mir, dass Sie sich einmal das Grundgesetz
anschauen. Ich habe Ihnen schon in der letzten Debatte zu
diesem Thema gesagt: Lesen Sie doch einmal das Buch
Ihres Kollegen Geißler mit dem Titel „Zeit, das Visier aufzuklappen“. Dessen Lektüre wäre für Sie sehr hilfreich
und würde Ihnen vielleicht mehr Wahlchancen verschaffen als ein solcher Antrag.
({8})
Darüber hinaus verschweigen Sie mit Absicht und aus
gutem Grund eine Tatsache: Sie hatten die Idee, der Versichertengemeinschaft Gelder zugunsten des Bundeshaushaltes zu entziehen, das heißt, Sie haben die sozialpolitischen Verschiebebahnhöfe eingeführt und in der
Praxis perfektioniert.
({9})
Wir bedauern es, dass Rot-Grün diese Praxis fortgesetzt
und noch verstärkt hat. Ich empfinde es aber wirklich als
heuchlerisch, dies jetzt Rot-Grün vorzuhalten, während
Sie diesen „Milliardenbeitragsklau“ - es sind Milliarden, die der Versichertengemeinschaft entzogen wurden perfekt beherrschten.
({10})
Sie versuchen jetzt, unter anderen Überschriften wie
Wettbewerb und Transparenz diese dritte Stufe der Gesundheitsreform der Bevölkerung als zukunftsweisende
Reform anzubieten.
({11})
Zum FDP-Antrag sage ich Ihnen nur eines: Es war mir
eine Genugtuung, gestern Zeit gehabt zu haben, um „Monitor“ zu sehen.
Frau Kollegin, Ihre
Redezeit ist weit überschritten.
Ich sage auch nur noch diesen
Satz: Sie sollten besser die Überschrift „Lieber reich und
gesund als arm und krank“ wählen, denn jeder muss sich
heute sozusagen die Krankheit aussuchen, die er bezahlen
kann.
({0})
Es ist ernsthaft notwendig, an anderer Stelle über den
demographischen Wandel zu reden. Bezogen auf Ihre
Anträge sage ich Ihnen: Ich würde an Ihrer Stelle nicht
hoffen, dass die Menschen vergesslicher werden, weil sie
älter werden.
({1})
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
({2})
Ich erteile der Kollegin Margrit Spielmann für die SPD-Fraktion das Wort.
({0})
Frau Präsidentin!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn man der CDU/
CSU oder auch Herrn Parr Glauben schenken darf,
({0})
wurden die Patienten bei Ihnen 16 Jahre lang hervorragend versorgt,
({1})
die Angehörigen der Gesundheitsberufe hatten eine leistungsgerechte Vergütung, Arbeitgeber und Arbeitnehmer
frohlockten über niedrige Beitragssätze und die Kassen
machten sogar Überschüsse.
({2})
Über-, Unter- und Fehlversorgung waren Fremdwörter,
Kollege Parr.
Wenn dieses Verklärungssyndrom weiter um sich
greift, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Union,
werden Sie sich noch weismachen müssen, Sie hätten
Rot-Grün geordnete Staatsfinanzen hinterlassen. Das haben Sie nicht getan. Dazu wurden schon viele Argumente
ausgetauscht. Ich wende mich der zentralen Behauptung
zu, dass sich unter Rot-Grün die Qualität der Versorgung
dramatisch verschlechtert habe.
({3})
Richtig ist, dass der Sachverständigenrat für die Konzertierte Aktion im Gesundheitswesen in seinem aktuellen Gutachten mit vielen Nachweisen belegt hat, dass das
Preis-Leistungs-Verhältnis in unserem Gesundheitswesen nicht stimmt. Für das, was es leistet, kostet es zu viel,
wie wir alle wissen. Dieses Defizit ist, wie wir alle ebenfalls nur zu gut wissen, nicht erst seit September 1998 entstanden; vielmehr haben sich die Qualitätsmängel unter
Ihrer Regierung entwickelt und aufgebaut.
({4})
Rot-Grün hatte und hat, wie in der Haushalts- und Finanzpolitik so auch in der Gesundheitspolitik, die Aufgabe, die Defizite oder die Trümmer zu beseitigen, die Sie
uns hinterlassen haben. Zur umfassenden Neuordnung
des Gesundheitswesens ist eine Legislaturperiode einfach
zu kurz. Auch hier passt der Vergleich mit der Haushaltsund Finanzpolitik, bei der wir Ihre Fehler und Versäumnisse wahrscheinlich erst in der nächsten Legislaturperiode beseitigen können.
({5})
Die Problemlösung ist insbesondere deshalb so
schwierig, Herr Lohmann, weil Sie zwischen 1982 und
1998 die wahren Probleme unseres Gesundheitswesens
beharrlich ausgeblendet haben. Wir hatten in Ihrer Wahrnehmung das beste Gesundheitswesen der Welt. Das
hatte, wie wir alle wissen, nur einen Nachteil: Seine Ausgaben stiegen wieder schneller als seine Einnahmen. Auf
diese Entwicklung haben Sie - das hat der Kollege Parr
schon ausgeführt - zunächst immer wieder mit Kostensenkungsgesetzen reagiert, bis Sie zu der heutigen Erkenntnis kamen: Es muss mehr Geld ins System.
({6})
- Wir reden ständig darüber.
Aber die wahren Probleme verdrängen Sie noch immer, zum Beispiel das wahre Problem einer massiven
strukturellen Überkapazität. Auch haben wir - das kennen
Sie ebenfalls - das Problem der Über-, Unter- und Fehlversorgung. Gerade die Versorgung bei besonders behandlungs- und kostenintensiven chronischen Volkserkrankungen ist da in besonderer Weise betroffen.
({7})
Unter diesen Versorgungsmängeln, Herr Lohmann, leidet
insbesondere die Lebensqualität vieler betroffener Menschen. Über-, Unter- und Fehlversorgung führen aber
auch zwangsläufig - das wissen wir alle - zur Ressourcenverschleuderung.
Die Frage, auf die es wirklich ankommt, nämlich die
Frage nach der Leistungsfähigkeit unseres Gesundheitswesens, haben Sie nie gestellt.
({8})
Sie haben nie ernsthaft den Mut gefunden, das Gesundheitssystem vom Patienten her zu bedenken. Sie haben
sich vielmehr stets primär bemüht, die finanziellen Interessen von Leistungserbringern zu bedienen. Der Patient
stand und steht bei Ihnen nur insoweit im Mittelpunkt der
Betrachtung, als es darum geht, ihm in die Tasche zu greifen.
({9})
Im ungenierten Griff ins Portemonnaie des Patienten
({10})
liegt denn auch des Pudels Kern Ihres berühmten Paradigmenwechsels von 1997, Herr Lohmann. Ihr Ansatz,
die finanziellen Aufwendungen der gesetzlichen Krankenversicherung sollten sich am medizinischen Bedarf
orientieren,
({11})
klingt in diesem Kontext geradezu unbedacht; denn nach
Ihrer Definition des medizinischen Bedarfs galt als objektiv notwendig, was Ärzte verordneten und selbst abrechneten. Von Über-, Unter- und Fehlversorgung war nie
die Rede. Die Existenz von Wirtschaftlichkeitsreserven
im Gesundheitswesen haben Sie fast unisono schlichtweg
geleugnet.
({12})
Stattdessen haben Sie die Kranken mit Leistungsausgrenzung und Zuzahlungserhöhung „beschenkt“.
({13})
Den Begriff „Qualität in der medizinischen Versorgung“ haben Sie erst durch uns kennen gelernt. Es blieb
Rot-Grün vorbehalten, Qualität zum Leitmotiv in der gesetzlichen Krankenversicherung zu erheben.
({14})
Mit Ihren Wahltarifmodellen verfolgen Sie ein altes
Ziel, nämlich beträchtliche Teile des Krankheitsrisikos zu
individualisieren.
({15})
Das Abwählen von Leistungspaketen, die Sie im Übrigen
zunächst noch definieren müssen, können sich nämlich
nur Gesunde leisten.
({16})
Kranke, zumal chronisch Kranke, haben, wie wir alle wissen, gar keine andere Wahl, als das gesamte Paket medizinisch notwendiger Leistungen einzukaufen.
({17})
Mit der Abwahl bestimmter Leistungen fließt, wie wir alle
wissen, weniger Geld ins System, die Leistungsausgaben
bleiben jedoch gleich oder steigen sogar. Fazit, liebe Kolleginnen und Kollegen der Opposition:
({18})
Die neuen Freiheiten, die Sie den Gesunden verheißen,
gehen zulasten der Kranken und dann, Herr Dr. Thomae,
haben wir in der Tat ein Chaos.
({19})
Sie wollen letztlich die Abkehr vom Solidarprinzip.
Ihre Lippenbekenntnisse zur solidarischen Versicherung
sollten Sie sich ehrlicherweise sparen. Ihr Solidarprinzip
ist eine Mogelpackung.
({20})
Haben Sie den Mut, den Wählern zu sagen, was Sie
wirklich wollen!
({21})
Ihr Fraktionsvorsitzender, Herr Merz, hat im „Handelsblatt“ angedeutet, dass das Wahltarifmodell nur die Spitze
des Eisbergs beim Rückbau der solidarischen Krankenversicherung sei.
({22})
Rücken Sie mit der gesamten Wahrheit heraus und sagen
Sie unseren Kranken, was Sie ihnen zukünftig finanziell
zumuten wollen!
({23})
Ich greife einmal auf die Historie zurück.
({24})
Herr Lohmann, ich bin sicher, dass der erzkonservative
Otto von Bismarck heute auf der Seite der Sozialdemokratie für die Erhaltung des Solidarprinzips streiten würde.
({25})
An die FDP gerichtet: Dasselbe könnte ich von Friedrich
Naumann sagen.
({26})
Die SPD wird aus tiefster Überzeugung - ich sage es
noch einmal ({27})
um die Erhaltung des Solidargedankens in der gesetzlichen Krankenversicherung kämpfen.
({28})
Wir wollen, dass auch in Zukunft die Jungen für die Alten, die Gesunden für die Kranken, die Besserverdienenden für die Schlechterverdienenden und die Singles für
die Familien einstehen.
({29})
Vergessen wir dabei eines nicht: Solidarität ist der
Kitt, der eine Gesellschaft zusammenhält.
Danke.
({30})
Jetzt erteile ich dem
Kollegen Wolfgang Zöller das Wort für die CDU/CSUFraktion.
Frau Präsidentin!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bundeskanzler
Schröder hat vor zwei Tagen auf dem Kongress des VdK
zur Gesundheitspolitik gesagt: Wir halten fest am Bewährten. - Nur muss man sich dann die Frage stellen, wie
zurzeit dieses so genannte Bewährte nach dreieinhalb
Jahren Rot-Grün aussieht. Sehr viele Leistungen für
chronisch Kranke werden nicht mehr erbracht und bezahlt.
({0})
Die Beiträge für die Versicherten befinden sich auf einem
historischen Höchststand. Trotzdem gibt es ein Kassendefizit. Die Unzufriedenheit bei den Patienten und bei den
Leistungserbringern ist kaum zu überbieten.
({1})
Das deutsche Gesundheitswesen befindet sich in einer
sehr schweren Krise und der Kanzler merkt es nicht einmal.
({2})
Wir haben hierzu eine klare Alternative aufzuzeigen.
Herr Kollege Pfaff, ich kann mir eine Bemerkung nicht
verkneifen: Wenn es so wäre, wie Sie gesagt haben, dann
müssten die Bürger alle zufrieden sein. Wenn man sich
mit den Bürgern draußen im Lande unterhält, dann merkt
man aber, dass das nicht der Fall ist - im Gegenteil.
({3})
Ich möchte aus dem „Blickpunkt Bundestag“ zitieren
- ich kann nur empfehlen, diese Stelle nachzulesen -:
Eine umfassende Gesundheitsreform fordert die
CDU/CSU-Fraktion ... Sie solle dazu dienen, die gesetzliche Krankenversicherung finanziell zu stabilisieren und die Prävention, Transparenz, Selbstbestimmung und den Wettbewerb in der gesetzlichen
Krankenversicherung verbessern. Zentrales Ziel
müsse es sein, eine „exzellente“ medizinische Versorgung aller Bürger sicherzustellen. Der Patient sei
dabei in den Mittelpunkt zu stellen.
({4})
Jeder sagt, der Patient müsse im Mittelpunkt stehen.
({5})
- Kollege Lohmann bemerkt gerade richtigerweise, dass
er jedem im Weg steht.
({6})
Wenn wir es mit dem Wohl des Patienten wirklich ernst
meinen, dann müssen wir entsprechend handeln.
Frau Kollegin Spielmann, was Sie sagen, klingt sehr
gut. Ich kann das nur unterstreichen. Aber was Sie tun, ist
das Gegenteil. Ich werde es nachher an ein paar Beispielen beweisen.
Die Stärkung der Prävention ist für uns eine entscheidende Voraussetzung, um die altersbedingte Zunahme schwerer Volkskrankheiten zu verringern. Langfristig würde sich dadurch auch die Lebensqualität vieler
Menschen verbessern, während die Gesundheitsausgaben
dadurch mittelfristig gesenkt werden könnten.
Die Patienten müssen auch künftig besser über die
Kosten und die Qualität der medizinischen Leistungen informiert werden. Wir halten einen stärkeren Wettbewerb,
in dem verschiedene Versorgungsangebote untereinander
konkurrieren, für den richtigeren Weg, um eine optimale
Versorgung der Patienten zu erreichen, die Strukturdefizite im Gesundheitswesen zu bekämpfen, die Qualität der
Versorgung zu verbessern und auch die Wirtschaftlichkeit
zu steigern. All dies ist in diesem Antrag nachzulesen.
Dort ist auch das Ziel formuliert, die Entscheidungsfreiheit der Versicherten zu erweitern und ihnen mehr Wahlmöglichkeiten zu geben, sodass ihnen nicht alles vom
Staat vorgeschrieben wird. Nicht jeder Mensch ist gleich.
Lasst die Menschen etwas mehr selbst entscheiden!
({7})
Wie sieht die rot-grüne Alternative aus? Verbieten,
kontrollieren, reglementieren - das ist die Philosophie
von Rot-Grün. Durch ein Übermaß an Bürokratie wird
jeglicher Leistungswille der im Gesundheitswesen Tätigen erstickt; sie werden dadurch von ihrer eigentlichen
Aufgabe, nämlich mehr Zuwendung für die Patienten aufzubringen, abgehalten.
({8})
Das Ergebnis der Budgetierungen, die Sie zu verantworten haben, wird sein, dass ähnlich wie in Großbritannien in Deutschland demnächst verstärkt Wartelisten geführt werden.
({9})
Ich möchte ein weiteres konkretes Beispiel ansprechen. Mit Ihrer total missratenen Aut-idem-Regelung gefährden Sie die Qualität der Arzneimitteltherapie. Nach
Ihrer Auffassung sollen die Patienten nicht mehr das beste, sondern einfach das billigste Arzneimittel bekommen.
({10})
Mit Ihrer Ankündigung, den Internet- und Versandhandel für Arzneimittel einzuführen, setzen Sie dem Ganzen
die Krone auf.
({11})
Sie behaupten, durch diese Form des Handels die Kosten
um ein paar Prozent zu verringern. Die Ursache für hohe
Kosten liegt aber nicht im Arzneimittelpreis, sondern
darin, dass man in Deutschland beim Kauf von Arzneimitteln 16 Prozent Mehrwertsteuer zahlt, während es in
Nachbarländern 7 Prozent oder weniger sind. Wir müssen
die Ursachen bekämpfen und nicht den Versandhandel
einführen.
({12})
Wir haben den Versandhandel nicht eingeführt. Sie waren sogar so unverschämt - fast hätte ich das Wort „bescheuert“ benutzt -, Reimporte zur Pflicht zu machen.
Was hat das zur Folge? - Im Ausland subventionierte Produkte werden in Deutschland ein weiteres Mal subventioniert, sodass sich im Preis eine doppelte Subventionierung
niederschlägt. Sie erreichen dadurch nur eines: Arbeitsplätze werden von Deutschland ins Ausland verlagert und
die gesetzliche Krankenversicherung spart keine Mark
ein.
({13})
Ich möchte auf die von Ihnen geplanten Programme
zur Behandlung von chronisch Kranken zu sprechen kommen.
({14})
Ich sehe in Ihrer Regulierungswut eine ganz große Gefahr; denn Sie vollziehen eine Abkehr von einer an der individuellen Situation der Patienten ausgerichteten Therapie. Die Ärzte sollen sich nur noch an Standards und
Checklisten orientieren.
({15})
- „Jawohl“ sagen Sie. Vielen Dank! - Am Ende steht nicht
mehr der Patient im Mittelpunkt, sondern es geht nur noch
um das Erstellen von Strichlisten und nicht mehr um
menschliche Zuwendung und individuelle Betreuung.
Wenn man Ihr so genanntes Disease-ManagementProgramm genau anschaut, dann stellt man fest: Es wird
zum Nachteil der chronisch Kranken gereichen. Warum?
Dadurch, dass die Behandlung von vier chronischen Erkrankungen über dieses Programm finanziert wird, wird
mehr Geld benötigt. Das heißt im Umkehrschluss, dass
für die Behandlung derjenigen chronisch Kranken, die
keine dieser vier Erkrankungen haben, wesentlich weniger Geld übrig bleibt.
({16})
Man wird für die Therapie chronisch Kranker in Zukunft
weniger Geld haben und das ist nicht im Sinne der bedarfsorientierten Versorgung von chronisch Kranken.
({17})
Trotz all der von Ihnen praktizierten Regulierungswut - ich erinnere auch an die zahlreichen Datenfriedhöfe, die Sie mit zu verantworten haben - sind die Kosten
gestiegen. Sowohl das Defizit als auch der Beitragssatz
haben eine Rekordhöhe erreicht. Das Ergebnis ist ganz
klar: Der Verlierer dieser verkorksten Gesundheitspolitik
ist eindeutig der Patient.
Nicht die im Gesundheitswesen Beschäftigten, sondern die politischen Rahmenbedingungen müssen reformiert werden.
({18})
Da Rot-Grün dazu eben nicht in der Lage ist, weil man in
den letzten dreieinhalb Jahren konzeptionslos und ohne
sinnvolle Ideen agiert hat,
({19})
gibt es nur eine Lösung: Wir sind bereit, Sie von Ihren
Leiden zu befreien.
({20})
Ich schließe die Aus-
sprache.
Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen auf
den Drucksachen 14/8595 und 14/9054 an die in der
Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. -
Damit sind Sie einverstanden. Dann ist die Überweisung
so beschlossen.
Nun rufe ich die Tagesordnungspunkte 23 a bis 23 i
auf:
23. a) - Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten
Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Neuregelung des Energiewirtschaftsrechts
- Drucksache 14/5969 ({0})
- Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Rolf Kutzmutz, Eva Bulling-Schröter,
Uwe Hiksch, Gerhard Jüttemann und der Fraktion der PDS eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Energiewirtschaftsgesetzes ({1})
- Drucksache 14/6796 ({2})
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie ({3})
- Drucksache 14/9081 Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie ({4})
Berichterstattung:
Abgeordneter Volker Jung ({5})
d) zu dem Antrag der Abgeordneten Hartmut
Schauerte, Dagmar Wöhrl, Kurt-Dieter Grill, wei-
terer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/
CSU
Fairer Wettbewerb im Strom- und Gasmarkt
effektiv und effizient sichern
c) zu dem Antrag der Abgeordneten Rolf Kutzmutz,
Eva Bulling-Schröter, Uwe Hiksch, Gerhard
Jüttemann und der Fraktion der PDS
Zugangsverordnung für Stromnetze erlassen
- Drucksachen 14/7614, 14/6795, 14/9081 Berichterstattung:
Abgeordneter Volker Jung ({6})
b) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
über Energiestatistiken ({7})
- Drucksache 14/8388 ({8})
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie ({9})
- Drucksache 14/9080 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Gudrun Kopp
e) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie ({10}) zu dem Antrag der Abgeordneten
Walter Hirche, Rainer Brüderle, Paul K. Friedhoff,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Energiebericht für eine energiepolitische
Grundsatzdebatte nutzen
- Drucksachen 14/7814, 14/8183 -
Berichterstattung:
Abgeordneter Kurt-Dieter Grill
f) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie ({11}) zu dem Antrag der Abgeordneten Walter Hirche, Birgit Homburger, Ulrike Flach,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Marktwirtschaftliche Förderung des Einsatzes
erneuerbarer Energieträger
- Drucksachen 14/5328, 14/7139 Berichterstattung:
Abgeordneter Volker Jung ({12})
g) Beratung des Antrags der Abgeordneten Walter
Hirche, Rainer Brüderle, Paul K. Friedhoff, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Marktwirtschaftliche Orientierung statt staatlicher Preislenkung im Stromsektor
- Drucksache 14/8279 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie ({13})
Finanzausschuss
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Haushaltsausschuss
h) Beratung des Antrags der Abgeordneten Rainer
Brüderle, Paul K. Friedhoff, Gudrun Kopp, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Stromrechnungen transparent gestalten
- Drucksache 14/5465 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie ({14})
Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Haushaltsausschuss
i) Erste Beratung des von den Abgeordneten Walter
Hirche, Rainer Funke, Rainer Brüderle, weiteren
Abgeordneten und der Fraktion der FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung
des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen
- Drucksache 14/6968 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Zu dem von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung des Gesetzes zur Neuregelung
des Energiewirtschaftsrechts - Tagesordnungspunkt 23 a liegt ein Änderungsantrag der Fraktion der FDP vor.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. - Damit
sind Sie einverstanden. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat Bundeswirtschaftsminister Werner Müller.
Frau Präsidentin! Meine Damen und
Herren! Ich habe gestern schon im Rahmen der Wirtschaftsdebatte gesagt, dass Deutschland 2002 gesamtwirtschaftlich deutlich besser dasteht als Ende 1998. Das
gilt auch für den Energiebereich. Wir haben den Anteil der
regenerativen Energien in den letzten drei Jahren gewaltig gesteigert. Wir sind die erste Bundesregierung, die die
Verträge mit der deutschen Steinkohle einhält.
({0})
Wir haben den Streit beim Thema Kernenergie beigelegt
und wir haben beispielsweise die ostdeutsche Stromerzeugung und die ostdeutsche Braunkohlegewinnung auf
solide Fundamente gestellt, die langfristig tragen. Wir geben den ostdeutschen Stromverbrauchern nunmehr dieselben Rechte, die die westdeutschen Stromverbraucher
schon seit Jahren haben.
Wenn ich demgegenüber das werte, was ich aus den
Reihen von CDU und CSU zum Thema Energiepolitik in
den letzten Monaten gelesen habe, ist auf der Basis Ihrer
Aussagen Folgendes zu befürchten: Die Förderung
regenerativer Energien soll beispielsweise wieder deutlich zurückgefahren werden, die deutsche Bergbauproduktion soll stillgelegt werden, und - das ist besonders interessant - in Deutschland sollen wieder neue Kernkraftwerke
gebaut werden.
({1})
Der Präsident des Deutschen Atomforums hat vor wenigen Tagen angekündigt, dass der Vertrag zwischen den
Kernenergiebetreibern und der Bundesregierung im Falle
des Wahlsieges von Herrn Stoiber revidiert werden soll.
({2})
Dazu sage ich bewusst an die Kernenergiebetreiber: Wenn
Sie solche Parolen verbreiten lassen, dann geht die Bundesregierung davon aus, dass die Kernenergiebetreiber
heute ansonsten keine aktuellen Probleme haben.
Ich darf Ihnen versichern: Wir werden nach der Bundestagswahl unsere Energiepolitik konsequent fortsetzen.
({3})
Das heißt konkret: Im nächsten Jahr bekommt der deutsche Bergbau einen neuen Vertrag, der seine Zukunft nach
2005 vernünftig regelt, sodass er seine langfristige Lebensfähigkeit gesichert weiß. Oder einfach gesagt: Die
Bergleute brauchen keine Existenzsorgen zu haben.
({4})
Wir werden den Ausbau der regenerativen Energien
garantieren. Wir werden dazu im Deutschen Bundestag
im Juni einen Bericht vorlegen, der den Erfolg des Gesetzes zu den regenerativen Energien deutlich belegen wird.
Ich will in diesem Zusammenhang gern sagen, dass wir
bereit sind, den begrenzten 350-Megawatt-Sockel photovoltaischer Energie aufzuheben. Ich kann hier auch gern
versprechen, dass ich jederzeit zur Verfügung stehe, um
mit den entsprechenden Verbänden der Solarwirtschaft
ein verbindliches Abkommen darüber zu treffen.
({5})
Wir werden uns, auch im Rahmen der Europäischen
Union, für eine Kennzeichnung des Stroms einsetzen.
({6})
Ganz salopp gesagt: Das „Mix it, baby!“ der Eon-Werbung werden wir für jedermann so nutzbar machen, dass
jeder Stromkunde weiß, welchen Strommix er persönlich
kauft.
({7})
Wir werden die Wettbewerbsregeln weiter verbessern, also die Verbändevereinbarungen für Strom und Gas
im Lichte der Erfahrungen, die wir in der nächsten Zeit
gewinnen, fortschreiben.
({8})
Vizepräsidentin Anke Fuchs
Aber zunächst einmal geht es um die aktuelle Verbesserung des Energierechtes, die heute zur Abstimmung steht.
Die vorliegende Novelle zum Energierecht stellt einen
weiteren Meilenstein bei der Liberalisierung des Energiemarktes dar. Nach der Öffnung des Energiemarktes im
Jahre 1998 geht es in dem heutigen Gesetzentwurf darum,
einen Ordnungsrahmen für einen effektiven Wettbewerb
auf dem Gasmarkt zu schaffen.
Herzstück der Novelle ist das Recht auf einen diskriminierungsfreien Zugang zum Netz für Dritte. Ergänzt
wird dieses Netzzugangsrecht durch eine klare Netzdefinition, durch umfassende Veröffentlichungspflichten des
Netzbetreibers sowie durch Regeln zur Trennung der
Rechnungslegung. Mit diesem Gesetzentwurf kommen
wir unserer Verpflichtung gegenüber Brüssel zur vollständigen Umsetzung der EU-Gasrichtlinie nach. Damit
wird sich das von der Kommission eingeleitete Vertragsverletzungsverfahren erledigen.
Meine Damen und Herren, mit dieser Novelle setzen
wir den Weg des verhandelten Netzzugangs fort. Der Weg
der Selbstregulierung ist auf der einen Seite sicherlich
kein einfacher Weg. Aber auf der anderen Seite darf ich
sagen: Es wäre für mich kaum vorstellbar gewesen, angesichts der Vielzahl deutscher Unternehmen im Strom- und
Gasmarkt eine Regulierungsbehörde für beide Märkte zu
etablieren. Ich bin absolut sicher, dass wir mit staatlicher
Regulierung - sie wäre zu langsam gewesen - die Erfolge
der letzten drei Jahre beispielsweise für den Stromverbraucher nicht erreicht hätten, und zwar Preissenkungen
für die Industriekundschaft um bis zu 50 Prozent und einen Preisrückgang für die privaten Verbraucher um bis zu
20 Prozent.
Ich darf insgesamt hinzufügen, dass wir nun im Gasbereich vor einer vergleichbaren Entwicklung stehen,
wenngleich ich nicht so dramatische Rückgänge wie auf
dem Strommarkt erwarte. Aber der Wettbewerb wird auch
im Gasmarkt zu einer Reduzierung der Preise führen.
({9})
Das System des verhandelten Netzzuganges bewegt
sich keineswegs in einem rechtsfreien Raum, sondern in
einem staatlichen Ordnungsrahmen. Dieser wird maßgeblich durch unser ausgefeiltes, modernes Kartellrecht
geprägt, das die missbräuchliche Nutzung des Leitungseigentums verbietet. Diesen bewährten Rechtsrahmen
wollen wir mit dieser Novelle weiter verbessern. Wir
schlagen daher vor, das Kartellrecht dort zu verschärfen,
wo es notwendig ist.
Die Entscheidungen der Kartellbehörden zur Durchleitung und zur Höhe der Netzentgelte werden mit sofortiger Wirkung ausgestattet. Neue Wettbewerber sollen
nicht mehr monatelang auf die Wirksamkeit von Entscheidungen der Kartellbehörden warten müssen. Der Bedarf für eine wirksame Missbrauchsaufsicht wird sich allerdings nicht in einigen Jahren erledigen. Eine Befristung
des Sofortvollzuges, wie Sie seitens der CDU/CSU-Fraktion es vorschlagen, bringt uns nicht die dauerhafte Lösung, die wir für die Kontrolle der Netzbetreiber brauchen.
Es war der Wunsch der Verbände, das Instrumentarium
der Verbändevereinbarung im Energiewirtschaftsgesetz
zu verankern, um ein Stück mehr Verbindlichkeit zu erreichen. Im Klartext: Diejenigen, die sich an die mühsam
ausgehandelte Verbändevereinbarung halten, sollen auch
etwas davon haben. Ich habe Verständnis für dieses Anliegen, klarstellen muss ich allerdings, dass mit der vorgeschlagenen Formulierung keine grundlegenden Eingriffe in kartellbehördliche Zuständigkeiten verbunden
sein sollten.
Das Instrument der Missbrauchsaufsicht hat sich bewährt und soll weiterhin die schwarzen von den weißen
Schafen trennen. Die begrenzte Laufzeit der Verrechtlichung bis Ende 2003 ermöglicht es uns darüber hinaus,
praktische Erfahrungen mit diesem Instrument zu sammeln und gegebenenfalls rasch nachzusteuern.
Die Liberalisierung ist ein dynamischer Prozess, der
von allen Beteiligten die Bereitschaft zu ständiger Weiterarbeit und Veränderung abverlangt. Das Ziel, eine funktionstüchtige wettbewerbliche Ordnung für den Energiemarkt zu schaffen, rechtfertigt diese Anstrengungen, die
alle Beteiligten zu erbringen haben. Die Errichtung eines
europaweiten Energiemarktes ist weiterhin ein lohnenswertes und, wie ich meine, alternativloses Endziel, an
dem wir in der nächsten Legislaturperiode konsequent
weiterarbeiten werden.
Zum Ende meiner Ausführungen möchte ich den Fraktionen ausdrücklich danken. Bei der Erarbeitung dieses
Entwurfes hatten wir viele Diskussionen. Sie sind insgesamt mit dem Ziel, zu einer sachlich guten Lösung zu
kommen, geführt worden. Sie waren nicht immer einfach,
aber unter dem Strich konstruktiv. Daher, wie gesagt, ein
herzliches Danke meines Hauses und meiner selbst an die
Fraktionen.
Nun bitte ich darum, diesen Gesetzentwurf zu unterstützen.
Vielen Dank.
({10})
Ich erteile das Wort
dem Kollegen Hartmut Schauerte für die CDU/CSUFraktion.
Frau Präsidentin!
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Minister,
Sie haben gestern gesagt, gesamtwirtschaftlich stünden
wir heute besser da als 1998. Das war gestern falsch und
ist auch heute falsch. Ich nenne nur eine Zahl - dass die
Konkurse steigen, dass die Arbeitslosigkeit zunimmt, all
das lasse ich weg -: Die Nettoneuverschuldung betrug
1998 noch 1,7 Prozent; heute beträgt sie 2,7 bis 2,8 Prozent. Wir haben heute eine Diskussion über blaue Briefe
und nicht 1998. Wir hatten 1998 eine sehr schön anziehende Konjunktur, die 1999 noch richtig gut getan hat.
Der damalige Bundeskanzlerkandidat Schröder konnte
erklären: Das ist mein Aufschwung. Da war er noch gar
nicht im Amt. Davon redet heute keiner.
({0})
Denn heute wissen wir, dass wir ganz schwierige Zeiten
vor uns haben. Sie werden keinen Aufschwung herbeireden können.
({1})
Aber nun zur Sache. Sie haben gesagt: Genauso gut
sind wir jetzt bei der Energiewirtschaft. Herr Minister, bei
allem Respekt - so viele Debatten werden wir ja wohl
nicht mehr gemeinsam in diesem Haus führen;
({2})
deswegen will ich auch keine unnötige Schärfe hineinbringen -: Das können Sie doch nicht wirklich ernsthaft
sagen. Sie haben die Liberalisierungsfortschritte zum Teil
verspielt. Die Preise sind gestiegen. Die Chancen sind
verbaut worden.
Heute zahlt ein Stromkunde etwa 41 Prozent der Kosten staatlich bedingt. 1998 waren es 25 Prozent. Wir haben eine konsequente, brutale Preistreiberei zulasten der
Verbraucher, auch zulasten der Industrie, allerdings unterschiedlich. Das ist ja immer interessant bei der SPD.
({3})
- Doch, steuerlich bedingt. Wenn der Steueranteil an den
Strompreisen von 25 Prozent auf 41 Prozent steigt, dann
war das die Politik. Wer denn sonst?
Sie haben eine Politik gemacht, die die Chancen, die
mit der Liberalisierung verbunden waren, verspielt hat.
Sie haben die Chancen durch staatliche und sonstwie gestaltete Ordnungsvorschläge wieder aufgefressen. Es sind
nicht einmal mehr 10 bis 20 Prozent des Vorteils für die
Verbraucher übrig geblieben, den wir mit der Liberalisierung erarbeitet hatten. Sie haben dieses tolle Thema für
den Standort Deutschland verrissen. Sie haben es verwackelt. Sie haben andere Ziele draufgepfropft, aber die
Chancen, die drin waren, leider kaputtgemacht.
Ich will noch eine Zahl nennen, die das verdeutlicht.
Wir hatten insgesamt 10 Milliarden DM Preissenkungen.
Davon sind heute etwa 8 Milliarden DM wieder gewendet worden. 8 Milliarden DM haben wir den Verbrauchern, den Stromeinsetzern wieder oben drauf gerechnet.
Herr Minister, wie Sie ernsthaft sagen können, Sie hätten
die Chancen genutzt und wir stünden heute in der Energiewirtschaft besser da als 1998, das kann ich nicht nachvollziehen. Das ist nicht seriös. Das wird Ihnen von niemandem bestätigt.
({4})
Sie haben mit diesem Gesetzentwurf einige Aspekte
aufgenommen und angepackt. Es gab ja auch Vorgaben
aus Brüssel. Es musste ja sein. Das ist keine Erfindung
von Ihnen. Aber Sie haben auch wieder schwere Fehler
eingebaut, sodass wir diesem Gesetzentwurf leider nicht
zustimmen können.
Wir haben in der Frühphase viele gemeinsame Anregungen gehabt, wo wir gesagt haben: Das und das würde
doch passen und wäre ganz gut. - Sie haben einige Elemente von uns aufgenommen. Ich will die Beweislastumkehr und die sofortige Vollziehung nennen. Das waren
Ideen von uns, die wir sehr früh in den Prozess eingebracht haben. Wir wollten sie befristen, weil wir glauben,
dass man so scharfe Mittel nur während der Markteinführung einsetzen sollte.
({5})
Wenn sich die Märkte dann geöffnet haben, dann sollte
wieder das normale Zivilrecht gelten. Darüber kann man
streiten.
Was jetzt aber dabei herausgekommen ist, ist schon erstaunlich. Wir wollten zum Beispiel die Beweislastumkehr haben, sodass das Unternehmen, das die Durchleitung verhindern oder erschweren wollte, seine Gründe
präsentieren muss, dass man ihm also nicht das Gegenteil
nachweisen muss, sondern dass es aus sich selbst heraus
argumentieren muss. Herausgekommen ist jetzt, dass die
Unternehmen das nach der Verbändevereinbarung nicht
mehr müssen; vielmehr muss jetzt das Kartellamt beweisen, dass sein Ansatz, die Dinge zu sehen, richtig ist. Wir
haben also eine Beweislastumkehr nicht zulasten der
Marktteilnehmer, die wir zwingen wollten, sich der Liberalisierung zu stellen, sondern wir haben jetzt eine Beweislastumkehr zulasten des Kartellamts, wenn es eingreifen
will. Das ist ordnungspolitisch ein unglaublicher Vorgang.
Deswegen kann ich Ihnen hier schon sagen: Dieses Gesetz wird nicht alt. Es wird diese Regierung etwas überdauern, das ist klar. Es wird aber im Jahr 2003 in die
Werkstatt kommen. Wir werden solche Entwicklungen
wieder korrigieren. Wir begrüßen in diesem Zusammenhang den Antrag der FDP. Hier so etwas wie rechtsfreie
Räume zu schaffen, indem man die Verbändevereinbarung so wichtig macht, dass das Kartellamt Verstöße gegen Wettbewerbsregeln nicht mehr ahnden kann und
praktisch aus diesem Prozess herausoperiert wird,
({6})
das kann man nicht zulassen. Das ist eine korporatistische
Verfassungslage; die können wir nicht verstehen, nicht
nachvollziehen. Das ist eine Verschlechterung der Lage.
Deswegen muss so etwas wieder geändert werden.
Auch wir waren für die Verbändevereinbarung. Das
ist ohne Frage der richtige Weg. Wir sind gegen eine Regulierungsbehörde. Wir werden alles tun, was nötig ist,
um eine Regulierungsbehörde zu verhindern, weil wir
glauben, es geht auch ohne. Das ist nicht unser Ansatz.
Wir sagen aber auch: Wenn sich Brüssel wider Erwarten
mit einer Regulierungsbehörde durchsetzen will, dann
kann das unserer Vorstellung nach nur das Bundeskartellamt sein und nicht eine neue, zusätzliche Regulierungsbehörde.
({7})
Da sind wir absolut festgelegt. Das würde dann auch die
Antwort sein. Wir glauben, dass das der richtige Ansatz ist.
Wir haben am Montag noch einmal eine Anhörung gehabt. DIHK, VIK, Verbraucherverbände - alle haben noch
einmal vor dieser Verrechtlichung gewarnt, die Sie jetzt
einführen. Sie ist ein Übermaß. Ich sage es noch einmal:
Das ist eine Vereinbarung zulasten Dritter. Das kann nicht
gut sein. Das Kartellamt muss auch in solchen Verbändevereinbarungen wirksam bleiben. Zumindest müsste es
vorher die Verbändevereinbarung auf Wettbewerbsfreundlichkeit überprüfen können. Es müsste also ein notwendiger Beteiligter bei der Vereinbarung einer Verbändevereinbarung sein. Hier setzen sich aber Verbände
zusammen und beschließen etwas. Das Kartellamt kann
es von außen begucken, das war es dann. Wenn unterwegs
Missbrauch passiert, dann darf es nicht eingreifen.
Wir glauben, dass mit diesem Gesetz der freie und faire
Wettbewerb nicht genügend gefördert wird. Es gibt ganz
erhebliche Bedenken, auch von wirklichen Fachleuten in
diesem Bereich, die sagen: Hier werden die Chancen zur
Senkung der Preise nicht wirklich wahrgenommen.
Ich will in diesem Zusammenhang noch einmal eine
Frage an Sie stellen. Der Gesetzeswortlaut des § 1 ist ja
ganz eindeutig. Da heißt es ausdrücklich:
Zweck des Gesetzes ist eine möglichst sichere, preisgünstige und umweltverträgliche leitungsgebundene
Versorgung mit Elektrizität und Gas ...
Die ersten beiden Ansätze, sicher und preisgünstig - insbesondere preisgünstig -, erreichen Sie mit diesem Gesetz
an keiner Stelle mehr. Im Grunde verstoßen Sie mit dem,
was Sie nach § 1 schreiben, gegen die Zielvorgabe in
§ 1. Schon deswegen kann dieses Gesetz keinen Bestand
haben. Ich denke, Sie selber wissen, dass die Verbändevereinbarung nur bis zum Ende des Jahres 2002 reicht.
Danach muss eine neue auf den Tisch. Das wird auch der
Anlass sein, das Energiewirtschaftsgesetz insgesamt zu
überprüfen und neu zu fassen. Ihr Gesetz ist kein guter
Weg für die Liberalisierung der Gas- und Elektrizitätsmärkte. Es ist ein stümperhafter Ansatz, der dabei herausgekommen ist. Wir können ihn nur deswegen ertragen,
weil er von so kurzer Lebensdauer sein wird. Ansonsten
müsste man sich große Sorgen machen.
Herzlichen Dank.
({8})
Herr Kollege
Schauerte, mein Bemühen war es, Ihnen die Aufmerksamkeit des Ministers zu ermöglichen. Das ist allerdings
etwas schwierig, wenn auf der Regierungsbank geklönt
wird. Wenn es Rede und Gegenrede gibt, wäre es gut,
wenn alle Beteiligten zuhörten.
Nun erteile ich der Kollegin Michaele Hustedt für
Bündnis 90/Die Grünen das Wort.
Verehrte Präsidentin! Meine Damen! Meine Herren! Mit
der vorliegenden Novelle setzen wir die EU-Richtlinie
Gas um. Wir schaffen damit die Möglichkeiten dafür, dass
es neben dem Wettbewerb auf dem Strommarkt nun auch
einen auf dem Gasmarkt geben kann. Es ist noch einiges
zu tun, damit dieser Wettbewerb in Gang kommt.
Dazu gehört, dass der Zugang zu den Erdgasspeichern geregelt wird. Das ist ein bedeutsamer Punkt, weil
kein Anbieter Versorgungssicherheit garantieren kann,
wenn er keinen Zugang zu den Erdgasspeichern hat. Es
war die einhellige Meinung der beiden Regierungsfraktionen, dass die Definition des Speicherzuganges den
kommerziellen Zugang zu allen freien Speicherkapazitäten einschließen muss. Das wurde auch in dem ersten
Nachtrag zur Verbändevereinigung Erdgas am 15. März
2001 vorgesehen.
({0})
Positiv zu vermerken ist, dass die Braunkohleschutzklausel endlich aufgehoben wird. Dadurch haben wir nun
keinen zweigeteilten Markt mehr, der bedeutete, dass es
im Westen Wettbewerb gab, während es im Osten keinen
Wettbewerb gab. Das hat die ostdeutsche Industrie mit
deutlich höheren Preisen bezahlen müssen. Das war einer
der grundlegenden Fehler Ihres Gesetzes.
({1})
Im Strombereich gibt es ebenso wie im Gasbereich viel
zu tun. Herr Schauerte, Sie haben völlig Recht: Die Preise
steigen wieder. Die Industriepreise liegen im Augenblick
höher als vor der Liberalisierung. Die Preise für die Haushaltskunden sind im Jahr 2002 um 5 Prozent gestiegen.
Sie behaupten, das sei auf die von uns eingeführte Ökosteuer, die KWK und das EEG zurückzuführen. Das ist
mitnichten so. Wenn man die Ertragsentwicklung und die
Gewinnentwicklung der Konzerne parallel betrachtet,
stellt man fest, dass sich die Preiserhöhung in den höheren Gewinnen widerspiegelt.
({2})
Ich nenne Ihnen zwei Beispiele: Bei RWE stieg das Ergebnis im Strombereich im ersten Quartal um 50 Prozent,
bei Eon stieg das Ergebnis um 4,6 Prozent auf 1,3 Milliarden Euro. Die steigenden Preise haben also ihren
Grund. Das kann man gut oder schlecht finden. Man kann
sagen: Die haben auf dem Höhepunkt des Wettbewerbs zu
wenig Gewinne gemacht. Man kann aber deutlich sagen:
Die Preise steigen, weil die Stromkonzerne im Energiebereich steigende Gewinne einfahren.
Das ist darauf zurückzuführen, dass Ihr Gesetz unzureichend war. Es hat nicht dafür gesorgt, für die Dauer des
Verfahrens eine ausreichende Wettbewerbsintensität zu
garantieren. Es gab nur einen kurzen Push; jetzt rutschen
wir langsam in eine ähnliche Struktur zurück.
Den neuen Anbietern auf dem Markt geht es sehr
schlecht. Viele sind inzwischen in Konkurs gegangen:
Abos Energie AG, Posnet, Zeus, Tick-Energie. Im Gegensatz zu RWE, Eon, EnBW und Thüga schreiben Firmen
wie die Naturstrom AG und Naturstromenergie tiefrote
Zahlen.
Deswegen war es notwendig, das Gesetz zu ändern.
Wir haben einen kleinen Schritt getan. In der nächsten Legislaturperiode werden wir in der Tat weitere Schritte machen müssen. Ein wichtiger Punkt ist, dass wir dem Kartellamt ein Recht auf Sofortvollzug an die Hand gegeben
haben. Dadurch können schwarze Schafe unter den Unternehmen sehr schnell vom Markt genommen werden.
Die Unternehmen werden verpflichtet, die Verbändevereinigung ab sofort einzuhalten.
Es gibt Bedenken, ob die Verrechtlichung den Innovationsdruck verringert, weil das Kartellamt über die Verbändevereinbarung hinaus nicht agieren kann. Ich aber
glaube, dass man berücksichtigen muss, dass es sich um
eine Zwischenetappe handelt. Es ist ein dynamischer Prozess. Die Position der CDU ist ein wenig widersprüchlich,
wenn sie einerseits den verhandelten Netzzugang auf der
Basis einer Verbändevereinbarung für heilig erklärt und
auf der anderen Seite genau weiß, dass diese Verbändevereinbarung nur aus zwei Gründen zustande gekommen
ist: weil Minister Müller mit der Einrichtung einer Regulierungsbehörde scharf gedroht hat und weil die Verrechtlichung die Bedingung dafür war, dass manche Verbände
überhaupt unterschrieben haben. Sonst hätte es gar keine
Verbändevereinbarung gegeben und wir wären bei einer
Regulierungsbehörde gelandet. Diese wollen Sie wie der
Teufel das Weihwasser meiden.
({3})
Deswegen haben wir einen Zwischenweg gefunden.
Ich gehe davon aus, dass mit der Richtlinie der Europäischen Union noch Anstöße gegeben werden. Insbesondere für die großen Unternehmen gilt, dass es zu einer
Diskussion über ein stärkeres Unbundling kommen wird.
Ich denke, dass man bei den kleinen Unternehmen darüber diskutieren kann. Holland und Italien sind schon dabei, ihre Gaskonzerne entsprechend aufzuteilen.
Eine Warnung zum Abschluss: Wenn wir bei der Entwicklung des Wettbewerbs kleine Schritte vorangehen,
müssen wir aufpassen, dass es durch andere Prozesse
nicht dazu kommt, dass wir mangels Wettbewerber keinen Wettbewerb mehr haben. Man kann sich natürlich fragen, was der Fortschritt nützt, wenn es keine Akteure
mehr gibt, die tatsächlich miteinander in Wettbewerb treten.
Die Fusion von Eon und Ruhrgas steht an. Das Kartellamt hat diesbezüglich eindeutig gesagt, dass sowohl
bei der Strom- als auch bei der Gasversorgung eine marktbeherrschende Stellung entstehen würde. Von daher gehe
ich davon aus, dass das Wirtschaftsministerium - ich
nenne Herrn Tacke - dies sehr ernsthaft prüfen und die Argumente der Monopolkommission, die jetzt zu erwarten
sind, sehr genau abwägen wird. Ich persönlich hoffe, dass
die Ministererlaubnis in diesem Fall nicht erteilt wird.
Ich fasse zusammen: Wir gehen hier einen kleinen
Schritt in der Entwicklung des Wettbewerbs auf dem
deutschen Markt voran. Es wird noch ein langer Weg sein.
Es ist eine große Aufgabe der Politik, hier eine aktive
Rolle zu spielen und sich nicht, wie es die FDP immer
wieder verlangt, zurückzuziehen.
({4})
In der Tat haben wir es in dieser Legislaturperiode geschafft, den Umweltschutz auf dem liberalisierten Markt
durch Rahmenbedingungen, eine aktive Rolle des Staates,
das KWK-Gesetz, das EEG-Gesetz, die Einsparverordnung und die Altbausanierung voranzubringen. Wir sind
auf dem Weg zu einer nachhaltigen Energiewirtschaft
tatsächlich weitergekommen.
({5})
Gleichzeitig haben wir den Wettbewerb weiterentwickelt.
Die Devise lautet: Umweltschutz und Wettbewerb. Dabei
sind wir tatsächlich ein ordentliches Stück vorangekommen.
({6})
Das Wort hat jetzt der
Kollege Walter Hirche für die FDP-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Mit der Umsetzung der Gasrichtlinie,
die mit der heute vorgestellten Novelle des Energiewirtschaftsgesetzes erfolgt, schafft die Bundesregierung quasi
in letzter Minute Strafzahlungen in Höhe von 500 000
Euro pro Tag aus der Welt. Nur bis Juni hätten wir noch
Zeit gehabt. Dann hätte das Vertragsverletzungsverfahren der EU-Kommission eine neue Stufe erreicht. Sie haben immerhin fast zwei Jahre über den Termin hinaus gebraucht, um die Dinge zurande zu bringen. Dennoch ist es
gut, dass die Gesetzesnovelle jetzt endlich fertig ist. Diesem Teil der Gesetzesänderung, durch den sich die Bundesrepublik unnötige Kosten spart, stimmen wir zu; denn
er war dringend erforderlich.
({0})
Allerdings koppelt die Bundesregierung diese Neuregelung mit einer völlig überflüssigen und sachwidrigen
Einschränkung des Wettbewerbs. Mit der Form, mit der
Sie die Verbändevereinbarung im Gesetz verankern,
schränken Sie zugleich die Rechte des Bundeskartellamtes ein. Das hat die Anhörung am Montag dieser Woche eindeutig ergeben.
({1})
Durch diese Gesetzesnovelle kommt es zu Wettbewerbsbeschränkungen. Damit erweisen Sie den neuen Anbietern eine Bärendienst, Sie schaden den Verbrauchern und
setzen die Marktliberalisierung wieder einmal aufs Spiel.
Ich habe für die FDP einen Kompromissvorschlag gemacht, den Sie auch heute noch akzeptieren können. Statt
der Vermutungsregelung - so haben es die Juristen abgekürzt dargestellt - soll eine BerücksichtigungsregeMichaele Hustedt
lung eingeführt werden. Das Kartellamt hat in seiner Interpretation gesagt, dass genau das der Weg ist, um die
Rechte des Kartellamtes erhalten und trotzdem die Verbändevereinbarung im Gesetz ein Stück verrechtlichen zu
können.
({2})
Ich hätte mir das gewünscht, weil wir mit der Verrechtlichung einerseits und der Erhaltung der Kompetenzen des Bundeskartellamtes andererseits die Diskussion
um eine Regulierungsbehörde - diese kann uns von Brüssel aufgedrückt werden - hätten vermeiden können.
({3})
Das ist leider nicht der Fall. Ich begrüße es, dass der
Sofortvollzug im Gesetzentwurf geregelt ist. Das ist immerhin etwas, aber leider hebt es den Nachteil im Zusammenhang mit Wettbewerbsbeschränkungen nicht auf. Wir
haben dazu schon vor einem Jahr einen Antrag vorgelegt,
bevor die Novelle überhaupt auf den Tisch kam.
Das Verhalten der Koalition, dass man Wettbewerbsbeschränkungen macht, die letzten Endes zulasten der
Verbraucher gehen, weil keine ausreichende Kontrolle
stattfindet, reiht sich nahtlos in die Kette von Subventionsbeschlüssen ein, die Sie an anderer Stelle getroffen
haben, bei denen das Thema CO2-Senkung nur als Vorwand im Raum stand, in Wirklichkeit aber etwas ganz anderes erreicht wurde. Sie haben kein Interesse, auf die
Verbraucher wirklich zuzugehen. Das hat mit dem so genannten KWK-Rettungsgesetz begonnen. Es war der
Wirtschaftsminister und nicht die Opposition, der damals
von „Pennerprämien“ gesprochen hat. Dafür sind Hunderte von Millionen ausgeschüttet worden. Letztlich hat
dieses Gesetz wegen seiner falschen Konstruktion mehr
CO2-Ausstoß bewirkt, als wir vorher hatten.
Sie haben dann den Grundfehler dieses Gesetzes auch
in das Nachfolgegesetz hineingenommen. Sie haben nämlich nur die kommunalen - ich kürze das ein wenig ab und nicht die industriellen Anlagen berücksichtigt.
({4})
Die interessante Begründung dafür wurde auch hier im
Plenum - das möchte ich der Öffentlichkeit noch einmal
vortragen - genannt: In der Industrie wird KWK so günstig erzeugt, dass wir es nicht zu fördern brauchen. Wir
fördern dort, wo es ungünstig erzeugt wird.
Was ist denn das für ein Umgang mit Steuergeldern
bzw. mit dem Geld des Verbrauchers? Das erinnert mich
an die Schulpolitik: Die guten Schüler braucht man nicht
zu fördern. Um etwas für die schlechten Schüler zu tun,
gibt man ihnen gute Noten.
({5})
Das ist die Übertragung des PISA-Konzepts auf die Energiepolitik. Das haben Sie leider beim EEG fortgesetzt. Sie
fördern die Windenergie stärker an den Standorten, an
denen die Voraussetzungen schlechter sind. Das bringt der
Leistungsfähigkeit der deutschen Volkswirtschaft gar
nichts. Man muss bei Innovationen dort ansetzen, wo man
sie am wirkungsvollsten, am effizientesten und unter
Berücksichtigung des Sozialen am besten für die Menschen in diesem Lande machen kann. Nein, Sie sagen:
Diejenigen, die gut sind, brauchen keine Förderung. Anstatt die Guten zu unterstützen, sollen die Schlechteren
mehr bekommen.
({6})
Ich sage Ihnen: Auf diese Weise haben Sie die durch
die Liberalisierung und die Marktöffnung - eine Marktöffnung, um den Verbrauchern zu helfen, ist ein Ziel der
FDP-Politik - gewonnene Entlastung von mehr als
10 Milliarden DM zunichte gemacht. Durch die Liberalisierung der Telekommunikation ist eine erneute Entlastung von 15 Milliarden DM für die Bürger erreicht worden. Sie versuchen, das wieder zu verfrühstücken.
Es war in diesem Fall wieder Wirtschaftsminister
Müller, der sich heute so großartig für die Zusammenarbeit bedankt hat. Er hat gesagt: Ein Arbeitsplatz in der
Windenergie kostet 175 000 Euro. Ich frage mich, was
man mit so viel Geld alles machen könnte, um Arbeitsplätze im Zusammenhang mit Infrastruktur zu schaffen. Ich
mache mir diese Zahl nicht zu Eigen, damit Sie mich nicht
missverstehen. Aber es war der Wirtschaftsminister, der bei
Ihrer Politik von „Pennerprämien“ gesprochen hat. Der
Wirtschaftsminister war es, der die Zahl von 175 000 Euro
pro Arbeitsplatz in diesem Bereich genannt hat.
Ich sage Ihnen: Wir brauchen eine Energiepolitik, die
die erneuerbaren Energien dort fördert, wo sie am effizientesten eingesetzt werden können, nicht dort, wo wir die
meisten Subventionen benötigen. Energiepolitik muss
volkswirtschaftlich orientiert sein. Der Kollege Schauerte
hat darauf hingewiesen, man müsse dort ansetzen, wo es
besonders preisgünstig ist. Eine Energiepolitik, die den
Sozialaspekt der Preisgünstigkeit im Sinne der Verbraucher vernachlässigt, ist unsozial bis dort hinaus.
({7})
Das ist nur eine neue Begründung für Subventionen an
der falschen Stelle. Wir wissen aus dem Kuhhandel um
die Steinkohle, dass das Tausende von Arbeitsplätzen in
der deutschen Verkehrswirtschaft kostet.
Das ist keine gute Energiepolitik. Das ist eine unsoziale
Subventionspolitik, die Sie hier unterstützen. Deswegen
lehnen wir dieses Energiewirtschaftsgesetz ab.
({8})
Jetzt hat das Wort der
Kollege Rolf Kutzmutz für die PDS-Fraktion.
Verehrte Frau Präsidentin!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vielleicht entspricht es
einer Regel im Leben, sich von Grundsätzen zu verabschieden oder sie wenigstens aufzuweichen. Ich meine,
dass die rot-grüne Bundesregierung und die Koalitionsfraktionen mit der heute auf der Tagesordnung stehenden
Gesetzesnovelle zum Energiewirtschaftsrecht einen
Schlusspunkt unter die systematische Aufweichung ihrer
eigenen Grundsätze in der Energiepolitik setzen.
Am Anfang stand das Zauberwort „Ökologischer Umbau“. Der Start mit dem Erneuerbare-Energien-Gesetz
war verheißungsvoll. Aber dann kam - zunächst schleichend und dann immer offener - eine Wende. Zuerst kam
das jahrelange Gewürge um den vernünftigen Umgang
mit der Kraft-Wärme-Kopplung, zu dem es letztlich nicht
kam, dann das Atomverstromungsgarantiegesetz. Sie nennen es bekanntlich „Ausstieg“. Zunehmend haben sich
SPD und Bündnis 90/Die Grünen als Schutzschild weniger etablierter Monopole entpuppt, die sie zu Recht einst
vehement bekämpft haben.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Koalition, ich
will Ihnen gar nicht Ihre starken Worte aus Oppositionszeiten vorhalten. Damals wollten Sie gegen dieses Energiewirtschaftsgesetz sogar nach Karlsruhe ziehen. Aber
das, was Sie heute vorhaben, hätte ich bis gestern weder
der CDU/CSU noch der FDP zugetraut. Noch gestern haben Sie die Kartellämter als allein möglichen Regulator
monopolisierter Märkte gefeiert. Heute knebeln Sie die
Kartellämter mit der so genannten Verrechtlichung privater Verbändevereinbarungen.
Aber das ist noch nicht das Entscheidende. Vielmehr
setzen Sie sogar noch eins drauf. Sie erklären im Gassektor eine Regelung zur guten fachlichen Praxis, die dies bis
heute gar nicht sein kann und nach Ansicht aller Experten
- außer denen von Ruhrgas und anderen alteingesessenen
Gasversorgern - auch nie zu einer guten wettbewerblichen Praxis werden kann.
Ich erinnere den Kollegen Jung nur an seine letzte suggestive Frage in der Anhörung am Montag
({0})
und an die Antwort des Präsidenten des Kartellamts, des
Anwalts und des Vertreters der Industrie. Es ist nicht nur
so, dass Sie die Erde zur Scheibe erklären, sondern Sie
wollen auch noch dafür haften. Ein Kartell weniger unter
Ausschluss der Masse der Energieverbraucher und
potenziellen Erzeuger darf Gesetze machen, für die Sie
von der Koalition Ihren Namen hergeben. Diese Gesetze
gehen nicht nur zulasten des Wettbewerbs, also neuer
Händler, sondern - das ist der PDS besonders wichtig auch auf Kosten der kleinen Haushalte.
Die Gesetze gehen auch auf Kosten einer wirklichen
Energiewende. Neue Anbieter, vom Biogas bis zum Erzeuger solaren Stroms, werden nun endgültig schutzlos
der Willkür der Netzbetreiber ausgeliefert
({1})
und so allzu leicht vom Markt ferngehalten. Denn die
Netzbesitzer bestimmen qua Gesetz die Spielregeln, nach
denen die Wettbewerbswächter und Gerichte künftig das
Treiben beurteilen müssen.
({2})
Eine solche Gesetzgebung ist nicht nur fachlich, sondern
auch in verfassungsrechtlicher Hinsicht zu kritisieren.
({3})
Letztlich entscheidet nicht die vom Volk ausgehende
Staatsgewalt, sondern so genannte Konsensrunden, das
heißt, eine Diktatur der Verbände.
({4})
Die PDS hat zu diesem Irrweg mit ihren Anträgen eine
klare Alternative vorgelegt: die Errichtung eines bundesweiten Regulators, in dem das mittlerweile in den Kartellbehörden entstandene Know-how personell zusammengefasst wird. Dieser Regulator soll aufgrund echter,
von Parlament und Länderkammer bestätigter Verordnungen agieren. Dass diese Verordnungen auf vernünftige
Lösungen aus Verbändevereinbarungen zurückgreifen
können, versteht sich von selbst. Sie müssen aber Resultat gesellschaftlicher Diskussion und nicht einfach ein
Verweis auf Verbandskompromisse sein.
Am Vorschlag der CDU/CSU, die Kartellämter direkt
zum faktischen Regulator zu machen, ohne sie als solchen
zu bezeichnen, stört uns vor allem eines: Damit wird die
bisherige Arbeitsweise und die dabei erreichte Reputation
der Wettbewerbswächter aufgeweicht. Das kann aber im
Hinblick auf deren sonstige Aufgaben eigentlich nicht erwünscht sein. Da aber dieser Vorschlag der momentanen
Lage im Energiesektor noch angemessener ist als der Weg
der Koalition, werden wir in der Abstimmung zwischen
beidem differenzieren.
An Rot-Grün gewandt kann ich jedoch nur sagen:
Wäre dieses Gesetz der Maßstab Ihrer Energiepolitik, hätten Sie es nicht verdient, diese Politik nach dem 22. September fortsetzen zu können.
Danke schön.
({5})
Jetzt hat der Kollege
Volker Jung für die SPD-Fraktion das Wort.
({0})
Frau Präsidentin!
Meine Damen und Herren! Verehrter Kollege Hirche, was
Sie zu unserer Fördersystematik - auch im ErneuerbareEnergien-Gesetz - ausgeführt haben, verdeutlicht, dass
Sie das überhaupt nicht verstanden haben.
({0})
Eine alternative Interpretation wäre: Sie haben es verstanden, aber Sie aktzeptieren es grundsätzlich nicht, dass
wir natürlich die Technologieversionen am stärksten förRolf Kutzmutz
dern, die es am ehesten benötigen, das liegt doch auf der
Hand - immer unter dem Gesichtspunkt, dass sie marktfähig werden können. So haben wir auch die Degression
gestaltet.
({1})
Das als völlig abwegig hinzustellen, finde ich unmöglich.
Herr Kollege Jung,
der Kollege Hirche möchte eine Frage stellen. Wollen Sie
die zulassen?
Ja, gern.
Herr Kollege Jung, ich habe
mich in meiner Argumentation wesentlich auf Zitate des
Bundeswirtschaftsministers gestützt. Halten Sie das, was
der Bundeswirtschaftsminister sagt, auch für ganz abwegig?
({0})
Ich empfehle Ihnen,
Herr Hirche: Besinnen Sie sich doch auf Ihre eigenen Argumente, dann wird das Ganze vielleicht etwas plausibler
werden.
({0})
Da wir gerade bei Ihnen sind, würde ich gerne noch
einmal auf den Kohleantrag eingehen, den Sie vorgelegt
haben und den ich unerhört finde. Der geht auf keine Kuhhaut.
({1})
Oder vielleicht sollte man jetzt mit einem aktuellen Bezug
sagen: Der passt auf keine Schuhsohle. Sie fordern die
Halbierung der Förderung in den Jahren 2002 bis 2005.
Dabei schließen Sie jetzt auch nicht mehr betriebsbedingte Kündigungen im Bergbau aus. Ich kann Ihnen dazu
nur sagen: Die Vereinbarung, die 1997 geschlossen worden ist, haben Sie mit einem liberalen Wirtschaftsminister
geschlossen. Wenn Sie das heute infrage stellen, brechen
Sie diese Vereinbarung. Ich finde, das ist unerhört. Im
Grunde kann man aber dankbar sein, dass Sie das der Öffentlichkeit so deutlich vor Augen führen.
({2})
Das ist eine Politik, die nur entschieden zurückgewiesen werden kann. Ich glaube, dass wir auch in Zukunft einen Kohlesockel brauchen. Wenn man sich vor Augen
hält, dass in der Zukunft der erhöhte Strombedarf, den wir
weltweit zu erwarten haben, in erster Linie durch fossile
Energieträger gedeckt wird und die Steinkohle dabei eine
erhebliche Rolle spielen wird,
({3})
müssen wir heute alle Anstrengungen unternehmen, sie
effizienter einzusetzen, eine Strategie der Clean Cold
Technology zu verfolgen,
({4})
wie es heute schon in den Vereinigten Staaten und Japan
gemacht wird, wo es einen erheblichen technologischen
Vorsprung gibt. Hier müssen wir in Zukunft sehr aktiv
werden.
({5})
Ich komme zum Kern der heutigen Debatte zurück, zur
ersten Novelle zum Energiewirtschaftsgesetz, zu dieser
schon nach vier Jahren notwendigen Novelle. Wir verfolgen damit zwei wesentliche Ziele. Das erste Ziel ist die
Umsetzung der europäischen Gasrichtlinie, die erst europäisches Recht geworden ist, nachdem unser Energiewirtschaftsgesetz hier verabschiedet worden ist, und die
vollständig umgesetzt werden muss. Ich bin der Auffassung, dass das relativ unproblematisch hätte geschehen
können; denn die Kontroversen haben sich in Grenzen gehalten. Wir hatten ein Problem mit der Nutzung der Speicherkapazitäten. Aber ich meine, dass wir in diesem Bereich jetzt eine Lösung gefunden haben: Immer dann,
wenn technisch die Notwendigkeit besteht, den Netzzugang zu erreichen, sollte dies auch gesetzlich festgelegt
werden. Das ist sozusagen der weniger problematische
Bereich gewesen.
Problematischer hat sich die Diskussion über die wettbewerbsrechtlichen Aspekte dargestellt. Es ist schon deutlich geworden, dass hier sehr vieles an unserem Gesetzentwurf, wie ich finde, falsch interpretiert wird. Es ging
darum - ich möchte unterstreichen, was der Bundeswirtschaftsminister ausgeführt hat; ich glaube auch, dass das
Konsens im Wirtschaftsausschuss gewesen ist -, den verhandelten Netzzugang zu verteidigen. Diese Konsenslinie
haben wir eigentlich immer festgestellt. Ich möchte das an
dieser Stelle noch einmal unterstreichen. Aber wenn Sie
sich zu diesem verhandelten Netzzugang bekennen, brauchen Sie auch ein Regime der Verbändevereinbarungen. Wenn Sie an diesem Pult jetzt sagen, dass die Verrechtlichung der Verbändevereinbarung überflüssig sei
({6})
oder in der Sache falsch angelegt sei,
({7})
dann schütten Sie das Kind mit dem Bade aus.
Der Punkt an der ganzen Sache ist doch: Ein Sofortvollzug von Kartellamtsentscheidungen ist eigentlich nur
dann akzeptabel, wenn man auch klare rechtliche Rahmenbedingungen vorgibt.
({8})
Volker Jung ({9})
Das kann man entweder durch die Netzzugangsverordnung machen - das hat lange Zeit in der Diskussion eine
ganz wichtige Rolle gespielt - oder aber man kann das
machen, indem man Verbändevereinbarungen verrechtlicht oder ihnen eine höhere rechtliche Verbindlichkeit
verleiht, damit nicht das Bundeskartellamt oder die Kartellsenate der Gerichte sozusagen aus der Tiefe ihres
Gemüts die Kriterien schöpfen. Sie müssen vielmehr
rechtlich klar vorgegeben sein. Das ist der eigentliche
Zweck der Verrechtlichung der Verbändevereinbarungen.
({10})
Das hat auch etwas mit der differenzierten Struktur der
Netze in Deutschland zu tun; denn es ging immer darum,
den Netzbetreibern zu ermöglichen, ihre Kosten bei den
Durchleitungsentgelten zu berücksichtigen. Wenn das
durch das Vergleichsmarktprinzip, das die Kartellbehörden bei ihren Entscheidungen berücksichtigen, verhindert
würde, dann wären in Zukunft Investitionen in den Erhalt
und den Ausbau der Netze gefährdet. Das ist nicht Sinn
der Sache. Das heißt also, das Kostenprinzip muss an irgendeiner Stelle zum Tragen kommen. Deshalb sind wir
mit der Verrechtlichung der Verbändevereinbarungen auf
dem richtigen Weg; denn nur so ist ein Sofortvollzug von
Kartellamtsentscheidungen möglich.
({11})
Ich bin übrigens der Auffassung - damit bin ich von
der Position des Kollegen Schauerte gar nicht so weit entfernt -, dass dies eine Momentaufnahme ist, dass entsprechend der Marktentwicklung auch das rechtliche Instrumentarium weiterentwickelt werden muss. Die
Verbändevereinbarungen sind ja bis zum Ende des Jahres
2003 befristet. Wir vermuten aufgrund der Diskussionen,
die sowohl auf der nationalen Ebene als auch in der Europäischen Union geführt werden, dass die endgültige
Entscheidung über unser Wettbewerbsmodell in der Zukunft fallen wird.
Ich bin der Auffassung, dass sich die Qualität des Wettbewerbs in Zukunft ohnehin an der faktischen Marktentwicklung orientieren wird. Wir müssen heute feststellen,
dass der Strom- und auch der Gasmarkt durch eine erhebliche Konzentrationswelle gekennzeichnet ist, was wir
übrigens bei der Beratung des Energiewirtschaftsgesetzes
vorausgesagt haben. Die Entwicklung geht nach der
Marktöffnung von Monopolen im geschützten Markt hin
zu Oligopolen. Das Bundeskartellamt spricht sogar von
einem Duopol im Strommarkt und von einer marktbeherrschenden Stellung im Gasmarkt.
({12})
Ich möchte an dieser Stelle gerne zum Ausdruck bringen,
dass wir uns immer - davon werden wir uns auch in Zukunft
leiten lassen - für den Erhalt einer differenzierten, pluralen
und dezentralen Energieversorgungsstruktur ausgesprochen
haben. Diese sollten wir auch zukünftig stärken;
({13})
denn eine solche Struktur bietet die größten Chancen, in
der Unternehmenspolitik auch Umweltschutzgesichtspunkte zu berücksichtigen. So können wir Wertschöpfung
und Beschäftigung in unserem Land auf einem hohen Niveau halten.
Insofern ordnet sich die Novelle zum Energiewirtschaftsgesetz in unsere Politik ein, die darauf abzielt, eine
Energiewende einzuleiten. Damit haben wir noch in dieser Legislaturperiode einen gewissen Abschluss erreicht.
Uns ging es in erster Linie darum, den durch eine unkontrollierte Liberalisierung in Unordnung geratenen Markt
durch Korsettstangen wieder in Ordnung zu bringen. Das
gilt für das Erneuerbare-Energien-Gesetz und das KraftWärme-Kopplungsgesetz, aber auch für die jetzt vorliegende Novelle zum Energiewirtschaftsgesetz. All das
gehört zu unserem Energieschutzprogramm. Wir sind mit
dieser Politik auf einem guten Weg.
({14})
Da dies voraussichtlich meine letzte Rede im Deutschen Bundestag ist, möchte ich gerne die letzte Minute
meiner Redezeit nutzen, um mich bei meinen Kollegen,
insbesondere bei den energiepolitischen Sprechern der
Fraktionen, zu bedanken. Herr Hirche, trotz aller Kontroversen danke ich für die gute Zusammenarbeit,
({15})
die gerade durch die Kontroversen fruchtbare Ergebnisse
gezeitigt hat. Ich bedanke mich bei Herrn Grill, auch
wenn er nicht immer den Titel eines energiepolitischen
Sprechers getragen hat, bei Herrn Kutzmutz und besonders herzlich bei meiner Kollegin und Mitstreiterin
Michaele Hustedt, die ich sehr schätzen gelernt habe. Ich
wünsche Ihnen alles Gute für die Zukunft.
({16})
Herr Kollege Jung,
ich drücke Ihnen im Namen des ganzen Hauses für Ihr
nachhaltiges Engagement auf dem Energiesektor und bei
sonstigen politischen Themen meinen Respekt und meine
Anerkennung aus. Wir wünschen Ihnen für den nächsten
Lebensabschnitt alles Gute.
({0})
Zum Abschluss der Debatte hat jetzt der Kollege KurtDieter Grill für die CDU/CSU-Fraktion das Wort.
Frau Präsidentin!
Meine Damen und Herren! Wenn man die Rede des Bundeswirtschaftsministers, aber auch der Kollegen aus der
Koalition gehört hat, dann muss man sich daran erinnern,
dass dieses Gesetz einige Zeit liegen geblieben ist. Insofern ist das, was hier heute vorgetragen wurde, gar nicht
so selbstverständlich. Interessant ist auch, worüber im
Laufe der Zeit alles diskutiert worden ist und was in einem Artikelgesetz ebenfalls hätte geregelt werden sollen,
heute aber nicht vorliegt, etwa die Fragen des EEG und
der Absenkung der Vergütungen für Strom aus WindenerVolker Jung ({0})
gie. Ich werde auf die Themen, die hier gar nicht mehr
auftauchen, zurückkommen.
Herr Minister, wenn Sie hier schon die Politik dieser
Bundesregierung zum Besten erklären, was es in Deutschland jemals gegeben habe,
({1})
dann erinnere ich Sie nur daran, dass Sie zusammen mit
Herrn Breuer ein Jahr lang einen Energiedialog geleitet
haben, der aber bis heute nicht in ein Energiekonzept der
Bundesregierung umgesetzt worden ist.
({2})
Würde man Sie nach den Perspektiven bis 2020 fragen,
könnten Sie keine Antwort geben.
Einer der entscheidenden Sätze, über die Sie heute und
auch gestern schon hinweggegangen sind, ist für mich der
folgende: Die klimapolitischen Fragen, die durch den
Ausstieg aus der Kernenergie aufgeworfen werden, sind
nicht beantwortet.
({3})
Ich widerspreche Ihnen ausdrücklich, wenn Sie hier sagen, wir seien diejenigen, die die Steinkohle in Deutschland stilllegen wollten. Genauso wie in anderen Parteien
gibt es auch bei uns Kollegen, die bei der Steinkohlesubvention anders denken, als Sie es hier vorgetragen haben.
Aber die Mehrheit der CDU/CSU-Bundestagsfraktion
- ich erinnere an das, was Helmut Kohl 1997 gemacht hat ist für die Steinkohle und für die Kumpel in einer Art und
Weise verantwortlich tätig geworden, die Sie nicht berechtigt, heute davon zu sprechen, die CDU/CSU sei nicht
an der Seite der Steinkohle.
({4})
Herr Minister, Sie hätten heute Morgen einmal vortragen können, wie die Steinkohlesubventionsfolgeregelung
nach Auslaufen des EGKS-Vertrages aussehen wird.
Nach dem, was wir bis jetzt hören, sind Sie damit noch
nicht fertig, obwohl Sie seit zwei Jahren verhandeln. Sie
haben für den Herbst 2000 eine Lösung angekündigt. Dies
ist also auch kein Glanzstück Ihrer Regierungspolitik.
Sie zahlen nicht nur im Verkehrssektor - diese Frage
hat Walter Hirche hier schon aufgegriffen -, sondern Sie
haben auch die Öffnung der Märkte in Frankreich und
Spanien nicht einfordern können, weil Sie deren Zustimmung für die Steinkohlesubventionen brauchten. Das ist
die Realität.
({5})
Ich komme zu dem, was Sie zur ostdeutschen Braunkohle gesagt haben, und erinnere die Sozialdemokraten
daran, dass sie die Braunkohleschutzklausel, die wir 1998
in das Gesetz eingefügt haben, für zu schwach gehalten
haben.
({6})
Angesichts dessen dürfen Sie heute nicht davon sprechen,
Sie hätten hier im Interesse der Kunden etwas regulieren
müssen. Damals haben wir es im Interesse der ostdeutschen Kumpel und der ostdeutschen Kraftwerkswirtschaft
getan. Sie wollten seinerzeit mehr, weil Sie es für unzureichend gehalten haben.
({7})
Herr Kollege Jung, hinsichtlich der Kohletechnologie
sind wir uns völlig einig. Das müssen Sie mit den Mitgliedern Ihrer Fraktion in der Enquete-Kommission
klären, die den Vorschlag der IG BCE zur Kohle schlicht
und einfach abgelehnt haben.
({8})
Den Wahlkampf 1998 haben Sie mit der Verfassungsklage zur Wiedereinführung des kommunalen Monopols
geführt. Sie hätten jetzt eine Chance gehabt, das hier zu
regeln. Die Verfassungsklage schmort in Karlsruhe. Das,
womit Sie 1998 Wahlkampf gemacht haben - ({9})
- Du hast es zwar nicht gefordert, bist aber mit in Haft.
Sie haben gesagt, die Preise seien gesenkt worden.
Hartmut Schauerte hat verdeutlicht, dass dagegen Steuererhöhungen wie die Stromsteuer wirksam wurden.
({10})
- Lieber Herr Müller, die Vertreter der Aluminiumindustrie waren bei mir und haben gefragt, ob Sie den Weg mitgehen würden, den Herr Jung im Hinblick auf KWK stolz
verkündet hat. Wir kappen die Belastungen bei der stromintensiven Industrie und verteilen sie auf den Mittelstand
und die Tarifkunden. Diese Politik haben Sie im Zusammenhang mit dem KWK-Nachfolgegesetz vorgetragen.
Dann kommt noch eine wunderschöne Geschichte. Sie
hätten jetzt die Gelegenheit gehabt, die Verwerfungen in
Bezug auf Steuern oder Abgaben aus EEG und KWK mit
einer Gesetzesnovelle zu beseitigen. Die Rechtsprechung
der Gerichte ist unterschiedlich. Also hätte es an dieser
Stelle einer juristischen Klarstellung seitens der Politik
bedurft. Stattdessen ist es möglich, dass sich der nordrhein-westfälische Landesminister weigert, die Rechnung
aus EEG und KWK zu bezahlen. Das verlangen Sie aber
von der Industrie, vom Mittelstand und vom Tarifkunden.
Da, wo Sie selber Verantwortung haben, zahlt ein grüner
Landesminister die Rechnung nicht. Sie sollten sich schämen, wenn Sie mit dem Finger auf uns zeigen.
({11})
Sie zahlen nicht, obwohl Sie im Grunde genommen die
Rechnung bestellt haben.
({12})
Trotz all dieser rechtlichen Novellierungen bleibt die
Wirtschaft in der Pflicht, nachzuweisen, dass sie mit dem
verhandelten Netzzugang die im Vergleich zur Regulierung bessere Politik macht.
Sie haben die Klimaziele gestrichen. Herr Bundeswirtschaftsminister, ich erinnere Sie an Ihren Energiebericht
und an die Kosten in Höhe von 250 Milliarden Euro, um
die die Politik, die Sie verkündet haben, die Klimapolitik
teurer macht.
({13})
Dann will ich noch einen Satz sagen, Herr Kollege
Jung. Ich finde es immer unheimlich gut, dass diejenigen,
die früher die Monopole kritisiert haben, heute den Wettbewerb kritisieren. Aber wenn Sie schon über Eon, Ruhrgas und diese Dinge sprechen, dann sollten Sie - ({14})
- Na ja, das haben Sie schon gemeint.
Herr Kollege, das
wird aber ein langer Satz. Ihre Redezeit ist weit überschritten.
Dazu will ich Ihnen
einen letzten Satz sagen.
({0})
Der Bundeskanzler hat zu einer Zeit, zu der das Kartellamt noch gar nicht entschieden hatte, Eon und Ruhrgas
signalisiert: Ihr habt meine politische Unterstützung.
({1})
Er hat es auf einer Betriebsversammlung gesagt.
Herr Kollege, würden
Sie bitte zum Schluss kommen.
Dies war ein frühzeitiges Signal der Politik für das, was Sie heute kritisieren.
({0})
Sie kritisieren nicht uns und auch nicht die Wirtschaft,
sondern Ihren eigenen Bundeskanzler, wenn Sie dies
heute vortragen.
Herzlichen Dank.
({1})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Neuregelung des Energiewirtschaftsrechts, Drucksache 14/5969.
Dazu liegen mir persönliche Erklärungen von den Kollegen Fell und Scheer vor.
Der Ausschuss für Wirtschaft und Technologie empfiehlt unter Nr. 1 seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 14/9081, den Gesetzentwurf in der Ausschussfassung anzunehmen. Hierzu liegt ein Änderungsantrag der
Fraktion der FDP auf Drucksache 14/9115 vor, über den
wir zuerst abstimmen. Wer stimmt für diesen Änderungsantrag? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Damit ist der
Änderungsantrag gegen die Stimmen von CDU/CSU und
FDP abgelehnt.
({0})
Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Aus-
schussfassung zustimmen, um das Handzeichen. - Ge-
genprobe! - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist in
zweiter Beratung gegen die Stimmen von CDU/CSU,
FDP und PDS angenommen.
Wir kommen zur
dritten Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen, sich zu erheben. - Wer stimmt
dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist ange-
nommen.
Wir stimmen nun über den von der Fraktion der PDS
eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung des Energie-
wirtschaftsgesetzes ab, Drucksache 14/6796. Der Aus-
schuss für Wirtschaft und Technologie empfiehlt unter Nr. 2
seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 14/9081, den
Gesetzentwurf abzulehnen. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen, um das Handzeichen. - Ge-
genprobe! - Enthaltungen? - Keine. Der Gesetzentwurf
ist in zweiter Beratung abgelehnt. Damit entfällt nach un-
serer Geschäftsordnung die weitere Beratung.
Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Aus-
schusses für Wirtschaft und Technologie, Drucksache
14/9081, zu dem Antrag der Fraktion der CDU/CSU mit
dem Titel „Fairen Wettbewerb im Strom- und Gasmarkt
effektiv und effizient sichern“. Der Ausschuss empfiehlt
unter Nr. 3 seiner Beschlussempfehlung, den Antrag auf
Drucksache 14/7614 abzulehnen. Wer stimmt für diese
Beschlussempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? -
Gegen die Stimmen von CDU/CSU und FDP bei Enthal-
tung der PDS ist die Beschlussempfehlung angenommen.
Unter Nr. 4 seiner Beschlussempfehlung auf Druck-
sache 14/9081 empfiehlt der Ausschuss für Wirtschaft
und Technologie die Ablehnung des Antrags der Fraktion
der PDS auf Drucksache 14/6795 mit dem Titel „Zu-
gangsverordnung für Stromnetze erlassen“. Wer stimmt
für diese Beschlussempfehlung? - Gegenprobe! - Enthal-
tungen? - Gegen die Stimmen der PDS ist die Beschluss-
empfehlung angenommen.
Abstimmung über den von der Bundesregierung ein-
gebrachten Gesetzentwurf über Energiestatistiken,
Drucksache 14/8388. Der Ausschuss für Wirtschaft und
Technologie empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung
auf Drucksache 14/9080, den Gesetzentwurf in der Aus-
schussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wol-
len, um das Handzeichen. - Offensichtlich sind das alle.
Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Keine. Der Ge-
setzentwurf ist damit in zweiter Beratung angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Of-
fensichtlich sind das alle. Dann ist der Gesetzentwurf ein-
stimmig angenommen.
Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Aus-
schusses für Wirtschaft und Technologie auf Drucksache
14/8183 zu dem Antrag der Fraktion der FDP mit dem Ti-
tel „Energiebericht für eine energiepolitische Grundsatz-
debatte nutzen“. Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf
Drucksache 14/7814 abzulehnen. Wer stimmt für diese
Beschlussempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? -
Gegen die Stimmen von CDU/CSU und FDP ist die Be-
schlussempfehlung angenommen.
Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Aus-
schusses für Wirtschaft und Technologie auf Drucksache
14/7139 zu dem Antrag der Fraktion der FDP mit dem Ti-
tel „Marktwirtschaftliche Förderung des Einsatzes erneu-
erbarer Energieträger“. Der Ausschuss empfiehlt, den An-
trag auf Drucksache 14/5328 abzulehnen. Wer stimmt für
diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? -
Wer enthält sich? - Gegen die Stimmen der FDP bei Ent-
haltung der CDU/CSU ist die Beschlussempfehlung an-
genommen.
Tagesordnungspunkte 23 g bis 23 i. Interfraktionell
wird Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen
14/8279, 14/5465 und 14/6968 an die in der Tagesord-
nung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. - Damit
sind Sie einverstanden. Dann ist die Überweisung so be-
schlossen.
Ich rufe nun die Tagesordnungspunkte 24 a und 24 b
auf:
a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Maria
Böhmer, Wolfgang Bosbach, Maria Eichhorn, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/
CSU
Vermeidung von Spätabtreibungen - Hilfen für
Eltern und Kinder
- Drucksache 14/6635 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ({1})
Rechtsausschuss
Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung
Ausschuss für Gesundheit
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Christel
Riemann-Hanewinckel, Dr. Hans-Peter Bartels,
Anni Brandt-Elsweier, weiterer Abgeordneter und
der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten
Irmingard Schewe-Gerigk, Kerstin Müller ({2}),
Rezzo Schlauch und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Rechtsanspruch auf Beratung im Mutterpass
zusätzlich festschreiben
- Drucksache 14/9030 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ({3})
Ausschuss für Gesundheit
Ich wünsche denjenigen, die uns jetzt leider verlassen
wollen, ein fröhliches Pfingstfest.
({4})
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Das ist dann so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Kollegin
Christel Riemann-Hanewinckel für die SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben jetzt
zwei Anträge zu behandeln, die dann noch in den Ausschüssen weiter beraten werden, Anträge, die eigentlich
- zu der Erkenntnis kommen wir, wenn wir uns die Geschichte ansehen - überflüssig sind; denn das, was in den
Anträgen gefordert wird - zum Teil stimmt das überein,
zum Teil differiert das sehr -, ist seit sieben Jahren als geltendes Recht festgeschrieben.
1992 und 1995 wurde im Schwangeren- und Familienhilfegesetz bzw. im Schwangerschaftskonfliktgesetz der
Rechtsanspruch auf Beratung im Zusammenhang mit allen eine Schwangerschaft mittelbar und unmittelbar betreffenden Fragen festgeschrieben. Die Erfahrung der Beratungspraxis der vergangenen sieben Jahre zeigt aber,
dass ein Großteil der schwangeren Frauen zwar medizinisch beraten wird, aber über die Möglichkeiten und
Grenzen der pränatal-diagnostischen Untersuchungen
nicht ausreichend informiert wird. Die betroffenen Frauen
werden in der Regel nicht darauf hingewiesen, dass sie einen Anspruch - jenseits humangenetischer bzw. medizinischer Angebote - auf psychosoziale Beratung haben.
Medizinisch steht immer wieder das Angebot bzw. die
Erwartung vonseiten der Medizin im Vordergrund, dass
sich die schwangeren Frauen dem gesamten Paket der
pränatalen Diagnostik unterziehen sollen. Vonseiten der
Medizin wird im Gespräch meistens nicht deutlich gemacht, dass qualifizierte Schwangerenberatung und -vorsorge noch etwas anderes ist als eine Vielzahl von pränatal-diagnostischen Untersuchungen. Es wird auch nicht
deutlich gemacht, dass die Frau im Vorfeld ein Recht hat,
zu entscheiden, ob sie solche Untersuchungen will oder
nicht. Sie hat außerdem ein Recht auf Nichtwissen in Bezug auf das, was im Zuge der pränatalen Diagnostik herauskommt.
Das Problem ist, dass Schwangerschaft oft genug als
Risiko bzw. als Krankheit behandelt wird und dass Frauen
und Paare oft allein gelassen werden, wenn sie bei einer
fortgeschrittenen Schwangerschaft erfahren, dass ihr mit
Freuden erwartetes Kind eventuell Behinderungen haben
könnte. Ich sage das deshalb so vorsichtig, weil auch die
pränatale Diagnostik - bis auf ganz wenige Ausnahmen in der Regel nicht abschließend sagen kann, ob dieses
Kind eine Schädigung haben wird oder nicht.
Deshalb wollen die Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen eine Änderung im Mutterpass
Vizepräsidentin Anke Fuchs
erreichen. Der Mutterpass ist das Dokument, das den
Frauen zu Beginn der Schwangerschaft übergeben wird.
Wenn man sich diesen Pass anschaut, dann erkennt man,
dass alle Informationen, die aus medizinischer Sicht für
eine Vorsorge nötig sind, dort enthalten sind. Es ist sogar
noch die eine oder andere darüber hinaus gehende Information enthalten. Was aber nicht im Mutterpass verzeichnet ist, ist, dass jede Frau einen Rechtsanspruch auf psychosoziale Beratung hat. Diesen Anspruch wollen wir im
Mutterpass festschreiben. Deshalb fordern wir die Bundesregierung auf, mit den entsprechenden Stellen zu verhandeln, dass der Mutterpass entsprechend erweitert
wird. Es sollen auch geschulte Beraterinnen in Anspruch
genommen werden können.
Darüber hinaus ist eine Vernetzung der unterschiedlichsten Beratungszweige notwendig, die wir in Deutschland haben und die zum Teil schon gut miteinander arbeiten. Damit ist sichergestellt, dass betroffene Eltern
darüber informiert werden, welche Hilfen und welche Unterstützung es vonseiten der Gesellschaft und der Institutionen gibt, wenn sie sich für ein behindertes Kind entscheiden.
Die Bundesarbeitsgemeinschaft für Rehabilitation
hat ein umfangreiches Angebot aufgeführt. Aber auch darüber wird so gut wie nicht von den entsprechenden Stellen informiert. Eltern haben berichtet, dass sie sehr
schnell einen Termin für eine Abtreibung nach der
12. Schwangerschaftswoche bekommen. In der Regel erhalten sie aber nicht die Information, wo sie sich kundig
machen können, wo sie ähnlich Betroffene beispielsweise
in Selbsthilfegruppen finden können und von welchen
Stellen in ihrer Kommune Hilfe zu erwarten ist, wenn sie
Mühe haben, mit einem behinderten Kind zu leben.
Darüber hinaus geht es vor allen Dingen darum, Frauen
und Eltern so zu unterstützen, dass sie das Leben in all seinen Formen als lebenswert akzeptieren können. Es geht
aber auch darum, zu akzeptieren, dass sich Frauen im Einzelfall ganz anders entscheiden. Alle Optionen müssen aus
unserer Sicht offen gehalten werden, nicht nur die Option
auf Wissen und Nichtwissen, ob ein Kind eine mögliche
Schädigung hat, sondern auch die Option für die Frau, entscheiden zu können, ob sie einen Schwangerschaftsabbruch nach der 12. Woche vornehmen lassen will.
Wir gehen davon aus, dass eine Frau und ihr Partner
nach einer mindestens zwölfwöchigen Schwangerschaft
möchten, dass ihr Kind geboren wird, und dass die künftigen Eltern deshalb mit der Schwangerschaft, also mit
ihrem Kind, verantwortlich umgehen wollen. Wir nehmen
an, dass sich eine Frau und ihr Partner für die Geburt ihres Kindes entscheiden, wenn entsprechende Beratungsangebote da sind. Wir in der SPD können uns nicht vorstellen, dass es eine Beratungspflicht gibt; schließlich gilt
es zu respektieren und zu akzeptieren, dass es die Eltern
sind, die nicht nur mit dem Kind, sondern auch für das
Kind leben müssen.
Die im Antrag der CDU/CSU aufgestellte Forderung
nach Erstellung einer Statistik unterstützen wir nicht. Mit
einer solchen Statistik wäre der Datenschutz nicht mehr
gewährleistet. Durch eine solche Statistik würde überall
kundgetan, welche Familie, welche Frau, welche Eltern
betroffen sind. Deshalb haben wir uns in unserem Antrag
eindeutig darauf beschränkt, es bei der Forderung zu belassen, einen Rechtsanspruch auf Beratung im Mutterpass
zusätzlich festzuschreiben.
Vielen Dank.
({0})
Für die CDU/CSUFraktion spricht jetzt die Kollegin Maria Eichhorn.
Frau Präsidentin!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Jede Schwangerschaft
und jede Geburt ist mit vielen Hoffnungen und Erwartungen verknüpft. Sie birgt gleichzeitig aber auch Risiken,
Gefährdungen und Ungewissheiten. Die Diskussion über
den uneingeschränkten Schutz des menschlichen Lebens
in all seinen Phasen hat uns in den letzten Jahren - auch
hier, im Parlament - immer wieder herausgefordert. Der
Schutz des ungeborenen Lebens ist mir persönlich ein
sehr wichtiges Anliegen. Schon lange bevor ich Abgeordnete des Bundestages geworden bin, habe ich dafür
gekämpft.
Das Bundesverfassungsgericht hat uns in seinem Urteil
vom 28. Mai 1993 unter anderem beauftragt, menschliches Leben, auch das ungeborene, zu schützen sowie ausreichende Maßnahmen zu ergreifen, damit ein angemessener und als solcher wirksamer Schutz erreicht wird.
Als Verhandlungsführerin der CDU/CSU habe ich erlebt, wie schwierig es war, nach jahrelangem Streit über
die Abtreibungsregelung einen parteiübergreifenden
Kompromiss zu schließen. Je intensiver ich mich mit dem
Thema beschäftigt habe, umso klarer wurde mir, dass es
nicht einfach sein würde, eine Antwort zu finden. Der
Schutz der ungeborenen Kinder hat für mich oberste Priorität. Gleichzeitig sehe ich es aber auch als Verpflichtung
und Auftrag, Frauen in Konfliktsituationen nicht allein zu
lassen und Hilfen anzubieten.
({0})
Mit der Verabschiedung des Schwangeren- und Familienhilfeänderungsgesetzes wurde im Juni 1995 die so genannte embryopathische Indikation als eigener Tatbestand abgeschafft und in die medizinische Indikation
aufgenommen. Wir, die Mitglieder der Unionsfraktion,
hatten lange mit der Frage gerungen, ob wir dies verantworten können. Insbesondere die Behindertenverbände,
aber auch die Kirchen haben uns in zahlreichen Gesprächen und Anhörungen immer wieder aufgefordert,
auf eine embryopathische Indikation zu verzichten. Sie
sahen in dieser Indikation eine Diskriminierung behinderter Menschen. Je tiefer wir in dieses Thema eingestiegen sind, umso mehr kamen wir zu der Überzeugung: Wir
können dem berechtigten Anliegen der Behindertenverbände nur dann Rechnung tragen, wenn wir keine Sonderregelungen schaffen.
In der Begründung zur medizinischen Indikation haben
wir dann 1995 klargestellt, dass eine Behinderung in keiChristel Riemann-Hanewinckel
nem Fall zu einer Minderung des Lebensschutzes führen
kann. Damit haben wir nochmals unmissverständlich
deutlich gemacht, dass die Behinderung als solche niemals ein Grund zum Schwangerschaftsabbruch sein kann.
Dies setzt natürlich auch voraus, dass wir Rahmenbedingungen schaffen, die ein Leben mit behinderten Menschen
ermöglichen. Hier ist die Familienpolitik, aber auch jeder
Einzelne gefordert. Es kommt darauf an, wie wir mit Behinderten umgehen und wie wir uns gegenüber Müttern verhalten, die ein behindertes Kind zur Welt bringen. Darüber
hinaus übernehmen auch die Ärzte eine ganz besondere Verantwortung. Sie sind es in der Regel, die den Schwangeren
mitteilen, dass sie ein behindertes Kind erwarten.
Um diesen Schwangeren jeden möglichen Rat und jede
mögliche Hilfe anbieten zu können, haben wir das
Schwangerenkonfliktgesetz in wichtigen Punkten ergänzt. Die bisherigen Erfahrungen zeigen leider - das hat
Frau Hanewinckel auch schon angesprochen -, dass der
Schutz behinderten ungeborenen Lebens den verfassungsrechtlichen Anforderungen nicht genügt. Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes wurden in der Bundesrepublik Deutschland im letzten Jahr insgesamt
134 964 Schwangerschaftsabbrüche gemeldet. In 177 der
gemeldeten Fälle kam es zu einem Schwangerschaftsabbruch nach der 23. Woche. Im Vergleich zum Jahr 2000
mit 154 Fällen war dies eine Zunahme um 15 Prozent. Die
Dunkelziffer liegt nach Angaben von Fachleuten weitaus
höher, da in der Bundesrepublik Deutschland nicht alle
Schwangerschaftsabbrüche gemeldet und statistisch erfasst werden. Frank Ulrich Montgomery, Vorsitzender des
Marburger Bundes, schätzt die Zahl der Spätabtreibungen
auf über 800.
Entgegen der gesetzgeberischen Erwartung aus dem
Jahre 1995 zeigt sich jetzt, dass Schwangerschaftsabbrüche allein wegen der Behinderung eines Kindes erfolgen. Da es sich um eine medizinische Indikation handelt,
findet weder eine psychosoziale Beratung statt, noch gilt
eine Frist für die Vornahme des Schwangerschaftsabbruchs. Wir müssen daher davon ausgehen - es gibt solche nachweisbaren Fälle -, dass es auch in einer sehr späten Phase der Schwangerschaft, in der das ungeborene
Kind außerhalb des Mutterleibs bereits lebensfähig wäre,
noch zum Abbruch der Schwangerschaft kommt. Da es
darüber keine Statistiken gibt, verfügen wir nicht über genaue und differenzierte Erkenntnisse.
Seit Anfang 1999 hat die CDU/CSU-Fraktion in zahlreichen Gesprächen mit Vertreterinnen und Vertretern der
Wissenschaft, der Kirchen und der Wohlfahrtsverbände
nach Lösungen gesucht, um Spätabtreibungen nach Möglichkeit zu vermeiden. Der Antrag, den wir heute hier einbringen und in erster Lesung beraten, ist das Ergebnis
zahlreicher Gespräche und Anhörungen.
Die Zunahme der pränatalen Diagnostik hat inzwischen dazu geführt, dass mittlerweile - man höre - 70 bis
80 Prozent der Schwangerschaften als Risikoschwangerschaften diskutiert werden. Diese Entwicklung ist sowohl
unter frauenpolitischen als auch unter gesundheitsökonomischen Aspekten fatal.
({1})
Eine umfassende Beratung vor und nach pränataler
Diagnose ist ein Kernpunkt unseres Antrages. Die pränatale Diagnose muss mit einer vorausgehenden umfassenden Beratung durch einen fachkundigen Arzt verbunden
sein. Wir wollen, dass Eltern frühzeitig besser über die
möglichen medizinischen Erkenntnisse und die damit oft
verbundenen Konfliktsituationen dieser pränatalen Diagnostik aufgeklärt werden. Deshalb soll die medizinische
Beratung um eine psychosoziale Beratung erweitert werden. Zusätzlich wollen wir einen Hinweis in den Mutterpass aufnehmen, um dieses Beratungsrecht zu verankern.
Doch dieses allein genügt nach unserer Überzeugung
nicht. Durch all diese Maßnahmen können wir bereits im
Vorfeld die Konfliktsituationen für Eltern vermindern und
Spätabtreibungen entgegenwirken. Nach einer pränatalen
Diagnose mit pathologischem Befund muss nach unserer
Meinung sowohl eine Beratung durch einen fachkundigen
Arzt als auch eine psychosoziale Beratung erfolgen.
({2})
Wir werden oftmals gefragt, warum wir eine Beratungspflicht einführen wollen. Wir sind nach zahlreichen
Gesprächen mit Fachleuten zu diesem Ergebnis gekommen. In den Anhörungen wurde deutlich, dass Frauen in
bestimmten Bereichen der Medizin nicht ausreichend aufgeklärt werden. Die Praxis zeigt, dass Frauen, denen in einem Pränatalzentrum eine pathologische Diagnose gestellt wurde, der Abbruch gleich mit angeboten wird.
Diese Frauen stehen unter großem Druck und nehmen
sich oft nicht mehr genug Zeit zur Überlegung, weil die
Lösung so nahe liegt. Eine sofortige Abtreibung bietet
sich nicht nur räumlich an, sondern ist auch praktikabel,
weil sich zunächst in der Schocksituation gar kein anderer Lösungsweg anbietet.
Mit der Beratungspflicht nach einer pränatalen Diagnose mit positivem Befund wollen wir Frauen in ihrer
Entscheidung unterstützen. Unser Ansatz ist, neben einer
medizinischen Beratung alle Möglichkeiten und Hilfen
aufzuzeigen, die es Eltern ermöglichen, auch Kinder mit
einer Behinderung anzunehmen.
({3})
Auf der Grundlage möglichst umfassender Informationen, die alle Aspekte einbeziehen, kann sich eine Frau
überlegen, ob sie es schafft, auf Dauer mit einem behinderten Kind zu leben, und kann sich dann für oder gegen
die Fortsetzung der Schwangerschaft entscheiden.
Wenn eine medizinische Indikation vorliegt, halten wir
es für notwendig, dass Ärzte verschiedener Disziplinen
das Ergebnis bestätigen. Dadurch kann die Prognoseentscheidung auf eine breitere Basis gestellt werden und es
trägt nicht ein Arzt allein die Verantwortung. Die Bundesärztekammer selbst hat auf diese Notwendigkeit hingewiesen.
Da aus unserer Sicht die statistische Erfassung von Abtreibungen bislang unzureichend ist, fordern wir eine verbesserte Erfassung aller Spätabtreibungen, zum Beispiel
die Erfassung der Art der jeweiligen Behinderung oder
eine genaue Beschreibung des Befunds. Bundesjustizministerin Herta Däubler-Gmelin äußerte sich dazu in einem
„Spiegel“-Interview im Jahr 1999 wie folgt:
Wir kennen die schrecklichen Einzelfälle nur aus den
Medien. Wir wissen zu wenig, was sich wirklich tut
und warum. Das müssen wir zuerst ändern.
Das ist richtig. Deshalb setzen wir uns für eine differenzierte und genauere Erfassung der Spätabtreibungen
ein.
Leider haben wir in den interfraktionellen Gesprächsrunden keine Einigung erzielen können. Dies ist umso bedauerlicher, als in dem gerade vorgelegten Abschlussbericht der Enquete-Kommission „Recht und Ethik der
modernen Medizin“ einstimmig eine gesetzliche Regelung bezüglich der Spätabtreibungen empfohlen wird. Vor
diesem Hintergrund appellieren wir an alle Abgeordneten,
unserem Antrag zuzustimmen.
({4})
Wir, die wir damals die Verhandlungen geführt haben,
sind uns einig, dass alles getan werden muss, um Spätabtreibungen zu vermeiden. Als Gesetzgeber müssen wir
handeln, weil uns nicht nur das Bundesverfassungsgericht, sondern auch unser Gewissen dazu verpflichtet.
({5})
Ich erteile der Kollegin Irmingard Schewe-Gerigk für die Fraktion des
Bündnisses 90/Die Grünen das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Seit Rot-Grün die Regierungsverantwortung
übernommen hat, ist es guter Brauch, dass bei besonderen
- meist bei frauenpolitischen - Themen fraktionsübergreifende Initiativen gebildet werden. Meist waren sie
von Erfolg gekrönt, wie zuletzt das Beispiel der „anonymen Geburten“ zeigt. Beim Thema Spätabtreibung, über
das wir heute sprechen, ist es leider trotz einer zweieinhalbjährigen Beratung nicht gelungen, eine einvernehmliche Position zu finden. Ich bedauere das sehr, weil ich
davon überzeugt bin, dass dies kein Thema für den Wahlkampf sein darf.
1995 wurde mit der Neuregelung des § 218 StGB die
embryopathische Indikation für Schwangerschaftsabbrüche bis zur 22. Woche gestrichen. Das war eine richtige
Entscheidung. Aufgenommen wurde in den novellierten
Strafrechtsparagraphen eine medizinische Indikation, die
sachgerecht, ohne Befristung und ohne Pflicht zur Beratung zu erfolgen hat.
Genau an dieser Stelle beginnt der politische Konflikt.
Die CDU/CSU geht davon aus, dass Abtreibungen aufgrund einer medizinischen Indikation allein wegen eventueller Behinderung des Embryos erfolgen würden, und
fordert darum eine Klarstellung des Gesetzes. Aber, liebe
Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU, es gibt
nichts klarzustellen. Der § 218 a Abs. 2 sieht vor, dass eine
absehbare Behinderung des Ungeborenen allein kein
Grund für einen Abbruch ist. Vielmehr muss damit die
Abwendung einer Gefahr für Gesundheit oder Leben der
Schwangeren verbunden sein. Dass im Einzelfall eine andere ärztliche Entscheidung getroffen wird, ist nicht vom
Wortlaut des Gesetzes gedeckt. Diese Regelung des
§ 218 a ist eindeutig. Daran ist mit den Grünen nicht zu
rütteln.
({0})
- Mit der SPD auch nicht.
Auch Ihre Idee, die schwangere Frau, die sich ja in einer extrem schwierigen Situation befindet, solle sich einem „interdisziplinär besetztem Kollegium“ stellen, halten wir für unangemessen. Wir wollen demgegenüber, dass
sich die behandelnde Ärztin oder der behandelnde Arzt
von Kolleginnen und Kollegen eine zweite Meinung einholt. So kann das notwendige Fachwissen erworben und
gute Betreuung der Schwangeren gewährleistet werden.
Sie fordern außerdem eine Haftungsfreistellung der behandelnden Ärzte und Ärztinnen. Dies ist bei einer medizinischen Indikation eine äußerst merkwürdige Forderung. Sie würde zudem zu Rechtsunsicherheit zulasten
der Frauen führen. Auch das lehnen wir ab.
Zu Ihrem Wunsch nach einer statistischen Erfassung
der Spätabtreibungen nach Art der Behinderung, Befundbeschreibung, Art des Eingriffs und Komplikationen verweisen wir auf die Äußerung des Bundesbeauftragten für
den Datenschutz. Er warnte angesichts der geringen Zahlen - wir gehen von 150 Abbrüchen nach der 23. Woche
aus - ausdrücklich vor einer weiteren statistischen Aufschlüsselung, da dadurch Rückschlüsse auf den Einzelfall
möglich wären.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, für werdende Eltern,
die sich verantwortungsvoll auch für ein behindertes Kind
entscheiden wollen, spielen Aufklärung und Beratung
eine wichtige Rolle. Darum brauchen wir eine verbesserte
psychosoziale Beratung. Sie muss aber freiwillig sein.
({1})
Damit die Schwangeren wissen, dass ihnen neben der medizinischen und humangenetischen Beratung auch das
Recht auf eine kostenfreie psychosoziale Beratung zusteht, wollen SPD und Grüne dies im Mutterpass festschreiben.
Unser Ziel muss eine verbesserte Beratung sein, die in
allen Bundesländern nach einheitlichen Kriterien erfolgt.
Auch darum begrüße ich insbesondere das bundesweite
Modellprojekt der Bundesregierung „Entwicklung von
Beratungskriterien für die Beratung Schwangerer bei zu
erwartender Behinderung des Kindes“.
Liebe Kolleginnen und auch Kollegen - es sind ja nur
noch wenige da -, lassen Sie mich zum Schluss noch eines
sagen: Nach dem Fall des so genannten Oldenburger Babys, das beim Abbruch der Schwangerschaft bereits lebensfähig war, wurde von Ärzten - auch wegen drohender
Schadensersatzklagen - die Forderung erhoben, Schwangerschaftsabbrüche nach vorgeburtlicher Diagnostik zu
befristen. Sie sollen nur möglich sein, solange die Kinder
außerhalb des Mutterleibes noch nicht lebensfähig sind.
Die Befristung einer medizinischen Indikation - ich
habe vorhin gesagt, was das bedeutet - lehnen wir ab. Hier
wissen wir uns auch aufgrund einer Anhörung im Bundesjustizministerium mit namhaften Medizinern und Juristen
und Juristinnen einig. Neben der von diesen gesehenen
Gefahr von Panikabbrüchen vor Ablauf der Frist und der
Wiedereinführung der embryopathischen Indikation
durch die Hintertür würde auch der Konsens aufgekündigt, dass Spätabtreibungen sich nicht verbieten lassen,
wenn das Leben der Schwangeren in Gefahr ist. Das sollte
uns wichtig sein.
({2})
Meine Damen und Herren, schwangere Frauen brauchen
Hilfe, Unterstützung und Beratung, gerade wenn sie ein
Kind mit einer Behinderung erwarten. Was sie aber nicht
brauchen, sind Misstrauen und Unterstellungen, sie würden
leichtfertig das Leben ihres Kindes aufs Spiel setzen.
Vielen Dank.
({3})
Jetzt hat die Kollegin
Ina Lenke für die FDP-Fraktion das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kollegen
und Kolleginnen! Mit ihrem Antrag „Vermeidung von
Spätabtreibungen - Hilfen für Eltern und Kinder“ macht
die Fraktion der CDU/CSU zu Recht auf ein Thema aufmerksam, dem sich die Politik jetzt widmen sollte: auf
den seit Verabschiedung des Schwangeren- und Familienhilfeänderungsgesetzes im Jahr 1995 neu gestalteten Tatbestand der so genannten medizinischen Indikation für einen Schwangerschaftsabbruch nach § 218 a Abs. 2.
Diese medizinische Indikation soll „eine Gefahr für
das Leben oder die Gefahr einer schwerwiegenden Beeinträchtigung des körperlichen oder seelischen Gesundheitszustandes der Schwangeren“ abwenden. In diesem
neuen Tatbestand ist aber auch die frühere so genannte
embryopathische Indikation - das heißt die Abwendung
der dringenden Gefahr einer schwerwiegenden, nicht behebbaren Schädigung des Gesundheitszustandes des Kindes - aufgegangen und als eigener Tatbestand abgeschafft
worden.
Ein Schwangerschaftsabbruch ist nach medizinischer
Indikation zeitlich unbegrenzt möglich und setzt auch
keine Schwangerenberatung voraus. Es gibt nicht nur bei
der CDU/CSU-Fraktion Bedenken gegen diese Regelung.
Genaue empirische Daten zur Praxis der Anwendung werden allerdings nach geltendem Recht nicht erhoben. Insofern ist es schwierig, festzustellen, ob der Schutz des
menschlichen Lebens bei Schwangerschaftsabbrüchen
nach medizinischer Indikation mit dieser Regelung adäquat verwirklicht wird oder nicht und welche Maßnahmen
Verbesserungen bringen.
Der CDU/CSU-Forderung, dass die empirische Datenbasis verbessert werden sollte und dass die Schwangeren
auch im Fall der medizinischen Indikation eine qualifizierte nicht nur medizinische, sondern auch psychosoziale
Beratung erhalten sollen, kann ich zustimmen.
({0})
Wichtig ist bei dieser Beratung nach meiner Auffassung,
dass sie nicht durch die Person erfolgt, die gegebenenfalls
den späteren Schwangerschaftsabbruch vornimmt.
({1})
Ein entsprechendes Beratungskonzept, so meint die
FDP, sollte bereits an die Pränataldiagnostik geknüpft
werden. Auch sollte hier der behandelnde Arzt bzw. die
behandelnde Ärztin nicht der bzw. die Beratende sein und
zusätzlich eine psychosoziale Beratung erfolgen. Insofern, liebe Kollegen und Kolleginnen, ist die Zielsetzung
des zusätzlichen Antrages der Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen zu begrüßen, die den schon bestehenden Rechtsanspruch auf Beratung im Mutterpass verankern und damit auch bekannter machen will. Ob allerdings, liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU, Forderungen
wie die nach einem Leistungsgesetz für Behinderte und
nach einem vielköpfigen interdisziplinären Gremium,
dem die Schwangere sich stellen soll, der richtige Lösungsweg sind, bezweifele ich sehr.
Wir werden deshalb diese Anträge in den Ausschüssen
sorgfältig prüfen. Ich denke auch, wir sollten gemeinsam
eine öffentliche Anhörung fordern und Experten einladen,
um uns weitere Kenntnisse anzueignen. Ich würde mich
freuen, wenn wir im Ergebnis vielleicht gemeinsam angemessene und wirklich zielführende Forderungen formulieren könnten. Wir haben ja - das hat Frau Schewe-Gerigk
vorhin gesagt - sehr lange über die anonyme Geburt beraten, die hoffentlich noch in dieser Legislaturperiode zur
Abstimmung steht. Ich habe festgestellt, dass wir bei frauenspezifischen Anträgen und bei Änderungen, die für
Frauen und für Kinder wichtig sind, oftmals eine gemeinsame Basis finden, um etwas für Frauen und Mütter in
dieser Republik zu tun. Ich finde, das ist eine sehr vertrauensvolle Zusammenarbeit. Wenn es unterschiedliche
Meinungen in einer Sache gibt, dann ist das eben so. Der
gute Wille ist aber da. Deshalb freue ich mich auch, dass
wir diese beiden Anträge im Ausschuss und dann in der
Anhörung gemeinsam beraten werden.
({2})
Für die PDS-Fraktion
spricht jetzt die Kollegin Petra Bläss.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Auch ich bedauere das Aufbrechen des
interfraktionellen Konsenses in der Frage der Regelung
von Spätabtreibungen sehr. Ich finde es sehr schade, dass
das Ergebnis jahrelanger fraktionsübergreifender Gespräche nun zwei grundsätzlich verschiedene Anträge
sind. Kernpunkt des Vorschlages der Koalition ist, wie
Frauen in Schwangerschaftskonfliktsituationen geholfen
werden kann. Das findet unsere uneingeschränkte Unterstützung. Kernpunkt des Vorschlages der CDU/CSU
dagegen ist, wie das ohnehin viel zu restriktive Selbstbestimmungsrecht von Schwangeren noch mehr eingeschränkt werden kann. Das kann nur unsere entschiedene
Ablehnung finden.
({0})
Anstatt schwangeren Frauen ein uneingeschränktes
Selbstbestimmungsrecht zuzusichern und - das sollte
man auch in einer solchen Debatte noch einmal betonen den § 218 ersatzlos zu streichen, soll nach Ihren Wünschen der unsägliche § 218 auch noch verschärft werden.
Anstatt schwangeren Frauen ein uneingeschränktes
Selbstbestimmungsrecht zuzusichern und ihnen eine qualifizierte psychosoziale Beratung einfach nur anzubieten,
wollen Sie eine Beratungspflicht einführen und den
unsäglichen § 218 StGB verschärfen; er sollte vielmehr
ersatzlos gestrichen werden. Anstatt die pränatale Diagnose kostenfrei zu halten, fordern Sie, dass die Kosten
nur übernommen werden, wenn eine vorherige Beratung
erfolgt ist.
Wir haben also zwischen zwei Alternativen zu entscheiden: Einerseits wird ein konstruktives Hilfsangebot
und andererseits eine destruktive staatliche Bevormundung vorgeschlagen.
Es ist richtig, in diesem Zusammenhang noch einmal
daran zu erinnern, dass es für behinderte Kinder und ihre
Eltern hierzulande nach wie vor nur unzureichende Hilfen
gibt. Deutschland ist noch immer kein behindertenfreundliches Land. Wer will, dass sich Eltern für behinderte Kinder entscheiden, muss auch dafür sorgen, dass
behinderte Kinder im Alltag nicht benachteiligt werden.
Der Koalitionsantrag greift zu Recht die Frage auf, wie
Eltern während der Schwangerschaft bei schwerwiegenden Entscheidungen geholfen werden kann, ohne dass
sie vom Staat gegängelt werden. Ein ausgeweitetes Recht
auf kostenlose Beratung im Mutterpass festzuschreiben,
ist richtig. Das wird von uns unterstützt. Die Entscheidung für oder gegen Beratung muss Sache der Schwangeren selbst bleiben. Das qualifizierte Angebot muss vorhanden sein; aber es darf nie - genauso wenig wie die
Entscheidung gegen einen Abbruch der Schwangerschaft zur Pflicht gemacht werden. Dieses fundamentale Entscheidungsrecht der Frauen darf nicht angetastet werden.
Außerdem soll und muss gewährleistet bleiben, dass das
Beratungsangebot freiwillig genutzt werden kann und
sämtliche Kosten von der Krankenkasse zu übernehmen
sind.
Danke.
({1})
({2})
Als nächste Rednerin erhält die Abgeordnete Inge Wettig-Danielmeier das
Wort.
Frau Präsidentin!
Meine Damen und Herren! Es gab einige tragische Fälle
von Spätabtreibungen, die in der Öffentlichkeit zu Auseinandersetzungen geführt haben. Gleichwohl ist die Zahl von
Schwangerschaftsabbrüchen, die nach der 22. Schwangerschaftswoche unter der Voraussetzung einer medizinischen Indikation durchgeführt wurden, gering geblieben.
Im Jahr 2001 sind 177 Fälle erfasst worden; im Jahr davor
waren es weniger.
Alle Beteiligten wollen die Zahl der Spätabtreibungen
auf ein unvermeidbares Minimum beschränken. Frau
Schewe-Gerigk und Frau Eichhorn haben darauf hingewiesen, dass wir in einer interfraktionellen Arbeitsgruppe
seit Jahren darüber diskutiert haben. Dabei waren wir uns
der besonderen Problematik von Spätabbrüchen nach pränataler Diagnostik bewusst. Ich möchte daran erinnern,
dass wir uns bei der Neufassung des § 218 StGB im Jahr
1995 darüber einig waren, dass es bei der Indikationsstellung auf die Belastbarkeit und die Lebensperspektive der
Frau und nicht auf die mögliche Behinderung des Kindes
ankommt.
({0})
Die Möglichkeit einer embryopathischen Indikation
haben wir damals gemeinsam gestrichen, um klarzustellen:
Die gesundheitliche Schädigung des Embryos begründet
nicht automatisch einen Schwangerschaftsabbruch. Im
Übrigen war ein Abbruch zwischen der 22. Woche und
dem Ende der Schwangerschaft schon vor der Neufassung
des § 218 im Jahre 1995 zulässig, wenn die Voraussetzungen der medizinischen Indikation vorgelegen haben.
Im Rahmen der Arbeitsgruppe der Fraktionen haben
wir viele Gespräche mit Expertinnen und Experten, Ärztinnen und Ärzten, erfahrenen Beraterinnen aus Schwangerschaftsberatungsstellen und mit Juristen geführt. Wir
haben auch den Wissenschaftlichen Dienst des Deutschen
Bundestags um Stellungnahme gebeten. Das Fazit von juristischer Seite war klar: Der Gesetzestext des § 218 StGB
ist eindeutig; eine gesetzliche Änderung ist nicht notwendig.
({1})
Die mögliche Behinderung eines ungeborenen Kindes ist
nach der gegebenen Rechtslage keine eigenständige Indikation für einen Schwangerschaftsabbruch nach § 218 a
Abs. 2 des Strafgesetzbuches. Das heißt, dass der Abbruch
der Schwangerschaft nur dann zulässig ist, wenn nach
ärztlicher Erkenntnis unter Berücksichtigung der gegenwärtigen und zukünftigen Lebensverhältnisse der Schwangeren eine Gefahr für ihr Leben oder die Gefahr einer
schweren Beeinträchtigung des körperlichen oder seelischen Gesundheitszustandes der Schwangeren, die damit
abgewendet werden soll, besteht. Allein diese gesetzlich
vorgeschriebenen Voraussetzungen begründen eine medizinische Indikation und müssen vom Arzt im konkreten
Fall abgewogen werden.
Wir sind uns alle darüber im Klaren, dass eine solche
Beurteilung, insbesondere in einem späten Stadium der
Schwangerschaft, schwierig ist. Der Arzt muss die Folgen eines pathologischen Befundes sorgfältig abwägen
- selbstverständlich auch unter Einbeziehung des Rates von
Fachkollegen -, gemeinsam mit der Schwangeren erörtern
und dann entscheiden. Einen Oktroi für die Frauen darf es
aber nicht geben.
({2})
Die Forderung der CDU/CSU-Fraktion nach einer Klarstellung des gesetzgeberischen Willens durch Änderung
des Gesetzes ist deshalb überflüssig und würde zudem zu
keiner Änderung führen. Allenfalls wäre es weiße Salbe
für das innerparteiliche Leben oder - das kann man auch
sagen - die dort auftretenden Konflikte.
Die Berichte aus der Praxis zeigten, dass umfassende
Beratungsangebote für werdende Eltern wichtig sind. Vor
allem gilt dies - auch darin sind wir uns alle einig - für
eine psychosoziale Beratung und Aufklärung im Zusammenhang mit der pränatalen Diagnostik. Wir sind uns
ebenfalls darin einig, dass der Anspruch auf Beratung
nach § 2 des Schwangerschaftskonfliktgesetzes durch einen Eintrag im Mutterpass bekannter wird und damit häufiger angenommen wird.
Die Geister scheiden sich bei der Frage der Freiwilligkeit und des Zwangs. Deshalb sind wir leider nicht zu einer
Einigung gekommen. Als Sozialdemokratin glaube ich daran, dass das Notwendige auch freiwillig getan wird. Welcher Druck wird aufgebaut, wenn Frauen, die sich in der
Regel bewusst für die Schwangerschaft entschieden haben,
gezwungen werden, sich einer Beratung zu unterziehen!
Der Vorschlag, die Kostenübernahme der Krankenkassen
für pränatale Diagnostik an die Beratung zu knüpfen, ist
eine Gängelung der Betroffenen. Wir lehnen ihn ab.
({3})
Die Methoden der pränatalen Diagnostik sollen der
Gesundheit von Mutter und Kind sowie der Verbesserung
der gesundheitlichen Perspektiven für das Kind dienen.
Sie dürfen keine Selektionsmittel für Föten mit pathologischem Befund sein. Den werdenden Eltern sollte der bewusste und verantwortungsvolle Umgang mit pränataldiagnostischen Methoden und ihren Folgen erleichtert
werden, und zwar nicht nur durch Beratung, sondern auch
- ich glaube, das ist vor allem wichtig - durch ein gesellschaftliches Klima, das keinen Druck auf Frauen und Familien ausübt.
({4})
Der Datenschutzbeauftragte hat uns darüber informiert, dass eine detaillierte Datenerfassung von Spätabbrüchen bei der gegenwärtigen Rechtslage möglich ist.
Allerdings darf die Identität der Betroffenen bei der begrenzten Anzahl von Fällen nicht entschlüsselt werden
können. Auch sollte der gesellschaftliche Nutzen erkennbar sein.
Ich bedauere, dass wir uns nicht einigen konnten, sodass der notwendige Konsens zum Schwangerschaftsabbruch infrage gestellt wird, wenn auch glücklicherweise
nicht grundsätzlich. Ich hoffe, wir finden zum Konsens
zurück.
Danke schön.
({5})
Danke schön. -
Ich schließe damit die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf
Drucksachen 14/6635 und 14/9030 an die in der Tages-
ordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind
Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann sind die
Überweisungen so beschlossen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 25 a bis 25 d auf:
a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Verbraucherinformationsgesetzes ({0})
- Drucksachen 14/8738, 14/8992 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft ({1})
- Drucksache 14/9065 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Gudrun Kopp
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verbraucherschutz,
Ernährung und Landwirtschaft ({2})
- zu dem Antrag der Fraktion der CDU/CSU
Verbraucherinformationsgesetz effektiv gestalten
- zu dem Entschließungsantrag der Abgeordneten Gudrun Kopp, Rainer Funke, Hildebrecht
Braun ({3}), weiterer Abgeordneter und
der Fraktion der FDP
zu der Abgabe einer Erklärung durch die
Bundesregierung
Auf dem Weg in eine verbraucherorientierte
Marktwirtschaft
- Drucksachen 14/8784, 14/8520, 14/9065 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Gudrun Kopp
c) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Neuorganisation des gesundheitlichen Verbraucherschutzes und der Lebensmittelsicherheit
- Drucksachen 14/8747, 14/9008 ({4})
aa) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verbraucherschutz, Ernährung
und Landwirtschaft ({5})
- Drucksache 14/9064 -
Berichterstattung:
Abgeordneter Franz Obermeier
bb) Bericht des Haushaltsausschusses ({6}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung
- Drucksache 14/9078 Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Uwe-Jens Rössel
Iris Hoffmann ({7})
Josef Hollerith
Franziska Eichstädt-Bohlig
Jürgen Koppelin
d) Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen
der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur
Änderung des Absatzfondsgesetzes
- Drucksache 14/8585 ({8})
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft ({9})
- Drucksache 14/9062 -
Berichterstattung:
Abgeordneter Siegfried Hornung
Bundesministerin Künast und die Kolleginnen und
Kollegen Widmann-Mauz, Teuchner, Kopp, Lüth, Kumpf
und Deß haben darum gebeten, die Reden zu Protokoll ge-
ben zu dürfen.1) Sind Sie damit einverstanden? - Das ist
der Fall. Dann können wir so verfahren.
Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf eines Verbraucherinformationsgesetzes. Der Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft empfiehlt
unter Nr. 1 seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 14/9065, den Gesetzentwurf in der Ausschussfassung
anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf
in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das
Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den
Stimmen der Koalitionsfraktionen und der PDS gegen die
Stimmen von CDU/CSU und FDP angenommen worden.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte Sie, sich zu erheben,
wenn Sie dem Gesetzentwurf zustimmen wollen. - Wer
stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf
ist auch in der dritten Lesung mit dem eben festgestellten
Stimmenverhältnis angenommen worden.
({10})
Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion der FDP auf Drucksache 14/9111. Wer stimmt dafür?
- Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der PDS gegen die Stimmen der FDP und
der CDU/CSU abgelehnt worden.
Zurück zur Beschlussempfehlung des Ausschusses für
Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft auf
Drucksache 14/9065: Der Ausschuss empfiehlt unter Nr. 2
dieser Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags
der Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache 14/8784 mit
dem Titel: „Verbraucherinformationsgesetz effektiv gestalten“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung des
Ausschusses? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die
Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der CDU/CSU und
zwei Stimmen aus der FDP bei Enthaltung von drei Stimmen aus der FDP angenommen worden.
Unter Nr. 3 seiner Beschlussempfehlung empfiehlt der
Ausschuss die Ablehnung des Entschließungsantrags der
Fraktion der FDP auf Drucksache 14/8520 zu der Abgabe
einer Erklärung durch die Bundesregierung mit dem Titel:
„Auf dem Weg in eine verbraucherorientierte Marktwirtschaft“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung?
- Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen
und der PDS gegen die Stimmen von CDU/CSU und FDP
angenommen worden.
Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Neuorganisation des gesundheitlichen Verbraucherschutzes und der Lebensmittelsicherheit. Der Ausschuss für Verbraucherschutz,
Ernährung und Landwirtschaft empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 14/9064, den Gesetzentwurf in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte
Sie um das Handzeichen, wenn Sie dem Gesetzentwurf in
der Ausschussfassung zustimmen wollen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist in zweiter
Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und
der PDS gegen die Stimmen von CDU/CSU und FDP angenommen worden.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Bitte erheben Sie sich, wenn Sie
zustimmen wollen. - Wer stimmt dagegen? - Gibt es Enthaltungen? - Das ist nicht der Fall. Der Gesetzentwurf ist
in dritter Lesung mit dem eben festgestellten Stimmenverhältnis angenommen worden.
Abstimmung über den von den Fraktionen der SPD
und des Bündnisses 90/Die Grünen eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung des Absatzfondsgesetzes,
Drucksache 14/8585. Der Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft empfiehlt in seiner
Beschlussempfehlung, den Gesetzentwurf anzunehmen.
Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen
wollen, um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der
PDS gegen die Stimmen von CDU/CSU und FDP angenommen worden.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte Sie, sich zu erheben,
wenn Sie zustimmen wollen. - Wer stimmt dagegen? - Gibt
es Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit auch in
dritter Lesung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen
und der PDS gegen die Stimmen von CDU/CSU und FDP
angenommen worden.
Es liegt eine Erklärung des Abgeordneten Günter Graf
({11}) zu seinem Abstimmungsverhalten zum Ge-
setzentwurf zur Änderung des Absatzfondsgesetzes vor.
Sie wird zu Protokoll genommen.2)
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer
1) Anlage 5 2) Anlage 3
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 26 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Peter
Götz, Gerda Hasselfeldt, Heinz Seiffert, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU
Erschwernis von Erschließungsmaßnahmen
durch Doppelbesteuerung verhindern
- Drucksache 14/8593 Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss({12})
Innenausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
Die Reden der Abgeordneten Eichstädt-Bohlig,
Schüßler und Höll sollen zu Protokoll gegeben werden.1)
Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall.
({13})
- Die Rede des Abgeordneten Schild wird auch zu Protokoll gegeben. Dann würde nur noch der Kollege Peter
Götz reden. Ist das richtig? - Wenn Sie reden möchten, haben Sie das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich habe ja Verständnis dafür,
dass Sie nicht zu diesem Thema reden wollen, weil Sie
vermutlich auch nichts dazu zu sagen haben.
({0})
Wir beschäftigen uns heute mit einem scheinbar kleinen Problem, nämlich der doppelten Besteuerung bei der
Baulanderschließung. Das Problem ist aber, wie gesagt,
nur scheinbar klein; denn der Schaden, der bei diesem
Thema durch Ihre Regierung angerichtet wurde, ist groß.
Er ist für die Gemeinden groß, die ohnehin zu den Hauptgeschädigten durch diese Bundesregierung gehören, und
auch für die Bauwirtschaft. Auch sie gehört zu den Leidtragenden rot-grüner Politik. Er ist aber auch für die Häuslebauer groß, bei denen es sich bekanntlich sehr häufig um
Familien mit Kindern handelt.
Mit der Doppelbesteuerungsregelung wurden die Baulanderschließung und damit das Bauen in Deutschland in
unangemessener Weise verteuert. Lassen Sie mich das
kurz begründen.
({1})
Die Regierung Schröder hat in ihrer Sehnsucht nach
neuen Steuerquellen den abstrusen Einfall gehabt, die Erschließung von Bauland durch gewerbliche Erschließungsträger zweimal mit Umsatzsteuer zu belegen. Umgesetzt
wurde dies mit einem einfachen Steuererlass im Dezember 2000.
({2})
- Wenn Sie reden wollen, gehen Sie doch ans Mikrofon.
Sie haben die Gelegenheit dazu.
({3})
Seitdem kämpfen Bürgermeister und Bauwirtschaft, die
kommunalen Spitzenverbände und die Wohnungswirtschaft erfolglos gegen diese Doppelbesteuerung. Seit Monaten hören wir, dass das Problem nun bald gelöst sein
wird. Geändert hat sich aber bis heute nichts.
({4})
Nun soll es angeblich bei der nächsten Zusammenkunft
der Steuerreferatsleiter aus den Finanzministerien von
Bund und Ländern zu einer Lösung kommen. Hoffen wir
es! Wir haben nichts dagegen, dass es zu einer vernünftigen Lösung kommt. Wenn unser Antrag einen Beitrag
dazu leistet, dann hat sich die Initiative gelohnt.
Ich frage mich allerdings, warum die Bundesregierung
für die Rücknahme einer Fehlentscheidung die Steuerreferatsleiter braucht. Es ist eine Posse, eine Baumaßnahme
zweimal mit derselben Steuer zu belegen. Sie ist aber
symptomatisch für die Politik der rot-grünen Bundesregierung. Es ist überall das gleiche Bild: Mit großen Worten wird von Steuerentlastungen für Bürger und Wirtschaft geredet, aber die Wirklichkeit beweist genau das
Gegenteil.
({5})
Ständig werden neue Steuern erfunden. Eine als Jahrhundertwerk verkaufte minimale Entlastung auf der einen
Seite wird auf der anderen Seite sofort wieder kassiert, ob
über die Ökosteuer, die Versicherungssteuer oder die Tabaksteuer; wir kennen das alle. Der einzelne Bürger hat
nicht mehr Geld in der Tasche, sondern weniger. Die
größte Kreativität hat die Bundesregierung stets beim Erfinden neuer Griffe in die Taschen der Bürger entwickelt.
Unser Antrag beschäftigt sich mit einem besonders
spitzfindigen Einfall. Bekanntlich haben die Gemeinden
die Aufgabe, Bauland bereitzustellen und zu erschließen.
So ist es in § 123 des Baugesetzbuches geregelt. Darin
heißt es auch:
Die Erschließungsanlagen sollen ... kostengünstig
hergestellt werden.
Mit dem Investitionserleichterungs- und Wohnbaulandgesetz hat die CDU/CSU-geführte Bundesregierung bereits
1993 dafür gesorgt, dass die Städte und Gemeinden Erschließungsmaßnahmen an private Unternehmen übertragen können, wenn sie dies wollen. Diese Regelung hat
sich bewährt; denn dadurch werden kommunale Haushalte entlastet und Bauland kann beschleunigt erschlossen
werden. Bauwillige Familien kommen so schneller und
kostengünstiger zum Eigenheim. Allen Beteiligten war damit geholfen. 1997 haben wir diese von allen gelobte Erleichterung unverändert in das novellierte Baugesetzbuch
übernommen. Ich meine, das war ein großer Erfolg der
CDU/CSU-Baupolitik in der letzten Legislaturperiode.
({6})
Seitdem haben immer mehr Gemeinden von der Mög-
lichkeit Gebrauch gemacht, private Erschließungsträger
mit der Baulandmobilisierung zu beauftragen.
Mit dem Erlass von Dezember 2000 hat Rot-Grün die
seinerzeit erzielten Vorteile zerstört. Denn seither wird die
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer
1) Anlage 6
Mehrwertsteuer von 16 Prozent gleich zweimal abkassiert. Das erste Mal fällt sie an, wenn die Gemeinden
einen Erschließungsvertrag abschließen. Bei Erschließungskosten von einer Million Euro muss auf die Rechnung die Mehrwertsteuer von 16 Prozent, also 0,16 Millionen Euro, aufgeschlagen werden. Diese Kosten werden
auf die Grundstückseigentümer umgelegt. Nach Fertigstellung der Erschließungsanlage werden die Flächen in der
Regel den Gemeinden unentgeltlich übertragen. Sobald der
Vertrag dafür abgeschlossen ist, fallen für den gleichen
Vorgang noch einmal Umsatzsteuern an, wieder 16 Prozent, und die müssen jetzt die Kommunen bezahlen.
Die Folgen dieser Neuregelung aus dem Jahr 2000 sind
katastrophal. Der Abschluss von Erschließungsverträgen
ging seither drastisch zurück, weil die Gemeinden aus
verständlichen Gründen diese doppelte Mehrwehrsteuer
nicht bezahlen wollen. Die Vorteile für Bauherren und
Gemeinden, schneller Bauland zu mobilisieren, die Idee
des seinerzeitigen Gesetzes, sind damit zunichte gemacht.
Ein Zweites kommt hinzu: Die Gemeinden haben nicht
mehr das Geld, die Erschließung über ihren Haushalt zu
finanzieren. Das wäre die normale Alternative, denn da
fällt die Mehrwertsteuer nicht doppelt an.
Aber diese Bundesregierung hat die kommunalen
Haushalte in den letzten Jahren systematisch geplündert.
„Die Gemeinden in Not“, titelt heute die „Süddeutsche
Zeitung“. Sie sollten einmal nachlesen, was dort alles
über Ihre Politik geschrieben steht.
({7})
Den Gemeinden fehlt schlicht das Geld, selber wieder
Bauland zu erschließen. Also geht überhaupt nichts mehr
voran. Das Bauland liegt brach und die Folge ist: Die gewünschten zusätzlichen Steuereinnahmen, die der Finanzminister offensichtlich im Kopf hat, bleiben aus.
Dafür steigt die Arbeitslosigkeit in der Bauwirtschaft und
erreicht inzwischen einen historischen Höchststand. Denn
es fehlen nicht nur die Tiefbaumaßnahmen in der Gemeinde, sondern logischerweise findet der Hochbau ohne
Erschließung ebenfalls nicht statt.
Die Konsequenzen kennen wir. Die Insolvenzrate in
der Bauwirtschaft ist die höchste aller großen Branchen.
Bauinteressenten werden vertröstet und müssen ihre
Pläne verschieben. Das ist aus unserer Sicht ein unerträglicher Zustand, der riesige Auswirkungen hat, und das alles auf der Grundlage eines ganz einfachen Erlasses dieser rot-grünen Regierung.
({8})
Bürgermeister und Bauunternehmer laufen dagegen
gleichermaßen Sturm. Bisher bleibt die Regierung stur.
Eineinhalb Jahre lang geht das nun schon. Mein Kollege
Michael Meister hat im Jahre 2001 sowohl an Finanzminister Eichel als auch an den Bauminister geschrieben und
beide zum Handeln aufgefordert. „Eine Rücknahme kann
nicht in Aussicht gestellt werden“, war die Antwort aus
dem Finanzministerium. Aus dem Bauministerium klang
es im August 2001 etwas diffuser: „Das unzuträgliche Ergebnis“, heißt es dort, „sollte durch steuerunschädliche
Gestaltung von Erschließungsverträgen vermieden werden.“ Hierzu würden intensive Gespräche zwischen allen
Beteiligten geführt. Ich frage mich: Was soll das eigentlich? Inzwischen ist ein Jahr vergangen. Es wird immer
noch intensiv geredet, und das mit der bekannt „ruhigen
Hand“. Getan hat sich nichts.
Ich fordere Sie deshalb auf: Handeln Sie endlich, sorgen Sie dafür, dass diese unglaubliche Situation endlich
wieder in Ordnung gebracht wird! Der Schaden, den Sie
angerichtet haben, ist groß genug.
({9})
- Warum reden Sie nicht hier am Rednerpult und sagen all
das, was Sie sagen wollen?
Ein Erschließungsträger sagte mir, allein bei ihm sei
ein Bauvolumen von 5 Millionen Euro auf die lange Bank
geschoben worden. Vergleichbare Fälle gibt es genug. Dadurch wird aus unserer Sicht ein großer volkswirtschaftlicher Schaden angerichtet. Und deshalb: Die Baulanderschließung muss wieder in Gang kommen. Oder wollen
Sie noch mehr in diesem Lande lahm legen? Sie haben in
den wenigen Jahren Regierungsverantwortung genug Politik zulasten der Kommunen, der Wirtschaft und der
Menschen in unserem Land gemacht.
({10})
Hören Sie endlich auf, an jeder Stellschraube, die Sie finden, zulasten der Bürgerinnen und Bürger herumzudrehen! Sie haben durch Ihre kommunalfeindliche Politik die
Kommunen an den Rand des Ruins getrieben. Wenn der
Deutsche Städtetag in dieser Woche berichtet, dass die
Hälfte seiner Mitgliedsgemeinden keinen ausgeglichenen
Haushalt mehr aufstellen kann, dann hat das zwei Namen,
die lauten: Schröder und Eichel.
({11})
Sie haben den Wohnungsbau durch Ihre verfehlte Politik herunterregiert. Warum nehmen Sie den Gemeinden
die Möglichkeit, beschleunigt Bauland zu erschließen?
- Sie wollen entweder die Kommunen oder die Grundbesitzer abkassieren. Darum geht es Ihnen. Ihrer Politik liegt
eine falsche Ideologie zugrunde. Die nächsten Folterinstrumente schlummern schon in Ihren Schubladen und
warten darauf, aufgeweckt zu werden: von der Bodenwertbesteuerung über die Erhöhung der Erbschaftsteuer
bis hin zum noch immer nicht ausgeträumten Traum der
Vermögensteuer.
Die scheinbar kleine Problematik der Doppelbesteuerung von Baulanderschließungsmaßnahmen fügt sich in
einen ganzen Horizont kommunalfeindlicher Entscheidungen dieser rot-grünen Bundesregierung ein. Sie haben
durch Ihre Politik in den wenigen Jahren Ihrer Regierungsverantwortung die Kommunen in ihrer Substanz
systematisch geschwächt und an den Rand des finanziellen Ruins getrieben. Ständig höhlen Sie die kommunale Selbstverwaltung aus.
({12})
- Die Höhe der Staatsquote hängt auch von den Kommunen
und Ländern ab. Es macht wenig Sinn, die staatlichen Gelder zwischen den unterschiedlichen Ebenen hin- und herzuschieben und sie den Kommunen wegzunehmen. Eine Aushöhlung der kommunalen Selbstverwaltung findet statt.
({13})
CDU und CSU wollen starke und handlungsfähige
Städte und Gemeinden. Wir wollen eine starke kommunale Selbstverwaltung. Wir wollen auch eine Bundesregierung, die handelt. Dafür werden wir nach dem 22. September sorgen.
Herzlichen Dank.
({14})
Ich schließe da-
mit die Aussprache.
Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 14/8593 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-
verstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung
so beschlossen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 27 a bis 27 h sowie
die Zusatzpunkte 21 und 22 auf:
27. a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Errichtung einer Verkehrsinfrastrukturfinanzierungsgesellschaft zur Finanzierung von
Bundesverkehrswegen ({0})
- Drucksache 14/8449 ({1})
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
({2})
- Drucksache 14/9084 -
Berichterstattung:
Abgeordneter Georg Brunnhuber
b) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Änderung des Fernstraßenbauprivatfinanzierungsgesetzes und straßenverkehrsrechtlicher Vorschriften ({3})
- Drucksache 14/8447 ({4})
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
({5})
- Drucksache 14/9066 Berichterstattung:
Abgeordneter Horst Friedrich ({6})
c) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Fünften
Gesetzes zur Änderung des Bundesfernstraßengesetzes ({7})
- Drucksache 14/8448 ({8})
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
({9})
- Drucksache 14/8911 -
Berichterstattung:
Abgeordneter Georg Brunnhuber
d) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Änderung des Straßenverkehrsgesetzes
und anderer straßenverkehrsrechtlicher Vorschriften ({10})
- Drucksache 14/8766 ({11})
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
({12})
- Drucksache 14/9059 Berichterstattung:
Abgeordneter Wolfgang Börnsen ({13})
e) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu
dem Vertrag vom 18. Oktober 2001 zwischen der
Bundesrepublik Deutschland und der Schweizerischen Eidgenossenschaft über die Durchführung
der Flugverkehrskontrolle durch die Schweizerische Eidgenossenschaft über deutschem Hoheitsgebiet und über Auswirkungen des Betriebes des
Flughafens Zürich auf das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland ({14})
- Drucksache 14/8731 ({15})
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
({16})
- Drucksache 14/9057 Berichterstattung:
Abgeordneter Horst Friedrich ({17})
f) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eigebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur
Erleichterung des Marktzugangs im Luftverkehr
- Drucksache 14/8730 ({18})
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
({19})
- Drucksache 14/9058 Berichterstattung:
Abgeordneter Horst Friedrich ({20})
g) Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen
der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Regionalisierungsgesetzes
- Drucksache 14/8781 ({21})
aa) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen ({22})
- Drucksache 14/9053 -
Berichterstattung:
Abgeordneter Peter Letzgus
bb) Bericht des Haushaltsausschusses ({23}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung
- Drucksache 14/9087 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Bartholomäus Kalb
Gerhard Rübenkönig
Oswald Metzger
Jürgen Koppelin
Dr. Uwe-Jens Rössel
h) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen ({24}) zu dem Antrag der
Abgeordneten Wolfgang Dehnel, Günter Nooke,
Klaus Brähmig, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der CDU/CSU
Finanzierungssicherheit für den Bundesfernstraßenbau über das Jahr 2002 hinaus
- Drucksachen 14/7146, 14/8820 Berichterstattung:
Abgeordneter Reinhard Weis ({25})
ZP 21 Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen ({26}) zu dem Antrag der
Abgeordneten Horst Friedrich ({27}), HansMichael Goldmann, Dr. Karlheinz Guttmacher,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Fairen Wettbewerb im Luftverkehr bewahren Sicherheit erhöhen
- Drucksachen 14/7157, 14/9082 Berichterstattung:
Abgeordneter Hans-Günter Bruckmann
ZP 22 Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen ({28}) zu dem Antrag der
Abgeordneten Horst Friedrich, Hans-Michael
Goldmann, Dr. Karlheinz Guttmacher, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Anti-Stau-Programm für Europas Luftverkehr
- Drucksachen 14/3188, 14/9083 Berichterstattung:
Abgeordneter Hans-Günter Bruckmann
Zum Entwurf eines Verkehrsinfrastrukturfinanzierungsgesellschaftsgesetzes sowie zum Entwurf eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Regionalisierungsgesetzes
liegt je ein Entschließungsantrag der Fraktion der FDP vor.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Stunde vorgesehen. Die FDP soll 8,5 Minuten erhalten. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist
das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Als Erster hat Herr
Bundesverkehrsminister Kurt Bodewig das Wort.
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen
und Herren! Ich freue mich, dass Sie an einem Freitag so
zahlreich erschienen sind, um über verkehrspolitische
Themen zu diskutieren. Ich glaube, dass wir heute eine
ganze Reihe guter und wichtiger Entscheidungen treffen
werden.
({0})
Lassen Sie mich diese Gelegenheit nutzen, um vier
wichtige verkehrspolitische Punkte aufzuzählen, die die
Bundesregierung und die sie tragenden Koalitionsfraktionen durchgesetzt haben: Erstens. Aus dem Gegeneinander
der Verkehrsträger wurde ein Miteinander. Ich glaube, die
Gleichberechtigung aller Verkehrsträger - das hat die Verkehrswirtschaft auch gewürdigt - ist gelungen. Wir haben
die Verkehrsträger nicht gegeneinander ausgespielt. Die
Mobilitätsoffensive des Bundeskanzlers hat dies noch
einmal ausdrücklich unterstrichen.
({1})
Zweitens. Während die alte Bundesregierung die
Investitionen in die Verkehrsinfrastruktur, vor allem im
Schienenbereich, systematisch heruntergefahren hat, haben wir die Ausgaben für Straße und Schiene auf Rekordniveau gebracht. Das war angesichts der Prognosen eine
wichtige Entscheidung.
({2})
Drittens. Die Politik der alten Regierung hat wegen ihrer Furcht vor Reformen zum verkehrspolitischen Stillstand geführt. Wir haben die notwendigen Reformen offensiv angepackt. Das beweisen das Gesetz über die
LKW-Maut und das Gesetz zur Änderung des Regionalisierungsgesetzes, über das wir heute diskutieren. Unsere
Ergebnisse können sich unter dem Aspekt einer zukunftsgewandten Mobilität sehen lassen.
({3})
Viertens. Wir haben die Probleme gelöst, die die alte
Bundesregierung nicht angepackt hat. Ein Beispiel dafür
ist der Staatsvertrag mit der Schweiz, den wir heute ratifizieren werden. Er wird dazu führen, die beim Anflug auf
den Flughafen Zürich-Kloten entstehende Lärmbelastung
zwischen der deutschen und der schweizerischen Bevölkerung gerecht zu verteilen. Ich kann der Schweiz nur
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer
empfehlen, diesen Vertrag ebenfalls zu ratifizieren. Anderenfalls würden wir mit einer Rechtsverordnung auf einem ganz anderen Niveau reagieren. Es ist jedenfalls
sinnvoll, dass wir heute diesen Vertrag ratifizieren.
({4})
Dieses Thema ist von der alten Regierung 16 Jahre lang
nicht angepackt worden. Es gibt in meinem Haus kein einziges Schreiben des Ministerpräsidenten Teufel aus der
Zeit der christlich-liberalen Koalition, in dem dieses
Thema aufgegriffen worden wäre, obwohl die Belastung
der Bevölkerung immer sehr hoch war. Wir haben den
Vertrag mit der Schweiz gekündigt und einen neuen ausgehandelt, der sich sehen lässt.
({5})
Meine Damen und Herren, heute werden wir ein weiteres wichtiges Element unserer Reformpolitik verabschieden. Nachdem bereits das LKW-Maut-Gesetz den
Wechsel von einer ausschließlichen Steuerfinanzierung
zu einer Nutzerfinanzierung im Schwerlastverkehr
herbeigeführt hat, werden wir nun mit der Finanzierungsgesellschaft die Zweckbindung der Ausgaben festlegen.
Das ist ebenso richtig wie die Tatsache, dass wir die Mittel so verwenden wollen, wie es einem integrierten Verkehrssystem entspricht. Daher sollten wir den vorliegenden Gesetzentwurf gemeinsam beschließen.
({6})
In der Regierung Kohl sind alle Bemühungen gescheitert, eine Nutzerfinanzierung für den Schwerlastverkehr
einzuführen. Die Herren Warnke, Krause und Wissmann
sind nicht deswegen gescheitert, weil sie den Konflikt gescheut hätten, sondern deswegen, weil es in der damaligen Koalition keine Einigung gab.
({7})
Wir dagegen haben ein schlüssiges Konzept, das wir Zug
um Zug durchsetzen werden. Das heute zu verabschiedende Gesetz wird dazu beitragen.
({8})
An dieser Stelle möchte ich auf das Thema Unabhängigkeit von Netz und Betrieb eingehen. Ich erinnere
mich noch an die Worte von Herrn Fischer, Herrn Lippold
und Herrn Merz, die heute alle nicht anwesend sind. Sie
haben das Ergebnis der Task Force kritisiert und etwas
völlig anderes verlangt.
({9})
- Herr Fischer ist gerade gekommen. Ich freue mich, Sie
zu sehen, Herr Fischer.
Ihr Kandidat hat genau das Gegenteil dessen erklärt,
was Sie hier immer laut tönend verbreitet haben;
({10})
er hält die Ergebnisse der Task Force für richtig und verlangt auch nicht mehr. Dies ist ein weiterer Beleg dafür,
dass die Union uneinig ist. Das ist vielleicht gar nicht so
schlecht.
Lassen Sie mich bilanzieren: Das, was Sie in der Vergangenheit nicht geschafft haben, haben wir geschafft:
Wir haben Reformen auf den Weg gebracht. Ich bin fest
davon überzeugt, dass unser Weg vor dem Hintergrund
der prognostizierten großen Zuwachsraten im Verkehr
richtig war, die Investitionen auf einen angemessenen
Stand zu bringen, ohne einzelne Verkehrsträger zu bevorzugen oder zu benachteiligen. Wir haben in einem Viertel
der Zeit, die Sie bei Ihrer Regierungsverantwortung zur
Verfügung hatten, das Erforderliche getan. Die Verkehrswirtschaft, aber auch die Menschen, die Mobilität am
Wirtschaftsstandort Deutschland brauchen, wissen dies
zu würdigen.
({11})
Ihre Politik in der Vergangenheit beinhaltete, dass Sie
die Verkehrsprojekte „Deutsche Einheit“ auf Pump und
zulasten des Erhaltungsaufwandes in den alten Bundesländern, vor allem den Ländern im Westen, gebaut haben.
({12})
Gestatten Sie
eine Zwischenfrage des Kollegen Fischer?
Nein. Ich bin immer für Zwischenfragen zu haben, aber nicht an einem Freitagnachmittag. Ich
glaube, dies ist im Interesse des Hohen Hauses.
({0})
- Sie haben damals den Westen systematisch vernachlässigt. Wir machen das ganz anders: Wir betreiben den Aufbau Ost auf hohem Niveau und bauen die Verkehrsinfrastruktur zur richtigen Zeit, im richtigen Maß und mit der
richtigen Entschlossenheit auf, erhöhen aber zugleich die
Investitionen für den Erhalt und den Ausbau im Westen.
Beides ist gleichberechtigt zu sehen, beides ist für gleiche
Lebensbedingungen in Deutschland wichtig.
Ich komme auf Ihre politischen Vorstellungen zurück.
Als Herr Stoiber etwas konkreter geworden ist, hat er
- das war sehr interessant - zum Ausdruck gebracht, er
wolle die Staatsquote auf 40 Prozent senken.
({1})
Was heißt das für die Mobilität in Deutschland? - Die
klare Antwort: Investitionen in Höhe von 170 Milliarden Euro werden in den Haushalten von Bund, Ländern
und Kommunen gestrichen werden müssen. Bei dieser
Staatsquote müsste der Bundeshaushalt um ein Drittel reduziert werden. Das würde für den Investitionsetat meines Hauses bedeuten, dass statt 13 Milliarden Euro nur
noch 8,5 Milliarden Euro zur Verfügung stünden. Für den
Verkehrsbereich stünden statt 11,5 Milliarden Euro nur
noch 7,5 Milliarden Euro, also 4 Milliarden Euro weniger,
zur Verfügung.
({2})
Diese Zahlen gelten aber nur dann, wenn man gleichzeitig die Sach- und Personalkosten ebenfalls um ein Drittel
reduzierte. Anderenfalls müssten 8 Milliarden Euro eingespart werden.
Ihr Kandidat kommt bekanntlich aus Bayern. Daher
sollte man auch einmal den Bayern sagen, was eine
Staatsquote von 40 Prozent für ihr Land bedeutet.
({3})
Bayern erhält zurzeit 15 Prozent der Verkehrsinvestitionen des Bundes. Kürzungen um 4 Milliarden Euro würden Bayern jährlich mit 600 Millionen Euro belasten.
({4})
Das bedeutete konkret, dass in den nächsten zehn Jahren
kein einziger Neubeginn von Investitionen im Straßenbau
mehr stattfände und wir einen Baustopp für laufende Projekte verhängen müssten. Das hieße, das Schienenprojekt
Nürnberg-Berlin, das 7 Milliarden Euro kostet, und der
Ausbau der A 8 zwischen Günzburg und Augsburg, der
300 Millionen Euro kostet, fänden nicht mehr statt.
({5})
Das bedeutete, der Lückenschluss A 7 von Nesselwang
nach Füssen, der 125 Millionen Euro kostet, fände nicht
mehr statt.
({6})
Sie können diese Beispiele durchdeklinieren. Ich verstehe, dass Ihnen das nahe geht. Das wäre ein Todesstoß
für Mobilität in Süddeutschland. Das sollten wir nicht machen. Deswegen ist es gut, dass wir die Staatsquote thematisieren.
Ein anderer Punkt ist ebenso wichtig und genauso
ernsthaft zu erörtern. Wir wissen, dass wir mit der Kürzung von Investitionen die Beschäftigungswirksamkeit
der Wirtschaft ganz massiv beeinträchtigten. Diese um
4 Milliarden Euro verminderten Investitionen bedeuten
jedes Jahr 110 000 Arbeitsplätze weniger. Das wäre - allein auf mein Haus bezogen - die Konsequenz eines solchen Haushalts. Ein insgesamt von der Bundesregierung
einzusparendes Investitionsvolumen von 80 Milliarden
Euro bedeutete ein Vielfaches dieser Auswirkungen.
Deswegen tun wir gut daran, mit hohen öffentlichen Investitionen und mit privaten Betreibermodellen Kurs zu
halten. Dies trifft auf Bayern genauso zu. Wir wissen, dass
wir mit Betreibermodellen mehr erreichen können. Aber
das heißt nicht, dass wir auf Steuerfinanzierung verzichten können. Deswegen werden die Menschen am 22. September sehr bewusst entscheiden können.
Eine solche Politik wird nicht gewählt.
({7})
Wer das Blaue vom Himmel verspricht, der steht nicht mit
den Füßen auf der Erde. Ich glaube, wir schaffen ein gutes
Fundament. Darauf werden wir dann auch aufbauen. Die
heute zu beschließenden Gesetze werden dazu beitragen.
Vielen Dank.
({8})
- Eine kleine Empfehlung am Freitag Nachmittag: Übermut tut selten gut.
({9})
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Georg Brunnhuber.
Frau Präsidentin!
Meine sehr verehrten Damen und Herren!
({0})
Herr Minister! Wir haben in dieser Legislaturperiode
sicherlich schon viele Gesetze verabschiedet. Einige davon
waren wichtig, andere weniger wichtig. Das Verkehrsinfrastrukturfinanzierungsgesellschaftsgesetz, das wir heute verabschieden werden, ist nicht nur unnütz, sondern überhaupt
nicht brauchbar. Diese Aussage stammt nicht von der
CDU/CSU oder der Opposition,
({1})
sondern vom Bundesrechnungshof. Wenn ich Minister
wäre,
({2})
was ja noch kommen kann, Herr Schmidt,
({3})
dann würde ich diejenigen in meinem Hause, die mir ein
solches Gesetz vorlegen, vielleicht ins Archiv verdonnern. Ich würde sie auf jeden Fall aus wichtigen Positionen entfernen, denn sie haben Ihnen persönlich und der
gesamten deutschen Verkehrspolitik weiteren Schaden
zugefügt.
({4})
Gesetze, die nichts taugen, die für den Zweck, zu dem
man sie eigentlich benötigt, nicht anwendbar sind, sind
nicht nur für die deutsche Gesamtgesellschaft ohne Nutzen, sondern dienen nur dazu, irgendetwas zu kaschieren.
({5})
Jetzt fragen wir uns, was Sie kaschieren wollen, Herr
Minister.
Zu Ihrer Aufzählung von Vorhaben der Verkehrspolitik
halten wir zunächst einmal fest: Sie sind in dreieinhalb
Jahren immerhin schon der dritte Verkehrsminister. Auch
das ist schon eine starke Leistung einer Regierung.
({6})
Ihre Aufzählung dessen, was man gemacht hat oder
was man noch hätte machen können, zeigt nur eines: Die
Vermutung, dass Sie heute Ihre Abschiedsrede gehalten
haben, ist begründet, denn Sie sind ja auch schon von
Ihrem Kanzler nicht mehr besonders erwähnt worden.
({7})
Sie sagen selbst, dass sich am 22. September der Bürger
entscheiden wird. Wir gehen davon aus, dass er sich auch
anguckt, was Sie entschieden haben.
Sie haben die LKW-Maut beschlossen und wollen die
Mittel über die Verkehrsinfrastrukurfinanzierungsgesellschaft verteilen.
({8})
- Da merkt man, dass auch der Herr Weis - er ist immerhin der verkehrspolitische Sprecher ({9})
nicht verstanden hat, um was es geht. Sie bekommen dadurch keine zusätzlichen Mittel und das ist die Krux dieses Gesetzes.
({10})
Sie machen ja Folgendes: Eine Gesellschaft wird vor
das Ministerium geschaltet. Die Mittel, die hereinkommen, stammen - so erklären Sie - nicht direkt aus der
LKW-Maut; der Finanzminister kassiert alles und er entscheidet auch, was diese Gesellschaft bekommt. Der Verkehrsminister darf vielleicht noch mit entscheiden, was
damit gemacht wird - das jährlich und nach Gusto.
({11})
Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen aus
den Koalitionsfraktionen, Sie sollten sich nochmals die
Protokolle der Anhörung durchlesen.
({12})
Ich bin der FDP ausdrücklich dankbar dafür, dass sie damals diese Anhörung gefordert hat. In der Anhörung kam
zum Beispiel von Professor Aberle und anderen Kapazitäten der Hinweis, dass die GmbH, die Sie vorgesehen
haben, eventuell gar nicht eingetragen werden kann. Sie
hat zwar einen Geschäftsführer, der sehr viel Geld bekommt - noch weiß man nicht, ob er aus dem Haus
kommt, ob er sogar im Ministerium bleibt und nur Geschäftsführer wird -, aber keinerlei Kompetenz hat. Er hat
keine gesicherten Einnahmen, sondern ist auf Dritte angewiesen. Eine GmbH, die keinen eigenen direkten Einfluss auf die Einnahmen hat, ist gar nicht geschäftsfähig.
Deshalb sollten Sie, Herr Minister Bodewig und Ihr Haus,
sich ganz genau überlegen, ob man diesen kapitalen Fehler wirklich machen will.
Es kommt ein Zweites hinzu. Sie gründen eine Verkehrsinfrastrukturfinanzierungsgesellschaft und haben
mit der Verteilung der Mittel aus der LKW-Maut nachweislich ein erhebliches Problem, weil weniger Mittel, als
an Gebühren anfallen, in die Straße - dort werden sie ja
eingenommen - zurückfließen.
({13})
Dass das verfassungsrechtlich einwandfrei ist, ist bei der
Anhörung ebenfalls sehr in Zweifel gezogen worden.
({14})
- Darüber würde ich nicht lachen;
({15})
denn wenn es eine Klage gibt, funktioniert es nicht.
({16})
Wir sehen, dass diese Regierung wirklich nicht imstande ist, auch nur die normalsten Verwaltungsaufgaben
zu erfüllen. Da vergibt man vor einem halben Jahr den
Auftrag für die Technik zur LKW-Maut, jetzt ist es Mai
und man hat immer noch keine Entscheidung getroffen,
weil ein Oberlandesgericht die offensichtlich schlampig
verwaltete Vergabe rückgängig gemacht hat. Jetzt ist Mai
und man sagt: Am 1. Januar können wir das natürlich noch
nicht einführen; wir brauchen wahrscheinlich bis zum
Sommer. - Die ersten Stimmen sagen auch schon: Wahrscheinlich wird es das ganze nächste Jahr nichts. - Da
fragt man sich doch allen Ernstes - das müssen Sie sich
doch auch fragen -: Wie wollen Sie denn das Anti-StauProgramm und viele andere Dinge finanzieren, wenn Sie
für das ganze Jahr keine Einnahmen haben?
({17})
Entweder haben Sie innerlich schon aufgegeben und sagen sich: „Es wird nach dem 22. September eh nicht mehr
von uns umzusetzen sein“
({18})
oder Sie verstehen die Zusammenhänge nicht.
Noch ein Allerletztes; da stört mich etwas wirklich.
Wir als Opposition haben Sie, Herr Minister, in den ersten eineinhalb Jahren gut begleitet, weil wir sahen: Bei der
Schiene wollen Sie die klare Trennung von Netz und Betrieb. Sie haben dies auch auf dem Parteitag der Grünen
deutlich gemacht. Dafür hatten Sie unsere Unterstützung.
({19})
Sie sind zurückgepfiffen worden. Sie sind eingebrochen.
Sie haben im Grunde genommen nichts mehr zu sagen.
Nur Ihr Bundeskanzler hat die Sache im Griff.
({20})
Sie haben auf den verschiedenen Tagungen der Verbände des Güterkraftverkehrs gesagt: Entweder fällt die
Dieselsubvention in den anderen Ländern der EU weg
oder wir steigen in die Subvention ein. Wir wollen größtmögliche Harmonisierung für das Gewerbe. - Nichts von
alledem ist geschehen. Ganz im Gegenteil: Sie mussten
klein beigeben. Weil der Finanzminister eine Kungelei in
Bezug auf die Bergleute und die Subvention für den
Kohleabbau gemacht hat, mussten Sie auch noch akzeptieren, dass die anderen Länder in Europa weiterhin den
Diesel subventionieren. Damit nehmen Sie in Kauf, dass
circa 100 000 Arbeitsplätze für LKW-Fahrer in Deutschland wegfallen. Sie sind damit nicht nur mit der Verkehrspolitik gescheitert, sondern auch mit Ihrer Wirtschaftspolitik gescheitert.
({21})
Sie sind vor allem dabei gescheitert, den Menschen in
Deutschland die Hoffnung zu geben, dass es mit der Verkehrspolitik wieder besser wird. Sie sind gegen Mobilität.
Ein Verkehrsministerium müsste für mehr Mobilität sein,
damit die Menschen mehr Möglichkeiten haben, zueinander zu kommen. Was Sie heute gesagt haben, war eine Offenbarung.
Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, wir gehen davon aus, dass nach dem 22. September die Dinge wieder
in Ordnung gebracht werden.
({22})
Jetzt hat der Abgeordnete Ali Schmidt das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Die Kritik des Bundesrechnungshofes im Hinblick auf die Verkehrsinfrastrukturfinanzierungsgesellschaft hat im Wesentlichen zum Gegenstand - anders,
als es der von mir sehr geschätzte Kollege Brunnhuber eben
dargestellt hat -,
({0})
dass hier eine Parallelstruktur entstehen könnte, die sich
im Verwaltungsprozess als ineffizient erweisen könnte.
Dieser Kritik sollte man sich sehr ernsthaft stellen. Wir
haben das getan. Deshalb gibt es von beiden Koalitionsfraktionen Änderungsanträge zu dem vorliegenden Gesetzentwurf der Bundesregierung, über die wir heute
ebenfalls abstimmen werden.
Worum es bei der Verkehrsinfrastrukturfinanzierungsgesellschaft geht, ist kein Verwaltungsproblem. Es ist etwas ganz anderes. Es kann niemand bestreiten, dass mit
der Einführung der LKW-Maut für die transportierende
und für die verladende Wirtschaft erhebliche zusätzliche
Kosten verbunden sind. Die Akzeptanz der LKW-Maut
hängt sehr davon ab, dass garantiert werden kann, dass die
Nettoeinnahmen aus dieser Maut wieder in das Verkehrsnetz reinvestiert werden. Um das sicherzustellen und um
diesen Prozess transparent und umsetzbar zu machen,
brauchen wir die Verkehrsinfrastrukturfinanzierungsgesellschaft.
Die Reinvestition in das integrierte Verkehrssystem, Herr Kollege Brunnhuber, ist keine deutsche Marotte und auch keine rot-grüne Ideologie. Damit wird 1 : 1
umgesetzt, was als verkehrspolitische Vorgabe der Europäischen Union aus Brüssel kommt. Ich erinnere in diesem Zusammenhang an das Weißbuch zur Verkehrspolitik
vom September des letzten Jahres, in dem ausdrücklich
festgehalten wird, dass die Reinvestition der LKW-Maut
in das gesamte Verkehrssystem und in alle Verkehrsträger
gemäß ihren Stärken sowie in die Vernetzung der zielführende und richtige Weg für ein zukunftsfähiges Verkehrssystem ist. Infolgedessen sind wir mit der Verwendung der LKW-Maut gemäß dem vorliegenden
Gesetzentwurf genau auf dem richtigen Weg.
({1})
Die Einrichtung der Verkehrsinfrastrukturfinanzierungsgesellschaft liefert außerdem den stichhaltigen Beweis dafür, dass es eine Zweckbindung dieser Einnahmen
gibt, die nicht jedes Jahr - ich sage das deutlich - je nach
Haushaltslage vom Bundesfinanzminister beliebig zur
Disposition gestellt werden kann und neu verhandelt werden muss. Mit den dieser Gesellschaft zugewiesenen Mitteln kann zuverlässig in die Verkehrswege investiert werden.
Darüber hinaus wird diese Gesellschaft auch ein Kompetenzzentrum werden. Es ist nämlich eine weitere Aufgabe dieser Gesellschaft, die privat finanzierten Projekte
nach dem Betreibermodell zu entwickeln, zu verhandeln
und durchzuführen.
Ich möchte aber nicht verhehlen, dass sich die Koalitionsfraktionen viele Gedanken über Änderungen des
vorliegenden Gesetzentwurfes gemacht haben. Ich will
Ihnen dies im Folgenden kurz skizzieren.
Um die Gefahr des Entstehens eines Schattenhaushaltes abzuwenden, haben wir vorgeschlagen - auch darüber
werden wir heute abstimmen -, dass diese Gesellschaft
nicht eigenmächtig Anleihen oder Kredite aufnehmen
kann.
Wir haben weiterhin festgelegt, dass als Anlage zum
künftigen Bundeshaushaltsplan im Rahmen einer besonderen Titelgruppe sämtliche mautfinanzierten Projekte
aufgelistet und damit vom Bundestag beraten und beschlossen werden können. Das sichert uns als Gesetzgeber die Hoheit, gegebenenfalls zu entscheiden, was gebaut wird und was nicht.
Wir wollen erreichen - dazu gibt es einen Änderungsantrag bezüglich § 2 Abs. 2 Verkehrsinfrastrukturfinanzierungsgesellschaftsgesetz -, dass das starre Prinzip der
kameralistischen Haushaltsführung, wonach Mittel,
die bis zum Jahresende für einen bestimmten Zweck noch
nicht ausgegeben worden sind, automatisch an den Finanzminister zurückgehen, an dieser Stelle künftig flexibler gehandhabt wird. Diese Mittel können also im Folgejahr für denselben Zweck erneut, also zusätzlich, zur
Verfügung gestellt werden. Das ist nicht nur eine Modernisierung hinsichtlich der Verwaltung, sondern auch hinsichtlich des politischen Vorgehens im Hinblick auf die
Investitionen. Ich halte das für einen großen Fortschritt.
Die von uns heute ebenfalls beantragte Berichtspflicht,
nämlich dass diese Gesellschaft dem Parlament gegenüber
jedes Jahr Rechenschaft über Investitionen und Ausgaben
ablegen muss, bedeutet das Gegenteil von Kaschieren, wie
Sie, Herr Kollege Brunnhuber, hier behauptet haben, vielmehr ist es Transparenz pur.
({2})
Ich möchte hier kurz zu einem zweiten Komplex Stellung nehmen. Heute kommt eine nahezu unendliche Geschichte zum Abschluss - das gilt jedenfalls für dieses
Haus; ich bin überzeugt, dass das in wenigen Tagen oder
Wochen auch generell der Fall sein wird -: Es ist die lange
Auseinandersetzung um das Regionalisierungsgesetz,
also um die Höhe der Beträge, die der Bund an die Bundesländer insbesondere zur Bestellung von Materialien
für den Schienenpersonennahverkehr überweist. Ich bin
sehr stolz darauf - das sage ich hier auch als grüner Verkehrspolitiker -, dass es uns heute gemeinsam gelingt,
Nahverkehrsmittel in Rekordhöhe zur Verfügung zu stellen. Was wir heute bewilligen werden, sind Rekordsummen, die es in diesem Land für den Nahverkehr noch niemals gegeben hat.
({3})
Der Bund verzichtet mit dem vorliegenden Gesetzentwurf auf Rückforderungen an die Länder in Höhe von
über 750 Millionen Euro, die ihm zustehen. Die Länder
bekommen allein für das letzte Jahr 13,4 Milliarden DM
statt 12,8 Milliarden DM, die ihnen nach geltendem Recht
eigentlich zustehen. Doch nicht nur das: Wir heben nicht
nur den Sockelbetrag auf ein Rekordniveau, sondern wir
garantieren gleichzeitig eine jährliche Dynamisierung in
Höhe von 1,5 Prozent, festgeschrieben bis zum Jahr 2007.
Ich kann nur noch an den Bundesrat appellieren: Um Himmels willen, stimmt Ende Mai zu, grüner wird es nimmer!
({4})
Man muss jetzt zugreifen.
Lassen Sie uns diesem Gesetz heute mit großer Mehrheit zustimmen! Auch die Kollegen der CDU in Thüringen haben vorgestern im Verkehrsausschuss des Bundesrates zugestimmt bzw. auf die Anrufung des Vermittlungsausschusses verzichtet. Sie wissen, was sie mit
diesem Gesetz angeboten bekommen.
({5})
Für mich persönlich ist sehr wichtig, dass durch die
Verabschiedung dieses Gesetzes auch das Thema Interregio entschärft würde; denn durch dieses Gesetz bekommen die Länder genügend finanziellen Spielraum, um gegebenenfalls über die Bezuschussung von interregionalen
Verkehren, über den Ersatz von interregionalen Verkehren
und über Bestellungen bei anderen Verkehrsunternehmen
zu verhandeln. Das alles liegt nun im Ermessen der Länder; aber wir geben ihnen das nötige Geld, und zwar so
großzügig wie noch niemals vorher.
({6})
Drittens. Im Hinblick auf die anstehende Abstimmung
über den Staatsvertrag mit der Schweiz möchte ich den
Flughafen Zürich-Kloten ansprechen. Ich möchte von
hier aus die Kolleginnen und Kollegen aus der Schweiz,
die mir schon aus rein geographischen Gründen sehr am
Herzen liegen, inständig bitten, sich keinen falschen und
illusionären Erwartungen hinzugeben. Manche in der
Schweiz, zum Beispiel die Mitglieder des Verkehrsausschusses des Nationalrates, meinen, ein Nichtratifizieren
des Vertrages durch die Schweiz habe zur Folge, dass hier,
in Deutschland, nachgiebiger agiert werde. Dazu kann ich
nur sagen: Diese Erwartung ist illusionär. Neuverhandlungen würden die Angelegenheit im Sinne der Schweiz
nicht besser machen, sondern die Situation würde eher
schwieriger werden.
Auch die Menschen in der Region, in der Karin
Rehbock-Zureich zu Hause ist, haben an diesem Kompromiss zu schlucken. Es handelt sich um einen fairen Interessenausgleich, der auch der deutschen Seite eine
ganze Menge abverlangt. Sie muss nämlich akzeptieren,
dass eben nicht alle Wünsche nach Schutz vor Fluglärm
erfüllt werden. Dennoch wissen wir, dass die mittlerweile
ausgehandelte Regelung erhebliche Verbesserungen bringt.
Nicht nur die stufenweise Reduzierung auf 100 000 Flugbewegungen, sondern auch die Vereinbarungen über die
Nachtruhe und die Sonntagsruhe sind wichtige Elemente
dieser Regelung.
Ich möchte auch an die Kolleginnen und Kollegen der
CDU/CSU appellieren, keine falschen Erwartungen zu
wecken. Herr Kollege Repnik, Sie haben in einer Pressemitteilung die Auffassung vertreten, dass der Deutsche
Bundestag um Himmels willen nicht ratifizieren solle.
Dazu möchte ich erst einmal sagen: Ich habe Verständnis
für diese Position; denn dahinter steht die Absicht, durch
weitere Verhandlungen bessere Ergebnisse zu erzielen.
Wer wollte das nicht gern? Jeder von uns würde gern noch
bessere Konditionen für die deutsche Seite aushandeln.
Sie wissen, dass der Effekt wahrscheinlich gegenteilig
wäre. Wenn wir heute nicht ratifizieren, dann wecken wir
in der Schweiz falsche Hoffnungen. Umgekehrt wird also
ein Schuh daraus! Wir müssen heute ratifizieren. Damit
Albert Schmidt ({7})
machen wir klar: Wenn sich die Schweiz nicht auf diese
Regelung einlässt, dann wird die vom Bundesverkehrsminister angesprochene Rechtsverordnung kommen und
dann wird das Programm ganz andere Zahlen enthalten.
Aus der Sicht der Schweiz wird es dann eher belastender
als entlastender. Deshalb lassen Sie uns heute gemeinsam
ein klares Signal für das Zustandekommen dieses Staatsvertrages setzen.
({8})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie mich abschließend - wir wollen alle ins verdiente Pfingstwochenende fahren - sagen: Mit der heutigen Verkehrsdebatte kommen einige wichtige verkehrspolitische
Projekte zum Abschluss; sie erreichen damit das Bundesgesetzblatt: Es ist zunächst einmal das Verkehrsinfrastrukturfinanzierungsgesellschaftsgesetz, das den Komplex der LKW-Maut abschließt und die rechtlichen
Voraussetzungen dafür schafft, dass es nächstes Jahr losgehen kann. Weiter sind es die Bestimmungen über die
Regionalisierungsmittel und Nahverkehrsmittel. Über Investitionen ist bereits in der Aktuellen Stunde diskutiert
worden.
Lassen Sie mich abschließend außerdem sagen: Wir
haben nicht nur bei den konsumtiven Mitteln, also bei den
Nahverkehrsmitteln, Rekordsummen zur Verfügung gestellt, sondern auch bei den Investitionen. Ich bitte Sie als
Partei, die das Wort „christlich“ in ihrem Namen führt, in
diesem Punkt bei der Wahrheit zu bleiben. Diese Bundesregierung und dieses Parlament mit seiner Mehrheit stellen in diesem Jahr 11,5 Milliarden Euro für Verkehrsinvestitionen zur Verfügung.
({9})
Das sind 2 Milliarden Euro oder 4 Milliarden DM mehr
als 1998, als wir die Verantwortung übernommen haben.
({10})
Wenn Sie jemals auch nur einen Bruchteil dieser Steigerungen hinbekommen hätten, verehrte Frau Kollegin
Blank, hätten Sie sich die Finger geleckt.
({11})
Wir haben das trotz Haushaltskonsolidierung, trotz Steuerreform, trotz Schuldentilgung und trotz Rückführung der
Neuverschuldung erreicht. Die eigentliche Leistung dieser Regierung ist, dass sie bei den Investitionen und bei
den Nahverkehrsmitteln Rekordsummen zur Verfügung
stellt, obwohl sie gleichzeitig Enormes für die Konsolidierung des Haushalts erreicht hat. Ich bitte Sie, das fairerweise anzuerkennen.
({12})
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Horst Friedrich.
Frau Präsidentin!
Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Herr Verkehrsminister, ich muss zugeben: Ich bin nach wie vor tief beeindruckt von Ihrer fulminanten, flammenden Abschiedsrede,
die Sie heute im Deutschen Bundestag gehalten haben.
({0})
Wenn das die Verkehrspolitik ist, mit der Sie sich am
22. September dem Verkehrsgewerbe als Alternative präsentieren wollen, kann ich nur sagen: Davor haben wir
tatsächlich keine Angst.
({1})
Das, was Sie heute hier geboten haben, ist ein klassisches
Spiegelbild Ihrer Verkehrspolitik der abgelaufenen Legislaturperiode. Zu Beginn der Amtszeit der ganzen neuen
Regierung hat eine große deutsche Zeitung mit vier Buchstaben die Kunst Ihrer Regierungsfähigkeit beschrieben
mit dem Ausdruck „Avanti dilettanti“.
({2})
Sie bieten heute hier ein Paket wichtiger Gesetze, die wir
im Schweinsgalopp durch die parlamentarischen Beratungen geprügelt haben. Sie haben sich zunächst einmal
gegen Anhörungen gewehrt. Die Anhörungen, die wir mit
unserem Oppositionsrecht durchgesetzt haben, weil wir
der Meinung waren, sie seien notwendig, haben gezeigt,
dass Ihre Gesetzentwürfe nach wie vor vor Fehlern strotzen. Sie sind aber nach wie vor beratungsresistent. Die
Ausschussberatungen in der letzten Woche haben gezeigt,
dass Sie Beratungen entweder nicht ernst nehmen, wie
beim Donau-Ausbau, oder dass Sie nicht willens sind,
Kritik tatsächlich umzusetzen.
({3})
Die entscheidenden Fehler sind nämlich nach wie vor
nicht beseitigt.
({4})
Beginnen wir mit dem Verkehrsinfrastrukturfinanzierungsgesellschaftsgesetz. Sie schaffen eine neue Gesellschaft, deren Aufgaben auch eine Abteilung in Ihrem
Hause übernehmen könnte; denn das Geld für die Gesellschaft kommt aus dem Bundeshaushalt. Sie hat kein originäres Einnahmerecht. Sie macht genau das, was eine
Abteilung Ihres Hauses auch macht: Sie gibt nach Anweisungen des Finanzministers Geld an die entsprechenden Projekte weiter.
({5})
Sie hängen das Ganze am so genannten A-Modell auf
und lassen dabei offensichtlich die Probleme des Mittelstands in der Bauwirtschaft vollkommen außer Acht. Ein
Podiumsgespräch im bedeutendsten Wahlkreis DeutschAlbert Schmidt ({6})
lands, dem des Vorsitzenden des Verkehrsausschusses des
Deutschen Bundestages, hat ergeben: Die mittelständische Bauindustrie hat einfach Angst. Ich sage: zu Recht.
({7})
In Ihren Vorschlägen hinsichtlich Übertragung werden die
Probleme des Mittelstandes im Hinblick auf Basel II, auf
Eigenkapitalausstattung, auf Finanzierungspakete unter
den Tisch gekehrt und nur die großen Bauunternehmen sind
überhaupt in der Lage, Angebote abzugeben. Das ist das
Gegenteil der von Ihnen behaupteten Mittelstandspolitik.
({8})
Herr Minister Bodewig, Sie haben gesagt, wir hätten
keinen Mut gehabt, Privatfinanzierung anzupacken.
Wenn ich alles richtig begriffen habe, wollen Sie jetzt ein
Fernstraßenbauprivatfinanzierungsgesetz ändern, das aus
dem Jahr 1994 stammt.
({9})
Anhand der Handbücher des Deutschen Bundestages
stelle ich fest, dass im Jahr 1994 offensichtlich eine andere Mehrheit als die jetzige dieses Gesetz beschlossen
hat. Insofern fällt Ihr Vorwurf auf Sie zurück.
Das Problem ist: Sie sind noch nicht einmal in der Lage,
ein Änderungsgesetz so zu gestalten, dass die beiden Projekte, die bereits aufgrund des bestehenden Gesetzes angegangen worden sind, fortgeführt werden können.
({10})
Im Übrigen, dieses bestehende Gesetz haben Sie, Herr
Kollege Weis, abgelehnt. - Als an Ihrer Stelle noch die
Kollegin Ferner saß, hat die Sozialdemokratie die Privatfinanzierung als Werk des Teufels bezeichnet. ({11})
Denn für Sie war die Infrastrukturfinanzierung ausschließlich eine staatliche Daseinsvorsorge. Jetzt hier zu
erklären, Sie seien die Erfinder der Privatfinanzierung, ist
eine Lachnummer auf hohem Niveau, Herr Kollege Weis.
({12})
Sie sind ja noch nicht einmal in der Lage, die berechtigten Bedenken der beiden Konsortien, die die zwei
Privatfinanzierungen in Rostock und in Lübeck vorantreiben, in einer entsprechende Übergangsregelung aufzunehmen, weil es eine Umstellung bei der Konzessionsverteilung gibt. Die bestehenden Rechte müssen aus
meiner Sicht gewahrt bleiben. Das ist eine gute Gesetzestechnik. Aber diesen Pfad - ich habe es Ihnen schon einmal gesagt - haben Sie verlassen.
Herr Kollege Schmidt, das gilt im Übrigen auch für das
Regionalisierungsgesetz. Es ist ja wunderschön, dass Ihr
Finanzminister an die Wurzeln dieses Gesetzes, das im
Übrigen im Jahre 1996 von uns beschlossen worden ist,
die Axt gelegt hat, indem er öffentlich erklärt hat, er wolle
die Ausgaben nicht steigern.
({13})
In Ihrer Regierungszeit ist es jetzt auf Druck der Länder
({14})
- selbstverständlich! - auf einem Pfad, den wir vorgegeben hatten, umgesetzt worden und die damit verbundenen
Ausgaben sind erhöht worden.
Folgendes packen Sie allerdings nicht an - diesen Vorwurf sollten Sie sich schon gefallen lassen -: Warum
fangen Sie, Herr Schmidt, wenn Sie schon so sehr für
Wettbewerb sind, nicht an, die Gewährung der Regionalisierungsmittel an den Wettbewerb zu binden?
({15})
- Selbstverständlich machen sie das.
({16})
Es kann doch nicht sein, dass sich Länder im Rahmen
von Zehnjahresverträgen an die Deutsche Bahn binden,
gleichzeitig den Wettbewerb in Bezug auf diese Mittel
ausschließen und sie deswegen die zielgerichtete Verwendung der staatlichen Gelder bzw. eine bessere Einkaufssituation verhindern.
Wir werden Ihre Gesetzentwürfe ablehnen, und zwar
nicht, weil wir der Meinung sind, das sei die falsche Richtung, sondern deswegen, weil wir die Qualität der Gesetzentwürfe verändern wollen.
Herr Kollege Schmidt, Sie haben richtigerweise gesagt, Änderungen würden noch im Gesetzblatt aufgenommen. Gott sei Dank - so muss ich sagen - hat der Wähler
mittlerweile im Bundesrat die Situation geschaffen, über
dieses Verfassungsorgan sinnvolle Änderungen durchsetzen zu können.
({17})
Da im Bundestag derzeit andere Mehrheiten herrschen,
werden wir das, was Sie offensichtlich verweigern, dort
einbringen.
Danke schön.
({18})
Kollege Wolf
hat gebeten, seine Rede zu Protokoll geben zu dürfen.1
({0})
Horst Friedrich ({1})
1 Anlage 7
Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall.
Dann hat jetzt die Abgeordnete Margrit Wetzel das
Wort.
Frau Präsidentin! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Lieber Herr Brunnhuber, Ihre
Rede reizt zum Widerspruch. Sie haben soeben behauptet,
unsere Wirtschaftspolitik und unsere Verkehrspolitik
seien gescheitert. Vielleicht darf ich Sie einmal darauf
aufmerksam machen, dass während Ihrer Regierungszeit
überhaupt keine Wirtschaftspolitik stattgefunden hat.
({0})
Wir haben nur Scherben vorgefunden. Sie hätten einmal
vorgestern im Plenum bei der Aktuellen Stunde anwesend
sein sollen. Dann hätten Sie sich überzeugen können, wie
die Daten sind. Wir haben sie vorgetragen. In allen Einzelkriterien haben wir deutlich bessere Daten aufzuweisen gehabt als zu Ihrer Regierungszeit.
({1})
Das Gleiche gilt für die Verkehrsinfrastruktur. Die
Tour der 1 000 Spatenstiche von Herrn Wissmann ist vorbei. Der drastisch unterfinanzierte Bundesverkehrswegeplan, den Sie uns hinterlassen haben, ist während der kurzen Zeit, die wir zur Verfügung hatten, auf solide,
überschaubare Einzelprogramme umgestellt worden,
({2})
die es ermöglichen, dass vernünftig weitergebaut wird.
({3})
Wir haben Projekte initiiert und sie werden fortgeführt.
Die Zeit der Spatenstiche für Projekte, die dann doch nicht
weitergeführt werden, ist vorbei.
Genau die gleiche Situation besteht beim Einstieg in
die Nutzerfinanzierung. Sie haben eine diesbezügliche
Anhörung durchgesetzt. Wir hielten sie zunächst für nicht
nötig, weil wir der Meinung waren, wir hätten einen guten
Gesetzentwurf eingebracht. Das ist letztlich in der Anhörung bestätigt worden. Dass im Detail durchaus unterschiedliche Meinungen bestehen können, mag etwas anderes sein. Nichtsdestotrotz haben nahezu alle Experten
übereinstimmend gesagt: Die Verkehrsinfrastrukturfinanzierungsgesellschaft ist ein richtiger Schritt in die richtige
Richtung. Er ist jetzt notwendig.
({4})
Dann haben Sie behauptet, das Ganze werde nichts werden können, weil der Finanzminister über die Ausgaben zu
entscheiden habe. Das ist schlicht und einfach falsch. Sie
scheinen sich selbst nicht ernst zu nehmen. Die Entscheidungen sowohl über die Haushaltsmittel wie auch über die
zu bauenden Projekte fallen hier im Parlament.
({5})
Offensichtlich ist Ihnen das überhaupt nicht bewusst: Das
Parlament trifft diese Entscheidungen. Das sind wir und
das sind auch Sie.
Wir wollen keinen Schattenhaushalt aufbauen, sondern
eine vernünftige, solide Finanzierung. Deshalb ist die Verkehrsinfrastrukturfinanzierung so, wie sie im Gesetz aufgebaut ist, richtig. Das ist wirklich eine Organisationsprivatisierung; das wissen Sie ganz genau. Sie gibt uns die
Möglichkeit, auf eine deutlich flexiblere und konkretere
Weise die Projekte umzusetzen.
({6})
Herr Bodewig hat schon darauf hingewiesen, welche
Folgen „dreimal 40“ hätte. Ich darf hier zitieren aus einer
neuen Presseerklärung des designierten Wirtschaftsministers unter Ihrer Regierung - die Sie erhoffen; ich denke,
das wird nichts -, Lothar Späth.
({7})
Er hat den Zeitplan für massive Steuersenkungen im
Wahlprogramm der Union infrage gestellt. Er sagt:
Wir schauen uns die Konjunktur an und sehen dann
schnell, was überhaupt umgesetzt werden kann und
was nicht.
Damit hat der Mann Recht. Wo er Recht hat, hat er Recht.
Das muss man ihm zugestehen. Er hat weiter gesagt:
Wir sind doch keine Weihnachtsmänner, die mit allen möglichen Geschenken daherkommen.
Ich glaube, das sollten Sie sich einmal überlegen. Das war
nämlich die Politik von gestern: Da sind Sie beim Bundesverkehrswegeplan als Weihnachtsmänner herumgelaufen und haben Versprechungen gemacht, die an keiner
Stelle umgesetzt werden konnten.
Herr Friedrich hat eben für sich in Anspruch genommen, dass unter Ihrer Regierung der Einstieg in die Privatfinanzierung vorgenommen wurde. Auch das ist im
Grunde eine Scheindebatte. Sie haben damit völlig Recht:
Wir haben 1994 das Fernstraßenprivatfinanzierungsgesetz abgelehnt - und das mit guten Gründen. Es gab nämlich überhaupt keine Informationen. Es gab keine Rechtssicherheit über die Projekte, keine Rechtssicherheit für
die Betreiber und die Nutzer. Wir haben damals gesagt:
Da wird kein einziger Betreiber kommen. - Da haben wir
uns geirrt; das ist gut so. Der Leidensdruck in Lübeck und
Rostock war so groß, dass sich dort Betreiber gefunden
haben, die die Projekte angefangen haben.
Nichtsdestotrotz müssen jetzt die Schwächen Ihres Gesetzes behoben werden. Deshalb nahmen wir eine Novellierung vor, gegen die Sie sich schon wieder wehren, was
überhaupt nicht zu verstehen ist.
({8})
Das Gesetz ändert strukturell überhaupt nichts an dem,
was Sie seinerzeit beschlossen haben. Vielmehr beseitigt
es operationelle Defizite. Das ist dringend notwendig. Die
Modalitäten für die Mautgebühren - für die Erhebung und
für die berücksichtigungsfähigen Kosten - legen wir
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer
grundsätzlich im Gesetz fest und regeln sie dann im Einzelnen bedarfsgerecht und zeitnah über Rechtsverordnungen.
Bei Ihrer Kritik haben Sie verlangt, dass die Privatfinanzierung auf weitere Autobahnstrecken übertragen
wird. Sie wissen ganz genau, dass das zurzeit europarechtlich nicht möglich ist, weil Doppelbemautung nicht
zulässig ist. Zumindest wir haben nicht geplant, in absehbarer Zeit eine PKW-Maut einzuführen. Wenn Sie das
wollen, dann sollten Sie das den Bürgern rechtzeitig sagen, am besten vor der Wahl.
Insofern zeigen Sie selbst ganz deutlich, dass Ihre
Argumentation eine reine Verzögerungstaktik ist.
({9})
Sie geht zulasten der Betreiber der Warnowquerung in
Rostock und des Herrentunnels in Lübeck.
({10})
Das akzeptieren wir nicht. Weil wir das nicht akzeptieren,
werden wir die Gesetze auch so beschließen, wie sie jetzt
vorliegen.
Sie haben noch einen dritten Streitpunkt angesprochen.
Sie haben gesagt, wir hätten nicht einmal auf die Bedenken der Betreiber Rücksicht genommen. Das ist überhaupt nicht wahr. Die Bedenken sind ausgeräumt. Sie wissen ganz genau, dass der Streit darum ging, ob privates
Entgelt mit Tarifgenehmigung oder eine Rechtsverordnung gewählt wird. Dieser Streit ist gegenstandslos, weil
nämlich alle beiden Regelungen auf dem Gebührenrecht
basieren würden. Das eine wie das andere öffnet keine
weiteren Spielräume. Es macht auch keinen Unterschied,
ob die dynamische oder die statische Mautkalkulation gewählt wird.
Wir haben unsere Bereitschaft erklärt, nach den ersten
Erfahrungen mit den Rechtsverordnungen das Thema
noch einmal aufzugreifen und langfristig zu prüfen, so
wie wir auch weiter prüfen, ob wir mit der Privatfinanzierung voranschreiten können. Jetzt geht es erst einmal
darum, Rechtssicherheit für die in Betrieb gehenden Projekte zu schaffen. Deshalb sollten Sie im Sinne der entsprechenden Betreiber diesen Gesetzen zustimmen.
Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
({11})
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Hans-Peter Repnik.
Frau Präsidentin!
Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Den
Kennern der Szene wird bei der jetzigen Rednerreihenfolge vermutlich dämmern, dass es nicht um ein Thema
geht, das Deutschland insgesamt bewegt. Es geht aber um
ein Thema, das für eine der schönsten Regionen in
Deutschland von elementarer Bedeutung ist.
({0})
- Verehrter Kollege Schmidt, wir alle haben schöne Wahlkreise.
({1})
Ich nehme für mich in Anspruch: Konstanz und der Bodensee gehören zu den schönsten.
({2})
Politik, meine Damen und Herren, muss man für die
Menschen machen; Politik sollte man nicht gegen die
Menschen machen. Die von der rot-grünen Mehrheit für
heute geplante Ratifizierung des Staatsvertrags über ein
bilaterales Luftverkehrsabkommen zwischen Deutschland und der Schweiz verletzt nach unserer Überzeugung
grob die schutzwürdigen Interessen der Bürger im
Schwarzwald und am Bodensee.
({3})
Für die von Fluglärm betroffenen Landkreise Waldshut,
Konstanz und Schwarzwald-Baar, deren Landräte
Bernhard Wütz, Frank Hämmerle und Karl Heim sich mit
einer Petition im Namen fast aller Menschen dieser Region, im Namen der dortigen Bürgerinitiativen an alle
Mitglieder des Deutschen Bundestages gewandt haben,
ist diese heutige Ratifizierung eine schallende Ohrfeige.
({4})
Ich halte es, Herr Bundesminister Bodewig, für einen
großen Fehler, den deutsch-schweizerischen Staatsvertrag heute im Deutschen Bundestag ratifizieren zu wollen.
Ich habe auch, wie Sie wissen, im Vorfeld alles versucht,
um die Entscheidung zu vertagen. Ich will dies begründen.
Erstens. Das von der Bundesregierung mit der Schweiz
- wie ich behaupte: dilettantisch - ausgehandelte Luftverkehrsabkommen belastet einseitig die Bodenseeregion
und den Südschwarzwald
({5})
- Herr Kollege Schmidt, ich komme gleich noch auf Sie
zu sprechen - und muss nachgebessert werden. Die Bevölkerung in den betroffenen drei Landkreisen leidet unter dem Lärm und unter den Umweltbelastungen durch
den An- und Abflugverkehr des Flughafens Zürich. Die
notwendige Reduzierung der Flugbewegungen über das
deutsche Gebiet wird mit dem vorliegenden Staatsvertrag
nicht erreicht.
({6})
- Verehrte Frau Kollegin Rehbock-Zureich, Sie wissen
ganz genau, dass wir zwischenzeitlich einen neuen Sachverhalt haben: Wir haben neue Warteräume. Dieser neue
Sachverhalt führt natürlich auch zu einem veränderten
Verhalten. Deshalb hätten wir erwartet, dass dieser Vertrag besser ausgehandelt wird.
({7})
Ich füge ein Weiteres hinzu - Herr Kollege Schmidt,
auch da darf ich auf Sie eingehen -: Es waren Schweizer
Journalisten, es waren Schweizer Publikationen, die
selbst die Frage aufgeworfen haben, warum die so genannte Goldküste am Züricher See geschont wird und
warum die Warteräume ausschließlich auf deutschem Gebiet eingerichtet werden.
({8})
Selbst aus der Schweiz gibt es entsprechende Einsichten.
Ein zweiter Grund spricht dafür, dass wir heute nicht
ratifizieren sollten: Die für den Luftverkehr zuständige
Kommission des schweizerischen Nationalrats hat im
vergangenen Monat die Ablehnung des Staatsvertrages
empfohlen.
({9})
- Sie haben gleich das Wort; Sie können gern darauf eingehen. - Ich will noch auf Folgendes hinweisen: Vorangegangen waren Forderungen des Flughafens Zürich, des
Kantons Zürich und der neuen Swiss Airline mit dem Ziel,
noch mehr Lärm und Umweltbelastungen, als nach dem
Staatsvertrag ohnehin schon zulässig ist, in den Südschwarzwald und den Bodenseeraum zu exportieren. Eine
abschließende Entscheidung des Nationalrats gibt es
möglicherweise im nächsten Monat. Die Entscheidung
des Ständerats ist frühestens im Herbst zu erwarten.
Ich frage uns: Warum haben wir die Notwendigkeit,
uns vor der Schweiz - die als Demonteur in dieser Frage
auftritt und die von uns ein Entgegenkommen erwartet heute durch die Ratifizierung zu binden?
({10})
Warum warten wir nicht die schweizerische Ratifizierung
ab? Dann können wir immer noch handeln.
({11})
Drittens. Ratifizieren die Schweizer Parlamente den
Staatsvertrag nicht - danach sieht es fast aus -, muss dieser zwischen den Regierungen neu verhandelt werden.
({12})
- Herr Kollege Schmidt, Sie wissen ganz genau, dass
diese Rechtsverordnung auf Dauer, gerade auch im bilateralen Bereich, keinen Bestand hat. Es muss doch neu
verhandelt werden.
Wenn wir aber heute den Staatsvertrag ratifizieren,
dann verschlechtern wir die deutsche Verhandlungsposition bei den Nachverhandlungen; denn die Bundesregierung wird an einen Vertrag gebunden sein, der bereits vom
deutschen Parlament ratifiziert worden ist. Das Parlament
würde damit der deutschen Bundesregierung, wenn es darum geht, mehr für uns herauszuhandeln, in den Rücken
fallen. Deshalb muss der Vertrag abgelehnt werden.
({13})
- Nein.
Ich erinnere in diesem Zusammenhang an einen anderen Punkt: Die Übertragung der hoheitlichen Rechte an
die Schweiz ist nach unserer Überzeugung ein großer
Fehler; denn Deutschland überlässt in Art. 1 des Vertrags
der Schweiz die Durchführung der Flugverkehrskontrolle
in einem Großteil Süddeutschlands. Bis vor die Grenzen
von Stuttgart wird in der Zukunft der Luftraum - die
Schweiz hat dieses Recht an eine private Firma übertragen - von der Schweiz aus kontrolliert. Wir übertragen
Hoheitsrechte nicht an einen anderen zwischenstaatlichen
Bereich, sondern an eine private Firma. Dies widerspricht
nach unserer Überzeugung den Art. 24 und 87 des Grundgesetzes. Diese Regelung ist fragwürdig, und es gibt namhafte Verfassungsrechtler, die diese Übertragung als verfassungswidrig bezeichnen.
({14})
War dies nötig? Wir sind da anderer Meinung.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich auf eines
hinweisen.
Gestatten Sie
eine Zwischenfrage?
Sie wird ja nicht
auf meine Redezeit angerechnet, gern.
Herr Kollege Repnik, Sie
tragen hier sehr temperamentvoll Ihre Bedenken vor. Sind
Sie bereit, sich mit demselben Engagement gegen den
Standort Schönefeld und für die dort Betroffenen einzusetzen?
Sehr verehrter Herr
Kollege Danckert, ich vertrete die Argumente deshalb mit
einem so großen Engagement, weil viele Menschen bei
uns im Süden Deutschlands davon negativ betroffen sind.
({0})
Ich nehme die Argumente der Menschen in unserer Region ernst. Mich beeindruckt schon die Sorge der Menschen davor, dass sie in der Nacht keine Ruhe mehr finden.
Es beeindruckt mich schon, wenn ein Fremdenverkehrsgebiet wie der Hochschwarzwald oder die Bodenseeregion
mit vielen Übernachtungsgästen dadurch nachhaltig beeinträchtigt wird.
Lieber Herr Kollege Danckert, mich beeindruckt,
wenn - so in meinem Wahlkreis - davon wichtige Rehabilitationskliniken negativ betroffen sind. Ich muss mich
doch mit einem entsprechenden Engagement und entsprechender Verve einbringen.
({1})
Ich kann mir nur wünschen und kann nur hoffen, dass
sich andere Kollegen, die in ihrem Wahlkreis möglicherweise ähnliche Probleme haben, genauso um die Sorgen
der Menschen kümmern, wie Birgit Homburger, ich und
andere dies tun.
({2})
Gestatten Sie
auch eine Zwischenfrage des Kollegen Schmidt?
Vorhin wurde auf
das bevorstehende Pfingstfest aufmerksam gemacht. Ich
möchte die Kolleginnen und Kollegen nicht daran hindern, noch rechtzeitig in ihre Wahlkreise und zum Pfingstfest zu kommen.
({0})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich möchte
zum Abschluss auf Folgendes hinweisen: Ich weiß sehr
wohl - auch ich bin ein Begünstigter -, was der Flughafen Zürich-Kloten für die südliche Region Deutschlands
bedeutet. Er ist für uns ein ganz eindeutiger Standortvorteil. Deswegen wissen wir auch, dass wir bestimmte Lasten auf uns nehmen müssen.
Was wir erwarten, nicht mehr und nicht weniger - dieser Erwartung wurden Sie, Herr Bundesminister, nicht gerecht -, ist, dass es eine gerechte Lastenverteilung auf die
Bürger in Deutschland und in der Schweiz gibt. Diese Gerechtigkeit in der Lastenverteilung wurde in den Verhandlungen nicht erreicht.
({1})
Nicht zuletzt aus diesen Gründen lehnen wir diesen Vertrag ab.
({2})
Ich muss Ihnen, Herr Bundesminister, noch einmal sagen: Sie haben die große Chance - ich habe gehört, dass
Sie darauf bestanden haben, den Vertrag jetzt zu ratifizieren - vergeben, noch einmal im Sinne der Rechte der deutschen Bevölkerung im Süden Baden-Württembergs tätig
zu werden.
({3})
Ich erteile dem
Kollegen Schmidt das Wort zu einer Kurzintervention,
weil er direkt angesprochen wurde.
Herr Kollege Repnik, Sie haben mich persönlich angesprochen. Gestatten Sie mir folgenden Hinweis, denn es ist schwer erträglich, hier zu hören, wie Sie
sich als der Retter der vor Lärm zu schützenden Bevölkerung aufspielen: Die Verwaltungsvereinbarung mit der
Schweiz, die jetzt durch den neuen Staatsvertrag abgelöst
werden soll, datiert aus dem Jahre 1984. Ich frage Sie:
Warum haben frühere Minister dieses Landes - Minister
Wissmann und seine Vorgänger - all die Jahre, als das
Problem schon existierte und die Klagen laut wurden,
nicht versucht, einen neuen Staatsvertrag auszuhandeln?
Warum haben Sie keine Rechtsverordnung angekündigt
oder sogar erlassen? Sie haben es immer nur bei folgenlosen Protestbriefen belassen.
Die jetzige Regierung hat im Mai 2000 die Verwaltungsvereinbarung gekündigt und sie hat den Staatsvertrag ausgehandelt. Es wird auch diese Regierung und
diese Parlamentsmehrheit sein, die den Staatsvertrag
heute ratifizieren. Sie treten hier als der Retter der lärmgeplagten Bevölkerung auf. Dazu muss ich Ihnen sagen:
Sie sind unglaubwürdig, um nicht zu sagen, scheinheilig.
({0})
Kollege Schmidt,
ich glaube, ich habe die Argumente in ausreichender
Weise vorgetragen. Ich will nur noch ein Argument nachschieben.
({0})
Ich habe es zwar bereits angesprochen, aber aufgrund
der Intervention des Kollegen Schmidt sei mir gestattet,
nochmals darauf hinzuweisen, dass es wegen der neuen
und veränderten Warteräume bzw. -schleifen auch ein
verändertes Anflugverhalten gibt.
Diese Situation hat sich erst in den letzten Jahren in
dieser Dramatik gezeigt. Ich bin der Bundesregierung
dankbar dafür - auf dem Weg haben wir sie ja auch positiv begleitet -,
({1})
dass ein neuer Vertrag geschlossen wird. Ich bin aber nicht
dankbar dafür, dass man - dies ist nicht nur mein, sondern
auch das Gefühl der gesamten Bevölkerung in dieser Region - die süddeutsche Bevölkerung zugunsten der
Schweizer Bevölkerung belastet hat. Das müssen wir angreifen. Deswegen sind wir dagegen.
({2})
Das Wort hat
jetzt die Abgeordnete Karin Rehbock-Zureich.
Sehr verehrte Frau
Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr
Repnik, es ist schon mehr als erstaunlich und eigentlich
unverschämt, dass Sie sich hierhin stellen und sich zum
Retter der Region Südbaden aufspielen. Sie sagen, dass
Sie Politik für die Menschen machen. Ich muss einfach
fragen: Wo waren Sie in den letzten elf Jahren?
({0})
Sie haben keine Politik für die Menschen gemacht. Die
jetzige Situation ist für den Wahlkreis Waldshut und den
Hochschwarzwald absolut nicht neu.
Die bestehenden Verträge wurden 1984 mit der Anflugstrecke, die über den Kreis Hochschwarzwald und
über Waldshut führte, von der alten Bundesregierung geschlossen. Bereits vor 1990 war klar, dass diese nie eingehalten werden würden. Ich finde es eine Unverfrorenheit, dass Sie sich hierhin stellen und sagen, dass Sie
Politik für die Menschen machen, während Sie gleichzeitig eine Vertagung beantragen, weil Sie warten wollen,
bis die Schweiz ratifiziert oder nicht.
({1})
Was wollen Sie mit einer Vertagung eigentlich erreichen? Sie wissen ganz genau, dass wir die Vorgaben setzen. Das heißt, wenn die Schweiz nicht ratifiziert, greift
die Verordnung. Wir werden es nicht zulassen, dass hier
ein rechtsfreier Raum entsteht, sodass die Verantwortlichen des Flughafens Kloten an den Flugplänen nichts ändern müssen. Dieser rechtsfreie Raum wird durch eine
Verordnung ausgefüllt.
Mit einer Vertagung würden Sie der Schweiz das Signal geben, dass wir gesprächsbereit sind. Die Schweiz
würde in neuen Verhandlungen versuchen, die Verträge zu
ändern, sodass sich ihre Lage verbessern würde. Was
glauben Sie eigentlich, zu wessen Lasten sie dies gern tun
würde? Das ginge natürlich zulasten von Südbaden und
der Menschen in dieser deutschen Region.
({2})
Wenn hier davon gesprochen wird, dass man etwas
übers Knie bricht, belügt man die Menschen vor Ort. In
dreijährigen Verhandlungen haben wir Folgendes erreicht:
Erstens. Die Flugbewegungen in der Region werden in
Zukunft auf 100 000 Anflüge gedeckelt.
Zweitens. Es wurde eine Nachtruhe von 22 bis 6 Uhr
vereinbart. An den Kollegen gerichtet, der sich zu Wort
gemeldet hat, sage ich: Die Menschen in der dortigen Region würden sich die Finger danach lecken, eine solche
Nachtruhe zu haben.
({3})
Drittens. Wir haben weiterhin zustande gebracht, dass
eine besonders ausgedehnte Sonn- und Feiertagsruhe von
20 Uhr bis morgens 9 Uhr herrscht. Auch dies zeigt, dass
wir dafür sorgen, mit diesem Staatsvertrag zu einer Entlastung von Südbaden beizutragen. Wir werden nicht auf
Ihr Spiel eingehen, das die alte Regierungskoalition in
den letzten Jahren getrieben hat. Sie haben immer alles
auf den Sankt-Nimmerleins-Tag geschoben. Diesen Eindruck habe ich wieder gewonnen. Warum wollen Sie immer alles verschieben? Sie werden keine verbesserten
Bedingungen mit dem Gesprächspartner zustande bringen,
({4})
der die Lasten zu unseren Ungunsten verschieben will.
Hören Sie sich doch die Diskussion in der Schweiz an.
Wir sind der Meinung, dass wir seit der Vereinbarung von
1984 das erste Mal zu einer Entlastung in der Region
kommen werden.
Sie bauen einen Popanz hinsichtlich der Verfassungsmäßigkeit dieses Vertrages auf. Dazu kann man nur sagen: Dieser Vertrag ist vom Justizministerium und vom
Innenministerium geprüft. Keine Frage ist offen geblieben, weil keinerlei Hoheitsrechte abgegeben werden. Das
ist übrigens in Gesamteuropa Usus. Die Deutsche Flugsicherung hat die Flugaufsicht über den gesamten Raum
von München bis Mailand. Auch hier werden keine Hoheitsrechte verletzt. Die Schweizer und wir richten uns bei
der Flugaufsicht nach deutschem Recht.
({5})
Am schlimmsten finde ich, dass Sie den Eindruck vermitteln, Sie nähmen die Interessen dieser Region wahr.
Diese Region ist von Ihnen bisher ignoriert und überhaupt
nicht zur Kenntnis genommen worden. Wir werden heute
über diesen Vertrag abstimmen und damit ein Signal in
Richtung Schweiz senden, dass nach dreijährigen Verhandlungen zumindest einer der Vertragspartner ratifizieren wird.
({6})
Wir werden über diesen Vertrag im Parlament abstimmen, damit diese Region eine Entlastung erfährt, von der
sie in den letzten Jahren nur träumen konnte. Ich hätte mir
gewünscht, zu der Zeit, als Sie die Regierung hatten, wäre
der Punkt einer Entlastung der südbadischen Region
durch einen deutsch-schweizerischen Staatsvertrag auf
die Tagesordnung gesetzt worden.
({7})
Fehlanzeige! Heute sind wir endlich so weit, über diesen
Vertrag abzustimmen und diese Entlastung herbeizuführen.
({8})
Ich möchte noch kurz auf den Entwurf der Koalition
zum Regionalisierungsgesetz eingehen. Auch in diesem
Bereich sorgen wir uns um die Regionen. Wir haben mit
unserem Koalitionsentwurf ein Zukunftsprogramm für
die Weiterentwicklung des regionalen Verkehrs auf den
Weg gebracht.
({9})
Wir haben seit dem Regionalisierungsgesetz mit der Weiterentwicklung des Verkehrs im Bereich des Personenverkehrs eine Steigerung von 20 Prozent zu erwarten. Deswegen war es uns als Koalitionsfraktionen ein Anliegen,
die Regionen ausreichend auszustatten, um den Verkehr
in den Regionen optimal zu organisieren. Die Länder haben jetzt die Chance, mit einem Aufkommen von über
6,7 Milliarden Euro und einer Entlastung von 750 Millionen Euro, weil der Bund auf die ihm zustehende Rückzahlung verzichtet, sowie einer Erhöhung dieser Mittel
um pro Jahr 1,5 Prozent im Jahr 2007 auf eine Größenordnung von 7,2 Milliarden Euro zu gelangen.
({10})
Aus diesem Grund können wir solch einem mit heißer
Nadel gestrickten Antrag nicht zustimmen, Herr
Friedrich.
({11})
Wir haben den Ländern die Chance gegeben, den Wettbewerb und die Qualität im Regionalverkehr zu verbessern.
Sie können nur davon träumen, so etwas zustande zu bringen.
Die Union hat ohnehin keinen Vorschlag eingebracht.
Ich kann verstehen, dass Bayern und Baden-Württemberg diesem Vorschlag im Bundesrat nicht folgen können; denn in ihrem Antrag ist nicht einmal geregelt, wie
es mit den Nachzahlungen an den Bund weitergehen
soll.
Insofern fordere ich Sie auf, diesem herausragenden
Gesetz und dem Staatsvertrag für die Regionen in
Deutschland zuzustimmen.
Vielen Dank.
({12})
Das Wort
hat jetzt die Kollegin Birgit Homburger von der FDPFraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Entscheidung, die heute hier
über den Staatsvertrag mit der Schweiz zur Regelung des
Luftverkehrs getroffen wird, ist aus unserer Sicht falsch.
Sie haben das Thema eben noch einmal erörtert, Frau
Rehbock-Zureich.
Dass wir diese Entscheidung am heutigen Tag treffen,
ist deshalb ein großer strategischer Fehler, weil zwischenzeitlich die zuständige Kommission des schweizerischen Nationalrats den Staatsvertrag abgelehnt hat.
({0})
- Regen Sie sich doch nicht so auf. - Sie machen insofern
einen großen Fehler, als Sie ankündigen: Wenn die
Schweiz den Staatsvertrag ablehnt,
({1})
dann werden wir mit einer Verordnung eine eigene Regelung treffen.
({2})
- Ja, das hat der Minister auch gesagt. Das ist ja prima.
({3})
- Auf einem anderen Niveau? Das möchte ich einmal sehen, dass irgendetwas von Ihnen Niveau hat, Herr
Schmidt.
({4})
Mit der von Ihnen angekündigten Verordnung verhält
es sich so, dass es im Falle einer Ablehnung durch die
Schweiz für die deutsche Seite nur schwer möglich sein
wird, weiter gehende, und zwar an den Interessen der Region orientierte, deutsche Interessen durchzusetzen.
({5})
- Ich bin nicht falsch informiert, sondern es ist der Zwang
des Faktischen, der dann greift. Wenn Sie erst einmal das,
was Sie hier beschließen, akzeptiert haben, wie wollen Sie
dann glaubhaft vermitteln, dass Sie anschließend mehr
bewirken können? Das wird doch nicht gehen, Frau
Rehbock-Zureich.
({6})
Sie haben angeführt, dass Nachverhandlungen zulasten der Menschen gegangen wären und man nicht mehr
habe herausholen können. Wenn aber etwas nicht erreicht
werden kann, wäre es vielleicht besser, keinen Staatsvertrag abzuschließen. Sie haben gesagt, Sie seien die Ersten
und Einzigen, die das Thema angegangen seien. Aber es
ist doch keine Leistung, das Thema anzugehen, wenn für
die Bevölkerung in der betroffenen Region schließlich etwas Schlechteres dabei herauskommt!
({7})
Deswegen ist das nicht akzeptabel. Die Gründe sind hier
bereits genannt worden. Dazu gehört zum einen die Lastenverteilung in der Region nach diesem Staatsvertrag,
die nicht stimmig ist und sich zulasten der deutschen Seite
auswirkt, insbesondere was die Warteschleifen angeht.
Das wurde bereits im Detail erläutert.
Zum anderen ist im Staatsvertrag geregelt, dass die
Warteverfahren über deutschem Hoheitsgebiet in der
Regel nur für Anflüge auf die Pisten 14 und 16 genutzt
werden. Das hätte eigentlich präzisiert werden müssen.
Außerdem bedarf es einer strengen Kontrolle. Wenn Sie
allerdings die Luftverkehrskontrolle über weite Teile Süddeutschlands der schweizerischen Seite übergeben, dann
frage ich mich, wie Sie das eigentlich kontrollieren wollen.
({8})
Sie werden es nicht kontrollieren können. Deswegen ist
auch dies ein Punkt, der so nicht akzeptabel ist.
({9})
Der dritte Punkt: Frau Rehbock-Zureich, Sie haben gesagt, mit diesem Staatsvertrag würden die Anflüge auf
100 000 beschränkt. Darauf kann ich Ihnen nur sagen: In
Art. 17 dieses Vertrages steht ausdrücklich, dass dem sektoriellen Abkommen zwischen der Schweizer Eidgenossenschaft und der Europäischen Gemeinschaft Vorrang
eingeräumt wird. Grund dafür ist natürlich, dass nach
Schweizer Erwartungen die Kontingentierung der Anflüge dadurch hinfällig werden könnte. Damit hat sich die
Schweizer Seite wieder einmal durchgesetzt. Deswegen
fragt man sich, Herr Bodewig, für wen Sie da eigentlich
verhandelt haben.
({10})
Frau Kollegin Homburger, erlauben Sie eine Zwischenfrage der
Kollegin Rehbock-Zureich?
Herr Präsident, ich bin
beim letzten Satz und will die Kollegen nicht unnötig
durch eine weitere Zwischenfrage aufhalten.
Gut, dann
kommen Sie bitte zum Ende.
Ich bin am Ende meiner
Redezeit. Ich habe in Kürze die Argumente vorgetragen;
ausführlicher sind sie hier schon genannt worden. Zusammenfassend stelle ich für die FDP-Bundestagsfraktion fest, dass mit dem Staatsvertrag das Ziel verfolgt werden sollte, die betroffene deutsche Bevölkerung besser zu
stellen. Diesem Ziel wird dieser Staatsvertrag nicht gerecht und deswegen werden wir ihn ablehnen.
({0})
Das Wort
hat die Kollegin Renate Blank von der CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine
Damen und Herren! Zum Flugverkehr in Baden-Württemberg ist, glaube ich, alles gesagt worden. Der Kollege
Repnik hat das ausführlich dargelegt.
({0})
Deshalb komme ich zurück zur Novellierung des
Fernstraßenbauprivatfinanzierungsgesetzes. Die Novellierung wäre aus unserer Sicht zwar notwendig, jedoch
hat die Anhörung gezeigt, dass der Gesetzentwurf unzureichend und mangelhaft ist - wie halt alles, was von dieser Bundesregierung kommt.
({1})
Sachverständige hätten mehr gehört werden sollen; aber
nein, man paukt das Gesetz ganz schnell durch. Eigentlich
sollte die Änderung des Gesetzes eine Verbesserung der
Rahmenbedingungen für private Investitionen in die Verkehrsinfrastruktur bringen. Das wird leider nicht der Fall
sein.
Völlig unzureichend sind nach Meinung aller Sachverständigen unter anderem die Festlegungen über die Ausrichtung der Mautgebühr an den Kosten für Bau, Erhaltung und Betrieb und für den weiteren Ausbau der
Strecken, die Berücksichtigung der Eigenkapitalverzinsung und die Laufzeit der Konzessionen, um die Gebühren solide kalkulieren zu können. Natürlich ist es auch
ein Unterschied, ob eine Kommune oder das Land Konzessionsgeber ist.
Ein weiterer, aber für Parlamentarier wichtiger Kritikpunkt: Durch die Festlegung privat zu finanzierender
Projekte durch eine separat von der Bundesregierung zu
erlassende Rechtsverordnung nur im Einvernehmen mit
der betroffenen Landesregierung ist die Beteiligung des
Parlaments abgeschafft. Sie, meine Damen und Herren
von Rot-Grün, können sich die Ausschaltung des Parlaments ja gefallen lassen. Unser Politikstil und unser Verständnis von Demokratie ist dies auf keinen Fall.
Wenn Sie mir nicht glauben, verweise ich auf die Aussagen des Bundes Naturschutz und des Verkehrsclubs
Deutschland in der Anhörung - bestimmt keine Verbände,
die uns besonders nahe stehen. Beide sagten übereinstimBirgit Homburger
mend - Sie können das im Wortprotokoll nachlesen -,
dass dem Deutschen Bundestag die Entscheidungshoheit
und Kontrolle darüber entzogen wird, wie die Verkehrsinfrastruktur weiterentwickelt werden soll.
Meine Damen und Herren, nun zu unserem Antrag zur
Finanzierungssicherheit für den Bundesfernstraßenbau
über das Jahr 2002 hinaus. Es nützt überhaupt nichts,
wenn Verkehrsminister Bodewig - vom Bundeskanzler
nicht mehr erwähnt, was Bände über Ihre Qualität spricht,
Herr Minister - sagt, dass die Bundesregierung in den
nächsten zehn Jahren rund 90 Milliarden Euro in die Verkehrswege investieren wird.
({2})
Das klingt zunächst ganz schön, doch pro Jahr ist dies weniger als in den Jahren bis 1998. Sie wollten doch alles
besser machen, aber es ist alles schlechter geworden,
meine Damen und Herren von Rot-Grün.
({3})
Zum Beispiel der Bundesverkehrswegeplan ist ein
wahres Trauerspiel.
({4})
Vollmundig versprachen Sie, Sie wollten ihn im Jahr
1999, spätestens im Jahr 2000 vorlegen. Es hat zwar etwas gedauert, bis Sie gemerkt haben, dass die Projekte der
Länder, auch der rot-grün regierten Länder, eine Riesensumme erfordern und Sie sich nicht dem Vorwurf der von
Ihnen ständig gepredigten Unterfinanzierung - heute wieder von der Kollegin Wetzel - des Bundesverkehrswegeplans aussetzen wollten.
({5})
Flugs verschiebt man die Vorlage auf das Jahr 2003.
Es ist wirklich eine Lachnummer, wenn Minister
Bodewig am vergangenen Mittwoch - die Kollegin Wetzel
hat das heute auch getan - von einer Unterfinanzierung
spricht. Wann begreifen Sie endlich, dass es sich um einen
Bedarfsplan und nicht um einen Finanzplan handelt?
({6})
Minister Bodewig, Sie müssen sich auch nicht mehr anstrengen, dies zu lernen; denn nach dem 22. September
werden Sie nicht mehr im Amt sein.
({7})
Der Minister sprach auch von neuen Raumordnungskriterien, die neu zur Bewertung von Projekten herangezogen würden. Es wurde schon immer unter raumordnerischen Gesichtspunkten geplant. Auch zu unserer Zeit
wurde nicht im luftleeren Raum geplant.
Der Minister sprach auch davon, dass 15 Prozent der
Mittel aus dem Anti-Stau-Programm nach Bayern gingen. Herr Minister Bodewig, mit der Aufteilung der Mittel aus Ihrem Anti-Stau-Programm auf die Bundesländer
- das gilt auch für andere Programme - sind Sie vom ursprünglichen Schlüssel abgewichen; denn Bayern - daran
muss ich Sie offenbar erinnern - stehen eigentlich
19,2 Prozent und Nordrhein-Westfalen - aus diesem Bundesland stammen Sie - 26,5 Prozent der Mittel zu. Sie haben den Schlüssel willkürlich verändert und die Mittel aus
Ihrem Anti-Stau-Programm so aufgeteilt, dass Bayern nur
noch 15 Prozent und Nordrhein-Westfalen 32,2 Prozent
erhält. Sie sind also vom ursprünglichen Aufteilungsschlüssel radikal abgewichen.
Da man uns keinen neuen Bundesverkehrswegeplan
und im Jahr 2000 auch kein Fünfjahresprogramm vorlegen konnte, begannen die Verkehrsminister Müntefering,
Klimmt und Bodewig mit ihren großen Verwirrspielen,
bei denen so ganz nebenbei die Mittel für den Straßenbauhaushalt gekürzt wurden. Zuerst wurde ein Investitionsprogramm vorgelegt, das Klarheit bringen sollte. Es
war aber nur ein Programm zur Fortführung der von uns
bereits begonnenen Maßnahmen. Es gab keine müde
Mark mehr. Im Gegenteil: Es erfolgte eine Kürzung um
5 Milliarden DM.
Dann kam das Zukunftsinvestitionsprogramm, das
aus den UMTS-Lizenzerlösen gespeist wurde. Dass Sie
damit die Straßenbaumittel um 2,7 Milliarden DM erhöhen konnten, war nicht Ihr Verdienst, sondern ist auf
unsere Vorarbeiten zurückzuführen.
({8})
Es fehlen bis Ende 2002 - rechnen Sie ruhig nach - aber
noch immer 2,2 Milliarden DM.
Der dritte Akt im Verwirrspiel war das Anti-Stau-Programm. Es war ein reines Täuschungsmanöver; denn das
Anti-Stau-Programm kann ja erst mit der Einführung der
LKW-Maut in Kraft treten. Das wird frühestens Mitte
2003 sein, wenn überhaupt.
Im vierten Akt des Verwirrspiels dürfen wir ein Maßnahmenpaket mit dem neuen Namen „Bauen jetzt - Investitionen beschleunigen“ bestaunen.
({9})
Jetzt werden plötzlich weitere private Konzessionsmodelle aus dem Hut gezaubert, die man nun Betreibermodelle nennt. Konzessionsmodelle dürfen sie natürlich
nicht heißen; denn diese wurden ja noch bis kurz vor Erscheinen des Maßnahmenpakets abgelehnt. Es ist also nur
ein neuer Name. Mehr Geld für den Straßenbau gibt es
nicht.
({10})
Am vergangenen Mittwoch hat der Verkehrsminister
mit großem Getöse einen Sachstandsbericht zu den Verkehrsprojekten „Deutsche Einheit“ vorgestellt. Er müsste
der Regierung Kohl eigentlich sehr dankbar sein, dass sie
so vorausschauend war, die 17 Verkehrsprojekte „Deutsche Einheit“ mit einem Volumen von rund 60 Milliarden
in die Wege zu leiten.
({11})
Das war hervorragende Politik für die Menschen, für das
Zusammenwachsen der alten und neuen Bundesländer sowie für das Wirtschaftswachstum und die Arbeitsplätze.
Herr Minister, Sie haben also etwas verkündet, was im
Grunde genommen die alte Bundesregierung auf den Weg
gebracht hat.
Auf das Trauerspiel beim Verkehrsprojekt „Deutsche
Einheit“ Nr. 8 möchte ich gar nicht eingehen. Das haben
wir ja bereits am vergangenen Mittwoch abgehandelt.
Meine Damen und Herren von Rot-Grün, Täuschen,
Tricksen und leere Versprechungen sind die Markenzeichen
Ihrer Politik. Nach dem 22. September bringen wir wieder
Wahrheit und Klarheit und damit auch Finanzierungssicherheit in die Verkehrspolitik zurück.
({12})
Ich
schließe die Aussprache.
Bevor wir zu den Abstimmungen kommen, möchte ich
bekannt geben, dass eine Erklärung des Kollegen Thomas
Dörflinger zur Abstimmung nach § 31 der Geschäftsordnung vorliegt1, die wir zu Protokoll nehmen, Ihr Einverständnis vorausgesetzt.
Wir kommen zunächst zu Tagesordnungspunkt 27 a:
Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Errichtung einer Verkehrsinfrastrukturfinanzierungsgesellschaft zur Finanzierung
von Bundesverkehrswegen, Drucksache 14/8449. Der Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen empfiehlt in
seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 14/9084, den
Gesetzentwurf in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich
bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um ihr Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist in
zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der anderen Fraktionen angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung: Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist
bei gleichen Mehrheitsverhältnissen angenommen.
Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion der FDP auf Drucksache 14/9112. Wer stimmt dafür? Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der PDS bei Zustimmung von FDP und
CDU/CSU abgelehnt.
Tagesordnungspunkt 27 b: Abstimmung über den von
der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur
Änderung des Fernstraßenbauprivatfinanzierungsgesetzes und straßenverkehrsrechtlicher Vorschriften, Drucksache 14/8447. Der Ausschuss für Verkehr, Bau- und
Wohnungswesen empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 14/9066, den Gesetzentwurf in der
Ausschussfassung anzunehmen. Diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen,
bitte ich um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung
mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die
Stimmen der anderen Fraktionen angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung: Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist
bei gleichen Mehrheitsverhältnissen angenommen.
Tagesordnungspunkt 27 c: Abstimmung über den von
der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur
Änderung des Bundesfernstraßengesetzes, Drucksache 14/8448. Der Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 14/8911, den Gesetzentwurf anzunehmen.
Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen
wollen, um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung
mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen, der FDP und
der PDS bei Gegenstimmen der CDU/CSU-Fraktion angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung: Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist
bei gleichen Mehrheitsverhältnissen angenommen.
Tagesordnungspunkt 27 d: Abstimmung über den von
der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung des Straßenverkehrsgesetzes und anderer straßenverkehrsrechtlicher Vorschriften, Drucksache 14/8766.
Der Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 14/9059, den Gesetzentwurf in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um
das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung einstimmig angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung: Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist
einstimmig angenommen.
Tagesordnungspunkt 27 e: Abstimmung über den von
der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zu
dem Vertrag vom 18. Oktober 2001 mit der Schweiz über
die Durchführung der Flugverkehrskontrolle über deutschem Hoheitsgebiet und über Auswirkungen des Betriebes des Flughafens Zürich auf das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland, Drucksache 14/8731.
Der Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf DruckRenate Blank
1 Anlage 4
sache 14/9057, den Gesetzentwurf anzunehmen. Ich bitte
diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um
das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der PDS angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung: Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist
bei gleichen Mehrheitsverhältnissen angenommen.
Tagesordnungspunkt 27 f: Abstimmung über den von
der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur
Erleichterung des Marktzugangs im Luftverkehr, Drucksache 14/8730. Der Ausschuss für Verkehr, Bau- und
Wohnungswesen empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 14/9058, den Gesetzentwurf in der
Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die
dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen
wollen, um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung mit
den Stimmen der Koalitionsfraktionen, der CDU/CSU und
der FDP gegen die Stimmen der PDS angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung: Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist
bei gleichen Mehrheitsverhältnissen angenommen.
Tagesordnungspunkt 27 g: Abstimmung über den von
den Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung des Regionalisierungsgesetzes, Drucksache 14/8781. Der Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen empfiehlt
in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 14/9053,
den Gesetzentwurf anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die
dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der PDS gegen die Stimmen von
CDU/CSU und FDP angenommen.
({0})
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung: Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist
bei gleichen Mehrheitsverhältnissen angenommen.
({1})
Wir kommen nun zum Entschließungsantrag der Fraktion der FDP auf Drucksache 14/9113. Die Fraktion der
FDP hat beantragt, den Entschließungsantrag zur federführenden Beratung an den Ausschuss für Verkehr, Bauund Wohnungswesen und zur Mitberatung an den Ausschuss für Wirtschaft und Technologie sowie an den
Haushaltsausschuss zu überweisen. Die Fraktionen der
SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen verlangen hingegen sofortige Abstimmung.
Nach ständiger Übung geht die Abstimmung über einen Überweisungsvorschlag vor. Ich bitte diejenigen, die
dem Überweisungsvorschlag der Fraktion der FDP zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Gegenstimmen? Enthaltungen? - Der Überweisungsvorschlag ist mit den
Stimmen der Koalitionsfraktionen bei Zustimmung von
CDU/CSU, FDP und PDS abgelehnt.
Damit stimmen wir jetzt über den Entschließungsantrag in der Sache ab. Wer stimmt dafür? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Entschließungsantrag ist mit
den Stimmen der Koalitionsfraktionen bei Zustimmung
der anderen Fraktionen abgelehnt.
Tagesordnungspunkt 27 h: Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Verkehr, Bauund Wohnungswesen auf Drucksache 14/8820 zu dem
Antrag der Fraktion der CDU/CSU mit dem Titel „Finanzierungssicherheit für den Bundesfernstraßenbau über das
Jahr 2002 hinaus“. Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag
auf Drucksache 14/7146 abzulehnen. Wer stimmt für
diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? Wer enthält sich? - Die Beschlussempfehlung ist bei Gegenstimmen der CDU/CSU-Fraktion mit den Stimmen
aller anderen Fraktionen angenommen.
Zusatzpunkt 21: Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen auf Drucksache 14/9082 zu dem Antrag der
Fraktion der FDP mit dem Titel „Fairen Wettbewerb im
Luftverkehr bewahren - Sicherheit erhöhen“. Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 14/7157 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und
der PDS-Fraktion bei Gegenstimmen der Fraktionen der
CDU/CSU und der FDP angenommen.
Zusatzpunkt 22: Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen auf Drucksache 14/9083 zu dem Antrag der
Fraktion der FDP mit dem Titel „Anti-Stau-Programm für
Europas Luftverkehr“.
({2})
Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 14/3188 abzulehnen.
({3})
- Wir sind in der Abstimmung, meine Damen und Herren.
Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer
stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die Beschlussemp-
fehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und
der PDS-Fraktion bei Gegenstimmen von CDU/CSU und
FDP angenommen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 28 a und 28 b auf:
a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Jörg van
Essen, Rainer Funke, Dr. Edzard Schmidt-Jortzig,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Opferrechte stärken und verbessern
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
- Drucksache 14/7832 Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss ({4})
Auswärtiger Ausschuss
Innenausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe
b) Erste Beratung des von den Abgeordneten Norbert
Geis, Volker Kauder, Dr. Jürgen Gehb, weiteren
Abgeordneten und der Fraktion der CDU/CSU
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Jugendgerichtsgesetzes
- Drucksache 14/8788 Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss ({5})
Innenausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen, wobei die
Fraktion der FDP sieben Minuten erhalten soll. - Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Als erster Redner hat für
den Antragsteller der Kollege Jörg van Essen das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist wirklich an der Zeit, dass wir
im Plenum des Deutschen Bundestages wieder eine Debatte über die Stärkung der Opferrechte führen. Wir beschäftigen uns sehr oft mit Tätern. Wir machen uns Gedanken darüber, wie es in den Strafvollzugseinrichtungen
des Landes aussieht. Das und viele andere Dinge sind mit
Tätern verbunden. Viel zu wenig beschäftigen wir uns mit
den Opfern.
Das hat sich zuletzt beispielsweise bei der Debatte über
die Konsequenzen aus dem Anschlag in Djerba gezeigt. In
dem Zusammenhang wurde ein berechtigter Antrag mit
dem Ziel, die Möglichkeiten der Verfolgung von Tätern
zu verbessern, eingebracht. Meine Fraktion hatte als einzige einen Antrag eingebracht, der sich auch mit den Opfern beschäftigt hat. Die Opfer versuchen im Augenblick
durch eine Klage gegen den tunesischen Staat, Schadenersatz zu bekommen. Experten haben in den Medien mitgeteilt, dass die Aussichten dafür eher gering sind. Das
macht deutlich, dass wir in einer Verpflichtung sind, insbesondere die Rechte von Opfern zu stärken, beispielsweise
durch eine Erweiterung des Opferentschädigungsgesetzes, wie wir es in diesem Zusammenhang vorgeschlagen
haben.
({0})
Damit bin ich bei meinem ersten Thema. Das Opferentschädigungsgesetz ist viel zu wenig bekannt. Die Möglichkeiten, die das Opferentschädigungsgesetz bietet,
könnten viel intensiver genutzt werden. Deshalb ist die Forderung, die Menschen über die rechtlichen Möglichkeiten
besser zu unterrichten, ein Bestandteil unseres Antrags.
Baden-Württemberg hat nach meiner Auffassung etwas ganz Hervorragendes getan, was ich in diesem Zusammenhang ansprechen möchte, weil es nicht nur um gesetzgeberische Maßnahmen geht, sondern beispielsweise
auch um das, was mein Parteifreund, der baden-württembergische Justizminister Goll, getan hat. Er hat dafür gesorgt, dass Referendare, die eine Ausbildung zum Juristen
machen, eine Zeit lang im Gericht Opfern beistehen, sie
über die Möglichkeiten unterrichten, die sie haben, und
sie auf die Hauptverhandlung vorbereiten. Damit wird das
Bild, das viele Opfer haben, nämlich dass sie im gerichtlichen Verfahren nicht ernst genommen werden, ein bisschen zu korrigieren versucht. Ich glaube, dass das ein
ganz hervorragender Ansatz ist.
({1})
Was das Ziel angeht, dass die Opfer im Verfahren ernst
genommen werden, sehen wir weiteren gesetzgeberischen Handlungsbedarf bei der Möglichkeit des Opferanwalts im Jugendgerichtsverfahren. Das ist etwas,
was auch die CDU/CSU in ihrem Antrag fordert. Ich
glaube, dass die Begründungen dafür, dass wir das bisher
ausschließen, nicht wirklich überzeugen; denn das Jugendgerichtsverfahren ist bewusst pädagogisch angelegt.
Ich finde es richtig, dass es so ist. Was die richterlichen
Maßnahmen anbelangt, so gibt es dort eine Klaviatur, auf
der gespielt werden kann. Sie ist sehr viel breiter, als das
bei Verfahren für Erwachsene der Fall ist, und kann damit
auch punktgenauer sein.
Es tut Jugendlichen doch gerade gut, wenn sie viel intensiver merken, welche Auswirkungen ihre Tat hat.
Wenn dem Opfer ein Opferanwalt zur Seite steht, der dafür
sorgt, dass die Interessen des Opfers, beispielsweise aber
auch die Folgen, die beim Opfer eingetreten sind, im Verfahren besser deutlich werden, dann ist das ein Gewinn. Ein
Jugendlicher bekommt so mit, was er angerichtet hat. Das
ist ein Teil der pädagogischen Bemühungen im Jugendgerichtsverfahren. Von daher würde ich mich sehr freuen,
wenn wir dabei zu Verbesserungen kommen könnten.
Ein weiterer, auch für mich wichtiger Punkt ist, dass
eine Tat häufig Auswirkungen hat, die nicht nur das eigentliche Opfer betreffen, sondern weit darüber hinausgehen. Wer einmal, wie ich es in meiner dienstlichen
Tätigkeit als Oberstaatsanwalt erlebt habe, eine Todesnachricht überbringen musste, weil ein Familienmitglied,
beispielsweise ein Mädchen, ermordet worden ist, der
weiß, dass das Leben der Familie, deren Mitglied ermordet worden ist, nie wieder so sein wird wie vorher.
Viele Familienangehörige brauchen noch jahrelang
fachkundige Betreuung durch Psychologen und Psychiater. Wir wollen, dass diese Betreuung in Zukunft finanziert werden kann, wenn eine Notwendigkeit dazu besteht. Denn diese Familienangehörigen sind mittelbare
Opfer dieser Tat. Sie haben deshalb Anspruch auf unsere
Unterstützung.
({2})
Ich bitte, dass wir auch in diesem Punkt in eine offene Diskussion eintreten. Wir haben nämlich auch hier eine Verpflichtung.
Wir haben mit unserem Antrag viele der Anregungen,
die die Opferschutzorganisation „Weißer Ring“ aufgeVizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
stellt hat, aufgegriffen. Wir müssen zu einer neuen und
stärkeren Berücksichtigung der Anliegen der Opfer kommen, wie es in der vergangenen Legislaturperiode unter
dem liberalen Justizminister Edzard Schmidt-Jortzig
möglich war. Wir haben in dieser Zeit erhebliche Verbesserungen der Opferrechte geschaffen.
Ich denke beispielsweise an die Möglichkeit einer
Videoaufnahme der Vernehmung von Kindern, sodass
Kinder nur einmal aussagen müssen und nicht immer wieder die Erinnerung an die schwere Tat hochkommt. Ich
denke ferner an die Möglichkeit, Vernehmungen aus dem
Nachbarzimmer zu übertragen, was insbesondere den
Frauen hilft, die Opfer einer Sexualstraftat geworden sind
und die deshalb häufig die unmittelbare Nähe des Täters
bei der Zeugenvernehmung nicht ertragen können, wofür
ich viel Verständnis habe.
Leider werden diese Möglichkeiten viel zu wenig angewandt. Deshalb will ich die heutige Debatte nutzen, an
meine Kollegen in der Justiz zu appellieren, von diesen
gesetzlichen Möglichkeiten mehr Gebrauch zu machen,
als das bisher der Fall ist, um die Opfer in einem höheren
Maße zu schonen. Die gesetzlichen Möglichkeiten dazu
haben wir geschaffen.
({3})
Die Debatte zeigt, dass ein Teil der Maßnahmen außerhalb des Gesetzgebungsverfahrens liegt. Als eine denkbare organisatorische Maßnahme nenne ich beispielsweise die Einschaltung von Referendaren bei der
Opferbetreuung. Es besteht aber auch die Notwendigkeit, gesetzliche Schritte einzuleiten. Unser Antrag soll
dazu ein Anstoß sein. Wir freuen uns auf die Diskussion
zu diesem Thema mit den anderen Fraktionen.
Vielen Dank.
({4})
Das Wort
hat jetzt die Kollegin Margot von Renesse von der SPDFraktion.
Herr Präsident! Meine
Damen und Herren! Die außergerichtlichen Vorschläge,
die Sie gemacht haben, sind durchaus diskutabel. Sie haben aber selber gesagt, dass in manchen Fällen nicht unbedingt eine Gesetzes-, sondern eine Praxisänderung erforderlich ist. Dazu gehört selbstverständlich auch mehr
Sensibilität im Umgang mit Opfern und ihren Angehörigen. Ein Richter oder eine Richterin, die wissen, was angebracht ist, werden auf bestehende Ansprüche hinweisen, auch wenn das nicht zu ihrem Verfahren gehört. Sie
haben aber völlig Recht, dass man effektiver dafür eintreten kann, von dieser Möglichkeit Gebrauch zu machen.
Ich will mich jetzt mit dem befassen, was an Gesetzesänderungen von Ihnen, Herr Kollege van Essen, und von
der CDU/CSU hinsichtlich der Nebenklage im Jugendgerichtsverfahren vorgeschlagen worden ist. Ich denke,
dass wir alle der Auffassung sind - das haben Sie betont,
Herr van Essen -, dass das Jugendgerichtsverfahren - wir
reden von den 14- bis einschließlich 17-Jährigen - in der
Tat ein pädagogisches Verfahren sein muss und sein soll.
Wenn wir uns anschauen, welchen Sinn die Nebenklage für sich genommen hat - ihr Sinn im Jugendgerichtsverfahren wird gesondert zu prüfen sein -, und
wenn man sich fragt, welchem Interesse sie dient, dann
muss man sagen, dass sie nicht dem Schutz vor kriminellen Handlungen - so sieht es die CDU/CSU; das wird in
ihrem Gesetzentwurf deutlich -, sondern der Durchsetzung eines Genugtuungsinteresses dient.
Der Nebenkläger kann mit seinen Beiträgen sicher zur
Aufklärung verhelfen. Er hat aber in erster Linie Antragsrechte und Verfahrensrechte, die ihm die Möglichkeit geben, eigene Strafanträge zu stellen. Das aber ist ein Problem
im Jugendgerichtsverfahren. Ich kenne keinen erfahrenen
Jugendrichter und keine erfahrene Jugendrichterin, die das
Instrument der Nebenklage im Jugendgerichtsverfahren für
sinnvoll halten, und zwar gerade deswegen, weil der Nebenkläger eben nicht ein pädagogisches Interesse hat. Abgesehen von dem von der CDU/CSU vorgeschlagenen Adhäsionsverfahren geht es ihm im Wesentlichen darum,
dass sein verletztes Rechtsgefühl durch die Bestrafung
wieder hergestellt wird. Herr van Essen, das können Sie
in jedem Strafrechtsbuch nachlesen.
Das ist aber nicht der Sinn des Jugendgerichtsverfahrens. Der Jugendrichter ist sozusagen der Erzieher in
Robe. Nachdem sich das unmittelbare soziale Umfeld eines Jugendlichen - mitunter aufgrund von Gleichgültigkeit oder Überforderung - nicht hat durchsetzen können,
ist es der Richter, der dem Heranwachsenden deutlich zu
machen hat, wo die Grenzen sind und dass diese Grenzen
ernst zu nehmen sind. Das heißt, der Richter muss in der
Hauptverhandlung - sie muss ein Teil des Prozesses sein,
in dem der richtige Weg gefunden und der falsche Weg
verlassen werden soll - an den jungen Menschen herankommen. Das geschieht bei jungen Menschen - darin sind
wir uns sicher einig - einerseits durch Konsequenz.
Viele kriminelle Karrieren junger Menschen verdanken wir der Tatsache, dass manche Jugendrichter und
-richterinnen glauben, jungen Menschen durch allzu
große Nachsicht helfen zu können.
({0})
Es kommt zu einer Immunisierung: erste Verwarnung,
erster Wochenendarrest, Dauerarrest; das endet dann bei
ernsthaften Strafen. Das ist fast so, als würde man die Jugendlichen durch Impfungen immunisieren.
({1})
Rechtzeitig klar zu machen, dass, wer einen anderen
schädigt, eigenen Schaden riskiert, ist ungeheuer wichtig.
Aber: Konsequenz kommt bei jungen Menschen - Frau
Falk, Sie wissen das bestimmt - nur an, wenn sie mit Zuwendung kombiniert ist. Ich rede nicht von der weichen
Welle, sondern davon, dass der junge Mensch während
der Zeit der Hauptverhandlung das Gefühl haben muss,
der wichtigste Mensch auf der Welt zu sein; denn alles,
was als Drohgebärde ankommt, wird als Vernichtungswille und Rachsucht verstanden. In diesem Alter weckt
das insbesondere bei Jungen Trotz, Ablehnung und mitunter sogar Rachsucht.
Wir klagen mit Recht darüber, dass wir bei jungen
Menschen Gewaltbereitschaft, emotionslose Kälte und
fehlende Empathie feststellen. Sie sagen mit Recht: Die
Tatsache, dass der Verletzte bei der Hauptverhandlung dabei ist, kann pädagogisch sinnvoll sein. Nach geltendem
Recht ist das bereits jetzt möglich. Er kann lediglich nicht
seinerseits als Nebenkläger ein Verfolgungsinteresse markieren, jedenfalls nicht durch Verfahrensanträge. Der
Richter kann etwas ausbremsen, wenn es überhand
nimmt.
Der Empathielosigkeit, die in vielen Fällen das große
Problem ist - nicht Brutalität, sondern Herzlosigkeit sowie
das Fehlen von Mitgefühl und sozialer Fantasie -, können
wir nur durch eine Änderung unseres eigenen Verhaltens
entgegentreten. Jugendliche werden nur in der Lage sein,
Empathie zu empfinden, wenn sie sie erlebt haben.
Ich halte viel davon, den Waffenbesitz junger Leute
einzuschränken. Ich halte viel davon, dass wir auch etwas
gegen die „Computerballerspiele“ unternehmen. Wir wissen aber, dass diese Spiele auf den einen so und auf den
anderen so wirken. Entscheidend ist, ob die Persönlichkeit defizitär oder geglückt ist. Defizitär ist die Persönlichkeit dann, wenn junge Menschen keine Empathie erfahren haben, wenn sie nicht erlebt haben, dass sie - so
wie sie sind - die wichtigsten Menschen der Welt sind,
zunächst für ihre Eltern und später für ihr weiteres soziales Umfeld. Wie viel Brutalität erleben die Jugendlichen
eigentlich von den Erwachsenen?
An dieser Stelle will ich ein Wort zu dem herzlosen
Thüringer Schulrecht sagen. Ich habe bereits vor einigen Jahren davon gehört. Schon damals war ich erschüttert. Ich dachte: Um Gottes willen, was geht in einem
Schulversager angesichts eines solchen Rechts vor? Wir
wissen, dass das Thüringer Schulrecht nicht die einzige
Ursache der Schreckensereignisse von Erfurt war. Es gibt
eine Kette von Ursachen; aber in diese Kette gehört sicher
auch das hinein. Die Brutalität, die die Jugendlichen erfahren, geschieht vonseiten der Erwachsenen häufig aus
Gedankenlosigkeit und Gleichgültigkeit. Sie ist aber
äußerst gefährlich.
Erlauben Sie, dass ich daran erinnere, dass im Zusammenhang mit der Diskussion um eine mögliche Abschaffung der Wehrpflicht beklagt wurde, dass uns dann die
Zivis fehlen würden. Sofort sprachen Politiker, auch Bundestags- und Landtagsabgeordnete, von einer Dienstpflicht für junge Leute, und zwar nach dem Motto: Wir
haben es ja. Wir gehen davon aus, dass uns junge Leute
wie eine Verfügungsmasse zur Verfügung stehen, und wir
gehen über ihre Interessen gedankenlos hinweg. Wir denken nicht daran, dass gerade die Zeit der Jugend das Kostbarste ist, was junge Menschen haben, weil sie sich auf
den internationalen Konkurrenzkampf vorbereiten müssen, in den sie, da sie aus Deutschland kommen, sowieso
verspätet eintreten.
Ich kündige an, dass ich gemeinsam mit Rita Süssmuth
eine Initiative ergreifen werde, die deutlich machen wird,
dass wir die Menschen während ihrer Jugendzeit schonen
wollen.
Zurück zum Jugendgericht: Nein, die Nebenklage hat
dort nichts verloren. Der Verletzte ja, aber das bedarf keiner Rechtsänderung. Jugendrichter müssen konsequent
und zugewandt sein. Nur dann vermitteln sie, was rechtens ist. Nur dann kann ein junger Mensch das Recht lernen nach dem alten Grundsatz, den Goethe schon aufgestellt hat: „Man lernt nur kennen, was man liebt.“ Man
lernt nicht kennen, was mit Abweisung und kalter Zurückweisung daher kommt.
Jugendrichter haben eine schwierige Aufgabe. Weit
über das Juristische hinaus brauchen sie menschliches
Geschick, Einfühlungsvermögen und soziale Fantasie.
Das ist ein außerordentlich schwieriger Job, wenn man an
die Verantwortung denkt, die damit verbunden ist. Sie
sind im Leben eines jungen Menschen in der Regel selten
vorkommende Ereignisse und von daher weichenstellend.
Dass ihnen das gelingt, ist unser, wie ich hoffe, gemeinsames Anliegen. Es kann nicht sein, dass wir nur mit einer Verwandlung des Jugendgerichtsverfahrens und einer
ständig weiter gezogenen Annäherung an das Erwachsenenverfahren darauf reagieren. Das Jugendgerichtsverfahren ist pädagogisch und soll es bleiben.
Danke sehr.
({2})
Das Wort
hat der Kollege Volker Kauder von der CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine
sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege van
Essen hat zu Recht darauf hingewiesen, dass es gut ist,
dass wir uns hier im Deutschen Bundestag wieder einmal
über den Opferschutz unterhalten, wenngleich auch an einem späten Termin, an einem Freitagnachmittag vor
Pfingsten. Trotzdem wird von dieser Debatte das Signal in
die Öffentlichkeit gehen, dass wir uns mit den Interessen
der Opfer beschäftigen.
Die Opfer haben im Strafprozess eine leidvolle Geschichte erfahren. Zunächst einmal war das Opfer lediglich Beweismittel im staatlichen Strafprozess. Insbesondere in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts
beschäftigten sich Forschung und Lehre intensiv mit dem
Täter. Ihn schuldangemessen zu bestrafen und zu resozialisieren, waren die zentralen Diskussionsfelder in der
Strafrechtsdiskussion. Ich will nicht behaupten, dass dadurch das Opfer total aus dem Blick verschwunden ist;
aber es ist nicht zu leugnen, dass sich die Berücksichtigung der Opferinteressen nur zaghaft und, Frau von
Renesse, nur gegen massiven Widerstand in Praxis und
Lehre hat durchsetzen können. Den Strafrechtlern war die
angemessene Behandlung und Bestrafung des Täters immer wichtiger als das Interesse des Opfers. So war der
Strafprozess angelegt.
({0})
Die Rechtsstellung des Tatopfers im Strafrecht ist in den
letzten Jahren endlich Stück für Stück verbessert worden.
Ich möchte hier insbesondere an das Opferschutzgesetz
von 1986 erinnern, welches wesentlich dazu beigetragen
hat, dass dieser wichtige und lange vernachlässigte Aspekt
des Strafverfahrens deutlicher ans Licht getreten ist.
Bis 1998 hat es weitere Gesetzesänderungen gegeben,
mit denen die rechtliche Position der Opfer verbessert
wurde. Heute scheint es nun gesellschaftlicher Konsens
zu sein, dass das Recht des Opfers stärker betont und das
Opfer zum aktiven Teilnehmer im Strafverfahren aufgewertet werden muss. Das ist eine ausgesprochen erfreuliche Entwicklung und ich danke allen - dieser Dank geht
auch an Justizminister aus der FDP, Herr Kollege van
Essen -, die daran mitgewirkt haben.
Ich freue mich, dass diese Tendenz dem Vorwort der
Opferfibel des Bundesministeriums der Justiz vom
Herbst 2001 ebenfalls zu entnehmen ist. Frau Professor Dr. Däubler-Gmelin hat sich an dieser Stelle explizit
dafür ausgesprochen, die Interessen der Opfer stärker in
das Zentrum des Strafverfahrens zu rücken. Leider ist
diese Aussage, ist diese Broschüre das einzig greifbare Ergebnis der Bemühungen der Bundesjustizministerin zum
Opferschutz gewesen.
({1})
Außer über den Opferschutz zu reden, ist nichts passiert.
({2})
- Es ist ein Element der ganzen Rechtspolitik, die wir erlebt haben: Es ist viel geredet
({3})
und viel angekündigt worden und wenig, vor allem wenig
Gutes und Erfreuliches, ist dann herausgekommen.
({4})
Ich warne aber davor, den Schwung im Opferschutz zu
verlieren. Die Aufgabe ist nämlich noch nicht abgeschlossen. Noch viele Details im Strafverfahren sind zu
überarbeiten und auf einen effektiven Opferschutz hin
auszurichten. Ich möchte hier nun auf einige offenkundige Lücken im Opferschutz hinweisen, die wir nicht aus
den Augen verlieren dürfen. Da sind zum einen die Mitteilungs- und Informationsrechte von Tatopfern. Sie
sind völlig unzulänglich ausgestattet.
Ich gehe davon aus, dass es unstrittig ist, dass ein
Tatopfer berechtigte Interessen haben kann, spezielle Informationen zu erhalten, beispielsweise wenn ein Opfer
einer Sexualstraftat erfahren möchte, ob der Täter inhaftiert ist, ob der Haftbefehl außer Vollzug gesetzt wurde
oder wann der Täter Hafturlaub erhält. Für solche Fälle
muss es einen Auskunftsanspruch geben, der eindeutig
Vorrang vor dem Datenschutz des Täters hat.
Auf europäischer Ebene sind Probleme bei der Betreuung von Menschen zu klären, die im Ausland Opfer
einer Straftat geworden sind. Darauf wurde heute schon
hingewiesen. Es ist notwendig, dass Deutschland gemeinsam mit seinen Partnern in der EU rasch wirksame Regelungen erlässt, in denen alle offenen Fragen der Opferentschädigung, der Prozessvertretung im Ausland, der
Erstattung von Reisekosten und der Verpflichtung zum
Erscheinen vor ausländischen Gerichten geklärt werden.
Wir haben also wahrlich keinen Anlass, die Hände in den
Schoß zu legen. Es gilt, das Recht weiterzuentwickeln.
Im Strafprozess müssen die bewährten Normen zur
Überführung und angemessenen Bestrafung von Straftätern beibehalten werden. Gleichzeitig aber müssen die
noch immer bestehenden Defizite beim Opferschutz abgebaut werden. Wir haben einen Gesetzentwurf vorgelegt,
mit dem wir einen weiteren Schritt in diese Richtung unternehmen wollen.
Ein erhebliches Defizit beim Opferschutz besteht nach
unserer Auffassung im Jugendstrafverfahren. Hier ist
die Opferposition bislang nicht ausreichend berücksichtigt worden. Beim Jugendgerichtsgesetz, Frau von
Renesse, besteht Handlungsbedarf. Es handelt sich zwar,
wie Sie mit Recht sagen, um einen sensiblen Bereich der
Strafrechtspflege; geht es doch um die Bestrafung straffällig gewordener Jugendlicher und Heranwachsender.
Wir müssen also die schwierige Verbindung von Bestrafung und Erziehung unter dem Gesichtspunkt des Opferschutzes neu überdenken.
Gerade weil der Gedanke der Erziehung bei der
Bestrafung jugendlicher Straftäter in den Mittelpunkt
gerückt ist, ist dieses Gebiet hinsichtlich des Opferschutzes noch massiv unterentwickelt. Dass der Täter im
Vordergrund steht, erscheint mir nicht falsch zu sein. Andererseits darf der Schutz des Täters nicht so weit gehen,
dass das Opfer im Abseits steht. Gerade in einer Zeit, in
der die Straftäter immer jünger werden und die Gefahr,
Opfer von Straftätern zu werden, die noch Jugendliche
oder Heranwachsende sind, ständig steigt, müssen wir uns
dieses Problems annehmen.
Bisher ist nicht hinreichend deutlich geregelt, dass es
im Prozess gegen jugendliche Straftäter, die durch ihr kriminelles Verhalten einen anderen Menschen zum Opfer
einer Straftat gemacht haben, neben der eigentlichen Bestrafung um die Belange des Opfers gehen muss. Auch
wenn wir es hier mit jugendlichen Straftätern zu tun haben, so muss doch ebenso nach den Anliegen des Opfers
gefragt werden.
Modifikationen im Jugendgerichtsgesetz sind nötig. Wir
haben einen Entwurf für zwei Änderungen vorgelegt, wobei wir uns ausdrücklich - Frau von Renesse, das muss man
betonen - an Vorschlägen des Weißen Ringes orientieren,
der dankenswerterweise unermüdlich auf Fälle eklatanter
Ungleichbehandlung von Tatopfern und Tätern hinweist.
Der erste Punkt betrifft die aktive Rolle des Opfers im
Prozess. Nach dem Jugendgerichtsgesetz steht einem Verletzten bisher zwar ein Anwesenheitsrecht in der nicht öffentlichen Verhandlung gegen den jugendlichen Straftäter
zu. Das Tatopfer ist aber nicht mit eigenen Rechten ausgestattet. Seine Interessen und Ansprüche kann es nicht
geltend machen. Das ist nicht angemessen.
Im Verfahren gegen Erwachsene und Heranwachsende
kann das Tatopfer bei Straftaten von Gewicht als Nebenkläger zugelassen werden. Das Opfer kann dann aktiv
in den Geschehensablauf der Hauptverhandlung eingreifen. Dem Tatopfer stehen unter bestimmten Voraussetzungen eine Prozesskostenhilfe und ein Opferanwalt auf
Staatskosten zu.
Dies ist in Strafverfahren gegen Jugendliche bisher
nicht möglich. Auch eine sinnvolle anwaltliche Vertretung
des Tatopfers in der Hauptverhandlung des Jugendgerichtsverfahrens ist bisher nicht möglich, da der Opferanwalt nach § 406 g StPO nicht zugelassen ist. Möglich ist
lediglich die Begleitung des Opferzeugen als Zeugenbeistand nach § 406 f StPO, der beraten und Fragen beanstanden darf, weitere Aktivrechte aber nicht beanspruchen kann.
Eine solche Benachteiligung des Tatopfers ist mit einem
modernen Verständnis des Strafprozesses nicht vereinbar.
Es wäre unangemessen, dem vom Erziehungsgedanken
abgeleiteten Schutz des jugendlichen Straftäters eine solche Benachteiligung zu entnehmen. Im Gegenteil: Gerade
einem jugendlichen Straftäter muss durch eine Verbesserung der Rechtsposition des Opfers die Auswirkung seiner Tat mit deutlicher Schärfe vor Augen geführt werden.
Jugendlichen Tätern muss unmissverständlich klar gemacht werden, dass das Opfer den besonderen Schutz des
Staates genießt. Gerade jugendliche Täter müssen erkennen, dass der Staat den Opfern effektiv beisteht. Dort, wo
es dem Staat trotz gebotener Anstrengung nicht gelingt,
die Menschen vor Straftaten zu schützen, ist der Staat dem
Opfer gegenüber in besonderer Pflicht. Es darf nicht sein,
dass Opferaspekte in Deutschland hinter einem veralteten
Verständnis von Täterschutz zurückstehen.
Eine Nebenklage hat für das Opfer unbestritten eine
Genugtuungsfunktion. Gerade deswegen scheint sie mir
das geeignete Mittel zu sein, um jugendlichen Straftätern
angemessen deutlich zu machen: Das Opfer wird nicht im
Stich gelassen.
Die zurzeit vorhandenen prozessualen Mittel des Jugendstrafverfahrens - die Verhängung von Auflagen und
Weisungen - haben ursprünglich auch die Würdigung der
Opferinteressen zum Ziel gehabt. Sie haben sich aber als
zu schwach und untauglich erwiesen, um die berechtigten
Interessen der Opfer zu vertreten.
Die Einführung der Nebenklage mit der Möglichkeit
des Opfers, auf das Verfahren Einfluss zu nehmen, ist aber
nur der eine Teil unseres Änderungsvorschlages. Der andere betrifft das insgesamt noch immer viel zu selten
genutzte Instrument des so genannten Adhäsionsverfahrens.
In Strafverfahren gegen Erwachsene und bestimmte
Heranwachsende besteht für die Opfer die Möglichkeit,
ihre Ansprüche auf Schadenersatz oder Schmerzensgeld
im Strafverfahren geltend zu machen. Auch wenn dieses
Verfahren selten in Anspruch genommen wird, gibt es
Fälle, wo es geradezu hilfreich und dienlich ist. Ich
komme gleich darauf. Damit können die zivilrechtlichen
Ansprüche im Rahmen des Strafverfahrens schnell mitentschieden werden. Außerdem sollen die Opfer vor der
erniedrigenden Führung eines gesonderten Zivilprozesses
geschützt werden, in dem das an ihnen begangene Unrecht erneut aufgerollt werden müsste, um die zivilrechtlichen Ansprüche zu begründen.
Bei Jugendlichen und Heranwachsenden, bei denen Jugendstrafrecht zur Anwendung kommt, ist das Adhäsionsverfahren bisher ausgeschlossen. Doch was macht es
für das Opfer für einen Unterschied, ob der Täter Erwachsener war oder nicht? Gar keinen.
Ich nenne Ihnen ein bedauerlicherweise realistisches
Beispiel, einen tatsächlichen Fall: Eine 40-jährige, in einer Stadt bekannte Unternehmerin wird an einem Abend
von drei Jugendlichen im Alter von 17 Jahren vergewaltigt. Sie zeigt die Tat an. Die Täter werden ermittelt und
festgenommen. Der Vorgang ist ihr verständlicherweise
peinlich; sie sagt: Es sind alles noch Kinder; ich will nicht,
dass das in der Stadt bekannt wird.
Weil es ein Jugendstrafverfahren ist, hat sie das Glück,
dass - nicht zum Schutz des Opfers, sondern zum Schutz
des Täters - das Verfahren nicht öffentlich ist. Einen berechtigten Schmerzensgeldanspruch kann sie jetzt aber im
Jugendstrafverfahren nicht durchsetzen. Vielmehr wird
sie in die Situation gebracht, ein zivilrechtliches Verfahren durchführen zu müssen, in dem noch einmal die ganze
Geschichte der Vergewaltigung vorgeführt werden muss.
Der Frau kann diese peinliche Situation nicht erspart werden.
In diesem Fall zeigt sich deutlich, dass es - wenn auch
wenige - ganz konkrete Einzelfälle gibt, in denen die Beteiligten ein massives Interesse daran haben, dass das Adhäsionsverfahren durchgeführt wird, dass der Schadenersatzanspruch im gleichen Verfahren geltend gemacht
werden kann. Es ist nicht einzusehen, dass ein Opfer in einer solchen Situation schlechter gestellt bleibt, nur weil
der Täter noch nicht volljährig ist.
Darüber hinaus wäre es auch sehr wünschenswert, dass
jugendliche Straftäter durch ein Adhäsionsverfahren in
unmittelbarem Zusammenhang mit der strafrechtlichen
Würdigung ihres Fehlverhaltens auch die materiellen
Folgen der Tat zu spüren bekämen.
Dass die Gerichte dem Adhäsionsverfahren gerne ausweichen, ist allen, die damit befasst sind, hinlänglich bekannt. Ich möchte auch nicht bestreiten, dass wohl weitere
Gesetzesänderungen notwendig sein werden, um das Adhäsionsverfahren im Strafverfahren mehr zur Regel machen zu können. Dies muss aber unser Ziel sein. Denn die
Vorteile, nicht nur für den Opferschutz, liegen auf der
Hand. Die Zusammenführung aller straf- und zivilrechtlichen Aspekte einer Straftat in einem Verfahren begrenzt
die traumatische Belastung des Opfers. Die Abhandlung
der Materie in nur einem Verfahren erfordert keine erneute Beweisaufnahme. Überdies entsteht ein Spareffekt
bei der Prozesskostenhilfe. Ein schnellerer Zugriff auf das
Tätervermögen ist ebenfalls möglich.
({5})
Eine stärkere Akzeptanz dieses sinnvollen Verfahrens können wir erreichen, wenn wir die Schlupflöcher schließen.
Hier liegt noch Arbeit vor uns.
Einen umfassenden Opferschutz gibt es bis heute nicht.
Wir wollen mit unserem Antrag einen Beitrag dazu leisten, die Situation von Opfern in Deutschland zu verbessern.
({6})
Als
nächster Redner hat der Kollege Volker Beck vom Bündnis 90/Die Grünen das Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren!
Kurz vor Ende der Wahlperiode entdecken hier manche
die Diskussion um den Opferschutz.
({0})
Wir als Koalition mussten nicht auf dieses Thema gestoßen werden. Wir haben in dieser Wahlperiode ein umfangreiches Maßnahmenbündel auf den Weg und ins Gesetzblatt gebracht, das die Situation von Opfern von
Straftaten maßgeblich verbessert hat.
({1})
- Die Beispiele werde ich Ihnen jetzt nennen, Herr
Kauder. Ganz zu Beginn der Wahlperiode haben wir dem
Täter-Opfer-Ausgleich im Strafverfahren einen breiteren Anwendungsbereich verschafft.
({2})
- Herr Geis, überwiegend habe ich jetzt das Wort. Zwischenrufe sind okay, aber nicht fortwährend. ({3})
Wir haben für geschlagene Frauen und auch für Kinder,
die Opfer von Gewalt oder sexuellem Missbrauch in der
Familie geworden sind, den Opferschutz massiv verbessert. Ich nenne hier das Gewaltschutzgesetz, das
wirklich einen Paradigmenwechsel in diesem Bereich bedeutet. Das ist echter Schutz von Betroffenen.
({4})
- Ich glaube, Sie haben sogar zugestimmt. Wenn Sie sagen, es bringe gar nichts, sollten Sie einmal mit Ihrem Berichterstatter Pofalla reden. Der hat dazu vernünftige Ansichten und ist etwas kundiger als Sie mit Ihren auf Nichts
fußenden Zwischenrufen.
({5})
Wir haben das Kinderrechteverbesserungsgesetz geschaffen. Wir haben die Ächtung der Gewalt in der Erziehung durchgesetzt. Natürlich haben wir auch im Hinblick auf eine komplette Reform des Strafverfahrens in
opferrechtlicher Hinsicht wichtige Vorarbeiten geleistet.
Wir werden die Reform in der nächsten Wahlperiode als rotgrüne Koalition auch auf den Weg bringen und durchsetzen.
({6})
- Herr van Essen, selbst Ihrer Koalition ist nicht alles in
vier Jahren geglückt und gelungen. Man braucht eine Reform nach der anderen. Man muss das ja auch vernünftig
machen.
Sie wissen genau, dass wir in dieser Wahlperiode die
Zivilprozessordnung reformiert haben. In der nächsten
Wahlperiode nehmen wir uns die Strafprozessordnung
vor. Sie können das Eckpunktepapier der Koalition ja einsehen. Darin finden Sie Stichpunkte wie den verstärkten
Einsatz der Videotechnik im Strafverfahren,
({7})
um den Opferschutz bei Mehrfachvernehmungen noch zu
verbessern. Wir wollen auch den Interessen der Nebenkläger durch mehr Informationspflichten besser Rechnung tragen. Zur Nebenklage berechtigte Zeuginnen und
Zeugen finden das Verfahren weniger belastend, wenn sie
wissen, was auf sie zukommt und welche Rechte sie haben.
Verehrte Kolleginnen und Kollegen von der FDP, Ihr
heutiger Antrag ist für die Opfer von Verbrechen nicht
wirklich hilfreich. Würden wir ihn beschließen, würde
sich auch nichts ändern.
({8})
Ihr Antrag ist noch nicht einmal ein Gesetzentwurf. Er ist
eine Spiegelstrichsammlung, in der Sie eine Anzahl von
Problemen auf den Tisch des Hauses gelegt haben. Wir
wüssten schon gern genau, wie Sie die Probleme angehen
wollen. Sie wollen zum Beispiel das Adhäsionsverfahren ändern.
({9})
Das gibt es ja schon; künftig soll es aber häufiger im Strafverfahren angewandt werden. Wir sind wahrscheinlich
alle einer Meinung, dass das sinnvoll ist. Aber wie Sie das
machen wollen, haben Sie nicht beschrieben. Wo ist Ihr
Umsetzungsvorschlag in dem Antrag?
({10})
Das Gute zu wollen reicht nicht aus, man muss sich auch
präzise entscheiden.
({11})
- Ich habe den Antrag gelesen.
({12})
Es tut mir Leid, er ist leider nicht sehr konkret.
Sollen Strafgerichte künftig auch langwierige Zivilprozesse führen, oder sollen sie nur entscheiden, was der
Grundtatbestand ist, um daraus dann den Opfern bessere
Zugriffsmöglichkeiten zu verschaffen? Was ist hier Ihr
Vorschlag? Dazu finde ich nichts.
Was mich erstaunt - das ist allerdings ein schwieriges
Thema -, ist, dass ich in Ihrem Antrag auch nichts zu dem
zentralen Problem beim Opferentschädigungsgesetz gefunden habe: Berechtigtenkreis und Schadensdefinition.
Wenn man schon alle Probleme aufschreibt, dann muss
man auch das Opferentschädigungsgesetz ansprechen. Da
haben wir ein Problem mit den Ländern bezüglich der
Finanzierung, sowohl was den Berechtigtenkreis angeht
als auch, was den Schadensbegriff angeht. Die ganzen
psychischen Schäden, die Traumaschäden, sind alle nicht
Gegenstand im Opferentschädigungsgesetz. Und beispielsweise manche Gruppen von Ausländern erhalten als Opfer von Straftaten in Deutschland keine Leistungen.
({13})
- Ich habe ihn gelesen, Herr Geis.
({14})
Sie haben ihn gewiss nicht gelesen. Sie lesen noch nicht
einmal unsere Gesetze, die wir hier verabschieden; das
haben Sie ja gerade bewiesen.
({15})
Zweites Themengebiet - dazu liegt uns auch ein Antrag
der Unionsfraktionen vor - ist das Jugendgerichtsverfahren. Ich muss sagen, da haben wir sehr grundsätzliche
Differenzen zu dem Lösungsweg, den Sie vorschlagen.
Das Jugendgerichtsgesetz hat gerade im Kern den Erziehungsgedanken, die Jugendlichen wieder auf den Pfad
der Tugend zurückzuführen, indem man mit erzieherischen Maßnahmen, mit Weisungen und Auflagen versucht, den Jugendlichen das Unrecht der Tat vor Augen zu
führen und durch bestimmte Maßnahmen auch wieder
Empathie zu entwickeln - gerade auch im Bereich des Täter-Opfer-Ausgleichs - und dann ihr Verhalten für die Zukunft zu korrigieren.
({16})
- Der Sinn der Nebenklage ist ja gerade, den Strafgedanken, den Sühnegedanken, den Genugtuungsgedanken in
das Strafverfahren einzuführen. Das ist im Erwachsenenrecht - im Heranwachsendenrecht haben wir das auch durchaus angemessen. Das läuft aber dem Grundgedanken des Jugendgerichtsgesetzes mit dem Erziehungsgedanken als zentraler Linie zuwider.
({17})
Es wundert mich nicht, dass es von Ihnen kommt, weil
Sie seit Jahr und Tag über Altersgrenzen schwadronieren.
An sich ist Ihnen der Erziehungsgedanke im Jugendgerichtsgesetz ein Gräuel.
({18})
Nun kommen Sie mit diesem repressiven Gedanken und
verkaufen ihn uns und der Öffentlichkeit als Opferschutz.
Das ist eine Mogelpackung. Ihnen geht es um Repression
statt um Erziehung. Das wird uns aber im Strafverfahren
nicht weiterbringen.
({19})
Das wird den Jugendlichen nicht helfen.
({20})
Herr Kollege Beck, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen
Kauder?
Ich glaube, ich erspare uns das heute angesichts der Zeit
und der Tatsache, dass wir noch eine Runde vor uns haben. Sonst bin ich da ja nicht so.
({0})
Ihr Entwurf läuft auch einem wichtigen Gedanken zuwider, den wir immer wieder im Zusammenhang mit Jugendkriminalität äußern - darin sind wir uns einig -: Die
Strafe muss auf dem Fuße folgen, damit der Jugendliche
sein Unrecht einsieht. Mit der Einführung der Nebenklage
und neuer Diskussionen im Verfahren - so kann im Zusammenhang mit der Nebenklage noch einmal in die Berufung und Revision gegangen werden - ermöglichen Sie
es, dass sich das Verfahren lange hinzieht und dem Jugendlichen nicht mehr verständlich ist, dass die Sanktionen noch irgendetwas mit seiner Tat, die ein, zwei oder
drei Jahre zurückliegt, zu tun hat.
({1})
- Wir wissen doch, dass dies, wenn es zur Anwendung
kommt, zu Verzögerungen führt und Zeit kostet.
Opferschutz ja. Wir müssen im Ausschuss auch weiterhin darüber reden, wie wir ihn verbessern können. Hier
ist jede Mühe gerechtfertigt. Wir haben eine Menge getan,
aber es kann nie genug getan werden. Wenn es uns
gelänge, eine überparteiliche Einigung auch mit dem
Bundesrat hinzubekommen,
({2})
was wir uns im Opferentschädigungsgesetz zusammen
mit den Ländern leisten wollen, fände ich das gut. Wir als
Koalition sind sofort dabei, wenn Sie uns sagen, die
Mehrheit des Bundesrates macht mit. Wir machen das
dann meinetwegen auch noch in den letzten vier Sitzungswochen, die vor uns liegen.
Wir wollen als Koalition in der nächsten Wahlperiode
- vielleicht gelingt es uns noch in den nächsten Wochen im Rahmen einer Reform des Sanktionenrechtes den Opfergedanken in den Mittelpunkt der Überlegungen stellen. Dabei würde es mich sehr freuen, wenn Sie sagen
könnten, da machen auch die B-Länder, die CDU- und
FDP-regierten Länder mit. Wir wollen, dass 10 Prozent
der Geldstrafen in Zukunft nicht in den Landeshaushalten
Volker Beck ({3})
verschwinden, sondern für Einrichtungen der Opferhilfe,
die traumatisierte Opfer von Straftaten betreuen, zur Verfügung gestellt werden, damit in diesem Bereich in
Deutschland endlich eine vernünftige Infrastruktur entstehen kann. Das wäre zukunftsweisend. Wenn Sie dabei
mitmachen und uns unterstützen wollen, können wir das
noch in dieser Wahlperiode hinbekommen.
Vielen Dank.
({4})
Die Kol-
leginnen Sabine Jünger von der PDS und Erika Simm von
der SPD haben ihre Reden zu Protokoll gegeben.1) Ich
denke, Sie sind damit einverstanden, dass wir sie zu Protokoll nehmen.
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen auf
den Drucksachen 14/7832 und 14/8788 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen.
Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist
so beschlossen.
Ich rufe Zusatzpunkt 23 auf:
- Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten
Gesetzes zur Änderung des Gentechnikgesetzes
- Drucksachen 14/8230, 14/8767 ({0})
- Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat
eingebrachten Entwurfs eines ... Gesetzes zur Änderung des Gentechnikgesetzes
- Drucksache 14/5929 ({1})
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Gesundheit ({2})
- Drucksache 14/9089 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Carola Reimann
Zum Gesetzentwurf der Bundesregierung liegt ein Ent-
schließungsantrag der Fraktion der CDU/CSU vor.
Alle Reden zu diesem Tagesordnungspunkt sind zu
Protokoll gegeben worden. Sind Sie damit einverstan-
den?2) - Das ist der Fall.
Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun-
desregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung
des Gentechnikgesetzes auf den Drucksachen 14/8230
und 14/8767. Der Ausschuss für Gesundheit empfiehlt un-
ter Nr. 1 seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache
14/9089, den Gesetzentwurf in der Ausschussfassung an-
zunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in
der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Hand-
zeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Ge-
setzentwurf ist in zweiter Beratung mit den Stimmen der
Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der übrigen
Fraktionen angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Ge-
genstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist
mit dem gleichen Mehrheitsverhältnis angenommen.
Abstimmung über den Entschließungsantrag der CDU/
CSU auf Drucksache 14/9114. Wer stimmt dafür? - Wer
stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Entschlie-
ßungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen
und der PDS bei Gegenstimmen der CDU/CSU und der
FDP abgelehnt.
Abstimmung über den vom Bundesrat eingebrachten
Gesetzentwurf auf Drucksache 14/5929 zur Änderung des
Gentechnikgesetzes. Unter Nr. 2 seiner Beschlussemp-
fehlung auf Drucksache 14/9089 empfiehlt der Ausschuss
für Gesundheit, den Gesetzentwurf abzulehnen. Ich bitte
diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um
das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? -
Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung mit den Stim-
men aller Fraktionen mit Ausnahme der Unionsfraktion,
die sich enthalten hat, abgelehnt. Damit entfällt nach un-
serer Geschäftsordnung die weitere Beratung.
Ich rufe jetzt die Tagesordnungspunkte 31 a und b auf:
a) Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Alfred Hartenbach, Margot von Renesse,
Hermann Bachmaier, weiteren Abgeordneten und
der Fraktion der SPD sowie den Abgeordneten
Volker Beck ({3}), Hans-Christian Ströbele,
Kerstin Müller ({4}), Rezzo Schlauch und der
Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Aufhebung nationalsozialistischer Unrechtsurteile in der Strafrechtspflege ({5})
- Drucksache 14/8276 ({6})
Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses ({7})
- Drucksache 14/9092 Berichterstattung:
Abgeordnete Margot von Renesse
Volker Beck ({8})
Dr. Evelyn Kenzler
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Rechtsausschusses ({9}) zu
dem Antrag der Abgeordneten Dr. Evelyn Kenzler,
Ulla Jelpke, Sabine Jünger, weiterer Abgeordneter
und der Fraktion der PDS
Volker Beck ({10})
1) Anlage 8
2) Anlage 9
Aufhebung der nationalsozialistischen Unrechtsurteile gegen Deserteure
- Drucksachen 14/5612, 14/8114, 14/9092 Berichterstattung:
Abgeordnete Margot von Renesse
Volker Beck ({11})
Dr. Evelyn Kenzler
Zu dem Gesetzentwurf der Fraktionen der SPD und des
Bündnisses 90/Die Grünen liegt ein Änderungsantrag der
PDS vor.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist es so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Als erste Rednerin hat die
Kollegen Margot von Renesse von der SPD-Fraktion das
Wort.
Herr Präsident! Meine
Damen und Herren! Mit Ihrem Einverständnis - auch
wenn Sie gegen den Gesetzentwurf stimmen werden ({0})
wollen wir die Urteile gegen die Homosexuellen, gegen
die Wehrdienstverweigerer, gegen die Befehlsverweigerer - so hieß das damals - und gegen die aufgrund einer
Reihe von Wehrstraftaten nach dem damaligen Wehrstrafgesetzbuch Verurteilten pauschal aufheben.
Warum wollen wir das tun? Im Rechtsausschuss haben
wir das Wort „kontaminiert“ verwendet. Dies haben wir
nicht etwa getan, weil alle Wehrdienstverweigerer Helden
waren; denn das waren sie nur zum Teil, vielleicht auch
nur zu einem kleineren. Wie Sie wissen, gab es bei den
Preußen die gute Tradition der Befehlsverweigerung.
Diese führte dazu, dass sich die preußischen Offiziere,
Unteroffiziere und sogar auch die Soldaten aufgerufen
fühlten - wie Bürger in Uniform nach den ScharnhorstGneisenauschen Reformen -, mit ihren eigenen Gedanken loyal und kritisch über das nachzudenken, was ihre
Befehlshaber von sich gaben, und sich ein eigenes Urteil
zu bilden. Insofern stand der berühmte General Paulus
- er war eher berüchtigt als berühmt - vor Stalingrad nicht
in der preußischen Tradition.
Nein, die Helden suchen wir nicht. Wir verwenden
auch nicht das häufig genutzte Argument, dass der Zweite
Weltkrieg insgesamt ein Verbrechen war, was natürlich
richtig ist. Darauf können sich nämlich nur diejenigen berufen, die den entsprechenden Durchblick hatten und aus
diesem Grund gehandelt haben. Das waren bei weitem
nicht 100 Prozent der Verurteilten von damals. Wir wollen das Desertieren, Befehlsverweigern und alle anderen
Handlungen, die nach dem damaligen Strafgesetzbuch
strafbar waren, nicht auch pauschal für etwas Gutes halten. Es gab damals nämlich eine Reihe von Taten, die auch
heute, und zwar in jeder Armee der Welt, strafbar sind.
Schließlich wollen wir auch nicht, dass aus denen, die
diese Taten nicht begangen haben, ebenso pauschal Verbrecher werden. Unsere Väter und Großväter, die eventuell nicht verweigert haben, sollen deswegen nicht pauschal - in welcher Weise auch immer - verdammt werden.
Es geht uns um ein Urteil über die damalige Strafrechtspflege. Mein Beispiel ist immer Waldheim. Jedes Verfahren, jede Prozessgestaltung, jedes einzelne Urteil und jede
einzelne Urteilsbegründung dort war kontaminiert.
({1})
Dies war so rechtswidrig und verstieß so sehr gegen die
minimalen Vorstellungen eines richtigen Verfahrens, dass
wir die Urteile pauschal zu Nichturteilen erklärt haben,
wohl wissend, dass unter ihnen auch manche bösen Buben waren. Aber die Urteile waren Nichturteile. Das haben wir damals gemeinsam ausgesprochen.
Allein die Anzahl der damaligen Urteile im Verhältnis
zu der Anzahl der Alliierten ist schon erschreckend. Sie
erinnern sich, dass der von Ihnen benannte Sachverständige bei der Anhörung die von ihm heruntergespielte, aber
immer noch exorbitant hohe Zahl von Verurteilungen, unter denen eine Unzahl von Todesurteilen waren, etwas widerwillig zugegeben hatte. Allein diese Tatsache spricht
dafür, dass die damalige Wehrstrafgerichtsbarkeit eben
keine richterliche Instanz war. Die Sachverhalte wurden
nicht ermittelt. Den Betreffenden wurde so gut wie kein
rechtliches Gehör gegeben.
({2})
Sie wurden während des Verfahrens gequält. Auch dazu
haben wir in der Sachverständigenanhörung ein lebendiges Beispiel gehört.
Ich denke, dass wir gut daran tun, diese Menschen
nicht darauf zu verweisen, im Einzelfall nachweisen zu
müssen, dass sie zu Unrecht verurteilt worden sind. Vielmehr kann unser Urteil über diese Gerichte, diese Urteile
und diese Verfahren nur lauten: Dazu stehen wir nicht.
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
({3})
Das Wort
hat jetzt der Kollege Dr. Jürgen Gehb von der CDU/CSUFraktion.
Herr Präsident! Meine
Damen und Herren! Bereits in der ersten Lesung des vorliegenden Gesetzentwurfes habe ich von diesem Platz aus
deutlich gemacht, was unsere Fraktion mittragen kann
und an welcher Stelle wir uns von der Auffassung der Regierungskoalition klar unterscheiden. Diese Unterscheidung bleibt auch heute glasklar bestehen.
Der Streit entzündet sich an der pauschalen Aufhebung
von Urteilen, die sich auf Straftatbestände des Militärstrafgesetzbuches beziehen. Es geht also - ich will an dieser Stelle nur den griffigsten Punkt nennen - um die pauschale Rehabilitierung aller Deserteure. Um dies gleich
deutlich zu sagen: Wir halten die Pauschalaufhebung dieser Urteile für nicht gerechtfertigt.
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
Damit gar nicht erst irgendwelche Mythen entstehen
und auch keine bösartigen Fehlinterpretationen vorgenommen werden, will ich an ein paar wichtige Ausgangspunkte unserer Debatte erinnern. In der letzten
Legislaturperiode ist unter der christlich-liberalen Koalition das Gesetz zur Aufhebung nationalsozialistischer
Unrechtsurteile und im Übrigen auch das Gesetz zur Aufhebung der Entscheidungen der Erbgesundheitsgerichte
als NS-Unrecht teils pauschal, teils nach Einzelfallprüfung für null und nichtig erklärt worden.
Alle Urteile, die unter Verstoß gegen elementare Gedanken der Gerechtigkeit nach dem 30. Januar 1933 zur
Durchsetzung und Aufrechterhaltung des nationalsozialistischen Unrechtsregimes aus politischen, militärischen,
rassischen, religiösen oder weltanschaulichen Gründen
ergangen sind, sind aufgehoben worden. Wir haben eine
Generalklausel, die in Verbindung mit einem Kanon eine
Generalaufhebung vorsieht. Daneben haben wir Fälle, wo
die Einzelfallgerechtigkeit Platz greift.
Wir haben damals dieses Gesetz verabschiedet, damit
nicht einmal der Hauch eines Anscheins einer Fortgeltung
von NS-Unrecht besteht. Dabei war uns allen klar - mein
Kollege Norbert Geis hat damals darauf hingewiesen,
dass es unterschiedliche Kategorien gibt -: Es gab typisch
nationalsozialistisches Gesetzesunrecht. Die hierauf basierenden Urteile waren von vornherein und für jeden ersichtlich Unrechtsurteile. Dann gab es Gesetze, die nicht
von den damaligen Machthabern geschaffen worden sind,
aber durch die Rechtsanwendung - Frau von Renesse, Sie
haben es eben gesagt: infizierte Nichturteile - während
der NS-Zeit zu Unrechtsurteilen führten. Und es gab in
diesen Jahren - auch das muss man einmal sagen - ebenfalls rechtmäßige Urteile; sonst hätten sie doch die Alliierten bereits 1945 aufgehoben.
({0})
Das bestehende Gesetz zur Aufhebung von NS-Unrechtsurteilen hätte dann doch nicht die jetzige Form. Dieses
Gesetz hält, wie ich meine, eine wohlausgewogene Balance zwischen Pauschalaufhebung und Einzelfallprüfung.
Ich habe diesen Exkurs unternommen, weil ich die Befürchtung habe, dass der eine oder andere, egal ob innerhalb oder außerhalb dieses Hauses, verleitet sein könnte,
die Fraktionen, die dem vorliegenden Gesetzentwurf
nicht zustimmen, moralisch abzuqualifizieren oder ihnen
gar zu unterstellen, sie würden NS-Unrecht verteidigen.
Dass diese Befürchtung nicht aus der Luft gegriffen ist
- auch wenn Sie sich nicht beherrschen können, pausenlos dazwischenzureden -, kann inzwischen schwarz auf
weiß nachgelesen werden. So heißt es in der Stellungnahme des Sachverständigen Bruns, der von den Grünen
für die Anhörung zu diesem Gesetzentwurf benannt
wurde, wörtlich:
Ich habe der Presse entnommen, dass der rechtspolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion
Norbert Geis die generelle Aufhebung der Urteile für
verfehlt hält. Da Herr Geis Jurist ist, muss ich daraus
schließen, dass er meint, Deutschland habe keinen
verbrecherischen Krieg geführt. Nur dann ist eine
Einzelfallprüfung der Urteile sinnvoll.
Meine Damen und Herren, angesichts der Chuzpe und
Unverfrorenheit, mit der der Sachverständige meinte, unseren Kollegen Norbert Geis in Misskredit bringen zu
müssen, darf man schon tief durchatmen.
Ich will mich nicht damit beschäftigen, ob Herr Bruns
- ein ehemaliger Bundesanwalt - selbst das juristische
Einmaleins sicher beherrscht. Immerhin ist ihm auch
während der Anhörung der Unterschied zwischen dem so
genannten ius ad bellum und dem ius in bello und den
hieraus resultierenden Konsequenzen offenbar verschlossen geblieben.
Diese Unverfrorenheit hat aber auch ihr Gutes; denn
sie führt zum Kern der Debatte und kann damit auch zur
Verdeutlichung der Positionen beitragen. Wenn der Sachverständige meint, in seiner Stellungnahme sozusagen einen Dreisatz postulieren zu müssen, der lautete, erstens
hat Hitler einen verbrecherischen Krieg geführt, zweitens
darf an einem verbrecherischem Krieg niemand teilnehmen und daraus folgt drittens, dass Deserteure objektiv
rechtmäßig gehandelt haben, ist hieraus der Schluss zu
ziehen: Wenn erstens allein Deserteure im Zweiten Weltkrieg rechtmäßig und damit moralisch korrekt gehandelt
haben, dann haben zweitens Soldaten, die nicht desertierten, objektiv unrechtmäßig und damit auch objektiv unmoralisch gehandelt.
({1})
Drittens treten damit alle, die nicht das Hohelied auf die
moralisch höher stehende Desertion anstimmen, automatisch für Hitlers verbrecherischen Krieg ein.
({2})
Dieser Duktus soll damit erzeugt werden.
Genau diese Einlassungen, die nicht mehr den einzelnen Deserteur im Blick haben, sich im Grunde auch nicht
mehr für das Schicksal des Einzelnen interessieren und
nicht danach gehen, ob jemand aus - wie Sie ausgeführt
haben - nachvollziehbaren Gründen, manchmal sogar ehrenwerten, hehren Motiven oder aus Gewissensgründen
desertierte
({3})
oder ob er die Truppe aus Motiven verließ, die vielleicht
ganz und gar nicht ehrenwert waren, empfinden wir als
skandalös. Wir widersprechen diesen Einlassungen darin
eindeutig.
({4})
Mit diesem Widerspruch stehen wir auch nicht alleine
da. Der Vorsitzende des Deutschen Bundeswehr-Verbands, Oberst Gertz, hat alle Fraktionen dieses Hauses
aufgefordert, bei der Rehabilitierung von Deserteuren des
Zweiten Weltkriegs weiter an dem Erfordernis einer Einzelfallprüfung festzuhalten. Ich darf ihn zitieren:
Es spricht manches dafür, dass ein nicht geringer Teil
der Urteile der Militärjustiz rechtsstaatlichen Maßstäben nicht standhält. Ihre pauschale Beseitigung
durch Annullierung als „Unrechtsurteile“ ohne Einzelfallprüfung ist jedoch das falsche Mittel.
Wer Fahnenflucht im Zweiten Weltkrieg jedoch durch
Annullierung nachträglich zu einer „Kardinaltugend“ erhebe, verkenne allerdings, dass zu den Verurteilten auch
nicht wenige echte Kriminelle gezählt hätten, bei denen
politische Motive nicht vorlagen.
Genau dieser Verklärung der Fahnenflucht widersetzen
wir uns. Das Perfide an einer solchen Position ist, dass die
Fahnenflucht nicht nur fix zur Tugend erhoben wird, sondern als ein moralisch einzuforderndes Verhalten den Millionen von Soldaten, die gehorcht haben, entgegengehalten wird.
({5})
Damit wird natürlich jeder Soldat, der nicht desertierte,
moralisch abqualifiziert,
({6})
selbst wenn das vom Gesetzgeber nicht intendiert wird. Es
kommt aber auf den Empfängerhorizont an. Jeder Jurist
lernt in den ersten Semestern, dass es bei Willenserklärungen auf den Empfängerhorizont ankommt. Genauso fühlen sich diejenigen, die heute Veteranen sind, an
den Pranger gestellt, und zwar pauschal, meine Damen
und Herren.
({7})
Gerade weil wir das nicht wollen und weil man - wenn
man redlich ist - das ehrenwerte und nachvollziehbare
Verhalten einzelner Deserteure nicht auf die Gesamtheit
übertragen kann, haben wir die Rehabilitation der Deserteure bereits 1998 auf der Basis der Einzelfallprüfungen
vollzogen. Das gilt auch für die Einzelbewertung der
Richter der Militärjustiz. Selbstverständlich gab es Blutrichter. Aber es gab auch Richter, die nach bestem Wissen
und Gewissen handelten, Richter, die sich nichts vorzuwerfen haben und für die wir uns auch heute nicht zu schämen brauchen. Eine pauschale Verdammung ist nicht angebracht. Schuld wie Unschuld können immer nur
individuell festgestellt werden. Deswegen wollen wir bei
den Urteilen aus dem Bereich der NS-Militärjustiz auch
nicht die bewährte Form der Rehabilitierung verlassen.
Bei diesem Befund ist es sachlich falsch und geradezu
geschichtsklitternd, wenn Herr Hartenbach - auch noch
mein Kollege aus der Kasseler Gegend - für die SPDFraktion in seiner gestrigen Presseerklärung den Eindruck
erweckt hat, erst mit diesem Änderungsgesetz werde Gerechtigkeit für NS-Verfolgte geschaffen, diese würden
jetzt erst rehabilitiert, und das auch noch gegen den Widerstand unserer Fraktion. Hier muss ich, allein um unsere
Fraktionsehre zu retten, doch einmal die sozialdemokratische Kollegin von Renesse zitieren. Ich weiß, dass Sie das
nicht gern hören; so war es schon bei der ersten Lesung.
Im letzten Jahr haben Sie gesagt:
Nach einem in der Tat quälend langen Beratungsprozess hat der Bundestag in der letzten Legislaturperiode alles nachgeliefert, was den Wehrdienstverweigerern, Fahnenflüchtigen und „Wehrkraftzersetzern“
des Zweiten Weltkrieges schon lange zugestanden
hätte: volle Rehabilitierung und Anspruch auf Entschädigungsleistung.
({8})
Der Antrag der PDS ist daher, wie man bei Gericht
sagt, in der Hauptsache erledigt.
Dem ist eigentlich nichts mehr hinzuzufügen.
({9})
Ich kann mir aber auch eine weitere Kommentierung
nicht ersparen, und zwar zur gestrigen Presseerklärung
des Kollegen Beck. Auch dort wird in der Überschrift mal
eben die - freilich falsche - Behauptung erhoben,
CDU/CSU und FDP seien gegen die Rehabilitierung von
Homosexuellen und Deserteuren. Dies ist sachlich falsch.
({10})
Die gewählte Überschrift, Herr Beck, zeigt die Schwäche
einer jeden Pauschalierung, auch bei Überschriften in
Presseerklärungen.
Doch nicht nur diese Geschichtsklitterung ärgert mich.
Richtig ärgert mich, wenn uns vorgehalten wird, wir hätten bereits unser gegebenes Wort vom 7. Dezember 2000
gebrochen. Herr Beck, davon kann überhaupt nicht die
Rede sein. Ich frage: Wer hat denn die verabredete pauschale Aufhebung der Urteile gegen Homosexuelle eigenmächtig verknüpft mit den über 40 Straftatbeständen
aus dem Militärstrafgesetzbuch, ohne dass es auch nur einen Hauch von Konsultation im Vorfeld mit uns gegeben
hätte?
({11})
Ich erinnere mich auch nicht daran, dass wir als Bundestag einstimmig die SPD und die Grünen beauftragt hätten,
einen Gesetzentwurf vorzulegen. Adressat, Herr Pick, war
die Bundesregierung. Ich kann mir nur vorstellen, dass
Sie sich mit ganz spitzen Fingern daran gemacht und es
dann lieber gelassen haben.
Wenn der Kollege Beck den alten Konsens beschwört,
muss er sich auch entsprechend verhalten. Hiervon war
aber in diesem Verfahren überhaupt nichts zu spüren.
({12})
Sie erwarten doch nicht allen Ernstes, dass ohne Mitwirkungsmöglichkeit die Opposition Ihre Gesetzentwürfe abnickt. Ich kann Ihnen nur sagen: Der Ball liegt bei Ihnen.
Wir hätten auch gern erfahren, welche weiteren Entschädigungsleistungen eventuell geplant sind für diejeniDr. Jürgen Gehb
gen Personen - etwa 250 000 -, deren Urteile Rot-Grün jetzt
pauschal aufheben will. Plant der Finanzminister eine Veränderung des Erlasses vom 17. Dezember 1997, der Zahlungen für Opfer der NS-Justiz konstituierte? Zur Klärung
der aufgeworfenen Fragen hatten wir beantragt, den Haushaltsausschuss zu befassen. Dies ist abgelehnt worden.
Aus all dem folgt, dass wir diesem Gesetzesvorhaben
unsere Zustimmung verweigern müssen.
Vielen Dank.
({13})
Das Wort
hat der Kollege Volker Beck vom Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Kollege Gehb, zunächst zu den Entschädigungsleistungen: Nach dem NS-Unrechtsaufhebungsgesetz, so wie
es Ihre Koalition - damals nach schweren Geburtswehen
und übrigens erst nachdem Rot und Grün zwei Gesetzentwürfe mit ähnlichem Inhalt eingebracht haben - in der
letzten Wahlperiode beschlossen hat,
({0})
gibt es grundsätzlich keine zusätzlichen Entschädigungsleistungen aufgrund dieses Gesetzes.
({1})
Ob man für weitere Gruppen oder insgesamt für andere
vergessene Gruppen des nationalsozialistischen Unrechts
hier versucht, noch etwas zu verbessern, darüber ist unabhängig von diesem Gesetz zu diskutieren.
({2})
Wir diskutieren auch unabhängig davon darüber.
Es gibt lediglich eine Fallgruppe, bei der sich etwas
verändert. Wenn bei konkreten Entschädigungsanträgen
der Ablehnungsgrund für die Entschädigungsleistung allein
war, dass man das Unrechtsurteil für rechtsmäßig gehalten
hat, kann dieser Entschädigungsfall neu aufgenommen
werden. Es gibt einige Fälle gerade bei Homosexuellen,
wo man gesagt hat: Du bist ja nicht ins KZ gekommen,
deshalb war es Recht. In diesen Fällen kann es sein, dass
die Leute ab jetzt Leistungen bekommen. Ich finde das
auch gut so.
({3})
Herr Gehb, das ursprüngliche Anliegen des Gesetzes
zur Aufhebung nationalsozialistischer Unrechtsurteile
war die pauschale Aufhebung dieser Urteile. Ich möchte
an die Genese der Debatte erinnern: 1996 hatte sich auf
Antrag der Evangelischen Hochschule Hannover eine Initiative um die Aufhebung des Urteils gegen Pastor
Dietrich Bonhoeffer bemüht. Danach hatte die Staatsanwaltschaft Berlin das gleiche Begehren.
({4})
Nachdem man zwei Jahre rechtswissenschaflichen und
juristischen Sachverstand bemüht hat, hat das Landgericht Berlin festgestellt, dass das Urteil gegen Bonhoeffer
schon längst aufgehoben worden ist. Niemand wusste das,
weil die Regelungen so unübersichtlich sind.
Wir als Gesetzgeber wollen mit dem vorliegenden Gesetzentwurf die NS-Unrechtsurteile pauschal aufheben
und so die Betroffenen von diesem ihnen quasi auf die
Stirn geschriebenen Makel befreien. Wir machen das aber
auch für uns; denn mit diesem Gesetz distanzieren wir uns
ein für alle Mal von den unrechtsstaatlichen Verfahren
und den rechtswidrigen Rechtsnormen des NS-Staates.
Das ist einfach eine Frage der gesetzlichen Hygiene. Das
muss sie uns wert sein.
({5})
Da Sie uns immer Pauschalierung vorwerfen, möchte
ich Ihnen - wir sollten uns nämlich nicht nur über die Urteile gegen Deserteure streiten; das tun wir schon zum
zehnten Mal; wir müssen auch einmal an die Urteile gegen Homosexuelle denken - ein Beispiel geben. Ich zitiere mit Erlaubnis des Präsidenten aus dem Buch „Ein erfülltes Leben“ von Lutz van Dyke:
Trotzdem ein Fall: Stefan K. ist Pole. Er lebt in Torun
und verliebt sich dort 1941 als 17-Jähriger in Willi, einen 20-jährigen Besatzungssoldaten aus dem Deutschen Reich. Die Liebe wird erwidert. Einige Monate
können sie ihre Beziehung geheim halten. Dann wird
der deutsche Freund an die Ostfront versetzt. Stefan
K. wartet jeden Tag auf Post. In seiner Verzweiflung
schreibt er schließlich selbst an die Front. Er erhält
keine Antwort, dafür eine Vorladung der Gestapo. Er
wird verhört, zwölf Tage lang schrecklich gefoltert,
bis er ein Geständnis unterschreibt. Im Dezember
1942 wird Stefan K. vom deutschen Gericht in Torun
zu fünf Jahren Zuchthaus wegen § 175 verurteilt. Erst
zum Kriegsende kommt er wieder frei.
Soll ein deutscher Staatsanwalt heute noch einmal untersuchen, ob Stefan K. damals wegen der ersten Liebe seines Lebens - möglicherweise - rechtmäßig verurteilt
wurde?
({6})
Meine Damen und Herren von Union und FDP, das kann
doch nicht Ihr Ernst sein.
({7})
Allein die Frage, ob solche Urteile rechtmäßig waren
oder nicht, finde ich pervers; denn bei den Verurteilungen
nach § 175 wurde kein Recht, sondern nur Unrecht gesprochen. Deshalb gehören diese Urteile pauschal aufgehoben.
({8})
- Stellen Sie mir eine Zwischenfrage, dann kann ich Ihnen das erklären.
Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf heben wir ein für
alle Mal alle Urteile gegen Homosexuelle auf, sodass
diese nicht noch einmal vor Gericht müssen, um die Unrechtmäßigkeit der gegen sie verhängten Urteile feststellen zu lassen. Das haben die Verurteilten zu Recht nicht
gemacht - sie hätten die Möglichkeit durchaus gehabt -,
weil es unwürdig gewesen wäre. Wir als Gesetzgeber haben mit Hinweis auf die Causa Bonhoeffer gesagt: Wir
wollen nicht, dass sich die Betroffenen selber um die Aufhebung der Urteile bemühen müssen. Wir wollen die NSUnrechtsurteile ein für alle Mal aufheben. Ich finde es
schade, dass wir uns darüber heute noch streiten müssen.
({9})
Herr Kollege Gehb, Sie haben vorhin einen Sachverständigen zitiert. Auch ich möchte einen Sachverständigen zitieren und damit einen Wunsch an die Bundesregierung verbinden. Der Sachverständige der Union, Herr
Professor Seidler, hat in der Ausschussanhörung gesagt,
dass das Verhängen der Todesstrafe bei Desertion zur
Durchsetzung der Manneszucht in der Truppe notwendig
gewesen sei.
({10})
Dieser Sachverständige ist Professor an der Bundeswehrhochschule in München.
({11})
Ich finde, die Bundesregierung sollte überlegen, ob das,
was dieser Mann für die Bundeswehrhochschule erklärt,
noch mit der Wissenschafts- und Forschungsfreiheit vereinbar ist.
({12})
Eines möchte ich noch klarstellen: Mit der Rehabilitierung der Deserteure im Dritten Reich sagen wir nichts
über die Soldaten aus, die ihren Dienst getan haben.
({13})
Wir sagen schon gar nichts darüber aus, dass Desertion in
der demokratischen Armee Deutschlands, der Bundeswehr, bestraft wird. Wir distanzieren uns von all denjenigen, die die Bundeswehr auch nur in einem Atemzug mit
Hitlers Krieg führender Armee nennen.
({14})
Das ist eine Beleidigung unserer Soldatinnen und Soldaten, die einem demokratischen Parlament verpflichtet
sind. Sie sind nach unserem Recht dazu verpflichtet, nur
rechtmäßige Befehle zu befolgen und sich anderen Befehlen zu widersetzen. Das ist unsere verfassungsrechtliche Lage. Wer das mit diesem Unrechtsregime zusammenrührt, ist einfach unanständig.
({15})
Wir geben heute nach einer kontroversen Debatte den
Opfern der Militärjustiz und den Homosexuellen ihre
Ehre zurück. Ich hätte mir gewünscht, dass wir dies in diesem Haus gemeinsam tun könnten, und finde es sehr bedauerlich, dass das nicht möglich ist. Hätten Sie an dieser
Debatte ein ernsthaftes Interesse gehabt,
({16})
hätten Sie sich hier mit einem Antrag eingemischt und
deutlich gemacht, was Ihre Ansichten im Positiven sind.
Vielen Dank.
({17})
Das Wort
hat jetzt der Kollege Jörg van Essen von der FDP-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bitte darum, dass ich jetzt der Redner sein darf, weil die Sache es erfordert, der sich in Ruhe
mit den Argumenten auseinander setzt.
({0})
Zunächst zum Kollegen Beck, der uns hier einen Fall
vorgetragen hat, der nach dem NS-Aufhebungsgesetz
von 1998 ganz selbstverständlich unter die Generalklausel fällt. Wer hier den Eindruck erweckt, dass ein solches
Urteil, mit dem ein junger Mann zu fünf Jahren Haft verurteilt worden ist, weil er sich mit einem Freund getroffen
hat, noch immer nicht aufgehoben ist, der interpretiert das
NS-Aufhebungsgesetz in einer Weise, die mich wirklich
erschüttert.
({1})
Wir haben zu Recht immer wieder die Auffassung vertreten, dass alle Urteile, die im Nationalsozialismus gegen
Volker Beck ({2})
homosexuelle Mitbürger ergangen waren, „kontaminiert“
waren. Das ist ein Begriff, den Sie geprägt haben. Es wird
kein Urteil geben, das nicht von dem Vernichtungswillen
der Nationalsozialisten durchdrungen war. Unsere Position ist deshalb klar und eindeutig: Bereits das Gesetz von
1998 hat diese Aufhebung bewirkt.
({3})
Ich bin Ihnen sehr dankbar, Frau von Renesse, dass auch
Sie in der ersten Debatte genau diese Auffassung vertreten haben.
Herr van
Essen, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Nein, von Herrn Beck natürlich nicht.
({0})
Für uns als Liberale ist es selbstverständlich, dass all
diese Urteile bereits 1998 aufgehoben worden sind. Im
Übrigen tun Sie all den Menschen, die sich dadurch rehabilitiert gefühlt haben, einen Tort an, weil Sie den Eindruck erwecken, dass das erst jetzt geschehe und dass
diese Menschen weitere Jahre lang nicht rehabilitiert gewesen seien. Das ist etwas, was wir nicht ertragen können.
({1})
Was die Deserteure anbelangt, berichtet uns die Bundesregierung selbst, dass alle Anträge, die gestellt worden
sind, einen positiven Erfolg hatten. Es gibt deshalb keinen
Regelungsbedarf. Alle, die Wert darauf gelegt haben, haben es amtlich bestätigt bekommen, dass ihnen Unrecht
geschehen ist. Ich war selbst dienstlich damit befasst, Urteile zu prüfen, die in der DDR ergangen sind. Die Betroffenen haben mir immer wieder gesagt, wie wichtig es
für sie sei, dass es eine Prüfung gegeben hat und dass sie
mit Brief und Siegel bestätigt bekommen haben, dass ihnen Unrecht geschehen ist.
({2})
Genau das ist in all diesen Fällen geschehen. Eine Prüfung
durch die heutige Justiz hat ergeben, dass hier Unrecht gesprochen worden ist. Eine bessere Rehabilitation kann ich
mir gar nicht vorstellen.
Von daher sehe ich keinen Regelungsbedarf. Wer sich
ohne Zorn und Eifer mit der Fragestellung befasst - wir
haben das 1998 getan -, muss feststellen, dass wir den vielen verschiedenen Situationen gerecht geworden sind. Wir
haben alles sorgfältig miteinander abgewogen. Das war
auch der Grund, warum beispielsweise die SPD damals zugestimmt hat. Die Beratungen waren ganz außerordentlich
sachkundig und von Verantwortung geprägt. Daher sehe
ich heute keinerlei Bedarf für eine Neuregelung.
Von daher ist das nicht ein Nichternstnehmen der Opfer, sondern ganz im Gegenteil ein Ernstnehmen der Opfer, wenn wir im Bereich der Homosexuellen sagen, sie
sind rehabilitiert, und wenn wir im Bereich der Unrechtsurteile im militärischen Bereich zur Desertion feststellen,
dass sich die Regelung bewährt hat und wir zu einer Lösung gekommen sind, die gerade den Opfern genützt hat.
Das ist unsere Position. Von daher lehnen wir den Gesetzentwurf nicht deshalb ab, weil wir infrage stellen, dass
es Unrecht gegeben hat, sondern im Gegenteil: weil wir
die Richtigkeit der Regelung von 1998 unterstrichen sehen.
Lassen Sie mich zum Schluss eine weitere Bemerkung
machen. Mir macht große Sorge, dass das, was wir uns
am 7. Dezember 2000 vorgenommen haben, etwa die
Magnus-Stiftung, immer noch nicht vorangebracht worden ist. Das soll jetzt durch solche meiner Ansicht nach
symbolischen Handlungen ersetzt werden. Das werden
wir nicht zulassen.
Vielen Dank.
({3})
Das Wort
hat jetzt die Kollegin Dr. Evelyn Kenzler von der PDSFraktion.
Herr Präsident! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Meine Fraktion stimmt dem
Gesetzentwurf zu. Er bringt endlich Gerechtigkeit und
Rechtsklarheit für zwei Opfergruppen der Nazi-Justiz: die
Deserteure und die Homosexuellen. Beide waren den anderen Opfern bisher nicht vollständig gleichgestellt; für
beide hat sich die PDS seit langem eingesetzt. Es ist kein
Ruhmesblatt für Deutschland, dass dies erst jetzt geschieht.
Die grausamen Urteile gegen homosexuelle Männer
nach §§ 175 und 175 a Reichsstrafgesetzbuch aus der Zeit
des Faschismus werden zu Recht aufgehoben. Sie waren
Teil der faschistischen Barbarei. Es besteht jedoch noch
Handlungsbedarf im Hinblick auf Urteile nach 1945 und
auch hinsichtlich der Entschädigung der Opfer. Hier müssen wir noch tätig werden.
Die Unrechtsurteile gegen Deserteure und andere Opfer werden nun per Gesetz aufgehoben. Die unzumutbare
und diskriminierende Einzelfallprüfung entfällt damit.
Das ist nur recht und billig. Es ist vor allem das Ergebnis
des beharrlichen Wirkens eines unmittelbar Betroffenen,
des zum Tode verurteilten Deserteurs Ludwig Baumann.
Er hat als Vorsitzender der Bundesvereinigung Opfer der
NS-Militärjustiz nicht locker gelassen. Ihm und seinen
Mitstreitern gebühren hierfür Dank und Anerkennung.
({0})
Leider haben sich die Koalitionsfraktionen nicht dazu
durchgerungen, auch die Urteile wegen Kriegsverrats
aufzuheben. Hier waren ausschließlich Todesurteile vorgesehen. Die Regierung ist uns eine plausible Erklärung
hierfür bislang schuldig geblieben. Damit werden alle diejenigen weiter diskriminiert, die nach ihrer gelungenen
„Fahnenflucht“ auf der Seite der Anti-Hitler-Koalition,
bei den Partisanen oder in der Résistance aktiv gegen den
Faschismus gekämpft haben. In meinen Augen war „der
Verrat“ von Hitlers Krieg eine juristisch gerechtfertigte
und moralisch ehrenwerte Tat, denn er bedeutete einen
Seitenwechsel vom Aggressor zu den Verteidigern und
Befreiern. Ich bitte deshalb um Zustimmung zu unserem
Änderungsantrag.
Die Deserteure haben einem völkerrechtswidrigen Aggressionskrieg den Rücken gekehrt. Sie haben sich an diesem Verbrechen nicht mehr beteiligt. Ihr Handeln hat dazu
beigetragen, das Verbrechen gegen den Frieden, gegen die
Menschlichkeit; Völkermord und Kriegsverbrechen zu
beenden. Das ist der objektive Tatbestand und genügt, um
diese Urteile aufzuheben. Für mich steht darüber hinaus
außer Frage, dass die Deserteure auch subjektiv lautere
und ehrenwerte Gründe dafür hatten. Unter Todesgefahr
zu einem verbrecherischen Krieg Nein zu sagen erfordert
viel Mut und hat nichts mit Feigheit und Verrat zu tun.
Die Militärjustiz des Dritten Reiches war in meinen
Augen das juristische Instrument zur Absicherung der
hitlerschen Aggressionsmaschine. Etwa 30 000 Todesurteile wurden gefällt und zum großen Teil vollzogen.
Das war Terror und verdient nicht die Bezeichnung Gerichtsbarkeit. Übrigens wurde keiner der Militärrichter
dafür jemals zur Verantwortung gezogen.
Eine letzte Bemerkung: Der Gesetzentwurf wird weitgehend dem gerecht, was meine Fraktion mit ihrem Antrag vom März 2001 erreichen wollte. Ein Punkt dieses
Antrags bleibt jedoch offen. Es ist zwar gut, dass die überlebenden Opfer eine einmalige Leistung erhalten; unverständlich ist aber, dass die Ehegatten und Kinder der Hingerichteten leer ausgehen. Für kleinliche Sparmaßnahmen
ist an dieser Stelle wirklich kein Platz.
({1})
Das Wort
hat jetzt für die Bundesregierung der Parlamentarische
Staatssekretär Dr. Eckhart Pick.
Herr Präsident! Meine Damen und
Herren! Gestatten Sie mir zunächst eine persönliche Bemerkung. Ich finde es angesichts des Themas schade, dass
wir zum Teil in dieser Weise diskutiert haben. Ich unterstelle allen hier im Raum, dass sie davon ausgehen, dass
der Krieg, den Hitler angezettelt hat, völkerrechtswidrig
war. Darin sind wir uns alle einig.
({0})
Ich unterstelle also niemandem, dass er da anderer Meinung ist. Man kann allerdings unterschiedliche Konsequenzen ziehen. Einige von uns, denke ich, haben in dieser Frage durchaus auch einen Prozess durchgemacht und
sind vielleicht zu einer anderen Auffassung gekommen,
als sie sie früher hatten.
Ich darf Sie zum Zweiten an den - einstimmig gefassten - Beschluss des Bundestags vom 7. Dezember 2000
erinnern,
({1})
der die Bundesregierung aufgefordert hat - ich zitiere einen Entwurf zur Ergänzung des Gesetzes zur Aufhebung nationalsozialistischer Unrechtsurteile in der
Strafrechtspflege ({2}) vorzulegen, um so ein
der Unrechtserfahrung Homosexueller angemessenes Verfahren zur gesetzlichen Rehabilitierung der
Opfer der §§ 175, 175 a Nr. 4 RStGB aus den Jahren
1935 bis 1945 sicherzustellen.
({3})
Wir haben damals in Aussicht gestellt, dass auch noch
die weiterhin offenen Fragen der Rehabilitierung der
Opfer der Militärjustiz angegangen werden sollten.
Der heute zur abschließenden Beratung vorliegende
Gesetzentwurf der Koalitionsfraktionen tut genau das. Er
wurde vom Bundesministerium der Justiz vorbereitet
- das will ich hier offen und deutlich sagen - und ist das
Ergebnis der Prüfungen, die sich dem Auftrag des Deutschen Bundestages angeschlossen haben.
Der Gesetzentwurf sieht vor, dass die Verurteilungen
homosexueller Männer nach den §§ 175 und 175 a Nr. 4
Reichsstrafgesetzbuch aus der Zeit der NS-Diktatur insgesamt und ohne Einzelfallprüfung aufgehoben werden.
Wer aus ideologischen oder rassistischen Gründen verurteilt wurde, soll nicht länger mit dem Makel, Verurteilter
zu sein, leben müssen. Das ist längst überfällig. Ich bitte
Sie alle, diesen Ergänzungen zuzustimmen.
({4})
Ich möchte deutlich hervorheben, dass im zweiten Teil
des Gesetzentwurfs - dabei geht es um die Menschen, die
in der Nazizeit durch Gerichte der NS-Militärjustiz verurteilt wurden - durchaus differenziert wird. Für die Opfer,
die wegen Desertion bzw. Fahnenflucht oder Wehrkraftzersetzung verurteilt wurden, setzen wir die vollständige
Rehabilitierung durch.
In der Tat konnten sich diese Menschen durch die Entschließung des Deutschen Bundestags vom 15. Mai 1997
und durch das Gesetz zur Aufhebung nationalsozialistischer Unrechtsurteile in der Strafrechtspflege bisher nicht
uneingeschränkt rehabilitiert fühlen. Sie waren immerhin
mit einer Einzelfallprüfung und der damit verbundenen
Beweisführung belastet, nämlich mit der Beweisführung
darüber, dass eine entsprechende Verurteilung erfolgt ist.
Wie wir auch in der Anhörung gehört haben, haben das
viele als unzumutbar empfunden. Das ist verständlich,
finde ich. Denn mehr als 50 Jahre nach Kriegsende kann
nur in Ausnahmefällen eine Urteilsabschrift vorgelegt
werden. Wir alle wissen, dass Urkunden oder Entscheidungsabschriften in den letzten Kriegsmonaten ohnehin
nur selten ausgehändigt wurden. Zwar ist Glaubhaftmachung möglich, aber auch diese stößt so lange Zeit nach
dem Ende des Unrechtsregimes an Grenzen. Denn sie erfordert eine präzise Erinnerung an die so genannte Tat sowie an die Namen der damals Beteiligten, etwa der
Richter, der Vorgesetzten und anderer Personen.
Wir tragen diesen Umständen Rechnung und berücksichtigen zugleich, dass dies für die Opfer gerade wegen
der langen Zeit immer schwieriger wird und auch als entDr. Evelyn Kenzler
würdigend empfunden wird. Deswegen wollen wir auf
den Nachweis im Einzelfall verzichten.
Gleiches muss gelten, wenn eine Verurteilung nach anderen Vorschriften des Militärstrafgesetzbuches erfolgte; denn auch hier ist viel Unrecht geschehen. Das
wissen wir alle. Wir kennen die Fälle: Da wurde jemand
wegen eines Verstoßes gegen § 63, - Übergabe an den
Feind -, wegen einer Dienstpflichtverletzung aus Furcht,
§ 84, wegen Feigheit, § 85, oder gar wegen einer Heirat
ohne Erlaubnis, § 150, verurteilt und trägt, obwohl es eigentlich nicht sein dürfte, noch heute den Makel des Vorbestraften mit sich herum. Das ist falsch; denn wir wissen,
dass diese damaligen Entscheidungen eben nicht von einer rechtsstaatlichen Justiz getroffen worden sind.
({5})
Ich finde es gerecht, dass diese Gruppe von Opfern gegenüber anderen Betroffenen, deren Urteile durch das
NS-Aufhebungsgesetz ausdrücklich aufgehoben wurden,
jetzt entsprechend behandelt wird. Vor allem stellen wir
mit dem heutigen Gesetz klar, dass diese Menschen damals weder kriminell noch unehrenhaft gehandelt haben.
Es ist vorhin gesagt worden, dass der Zweite Weltkrieg
ein vom nationalsozialistischen Deutschland verschuldeter Angriffs- und Vernichtungskrieg war. Die Soldaten
waren deshalb an den auf den so genannten „Führer“ geleisteten Eid nicht in der Weise gebunden, wie dies heute
in einem demokratischen Rechtsstaat im Verteidigungsfall der Fall wäre. Auch dieser Tatsache trägt die heute
vorgeschlagene Regelung Rechnung.
Ich möchte noch ein Wort zur der Differenzierung sagen, die wir vorsehen. Es hat auch damals eine ganze
Reihe von Straftatbeständen gegeben, bei denen heute die
Aufhebung des Urteils ohne Einzelfallprüfung nicht verantwortbar wäre. Dies gilt zum Beispiel für Fälle der
Plünderung, der Fledderei oder etwa der Misshandlung
von Untergebenen. Hier gibt auch die Tatsache, dass sie
während eines völkerrechtswidrigen Angriffskrieges begangen wurden, keinen Anlass zur Rehabilitierung. Deshalb tun wir das auch nicht.
Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, wir alle wissen: Unsere heutigen Beschlüsse kommen eigentlich
mehr als 50 Jahre zu spät. Nötig sind sie dennoch. Lassen
Sie uns deshalb heute gemeinsam dafür sorgen, dass wenigstens der kleine Teil gut und vernünftig und vor allem
angemessen für die Betroffenen geregelt wird, mit dem
wir helfen können. Ich denke, das sind wir den Opfern der
NS-Unrechtsjustiz schuldig.
Vielen Dank.
({6})
Zu einer
Kurzintervention erteile ich dem Kollegen Norbert Geis
das Wort.
Herr Präsident! Meine
sehr verehrten Damen und Herren! Es war uns vonseiten
der CDU/CSU-Fraktion immer klar - wir haben mit Ihnen
darin übereingestimmt -, dass wir die Urteile von Militärgerichten gegen Homosexuelle aufheben wollen. Das
entsprach dem Beschluss dieses Parlamentes vom Dezember 2000, der mit den Stimmen der CDU/CSU-Fraktion gefasst worden ist. Dass dies heute nicht geschehen
kann, hängt damit zusammen, dass Sie beide Tatbestände
zusammenfassen. Wir können deshalb diesem Gesetzentwurf nicht zustimmen. Es ist notwendig, dieses klarzustellen, weil es eben - um es gelinde zu sagen - nur undeutlich dargetan worden ist.
Zum Zweiten möchte ich Herrn Pick sagen: Durch die
in Ihr Gesetz aufgenommenen Straftatbestände setzen Sie
die Richter, die die entsprechenden Urteile gesprochen
haben, pauschal ins Unrecht. Das ist eine neue Ungerechtigkeit. Bedenken Sie bitte, dass der oberste Militärrichter
der damaligen Zeit, Herr Dr. Sack, zusammen mit
Bonhoeffer in den letzten Tagen des Krieges auf Hitlers
Befehl in Flossenbürg hingerichtet worden ist. Ich glaube,
wir sollten Respekt auch vor diesen Leuten haben, die in
einer ganz schwierigen Zeit den Versuch unternommen
haben, gerecht zu handeln und gerecht zu urteilen.
Ich
schließe die Aussprache.
Tagesordnungspunkt 31 a: Wir kommen zur Abstimmung über den von den Fraktionen der SPD und des
Bündnisses 90/Die Grünen eingebrachten Gesetzentwurf
zur Änderung des Gesetzes zur Aufhebung nationalsozialistischer Unrechtsurteile in der Strafrechtspflege, Drucksache 14/8276. Der Rechtsausschuss empfiehlt in seiner
Beschlussempfehlung auf Drucksache 14/9092, den Gesetzentwurf anzunehmen. Hierzu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion der PDS auf Drucksache 14/9116 vor,
über den wir zuerst abstimmen. Wer stimmt für den Änderungsantrag der PDS-Fraktion? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Änderungsantrag ist mit
den Stimmen aller Fraktionen bei Zustimmung der PDSFraktion abgelehnt.
Ich bitte nun diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist in zweiter
Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und
der PDS-Fraktion bei Gegenstimmen von CDU/CSU und
FDP angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist
mit dem gleichen Mehrheitsverhältnis wie zuvor angenommen.
Tagesordnungspunkt 31 b: Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses auf Drucksache 14/9092 zu dem Antrag der Fraktion der PDS mit dem
Titel „Aufhebung der nationalsozialistischen Unrechtsurteile gegen Deserteure“. Der Ausschuss empfiehlt unter
Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung, den Antrag auf
Drucksache 14/5612 abzulehnen. Wer stimmt für diese
Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer
enthält sich? - Die Beschlussempfehlung ist damit mit
den Stimmen der Koalitionsfraktionen, der CDU/CSU
und der FDP bei Gegenstimmen der PDS angenommen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 32 auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur weiteren Reform des Aktien- und Bilanzrechts,
zu Transparenz und Publizität ({0})
- Drucksache 14/8769 ({1})
Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses ({2})
- Drucksache 14/9079 Berichterstattung:
Abgeordnete Gabriele Lösekrug-Möller
Dr. Susanne Tiemann
Volker Beck ({3})
Sabine Jünger
Es liegt ein Änderungsantrag der Fraktionen der SPD
und des Bündnisses 90/Die Grünen vor.
Die Reden zu diesem Tagesordnungspunkt sind zu Pro-
tokoll gegeben worden1). Ich gehe davon aus, dass Sie damit einverstanden sind.
Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur weiteren
Reform des Aktien- und Bilanzrechts, zu Transparenz und
Publizität, Drucksache 14/8769. Der Rechtsausschuss
empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 14/9079, den Gesetzentwurf in der Ausschussfassung
anzunehmen.
Es liegt ein Änderungsantrag der Fraktionen der SPD
und des Bündnisses 90/Die Grünen vor, über den wir zuerst abstimmen. Wer stimmt für den Änderungsantrag auf
Drucksache 14/9134? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Änderungsantrag ist einstimmig angenommen.
Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung mit den soeben beschlossenen Änderungen
zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist in zweiter
Beratung angenommen.
Interfraktionell ist vereinbart, trotz der Annahme des
Änderungsantrags in der zweiten Beratung jetzt unmittelbar in die dritte Beratung einzutreten. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall.
Wir kommen zur
dritten Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist
einstimmig angenommen.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 33 auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Änderung des Pflichtversicherungsgesetzes
und anderer versicherungsrechtlicher Vorschriften
- Drucksache 14/8770 ({4})
Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses ({5})
- Drucksache 14/9067 Berichterstattung:
Abgeordnete Christine Lambrecht
Dr. Susanne Tiemann
Volker Beck ({6})
Sabine Jünger
Auch die Reden zu diesem Tagesordnungspunkt sollen
zu Protokoll genommen werden2). - Sie sind damit einverstanden.
Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung
des Pflichtversicherungsgesetzes und anderer versicherungsrechtlicher Vorschriften, Drucksache 14/8770. Der
Rechtsausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 14/9067, den Gesetzentwurf in der
Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die
dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen
wollen, um ihr Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung einstimmig angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist
einstimmig angenommen.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 35 auf:
- Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Änderung der Strafprozessordnung
- Drucksache 14/7562 ({7})
- Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Regelung der Zuständigkeit für die Anordnung einer
DNA-Untersuchung bei Spuren
- Drucksache 14/5264 ({8})
Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses ({9})
- Drucksache 14/9088 -
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
1) Anlage 10 2) Anlage 11
Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Jürgen Meyer ({10})
Ronald Pofalla
Volker Beck ({11})
Dr. Evelyn Kenzler
Zum Gesetzentwurf der Bundesregierung liegt ein Än-
derungsantrag der Fraktion der CDU/CSU vor.
Auch die Reden zu diesem Tagesordnungspunkt sollen
zu Protokoll genommen werden1). - Ich sehe, Sie sind
einverstanden.
Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung
der Strafprozessordnung auf Drucksache 14/7562. Der
Rechtsausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 14/9088, den Gesetzentwurf in der Ausschussfassung anzunehmen.
Dazu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion der
CDU/CSU auf Drucksache 14/9117 vor, über den wir zuerst abstimmen. Wer stimmt für diesen Änderungsantrag?
- Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist bei Zustimmung der CDU/CSU mit den Stimmen
aller anderen Fraktionen abgelehnt.
Ich bitte nun diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der
Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der FDP bei Gegenstimmen von
CDU/CSU und PDS angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist
mit dem gleichen Stimmenverhältnis angenommen.
Abstimmung über den Gesetzentwurf des Bundesrates
zur Regelung der Zuständigkeit für die Anordnung einer
DNA-Untersuchung bei Spuren, Drucksache 14/5264.
Der Rechtsausschuss empfiehlt unter Buchstabe b seiner
Beschlussempfehlung auf Drucksache 14/9088, den Gesetzentwurf abzulehnen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist
in zweiter Beratung einstimmig abgelehnt. Damit entfällt
nach unserer Geschäftsordnung die weitere Beratung.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 36 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Rolf
Kutzmutz, Wolfgang Bierstedt, Uwe Hiksch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der PDS
Ökologisch-sozialen Ausbau der regionalen
Infrastruktur mit einer Verstetigung von Beschäftigung verbinden
- Drucksache 14/8640 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie ({12})
Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft
Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Angelegenheiten der neuen Länder
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgen-
abschätzung
Auch hier sollen die Reden zu Protokoll genommen
werden2). - Ich sehe, Sie sind einverstanden.
Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 14/8640 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie auch damit
einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Mittwoch, den 5. Juni 2002, 13 Uhr, ein.
Ich wünsche Ihnen schöne Pfingstferien und gute Erholung!
({13})
Die Sitzung ist geschlossen.